Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Diese Aktuelle Stunde und die Diskussion über die Modernisierung haben eines gemeinsam: Sie sind absolut überflüssig, und das nicht deshalb, weil die semantischen Übungen im Zusammenhang mit NATO-Protokollen eigentlich eher Anlaß böten, eine Satire zu schreiben, sondern deshalb, weil wir Deutschen derzeit überhaupt keine Veranlassung haben, uns eine Diskussion über die Modernisierung aufdrängen zu lassen oder sie uns, wie es die GRÜNEN heute wieder einmal tun, selber aufzudrücken. Eines steht fest, meine Damen und Herren, wir haben Zeit bis 1995, und wir haben eine Aufgabe, die wir bis 1995 oder kurz davor bewältigen können,
nämlich die Frage der Modernisierung der Kurzstreckenraketen und der nuklearen Artillerie in einen inneren Zusammenhang mit den konventionellen Waffen zu bringen. Weder für einen positiven Modernisierungsbeschluß noch — auch das betone ich — für eine Tabuisierung einer Modernisierung besteht gegenwärtig und für die nächsten Jahre eine Notwendigkeit. Über den Zeitpunkt, Herr Professor Ehmke, wann dann endgültig die Entscheidung fallen muß, um 1995 parat zu sein, können wir uns gerne streiten. Darauf möchte ich gar nicht eingehen.
Wir Liberalen begrüßen jedenfalls den Erfolg, den Bundeskanzler Kohl und Außenminister Genscher in Washington erzielt haben. Für uns hat neben START und neben der überfälligen Ächtung chemischer Waffen nunmehr endlich der Einstieg in die konventionelle Abrüstung Vorrang. Im inneren Zusammenhang mit den konventionellen Waffen, aber nicht in Form eines Junktims sehen wir dann auch die Frage der Reduzierungen nuklearer Kurzstreckensysteme und Gefechtsfeldwaffen, die in der Tat faktisch wie psychologisch eine besondere Belastung für Mitteleuropa darstellen. Wir erwarten von unseren Bündnispartnern, daß sie dieses besondere deutsche Interesse auch respektieren, ebenso wie wir unserer Bevölkerung im Interesse des gesamten Bündnisses eine ganze Reihe von Lasten aufbürden.
Selbstverständlich schließt dieser Zusammenhang zwischen der konventionellen und der nuklearen Abrüstung eine Modernisierungsoption ein. Nur, solange wir die Chancen im weiteren Abrüstungsprozeß noch nicht einmal ausgelotet haben und solange auf Grund
der gegebenen Qualität des vorhandenen Potentials noch keine Modernisierungsnotwendigkeit besteht, müßten wir meines Erachtens Tinte gesoffen haben, wenn wir eine solche Diskussion ständig weiterführten.
— Das ist eine gute Frage, Herr Kollege.
Das gilt erst recht dann — das sage ich ausdrücklich — , wenn sich einige der Vorstellung hingeben sollten, man könnte unter dem Mantel einer Modernisierung von Kurzstreckensystemen faktisch eine Substitution der per INF-Abkommen wegverhandelten Mittelstreckenraketen erzielen. Wer mit einer zweiten Nachrüstungsdiskussion liebäugeln sollte, begäbe sich auf einen gefährlichen Holzweg.
Ziel bei der Verhandlung über weitere nukleare Reduzierungen ist für uns Liberale weder eine dritte Null-Lösung noch eine Denuklearisierung. Wir werden, fürchte ich, auf Nuklearwaffen geraume Zeit noch nicht verzichten können.
Auch Abrüstung im allgemeinen und Reduzierung von Nuklearwaffen im besonderen ist für uns nicht Selbstzweck, entscheidend ist vielmehr, auf welchen Wegen der Frieden sicherer gemacht und auf mehr und mehr Vertrauen zwischen Ost und West abgestützt werden kann. Wir sehen nicht, daß dabei die Strategie der Flexible Response oder der Risikoverbund aller NATO-Partner zur Disposition steht.
Lassen Sie mich nur noch eines anfügen, weil ich natürlich auch in ausländischen Zeitungen manch merkwürdige Interpretation lese. Keiner unserer Freunde im Westen braucht sich irgendwelche Sorgen zu machen, und keiner unserer Nachbarn im Osten sollte sich irgendwelchen Illusionen hingeben, die Bundesrepublik wäre nicht in der Lage oder nicht willens, die für die Aufrechterhaltung der Verteidigungsfähigkeit notwendigen Entscheidungen zu treffen und notfalls unseren Bürgern auch Lasten aufzubürden. Wer im Bündnis verlangt eigentlich von seinen Bürgern mehr als wir, wenn es darum geht, eine große militärische Dichte auf recht kleiner Fläche zu ertragen, Manöverlasten zu ertragen und nicht zuletzt den Bürgern eine Wehrpflicht aufzubürden? Nicht zuletzt unsere östlichen Nachbarn sind sich sehr genau darüber im klaren, wie hoch die Leistungsfähigkeit unserer Bundeswehr ist, wie hoch der Motivations-und Leistungsstand unserer Soldaten ist. Das gerade versetzt uns doch in die Lage, alle Abrüstungsoptionen wirklich auszuloten! Damit fangen wir im nuklearen, im chemischen, im konventionellen Bereich schließlich gerade erst an.
Herzlichen Dank.