Gesamtes Protokol
Die Sitzung ist eröffnet.
Die Fraktionen der CDU/CSU und der FDP haben fristgerecht beantragt, die heutige Tagesordnung zu erweitern um die erste Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Bundesdatenschutzgesetzes, des Verwaltungsverfahrensgesetzes, des Bundesverfassungsschutzgesetzes und des Straßenverkehrsgesetzes — Drucksache 10/4737 — sowie des Entwurfs eines Gesetzes über den Militärischen Abschirmdienst — Drucksache 10/4738 —.
Diese Vorlagen sollen heute als erste Punkte zur Beratung mit einer verbundenen Debatte von 90 Minuten aufgerufen werden.
Wird das Wort zur Geschäftsordnung gewünscht? — Das Wort hat der Abgeordnete Seiters.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Präsident hat den Antrag, den wir gestellt haben, verlesen und auch die beantragte Debattendauer genannt.Ich möchte nur folgende kurze Ergänzung zu diesem Antrag vortragen und mein Bedauern zum Ausdruck bringen, daß es nicht möglich gewesen ist, insbesondere mit der SPD eine Vereinbarung zu treffen, daß wir diese Gesetzentwürfe heute lesen. Obwohl der Obmann der SPD-Fraktion im Innenausschuß des Deutschen Bundestages noch am 10. Januar von der Notwendigkeit einer sachgerechten, gründlichen parlamentarischen Beratung dieses Gesetzespakets gesprochen hatte,
weigert sich die SPD heute, selbst der ersten Lesung und damit der Überweisung der Gesetzentwürfe in die zuständigen Ausschüsse zuzustimmen.Das bedeutet — ich bedauere dies —: Sie will die Koalition an der Beratung und Verabschiedung der von ihr als richtig erkannten Gesetzentwürfe hindern. Das ist der Sachverhalt.
— Leider wahr.Ich erinnere in diesem Zusammenhang, weil das zusammengehört, an das Vorgehen der SPD mit Blick auf das Personalausweisgesetz und das Paßgesetz. Am 2. Oktober 1985 hat der SPD-Abgeordnete Alwin Brück erklärt, die Fraktion der SPD im Deutschen Bundestag und im Europäischen Parlament fordern die Bundesregierung auf, mit der raschen Einführung des Europapasses ein Europa der Bürger auch in der Bundesrepublik zu fördern. Gleichzeitig verhindern Sie die Verabschiedung dieses Gesetzes in zweiter und dritter Lesung, indem Sie ein Hearing beantragen, obwohl die materiell-rechtlichen Fragen, die hier angesprochen sind, beim Hearing zum Personalausweisgesetz im Mai 1985 alle umfassend erörtert worden sind
und obwohl die mitberatenden Ausschüsse — der Haushaltsausschuß, der Verkehrsausschuß und der innerdeutsche Ausschuß — bereits votiert hatten. In all diesen mitberatenden Ausschüssen hat die SPD keine grundlegenden Einwendungen erhoben. Deswegen bitte ich um Verständnis, wenn ich hier sage: Wir werden natürlich von unseren Möglichkeiten Gebrauch machen, diese Datenschutz- und Verfassungsschutzgesetze rechtzeitig zu verabschieden. Dies werden wir in den kommenden Wochen tun.Lassen Sie mich bezogen auf die heutige Tagesordnung noch einmal sagen: Ich kritisiere nachdrücklich, daß die Gesetzentwürfe, deren Einbringung vom Kabinett und den Koalitionsfraktionen beschlossen worden ist
und für die wir eine sachliche und gründliche parlamentarische Beratung wünschen,
nach Ihrem Willen nicht einmal in erster Lesung beraten werden sollen.Dies ist ein unparlamentarisches Verhalten.
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15098 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 195. Sitzung. Bonn, Freitag, den 31. Januar 1986
Seiters Wenn Sie
in zweiter und dritter Lesung verhindern wollen, daß ein Gesetzentwurf Gesetz wird, kann man dafür ja Verständnis haben. Aber daß Sie nicht einmal bereit sind, vorgelegte Gesetzentwürfe in die Ausschüsse zu überweisen, um parlamentarisch zu beraten, das ist unparlamentarisch.
Wer eine parlamentarische Beratung in den Ausschüssen verhindern will, hat keine Argumente.
Wir wollen beraten, wir wollen diskutieren. Deswegen stellen wir heute morgen diesen Antrag.
Das Wort hat der Abgeordnete Porzner.
Herr Präsident! Meine verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Seiters, es fällt mir schwer, alles ernst zu nehmen, was Sie eben gesagt haben.
Es fällt mir auch sehr schwer, nicht zur Sache zu sprechen, aber eine Geschäftsordnungsdebatte erlaubte das nicht. Wir müssen das nachher sowieso und können das nachher tun.
Es häuft sich immer mehr, daß die Koalitionsfraktionen, CDU/CSU und FDP,
das Parlament bei der Gesetzesarbeit unter Zeitdruck setzen
und daß sie eine sachgerechte Beratung verhindern.
Lassen Sie mich ein paar Beispiele nennen. Wir haben in den Zeitungen gelesen, welchen Zeitplan die Koalition für die Beratung des Arbeitsförderungsgesetzes vorhat,
welchen Zeitplan Sie haben. — Ich verstehe, daß Sie das schnell machen wollen.
Daß man aber aus den Zeitungen entnehmen muß, wann welche Beratung und Anhörung stattzufinden hat,
ohne daß mit den Fachleuten im Ausschuß auch nur der Versuch einer Verständigung gemacht worden ist, das ist nicht in Ordnung.
Das ist ein Gesetz, in dem es um das Verhältnis von Gewerkschaften zu Arbeitgeberverbänden geht, in dem es um die Rechte der Arbeitnehmer in unserer Gesellschaft geht, in dem es um die Machtbalance in unserer Gesellschaft geht. Und dieses Gesetz wollen Sie fast mit der Knute, der Peitsche des Zeitdruckes durch das Parlament bringen.
Ein zweites Beispiel. Es stimmt, daß die Gesetze zur Änderung des Paßgesetzes und des Personalausweisgesetzes lange im Parlament in den Ausschüssen liegen. Sie haben es zu verantworten, daß beim Paßgesetz Ihre Fraktion überhaupt kein Interesse daran hatte, die Beratung dort zu führen, Anhörungen zu machen.
Jetzt ist es so, daß für eine beantragte Sitzung in der nächsten Woche Sachverständige vielleicht morgen per Eilpost die Mitteilung bekommen, daß sie in der nächsten Woche anwesend zu sein haben.
Die Opposition muß dann binnen einer Woche ihre Sachverständigen finden, die genau an dem Tag Zeit haben müssen, den Sie diktieren.
— Nein, ich rede zum Verfahren.Drittens. Die Koalitionsparteien haben, was diese Gesetze, die die innere Sicherheit, den Datenschutz, den Militärischen Abschirmdienst und all diese Fragen betreffen, mindestens zwei Jahre gebraucht, um sich zu verständigen. Vor zwei Tagen — fristgerecht nach unserer Geschäftsordnung — sind 250 Seiten den Abgeordneten des Bundestages vorgelegt worden.
Heute wird die erste Beratung geführt. Ich nenne das „uns unter Zeitdruck setzen".
— Ich sage j a: fristgerecht. — Es stimmt, daß Sie die Fristen der Geschäftsordnung gewahrt haben. Das stimmt. Aber gestern hörte ich von Ihrer Seite nicht nur einmal, daß man die Geschäftsordnung des Bundestages nicht strapazieren soll. Das gilt
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 195. Sitzung. Bonn, Freitag, den 31. Januar 1986 15099
Porznerdann auch für ihr eigenes Tun und Handeln im Parlament.
Sie verstehen deswegen, daß wir der Aufsetzung heute widersprechen. Es ist aber selbstverständlich, daß wir Ihnen dann, wenn es zur Sache geht, Schwierigkeiten bei der Beratung dieser Gesetzentwürfe bereiten, wie es sich für eine Opposition auch gehört.
Das Wort hat der Abgeordnete Mann.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen. Die Fraktion DIE GRÜNEN widerspricht wie die andere Oppositionsfraktion mit allem Nachdruck der Aufsetzung dieses Tagesordnungspunktes. Herr Kollege Seiters, es stellt sich für uns alle heute die Frage: Was heißt für Sie eigentlich erste Lesung? Was heißt für Sie eigentlich, dieses Parlament ernst zu nehmen, wovon gestern in der Parlamentarismusdebatte so oft die Rede war? Ich behaupte, daß die wenigsten von Ihnen, die wenigsten von uns allen, dieses sogenannte Sicherheitspaket in dieser sehr interessanten Abschichtung, die Sie heute hier vornehmen, überhaupt gelesen haben.
Es ist eine Zumutung,
wie Sie hier mit unseren Rechten als Parlamentarier umgehen.
Es ist eine Zumutung, wie Sie mit diesem frei gewählten Parlament umzuspringen gedenken. Dem widersetzen wir uns allerdings mit allem Nachdruck.
— Beruhigen Sie sich, Herr Dr. Laufs. Ihre Beiträge aus dem Innenausschuß von vorgestern will ich hier nicht zum Gegenstand der Beratung heute morgen machen.
Die Koalitionsfraktionen wollen hier heute aus der Mitte des Bundestages ein Gesetzespaket auf die Tagesordnung setzen, und sie werden es natürlich auf die Tagesordnung setzen, weil sie die Mehrheit haben, auf die sie sich ja so gerne berufen.
Aber Mehrheiten ändern sich. Es ist ein Gesetzespaket, das in seiner innen- und rechtspolitischen Brisanz auf einer Ebene mit den Notstandsgesetzen steht.
Um so befremdlicher ist das bisherige und heutige Verfahren.
Statt hektischer Eile ist es geboten — Herr Broll, vielleicht hören auch Sie zu —,
in einer sorgfältigen, parlamentarische Grundsätze peinlich beachtenden Prozedur, das heißt konkret, mit einer Einbringung des gesamten Paketes über den Bundesrat, wie es unsere Verfassung vorsieht, zu beraten und nicht hier aus der Mitte des Hauses
Ihre Hüftschüsse loszulassen, was ich Ihnen an dieser Stelle mal sagen will. Die Minderheitenrechte der Opposition sind für Sie mehr und mehr nur lästig.
Das haben Sie mit der vom Kollegen Porzner erwähnten Anhörung im Innenausschuß zum Personalausweisgesetz, die auf Aschermittwoch terminiert worden ist — das ist unglaublich —, bewiesen.
Meine Damen und Herren, nicht Koalitionsräson, nicht der Beweis der politischen Handlungsfähigkeit dieser noch regierenden Koalition,
nicht Elefantenrunden oder Terminpläne des Bundesrates, sondern wir als frei gewählte, wie Frau Kollegin Hamm-Brücher gestern gesagt hat, dem ganzen Volk verantwortliche Volksvertreter bestimmen über den Gang der Tagesordnung in diesem Hause. Das Volkszählungsurteil — gerade um dessen Umsetzung geht es ja hier in diesem Zusammenhang — sollte Ihnen und uns allen Warnung genug sein. Deswegen, meine Damen und Herren, widersprechen wir dem Angriff auf den Rechtsstaat,
der in diesem Sicherheitspaket liegt, sowohl in seinem Inhalt, was wir heute morgen in der ersten Beratung im einzelnen ausführen werden, als auch von Anfang an im Verfahren, mit allen uns als Opposition zustehenden Rechten.
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15100 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 195. Sitzung. Bonn, Freitag, den 31. Januar 1986
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Wolfgramm.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Nach diesen großen Worten — Demagogie ist ja bekanntlich die Form, wie man die kleinsten Ideen in die größten Worte kleiden kann,
wollen wir zum Gegenstand unserer Geschäftsordnung zurückkommen.
Zu dem Datenschutzgesetz, Herr Kollege Porzner, hat ein Hearing im vergangenen Jahr stattgefunden.
Die SPD hatte einen Entwurf hereingebracht, und dieser Entwurf enthält die Kernsubstanz dieser ganzen Frage.
Ein ausführliches Hearing hat dazu stattgefunden. Das Verfassungsschutzgesetz ist seit langem in den Ländern, in denen ja auch Sie Ihren Anteil an der Regierung haben, beraten und behandelt worden.
Es ist geradezu geboten, daß wir nun, nachdem Sie erklärt haben, es fänden hier Geheimverhandlungen statt, das Parlament endlich an der Beratung dieser Entwürfe beteiligen.
Sie fordern, daß solche Fragen in den zuständigen Verfassungsorganen behandelt werden. Genau das wollen wir heute tun. Deswegen legen wir das vor. Sie leben doch nicht auf einem anderen Stern. Sie müssen Ihre eigenen Presseerklärungen dazu lesen, die Sie schon vor langer Zeit abgegeben haben. Die GRÜNEN, Herr Kollege Mann, haben im Herbst eigens eine Pressekonferenz dazu veranstaltet.
Sie können sich doch nicht hier hinstellen und so tun, als käme diese ganze Angelegenheit vom Himmel gefallen.
Ich meine, diese Beratung ist geboten.
Es ist eine Fülle von Informationen, von Gesprächen, von Verhandlungen gewesen,
in Hearings, auf der Ebene der Länder. Wir meinen, es ist jetzt wirklich Zeit, daß sich das Parlament in der ersten Lesung damit befaßt, d. h. daß es an die Ausschüsse überweist, damit die Sache dort beraten, behandelt und schließlich beschlossen werden kann.
Wir stimmen dieser Behandlung zu.
Meine Damen und Herren, wir kommen zur Abstimmung über den Antrag auf Erweiterung der Tagesordnung. Wer der Aufsetwünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gezung und der beantragten Redezeit zuzustimmen genprobe! — Enthaltungen? — Der Antrag ist angenommen.
Ich rufe den soeben aufgesetzten Zusatzpunkt zur Tagesordnung auf:
Erste Beratung des von den Abgeordneten Dr. Miltner, Dr. Laufs, Broil, Fellner, Dr. Blank, Dr. Blens, Clemens, Gerlach , Dr. Göhner, Kalisch, Krey, Dr. Warrikoff, Dr. Olderog, Regenspurger, Schmidbauer, Weirich, Weiß und der Fraktion der CDU/ CSU sowie den Abgeordneten Dr. Hirsch, Baum, Kleinert (Hannover), Beckmann, Wolfgramm (Göttingen) und der Fraktion der FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Bundesdatenschutzgesetzes, des Verwaltungsverfahrensgesetzes, des Bundesverfassungsschutzgesetzes und des Straßenverkehrsgesetzes
— Drucksache 10/4737 —
Erste Beratung des von den Abgeordneten Dr. Miltner, Dr. Laufs, Broll, Fellner, Dr. Blank, Dr. Blens, Clemens, Gerlach , Dr. Göhner, Kalisch, Krey, Dr. Warrikoff, Dr. Olderog, Regenspurger, Schmidbauer, Weirich, Weiß und der Fraktion der CDU/ CSU sowie den Abgeordneten Dr. Hirsch, Baum, Kleinert (Hannover), Beckmann, Wolfgramm (Göttingen) und der Fraktion der FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über den Militärischen Abschirmdienst — MAD-Gesetz — MADG —
— Drucksache 10/4738 —
Wird das Wort zur Begründung gewünscht? — Das ist nicht der Fall.
Ich eröffne die allgemeine Aussprache. Das Wort hat Herr Abgeordneter Broll.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Kollegen Baum und Hirsch von der FDP und die Kollegen Miltner, Laufs, Fellner und ich von der CDU/CSU — —
Herr Abgeordneter Broll, haben Sie Verständnis, wenn ich kurz unterbreche. Warten Sie ab, bis die Kollegen, die den Saal verlassen wollen, dies getan haben. — Bitte sehr.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Wir sechs Kollegen von den Koalitionsfraktionen waren von unseren Fraktionen beauftragt, Gesetzentwürfe vorzulegen, mit denen die Informationsbeschaffung und -verarbeitung, die Datenverarbeitung und andere Eingriffe in persönliche Rechte auf eine neue Rechtsgrundlage gestellt werden sollen. Die Gesetze, die wir heute vorlegen,
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 195. Sitzung. Bonn, Freitag, den 31. Januar 1986 15101
Brolltragen im Volksmund die Bezeichnung Begleitgesetze.
Das kommt daher, daß die Bearbeitung des Paß-und des Ausweisgesetzes Anlaß dieser Gesetzesberatung gewesen ist.
In Wirklichkeit aber beruhen sie nicht auf Paß und Ausweis, auch nicht auf der Maschinenlesbarkeit eines Ausweises. Sie beruhen darauf, daß wir durch das Verfassungsgerichtsurteil vom 15. Dezember 1983 verpflichtet sind, die Datenverarbeitung und Datenübermittlung nicht nur im Sicherheitsbereich, sondern im gesamten Bereich der Öffentlichkeit auf eine neue Rechtsgrundlage zu stellen.
Wir haben durch dieses Verfassungsgerichtsurteil und durch eigene Überlegungen ein vertieftes Verständnis der Rechte des Bürgers,
auch der Grenzen der Informationsbeschaffung durch die öffentliche Hand bekommen.
Meine Damen und Herren, ich bitte die Kollegen, die nicht im Saal bleiben wollen, den Saal zu verlassen. Sie können auch Platz nehmen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die Gesetze, die wir heute vorlegen, tragen dem Rechnung.Das Gesetz über den Militärischen Abschirmdienst und über die Benutzung des Zentralen Verkehrsinformationssystems sind neue Werke. Wir legen ferner eine Novelle des Datenschutzgesetzes und des Verfassungsschutzgesetzes vor. Das Zusammenarbeitsgesetz wird von der Regierung zum Bundesrat geleitet, weil das jenes Gesetz ist, in dem zunächst und primär die Mitarbeit der Länder verlangt wird und das Gutachten der Länder unmittelbar zu uns kommen muß. Andere Gesetze, Bundesgrenzschutzgesetz und Bundeskriminalamtgesetz, werden im Zusammenhang mit den Länderpolizeigesetzentwürfen beraten. Denn wir wollen den Gleichklang zwischen Bund und Ländern.Meine sehr verehrten Damen und Herren, das Grundgesetz garantiert jedem Bürger Freiheit und Selbsbestimmung in bezug auf die Informationen über ihn. Es garantiert ihm in gleichem Maße Schutz seiner Würde vor jedem Eingriff
durch Verbrechen und durch das schlimmste aller Verbrechen, das uns allen passieren könnte, die Zerstörung des demokratischen Rechtsstaates und den Versuch, Chaos oder Diktatur an seine Stelle zu setzen. Beides, meine Damen und Herren, sind Aspekte desselben Rechtes des Menschen auf seine Würde. Und es ware unrecht und falsch, eines zugunsten des anderen zu vernachlässigen. DiesemPrinzip werden unsere Gesetzentwürfe voll gerecht.Nur eine simplifizierende Darstellung konnte behaupten, die eine Seite der Koalition habe sich vorwiegend des Datenschutzes, die andere vorwiegend der Sicherheit annehmen können oder müssen. Sie beleidigen uns von der CDU/CSU, wenn Sie behaupten, uns läge Datenschutz nicht am Herzen. Und Sie beleidigen genauso die FDP, wenn Sie behaupten wollten, die FDP wolle etwa die Sicherheit oder die Möglichkeiten der Polizei zerstören. Und, wenn ich das so sagen darf, meine lieben Kollegen, die Abgeordneten der Koalition sind sich in der Arbeit an diesen Gesetzen politisch, fachlich und auch menschlich sehr viel nähergekommen. Die Koalition ist dadurch gestärkt worden, daß wir diese Gesetzentwürfe erarbeitet haben und Ihnen heute vorstellen.
Kein Bundesland, meine Damen und Herren, besitzt, wenn diese Gesetze verwirklicht sind, ähnlich fortschrittliche Instrumente der Sicherung der Freiheit der Bürger, der Klarheit im Gesetz bei jeglicher Art von Eingriff, sei es bei der Datenübermittlung, sei es bei dem Zugriff der Polizei, sei es beim Zugriff oder der Informationsbeschaffung etwa der Verfassungsschutzorgane. Minister Schnoor in Nordrhein-Westfalen z. B. sollte sein eigenes Verfassungsschutzgesetz, das erst vor einem Monat novelliert worden ist, an unseren Gesetzentwürfen prüfen, und er wird merken, daß unser Gesetzentwurf entschieden fortschrittlicher, entschieden bürgerfreundlicher ist. Wir erlauben z. B. nicht die Speicherung von Informationen über solche Personen in Verfassungsschutzdateien, die unter 16 Jahre alt sind.
NRW erlaubt es. Wir zwingen die Polizei nicht, jede Information an Verfassungsschutzorgane weiterzugeben.
Wir beschränken das auf Informationen über Terrorismus und Spionage. Das nordrhein-westfälische Verfassungsschutzgesetz sieht diese Begrenzung nicht vor.
Wir kennen in unserem Gesetzentwurf die Pflicht der staatlichen Stellen, falsche Speicherungen zu berichtigen.
Nordrhein-Westfalen sieht so etwas nicht vor. — Und der dafür zuständige Minister erdreistet sich, unsere Gesetzentwürfe unverschämterweise zu kritisieren. „Ausverkauf von Freiheit und Liberalität" nennt er das, was das Freiheitlichste und Bürgerfreundlichste sein wird, was es an Datenschutz-
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15102 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 195. Sitzung. Bonn, Freitag, den 31. Januar 1986
Brollgesetzgebung und Verfassungsschutzgesetzgebung im ganzen Bundesgebiet geben wird.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, uns ist selbstverständlich klar, daß die Partei DIE GRÜNEN weder an der Gesetzgebung selbst noch an der Sache noch an der Mitarbeit interessiert ist.
Der Kollege von den GRÜNEN, der heute morgen hier gesprochen hat, war möglicherweise dabei, als die GRÜNEN vor etwa einem Vierteljahr unsere Gesetzentwürfe, nach dem damaligen Stand, in Buchform veröffentlicht und das mit einer großen Pressekonferenz begleitet haben.
Herr Mann, es scheint, Sie lesen Ihre eigenen Veröffentlichungen nicht. Ich kann das verstehen. Möglicherweise haben Sie mehr Niveau als der Durchschnitt Ihrer Partei. Aber dann sollten Sie nicht an das Podium des Bundestages treten und sagen, Sie hätten keine Zeit gehabt, die Dinge zu lesen.Was die GRÜNEN von parlamentarischer Arbeit und Mitarbeit halten, haben sie erst gestern und vorgestern, genau 50 Jahre nach dem Datum, an dem die parlamentarische Demokratie in unserem Lande zerstört worden ist, bewiesen.
Was die SPD betrifft, meine sehr verehrten Damen und Herren, so fordern wir Sie auf, die Obstruktionshaltung der letzten Tage bei diesen Gesetzentwürfen nicht fortzusetzen. Machen Sie das wahr, was Sie eben gesagt haben. Herr Kollege Porzner, vielleicht war es nur ein Lapsus linguae: Schwierigkeiten zu machen, ist nicht eigentlich die Aufgabe der Opposition in einer Demokratie. Kluge Anregungen zu geben, bessere Vorschläge zu machen, das wäre Ihre Aufgabe. Wenn Sie das tun, arbeiten wir mit Ihnen gern und vernünftig zusammen — so, wie bisher.
Die Kritik der Datenschutzbeauftragten, die sehr pauschal, sehr allgemein zu unserem Gesetzentwurf ertönt; nehmen wir natürlich ernst; so wie wir die Datenschutzbeauftragten auch früher schon in die Beratungen unserer Gesetzentwürfe einbezogen haben.
Aber eins dürfen wir uns doch wohl klarmachen: Datenschützer sind kein heiliges Offizium — schon mangels der Erleuchtung des Heiligen Geistes nicht, möchte ich einmal sagen. Sie sind nicht die Instanz, die uns dazu führen könnte, einen Aspekt unter vielen notwendigen allein zu sehen.Wir berücksichtigen, was gesagt worden ist. Wir widerlegen da, wo sie Falsches sagen. Wir zeigen den Bürgern, daß unsere Gesetze für ihre Sicherheit und ihre Freiheit das Beste sind, was nach langen Überlegungen überhaupt denkbar gewesen ist.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Schröder .
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Freiheit stirbt zentimeterweise — diese Erkenntnis bestimmt das Bewußtsein westlicher Demokraten. Die heute vorgelegten Gesetzentwürfe zeigen, wie fremd der Koalition freiheitliche Traditionen geworden sind;
denn zur Freiheit gehört der Mut zum Risiko, gehört die Kraft zu widersprechen und gehört die Bereitschaft, Widerspruch zu ertragen. Freiheit und Demokratie sind letztlich nur dort, wo der Satz gilt, daß Kontrolle gut, Vertrauen aber besser ist.Dieser Koalition bedeuten liberale Traditionen nichts mehr. Sie werden — das ist klar — in Elefantenrunden zertrampelt. Sie, meine Damen und Herren von der Koalition, machen Gesetze und geben vor, mehr Sicherheit zu schaffen. Sie erwecken den Anschein, als ginge es Ihnen darum, der Informationshilfe zwischen Behörden eine klare gesetzliche Grundlage zu geben. Sie behaupten, den Datenschutz der Bürger zu verbessern.Aber wenn Sie redliche Absichten verfolgen, warum denn diese Eile? Warum scheuen Sie eine breite öffentliche Diskussion über Ihre Gesetze?
Warum peitschen Sie die Gesetze durch, die doch wägend beraten werden müßten?
Warum suchen Sie die Opposition zu behindern, wo umfassende Kontrolle durch die Opposition die Bedingung von Legalität wäre?
Ich will Ihnen sagen, warum Sie das tun:
Sie gehen mit dem Sicherheitsbedürfnis unseres Volkes zynisch um. Sie benutzen dieses Grundbedürfnis nach Sicherheit, um staatliche Willkür gegen das Volk möglich zu machen.
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 195. Sitzung. Bonn, Freitag, den 31. Januar 1986 15103
Schröder
Um dieses Ziel zu erreichen, setzen Sie auf Emotionen und auf Unwissenheit, wo doch Kenntnis und Ratio am Platze wären. Sie appellieren an die dumpfe Angst vor Kriminalität, wo Aufklärung über die Ursachen von Kriminalität verlangt wären.Es ist traurig, aber wahr: Die deutsche Rechte findet in Ihnen zu ihrer antidemokratischen Geschichte zurück.
Diese Gesetze sind ein konzentrierter Angriff auf die Freiheit. Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung soll untergraben werden.
Wir Sozialdemokraten werden diese Gesetzentwürfe zum Gegenstand einer breiten, einer öffentlichen Diskussion machen.
— Beruhigen Sie sich: Wir werden dabei sagen, daß nur andere Mehrheiten im Bundesrat die Chance geben, den Verfall des Rechtsstaates zu stoppen
und auf diese Weise aktiven Verfassungsschutz zu leisten.
Wir mobilisieren dafür die demokratische Kraft der Arbeiterbewegung.Aber — das sage ich Ihnen in der FDP — wir appellieren auch an das liberale Bürgertum, zu erkennen, daß eine nach rechts gerückte FDP den freiheitlichen Geist unserer Verfassung für das Linsengericht der Machtbeteiligung eintauscht.
Ich denke, für die wahrhaft Liberalen im Lande wird es Zeit aufzuwachen. Es geht darum, den Geist der Aufklärung zu verteidigen. Es gilt, deutlich zu machen, daß Freiheit mehr ist als Gewerbefreiheit und Kultur mehr als Wohlstand.
Mit dem neuen Bundesdatenschutzgesetz werden die Kontrollrechte der Datenschutzbeauftragten eingeschränkt.
Wenn Sie es mir nicht glauben, dann fragen Sie doch die Datenschutzbeauftragten des Bundes und aller Bundesländer. Auch in denen, die Sie regieren, haben die Datenschutzbeauftragten gesagt, daß das,was Sie hier vorhaben, freiheitsfeindlich ist; und sie haben recht.
Die jeweils zuständige Behörde braucht nur auf Sicherheitsbedenken zu verweisen, und schon können Verfassungsschutz, MAD, BND, können die Staatsanwaltschaften und die Polizei jegliche Auskunft verweigern.
Geben Sie es doch wenigstens zu: Einen effektiven Datenschutz im Sicherheitsbereich wollen Sie gezielt zerstören; das ist der Sinn Ihrer Gesetze.
Sie wollen ein Zentrales Verkehrsinformationssystem schaffen. Nach Ihren Plänen — das sollte einmal jeder im Land hören — sollen 30 Millionen Autofahrer ausgeforscht werden können.
Die gespeicherten Daten dieser Bundesbürger sollen der Polizei und dem Verfassungsschutz verfügbar gemacht werden. Damit — das müssen Sie einsehen — wird ein gigantisches Informationsnetz geknüpft, das jedem, dem Freiheit etwas bedeutet, Angst machen muß.
Nicht genug damit! Die Polizeibehörden sollen von sich aus Informationen an die Geheimdienste liefern, wann immer sie es für nötig halten. Und sie sollen untereinander Daten austauschen können, ja, müssen.
Das mag manchem ja vielleicht harmlos und einigen gar vernünftig klingen. „Ich habe nichts zu verbergen" ist eine einfältige Formel, die dem Staat jeden Blick ins Private erlauben will.
Aber wir sollten einen Moment innehalten und uns unserer Geschichte erinnern; denn die muß uns mißtrauisch machen. Mit dem von Ihnen geschaffenen Instrument der sogenannten Spontaninformation wird die Trennung zwischen Polizei und Verfassungsschutz aufgegeben,
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15104 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 195. Sitzung. Bonn, Freitag, den 31. Januar 1986
Schröder
eine Trennung, die die Alliierten mit ihrem Polizeibrief aus dem Jahre 1949 der Erfahrungen mit der Gestapo wegen angeordnet hatten,
eine Trennung, die seit dem aus gutem Grund ein Stückchen ungeschriebenes Verfassungsrecht ist.
Warum wollen Sie diese Trennung aufgeben? Warum wollen Sie einen Informationsverbund zwischen Polizeibehörden und Geheimdiensten schaffen? Ich will es Ihnen sagen: Weil Sie, meine Damen und Herren von der Koalition, weil Sie, die deutsche Rechte, zu sich selbst und zu Ihren antidemokratischen Traditionen zurückgefunden haben.
Der Staat ist Ihnen nicht Instrument selbstbewußter Bürger, er ist Ihnen Selbstzweck.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Hirsch?
Nein, Herr Hirsch. — Sie wollen den Untertan, dem die Ruhe die erste Bürgerpflicht ist. Gefragt sind nicht mehr Individualität und Spontanität, sondern vorauseilender Gehorsam und Anpassung.
Niemand darf darüber hinwegsehen: Die klare gesetzliche Grundlage, die das Verfassungsgericht für Informationseingriffe fordert,
dient in Zukunft nicht mehr dazu, staatlichen Wissensdurst zu begrenzen, sondern allein dazu, ihn uferlos möglich zu machen. Der gläserne Mensch nimmt so Gestalt an, und damit geht ein Stück Substanz des Rechtsstaats verloren.
Das rechtsstaatliche Gesetz verliert seine Funktion, die Staatsgewalt zu beschränken. Es wird zum Herrschaftsinstrument des Staates gegenüber dem Bürger. Denn wenn Wissen Macht verleiht, dann bedeutet Allwissen auch Allmacht. Ein Staat, der über seine Bürger alles weiß oder auch nur wissen möchte, ist kein freiheitlicher Rechtsstaat mehr, sondern ein Überwachungsstaat.
Mit Ihren Gesetzen, die ermächtigen sollen, kehren Sie das Verhältnis von Staat und Bürger geradezu um:
Nicht der Bürger kontrolliert den Staat, sondern der Staat durchleuchtet seine Bürger.
Aber Sie beeinträchtigen mit diesen Gesetzen nicht nur die Substanz unserer Verfassung, sondern Sie schaffen auch keine Sicherheit für unsere Bürger. Denn es sind doch die sozialen Probleme in unserer Gesellschaft, die die Sicherheit der Bürger gefährden. Diese Probleme bekämpfen Sie nicht.
Im Gegenteil, mit Ihrer Politik verschärfen Sie die sozialen Probleme. Sie tun nichts gegen wachsende Arbeitslosigkeit, sondern grenzen Arbeitslose aus. Die Ausbildungsnot der Jugend interessiert Sie nicht, Sie reden darüber hinweg. Neue Armut im Land ist Ihnen keine politische Antwort wert.
Aber es ist doch wahr: Nur eine Gesellschafts- und Sozialpolitik, die die Ursachen von Not und mangelnder Perspektive beseitigt, gewährleistet auf Dauer Sicherheit, stärkt die Demokratie, weil sie inneren Frieden stiftet.
Für uns ist daher soziale Gerechtigkeit eine notwendige Bedingung von Freiheit und Demokratie,
aber auch eine notwendige Bedingung von Sicherheit, die nicht auf Sand gebaut ist.Deshalb wollen wir Sozialdemokraten den freiheitlichen Staat des Grundgesetzes gegen Ihre Angriffe erhalten. Ein Staat der Freiheit des ganzen
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 195. Sitzung. Bonn, Freitag, den 31. Januar 1986 15105
SchröderVolkes und nicht bloß der Freiheit weniger Privilegierter,
ein solcher Staat kann nur von einer demokratischen Gesellschaft hervorgebracht werden. Demokratisch ist nur eine Gesellschaft, die eben nicht der totalen Überwachung durch den Staat unterliegt.
Die Selbstverwirklichung des einzelnen erfordert Freiheit vom Staat. Eine solche Freiheit kann nur durch Mitbestimmung und Beteiligung der Bürger in allen Lebensbereichen erkämpft werden.Jetzt lassen Sie mich mal ein ruhiges Wort an die Schreihälse sagen.
Es ist trostlos, zu erleben, wie Sie sich benehmen.
Wenn man versucht, Ihnen etwas klarzumachen, erntet man Gebrüll. Das ist Ihr Demokratieverständnis, Ihr Verfassungsverständnis.
Ich sage Ihnen: Das ist nicht unser Demokratieverständnis. Glauben Sie, es ist auch nicht das Demokratieverständnis der Bürger im Lande.
Ich sage Ihnen, für einen freiheitlichen Staat ist der Frieden im Innern Grundvoraussetzung des politischen und gesellschaftlichen Lebens.
Herr Abgeordneter Krey, der Redner hat keine Zwischenfragen zugelassen.
Der innere Frieden darf in einer Demokratie aber nicht mit Kirchhofsruhe verwechselt werden. Politische Spannungen und Kontroversen, auch demonstrativer Druck, Widerspruch und das Recht auf Opposition, dies alles bildet doch die Lebensluft des demokratischen Gemeinwesens.
Wer wie Sie von den staatlichen Organen verlangt, einen Zustand vollkommener Sicherheit zu schaffen, der überfordert die Sicherheitsbehörden. Er reduziert zugleich die persönliche Freiheit und beeinträchtigt die Demokratie.
Für Sozialdemokraten sind Freiheit und Sicherheit eben keine Gegensätze. Sie sind vielmehr beides Grundbedürfnisse des Menschen und als solche wechselseitig aufeinander bezogen. Aber sie sind
stets in der Weise aufeinander bezogen, daß die Sicherheit der Freiheit zu dienen hat, Sicherheit also niemals zum Selbstzweck werden darf. Dies, meine Damen und Herren, verkennen Sie.
Das schmerzt besonders, wenn man sich die Liberalen anschaut. Nach den bitteren Erfahrungen in der Vergangenheit müßte doch uns allen die altliberale Erkenntnis selbstverständlich sein, daß sich der freiheitliche Rechtsstaat vom totalitären Machtstaat gerade durch die Grenzen seiner Wirksamkeit unterscheidet. Ihnen geht es darum, Ruhe und Ordnung aufrechtzuerhalten. Dafür sind Sie bereit jeden, aber auch jeden Preis zu zahlen, auch den Preis des Verlustes an Freiheitlichkeit.
Wir Sozialdemokraten wollen die Bürger- und Grundrechte schützen, weil wir wissen, daß nur auf der Basis dieses Schutzes gesellschaftliche Veränderung möglich ist, weil wir wissen, daß, nur wenn die Existenz der Freiheits- und Grundrechte gesichert bleibt, diese Veränderungen friedlich und freiheitlich vonstatten gehen können.
Die von Ihnen hier heute vorgelegten Überwachungs- und Schnüffelgesetze stehen einer solchen Friedens- und Freiheitspolitik im Innern diametral entgegen. Mit ihrer Ablehnung leisten Sozialdemokraten deshalb wieder einmal einen historischen Beitrag im Kampf um die Freiheit.
Ich hätte mir gewünscht, daß anständige Liberale weiter den Mut aufgebracht hätten, das zu tun, was sie doch eigentlich wollten, nämlich Ihrem Treiben zu widerstehen.
Aber sie haben diesen Mut und diese Kraft nicht aufgebracht. Sie haben sich deshalb am Abgesang auf die Liberalität beteiligt.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Hirsch.
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15106 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 195. Sitzung. Bonn, Freitag, den 31. Januar 1986
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich hätte gern eine Bemerkung an den Bundesinnenminister gerichtet,
und zwar wegen einer Erklärung, die er vorgestern im Fernsehen abgegeben hat. Ich werde das bei anderer Gelegenheit nachholen.
Herr Kollege Schröder, Sie haben eine Rede gehalten, wie sie unglaublicher,
diffamierender und unter souveränerer Mißachtung aller Tatsachen in diesem Hause noch nie gehalten worden ist.
Ich kann Ihre Fraktion überhaupt nicht verstehen; ich kann nicht verstehen, wie sie es wagen kann, zu diesen sehr schwierigen Gesetzen einen Redner sprechen zu lassen,
der sich bisher an den jahrelangen Diskussionen überhaupt nicht beteiligt hat,
der erkennbar keine auch nur blasse Ahnung von dem hat, worüber wir hier reden,
und der nichts anderes getan hat, als im Interesse seines eigenen Wahlkampfs Emotionen zu schüren.Ich muß Ihnen sagen, daß für uns sowohl die Freiheit der Bürger als auch die Sicherheit unseres Staates von weit größerer Bedeutung sind, als daß wir uns auf diese Weise in die primitivste Wahlkampfdemagogie, wie Sie sie hier gezeigt haben, hineintreiben ließen.
Wenn Sie so Wahlkampf betreiben wollen, dann werden wir Ihnen in Niedersachsen die Hosen ausziehen; das will ich Ihnen einmal sagen.
Diese Gesetze, über die wir hier reden, die schon den polemischen Namen „Sicherheitsgesetze" erhalten haben, sind Gesetze zum Schutz der Privatsphäre der Bürger
unter den Bedingungen der elektronischen Datenverarbeitung. Sie regeln nicht nur die Sicherheit des Staates, sondern vermessen auch die Grenzen neu, die wir zwischen dem notwendigen Wissen des Staates auf der einen Seite und unserem gemeinsamen Interesse daran, daß der Staat in der Lage bleibt, das Recht der Bürger zu wahren und zu schützen, auf der anderen Seite ziehen müssen. Diese Gesetze sind wesentliche Fortschritte. Sie enthalten wichtige Regelungen zur Konkretisierung des informationellen Selbstbestimmungsrechts, wie das Verfassungsgericht es genannt hat, also zum Schutz der Privatheit.Wir haben Kompromisse geschlossen, aber es sind vernünftige Kompromisse. Wir lassen uns nicht von Polemik beirren, sondern wollen Argumente hören, nicht Phrasen.
Ich bewundere die pauschale Kritik, die man übt, ohne die Entwürfe auch nur gelesen zu haben.
Sie beruht gleichzeitig auf einer souveränen Mißachtung und Unkenntnis des geltenden Rechts, wie es bisher unbeanstandet in Bund und Ländern bestanden hat.
Sie führen doch nicht nur eine Debatte über Gesetze; Sie führen doch auch eine Debatte über Menschen, die als Polizeibeamte oder im Verfassungsschutz ihre Pflicht tun.
Auch im Wahlkampf sollte von verantwortlichen Politikern nicht der Eindruck erweckt werden, diese Beamten hätten nur im Sinn, Recht und Verfassung zu brechen, um den Bürger zu unterjochen. Damit untergraben sie das Vertrauen der Bevölkerung in die Polizei und das Vertrauen der Polizei in ihre politische Führung.
Wir reden hier von ganz anderen Problemen. Wir reden hier davon, daß es die moderne Informationstechnik ermöglicht, in geradezu perfektionistischer Weise über jeden einzelnen eine Fülle von Informationen zu sammeln, zusammenzuführen, zu speichern, zu übermitteln, zu verarbeiten und verfügbar zu machen.
Der Staat weiß von jedem einzelnen von uns mehr als jemals irgendein Staat zuvor. Wir sehen uns einer sprunghaften Entwicklung der Datenverarbeitung, der Einführung neuer Techniken, der Einführung integrierter Informationsnetze gegenüber. Darum müssen die Grenzen zwischen dem notwendigen Wissen des Staates auf der einen Seite und der notwendigen Bewahrung der Privatsphäre der
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Dr. HirschBürger auf der anderen Seite neu vermessen werden.
Seit dem Volkszählungsurteil konnte jede Fraktion in diesem Hause Vorschläge dazu vorlegen. Wir haben in der Tat eine jahrelange Diskussion über den Datenschutz in Verhandlungen der Fraktionen untereinander fortgesetzt. Sie haben vor fast einem Jahr einen Gesetzentwurf über den Personalausweis vorgelegt. Sie haben der Einführung des maschinenlesbaren und fälschungssicheren Personalausweises und ZEVIS, worüber wir im Innenausschuß lange gesprochen haben, einstimmig zugestimmt. Ein Teil dieser Probleme ist auch in Anhörungen behandelt worden.
— Nein, Herr Kollege Duve, nachdem Ihr Redner mir keine Zwischenfrage gestattet hat — — Gut, fragen Sie.
Herr Dr. Hirsch, sind Sie bereit zur Kenntnis zu nehmen, daß die Position der Sozialdemokraten zum maschinenlesbaren Ausweis im Jahre 1980 nach langen Diskussionen von uns selber revidiert worden ist und daß wir das Urteil des Bundesverfassungsgerichts auch in diesem Zusammenhang dazu benutzt haben, unsere Meinung zu überprüfen, und daß das ein sinnvoller demokratischer Lernprozeß ist?
Wir zeichnen uns Ihnen gegenüber dadurch aus, daß wir auf Entscheidungen, die wir nach langer Diskussion getroffen haben, in der Tat so lange bestehen bleiben, wie wir sie als richtig erkennen. Wir kneifen nicht vor demagogischen Angriffen. Wir schlagen vor, wesentliche Sicherungen in das Personalausweisgesetz einzubauen, das wir im Innenausschuß behandeln — Herr Kollege, Sie waren leider nicht anwesend, als wir es im Innenausschuß beraten haben, obwohl es Ihrer Meinung nach j a ein Angriff auf den Rechtsstaat ist —,
wie wir es damals, 1980, in einer gemeinsamen Entschließung des Bundestages vorgesehen haben.
Ich möchte noch etwas zu wenigen Teilen des Ergebnisses sagen, das wir Ihnen hier vorlegen und das Ihnen offenkundig unbekannt ist. Wir regeln im Datenschutzgesetz Positionen, die seit langem gefordert werden und die aus dem Volkszählungsurteil erwachsen: die Einführung der Zweckbindung der Datenverarbeitung, die wesentliche Verstärkung der Rechte der Betroffenen, die Vergrößerung der Auskunftsrechte auch gegenüber der Polizei, im übrigen bei grundsätzlicher Kostenfreiheit. Wir führen einen verschuldungsunabhängigen Schadenersatzanspruch ein. Es gibt exakte Bestimmungen über die On-line-Anschlüsse, die im öffentlichen Bereich dem Datenschutzbeauftragten gemeldet werden müssen und im Sicherheitsbereich von den
obersten Bundes- und Landesbehörden genehmigt werden müssen, um praktiziert werden zu können. Keines der von Ihnen beeinflußten Länder hat auch nur annähernd solche Rechte.
Wir verstärken die Kontrollrechte des Datenschutzbeauftragten. Wir treffen Regelungen über die Datenverarbeitung in den Akten, also auch außerhalb der elektronischen Datenverarbeitung. Wir treffen Regelungen über die Datenverarbeitung im privaten Bereich. Wir führen im Verfassungsschutz und auch in dem MAD-Gesetz die Verantwortlichkeit des Ministers für die Einrichtung automatischer Dateien ein.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Penner?
Gestatten Sie, daß ich diesen Gedanken noch zu Ende führe. — Wir treffen engste Begrenzungen für die Verarbeitung von Daten Minderjähriger, wie es sie bisher in keinem Landesrecht gibt.
Wir trennen in der Tat scharf Polizei und Verfassungsschutz. Man kann das fortführen.
Bitte, Herr Penner.
Lieber Herr Hirsch, warum behandeln Sie eigentlich nur Symptome, wo es doch um prinzipielle Fragen geht? Ich frage Sie also: Sind Sie bereit, die Amtshilfeproblematik in Frage zu stellen, die darauf beruht, daß die Verfassung von der Einheitlichkeit der Verwaltung ausgeht? Mit anderen Worten: Wären Sie nicht bereit, das Thema prinzipieller anzufassen und zu versuchen, über eine Infragestellung der Einheitlichkeit der Staatsverwaltung zu besseren Ergebnissen zu kommen?
Verehrter Herr Kollege Penner, ich wollte hier eine ganz andere Rede halten. Aber wenn der Vertreter Ihrer Fraktion mit einer Fülle von Unsinnigkeiten aufwartet, dann muß es möglich sein, hier wenigstens die dringensten Richtigstellungen vorzunehmen, damit die öffentliche Diffamierung aufhört.
Ihnen sage ich folgendes: Es sind der Kern und die Absicht dieser Gesetze, die notwendige Trennung zwischen den Diensten auf der einen und der Polizei auf der anderen Seite zu schaffen und die Informationsbeziehungen zwischen den einzelnen staatlichen Organen so zu regeln, wie es bei der Einführung der sogenannten Habeaskorpusrechte geschehen ist.Es ist das Wesen der modernen Technik — sie hat zwei Gesichter —, daß sie uns auf der einen Seite von einer Fülle stumpfsinniger Arbeiten befreit, daß wir sie brauchen und daß sie auf der anderen Seite eine Fülle von Möglichkeiten eröffnet, die Macht zu mißbrauchen und uns auszuforschen. Das
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Dr. Hirschist der Kern der Entscheidung des Volkszählungsurteils. Die Entwürfe, die wir vorlegen, sind der erste realistische Versuch, sie umzusetzen. Jede Fraktion dieses Hauses ist aufgerufen, ihren Beitrag dazu zu leisten. Wir nehmen jedes Argument, das dazu kommt, ernst, aber wir wollen und müssen zu Entscheidungen kommen, weil die moderne Technik dem Gesetzgeber wegläuft. Die Freiheit und die Privatheit der Bürger werden dann am meisten gefährdet, wenn wir nichts tun, sondern diese Entwicklung laufenlassen.
Das Wort hat der Abgeordnete Ströbele.
Herr Präsident! Verehrte Frauen und Männer! Das Päckle zum Paket ist da. Sie haben zwei Jahre daran gestrickt, Sie lassen uns wenige Nachtstunden, um uns damit zu beschäftigen, Sie geben mir hier acht Minuten, um dazu Stellung zu nehmen.
Wir haben das Gesetz vor allen Dingen nach den Fernsehreden der Kollegen Baum und Hirsch daraufhin durchgesehen, wo denn da Datenschutz und Datensicherheit geblieben sind. Wir haben weitgehend vergeblich gesucht. Wir haben nichts gefunden, außer daß nun Kinder und Jugendliche unter 16 Jahren von Datenspeicherung ausgenommen werden sollen, und daß Bürger fragen dürfen, wann und wo über sie Daten gespeichert sind. Das heißt aber noch lange nicht, daß sie Antwort bekommen.
Im Sicherheitsbereich z. B. gibt es keine Antworten. Überhaupt: Die Experten des Sicherheitsbereichs, der Geheimdienste und des Bundesinnenministeriums haben dieses Gesetz mitgeschrieben. Für mich erklärt sich jetzt auch, warum in den Akten des zweiten Untersuchungsausschusses immer wieder vermerkt ist, daß führende Beamte des Bundesinnenministeriums und der Geheimdienste zu Beratungen über das Thema Sicherheitsgesetze abgezogen worden sind.
Im einzelnen ganz kurz folgendes: Das Bundesdatenschutzgesetz beschränkt seine Geltung auf Dateien. Aber was ist eigentlich mit den Akten? Daten, die sich in den Akten befinden, bleiben für die Selbstbedienung der Behörden freigegeben.
Dann ZEVIS — die Änderung des Straßenverkehrsgesetzes. Hier wird das Auto zum zusätzlichen Ausweis.
Das Kraftfahrtbundesamt wird zum verbotenen bundesweiten Adreßregister für 30 Millionen autobesitzende Bundesbürger. Und das Autokennzeichen wird zum Personenkennzeichen.
Verfassungsschutzgesetz: § 11 dieses Gesetzes bringt das Lex Todenhöfer.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Mann?
Ich möchte noch einmal ganz kurz zu ZEVIS etwas fragen. Beim Kollegen Hirsch ist mir das nicht gelungen. Der Kollege Hirsch hat so vollmundig erklärt, es gebe beispielsweise keinen Datenverbund. ist es richtig, daß bei ZEVIS jetzt schon entgegen den Beanstandungen aller Datenschutzbeauftragten seit Jahren eine vernetzte Kartei mit On-line-Verbindung hergestellt worden ist und daß diese merkwürdige Regelung jetzt über das Straßenverkehrsgesetz an diesem unhaltbaren Zustand nichts ändert?
Wir haben versucht, das durch eine Große Anfrage bei der Bundesregierung zu erfragen. Und genau das ist richtig: Die geltende Praxis wird durch das Gesetz legitimiert. Sie wird in Zukunft noch weiter praktiziert werden.
Herr Abgeordneter, gestatten sie eine weitere Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Hirsch?
Herr Kollege, ist Ihnen wirklich nicht bekannt, daß wir im Innenausschuß auf Grund der Beanstandung des Datenschutzbeauftragten vor fast einem Jahr die sogenannte P-Anfrage — und nur die wurde beanstandet — in der Tat angehalten haben, daß sie nicht mehr praktiziert wird und daß wir nun in der Tat genau deswegen ein neues Gesetz vorlegen?
Das ist genau das Gesetz, das diese P-Anfrage jetzt möglich machen soll.
— Das ist genau das Gesetz, daß diese P-Anfrage möglich macht. § 11 des Verfassungsschutzgesetzes macht das möglich, was der Verfassungsschutz, Herr Spranger und Herr Todenhöfer praktiziert haben, nämlich daß persönliche Daten aus den Beständen des Verfassungsschutzes über das Bundesinnenministerium für politische Zwecke, für den politischen Tageskampf mißbraucht werden sollen. Das wird jetzt möglich gemacht.
§ 10 des Verfassungsschutzgesetzes macht es möglich, daß Daten von Asylanten an ausländische Dienste ohne jede Kontrolle weitergegeben werden. Das wollen Sie ermöglichen. Das ist Ihr Datenschutz!
Ich komme jetzt zum vierten dieser Gesetze. Das MAD-Gesetz unterscheidet sich von dem Verfassungsschutzgesetz nicht in wenigen Teilen. Es ermöglicht aber in Zukunft, auch Ehegatten, Lebens-
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Ströbelegefährten, Bräute von Soldaten dem MAD und der Datensammlungswut des MAD auszusetzen.
Nach allem, was wir von diesen Gesetzen bisher wissen, wird der Mensch überhaupt nur noch als Sicherheitsrisiko begriffen. Der Bürger wird kontrolliert und verdatet. Am liebsten wollen Sie das, ohne daß er es merkt.
Die Vollendung des Gesetzespakets haben Sie uns bisher nicht vorgelegt. Der Kollege Broll hat nur über das ZAG geredet — aber vorgelegt haben Sie es uns bis heute noch nicht. In der Regierung soll es beschlossen worden sein, aber Sie verheimlichen es — aus gutem Grunde! Ich frage Sie, Herr Broll: Ist es wirklich so, daß nach dem ZAG in Zukunft die Grenzschutzbeamten dem Durchreisenden tief in die Augen gucken, und zwar nicht nur, um festzustellen, ob es sich da vielleicht um einen Spion oder um einen „Extremisten" handelt, was immer das auch sein soll, sondern auch um festzustellen, ob das möglicherweise ein Spitzel ist, den Sie als Mitarbeiter den Geheimdienstbehörden der Bundesrepublik andienen können und melden sollten? Wenn das da so drinsteht, dann sagen Sie das hier laut und sagen Sie es der Bevölkerung.
Durch dieses ZAG wird nach allem, was wir wissen, eine Verbindung zwischen den Bundessicherheitsbehörden, den Geheimdienstbehörden und der Polizei hergestellt. Damit werden sie zu einer informationellen Superbehörde. Aber die verstößt gegen wichtige Grundsätze der Verfassung. Der Kollege Schröder hat auf einen hingewiesen, daß nämlich nach unserer Verfassung Polizei und Geheimdienste streng getrennt zu halten sind. Dies verstößt aber auch gegen das Recht auf informationelle Selbstbestimmung, und das verstößt — Herr Kollege Hirsch, im Innenausschuß haben Sie sich dafür immer stark gemacht — gegen das Verfassungsgebot des Föderalismus gerade im Polizeibereich.
Hier wird eine einheitliche Behörde geschaffen. Hier wird der Föderalismus aufgegeben. Er bleibt auf der Strecke. Sie gehen den Weg zu einem autoritären zentralistischen Verwaltungsstaat. Das ist Ihr Weg, den Sie gehen.
Sie wollen mit diesen Gesetzen Notstandsgesetze, aber ohne Verfassungsänderung, für den täglichen Gebrauch schaffen. Das ist die Intention dieser Gesetze.
Genau das werden wir in den nächsten Monaten, in den nächsten Jahren der Bevölkerung sagen. Die Leute sollen selber entscheiden. Die Leute sollenIhnen die gebührende Antwort darauf geben. Das ist unser Anliegen.
Sie werden das erreichen, was Herr Simitis bereits jetzt festgestellt hat:
Die Akzeptanz der Bevölkerung, auf die Sie so sehr setzen und für die Sie viele Millionen, beispielsweise für Propaganda im Rahmen des Volkszählungsgesetzes 1987, ausgeben, bleibt auf der Strekke. Sie geht Ihnen verloren. Das freut uns, weil dadurch diese Massendatenerhebung durch das Volkszählungsgesetz, im Rahmen der Volkszählung 1987 unmöglich gemacht wird.
Das werden wir weiter unterstützen. Wir werden das der Bevölkerung auf Hunderten von Veranstaltungen klarmachen. Die Bevölkerung wird Ihnen darauf die gebührende Antwort geben, spätestens in einem Jahr.Danke sehr.
Das Wort hat der Herr Parlamentarische Staatssekretär Waffenschmidt.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Penner, Sie wissen ganz genau, daß bis tief in die Nacht die Beratungen über die neuen Tarifverträge in Stuttgart gelaufen sind.
Mit der Vorlage der Gesetzentwürfe zieht der Bund durchgreifende Konsequenzen aus dem Volkszählungsurteil des Bundesverfassungsgerichts.
Herr Parlamentarischer Staatssekretär, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Dr. Waffenschmidt, Parl. Staatssekretär: Keine Zwischenfrage.
Keine Zwischenfrage.Dr. Waffenschmidt, Parl. Staatssekretär: Dieser Gesetzentwurf dient Freiheit und Sicherheit der Bürger zugleich. Dies sage ich gleich am Beginn meiner Ausführungen.
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15110 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 195. Sitzung. Bonn, Freitag, den 31. Januar 1986
Parl. Staatssekretär Dr. WaffenschmidtMeine Herren Kollegen Ströbele und Schröder,
ich spreche hier sehr eindeutig mit Blick auf Ihre Ausführungen aus: Was Sie hier an Schauermärchen vorgetragen haben, hat überhaupt keinen Bezug zur Realität. Sie haben an der Wirklichkeit vorbeigeredet.
Ich füge eines hinzu, gerade mit Blick auf Sie, Herr Schröder: Unerträglich sind auch die Arroganz und die Vorurteile, mit denen Sie sich hier hinstellen und zu dem deutschen Volk und dem Deutschen Bundestag reden. Unerträglich sind Arroganz und Vorurteile, die Sie hier vorgeführt haben.
Der Bund übernimmt die Vorreiterrolle — das sage ich ganz bewußt nach vielen, vielen Stunden der Beratung —
bei der Umsetzung — Herr Kollege Ströbele, hören Sie gut zu; auch Sie, Herr Duve — des Volkszählungsurteils.
Ich sage das ganz besonders mit Blick auf die Mitglieder von Landesregierungen, z. B. in Hessen und Nordrhein-Westfalen, die ja in den letzten Wochen eine überzogene Kritik und eine Herabsetzung dieser Gesetzentwürfe betrieben haben.
Ich glaube, man muß sehr deutlich sagen: Das ist offensichtlich ein Stück Parteipolitik. Man will erfolgreiche Innen- und Rechtspolitik dieser Koalition nicht anerkennen. Aber ich stelle hier fest, wie schon der Kollege Broll gesagt hat: Die Koalition hat gerade auf diesem schwierigen Feld ihre Handlungsfähigkeit bewiesen und damit zugleich alle Vorurteile widerlegt.Ich danke ausdrücklich auch für die Regierung den Experten der Koalitionsfraktionen, die in intensiver Arbeit mit Experten der Bundesregierung
diese Entwürfe vorbereitet haben.
Da hier von seiten der Opposition gesagt wurde, es gehe alles viel zu schnell, rufe ich gerade Ihnen von der SPD in Erinnerung, daß Sie oft von diesem Pult aus gesagt haben: Wo sind denn die Konsequenzen aus dem Volkszählungsurteil? Nun macht doch einmal schneller! Nun legt doch einmal etwas vor!
Ich habe hier immer wieder dargestellt, daß es für diese wichtige Materie intensive Vorarbeit braucht. Auch an diesem Punkt zeigt sich einmal mehr die Unglaubwürdigkeit Ihrer Argumente. Erst drängenSie uns: Nun legt etwas vor! — Jetzt legen wir etwas vor, und dann sagen Sie: Alles geht viel zu schnell. — Das ist eben unglaubwürdig.
Die Entwürfe haben fast zwei Jahre intensivster Vorbereitung erfordert, zum Teil — Herr Penner, hören Sie gut zu — auch in Gremien der Bund-Länder-Ebene, auch unter Einschaltung von Kollegen aus den Ländern, die von der SPD regiert werden. Es ist ein tragfähiger Kompromiß zwischen den Bürgerrechten und der Funktionsfähigkeit der Sicherheitsbehörden gefunden worden. Das ist ganz eindeutig gelungen. Eine umfassende Novellierung des Bundesdatenschutzgesetzes lehnt sich nun eng an das an, was das Volkszählungsurteil fordert. Es trägt den Grundsatzaussagen des Gerichts über das Recht auf informationelle Selbstbestimmung im Bereich der dateimäßigen Datenverarbeitung eindeutig Rechnung.Der Schwerpunkt der Neuregelung liegt in der Einführung des strikten Zweckbindungsgebotes
bei allen Vorschriften über die Verarbeitung und sonstige Nutzung personenbezogener Daten. — Weil Sie, Herr Kollege Penner, immer nach dem Justizminister rufen, kann ich Ihnen sagen, daß der Kollege Justizminister, der ja bis gerade eben auf der Regierungsbank gesessen hat, für eine kurze Zeit im Bundesrat, einem anderen Verfassungsorgan der Gesetzgebung, verlangt wird. Ich finde, es ist richtig, daß er diesem Verlangen nachkommt und dann wieder in den Deutschen Bundestag kommt. Wir wollen doch nicht mit so vordergründigen Zwischenrufen versuchen, es so darzustellen, als sei die Regierung nicht auskömmlich vertreten.
Sie gehen an der Wirklichkeit vorbei, meine Damen und Herren.
Aber das zeigt, Herr Kollege Penner: Wirkliche Argumente haben Sie nicht mehr, und dann machen Sie solche Sachen.Meine Damen und Herren, von dem Gebot der Zweckbindung bei allen Vorschriften über Verarbeitung und sonstige Nutzung personenbezogener Daten darf nur — das soll jeder Bürger wissen — in ganz bestimmten Fällen abgewichen werden. Diese Fälle sind klar und abschließend normiert, damit jeder Betroffene auch weiß, wer wann wo was über ihn gespeichert hat. Darum werden die Auskunftsrechte sowohl im öffentlichen als auch im nichtöffentlichen Bereich erweitert und die Stellung des Bürgers durch die Auskunftsrechte, die er hat, auch gestärkt. Er hat einen Anspruch auf Löschung seiner Daten, er bekommt bei der Verwendung seiner Daten zu Werbungszwecken ein Widerspruchsrecht
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 195. Sitzung. Bonn, Freitag, den 31. Januar 1986 15111
Parl. Staatssekretär Dr. Waffenschmidtund bei Verstößen gegen datenschutzrechtliche Regelungen einen verschuldensunabhängigen Schadensersatzanspruch.
Meine Damen und Herren, es sind wesentliche Vorteile für den Bürger in diesen Gesetzentwürfen verankert, und diese stellen wir heraus. Wir sind sehr, sehr erfreut darüber, daß es nach intensiven Verhandlungen gelungen ist, das alles so präzise zu formulieren. Die Bürger draußen sollen wissen, daß hier nicht der gläserne Mensch vorbereitet wird, sondern daß Bürgerrechte gegenüber dem Staat durch diese Gesetzentwürfe gestärkt werden.
Lassen Sie mich noch einige wenige Beispiele nennen. Ein EDV-Verbund der Nachrichtendienste des Bundes untereinander und mit den Datenbeständen der Polizei wird ausdrücklich nicht zugelassen.
Jede Datensammlung ist streng am Erforderlichkeitsgrundsatz ausgerichtet. Eine willkürliche Datensammlung auf Vorrat ist verboten. Besondere Kontrollvorschriften erleichtern zusätzlich die Überwachung aller Datenströme. Durch das Ersetzen der Befugnisgeneralklausel der Verfassungsschutzbehörden durch 11 detaillierte Befugnisnormen sind eine weitere Stärkung der Bürgerrechte und ein Schutz für den Bürger gegeben. Aber ich will hier deutlich sagen, was auch Innenminister Zimmermann in diesen Tagen mehrfach erklärt hat: Datenschutz bedeutet natürlich nicht Täterschutz, sondern Datenschutz soll helfen, Freiheit und Sicherheit der Bürger zu garantieren.
Wir haben ein Verbot der Speicherung von Jugendsünden. Wir haben einen Ausschluß von heimlichen Sicherheitsüberprüfungen durch Einführung eines Zustimmungsvorbehalts des Betroffenen vorgesehen. Ich könnte die Beispiele fortsetzen.
— Herr Ströbele, das war leider so oberflächlich und an der Wirklichkeit vorbei, daß ich darauf nicht zu antworten brauche.
Ich will mich auch noch den Datenschutzbeauftragten zuwenden. Herr Kollege Broll hat das schon sehr gut gesagt, und auch Herr Kollege Hirsch hat es erwähnt. Natürlich hören wir, was uns die Datenschutzbeauftragten aus ihrer Amtsbefugnis heraus und auch aus ihrem Sachwissen vortragen. Zu dem Beschluß, den Sie am 27. Januar dieses Jahres gefaßt haben — da heißt es ja, daß in den angekündigten Datenschutz- und Sicherheitsgesetzen den erhobenen Forderungen im Blick auf datenschutzrechtliche Erfordernisse nur unzureichend Rechnung getragen sei —, muß ich sagen: Dies, was hier von den Datenschutzbeauftragten gesagt worden ist, erscheint uns angesichts dessen, was wir alles vorlegen, wirklich unbegreiflich. Ich muß auch hier die Bitte vortragen, daß doch in den weiteren Beratungen das auch von den Datenschutzbeauftragten noch einmal durchgesehen wird.
Ich fasse zusammen. Es ist der Wunsch, meine Damen und Herren, der Bundesregierung, das Gesetzespaket in den parlamentarischen Gremien zügig, sorgfältig und sachlich zu beraten. Ich will im Blick auf alle Kritiker sagen: Schlagworte wie etwa der „gläserne Mensch", die „totalverkabelten Amtsstuben", der „umfassende Datenverbund" sind falsche Aussagen, die meistens doch nur gemacht werden, um den Bürger zu ängstigen; sie haben mit der Wirklichkeit nun wirklich nichts zu tun. Ich sage Ihnen: Wir von der Bundesregierung möchten mit dem Parlament dieses Gesetz beraten, damit Bürgerrechte gestärkt und innere Sicherheit gewährleistet wird; denn das sind keine Gegensätze. Bürgerrechte, Bürgerfreiheit und innere Sicherheit dienen gemeinsam dem Bürger und entsprechen den tragenden Grundsätzen unserer Verfassung und unseres freiheitlich-demokratischen Rechtsstaates.Herzlichen Dank.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Wernitz.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte zu Beginn auf ein Thema eingehen, das hier durch Zurufe eine Rolle gespielt hat. Es betrifft den Bundesinnenminister selbst. Wir Sozialdemokraten respektieren, daß bei schwierigen Tarifverhandlungen der Bundesinnenminister, wenn es um den öffentlichen Dienst geht, dabeisein muß; aber er müßte bei der Bedeutung dieses Gesetzespaketes eine Möglichkeit finden hierherzukommen. Wenn dies aus Zeitknappheit nicht geht, wären Sie gut beraten gewesen, die erste Lesung zu einem anderen Zeitpunkt durchzuführen.
Ich bin weiter der Meinung, daß auch das Bundesjustizministerium hier hätte vertreten sein müssen, zumindest nachdem unser Geschäftsführer, Herr Porzner, gestern diese Bitte ausgesprochen hat. Auch hier respektiere ich, daß der Minister selber im Bundesrat sein muß, aber er hat Staatssekretäre, die ihn dann hier vertreten können. Es ist erfreulich, daß der Bundesminister der Verteidigung bei dieser Debatte, weil er hier in seinem Bereich berührt wird, persönlich vertreten ist.
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15112 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 195. Sitzung. Bonn, Freitag, den 31. Januar 1986
Dr. WernitzAber, meine Damen und Herren, lassen Sie mich hier auch eine Bemerkung zu der Frage machen, wie die Vorlagen vom Verfahren her heute auf die Tagesordnung gesetzt worden sind. Sie von der Koalition kritisieren hier einerseits, daß sich einige nicht intensiv mit den Vorlagen beschäftigt haben, und sagen andererseits, daß man zwei Jahre Vorberatung gehabt habe.
Was Ihnen von uns jetzt angeblich vorgeworfen wird, dies alles ist doch, meine Damen und Herren, völlig falsch.
Niemand kritisiert, daß Sie zwei oder mehr als zwei Jahre Beratungszeit gebraucht haben. Aber man muß auch sagen, daß, wenn man mehr als zwei Jahre braucht, man dann nicht hierhergehen kann, nachdem man sich mühselig geeinigt hat, und dem Parlament insgesamt abverlangen kann, daß es nach zwei Tagen in die materielle Beratung eintritt.
Dies ist nicht in Ordnung.
Ich habe hier die Vorlagen selbst dabei. Es sind 235 Seiten zum einen und beim MAD-Gesetz, das aus guten Gründen extra vorgelegt wird, dann noch einmal 20 Seiten, und das Zusammenarbeitsgesetz liegt im Moment überhaupt noch nicht vor — um das nur einmal zu sagen!
Hier geht es um die Seriosität der Beratungen und unserer Arbeit.
Denn über eines müssen wir uns hier im klaren sein. Die koalitionsinternen Vorarbeiten — und das sage ich generell, das betrifft nicht die konkrete, jetzt arbeitende Koalition, sondern das ist ein generelles Problem —, die Arbeiten in solchen internen Gremien, wenn sie auch zwei Jahre dauern, ersetzen nicht die Beratungen in diesem Parlament, und zwar unverkürzt, solide und mit ausreichend Zeit.
Hier denke ich an das, was sehr zu Recht gestern in der Selbstverständnisdebatte in diesem Hause diskutiert worden ist.
Ich will das jetzt gar nicht weiter mit Vorwürfen verbinden, sondern ich sage es als Mahnung an uns selbst insgesamt.
Denn wenn man auf andere mit dem Finger deutet,zeigen, wie es Heinemann einmal gesagt hat, mehrere Finger der Hand auf einen selber. Ich sage das ohne Vorwurf, aber mit der Bitte, das zu berücksichtigen.
— Lieber Herr Laufs, Sie sitzen im Innenausschuß inzwischen nur noch mit der Geschäftsordnung vor dem Gesicht und hier jetzt auch. Das ist für mich beklemmend.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Krey?
Ja.
Ist es nicht erforderlich, daß Mitglieder des Innenausschusses die Geschäftsordnung zur Hand nehmen
oder im Kopf haben, wenn es sonst keine Möglichkeit gibt, eine Verständigung im Innenausschuß unter Ihrer bewährten Leitung herbeizuführen?
Man sollte die Geschäftsordnung im Kopf, unter dem Arm und gelegentlich auch vor dem Gesicht haben.
Da gibt es viele Varianten. Aber es ist letzten Endes schlimm für unsere Arbeit,
wenn wir im wesentlichen nur noch mit der Geschäftsordnung arbeiten. Das ist immer Ultima ratio, sollte nie die Regel sein.
Ich möchte jetzt zur Sache sprechen. Ich bitte um Verständnis.Meine Damen und Herren, Frau Präsidentin, ich möchte zu den Angriffen auf den Kollegen Gerhard Schröder und auch zu Alwin Brück, der hier ebenfalls in die Debatte eingeführt worden ist, einige Bemerkungen machen. Sie müssen sich darauf einrichten, daß die Sorgen und Nöte der Menschen und das, was die Menschen draußen umtreibt, hier in dieses Parlament eingeführt werden, auch wenn es von Ihnen, z. B. von Herrn Hirsch, als hart und zugespitzt empfunden wird. Das sind die Sorgen und Nöte derer, die glauben, daß die Freiheit in Gefahr ist.
Hier hat der Kollege Schröder das Recht, dies fürunsere Fraktion zu formulieren. Er hat nicht nur
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Dr. Wernitzdas Recht, sondern auch die Pflicht. Das hat er getan.
Zu Alwin Brück möchte ich sagen, daß es falsch ist, ihm vorzuwerfen, daß er hier die Beratung des Personalausweis- und Paßgesetzes angemahnt hat. Das ist doch kein Vorwurf. Er hat etwas angemahnt. Aber das war nicht mit der Frage der Maschinenlesbarkeit zu verbinden. Das muß man hier sehr genau auseinanderhalten.
Zurück zur Thematik selbst. Meine Damen und Herren, wir beraten heute in erster Lesung Vorlagen der Koalition zur Sicherheit und zum Datenschutz, die zwar seit langem im Gerede, aber erst vorgestern im Bundestag eingebracht worden sind. Das Volkszählungsurteil des Bundesverfassungsgerichts vom 15. Dezember 1983 hat über Formulierungen des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung hinaus Maßstäbe und Vorgaben für die Weiterentwicklung des Datenschutzrechts im allgemeinen sowie im bereichsspezifischen Sektor erwarten lassen. Die SPD-Bundestagsfraktion legte bereits am 27. März 1984 ihren Gesetzentwurf zur Novellierung des BDSG vor. Nach dem kläglichen Fehlstart der Bundesregierung mit einem eigenen Referentenentwurf verzichtete sie auf weitere Aktivitäten. Fortan rangelten die Koalitionspartner um eine Datenschutznovelle. Mehr als zwei Jahre hat es gedauert, bis Sie in der Koalition diese Novelle im Rahmen eines Artikelgesetzes präsentieren.
Sieht man die Datenschutznovelle und die verschiedenen Sicherheitsgesetze im Kontext, was man tun muß, so ist unsere Gesamtbewertung, einzelne positive Aspekte und Ansätze durchaus zugestanden, insgesamt eindeutig negativ. Der Koalitionsentwurf wird auch nicht annähernd den Mindestanforderungen des Karlsruher Volkszählungsurteils gerecht.
Sowenig hier das Volkszählungsurteil durchgreifend gewirkt hat, so wenig gelang es offensichtlich dem Bundesdatenschutzbeauftragten, mit seinen Anregungen bei den Koalitionsfraktionen durchzudringen,
als er Gelegenheit hatte, sich in das Beratungsverfahren einzuschalten.
Es hatte im nachhinein betrachtet offenkundig nur Alibicharakter.Schließlich ist noch die umfangreiche Datenschutzanhörung des Innenausschusses vom 24. Juni des letzten Jahres zu erwähnen, von der gleichfalls nur schwache Impulse auf die Novellierungsbemühungen bei CDU/CSU und FDP ausgingen.Es versteht sich beinahe von selbst, daß die Koalition auch durch die eindringliche Argumentation des Bundesbeauftragten für den Datenschutz in seinen letzten drei Tätigkeitsberichten kaum zu beeindrucken war.Wir Sozialdemokraten werden dafür sorgen, meine Damen und Herren, daß dieser Gesetzentwurf im Parlament eingehend geprüft werden kann.
Dazu gehört, daß auch dieser Entwurf auf den parlamentarischen Prüfstand einer öffentlichen Anhörung kommt. Für die anschließende Detailberatung der vorliegenden Datenschutzgesetzentwürfe muß eine gründliche und solide Arbeit garantiert sein.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, Sie sind in Gefahr, in einer Art Torschlußhektik zahlreiche Gesetzentwürfe zu präsentieren, die Sie dann durch die parlamentarischen Gremien wie durch einen Windkanal pfeifen lassen.
Sie würden damit unabsehbaren Schaden für das Ansehen dieses Parlaments anrichten. Das ist schlimmer als die leeren Bänke in diesem Saal, wenn man an die möglichen Konsequenzen denkt.
Aus dem Artikelgesetz sind selbstverständlich ebenso die einzelnen Sicherheitsgesetze eingehenden Anhörungen zu unterziehen.Wir bestreiten nicht, daß auch unser Gesetzentwurf zum Datenschutzgesetz verbesserungsbedürftig ist. Dies hat auch die Anhörung ergeben.Dagegen bleibt der Koalitionsentwurf in wesentlichen Punkten unter dem Niveau des weitgehend anerkannten datenschutzrechtlichen Erkenntnis- und Wissensstandes. Nach dem Volkszählungsurteil müssen neben den Dateien auch die personenbezogenen Daten in Akten geschützt werden. Aber bei der Koalition bleibt das Bundesdatenschutzgesetz weiterhin auf Dateien beschränkt. Für einen Teil der öffentlichen Verwaltung wird dieser Mangel, gleichsam durch die Hintertür, mittels einer Änderung des Verwaltungsverfahrensgesetzes beseitigt. Dafür fehlt nach wie vor im privatwirtschaftlichen Bereich jeder durchgreifende Schutz, wenn sich die personenbezogenen Daten in Akten oder anderen Unterlagen befinden.
Spätestens seit der Anhörung sollte unstrittig sein, daß der Datenschutz einsetzen muß, wenn die Daten beim Bürger erhoben werden. Die Datenerhebung beim Betroffenen als erster Schritt ist unbestreitbar der wichtigste Eingriff in die Rechts-
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Dr. Wernitzposition des Betroffenen. Darauf hat auch gerade das Bundesverfassungsgericht in seinem Volkszählungsurteil hingewiesen und daran wesentliche rechtliche Konsequenzen geknüpft.Ich will hier auf die weiteren Einzelpunkte auch aus Zeitgründen nicht eingehen. Es bleibt eine Menge unbefriedigend: die generelle Auskunftsverweigerung der Nachrichtendienste; die Regelung über den Bundesbeauftragten für den Datenschutz reicht hier nicht aus.
Meine Damen und Herren, auch wenn man zugeben kann und muß, daß der Entwurf der Koalition auch positive Einzelheiten und Anregungen enthält, muß man sagen:
Diese Lichtblicke, die ich nicht bestreite, können bei einer Gesamtbewertung der Datenschutznovelle nicht darüber hinwegtäuschen, daß, gemessen an den Vorgaben und Meßlatten des Volkszählungsurteils, dem inzwischen erreichten Gesetzgebungsstandard auf der Länderebene
und nicht zuletzt dem Zeitbedarf von sage und schreibe zwei Jahren, ein datenschutzrechtlich so defizitäres Produkt herausgekommen ist. Wir werden viel Zeit und Arbeit in die parlamentarischen Ausschußberatungen investieren müssen, um daraus ein Gesetzgebungswerk werden zu lassen, mit dem sich dieses Parlament sehen lassen kann.Das gilt auch noch aus einem anderen Grunde: Die Novelle zum Datenschutzgesetz kann nicht isoliert, sie muß im Zusammenhang mit den datenschutzbereichsspezifischen Sicherheitsgesetzen gesehen werden. Durch das Volkszählungsurteil ist das anerkannte Recht auf informationelle Selbstbestimmung des einzelnen auch für die Bereiche der Sicherheitsgesetze zu akzeptieren. Hier bedarf es überzeugender rechtlicher Regelungen und einer wirksamen Kontrolle.Auf der anderen Seite sind Sicherheit der Bürger und Sicherheit des Staates, der dies zu gewährleisten hat, gleichrangige und unverzichtbare Verfassungswerte. In Übereinstimmung mit dem Karlsruher Urteilsspruch vom Dezember 1983 stellen wir Sozialdemokraten darauf ab, daß der sich daraus ergebende Konflikt nicht durch einseitige Betonung einer dieser beiden Positionen, sondern nur durch sorgfältige Abwägung bei der Ausgestaltung der Rechtsgrundlagen gelöst werden kann. Diesen Abwägungsprozeß im Spannungsverhältnis zwischen Datenschutz und Sicherheit oder anders gesagt: zwischen Individual- und Persönlichkeitsrecht und den allgemeinen Belangen, den berechtigten Interessen des Staates an öffentlicher Sicherheit muß der Gesetzgeber insbesondere bei den Ausschußberatungen im Parlament Punkt für Punkt bei den einzelnen Gesetzentwürfen vornehmen.Sollte diese Möglichkeit durch ein Beratungsdiktat verkürzt werden, provoziert die Koalition angesichts des erheblich umstrittenen Inhalts des vorgelegten Artikelgesetzes möglicherweise eine verfassungsgerichtliche Nachprüfung dieses Gesetzespaketes.Wie wenig man seitens der Koalition mit dem Datenschutz am Hut hat, demonstriert die Tatsache, daß z. B. für die bevorstehende Anhörung zum Paßgesetz unter den der Koalition zustehenden sechs von insgesamt elf Sachverständigen nicht ein einziger Datenschutzbeauftragter Platz hatte. Das illustriert mehr als vieles andere, wie es bei dieser Koalition um den Stellenwert des Datenschutzes bestellt ist. Das Schlimme daran ist, daß viele in der Koalition offensichtlich daran glauben, mit diesem Kurs den Sicherheitsbehörden einen Dienst zu erweisen. Das ist ein fundamentaler Irrtum und ein gefährlicher obendrein. Datenschutz und Sicherheit dürfen nicht gegeneinander ausgespielt werden. Sie gehören zusammen.Nach unserem Eindruck gehen Bundesregierung und Koalition mit dem Gesetzespaket — bis hin zu dem besonders umstrittenen Zusammenarbeitsgesetz — einen bedenklichen Weg. Sollten die Entwürfe im wesentlichen unverändert verabschiedet werden, so hätte die Bundesrepublik ihr bisheriges hohes internationales Ansehen in Sachen Datenschutz wohl bald verspielt. Aus einem Spitzenreiter des Datenschutzes würde ein Nachzügler.Wir Sozialdemokraten werden uns konsequent und beharrlich einem solchen Wendetrend entgegenstellen und für eine Versöhnung von Datenschutz und Sicherheit eintreten. Dabei wollen wir beachten, was das Bundesverfassungsgericht in seinem Volkszählungsurteil so formulierte — ich zitiere zum Abschluß —:Mit dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung wären eine Gesellschaftsordnung und eine diese ermöglichende Rechtsordnung nicht vereinbar, in der Bürger nicht mehr wissen können, wer was wann und bei welcher Gelegenheit über sie weiß.Zur Bewahrung der Grundrechte unserer Bürger aber brauchen wir beides: Datenschutz und Sicherheit. Wir werden in diesem Sinne an die Beratung der Gesetzentwürfe herangehen. Wir werden die Freiheit und die Sicherheit, damit die Grundrechte der Bürger unseres Landes konsequent und beharrlich schützen und verteidigen.
Das Wort hat der Abgeordnete Fellner.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Wernitz, es scheint mir auffällig zu sein, daß Sie sich so lange mit der Form der Beratung auseinandergesetzt haben. Wie wir Sie kennen, hätten Sie zu diesem Gesetzespaket eigentlich wenig Kritik anbringen und sehr viel Lobendes sagen müssen. Darum habe ich Verständnis,
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Fellnerdaß Sie sich mit der Form der Beratung auseinandergesetzt haben.
Die Tatsache, daß wir im Innenausschuß öfter zur Geschäftsordnung greifen müssen, hat ihren tieferen Grund eben darin, daß wir den Vorsitzenden bei seinem Vorhaben immer unterstützen wollen, eine zügige Beratung zu ermöglichen, möglichst wenig Zeit für Streit um formale Fragen zu verbrauchen und eifrig in der Sache selbst diskutieren zu können.Im Zusammenhang mit der Kritik, daß zur Vorbereitung der ersten Beratung nur wenig Zeit gewesen sei, d. h. die Gesetzentwürfe kaum hätten geprüft werden können, haben wir j a einiges Verräterische erlebt. Verschiedene Leute haben nämlich schon früher Pressekonferenzen durchgeführt und sogar schon Kommentare zu diesen Gesetzen geschrieben. Außerdem sollte jeder einmal zur Geschäftsordnung greifen, Herr Kollege Wernitz. Dann kann er nachlesen, daß in der Aussprache zur ersten Lesung eines Gesetzes jeweils nur die Grundsätze der Vorlage besprochen werden. Ich darf doch wohl unterstellen, daß die mit dieser Materie befaßten fachkundigen Kollegen keine längere Vorbereitungszeit brauchen, um zu den Problemen des Datenschutzes und auch zu den Problemen der Arbeit unserer Sicherheitsbehörden etwas sagen zu können.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Ströbele.
Nein, ich möchte meine Zeit nutzen, um das auszuführen, was ich mir vorgenommen habe.Zu dem, was Herr Kollege Schröder gesagt hat, nur noch folgende Anmerkung: Wenn er die Gesetzentwürfe gelesen hätte, dann hätte er, so meine ich, gemerkt, daß sich das, was man ihm dazu aufgeschrieben hat, hier sicherlich nicht als Wahlkampfbeitrag eignet; er hätte es besser seinlassen. Er wird nämlich in der Fraktion, wenn es in die konkrete Beratung geht, sehr bald feststellen, daß es sehr wenige Punkte sind, an denen Sie, wenn Sie konstruktiv mitarbeiten wollen, in der Sache wirklich noch Kritik üben könnten.Das, was vorliegt, ist innerhalb der Koalitionsparteien in langjähriger, in mehr als zweijähriger Arbeit erarbeitet worden. Vielleicht trifft es den Kern am besten, wenn ich sage: Wenn die FDP mit einem Gesetzentwurf nicht ganz zufrieden ist und auch die CSU nicht ganz zufrieden ist, dann ist das ein sicheres Zeichen dafür, daß der Entwurf in sich gut und ausgewogen ist, daß wir also einen sehr guten und tragfähigen Kompromiß in unseren Reihen gefunden haben. Selbstverständlich verwahren wir uns nicht dagegen, in den parlamentarischen Beratungen jetzt weitere Vorschläge, konstruktive Vorschläge entgegenzunehmen. Wir sind auch bereit, sie einzuarbeiten, wenn sie den Zielen dieser Gesetzentwürfe dienen. Dazu brauche ich, glaube ich, weiter nichts zu sagen.Es üben j a die Datenschützer heftige Kritik an diesen Entwürfen.
Sie sind allerdings auch die einzigen, die in bescheidenem Umfang konkret werden.
Aber ich meine, wenn die Datenschützer hurra schreien würden, dann wären die Gesetzentwürfe bestimmt nicht gut und sachgerecht, zumindest aber nicht ausgewogen.
— Herr Kollege Duve, eine rein datenschutzrechtliche Prüfung wäre einseitig und falsch, weil der Gesetzgeber auch seine Schutzpflicht gegenüber dem Bürger erfüllen und dazu die Funktionsfähigkeit der Sicherheitsbehörden gewährleisten muß. Schutz des Persönlichkeitsrechts und Wahrung der inneren Sicherheit sind nach dem Grundgesetz und der Rechtsprechung des Verfassungsgerichts gleichermaßen Verfassungsgrundsätze, die zur Wirksamkeit gelangen müssen. Wenn die Datenschützer etwas zur Akzeptanz dieses Gesetzespakets beitragen wollen,
dann sollten sie sich in nächster Zeit im Detail damit auseinandersetzen. Dann werden sie sehen, daß die schwierigen Abwägungsprozesse, die hier vorzunehmen sind, in der Sache durchaus sachgerecht vorgenommen worden sind.Wir haben mit diesem Gesetzespaket versucht die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts zum Volkszählungsgesetz mit seinen grundsätzlichen Ausführungen zum Datenschutz in eine wirksame gesetzliche Regelung umzusetzen.
Kritiker der inneren Sicherheit, Herr Kollege Duve, wozu ich vorrangig auch Sie zähle, haben dieses Urteil des Verfassungsgerichts vorschnell dahin gehend interpretieren wollen, daß Datenschutz nunmehr absoluten Vorrang vor den Belangen der inneren Sicherheit haben müsse. Daß dem nicht so ist, liegt auf der Hand. Nach dem Volkszählungsgesetz-Urteil setzt die freie Entfaltung der Persönlichkeit unter den modernen Bedingungen der Datenverarbeitung den Schutz des einzelnen gegen unbegrenzte Erhebung, Speicherung, Verwendung und Weitergabe seiner persönlichen Daten voraus. Dieser Schutz ist von dem Grundrecht des Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 2 des Grundgesetzes umfaßt. Das Grundgesetz gewährleistet insofern das Recht des einzelnen, über die Preisgabe und Verwendung seiner persönlichen Daten grundsätzlich selbst zu bestimmen.
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15116 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 195. Sitzung. Bonn, Freitag, den 31. Januar 1986
FellnerDas Recht auf informationelle Selbstbestimmung ist indessen nicht schrankenlos gewährt. Auch das steht in diesem Volkszählungsgesetz-Urteil. Grundsätzlich muß der einzelne Einschränkungen seines Rechts auf informationelle Selbstbestimmung im überwiegenden Allgemeininteresse hinnehmen. Die Einschränkungen bedürfen nach Art. 2 Abs. 1 des Grundgesetzes einer verfassungsmäßigen gesetzlichen Grundlage, aus der sich die Voraussetzungen und der Umfang der Beschränkungen klar und für den Bürger erkennbar ergeben
und die damit dem rechtsstaatlichen Gebot der Normenklarheit entspricht.
Genau das haben wir in diesen Gesetzesvorlagen umzusetzen versucht.
Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts stellt uns die Aufgabe, Datenschutz und innere Sicherheit in ein ausgewogenes Verhältnis zueinander zu bringen. Datenschutz ist eine Aufgabe von hoher Bedeutung. Auch wenn Sie es bestreiten, Herr Kollege: Gerade die CSU als eine Partei, die für die Freiheit und für die Rechte der Bürger eintritt,
bekennt sich zum Datenschutz als einem Garanten für den notwendigen Schutz der Privatsphäre. Wogegen wir uns aber wehren müssen, ist der Versuch, einen unauflösbaren Gegensatz zwischen Datenschutz und innerer Sicherheit zu konstruieren. Die von den Verfechtern dieser These gezogene Konsequenz, Datenschutz müsse Vorrang vor innerer Sicherheit haben, ist ohne Zweifel falsch. Was nützt — auch wenn es hier pauschal klingt, aber ich sage es — dem Bürger der schönste Datenschutz, wenn er nicht mehr vor Straftätern oder den Gegnern unserer Demokratie sicher ist?Es war deshalb Sinn unserer Bemühungen, die Arbeit von Polizei- und Sicherheitsbehörden auf eindeutige rechtliche Grundlagen zu stellen und dabei den notwendigen Schutz der Daten des Bürgers zu gewährleisten. Das alles hat ohne ernsthafte Behinderungen der Behörden der inneren Sicherheit zu geschehen. Wir lassen uns nicht auf eine Scheinalternative Datenschutz oder innere Sicherheit ein.
Wir meinen, daß wir Datenschutz und innere Sicherheit gewährleisten können.Ich wollte hier auf die Kampagne einiger Presseorgane gegen diese Gesetzentwürfe eingehen. Aber weil Sie, Herr Kollege Ströbele, sagen: Werden Sie doch konkret!, muß ich sagen, in der Kürze der Zeit läßt sich das natürlich nicht konkret darstellen. Deshalb sollte man auch vermeiden, diese Gesetzentwürfe pauschal zu verdammen oder, wie Sie, zupolemisieren. Aber ich will mal zu dem meines Erachtens einfachsten und bescheidensten Komplex dieses Pakets ein Wort sagen, nämlich zu diesem sogenannten ZEVIS.
Die Benutzung der Datenbestände dieses Zentralen Verkehrsinformationssystems beim Kraftfahrtbundesamt durch andere Behörden, insbesondere aus dem Sicherheitsbereich, wird im Straßenverkehrsgesetz geregelt. Damit kann der seit 1982 ausgesetzte, bislang nur zur Hälfte das Bundesgebiet erfassende Aufbau dieses Informationssystems vollendet werden.
— Das will ich Ihnen jetzt schildern. Auskünfte aus diesem ZEVIS sind grundsätzlich nur im Rahmen des Registerzwecks zulässig, das heißt, wenn es um Personen in ihrer Eigenschaft als Kfz-Halter oder um Fahrzeuge eines Halters oder um Fahrzeugdaten geht und wenn es darum geht, diese Daten festzustellen.
Die Nutzung dieses ZEVIS für registerfremde Zwecke wird auf wenige, unabdingbare, aber genau definierte Ausnahmefälle beschränkt. Es wird weiter gewährleistet, daß Auskünfte aus ZEVIS wirksam kontrolliert werden, indem erstens sämtliche automatisierte und konventionelle Abfragen beim Kraftfahrtbundesamt protokolliert werden müssen und zweitens bei Direktabrufen auch die anfragende Stelle nach einem Stichprobenverfahren zu protokollieren hat und lückenlose Protokolle bei allen Anfragen außerhalb des Registerzwecks und den sogenannten P-Anfragen vorzunehmen sind.
Durch die Schaffung einer Kontrollmöglichkeit wird gewährleistet, daß kein Mißbrauch getrieben werden kann, daß also die Wahrnehmung dieser Möglichkeit nur im Rahmen des Registerzwecks und gebunden an enge Voraussetzungen erfolgen kann. Das ist nur ein Beispiel dafür, daß Sie sich jetzt in der Sache mit diesen Gesetzentwürfen auseinandersetzen sollten und aufhören sollten, sich einer parlamentarischen Beratung zu verweigern. Und das sage ich speziell den Kollegen der SPD.Danke schön.
Das Wort hat der Abgeordnete Baum.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte zunächst dem Kollegen Wernitz meinen Respekt erweisen für die Art und Weise, wie er hier diskutiert hat. Ich teile seine Kritik nicht, aber ich glaube, das war die Form, in der wir über diese Gesetze in diesem Hause reden müssen.
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BaumWir haben, gerade weil die Materie so kompliziert und so sensibel ist, alle miteinander eine Verantwortung auch für die Sicherheitsbehörden. Wir reden über Gesetze, die die Arbeit bestimmter Sicherheitsbehörden betreffen, deren Arbeit ohnehin schwierig darstellbar ist und die mitunter auch ohne eigenes Zutun ins Gerede kommen.
Wir sollten bei allem, was wir hier machen, darauf achten, daß wir hier die Arbeit und die Aufgaben dieser Behörden nicht durch maßlose Polemik und Kritik beschädigen.
Wir haben über viele Monate in der Koalition beraten, das ist richtig. Das muß möglich sein. Aber ich möchte hier mit Nachdruck sagen, es sollte nicht der Regelfall sein, daß Gesetze über die Fraktionen eingebracht werden.
Es muß der Bundesrat, es müssen die Ressorts gefragt werden. Aber es waren besondere Umstände, die dieses Verfahren gerechtfertigt haben.
Es geht nicht um das Zusammenarbeitsgesetz. Meine Fraktion sah dieses Gesetz noch nicht als entscheidungsreif an. Es ist ja sehr interessant, daß Sie hier Ihre Kritik ineinanderquirlen, daß Sie Kritikelemente aus dem Bereich des Zusammenarbeitsgesetzes in diesen Bereich herüberziehen. Sie haben sich ja der sachlichen Auseinandersetzung hier entzogen.Bei den SPD-regierten Ländern, Herr Wernitz, irritiert vor allen Dingen, daß diese wesentlichen ergänzenden Elemente, nämlich die des Polizeirechts, überhaupt nicht klar sind. Wo gibt es denn eine übereinstimmende Meinung der SPD-regierten Länder zum Polizeirecht?
Da gibt es einen Entwurf von Hamburg, da gibt es einen von Hessen. Wir, die Freien Demokraten, haben gesagt, wir wollen eine Verzahnung mit dem Polizeirecht der Länder. Nun wirken Sie doch bitte einmal auf Ihre Länder ein, damit wir wissen, was Sie eigentlich wollen; auch Sie haben einen Schlüssel zu diesen Gesetzen in der Hand.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Mann?
Nein, bitte nicht.
— Natürlich haben sie einen Spielraum! Nach der Verfassung haben doch die Länder die Polizeihoheit!
Es gibt eine Einigung in der Koalition über diese Gesetze; sie steht — wie immer — unter dem Vorbehalt einer ordnungsgemäßen Beratung. Wir möchten nicht, daß der Eindruck entsteht, eine umstrittene, schwierige Materie solle möglichst schnell ohne ausreichende Debatte behandelt werden.
Der Vorsitzende meiner Fraktion hat dazu in der letzten Woche gesagt:
Die FDP wird intensiv an den weiteren Beratungen der Gesetze mitarbeiten.
Sie wird dabei auch großen Wert auf die Meinung von Sachverständigen legen. Die notwendigen parlamentarischen Anhörungen sind für uns keine Formsache, sondern Ergänzung und Erweiterung von vorhandenen Kenntnissen oder dienen zur Sicherung erkannter Tatbestände.
Das ist unsere Position, und das ist nach Erklärungen unseres Koalitionspartners, beispielsweise nach einer Erklärung von Herrn Miltner, auch die gemeinsame Position der Koalition. Die Beratungen, in die wir eintreten, sind keine Farce!
Wir müssen die Diskussion so führen, daß wir die Bürger überzeugen; ihnen darf nichts übergestülpt werden. Das können wir aber nur dann erreichen, wenn wir sachlich diskutieren, Herr Kollege Ströbele, und einer wie Sie, der den Verfassungsschutz abschaffen will, kann hier eigentlich überhaupt nicht mitreden.
Ausgangspunkt der Gesetzgebung ist das Urteil des Bundesverfassungsgerichts. Dieses Urteil schreibt Grundsätze fest, Grundsätze, nach denen wir bereits in den 70er Jahren gehandelt haben. Als Innenminister habe ich die Materie in Amtsvorschriften geregelt, in den Amtshilferichtlinien, in den Dateienrichtlinien und in den Richtlinien für polizeiliche Datenverarbeitung. Hier frage ich mich jetzt, wie eigentlich die Länder mit dieser Materie fertig werden. Herr Wernitz, der Bund hat jetzt etwas vorgelegt. Jetzt müssen die Länder ran! Die meisten Daten im Sicherheitsbereich werden von den Bundesländern verarbeitet. Wir haben unsere Schularbeiten gemacht; die Länder — und dazu gehören eben auch die SPD-Länder — sollten sie jetzt schleunigst nachholen.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Wernitz?
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15118 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 195. Sitzung. Bonn, Freitag, den 31. Januar 1986
Nein.
Es kann und wird bei unserer Gesetzgebung nicht darum gehen, die Grauzonen — etwa Grauzonen bisheriger Praxis — zu legalisieren, und es geht auch nicht darum, nur das Bestehende fortzuschreiben.
Es geht um einen Wettlauf zwischen Technik und Recht, es geht um den Schutz der Privatsphäre. Angesichts rasanter technologischer Veränderungen bedeutet Stillstand hier Rückschritt. Die Persönlichkeitssphäre des Bürgers darf nicht den Rationalisierungsbemühungen von Staat und Wirtschaft und dem Informationsbedürfnis der Gesellschaft geopfert werden — und diese Gesetze tun das auch nicht! Den Liberalen geht es hier wie auf anderen Feldern darum, die Macht des Staates zu begrenzen.
Wir werden von diesem Ziel nicht abgehen.
Datenschutz, wie wir ihn wollen, ist kein Täterschutz. Wir möchten nicht — wie Herr Strauß uns jetzt in einem Interview unterstellt hat —, daß der Polizei verboten wird, verbrecherische Aktivitäten den zuständigen Diensten mitzuteilen. Es ist doch unsinnig, uns so etwas zu unterstellen! Wir wollen aber nicht, daß Personen, die nicht oder nicht hinreichend verdächtig sind, ohne ihr Zutun in Schwierigkeiten kommen oder einen Schaden erleiden. Datenverarbeitung muß präzise sein, sie muß auf dem neuesten Stand sein, sie muß kontrolliert sein, und es dürfen auch nicht Informationen mitgeschleppt werden, die längst überholt sind. All dies steht schon in den Richtlinien, die ich 1979 erlassen habe.
— Angewandt von Polizeien der Länder und Bundeskriminalamt, sehr verehrter Herr Kollege Ströbele! Machen Sie sich einmal sachkundig!
Für den Verfassungsschutz hat der Datenschutz eine besondere Relevanz, weil er nach seinem gesetzlichen Auftrag auch personenbezogene Daten sammelt und verwertet, die unter Umständen die Privatsphäre des Bürgers empfindlich treffen können. Hier sind neue Kontrollmöglichkeiten für den Datenschutzbeauftragten eingeräumt, und hier sind neue Regelungen für die Datenverarbeitung vorgesehen. Hier sind einengende Regelungen für die Weitergabe von Daten zwischen den Behörden und nach draußen vorgesehen.
Von besonderer Bedeutung ist die Begrenzung der sogenannten Amtshilfe zwischen dem nachrichtendienstlichen und dem polizeilichen Bereich.
Diese Bereiche sind nach unserer Verfassung getrennt und müssen getrennt bleiben. Das heißt natürlich auch, daß der Verfassungsschutz in diesem Bereich nur in Ausnahmefällen und in engen gesetzlichen Grenzen tätig ist. Herr Kollege Penner, es muß Amtshilfe geben — das wissen wir —, aber die Grenzen müssen so eng sein, daß das Verfassungsgebot nicht überschritten wird. Daran werden wir uns halten.
Die Umsetzung des Volkszählungsurteils ist nicht nur eine Aufgabe des Bundes. Sie ist eine Aufgabe der Bundesländer, auch im Bereich des Verfassungsschutzes. Das Land Hessen hat ein Verfassungsschutzgesetz aus dem Jahre 1951. Es ist im Jahre 1962 ein wenig novelliert worden. Keiner der Grundsätze, die wir jetzt erarbeitet haben, ist in Hessen überhaupt sichtbar. Es gibt keine Gesetzesvorlage, es gibt keine erkennbaren Aktivitäten. Und dann werden wir kritisiert, wenn wir die Grundsätze des Volkszählungsurteils für unser Verfassungsschutzamt umsetzen, und zwar ausgerechnet von Ländern, die den Auftrag, den ihnen das Verfassungsgericht erteilt hat, nicht erfüllen.
Das Land Nordrhein-Westfalen hat eine neuere Gesetzgebung. Kollegen von der SPD, insbesondere Kollege Schröder, ich würde Ihnen dringend raten, das einmal zu lesen; es ist ja hochinteressant. Sie müßten nämlich die Rede, die Sie heute gegen uns gehalten haben, in wesentlichen Teilen gegen Ihr eigenes Land richten.
Das ist ja eine merkwürdige Situation. Wir haben uns dieses Gesetz vorgenommen; wir haben es uns angesehen. In einigen Punkten sind wir sehr viel präziser als das Land Nordrhein-Westfalen mit einem neuen Verfassungsschutzgesetz, das vor einiger Zeit verabschiedet worden ist. Offenbar ist die Materie doch so schwierig, daß man nicht so ohne weiteres Pauschalurteile treffen kann, denn sonst hätte ja Herr Schnoor Mahnungen seines Datenschutzbeauftragten im letzten Bericht von 1985 bereits umgesetzt. Er hat es nicht getan, er konnte es wohl gar nicht tun.
Vorsicht, Sie sitzen in vielen Glashäusern, Herr Kollege Schröder.
Die Materie ist sehr schwierig.
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Baum— Ihre Emphase sollte sich doch in Grenzen halten, Herr Ströbele. So begeisternd ist die Materie nun wirklich nicht.
— Es ist wirklich schlimm, daß man hier schreien muß, um sich verständlich zu machen. Ich habe Ihnen auch zugehört.In den Stellungnahmen der Datenschutzbeauftragten, die wir bekommen haben — wir haben ja Herrn Baumann zu unseren Beratungen hinzugezogen —, sind Wünsche, allgemeine Zielvorstellungen enthalten. Das ist schön und gut. Wir haben oft gefragt: Wie würdet ihr das denn regeln? Allgemeine Zielvorstellungen haben wir auch. Es handelt sich um gesetzgeberisches Neuland. Sagt uns doch einmal präzise, wie wir das machen können! — Sie sind uns Antworten darauf schuldig geblieben, weil es eben so schwierig ist.Meine Damen und Herren, die Gesetze enthalten wichtige Verbesserungen des Datenschutzes. Es ist ein Unsinn, hier von Sicherheitsgesetzen zu reden.
Hauptbestandteil ist die Novellierung des Datenschutzgesetzes, des Grundgesetzes für den Datenschutz in der Bundesrepublik Deutschland für alle Bereiche des Staates und der Wirtschaft.
Das ist das Kernstück unserer durchgreifenden Reform. Ich halte es für unmöglich, das mit dem Begriff Sicherheitsgesetze abzuqualifizieren.
In dieser Woche hat der Bundesbeauftragte für den Datenschutz seinen Tätigkeitsbericht veröffentlicht. Die „Süddeutsche Zeitung" schreibt: Baumann sieht Fortschritte beim Datenschutz. — Es handelt sich um einen relativ positiven Bericht, meine Damen und Herren. Wir wollen uns nach diesem Bericht nicht beruhigt der Tagesordnung zuwenden.
Aber wir wollen mit allem Nachdruck zum Ausdruck bringen, daß nicht der geringste Anlaß zu der Annahme besteht, wir lebten in einem Überwachungsstaat, meine Damen und Herren.
Im Vergleich mit unseren westeuropäischen Nachbarn haben wir eines der fortschrittlichsten Datenschutzinstrumentarien, die es überhaupt gibt. Wir werden sie weiterentwickeln. Die Gesetze, über die wir heute beraten, sind ein Beitrag dazu.
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Es wird vorgeschlagen, den Gesetzentwurf auf Drucksache 10/4737 an den Innenausschuß — zur federführenden Beratung —, an den Rechtsausschuß, den Ausschuß für Wirtschaft, den Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung, den Ausschuß für Verkehr, den Ausschuß für das Post- und Fernmeldewesen, den Ausschuß für Forschung und Technologie, den Ausschuß für Bildung und Wissenschaft
— zur Mitberatung — sowie an den Haushaltsausschuß — zur Mitberatung und gemäß § 96 unserer Geschäftsordnung — zu überweisen. Gibt es dazu noch weitere Vorschläge? — Das ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Wir kommen jetzt zu dem Gesetzentwurf auf Drucksache 10/4738. Es wird vorgeschlagen, diesen Gesetzentwurf zur Federführung an den Innenausschuß und zur Mitberatung an den Rechtsausschuß, den Verteidigungsausschuß und den Haushaltsausschuß zu überweisen. Gibt es dazu noch weitere Vorschläge? — Das ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 21 auf:
Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit zu dem Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN
Qualifizierte selbsthilfeorientierte Entschuldung der Länder Afrikas südlich der Sahara
— Drucksachen 10/3160, 10/4033 — Berichterstatter:
Abgeordnete Bindig
Dr. Hüsch
Im Ältestenrat ist für die Aussprache ein Beitrag bis zu fünf Minuten für jede Fraktion vereinbart worden. Kann ich annehmen, daß das Haus damit einverstanden ist? — Kein Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Wünschen die Berichterstatter das Wort? — Das ist nicht der Fall.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Frau Abgeordnete Vollmer.
— Entschuldigung, das war noch aus der vergangenen Zeit.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich habe keine Probleme damit, mit der verehrten Kollegin verwechselt zu werden.Herr Bindig, geehrte Kollegen von der SPD, ich habe mich sehr über Ihr Verhalten in Sachen Entschuldungsprogramme für Afrika südlich der Sahara geärgert. Wir haben diesen Antrag, der heute debattiert wird, vor langer Zeit vorgelegt. Damals wurde mir aus Ihrer Fraktion signalisiert, daß Sie zustimmen könnten. Die Kollegen, die das getan haben, waren bei den Ausschußsitzungen nicht dabei. Sie haben sich persönlich hingestellt und stante pede eine Ablehnung dieses Antrags formuliert.
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15120 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 195. Sitzung. Bonn, Freitag, den 31. Januar 1986
VolmerEinen Monat später brachten Sie im Zusammenhang mit den Haushaltsberatungen einen ähnlichen Antrag ein, der in einem wesentlichen Punkt entschärft war. Statt der akkumulierten Prüfung, die wir vorschlagen, gingen Sie zurück auf das Prinzip der Einzelfallprüfung. Dem konnte ich nicht zustimmen. Daraus haben Sie mir im Verlauf der Diskussion einen Vorwurf gemacht. Nur: Wie können Sie von mir verlangen, Ihrem völlig verwässerten Entwurf zuzustimmen, nachdem Sie unseren längst vorliegenden Entwurf, zu dem Sie Zustimmung signalisiert hatten, letztlich dann doch abgelehnt haben?Meine Befürchtung, die ich damals hatte, daß es Ihnen um eine Verwässerung geht,
— Verwässerung, Herr Bindig —, ist weiterhin dadurch belegt worden, daß Sie Ihren eigenen Antrag durch einen Antrag in der dritten Lesung zum Haushalt aufgehoben haben. Da haben Sie die Entschuldung und den Fondsgedanken, um den es geht, nicht mehr positiv eingefordert, sondern Sie haben lediglich die Bundesregierung aufgefordert, diese Möglichkeit zu prüfen.Auch der Fonds bekam eine völlig andere Ausrichtung als bei uns vorgesehen. Es ging bei Ihnen nicht mehr darum, binnenorientierte, auf die Eigenversorgung ausgerichtete Sektoren der jeweiligen Volkswirtschaften zu stärken, die Sparquote in dem Lande anzureizen und zuzusehen, daß der erwirtschaftete Reichtum tatsächlich den Produzenten zugute kommt, sondern Sie wollten, daß mit diesem Fonds Wachstumsförderung und Strukturanpassung betrieben wird. Das ist ein Synonym für Weltmarktintegration. Von Ihnen wird also genau das Gegenteil von dem beabsichtigt, was wir in unserem Antrag, der heute zur Abstimmung vorliegt, verlangen.Zur Substanz unseres Antrags: Ich habe die Motivation und die Zielrichtung gerade genannt. Er hat einen weiteren Hintergrund: Bei der Verschuldungskrise wird sehr viel über die Schuldfrage debattiert. Unseres Erachtens liegt die Schuld primärbei den Banken und bei der öffentlichen Hand, die freigiebig Gelder gegeben haben, ohne vorzusehen, daß diese Gelder in einem sinnvollen Zusammenhang mit den im Süden bestehenden Volkswirtschaften stehen. Aber wir wollen auch anerkennen, daß sehr oft sehr korrupte Eliten in den Drittweltländern einen großen Anteil von Mitschuld tragen, und auch der soll berücksichtigt werden bei einer offensiven Lösung der Schuldenkrise im Sinne der armen und ärmsten Bevölkerungsschichten. Deshalb verlangen wir ja gerade, daß Gelder nicht einfach nur gestrichen werden, sondern sie sollen in einen Fonds eingezahlt werden, der wirklich der Masse der Bevölkerung zugute kommt.Wer diesem Fondsgedanken zustimmt, stimmt einem Modell zu, was auch zur Behandlung der großen Verschuldungskrise beispielgebend sein könnte. Die dort vorgelegten Pläne werden nicht funktionieren. Der Baker-Plan, der letztlich gar nicht als Entschuldungsinstrument, sondern als Instrument,um Drittweltländer auf Ewigkeit in Abhängigkeit zu halten, gedacht war, ist unter entwicklungspolitischen Gesichtspunkten längst gescheitert. Spätestens seit die Ölpreise gepurzelt sind, ist klar, daß über eine erhöhte Exportquote die Devisen überhaupt nicht hereingewirtschaftet werden können. Ein schwarzafrikanisches Land, das wir mit entschulden wollten, nämlich Liberia, ist vor wenigen Tagen für bankrott erklärt worden, weil es die Exportleistung auf Ölbasis nicht mehr erbringen konnte. Von daher finde ich, selbst die Ausnahmen, die wir bei der akkumulierten Prüfung zugestehen würden, sind nicht mehr alle gerechtfertigt. Bei Zaire, diesem korrupten Regime, was von der HannsSeidel-Stiftung gestützt wird,
würde ich zustimmen; aber schon bei Liberia war ich immer sehr skeptisch. Und meine Skepsis ist jetzt bestätigt worden.Stimmen Sie diesem Antrag zu! Sie haben die Möglichkeit. Dann erübrigt es sich, über Ihren verwaschenen Antrag nächste Woche noch länger zu reden.Danke.
Meine -Damen und Herren, das Wort hat der Herr Abgeordnete Repnik.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir alle kennen die schwierige Finanzsituation vieler Entwicklungsländer, insbesondere auch in Afrika, und wissen auch, daß der IWF, die Weltbank, aber auch die Bundesregierung in den vergangenen Monaten und Jahren in vielen Einzelfällen dieser Herausforderung gerecht geworden sind. Auch die Stärkung der NROs, die in diesem Antrag angesprochen ist, hat nicht nur unsere Sympathie, sondern ist Bestandteil unserer entwicklungspolitischen Arbeit.Der Vorschlag Ihrer Fraktion, Herr Volmer, widerspricht aber nicht nur finanzpolitisch aller bisherigen Erfahrung, sondern ist auch entwicklungspolitisch wenig durchdacht, weshalb wir ihn auch ablehnen müssen. Ich möchte die Gründe dafür kurz erläutern. Ihr Antrag ignoriert wichtige Ergebnisse der entwicklungspolitischen Diskussion der vergangenen Jahre.Einige wenige Beispiele: Wir haben gelernt, daß wir niemals genug differenzieren können, wenn wir der Situation in den Entwicklungsländern wirklich gerecht werden wollen. Das ist übrigens ein Ergebnis, das wir gestern abend einvernehmlich bei unserer Diskussion mit dem Herrn Bundespräsidenten hatten. Sie hingegen werfen in diesem Antrag alle Länder in einen Topf, Mauretanien genauso wie Zaire, oder Nigeria in denselben Topf wie Burundi. Die großen Schuldenmacher würden bevorzugt; aber die Länder, die sich um seriöse Staatsfinanzen bemüht haben, würden leer ausgehen. Ich frage in allem Ernst die Fraktion der GRÜNEN, ob dies die neue grüne Definition für Gerechtigkeit ist.
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 195. Sitzung. Bonn, Freitag, den 31. Januar 1986 15121
RepnikWir haben auch gelernt, daß wir Krisen nur dannüberwinden, wenn wir bei den Ursachen ansetzen. Ursachen für Verschuldung sind oft falsche Währungspreise und Marktpolitik, überbewertete Wechselkurse, Luxusimporte, unausgelastete Großprojekte, einseitige Exportstruktur sowie Haushaltsdefizite und ihre Deckung durch die Notenpresse mit nachhaltiger inflationärer Entwicklung, Kapitalflucht und dergleichen mehr. Ein pauschaler Schuldenerlaß, wie hier gefordert, verändert an diesen Krisenursachen gar nichts, wahrscheinlich würde er überfällige Korrekturen sogar verzögern.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Volmer?
Nein danke, ich möchte die kurze Zeit, die mir noch bleibt, nutzen, um dies im Zusammenhang vorzutragen.
Wir haben auch gelernt, daß monokausale Erklärungsmodelle zu einer völlig schiefen Analyse und daher zu falschen Maßnahmen führen. Aber genau dies, Herr Kollege Volmer, führen Sie uns jetzt wieder vor.
Dieser Antrag sorgt auch nicht dafür, daß die Ressourcen der Masse der Bevölkerung zugute kommen. Dieses Modell ist untauglich. Sie wollen einen Gegenwertmittel-Fonds aus lokaler Währung aufbauen. Was machen Sie, wenn die Regierung des Entwicklungslandes nach bewährter Manier — es
gibt viele Beispiele — dazu die Notenpresse in Gang setzt? Dann ist der Fonds noch schneller durch die Inflation entwertet. Was machen Sie, wenn die Regierung den Wert des Fonds nach dem offiziellen, aber völlig unrealistischen Wechselkurs berechnet? Auch dann haben Sie real wenig für Ihre geplanten Projekte in der Kasse. Der Staat hingegen könnte noch einmal eine enorme Budgethilfe einnehmen.
Wie wollen Sie überhaupt diesen Fonds kontrollieren? Herr Volmer, glauben Sie nicht, daß die gleiche Fehlleitung der Mittel und die gleiche Korruption aufträte wie bei anderen Kapitaltransfers auch? Auch hier haben wir Erfahrungswerte. Oder wollen Sie die Regierungen vielleicht vorher erst entmündigen? Sie wollen mit der lokalen Finanzmasse, sofern überhaupt eine entsteht, Selbsthilfeaktivitäten von Nichtregierungsorganisationen fördern. Aber was bedeutet das in der heutigen afrikanischen Realität? Sehen Sie nicht, daß Sie dadurch die Nichtregierungsorganisationen, die wir stützen und stärken wollen, zu Bittstellern bei ihren Regierungen machen? Merken Sie nicht, daß Sie damit der Regierung eine weitere Möglichkeit in die Hand geben, die Bevölkerung zu steuern und zu gängeln?
Ist das Ihre Definition einer Entwicklung von unten — die wir befürworten —? Glauben Sie wirklich, daß so Selbsthilfe und authentische- Entwicklung zustande kommen? Wir jedenfalls haben in den vergangenen Jahren da ganz andere Erfahrungen gemacht.
Zum Abschluß. Sie, die GRÜNEN, wollten und wollen mit diesem Antrag ein Signal geben. Das wollen auch wir; aber keines, das in die Sackgasse hineinführt, sondern eines, das jedes Land auf seinem eigenen bestmöglichen individuellen Weg aus der Katastrophe herausführt.
Herzlichen Dank.
Das Wort hat der Abgeordnete Bindig.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Verschuldung der Entwicklungsländer ist nicht nur ein ernstes Problem, sondern eines der ernstesten Probleme der Entwicklungszusammenarbeit.Die Entwicklungsländer stecken in einer Schuldenfalle. Sie suchen nach Auswegen aus dieser Schuldenfalle. Es ist nur richtig und sinnvoll, wenn auch entwicklungspolitisch engagierte Politiker in den Industrieländern nach Wegen suchen, um den Entwicklungsländern hier zu helfen.
Die Entwicklungsländer sind es leid, ihre ganzen Volkswirtschaften auf Zins- und Tilgungszahlungen für überdimensionale Auslandsschulden auszurichten und insbesondere hohe Zinsen dafür zu zahlen, daß in den Industrieländern das Wettrüsten stattfindet und deshalb die Zinsen so hoch sind.Die gesamte Auslandsverschuldung der Entwicklungsländer liegt bei 950 Milliarden US-Dollar. Die Schuldendienstquote, d. h. das Verhältnis von Schuldendienst zu Exporterlösen, beträgt in einigen Ländern bereits 50%. In Afrika liegt es bei 25%. Das führt dazu, daß die Dritte Welt den Industrieländern jetzt bald „Entwicklungshilfe" leistet. Die verschuldeten Entwicklungsländer haben 1984 nach Angaben der Weltbank erstmals per saldo einen Negativtransfer ausgewiesen, d. h. sie haben den Gläubigern 7 Milliarden DM mehr zurückgezahlt, als sie an Finanzhilfen erhalten haben. Auch bei der bilateralen Zusammenarbeit mit einigen Ländern in Afrika ist bereits die Situation erreicht, daß die Entwicklungsländer 40 %, 50 %, ja bis 97 % von dem, was sie aus der Entwicklungspolitik erhalten, an Zinsen- und Schuldendienst zurückzahlen.Es war deshalb gut und richtig, daß seit 1978 die Bundesrepublik Deutschland für die ärmsten Entwicklungsländer Schuldenerlaß gewährt. Trotzdem: Die Zahlungen aus den Entwicklungsländern an die Bundesrepublik Deutschland steigen. Sie haben jetzt 1,2 Milliarden DM an Zinsen und Tilgungen erreicht und werden weiter ansteigen. Das bedeutet letztlich, daß die Entwicklungsländer den Bundeshaushalt sanieren.Die Frage ist, ob man bei dieser Situation mit pauschalen Erlassen etwas voranbringen kann. Hier ist es einfach so — ich kann die Argumente, die auch anderweitig vorgetragen worden sind, nur
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15122 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 195. Sitzung. Bonn, Freitag, den 31. Januar 1986
Bindignoch einmal unterstützen —: Wenn man es pauschal tut — und in Ihrem Antrag steht, daß alle Entwicklungsländer Afrikas südlich der Sahara die Schulden erlassen bekommen sollen —, schert man Dinge über einen Kamm, die nicht zusammengewürfelt werden können.Darunter sind OPEC-Länder, die am Öl verdienen,
und Systeme, die dafür bekannt sind, daß sie großes Geld mit der Korruption verbrauchen. Man muß erreichen, daß differenzierte Lösungen mit Einzelfallgesichtspunkten angestrebt werden.Wir haben deshalb gefordert, daß die Bundesregierung dem Bundestag bis April 1986 Lösungsvorschläge unterbreitet, wie die Tilgungs- und Zinsrückflüsse aus der bilateralen finanziellen Zusammenarbeit neu verwaltet werden können. Wir denken hier an zwei Wege. Der eine Weg ist, einen deutschen Entwicklungsfonds bei der Kreditanstalt für Wiederaufbau einzurichten. Der andere Weg — das deckt sich mit Ihrer Idee — ist die Schaffung eines nationalen revolvierenden Entwicklungsfonds in geeigneten Entwicklungsländern. Hier kommt es auf den Wortlaut an: in geeigneten Entwicklungsländern. — Es muß mit den Ländern verhandelt werden, ob sie bereit sind, einen Fonds einzurichten, in dem dann grundbedürfnisorientierte Projekte, selbsthilfeorientierte Projekte oder auch wirtschaftliche Strukturanpassungen gefördert werden.
Leider haben Sie es im Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit versäumt, als wir die Möglichkeit hatten, das in das Haushaltsgesetz hineinzuschreiben, hier mit uns zu stimmen. In einer lichten Minute hat die FDP mit uns gestimmt, so daß die Möglichkeit bestand, mit Ihnen eine Mehrheit zu erreichen.
Zusammengefaßt: Wir wenden uns gegen die Pauschalität in Ihrem Antrag, und wir wenden uns gegen die Singularität bzw. Starrheit Ihres Weges. Die Grundidee verfolgen auch wir. Wir müssen wegen des genauen Wortlautes Ihren Antrag ablehnen. Die zugrunde liegende Idee werden aber auch wir weiterverfolgen.
Jetzt kommt Herr Dr. Rumpf. Sie haben das Wort, bitte.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die FDP betrachtet die zunehmende Verschuldung und die steigende Schuldendienstleistung der Entwicklungsländer mit großer Sorge. Es ist eine Entwicklung, die sich nicht auf afrikanische Länder beschränkt. Deshalb ist Ihr Antrag von denI GRÜNEN schon vom Ansatz her falsch und einseitig; denn er beschränkt sich auf Afrika.
Wir sehen auch, daß sich die Problematik in den Ländern südlich der Sahara besonders stark auswirkt. Die Schuldendienstquote, die Herr Bindig schon nannte, ist in den Ländern südlich der Sahara sogar auf 30 % gestiegen. Sicher sind die Volkswirtschaften einzelner Staaten in dieser Region, verglichen mit Entwicklungsländern in Asien oder Lateinamerika, besonders schwach. Die Schuldenlast ist in Afrika demnach wesentlich fühlbarer als in den großen Schuldendienstländern Lateinamerikas. Dennoch könnte man Haiti oder andere kleine Staaten außerhalb Afrikas aufzählen, deren Situation zumindest vergleichbar mit der in Ländern südlich der Sahara ist.
Aber wir Freien Demokraten sehen darin nicht nur ein Problem der betroffenen Länder, sondern eine Belastung des gesamten Nord-Süd-Verhältnisses. Wir haben deshalb die Bundesregierung unterstützt, als sie die Schulden für 23 der ärmsten Länder erlassen und damit auf 4 Milliarden DM Rückflüsse verzichtet hat. Hierbei hat die Bundesregierung bewußt eine regionale Differenzierung vermieden. Das war unserer Ansicht nach auch wichtig. Es muß für jedes Entwicklungsland — das wurde schon gesagt — eine Einzelfallösung geben, wobei die wirtschaftliche Gesamtlage und die Verschuldungsproblematik individuell durchleuchtet und beurteilt wird. Die Entscheidung fällt also nicht — wie die GRÜNEN es fordern — westlich eines Meridians, sondern die Entschuldung wird sehr genau und gezielt entschieden. So sind in Afrika bisher 19 Länder betroffen. Die anderen liegen in Lateinamerika und in Asien. Es muß außerdem betont werden, daß weitere fünf Länder Afrikas südlich der Sahara von vornherein die finanziellen Zuwendungen als nicht rückzahlbare Zuschüsse erhalten.Ein einseitiger Schuldenerlaß durch die Bundesrepublik würde im übrigen das Problem in keiner Weise lösen. Bei der Gesamtverschuldung der Subsahelzone von 140 Milliarden DM Ende 1984 würden weitere 5 Milliarden DM Erlaß nichts mehr bewirken, als daß andere Gläubiger begünstigt werden.
Die Entscheidungen sollten wie bisher koordiniert im Pariser Club unter dem Grundsatz der Gleichbehandlung aller Gläubiger behandelt werden.Ich möchte zum Schluß aber auch für die FDP-Fraktion eindeutig feststellen, daß wir der Selbsthilfeförderung durch die Bildung eines Fonds sehr positiv gegenüberstehen. Diese Fonds müssen aber in einer ganz bestimmten Weise wirksam werden. Dabei ist es fraglich, ob unbedingt diejenigen Länder wieder in gleichem Umfang davon profitieren
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Dr. Rumpfkönnen, in einem Umfang, der ihrer Rückzahlung an Zinsen und Tilgung entspricht.
Dies würde vorhandene Strukturen verhärten und verewigen, anstatt sie zu durchbrechen. Darüber muß also sorgfältig nachgedacht werden. Nur eines scheint sicher zu sein: Daß Entwicklungsländer eines Tages mehr an uns zurückzahlen, als sie an Entwicklungshilfe insgesamt von uns bekommen, ist politisch nicht durchhaltbar.Die FDP fordert daher die Bundesregierung auf, möglichst bald Konzepte vorzulegen, die diskutiert werden können. Den Antrag der GRÜNEN lehnen wir aber ab.
Das Wort hat der Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Angesichts des Antrags der Fraktion DIE GRÜNEN ist man versucht zu sagen: Wenn man's so hört, mag's leidlich klingen. Aber beim zweiten Blick zeigt sich der Pferdefuß.
Die erste Frage: Ist das, was die GRÜNEN beantragen, von den begünstigten Ländern überhaupt gewollt? Antwort: Nein. Die Organisation für afrikanische Einheit hat durch ihre Staats- und Regierungschefs im letzten Sommer erklärt — wörtliches Zitat —:
Wir erkennen an, daß es sich bei den Auslandsschulden um Verpflichtungen handelt, die unsere Mitgliedsstaaten einzeln eingegangen sind und die sie erfüllen müssen.
Zweite Frage: Ist es gegen den erklärten Willen der hier Begünstigten dennoch hilfreich? Ich kann nur feststellen: Der Schuldenerlaß gegenüber den ärmsten Entwicklungsländern hat nicht entscheidend dazu beigetragen, ihre Notlage zu bessern.
Ich gehe einen Schritt weiter. Die Länder in der Organisation für afrikanische Einheit haben diese Erklärung, die ich eben zitiert habe, nicht umsonst abgegeben. Es kann im Einzelfall sogar schaden, eine solche Maßnahme durchzuführen. Es kann den Ländern schaden, die sich — bewußt und gewollt — darum bemühen, ihre internationale Kreditwürdigkeit durch Bedienung ihrer Schulden aufrechtzuerhalten, und da sind durchaus — und ich hoffe, das wird Erfolg haben — Länder in dem von Ihnen genannten Kreis dabei, jetzt mit der Weltbank solche Regelungen durchzuführen. Daß wir hier Elfenbeinküste, Liberia, Senegal und Zaire oder selbst Länder wie Gabun und Nigeria in einen Topf werfen mit Ländern, die zu den ärmsten gehören, das geht nicht. Das ist ein grundlegendes Mißverständnis der Selbsthilfe. Hilfe zur Selbsthilfe auf staatlichem Gebiet kann nur heißen, einem Lande zu helfen, seine Herausforderungen zu bewältigen, nicht, ihm diese Herausforderungen abzunehmen.
Ich bestreite gar nicht, daß die Geberländer hier noch weitere Beiträge zur Lösung eines Problems erbringen müssen, das in der Tat in gewissen Einzelfällen auch zu überhöhten Rückzahlungen geführt hat. Nur, Herr Kollege Bindig, was Sie hier behauptet haben, daß der Bundeshaushalt durch die Entwicklungsländer saniert werde,
das ist schlicht und einfach absurd.
— Hören Sie mal zu! Die Zahlen kennen Sie offensichtlich nicht. Ich rechne damit — es sind Schätzungen —, daß wir in diesem Jahr, 1986, die Rekordhöhe von 10 Milliarden DM an Zahlungen aus Bundesmitteln an die Entwicklungsländer knapp erreichen werden. Dem stehen Rückzahlungen aus den Entwicklungsländern auf Darlehen in der Größenordnung von 900 Millionen DM gegenüber. Das wird eine staatliche Entwicklungshilfe geben, eine international anrechenbare ODA-Quote in der Größenordnung von insgesamt 9 Milliarden DM.
Das ist eine Rekordleistung, die wir aufgestellt haben.
— Ich bedaure, daß ich wegen der Kürze der Zeit Zwischenfragen nicht zulassen kann.
— Sie können nicht unterscheiden zwischen Rückzahlungen und Zinsen. Das erkläre ich Ihnen ein andermal, Herr Kollege Bindig.
Meine Damen und Herren, das ist der Grund, weshalb wir der Meinung sind, wir sollten — sorgfältig vorbereitet — Eigenanstrengungen der Entwicklungsländer, Eigenanstrengungen der gesellschaftlichen Gruppen fördern, und da mangelt es in der Tat nicht an zusätzlichem Kapital. Dort, wo erfolgversprechende Ansätze vorhanden sind, steht das Geld auch heute bereit. So helfen wir etwa nomadischen Viehzüchtern in Kenia mit einem Fonds, der aus Erlösen aus dem Verkauf von Nahrungsmittelhilfe gebildet ist. Ich versichere Ihnen, auch zukünftig wird es nicht an deutscher Unterstützung für Selbsthilfeaktionen fehlen.
Diesen Antrag, der eher geeignet ist, negative Auswirkungen zu haben, bitte ich abzulehnen.
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.Wir kommen zur Abstimmung. Der Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit empfiehlt auf Drucksache 10/4033, den Antrag der Fraktion
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Vizepräsident WestphalDIE GRÜNEN auf Drucksache 10/3160 abzulehnen. Wer dieser Beschlußempfehlung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Dann ist die Beschlußempfehlung des Ausschusses mit großer Mehrheit angenommen.Ich rufe den Punkt 22 der Tagesordnung auf:Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuches und des Gesetzes über die Verbreitung jugendgefährdender Schriften— Drucksache 10/4682 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Rechtsausschuß
Ausschuß für Jugend, Familie und GesundheitMeine Damen und Herren, im Ältestenrat ist für die Aussprache ein Beitrag bis zu fünf Minuten für jede Fraktion vereinbart worden. — Dazu sehe ich keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.Wird das Wort zur Begründung gewünscht? — Das ist nicht der Fall.Dann eröffne ich die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Seesing.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Gesetzentwurf des Bundesrates, den wir mit dieser ersten Lesung in die Beratung der Ausschüsse einführen wollen, hat die Verbesserung des Schutzes der Jugend zum Ziel. Es geht inhaltlich darum, den Zugang zu pornographischen Produkten zu erschweren. Wie kommen wir dazu, das tun zu wollen, wenn die Freiheit das Prinzip unseres Grundgesetzes ist?
Ich glaube, die meisten Bürger unseres Landes teilen meine Auffassung, daß die Freiheit des Individuums Vorrang vor der Freiheit von Gruppen oder Vereinigungen hat. Diese sollen seiner Freiheit dienen. Wenn wir Freiheit so hoch achten, warum dann Einschränkungen der Freiheitsäußerungen einzelner Bürger, z. B. der Freiheit, sich der Pornographie zur subjektiven Steigerung der persönlichen Lebensqualität zu bedienen? Das Recht der Selbstinformation und die Freiheit, möglichst alle Dinge dieser Welt in Anspruch nehmen zu können, sind zwar hoch einzuschätzen. Es muß aber auch die Freiheit anderer gefördert werden, die in ihrer Urteilsfähigkeit noch nicht so weit gediehen sind. Ich denke an Kinder und Jugendliche. Es hat sich gezeigt, daß diese Menschen durch Pornographie Schaden nehmen können.
Der Staat muß diese Form der Freiheit, nämlich vor möglichen negativen Einflüssen freizubleiben, ebenso schützen wie die Freiheit anderer. Der Gesetzgeber hat also zu prüfen, ob er durch ein Gesetz die Freiheitsrechte der pornographiebedürftigen Bürger einschränken muß, um Kinder und Jugendliche zu schützen. Nach meiner Auffassung ist das notwendig und auch Rechtens, wenn die Freiheit anderer nur eingeschränkt, aber nicht aufgehoben wird.
Im Rahmen der Beratungen des Gesetzes zur Neuregelung des Jugendschutzes in der Offentlichkeit haben wir den § 184 des Strafgesetzbuches geändert. Ursprünglich sah die Neuregelung ein generelles Vermietungsverbot vor. Aus verfassungsrechtlichen Bedenken, die in der Anhörung des Ausschusses für Jugend, Familie und Gesundheit am 27. Juni 1984 von einigen Sachverständigen vorgebracht worden waren, wurde zunächst auf eine Ausweitung des § 184 in dem angesprochenen Sinne verzichtet.
Nun scheint die bisherige Lösung des Problems in diesem Bereich nicht auszureichen, wie uns aus den Ländern berichtet wird. Auf jeden Fall konnte wohl der Schutz vor den massenhaft umlaufenden Miet-Videokassetten nicht verbessert werden. Deswegen schlägt der Bundesrat u. a. vor, die gewerbliche Vermietung pornographischer Schriften über die bestehende Regelung hinaus generell zu untersagen.
Ich persönlich sehe ebenfalls einen Handlungsbedarf des Gesetzgebers, bin aber dennoch der Auffassung, daß wir uns zunächst im Rechtsausschuß umfassend darüber informieren lassen sollten, welche Auswirkungen die Gesetzgebung vom 25. Februar 1985 bundesweit wirklich gehabt hat.
Auf jeden Fall wollen wir den Schutz von Kindern und Jugendlichen sichergestellt wissen.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. de With.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die SPD hat den Jugendschutz stets sehr ernst genommen. Sie hat sich aber immer dagegen gewehrt, daß die Obrigkeit bestimmt, was der mündige Bürger zu lesen hat oder was er anschauen darf. Dabei soll es bleiben.
Es gab Ende der 60er Jahre einen riesigen unkontrollierbaren grauen Markt aller möglichen Darstellungen und Schriften pornographischen Inhalts. Die 1973 durchgeführte Strafrechtsreform hat Abhilfe gebracht, ohne — ohne, sage ich — daß die Freiheit des mündigen Bürgers unziemlich eingeschränkt worden wäre.Als nun in den letzten Jahren die Videoflut ähnlichen Inhalts überhandzunehmen drohte, änderte der Bundestag mit Recht, mit unseren Stimmen, die entsprechenden Vorschriften. Diese traten am 1. April 1985 in Kraft. Es ist also noch nicht einmal ein Jahr her. Seitdem kann die Bundesprüfstelle für Jugendgefährdende Schriften angemessen zugreifen. Wesentliche Schwierigkeiten sind nicht bekanntgeworden. Auch die Bundesprüfstelle, Herr
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Dr. de WithSeesing, ruft nicht nach weitergehenden Bestimmungen.Heute gelten — um das einmal zu sagen — folgende Grundsätze:Erstens. Harte Pornographie, also solche in Verbindung mit Gewalt, Kindern oder Tieren, ist strafrechtlich ohne Ausnahme verboten.
Zweitens. Strafrechtlich gibt es einen absoluten Schutz für Personen unter 18 Jahren vor Pornographie. Dazu gehören auch Videofilme.Drittens. Niemand darf gegen seinen Willen mit Pornographie konfrontiert werden. Deshalb ist der Versandhandel ebenso verboten wie der Verkauf an Kiosken oder anderen Verkaufsstellen, die der Kunde nicht zu betreten pflegt. Deswegen können ferner pornographische Produkte an Erwachsene in allgemein zugänglichen Läden nur unter dem Ladentisch oder in Läden verkauft werden, die der Jugendliche nicht betreten kann. Gewerbliche Leihbüchereien oder Lesezirkel dürfen Pornographie nicht anbieten oder überlassen. Pornovideos dürfen an Erwachsene nur in Läden verkauft oder vermietet werden, die Jugendliche nicht betreten können.— Das, denke ich, ist eine ganze Menge.Durch die neuen Vorschriften des Bundesrates — sie sind von Bayern initiiert, und Bayern ist nicht einmal vertreten —
— das richtete sich an den Bundesrat, Herr Stücklen — gibt es folgende Änderungen — und das muß man genau wissen —: Erstens. Das gewerbliche Vermieten soll ohne Ausnahme verboten werden. Zweitens. Der Verkauf soll auf Läden beschränkt werden, die für Jugendliche unzugänglich sind. Wir wollen uns ausmalen, was das bedeutet. Das bedeutet, daß die Beate-Uhse-Läden und die Dr.-MüllersSex-Shops
größeren Zulauf erhalten werden, weil nur dort die einschlägige Literatur und die bekannten Videos verkauft werden dürfen. Videos sind, wie wir wissen, teuer. Es muß deshalb mit Sicherheit damit gerechnet werden, daß in Zukunft Pornovideos in unübersehbarer Weise abgekupfert und heimlich verkauft oder vermietet werden. Der Markt wird grau oder, besser gesagt, Herr Dregger, schwarz, schwarz wie er einmal war, und damit wieder unkontrollierbar.Meine sehr verehrten Damen und Herren, wer mit dem Spaten auf einen Eiterherd losschlägt, der muß sich nicht wundern, daß er dabei ganze Körperteile infizieren kann.Die Bundesregierung hat erfreulicherweise eine sehr zurückhaltende und sehr vorsichtige Stellungnahme abgegeben. Herr Seesing war weniger zurückhaltend. Ich hoffe, daß wir sehr sorgfältig prüfen, ehe wir handeln.Lassen Sie mich aber noch einen Blick auf die Statistik werfen. 1984 entfielen bei 791 Indizierungsanträgen 75% auf Videos, 1985, also im Jahr der Videonovelle, bei 756 Anträgen nur noch 58. Das heißt, die Videonovelle hat gegriffen. 1984 wurden 79 Produkte wegen pornographischen Gehalts und 254, also das Dreifache, wegen Verherrlichung und Verharmlosung von Gewalt eingezogen. 1985 lauteten die entsprechenden Zahlen: 66 Pornofälle und 240 Gewaltprodukte. Das heißt, die Verharmlosung und Verherrlichung von Gewalt werden in der öffentlichen Meinung eher verharmlost, und in der Praxis wird schamlos verkauft.Schließlich ein Weiteres, was wenig bekannt ist: Die Bundesprüfstelle hat 1984 in 23 Fällen wegen der Diskriminierung von Frauen eingreifen müssen. 1985 waren es schon 40 Fälle. Auch dieser Zahlenvergleich sollte aufhorchen lassen.Im übrigen noch ein Hinweis: Warum wurden der Bundesprüfstelle ab 1. Januar 1986 fünf Leute abgezogen? Sie hat genausoviel zu tun wie vordem. Und das unter der Regierung von CDU/CSU und FDP.Zum Schluß: Wir werden wachsam sein und sorgfältig prüfen. Wir werden aber auch dafür Sorge tragen, daß nicht das ohne Not zurückgenommen wird, was allein dem mündigen Bürger entspricht. Und wir werden Entwicklungen nicht hinnehmen, die Gewalttätigkeiten und Diskriminierungen fördern.Vielen Dank.
Das Wort hat der Abgeordnete Beckmann.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ziel liberaler Rechtspolitik war es immer — und wird es in Zukunft auch immer bleiben —, Reformvorhaben und die damit verbundenen Regelungen insbesondere im strafrechtlichen Bereich nur am äußerst Notwendigen zu orientieren. Zudem wollen wir die rechtlichen Regelungen im Interesse der Anwender nicht ausschließlich im staatlichen, sondern vor allen Dingen im häufiger betroffenen privaten Bereich so knapp und einfach wie möglich halten. Es ist also letztlich das Ziel liberaler Rechtspolitik, den Freiheitsraum des Bürgers zu erhalten und ihm die Ausübung seiner verfassungsrechtlich garantierten Rechte zu sichern.
Diese Ziele werden in dem vorgelegten Entwurf nach meiner Auffassung nicht in vollem Umfang gewahrt. Ich will es gerne begründen. Zunächst ein Wort zu den angeblichen dringenden Regelungsnotwendigkeiten, die für den zu beratenden Gesetzentwurf vom Bundesrat reklamiert werden.Vor noch nicht einmal einem Jahr hat sich der Bundestag mit der vorliegenden Problematik befaßt und sein Votum hierzu mit großer Mehrheit abgegeben. Die Druckerschwärze im Bundesgesetzblatt ist noch nicht ganz trocken, und schon wieder steht
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Beckmanndas Thema auf der Tagesordnung. Erneut sollen wir uns mit dieser Thematik beschäftigen und, ohne auch nur in etwa zu wissen, wie sich die letzte Reform in der Praxis ausgewirkt, ob sie sich bewährt hat, Nachbesserungen vornehmen.Ich glaube, wir sollten uns im Ausschuß zunächst einmal erklären lassen, wo denn nun eigentlich die Regelungslücke und der Regelungsbedarf für die angestrebten Änderungen liegen
und wo vor allen Dingen die faktische Notwendigkeit liegt, nach so kurzer Zeit erneut gesetzgeberisch tätig zu werden.
Man könnte zudem auch die Auffassung vertreten, daß der Jugendschutz hier nur ein vorgeschobener, wenn nicht gar konstruierter Schutzzweck ist, den die angestrebte Änderung erfüllen soll. Es könnte vielmehr so sein, daß hier durch die Hintertür ganz andere, eher moralisierende Gedanken ins Spiel gebracht werden sollen, die in ihrer Festschreibung dem widersprächen, was wir als Liberale als eines der höchsten Güter unserer freiheitlichen Grundordnung ansehen: das Selbstbestimmungsrecht des einzelnen Bürgers.Wir sind der Meinung, daß die Eltern sehr wohl selbst entscheiden können, wie sie — natürlich im Rahmen der geltenden gesetzlichen Grenzen — den Jugendschutz innerhalb ihrer eigenen vier Wände verwirklichen können. Wir sind ganz und gar nicht der Ansicht, daß sich der Staat noch viel mehr als bisher in diesen Bereich hineindrängen sollte. Wir können auch nicht zulassen, daß der Staat noch mehr als bisher bereits in das Erziehungsrecht der Eltern eingreift und so tut, als wenn diese nicht in der Lage wären, zu Hause aktiven Jugendschutz selbst auszuüben.Ich bin der Ansicht, daß es Aufgabe der Eltern ist, Mißbrauch mit Gewalt-Videos und pornographischen Darstellungen zu verhindern. Mit gesetzlichen Vorschriften kann man zwar erreichen, daß den Kindern und Jugendlichen der Kauf und das Anmieten von bestimmten, für sie ungeeigneten Filmen untersagt wird. Für den häuslichen, den privaten Bereich einer Familie ist und bleibt aber das Elternrecht entscheidend. Die Möglichkeiten des gesetzlichen Jugendschutzes müssen an der Wohnungstür des einzelnen Bürgers, dort, wo die frei bestimmte Privatsphäre beginnt, enden.Ich will nicht der totalen Selbstbestimmung der Erziehungsberechtigten das Wort reden. Die gibt es sowieso nicht mehr. Aber ich glaube nicht, daß wir mit der vorgesehenen Verschärfung der Rechtslage das erreichen können, was wir angesichts der rasanten Fortentwicklung unserer Informations- und Mediengesellschaft unbedingt erreichen müssen, nämlich den selbstverantwortlichen Umgang mit diesen Medien, den selbstverständlichen und selbstverantwortlichen Umgang mit den zur Verfügung stehenden technischen Möglichkeiten. Strafrechtliche Verbote oder sonstige staatliche Bevormundung ersetzen nicht Elternverantwortung und Elternmitarbeit. Sie erreichen -- dafür spricht alle Erfahrung — eher das Gegenteil.Wir sollten also nicht vergessen, daß die besten Gesetze nicht helfen, wenn nicht gleichzeitig Eltern und politisch Verantwortliche an einem Strick ziehen und sich gegenseitig darin unterstützen, einen familiengerechten Jugendschutz zu verwirklichen. Dazu gehört vor allem, daß die Öffentlichkeit mit pädagogischen und psychologischen Maßnahmen zu einem sinnvollen Umgang mit dem Video angeleitet wird. Dazu gehört aber auch, daß die Offentlichkeit über den Jugendmedienschutz aufgeklärt wird, daß die Kontrollmöglichkeiten der Ordnungs- und Polizeibehörden ausgebaut werden und auch die Strafverfolgung nach dem jetzt geltenden neuen Jugendschutzgesetz intensiviert wird. Erst wenn diese Maßnahmen alle versagt haben, scheint es mir angebracht zu sein, über neue rechtliche Schritte nachzudenken. Bis dahin ist jeder Bürger in unserem Lande aufgefordert, mitzuhelfen, daß unsere Kinder und Jugendlichen den ihnen gesetzlich garantierten Schutz erfahren und die Beeinträchtigung Jugendlicher durch gewaltverherrlichende Videos und andere schwer jugendgefährdende Darstellungen verhindert wird.Lassen Sie mich zum Schluß noch eines hinzufügen: Wir wollen an dem Grundsatz festhalten, der im Strafrecht bisher immer gegolten und auch hier im Parlament unser Handeln bestimmt hat. Das Eingreifen mittels einer Strafvorschrift muß die Ultima ratio staatlichen Handelns sein.
Wir sind der Auffassung, daß repressive Maßnahmen der Rechts- und Kriminalpolitik nur dort eingesetzt werden dürfen, wo sie als letztes, äußerstes Mittel unumgänglich sind.So wollen wir es auch diesmal beim Jugendschutz halten. Meine Damen und Herren, das Verbrechen ist zu bestrafen, nicht Sünde oder Unmoral. In diesem Sinne wollen wir im Rechtsausschuß beraten.Ich bedanke mich.
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Wagner.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir sprechen hier über ein Gesetz, das die Verbesserung des Schutzes der Jugend vor pornographischen und sonstigen jugendgefährdenden Erzeugnissen — insbesondere vor der zunehmenden Verbreitung jugendgefährdender Videofilme — zum Ziel hat: Ich habe mir Gedanken darüber gemacht, was jugendgefährdende Schriften und Videofilme eigentlich sind. Ganz spontan tauchten da bei mir — so geht's wohl jedem — Pornohefte und Horrorvideos auf.Doch diese Woche habe ich mir die Schallplatte „Jeanny" von dem Sänger Falco angehört und den dazugehörigen Video-Clip angesehen, und das fiel mir dann als zweites dazu ein. Das, was ich da nämlich gesehen und gehört habe, fand ich nicht nur
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Frau Wagnerjugendgefährdend, sondern ich fand es auch ungeheuerlich und verantwortungslos.In diesem Film wird ein Sexualmord angedeutet. Ich will Ihnen ein paar Kostproben dieses Songs, der inzwischen mehr als 500 000 Mal verkauft worden ist, und meine Beurteilung gleich dazu geben. Ein Zitat aus dem Song: „Und du hast gesagt: ,Mach mich nicht an. Aber du warst durchschaut. Augen sahen mehr als Worte." Dazu die filmische Szene, die eine Frau vor dem Spiegel einer öffentlichen Toilette zeigt. Ein Schatten mit Hut wird sichtbar. Sie dreht sich um und sagt: „Mach' mich nicht an", schrickt zurück, versucht, sich auf dem Boden in eine Ecke zu verkriechen. Hier wird das Bild verfestigt, daß bei der Vergewaltigung die Angst der Frau in Lust umzuwandeln sei. Hier wird das Bild verfestigt, Frauen meinen nicht, was sie sagen. Jeanny sagt nein, aber sie meint j a. Hier wird ein völlig falsches Frauenbild dargestellt: die Frau als Sexualobjekt und nicht als eigenständiges Wesen. Hier wird verharmlost, was Frauenhaß und Frauenfeindlichkeit in höchster Vollendung ist: die Vergewaltigung einer Frau. Solche Songs und Video-Clips sind entwürdigend.Und noch etwas will ich Ihnen aufzeigen, was ich an diesem Song unverantwortlich finde: daß sich der Täter hinterher auch noch als Opfer der Frau fühlt, wenn er dann gefaßt wird. In diesem Video-Clip sieht man Falco zum Schluß in einer Zwangsjacke, schreiend. Die Frau kommt und streichelt ihn. Hier werden alle Vorurteile auf einmal „verbraten". Der Täter wird als Opfer dargestellt, als Opfer der Frau natürlich.Ich will Ihnen aber noch ein anderes Beispiel nennen: Die ganze Doppelmoral dieser Gesellschaft wird an folgendem Fall deutlich: Schüler in Köln planen eine Aufklärungsaktion. Sie entwerfen ein Flugblatt, in dem sie über Kondome, Pillen, Onanie und Schwule aufklären wollen — eine löbliche Eigeninitiative, sollte man oder frau meinen. Doch weit gefehlt! Hier schlägt die Prüderie unserer Gesellschaft voll zu. Es wird gegen einen Schüler Anzeige wegen Verbreitung pornographischer Schriften erstattet.Gewalt und Pornographie dürfen nicht in einen Topf mit notwendiger Aufklärung geworfen werden. Hierüber sollte man sich im Ausschuß unterhalten und nicht darüber, ob es hier eine Gesetzeslücke gibt oder nicht. Hierüber sollte vor allem in der Öffentlichkeit diskutiert werden.
Es sollte darüber diskutiert werden, daß Sexualität in Verbindung mit Gewalt auf der einen Seite ästhetisch dargestellt und profitabel vermarktet wird und daß auf der anderen Seite die sachliche Aufklärung sanktioniert wird.Ich danke Ihnen.
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Der Ältestenrat schlägt vor, den Gesetzentwurf des Bundesrates auf Drucksache 10/4682 zu überweisen zur federführenden Beratung an den Rechtsausschuß und zur Mitberatung an den Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? — Das ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Dann rufe ich auf den Tagesordnungspunkt 23:
Erste Beratung des von den Abgeordneten Dr. Schöfberger, Dr. Emmerlich, Bachmaier, Fischer , Klein (Dieburg), Dr. Kübler, Lambinus, Frau Dr. Martiny-Glotz, Reschke, Schmidt (München), Schröder (Hannover), Dr. Schwenk (Stade), Stiegler, Dr. de With, Wolfram (Recklinghausen), Dr. Vogel und der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Bekämpfung des Kreditwuchers und zur Vertragshilfe bei notleidenden Krediten
— Drucksache 10/4595 —
Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Rechtsausschuß
Finanzausschuß
Ausschuß für Wirtschaft
Meine Damen und Herren, nach einer Vereinbarung im Ältestenrat sind für die Aussprache 30 Minuten vorgesehen. Ich sehe dazu keinen Widerspruch; es ist so beschlossen.
Wird das Wort zur Begründung gewünscht? — Das
ist nicht der Fall. Dann eröffne ich die Aussprache.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Schöfberger.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir legen Ihnen heute den Entwurf eines Gesetzes zur Bekämpfung des Kreditwuchers und zur Vertragshilfe bei notleidenden Krediten vor. Mit diesem Gesetzentwurf wollen wir gleichzeitig auf ein Massenphänomen aufmerksam machen, unter dem einige Millionen Bundesbürger zu leiden haben.Die Kreditform der Durchschnittsverdiener bis hin zu den Spitzenverdienern ist, wie wir alle wissen, die Scheckkarte und der Überziehungskredit. Die Kreditform der Einkommensschwachen unter unseren Mitbürgern ist der Ratenkredit bei Teilzahlungsbanken. Während man bei Scheckkarte und Überziehungskredit bankübliche Zinsen zu zahlen hat, müssen die Kreditnehmer bei Ratenkrediten Zinsen zahlen, die sich in der Regel knapp an der Wuchergrenze bewegen.
— Ja, das ist das Problem, daß die Wuchergrenze nicht definiert ist. Die wichtigste Absicht unseres Gesetzentwurfs ist, diese Wuchergrenze exakt zu definieren, so exakt wie überhaupt möglich. — Die Effektivzinsen bei solchen Ratenkrediten liegen im Durchschnitt bei 22 %, nicht selten gehen sie bis zu 36%.Ich möchte Ihnen, um das Problem sichtbar zu machen, einige Rechtstatsachen nennen, mit denen
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15128 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 195. Sitzung. Bonn, Freitag, den 31. Januar 1986
Dr. Schöfbergerwir es zu tun haben: 48% aller Haushalte in der Bundesrepublik nehmen Ratenkredite in Anspruch. Das Gesamtvolumen dieser Kredite hat sich rasant entwickelt. 1970 waren es 30 Milliarden DM, 1983 bereits 150 Milliarden DM. Im vorvergangenen Jahr wurden 18 Milliarden DM Zinsen auf Ratenkredite gezahlt. Die durchschnittliche Kredithöhe liegt knapp unter 15 000 DM, die durchschnittliche Monatsbelastung für die Kreditnehmer bei rund 400 DM. Vier Fünftel aller vermittelten Ratenkredite liegen mit dem Effektivzins über 20 %. 37 % aller Ratenkredite gehen auf Umschuldungen zurück, bei vermittelten Ratenkrediten sogar 55%. Und was eine Umschuldung bei mehreren notleidenden Ratenkrediten bedeutet, das wissen Sie selbst alle aus Ihrer Wahlkreispraxis. Wir hören ja die Klagen aus den Wohlfahrtsverbänden, aus den Familienverbänden und aus den Verbraucherschutzeinrichtungen.Eine Million dieser Ratenkredite sind selbst nach den lockeren Grenzen des BGH wucherverdächtig. Wenn sie wucherisch sind, bedeutet das einen Verbraucherschaden von ca. 3 Milliarden DM jährlich. Das ist eine bisher nicht ernstgenommene Wirtschaftskriminalität größten Umfangs.Jährlich werden 1,5 Millionen Ratenkredite notleidend. 750 000 wurden im letzten Jahr gekündigt. 500 000 davon werden mit dem Mahnverfahren erledigt, weil nämlich mit der Einkommensschwäche meist auch die Unbeholfenheit oder die Schwellenangst der betroffenen Bürger zusammentrifft. Sie kennen sich nicht aus,
sie wissen sich nicht zu helfen, sie nehmen diese Mahnbescheide wie irgend etwas Unveränderliches hin, und auf diese Weise werden jedes Jahr Hunderttausende von wucherischen Forderungen rechtskräftig festgestellt, wogegen dann nichts mehr hilft.
Wie werden nun diese Ratenkredite notleidend? Zu über 50 % spielt die Arbeitslosigkeit die ausschlaggebende Rolle, ist sie der Auslöser. Scheidungen machen den größeren Rest aus. Eine Art Leichtsinn, Lebensführungsschuld oder Verschwendungssucht ist nur bei einem geringen Teil dieser Ratenkredite — weniger als 10% — festzustellen. Wir haben das Sonderproblem des Kaufs von Gebrauchtwagen durch junge Leute, wenn diese den Führerschein erworben haben, aber ansonsten geht es nicht um Schuldvorwürfe, die man gegenüber den Ratenkreditnehmern erheben könnte.Was passiert dann? Im Mittelalter konnte der Gläubiger seinen zahlungsunfähig gewordenen Schuldner in den Schuldturm werfen; er mußte ihn dann wenigstens so ernähren, daß er lebendig entlassen werden konnte, wenn ihn einer auslöste. Möglicherweise blieb jemand aber sein ganzes Leben lang drin. Diesen Schuldturm aus Gemäuern gibt es heute erfreulicherweise nicht mehr. Aber es gibt einen Schuldturm, in dem derjenige verschwindet, dessen Ratenkredit notleidend geworden istund der für den Rest seines Lebens aus dieser Not nicht mehr herauskommt.
Die Bausteine dieses modernen Schuldturms heißen: Mahnung, Stundungsgebühren, Kreditkündigungen, Verzugszinsen, Vollstreckungsbescheid, Lohnpfändung, Umschuldung; und dann beginnt der ganze Kreislauf von neuem, bis einer so tief in den Schulden drin ist, daß er auch dann, wenn er wieder eine Arbeit bekommt, wenn er wieder abzahlen kann, nur noch einen Teil der Zinsen zahlen kann. Seine Schuldsumme wächst und wächst dann, wächst bis zu seinem Lebensende. Er kommt nicht mehr von einem Leben unterhalb der Pfändungsgrenze frei. Der moderne Schuldturm ist also ein lebenslanges Existieren unter der Pfändungsfreigrenze, und daß sich die nur knapp oberhalb der Sozialhilfesätze bewegt, wissen wir ja alle.Verehrte Kolleginnen und Kollegen, ich meine, angesichts dieses Problems, unter dem ein paar Millionen Bundesbürger leiden, sollten wir uns nicht in vordergründige politische Konkurrenz miteinander begeben, sondern uns gemeinsam anstrengen,
durch eine sorgfältige Beratung im federführenden Rechtsausschuß nach einer Lösung zu suchen. Es muß doch in diesem Parlament möglich sein, daß man, wenn so viele Menschen unter einem Phänomen leiden, zu einer Lösung kommt, die ihnen gesetzgeberische Hilfen gibt. Ich bitte Sie also herzlich, Ihre Herzen über die Schnur zu werfen und mit uns im Rechtsausschuß nach einer Lösung zu suchen.Unser Lösungsvorschlag, den ich Ihnen noch kurz erläutern möchte, geht dahin, die Überteuerung der Kredite, die die Hauptursache für den Zahlungsrückstand und für die Zahlungsunfähigkeit ist, zu bekämpfen. Dies geschieht durch eine klare, gesetzlich definierte Wuchergrenze.Die bisherige Rechtsprechung des BGH ist viel zu schwammig, als daß sie eine praktische Hilfe sein könnte.
Senatspräsidenten an den Oberlandesgerichten bezeichnen diese Rechtsprechung als „Steine statt Brot". Sie sagen: Einschlägige Prozesse sind wie ein Lotteriespiel, weil man nie weiß, wie die jeweilige Kammer eines Landgerichts oder die jeweilige Abteilung eines Amtsgerichts die Wuchergrenzen deutet. — Wir wollen die Wuchergrenze unter Einschluß der Rechtsprechung des BGH auf einem gesicherten dogmatischen Boden eindeutig festlegen.Aber wir haben noch etwas Wichtigeres vor: Wir wollen eine richterliche Vertragshilfe einrichten. Wir wollen im Rahmen der freiwilligen Gerichtsbarkeit dafür sorgen, daß Menschen beim Amtsgericht Hilfe finden, wenn ihre Ratenkredite notleidend geworden sind. Der Richter muß hier nicht nur nach Recht entscheiden — fiat iustitia pereat mundus —, sondern der Richter soll hier als eine Art Sozialingenieur tätig werden, wie das in vielen
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 195. Sitzung. Bonn, Freitag, den 31. Januar 1986 15129
Dr. Schöfbergeranderen Rechtsgebieten schon der Fall ist. Er sollte die Möglichkeit haben, die Rückerstattung des Darlehens zu stunden, die Raten neu festzusetzen, überteuerte Zinsen herabzusetzen, unter bestimmten Umständen die Zahlungen zunächst für die Tilgung des Darlehens und nicht für die Annuitäten anzurechnen.Von dieser Vertragshilfe erwarten wir — das hat natürlich eine gewisse Belastung der Gerichte zur Folge — eine praktische Hilfe für viele betroffene Mitbürger. Für diese Hilfe möchten wir uns gerne einsetzen. Wir hoffen dabei auf Ihre Mithilfe.
Das Wort hat der Abgeordnete Lowack.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Gesetzentwurf mit der etwas anmaßenden Bezeichnung „Entwurf eines Gesetzes zur Bekämpfung des Kreditwuchers und zur Vertragshilfe bei notleidenden Krediten" liegt ganz auf der Linie plakativer Gesetzentwürfe der SPD, bei denen man nicht weiß, wie ernst sie eigentlich gemeint sind. Ich bestätige dem Kollegen Schöfberger gerne, daß er ein ehrenwerter Mann ist. Jedenfalls hat die SPD in ihrer Regierungszeit, als die Situation für viele Kreditnehmer weitaus prekärer war, als die Zinsen und Kreditkosten mit 5 % bis 6 mehr fast das Doppelte ausmachten, keinen Gesetzentwurf vorgelegt. Jetzt kommen Sie, meine sehr geehrten Damen und Herren von der SPD, anmarschiert nach dem Motto: Es kostet uns nichts. Es verkauft sich gut. Soll die Union sehen, wie sie damit fertigt wird. — Das liegt ganz auf der Linie des Kollegen Schöfberger, wie wir ihn kennen: ein bißchen oberflächlich, politisch leichtgewichtig, unpraktikabel. Das Ganze steht letztlich ein bißchen unter dem Motto: Sollen die anderen die Verantwortung dafür übernehmen.
Der Gesetzentwurf verspricht eine klare gesetzliche Definition der Wuchergrenze. Tatsächlich, verehrte Kollegen, bauen Sie mit diesem Gesetzentwurf auf Sand. Ich glaube, daß Ihnen das auch bewußt ist, denn auch der übliche und angemessene Preis bei den normalen Darlehen ist ja nur schwer zu fixieren. Noch schwieriger wird es, soweit Sie sich auf den Schwerpunktzins der Deutschen Bundesbank berufen, denn die Bundesbank hat ihren Schwerpunktzins insoweit ja selber als einen unbrauchbaren Maßstab qualifiziert.
Der Gesetzentwurf ist im Hinblick auf Zinsen und Kreditkosten völlig unübersichtlich und unberechenbar. Er sieht zusätzlich eine Überprüfung der Einkommensverhältnisse der Darlehensnehmer wie der Darlehensgeber durch das Gericht vor. Ich bitte, sich diese Konsequenz noch einmal vor Augen zu führen: Falls der Entwurf verabschiedet wird, wäre das Gericht in der Zukunft berechtigt, sowohl die Einkommensverhältnisse des Darlehensnehmers als auch des Darlehensgebers zu überprüfen. Er führt zu Rechtsunsicherheit, zum Abbau von
Kreditzusagen, weil die Banken bestimmte Risiken gar nicht mehr einschätzen könnten. Er führt daneben zu höheren Zinsen und zu höheren Kreditkosten sowie zu einer Masse zusätzlicher gerichtlicher Verfahren, ferner zu Abgrenzungsschwierigkeiten zwischen dem zivilprozessualem Verfahren und dem Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit und letztlich auch zu höheren Gerichtskosten selbst für den Darlehensnehmer, der im Bereich des FGG normalerweise die Kosten selber zu tragen hat.
Der Entwurf ist, so sage ich ganz offen, miserabel. Da der Titel, unter dem der Gesetzentwurf steht, aber zu ernst ist, um von den Genossen der SPD für sich allein in Anspruch genommen zu werden, sträube ich mich nicht gegen die Verweisung an die Ausschüsse. Immerhin gibt es dort — lieber Herr Kollege Dr. Emmerlich, das kann ich bestätigen — sachkundige Abgeordnete, die eventuell mehr aus der Sache machen, als zunächst durch diesen Text vorgegeben ist.
Danke schön.
Das Wort hat der Abgeordnete Mann.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Fraktion DIE GRÜNEN begrüßt die Initiative für ein Kreditwuchergesetz. Die im Gesetzentwurf der SPD vorgeschlagene Lösung entspricht weitgehend unseren Vorstellungen, wie ich sie an dieser Stelle bei der Beratung der Kredit-wucherinitiative des Bundesrates und des Gesetzes über den Widerruf von Haustürgeschäften skizziert habe.Man kann die alarmierenden Zahlen nicht oft genug nennen. Im Entwurf sind sie aufgeführt, Herr Kollege Schöfberger hat sie gerade auch noch einmal vorgetragen. Ich möchte insoweit noch ergänzen: Die Pro-Kopf-Verschuldung im Verhältnis zum Pro-Kopf-Einkommen ist seit 1950 von 0,2 auf rund 11 % im Jahre 1980 — das sind die nach uns vorliegenden Untersuchungen neuesten Zahlen — gestiegen. Insbesondere Großbanken und deren Tochterunternehmen — in Form der Teilzahlungskreditbanken — sind in dieses lukrative Geschäft eingestiegen. Mittlerweile hat der Anteil des Konsumentenkredites — und um den geht es hier ganz wesentlich — am nominalen Bruttosozialprodukt etwa 10 % erreicht. Das also zur volkswirtschaftlichen Dimension.Herr Kollege Lowack, ich denke, diesem sozialen Problem, diesem Problem sozialverantworteter Rechtspolitik sollten wir uns alle stellen. Ich bin deswegen von Ihren Ausführungen enttäuscht. Sie haben im Grunde genommen hier auf einer sehr vordergründigen Ebene gegen die SPD-Initiative argumentiert. Sie haben sicherlich bedenkenswerte rechtliche Argumente angeführt. Nur, man muß sich immer wieder fragen: Was steckt da politisch dahinter? Ich habe den Eindruck — wir werden das j a wahrscheinlich gleich von Ihnen, Herr Kollege Kleinert, hören —, daß die Interessen der Banken und der Versicherungen, die hier in diesem Parla-
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Mannment ganz besonders gut vertreten sind, der entscheidende Grund sind, warum bei einer solchen Initiative — wie auch bei der Bundesratsinitiative gegen Wucher, also zu einer Regelung in § 138 des Bürgerlichen Gesetzbuches —, keine Chance gegeben ist, sie durchzusetzen.
Ich möchte noch ganze kurze Anmerkungen zum Entwurf machen. Ich denke, wir müßten darüber nachdenken, Herr Kollege Schöfberger und liebe Kollegen von der SPD-Fraktion, ob wir nicht nach Art der Laesio enormis eine absolute Zinshöchstgrenze, die den Wucher wirklich — auch für jeden in der Bevölkerung — klar festlegten, einführen sollten. Ich denke z. B. an eine Höhe von etwa 20 %. Ich will jetzt hier nicht ins Mittelalter zurück. Dann mache ich es Ihnen wieder zu leicht für Polemik. Es gab ja Zeiten, in denen tatsächlich überhaupt keine Zinsen erhoben werden konnten.Was wir weiter brauchen — das ist im Entwurf angesprochen worden —, ist eine intensive Schuldnerberatung. Ich denke, es ist in einem Sozialstaat auch Aufgabe der Sozialämter — nach dem Bundessozialhilfegesetz ist das möglich und wird in einigen Gemeinden, ich glaube, in Ludwigshafen, auch vorbildlich durchgeführt —, den notleidenden Schuldnern, die ohne eigenes Verschulden — z. B. Arbeitslosigkeit, Ehescheidung; diese sind j a als wesentlicher Grund des unverschuldeten Notleidens von Herrn Kollegen Schöfberger richtigerweise angeführt worden — in diese Lage gekommen sind, Hilfe zukommen zu lassen. Statt dessen wird von Ihnen erwogen, die Prozeßkostenhilfe abzubauen und zu beschränken. Die Beratungshilfe haben Sie eigentlich nie recht gewollt. Das Gegenteil müßte rechtspolitisch erfolgen.
Meine lieben Kolleginnen und Kollegen von der SPD, Sie können sicher sein: Bei Gesetzesinitiativen für kleine Leute und gegen schwarze Schafe haben Sie unsere volle Unterstützung. Ich will Ihnen aber sagen: Ihre Position wäre glaubwürdiger, wenn Sie auch rechtspolitisch mehr nach dem Verursacherprinzip, Herr Kollege Dr. de With, vorgehen würden. Ich denke, Sie haben eine gute Gelegenheit, noch bis zur zweiten und dritten Lesung des Gesetzentwurfs zur Wirtschaftskrimininalität Ihre Position zum § 266 b zu überprüfen.Herr Lowack, da haben Sie zu Recht darauf hingewiesen: Mit der Einführung der Kreditkarten in den USA ist die Verschuldung der privaten Haushalte auf das Drei- bis Vierfache gestiegen. Wir sollten den Banken gar nicht das Mittel des Strafrechts sozusagen auf dem silbernen Tablett servieren, indem der Mißbrauch strafrechtlich geschützt wird. Die Banken sollten bei der Kreditvergabe wesentlich vorsichtiger vorgehen. Deswegen sollte man, wenn man dem Problem wirklich umfassend zu Leibe rücken will, den § 266 b nicht verabschieden. Sie werden es tun. Bei der SPD hoffe ich bis zur zweiten und dritten Lesung auf Einsicht.Ich freue mich auf die Beratung im Ausschuß und danke Ihnen, meine lieben Kolleginnen und Kollegen, für ihre Aufmerksamkeit und Geduld.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Kleinert.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Herren! Eine zweite und dritte Lesung dieses Entwurfs werden wir in dieser Legislaturperiode wohl nicht mehr erleben.Es ist immer ein Gewinn, sich mit dem Kollegen Schöfberger zu unterhalten. Wenn sich das bei dieser Gelegenheit wieder einmal nach längerer Pause ergibt, freut mich das ganz besonders. Bei dieser Unterhaltung müßten wir dann aber wohl sehr viel gründlicher werden, als das an Hand dieser Drucksache erkennbar ist.Hier scheint mir zunächst einmal die Tatsachenfeststellung noch nicht genügend vorangeschritten zu sein. Wenn mit Durchschnittszahlen von 10 500 DM für einen Kredit operiert wird, ist das zunächst eine Totschlagsangabe, aus der man gar nichts entnehmen kann. Man muß wissen, was da einbezogen ist, welche Kredite da mit eingehen, ob da gewerbliche oder Unternehmenskredite mit enthalten sind oder ob auch Grundstückskredite dabei sind, die natürlich erhebliche Höhen ausmachen und keinen Schaden für die Beteiligten bedeuten. Also mit so einer Zahl, einfach dahingeschrieben, ist wirklich als Voraussetzung für weitere und ernsthafte Überlegungen nicht sehr viel zu gewinnen. Da müssen wir erst umfassende Feststellungen treffen, um zu vernünftigen Ergebnissen kommen zu können.Dann sehe ich eine gewisse Inkonsequenz darin, daß Sie sagen, Herr Schöfberger, Prozesse seien häufig eine Art Lotteriespiel. Das ist ein rechtspolitisches Problem: Was kann man tun, um das Ergebnis von Prozessen — ein wichtiges rechtspolitisches Ziel — möglichst voraussehbar zu machen? Dazu könnte auch eine klarere Definition des Wuchers, so wie Sie sie hier vornehmen, dienen. Die Inkonsequenz sehe ich aber darin, daß Sie sich auf der einen Seite bemühen, hier zu besser greifbaren Ergebnissen zu kommen, während Sie auf der anderen Seite ein Verfahren eröffnen, das sich an Unwägbarkeit, Undurchschaubarkeit und mangelnder Voraussehbarkeit überhaupt nicht mehr übertreffen läßt; denn was im Rahmen dieser Vertragshilfe offensichtlich völlig nach Gefühl und Willensschlag geschehen soll, ist ein so schwerer Schlag gegen jede Voraussehbarkeit einer Vertragsgestaltung und einer Vertragsabwicklung, daß es im krassen Gegensatz zu dem von Ihnen zunächst an anderer Stelle angegebenen und, wie ich meine, aus wohl erwogenen Gründen verfolgten Ziel steht.
Ich glaube nicht, daß man auf diese Weise dem Problem näherkommt.Außerdem glaube ich nicht, daß jeder Vertrag, der in diesem Lande geschlossen wird, in erster Linie unter sozialen Gesichtspunkten betrachtet werden
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Kleinertmuß. Wir haben doch viel mehr erwachsene und urteilsfähige Bürger, als man angesichts der hier genannten Zahlen über die Geschäftsungewandten — eine höfliche Umschreibung für die Sachverhalte, die man sich noch viel schlimmer vorstellt — vermuten könnte.Ich muß wieder einmal auf Ihren Vorsitzenden, Herrn Willy Brandt, und seine seinerzeitige wirklich aufrüttelnde Rede in der Regierungserklärung von 1969 zurückkommen, in deren Mittelpunkt der bekannte mündige Bürger stand. Dieser mündige Bürger war damals ein Bild, das mich — und viele andere auch — bei der Begründung dieser Koalition wirklich bestochen hat. Wenn man diese Kette von Gesetzentwürfen sieht, die Sie hier vorlegen, glaubt man gar nicht, daß von einem führenden Sozialdemokraten dieses Bild des Bürgers einmal als Vorbild für unsere Gesellschaft entworfen und hier herausgestellt worden ist. Was Sie hier machen, ist, bei Ihren rechtspolitischen Überlegungen vom völligen Gegenteil eben jenes mündigen Bürgers auszugehen. Das werden wir schon aus unserer Achtung vor unseren Mitbürger in dieser Form nicht mittragen können.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Bitte schön, Herr Emmerlich.
Herr Kollege Kleinert, können Sie mir erläutern, welche Probleme der Mündigkeit eines Bürgers dann auftreten, wenn ein Bürger infolge einer Erkrankung und der daraus resultierenden Einkommensverminderung nicht mehr in der Lage ist, vereinbarte Ratenkredite der Höhe der Rate nach zu bedienen, infolgedessen mit den Verzugszinsen überzogen wird und in eine Lage gerät, in der er nach Wiederherstellung seiner Gesundheit die ursprüngliche Kreditsumme im Lauf von fünf Jahren vollständig zurückgezahlt hat, aber gleichwohl die Schuldsumme sich verdoppelt hat?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das hat mit Sicherheit mit dem Problem, das ich hier eben ansprechen wollte, nichts zu tun. Um den von Ihnen geschilderten Fall muß man sich kümmern. Wenn jemand unverschuldet in eine solche Situation kommt, muß man darüber nachdenken, wie man ihm helfen kann. Das ist das, was Sie mit diesem Entwurf versuchen. Ich versuche lediglich, darzustellen, daß darüber allerdings noch sehr viel konkreter und anhand besser erarbeiteten Tatsachenmaterials nachgedacht werden muß.
Ich möchte versuchen, zum Abschluß einen Weg zu weisen, auf dem man sich diesem Ziel vielleicht etwas angemessener nähern könnte. Dabei habe ich für eine Vielzahl von Fällen, die anders als der jetzt von Ihnen gebildete Fall gestaltet sind, allerdings immer noch das Bild des mündigen Bürgers vor Augen. Ich meine, daß wir im Zusammenhang mit
den überfälligen Überlegungen zur Neugestaltung des Insolvenzrechts auch die in anderen Rechtskreisen übliche Figur eines persönlichen Konkurses einführen und den Überlegungen Raum geben sollten, nach einem Schlußstrich unter eine unglückliche Entwicklung eine unbelastete neue bürgerliche Existenz zu ermöglichen. Die Frage ist nur, wie man rechtssystematisch und dem Bild unseres Bürgers angemessen hier zu einem wirklich tragbaren Ergebnis kommt.
Deshalb nehmen wir Ihren Beitrag als einen der sicher vielen Beiträge, die noch notwendig sein werden, bevor wir zu einer vernünftigen Lösung dieses Problems kommen werden.
Abschließend vielleicht noch ein Wort: Der Mann, der in einer Informations- und Kommunikationsgesellschaft, die hier täglich beschworen wird, seinen Namen unter einen Vertrag schreibt, obwohl er an sämtlichen Anschlagtafeln bei jeder Bank die geltenden Zinssätze lesen und vergleichen und sie auch der Tagespresse entnehmen kann und obwohl Verbraucherverbände nicht müde werden, immer wieder Informationen zu geben, und dadurch wider besseres Wissen einen für ihn zu teuren Kredit aufnimmt, der handelt nicht in jedem Fall unverschuldet. Um dieses Problem muß man sich auch anders als nur mit Mitteln des Rechts kümmern.
Wir hoffen auf eine gute Diskussion.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Schroeder .
Herr Präsident! Frau Hoffmann! Meine Herren! Das Schlagwort vom modernen Schuldturm, Herr Kollege Schöfberger, ist genauso fragwürdig wie das von der Neuen Armut.
Die SPD dramatisiert jetzt eine Entwicklung, deren Auswirkungen während Ihrer Regierungsverantwortung j a viel gravierender waren als heute.
Damals haben Sie nichts unternommen, und jetzt geben Sie hier gute Ratschläge, wie angeblich Hunderttausende aus moderner Schuldknechtschaft befreit werden sollen.
Die Zahlen, die Sie, Herr Kollege Schöfberger, hier genannt haben, sind sehr undifferenziert; darauf hat schon der Kollege Kleinert hingewiesen.
Herr Abgeordneter gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Schöfberger?
Wenn dadurch nicht die Humanisierung des Parlaments zu dieser Zeit beeinträchtigt wird, gerne. Bitte schön.
Im Anschluß an Ihre Aussage, daß in unserer Regierungszeit nichts unter-
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Dr. Schöfbergernommen worden sei, möchte ich Sie fragen, ob Sie wissen, daß im Auftrag des Bundesjustizministeriums in den Jahren 1980 bis 1982, als diese Probleme scharf geworden sind, das Max-Planck-Institut eine Untersuchung „Praxis der Konsumentenkredite" erarbeitet hat, die eine Fülle von Rechtstatsachen enthält, und auf Grund dieser Rechtstatsachen damals die Absicht bestand, eine gesetzgeberische Lösung zu entwickeln? Leider ist der 1. Oktober 1982 dann früher eingetreten als beabsichtigt.
Herr Kollege Schöfberger, diese Untersuchung ist mir bekannt. Die Zahlen sind von vielen anderen Instituten und in anderen Untersuchungen als nicht unproblematisch bezeichnet worden. Es gab einen Gesetzentwurf zu einer Novellierung des § 138 BGB, eine Bundesratsinitiative von Hessen. Wir haben uns vor wenigen Wochen in diesem Hause darüber unterhalten. Ich habe damals an dieser Stelle ausgeführt, daß die Novellierung vielleicht zu einem früheren Zeitpunkt sinnvoll gewesen wäre, daß aber eine sehr verbraucherfreundliche, kreditnehmerfreundliche Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes in der Zwischenzeit eine Absicherung gebracht hat, die den Gesetzentwurf inzwischen obsolet gemacht hat.
aber ich möchte nur soviel ausführen: Auch heute werden 99 % aller Verbraucherkredite der privaten Haushalte zurückgezahlt. Der hier erweckte Eindruck ist also unzutreffend, daß viele Bürger zur Befriedigung kurzfristigen Konsums Kredit aufnehmen müßten. In der Regel sind es Kredite zur Ausstattung mit langlebigen Verbrauchsgütern, also langlebigen Vermögensgegenständen: Pkw, Möbel, Kücheneinrichtungen, technisches Gerät, Video, Fernsehen und anderes.
Wir sehen keinen vordringlichen Handlungsbedarf für ein Kreditwuchergesetz, wie Sie es vorgelegt haben. Die Ursachen für notleidende Kredite liegen nämlich in erster Linie nicht in überhöhten Zinsen, sondern im wesentlichen in Einkommensrückgängen nach der Gewährung von Krediten infolge von Krankheit und Arbeitslosigkeit, Umständen also, die nicht durch ein Kreditwuchergesetz, sondern nur durch eine bessere Wirtschafts- und Finanzpolitik bekämpft werden können — eine Politik also, die von der jetzigen Bundesregierung mit Erfolg eingeleitet worden ist.
Meine Herren von der SPD, die beste Hilfe für Kreditnehmer sind niedrige Zinsen und stabile Preise, wie sie durch unsere Politik wieder möglich geworden sind.
Gegen Wucherzinsen schützt das geltende Recht bereits ausreichend.
Der Wucherparagraph 138 BGB, Herr Kollege Schöfberger, hat durch die jüngste Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs eine ausgesprochen verbraucher- und kreditnehmerfreundliche Absicherung erhalten und ist kein Lotteriespiel, wie Sie hier behauptet haben.
Eine gesetzgeberische Initiative könnte hier eher sogar als verbraucherschädlich erscheinen. Auf die Bedenken der Deutschen Bundesbank gegen eine solche Obergrenze hat bereits der Kollege Lowak hingewiesen. Herr Kollege Mann, wenn Sie hier eine absolute Grenze von 20 % angeben wollen, so wäre die eher schädlich, weil sich dann viele risikolos nach oben herantasten könnten.
Meine Fraktion begrüßt es durchaus, wenn neben den Anlaufstellen bei den Amtsgerichten, die bei Kreditproblemen zwischen Schuldnern und Gläubigern beraten und Hilfe leisten, auch bei den Anwaltskammern und bei den Landgerichten solche Beratungen für einkommensschwache Bürger eingerichtet werden.
Wir haben Bedenken gegen eine richterliche Vertragshilfe. Ein solches Institut greift in die Vertragsfreiheit ein. Aber wir sind offen für Erfahrungen. Im Ausschuß werden wir uns hier mit den Erfahrungen sachkundig machen, die die Schweiz mit einem ähnlichen Institut gemacht hat. Wir werden hier offen die Erfahrungen auswerten. Es muß hier aber auch überprüft werden, ob sich nicht bei einem Mehr an Bürokratie und Verfahren Kreditnehmer eher leichtfertiger verschulden, da sie hoffen, dann später um so eher von ihren Verpflichtungen loskommen zu können. Auch das muß sehr kritisch überlegt werden. Es nützt nichts, wenn Hoffnungen erweckt werden und dann am Schluß doch bezahlt werden muß.
Ich möchte abschließend folgendes sagen. Der wirksamste Schutz für Kreditnehmer ist nicht ein Mehr an Bürokratie, sondern sind verbesserte wirtschaftliche Bedingungen und rechtzeitige sachgerechte Aufklärung und Beratung. Auch meine Fraktion will den in Zahlungsschwierigkeiten geratenen Kreditnehmern helfen; aber die Mittel hierzu müssen tauglich sein.
Der Überweisung des Gesetzentwurfs an die entsprechenden Ausschüsse wird meine Fraktion zustimmen.
Danke schön.
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. — Ich kann wieder von Damen sprechen, Herr Kleinert.Ich schließe die Aussprache.
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Vizepräsident WestphalDer Ältestenrat schlägt vor, den Gesetzentwurf auf Drucksache 10/4595 zur federführenden Beratung an den Rechtsausschuß, zur Mitberatung an den Finanzausschuß und an den Ausschuß für Wirtschaft zu überweisen. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? — Das ist nicht der Fall; dann ist die Überweisung so beschlossen.Meine Damen und Herren, wir sind am Schluß unserer Tagesordnung.Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Mittwoch, den 5. Februar 1986, 11 Uhr ein.Ich wünsche ein angenehmes Wochenende. Die Sitzung ist geschlossen.