Rede von: Unbekanntinfo_outline
Modernisierung jetzt nicht und jetzt auch nicht darüber diskutieren. Herr Wörner stellt demgegenüber lakonisch und penetrant fest, die Modernisierung sei beschlossen und laufe entsprechend ab. Es sei kein Zweifel, daß modernisiert werde. Das sagt er übrigens noch in diesen Tagen. Das bedeutet: Wenn der Bundeskanzler nicht einmal seinen eigenen Verteidigungsminister bändigen kann: Wie will er sich da gegen die Zumutungen von Bündnispartnern erfolgreich wehren?
Aber der Bundeskanzler gibt auch selber Rätsel auf. Modernisierung, sagt er — das ist ein neuhochdeutsches Wort für Neurüstung — , komme allenfalls im Rahmen eines sicherheits- und abrüstungspolitischen Gesamtkonzepts in Frage. Dieses sei schon in Arbeit, hörte man vor kurzem. Jetzt hofft er, daß es vielleicht noch in diesem Jahr ein solches Konzept geben werde. Ahnt er schon, daß seine Versprechungen nicht eingelöst werden können? Welche Konsequenz hat ein über ein Jahr lang nicht vorhandenes Gesamtkonzept für den Beginn der Verhandlungen zur Kontrolle der konventionellen Rüstung? Welche Folgen hat das für die Fragen der Kurzstreckenwaffen, von denen man nicht genau erfährt, ob und wann die Neurüstung beginnt und bei welchen Waffen sie bereits eingeleitet worden ist?
Wenn auf diese Weise bis 1990 oder 1995 über eine Reduzierung der Kurzstreckenwaffen noch immer nicht verhandelt wird, ist die Atempause in der Modernisierungsdebatte endgültig beendet, und es wird, so der Bundesverteidigungsminister, die schon fünf Jahre alte Modernisierungsentscheidung umgesetzt. Der glückliche Umstand, daß es den Ersatz für die Kurzstreckenrakete Lance noch nicht gibt, verschaffte dem Bundeskanzler in Washington und in Brüssel Aufschub der Entscheidung über die Modernisierung und ermöglichte ihm die Schweigeempfehlung, an die sich sein Verteidigungsminister eben nicht hält.
Es gibt aber noch weitere Fragezeichen. Die Bundesregierung hat zum Thema Kurzstreckenwaffen stets nur von Obergrenzen gesprochen. Die Null-Lösung für landgestützte Atomwaffen in Europa lehnt sie nachdrücklich ab. Das ist völlig unverständlich. Der Satz: Je kürzer die Reichweite, um so deutscher die Wirkung, gilt auch dann noch uneingeschränkt, wenn statt viertausend Kurzstreckenwaffen nur noch tausend vorhanden wären. Der Verbleib von Atomraketen verlangt auch den militärischen Schutz vor Atomraketen und provoziert einen neuen Rüstungswettlauf bei Raketenabwehrsystemen.
Diesen könnten — und müßten — wir uns sparen, wenn wir auf beiden Seiten null Raketen hätten.
Der Bundeskanzler steht zwischen seinem in der Frage der Atomwaffen auf deutschem Boden noch deutlichen Fraktionsvorsitzenden, seinem Verteidigungsminister, der mit Fleiß zerredet, was die übrige Regierung als Erfolg des Washington-Besuchs und des NATO-Gipfels ausgibt, und seinen eigenen Widersprüchen, aus denen nie und nimmer ein Konzept wird. Zu fragen ist, ob die Bundesregierung und die Koalition die Null-Lösung bei allen landgestützten Atomwaffen wollen, wie uns Herr Dregger in Aussicht stellt,
oder ob Sie an den militärisch sinnlosen Kurzstreckenwaffen aus unerfindlichen Gründen festhalten wollen, also bloß Obergrenzen zu vereinbaren wünschen.
Noch vor einer Woche haben Sie sich gefeiert, den Aufschub der Modernisierung erreicht zu haben. Herr Wörner, Frau Thatcher, der amerikanische Verteidigungsminister Carlucci und andere erklären uns, daß dies überhaupt nicht stimme. Heute müssen wir uns fragen: Ist die Sache nicht längst entschieden, und hat sich nicht sogar ein Teil der Regierung schon damit abgefunden, gerade weil Herr Wörner das ja ganz offensichtlich betreibt? Diesen Widerspruch werden Sie nicht los.