Protokoll:
10238

insert_drive_file

Metadaten
  • date_rangeWahlperiode: 10

  • date_rangeSitzungsnummer: 238

  • date_rangeDatum: 16. Oktober 1986

  • access_timeStartuhrzeit der Sitzung: 08:00 Uhr

  • av_timerEnduhrzeit der Sitzung: 20:19 Uhr

  • account_circleMdBs dieser Rede
  • tocInhaltsverzeichnis
    Plenarprotokoll 10/238 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 238. Sitzung Bonn, Donnerstag, den 16. Oktober 1986 Inhalt: Gedenkworte für den durch ein Attentat ums Leben gekommenen Abteilungsleiter im Auswärtigen Amt Dr. Gerold von Braunmühl 18336 A Gedenkworte für die Opfer der Erdbebenkatastrophe in El Salvador 18336 B Würdigung des vor 100 Jahren geborenen ehemaligen israelischen Ministerpräsidenten Ben Gurion 18336 C Änderung der Überweisung des Antrags der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 10/2866 (neu) (Notprogramm zur Schutzwaldsanierung der Alpenregion) an Ausschüsse 18336 D Nachträgliche Überweisung des Entwurfes eines Zweiten Vermögensbeteiligungsgesetzes — Drucksache 10/5981 — an den Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau 18336 D Begrüßung des Vizepräsidenten des Sejm der Volksrepublik Polen und einer Delegation 18360 A Aktuelle Stunde betr. Ergebnisse der Gipfelbegegnung in Reykjavik Dr. Ehmke (Bonn) SPD 18321 B Dr. Dregger CDU/CSU 18322 B Frau Borgmann GRÜNE 18323A Frau Dr. Hamm-Brücher FDP 18324 B Genscher, Bundesminister AA 18325 C Voigt (Frankfurt) SPD 18327 B Klein (München) CDU/CSU 18328A Dr. Wörner, Bundesminister BMVg . . 18329A Frau Fuchs (Verl) SPD 18330 D Dr. Todenhöfer CDU/CSU 18332 A Dr. Soell SPD 18332 D Berger CDU/CSU 18334 A Petersen CDU/CSU 18335 A Abgabe einer Erklärung der Bundesregierung zur Jahrestagung 1986 des internationalen Währungsfonds und der Weltbank in Washington Dr. Stoltenberg, Bundesminister BMF . . 18337 A Frau Matthäus-Maier SPD 18340 B Dr. von Wartenberg CDU/CSU 18344 B Volmer GRÜNE 18347 B Dr. Solms FDP 18350 B Dr. Wieczorek SPD 18352 C Dr. Rose CDU/CSU 18356 C Dr. Warnke, Bundesminister BMZ . . 18358 B Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit — zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung — zu dem Entschließungsantrag der Abgeordneten Frau Schoppe und der Fraktion DIE GRÜNEN zur Unterrichtung durch die Bundesregierung II Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 238. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. Oktober 1986 — zu dem Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU und FDP zur Unterrichtung durch die Bundesregierung Verbesserung der Chancengleichheit von Mädchen in der Bundesrepublik Deutschland — Sechster Jugendbericht — Stellungnahme der Bundesregierung zum Sechsten Jugendbericht zu dem Antrag der Abgeordneten Frau Dr. Däubler-Gmelin, Dr. Schmude, Frau Fuchs (Köln), Jaunich, Kuhlwein, Lutz, Schäfer (Offenburg), Frau Schmidt (Nürnberg), Frau Odendahl, Bachmaier, Frau Blunck, Catenhusen, Dr. Diederich (Berlin), Egert, Frau Fuchs (Verl), Frau Dr. Hartenstein, Frau Huber, Immer (Altenkirchen), Dr. Kübler, Frau Dr. Lepsius, Frau Luuk, Frau Dr. Martiny-Glotz, Frau Matthäus-Maier, Müller (Düsseldorf), Peter (Kassel), Frau Renger, Frau Schmedt (Lengerich), Frau Simonis, Dr. Soell, Frau Dr. Skarpelis-Sperk, Frau Steinhauer, Stiegler, Frau Terborg, Frau Dr. Timm, Frau Traupe, Frau Weyel, Wolfram (Recklinghausen), Frau Zutt, Dr. Vogel und der Fraktion der SPD Umsetzung der Empfehlungen der Sachverständigenkommission zum Sechsten Jugendbericht „Verbesserung der Chancengleichheit von Mädchen in der Bundesrepublik Deutschland" — Drucksachen 10/1007, 10/1269, 10/1304, 10/3385, 10/5624 — in Verbindung mit Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit zu dem Bericht der Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages „Jugendprotest im demokratischen Staat" gemäß Beschluß des Deutschen Bundestages vom 26. Mai 1981 zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Stellungnahme der Bundesregierung zum Bericht der Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages „Jugendprotest im demokratischen Staat" — Drucksachen 9/2390, 10/2062, 10/5622 — in Verbindung mit Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten Gilges, Frau Fuchs (Köln), Jaunich, Delorme, Fiebig, Hauck, Huonker, Lambinus, Frau Dr. Lepsius, Müller (Düsseldorf), Frau Schmidt (Nürnberg), Sielaff, Waltemathe, Witek, Wolfram (Recklinghausen), Dr. Vogel und der Fraktion der SPD Situation der Jugend und der Jugendhilfe in der Bundesrepublik Deutschland — Drucksachen 10/4942, 10/6167 — in Verbindung mit Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten Tischer, Frau Zeitler, Frau Wag-. ner und der Fraktion DIE GRÜNEN Situation der erwerbsarbeitslosen Jugend in der Bundesrepublik Deutschland — Drucksachen 10/3612, 10/4120 — Dr. Götzer CDU/CSU 18360 D Gilges SPD 18363 A Frau Wagner GRÜNE 18365C Vogt, Parl. Staatssekretär BMA 18367 A Schreiner SPD 18368 B Kroll-Schlüter CDU/CSU 18370 B Frau Dr. Adam-Schwaetzer FDP . . . 18371 D Frau Odendahl SPD 18373 B Frau Dr. Süssmuth, Bundesminister BMJFFG 18374 D Vizepräsident Frau Renger 18369 B Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Errichtung einer Stiftung „Mutter und Kind — Schutz des ungeborenen Lebens" — Drucksache 10/6040 — Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit — Drucksache 10/6121 — Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung — Drucksache 10/6147 — Frau Dr. Süssmuth, Bundesminister BMJFFG 18377 A Frau Schmidt (Nürnberg) SPD 18377 C Werner (Ulm) CDU/CSU 18378 C Frau Wagner GRÜNE 18379 C Eimer (Fürth) FDP 18380 C Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Geschmacksmustergesetzes — Drucksache 10/5346 — Beschlußempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses — Drucksache 10/6149 — Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 238. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. Oktober 1986 III Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung — Drucksache 10/6150 — 18393 C Beratung der Sammelübersicht 168 des Petitionsausschusses über Anträge zu Petitionen — Drucksache 10/6101 — 18393 D Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Übereinkommen vom 1. Juni 1972 zur Erhaltung der antarktischen Robben — Drucksache 10/5986 — 18394A Beratung des Antrags der Fraktion der SPD Fahrpreisnachlässe der Deutschen Bundesbahn im Berlin-Verkehr — Drucksache 10/5591 — 18394A Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Bildung und Wissenschaft zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Vorschlag für eine Richtlinie des Rates über eine allgemeine Regelung zur Anerkennung der Hochschuldiplome — Drucksachen 10/3909 Nr. 9, 10/5337 — 18394 B Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Fraktion der SPD Keine Beteiligung am amerikanischen SDI-Programm — Drucksachen 10/4441, 10/5832 — Dr. Schierholz GRÜNE (Erklärung nach § 31 GO) 18394 C Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Forschung und Technologie zu der Unterrichtung durch das Europäische Parlament Entschließung über die Förderung der europäischen Erfinder — Drucksachen 10/1267, 10/5075 — . . . 18395 B Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten Müntefering, Ewen, Amling, Büchner (Speyer), Buckpesch, Egert, Fischer (Osthofen), Frau Dr. Hartenstein, Heistermann, Heyenn, Immer (Altenkirchen), Jansen, Kißlinger, Klein (Dieburg), Dr. Klejdzinski, Kolbow, Dr. Kübler, Kühbacher, Lambinus, Lohmann (Witten), Frau Dr. Martiny-Glotz, Müller (Schweinfurt), Dr. Müller-Emmert, Dr. Penner, Dr. Nöbel, Purps, Frau Dr. Skarpelis-Sperk, Frau Steinhauer, Stiegler, Tietjen, Weinhofer, Wimmer (Neuötting), Wolfram (Recklinghausen), Dr. Vogel und der Fraktion der SPD Fremdenverkehr — Drucksachen 10/4232, 10/5454 — in Verbindung mit Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten Engelsberger, Dr. Olderog, Frau Hoffmann (Soltau), Frau Geiger, Bohlsen, Hinsken, Dr. Jobst, Kittelmann, Kolb, Magin, Pohlmann, Biehle, Rossmanith, Louven, Dörflinger, Kalisch, Feilcke, Bühler (Bruchsal), Carstensen (Nordstrand), Deres, Echternach, Saurin, von Schmude, Schulze (Berlin), Tillmann, Dr. Unland, Zierer, Daweke, Marschewski, Rode (Wietzen), Frau Rönsch, Dr. Lammert, Hedrich, Frau Verhülsdonk, Brunner, Dr. Kunz (Weiden), Dr. Möller, Pesch, Dr. Becker (Frankfurt), Dr. Laufs, Wilz, Freiherr von Schorlemer, Schreiber, Ganz (St. Wendel), Dr.-Ing. Kansy, Hornung, Müller (Wadern), Keller, Hanz (Dahlen), Doss, Schneider (IdarOberstein), Hinrichs, Berger, Pöppl, Fischer (Hamburg), Straßmeir, Fellner, Dr. Faltlhauser, Seesing, Milz, Jagoda, Seehofer, Lowack, Graf von Waldburg-Zeil, Sauer (Stuttgart), Dr. Friedmann, Krey, Frau Krone-Appuhn, Schwarz, Kroll-Schlüter, Niegel, Ruf, Funk, Gerstein, Dr. Hoffacker, Susset, Wissmann und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Dr. Feldmann, Hoffie, Grünbeck, Dr. Solms, Dr. Rumpf, Frau Seiler-Albring, Dr. Weng (Gerlingen), Paintner, Bredehorn, Dr. Haussmann, Beckmann, Wolfgramm (Göttingen) und der Fraktion der FDP Fremdenverkehrspolitik — Drucksachen 10/4590, 10/5455 — Müntefering SPD 18396 A Engelsberger CDU/CSU 18398 A Tatge GRÜNE 18399 D Dr. Feldmann FDP 18402 A Dr. Sprung, Parl. Staatssekretär BMWi 18404 A Weinhofer SPD 18406 D Dr. Olderog CDU/CSU 18408 C Wolfgramm (Göttingen) FDP 18409 C Tietjen SPD 18410 D Frau Hoffmann (Soltau) CDU/CSU . . 18412 C Dr. Kübler SPD 18413 C Schulze (Berlin) CDU/CSU 18415 C Hinsken CDU/CSU 18416 C IV Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 238. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. Oktober 1986 Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Forschung und Technologie zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Bericht der Bundesregierung zur zukünftigen Entwicklung der Großforschungseinrichtungen in Verbindung mit Unterrichtung durch die Bundesregierung Ergänzende Stellungnahme zum Bericht der Bundesregierung zur zukünftigen Entwicklung der Großforschungseinrichtungen — Drucksachen 10/1327, 10/1771, 10/5178 — Dr. Bugl CDU/CSU 18418 B Fischer (Homburg) SPD 18419 C Dr.-Ing. Laermann FDP 18421 B Schmidt (Hamburg-Neustadt) GRÜNE 18423A Stahl (Kempen) SPD 18424A Dr. Riesenhuber, Bundesminister BMFT 18425 C Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Filmförderungsgesetzes — Drucksache 10/5448 — Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft — Drucksache 10/6108 — Frau Geiger CDU/CSU 18428 C Frau Dr. Martiny-Glotz SPD 18430 C Dr. Haussmann FDP 18432 A Suhr GRÜNE 18433 A Weirich CDU/CSU 18434 A Duve SPD 18435 B Grüner, Parl. Staatssekretär BMWi . . 18437 A Zweite und dritte Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ergänzung des Kassenarztrechtes — Drucksache 10/1329 — Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung — Drucksache 10/6099 — in Verbindung mit Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Sicherung des wirtschaftlichen Einsatzes von medizinisch-technischen Großgeräten in der kassenärztlichen Versorgung — Drucksache 10/1625 — Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung — Drucksache 10/6099 — Urbaniak SPD 18438 D Dr. Becker (Frankfurt) CDU/CSU . . . 18439 B Frau Wagner GRÜNE 18440 B Frau Dr. Adam-Schwaetzer FDP . . . 18441 B Vogt, Parl. Staatssekretär BMA 18442 A Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU, SPD und FDP Eingliederung der Übersiedler aus der DDR in die Bundesrepublik Deutschland — Drucksache 10/5657 — in Verbindung mit Beratung des Antrags des Abgeordneten Dr. Schierholz und der Fraktion DIE GRÜNEN Eingliederung der Übersiedlerinnen aus der DDR in die Bundesrepublik Deutschland — Drucksache 10/6169 — Böhm (Melsungen) CDU/CSU 18443 A Hiller (Lübeck) SPD 18444 B Ronneburger FDP 18445 D Dr. Schierholz GRÜNE 18447 A Spranger, Parl. Staatssekretär BMI . . 18448 B Rusche GRÜNE (Erklärung nach § 32 GO) 18449 C Fragestunde — Drucksache 10/6139 vom 10. Oktober 1986 — Einbeziehung der Bausparbeiträge in den Entwurf des 2. Vermögensbeteiligungsgesetzes MdlAnfr 52, 53 10.10.86 Drs 10/6139 Huonker SPD Antw PStSekr Vogt BMA 18381 D ZusFr Huonker SPD 18382 A Finanzierung von Tarifsenkungen der Bundesbahn als Notmaßnahme gegen das Waldsterben analog der Schweizer Lösung; Vertretbarkeit des Rückgangs der Zahl der Bahnreisenden im Hinblick auf das Waldsterben Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 238. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. Oktober 1986 V MdlAnfr 9, 10 10.10.86 Drs 10/6139 Senfft GRÜNE Antw PStSekr Dr. Schulte BMV . . . 18383 B ZusFr Senfft GRÜNE 18383 B ZusFr Oostergetelo SPD 18384 A Anbindung der A 61 an das niederländische Autobahnnetz; Beantwortung entsprechender Anfragen von Abgeordneten durch die Bundesregierung MdlAnfr 12, 13 10.10.86 Drs 10/6139 Stahl (Kempen) SPD Antw PStSekr Dr. Schulte BMV . . . 18384A ZusFr Stahl (Kempen) SPD 18384 B Rundfunkdurchsagen über Geisterfahrer auf Bundesautobahnen; Anteil der Geisterfahrer, die entweder die falsche Fahrbahn benutzt oder den Fahrbahnwechsel nach einer Baustelle übersehen haben MdlAnfr 14, 15 10.10.86 Drs 10/6139 Collet SPD Antw PStSekr Dr. Schulte BMV . . . 18385A ZusFr Collet SPD 18385A Berücksichtigung der Erkenntnisse des Umweltbundesamtes über Ablagerungsbedingungen für radioaktiven Abfall in der DDR durch Bundesminister Dr. Wallmann; Gefährdung des Lübecker Trinkwassers MdlAnfr 16, 17 10.10.86 Drs 10/6139 Hiller (Lübeck) SPD Antw StSekr Dr. Wagner BMU 18386 B ZusFr Hiller (Lübeck) SPD 18386 C ZusFr Frau Hürland CDU/CSU 18387 A Schaffung einer Naturschutzzone entlang der Grenze zur DDR MdlAnfr 19 10.10.86 Drs 10/6139 Böhm (Melsungen) CDU/CSU Antw StSekr Dr. Wagner BMU 18387 A ZusFr Böhm (Melsungen) CDU/CSU . 18387 B ZusFr Hiller (Lübeck) SPD 18387 C Verzicht auf Olympische Winterspiele im Raum Berchtesgaden aus ökologischen Gründen MdlAnfr 20 10.10.86 Drs 10/6139 Mann GRÜNE Antw StSekr Dr. Wagner BMU 18387 C ZusFr Mann GRÜNE 18387 D ZusFr Frau Eid GRÜNE 18388 B ZusFr Senfft GRÜNE 18388 B Beurteilung der Haltung des Generalsekretärs des ANC zur Ermordung von Schwarzen mit der sogenannten Hals- krausenmethode; Beurteilung der Haltung des Generalsekretärs der ANC zur Ermordung von „Kollaborateuren" mit der sogenannten Halskrausenmethode MdlAnfr 22 10.10.86 Drs 10/6139 Lowack CDU/CSU MdlAnfr 23 10.10.86 Drs 10/6139 Jäger (Wangen) CDU/CSU Antw StMin Möllemann AA 18388 D ZusFr Lowack CDU/CSU 18389A ZusFr Jäger (Wangen) CDU/CSU . . . 18389 B ZusFr Stahl (Kempen) SPD 18389 D ZusFr Frau Eid GRÜNE 18390A ZusFr Oostergetelo SPD 18390 B ZusFr Mann GRÜNE 18390 D Auslandskreditgewährung durch Polen, insbesondere an Vietnam MdlAnfr 24 10.10.86 Drs 10/6139 Dr. Hupka CDU/CSU Antw StMin Möllemann AA 18391 A ZusFr Dr. Hupka CDU/CSU 18391 B ZusFr Jäger (Wangen) CDU/CSU . . . 18391 D ZusFr Becker (Nienberge) SPD 18392 A ZusFr Dr. Czaja CDU/CSU 18392 A ZusFr Stahl (Kempen) SPD 18392 B ZusFr Oostergetelo SPD 18392 C ZusFr Mann GRÜNE 18392 C Intervention gegen das Schießen auf illegale Grenzgänger in der CSSR; Verhinderung von Grenzzwischenfällen MdlAnfr 25 10.10.86 Drs 10/6139 Dr. Hupka CDU/CSU Antw StMin Möllemann AA 18393 A ZusFr Dr. Hupka CDU/CSU 18393 A Nächste Sitzung 18450 C Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten 18451*A Anlage 2 Zeitpläne für die Digitalisierung des Fernsprechnetzes in Ostbayern MdlAnfr 1 10.10.86 Drs 10/6139 Stiegler SPD SchrAntw PStSekr Rawe BMP . . . . 18451* B VI Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 238. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. Oktober 1986 Anlage 3 Verteilung der Mittel des EG-Esprit-Programms auf große, kleine und mittlere Unternehmen MdlAnfr 2, 3 10.10.86 Drs 10/6139 Dr. Solms FDP SchrAntw PStSekr Dr. Probst BMFT . 18451* C Anlage 4 Bündelung der geplanten DB-Schnellbahntrasse mit der B 36 (neu) im Raum Durmersheim-Bietigheim-Ötigheim und der Untertunnelung Rastatt MdlAnfr 11 10.10.86 Drs 10/6139 Dr. Friedmann CDU/CSU SchrAntw PStSekr Dr. Schulte BMV . 18452* A Anlage 5 Verbesserung der Entschädigungsregelung für Transportunternehmer im Zusammenhang mit den Auswirkungen des Reaktorunfalls in Tschernobyl MdlAnfr 18 10.10.86 Drs 10/6139 Stiegler SPD SchrAntw StSekr Dr. Wagner BMU . . 18452* C Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 238. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. Oktober 1986 18321 238. Sitzung Bonn, den 16. Oktober 1986 Beginn: 8.00 Uhr
  • folderAnlagen
    Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Dr. Abelein 17. 10. Dr. Ahrens ** 16. 10. Büchner (Speyer) * 17. 10. Eickmeyer 17. 10. Ewen 17. 10. Fischer (Bad Hersfeld) 17. 10. Frau Fuchs (Köln) 17. 10. Dr. Geißler 16. 10. Haase (Fürth) 17. 10. Handlos 17. 10. Hanz (Dahlen) 17. 10. Frau Dr. Hartenstein 17. 10. Hauff 17. 10. Hettling 17. 10. Heyenn 16. 10. Dr. Jahn (Münster) 17. 10. Jansen 17. 10. Jaunich 17. 10. Junghans 17. 10. Frau Kelly ** 16. 10. Kiechle 17. 10. Klose 16. 10. Dr. Köhler (Duisburg) 17. 10. Dr. Köhler (Wolfsburg) 16. 10. Lohmann (Witten) 16. 10. Dr. Müller * 17. 10. Müller (Wadern) 17. 10. Nagel 17. 10. Nelle 17. 10. Reddemann ** 16. 10. Rühe 16. 10. Dr. Rumpf ** 16. 10. Sander 17. 10. Schartz (Trier) 17. 10. Dr. Scheer ** 17. 10. Schlatter 17. 10. Schmidt (Hamburg) 17. 10. Frhr. von Schorlemer 17. 10. Schröer (Mülheim) 16. 10. Schulte (Menden) 17. 10. Schulte (Unna) 17. 10. Dr. Frhr. Spies von Büllesheim 17. 10. Stücklen 17. 10. Dr. Voss 17. 10. Frau Will-Feld 17. 10. Frau Zeitler 17. 10. * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates ** für die Teilnahme an Sitzungen der Westeuropäischen Union Anlage 2 Antwort des Parl. Staatssekretärs Rawe auf die Frage des Abgeordneten Stiegler (SPD) (Drucksache 10/6139 Frage 1): Anlagen zum Stenographischen Bericht Welche Zeitpläne verfolgt die Bundesregierung bei der Digitalisierung des Fernsprechortsnetzes in Ostbayern, und welche ostbayerischen Ortsnetze sind in den nächsten Jahren zur Digitalisierung vorgesehen? Die Maßnahmen zur Digitalisierung der Fernsprechortsnetze in Ostbayern sind in ihren zeitlichen Festlegungen eingebettet in die bundesweiten Planungen der Deutschen Bundespost zur Digitalisierung des Gesamtnetzes. Sie erfordern eine langfristig angelegte Einsatzstrategie für den Bereich der Deutschen Bundespost mit dem Ziel, bis spätetens zum Jahre 2020 die gesamte analoge Technik durch digitale Technik zu ersetzen. In den Fernvermittlungsstellen Regensburg, Deggendorf, Weiden, Landshut und Passau wird bis einschließlich 1990 digitale Fernvermittlungstechnik eingesetzt. Im gleichen Zeitraum wird in vier Ortsvermittlungsstellen des Ortsnetzes Regensburg und in je einer Ortsvermittlungsstelle der Ortsnetze Passau, Landshut und Weiden die vorhandene elektromechanische Technik gegen digitale Ortsvermittlungstechnik ausgewechselt. Anlage 3 Antwort des Parl. Staatssekretärs Dr. Probst auf die Fragen des Abgeordneten Dr. Solms (FDP) (Drucksache 10/6139 Fragen 2 und 3): Hat die Bundesregierung Informationen darüber, wie sich die Mittel der ersten Phase des EG-Esprit-Programms jeweils auf große, mittlere und kleine Unternehmen verteilt haben, und wie hoch jeweils der Eigenanteil war, den die Unternehmen aufgebracht haben? Hält die Bundesregierung die Programmstruktur von Esprit für angemessen, nachdem die Mittel im wesentlichen in Großunternehmen fließen, und wie hoch schätzt die Bundesregierung die Mitnahmeeffekte ein angesichts der Tatsache, daß die großen Unternehmen die Projekte ohne weiteres vollständig aus Eigenmitteln finanzieren könnten? Zu Frage 2: In den Jahren 1984 und 1985 wurden von der EG- Kommission aus Mitteln des Programms ESPRIT insgesamt 670 Millionen ECU (Europäische Währungseinheiten) für Forschungs- und Entwicklungsprojekte festgelegt. Davon entfallen 66 % auf Großunternehmen mit mehr als 500 Beschäftigten, 11 auf Klein- und Mittelunternehmen mit weniger als 500 Beschäftigten. In allen Fällen beträgt die Förderquote und damit der Eigenanteil 50 % der zuwendungsfähigen Kosten. Zu Frage 3: Das Programm ESPRIT hat nach dem Willen des EG-Ministerrates das Ziel, zur Schaffung oder Konsolidierung eines spezifisch europäischen Industriepotentials auf dem Gebiet der Informationstechnologien beizutragen. 18452* Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 238. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. Oktober 1986 Die Bundesregierung hält eine Förderung durch die EG am ehesten bei Projekten von europäischer Dimension, mit beachtlichem Entwicklungsrisiko und von hoher wirtschaftlicher Bedeutung für angebracht. An solchen Großprojekten sind naturgemäß Großunternehmen stärker beteiligt, da sie eher über die erforderlichen finanziellen und personellen Ressourcen verfügen. Hinzu kommt, daß die Beteiligung an ESPRIT-Projekten, deren Konsortien international besetzt sind und die im Durchschnitt aus über fünf Partnern bestehen, einen hohen Ko-ordinations- und Verwaltungsaufwand erfordert. Dieser Zusatzaufwand fällt bei Großprojekten relativ weniger ins Gewicht. In Anbetracht insbesondere dieser Gesichtspunkte hält die Bundesregierung die Struktur der ESPRIT-Teilnehmer für durchaus hinnehmbar. Das große Unternehmen die ESPRIT-Projekte ohne weiteres vollständig aus Eigenmitteln finanzieren könnten, ist der Bundesregierung nicht bekannt. Mitnahmeeffekte lassen sich allerdings bei keinem Förderprogramm vollständig ausschließen. Anlage 4 Antwort des Parl. Staatssekretärs Dr. Schulte auf die Frage des Abgeordneten Dr. Friedmann (CDU/CSU) (Drucksache 10/6139 Frage 11): Verbleibt es hinsichtlich der geplanten DB-Schnellbahntrasse bei der am 2. Juli 1986 mit allen Beteiligten besprochenen Regelung, nämlich der Bündelung mit der B 36 (neu) im Raum Durmersheim/Bietigheim/Ötigheim sowie bei der Untertunnelung Rastatt, und warum antwortet der DB-Vorstand nicht auf diesbezügliche schriftliche und fernschriftliche Anfragen? Der Vorstand der Deutschen Bundesbahn hat in den Entwurf zum Wirtschaftsplan der Deutschen Bundesbahn für das Geschäftsjahr 1987 die Aus- und Neubaustrecke Karlsruhe-Offenburg-Basel aufgenommen. In den hierzu ausgewiesenen Gesamtausgaben in Höhe von 2 320 Millionen DM ist der aktuelle Stand der Vorplanungen mit einer Trassenführung im Sinne Ihrer Fragestellung berücksichtigt. Hinsichtlich der Trassenführung im Bereich Durmersheim, Bietigheim und Ötigheim geht die Deutsche Bundesbahn davon aus, daß in diesem Abschnitt die vorhandene Strecke aufgelassen werden kann, für den Nahverkehr ein anderes Bedienungskonzept akzeptiert wird, und daß sich die Kreuzungspartner der Bahnübergänge an der aufzulassenden Strecke in Höhe der ersparten Aufwendungen für die nicht mehr zu beseitigenden Bahnübergänge finanziell an der Umfahrung beteiligen. Der Entwurf des Wirtschaftsplanes der Deutschen Bundesbahn bedarf noch der Genehmigung gemäß § 12 und § 14 Bundesbahngesetz. Der Vorstand der Deutschen Bundesbahn hat mich darüber informiert, er habe bisher noch nicht alle Anfragen beantwortet, da er über das weitere Vorgehen bei der Realisierung der Aus- und Neubaustrecke Karlsruhe-Offenburg-Basel noch nicht abschließend entschieden hatte. Nach Abschluß des Entscheidungsprozesses kann nun davon ausgegangen werden, daß er alle diesbezüglichen Anfragen baldmöglichst beantworten wird. Anlage 5 Antwort des Staatssekretärs Dr. Wagner auf die Frage des Abgeordneten Stiegler (SPD) (Drucksache 10/6139 Frage 18): Wie ist der Ausgleich der Schäden für Transportunternehmer, z. B. Schulmilchtransporteure, wegen der Auswirkungen des Reaktorunfalles in Tschernobyl geregelt worden, und sieht die Bundesregierung eine Notwendigkeit, die bisherige Ausgleichsregelung noch einmal zu öffnen und für Transportunternehmen zu verbessern? Transportunternehmer, insbesondere die von Ihnen angesprochenen Schulmilchtransporteure, haben in der Regel keinen Ausgleichsanspruch nach der Ausgleichsrichtlinie vom 21. Mai 1986 zu § 38 Abs. 2 Atomgesetz, weil es schon am unmittelbaren und betriebsbezogenen Eingriff in ihren eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb fehlt. Sie können allenfalls — ohne daß hierfür ein Rechtsanspruch besteht — nach der Allgemeinen Billigkeitsrichtlinie einen Teil ihres Schadens ersetzt erhalten, wenn sie die dort festgelegten Voraussetzungen erfüllen. Dazu gehört insbesondere das Merkmal „Existenzgefährdung", das in Anlage 6 zu dieser Richtlinie näher definiert ist. Die Bundesregierung hält an diesem Merkmal zur Eingrenzung des Kreises der entschädigungsfähigen Schadensgruppen fest und sieht im übrigen keine Veranlassung, die Allgemeine Billigkeitsrichtlinie zu erweitern oder neu aufzulegen. Dazu wäre auch das Einvernehmen mit allen Bundesländern nötig. Die Bundesregierung hat wiederholt an die Bundesländer appelliert, im Bedarfsfalle eigene Billigkeitsregelungen zu treffen, um eventuell nicht erfaßte Härtefälle auffangen zu können.
Gesamtes Protokol
Dr. Philipp Jenninger (CDU):
Rede ID: ID1023800000
Die Sitzung ist eröffnet. Ich rufe Zusatzpunkt 1 der Tagesordnung auf:
Aktuelle Stunde
Das Gipfelgespräch von Reykjavik
Ergebnis des Gesprächs zwischen Präsident Reagan und Generalsekretär Gorbatschow in Reykjavik
Meine Damen und Herren, von den Fraktionen der CDU/CSU und FDP sowie der Fraktion der SPD liegen gemäß Nr. 1 c der Anlage 5 unserer Geschäftsordnung inhaltlich identische Verlangen zur Durchführung einer Aktuellen Stunde zu den Ergebnissen der Gipfelbegegnung in Reykjavik vor. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Ehmke.

Dr. Horst Ehmke (SPD):
Rede ID: ID1023800100
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Im Juni 1968 ging von Reykjavik ein ermutigendes Signal aus — es war eng mit dem Namen Willy Brandts verbunden —, das Signal zur Entspannungspolitik.

(Zurufe von der CDU/CSU)

Es hat die Lage in Europa zum Guten verändert.
Im Oktober 1986 ist von Reyjavik kein positives Signal ausgegangen. Derselbe Präsident Reagan, der noch bei Aufnahme der Genfer Verhandlungen im Janaur 1985 erklären ließ, es gehe darum, das Wettrüsten auf der Erde zu beenden und ein Wettrüsten im Weltraum zu erschweren, hat in seinem Spitzengespräch mit Generalsekretär Gorbatschow darauf bestanden, das Wettrüsten weiter in den Weltraum zu tragen, und hat damit eine historische Chance vertan, es auf Erden zu beenden.
Die Regierenden in Washington und die ihnen wieder einmal eilfertig folgenden Regierenden in Bonn versuchen, den im zentralen Punkt gescheiterten Gipfel zu einem Erfolg hochzustilisieren. Das, was man hätte erreichen können — aber eben nicht erreicht hat —, wird als das bereits oder doch fast Erreichte dargestellt. Richtig daran ist, daß die neue sowjetische Führung den Positionen des Westens in Reykjavik weit entgegengekommen ist. Zum erstenmal schien wirklich ein Durchbruch möglich. Aber das Festhalten des Präsidenten an seinem Weltraumwunschprojekt hat eine Einigung verhindert.
Ich stimme dem Herrn Bundesaußenminister darin zu, daß es nun darum geht, in den Dingen weiterzukommen, die nicht unmittelbar mit dem amerikanischen SDI-Projekt zusammenhängen. Wir Sozialdemokraten werden uns dafür im Westen wie im Osten einsetzen, insbesondere was die Verbesserung der Lage in Europa betrifft.

(Dr. Schierholz [GRÜNE]: Der Außenminister freut sich über die Zustimmung!)

Das Kernproblem des Scheiterns von Reykjavik bleibt aber bestehen. Keine noch so aufwendige und teilweise dreiste Propaganda kann zwei Tatsachen aus der Welt schaffen: erstens, daß sich Präsident Reagan in der SDI-Frage in Reykjavik in einer für ihn selbst wohl unwiderruflichen — oder jedenfalls nur schwer zu widerrufenden — Weise auch für weitere Gespräche und Verhandlungen festgelegt hat; zweitens, daß bei Weiterentwicklung des amerikanischen „Krieg-der-Sterne"-Programms ein Abbau der strategischen Atomraketen nicht zu erreichen sein wird.
Die Amerikaner haben sich insoweit mehr Realitätssinn bewahrt als die Bundesregierung. Senator Pell spricht von einem traurigen Tag für die Menschheit: „Wir haben einen Vogel in der Hand — den Abbau strategischer Angriffswaffen — für zwei im Gebüsch, nämlich SDI, aufgegeben."

(Lachen bei der CDU/CSU)

Ähnlich kritisch äußert sich Senator Nunn. Senator Gary Hart sagte: „Die Entwicklung des Sternenkriegs bedeutet unserer Regierung anscheinend mehr als Rüstungskontrolle." Und der Abgeordnete Markey warf Reagan vor, er habe die Gelegenheit verpaßt, den Sternenkrieg gegen das „beste Geschäft einzutauschen, das uns die Russen seit dem Verkauf von Alaska angeboten" haben.
Reykjavik zeigt, daß wir Sozialdemokraten in unserer SDI-Kritik auch im zentralen Punkt der Rüstungskontroll- und Abrüstungsverhandlungen recht zu behalten drohen; so möchte ich es ausdrükken, Johnny Klein, und ich füge hinzu: leider, da mir ein Fortschritt in der Sache der Menschheit sehr viel wichtiger ist, als recht zu behalten.



Dr. Ehmke (Bonn)

Die oft wiederholte These, SDI habe die Sowjets überhaupt erst an den Verhandlungstisch gebracht, halte ich im ganzen für falsch.

(Zustimmung des Abg. Dr. Schierholz [GRÜNE])

Die Sowjets verhandeln seit Jahrzehnten weil es dazu — für sie wie für die Amerikaner — keine Alternative gibt. Und die neue sowjetische Führung hat ein neues Element der Bewegung in die Verhandlungen gebracht.
Gerade derjenige, der SDI als Verhandlungshebel oder als „bargaining ship" angesehen hat oder ansieht, kann nach Reykjavik mit uns nur bedauernd feststellen, daß Präsident Reagan diese Auffassung ganz offensichtlich nicht teilt.
Reykjavik hat auch die Befürchtung bestätigt, daß das SDI-Projekt den wichtigsten Rüstungskontrollvertrag, den ABM-Vertrag, auszuhöhlen droht. Der Bundeskanzler hat gestern erklärt, er werde dieser Aushöhlung auch von amerikanischer Seite in Washington entgegentreten. Wir werden den Kanzler nach seiner Rückkehr aus Washington fragen, was er erreicht hat.
Heute stellen wir fest, daß diese Bundesregierung durch ihr Mitlaufen mit dem SDI-Projekt Mitschuld an der Gefährdung von Rüstungskontrolle und Abrüstung auf sich geladen hat.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN — Berger [CDU/CSU]: Das war wirklich dünn! — Klein [München] [CDU/CSU]: Das war weder seriös noch agressiv! Was soll das heute?)


Dr. Philipp Jenninger (CDU):
Rede ID: ID1023800200
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Dregger.

Dr. Alfred Dregger (CDU):
Rede ID: ID1023800300
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte vier Thesen vortragen und begründen:
Erstens. Die Verhandlungen zwischen den Weltmächten werden weitergehen. Die Vorgespräche in Reykjavik — als solche waren sie angekündigt —

(Dr. Vogel waren detailliert und haben zu überraschenden Annäherungen geführt. Zu Enttäuschung besteht im Grunde keinerlei Anlaß. (Beifall bei der CDU/CSU — Dr. Schierholz [GRÜNE]: Das glauben Sie doch selber nicht!)

Zweitens. Die Einigkeit der westlichen Allianz muß erhalten bleiben, weil nur auf dieser Basis Fortschritte und Ergebnisse möglich sind. Die Führungsspitze der SPD warne ich davor, bei ihrem Versuch, sowjetische Interessen wahrzunehmen, die Sowjetunion noch übertreffen zu wollen.

(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Unruhe bei der SPD)

Das ist jetzt zum zweitenmal geschehen. Bei Ihrem Nürnberger Parteitagsbeschluß haben Sie der Sowjetunion ein Monopol an Mittelstreckenraketen in Europa zuerkennen wollen: 420 auf uns gerichtete atomare Sprengköpfe gegen Null auf seiten des Westens.

(Zurufe von der SPD: Eine Unwahrheit! — Quatsch! — Dr. Schierholz [GRÜNE]: Sie können j a nicht einmal zählen!)

Meine Damen und Herren, hinzu kommt, daß sich die Sowjetunion nach Reykjavik gegenüber den USA moderat geäußert hat. Die Kollegen Vogel und Ehmke jedoch haben zumindest in ihren ersten Äußerungen den amerikanischen Präsidenten ebenso unbegründet wie rüde angegriffen.

(Beifall bei der CDU/CSU — Berger [CDU/ CSU]: Angerempelt! — Dr. Vogel [SPD]: Dummes Zeug!)

Auch die deutsche Opposition trägt Verantwortung für die deutsche Sicherheit.

(Dr. Klejdzinski [SPD]: Richtig, das tun wir auch!)

Es ist schlimm, daß sie sich diese Aufgabe in keiner Weise gewachsen zeigt.

(Beifall bei der CDU/CSU — Dr. Vogel [SPD]: Besser als ihr!)

Dritte These: Die Angriffssysteme müssen verringert, die Abwehrsysteme müssen verstärkt werden. Das gilt auch und vor allem im atomaren Bereich, gerade aus ethischen Gründen. Die Vergeltungsdoktrin der beiden Weltmächte, ausgeübt mit atomaren Angriffsraketen, die die Zivilbevölkerung zu Geiseln machen, ist nur so lange vertretbar, wie es keine Alternative gibt.

(Zustimmung bei der CDU/CSU)

Ob SDI eine Alternative ist, werden die Forschungen ergeben. Wenn es eine Alternative ist, muß sie von beiden Seiten gleichzeitig und koordiniert eingeführt werden. Dazu sind unsere amerikanischen Verbündeten bereit.

(Lange [GRÜNE]: Kindergarten, was Sie hier reden! Ein Quatsch!)

Vierte These: Es ist unsere Aufgabe, die deutschen Sicherheitsinteressen bei den Weltmächten geltend zu machen. Diese Sicherheitsinteressen richten sich vor allem auf die Mittelstreckensysteme, die auf Grund ihrer kürzeren Reichweite ausschließlich uns und die Benelux-Staaten betreffen. Meine Fraktion hat auf diesen Aspekt mehrfach mit Nachdruck hingewiesen. Die Bundesregierung hat diesen Aspekt in die Verhandlungen der Weltmächte eingeführt,

(Zuruf von der CDU/CSU: So ist es!) und zwar mit Erfolg.


(Dr. Schierholz [GRÜNE]: Was sagt der Außenminister dazu?)

Nicht nur unsere amerikanischen Verbündeten haben diesen Gesichtspunkt aufgegriffen, sondern sogar Herr Gorbatschow hat Verständnis dafür gezeigt. Jetzt sollte auch die Opposition einschwenken. Sie sollte nicht ein drittes Mal sowjetischer sein wollen als die Sowjetunion.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)




Dr. Dregger
Ich bin der Meinung, daß auch unser Volk trotz seiner exponierten Lage an der Grenze von Ost und West den gleichen Anspruch auf Sicherheit hat wie alle Völker im Osten und Westen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Dr. Philipp Jenninger (CDU):
Rede ID: ID1023800400
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Borgmann.

Annemarie Borgmann (GRÜNE):
Rede ID: ID1023800500
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die gescheiterte Konferenz von Reykjavik hat deutlich gemacht, daß das Haupthindernis für Abrüstung bei den Vereinigten Staaten liegt. Die mehr als starre Politik der Vereinigten Staaten hat dazu beigetragen, daß bei Reykjavik nichts herausgekommen ist.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Was hätte eigentlich aus unserer Sicht als Bündnispartner dagegen gesprochen, sich auf die Vorschläge Gorbatschows einzulassen? Man stelle sich vor, was hätte erreicht werden können: eine Verringerung aller strategischen Atomwaffen, ein weitgehender Abbau der Mittelstreckenraketen, eine Verringerung der Gefahr des Wettrüstens im Weltraum.

(Berger [CDU/CSU]: Während Sie in Hasselbach demonstriert haben!)

Was sprach dagegen?
Die Sowjetunion hat unter Gorbatschow eine unglaubliche außenpolitische Beweglichkeit entwikkelt. Ihre jüngsten Vorschläge stellen gegenüber früheren Positionen enorme Zugeständnisse dar. Das kann niemand leugnen. Ein Ja zur Abrüstung bei allen Waffensystemen ist im Interesse unserer Sicherheit mehr als überfällig.

(Beifall bei den GRÜNEN — Hornung [CDU/CSU]: Wenn sie ehrlich gemeint sind, stehen sie noch!)

Auch wenn Herr Genscher versucht, krampfhaft daran vorbeizureden: Gescheitert ist der Gipfel am amerikanischen Weltraumrüstungsprogramm SDI, das Reagan für unverzichtbar erklärt

(Beifall bei den GRÜNEN)

— man stelle sich das vor! — für die westliche, sprich: amerikanische Sicherheit.
Unsere Sicherheit wächst doch nicht mit der Aufrüstung im Weltall, sondern einzig und allein durch die Abrüstung hier auf der Erde.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Was Reagan in Reykjavik für so wichtig erklärte, daß er die Verhandlungen deswegen scheitern ließ, ist seine Absicht, Raketenabwehrsysteme im Weltraum zu entwickeln, zu testen und zu stationieren. Selten hat ein Staatschef der sogenannten freien Welt

(Berger [CDU/CSU]: Das ist eine sehr interessante Bemerkung!)

so offen, so dreist eine einmalige Abrüstungschance
durch den Bruch eines Rüstungskontrollvertrages
zunichte gemacht; das muß man sich einmal vorstellen.

(Berger [CDU/CSU]: „Sogenannte freie Welt" sagen Sie! — Klein [München] [CDU/ CSU]: Die sogenannte GRÜNE!)

Er erklärt dies obendrein mit der drohenden Vertragsbrüchigkeit der Gegenseite.
Der ABM-Vertrag von 1972 bestimmt in Art. 5: „Jede Vertragspartei verpflichtet sich, keine Raketenabwehrsysteme oder Bestandteile derselben zu entwickeln, zu erproben oder aufzustellen, die see-, luft- oder weltraumgestützt sind." Der ABM-Vertrag ist unbefristet.

(Dr. Schierholz [GRÜNE]: Sehr interessant!)

Die Sowjetunion hat in Reykjavik nicht mehr verlangt als die Zusicherung, diesen Vertrag für weitere zehn Jahre einzuhalten. Reagan wollte diese Zusicherung nicht geben und hat damit SDI entgegen seiner bisherigen Ankündigung, damit lediglich politischen Druck ausüben zu wollen, jetzt zum Selbstzweck werden lassen.

(Dr. Schierholz [GRÜNE]: Das ist der Kern!)

Diese Politik widerspricht in krassester Weise den nicht enden wollenden amerikanischen Versicherungen, Frieden, Freiheit und Demokratie bewahren zu wollen. Wir pfeifen auf den Frieden durch Pressionen,

(Hornung [CDU/CSU]: Wir sind die einzigen, die ihn bewahren!)

eine Freiheit des Faustrechts und eine Demokratur der Lobbyisten.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Das Lakaienschauspiel, das die Bundesregierung uns seit Beendigung des Gipels liefert, ist wirklich skandalös. Aber wen wundert das noch? Immer wieder haben Koalitionsvertreter erklärt, daß sie auf Einhaltung des ABM-Vertrages bestehen. Jetzt, wo die Besessenheit der Reagan-Regierung an dieser Frage besonders deutlich wird, kommen von der Regierung nur noch peinliche Floskeln.

(Dr. Schierholz [GRÜNE]: So ist es! — Dr. Czaja [CDU/CSU]: Die Stimme Moskaus!)

Seien Sie doch einmal ehrlich: Sie waren doch vor wenigen Jahren selbst der Meinung, daß das SDI-Programm Spinnerei sei; heute sind Sie — gegen alle Erfahrungen — dafür. Sie waren für den ABM-Vertrag, heute geben Sie ihn auf. Sie waren für den Stopp der Atomtests, heute reden Sie nicht mehr davon. Sie waren gegen eine Welle von neuen chemischen Waffen, heute geben Sie grünes Licht für den Bau von binären Waffen.

(Dr. Dregger [CDU/CSU]: Und den Abzug der hiesigen!)

Vor keiner noch so absurden Wende schreckt diese
Bundesregierung zurück, wenn nur der Draht zu



Frau Borgmann
den USA, wenn nur die Bündnislogik erhalten bleibt.

(Klein [München] [CDU/CSU]: Das ärgert Moskau und Sie!)

Solange die Verbündeten der NATO, wie am Montag wieder in Brüssel geschehen, zwar etwas Unmut zu Protokoll geben, aber den Kurs der USA politisch und militärisch unterstützten, gibt es keine Hoffnung auf die Einkehr von Vernunft. Das ist unsere Überzeugung. Im Gegenteil: Die Hochrüstung ist immer weniger beherrschbar, und die Gefahr eines Krieges der Kriege wächst ständig. Die Bündnispartner müssen sich jetzt einmischen, die USA unter Druck setzen, daß sie das SDI-Programm aufgeben.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Am vergangenen Samstag haben 200 000 Menschen in Hasselbach im Hunsrück gegen die Stationierung der Cruise Missiles protestiert.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Die Mehrheit der Menschen in unserem Land fordern den Verzicht auf Cruise Missiles und den Verzicht auf Pershing II

(Hornung [CDU/CSU]: Und den Verzicht auf Frieden und Freiheit!)

als ersten Schritt, für den die Bundesregierung sich einsetzen kann und muß. Durch die Rücknahme der Stationierung und den Abbau der errichteten Raketenbasen, durch eine Senkung unserer Rüstungsausgaben um mindestens 10 %, .. .

Dr. Philipp Jenninger (CDU):
Rede ID: ID1023800600
Frau Abgeordnete, Ihre Redezeit ist abgelaufen. Bitte kommen Sie zum Schluß.

Annemarie Borgmann (GRÜNE):
Rede ID: ID1023800700
... durch die Kündigung des Unterstützungsabkommens in Kriegszeiten mit den USA und ein klares Nein zu SDI würde die Bundesrepublik einen echten Beitrag zur Umkehr leisten können, wenn sie das wollte.

(Beifall bei den GRÜNEN — Dr. Schierholz [GRÜNE]: Das ist ein realistisches Programm!)


Dr. Philipp Jenninger (CDU):
Rede ID: ID1023800800
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Dr. Hamm-Brücher.

Dr. Hildegard Hamm-Brücher (FDP):
Rede ID: ID1023800900
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Kollegin Borgmann! Ich muß Ihnen in allem, was Sie gesagt haben, nachdrücklich widersprechen,

(Frau Borgmann [GRÜNE]: Das ist schade!)

denn Ihre außenpolitische Blindheit ist nun langsam durch nichts mehr zu überbieten.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU — Frau Borgmann [GRÜNE]: Wir stehen aber nicht allein!)

Ich meine auch, meine Damen und Herren, es
macht doch gar keinen Sinn, einen parteipolitischen Streit darüber zu entfachen, wer in Reykjavik wem hätte mehr entgegenkommen können.

(Frau Borgmann [GRÜNE]: Doch, das ist der springende Punkt!)

Das auszuwerten, müssen wir getrost erst einmal den Historikern überlassen. Es nutzt auch nichts, Herr Kollege Ehmke, den Mißerfolg zu dramatisieren oder andererseits einen Erfolg schönfärberisch herauszukehren. Es macht doch nur Sinn, realistisch, emotionsfrei und auch mit äußerster außenpolitischer Akribie die Ansätze von Reykjavik aufzunehmen, diese Ansätze zusammenzufügen und immer dort einzufügen, wo wir außenpolitischen Handlungs- und Gestaltungsspielraum haben. Darauf kommt es in dieser Stunde an.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Dieser Handlungs- und dieser Gestaltungsspielraum ist Dank der Beharrlichkeit, Umsicht und Kontinuität unserer Außenpolitik und des verantwortlichen Ministers nicht wenig.

(Frau Borgmann [GRÜNE]: Kontinuität in der Stagnation!)

Ich bin, wie Sie alle wissen — das hat sich ja herumgesprochen — kein Anhänger ritualisierter Ergebenheitsadressen an die eigene Regierung. Aber die Gelegenheit dieser Debatte möchte ich nutzen, um unserem Außenminister ausdrücklich im Namen der Fraktion zu danken

(Dr. Schierholz [GRÜNE]: Wofür denn?)

und ihn zu ermutigen, fortzufahren, auf den verästelten Pfaden unserer Außen- und Sicherheitspolitik jeden Millimeter des Fortschritts zu nutzen.

(Dr. Schierholz [GRÜNE]: Luftblasen!)

Kurs halten ist das Gebot der Stunde, Augenmaß, weiteres Bretterbohren und nicht Ihre parteipolitischen und außenpolitischen Stammtischmäkeleien, die Sie hier vorbringen.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Ich stelle fest — und das sorgfältige Studium der Texte ergibt das doch —: Es wurde in Reykjavik kein neues Kapitel der Ost-West-Beziehungen aufgeschlagen. Wer das erhoffte, war ja wohl ein Illusionist. Es wurden aber auch keine Türen zugeschlagen, es wurden deutliche Konturen möglicher Ergebnisse sichtbar.
In einer für uns Europäer existentiellen Frage wurden diese Ergebnisse sogar greifbar. Die Gespräche, die gestern abend zwischen dem Außenminister, dem Bundeskanzleramt und dem sowjetischen Abrüstungsexperten Karpow geführt wurden, geben Anzeichen, daß in einem für uns existentiellen Bereich tatsächlich Ergebnisse erreichbar sind. Da ist es in der Außenpolitik genauso wie in der Hauspolitik: Sie können entweder über das Nichterreichte jammern, schimpfen oder resignieren, oder Sie können das nun deutlicher werdende Erreichbare auch tatsächlich erreichen, und darauf müssen wir uns jetzt konzentrieren.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)




Frau Dr. Hamm-Brücher
Meine Fraktion unterstützt die nächsten Schritte, die der Außenminister vorgezeichnet hat, das Erreichbare weiter voranzubringen, damit dann auch zum Erreichen beizutragen und dieses Erreichbare abzukoppeln vom Unerreichbaren. Das ist nämlich auch eine wichtige außenpolitische Leistung, die vielleicht in den Gesprächen in Washington weitergebracht werden kann. Auf diesem Umweg

(Dr. Schierholz [GRÜNE]: Abweg!)

kommen wir vielleicht dem im Augenblick Unerreichbaren näher.

(Dr. Schierholz [GRÜNE]: Abweg, Frau Hamm-Brücher, Abweg!)

— Ja, lieber Herr Schierholz, wenn das alles so wahnsinnig einfach wäre! Ich bitte Sie, sich einmal einen Tag ins Auswärtige Amt zu setzen

(Dr. Schierholz [GRÜNE]: Aber gerne!) und all diesen Dingen zuzuhören.


(Berger [CDU/CSU]: Darauf warten die schon! Bei einem Kanzler Rau würde das schon gehen! — Dr. Vogel [SPD]: Lieber nicht! — Lachen und weitere Zurufe von der CDU/CSU)

Manchmal denke ich mir immer: Das ist bei Ihnen so, wie sich Klein Moritz die Außenpolitik vorstellt, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Der Physiker und Philosoph Carl Friedrich von Weizsäcker hat in unserer Vertretung in Ost-Berlin noch einmal deutlich gemacht: Der erste Schritt zum Frieden ist nicht die Abrüstung, sondern vor der Abrüstung kommt das Vertrauen. Erst Vertrauen macht Abrüstung und Frieden möglich.

(Dr. Schierholz [GRÜNE]: Das Vertrauen ist doch nicht da, das haben Sie doch gemerkt! — Lange [GRÜNE]: Von welcher Welt reden Sie!)

Das sind die nächsten konkreten Schritte auf der bevorstehenden KSZE-Folgekonferenz in Wien, die nach Stockholm sicher Aussicht auf Erfolg verspricht.
Meine Damen und Herren, ich denke, daß wir auch im Bereich des Verbots chemischer Waffen, im Bereich des Teststoppabkommens auf dem richtigen Wege sind.

(Lange [GRÜNE]: Sie haben eine rosarote Brille auf! — Frau Borgmann [GRÜNE]: Das ist weiter weg als zuvor!)

Und daß es ein Junktim zwischen dem Abbau der offensiven strategischen Waffen und der Weltraumdefensivwaffen gibt, ist vielleicht bedauerlich, aber nicht zu bestreiten. Das wird das Thema des eigentlichen Gipfels sein.
Zum Schluß drei Empfehlungen meiner Fraktion.

Dr. Philipp Jenninger (CDU):
Rede ID: ID1023801000
Frau Abgeordnete, Ihre Redezeit ist abgelaufen.

Dr. Hildegard Hamm-Brücher (FDP):
Rede ID: ID1023801100
Die Empfehlung an den Außenminister: Kurs halten wie bisher!

(Dr. Schierholz [GRÜNE]: Kurs halten, Segel hoch, aber es ist kein Wind da!)

Und an uns alle: Mit diesem Thema im Wahlkampf behutsam umgehen und dem Kanzler und dem Außenminister mit dieser Debatte den Rückhalt geben, den sie für ihre schwierigen Gespräche in Washington benötigen!
Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Dr. Philipp Jenninger (CDU):
Rede ID: ID1023801200
Ich erteile das Wort dem Herrn Bundesminister des Auswärtigen.

(Lange [GRÜNE]: Jetzt sind wir gespannt! — Dr. Schierholz [GRÜNE]: Jetzt kommt noch eine Einladung! — Gegenruf von der CDU/CSU: Aber nicht an Sie!)


Hans-Dietrich Genscher (FDP):
Rede ID: ID1023801300
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Bundesregierung hat die Begegnung in Reykjavik, als sie angekündigt wurde, begrüßt.

(Dr. Schierholz [GRÜNE]: Hochgejubelt!)

Sie ist heute der Meinung: Sie war nicht nur richtig und notwendig, sondern sie war auch lohnend, weil wir heute besser dastehen und klarer sehen als vor der Begegnung in Reykjavik.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU — Dr. Schierholz [GRÜNE]: „Klarer sehen" ist richtig!)

Diese Sicht, meine Damen und Herren, entspricht der Auffassung aller Staaten des westlichen Bündnisses, gleichviel, von wem sie regiert werden: von Christdemokraten, Sozialisten oder Liberalen. Wir waren uns einig, daß es in unserem Interesse liegt, jetzt — aufbauend auf dem, was in Reykjavik erreicht worden ist — in den Bereichen, in denen Fortschritte heute möglich sind, diese auch zu machen.

(Dr. Ehmke [Bonn] [SPD]: Da stimmen wir Ihnen zu!)

Das heißt nicht, Themen miteinander zu verbinden, die miteinander nichts zu tun haben.

(Berger [CDU/CSU]: So ist es! — Frau Borgmann [GRÜNE]: Das sehen Sie so! — Lange [GRÜNE]: Das ist eine Wunschvorstellung!)

Das heißt z. B., bei den Mittelstreckenraketen jetzt auf der Grundlage dessen, was in Reykjavik besprochen wurde, ein Abkommen anzustreben.

(Beifall bei der FDP, der CDU/CSU und der SPD — Dr. Schierholz [GRÜNE]: Die SPD sieht wieder Beifallszwang!)

Meine Damen und Herren, als wir 1983 eine Entscheidung zu treffen hatten, die uns wahrlich nicht leicht gefallen ist, nämlich die Entscheidung über die Durchführung des NATO-Doppelbeschlusses,



Bundesminister Genscher
haben wir gesagt: Das Recht auf gleiche Sicherheit für alle Völker

(Ströbele [GRÜNE]: Ich höre immer „Sicherheit"!)

bedeutet, daß es unser Ziel sein muß, daß die sowjetischen Mittelstreckenraketen, die Europa bedrohen, gänzlich beseitigt werden, damit auch amerikanische Raketen entweder nicht aufgestellt werden müssen oder, wenn sie aufgestellt sind, beseitigt werden können.

(Ströbele [GRÜNE]: Das Recht auf gleiche Bedrohung und Erpressung!)

Meine Damen und Herren, damals gab es Leute, die gesagt haben: Wir müssen uns damit abfinden, daß eine bestimmte Zahl sowjetischer Mittelstreckenraketen bestehen bleibt.

(Dr. Dregger [CDU/CSU]: Ja, in Nürnberg noch! Die SPD ist sowjetischer als die Sowjetunion! — Hornung [CDU/CSU]: Wer hat das gesagt?)

Heute zeigt sich, daß sich Generalsekretär Gorbatschow in bezug auf die Sicherheitsinteressen der Westeuropäer in Reykjavik realistischer gezeigt hat als die Kritiker unserer Politik.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Bestätigt fühlen — das muß ich mit aller Klarheit sagen — können sich die Abgeordneten der Regierungsparteien

(Ströbele [GRÜNE]: Das ist Moskaus Stimme hier!)

und die 14 Delegierten des sozialdemokratischen Parteitags in Köln, die damals für die Durchführung des NATO-Doppelbeschlusses gestimmt haben.

(Zustimmung bei der CDU/CSU)

Nun geht es darum, daß man jetzt am Verhandlungstisch, aufbauend auf dieser Annäherung, die auf beiden Seiten noch 100 Sprengköpfe übrigläßt, von denen 100 im asiatischen Teil der Sowjetunion und 100 in den Vereinigten Staaten stationiert werden sollen, zu einem Abkommen kommt, zu einem Abkommen, meine Damen und Herren, in dessen Zusammenhang auch die Fragen besprochen, gelöst oder verhandelt werden müssen — je nach dem —, die sich mit den Mittelstreckenraketen kürzerer Reichweite verbinden.

(Zurufe von den GRÜNEN)

Auch hier hat sich gezeigt, daß eine bemerkenswert realistische Einsicht auf beiden Seiten in Reykjavik an den Tag gelegt worden ist.
Ich bin der Überzeugung, diese Begegnung hat sich gelohnt, und ich scheue mich nicht, hier zu sagen, daß beide Seiten, die Vereinigten Staaten von Amerika genauso wie die Sowjetunion, dazu beigetragen haben, durch aufrichtige Bemühungen, dadurch, daß sie auch in wichtigen Fragen fähig waren, über den eigenen Schatten zu springen und Dinge anzubieten, die sie früher nicht angeboten haben, daß auf diese Weise diese Annäherung erzielt wurde.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Wir sollten heute als Deutsche das Ergebnis von Reykjavik nicht ungünstiger beurteilen als alle unsere Partner im westlichen Bündnis

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU — Dr. Vogel [SPD]: Als die Amerikaner selber! Lesen Sie mal die amerikanischen Zeitungen!)

und als die sowjetische und die amerikanische Führung.

(Frau Borgmann [GRÜNE]: Was sagen Sie denn zu SDI? Wieder sagen Sie nichts zu SDI! Daran scheitert doch alles!)

Weitermachen oder, wie Frau Hamm-Brücher sagt, Kurs halten, das ist jetzt unsere Aufgabe.
Deshalb sage ich Ihnen auch, Frau Kollegin: selbst in der Frage des Teststopps ist es zu Annäherungen zwischen USA und der Sowjetunion gekommen. Darüber muß genauso weiter gesprochen werden wie über das untrennbar verbundene Verhältnis zwischen den offensiven und defensiven Waffen. Da bleibt es bei dem, was der Bundeskanzler gesagt hat: daß nach unserer Überzeugung drastische Reduzierungen der offensiven Waffen auch Auswirkungen haben müssen auf Umfang und Notwendigkeit von Defensivmaßnahmen. Das ist die Position, die die Bundesregierung vertritt, die sie weiter vertreten wird.

(Zurufe von den GRÜNEN)

Die bemerkenswerten Fortschritte in der Verifikation, die zum Erfolg von Stockholm geführt haben, die die Annäherung bei den Mittelstreckenraketen ermöglicht haben, die müssen jetzt auch für das weltweite Verbot der chemischen Waffen genutzt werden. Dort geht es auch um die Verifikationsfrage.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU — Berger [CDU/CSU]: Da gibt es Chancen!)

Der sowjetische Unterhändler hat uns gestern gesagt, sie sind dazu bereit.
Je größer die Aussichten werden, daß wir in der atomaren Abrüstung vorankommen, um so dringlicher ist es, daß wir auch im konventionellen Bereich zur notwendigen Abrüstung

(Berger [CDU/CSU]: Das gehört zusammen!)

zur Stabilisierung eines ausgewogenen Kräfteverhältnisses durch Reduzierung in Europa kommen, vom Atlantik bis zum Ural.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU — Ströbele [GRÜNE]: Nichts als leere Worte!)

Das zeigt, daß die KSZE-Folgekonferenz, die im November in Wien beginnt, jetzt eine besondere Bedeutung hat.

(Berger [CDU/CSU]: So ist es!)




Bundesminister Genscher
Dort sitzen wir am Verhandlungstisch, wie wir in Genf bei den chemischen Waffen am Verhandlungstisch sitzen.

(Frau Borgmann [GRÜNE]: Wir haben noch keine Waffe weniger als vorher! Alles nur Worte!)

Die Bundesregierung wird ihr ganzes Gewicht dafür einsetzen, daß auch im konventionellen Bereich unsere Interessen vertreten werden; denn wir als Deutsche, ob hier in der Bundesrepublik oder in der DDR, die wir an der Schnittlinie zwischen West und Ost leben, wissen: Es geht nicht nur darum, einen atomaren Krieg zu verhindern,

(Sehr richtig! bei der CDU/CSU) es geht darum, jeden Krieg zu verhindern.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU — Dr. Schierholz [GRÜNE]: Alles oder nichts!)

Auch ein konventioneller Krieg würde bei dem heutigen Stand der Technik zur Vernichtung der Völker Europas, zuerst zur Vernichtung der Deutschen, führen. Ich muß Ihnen sagen, ich halte es für bemerkenswert, daß auch in dieser Frage heute eine prinzipielle Übereinstimmung zwischen West und Ost besteht. Reden wir als Deutsche das jetzt bitte nicht herunter, was an Annäherung da ist, nutzen wir es im nationalen und europäischen Interesse!

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU — Dr. Vogel [SPD]: Kein Wort über SDI! — Frau Borgmann [GRÜNE]: Herr Genscher, das ist unglaublich, was Sie uns hier präsentieren!)


Dr. Philipp Jenninger (CDU):
Rede ID: ID1023801400
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Voigt.

Karsten D. Voigt (SPD):
Rede ID: ID1023801500
Herr Bundesaußenminister, Sie haben die Chance verspielt, die Haltung der Regierung zu SDI klarzustellen; die Unklarheit bleibt.

(Beifall bei der SPD)

Aber ich möchte Ihnen ausdrücklich zustimmen, daß der Erfolg in Reykjavik zum Greifen nahe war; ein abrüstungspolitischer Durchbruch schien möglich. Ich möchte Ihnen widersprechen, wenn Sie hier versuchen, darüber hinwegzutäuschen, daß diese Chance in Reykjavik vorläufig verspielt worden ist.

(Hornung [CDU/CSU]: Das gibt es doch gar nicht!)

Aber wir als Sozialdemokraten werden weiter darauf drängen, daß die Chancen, die noch bestehen, genutzt werden.

(Beifall bei der SPD)

Denn wir sind nicht ins Scheitern, wir sind ins Gelingen verliebt.

(Lachen bei der CDU/CSU und der FDP)

Das heißt, daß wir nicht nur hartes Verhandeln unterstützen, sondern Unbeweglichkeit beim Verhandeln kritisieren. Der amerikanische Präsident hat
in Reykjavik viel gepokert, aber wenig verhandelt. Es ist erforderlich, darauf aufmerksam zu machen, daß nach den großen, wichtigen und auch richtigen abrüstungspolitischen Zugeständnissen der Sowjetunion die SDI-Träume des amerikanischen Präsidenten jetzt dazu geführt haben, daß in Reykjavik ein Kompromiß noch nicht möglich war.
Deshalb sind die abrüstungspolitischen Hoffnungen von uns nur zu erfüllen, wenn der amerikanische Präsident seine SDI-Illusion aufgibt.

(Hornung [CDU/CSU]: Ihre Aussteigermentalität!)

Diese technizistische Illusion des amerikanischen Präsidenten von einem Schutzschild für Amerika wird immer mehr zum Alptraum für unsere abrüstungspolitischen Hoffnungen in Europa.

(Berger [CDU/CSU]: Für Sie offensichtlich!)

Jeder Europäer, ob rechts oder links, der in den vergangenen Jahren die Bedrohung durch die SS 20 kritisiert hat, muß doch jetzt den amerikanischen Präsidenten in bezug auf sein SDI-Programm zu Kompromissen drängen, damit wir auch einen Rüstungswettlauf im Weltraum verhindern.

(Beifall bei der SPD und der Abg. Frau Borgmann [GRÜNE])

Meine Befürchtung ist, daß die Bundesregierung sich inzwischen beim SDI-Programm so sehr in die amerikanischen Pläne verstrickt hat, daß sie nicht einmal mehr in der Lage ist, offen ihre früheren Positionen zu vertreten, und der Bundesaußenminister hat seine Chance in dieser Richtung auch nicht genutzt. Er schweigt, und dies Schweigen ist vielsagend.

(Dr. Vogel [SPD]: Kein Wort zu SDI!)

Im übrigen verstehe ich Herrn Dregger sehr wohl, daß er über das Ergebnis von Reykjavik zufrieden ist, denn für ihn war die andauernde Stationierung von Pershing II, immer wichtiger als eine Abrüstung der sowjetischen SS 20. Insofern kommt ihm dieses Ergebnis bei seinem Konzept durchaus zupaß.
Unserer Meinung nach aber hat sich durch die Kompromißbereitschaft beider Seiten in Genf, in Reykjavik gezeigt, daß diejenigen Militärplaner, die die Mittelstreckenwaffen in Ost und West für unverzichtbar hielten, endgültig widerlegt worden sind.

(Hornung [CDU/CSU]: Wer hat sie denn zuerst aufgebaut?)

Die Mittelstreckenfrage war von Anfang an weniger eine militärische Frage als eine politische Frage. Sie ist deshalb auch nur durch politische Kompromisse zu lösen.

(Beifall bei der SPD)

Auf diese Kompromisse müssen wir Europäer drängen. Ich halte es für einen bedauerlichen Zustand, daß sich die Europäer in der Europäischen Gemeinschaft, in der Europäischen Politischen Zusammenarbeit, in der NATO weder vorher noch nachher auf



Voigt (Frankfurt)

eine gemeinsame Haltung geeinigt haben. Die Europäer dürfen nicht in der Rolle des Zuschauers verharren. Sie müssen endlich eigene Vorschläge vorlegen. Wir werden das tun, wir warten auf die Vorschläge der Bundesregierung.

(Dr. Schierholz [GRÜNE]: Wo sind sie denn?)

Herr Bundesaußenminister Genscher, Sie sprechen doch sonst immer von uns als Europäern in einem gemeinsamen europäischen Haus. Wo sind Ihre Vorschläge für die Abrüstungspolitik, für eine zweite Phase der Entspannungspolitik in Europa? Wir werden Pilotprojekte der Zusammenarbeit, der Abrüstung und des Interessenausgleichs zwischen Ost und West vorlegen. Sie haben unsere Vorschläge, die wir bisher vorgelegt haben, kritisiert. Eigene Vorschläge haben Sie nicht gemacht. Diese Vorschläge müßten Sie heute in diese Debatte einbringen.

(Beifall bei der SPD und der Abg. Frau Borgmann [GRÜNE])


Dr. Philipp Jenninger (CDU):
Rede ID: ID1023801600
Das Wort hat der Abgeordnete Klein (München).

Hans Klein (CSU):
Rede ID: ID1023801700
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In vier Tagen wird Bundeskanzler Kohl mit Präsident Reagan zusammentreffen,

(Zurufe von der SPD und den GRÜNEN)

sich über den Verlauf der Gipfelgespräche in Reykjavik aus erster Hand informieren, Vorstellungen, Interessen und Bedürfnisse der Deutschen im Blick auf die nächsten Etappen des West-Ost-Dialogs darlegen.
Meine Fraktion hat diese Aktuelle Stunde u. a. auch deshalb beantragt, um unmißverständlich klarzustellen, daß nicht die Nachbeter Moskauer Propagandathesen in der Bundesrepublik Deutschland den Ton angeben.

(Beifall bei der CDU/CSU — Frau Borgmann [GRÜNE]: Die Nachbeter der USA!)

Dieser Bundeskanzler kann sich — im Gegensatz zu seinem Vorgänger — auf eine solide, die deutschamerikanische Freundschaft bejahende parlamentarische Mehrheit stützen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Es gab vor dem Reykjaviker Treffen sozialdemokratische Stimmen — ich denke da vor allem an den Kollegen Ehmke —, die in zynischer Offenheit erklärten, „ein Gipfel vor den Wahlen käme uns ungelegen". Aus dieser parteipolitischen Logik erklärt sich die hämische Selbstgerechtigkeit, mit der die SPD-Sprecher das Nichtzustandekommen von Vereinbarungen kommentierten, die Sowjetunion rühmten und die USA beschimpften.
Erlauben Sie mir zwei bewertende Bemerkungen. Erstens: Noch nie in der Geschichte der internationalen Abrüstungsbemühungen sind sich die beiden Weltmächte so nahegekommen und noch nie zuvor erklärten sich beide bereit, bei zunächst nicht erreichter Einigung auf der Grundlage des Erreichten weiterzuverhandeln.

(Frau Borgmann [GRÜNE]: Aber es muß sich doch etwas bewegen!)

Zweitens: Was Präsident Reagan und Generalsekretär Gorbatschow bezüglich der Mittelstreckenraketen in Europa und Asien, des Interkontinentalpotentials, der Mittelstreckenraketen kürzerer Reichweite, aber auch perspektivisch bezüglich der Atomwaffenversuche, der konventionellen Kontingente und der Chemiewaffen miteinander ausgehandelt haben, stellte mitnichten etwa einseitige sowjetische Konzessionen dar. Wenn also Generalsekretär Gorbatschow am Schluß das amerikanische SDI-Projekt gewissermaßen als westliche Dreingabe forderte, hatte er entweder ein Scheitern der Verhandlungen von vornherein kalkuliert oder seine Ratgeber hatten ihn nicht darüber informiert, daß, wie Josef Riedmiller in der „Süddeutschen Zeitung" am Dienstag schrieb, in den Vereinigten Staaten kaum etwas unpopulärer ist als die Begrenzung von Forschung, Fortschritt, Möglichkeiten.
Dafür, daß sich Präsident Reagan, bildlich gesprochen, nicht in letzter Minute über den Tisch ziehen ließ, verdient er unseren Respekt.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Nur Illusionisten und Ideologen, die noch heute die Jahre des Angola-Coups, des Afghanistan-Überfalls oder der SS-20-Aufrüstung als Periode der Entspannung charakterisieren, können zur Aufgabe der westlichen Festigkeit raten. Vermutlich wird die Sowjetunion angesichts der bevorstehenden Wahlen in den USA, in der Bundesrepublik Deutschland, möglicherweise nächstes Jahr auch in Großbritannien noch einmal versuchen, die westliche öffentliche Meinung zu beeinflussen.
Meine Damen und Herren von der Opposition, begehen Sie nicht denselben Fehler wie 1983. Fordern Sie nicht von den Amerikanern mehr, als selbst die Sowjets von ihnen verlangen. Sie brauchen ja kein öffentliches Irrtumseingeständnis abzulegen. Aber nehmen Sie wenigstens zur Kenntnis, mit welchen Worten sich Reagan und Gorbatschow in Reykjavik verabschiedet haben. Der Präsident sagte: Wir haben in Island große Schritte bei der Lösung der meisten Differenzen gemacht und wir werden in diesen Bemühungen fortfahren. — Dem entsprach die Feststellung des Generalsekretärs: Ich denke, dieses Treffen hat uns in eine wichtige Etappe geführt. Es half uns, zu verstehen, wo wir uns befinden. Es hat gezeigt, daß Vereinbarungen möglich sind. Ich bin davon überzeugt.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Dr. Schierholz [GRÜNE]: Sie sollten der Pressesprecher von beiden werden!)


Dr. Philipp Jenninger (CDU):
Rede ID: ID1023801800
Ich erteile dem Bundesminister der Verteidigung das Wort.

(Frau Borgmann [GRÜNE]: Auch das noch!)





Dr. Manfred Wörner (CDU):
Rede ID: ID1023801900
Herr Präsident! Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen!

(Frau Borgmann [GRÜNE]: Jetzt hören wir etwas zu SDI!)

Wer sich nicht vom Hin und Her und Auf und Ab des Tages ablenken und verwirren läßt, der kann unschwer feststellen — das ist, finde ich, das eigentlich Bemerkenswerte der ganzen letzten Monate und Jahre —: In die verfestigte Landschaft des Ost-West-Konflikts ist Bewegung gekommen. Die beiden Supermächte bewegen sich aufeinander zu.

(Zuruf von der SPD: Und voneinander weg!)

Freilich, der Weg ist steinig; er ist lang. Wer von einem Vorgipfel die Lösung aller Probleme der Rüstungskontrolle erwartet, der muß naturgemäß enttäuscht sein.

(Frau Borgmann [GRÜNE]: Das haben wir auch nicht erwartet!)

Es kann keinen Zweifel geben: Wir befinden uns in einem schwierigen, langwierigen, aber zum erstenmal seit Jahrzehnten erfolgversprechenden Prozeß der Annäherung der beiden Supermächte auf dem Gebiet der Abrüstung.

(Dr. Klejdzinski [SPD]: Seien Sie nett, und sagen Sie was zu SDI!)

Reykjavik war eine Station, eine Etappe auf diesem Weg, nicht mehr, aber auch nicht weniger. Und wer den Gesamtprozeß, der hier im Laufen ist, auf Grund einer Momentaufnahme zu betrachten und zu beurteilen versucht, der denkt zutiefst ungeschichtlich und liegt schief. Das ist das, was ich bei Ihnen einfach kritisiere, nebst einigen anderen Dingen. Sie merken gar nicht, daß Sie die ganzen letzten Jahre mit heraushängender Zunge den Geschehnissen der Weltgeschichte nachlaufen,

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) aber nicht in der Lage sind, sie zu beherrschen.

Daß es zu dieser Annäherung gekommen ist, ist doch ganz eindeutig der Erfolg unserer Politik,

(Frau Borgmann [GRÜNE]: Haha!)

der Politik der Festigkeit, gepaart mit Verhandlungsbereitschaft. Weil der amerikanische Präsident die amerikanische Führungskraft wiederhergestellt hat, weil diese Bundesregierung die Stationierung durchgesetzt hat,

(Frau Borgmann [GRÜNE]: Das Streben nach Weltherrschaft nennen Sie Führungskraft! Das ist unmöglich!)

weil es SDI gibt und weil das westliche Bündnis Geschlossenheit und Handlungsbereitschaft gezeigt hat, sitzen die Sowjets wieder am Verhandlungstisch und machen Abrüstungsangebote, die sie früher nie gemacht haben.

(Dr. Schierholz [GRÜNE]: Das ist doch absoluter Quatsch!)

Wären wir den Ratschlägen der SPD gefolgt, gäbe es keine Bewegung und keine Verhandlungen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Dr. Dregger [CDU/CSU]: Unser Nachrüstungsbeschluß war unentbehrlich!)

Sie lernen ja nichts dazu. Sie haben früher von Eiszeit geredet und nicht recht behalten. Jetzt reden Sie wieder von Eiszeit,

(Dr. Schierholz [GRÜNE]: Ist ja auch!)

wieder von Kaltem Krieg, und Sie werden erneut nicht recht behalten. Sie können doch nicht bestreiten: Bei den Gesprächen in Reykjavik hat es bemerkenswerte Fortschritte gegeben. Hand aufs Herz: Wer hätte noch vor wenigen Jahren oder gar Monaten erwartet, daß dort so weitgehende Abrüstungsvorstellungen seriös diskutiert und verhandelt würden? Das wird überall anerkannt, in der ganzen Welt, in Ost und West, nur nicht bei Ihnen. Sie sprechen vom „schwarzen Tag" in der Menschheitsgeschichte.

(Dr. Dregger [CDU/CSU]: Ja, das war in Nürnberg!)

Ich kann nur sagen: Sie verwechseln Ihren eigenen Zustand mit dem der Menschheitsgeschichte.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Dr. Vogel [SPD]: So nicht, Herr Oberstleutnant, so nicht! — Dr. Schierholz [GRÜNE]: Sie sind ein Geistheiler!)

Diese Verhandlungen werden weitergehen. Beide Seiten haben das deutlich gemacht. In Verhandlungen mit so weitreichenden Folgen für die Sicherheit von Supermächten und ihren Allianzen ist es doch nicht anders als bei schwierigen privaten Kaufverhandlungen beispielsweise. Da wird gepokert. Da wird taktiert. Da versucht man im Tauziehen taktische Vorteile herauszuschlagen. Und wenn es jetzt in Reykjavik nicht zu einem Abschluß kam, dann doch nicht wegen Reagan und auch nicht wegen SDI,

(Dr. Schierholz [GRÜNE]: Doch!)

sondern wegen einer Politik der UdSSR, die alle möglichen Ergebnisse in wichtigen Abrüstungsfeldern

(Lange [GRÜNE]: Das glaubt doch kein Mensch!)

von einem amerikanischen Nachgeben im Bereich der strategischen Verteidigung abhängig macht.

(Dr. Ehmke [Bonn] [SPD]: Das Scheitern war ein Erfolg! Wir haben es verstanden!)

Gorbatschow hat das Junktim, das er im Jahre 1985 aufgelöst hatte, zu einem sehr späten Zeitpunkt aus der Tasche gezogen.

(Dr. Ehmke [Bonn] [SPD]: Nein!)

Die Taktik von Gorbatschow ist doch klar. Er versucht Reagan unter Druck zu setzen, unter Druck der Öffentlichkeit. Er versucht mit Hilfe des Kongresses und der Westeuropäer, die amerikanische



Bundesminister Dr. Wörner
Verhandlungsposition zu kippen. Die „FAZ" hat recht, wenn sie schreibt:

(Dr. Vogel [SPD]: Ja, freilich! Ja, immer!)

Der sowjetische Propagandaapparat wird diese Zeit nutzen, um den Westeuropäern einzuhämmern, das Scheitern von Reykjavik sei allein die Folge von Reagans starrköpfigem Festhalten an SDI.

(Zustimmung bei den GRÜNEN — Dr. Schierholz [GRÜNE]: Sehr gut! — Dr. Vogel [SPD]: „New York Times"?)

Ein produktives Weiterführen der Verhandlungen
— jetzt können Sie klatschen —
in Genf oder anderswo

(Dr. Vogel [SPD]: Nun klatscht! Warum klatscht ihr nicht?)

wird auch davon abhängen, daß sich die westliche Öffentlichkeit von einer solchen Offensive nicht ins Bockshorn jagen läßt.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Wir lassen uns nicht ins Bockshorn jagen, und wir lassen uns auch nicht in Stellung bringen gegen das Bündnis und gegen die Vereinigten Staaten von Amerika.

(Dr. Klejdzinski [SPD]: Ist überhaupt nicht die Frage! — Berger [CDU/CSU]: Die SPD hat sich im Bockshorn eingenistet!)

Sie dagegen laufen voll in der Richtung dieser sowjetischen Taktik. Reagan — und das hat doch das Plädoyer von Herrn Ehmke gezeigt — wird die Alleinschuld zugeschrieben, die sowjetische Kompromißbereitschaft wird gelobt, und gegen SDI wird gewettert.

(Frau Borgmann [GRÜNE]: Das ist auch ein Wahnsinnsprogramm! Das sieht doch jeder!)

Würde der Westen Ihren Ratschlägen folgen, wären erfolgversprechende Abrüstungsverhandlungen gar nicht mehr möglich. Sie gehen weiter als die Sowjets. Sie wollen Ihnen ein Monopol an Mittelstrekkenwaffen zugestehen.

(Gansel [SPD]: Das stimmt doch nicht!)

Sie gehen in einem anderen Punkt weiter. Sie haben uns in der letzten Debatte hier noch vorgeworfen, wir würden mit unserem Verhandlungsbeharren wegen der kurzreichenden Mittelstreckenwaffen die Verhandlungen belasten, ein Scheitern heraufbeschwören. Inzwischen hat die Sowjetunion selbst zugestanden, daß kurzreichende Mittelstrekkenwaffen einbezogen werden müssen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Wo bleiben Ihre Prophezeiungen?

Noch ein Wort zur strategischen Verteidigung. SDI ist kein Hindernis auf dem Weg zur Abrüstung, sondern ein Instrument auf diesem Weg. SDI ist politisch gerechtfertigt,

(Dr. Ehmke [Bonn] [SPD]: Das hat ja Reykjavik gezeigt!)

weil die Sowjets schon seit über einem Jahrzehnt dieselben Forschungen betreiben. SDI ist moralisch gerechtfertigt,

(Frau Borgmann [GRÜNE]: Das ist die größte Unverschämtheit! — Dr. Ehmke [Bonn] [SPD]: Wörner for President! Es spricht der Vertreter des Pentagon!)

weil es nach Wegen sucht, die Sicherheit dieser Welt nicht auf die Drohung wechselseitiger Vernichtung zu gründen, sondern Sicherheit und Oberleben zu gewährleisten. Besser ist es, Raketen zu zerstören, als auf Menschen zu schießen.

(Hornung [CDU/CSU]: Sehr gut!)

Das Ziel der strategischen Verteidigung bleibt eine Welt mit mehr Stabilität, mit weniger Angriffs- und mehr Verteidigungswaffen. Die USA haben angeboten, diesen Weg kooperativ mit den Sowjets zu gehen. Die Sowjetunion täte gut daran, dieses Angebot zu überprüfen und anzunehmen. Denn was hätte sie daraus zu befürchten, frage ich. Auch hier gibt es noch Möglichkeiten zu Kompromissen. Sie sollten ausgelotet werden.

(Lange [GRÜNE]: Ausgelogen!) Was ist jetzt zu tun?


(Frau Borgmann [GRÜNE]: SDI kündigen! Das muß man machen!)

Wir müssen das Erreichte festhalten und darauf aufbauen. Wir werden die Verhandlungen fortführen. Das Junktim muß aufgelöst werden. Es gibt erste Anzeichen, daß die Sowjets dazu bereit sind. Vor allem aber muß der Westen Geschlossenheit und Einigkeit bewahren.

(Dr. Ehmke [Bonn] [SPD]: Stillgestanden! — Vogel [München] [GRÜNE]: Im Westen nichts Neues!)

Dazu gehören Verantwortung, Nervenstärke, ein wenig Geduld, ein Stück Zuversicht, vor allen Dingen aber hartnäckiges Verhandeln mit Kompromißbereitschaft auf der einen Seite, aber Festigkeit auf der anderen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Dr. Philipp Jenninger (CDU):
Rede ID: ID1023802000
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Fuchs (Verl).

Katrin Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1023802100
Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Reykjavik hat faszinierende Perspektiven atomarer Abrüstung gezeigt, für Europa, aber auch global. Beide Seiten brachten den Gedanken einer völligen Abschaffung von Atomwaffen auf den Tisch. Dies hat es noch nie gegeben. Dies wäre zum erstenmal wirkliche Abrüstung. Hinter dieser Linie darf es kein Zurück mehr geben.

(Beifall bei der SPD und des Abg. Dr. Schierholz [GRÜNE])




Frau Fuchs (Verl)

Gescheitert ist dieser Gedanke am letzten Wochenende, Herr Wörner, weil der amerikanische Präsident sein Projekt einer weltraumgestützten Raketenabwehr gegen Langstreckenraketen höher stellte als die vollständige Abschaffung eben dieser Raketen.

(Dr. Dregger [CDU/CSU]: Sie müssen Ihre Parteitagsbeschlüsse ändern!)

Mit besonderer Sorge erfüllt uns, daß der Präsident damit den ABM-Vertrag in seinem Kern bedroht hat. Dieser Vertrag verbietet seit 1972 die Entwicklung, das Testen und die Stationierung von Raketenabwehrwaffen mit Ausnahme je einer Anlage in den Vereinigten Staaten und in der UdSSR. Nur Laborforschung ist erlaubt. Zweck des Vertrages ist es, sicherzustellen, daß keine Seite eine Raketenabwehr aufbauen und zusammen mit Angriffswaffen eine atomare Erstschlagsfähigkeit erlangen kann.

(Dr. Schierholz [GRÜNE]: Das wissen die alle nicht!)

Zu diesem Vertrag gab es eine gemeinsame Interpretation der USA und der UdSSR. Um deren Einhaltung zu überprüfen, finden regelmäßig Sitzungen einer ständigen Beratungskommission statt.
Der ABM-Vertrag war und ist deswegen so wichtig, weil er der einzige Vertrag der Großmächte ist, der nicht Aufrüstung festgeschrieben hat, sondern Aufrüstung wirklich verhindert hat.

(Beifall bei der SPD)

Seit 14 Jahren erspart er der Welt ein kostspieliges und gefährliches Wettrüsten bei strategischen Defensivwaffen. Deswegen muß dieser Vertrag in jedem Fall in der vereinbarten Interpretation erhalten bleiben.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN sowie der Abg. Frau Dr. Hamm-Brücher [FDP] — Voigt [Frankfurt] [SPD]: Kein Beifall bei der CDU!)

Gorbatschow hat nun nichts anderes vorgeschlagen, als sich an diesen Vertrag in der vereinbarten Form 10 Jahre lang zu halten und während dieser Zeit die Atomwaffen von der Erde zu beseitigen. Präsident Reagan war zur völligen Abschaffung aller Atomwaffen nur unter der Bedingung bereit, in 10 Jahren mit der Stationierung von Weltraumwaffen beginnen zu können und diese in der Zwischenzeit auch im Weltraum zu testen. Damit hat er jene gespenstische Debatte über eine sogenannte Neuinterpretation des ABM-Vertrags, die in den USA seit vergangenem Oktober geführt wird, zur Regierungsposition gemacht.
Reagans Vorschlag bedeutet, den ABM-Vertrag schon heute zu Grabe zu tragen — mit der Folge eines neuen Wettrüstens mit Angriffs- und Verteidigungswaffen.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Dies zu verhindern ist unser existentielles Interesse. Die Bundesregierung hat die Pflicht, alles zu tun, um einen Bruch des ABM-Vertrags zu verhindern.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Deswegen frage ich Sie, Herr Außenminister, ob Ihre Aussage von vor genau einem Jahr noch gilt, das unbedingte Festhalten am ABM-Vertrag sei unverzichtbar; Sie meinten damals: in der restriktiven Form.

(Bundesminister Genscher: Ja sicher!)

Was wird die Regierung denn jetzt tun? Das Problem ist doch, daß diese Bundesregierung in ihrer außenpolitischen Entscheidung nicht mehr frei ist, seitdem sie das SDI-Abkommen unterzeichnet hat.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN — Zurufe von der SPD)

Oder will der Bundeskanzler wie in seiner Regierungserklärung der Bevölkerung weiterhin weismachen, daß es möglich ist, den ABM-Vertrag unverändert beizubehalten und sich trotzdem an SDI zu beteiligen? Das ging noch nie, und nach Reykjavik ist auch dem letzten klargeworden, daß das nie gehen kann.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Solange die Bundesregierung an SDI mitarbeitet, macht sie sich mitverantwortlich für den drohenden Bruch des ABM-Vertrags.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN — Frau Borgmann [GRÜNE]: Mitschuldig!)

Mit Ihrer Mitarbeit an SDI sind Sie den Kräften im amerikanischen Kongreß und weit darüber hinaus in der Bevölkerung auch in anderen Ländern — inklusive der Dritten Welt — in den Rücken gefallen, die den ABM-Vertrag retten wollen. Sie sind es, die sich bei allen vernünftigen Kräften in der Welt zu isolieren drohen, und nicht die SPD, wie Herr Seiters meinte.
Sie reden ununterbrochen von der deutsch-amerikanischen Freundschaft. In Wahrheit haben Sie diese Freundschaft verkommen lassen zu einer Komplizenschaft der Konservativen,

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN — Bohl [CDU/CSU]: Unseriöser geht es nicht mehr!)

die Abrüstungsinitiativen erstickt zugunsten einer Politik der militärischen Stärke. Das hat Herr Wörner in seinen Reden ausdrücklich bestätigt.
Mit Ihrer Haltung zum ABM-Vertrag steht jetzt erneut zur Entscheidung an

(Zuruf des Abg. Hornung [CDU/CSU])

— hören Sie mal zu —, ob dieses Land noch tiefer in die verhängnisvolle Weltraumrüstung verstrickt wird oder nicht. Sie müssen sich entscheiden, meine Herren und Damen:

(Hornung [CDU/CSU]: Aber nicht so wie Sie!)

SDI oder den ABM-Vertrag. Beides zusammen ist nicht zu bekommen.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)


Dr. Philipp Jenninger (CDU):
Rede ID: ID1023802200
Das Wort hat der Abgeordnete Todenhöfer.




Dr. Jürgen Todenhöfer (CDU):
Rede ID: ID1023802300
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist und bleibt ein Zeitdokument der totalen abrüstungspolitischen Verwirrung der SPD, daß ihr Kanzlerkandidat Johannes Rau am 23. September dieses Jahres der Sowjetunion in seinem offiziellen „Regierungsprogramm 1987" im Bereich der SS-20-Atomgefechtsköpfe eine Überlegenheit von 420:0 angeboten hat

(Dr. Vogel [SPD]: Das ist die Unwahrheit!)

— lesen Sie es nach —, zwei Tage bevor die Sowjetunion am Verhandlungstisch in Genf ein auf Europa bezogenes 100 :100-Gleichgewicht angeboten hat.

(Hört! Hört! bei der CDU/CSU — Dr. Vogel [SPD]: Schämen Sie sich!)

Die SPD war hiermit sowjetischer als die Sowjetunion.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Ich schlage der SPD vor: Rüsten Sie erst einmal die abrüstungspolitischen Fehlleistungen Ihres Kanzlerkandidaten und seines Regierungsprogramms ab, bevor Sie dem Westen weitere Ratschläge geben, wie man mit der Sowjetunion Abrüstungsverhandlungen führen soll.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Die internationale Abrüstungspolitik befindet sich seit einigen Wochen in extremer Bewegung. Diese Bewegung ist durch Reykjavik nicht abgebremst, sondern im Gegenteil beschleunigt worden. Beide Seiten, insbesondere aber die USA, haben massive, teilweise bis an den äußersten Rand des sicherheitspolitisch Vertretbaren gehende Zugeständnisse gemacht. Diese Zugeständnisse liegen weiter auf dem Tisch. Reykjavik war ein Zwischengipfel. Die Tür zum Hauptgipfel wird von beiden Seiten bewußt offengelassen.
Die einzigen, die in den letzten Tagen mit Katastrophenmeldungen immer wieder versucht haben, diese Tür zuzuschlagen, waren Sie, die Sozialdemokraten.

(Beifall bei der CDU/CSU — Hornung [CDU/CSU]: Grün und rot!)

Man muß manchmal leider den fatalen Eindruck gewinnen, als wolle die SPD unter allen Umständen vor der Bundestagswahl ein Abrüstungsabkommen verhindern, um den deutschen Wahlkampf zu einem SDI-Wahlkampf zu machen.

(Klein [München] [CDU/CSU]: Genauso ist es!)

Die SPD ordnet ihre Abrüstungspolitik hiermit erneut wahltaktischen Gesichtspunkten unter, und das ist unverantwortlich.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Es war im übrigen das SDI-Ultimatum der Sowjetunion und nicht das Verhalten der USA, das endgültige Abrüstungsvereinbarungen schon in Reykjavik verhindert hat. Die Sowjetunion wird daher auch in der SDI-Frage ihre Alles-oder-nichtsPosition aufgeben müssen, wenn sie wirklich Abrüstung bei unverminderter Sicherheit beider Seiten, auch Westeuropas, auch unseres Landes, will. Schließlich ist die Sowjetunion der einzige Staat der Welt mit einem funktionierenden Raketenabwehrsystem, das sie darüber hinaus fortlaufend modernisiert.
Die Sowjetunion hat mit ihrem SDI-Ultimatum in Reykjavik versucht, einen Keil in den Westen zu treiben und durch öffentlichen Druck die sowjetische Verhandlungsposition für den Hauptgipfel in Washington zu verbessern. Wir sind Präsident Reagan dankbar, daß er in dieser Situation kühlen Kopf bewahrt hat, vor dem Ultimatum der Sowjetunion nicht zurückgewichen ist und sich nicht über den Tisch ziehen ließ.

(Beifall bei der CDU/CSU — Dr. Vogel [SPD]: „Ultimatum": Was ist denn das für eine Sprache? — Gegenruf des Abg. Klein [München] [CDU/CSU]: Eine klare, Herr Kollege Vogel!)

Reagan hat in diesem Ringen um internationale Abrüstung seinen wichtigsten Trumpf,

(Dr. Vogel [SPD]: Kriegssprache ist das! Da stellt man Ultimaten!)

das SDI-Forschungsprogramm, nicht aus der Hand gegeben. Das war richtig so, denn es erhöht die Chance nicht nur am Verhandlungstisch, sondern auch in der Praxis, ausgewogene und überprüfbare Abrüstung zu erreichen.
Meine Damen und Herren, ich bin überzeugt davon, daß wir in der Abrüstungspolitik vor historischen Durchbrüchen stehen. Ich hoffe, daß diese abrüstungspolitischen Durchbrüche auch die Sicherheit unseres Landes erhöhen werden und daß wir einen Krieg zwischen Ost und West für alle Zeiten unmöglich machen werden.
Die Festigkeit der amerikanischen und der deutschen Regierung gegenüber der Sowjetunion hat in der Abrüstungspolitik in vier Jahren mehr erreicht als die 13 Jahre sozialdemokratischer Nachgiebigkeit.

(Beifall bei der CDU/CSU — Zurufe von der SPD)

Schon deshalb werden wir in der Abrüstungspolitik den Weg der Festigkeit und Geschlossenheit des Atlantischen Bündnisses weitergehen. Dies ist der einzige Weg,

(Frau Borgmann [GRÜNE]: Ins Unglück!)

der nicht nur Frieden und Abrüstung, sondern auch Sicherheit und Freiheit garantiert. Beides müssen wir erstreben.

(Beifall bei der CDU/CSU)


Dr. Philipp Jenninger (CDU):
Rede ID: ID1023802400
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Soell.

Dr. Hartmut Soell (SPD):
Rede ID: ID1023802500
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wie aufgesetzt und künstlich der hier von seiten der Regierungsparteien zur Schau getragene Optimismus ist, wird deutlich, wenn Sie diese Äußerungen mit dem konfrontieren, was der Bundespräsident in Ungarn ge-



Dr. Soell
sagt hat. Er hat davon gesprochen, er sei über den Ausgang von Reykjavik tief enttäuscht.

(Dr. Vogel [SPD]: Auch ein „Miesmacher"! — Klein [München] [CDU/CSU]: Herr Soell, strapazieren Sie den Bundespräsidenten nicht pausenlos! — Gegenruf des Abg. Dr. Vogel [SPD]: Das paßt dem Jonny nicht! — Gegenruf des Abg. Klein [München] [CDU/CSU]: Das paßt mir wirklich nicht!)

— Auch wenn Ihnen dies nicht paßt: Der Außenminister Shultz hat am Abend des Treffens von Reykjavik gesagt, die Konferenz sei „gescheitert". Dieser Abend war der Augenblick der Wahrheit, was immer sonst noch weginterpretiert worden ist.

(Dr. Czaja [CDU/CSU]: Zitieren Sie!)

Jedenfalls wurde auf drastische Weise deutlich, wie gering der europäische Einfluß auf die Entscheidung der Supermächte gewesen ist und insbesondere wie gering der Einfluß der Bundesrepublik auf die Vereinigten Staaten trotz des pompös aufgemachten Schreibens des Bundeskanzlers vor dem Gipfel an den amerikanischen Präsidenten gewesen ist.

(Klein [München] [CDU/CSU]: Herr Soell, Sie wissen es besser!)

Wenn selbst der konservative „Daily Telegraph" schreibt: „Für die westeuropäischen Regierungen wäre es töricht, den Hauch von Neoisolationismus zu ignorieren, der in der amerikanischen Position in Reykjavik deutlich wurde", dann zeigt dies, daß sich der Fundamentalismus der Reagan-Administration in Sachen SDI in eine Sackgasse verrannt hat.
Diese Bundesregierung und die sie tragenden Parteien schauen noch stumm zu oder versuchen, der SPD die Schelle des Antiamerikanismus anzuhängen, obwohl sie selbst eigene zentrale rüstungskontrollpolitische Positionen sang- und klanglos beerdigt haben. Hat nicht der Bundeskanzler wiederholt erklärt, SDI müsse durch erfolgreiche Abrüstungsverhandlungen überflüssig gemacht werden?
Herr Bundesaußenminister, Sie lassen sich jetzt in aufweichende Formulierungen ein: Es hänge von den Fortschritten bei der Reduzierung von Angriffswaffen ab. Hier begeben Sie sich auf ein Feld der Destabilisierung, und zwar in einem Augenblick, in dem sich die Sowjetunion in die Philosophie der gegenseitigen Verwundbarkeit einläßt. Das ist ein ganz wichtiger Schritt, und da versuchen Sie, die Positionen, die bisher von uns bezogen worden sind, aufzuweichen. Teilnahmslos sehen Sie der Selbstzerstörung westlicher, auch amerikanischer Positionen zu.
Wenn Sie uns das nicht abnehmen

(Klein [München] [CDU/CSU]: Euch wirklich nicht!)

und uns mit herzergreifender Schlichtheit und Ignoranz auch noch als moskauhörig bezeichnen,
glauben Sie vielleicht eher dem amerikanischen Senator Sam Nunn — er ist sicherlich nicht antiamerikanisch und moskauhörig —,

(Zuruf von der CDU/CSU: Sicher!)

der deutlich gemacht hat, daß es der amerikanische Präsident ist, der seine Position verändert hat;

(Dr. Vogel [SPD]: Der Antiamerikaner Sam Nunn. Lächerlich!)

denn er habe SDI zur Priorität selbst auf Kosten der Chance tiefer Einschnitte in das sowjetische Offensivarsenal gemacht.
Andere Kongreßmitglieder haben ihrer Enttäuschung auf viel drastischere Weise Ausdruck gegeben. Der demokratische Senator Claiborne Pell sprach von einem „traurigen Tag für die Menschheit". Nicht nur die SPD, auch Claiborne Pell. Ich zitiere weiter: „Wir haben einen Vogel in der Hand — den Abbau strategischer Offensivwaffen —

(Klein [München] [CDU/CSU]: Den Vogel hatten wir schon einmal!)

für zwei im Gebüsch, nämlich SDI, aufgegeben."

(Dr. Dregger [CDU/CSU]: Vögel habt ihr genug!)

Der Kongreßabgeordnete Edward Markey warf dem Präsidenten vor, er habe „die Gelegenheit verpaßt, den Sternenkrieg gegen das beste Geschäft einzutauschen, das uns die Russen seit dem Verkauf von Alaska angeboten haben".

(Klein [München] [CDU/CSU]: Die gleiche Rede wie Ehmke! — Frau Borgmann [GRÜNE]: Das ist auch so!)

Die einzigen Gewinner von Reykjavik sind die harte Rechte in den USA und in der Bundesrepublik mit ihren absolutistischen Feindbildern sowie die Betonköpfe, Bürokraten und Militärs in Moskau, denen die ganze neue Richtung nicht paßt.
Jetzt sage ich Ihnen einmal etwas, die Sie ja immer meinen, SDI und Nachrüstung seien das bewegende Moment gewesen. Erstens stimmt das zeitlich nicht: SDI März 1983, das Weggehen vom Konferenztisch November 1983. Zweitens füge ich hinzu, daß Sie der neuen Mannschaft in Moskau auch zubilligen müssen, daß sie erst einmal eine Eröffnungsbilanz auf Grund der Erfahrungen ihrer Generation macht. Es ist typisch: Wenn man Konservative fragt, ob sie sich in die Rolle etwa des sowjetischen Generalsekretärs oder des sowjetischen Verteidigungsministers versetzt sehen möchten, heben sie die Hände. Wenn also eine neue sowjetische Mannschaft versucht, sich eine neue Wahrnehmung der Welt zu verschaffen, und zu anderen Schlüssen kommt, wird das von Ihnen attakkiert und als etwas Unglaubwürdiges hingestellt.

Dr. Philipp Jenninger (CDU):
Rede ID: ID1023802600
Herr Abgeordneter, Ihre Redezeit ist abgelaufen. Bitte kommen Sie zum Schluß.

Dr. Hartmut Soell (SPD):
Rede ID: ID1023802700
Sie sollten die Chance nutzen, die darin besteht, daß die sowjetische Regierung eine neue Einschätzung vorgenommen hat. Ich kann nur bedauern, daß die Europäer weder vor dem Gipfel



Dr. Soell
noch jetzt nach dem Gipfel dafür sorgen, daß die Bedeutung, die in diesen Abrüstungsverhandlungen liegt — auch im europäischen Interesse —, wahrgenommen wird. Zu Milchpreisen, zur Weinmarktordnung, zur Reinheit des Bieres gibt es wohlfeile europäische Gipfel.

Dr. Philipp Jenninger (CDU):
Rede ID: ID1023802800
Herr Abgeordneter, bitte kommen Sie zum Schluß; sonst muß ich Ihnen das Wort entziehen.

Dr. Hartmut Soell (SPD):
Rede ID: ID1023802900
Zum Gipfel in Reykjavik hat es jedenfalls vorher und auch nachher keine Anstrengung gegeben.

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der GRÜNEN)


Dr. Philipp Jenninger (CDU):
Rede ID: ID1023803000
Das Wort hat der Abgeordnete Berger.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1023803100
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Reykjavik war ein Rückschritt, aber kein Fehlschlag.

(Zuruf von der SPD: Aha!)

Reykj avik, Herr Dr. Vogel, war ein Rückschritt der Sowjetunion hinter ihre Positionen vom November 1985. Das bedauern wir. Aber Reykjavik war kein Fehlschlag.
Herr Professor Soell, Reykjavik wäre nicht zustande gekommen ohne SDI und ohne die Nachrüstung.

(Dr. Schierholz [GRÜNE]: Erzählen Sie mal etwas Neues!)

Zwei Dinge, zu denen Sie nein gesagt haben.

(Frau Borgmann [GRÜNE]: SDI hat auch verhindert, daß man zu Ergebnissen gekommen ist!)

In der Endphase der Ära Schmidt hörten wir im Deutschen Bundestag immer, es komme darauf an, daß man miteinander rede;

(Dr. Vogel [SPD]: Aha!) denn solange werde nicht geschossen.


(Dr. Vogel [SPD]: Richtig!)

Nun hat man miteinander geredet, und zwar länger und intensiver als man es bei einem Vorgipfel überhaupt vermutet hätte. Es wurden wesentliche sachliche Annäherungen erzielt, etwa — das ist hier dargestellt worden — im Hinblick auf die Mittelstrekkenwaffen, z. B. auch im Hinblick auf die Notwendigkeit der Verifizierung, der Kontrolle vor Ort, der Kontrolle der tätsächlichen Beseitigung der Waffen, Fortschritte auch etwa im Hinblick auf die Halbierung der Zahl der strategischen Systeme.
Wenn aber der sowjetische Generalsekretär anschließend ein sachlich unbegründetes Junktim zur SDI-Forschung hergestellt und damit eine Vereinbarung in Reykjavik noch blockiert hat,

(Zuruf des Abg. Lange [GRÜNE])

dann beweist dies, Herr Kollege Lange, zweierlei:

(Frau Borgmann [GRÜNE]: SDI das ist der springende Punkt!)

Es beweist erstens seine immer noch nicht realistische Einschätzung der amerikanischen Position. Oder Sie vermuten vielleicht das Gegenteil; dann aber hätte Gorbatschow die Blockade in Reykjavik bewußt herbeigeführt.
Zweitens beweist dies, daß diese Blockade nicht dem amerikanischen Präsidenten anzulasten ist. Genau das aber versucht die SPD zu tun, auf dem Verlobungspfad in trauter Umarmung mit den GRÜNEN, auch heute morgen wieder.
Die SPD hat dazu nicht das geringste Recht und auch keinen Grund. Wieder einmal, Frau Fuchs, übernehmen Sie eilfertig die Propagandapositionen Moskaus.

(Widerspruch bei der SPD — Zurufe von den GRÜNEN)

Während der amerikanische Präsident in Reykjavik über die teilweise oder gänzliche Beseitigung der Mittelstreckenwaffen in Europa verhandelte, wanderten führende Sozialdemokraten Arm in Arm mit der DKP und den GRÜNEN nach Hasselbach an den Bauzaun.

(Klein [München] [CDU/CSU]: Jawohl, und der Vogel hat das in seiner Presseerklärung noch gerühmt!)

Dort demonstrierten sie gegen jene Marschflugkörper, die Helmut Schmidt und die SPD einst im Bündnis gefordert hatten.

(Zustimmung des Abg. Dr. Schierholz [GRÜNE])

Ob wohl Gorbatschow deswegen in Reykjavik nicht — um es salopp zu formulieren — zu Stuhle gekommen ist? Meine Damen und Herren, er wäre schlecht beraten, weiter seine Hoffnungen auf die deutschen Sozialisten zu setzen. Wir hoffen, er ist Realist genug, die Geschlossenheit des ganzen Bündnisses, wie sie am Montag nach Reykjavik in Brüssel sichtbar geworden ist, nicht zu verkennen.
Wir wissen: Wenn wir fest bleiben, wenn sich der Westen durch die Propaganda Moskaus trotz des Resonanzbodens, den sie in unseren Medien findet, nicht beirren läßt

(Dr. Vogel [SPD]: Zum Beispiel die „New York Times"!)

und weiter geschlossen handelt,

(Dr. Vogel [SPD]: Zum Beispiel die „Washington Post"!)

werden wir zur partiellen Abrüstung kommen. Dies muß und wird Schritt für Schritt geschehen, und zwar, Herr Dr. Vogel, unter Wahrung unserer Sicherheit, unter Wahrung der gemeinsamen Sicherheit, denn solche Abrüstung liegt im Interesse beider Seiten.
Lassen Sie mich zum Schluß eine Passage aus einem Leitartikel eines sehr klugen Beobachters in Reykjavik zitieren, der in der „Rheinpfalz" geschrieben hat:



Berger
Er
— Gorbatschow —
hat in Reykjavik die seit langem gültige These bestätigt, daß gemeinsame Sicherheit mit der Sowjetunion nur erreicht werden kann, wenn sie es ist, welche die Bedingungen dieser Sicherheit definiert, daß ihre Belange im Vordergrund stehen und daß sie die Macht ist, welche die europäische Sicherheit bestimmt.
So Lothar Richter in der „Rheinpfalz" vom 15. Oktober.
Meine Damen und Herren von der SPD, Sie sind leider bereit, der Sowjetunion auf diesem Weg zu folgen. Wir nicht! Wir wissen, wir werden Sicherheit, Freiheit und Frieden nur mit dem Bündnis und nur mit den Vereinigten Staaten von Amerika haben.

(Beifall bei der CDU/CSU — Frau Borgmann [GRÜNE]: Wir werden es sehen!)


Dr. Philipp Jenninger (CDU):
Rede ID: ID1023803200
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Petersen.

Peter Petersen (CDU):
Rede ID: ID1023803300
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte gern, Herr Professor Soell, auf einen Punkt eingehen, der mir in Ihrem Beitrag wichtig zu sein schien. Sie forderten uns auf, uns in die Rolle von Herrn Gorbatschow hineinzuversetzen, und warfen uns vor, daß wir das zu wenig tun. Ich möchte das einmal für einen Augenblick probieren.
Wir sind uns doch wohl darüber einig, daß Herr Gorbatschow Kommunist ist. Damit beleidige ich ihn nicht. Ich würde ihn eher beleidigen, wenn ich sagen würde, er sei kein Kommunist oder ein schlechter Kommunist.
Auch sind wir uns doch wohl darüber klar, daß Kommunisten eine andere Wertskala haben. Betrug und Folter und Mauern und Stacheldraht und dergleichen

(Zuruf von der CDU/CSU: Und Krieg!)

gehören institutionell zur Philosophie des Kommunismus.

(Unruhe bei der SPD und den GRÜNEN)

— Moment! Das hat gar nichts mit Antikommunismus zu tun.

(Frau Borgmann [GRÜNE]: Was Sie da betreiben, ist Rassenideologie, wissen Sie das?)

— Gnädige Frau, Entschuldigung. Ein anständiger Mensch, so scheint mir, muß gegen diese Art des Kommunismus sein.

(Frau Borgmann [GRÜNE]: Ich kenne diese Art der Politik auch im Westen! — Weitere Zurufe von den GRÜNEN)

Wir haben den semantischen Krieg da schon verloren, — —

(Anhaltende Zurufe der Abg. Frau Borgmann [GRÜNE] und weiterer Abgeordneter der GRÜNEN)


Dr. Philipp Jenninger (CDU):
Rede ID: ID1023803400
Bitte sehr, Frau Kollegin, keine Dialoge hier!

Peter Petersen (CDU):
Rede ID: ID1023803500
Wir haben den semantischen Krieg schon verloren, weil Antikommunismus heute ein Schimpfwort geworden ist. Ich gestehe offen, daß ich gegen den Kommunismus bin und daß ich für Gespräche mit diesen Leuten bin, ohne zu vergessen, daß sie andere Ziele und andere Werte verfolgen als wir.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Ich habe das noch einmal nachgelesen: Ich erinnere mich an die Begegnung zwischen Chruschtschow und Kennedy. Das war im Juni 1961. Damals war Chruschtschow in der westlichen Welt ungeheuer populär. Wie Gorbatschow war er ein Meister auf dem Klavier der öffentlichen Meinung der freien Welt. Öffentliche Meinung spielt ja nur bei uns eine Rolle. Im Osten fängt es langsam an, eine Rolle zu spielen.

(Dr. Soell [SPD]: Immerhin eine Veränderung! — Weitere Zurufe von der SPD)

— Immerhin; natürlich. Das anerkenne ich ja auch. Jawohl, da sind Veränderungen.
Chruschtschow war ungeheuer populär und spielte auf diesem Klavier, traf dann acht Wochen nach der Katastrophe in der Schweinebucht mit Kennedy zusammen und zog ihn über den Tisch — das wissen wir heute —: Acht Wochen später wurde die Mauer gebaut. Ein Jahr später war die KubaKrise; da zeigte es sich, daß Chruschtschow Kennedy doch wohl unterschätzt hatte.
Jetzt kommt also Gorbatschow nach Reykjavik und sagt: Ich bin ein relativ junger Mann und da ist ein alter Mann. Wenn ich den neun Stunden lang habe, ist das gut. Zwischendurch — Sie erinnern sich an Larry Speakes, den Sprecher des Weißen Hauses, der immer wieder darüber irritiert war, daß die östliche Seite die vereinbarte Nachrichtensperre durchbrach — wurde eine ungeheure Hoffnung aufgebaut. Diese ungeheure Hoffnung hat natürlich einen Meinungsdruck auf den Präsidenten ausgeübt. Kein Mensch von uns hat doch vor Reykjavik geglaubt, daß man überhaupt konkret über Zahlen würde reden können. Plötzlich sah es so aus, als ob nicht ein Durchbruch, sondern eine Revolution in der Abrüstungsphilosophie festgeschrieben und vertraglich vereinbart werden könnte. Das war doch unrealistisch. Aber dieser Meinungsdruck lastete natürlich auf dem amerikanischen Präsidenten.

(Hornung [CDU/CSU]: Und die SPD ist darauf reingefallen!)

Er wurde nicht mürbe; dafür bin ich ihm als Deutscher dankbar.

(Zuruf des Abg. Dr. Soell [SPD])

— Nein, entschuldigen Sie, Herr Soell, dieser Druck lastete nicht auf Gorbatschow, denn er brauchte zu Hause keine Rücksicht zu nehmen auf Presse und Rundfunk.

(Dr. Soell [SPD]: Von ihm ging die Initiative aus!)




Petersen
Ich habe noch eine Minute. Deshalb möchte ich gerne sagen:

(Voigt [Frankfurt] [SPD]: Das ist schon Kaffeesatzlesen, was Sie da machen! Stammtischanekdoten!)

Wir reden viel über Raketen. Das ist wichtig. Es ist wichtig, über Raketen zu reden, es ist aber noch wichtiger, nicht zu vergessen, daß Raketen im Grunde genommen Symptome sind und daß die eigentlichen Fragen jetzt auch in Wien drankommen,

(Hornung [CDU/CSU]: Ganz richtig!)

wo es um Menschenrechte, um Freiheit, um Selbstbestimmung geht. Da müssen wir alles einbringen, was wir können.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Dr. Philipp Jenninger (CDU):
Rede ID: ID1023803600
Meine Damen und Herren, die Aktuelle Stunde ist beendet.

(Die Abgeordneten erheben sich)

Meine Damen und Herren, am vergangenen Freitag, dem 10. Oktober, ist der Abteilungsleiter im Auswärtigen Amt, Gerold von Braunmühl, einem heimtückischen und brutalen Attentat zum Opfer gefallen.
Dieser erneute Anschlag von Terroristen ist überall in unserem Land mit Entsetzen und Fassungslosigkeit aufgenommen worden.
Gerold von Braunmühl hat in wichtigen Funktionen mit hoher Verantwortung und dem ganzen Einsatz seiner Person für das Wohl unseres Staates gearbeitet. Wir verurteilen diesen verbrecherischen Gewaltakt, der zugleich gegen unsere freiheitliche Demokratie gerichtet ist. Wir alle — besonders die Mitglieder dieses Hauses — haben die Aufgabe, durch gemeinsames Handeln Gewalt und Terror zu bekämpfen und das Leben unserer Bürger in Frieden und Freiheit zu schützen.
Der Deutsche Bundestag gedenkt des Toten in Ehrerbietung und Trauer. Seiner Frau und seinen drei Kindern gilt unser aller Mitgefühl.
Meine Damen und Herren, mit Erschütterung vernahmen wir die Nachricht über die schwere Erdbebenkatastrophe, die weite Teile des mittelamerikanischen Staates El Salvador, vor allem aber die Hauptstadt San Salvador, am vergangenen Freitag heimgesucht hat. Eine große, bis heute noch nicht feststehende Zahl von Todesopfern ist zu beklagen. Zahllose Menschen wurden verletzt oder obdachlos. Daneben hat das Erdbeben auch schwere materielle Schäden angerichtet.
Hilfsorganisationen aus aller Welt haben dazu aufgerufen, durch Spenden die Not zu lindern. Sie benötigen und sie verdienen unsere Unterstützung.
Der Deutsche Bundestag spricht der Regierung und der Bevölkerung El Salvadors seine tief empfundene Anteilnahme aus. Unser Mitgefühl gilt den Hinterbliebenen, den Verletzten und den Obdachlosen.
Meine Damen und Herren, Sie haben sich zu Ehren der Opfer dieser Naturkatastrophe in Mittelamerika und zu Ehren des Opfers einer verblendeten Gewalttätigkeit in unserem Land — mitten unter uns, hier in Bonn — von Ihren Plätzen erhoben. Ich danke Ihnen.
Verehrte Kolleginnen und Kollegen, das heutige Datum gibt uns aber auch Anlaß, eines herausragenden Staatsmannes unseres Jahrhunderts zu gedenken. Heute vor einhundert Jahren, am 16. Oktober 1886, wurde David Ben Gurion geboren.
Es war Ben Gurion, der mit einer Proklamation am 15. April 1948 den Staat Israel ins Leben rief und der in schwersten Jahren des Ringens um seine Existenz und die Sicherung seiner Lebensgrundlagen an der Spitze dieses Staates gestanden hat. Seiner Staatskunst ist es zu verdanken, daß der junge Staat Israel rasch internationale Anerkennung fand und eine Aufbauleistung vollbrachte, die in der ganzen Welt bewundert wurde. Ben Gurion galt durch sein persönliches Vorbild und sein Handeln als ein Garant und Wegbereiter einer freiheitlichen und stabilen Entwicklung seines Landes.
Für uns Deutsche verbindet sich mit seinem Namen die Erinnerung an die Zeit des Neubeginns der Beziehungen zwischen unseren Völkern. Ben Gurion hat es ermöglicht, daß über die Abgründe der Vergangenheit zwischen Israel und der Bundesrepublik Deutschland ein Brückenschlag gewagt werden konnte. Wir gedenken seiner in Dankbarkeit. Er lebt in unserem Volke fort als ein Symbol für neues Vertrauen in die Lebenskraft des Guten, der Freiheit, der Menschenwürde und Gerechtigkeit in unserem Volk. Ben Gurion war nicht nur ein bedeutender Staatsmann; er war kraft seiner Persönlichkeit und Leistung einer der Großen unserer Zeit.

(Beifall bei allen Fraktionen)

Meine Damen und Herren, bevor wir in der Tagesordnung fortfahren, noch einige Mitteilungen:
Einer Bitte des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten folgend wird interfraktionell vorgeschlagen, in Abänderung der Überweisung in der 225. Sitzung des Deutschen Bundestages den Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN betreffend „Notprogramm zur Schutzwaldsanierung der Alpenregion" — Drucksache 10/2866 (neu) — zur federführenden Beratung dem Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten und zur Mitberatung dem Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit zu überweisen.
Darüber hinaus wird interfraktionell vorgeschlagen, dem Wunsch des Ausschusses für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau zu entsprechen, der um die Mitberatung beim Entwurf eines Zweiten Vermögensbeteiligungsgesetzes — Drucksache 10/5981 — gebeten hat.
Sind Sie mit der Änderung bzw. der nachträglichen Überweisung einverstanden? — Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Interfraktionell ist vereinbart worden, die verbundene Tagesordnung um den Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN „Eingliederung der Übersiedler/ innen aus der DDR in die Bundesrepublik Deutschland" — Drucksache 10/6169 — zu erweitern, der



Präsident Dr. Jenninger
zusammen mit Punkt 16 der Tagesordnung in verbundener Aussprache aufgerufen werden soll. Sind Sie mit der Erweiterung der Tagesordnung einverstanden? — Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist auch dies so beschlossen.
Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 2 auf:
Abgabe einer Erklärung der Bundesregierung
zur Jahrestagung 1986 des internationalen Währungsfonds und der Weltbank in Washington
Hierzu liegen ein Entschließungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 10/6159 und ein Entschließungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 10/6170 vor.
Meine Damen und Herren, nach einer Vereinbarung im Ältestenrat sind für die Aussprache zur Regierungserklärung zwei Stunden vorgesehen. — Ich sehe keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich erteile das Wort dem Herrn Bundesminister der Finanzen.

Dr. Gerhard Stoltenberg (CDU):
Rede ID: ID1023803700
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Jahresversammlung des Internationalen Währungsfonds und der Weltbank vom 30. September bis 2. Oktober 1986 in Washington war erneut ein Forum zur vertieften Diskussion der Lage der Weltwirtschaft, besser abgestimmter Politik und der künftigen Aufgaben beider Institutionen. Sie stand unter dem Vorzeichen eines anhaltenden, aber zeitweise abgeschwächten wirtschaftlichen Wachstums, tiefgreifender Veränderungen durch die starke Ölpreissenkung und Preisrückgänge auch bei anderen Rohstoffen, erheblicher Ungleichgewichte in den Handels- und Leistungsbilanzen, aber auch eines beträchtlichen Rückgangs der Inflationsraten und — gemessen an der Situation in der ersten Hälfte der 80er Jahre — der Zinssätze.
Einmal ging es — insbesondere in den vorbereitenden Gesprächen in verschiedenen Gruppen der Industrieländer und Entwicklungsländer — um eine abgestimmte Analyse der weltwirtschaftlichen Aussichten und Erfordernisse, um eine möglichst weitgehende Koordinierung politischer Planungen, hier vor allem zwischen den großen Industrienationen.
Die zweite Hauptaufgabe war der Dialog mit den teilweise hochverschuldeten Schwellen- und Entwicklungsländern, bessere Bedingungen für sie zu schaffen, ihre Belastungen und ihre Anpassungsprobleme zu bewältigen.
Im Vorfeld der Konferenz war vor allem aus den Vereinigten Staaten von Amerika die Erwartung geäußert worden, die Geld- und Zinspolitik bei uns und auch in einzelnen anderen Industrieländern solle noch stärkere Wachstumsimpulse fördern. Wir haben mit guten Argumenten und den jüngsten positiven Wirtschaftsdaten darauf hingewiesen, daß der Aufschwung in der Bundesrepublik Deutschland nach einer verhaltenen Entwicklung im ersten
Quartal 1986 im weiteren Jahresverlauf an Dynamik und Breite zugenommen hat und unser Beitrag zur Weltwirtschaft immer stärker wird.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Vor allem die kräftige Belebung unserer Binnennachfrage hat gute Voraussetzungen für eine Zurückführung unseres nominal tatsächlich überhöhten Leistungsbilanzüberschusses geschaffen. Unsere Importe sind im Jahresverlauf bisher in realen Größen um 7 % gestiegen, während der Export, vor allem aufgrund der starken Aufwertung der Deutschen Mark — nicht nur gegenüber dem Dollar, sondern in gewissem Umfang ja auch gegenüber anderen wichtigen Währungen —, mit einer geringeren Rate von etwa 2 % real zunimmt. Wir müssen hier, meine Damen und Herren, von den realen Größen sprechen, weil der starke Rückgang der Preise für 01, also ein Importgut von großer Bedeutung, die nominalen Zahlen natürlich vorübergehend beeinflußt. Aber das ist, wie wir alle wissen, ein kurzfristiger Vorgang, der 1987/88 bereits nicht mehr in die Rechnung eingesetzt werden kann. — Damit leisten wir einen wichtigen Beitrag zu besseren Absatzmöglichkeiten der Länder der Dritten und Vierten Welt, aber auch für jene Industrieländer, die hohe Fehlbeträge in ihren Handelsbilanzen haben.
Meine Damen und Herren, in Washington — ich sage das auch in bezug auf einige Sätze des Entschließungsantrages der Fraktion der SPD — stand, was unsere Partner betrifft, vor allem die Amerikaner, die Politik der Bundesbank stärker im Mittelpunkt als die Fiskalpolitik der Bundesregierung.
Die Geld- und Kreditpolitik der Bundesbank ist zur Zeit expansiver, als weithin in der internationalen Diskussion unterstellt wird und — das muß ich nach Ihrem Antrag jetzt sagen — als auch von der Sozialdemokratischen Partei unterstellt wird. Die sogenannten monetären Aggregate, also Geldmengenzuwachs, Wachstum der verschiedenen Indikatoren, von M 1 bis M 3, wachsen bei uns mit hohen Zuwachsraten in einer Bandbreite von 7 bis fast 10%, die gegenwärtig deutlich über dem vom Zentralbankrat festgelegten Korridor für 1986 liegt. Das führt natürlich in der Bundesbank zu manchen kritischen Reflexionen. Ich glaube, daß angesichts der Höherbewertung der Deutschen Mark gegenüber den meisten anderen Währungen dieses expansive Wachstum der Geldmenge zur Zeit stabilitätspolitisch unbedenklich ist; aber natürlich ist es ein gewichtiger Grund dafür, daß die Bundesbank jetzt nicht die Möglichkeit zu einer weiteren Senkung der Leitzinsen sieht.
Den entscheidenden Beitrag zum Abbau der Handels- und Leistungsbilanzfehlbeträge müssen die davon betroffenen Industrieländer selbst leisten. In den Vereinigten Staaten von Amerika geht es vor allem um weiterreichende Entscheidungen zur stärkeren Rückführung ihrer Nettokreditaufnahme und um die Stärkung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit wesentlicher Teile ihrer Industrie. Ich spreche von weiterreichenden Entscheidungen. Es wäre falsch, zu behaupten, daß in der jüngsten Zeit Kongreß und Administration nichts getan hätten in Verbindung mit der Verringerung



Bundesminister Dr. Stoltenberg
des Haushaltsdefizits. Aber ich teile eine in den USA vorherrschende Meinung, daß die bisherigen Beschlüsse nicht ausreichen, daß sie kontinuierlich fortgesetzt werden müssen, auch schon im Blick auf das Jahr 1988.
Ein weiterer Rückgang des Dollar-Kurses kann in den Vereinigten Staaten Inflationserwartungen wecken und wieder zu höheren Zinsen führen. Dies würde vor allem die hochverschuldeten Schwellenländer treffen. Der Präsident der amerikanischen Notenbank, Paul Volcker, hat unmittelbar vor den Gesprächen, die wir dort führten, auf diese Zusammenhänge in einer Stellungnahme vor dem zuständigen Parlamentsausschuß hingewiesen, und mit dieser Stellungnahme und dieser Analyse können wir als Bundesregierung voll übereinstimmen.
Es gibt allerdings auch keinen Grund zu besonderem Pessimismus im Hinblick auf den Konjunkturverlauf in den Vereinigten Staaten von Amerika. Die meisten Prognosen erwarten für 1987 ein verlangsamtes, aber doch anhaltendes Wirtschaftswachstum für diese wichtigste Nation der westlichen Welt. In Japan, dem weitaus größten Überschußland, ist eine noch konsequentere Politik zur Öffnung der Märkte dringend geboten.
Meine Damen und Herren, die recht positive Entwicklung unserer eigenen Volkswirtschaft und die etwas schwierigeren, aber keineswegs negativen Trends bei einigen westlichen Partnern rechtfertigen, den langfristig angelegten vertrauensbildenden Kurs unserer Finanz- und Wirtschaftspolitik weiterzuführen. Ich sage das im klaren Gegensatz zu den Formulierungen des Antrags der SPD; er trifft nicht die Situation. Ich habe heute morgen, meine Damen und Herren der Opposition, mit großem Interesse den Jahreswirtschaftsbericht der EG-Kommission gelesen.

(Roth [SPD]: Darin steht: Mehr öffentliche Investitionen in Deutschland!)

— Ich werde Ihnen schon die entscheidenden Sätze vorlesen. Suchen Sie sich nicht einen aus! Sie müssen schon den Gesamtzusammenhang und die Leitsätze dieses Jahreswirtschaftsberichts zur Kenntnis nehmen.
Dieser Jahreswirtschaftsbericht der EG-Kommission, der jetzt in die Beratungen geht, ist vorgestellt von dem uns allen auch aus seiner Tätigkeit in der Bundesrepublik Deutschland gut bekannten Kommissar Alois Pfeifer. Alois Pfeifer hat in diesem Bericht festgestellt — ich zitiere das einmal —: „Eine Weiterführung der Hauptlinien ihrer insgesamt erfolgreichen Wirtschafts-, Haushalts- und Geldpolitik bei gleichzeitiger Einstellung auf mögliche Reaktionen, wenn weltwirtschaftliche Bedingungen sich verändern", ist das Konzept, das er der Bundesrepublik Deutschland empfiehlt.

(Roth [SPD]: Eben!)

— Wenn Sie sagen „eben", Herr Kollege Roth, fasse ich das als eine für mich sehr befriedigende Zustimmung zu der Feststellung auf, daß diese Politik, die Geldpolitik, die Finanzpolitik, die Wirtschaftspolitik
erfolgreich sind und weitergeführt werden sollten. Ich bedanke mich für die Zustimmung.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Dann gibt es zweifellos eine Reihe von Hinweisen, die wir sehr ernsthaft prüfen werden, vor allem auch die Auffassung, daß wir, sollten einmal internationale Probleme entstehen, reaktionsfähig sein müssen. Der Meinung bin ich auch, wenn wir einmal die Wegstrecken bis Ende der 80er Jahre erwägen. Aber, Herr Kollege Roth, wir können, falls dies einmal in Zukunft erforderlich ist, zur Stützung von Wirtschaft und Beschäftigung nur reaktionsfähig sein, weil wir zunächst einmal die Finanzen wieder in Ordnung gebracht haben.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Deshalb gibt es keinen Grund — das wird auch durch diesen Jahreswirtschaftsbericht der EG- Kommission unterstrichen —, in einer Zeit, in der die Wirtschaftsdaten der Bundesrepublik Deutschland positiv sind, die gerade wieder etwas gebildeten Reserven für mehr Expansion aufzubrauchen, Mittel, die uns vielleicht in drei oder fünf Jahren einmal bitter fehlen könnten.
Gerade im Hinblick auf die vielfältigen weltwirtschaftlichen Probleme und manche Verwerfungen ist es wichtig, durch bessere steuerliche Rahmenbedingungen für hohe private Investitionen und neue Arbeitsplätze, durch deutliche Begrenzung der Kreditaufnahme, ferner durch niedrige Zinsen und Preissteigerungsraten die Binnennachfrage zu kräftigen. Wir können im Gegensatz zu dem Zweckpessimismus mancher Äußerungen aus der SPD mit Zuversicht in das Jahr 1987 gehen, weil wir die Erneuerungs- und Wettbewerbsfähigkeit unserer Volkswirtschaft gestärkt haben. Dieses Ziel bleibt übrigens — das müssen wir uns auch in den Reihen der Regierungsparteien immer wieder klarmachen — in der Haushalts-, Steuer- und Wirtschaftspolitik der kommenden Jahre vorrangig. Wir haben in der Festigung der Wettbewerbsfähigkeit unserer Volkswirtschaft, in der Fortsetzung einer positiven Beschäftigungssituation, in der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit noch viel zu tun,

(Hornung [CDU/CSU]: Die Erblast war ja auch groß!)

wenn wir die Aufgaben der kommenden Wahlperiode bedenken.
Wir sind auch im Rahmen der Beratungs- und Überwachungsfunktion des Internationalen Währungsfonds für eine engere wirtschafts- und finanzpolitische Zusammenarbeit vor allem der großen Industrieländer. Dafür ist ein noch stärkeres wechselseitiges Verständnis für die Situation der Partner, ihrer grundlegenden Probleme und Prioritäten erforderlich. Indikatoren können in den vergleichenden Analysen eine wichtige Rolle ausüben. Aber die grundlegenden Strukturprobleme und -daten müssen in diesem Meinungsaustausch stärker berücksichtigt werden. Die extremen Wechselkursschwankungen seit der zweiten Hälfte der 70er Jahre sind nur durch wesentlich stärkere, langfri-



Bundesminister Dr. Stoltenberg
stige Parallelität in den Grundlinien der Wirtschafts- und Finanzpolitik zu glätten.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Meine Damen und Herren, bei der großen Zahl der Schwellen- und Entwicklungsländer haben wir in der jüngsten Zeit sehr unterschiedliche Entwicklungen zu verzeichnen. Von den erwähnten 01- und Rohstoffpreissenkungen sind eine Reihe von Staaten ganz schwer betroffen. Um so wichtiger ist es, daß Mexiko, die größte dieser Nationen, nunmehr zu neuen Vereinbarungen mit dem Währungsfonds und der Weltbank kam und eine grundlegende Verständigung mit den privaten Banken über Umschuldung und Zuführung neuer Mittel erreichte, die hoffentlich schnell konkretisiert und umgesetzt wird. Darin zeigen sich jetzt auch erste Wirkungen der bekannten Initiative meines amerikanischen Kollegen James Baker, Anpassungs- und Wachstumsstrategien stärker zu verbinden. Mehrere andere Regierungen haben entsprechende Verhandlungen eingeleitet. Wir hoffen, daß die Vereinbarungen mit Mexiko eine starke und positive Signalwirkung ausüben.
Andererseits hat die erwähnte Preisentwicklung auch zu einer Entlastung der Zahlungsbilanzen und Wirtschaftslagen einer Reihe von Ländern Lateinamerikas, Afrikas und Asiens beigetragen. Mehrere dieser Länder wie Brasilien haben gegenwärtig hohes Wirtschaftswachstum mit Fortschritten in der Inflationsbekämpfung erreicht. Dennoch muß man sagen, daß die anhaltende Schuldenlast und die bedrückende wirtschaftliche Situation in weiten Teilen der Dritten und Vierten Welt eine gewaltige Herausforderung bleiben. Weltbank und Währungsfonds müssen in den Stand gesetzt werden, ihre Aufgaben unter diesen Vorzeichen noch wirksamer wahrzunehmen.
In diesem Zusammenhang begrüßen wir die Vereinbarungen bei der Weltbanktochter IDA, also der Internationalen Entwicklungsagentur, zu einer achten Mittelaufstockung von über 11,5 Milliarden Dollar zu kommen. Dies sichert zusätzliche langfristige Mittel zu äußerst günstigen Bedingungen für die ärmsten Länder. Die Bundesregierung wird bei dieser Aufstockung der IDA-Mittel einen überdurchschnittlich hohen Beitrag leisten. Wir treten auch für eine baldige Entscheidung über die Kapitalaufstockung der Weltbank selbst ein und haben uns erfolgreich mit anderen für den Beschluß in Washington eingesetzt, den sogenannten erweiterten Zugang — der an sich eine zeitweise Regelung ist — zu den Mitteln des Währungsfonds für 1987 ungekürzt zu ermöglichen.
Von großer Bedeutung für die Entwicklungspolitik und die Beherrschbarkeit der Schuldenkrise ist die Vereinbarung der Wirtschafts- und Handelsminister von Punta del Este, eine neue GATT-Runde zur weiteren Öffnung der Märkte einzuleiten. Ohne eine solche Entwicklung mit wesentlich verbesserten Aufnahmemöglichkeiten für die Produkte der genannten Staaten gibt es keine langfristig positive Perspektive in ihrem wirtschaftlichen Bereich. Um so wichtiger ist es, daß dem Trend zu mehr Protektionismus in der inneren Diskussion in einer Reihe von Industriestaaten widerstanden wird. Es verdient in diesem Zusammenhang Anerkennung, daß sich die amerikanische Regierung auch jetzt vor Wahlen mit Entschiedenheit gegen eine sehr starke Strömung und erste Vorlagen für Handelsrestriktionen im amerikanischen Kongreß wendet.
Ein dritter zentraler Punkt, meine Damen und Herren, neben der Hilfe der Institutionen, neben der Hilfe der Industriestaaten sowie den handelspolitischen Rahmenregeln ist die Schaffung günstigerer Bedingungen für private ausländische Investitionen in den Schwellen- und Entwicklungsländern. Ihre Probleme können nicht allein durch öffentliche und private Darlehen von außen gelöst werden. Notwendig ist neben der eigenen Sparkapitalbildung, für die allerdings in einigen der ärmsten Länder die Einkommensvoraussetzungen fehlen, die Zuführung von langfristigem Investitionskapital aus den Industrieländern. Dies wird nur erreichbar sein, wenn die erforderliche Anpassungspolitik zu gesünderen Volkswirtschaften, stabileren Währungen und realistischeren Wechselkursen führt. So kann auch die Kapitalflucht drastisch abgebaut werden, die immer noch eines der großen belastenden inneren Probleme vor allem einer Reihe von Ländern Lateinamerikas ist. Wie in Europa müssen in manchen Entwicklungsländern enger Nationalismus und die Diskriminierung von ausländischen Unternehmen und Investitionen endgültig der Vergangenheit angehören. Wir müssen dabei wirksamer helfen. Aber, meine Damen und Herren, niemand kann einem souveränen Staat die letzte Verantwortung für seine innere Entwicklung abnehmen. Es gibt — wie ich schon sagte — auch eindrucksvolle und ermutigende Beispiele für eine solche Wende zum Besseren durch eine konsequente Politik.
Trotz der überkommenen und mancher neuer Sorgen waren die Washingtoner Beratungen mit den Kollegen der Dritten und Vierten Welt durch Kompetenz von ihrer Seite, durch Realismus und Augenmaß bestimmt. Mich hat es sehr beeindruckt, mit Vertretern von Staaten zu reden, die durch schwerste soziale Not, gewaltige innere Belastungen bestimmt sind und dennoch mit Kompetenz, Realismus und Augenmaß ihre Belange in der Diskussion mit uns vertreten. Die meisten von ihnen haben begriffen, daß ihren Ländern mit antikapitalistischen Phrasen und ideologischer Verengung nicht geholfen ist. Einige aus dem sogenannten sozialistischen Lager haben die mangelnde Bereitschaft der Sowjetunion am eigenen Leib erfahren, endlich einen angemessenen Beitrag für die internationale Entwicklungshilfe zu leisten.

(Hornung [CDU/CSU]: So ist die Wirklichkeit!)

In Bedrängnis befindliche Länder brauchen nicht marxistische Instrukteure, sondern Wirtschaftshilfe und Entwicklungshelfer, die sich den wirklichen sozialen Nöten der Menschen zuwenden.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Schließlich wird auf dem Hintergrund der besonders zahlreichen Begegnungen mit den Vertretern



Bundesminister Dr. Stoltenberg
notleidender Länder die Weltfremdheit mancher innenpolitischer Diskussionen bei uns sichtbar. Ein kontinuierliches, wenn möglich noch stärkeres Wirtschaftswachstum in den Industrienationen, eine erweiterte Aufnahmefähigkeit unserer Märkte sind unverzichtbare Voraussetzungen für jede erfolgversprechende Strategie im Hinblick auf die Entwicklungsländer. Wer im eigenen Wohlstand — wie manche hier von uns — von Nullwachstum als Ziel oder als Schicksal redet, muß zur Kenntnis nehmen, daß er die Mehrheit der Menschen der Erde damit zu Not und Elend verurteilt.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Wachstum mit einem strengeren ökologischen Ordnungsrahmen, mehr Verantwortung gegenüber der Natur ist heute, vor allem auch in den Schwellenländern gefordert. Wir können ihnen durch den Transfer eigener Forschungsergebnisse, Technologien und Erfahrungen auch Hilfe für aktiveren Umweltschutz leisten.
Wir sollten allerdings auch bereit sein, meine Damen und Herren, unsere privaten Ansprüche etwas mehr zu begrenzen, wenn wir die unvergleichlich größeren Sorgen anderer Nationen sehen und wenn wir unsere internationale Verantwortung noch überzeugender wahrnehmen wollen.
Schönen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU, der FDP und der SPD)


Dr. Philipp Jenninger (CDU):
Rede ID: ID1023803800
Das Wort hat die Frau Abgeordnete Matthäus-Maier.

Ingrid Matthäus-Maier (SPD):
Rede ID: ID1023803900
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Stoltenberg, wir begrüßen ausdrücklich Ihren letzten Satz. Aber um so schlimmer ist es, daß über diesen Punkt, nämlich die Verschuldung der Dritten Welt, auf der Weltwährungskonferenz eigentlich viel zuwenig gesprochen worden ist:

(Beifall bei der SPD)

denn sowohl die Wochen vorher als auch die meiste Zeit auf der Konferenz wurden überschattet durch die Auseinandersetzungen innerhalb der Entwicklungsländer.
Wie sagte Helmut Schmidt in seiner Abschiedsrede hier am 10. September:
Einen solchen währungspolitischen Interviewkrieg, wie wir ihn gegenwärtig zwischen den Finanzministern erleben, hat es vorher noch nicht gegeben. Es ist übrigens ein ökonomischer Stellungskrieg, es findet keine wirkliche Bewegung statt. Ich nehme mir heraus, zu sagen: Es ist ein Krieg, in dem beide Gesprächskontrahenten unrecht haben.

(Dr. Spöri [SPD]: So ist es!)

Die Amerikaner sind im Unrecht; denn ihr jährliches Haushaltsdefizit ist ein Skandal. Sie finanzieren es mit Kapital aus der ganzen Welt, das sie durch hohe Zinsen ansaugen, Geld das zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit bei uns und zur Bekämpfung der Not und des Elends in der Dritten Welt viel nötiger gebraucht würde.

(Beifall bei der SPD)

Da sie dazu hohe Zinsen brauchen, stieg zugleich der Dollarkurs bis Anfang 1985 auf fast 3,50 DM. Und zu dem enormen Haushaltsdefizit kam dann das enorme Leistungsbilanzdefizit. Dies hatte für unsere Wirtschaft sicher auch positive Folgen. Wir konnten mehr exportieren.
Aber schon vor zwei Jahren haben wir Sozialdemokraten im Deutschen Bundestag gesagt: Vergleicht man die Nachteile des hohen Haushaltsdefizits und des hohen Dollarkurses mit den Vorteilen, die es auch gab, überwiegen aus unserer Sicht ganz eindeutig die Nachteile. — Das sieht man heute bestätigt. Deswegen stimmen wir der Bundesregierung ausdrücklich zu: Die Amerikaner müssen ihr enormes Haushaltsdefizit endlich zurückfahren.

(Beifall bei der SPD — Dr. Spöri [SPD]: Nein, sie stimmen uns zu!)

Aber, Herr Stoltenberg, auch die deutsche Bundesregierung ist in diesem Streit im Unrecht. Schrittweiser Abbau des Haushalts- und Leistungsbilanzdefizits in den USA ist nämlich ohne Schaden für die Weltwirtschaft nur möglich, wenn die Partnerländer der USA, insbesondere Japan und die Bundesrepublik Deutschland, ihrerseits mehr zur Stärkung der Wirtschaft im eigenen Lande tun. Diese US-Forderung ist aus unserer Sicht berechtigt und war übrigens auch vorhersehbar. Seit über einem Jahr war klar, daß die Amerikaner auf Dauer nicht ihre ungeheuren Handelsbilanzdefizite hinnehmen würden. Und Mahner gab es genug. Helmut Schmidt sagte genau vor einem Jahr: Wir dürfen uns nicht „krank"-exportieren.
Ich möchte auch einmal die „Süddeutsche Zeitung" vom August dieses Jahres zitieren, weil manchmal draußen der Eindruck erweckt wird, als wären große Handelsbilanzüberschüsse etwas ganz besonders Positives. Sie widersprechen nicht nur dem Stabilitäts- und Wachstumsgesetz, sondern haben durchaus auch negative Folgen. So schreibt die „Süddeutsche Zeitung":
Hohe Leistungsbilanzüberschüsse sind nicht unbedingt ein Zeichen überragender wirtschaftspolitischer Tugend. Sie zeigen vielmehr an, daß ein Land freiwillig auf ein Plus an Lebensstandard verzichtet, indem es mehr Waren an das Ausland abgibt, als es von dort einführt. Wenn kleine Länder sich derlei merkantilistischem Scheineigennutz hingeben, mag dies nur ihr Problem sein. Wenn aber Giganten wie die Bundesrepublik und Japan gleichsam wie Dagobert Duck auf ihren Geldbergen sitzen, dann entstehen jene weltwirtschaftlichen Ungleichgewichte, die irgendwann auf ihre Nutznießer zurückschlagen. Als Exportsupermächte sind Japan und die Bundesrepublik auf Gedeih und Verderb an ein funktionierendes Welthandelssystem gekettet.
Dieses Welthandelssystem, meine Damen und Herren, sehen wir in Gefahr. Die Amerikaner erklären



Frau Matthäus-Maier
ganz unverhohlen, sie würden den Dollarkurs im Zweifel, trotz der Probleme für das eigene Land, weiter sinken lassen, um ihr Defizit zurückzufahren. Das würde bis an und über die Schmerzgrenze bei unserer Exportgüterindustrie führen. Außerdem werden in den USA ganz offen protektionistische Maßnahmen diskutiert, die weit über das hinausgehen, was wir schon kennen. Die Rede ist ganz offen von einer Importsteuer von 25% auf alle importierten Waren.

(Roth [SPD]: Da sagt ihr nichts dazu!)

Vor diesem Hintergrund, Herr Stoltenberg, mußte der deutsche Finanzminister mit der festen Absicht nach Washington fahren, mit den USA zu einer Vereinbarung über ein gemeinsames wirtschafts- und währungspolitisches Vorgehen zu kommen. Das ist nicht geschehen. Das ist das eigentliche Versäumnis von Washington, meine Damen und Herren. In Tokio gemeinsames Vorgehen auf dem Gipfel zu vereinbaren und es in Washington nicht durchzuführen, das haben Sie, Herr Finanzminister, allerdings mitverschuldet — auch die USA, daran gibt es gar keine Zweifel.
Sie brauchen die SPD nicht an die Kritik an den USA zu erinnern. Hier haben wir keinen Nachholbedarf. Aber ich frage Sie: Wie konnten Sie die von den USA so stark gewünschte Senkung des deutschen Diskontsatzes um einen halben Prozentpunkt so starrköpfig verweigern? Jeder weiß natürlich, daß eine Diskontsatzsenkung die Außenhandelsprobleme der USA nicht lösen kann. Aber als Signal für die amerikanische Innenpolitik, als Stärkung für die Amerikaner, die sich gegen Protektionismus aussprechen, wäre eine Zinssenkung psychologisch außerordentlich wichtig gewesen.

(Beifall bei der SPD)

Das ist nicht nur die Meinung der SPD, meine Damen und Herren. Herr Roeller, der Chef der Dresdner Bank, ist nur einer der Banker, die das in Washington offen oder hinter vorgehaltener Hand gesagt haben.
Was haben Sie nun mit Ihrer Position erreicht? Sie haben erstens erreicht, daß der Dollar weiter sinkt, mit allen negativen Folgen für unsere Exportwirtschaft. Sie haben die Chance der Stabilisierung des Dollars in Washington verpaßt.
Sie haben zweitens erreicht, daß in den USA protektionistische Maßnahmen zur Bekämpfung des deutschen Handelsbilanzüberschusses schärfer denn je eingefordert werden.
Sie haben drittens erreicht, daß amerikanische Politiker wie der Finanzminister James Baker und der Notenbankchef Paul Volcker im eigenen Land in Schwierigkeiten geraten, weil man ihnen vorwirft, sie hätten zuwenig von den Deutschen herausgeholt oder aber sie hätten sogar gegenüber der amerikanischen Regierung den falschen Eindruck erweckt, als würde es zu einer Zinssenkung kommen. Was haben wir davon, Baker und Volcker zu schwächen?
Viertens haben Sie erreicht, daß eine Zinssenkung, die für unsere Wirtschaft angesichts des hohen Realzinses sehr positiv wäre, nur deswegen nicht kommt, weil die Amerikaner sie von uns gefordert haben. Meine Damen und Herren, wem hätte eigentlich eine Zinssenkung geschadet?

(Roth [SPD]: Eben!)

Warum müssen die deutschen Zinsen unbedingt so hoch sein, wie sie sind?

(Dr. von Wartenberg [CDU/CSU]: Die sind doch nicht hoch!)

— Selbstverständlich haben wir einen außerordentlich hohen Realzins, Herr von Wartenberg.
Sie weisen auf die Gefahr für die Preisstabilität hin. Wir sehen die nicht, aber wir fragen Sie: Selbst wenn es gewisse Gefahren gäbe, selbst wenn man Ihre Wertung unterstellt, ist dann nicht der Schaden, der dadurch entstanden ist, daß man nicht zu einer Vereinbarung gekommen ist, größer als der Schaden, der entstanden wäre, wenn ich Ihre Wertung als richtig unterstelle?
Nein, meine Damen und Herren, die Jahrestagung des IWF wurde leider von diesem kleinkarierten Streit zwischen Washington und Bonn überlagert. Das entspricht nicht der Verantwortung, die Sie als Finanzminister der drittgrößten Handelsnation dieser Erde haben.
Sie haben nach unserer Ansicht mit Ihrer starrköpfigen Politik nicht den deutschen Interessen gedient, Herr Stoltenberg. Ich will Ihnen sagen, wann und wie Sie den deutschen Interessen gegenüber Amerika dienen könnten. Wenn die Bundesregierung nur halb so viel Widerstand, wie sie ihn gegen die Senkung des Diskontsatzes um einen halben Prozentsatz veranstaltet hat, gegen die amerikanischen SDI-Probleme an den Tag gelegt hätte, dann würden Sie deutschen Interessen dienen.

(Beifall bei der SPD)

Dann würden Sie übrigens auch einen Beitrag zur Senkung des amerikanischen Haushaltsdefizits leisten, und zwar nicht nur in Höhe der Kosten für SDI,

(Roth [SPD]: Hoffentlich begreift er diesen Zusammenhang einmal!)

sondern auch in Höhe dessen, was in Reykjavik nun nicht vereinbart worden ist,

(Roth [SPD]: Sehr richtig!)

was zu einer echten Abrüstung und dadurch zu einer massiven Entlastung der Haushalte auf der ganzen Welt geführt hätte.

(Dr. Stark [Nürtingen] [CDU/CSU]: Was Sie da sagen, glaubt außer Ihnen niemand!)

— Herr Kollege, verfolgen Sie z. B. die Diskussion in den USA — dort kritisieren mindestens zwei Drittel der Bevölkerung den Präsidenten dafür, daß er Reykjavik an SDI hat scheitern lassen —, dann sehen Sie, wie Sie im Abseits sind.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD — Dr. Stark [Nürtingen] [CDU/CSU]: Nur hat er immer mehr Zustimmung bekommen!)




Frau Matthäus-Maier
— Dafür nicht. Die Leute wollen Reagan, aber in diesem Punkt kritisieren sie ihn querbeet recht heftig.
Dabei liegt nach unserer Ansicht die Stärkung der Binnenwirtschaft doch auch im eigenen Interesse. Wir haben Preisstabilität, und wir freuen uns darüber. Wir freuen uns auch über zunehmendes Wirtschaftswachstum, wenn es denn dabei bleiben sollte.

(Dr. Stark [Nürtingen] [CDU/CSU]: Sehr gut! Das haben Sie bisher bestritten!)

Sie wissen aber doch auch, meine Damen und Herren: Die Wendekoalition hat ihre Mehrheit 1983 mit weitgehenden Versprechungen in der Wirtschafts- und Finanzpolitik erreicht.

(Dr. Stark [Nürtingen] [CDU/CSU]: Und erfüllt, übererfüllt!)

— Warten Sie mal ab, ob erfüllt. Außer bei der Preisstabilität eben nicht, Herr Kollege.
Trotz günstigster internationaler Bedingungen — Dollar, Zinssenkungen, Ölpreissenkung usw. — haben Sie auf vielen Gebieten, die ich jetzt aufzählen will, Ihr Versprechen gebrochen und Nachkriegsnegativrekorde aufeinandergehäuft.

(Dr. Stark [Nürtingen] [CDU/CSU]: Sie müssen den letzten Bundesbankbericht lesen!)

Wortbruch Nummer eins betrifft die Arbeitslosigkeit. Es war doch diese Bundesregierung, die versprochen hat: Binnen zwei Jahren geht die Arbeitslosigkeit auf 1 Million zurück. Mittlerweile war sie in keinem Jahr unter 2 Millionen.

(Dr. Stark [Nürtingen] [CDU/CSU]: Wo hat sie das versprochen?)

Wortbruch Nummer zwei: Lehrstellen. Der Kanzler hat versprochen, jeder, der willens und in der Lage ist, bekommt eine Lehrstelle. Tatsache ist: Noch nie seit der Währungsreform sind Jahr für Jahr so viele junge Leute ohne Lehrstelle geblieben.

(Dr. Spöri [SPD]: Das ist die Wahrheit! — Dr. Stark [Nürtingen] [CDU/CSU]: Wir in Baden-Württemberg suchen 5 000 Lehrlinge!)

— Herr Kollege, melden Sie sich doch gleich. Es ist viel angenehmer, wenn wir dann diskutieren, als wenn sie dauernd dazwischenschreien.

(Dr. Stark [Nürtingen] [CDU/CSU]: Es tut aber weh, was Sie sagen!)

Wortbruch Nummer drei: Sozialhilfe. Die Bundesregierung hat versprochen: Wenn es der Wirtschaft gutgeht, dann geht es auch den unteren Einkommensschichten gut. Tatsache ist: Seit der Währungsreform hatten wir noch nie so viele Sozialhilfeempfänger.
Wortbruch Nummer vier: Pleiten. Sie wollten die Zahl der Pleiten senken, aber es gab noch nie so viele Pleiten wie heute.

(Beckmann [FDP]: Von welchem Land sprechen Sie eigentlich, Frau Matthäus?)

— Ich spreche von dem Land, in dem wir uns in diesem Jahr auf einen Rekord von 20 000 Pleiten zubewegen.

(Zustimmung bei der SPD)

Weiter will ich die Negativrekorde bei Subventionen, Lohnsteuerbelastung, Sozialabgaben nur stichwortartig erwähnen; auch den Wortbruch bei den Investitionen: Sie wollten durch den Bundeshaushalt die Konsumausgaben zurückfahren und die Investitionsausgaben steigern. Tatsache ist: Die Investitionsquote des Bundeshaushalts ist die niedrigste seit der Währungsreform.

(Frau Dr. Timm [SPD]: So ist es!)

Deswegen machen wir nicht in Zweckpessimismus, Herr Stoltenberg. Aber wir meinen, daß Sie mehr zur Stärkung der Binnenwirtschaft tun müssen. Wir fordern kein kreditfinanziertes kurzsichtiges Konjunkturprogramm.
Aber drei Dinge fordern wir in der Tat von Ihnen. Wir brauchen mehr private und öffentliche Investitionen zur Sanierung der Umwelt. Es ist doch eigentlich eine bedrückende Sache: Wir haben Aufgaben, die unerledigt sind — Abwasseranlagen, Kläranlagen, Entstickungsanlagen und vieles mehr —, und auf der anderen Seite haben wir 3 Millionen Menschen, die gern arbeiten möchten, und es kostet über 55 Milliarden DM im Jahr, daß sie nicht arbeiten dürfen. Da sagen wir als SPD: Laßt uns das doch zusammenbringen, nämlich die Aufgaben, die erledigt werden müssen, und die Menschen, die arbeiten wollen. Laßt uns die Menschen für Arbeit statt für Arbeitslosigkeit bezahlen.

(Frau Dr. Timm [SPD]: Sehr richtig!)

Wir schlagen in unserem „Sondervermögen Arbeit und Umwelt", das seit zwei Jahren diesem Bundestag vorliegt, konkret vor, wie durch einen Umweltpfennig — wir sagen nicht, daß es dies zum Nulltarif gibt —, nämlich einen Zuschlag auf den Energieverbrauch, mehr private und öffentliche Investitionen bezahlt werden können.

(Beifall bei der SPD)

Herr Stoltenberg, Sie haben sich auf den Wirtschaftsbericht der EG berufen. Sie haben leider hinzuzufügen vergessen, daß dort auch die Empfehlung steht, „die Spielräume der öffentlichen Investitionen besser zu nutzen". Was kann man sonst dazu sagen, als Sie zu bitten — das tun wir —: Greifen Sie unseren Vorschlag bezüglich des „Sondervermögens Arbeit und Umwelt" auf.

(Beckmann [FDP]: Ein alter Hut! — Dr. Rumpf [FDP]: Ein Schlapphut!)

— Dadurch wird er nicht schlechter. Das zeigt nur, wie zurückhaltend und obstinat Sie sind.

(Beifall bei der SPD)

Wir fordern die Umstrukturierung der Steuersenkungen für das Jahr 1988.

(Dr. Stark [Nürtingen] [CDU/CSU]: Höhere Steuern fordern!)

Schauen Sie, mein Beispiel ist keine Bösartigkeit
der SPD, sondern eine Zahl aus Ihrem Heftchen



Frau Matthäus-Maier
über die Steuersenkung: Dort steht, daß bei der Steuersenkung 1986/88 ein Lediger mit 24 000 DM Jahreseinkommen eine Entlastung von 72 DM im Jahr erhält.

(Dr. Stark [Nürtingen] [CDU/CSU]: Wir wollten die Familien entlasten!)

— Sie können das mit Zahlen aus allen Beispielen vertiefen. Jemand mit 200 000 DM Jahreseinkommen hat eine Steuerersparnis von 3 514 DM. Meine Damen und Herren, hier stehen 72 DM gegen 3 514 DM.

(Dr. Spöri [SPD]: Ein ganz großer Beschiß!)

Ich will heute morgen nicht davon sprechen, daß das unfair und ungerecht ist, sondern ich will mich heute morgen darauf konzentrieren, zu sagen: Das ist doch auch wirtschaftspolitisch unvernünftig, Herr Stoltenberg. Wenn ich jemandem, der 200 000 DM im Jahr verdient, 1 000 DM dazugebe, dann ändert er sein Konsumverhalten nicht. Dann guckt er, wo er das Geld möglichst gewinnbringend anlegen kann, am besten — wenn es geht — in den USA und am besten noch ohne Versteuerung der Zinsen, die durchzusetzen Sie sich weigern. Was meinen Sie, was derjenige, der die berühmten 24 000 DM im Jahr verdient, macht, wenn er 1 000 DM zusätzlich erhält? Er geht einkaufen und stärkt die deutsche Kaufkraft. Deswegen sagen wir als SPD: Wir werden die Steuersenkung 1988 umstrukturieren, damit insbesondere die Bezieher der kleinen und mittleren Einkommen davon profitieren und nicht die Bezieher von Höchsteinkommen. Das ist ökonomisch vernünftig!

(Beifall bei der SPD — Dr. Stark [Nürtingen] [CDU/CSU]: Frau Kollegin, ist der Junggeselle Ihre Zielgruppe?)

Verweigern Sie sich nicht länger einer Zinssenkung. Die Spatzen pfeifen es mittlerweile von den Dächern, daß es nur noch eine Frage der Zeit ist, wann sie kommt, daß sich aber nicht mehr die Frage stellt, ob sie überhaupt kommt.
Wir bedauern schließlich, Herr Bundesfinanzminister, daß die Auseinandersetzung zwischen den Industrieländern über Zinsen und Wechselkurse die wichtige Diskussion über die Verschuldung der Dritten Welt in Washington völlig überschattet hat. Wir werfen Ihnen — nicht Ihnen allein, auch den anderen Industrieländern; aber es wäre Ihr Part, etwas dagegen zu tun — vor, daß Sie in Washington eine Chance zu einer politischen Lösung der Schuldenkrise verpaßt haben. Politik beschränkt sich im Moment auf das reine Krisenmanagement. Man hat Mexiko über die Bühne gekriegt. Übrigens, ich will Kriesenmanagement nicht negativ werten. Es ist — im Unterschied zu den 20er Jahren — positiv, daß es nicht zum großen Krach kommt.
Aber was sind die Strukturfehler im Mexiko-Abkommen? Ich möchte kurz zitieren, was „Die Zeit" in ihrer vorletzten Ausgabe dazu sagt:
Wo der Fehler der Therapie liegt, — im Mexiko-Paket —
zeigt das neue Abkommen mit Mexiko.

(Dr. Stark [Nürtingen] [CDU/CSU]: Hat der Helmut Schmidt das geschrieben?)

Für einige Jahre wird die Zins- und Tilgungslast für den Schuldner zwar geringer, aber auf längere Sicht steht er schlechter da, weil er noch mehr Kredite bei den Banken stehen hat. Nicht mehr, sondern weniger Schulden brauchen die Staaten in Lateinamerika, Afrika und Asien, um über die Runden zu kommen.
Genau das ist der springende Punkt.

(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Dr. Stark [Nürtingen] [CDU/CSU])

Es gibt kein Patentrezept — darin sind wir uns einig —, aber ich glaube, zu den notwendigen Maßnahmen, die politisch angegangen werden müssen, gehört erstens: Der IWF muß seine Auslagenpolitik wesentlich mehr als bisher auf die Belebung der Produktion und die Schaffung von Arbeitsplätzen in den Entwicklungsländern konzentrieren. Dies ist ja übrigens auch die Idee des Baker-Plans, den wir nicht an sich kritisieren, dessen Umsetzung in die Tat wir aber kritisch anmahnen.
Wir fordern zweitens: Der IWF muß viel flexibler auf die Möglichkeiten der einzelnen Länder eingehen, ihre Schulden zurückzuzahlen.
Meine Damen und Herren, ich habe in Washington miterlebt, daß sich alle Welt aufregt, wie Herr Garcia, der Präsident von Peru, einseitig verkündigt hat, er zahle nur noch 10 % seiner Exporterlöse an Schulden zurück. Ob es klug war, das einseitig zu verkünden, darüber kann man j a diskutieren. Sprechen Sie aber doch nicht dauernd über das Wie, sondern sprechen Sie mit uns und insbesondere beim IWF darüber, ob es nicht tatsächlich richtig ist, daß Länder nicht mehr an Schulden zurückzahlen müssen, als sie selber durch den Export ihrer eigenen Güter an Devisen verdienen können. Dies ist aberwitzig, und deswegen sagen wir: Greifen Sie endlich diese Forderung auf, und setzen Sie sie in Washington um.

(Beifall bei der SPD)

Drittens. Der IWF muß stärker als bisher die Politik der Gläubigerländer in seine Forderungen mit einbeziehen. Die allgemeine „surveillance", also die Überwachung der Politik, reicht nicht. Der IWF muß dann schon tatsächlich den USA bindend auferlegen — das tut er doch bei den Schuldnern auch —, ihr Haushaltsdefizit zurückzufahren. Er muß den Industrieländern bindend auferlegen, endlich ihre Märkte zu öffnen und vom Protektionismus abzulassen. Und er muß die Europäische Gemeinschaft bindender als bisher dazu auffordern, von den wirklich idiotischen und für die Dritte Welt tödlichen Agrarexportsubventionen abzulassen.

(Beifall bei der SPD)

Was ist das für eine Politik, wenn wir Überschüsse produzieren, dafür viel Geld zahlen. Wenn wir dann die viel teureren Agrarprodukte, die natürlich bei uns teurer sind als z. B. in Argentinien oder Brasilien, außerdem noch mit Milliardensubventionen auf die Märkte der Dritten Welt schleusen und da-



Frau Matthäus-Maier
durch die Exportmöglichkeiten von Argentinien und Brasilien kaputtmachen, dann ist das wirklich ein großer Skandal.

(Beifall bei der SPD)

Wir fordern viertens: Es sind längerfristige Schuldenmoratorien zu vereinbaren.
Und wir fordern fünftens: Wir brauchen Schuldenteilerlasse, meine Damen und Herren. Jeder weiß das. Die Banker wissen das. Sie haben ja auch vorgesorgt, speziell die in der Bundesrepublik Deutschland. Das würde sie gar nicht groß treffen.
Ich frage Sie: Unterschätzen Sie eigentlich nicht die Last dieser Schuldenbürden? Im Vergleich zu der Schuldenlast, die wir nach dem verlorenen Ersten Weltkrieg hatten — nämlich die Reparations-bürden des Versailler Vertrages —, ist die Schuldenlast der Dritten Welt viel schwerer. Haben Sie eigentlich vergessen, daß uns erst das Londoner Schuldenabkommen von 1952, mit dem ein erheblicher Teil unserer Schulden erlassen oder sehr langfristig gestundet wurde, die Möglichkeit gab, darauf einen schnellen wirtschaftlichen Aufbau zu setzen? In diesen Tagen gratuliert alle Welt Hermann Josef Abs zu seinem 85. Geburtstag. Warum erwähnt keiner — insbesondere Sie nicht, die ihm doch viel näher stehen als wir —, daß es dieser Mann war, der uns dieses Schuldenabkommen verschafft hat mit der Folge, daß wir mit einer erleichterten Schuldenbürde an den Aufbau gehen konnten?
Wir sind der Ansicht: wir brauchen mehr politische Entscheidung: Gegen die Rüstung; denn ohne Abrüstung gibt es keine Entwicklung, und mit SDI gibt es keine Abrüstung.

(Beifall bei der SPD)

Wir haben ein Marshall-Programm für die Dritte Welt mit der Idee des Einfrierens der Rüstungsausgaben vorgelegt, um damit die Dritte Welt zu unterstützen.

(Vor sitz : Vizepräsident Cronenberg)

Ich bin nicht davon überzeugt, daß es zum großen internationalen Krach kommen muß. Aber ich bin davon überzeugt, daß in Washington eine Chance vertan wurde, ihn wirklich zu verhindern. Die Schuldenkrise kann man nicht aussitzen. Da muß man endlich politisch handeln. Das fordern wir von Ihnen.
Ich danke Ihnen, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1023804000
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. von Wartenberg.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1023804100
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Verehrte Kollegin Matthäus-Maier, wer Konferenzen wie die Jahrestagung der Weltbank und des Währungsfonds unmittelbar nach Abschluß abschließend bewertet — wie das in Ihrem Antrag auch zum Ausdruck kommt —, macht einen schweren Fehler. Der feste jährliche Turnus dieser Jahrestagung läßt viel zuviel Routine entstehen, als daß dort Sensationen erwartet werden könnten. Bereits im Vorfeld und während der
Tagung floriert der Handel mit Gerüchten. Die Selbstdarstellung von Teilnehmern sowie der Versuch, die Tagung auch im nachhinein zu einem politischen Rundumschlag zu nutzen, spielen eine viel zu große Rolle.
Hervorstechende Ergebnisse waren von nüchternen Beobachtern in diesem Jahr ohnehin nicht zu erwarten. Die Tagung war eingebettet in eine insgesamt als positiv zu beurteilende wirtschaftliche Entwicklung. Die wichtigsten Industrieländer befinden sich im vierten Jahr auf einem Pfad eines anhaltenden, eines nachhaltigen wirtschaftlichen Wachstums. Von Bedeutung ist, daß dieser Aufschwung entgegen den Erfahrungen der vergangenen, früheren Jahre von inflationären Spannungen frei ist. Und wir wollen, daß dieser Aufschwung von diesen inflationären Spannungen freibleibt.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Die Zinsen sind, auch im Bereich der Entwicklungsländer, real wie nominal niedrig. Von einem stabilen Preisniveau und von diesem niedrigen Zinsniveau profitieren auch die Entwicklungsländer. Für die verschuldeten Länder verringert sich der Schuldendienst. Die wirtschaftliche Entwicklung vieler Länder der Dritten Welt ist in der Zwischenzeit auch durch Wachstum gekennzeichnet. Staaten wie Argentinien und Brasilien können bereits jetzt beachtliche Erfolge bei der Inflationsbekämpfung nachweisen.
Natürlich ist uns bewußt, daß es trotz dieser erfreulichen Perspektiven nach wie vor erhebliche Probleme gibt. Die Verschuldungsproblematik vieler Entwicklungsländer ist bei weitem noch nicht gelöst.

(Ströbele [GRÜNE]: Sie ist schlimmer geworden!)

So hat sich der Ölpreisverfall auf die Entwicklungsländer unterschiedlich ausgewirkt. Während die erdölexportierenden Länder einen Rückgang ihres Exporterlöses um rund ein Drittel hinnehmen mußten, konnten die übrigen Entwicklungsländer ihre Exporterlöse immerhin um 6 % steigern. Damit sich dieser positive Trend für die Entwicklungsländer fortsetzen kann, ist es erforderlich, daß die Industrieländer ihre Märkte für Produkte aus den Entwicklungsländern weiter als bisher öffnen. Exporte sind für die Entwicklungsländer erforderlich. Sie sind auch die zwingende Voraussetzung dafür, daß die Entwicklungsländer die Devisen verdienen können, die sie zur Bewältigung ihres Verschuldungsproblems brauchen.
Aber auch die Entwicklungsländer selbst können einen maßgeblichen Beitrag zur Bewältigung ihrer Probleme leisten. Ihre Hauptaufgabe besteht darin, wirtschaftliche Bedingungen zu schaffen, die es für potentielle Anleger attraktiv machen, dort zu investieren. Es reicht nicht aus, Verträge zu schließen, die eine Entschädigung im Falle einer eventuellen Enteignung regeln. Es ist den Entwicklungsländern vielmehr unbenommen, zu erklären, daß sie die Eigentumsrechte von potentiellen Anlegern in vollem Umfange respektieren. Nur wenn es gelingt, ein wirtschaftliches Klima des Vertrauens zu schaffen,



Dr. von Wartenberg
wird auf diese Weise zugleich auch eine sichere Barriere gegen die Kapitalflucht aufgebaut, die besser wirkt als jede Art von Kapitalverkehrskontrolle oder Devisenzwangsbewirtschaftung. Dies muß mit den Entwicklungsländern diskutiert werden, und dazu bietet sich jedes Jahr bei der Weltwährungskonferenz in Washington die beste Möglichkeit.
Meine Damen und Herren, aus bundesdeutscher Sicht stand die Tagung des Weltwährungsfonds im Zeichen der Diskussion um eine mögliche Senkung des deutschen Diskontsatzes. Der Versuch, in diesem Falle Druck auf die Bundesbank und auf die Bundesregierung auszuüben, war nicht hilfreich.
Hintergrund dieser Forderung ist die bekannte Überlegung, man könne die Konjunktur kurzfristig beeinflussen. Aber bereits heute, 14 Tage nach dem Weltwährungsgipfel, erweist sich diese Diskussion im Blick auf die aktuellen Zahlen als überholt. Es war daher ökonomisch richtig, dieser hauptsächlich von seiten der USA und neuerdings auch von der SPD erhobenen Forderung

(Frau Matthäus-Maier [SPD]: Seit Monaten!)

nicht nachzugeben, obwohl sich die Befürworter dieser Maßnahme einen Abbau des Leistungsbilanzdefizits der USA versprechen und eine Belebung der Wirtschaft erhoffen.
Wir müssen aufklärend immer wieder darauf hinweisen, daß die Bundesrepublik Deutschland bzw. die Volkswirtschaft unseres Landes dazu nur einen marginalen Beitrag leisten kann.

(Zuruf von der SPD: Aber einen Beitrag!)

Lediglich 7 % aller deutschen Einfuhren stammen aus Amerika. Umgekehrt sind der Außenhandelsanteil des amerikanischen Sozialprodukts und namentlich die deutschen Importe aus den USA viel zu gering, als daß darin ein Hebel für einen konjunkturellen Aufschwung in Amerika gesehen werden könnte. Selbst eine weitere Konjunkturbelebung in der Bundesrepublik würde die Ausfuhren der USA nicht entscheidend erweitern.
Demgegenüber hätten die Nachteile des Versuchs, die Konjunktur weiter anzuheizen, für die bundesdeutsche Wirtschaft überwogen. Bei einem Diskontsatz von 3,5% weist die Bundesrepublik mit die niedrigsten Zinsen in ihrer Geschichte und zur Zeit in der ganzen Welt auf. Eine weitere Absenkung hätte ein Risiko für die binnenwirtschaftliche Währungsstabilität bedeutet, und in der Bewertung dieses Problems unterscheiden wir uns von der SPD!

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Zurufe von der SPD)

Im übrigen hat die Geldmengenentwicklung längst die von der Bundesbank vorgesehene Bandbreite verlassen, so daß bereits derzeit niemand ernsthaft behaupten kann, das Wirtschaftswachs - turn in der Bundesrepublik Deutschland werde durch die Geldpolitik gebremst. Da außerdem der Leistungsbilanzüberschuß real längst zurückgeht, bestand keine sachliche Notwendigkeit zu kurzatmigem Aktionismus.
Meine Damen und Herren, daß die Bundesrepublik nicht die Konjunkturlokomotive für die übrige Welt sein kann, sollte spätestens seit dem Scheitern des konjunkturellen Ankurbelungsprogramms des Gipfels im Jahre 1978, den Sie mitgemacht haben, bekannt sein. Würden wir die Politik verfolgen, die Sie uns vorschlagen, würden wir dort landen, wo wir beginnen mußten.

(Zustimmung bei der CDU/CSU)

Die weltwirtschaftlichen Wirkungen waren praktisch Null; die deutsche Volkswirtschaft hingegen wurde in eine schwere Wachstums- und Stabilisierungskrise gestürzt.

(Frau Matthäus-Maier [SPD]: Mit dem Sonderfonds „Arbeit und Umwelt"?)

Deshalb, meine Damen und Herren, möchte ich hier meine Bewunderung gegenüber Bundesfinanzminister Dr. Stoltenberg zum Ausdruck bringen, der diesen deutschen Standpunkt in Washington mit Gelassenheit und Verbindlichkeit, aber auch mit Konsequenz und Festigkeit vertreten hat.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Wenn ich den Bundesfinanzminister richtig verstehe: Diese mit Standhaftigkeit vertretene Position ist kein Ziel in sich, kein Selbstzweck. Sollten sich Änderungen im volkswirtschaftlichen Datenkranz ergeben, wäre es unsere Aufgabe, unsere derzeitige Haltung zu überprüfen und unter neuen Voraussetzungen unter Umständen auch die Frage des Zinses neu zu diskutieren.

(Zurufe von der SPD)

Wirtschaftliches Wachstum ist unser ureigenstes Interesse.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Unsere Handelspartner sollen wissen, daß wir uns selbst dauerhaftes Wirtschaftswachstum wünschen. Die Mittel, die wir mittelfristig dafür einsetzen werden, sind generelle steuerliche Entlastungen,

(Zuruf von der SPD: Oben)

die die allgemeinen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen verbessern.
An Tagesaktualitäten orientierte Ad-hoc-Maßnahmen

(Frau Matthäus-Maier [SPD]: Wer fordert die denn?)

sind dagegen nach unserem Verständnis kein Ausdruck solider Wirtschaftspolitik.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Die Kapitalmarktzinsen haben eine steigende Tendenz. In Großbritannien wird über Zinserhöhungen diskutiert, und hier werden ad-hoc-politische Maßnahmen mit einem Show-Effekt von Zinssenkungen gefordert, die die wirklichen Kapitalmarktverhältnisse überhaupt nicht verändern würden.
Wenn wir auf diese Weise wirtschaftliches Wachstum begünstigen und gleichzeitig die Stabilität der D-Mark aufrechterhalten, kann der Bundesrepublik niemand vorwerfen, wir würden unseren



Dr. von Wartenberg
volkswirtschaftlichen Verpflichtungen nicht gerecht werden.

(Kittelmann [CDU/CSU]: So ist es!)

Im Gegenteil: Gerade damit schaffen wir die Voraussetzungen, damit wir unseren Verpflichtungen gerecht werden können. Wir machen nämlich unsere Wirtschaft wettbewerbsfähiger und müssen daher nicht über Protektionismus diskutieren.

(Zuruf von der SPD: Warten Sie es mal ab!)

Wenn vor und während der Konferenz Fragen an die deutsche Seite gestellt wurden, dann sei es auch erlaubt und gestattet, umgekehrt voller Sorge zu fragen — ich schließe mich dem bereits Geäußerten an —: Was sind z. B. die USA selbst bereit für die Beseitigung der Ursachen ihres Leistungsbilanzdefizits zu tun?

(Beifall bei der SPD)

Die Ursachen der gegenwärtigen wirtschaftlichen Schwäche der Vereinigten Staaten und die Sorge um die Entwicklung der Wirtschaft in den USA

(Zuruf von der SPD: Das ist antiamerikanisch!)

liegt nicht in der mangelnden Einfuhrbereitschaft ihrer Handelspartner für amerikanische Güter.

(Zuruf von der SPD: Antiamerikaner!)

Die ökonomische Ursache ist vielmehr in den USA selbst zu suchen, nämlich in dem gigantischen Budgetdefizit.

(Beifall bei der SPD)

Die öffentliche Verschuldung hat den Zins in die Höhe getrieben. Dadurch wurde ausländisches Kapital regelrecht aufgesogen.

(Zuruf von der SPD: Treffende Erkenntnis! Wie Matthäus sage!)

Das führte zu einer Aufwertung des Dollars. Dies wiederum begünstigte die Ausfuhren der Partnerländer, setzte also einen Güterstrom in Richtung Amerika in Bewegung. Zum Budgetdefizit gesellte sich folglich ein noch höheres Leistungsbilanzdefizit.

(Zuruf von der SPD: Die CDU ist im Erkenntnisprozeß immer sehr spät dran!)

Diese Entwicklung kann auch durch den mittlerweile stark abgewerteten Dollar nicht sofort in ihr Gegenteil verkehrt werden. Zwar werden Anbieter auf Grund der geänderten Währungsrelationen am Weltmarkt konkurrenzfähiger, doch benötigen auch diese Anpassungen der Güterströme an die geänderten Preisverhältnisse viel mehr Zeit, als vor Wahlkämpfen erwünscht wird.
Natürlich kann es ein Mittel amerikanischer Währungspolitik sein, den Dollarkurs durch Devisenmanipulationen, durch Devisenmarktoperationen noch weiter abzusenken. Dazu müßten Dollar angeboten und die Devisen gekauft werden. Die Dollargeldmenge stiege, damit aber auch die amerikanische Inflationsrate. Das wäre das Ergebnis Ihrer Politik. Die Konsequenz: Die amerikanische
Wirtschaft würde zwar vorübergehend im Ausland konkurrenzfähiger, aber die selbst produzierte Inflation würde in einem zweiten Schritt die Kosten weiter in die Höhe treiben und den ursprünglich erhofften Vorteil wieder aufzehren. Es würde sich erweisen: Der Kurs einer Währung läßt sich nicht ohne volkswirtschaftichen Schaden über einen längeren Zeitraum hinweg gegen den Markt umbiegen.

(Zustimmung bei der CDU/CSU und der SPD)

Währungspolitik und Wechselkursmechanismus können nicht korrigieren, was in der Finanzpolitik versäumt wird.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

Auch für die Wirtschaftspolitik der Vereinigten Staaten führt also letztlich kein Weg an der Frage vorbei,

(Dr. Spöri [SPD]: Kommt ein bißchen spät!)

wie man es mit der Beseitigung des Budgetdefizits selbst halten will.
Gestatten Sie mir, noch ein Zweites nachzufragen: Die Steuerreform in den Vereinigten Staaten gilt als gewaltige Errungenschaft. Beeindruckend ist auch die Art und Weise, wie diese Neugestaltung politisch durchgesetzt worden ist.

(Beifall der Abg. Frau Matthäus-Maier [SPD])

Doch es bleibt die Frage, ob wirklich die erhofften Wirkungen eintreten werden. Wird sich die Tax-Reform wirklich als aufkommensneutral erweisen, oder wird letztendlich das Budgetdefizit ein weiteres Mal vergrößert, was schließlich Verbrauchsteuererhöhungen erforderlich machen könnte? Welche Konsequenzen hat die Steuerreform für den wirtschaftlichen Strukturwandel? Wie sind die Auswirkungen der zusätzlichen Belastungen für die Wettbewerbsfähigkeit der betroffenen Wirtschaftszweige? Der unüberhörbare Ruf nach Protektionismus in den USA signalisiert bereits heute, daß es um die Konkurrenzfähigkeit vieler Branchen schon vor der Steuerreform nicht zum besten steht.
Wenn man also die in den Vereinigten Staaten betriebene Wirtschaftspolitik beleuchtet, zeigt sich, daß wir die Diskussion über unsere Wirtschaftspolitik nicht defensiv zu führen brauchen. Wirtschaftsbeziehungen sind ihrem Wesen nach immer mindestens zweiseitig, und jeder Partner hat dazu seinen Beitrag zu leisten. Die Voraussetzung, um die Atmosphäre zu verbessen, die Handelsbeziehungen besser zu gestalten, zu lockern und zu entspannen, ist nicht, daß man versucht, den Partner zu belehren, sondern daß man miteinander diskutiert und miteinander versucht weiterzukommen.
Herr Präsident, meine Damen und Herren, es ist eine gute Tradition, daß der Bundesfinanzminister anläßlich der Tagung der Weltbank und des Währungsfonds eine Delegation von Parlamentariern der verschiedenen Bundestagsfraktionen mitnimmt. Dafür möchte ich mich bei Ihnen, Herr



Dr. von Wartenberg
Dr. Stoltenberg, ich denke, auch im Namen der Kollegen bedanken.

(Beifall bei der CDU/CSU, der FDP und der SPD)

Solche Reisen bieten zum einen die Gelegenheit, daß sich die Kollegen vor Ort auch mit den von anderen Delegationen vertretenen Positionen vertraut machen können. Zum anderen kann der Kontakt zwischen den Abgeordneten der verschiedenen Fraktionen intensiviert werden. Über Parteigrenzen und sachlichen Dissens hinweg kann die gemeinsame Vertiefung in ein bedeutendes Problem im Ausland auch für unsere Arbeit hier im Parlament gewinnbringend sein.
Erlauben Sie eine persönliche Bemerkung. Seit Jahren haben Sie, verehrter Herr Kollege Rapp, diese Reisen begleitet. Durch Ihr fundiertes Urteilsvermögen und durch Ihren Weitblick, der in unserer hektischen Parlamentsdiskussion häufig viel zu kurz kommt, haben Sie die Diskussionen insbesondere mit unseren ausländischen Gesprächspartnern wesentlich bereichert. Trotz mancher Unterschiede: Wir haben Sie schätzen gelernt. Als Bundestagsabgeordneter wird das nach meinen Informationen Ihre letzte Reise zu dieser Konferenz gewesen sein. Unsere guten Wünsche begleiten Sie auf Ihrem zukünftigen Weg.
Diese persönliche Reverenz erweise ich Ihnen, auch wenn wir dem von Ihnen ausgearbeiteten Antrag nicht zustimmen können.

(Beifall bei der CDU/CSU, der FDP und der SPD)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1023804200
Das Wort hat der Abgeordnete Volmer.

Dr. Ludger Volmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1023804300
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Halten wir uns nicht lange bei der Jahrestagung auf. Es gibt nichts Wesentliches zu vermelden, außer daß die Entwicklungsländer dem Bankrott wieder ein Stückchen näher gerückt sind, das Weltfinanzsystem immer noch in allen Fugen ächzt, der Baker-Plan, letztes Jahr als finanzpolitische Wunderdroge hochgejubelt, klammheimlich beerdigt wurde, ein vor zwei Jahren als Musterknabe präsentierter, dank bitterer Pillen angeblich gesundeter Wechselbalg namens Mexiko wieder schlaff am Tropf hängt, daß das Durchwurschteln, das muddling-through, immer noch oberste Maxime zu sein scheint und Sie uns diese Tagung dann auch noch als Aufbruch zu neuen Ufern verkaufen.
Meine Damen und Herren, wenn auf der Jahrestagung überhaupt etwas zustande kam, dann die Einheit der untereinander über Handels- und Zinsfragen zerstrittenen Industrieländer gegen die Entwicklungsländer. Das wurde in Washington gebührend abgefeiert. Immer noch werden in verschuldeten Ländern Austeritätsmaßnahmen verordnet, die für viele Menschen den Tod bedeuten werden. Immer noch führt die erzwungene Ausrichtung der Volkswirtschaften auf den Export zu einem Überangebot auf dem Weltmarkt, zu einem Purzeln der Erlöse für die Dritte Welt. Immer noch werden der Devisenerwirtschaftung kostbare ökologische Reservate geopfert, z. B. die tropischen Regenwälder, die Artenvielfalt zerstört und den Ureinwohnern der Lebensraum entzogen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Was sich heute z. B. im Amazonasgebiet ereignet, ist mittlerweile mit der Ausrottung der nordamerikanischen Indianer im letzten Jahrhundert vergleichbar. Immer noch führt die innenpolitische Durchsetzung der IWF-Auflagen mit ihren unsozialen und lebensfeindlichen Auswirkungen zu Menschenrechtsverletzungen und zu einer Gefährdung der in den letzten Jahren zu verzeichnenden Demokratisierungsprozesse in Lateinamerika. Immer noch zerstört die aus Handelsbilanzgründen erzwungene Politik des Verzichts auf Importe für Ersatzinvestitionen die einheimische Wirtschaftsstruktur und verhindert damit gerade das Wachstum und die Produktionssteigerung, die sie bewirken will. Immer noch werden die Industrieländer nicht müde, von der Liberalisierung des Handels und der Öffnung der Grenzen zu reden, so auch jetzt bei den GATT-Verhandlungen, den Markt aber sofort dicht zu machen, wenn sich ein Entwicklungsland tatsächlich anheischig macht, Konkurrenzprodukte zu plazieren. Kurz und schlecht: Die Nadelstreifengeseilschaft, die nach getaner Tat auch schon einmal in Jeans und Pullover relaxt, behält den Griff um die Gurgel der armen Schlukker und lockert ihn höchstens einmal, wenn ein Krampf im Handgelenk droht.
Doch reden wir nicht länger über die Regierungspolitik, sondern über Lösungsansätze für diese Probleme. Wenden wir uns den Parteien zu, die zumindest dem Anspruch nach Rahmenkonzepte vorzuweisen haben. Ich meine die Sozialdemokraten und die grüne Partei. Ich beziehe mich bei der Sozialdemokratischen Partei allerdings auf den Fraktionsbeschluß vom 25. September, der in den Entschließungsantrag heute nur in sehr dünner Form eingeflossen ist.
Während die GRÜNEN ihr Grundkonzept seit drei Jahren immer weiter optimiert haben, das Konzept der Schuldenstreichung, bewies die SPD jedes Jahr aufs neue, was Lernfähigkkeit und Flexibilität heißt. Hatte man das Thema anfangs völlig verschlafen, so leierte man, von den GRÜNEN wachgerüttelt, noch schlaftrunken das herunter, was der Bundesminister der Finanzen vordeklamiert hatte.

(Zuruf von der SPD: Na!)

Das war 1984. 1985 folgte ein forscher Ausfallschritt nach links, doch das rechte Bein kam nicht nach, und der plumpe Körper sackte nun, 1986, in der Mitte der Sozialistischen Internationale zusammen.

(Heiterkeit bei der CDU/CSU)

Aus ihrem Zentrum heraus wird nun die linke Faust geballt und mit Rechts die weiße Fahne geschwenkt.

(Heiterkeit bei der CDU/CSU)

Dies ist die Situation der Sozialdemokratie heute,
ein Rückschritt ihrer Position gegenüber dem, was



Volmer
im letzten Jahr von den Kollegen Hauchler und Rapp hier formuliert wurde.
Ich möchte die Unterschiede einmal deutlich machen. Beide Parteien, sowohl die SPD als auch die GRÜNEN, benutzen mittlerweile den Begriff der Schuldenstreichung. Für uns ist dies der strategische Ansatz. Wir sind der Meinung, daß man um umfassende Schuldenstreichung überhaupt nicht herumkommt, weil nur die Streichung der Schulden erstens die monetäre Problematik lösen kann und zweitens langfristig neue Entwicklungschancen eröffnen wird. Dies als notwendige, allerdings nicht als hinreichende Voraussetzung.

(Beifall bei den GRÜNEN)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1023804400
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Rapp? — Bitte sehr.

Heinz Rapp (SPD):
Rede ID: ID1023804500
Lieber Herr Kollege, würden Sie bitte einmal zugeben, daß wir das schon vor Ihnen gesagt haben, mit dem einen Unterschied, daß wir uns Gedanken darüber gemacht haben, wie man so etwas hinkriegen kann, wohingegen Sie die abstrakte Formulierung hinstellen und niemand auch nur eine Ahnung hat, wie Sie das machen wollen? Wenn man aus einer Bankbilanz etwas streicht, dann ist da ein Loch, das man mit irgendetwas anderem füllen muß. Wie würden Sie das eigentlich gern tun? Ich habe davon nichts gehört. Bei uns können Sie dazu etwas Konkretes hören.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1023804600
Herr Abgeordneter, wenn Sie bitte die Antwort stehend entgegennehmen würden, um zum Schluß nicht noch mit der Sitte des Hauses zu brechen.

(Kittelmann [CDU/CSU]: Weil eine Antwort nicht zu erwarten ist, hat er sich gleich wieder hingesetzt! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU und der SPD)


Dr. Ludger Volmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1023804700
Lieber Kollege Rapp, ich bin am Beginn meiner Rede, und ich möchte Sie bitten, meinen Ausführungen im weiteren Verlauf zu lauschen. Ich gehe darauf ein.

(Kittelmann [CDU/CSU]: Das ist ein schwaches Bild! — Weitere Zurufe von der SPD und der CDU/CSU)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1023804800
Herr Abgeordneter, Sie können fortfahren.

Dr. Ludger Volmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1023804900
Sie benutzen den Begriff der Schuldenstreichung genauso, allerdings in außerordentlich residuärer Form. Das, was in Ihrem Papier steht, und das, was Frau Matthäus-Maier heute gesagt hat, heißt, daß Schuldenstreichung nach caseby-case-Prüfung ins Auge gefaßt werden könnte.

(Abg. Frau Matthäus-Maier meldet sich zu einer Zwischenfrage)

— Bitte, lassen Sie mich jetzt einmal weiterreden.
Wir können den Dialog auch irgendwann führen,
aber hören Sie erst einmal zu, was ich dazu zu
sagen habe, und dann können Sie vielleicht in fünf Minuten dazu einmal nachfragen.

(Kittelmann [CDU/CSU]: Jetzt kneifen Sie, Herr Volmer! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU und der SPD)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1023805000
Das heißt also, Sie verweigern der Abgeordneten zunächst einmal eine Zwischenfrage?

Dr. Ludger Volmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1023805100
Zunächst einmal. Vizepräsident Cronenberg: Danke schön.

Dr. Ludger Volmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1023805200
Denn ich möchte hier erst einmal mein Konzept vortragen können.

(Feilcke [CDU/CSU]: Das ist aber nicht nett gegenüber Frau Matthäus-Maier! — Kittelmann [CDU/CSU]: Freie Rede haben Sie immer gefordert!)

Sie wollen das Konzept der Schuldenstreichung in Ihren generellen Ansatz der case-by-case-Prüfung einordnen. Schuldenstreichung würde höchstens im Einzelfall höchstverschuldeter und ansonsten armer Länder übrig bleiben. Als generellen Ansatz fordern Sie allerdings eine Politik der Umschuldung. Und dies wollen wir doch den Leuten, die sich auf der kritischen Seite in der Bundesrepublik mit diesem Thema befassen, einmal ganz deutlich klarmachen. Ihr Konzept der Umschuldung lehnt sich immer noch an den traditionellen Politikkonzepten an, wobei zwei Varianten darin sind: Sie wollen weichere monetäre Bedingungen, als es von dieser Seite formuliert wird, längere Rückzahlungsraten, niedrigere Zinsen und eine Koppelung der Rückzahlungsmöglichkeiten an die Exporterlöse.

(Abg. Rapp [Göppingen] [SPD] meldet sich zu einer Zwischenfrage)

— Herr Präsident, jetzt möchte ich zu Ende reden können.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1023805300
Wenn Sie dem Haus grundsätzlich erklären, daß Sie es ablehnen, Zwischenfragen zuzulassen, dann werden wir das selbstverständlich respektieren. Sie müssen die Erklärung nur abgeben, Herr Abgeordneter. Herr Abgeordneter, darf ich von Ihnen eine klare Erklärung zu der Frage, ob Sie Zwischenfragen zulassen, ja oder nein, bekommen?

(Rapp [Göppingen] [SPD]: Die Erklärung, daß er keine Antwort weiß!)


Dr. Ludger Volmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1023805400
Generell lasse ich Zwischenfragen natürlich zu.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1023805500
Im speziellen Falle also nicht.

Dr. Ludger Volmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1023805600
Aber nicht, wenn versucht wird, hier meine Rede zu torpedieren.

(Rapp [Göppingen] [SPD]: Lesen Sie den Artikel von Nölling! — Frau Dr. Timm [SPD]: Radio Eriwan!)





Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1023805700
Herr Abgeordneter, ich kann Ihnen bedauerlicherweise nicht helfen.

Dr. Ludger Volmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1023805800
Sie wissen ganz genau — das sagen auch die Kritiker Ihrer Position, und Sie hätten den ehemaligen mexikanischen Finanzminister, der auf unsere Einladung in der letzten Woche hier war, der diese Position unterstrichen hat, hören können —, daß diese Politik die Problematik höchstens verlängert, aber überhaupt nicht in der Lage ist, hier wirklich zu Lösungen zu kommen.
Wir wissen, daß die Schuldenstreichung tatsächlich nur die notwendige Bedingung, aber nicht die hinreichende Bedingung sein kann, und deshalb fordern wir, daß auch die internen Demokratisierungsprozesse in den betroffenen Ländern gefördert werden müssen. Es ist uns völlig klar, daß die Wirtschaftspolitik Korrekturen bedarf, daß die Demokratie gefördert werden muß, daß soziale und ökologische Standards stärker berücksichtigt werden müssen; aber genau davon finde ich bei Ihnen in Ihrem Fraktionspapier nichts mehr.

(Zurufe von der SPD)

Noch im letzten Jahr haben Sie hier offensiv unter dem Begriff der alternativen Auflagenpolitik gefordert, daß Faktoren, wie Kapitalflucht, wie Rüstungsimporte bzw. eigene Rüstungsanstrengungen, wie überzogener Luxuskonsum, einbezogen werden und gegen die Länder der Dritten Welt über einen anderen Mechanismus von IWF-Auflagenpolitik auch durchgesetzt werden. In Ihrem Fraktionspapier ist von dieser alternativen Auflagenpolitik nichts mehr zu finden.

(Frau Matthäus-Maier [SPD]: Sie fürchten sich vor Zwischenfragen!)

Ich begrüße das eigentlich, weil ich auch der Ansicht bin, daß man nicht in die Souveränität der betroffenen Länder hineinzuregieren hat. In Ihrem Papier steht auch wörtlich, daß die Souveränität geachtet werden soll.

(Frau Matthäus-Maier [SPD]: Selbstverständlich!)

Nur wenn man dann fragt, wie sich diese inneren Anpassungsleistungen in den Drittweltländern im positiven Sinne ereignen sollen, wenn man nichts zur Förderung von Emanzipationsprozessen sagt, die wir fordern — allerdings nicht auf der staatlichen Ebene, sondern auf der nicht-staatlichen Ebene, durch Kontakt von Volk zu Volk, von Partei zu Partei, von sozialer Bewegung zu sozialer Bewegung —, dann frage ich mich, wie das denn eingeleitet werden soll.

(Rapp [Göppingen] [SPD]: Feindbilder waren wir bisher aus der anderen Ecke gewohnt!)

Da finde ich bei Ihnen tatsächlich irgendwelche Margen, die da heißen: Berücksichtigung von Grundbedürfnissen, soziale Mindeststandards, wirtschaftliche Effizienz, Formeln, die zwar abstrakt sind, unter denen man sich aber etwas Positives vorstellen könnte. Wir fordern etwa auch die Orientierung auf Grundbedürfnisse hin. Bei Ihnen bleibt aber völlig offen, wie das umsetzbar sein soll. Was
Sie machen, ist die freiwillige Vorwegnahme von IWF-Anpassungsmaßnahmen.

(Rapp [Göppingen] [SPD]: Es ist nicht wahr, was Sie sagen!)

Das ist die neue Linie der Sozialistischen Internationale, daß gesagt wird: Wir werden im IWF nicht mehr verhandeln, wir werden unsere eigene Wirtschaftspolitik entwickeln,

(Rapp [Göppingen] [SPD]: Sie wissen sogar, daß nicht wahr ist, was Sie sagen!)

aber wir werden darauf achten, daß dies im Rahmen dessen bleibt, was immer von uns gefordert wurde. Damit wird der Eindruck von Souveränität erweckt, und letztlich hat man sich doch freiwillig dieser Auflagenpolitik unterworfen, die ansonsten gefordert würde.
Herr Präsident, die Zwischenfragen haben mir einiges an Zeit weggenommen. Ich bitte, das zu berücksichtigen.

(Frau Matthäus-Maier [SPD]: Die haben Sie doch gar nicht zugelassen!)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1023805900
Sie können sich darauf verlassen, daß der Präsident das außerordentlich großzügig handhaben wird. Aber der guten Ordnung halber möchte ich feststellen, daß es die Zwischenfragen, die Sie nicht zugelassen haben, nicht sein können.

Dr. Ludger Volmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1023806000
Sie fordern ebenso wie wir eine Schuldenkonferenz. Bei uns geht es um die Schuldenstreichung, um die Aushandlung der Modalitäten einer Schuldenstreichung, bei Ihnen geht es um die Modalitäten einer Umschuldung.

(Rapp [Göppingen] [SPD]: Haben Sie Vorstellungen von diesen Modalitäten?)

Man kann die Politik, die Sie betreiben, auch in generelle Konzepte weltwirtschaftlicher Zusammenhänge einordnen. Wir sind uns zumindest verbal einig, daß die Bewältigung des Schuldenproblems nur der Einstieg in eine umfassende Diskussion weltwirtschaftlicher Zusammenhänge sein kann, aber hier haben Sie ebenfalls nicht mehr anzubieten, als Sie uns hier auch als innenpolitisches Ordnungsmodell immer vorführen. Ihre Politik heißt weiterhin Weltmarktorientierung, Wachstumsglaube, komperative Kostenpolitik. Sie garnieren das allerdings mit einigen Einsprengseln, die wir aus der Innenpolitik kennen. Sie sagen, größere Chancengleichheit für die, die heute hinten liegen, und Sie sagen, Sozialhilfe für diejenigen, die nicht mitkommen. Sozialhilfe im internationalen Zusammenhang ist für Sie die Aufstockung der IDA, die wir auch fordern, aber nur als kurzfristigen Notgroschen und nicht als langfristiges Ordnungsmodell.
Ich betone noch einmal: Schuldenstreichung heißt für uns: Einstieg in eine umfassende Debatte weltwirtschaftlicher Neuordnung. Unseres Erachtens müßte dies auf folgende Prämissen aufgebaut sein, nämlich die größtmögliche Eigenverantwortung lokaler und regionaler Einheiten, eine gerechte Preisgestaltung auf der Basis des daraus fol-



Volmer
genden reduzierten internationalen Warenaustausches. Wir meinen, daß eine Handelspolitik, die dem Primat der maximalen Eigenversorgung nicht zuwiderläuft, durchgesetzt werden müßte. Wir fordern eine verstärkte Förderung der Süd-Süd-Kooperation, eine Berücksichtigung ökologischer und sozialer Kriterien, nicht nur bei Handel und Konsum sondern auch bei der Produktion. Es ist letztlich nicht nur die Handelsfrage, die der terms of trades, sondern die einer internationalen Arbeitsteilung, also der Ansiedlung von produktiven Kapazitäten. Ich glaube nicht, daß man nur im Handelsbereich zu Änderungen kommen muß. Wir fordern in diesem Zusammenhang eine Neubestimmung des Wertes der Subsistenzproduktion in den Ländern der Dritten Welt und der Frauenarbeit. Wir fordern die Kontrolle des internationalen Kapitalverkehrs, das fordern wir gemeinsam.

(Rapp [Göppingen] [SPD]: Wir doch auch! — Weitere Zurufe von der SPD)

— In Ihrem Konzept ist nichts weiter drin, da steht nichts mehr zum multinationalen Konzern, da steht auch nichts zu einer Neuordnung der internationalen Finanzinstitution. Ebenso sind wir der Meinung, daß binnenwirtschaftlich — und dies scheint mir das Wichtigste zu sein — einschneidende Veränderungen vorgenommen werden müssen. Der Schlüssel für eine Entwicklung in diese neue Richtung liegt bei uns selber.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1023806100
Herr Abgeordneter, ich habe Ihnen jetzt zwei Minuten mehr gegeben, damit die Diskussion um die Zwischenfragen ausgeglichen wird. Aber nun überschreiten Sie Ihre Zeit mehr als für mich zumutbar. Ich bitte Sie eindringlich, nun zum Schluß zu kommen.

Dr. Ludger Volmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1023806200
Ich komme zum Schluß, Herr Präsident. Die internationale Verschuldungskrise stellt sich, bildlich darstellbar, im Prinzip relativ einfach dar. Das sieht wie bei einem Monopolyspiel aus,

(Zuruf von der SPD: Die Bundesregierung sitzt hier nicht!)

wenn auf der einen Seite sämtliche Straßen und Hotels angehäuft sind, und die andere Seite nicht einmal mehr das Geld hat, um die Miete zu zahlen. Ich würde sagen, das Spiel ist dann zu Ende. Man muß sich nur überlegen, ob man das gleiche Spiel noch einmal beginnt oder nicht.

(Zurufe von der CDU/CSU: Wie heißt das?)

Wir plädieren für ein völlig anderes Spiel mit völlig neuen Spielregeln.
Danke.

(Beifall bei den GRÜNEN)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1023806300
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Solms.

Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1023806400
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Ausführungen des Kollegen Volmer beweisen erneut, wie das Verhältnis der GRÜNEN zu Geld und Eigentum ist. In aller
Dreistigkeit wird dazu aufgerufen, daß die Schuldner auf Kosten der Geldgeber das Geld ausgeben und verbraten sollen. Das kann einen bei den GRÜNEN auch nicht wundern, gerade wenn man aus Hessen kommt und sieht, was der Umweltminister Fischer dort macht, der die Steuermittel einsetzt, um unglaubwürdige Gutachten bei nicht sachverständigen Gesinnungsgenossen seiner eigenen Parteifreunde in Auftrag zu geben. Man muß vor der Öffentlichkeit deutlich machen, wie krank Ihr Verhältnis zu Geld und Eigentum ist.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU — Ströbele [GRÜNE]: Das ist sicher anders als Ihres!)

Zur Sache: Die Tagung in Washington war von zwei Themenkreisen überschattet oder beeinflußt: der Schuldenkrise, einem Themenkreis, der seit Jahren im Mittelpunkt steht, und zum zweiten der Auseinandersetzung zwischen den Industrieländern über die notwendigen Maßnahmen zur Unterstützung der Weltkonjunktur.
Die Ratschläge der Amerikaner, die sie den Deutschen und Japanern gegeben haben, waren jedoch wenig hilfreich. Sie haben aufgefordert, das Wachstum durch expansive Haushalts- und durch lockere Geldpolitik zu beschleunigen. Es ist dem Bundesfinanzminister genauso wie dem Präsidenten der Deutschen Bundesbank zu danken, daß sie diese Vorschläge mit guten Argumenten abgelehnt haben. Die deutschen Argumente gegen eine Politik des leichten Geldes und gegen eine Politik der schuldenfinanzierten Ausgabenprogramme des Staates sind aus alter Erfahrung gut begründet. In die schwere Rezession zu Beginn der 80er Jahre ist die Bundesrepublik ja auch deshalb geraten, weil sich die deutsche Regierung unter Helmut Schmidt den Forderungen der Carter-Administration 1978 gebeugt hat und — zwar unwillig oder wider besseren Wissens — die Rolle der Lokomotive für die Weltkonjunktur zu spielen versuchte.

(Zuruf von der SPD: Waren Sie nicht dabei?)

— Ja, sicher waren wir dabei. Ich sage ja auch, unwillig und teilweise wider besseren Wissens haben wir dies versucht. Der internationale Konjunkturzug war jedoch viel zu schwer für die kleine Bundesrepublik. Wir konnten die Weltkonjunktur alleine nicht in Gang bringen, blieben jedoch auf einem großen Berg von Schulden sitzen, und dessen Zinslast werden wir in den kommenden Jahrzehnten noch abzutragen haben.
Meine Damen und Herren, wenn heute Stimmen aus der Opposition kommen — wie es ja teilweise auch bei Frau Matthäus-Maier angeklungen ist —, die die Bundesbank kritisieren, weil sie in Washington deutsche Positionen verteidigt hat, und die uns auffordern, eine Politik der Zinssenkung gegen den Markt zu betreiben, dann kann man sich eigentlich nur wundern. Es war schon damals eine Illusion, zu glauben, die Bundesrepublik könne den amerikanischen Wirtschaftskarren aus dem Dreck ziehen. Die Probleme in den USA sind weitgehend hausgemacht. Haushaltsdefizit, Leistungsbilanzdefizit und die unzureichende Sparquote der Amerikaner, das



Dr. Solms
heißt also ein übersteigerter Konsum, der die Wirtschaft inflatorisch anheizt, sind die eigentlichen Ursachen. Die strukturellen Ungleichgewichte in den USA können weder durch japanische Ausgabenprogramme, die, wie sich bei dem aktuellen Programm zeigt, ohnehin im wesentlichen auf die Binnennachfrage gerichtet sind, noch durch vermehrte deutsche Importe, erst recht nicht durch eine Senkung der Leitzinsen um ein halbes Prozent gelöst werden. Ohnehin ist die Binnennachfrage in der Bundesrepublik deutlich angestiegen. Ohnehin zeigen die neuesten Daten, daß wir im Jahre 1986 mit einer Wachstumsrate des Sozialprodukts von über 3% zu rechnen haben. Und wenn man die Wachstumsrate nach amerikanischen Rechenmethoden bewerten würde, so wäre sie wesentlich höher.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1023806500
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Rapp?

Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1023806600
Bitte.

Heinz Rapp (SPD):
Rede ID: ID1023806700
Herr Kollege Solms, wieviel Monate — ich sage schon gar nicht: Jahre — ist es her, daß Sie uns das amerikanische Modell angepriesen haben?

Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1023806800
Wir, Herr Kollege Rapp, haben niemals eine schuldenfinanzierte Ankurbelung unterstützt.

(Rapp [Göppingen] [SPD]: Es hat nie eine andere gegeben!)

Wir haben das theoretische Modell einer klaren Angebotspolitik unterstützt. Aber es ist nicht die Verantwortung der deutschen Regierung, daß die Amerikaner sich an das eigene Modell nicht halten.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Die Außenhandelszahlen der Bundesrepublik zeigen darüber hinaus, daß der Import gegenwärtig etwa mit der dreifachen Geschwindigkeit des Exports wächst. Darüber hinaus bemüht sich die Bundesregierung, in der Abwehr protektionistischer Maßnahmen eine internationale Vorbildrolle zu spielen, wie dies der Bundeswirtschaftsminister Dr. Bangemann erfolgreich bei den GATT-Verhandlungen in Uruguay in den letzten Wochen unter Beweis gestellt hat.
Allerdings bin ich überzeugt, daß die deutsche Position in der Sache wie auch propagandistisch noch geschickter hätte vorgetragen werden können. Die erfolgreiche deutsche Wirtschaftspolitik hätte der amerikanischen Öffentlichkeit noch deutlicher vor Augen geführt werden müssen. Es wurde in meinen Augen teilweise versäumt, schon vor der Konferenz die Bereitschaft zu erklären, auch in der Zukunft den Staatsanteil in der Bundesrepublik Deutschland weiter zurückzuführen, durch Flexibilisierung der Arbeitsbestimmungen, durch Deregulierung, durch Privatisierung, durch einen Einstieg in den Subventionsabbau und — das ist das Wesentliche — durch deutliche Steuersenkungen den Spielraum für eine expansive privatwirtschaftliche
Entwicklung in der Bundesrepublik in den nächsten Jahren weiter zu öffnen.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Das Zugeständnis des Bundesfinanzministers zu Ende der Konferenz, das für 1988 bereits verabschiedete Volumen der Steuersenkung möglicherweise zu erhöhen, wird von der FDP-Bundestagsfraktion nachdrücklich begrüßt und unterstützt.

(Zurufe von der SPD: Von wem denn? — Wie wollen Sie das finanzieren?)

Das zeigt zweierlei. Erstens: Es war wirtschaftspolitisch nicht klug, das Steuersenkungspaket in zwei Schritten, 1986 und 1988, zu verabschieden. Wäre die Koalition der Forderung der FDP nach Steuersenkung in einem Schritt, nämlich zum 1. Januar 1986, seinerzeit gefolgt, dann hätte der Finanzminister in Washington mit einem kräftigen Beitrag der Bundesrepublik Deutschland zur Stärkung der Wachstumskräfte und zur Ankurbelung der Konjunktur aufwarten können.
Zweitens. Die Steuersenkung in zwei Schritten war auch steuerpolitisch verfehlt. Die Steuerentlastung 1986 allein war zu gering. Viele haben die Entlastungen gar nicht gespürt, weil sie von den höheren Beiträgen zur Sozialversicherung aufgezehrt wurden. Eine Steuersenkung in einem Schritt hätte sicher bereits im Jahre 1986 noch deutlicher Investitions- und Nachfragesteigerungen angeregt.

(Dr. Spöri [SPD]: Harte Attacke an Stoltenberg! — Frau Dr. Timm [SPD]: So macht man das! Wir kennen das alle!)

— Kritik unter Partnern ist vernünftig und kann insgesamt nur zu besseren Ergebnissen führen.

(Dr. Wieczorek [SPD]: Die sind auch nötig!)

Die nunmehr vom Bundesfinanzminister angedeutete Bereitschaft zu kräftigen Steuersenkungen im Jahre 1988 ist der richtige Weg.

(Dr. Spöri [SPD]: So habt ihr das auch mit uns schon getrieben!)

Die FDP hat als Handlungsanweisung dafür ihr Steuerprogramm, den sogenannten „Steuerkurs 1987" vorgelegt. Sie zielt damit auf eine drastische Steuersenkung für alle Bürger und alle Unternehmen ab. Der Schwerpunkt dabei wird auf die Entlastung bei den kleinen und mittleren Einkommen gelegt,

(Dr. Spöri [SPD]: Durch die Senkung des Spitzensteuersatzes, jawohl!)

bei den Arbeitnehmern genauso wie bei den kleinen und mittleren Unternehmen. Ich glaube, daß wir bei diesem Programm, wenn wir es durchsetzen, gute Chancen haben, einen positiven Einfluß auf die Weltkonjunktur bis in die 90er Jahre hinein auszulösen.
Da mir die Bereitschaft der Unionsfraktion bekannt ist, diesen Vorstellungen der FDP weitgehend zu folgen,

(Frau Matthäus-Maier [SPD]: Gott sei Dank!)




Dr. Solms
wäre es sicherlich geschickt gewesen, einen solchen Plan schon vor der Reise nach Washington den Amerikanern zu unterbreiten und damit deren Argumenten den Wind aus den Segeln zu nehmen.

(Dr. Mitzscherling [SPD]: Das ist die Schuld von Herrn Stoltenberg!)

Noch einige Bemerkungen zu dem zweiten Problemkreis, nämlich der internationalen Schuldensituation. Die Schuldensituation hat sich in den letzten Jahren noch einmal zusätzlich in einer gefährlichen Weise erhöht. Die unvorstellbare Summe von 1 000 Milliarden Dollar Schulden der Entwicklungsländer wie auch die wirtschaftlich negativen Rahmenbedingungen machen es immer unwahrscheinlicher, daß die geborgten Gelder jemals zurückgezahlt werden können. Schlimmer jedoch ist, daß viele Länder nicht einmal in der Lage sind, den Schuldendienst zu erwirtschaften.

(Zuruf von der SPD: So ist es!)

Wer die Zinsen für Altschulden nicht bezahlt, wird kaum Kreditgeber finden, die bereit sind, neue dringend benötigte Kreditmittel bereitzustellen. Die hektischen Verhandlungen während der Konferenz und ein neues Umschuldungskonzept mit günstigeren Konditionen für das zweithöchstverschuldete Land Mexiko haben gezeigt, wie brennend die Gefahr und wie nervös die Stimmung auf den Finanzmärkten geworden ist. Der Kampf ums Überleben wird für die großen Schuldnerländer immer schwieriger. Das rückläufige Wachstum, insbesondere in den USA, hat den Welthandel stark gebremst. Damit sind die Preise für Rohöl und Rohstoffe insgesamt rapide verfallen. Die Exporte landwirtschaftlicher Erzeugnisse aus Entwicklungsländern werden von den reichen Industrieländern aus der EG und den USA durch Importrestriktionen abgewiesen. Noch schlimmer: Die Industrieländer pumpen mit Milliarden-Subventionen überschüssige Nahrungsmittel auf den Weltmarkt und verschlechtern damit die Chancen der Entwicklungsländer zusätzlich.
Damit ist eine Besserung der Finanzsituation der Schuldnerländer nicht in Sicht. Alleine das gesunkene Zinsniveau und der stark gefallene Wert des US-Dollar haben im letzten Jahr entlastende Wirkungen gehabt. Wenn darüber hinaus keine Entwicklung zum Besseren eintritt, werden die Gläubigerländer und insbesondere die Gläubigerbanken der Wahrheit ins Gesicht sehen müssen:

(Zuruf von der SPD: Richtig!)

Nicht unerhebliche Teile der Ausleihungen sind unwiderbringlich.

(Zuruf von der SPD: So ist es!)

Sie müssen irgendwann einmal abgeschrieben werden.

(Sehr wahr! bei der SPD)

Dies bedeutet für viele, aber insbesondere für die amerikanischen Banken, eine existenzielle Gefahr.

(Sehr wahr! bei der SPD)

Wenn wir vermeiden wollen, daß damit eine internationale Finanzkrise ungeahnten Ausmaßes eintritt — denn einer solchen Entwicklung könnten sich natürlich auch die europäischen Banken,

(Sehr richtig! bei der SPD)

wie die deutschen und die Schweizer Banken, nicht entziehen, die eigentlich in einer besseren Situation sind —, müssen wir auf internationaler Ebene die notwendigen Vorbereitungen dafür treffen. Mir scheint, daß dabei keine Zeit mehr zu verlieren ist.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1023806900
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Wieczorek.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1023807000
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe mit Interesse gehört, daß der Kollege von Wartenberg sagte: Hervorstechende Resultate waren in Washington nicht zu erwarten. — Die haben wir auch nicht bekommen. Nun habe ich vor mir noch eine Überschrift aus der „Bild"-Zeitung — das war allerdings am 29. September —: „Stoltenberg siegte". Sehr schön. „Währungsstreit mit Washington beigelegt". Sehr schön.

(Feilcke [CDU/CSU]: Und Sie siechen vor sich hin!)

„Der Dollar soll bei etwas über 2 Mark bleiben". Sehr schön. Am 3. und 4. Oktober hieß es dann schon: „Warum stellt sich Minister Stoltenberg eigentlich so furchtbar stur an?", diesmal im „Handelsblatt". Die Amerikaner selber schreiben dann am 6. Oktober im „Business Week": „Baker starts playing chicken with Germany and Japan" — sehr schön — und dann am 13. — das ist auch noch nicht so lange her —: „A stand-off at the IMF".
Wenn etwas so schief geht, dann kann man hinterher immer sagen: Wir haben nicht mehr erwartet. Mir scheint nur: Die Erwartung, die Sie geweckt haben, haben Sie nicht erfüllt.

(Beifall bei der SPD)

Das ist auch nicht so verwunderlich. Ich habe mit Interesse Ihrer Analyse der amerikanischen Politik zugehört, Kollege von Wartenberg. Dem konnte ich eigentlich nur zustimmen. Der Beifall kam aber auch nur von unserer Seite. Aber ich erinnere mich noch, wann wir vor dieser Politik gewarnt haben. Da haben Sie noch gesagt, die amerikanische Politik sei natürlich die Lösung; so sei es richtig.
Wie sieht denn die Politik aus? Es ist wert, sich daran zu erinnern. Da haben wir eine Riesensteuersenkung gehabt. Dann haben wir sozialen Abbau gehabt, um das zum Teil zu finanzieren — alles sehr vertraute Maßnahmen. Dann gab es vor allen Dingen einen Riesenaufbau bei der Rüstung. Daß diese Rüstung inflationär und mit Defiziten finanziert wurde ist richtig. Nur habe ich selbst in der Debatte, die wir heute morgen hatten, von seiten der Koalition kein Wort dazu gehört, wie der Zusammenhang zwischen den Kosten für das verrückte SDI und dem ist, was in dem amerikanischen Budget an Löchern drin ist.

(Beifall bei SPD)




Dr. Wieczorek
Da sind die Amerikaner im Kongreß schon weiter als die deutsche Regierungskoalition.
Dann haben wir natürlich noch etwas anderes gesehen. Da die Amerikaner so fleißig sparen, haben sie Kapitalimporte betrieben. Inzwischen sind sie das größte Schuldnerland geworden. Das sind gar nicht mehr die Entwicklungsländer. Nur haben sie das über Zinssteigerungen betrieben und damit die eh und je bestehende Phase der weltweiten Rezession verlängert. Aber sie waren dabei clever. Sie haben sich nämlich in Dollar verschuldet. Dadurch haben sie den Dollarkurs raufgetrieben. Alle die, die Sie mit Steuersenkungen und ähnlichen Subventionen begünstigt haben — wir brauchen nur die Bundesbankstatistik anzusehen —, sind aus der D-Mark in den Dollar gegangen. Das hat den Dollarkurs hochgetrieben. Die Amerikaner haben ihre Verschuldung mit Dollars gemacht. Wenn sie jetzt den Dollar plumpsen lassen, ist für sie die Schuld real nicht mehr soviel wert.

(Beifall bei der SPD — Frau MatthäusMaier [SPD]: Im Zweifel drücken die den rauf wie bei Vietnam!)

Das ist ein eleganter Weg der Entschuldung, leider nur für ein Reservewährungsland möglich.
Aber das zweite ist: Sie haben es nicht ganz geschafft. Jetzt kommt auch in den USA langsam das nüchterne Erwachen. Wir haben nicht nur eine internationale Verschuldungskrise, die die Banken gefährdet. Das läßt sich mit muddling through noch eine Weile hinziehen. Viel kritischer ist das, was in den USA selber passiert ist. Es ist nicht so, daß eine Bank of America oder die texanischen Banken an den Auslandskrediten in Schwierigkeiten gekommen seien, sondern mit dem, was sie in den USA gemacht haben. Ich finde es schon einigermaßen erschreckend, wenn ich sehe, daß bei den privaten Haushalten 20 % des Einkommens inzwischen für den Schuldendienst draufgehen. Das sollte sehr nachdenklich stimmen.
Wozu ist das Geld verwendet? Doch nicht dafür, die Industrie in Ordnung zu bringen. Selbst die neue Steuergesetzgebung macht das nicht. Die läßt gerade die Industrie weiter außen vor. Es ist dazu ausgegeben worden, um Spekulationen zu machen, um eine verrückte Akquisitions- und Konzentrationswelle in Gang zu bringen, die einen geradezu erschrecken läßt.
Dabei ist noch etwas anderes passiert. Das kommt zu uns zurück; deswegen führe ich es auf. Durch den hohen Dollarkus, der die Importe verursacht hat, der die großen Defizite in der Handelsbilanz gebracht hat, aber auch durch diese Art von Spekulationsmentalität hat man ganz systematisch den eigentlichen industriellen Kern der USA in den Teich fahren lassen,

(Beifall bei SPD)

ganz massiv in den Teich fahren lassen. Man hat groß über Dienstleistungen geredet. Auch bei uns gibt es Leute, die meinen, das Heil liege in den Dienstleistungen. Jedoch können die Dienstleistungen, die interessant sind — etwa High-tech-Dienstleistungen —, ohne industrielle Basis überhaupt nicht existieren.
Weil das so ist, haben wir jetzt schon über drei bis vier Jahre ein Investitionsdefizit bei der amerikanischen Industrie, was natürlich deren Exportfähigkeit beeinträchtigt.

(Dr. Spöri [SPD]: Niedrige Produktivität!)

Die Amerikaner werden uns das sicher spüren lassen. Das ist der entscheidende Unterpunkt, wo wir mit nationaler Souveränität überhaupt nicht weiterkommen werden, Herr Stoltenberg.

(Rapp [Göppingen] [SPD]: Miserable Produktivität!)

Wir haben übrigens eine Umstrukturierung in den Verteidigungsbereich hinein festzustellen. Nur kann man Raketen so fürchterlich schlecht essen. Es wäre schön, wenn es anders wäre.
Wir haben erlebt, daß ebenfalls durch den überhöhten Dollar — nicht nur durch die Exportsubventionen der EG — der Agrarmarkt für die USA zusammengebrochen ist.
Allerdings muß man sagen, daß die amerikanische Regierung, seit Baker das Schatzamt übernommen hat, auf einen realistischeren Kurs gegangen ist. Wir haben alle die G-5-Beschlüsse vom September des vorigen Jahres begrüßt. Sie waren vernünftig. Nur: Als dann die Folgerung daraus gezogen werden sollte, als Baker in Washington bei einer privaten Veranstaltung sehr deutlich gemacht hat, es sei an der Zeit, durch neue Instrumente die Wechselkurse in eine Stabilisierungsphase zu führen, damit nicht Verrücktheiten, wie sie nach oben vorgekommen sind, nach unten passieren können, hat die Bundesregierung leider versagt.
Es ist ja nicht ganz geheim geblieben, Herr Stoltenberg, wie denn in Tokio der Ton war zwischen Ihnen und Herrn Baker und Herrn Darman. Ich weiß nicht, ob uns dieses auf die Dauer wirklich dient.

(Bundesminister Dr. Stoltenberg: Der letztgenannte Herr war gar nicht da!)

— Aber Sie wissen, daß er das Papier mit verfaßt hat, das Ihnen Herr Baker präsentiert hat. Sie wissen doch genau, wer das Papier gefertigt hat. Es war nicht Herr Mulford, sondern Herr Darman. Das war das Papier, das Herr Baker Ihnen präsentiert hat, das Sie so fürchterlich erregt hat. Darüber können wir gern reden, Herr Stoltenberg.
Vorhin habe ich Ihnen die Überschrift gegeben. Da haben Sie schon angefangen auszubüchsen. Der Dollarkurs stand vor 20 Minuten bei 1,973 DM. Das hilft unseren Exporten sicherlich sehr.
Es ist ja auch kein Geheimnis, daß die Amerikaner inzwischen sagen, es sei gar kein Problem, von dem an den Kaufkraftparitäten ausgerichteten Kurs zwischen 1,90 DM und 2,10 DM abzugehen und ruhig 10 % oder auch 20% herunterzugehen. Die Hausnummer von 1,50 DM können Sie schon in einer Reihe von Publikationen lesen. Das ist nicht so lustig für die deutsche Industrie. Das werden Ihnen der DIHT und auch der Bankenverband sa-



Dr. Wieczorek
gen, wenn der Wahlkampf vorbei ist; vorher natürlich nicht.
Wir sehen natürlich auch, daß wir schon konkreten Protektionismus haben.

(Frau Dr. Timm [SPD]: So ist es!)

Die reden nicht nur darüber. Wir hatten doch schon die ganzen Auseinandersetzungen im Zusammenhang mit dem Stahl. Sehen Sie denn nicht, was beim Werkzeugmaschinenbau passiert ist? Wollen Sie nicht wahrhaben, wie die Amerikaner mit den Kanadiern beim Holz umgehen? Wir müssen auch sehen, daß das Gesetz zur Beschränkung der Textileinfuhr gerade noch einmal nicht durchgekommen ist. Das ging, weil der Präsident zur Zeit noch die Mehrheit für ein Veto hat. Ob das nach dem November noch der Fall sein wird, darüber werden wir uns vielleicht noch unterhalten müssen.
Es wäre für uns sinnvoll gewesen, genau diesen Ball der Wechselkursstabilisierung aufzunehmen. Dieser Ball ist aber von der Bundesregierung verspielt worden, nicht zuletzt auch in den anschließenden Diskussionen über Indikatoren und den Versuch, über peer-pressure so etwas wie eine Koordinierung der Wirtschaftspolitik zu erreichen.
Jetzt bleibt den Amerikanern gar nichts anderes übrig, als zu sagen: Jetzt müßt ihr handeln, die ihr so lange davon profitiert habt. Es ist doch nicht Ihr Erfolg gewesen, daß die Konjunktur hochgegangen ist, sondern das war nun einmal ein exportbedingtes Wachstum, das wir hatten.
Sie müssen genau hinsehen. Die Zahlen sind nicht so berauschend, als daß Sie den Amerikanern vormachen könnten, es sei jetzt alles herrlich und in Ordnung. Die Japaner haben das begriffen. Die sind wieder einmal schnell ausgebüchst und machen ein binnenwirtschaftliches Programm in Höhe von 23 Milliarden US Dollar für ihre eigene Wirtschaft. Wenn ich richtig informiert bin, betreffen davon immerhin 9 Milliarden öffentliche Aufträge. Das ist auch ganz interessant. Japanische Beispiele sind j a nicht immer schlecht.
Was aber machen wir? Sie sagen: Das erste Quartal war ein Ausrutscher, das zweite Quartal ist herrlich. Die Amerikaner schauen auch auf so etwas wie kalenderbereinigte Daten. Dann aber ist man bei 2 %. Das ist j a nicht so toll.
Sie wissen auch, was im Einzelhandel und was mit den Aufträgen insgesamt bis zum August passiert ist. Es ist auch kein Zufall, daß ausgerechnet Herr Gutowski, der nun wirklich unverdächtig ist, Sozialdemokrat zu sein, Ihnen empfiehlt, dringend etwas für die Konjunktur zu tun.
Es ist doch auch kein Zufall, daß Sie sich selber heute in Ihrer Rede ein Schlupfloch aufgemacht haben, man könnte vielleicht bei der Steuer ein bißchen mehr tun. Das haben wir schon gehört.

(Frau Matthäus-Maier [SPD]: Und bei den Zinsen!)

Aber da, wo es hier und heute gilt, etwas zu tun, haben Sie bisher aus eigentlich nur ideologisch zu erklärenden Gründen nein gesagt.

(Beifall bei der SPD)

Ich meine damit das „Sondervermögen Arbeit und Umwelt", das wir vorgestellt haben, und die Frage der Zinspolitik.

(Dr. Rumpf [FDP]: Das haben wir de facto doch schon!)

— Das haben wir ja gesehen, wie Sie das machen: Mini.

(Dr. Rumpf [FDP]: Nein, Maxi!)

— Die KW hat bei uns abgeschrieben. Das ist richtig, und das finde ich auch gut. Die Regierung sollte bei uns abschreiben. Das wäre viel besser.

(Beifall bei der SPD)

Zur Zinspolitik: Natürlich macht das halbe Prozentchen beim Diskont bestenfalls ein bißchen gutes Wetter in den USA. Das ändert aber nicht viel. Nur: Die Zinspolitik insgesamt ist nicht in Ordnung, denn die Realzinsen sind noch entschieden zu hoch. Das, was der Kreditkunde der Banken zu zahlen hat, ist noch zu hoch. Vielleicht wäre es einmal sinnvoll, sich mit dem Bankenverband darüber zu unterhalten. Vielleicht sind dann die Anzeigen nicht mehr so für die Regierung, wie sie es heute sind.
Aber dann wird das Argument vorgetragen, das Geldmengenwachstum sei außer Rand und Band geraten. Darüber kann man ja noch diskutieren, ob das der Fall ist. Nur: Ist Ihnen denn gar nicht aufgefallen, daß genau Ihre Wechselkurspolitik die Bundesbank dazu gezwungen hat, jetzt immer wieder zu intervenieren, damit der Dollar nicht noch mehr absackt? Aber er wird wahrscheinlich noch weiter absacken. Daß aber solche Interventionen, d. h. wenn Sie Dollars kaufen, um den Dollarkurs hochzutreiben, natürlich im Gegenzug die Geldmenge bei uns steigern, gehört nun einmal zum Einmaleins eines jeden, der weiß, wie dieser Mechanismus funktioniert. Das heißt: Sie produzieren ja selber die Erhöhung der Geldmenge über die notwendigen Interventionen am Devisenmarkt, die Sie dann hinterher als Ausrede dafür benutzen, daß Sie bei den Zinsen nichts tun.

(Beifall bei der SPD)

Ich komme zu einem weiteren Punkt, zu der Frage der Lokomotiv-Theorie. Natürlich ist es albern zu meinen, die Bundesrepublik allein könne den USA helfen. Ich halte allerdings auch eines für wichtig: Wenn die Amerikaner sagen, 5 Milliarden Dollars seien auch etwas, dann ist das ja richtig. Nur, wir müssen natürlich sehen, daß die Bundesrepublik aus amerikanischer Sicht das entscheidende Land für Europa ist, aber sie ist es nicht nur aus amerikanischer Sicht. Dann sehen die Zahlen schon etwas anders aus.
17,5 % des amerikanischen Handelsdefizits entstehen mit Europa, und 26,8 % aller amerikanischen Importe kommen aus Europa. Es hängt doch entscheidend davon ab, ob die Bundesregierung bei der Arbeitslosigkeit, die in allen europäischen Ländern



Dr. Wieczorek
zu verzeichnen ist, bereit wäre, in einer verabredeten Kooperation das zu machen, was wir in unserem Programm einen europäischen Beschäftigungspakt nennen.

(Beifall bei der SPD)

Sie können es ja anders nennen — das interessiert mich nicht —, nur, Sie müssen es endlich machen.

(Erneuter Beifall bei der SPD)

Sie müssen natürlich auch die Bundesbank an ihre Verantwortung erinnern, denn ohne die währungspolitische Begleitmusik der Bundesbank, im Sinne einer Absicherung, damit nicht wieder das passiert, was Frankreich 1982 passiert ist, wird das nicht laufen. Aber da stehen die Deutschen in der Verantwortung, und die Amerikaner werden uns daran erinnern. Haben Sie keine Sorge, daß die das nicht sehen.
Weil dies so ist, möchte ich auch noch darauf verweisen, daß wir da nicht allein sind. Es sind Herr Modigliani und Herr Giersch gewesen — Herr Giersch, der Präsident des Kieler Instituts, ist, wie jedermann weiß, ja auch ein bekannter Vertreter der sozialistischen Theorie; es ist ja bekannt, daß das Institut ausgesprochen linkssozialistische Tendenzen vertritt —, die jetzt in einem Programm einen europäischen Beschäftigungspakt gefordert haben. Berufen Sie sich meinetwegen auf Herrn Giersch und Herrn Modigliani, wenn Sie sich schon nicht auf uns berufen wollen, aber tun Sie endlich etwas.

(Beifall bei der SPD)

Dann muß ich Sie daran erinnern, was geschieht, wenn Sie nichts tun. Ich habe Ihnen den Dollarkurs genannt. Aber es wird ja nicht nur der Dollarkurs tangiert, sondern auch der Pfundkurs; er lag vor ein paar Minuten bei 2,83 DM. Dann wird nämlich an dieser Front ein weiteres Absacken zu verzeichnen sein. Sie bekommen die Effekte bei der Geldmenge, die wir schon diskutiert haben.
Vor allen Dingen aber werden massive Störungen des Welthandels die Folge sein. Da werden die Amerikaner — das bitte ich allerdings ganz ernst zu nehmen — nach dem Monat November anders handeln als bisher. Wir wissen nicht, wie die Senatswahlen ausgehen. Nur, denken Sie an die entscheidenden Staaten, in denen der Ausgang offen ist: North Carolina, Washington State, Idaho, Dakota. Das alles sind Staaten der USA, die handelsorientiert sind. Sie sind entweder agrarisch oder industriell ausgerichtet. Wenn die Mehrheiten dort kippen, dann wünsche ich viel Vergnügen bei der Auseinandersetzung mit dem amerikanischen Kongreß über Protektionismus. Wir wissen doch nur zu gut — Sie wissen es doch auch; Sie sind doch besser informiert als so eine kleine Opposition, die versucht, sich handgestrickt Informationen zu besorgen — —

(Zuruf des Abg. Dr. Bötsch [CDU/CSU])

— Natürlich, ich habe nichts gegen stricken; Handwerk ist immer gut; Sie haben ja neuerdings Probleme damit, aber das ist Ihr Problem. — Nur, eines müssen Sie doch sehen: Diese Gesetze liegen doch
alle vor, einschließlich des Export Trading Act mit seinen doch sehr schönen Maßnahmen.
Nur zur Erinnerung, falls Sie es nicht gehört haben sollten: Wenn die Demokraten die Mehrheit im Senat bekommen, dann wird Senator Lloyd Bentsen aus Texas der Vorsitzende des Finance Committee, wo Fragen der Handelspolitik erörtert werden. Nur, falls es Ihnen entgangen sein sollte: Dieser Lloyd Bentsen ist einer der Sponsoren des Import Tax Bill mit 25 % Importsteuern, um die USA zu schützen. Dies ist die Kombination, mit der wir zu rechnen haben. Dann halte ich es allerdings nicht nur für ein Versagen bei einer Konferenz, sondern dann halte ich langsam für eine ganz starke Gefährdung unserer langfristigen Aussichten, und zwar nicht nur im Blick auf die USA, was Sie in Washington nicht geleistet haben. Denn die Folge wird natürlich sein, daß dann die ganzen Maßnahmen scheitern werden, die wir im GATT vorhaben. Herr Bangemann nimmt den Mund ja gern ein bißchen voll. Die Probleme sind größer, als Herr Bangemann sie darstellt. Nur, wenn die Amerikaner Protektionismus machen, können Sie nach meiner Einschätzung — ich bin da vermutlich nicht alleine — GATT vergessen. Dann stehen wir nämlich vor einer Periode, die wir in anderen Weltwirtschaftskrisen auch schon hatten. Dann kriegen wir nämlich genau die Entwicklung mit bilateralen Abkommen und alledem, was damit verbunden ist. Daß das der Bundesrepublik Deutschland dienen soll, können Sie mir nicht erzählen. Wahrscheinlich können Sie sich das noch nicht einmal selber erklären.

(Beifall bei der SPD)

Das wird dann auch nicht beim GATT stehenbleiben. Glauben Sie denn im Ernst, daß in einer solchen Situation in Großbritannien nicht plötzlich diejenigen, die dort auch für Protektionismus sind, wieder die Oberhand gewinnen? Das sind zum Teil Parteifreunde von uns; ich sage das ganz offen. Sie sind im Moment 'rumgekommen, weil wir sie überzeugt haben. Nur, ob es dabei bleibt, weiß ich nicht.
Und was die Franzosen machen werden? Ich darf daran erinnern, daß wir das Europäische Währungssystem auch deshalb geschaffen haben — Helmut Schmidt damals, übrigens auch gegen Ihren Widerstand —, um den Protektionismus in Frankreich außen vor zu halten. Hier ist ja damals der Zusammenhang zwischen Währungspolitik und Handelspolitik nur allzu deutlich geworden.

(Beifall bei der SPD)

Aber was bieten Sie uns? Sie bieten uns auf diesem Sektor keine Lösung. Wir brauchen sie dringend; sonst müssen wir leider erwarten, daß Sie Gefangener Ihrer eigenen Argumentation werden. Sie sagen, Sie seien so gut; deswegen brauchten Sie keine Konjunkturpolitik, erst recht keine mit strukturellen Wirkungen, zu machen. Nur, wenn Sie keine machen, werden wir nicht von den 2 Millionen Arbeitslosen herunterkommen. Da können Sie noch soviel aus der Statistik herausstreichen, das hilft nichts. Wir gehen dann auf dieser Basis in die



Dr. Wieczorek
nächste Rezession, von der alle sagen, daß sie 1987/1988 kommen wird.

(Dr. Bötsch [CDU/CSU]: Herr Roth hat das schon vor drei Jahren gesagt!)

— Sie müssen einmal genau nachlesen, was gesagt worden ist.

(Dr. Bötsch [CDU/CSU]: 4,5 Millionen hat er gesagt!)

Ich empfehle Ihnen, sich doch einmal Ifo anzugukken, HWWA, alle die Institute anzugucken, auf die Sie sich auch sonst so gerne berufen, einschließlich der OECD. Wenn Sie es noch nicht gelesen haben: Ich habe drüben eine Sammlung liegen, die ich Ihnen gerne gebe.

(Feilcke [CDU/CSU]: Der schönste Erfolg der Unken ist der Mißerfolg!)

— Wenn ich da unrecht haben sollte, bin ich happy. Das will ich Ihnen ganz offen sagen.

(Feilcke [CDU/CSU]: Das glaube ich nicht! Sie leben doch davon!)

Nur, daß Sie plötzlich den Konjunkturzyklus abschaffen werden, bezweifle ich allerdings.

(Dr. Bötsch [CDU/CSU]: Aber wir werden ihn abschwächen!)

— Es mag ja sein, daß Sie das glauben. Nur, Sie tun doch nichts dafür. Und wenn Herr Stoltenberg meint, er könne sein Pulver aufbewahren, bis es denn kommt, kann ich nur sagen: Das wird dann möglicherweise in der Situation sein, von der ich eben geredet habe, wenn sich nämlich der Welthandel selbst in der Desintegration befindet. Dann halten Sie allein mit Konjunkturprogrammen nichts mehr auf. Wenn, dann müssen Sie jetzt etwas tun und nicht warten, bis das Kind im Brunnen liegt. Das ist der entscheidende Punkt.

(Beifall bei der SPD — Feilcke [CDU/CSU]: Das beste für unsere Konjunktur ist, Sie in der Opposition zu halten!)

Aber Ihre Ideologie, Ihre Wahlkampfaussage läßt es nicht zu, zu sagen, es ist doch nicht ganz so gut, wie wir immer tun. Und hinsichtlich Ihrer eigenen Absichten habe ich bei dem einen und anderen auch meine Zweifel. Wenn ich den Grafen Lambsdorff so höre mit seiner Argumentation für mehr Flexibilität, muß ich sagen: Die kann er doch bei uns nur kriegen, wenn er die Furcht vor der Arbeitslosigkeit aufrechterhält. Das ist ja wohl dann auch sein Ziel.
Herr Stoltenberg, ich komme zum Schluß. Sie haben gesagt: Frei von äußerer Einmischung im Einklang mit seinen Traditionen und seinen Wertvorstellungen Politik zu entwickeln sei die Aufgabe jeder nationalen Regierung. Fein. Endlich einmal ein ordentlicher Standpunkt gegenüber den Amerikanern! Den vermisse ich in der Rüstungspolitik, den vermisse ich in der Nicaragua-Politik, den vermisse ich übrigens auch in der Verschuldungspolitik der Dritten Welt. Nur, bei diesem Punkt ist diese Einstellung natürlich falsch; denn ein Land wie die Bundesrepublik, das ein Drittel seines Sozialprodukts im internationalen Bereich erwirtschaftet, das so verflochten ist — innerhalb der EG und zusammen mit der EG — mit der Weltwirtschaft —, kann es sich nicht leisten, einen solchen Standpunkt gegenüber der größten Handelsmacht des westlichen Bereichs, den USA, einzunehmen. Ob es uns paßt oder nicht: Wir sind zur Kooperation gezwungen. Sie haben diese Kooperation leider nicht gesucht, und wir werden das leider alle ausbaden müssen.
Ich hoffe nur, daß bei Ihnen vielleicht doch noch die Einsicht kommt, wie das in einigen Reden heute morgen angeklungen ist. Vielleicht wird Herr Kohl, der soviel von Wirtschaft versteht, aus Washington mit anderen Ergebnissen zurückkommen. Spannend wäre das jedenfalls.
Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der SPD)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1023807100
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Rose.

Dr. Klaus Rose (CSU):
Rede ID: ID1023807200
Verehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Anders als bei den Ausführungen der ersten Sprecherin der SPD-Fraktion, die die Tagung des Internationalen Währungsfonds und der Weltbank zu einer Matthäus-Passion der deutschen Innenpolitik machen wollte,

(Heiterkeit und Zustimmung bei der CDU/ CSU)

habe ich bei den Ausführungen des Kollegen Dr. Wieczorek keine allzu großen Schwierigkeiten, einiges zu erkennen, was auch uns bewegt und was zur Zeit besonders in bezug auf die USA festzustellen ist.
Es ist zweifellos richtig, daß auch die Vereinigten Staaten von Amerika in der internationalen Schuldenpolitik inzwischen eine nicht besonders positive Rolle spielen, und gerade deshalb gab es ja auch bei dieser Tagung des Internationalen Währungsfonds die Gespräche, in denen man mit den amerikanischen Abgeordneten und Senatoren reden konnte, um auch die Haushaltspolitik der Amerikaner zu durchleuchten. Wir werden da bestimmt noch mehr tun müssen, und es ist bestimmt nicht falsch, wenn sich auch und gerade Haushaltspolitiker, Leute aus der Wirtschaft und Leute von den Banken, die ja offener als Ideologen über manche Probleme reden, zusammensetzen und diese Fragen dann auch einer Lösung zuführen.
Für mich als zweiten Redner der CDU/CSU-Fraktion besteht heute aber die Aufgabe zunächst darin, noch einmal auf die internationale Schuldenkrise einzugehen. Dabei möchte ich die Tagung des Währungsfonds und der Weltbank analysieren, eine Tagung, die ich zu Beginn als notwendig und als gut bezeichnen möchte. Entgegen der Meinung der GRÜNEN, daß dort zum größten Teil — wie sie es nennen — politisch nutzlose Schauveranstaltungen stattgefunden haben, hat nämlich auch die diesjäh-



Dr. Rose
rige Tagung in Washington wieder gezeigt, daß Fortschritte zu erzielen sind.

(Ströbele [GRÜNE]: Noch mehr Schulden, oder wie?)

So urteilte die „Neue Zürcher Zeitung" am 3. Oktober, die Einigung zwischen Mexiko und seinen Gläubigerbanken über die Gewährung zusätzlicher Kredite für 1986 und 1987 habe alle Beteiligten hörbar aufatmen lassen.

(Ströbele [GRÜNE]: Aber nicht das mexikanische Volk!)

Auch die „International Herald Tribune" schrieb, die Vereinbarung zwischen Mexiko und den Banken sei ein gutes Abkommen; die Schuldzinsenrate sei zwar nicht so niedrig wie von Mexiko erhofft ausgefallen, doch handele es sich um den niedrigsten Zins, der bisher auf dem internationalen Schuldensektor erreicht wurde.

(Volmer [GRÜNE]: Hilft trotzdem nicht!)

Mit dem genannten Ambiente, mit den vielen Möglichkeiten zwischenmenschlicher und zwischenstaatlicher Begegnungen lohnt sich eine solche Jahrestagung. Das möchte ich gerade den GRÜNEN sagen, die bei uns im Haushaltsausschuß den Antrag eingebracht haben, kein Geld für die große Tagung in Deutschland zur Verfügung zu stellen. Ich meine, wir können uns freuen, wenn 1988 die internationale Tagung in Berlin stattfindet!

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Ich möchte auch nochmals die Worte meines Vorredners Dr. von Wartenberg unterstreichen: Wir müssen Herrn Bundesfinanzminister Dr. Stoltenberg Anerkennung dafür zollen, daß er in Washington erneut eine klare Linie verfolgt hat.
Aus Anlaß der heutigen Debatte sollen einige Fragen aufgegriffen werden, die die internationale Verschuldung betreffen, denn die „Süddeutsche Zeitung" hatte recht, als sie am 3. Oktober konstatierte, daß es einen vor sich hinbrodelnden Krisenherd gibt, der gemeinhin mit „internationale Verschuldung" umschrieben wird, und daß wir nicht jahrelang nur über diese Fragen reden können, sondern daß auch etwas geschehen muß.
Wie sollen wir diese Entwicklung beurteilen? Wie sind denn ihre Auswirkungen auf uns selbst, auf den Bundeshaushalt und auf die Finanzen der Banken? Wie können wir — auch diese Frage ist wichtig — den Schuldnerländern dabei helfen, daß sie wieder verstärkt zahlungsfähig werden?
Jeder von uns weiß, daß es inzwischen Länder gibt, die bereits zahlungsunfähig sind. Sie werden sie in aller Welt finden. Dazu gehört auch Vietnam, dazu gehört auch Peru, und welche Regierungen dort amtieren, muß man nicht unbedingt erwähnen. Die Verbindlichkeiten der Dritten Welt liegen, wie Kollege Solms schon erwähnt hat, bei einer Billion US-Dollar. Peru z. B. möchte keine Devisen zur Deckung des Schuldendienstes mehr abzweigen.

(Ströbele [GRÜNE]: Sehr vernünftig!)

Aber auch Bolivien kann das wegen schlechterer „terms of trade" oder wegen nachgebender Rohstofferlöse nicht mehr.
Da höre ich nun immer: Es ist sehr vernünftig, wenn die Leute nicht mehr zahlen. Ich möchte einmal wissen, für wen das vernünftig ist.

(Ströbele [GRÜNE]: Für die Leute!)

Es ist doch nur für die vernünftig, die selber das Geld schulden. Das kann ja jeder tun: zuvor Schulden machen und hinterher sagen: April, April, ich gebe das Geld nicht zurück. Wenn Sie im Interesse des deutschen Volkes und des deutschen Steuerzahlers reden, dürfte die Antwort, die Sie geben, nicht die richtige sein. Wenn man Kredite gegeben hat, muß auch etwas zurückkommen.
Eine andere Frage ist, ob die hohen Zinsen, die jahrelang auf dem internationalen Markt üblich waren, sein müssen. Da meine ich, daß auch die Banken einsehen müssen, daß es besser ist, Zinszahlungen auf einem niedrigeren Niveau zu bekommen, als auf hohem Niveau leer auszugehen.
Es muß weiter die Ansicht verfolgt werden, daß die Schuldnerländer nicht gesundschrumpfen, sondern gesundwachsen sollen. So habe ich die Äußerungen des Weltbankpräsidenten, Mr. Conable, auch voll bejaht, als er sagte, wir müßten dafür arbeiten, daß es wieder zu Wachstum komme. Man kann deshalb die Passage des Berichts des Internationalen Währungsfonds für das Jahr 1986 nur unterstreichen, in der es heißt:
— Die Schuldnerländer müssen vernünftige gesamtwirtschaftliche und strukturpolitische Maßnahmen treffen, damit die Grundlage für ein dauerhaftes Wirtschaftswachstum bei niedriger Inflation gelegt

(Ströbele [GRÜNE]: Was heißt denn „für die Bevölkerung"?)

und damit auch für die internationale Kreditwürdigkeit geschaffen ist; — die Gläubigerländer müssen sich wirtschaftlich und finanziell mehr auf die Entwicklungsländer einstellen.
Die geforderten Schritte, die sich aus dieser Politik ergeben, nämlich z. B. Verringerung der Haushaltsdefizite, Wechselkursanpassungen, Zinssenkung, Offenhaltung der Märkte, inflationsfreies Wachstum, weiterer Zinssenkungsspielraum, sind bei uns in der Bundesrepublik bereits durch eine gute Politik erfolgt.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Schwieriger allerdings gestaltet sich die Erfüllung des Baker-Planes, daß die Weltbank und die Interamerikanische Entwicklungsbank eine Kapitalstärkung brauchen, um mehr Kreditauszahlungen an die Hauptschuldnerländer zu erreichen.
Ebenso schwierig entwickelt sich die Lage der Geschäftsbanken, die ebenfalls neue Kredite zur Absicherung einer soliden Wirtschaftspolitik bräuchten. Doch auch hier hat die deutsche Seite positive Signale gesetzt.
Die internationale Schuldenlage macht uns weiterhin Sorgen. Sie ist jetzt zum Herbst angespann-



Dr. Rose
ter als noch im Frühjahr dieses Jahres. Die Schuldenquoten haben sich verschlechtert. Aber wenn man differenziert, sieht es nicht ganz so schlecht aus: Da gibt es auch wieder Lichtblicke, weil die Lage der Ölexporteure besonders kritisch ist, vor allem wenn sie keine anderen Exportmöglichkeiten haben, weil aber z. B. die Lage der Agrarexporteure, wenn auch andere Terms of Trade dazukommen, durchaus günstiger ist, solange sie nicht auch durch schlechte Ernten beeinflußt wird.
Zu Recht lehnt die Bundesregierung eine Politik ab, die darauf hinausläuft, mehr Wachstum durch Steigerung staatlicher Ausgabenprogramme und durch Ausweitung der Staatsverschuldung herbeiführen zu wollen. Das ist auf Dauer keine richtige Politik. Man kann deshalb nur ermuntern, selbsttragende Wirtschaftspolitik zu unterstützen.

(Ströbele [GRÜNE]: Vor allem die deutsche Wirtschaft!)

Besonders wichtig ist, daß die hohe Kapitalflucht gestoppt wird.
Ein letzter Aspekt: In Washington wurde ein wenig die Hoffnung laut, daß die Geschäftsbanken ihre Risiken durch staatliche Bürgschaften abdekken wollen. Bei aller Anerkennung der entwicklungspolitischen Arbeit dieser Banken kann es aber zu keiner Übernahme der Risiken durch den Bundeshaushalt kommen. Es ist im wohlverstandenen Interesse der Banken selbst, jeden Einzelfall zu bearbeiten und den Anpassungsprozeß in den Schuldnerländern finanziell abzusichern. Den Steuerzahler hineinzuziehen wäre der verkehrteste Weg. Wir müssen dazu beitragen, daß die weltwirtschaftlichen Rahmenbedingungen stimmen, daß der Protektionismus ausbleibt und daß die hoffnungsvollen Signale, die gesetzt wurden, auch in der Zukunft verfolgt werden.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Zuruf von der SPD: Der Steuerzahler ist doch schon dran!)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1023807300
Das Wort hat der Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit.

Dr. Jürgen Warnke (CSU):
Rede ID: ID1023807400
Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Die Zeichen bei der Weltbank — und der Währungsfondstagung standen eigentlich auf Sturm zwischen den Entwicklungsländern und den Industrieländern. Ein Tiefstand der Rohstoffpreise trifft auf eine Erhöhung der Preise für Fertigwaren, die die Entwicklungsländer brauchen, in diesem Jahre — in Dollar ausgedrückt — um 12 bis 13%, d. h. massive Verschlechterung der Terms of Trade. Die Ausleihungen der Kreditbanken an die Entwicklungsländer sind zurückgegangen, parallel zu einem massiven Einbruch in den Direktinvestitionen, dazu Auseinandersetzungen zwischen den Industrieländern selbst über den richtigen Wachstumspfad. Das waren keine erfolgversprechenden Rahmenbedingungen.
Um so überraschender ist es, daß diese Tagung von den acht Treffen von Bank und Fonds, die ich bis jetzt mitgemacht habe, diejenige gewesen ist, die am meisten Ausgeglichenheit, Sachlichkeit und Konstruktivität gezeigt hat. Ein entscheidender Anteil an diesem Ergebnis ist in der Tat Bundesfinanzminister Stoltenberg zugekommen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Ihm ist es gelungen, die Spannungen unter den großen Industriestaaten über den richtigen Wachstumsweg nicht mit einem Formelkompromiß zu verkleistern, sondern konstruktiv aufzulösen. Die Botschaft ist angekommen. Wir in der Bundesrepublik können nicht durch Senkung des Diskonts um Prozentbruchteile die schädlichen Wirkungen von Haushaltsdefiziten in der dreistelligen Milliardengrößenordnung ausgleichen. Die Kur muß bei den Defiziten ansetzen. Zu einem solchen Kurs — auch das haben wir in Washington klargestellt — können und wollen wir konstruktiv durch die Geld-, die Steuer- und die Wirtschaftspolitik einen Beitrag leisten, zu einem Zeitpunkt, zu dem es angemessen und sinnvoll ist.

(Zuruf von der SPD: Wann ist das?)

Der Erfolg von Washington wäre allerdings auch nicht zustande gekommen ohne die vorhergehende Konferenz von Punta del Este. Bei dieser Konferenz des GATT haben sich die Entwicklungsländer zum ersten Mal in dieser Gruppe, in der sie sonst immer am Rande standen, intensiv beteiligt und das Ergebnis entscheidend mitgestaltet. Es ist ein Ergebnis, das sich insbesondere dadurch auszeichnet, daß es gelungen ist, die strukturellen Überschüsse des europäischen Agrarmarktes — übrigens nicht nur des europäischen Agrarmarktes; andere Staaten wie z. B. die USA leisten hier auch Beachtliches —, die strukturellen Überschüsse der Agrarexporteure auf den Prüfstand zu stellen. Es ist uns gelungen, unsere widerstrebenden Partner in der Europäischen Gemeinschaft davon zu überzeugen, daß es unseren Bauern wie den Entwicklungsländern nicht länger zuzumuten ist, Milliardenbeträge dafür aufzuwenden, Agrarüberschüsse zu lagern und zu verwalten, nur um sie dann zu Lasten der Menschen in der Landwirtschaft der Entwicklungsländer auf dem Weltmarkt zu verschleudern. Die Zeit ist reif für eine Reform des europäischen Agrarmarktes mit dem Ziel des Abbaus struktureller Überschüsse.
Meine Damen und Herren, ein Schwerpunkt deutscher Entwicklungshilfe war und ist die Unterstützung

(Ströbele [GRÜNE]: Der eigenen Industrie!)

der ärmeren und der ärmsten Entwicklungsländer. Wir haben deshalb auch in Washington unseren Beitrag zur Verstärkung der Hilfe an diese Länder geleistet. Wir werden für die achte Wiederauffüllung der Internationalen Entwicklungsagentur, die für die ärmsten Entwicklungsländer zur Verfügung steht, einen Beitrag von rund 2,7 Milliarden DM leisten. Wir erbringen damit, gemessen an unserem Bruttosozialprodukt, den höchsten Beitrag unter den Geberländern.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)




Bundesminister Dr. Warnke
Über diesen Beitrag hinaus habe ich in Washington eine Sonderleistung in noch zu beziffernder Höhe angekündigt. Zusammen mit den Sonderbeiträgen anderer Länder wird IDA VIII so eine Größenordnung von etwa 12 Milliarden Dollar erreichen können.

(Beifall bei der CDU/CSU, der FDP und der SPD)

Meine Damen und Herren, wir haben den ärmsten Entwicklungsländern auch dadurch Hilfe geleistet, daß wir ihnen Schulden in der Größenordnung von 4,2 Milliarden DM erlassen haben. Kein Land der Welt hat mehr in diesem Sinne getan.
Wenn Sie, Frau Matthäus-Maier, gefordert haben: Schuldenteilerlaß jetzt als generelle Strategie hier und heute,

(Frau Matthäus-Maier [SPD]: Nie generell!)

Schuldenteilerlaß für Schwellenländer mit Milliarden Kapitalflucht,

(Zuruf von der SPD: Nein!)

— Schuldenteilerlaß auf alle Fälle für Länder, die, nach meiner Auffassung zu Recht, in Anspruch nehmen, auch künftig Bankkredite zu bekommen —, dann schaden Sie denen, denen Sie helfen wollen.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1023807500
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten Frau Matthäus-Maier?
Dr. Warnke: Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit: Nein, ich möchte meine Redezeit einhalten, Frau Matthäus-Maier. - Wenn Sie uns dann den verehrungswürdigen Hermann Josef Abs als Vorbild hingestellt haben, dann schreibe ich das Ihrer mir ja durchaus sehr sympathischen Jugend zu, Frau Kollegin Matthäus-Maier.

(Roth [SPD]: Danke, danke! — Weitere Zurufe von der SPD — Feilcke [CDU/CSU]: Das hört sie gern!)

Hermann Josef Abs hat eine ganz andere Leistung vollbracht als die, die Sie ihm zuschreiben: für die Deutschen einen Schuldenerlaß ausgehandelt zu haben. Hermann Josef Abs hat damals Schulden, für die niemand mehr einen Pfifferling gegeben hat, für Deutschland wieder in einem tragbaren Maße anerkannt. Er hat damit einen entscheidenden Eckstein nicht nur zur Wiedergewinnung der Konvertibilität der jungen Deutschen Mark, sondern auch der Kreditwürdigkeit der Bundesrepublik Deutschland gesetzt.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Frau Matthäus-Maier [SPD]: War es ein Erlaß oder nicht? — Weitere Zurufe von der SPD)

Übrigens: Der andere Eckstein war eine Politik von
Adenauer und Erhard, gegen die die sozialdemokratische Fraktion schon damals erbitterten Widerstand geleistet hat.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Frau Matthäus-Maier [SPD]: Lenken Sie nicht ab!)

Aber das vielleicht wichtigste Ergebnis von Washington, meine Damen und Herren, läßt sich nicht mit Zahlen und volkswirtschaftlichen Daten beschreiben. Ich meine einen Wandel in der Einstellung der Entwicklungsländer. Im Vergleich zu den 70er Jahren hat sich die Landschaft grundlegend gewandelt. Heute verlangen sie nicht mehr nach einer neuen Weltwirtschaftsordnung, sondern erkennen, daß nur die Senkung des Überangebots die Rohstoffpreise wieder in die Höhe bringen kann.

(Volmer [GRÜNE]: Ihr zwingt sie doch dazu!)

Heute sind sie bereit, Wechselkurse anzupassen, Haushaltsdefizite auszugleichen, defizitäre Staatsbetriebe stillzulegen und ihren Landwirten die Anreize — statt ideologischer Parolen — zu geben, die sie brauchen, wenn sie produzieren sollen.

(Eigen [CDU/CSU]: Sehr gut!)

Die Beseitigung dieser Irrlehren, die uns in den 70er Jahren weltweit in die Sackgasse geführt haben, ist im intensiven Dialog, gerade auch der Bundesregierung, mit den Entwicklungsländern möglich gewesen. Heute haben wir ein Mindestmaß an weltweitem ordnungspolitischen Konsens.
Ich möchte meinen Respekt vor der gewaltigen Leistung der Entwicklungsländer auf dem Weg der Strukturanpassung ausdrücken. Nur, sie haben dann allerdings auch das Recht, von uns den Mut zum Strukturwandel — und nicht die Flucht davor — zu fordern, zu verlangen, daß wir uns z. B. der Möglichkeiten der Kernkraft hier im eigenen Land bedienen und den Entwicklungsländern energiepolitisch nicht den Teller Leeressen. Das ist ebenso unverantwortlich wie Null-Wachstum bei uns.
Wir haben, meine Damen und Herren, den Entwicklungshilfehaushalt in dieser Legislaturperiode überdurchschnittlich erhöht. Wir haben den Höchststand der deutschen Entwicklungshilfe erreicht.

(Toetemeyer [SPD]: Sachlich falsch! — Zuruf von den GRÜNEN: Für wen?)

Aber wir wissen auch: Nur das Zutrauen zur eigenen Kraft und die Zuversicht in die Zukunft — nicht der Zweckpessimismus — können uns jenen Mut zum Strukturwandel und jenes Ja zum Wachstum bei uns selbst bringen,

(Ströbele [GRÜNE]: Das Wachstum der deutschen Wirtschaft! — Stockhausen [CDU/CSU]: Dummes Gerede, keine Ahnung!)

das auch eine Pflicht ist, die wir gegenüber den Entwicklungsländern haben, damit ihre außerordentlichen Anstrengungen den verdienten Erfolg erreichen können.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)





Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1023807600
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 10/6159. Wer diesem Entschließungsantrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Dieser Antrag ist abgelehnt.
Wir stimmen nunmehr über den Entschließungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 10/6170 ab. Wer diesem Entschließungsantrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der Antrag ist abgelehnt.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, in der Ehrenloge hat der Vizepräsident des Sejm der Volksrepublik Polen, Herr Marek Wieczorek, mit einer Delegation des Sejm Platz genommen.
Ich begrüße Sie im Namen des Deutschen Bundestages außerordentlich herzlich, freue mich, daß Sie bei uns sind, und hoffe, daß Sie einen guten Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland haben. Danke schön.

(Beifall)

Wir fahren in den Beratungen fort.
Meine Damen und Herren, ich rufe den Tagesordnungspunkt 3 auf:
a) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit (13. Ausschuß)

— zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
— zu dem Entschließungsantrag der Abgeordneten Frau Schoppe und der Fraktion DIE GRÜNEN zur Unterrichtung durch die Bundesregierung
— zu dem Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU und FDP zur Unterrichtung durch die Bundesregierung
Verbesserung der Chancengleichheit von Mädchen in der Bundesrepublik Deutschland -- Sechster Jugendbericht —
Stellungnahme der Bundesregierung zum Sechsten Jugendbericht
zu dem Antrag der Abgeordneten Frau Dr. Däubler-Gmelin, Dr. Schmude, Frau Fuchs (Köln), Jaunich, Kuhlwein, Lutz, Schäfer (Offenburg), Frau Schmidt (Nürnberg), Frau Odendahl, Bachmaier, Frau Blunck, Catenhusen, Dr. Diederich (Berlin), Egert, Frau Fuchs (Verl), Frau Dr. Hartenstein, Frau Huber, Immer (Altenkirchen), Dr. Kübler, Frau Dr. Lepsius, Frau Luuk, Frau Dr. Martiny-Glotz, Frau Matthäus-Maier, Müller (Düsseldorf), Peter (Kassel), Frau Renger, Frau Schmedt (Lengerich), Frau Simonis, Dr. Soell, Frau Dr. Skarpelis-Sperk, Frau Steinhauer, Stiegler, Frau Terborg, Frau Dr. Timm, Frau Traupe, Frau Weyel, Wolfram (Recklinghausen), Frau Zutt, Dr. Vogel und der Fraktion der SPD
Umsetzung der Empfehlungen der Sachverständigenkommission zum Sechsten Jugendbericht „Verbesserung der Chancengleichheit von Mädchen in der Bundesrepublik Deutschland"
— Drucksachen 10/1007, 10/1269, 10/1304, 10/3385, 10/5624 —
Berichterstatterin: Abgeordnete Frau Männle
b) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit (13. Ausschuß)

zu dem Bericht der Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages „Jugendprotest im demokratischen Staat" gemäß Beschluß des Deutschen Bundestages vom 26. Mai 1981
zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Stellungnahme der Bundesregierung zum Bericht der Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages „Jugendprotest im demokratischen Staat"
— Drucksachen 9/2390, 10/2062, 10/5622 —
Berichterstatter:
Abgeordnete Götzer Müller (Düsseldorf)

c) Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten Gilges, Frau Fuchs (Köln), Jaunich, Delorme, Fiebig, Hauck, Huonker, Lambinus, Frau Dr. Lepsius, Müller (Düsseldorf), Frau Schmidt (Nürnberg), Sielaff, Waltemathe, Witek, Wolfram (Recklinghausen), Dr. Vogel und der Fraktion der SPD
Situation der Jugend und der Jugendhilfe in der Bundesrepublik Deutschland
— Drucksachen 10/4942, 10/6167 —
d) Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten Tischer, Frau Zeitler, Frau Wagner und der Fraktion DIE GRÜNEN
Situation der erwerbsarbeitslosen Jugend in der Bundesrepublik Deutschland
— Drucksachen 10/3612, 10/4120 —
Meine Damen und Herren, nach einer Vereinbarung im Ältestenrat sind eine gemeinsame Beratung der Tagesordnungspunkte 3 a bis 3 d und eine Aussprache von 90 Minuten vorgesehen. Ist das Haus damit einverstanden? — Kein Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Götzer.

Dr. Wolfgang Götzer (CSU):
Rede ID: ID1023807700
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir beraten heute die Beschlußempfehlung des Ausschusses für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit zum Bericht der Enquete-Kommission „Jugendprotest im demokratischen Staat" sowie zur Stellungnahme der Bundesregierung dazu.



Dr. Götzer
Ich will heute nicht mehr im einzelnen auf die Ergebnisse der Enquete-Kommission eingehen. Dazu habe ich aus unserer Sicht bereits früher das Wesentliche gesagt. Die Beschlußempfehlung des Auschusses würdigt die Stellungnahme der Bundesregierung und richtet weitere konkrete Forderungen an sie. Damit erfährt der Enquete-Bericht heute seine abschließende parlamentarische Beratung. Ich will diese Gelegenheit zum Anlaß für einige grundsätzliche Bemerkungen nehmen.
Meine Damen und Herren, es ist bezeichnend, daß die Einsetzung der Enquete-Kommission, die sich mit dem Jugendprotest zu befassen hatte, unter der früheren SPD-Regierung notwendig geworden war, während der Auftrag, Wege aus der Krise aufzuzeigen, an die Regierung Kohl gegangen ist. Heute haben wir im Jugendbereich eine Situation, die mit der von 1981 überhaupt nicht mehr zu vergleichen ist.

(Zuruf von der SPD: Erst die Lösungen und dann die Untersuchung?)

Der Bericht der Enquete-Kommission, Herr Kollege, würde heute anders aussehen. Und anders wären im übrigen auch Name und Auftrag der Kommission gewesen, wenn es damals nach uns gegangen wäre; denn wir haben es seinerzeit für falsch gehalten, alle parlamentarische Aufmerksamkeit nur auf den protestierenden Teil der Jugend zu konzentrieren und die überwältigende Mehrheit der Jugendlichen, die zur Schule oder in die Lehre geht, die arbeitet oder studiert, einfach auszusparen.

(Beifall bei der CDU/CSU — Ströbele [GRÜNE]: Macht das die protestierende Jugend nicht?)

Heute ist es mehr denn je an der Zeit, daß sich das Parlament Gedanken macht, wie man wirklich mit der Jugend umgeht, inwieweit tatsächlich von Jugendprotest gesprochen und eine Krise attestiert werden konnte. Da müßte z. B. einmal geklärt werden, an Hand welcher Kriterien welche Art von gesellschaftlicher Entwicklung als Krise bewertet werden kann. Ich kann mich nämlich manchmal des Eindrucks nicht erwehren, daß von dem Wort „Krise" ein geradezu inflationärer Gebrauch gemacht wird.

(Kroll-Schlüter [CDU/CSU]: Sehr richtig!)

Meine Damen und Herren, ich war zu der Zeit, als die Erscheinungen auftraten, die zur Einsetzung der Enquete-Kommission geführt haben, selbst noch Jugendlicher.

(Dr. Bötsch [CDU/CSU]: Das bist du jetzt noch fast!)

— Wenn man „Jugend" auf die Phase der sogenannten Postaduleszenz ausdehnt, wie das die Jugendforschung gerne tut — ich habe damals festgestellt: Es gibt offenbar zwei Arten von Jugend, einerseits die mediengerechte — das sind die Protestierer, die Aussteiger, die Randgruppen —, andererseits die in
der öffentlichen Diskussion nicht existenten, nämlich die ganz normale Jugend.

(Ströbele [GRÜNE]: Die aus der Werbung! — Zuruf von der SPD: Die von der Jungen Union! — Weitere Zurufe von der SPD)

— Sie wären froh, wenn Sie so eine Jugendorganisation hätten, Herr Kollege.
Der Gemütszustand einer Minderheit wurde damals zum allgemeinen Jugendproblem hochstilisiert, und zwar so lange, bis auch zufriedene Jugendliche das Gefühl hatten, unzufrieden sein zu müssen, damit sie interessant sind. Ich bin heute der Meinung, daß man die Ereignisse zu Beginn der achtziger Jahre damals wie heute nicht kritisch genug analysiert hat. Ich möchte einige für manche unangenehme Dinge sagen. Kein Hausbesetzer in Berlin suchte tatsächlich eine Wohnung,

(Ströbele [GRÜNE]: Haben Sie mit irgendeinem gesprochen? Außer im Fernsehen haben Sie nie einen gesehen! — Feilcke [CDU/CSU]: Ströbele war dabei!)

und nur ein verschwindend geringer Prozentsatz derjenigen, die gegen die Startbahn West demonstrierten, war von diesem Vorhaben tatsächlich betroffen. Unter denjenigen, die fernsehgerecht gegen Jugendarbeitslosigkeit und Lehrstellenmangel protestierten, waren diejenigen, die tatsächlich ohne Lehrstelle oder Arbeitsplatz waren, oft mit der Lupe zu suchen. Unter den jugendlichen Demonstranten gegen das Kernkraftwerk Isar II in meiner Heimatstadt Landshut waren weniger als 5% Einheimische. Ich möchte hier die Frage stellen: Erleben wir nicht eine uferlose Ausweitung des Begriffs „Betroffenheit". Betroffen ist man heute nicht mehr durch die Umstände seines Lebens, sondern dadurch, daß man sich betroffen fühlt oder sich für betroffen erklärt. Längst ist Betroffenheit zur bloßen Attitude geworden, die dazu dienen soll, Aufmerksamkeit zu erregen und den Protest einiger weniger gegen alles zu legitimieren.

(Zuruf von der SPD: Sie haben aber eine Moralvorstellung!)

Und erleben wir nicht auch eine Ausdehnung des Jugendalters, Herr Kollege, mit der Folge, daß, je länger die Jugendzeit ist, es um so mehr Jugendprobleme gibt. Man braucht keine Jugendstudien, um festzustellen, daß heute nicht nur die 14- bis 21jährigen zur Jugend zählen, sondern sich nicht wenige der auf die 30 Zugehenden hartnäckig weigern, erwachsen zu werden.
Wir stellen fest: Je länger die Ausbildung, desto länger die Jugendzeit. So werden heute auf Grund der üppigen Semesterzahlen, die so mancher Student auf dem Buckel hat, auch noch die Probleme eines 30jährigen zu Jugendproblemen.

(Zuruf von den GRÜNEN)

— Fühlen Sie sich betroffen, Herr Kollege?
Lassen Sie mich bei dieser Gelegenheit auch einmal ein Wort zu der bei uns so beliebten Jugendforschung sagen. Ich halte vieles von dem, was Jugendforscher oder Berufsjugendliche über die



Dr. Götzer
junge Generation der 80er Jahre geäußert haben, für schlichte Halbwahrheiten, Zweckbehauptungen oder auffrisierte Banalitäten. Auf die Jugendforschung scheint manchmal das zuzutreffen, was Karl Kraus von der Psychoanalyse gesagt hat: Sie schafft die Krankheit erst, die zu heilen sie vorgibt.
Meine Damen und Herren, das Krisengerede soll natürlich ganz bestimmten Zwecken dienen. Der Systemveränderer braucht die Krise. Was hätte denn eine revolutionäre Ideologie zu tun, wenn die Forschung nachweisen würde, daß die Menschen insgesamt und die Jugend im besonderen im großen und ganzen zufrieden sind?

(Zuruf von der CDU/CSU: Sehr wahr!)

Zufriedenheit ist der Feind der Veränderung. Sie ist deshalb für alle, die Kritik zu ihrem Beruf und Gesellschaftsveränderung zu ihrem Lebensziel erkoren haben, besonders lästig. Nimmt dann das Protestpotential ab, spricht man gleich von der angepaßten jungen Generation. Damit ist klar, was gewünscht wird. Das linke Weltbild ist nur in Ordnung, wenn bei uns etwas vermeintlich nicht in Ordnung ist.

(Ströbele [GRÜNE]: Vermeintlich!)

Das soll andererseits nicht heißen, daß alles in unserem Lande in Ordnung ist und daß Jugendliche keine Probleme haben. Vor allem am Ende der SPD-Regierungszeit sah es in der Tat für die Zukunftschancen der jungen Generation düster aus. Auch heute findet nicht jeder den Ausbildungsplatz, der ihm vorschwebt. Aber es gibt keine Lehrstellenkatastrophe. Darüber wird anschließend zu diskutieren sein. Noch immer sind zuviel Jugendliche ohne Arbeit. Aber die Jugendarbeitslosigkeit in Deutschland hat den niedrigsten Stand in Europa und liegt deutlich unter der allgemeinen Arbeitslosenquote. Ohne Zweifel ist eine gewisse Unzufriedenheit mit den Parteien und der Art und Weise, wie bei uns manchmal Politik gemacht wird, festzustellen. Aber keineswegs erstreckt sich diese Unzufriedenheit auch auf die demokratische Ordnung pauschal. Vor allem sind nach wie vor viele junge Leute auf der Suche nach Lebenssinn und Wertorientierung.

(Ströbele [GRÜNE]: Bei Ihnen finden sie den nicht! — Zuruf von der CDU/CSU: Bei Ihnen erst recht nicht!)

Herr Kollege, es ist blanke Heuchelei, wenn diejenigen, die zuerst die Demontage von Leitbildern und Wertvorstellungen betrieben haben, sich jetzt über die Orientierungskrise der Jugend beklagen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Wenn heute von Sinndefizit und Wertewandel die Rede ist und man diese Erscheinungen gerade bei Jugendlichen festzustellen glaubt, so kommen dafür eine ganze Reihe von Erklärungen in Betracht. Ich will Sie heute nicht mehr alle nennen, eine Vielzahl davon ist im Enquete-Bericht aufgezählt.
Die These vom Wertewandel ist auch zu einem Instrument der Ideologiepolitik geworden, wie es Professor Hermann Lübbe kürzlich treffend ausgedrückt hat. Zur Klarstellung: Nicht die Werte haben sich gewandelt, sondern das Wertebewußtsein und die Rangfolge der Werte.

(Zuruf von der SPD: Aha!)

Wir konstatieren heute bei manchen Jugendlichen, aber nicht nur bei diesen, eine Verschiebung des individuellen ethischen Koordinatensystems. Die klassischen gemeinschaftsverträglichen Tugenden, jahrelang als faschistoid abgestempelt, sind teilweise von zutiefst egoistischen, gemeinschaftsfeindlichen Prinzipien abgelöst worden. Unter dem neuen Modewort der Betroffenheit hat sich eine übersteigerte Gleichsetzung von „Welt" und „ich" breitgemacht.
Das alles geschieht unter Berufung auf das Recht zur Selbstverwirklichung, das heute schon fast den Charakter eines Über-Grundrechts hat. Dabei übersehen diejenigen, die Selbstverwirklichung als wichtigstes Lebensziel betrachten, daß wirkliche Entfaltung der eigenen Person gerade die Fähigkeit zur Selbstbeherrschung verlangt. Das sollten Sie sich einmal hinter die Ohren schreiben. Auch der Abbau von Herrschaftsverhältnissen ist erst möglich, wenn sich die Menschen selbst beherrschen lernen.
Wenn es heute einen Anlaß zur Sorge gibt, dann ist das der kleiner werdende gemeinsame sozialethische Nenner. Denn gerade Demokratie braucht eine konsensfähige Gemeinschaftsethik, die als Orientierungsrahmen für den einzelnen gilt. Im Mittelpunkt dieser Ethik muß das Prinzip Verantwortung stehen. Wir brauchen eine neue Aufklärung über die Wertordnung unserer Gemeinschaft und die Rangfolge der politischen Ziele und eine geistige Offensive zu deren Durchsetzung. Das sind wir der jungen Generation schuldig. Besonders bei unseren konkreten politischen Entscheidungen müssen wir die Wertvorstellungen, die diesen Entscheidungen zugrunde liegen, verdeutlichen. Und wir sind es den Jugendlichen auch schuldig, daß wir sie nicht nur fördern, sondern auch fordern.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Selbstvertrauen und Zuversicht, meine Damen und Herren, stellen sich nämlich erst dann dauerhaft ein, wenn man Gelegenheit hat, sich zu bewähren, und diese Bewährung bestanden hat. Daran scheint es bei Ihnen, Herr Kollege, zu mangeln. Man tut den jungen Leuten nichts Gutes, wenn man sie in Watte packt, den Herausforderungen des Lebens möglichst lange entrückt und in der Hoffnung auf Stimmenfang ihre Lage möglichst düster malt, um sich selbst dann als Retter anzupreisen. Wenn ich beispielsweise den Beschluß der Kommission für Jugendpolitik beim SPD-Parteivorstand artschaue, dann drängt sich mir der Eindruck auf: Die SPD kultiviert ihr Bild von der Jugend und deren vermeintlich katastrophaler Lage, obwohl es, wenn es je gestimmt haben sollte, ganz bestimmt nicht mehr heute zutrifft.

(Kroll-Schlüter [CDU/CSU]: Es hat nie gestimmt!)




Dr. Götzer
Sie begeht den Fehler, ihre eigene Perspektivlosigkeit auf die Jugendlichen zu übertragen.
Meine Damen und Herren von der Opposition, wenn ich Ihnen einen Rat geben darf: Die bayerische SPD hat schon mit der Agnes Bernauer als Wahlhelferin fürchterlichen Schiffbruch erlitten. Völlig baden gehen wird die Opposition, wenn sie statt dessen als Kassandra durchs Land zieht. Die jungen Leuten des Jahres 1986 in ihrer überwältigenden Mehrheit sind zuversichtlich, leistungsfreudig und fühlen sich in diesem Staat Bundesrepublik Deutschland wohl. Und darauf sind wir stolz.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1023807800
Das Wort hat der Abgeordnete Gilges.

Konrad Gilges (SPD):
Rede ID: ID1023807900
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Kollege Götzer! Die Geschichte mit der Kassandra sollten Sie wirklich einmal nachlesen. Sie sind ja ein „Intellektueller", wie ich hier feststellen konnte.

(Dr. Bötsch [CDU/CSU]: Da haben Sie aber lange gebraucht!)

Sie wissen ja, daß die Kassandra von Apoll die Sehergabe bekommen hat für einen versprochenen Beischlaf, der dann nicht stattgefunden hat. Ich drücke das einmal sehr einfach aus. Dafür hat Apoll sich gerächt und die Seherfähigkeit derart eingeschränkt, daß sie zwar das Richtige sehen kann, aber niemand ihr glaubt, was sie voraussieht. Das war die Tragik der Kassandra. Das heißt, Kassandra muß mit der Tragik leben, daß sie das Richtige voraussagt, aber solche Leute wie Sie so ignorant sind, daß sie nicht glauben, was richtig ist.

(Beifall bei der SPD)

Deshalb wäre es gut, wenn Sie als „Intellektueller" die Geschichte der Kassandra einmal richtig durchlesen würden. Darüber gibt es schöne Bücher von Schwab. Christa Wolf hat jetzt eine neuere Geschichte geschrieben; ich habe sie gelesen.

(Dr. Bötsch [CDU/CSU]: Die Wähler in Bayern haben es auch nicht geglaubt!)

— Ja, vielleicht dringt die Kassandra auch einmal nach Bayern durch.
Jetzt zur Geschichte selbst. Die Bundesregierung behauptet — Sie haben es auch getan, Herr Kollege Götzer, und Frau Süssmuth wird das gleich, nehme ich an, noch einmal tun —, daß durch die Wende der Jugendprotest verschwunden ist. Das war j a die Kernaussage in Ihren zehn Minuten hier. Diese Behauptung zeugt, so kann ich feststellen, von einer tiefen Ignoranz den Problemen gegenüber, die junge Menschen haben, von einer Arroganz, daß man blind durch die Welt geht, von mangelndem Vermögen, auf Hoffnungen und Wünsche der jungen Menschen einzugehen, sie zu verstehen. Ich frage zum Schluß: Wo bleibt eigentlich die Sensibilität für gesellschaftliche Wirklichkeit? Wie ist denn die gesellschaftliche Wirklichkeit? Die gesellschaftliche Wirklichkeit zeigt doch auf, daß vor fünf oder sechs Tagen über 100 000 junge Menschen in einer Einöde, in Hasselbach im Hunsrück, gegen atomaren Wahnsinn demonstriert haben. Nehmen Sie dieses Engagement eigentlich nicht zur Kenntnis?

(Kroll-Schlüter [CDU/CSU]: Doch!)

Sehen Sie nicht, daß das auch ein Protest gegen diese Bundesregierung und ihre Politik im Hinblick auf den atomaren Wahnsinn ist?

(Beifall bei der SPD — Feilcke [CDU/CSU]: Aber das ist nicht alles!)

Und ist es nicht auch ein Protest dagegen, was in Reykjavik passiert ist, was dort gescheitert ist? Nehmen Sie eigentlich nicht zur Kenntnis, daß das junge Menschen verunsichert, daß auch Sie dafür mit die Verantwortung haben und dieser Protest berechtigt ist? Und was geschieht in Wackersdorf? 100 000 junge Menschen demonstrieren gegen die Wiederaufbereitungsanlage.

(Feilcke [CDU/CSU]: Das sind dieselben 100 000!)

— Ja, das ist klar: 100 000 junge Menschen reisen in dieser Republik hin und her.

(Feilcke [CDU/CSU]: Mit Sonderzügen und Sonderbussen!)

— Es kann ja sein, daß Abgeordnete, weil die Freifahrten haben, in der Bundesrepublik dauernd hin-und herreisen können. Junge Menschen können das nicht.

(Feilcke [CDU/CSU]: Das ist Ihr gesamtes Wählerpotential, und dann ist Schluß!)

Dieses Engagement geht an das Taschengeld. Es kostet nämlich etwas, wenn man da demonstrieren will.
Und sehen Sie nicht das Dritte-Welt-Engagement, den Einsatz junger Menschen gegen Ihre Politik, bezogen auf die südafrikanische Republik und ihr Apartheidsystem, gegen die Diskriminierung, gegen Rassismus? Nehmen Sie das eigentlich nicht zur Kenntnis? — Ich könnte Ihnen noch eine ganze Liste von Engagements junger Menschen darstellen. Es gibt z. B. Selbsthilfegruppen, die sich für schwache, arme, ausgestoßene Menschen engagieren,

(Feilcke [CDU/CSU]: Und was lehrt uns das?)

die gegen Ihre Politik der Kälte im sozialen Bereich angehen, wo Sie nichts mehr oder nicht mehr ausreichend tun.

(Dr. Bötsch [CDU/CSU]: So ein Schmarren!)

Ich nenne Umweltgruppen, die gegen die Waldzerstörung und die Umweltzerstörung sind. Ich erinnere zum Schluß — ich habe eine ganze Liste von Aktivitäten, wo Hunderttausende junger Menschen teilnehmen — an die Kampagne der DGB-Jugend mit der Überschrift „Mach meinen Kumpel nicht an". Das ist doch ein Zeichen von tiefem Protest



Gilges
und Engagement junger Menschen in der heutigen Zeit.

(Beifall bei der SPD)

Und Sie sagen einfach: Das findet nicht statt.

(Kroll-Schlüter [CDU/CSU]: Das ist wirklich Unsinn, was Sie da reden! Verzeihung, das können Sie doch nicht machen!)

Nach der Wende gibt es so etwas nicht.
Und es findet doch statt, im persönlichen Bereich, in Gruppen. Es findet auf Kirchentagen statt. Der katholische Kirchentag in Aachen hat das gezeigt

(Dr. Bötsch [CDU/CSU]: Der heißt ,,Katholikentag"!)

— Katholikentag, Entschuldigung. Es findet also auf dem Katholikentag statt, es findet auf dem Evangelischen Kirchentag statt. Überall sammeln sich engagierte junge Menschen, die kundtun, daß sie tief verunsichert sind, daß sie mit den sozialen und politischen Verhältnissen, die heute in der Bundesrepublik herrschen, nicht einverstanden sind und sie ändern wollen. Und wir wollen ihnen dabei helfen.
Deswegen ist Ihre Behauptung falsch, daß kein Protest mehr stattfinde. Das einzige, was richtig ist, ist, daß sich Form und Inhalt geändert haben. Das muß man auch als Bundesregierung zur Kenntnis nehmen. Es gibt heute keine Hausbesetzerszene. Dafür gibt es eine Szene anderer Form, nämlich eine AKW-Szene; es gibt eine Friedensbewegung usw., wo junge Menschen engagiert sind. Es haben sich also Form und Inhalt verändert, es werden neue Wege für Engagement gesucht.
Die eigentlichen tiefen Ursachen, die die EnqueteKommission festgestellt hat, sind nicht beseitigt, z. B. die verringerte Zahl der Gespräche zwischen den Generationen — es gibt doch nicht mehr Gespräche zwischen den Generationen — oder der Verlust an Nachbarschaftlichkeit oder die unzureichende Mitsprache- und Mitentscheidungsbefugnis junger Menschen im Schulbereich

(Zuruf von der CDU/CSU: Das ist eine Verleumdung der Jugend, was Sie hier machen!)

— die Schülermitbestimmung ist j a nicht gewachsen — oder im betrieblichen Bereich die Aushöhlung der Jugendvertreterrechte. Der Kollege Schreiner wird noch darauf eingehen, was da stattfindet, welche Probleme es da gibt. Sie wollen diese Probleme doch überhaupt nicht lösen. Ich nenne den Freizeitbereich: Der Konsumdruck nimmt zu. Das heißt, die Fähigkeit, die Freizeit vernünftig und sinnvoll zu gestalten, wird nachlassen.

(Zuruf von der CDU/CSU: Die Zukunft voller Hoffnungslosigkeit!)

Als weitere Beispiele erwähne ich die Zerstörung der Umwelt, das Sterben des Waldes, die Atomkraftwerke, den Umgang mit dem Tier. Das alles sind Beispiele dafür, daß die Ursachen nicht behoben worden sind, sondern die Situation schwieriger geworden ist.
Ich will zum Schluß etwas zu der weltweit anhaltenden atomaren Aufrüstung sagen. Pershing II und Cruise Missiles beunruhigen junge Menschen. Nehmen Sie das doch einmal zur Kenntnis.

(Beifall des Abg. Kuhlwein [SPD])

Das beunruhigt sie. Es beunruhigt auch mich. Ich hoffe, es beunruhigt auch Sie. Unsere Politik besteht darin, daß diese Beunruhigung beseitigt wird, daß die Cruise Missiles und die Pershing II aus dieser Bundesrepublik verschwinden.

(Dr. Götzer CDU/CSU: Was ist mit den SS 20?)

— Auch die SS 20; Herr Götzer, fragen Sie doch nicht so falsch.

(Lachen bei der CDU/CSU)

— So falsch, ja. Ich hätte eigentlich etwas anderes sagen wollen.

(Dr. Bötsch [CDU/CSU]: Richtig! Wir sind j a vornehm!)

Sie wissen doch, daß in allen Programmen und Entscheidungen der Sozialdemokraten Pershings, Cruise Missile, SS 20, SS 21 bis SS 23 zusammen aufgeführt sind. Bauen Sie hier nicht irgendeinen Popanz auf.

(Feicke [CDU/CSU]: Was ist mit Startbahn West?)

Es gibt bei jungen Menschen nach wir vor eine starke Verunsicherung und eine schwere Identitätskrise. Sie hält zumindest für einen großen Teil der Jugend an. Nach unserer Überzeugung wächst sie an.
Das wollte ich zum Enquetebericht sagen. Meine Redezeit erlaubt es nicht, mehr dazu zu sagen.
Die Antwort der Bundesregierung auf unsere Große Anfrage hat das Kabinett gestern beschlossen, so daß wir sie leider erst heute zur Kenntnis nehmen konnten. Ich war nicht in der Lage, sie gründlich zu lesen. Ich habe beim kurzen Überfliegen festgestellt, daß sie eine Wiederholung alter Positionen ist, Frau Süssmuth, nicht in dem Teil der Einzelfragen. Es wäre angebracht, Frau Süssmuth, alte Positionen, die sich überholt haben, nicht neu aufzulegen, sondern sich einmal in bezug auf die jungen Menschen tiefergehende Gedanken zu machen.
Man kann das an drei Punkten festmachen, z. B. an der Frage, was Sie über die Erwartungshaltung und Ansprüche junger Menschen in bezug auf Gerechtigkeit und Demokratie sagen. Sie sagen, diese Erwartungshaltung wäre schuld an der Verunsicherung. Frau Süssmuth, ist nicht das Unvermögen unserer Gesellschaft, Gerechtigkeit oder Menschenwürde jedermann widerfahren zu lassen, Ursache für diese Verunsicherung und diese Probleme? Wenn ein junger Mensch sagt, er wolle mehr Demokratie, ist das kein negatives Anzeichen, sondern ein positives. Wie kann ein Stück mehr Demokratie in einer demokratischen Gesellschaft als Negativum dargestellt werden, wie Sie das in diesem Bericht tun? Ich habe den Eindruck, daß diese Position sogar zynisch ist.



Gilges
Noch zynischer ist das, was Sie über die Kriegsdienstverweigerung oder über den Zivildienst schreiben:
Mit ihrer Bereitschaft, einen derzeit 20monatigen Zivildienst abzuleisten, dokumentieren die Kriegsdienstverweigerer die Ernsthaftigkeit ihrer Gewissensentscheidung, die von allen zu achten ist.
Das klingt, als ob die Kriegsdienstverweigerer die 20 Monate bei Ihnen bestellt hätten, um ihre Ernsthaftigkeit nachzuweisen. Demnächst werden es 24 Monate sein. Frau Süssmuth, das können Sie wirklich nicht so im Raum stehen lassen. Ich möchte Sie und die Spezialisten in Ihrem Ministerium bitten, das zu überdenken.
Ich will nicht davon reden, daß Sie bei den Jugendverbänden keine Freunde mehr haben, daß außer der Jungen Union und der Schülerunion alle anderen Jugendverbände harte Kritik an der Jugendpolitik dieser Regierung üben. Sie haben bürokratisiert. Sie haben ihre finanzielle Ausstattung vermindert.

(Dr. Bötsch [CDU/CSU]: Im Gegensatz zu den Jusos gibt es bei uns wenigstens noch Jugendverbände!)

Sie haben zuletzt im Ausschuß 1,5 Millionen DM an Zuwendungen für Jugendverbände und für die politische Bildung außerhalb der Jugendverbände abgelehnt. Das war in dem Gesamtzusammenhang des Bundesjugendplans eine kleine Summe.
Wir werden diese Politik ändern. Zu dieser Änderung gehört, daß wir den Versuch einer umfassenden Reform des Jugendhilferechts auf der Grundlage des Beschlusses des Deutschen Bundestages vom 23. August 1980 vornehmen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Das ist ein entscheidender Punkt. Er deckt sich nicht mit Ihren Vorstellungen.
Wir werden auch das Jugendkriminalrecht ändern. Es ist eine schlimme Sache, wenn Herr Engelhard auf dem Jugendgerichtskongreß erklärt, er wolle das Jugendstrafrecht ändern, aber dem Parlament keine Vorlage gibt. Vielleicht können Sie, Frau Süssmuth, den Kollegen in die Gänge bringen, damit der Gesetzentwurf vorgelegt wird. Denn die Reform des Jugendkriminalrechts ist notwendig und zwingend. Wir werden auf jeden Fall einen Entwurf einbringen.
Sie können davon überzeugt sein, daß wir Sozialdemokraten unter einem Bundeskanzler Helmut — —

(Lachen und Beifall bei der CDU/CSU — Feilcke [CDU/CSU]: Helmut Kohl, genau!)

unter einem Bundeskanzler Johannes Rau der Jugend wieder eine Zukunftschance geben werden.

(Beifall bei der SPD)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1023808000
Das Wort hat Frau Abgeordnete Wagner.

Marita Wagner (GRÜNE):
Rede ID: ID1023808100
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wissen Sie eigentlich noch, wann das „Jahr der Jugend" war?

(Zurufe von der CDU/CSU: Ja!)

— 1985. Erinnern Sie sich vielleicht auch noch, wann die Enquete-Kommission „Jugendprotest im demokratischen Staat" ihren Bericht, über den wir heute debattieren, abgeliefert hat? — 1983.
Heute schreiben wir 1986, und die Situation der Jugendlichen in der Bundesrepublik hat keine Verbesserung erfahren.

(Feilcke [CDU/CSU]: Wissen Sie eigentlich, wie spät es ist?)

Das zeigt die Antwort der Bundesregierung auf unsere Große Anfrage deutlich. Wir wissen schon lange, daß die Bundesregierung unsere Auffassung nicht teilt, daß Jugendliche in der Bundesrepublik in einer schlechten Situation leben; denn sonst hätten Sie von der Regierung längst Ihre Politik gegen Jugendliche in eine Politik für Jugendliche umwandeln müssen.
Sie sehen also die Situation Jugendlicher als gar nicht so schlecht an. Wir fragen uns jedoch: Mit welchen Jugendlichen haben Sie es eigentlich so zu tun? Vielleicht nur mit solchen, die aus wohlhabenden Elternhäusern kommen, die durch ihre finanziellen Möglichkeiten vieles auffangen können, was Sie kaputtgemacht haben, und wo die Eltern ihren Kindern vielleicht auch einen Ausbildungsplatz kaufen können.
Sie sehen schon, daß noch viele Fragen offen sind; denn es ist uns schleierhaft, wie die Bundesregierung angesichts der realen Situation Jugendlicher in diesem Land darauf kommt zu meinen, Jugendlichen ginge es nicht eigentlich schlecht, sie hätten womöglich ein positives Lebensgefühl und viele Perspektiven.
Die Masse der Jugendlichen in der Bundesrepublik lebt in schlechten finanziellen Verhältnissen.

(Feilcke [CDU/CSU]: Das Schlimmste, was Ihnen passieren könnte, wäre, wenn es den Jugendlichen gutginge!)

Jeder fünfte Jugendliche lebt in einer Familie, deren Leben durch die Arbeitslosigkeit der Eltern geprägt ist. Sie selber finden nur nach Dutzenden von Bewerbungsschreiben, Tests usw. einen Ausbildungsplatz,

(Dr. Götzer [CDU/CSU]: Aber sie finden ihn!)

ohne zu wissen, ob sie je in ihrem erlernten Beruf auch einen qualifizierten Arbeitsplatz bekommen, was die Bundesregierung j a selber in ihrer Antwort auf unsere Anfrage zugibt.
Sie werden in nichtqualifizierende Wartemaßnahmen abgeschoben oder bleiben ganz außen vor.
Jugendliche erleben tagtäglich hautnah, wie sie an die Grenzen der Erwachsenenwelt stoßen, nicht



Frau Wagner
mitreden dürfen, keine Rechte, sondern nur Pflichten haben.

(Zuruf von der [CDU/CSU]: Das glauben Sie doch selber nicht!)

Jugendliche erleben sich selber — darüber gibt es inzwischen genügend qualitative Untersuchungen von namhaften Wissenschaftlern — als eine außerhalb der Erwachsenenwelt stehende Randgruppe, zu der sie gerade auch durch die mangelhaften Maßnahmen, Appelle und Aufrufe der Bundesregierung gemacht werden.
Da ist es doch ein Schlag ins Gesicht, wenn Sie von der Bundesregierung behaupten — ich zitiere —: „Junge Menschen arbeiten aktiv an der Gestaltung und Fortentwicklung unserer Gesellschaft mit." Es wäre ja gut, wenn Sie erkannt hätten, daß Jugendliche die Möglichkeit haben müßten, sich an gesellschaftlichen Prozessen zu beteiligen.
Die Realität sieht doch leider ganz anders aus.

(Zuruf von der CDU/CSU: Millionen sind in Sportvereinen!)

Jugendliche haben nicht die Chance, sich einzubringen oder gar an der Gestaltung der Gesellschaft mitzuarbeiten. Genau das wird ihnen doch verwehrt.

(Zuruf von der CDU/CSU: Wo denn?)

Oft genug bekommen Jugendliche, wenn sie sich beteiligen wollen, zu hören, daß sie noch keine gesellschaftliche Relevanz haben, weil sie erwerbslos sind, keine Ausbildung und keinen eigenen Verdienst haben.

(Feilcke [CDU/CSU]: Was ist das für eine traurige Welt, in der Sie leben!)

Jugendliche sind, auch wenn die Bundesregierung das nicht zugeben will, Manövriermasse.

(Feilcke [CDU/CSU]: So blöde sind die Jugendlichen nicht, wie Sie sie darstellen!)

Werden Sie gerade einmal gebraucht, greifen Betriebe und Politik gern auf sie zurück.

(Eigen [CDU/CSU]: So möchten Sie sie haben!)

Die Industrie glaubt in weiten Teilen, sie zur Zeit nicht zu brauchen. Die CDU/CSU greift auf sie zurück, wenn es gerade einmal ins Konzept paßt; so geschehen bei der Änderung des Arbeitsförderungsgesetzes, beim Bundesausbildungsförderungs-
und beim Jugendarbeitsschutzgesetz, beim Schwerbehindertengesetz und bei der Verlängerung der Wehrpflicht und des Zivildienstes.
Daß sie nur Manövriermasse sind, empfinden Jugendliche gerade auch bei der Suche nach einem qualifizierten Ausbildungs- und Arbeitsplatz, bei der Suche nach einer Perspektive für ihr Leben. Sie sollten sich vielleicht doch einmal mit Jugendlichen zusammensetzen, die schon Dutzende von Bewerbungen losgeschickt haben. Sie fühlen sich alleingelassen in ihrer Situation und herumgeschoben.

(Feilcke [CDU/CSU]: Weil sie sich von Ihnen beraten lassen!)

Sie wollen nicht darauf warten, daß sie vielleicht eines Tages doch einmal gebraucht werden, oder darauf, daß sich die Bundesregierung gerade wieder einmal ihrer erinnert und vielleicht doch noch ein paar Maßnähmchen kurz vor der Wahl aus der Tasche zieht. Und die Bundesregierung entblödet sich nicht zu behaupten, daß es keine Ausbildungsnot und keine wachsende materielle Verelendung Jugendlicher gibt. Tatsache ist, daß bei der Bundesanstalt für Arbeit nach der neuesten Statistik immer noch 46 900 Jugendliche als unversorgte Ausbildungsplatzsuchende geführt werden. Weitere 68 100 Jugendliche werden in die stille Reserve oder „Parkmaßnahmen" abgeschoben, statt in vollqualifizierende Ausbildung vermittelt zu werden. Wie war das doch mit Ihrem Versprechen vor der letzten Wahl, Herr Kohl: Jeder Jugendliche bekommt einen Ausbildungsplatz?
Die Bundesregierung behauptet, es gebe keine materielle Verelendung der Jugendlichen, weil das System sozialer Sicherung so gut sei. Als Beispiel führt sie in der Beantwortung unserer Anfrage auf, daß es jetzt ja wieder das Kindergeld für jugendliche Arbeitslose bis 23 Jahren gebe, daß sie weiterhin bei ihren Eltern mit krankenversichert seien. Die Bundesregierung verweist des weiteren auf ihre Leistung bei der Steuerreform. Vielleicht ist die Bundesregierung dann auch in der Lage, den Jugendlichen und ihren Eltern zu erklären, woher das Geld für Essen, Bekleidung und womöglich noch ein Taschengeld eigentlich kommen soll. Etwa von den 50 DM Kindergeld?
Auch wenn es die Bundesregierung nicht hören mag: Unsere Einschätzung, daß sich das Problem der Jugenderwerbslosigkeit als ein Generationenkonflikt besonderer Prägung darstellt, ist stimmig. Das haben doch gerade auch die Ausführungen von Frau Wilms gezeigt. Sie setzt in ihrer Berufsbildungspolitik doch weiterhin auf die Zeit. Sie hofft, daß die Situation auf dem Ausbildungsstellenmarkt bis 1990 besser wird. Sie setzt damit nicht auf mehr Ausbildung und Arbeitsplätze für Jugendliche, sondern auf den zahlenmäßigen Rückgang der zukünftigen Bewerber durch die geburtenschwachen Jahrgänge. Die Lage mag langfristig besser werden, aber das nützt den Jugendlichen heute überhaupt nichts. Sie wollen und können nicht bis 1990 warten, auch dann nicht, wenn sie so lange in nichtqualifizierenden Programmen, schlecht bezahlten Betriebspraktika oder im freiwilligen sozialen Jahr ausharren könnten.
Eine Gruppe Jugendlicher, die es besonders schwer hat, einen Ausbildungsplatz zu finden — darüber kann j a selbst die Bundesregierung nicht mehr hinwegsehen —, sind junge Frauen. Die Chancengleichheit für junge Frauen ist noch lange nicht erreicht. Aber da helfen die üblichen Appelle der Regierungsmitglieder an die jungen Frauen, sich doch gefälligst für den gewerblich-technischen Bereich zu interessieren und nicht etwa eigene Vorstellungen für ihre Berufswahl mitzubringen, genauso wenig wie der Aufruf an die Wirtschaft, doch mehr junge Frauen in Ausbildungs- und Arbeitsverhältnisse hineinzunehmen. Dadurch wird die Chancengleichheit nicht erreicht. Das haben die Erfah-



Frau Wagner
rungen der letzten Jahre doch deutlich gezeigt. Hier müssen endlich Quoten eingeführt werden.
Wenn man die Bilanz dieser Legislaturperiode zieht, so muß man feststellen, daß die CDU/CSU- FDP-Koalition mit ihrer Jugendpolitik gescheitert ist, wenn man denn überhaupt von Jugendpolitik reden kann. Appelle und mahnende Worte haben noch nie geholfen. Was wir fordern, sind endlich Taten.
Danke.

(Beifall bei den GRÜNEN)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1023808200
Das Wort hat der Parlamentarische Staatssekretär Vogt.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1023808300
Frau Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Mit ihrer Großen Anfrage über die Situation der arbeitslosen Jugend malen die GRÜNEN ihr eigenes Spiegelbild,

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

denn diese Anfrage sagt mehr über ihren inneren Zustand aus als über die Situation der Jugend in der Bundesrepublik Deutschland.

(Erneuter Beifall bei der CDU/CSU — Zurufe von den GRÜNEN)

— Herr Kollege, triefend von Frust wird von bedrohlichen Bedingungen für die Jugend, von der Stagnation wirtschaftlicher Entwicklung, von wachsender materieller Verelendung und sozialer Notlage gesprochen, als sei dies die typische Situation des Jugendlichen heute.

(Frau Wagner [GRÜNE]: So ist sie doch!)

Sie biegen die Problemgruppe zum statistischen Durchschnitt und die Ausnahmesituation zum Normalfall um. Es mag sein, daß die düstere Perspektivlosigkeit das Standardempfinden grüner Politiker ausdrückt, typisch für die Jugend in der Bundesrepublik Deutschland ist dies nicht, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Jugendarbeitslosigkeit und Lehrstellenmangel sind Herausforderungen der Politik. Wir haben uns diesen Herausforderungen gestellt. Die Bundesregierung hat vor allem konkrete Maßnahmen getroffen und sich nicht darauf beschränkt, die Situation zu beklagen.
Tatsächlich hat sich die Situation der Jugendlichen auf dem Arbeitsmarkt in den letzten Jahren deutlich verbessert.

(Frau Wagner [GRÜNE]: 125 000 haben keinen Ausbildungsplatz bekommen!)

Zahlen, Fakten beweisen das. Erstens, Frau Kollegin: Die Zahl der arbeitslosen Jugendlichen unter 20 Jahren hat deutlich abgenommen: gegenüber dem September 1983 um rund ein Viertel oder um 50 000. Die Arbeitslosenquote der Jugendlichen liegt mit 7,7% um 0,5% unter der Gesamtarbeitslosenquote.
Zweite Tatsache: Bei den Arbeitslosen unter 25 Jahren beträgt die Abnahme gegenüber September 1983 136 000. Gegenüber 1985 ist die Quote um 10% gesunken. Im Vergleich aller EG-Länder ist damit der Anteil der Jüngeren an den Arbeitslosen insgesamt in der Bundesrepublik am geringsten.
Drittens. Auch die Lehrstellensituation hat sich deutlich verbessert. Das Angebot neuer Ausbildungsplätze ist seit 1982 gestiegen. In den letzten vier Jahren, 1983 bis 1986, haben 2,8 Millionen Jugendliche eine betriebliche Ausbildung begonnen. Das sind 200 000 mehr als in den vier Jahren zuvor. Das ist eine deutliche Verbesserung der Situation.
Im September 1986 schließt sich die Schere zwischen Angebot und Nachfrage weiter. Ende September gab es 12 000 nicht vermittelte Bewerber weniger und 9 000 offene Ausbildungsstellen mehr als zum Vergleichszeitpunkt des Vorjahres. Sie wissen aus den letzten Jahren, daß die Vermittlung in Ausbildungsplätzen im Oktober, November, Dezember weitergeht, so daß wir in den nächsten Wochen und Monaten mehr als 10 000 Jugendlichen Ausbildungsplätze werden anbieten können.

(Zuruf von der SPD: Was für welche?)

Ich will es einmal deutlich sagen: Gerade das, was auf dem Ausbildungsstellenmarkt erreicht worden ist, ist der Beweis dafür, wie leistungsfähig eine freie Gesellschaft ist, die sich ihrer sozialen Verantwortung bewußt ist.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Die Bundesregierung hat sich nicht auf politische Deklamation beschränkt. Sie hat gehandelt. Das Vorruhestandsgesetz hat jüngeren Arbeitnehmern geholfen, durch das Ausscheiden Älterer Arbeitsplätze zu erhalten. Die siebte Novelle zum Arbeitsförderungsgesetz hat das arbeitsmarktpolitische Instrumentarium für Jugendliche verbessert und schlagkräftiger gemacht. Ich nenne acht Pluspunkte.
Erstens. Im vergangenen Jahr sind über 120 000 junge Menschen unter 25 Jahren in Maßnahmen zur beruflichen Fortbildung, Umschulung und betrieblicher Einarbeitung eingetreten. 58,5 % mehr als 1982, das Jahr, für das Sie noch die Verantwortung trugen.
Zweitens. 1985 waren über 30 000 Arbeitnehmer unter 25 Jahren in Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen beschäftigt; 275% mehr als 1982.
Drittens. Über 170 000 Jugendliche erhielten 1985 Berufsausbildungsbeihilfen zur Sicherung ihres Lebensunterhalts während der Ausbildung oder während der Teilnahme an berufsvorbereitenden Maßnahmen.
Viertens. Wer als Jüngerer einen Vollzeitarbeitsplatz sucht, aber nur eine Teilzeitbeschäftigung findet, kann Teilunterhaltsgeld erhalten, wenn er sich in der freien Zeit beruflich qualifiziert.
Fünftens. Ein Einarbeitungszuschuß kann auch bei befristeten Arbeitsverhältnissen gewährt werden; denn am wichtigsten ist für Jugendliche der Einstieg in den Beruf.



Parl. Staatssekretär Vogt
Sechstens. Das Unterhaltsgeld für Berufsanfänger nach abgeschlossener Ausbildung wird nach 75 % statt bisher 50 % des erzielbaren Tariflohns bemessen, wenn der Arbeitnehmer an einer beruflichen Bildungsmaßnahme teilnimmt. Das motiviert dazu, sich beruflich weiterzubilden.
Siebentens. Für Teilnehmer an berufsvorbereitenden Maßnahmen können die Kosten für Fahrten, Lernmittel und Arbeitskleidung übernommen werden, und zwar ohne Anrechnung von Einkommen.
Achtens. Bei beruflichen Aufstiegsmaßnahmen gibt es einen Rechtsanspruch auf die Förderung durch Unterhaltsdarlehen.
Meine Damen und Herren, dies sind Pluspunkte einer Politik, die sich an den konkreten Interessen der Jugendlichen orientiert. Das ist eine Politik, die maßgeschneiderte Hilfen anbietet.
Aber natürlich kommt auch die allgemeine Besserung der wirtschaftlichen Lage den Jugendlichen zugute. Mehr als eine halbe Million neue Arbeitsplätze innerhalb von zwei Jahren, das kann sich sehen lassen. Positiv ist auch: Jugendliche sind kürzer arbeitslos. Während die Arbeitslosigkeit im Durchschnitt 6,8 Monate dauert, liegt die Vergleichszahl bei Jugendlichen bei nur 4,6 Monaten.
Meine Damen und Herren, die Jugendlichen haben Grund, auf die Zukunft zu setzen. Die Jugend hat wieder grünes Licht. Die dumpfe Begleitmusik eines grünen Untergangstremolos ist dabei völlig entbehrlich.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1023808400
Das Wort hat der Abgeordnete Schreiner.

Ottmar Schreiner (SPD):
Rede ID: ID1023808500
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Staatssekretär, ich nehme an, daß Sie den Hinweis auf das grüne Licht unpolitisch gemeint haben.

(Tatge [GRÜNE]: „Grüne Hoffnung" hat er gesagt!)

Wenn diese Debatte über die Situation der Jugend einen Sinn haben soll, müßte es uns eigentlich gelingen, jenseits der Wertungen eine einigermaßen saubere, seriöse Bestandsaufnahme zu machen. Die vom Deutschen Bundestag eingesetzte Enquete-Kommission „Jugendprotest im demokratischen Staat" schrieb in ihrem Schlußbericht vom 17. Januar 1983 zum Problem „Jugendarbeitslosigkeit" einmütig — ich zitiere —:
Zunehmende Jugendarbeitslosigkeit ... gliedern einen Teil der Jugend bereits vor dem Einstieg in das Berufsleben von der gesellschaftlichen Teilhabe und Anerkennung aus und bedrohen das Selbstwertgefühl der gesamten jungen Generation.
Arbeitslosigkeit bedeutet für junge Menschen, daß ihre Eigenständigkeit gefährdet ist und sie das Gefühl bekommen, nicht gebraucht zu werden. Arbeit, mit der man sich identifizieren kann, stellt auch für Jugendliche einen wesentlichen Teil der Sinngebung des Lebens dar. Wenn sie wegen Arbeitslosigkeit nicht arbeiten können, geraten Jugendliche in die Gefahr, ihr Leben als sinnlos anzusehen.
Das war die einmütige Erklärung der damaligen Enquete-Kommission.
Der leider immer noch amtierende Bundeskanzler sagte nur wenige Monate später, nämlich in seiner Regierungserklärung vom 4. Mai 1983, in Anlehnung an den Enquete-Bericht, die erste Erfahrung der Jugendlichen in der Welt der Erwachsenen dürfe nicht darin bestehen, nicht gebraucht zu werden. Insoweit ist dem Bundeskanzler zuzustimmen.
Eine ungeschminkte Analyse der Lage zeigt jetzt, drei Jahre später, ein geradezu zynisches Bild: Einerseits nehmen die arbeitslosen Jugendlichen in den politischen Sonntagsreden einen wohlwollenden Platz ein; andererseits hat sich die wirkliche Lage überhaupt nicht verbessert. Im Gegenteil, die offiziellen Statistiken der Bundesanstalt für Arbeit weisen seit Jahren — mit leichten Schwankungen nahezu unverändert — etwa eine halbe Million Jugendliche unter 25 Jahre als arbeitslos aus. Und diese Zahlen sind nur die halbe Wahrheit! Gerade weil Jugendliche meist keinen Anspruch auf Arbeitslosenunterstützung haben, ist bei ihnen die Dunkelziffer der Arbeitslosigkeit extrem hoch;

(Zustimmung bei der SPD)

denn ohne Anspruch auf Geld vom Arbeitsamt sehen sie häufig keinen Grund, sich bei den Arbeitsämtern registrieren zu lassen. Nach Berechnungen des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung der Bundesanstalt für Arbeit dürfte die Dunkelziffer der Arbeitslosigkeit allein in der Altersgruppe „unter 20 Jahre" bei etwa 200 000 liegen.
Die finanzielle Lage der arbeitslosen Jugendlichen verschlechtert sich von Jahr zu Jahr. Auch dies ist nicht zu bestreiten. Der Anteil der arbeitslosen Jugendlichen, die keine Arbeitslosenunterstützung erhalten, hat sich von 30 % zu Beginn der 80er Jahre auf knapp 60 % im Jahre 1985 nahezu verdoppelt. Selbst bei denjenigen arbeitslosen Jugendlichen, die noch Arbeitslosengeld oder -hilfe beziehen, kann von einer echten sozialen Absicherung nicht die Rede sein. Meist erhalten sie nur die äußerst niedrigen Unterstützungssätze für Ausbildungsabsolventen. Bei der Berechnung dieser Arbeitslosenunterstützung wird seit einer Kürzung im Jahre 1984 nur noch die Hälfte des zu erwartenden Facharbeiter- oder Angestelltenverdienstes im ersten Berufsjahr zugrunde gelegt. Die verzweifelte materielle Lage der arbeitslosen Jugendlichen läßt sich in der Tat am besten auf die knappe Formel bringen: zum Leben zuwenig und zum Sterben zuviel.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1023808600
1973 gab es nur ca. 26 000 18- bis 25jährige Empfänger von Sozialhilfe, 1984 waren es bereits knapp 250 000. Es ist offenkundig, daß diese



Schreiner
drastische Steigerung der Zahl jugendlicher Sozialhilfeempfänger ganz wesentlich auf die Jugendarbeitslosigkeit zurückzuführen ist.
Angesichts dieser Entwicklung ist es blanker Hohn, wenn die Bundesregierung eine öffentliche Diskussion über die 5 Milliarden DM Überschüsse der Bundesanstalt für Arbeit anzettelt und dabei kein Wort über die elende Lage der arbeitslosen Jugendlichen verliert.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Ich darf eine persönliche Bemerkung machen: Ich komme aus einem Wahlkreis, wo sich die Arbeitslosenquote auf nahezu 20 % im allgemeinen zubewegt.

(Zuruf von der CDU/CSU: Das haben Sie der SPD zu verdanken!)

— Nein, wir hatten 30 Jahre eine CDU-Regierung. (Zurufe von der CDU/CSU und der SPD) 30 Jahre hatten wir eine CDU-Regierung.

(Zuruf von der SPD: Erblast! — Weitere anhaltende Zurufe von der CDU/CSU und der SPD)

— 30 Jahre; das ist in der Tat eine Erblast.
Hören Sie zu: Meine bitterste und deprimierendste Erfahrung in jetzt sechs Jahren Angehörigkeit zum Deutschen Bundestag ist das häufig wiederkehrende Erlebnis, Menschen buchstäblich um Arbeit betteln zu sehen. Ich habe Familien mit drei Kindern erlebt, in denen alle Kinder arbeitslos waren und sind. Ich habe Jugendliche gesprochen, die 100 und mehr Bewerbungen eingereicht haben — alles vergeblich,

(Zurufe von der CDU/CSU)

Väter und Mütter kommen in ihrer Verzweiflung an die Haustür des Abgeordneten und bitten um Hilfe. Häufig genug auch hier vergebens, da auch unsere Möglichkeiten nur sehr begrenzt sind.

(Zuruf von der CDU/CSU: Wie viele haben Sie vermittelt?)

Ich sage Ihnen bei Ihren pöbelhaften Zwischenrufen. Eines ist gewiß: Das Vertrauen der jungen Generation in den freiheitlichen Staat sinkt und verblaßt in dem Maße — —

(Feilcke [CDU/CSU]: Sie sind ein Schreier!)

— und Sie sind ein Schwachkopf.

(Lachen bei der CDU/CSU)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1023808700
Herr Abgeordneter, ich erteile Ihnen einen Ordnungsruf.

Ottmar Schreiner (SPD):
Rede ID: ID1023808800
Dem Kollegen?

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1023808900
Nein, Ihnen, Herr Kollege.

Ottmar Schreiner (SPD):
Rede ID: ID1023809000
Ah so.

(Heiterkeit — Zuruf von der CDU/CSU: Das ist eine Frechheit!)

Ich sage Ihnen eines: Das Gefühl der Vergeblichkeit, des Nichtgebrauchtwerdens und,

(Zuruf von der CDU/CSU: Wie viele haben Sie denn vermittelt?)

damit einhergehend, die Selbstbeschwörung vieler Jugendlicher, ein Versager zu sein, ist das allermiserabelste Eintrittsbillett in die Welt der Erwachsenen, von den Sorgen und Nöten der Eltern ganz zu schweigen, für die es häufig nicht weniger deprimierend ist, das eigene Kind ohne Zukunft dahindämmern zu sehen.
Ich frage mich manchmal, wie es wäre, wenn es unsere Kinder wären, wie das Problembewußtsein auch im Deutschen Bundestag wäre, wenn es unsere Kinder wären, die arbeitslos wären.

(Beifall bei der SPD)

Können wir uns überhaupt noch in den Kopf eines 18jährigen Mädchens oder eines 20jährigen Jungen hineinversetzen, bei dem sich das Gefühl verfestigt, seine Zukunft habe er bereits hinter sich? Können wir das noch?

(Zuruf von der CDU/CSU: Sie haben doch eine Million Arbeitslose geschaffen!)

Wir Sozialdemokraten haben uns in den vergangenen Jahren im Parlament vergeblich darum bemüht, die Situation der Jugendlichen ohne Arbeit und ohne Ausbildung durchgreifend zu verbessern. Von uns vorgeschlagene Sofortprogramme zur Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit und zur Verbesserung der Berufsausbildung wurden regelmäßig von der Mehrheit des Hauses kaltschnäuzig abgelehnt. Der häufige Hinweis der Bundesregierung auf eigene Aktivitäten, Steigerung der AB- und berufsvorbereitenden Maßnahmen, kann nicht darüber hinwegtäuschen, daß Sie angesichts der skizzierten Lage in den zentralen Handlungsfeldern versagt haben.

Irmgard Karwatzki (CDU):
Rede ID: ID1023809100
„Insgesamt gesehen erscheint aber das System richtig, die Kräfte der Marktwirtschaft zur Auswirkung kommen zu lassen", dann dokumentiert dies überhaupt nichts anderes als die eigene Hilf- und Tatenlosigkeit.

(Beifall bei der SPD)

Neue Wege sind nötig. Arbeitslose Jungfacharbeiter und -facharbeiterinnen sind zum erheblichen Teil auch Folge einer verfehlten Ausbildungspolitik. Die Zahl der Ausbildungsplätze ist häufig da erhöht worden, wo Weiterbeschäftigungsmöglichkeiten so gut wie nicht mehr vorhanden sind.

(Kuhlwein [SPD]: Sehr richtig!)

Wir haben Ausbildungsbereiche, in denen bis zu einem Drittel der Ausgebildeten keine Anschlußbeschäftigung bekommt, weil es keinen gesellschaftlichen Bedarf gibt.
An einem ähnlichen Konstruktionsfehler leiden nahezu alle staatlichen Berufsbildungsprogramme.



Schreiner
Sie gehen von der illusionären Vorstellung eines intakten Arbeitsmarktes aus, qualifizieren Jugendliche auf Vorrat und sind dabei kaum an der realen Arbeitskräftenachfrage orientiert.
Ich sage Ihnen zum Schluß: Wenn wir den vielen hunderttausend jungen Menschen, die buchstäblich ohne Zukunft sind, die sich alleinegelassen, die sich einsam gelassen fühlen, die sich isoliert sehen, die sich draußen vor den Toren dieser Gesellschaft fühlen, wirklich helfen wollen, brauchen wir eine zukunftsbezogene, an den inhaltlichen und sozialen Anforderungen des technischen Wandels orientierte Berufsausbildung für alle Jugendlichen. Dazu bedarf es einer gesetzlichen Finanzierungsgrundlage, die Sie bis zum heutigen Tage abgelehnt haben.

(Beifall bei der SPD — Feilcke [CDU/CSU]: Immer wieder das alte Lied!)

Wir brauchen Jugendbeschäftigungsprogramme, die den Einsatz und damit den Erhalt der erworbenen Qualifikationen möglich machen. Wir brauchen Dauerarbeitsplätze in solchen Bereichen, in denen gesellschaftlich sinnvolle und notwendige Arbeit nicht, noch nicht oder nicht mehr durch den Markt bereitgestellt werden. Zu nennen sind die Bereiche der rationellen Energieversorgung, die Dorferneuerung, der Umweltschutz, die Wiederverwertung und die sozialen Dienste.
Die jungen Menschen wollen arbeiten, und sie wollen in sinnvollen Bereichen arbeiten. Der Wertewandel, den wir beobachten, ist ein Wandel des Wertes in der Arbeit. Sie wollen nützlich arbeiten.
Wir brauchen schließlich und letztlich eine Umverteilung der Arbeit durch drastische Verkürzung der Arbeitszeit. Zwingend geboten ist ein massiver Abbau der Überstunden. Es ist geradezu eine absurde Situation, daß wir in einer Zeit leben mit Millionen von arbeitslosen Mitbürgern und vielen Hunderttausenden arbeitslosen Jugendlichen, wenn auf der anderen Seite ein immenses Maß an Überstunden weiterhin ohne jegliche gesetzliche Initiative der Bundesregierung möglich sind. Daß heißt, all die Möglichkeiten, die wir Ihnen seit Jahr und Tag vorgeschlagen haben, haben Sie kaltblütig abgelehnt. Sie haben das Anwachsen der Arbeitslosigkeit in Kauf genommen,

(Zuruf von der CDU/CSU: Das ist doch falsch!)

und letztlich tragen Sie die Verantwortung für die elende Situation eines wachsenden Teiles der jungen Generation dieser Republik.
Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1023809200
Das Wort hat der Abgeordnete Kroll-Schlüter.

Hermann Kroll-Schlüter (CDU):
Rede ID: ID1023809300
Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Fairneß halber möchte ich zuvor darauf hinweisen, daß Frau Professor Männle und Frau Adam-Schwaetzer als Redner vorgesehen waren. Sie waren so freundlich, uns einen Teil ihrer Stichworte zu überlassen, damit wir in etwa das vortragen können, was sie vortragen wollten. Ich halte mich wesentlich an den Roten Faden von Frau Professor Männle, die jetzt nicht hier sein kann, weil sie im Nebel nicht landen konnte und bis jetzt noch nicht eingetroffen ist, wir aber hier die Debatte weiterführen wollen.
Ich weise gleich noch einmal ausführlich darauf hin, was ihr besonderes Anliegen ist. Wir machen d as in partnerschaftlicher Zusammenarbeit, ohne aber vorher verschweigen zu müssen, Herr Kollege Gilges, Herr Kollege Schreier — Herr Schreiner, Verzeihung —, — —

(Heiterkeit bei allen Fraktionen — Zuruf von der CDU/CSU: Das war gut! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU und der SPD)

was wir beklagen und kritisieren: Sie klagen, sind wehleidig. Aber man sieht nicht einen Funken von Hoffnung, nicht einen Funken von Initiative, nicht irgendeinen Lichtstrahl. Wenn man wenigstens wüßte, was Sie wollen.

(Frau Borgmann [GRÜNE]: Dann sind Sie begriffsstutzig, wenn Sie nicht wissen, was wir wollen!)

Wir wissen, was Sie nicht wollen. Wir wissen, was Sie kritisieren.

(Abg. Schreiner [SPD] meldet sich zu einer Zwischenfrage)

— Ich habe nur ein paar Minuten Zeit, Herr Schreiner.
Manches, was Sie kritisieren, teilen wir auch. Aber einen Rundumschlag auszuteilen, immer so zu tun, als sei die junge Generation ein Patient, den man dauernd behandeln müsse, das ist falsch. Diese Analyse teilen wir nicht.
Die Situation ist anders als Sie denken, es sei denn, Sie sprächen von Nordrhein-Westfalen. Wenn ich Herrn Rau mit einem sozialpädagogischen Leiter eines kleinen Hauses der Offenen Tür vergleichen sollte, dann muß ich Ihnen sagen: Er hat in den vergangenen Jahren dieser Jugend in diesem Haus der Offenen Tür viele Mittel der Jugendförderung vorenthalten. Er hat sie nicht nur nicht erhöht, er hat sie ganz drastisch gekürzt.

(Gilges [SPD]: Das stimmt objektiv nicht!)

Er hat nicht nur den Kindern in dem danebenstehenden Kindergarten versprochen, die Kindergartenbeiträge zu streichen, sondern er hat sie drastisch erhöht. Er hat für die Mütter dieser Kinder die Familienerholungsmaßnahmen nicht nur nicht erhöht, sondern er hat auch sie drastisch gestrichen. Er hat das freiwillige Soziale Jahr nicht nur nicht kräftig unterstützt, sondern er hat die Mittel dafür total auf Null gestrichen.

(Zurufe von der SPD)

Alles, was wir hier diskutieren, ist von der Bonner Regierung erhöht und von der Düsseldorfer Regierung gekürzt worden. Das ist der Tatbestand.

(Zuruf von der CDU/CSU: So ist es! — Gilges [SPD]: Das ist doch gar nicht wahr!)




Kroll-Schlüter
Das heißt, daß Herr Rau, weil er noch nicht einmal das Haus der „kleinen" Offenen Tür leiten kann, gänzlich ungeeignet ist, dieses „große" Haus der Offenen Tür in Bonn zu leiten.
Wir haben heute auch über den Sechsten Jugendbericht zu diskutieren. Ich verrate kein Geheimnis, wenn ich sage, daß sich meine Fraktion, die CDU/ CSU, mit diesem Mädchenbericht nie so recht hat anfreunden können. Auch nach mehr als einjährigen intensiven Auseinandersetzungen mit dieser Materie in den Ausschüssen ist unsere generelle Einstellung zu der Diktion, zu der Wortwahl, auch zu der Perspektive dieses Berichts nicht anders geworden. Ich will das einmal an einigen Punkten verdeutlichen, so wie wir es auch in unserer Arbeitsgruppe mit Frau Männle besprochen haben.
Diese Einseitigkeit, die da überall zum Vorschein kommt, dieses Klischeehafte — auch heute wieder in Ihren Reden —, längst überwundene und überholte Vorurteile feiern hier wieder fröhliche Auferstehung. Wer den Mädchenbericht liest, muß zu dem Ergebnis kommen, daß Mädchen bemitleidenswerte, unterdrückte Geschöpfe sind: voller Komplexe, voller Probleme, voller Resignation.

(Zuruf von der SPD: Quatsch! — Weiterer Zuruf von der SPD: Wer sagt das denn?)

— Der Mädchenbericht. — Sie sind es in der Mehrzahl nicht. Wer sie kennt, wer mit jungen Frauen diskutiert, stellt trotz einer in diesem Alter nicht zu leugnenden gewissen Orientierungslosigkeit eine positive Lebenseinstellung fest. Ja, es läßt sich sogar nachweisen, daß z. B. Mädchen auf dem Lande ganz überwiegend erwartungsvoll in die Zukunft blicken.
Eine durchgängige Differenzierung der Situation der Mädchen auf dem Lande und in der Stadt gibt es, glaube ich, nicht; viele Gemeinsamkeiten gibt es sehr wohl. Ihre Lebensbeurteilungen und Lebenserwartungen sind aber, wie uns auch die „Brigitte"
Studie aus dem gleichen Jahr zeigt, teilweise recht verschieden.
Das zentrale Problem der Lebensplanung von jungen Menschen, von jungen Mädchen, wie sie z. B. ihren Wunsch nach Beruf mit dem nach Familie vereinbaren können, bleibt in diesem Bericht gänzlich unerwähnt. Vielleicht war das damals auch noch nicht das Thema in dem Maße wie heute. Daß es heute ein offen und öffentlich diskutiertes Thema ist, daß wir dieses Thema heute sehr sachlich miteinander besprechen, ist sicherlich auch ein Verdienst der Bundesregierung. Präziser sollte ich vielleicht sagen: Das ist sicherlich auch ein Verdienst von Frau Süssmuth. Es wird mit Tiefgang, ohne Polemik, ohne Ideologie, aber in der Kenntnis all der Schwierigkeiten diskutiert. Auf jeden Fall sind wir so in der Lage, nicht nur darüber zu diskutieren, sondern auch die richtigen Schlußfolgerungen zu ziehen.
In diesem 6. Familienbericht ist nicht nur nicht davon die Rede, sondern da ist die Rede vom Reproduktionsbereich, wenn z. B. die Familie gemeint ist. Da gab es auch davor noch ein paar Berichte, den 2. Familienbericht, mit der Bezeichnung der Familie als Sozialisationsagentur. Allein schon vor dem Hintergrund dieser Begriffe wird deutlich: Es hat sich etwas geändert, und zwar hat es sich zum Positiven hin geändert.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Frau Schmidt [Nürnberg] [SPD]: Wo bleibt denn das Projekt der Sozialisation des Mannes von Frau Süßmuth, Herr KrollSchlüter?)

— Auch darüber haben wir im Ausschuß, wie Sie wissen, in allem Freimut gesprochen. Deswegen haben Sie es jetzt ja auch erwähnt. Wir sollten uns auch mit solchen Vorhaben, wie sich das für ein Parlament gehört, im Hinblick auf die Regierung selbstverständlich durchaus kritisch auseinandersetzen. Wir sind ja keine Anbeter einer Bundesregierung, sondern wir sind kritische Begleiter.

(Widerspruch bei der SPD)

Und dort, wo sie — wie in diesem Bereich — etwas gut gemacht hat, da sagen wir es auch.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Lachen und Zurufe von der SPD)

Da sind wir durchaus selbstbewußt. Das ist bei uns j a nicht so, wie es bei Ihnen war: dem Willy Brandt immer zujubeln und nichts anderes zulassen, außer Helmut Schmidt nichts gewesen. Das machen wir nicht. Unser Kabinett ist auch deswegen so gut, weil wir es kritisch und selbstbewußt begleiten.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Alles in allem bleibt anzumerken: Wir identifizieren uns nicht mit einer Lagebeurteilung, die aus einer Zeit stammt, in der wir nicht die politische Verantwortung trugen. Der damals vorherrschende Pessimismus war Ausdruck des Lebensgefühls einer untergehenden Regierung. Heute gibt es ein anderes Lebensgefühl. Es ist nicht unsere Aufgabe, uns darauf zu stützen, sondern es ist unsere Aufgabe, dieses Lebensgefühl mit praktischen Taten positiv in eine gute Zukunft zu begleiten.
Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1023809400
Das Wort hat Frau Adam-Schwaetzer.

Dr. Irmgard Adam-Schwaetzer (FDP):
Rede ID: ID1023809500
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Jugendbericht, der heute mit der Stellungnahme des Bundestages dazu zu debattieren ist, hat sich ganz speziell auf die Probleme konzentriert, die Frauen und Mädchen betreffen. Wenn wir einmal die Lage der Mädchen, der jungen Generation in der Bundesrepublik sehen, muß man sagen, daß gerade die Mädchen in den geburtenstarken Jahrgängen eigentlich bisher die Verlierer gewesen sind. Sie haben es schwer, Ausbildungsplätze zu finden, schwerer auf jeden Fall als ihre männlichen Kollegen.

(Kuhlwein [SPD]: Kroll-Schlüter hat das eben ganz anders gesagt! — Kroll-Schlüter [CDU/CSU]: Das ist nicht wahr, ganz im Gegenteil!)




Frau Dr. Adam-Schwaetzer
— Es tut mir leid, daß ich den Kollegen Kroll-Schlüter nicht ganz hören konnte; ich mußte heute morgen leider einen kleinen Umweg über Amsterdam machen, weil hier in Bonn Nebel war.
Aber ich denke, wir alle kennen sehr, sehr viele Mädchen, die 20 und 30 Bewerbungen geschrieben und auf alle eine Absage bekommen haben und die erst sehr spät und vielfach dann, wenn sie selbst die Initiative ergriffen haben, noch einen Ausbildungsplatz bekommen haben.
Es ist sicherlich richtig, daß sich die Lage entspannt hat. Die Zahlen sind Ihnen allen bekannt. Die Jugendarbeitslosigkeit lag Ende September um 13% unter der des Vorjahres, und daran waren natürlich auch Mädchen beteiligt. Die Lage beginnt sich also zu entspannen. Trotzdem werden wir in den nächsten Jahren noch große Probleme bei der Übernahme von Mädchen in einen Beruf haben.
Nun haben die GRÜNEN vorgeschlagen, um hier Abhilfe zu schaffen, Quotierungen einzuführen. Wir haben das Problem der Quotierung auf unserem letzten Frauenkongreß in Erlangen ausführlich diskutiert, und wir sind zu dem Ergebnis gekommen, daß das den Mädchen nicht weiterhelfen würde; denn es ist nicht so, als gäbe es überhaupt keine Ausbildungsplätze mehr, sondern das Problem ist, daß sich die Mädchen zu sehr auf einzelne Ausbildungsberufe konzentrieren, daß sie dort Schlange stehen.

(Frau Wagner [GRÜNE]: Warum denn?)

— „Warum denn?" Ich glaube, die Frage ist relativ einfach zu beantworten: Wir alle haben eine ganz bestimmte Erziehung bekommen, und bei den Mädchen heute ist das nicht sehr viel anders. Die Berufswünsche von Mädchen sind nach wie vor andere als die Berufswünsche von jungen Männern. Deswegen wollen wir auch weiterhin das Benachteiligtenprogramm und das Programm „Mädchen in Männerberufen" haben und fördern, damit hier nach und nach ein Umdenken geschieht. „Mädchen in Männerberufen", das ist gar nicht so einfach, wie sich das eigentlich anhört;

(Frau Wagner [GRÜNE]: Weil sie keinen Job kriegen!)

denn auch hier ist exakt die Schwierigkeit, daß sie nach der Ausbildung Probleme haben, übernommen zu werden.

(Frau Wagner [GRÜNE]: Da helfen nur Quotierungen!)

— Da helfen überhaupt keine Quotierungen, sondern da hilft nur die Durchsetzungsfähigkeit von Mädchen, da hilft natürlich auch, die Rahmenbedingungen so zu verändern, daß Mädchen dann in den Berufen auch arbeiten können.

(Gilges [SPD]: Da müssen sie die Ellenbogen kriegen, die die Jungen schon haben!)

Ich habe in der letzten Debatte, bei der Sie hier nicht im Plenum gewesen sind, darauf hingewiesen, welche Schwierigkeiten auf Grund der Arbeitszeitordnung heute noch bestehen, daß Mädchen überhaupt in den Berufen arbeiten können, in denen sie
ausgebildet sind. Es gibt hier noch spezielle Hemmnisse, die gerade für Arbeiterinnen gelten, die letztlich dann verhindern, daß sie in ihre Berufe übernommen werden.
Ein weiterer Punkt dazu, der natürlich auch eine Rolle spielt: Wir Freien Demokraten fordern schon seit langer Zeit, daß endlich die Kosten der Mutterschaft nicht mehr beim einzelnen Betrieb verbleiben, sondern daß hier versicherungsrechtliche Lösungen gefunden werden, die dazu führen, daß letztlich nicht der Betrieb, der sich entschließt, eine Frau einzustellen, diese Kosten zu übernehmen hat und sich damit natürlich überlegt, ob er ein Mädchen oder einen Mann einstellt, sondern daß hier eine größere Gemeinschaft dafür zur Kasse gebeten wird. Ein Mutterschutz muß selbstverständlich sein, den will niemand abschaffen; aber wir müssen dafür sorgen, daß das endlich kein Hemmnis mehr ist. Ich glaube, da sind wir uns alle einig. Wenn es uns gelingen würde, in der nächsten Legislaturperiode hier versicherungsrechtliche Lösungen zu finden, würden wir sicherlich den Berufschancen von Mädchen und Frauen sehr, sehr viel helfen.
Ein weiterer Punkt, meine Damen und Herren, der auch in der Stellungnahme des Bundestages ganz klar angesprochen worden ist: Frauen haben ihre eigenen Lebenspläne und auf Grund dieser eigenen Lebenspläne ganz bestimmte Schwierigkeiten. Wir wissen, daß über 70% der Frauen letztlich Familienarbeit und Erwerbsarbeit miteinander kombinieren wollen, nicht ständig, die meisten Frauen wollen während der Zeit der Kindererziehung aus dem Beruf aussteigen, aber später eben wieder einsteigen. Es gilt, hier auch in der Zukunft mehr anzusetzen.
Erste Maßnahmen, die übrigens auch im Ausschuß diskutiert worden waren, sind bereits umgesetzt. Heute gibt es die Möglichkeit auch für Frauen, die lange Zeit keine Arbeitslosenversicherungsbeiträge bezahlt haben, trotzdem eine Fortbildung, eine Weiterbildung nach dem Arbeitsförderungsgesetz zu bekommen, die letztlich dazu führt, daß sie überhaupt eine Chance haben, auf dem Arbeitsmarkt wieder eingegliedert zu werden, einen Einstieg zu finden, nachdem sie sich lange Zeit um ihre Familie gekümmert haben.
Meine Damen und Herren, was wir brauchen — das ist zwischen uns allerdings umstritten —, ist mehr Teilzeitarbeit und auch mehr Jobsharing. Wir haben mit dem Beschäftigungsförderungsgesetz Teilzeitarbeit und Jobsharing arbeitsrechtlich abgesichert. Wir wissen darüber hinaus, daß sehr viele Frauen eine Teilzeitbeschäftigung suchen. Ich muß sagen, ich kann es verstehen, warum sie sie suchen; vielleicht weil sie sich ganz gerne auch um den Haushalt kümmern möchten

(Zuruf von der SPD: Oder müssen!)

oder aber weil sie sich mit ihrem Mann darauf geeinigt haben, daß sie sich im wesentlichen um den Haushalt kümmern. Natürlich gibt es auch andere Fälle, wo die Auswahl gar nicht gegeben war.
Ich wehre mich einfach dagegen, Frauen vorzuschreiben, was sie sich wünschen sollen. Wenn Sie



Frau Dr. Adam-Schwaetzer
sich gegen Teilzeitarbeit und Job-sharing wenden, dann negieren Sie, daß Frauen dies überhaupt wünschen. Ich maße mir nicht an, zu sagen, was bei den Frauen im Kopf vorgeht, sondern ich sage, sie sollen es selbst entscheiden. Wenn ich sehe, daß sehr, sehr viele Frauen Teilzeitarbeit suchen, dann bin ich allerdings der Meinung, daß wir die Aufgabe haben, dafür zu sorgen, daß auch Teilzeitarbeitsplätze zur Verfügung gestellt werden.
Ein Letztes: Wir brauchen dringend eine spezielle Wiedereinstiegsausbildung, damit Frauen mehr Chancen bei einem Wiedereinstieg haben, in den betrieblichen Ausbildungsstätten, im öffentlichen Dienst, aber natürlich auch an den Hochschulen, für diejenigen, die eine Universitätsausbildung genossen haben. Ohne das hätten Frauen keine Chance, weil sie auf dem Arbeitsmarkt mit den jüngeren konkurrieren müssen, die gerade ihre Ausbildung abgeschlossen haben, die mitten in ihrer beruflichen Praxis stehen. Eine solche Wiedereinstiegsausbildung ist dringend notwendig, damit die Frauen die Hemmschwelle beim Zugang zum Arbeitsmarkt überwinden.
Ich denke, wenn wir uns von rechts bis links in diesem Hause einig sind, können wir Zeichen setzen, können wir Industrie- und Handelskammern und Handwerkskammern motivieren, solche speziellen Ausbildungen anzubieten. Dann können wir endlich dafür sorgen, daß sich auch die Hochschulen einmal darüber Gedanken machen, was man mit den qualifizierten Frauen, die hier eine kurze Auffrischung und Zusammenfassung ihrer eigenen Kenntnisse haben müssen, machen kann. Ob das ausreicht oder nicht, man muß zumindest darüber reden, und man muß einen Anfang finden, jetzt einen Einstieg finden.

(Kuhlwein [SPD]: Man muß es tun!) — Tun, ja allerdings, man muß es tun.

Meine Damen und Herren, wenn diese Debatte dazu dient, daß die Gedanken, die ja vielfach von rechts bis links Zustimmung gefunden haben, auch konsequent umgesetzt werden, dann ist es richtig und gut gewesen, daß wir diesen Jugendbericht so lange debattiert und im Ausschuß auch so lange behandelt haben.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1023809600
Das Wort hat Frau Abgeordnete Odendahl.

Doris Odendahl (SPD):
Rede ID: ID1023809700
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! In der Stellungnahme der Bundesregierung zum Sechsten Jugendbericht gibt diese ihrer Sorge Ausdruck, die pessimistische Beurteilung der Expertenkommission könne dazu führen, den Mädchen und Frauen den Mut und die Motivation zum Handeln zu nehmen, sozusagen einen Resignationsschub zu verursachen. Das war im April 1984, und mit der Verbesserung der Chancen der jungen Generation — der Frauen und Mädchen im besonderen — hatten sie sich, nach ihren Absichtserklärungen zu urteilen, viel vorgenommen.
Der Bundeskanzler hatte eine Lehrstellengarantie abgegeben: Für jeden ist eine Lehrstelle da. Er hatte in seiner Regierungserklärung betont: Das Tor zur Zukunft steht offen. Inzwischen sind einige Jahre vergangen. Ich begrüße es eigentlich sehr und ausdrücklich, daß wir diesen Sechsten Jugendbericht heute in einer verbundenen jugendpolitischen Debatte diskutieren, und begrüße es noch mehr, Frau Adam-Schwaetzer, daß Sie von der Philosophie wieder zur Sache zurückgekommen sind. Das war sehr wohltuend, gemessen an den vorhergegangenen Beiträgen.

(Beifall bei der SPD)

Bei einer Diskussion mit Bildungsexperten und Jugendpolitikern, an der ich teilnahm, sagte eine junge Teilnehmerin: Geboren bin ich kurz vor dem Pillenknick; im Kindergarten gehörte ich zu den geburtenstarken Jahrgängen; in der Schule war ich ein Schülerberg, bei der Ausbildungsplatzsuche als Mädchen eine besondere Problemgruppe, an der Universität eine Überlast; auf dem Arbeitsmarkt zählte man mich zu den sogenannten unechten Arbeitslosen; zusammengefaßt gehöre ich auch noch zu einer schwierigen demographischen Entwicklung. Kurz, wer außer meinen Eltern freut sich eigentlich, daß es mich gibt? Wen interessiert meine weitere Entwicklung? Wie steht es denn mit meinen Chancen in dieser Gesellschaft?
Nachdem die von der Regierungskoalition immer wieder verbreiteten Optimismusparolen im Alltag der Jugendlichen und insbesondere in dem der Mädchen so wenig Niederschlag finden, sind das sehr berechtigte Fragen, und alles Formulierungen, meine Damen und Herren Kollegen, aus Ihrem Ausredekatalog.
Nun ist ja die Stellungnahme der Bundesregierung und auch der Koalitionsfraktionen schon ein Drahtseilakt angesichts des BAföG-Kahlschlags, der in erster Linie Mädchen aus einkommensschwächeren Familien vom Besuch weiterführender Schulen ausschließt und sie auch von der Aufnahme eines Studiums abschreckt, angesichts der Lehrstellengarantie, die in diesen Tagen zum viertenmal geplatzt ist, wobei jedesmal zwei Drittel der Mädchen leer ausgingen, und angesichts der drastisch verminderten Chancen der Frauen auf dem Arbeitsmarkt.
In Ihrer Beschlußempfehlung und vor allem in dem Entschließungsantrag der CDU/CSU- und der FDP-Fraktionen wird Ihr Dilemma überdeutlich. Denn genauso wie die Bundesregierung, die nicht nur in diesem Bereich fehlendes Handeln durch Appelle ersetzt, appellieren auch Sie an die Verantwortlichen, Förderungsmaßnahmen für Frauen zu unterstützen. Genauso haben Sie es im eigenen Haus gehalten, als es darum ging, Förderungsrichtlinien im Bereich des Bundes auf den Weg zu bringen. Das war auch nur ein Appell. Wenn Sie dann konkret werden, setzen Sie bei flexiblen Arbeitsformen an, sprich Zeitverträgen, beim Abbau des Kündigungsschutzes, bei Teilzeitarbeit, bei Job-sharing, wobei Sie den Beweis der daraus gewachsenen Chancen für Mädchen und Frauen bis heute schuldig bleiben müssen. Denn Sie bieten damit Frauen



Frau Odendahl
und Mädchen eine Vielfalt von allzu billigem Ersatz an und bleiben ihnen auf Dauer vollwertige Arbeitsplätze damit schuldig.

(Beifall bei der SPD)

Nun haben Sie ja Ihr Defizit durchaus erkannt und den Ressortminister Heiner Geißler durch Frau Ministerin Süssmuth ersetzt. Dabei hatten Sie auch bei uns einen Bonus, Frau Süssmuth. Denn durch Ihre Äußerungen in der Vergangenheit über die Chancengleichheit von Mädchen und Frauen und vor allem durch Ihre konkreten Handlungsvorschläge hatten Sie die Hoffnung auf eine frauenpolitische Wende genährt. Sie tun das j a auch noch immer. Leider hat sich diese Hoffnung nicht erfüllt. Denn Sie haben sich inzwischen nahtlos dem Schema dieser tatenlosen Appellregierung angepaßt.

(Beifall bei der SPD)

Dieser Expertenbericht wurde unter sozialdemokratischer Regierungsverantwortung angefordert, und gleichzeitig hatten wir für die Verbesserung von Chancen der Mädchen entscheidende Weichen gestellt, so unter anderem mit den Modellversuchen für Mädchen in gewerblich-technischen Berufen, die Mädchen weitere Berufsfelder öffneten. Unser Entschließungsantrag, den wir vorgelegt haben, weist weitere Punkte auf.
Was tun denn Sie? Bei der alljährlichen Lehrstellendebatte bedauern Sie in steter Regelmäßigkeit, daß wieder einmal zwei Drittel der leer Ausgegangenen Mädchen sind, und erklären, dies liege zum großen Teil daran, daß diese Mädchen samt ihren Eltern halt nicht genügend motiviert seien, ihre Chancen in einem gewerblich-technischen Beruf aufzugreifen. Doch auch hier zeigt sich: Appelle haben kurze Beine.
Gehen wir einmal in die Praxis hinein, in die Realschule, in eine Klasse, die vor der mittleren Reife steht. Die Mädchen haben die besseren Zeugnisse, schon viele Bewerbungen geschrieben, die Jungen haben die Lehrverträge. Und unterstellen wir einmal, diese Mädchen sind genügend motiviert, sich nicht nur auf die wenigen frauentypischen Berufsfelder zu konzentrieren. Vielleicht ist ihnen dabei das Heftchen des Bildungsministeriums über Mädchen in gewerblich-technischen Berufen in die Hände gefallen, und Sie entschließen sich daraufhin, einen zukunftsorientierten Beruf im Bereich der neuen Technologien zu wählen. Fehlanzeige! Die in diesem Bereich von der Wirtschaft angebotenen Ausbildungsplätze sind besetzt, und außerbetriebliche gibt es nicht, weil z. B. kein Geld für die Ausweitung von Modellversuchen in diesem Bereich zur Verfügung steht.
Wenn solche Mädchen immer noch nicht resignieren, sondern z. B. Kfz-Mechanikerin werden und eine gute Abschlußprüfung hinlegen, sieht es so aus: 4 % der Jungen und 16 % der Mädchen werden direkt nach diesem Abschluß arbeitslos.

(Kuhlwein [SPD]: Hört! Hört!)

Ich wollte Ihnen nur einmal vor Augen führen, daß es genügend Ansätze gibt, zu handeln, anstatt zu appellieren. Erweitern Sie doch die Modellversuche für Frauen und Mädchen auf zukunftsorientierte Berufsfelder, anstatt auszutrocknen oder neue Helferinnen für den Computerbereich auszubilden, da ein bißchen tip und da ein bißchen tip. Stellen Sie die Mittel für ein Sonderprogramm für Mädchen bereit, anstatt sie als feststehende Problemgruppe des Ausbildungsmarktes zu beklagen. Und nehmen Sie endlich die Trittbrettfahrer bei der Berufsausbildung in die Pflicht, um damit die Ausbildungsplätze zu finanzieren, die sie nicht bereitstellen.

(Beifall bei der SPD)

Unser Wahlprogramm für den 25. Januar macht deutlich, wo für uns Sozialdemokraten die Chancengleichheit anfängt: bei der Wiederherstellung des Schüler-BAföG, bei dem Recht auf eine qualifizierte Berufsausbildung für jeden, aber auch für jede.

(Beifall bei der SPD)

Lassen Sie mich abschließend sagen: Ihr Tor zur Zukunft hat vor allem die Mädchen direkt in die Sackgasse geführt — und leider, Frau Ministerin Süssmuth, mit Ihrer Mitwirkung. Appellieren ist einfach, die richtigen Handlungsansätze zu finden oft schwierig. Sie durchzusetzen, Frau Süssmuth, ist letztlich entscheidend.
Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD — Kuhlwein [SPD]: Sie ist eine Appellministerin!)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1023809800
Das Wort hat Frau Bundesministerin für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit:

(Kuhlwein [SPD]: Zu ihrem vorläufig letzten Appell! — Frau Odendahl [SPD]: Das wird nicht ihr letzter sein!)


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1023809900
Es werden weitere folgen.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Jugendpolitik hat offenbar immer ein Dreifaches zu leisten, aktuelle Probleme lösen zu helfen, bewährte Arbeit in der Jugendhilfe fortzuführen und offen zu sein für neue Aufgaben und Anforderungen. Hier stehen drei Bereiche an: der Bericht der EnqueteKommission Jugendprotest und die Auswertung, der Sechste Jugendbericht und die Antworten zu der Großen Anfrage der SPD-Fraktion zur Situation der Jugend.
Wer hier im Raum hat eigentlich behauptet, daß Jugendliche nicht protestierten oder nicht protestieren dürften?

(Gilges [SPD]: Der Götzer!)

Wenn Sie hier nicht hätten aufweisen können, daß Proteste da sind, hätten Sie uns vorgeworfen, daß wir eine unterdrückende Regierung seien.



Bundesminister Frau Dr. Süssmuth
Nun haben wir protestierende Gruppen. Das gehört zu den Ausdrucksformen und Lebensformen junger Menschen.

(Frau Eid [GRÜNE]: Sagen Sie das mal Ihren Kollegen!)

Aber Sie fragen, ob wir die Proteste gar nicht wahrnähmen oder gar aus den Augen ließen. Und Sie unterstellen, wir behaupteten, die Wende habe alles beseitigt. Ich denke, daß es zu den entscheidenden Lebensformen der Jugend gehört, für das sensibel zu sein, was rechtens ist und was Unrecht ist, und jeweils ihren Beitrag zu dem zu leisten, was von einer Generation und den Generationen miteinander geleistet werden kann.

(Gilges [SPD]: Sagen Sie das mal dem Herrn Götzer!)

— Ich möchte erst einmal nachdrücklich zurückweisen, daß ich Herrn Götzer etwas zu sagen hätte; denn recht hat er, wenn er erklärt: Das eine ist, den Blick auf die protestierende Jugend zu lenken, das andere heißt, den Blick auf die nicht protestierende Jugend zu lenken.

(Zuruf von der CDU/CSU: Auch die gibt es!)

Beide haben unsere ungeteilte Aufmerksamkeit und unsere Förderung zu finden.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Gilges [SPD]: Überhaupt kein Dissens! Aber Herr Götzer hat das anders gesagt!)

Ein Zweites möchte ich sagen: Es trifft nicht zu, daß sich der Austausch zwischen den Generationen in diesem von Ihnen beschriebenen desolaten Zustand befinde. Es hat meines Wissens noch nie so viel Offenheit junger Menschen gegenüber den älteren gegeben, wie wir sie gegenwärtig vorfinden können. Es gibt auch ein beträchtliches Maß an sozialem Engagement, nicht nur in Behindertenheimen, Altenheimen.

(Frau Schmidt [Nürnberg] [SPD]: Hat doch niemand bestritten!)

— Sie haben eben gesagt, wir sähen das nicht.
Im Gegenteil scheint es mir wichtig zu sein, angesichts des gezeichneten Bildes von der völlig hoffnungslosen Jugend, die in Trauer verfällt, daß sie die Probleme dieser Zeit anpackt. Vielleicht ist es jeweils unsere Trauer, die wir hier beklagen, nicht aber das Engagement der Jugend selbst. Davor sollten wir zunächst einmal Achtung haben.

(Gilges [SPD]: Einverstanden!)

Ich möchte ein Weiteres aufgreifen. Kein Mensch sagt hier, daß es nicht Probleme in Ausbildung und Beruf gibt. Kein Mensch ignoriert die veränderten Entwicklungs-, Erziehungs- und Bildungsbedingungen. Aber hier möchte ich auch sagen: Vorsicht gegenüber einer einseitig positiven Bewertung der Bildungsexpansion der 70er Jahre.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Sie war gut im Qualifikationsbereich. Sie hat aber
vielen Lebenshilfe versagt. Ein Teil der Benachteiligten von heute sind junge Menschen, die entweder
in ihren Elternhäusern oder in den Schulen nicht jene Lebenshilfe erfahren, die sie überhaupt lernfähig macht. Deswegen würde ich allen raten: Weg von noch größeren Schulen, in denen wir Mitwirkung und Mitbestimmung als Sandkastenspiel betreiben,

(Beifall bei der CDU/CSU)

wo sich aber an der Qualität des Miteinander und Füreinander-Einstehens, sei es der Lehrer für die Kinder und Jugendlichen oder umgekehrt, nichts ändert.
Gerade dieser Punkt der Lebenshilfe wird uns noch erhebliche Zeit beschäftigen. Von daher ist auch hier meine ganz klare Aussage: Wir brauchen nicht das rasche Ende des Benachteiligtenprogramms, sondern wir werden es noch eine Reihe von Jahren brauchen.

(Kuhlwein [SPD]: Auf gesetzlicher Grundlage!)

Sie haben eben erklärt, wir appellierten nur, wir täten nichts, wir überließen alles dem Markt.

(Frau Odendahl [SPD]: So ist es!)

Es ist sicherlich gut, die Kräfte des Marktes nicht zu unterschätzen. Ich glaube, Sie von der Opposition loben in öffentlichen Veranstaltungen die Anstrengungen der Wirtschaft zur Bereitstellung von Ausbildungsplätzen.

(Frau Odendahl [SPD]: Aber nicht blanko!)

Ich war dafür mehrfach Zeuge. Wenn dies so ist, dann ist die andere Seite der Medaille, daß wir durchaus mit einer guten Bilanz dessen aufwarten können, was wir zusätzlich getan haben. Als Sie begannen, betrug das Benachteiligtenprogramm 50 Millionen DM.

(Kuhlwein [SPD]: Das ist gerade erst eingeführt worden! Es gab weniger betroffene Jugendliche!)

— Es gab mehr! Vergleichen Sie die Zahlen von 1982 und 1986. Die Zahl der arbeitslosen Jugendlichen lag 1982 beträchtlich höher als 1986.

(Beifall bei der CDU/CSU — Kuhlwein [SPD]: Die Zahl der Unversorgten war 1982 viel niedriger! — Feilcke [CDU/CSU]: Herr Kuhlwein, es ist doch Quatsch, was Sie da erzählen!)

Was immer Sie behaupten — wenn eine Antwort darauf ist, daß wir für das Haushaltsjahr 1987 407 Millionen DM in diesem Bereich angesetzt haben, dann ist das nicht Tatenlosigkeit und schon gar nicht Appell.

(Kuhlwein [SPD]: Entschuldigung, das ist wirklich eine Milchmädchenrechnung!)

Das gleiche gilt für die berufliche Förderung durch Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen.

(Kuhlwein [SPD]: Selbst ein Milchmädchen wäre beleidigt!)




Bundesminister Frau Dr. Süssmuth
— Ein Milchmädchen wäre es nicht beleidigt, wenn es einen Ausbildungsplatz bekäme, statt immer wieder zu hören, daß es vertröstet wird.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Kuhlwein [SPD]: Wenn man sagt, dies wäre eine Milchmädchenrechnung, wäre ein Milchmädchen beleidigt!)

Woher kommen denn diese positiv sich entwikkelnden Zahlen? Sie kommen aus dem Zusammenspiel von Anstrengung und Leistung von Wirtschaft und öffentlichem Dienst und durch die zusätzlich bereitgestellten Mittel. Daß es bereits einen Streit darüber gibt, wieviel wir noch brauchen, ist eine andere Frage.

(Schreiner [SPD]: Das ist eine unglaubliche Schönfärberei! Sie leben in einer anderen Welt!)

— Ich lebe sicherlich nicht in Ihrer Welt. Ich habe eben gedacht, es wäre besser, statt der Trostlosigkeit, die Sie hier im Raum beschwören, an Ihrem Ort zu handeln und den Jugendlichen zu helfen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Gilges [SPD]: Haben wir doch gar nicht! — Kuhlwein [SPD]: Trostlos ist Ihre Politik! — Gegenrufe von der CDU/CSU)

— Wenn diese Politik, so trostlos wäre, dann hätte sie nicht bereits so vielen Jugendlichen geholfen, wie sie das gegenwärtig getan hat.

(Schreiner [SPD]: Ihre Politik ist in der Tat trostlos!)

Lassen Sie mich ein Letztes sagen. Es ist bereits von Frau Adam-Schwaetzer gesagt worden, was unsere Auffassung und unser Programm in bezug auf die Mädchen ist. Daß sie nach wie vor benachteiligt — nicht auf Grund fehlender Leistung oder nachfolgender Mutterschaft — sind, ist allen sattsam bekannt.

(Frau Odendahl [SPD]: So schnell geht das auch wieder nicht!)

Wichtig ist, daß wir auf den verschiedenen Ebenen alle Möglichkeiten ausschöpfen. Wir haben dies bereits so beschlossen,

(Frau Wagner [GRÜNE]: Wir wären schon froh, wenn Sie etwas in Angriff nehmen würden!)

alle zusätzlichen Stellen aus den Förderungsprogrammen bevorzugt für Mädchen zu nehmen, und werden dies auch in den nächsten Tagen umsetzen. Ich lasse mir nicht sagen, es bleibe bei Appellen. Der Appell ist das eine, die Taten das andere.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Gilges [SPD]: Da fehlt es aber!)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1023810000
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zuerst zur Abstimmung über den Tagesordnungspunkt 3 a, und zwar über die Beschlußempfehlung des Ausschusses für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit auf Drucksache 10/5624. Der Ausschuß empfiehlt auf Drucksache 10/5624 unter Nr. 1 die Annahme einer Entschließung. Wer dem zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Die Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der Entschließungsantrag ist angenommen.
Der Ausschuß empfiehlt unter Nr. 2 der Beschlußempfehlung, den Entschließungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 10/1269 abzulehnen.

(Seiters [CDU/CSU]: Zu Recht!)

Wer dieser Beschlußempfehlung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Die Gegenprobe! — Enthaltungen? — Die Beschlußempfehlung ist angenommen.
Weiter empfiehlt der Ausschuß unter Nr. 3, den Antrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 10/3385 abzulehnen.

(Seiters [CDU/CSU]: Auch zu Recht!)

Wer der Beschlußempfehlung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Die Beschlußempfehlung ist angenommen.
Wir kommen jetzt zur Abstimmung über Tagesordnungspunkt 3 b und die Beschlußempfehlung des Ausschusses für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit auf Drucksache 10/5622. Wer dieser Beschlußempfehlung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Die Beschlußempfehlung ist angenommen.
Meine Damen und Herren, ich rufe Punkt 4 der Tagesordnung auf:
Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Errichtung einer Stiftung „Mutter und Kind — Schutz des ungeborenen Lebens"
— Drucksache 10/6040 —
a) Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit (13. Ausschuß)

— Drucksache 10/6121 — Berichterstatter:
Abgeordneter Schlottmann
b) Bericht des Haushaltsausschusses (8. Ausschuß) gemäß § 96 der Geschäftsordnung
— Drucksache 10/6147 — Berichterstatter:
Abgeordnete Waltemathe
Rossmanith

(Erste Beratung 233. Sitzung)

Es liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 10/6185 vor. Der Ältestenrat hat die Empfehlung gegeben, daß in der Aussprache jede Fraktion fünf Minuten Redezeit hat. — Das Haus ist damit einverstanden.



Vizepräsident Frau Renger
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat Frau Bundesminister Süssmuth.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1023810100
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Bundesstiftung „Mutter und Kind — Schutz des ungeborenen Lebens" ist inzwischen zu einem unverzichtbaren Beitrag zur Verpflichtung des Staates geworden. Maßnahmen zum Schutz des ungeborenen Lebens gilt es verstärkt zu ergreifen.
Ich danke den Fraktionen von CDU/CSU und FDP für ihren Antrag auf Erhöhung der Mittel der Bundesstiftung von 1986 bis 1988 um jährlich 20 Millionen DM. Sie tragen damit einem in der Praxis der Beratungsarbeit deutlich gewordenen Mehrbedarf Rechnung. Nunmehr wird es möglich sein, allen, die auch noch für dieses Jahr auf Hilfe angewiesen sind, diese zur Verfügung zu stellen.
Mir liegt daran, zu einer Kritik, die immer wieder vorgetragen wird, folgendes klarzustellen. Die Bundesstiftung, so heißt es, macht Frauen zu Bittstellerinnen. Ich möchte hier noch einmal unterstreichen: Sie ist eine ergänzende Maßnahme zu den in unserer Bundesrepublik bestehenden Rechtsansprüchen auf Hilfeleistungen. Insofern würden wir j a auch keine Frau, die in eine Beratung geht, zu einer Bittstellerin herabsetzen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Die Stiftung „Mutter und Kind" ist den familienpolitischen Leistungen, nämlich der Einführung des Erziehungsgeldes mit Erziehungsurlaub und der Nichtanrechnung des Erziehungsgeldes auf die Bundessozialhilfe und das Wohngeld, vorausgegangen. Sie ist dennoch weitergeführt worden, weil wir der Auffassung sind, daß in besonderen Lebenslagen Stiftungen ergänzend hinzukommen müssen.
Es wird zum zweiten gesagt, daß Beraterinnen damit über Gebühr strapaziert würden. Die Beraterinnen werden nie nur über Geld, sondern über die umfassende Lebenslage informiert und dazu Stellung nehmen. Ich bin allerdings der Meinung, daß die Länder eine wesentliche Hilfestellung geben könnten, wenn sie schon nicht die Stiftung einrichten oder andere Mittel bereitstellen, um Entlastung in der Beratung zu gewährleisten.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Denn die Beratung kommt allen zugute, nicht nur denjenigen, die die Stiftungsmittel in Anspruch nehmen.
Ich möchte zum dritten kurz erwähnen, daß auch wir wissen, daß die Stiftung ein Element ist und daß gerade für alleinerziehende Mütter, für Frauen in schwierigen Lebenslagen ergänzende Hilfen in der frühkindlichen Erziehung und Betreuung immer unabdingbarer werden, wenn wir den Schutz des ungeborenen Lebens glaubwürdig vertreten wollen. Ich bin sehr froh, daß ich auf immer mehr Träger der freien und öffentlichen Wohlfahrt stoße, bei denen diese Bereitschaft wächst und die hoffentlich auch Hilfen gewähren.
Ein Weg, den wir vom Bund her eingeschlagen haben, ist „Eltern helfen Eltern", sowohl auf dem
Lande als auch in den Städten; denn jede ergänzende Institution ersetzt nicht die unmittelbare menschliche Hilfe im Umfeld der Familie und der erweiterten Nachbarschaft.
Die Bundesregierung weiß nicht nur, daß eine umfassende Familienpolitik in allen Bereichen eine wichtige Voraussetzung für den Schutz des ungeborenen Lebens ist, sie hat auch in wichtigen Bereichen entsprechende Maßnahmen in die Tat umgesetzt. Ich bitte die Länder, diese Politik nicht nur kritisch zu begleiten, sondern ihrerseits auch das ihnen Mögliche zu tun, damit es jeder Mutter, die ihrem Kind das Leben schenken möchte, erspart bleibt, ihr Kind aus wirtschaftlichen und sozialen Gründen nicht zur Welt bringen zu können.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1023810200
Das Wort hat Frau Abgeordnete Schmidt (Nürnberg)


Renate Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1023810300
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kollegen! Liebe Kolleginnen! Frau Ministerin, ich meine, wir sind uns darin einig, daß Hilfe für schwangere Frauen unverzichtbar ist. Ich meine weiter, daß es uns nicht weiterbringt, wenn wir hier immer wieder dieselben Argumente austauschen und dieselben Vorwürfe erheben.
Wir sind uns in einem weiteren Punkt einig: Wir wollen Schwangerschaftsabbrüche verhindern, wir wollen nicht, daß Frauen in eine Konfliktsituation geraten, und wir wollen vor allen Dingen nicht, daß Frauen aus wirtschaftlicher Not in eine derartige Konfliktsituation geraten.

(Beifall bei der SPD)

Uneinig sind wir uns im Prinzip nur hinsichtlich der Wahl der Instrumente. Für uns ist erschrekkend, daß die Mittel für die Stiftung in so kurzer Zeit ein weiteres Mal aufgestockt werden müssen. Das zeigt uns doch, daß das Wort von der Armut, vor allen Dingen von der Armut von Frauen, kein Hirngespinst ist, sondern daß es in der Bundesrepublik erschreckende Realität ist. Wir wissen dabei, daß es sich bei denjenigen, die sich an die Stiftung wenden, nur um die Spitze des Eisbergs handelt.
Gerade deshalb halten wir in diesem Fall das Instrument der Stiftung für falsch. Ich meine, wir sollten statt dessen gemeinsam überlegen, wir man die Ursachen der Notsituation dieser Frauen beseitigen kann, damit wir die Mittel nicht jedes Jahr wieder — ich glaube, da täuschen Sie sich: es ist nicht das letzte Mal, daß wir die Mittel aufstocken müssen — aufstocken müssen, ohne gleichzeitig den Gesetzesauftrag, unbürokratisch individuelle Einzelfallhilfe zu leisten und die Zahl der Schwangerschaftsabbrüche zu reduzieren, zu erfüllen.
Begrenzung der Ursachen heißt für uns: gezielte Bekämpfung der Arbeitslosigkeit, insbesondere der Arbeitslosigkeit von Frauen, Beseitigung der Ausbildungsplatznot von Mädchen — wir haben gerade darüber gesprochen —, Wiederherstellung wichtiger Sozialleistungen wie z. B. BAföG, stärkere Berücksichtigung der Situation Alleinerziehender in der Sozialhilfe und in der Sozialgesetzgebung.



Frau Schmidt (Nürnberg)

Aber dabei wissen wir natürlich, daß neben all diesen grundsätzlichen Fragen Notsituationen von Familien und Frauen bestehen bleiben. Ich meine z. B. die totale Überschuldung vieler junger Familien oder z. B. die Tatsache, daß junge Frauen nicht zum Sozialamt gehen wollen, wo sie Rechtsansprüche hätten, weil das Geld von den Eltern — mit denen sie sich, vielleicht wegen der Geburt des Kindes, überworfen haben — vom Sozialamt zurückgefordert wird. Wir meinen aber auch hier, daß die Stiftung einfach der falsche Weg ist; falsch, weil die Hilfen dort inzwischen nach ebenso bürokratischen Richtlinien gezahlt werden; falsch, weil die Beratungsstellen zu Geldverteilungsstellen degenerieren; falsch, weil die Hilfen in der Höhe nicht kalkulierbar sind, weil identische Notlagen von Ort zu Ort und von Beratungsstelle zu Beratungsstelle unterschiedlich behandelt werden und vor allem weil auf diese Hilfen kein Anspruch besteht.
Wir würden deshalb gerne mit Ihnen gemeinsam einen anderen Weg gehen; weg vom Gewähren, hin zu durchschaubaren Rechtsansprüchen. Dazu legen wir heute einen Antrag vor. Wir möchten diejenigen Notsituationen von schwangeren Frauen, die durch das Sozialhilfegesetz nicht abgedeckt sind, durch ein eigenes Leistungsgesetz oder durch eine Änderung des BSHG regeln. Das hätte den Vorteil, daß Rechtsansprüche bestünden, Leistungen nach Dauer und Höhe kalkulierbar wären und die Abwicklung durch die Jugend- oder Sozialämter vorgenommen würde.

(Schlottmann [CDU/CSU]: Dazu sind Tausende von neuen Beamten erforderlich!)

Das wird übrigens von den bayerischen Beratungsstellen befürwortet.
Die Beratungsstellen könnten dann endlich wieder ihren eigentlichen Aufgaben nachkommen: der Beratung in Ehe- und Familienfragen, in Schwangerschaftskonflikten sowie der Sexualaufklärung. Dann würde auch der Skandal aufhören, den z. B. auch Sie, Herr Schlottmann, im Ausschuß bestätigt haben, daß mögliche Leistungen nach dem BSHG mit dem Hinweis auf die Stiftung verweigert oder sogar Stiftungsgelder auf Sozialhilfeansprüche angerechnet werden.

(Schlottmann [CDU/CSU]: Das ist eine Schweinerei!)

— Es ist eine. Da sind wir uns vollkommen einig. — Auch das zeigt: Die Stiftung ist auch von der Abwicklung her eine Fehlkonstruktion.
Wir schlagen Ihnen ein Weiteres vor: mit uns nach gesetzlichen Lösungen zu suchen gegen die Überschuldung von Familien, gegen die verantwortungslose Kreditvergabe, woran auch seriöse Kreditinstitute beteiligt sind. In diesem Zusammenhang erinnere ich an unseren Gesetzentwurf — er ist leider abgelehnt worden — zum modernen Schuldturm, in dem wir versucht haben, wenigstens Lösungsansätze zur Regelung dieser Fragen zu bieten.

(Beifall des Abg. Mann [GRÜNE])

Wir alle in diesem Parlament wollen helfen. Lassen Sie uns deshalb gemeinsam nach den richtigen, für die Frauen durchschaubaren Lösungen suchen, damit wir im nächsten Jahr nicht wieder hier stehen, und die Stiftungsgelder wieder um 10 Millionen DM oder 20 Millionen DM aufstocken müssen,

(Kroll-Schlüter [CDU/CSU]: Warum nicht?)

ohne unser gemeinsames Ziel, die Zahl der Schwangerschaftsabbrüche zu verringern, tatsächlich zu erreichen.

(Beifall bei der SPD)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1023810400
Das Wort hat Herr Abgeordneter Werner (Ulm).

Herbert Werner (CDU):
Rede ID: ID1023810500
Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Die Anhebung der Mittel der Bundesstiftung „Mutter und Kind" auf 80 Millionen DM stellt einen weiteren Schritt zum umfassenden Schutz des ungeborenen Kindes und zur Unterstützung von Frauen in Notlagen dar.

(Zuruf von den GRÜNEN: So ein Unsinn!)

Von der Opposition bekämpft, von Teilen von Pro Familia boykottiert, hat diese Bundesstiftung seit 1984 über 60 000 Frauen und Familien geholfen. Die CDU/CSU dankt all den Beratungsstellen, die durch Weitergabe von Stiftungsmitteln im Einklang mit der Forderung des Verfassungsgerichts in erster Linie zum Schutz der ungeborenen Kinder beraten.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Die Berater weisen zu Recht auf die Notwendigkeit einer Kombination von Einmal- und Langzeithilfen hin. Einmalbeträge der Stiftung sind gut. Ergänzende Hilfen zu diesen Einmalbeträgen sind notwendig. Diese Hilfen, diese Ergänzungen, gibt es außerhalb der Sozialhilfe leider nur in den verschiedenen Stiftungen von unionsgeführten Ländern. Nicht in SPD-regierten Ländern; denn die SPD lehnt es — teilweise bis hinunter auf die Kommunalebene — ab, spezielle Hilfen für Schwangere in Not bereitzustellen.

(Zuruf von der CDU/CSU: So ist es bei Herrn Rau!)

— Hier ist der Kanzlerkandidat der SPD, Herr Rau, gerufen, der in seinem Wahlprogramm allerdings kein Wort zum Schutz ungeborener Kinder sagt, landeseigene Stiftungen ablehnt und die Zuschüsse für Kindergärten und Jugendarbeit reduziert.

(Hört! Hört! bei der CDU/CSU)

Wann werden eigentlich die SPD-regierten Länder endlich die wohnortbedingten Unterscheidungen zwischen den Frauen beseitigen und nach dem Beispiel Baden-Württembergs Landesstntungen schaffen, die besonders einkommensschwachen Familien und Frauen — vom Kauf der Wiege bis eben zur Umschuldung bei Überschuldung — helfen können? Sie, meine Damen und Herren von der SPD, reden unentwegt von der Schaffung einer kinderfreundlichen Umwelt. Doch dort, wo Ihre Partei dementsprechend handeln könnte, geschieht nichts! Sie legen in diesem Haus weder eine eigene fami-



Werner (Ulm)

lienpolitische Gesamtkonzeption vor noch stimmen Sie dieser Bundesstiftung zu.

(Gilges [SPD]: Billige Argumentation, Herr Werner!)

— Herr Gilges, Ihr Argument gegen diese Stiftung, es bestehe kein Rechtsanspruch auf Erhalt von Mitteln, ist fadenscheinig! Ihre Vorstellung vom Rechtsanspruch führte doch in letzter Konsequenz zu einer Automatik der Vergabe von Mitteln an jede Frau, die sich gerade in Bedrängnis sieht und dafür Geld bei Ihnen abholen möchte. Das kann doch nicht der Sinn der Sache sein!
Allerdings, meine Damen und Herren von den GRÜNEN, wer — wie Sie — Abtreibung generell freigeben will, bei dem wundert es uns dann auch nicht, daß er auch diese Stiftung ablehnt.
Wir, die CDU/CSU, sind Anhänger der Subsidiarität und wollen keine bürokratisch festgeschriebenen Vergaberichtlinien in diesem äußerst sensiblen und individuellen Bereich. Die Beratungsstellen haben nämlich ein hohes Maß an Einzelfallgerechtigkeit und Treffgenauigkeit bewiesen. Zweifelsohne wenden sich in der Realität die Frauen in Not leichter an qualifizierte Berater als an Sozialämter, denn notwendig ist eine vertrauensvolle und intensive Auseinandersetzung mit den vielfältigen Problemursachen.
Die Stiftungsgelder sind keine Almosen. Sie sind zusätzliche Leistungen, Leistungen neben und zusätzlich zu denen, die in der Sozialhilfe zu bekommen sind. Die Anrechnungen, die teilweise bei Sozialbehörden stattfinden und die hier beklagt worden sind, verurteilen auch wir als einen ganz klaren Gesetzes- und Rechtsverstoß.
Meine Damen und Herren, falsch ist es, so zu tun, als handele es sich bei den Stiftungsgeldern womöglich — wie das immer wieder gesagt wird — um Geburtsprämien. Wir wollen mit diesen Geldern verhindern, daß die Frau, die sich unter Umständen durch das Ja zum Kind in die Gefahr geraten sieht, in eine ihre eigene Existenz bedrohende wirtschaftliche Notlage zu kommen, ohne Hilfe bleibt! Dies muß und kann stets nur im Einzelfall geprüft werden und die Hilfe ist daher auch nur im Einzelfall möglich.
Die Ursachen sind, so habe ich vorhin gesagt, vielfältig, und vielfältig sind auch die Einstellungen und Eindrücke der Schwangeren. Dazu, sich gerade mit dieser Vielfalt von Motiven und Ursachen und Problemen auseinanderzusetzen, sind die Berater und Beraterinnen in besonderem Maße geeignet.
Meine Damen und Herren, die Stiftung gehört in den Rahmen der vom Grundgesetz vorgegebenen Schutzpflicht des Staates. Sie ist eine von vielen möglichen und wünschenswerten Maßnahmen, die das Lebensrecht des Kindes wahren. Union und Koalition wollen das Spektrum der Unterstützung für jene mutigen Frauen und Familien, die heute in schwieriger Lage ein Ja zum Kind sagen, ständig verbreitern. Wege dazu sind die weitere Verbesserung des Familienlastenausgleichs, die Fortsetzung der Steuerreform, der Ausbau der Erleichterungen für Alleinerziehende und die gesellschaftliche Aufwertung der Rolle der Mutter in Familie und Berufsleben. So schaffen wir in der Tat eine kinderfreundliche Umwelt!
Ich bitte Sie deswegen um Zustimmung zu diesem Gesetzentwurf. — Den Antrag, den Sie hier vorgelegt haben, lehnen wir aus den Gründen, die ich mit vorgetragen habe, ab.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1023810600
Das Wort hat Frau Abgeordnete Wagner.

Marita Wagner (GRÜNE):
Rede ID: ID1023810700
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Erneut steht die Bundesstiftung „Mutter und Kind — Schutz des ungeborenen Lebens", wie es so schön heißt, im Bundestag zur Debatte. Wir von den GRÜNEN sind nach wie vor der Meinung, daß diese Stiftung die Probleme schwangerer Frauen in unserer Gesellschaft nicht annähernd gelöst hat und daß auch eine nochmalige Erhöhung der Stiftungsgelder die ursächlichen Probleme nicht lösen kann.
Aber ich will noch einmal weiter ausholen, was die vielgepriesene Familienpolitik dieser Regierung angeht, für die nicht zuletzt Frau Süssmuth verantwortlich zeichnet. Aus der Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage der SPD zu dieser Thematik geht eindeutig hervor, daß zwei Drittel aller Antragstellerinnen alleinstehend sind. Dies sind vor allem Frauen in der Ausbildung, arbeitslose Frauen, die bereits von der deutlich geringeren Arbeitslosenhilfe leben, und sozialhilfeabhängige Frauen. Der Anteil von Frauen mit Einkommen unter 1 000 DM ist erwartungsgemäß hoch. Folglich wird ein erheblicher Teil der Stiftungsmittel für laufende Hilfen verausgabt. Dies zeigt doch, daß es um die materielle Notlage von Frauen überhaupt geht.
Die Situation spitzt sich dann zu, wenn ein Kind geboren wird. Es sollte daher klar und deutlich gesagt werden, wie es um die materielle Situation von Frauen, insbesondere von Frauen mit Kindern oder ohne qualifizierte Erwerbsarbeit, bestellt ist. Denn woher kommt die Notlage schwangerer Frauen? Wir wissen aus diversen Erfahrungsberichten, daß diejenigen Frauen Stiftungsmittel in Anspruch nehmen, die sich ohnehin schon für eine Schwangerschaft entschieden haben. Sie sind also auf die Gelder dringend angewiesen, denn ausreichende und umfassende soziale Absicherungen, wie wir sie fordern, existieren nicht.
Diese Notlage schwangerer Frauen hat ihren Grund in der Ausbildungs- und Erwerbssituation von Frauen überhaupt und in den starren Arbeitszeiten, die eine Verbindung von Erwerbsarbeit und Kinderbetreuung nicht zulassen. Statt dessen setzt die Regierung mit ihrer Bundesstiftung auf den Schutz des ungeborenen Lebens. Von der Situation der schwangeren Frauen ist an dieser Stelle schon gar nicht mehr die Rede. Als ob die Entscheidung für oder gegen ein Kind allein von der Zahlung einiger Stiftungsgelder abhängig wäre. Was hier von



Frau Wagner
der Bundesregierung intendiert ist, ist schlicht und einfach die Gebärprämie für Frauen.

(Jäger [Wangen] [CDU/CSU]: Unsinn!)

Zusammen mit den neuen Restriktionen, die bei Schwangerschaftsabbrüchen abverlangt werden, soll das Kindergebären, soll die traditionelle Kleinfamilie wieder zu neuem Leben erweckt werden. Zusammen mit den eingeführten steuerlichen Kinderfreibeträgen, welche vor allem für die gut verdienenden Ehemänner attraktiv sind, und dem Erziehungsgeld für verheiratete Paare wird die Ehe als Idealform des Zusammenlebens in dieser Gesellschaft weiter gefestigt, gehen alleinerziehende Frauen mit in der Regel deutlich geringerem Erwerbseinkommen oder die sozialhilfeabhängigen alleinstehenden Frauen gänzlich leer aus. Neue Formen des Zusammenlebens werden sozialrechtlich blockiert. An dieser Situation kann ihr Almosenpaket für sich in materieller Not befindende schwangere Frauen überhaupt nichts ändern. Ich wende mich entschieden dagegen, daß auch nur der Eindruck entsteht, daß die Bundesstiftung „Mutter und Kind" für die Betroffenen eine entscheidende Verbesserung bedeutet.
Ich will noch etwas zu der Stiftung sagen: Es besteht kein Rechtsanspruch auf die Gelder. Es entscheiden die jeweiligen Sachbearbeiter oder Vergabeausschüsse, die Beträge differieren nach Bundesländern und Vergabestellen, die Frauen treten als Bittstellerinnen auf und müssen ihre Einkommenssituation offenlegen. Es ist zweifelhaft, ob die datenschutzrechtichen Voraussetzungen ausreichend eingehalten werden. Diese Art der Vergabe von Mitteln für schwangere Frauen in Notlagen ist diskriminierend.
Zudem sind die Beträge zu gering, um zusammen mit dem Kindergeld die Aufwendungen überhaupt zu ersetzen.
Die Entscheidung, Kinder in die Welt zu setzen, ist eine Entscheidung grundsätzlicher Art. Sie verändert bekanntlich das Leben von Frauen und Männern nachhaltig. Von daher sind auch gesellschaftspolitische Lösungen erforderlich, die sowohl für alleinbetreuende Elternteile als auch für zusammenlebende Eltern die Vereinbarkeit von Erwerbsarbeit und Kinderbetreuung ermöglichen.
Dies bedeutet zum ersten die soziale Absicherung von erwerbslosen Frauen und Männern. Wir haben hierzu bereits Vorschläge für die Mindestsicherung in den verschiedenen Zweigen der sozialen Sicherung entwickelt.
Dies bedeutet zum zweiten die Zahlung eines ausreichenden Kindergeldes und die Wiederaufhebung der steuerlichen Vergünstigungen.
Dies bedeutet zum dritten die soziale Absicherung von nicht erwerbstätigen kinderbetreuenden Elternteilen. Hier sind 600 DM Kindergeld ein kläglicher Betrag.

(Beifall des Abg. Mann [GRÜNE])

Dies bedeutet zum vierten — dies ist ein ganz zentraler Punkt, der in den familienpolitischen Maßnahmen der Regierung überhaupt nicht mehr auftaucht — die Veränderung der Erwerbsarbeit, insbesondere die der Frauen. Es ist nicht mehr einsehbar, daß Frauen in diesem unserem Lande immer noch ein Großteil unbezahlter Reproduktionsarbeit für die Gesellschaft leisten und obendrein häufig in miesen Arbeitsverhältnissen wie Teilzeitarbeiten, Heimarbeiten oder befristeten Arbeitsverhältnissen stecken. Es geht mir hier sowohl um die Ausbildung von Frauen in qualifizierten Berufen als auch um die gleichberechtigte Beteiligung der Frauen auf allen Hierarchieebenen des Erwerbslebens. Alle Formen von sozial ungesicherter Teilzeitarbeit lehnen wir ab.
Ich danke Ihnen.

(Beifall bei den GRÜNEN)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1023810800
Das Wort hat der Abgeordnete Eimer (Fürth).

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1023810900
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich möchte jetzt nicht auf die ideologischen Gesänge von Frau Wagner eingehen, sondern mich sehr herzlich bei den Kollegen im Haushaltsausschuß und beim Finanzminister bedanken, daß trotz der Sparsamkeit, der wir uns verpflichtet haben, eine Erhöhung der Mittel um 20 Millionen DM für diese Stiftung „Mutter und Kind" möglich war. Diese 20 Millionen DM dienen einem guten Zweck.
Die Mittel der Stiftung wurden ja bereits mehrmals erhöht. Frau Kollegin Schmidt hat darauf hingewiesen. Begonnen haben wir mit 25 Millionen DM im Jahre 1984; es wurde dann auf 60 Millionen DM erhöht, und jetzt werden es jährlich 80 Millionen DM sein, also, wie bereits erwähnt, 20 Millionen DM mehr.
Ich sehe dies nicht negativ wie Frau Kollegin Schmidt, sondern im Gegenteil sehr positiv. Es ist ein erfreuliches Zeichen, zeigt es doch, daß die Stiftung angenommen worden ist, daß sie bei den Betroffenen ankommt. Und darauf kommt es ja wohl in erster Linie bei Hilfen an.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Meine Damen und Herren, ich habe sehr großes Verständnis für die Diskussion, die bei jeder dieser Erhöhungen neu entbrannt ist, was nun besser sei: ein formaler Rechtsanspruch oder aber eine unbürokratischere Stiftung. Wir meinen, daß in diesem speziellen Fall die Stiftung der bessere Weg ist, aber ich betone: natürlich nicht der alleinige Weg. Verbesserungen im Familienlastenausgleich sind nötig. Wir haben da schon einige vorgenommen, aber die Stiftung hat eben auch eine andere Aufgabe.
Ich betone: Ganz gleich, welche Lösung die Mehrheit im Bundestag bekommen hätte, jede von ihnen ist besser als gar nichts. So verstehe ich nicht, daß es Länder gibt, wie z. B. Nordrhein-Westfalen, die sich gegen eine eigene Landesstiftung sperren. Dieses Gesetz ist doch eine der flankierenden Maßnahmen zu den Problemen des § 218. Wem es ernst ist um die Not der Frauen, der darf in diesen Fällen nicht nur an die Straffreiheit denken, sondern der



Eimer (Fürth)

muß auch an die Not denken, die wir beseitigen können und müssen, und hier speziell an die materielle Not.
Ich weiß, daß es auch Mitnahmeeffekte gibt. Ich nehme sie aber in Kauf, wenn der Mehrheit dabei geholfen werden kann; und dies ist der Fall. Ich möchte mich deswegen bei all den Bundesländern bedanken, die entsprechende Landesstiftungen gegründet haben und damit zusätzliche Landesmittel zur Verfügung stellen.

(Kroll-Schlüter [CDU/CSU]: Auch bei den Kommunen!)

— Für die Kommunen gilt das gleiche, selbstverständlich, Herr Kollege Kroll-Schlüter.
Mein Kollege Cronenberg, der selbst Mitglied des Kuratoriums der Stiftung ist, wollte ursprünglich selber zu diesem Thema sprechen und sich persönlich für die Erhöhung der Mittel bedanken. Aus Termingründen ist ihm dies nicht möglich. Aber ich habe von ihm erfahren, daß Johannes Rau — und das möchte ich auch an die Adresse meines Kollegen Werner richten — persönlich für eine Landesstiftung in Nordrhein-Westfalen sei, daß dies aber die SPD-Landtagsfraktion blockiert.

(Werner [Ulm] [CDU/CSU]: Er will doch eine Führungsposition einnehmen!)

— Das ist ein anderes Problem, da wollen wir nicht der SPD hineinreden. Ich glaube, wir sollten von dieser Stelle — ich will dies im Auftrag und an Stelle von Julius Cronenberg tun — an die SPD den Appell richten — —

(Gilges [SPD]: Was die CDU-Fraktion alles blockiert, wollen wir das mal auflisten?)

— Herr Kollege Gilges, vielleicht hören Sie einmal ein bißchen zu. Ich appelliere an Sie, auch im Namen von Julius Cronenberg, geben Sie doch den Widerstand auch in Nordrhein-Westfalen auf, damit Frauen in Not geholfen werden kann. Die FDP wird dem Gesetz und damit der Erhöhung um 20 Millionen DM zustimmen.
Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1023811000
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Einzelberatung und Abstimmung. Der Ausschuß empfiehlt, den Gesetzentwurf auf Drucksache 10/6040 unverändert anzunehmen. Ich rufe 1 bis 3, Einleitung und Überschrift auf. Wer dem zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der Gesetzentwurf ist in zweiter Lesung angenommen.
Wir treten in die
dritte Beratung
und Schlußabstimmung ein. Wer dem Gesetzentwurf als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich vom Platz zu erheben. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der Gesetzentwurf ist in dritter
Lesung angenommen gegen die Stimmen von SPD und GRÜNEN.
Wir kommen jetzt zu dem Entschließungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 10/6185. Es ist beantragt worden, diesen Entschließungsantrag zur federführenden Beratung an den Ausschuß für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit sowie zur Mitberatung und zur Beratung gemäß § 96 unserer Geschäftsordnung an den Haushaltsausschuß zu überweisen. Gibt es Widerspruch? — Ich sehe, das Haus ist damit einverstanden, dann ist das so beschlossen.
Die Sitzung wird um 14 Uhr mit der Fragestunde fortgesetzt. Um 15 Uhr erfolgen die weiteren Beratungen. Vor Punkt 12 der Tagesordnung werden noch die Gesetzentwürfe und Anträge ohne Debatte abgehandelt.
Wir treten in die Mittagspause ein.

(Unterbrechung von 13.19 bis 14.01 Uhr)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1023811100
Meine Damen und Herren, ich eröffne wieder die unterbrochene Sitzung.
Ich rufe Punkt 1 der Tagesordnung auf:
Fragestunde
— Drucksache 10/6139 —
Wir kommen zunächst zum Geschäftsbereich des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung. Zur Beantwortung der Fragen steht uns der Herr Parlamentarische Staatssekretär Vogt zur Verfügung.
Ich rufe zunächst die Frage 52 des Abgeordneten Huonker auf:
Welche Gründe sprechen nach Auffassung der Bundesregierung dafür bzw. dagegen, Aufwendungen, die nach dem Wohnungsbau-Prämiengesetz angelegt werden, entsprechend der Ziffer 5 der Stellungnahme des Bundesrates vom 26. September 1986 zum Entwurf eines Zweiten Vermögensbeteiligungsgesetzes (BR-Drucksache 370/86 Beschluß) in den Förderrahmen von 936 DM einzubeziehen?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1023811200
Gegen den Vorschlag des Bundesrates, Herr Kollege, die nach dem Wohnungsbau-Prämiengesetz angelegten vermögenswirksamen Leistungen in den Förderungshöchstbetrag des Vermögensbildungsgesetzes von 936 DM einzubeziehen, sprechen die Gründe, die in der Stellungnahme der Bundesregierung zum Gesetzentwurf des Bundesrats zur Förderung von Arbeitnehmerbeteiligungen am Produktivvermögen — Bundestagsdrucksache 10/3955 — bereits dargelegt worden sind.
Die Bundesregierung ist der Auffassung, daß an der mit dem Vermögensbeteiligungsgesetz von 1983 vollzogenen stärkeren Ausrichtung der Förderung auf Vermögensbeteiligungen festzuhalten ist. Diese Neuorientierung der Vermögenspolitik würde aufgegeben, wenn der Förderungshöchstbetrag von 936 DM für andere Anlageformen geöffnet würde. Mit der Einbeziehung des Bausparens in den Förderungshöchstbetrag von 936 DM entfiele der vermögenspolitisch unverzichtbare Förderungsvorsprung für Vermögensbeteiligungen.




Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1023811300
Zusatzfrage, Herr Huonker.

Gunter Huonker (SPD):
Rede ID: ID1023811400
Herr Staatssekretär, teilen Sie die Auffassung, daß dann, wenn das Vermögensbeteiligungsgesetz durch den Abschluß entsprechender Tarifverträge über 936 DM in der Realität Wirkung entfalten würde, von den Lohnbüros aus verständlichen Gründen Druck ausgeübt würde, die 936 DM in einer Anlageform anzulegen mit der Folge, daß die Förderung des Bausparens zurückgedrängt würde, während es — nachdem die steuerliche Förderung selbstgenutzten Wohneigentums geändert, verbessert worden ist — in der Logik der Sache liegt, auch für die sogenannte Ansparphase — sprich: für das Bausparen — etwas zu tun?
Vogt, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, Sie wissen, daß vermögenswirksame Leistungen bis 624 DM weiterhin begünstigt werden. Sie wissen auch, daß der einzelne Arbeitnehmer dann, wenn vermögenswirksame Leistungen bis 936 DM vereinbart werden, in der Anlage dieser vermögenswirksamen Leistungen frei ist. Nur muß er sich natürlich überlegen, in welchen Förderungsrahmen er kommt, wenn er bis 936 DM für das Bausparen anlegt. Denn für die dritten 312 DM gibt es nur eine Förderung bei Kapitalbeteiligung.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1023811500
Weitere Zusatzfrage, Herr Huonker.

Gunter Huonker (SPD):
Rede ID: ID1023811600
Herr Staatssekretär, teilen Sie meine Auffassung, daß eine aufkommensneutrale Einbeziehung der Bausparförderung in den 936-DM-
Rahmen möglich wäre und daß durch eine solche Lösung für die Bausparförderung etwas getan werden könnte, ohne eine Gesetzesregelung zu finden, die der Intention, das Produktivkapital stärker zu fördern, zuwiderläuft?
Vogt, Parl. Staatssekretär: Nein, diese Auffassung teile ich nicht. Wenn Sie Ihre Frage unter der Voraussetzung stellen, daß das Bausparen förderungsneutral gefördert werden sollte, dann müßten Sie die Begünstigung für das Bausparen, die heute bei 23% Arbeitnehmersparzulage liegt, herunterschrauben. Wir halten das Bausparen aus gesellschafts- und wohnungsbaupolitischen Gründen für unentbehrlich. Deshalb bleibt es bei dem Förderungssatz, wie er heute besteht, nämlich 23 %. Aber wir begrenzen den Betrag, der in Bausparverträgen festgelegt werden kann.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1023811700
Nächste Frage des Abgeordneten Huonker, die Frage 53:
Gibt es Überlegungen innerhalb der Bundesregierung, daß Bausparbeiträge zu einem nach der etwaigen Verabschiedung des Zweiten Vermögensbeteiligungsgesetzes liegenden Zeitpunkt in den Förderrahmen von 936 DM einbezogen werden sollen, und wenn ja, welches sind die Gründe dafür, daß dies nicht im Rahmen des Zweiten Vermögensbeteiligungsgesetzes geschieht?
Vogt, Parl. Staatssekretär: In der Bundesregierung gibt es keine Überlegungen, Bausparbeiträge nach der Verabschiedung des Zweiten Vermögensbeteiligungsgesetzes in den Förderungshöchstbetrag des Vermögensbildungsgesetzes von 936 DM einzubeziehen.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1023811800
Eine Zusatzfrage, Herr Huonker.

Gunter Huonker (SPD):
Rede ID: ID1023811900
Herr Staatssekretär, können Sie definitiv ausschließen, daß für den Fall, daß die jetzige Regierung nach dem 25. Januar 1987 weiterhin im Amt bliebe, das Bausparen in den 936 DM-Förderrahmen einbezogen wird, und zwar auch für den Fall, daß, wie von Ihnen heute in der „Süddeutschen Zeitung" angekündigt, in der nächsten Legislaturperiode eine grundlegende Neugestaltung des Vermögensbeteiligungsgesetzes kommen sollte?
Vogt, Parl. Staatssekretär: Zunächst einmal, Herr Kollege, können Sie davon ausgehen, daß auch nach dem 25. Januar 1987 die derzeitige Bundesregierung unter Bundeskanzler Kohl Regierung sein wird. Da dies nicht nur eine personelle Kontinuität sein wird, sondern auch eine inhaltlich-politische Kontinuität, können Sie davon ausgehen, daß es bei der grundlegenden Weichenstellung, die mit dem Vermögensbeteiligungsgesetz 1983 getroffen wurde und die jetzt durch das Vermögensbeteiligungsgesetz 1986 bestätigt worden ist — ich gehe davon aus, daß dieses Gesetz noch in dieser Legislaturperiode verabschiedet wird —, bleibt, nämlich Konzentration der Förderung im Rahmen zwischen 624 und 936 DM für Kapitalbeteiligungen, für Vermögensbeteiligungen.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1023812000
Eine Zusatzfrage, wenn Sie nicht von etwas Neuem ausgehen würden, Herr Huonker.

Gunter Huonker (SPD):
Rede ID: ID1023812100
Ich habe eine Zusatzfrage, Herr Präsident. Mit Verlaub, dies ist alles das Thema.
Herr Staatssekretär, teilt die Bundesregierung trotz der Ziffer 5 der Stellungnahme des Bundesrates vom 26. September 1986 zum Vermögensbeteiligungsgesetz der Bundesregierung die Auffassung, die Sie heute in der „Süddeutschen Zeitung" geäußert haben, daß eine Ausdehnung der Bausparförderung von heute 624 auf 936 DM auch dann definitiv ausgeschlossen ist, wenn Sie in der nächsten Legislaturperiode die Mehrheiten hätten und eine Änderung des Vermögensbeteiligungsgesetzes in Angriff nehmen würden?
Vogt, Parl. Staatssekretär: Also, Herr Kollege, ich habe auf diese Fragen schon geantwortet. Ich darf meine Antwort wiederholen. Unter der Voraussetzung, die ich als gesichert ansehe, daß die derzeitige Regierung durch die Wähler am 25. Januar 1987 im Amt bestätigt wird, wird es auch bei der vermögenspolitischen Linie bleiben, zu der in dieser Legislaturperiode der Grund gelegt worden ist. Diese Linie heißt: Nachdem über mehr als 20 Jahre hinweg das Konten-, Versicherungs- und Bausparen gefördert worden sind, sollte in der Zukunft für den Rest der 80er und der 90er Jahre die Förderung des Beteiligungssparens im Vordergrund stehen.

(Huonker [SPD]: Das heißt, Sie widersprechen Ihrem Kollegen Faltlhauser!)





Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1023812200
Die Frage 54 des Abgeordneten Hinsken ist vom Fragesteller zurückgezogen worden.
Wir sind am Ende des Geschäftsbereichs des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung. Ich danke dem Herrn Staatssekretär für die Beantwortung der Fragen.
Ich komme zum Geschäftsbereich des Bundesministers für das Post- und Fernmeldewesen. Aber auch hier ist um schriftliche Beantwortung der Frage 1 durch den Abgeordneten Stiegler gebeten worden, so daß ich den Fragenbereich nicht aufzurufen brauche. — Die Antwort auf die Frage wird als Anlage abgedruckt.
Gleiches gilt für den Geschäftsbereich des Bundesministers für Forschung und Technologie. Die Fragen 2 und 3 des Abgeordneten Dr. Solms sollen auf Grund Nr. 2 Abs. 2 der Richtlinien schriftlich beantwortet werden. Die Antworten werden als Anlage abgedruckt.
Wir kommen zu dem Geschäftsbereich des Bundeskanzlers und Bundeskanzleramtes. Die einzige Frage, die Frage 4 des Abgeordneten Hinsken, ist vom Fragesteller zurückgezogen worden.
Wir kommen jetzt zum Geschäftsbereich des Bundesministers für Verkehr. Zur Beantwortung der Fragen steht Herr Parlamentarischer Staatssekretär Dr. Schulte zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 9 des Abgeordneten Senfft auf:
Ist der Bundesregierung der Beschluß von Nationalrat und Ständerat der Schweiz bekannt, als Maßnahme gegen das Waldsterben Tarifsenkungen bei der Schweizerischen Bundesbahn zu finanzieren, um einen erhöhten Anreiz zum Umsteigen vom Auto auf die umweltfreundliche Bahn zu schaffen, und wenn ja, ist die Bundesregierung bereit, ähnlich hohe Tarifsenkungen bei der Deutschen Bundesbahn als Notmaßnahme gegen das Waldsterben zu finanzieren?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1023812300
Herr Senfft, der Bundesregierung sind die Verhandlungen der eidgenössischen Räte bekannt. Sie sieht jedoch keine Veranlassung, daraus Tarifsenkungen bei der Deutschen Bundesbahn zu finanzieren.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1023812400
Eine Zusatzfrage, Herr Senfft.

Hans-Werner Senfft (GRÜNE):
Rede ID: ID1023812500
Teilt die Bundesregierung also nicht die Auffassung der schweizerischen Regierung, daß es im Kampf gegen das Waldsterben auch notwendig ist, Fahrpreissenkungen bei den Eisenbahnen zu veranlassen?
Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Nein.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1023812600
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Senfft?

Hans-Werner Senfft (GRÜNE):
Rede ID: ID1023812700
Nein, keine mehr.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1023812800
Dann rufe ich Ihre Frage 10 auf:
Hält die Bundesregierung den von der Deutschen Bundesbahn erwarteten Rückgang der Reisendenkilometer um 3,3 v. H. nach Einführung der sogenannten Tarifreform, insbesondere im Hinblick auf das weiter fortschreitende Waldsterben, für vertretbar?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Die Angebotspolitik der Deutschen Bundesbahn der letzten Jahre hat einerseits zu einer sehr erfreulichen Nachfragebelebung im Schienenpersonenfernverkehr geführt, andererseits aber auch eine weitere Erhöhung bestehender Verkehrsspitzen mit der Folge erheblicher zusätzlicher Leistungen im Produktionsbereich und damit auch Kosten bewirkt. Mit der neuen Tarifstruktur will die Deutsche Bundesbahn u. a. durch Steuerung der Nachfrage zu einer weiteren Verbesserung ihres Wirtschaftsergebnisses beitragen. Die Steuerungsmaßnahmen können, müssen aber nicht zu einem Rückgang der Personenkilometer führen. Entscheidend wird die Akzeptanz des neuen Angebots sein.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1023812900
Eine Zusatzfrage, Herr Senfft.

Hans-Werner Senfft (GRÜNE):
Rede ID: ID1023813000
Herr Staatssekretär, auf Grund der Tatsache, daß die Bundesbahn selber mit einem Rückgang von 3,3 % bei den Reisenden rechnet, frage ich Sie: Halten Sie dies denn im Hinblick auf die umweltpolitischen Auswirkungen für vertretbar?
Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Herr Senfft, die Deutsche Bundesbahn transportiert von allen Reisefällen etwas über 3 %; alles andere machen andere Verkehrsträger. Schon daraus wird sichtbar, daß das, was Sie vorschlagen, in der Praxis völlig anders aussieht als in der theoretischen Diskussion. Im übrigen muß es uns darum gehen, daß die Deutsche Bundesbahn ein vernünftiges Wirtschaftsergebnis erzielt. Wer der Deutschen Bundesbahn so viele Lasten aufbürdet, daß sie zum Schluß nicht mehr laufen kann, macht sie kaputt.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1023813100
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Senfft.

Hans-Werner Senfft (GRÜNE):
Rede ID: ID1023813200
Herr Staatssekretär, es hat auch beim Katalysator und beim bleifreien Benzin Subventionen gegeben. Halten Sie es daher nicht auch für gerechtfertigt, daß das umweltfreundlichste Verkehrsmittel im Hinblick auf die Fahrpreise auch subventioniert wird, wenn die Kunden, die das Auto benutzen, subventioniert werden?
Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, Sie sind jetzt schon einige Jahre im Verkehrsausschuß des Deutschen Bundestages. Gestern wurde dort der Verkehrshaushalt behandelt, der Einzelplan 12, beraten. Wenn Sie da aufgepaßt hätten, hätten Sie gemerkt, daß die Deutsche Bundesbahn im nächsten Jahr ungefähr 13 Milliarden DM aus der Bundeskasse bekommen soll. Im übrigen zahlt der Steuerzahler 3,3 Milliarden DM an Subventionen für den Schienenpersonennahverkehr. Dies sollte Ihnen eigentlich nicht entgangen sein.




Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1023813300
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Oostergetelo.

Jan Oostergetelo (SPD):
Rede ID: ID1023813400
Herr Staatssekretär, da Sie selber vermuten, daß ein Rückgang von über 3% eintreten wird, frage ich Sie: Was wollen Sie tun, um die Ausdünnung in der Fläche zu verhindern, z. B. bei den Zubringerzügen zu den Intercity-Einheiten? Ist das nicht auch eine ökonomische Frage?

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1023813500
Herr Kollege, das gehört aber nun nicht zu der Frage und ihrer Intention, wie sie eingebracht worden ist. Das kann ich nicht zulassen. Da müssen Sie zu dem Thema in der nächsten Fragestunde schon selbst etwas einbringen.
Die Frage 11 des Abgeordneten Dr. Friedmann soll schriftlich beantwortet werden. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.

Erwin Stahl (SPD):
Rede ID: ID1023813600

Was ist unter den in der sparsamen Antwort des Parlamentarischen Staatssekretärs beim Bundesminister für Verkehr, Dr. Schulte, vom 8. Oktober 1986 auf meine schriftliche Frage vom 3. Oktober 1986 genannten Varianten einer Anbindung der A 61 an das niederländische Autobahnnetz, auch unter zeitlichen Gesichtspunkten, konkret zu verstehen, und welche der aufgeführten Varianten favorisiert die Bundesregierung?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, bei den genannten Varianten handelt es sich noch um grobmäßstäbliche Planungsalternativen im Sinne einer Voruntersuchung. Da, wie bereits am 8. Oktober dieses Jahres zum Ausdruck gebracht, das Ergebnis dieser Untersuchung noch nicht vorliegt, können auch noch keine Aussagen darüber gemacht werden, welche Varianten gegebenenfalls welche Seite favorisiert und wie sich die zeitlichen Vorstellungen entwickeln werden.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1023813700
Abgeordneter Stahl, bitte schön, eine Zusatzfrage.

Erwin Stahl (SPD):
Rede ID: ID1023813800
Herr Staatssekretär, kann man von der Bundesregierung nicht erfahren, welche Variante sie, die deutsche Bundesregierung, hier als die unter den gegebenen Voraussetzungen dort drüben für die vernünftigste an der Grenze hält, und ist Ihnen bekannt, daß die niederländische Seite wohl schon mit der einen Variante direkt neben der Grenze begonnen hat?
Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, Sie waren j a selber einmal Parlamentarischer Staatssekretär. Ich darf deswegen sicherlich annehmen, daß Sie genau wissen, daß nicht die Bundesregierung, nicht der Bund solche Untersuchungen vornimmt, sondern die Auftragsverwaltung des Landes Nordrhein-Westfalens. Ich empfehle Ihnen also, wenn Sie mehr Informationen wollen, daß Sie einen Kollegen im Landtag bitten, dies bei der Regierung Rau abzufragen.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1023813900
Weitere Zusatzfrage, Herr Stahl?

Erwin Stahl (SPD):
Rede ID: ID1023814000
Herr Staatssekretär, habe ich Sie so verstanden, daß Sie dies allen Ernstes einem Mitglied des Deutschen Bundestages zumuten und daß Sie, wenn hier die Bundesregierung mein Ansprechpartner ist, es nicht für nötig halten, Nachfragen in Nordrhein-Westfalen zu erheben bzw. aus Ihrem Hause eine ausführliche und ordentliche Antwort einem Abgeordneten auf eine mündliche Anfrage zu geben?
Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, wo noch nichts ist, kann auch nichts geantwortet werden. Aber vielleicht haben Sie das in Ihrer Zeit als Parlamentarischer Staatssekretär anders gehandhabt und haben aus diesem Grunde einen anderen Erwartungshorizont.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1023814100
Ich rufe die Frage 13 des Abgeordneten Stahl auf:
Ist die Bundesregierung der Ansicht, daß solcherlei dürftige Antworten auf parlamentarische Anfragen für Abgeordnete, die dem Bürger den Sachverhalt darlegen müssen, ausreichend informativ sind, und entspricht die oben genannte Antwort nach Meinung der Bundesregierung in Diktion und Grammatik den Grundsätzen der Spielregeln des Parlaments und der Information von Abgeordneten?
Bitte sehr, Herr Staatssekretär.
Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Stahl, wie meine soeben gegebene Antwort auf Ihre erste Frage zeigt, war die Antwort vom 8. Oktober nicht dürftig, sondern entsprach dem Stand der Untersuchungen.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1023814200
Zusatzfrage, Herr Stahl.

Erwin Stahl (SPD):
Rede ID: ID1023814300
Herr Staatssekretär, was würden Sie denn sagen, wenn ein Pressevertreter mir geantwortet hat, als ich ihm diese Antwort zugestellt habe, daß der zuständige Staatssekretär von den jeweiligen Verhältnissen in seiner Antwort wohl überhaupt nichts kennt.

(Frau Hürland [CDU/CSU]: Was war das für ein Journalist?)

Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, es ist nicht meine Aufgabe, eine Zensur der Presse auszuüben. Aber vielleicht hätten Sie die Möglichkeit, dem Journalisten zu sagen, daß es besser gewesen wäre, Sie selber, Herr Stahl, wären zur Landesregierung Nordrhein-Westfalen gelaufen.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1023814400
Zusatzfrage, Herr Stahl?

Erwin Stahl (SPD):
Rede ID: ID1023814500
Herr Staatssekretär, darf ich davon ausgehen, daß Sie künftig derartige Fragen in Ihrem Hause durch Ihren Beamtenapparat etwas nachdenklicher, etwas ausführlicher und nach Möglichkeit auch informativer beantworten lassen?
Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, die meisten Beamten in diesem Hause sind eingestellt worden, als wir noch nicht regierten. Diese Beamten arbeiten genauso wie früher.

(Stahl [Kempen] [SPD]: Das ist wirklich ein Witz, finde ich, was Sie da geantwortet haben!)





Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1023814600
Herr Staatssekretär, ich muß wirklich sagen, ich habe auch den Eindruck, daß die Art und Weise der Beantwortung der Fragen einem Regierungsmitglied gegenüber Abgeordneten, von welcher Seite auch immer, so nicht zusteht. Ich wäre dankbar, wenn Sie sich das für die Zukunft überlegen würden.

(Stahl [Kempen] [SPD]: Ich werde mich beim Präsidenten beschweren! So geht's wohl nicht! Das wollen wir doch mal sehen! — Frau Hürland [CDU/CSU]: Da war auch ein Teil nicht zulässig!)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1023814700
Ich rufe die Frage 14 des Abgeordneten Collet auf:
Kann die Bundesregierung bei der nächsten einschlägigen Bund-Länder-Kommission zur Koordinierung beitragen und darauf hinwirken, daß in Zukunft bei den Rundfunkdurchsagen über Geisterfahrer nach Beseitigung der Gefahr auch mitgeteilt wird, auf welche Weise der Falschfahrer auf die falsche Fahrbahn geraten ist, damit andere Autofahrer daraus lernen können?
Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Collet, in den weitaus meisten Fällen ist es ausgeschlossen, schon nach kurzer Zeit eine Aussage über Ursache und Beginn einer Falschfahrt zu machen. Dies geht auch aus den Forschungsergebnissen der Bundesanstalt für Straßenwesen hervor.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1023814800
Zusatzfrage, Herr Collet.

Hugo Collet (SPD):
Rede ID: ID1023814900
Darf ich Ihrer Antwort entnehmen, daß auch Sie es für notwendig halten würden, auch andere Verkehrsteilnehmer darüber zu informieren — und dies möglichst schnell —, wie es möglich war, daß der jeweilige Geisterfahrer auf die falsche Bahn geriet? Anlaß meiner Frage war der letzte schwere Unfall mit mehreren Toten. Sehen Sie nicht doch eine Möglichkeit, selbst zu einem späteren Zeitpunkt, auch zehn Minuten später, die zuhörenden Autofahrer über Autoradio darüber zu informieren, was da falsch gemacht wurde oder was die Ursache war?
Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich teile Ihre Sorge. Der Bundesminister für Verkehr ist auch bemüht, in Zusammenarbeit mit den entsprechenden Institutionen dafür zu sorgen, daß eine Information so schnell wie möglich erfolgt. Es ist allerdings nicht auszuschließen, daß einige Minuten dabei vergehen, vielleicht sogar die leider entscheidenden Minuten.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1023815000
Weitere Zusatzfrage, Herr Collet?

Hugo Collet (SPD):
Rede ID: ID1023815100
Kann ich hoffen, daß Sie mir — meinethalben schriftlich nach einiger Zeit — mitteilen, welche Bemühungen erfolgt sind, um doch einen Weg zu finden, autofahrende Radiohörer möglichst schnell zu informieren, weil es wirklich eine Hilfe für andere wäre?
Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Ich mache dies sehr gerne, Herr Kollege.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1023815200
Wir kommen zur Frage 15 des Abgeordneten Collet:
Welchen Anteil an der Gesamtzahl haben die Geisterfahrer, die die falsche Einfahrt benutzt haben bzw. diejenigen, die nach einer Baustelle übersehen haben, daß sie wieder auf die rechte Fahrspur zurück müssen, und wäre es in diesen Fällen möglich, die „Einfahrtverbotsschilder" noch besser sichtbar zu machen?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Zirka 6 % der Falschfahrer benutzen die falsche Fahrbahn bei Verlassen des Sekundärstraßennetzes in den Einfahrtbereich der Autobahn oder wechseln den Fahrstreifen innerhalb der Einfahrtrampe. Etwa 6 % der Falschfahrer fahren am Ende einer Baustelle nicht wieder auf die rechte Fahrbahn zurück.
Die Absicherung der Einfahrten durch Markierungen und ähnliches muß allerdings im Einzelfall beurteilt werden.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1023815300
Eine Zusatzfrage.

Hugo Collet (SPD):
Rede ID: ID1023815400
Wenn ich Sie richtig verstanden habe, Herr Staatssekretär, haben Sie mir jetzt eine Antwort für 12 % — 6 % plus 6 % — gegeben. Das ist ja nur ein minimaler Anteil der Gesamtzahl der Falschfahrer. Könnte ich über die anderen auch noch etwas erfahren?
Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, Sie haben tatsächlich nach den 6% und 6% gefragt, und ich habe dies entsprechend beantwortet. Ich habe hier allerdings eine Untersuchung dabei: „Zur Verhinderung von Falschfahrten auf Autobahnen, Forschungsberichte der Bundesanstalt für Straßenwesen, Bereich Straßenverkehrstechnik". Ich bin gerne bereit, Ihnen dieses Buch zur Verfügung zu stellen.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1023815500
Zusatzfrage, Herr Collet.

Hugo Collet (SPD):
Rede ID: ID1023815600
Herr Staatssekretär, ich habe gerade noch einmal nachgelesen. Ich habe nicht nach 6 zu 6 % gefragt. Darf ich fragen, ob Sie eine andere Drucksache haben als ich.
Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich glaube nicht, daß es Anlaß gibt, daß wir hier miteinander streiten. Sie haben gefragt — ich habe die Frage schriftlich vorliegen —, welchen Anteil an der Gesamtzahl die und die Geisterfahrer haben, die die falsche Einfahrt benutzt haben usw. Ich muß das nicht wiederholen. Ich glaube, ich bin präzise auf Ihre Frage eingegangen. Wenn es hier noch Unstimmigkeiten geben sollte, so glaube ich, es gibt hier keinen Anlaß für irgendwelchen parteipolitischen Streit. Ich stehe für jede Antwort zur Verfügung.

Hugo Collet (SPD):
Rede ID: ID1023815700
Ganz sicher nicht. Ich komme noch einmal auf Sie zurück.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1023815800
Ich glaube, der Herr Staatssekretär hat bei der konkreten Beantwortung recht gehabt. Trotzdem würde es sicher einmal interessieren, diese Zahlen nicht nur in dem dicken Buch zu haben, sondern vielleicht einmal aufbereitet.



Vizepräsident Westphal
Ich danke Ihnen für die Beantwortung der Fragen und komme zum Geschäftsbereich des Bundesministers für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit. Herr Staatssekretär Wagner steht uns zur Beantwortung zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 16 des Abgeordneten Hiller auf:
Welche Erkenntnisse des Umweltbundesamtes hat Bundesminister Dr. Wallmann miteinbezogen, als er in seinem Brief vom 26. August 1986 (Zeichen U IV 1 — M 117 515-27) sein Einvernehmen mit dem Minister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten des Landes Schleswig-Holstein über die seitens der DDR übergebenen Ablagerungsbedingungen erklärt hat?

Marita Wagner (GRÜNE):
Rede ID: ID1023815900
Herr Präsident, ich bitte damit einverstanden zu sein, daß ich die Fragen 16 und 17 gemeinsam beantworte.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1023816000
Sind Sie einverstanden? Hiller (Lübeck) (SPD): Ja.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1023816100
Dann rufe ich auch die Frage 17 des Abgeordneten Hiller auf:
Hat die Bundesregierung ein geologisches Gutachten der DDR angefordert und analysiert, und zu welchen Erkenntnissen ist die Bundesregierung hinsichtlich der Gefährdung des Lübecker Trinkwassers gekommen?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Dr. Wagner, Staatssekretär: Die Verbringung von Abfällen außerhalb des Geltungsbereichs des Abfallgesetzes bedarf einer Genehmigung durch die hierfür zuständigen Länder. Diese haben gemäß § 13 des Abfallgesetzes u. a. zu prüfen, ob z. B. eine beantragte Verbringung auf die Deponie Schönberg zu Umweltbeeinträchtigungen auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland führen kann. Weder die Bundesregierung noch die ihr nachgeordneten Bundesbehörden, also auch nicht das Umweltbundesamt, haben hierfür Vollzugskompetenz.
In dem von Ihnen erwähnten Brief unterrichtete der Bundesumweltminister die Länder über folgende Tatsachen. Die DDR hatte unsere Seite über neue Abfallannahmebedingungen für die Deponie Schönberg unterrichtet. Die Bundesregierung veranlaßte hierzu die Prüfung auf Umweltbeeinträchtigungen im Raum Lübeck durch die Umweltschutzbehörden des Landes Schleswig-Holstein. Dies führte zu dem Ergebnis, daß einige Abfallarten nicht in Schönberg gelagert werden, und zwar Abfälle mit hohem Mineralölgehalt und PCB-haltige Abfälle. In einem Fachgespräch sagte die DDR unserer Seite zu, die genannten Abfälle bis auf weiteres nicht anzunehmen. Bei diesem Gespräch wurden insbesondere auch die geologischen Verhältnisse im Raum Schönberg/Lübeck ausgiebig behandelt.
Insgesamt kommen somit die für die angesprochenen Fragen des Umweltschutzes zuständigen Behörden des Landes auf Grund der vorliegenden Erkenntnisse und unter Berücksichtigung der genannten Einschränkungen bei einigen Abfallarten zu dem Ergebnis, daß eine Gefährdung des Lübekker Trinkwassers mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auszuschließen ist. Der Bundesregierung liegen keine Erkenntnisse vor, die zu einem anderslautenden Ergebnis führen würden. Sie wird jedoch weiterhin bemüht sein, den Fachkontakt mit der DDR im Zusammenhang mit der Deponie Schönberg zu vertiefen.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1023816200
Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Hiller.

Reinhold Hiller (SPD):
Rede ID: ID1023816300
Herr Staatssekretär, ist es richtig, daß die Bundesregierung bisher von der DDR kein geologisches Gutachten angefordert hat?
Dr. Wagner, Staatssekretär: Ich bin im Augenblick nicht in der Lage, Ihnen diese Frage präzise zu beantworten. Sie werden hierzu eine schriftliche Antwort erhalten.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1023816400
Weitere Zusatzfrage, Herr Hiller.

Reinhold Hiller (SPD):
Rede ID: ID1023816500
Herr Staatssekretär, welche Maßnahmen würde die Bundesregierung ergreifen, wenn sie erführe, daß die DDR entgegen den Ablagerungsbedingungen, die nur die Ablagerung mineralölhaltiger Böden mit einer Konzentration von 10 % vorsehen, Böden mit einer Konzentration von 35% annimmt?
Dr. Wagner, Staatssekretär: Die Bundesregierung würde alle erforderlichen Maßnahmen ergreifen, um dies im Rahmen ihrer Möglichkeiten zu unterbinden.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1023816600
Sie haben zwei weitere Fragen, bitte schön, Herr Hiller.

Reinhold Hiller (SPD):
Rede ID: ID1023816700
Herr Staatssekretär, wie beurteilt die Bundesregierung die Mengen an Sondermüll und Abfällen auf der Deponie Schönberg angesichts des Grundsatzes, den Müll im eigenen Lande zu entsorgen?
Dr. Wagner, Staatssekretär: Die Bundesregierung ist im Grundsatz darum bemüht — sie hat dies auch immer wieder öffentlich erklärt und wird das auch künftig tun —, nach Möglichkeit zu erreichen, daß der hier anfallende Müll auch im Inland beseitigt wird.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1023816800
Weitere Zusatzfrage, Herr Hiller.

Reinhold Hiller (SPD):
Rede ID: ID1023816900
Herr Staatssekretär, hat die Bundesregierung die Bedenken des Umweltbundesamtes gegen diese Mülldeponie Schönberg ausreichend geprüft, und mit welchen Argumenten wurden diese Bedenken beiseite gefegt?
Dr. Wagner, Staatssekretär: Die Bundesregierung hat diese Bedenken geprüft. Zum zweiten Teil Ihrer Frage verweise ich auf die Antwort, die ich hier bereits vorgetragen habe.




Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1023817000
Zusatzfrage der Frau Abgeordneten Hürland.

Agnes Hürland (CDU):
Rede ID: ID1023817100
Herr Staatssekretär, ist es richtig, daß in der Frage 16 eigentlich auch das Land Hessen hätte genannt werden müssen?
Dr. Wagner, Staatssekretär: Die Frage kann ich mit Ja beantworten.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1023817200
Keine weiteren Zusatzfragen.
Die Frage 18 des Abgeordneten Stiegler soll schriftlich beantwortet werden. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Ich rufe die Frage 19 des Abgeordnete Böhm auf:
Wie beurteilt die Bundesregierung die Pläne von Naturschutzverbänden, entlang der Zonengrenze eine „Naturschutzzone" vom Fichtelgebirge (Bayerischer Wald) bis zur Ostsee zu entwickeln, um auf diese Weise eine „grüne Grenze" von Süden nach Norden quer durch Deutschland zu schaffen?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Dr. Wagner, Staatssekretär: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Bundesregierung sind Pläne von Naturschutzverbänden, entlang der Zonengrenze eine „Naturschutzzone" zu entwikkeln, um auf diese Weise eine grüne Grenze von Süden nach Norden quer durch Deutschland zu schaffen, nicht bekannt. Sie kann daher auch keine Beurteilung abgeben. Sie wäre jedoch für konkrete Hinweise auf derartige Pläne dankbar.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1023817300
Herr Abgeordneter Böhm, bitte schön.

Wilfried Böhm (CDU):
Rede ID: ID1023817400
Herr Staatssekretär, ich werde Ihnen die entsprechenden Presseberichte zuleiten. — Aber ich darf auch noch eine Frage stellen: Teilen Sie meine Ansicht, daß das Zonenrandgebiet für Landschaftsschutzgebiete und Nationalparks ebenso geeignet ist wie jedes andere Gebiet in der Bundesrepublik, falls die landschaftlichen Voraussetzungen dafür vorhanden sind, aber nicht mit dem Ziel, mitten im Herzen Deutschlands eine grüne Grenze von Naturparks zu schaffen, um auf diese Weise eine Teilung Deutschlands sichtbar zu machen?

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1023817500
Zur Beantwortung, bitte schön, Herr Staatssekretär.
Dr. Wagner, Staatssekretär: Herr Abgeordneter, die Bundesregierung unterstützt jegliche Maßnahme, weitere Naturschutzzonen auszuweisen, wie das von Ihnen in der Anfrage angesprochen worden ist. Sie ist allerdings erklärtermaßen dagegen, daß weitere Grenzen durch unser Vaterland gezogen werden.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1023817600
Weitere Zusatzfrage, Herr Böhm.

Wilfried Böhm (CDU):
Rede ID: ID1023817700
Herr Staatssekretär, teilen Sie also meine Meinung, daß man Naturschutz nicht dazu mißbrauchen sollte, eine politische Grenzziehung zu unterstreichen?
Dr. Wagner, Staatssekretär: Diese Frage kann ich mit Ja beantworten.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1023817800
Zusatzfrage, Herr Hiller.

Reinhold Hiller (SPD):
Rede ID: ID1023817900
Herr Staatssekretär, sind Ihnen die Pläne der schleswig-holsteinischen Landesregierung bekannt, im Sinne des Naturschutzes möglichst beiderseits der deutsch-deutschen Grenze tätig zu werden, und welche Bemühungen hat die Bundesregierung in Gesprächen mit der DDR in diesem Zusammenhang unternommen?
Dr. Wagner, Staatssekretär: Diese Pläne sind mir nicht bekannt.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1023818000
Ich rufe die Frage 20 des Abgeordneten Mann auf:
Teilt die Bundesregierung die Auffassung, daß Olympische Winterspiele im Raum Berchtesgaden aus ökologischen Gründen nicht verantwortet werden können?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Dr. Wagner, Staatssekretär: Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Freistaat Bayern, auf dessen Territorium die Olympischen Winterspiele 1992 durchgeführt werden sollen, hat der Bundesregierung auf ihre Anfrage hin mitgeteilt, daß aus ökologischer Sicht grundsätzlich keine Bedenken gegen das Projekt bestehen.
Die Bundesregierung hat gleichwohl, gemeinsam mit der Regierung des Freistaates Bayern, eine wissenschaftliche Untersuchung über „Mögliche Auswirkungen der Olympischen Winterspiele 1992 auf das regionale System Berchtesgaden" in Auftrag gegeben. Die kürzlich vorgelegten Ergebnisse besagen, daß schwerwiegende ökologische Beeinträchtigungen nicht zu erwarten sind, sofern bestimmte Auflagen beachtet werden und vor allem die Konzeption der Bewerbergemeinschaft verwirklicht wird, wonach die Spiele dezentral durchgeführt und dabei die vorhandenen Anlagen und Pisten genutzt und gegebenenfalls geringfügig verbessert werden sollen.
In diesem Sinne hat die Bundesregierung eine Grundsatzentscheidung getroffen, das Projekt zu fördern. Sie wird mit zunehmender Konkretisierung der Planungen im Sinne einer Umweltverträglichkeitsuntersuchung darauf achten, daß das Konzept eingehalten und nicht zuungunsten der Umwelt verändert wird.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1023818100
Zusatzfrage, Herr Mann.

Norbert Mann (GRÜNE):
Rede ID: ID1023818200
Herr Staatssekretär, wie bewertet die Bundesregierung folgendes Argument, das u. a. von der Internationalen Alpenschutzkommission CIPRA und dem Deutschen Alpenverein gegen die Durchführung der Olympischen Winterspiele 1992 in Berchtesgaden angeführt wird? Das Argument lautet:

(vor allem der SkipistenMann bau im ehemaligen Naturschutzgebiet am Jenner)




Dr. Wagner: Staatssekretär: In meiner Antwort kam bereits zum Ausdruck, daß die Bundesregierung ein wissenschaftliches Gutachten eingeholt hat. Die betroffenen Wissenschaftler sind anerkannte Kapazitäten, an deren Neutralität und Objektivität es keinen Anlaß zu zweifeln gibt. Von daher gibt es für uns auch im Hinblick auf das von Ihnen eben vorgetragene Argument keine neuen Gesichtspunkte.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1023818300
Weitere Zusatzfrage, Herr Mann.

Norbert Mann (GRÜNE):
Rede ID: ID1023818400
Herr Staatssekretär, wie bewertet die Bundesregierung die Äußerung eines Gutachters — ich weiß nicht, ob wir uns auf dasselbe Gutachten beziehen —, der der „Süddeutschen Zeitung" gegenüber — ich verweise auf den Artikel vom 15. Oktober, also von gestern — erklärt hat:
Harte Winterspiele mit bedenkenloser Erschließung seien leider kein Hirngespinst,
und zwar bei der von Ihnen erwähnten Durchführung nach den Plänen der Bewerbergemeinschaft?
Dr. Wagner, Staatssekretär: Es kann sich bei diesem Gutachter nicht um ein Mitglied der Gutachtergruppe gehandelt haben, die das Gutachten der Bundesregierung erstellt hat.

(Mann [GRÜNE]: Danke schön!)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1023818500
Wollen Sie dazu eine Zusatzfrage stellen? — Bitte schön, Frau Eid.

Ursula Eid-Simon (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1023818600
Mich würde interessieren, ob diese Wissenschaftler auch bedacht haben, daß bei dem Skipistenbau Rodungen vorgenommen werden, die in der Folge eine erhöhte Lawinengefahr, Hangrutsch und eine verstärkte Bodenerosion bedeuten.
Dr. Wagner, Staatssekretär: Ich gehe davon aus, daß die Wissenschaftler sämtliche Gesichtspunkte bedacht haben.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1023818700
Herr Abgeordneter Senfft zu einer Zusatzfrage.

Hans-Werner Senfft (GRÜNE):
Rede ID: ID1023818800
Herr Staatssekretär, können die Straßen in diesem Raum den zusätzlichen Verkehr aufnehmen, oder sind eventuell Ausbauten erforderlich?
Dr. Wagner, Staatssekretär: Der Straßenausbau war nicht Gegenstand des Gutachtens. Ich gehe davon aus, daß auch dies von den zuständigen Ressorts bedacht wird.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1023818900
Wir sind damit am Ende dieses Geschäftsbereichs, weil die Frage 21 des Abgeordneten Michels zurückgezogen worden ist. Ich danke dem Staatssekretär für die Beantwortung der Fragen.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers des Auswärtigen auf. Herr Staatsminister Möllemann steht zur Beantwortung zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 22 des Abgeordneten Lowack auf:
Ist der Bundesregierung bekannt, daß der Generalsekretär des ANC die grausame Ermordung von Schwarzen mit der sogenannten Halskrausenmethode, oft nach fürchterlichen Verstümmelungen des Opfers, billigt, und ist die Bundesregierung bereit, diese Methode unmenschlichen Terrors auf das schärfste zu verurteilen und dies in geeigneter Form gegenüber dem ANC zum Ausdruck zu bringen?
Bitte schön, Herr Staatsminister.

Jürgen W. Möllemann (FDP):
Rede ID: ID1023819000
Vielen Dank, Herr Präsident. Wenn Sie erlauben und die beiden Kollegen einverstanden sind, würde ich gerne die Fragen 22 und 23, weil sie praktisch identisch sind, gemeinsam beantworten.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1023819100
Ist Herr Jäger da? — Ich rufe die Frage 23 des Abgeordneten Jäger (Wangen) auf:
Treffen nach den Erkenntnissen der Bundesregierung Meldungen zu, wonach der Generalsekretär der südafrikanischen Oppositionsgruppe African National Congress (ANC), Alfred Nzo, in einem Interview mit der Zeitung „Sunday Times" in Lusaka die Ermordung von „Kollaborateuren mit dem Feind" durch die sogenannte Halskrausenmethode gebilligt hat, bei der dem Opfer ein benzingefüllter Autoreifen um den Hals gelegt und angezündet wird, so daß ein überaus qualvoller Tod eintritt, und wie beurteilt die Bundesregierung gegebenenfalls die Billigung der Anwendung derartiger Terror-Methoden?
Dann kriegt jeder zwei Zusatzfragen.
Möllemann, Staatsminister: Der Bundesregierung sind Presseberichte bekannt, in denen Äußerungen des Generalsekretärs des African National Congress, Alfred Nzo, über die Ermordung Schwarzer durch die sogenannten Halskrausenmethode zitiert werden. Der Bundesregierung ist ebenso bekannt, daß ANC-Präsident Oliver Tambo in einer Pressekonferenz in Harare am 2. September 1986 sein Bedauern über diese Art der Lynchjustiz zum Ausdruck gebracht hat.
Die Bundesregierung lehnt jede Form der Gewaltanwendung zur Durchsetzung politischer Ziele entschieden ab, deswegen logischerweise und natürlich auch eine solche. Bundesminister Genscher hat diese Haltung der Bundesregierung in seinem Gespräch mit ANC-Präsident Oliver Tambo am 9. April 1986 klar zum Ausdruck gebracht. Er hat an den ANC, aber auch an die südafrikanische Regierung appelliert, auf dem Wege des friedlichen Dialogs zu einer Überwindung der Apartheid zu gelangen.
Auch in ihren Gesprächen mit der südafrikanischen Regierung sowie mit Vertretern außerparlamentarischer Oppositionsgruppen Südafrikas hat die Bundesregierung immer wieder dargelegt, daß Gewalt und Repression alle Bemühungen um einen



Staatsminister Möllemann
friedlichen Ausgleich in Südafrika zerstören und daß nur die baldige Eröffnung eines nationalen Dialogs allen Südafrikanern die Chance einer gemeinsamen friedlichen Zukunft eröffne.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1023819200
Zusatzfrage, Herr Lowack.

Ortwin Lowack (CSU):
Rede ID: ID1023819300
Herr Staatsminister, damit ist meine Frage leider noch nicht ganz beantwortet, ob die Bundesregierung dies in geeigneter Form dem ANC auch mitteilen möchte.
Möllemann, Staatsminister: Ich sagte ja bereits, daß Herr Genscher Herrn Tambo dies unmittelbar gesagt hat. Das ist die geeignetste Form, finde ich.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1023819400
Weitere Zusatzfrage.

Ortwin Lowack (CSU):
Rede ID: ID1023819500
Herr Staatsminister, ist die Bundesregierung bereit, ihre Forderung nach Begnadigung eines der ANC-Führer, nämlich Nelson Mandelas, mit der Aufforderung an ihn zu verbinden, sich von Gewalt, insbesondere auch der grausamen Ermordung von schwarzen Mitbürgern, zu distanzieren?
Möllemann, Staatsminister: Herr Lowack, ich glaube, es ist gut, wenn wir zuallererst deutlich machen, daß es nötig ist, in Südafrika die politischen Gefangenen freizulassen. Das ist die Voraussetzung dafür, daß es überhaupt noch zu einem Dialog, der eine nationale Aussöhnung herbeiführen kann, kommt. Wir verlieren Tag für Tag nicht nur Zeit, sondern auch die Bereitschaft der schwarzen Mehrheit, überhaupt noch gemäßigten Vorschlägen zu folgen.
Unsere Haltung, daß wir diesen Dialog wollen, damit eben Gewalt nicht mehr angewandt wird, ist auch allen Repräsentanten oder authentischen Führern der Schwarzen — und dazu gehört ganz sicher auch Nelson Mandela — bekannt. Deswegen gehen wir davon aus, daß er sich, wenn er endlich freigelassen würde — wir plädieren dafür, daß er möglichst schnell freigelassen wird —, für die Menschenrechte in seinem Land politisch engagieren würde. Das schließt die Ermordnung von Menschen anderer Meinung aus, egal, wer sie vornimmt.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1023819600
Ich rufe jetzt die Zusatzfragen des Abgeordneten Jäger (Wangen) auf.

Claus Jäger (CDU):
Rede ID: ID1023819700
Herr Staatsminister, ist der Bundesregierung denn bekannt, daß es eine Distanzierung oder eine Verurteilung dieser Äußerungen des Generalsekretärs Nzo durch den Vorsitzenden gegeben hat, wenn der Vorsitzende des ANC seinerseits diese fürchterlichen Ermordungen mißbilligt? Ist irgendeine Distanzierung oder Verurteilung dieser Äußerung des Generalsekretärs bekanntgeworden?
Möllemann, Staatsminister: Ich erwähnte bereits, Herr Kollege Jäger, daß sich Oliver Tambo als Präsident des ANC in einer Pressekonferenz in Harare im September dieses Jahres so geäußert hat, wie ich das beschrieben habe. Er hat diese Form der Lynchjustiz bedauert.
Mein Eindruck ist, daß nicht damit zu rechnen ist, daß Generalsekretär Nzo mit mehr als dieser kritischen Bewertung zu rechnen hat, wenn nicht auf der anderen Seite bald Bewegung entsteht. Es scheint so zu sein, daß die Spirale von Gewalt und Gegengewalt sich in Südafrika bereits so weit gedreht hat, daß viele für Argumente, wie wir sie hier austauschen, für Argumente der Humanität, nicht mehr zugänglich sind.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1023819800
Weitere Zusatzfrage, Herr Jäger.

Claus Jäger (CDU):
Rede ID: ID1023819900
Herr Staatsminister, ist nicht zu befürchten, daß die Äußerung des Generalsekretärs Nzo, die in einem Interview mit der „Sunday Times" vom 14. Dezember wiedergegeben ist — Herr Nzo sagte wörtlich „Was immer die Leute machen, um solche Feinde zu eliminieren, haben sie unsere Unterstützung, und wenn sie dabei die Halskrausenmethode wählen, dann unterstützen wir das" —, wenn ihr nicht öffentlich widersprochen wird, noch mehr Menschen zu derartigen grausamen Taten anregen und ermutigen wird?
Möllemann, Staatsminister: Wir alle hier im Parlament widersprechen solchen Methoden. Ich tue das hier im Namen der Bundesregierung ausdrücklich. Es kann ja keinen geben, der sie billigt. Herr Genscher hat es auch gegenüber dem Verantwortlichen — das ist nun der Präsident — getan. Auch das ist nicht geheim gewesen.
Dennoch — ich wiederhole es —: Ich fürchte, daß die Erörterung von Menschenrechten, wie sie bei uns unter verfassungsmäßig günstigen Bedingungen jederzeit möglich ist — auch der Schutz dieser Rechte ist bei uns unter verfassungsrechtlich günstigen Bedingungen jederzeit möglich —, in einem Land kaum Anklang findet, in dem die fundamentalsten Rechte regierungsamtlich verweigert werden. Damit kein Mißverständnis aufkommt: Das rechtfertigt nach meiner Überzeugung in keiner Weise das, was hier in Rede steht. Aber offenkundig — ich wiederhole es — ist die Spirale von Haß und Gegenhaß, von Gewalt und Gegengewalt so weit gedreht worden, daß wir uns mehr darauf konzentrieren müssen, beide Seiten zu dem unbedingt notwendigen Dialog zur Aussöhnung zu bewegen, als uns nur darauf zu beschränken, die Gewaltanwendung — wie in diesem Fall — zu verurteilen.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1023820000
Zusatzfrage des Abgeordneten Stahl.

Erwin Stahl (SPD):
Rede ID: ID1023820100
Herr Staatsminister, halten Sie die Zwischenfragen des Herrn Kollegen Lowack und die teilweise Wertung und Auslegung, die er hier im Deutschen Bundestag im Hinblick auf den Bürgerrechtskämpfer Mandela, der ja zu lebenslanger Haft verurteilt ist, vorgenommen hat, für sehr geschmackvoll?
Möllemann, Staatsminister: Herr Kollege, da Sie schon vor mir hier an diesem Platz gestanden ha-



Staatsminister Möllemann
ben und Fragen von Parlamentariern beantwortet haben, wissen Sie, daß es der Regierung nicht zukommt, geschmackliche Bewertungen vorzunehmen.

(Stahl [Kempen] [SPD]: Danke schön!)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1023820200
Zusatzfrage der Abgeordneten Frau Eid.

Ursula Eid-Simon (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1023820300
Herr Staatsminister, habe ich Ihre Antwort, die Sie soeben gegeben haben, richtig verstanden, daß von dem Apartheidregime Gewalt ausgehe, welche wiederum Gegengewalt produziere, und daß diese Menschen, wenn die von dem Apartheidregime ausgehende Gewalt nicht vorhanden sei, ganz sicherlich nicht zu solchen grausamen und verabscheuungswürdigen Methoden greifen würden?
Möllemann, Staatsminister: Nein, wenn Sie mich so verstanden haben, dann haben Sie mich nicht richtig verstanden. Das ist unzutreffend; man kann das Bild nicht so vereinfachen. Es gibt halt Gewalt von seiten der südafrikanischen Regierung. Ich empfinde die Apartheidpolitik als eine Form unerträglicher Gewalt und gewaltsamer Verletzung von Menschenrechten. Aber es gibt auch Gewalt, die ihre Begründung gar nicht darin findet. Es gibt auch gewaltsame Auseinandersetzungen zwischen verschiedenen Gruppierungen der Schwarzen, der Inder und der Farbigen, die ganz andere Gründe haben. Jedermann weiß, daß etwa zwischen der Inkatha-Bewegung von Gathsa Buthelezi und dem ANC ein gespanntes Verhältnis besteht. Es wäre nicht zulässig, das alles nun auf den Antagonismus zwischen der weißen Regierung und der schwarzen Mehrheit zurückzuführen. Das hilft nicht weiter.

(Frau Eid [GRÜNE]: Noch eine Zusatzfrage!)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1023820400
Sie bringen mich in Verlegenheit. Für diesen Fall sieht unsere Geschäftsordnung nichts vor.
Herr Oostergetelo ist der nächste Fragesteller.

Jan Oostergetelo (SPD):
Rede ID: ID1023820500
Herr Staatsminister, ich möchte Ihre Haltung, die Sie im Hinblick auf durch regierungsamtliche Methoden vorenthaltene Menschenrechte einnehmen, ausdrücklich begrüßen. Habe ich Sie richtig verstanden, daß Sie der Meinung sind, daß man sowohl die Verurteilung der unmenschlichen sogenannten Halskrausenmethode als auch die Freilassung Mandelas unabhängig voneinander zu fordern hat und daß man das nicht gegeneinander aufrechnen darf?
Möllemann, Staatsminister: Ja, es ist klar: Wir wollen die Verletzung der Menschenrechte in diesem Land — egal aus welchem Motiv und egal, von wem sie begangen wird — beendet sehen. Deswegen plädieren wir dafür, die Apartheid abzuschaffen — man kann sie nicht reformieren —, die politischen Gefangenen freizulassen und den nationalen Dialog aufzunehmen. Wir appellieren an die Repräsentanten der schwarzen Mehrheit, ihrerseits nur Methoden anzuwenden, die einen politischen Dialog ermöglichen, und keine Gewalt anzuwenden.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1023820600
Niemand kann einen amtierenden Präsidenten daran hindern, von Minute zu Minute klüger zu werden. Ich bin in guter Weise beraten worden: Zu einer Frage kann jeweils nur eine Zusatzfrage zugelassen werden. Da ich aber zwei Fragen gemeinsam aufgerufen habe, steht Ihnen noch eine Zusatzfrage zu. — Sie haben das Wort, Frau Eid.

Ursula Eid-Simon (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1023820700
Vielen Dank. — Herr Staatsminister, Sie selber haben gerade Herrn Buthelezi genannt; darauf bezieht sich meine Zusatzfrage. Halten Sie es für gerechtfertigt, daß Herr Buthelezi von der Konrad-Adenauer-Stiftung gerade in seiner Funktion — die ihm die Konrad-Adenauer-Stiftung zuerkennt — als „Kronzeuge der Menschenrechtsverletzungen in Südafrika" Anfang November hierher eingeladen wird?

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1023820800
Frau Eid, das steht aber nun nicht im Zusammenhang mit der Frage. Ich überlasse es dem Herrn Staatsminister, ob er antworten will.
Möllemann, Staatsminister: Vielleicht ist es trotzdem gut, etwas dazu zu sagen. Die Bundesregierung hat Stiftungen keine Vorschriften zu machen, aber es ist mit Sicherheit vernünftig, so wie mit dem ANC auch mit der Inkatha-Bewegung, auch mit den Zulus, mit Gathsa Buthelezi zu sprechen. Es wäre illusorisch, wenn wir anfangen wollten, hier Vorauslesen zu treffen. Er gehört sicher auch zu denjenigen, die an einer künftigen Ordnung mitwirken müssen.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1023820900
Eine Zusatzfrage, Herr Mann.

Norbert Mann (GRÜNE):
Rede ID: ID1023821000
Herr Staatsminister, stimmen Sie mir darin zu, daß jedwede Gewaltanwendung und Menschenrechtsverletzungen unsere öffentliche Mißbilligung verdienen, daß wir aber in der Gefahr stehen, von den eigentlichen Ursachen der Gewalt in Südafrika, wie sie im Moment stattfindet, durch die Art und Weise der Mißbilligung abzulenken, wie sie heute von den Fragestellern auszudrükken versucht worden ist?

(Frau Hürland [CDU/CSU]: Das ist doch eine Unterstellung, Herr Mann!)

Möllemann, Staatsminister: Ich möchte auf das hinweisen, Herr Mann, was ich vorhin gesagt habe. Ich habe keine Bewertung von Äußerungen von Abgeordneten vorzunehmen. Da ich bei meinem Temperament gelegentlich dazu neige zu vergessen, daß ich als Regierungsmitglied spreche, will ich das an dieser Stelle bewußt nicht tun.

(Dr. Schierholz [GRÜNE]: Ausnahmsweise!)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1023821100
Die Logik sagt, daß auch Sie, Herr Abgeordneter Lowack, eine Zusatzfrage zur Frage des Herrn Jäger (Wangen) haben.




Ortwin Lowack (CSU):
Rede ID: ID1023821200
Herr Staatsminister, sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß ich die Apartheid natürlich aufs schärfste verurteile, daß es mir darum ging, eine besonders grausame und gewaltsame Tat zu verurteilen und die Bundesregierung dazu aufzufordern, das mit in ihre politischen Aktionen einzubeziehen?
Möllemann, Staatsminister: Ja.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1023821300
Ich rufe die Frage 24 des Abgeordneten Dr. Hupka auf:
Wie beurteilt die Bundesregierung die Praxis der polnischen Regierung, trotz eigener hoher Verschuldung in Höhe von 31 Milliarden Dollar aus ideologischen Gründen selbst Kredite, wie z. B. an Vietnam, zu vergeben?
Bitte schön, Herr Staatsminister.
Möllemann, Staatsminister: Herr Kollege Dr. Hupka, der Bundesregierung liegen keine verläßlichen Angaben über Art und Umfang der Kreditgewährung Polens gegenüber anderen RGW-Staaten vor. Es erscheint wegen der Unterschiedlichkeit der Wirtschafts- und Finanzsysteme nicht zweckmäßig, Polens RGW-interne Kreditpolitik als Beurteilungskriterium für die sich im Hartwährungsbereich bewegenden Finanzbeziehungen zu seinen westlichen Gläubigerstaaten heranzuziehen.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1023821400
Eine Zusatzfrage, Herr Dr. Hupka.

Dr. Herbert Hupka (CDU):
Rede ID: ID1023821500
Herr Staatsminister, darf ich dann vielleicht aus einer Meldung von „Radio Polonia" zitieren, nach der der Sprecher der polnischen Regierung, Herr Urban, darauf verwiesen hat, daß Kredite an Vietnam gewährt werden, weil dort Tee- und Kaffeeplantagen hochgezogen werden sollten; das sei vom Standpunkt des polnischen Verbrauchers aus notwendig. Da stellt sich doch die Frage, ob wir nicht auch einmal Rücksicht nehmen müssen auf den deutschen Steuerzahler.
Möllemann, Staatsminister: Letzteres tun wir ja unablässig.

(Dr. Hupka [CDU/CSU]: Hoffentlich!)

— Sicher. — Aber ich kann nicht erkennen, wo ein Widerspruch zu dem Argument ist, das vorgetragen worden ist. Ich weiß ja nicht, mit welchen Kaffee- und Teelieferungen aus Vietnam die polnische Seite rechnen kann und wie das verrechnet wird. Die Einzelheiten sind uns nicht bekannt.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1023821600
Eine Zusatzfrage, Herr Dr. Hupka.

Dr. Herbert Hupka (CDU):
Rede ID: ID1023821700
Herr Staatsminister, darf ich dann aus einer Rede des Staatssekretärs im Wirtschaftsministerium zitieren, die er vor wenigen Tagen in Warschau gehalten hat: „Aus dem Umschuldungsabkommen 1982/84 entfällt allein auf die Bundesrepublik als größten Gläubiger ein Volumen von fast 3 Milliarden DM zuzüglich der inzwischen aufgelaufenen Zinsen." Dazu kommt noch 1 Milliarde DM für den sogenannten Jumbo-Kredit. Es ist doch ungewöhnlich, daß auf der einen Seite Kredite und auch die Zinsen nicht bezahlt werden können, aber auf der anderen Seite der Schuldner anderen weiterhin Kredite gewährt.
Möllemann, Staatsminister: Ich bin mir nicht ganz sicher, Herr Kollege Hupka, ob das ungewöhnlich ist.

(Becker [Nienberge] [SPD]: Das ist normal!)

Jedenfalls liegen mir keine — ich wiederhole das — verläßlichen Angaben über Art und Umfang der Kreditgewährung im konkreten Fall vor, die es mir erlauben würden, eine Bewertung in dieser Form vorzunehmen.
Sie haben zu Recht auf die Schwierigkeiten Polens hingewiesen, seinen Verpflichtungen gerecht zu werden. Wir hoffen sehr, daß sich die wirtschaftliche Lage in Polen — und nicht nur diese — in der Zukunft so verbessert, daß Polen eher in der Lage sein wird, seinen Verpflichtungen gerecht zu werden. Das kann auch durch die Zusammenarbeit mit diesem Land geschehen. Wie gesagt, ich bin nicht in der Lage, die Details dieses speziellen Abkommens zwischen Polen und Vietnam zu beurteilen.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1023821800
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Jäger (Wangen).

Claus Jäger (CDU):
Rede ID: ID1023821900
Herr Staatsminister, stimmen Sie mir grundsätzlich darin zu, daß die Gewährung eines Kredits an ein drittes Land durch einen Schuldnerstaat, wenn es sich wirklich um einen Kredit handelt, ein Abfluß liquider Mittel ist, die ansonsten zur vertragsgemäßen, vertragsgetreuen Tilgung und Verzinsung der von uns gewährten Kredite hätten verwendet werden können, und daß insofern bei einem solchen Land tatsächlich zu prüfen ist, ob hier nicht ein vertragswidriges Verhalten dem Gläubiger gegenüber vorliegt?
Möllemann, Staatsminister: Ich möchte es wiederholen: Ich bin mir nicht ganz darüber im klaren, ob das eigentlich ein Sonderfall ist; ich habe Zweifel daran.
Das Wichtigere aber ist: Die Verpflichtungen Polens gegenüber seinen westlichen Gläubigerstaaten werden j a nur im Hartwährungsbereich bedient werden können. Ich bin ziemlich sicher, daß genau diese Situation im konkret vorliegenden Fall nicht gegeben ist; mit anderen Worten, ich glaube nicht, daß sich das in diesem Bereich abspielt.

(Zuruf des Abg. Dr. Czaja [CDU/CSU])

— Sicherlich nicht Luft, Herr Kollege Czaja, aber gelegentlich gibt es ja den Fall, daß jemand Waren irgendwohin liefert und auch Waren zurückbekommt, und dabei liefert er vielleicht etwas mehr, als er liefern müßte. Auch das ist dann, wenn Sie so wollen, per Saldo ein Kredit. Ich weiß nicht, wie sich das hier vollzieht. Ich kenne nicht die Kaffee- und Teelieferungen, die von dort kommen, und die Gänselieferungen, die dorthin vielleicht gehen; ich weiß es nicht.




Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1023822000
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Becker (Nienberge).

Helmuth Becker (SPD):
Rede ID: ID1023822100
Herr Staatsminister, würden Sie mir darin zustimmen, daß die polnischen Delegationen, die bei der EG und hier beim Bundeswirtschaftsminister waren, zum Ausdruck gebracht haben, daß sie alle Anstrengungen unternehmen, um die Verpflichtungen zur Rückzahlung der Schulden, die sie eingegangen sind, auch tatsächlich einzuhalten, und daß es dabei — wie Sie eigentlich schon dargestellt haben — auch möglich ist, daß man durch Handel mit anderen Ländern mit dazu beiträgt, daß man überhaupt in die Lage versetzt wird, Schulden zurückzuzahlen?
Möllemann, Staatsminister: Sicher kann das so sein. Nur kann ich, Herr Kollege Becker, weder positiv noch negativ beurteilen, ob es im konkreten Fall so ist. Ich kenne den Fall einfach nicht.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1023822200
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Czaja.

Dr. Herbert Czaja (CDU):
Rede ID: ID1023822300
Herr Staatsminister, ist Ihre Hoffnung nicht insofern für die Gegenwart völlig illusorisch, als die Volksrepublik Polen inzwischen ihre Verpflichtungen aus dem Umschuldungsabkommen nicht einhält und daher die Zusagen aus dem Bangemann-Kredit von 100 Millionen DM, was den Restbetrag, der noch nicht ausgezahlt ist, anlangt, gestoppt werden mußten?
Möllemann, Staatsminister: Herr Kollege Dr. Czaja, meine Hoffnung richtet sich auf die Zukunft und darauf, daß Polen sich selbst in den Stand versetzen kann oder in den Stand versetzt wird, dieses Problem zu überwinden. Das ist j a in unserem Interesse, denn andernfalls werden noch mehr Ansprüche von staatlicher oder sonstiger Seite notleidend. Also müssen wir dieses Interesse haben, und ich habe es übrigens auch im Sinne der dort lebenden Menschen, weil ich gerne möchte, daß sich deren wirtschaftliche Lage verbessert.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1023822400
Eine Zusatzfrage, Herr Stahl.

Erwin Stahl (SPD):
Rede ID: ID1023822500
Herr Staatsminister, dienen solche Fragen, wie sie hier im Deutschen Bundestag eben gestellt wurden, vor allem die Zusatzfragen der Kollegen Hupka, Czaja und Jäger, dem deutsch-polnischen Verhältnis,

(Zuruf des Abg. Dr. Czaja [CDU/CSU])

oder finden Sie nicht meine persönliche Einschätzung richtig, daß hier doch eine sehr seltsame Koalition innerhalb der Regierungsparteien vorhanden ist?
Möllemann, Staatsminister: Herr Kollege Stahl, ich kann nur sagen: Die Regierungskoalition ist natürlich überhaupt nicht seltsam, sondern ungewöhnlich erfolgreich. Ansonsten stehen mir Bewertungen der Äußerungen von Abgeordneten ja nicht zu.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1023822600
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Oostergetelo.

Jan Oostergetelo (SPD):
Rede ID: ID1023822700
Herr Staatsminister, teilen Sie meine Ansicht, daß die schwierigen Probleme, die das polnische Volk, dieses geschundene Volk, in der jüngeren Geschichte hat, nicht dadurch behoben werden können, daß wir in die Wirtschaftsbeziehungen Polens zu anderen Ländern hineinregieren wollen?
Möllemann, Staatsminister: Die Bundesregierung hat nicht die Absicht, in die Wirtschaftsbeziehungen anderer Länder hineinzuregieren. Deswegen stellt sich diese Frage nicht.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1023822800
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Mann.

Norbert Mann (GRÜNE):
Rede ID: ID1023822900
Herr Staatsminister, gibt nicht die Höhe der Verbindlichkeiten Polens wie auch vieler anderer Länder Anlaß, wirklich ganz neue Wege in der Entschuldungspolitik gegenüber Polen und gegenüber diesen anderen Ländern zu beschreiten, und zwar um der Menschen willen, die eben angesprochen wurden?
Möllemann, Staatsminister: Herr Kollege, mein Blick zum Präsidenten diente dem Versuch, nachzuvollziehen, ob das mit der Ausgangsfrage noch gemeint sein kann. Aber eine pauschale Aussage, daß wir unsere Politik im Blick auf Schulden, die andere Länder bei uns haben, generell ändern sollten, würde ich auf keinen Fall akzeptieren. Wir erwarten sehr wohl und mit Recht, daß Leistungen, die wir erbracht haben, und Kredite, die wir gewährt und für die wir uns staatlicherseits aus den Steuermitteln verbürgt haben, abgezahlt werden. Jedes Land muß zunächst einmal das in seinen Kräften Stehende tun, damit es das kann. Anders sind internationale Wirtschafts- und Finanzbeziehungen nicht aufrechtzuerhalten. Wir haben j a in den deutsch-polnischen Gesprächen über Mittel und Möglichkeiten nachgedacht, wie man das tun kann, etwa auch durch Verbesserung der internen Wirtschaftsabläufe.
Unbestreitbar ist andererseits, daß die Verschuldenskrise global mittlerweile eine Größenordnung angenommen hat, daß man über die bestehenden Instrumentarien wie Weltwährungsfonds und Weltbank hinaus einen politischen Dialog auf den jeweils zuständigen Ebenen wird führen müssen, und zwar über die Möglichkeiten und Auswirkungen im politischen Bereich, die diese Verschuldenskrise hervorruft. Aber das bewirkt eben nicht den Verzicht auf begründete Ansprüche, sondern ist das Bemühen, einen Ausweg zu finden.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1023823000
War wohl doch richtig, daß ich die Frage zugelassen habe.
Ich rufe die Frage 25 des Abgeordneten Dr. Hupka auf.
Welche Schritte hat die Bundesregierung nach der Erklärung des tschechoslowakischen Regierungssprechers, daß die tschechoslowakische Regierung keineswegs daran denke, von ihrer bisherigen Politik abzuweichen, auf illegale Grenzgänger in den Westen zu schießen, durch unsere diplomatische Vertretung in Prag unternommen, und droht nicht in-



Vizepräsident Westphal
folge dieser Ankündigung eine Wiederholung des tragischen Zwischenfalles vom 18. September 1986, der mit der Ermordung von Johann Dick an der Grenze zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Tschechoslowakei geendet hat?
Bitte schön, Herr Staatsminister.
Möllemann, Staatsminister: Herr Kollege Dr. Hupka, auf Pressemeldungen des von Ihnen zitierten Inhalts angesprochen, hat das tschechoslowakische Außenministerium gegenüber unserer Botschaft in Prag bestätigt, daß es keine regierungsamtliche Erklärung dieses Inhalts gibt.
Auf diplomatischer Ebene wie auch gegenüber dem Grenzbevollmächtigten und dem Grenzbeauftragten wurde von tschechoslowakischer Seite im übrigen erneut betont, daß auf tschechoslowakischer Seite Maßnahmen getroffen worden seien, damit Vorfälle dieser Art künftig gänzlich ausgeschlossen würden.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1023823100
Zusatzfrage, Herr Dr. Hupka.

Dr. Herbert Hupka (CDU):
Rede ID: ID1023823200
Herr Staatsminister, laut Reuter hat am 7. Oktober der offizielle Sprecher der tschechoslowakischen Regierung Herr František Kouřil, gesagt, daß die tschechische Regierung keinesfalls daran denke, von ihrer bisherigen Politik abzuweichen, auf illegale Grenzgänger auf dem Weg in den Westen zu schießen. Das ist doch eine amtliche Erklärung.
Möllemann, Staatsminister: Herr Kollege Dr. Hupka, ich will mich jetzt nicht mit der Agentur Reuter anlegen, schon gar nicht aus diesem Grunde. Aber wir beide, so denke ich, haben schon einmal die Erfahrung gemacht, daß nicht notwendigerweise jede Pressemeldung, die über eine von uns getane Äußerung veröffentlicht wird, unbedingt mit dem identisch sein muß, was wir wirklich gesagt haben. Wir als Regierung können in einem solchen Fall ja nur hingehen und die tschechische Regierung fragen: Ist das eure Haltung? Darauf hat uns die tschechoslowakische Seite amtlich mitgeteilt, daß es keine regierungsamtliche Erklärung dieses Inhalts gibt. Das ist also nicht die Haltung der tschechischen Regierung.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1023823300
Weitere Zusatzfrage, Herr Dr. Hupka.

Dr. Herbert Hupka (CDU):
Rede ID: ID1023823400
Herr Staatsminister, selbst wenn ich von dieser Möglichkeit ausgehe und der Schießbefehl sicherlich nicht direkt irgendwo schriftlich festgelegt ist, kann denn dann nicht von der tschechoslowakischen Regierung die Zusage eingeholt werden, daß in Zukunft nicht mehr auf Flüchtlinge, die die Tschechoslowakei in Richtung Westen verlassen, geschossen wird?
Möllemann, Staatsminister: Herr Kollege Hupka, das ist die Haltung und Forderung aller Fraktionen und der Bundesregierung, und ich war sehr froh darüber, daß sich das bei der Aktuellen Stunde, die wir hatten, durch alle Fraktionen hinweg bestätigt hat. Wir wollen, daß der Schießbefehl, ganz gleich in welchem unserer Nachbarstaaten er besteht, aufgehoben wird. Diese Forderung vertreten wir auch gegenüber der Tschechoslowakei.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1023823500
Meine Damen und Herren, ich danke dem Staatsminister für die Beantwortung der Fragen.
Damit sind wir am Ende der Fragestunde.
Ich rufe nun — Ihr Einverständnis voraussetzend, daß wir gleich weitermachen — den Tagesordnungspunkt 5 auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Geschmacksmustergesetzes
— Drucksache 10/5346 —
a) Beschlußempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses (6. Ausschuß)

— Drucksache 10/6149 —
Berichterstatter:
Abgeordnete Saurin Stiegler
b) Bericht des Haushaltsausschusses (8. Ausschuß) gemäß § 96 der Geschäftsordnung — Drucksache 10/6150 —
Berichterstatter:
Abgeordnete Frau Zutt von Hammerstein
Suhr

(Erste Beratung 216. Sitzung)

Eine Aussprache ist nicht vorgesehen.
Wir kommen zur Einzelberatung und Abstimmung. Ich rufe die Art. 1 bis 7, Einleitung und Überschrift in der Ausschußfassung auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Damit sind die aufgerufenen Vorschriften einstimmig angenommen.
Wir treten in die
dritte Beratung
ein und kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetzentwurf als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Dann ist der Gesetzentwurf einstimmig angenommen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 6 auf:
Beratung der Sammelübersicht 168 des Petitionsausschusses (2. Ausschuß) über Anträge zu Petitionen
— Drucksache 10/6101 —
Eine Aussprache ist nicht vorgesehen. Wir kommen zur Abstimmung. Wer der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Die Beschluß-



Vizepräsident Westphal
empfehlung des Petitionsausschusses ist bei Enthaltung der Fraktion DIE GRÜNEN angenommen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 7 und 8 auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Übereinkommen vom 1. Juni 1972 zur Erhaltung der antarktischen Robben
— Drucksache 10/5986 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten
Beratung des Antrags der Fraktion der SPD Fahrpreisnachlässe der Deutschen Bundesbahn im Berlin-Verkehr
— Drucksache 10/5591 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Ausschuß für innerdeutsche Beziehungen (federführend) Ausschuß für Verkehr
Haushaltsausschuß
Eine Aussprache ist nicht vorgesehen. Der Ältestenrat schlägt Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 10/5986 und 10/5591 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vor. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? — Das ist nicht der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 9 auf:
Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Bildung und Wissenschaft (19. Ausschuß) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Vorschlag für eine Richtlinie des Rates über eine allgemeine Regelung zur Anerkennung der Hochschuldiplome
— Drucksachen 10/3909 Nr. 9, 10/5337 —
Berichterstatter:
Abgeordnete Frau Dr. Wisniewski Kuhlwein
Eine Aussprache ist nicht vorgesehen. Wir kommen zur Abstimmung. Wer der Beschlußempfehlung des Ausschusses auf Drucksache 10/5337 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Dann ist die Beschlußempfehlung einstimmig angenommen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 10 auf:
Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses (3. Ausschuß) zu dem Antrag der Fraktion der SPD
Keine Beteiligung am amerikanischen SDI- Programm
— Drucksachen 10/4441, 10/5832 —
Berichterstatter:
Abgeordnete Dr. Todenhöfer Voigt (Frankfurt)

Schäfer (Mainz)

Frau Kelly
Eine Aussprache ist nicht vorgesehen. Ich habe hier aber eine Wortmeldung von Herrn Dr. Schierholz, der eine Erklärung nach § 31 der Geschäftsordnung abgeben möchte. Bitte schön, Sie haben das Wort.

Dr. Henning Schierholz (GRÜNE):
Rede ID: ID1023823600
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Bürgerinnen und Bürger! Ich werde jetzt sofort nach meinem Beitrag den Saal verlassen und mich an der Abstimmung nicht beteiligen. Ich will Ihnen kurz sagen, weshalb ich das tue. Es geht, wie der Präsident gerade gesagt hat, darum, daß die Fraktion der SPD am 4. Dezember 1985 einen Antrag mit der Überschrift „Keine Beteiligung am amerikanischen SDI-Programm" eingebracht hat. Sie hat den Antrag u. a. so begründet, daß sich die Bundesrepublik Deutschland durch eine solche Beteiligung mitverantwortlich machen würde für ein — ich zitiere — „politisch, militärisch und rüstungskontrollpolitisch fragwürdiges Programm, das sich nachteilig auf die Ost/West-Beziehungen und auch auf die Glaubwürdigkeit von Strategie und Abrüstungspolitik des westlichen Bündnisses auswirken würde". Ich persönlich teile vollständig diese Begründung. Ich teile bestimmte Ausführungen in dem Antrag der Fraktion der SPD nicht. Ich meine, daß wir nach dem Wochenende allen Anlaß haben hier weiter über SDI zu diskutieren, und nicht einfach einer solchen Beschlußempfehlung, wie sie vom Auswärtigen Ausschuß und einigen mitberatenden Ausschüssen vorgelegt worden ist, zustimmen sollten.

(Frau Hürland [CDU/CSU]: Das ist doch jetzt hier keine Debatte!)

— Frau Kollegin, ich persönlich empfinde dieses Problem SDI als so schwerwiegend, daß ich Ihnen und der Öffentlichkeit sagen möchte, weswegen ich mich an dieser Abstimmung hier nicht beteilige, weil sich nämlich spätestens an diesem Wochenende in Reykjavik SDI als der entscheidende Stolperstein für eine wirksame Abrüstungspolitik erwiesen hat und weil wir

(Frau Hürland [CDU/CSU]: Ihrer Meinung nach!)

— meiner Meinung nach, selbstverständlich, das ist eine persönliche Erklärung — hier im Parlament mit diesem Problem nicht so einfach umgehen sollten. Ich bin von daher der Meinung, daß sich dieses Parlament mit der zugrundeliegenden Problematik
— Verwicklung der Bundesrepublik Deutschland, der Bundesregierung in das SDI-Programm — noch sehr lange beschäftigen muß und wird. Ich empfinde es von daher als eine Farce, wenn zwei mitberatende Ausschüsse — so wie es auch in der Drucksache 10/5832 der Fall ist — diesen Antrag der SPD schlichtweg für erledigt zu erklären. Das empfinde ich als eine Farce.

(Mann [GRÜNE]: Sehr richtig! — Dr. Unland [CDU/CSU]: Die hatten ihre Gründe dafür!)

Es liegen diesem Parlament nach wie vor Anträge der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 10/3388 und auf Drucksache 10/3396 vor, die



Dr. Schierholz
im Beratungsprozeß offensichtlich verschleppt werden.

(Mann [GRÜNE]: Das ist ja interessant! — Hinsken [CDU/CSU]: Herr Präsident, wie lange sollen wir uns das noch anhören? Das ist doch keine persönliche Erklärung mehr, das geht doch entschieden zu weit! — Gegenruf von den GRÜNEN: Natürlich ist das eine persönliche Erklärung!)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1023823700
Bis jetzt ist es das noch, Herr Kollege Hinsken. Es ist sehr schwer abzugrenzen.

Dr. Henning Schierholz (GRÜNE):
Rede ID: ID1023823800
Hier muß ich für meine Person klarmachen, daß ein solcher Umgang mit SDI nicht angehen kann. Aus diesem Grunde will ich, indem ich den Saal jetzt verlasse und mich an der Abstimmung nicht beteilige, ein klares Signal gegen die Beteiligung der Bundesrepublik Deutschland am SDI-Programm setzen. Ich plädiere dafür, daß wir dieses Problem in den nächsten Wochen und Monaten in diesem Parlament verstärkt diskutieren.
Schönen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1023823900
Meine Damen und Herren, es ist immer schwierig, die Abgrenzung zu finden: Wie weit geht die persönliche Meinung, oder inwieweit ist es die Fortsetzung der Debatte.

(Zuruf von der CDU/CSU: Das jedenfalls war ein Mißbrauch!)

Der Abgeordnete hat begründet, warum er nicht mit abstimmt. Nun muß er aber auch seiner eigenen Rede folgen.

(Böhm [Melsungen] [CDU/CSU]: Jetzt hat er vergessen, hinauszugehen!)

— Nein, er tut es jetzt.

(Böhm [Melsungen] [CDU/CSU]: Ah, jetzt geht er! — Mann [GRÜNE]: Der Kollege Schierholz hat mich überzeugt, ich gehe auch!)

Wir kommen zur Abstimmung. Der Ausschuß empfiehlt auf Drucksache 10/5832, den Antrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 10/4441 für erledigt zu erklären. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Die Beschlußempfehlung des Ausschusses ist bei Gegenstimmen mit Mehrheit angenommen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 11 auf:
Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Forschung und Technologie (18. Ausschuß) zu der Unterrichtung durch das Europäische Parlament Entschließung über die Förderung der europäischen Erfinder
— Drucksachen 10/1267, 10/5075 — Berichterstatter:
Abgeordnete Dr. Warrikoff Hansen (Hamburg)

Eine Aussprache ist nicht vorgesehen. Wir kommen zur Abstimmung. Wer der Beschlußempfehlung des Ausschusses auf Drucksache 10/5075 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Die Beschlußempfehlung ist einstimmig angenommen.
Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 12 auf:
a) Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten Müntefering, Ewen, Amling, Büchner (Speyer), Buckpesch, Egert, Fischer (Osthofen), Frau Dr. Hartenstein, Heistermann, Heyenn, Immer (Altenkirchen), Jansen, Kißlinger, Klein (Dieburg), Dr. Klejdzinski, Kolbow, Dr. Kübler, Kühbacher, Lambinus, Lohmann (Witten), Frau Dr. Martiny-Glotz, Müller (Schweinfurt), Dr. Müller-Emmert, Dr. Penner, Dr. Nöbel, Purps, Frau Dr. Skarpelis-Sperk, Frau Steinhauer, Stiegler, Tietjen, Weinhofer, Wimmer (Neuötting), Wolfram (Recklinghausen), Dr. Vogel und der Fraktion der SPD
Fremdenverkehr
— Drucksachen 10/4232, 10/5454 —
b) Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten Engelsberger, Dr. Olderog, Frau Hoffmann (Soltau), Frau Geiger, Bohlsen, Hinsken, Dr. Jobst, Kittelmann, Kolb, Magin, Pohlmann, Biehle, Rossmanith, Louven, Dörflinger, Kalisch, Feilcke, Bühler (Bruchsal), Carstensen (Nordstrand), Deres, Echternach, Saurin, von Schmude, Schulze (Berlin), Tillmann, Dr. Unland, Zierer, Daweke, Marschewski, Rode (Wietzen), Frau Rönsch, Dr. Lammert, Hedrich, Frau Verhülsdonk, Brunner, Dr. Kunz (Weiden), Dr. Möller, Pesch, Dr. Becker (Frankfurt), Dr. Laufs, Wilz, Freiherr von Schorlemer, Schreiber, Ganz (St. Wendel), Dr.-Ing. Kansy, Hornung, Müller (Wadern), Keller, Hanz (Dahlen), Doss, Schneider (Idar-Oberstein), Hinrichs, Berger, Pöppl, Fischer (Hamburg), Straßmeir, Fellner, Dr. Faltlhauser, Seesing, Milz, Jagoda, Seehofer, Lowack, Graf von Waldburg-Zeil, Sauer (Stuttgart), Dr. Friedmann, Krey, Frau Krone-Appuhn, Schwarz, Kroll-Schlüter, Niegel, Ruf, Funk, Gerstein, Dr. Hoffacker, Susset, Wissmann und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Dr. Feldmann, Hoffie, Grünbeck, Dr. Solms, Dr. Rumpf, Frau Seiler-Albring, Dr. Weng (Gerlingen), Paintner, Bredehorn, Dr. Haussmann, Beckmann, Wolfgramm (Göttingen) und der Fraktion der FDP
Fremdenverkehrspolitik
— Drucksachen 10/4590, 10/5455 —
Hierzu liegen ein Entschließungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 10/5809 sowie ein Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU und der FDP auf Drucksache 10/6171 vor.



Vizepräsident Westphal
Meine Damen und Herren, nach einer Vereinbarung im Ältestenrat sind für die gemeinsame Aussprache der Tagesordnungspunkte 12a und 12 b zwei Stunden vorgesehen. — Ich höre dazu keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Müntefering.

Franz Müntefering (SPD):
Rede ID: ID1023824000
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der deutsche Fremdenverkehr und der deutsche Tourismus haben in dieser Bundesregierung keinen Freund.

(Widerspruch bei der CDU/CSU)

Entsprechend lieblos sind die Antworten zu den beiden Großen Anfragen auch ausgefallen.

(Beifall bei der SPD)

Die SPD-Bundestagsfraktion hat die Konsequenz daraus gezogen und einen Entschließungsantrag eingebracht, in dem Schwerpunkte sehr konkret benannt und Vorschläge gemacht werden, was denn in der nächsten Zeit zu tun ist. Die Bundesregierung soll konkrete Aufträge bekommen.
Typisch für das Desinteresse der Bundesregierung in den vergangenen vier Jahren der Legislaturperiode war die weitgehende Untätigkeit des Beirats für Tourismus beim Bundesminister für Wirtschaft.

(Becker [Nienberge] [SPD]: Sehr richtig!)

Ist es denn dem Wirtschaftsminister eigentlich gleichgültig, ob diese so außerordentlich vielfältige Branche mit ihren Zehntausenden mittelständischen Unternehmen und mit ihren mehr als eine Million Dienstleistungsarbeitsplätzen mit Sorgen in ihre Zukunft sieht?
Als die Katastrophe in Tschernobyl geschah, waren, um ein Beispiel zu nennen, Entschädigungen für die Landwirte schnell beschlossen; das war richtig so. Aber die Ausfälle von Reiseunternehmen mußten erst über Wochen massiv vorgetragen werden, ehe sich — langsam, langsam — etwas bewegte.
Und was sagt der Raumordnungsminister, den ich auf der Regierungsbank nicht vertreten sehe, dazu, daß sich bestimmte Regionen und Gemeinden, die — meist mangels Alternative — ihre Existenzsicherung im Tourismus suchen müssen, teilweise in einem tiefen Tal bewegen und große Sorgen haben, was ihre Zukunft angeht? Das gilt für die Mittelgebirgsregionen sicher mehr als für die Regionen an der See und in den Alpen.
Die Frau Familienminister meldet sich nicht dazu, daß knapp 50 % unserer Mitbürger nicht in Urlaub fahren, davon ein erheblicher Prozentsatz, weil ihm schlichtweg das Geld dazu fehlt. Familien mit mehreren Kindern sind besonders betroffen. Wenn wir uns darüber freuen, daß in diesen Tagen auch positive Meldungen über den Urlaub in deutschen Landen da sind, dann sollten wir dabei immer mitbedenken, daß es eine große Gruppe von Menschen gibt, die aus Gründen, die bekannt sind, an diesem Urlaub nicht teilnehmen können.
Und vom Bildungsministerium — auch nicht vertreten — hat man bisher zu den Ausbildungs- und Beschäftigungsproblemen derjenigen, die im Fremdenverkehrsbereich Dienst tun oder Dienst tun möchten, nichts gehört.
Geredet ist genug, es muß etwas passieren. Wir sind mit unserem Entschließungsantrag konkret geworden.
Erstens — und das ist das zentrale Anliegen unseres Antrages —: Bis Mitte 1987 soll die Bundesregierung ein Konzept vorlegen, das insbesondere im Sinne eines verbesserten Marketing des deutschen Fremdenverkehrs politische Handlungsmöglichkeiten verdeutlicht. Die Vielfalt und die Preiswürdigkeit unseres inländischen Tourismus- und Urlaubsangebots müssen deutlicher werden. Es müssen bessere, es müssen modernere, es müssen erfolgreichere Wege des Verkaufs gefunden, entwickelt und aufgebaut werden.

(Beifall bei der SPD)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist doch kein Naturgesetz, daß man in der Regel schneller und präziser den Urlaub im Ausland als den im eigenen Land buchen kann. Das ist eine Herausforderung an uns und an die Fachleute in der Branche, die sich dieser Problematik stellen müssen. Manche meinen, die bewährte Methode der Flüsterpropaganda sei auch für die Zukunft ausreichend. Sie irren sich. Der inländische Fremdenverkehr ist keineswegs ein Selbstläufer auf Dauer. Zwar ist das Urlauberpotential tendenziell steigend: Die nachwachsenden Generationen sind urlaubserfahren. Sie werden Urlaub machen, wenn es nur ihr Geldbeutel hergibt.
Die Frage ist: Wo machen sie Urlaub? Die nachwachsenden Generationen sind eben nicht nur urlaubserfahren, sie sind auch reise- und fast welterfahren. Die Frage ist: Werden sie dafür zu gewinnen sein, daß sie bei uns im eigenen Land Urlaub machen?
Zentrale Vermittlungen, Zimmerreservierungssysteme, Reisebüroketten und Informationszentralen für aktuelle Hinweise, ausgerichtet auf den Fremdenverkehr im eigenen Lande, werden da hilfreich sein, ja, sie sind unverzichtbar.
Da gibt es eine Reihe von Fragenkomplexen und Maßnahmen zu erforschen, zu koordinieren, zu erproben, in Unterstützung dessen, was der Deutsche Fremdenverkehrsverband seit einigen Jahren zu erreichen versucht. Wir Politiker wären gut beraten, uns da nicht herauszuhalten, sondern Hilfestellung und Unterstützung zu geben.
Ich glaube, das kann nur gelingen, wenn sich die Bundespolitik von der Vorstellung löst, Fremdenverkehr und Tourismus seien eine nette Nebensächlichkeit, die prosperieren darf, wenn es denn passiert, die aber auch wieder verkümmern darf, wenn es sich denn so ergibt. Gefordert ist ein Konzept. Wir als Politiker müssen sagen, was wir wollen und in welcher Weise wir denen, die in der Branche tätig sind, Hilfestellung geben können.

(Beifall bei der SPD)




Müntefering
Ein solch innovativer Schritt, der nötig ist, und die kontinuierliche Arbeit an dem Konzept setzen aber auch voraus, daß wir die Fachleute der Branche auch in den öffentlichen und quasi öffentlichen Einrichtungen als solche anerkennen und sie bei Ausbildung, Fortbildung und bei der Wahrnehmung ihrer Aufgaben unterstützen. Ein Berufsbild, das in der Ausbildung im öffentlichen Bereich ein Schattendasein führt wie dieses, hat es schwer, populär zu werden.
Fachleute für den Bereich Fremdenverkehr und Tourismus haben wir genügend bei uns im Lande, keine Frage. Die Erfolge und Leistungen zeigen das. Aber sie müssen noch stärker als bisher in der Praxis, auch ihrem Status nach, die Chance haben, wie Fachleute, wie Profis zu agieren. So gut das auch mancherorts schon funktioniert, Besserung ist möglich und nötig. Einrichtungen wie das Deutsche Seminar für Fremdenverkehr sind da hilfreich.
Denn richtig ist: Der Auslandstourismus ist auch deshalb so rasant expandiert — in den letzten 20 Jahren um über 300 %, der Inlandsurlaub nur um rund 30 % —, weil in den großen Reiseunternehmen Profis — im Sinne tüchtiger Geschäftsleute — sitzen, die den Touristen die Wünsche von den Augen ablesen und die teilweise diese Wünsche auch erst erfinden. Das ist wohl wahr. Man kann manchmal zweifeln, ob das alles so vernünftig ist.
Aber eine offenkundige Tendenz zum Zweit- und Dritturlaub und zu verkürzter Verweildauer sind ein Zeichen dafür, daß wir im Inland noch mehr Gewicht legen müssen auf die Naherholung und auf Kurzreisen, auf Clubreisen und Städtetourismus, auch auf Kuren und Aktivurlaub. Die Angebote und die Grundlagen dafür haben wir. Unser Hotel- und Gaststättengewerbe ist weiß Gott ein sehr gutes, verglichen mit allen Ländern auf der Welt. Was wir anzubieten haben an Landschaft, an Urlaub auf dem Bauernhof, an Klima und auch an interessanten historischen Städten, können wir den Menschen für ihre Freizeit und ihre Erholung anbieten.

(Mann [GRÜNE]: Bloß die Sonne fehlt!)

Freizeit, Mobilität und Wohlstand sind die drei entscheidenden Grundvoraussetzungen für den modernen Tourismus in seinen massenhaften, aber auch in seinen individuellen Ausformungen. Sie nehmen eher zu, lassen für diesen Bereich grundsätzlich optimistisch sein, aber sie verändern auch den Markt und fordern gezieltes Handeln.

(Beifall des Abg. Becker [Nienberge] [SPD])

Dieses Plädoyer für eine Stärkung des Inlandsurlaubs und des Tourismus steht nicht im Widerspruch zur generellen Tendenz des Reisens über die Landesgrenzen hinaus. Wir freuen uns andererseits, daß wir Gastgeberland sein dürfen für die reisefreudigen Menschen aus vielen Ländern, auch aus fernen Ländern. Dabei spielt seit Jahren die Deutsche Zentrale für Tourismus eine besondere und — ich denke — gute Rolle. Sie ist im übrigen ein Beweis dafür, daß staatlich bestimmte Institutionen sich aufs effektivste mit privatem Engagement verknüpfen können.
Die DZT ist bisher nicht optimal ausgestattet, ihr fehlt zeitgemäße Kommunikations- und Bürotechnik.

(Kolb [CDU/CSU]: Wie gut hattet ihr sie ausgestattet?)

Sie muß in die Lage versetzt werden, flexibel zu reagieren und die Chancen zu suchen, um Gäste für unser Land zu werben. Ich denke, was wir gemeinsam im Wirtschaftsausschuß dazu beraten und beschlossen haben, ist ein guter Weg, ein richtiger Schritt. Ich will Ihnen ein Beispiel sagen. Die 600 000 DM, die wir unserer DZT an Werbemitteln für die Werbung in den gesamten USA geben, sind ein Zehntel von dem, was allein Griechenland einsetzt. Wir dürfen uns nicht wundern, daß wir in schwierigen Situationen nicht so handlungsfähig sind, wie es eigentlich sein sollte.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU/ CSU und der FDP, ich wollte an dieser Stelle — da muß ich mein Konzept verlassen — eigentlich sagen, daß wir uns im wesentlichen bei diesem Thema einig sind

(Tatge [GRÜNE]: Das habe ich befürchtet!)

und daß Sie unseren Entschließungsantrag ruhig mit uns zusammen beschließen sollten.

(Zuruf von der FDP: Übernehmen Sie doch unseren!)

Jetzt haben Sie aber einen eigenen Entschließungsantrag vorgelegt. Ich muß Ihnen leider sagen:

(Hinsken [CDU/CSU]: Daß er besser ist als Ihrer!)

Er enthält vom Inhalt her die Aufforderung, wir möchten doch bitte schön alle guten Willens sein; das sind wir aber längst. Geredet ist genug, es muß gehandelt werden.

(Zurufe von der CDU/CSU)

Ihr Antrag ist unpräzise, ohne jede Terminierung, kein Ersatz für konkrete Aufträge, die wir der Bundesregierung mit auf den Weg geben möchten.

(Beifall bei der SPD)

Deshalb — so leid es mir tut — betrachten wir Ihren Antrag als Material, das zum Thema auch interessant ist,

(Zuruf von der CDU/CSU: Haben Sie den überhaupt richtig gelesen?)

aber wir bitten Sie ganz herzlich, unserem Antrag zuzustimmen, weil er zweifellos konkreter, besser und mit mehr Engagement für die Bundesregierung verbunden sein wird.
Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit. Herr Olderog, wir werden weiter zusammen am Thema arbeiten. Gucken Sie sich nur einmal an, was wir Gutes hineingeschrieben haben, mit konkreten Aufträgen für das Jahr 1987! Stimmen auch Sie zu!

(Beifall bei der SPD)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1023824100
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Engelsberger.




Matthias Engelsberger (CSU):
Rede ID: ID1023824200
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Bundesregierung hat auf die Großen Anfragen der Fraktionen der CDU/CSU und der FDP sowie der Fraktion der SPD eine umfassende Antwort zur Situation und zu den Problemen des Fremdenverkehrs gegeben. Dabei wurden auch auf die Verhältnisse im Inland und auf die des Auslandstourismus bezug genommen und die zukünftige Entwicklung des Fremdenverkehrs und der sie begleitenden Probleme näher erläutert.

(Mann [GRÜNE]: Selbst die bayerische Staatsregierung ist zufrieden!)

Dem Fremdenverkehr kommt eine bedeutende und vielseitige Funktion zu: Er ist wichtig für die, die davon leben, und für die, die jedes Jahr neu die Freuden des Urlaubs genießen dürfen. Politik und Regierung haben die entsprechenden Rahmenbedingungen zu gewährleisten, damit die Freiheit für die Gestaltung der Freizeit gegeben ist. Freizeit hat für die Erholung des Menschen, für seine persönliche Entfaltung und Selbstverwirklichung, für seine schöpferische Betätigung, aber auch für die Erhaltung seiner Gesundheit und Leistungsfähigkeit eine entscheidende Bedeutung. Damit Menschen sich in ihrem Urlaub wohlfühlen können, muß das Umfeld in Ordnung sein, insbesondere Landschaft und Umwelt. Wir tragen dafür ebenso politische Verantwortung wie für die wirtschafts- und gesellschaftspolitischen Rahmenbedingungen, innerhalb deren sich die deutsche Fremdenverkehrswirtschaft bewegen muß und die das Verhalten der Urlauber entscheidend mitbestimmen. Wir halten es deshalb auch für notwendig, daß die Bundesregierung häufiger als bisher einen tourismuspolitischen Bericht vorlegt, damit sich das Parlament regelmäßig mit der Lage und Entwicklung des Fremdenverkehrs befassen kann und damit dessen politischer Stellenwert merklich angehoben wird.
Wir sind auch der Auffassung, daß bei den breitgestreuten Zuständigkeiten für tourismusrelevante Fragen die Zusammenarbeit und Abstimmung innerhalb der Bundesregierung verstärkt werden sollte. Es sollte deshalb ein Koordinator für Fremdenverkehrsfragen bestellt werden, der dann auch der Hauptansprechpartner der Bundesregierung und der Verbände für die Fragen der Fremdenverkehrswirtschaft sein könnte. Das gleiche Problem stellt sich auch im Parlament. Die Arbeit vieler Ausschüsse hat Auswirkungen auf den Fremdenverkehr. Wie für den Sport dürfte es sich deshalb empfehlen, einen Fremdenverkehrsausschuß zu schaffen.

(Zuruf von der CDU/CSU: Sehr gut!)

Die Antworten der Bundesregierung auf die beiden Großen Anfragen bestätigen die Bedeutung des Tourismus für unser Land und unsere Bürger. Es handelt sich um einen Wachstumsbereich, der auch die Rezession Anfang der 80er Jahre ohne schwerwiegende Einbrüche überstanden hat. Der Urlaub gehört heute ganz selbstverständlich zum Besitzstand, an dem man auch dann noch festhält, wenn in einer Wirtschaftskrise die Mittel knapper sind als sonst. Es wird weitestgehend dann nicht am
Urlaub, sondern im Urlaub gespart. Die Einschränkung der Beherbergungsstatistik, die Unterkunftsmöglichkeiten bis zu acht Betten nicht mehr erfaßt, hat zwar die mittelständischen Betriebe von vielem bürokratischen Aufwand entlastet, aber andererseits das Fehlen wesentlicher Informationen über einen wichtigen Sektor der Fremdenverkehrswirtschaft mit sich gebracht. So wissen wir beispielsweise nicht, ob tatsächlich und gegebenenfalls in welchem Umfang die inländischen Übernachtungszahlen in den Jahren 1982 und 1983 zurückgegangen sind oder ob nur eine Verschiebung zu kleineren Unterkünften stattgefunden hat. Es handelt sich hier um einen echten Zielkonflikt zwischen weniger Bürokratie und mehr Information. Es wäre zu begrüßen, wenn sich hier eine sinnvolle und tragbare Lösung finden ließe, Herr Staatssekretär.
Bedauerlich ist es, daß die Bundesregierung die Fragen nach den Umsätzen und nach dem Beitrag des Fremdenverkehrs zum Bruttosozialprodukt nicht beantworten konnte. Selbst über die Zahl der Arbeitsplätze gibt es nur Schätzungen. Entweder muß hier das statistische Instrumentarium verbessert oder die Zahl der Forschungs- und Untersuchungsaufträge erhöht werden. Zur Zeit lassen nur Einzeldaten einen Schluß auf die volkswirtschaftliche und gesellschaftspolitische Bedeutung des Fremdenverkehrs zu. Rund 6 % aller Arbeitsplätze in unserem Lande sind direkt oder indirekt vom Tourismus abhängig. In verschiedenen Regionen der Bundesrepublik Deutschland ist der Fremdenverkehr sogar von existentieller wirtschaftlicher Bedeutung, z. B. in Heidelberg, in Garmisch-Partenkirchen oder in Berchtesgaden. Mehr als die Hälfte der Bevölkerung der Bundesrepublik Deutschland unternimmt jährlich wenigstens eine längere Reise, Herr Kollege Müntefering. Das steht im Gegensatz zu Ihren Aussagen.

(Müntefering [SPD]: Aber die Hälfte!)

— Mehr als die Hälfte. Die Tendenz ist steigend. Hinzugerechnet werden müssen die Naherholung, der Ausflugsverkehr, aber auch die Freizeitaktivitäten derjenigen, die den Urlaub im eigenen Heim verbringen.
Die Deviseneinnahmen der Bundesrepublik Deutschland aus dem Tourismus stiegen 1985 auf 17,5 Milliarden DM, ein Betrag, der etwa dem Anteil der Textilbranche an unserem Export entspricht. Allerdings stehen diesen Einnahmen aus dem Fremdenverkehr Ausgaben der deutschen Urlauber im Ausland von rund 42 Milliarden DM gegenüber. Wir sind damit Weltmeister, was die Höhe der Auslandsausgaben angeht. Während uns aber 1982, als wir das letzte Mal in diesem Hause über den Fremdenverkehr debattiert haben, der Negativsaldo von 26 Milliarden DM im Jahre 1981 Sorgen bereitete, weil wir unter der Verantwortung der SPD-geführten Bundesregierung in drei Jahren ein Leistungsbilanzdefizit von über 51 Milliarden DM erreicht hatten, können wir heute dem Devisenabfluß unter außenwirtschaftlichen Gesichtspunkten sogar positive Aspekte abgewinnen.

(Beifall bei der CDU/CSU)




Engelberger
Hätte die Reiseverkehrsdevisenbilanz unseren Leistungsbilanzüberschuß nicht in Grenzen gehalten, wären wir sicherlich ähnlichem Druck wie Japan mit seinen riesigen Überschüssen ausgesetzt gewesen. Es muß aber dennoch zu denken geben, wenn bei unseren Bürgern der Anteil an Auslandsreisen ständig zunimmt und inzwischen rund 65% aller längeren Urlaubsreisen umfaßt. Die Bundesrepublik Deutschland ist nicht in erster Linie ein Reiseland, aber wegen der Vielfalt und Schönheit ihrer Landschaften und auf Grund eines vielfältigen Fremdenverkehrsangebots ein ideales Urlaubsland. Wir sollten uns deshalb nicht nur weiter bemühen, ausländische Gäste für einen erlebnisreichen und erholsamen Urlaub bei uns zu gewinnen, sondern wir müssen uns insbesondere auch um eine andere Zielgruppe bemühen, nämlich die ins Ausland reisenden Mitbürger. Wir können zwar für ständigen Sonnenschein nicht garantieren, wohl aber die landschaftlichen Schönheiten, die Vorzüge eines gemäßigten Klimas für die Erholung, die schnelle Erreichbarkeit der deutschen Urlaubsgebiete, aber auch die Preiswürdigkeit eines vielfältigen Angebots stärker in den Vordergrund rücken. Ich würde es begrüßen, wenn einmal untersucht würde, welches die positiven und die negativen Assoziationen gegenüber einem Deutschlandurlaub sind. Nur wenn man hier entsprechende Erkenntnisse besitzt, kann man das Positive noch stärker herausstellen und versuchen, den bisher negativ besetzten Begriffen eine positive Bedeutung zu geben.
Verstärkt werden muß allerdings auch die Werbung für den Urlaub im eigenen Land. Wir verkennen nicht, daß bereits große Anstrengungen unternommen werden. Wer aber ein Reisebüro betritt, wird feststellen, daß die Mitarbeiter hauptsächlich ein differenziertes Auslandsangebot unterbreiten, aber für einen Urlaub in Deutschland lediglich eine Flut von Prospekten anzubieten haben. Das Angebot muß besser strukturiert werden. An dieser Aufgabe müssen alle mitarbeiten, und das Konkurrenzdenken darf kein Hemmschuh mehr sein. Es muß möglich sein, dem Kunden rasch ein überschaubares Angebot zu unterbreiten. Dabei müssen wir keinesfalls die Vielfalt aufgeben, die ich als einen besonderen Vorzug gegenüber dem oft gleichförmigen Massenangebot mancher typischer Urlaubsregionen ansehe. Wir müssen schnellstens die Möglichkeit nutzen, die uns die moderne Informationstechnik anbietet.
Die Antworten der Bundesregierung bestätigen uns, daß die Bundesrepublik Deutschland als Reise- und Urlaubsland für Ausländer attraktiver geworden ist. Wir können für die letzten beiden Jahre nicht nur erfreuliche Zunahmen bei den statistisch erfaßten Übernachtungen feststellen. Auch die Steigerung der Deviseneinnahmen in den letzten drei Jahren um etwa ein Drittel belegt die positive Entwicklung. Dies ist sicherlich auch ein Ergebnis der Tätigkeit der Deutschen Zentrale für Tourismus. Deren Arbeit muß aber noch intensiver gestaltet werden, damit die noch zahlreichen potentiellen Deutschlandbesucher auch wirklich erreicht und gewonnen werden können. Eine intensive Werbung und Kontaktpflege erfordern entsprechende Mittel.
Meines Erachtens ist es einfach zu wenig, wenn der Werbeetat der DZT lediglich zwischen 0,2 und 0,3% der Reisedeviseneinnahmen beträgt. Eine Anhebung des Ansatzes im Bundeshaushalt für den DZT, Herr Staatssekretär, müßte im neuen Haushalt möglich sein.
In den letzten Monaten haben wir einen spürbaren Rückgang bei den Reisenden aus den USA hinnehmen müssen, sicher auf Grund von Sondereinflüssen, die bereits genannt worden sind — Terrorismus, Tschernobyl, Dollarschwäche —, deren Bedeutung aber teilweise nur temporärer Art sein dürfte.
Längerfristig, meine Damen und Herren, wird es notwendig sein, nach neuen Zukunftsmärkten Ausschau zu halten. Wir müssen uns bereits jetzt in Ländern engagieren, die sich in absehbarer Zeit der Wohlstandsgrenze der westlichen Industrienationen nähern.
Die gezielte Werbung um ausländische Urlauber muß durch eine allgemein gute Selbstdarstellung der Bundesrepublik Deutschland unterstützt werden. Wenn wir uns als Land mit einer hochstehenden Kultur, als Land mit vielfältigen Schönheiten und als ein erfolgreiches Land in Wissenschaft, Technik und Wirtschaft darstellen, werden wir auch das Interesse wecken können, dieses Land einmal zu besuchen. Ich fordere deshalb alle auf, die irgendwelche internationalen Kontakte pflegen, dabei immer auch den Aspekt „Deutschland als Reiseland" im Auge zu behalten.

(Beifall bei der CDU/CSU, der FDP und der SPD — Zuruf von den GRÜNEN: Bayern vor allen Dingen!)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1023824300
Das Wort hat der Abgeordnete Tatge.

Willi Tatge (GRÜNE):
Rede ID: ID1023824400
Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kollegen und Kolleginnen! Naturschutz und Fremdenverkehr sind zwei Seiten einer Medaille. In einer zerstörten Umwelt, in einer zerstörten Natur wird Fremdenverkehr unmöglich

(Müntefering [SPD]: Das ist richtig!)

und als Erholungswert für die Menschen uninteressant.

(Mann [GRÜNE]: Sehr wahr!)

Um die Natur schätzen und verstehen zu lernen, muß es möglich sein, daß die Menschen direkt Erfahrungen mit der Natur machen können.
Jahrzehntelang war der Fremdenverkehr allenfalls ein ökonomisches Problem. Heute zeigt sich immer deutlicher, daß in diesem Bereich wie in den meisten anderen unserer Gesellschaft und Wirtschaft die ökologische Frage die vordringliche ist.
Tagtäglich fallen in der Bundesrepublik hundert Hektar freie Landschaft der Überbauung mit Häusern, Fabriken, Straßen, Flugplätzen, Eisenbahnstrecken, Parkplätzen, Freizeiteinrichtungen zum Opfer.

(Eigen [CDU/CSU]: Das ist eine alte Zahl! Das stimmt überhaupt nicht!)




Tatge
Es gibt Landschaften, die so reich erschlossen sind, daß sie über fünf Quadratkilometer hinaus keine zusammenhängenden, d. h. von klassifizierten Straßen nicht zerschnittenen oder tangierten Flächen aufweisen.
Neben den ökologischen Problemen, die der jetzige harte Fremdenverkehr mit sich bringt, muß man sehen, daß der Fremdenverkehr in der Tat eine enorme volkswirtschaftliche Bedeutung in der Bundesrepublik Deutschland genießt. Mehr als 1,5 Millionen Arbeitnehmer finden ihre Beschäftigung im unmittelbaren Tourismusbereich. Dies sind z. B. doppelt so viele Arbeitsplätze wie im gesamten Bereich der Automobilindustrie.

(Beifall des Abg. Mann [GRÜNE])

Das Umsatzvolumen des bundesdeutschen Gastgewerbes entspricht mit 55 Milliarden DM ca. 3,5% des Bruttosozialprodukts. Die große ökonomische Bedeutung ergibt sich auch daraus, daß Tourismus und Fremdenverkehr in der BRD weitgehend mittelständisch strukturiert sind.

(Frau Hoffmann [Soltau] [CDU/CSU]: Deutschland! — Weiterer Zuruf von der CDU/CSU: Was heißt „BRD"?)

— Das ist von Herrn Adenauer. Das können Sie nachlesen, diese Abkürzung.

(Weiterer Zuruf von der CDU/CSU: Das heißt „Bundesrepublik Deutschland"!)

Auch hieraus ergibt sich die Verpflichtung zu einer besonderen Förderung und Erhaltung von Strukturen eines funktionsfähigen und sanften Fremdenverkehrs.
Eine wichtige Rolle spielen dabei die Bade- und Kurorte. Auch dort herrscht eine mittelständische Struktur vor. Viele Kleinbetriebe finden ihre Existenz durch bewirtende und heilende Tätigkeiten.
Für die gravierenden Schwierigkeiten in Kur- und Badeorten hat die Bundesregierung nur den lakonischen Satz übrig, daß in diesem Bereich — man höre — Anpassungsprobleme bestünden. Leider ist die Zahl der Frühbehandlungen und Kuren aus Kostengründen zurückgegangen, was letztendlich nur zur Folge hat, daß man später um so mehr und schwerere Krankheitsfälle behandeln muß. Hier muß eine Änderung zugunsten der Gesundheit der Menschen und des Erhalts und der Existenzfähigkeit der Kurorte politisch veranlaßt werden.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Nicht daß sich die Bundesregierung keine Zeit für die Beantwortung der Großen Anfrage genommen hätte. Auch können ihre Referenten ganz hübsch formulieren. Nur liegt das Problem darin, daß die Referenten der Bundesregierung den Auftrag haben, konsequent an den wirklichen Problemen vorbeizuformulieren und zu beschönigen.
Die Antworten der Bundesregierung auf die Umweltprobleme des Fremdenverkehrs sind entweder wichtigtuerisch und inhaltsleer oder verharmlosend und ignorant.

(Senfft [GRÜNE]: Das ist nichts Neues!)

Die Tatsachen sind anders.
Die Zerstörung der Alpen, d. h. des Alpenraumes ist in vollem Gange. Eine enorme Siedlungsdichte mit all den Folgen, Straßen, Parkplätze, Stromversorgungsleitungen, Freizeiteinrichtungen etc., sind nur ein Teil des Problems. Zu der langen Liste der ökologischen Gefahren, die dem Alpenraum drohen, gehört die Inflation der Berghütten, der Bergbahnen, Sessellifte und Skipisten. Hinzu kommt, daß aus Gründen der Profitorientierung immer mehr Berggipfel verdrahtet und damit zerstört werden. Die Lebensräume des Wildes werden brutal zerschnitten, das Wild selbst durch immer mehr Wanderwege, Loipen und Skilift-Kombinationen in dauernde Angst versetzt.
Ein weiteres Beispiel — dieselben Akteure —: die Zerstörung der Nordsee. Riesige Wattflächen werden eingedeicht, überall wird nach Erdgas und Erdöl gebohrt. Das Watt ist Standort und Kühlmedium für mehrere größere Atomkraftwerke, verbunden mit einer Aufheizung des Wassers und verschmutzten Strommündungen. Die geplanten Industrieanlagen an den Unterläufen von Elbe, Weser und am Dollart sowie eine rücksichtslose Nutzung, die den Menschen gegen die Natur ausspielt, geben dieser Landschaft den Rest. Fremdenverkehr, der sich nicht an den ökologischen Gegebenheiten des Wattenmeeres, am Schutz der Seevögel und der belebten Umwelt orientiert, verschärft die Zerstörung dieser einzigartigen Landschaft.

(Beifall bei den GRÜNEN) Ein drittes Beispiel: die Pfalz,


(Dr. Unland [CDU/CSU]: Die Pfalz?)

eine Landschaft, die beim ersten Hinsehen weitgehend intakt erscheint — wenn man sich durch den ersten Augenschein täuschen ließe.

(Dr. Unland [CDU/CSU]: Die hat doch der Bundeskanzler voll im Griff!)

— Das glaube ich nicht. Er ist ein Teil des Problems, nicht ein Teil der Lösung, Herr Kollege.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Was hat man dieser Landschaft, den Menschen und der Natur nicht alles zugemutet! Im Wald liegt Giftgas. Tiefflüge quälen die Bevölkerung und Erholungsuchende. Man plant nach wie vor einen exorbitanten Straßenbau. Stromtrassen und das Waldsterben gefährden die ganze Region. 60 % des Pfälzer Waldes sind vom Sterben bedroht. Doch dies nimmt die Bundesregierung als Preis für ihre Wachstums- und Aufrüstungspolitik in Kauf.
Statt das Giftgas zu räumen, Tiefflüge abzuschaffen und das Waldsterben durch drastische Luftreinhaltemaßnahmen zu bekämpfen, versucht man die zu denunzieren, die auf die Probleme hinweisen.
Skandalös ist auch die Antwort der Bundesregierung auf die Frage V 10 der SPD-Anfrage nach den Auswirkungen des Glykolskandals. Entgegen Ihrer Antwort gab es sehr wohl Schäden für die rheinland-pfälzischen Winzerbetriebe und dem mit Weinkauf verbundenen Fremdenverkehr. Den Problemen Rechnung tragen würde der Vorschlag, die



Tatge
Förderung der Selbstvermarktung zu unterstützen sowie bei der Bevölkerung in der BRD und im benachbarten Ausland zu werben, selbst beim Winzer zu kaufen, zwei oder drei Tage einen Kurzurlaub zu verbringen, um so die Naturschönheiten, die Menschen und den Wein kennenzulernen.
Viertes Beispiel: der vielgepriesene Urlaub auf dem Bauernhof. Es ist schon längst so, daß der sogenannte Urlaub auf dem Bauernhof, der als Form einer natürlichen, einfachen Ferienerholung gepriesen wird, sich nicht selten zur Farce entwürdigt. Es gibt Bauernhöfe, die auf eine einzige Tierart so hochspezialisiert sind, daß sie die von den Urlaubern erwarteten Tiere eigens für den Nebenerwerbszweck anschaffen müssen: einen Esel, zwei Ponys, eine Kiste voll Kaninchen, eine kleine Schar Hühner, Schwalbennester unter dem Dach und im Stall das Kalb bei der Mutterkuh — alles wie im Märchenbuch.

(Eigen [CDU/CSU]: Und einen GRÜNEN!)

Die Tierhaltungsformen der neuen Zeit sind auf die Abwesenheit des Menschen angelegt. Er stört hier nur, bringt den ausgeklügelten Leistungsrhythmus durcheinander. Eine schlagende Tür in einer Massenhühnerhaltung kann zur Katastrophe werden, ein nicht desinfizierter Schuh im Schweinemaststall mit fünfhundert Sauen auch. In den Dunkelställen der Kälber können Kinder nichts lernen, was sie gegenüber der Kreatur menschlicher machen würde.
All diese Beispiele charakterisieren den Problemkreis Naturschutz und Fremdenverkehr.

(Müntefering [SPD]: Es gibt aber auch guten Urlaub auf dem Bauernhof! — Kolb [CDU/CSU]: Wann haben Sie den letzten Urlaub auf dem Bauernhof gemacht?)

Der Tourismus hat in seiner jetzigen Form vielfach dazu beigetragen, ökologische und soziale Krisen zu verschärfen. Er verbraucht Landschaft, er gefährdet und zerstört unwiderbringlich Lebensräume von Pflanzen, Tieren und Menschen. Soziale und kulturelle Identität werden dem harten, rein ökonomisch motivierten Tourismus geopfert.
Wir, die GRÜNEN, finden uns mit diesem harten Tourismus, dessen Ursachen auch in der Unwirtlichkeit unserer Städte und in der häufig anzutreffenden Unmenschlichkeit der Arbeitsbedingungen liegen, nicht ab. Wir plädieren deshalb für einen ökologischen, sozial verträglichen Fremdenverkehr.

(Dr. Unland [CDU/CSU]: Wo macht ihr denn Urlaub?)

Sanfter Tourismus strebt den Übergang von Fremdenverkehr zum Gästeverkehr an, der Verständnis und Rücksichtnahme bei Gast und Gastgeber zur Grundlage hat. — Herr Kollege Unland, ich habe übrigens letztes Jahr in Franken Urlaub gemacht und das Jahr davor in Schleswig-Holstein; insofern also kein Problem.

(Beifall bei den GRÜNEN — Zuruf von der CDU/CSU: Das war aber schön, oder?)

Der sanfte Tourismus ist charakterisiert durch die volle Anwendung der bestehenden Umweltschutzbestimmungen und fordert in vielen Fällen ihre Verschärfung. Sanfter Tourismus bedeutet den sofortigen Erschließungsstopp und, wo notwendig, Rücknahme der Erschließung zur Wiederherstellung natürlichen und naturnaher Ökosysteme. Sanfter Tourismus heißt ebenso die volle Anwendung des Verursacherprinzips, auch bei Schäden durch den Tourismus.
Zum Abschluß möchte ich noch zwei Punkte aus „Naturschutz und Fremdenverkehr" des Deutschen Fremdenverkehrsverbandes zitieren:
1. Die Schadstoffbelastung der Umwelt muß durch internationale Abkommen, bundes- und landesgesetzliche Regelungen, durch verschärfte Kontrolle und strenge Ahndung von Verstößen schnell reduziert werden.
2. Die zusätzliche Ausweisung von Fremdenverkehrsgebieten, die bauliche Nutzung, die Schaffung von Fremdenverkehrseinrichtungen und die Nutzung von Natur und Landschaft durch Urlauber und Naherholungssuchende darf nur noch nach dem Maßstab ihrer Umweltverträglichkeit zugelassen werden.
Ich kann diese Bundesregierung nur auffordern, in ihrer Politik der Stellungnahme des Deutschen Fremdenverkehrsverbandes in diesen beiden Punkten zu folgen.
Zu den Kollegen der sozialdemokratischen Fraktion und ihrem Entschließungsantrag muß ich noch folgendes sagen. Sie haben in der Großen Anfrage viele wichtige und gute Fragen und viele interessante Themen im Zusammenhang mit dem Fremdenverkehr aufgegriffen. Aber die Situation ist so, daß Sie in Ihrem Entschließungsantrag auf Ihre alte Betonpolitik zurückfallen. Sie fordern eine weitere verkehrliche Erschließung in den Urlaubsregionen. Sie fordern weiter einen Straßenbau in den Urlaubsregionen

(Müntefering [SPD]: Dann haben Sie falsch gelesen!)

— das können Sie der letzten Seite Ihres Entschließungsantrags entnehmen; da steht es ganz deutlich —, statt daß Sie mit uns die Erhaltung des Nahverkehrs und die Förderung der Deutschen Bundesbahn und die Erhaltung der Strecken der Deutschen Bundesbahn in den entsprechenden Regionen fördern.
Danke schön.

(Beifall bei den GRÜNEN — Becker [Nienberge] [SPD]: Irgendwo muß man auch hinfahren!)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1023824500
Herr Kollege Tatge, darf ich eine Bemerkung dazwischen machen. Wir reden soviel von der Schönheit der Landschaft. Können wir nicht auch ein bißchen die Schönheit unserer Sprache berücksichtigen? Es heißt nicht „BRD"; es heißt „Bundesrepublik Deutschland".

(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP — Tatge [GRÜNE]: „BRD" ist kürzer! Das gibt mir etwas mehr Redezeit, wenn ich „BRD" sage!)




Vizepräsident Westphal
Als nächster Redner kommt Herr Dr. Feldmann.

Dr. Olaf Feldmann (FDP):
Rede ID: ID1023824600
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Auch liberale Fremdenverkehrspolitiker, Herr Kollege, verstehen sich als Lobbyisten für die Umwelt. Wir wissen, daß eine intakte Umwelt die Voraussetzung für einen erfolgreichen Fremdenverkehr ist. Was allerdings der Esel auf dem deutschen Bauernhof zu suchen hat, das müßten Sie uns bei ihrem nächsten Beitrag erklären.
Meine Damen und Herren, es ist gut, daß der Fremdenverkehr nach vier Jahren wieder einmal im Mittelpunkt einer Debatte im Deutschen Bundestag steht. Ich hoffe, daß die nächste Aussprache nicht wieder so lange auf sich warten läßt; denn die Antworten der Bundesregierung auf die Großen Anfragen bestätigen erneut — das haben meine Vorredner schon betont — die hohe gesamtwirtschaftliche Bedeutung des Fremdenverkehrs.
Wie die Bundesregierung feststellt, hat die wirtschaftliche und arbeitsmarktpolitische Bedeutung des Tourismus seit der letzten Großen Anfrage 1982 erheblich zugenommen. Nach Ansicht der Bundesregierung kommt das touristische Wachstum auch überdurchschnittlich dem Arbeitsmarkt zugute. Hier liegt die entscheidende gesamtwirtschaftliche Bedeutung des Fremdenverkehrs — dies kann man nicht oft genug wiederholen —, denn in den arbeitsplatzintensiven touristischen Dienstleistungen sind vergleichsweise geringe Rationalisierungsmöglichkeiten gegeben. Dieser wirtschafts- und arbeitsmarktpolitische Multiplikatoreffekt kommt besonders der Entwicklung strukturschwacher Regionen zugute, die häufig landschaftlich besonders attraktiv sind,

(Müntefering [SPD]: Wo ist denn der Raumordnungsminister?)

und Handel und Handwerk erhalten vom Tourismus vielfältige wirtschaftliche Impulse.
Zu Recht hat daher die Bundesregierung die positiven Entwicklungsperspektiven für den deutschen Fremdenverkehr aufgezeigt. Tourismus ist und bleibt eine arbeitsplatzintensive Wachstumsindustrie.

(Sehr richtig! bei der CDU/CSU)

Diese Leistung hat die Fremdenverkehrswirtschaft aus eigener Kraft erbracht. Dies verführt leicht zu der Fehleinschätzung, der Fremdenverkehr sei ein Selbstläufer. Die „weiße Industrie" braucht zwar keine Subventionen; was sie aber braucht, um im Wettbewerb und international bestehen zu können, sind verbesserte Rahmenbedingungen. Ohne sie kann das mittelständische und kleinbetrieblich strukturierte Fremdenverkehrsgewerbe seine Leistungskraft und den großen beschäftigungspolitischen Multiplikatoreffekt nicht voll entfalten. Es ist die Aufgabe der Bundesregierung, diese Rahmenbedingungen zu schaffen. In diesem Sinne hat der Deutsche Bundestag einstimmig den letzten Entschließungsantrag gefaßt und an die politische Mitverantwortung des Bundes appelliert.
Die Bundesregierung hat — das soll ausdrücklich anerkannt werden — durch ihre erfolgreiche Wirtschaftspolitik auch im Fremdenverkehr günstige Grundvoraussetzungen für eine Aufwärtsentwicklung geschaffen.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Aber über diese allgemeine Verbesserung der wirtschaftlichen Lage von Anbietern und Verbrauchern hinaus ist es erforderlich, auch die speziellen Rahmenbedingungen für die Fremdenverkehrswirtschaft zu verbessern. Hierzu gehört vor allem eine Verbesserung der tourismusrelevanten Statistik. Wie die Antwort der Bundesregierung zeigt, fehlen ihr die erforderlichen Daten zur Bewertung der touristischen Entwicklung. Wenn selbst der Bundesregierung Daten und Instrumente zur Marktbeobachtung fehlen, wie sollen dann kleine und mittlere Unternehmen in der Lage sein, sich marktgerecht zu verhalten?
Wir begrüßen auch sehr die OECD-Bemühungen um eine Einbeziehung des Tourismus in die volkswirtschaftliche Gesamtrechnung. Das ist sehr wichtig und längst überfällig. Darüber hinaus halten wir eine gezielte Förderung der touristischen Grundlagenforschung für dringend erforderlich. Dies gehört auch zu den Aufgaben des Bundes. Der Deutsche Fremdenverkehrsverband hat hier eine gute Grundlage geschaffen.
Meine Damen und Herren, Fremdenverkehrspolitik ist Mittelstandspolitik. Der FDP liegt der Mittelstand besonders am Herzen. Deshalb tun wir alles, um ihn zu fördern. Mit Sorge sehen wir daher die Ausdehnung der Staatstätigkeit im Fremdenverkehrsgewerbe zu Lasten der privaten mittelständischen Unternehmen. Dies ist eine existentielle Gefährdung für sie. Appelle an Unternehmensleitungen staatlicher Firmen, sich ihrer besonderen Eigentumsstruktur bewußt zu bleiben, reichen nicht aus. Wo bleibt hier die Aufsichtspflicht des Bundes?, darf man doch fragen.
Meine Damen und Herren, während wir von Privatisierung reden, baut die Lufthansa ihre Beteiligungen aus. Das Lufthansa-Allround-Ticket aus dem Lufthansa-Reisebüro für den Lufthansa-Flug mit dem Lufthansa-Mietwagen für die Fahrt zum Lufthansa-Hotel: Das kann und darf doch nicht Ziel der Mittelstandspolitik dieser Bundesregierung sein.

(Zustimmung bei der FDP)

Auch die Deutsche Bundesbahn scheint sich im Besitz eines ordnungspolitischen Freifahrtscheins zu fühlen.

(Zuruf des Abg. Dr. Kübler [SPD])

— Hören Sie doch erst einmal zu, Herr Kollege. — Ich sage das durchaus sehr kritisch. Die DB erklärt zwar, sie wolle sich auf Ihre Carrier-Funktion beschränken. Die Fakten aber sehen anders aus. Es ist nur mühsam gelungen, die Deutsche Bundesbahn zu einem Teilrückzug aus ihrer mittelstandsfeindlichen Hoteloffensive zu veranlassen. Sie bzw. ihre Töchter betreibt mit Luxusreisebussen und



Dr. Feldmann
nicht mit Linienbussen ein breit gefächertes touristisches Busangebot.
Die Bahn-Tochter DSG, eines der größten gastronomischen Unternehmen war noch in den 70er Jahren meist in privater Hand. Für die FDP ist daher auch die DSG ein Privatisierungsthema.

(Tatge [GRÜNE]: Sorgen Sie lieber dafür, daß sie nicht Plastik verwenden!)

Es gibt auch keinen Grund dafür, daß das mittelstands- und privatisierungspolitische Konzept der Bundesregierung vor der Bundesbahn Halt macht. Nirgends sollte es dem Bund leichter fallen, seine Mittelstandspolitik umzusetzen als bei seinen eigenen Unternehmen.
Wir haben ein Privatisierungsdefizit in der Fremdenverkehrswirtschaft. Ich nehme daher gerne die Forderung der ASR auf, Gutachten über Privatisierungsmöglichkeiten von staatlichen und halbstaatlichen Fremdenverkehrsunternehmen an private neutrale Institutionen zu vergeben.
Zu den tourismuspolitischen Zielen der Bundesregierung gehört die Steigerung der Leistungsfähigkeit des deutschen Hotel- und Gaststättengewerbes. Dieses Gewerbe ist nach der Zahl der Betriebe, nach der Zahl der Beschäftigten und dem Umsatz — Sie haben die Zahlen bereits genannt, Herr Kollege — die tragende Säule des deutschen Fremdenverkehrs, und an dieser Säule sägt die Schwarzgastronomie. Die Antwort der Bundesregierung zum Ausmaß und zu den Auswirkungen der Schwarzgastronomie ist dürftig. Ich muß das leider sagen. Meine Damen und Herren, auch Schwarzgastronomie ist Schwarzarbeit. Sie führt zu erheblichen volkswirtschaftlichen Verlusten. Nach dem schönen Motto: „Feste feiern ohne Kosten" wird nicht nur der Staat um Einnahmen gebracht, sondern es werden vor allem kleine selbständige Gastwirte in ihrer Existenz bedroht. Es geht nicht an, daß das von uns allen gewünschte aktive Vereinsleben ausschließlich zu Lasten eines Gewerbes geht. Wenn die Bundesregierung den vom DEHOGA vorgelegten Zahlen keinen Glauben schenken kann, dann möge sie eigene Recherchen anstellen. Dieser Wettbewerbsverzerrung muß durch eine Novellierung des § 12 Gaststättengesetz begegnet werden.

(Zustimmung bei der FDP)

Denn eigentlich müßte jeder, der „wirtet", wie ein Wirt behandelt werden, vor allem was Hygiene-, Verbraucherschutz- und Jugendschutzbestimmungen anbelangt.
Das traditionsreiche deutsche Gastgewerbe wird auch durch eine zunehmende Fluktuation bedroht. Diese schadet nicht nur dem Gewerbe, sondern auch den Verbrauchern. Der Ansicht der Bundesregierung, das derzeitige Unterrichtungsverfahren sei ausreichend, muß ich hier im Deutschen Bundestag deutlich widersprechen. Es ist wohl kein Zufall, daß der Arbeitgeberverband DEHOGA und die Gewerkschaft NGG Schulter an Schulter, unterstützt vom Deutschen Fremdenverkehrsverband, für eine verbesserte Sachkunde eintreten. Meine Damen und Herren, das muß uns doch zu denken geben.
Die FDP begrüßt sehr den vom DEHOGA herausgegebenen „Deutschen Wirtebrief", gewissermaßen ein freiwilliger Sachkundennachweis des Gewerbes. Er ist ein wichtiger Schritt der Branche zur weiteren Verbesserung der Qualität der gastronomischen Dienstleistung. Er muß zum Gütesiegel für Gastronomen werden. Diese lobenswerte Eigeninitiative kann aber nur ein erster Schritt zu einem allgemeinen Sachkundenachweis sein. Der Sachkundenachweis, den der Deutsche Bundestag im August 1986 hier im Interesse des Tierschutzes beschlossen hat, darf den Menschen doch nicht vorenthalten bleiben.
Für Reiseveranstalter und Reisebüros steht Tschernobyl für Ungleichbehandlung. Tschernobyl und die widersprüchliche Informationspolitik amtlicher deutscher und europäischer Stellen haben zu zirka 70 000 Reisestornierungen und damit zu zirka 100 Millionen DM Umsatzausfall geführt. Der Schaden für die Branche beläuft sich nach Schätzung des DRV — auf Grund einer Umfrage — auf zirka 20 Millionen DM. Was für die Molkereien und Erzeugergenossenschaften gilt, muß auch für den kleinen Reiseveranstalter und Busunternehmer gelten.

(Richtig! bei der SPD)

Ein gerechter Staat muß für alle Geschädigten da sein.
Die FDP begrüßt, daß sich fast alle großen Fremdenverkehrsverbände mit den Antworten der Bundesregierung auseinandergesetzt und Stellung genommen haben. Es ist gut, daß sich DFV, DEHOGA, DRV, ASR, die DZT, der VDKF und auch die NGG um engen Kontakt zu Regierung und Parlament bemühen. Die FDP schätzt die Sachkunde und den fachlichen Rat der Verbände. Trotz unterschiedlicher Interessen am Incoming- und Outgoing-Geschäft sollten sie allerdings ihre Kräfte noch stärker bündeln, um sich in Zukunft gemeinsam deutlicher artikulieren zu können.

(Sehr richtig! bei der CDU/CSU)

Bedanken möchte ich mich auch an dieser Stelle bei einem kleinen und deutlich unterbesetzten Referat im Bundeswirtschaftsministerium, nämlich dem Referat Fremdenverkehr, für die geleistete Arbeit. Vielen Dank. Dieses Referat bedarf dringend einer Aufstockung.
Das 1975 beschlossene tourismuspolitische Programm der Bundesregierung hat den Startschuß zu einer Fremdenverkehrspolitik des Bundes gegeben. Dieses Programm ist dringend fortschreibungsbedürftig. Wir fordern darüber hinaus die regelmäßige Vorlage eines tourismuspolitischen Berichts der Bundesregierung. Der Fremdenverkehr braucht einen festen Platz in der Arbeit des Parlaments. Deswegen fordern wir mit breiter Unterstützung der Branche und Zustimmung aller Fraktionen einen Unterausschuß Fremdenverkehr.
Zehn Minuten reichen natürlich nicht aus, um alle wichtigen Fragen des Fremdenverkehrs anzusprechen. Ich kann allerdings darauf verweisen, daß die FDP im vergangenen Jahr zum Deutschen Fremdenverkehrstag als einzige und erste Partei



Dr. Feldmann
ein umfassendes fremdenverkehrspolitisches Konzept vorgelegt hat.
Herr Kollege Müntefering, auch der Antrag der Koalition ist besser und durchaus zur Zustimmung geeignet.

(Widerspruch bei der SPD)

Sie alle werden mir aber zustimmen, wenn ich sage, daß der Fremdenverkehr nicht länger Aschenputtel in der Politik sein darf.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der FDP, der CDU/CSU und bei Abgeordneten der SPD)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1023824700
Das Wort hat der Parlamentarische Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft, Herr Dr. Sprung.

(Müntefering [SPD]: Er hat jetzt einen schweren Stand! Herr Feldmann hat ihm nämlich so viele Vorwürfe gemacht!)


Dr. Rudolf Sprung (CDU):
Rede ID: ID1023824800
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Müntefering, Sie haben von lieblosen Antworten gesprochen. Herr Engelsberger hat dazu, glaube ich, das Zutreffende gesagt. Es sind umfassende Antworten, die auf Ihre Fragen gegeben worden sind. Ich weiß nicht, ob Antworten umfassender sein könnten, als sie es in der Vorlage der Bundesregierung sind.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Sie haben auf Ihren Antrag hingewiesen und die Forderungen erwähnt, die Sie an die Bundesregierung gerichtet haben. Ich komme noch darauf zurück. Ich darf Ihnen nur sagen: Den Forderungen ist grundsätzlich zuzustimmen. Nur, sie sind an die falsche Adresse gerichtet. Aber, wie gesagt, darauf komme ich gleich noch zurück.
Herr Engelsberger, eine Berichterstattung oder Diskussion über Fragen des Tourismus sollte künftig in der Tat häufiger stattfinden. Ich meine, dafür ist zunächst einmal der richtige Platz sicherlich der Wirtschaftsausschuß. Dieser Ausschuß hat ja wohl nun auch vor, sich künftig intensiver mit Fragen des Tourismus zu beschäftigen. Dort haben wir dann die Gelegenheit, das zu tun, was in der Tat erforderlich ist: uns diesem wichtigen Wirtschaftszweig intensiver zu widmen und über seine Probleme zu diskutieren.
Was den Unterausschuß anlangt, so ist das eine Entscheidung des Parlaments. Das Parlament kann ja solch eine Entscheidung treffen. Wenn es so verfährt, kann sicherlich gesagt werden, daß ein solcher Unterausschuß eine gute Einrichtung ist, um Fragen des Tourismus gründlicher zu erörtern, als das bisher geschehen ist.
Sie haben das Thema einer Untersuchung von positiven und negativen Aspekten des Urlaubs in Deutschland angesprochen. Ich darf Ihnen sagen, daß eine solche Untersuchung läuft, und darf darauf hinweisen, daß diese Untersuchung in der Antwort auch besonders erwähnt wird. Ende des Jahres wird diese Untersuchung vorliegen. Wir alle sind sehr gespannt, was dabei herauskommen wird.
Herr Tatge, schon gestern haben wir uns mit Ihrem Vorwurf befaßt, die Frage der Umweltbelastung sei nicht ausreichend beantwortet worden. Sie haben erklärt, die Tatsachen seien anders. In der Tat, die Tatsachen sind anders. Die Bundesregierung hat sich sehr eingehend mit den zahlreichen Fragen, die das Problem der Umweltbelastung betreffen, befaßt und hat entsprechend ausführliche Antworte gegeben.
Nun zum sanften Tourismus": Sehen Sie sich einmal in Ländern wie Italien und Griechenland um. Wer zerstört denn dort die Landschaft inzwischen mehr, der normale Tourismus oder aber der „sanfte Tourismus", den Sie so sehr angepriesen haben?

(Zustimmung bei der CDU/CSU — Zurufe von den GRÜNEN: Es kommt immer darauf an, was man darunter versteht! — Ein schlechtes Beispiel!)

— Das ist kein schlechtes Beispiel, sondern so ist es, und Sie wissen ja, daß diese Länder inzwischen zu Maßnahmen greifen, die sicher wir alle nicht gerne sehen; aber sie sehen sich außerstande, anders vorzugehen, als sie es jetzt tun werden.
Herr Feldmann, zum Thema „Lufthansa und Bundesbahn": In der Tat, wir müssen sicherlich die Diskussion über die Aktivitäten dieser beiden Einrichtungen fortsetzen. Mehr kann man, so glaube ich, dazu im Augenblick nicht sagen.
Was die Schwarz- oder Schattengastronomie anlangt, so sagen Sie, die Aussagen seien dürftig. Ja, wie soll man über einen Wirtschaftszweig, der nicht greifbar ist — das ist ja sein Wesen, da es um einen Zweig der Schattenwirtschaft geht —, mehr in Erfahrung bringen können als das, was in unseren Antworten wiedergegeben worden ist?
Noch ein Wort zum Thema „Sachkunde": Sie kennen die Position der Bundesregierung.

(Dr. Feldmann [FDP]: Leider!)

Sie ist in den Antworten auf die Großen Anfragen wiedergegeben. Es ist eine Position der Bundesregierungen seit 1970. Sie ist unverändert, und sie ist bekannt. Ich glaube, ich brauche weitere Einzelheiten dazu nicht vorzutragen.

(Weiterer Zuruf des Abg. Dr. Feldmann [FDP])

— Ich kann jetzt nicht in eine weitere Diskussion eintreten, denn ich will auch noch etwas Allgemeineres sagen.

(Zuruf von der CDU/CSU: Ja, kein Dialog!)

— Ja, statt einen Dialog zu führen — das können wir ja im Ausschuß tun —, möchte ich jetzt mit der Beantwortung der an die Bundesregierung gerichteten Fragen fortfahren.
Meine Damen und Herren, der Tourismus hat in den vergangenen Jahrzehnten eine stürmische Aufwärtsentwicklung genommen, und zwar durch steigende Realeinkommen der Bevölkerung, durch zu-



Parl. Staatssekretär Dr. Sprung
nehmende arbeitsfreie Zeit und durch das gesamtwirtschaftliche Wachstum.
Diese ökonomischen Grundbedingungen liegen jetzt erneut vor. Während die unbefriedigende gesamtwirtschaftliche Entwicklung und der Anstieg der Arbeitslosigkeit zu Beginn der 80er Jahre noch zu deutlichen Einbrüchen bei der touristischen Nachfrage geführt hatten, haben die wiedergewonnene marktwirtschaftliche Dynamik, das Wiederansteigen der Realeinkommen und insbesondere das wiedergewonnene Vertrauen in die Stabilität der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung 1984 und 1985 eine deutliche Wiederbelebung der Nachfrage nach Fremdenverkehrsleistungen bewirkt.
Diese Tendenz hat sich 1986 verstärkt fortgesetzt — trotz Tschernobyl, das zu einer vorübergehenden Verunsicherung führte —, und der aufwärtsgerichtete Trend wird weiterhin andauern. Meine Damen und Herren, wieder einmal beweist sich, daß eine erfolgreiche Wirtschaftspolitik, die zu stabilem Preisniveau und zu allgemeinen Einkommensverbesserungen führt, zugleich die beste Tourismuspolitik ist.

(Beifall bei der CDU/CSU — Zurufe von der SPD: Sinkende Herbstzahlen, Herr Staatssekretär! — Sinkende Ölpreise!)

Meine Damen und Herren, dem Tourismus kommt gegenwärtig besonders unter drei Aspekten eine herausragende Bedeutung zu. Da ist erstens der beschäftigungspolitische Aspekt. Er steht in der gegenwärtigen Situation im Vordergrund. Die Zahlen sind schon genannt worden: Mehr als 1,5 Millionen Arbeitsplätze hängen direkt oder indirekt von der touristischen Nachfrage ab. Das betrifft etwa 6 % aller Erwerbstätigen. Wichtig ist, daß diese Arbeitsplätze im Tourismusbereich besonders krisenfest und sicher sind.
Die breite Qualifikationsstreuung der Arbeitsplätze im Tourismusbereich eröffnet durch niedrige Markteintrittsschwellen nicht nur günstige Chancen für den Schritt in die Selbständigkeit; es werden auch für unterschiedliche Ausbildungsgrade zahlreiche interessante Beschäftigungsmöglichkeiten geboten. Vor allem weibliche Beschäftigte finden in verschiedenen vom Fremdenverkehr abhängigen Bereichen Arbeitsplätze, was besonders unter dem Aspekt der gegenwärtigen Bedingungen am Arbeitsmarkt außerordentlich zu begrüßen ist.
Hinzu kommt, daß im Fremdenverkehrsbereich elastische Arbeitszeitregelungen Marktanpassungen erleichtern, die individuellen Bedürfnissen der Beschäftigten Rechnung tragen. Unsere Bemühungen haben sich deshalb schon frühzeitig darauf gerichtet, durch geeignete Schulferienregelungen zu einer Milderung der saisonalen Spitzen beizutragen. Die Kultusminister der Länder haben diese Anregung aufgegriffen. Für Sommerferien konnte so eine gute Lösung erreicht werden. Natürlich sind weitere Verbesserungen, insbesondere im Hinblick auf die Schaffung eines zweiten gestaffelten Ferienblocks, möglich. Wir werden uns dafür mit allem Nachdruck einsetzen.

(Vorsitz: Vizepräsident Cronenberg)

Besonders erwähnen möchte ich schließlich die hohe Ausbildungsbereitschaft der Fremdenverkehrsbranche. Seit 1981 ist die Ausbildungsleistung im Fremdenverkehr insgesamt nochmals um mehr als 26% gesteigert worden. Dies ist eine hervorragende Leistung der Fremdenverkehrswirtschaft, die besondere Anerkennung verdient.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Zweitens. Dem Fremdenverkehr kommt eine außerordentlich hohe regionalpolitische Bedeutung zu. Für viele Orte und Regionen mit ungünstigen Standortbedingungen für eine industrielle Entwicklung bietet der Fremdenverkehr vielfältige wirtschaftliche Betätigungsmöglichkeiten, für die es oft auch kaum Alternativen gibt. Der Fremdenverkehr leistet damit einen wesentlichen Beitrag zur Milderung bestehender ökonomischer Unterschiede innerhalb der Bundesrepublik Deutschland.

(Müntefering [SPD]: Wo ist der Raumordnungsminister?)

Dies begründet und rechtfertigt den hohen Anteil, den touristische Investitionen an den Fördermitteln der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur" haben.
Drittens. Der Tourismus hat eine enorme außenwirtschaftliche Bedeutung erlangt: Im vergangenen Jahr haben deutsche Reisende im Ausland 43 Milliarden DM ausgegeben. Ausländer sorgten im Inland für Deviseneinnahmen von 17,4 Milliarden DM. Der Soldo der Reisedevisenbilanz der Bundesrepublik Deutschland ist bekanntermaßen seit Ende der 50er Jahre negativ. Er ist seitdem ununterbrochen, teilweise sprunghaft, angestiegen: 1960 noch bei nur 1 Milliarde DM gelegen, erreichte er im vergangenen Jahr — ich finde, das sind sehr eindrucksvolle Zahlen — mit 25,6 Milliarden DM einen Anteil von 1,4 % am Bruttosozialprodukt.
Dennoch darf das Reisedevisendefizit nicht isoliert, sondern muß im ökonomischen Gesamtzusammenhang gesehen werden. Die stark exportabhängige Bundesrepublik Deutschland ist auf einen freien Waren- und Dienstleistungsverkehr lebensnotwendig angewiesen. Jeder dritte Arbeitsplatz hängt direkt oder indirekt vom Export ab. Die Reiseverkehrsausgaben deutscher Touristen sind für zahlreiche Empfängerländer ein wichtiger Devisenbringer, der es diesen Ländern oft erst überhaupt ermöglicht, deutsche Waren zu beziehen. Sie tragen damit entscheidend zur Sicherung inländischer Arbeitsplätze und zur Wohlstandssteigerung bei.
Die Glaubwürdigkeit der deutschen Position in ihrem Eintreten gegen protektionistische Strömungen im Welthandel würde international entscheidend beeinträchtigt, wenn wir das Reisedefizit nicht als Ergebnis einer wirklich sinnvollen internationalen Arbeitsteilung mit beiderseitigen Vorteilen betrachten würden.
Darüber hinaus hat der moderne Tourismus, der in den westlichen Industrieländern das Leben jedes einzelnen Bürgers in starkem Maße berührt, selbstverständlich eine Vielzahl weiterer Bezüge — ich kann sie nur andeuten, ohne dazu mehr sagen zu



Parl. Staatssekretär Dr. Sprung
können —: gesundheitspolitische, bildungspolitische, gesellschaftspolitische.
Lassen Sie mich aber noch kurz auf einige wenige Themen von aktueller Bedeutung für den Fremdenverkehr eingehen. Das Thema Umweltbelastung ist schon von Herrn Tatge angesprochen worden. In beiden Großen Anfragen nehmen Umweltaspekte — ich wiederhole es — einen breiten Raum ein, und sie tun dies zu Recht. Das steht ganz außer Zweifel. Eine intakte Umwelt ist nämlich für den Fremdenverkehr von ausschlaggebender Bedeutung. Ihre Erhaltung liegt ebenso im Interesse der vom Tourismus Abhängigen wie im Interesse der Gesamtbevölkerung. Die öffentliche Diskussion über Umweltbelastungen überlagert allerdings häufig die Tatsache, daß die deutschen Fremdenverkehrsgebiete und -orte weitgehend von Umweltschäden verschont geblieben sind. Der Erholungswert der deutschen Fremdenverkehrsregionen ist — das möchte ich hier mit aller Deutlichkeit sagen — unverändert gut.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FPD — Tatge [GRÜNE]: Sie machen sich selbst etwas vor!)

Ein zweites Thema, meine Damen und Herren, sind die Europareisen von US-Bürgern. Ihr Rückgang hat in diesem Jahr erhebliche Sorgen bereitet. Die US-Amerikaner hatten 1985 einen Anteil von über 16 % an den gesamten Auslandsübernachtungen in der Bundesrepublik erreicht. Nach Terroranschlägen, Tschernobyl und natürlich auch wegen des gesunkenen Dollarkurses ist die Zahl der Reisenden aus den USA drastisch zurückgegangen. Dies ist allerdings kein spezifisch deutsches Problem, sondern betrifft ganz Europa. Aber in unserem Land gewinnt der Rückgang der Besucher aus den USA eine besondere Dimension.
Diese Situation zeigt im übrigen, daß der Tourismuswerbung wachsende Bedeutung zukommt. Die Deutsche Zentrale für Tourismus — schon einige Male erwähnt — betreibt mit maßgeblicher Unterstützung des Bundes diese Werbung wirksam und erfolgreich. Auch das soll einmal festgestellt werden.

(Beifall bei der CDU/CSU, der FDP und der SPD)

Es ist daher zu begrüßen, daß in beiden Großen Anfragen diesem Thema ein so breiter Raum gewidmet worden ist. Es ist auch zu begrüßen, daß sich die Fremdenverkehrswirtschaft an den Kosten der Auslandswerbung durch die Deutsche Zentrale für Tourismus in wachsendem Umfang beteiligt. Eine weitere Steigerung ist allerdings erforderlich, ja unumgänglich. In der aktuellen Situation sind vor allem die Bemühungen auf dem amerikanischen Markt zu intensivieren. Dies fordert alle Beteiligten zu verstärktem Einsatz heraus. Die Bundesregierung wird ihren Anteil dazu beitragen.
Das dritte und letzte Thema von aktueller Bedeutung, das ich ansprechen möchte, ist, daß die Zunahme der touristischen Nachfrage in den letzten Jahren den deutschen Fremdenverkehrsgebieten nicht gleichermaßen zugute gekommen ist. Verschiedene Regionen blicken — das hören wir auch in diesen Tagen wieder — mit Sorge auf die anhaltende Vorliebe deutscher Touristen für ausländische Ziele.
Meine Damen und Herren, Auslands- oder Inlandsreisen sollten nicht als Alternative gesehen werden. Bei einem Urlaubsanspruch von fast sechs Wochen nimmt der Anteil der mehrmals im Jahr Reisenden ständig zu. Die Fremdenverkehrswirtschaft muß sich allerdings auch auf eine nachfragegerechte Entwicklung ihres zweifellos reichen, außerordentlich eindrucksvollen Potentials konzentrieren und sich dabei veränderten Nachfragegegebenheiten anpassen. Wir haben im Beirat für Fragen des Tourismus, der jetzt wieder sehr regelmäßig tagt

(Müntefering [SPD]: Na! Na! Na!)

— Herr Müntefering, dies ist der Fall! —, beim Bundesminister für Wirtschaft im Mai dieses Jahres sehr intensiv mit den Fremdenverkehrsverbänden hierüber gesprochen. Wir erwarten für die nächste Sitzung, die im Dezember in Bad Reichenhall vorgesehen ist, dazu konkrete — ich wiederhole und unterstreiche dies dick: konkrete — konzeptionelle Vorstellungen der Verbände.
Meine Damen und Herren, abschließend etwas zu Ihren Forderungen. Solche Konzepte, wie Sie sie fordern, können nicht Sache der Bundesregierung sein. Der Bund wird keine Handlungskonzeption, keine Verkaufsstrategien, keine Vertriebsnetze und keine Vermittlungseinrichtungen für die Fremdenverkehrswirtschaft erarbeiten, wie das die SPD-Fraktion in ihrem Entschließungsantrag fordert.

(Müntefering [SPD]: Da haben Sie nicht genau gelesen! Das kann nicht sein!)

Sie wird dafür auch keine Vorgaben machen. Dies ist allein und kann nur allein Sache der Fremdenverkehrswirtschaft selbst sein.
Ein allerletztes Wort, meine Damen und Herren. Ich begrüße es, daß der Deutsche Fremdenverkehrsverband seine Bemühungen intensivieren will, eine gemeinsame Aussage für den Urlaub in Deutschland zu finden. Fremdenverkehrsförderung ist im wesentlichen Sache der Länder. Der Bund kann nur ergänzend und koordinierend tätig werden. Wir sind bereit, im Rahmen unserer Möglichkeiten zu helfen. Dabei werden die hier vorgetragenen Vorschläge selbstverständlich gründlich auf ihre Realisierbarkeit hin geprüft werden.
Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1023824900
Das Wort hat der Abgeordnete Weinhofer.

Karl Weinhofer (SPD):
Rede ID: ID1023825000
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn ich so ins Plenum schaue, sehe ich eine Menge Reiseexperten in eigener Sache. Ich hoffe nur, daß diese Gelegenheit auch genutzt wird, in der Öffentlichkeit den Eindruck zu verstärken, daß wir uns alle um den Tourismus kümmern.



Weinhofer
Europa verliert nur langsam die nationalstaatlichen Federn und mausert sich mühsam zu einer wirtschaftlichen und politischen Einheit. Dieser Prozeß wird sicherlich dadurch beschleunigt, daß sich Europas Bürgerinnen und Bürger bei Reisen kennenlernen, Vorurteile abbauen sowie Sitten und Gebräuche der anderen zu schätzen wissen. Die Weltorganisation für Tourismus schätzt, daß allein die Zahl der internationalen, grenzüberschreitenden Reisen in Europa im Jahre 1983 200 Millionen betrug. Dies sind etwa 70 % des internationalen Tourismus in der ganzen Welt.
Der Tourismus als Integrationsfaktor in Europa hat eine besondere Bedeutung; ihm wird nach wie vor zuwenig Aufmerksamkeit geschenkt. Auch die gesellschafts- und sozialpolitische Funktion des Tourismus wird unterschätzt.
Die Bundesregierung stellt u. a. fest: Der Beitritt Spaniens und Portugals hat die Bedeutung des europäischen Binnenmarkts im Tourismus spürbar erhöht. Sie folgert daraus:
Maßnahmen zur Verwirklichung des Binnenmarktes mit Wirkung für den Tourismus erhalten damit ein größeres Gewicht. Die Bundesregierung begrüßt deshalb Vorschläge der Kornmission, die diesem Ziel dienen, und wird weiter konstruktiv an den Beratungen mitwirken, um das Ziel zu erreichen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, genau dies ist symptomatisch für die Haltung der Bundesregierung in Sachen Fremdenverkehr. Sie hält alles, wie wir auch soeben von Staatssekretär Sprung hören konnten, für ausgesprochen wichtig. Sie sieht die wachsende gesellschaftliche und ökonomische Bedeutung des Fremdenverkehrs. Und die Konsequenz? Sie begrüßt Vorschläge anderer, sie ist bereit, bei irgendwelchen Beratungen mitzuwirken. Das heißt: Sie wird selbst nicht aktiv, sie hat kein fremdenverkehrspolitisches Konzept, sie hat keine Datenbasis, auf Grund deren sie arbeiten könnte.
So wundert es nicht — es ist nur folgerichtig —, wenn ihr allenthalben, von den Fremdenverkehrsverbänden bis hin zu den Fachjournalisten, vorgeworfen wird, sie begnüge sich mit Deklarationen, habe aber kein Konzept; so z. B. eine Äußerung des Deutschen Fremdenverkehrsverbandes. In der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung" vom 18. September dieses Jahres steht, ihre Antwort auf die beiden Großen Anfragen sei „wieder nur lau ausgefallen", sie habe lediglich ihren geringen Kenntnisstand in Sachen Tourismus formuliert, über alle wichtigen Punkte aber nichts Konkretes gesagt.
In „Der Zeit" vom 19. September dieses Jahres — Herr Kollege Wolfgramm, ich zitiere aus führenden deutschen Wochenzeitungen — heißt es,

(Wolfgramm [Göttingen] [FDP]: Ja, trotzdem!)

sie habe an vielen Stellen mit geradezu rührender Offenheit Unwissenheit zugegeben.
Diese Einschätzungen treffen auch auf alle Einzelfragen im Bereich des europäischen Fremdenverkehrs zu: Die Bundesregierung gibt fremde
Schätzungen wieder, daß der Tourismus 4 bis 5% zum Bruttosozialprodukt der erweiterten EG beiträgt. Folgerungen aus dieser Erkenntnis: keine. Sie gibt die Zahl der unmittelbaren Arbeitsplätze im Tourismus in der Europäischen Gemeinschaft mit fünf Millionen an; einschließlich der indirekt davon abhängigen werden sie auf etwa zehn Millionen geschätzt.
Herr Staatssekretär, Sie lobten die Leistungen der deutschen Fremdenverkehrsindustrie, aber Sie schwiegen sich wieder aus, wenn es z. B. ums Detail ging, wenn es z. B. um Fragen im Ausbildungsbereich, um Fortbildungsfragen ging. Man darf sich nicht darauf zurückziehen, daß dies Ländersache sei. Ich glaube, auch der Bund hätte hier eine Kompetenz wahrzunehmen.
Der Bundesregierung ist z. B. bekannt, daß die Deutschen bei ihren Auslandsreisen laut Statistik der Deutschen Bundesbank mehr ausgeben — so allein in den Jahren von 1970 bis 1982 insgesamt 200 Milliarden DM —, als durch ausländische Touristen in der Bundesrepublik eingenommen wird. Konsequenzen für ein geschlossenes Marketingkonzept zur Verbesserung dieser Bilanz fehlen.
Die Bundesregierung anerkennt in ihrer Antwort die Bedeutung des Jugendaustausches und des Jugendtourismus in Europa, vor allem getragen von den Jugendverbänden. Die Konsequenz daraus: Sie streicht diesen Haushaltstitel 1986, die Gelder im Bundesjugendplan, erstmalig zusammen.
Zum Bereich Busunternehmen/Bustourismus: Die Konzeptionslosigkeit der Bundesregierung erreicht im Bereich des Bustourismus ihren traurigen Höhepunkt. Sie stellt fest:
Das Reisen mit Bussen stellt für viele, gerade auch für ältere Bürgerinnen und Bürger, eine ihren Bedürfnissen in besonderer Weise entsprechende, preiswerte Form des Tourismus in überschaubaren Gruppen und damit in relativer Geborgenheit dar.
Ihre Ahnungslosigkeit, Ihr Vertrauen darauf, daß alles schon von selbst ins rechte Lot kommt, drückt sich in der zitierwürdigen Schlußfolgerung aus: Die steigende Nachfrage in den letzten Jahren nach Busreisen läßt darauf schließen, daß die meist mittelständischen Unternehmen des Bustourismus den Anforderungen der Nachfrage nach einer hohen Qualität nachgekommen sind. — So nach dem Motto: Der Herr wird's schon richten.
Ob es nun um Fragen einheitlicher Besteuerung beim organisierten Bustourismus oder um Beschränkungen für deutsche Reiseleiter geht, es bleibt bei wohlklingenden Absichtserklärungen, ohne daß wirkliche Eigeninitiativen der Bundesregierung erkennbar wären. Die Antworten sind auf dem gleichen Stand verblieben wie schon bei der Antwort auf die Kleine Anfrage zu Reisen in Europa im Jahre 1984.

(Zuruf von der CDU/CSU: Was meint denn der Kollege Weinhofer?)

Die Bundesregierung wurde in der Großen Anfrage der SPD auf bestehende Hemmnisse im



Weinhofer
grenzüberschreitenden Busverkehr, auf Kontroversen über den Einsatz von Reiseführern in bestimmten Ländern, auf fortbestehende protektionistische Maßnahmen in Europa hingewiesen. Ihre Antwort war: sie bagatellisiert, sie spielt herunter, sie vermeidet das Austragen und Bereinigen dieser Konflikte in den EG-Instanzen. Sie ist zu so gut wie keiner eigenen Initiative bereit.
Deshalb ist nach unserer Meinung das notwendig, was wir in unserem Antrag vorgeschlagen haben: In der Fortschreibung des tourismuspolitischen Programms bis 1988 müssen konzeptionelle Vorstellungen sowohl zur Abstimmung der europäischen Tourismuspolitik als auch zur verstärkten Werbung ausländischer Gäste entwickelt werden. Hemmnisse des Grenzverkehrs, protektionistische Maßnahmen müssen Anlaß für deutsche Initiativen im Europarat und im Europäischen Parlament sein.
Lassen Sie mich zu einem weiteren Thema kommen: Heilbäder und Kuren. Nicht nur die allgemeine Rezession, sondern vor allem auch die Einsparungsmaßnahmen durch Selbstbeteiligung bei Kuren haben 1982 und 1983 einen für die Kur- und Heilbäder existenzbedrohenden Rückgang bewirkt. Bis zu 30 % weniger Gäste, Abgabe von bis zu 50 weniger Kurmitteln.
Dieser Zusammenhang ist den Koalitionsfraktionen bei insgesamt 74 Fragen der Großen Anfrage keine einzige Frage wert. Die Bundesregierung behauptet, ohne dieses belegen zu können, die Regelung sei von den Versicherten inzwischen angenommen worden und brauche daher auch nicht zurückgenommen zu werden.
Erfreulich ist, daß der bayerische Staatsminister Jaumann am 10. September dieses Jahres in Hinde-lang von der Verantwortung des Kostendämpfungsgesetzes für den bedrohlichen Kurenrückgang gesprochen hat. Aber es gehört natürlich zur bekannten Schlitzohrigkeit unserer CSU-Kollegen, daß sie hier in Bonn anders reden, als sie in München handeln.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN — Engelsberger [CDU/CSU]: Der Wahlkampf ist doch vorbei!)

— Ich mache keinen Wahlkampf.
Ich glaube, daß der existenzbedrohende Rückgang der Kuren 1982/83 einen von der Bundesregierung sicher nicht geplanten positiven Begleitaspekt hatte: Die Umstellung der ehemals weitgehend passiven Kurbehandlung zu einem differenzierten Angebot eines aktiven Ganzheitstrainings von Körper, Geist und Seele. Dies ist nicht das Ergebnis einer von der Bundesregierung geförderten Strukturverbesserung, sondern es zeigt nur, daß die deutschen Heil- und Kurbäder in der Lage waren, erschwerten Bedingungen mit Phantasie und zukunftsweisenden Ideen zu begegnen. Dies ist unseres Erachtens auch die sinnvolle Zukunftsperspektive: Eine stärkere Freizeit- und Urlaubsorientierung des Angebots der Heilbäder.
In allen Parteien, verehrte Kolleginnen und Kollegen, wird die Notwendigkeit erkannt, neue Wege in der Tourismuspolitik zu gehen. Die heutige Gelegenheit sollten wir alle nutzen, um die Bundesregierung zu beauftragen, im Sinne unserer Entschließungsanträge tätig zu werden.

(Beifall bei der SPD)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1023825100
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Olderog.

Dr. Rolf Olderog (CDU):
Rede ID: ID1023825200
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Unbestreitbar ist die Bundesrepublik Deutschland eines der reizvollsten Urlaubsländer. Herrliche Ferienlandschaften von der schleswig-holsteinischen Ostseeküste, der Nordseeküste bis hin zu den Alpen. Wundervolle romantische Städte von Lübeck bis Regensburg. Vom Surfen bis zum Drachenfliegen — es gibt keine Sportart, kein Hobby, kein Gesundheitsprogramm, das man in deutschen Landen nicht findet. Mediziner sagen: Es ist gesünder, den Urlaub im milden Reizklima Deutschlands zu verbringen, als unter südlicher Sonne auf dem Teutonengrill zu schmoren.

(Zuruf von der CDU/CSU: Das war Werbung für Schleswig-Holstein!)

Um so mehr muß es uns aufschrecken, daß 65 % der längeren deutschen Urlaubsreisen ins Ausland gehen. Wie lange, meine verehrten Damen und Herren, wollen wir es eigentlich noch hinnehmen, daß der deutsche Fremdenverkehr wie Dornröschen im Märchen vor sich hinträumt?

(Dr.-Ing. Kansy [CDU/CSU]: Küssen!)

Wir müssen endlich die Verantwortlichen mahnen, sie wachrütteln und die wichtigsten Aufgaben entschlossen anpacken.
Erstens. Der Fremdenverkehr muß den politischen Stellenwert erhalten, der einem Wirtschaftszweig mit 1,5 Millionen Beschäftigten zukommt. Der Fremdenverkehr ist für die strukturschwachen Räume von lebenswichtiger Bedeutung. In der Agrarwirtschaft sind nur 1,3 Millionen, in der Stahlindustrie nur 600 000 Menschen tätig. Aber während wir darüber im Parlament Jahr für Jahr dutzende Male debattieren, können wir Fremdenverkehrspolitiker froh sein, wenn wir am Schluß der Legislaturperiode überhaupt einmal kurz zu Wort kommen.

(Müntefering [SPD]: Wo ist der Raumordnungsminister?)

Zweitens. Wir appellieren an den Wirtschaftsminister, den Fremdenverkehr nicht nur gut zu verwalten, sondern selber Analysen anzustellen, Ziele zu nennen und Impulse zu geben. Natürlich hat der Bund eine große Verantwortung für das Schicksal der strukturschwachen Räume.
Drittens. Geradezu vorsintflutlich ist das Marketing für die kleinen und mittelständischen Betriebe. Die politische Führung muß Impulse geben, damit das Angebot zeitgemäß aufbereitet, EDV-gerecht klassifiziert und ein Sofortbuchungssystem für Deutschland möglich wird.



Dr. Olderog
Viertens. Wir müssen unsere kleinen privaten Vermieter stärker fördern. Schluß mit der Gemeinschaftstoilette auf dem Flur, statt dessen Zimmer mit modernen Toiletten und Naßzellen!
Fünftens. Warum gibt es keine zentrale Werbung für Urlaub in Deutschland? Die regionalen Verbände müssen endlich mehr Geld für gemeinsame Werbung ausgeben. Es sollen ja sogar öffentliche Mittel von der Fremdenverkehrswirtschaft nicht in Anspruch genommen worden sein, weil sie den eigenen Beitrag nicht leisten wollten. Ein jammervolles Beispiel kurzsichtiger Kirchturmpolitik!
Sechstens. Ein Kompliment für die DZT! In die Auslandswerbung gesteckte Gelder führen zu großen Werbeerfolgen. Immer mehr Ausländer kommen zu uns.

(Mann [GRÜNE]: Das wollen Sie doch gar nicht!)

Warum begreifen nur so wenige, daß das Geld für die DZT eine optimale Investition ist?
Siebtens. Zu unseren Fremdenverkehrsorten: Was wir in den sechziger Jahren an Spiel-, Sport-und sonstigen Gemeinschaftseinrichtungen geschaffen haben, ist heute nicht nur reparaturanfällig, sondern vielfach nicht mehr zeitgemäß. Wir brauchen dringend eine zweite Investitionsphase. Unser Angebot in den Ferienorten muß zumindest genauso attraktiv sein wie in den Vergnügungszentren des Ruhrgebiets oder der holländischen Ferienorte.
Meine Damen und Herren, warum hat der Fremdenverkehr keinen politischen Stellenwert?
Erstens. Die Lobby des deutschen Fremdenverkehrs ist schwach. Die Kurfürsten in den Landesverbänden halten die DFV-Zentrale klein. Die Bereitschaft, sich auch finanziell auf gemeinsame Aktionen, z. B. eine massive Werbung für Urlaub in Deutschland, zu verständigen, ist beklagenswert schwach.
Zweitens. Die Fähigkeit der deutschen Fremdenverkehrswirtschaft zur Selbstorganisation und zum Aufbau eines gemeinsamen Marketings ist unterentwickelt. Stichwort: fehlendes Sofortbuchungssystem.
Drittens. Die Bundesregierung richtet ihren Blick vorwiegend auf die Förderung des Exports von Industrieprodukten. Wird vielleicht deshalb der Fremdenverkehr in Deutschland ein wenig gleichgültig behandelt? Es fehlen jedenfalls Zielvorstellungen. Wirklichen Biß hat die deutsche Fremdenverkehrspolitik nie gehabt.
Viertens. Wir Fremdenverkehrspolitiker hier im Deutschem Bundestag haben es bisher nicht geschafft, einen offiziellen Ansprechpartner für den Fremdenverkehr im organisierten Betrieb von Parlament und Regierung zu schaffen. Unsere Hauptaufgaben haben wir alle in den Ausschüssen auf anderen Feldern. Um den Fremdenverkehr können wir uns nur nebenbei kümmern. Andere Länder haben einen Fremdenverkehrsminister. Wir brauchen zumindest dringend einen Unterausschuß für Fremdenverkehr und im Bereich der Bundesregierung einen Koordinator für Fremdenverkehrsfragen.
Fünftens. Wir müssen ernst machen mit unserer Initiative, die Schwarzgastronomie zurückzudrängen, § 12 Gaststättengesetz zu novellieren.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Meine Damen und Herren, in der deutschen Fremdenverkehrswirtschaft sind Unruhe und Ungeduld ausgebrochen, jeder erfährt das, der draußen einmal mit den Verantwortlichen spricht. Machen wir mobil für den Fremdenverkehr! Tun wir etwas, bevor Dornröschen die Augen wieder ganz schließt und weiter träumt.
Schönen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und bei Abgeordneten der SPD)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1023825300
Nun hat der Abgeordnete Wolfgramm das Wort.

Torsten Wolfgramm (FDP):
Rede ID: ID1023825400
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Ich habe doch den Eindruck, daß die Fremdenverkehrswirtschaft sehr wach ist. Sie ist schon lange wachgeküßt; denn Dornröschen ist ja nicht wachgerüttelt, sondern wachgeküßt worden. Es ist übrigens sehr viel angenehmer, wenn man so aufgeweckt wird. Sie hat es nach dem Aufwachen, durch eigene Leistung und durch Mut bewirkt, und wir haben die Rahmenbedingungen gesetzt und — wir sind ja nicht ganz unbeteiligt an diesen Rahmenbedingungen, da die FDP im Bundeswirtschaftsministerium mit Lambsdorff und Bangemann seit eh und je erfolgreiche Verantwortung trägt — weiterentwikkelt.

(Müntefering [SPD]: Das ist ja das Problem!)

Herr Kollege Mann, sonst würden Sie hier in der Bundesrepublik nicht auf ein so vielfältiges Angebot treffen können, falls Sie einmal in der Bundesrepublik verreisen; das sollten Sie tun. Es gibt nämlich sehr erfreuliche Veränderungen gegenüber den letzten 20 Jahren.
Übrigens, Herr Müntefering, Sie haben verdrängt, daß das erste Fremdenverkehrsprogramm, das wichtigste, 1975 gemeinsam beschlossen wurde. Es ist hier immer weiter aufwärtsgegangen, gerade in den letzten Jahren, weil die Rahmenbedingungen so günstig waren. Sie sollten das anerkennen können.
Ich meine, daß die Debatte überhaupt zeigt, daß wir uns hier eigentlich doch, ein paar mühevolle kritische Anmerkungen der Opposition abgerechnet, gemeinsam in einer positiven Entwicklung befinden. Die GRÜNEN haben gemeint, daß man der Sache mit der Umweltproblematik noch einen finsteren Anstrich geben muß.

(Tatge [GRÜNE]: Die existiert für Sie nicht!)

Heute scheint keine Sonne, Sie sollten sie im Herzen tragen. Trotzdem meine ich, daß die Umweltproblematik erkannt worden ist. Es gibt eine Menge



Wolfgramm (Göttingen)

von Gutachten — von den Alpen bis zu den Nordseeinseln —, die das sehr sorgfältig erforschen, und die eine Fülle von Ratschlägen und Vorschlägen vorlegen, die umgesetzt werden. Das kann natürlich nicht von heute auf morgen geschehen.

(Tatge [GRÜNE]: Kohl und Strauß machen ihre alte Politik weiter!)

Sie möchten das am liebsten gestern haben, damit Sie alles andere zerstören, was den Umweltschutz überhaupt ermöglicht, nämlich die wirtschaftlichen Bedingungen, die die Kraft geben, die Umweltauflagen vorzunehmen.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1023825500
Herr Abgeordneter Wolfgramm, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Norbert Mann (GRÜNE):
Rede ID: ID1023825600
Herr Kollege Wolfgramm, meinen Sie nicht, daß es wirklich notwendig ist, jetzt die politischen Folgerungen aus diesen Gutachten zu ziehen? Ich bin am letzten Wochenende in Bayern gewandert und habe festgestellt, daß ich kaum eine gesunde Fichte in der Hochalpenregion gesehen habe.

(Widerspruch bei der CDU/CSU — Hinsken [CDU/CSU]: Wo sind Sie denn gewandert?)


Torsten Wolfgramm (FDP):
Rede ID: ID1023825700
Das ist eine Frage, die ich Ihnen sehr gerne beantworte, Herr Kollege Mann. Sie müssen nämlich Ihre energiepolitischen Vorstellungen umstellen. Sie müssen nämlich nicht darauf setzen, daß wir weiter in verstärktem Maße, wie Sie das ja propagieren, Kohle und Erdöl verbrennen, weil das besondere Schadfaktoren für die Wälder sind,

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

sondern dann müssen Sie darauf setzen, daß wir auch sichere Kernenergie nutzen können. Damit hätten Sie schon einen wertvollen Beitrag geleistet. Wenn Sie zusätzlich Ihre Autos noch umrüsten, auch ältere Autos, und zusätzlich das eine oder andere in Ihrem Bereich tun,

(Senfft [GRÜNE]: Ich habe kein Auto!)

dann ist schon eine Menge getan. Aber gerade Ihre Energiepolitik sollte Sie bei diesem Waldspaziergang nachdenklich gestimmt haben.
Ich meine, diese vorliegenden Gutachten zeigen das auf, und wir sollten das positiv begleiten. Wir sollten es positiv begleiten, weil es nicht sinnvoll ist, Fehler, die gemacht worden sind, in der Strukturansiedlung mehrfach zu begehen. Wir sollten auch unsere Hilfe und unsere Kenntnisse dabei den Drittländern nicht versagen. Ich habe den Eindruck, daß dort noch eine Menge von Fehlern bevorstehen könnte und daß wir einiges tun können, um dort das eine oder andere auszuräumen. Das gilt für europäische Reiseländer wie natürlich auch für Drittländer in den Bereichen Afrika und Südamerika.
Ich möchte noch ein Wort zur Deutschen Zentrale für Tourismus sagen. Sie hat großes Ansehen im In- und Ausland, und ich begrüße es, daß die Bundesregierung in ihrer Antwort auf die Anfrage den Ausbau der Zentrale für Tourismus als sinnvoll und als notwendig ansieht. Wir haben zur Zeit mehr oder weniger 13 Millionen ausländische Touristen in Deutschland. Die Marktforschung der Zentrale zeigt, daß bis 35 Millionen Ausländer aus den genannten Ländern, die besonders stark hier bei uns vertreten sind, willens und in der Lage sind, Deutschland zu besuchen. 35 Millionen gegenüber 13 Millionen! Das heißt, wir müssen die Zentrale in die Lage versetzen, das Nötige zu tun. Sie muß natürlich werben können. Sie muß Anzeigen aufgeben können, sie muß sich auch mit den mächtigen und großen Möglichkeiten der USA und anderer Länder, die in der Werbung wirklich einiges auf die Beine stellen, auseinandersetzen können. Sie muß das tun können, was notwendig ist. Es darf natürlich nicht so sein, daß die Kollegin Martiny im Wirtschaftsausschuß fordert, daß Zuschüsse des Bundes nur dann angehoben werden können, wenn die Anteile der Fremdenverkehrswirtschaft sich entsprechend erhöhen. Wir möchten, daß sie sich erhöhen. Aber wir wissen ja, daß die Bundesländer den Verbänden einen wichtigen Anteil an Zuschüssen geben. Da stellen wir fest, daß die sozialdemokratischen Länder den Anteil kontinuierlich nach unten fahren. Gehen Sie mal zu Ihren Kollegen in den Ländern Nordrhein-Westfalen, Hessen, Hamburg und Bremen und versuchen Sie, da Nützliches zu bewirken.
Wir sind für den Unterausschuß, damit die politische Bedeutung des Fremdenverkehrs auch hier im Hause deutlicher wird und damit wir auch da Schwierigkeiten politisch besser beseitigen können.
Zum Schluß möchte ich Ihnen für den Fall, daß unsere Anregungen auf Unverständnis stoßen sollten, als böhmisches Dorf verstanden werden sollten, Morgenstern zitieren:
Das Böhmische Dorf
Palmström reist mit einem Herrn von Korf in ein sogenanntes böhmisches Dorf. Unverständlich bleibt ihm alles dort
von dem ersten bis zum letzten Wort. Von Korf, der nur des Reimes wegen ihn begleitet, ist um Rat verlegen.
Doch just dieses macht ihn blaß vor Glück. Tief entzückt kehrt unser Freund zurück. Und er schreibt in seine Wochenchronik: Wieder ein Erlebnis, voll von Honig.

(Beifall bei der FDP, der CDU/CSU und der SPD — Tatge [GRÜNE]: Das Beste an Ihrer Rede!)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1023825800
Das Wort hat der Abgeordnete Tietjen.

Günther Tietjen (SPD):
Rede ID: ID1023825900
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich kann nicht mit einem Gedicht aufwarten, Herr Kollege Wolfgramm. Aber ich finde es immer entzückend, wenn Sie hier vortragen.
Lassen Sie mich zwei Vorbemerkungen machen. Es ist mehrfach von der fehlenden Sonne die Rede gewesen, und in Bonn ist es heute tatsächlich trübe. Ich darf Ihnen sagen, in meiner Heimat Ostfries-



Tietjen
land hat den ganzen Tag die Sonne geschienen. Daß es in Bonn so trübe ist, mag auch damit zusammenhängen, daß die Bundesregierung hier so schwach vertreten ist bei einer Debatte, die nicht nur die im Parlament vertretenen Parteien, sondern die auch die Verantwortlichen der Fremdenverkehrs- und Reisegesellschaften interessiert.

(Dr.-Ing. Kansy [CDU/CSU]: Zählen Sie doch einmal die Mitglieder Ihrer Fraktion!)

— Ich rede doch, Herr Kollege, von der Bundesregierung. Das ist die Schwäche dabei.
Meine Damen und Herren, ich will den Versuch machen, hier im Gegensatz zu meinen Vorrednern einmal aufzuzeigen, in welcher Weise strukturschwachen Regionen, die landschaftlich sehr viel bieten, geholfen werden kann. Ich bin der Auffassung, daß die Bundesregierung und auch die Landesregierungen in diesen schönen Regionen zu wenig tun. Wenn ich dabei meinen heimatlichen Bereich als Beispiel nehme, bitte ich um Verständnis.

(Zuruf von der CDU/CSU: Wo ist das?)

Ich hatte es eben schon gesagt, Herr Kollege, das war heute das Sonnenland. Ich will den Bereich Ostfriesland-Emsland nehmen und an diesem Beispiel aufzeigen, Herr Kollege Seiters, daß hier in einem Gebiet mit einer Arbeitslosigkeit im jährlichen Schnitt von 24 % nicht nur ich, sondern die Politiker und viele andere eine Chance sehen, die Arbeitsmarktsituation durch die Verbesserung des Fremdenverkehrs besser zu gestalten. Das ist eine große Chance für diese Regionen. Das ist nicht nur meine Region, zu der übrigens auch die schöne Nordseeinsel Borkum gehört. So gibt es viele Regionen in der Bundesrepublik.

(Beckmann [FDP]: Aber Borkum besonders!)

Das sollte man machen.
Ich bin also der Auffassung, meine Damen und Herren, daß der Bund und in diesem Falle das Land Niedersachsen, die Kommunen, die finanziell dazu nicht mehr fähig sind, in die Lage versetzen müssen, die Infrastruktur in diesen Fremdenverkehrsgemeinden zu verbessern. Die Landschaft bietet sich dafür an. Und wenn ich bei Niedersachsen bleibe, darf ich sagen, daß sich der Landesfremdenverkehrsverband Niedersachsen zusammen mit den Kommunen und den Fremdenverkehrsämtern sehr große Mühe gibt, dieser Region etwas zu geben und damit auch die Arbeitsmarktsituation zu verbessern. Auch der DEHOGA ist dazu bereit und hat in der Vergangenheit gute Beispiele gegeben. Meine Damen und Herren, ich sage also: Bund und Land sind gefordert, mehr für diese Regionen zu tun, als es bislang der Fall ist.

(Seiters [CDU/CSU]: Aber doch nicht in Borkum!)

— Ich spreche von der Region, Herr Kollege Seiters.

(Seiters [CDU/CSU]: Aber ich von Borkum!)

Ich glaube, daß hier Art. 91 a des Grundgesetzes, der davon spricht, daß Bund und Land gemeinsam dort, wo es notwendig ist, für die Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur zu sorgen haben, stärker Beachtung finden sollte. Das gilt auch für den Teil des Art. 91a des Grundgesetzes, wo es darum geht, aus Mitteln der Gemeinschaftsaufgabe zur Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes etwas zu tun. Auf diese Weise wäre es möglich, den Bereichen zu helfen. Ich meine jetzt nicht einmal Borkum, ich meine andere Fremdenverkehrsgebiete. Wir haben im Landkreis Leer, Herr Kollege Seiters, wie Sie wissen, neben Borkum nur eine Gemeinde in der Fremdenverkehrsförderung des Landes Niedersachsen.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1023826000
Herr Abgeordneter Tietjen, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Mann?

Günther Tietjen (SPD):
Rede ID: ID1023826100
Wenn mir die Zeit nicht angerechnet wird, bei Herrn Mann immer gerne.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1023826200
Bitte sehr.

Norbert Mann (GRÜNE):
Rede ID: ID1023826300
Herr Kollege Tietjen, im Lichte Ihrer vorherigen Ausführungen: Wie stehen Sie denn zu dem Ems-Dollart-Projekt? Das hat doch auch Auswirkungen auf die Fremdenverkehrslandschaft an der Küste.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1023826400
Das Projekt hat mit Sicherheit entscheidende Auswirkungen für Ostfriesland und das Land Niedersachsen, was die Arbeitsmarktstruktur anlangt. Das kann ich Ihnen zusichern. Das ist richtig. Wenn wir da einer Auffassung sind, bin ich voll mit Ihrer Fragestellung einverstanden.

(Seiters [CDU/CSU]: Das war aber nicht gemeint!)

Meine Damen und Herren, ich will weiter ausführen, daß es neben der Ausschöpfung dieser Möglichkeit nach Art. 91 a des Grundgesetzes, die ich aufgezeigt habe, von der Bundesregierung her einfach mehr Bewegung geben muß. Zum Beispiel sollten Sonderprogramme für Touristik aufgelegt werden.

(Dr.-Ing. Kansy [CDU/CSU]: Oh!)

— Nun machen Sie doch nicht in Panik, wenn man von Programmen der Bundesregierung spricht.

(Dr.-Ing. Kansy [CDU/CSU]: Wenn ich „Oh" sage, ist das doch noch keine Panik!)

Diese Bundesregierung hat z. B. für meine heimatliche Region, für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die schuldlos arbeitslos geworden sind, zu sorgen, Herr Kollege, hat viel dafür zu tun.

(Dr.-Ing. Kansy [CDU/CSU]: Machen wir auch!)

Und es ist ein Punkt, daß man mit einem Sonderprogramm in diesem Bereich sehr viel machen könnte.



Tietjen
Ich bin der Auffassung, daß die Förderung des öffentlichen Personennah- und -fernverkehrs durchaus

(Abg. Seiters [CDU/CSU] meldet sich zu einer Zwischenfrage)

— nein, es ist Schluß, Herr Kollege Seiters, mache ich nicht mehr —

(Lachen bei der CDU/CSU)

dazu beitragen kann, die Struktur des Raumes zu verbessern. Ich bin weiter der Auffassung, daß es die Bundesregierung nicht zulassen kann, in solchen Regionen, wie ich sie genannt habe, weiter Streckenstillegungen bei der Deutschen Bundesbahn zuzulassen. Ich bin der Ansicht, daß die Bundesregierung verpflichtet ist, die Maßnahmen für den Fremdenverkehr, die die Gemeinden, wie ich das vorhin sagte, allein nicht finanzieren können, durch Sonderprogramme mitzufinanzieren, z. B. das Anlegen von Fahrradwegen und Fußwegen.

(Dr.-Ing. Kansy [CDU/CSU]: Und wo hören wir auf? — Mann [GRÜNE]: Haben Sie nicht auch schon für Streckenstillegungen gestimmt?)

Ich bin im übrigen der Meinung, daß, wie einige Redner, vor allen Dingen mein Kollege Franz Müntefering, das schon gesagt haben, parallel zu Maßnahmen für den Fremdenverkehr der verbesserte Schutz unserer Umwelt laufen muß. Ich habe eben von der Nordsee, von der Küste gesprochen. Da wundert es mich, wenn zwar dem Bundesinnenminister im Innenausschuß einmütig ermöglicht wird, zum Schutz der Nordsee und damit zur Verbesserung der Situation der Besucher dort, der Fremdenverkehrsgäste, zwei BGS-Boote in Auftrag zu geben, wir aber gestern bei der Haushaltsplanberatung feststellen mußten, daß der Bundesfinanzminister hier obsiegt hat und keine müde Mark für die Anschaffung dieser Boote im Haushalt 1987 enthalten ist,

(Mann [GRÜNE]: Wozu brauchen Sie da BGS-Boote?)

die wirklich ein Stück Umweltschutz für die Nordsee bedeuteten.
Meine Damen und Herren, ich bitte Sie, den Antrag der SPD-Fraktion anzunehmen.

(Seiters [CDU/CSU]: Was hat das mit dem Fremdenverkehr zu tun, Herr Kollege?)

Und lassen Sie mich dem Kollegen Feldmann, den ich im Augenblick hier nicht mehr sehe — das wird sicher gewichtige Gründe haben —, noch zwei Sätze zur sogenannten Schwarzgastronomie sagen. Das ist ein schweres Kapitel, auch für Sie, Frau Kollegin. Ich weiß das wohl. Dennoch können Sie bei all denjenigen, die in Sportvereinen und anderen Einrichtungen ehrenamtlich tätig sind, sich jeden Tag viel Mühe geben, nicht einfach mit einem Federstrich so tun, als wären das Einrichtungen, die gegen die Interessen des Staates laufen.

(Beifall bei den GRÜNEN) Das kann man nicht machen.

Ich werde das, was der Kollege Feldmann zu diesem Komplex gesagt hat, in den Sportvereinen, denen ich angehöre, die auch für den Fremdenverkehr sehr viel tun — ich denke z. B. an meinen Wassersportverein —, eröffnen. Ich werde ihnen sagen, welches Verhalten zu dieser Frage von den Regierungsparteien hier festzustellen gewesen ist.

(Schreiner [SPD]: Beschämend!)

Ein Abbau dieses Stücks Infrastruktur auf dem Vereinsgelände heißt Abbau einer Struktur, die in weiten Teilen für die Besucher in den Vereinsanlagen gedacht ist. Meine Damen und Herren, das werden wir sehr sorgfältig aus Ihren Beiträgen heraussuchen. Ich glaube, daß Sie mit Ihren Konzepten so nicht weiterkommen und nicht klarkommen.
Ich sage noch einmal zum Abschluß: Schließen Sie sich unserem Antrag an! Machen Sie manche Dinge in Ihren Konzepten mit Abstrichen! Sie kommen dann vielleicht in fünf Jahren bei der Kommunalwahl in Niedersachsen besser an als am 5. Oktober.

(Beifall bei der SPD — Zuruf von der CDU/ CSU: Reden Sie einmal von Bayern!)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1023826500
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Hoffmann.

Ingeborg Hoffmann (CDU):
Rede ID: ID1023826600
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Antworten der Bundesregierung auf die Große Anfrage zur Lage im deutschen Fremdenverkehr haben die Bedeutung der mittelständischen Familienbetriebe in der Gastronomie für den deutschen Fremdenverkehr deutlich gemacht. Ich befasse mich heute mit den Leistungen und Problemen dieses Berufsstandes.
Der größte Teil dieser gastronomischen Betriebe befindet sich im Familienbesitz. Mann und Frau, oft zwei Generationen arbeiten zusammen und bemühen sich um Gastlichkeit, fachliche Leistung und Atmosphäre.
Über 840 000 Arbeitsplätze werden von den deutschen Gastronomen angeboten. Das ist mehr als die Hälfte der 1,5 Millionen Arbeitsplätze, die in der Bundesrepublik direkt oder indirekt vom Fremdenverkehr abhängig sind. 1985 konnte das Gastgewerbe fast 60 000 Ausbildungsplätze aufweisen mit einer der höchsten Steigerungsraten aller Branchen in der Bundesrepublik.
Nachfragegerecht paßt sich das Angebot der deutschen Gastronomie den Wünschen der Touristen an: Urlaub von den Alpen bis zur Nord- und Ostseeküste, Urlaub bei uns in der schönen Lüneburger Heide, Bildungsurlaube vielfältigster Art, Erholung, Sportangebot, kurz: Möglichkeiten zum aktiven Urlaub. Ohne eine vielseitige Gastronomie könnte Deutschland als Urlaubsland nicht existieren und konkurrieren.

(Beifall des Abg. Müntefering [SPD])

Ein Problem der Gastronomie liegt in der Prognose, daß die Fast-food- und Systemgastronomie künftig dominieren werde und dies zu Lasten der traditionellen Betriebe gehe. Wird dieser Teil der Gastronomie marktbeherrschend? Stehen die



Frau Hoffmann (Soltau)

Chancen für den gastronomischen Einzelunternehmer, der keiner Kette, keinem System zugehört, wirklich so schlecht? Hier ist der einzelne Gastronom selbst gefordert. Es bedarf immer mehr einer Kooperation — Kooperation in der Marktforschung, Kooperation in der Werbung, Kooperation in der Fortbildung der Unternehmer und der Mitarbeiter, Kooperation auch bei der Erschließung von Möglichkeiten, die die neuen Technologien bieten.
Neben diesen Eigenleistungen gibt es aber noch berechtigte Wünsche und Forderungen der deutschen Gastronomie an die Bundesregierung. Ich möchte drei davon im nachfolgenden hervorheben.
Erstens. Die unterschiedliche Besteuerung der Gastronomieumsätze innerhalb der EG führt zu starken Wettbewerbsverzerrungen und zu Nachteilen für die deutsche Gastronomie. Deshalb kommt den Harmonisierungsmaßnahmen im Rahmen eines einheitlichen EG-Binnenmarktes große Bedeutung zu.
Zweitens. Kein Thema hat die deutsche Gastronomie in letzter Zeit so beschäftigt wie das der Schwarzgastronomie. Die Enttäuschung ist groß, daß in dieser Legislaturperiode keine Novellierung des § 12 des Gaststättengesetzes mehr erfolgt. Seit Jahren liegt der Wunsch des DEHOGA zur Novellierung des § 12 des Gaststättengesetzes in Bonn auf dem Tisch. Es ist daher dringend erforderlich, daß die gemeinsam erarbeitete Minilösung, die Novellierung des § 12 des Gaststättengesetzes, gleich zu Anfang der nächsten Legislaturperiode verabschiedet wird.

(Beifall des Abg. Beckmann [FDP])

Zusätzlich zu der dringend notwendigen Novellierung des § 12 des Gaststättengesetzes ist auch eine klare Regelung des Gemeinnützigkeitsrechts erforderlich. Die Wirkungen des Gemeinnützigkeitsrechts müssen unverzüglich auf ihre Wettbewerbsfolgen im Gaststättengewerbe hin untersucht werden mit dem Ziel, wettbewerbsverfälschende Einflüsse des Gemeinnützigkeitsrechts zu beseitigen.
Drittens. Bundesunternehmen — Herr Feldmann hat auch von dieser Problematik gesprochen — sind leider vielfältig in der Fremdenverkehrswirtschaft unternehmerisch tätig. Vor allem die Deutsche Lufthansa und die Deutsche Bundesbahn dringen immer weiter in die vorwiegend mittelständisch orientierten Bereiche der Reisebüros und des Gastgewerbes ein, die Deutsche Bundesbahn z. B. mit ihrem Intercity-Hotelkonzept. Dies ist gesamtwirtschaftlich und wettbewerbspolitisch nicht zu verantworten.
Lassen Sie mich mit einem Dank schließen. Das klare Votum der Bundesregierung zu den Autobahnraststätten ist erfreulich. Es läßt die Autobahnraststättenpächter die künftige Entwicklung mit Zuversicht beurteilen. Denn eines ihrer Hauptprobleme war in der Vergangenheit, daß die Mittel der Gesellschaft für Nebenbetriebe der Bundesautobahnen so knapp bemessen waren, daß sich die Modernisierungsmaßnahmen nur teilweise und nur sehr zögerlich durchführen ließen. Dies führte zu einer veralteten Bausubstanz.
Die Bundesregierung teilt in ihrer Antwort mit, daß die GfN mit Unterstützung des Bundes erhebliche Mittel zur Erhöhung der Attraktivität der Autobahnraststätten einsetzen wird. Dies ist zu begrüßen. Es muß aber auch sichergestellt werden, daß in den nächsten Jahren dies kontinuierlich fortgesetzt wird, denn es besteht ein hoher Nachholbedarf.
Ich habe in meinem Beitrag auf die Leistungen, die Probleme und die Zukunftschancen der deutschen Gastronomie als eines wichtigen Trägers des Fremdenverkehrs hingewiesen. Am besten aber ist der deutschen Gastronomie wie dem gesamten Mittelstand gedient, wenn der Staat bei den künftigen Steuerreformen die Progressionszone später einsetzen läßt und so abflacht, daß der Unternehmer mehr Eigenmittel zur Verfügung hat und selbst entscheiden kann, wie er die Mittel am besten verwendet.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1023826700
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Kübler.

Dr. Klaus Kübler (SPD):
Rede ID: ID1023826800
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich mit einem Dank beginnen. Ich möchte namens der sozialdemokratischen Fraktion den Organisationen des Fremdenverkehrs herzlichen Dank sagen für ihr Engagement und auch für die Stellungnahmen. Ich möchte — nicht negativ kritisch, sondern konstruktiv kritisch — hinzufügen, daß sie in Zukunft etwas mutiger sein können und vielleicht weniger Rücksicht nehmen müssen. Ich möchte auch der DZT danken. Wir möchten den zuständigen Beamten in den entsprechenden Ministerien danken.
Es fällt schwer — das ist auch nicht unsere Aufgabe —, der politischen Spitze des Ministeriums zu danken. Aber ich möchte doch in allem Ernst sagen, daß wir bei dieser Debatte eigentlich den Minister hier erwartet hätten — das hat mit Ihrer Person, Herr Sprung, überhaupt nichts zu tun —, insbesondere auch deshalb, weil die FDP — auch gar nicht immer falsch — sich sehr stark dieses Bereichs annimmt. Insofern hätten wir den zuständigen Bundesminister, der der FDP angehört, hier erwartet.
Herrn Feldmann und auch unseren Fremdenverkehrsorganisationen möchte ich deutlich sagen, daß Fremdenverkehrspolitik nicht nur Mittelstandspolitik ist, sondern natürlich auch — das wissen wir alle — Verbraucherpolitik und natürlich auch Sozialpolitik. Vielleicht wäre eine solche Diskussion viel härter, konkreter und deutlicher, wenn diesen anderen Bereichen entsprechende Aufmerksamkeit zugebilligt würde.
Ich gestehe ganz offen — nicht nur als Oppositionsvertreter —, daß mich trotz aller Freundlichkeiten, die hier vorn ausgetauscht worden sind — das ist auch gut so —, die Debatte insgesamt überhaupt nicht befriedigt. Die Dinge wurden hier von dem Vertreter des Wirtschaftsministers, vom Parlamentarischen Staatssekretär, wirklich — ich bitte um Nachsicht, Herr Sprung — sehr indifferent dargestellt. So indifferent kann eine Bundesregierung Fremdenverkehrspolitik in der Tat nicht sehen. Das



Dr. Kübler
hat gar nichts damit zu tun, daß man nicht alles verplanen sollte. Das ist eine ganz andere Frage. Gleichwohl muß seitens des Ministeriums ein politisches Konzept, nicht aber eine Verplanung vorgelegt werden.
Herr Wolfgramm, lassen Sie mich nur kurz auf den sicherlich wichtigen Aspekt eingehen, was die Länder tun, obwohl wir hier nicht darüber zu diskutieren haben, was die Länder hier tun; wir haben hier vielmehr darüber zu reden, was die Bundesregierung, was der Bundestag zu tun hat. Sie wissen ganz genau, daß in Hessen — ich sage dies noch einmal ganz ausdrücklich — auch dank der Wirtschaftsminister, die j a bis vor einiger Zeit von Ihrer Fraktion gestellt wurden, außerordentlich viel für die Fremdenverkehrspolitik geleistet worden ist.
Hier ist von verschiedenen Seiten die Schwarzgastronomie angesprochen worden.

(Dr. Feldmann [FDP]: Das ist doch ein großes Problem!)

— Herr Feldmann, das sage ich jetzt nicht in Ihre Richtung, sondern das sage ich an Sie alle gewandt: Man sollte dem nicht nur die Vereinsgastronomie gegenüberstellen. Aber man kann auch nicht sagen
— Sie selbst kennen ja die Schwierigkeiten —, dieses Problem sei einfach zu lösen. Kollege Tietjen hat zu Recht gefragt: Was machten unsere Vogelparks, unsere Reitervereine, unsere Wassersportvereine, Tennisvereine, Golfvereine und andere Sportvereine, wenn sie nicht Geld über ihre Vereinsfeste hereinbekämen?

(Dr. Feldmann [FDP]: Beiträge erhöhen!)

Denn sonst benötigten sie Steuergelder. Ich glaube, daß wir bei der Behandlung dieses Themas, das wir sehr, sehr differenziert mit den Verbänden diskutiert haben, zweifellos ein Stück weitergehen müssen. Aber wir müssen — dies sage ich hier sehr, sehr deutlich — diese Art von Vereinsgastronomie, die ich gerade angesprochen habe, in der Tat erhalten, was nicht ausschließt, daß im übrigen vieles leider schwarz läuft.

(Dr. Olderog [CDU/CSU]: Sind Sie für eine Änderung des § 12 Gaststättengesetz?)

— Wir sind für eine intensive Diskussion dieser Frage.

(Lachen bei der CDU/CSU — Dr.-Ing. Kansy [CDU/CSU]: Ein kräftiges SowohlAls-auch! — Weitere Zurufe von der CDU/ CSU)

— Ich sage Ihnen ganz offen, Herr Kansy: Diese Frage ist in der Tat nicht mit Schwarz oder Weiß zu beantworten, sondern da muß man einen vernünftigen Weg finden. Das ist doch ganz unbestreitbar.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1023826900
Herr Abgeordneter Dr. Kübler, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Olderog?

Dr. Klaus Kübler (SPD):
Rede ID: ID1023827000
Gern.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1023827100
Bitte schön.

Dr. Rolf Olderog (CDU):
Rede ID: ID1023827200
Herr Kollege, ich darf Sie fragen, ob Sie sich mit dem Entwurf der CDU/CSU- Fraktion und der FDP-Fraktion einmal befaßt haben, und ist zutreffend, was mir in Schleswig-Holstein berichtet worden ist, daß die Bundestagsfraktion der SPD das unterstützen würde?

Dr. Klaus Kübler (SPD):
Rede ID: ID1023827300
Ich weiß leider nicht, was Ihnen in Schleswig-Holstein berichtet worden ist. Ich kann Ihnen nur sagen, daß ich mich sehr intensiv damit beschäftigt habe.

(Dr. Olderog [CDU/CSU]: Von der fremdenverkehrspolitischen Sprecherin der dortigen SPD-Landtagsfraktion!)

— Ich kann das nicht sagen. Ich kann nur das sagen, was ich weiß. Ich kann dies leider nicht sagen, Herr Olderog.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1023827400
Gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Abgeordneten Müntefering?
— Bitte schön, Herr Abgeordneter.

Franz Müntefering (SPD):
Rede ID: ID1023827500
Herr Kollege Kübler, kennen Sie die Passage in dem Entschließungsantrag der CDU/CSU/FDP, wo man zu diesem Thema wieder hinlänglich allgemein bleibt und nach vier Jahren Debatte feststellt, daß eine Straffung der Regelung erstrebenswert sei, daß man aber wieder nicht sagt, wann man hier denn wohl zu Ergebnissen kommen möchte?

Dr. Klaus Kübler (SPD):
Rede ID: ID1023827600
Ich bin sehr dankbar für den Hinweis, und ich darf nur erwidern, daß vorhin gesagt wurde: Wir wollen es vielleicht in der nächsten Periode machen, wenn Sie dann noch in der Regierung wären.

(Zurufe von der CDU/CSU)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1023827700
Herr Abgeordneter, die Bewertung war richtig: Es war mehr ein Hinweis denn eine Frage. — Fahren Sie bitte fort.

Dr. Klaus Kübler (SPD):
Rede ID: ID1023827800
Lassen Sie mich etwas zu dem Thema Tourismus und Umwelt sagen. Ich will, auch im Hinblick auf die Kürze der mir zur Verfügung stehenden Zeit, nur einen allgemeinen Satz sagen: Sicherlich sind alle umweltpolitischen Defizite auch Hypotheken für unseren Fremdenverkehr in der Zukunft. Ich glaube, wir alle — das gilt vielleicht für die jetzige Regierung noch mehr — haben eine unheimlich große Zahl von Defiziten. Deshalb verstehe ich überhaupt nicht, warum die Regierung und die Mehrheitsfraktionen hier so tun, als hätten wir im Zusammenhang mit dem Tourismus keine Umweltschutzprobleme. Das ist schlicht und einfach falsch. Natürlich haben wir sie.
Lassen Sie mich noch ein oder zwei Stichworte herausgreifen. Ich hätte gern einmal konkret gehört, wie Sie zum Verzicht auf touristische Großprojekte stehen. Wir wollen doch nicht die Großsilos unserer Städte auch in Urlaubsorten haben. Wir sind doch wohl sehr konkret für eine Ausweitung der Flächen für Natur- und Landschaftsschutzgebiete.
Wenn man dann vom sanften Tourismus spricht, wird dieses Wort immer gleich so ein bißchen ver-



Dr. Kübler
pönt. Aber das soll einmal nachdenklich machen: Was kann man eigentlich im Tourismus auf diesem Sektor machen? Ich glaube, daß in der Tat eine ganz maßgebliche Aufgabe der Bundesregierung in der Tourismuspolitik darin besteht, darüber nachzudenken, auf welchen Sektoren — auf dem Bausektor, auf dem Verkehrssektor, auf dem Sektor der Landschaftsausweisung bis hin zur Technologiefolgenabschätzung; der Forschungsminister ist sicherlich wegen eines anderen Punktes hier — Konsequenzen in bezug auf den Fremdenverkehr zu ziehen sind oder wo umgekehrt davor zu warnen ist; denn wir verstehen Fremdenverkehr ja nicht als Selbstzweck, sondern als ein konstruktives Wechselspiel zwischen Arbeit, Freizeit und Erholung.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1023827900
Gestatten Sie nun eine Zwischenfrage des Abgeordneten Wolfgramm?

Dr. Klaus Kübler (SPD):
Rede ID: ID1023828000
Von Herrn Wolfgramm immer, aber auch von anderen.

Torsten Wolfgramm (FDP):
Rede ID: ID1023828100
Lieber Herr Kollege, würden Sie freundlicherweise zur Kenntnis nehmen, daß sich Punkt 7 der Antwort der Bundesregierung auf Drucksache 10/5455 ausschließlich mit der Frage Fremdenverkehr und Umwelt befaßt — und zwar 7.1, 7.2, 7.3, 7.4, bis zum Ende —, und würden Sie ferner zur Kenntnis nehmen, daß wir mehrfach — und ich noch einmal in der Rede — gesagt haben, daß wir ökologische Überprüfungen im touristischen Bereich zur Ist-Situation und hinsichtlich der Auswirkungen bei Zukunftsplanungen vorsehen? Würden Sie das bitte mit berücksichtigen?

Dr. Klaus Kübler (SPD):
Rede ID: ID1023828200
Ich habe das geschriebene Wort natürlich gelesen. Ich beziehe mich hier auf den mündlichen Vortrag. Ich kann in der Tat — deshalb sage ich es j a ausdrücklich — Widersprüche zwischen Ihrem Antrag und dem feststellen, was vor allen Dingen Herr Sprung gesagt hat. Das ist der Punkt, auf den ich insbesondere aufmerksam machen wollte.
Lassen Sie mich zum Schluß folgendes sagen. Wir stehen in der Tat auf dem Standpunkt, daß eine nationale Fremdenverkehrspolitik in der Bundesrepublik Deutschland notwendig ist, Herr Staatssekretär Sprung. Wenn wir das sagen, stehen wir nicht allein. Das hat im engen Sinn auch nichts mit Parteipolitik zu tun. Die Bundesregierung — ich zitiere nur einen Kommentar — hat in ihren Antworten auf die Anfragen in geradezu rührender Offenheit dargelegt, welche großen Informationsdefizite hinsichtlich verschiedener Fragen seitens der Bundesregierung bestehen.
Ich will meinerseits sehr, sehr deutlich sagen — ich tue das auch in Richtung Fachöffentlichkeit, die hier vertreten ist —: Die heutige Debatte hat uns leider keinen Schritt weiter gebracht. Sie verlief äußerlich sehr harmonisch, aber tatsächlich hat sie uns keinen Schritt weiter gebracht. Das Erschrekkende für mich, Herr Sprung, waren eigentlich Ihre Aussagen, mit denen Sie es lediglich ablehnten, seitens der Regierung in bestimmten Richtungen aktiv zu werden.
Ich bitte sehr herzlich darum, dem Entschließungsantrag der SPD zuzustimmen. Das ist die Nagelprobe, ob sich tatsächlich etwas bewegt. Das sage ich auch in Richtung der Fraktion DIE GRÜNEN, die keinen eigenen Antrag vorgelegt hat. Für die Bedenken gegen die Formulierung im letzten Satz in dieser generellen Form habe ich gewisses Verständnis. Aber er schließt das ein, was auch Sie politisch wollen.
Ich darf mich herzlich für Ihre Aufmerksamkeit bedanken.

(Beifall bei der SPD)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1023828300
Das Wort hat der Abgeordnete Schulze.

Gerhard Schulze (CDU):
Rede ID: ID1023828400
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte als einer der letzten Redner der heutigen Debatte davon absehen, das, was schon grundsätzlich gesagt wurde, zu wiederholen. Ich bin auch der Meinung, daß sich Tourismus am wenigsten für parteipolitische Profilierungen eignet und im Interesse der Weiterentwicklung des Fremdenverkehrs Gemeinsamkeit geboten ist.
Alle über den Fremdenverkehr bereits verfügbaren Daten lassen es gerechtfertigt erscheinen, von einem für unsere Volkswirtschaft bedeutenden Zweig zu sprechen, der zudem noch beträchtliche Zukunftsperspektiven bietet. Ich darf insbesondere auch auf die internationale Tourismusbörse in Berlin verweisen, deren Bedeutung zunimmt. Gleichermaßen trifft dies für die reinen Feriengebiete wie auch für den Städtetourismus zu.
Die acht größten Städte in unserem Lande haben sich nicht ohne Grund in einer Werbegemeinschaft zusammengeschlossen, wie auch die Städte mit einem besonderen historischen Erbe eine ähnliche Gemeinschaft gebildet haben. Beide Einrichtungen sind vorrangig auf die Marketing-Arbeit ausgerichtet.
Ganz allgemein meine ich, daß es geraten erscheint, seitens des Bundestages rechtzeitig im Rahmen unserer Möglichkeiten durch gesetzgeberische Maßnahmen Anpassungsvorgänge geschmeidig in die Wege zu leiten. Dazu sind, wie schon gesagt, Analysen und Forschungsergebnisse erforderlich, um verläßliche Daten zu bekommen.
Absehbare Veränderungen im gesamtgesellschaftlichen Freizeit- und Ferienverhalten lassen bereits einen deutlichen Trend zum Städte- und Tagestourismus erkennen. Neben der weiterbestehenden großen Bedeutung der klassischen deutschen Feriengebiete gewinnen hierzulande die Städte aus vielerlei Gründen im touristischen Sektor zunehmend an Gewicht. Städtische Ballungszentren stellen eine weiter steigende Nachfrage vor allem bei der Naherholung fest. Für diese Kommunen ergibt sich damit ein sehr differenziertes touristisches Profil, dem es gerecht zu werden gilt. Neben Messe- und Ausstellungsveranstaltungen besteht ein Bedarf an Kongreß- und Tagungsorten. Das ist speziell auch für Geschäftsreisende von besonderem Interesse.



Schulze (Berlin)

Hinzu kommt in einem immer stärkeren Maße der Tagestourismus, welcher durch eine große Nachfrage nach kulturellen Angeboten in Form von Theatern, Konzerten, Museen und Einkaufsmöglichkeiten gekennzeichnet ist. In Berlin haben wir damit gute Erfahrungen gemacht.
Alle genannten Bereiche bedeuten für die Städte einen erheblichen Kaufkraftzufluß. Konkrete Auswirkungen hat diese Entwicklung des Städtetourismus auch auf die Möglichkeiten mittelständischer Anbieter im Hotel- und Gaststättenbereich. Mittlerweile besteht in den großen Städten eine gewisse Konzentration, beispielsweise durch die Existenz von Hotelketten. Diese Tatsache bedeutet jedoch nicht, daß kleinere Pensionen und Restaurationsbetriebe im groß- oder millionenstädtischen Terrain auch innerhalb von Stoßzeiten keine Chancen hätten; ganz im Gegenteil. Sie bedürfen aber — auch das muß bei dieser Gelegenheit gesagt werden — einer Hilfe bei notwendigen Investitionen zur Modernisierung und bei Nachfrageveränderungen.
Meine Damen und Herren, Fremdenverkehr ist für uns auch und gerade Mittelstandspolitik. Sie ist ebenfalls — auch das ist richtig — Verbraucherpolitik. Insbesondere für die Städte brauchen wir im Fremdenverkehr verläßliche Rahmenbedingungen, auch und vor allem im Planungs- und Baubereich, wobei das neue Baugesetzbuch zukünftig mittelstands- und fremdenverkehrsfreundlich genutzt werden kann. Das gleiche gilt im übrigen für einen verbesserten Umwelt- und Naturschutz.
Daß zur Weiterentwicklung des Tourismus in den Städten ein attraktives Nah- und Fernverkehrsangebot gehört, ist selbstverständlich; das bedarf keiner besonderen Betonung. Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang nochmals auf die deutschlandpolitische und touristische Bedeutung notwendiger Verbesserungen der Attraktivität des Eisenbahnverkehrs von und nach Berlin hinweisen.

(Zustimmung des Abg. Kittelmann [CDU/ CSU])

Insofern bin ich für die Aussage dankbar, die die Bundesregierung auf unsere Anfrage dazu gemacht hat. Berlin darf — um das in diesem Zusammenhang hier abschließend noch zu sagen — von dem sich immer mehr entwickelnden europäischen Eisenbahnschnellverkehrsnetz nicht abgekoppelt werden.

(Kittelmann [CDU/CSU]: Sehr gut!)

Meine Damen und Herren, bei allem Bestreben, den Fremdenverkehr staatlich zu fördern, gilt auch für den bedeutenden Wirtschaftsfaktor Tourismus das Prinzip: so wenig Politik wie möglich, aber so viel Politik wie nötig.
Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der CDU/CSU)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1023828500
Meine Damen und Herren, in der Debatte wurde die Abwesenheit des Bundesministers für Wirtschaft gerügt. Der Bundesminister für Wirtschaft hat mich wissen lassen, daß er ein seit langem terminiertes Gespräch mit dem
Wirtschaftsminister der Republik Ägypten wahrnimmt, und hat sich entschuldigen lassen.

(Müntefering [SPD]: Und wo ist der Raumordnungsminister?)

Nun möchte ich den Herrn Abgeordneten Hinsken bitten, das Wort zu ergreifen.

Ernst Hinsken (CSU):
Rede ID: ID1023828600
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Kollege Wolfgramm hat mit einem schönen Vers von Morgenstein geendet. Kollege Tietjen wußte nichts darauf, und mir sei es gestattet, weil ich meine, daß es sich beim Tourismus mit um die schönsten Stunden des Jahres handelt, einen zeitnahen Vers zu bringen, nämlich: Willst du Erholung, gute Luft und Ruh', dann komme nach Bayern, dem Land der CSU.

(Heiterkeit — Mann [GRÜNE]: Das hätten Sie lieber nicht gebracht!)

Nun zum Ernst dieser Debatte. Die Bundesregierung hat einen Kernsatz in der Antwort auf die Großen Anfragen von CDU/CSU, FDP sowie SPD geprägt: Urlaub und Urlaubsreisen als Perioden der Erholung, Entspannung, Bildung und Abwechslung haben für die Bevölkerung in hochentwickelten Industriegesellschaften einen hohen, tendenziell weiter wachsenden Stellenwert. Wird die Bundesregierung diesem Stellenwert gerecht? Ich meine ja! Die Bundesregierung hat — dafür möchte ich stellvertretend dem Parlamentarischen Staatssekretär im Wirtschaftsministerium sehr herzlich danken — wirtschaftliche Rahmenbedingungen geschaffen, die es ermöglichen, daß wieder mehr Deutsche Urlaub machen können und daß darüber hinaus bei der Fremdenverkehrswirtschaft im großen und ganzen gesehen das eine oder andere wieder läuft.

(Dr. Kübler [SPD]: Umgekehrt ist auch richtig! — Weitere Zurufe von der SPD)

1,5 Millionen Beschäftigte auch in strukturschwachen Gebieten sind ein beredtes Beispiel dafür, was gerade der Fremdenverkehr in unseren Bereichen für eine Rolle spielt. Ich müßte mich wiederholen, wenn ich das alles ausführen würde, was bereits von meinen Vorgängern und vom Hauptsprecher unserer Fraktion, Herrn Engelsberger, gesagt worden ist.
Deshalb sei es mir gestattet, daß ich mich zwei Fakten zuwende, die ich insbesondere ansprechen möchte: 57,8% aller Deutschen reisen zum Urlaub ins Ausland; 40,1%, also viel weniger, bleiben im Inland. Von diesen 40,1 % fahren zwei Drittel mit dem Auto, ein Viertel mit der Bahn. Ich meine, feststellen zu müssen: Urlaub beginnt mit dem Einsteigen in das Auto, und Urlaub endet mit dem Aussteigen aus dem Auto. Wenn ich an die vielen langen Autoschlangen, an die vielen Staus usw. denke, kann ich mich in die Situation des einzelnen hineindenken, der vergrämt ist. Deshalb verstehe ich es nicht, daß z..B. die Damen und Herren von der SPD und auch die übrigen Parteien im Verkehrsausschuß des Deutschen Bundestages gestern gegen die CDU/CSU gestimmt haben, als ein Antrag gestellt worden ist, die Mittel für den Bundesfernstraßenhaushalt aufzustocken, und zwar deswegen, da-



Hinsken
mit der einzelne sein Ziel leichter und schneller erreicht, als das bislang der Fall ist.

(Stiegler [SPD]: Wenn alles zubetoniert ist, brauchen wir nirgendwo mehr hinzufahren! — Abg. Mann [GRÜNE] meldet sich zu einer Zwischenfrage)

— Ich kann keine Zwischenfrage zulassen, weil mir unter Umständen keine weitere Redezeit zur Verfügung gestellt wird. Ich möchte das, was ich jetzt sagen darf,

(Mann [GRÜNE]: Das war aber Unfug, was Sie gesagt haben!)

für die Bevölkerung sagen und nicht für Sie, Herr Mann.
Deshalb gilt es, heute auch darauf hinzuweisen, daß Autobahnen und Bundesstraßen sowie attraktive Bahn- und Busverbindungen unverzichtbare Voraussetzungen für den Fremdenverkehr sind. Ich meine auch, sagen zu dürfen, daß gerade diese Parteien denjenigen Mitbürgern, die im Stau stecken, und darüber hinaus der Fremdenverkehrswirtschaft überhaupt einen Bärendienst erwiesen haben. Schließlich bedeutet für manche Regionen gerade der Fremdenverkehr ein Bruttoinlandsprodukt von über 10 %. Mein Bereich ist z. B. auch mit davon betroffen.
Für die meisten Urlauber gehört einfach das Auto zum Urlaub. Ich meine deshalb — jetzt werden Sie mir gleich wieder hochgehen, meine Damen und Herren von den GRÜNEN —, daß Ihre Forderung nach Mineralölsteuererhöhung ein Diebstahl am kleinen Mann, am kleinen Bürger ist. Wenn er in Zukunft für den Liter Benzin zusätzlich 50 Pfennig Mineralölsteuer bezahlen soll oder, ein bißchen abgeschwächt, was ja Sie von der SPD wollen, wenn eine Ölimportsteuer eingeführt werden soll, dann kommt z. B. bei einem Urlaubssuchenden, der tausend Kilometer Fahrleistung zu erbringen hat, eine Summe zusammen, mit der er sich in gutsituierten Gasthöfen im Bayerischen Wald, aus dem ich selbst komme, bis zu fünf Schweinshaxen mit Knödeln und Kraut kaufen könnte. Die kann er nicht kaufen, wenn das umgesetzt würde, was speziell die GRÜNEN fordern.

(Mann [GRÜNE]: Sie müssen aber auch einmal sagen, wofür wir die Mittel verwenden wollen! — Weitere Zurufe von der SPD)

Meine Damen und Herren, ich habe gesagt: Ich beschränke mich auf zwei Fakten. Das sind zum einen der verkehrspolitische Aspekt und zum anderen die Gewinnung von mehr Urlaubern, die ihre Ferien im Inland verbringen. Wir sollten alle zusammen an einem Strang ziehen, die Eltern zu animieren, ihren Kindern zunächst einmal die Schönheiten im eigenen Land zu zeigen. Die junge Generation sollte zunächst mit den Kulturgütern unseres Landes vertraut gemacht werden, bevor sie in das eine oder andere europäische oder weltweite Land reist, was ihr auch gegönnt ist. Aber sie sollte zunächst dieses Land kennenlernen, weil ich davon ausgehe, daß dieses lebendiger Geschichtsunterricht ist.
Gestatten Sie, daß ich zum Abschluß meiner Rede an die Fremdenverkehrswirtschaft appelliere, in Zukunft phantasievoller zu sein und neue Zielgruppen anzusprechen. Ich sage das vor dem Hintergrund, daß z. B. in meiner ostbayerischen Heimat heuer ein Asam-Jahr durchgeführt worden ist. Hier hat man die Kultur in den Vordergrund gestellt. Gerade durch die Auflegung dieses Programms wurden in diesem Jahr einzelne Häuser mit 600 Übernachtungen im Schnitt mehr bedient, als das bislang der Fall war.

(Mann [GRÜNE]: Herr Kollege, wo waren Sie denn in den letzten Jahren im Urlaub?)

Ein weiteres, und das ist ein besonderes Kompliment vor allem an die Bundesregierung: Herr Staatssekretär Sprung, Sie haben dafür gesorgt, daß über die Gemeinschaftsaufgabe „Förderung der regionalen Wirtschaftsstruktur" über 2 122 Maßnahmen mit 65 Millionen DM Volumen umgesetzt werden konnten, was Grundlage dafür war, daß 7 350 Arbeitsplätze zusätzlich geschaffen werden konnten.

(Zuruf von der SPD: Typisch statistische Lügen!)

Zudem wurden 425 Maßnahmen, die die Verkehrsinfrastruktur betreffen, mit einem Volumen von 374 Millionen DM durchgeführt.
Meine Damen und Herren, ich möchte zum Abschluß den deutschen Urlaubern wünschen, daß diese Bundesregierung noch recht lange dran bleibt, daß diese erfolgreiche Politik, die bisher geleistet worden ist, fortgesetzt werden kann,

(Zurufe von der SPD und den GRÜNEN)

und ich möchte der Fremdenverkehrswirtschaft hier in der Bundesrepublik Deutschland zurufen, daß sie weiter dafür sorgen möge, daß wir „ein Land des herzlichen Tourismus" bleiben.
Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Zuruf von der SPD: Weiter so, Schweinshaxen! — Lachen bei der SPD)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1023828700
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor, so daß wir die Aussprache schließen können.
Wir kommen zum Tagesordnungspunkt 12 a, und zwar zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion der SPD, der Ihnen auf Drucksache 10/5809 vorliegt. Wer diesem Entschließungsantrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen! — Damit ist dieser Entschließungsantrag abgelehnt, bei Enthaltung des Abgeordneten Mann.
Wir kommen nunmehr zum Tagesordnungspunkt 12b, der Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU und der FDP auf der Drucksache 10/6171. Wer diesem Entschlie-



Vizepräsident Cronenberg
ßungsantrag zuzustimmen gedenkt, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen! — Damit ist der Antrag bei Enthaltungen der SPD angenommen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 13 auf:
Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Forschung und Technologie (18. Ausschuß) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Bericht der Bundesregierung zur zukünftigen Entwicklung der Großforschungseinrichtungen
in Verbindung mit
Unterrichtung durch die Bundesregierung Ergänzende Stellungnahme zum Bericht der Bundesregierung zur zukünftigen Entwicklung der Großforschungseinrichtungen
— Drucksachen 10/1327, 10/1771, 10/5178 —
Berichterstatter:
Abgeordnete Dr. Bugl
Dr.-Ing. Laermann
Fischer (Homburg)

Dr. Schmidt (Hamburg-Neustadt)

Im Ältestenrat ist eine Debattenzeit von 60 Minuten vereinbart worden. Erhebt sich dagegen Widerspruch? — Da ist nicht der Fall.
Dann kann ich die Aussprache eröffnen. Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Bugl.

Prof. Dr. Josef Bugl (CDU):
Rede ID: ID1023828800
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Im Oktober 1983 haben im Ausschuß für Forschung und Technologie die CDU/CSU, die FDP und die SPD übereinstimmend festgestellt, daß es mit den staatlichen Großforschungseinrichtungen nicht zum besten steht. Mit bürokratischen Knebelungen, festgefahrenen Strukturen und oft einseitigen thematischen Ausrichtungen stellte sich die deutsche Forschung sozusagen selbst ein Bein.

(Stahl [Kempen] [SPD]: Das ist ganz neu!)

Hinzu kam eine mangelnde Zusammenarbeit zwischen staatlichen Forschungseinrichtungen einerseits und der deutschen Wirtschaft andererseits.
Diese Feststellung — Sie waren j a mit dabei, Herr Kollege Stahl — treffen zu müssen, war um so bedauerlicher, als die Mittel für Wissenschaft und Forschung seit dem Jahre 1982 erheblich zugenommen haben.

(Stahl [Kempen] [SPD]: Oh ja!)

Also war es unsere Aufgabe, bei den 13 staatlichen Großforschungseinrichtungen, in denen rund 16 000 Mitarbeiter planmäßig und weitere 4 500 Mitarbeiter außerhalb des normalen Stellenplanes beschäftigt sind, dafür zu sorgen, daß der volkswirtschaftlich bedeutsame „Forschungsschatz" von überflüssigem Gerümpel befreit und wieder zum Glänzen gebracht wird.
Ausgangspunkt für solche Anstrengungen war die Erkenntnis, daß ein behördenmäßiger Aufbau einer Forschungseinrichtung und die strenge Bindung an die haushalts- und personalrechtlichen
Vorschriften staatlicher Behörden mit all ihren Vor- und Nachteilen der Tätigkeit und dem Charakter von Forschung letztlich nicht gerecht werden. In der Forschung sind Eigenverantwortlichkeit und Kreativität gefordert. Es gilt also, die verhärteten Strukturen und Bürokratien, für die die Forschungseinrichtungen selbst gar nichts können, aufzuweichen. Daher steht die Schaffung von Freiräumen und Flexibilität für unsere Großforschungseinrichtungen für uns an erster Stelle. Dies bedeutet: mehr Beweglichkeit bei der Mittelbewirtschaftung, Erweiterung des Handlungsspielraums im Personalbereich und verstärkte Einwerbung privater Mittel für Forschung und Entwicklung.
Um diese Ziele zu erreichen, haben wir im Ausschuß folgende Forderungen erhoben: erstens Erleichterungen der gegenseitigen Deckungsfähigkeit der Haushaltstitel im Hinblick auf eigenverantwortliche Investitionsentscheidungen in den Forschungseinrichtungen; zweitens Erleichterungen bei Einstellungen und der Stellenbewirtschaftung im Personalbereich; drittens verstärkte Öffnung der Großforschungseinrichtungen mit Hilfe von Zeitverträgen, insbesondere für junge Wissenschaftler; viertens Durchführung eines Programms zur Entsendung von Wissenschaftlern und Technikern aus der Wirtschaft in Forschungseinrichtungen und umgekehrt; fünftens schließlich Erleichterungen von Existenzgründungen für Wissenschaftler aus Großforschungseinrichtungen bzw. auch Erleichterungen für deren Übergang in die Wirtschaft. Diese Maßnahmen, die zum Teil nur durch besondere Ausnahmegenehmigungen von den üblichen haushaltsrechtlichen Vorschriften erreicht werden konnten, setzen die Großforschungseinrichtungen nun stärker als bisher in die Lage, auf veränderte Forschungsziele und Anforderungen flexibel zu reagieren.
Der Ausschuß für Forschung und Technologie hat darüber hinaus auch Empfehlungen ausgesprochen, Industrie und Großforschungseinrichtungen näher zusammenzuführen. Hier müssen noch weitere Anstrengungen unternommen werden. Diese für unsere Wirtschaft so notwendige Zusammenarbeit muß unbedingt verbessert werden. Daß Vertreter von verschiedenen Unternehmen unserer Industrie in Beiräten der Großforschungseinrichtungen sitzen, ist gut, aber nicht ausreichend, Herr Minister. Im übrigen ist auch nicht einzusehen — ich habe das sowohl im Ausschuß als auch hier im Plenum wiederholt betont —, warum ausschließlich Beamte in den Aufsichtsgremien der staatlichen Großforschungseinrichtungen den Vorsitz haben müssen.

(Seesing [CDU/CSU]: Das frage ich mich auch!)

Herr Minister, auf einem solchen Stuhl würde ich hin und wieder ganz gerne auch einmal einen erfahrenen Mann aus der Wirtschaft sehen wollen.

(Zuruf von den GRÜNEN: Einen Gewerkschaftsmann! — Westphal [SPD]: Auch, auch!)

Hier gilt es, im Sinne der praktischen Vernunft und
mit Blick auf den Nutzen für die gesamte deutsche



Dr. Bugl
Wirtschaft noch vorhandene Widerstände und — ich sage es — auch einmal Prestige abzubauen.
Der Bericht der Bundesregierung zur zukünftigen Entwicklung der Forschungseinrichtungen und die dazu eingereichte ergänzende Stellungnahme geben die Richtung an, in die sich die Großforschungseinrichtungen entwickeln sollen: Orientierung an den Bedürfnissen von Wissenschaft, Wirtschaft und Staat; Beteiligung der Wirtschaft an Großprojekten und an der Finanzierung von Einrichtungen; Stärkung der eigenständigen Leitungskompetenz in den einzelnen Großforschungseinrichtungen.
Neue inhaltliche Aufgaben für die staatlichen Forschungseinrichtungen liegen vor allem in den Forschungsprogrammen des Bundes, die sich auf die Vorsorgeforschung beziehen, und im Bereich der Grundlagenforschung. Sie liegen auf Schwerpunktgebieten mit Großgeräten, auf technologischen Großprojekten im Vorfeld industrieller Entwicklung und in unmittelbarer Zusammenarbeit mit der Wirtschaft zur Programmforschung. Sie liegen bei Dienstleistungen für Wissenschaft, Wirtschaft und Staat. Sie liegen bei Ausbildung und Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses. In Zusammenarbeit mit Industrie und Hochschulen sollen die Großforschungseinrichtungen zum großen Teil auch Aufgaben übernehmen, die an anderen Stellen nicht oder nicht so gut durchgeführt werden können.
Die deutsche Forschung, so meine ich, braucht sich nicht zu verstecken. Was sie leisten kann, hat die Verleihung von Nobelpreisen in den zurückliegenden drei Jahren gezeigt. Die erfolgreiche Weltraummission, bei der die deutsche Seite erstmalig in der Geschichte der amerikanischen Raumfahrt die alleinige Verantwortung für die Nutzlast, also das Weltraumlabor, während des Raumfluges hatte, hat aller Welt vor Augen geführt, daß deutsche Forschung exzellente Arbeit bei der Herstellung von Hochleistungsgeräten und Gesamtsystemen, aber auch bei der präzisen Organisation und Durchführung der Problemlösung zu leisten vermag.
Die Bundesregierung — dafür sind wir Herrn Minister Riesenhuber sehr dankbar — hat mit der Schaffung geeigneter organisatorischer Rahmenbedingungen für die staatlichen Großforschungseinrichtungen, aber auch im Hinblick auf die inhaltlichen Vorgaben, Fundamente für eine erfolgreiche Entwicklung der staatlichen Forschung in der Bundesrepublik Deutschland gelegt. Die Programme laufen. Es gilt, nach ihrer Auswertung zu überlegen, ob zusätzliche Maßnahmen ergriffen werden müssen, oder ob in die eine oder andere Richtung nachjustiert werden muß.
Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion fordert die Geschäftsführungen, aber auch die Mitbestimmungsgremien in den Großforschungseinrichtungen auf, daran mitzuwirken, daß die Programme und Rahmenbedingungen, die nun als Angebot zur Verbesserung der Strukturen in den Großforschungseinrichtungen vorliegen, ausgeschöpft und zum Erfolg geführt werden.
Ich empfehle daher für meine Fraktion die Annahme der Beschlußempfehlung des Forschungsausschusses durch den Deutschen Bundestag.
Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1023828900
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Fischer (Homburg).

Lothar Fischer (SPD):
Rede ID: ID1023829000
Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Herr Bugl, es stimmt in der Tat, daß wir 1983 nach sehr vielen Gesprächen und Anhörungen einen konsensfähigen Beschlußantrag zustande gebracht haben. Nur die GRÜNEN haben sich damals ausgeklinkt. Frau Dr. Hickel war damals noch Berichterstatterin, und wir wissen — die Berichterstatter sitzen ja hier —, wie wir in langen, zähen Verhandlungen mit Frau Dr. Hickel gesprochen haben, und nach vier oder fünf Stunden hat Frau Dr. Hickel gesagt: Wir von den GRÜNEN sind generell gegen Großforschungseinrichtungen. Hätte sie das gleich gesagt, hätte uns das sehr viel Zeit erspart. Ich bin also dankbar, Herr Schmidt, daß die Position, die Sie jetzt vertreten, nicht mit der identisch ist, die damals die Frau Dr. Hickel mit der Begründung vertreten hat, daß die Basis dies so beschlossen habe. So war das damals gewesen.
Herr Bugl, so schwarz, wie Sie die Situation bei den Großforschungseinrichtungen für 1983 beschrieben haben, war diese damals nicht gewesen. Es gab in sehr vielen Punkten, von uns gemeinsam getragen, Verbesserungsvorschläge, z. B. im Bereich des Abbaus von bürokratischen Hemmnissen. Wir haben auch das kameralistische Haushaltsprinzip aufgegriffen, das bezüglich der Großforschungseinrichtungen ein großes Hemmnis darstellt. Das läuft jetzt im Rahmen von Modellversuchen. Wir hoffen, daß wir die Ergebnisse auf den Tisch bekommen und daß wir, wenn sie positiv sind, auch sagen können: Wir sollten das nicht nur auf fünf oder sechs, sondern auf die 13 Großforschungseinrichtungen erweitern, wenn wir damit etwas verbessern können. Wir haben auch im Bereich der unflexiblen Stellenpläne mit den Modellen, die da angelaufen sind, etwas erreicht.
Ich möchte zunächst einmal etwas Grundsätzliches zur Forschungspolitik sagen. Vom Beginn der Neuzeit bis weit in unser Jahrhundert wurden Wissenschaft und Technik wie selbstverständlich akzeptiert. Sie galten als Mittel zur Verwirklichung allgemeiner und allgemeingültiger Ziele. Technischer Fortschritt war gleichbedeutend mit Nutzen für die Menschheit. Auch die Sozialdemokratie — die nehme ich nicht aus —, im 19. Jahrhundert wurzelnd, hing bis vor einigen Jahren noch diesem Technikbegriff und diesem Fortschrittsglauben an.

(Lenzer [CDU/CSU]: Das war sehr vernünftig!)

— Selbstverständlich. Das sage ich jetzt auch: Einerseits ist dieser Technikbegriff auch berechtigt, Herr Lenzer, er wird bestätigt. Schließlich haben die technische Entwicklung und ihre industrielle Anwendung das Leben der Menschen gerade in den



Fischer (Homburg)

vergangenen hundert Jahren wesentlich erleichtert. Aber andererseits wurde in der Regel seitdem alles Machbare auch gemacht: Beherrschung der Natur mit allen uns bekannten Konsequenzen. Die schrecklichste Konsequenz ist die Existenz der modernen Massenvernichtungsmittel, die absolute Perversion des Glaubens an das Machbare.
Größte Gefahren sehe ich auch in gewissen Bereichen der Medizin, die ich hier mit dem Stichwort „Gentechnologie" charakterisieren möchte. Alp-traumartige Visionen tun sich hier auf. Die totale Fremdbestimmung des Menschen wird möglich, das vollkommene Gegenteil dessen, wofür wir als Sozialdemokraten philosophisch und politisch einstehen.

(Lenzer [CDU/CSU]: Das muß aber alles nicht sein!)

— Das muß nicht sein, aber wir stellen fest, daß es in vielen Bereichen auch so ist, Herr Lenzer.
Die Beherrschung der Natur hat sich in der Zwischenzeit massiv gegen uns selbst gerichtet. Friedrich Engels

(Zuruf von der FPD: Ein mittelständischer Unternehmer!)

— ich kann mir vorstellen, daß einigen das Zitat von Friedrich Engels hier nicht so paßt, aber ich sage es —

(Dr. Kübler [SPD]: Die kennen das nur nicht! Die ändern ihre Meinung, wenn sie es jetzt kennen!)

hat gewarnt. Ich zitiere jetzt: „Schmeicheln wir uns indes nicht so sehr mit unseren menschlichen Siegen über die Natur! Für jeden solchen Sieg rächt sie sich an uns."
Was ist zu tun? Die Sozialdemokratie — das wiederhole ich hier noch einmal — war nie fortschritts-
bzw. technikfeindlich.

(Dr. Bötsch [CDU/CSU]: Aber heute sind Sie es!)

— Ich weiß nicht, was die Bayern für Vorstellungen von sozialdemokratischen Einstellungen zur Energiepolitik haben.

(Dr. Bötsch [CDU/CSU]: Da müssen Sie die Wähler fragen!)

— Welche denn?

(Dr. Bötsch [CDU/CSU]: Die Sie nicht gewählt haben!)

Die Entwicklung der Industriegesellschaft hat der Mehrheit der Menschen alles in allem entscheidende Erleichterungen im Leben gebracht. Sie ist nicht umkehrbar; davon müssen wir also ausgehen. Aber die Entwicklung darf nicht dem Selbstlauf überlassen werden. Die Frage ist, ob alles technisch Mögliche auch gesellschaftlich wünschenswert ist, d. h. ob alles Machbare gemacht werden darf und soll. Unsere Ethik muß sich an der Menschenwürde orientieren. Das kann durchaus den Verzicht auf Machbares einschließen.

(Lenzer [CDU/CSU]: Sehr richtig!)

Aber wer soll die wissenschaftlich-technische Entwicklung kontrollieren? Vor dieser Frage stehen wir bei den Großforschungseinrichtungen ganz konkret. Ich bin der Meinung, daß dies nicht allein Sache der Wissenschaftler und Experten sein kann. Im Interesse aller kann die Wertfreiheit der Wissenschaft nicht letztes Kriterium sein. Die skizzierte neue Ethik muß dem Spannungsverhältnis zwischen Wissenschaftsfreiheit und Menschenwürde standhalten. Nach unserer Vorstellung muß der rationale, demokratische Diskurs der Bürger, basierend auf einer breiten, fundierten Information der Öffentlichkeit und entsprechenden Mitbestimmungsmöglichkeiten — ich möchte das betonen, was Sie, Herr Bugl, gesagt haben — in die Entscheidung der gewählten Politiker münden.
Technik ist nicht, wie vielfach behauptet, neutral und gerät erst durch ihre Anwendung in das gesellschaftspolitische Spannungsfeld. Vielmehr haben zahlreiche Techniken, vor allem die heute vielfach angewendeten hochkomplexen Großtechniken, unabhängig von den Absichten der Anwender problematische Konsequenzen. Zunehmende Größe und wachsender Finanzbedarf technischer Projekte führen zu weitgehender Alternativlosigkeit bei Planungen. Wenn sich Milliardensummen amortisieren müssen, sind Korrekturen des eingeschlagenen Weges nur noch schwer möglich. Die verfassungsrechtlich gewährleisteten Grundrechte und Prinzipien, wie Rechtsstaatlichkeit, Gewaltenteilung und Verantwortlichkeit der Regierung gegenüber dem Parlament, dürfen nicht eingeschränkt oder gefährdet werden. Politische Entscheidungen müssen gerade bei Großforschungsprojekten überprüfbar und revidierbar sein.
Es ist erfreulich feststellen zu können — da möchte ich das betonen, was vorhin Herr Bugl gesagt hat —, daß nach intensiver Diskussion innerhalb der Gremien des Parlamentes und nach Anhörung und Gesprächen mit Vertretern der Großforschungseinrichtungen, der Betriebsräte und der Gewerkschaften eine Beschlußempfehlung bezüglich der zukünftigen Entwicklung der Großforschungseinrichtungen fast konsensfähig gemacht worden ist. Wir Sozialdemokraten haben allerdings in einigen Punkten eine differenzierte Meinung. Von diesen Punkten möchte ich nur einige ansprechen, weil nämlich nachher mein Kollege Erwin Stahl auch noch einige ansprechen wird.
In Forschung und Technik haben wir derzeit in der Bundesrepublik etwa 125 000 Wissenschaftler und Ingenieure. Davon sind 52 % in der Industrie, 44 % in Hochschulen und anderen Forschungseinrichtungen und 4% an Großforschungseinrichtungen. Daraus ergibt sich deutlich die Konsequenz, daß wir fordern müssen, daß die Großforschungseinrichtungen untereinander enger kooperieren, daß die Großforschungseinrichtungen mit den anderen Universitäten und mit der Industrie kooperieren, und zwar nicht nur in Form einer Einbahnstraße, sondern das muß bilateral gehen. Denn in der Vergangenheit war es oft so, daß es nur von Großforschungseinrichtungen zur Industrie ging, aber von der Industrie kaum etwas zurückgekommen ist.



Fischer (Homburg)

Ich möchte noch zwei weitere Komplexe anschneiden: zunächst einmal die Frage der Zeitverträge. Es hat sich bei der Anhörung herausgestellt, daß das ein großes Problem für viele, auch für die Mitarbeiter war. Im universitären Bereich und an Forschungsinstituten hat es immer Zeitverträge gegeben und wird es auch in Zukunft geben. Durch die tarifvertragliche Sonderregelung SR 2 Y, auch Jülicher Klausel genannt, ist die postuniversitäre Weiterbildung eines Mitarbeiters durch Abschluß von Zeitverträgen gewährleistet. Auf keinen Fall kann und darf die Jülicher Klausel dazu mißbraucht werden — ich zitiere jetzt, was im Bericht der Regierung steht —, „die hohen Anforderungen der Rechtsprechung an den sachlichen Grund als Legitimation für den abgeschlossenen Zeitvertrag" — Zitat Ende — zu umgehen. Zeitverträge dürfen nach unserer Meinung nur auf tarifvertraglicher Basis abgeschlossen werden.
Zum Schluß ein Wort zur Mitbestimmung. — Ich spreche ein bißchen mehr, weil ich zwei Minuten von meinem Kollegen Stahl übernehme.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1023829100
Ich habe Ihnen noch nicht das Wort entzogen, Herr Abgeordneter. Sie haben das Wort.

Lothar Fischer (SPD):
Rede ID: ID1023829200
Hier ist das rote Licht aufgeblinkt.
Die Mitbestimmung bzw. Mitwirkung in den Großforschungseinrichtungen hat zu mehr Transparenz und Akzeptanz von Entscheidungen geführt. Dies stellt auch der Bericht der Regierung fest. Wir Sozialdemokraten sind der Meinung, daß das Recht auf Mitwirkung zum einen die Mitarbeiter als verantwortlich und einsichtig handelnde Menschen anerkennt, zum anderen eine wesentliche Voraussetzung für qualifizierte Entscheidungsfindung in allen Großforschungseinrichtungen darstellt. Die in den Großforschungseinrichtungen gemäß den Leitlinien in den Gesellschaftsverträgen verankerte Mitbestimmung hat sich bewährt und die Entscheidungsfähigkeit der Vorstände nicht beeinträchtigt, sondern eher gestützt und gestärkt. Wir Sozialdemokraten werden deshalb nicht zulassen, daß, wie an einigen Großforschungseinrichtungen geschehen, in einzelnen Großforschungseinrichtungen Mitbestimmungsgremien mißachtet bzw. ausgehebelt werden. Dabei habe ich z. B. an die GBF gedacht.
Recht schönen Dank.

(Beifall bei der SPD)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1023829300
Das Wort hat Herr Professor Dr. Laermann.

Prof. Dr.-Ing. Karl-Hans Laermann (FDP):
Rede ID: ID1023829400
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Ich hätte mich ja gern mit den etwas kulturpessimistischen Ausführungen des Kollegen Fischer auseinandergesetzt. Aber ich denke, wir sollten uns mehr dem Thema zuwenden.

(Stahl [Kempen] [SPD]: Aber ein bißchen mehr Nachdenken tut gut!)

Ich meine in bezug auf die Beschlußempfehlung des Ausschusses für Forschung und Technologie, daß hier ein Grundsatz zum Ausdruck gebracht worden ist, der unsere nachhaltige Unterstützung verdient. Wir müssen dafür sorgen, daß Wissenschaft und Forschung Freiraum hat, damit sich Wissenschaft und Forschung wirkungsvoll entfalten kann. Aber das setzt gleichzeitig voraus, daß die Wissenschaft und die in ihr Tätigen natürlich auch bereit sind, Verantwortung zu tragen. Denn nur so läßt sich die Autonomie der Wissenschaft begründen. Deswegen, wiederhole ich, ist der Grundansatz in dem Bericht der Bundesregierung und der Grundansatz, den wir in der Beschlußempfehlung zur zukünftigen Entwicklung der Großforschungseinrichtungen aufgegriffen haben, richtig.
Hier geht es darum, nur grundsätzliche Arbeitsfelder, Bereiche festzulegen und vorzugeben, nicht begrenzte Einzelthemen. Wir haben gerade gestern im Ausschuß gehört, daß es hier Versuche gibt, sozusagen differenziert, im Detail die Arbeitsfelder und Projekte den Großforschungseinrichtungen vorzuschreiben. Das müssen wir nachdrücklich ablehnen.
Im übrigen ist darin auch ein Widerspruch festzustellen. Denn wenn einerseits verlangt wird, die Wissenschaftler und die Forscher sollten durch konkret formulierte Projekte gebunden werden, dann heißt das auch, ihre Kreativität zu lähmen. Andererseits wird natürlich wieder beklagt, daß der Staat — und da frage ich, wer das ist; das sind doch auch wir — durch seine Vorgaben die wissenschaftliche Autonomie verletze oder gar die Großforschungseinrichtungen der Wirtschaft und der Industrie für verwerfliche Zwecke — so wird dann auch noch argumentiert — zur Verfügung stellen könne. Das würde dazu führen, daß in der Forschung und insbesondere in den Großforschungseinrichtungen Fremdbestimmung Platz greife. Ich denke, dieses Argument läßt sich leicht widerlegen. Denn wir haben eben gehört — und da stimme ich dem Kollegen Fischer zu —, daß es in der Tat notwendig ist, daß wir zu besseren Verbindungen und Beziehungen kommen zwischen denjenigen, die wissenschaftliche Erkenntnisse erarbeiten, und denjenigen, die aus diesen Erkenntnissen Nutzen ziehen, die sie in gesellschaftspolitische, staatspolitische und wirtschaftspolitische Notwendigkeiten umsetzen.

(Beifall bei der FDP)

Die Gemeinschaft der Wissenschaftler selbst — so ist unsere Position — muß die konkreten Forschungsthemen bestimmen. Sie darf nicht gezwungen werden, von wem auch immer — das betone ich ausdrücklich —, gegen ihre wissenschaftliche Autorität Projekte und Themen bearbeiten zu müssen.

(Sehr richtig! bei der FDP)

Auch zur Mitbestimmung bekennen wir uns nach dem Grundprinzip, daß die Mitbestimmung durch die fachliche Kompetenz nachgewiesen werden muß.
Ich möchte hier in diesem Zusammenhang ein Zitat von Max Planck bringen dürfen, nämlich in



Dr.-Ing. Laermann
Richtung auf Autonomie der Wissenschaft, die Notwendigkeit, ihr diese Autonomie zu geben, selbst zu bestimmen, welche Felder sie im einzelnen besetzt, welche Projekte sie bearbeitet. Er sagt nämlich:
Auch die strenge wissenschaftliche Forschung kann ohne das freie Spiel der Einbildungskraft nicht vorwärtskommen. Wer nicht gelegentlich auch einmal kausalwidrige Dinge zu denken vermag, wird seine Wissenschaft nie um eine neue Idee bereichern können.
Ich denke, wenn wir uns dies zur Maxime nehmen, haben wir damit auch schon das Postulat der Autonomie und der Freiräume für wissenschaftliche Forschung durchaus definiert. Dann gilt aber, daß natürlich in diesem Bereich auch Verantwortung für den Transfer und die Nutzung des Erkenntnisertrages, des wissenschaftlichen Ertrages übernommen werden muß. Deswegen — ich wiederhole das — ist auch eine engere Verzahnung mit denjenigen notwendig, die den wissenschaftlichen Ertrag in praktische Nutzung überführen. Hier sollte es — das sage ich ausdrücklich — keine Berührungsängste geben. Wie schwach muß sich eigentlich — wenn man Mitbestimmung verlangt — diese Mitbestimmung fühlen, wenn sie nicht in der Lage ist, hier etwa Wildwuchs oder Mißbrauch zu verhindern oder zumindest öffentlich darzustellen?

(Sehr gut! bei der CDU/CSU)

Ich meine, daß es notwendig ist, noch einmal über das hinaus nachzudenken, was wir seinerzeit beschlossen und als Beschlußempfehlung zu der Frage vorgelegt haben: Wie können wir eigentlich die Arbeitsmöglichkeiten der Großforschungseinrichtungen verbessern? Ich denke mir, es könnte ein Ansatz darin liegen, mindestens die ganz großen zu dezentralisieren, vor allen Dingen vor dem Hintergrund ihres jetzt ja breiten Spektrums von Aufgaben, das sie abdecken.

(Sehr gut! bei der CDU/CSU)

Die fachliche Zusammenführung zu Departments — wie auch immer wir das nennen — und die Zuweisung von mehr Entscheidungskompetenz an diese Departments könnte durchaus auch im Sinne dessen, Herr Kollege Bugl, was Sie gesagt haben, es auch für die Industrie interessanter machen, sich etwas stärker mit dem Leben und mit den Entwicklungen in den Großforschungseinrichtungen zu beschäftigen.
Ich möchte hier eine Anmerkung machen. Es erscheint mir — und deswegen sage ich ausdrücklich „Anmerkung" — aus den verschiedensten Gründen an der Zeit, nicht zuletzt auch im Hinblick auf viele öffentliche Diskussionen, beispielsweise um Kernenergie, so kleinkariert dies jetzt auch scheinen mag, was ich sage, über ein neues Klingelschild für einige Großforschungseinrichtungen nachzudenken. Was soll eigentlich noch GKSS, Gesellschaft für Kernenergieverwertung in Schiffbau und Schiffahrt? Damit haben die nämlich überhaupt nichts mehr zu tun. Kernenergie null! Warum eigentlich noch im Namen? Kernforschungsanlage
Jülich, noch 12 % Kernforschung. Warum eigentlich noch „Kernforschungsanlage Jülich"?

(Stahl [Kempen] [SPD]: Weil sie unter dem Rubrum einen guten Namen haben!)

Ich glaube, wir sollten einmal darüber nachdenken, daß eine Umbenennung durchaus sinnvoll sein könnte.

(Beifall bei der FDP — Stahl [Kempen] [SPD]: Wir können uns doch nicht nach jeder Windrichtung wenden!)

— Ich habe es doch gesagt. Ich habe mich hier ja selber in die Kritik genommen: Das mag kleinkariert erscheinen. Aber mir scheint es aus den verschiedensten Gründen wert, doch einmal darüber nachzudenken.
Aber viel wichtiger zur Steigerung der Effizienz scheint mir, daß wir noch mehr Bürokratie abbauen, soweit sie nicht wissenschafts- und forschungsadäquat ist. Position und Forderungen des Forschungs- und Technologieausschusses vom 26. Januar 1984 wiederhole ich hier ausdrücklich. Und dies ist auch Gegenstand der Beschlußempfehlung. Wir haben bisher Fortschritte gemacht. Kollege Fischer hat — das drückt sich ja in dem sogenannten Flexibilitätsbericht der Bundesregierung aus — auf Modellversuche hingewiesen. Aber was heißt „Modellversuche"? Hier müssen weitere Konsequenzen gezogen werden. Wir meinen, es müßten mehr Vorschläge der unabhängigen Kommission für Rechts-und Verwaltungsvereinfachung des Bundes übernommen werden, die genau in die Richtung zielen, wie wir sie in unsere Beschlußempfehlung aufgenommen haben, exakt in diese Richtung: gegenseitige Deckungsfähigkeit in den Investitions- und Betriebstiteln, die Frage der kameralistischen Haushaltsführung, die nicht wissenschafts- und forschungskonform ist, flexiblere Handhabung des Jährlichkeitsprinzips wie z. B. Übertragung von Haushaltsausgaberesten und begrenzte Rücklagenbildung. Dies käme der Forschung und Entwicklung zugute. Das hieße mehr Verantwortung im Sinne einer effizienteren Forschungsförderung und Entwicklung in diesem Bereich.
Ich nenne weiter: flexiblere Gestaltung der Stellenpläne. Und da bin ich ganz traurig — das sage ich hier ganz offen — über die Stellungnahme des Bundesministers der Finanzen vom 10. Oktober 1986. Ich finde es ausgesprochen bedauerlich, daß so, kurzerhand, diese Position des Forschungsausschusses, die durch das Parlament schon einmal bestätigt worden ist — das muß man auch einmal sehen —, und die Vorschläge der Kommission, die sich mit der Verwaltungsvereinfachung beschäftigt, abgetan werden. Ich hoffe — das ist mein Appell an das Finanzministerium —, daß darüber das letzte Wort noch nicht gesprochen worden ist. Ich bitte das Finanzministerium ganz herzlich um Überprüfung der Stellungnahme. Denn gerade im Interesse der optimalen Nutzung begrenzter Finanzressourcen ist es wichtig, hier Veränderungen vorzunehmen und nicht starr etwa am bisherigen Haushaltsrecht, das generell für die allgemeine Verwaltung gilt, festzuhalten. Das ist mein Petitum hier.



Dr.-Ing. Laermann
Ich möchte im Prinzip sagen: Natürlich ist es unsere Beschlußempfehlung, die wir hier vorgelegt haben. Wir bitten um Annahme dieser Beschlußempfehlung. Ich möchte nicht im einzelnen darauf eingehen, was wir an Punkten aufgelistet haben.
Ich möchte mit einer Frage an den Forschungsminister schließen. Herr Forschungsminister, kann es sein, daß der Bericht, den wir in unserer Beschlußempfehlung gefordert haben, uns schon sehr bald, vielleicht in der nächsten Woche zugeht? Es wäre sehr zu begrüßen, daß wir hier schon Konsequenzen aus der Regierungsarbeit vorgelegt bekommen, die Sie auf Grund unserer Arbeit im Parlament gezogen haben. Wenn das so ist, würde ich mich sehr darüber freuen.
Ich bedanke mich, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1023829500
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Schmidt (Hamburg-Neustadt).
Schmidt (Hamburg-Neustadt) (GRÜNE): Meine Damen und Herren! Die politische Brisanz des Themas Großforschungseinrichtungen ist hier bisher überhaupt nicht zum Tragen gekommen. Es ist über die Freiheit der Forschung philosophiert worden, und es ist ein bißchen Technokratie abgehandelt worden. Aber man muß festhalten:
Erstens. Großforschungseinrichtungen sind untrennbar mit Atomforschung und dem Atomprogramm verbunden. Wenn jetzt über die weitere Entwicklung nachgedacht wird und von Leuten, die nach Tschernobyl wachgeworden sind oder schon vorher wach waren, was die Risiken von Atomenergie angeht, gesagt wird, dies fortzusetzen sei verbrecherisch, aber gleichzeitig gesagt wird, die Forschung in Jülich und Karlsruhe solle fortgesetzt werden, und deshalb dem Bericht der Bundesregierung zugestimmt wird, ist das schlicht und einfach schizophren oder Bauernfängerei.
Zweitens müssen wir festhalten: Ein politisch brisanter Punkt ist die Weltraumforschung, die DFVLR und andere Großforschungseinrichtungen betreiben und wo Milliardenbeträge in eine Entwicklung gesteckt werden, die bestenfalls bei einem Kommerzfernsehen über Satelliten enden könnte, das die Leute ein bißchen blöder macht.

(Stahl [Kempen] [SPD]: Aber Herr Schmidt, ein bißchen Mäßigung täte Ihnen gut!)

die schlimmstenfalls beim Krieg der Sterne und entsprechenden Vorstufen endet. Genau um diese politischen Fragen geht es.
Drittens. Wie in anderen Bereichen muß man auch hier fragen: Wo sind eigentlich die Prioritäten? Herr Fischer, Sie haben vorhin angesprochen, 4 000 Mitarbeiter sind hier tätig. An den Hochschulen sind zehn- bis zwanzigmal so viele tätig. Warum werden Milliardenbeträge für Schwerionenforschung, für Beschleunigerringe, die immer gigantischer werden, ausgegeben, während der einzelne Forscher oder die einzelne Forscherin in den Hochschulen um jede Mark und um jede Stelle kämpfen muß, oft vergeblich. Für die ist Freiheit der Forschung eine Sache, die nur auf dem Papier steht.
Viertens. Was die Neuerungen angeht, müssen wir festhalten, daß es nicht um besseres Management oder so etwas geht. Es ist aufschlußreich, hier einmal zur Kenntnis zu geben, was die betroffenen Betriebsräte und Personalvertretungen dazu äußern. Ich zitiere die Arbeitsgemeinschaft der Betriebs- und Personalräte der Großforschungseinrichtungen, die den Regierungsbericht wie folgt gekennzeichnet haben:
Hier wird offensichtlich das Ziel verfolgt, aus kleinen Kernbelegschaften mit normalen Arbeitsverträgen „flexible" Randbelegschaften nach dem Vorbild des Heuerns und Feuerns zu schaffen. Die neuen Pläne verstärken den Eindruck, daß es in Wirklichkeit um die Durchsetzung einer kritiklosen, willfährigen und den einseitigen Interessen der Industrie untergeordneten Wissenschaft geht.

(Stahl [Kempen] [SPD]: Aber das stimmt doch nicht!)

Genau das ist der Punkt, den wir kritisieren und wo wir im Unterschied zur SPD auch aufgreifen,

(Stahl [Kempen] [SPD]: Aber das stimmt nicht!)

was an Befürchtungen von Betriebs- und Personalräten geäußert wird. In Jülich, das hier verschiedentlich angesprochen worden ist, haben Wissenschaftler und Techniker gesagt, daß das, was dort an Planungen vorgelegt worden ist — Zusammenarbeit mit der Industrie, Flexibilisierung, Hereinnahme von Kapitalanteilen der Industrie — „das Ende der heutigen Großforschungseinrichtungen" bedeuten könnte, daß sie „zu reinen Dienstleistungseinrichtungen" für die Wirtschaft „zum Nulltarif" freigegeben wären.
Es ist richtig, daß wir Großforschungseinrichtungen nicht irgendwie ideologisch ablehnen. Es gibt sehr sinnvolle Vorschläge, was dort zu machen ist, wie dort interdisziplinär mit den Kapazitäten gearbeitet werden kann im Bereich der Technikfolgenabschätzung, im Bereich der Systemanalyse zur Aufnahme dessen, was an ökologischen Schäden etwa im Bereich der Energiepolitik, der chemischen Vergiftung usw. entstanden ist.
Es könnte eine Forschung in den Bereichen betrieben werden, in denen die Industrie eben nicht tätig wird, meinetwegen im Bereich des öffentlichen Verkehrs.

(Stahl [Kempen] [SPD]: Dort ist sie doch überwiegend tätig! Sie sind doch in Hamburg zu Hause! Schauen Sie sich doch bei DESY um!)

— Herr Stahl, würden Sie mich bitte ausreden lassen. Gegen DESY bin ich. Ich muß nicht dafür sein, weil ich aus Hamburg komme.
Es gibt Bereiche, in denen die Industrie nicht forscht, beispielsweise was menschengerechte Werkzeugarbeitsplätze angeht, was, wie ich sagte, die sanfte Chemie oder Alternativen im Hinblick



Schmidt (Hamburg-Neustadt)

auf die Massenverkehrsprobleme angeht. Solche Alternativen werden aber nicht befürwortet.
Aus diesem Zusammenhang heraus sind wir die einzigen, die zu keinem positiven Votum bezüglich dieses Berichts kommen können. Wir verstehen es überhaupt nicht, daß gerade vor dem Hintergrund dessen, was Betriebsräte sagen und was die SPD sonst zur Atompolitik neuerdings an Kritik äußert, die SPD diesen Bericht der Bundesregierung positiv wertet. Wir lehnen ihn entschieden ab.

(Beifall bei den GRÜNEN)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1023829600
Das Wort hat der Abgeordnete Stahl.

Erwin Stahl (SPD):
Rede ID: ID1023829700
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Was lange währt, Herr Schmidt, wird, wie ich sagen möchte, endlich gut.

(Zuruf des Abg. Schmidt [Hamburg-Neustadt] [GRÜNE))

Ihre Ausführungen, die Sie eben vor dem Deutschen Bundestag gemacht haben, scheinen mir nicht das wiederzugeben, was wir in den Ausschüssen auch durchaus gemeinsam bei unterschiedlichen Positionen, die wir insgesamt einnehmen, beraten haben.
Lassen Sie mich hinzufügen: Wenn Ihre Anträge im Deutschen Bundestag ernstgenommen würden und Sie das Sagen hätten, wäre die Hälfte der in den Großforschungseinrichtungen Tätigen heute schon ohne Arbeit.

(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der FDP)

Ich glaube, dies muß man sagen.
Lassen Sie mich auch etwas Kritisches sagen. Immerhin wurde der Bericht, über den wir heute reden, dem Deutschen Bundestag vor zweieinhalb Jahren zugeleitet. Wir haben uns nach langer, ausführlicher und, wie ich meine, auch sehr sachlicher Diskussion, Herr Schmidt, zu einem gemeinsamen Beschluß — natürlich ohne Sie, wie ich gern hinzufügen will; aber Sie haben dort doch durchaus positiv mitberaten — durchgerungen.
Lassen Sie mich hinzufügen: Es tut der Wissenschaft gut, daß Sie nicht in den Streit der Parteien absolut hineingenommen wird. Das besagt aber natürlich nicht, daß damit alle Auffassungsunterschiede zwischen den Fraktionen in bezug auf diese Einrichtungen beseitigt sind.
Meine Damen und Herren, die 13 Großforschungseinrichtungen in der Bundesrepublik mit ihren zahlreichen Mitarbeitern leisten gute, zum Teil hervorragende Arbeit. Ich habe Ihren Anfangssatz, Herr Kollege Bugl, zu dem Thema nicht verstanden. Vielleicht kann der Bundesminister dies ein wenig stärker aufklären.
Sie haben sich in den 30 Jahren, seit das erste Zentrum gegründet wurde, zu einem nicht mehr wegzudenkenden Bestandteil der deutschen Wissenschafts- und Forschungslandschaft entwickelt. Sie genießen auch im internationalen Bereich Anerkennung. Sie sind auch eine Brücke zur internationalen Zusammenarbeit im Bereich der Wissenschaft. Ich glaube, dies ist sehr positiv. Ich stelle hier fest, daß die Großforschungseinrichtungen nicht nur Leistungen bringen, sondern daß in ihnen auch der Wille zur Leistung gilt und seit jeher gegolten hat.
Ich muß, Herr Bundesminister Riesenhuber, auf einen Satz zurückkommen, den Sie gestern zur Würdigung der beiden deutschen Nobelpreisträger für Physik, Ernst Ruska und Gerd Binnig, gesagt haben. Wir freuen uns ebenfalls über hohe Auszeichnungen für deutsche Wissenschaftler. Wir beglückwünschen diese Wissenschaftler.

(Zuruf des Abg. Roth [SPD])

Sie, Herr Riesenhuber, haben dazu aber wohl gesagt: Es geht aufwärts in der deutschen Wissenschaft; der Leistungswille macht sich wieder bemerkbar. Herr Bundesminister, dazu will ich Ihnen vor dem Plenum des Bundestages einmal sagen: Hier sind Sie in Ihrer oft naßforschen und eigenartigen Art meines Erachtens wohl ein wenig über das Ziel hinausgeschossen. Ihre Heimatzeitung hat Ihnen heute wohl bescheinigt, daß Sie einen Nasenstüber erhalten haben. Nobelpreise werden auch ohne den Einfluß Ihrer sogenannten geistig-moralischen Wende, die Sie seit einiger Zeit landauf, landab verkünden, an deutsche Wissenschaftler vergeben. Ich möchte dem noch hinzufügen, Herr Bundesminister, daß ich Ihre Reaktion im Grunde anmaßend finde. Ich meine, verehrter Herr Bundesminister, die Wissenschaft in unserem Lande braucht diese Art von Kommentar nicht. Herr Riesenhuber, Sie können persönlich — ebenso wie wir, ebenso wie ich — ruhig stolz auf die vergebenen Nobelpreise sein. Sie sollten sie aber nicht als Verdienst Ihrer Politik darstellen. Überlegen Sie einmal, was Sie über die Frankfurter Uni gesagt haben, als der Ausgezeichnete, Dr. Gerd Binnig, dort noch studierte.
Nun zurück zur Großforschung. Die Großforschungseinrichtungen haben in der teilweise langen Zeit ihres Bestehens schon große Anpassungsanstrengungen erbracht und Anpassungserfolge erzielt. Herr Bugl, Sie haben hier einiges dazu gesagt. Das Parlament hat, glaube ich, hier auch in einer gemeinsamen Anstrengung mitgeholfen, gewisse Schwierigkeiten zu überwinden. Aber die Herausforderungen an die Einrichtungen, ihre Aufgabenfelder weiter an die Fortentwicklung in der Gesellschaft anzupassen, werden in der nächsten Zeit sicherlich noch größer. Davon sind natürlich nicht alle Großforschungseinrichtungen betroffen. Die rein an der Grundlagenforschung orientierten Einrichtungen wie DESY und GSI können nach den beschlossenen Planungen in großer Ruhe und Effizienz ihre Spitzenforschung Weiterbetreiben. Dagegen müssen die multidisziplinären Zentren wie Karlsruhe, Jülich, die Deutsche Forschungs- und Versuchsanstalt für Luft- und Raumfahrt, das GKSS-Forschungszentrum in Geesthacht und die Gesellschaft für Strahlen- und Umweltforschung in Neuherberg, um nur einige namentlich zu nennen, sich wohl mehr auf die neuen gesellschaftlichen



Stahl (Kempen)

und wissenschaftlichen Herausforderungen vorbereiten.
Auf dem Gebiet der Umweltforschung, auf dem Gebiet der biotechnologischen und gentechnologischen Forschung, auf dem Gebiet der Energieforschung und auf dem Gebiet der Informationstechnik warten neue wichtige Aufgaben. Das Gebot der Stunde für die Großforschungseinrichtungen in diesen Bereichen lautet: Flexibilität für neue Ziele und neue Felder.
Ich weiß, daß damit auch an die Mitarbeiter in den Einrichtungen große Erwartungen gestellt sind, sich wechselnden Aufgabengebieten zu widmen. Ich möchte die Mitarbeiter in den Großforschungseinrichtungen von dieser Stelle aus ermutigen, sich dieser Herausforderung zu stellen, auch wenn es verständlicherweise dem einen oder anderen persönlich oftmals schwerfällt.
Herr Laermann, ich weiß nicht, was Sie hier mit dem Wort von der „neuen Dezentralisierung" eigentlich in die Debatte einbringen wollten. Lassen Sie mich sagen: Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion ist stolz darauf, daß in der Zeit einer SPD-geführten Bundesregierung auch die Mitwirkungsgrundsätze für Mitarbeiter in den Grundforschungseinrichtungen eingeführt worden sind. Wir werden darauf achten, daß das Mitspracherecht der Mitarbeiter in den Großforschungseinrichtungen nicht zu kurz kommt.
Auf der anderen Seite will ich nicht verhehlen, daß ich von diesen Mitarbeitern zum Wohle der ganzen Bundesrepublik auch erwarte, daß die Ergebnisse der Großforschung doch wichtiger bleiben als in dem einen oder anderen Fall die persönlichen Ziele eines Mitarbeiters.
Meine Damen und Herren, eine Bemerkung zum Schluß. Wir wissen ja, daß die Aufsichtsräte den Gang der Großforschung wesentlich steuern. Wir wissen auch, daß die Aufsichtsräte der Großforschungseinrichtungen im wesentlichen aus der Beamtenschaft des BMFT kommen. Deshalb werden wir weiter mit großer Aufmerksamkeit darauf achten, daß Kritik aus dem BMFT an den Großforschungseinrichtungen sehr sorgfältig auf ihre Berechtigung hin geprüft wird.
Ich spreche mich im Namen der SPD-Bundestagsfraktion für eine Stärkung der Verantwortlichkeit der Vorstände der Großforschungseinrichtungen aus. Ich trage insbesondere die Forderung mit, daß sich die Aufsichtsräte in sehr viel größerem Maße aus Wissenschaft und Wirtschaft rekrutieren sollten und daß künftig, Herr Bundesforschungsminister, auch Aufsichtsratsvorsitzende gewählt werden sollten, die nicht dem Forschungsministerium angehören. — Herr Lenzer, das sind keine neuen Töne. Die Töne sind altbekannt. Sie sollten nicht so tun, als wenn die Sozialdemokraten in diesem Bereich keine eigenen, vernünftigen Vorstellungen hätten.

(Vorsitz: Vizepräsident Westphal)

Die SPD wird den Dialog mit den Forschungszentren und den Mitarbeitern weiterführen und ihn fördern, wenn notwendig, auch kritisch.
Wir empfehlen Annahme der Beschlußempfehlung.
Schönen Dank.

(Beifall bei der SPD)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1023829800
Das Wort hat der Bundesminister für Forschung und Technologie.

Dr. Heinz Riesenhuber (CDU):
Rede ID: ID1023829900
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Vor allem möchte ich mich bedanken für den breiten Konsens und die weitgehende Übereinstimmung — wenn ich jetzt einmal von den GRÜNEN absehe —, die wir in der Diskussion über die Großforschungseinrichtungen nicht nur in dieser Debatte, sondern über die letzten Jahre gehabt haben. Ich glaube, das ist eine sehr wichtige Sache als Rahmenbedingung für die Arbeit der Wissenschaftler in der Großforschung. Sie müssen sich darauf verlassen können, daß wir alles tun, um ihnen bei der Arbeit zu helfen. Sie müssen sich darauf verlassen können, daß wir gute und verläßliche Rahmenbedingungen schaffen. Sie müssen allerdings auch sehen, daß wir wirklich herausragende Leistungen entsprechend anerkennen und uns darüber freuen.
Nun haben Sie, Herr Stahl, über die Frage der Nobelpreisträger gesprochen. Wir freuen uns alle gemeinsam darüber. Herr Stahl, ich möchte eines festhalten: Ich habe nie gesagt, der Staat könne etwas dafür tun, daß die Wissenschaft an Glanz und Ideen gewinne. Aber der Staat kann eine Menge dafür tun, daß sich dieser Glanz nicht entwickelt. Es gibt eine Situation, in der Sie durch das Wachsen von Bürokratien, durch die Beschäftigung mit Gremien eine Stimmung bekommen, in der die Lust an der Leistung, an der Glanzleistung, an der Spitzenleistung kleiner wird. Dann kommt sie nicht.
Wenn man davon spricht, daß wir uns freuen, daß es mit der deutschen Wissenschaft weiter aufwärts geht, muß ich sagen, Herr Stahl: Wenn Sie sich angeschaut haben, wie Klaus von Klitzing im letzten Jahr gefeiert worden ist, wie sich die Wissenschaftler gefreut haben, daß einer der Ihren eine hervorragende Leistung gebracht hat, dann ist es nicht etwa eine Anmaßung des Staates, darauf aufmerksam zu machen — so als ob er glaubt, hier etwas bestimmen zu können —, sondern dann ist das eine Anerkennung der Begeisterung und der Freude an der Sache, die in der Wissenschaft dann besteht, wenn hervorragende glanzvolle Leistungen aus der Wissenschaft selbst möglich gewesen sind.

(Stahl [Kempen] [SPD]: Aber wer stellt das denn in Frage? Wir wenden uns nur gegen Ihre Art der Kommentierung!)

Das und nichts anderes habe ich gesagt.
Im übrigen ist mir die Universität Frankfurt von innen vertraut. Ebenso wie Herr Binnig komme ich



Bundesminister Dr. Riesenhuber
von der Universität Frankfurt. Ich habe sie mit Vergnügen von verschiedenen Seiten kennengelernt.

(Roth [SPD]: So schlecht kann sie also nicht gewesen sein!)

— Ich bedanke mich für dieses Kompliment, das Herrn Binnig und mir gilt.

(Roth [SPD]: Sie haben also im roten Hessen etwas gelernt. Das freut mich!)

— Ich sage ja nicht, daß nicht auch trotz einer schlechten Politik eine gute Leistung möglich ist. Das muß man j a auch anerkennen.

(Roth [SPD]: Ja, unsere Nobelpreisträger!)

Hinsichtlich der Fragen, die wir heute diskutieren, haben wir in unterschiedlichen Bereichen in den letzten Jahren erhebliche Fortschritte gemacht. Der Ausgangspunkt im Jahr 1983 ist ja nicht überall zuversichtlich gewesen. Ich möchte Ihnen das Votum eines tüchtigen Beamten des Hauses nicht vorenthalten, das er damals auf die Vorlage geschrieben hat. Er schrieb damals: „Ob wir bei den Zentren, den großen, damit auf Verständnis wohl stoßen? Drum laßt uns besinnen, bevor wir beginnen; sonst geht so was leicht in die Hosen."
Das war wirklich eine Überlegung: ob wir nicht die Latte mit unseren Ansprüchen zu hoch gelegt hatten. Aber das, was sich gezeigt hat — auch bis in diese Debatte gezeigt hat —, war, daß wir in den verschiedenen Bereichen die Weichen gemeinsam neu auf Richtung Erfolg gestellt haben, gemeinsam nicht nur im Deutschen Bundestag, sondern auch mit den Großforschungseinrichtungen selbst. Das sind ganz verschiedene Bereiche. Nur am Rande ist hier der sehr wichtige Bereich der inhaltlichen Umgestaltung diskutiert worden.
Es gibt Bereiche, in denen wir vom Interesse her zurückgehen. Das gilt für die Kerntechnik. Herr Schmidt, ich habe Ihr Argument nicht voll verstanden. Die Kerntechnik ist heute schon ein kleiner Teil der Projekte insgesamt in den Großforschungseinrichtungen.

(Schmidt [Hamburg-Neustadt] [GRÜNE]: Sie wird fortgesetzt!)

— Sie müssen sich die Zahlen anschauen. Es ist wichtig, Zahlen zu kennen, bevor man zur Sache spricht. Bei der Kernforschungsanlage Karlsruhe sind es jetzt noch etwas mehr als 60 %; in vier Jahren werden wir unter 40 %, wahrscheinlich bei 35% sein.

(Schmidt [Hamburg-Neustadt] [GRÜNE]: 35% zuviel!)

Bei der Kernforschungsanlage in Jülich sind wir heute nur noch bei 15%, und wir kommen auf unter 10%, und dies bei staatlichen Aufgaben, bei hoheitlicher Verantwortung im Bereich von Sicherheit, Umweltschutz und Entsorgung, wo wir eigenes Wissen brauchen.
Dann fragt sich natürlich: Was tun wir mit dem Raum, den wir gewinnen, wo sind die neuen Themen, die wir angehen, wo sind die zuwachsenden Bereiche, und wie ermitteln wir sie?
Da bitte ich wirklich von der außerordentlichen Vielfalt der Großforschungseinrichtungen, die ja völlig verschieden sind, auszugehen. Es gibt Großforschungseinrichtungen, die mit einer einzigen Technik oder mit einem einzigen Gerät Grundlagenforschung langfristiger Art betreiben, so etwa, um nur zwei Beispiele zu nennen, DESY in Hamburg oder die Gesellschaft für Schwerionenforschung. Die Aufgabe besteht hier darin, ihnen die Geräte so zu geben, daß sie Leistungen von hervorragender Qualität erbringen können. Deshalb haben wir diese sehr großen Investitionen geschultert.
Dies ist aber nicht nur etwas für diese Großforschungseinrichtungen, sondern die Kraft und die Dynamik ergeben sich auch aus einer engen Zusammenarbeit mit den Universitäten, aus einer engen internationalen Zusammenarbeit bis weit in die Reihen der Entwicklungsländer hinein und aus einer Strukturierung der Forschungslandschaft, die so geartet ist, daß die internationale Wissenschaft zunehmend Freude am gemeinsamen Lösen der schwierigen Aufgaben hat, und zwar mit Hilfe der besten Köpfe, die wir bekommen können. Es ist also nicht so, daß die Großforschungseinrichtungen dies nur für sich betreiben würden, sondern sie bringen Voraussetzungen und Dienstleistungen in einen sehr umfassenden Prozeß ein.
Aufgreifen möchte ich hier die gelegentlich vorgebrachte Kritik, daß wir uns zuviel vorgenommen hätten. Ich räume ein, die Beträge sind sehr groß. Das liegt auch daran, daß es sich eben bis 1982 — ich sage es einmal zurückhaltend — ein bißchen gestaut hat. Aber immerhin gab es damals doch schon 310 Millionen DM im Jahr für Großprojekte. Wir sind jetzt bei mehr als dem Doppelten, bei 628 Millionen, und das ist in Ordnung, weil nur das die Voraussetzungen dafür schafft, daß tüchtige Wissenschaftler wirklich etwas machen können, was nur in der Großforschung möglich ist, nicht aber in den Universitäten. Somit kann die Großforschung Voraussetzungen für die Arbeit der Universitäten schaffen.
Dazu gehören Großgeräte wie der Schwerionenbeschleuniger oder der neue Reaktor in Berlin, und dazu gehört auch der Höchstleistungsrechner, der von verschiedenen Großforschungseinrichtungen gemeinsam errichtet wird. Es ist zu Recht darauf hingewiesen worden — ich glaube, von Herrn Kollegen Laermann —, wie wichtig die Kooperation der Großforschungseinrichtungen miteinander, aber auch nach außen, in die Industrie hinein, ist.
Wir haben einen zweiten Komplex, der ebenfalls ein hohes — und in diesen Jahren wachsendes — Gewicht hat. Es ist der Bereich von Umwelt und Klima, von Vorsorge- und Gesundheitsforschung. Wir gründen beim Deutschen Krebsforschungszentrum ein neues großes Institut für Tumorvirologie, weil wir glauben, daß hier in der Wissenschaft wirkliche Durchbrüche möglich sind, so daß die Heilung von Krankheiten, bei denen wir jetzt fast hilflos sind, näherkommt. Es gibt große Bereiche der Krebsforschung, in denen die Fortschritte in den



Bundesminister Dr. Riesenhuber
letzten Jahren gering waren. Hier haben wir einen neuen Ansatz.
Wir haben den Bereich der Umweltforschung und der ökologischen Wirkungsforschung ausgeweitet. Wir haben ein Frühwarnnetz für ökologische Entwicklungen, die gefährlich sein können, aufgebaut, aber auch für gesellschaftliche Entwicklungen selbst, die wir rechtzeitig erkennen müssen. Natürlich haben wir da keine Patentrezepte. Der Erfolg hängt immer von der Sensibilität kluger Wissenschaftler, die mit vielen Leuten reden, ab. Aber es geht darum, daß wir die Techniken, die wir entwikkeln und die sich unabhängig von unserem Einfluß entwickeln, grundsätzlich verstehen, so daß wir die Rahmenbedingungen für sie verantwortlich gestalten können.
Wir haben dies in ganz unterschiedlichen Bereichen getan, beim Klima, beim CO2-Problem, bei Sondermüllfragen, beim Wald, und wir haben — ich spreche wieder von der Kooperation der Großforschungseinrichtungen — zum ersten Male einen gemeinsamen Beirat für Umweltfragen für alle Großforschungseinrichtungen so angelegt, daß sich eine gemeinsame Strategie entwickeln kann, und das wollen wir in der Medizin — da haben wir einen zweiten großen Wachstumsbereich — entsprechend anlegen.
Der dritte Bereich sind die großen Langzeitprogramme des Staates: die Weltraumforschung, die Polarforschung, die Fusionsforschung. Da gibt es eine enge internationale Zusammenarbeit. Wir stärken diese Bereiche zunehmend, weil wir wissen, daß hier eine ursprüngliche Aufgabe des Staates liegt. Daß dadurch der Anteil dessen, was direkt auf die Wirtschaft hin orientiert ist, schrittweise zurückgeführt wird, ist einerseits richtig. Andererseits aber stimme ich all denen zu, die darüber gesprochen haben, daß dieser Anteil besser genutzt, die Kooperation enger werden, die Selbstverständlichkeit des Gesprächs ständig weiter wachsen muß. Hier haben wir in den letzten Jahren durch den Einsatz vieler wirklich erhebliche Fortschritte gemacht. Daß auch neue Instrumente einzusetzen sind, ist richtig. Herr Laermann hat — Herr Bugl hat es angesprochen — die Frage von Aufsichtsräten aufgeworfen, die nicht nur dem Forschungsministerium angehören. Wir haben bis jetzt einen solchen beim Institut für Plasmaphysik in München. Wir sind beim Heinrich-Hertz-Institut, bei der Gesellschaft für Mathematik und Datenverarbeitung und bei der Gesellschaft für Biologische Forschung in weit fortgeschrittenen, aber zum Teil schwierigen Verhandlungen über die satzungsgemäßen Umgestaltungen, weil wir da auch die Länder brauchen, bei der Gesellschaft für Mathematik und Datenverarbeitung beispielsweise das Land Nordrhein-Westfalen. Ich wäre sehr dankbar, wenn uns hier in den nicht immer ganz einfachen Gesprächen gelegentlich auch freundschaftlich geholfen werden könnte. Das heißt also, wir haben dies in den verschiedenen Bereichen aufgegriffen, weil es der Wille des Parlaments und auch unser eigener ist. Wir bringen dies zunehmend voran.
All dieses, auch die Hinwendung zu neuen Themen für die Wirtschaft, ist unter schwierigen Bedingungen durchzuführen. Ich nenne die Bereiche Biologie und Biotechnologie, den Aufbau einer Materialforschung über das große Spektrum von der Feinkeramik über die Verbundwerkstoffe bis zur Pulvermetallurgie, die Frage der Informationstechnik, und zwar ausgehend von einer vorzüglichen Festkörperphysik — Grundlagenforschung, die wir beispielsweise in Jülich haben, die aber auf die Anwendung hin orientiert werden muß, so daß der Chip daraus entstehen kann. Dies wird mit einem zunehmenden Schwung von den Großforschungseinrichtungen selbst aufgegriffen, aber auch in einer engen Zusammenarbeit mit der Wirtschaft. Ich kann mir vorstellen, daß beispielsweise das Instrument der gemeinsamen Institute auf Zeit, mit denen andere erfolgreiche Erfahrungen gemacht haben, vorzüglich geeignet ist, neues Wissen nicht nur schnell aufzugreifen, sondern weiterzuentwickeln und dann aus der Grundlagenforschung in die Anwendung so umzusetzen, daß es tatsächlich schnell neue Technik und Arbeitsplätze schaffen kann.
Dies alles muß unter den Bedingungen quasi stagnierender, ja in den letzten Jahren sogar schrumpfender Stellenpläne geschafft werden. Dies ist eine extreme Schwierigkeit. Wir haben akzeptiert, daß die frühere Regierung das 7,5 %-Programm beschlossen hat. Es war in der Sache begründet, auch wenn es hart war. Unter diesen Bedingungen haben wir zu arbeiten gehabt. Wir haben Hilfskonstruktionen aufgebaut. Wir haben kw-Stellen eingerichtet — 30 in diesem Jahr, sicher 40 im nächsten Jahr —; wir wollen an dieser Stelle helfen. Wir haben die Stellen für Nachwuchskräfte geschaffen und erweitert: 56 waren es 1982, wir sind jetzt bei 330, und die Zahl dieser Stellen steigt weiter. Wir haben die Möglichkeit erweitert, daß junge Leute — Wissenschaftler — in die Wirtschaft gehen, ohne sofort zu riskieren, daß sie ihre Altersversorgung aufgeben müssen. Wir haben die Zahl der Lehrlinge seit 1982 um die Hälfte gesteigert und auch damit nicht nur eine Leistung vollbracht, sondern auch für die Zukunft Chancen für die Großforschungseinrichtungen eröffnet. Wir haben die Zeitverträge erweitert — dies ist unser gemeinsamer Wille gewesen —, und zwar nicht in einer Weise, daß sie die Strukturen überfremden. Aber wir haben jetzt statt 253 Zeitverträge 532, also gut eine Verdoppelung. Das sind, bezogen auf das Ganze, 5%. Das ist noch nicht überwältigend. Aber dies ist bei den Möglichkeiten, tüchtige Leute in die Arbeit hereinzuziehen, eine neue Qualität. Dies ist wirklich in einer beeindruckenden Weise genutzt worden, indem wir in diesen Jahren starker Jahrgänge den tüchtigen Leuten eine Chance geben konnten. Dadurch, daß wir den tüchtigen Leuten eine Chance gegeben haben, haben wir aber auch den Großforschungseinrichtungen selbst eine hervorragende Chance eröffnet.
Ich möchte mich für alle Unterstützung in den Fragen der Erleichterung der Herbeiführung von flexiblen Strukturen bedanken, die konkret angesprochen sind. Ich halte dies für essentielle Fragen: die Frage der Flexibilität in den Stellenplänen, wie



Bundesminister Dr. Riesenhuber
wir sie jetzt haben, die Frage der Deckungsfähigkeit von Betriebs- und Investitionskosten — zwei ganz zentrale Bereiche — und, was ich gerade angesprochen habe, die Frage von Lehrstellen für Mitarbeiter, die in die Wirtschaft gehen oder auch bereit sind, selber Unternehmen zu gründen.
Daß wir dies alles trotz der Schwierigketen, die ein verantwortlicher Haushälter haben muß, mit dem Willen weiterentwickeln, daß wir die Erfolge eines solchen Modellprogrammes zeigen und damit um Vertrauen werben, daß dies auch in größeren Bereichen — in weiteren Instituten, vielleicht auch schrittweise im universitären Bereich, aber vielleicht auch mit weiteren Instrumenten — getan werden kann, scheint mir ein wichtiges Anliegen zu sein. Ich habe sehr wohl die Anregung aus dem Parlament gehört, Herr Kollege Laermann, daß wir die Überlegungen noch einmal sehr genau überprüfen, wenn erste Aussagen da sind.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich meine, daß wir hier auf einem Weg sind, der sicher schwierig ist. Man kann auch nicht glauben, daß eine gewisse Umgestaltung einmal abgeschlossen wäre. Die Kirche ist deshalb heute so kraftvoll und jung, weil sie davon ausgegangen ist: ecclesia semper reformanda, d. h. daß sie sich immer reformieren muß, und zwar aus sich selbst, nicht von außen her. Die große Leistung, die mich in diesen Jahren sehr beeindruckt hat, war, daß innerhalb dessen, was der Staat als Rahmen setzen kann, die Großforschungseinrichtungen eine beachtliche innere Dynamik entwickelt haben und die Reformen und ihre Strukturen aus eigener sachlicher Substanz und aus eigener Kraft geschaffen haben. Ich glaube, wenn wir dieses in den nächsten Jahren entsprechend unterstützen, wenn wir auf die Eigenverantwortung und Dynamik der Wissenschaft setzen, wenn wir die Voraussetzungen schaffen, daß sie sich hier mit Schwung in weniger bürokratisch geprägten Feldern weiterentwickeln kann, dann werden die Großforschungseinrichtungen den Beitrag zu unserer Industrielandschaft leisten, der für die Dynamik unserer Wissenschaft, für einen vernünftigen Umgang mit einer verletzlichen Welt und für den Aufbau eines Landes, das als Industrienation in einem dicht besiedelten Kontinent erfolgreich überleben will, zu wünschen ist. In diesem Sinne freue ich mich, daß wir hier einen Grundkonsens haben, der sich auch über Legislaturperioden hinweg als tragfähig erwiesen hat. Dies ist eine Voraussetzung und vielleicht die beste Anerkennung der Leistungen der Wissenschaftler in den Einrichtungen selbst.
Ich bedanke mich.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1023830000
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung. Wer der Beschlußempfehlung des Ausschusses für Forschung und Technologie auf Drucksache 10/5178 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Dann ist die
Beschlußempfehlung des Ausschusses mit großer Mehrheit angenommen worden.
Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 14 auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Filmförderungsgesetzes
— Drucksache 10/5448 —
Beschlußempfehlung und Bericht des Aus-
schusses für Wirtschaft (9. Ausschuß)

— Drucksache 10/6108 —
Berichterstatter :
Abgeordnete Frau Geiger Frau Dr. Martiny

(Erste Beratung 216. Sitzung)

Hierzu liegen Änderungsanträge und Entschließungsanträge der Fraktion der SPD sowie der Fraktion DIE GRÜNEN auf den Drucksachen 10/6160 bis 10/6163 und 10/6186 sowie 10/6187 vor.
Meine Damen und Herren, nach einer Vereinbarung im Ältestenrat sind für die Aussprache 45 Minuten vorgesehen. — Dazu höre ich keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Bevor die Aussprache eröffnet wird, bittet die Berichterstatterin Frau Geiger um das Wort.

Michaela Geiger (CSU):
Rede ID: ID1023830100
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lassen Sie mich als Berichterstatterin eine sachliche Richtigstellung betreffend die Beschlußempfehlung des federführenden Wirtschaftsausschusses vornehmen. Auf Seite 5 der Bundestagsdrucksache 10/6108 steht nach 7. a das Wort „entfällt", das sich auf § 15 Abs. 2 Nr. 5 des Filmförderungsgesetzes bezieht. Der Klarheit wegen muß dieses Wort „entfällt" ersetzt werden durch die vom Wirtschaftsausschuß gewünschte Anordnung „Abs. 2 Nr. 5 wird gestrichen".

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1023830200
Bleiben Sie hier, Frau Kollegin. Sie sind die erste Rednerin in dieser Debatte. Sie haben das Wort.

Michaela Geiger (CSU):
Rede ID: ID1023830300
Herr Präsident! Seit der ersten Lesung der Novelle zum Filmförderungsgesetz am 16. Mai 1986 haben wir im Wirtschaftsausschuß die Zeit nicht untätig verstreichen lassen. Ziel dieser Novelle ist es ja, die bisherige wirtschaftliche Filmförderung des Bundes, die am 31. Dezember 1986 auslaufen würde, mit neuen Akzenten über dieses Datum hinaus fortzusetzen. Es ist ein Gesetz daraus geworden, das geeignet ist, die Elemente der Wirtschaftlichkeit im Interesse einer Strukturverbesserung der Filmwirtschaft zu verstärken.
Das Filmförderungsgesetz hat seit 1979 zwar wesentlich dazu beigetragen, das Qualitätsniveau des deutschen Films zu steigern. Große Erfolge wie die Filme „Die Ehe der Maria Braun", „Das Boot", „Die Blechtrommel" und „Paris-Texas" wurden z. B. von der Filmförderungsanstalt gefördert. Diese positiven Beispiele haben jedoch nicht verhindern kön-



Frau Geiger
nen, daß die Umsätze, die die Filmtheater mit deutschen Filmen machten, ständig sanken. Die Lage der Filmtheater wurde insgesamt immer prekärer; Abhilfe tat not. Auch eine Verstärkung der Filmverleihförderung war notwendig; Kinder- und Jugendfilme sollten besonders gefördert werden.
Wir haben es uns im Laufe der Beratungen nicht leichtgemacht. Wenn Sie sich die ursprüngliche Fassung des Änderungsgesetzes ansehen und sie nun mit der Beschlußempfehlung des Wirtschaftsausschusses vergleichen, wird klar, daß wir noch eine Fülle — wie ich meine: positiver — Änderungen untergebracht haben. Das Hearing, das vom Wirtschaftsausschuß durchgeführt wurde, ist also nicht ergebnislos verhallt. Vielmehr haben wir wichtige Anregungen aufgegriffen und in die Tat umgesetzt. Leider haben wir nicht alle Wünsche erfüllen können. Das Gesetz, das heute verabschiedet werden soll, stellt meiner Meinung nach jedoch einen tragbaren Kompromiß dar, mit dem die Filmwirtschaft in den nächsten sechs Jahren gut leben kann.
Ein besonderes Anliegen war meiner Fraktion die Entlastung der deutschen Filmtheater, die sich derzeit in einer sehr angespannten wirtschaftlichen Lage befinden.

(Suhr [GRÜNE]: Durch Ihre Medienpolitik!)

Wir haben deshalb die Freigrenze für den Jahresumsatz aus dem Verkauf von Eintrittskarten von 30 000 DM auf 80 000 DM heraufgesetzt und gleichzeitig noch eine zusätzliche Ermäßigung der Filmabgabe um einen halben Prozentpunkt durchgesetzt. Mit der neuen Filmabgabe, gestaffelt von 1,5 bis 2,5 %, haben wir die Filmtheater über den Regierungsentwurf und über die Vorschläge der SPD hinaus spürbar entlastet.
Wir haben außerdem für die kleineren Kinos in Kleinstädten und strukturschwachen Gebieten noch ein Weiteres getan: Wir gewähren eine zusätzliche Hilfe in Form einer Förderhilfe bei der Herstellung von Filmkopien. Wir begrüßen auch, daß die Bundesregierung die Förderung von Filmtheatererrichtungen in den Katalog ihrer Förderungsmaßnahmen aufgenommen hat.
Wir hoffen, daß wir den deutschen Filmtheatern mit diesem Bündel von Maßnahmen wirksam helfen, und wir hoffen, daß manchem Kino damit das „Überleben" oder ein besseres Leben ermöglicht wird.
Wir sind der Ansicht, daß alle, die den Spielfilm nutzen, auch einen Beitrag zur Produktion von Filmen leisten sollten. Deshalb ist es nach unserer Ansicht folgerichtig, daß die Videowirtschaft ebenso zu einer Filmabgabe herangezogen wird. Es ist für mich ein Gebot der Gerechtigkeit, wenn neben den Filmtheatern auch die Videotheken, die fast ausschließlich mit Spielfilmen zu tun haben, zu einer Filmabgabe herangezogen werden.

(Duve [SPD]: Und die Fernsehanstalten auch!)

— Kommt noch, Herr Duve. — Entsprechend der Regelung bei den Filmtheatern haben wir eine Freigrenze von 80 000 DM und gestaffelte Filmabgaben zwischen 1 und 2% vorgeschlagen. Wir sollten allerdings auch in der kommenden Legislaturperiode die Forderung der Videowirtschaft nach Halbierung des Umsatzsteuersatzes auf ihre Durchführbarkeit hin überprüfen.
In der Frage der Drehbuchförderung haben wir uns — wenn auch mit einigen nicht ganz ausgeräumten Zweifeln meinerseits, wie ich zugeben möchte — an die Empfehlungen des Bundesrates gehalten, der sich gegen die Streichung der Drehbuchförderung gewandt hat. Nach Ansicht des Bundesrates kann der Flut der ungenügend qualifizierten Anträge dadurch begegnet werden, daß Autoren nur in Verbindung mit einem Filmhersteller Förderungshilfe beantragen können. Dies haben wir im Wortlaut übernommen.
Bei der Produktionsförderung dürfen wir nicht außer acht lassen, daß das Filmförderungsgesetz ein Wirtschaftsgesetz und kein kulturpolitisches Gesetz ist. Daher können wir auf wirtschaftliche Kriterien wie erhöhte Anforderungen an den Eigenkapitalnachweis des Herstellers und auch an Besucherzahlen nicht verzichten. Eine Förderung von Filmen, die niemand sehen will, halte ich nach wie vor für unsinnig.
Den Produzenten wollen wir damit helfen, daß wir bei der Bemessung des Eigenanteils flexibler werden. Denn bei hohen Produktionskosten kann ein Projekt unter Umständen sonst nicht verwirklicht werden. Mit der Formulierung
Projektfilmförderung wird nur gewährt, wenn der Hersteller an den im Kostenplan angegebenen und von der Anstalt anerkannten Kosten einen nach dem Produktionsumfang, der Kapitalausstattung und der bisherigen Produktionstätigkeit des Herstellers angemessenen Eigenanteil, mindestens jedoch 15 vom Hundert, trägt
ermöglichen wir es den Kommissionsmitgliedern der Filmförderungsanstalt, eine individuelle Regelung des Eigenanteils zu finden.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1023830400
Frau Abgeordnete, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Duve?

Michaela Geiger (CSU):
Rede ID: ID1023830500
Ja, bitte.

Freimut Duve (SPD):
Rede ID: ID1023830600
Frau Kollegin, Sie haben eben gesagt, eine Förderung von Filmen, die niemand sehen will, würden Sie nicht unterstützen.

Michaela Geiger (CSU):
Rede ID: ID1023830700
Eine wirtschaftliche Förderung.

Freimut Duve (SPD):
Rede ID: ID1023830800
Ich wollte Sie fragen, ob Sie diese Regel auch für die Produktion von Gedichtbänden, die ja sehr stark gefördert werden, gelten lassen würden.

Michaela Geiger (CSU):
Rede ID: ID1023830900
Vom Bundeswirtschaftsministerium? Das ist mir nicht bekannt.




Freimut Duve (SPD):
Rede ID: ID1023831000
Nein, nicht vom Wirtschaftsministerium. Aber es gibt immer eine kulturelle Dimension der Filmförderung.

Michaela Geiger (CSU):
Rede ID: ID1023831100
Das stimmt. Aber dieses Gesetz ist nun einmal beim Bundeswirtschaftsministerium angesiedelt. Deshalb muß ich es als ein Wirtschaftsgesetz ansehen.

(Duve [SPD]: Darunter sollten die Filmer nicht leiden! — Zuruf von der CDU/CSU)

Grundsätzlich hält meine Fraktion einen Beitrag zur Filmförderung auch der privaten Rundfunk- und Fernsehanstalten sowie eventuell eines zukünftigen Pay-TVs für erforderlich. Eine Verpflichtung zur Abgabe in das Gesetz hineinzuschreiben, wie es die SPD fordert, halten wir aus verschiedenen, auch rechtlichen Gründen jedoch nicht für vernünftig. Es würde dann auch für die öffentlich-rechtlichen Anstalten gelten. Das ist derzeit nicht ratsam.
Wir haben uns statt dessen für die Ihnen vorliegende Entschließung entschieden. Danach wird die Bundesregierung aufgefordert, für die Zeit nach dem Auslaufen des 4. Film-Fernseh-Abkommens eine vergleichbare Förderung des deutschen Films über eine Verlängerung dieses Abkommens hinaus einvernehmlich zustande zu bringen.
Die Verhandlungen mit den privaten Fernsehanstalten müssen von der Bundesregierung mit dem Ziel, im Rahmen der Gleichbehandlung öffentlich-rechtlicher und privater Veranstalter einen Beitrag zur Filmförderung zu leisten, unverzüglich intensiviert werden. Als Grundlage für eine Vereinbarung sollten die Umsatzvolumina im Verhältnis zwischen öffentlich-rechtlichem Fernsehen und privatem Fernsehen und die Leistungen der öffentlich-rechtlichen Fernsehveranstalter nach dem 4. Film-Fernseh-Abkommen dienen.
Des weiteren fordern wir die Bundesregierung auf, spätestens zwei Jahre nach Inkrafttreten des ersten Gesetzes zur Änderung des Filmförderungsgesetzes über die Ergebnisse der Verhandlungen zu berichten.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, in den wenigen Minuten, die mir heute zur Verfügung stehen, kann ich nicht alle mir wichtig erscheinenden Punkte unseres neuen Gesetzes ansprechen. Ich hoffe jedoch, mein kurzer Überblick hat Ihnen wenigstens ein klein wenig Einblick in dieses komplizierte Gesetzeswerk verschafft und Sie davon überzeugt, daß die Novelle in die richtige Richtung geht.
Allen Beteiligten möchte ich abschließend für die gute und sachliche Zusammenarbeit bei der Beratung des Gesetzes danken.
Ich bitte Sie, im Interesse der Filmwirtschaft um Ihre Zustimmung zu diesem Gesetz.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1023831200
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Dr. Martiny.

(Dr. Unland [CDU/CSU]: Warum denn in Grün?)


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1023831300
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Warum nicht in Grün? Ich habe grüne Augen, und da paßt das eigentlich ganz gut.
Wir beschließen hier heute kein Jahrhundertwerk, sondern schlicht die Verlängerung der Geltungsdauer eines sehr komplizierten und verschachtelten Gesetzes um weitere sechs Jahre. Es gibt nur wenig substantielle Veränderungen. Im Grunde könnte man leicht ironisch anmerken: Tant de bruit pour une omelette.
Die Geschichte dieses Gesetzes reicht in die 60er Jahre zurück. Wer Spielfilme vorführt undd davon einen wirtschaftlichen Nutzen hat, soll einen bescheidenen Anteil dieses Nutzens abzweigen und für die Herstellung weiterer Spielfilme und für Verbesserungen im Rahmen der Filmwirtschaft verwenden. Dieser Grundgedanke bleibt nach wie vor richtig.
Allerdings hat sich seit den 60er Jahren hinsichtlich der Nutzung von Spielfilmen eine einschneidende Veränderung vollzogen. Die Breitenauswertung von Spielfilmen geschieht heute nicht mehr im Kino, sondern über den häuslichen Fernsehschirm. Selbst Einschaltquoten von nur 10 oder 15% bedeuten eine weit höhere Zuschauerzahl, als manche Filme im Kino je erreichen können.
Das hatte zur Folge, daß außer den Kinos, die von Anfang an für die Herstellung neuer Spielfilme ihren Beitrag leisteten, sich auch die Fernsehanstalten den Ansprüchen an eine Mitbeteiligung an der Finanzierung von Anfang an nicht widersetzen konnten und ihren Beitrag im Laufe der Jahre erheblich erhöht haben.
Nach wie vor kann ich allerdings nicht umhin festzustellen, daß die Fernsehanstalten vergleichsweise billig an Spielfilme herankommen. Wenn man ins Verhältnis setzt, was die Fernsehanstalten beispielsweise für Shows ausgeben und was sie für einen Spielfilm bezahlen müssen, der zuvor im Kino gelaufen ist, wird das Mißverhältnis schlagartig deutlich.
Eine substantielle Verbesserung des Filmförderungsgesetzes hat es 1973 gegeben, als es nämlich gelang, das vielzitierte ominöse Schnulzenkartell zu durchbrechen und Förderinstrumentarien in das Gesetz einzubauen, die damals dem neuen deutschen Spielfilm zugute kamen; eine beispiellose kulturelle Blüte des deutschen Films mit breiter internationaler Anerkennung stellte sich ein. Wohin auch immer in der Welt man kam, ob nach Paris, Sydney, Los Angeles, Moskau oder Neu-Delhi, alle Welt redete von Faßbinder, Schlöndorff, Herzog, Wenders, Kluge, Margarethe von Trotta oder Ulrike Ottinger, um nur einige Namen zu nennen.

(Daweke [CDU/CSU]: Schamoni! Nun haben Sie meinen Lieblingskomponisten ausgelassen!)

Trotz dieser Blüte, die sich auch wirtschaftlich durchaus bemerkbar machte, ging es den Kinos allerdings zunehmend schlechter, und sie erwirtschafteten ihr Plus, wenn überhaupt, dann überwiegend mit amerikanischen Filmen. Der deutsche



Frau Dr. Martiny-Glotz
Film verlor zunehmend an Marktanteil in der deutschen Filmwirtschaft.
Heute stehen wir an einem Punkt, wo es ein verhängnisvoller Fehler wäre, den deutschen Film isoliert von der Medienentwicklung insgesamt zu betrachten. Das Kino als primäre Auswertungsstätte von Filmen müßte angesichts der Konkurrenzsituation zum Fernsehen kulturpolitisch fast genauso gehätschelt werden wie unsere Opernhäuser und Museen, und dies geschieht nicht. Die reduzierte Mehrwertsteuer reicht natürlich bei weitem nicht aus als Anerkennung der kulturellen Bedeutung, die das Kino hat oder haben könnte und nach meiner Meinung haben müßte.
Hier liegt einer der Hauptpunkte meiner Kritik an dem zu verabschiedenden Gesetz. Obgleich all die Maßnahmen, von denen Frau Geiger gesprochen hat, zum Teil erst im Wirtschaftsausschuß der Novelle hinzugefügt worden sind, ist nach meiner festen Überzeugung nach wie vor unzureichend, was den Filmtheatern und was auch dem Verleih an Hilfen zur Vermarktung von Spielfilmen gewährt wird. Zwar ist die Produktion eines Filmes unbestreitbar der wichtigste erste Schritt, aber er bleibt folgenlos, wenn die Bedingungen für weitere Schritte, d. h. für eine Auswertung im Kino, unter den herrschenden Wettbewerbsbedingungen im Vergleich zum Fernsehen und im Vergleich zu den amerikanischen Produktionen im Grunde nur halbherzig angegangen wird.
Den wirtschaftlichen Nutzen von deutschen Spielfilmen haben heutzutage weit stärker als die Kinos die Fernsehanstalten und die Videowirtschaft. Deshalb begrüße auch ich, daß die Videowirtschaft in die Abgabepflicht in der hier vorliegenden Novelle einbezogen wird. Ich halte es aber für inkonsequent, wenn dies für die privaten Anbieter von Fernsehen nicht in gleicher Weise gilt, aber hier waltet die Ideologie der Konservativen. Privatanbieter von Fernsehen genießen völlig ungerechtfertigte Vorteile beim Anbieten ihrer Programme. Es ist überhaupt nicht einzusehen, warum die öffentlich-rechtlichen Fernsehanstalten, die sich durch die Gebühreneinnahmen verpflichten, ein plurales Informations- und Unterhaltungsprogramm anzubieten, das in mancher Hinsicht einfach teuer sein muß — vom Kirchenfunk über alle Kultursendungen bis zum Netz der Auslandskorrespondenten kann nicht kostendeckend gearbeitet werden —, für die Ausstrahlung von Spielfilmen eine Abgabe leisten müssen, während die Privatanbieter, die von allen kostenträchtigen Verpflichtungen frei sind, auch noch die Spielfilme zum NullTarif nachgeworfen bekommen.

(Daweke [CDU/CSU]: Darüber müssen Sie mal mit Herrn Lahnstein reden! Das sieht der ganz anders!)

Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion legt zur zweiten Lesung drei Änderungsanträge vor, die unsere Position in den uns entscheidend erscheinenden Punkten erneut deutlich machen sollen. Wir werden uns beim Änderungsantrag, den die Fraktion der GRÜNEN eingebracht hat, enthalten, weil in diesem Antrag eine Reihe von Punkten aufgegriffen sind, die auch wir bei den Beratungen im Wirtschaftsausschuß unterstützt haben. Aber wir haben uns für die heutige zweite Lesung bewußt konzentriert und halten eine Enthaltung an diesem Punkt für konsequenter.

(Suhr [GRÜNE]: Schade!)

Unsere drei Änderungsanträge betreffen drei Punkte, zum einen die Besucherschwelle von 20 000 Kinobesuchern. Wir halten es für falsch, eine solche Besucherschwelle einzuführen. Diese Maßnahme ist innovationsfeindlich, weil sie die Chancen junger Filmemacher und Filmemacherinnen zusätzlich schmälert, an den Fördertöpfen beteiligt zu werden. Viele der herausragenden und international anerkannten deutschen Filmleistungen auf innovativem und experimentellem Gebiet haben in den vergangenen Jahren weniger als 20 000 Besucher erreicht. Dies darf gerade auch unter den modernen Wettbewerbsbedingungen nicht aufs Spiel gesetzt werden.
Wir halten auch eine Regelung für falsch, die in § 26 jetzt vorsieht, daß ein 20prozentiger Eigenanteil ohne Wenn und Aber bei der Herstellung eines Filmes erbracht werden muß, insbesondere dadurch, daß die Entscheidung hierüber der Filmförderungsanstalt obliegt. Das wird einer weiteren Bürokratisierung Vorschub leisten.

(Beifall des Abg. Dr. Müller [Bremen] [GRÜNE])

Die bisher gültige Regelung, daß der Hersteller nachweisen muß, mindestens 50 % der Herstellungskosten aus anderen als den Referenzfilm-Förderungsmittel einzubringen, hat sich durchaus bewährt.
Unser dritter Änderungsantrag bezieht sich auf die Verpflichtung der privaten Anbieter von Fernsehen, die nach unserer festen Überzeugung in die Abgabepflicht einbezogen gehören. Wir schlagen vor, daß jeder Fernsehveranstalter im Interesse des filmwirtschaftlichen Ausgleichs eine Abgabe an die Filmförderungsanstalt zu zahlen hat. Die Höhe der Abgabe soll sich nach der Zahl der erreichbaren Fernsehhaushalte bemessen, und nach unserem Vorschlag soll sie je ausgestrahltem Film und für bis zu je 5 Millionen erreichbarer Haushalte 3 500 DM betragen. Die von Fernsehveranstaltern produzierten oder koproduzierten Filme unterliegen keiner Abgabe. Nach unserem Vorschlag können die Fernsehveranstalter ihre Abgabepflicht durch einen angemessenen Beitrag an die Filmförderungsanstalt auch pauschal auf Grund eines Abkommens ablösen.
Unser Vorschlag deckt sich mit Überlegungen, die der Verfassungsrechtler Professor Weides aus Köln bei der öffentlichen Anhörung zum Filmförderungsgesetz zum Ausdruck gebracht hat. Es gibt keine verfassungsrechtlichen Bedenken gegen diesen Vorschlag. Aus rein ideologischen Gründen lehnen die Unionsparteien ihn ab.
Meine Hoffnung darauf, daß die Unionsparteien und die mit der Filmwirtschaft längst nicht so eng verflochtene FDP ihre Position noch einmal überdenken, ist gering. So bleibt mir nur zu wünschen,



Frau Dr. Martiny-Glotz
daß trotz der Verbesserungsbedürftigkeit dieses Gesetzes während der Laufzeit kein allzu großer Schaden entsteht.
Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der GRÜNEN)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1023831400
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Haussmann.

Prof. Dr. Helmut Haussmann (FDP):
Rede ID: ID1023831500
Herr Präsident! Meine verehrten Damen und Herren! Dies ist ein Gesetz, an dem zwei Kolleginnen ganz großen Anteil hatten. Frau Geiger und Frau Martiny haben sich hier mit unwahrscheinlich viel Arbeitszeit und Sachverstand engagiert.

(Beifall bei allen Fraktionen)

Wir, die Freien Demokraten, haben bei den Änderungen mitgemacht, die vernünftig sind, weil wir den Film insgesamt nicht nur für ein wichtiges Kultur-, sondern auch Wirtschaftsgut halten.
Zur Wirtschaftsordnung trägt Kunst als ein wichtiger Faktor bei. Über 400 000 Menschen sind in dem weiteren Bereich beschäftigt, über 3% des Bruttosozialprodukts entstehen hier. Aus unserer Sicht ist auch wichtig, daß Kulturpolitik nicht nur eine staatliche Veranstaltung sein kann, sondern daß es eine wichtige Wechselbeziehung zwischen Kultur und Wirtschaft gibt. Künstler sind offen für Neues, bereiten häufig den Weg für politische und gesellschaftliche Veränderungen vor. Künstler sind, wie Forscher in der Wirtschaft, oft Innovatoren unserer Gesellschaft. Wir von der FDP bejahen deshalb die staatliche Filmförderung, obwohl damit relativ viel Bürokratie verwaltet wird. Das soll keine Kritik sein. Wenn wir aber mittelfristig durch eine Veränderung auch der steuerlichen Bedingungen und anderer Rahmenbedingungen dem Filmtheater helfen könnten, wäre das aus unserer Sicht ein guter Weg.
Wir sind uns bei der Filmförderung bewußt, daß der Film immer mehr über nationale Grenzen hinausgreift und zu einem bedeutenden Faktor internationaler Kulturverflechtung geworden ist.
In dem vorliegenden Gesetzentwurf ist aus unserer Sicht folgendes neu und besser gestaltet:
Erstens. Die Filmtheater sind bei der Abgabe entlastet worden, etwas mehr als übrigens von der Bundesregierung vorgeschlagen, insgesamt 9 Milliarden DM.

(Frau Dr. Martiny-Glotz [SPD]: Haben Sie sich nicht vertan? — Roth [SPD]: Er kann halt nicht mit Geld umgehen!)

Außerdem wird die Förderung für die Filmtheater etwas höher. — Millionen habe ich gesagt. Entschuldigung, das hat Willy Brandt im Parlament ja eingeführt. Mir geht es um Millionen.
Zweitens. Wir halten es für einen wesentlichen Fortschritt, daß die Filmabgabe auf eine breitere Basis gestellt wurde. Alle, die einen Nutzen aus dem Medium Film ziehen, werden zur Abgabe herangezogen, deshalb auch die Videowirtschaft. Ihre Belastung wird zirka 20 % geringer sein als die der Filmtheater. Die Videowirtschaft ist meines Erachtens erfolgreich genug, daß sie diese Belastung tragen kann.
Ein Streitpunkt war sicher die Beteiligung des privaten Fernsehens. Hier halte ich die Diskussion der SPD und auch der GRÜNEN für etwas komisch. Wenn man in der übrigen Medienpolitik alles tut, damit das private Fernsehen keine Chance hat, möchte man aber das private Fernsehen jetzt kräftig zur Abgabe heranziehen.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Da müssen Sie sich wirklich entscheiden. Vielleicht wirkt das, was Herr Glotz inzwischen versucht. Es ist ja interessant, daß inzwischen Herr Rau Nordrhein-Westfalen zu einem Land der Ansiedlung von privaten Fernseh- und Rundfunkanstalten machen möchte: eine interessante Kehrtwende der sozialdemokratischen Medienpolitik.
Wir haben uns durch einen Entschließungsantrag im Wirtschaftsausschuß, an dem Sie gar nicht beteiligt waren, weil Sie sich hier so engagieren, entschieden, in zwei Jahren die Beteiligung des privaten Fernsehens zu überprüfen. Wenn Sozialdemokraten und GRÜNE ihre Haltung zum privaten Fernsehen ändern, könnte eine Situation eintreten, wo auch das private Fernsehen den Filmtheatern finanziell stärker helfen könnte.

(Daweke [CDU/CSU]: Vor allen Dingen in Hessen!)

Die Filmförderung wurde auch unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten etwas besser ausgestaltet und bietet mehr Chancen für den kulturell hochstehenden Film. Es ist kein Geheimnis, daß die FDP gerne auf die Besucherschwelle von 20 000 verzichtet hätte. Wir konnten uns gegenüber dem Koalitionspartner nicht durchsetzen. Vielleicht ist in diesem Punkt eine spätere Änderung möglich.
Abschließend will ich sagen, staatliche Filmförderung kann die Strukturprobleme der deutschen Filmwirtschaft alleine nicht lösen. Dies sind Fragen, die weit in die Mittelstandspolitik hineingehen, die wir nicht durch ein Förderungsgesetz allein lösen können.

(Suhr [GRÜNE]: Das Gesetz ist doch mittelstandsfeindlich!)

— Sie werden das gleich darstellen, und der Mittelstand wird sehr genau darauf hören, was die GRÜNEN vorschlagen.

(Heiterkeit bei der FDP und der CDU/CSU)

Filmförderung ist ein wesentlicher Beitrag zur Stärkung des deutschen Films und zur Verbesserung der Leistungsfähigkeit der deutschen Filmwirtschaft. In diesem Sinne, glauben wir, wird die vorliegende Novelle durchaus einen Fortschritt darstellen. Ich war jetzt bereits an der dritten Novellierung beteiligt. Ich gehe davon aus, daß wir auch die vierte Novellierung, Frau Kollegin, irgendwann gemeinsam hier im Parlament angehen.



Dr. Haussmann Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1023831600
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Suhr.

Heinz Suhr (GRÜNE):
Rede ID: ID1023831700
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Da ich gerade Herrn Staatssekretär Spranger hier sehe: Es wäre mal nett, einen Film zu drehen über den Hilfssheriff in Guatemala, der immer die BMW-Motorräder zur Polizeihilfe da hinüberbringt und dann auf der anderen Seite mit Filmförderung befaßt ist.

(Dr. Rumpf [FDP]: Das paßt nicht zum Thema!)

— Das paßt sehr wohl zum Thema, weil diese Reise von Herrn Spranger nach Guatemala ziemlich am Parlament und am Haushaltsausschuß vorbeigegangen ist. Das, denke ich, sollte man bei diesem Punkt nicht vergessen.

(Daweke [CDU/CSU]: Sind Sie jetzt für das Gesetz oder dagegen?)

— Ich sage es Ihnen sofort.
Mit der vorliegenden Neufassung des Filmförderungsgesetzes seitens der Bundesregierung steht nach unserer Auffassung ein weiteres verkorkstes Kapitel Medienpolitik von CDU/CSU und FDP zur Debatte. Sie wissen, daß das deutsche Kino stirbt, Stück für Stück. Der anspruchsvolle deutsche Film hängt am Tropf, und die nichtkommerziellen Filmemacher im Kinderfilmbereich, im Jugendfilmbereich, im Dokumentarfilmbereich werden Stück für Stück stranguliert. Denen geht es in den öffentlichrechtlichen Anstalten immer schlechter, natürlich auch durch die Zulassung der privaten Veranstalter und die parallele Anpassung der öffentlich-rechtlichen Anstalten, durch die Verseichtung der Programme. Es ist nämlich so, daß die Bundesregierung mit dicken Krokodilstränen in ihrem Medienbericht 1985 die Situation beweint, daß es den Kinos immer schlechter geht, während auf der anderen Seite Sie von der Union durch Ihre Medienpolitik alle Hebel in Bewegung setzen, um genau dieser Kinokultur die Existenzgrundlage zu entziehen. Deswegen sind wir natürlich auch dafür, daß die privaten Fernsehveranstalter an der Förderung des deutschen Films entsprechend beteiligt werden. Wir haben eine Reihe von konkreten Vorschlägen gemacht. Die liegen Ihnen vor. Das Ganze ist ziemlich kompliziert. Ich hoffe, daß Sie es trotzdem durchgelesen haben.
Wir haben auch einen Entschließungsantrag eingebracht, der die Bundesregierung auffordert, einen Bericht vorzulegen, in dem genau festgestellt wird, ob alle Bereiche, alle Sparten der deutschen Filmwirtschaft durch dieses Filmförderungsgesetz gefördert werden.
Wir haben gefordert, daß die privaten Veranstalter bis 1990 3,5 % ihrer Filmausgaben als Filmabgabe entrichten, um dann im Lichte der weiteren Entwicklung die Abgabe entsprechend anzupassen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Wir fordern außerdem eine Vergrößerung des Verwaltungsrates der Filmförderungsanstalt um einen Sitz, damit endlich die drittstärkste politische Kraft in diesem unserem Lande etwas Kreativität in die Filmförderung einbringen kann.

(Beifall bei den GRÜNEN — Duve [SPD]: Meinen Sie die Deutsche Bank oder wie?)

— Ich meine nicht die Deutsche Bank — das ist j a eine der stärksten politischen Kräfte —, sondern ich meine die drittstärkste politische Kraft, die GRÜNEN.
Das bisherige Filmförderungsgesetz bedarf in der Tat der Überarbeitung. Und wir sehen natürlich — da gebe ich der Kollegin Martiny recht —, daß die rasche technologische Veränderung der Medienrealität eigentlich eine konzeptionelle Lösung, eine Erarbeitung, die wirklich in die Zukunft weist und die nicht schon innerhalb der nächsten zwei Jahre überholt ist, notwendig macht.
Was ich nicht ganz verstanden habe, ist: Wenn Sie unsere Änderungsanträge so gut finden, warum können Sie ihnen dann hier nicht zustimmen?

(Duve [SPD]: Weil wir eigene haben, die besser sind!)

Es ist bedauerlich, daß mit dieser Scheibchenlösung bei der Änderung des Filmförderungsgesetzes die große Chance vertan worden ist, wirklich etwas für den anspruchsvollen deutschen Film zu tun.
Auf der Einnahmenseite ist es so, daß die Kinos ein bißchen weniger zahlen, die Videowirtschaft etwas mehr. Auf der Ausgabenseite ist es so, daß die mittelständischen Filmwirtschaftsunternehmen und der Nachwuchs eine Scheibe weniger und die Großen eine Scheibe mehr bekommen. Die Krise der bundesdeutschen Filmwirtschaft wird verlängert, und das Kinosterben wird sich so fortsetzen.
Wir werden in Kürze erleben, daß die Kinos noch etwas weniger Abgaben fordern werden und die großen Filmwirtschaftsunternehmen noch etwas mehr Förderung verlangen werden.
Das ganze Gesetz ist ein Flickwerk. Der Herr Haussmann hat erklärt, er sei schon zum viertenmal daran beteiligt. Wir sind es gewohnt, daß die FDP da so rumflickt.

(Beifall des Abg. Mann [GRÜNE])

Aber die anstehenden Probleme werden mit dieser Novelle zum Filmförderungsgesetz nicht gelöst. Das wissen Sie ja selbst. Das ist auch im Kabinett so gesehen worden.
Es ist wirklich ein Unding, wenn sich der Bundeswirtschaftsminister Bangemann vor namhafte Vertreter von Film und Fernsehen hinstellt und sagt, die Besucherschwelle von 20 000 werde es nicht geben, und sie jetzt doch im Gesetz steht. Sie müssen uns jetzt mal erklären, wie Sie mit Ihrer Glaubwürdigkeit weiter umgehen wollen. Demnächst wird doch auch von Kulturschaffenden darüber entschieden werden, ob die FDP noch eine kulturliberale Partei ist oder nicht.




Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1023831800
Herr Abgeordneter, ich muß Ihnen nun erklären, daß die Redezeit abgelaufen ist.

Heinz Suhr (GRÜNE):
Rede ID: ID1023831900
Gut, ich komme zum Ende.

(Dr. Bötsch [CDU/CSU]: Der Film ist aus, gewissermaßen!)

Ich bitte Sie um Zustimmung zu unserem Entschließungsantrag, wonach von der Bundesregierung ein Bericht zu den Folgen des Filmförderungsgesetzes vorgelegt werden soll. Ich bitte Sie auch um Zustimmung zu unseren Änderungsanträgen.
Ich danke Ihnen.

(Beifall bei den GRÜNEN)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1023832000
Das Wort hat der Abgeordnete Weirich.

(Roth [SPD]: Der Medien-Rambo!)


Dieter Weirich (CDU):
Rede ID: ID1023832100
Herr Präsident! Liebe Besucher der Spätvorstellung!

(Heiterkeit bei der CDU/CSU — Roth [SPD]: Sie gehen aber früh ins Bett!)

Es gibt in der Tat einen engen Zusammenhang zwischen Kino und Fernsehen. Der Chef eines großen europäischen Filmverleihs in Italien, Pirotti, hat jüngst erklärt: Das Kino ist und bleibt der kreative Motor auch des Fernsehens; denn wenn das Kino aufhört zu existieren, was macht dann das Fernsehen?

(Daweke [CDU/CSU]: Richtig!)

Das Kino darf nicht sterben; denn wenn das Kino stirbt, stirbt auch das Fernsehen.
Frau Dr. Martiny, was hätte es gebracht, wenn wir heute die privaten Fernsehveranstalter zu einer Abgabe verpflichtet hätten?

(Frau Dr. Martiny-Glotz [SPD]: Geld!)

Sie ringen um eine faire Entwicklungschance. Das öffentlich-rechtliche Rundfunkmonopol hat 4 Milliarden DM Zwangsgebühren als Einnahmen, 2 Milliarden DM durch Werbung.

(Suhr [GRÜNE]: Wollen Sie jetzt Zwangskino einführen?)

Die privaten Veranstalter schreiben bis Anfang der 90er Jahre rote Zahlen. Sie stehen hohen Hürden in den Landesmediengesetzen gegenüber. Sie ringen um ihre technische Reichweite, die noch nicht ein Zehntel so groß ist wie die des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Was wollen Sie angesichts dieser Tatsache von privaten Anbietern? Das hätte nichts gebracht als ein Signal der Bösartigkeit — jedenfalls kein Geld für den deutschen Film.

(Frau Dr. Martiny-Glotz [SPD] meldet sich zu einer Zwischenfrage)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1023832200
Herr Abgeordneter, gestatten Sie — —

Dieter Weirich (CDU):
Rede ID: ID1023832300
Ich habe nur noch drei Minuten Redezeit. Deswegen lasse ich keine Zwischenfrage zu.
Ich füge ein Zweites hinzu. Was bringt ein zweijähriger Filmbericht? Da sind Sie von den eigenen Bestimmungen gefilmt worden, die es im Bundestag gibt. Die Bundesregierung ist verpflichtet, alle zwei Jahre einen Medienbericht vorzulegen.

(Suhr [GRÜNE]: Aber das reicht nicht aus!)

In diesem Medienbericht macht der deutsche Film eine wesentliche Passage aus. Also ist Ihre Forderung längst erfüllt.
Ich füge hinzu, liebe Frau Dr. Martiny: Auch die privaten Anbieter werden langfristig — deswegen haben wir diese Beschlußempfehlung gefaßt — zur Förderung des deutschen Films beitragen, wenn sie vom deutschen Kino insgesamt profitieren. Aber lassen Sie uns Zeit, bis die Entwicklungslage der privaten Anbieter überschaubarer ist.
Im übrigen füge ich das hinzu, was der Erfolgsproduzent und Verleiher Bernd Eichinger gesagt hat:
Weder Fernsehen noch Video sind die Feinde des Kinos. Der wirkliche Feind des Kinos ist der langweilige Film.

(Suhr [GRÜNE]: Schlimmer sind Sie, Herr Weirich!)

Die Frau Kollegin Geiger hat deutlich gemacht, daß das FFG ein Schritt in die richtige Richtung ist. Ich füge hinzu: Die etwas rosige Zustandsbeschreibung von Frau Dr. Martiny, was die 70er Jahre angeht, trifft so nicht zu. Der europäische Film befindet sich international in einer schlechten Situation. Die Europäer, die sich sonst so gern und durchaus zu Recht ihres reichen Kulturerbes rühmen, befinden sich ausgerechnet bei dem wirksamsten Kulturvehikel der Gegenwart, den autovisuellen Medien, in der Position von auslandsabhängigen Großimporteuren. Während im westeuropäischen Durchschnitt mehr als die Hälfte des Filmangebots in den Kinos und gut ein Drittel der im Fernsehen gezeigten Filme und TV-Serien aus den USA stammen, bestreiten die Amerikaner nur 5% ihres gesamten Bedarfs mit europäischen Produktionen. Sie bereiten immer mehr Stoffe der europäischen Kulturszenerie auf.
Ich empfehle daher, weil ich das FFG nur als einen wichtigen Schritt auf einer Wegstrecke betrachte, zur Hebung der nationalen Filmkultur in der Zukunft steuerliche Sonderregelungen wie in Italien, Frankreich, Kanada und Australien. Warum kann ein bestimmter Teil des Gewinns für einen erfolgreichen Film nicht von der Steuer befreit werden, wenn dieses Geld für die Produktion eines neuen Films verwandt wird?
Ich füge hinzu: Außer dem Bund sind in der Zukunft auch die Bundesländer verstärkt gefordert. Die beiden traditionellen Filmländer Bayern und Berlin

(Duve [SPD]: Hamburg auch!)

leisten Vorbildliches. Die Filmförderung anderer Länder scheint nur das Sekten- und Minoritätenkino verstärkt im Auge zu haben. Ich denke dabei weniger an Hamburg als an Hessen.



Weirich
Weil gerade von Hamburg die Rede ist, darf ich noch ein Zitat des Hamburger SPD-Spitzenkandidaten für die Bürgerschaftswahl, Herrn von Dohnanyi, bringen:
Die unterschiedliche Medienentwicklung in den einzelnen Bundesländern könnte ein kulturelles Gefälle zugunsten der Unionsländer enstehen lassen,

(Duve [SPD]: Aber auch Gefälligkeiten!)

weil sich Film, Fernsehen und Produktionen im Videobereich eher in die Unionsländer niederlassen.
Ich glaube, ein wirkungsvolleres Kompliment kann man der Union nicht machen als dieses von der sozialdemokratischen Seite.

(Abg. Dr. Müller [Bremen] [GRÜNE] meldet sich zu einer Zwischenfrage)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1023832400
Herr Abgeordneter — —

Dieter Weirich (CDU):
Rede ID: ID1023832500
Lassen Sie mich zum Schluß kommen. Ohne seine natürliche Abspielstelle, das Kino, verkommt der Film zum Bildschirmfüller und zum reinen Kassettenprodukt. Daher ist eine gleichgewichtige Förderung des Kinos eine der wichtigsten Investitionen in die deutsche Medienzukunft und in die europäische Medienzukunft überhaupt.
Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1023832600
Das Wort hat der Abgeordnete Duve.

Freimut Duve (SPD):
Rede ID: ID1023832700
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Weirich, lassen Sie doch das mit dem Zwangsmonopol. Wir brauchen uns 1986 nicht in Form der Beschimpfung der öffentlich-rechtlichen Anstalten zu unterhalten, die inzwischen völlig von Ihnen unterwandert sind und kontrolliert werden.

(Lachen bei der CDU/CSU und der FDP)

Wir haben in diesem Land eine sinnvolle Einrichtung gehabt. Das war öffentlich-rechtliches System, weit weg vom Staat und weit weg vom Privatkapital. Das haben Sie im Laufe der Jahre kaputtgeschossen.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN — Uldall [CDU/CSU]: Weit weg vom Staat, weit weg von der Öffentlichkeit, aber nahe bei der SPD!)

Nun wollen Sie Privatfernsehen. Wir müssen aus vielerlei Gründen mitmachen. Aber nachträglich den Einrichtungen, in denen Ihre Leute jetzt vorherrschend sitzen, einen Tritt mit dem Begriff Gewaltmonopol zu geben, halte ich wirklich für das Äußerste, was an Zynismus aufzubringen möglich ist.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1023832800
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Weirich?

Freimut Duve (SPD):
Rede ID: ID1023832900
Wenn mir das nicht von meiner Zeit abgezogen wird, gerne.

(Zuruf von der CDU/CSU: Sie werden abgezogen!)

— Das wird Ihnen mit der FDP nicht gelingen. Die zieht mich nicht ab. Die zieht mich nicht mal an.

Dieter Weirich (CDU):
Rede ID: ID1023833000
Herr Kollege Duve, würden Sie wegen der Redlichkeit Ihrer Vorwürfe zur Kenntnis nehmen, daß ich nicht von einem Zwangsmonopol gesprochen habe, sondern von Zwangsgebühren, und daß es völlig unbestritten ist, daß die Bürger der Bundesrepublik Deutschland in der jetzigen Situation zu Zwangsgebühren verurteilt sind? Von einem Zwangsmonopol kann nicht die Rede sein.

Freimut Duve (SPD):
Rede ID: ID1023833100
Wir werden das Protokoll prüfen, Herr Weirich. Ich habe mir das Wort aufgeschrieben. Dann unterhalten wir uns später darüber.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1023833200
Herr Kollege, es ist unsere Gewohnheit abzuwarten, bis geantwortet ist, und sich erst dann wieder hinzusetzen.

Freimut Duve (SPD):
Rede ID: ID1023833300
Frau Geiger, warum sind wir denn so keusch, warum sprechen wir nicht davon, daß Filmförderung immer auch Kulturförderung ist? Wir sollten uns nicht auf die Bundesebene zurückziehen und sagen, dies betreffe das Wirtschaftsministerium, da doch Herr Spranger als Kulturförderung hier schon sitzt. Es ist immer auch Kulturförderung. Die Filmförderungsanstalt hat eine ganz wichtige kulturpolitische Aufgabe. Ich bin der Meinung, wir sollten das hier sagen und uns nicht immer zurückziehen.
Herr Bangemann hat sich im letzten Jahr auf der Frankfurter Buchmesse hingestellt und gesagt: Ich bin der neue Kulturminister der Bundesrepublik! Er meinte, da kein anderer diesen Anspruch erhebe, erhebe er ihn. Es hat gar keinen Aufschrei der Länder gegeben.

(Frau Geiger [CDU/CSU]: Das hat keiner gehört!)

— Das hat keiner gehört. Sehen Sie, der Außenminister ist auch immer sehr kulturell engagiert als Bundesminister.
Wir sollten die FFA nicht nur in die Wirtschaftsseite zurückdrängen. Da liegen wir falsch. Das hat in Wahrheit die Filmförderungsanstalt selber nicht verdient. Sie hat sich ja durchaus — wir haben einige der Bilanzen hier gehört — immer bemüht, eine kulturelle Aufgabe hier im Lande zu übernehmen. Das hat allerdings der Herr Zimmermann nicht getan. Er ist ja einmal vor ein paar Jahren mit dem Fall Achternbusch vorgeprescht. Darüber haben wir hier schon öfter diskutiert; das brauchen wir heute nicht zu machen.
Herr Daweke, Sie freuen sich schon wieder; über mich, hoffe ich.
Ich lese heute in einer Zeitung — ich zitiere —:
Das Filmreferat des Bundesinnenministeriums
verweigert der Filmemacherin Helke Sander
die Restprämie für ihren Film „Nummer fünf



Duve
— Aus Berichten der Wach- und Patrouillendienste" aus inhaltlichen Gründen.
Der Innenminister läßt aus inhaltlichen Gründen Filmzensur wegen seiner Zuständigkeit auch in anderen Bereichen bei einem Film walten, der sich mit der Polizei befaßt, wobei ich sagen muß, daß sich viele Polizisten an diesem Film auch als Statisten beteiligt haben. Sie werden das ja nicht getan haben, um sich selber zu veräppeln.
Hier sehen wir das, vor dem wir immer gewarnt haben: daß der Sicherheitsminister Kulturpolitik macht und dann, wenn ihm etwas nicht paßt, Förderungsraten zurückzieht, die von Gremien bewilligt wurden, die mehr davon verstehen als Herr Zimmermann.

(Suhr [GRÜNE]: Das ist CSU-Kulturpolitik!)

Das ist der entscheidende Punkt staatlicher Kulturförderungspolitik, die wir weder in den Städten noch in den Ländern noch im Bund haben wollen. Das geht den Politiker nichts an.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Da sind wir uns wahrscheinlich alle einig; nur die CDU-Leute trauen sich jetzt nicht zu klatschen, weil das möglicherweise Herr Zimmermann nicht gern sieht.
Herr Haussmann, Sie haben eben in bezug auf das Privatfernsehen eine Polemik gegen uns geritten.

(Dr. Haussmann [FDP]: Das war sehr sachlich!)

— Herr Haussmann, Sie haben eben gegen unsere Haltung zum Privatfernsehen gestritten.

(Weirich [CDU/CSU]: Wie ist denn Ihre Haltung?)

Wissen Sie, daß nach Einführung des Privatfernsehens und dem raschen Zusammenfinden aller kleinen privaten Sender zu einer großen Firma die italienische Filmindustrie praktisch tot ist, daß die britische Filmindustrie ebenfalls praktisch tot ist und daß wir nur in Frankreich eine lebendige Filmindustrie haben, weil dort andere Sicherheitsvorkehrungen organisiert wurden als in den beiden anderen Ländern?
Sie können hier gern über das Privatfernsehen sprechen. Das sollten Sie aber nicht im Zusammenhang mit einer Filmdebatte tun, da gerade das Privatfernsehen nationale Filmwirtschaften kaputtmacht, wenn man keine Sicherheiten einbaut.

(Zuruf des Abg. Dr. Haussmann [FDP])

— Sie wissen nicht, wovon Sie geredet haben, Herr Generalsekretär. Ich mache es Ihnen zum Vorwurf, daß Sie hier leichtfertig von der Filmwirtschaft sprechen und zugleich sagen, das Privatfernsehen werde das möglicherweise fördern.

(Zuruf von der CDU/CSU) — Sie haben schon begriffen.

Ich möchte mich zum Schluß, da mir nur noch zwei Minuten zur Verfügung stehen, mit der Frage der amerikanischen Konkurrenz für die französische und die übrige europäische Filmwirtschaft befassen. Wir sagen das ja nicht aus Gegnerschaft zum amerikanischen Film.

(Zuruf des Abg. Reddemann [CDU/CSU]) — Ach, Herr Reddemann, Sie und Film. —


(Heiterkeit und Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Wir sagen das ja nicht aus Gegnerschaft zu dem, was sich in der amerikanischen Filmproduktionsszene heute entwickelt hat. In vielen Dingen, beim Einbeziehen neuer elektronischer, technischer Möglichkeiten in die Filmästhetik, sind die Amerikaner unseren Filmern und dem, was bei uns in den letzten Jahren geschehen ist, durchaus voraus. Da gibt es auch viel zu lernen. Das ist nicht nur der Einsatz großen Geldes, sondern da sind sehr, sehr viele Dinge mit Hilfe anderer Techniken entwickelt worden, die auch für unsere Filmer interessant sind. Gerade deswegen brauchen unsere Filmer mehr Geld, gezielter eingesetztes Geld. Aber, Frau Geiger, sie brauchen vor allem eines nicht, nämlich daß jemand sagt: Filme, die niemand sehen will, wollen wir nicht fördern. Es ist umgekehrt: Wenn Sie sich einen Spielberg-Film ansehen, dann stellen Sie fest, daß er eine Kette von Zitaten aus Filmen enthält, die möglicherweise vor 20 Jahren niemand hat sehen wollen. Aber ohne diese Zitate hätte Spielberg diesen Erfolgsfilm heute nie gemacht.

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der GRÜNEN)

Das ist Filmkultur. Davon versteht die Union häufig sehr wenig.
Ich möchte mir erlauben, am Schluß ein Argument vorzutragen. Wir können uns nur behaupten, wenn wir nicht einfach sagen: Wir wollen amerikanische Filme aus dem Markt heraushalten. Es hat sich in Frankreich gezeigt, daß dort der US-Film den größten Auslandsumsatz der Welt macht, obwohl sein Anteil am französischen Markt nur 30 % ausmacht. Aber 30% von 200 Millionen Zuschauern in ganz Europa sind eben mehr als 80% von den verbliebenen 50 Millionen Zuschauern in Großbritannien.
Das heißt: Wir brauchen einen intakten und geordneten Markt, auf dem die Amerikaner ihre Filme dann auch zeigen können, die wir in Frankreich sehen, aber auf dem unser Film eine eigene Existenz hat. Mit Privatfernsehen in der ungesicherten Form, wie Herr Haussmann das anscheinend machen würde, ist die Existenzsicherung des deutschen, des europäischen Films nicht möglich.
Danke für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1023833400
Das Wort hat der Parlamentarische Staatssekretär im Bundesministerium für Wirtschaft, Herr Grüner.

(Roth [SPD]: Noch ein Kulturpolitiker! — Frau Dr. Martiny-Glotz [SPD]: Wann waren Sie das letzte Mal im Kino, Herr Grüner?)





Martin Grüner (FDP):
Rede ID: ID1023833500
Darüber gebe ich keine Auskunft, gnädige Frau.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Wir sind uns hier, glaube ich, einig, daß der Film ein Wirtschafts- und Kulturgut ist, aber daß wir in einem Wirtschaftsförderungsgesetz auf der von Frau Kollegin Geiger ja mit Recht dargestellten sehr schmalen rechtlichen Basis arbeiten, die uns hier Begrenzungen auferlegt hat, die wir sehen müssen.
Die Bundesregierung hat mit dem Entwurf der Novelle zum Filmförderungsgesetz deutlich gemacht, daß die wirtschaftliche Filmförderung mit einigen neuen Akzenten fortgesetzt wird. Die Bundesregierung ist sehr dankbar, daß der Wirtschaftsausschuß diesen Entwurf mit der hier schon betonten großen Intensität bearbeitet und, wie ich meine, in vielfältiger Weise verbessert und damit bei den Beteiligten auch akzeptabler gemacht hat.
Das neue Gesetz ist ein guter Kompromiß. Es zieht die Videowirtschaft zu einer Filmabgabe heran; es entlastet die Filmtheater. Es erkennt die beachtlichen, auf der Grundlage eines freiwilligen Abkommens zwischen den öffentlich-rechtlichen Fernsehanstalten und der Filmwirtschaft erbrachten Leistungen des öffentlichen-rechtlichen Fernsehens an, und es erwartet von den privaten Fernsehveranstaltern innerhalb der nächsten zwei Jahre den Abschluß eines freiwilligen Abkommens ähnlich wie zwischen den öffentlich-rechtlichen Fernsehanstalten und der Filmwirtschaft.
Der Gesetzentwurf hat sich von der Vorstellung leiten lassen, daß alle diejenigen, die vom Kinofilm profitieren, auch einen angemessenen Beitrag zur Förderung des deutschen Films leisten müssen. Das führte zur Einbeziehung der Videowirtschaft, die ihre Umsätze ja zu mehr als 90% aus dem Verkauf oder der Vermietung von Kassetten erzielt, die mit Spielfilmen bespielt sind. Eine Abgabe in Höhe von 1 bis 2 v. H., je nach Umsatz gestaffelt, war vor diesem Hintergrund vertretbar.

(Suhr [GRÜNE]: Viel zu wenig!)

Ich habe kürzlich auf dem Video-Kongreß meiner Freude Ausdruck gegeben, wie rasch sich diese Branche trotz aller Schwierigkeiten am Markt durchgesetzt hat. Das erleichtert es der Videowirtschaft, einen Beitrag zur Filmförderung zu erbringen. Der Beitrag liegt mehr als 20 % unterhalb der Abgabe der Filmtheater. Damit wird der Tatsache Rechnung getragen, daß die Videowirtschaft keine besondere Förderung erfährt.
Beim öffentlich-rechtlichen Fernsehen trägt der Gesetzentwurf dem freiwilligen Beitrag der Fernsehanstalten Rechnung. Immerhin hat das öffentlich-rechtliche Fernsehen seine direkten Zahlungen an die Filmförderungsanstalt von 3,25 Millionen DM auf 8 Millionen DM erhöht und leistet insgesamt einen jährlichen Beitrag von 21 Millionen DM.
Den gleichen pragmatischen Ansatz verfolgen wir auch gegenüber den privaten Fernsehveranstaltern. Sie profitieren in erheblichem Umfang vom Kinofilm und sollen daher grundsätzlich ihren Beitrag zur Filmförderung leisten, aber erst dann, wenn sie dazu wirtschaftlich in der Lage sind.
Der Gesetzentwurf sieht eine beachtliche Entlastung der Filmtheater von der Filmtheaterabgabe vor. Der Bundestag ist noch einen halben Prozentpunkt über die von der Bundesregierung vorgesehene Reduzierung der Abgabe hinausgegangen. Außerdem ist die Freigrenze von 30 000 auf 80 000 DM erhöht worden.
Auch der revolvierende Einsatz der Rückflüsse der Mittel der Filmförderungsanstalt ist vorgesehen. Schließlich wird die Filmtheaterförderung von 15 auf 20 % erhöht.
Auch auf der Ausgabenseite kann sich der Gesetzentwurf sehen lassen. Ich will nur auf die Debattenbeiträge verweisen und nicht wiederholen, was dazu schon gesagt worden ist.
Ein ganz wichtiger Punkt sind die neue Definition des deutschen Films und die Öffnung der deutschen Filmförderung nach Europa. Sie wissen, welche Mühen es gekostet hat und wie intensiv sich auch der Bundeswirtschaftsminister persönlich einsetzen mußte, um die EG-Kommission — auch eingedenk der Entschließung des Deutschen Bundestags vom Juni 1982 — zum Einlenken zu bewegen, nämlich anzuerkennen, daß wenigstens eine personale nationale Komponente in Gestalt eines deutschen Filmmitwirkenden, nämlich des deutschen Regisseurs, als Voraussetzung für das Vorliegen eines deutschen Films gegeben sein muß.
Frau Martiny hat mit Recht gesagt, daß das Filmförderungsgesetz kein Jahrhundertgesetz sei. Es ist ein Zeitgesetz auf sechs Jahre. Es ist ein vernünftiger und vorsichtiger Schritt in der sich rasch ändernden Medienlandschaft. Möge die Novelle dazu beitragen, daß sich der deutsche Film in den nächsten Jahren gut und erfolgreich entwickelt.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1023833600
Damit sind wir am Ende dieser Aussprache, weil weitere Wortmeldungen dazu nicht vorliegen.
Wir kommen zur Einzelberatung und Abstimmung. Auf den Drucksachen 10/6160 bis 10/6162 und 10/6186 liegen Änderungsanträge vor, die sich alle auf Art. 1 beziehen. Mit den Antragstellern ist vorher geklärt worden, daß wir über diese Änderungsanträge im ganzen vor Aufruf der Einzelvorschriften abstimmen können.
Wer stimmt für den Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 10/6160? — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Der Änderungsantrag ist mit Mehrheit abgelehnt.
Wer stimmt für den Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 10/6161? — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Bei einer Enthaltung und einer Reihe von Ja-Stimmen ist der Änderungsantrag mit Mehrheit abgelehnt.



Vizepräsident Westphal
Wer stimmt für den Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 10/6162? — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Bei einer Reihe von Enthaltungen ist der Änderungsantrag mit Mehrheit abgelehnt.
Wer stimmt für den Änderungstrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 10/6186? — Wer stimmt dagegen? — Wer enthält sich? — Bei einer größeren Anzahl von Enthaltungen ist der Antrag mit Mehrheit abgelehnt.
Ich rufe nunmehr Art. 1 bis 5, Einleitung und Überschrift in der Ausschußfassung und unter Berücksichtigung der Berichtigung auf, die die Berichterstatterin Frau Geiger vorhin vorgetragen hat. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Die aufgerufenen Vorschriften sind mit Mehrheit angenommen.
Wir treten in die
dritte Beratung
ein und kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetzentwurf als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Wer stimmt dagegen? — Wer enthält sich? — Damit ist der Gesetzentwurf mit großer Mehrheit angenommen.
Es ist noch über Entschließungen abzustimmen. Der Ausschuß empfiehlt auf Drucksache 10/6108 unter der Nr. 2 die Annahme einer Entschließung. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Die Entschließung ist mit Mehrheit angenommen.
Wir stimmen nunmehr über den Entschließungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 10/6163 ab. Wer diesem Entschließungsantrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Der Entschließungsantrag ist mit Mehrheit abgelehnt.
Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 10/6187. Wer diesem Antrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Dieser Entschließungsantrag ist mit großer Mehrheit abgelehnt.
Ich rufe nun Punkt 15 der Tagesordnung auf:
a) Zweite und dritte Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ergänzung des Kassenarztrechtes (KREG)

— Drucksache 10/1329 —
Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung (11. Ausschuß)

— Drucksache 10/6099 —
Berichterstatter:
Abgeordnete Dr. Becker (Frankfurt) Urbaniak
Frau Dr. Adam-Schwaetzer Bueb

(Erste Beratung 91. Sitzung)

b) Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Sicherung des wirtschaftlichen Einsatzes von medizinisch-technischen Großgeräten in der kassenärztlichen Versorgung
— Drucksache 10/1625 —
Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung (11. Ausschuß)

— Drucksache 10/6099 —
Berichterstatter:
Abgeordnete Dr. Becker (Frankfurt) Urbaniak
Frau Dr. Adam-Schwaetzer
Bueb

(Erste Beratung 91. Sitzung)

Meine Damen und Herren, im Ältestenrat sind eine gemeinsame Beratung der Tagesordnungspunkte 15 a und b und ein Beitrag von bis zu fünf Minuten für jede Fraktion vereinbart worden. — Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Urbaniak.

Hans-Eberhard Urbaniak (SPD):
Rede ID: ID1023833700
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Gesetzentwürfe, die heute zur zweiten und dritten Beratung anstehen, beschäftigen sich mit dem Problemkreis medizinisch-technischer Großgeräte. Sowohl in dem Entwurf der SPD-Bundestagsfraktion wie auch in dem Entwurf des Bundesrats geht es darum, den bisher üblichen ungeplanten Einsatz dieser Großgeräte zukünftig zu verhindern.
Ganz ohne Zweifel hat es bisher ungeplante Einsätze dieser Geräte mit erheblichen Kostenauswirkungen auf die gesetzlichen Krankenkassen gegeben. Jeder Arzt konnte sich bisher unabhängig vom Bedarf und unabhängig vom Vorhandensein solcher Geräte in benachbarten Praxen oder Krankenhäusern derartige Geräte zulegen und die damit erbrachten Leistungen bei den gesetzlichen Krankenkassen in Rechnung stellen.
Es ist leicht einzusehen, daß ein Zuviel an derartigen Großgeräten selbstverständlich zu unnötig hohen Kosten führt. Sowohl der Gesetzentwurf der SPD-Bundestagsfraktion als auch der Gesetzentwurf des Bundesrats wollten dieser Tendenz ein Ende bereiten.
Ich bedaure nachhaltig, daß sich die Koalitionsfraktionen dieser Ansicht nicht anschließen konnten. Ich kann nur sagen: Die Kostenentwicklung im Gesundheitswesen wird nun in einer Weise weitergehen, die unangenehme Folgen vor allen Dingen für die Beitragszahler haben wird. Diese Verantwortung haben die Koalitionsfraktionen zu übernehmen.



Urbaniak
Ich bedaure auch, daß die Fraktion der GRÜNEN zu diesem Bereich der Problematik überhaupt keine Meinung geäußert hat.
Ich sage, daß die Koalitionsfraktionen die Verantwortung für die weitere Kostenentwicklung voll zu übernehmen haben; denn es ist notwendig, auf diesem Felde wegen der Klarheit der möglichen Sanktionen eine gesetzliche Regelung zu treffen. Es ist auch unsinnig, Überkapazitäten auf diesem Felde zu schaffen. Was die Selbstverwaltung in der Vergangenheit an Regelungen herbeizuführen versucht hat, waren keine; denn sie sind erst dann —und hier noch unzureichend — zustande gekommen, als die gesetzlichen Initiativen — SPD-Bundestagsfraktion und Bundesrat — auf den Weg gebracht worden sind.
Die jetzige Regelung aber beruht im Rahmen der Selbstverwaltung nicht auf einer rechtlichen Grundlage, so daß wir davon ausgehen müssen: Wenn es schließlich zur Auseinandersetzung über die Kostenregelung kommt, kann nicht sanktioniert werden. So entwickeln sich die Kosten, die ich schon habe anführen müssen, weiter unangenehm zu Lasten der Beitragszahler. Aus dem Grunde bitte ich sehr eindringlich die Koalitionsfraktionen, unserem Gesetzentwurf die Zustimmung zu geben, weil er eine rechtlich klare Position zur Behandlung dieser Frage ausgearbeitet hat. Wir haben das im Ausschuß mit Ihnen hinreichend beraten.
Sollte Ihnen aber die Möglichkeit zur Zustimmung nicht gegeben sein, bitten wir, auf jeden Fall zu überlegen, ob Sie dem Entwurf des Bundesrats ihre Zustimmung geben können. Dies wäre eine minimale Regelung. Wir brauchen gesetzliche Voraussetzungen, damit sich die Kostenentwicklung im Gesundheitswesen nicht nach oben fortsetzt, sondern in ein normales Maß einmündet. Dazu ist auch eine Regelung beim Einsatz der Großgeräte und bei der Abrechnung der Leistungen für Großgeräte auf einer klaren gesetzlichen Grundlage notwendig. Dies ist ein Punkt unseres Konzeptes, um der ungünstigen Kostenentwicklung im Gesundheitswesen entgegenzutreten.
Wir bitten, noch einmal zu bedenken, daß Sie sich unserem Gesetzentwurf anschließen sollten.
Schönen Dank.

(Beifalll bei der SPD)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1023833800
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Becker (Frankfurt).

Dr. Karl Becker (CDU):
Rede ID: ID1023833900
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Als ich Ihnen eben zuhörte, Herr Abgeordneter Urbaniak, habe ich mich eigentlich gewundert und auch gefragt, woher Sie den Wissensstand über den Einsatz dieser Geräte und über die Abrechnung der Leistungen dieser Geräte her haben.

(Urbaniak [SPD]: Da können Sie einmal sehen, wie schnell wir lernen!)

Ich hätte Ihnen empfohlen, sich einmal bei den kassenärztlichen Vereinigungen kundig zu machen, wie das eigentlich abläuft.
Vor zwei Jahren hatten wir die erste Lesung der beiden Gesetzentwürfe zu einem wirtschaftlichen Einsatz von medizinisch-technischen Großgeräten. Diese Geräte bringen Fortschritte in der Diagnostik, aber auch in der Therapie, die ohne Zweifel jedem in der Bundesrepublik — gleichgültig, ob Kassen- oder Privatpatient — zur Verfügung stehen müssen. Damals, bereits vor zwei Jahren, war zu erkennen, daß die Selbstverwaltung auf dem Weg war, hier praktikable Lösungen zu schaffen, die das Problem einer möglichen Überbelastung der Krankenkassen verhindern konnten.
Damals bereits bestanden Vorschriften für die Abstimmung zwischen kassenärztlichen Vereinigungen und Landeskrankenhausgesellschaften über die Anschaffung solcher Geräte. Damals bereits hatte der Gesetzgeber Anmeldevorschriften für die Anschaffung solcher Geräte erlassen. Die Partner waren in Kontakt miteinander, um eine weiterführende Lösung zu suchen. Es bestand deshalb keine Eile und auch keine Notwendigkeit, daß der Gesetzgeber hier neue Planungsregelungen, wie sie in diesen beiden Gesetzen enthalten waren, festlegte.
Inzwischen ist die Selbstverwaltung zu einer Lösung gekommen. Der Bundesausschuß Ärzte und Krankenkassen hat im Dezember 1985 Richtlinien für den bedarfsgerechten und wirtschaftlichen Einsatz von medizinisch-technischen Großgeräten erlassen.

(Frau Wagner [GRÜNE]: Das ist aber Glaubenssache!)

Sie sind im Bundesanzeiger im März dieses Jahres veröffentlicht worden. Darin ist einmal die Liste der medizinisch-technischen Großgeräte festgelegt worden. Zum anderen sind Vorschriften aufgenommen worden über die Standortplanung, eine gegenseitige Unterrichtung über die Anschaffung und Nutzung von Geräten im stationären und ambulanten Sektor sowie die Pflichten des Kassenarztes zur Anzeige einer beabsichtigten Anschaffung — ich wiederhole: beabsichtigten Anschaffung —, die Nutzung und die Mitbenutzung eines solchen Großgerätes und zur Teilnahme an einem Beratungsgespräch bei seiner Kassenärztlichen Vereinigung.
Die Kassenärztlichen Vereinigungen der Länder, die dies umsetzen müssen, haben diese Richtlinien bereits größtenteils umgesetzt bzw. stehen kurz vor dem Abschluß. Es wurden Regelungen geschaffen, die nur eine gezielte und begründete Untersuchung zu Lasten der Krankenkassen ermöglichen. Herr Urbaniak, ich würde da einmal zuhören, denn es kann heute ein Patient nur mit einem normalen Überweisungsschein, nicht mit einem Originalschein zu einem Betreiber eines solchen Großgeräts gehen. Zu diesem Überweisungsschein muß aber noch ein begründeter Antrag mit der Angabe, welche Voruntersuchungen schon gemacht worden sind, eingebracht werden. Diese unterliegen der Wirtschaftlichkeitsprüfung und werden auch gesondert untersucht. Es ist z. B. so, daß die Kassenärztlichen Vereinigungen bei einzelnen Großgeräten besondere Kataloge, die sehr eng sind, geschaffen ha-



Dr. Becker (Frankfurt)

ben, um hier die Leistungen, die von der Kasse bezahlt werden müssen, darzustellen.
In den Länderrichtlinien wurden auch Regelungen aufgenommen, die durch eine Kooperation — ich lege Wert darauf, daß man das zur Kenntnis nimmt — eine wirtschaftlichere und damit kostengünstige Erbringung von Leistungen an medizinisch-technischen Großgeräten ermöglicht. So ist besonders zu begrüßen, daß einmal eine gemeinsame Nutzung vorgesehen werden kann, daß mehrere Ärzte ein und dasselbe Gerät benutzen, daß außerdem die Überweisung vom niedergelassenen Arzt an die Diagnostikabteilung eines Krankenhauses möglich ist, aber auch umgekehrt vom Krankenhaus zu einem Arzt, der dort als niedergelassener Spezialist ein solches Gerät betreibt. Viele Krankenhäuser haben solche Geräte oft nur deshalb — auch aus Prestigegründen — angeschafft, um nicht hinter dem allgemeinen Fortschritt zurückzuliegen. Die Regelungen hatten auch schon eine Schockwirkung bei denjenigen, die eine Anschaffung planten, sowohl im stationären als auch im ambulanten Bereich, da jetzt die Gefahr besteht, daß sie wirtschaftlich ein Desaster erleben.
Wir sind daher der Auffassung — getreu unserer Devise: so viel Selbstverwaltung wie möglich, so viel Staat wie nötig —, daß kein gesetzlicher Regelungsbedarf besteht und daß wir dies der Selbstverwaltung zutrauen. Wir lehnen daher beide Gesetzentwürfe ab.

(Zuruf von der SPD: Auch den des Bundesrats?)

— Beide!

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1023834000
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Wagner.

Marita Wagner (GRÜNE):
Rede ID: ID1023834100
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben hier zwei Gesetzentwürfe vorliegen, mit denen wir uns inhaltlich eigentlich gar nicht mehr beschäftigen müssen. Sie sind Opfer einer Richtlinie geworden, die der Bundesausschuß der Ärzte und Krankenkassen beschlossen hat und die weit hinter den Gesetzentwürfen zurückfällt, obwohl diese noch nicht weitgehend genug sind. Zumindest der Bundesratsentwurf ist weit von einer wirklichen Lösung der Probleme entfernt. Zwei Jahre lang hat sich jetzt der Bundestag mit den Gesetzentwürfen beschäftigt, um sie nun zu begraben.
Aber worum geht es eigentlich? Die sogenannte Kostendämpfungspolitik hat im Gesundheitswesen zu einem wahren Boom an medizinisch-technischen Großgeräten geführt. Die Haushaltsbegleitgesetze haben nie zu einer Kostendämpfung geführt. Sie haben nur die Kosten den Versicherten über Selbstbeteiligung zugeschoben. Sie haben die Renten- und Arbeitslosenversicherung entlastet und die gesetzliche Krankenversicherung belastet.
Kostendämpfungspolitik ist somit gleich Politik des Verschiebebahnhofs zwischen den Sozialversicherungen und Doppelbelastung der Versicherten.
Diese Politikformel gilt sowohl für die SPD/FDP-
Koalition als auch für die heutige Koalition. Offensichtlich ist dies die beliebte und bequeme Strategie für die Gesundheitspolitik, und dies wird sich wohl auch in der kommenden Legislaturperiode nicht ändern.
Wir haben im Bereich der medizinisch-technischen Großgeräte inzwischen die Situation, daß in München mehr Computertomographen stehen als in ganz Italien. In der Bundesrepublik gibt es bereits 30 Kernspintomographen, die pro Stück ungefähr viereinhalb Millionen Mark kosten, in Frankreich dagegen ganze zwei.
Allein im Jahre 1984 sind die Kosten für Computertomographie um 59 %, für die Langzeit-EKG um 67 % und für die Nuklearmedizin um 22 % gestiegen. Es wurden mehr als 40% der Computertomographen in Arztpraxen allein im Jahre 1984 aufgestellt. Der Absatz an modernen medizinisch-technischen Großgeräten im In- und Ausland floriert.
Aber ist dies ein Zeichen von Fortschrittlichkeit unseres Gesundheitswesens? Sind die Menschen dadurch gesünder geworden?

(Dr. Schierholz [GRÜNE]: Wohl kaum!)

Oder haben die Ärzte lediglich mehr verdient? Gesünder geworden sind die Menschen wohl nicht. Wie sollten sie auch durch Diagnosegeräte gesünder werden? Gegen die meisten Krankheiten, die chronischer Natur sind, haben die Ärzte kein Mittel zur Hand.
Was man feststellen kann, ist, daß der Anteil an technischen Leistungen an der ärztlichen Gesamtvergütung enorm gestiegen ist; denn die millionenteuren Geräte müssen benutzt und abgerechnet werden, damit sie sich amortisieren. Ich kann dies nicht anders als Technikorientierung im Gesundheitswesen nennen.
Doch es ist nicht nur die Technikorientierung, sondern auch die Einkommensorientierung im Gesundheitswesen. Ich frage Sie: Was hat das mit Gesundheit und vor allem mit Gesunderhaltung zu tun?

(Beifall des Abg. Dr. Schierholz [GRÜNE] — Bohl [CDU/CSU]: Ach du meine Güte!)

Es hat gar nichts damit zu tun.
Was machen nun die Parteien und die Regierung? Nichts.

(Eigen [CDU/CSU]: Offenbar ist alles falsch, was wir machen!)

Einfacher ist es offenbar, mit den Kassenärztlichen Vereinigungen und den Ärzten keinen Streit anzufangen und statt dessen die Großgerätekosten auf die privaten Haushalte bzw. auf die Versicherten und die Rentner abzuwälzen.

(Bohl [CDU/CSU]: Demnächst holen wir Geistheiler!)

— Was Sie machen, ist mir egal.



Frau Wagner
Die SPD ist sich offensichtlich nicht einmal einig, was ihren eigenen Gesetzentwurf angeht.

(Urbaniak [SPD]: Sie haben doch überhaupt nichts vorgelegt!)

Im Ausschuß für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit haben Sie ihn zumindest zurückgezogen mit dem Resultat, daß ich die einzige war, die grundsätzlich auf gesetzliche Regelungen für medizinisch-technische Großgeräte gedrungen hat.

(Beifall des Abg. Dr. Schierholz [GRÜNE])

Statt dessen wurden unverbindliche Richtlinien der Krankenkassen und Ärzte bevorzugt, die dem Ausschuß noch nicht einmal vorgelegt worden sind.
Nun haben Sie von der SPD Ihren Gesetzentwurf doch zur Abstimmung gestellt. Dann will ich auch darauf eingehen. Hierzu kann ich nur feststellen, daß eine reine Bedarfsplanung — man kann sich streiten, was Bedarf im Gesundheitswesen eigentlich ist — nicht ausreicht.
Die zentralen Punkte sind:
Erstens. Wer plant? Unseres Erachtens muß ein breites, demokratisch zusammengesetztes Gremium konstituiert werden.
Zweitens. Unter welchen politischen Prioritäten wird geplant? Denn solange die Prioritäten für die Aufstellung der Geräte nicht bindend bei den Krankenhäusern und medizinisch-technischen Zentren liegen, bringt das alles nichts.
Drittens. Wie wird vergütet? Solange nicht gleichzeitig die Einzelleistungsvergütung für technische Leistungen nachhaltig reduziert wird und Schritte zu einer Gesamtpauschalierung der ärztlichen Leistungen unternommen werden, läuft der Gesetzentwurf ins Leere.
Dies sind unsere Gründe für die Ablehnung der vorliegenden Gesetzentwürfe. Die Richtlinien sind sicherlich nicht die Alternative.
Ich danke Ihnen.

(Beifall bei den GRÜNEN — Bohl [CDU/ CSU]: Ich komme mir vor wie bei einem Geistheiler!)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1023834200
Das Wort hat Frau AdamSchwaetzer.

Dr. Irmgard Adam-Schwaetzer (FDP):
Rede ID: ID1023834300
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die vorliegenden Gesetzentwürfe haben uns im Ausschuß — fast auf den Tag genau — zwei Jahre beschäftigt. Die erste Lesung war am 19. Oktober 1984, und heute haben wir den 16. Oktober 1986.
Die Kostenentwicklung, die von Herrn Urbaniak angesprochen worden ist, war bei der Abrechnung von Leistungen, die mit medizinisch-technischem Großgerät erbracht worden sind, in den Jahren 1984 und 1985 in der Tat durchaus bedrohlich. Die ersten Quartale des Jahres 1986 zeigen aber ganz klar, daß sich die Kostenentwicklung nicht weiter verschärft, sondern — im Gegenteil — innerhalb eines Anstiegs bleibt, der durchaus vertretbar ist, nämlich innerhalb des Anstiegs der Grundlohnsumme.

(Dr. Becker [Frankfurt] [CDU/CSU]: Eine Folge der Richtlinie!)

Daraus kann man zwei Schlüsse ziehen, nämlich erstens den, daß die Richtlinie, die von Herrn Bekker angesprochen worden ist und die zwischen der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, den Krankenkassen und den Krankenhausträgern abgesprochen worden ist, inzwischen zieht und zum anderen wahrscheinlich eine Art Sättigung zumindest mit den gebräuchlichen medizinisch-technischen Großgeräten eingetreten ist.

(Frau Wagner [GRÜNE]: Aber es gibt eben neue!)

— Es wird zweifellos neue geben. Ich finde das auch gut. Ich wollte gerade darauf zu sprechen kommen. Frau Wagner, Sie haben von einem Boom an medizinisch-technischem Großgerät gesprochen. Ich finde es gut, daß es auch neues medizinisch-technisches Großgerät geben wird. Denn das gibt mehr Patienten die Möglichkeit, früher und unter Umständen gründlicher ihre Krankheit diagnostizieren zu lassen und damit ihre Heilungschancen ganz maßgeblich zu verbessern.

(Dr. Becker [Frankfurt] [CDU/CSU]: So ist es!)

Darauf kommt es an.
Denn es kann in diesem Bereich, so wichtig Kostendämpfung ist, nicht nur um Kostendämpfung gehen. Es muß darum gehen, für alle Patienten eine ausreichende und gute medizinische Versorgung sicherzustellen. Wir wollen natürlich keine Überversorgung. Aber wir wollen sicherstellen — das ist durch diese Richtlinie sichergestellt —, daß sowohl in der ambulanten Praxis als auch in den Krankenhäusern ausreichend medizinisch-technische Großgeräte zur Verfügung stehen. In ambulanten Praxen auch deshalb, weil sie für die Patienten eher erreichbar sind, so daß sie sich in vielen Fällen einer ambulanten Diagnose unterziehen lassen können und nicht für mehrere Tage ins Krankenhaus müssen.

(Frau Wagner [GRÜNE]: Dann sollen die Leute aus den Krankenhäusern in die Praxen gekarrt werden?!)

— Ach, Sie wissen ganz genau, daß inzwischen auch überall in den Krankenhäusern, regional ganz gut verteilt, zum Beispiel die gebräuchlichsten Großgeräte wie Computer-Tomographen stehen, so daß man keine Patienten in eine ambulante Praxis „karren" muß, wie Sie das nennen. Ich würde sagen: bringen; denn immerhin werden solche Krankentransporte von Fachleuten, nämlich von Krankenschwestern und Krankenfahrern durchgeführt.
Wichtig ist natürlich, daß jeder Arzt, bevor er sich ein solches Gerät kauft, was eine wichtige Investitionsentscheidung beinhaltet, sich mit seiner Kassenärztlichen Vereinigung berät, damit er darüber aufgeklärt wird, was er abrechnen kann, aber auch darüber, welches finanzielle Risiko er eingeht. Denn immerhin ist diese Investitionsentscheidung



Frau Dr. Adam-Schwaetzer
für ihn notwendigerweise mit einem Risiko verbunden. Das ist so in unserer Wirtschaftsordnung und das muß auch so bleiben.
Herr Urbaniak, Sie haben mehrfach darauf hingewiesen, daß dieser „ungeplante" Zustand für Sie völlig unerträglich sei. Sie haben das Ende des ungeplanten Zustandes herbeireden und auch herbeiführen wollen. Wissen Sie, ich kenne Bereiche und ich kenne Staaten, die von A bis Z durchgeplant sind. Was ich dort immer wieder feststelle, ist, daß Mangel herrscht. Ich habe immer die Erfahrung gemacht, daß in unseren freiheitlichen Systemen ein solcher Mangel leichter behoben werden kann.
Deshalb finden wir es richtig und begrüßen es, daß es diese Richtlinien gibt, die klare Entscheidungen und auch Vorgaben für die Ärzte im niedergelassenen Bereich bringen. Wir finden es aber genauso richtig, daß hier eigene Entscheidungen noch getroffen werden können und daß wir nicht den gesamten Gesundheitsbereich der Planung unterwerfen müssen.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1023834400
Das Wort hat der Parlamentarische Staatssekretär beim Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung, Herr Vogt.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1023834500
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Kollegin Wagner, was Sie vorhin gesagt haben, war makaber. Ich wünsche Ihnen nicht, im Falle einer Erkrankung einmal bei der Diagnose auf medizinisch-technische Großgeräte angewiesen zu sein.

(Frau Wagner [GRÜNE]: Das habe ich gar nicht gesagt!)

Meine Damen und Herren, in der Frage des Einsatzes von medizinisch-technischen Großgeräten wollen wir uns an zwei Grundsätzen orientieren. Erstens. Versicherte sollen am medizinisch-technischen Fortschritt teilhaben. Zweitens. Das Gebot der Wirtschaftlichkeit und der Beitragsstabilität darf nicht gefährdet werden.
Wir ziehen daraus die Schlußfolgerung: Eine generelle gesetzliche Regelung des Einsatzes medizinisch-technischer Großgeräte ist nicht erforderlich. Denn auf Initiative der Bundesregierung hat sich die Selbstverwaltung von Ärzten und Krankenkassen mit der Problematik befaßt und im Dezember 1985 Richtlinien zum bedarfsgerechten Einsatz medizinisch-technischer Großgeräte verabschiedet. Diese Richtlinien des Bundesausschusses sind in der Lage, den wirtschaftlichen Einsatz der Geräte zu gewährleisten. Es wurden verbindliche Regeln geschaffen, die von den Krankenkassen und den Kassenärztlichen Vereinigungen, aber vor allem von den betroffenen Kassenärzten zu beachten und anzuwenden sind.
Auf Landesebene soll eine Standortplanung durchgeführt werden, die auch eine Abstimmung mit dem stationären Bereich vorsieht. Dadurch soll eine unnötige Konkurrenz zwischen ambulanter Praxis und Krankenhaus vermieden werden. Für den Kassenarzt ist die Standortplanung verbindlich. Das bedeutet, daß medizinisch-technische Leistungen mit Geräten, deren Einsatz der Standortplanung widerspricht, nicht abrechnungsfähig sind.
Die Selbstverwaltung hat damit eine Lösung erarbeitet, die sich in der Praxis bewähren wird. Die Selbstverwaltungslösung bietet die Gewähr für ein Höchstmaß an Sachverstand und Flexibilität. Die Richtlinien und Vertragsbestimmungen werden inzwischen auf Landesebene angewendet. Gesetzgeberischer Handlungsbedarf ist deshalb überflüssig. Auch in diesem Fall bewährt sich der Grundsatz: Vorfahrt für die Selbstverwaltung. Die Bundesregierung spricht sich deshalb dafür aus, die beiden Gesetzentwürfe abzulehnen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1023834600
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Einzelberatung und Abstimmung über Tagesordnungspunkt 15 a, den Gesetzentwurf der Fraktion der SPD auf Drucksache 10/1329. Der Ausschuß empfiehlt auf Drucksache 10/6099 unter Nr. 1, diesen Gesetzentwurf abzulehnen.
Ich rufe Art. 1 bis 3, Einleitung und Überschrift auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Wer enthält sich der Stimme? — Dann ist das Gesetz in zweiter Beratung mit Mehrheit abgelehnt. Damit unterbleibt nach § 83 Abs. 3 unserer Geschäftsordnung die weitere Beratung.
Wir kommen jetzt zur Einzelberatung und Abstimmung über Tagesordnungspunkt 15b, den Gesetzentwurf des Bundesrats auf Drucksache 10/1625. Der Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung empfiehlt auf Drucksache 10/6099 unter Nr. 2, diesen Gesetzentwurf ebenfalls abzulehnen.
Ich rufe die Art. 1 bis 3, Einleitung und Überschrift auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Dann ist auch dieses Gesetz in zweiter Beratung mit Mehrheit abgelehnt, und es unterbleibt nach § 83 Abs. 3 unserer Geschäftsordnung die weitere Beratung.
Ich rufe nun Tagesordnungspunkt 16 und Zusatztagesordnungspunkt 2 auf:
Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU, SPD und FDP
Eingliederung der Übersiedler aus der DDR in die Bundesrepublik Deutschland
— Drucksache 10/5657 —
Beratung des Antrags des Abgeordneten Dr. Schierholz und der Fraktion DIE GRÜNEN
Eingliederung der Übersiedler/innen aus der DDR in die Bundesrepublik Deutschland
— Drucksache 10/6169 —



Vizepräsident Westphal
Meine Damen und Herren, nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die gemeinsame Aussprache zu diesen Tagesordnungspunkten 30 Minuten vorgesehen. — Ich sehe dazu keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Böhm (Melsungen).

Wilfried Böhm (CDU):
Rede ID: ID1023834700
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In diesem Jahr sind bis zum 30. September rund 16 000 Übersiedler aus der DDR mit Genehmigung der dortigen Behörden in die Bundesrepublik Deutschland ausgereist. Es ist zu erwarten, daß die Zahl von fast 19 000 Übersiedlern, die im vergangenen Jahr registriert wurden, auch in diesem Jahr wieder erreicht werden wird. 1984 waren es knapp 35 000, die zu uns übersiedeln durften. In den zehn Jahren davor waren es jeweils zwischen 7 000 und 11 000 Deutsche aus der DDR, die von den dortigen Behörden diese Genehmigung erhielten. Diese Zahlen aus den drei letzten Jahren zeigen, daß es eine gestiegene Bereitschaft der DDR gibt, Ausreisegenehmigungen zu erteilen. Jedenfalls gibt es auch in diesem Bereich der innerdeutschen Beziehungen keine Eiszeit.
Nimmt man diejenigen Deutschen hinzu, die nach vorangegangener Haft in der DDR auf Grund der besonderen Bemühungen der Bundesregierung die Genehmigung erhalten haben, in die Bundesrepublik Deutschland überzusiedeln, und zählt man weiter die Flüchtlinge hinzu, die ohne Genehmigung der dortigen Behörden und zum Teil unter Gefahr für Leib und Leben die Flucht in die Bundesrepublik unternahmen, dann ergibt sich die Zahl von rund 41 000 Landsleuten aus der DDR, die 1984 zu uns kamen, und rund 25 000, die im vergangenen Jahr den Weg in die Bundesrepublik fanden.
Flucht und Übersiedlung aus der DDR in die Bundesrepublik Deutschland prägen in wechselnder Form und in wechselndem Umfang seit Jahrzehnten das Leben unseres Volkes. Es ist eine Bewegung weg vom real existierenden Sozialismus hin zu dem Staat mit der freiheitlichsten Lebensordnung, die es je auf deutschem Boden gab.

(Dr. Schierholz [GRÜNE]: Oh! Oh!)

Wir wissen, daß es in der DDR eine ständig steigende Zahl von Ausreiseanträgen gibt. Die evangelische Kirche in der DDR hat erst vor wenigen Wochen öffentlich darauf hingewiesen.
Wir empfinden keine Freude über diese Entwicklung, weder offen noch klammheimlich. Es ist nicht einfach für einen Menschen, seine Heimat, seinen Arbeitsplatz, die gewohnte Umgebung, den Freundeskreis, in dem er lebt, zu verlassen und in eine ungewisse Zukunft zu gehen. Niemand bei uns will möglichst viele Landsleute aus der DDR herauslokken und diesen Teil Deutschlands entvölkern. Im Gegenteil: Unser Bemühen soll dazu beitragen, daß es unseren Landsleuten drüben leichter fällt, in ihrer Heimat zu bleiben. Deshalb appellieren wir immer wieder an die Führung der DDR, die unerträgliche Bevormundung ihrer Bürger aufzugeben und ihnen Möglichkeiten zu Reisen auch in die Bundesrepublik Deutschland und das westliche Ausland endlich zu eröffnen. Ich bin überzeugt, daß in dem Ausmaß, in dem die Verletzung der Menschenrechte, und besonders des Menschenrechts auf Freizügigkeit in der DDR zurückgenommen wird, die Bereitschaft der Menschen wächst, in ihrer Heimat zu verbleiben.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Wie die Landsleute persönlich auf dieses System der Unterdrückung reagieren, dem sie ausgeliefert sind, ist einzig und allein ihre höchstpersönliche Entscheidung, bei der wir in der Bundesrepublik Deutschland sie nicht bevormunden können, wollen und dürfen. Wer auf Grund seines eigenen Wunsches die Ausreise in die Bundesrepublik Deutschland sucht, dem haben wir allerdings bei der Realisierung dieses Wunsches zu helfen und ihm nach seiner Ausreise hier in der Bundesrepublik Deutschland eine Chance zur Eingliederung zu geben. Das ist die Pflicht, die wir gegenüber diesen Landsleuten haben.
Es ist nur ganz natürlich, daß es sowohl bei den Übersiedlern und Flüchtlingen als auch bei den Westdeutschen Probleme bei der Eingliederung der Landsleute aus der DDR gibt. Bei den Übersiedlern und Flüchtlingen liegen sie in dem großen Gegensatz, der zwischen dem bekannten gesellschaftlichen und wirtschaftlichen System der DDR und dem auf Eigenverantwortung beruhenden Gesellschaftssystem der Bundesrepublik Deutschland beruht. Bei den Westdeutschen liegen die Probleme in der Befürchtung, daß angesichts der angespannten Lage auf dem Arbeitsmarkt jeder Hinzukommende eine Belastung sei. Um so erfreulicher ist die große Welle der Hilfsbereitschaft, die vor allem im Jahr 1984 beim Emporschnellen der Zahl der Übersiedler allenthalben anzutreffen war.

(Jäger [Wangen] [CDU/CSU]: Sehr wahr!)

Ich glaube, man kann heute mit Recht feststellen, daß alle persönlichen Erfahrungen und alle seriösen wissenschaftlichen Untersuchungen den Satz bestätigen, den wir in dem Antrag gemeinsam formuliert haben:
Die Aufnahme und Eingliederung von Übersiedlern aus der DDR gibt Gelegenheit, die Gemeinsamkeit und Solidarität der Deutschen zu beweisen. Diese Probe hat die Bundesrepublik Deutschland bestanden.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Ich gehe davon aus, daß es auch in Zukunft so bleiben wird.
Neben der privaten Hilfsbereitschaft von Mensch zu Menschen müssen auch im staatlichen Bereich Ungereimtheiten und Ungerechtigkeiten ausgeräumt werden. Ich denke an das Problem der Umzugskosten von Übersiedlern aus der DDR in die Bundesrepublik Deutschland. Wir haben dazu in dem Antrag eine klare Aussage getroffen. Ich freue mich, daß der Bundesminster des Innern zur Frage der Gleichstellung von Übersiedlern aus der DDR mit den Aussiedlern bei der Behandlung der entstehenden Umzugskosten in einem Schreiben an den neugewählten Präsidenten des Bundes der Mittel-



Böhm (Melsungen)

deutschen, unseren Kollegen Bernd Wilz, den ich zu dieser Wahl beglückwünsche, angekündigt hat, daß er die Angelegenheit in der nächsten Legislaturperiode erneut aufgreifen werde.

(Dr. Schierholz [GRÜNE]: Nicht einmal bei dieser wichtigen Debatte ist er dabei!)

Auch zur Frage der Harmonisierung der Eingliederungshilfen für Aussiedler und Übersiedler sind in unserem gemeinsamen Antrag Aussagen gemacht, die zum Ziel haben. ohne Minderung der Rechte von Betroffenen Harmonisierungen herbeizuführen, wo vergleichbare Verhältnisse gegeben sind.
Ein Wort noch zu dem Antrag der GRÜNEN.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1023834800
Herr Kollege, das geht leider nicht mehr, Ihre Zeit ist abgelaufen.

(Dr. Schierholz [GRÜNE]: Lassen Sie ihn dazu ruhig noch reden! Ich finde das wichtig!)


Wilfried Böhm (CDU):
Rede ID: ID1023834900
Ich habe sechs Minuten gehabt.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1023835000
Das ist richtig.

Wilfried Böhm (CDU):
Rede ID: ID1023835100
Ein Wort zu dem Antrag der GRÜNEN. Herr Kollege Schierholz, Sie wollen das gerne hören. Offenbar richtet sich die Formulierung in diesem Antrag, in dem Sie sagen, die Bürger der Bundesrepublik Deutschland verhielten sich ablehnend oder gleichgültig gegenüber den Zuwanderern, an den hessischen grünen Staatsminister Joseph Fischer, von dem wir ja gehört haben, daß er am liebsten die Flüchtlinge in die DDR zurückschicken möchte, dahin nämlich, wo sie hergekommen sind.

(Beifall bei der CDU/CSU — Dr. Schierholz [GRÜNE]: Reden Sie doch keinen Unsinn!)

Das, finde ich, war eine schlimme Sache. Damit ist deutlich geworden, welche Beziehung Sie zu diesen Menschen aus der DDR haben, die bei uns Zuflucht suchen und die zu uns kommen.
Wir werden Ihren Antrag ablehnen und bitten um eine breite Zustimmung zu dem gemeinsamen Antrag von CDU/CSU, FDP und SPD.
Danke.

(Beifall bei der CDU/CSU)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1023835200
Wir hatten schon korrekt gehandelt. Sie haben etwas länger gesprochen.
Der nächste Redner ist der Abgeordnete Hiller.

Reinhold Hiller (SPD):
Rede ID: ID1023835300
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Böhm, ich hatte eigentlich erwartet, daß es bei dieser Gelegenheit nicht notwendig ist, hier wieder in ideologische Auseinandersetzungen einzutreten.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Ich hätte es eigentlich begrüßt, wenn Sie auf die
Tatbestände eingegangen wären, die zu den Anhörungen und schließlich zu dem Antrag, der uns hier jetzt vorliegt, geführt haben.

(Dr. Schierholz [GRÜNE]: Allerdings!)

Es wäre im Interesse der Sache gewesen, zu der ich jetzt etwas sagen möchte.
Wir debattieren hier über einen Antrag von CDU/ CSU, FDP und SPD über die Eingliederung der Übersiedler aus der DDR in die Bundesrepublik Deutschland. Ich freue mich, daß dieser Antrag, der auf Initiative der SPD zustande kam, die Zustimmung anderer Fraktionen gefunden hat. Bedauerlich finde ich es allerdings, daß sich die GRÜNEN nicht an der Ausgestaltung unseres Gemeinschaftsantrages beteiligt haben und statt dessen jetzt ziemlich überraschend, quasi erst heute, einen eigenen Antrag vorgelegt haben. Sie werden verstehen, Herr Schierholz, diesem Antrag können wir schon aus Verfahrensgründen nicht zustimmen. Das können Sie von uns nicht verlangen. In der Überzeugung, daß noch vieles verbessert werden muß, damit diejenigen, die aus der DDR zu uns gekommen sind, sich bei uns auch wirklich heimisch fühlen können, stimmen aber ansonsten alle Fraktionen dieses Hauses darin überein, was wir natürlich begrüßen.
Ich möchte Ihre Aufmerksamkeit auf drei Bereiche lenken, die ich für besonders verbesserungsbedürftig halte. Der erste Punkt ist die Beratung der Neuankömmlinge durch unsere Behörden. Es reicht nicht — das haben die Anhörungen des Ausschusses im vergangenen Jahr uns eindrücklich vor Augen geführt —, den Menschen aus der DDR einen Katalog aller Hilfsmöglichkeiten und eine Auflistung aller ihnen zustehenden Leistungen anzubieten. Sie brauchen ratgebende Menschen, die sich vorstellen können, daß für Deutsche aus der DDR bei weitem nicht alles selbstverständlich ist, was wir dafür halten. In mehreren wissenschaftlichen Untersuchungen wurde bestätigt, was uns auch in den Anhörungen von Betroffenen vorgetragen wurde: Die Umsiedlung von Deutschland-Ost nach Deutschland-West ist für viele ein Umzug in eine ganz andere Welt. „Nie im Leben haben wir es so stark empfunden, was Heimat und Fremde bedeuten", schrieb ein junges Ehepaar nach seiner Übersiedlung in einem Brief. Und weiter: „Viele sagen, daß man zwei bis fünf Jahre brauche, um sich in dieser Welt hier bei uns in der Bundesrepublik richtig einleben zu können". Die Autorin einer Sendung des NDR, die Übersiedler nach ihren Erfahrungen befragt hat, gebrauchte ein anschauliches Bild, um ein Grundproblem deutlich zu machen. Zitat: „In der DDR läuft man auf festen vorgegebenen Bahnen, kann nicht abstürzen, hier aber muß man selbst die Initiative ergreifen, sich selbst entscheiden und danach handeln." Wir wissen, daß manche das nicht schaffen. Viele, zu viele sind bei uns abgestürzt in Arbeitslosigkeit, Obdachlosigkeit, Hoffnungslosigkeit. Sie konnten bei uns nicht seßhaft werden. Diesen Menschen müssen wir praktisch helfen und hier nicht zu neuen ideologischen Auseinandersetzungen kommen.

(Beifall bei SPD und den GRÜNEN)




Hiller (Lübeck)

Deshalb fordert unser Antrag eine bessere, kontinuierliche Schulung der Mitglieder des öffentlichen Dienstes und aller, die mit diesen Beratungsaufgaben befaßt sind. Sie brauchen bessere Kenntnisse über die Lebenswirklichkeit in der DDR, die typische DDR-Sozialisation, die im Kollektiv zwar alles einengt, kontrolliert und fordert, andererseits aber auch beschützt und Halt gibt. Sie brauchen die Kenntnis der Prägungen und Erwartungen, mit denen die Ratsuchenden zu uns gekommen sind.
Der zweite Bereich, für den wir uns besonders eingesetzt haben, ist die Bewertung von Ausbildungsabschlüssen und beruflichen Qualifikationen der Übersiedler. Es ist ja nicht nur eine Frage für die Vermittlung in unserem Arbeitsmarkt, sondern auch für die Berechnung von Arbeitslosenunterstützung und andere Dinge.

(Urbaniak [SPD]: Die demontierten Leistungen!)

— Ja.
Ein Fall aus meinem Wahlkreis soll das Problem deutlich machen: Eine über 50jährige Frau hat in der DDR eine Fachschule für soziale Berufe mit staatlicher Prüfung abgeschlossen. Danach hat sie 28 Jahre als Fürsorgerin, zuletzt in leitender Funktion, gearbeitet. Ihr letztes Zeugnis vom September 1985 bestätigt ihr, „daß sie durch jahrelange Erfahrung sehr selbständiges und verantwortungsvolles Arbeiten, gesundheitserzieherische öffentliche Vorträge geleistet hat und außerdem Mitglied in verschiedenen wissenschaftlichen Gesellschaften gewesen ist". Sie hat die Funktion einer Bezirksfürsorgerin ausgeübt. Als sie in die Bundesrepublik kam, stufte sie das Arbeitsamt Lübeck hier ein — ich zitiere — „entsprechend einer Kraft im öffentlichen Dienst ohne besondere Eingangsvoraussetzungen".
Das sind die Probleme, die wir angehen wollten, und nicht das, Herr Kollege Böhm, was Sie zu Beginn Ihrer Rede hier gesagt haben.
Diese Frau ist von dem enttäuscht, was sie hier in der Bundesrepublik zu spüren bekam. Sämtliche Fähigkeiten, die ihr einen Start ins Berufsleben erleichtern sollten, wurden ihr abgesprochen. Sie hatte sich den Neubeginn anders vorgestellt.
Das schleswig-holsteinische Sozialministerium teilte ihr dann mit, daß eine Anerkennung ihrer Ausbildung zur Gesundheitsfürsorgerin in der DDR im Rahmen der Gleichwertigkeit nicht möglich sein könnte. Frau A. könne jetzt beantragen, als Krankenpflegerin anerkannt zu werden.
Ich meine, so etwas ist ein Skandal, und hier müssen alle, die ernsthaft an diesem Problem interessiert sind, Lösungen schaffen.

(Beifall bei der SPD)

So verstehe ich auch unseren Antrag. Es begründet auch die Gemeinsamkeit, daß wir hier Betroffenen helfen und uns nicht in großartigen Reden ständig auseinanderreden wollen.

(Dr. Schierholz [GRÜNE]: Das hat Herr Böhm gerade gemacht!)

Hier geht es um die Menschen und nicht um die Debatte zur Lage der Nation im geteilten Deutschland.

(Beifall bei der SPD — Dr. Schierholz [GRÜNE]: Da bin ich aber nicht sicher!)

Der dritte wichtige Punkt, wo wir auch helfen müssen, ist die Eingliederung im allgemeinen. Ronge kommt zu dem Schluß, daß die Übersiedler bei uns leichter Arbeit finden als Freunde. Ich zitiere ihn: Die Bundesbürger seien gleichgültig, kalt und nur an materiellen Dingen interessiert, heißt es in einer Sendung des NDR.

(Dr. Schierholz [GRÜNE]: Hört! Hört!)

Ich kann nur alle auffordern, über diesen Antrag hinaus dafür zu sorgen, daß die Übersiedler aus der DDR bei uns eingegliedert werden, in Sportvereinen, in Organisationen. Man kann nur alle Ehrenamtlichen in diesen Bereichen auffordern, diese Integrationsbemühungen zu unterstützen.
Eines will ich aber ganz deutlich sagen: Nur 18% hier bei uns in der Bundesrepublik haben nach dieser Untersuchung von Ronge die Übersiedler ausdrücklich begrüßt — nur 18%; das sollte man sich mal überlegen!

(Dr. Schierholz [GRÜNE]: Sehr interessant!)

Ich möchte dazu sagen, daß der Sprachgebrauch und die Argumentation in der Bundesrepublik im Zusammenhang mit der Asylproblematik nicht dazu geeignet sind, den Integrationswillen bei uns in der Gesellschaft überhaupt zu fördern, sondern hier werden Dämme aufgebaut, die manchmal nur sehr schwer wieder einzureißen sind.

(Dr. Dregger [CDU/CSU]: Das sind doch keine Ausländer!)

Von Übersiedlerwelle war die Rede. Einige haben damals von einer Springflut gesprochen. Das sind die gleichen Vokabeln, die wir auch in anderen Bereichen erleben. Deshalb ist hier keine Hysterie angesagt, wenn künftig hoffentlich wieder mehr Bürger aus der DDR zu uns reisen können. Es ist vielmehr notwendig, daß schon im Sprachgebrauch eine Interpretationshilfe angeboten wird.
Ich hatte schon gesagt, daß wir den Antrag der GRÜNEN ablehnen. Ich möchte zum Schluß aber noch anmerken, daß es mit unserem Antrag allein nicht getan ist. Ich möchte an alle Beteiligten in Bund, Ländern und Gemeinden appellieren, nicht nur den Text unseres Antrags zu beachten, sondern auch vor Ort den Übersiedlern aus der DDR die entsprechende Hilfeleistung zu bieten.
Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1023835400
Das Wort hat der Abgeordnete Ronneburger.

Uwe Ronneburger (FDP):
Rede ID: ID1023835500
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist aus zwei Gründen außerordentlich bedauerlich, daß der Zeitpunkt für die Debatte über diesen Antrag wieder einmal in den



Ronneburger
Abendstunden liegt und wieder einmal ohne große unmittelbare Reaktion und Wirkung in der Öffentlichkeit der Bundesrepublik ablaufen muß.

(Jäger [Wangen] [CDU/CSU]: Leider wahr!)

Der erste Grund ist die Tatsache, daß dieser Antrag erneut ein Stück deutschlandpolitischer Gemeinsamkeit darstellt, die ich hier mit großer Befriedigung feststelle und von der ich dringend hoffe, daß sie sich bei anderen deutschlandpolitischen Problemstellungen wiederholen wird. Ich äußere hier noch einmal meine Überzeugung, daß es in der Deutschlandpolitik darauf ankommt, über parteipolitische Grenzen hinweg eine gemeinsame Haltung der Deutschen in der Bundesrepublik Deutschland zu finden.
Der zweite Grund aber ist der, daß dieser Antrag, Herr Kollege Hiller, eine ganze Reihe von Aufforderungen an Gemeinden, an Städte, an Länder, an Institutionen in unserem Staat enthält,

(Hiller [Lübeck] [SPD]: Auch an den Bund!)

die eigentlich auf dem direkten Weg aus unserem gemeinsamen Antrag an diese Institutionen und Einrichtungen herangeführt werden sollten. Deswegen ist es schade, daß wir heute abend wieder in kleinem Kreise über eine so wichtige Frage unserer politischen Grundhaltung zu debattieren haben und dies weitgehend unter Ausschluß der Öffentlichkeit tun müssen.
Die Gemeinsamkeit, die hier zum Ausdruck kommt, meine Damen und Herren, wird in meinen Augen auch dadurch kaum beeinträchtigt, daß wir — bei einem Blick auf das Parlament — in einer deutschlandpolitischen Frage wieder einmal Ihre Fraktion, Herr Kollege Dr. Schierholz, überspringen müssen, um die Gemeinsamkeit des Parlaments, der überwiegenden Mehrheit des Deutschen Bundestages feststellen zu können. Sie haben es für notwendig gehalten, einen Konkurrenzantrag einzureichen,

(Dr. Rumpf [FDP]: Überflüssig!)

einen Antrag, der bei genauer Überprüfung der beiden Vorlagen feststellen läßt, daß Sie sich in weiten Passagen darauf beschränkt haben, abzuschreiben

(Dr. Schierholz [GRÜNE]: Richtig! 95 %!)

und nachzuvollziehen, was in dem Antrag der drei anderen Fraktionen bereits vorgegeben war. Aber Sie haben es sich trotzdem nicht verkneifen können, bestimmte Grundlagen Ihrer deutschlandpolitischen Auffassungen hineinzuschreiben.

(Dr. Schierholz [GRÜNE]: Das ist doch gut so! — Frau Wagner [GRÜNE]: Wundert Sie das?)

— Ich bedaure es außerordentlich, daß Sie nicht in der Lage sind, sich in einer nationalen Grundfrage zur Gemeinsamkeit des Parlaments zu bekennen,

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

und daß Sie in einer Frage, in der es um das Schicksal von deutschen Menschen geht, nicht bereit sind,
hier mit den anderen Fraktionen gemeinsam zu handeln,

(Beifall bei Abgeordneten der FDP und der SPD)

sondern daß Sie glauben, mit merkwürdigen Formulierungen, die Sie dort hineinschreiben und für deren Nachweis Sie überhaupt keine Überzeugungskraft haben, Ihren eigenen Standpunkt darstellen zu müssen. Wie kommen Sie eigentlich dazu, zu sagen:
Die Erfahrungen der Aufnahme und Eingliederung von Übersiedler/n/innen

(Dr. Schierholz [GRÜNE]: Sehr gut!)

— ich will überhaupt nicht bewerten, ob das Ihren Antrag besonders heraushebt —
aus der DDR haben deutlich gemacht, daß in der Motivlage der Bundesdeutschen, die Hilfsbereitschaft und Solidarität zeigten, die humanitäre Perspektive gegenüber einer nationalen Orientierung vorherrschte.
Woher wissen Sie das eigentlich, was Sie hier behaupten?

(Dr. Schierholz [GRÜNE]: Das erkläre ich Ihnen gleich!)

Ich kann Ihnen das eine sagen: Wir sind für Solidarität, wir sind für humanitäre Aspekte gegenüber denjenigen, die in einer schwierigen und bedrängten Situation zu uns kommen.
Ich kann Ihnen nur sagen: Neben allen Aufforderungen an Institutionen, Beratungsstellen usw. gibt es eine Grundforderung in diesem Bereich, nämlich denen menschlich, herzlich entgegenzukommen, die aus der DDR zu uns kommen, und ihnen die Erfahrung zu ersparen, die viele von ihnen leider gemacht haben, nämlich daß ihnen Freiheit in unserem Staat auch als Kälte und Bindungslosigkeit erscheinen kann.
Hier ist über alles Institutionelle hinaus im Grunde genommen ein ganz wesentlicher Ansatz auf der ersten Seite unseres gemeinsamen Antrags zu finden. Aber ich will hier überhaupt nicht verschweigen, daß ich diesen nationalen Ansatz, diesen Ansatz zur Solidarität und Gemeinsamkeit der Deutschen in einer solchen Situation auch für einen wesentlichen Gesichtspunkt bei der Beurteilung dieser Situation halte.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU — Dr. Schierholz [GRÜNE]: Da unterscheiden wir uns!)

— Ich weiß, daß wir uns darin unterscheiden, Herr Kollege Dr. Schierholz. Aber ich weiß auch, daß unser Standpunkt der richtige ist

(Erneuter Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

und daß wir aus unserer Überzeugung heraus handeln, aus einer deutschlandpolitischen, aus einer nationalen — nicht nationalistischen — Überzeugung heraus, die davon getragen ist, denen menschlich entgegenzukommen, die mehr Not gelitten haben und heute vielleicht auch noch leiden, als es



Ronneburger
irgend jemandem — auch irgend jemandem von Ihrer Fraktion — abverlangt worden ist.
Aber wir werden bei allen deutschlandpolitischen Erwägungen nicht aus dem Auge verlieren, daß es unser Ziel ist und bleibt, Selbstbestimmung und Freiheit für die Deutschen auch auf der anderen Seite zu erreichen. Das, was wir hier diesen Menschen gegenüber gemeinsam beantragen und beschließen, ist ein Stück dieser nationalen Gemeinsamkeit der Deutschen und der Solidarität mit denen, die es schwerer gehabt haben, als irgend jemand — auch irgend jemand in Ihrer Fraktion — es in unserem freiheitlichen Staat gehabt hat.
Wenn es einen positiven Punkt in Ihrem Antrag gibt, dann ist es jener, daß Sie nicht bestreiten, daß diese Übersiedler und Übersiedlerinnen hier in eine freiheitliche und marktwirtschaftliche Gesellschaftsordnung kommen, die ihnen nicht nur mehr Verantwortung abverlangt, sondern die ihnen auch mehr bietet, als ihnen der Staat DDR zu bieten hatte.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1023835600
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Schierholz.

Dr. Henning Schierholz (GRÜNE):
Rede ID: ID1023835700
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sie haben gehört, daß sich die Fraktion der GRÜNEN nicht dem gemeinsamen Antrag der übrigen Fraktionen angeschlossen hat. Wir haben statt dessen einen Änderungsantrag eingebracht. Wenn Sie sich bedienen wollen und ihn noch nicht gelesen haben: Er liegt dort neben dem rosagrünen Papierstapel.
Der Grund dafür liegt nicht in dem bei allen Fraktionen sichtbaren Bemühen, den aus der DDR gekommenen Menschen Starthilfe für ihren neuen Lebensabschnitt zu geben. Hier läßt sich ein Konsens aller Bundestagsfraktionen feststellen. Unsere Differenzen liegen vielmehr auf dem Gebiet dessen, was der Kollege Hiller die ideologischen Grundlagen genannt hat, auf dem Gebiet der Analyse, der Bewertung und der politischen Schlußfolgerungen aus der letztjährigen Anhörung des Ausschusses für innerdeutsche Beziehungen.
Wenn ich in dieser Hinsicht den Antrag von CDU/CSU, SPD und FDP lese, fühle ich mich an manchen Stellen spontan an eine Verhaltensweise erinnert, die da lautet: Wenn die Ideologie nicht mit den Tatsachen übereinstimmt — um so schlimmer für die Tatsachen. Wie kommen Sie z. B. dazu, in Ihrem Antrag zu behaupten, die Bundesrepublik habe die Beweisprobe der Gemeinsamkeit und Solidarität der Deutschen — ich betone: der Deutschen — bestanden? Was hier durchschimmert, Herr Dregger, ist das deutsch-nationale Pathos der Mehrheit dieses Hauses, das verzweifelt gegen die Wirklichkeit verteidigt werden will.

(Jäger [Wangen] [CDU/CSU]: Das sind doch Propagandaschlagworte!)

Tatsächlich läßt sich eine solche Behauptung weder
aus den Befunden der Anhörung noch aus den empirischen Untersuchungen aufstellen. Der von Ihnen herbeigesehnte positive Test in dieser Frage auf die Wiedervereinigung ist unseres Erachtens voll in die Hose gegangen.
Die Analyse der Anhörung und vor allem die empirische Untersuchung von Herrn Ronge aus Wuppertal in Verbindung mit „Infratest" weisen im Gegenteil darauf hin, daß fast ein Viertel der Bundesdeutschen dezidiert übersiedlerfeindlich eingestellt ist und daß bei den etwa ein Viertel bewußt übersiedlerfreundlichen Bundesdeutschen ein humanitäres und nicht ein nationales Bewußtsein handlungsleitend ist.

(Ronneburger [FDP]: Seit wann sind Sie eigentlich so umfragegläubig?)

Die von Ihnen in Ihrem Antrag behauptete These „Deutsche helfen Deutschen" ist also nicht nur in ihrer Pauschalität falsch, sondern auch in der angeführten Begründung und Motivation.
Vielmehr zeigen die Untersuchungen — jetzt zitiere ich Herrn Ronge —:
In das Verhältnis zu den anderen Deutschen in der DDR mischt sich zunehmend, vor allem bei der Nachkriegsjugend ohne gesamtdeutsche Erfahrungsbasis, eine humanitäre Perspektive, die die nationale Orientierung verdrängt — und überraschenderweise vielleicht, unter Test gestellt, handlungswirksamer ist als letztere. Ob diese Orientierung aber am traditionellen, politischen Wiedervereinigungsprogramm festhalten wird, ist eher fraglich. Denn, wie das postmaterielle Wertsyndrom zeigt, fällt der Nationalstaat sozusagen zwischen einer eher sozial kleinräumlichen (regionalen, kommunalen) und einer tendenziell weltbürgerlichen Bezugsperspektive hindurch.

(Zuruf von der CDU/CSU: Quatsch!)

— Meine Herren, das sind alles Zitate von Herrn Ronge.

(Dr. Bötsch [CDU/CSU]: Das ist postmortal! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU und der FDP)

Daraus sollten Sie einmal Konsequenzen ziehen, und zwar die richtigen.
In der sich abzeichnenden Entwicklung sehen wir GRÜNEN für die politische Kultur der Bundesrepublik eher eine Chance, Nationalismen, Fremdenfeindlichkeit und andere demokratiefeindliche Ressentiments gegenüber gesellschaftlichen Minderheiten zurückzudrängen.

(Beifall des Abg. Rusche [GRÜNE])

Vor dem Hintergrund der aktuellen Auseinandersetzung über die Asylproblematik halten wir die im Antrag durchscheinende Tendenz, die Hilfe und Solidarität mit aller Macht auf nationale, partikularistische Motive einzugrenzen, für eine gefährliche Kehrseite des Schürens von Ausländer- und Fremdenfeindlichkeit,

(Zuruf von der CDU/CSU: Wer tut denn das?)




Dr. Schierholz
wie sie sich in der Kampagne und in dem gezielten Aufbau von Ressentiments gegenüber Asylsuchenden und Flüchtlingen geäußert hat.

(Jäger [Wangen] [CDU/CSU]: Was Sie hier machen, ist eine bösartige Unterstellung! — Dr. Rumpf [FDP]: Ein komischer Rückschluß!)

Der widerlich-komische Wettlauf zwischen SPD und Bundesregierung um die Schließung der letzten für Flüchtlinge erreichbaren Grenze der Bundesrepublik durch die DDR-Regierung war dabei der vorläufige Höhepunkt.
Gerade die Untersuchung von Herrn Professor Ronge hat deutlich gezeigt, daß der Teil der Bundesbürger und Bundesbürgerinnen, der den aus der DDR übergesiedelten Menschen hilfsbereit gegenübersteht, in gleichem Maße Flüchtlingen aus anderen Ländern offen und solidarisch gegenübertritt.
Ein Antrag des Bundestages, der sich für Hilfsmaßnahmen für eine besondere Gruppe neu in der Bundesrepublik angekommener Menschen ausspricht, sollte diesem Faktum Rechnung tragen und deutlich machen, daß er alle Flüchtlinge gleichbehandeln will, daß er die humanitären Potenzen unserer Gesellschaft nicht spaltet, sondern stärkt. Deswegen haben DIE GRÜNEN in ihrem Antrag etliche Passagen geändert — wie gesagt: 95% dieser Anträge sind identisch — und ein Schlußkapitel angefügt, das lautet — ich zitiere zum Schluß —:
Der Deutsche Bundestag sieht in den humanitären Bemühungen, wie sie in diesem Antrag zum Ausdruck kommen, eine beispielhafte Haltung, mit der auch die Probleme der in der Bundesrepublik asylsuchenden Menschen gelöst werden können. Er fordert die Bundesregierung auf, die Bestimmungen des Asylrechts denen für die Umsiedler/innen aus der DDR anzugleichen.
Schönen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN — Jäger [Wangen] [CDU/CSU]: Völlig an der Sache vorbei!)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1023835800
Das Wort hat der Parlamentarische Staatssekretär im Bundesministerium des Innern, Herr Spranger.

Carl-Dieter Spranger (CSU):
Rede ID: ID1023835900
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Bundesregierung begrüßt den Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU, FDP und SPD, weil er Gelegenheit bietet, vor dem Deutschen Bundestag erneut die Aufnahme und die Eingliederung sowohl von Deutschen aus Mitteldeutschland als auch von Deutschen aus den Gebieten jenseits von Oder und Neiße in das Bewußtsein der Öffentlichkeit zu rufen. Es wird allzu schnell verdrängt, welche großen Anstrengungen und welche großen Leistungen erforderlich waren, um das beispiellose Werk der Eingliederung vieler Millionen Vertriebener und Flüchtlinge zu vollbringen,

(Sehr gut! bei der CDU/CSU)

eine Leistung, die in der Welt ihresgleichen sucht.
Bis zur Gründung der Bundesrepublik Deutschland fanden annähernd 8 Millionen Deutsche aus den Gebieten des Deutschen Reiches jenseits von Oder und Neiße und aus den übrigen Vertreibungsgebieten der Staaten Ost- und Südosteuropas im Westen Deutschlands Aufnahme und eine neue Heimat. Seither sind mehr als 1,3 Millionen Aussiedler in unser Land gekommen. Hinzu kommen rund 4 Millionen Deutsche aus Mitteldeutschland, die seit Kriegsende im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland eine neue Heimat gefunden haben. Diese heimatlos gewordenen Landsleute wurden nicht sich selbst überlassen.
Von Anfang an waren sich alle Verantwortlichen im Nachkriegsdeutschland darüber einig, daß eine menschenwürdige Lösung für diese Millionen heimatlos gewordener Landsleute nur in der uneingeschränkten Gleichberechtigung und vollständigen Eingliederung in unsere Lebensverhältnisse liegen konnte. Noch heute treffen Jahr für Jahr rund 40 000 deutsche Aussiedler in der Bundesrepublik Deutschland ein. Die Zahl der Zuwanderer aus der DDR betrug seit den 70er Jahren im Durchschnitt jährlich rund 14 000. Im Jahre 1984 zeigte sich mit fast 41 000 Zuwanderern und im Jahre 1985 mit rund 25 000 eine erhebliche Zunahme, die auch in diesem Jahr anhält.
Die Aufnahmeleistung der Bundesrepublik Deutschland beträgt gegenwärtig im Schnitt über 60 000 deutsche Landsleute im Jahr. Diese Deutschen mit Starthilfen zu versehen und sie in unserer Mitte aufzunehmen ist für uns eine Angelegenheit des nationalen Selbstverständnisses.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Dr. Schierholz [GRÜNE]: Da ist es wieder!)

Diese große Hilfe für unsere Landsleute, die die Bundesrepublik Deutschland erbringt, ist der Öffentlichkeit, insbesondere im Ausland, viel zuwenig bekannt. Die hierbei von Bund, Ländern und Gemeinden sowie von der Solidargemeinschaft der Versicherten erbrachten finanziellen Leistungen sind abschließend nicht quantifizierbar. Als Beispiele einige runde Beträge: im Rahmen des Lastenausgleichs fast 130 Milliarden DM; zur Förderung des Wohnungsbaus und zur Förderung der landwirtschaftlichen Eingliederung je rund 9 Milliarden DM; nach dem Kriegsgefangenenentschädigungsgesetz 1,7 Milliarden DM und nach dem Häftlingshilfegesetz 1 Milliarde DM. Hinzu kommen die ganz erheblichen Leistungen, die durch die Eingliederung dieses Personenkreises in das System der sozialen Sicherheit, besonders der Rentenversicherung, erbracht werden.
Die Bundesregierung weiß es dankbar zu schätzen, daß die gesetzlichen Grundlagen für die Aufnahme und für die Eingliederung von Vertriebenen, Flüchtlingen und Aussiedlern nahezu vollständig im Konsens der Fraktionen der CDU/CSU, der FDP und der SPD geschaffen werden konnten.

(Büchler [Hof] [SPD]: Sie haben bloß das falsche Thema, Herr Spranger!)




Spranger
Dem vorliegenden Entschließungsantrag ist eine Anhörung von Übersiedlern aus der DDR und Berlin (Ost) durch den Ausschuß für innerdeutsche Beziehungen vorausgegangen. Ich begrüße das, weil sich hierdurch die Abgeordneten einen unmittelbaren Eindruck verschaffen konnten. Die aus dieser Anhörung hervorgegangenen und in den Antrag übernommenen Anregungen sind von der Bundesregierung teilweise bereits aufgegriffen worden.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Sie werden zur Zeit geprüft und werden in die gegenwärtig laufende Bestandsaufnahme und in die Bedarfsanalyse zur Eingliederung von Aussiedlern und von Übersiedlern einbezogen werden.
Politischer Kernpunkt des Entschließungsantrages ist die Forderung nach der Gleichstellung von Deutschen aus der DDR und Berlin (Ost) bei der Eingliederung. Ich halte diese Forderung im Kern für berechtigt, denn das Schicksal beider Gruppen ist j a weitgehend ähnlich.

(Dr. Schierholz [GRÜNE]: Aber?)

Die Staaten des kommunistischen Herrschaftsbereiches gewährleisten ihren Bürgern weder die Menschenrechte noch einen in den westlichen Demokratien selbstverständlich gewordenen Lebensstandard. Man muß allerdings sehen, daß die Übersiedler aus der DDR und Berlin (Ost) im wesentlichen bereits die gleichen Hilfen bei der Eingliederung in das wirtschaftliche und soziale Leben in der Bundesrepublik Deutschland erhalten wie die Aussiedler. Das gilt in besonderem Maße für den gesamten Bereich der Sozialversicherung. Sie werden hierbei so behandelt, als ob sie ihr bisheriges Arbeitsleben im Bundesgebiet verbracht und Beiträge zu den verschiedenen Zweigen der Sozialversicherung geleistet hätten.
Gleichwohl wird die Bundesregierung bei ihrer Prüfung der Maßnahmen zur Eingliederung von Deutschen aus der DDR und Berlin (Ost) sowie aus den Aussiedlungsgebieten auf die Frage der weiteren Gleichstellung ihr besonderes Augenmerk richten.

(Dr. Schierholz [GRÜNE]: Und was ist mit den Flüchtlingen aus Polen?)

Zum Schluß, meine Damen und Herren: Staatliche Leistungen allein reichen nicht aus. Hilfe der Menschen ist weiterhin erforderlich. Ich appelliere von dieser Stelle aus an unsere Mitbürger, sich unserer Landsleute, die aus Mitteldeutschland und den Aussiedlungsgebieten zu uns kommen, weiter anzunehmen und sich um sie zu kümmern, denn sie haben Anspruch auf unsere nationale Solidarität.

(Dr. Schierholz [GRÜNE]: Weiter so, Großdeutschland!)

Unser Dank gilt all jenen, die sich schon jetzt — sei es in kirchlichen Stellen oder in den caritativen Verbänden oder in den Vertriebenen- und Flüchtlingsverbänden oder auch einfach als Privatpersonen — der Hilfe für diesen Personenkreis verschrieben haben.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Rusche [GRÜNE]: Thema verfehlt!)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1023836000
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung. Wer dem Antrag der Fraktionen von CDU/CSU, SPD und FDP auf Drucksache 10/5657 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Der Antrag ist mit großer Mehrheit angenommen.
Wer dem Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 10/6169 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. —

(Jäger [Wangen] [CDU/CSU]: Drei Mann!)

Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Der Antrag ist mit großer Mehrheit abgelehnt.
Meine Damen und Herren, bevor wir zum Schluß kommen, hat der Abgeordnete Rusche darum gebeten, eine Erklärung nach § 32 der Geschäftsordnung, also außerhalb der Tagesordnung, abgeben zu können. Ich gebe ihm das Wort.

Herbert Rusche (GRÜNE):
Rede ID: ID1023836100
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Geschäftsordnung erlaubt es nicht, daß ich diese persönliche Erklärung zu einem anderen Zeitpunkt abgebe; deswegen muß ich es jetzt vor fast leerem Hause tun.
Bereits zum zweitenmal — das erstemal bei einer Debatte am 12. Dezember 1985, das zweitemal am 2. Oktober 1986, also am Donnerstag vorletzter Woche — konnte ich dem Protokoll Zwischenrufe entnehmen, die mich zu der folgenden persönlichen Erklärung veranlassen:
Bei der Debatte zum Strafrechtsänderungsgesetz am 12. Dezember 1985 gab es anläßlich der Frage eines CDU-Abgeordneten, ob denn die Fraktion hinter mir stünde, Zwischenrufe wie: Die Fraktion steht hinter ihm, die Fraktion kommt von hinten, General Bastian steht hinter Ihnen.
Letzte Woche mußte ich unmittelbar nach meinem Redebeitrag meinen Dienst als Schriftführer versehen. Dies führte dazu, daß ich hinter dem Redner, Herrn Wolfgramm (Göttingen), FDP, neben der Vizepräsidentin Renger saß. Als mein Nachredner, Herr Wolfgramm, mich persönlich ansprechen wollte und nach meinem Verbleib fragte, verzeichnete das Protokoll: Heiterkeit, Zurufe: Hinter Ihnen! sowie Zurufe von der CDU/CSU: Vorsicht! und anhaltende Heiterkeit. Lesen Sie das bitte im Protokoll nach; das ist sehr eindeutig. Sie wissen auch, daß ich damals zur Streichung des § 175 gesprochen habe.
Meine Damen und Herren, es ist kein Geheimnis, es steht im Handbuch des Deutschen Bundestages, ich habe es bei meinen Reden wiederholt gesagt, und ich bin stolz darauf, schwul zu sein. Beschämend finde ich allerdings die Schlüpfrigkeit, mit der einige Mitglieder dieses Hauses Homosexualität auf eine Sexualpraktik reduzieren wollen. Ich möchte mich dagegen verwahren, genauso wie Sie sich dagegen verwahren würden, wenn Ihre sexuelle Orientierung auf irgendwelche Sexualverkehrspraktiken reduziert würde. Ich möchte Ihnen in dieser Erklärung auch mitteilen — da viele es offensichtlich nicht wissen, manche auch nicht wissen



Rusche
wollen; die gehen jetzt gerade hinaus —, daß Homosexualität genauso wie Heterosexualität im Idealfall aus Liebe, Sorge füreinander und der ganzen Palette dessen besteht, das Menschen füreinander empfinden können.
Ich finde es beschämend für ein Parlament, daß es solche widerlichen und menschenverachtenden Zwischenrufe und Zurufe gibt, und ich möchte Sie mit dieser persönlichen Erklärung dazu anhalten, wenigstens etwas nachzudenken, bevor Sie solche Äußerungen zu Protokoll geben.
Danke schön.

(Beifall bei den GRÜNEN — Zustimmung der Abg. Frau Traupe [SPD])


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1023836200
Manchmal ist es nötig, daß wir auf solche Sachen gestoßen werden!

(Zustimmung des Abg. Dr. Schierholz [GRÜNE])

Meine Damen und Herren, wir sind damit am Schluß unserer heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Freitag, den 17. Oktober 1986, 8 Uhr ein.
Die Sitzung ist geschlossen.