Gesamtes Protokol
Ich eröffne die Sitzung.
Meine Damen und Herren, wir beginnen mit dem Tagesordnungspunkt 1:
Fragestunde
— Drucksache 11/1937 —
Ich darf Sie darauf aufmerksam machen, daß wir den Geschäftsbereich für Wirtschaft im Verlauf der Fragestunde später aufrufen, wenn der Herr Parlamentarische Staatssekretär hiersein kann. Es gibt Gründe, daß er noch nicht dasein kann.
— Gründe, die ich akzeptiert habe.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten auf. Herr Staatssekretär Gallus steht uns zur Beantwortung der Fragen zur Verfügung. Die erste Frage ist von Herrn Abgeordneten Eigen gestellt:
Wie stellt sich die Bundesregierung zu den neuerlichen Agrarsubventionen in Frankreich in Höhe von 3 Milliarden Francs, die in Frankreich als „gerechter Ausgleich" für die negativen Auswirkungen des EG-Gipfels in Brüssel angesehen werden?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Herr Kollege Eigen, die Bundesregierung geht davon aus, daß die französische Regierung die von ihr beabsichtigten Beihilfemaßnahmen der EG-Kommission ordnungsgemäß notifiziert. Es ist Aufgabe der EG-Kommission, die beabsichtigten Maßnahmen auf ihre Vereinbarkeit mit dem Gemeinsamen Markt zu prüfen und eine Entscheidung über deren Zulässigkeit zu treffen. Das Ergebnis der Prüfung der EG-Kommission bleibt zunächst abzuwarten.
Herr Eigen, Zusatzfrage, bitte.
Hat die Tatsache, daß die französischen Maßnahmen der Europäischen Kommission bekanntgeworden sind, Einfluß gehabt auf die Beratungen im Agrarrat in Brüssel in bezug auf die Übernahme der Bedingungen für die Flächenstillegung,
etwa in Form eines differenzierten Angebots für die französische Landwirtschaft, damit sich diese an der Maßnahme beteiligt? Kann man erwarten, daß die Bundesregierung diese Tatsache, daß die Regierung in Frankreich solche Subventionen an ihre Landwirtschaft verteilt, im Sinne eines Wohlverhaltens der französischen Regierung ausschöpft?
Gallus, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich sehe nicht, wie es im Zusammenhang mit dieser Frage zu derartigen politischen Konstellationen kommen kann. Wir gehen davon aus, um den zweiten Teil Ihrer Frage zu beantworten, daß alle europäischen Staaten an dem teilnehmen, was in Brüssel beschlossen worden ist.
Sie haben eine weitere Zusatzfrage, Herr Eigen, bitte schön.
Herr Staatssekretär, wie reagiert denn die Bundesregierung auf diese Maßnahmen in Frankreich? Sie haben in Ihrer Antwort gesagt, daß die Kommission entsprechend reagieren würde. Wie reagiert denn die Bundesregierung auf diese Tatsache?
Gallus, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, zunächst einmal muß ich offen bekennen, daß wir die Details überhaupt noch nicht kennen und daß es in erster Linie, wie ich hier gesagt habe, Aufgabe der Kommission ist, sich um diese Dinge zu kümmern. Wir sind zur Zeit ebenfalls um die entsprechenden Details bemüht. Wir werden entsprechend Einspruch einlegen, falls die Kommission das von sich aus nicht tut.
Zusatzfrage des Abgeordneten Klejdzinski.
Herr Staatssekretär, sind Sie bereit, wenn Sie gegenwärtig die Details noch nicht kennen, mir die Details und Ihre Beschlußfassung dazu zuzuleiten?Gallus, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, natürlich. Soweit wir in der nächsten Zeit überhaupt Endgültiges von der französischen Regierung erfahren, soll es daran nicht fehlen.
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4510 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 66. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 9. März 1988
Ich rufe Frage 2 des Abgeordneten Eigen auf:
Ist der Bundesregierung bekannt, daß im Gegensatz zur Haltung der Regierung Großbritanniens in Brüssel, die ja massive Preissenkungen gefordert hat, die britischen Farmer sich von den Brüsseler Beschlüssen stark belastet fühlen?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Gallus, Parl. Staatssekretär: Der Bundesregierung ist die Meinung der britischen Regierung sowie die Meinung des britischen Unterhauses zum Ergebnis des EG-Sondergipfels in Brüssel bekannt. Aus Pressenotizen hat die Bundesregierung erfahren, daß von seiten der britischen Landwirtschaft auch kritische Stimmen zu den Brüsseler Beschlüssen laut geworden sind.
Zusatzfrage, Herr Eigen.
Herr Staatssekretär, sind Sie mit mir einer Meinung, daß es für die Meinungsbildung auch bei uns in der Bundesrepublik Deutschland wichtig ist, daß nicht der Eindruck entsteht, als wären in Großbritannien Regierungen, Unterhaus und Farmer einer Meinung? Sie kennen die Diskussion, daß dort die bessere Struktur eine weitere Preissenkung ermögliche. Ist es nicht wichtig, daß mit dieser Meldung klargestellt wird, daß es diese einheitliche Meinung in Großbritannien doch nicht gibt?
Gallus, Parl. Staatssekretär: Das kann ich unterstreichen. Nur liegt es in der Natur der Sache, daß kaum irgendwo in der Welt die Farmer und die Landwirte gleicher Auffassung wie die Regierung sind. Das findet selten statt.
Herr Eigen, eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, haben Sie im nachhinein aus dem Agrarrat, der in diesen Tagen in Brüssel getagt hat und nachvollziehen soll, was auf dem Gipfel in Brüssel beschlossen worden ist, erfahren können, daß sich auch Großbritannien in vollem Umfang an der Flächenstillegungsaktion beteiligen wird, d. h. mit einem differenzierten Angebot je nach Ertragskraft der Böden?
Gallus, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, alle Länder der Europäischen Gemeinschaft müssen ihren Landwirten im Set-aside-Programm ein entsprechendes Angebot machen. Inwieweit das nun in den einzelnen Ländern Erfolg haben wird, muß abgewartet werden. Auch wir müssen erst unsere Verordnungen auf den Weg bringen, damit für die Ernte 1989 ab Juli dieses Jahres, wie wir hoffen, die Dinge entsprechend in Gang kommen.
Damit sind wir am Ende dieses Geschäftsbereichs. Ich danke dem Parlamentarischen Staatssekretär für die Beantwortung der Fragen.
Ich rufe nun den Bereich des Bundesministers für Forschung und Technologie auf. Der Parlamentarische Staatssekretär Dr. Probst steht zur Beantwortung der Fragen zur Verfügung.
Bevor ich ihm das Wort gebe, möchte ich folgendes sagen: Herr Riedl ist gerade eingetroffen. Damit die
Kollegen sich darauf einstellen können, daß so verfahren wird, wie es gesagt worden ist: Zuerst kommt Herr Vogt vom Arbeitsministerium an die Reihe und dann Herr Riedl, so daß dann noch alle rechtzeitig drankommen.
Jetzt kommt die Frage 3 des Abgeordneten Catenhusen:
Beabsichtigt die Bundesregierung, nach dem Kürzungsbeschluß des Haushaltsausschusses eine Neustrukturierung des Programms „Humanisierung der Arbeit" vorzunehmen, und mit welchen Schwerpunkten soll dieses Programm weitergeführt werden?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Herr Kollege Catenhusen, Ihre Frage 3 beantworte ich wie folgt: Die Bundesregierung hält an ihrer Absicht fest, 1989 eine Fortschreibung des Programms vorzulegen. Die erste Ankündigung war in einem an Sie gerichteten Schreiben vom 16. April 1987 enthalten. Mit dem Antrag auf Entsperrung von Haushaltsmitteln bei Kap. 30 03 Tit. 683 19 wird der Bundesminister für Forschung und Technologie hierzu in nächster Zeit eine erste Konzeption vorlegen. Unter Berücksichtigung der Diskussionen in den Ausschüssen des Deutschen Bundestages sollen dann die weiteren Details ausgearbeitet werden.
Herr Catenhusen, Zusatzfrage? — Bitte schön.
Wird diese erste Konzeption schon unter Einbeziehung der Tarifpartner, die auch im Gesprächskreis „Humanisierung der Arbeit" zusammenarbeiten, erstellt?
Dr. Probst, Parl. Staatssekretär: Ich gehe davon aus, daß die zuständigen Fachreferate hierzu in einem permanenten Kontakt mit den betroffenen Gruppen sind.
Weitere Zusatzfrage, bitte schön.
Zweite Zusatzfrage: Kann die Öffentlichkeit schon jetzt davon ausgehen, daß auch ein künftiges Programm „Humanisierung der Arbeit" Projekte im Bereich der Informations- und Kommunikationstechniken enthalten wird und daß auch das bewährte Element der Umsetzung von HdA-Projekten im Rahmen des künftigen Programms weiter enthalten sein wird?
Dr. Probst, Parl. Staatssekretär: Davon wird man ausgehen können.
Wir sind damit am Ende dieses Geschäftsbereichs. Ich danke Herrn Probst für die Beantwortung der Fragen.Ich rufe nun vereinbarungsgemäß den Geschäftsbereich des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung auf. Herr Parlamentarischer Staatssekretär Vogt steht zur Beantwortung der Fragen zur Verfügung.Ich rufe die Frage 24 des Abgeordneten Dr. Klejdzinski auf:
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 66. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 9. März 1988 4511
Vizepräsident WestphalIst der Bundesregierung bekannt, daß der Verwaltungsrat der Bundesanstalt für Arbeit entschieden hat, keine AB-Maßnahmen für die AIDS-Hilfe, AIDS-Vorsorge mehr zu genehmigen, und was gedenkt die Bundesregierung zu veranlassen?Bitte schön, Herr Staatssekretär:
Herr Kollege, es trifft nicht zu, daß die Bundesanstalt für Arbeit entschieden habe, keine Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen für die AIDS-Hilfe und AIDS-Vorsorge mehr zu genehmigen. Allerdings hat der Vorstand der Bundesanstalt für Arbeit im Rahmen einer Erörterung dieses Problems am 1. März 1988, also vor wenigen Tagen, verdeutlicht, daß Arbeiten im Zusammenhang mit der AIDS-Aufklärung, AIDS-Beratung und AIDS-Betreuung grundsätzlich zu den Pflichtaufgaben staatlicher Gesundheitsvorsorge und Gesundheitsfürsorge gehören und deswegen nicht aus Beitragsmitteln der Arbeitslosenversicherung gefördert werden dürfen. Denn die Beitragsmittel der Arbeitnehmer und Arbeitgeber für die Bundesanstalt für Arbeit sind nicht dafür da, Mittel aus dem allgemeinen Steueraufkommen abzulösen, mit denen Aufgaben des Staates zu finanzieren sind. Nach wie vor können aber im Einzelfall alle Arbeiten aus dem Bereich der Hilfe bei AIDS, die nicht Pflichtaufgaben staatlicher und privater Stellen sind, als Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen gefördert werden, wenn die sonstigen gesetzlichen Förderungsvoraussetzungen gegeben sind. Die Entscheidung trifft der Direktor des Arbeitsamtes.
Die Bundesanstalt für Arbeit prüft zur Zeit, inwieweit das Ergebnis der Erörterung im Vorstand noch im Erlaßwege umzusetzen ist.
Zusatzfrage, Herr Klejdzinski.
Herr Staatssekretär, wenn Sie jetzt nach einer langen Zeit plötzlich feststellen, daß es keine Pflichtaufgaben mehr sind und Sie deswegen — so habe ich Sie zumindest verstanden — auf dem sogenannten Verordnungswege keine weiteren Stellen mehr genehmigen können, frage ich Sie: Kann ich davon ausgehen, daß bei dieser Abgrenzung die Förderung in den Bereichen, die erst neuerdings unter diese Pflichtaufgabe fallen, an sich nicht Rechtens war?
Vogt, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, nicht die Bundesregierung hat hier Aufgaben erledigt, sondern die Bundesanstalt für Arbeit hat Aufgaben wahrgenommen. Sie sind in den entsprechenden Gremien der Bundesanstalt erörtert worden; ich habe auf die Vorstandserörterung am 1. März hingewiesen. Die Bundesanstalt führt diese Aufgaben durch, nicht der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung.
Weitere Zusatzfrage, Herr Dr. Klejdzinski.
Wenn es also so ist, daß der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung keine unmittelbare Dienstaufsicht über die Bundesanstalt führt, frage ich: Hat es denn ein Gespräch zwischen dem Bundesminister für Arbeit und der Bundesanstalt in dieser Frage gegeben?
Vogt, Parl. Staatssekretär: Wir haben die Rechtsaufsicht über die Bundesanstalt für Arbeit. Die Bundesregierung genehmigt den Haushalt. Im übrigen sind die öffentlichen Gebietskörperschaften in den Gremien der Selbstverwaltung vertreten.
Auf die ganz gezielte Frage, die Sie gestellt haben, antworte ich mit Nein.
Ich rufe die Frage 25 des Abgeordneten Catenhusen auf:
Welche Maßnahmen wird die Bundesregierung ergreifen, um — nach dem Beschluß der Bundesanstalt für Arbeit, künftig keine „AB-Maßnahmen" bei Einrichtungen der AIDS-Beratung und AIDS-Hilfe zu genehmigen — mit Bundesunterstützung eine Weiterführung der Arbeit von Einrichtungen für die AIDS-Beratung und AIDS-Hilfe sicherzustellen?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Vogt, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, es trifft nicht zu, daß die Bundesanstalt für Arbeit einen Beschluß gefaßt habe, künftig keine Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen bei Einrichtungen der AIDS-Beratung und AIDS-Hilfe zu genehmigen. Im übrigen verweise ich auf die Antwort, die ich gerade Ihrem Kollegen Klejdzinski gegeben habe.
Zusatzfrage, Herr Catenhusen.
Sieht die Bundesregierung auf Grund dieser Aussage der Bundesanstalt für Arbeit denn die Notwendigkeit, zu überlegen, wie künftig aus anderen finanziellen Quellen die Arbeit von AIDS-Beratungs- und AIDS-Hilfestellen sichergestellt werden kann, und hat es dazu auch schon Besprechungen zwischen Ihrem Hause und dem Ministerium für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit gegeben?
Vogt, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich habe zur Kenntnis genommen, daß Sie auch eine Frage an den Bundesminister für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit gestellt haben, in dessen Zuständigkeitsbereich die Frage fällt, die Sie hier gerade gestellt haben. Ich möchte Sie darauf verweisen, daß Sie, wenn die Frage aufgerufen wird, die Sie an den BMJFFG gestellt haben, das noch einmal nachfragen können.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Catenhusen.
Es passiert mir selten, daß ich mit dem Kollegen Klejdzinski verwechselt werde.
Vogt, Parl. Staatssekretär: Entschuldigung.
Aber ich nutze dann meine zweite Zusatzfrage, um dennoch zu fragen, ob zwischen Ihrem Hause und dem BMJFFG dazu schon Gespräche stattgefunden haben.Vogt, Parl. Staatssekretär: Nein. Hier besteht deshalb keine Notwendigkeit, weil die Gesundheitsvorsorge in den Zuständigkeitsbereich des BMJFFG fällt. Es wäre die Frage, ob sich der BMJFFG mit der Bundesanstalt für Arbeit in Verbindung gesetzt hat. Darüber kann ich im Moment keine Auskunft geben.
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4512 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 66. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 9. März 1988
Herr Klejdzinski will noch eine Zusatzfrage stellen.
Herr Staatssekretär, kann ich denn, unabhängig von dem Kompetenzgerangel, das Sie uns jetzt hier gerade darlegen und das sicherlich durchaus auch bestimmte bürokratische Strukturen beinhaltet, davon ausgehen, daß dies der Bundesregierung zumindest vom Problembewußtsein her bekannt ist und dieses Problembewußtsein auch dahin zu deuten ist, daß Sie sich hier im Hinblick auf die finanziellen Mittel für die notwendigen Kräfte in einem ganz spezifischen Bereich etwas einfallen lassen, damit das, was wir im Grunde genommen wollen, weiter fortgeführt werden kann?
Vogt, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich möchte doch zurückweisen, daß es hier um ein Kompetenzgerangel gehe. Vielmehr haben die einzelnen Bundesministerien ihre Aufgabenbereiche, die Bundesanstalt für Arbeit hat ihren gesetzlichen Auftrag, ihre gesetzlich vorgegebenen Kompetenzen, und in diesem Rahmen arbeiten der BMA, der BMJFFG und die Bundesanstalt für Arbeit.
Im übrigen wird auf Ihre Frage dann mein Kollege Pfeifer sicherlich antworten. Er wird Ihnen Zahlen nennen, wie im Bereich der AIDS-Hilfe Maßnahmen finanziert worden sind, in welchem Umfang Mittel zur Verfügung gestellt worden sind. Ich habe auf Ihre Frage vorhin geantwortet, daß auch die Bundesanstalt für Arbeit weiterhin im Einzelfall Arbeiten im Bereich der AIDS-Hilfe fördern will, aber daß die Beratung im Vorstand noch nicht abgeschlossen ist, in welchem Umfang, in welchem Rahmen das geschehen kann, damit sich die Bundesanstalt für Arbeit in ihrem Aufgabenbereich bewegt.
Wir sind am Ende dieses Geschäftsbereichs, weil der letzte Fragesteller, Herr Dr. Meyer zu Bentrup, nicht im Raum ist. Herr Staatssekretär, ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie noch ein paar Minuten blieben, denn es könnte sein, daß er eintrifft und erwartet hat, daß wir uns bei dem — entgegen der ursprünglichen Planung erst jetzt folgenden — Bereich des Bundesministers für Wirtschaft eine Weile aufgehalten hätten. Seien Sie so nett, und bleiben Sie noch ein bißchen! Ich würde seine Fragen 26 und 27 dann noch aufrufen.
Ich danke Ihnen für die Beantwortung der übrigen Fragen.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers für Wirtschaft auf. Herr Parlamentarischer Staatssekretär Dr. Riedl steht zur Beantwortung zur Verfügung.
Zunächst kommt die Frage 8 des Abgeordneten Dr. Schöfberger, der aber nicht im Raum ist. Dann werden seine beiden Fragen 8 und 9 entsprechend der Geschäftsordnung behandelt.
Ich rufe die Frage 10 der Abgeordneten Frau Olms auf:
Kann die Bundesregierung bestätigen, daß die Firma Lasco an Iran und Irak Maschinen exportiert hat, mit denen Granathülsen und andere Patronenhülsen gefertigt werden können?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Herr Präsident, ich darf mich bei Ihnen zunächst sehr herzlich für das Verständnis bedanken. Ich war in einem vorübergehend nicht überwindbaren Verkehrsstau festgehalten worden. Vielen Dank.
Auch Taxifahrer dürfen streiken.
Dr. Riedl, Parl. Staatssekretär: Selbstverständlich. Frau Abgeordnete, ich darf Ihre Frage 10 mit Nein beantworten.
Eine Zusatzfrage, Frau Olms.
Wie wurde in diesem Fall der Lieferung der Firma Lasco überprüft, ob die gelieferten Werkzeuge und Maschinen nicht für militärische Fertigungen geeignet sind oder gegebenenfalls ausschließlich für militärische Produktion geeignet sind?
Dr. Riedl, Parl. Staatssekretär: Frau Abgeordnete, dies bezieht sich auch auf Ihre Frage 11. Wenn Sie damit einverstanden sind, beantworte ich diese jetzt.
Dann rufe ich auch die Frage 11 der Abgeordneten Frau Olms auf:
Bleibt die Bundesregierung bei der Darstellung des Parlamentarischen Staatssekretärs Dr. von Wartenberg in dessen Antwort vom 22. April 1988 auf die Frage der Abgeordneten Frau Eid, und wurde demzufolge ein Ermittlungsverfahren gegen die Firma Lasco wegen des Verdachts der ungenehmigten Rüstungslieferung nach Irak und Iran eingeleitet?
Frau Olms, Sie haben dann noch drei weitere Zusatzfragen.
Dr. Riedl, Parl. Staatssekretär: Die Bundesregierung hat im Zusammenhang mit der „Monitor"-Sendung vom 1. März 1988 inzwischen Überprüfungen eingeleitet. Am 2. März 1988 wurde der Bundesminister der Finanzen gebeten, durch die zuständige Oberfinanzdirektion bei der Firma Lasco eine sofortige Außenwirtschaftsprüfung mit dem Schwerpunkt der Ausfuhren nach Iran und Irak zu veranlassen. Ich bitte um Verständnis dafür, daß es noch einige Zeit dauern wird, bis das Ergebnis dieser Prüfung vorliegt. Wir rechnen damit, daß es noch etwa sechs bis zehn Wochen dauern wird, bis das Ergebnis vorliegt. Wir werden Sie dann selbstverständlich hierüber informieren.
Eine Zusatzfrage, Frau Olms.
Obwohl die Prüfung noch nicht abgeschlossen ist, möchte ich Sie fragen, ob Sie Informationen darüber haben, welche Empfänger die Firma Lasco bei ihren Exporten nach Irak und Iran angegeben hat.
Dr. Riedl, Parl. Staatssekretär: Nein. Das liegt mir noch nicht vor.
Eine weitere Zusatzfrage.
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 66. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 9. März 1988 4513
Wäre es nicht sinnvoll, insbesondere bei militärisch verwendbaren Exporten in kriegführende Länder genauer zu prüfen, wer der Empfänger ist und was mit der zu liefernden Ware im Sinne kriegerischer Handlungen gemacht werden kann?
Dr. Riedl, Parl. Staatssekretär: Es ist natürlich immer das Bemühen der Bundesregierung und der genehmigenden Stellen, alle diese Faktoren zu prüfen. Aber, Frau Abgeordnete, wenn es objektiv nicht möglich ist, so etwas zu prüfen, kann das natürlich auch durch die Bundesregierung nicht geschehen, vor allen Dingen dann nicht, wenn strafbare Handlungen vorliegen, die in aller Regel so begangen werden, daß es für die genehmigende Behörde sehr schwer ist, dem Sachverhalt ohne weiteres nachzuspüren.
Noch eine Zusatzfrage, Frau Olms.
Obwohl die Prüfung noch nicht abgeschlossen ist, habe ich noch eine Frage: Welchen Verwendungszweck hat die Firma Lasco für die Maschinen und die dazugehörigen Werkzeuge angegeben?
Dr. Riedl, Parl. Staatssekretär: Das kann ich Ihnen vor Abschluß der Ermittlungen auch nicht sagen. Aber dies ist ein Teil der Ermittlungen, die angestellt werden. Es wird in der Auskunft, die wir Ihnen dann geben, sicher mit enthalten sein.
Frau Beer möchte eine Zusatzfrage stellen.
Ich möchte zwei Fragen stellen, weil zwei Fragen auf einmal beantwortet wurden. Ist das möglich?
Ja.
Was hat die Bundesregierung im April 1987 unternommen, nachdem sie mittels der Frage meiner Kollegin Frau Eid einen deutlichen Hinweis auf die Lasco-Lieferungen zumindest im Fall Iran erhalten hatte?
Dr. Riedl, Parl. Staatssekretär: Frau Abgeordnete, die Firma Lasco hat vom Bundesamt für gewerbliche Wirtschaft in den Jahren 1986 und 1987 insgesamt vier Negativbescheinigungen betreffend hydraulische Vielzweckpressen erhalten.
Frau Beer, bitte schön.
Trifft es zu, daß für den IranAuftrag von der Bundesregierung eine Absicherung über die Hermes-Bürgschaften erfolgte? Hat es solche Hermes-Bürgschaften auch für die Irak-Lieferungen gegeben?
Dr. Riedl, Parl. Staatssekretär: Davon ist mir nichts bekannt.
Frau Nickels zu einer Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatssekretär, kann die Bundesregierung ausschließen, daß noch weitere Werkzeugmaschinen aus der Bundesrepublik in Iran und Irak zur Munitionsherstellung verwandt werden?
Dr. Riedl, Parl. Staatssekretär: Frau Abgeordnete, wenn es sich um illegale und auf Grund von Straftatbeständen herbeigeführte Ausfuhren handelt, kann die Bundesregierung natürlich nichts ausschließen. Ich kann Ihnen aber versichern, daß die Ausfuhren, die im Rahmen von auf Recht beruhenden Ausfuhrgenehmigungen erfolgt sind, selbstverständlich mit Kenntnis und mit Zustimmung der Bundesregierung geschehen sind.
Ich darf Sie bitten, der Bundesregierung immer den besten Willen zu unterstellen und davon auszugehen, daß wir, wenn Straftatbestände oder der Verdacht auf strafbare Handlungen bekannt werden, dem sofort nachgehen. Wir sind insofern dankbar, daß die „Monitor" -Sendung solche Hinweise gegeben hat.
Noch eine Zusatzfrage, Frau Nickels, bitte schön.
Herr Staatssekretär, besteht Ihrer Erkenntnis nach ein Zusammenhang zwischen der Tätigkeit der bundeseigenen Firma Fritz Werner im Iran und der Lieferungen von Lasco?
Dr. Riedl, Parl. Staatssekretär: Davon ist mir nichts bekannt. Ich werde aber dem Hinweis gerne nachgehen.
Die Fragen 12 und 13 des Abgeordneten Sellin sollen schriftlich beantwortet werden. Das gleiche gilt für die Fragen 14 und 15 des Abgeordneten Engelsberger. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.Wir kommen dann zur Frage 16 des Abgeordneten Dr. Lammert:Trifft die Mitteilung der FAZ vom 28. Februar 1988 zu, nach der die Bundesregierung die fur industrielle Problemregionen zur Verfügung stehenden Finanzierungsmittel der Europäischen Gemeinschaft für das „Sonderprogramm Ruhrgebiet" nur zu einem Bruchteil in Anspruch nimmt?Bitte schön, Herr Staatssekretär.Dr. Riedl, Parl. Staatssekretär: Herr Abgeordneter Lammert, zuständig für die Abwicklung der EG-Sonderprogramme sind die einzelnen Bundesländer. Es trifft zu, daß das Land Nordrhein-Westfalen die im Rahmen eines Sonderprogramms der Europäischen Gemeinschaft für Stahlstandorte für den Zeitraum von 1984 bis Anfang 1989 bereitstehenden Mittel bisher nur zum Teil genutzt hat. Allerdings läuft das Programm derzeit noch, so daß über die endgültige Inanspruchnahme jetzt noch keine abschließende Auskunft gegeben werden kann. Die Bundesregierung hat jedoch die Länder aufgefordert, ihre Mittelanforderungen an die Kommission beschleunigt zu melden, um zu vermeiden, daß bereitstehende EG-Mittel später verfallen.Sie merken aus meiner vorsichtigen Formulierung, daß Sie vom politischen Inhalt Ihrer Frage her mehr als recht haben.
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4514 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 66. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 9. März 1988
Parl. Staatssekretär Dr. RiedlSoweit die Mitteilung in der „FAZ" auf künftige Ansprüche des Ruhrgebiets an die EG-Strukturfonds abhebt, kann die Bundesregierung diese Berechnungen zur Zeit noch nicht bestätigen. Nach unserer Einschätzung dürften die von der Europa-Abgeordneten Frau Hoff genannten Zahlen allerdings überhöht sein.
Herr Dr. Lammert, bitte schön.
Herr Staatssekretär, wie will die Bundesregierung sicherstellen, daß die bei der Ruhrgebietskonferenz des Bundeskanzlers neben den EG-Mitteln in Aussicht gestellten zusätzlichen Mittel für regionale Wirtschaftsförderung an Montanstandorten im Ruhrgebiet nicht zu einer Verschärfung des ohnehin vorhandenen Fördergefälles zwischen verschiedenen Arbeitsmarktregionen führen, sondern zur Mobilisierung privater und öffentlicher Investitionen in der gesamten Region eingesetzt werden können?
Dr. Riedl, Parl. Staatssekretär: Herr Abgeordneter, dies ist ein sehr wichtiger Sachverhalt. Der gemeinsame Planungsausschuß von Bund und Ländern hat hier eine regulierende Funktion. Ich kann Ihnen zwar das Datum nicht auf den Tag genau sagen, aber im April findet die nächste Sitzung dieses Planungsausschusses statt. Wenn Sie mir die Bemerkung gestatten: Wenn das Land Nordrhein-Westfalen dort sehr einfallsreiche Vorschläge unterbreitet, wird die Bundesregierung dem sicherlich positiv zur Seite stehen. Ich kann hier in diesem Zusammenhang nur sehr an den Einfallsreichtum des Wirtschaftsministeriums in Nordrhein-Westfalen appellieren, Vorschläge zu machen, die dieses in der Tat problematische Fördergefälle nicht zu stark ausfallen lassen.
Sie haben eine weitere Frage, Herr Dr. Lammert.
Darf ich, Herr Staatssekretär, festhalten, daß die Bundesregierung der Inanspruchnahme dieser zusätzlichen Mittel auch durch Arbeitsmarktregionen, die nicht als Fördergebiete im Rahmen der Gemeinschaftsaufgabe definiert sind, nicht im Weg stehen wird?
Dr. Riedl, Parl. Staatssekretär: Nach meiner Kenntnis der Handhabung solcher Vorschläge im Planungsausschuß hat sich die Bundesregierung bislang immer solchen Vorschlägen angeschlossen. Sie wird es natürlich auch im Rall Ruhrgebiet mit besonderem Nachdruck tun.
Zusatzfrage des Abgeordneten Urbaniak.
Herr Staatssekretär, treffen Pressemeldungen zu, daß die Montanhilfen, die die Bundesregierung ja wohl offensichtlich in dieser Konferenz zugesagt hat, im Jahr 1988 für das Ruhrgebiet nicht mehr zum Zug kommen, sondern die Planungen bei Ihnen vorsehen, dies erst im Jahr 1989 vorzunehmen?
Dies hätte ich mir zwar als Dringlichkeitsfrage für heute vorstellen können. Aber diese Frage gehört nicht mehr zu diesem Thema. Wenn Sie sie beantworten wollen, können Sie es gern tun.
Dr. Riedl, Parl. Staatssekretär: Herr Präsident, ich bin auf der Herfahrt von Frankfurt heute morgen schon vom Kollegen Lammert auf diese vom Abgeordneten Urbaniak zitierte Pressemitteilung angesprochen worden. Ich kenne sie nur vom Telefon, sonst nicht. Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie sie mir geben könnten. Ich kann sie mir auch über die Pressestelle besorgen. Ich werde das prüfen lassen.
Ich würde es für einen politischen Widersinn halten, wenn einerseits in der Ruhrgebietskonferenz massive Unterstützung seitens der Bundesregierung zugesagt wird und andererseits diese Pressemeldung zuträfe.
Ich bin aber gern bereit, diesen Sachverhalt schleunigst aufzuklären.
Ich habe soeben gehört: Herr Dr. Lammert hat die Möglichkeit genutzt, für morgen eine Dringlichkeitsfrage einzureichen. Der Präsident wird entscheiden, ob wir sie morgen hier erörtern können.
Herr Klejdzinski hat sich zu einer Zusatzfrage gemeldet.
Herr Staatssekretär, liege ich richtig in der Annahme, daß in Ihrer Antwort ein versteckter Vorwurf gegen das Land Nordrhein-Westfalen, wenn man so will, verborgen oder für jeden erkennbar war, was den Mittelabfluß betrifft? Ist es nicht vielmehr so, daß dieses Land sich sehr intensiv um eine Mittelzuweisung aus Brüssel bemüht hat?
Dr. Riedl, Parl. Staatssekretär: Herr Abgeordneter, Sie haben das gar nicht so schlecht mitgekriegt, was ich etwas zurückhaltend, wie es dem Vertreter der Bundesregierung zusteht, von diesem Platz aus gesagt habe. Sie sind ein kluges Köpfchen.
Natürlich wollte ich damit zum Ausdruck bringen, daß, wenn es an die Geldtöpfe geht, Eile mehr geboten ist als Zurückhaltung. Rufen Sie Ihren Herrn Ministerpräsidenten an: Er ist gut beraten, wenn er die Mittel voll ausschöpft.
Wir bleiben dabei, daß die Abgeordneten in der Fragestunde nicht polemisieren dürfen. Das gilt dann selbst für die Regierungsbank.
Dr. Riedl, Parl. Staatssekretär: Ich meine, das ist Humor gewesen, Herr Präsident. Entschuldigen Sie!
Wenn Sie spüren würden, wie gern ich als Ruhrgebietsabgeordneter da unten stände, um mit zu fragen. Aber das kann ich jetzt nicht.Nun kommen wir zur Frage 17 des Abgeordneten Seidenthal:
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 66. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 9. März 1988 4515
Vizepräsident WestphalWie viele Investitionsvorhaben der gewerblichen Wirtschaft mit welchem Investitionsvolumen wurden seit Inkrafttreten des Investitionszulagengesetzes im Zonenrandgebiet gefördert?Bitte schön, Herr Staatssekretär.Dr. Riedl, Parl. Staatssekretär: Herr Abgeordneter Seidenthal, nach dem beim Bundesamt für Wirtschaft seit 1972 verfügbaren Datenmaterial wurden im Berichtszeitraum 1972 bis Ende 1987 insgesamt 23 700 Investitionsvorhaben im Zonenrandgebiet mit der sogenannten Investitionszulage gefördert, und zwar einschließlich der Förderfälle mit Mitteln aus der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur". Das Investitionsvolumen betrugt insgesamt 66 125,82 Millionen DM.
Herr Seidenthal, bitte schön.
Herr Staatssekretär, können Sie mir vielleicht auch eine Aufstellung geben, wie sich die eben genannten Vorhaben und Volumen auf die Wahlkreise und Wirtschaftszweige im Zonenrand aufgliedern?
Dr. Riedl, Parl. Staatssekretär: Herr Abgeordneter, ich mache das sehr gern. Sie haben ja in der Frage 18 nach der Aufschlüsselung der Vorhaben und Volumen nach einzelnen Bundesländern gefragt. Dies ist genauso möglich wie die Aufschlüsselung nach Wahlkreisen. Wir tun es besonders gern, damit auch die Herren Abgeordneten draußen die Möglichkeit haben, diese massive Förderung entsprechend zu vertreten. Letzlich ist die Bundesregierung für die Zustimmung zu diesen Geldern hier im Parlament dankbar.
Ich rufe die Frage 18 des Abgeordneten Seidenthal auf:
Wie schlüsseln sich die Vorhaben und Volumen auf die einzelnen Bundesländer auf?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Dr. Riedl, Parl. Staatssekretär: Herr Abgeordneter, diese Beträge schlüsseln sich nach einzelnen Ländern und Fällen wie folgt auf — jetzt wird es etwas viele Zahlen geben — : Bundesland Schleswig-Holstein: 3 462 Fälle, Investitionsvolumen 11 159,83 Millionen DM. Niedersachsen: 5 791 Fälle mit 18 388,64 Millionen DM — ich könnte auch sagen 18 Milliarden 388 Millionen DM; wir sind ja alle in die Schule gegangen —. Hessen: 2 870 Fälle mit 8 937,55 Millionen DM. Freistaat Bayern: 10 746 Fälle mit 27 639,8 Millionen DM. Das gibt summa summarum 22 869 Fälle mit 66 125,82 Millionen DM. Das war der Stand 7. August 1987, Herr Abgeordneter.
Eine Zusatzfrage.
Seidenthal: : Herr Staatssekretär, beabsichtigt die Bundesregierung, bei der Streichung der Investitionszulage die vorgesehenen Mittel in Höhe von 500 Millionen DM für die Gemeinschaftsaufgabe als Ausgleich drastisch aufzustocken, wie es die Arbeitsgemeinschaft der Industrie- und Handelskammern im Zonenrandgebiet und einige CDU-Wahlkreisabgeordnete fordern?
Dr. Riedl, Parl. Staatssekretär: Das ist zur Zeit in der Diskussion. Ich vertrete hier die Bundesregierung und kann Ihnen eine abschließende Meinung der Bundesregierung noch nicht sagen.
Ganz persönlich möchte ich dazu bemerken, daß es strukturpolitisch durchaus sinnvoll wäre, seitens der Bundesregierung solchen Vorschlägen nachzukommen. Aber ich bitte um Verständnis: Das muß natürlich auch mit dem Bundesfinanzminister und innerhalb der Bundesregierung abgesprochen werden.
Eine weitere Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatssekretär, in der Begründung für die Streichung der Investitionszulage wird durch die Bundesregierung wiederholt der Begriff Mitnahmeeffekt gebraucht. Können Sie mir bitte darlegen, was die Bundesregierung darunter versteht?
Dr. Riedl, Parl. Staatssekretär: Mitnahmeeffekte sind grundsätzlich solche Erscheinungen, bei denen Begünstigungen für Maßnahmen kassiert werden, die auch ohne diese Begünstigungen erfolgen würden. Der Mitnahmeeffekt ist natürlich sehr schwer nachzuweisen. Herr Abgeordneter, wenn es gelingt, Mitnahmeeffekte nachzuweisen, muß man sich auch mit den entsprechenden Empfängern unterhalten. Generell passiert es immer dort, wo staatliche Förderung ansetzt, daß zusätzliches Geld mitgenommen wird.
Wir bemühen uns zwar zusammen mit den Ländern, diese Mitnahmeeffekte möglichst klein zu halten, aber ausschließen kann sie im Prinzip niemand.
Herr Abgeordneter Hiller, eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, beabsichtigt die Bundesregierung, durch die Aufstockung der Mittel für die Gemeinschaftsaufgabe sicherzustellen, daß auch künftig im gleichen Umfange Arbeitsplätze im Zonenrandgebiet geschaffen werden können, wie das durch die Investitionszulage der Fall war?
Dr. Riedl, Parl. Staatssekretär: Das ist die grundsätzliche Meinung der Bundesregierung.
Ich rufe die Frage 19 des Herrn Abgeordneten Dr. Rose auf:Hält die Bundesregierung die neueste Fassung des EG-Kommissionsvorschlags zur Regionalpolitik für vereinbar mit den Richtlinien des Zonenrandförderungsgesetzes?Bitte schön.Dr. Riedl, Parl. Staatssekretär: Herr Abgeordneter Dr. Rose, die Zonenrandförderung ist in die zwischen der EG-Kommission und der Bundesregierung unter Beteiligung der Bundesländer am 21. Dezember 1987 erzielte sogenannte Verständigungslösung über die Neuordnung der deutschen Regionalförderung einbezogen worden. Die Zonenrandförderung ist jedoch nicht Teil des eigentlichen Prüfungsverfahrens gewesen, da sie auf eine andere Rechtsgrundlage als die Regionalförderung gestützt ist.
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4516 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 66. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 9. März 1988
Parl. Staatssekretär Dr. RiedlNach Auffassung der Bundesregierung kann die Zonenrandförderung in ihrer derzeitigen Ausgestaltung damit fortgeführt werden.Allerdings hat sich die EG-Kommission vorbehalten, die Rechtfertigung der derzeitigen Zonenrandbeihilfen zu überprüfen, um dabei insbesondere zu klären, ob sie zum Ausgleich der durch die Teilung Deutschlands verursachten wirtschaftlichen Nachteile des Zonenrandgebietes erforderlich sind. Sie bekräftigt damit ihre 1979 eingenommene Rechtsauffassung zur Zonenrandförderung.
Herr Rose, bitte schön, eine Zusatzfrage.
Weil Sie, Herr Staatssekretär, am Schluß erwähnt hatten, daß es 1979 eine Vereinbarung gab: Könnten Sie die nochmals erklären, damit man auch weiß, auf was man sich beruft?
Dr. Riedl, Parl. Staatssekretär: Herr Abgeordneter, ich tue das sehr gerne.
Die EG-Kommission hat seinerzeit, und zwar exakt mit Schreiben vom 16. Februar 1979, die Auffassung vertreten, daß die teilungsbedingten wirtschaftlichen Nachteile im Sinne von Art. 92 Abs. 2 c des EWG-Vertrages durch eine Untersuchung der Wirtschaftsstruktur und der Entwicklungsaussichten des Zonenrandgebietes festzustellen sind. Dabei müßten sich die wirtschaftlichen Nachteile aus einem Vergleich mit den anderen Gebieten der Bundesrepublik Deutschland ergeben. Außerdem vertritt die Kommission die Ansicht, daß Art. 92 Abs. 2 c des EWG-Vertrages nur die Beihilfen für zulässig erklärt, die speziell im Hinblick auf die Teilung Deutschlands gewährt werden. Art. 92 Abs. 2 c des EWG-Vertrages sieht ausdrücklich vor, daß mit dem gemeinsamen Markt Beihilfen im Rahmen der Zonenrandförderung für die Wirtschaft bestimmter, durch die Teilung Deutschlands betroffener Gebiete vereinbar sind, soweit sie zum Ausgleich der durch die Teilung verursachten wirtschaftlichen Nachteile erforderlich sind.
Weitere Zusatzfrage? — Keine.
Dann rufe ich die Frage 20 des Abgeordneten Dr. Rose auf:
Wird die Bundesregierung notfalls vor dem Europäischen Gerichtshof die Einhaltung des Zonenrandförderungsgesetzes einklagen?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Dr. Riedl, Parl. Staatssekretär: Die Frage 20, Herr Präsident, Herr Abgeordneter, darf ich wie folgt beantworten.
Die Bundesregierung wird zu gegebener Zeit selbstverständlich auch prüfen, ob ihr rechtliche Schritte zu Gebote stehen. Es ist also nicht ausgeschlossen, daß gegebenenfalls vor dem Europäischen Gerichtshof geklagt wird.
Keine weitere Zusatzfrage.
Dann kann ich die Frage 21 des Abgeordneten Sieler aufrufen:
Welche Zusagen sind der Bayerischen Staatsregierung im Rahmen der Koalitionsabsprache über den „Erhalt des Stahlstandortes Oberpfalz" gegeben worden?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Dr. Riedl, Parl. Staatssekretär: Herr Abgeordneter Sieler, im Rahmen der Koalitionsabsprache vom März 1987 sind Zusagen über den Erhalt des Stahlstandortes Oberpfalz nicht gegeben worden. Die Koalitionsvereinbarung zur Maxhütte hat vielmehr folgenden Wortlaut:
Bei der Bewältigung der Anpassungsprobleme in der Stahlindustrie wird die Bundesregierung alles im Rahmen ihrer Möglichkeiten tun, um unter anderem die Maxhütte entsprechend zu berücksichtigen.
Die Bundesregierung hat bei ihrer Stahlpolitik die Maxhütte stets voll berücksichtigt und wird das auch in Zukunft tun. So partizipiert das Unternehmen z. B. an den neuen Stahlhilfen des Bundes, die am 2. Oktober 1987 zugesagt worden sind.
Herr Sieler, bitte schön, Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, wie die Medien aus der Stahlrunde oder Ruhrgebietskonferenz berichtet haben, beabsichtigt die Bundesregierung, für Niedersachsen, für das Saarland und für Bayern 100 Millionen DM zur Verfügung zu stellen, neben den 400 Millionen DM für Nordrhein-Westfalen. Meine Frage dazu: Welchen Anteil davon erhält Bayern und für welchen Zweck bzw. mit welcher Zielsetzung werden diese Mittel gegeben?
Dr. Riedl, Parl. Staatssekretär: Ich kann Ihnen die Aufteilung noch nicht sagen, Herr Abgeordneter, aber wir werden den Haushaltsausschuß, dem Sie angehören, und insbesondere Sie sofort nach Vorliegen der Entscheidung informieren. Ich hoffe: einen möglichst hohen.
Zweite Zusatzfrage, Herr Sieler.
Herr Staatssekretär, vielleicht können Sie diese Frage beantworten: Hat die Bundesregierung diese Mittel an die Stahlstandorte gekoppelt, im Falle Bayerns an den Stahlstandort Oberpfalz, oder welche Gründe gibt es, daß sie das nicht getan hat?
Dr. Riedl, Parl. Staatssekretär: Die Mittel sind grundsätzlich — und das ist sinnvoll — an diese Stahlstandorte zu koppeln. Angesichts des Volumens gibt es meiner Ansicht nach keinen anderen Weg, als sie daran zu koppeln.
Herr Dr. Rose zu einer Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, sind diese Mittel für den Stahlstandort Oberpfalz als Mittel für den Standort von Stahl in der Oberpfalz oder als Mittel gedacht, den Standort zu fördern?
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 66. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 9. März 1988 4517
Dr. Riedl, Parl. Staatssekretär: Herr Abgeordneter, wenn diese Förderung zur Bewältigung der Strukturprobleme am Stahlstandort Maxhütte/Oberpfalz einen echten Sinn haben soll, dann sollte sie möglichst an diesen Stahlstandort gebunden sein. Es ist auch meine politische Absicht, das innerhalb der Bundesregierung so zu vertreten.
Herr Schreiner zu einer Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, da Sie soeben sagten, Sie hofften, daß von den verbleibenden 100 Millionen DM ein möglichst hoher Anteil nach Bayern fließen könnte: Könnte man daraus entnehmen, daß Sie umgekehrt hoffen, daß ein möglichst geringer Anteil an die Saar fließt, und sind Sie mit mir der Auffassung, daß die 100 Millionen DM insgesamt für die betroffenen Regionen selbst bei einer äußerst optimistischen Aufteilung nicht viel mehr sind als der berühmte Tropfen auf den heißen Stein?
Ich kann den Sachzusammenhang nicht leugnen, Herr Staatssekretär.
Dr. Riedl, Parl. Staatssekretär: Herr Präsident, ich weiß ja, daß hundert nicht mehr als hundert gibt, aber ich erhoffe natürlich für alle drei einen möglichst hohen Anteil, Herr Abgeordneter; das ist doch selbstverständlich.
Wir kommen jetzt zu Frage 22 des Abgeordneten Urbaniak:
Treffen Meldungen der „Westfälischen Rundschau" zu, wonach Stahl aus Brasilien über Drittländer in die Bundesrepublik Deutschland geschmuggelt und im Ruhrgebiet verkauft worden ist?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Dr. Riedl, Parl. Staatssekretär: Die Frage 22, Herr Abgeordneter Urbaniak, darf ich wie folgt beantworten:
Es ist zutreffend, daß nach Ermittlungen des Zollfahndungsamtes Düsseldorf Anfang 1985 ca. 19 000 t Stahlerzeugnisse, und zwar Warmbreitband, mit Ursprung aus Brasilien unter Vortäuschung eines falschen Ursprungs aus Jugoslawien über Belgien in die Bundesrepublik Deutschland eingeführt worden sind.
Ich darf Ihnen einmal sagen, wie das gelaufen ist. Nach diesen Feststellungen sind seinerzeit Stahllieferungen, wie gesagt, aus Brasilien nach den USA, von einer österreichischen Handelsfirma zunächst nach Jugoslawien umdirigiert worden. Dort sind die Waren mit einem falschen, nämlich dem jugoslawischen Ursprung versehen worden und nach Antwerpen geliefert worden. In Antwerpen wurden sie vom belgischen Zoll zum freien Warenverkehr in der Gemeinschaft abgefertigt und später nach Deutschland weitergeliefert. Insgesamt handelt es sich, wie gesagt, um — ich nenne jetzt die genaue Zahl; es waren nicht ganz 19 000 t — 18 900 t Warmbreitband aus Brasilien.
Zusatzfrage, Herr Urbaniak.
Herr Staatssekretär, gibt es keine Möglichkeiten, die die Bundesregierung zur Anwendung bringen könnte, um sich gegen derartige Geschäfte so zu wehren, daß sie in der Europäischen Gemeinschaft und damit auf dem Stahlmarkt, mit dem wir es zu tun haben, überhaupt nicht zum Zuge kommen dürften?
Dr. Riedl, Parl. Staatssekretär: Ich bin genauso wie Sie empört über solche Vorgänge, die wir auch aus anderen Bereichen kennen, z. B. im Schlachtviehbereich, im Bereich der Landwirtschaft und sonstwo.
Die Bundesregierung ist natürlich außerordentlich bestrebt und bemüht, über die Staatsanwaltschaften, über die Zollfahndungsbehörden solchen strafbaren Handlungen nachzugehen. Wie auch in diesem Fall hat das Zollfahndungsamt bislang sehr erfolgreich gearbeitet. Das, was ich Ihnen hier vortragen konnte, beruht ja auf den Ermittlungen der deutschen Zollfahndung.
Ich halte alles was hier passiert, für unglaublich. Das Volumen ist noch relativ niedrig, Herr Abgeordneter. Aber insgesamt ist dies auch eine Aufforderung an die Strafverfolgungsbehörden, bei Warenverkehren dieser und ähnlicher Art außerordentlich sorgfältig zu prüfen. Was allerdings entgegensteht, ist immer wieder die Freizügigkeit des Warenverkehrs in Europa und in der Welt. Sie kennen die Probleme, die damit zusammenhängen.
Herr Urbaniak, Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, meinen Sie nicht, daß die Bundesregierung auch mehr Phantasie entwickeln müßte, so wie Sie das vom Wirtschaftsminister in Nordrhein-Westfalen in einer anderen Frage verlangt haben, damit sich solche Dinge ausschließen, und sind Sie dabei, Phantasie zu entwickeln?
Dr. Riedl, Parl. Staatssekretär: Die deutsche Zollfahndung, das Bundeskriminalamt und unsere Polizeibehörden sind außerordentlich einfallsreich. Aber die, die diese strafbaren Handlungen begehen, Herr Abgeordneter, sind auch nicht von gestern und sind auch nicht ganz die Doofsten, um es einmal so zu sagen. Hier bedarf es größter Anstrengungen der Staaten insgesamt. Wir wollen dies durch die Sicherheitsbehörden der Bundesrepublik Deutschland und der Bundesländer auch immer wieder sicherstellen.
Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Lammert.
Herr Staatssekretär, zeigt der hier gerade behandelte Fall nicht, daß wir so schnell wie möglich die Wiederherstellung einer leistungsfähigen und wettbewerbsfähigen europäischen Stahlindustrie benötigen, die überhaupt auf solche Abschottungen des EG-Marktes — hier im Fall Stahl — weitgehend verzichten kann, weil Vorgänge wie der, den wir hier heute diskutieren, natürlich nur dann stattfinden können, wenn es nicht nur ein Interesse des Lieferanten, sondern auch ein Interesse von Importeuren gibt, solche Bestimmungen zu unterlaufen, deren Phantasie im Zweifelsfall die der Bundes-
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4518 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 66. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 9. März 1988
Dr. Lammertregierung und der Ministerialbürokratie — mit Verlaub — immer überbieten wird?Dr. Riedl, Parl. Staatssekretär: Herr Abgeordneter, ich kann Ihnen nicht widersprechen.
Im letzteren Falle schon — ab und zu.
Dr. Riedl, Parl. Staatssekretär: Wenn es geht, Herr Präsident.
Jetzt kommt eine Zusatzfrage des Abgeordneten Klejdzinski.
Herr Staatssekretär, habe ich es richtig verstanden, daß das Umetikettieren oder das Ausstatten mit anderen Papieren an sich eine strafbare Handlung ist?
Dr. Riedl, Parl. Staatssekretär: Herr Abgeordneter, soweit ich als Nichtjurist das beurteilen kann, handelt es sich um Betrug.
Eine Zusatzfrage der Abgeordneten Frau Steinhauer.
Herr Staatssekretär, wenn ich richtig gerechnet habe, waren es Ladungen von etwa 25 Güterzügen, die auf diesem illegalen Weg in die Bundesrepublik gekommen sind. Die kann man ja nicht in der Aktentasche transportieren. Wir hatten zu dieser Zeit noch eine Quotenregelung. Das muß doch eigentlich schon vorher aufgefallen sein, da wir ja in der EG eine Übersicht über die Stahlfertigung haben. Wie ist es möglich, daß so etwas erst im nachhinein bekannt wird, und wie kann man das für die Zukunft ausschließen?
Dr. Riedl, Parl. Staatssekretär: Frau Abgeordnete, ich bin kein Experte für Stahlschmuggel. Ich werde Ihrer Frage gern nachgehen, aber im Augenblick bin ich überfragt. Ich habe diesen Beruf nicht gelernt.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Lippelt.
Herr Staatssekretär, wären Sie bereit, die eben vorgenommene Qualifizierung der Umetikettierung als „Betrug" Minister Riesenhuber mitzuteilen, damit er sie vielleicht bei Umetikettierungen von Urantransporten berücksichtigt?
Dies gehört nun einmal nicht zu diesem Fragenbereich; eingefallen war es allerdings auch mir.
Dr. Riedl, Parl. Staatssekretär: Herr Minister Riesenhuber ist mein Zimmernachbar in der Heussallee. Ich treffe ihn meistens abends beim Nachhausekommen. Herr Abgeordneter, ich werde es ihm heute abend sagen.
Jetzt rufe ich Frage 23 des Abgeordneten Urbaniak auf:
Wie groß ist der wirtschaftliche Schaden, der dadurch der Bundesregierung und der deutschen Stahlindustrie entstanden ist, und wie will die Bundesregierung solche Vorkommnisse in Zukunft verhindern?
Dr. Riedl, Parl. Staatssekretär: Herr Abgeordneter Urbaniak, der den Feststellungen des Zollfahndungsamtes Düsseldorf zugrunde liegende Tatbestand kann für die Bundesrepublik Deutschland nicht zu einem Schaden geführt haben. Die Stahlerzeugnisse sind nämlich in Belgien, und zwar in Antwerpen, zum freien Verkehr abgefertigt worden. Der Zoll, der bei korrekter Ursprungserklärung hätte entrichtet werden müssen, wäre von den belgischen Zollbehörden zugunsten des belgischen Fiskus erhoben worden; denn Zölle auf EGKS-Waren werden in dem Haushalt des Landes vereinnahmt, in dem die Ware zum freien Verkehr abgefertigt wird.
Auch ein Schaden für die deutsche Stahlindustrie kann nicht eingetreten sein; denn die Einfuhr von Stahlerzeugnissen aus Drittstaaten, die in einem anderen EG-Staat zollmäßig abgefertigt worden sind, kann nicht verhindert werden. Weder für Einfuhren aus Brasilien noch für Einfuhren aus Jugoslawien bestehen mengenmäßige Beschränkungen. Die Einfuhr von Stahlerzeugnissen in die Bundesrepublik Deutschland kann auch dann nicht verhindert werden, wenn diese Waren in einem anderen EG-Mitgliedstaat unter falscher Ursprungsbezeichnung zum freien Warenverkehr abgefertigt worden sind.
Wegen der zum Nachteil des belgischen Staates festgestellten Abgabenhinterziehung kann die von einem deutschen Unternehmen begangene Tat auch von deutschen Strafverfolgungsbehörden geahndet werden. Die Zollfahndung hat die Angelegenheit inzwischen der Staatsanwaltschaft übergeben.
Eine Zusatzfrage, Herr Urbaniak.
Herr Staatssekretär, da die Einfuhren genehmigungspflichtig bzw. in Mengen festgelegt sind, ist es ja so, daß diese Materialien auch und vor allem in Bereichen verkauft worden sind, in denen die deutsche Stahlindustrie liefert. Diese 20 000 t konnten — das werden Sie mir doch wohl zugestehen — wegen dieser betrügerischen Praktiken nicht aus unserem Bereich oder überhaupt aus dem EGKS-Bereich abgesetzt werden, und dadurch muß sich doch ein Schaden ergeben haben.
Dr. Riedl, Parl. Staatssekretär: Herr Abgeordneter, Waren, die in einem EG-Mitgliedstaat zum freien Warenverkehr abgefertigt worden sind, können ohne jegliche Zollerhebung und ohne weitere Beschränkungen in andere Staaten der Gemeinschaft eingeführt werden. Eine Möglichkeit, dies zu verhindern, gibt es nicht, auch nicht, wenn der Ursprung der Ware falsch bezeichnet worden ist. Die vorsätzlich falsche Ursprungsbezeichnung führt lediglich zu einer Verfälschung der Einfuhrstatistiken. Die eingeführten 18 900 t brasilianischen Stahls erscheinen in der Außenhandelsstatistik als Einfuhren aus Jugoslawien, nicht aber aus Brasilien. Wäre die fragliche Einfuhr korrekt Brasilien zugeordnet worden, hätte dies im
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 66. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 9. März 1988 4519
Parl. Staatssekretär Dr. RiedlJahre 1985 allenfalls dazu geführt, daß Brasilien die in dem ab 1985 geschlossenen Stahllieferabkommen zwischen der EG und Brasilien für den deutschen Markt vorgesehene Menge von 52 000 t leicht überschritten hätte. Eine solche Überschreitung der in den Lieferabkommen vereinbarten Mengen hätte lediglich zu Konsultationen mit Brasilien, nicht aber zur Verhinderung der Einfuhren führen können. Mit Jugoslawien besteht dagegen keinerlei Vereinbarung über Stahllieferungen in die Gemeinschaft.
Eine letzte Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, sind die beiden europäischen Regierungen darüber unterrichtet worden, mit welchen falschen Papieren in ihren Ländern zu Lasten der deutschen Stahlindustrie diese Transaktion vorgenommen worden ist?
Dr. Riedl, Parl. Staatssekretär: Herr Abgeordneter, das kann ich Ihnen auf Grund meiner Aktenlage nicht exakt sagen. Ich halte dies aber für einen guten Hinweis. Falls es nicht geschehen sein sollte, werde ich dies veranlassen. Vielen Dank für den Hinweis.
Herr Staatssekretär, ausgehend von der Annahme, daß Herr Dr. Schöfberger den gleichen Grund hatte, zu spät kommen zu müssen wie Sie, rufe ich seine beiden Fragen, die am Anfang dieses Geschäftsbereichs standen, noch auf.
Ich rufe also zunächst die Frage 8 des Abgeordneten Dr. Schöfberger auf:
Hat der Vorsitzende des Sicherheitsausschusses im Bayerischen Landtag recht, wenn er öffentlich behauptet, daß das Bundesministerium für Wirtschaft entscheide, welche Firmen in die Liste der sicherheitsbedeutsamen Firmen mit der Folge aufgenommen werden, daß die Mitarbeiter(-innen) und Bewerber(-innen) solcher Firmen von Behörden des Verfassungsschutzes überprüft werden, und auf Grund welcher Rechtsgrundlage handelt das Bundesministerium für Wirtschaft?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Dr. Riedl, Parl. Staatssekretär: Selbstverständlich. Ich bedanke mich, Herr Abgeordneter.
Herr Kollege Schöfberger, Ihre Fragen sind offensichtlich Ausfluß der seit Monaten laufenden Diskussion im Freistaat Bayern über Sicherheitsüberprüfungen durch das Bayerische Landesamt für Verfassungsschutz. Bei diesen Überprüfungen, Herr Abgeordneter, geht es nicht um den Geheimschutz, sondern um den sogenannten vorbeugenden Sabotageschutz, für den grundsätzlich die Länder zuständig sind.
Rechtsgrundlage ist § 3 Abs. 2 Ziff. 2 des Bundesverfassungsschutzgesetzes, nach dem die Verfassungsschutzbehörden Sicherheitsüberprüfungen von Beschäftigten in sicherheitsempfindlichen Bereichen lebens- und verteidigungswichtiger Einrichtungen vornehmen können.
Bisher gibt es keine einheitliche Regelung darüber, wann ein Unternehmen als lebens- und verteidigungswichtig anzusehen ist. Die Frage wird von den Ländern unterschiedlich gehandhabt.
Wie ich weiß, hat Bayern die sicherheitsempfindlichen Unternehmen in diesem Sinne aus dem Kreis der geheimschutzbetreuten Unternehmen ausgesucht.
Für den Geheimschutz in der Wirtschaft ist unser Haus, also das Bundesministerium für Wirtschaft, zuständig.
Die Landesämter für Verfassungsschutz wirken beim Geheimschutz in der Wirtschaft mit, so daß ihnen die geheimschutzbetreuten Unternehmen bekannt sind.
Eine Zusatzfrage, Herr Dr. Schöfberger.
Herr Staatssekretär, ich habe ja nach der Beteiligung des Bundesministeriums für Wirtschaft gefragt. Ich wiederhole deshalb die Frage: Macht das Bundesministerium für Wirtschaft irgendwelche Vorschläge, welche Firmen hier zu überprüfen sind oder in Listen aufgenommen werden sollen, und in welcher Form ist das Bundesministerium für Wirtschaft an diesem Vorgang überhaupt beteiligt?
Dr. Riedl, Parl. Staatssekretär: Der Inhalt der von Ihnen erwähnten Liste, Herr Abgeordneter, und zwar der Liste sicherheitsbedeutsamer Firmen, ist dem Bundesminister für Wirtschaft nicht bekannt. Der Bundesminister für Wirtschaft ist — ich sage es noch einmal — für den sogenannten Geheimschutz in der Wirtschaft zuständig, d. h. für die Beratung und Betreuung solcher Unternehmen, die als vertraulich oder geheim eingestufte Aufträge von Bundesbehörden durchführen. Dabei geht es, wie Sie selber wissen, insbesondere um bestimmte Bereiche aus dem Verteidigungssektor.
Eine weitere Zusatzfrage.
Hat also der Vorsitzende des Sicherheitsausschusses im Bayerischen Landtag, der Abgeordnete Beckstein, nicht recht, wenn er öffentlich vor Journalisten behauptet, das Bundeswirtschaftsministerium entscheide, welche Firmen überprüft würden, und wenn er nicht recht hat, wären Sie bereit, öffentlich dagegen Stellung zu nehmen?
Dr. Riedl, Parl. Staatssekretär: Herr Abgeordneter, ich kann nicht berurteilen, was der Vorsitzende des Sicherheitsausschusses im Bayerischen Landtag gesagt hat und will deshalb hierzu auch keine Stellungnahme abgeben. Ich kann Ihnen nur sagen, wie sich aus der Sicht des Bundesministeriums für Wirtschaft diese Problematik darstellt. Wir haben eine Einzelentscheidung nicht getroffen.
Dann rufe ich die Frage 9 des Abgeordneten Dr. Schöfberger auf:Welche 29 bayerischen Firmen stehen auf der Liste sicherheitsbedeutsamer Firmen, welche davon sind durch das Bundesministerium für Wirtschaft oder auf Grund eigenen Antrages in die Liste aufgenommen worden?Bitte schön, Herr Staatssekretär.Dr. Riedl, Parl. Staatssekretär: Die Zahl der geheimschutzbetreuten Unternehmen in Bayern kann ich aus Sicherheitsgründen nicht nennen. Da es im Bundesgebiet weit über 1 000 geheimschutzbetreute Unter-
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4520 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 66. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 9. März 1988
Parl. Staatssekretär Dr. Riedlnehmen gibt, liegt die Zahl jedoch in jedem Fall, Herr Abgeordneter, höher als die genannte Zahl 29.
Zusatzfrage, Herr Schöfberger.
Halten Sie es also in der Folge für richtig, daß Zehntausende von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern von Unternehmen, z. B. der Firma Siemens in München, die ja Ausgangspunkt dieser ganzen Diskussion war, vom Verfassungsschutz überprüft werden, also nicht nur die ganz konkret im sicherheitsempfindlichen Bereich zu benennenden?
Dr. Riedl, Parl. Staatssekretär: Herr Abgeordneter, ich halte diese Überprüfung generell, unabhängig von der Zahl — das ist für mich ein qualitatives und nicht ein quantitatives Problem — für notwendig und rechtlich geboten.
Sie haben noch eine Zusatzfrage. — Keine weitere.
Dann sind wir am Ende dieses Geschäftsbereichs. Ich danke dem Staatssekretär für die Beantwortung der Fragen.
Ich rufe nun den Geschäftsbereich des Bundesministers der Verteidigung auf. Herr Parlamentarischer Staatssekretär Würzbach steht zur Beantwortung der Fragen zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 28 des Abgeordneten Dr. Hauchler auf:
Welche Initiativen bezüglich einer Revision des Soltau-Lüneburg-Abkommens wurden ergriffen, insbesondere mit dem Ziel, die Übungsgebiete einzugrenzen, und welche für die Naturschutzgebiete zuständige Stelle erhält von den Briten jedes Jahr angeblich beträchtliche Summen für entstandene Schäden?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Herr Präsident, Herr Kollege Hauchler, zum Abwenden und Abbau der Belastungen wurde eine deutsch-britische Koordinierungsgruppe gebildet.
Hier gab es erste Erfolge. Ich nenne einige: So konnte erreicht werden, daß die Flächen — die für die ständige Benutzung überlassenen roten Flächen einmal ausgeschlossen — an Samstagen ab 13 Uhr, an Sonntagen überhaupt nicht und an gesetzlichen Feiertagen ebenfalls nicht genutzt werden, also keine Übungen mehr durchgeführt werden, daß darüber hinaus Gefechtsübungen im Abstand zu den Wohngebieten nicht mehr auf 200 Meter, sondern nur auf 400 Meter an diese herangeführt werden dürfen und daß 1987 erstmals eine dreiwöchige Sommerpause eingelegt wurde. Diese Verhandlungen mit den Briten werden in dieser Koordinierungsgruppe auf einer ziemlich hohen Ebene fortgesetzt.
Sie fragen in der Frage weiter: Wer ist der, der für entstandene Schäden Geld bekommt? Das ist der „Verein für Naturschutzpark", ein eingetragener Verein, der dort eine Reihe von Flächen, auf denen geübt wird, besitzt.
Zusatzfrage, Herr Dr. Hauchler.
Herr Staatssekretär, kann ich Ihrer Antwort entnehmen, daß Übungen im Bereich der roten Flächen, um die es eigentlich geht, praktisch nach wie vor nicht Gegenstand der Verhandlungen sind und daß die Bundesregierung nicht mit dem Ziel verhandelt, solche Übungen der Briten im Naturschutzbereich überhaupt zu beenden?
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Was Sie bezüglich der roten Flächen gesagt haben, so ist dies der augenblickliche Stand; das ist richtig.
Und die Flächen, die dem „Verein für Naturschutzpark", dem eingetragenen Verein, gehören, sollen — im Rahmen der genannten Einschränkungen — in Übungen auch zukünftig mit einbezogen werden.
Weitere Zusatzfrage, Herr Dr. Hauchler.
Die eine Frage war vom Herrn Staatssekretär nicht beantwortet worden: ob die Bundesregierung nicht mit dem Ziel verhandelt, solche Übungen überhaupt einzustellen.
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich habe sehr klar geantwortet, daß dies im Augenblick nicht Verhandlungsgegenstand und Zielrichtung ist.
Das war Ihre zweite Zusatzfrage.
— Das haben wir nicht. — Eine Zusatzfrage, Herr Dr. Lippelt, bitte schön.
Herr Staatssekretär, verhandelt denn die Bundesregierung hinsichtlich des Soltau-Lüneburg-Abkommens möglicherweise auch einmal darüber, Belastungen außerhalb der roten Flächen — das Abkommen umfaßt ja sehr viel mehr — etwas einzuschränken?
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, genau darauf zielte doch meine Antwort, in der ich die ersten Erfolge gemeldet habe: daß wir außerhalb der sogenannten roten Flächen an Sonn- und Feiertagen nicht und an Sonnabenden nur bis 13 Uhr üben. Das ist ein guter, erster Erfolg, und in der Richtung werden wir energisch weiter verhandeln.
Zusatzfrage, Herr Dr. Klejdzinski.
Herr Staatssekretär, auf Grund welcher Rechtsgrundlagen wird in der Heide geübt?Würzbach, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Klejdzinski, auf Grund der Ihnen als Mitglied des Verteidigungsausschusses seit vielen Jahren bekannten Rechtsgrundlagen: Zusatzabkommen zum NATO-Truppenstatut, abgeschlossen am 3. September 1959, in Kraft getreten am 1. Juli 1963, seitdem praktiziert
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 66. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 9. März 1988 4521
Parl. Staatssekretär Würzbachund immer wieder Gegenstand der Erörterung, gerade im Fachausschuß, gewesen.
Ich rufe die Frage 29 des Abgeordneten Dr. Hauchler auf:
In welchen englischen Nationalparks üben Einheiten deutscher Truppen, und ist geplant, diese Übungen in den Nationalparks fortzuführen?
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Die Bundeswehr nutzt den britischen Truppenübungsplatz Castle Martin, übrigens eben deshalb, weil wir bei uns im Bundesgebiet zu wenig, zu kleine Übungsplätze haben und uns hier noch selbstbeschränkende Auflagen machen. Deshalb freuen wir uns, daß wir ins Ausland gehen können. — In diesem Übungsplatz gibt es einen Naturschutzpark, den sogenannten Pembrokeshire Coast National Park, der dort eingeschlossen ist, wie das bei vielen anderen britischen Übungsplätzen der Fall ist. Wir werden diese Übungen dort mit Zustimmung der britischen Regierung fortsetzen. Dies ist vertraglich zunächst bis 1995 geregelt.
Zusatzfrage, Herr Dr. Hauchler.
Herr Staatssekretär, welchen Sinn macht es, daß deutsche Truppen in britischen Naturschutzparks üben und britische Truppen in deutschen Naturschutzparks? Sind Sie angesichts dieses Widersinns — falls Sie mit mir dieser Meinung sind — nicht bereit, Ihre Verhandlungsziele mit den Briten in dem Sinne zu erweitern, daß beide Teile sich bemühen, erstens die Übungen im eigenen Land durchzuführen und zweitens Naturparks und Naturschutzgebiete zu schonen?
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, die britische Armee ist zu Teilen aus deutschem Interesse bei uns in Deutschland als NATO-Staat stationiert. Sie muß, wenn sie hier stationiert ist — jeweils im Wechsel von etwa zwei, drei Jahren —, während dieser Zeit natürlich üben. Daß muß sie dort tun, wo sie stationiert ist und wo sie, was wir nicht hoffen, möglicherweise einzusetzen wäre.
Da wir für unsere Bundeswehrtruppen — der größte Teil der konventionellen Streitkräfte in der NATO — im Bundesgebiet zuwenig Übungsplätze haben und auch wissen, daß wir die bestehenden Übungsplätze nicht ausweiten können, die Verbände aber in einer bestimmten Größenordnung üben müssen, üben wir mit diesen Panzerverbänden, um die es geht, sowohl in Kanada als auch in Großbritannien. Wir sind den Alliierten dankbar, daß sie uns diese Möglichkeiten eingeräumt haben.
Die Tatsache, daß in den westlichen Ländern Übungsplätze oft mit Naturschutzparks in Verbindung stehen, kann man aus unterschiedlichen Aspekten betrachten. Aber dies ist eine Gegebenheit.
Sie wissen aus anderen Debatten: In diesen Naturschutzparks, die in Sicherheitszonen eingeteilt sind — es wird ja nicht in allen Bereichen geübt —, gibt es die letzten Refugien seltener Pflanzen und Tiere. Das schließt sich entgegen mancher Annahme oder entgegen manchem Vorurteil nicht aus.
Weitere Zusatzfrage, Herr Dr. Hauchler.
Das Soltau-Lüneburg-Abkommen ist ja ein Sonderabkommen. Bestehen ähnliche weitgehende Abkommen mit anderen Staaten der NATO? Wenn nein, was rechtfertigt dann dieses Abkommen mit den Briten noch, nachdem Großbritannien schon lange nicht mehr Besatzungsmacht in Deutschland ist?
Würzbach, Parl. Staatssekretär: In ähnlicher Form bestehen Abmachungen mit anderen Staaten nicht. Es ist korrekt, daß die Briten wie die anderen Alliierten keine Besatzungstruppen sind. Sie sind heute Partner und Alliierte. Genauso klar ist, daß abgeschlossene Verträge Rechtskraft haben.
Zusatzfrage, Frau Olms.
Herr Staatssekretär, üben deutsche Truppen auch in Nordirland?
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin, ich kann Ihnen gern eine Karte geben, aus der Sie ersehen können, wo Castle Martin liegt.
Ich rufe die Frage 30 des Abgeordneten Lambinus auf:
Ist im Gemarkungsgebiet Hundsbach Landkreis Main-Spessart der Bau militärischer Anlagen durch die NATO, die Bundeswehr oder die US-Streitkräfte geplant, wenn ja, welche?
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Lambinus, im Raum Hundsbach südlich von Hammelburg ist ein Bau militärischer Anlagen durch die NATO, durch die Bundeswehr oder durch die amerikanischen Streitkräfte nicht geplant.
Zusatzfrage, bitte schön, Herr Lambinus.
Herr Staatssekretär, darf ich Sie fragen, aus welchen Gründen die Bundesregierung bisher davon abgesehen hat, bundesweite Veröffentlichungen über den angeblich geplanten Bau eines NATO-Kriegshauptquartiers in Hundsbach zu dementieren, so daß es durch dieses Unterlassen zu einer erheblichen Verunsicherung der Bevölkerung gekommen ist?
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Lambinus, ich konnte bei der Vorbereitung der Antwort auf Ihre Frage feststellen, daß schon ein anderer Kollege — damals einer meiner Fraktion — diesem Irrtum aufgesessen ist. Es gibt in der Bundesrepublik noch ein anderes Hundsbach; das liegt in Rheinland-Pfalz. Dort ist eine NATO-Einrichtung geplant. Ich habe den Kollegen im Mai letzten Jahres auf dieses Mißverständnis, das durch eine Zeitungsmeldung zustande gekommen ist, aufmerksam gemacht. Es handelt sich um eine Namensgleichheit, nicht aber um das Hundsbach, nach dem Sie gefragt haben.
Keine Zusatzfrage.Die Fragen 31 des Abgeordneten Stiegler sowie die Fragen 32 und 33 des Abgeordneten Dr. Hitschler werden auf Wunsch der Fragesteller schriftlich beant-
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4522 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 66. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 9. März 1988
Vizepräsident Westphalwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.Ich rufe die Frage 34 der Abgeordneten Frau Beer auf :Wann gedenkt der Bundesminister der Verteidigung, die in seinem Auftrag erarbeiteten Rechtsgutachten zu Einsatz- und Verwendungsmöglichkeiten von Frauen in der Bundeswehr der Öffentlichkeit, zumindest aber den Abgeordneten des Deutschen Bundestages vorzulegen?Bitte schön, Herr Staatssekretär.Würzbach, Parl. Staatssekretär: Es ist nicht beabsichtigt, dieses ressortinterne Papier, das zur Entscheidungsfindung dient, zu veröffentlichen.
Frau Beer, Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, können Sie dann bitte erklären, wie es dazu kommt, daß von öffentlicher Seite teilweise aus diesem Papier zitiert wird?
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Das kann ich Ihnen nicht erklären. Ich bedauere, daß interne Papiere auf irgendeinem ungemäßen Weg — sollte dies der Fall sein — veröffentlicht worden sind.
Weitere Zusatzfrage, Frau Beer.
Ist dieses Papier offiziell als „geheim" oder „VS" eingestuft?
Würzbach, Pari. Staatssekretär: Nein.
Dann Frau Nickels zu einer Zusatzfrage, bitte schön.
Herr Staatssekretär, sehen Sie irgendeinen Zusammenhang zwischen der in jüngster Zeit erhobenen öffentlichen Forderung nach einem sozialen Pflichtdienstjahr für alle, auch für Frauen, und diesen nicht bekanntgewordenen Ergebnissen und Überlegungen dieser Studie Ihres Hauses?
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Nein.
Frau Steinhauer zu einer Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, gehe ich richtig in der Annahme, daß dieses Gutachten im Ergebnis dazu kommt, daß es nicht möglich und nicht aktuell ist, Frauen zur Bundeswehr einzuziehen?
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin, auch durch diese zugegeben geschickte Fragestellung werde ich über den Inhalt dieses internen, der Entscheidungsvorbereitung dienenden Papiers keine Mitteilung machen.
Zusatzfrage des Abgeordneten Klejdzinski.
Herr Staatssekretär, steht in diesem Papier drin, daß beispielsweise nur 15 000 Frauenarbeitsplätze bei der Bundeswehr möglich sind?
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich habe nicht vor, meine Antwort an die Kollegin zu wiederholen. Ich müßte das gleiche noch einmal sagen.
Herr Lambinus.
Herr Staatssekretär, Sie stimmen mir sicher zu, daß das Parlament das Recht hat, die Bundesregierung zu kontrollieren, und gehört es dann nicht auch zu den Aufgaben der Bundesregierung, alle die Unterlagen, die sie zu ihrer Entscheidungsfindung heranzieht, auch dem Parlament als Kontrollinstanz zur Verfügung zu stellen?
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich stimme Ihnen nicht nur zu, daß das Parlament das Recht hat, sondern ich gehe weiter: Es hat die Pflicht, die Regierung zu kontrollieren. Wenn die Regierung zu einer Entscheidung gekommen ist, dann wird sie diese Entscheidung mit all den Dingen, die dafür und die dagegen sprachen und die in dem Abwägungsprozeß intern eine große Rolle gespielt haben, mitteilen, aber nicht in der Zwischenzwischen- oder in der Vorvorphase. Dies ist nie so gewesen, dies soll auch nicht so sein, dies würde auch die Erfüllung der Kontrollpflicht eines Parlaments, Herr Kollege Lambinus, nicht fördern.
Zusatzfrage, Frau Olms.
: Herr Staatssekretär, ist geplant, zu dem bereits erstellten Rechtsgutachten noch ein zweites Rechtsgutachten ausfertigen zu lassen?
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Eine solche Planung gibt es nicht.
Herr Dr. Lippelt, Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, seit wann liegt dieses Gutachten in Ihrem Hause vor, oder ist es vielleicht noch gar nicht so weit fertig, und ist es vielleicht ein Gespenstergutachten?
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Ich habe eingeräumt, daß dieses Gutachten vorliegt und daß es neben vielen anderen Betrachtungen aus anderen Abteilungen dieses Hauses — dies war eine rechtliche Würdigung — Eingang in die Vorbereitung der Entscheidungen des Ministers findet.
Ich rufe die Frage 35 der Abgeordneten Frau Beer auf:Gibt es Verbindungen oder Kontakte zwischen dem Bundesministerium der Verteidigung und Regina Senft und/oder ihrer Initiative „Frauen in die Bundeswehr"?Bitte schön, Herr Staatssekretär.Würzbach, Parl. Staatssekretär: Frau Beer, Frau Senft hat in ihrer Eigenschaft als Journalistin, die sie ist, zweimal an Reisen des Verteidigungsministeriums, die für Journalisten veranstaltet wurden, teilgenommen. Sie hat darüber hinaus das Ministerium
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 66. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 9. März 1988 4523
Parl. Staatssekretär Würzbachdurch Zusendung von Pressemitteilungen ihrer Initiative über verschiedene Aktivitäten informiert. Dies ist alles.
Zusatzfrage, bitte schön.
Herr Staatssekretär, hat die Bundesregierung Hinweise darauf, daß die Initiative „Frauen in die Bundeswehr" aus einem Haushaltstitel der Regierung bzw. des Verteidigungsministeriums finanziert wird?
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Nein.
Weitere Zusatzfrage, bitte schön, Frau Beer.
Kann die Bundesregierung bestätigen oder hat sie Hinweise darauf, daß Zuschriften, die an das Verteidigungsministerium gehen, von jungen Frauen, die an einem Dienst in der Bundeswehr interessiert sind, zur Beantwortung an Frau Senft weitergeleitet werden?
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Nein.
Zusatzfrage, Frau Nikkels.
Herr Staatssekretär, können Sie bestätigen oder dementieren, daß Verteidigungsminister Wörner mit Frau Senft in Sachen „Frauen in die Bundeswehr" persönlich gesprochen hat?
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Dies steht mir nicht an, und ich meine — wenn ich dies sagen darf — auch Ihnen nicht, Frau Kollegin, bei aller Hochachtung des Rechts eines Abgeordneten, Rechenschaft zu verlangen, mit wem ein deutscher Minister in einer freien Demokratie gesprochen oder nicht gesprochen hat.
— Ein Minister ist immer im Dienst.
Damit sind wir am Ende dieses Geschäftsbereichs. Ich danke dem Staatssekretär für die Beantwortung der Fragen.
Ich rufe nun den Geschäftsbereich des Bundesministers für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit auf. Herr Parlamentarischer Staatssekretär Pfeifer steht uns zur Beantwortung der Fragen zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 36 des Abgeordneten Dr. Klejdzinski auf :
Hält die Bundesregierung AIDS-Vorsorge, AIDS-Hilfe, AIDS-Beratung für eine allgemeine gesundheitliche Vorsorgemaßnahme, und wenn ja, zu welchem Pflichtaufgabenkatalog mit welchen Zuordnungen werden sie gezählt?
Herr Präsident, Herr Kollege Klejdzinski, in der Tat gehört ein großer Teil der Maßnahmen zur AIDS-
Bekämfpung auch zur gesundheitlichen Vorsorge. Sowohl nach der grundgesetzlichen Zuordnung als auch nach den rechtlichen Regelungen z. B. des Bundesseuchengesetzes ist die Durchführung der in diesem
Rahmen erforderlichen Maßnahmen Aufgabe der Länder. Die entsprechende Organisation des öffentlichen Gesundheitsdienstes und damit auch die Zuordnung der Aufgaben ist in den einzelnen Ländern insbesondere im Hinblick auf die Gesundheitsämter unterschiedlich geregelt.
Die Verpflichtung der Bundesregierung, solche Vorsorgemaßnahmen zu unterstützen, ergibt sich insbesondere aus der in Art. 2 Abs. 2 des Grundgesetzes begründeten Pflicht des Staates zum Schutz von Leben und Gesundheit, im konkreten Fall vor den durch die HIV-Infektion bewirkten Gefahren. Dies hat das Bundesverfassungsgericht in seinem Beschluß vom 28. Juli 1987 bestätigt.
Demgemäß hat die Bundesregierung ihre Strategie der Politik gegen AIDS auf der Grundlage der Koalitionsvereinbarung und der Regierungserklärung entwickelt. Zu ihren Maßnahmen gehört auch, daß sie die Bundesländer im Rahmen ihres Sofortprogramms gegen AIDS unterstützt. So werden beispielsweise für alle Gesundheitsämter aus Bundesmitteln im Rahmen des „Großmodells Gesundheitsämter" jeweils eine AIDS-Fachkraft finanziert. In ihrer Antwort auf die Große Anfrage der SPD-Bundestagsfraktion hat die Bundesregierung einen Überblick über die Vielfalt der hier ergriffenen Unterstützungsmaßnahmen des Bundes gegeben.
Trotz aller Bemühungen von staatlicher Seite können die Aufgaben der AIDS-Vorsorge und der AIDS-Beratung nicht allein von Bund, Ländern und Gemeinden bewältigt werden. Deshalb sind alle gesellschaftlichen Gruppen, insbesondere auch Vereine und Verbände, die sich der AIDS-Problematik angenommen haben, aufgerufen, weiterhin Unterstützung zu leisten.
Herr Klejdzinski, Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, stimmen Sie mir in der Auffassung zu, daß durch die Maßnahmen der Bundesanstalt für Arbeit nicht gerade das, was Sie als Aufgabenkatalog skizziert haben, unterstützt wird, weil man nämlich neuerdings nicht mehr bereit ist, ABM-Kräfte dafür zur Verfügung zu stellen?
Pfeifer, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Klejdzinski, dazu hat Herr Kollege Vogt eben in der Fragestunde bereits Stellung genommen. Wie ich bereits gesagt habe, begrüßt die Bundesregierung jede sinnvolle und mögliche Hilfe im Bereich von AIDS, die zusätzlich zu den staatlichen Maßnahmen geleistet werden kann. Sie wird sich daher — davon bin ich überzeugt — zusammen mit dem Bundesminister für Arbeit und der Bundesanstalt darum bemühen, die vorhandenen Möglichkeiten von AB-Maßnahmen — es gibt allerdings eine Streitfrage, wie das mit den vorhandenen Möglichkeiten auszulegen ist — weitestgehend zur Unterstützung der Betroffenen zu nutzen.
Weitere Zusatzfrage, Herr Klejdzinski.
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4524 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 66. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 9. März 1988
Herr Staatssekretär, würde denn der Bundesminister für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit es begrüßen, wenn der Verwaltungsrat der Bundesanstalt für Arbeit seine Entscheidung positiv überdenken würde?
Pfeifer, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich habe eben ausgeführt, daß wir versuchen wollen, in einem Gespräch zu klären, wie hier weitestgehend die Unterstützung gegeben werden kann.
Ich rufe die Frage 37 der Abgeordneten Frau Steinhauer auf:
Ist die Streichung der bisherigen vom Bund getragenen Aufwandszuschüsse für Zivildienststellen mit der Gleichbehandlung von Wehrdienst- und Zivildienstleistenden vereinbar, und ist der Bundesregierung bekannt, daß durch diese Mittelkürzung z. B. Sozialverbände wichtige Schwerbehindertenhilfe einschränken müssen?
Bitte schön, Herr Staatssekretär:
Pfeifer, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin Steinhauer, ich bitte Sie, damit einverstanden zu sein, daß ich wegen des Sachzusammenhangs die beiden Fragen 37 und 38 gemeinsam beantworte.
Bitte sehr.
Die Kollegin ist einverstanden. Dann rufe ich auch die Frage 38 der Abgeordneten Frau Steinhauer auf:
Wie verträgt sich eine solche Mitteleinsparung mit der Aufgabe, Schwer- und Schwerstbehinderte in die Gesellschaft einzugliedern?
Pfeifer, Parl. Staatssekretär: Die Aufwandszuschüsse sollen die Beschäftigungsstellen für bestimmte Zivildienstplätze von ihrem Aufwand für Unterkunft, Verpflegung und Arbeitskleidung der Dienstleistenden entlasten. Kürzung oder Wegfall dieser Leistungen haben keine Auswirkungen auf die Ansprüche der Zivildienstleistenden. Ob die Erfüllung dieser Ansprüche zu Lasten der Beschäftigungsstellen oder durch die Zahlung von Aufwandszuschüssen zu Lasten des Bundes geht, ist für sie ohne Bedeutung. Die Frage der Gleichbehandlung von Wehrdienstleistenden und Zivildienstleistenden kann sich daher in diesem Zusammenhang nicht stellen.
Die einschränkenden Maßnahmen betreffen im übrigen nur die Aufwandszuschüsse, die seit Inkrafttreten der Reform der Kriegsdienstverweigerung vor vier Jahren übergangsweise als Anreiz zur Schaffung neuer Zivildienstplätze gewährt wurden. Dagegen wird der Aufwandszuschuß für den Einsatz von Zivildienstleistenden in der individuellen Schwerstbehindertenbetreuung und in den Mobilen Sozialen Hilfsdiensten unverändert weitergezahlt. Die Betreuung von Schwerbehinderten durch Zivildienstleistende geschieht hauptsächlich im Rahmen dieser Dienste. Die Bundesregierung ist daher der Auffassung, daß die Neuordnung der Aufwandszuschüsse keine nachteiligen Auswirkungen auf die Schwerstbehindertenbetreuung durch Zivildienstleistende haben wird. Ihr sind bisher auch keine Fälle bekannt, in denen die Betreuung seit der Kürzung der Aufwandszuschüsse vor sechs Monaten eingestellt werden mußte.
Zusatzfrage, Frau Steinhauer.
Herr Staatssekretär, wenn Sie sagen, es seien Ihnen keine Fälle bekannt, würden Sie dann bitte zur Kenntnis nehmen, daß mir von einem Träger ein Schreiben vorliegt, wonach allein bei ihm die Beschäftigung von sieben Zivildienstleistenden nicht mehr möglich ist, und zwar bei der Eingliederung von geistig und sonstwie behinderten Kindern, um sie insbesondere während der Schulzeit zu betreuen.
Pfeifer, Parl. Staatssekretär: Ich bin gerne bereit, diesen konkreten Fall, wenn Sie mir die Unterlagen zur Verfügung stellen, nachprüfen zu lassen.
Es ist durchaus möglich, daß es sich um Plätze der
Schwerbehindertenbetreuung außerhalb der von mir
genannten Dienste handelt, z. B. in Pflegetätigkeiten.
Aber das müßte man dann im Einzelfall nachprüfen.
Weitere Zusatzfrage, Frau Steinhauer.
Herr Staatssekretär, Sie haben mir zu Beginn Ihrer Antwort erklärt, wie hoch die Kosten im Vergleich zu den Wehrpflichtigen sind, wenn ich das richtig gehört habe, und daß die 4 700 DM auch in gewisser Weise Abgeltung für Kost ect. sind. Können Sie mir denn sagen, wieviel der Bund für Wehrpflichtige aufwendet? Ist das, wenn Sie hier kürzen, noch eine Gleichbehandlung der Wehrdienstleistenden mit den Zivildienstleistenden?
Pfeifer, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin, ich kann Ihnen die Zahl, die wohl im Verteidigungsetat steht, hier nicht nennen. Ich habe sie nicht parat. — Aber ich wollte darauf hinweisen, daß die Beschäftigungsstellen den Zivildienstleistenden monatlich die Geldbezüge auszahlen, die ihnen zustehen, wie z. B. den Sold, die besondere Zuwendung im Dezember und das Entlassungsgeld. Das macht im Augenblick eine Pauschale von 11,76 DM pro Tag aus. Das korrespondiert mit dem Wehrsold.
Weitere Zusatzfrage, Frau Steinhauer.
Ich will hier nicht vom Wehrsold reden, ich möchte einmal davon reden, daß Wehrpflichtige auch Kosten im Rahmen des Verteidigungshaushalts, Bauten, Unterhalt, technische Einrichtungen ect. — ich sage das mal im weitesten Sinn — , verursachen. Meinen Sie nicht, daß der Zivildienstleistende nicht ohnehin schon billiger ist, und ist es von daher überhaupt zu verstehen, daß Sie hier noch eine Benachteiligung vornehmen, indem Sie die Aufwandsentschädigung kürzen?Pfeifer, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin, hier haben wir eine klare gesetzliche Grundlage, nach der diese Leistungen von den Beschäftigungsstellen, also von den Zivildienststellen, zu erbringen sind. Nur in den vom Gesetz im § 6 besonders genannten Fällen
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 66. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 9. März 1988 4525
Parl. Staatssekretär Pfeifergibt es die Möglichkeit, einen Aufwandszuschuß zu zahlen. Nach Überzeugung der Bundesregierung ist der in § 6 Abs. 3 erstgenannte Fall inzwischen deswegen nicht mehr gegeben, weil wir, wie Sie wissen, eine große Zahl von Zivildienstplätzen zur Verfügung haben.
Letzte Zusatzfrage, Frau Steinhauer.
Also geht es praktisch nur darum, daß Sie dies wegen Angebotsverbesserung kürzen und in Kauf nehmen, daß Schwerbehinderteneingliederung vernachlässigt wird?
Pfeifer, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin, ich habe eben gesagt, daß für den Bereich der Schwerstbehinderten, soweit es sich um die von mir bezeichneten Dienste handelt, nach wie vor die Zuschüsse gezahlt werden können. Auch das ergibt sich aus der Bestimmung des § 6 Abs. 3 Nr. 2. Ich muß aber ausdrücklich sagen, daß die Ziffer i für die Zahlung solcher Zuschüsse eine für die Heranziehung aller verfügbaren anerkannten Kriegsdienstverweigerer zum Zivildienst nicht ausreichende Zahl von Zivildienstplätzen voraussetzt. Hier sind wir der Auffassung, daß durch die große Zahl der vorhandenen Zivildienstplätze die gesetzlichen Voraussetzungen nicht mehr gegeben sind.
Zusatzfrage, Herr Dr. Knabe.
Auch ich habe zwei Zusatzfragen. Die erste: Welche konkreten Zuschüsse werden denn für Wehrpflichtige in Rechnung gestellt? Sie hatten ja gesagt, die Zahlen könnten Sie nicht nennen. Aber vielleicht können Sie inhaltlich sagen, was Sie als Aufwandszuschuß für Wehrpflichtige bezeichnen?
Pfeifer, Parl. Staatssekretär: Wenn Sie einen wehrpflichtigen Zivildienstleistenden meinen, so habe ich eben schon in der Antwort auf die Frage der Kollegin Steinhauer eine Zahl genannt. Ich wiederhole das.
— Das tut mir leid. Diese Zahl ergibt sich nicht aus unserem Etat; die habe ich nicht zur Verfügung.
Dann müssen Sie eine Frage an den Verteidigungsminister richten.
— Das Wissen ist aber unter den Ministerien nur teilweise verbreitet.
Sie haben noch eine Zusatzfrage.
Wird durch die Beschränkung der Aufwandszuschüsse für solche Zivildienststellen
nicht die Wahlmöglichkeit von Zivildienstleistenden erheblich eingeschränkt, weil durch Zahlung entsprechender Zuschüsse die Möglichkeit bestünde, entweder im Umweltbereich, im Gesundheitsbereich oder in einem der eigenen Motivation am nächsten liegenden Bereich tätig zu sein?
Pfeifer, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Knabe, ich bin der Meinung, daß hier in keiner Weise eine solche Beschränkung vorliegt, weil wir einen Rückgang der Zahl der Zivildienststellen überhaupt nicht feststellen können.
Eine Zusatzfrage, Frau Nickels.
Herr Staatssekretär, zeigen nicht die Fragen von Frau Steinhauer und auch Ihre Antworten, daß die Zivildienstleistenden schon jetzt als billige Notstopfen in der Betreuung dieser Schwerbehinderten und der Kranken benutzt werden, und wie sehen Sie das unter dem Gesichtspunkt, daß die Zivildienstleistenden arbeitsmarktneutral eingesetzt werden müssen?
Pfeifer, Parl. Staatssekretär: Ich finde nicht, daß hier irgendwo Löcher gestopft werden oder etwas derartiges. Wir diskutieren hier die Frage der Aufwandsentschädigung. Ich habe ausdrücklich gesagt, daß für die von mir in der ursprünglichen Antwort genannten Dienste zugunsten der Schwerstbehinderten nach wie vor die Aufwandsentschädigungen gezahlt werden und damit natürlich auch eine gute Arbeit in diesem Bereich geleistet werden kann.
Ich rufe die Frage 39 der Abgeordneten Frau Nickels auf:Wie kommt das Bundesministerium für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit zu einer Bewertung der von ihm veröffentlichten Zahlen, denen zufolge das Interesse von Frauen am freiwilligen Dienst in der Bundeswehr sinkt, wenn doch die vorgelegten Zahlen zeigen, daß diese Bewertung nicht stichhaltig ist?Pfeifer, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin Nickels, der Bericht, den Sie in Ihrer Frage ansprechen, unterscheidet zwischen Aussagen zur Öffnung der Bundeswehr für einen freiwilligen Dienst von Frauen und Aussagen von Frauen über ihr Interesse, selbst einen Dienst in der Bundeswehr abzuleisten.Nach der Infas-Umfrage haben sich 1984 43 % der Frauen insgesamt für eine Öffnung der Bundeswehr für einen freiwilligen Dienst von Frauen ausgesprochen. Bei der EMNID-Umfrage 1986 sprachen sich 34% der Frauen für die Möglichkeit eines freiwilligen Dienstes von Frauen in der Bundeswehr aus. 1987 waren nach einer weiteren EMNID-Umfrage 31 % der Frauen für einen freiwilligen Dienst ohne Waffen und 19 % für einen freiwilligen Dienst mit Waffen.Von den jüngeren Frauen bis 24 Jahren sprachen sich nach der Infas-Untersuchung von 1984 62 % für die Möglichkeit eines freiwilligen Dienstes von Frauen in der Bundeswehr aus. 1987 sprachen sich 31% für die Öffnung der Bundeswehr für einen freiwilligen Dienst von Frauen ohne Waffen und 25 % für einen freiwilligen Dienst mit Waffen, also insgesamt 56 % aus.
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4526 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 66. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 9. März 1988
Parl. Staatssekretär PfeiferZum Interesse junger Frauen, selbst einen Dienst in der Bundeswehr abzuleisten, haben Infas 1984 und EMNID 1986 Aussagen getroffen. 1984 waren nach der Infas-Studie nur 17 % der Frauen zur freiwilligen Meldung bereit. 1986 stellte EMNID fest, daß nur 4 % der Frauen insgesamt und 7 % der 17- bis 19jährigen Frauen ein starkes Interesse an einer freiwilligen Tätigkeit bei der Bundeswehr haben.Das Interesse von Frauen, selbst einen Dienst in der Bundeswehr abzuleisten, geht also zurück. Darüber hinaus ist die Zahl der an einem Dienst in der Bundeswehr interessierten Frauen eindeutig niedriger als die Zahl der Frauen, die eine Öffnung der Bundeswehr für Frauen für einen freiwilligen Dienst befürworten.
Eine Zusatzfrage, Frau Nickels.
Herr Staatssekretär, sind Sie nicht mit mir der Meinung, daß in der aktuellen Debatte durch diese Feindifferenzierung, die Sie oder Ihr Haus betrieben haben, der falsche Eindruck in der Öffentlichkeit erweckt werden sollte, als wäre das Interesse der Frauen an einer Öffnung der Bundeswehr für die Frauen oder eines Interesses an Frauen in Uniform gesunken? Sind Sie nicht der Meinung, daß dieser Eindruck durch diese Interpretation und Differenzierung geweckt wird, obwohl die Statistik ja eindeutig etwas anderes sagt? Insgesamt sind 67 To der Frauen mittlerweile für eine Öffnung der Bundeswehr.
Pfeifer, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin Nickels, die Bundesregierung hat überhaupt nicht die Absicht, hier irgendwelche Eindrücke zu erwecken. Wir haben diesen Bericht erstattet, weil er vom Ausschuß für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit des Deutschen Bundestages angefordert wurde. Nachdem dieser Bericht dort angefordert wurde, haben wir die Zahlen zur Verfügung gestellt, die uns zur Verfügung standen.
Weitere Zusatzfrage, Frau Nickels.
Herr Staatssekretär, indem Sie solche Interpretationen zu Statistiken aus Ihrem Hause vorlegen, sind Sie nicht mit mir der Meinung, daß man hier eine gefährliche Vernebelung dahin gehend betreibt, daß Frauen zu einem Zeitpunkt, wo sie auf dem Arbeitsmarkt überhaupt keine Möglichkeiten mehr haben, wo sie überhaupt keine Arbeitsplätze mehr bekommen, sich dann tatsächlich gezwungen sehen, an den Arbeitsplatz Bundeswehr zu gehen, weil sie keine anderen Möglichkeiten haben?
Pfeifer, Parl. Staatssekretär: Zunächst einmal: Was die Bewertung dieses Berichtes angeht, ist die Bundesregierung sehr zurückhaltend gewesen, auch gegenüber dem Ausschuß. Im übrigen kann ich nicht erkennen, daß Frauen keine Möglichkeiten mehr haben, auf dem Arbeitsplatz- oder auf dem Ausbildungsstellenmarkt Arbeits- oder Ausbildungsplätze zu erhalten.
Frau Beer möchte eine Zusatzfrage stellen.
Herr Staatssekretär, angesichts der soeben dargelegten zunehmenden Schwierigkeiten der Frauen bei der Suche nach Arbeitsplätzen: Hält die Bundesregierung es für möglich, daß ein Zusammenhang besteht zwischen dieser zunehmenden Schwierigkeit und der Akzeptanz von Frauen, auch den Dienst in der Bundeswehr in Erwägung zu ziehen? Wenn ja, könnte das ein Grund sein, diesen freiwilligen Dienst als Selbstläufer auf sich zukommen zu lassen, ohne diese Forderungen weiter zu betreiben?
Pfeifer, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin, ich möchte auch hier in der Bewertung solcher Zusammenhänge sehr zurückhaltend sein. Ich will nicht prinzipiell bestreiten, daß es solche Zusammenhänge geben kann, vielleicht auch in einzelnen Fällen geben wird. Insgesamt aber möchte ich doch darauf hinweisen, daß der Anteil der Frauen, die selber sagen, daß sie Dienst in der Bundeswehr leisten wollen — wie sich aus diesen Umfragen ergibt —, im Augenblick zurückgeht.
Ich rufe die Frage 40 der Abgeordneten Frau Nickels auf:
Unterstützt die Bundesministerin Frau Dr. Süssmuth die Forderung nach einem sozialen Pflichtjahr für junge Frauen?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Pfeifer, Parl. Staatssekretär: Die Bundesministerin für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit unterstützt die Forderung nach einem sozialen Pflichtjahr für Frauen nicht.
Zusatzfrage, Frau Nikkels.
Herr Staatssekretär, in Anbetracht der Tatsache, daß in Ihrem Haus auch die Zuständigkeit für den Zivildienst gegeben ist — wir haben soeben ja schon einiges von den Problemen gehört —, möchte ich Sie fragen, ob die Bundesregierung der Meinung ist, daß der zunehmende Einsatz von Zivildienstleistenden in den Bereichen der Behinderten-, Alten- und Gesundheitsdienste schon heute nicht arbeitsmarktneutral ist und daß hier durch die finanzielle Austrocknung der Gemeinden durch die Steuerreform und durch andere Belastungen unter Umständen in Zukunft der Ruf nach einer allgemeinen Dienstpflicht auch für Frauen laut werden könnte.
Pfeifer, Parl. Staatssekretär: Ich sehe einen solchen Zusammenhang nicht. Aber auch, wenn Sie einen solchen Zusammenhang herstellen, bleibt es bei der Aussage, daß die Bundesministerin für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit ein solches Pflichtjahr nicht befürwortet.
Frau Nickels, bitte schön.
Herr Staatssekretär, hat es unter Umständen Gespräche mit dem Deutschen Städtetag und/oder mit den anerkannten Hilfsdiensten darüber gegeben, wie und von wem die genannten sozialen Dienstleistungen erbracht werden sollen,
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 66. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 9. März 1988 4527
Frau Nickelswenn es in den 90er Jahren pillenknickbedingt auch einen Rückgang von im Zivildienst arbeitenden Kriegsdienstverweigerern geben könnte? Das sind keine Spekulationen; dafür gibt es ja einige Hinweise.Pfeifer, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin Nickels, daß solche Aufgaben auch in der Zukunft erfüllt werden müssen und daß hier sicherlich zusätzliche und auch neue Probleme auf uns zukommen, ist richtig. Aber die Bundesministerin für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit ist nicht der Meinung, daß ein soziales Pflichtjahr für Mädchen ein Beitrag sein kann, um diese Probleme zu lösen.Die Bundesregierung hält es allerdings beispielsweise für richtig, wenn junge Frauen von der Möglichkeit Gebrauch machen, ein freiwilliges soziales Jahr abzuleisten. Im übrigen wird man aber die von Ihnen geschilderten Probleme wohl durch eine Reihe ganz anderer Maßnahmen lösen müssen.
Zusatzfrage der Abgeordneten Frau Beer.
Herr Staatssekretär, ist die Bundesregierung vielleicht einer Meinung mit mir, daß man diese zusätzlichen anderen Problemlösungen dadurch vereinfachen könnte, daß man tatsächlich anfängt, abzurüsten und so auch einen Abbau der Bundeswehr in Gang setzt?
Pfeifer, Parl. Staatssekretär: Also, Frau Kollegin, wir kommen jetzt in ein Gebiet, das in diesem Parlament zum Bestandteil der grundsätzlichen politischen Auseinandersetzungen gehört. Ich meine, daß die Position der Bundesregierung hierzu in diesem Parlament mehrmals und sehr eindeutig dargestellt worden ist.
Wir sind am Ende sowohl dieses Geschäftsbereichs als auch der Fragestunde. Ich danke dem Parlamentarischen Staatssekretär für die Beantwortung der Fragen.
Ich rufe den Zusatztagesordnungspunkt 1 auf: Aktuelle Stunde
Haltung der Bundesregierung zu den jüngsten Äußerungen der britischen Premierministerin zum Thema Nachrüstung
Die Fraktion DIE GRÜNEN hat gemäß Nr. 1 Buchst. c der Anlage 5 unserer Geschäftsordnung eine Aktuelle Stunde zu diesem Thema verlangt.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Mechtersheimer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die NATO hat in der vorigen Woche eine neue Nachrüstungsdebatte gestartet. Nicht die offizielle Erklärung, sondern das, was die britische Premierministerin in einer Pressekonferenz gesagt hat, ist die Wahrheit. Sie hat angekündigt, daß sich die NATO-Verteidigungsminister schon bald, und zwar Ende Mai, mit der Modernisierung der Kurzstreckenraketen befassen werden — natürlich nichtAnfang Mai, denn dann ist ja die Wahl in SchleswigHolstein noch nicht vorbei.
Die NATO ist allenfalls bereit, auf die Interessen Ihrer Regierung in Bonn vorübergehend Rücksicht zu nehmen, keinesfalls aber auf die Lebensinteressen der deutschen Bevölkerung.Margaret Thatcher gebührt Dank dafür, daß sie dann darüber hinaus in einem Fernsehinterview am selben Tag folgendes gesagt hat. Gefragt, ob sie Verständnis für die deutsche Besorgnis habe, daß deutsches Territorium das einzige offenkundige Schlachtfeld für die modernisierten atomaren Kurzstreckenwaffen sei, hat sie geantwortet — ich zitiere — : Wenn man an vorderster Front steht, wird man selbstverständlich das erste Opfer. Und weiter: Man kann nicht ignorieren, daß es Hitler war, der den letzten Weltkrieg verursacht hat. Die Deutschen wüßten das, meint sie; es sei ihre Geographie, es sei ihre Geschichte. So der Bericht der „Frankfurter Rundschau" vom 5. März 1988.Soll das heißen, daß die Deutschen, insbesondere die heutigen Generationen, Hitlers Angriffskrieg durch ein erhöhtes Nuklearkriegsrisiko büßen müssen? Damit hat die britische Politikerin offengelegt, worauf die NATO aufgebaut ist,
nämlich auf der territorialen Ausbeutung des früheren Kriegsgegners. Umgekehrt gilt das ähnlich für die DDR im Rahmen des Warschauer Pakts.Das ist die wirkliche Singularisierung. Das ist sie! Wir haben eine Regierung, die diese Singularisierung der Bundesrepublik immer schon betrieben hat. Erst neuerdings fürchtet sie die öffentliche Meinung im eigenen Land, weil nämlich immer mehr Menschen begreifen, daß die Millionenheere der fremden Truppen hier nicht zum Schutz, sondern hauptsächlich dazu da sind, das Kriegsrisiko aus ihren Heimatländern nach Mitteleuropa, hierher, zu verlagern.
Die Bundesrepublik ist schon immer in einer unerträglichen Sonderrolle. Aber jetzt, wenn die USA die nukleare Abschreckung für die Bundesrepublik aufkündigen und durch Kriegsführungskonzepte ersetzen, wird das endlich deutlicher.Erst der erzwungene Verzicht auf die Pershing-Raketen hat endlich auch manchem NATO-Freund klargemacht — ich sehe jetzt gar niemanden an —, daß die NATO auf einem Interessengegensatz aufgebaut ist, der zum Sprengsatz für dieses Bündnis wird, wenn die Ausgebeuteten ihre Rolle begreifen.
In dieser Situation versucht die Regierung, durch bessere, möglicherweise in Frankreich beschaffte, weitreichende Raketen die alte Politik zu retten, statt endlich zu begreifen, daß die NATO zur Abrüstungs- und Friedenspolitik strukturell unfähig ist und Abrüstung nur in dem Maße möglich ist, wie durch block-
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4528 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 66. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 9. März 1988
Dr. Mechtersheimerübergreifende Zusammenarbeit die Militärbündnisse abgewertet und auf Null gebracht werden.
Großbritannien, Frankreich, die USA und andere sind an der alten Struktur interessiert. Die Menschen in der Bundesrepublik können das nicht sein. Wenn die Bundesrepublik in der NATO bleibt, läuft sie Gefahr, darin umzukommen.Wir von den GRÜNEN und von der Friedensbewegung werden unseren Beitrag in der jetzt begonnenen neuen Nachrüstungsdebatte leisten. Diesmal geht es nicht nur gegen Raketen, sondern gegen ein Bündnis, das uns weit mehr bedroht als irgendein Gegner.Danke sehr.
Das Wort hat der Abgeordnete Wimmer.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die heutige von den GRÜNEN beantragte Aktuelle Stunde ist nach dem bekannten Strickmuster konzipiert. Es geht weder um wirkliche Aktualität, noch wollen die Antragsteller über einen unbekannten Sachverhalt aufklären.
Eine schwierige, im allgemeinen schwer übersehbare Materie soll mißbraucht werden — das haben wir gerade gehört —,
um Emotionen zu schüren und Verunsicherung zu verbreiten.Dazu ist festzustellen: Die Sicherheit unseres Landes ist ein zu wertvolles Gut, als daß sie demagogischen Feindbildern ausgeliefert werden darf; auch dann nicht, wenn beispielsweise von dem desolaten Zustand der grünen Partei abgelenkt werden soll.
Was real vorliegt und gültig ist, sind erstens die Erklärung der Staats- und Regierungschefs des NATO-Gipfels, zweitens ihre Erklärung zur konventionellen Rüstungskontrolle und drittens die Erklärung des Bundeskanzlers während dieser Konferenz. Das ist die Arbeitsgrundlage. Kaffeesatzleserei mag Ihre Arbeitszeit ausfüllen. Uns ist das nicht seriös genug.
Wenn sich die Opposition nicht zu sehr auf ihr Kurzzeitgedächtnis abstützen würde, könnte sie rückwirkend feststellen, daß die Ergebnisse des NATO-Gipfels in der Kontinuität unserer Regierungspolitik liegen. Aber ich gebe gerne zu, daß Ihnen das schwerfällt. Rückblicke müssen Sie scheuen; denn sie offenbaren Ihre Sünden der Vergangenheit. Ihre Prognosen waren falsch, Ihre Proteste von damals werdenvon der Realität als unverantwortliches Feldgeschrei demaskiert.
Wäre man Ihrer politischen Schwäche, Ihrer Demagogie, Ihrem Populismus gefolgt, so gäbe es kein Vertragswerk, dem Sie heute in herzlicher Verbundenheit zujubeln. Kurz gesagt: Sie sind in reinster Weise unschuldig am Zustandekommen dessen, was Sie heute als Erfolg feiern.Und doch: Ihre damalige Politik hätte Westeuropa der Bedrohung durch sowjetische Mittelstreckenraketen ohne Ausgleich auf westlicher Seite ausgeliefert. Das hat natürlich schmerzliche Folgen für Ihre Glaubwürdigkeit auch heute. Wer noch vor nicht allzu langer Zeit so versagte, hat seiner sicherheitspolitischen Kompetenz ein schlechtes Zeugnis ausgestellt.
Wer in den Monaten, wo Mut und Stärke gefragt waren, von politischen Schwächeanfällen geschüttelt wurde, sollte jetzt nicht die Erfolge des westlichen Bündnisses zerreden,
auch nicht die politische Absicht der NATO, die klar auf der Hand liegt:Erstens. Das westliche Verteidigungsbündnis wird weiterhin mit den militärischen Mitteln den Frieden sichern, die dafür notwendig sind. Entscheidungen hierzu werden zur rechten Zeit getroffen. Das ist verantwortliche Politik.Zweitens. Das Bündnis setzt seine Politik der Zusammenarbeit mit den Staaten Osteuropas fort, um Spannungen zu vermindern und die Sicherheit zu erhöhen. Das wird nicht allein mit weniger Waffen bewirkt. Die Gewährung der Menschenrechte in Osteuropa würde in besonderem Maße der Sicherheit dienen.Drittens. Die NATO ist auf besonderes Betreiben der Regierung Kohl und meiner Fraktion dabei, ein Gesamtkonzept für Sicherheit, Rüstungskontrolle und Abrüstung zu erstellen. Das zeigt unsere Absicht, Sicherheit auf einem möglichst niedrigen Rüstungsniveau herzustellen. An der Bereitschaft Moskaus, auf dem Weg der gleichen Sicherheit für alle Europäer verantwortlich mitzugehen, wird sich die Glaubwürdigkeit der Politik Gorbatschows beweisen.Viertens. Alle Bündnispartner haben ihren Willen bekräftigt, Risiken, Lasten und Verantwortung untereinander fair zu teilen. Dabei ist es von besonderem deutschen Interesse, das Bewußtsein des Bündnisses dafür wachzuhalten und zu schärfen, daß die exponierte geographische Lage eines Bündnispartners der besonderen Bündnissolidarität bedarf. Deshalb begrüßen wir in vollem Umfang nicht nur das, was in Brüssel dazu artikuliert worden ist, sondern auch die Ergebnisse des Gipfels von Brüssel im EG-Bereich und den Besuch des Bundeskanzlers in Washington.
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 66. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 9. März 1988 4529
Wimmer
Ich bedanke mich.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Scheer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Auffassung der britischen Premierministerin Thatcher, warum Atomwaffen und damit die Atomwaffenbedrohung bei uns verbleiben müßten, ist eine unmittelbare Folge des Abschreckungsgrundsatzes. Da Abschreckung immer auch Selbstabschreckung bedeutet, führt sie dazu, daß die atomaren Risiken möglichst anderen aufgebürdet werden. Diese Tendenz zeigt sich nicht nur bei Frau Thatcher, sondern auch bei der neuesten, noch inoffiziellen amerikanischen Strategiestudie. Solange die Bundesregierung keine Alternativen zur atomaren Abschrekkung versucht, muß sie weiter damit rechnen, daß uns Bündnispartner atomare Risiken aufhalsen.
Wenn es um individuelle nationale Existenzfragen geht, hört bekanntlich die Freundschaft auf. Deshalb hängt dieser Vorgang auch mit der durchaus widersprüchlichen Politik der Bundesregierung zusammen. Wer vor Frau Thatcher redet, muß auch über die Widersprüche der Bundesregierung sprechen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Modernisierung jetzt nicht und jetzt auch nicht darüber diskutieren. Herr Wörner stellt demgegenüber lakonisch und penetrant fest, die Modernisierung sei beschlossen und laufe entsprechend ab. Es sei kein Zweifel, daß modernisiert werde. Das sagt er übrigens noch in diesen Tagen. Das bedeutet: Wenn der Bundeskanzler nicht einmal seinen eigenen Verteidigungsminister bändigen kann: Wie will er sich da gegen die Zumutungen von Bündnispartnern erfolgreich wehren?
Aber der Bundeskanzler gibt auch selber Rätsel auf. Modernisierung, sagt er — das ist ein neuhochdeutsches Wort für Neurüstung — , komme allenfalls im Rahmen eines sicherheits- und abrüstungspolitischen Gesamtkonzepts in Frage. Dieses sei schon in Arbeit, hörte man vor kurzem. Jetzt hofft er, daß es vielleicht noch in diesem Jahr ein solches Konzept geben werde. Ahnt er schon, daß seine Versprechungen nicht eingelöst werden können? Welche Konsequenz hat ein über ein Jahr lang nicht vorhandenes Gesamtkonzept für den Beginn der Verhandlungen zur Kontrolle der konventionellen Rüstung? Welche Folgen hat das für die Fragen der Kurzstreckenwaffen, von denen man nicht genau erfährt, ob und wann die Neurüstung beginnt und bei welchen Waffen sie bereits eingeleitet worden ist?
Wenn auf diese Weise bis 1990 oder 1995 über eine Reduzierung der Kurzstreckenwaffen noch immer nicht verhandelt wird, ist die Atempause in der Modernisierungsdebatte endgültig beendet, und es wird, so der Bundesverteidigungsminister, die schon fünf Jahre alte Modernisierungsentscheidung umgesetzt. Der glückliche Umstand, daß es den Ersatz für die Kurzstreckenrakete Lance noch nicht gibt, verschaffte dem Bundeskanzler in Washington und in Brüssel Aufschub der Entscheidung über die Modernisierung und ermöglichte ihm die Schweigeempfehlung, an die sich sein Verteidigungsminister eben nicht hält.
Es gibt aber noch weitere Fragezeichen. Die Bundesregierung hat zum Thema Kurzstreckenwaffen stets nur von Obergrenzen gesprochen. Die Null-Lösung für landgestützte Atomwaffen in Europa lehnt sie nachdrücklich ab. Das ist völlig unverständlich. Der Satz: Je kürzer die Reichweite, um so deutscher die Wirkung, gilt auch dann noch uneingeschränkt, wenn statt viertausend Kurzstreckenwaffen nur noch tausend vorhanden wären. Der Verbleib von Atomraketen verlangt auch den militärischen Schutz vor Atomraketen und provoziert einen neuen Rüstungswettlauf bei Raketenabwehrsystemen.
Diesen könnten — und müßten — wir uns sparen, wenn wir auf beiden Seiten null Raketen hätten.
Der Bundeskanzler steht zwischen seinem in der Frage der Atomwaffen auf deutschem Boden noch deutlichen Fraktionsvorsitzenden, seinem Verteidigungsminister, der mit Fleiß zerredet, was die übrige Regierung als Erfolg des Washington-Besuchs und des NATO-Gipfels ausgibt, und seinen eigenen Widersprüchen, aus denen nie und nimmer ein Konzept wird. Zu fragen ist, ob die Bundesregierung und die Koalition die Null-Lösung bei allen landgestützten Atomwaffen wollen, wie uns Herr Dregger in Aussicht stellt,
oder ob Sie an den militärisch sinnlosen Kurzstreckenwaffen aus unerfindlichen Gründen festhalten wollen, also bloß Obergrenzen zu vereinbaren wünschen.
Noch vor einer Woche haben Sie sich gefeiert, den Aufschub der Modernisierung erreicht zu haben. Herr Wörner, Frau Thatcher, der amerikanische Verteidigungsminister Carlucci und andere erklären uns, daß dies überhaupt nicht stimme. Heute müssen wir uns fragen: Ist die Sache nicht längst entschieden, und hat sich nicht sogar ein Teil der Regierung schon damit abgefunden, gerade weil Herr Wörner das ja ganz offensichtlich betreibt? Diesen Widerspruch werden Sie nicht los.
Das Wort hat der Abgeordnete Ronneburger.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist immer wieder etwas erstaunlich, daß die SPD Herren Dr. Scheer hier reden läßt, wobei
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4530 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 66. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 9. März 1988
Ronneburgerich davon überzeugt bin, daß nicht alle SPD-Mitglieder oder Mitglieder der SPD-Fraktion die Meinung teilen, die Sie hier soeben vorgetragen haben.Meine sehr verehrten Damen und Herren, wenn ich— wie ich meine, zu Recht — das Thema einer Aktuellen Stunde als eine Frage, als ein Verlangen nach Antwort empfinde, dann ist es zweifellos so, daß die Initiatoren dieser Aktuellen Stunde heute eine Antwort von der Bundesregierung verlangen, die ihnen schon lange gegeben worden ist, eine Antwort, die nicht zuletzt vor 14 Tagen bei der Debatte über den Besuch in Washington und den EG-Gipfel hier bereits mit aller Eindeutigkeit ausgesprochen worden ist. Sowohl in den Gesprächen in Washington als auch auf dem NATO-Gipfel jetzt ist festgestellt worden, daß die Entwicklung der Ost-West-Abrüstungsverhandlungen keine aktuelle Entscheidung über eine Modernisierung nuklearer Systeme kurzer Reichweite verlangt.Aber Sie beziehen sich ja in Ihrem Antrag auch auf öffentliche Äußerungen der britischen Premierministerin. Ich will deswegen eine davon hier zitieren:Man erneuert seine Waffen,— so sagt sie —weil man mit veralteten Waffen niemanden abschrecken kann.Zweifellos richtig.
Aber, verehrte Antragsteller, in Washington wurde festgestellt, das System Lance sei bis 1995 einsatzbereit, also up to date. Ich zitiere noch zusätzlich Christoph Bertram in einer Äußerung über das, was Frau Thatcher gesagt hat:Ich glaube,— so heißt es in dieser Äußerung des „Zeit" -Journalisten —Frau Thatcher hat den Deutschen gegenüber eine recht bemerkenswerte Konzession gemacht. Nachdem nicht nur die Amerikaner, sondern dann auch der französische Staatspräsident die deutsche Haltung unterstützten, hat Frau Thatcher erkannt, daß man eine Formulierung finden muß, die den deutschen Interessen entgegenkommt, und sie erkannte auch, daß dies nicht nur deutsche Interessen sind.Meine sehr verehrten Damen und Herren, auf dem NATO-Gipfel ist mit aller Eindeutigkeit festgestellt worden, daß es bestimmte Interessen der europäischen Bündnispartner gibt, die sich auf das Gebiet der konventionellen Waffen, des konventionellen Ausgleichs, auf die Beseitigung der chemischen Waffen und auf eine Reduzierung der atomaren Waffen mit einer Reichweite unter 500 km konzentrieren. Auf diese drei Punkte haben sich die Debatten und hat sich auch die Schlußerklärung konzentriert, Herr Dr. Scheer, die Sie ja ergänzen müßten durch die Erklärung, die dort auch zum konventionellen Bereich gemacht worden ist, die Sie so behandelt haben, als sei sie überhaupt nicht abgegeben worden. Hierauf, auf unsere, auf die europäischen Interessen hat sich der NATO-Gipfel konzentriert, und er hat dazu dieZustimmung unseres größten Bündnispartners jenseits des Atlantiks erhalten. Deswegen sagen wir nicht umsonst: Dieser NATO-Gipfel ist ein Erfolg der Bundesregierung,
ein Erfolg für unsere Interessen in Deutschland, in der Bundesrepublik Deutschland.Herr Dr. Mechtersheimer, Sie werden ja nicht aus der Welt reden können, daß wir an vorderster Frontlinie sitzen. Ist das so oder nicht? Daß wir hier die Unterstützung unserer Bündnispartner haben, ist das, was uns 40 Jahre lang in unserer Region den Frieden bewahrt hat. Wir sollten alles tun, was wir können, um in Gemeinsamkeit mit unseren Verbündeten dafür zu sorgen, daß es nicht bei diesen 40 Jahren bleibt, sondern daß wir in eine weitere Entwicklung hineingehen, in der Abrüstung genauso ein gültiges Konzept für unsere Politik ist wie Erhaltung von Frieden und Freiheit.Wir werden allerdings die sowjetische Seite daran zu messen haben, ob sie nicht nur Bereitschaft zur Abrüstung verlautbart, sondern ob tatsächlich — was Sie, Herr Dr. Mechtersheimer, offenbar immer nicht hören wollen — Anstrengungen des Warschauer Paktes auf dem Gebiet der konventionellen Rüstung zurückgeführt werden und ob damit die Voraussetzung dafür geschaffen wird, daß auch auf dem Gebiet der atomaren Kurzstreckenwaffen mit einer Reichweite von unter 500 km eine Vorwärtsentwicklung, eine Entwicklung in die Zukunft möglich sein wird, die wir gemeinsam anstreben sollten, wenn wir es mit den Interessen der Deutschen und der Europäer und mit dem Frieden in der Welt wirklich ernst meinen.
Das Wort hat der Staatsminister im Auswärtigen Amt, Herr Schäfer.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Bundeskanzler und der Bundesminister des Auswärtigen haben vom 17. bis zum 19. Februar dieses Jahres bilaterale Gespräche in Washington geführt und haben dabei auch über die Vorbereitung des NATO-Gipfels und die vom Bündnis einzuschlagende Politik gesprochen.Der Bundeskanzler hat hierzu am 25. Februar 1988 vor diesem Hohen Hause erklärt — ich zitiere —:Unsere Forderung, daß es keine isolierten Entscheidungen über einzelne Waffensysteme geben darf, traf auf viel Verständnis. Mit meinen Gesprächspartnern war ich darin einig, daß sich unser Bündnis jetzt auf ein Gesamtkonzept der Sicherheit, Abrüstung und Rüstungskontrolle konzentrieren muß und daß die fälligen Entscheidungen nur im Rahmen dieses Gesamtkonzepts zu treffen sind.Während der Gipfelberatungen in Brüssel hat der Bundeskanzler am 2. März ausgeführt — ich zitiere erneut — :Die Bundesregierung wünscht keine weitereNull-Lösung, keine kernwaffenfreien Zonen und
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 66. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 9. März 1988 4531
Staatsminister Schäferschon gar nicht eine Denuklearisierung Europas.
Sie wird auch künftig die nach eingehender und umfassender Prüfung im Bündnis gemeinsam beschlossenen Maßnahmen mittragen und durchführen, um unsere Strategie der flexiblen Antwort wirksam zu erhalten.Bei meinen Gesprächen mit Präsident Ronald Reagan und Außenminister George Shultz— ich zitiere den Bundeskanzler —am 18./19. Februar dieses Jahres habe ich feststellen können, daß derzeit im Bereich des in Europa stationierten Nuklearpotentials keine isolierten Entscheidungen über die Modernisierung einzelner Waffensysteme anstehen.Wir waren uns einig, daß sich unser Bündnis jetzt auf das Gesamtkonzept der Sicherheit, Abrüstung und Rüstungskontrolle konzentrieren muß, dessen Weiterentwicklung wir uns im Juni 1987 vorgenommen haben. Das Bündnis wird dabei die gesamte künftige Struktur seines Nuklearwaffenpotentials, einschließlich der Systeme unter 500 km, zu definieren haben — unter Beachtung der in den „Allgemeinen politischen Richtlinien" niedergelegten Grundsätze, die das Schwergewicht auf Systeme größerer Reichweite verlegen.Diese Aussagen sind von unseren Partnern auf dem Gipfeltreffen uneingeschränkt akzeptiert worden.Dementsprechend heißt es — ich muß jetzt noch einmal zitieren, damit wir bei dem bleiben, was sich nun wirklich abgespielt hat — in der am 3. März 1988 verabschiedeten Erklärung der Staats- und Regierungschefs des Bündnisses:Unser Ziel wird es auch weiterhin sein, jede Art von Krieg oder Einschüchterung zu verhindern. Durch Aufrechterhaltung einer glaubwürdigen Abschreckung hat das Bündnis den Frieden in Europa seit fast vierzig Jahren gesichert. Konventionelle Verteidigung allein kann diese Sicherheit nicht geben; daher gibt es für die absehbare Zukunft keine Alternative zur Strategie der Kriegsverhinderung. Dies ist eine Abschreckungsstrategie, die auf einer geeigneten Zusammensetzung angemessener und wirksamer nuklearer und konventioneller Streitkräfte beruht, die weiterhin auf dem gebotenen Stand gehalten werden, wo dies erforderlich ist.Wir streben Sicherheit und Stabilität auf niedrigerem Rüstungsniveau an. Zugleich sind wir entschlossen, weiterhin die erforderlichen Anstrengungen zu unternehmen, um auch in Zukunft die Lebensfähigkeit, Glaubwürdigkeit und Wirksamkeit unserer konventionellen und nuklearen Streitkräfte, einschließlich der nuklearen Kräfte in Europa, zu gewährleisten, die zusammengenommen unsere gemeinsame Sicherheit garantieren.
Meine Damen und Herren, diese grundsätzliche Aussage stellt den Konsens des Bündnisses in dieser Frage klar und unmißverständlich dar.
Konkrete Entscheidungen waren nicht zu treffen und sind auch nicht getroffen worden.Es ging in Brüssel um eine Würdigung der erfolgreichen Politik des Bündnisses, um eine Kursbestimmung auf der Grundlage bewährter Prinzipien des Bündnisses und um eine Verdeutlichung der damit eröffneten politischen Perspektiven.So hat das Bündnis die auf dem Harmel-Konzept basierende Politik bekräftigt, die politische Solidarität, Gewährleistung der Verteidigungsfähigkeit, Bemühen um Rüstungskontrolle und Abrüstung sowie um Dialog und Zusammenarbeit zwischen West und Ost als integrale Teile einschließt.Für die Bundesregierung war es sehr befriedigend, daß auch unsere Partner die Entwicklung in der Sowjetunion unter Gorbatschow insgesamt positiv bewerten, auch wenn die militärischen Anstrengungen der Sowjetunion noch zu hoch für einen reinen Verteidigungszweck sind. Wir waren uns mit unseren Partnern darin einig, daß eine sich nach innen und außen öffnende Sowjetunion im westlichen Interesse liegt und daß es diese Entwicklung zu fördern gilt.
Unsere Auffassung, daß Gorbatschow beim Wort genommen und auf Taten gedrängt werden sollte, fand breite Zustimmung.Schließlich entsprach die Verabschiedung der Erklärung zur konventionellen Rüstungskontrolle einem besonderen deutschen Anliegen. Damit unterstreicht das Bündnis die Bedeutung, die es der Herstellung konventioneller Stabilität in Europa beimißt.Vielen Dank.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Lippelt,
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist doch überhaupt nicht zu leugnen, daß die Äußerungen von Frau Thatcher noch einmal ein grelles Licht zurück auf diesen Gipfel geworfen haben. Deshalb, Herr Ronneburger, müssen wir darüber noch einmal sprechen.Frau Thatcher hat ja recht darin. Die Situation ist ein Ergebnis unserer Geschichte; sie ist ein Ergebnis unserer Geographie. Nur, wie es dann im Zitat weitergeht, sie ist auch ein Ergebnis der vordersten Front, in der wir stehen. Ist dies nicht ein Denkansatz, über den hier geredet werden muß und aus dem wir herausfin-
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Dr. Lippelt
den müssen, vor allem in einer Zeit, in der offensichtlich begonnen wird, anders zu denken?Wie immer man nun den letzten NATO-Gipfel betrachten und würdigen mag — Herr Wimmer, auch ich habe ja einmal ein bißchen die Dokumente gelesen — : Der Witz ist doch, daß Sie sich Sand in die Augen streuen. Man kann es doch ganz deutlich machen. Es heißt in unserem Text: „Die konventionellen und nuklearen Waffen sollen weiterhin auf dem gebotenen Stand gehalten werden. "Herr Ronneburger hat hier eben selber gesagt, wie die englische Fassung heißt. Sie sollen up to date gehalten werden.
Jeder Quartaner kapiert den Unterschied zwischen „up to date" und „auf dem gebotenen Stand". Deshalb haben Sie permanent den Druck der anderen Länder auf Modernisierung und Nachrüstung hin. Denn „up to date" heißt „auf modernem Stande".
Wir wollen dieses gerne noch einmal diskutieren, weil wir nach dem Konzept der Bundesregierung fragen. Will man aus innenpolitischen Gründen nur gerade einmal wieder über einen Gipfel hinwegkommen, oder will man ein deutliches Konzept auch bezogen auf England, auch bezogen auf Frankreich machen? Will man darauf drängen, daß die Abrüstungsdynamik dadurch aufrechterhalten bleibt, daß auch die Raketenpotentiale dieser Länder nun endlich einmal in die Dynamik mit einbezogen werden, daß endlich auch von da einmal ein Angebot kommt? Das sind für uns die Fragen, und deshalb werfen wir sie auf.
Denn die Entwicklung geht bei Ihnen in die andere Richtung. Die Entwicklung geht in die Richtung des Geißler-Papiers, und da braucht man die nuklearen Kräfte Frankreichs und Englands, um sie in den gemeinsamen Nuklear-Pool zu werfen. Das ist das Problem, und deshalb an dieser Stelle nochmals unsere Aufforderung: Ändern Sie Ihre Politik; ändern Sie Ihre England-Politik; ändern Sie Ihre NATO-Politik! Wirken Sie darauf ein, daß diese Potentiale einbezogen werden und die Dynamik der Abrüstung aufrechterhalten bleibt!
Das Wort hat der Abgeordnete Dr, Abelein.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Aktuelle Stunde rankt sich um den NATO-Gipfel in Brüssel und um einige Äußerungen, und im übrigen werden altbekannte Gegensätze ohne Aktualität hier erneut aufgetischt.
Erstens. Die NATO-Gipfelkonferenz, um zu den Fakten zu kommen, hat die gemeinsamen Grundlagen des Nordatlantischen Bündnisses bekräftigt, und zwar in einer gemeinsamen Erklärung der Staats- und Regierungschefs. Dabei wurde betont, daß der Harmel-Bericht in beiden Ansätzen, also Verteidigungsfähigkeit und Dialogbereitschaft, unverändert gilt.Zweitens. Die Strategie der flexiblen Antwort ist die maßgebliche Verteidigungsdoktrin der NATO — nach wie vor.
Das heißt: Die Glaubwürdigkeit der Abschreckung mit angemessenen konventionellen und nuklearen Kräften muß erhalten bleiben. Eine wirksame Abschreckung ist ohne nukleare Verteidigungsmittel nicht möglich. Atomwaffenfreie Zonen oder ein atomwaffenfreies Europa erhöhen die Fähigkeit des westlichen Bündnisses zur Verteidigung nicht. All das kam zum Ausdruck.Das entspricht auch der Politik der Bundesregierung. Es ist nie bestritten worden, daß die Verbündeten ihre eigenen Interessen im Rahmen dieses Bündnisses wahren. Es ist der Sinn eines Bündnisses, daß die eigenen Interessen ebenfalls — zusammen mit den Interessen der anderen — gewahrt werden; das ist eine Sache auf Gegenseitigkeit. Darin ist kein Widerspruch zu sehen.Die Anwesenheit von Streitkräften der USA in Europa und der nukleare Schutzschirm der USA in Europa sind unersetzlich. Der amerikanische Präsident hat diese Garantie gegenüber dem Bundeskanzler in diesen Tagen erneut bestätigt.Eine Denuklearisierung Europas durch eine dritte Null-Lösung für Kurzstreckenraketen unter 500 km würde der NATO die entscheidenen Mittel gegen die Übermacht der konventionellen Kräfte des Warschauer Paktes rauben.
Nach dem Abkommen über die Beseitigung der Mittelstreckenraketen muß diese Situation in ein Gesamtkonzept für Rüstungskontrolle und Abrüstung eingebettet werden. Das ist ein natürlicher Vorgang, das ist ein kontinuierlicher Prozeß. Dazu gehören: eine 50%ige Reduzierung der strategischen Atomwaffen der USA und der UdSSR — bevorstehend — , die Herstellung eines stabilen Gleichgewichts der konventionellen Streitkräfte — das ist einer der Schwerpunkte der künftigen Verhandlungen, ein Hauptziel unserer Bemühungen — , die Reduzierung amerikanischer und sowjetischer bodengestützter nuklearer Flugkörpersysteme kürzerer Reichweiten, die zu gleichen Obergrenzen führen muß. Das sind die Fakten.Nun zu der Erklärung, die zu einer Diskussion geführt hat, die uns auch heute beschäftigt. Diese Erklärung, nämlich die Erklärung der Staats- und Regierungschefs vom 3. März zu der neu bekräftigten Strategie der NATO, von der ich gesprochen habe, lautet wörtlich — ich zitiere mit Genehmigung des Präsidenten —Dies ist eine Abschreckungsstrategie, die auf einer geeigneten Zusammensetzung angemessener und wirksamer nuklearer und konventioneller Streitkräfte beruht, die weiterhin auf dem ge-
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Dr. Abeleinbotenen Stand gehalten werden, wo dies erforderlich ist.Das und nichts anderes ist der maßgebliche Text. Es ist davon auszugehen, daß auf dieser Konferenz über diesen Text und den Inhalt diskutiert wurde — das ist der Sinn solcher Zusammentreffen, solcher Konferenzen — , aber auf diese Formulierung haben sich dann alle Staats- und Regierungschefs gemeinsam geeinigt. Sie ist für uns maßgeblich, sonst nichts.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. von Bülow.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Bewertung des Gipfeltreffens durch die internationale Presse war eindeutig: Die Regierungschefs demonstrierten Geschlossenheit und übertünchten die Probleme. Die Hiwis aus den nationalen Stäben hatten das Protokoll zuvor minuziös abgestimmt, voller Angst, den Chefs könnte etwas Abweichendes und Neues einfallen. Doch die Chefs liefen brav an den Leinen. Die Planung gönnte jedem der Staatsfrauen und -männer auch nur ganze 15 Minuten für ihre Diskussionsbeiträge — ein guter Fototermin und Gelegenheit zur Selbstdarstellung.Die NATO hat sich einmal mehr der Herausforderung durch die neue sowjetische Führung nicht gewachsen gezeigt. Die andere Seite denkt um, sie will übergehen zu einer nicht offensiven Verteidigung, sie fordert die NATO auf, sich gemeinsam an die Erörterung einer militärischen Verteidigungsordnung in Europa heranzuwagen, in der beide Seiten zwar ausreichend verteidigungsfähig sind, die Fähigkeit zum Überfall und zum Eindringen in gegnerisches Territorium jedoch abrüsten.Die NATO-Antwort hierauf ist im wesentlichen eine gemeinsame Beschwörung des Festhaltenwollens an einer unteilbaren konventionellen und nuklearen Abschreckung, von den Gefechtsfeldwaffen über die Kurzstreckenwaffen bis hin zu den Interkontinentalsystemen. Nahezu nichts ist verzichtbar, allenfalls reduzierbar.Da haben ganz offensichtlich die Nuklearbesitzer der Allianz in einer gemeinsamen Anstrengung die nuklearen Habenichtse zur Brust genommen, damit die nicht auf dumme Gedanken kommen.
Damit waren sie erfolgreich.
Maggie Thatcher hat das Antreiben der Karawane übernommen, doch Reagan läßt Leine, um den Bundeskanzler vor den Landtagswahlen zu schonen.Doch die Sachzwänge allein der Auslastung der Nuklearlaboratorien in den USA werden sich gegen verwaschene NATO-Erklärungen durchsetzen.Zur konventionellen Rüstungskontrolle hat man selbst nahezu nichts anzubieten. Nach einem vetrödelten Jahr ohne Antwort auf die östlichen Angebote richtet man sich offensichtlich auf ein weiteres Jahr der Vorgespräche innerhalb des Westens ein.Der Westen verliert immer mehr an Glaubwürdigkeit, und Gorbatschow findet im Westen nicht seinen Meister. Man will der Sowjetunion die Fähigkeit zum Überraschungsangriff und zur raumgreifenden Offensive nehmen. Dies ist nach NATO-Auffassung offensichtlich dann erreicht, wenn die Warschauer-Vertrags-Staaten auf das Maß der NATO abrüsten, denn die sei ja bereits unfähig zum Überfall und zur Offensive.Doch gleichzeitig verpflichtet man sich zur Aufrechterhaltung des ganzen Spektrums der nuklearen Abschreckung. Sollte jedoch die konventionelle Nichtangriffsfähigkeit in Europa hergestellt sein, wozu braucht der Westen dann noch taktische Nuklearwaffen?
Daß man den Weg einer dritten Null-Lösung im Zusammenhang mit der Herstellung konventioneller Stabilität nicht zu gehen bereit ist, läßt tief blicken. Es drängt sich der Verdacht auf, daß die Nuklearwaffenstaaten keinerlei Interesse daran haben, diese Waffen durch Abrüstung der konventionellen Seite gegenstandslos zu machen. Ist es die Angst vor einer weniger abhängigen Bundesrepublik, die unsere Freunde treibt?
— Sie sollten etwas mehr nachdenken, Herr Rühe.In Wirklichkeit führt die Abrüstung nur auf NATO-Maß zu einer militärischen Situation, in der beide Seiten die Fähigkeit zum eindringenden und überraschenden Angriff erhalten. Man schafft lediglich einen Zustand, der dem entspricht, wie er zwischen Frankreich und Deutschland 1940 bestand. Diese Verteidigungsstrukturen, die dann nach wie vor im Schwerpunkt aus gepanzerten Verbänden bestehen würden, geben dem überraschenden Angreifer einen kaum wieder wettzumachenden Vorteil.Folgen wir dieser Abrüstungslogik, so steht an deren Ende ein instabiles Gleichgewicht, das die taktischen Nuklearwaffen im Bündnis nach wie vor erforderlich macht. Doch gerade dies kann nicht in unserem nationalen Interesse sein.Der Westen holt mit seiner Konzeption der Abrüstung weniger aus den östlichen Vorschlägen heraus, als der Osten anbietet. Gehen Sie, meine Damen und Herren von den Regierungsparteien, jedoch mit uns gemeinsam den Weg eines Umbaus der Verteidigungsstrukturen, mit dem ernsthaften Ziel, auf beiden Seiten die Fähigkeit zur Verteidigung mit der Unfähigkeit zum Angriff zu verbinden, dann könnten wir gemeinsam unsere Abhängigkeit zumindest von taktischen Nuklearwaffen abstreifen.Die Äußerungen von Herrn Dregger zur möglichen gänzlichen Beseitigung taktischer Nuklearwaffen haben mich optimistisch gestimmt. Wären wir beim Topfschlagen, so würde ich sagen: ganz warm. Doch noch, scheint mir, hat Herr Dregger das Problem in seiner ganzen Tiefe Ost-West, aber auch West-West nicht durchdacht.Die Chancen des Ost-West-Ausgleichs im Bereich der Verteidigung sind zur Zeit enorm. Doch sie müs-
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Dr. von Bülowsen in unserem nationalen, in unserem europäischen Interesse konsequent genutzt werden. Davon war der Gipfel meilenweit entfernt. Davon ist der Verteidigungsminister und künftige NATO-Generalsekretär meilenweit entfernt. Doch wenn Herr Dregger in seinen Überlegungen noch ein wenig weiterginge, könnte sich ein tragfähiger Kompromiß und Konsens in der Verteidigungspolitik der kommenden Jahre abzeichnen.Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Hoyer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Diese Aktuelle Stunde und die Diskussion über die Modernisierung haben eines gemeinsam: Sie sind absolut überflüssig, und das nicht deshalb, weil die semantischen Übungen im Zusammenhang mit NATO-Protokollen eigentlich eher Anlaß böten, eine Satire zu schreiben, sondern deshalb, weil wir Deutschen derzeit überhaupt keine Veranlassung haben, uns eine Diskussion über die Modernisierung aufdrängen zu lassen oder sie uns, wie es die GRÜNEN heute wieder einmal tun, selber aufzudrücken. Eines steht fest, meine Damen und Herren, wir haben Zeit bis 1995, und wir haben eine Aufgabe, die wir bis 1995 oder kurz davor bewältigen können,
nämlich die Frage der Modernisierung der Kurzstreckenraketen und der nuklearen Artillerie in einen inneren Zusammenhang mit den konventionellen Waffen zu bringen. Weder für einen positiven Modernisierungsbeschluß noch — auch das betone ich — für eine Tabuisierung einer Modernisierung besteht gegenwärtig und für die nächsten Jahre eine Notwendigkeit. Über den Zeitpunkt, Herr Professor Ehmke, wann dann endgültig die Entscheidung fallen muß, um 1995 parat zu sein, können wir uns gerne streiten. Darauf möchte ich gar nicht eingehen.
Wir Liberalen begrüßen jedenfalls den Erfolg, den Bundeskanzler Kohl und Außenminister Genscher in Washington erzielt haben. Für uns hat neben START und neben der überfälligen Ächtung chemischer Waffen nunmehr endlich der Einstieg in die konventionelle Abrüstung Vorrang. Im inneren Zusammenhang mit den konventionellen Waffen, aber nicht in Form eines Junktims sehen wir dann auch die Frage der Reduzierungen nuklearer Kurzstreckensysteme und Gefechtsfeldwaffen, die in der Tat faktisch wie psychologisch eine besondere Belastung für Mitteleuropa darstellen. Wir erwarten von unseren Bündnispartnern, daß sie dieses besondere deutsche Interesse auch respektieren, ebenso wie wir unserer Bevölkerung im Interesse des gesamten Bündnisses eine ganze Reihe von Lasten aufbürden.
Selbstverständlich schließt dieser Zusammenhang zwischen der konventionellen und der nuklearen Abrüstung eine Modernisierungsoption ein. Nur, solange wir die Chancen im weiteren Abrüstungsprozeß noch nicht einmal ausgelotet haben und solange auf Grund
der gegebenen Qualität des vorhandenen Potentials noch keine Modernisierungsnotwendigkeit besteht, müßten wir meines Erachtens Tinte gesoffen haben, wenn wir eine solche Diskussion ständig weiterführten.
— Das ist eine gute Frage, Herr Kollege.
Das gilt erst recht dann — das sage ich ausdrücklich — , wenn sich einige der Vorstellung hingeben sollten, man könnte unter dem Mantel einer Modernisierung von Kurzstreckensystemen faktisch eine Substitution der per INF-Abkommen wegverhandelten Mittelstreckenraketen erzielen. Wer mit einer zweiten Nachrüstungsdiskussion liebäugeln sollte, begäbe sich auf einen gefährlichen Holzweg.
Ziel bei der Verhandlung über weitere nukleare Reduzierungen ist für uns Liberale weder eine dritte Null-Lösung noch eine Denuklearisierung. Wir werden, fürchte ich, auf Nuklearwaffen geraume Zeit noch nicht verzichten können.
Auch Abrüstung im allgemeinen und Reduzierung von Nuklearwaffen im besonderen ist für uns nicht Selbstzweck, entscheidend ist vielmehr, auf welchen Wegen der Frieden sicherer gemacht und auf mehr und mehr Vertrauen zwischen Ost und West abgestützt werden kann. Wir sehen nicht, daß dabei die Strategie der Flexible Response oder der Risikoverbund aller NATO-Partner zur Disposition steht.
Lassen Sie mich nur noch eines anfügen, weil ich natürlich auch in ausländischen Zeitungen manch merkwürdige Interpretation lese. Keiner unserer Freunde im Westen braucht sich irgendwelche Sorgen zu machen, und keiner unserer Nachbarn im Osten sollte sich irgendwelchen Illusionen hingeben, die Bundesrepublik wäre nicht in der Lage oder nicht willens, die für die Aufrechterhaltung der Verteidigungsfähigkeit notwendigen Entscheidungen zu treffen und notfalls unseren Bürgern auch Lasten aufzubürden. Wer im Bündnis verlangt eigentlich von seinen Bürgern mehr als wir, wenn es darum geht, eine große militärische Dichte auf recht kleiner Fläche zu ertragen, Manöverlasten zu ertragen und nicht zuletzt den Bürgern eine Wehrpflicht aufzubürden? Nicht zuletzt unsere östlichen Nachbarn sind sich sehr genau darüber im klaren, wie hoch die Leistungsfähigkeit unserer Bundeswehr ist, wie hoch der Motivations-und Leistungsstand unserer Soldaten ist. Das gerade versetzt uns doch in die Lage, alle Abrüstungsoptionen wirklich auszuloten! Damit fangen wir im nuklearen, im chemischen, im konventionellen Bereich schließlich gerade erst an.
Herzlichen Dank.
Das Wort hat der Parlamentarische Staatssekretär beim Bundesminister der Verteidigung, Herr Würzbach.
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 66. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 9. März 1988 4535
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Die Art und Weise, wie hier von einigen von Ihnen das Ergebnis dieses außerordentlich erfolgreichen und zukunftsweisenden Gipfels
auf technische Aspekte nur einer Waffenkategorie reduziert und damit auf einen Punkt nachgeordneter Bedeutung herabgewürdigt wird, bezeichne ich als kurzsichtig und als unpolitisch. Dies wird damit der Wichtigkeit und der Substanz dieses Gipfels in keiner Form gerecht.
Das Treffen der Allianz hat in einer politisch entscheidenden Phase der Entwicklung unserer Beziehung zum Osten die erhofften wesentlichen Akzente gegeben. Dank der Standfestigkeit aller Regierungen unseres Bündnisses und, ich sage nicht zuletzt: der unserer eigenen Regierung haben sich die Chancen für eine positive Entwicklung der West-Ost-Beziehungen ergeben, die übrigens noch vor wenigen Jahren von kaum einem erwartet und von den Vorgängerregierungen in der Form auch nicht erreicht waren.
In dieser Lage war es nicht nur wichtig, sondern es war entscheidend, verbündete Nationen hier eine Kursbestimmung vornehmen zu lassen. Dazu zähle ich ausdrücklich auch das bewußte Festhalten an der bewährten Sicherheitspolitik, an der Strategie der Abschreckung und einer auf der Sicherheit des Westens gegründeten und auf Ausgleich mit dem Osten gerichteten gemeinsamen Bündnispolitik.
So haben eben nicht, wie Sie sich und einigen wenigen darüber hinaus nur einreden wollen, Uneinigkeit und Streit diesen Gipfel geprägt; das Gegenteil ist der Fall: Einheit, Geschlossenheit und gemeinsamer Wille sind hier deutlich geworden in großen wie in kleinen Fragen, in der Beschreibung der Lage heute wie in der Festlegung der Notwendigkeiten für die Zukunft. Dies gilt uneingeschränkt für alle NATO-Staaten, Großbritannien ausdrücklich eingeschlossen.
Der Gipfel ist der Ort, wo gemeinsame Politik festgelegt wird und nicht irgend etwas anderes im nachhinein. Der Gipfel war eine eindrucksvolle Bestätigung der bewährten Bündnispolitik, nämlich auf der Grundlage gesicherter, ich sage hier, das heißt ausdrücklich: wirksamer und glaubwürdiger Verteidigungsfähigkeit das Bemühen um Rüstungskontrolle und Abrüstung und das Angebot, durch Dialog und Zusammenarbeit das Vertrauen zwischen West und Ost zu stärken, auf dauerhaftere Grundlagen zu stellen.
Unsere Bundesregierung hat nie einen Zweifel daran gelassen, daß es zur Bewahrung unserer Sicherheit für uns keine realistische Alternative zur Bündnisstrategie der Kriegsverhinderung durch Abschrekkung gibt. Diese Auffassung hat der Gipfel eindrucksvoll bestätigt. Die Bundesregierung hat darüber hinaus in aller Eindeutigkeit festgestellt: Solange man Waffen, auch Nuklearwaffen, braucht, um Kriege zu verhindern, um den Frieden zu erhalten, so lange muß man diese Waffen wirksam halten. Auch in diesem Sinne hat das Bündnis die gemeinsame Haltung bei
diesem Gipfel erneut bestätigt, ausdrücklich einschließlich der britischen Regierung.
Ein kurzes Wort zu den GRÜNEN als Antragstellern — sonst hätte ich mir das erspart — und dem Verhältnis zum Bündnis: Ich kann ja verstehen, daß Sie über diese politischen Erfolge auch dieses jüngsten Gipfels verwirrt sind.
Dies kann ich deshalb verstehen, weil hiermit Ihrer Agitation gegenüber der Sicherheitspolitik dieser Regierung eine Menge Ansatzpunkte genommen werden, um Emotionen und möglicherweise gar manche Demonstrationen zu schüren.
Sie spüren eine wachsende Zustimmung zu dieser Politik der Bundesregierung auf diesem wichtigen Feld.
Es gilt jetzt für uns, aufbauend auf den Gipfelergebnissen ein Gesamtkonzept zu entwickeln, in dem nukleare, konventionelle und solche Dinge wie Sicherheitspolitik, Abrüstung und Rüstungskontrolle in gleichgewichtiger Form beinhaltet sind.
Wir als Bundesregierung werden nicht den Fehler machen, uns von technischen Zwängen, die in der Mitte des kommenden Jahrzehnts auf uns zukommen, Politik vorschreiben zu lassen. Ich sage Ihnen: Sie versuchen, sich und anderen einzureden, daß technische Zwänge einer Waffenkategorie heute Politik in diesem bedeutenden Feld vorschrieben. Dies ist ein falscher Weg, auf dem wir Ihnen nicht folgen werden. Es steht überhaupt nicht an, eine isolierte Entscheidung heute hier zu treffen. Auch hier sind sich die Deutschen, die Briten und andere Alliierte einig. Es besteht auch kein Grund, einen Zeitplan in diesem Zusammenhang im Augenblick zu erörtern sowie irgendeine Komponente der Strategie überzubetonen.
Wir sehen keinen Anlaß zu semantischer Haarspalterei,
keinen Anlaß zu Spekulationen über Dinge, die nicht anstehen. Wir sehen aber Anlaß zur Zufriedenheit über das gemeinsam beim Gipfel Beschriebene und für die Zukunft Beschlossene.
Ich möchte besonders die Antragsteller bitten, das Kommuniqué dieses Gipfels nicht nur, wie ihr Sprecher hier ja offiziell vor uns sagte, ein bißchen, sondern gründlich zu lesen. Vielleicht können Sie es dann besser verstehen.
Das Wort hat der Abgeordnete Lowack.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Ich bin wieder da, wie Sie sehen, lieber Herr Dr. Scheer.
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4536 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 66. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 9. März 1988
LowackDer Kollege Lippelt, sicher einer der liebenswürdigsten Genossen aus den Reihen der GRÜNEN, hat heute früh im Auswärtigen Ausschuß die Katze aus dem Sack gelassen. Er hat gesagt, die innenpolitische Debatte zur Modernisierung werde für sie sehr schwierig. Ich weiß nicht, ob besonders viel Verantwortungsbewußtsein dahintersteckt; denn die Frage, die wir politisch entscheiden müssen, ist doch: Brauchen wir die Modernisierung, ja oder nein?
Und wenn wir sie brauchten, müßten wir sie gemeinsam gegenüber unserer Bevölkerung vertreten und auch durchsetzen können.
Dann können wir uns natürlich darüber unterhalten, ob sie notwendig ist, ja oder nein. Aber das ist die andere Frage.Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich bin der Überzeugung: Wir werden modernisieren.
Auf alle Fälle werden wir den Beschluß dazu fassen. Und es wird dann u. a. auch an den Sowjets liegen, ob sie das teilweise überflüssig machen
durch Einstellung der Modernisierung bei ihren eigenen Kurzstreckenwaffen, die sie unverändert modernisieren, durch eine Dezimierung, die dringend erforderlich wäre, und durch Förderung der Konferenz über konventionelle Rüstung in Wien, d. h. den Abbau ihrer konventionell begründeten und von ihr selbst eingeräumten Angriffs- und Invasionsfähigkeit.
Übrigens, wenn Sie unserem Außenminister
— ich meine den der Bundesregierung — heute im Auswärtigen Ausschuß zugehört hätten, lieber Herr Mechtersheimer, dann könnten hier überhaupt keine Zweifel bestehen.Es besteht absolute Einigkeit — ich darf einige Dinge mit eigenen Worten wiedergeben — : Das wichtigste Ziel ist es, den Krieg mit militärischen und mit politischen Mitteln zu verhindern. Nichts anderes hat auch der Harmel-Bericht als Konsequenz enthalten.
Und ich freue mich, daß wir hier einmal ein Konzept haben, das uns anderen überlegen macht, weil es ein Konzept über mehrere Jahrzehnte ist, allerdings orientiert an den Maßnahmen der Sowjetunion.Zweitens. Das Maß der atomaren Mittel wird auch vom konventionellen Kräfteverhältnis bestimmt.Drittens. Die Richtlinien der NATO vom Dezember 1986 zum Einsatz von Nuklearwaffen gehen davon aus, daß die Fähigkeit zur Selbstverteidigung sichergestellt und ein Krieg verhindert wird.Meine sehr verehrten Damen und Herren, der erste Schuß muß verhindert werden und der Einsatz von konventionellen Systemen. Das ist die entscheidende Frage und die entscheidende Strategie der NATO, auch wenn das nur durch wirksame atomare Abschreckung gewährleistet wäre.Diese Auffassung wird genauso vom Bundeskanzler geteilt. Der Bundeskanzler möchte die Modernisierung möglichst in ein Gesamtkonzept eingebettet haben. Das ist schon deshalb zweckmäßig, weil mit dem Wort „Modernisierung" überhaupt noch nichts gesagt ist, sondern die Modernisierung im einzelnen konkretisiert werden muß.
Da ist es doch letztlich völlig egal, ob es heißt „up to date" oder ob Sie sagen „modern", „gebotenem Stand" oder „neuestem Stand". Das spielt dann keine Rolle, wenn Sie ohnehin die einzelnen Maßnahmen konkretisieren müssen. Waffen müssen erneuert werden, wenn sie ihre Abschreckungswirkung, die ein Teil unserer Verteidigungskonzeption ist, nicht verlieren sollen.Damit ist der weite Bogen zu Margaret Thatcher gespannt: Natürlich nur moderne, wirksame Waffen können auch abschrecken. Die Frage ist deshalb nur: Konnte oder mußte eine Konkretisierung schon in Brüssel beschlossen werden, oder haben wir noch etwas Zeit dazu? Meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Kollegen, ich achte alle, die sagen, wir hätten eine Konkretisierung bereits in Brüssel beschließen können.
Trotzdem glaube ich, daß es sicher der richtige Weg ist, wenn wir sagen: Wir wollen auch in Vorbereitung der Konferenz über konventionelle Rüstungskontrolle in Wien das insgesamt noch in ein Konzept einarbeiten und hineinbringen, weil wir nur dann auch genau wissen, mit welchem Mandat und mit welchem Ziel wir in Wien zu guten Ergebnissen kommen können.Ein Hinweis auf die Äußerung des Kollegen von Bülow, der mich wieder einmal restlos enttäuscht hat, wir seien angeblich auf östliche Angebote nicht eingegangen. Wer hat denn auf allen Bereichen Abrüstungsvorschläge und Verhandlungsvorschläge gemacht? Gehen Sie das doch durch! Es war nie die Sowjetunion, es war immer der Westen, in allen Bereichen.
— Natürlich. Gehen Sie das systematisch durch! Ich glaube, dann werden Sie auch erkennen, daß wir uns keinerlei Vorwürfe zu machen haben,
erst recht nicht der plakativen Art der GRÜNEN, die diesen Antrag zur Aktuellen Stunde eingebracht haben.
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 66. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 9. März 1988 4537
LowackIch danke schön.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Gerster .
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wer sich wie die Union über die Ziele der längerfristigen Abrüstungspolitik nicht im klaren und nicht einig ist, von dem kann man nicht erwarten, daß er in der tagespolitischen Arbeit eine konsequente und überzeugende Politik vertreten kann. Herr Rühe hat vor wenigen Tagen formuliert, die Rolle der Nuklearwaffen in Europa müsse auf ein absolutes Mindestmaß reduziert werden, und die nukleare Artillerie müsse so weit wie möglich beseitigt werden. Wenn er ein Konzept der nuklearen Mindestabschreckung so genannt hätte, dann könnte man darüber sicherlich sprechen.
Ihr Fraktionsvorsitzender, vorhin schon zitiert, hat eindeutig gesagt — bitte nachlesen —, man könne unter Umständen auf die atomare Abschreckung in toto völlig verzichten, also ein Konzept, das sehr viel weiter geht, als das viele derzeit an der Diskussion Beteiligte äußern. Wörner und andere — das haben wir auch eben vom Kollegen Lowack gehört — möchten am liebsten sofort nachrüsten, sind also gar nicht mehr ergebnisoffen. Das ist die Konfusion der Union.
Wir haben demgegenüber ein klares Konzept, das sehr einfach lautet:
Wenn es konventionelle Stabilität in Europa gibt — das ist wohlgemerkt die Voraussetzung —, dann ist das längerfristige Ziel, auf atomare Kurzstreckenwaffen in Europa zu verzichten und hiermit auch auf landgestützte Atomwaffen auf unserem Kontinent zu verzichten. Das ist ein einfaches und klares Konzept mit einem eindeutigen Wenn-Satz.
Der Dissens in der Allianz, wie Atomwaffen zu betrachten sind, ist im Grunde genommen ein Dissens, der in die Anfänge zurückgeht.
Die Allianz hat auch in der Frage, ob Atomwaffen operative oder politische Waffen sind, immer eine recht unklare Haltung eingenommen. Auch die Flexible response ist keine eindeutige Strategie, denn Atomwaffen sind in der Flexible response auch als Kompensation für konventionelle Waffen gedacht, und das ist eben schon eine Rolle im operativen Sinn.
Aber wir kommen immer wieder an Punkte, wie chemische Abschreckung, wo wir unaufgearbeitete Konflikte von neuem lösen müssen.
Was tut der Bundeskanzler auf dem Gipfel? Er hat wörtlich gesagt, dieser Gipfel sei der krönende Schlußstein der Bündnispolitik mit den Vereinigten
Staaten in der Amtszeit von Präsident Ronald Reagan. Das muß man sich auf der Zunge zergehen lassen. Ich frage Sie, meine Damen und Herren von der Union: Haben Sie wirklich vergessen, daß dieser Präsident Ronald Reagan mit Nachweis der unsensibelste Präsident in der Nachkriegsgeschichte der Vereinigten Staaten war und ist, der das geringste Verständnis für europäische und deutsche Sicherheitsinteressen gezeigt hat? Soll ich die Geschichte der Nachrüstung von 1980 bis 1983 aufzählen,
soll ich die Projektierung von SDI aufzählen, ein Konzept, das von vornherein nicht auf europäische Sicherheitsinteressen definiert war, soll ich über FOFA, Air/ Land-Battle und anderes sprechen, alles Konzepte, die im Bündnis nie kompatibel gemacht wurden und die nie mit dem Bündnis und den Europäern abgestimmt wurden? In allen diesen Fragen haben die amerikanischen Freunde Alleingänge vorgenommen, und es ist unsere Hoffnung, daß der Nachfolger des gegenwärtigen amerikanischen Präsidenten hier zu einer bündnisverträglichen Politik zurückfindet.
Der NATO-Gipfel — das las man auch in intelligenten Kommentaren — war so etwas wie eine Gruppentherapie für den ängstlichen Deutschen mit seiner Paranoia. Offenbar ist von der Paranoia sogar der Unionsfraktionsvorsitzende angesteckt, denn auch er läßt sich zwischenzeitlich nahezu als Nuklearpazifist vernehmen.
Die faktische Bündnispolitik ist eine andere Frage, und da haben wir nun genug Zeugen dafür, daß die Modernisierung konkret geplant und vorbereitet wird. Wenn das Papier von Ikle so etwas wie ein Versuchsballon ist, rechtzeitig vor der Installierung des neuen Präsidenten, dann ist zu befürchten, daß es hier immer noch Kreise gibt, die die Lektion der Spannungen im Bündnis in den letzten Monaten und Jahren nicht gelernt haben.
Unser Appell: Überwinden wir den Status des Patienten in dieser bündnistherapeutischen Gruppe und vertreten wir endlich selbstbewußt deutsche und europäische Interessen!
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Lamers.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Interpretation, welche die britische Premierministerin den Brüsseler Beschlüssen gegeben hat, ist der Versuch, ihre Vorstellungen, die sie auf dem Gipfel nicht hat durchsetzen können, nachträglich durch Auslegen des Kommuniqués doch noch durchzusetzen. Ein solcher Stil ist im internationalen Leben öfters anzutreffen. Er ist jedoch dem Konsens im Bündnis nicht förderlich. Aber es ist keine allgemeine britische Eigenschaft, möchte ich mit Nachdruck sagen.
Das gilt erst recht für die Feststellung, daß die Äußerungen von Maggie Thatcher nicht eben ein beson-
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Lamersders ausgeprägtes Einfühlungsvermögen für deutsche Situationen bezeugen.
Doch darauf hat man ja auch keinen Anspruch.Meine Damen und Herren, ich füge hinzu: Die von Ihnen, gerade auch von Ihnen, Herr Kollege Mechtersheimer, aber auch von Ihnen, Herr von Bülow — er hat es vorgezogen, das Plenum schon zu verlassen —, heute wieder inszenierten nationalistischen Töne — ich sage das expressis verbis mit diesem Wort —
machen die Besorgnisse im Westen und auch das, was Maggie Thatcher von sich gegeben hat, verständlich, wenn auch nicht akzeptabel. Solche westlichen Reaktionen würden schnell verschwinden, wenn nunmehr alle politischen Kräfte in diesem Hause sich uneingeschränkt auf den Boden der Brüsseler Ergebnisse stellen würden.Brüssel war ja in der Tat ein ungeahnt klarer Erfolg des Bundeskanzlers, des Bundesaußenministers, des Bundesverteidigungsministers, der ganzen Bundesregierung;
denn alle haben daran mitgearbeitet. Es war ein Erfolg, weil sich unser Konzept zur konventionellen Abrüstung — es ist in der Tat das Kern- und Schlüsselelement des ganzen Abrüstungsprozesses — durchgesetzt hat. Der Harmel-Bericht ist in Brüssel bestätigt worden, und zwar in beiden Teilen: Politik und Verteidigung. Unsere Verbündeten müssen wissen, daß wir den militärischen Teil nicht weniger ernst nehmen als den politischen Teil.Deswegen wiederhole ich hier mit aller Klarheit:Erstens. Modernisierungsentscheidungen insbesondere für den Bereich unter 500 km sind in der Tat überhaupt nicht aktuell. Sie stehen nicht auf der Tagesordnung, wie der Kollege Rühe schon seit langem sagt. Ich füge aber auch hinzu: Wenn und wo wir sie treffen müssen, werden wir sie treffen. Auch das muß klar sein, und das ist klar.
Zweitens. Zum Bekenntnis zur atomaren Abschrekkung gehört das Bekenntnis zur atomaren Risikogemeinschaft. Diese Risikogemeinschaft schließt, wie es der Bundeskanzler gestern vor unserer Fraktion gesagt hat, Nuklearsysteme auf dem zu verteidigenden Territorium ein.
— Doch, Herr Kollege Voigt.
Eine nuklearwaffenfreie Bundesrepublik Deutschland kommt auch bei einem Erfolg der Wiener Verhandlungen über konventionelle Abrüstung, d. h. bei der Herstellung eines stabilen konventionellenGleichgewichts, nicht in Betracht. Denn es ist ja nun doch mehr als hinlänglich bewiesen, daß konventionelles Gleichgewicht nicht in der Lage ist, den Krieg zu verhindern. Das ist der Streit, den wir führen, den wir noch führen müssen. Unsere Position ist hier klar. Ein Erfolg in Wien bestimmt das Maß und die Struktur der nuklearen Waffen in der Bundesrepublik Deutschland, das heißt, das Wie, nicht das Ob.Drittens. Wir sind nicht singularisiert, sondern voll eingebettet in die Solidarität der europäischen wie der amerikanischen Verbündeten. Es heißt das Wesen der atomaren Abschreckung und der Strategie der Flexible response zu verkennen, wenn man glaubt, ein atomarer Krieg könne auf das Territorium eines Bündnislandes, könne auf das Territorium der Bundesrepublik Deutschland beschränkt bleiben.Wenn wir uns alle an diese einfachen, klaren Regeln halten würden, hätten wir bald keinen Anlaß mehr, uns über Äußerungen von Maggie Thatcher oder anderer westlicher Verbündeter zu streiten. Wir werden uns daran halten. Das heißt auch, daß wir in dieser Frage die Politik des Bundeskanzlers, die klar und eindeutig ist, unterstützen.Danke schön.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Erler.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Staatssekretär Würzbach, daß Sie zum wiederholten Mal den Erfolg und die Harmonie des Gipfels in Brüssel beschworen haben, sagt etwas mehr über die Kriterien, die Sie anlegen, als über das aus, was dort stattgefunden hat. Offenbar wird man in dieser Koalition schon so bescheiden, daß man schon dann von Harmonie spricht, wenn die Leute wenigstens nicht handgreiflich aufeinander losgegangen sind.Wenn man sich an den Text hält und guckt, was dabei herausgekommen ist, kann man mit einer positiven Feststellung beginnen: In dem Dokument wird eine positive Äußerung zu den INF-Abkommen gemacht. Das ist begrüßenswert.Doch alles Weitere muß man an der Erwartung messen, die an diesen Gipfel geknüpft worden ist. Die Erwartung konnte und mußte doch sein, daß hier Klarheit über die nächsten Schritte der westlichen Allianz geschaffen wird und daß vor allem endlich die Initiative im Abrüstungsdialog ergriffen wird. Wenn man das, was passiert ist, daraufhin prüft, muß man feststellen, daß genau das nicht gelungen ist.
Die westlichen Regierungschefs haben sich auf eine entrückte Schiedsrichterstuhlreihe gesetzt und Bewertungen von sich gegeben, mehr streng als wohlwollend die Politik der Sowjetunion kritisiert und eigentlich eine Art Angebotsgesellschaft auf dem Feld der Sicherheitspolitik eingeführt nach dem Motto: We are not impressed; da müßt ihr noch einiges zulegen, bis wir bereit sind, uns selber zu bewegen.
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ErlerDrei Elemente sind in diesem Dokument. Darin steht, die Sowjetunion habe bisher nur Worte, aber keine Taten gebracht. Dann wird die einseitige Abrüstung der Asymmetrien im Osten gefordert. Schließlich wird der Vorbehalt der eigenen Modernisierung im konventionellen und im atomaren Bereich unterstrichen.Ist das angemessen? Ist zum Beispiel diese Schiedsrichterrolle angemessen? Wäre nicht eine Chance gewesen, hier die Initiative zu ergreifen? Hat die Sowjetunion im Augenblick eine positive Rolle im Bewußtsein der Leute nicht auch deswegen, weil sie einen kompletten Plan zur Abrüstung atomarer Waffen vorgeschlagen, eineinhalb Jahre einen Teststopp durchgeführt
und medienwirksam einseitig, bevor die Ratifizierung überhaupt da ist, in der DDR ihre Mittelstreckenwaffen, Herr Wimmer, abgerüstet hat? So ist es doch! Und wohin fährt der Außenminister immer, wenn es um das Genfer Abkommen über chemische Waffen geht? Er fährt nicht nach Moskau, um dort endlich positive Schritte zu erreichen, sondern er muß nach Washington fahren, um dort etwas mehr Verständnis dafür zu gewinnen.Das war die Chance auf diesem Gipfel. Sie ist nicht wahrgenommen worden. Ich bedaure das, weil ich es viel lieber sähe, wenn der Westen bei dem Abrüstungsdialog einmal in die Avantgarderolle einträte.
Zur Asymmetrie: Es ist doch ein Rückfall hinter die Position vor INF, wenn jetzt auf einmal gesagt wird: Es geht nur darum, daß der Osten abrüstet. Die Sowjetunion hat formuliert, daß sie Übergewichte bei den Flugzeugen und den Kampfhubschraubern sieht. In diesem Dokument ist nicht einmal angedeutet, daß Bereitschaft besteht, darüber zu verhandeln.
Abschließend zur Modernisierung. Hier wird immer so getan, als handele es sich dabei um das Rost-Abkratzen und Neulackieren dieser Waffen. Das ist gar nicht richtig. Der Begriff führt völlig in die Irre. Wir wissen doch längst, daß es sich darum handelt, die Zielabdeckung jetzt mit technischen Tricks über Kurzstreckenwaffen zu erreichen, die das INF-Abkommen sozusagen als Lücke hinterlassen hat.
— Der Begriff „Modernisierung" ist nicht angebracht, wenn wir über die Vervierfachung der Reichweite der „Lance" oder über die neuen Abstandswaffen sprechen, Herr Ronneburger. Da geht es nicht um Modernisierung, sondern das ist eine Kompensationsrüstung, die dort vorgenommen werden soll
und von der Herr Lowack jetzt interessanterweise gesagt hat, daß solle auf jeden Fall kommen.
Meine Damen und Herren, da ist eine große Chance vergeben worden, sich wirklich entsprechend der Hoffnungen der Menschen zu verhalten, die nämlich gedacht haben, INF sei ein Auftakt zu weiteren Abrüstungsmaßnahmen. Sie haben nicht gedacht, daß es sich hier um ein Hemd handelt, in das ein neuer Flikken eingesetzt werden muß — nämlich in die Flexible response — , damit es wieder paßt.Ich schließe
— Sie werden vielleicht klatschen, wenn ich diesen Satz zu Ende geführt habe, Herr Lowack — mit dem Schlußsatz der Erklärung der SPD vom 6. März 1988, in der es heißt: „Neues Denken ist für das Bündnis noch wichtiger als neue Waffen."
Leider enthält das Dokument der NATO dieses neue Denken noch nicht. Wir müssen es erst lernen.Danke schön.
Das Wort hat noch einmal der Parlamentarische Staatssekretär beim Bundesminister der Verteidigung, Herr Würzbach.
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Das letzte darf ich aufnehmen: Neues Denken muß immer wieder angestellt werden. Aber an manchem, was herkömmlich ist und was sich bewährt hat, sollte man festhalten. Damit sind wir genau bei dem, worüber wir sprachen.Ich habe mich noch einmal zu Wort gemeldet, weil ich nicht die Kritik im Raum stehen lassen möchte, die der Kollege Gerster, den ich ernst nehme — unter Zitierung des Bundeskanzlers — , in überpointierter Form an der politischen Verhaltensweise des amerikanischen Präsidenten vorgetragen hat. Ich möchte uns gemeinsam daran erinnern — besonders Sie, der Sie diese Kritik übten — , daß dieser Präsident wie kaum welche vorher im deutschen Interesse deutlich die Garantie für Berlin gegeben hat — das ist auch im Interesse Europas —, die Garantie, daß amerikanische Truppen ständig bei uns präsent sind — auch das liegt vornehmlich in unserem Interesse —; sie müssen also nicht erst hierher verlegt werden, wenn eine Krise entstanden ist oder ein Krieg begonnen worden ist. Der amerikanische Präsident hat die Menschenrechte in der Welt angemahnt und eingefordert wie kaum ein anderer.
Er hat im Angesicht der Mauer, die unser Land teilt, so deutlich wie kaum ein anderer darauf hingewiesen, daß das nicht ewig bleibt. Dieser Präsident hat im Bereich der Sicherheitspolitik durch beharrliches Verhalten dazu beigetragen — auch im deutschen Interesse — , daß wir trotz der vielen Waffen bei uns und auf der anderen Seite in Ruhe und in Sicherheit leben
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Parl. Staatssekretär Würzbachund in den Dialog mit dem Osten eintreten können. Es gibt viele, viele Dinge — wenige habe ich genannt —, die die Anerkennung des Bundeskanzlers zum Grund hatten und der wir uns auch nicht verschließen sollten.
Das Wort hat der Abgeordnete Kossendey.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich zunächst zwei Sätze zu Herrn Mechtersheimer sagen. Mich hat das, was er über unser Land und seine Stellung in Europa und der Welt gesagt hat, stark beeindruckt — negativ beeindruckt. Ganz einfach deswegen, weil ich solche Töne in der Regel vom gänzlich anderen Ende des parteipolitischen Spektrums zu hören gewöhnt war, Herr Mechtersheimer, wenn Sie in der Zukunft so etwas öffentlich sagen, müssen Sie sich wirklich fragen, ob Sie damit nicht Leute provozieren, Ihnen als Verbündete zur Seite zu springen, die Sie da gar nicht haben wollen und die wir da allesamt nicht sehen wollen. Man sollte sehr vorsichtig sein mit solchen Bezeichnungen und Diskussionsweisen.
Eine wichtige Rolle spielte das nicht vorhandene Gesamtkonzept, das wir leider nicht haben. Natürlich wäre es uns allen lieber, wir hätten es und wir wüßten genau, wo es entlang geht. Aber, ich glaube, wichtig ist, daß wir auch mit diesem Gipfel in Brüssel einen Schritt weiter auf dem Wege zu einem Gesamtkonzept gekommen sind. Die Frage ist nur: Was können wir tun, bis es vorliegt? Was können wir tun, um auch in dieser Zwischenzeit unserem erklärten Ziel — Frieden schaffen mit weniger Waffen— näher zu kommen?
— Eins ist sicher, lieber Herr Voigt: Das, was Sie veranstalten, das gemeinsame In-die-Kissen-Schluchzen und das Jammern, hilft uns überhaupt nicht weiter.
Es gibt eigentlich nur zwei denkbare Alternativen. Einige von Ihnen praktizieren die eine, die ich kurz schildern will; das ist die, die uns im wesentlichen von den GRÜNEN, aber auch von einigen von Ihnen ständig vorgeführt wird. Sie besteht letztendlich darin, daß Sie jedem Vorschlag, der aus Moskau kommt, zunächst einmal bravo entgegenrufen und ihn bei uns propagieren, um ihn dann auf die NATO zu übertragen.
Das, glaube ich, ist nicht richtig. Einige von Ihnenüben sich sogar darin, sich im vorauseilenden Gehorsam die Gedanken der Russen zu machen, um sie unsdann zu präsentieren. Das kann ja wohl nicht richtig sein.
Das kann eigentlich auch nicht unser Weg sein, wenn wir es ernst meinen, d. h. wenn wir erkennen, daß Abrüstung etwas mit unserer Sicherheit zu tun hat.Unser Weg ist anders. Wir werden uns im Augenblick keine der möglichen Optionen für die Zukunft— ich spreche auch von der Modernisierung — dadurch verbauen, daß wir uns unnötigerweise schon heute für alle Zukunft auf einen bestimmten Weg oder ein bestimmtes Procedere festlegen.
Wir tun eigentlich nichts anderes — Herr Lowack hat auch nichts anderes dazu gesagt —,
als jeder kluge Schachspieler auch tut, wenn er die Partie eröffnet: Jeder, der den ersten Bauern zieht, weiß ungefähr oder muß eigentlich wissen, welches Konzept nun weiterverfolgt wird, damit er besser auf das eingehen kann, was ihm sein Gegenüber bietet, und damit er überhaupt ein gewisses Konzept hat. Bevor wir dieses Konzept nicht haben, werden wir den ersten Zug nicht tun. Wenn das Konzept vorliegt, werden wir weitermachen. Aber wir werden nicht um des Erfolges eines fragwürdigen Applauses willen heute irgendwelche Kaninchen aus dem Hut zaubern, die uns ein paar Jahre später vielleicht schon leid tun.
— Was wir als Partei machen, können Sie im Augenblick überall nachlesen.
— Ich glaube, Herr Gerster, wenn Sie das, was unsere Partei sagt, ernst nehmen und auf die Summe bringen, dann werden Sie feststellen, daß wir uns sicher in einigen Punkten unterscheiden, aber daß wir ein Konzept haben.
Aus diesem Grunde — das sage ich Ihnen ganz deutlich — werden Sie von uns auch keine voreilige Aussage zum Thema Modernisierung hören.
Das hat nichts mit dem Rückfall in den Kalten Krieg zu tun und nichts mit möglichem Ersatz dessen, was wir im INF-Vertrag hergeben. Ich bin ganz sicher, daß wir unsere eigene Verhandlungsposition damit für die Zukunft schwächen würden. Ich meine, wir sollten in Ruhe abwarten. Es kann ja sein, daß wir eines Tages gar keine Lance-Systeme mehr brauchen. Es kann der Fall eintreten, daß wir weniger brauchen, als wir jetzt haben. Es kann allerdings der bedauerliche Fall eintreten, daß wir genausoviel brauchen, wie wir jetzt haben. Im Augenblick — das ist für uns sicher — können wir auf diese nukleare Option für unsere Abschreckung nicht verzichten.
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KossendeyWer heute sagt, er würde nie modernisieren — das ist wohl das, was einige von Ihnen meinen — , der kann Herrn Gorbatschow getrost gleich noch ein Sofa dazu nach Moskau schicken. Dann kann der nämlich in Ruhe auf dem Sofa liegend abwarten, wie unsere nukleare Option verrostet, ohne daß er dafür einen Augenaufschlag riskiert. Das kann eigentlich nicht richtig sein. Wer so handelt, rüstet einseitig ab
und gefährdet damit unsere Sicherheit.
Niemand im Westen— so schreibt die „Frankfurter Rundschau", nicht die „Allgemeine" —kann sicher sein, wie lange Michail Gorbatschow in Moskau die Richtung bestimmt. Vertrauensseligkeit ist deswegen nicht angebracht.Damit schließe ich.
Meine Damen und Herren, die Aktuelle Stunde ist beendet.
Wir sind damit auch am Schluß unserer heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Donnerstag, den 10. März 1988, 9 Uhr ein.
Die Sitzung ist geschlossen.