Gesamtes Protokol
Die Sitzung ist eröffnet.
Meine Damen und Herren, ich möchte bemerken, daß die SPD-Fraktion im Augenblick eine Fraktionssitzung hat und deswegen die Mitglieder auf dieser Seite des Hauses fehlen.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 1 auf:
Fragestunde
— Drucksache 10/1656 —
Wir kommen zunächst zu den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau. Der Herr Staatssekretär von Loewenich steht zur Beantwortung zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 2 des Herrn Abgeordneten Dr. Sperling auf:
Wie viele Referate und andere Organisationseinheiten sind für Aufgaben der Entbürokratisierung und Verwaltungsvereinfachung im Bundesministerium für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau neu eingerichtet worden, und wie viele Beamte und Angestellte sind darin beschäftigt?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Entbürokratisierung und Verwaltungsvereinfachung im Bauwesen sind, wie der Herr Bundeskanzler schon in seiner Regierungserklärung vom 4. Mai 1983 hervorgehoben hat, ein besonderes Anliegen dieser Bundesregierung.
Der Bundesbauminister hat dem Kabinett am 22. Februar dieses Jahres im Rahmen eines umfassenden Berichts Vorschläge zur Verwirklichung dieses Anliegens unterbreitet. Sie reichen von den Ihnen bekannten Vorhaben eines neuen Baugesetzbuches und eines Wohnrechtsvereinfachungsgesetzes über die Bereinigung und Vereinfachung des sogenannten Baunebenrechts des Bundes bis zu Bemühungen um eine Reduzierung und Vereinfachung der technischen Regelwerke, insbesondere der DIN-Normen, und der Verwaltungsvorschriften für die Bauverwaltung des Bundes.
Die Verwirklichung dieser vom Kabinett gebilligten Vorschläge erfordert im Ministerium eine Konzentration und Koordination der Kräfte; neue Stellen und neue Mitarbeiter stehen nicht zur Verfügung und werden nicht angefordert. Vielmehr hat Bundesbauminister Dr. Schneider am 2. April dieses Jahres dazu eine Arbeitsgruppe unter meiner unmittelbaren Leitung eingerichtet. Ihr gehören, und zwar unter Beibehaltung ihrer bisher schon wahrgenommenen Aufgaben, 8 Angehörige des Ministeriums aus allen Fachabteilungen an.
Die Geschäfte dieser Arbeitsgruppe sowie sonstige fachabteilungsübergreifende Aufgaben im Zusammenhang mit der Aufgabe der Verwaltungsvereinfachung nimmt das Referat „Rechts- und Verwaltungsvereinfachung" wahr. Es ist, wie Sie wissen, im Jahre 1982 vom damaligen Bundesminister Dr. Haack eingerichtet worden; ihm gehören neben dem Referatsleiter je ein Beamter des höheren, gehobenen und mittleren Dienstes an.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Sperling.
Herr Staatssekretär, weitere Projektgruppen als dieses geschäftsführende Referat und der unter Ihrer Leitung stehende Arbeitskreis bestehen nicht?
von Loewenich, Staatssekretär: Nein.
Eine weitere Zusatzfrage.
Gibt es bereits Kontakte zu Ländern und anderen Einrichtungen, die ebenfalls für die Normensetzung in dem Bereich, in dem Sie tätig werden wollen, zuständig sind, und die Bereitschaft, dort sehr kooperativ mitzuarbeiten?
von Loewenich, Staatssekretär: So ist es, Herr Abgeordneter. Es bestehen intensive Kontakte, insbesondere zu den zuständigen Landesministerien, die ihre volle Kooperation bei dem gemeinsamen Bemühen um Verwaltungsvereinfachung zugesagt und auch schon in gemeinsamen Gremien bekundet haben.
Ich rufe die zweite Frage des Herrn Abgeordneten Dr. Sperling, die Frage 3, auf:
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5516 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 76. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. Juni 1984
Vizepräsident Frau RengerWelche Einsparung an Verwaltungsaufwand und welche Einsparung an Planstellen erwartet die Bundesregierung mittelfristig von der Verwirklichung der Streichungs- und Vereinfachungsvorschläge, die in diesen Organisationseinheiten erarbeitet werden?Bitte, Herr Staatssekretär.von Loewenich, Staatssekretär: Die Bundesregierung erwartet von einer durchgreifenden Vereinfachung von Recht und Verwaltung im Städtebau-, Bau- und Wohnungswesen vor allem eine ganz wesentliche Entlastung des Bürgers und der Wirtschaft.Sie erwartet mittelfristig aber auch eine nicht unerhebliche Entlastung der für das Bauen zuständigen Verwaltungen.Diese Verwaltungen sind in aller Regel solche der Länder und der Gemeinden.Konkrete Angaben über das Ausmaß der Einsparung an Verwaltungsaufwand und Planstellen kann ich deshalb — und auch im Hinblick auf das frühe Stadium der Bemühungen, in dem wir uns befinden — hier und heute verständlicherweise nicht machen.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Sperling.
Herr Staatssekretär, um wieviel müßte der Bürokratieaufwand erhöht werden, damit die Entbürokratisierung schneller läuft?
von Loewenich, Staatssekretär: Wie ich vorhin schon gesagt habe, Herr Abgeordneter, haben wir den Bürokratieaufwand nicht erhöht. Im übrigen glaube ich auch nicht, daß die Entbürokratisierung durch zusätzliche Bürokratie schneller laufen würde.
Herr Staatssekretär, wie lange wird es dauern, bis die Bürger die Erfolge Ihrer Bemühungen zu spüren bekommen?
von Loewenich, Staatssekretär: Herr Abgeordneter, Verwaltungsvereinfachung ist — jeder weiß das — ein langwieriges, auf lange Fristen angelegtes Konzept, das nicht mit einem Enddatum versehen werden kann. Es wird aber sehr bald erste Erfolge unserer Bemühungen geben.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Stiegler.
Herr Staatssekretär, stimmt es, daß Ihr Haus auch plant, die meisten DIN-Vorschriften abzuschaffen bzw. wesentlich zu straffen, und welche Konsequenzen wird das in dem Zusammenhang haben?
von Loewenich, Staatssekretär: Ich habe vorhin schon darauf hingewiesen, daß in dieses Gesamtkonzept auch Bemühungen um eine Reduzierung und Vereinfachung der DIN-Vorschriften fallen. Die DIN-Vorschriften sind bekanntlich Vorschriften der wirtschaftlichen Selbstverwaltung. Bund und Länder sind in ihren Gremien vertreten und bemühen sich hier entsprechend. Nur, wir können hier nicht einseitig etwas dekretieren.
Danke schön, Herr Staatssekretär.
Die Fragen zu dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Forschung und Technologie, die Fragen 4 und 5, sind vom Fragesteller, dem Abgeordneten Vahlberg, zurückgezogen worden.
Ich danke Ihnen schön, Herr Staatssekretär, daß Sie hergekommen sind.
Ich rufe nunmehr den Geschäftsbereich des Bundesministers für das Post- und Fernmeldewesen auf. Zur Beantwortung steht der Herr Parlamentarische Staatssekretär Rawe zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 6 des Abgeordneten Krizsan auf. — Der Fragesteller ist nicht anwesend. Die Frage wird nicht beantwortet.
Die Fragen 7 und 8 werden auf Wunsch des Fragestellers, des Abgeordneten Bindig, schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Ich rufe die Frage 9 des Herrn Abgeordneten Zierer auf:
Teilt die Bundesregierung die Auffassung, daß sich die Grenzen der Fernsprechnahbereiche der Deutschen Bundespost weitestgehend an denen der kommunalen Verwaltungsgliederung orientieren sollten, um bei Gesprächen zwischen Fernsprechteilnehmern in einer Gemeinde den Anfall von Ferngesprächsgebühren auszuschalten?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Frau Präsidentin, ich würde die beiden Fragen mit Ihrer Erlaubnis, wenn der Herr Kollege Zierer einverstanden ist, gern zusammen beantworten.
Wunderbar.Ich rufe also auch die Frage 10 des Abgeordneten Zierer auf:Welche Maßnahmen wird die Bundesregierung zur Angleichung der Fernsprechnahbereiche an die kommunalen Verwaltungsgrenzen ergreifen?Bitte schön.Rawe, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, eine Angleichung der Grenzen von Fernsprechnahbereichen an die kommunalen Verwaltungseinheiten oder sogar Deckungsgleichheit ist bei der sehr unterschiedlichen Abgrenzung der Verwaltungseinheiten leider nicht möglich, weil dies zu genauso unterschiedlich gestalteten Fernsprechnahbereichen führen würde.Die Verwaltungsgrenzen der kommunalen Gebietskörperschaften sind politisch orientiert. Das heißt: Die Kreisstadt ist oft nicht zentral in ihrem Bereich gelegen, und ihre Entfernung bis zu den Randgebieten ist manchmal bis zu 60 Kilometer und mehr weit.
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 76. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. Juni 1984 5517
Parl. Staatssekretär RaweDas Fernsprechnetz kann natürlich nur dem Netz entsprechend orientiert sein. Die Netzstruktur ist auf die kostengünstigste Verkehrsführung in den Kabel- und Richtfunkstrecken zu den Netzschwerpunkten angelegt. Die Zufälligkeit und der Wandel politischer Gebietsstrukturen sind von der Deutschen Bundespost leider nicht nachvollziehbar. Jegliche Veränderungen der kommunalen Abgrenzung hätte dann nämlich auch eine Änderung der Fernsprechnahbereiche und damit eine Umgestaltung von Netzteilen, z. B. von Leitungsbündeln, Vermittlungseinrichtungen usw., zur Folge.Außerdem würde die Einführung von individuell gestalteten Fernsprechnahbereichen — mit Berufung auf diese — zu immer weitergehenden Forderungen nach zusätzlichen Ausweitungen in der einen oder anderen Richtung Anlaß geben. Daher hat die Bundesregierung für die Gestaltung der Fernsprechnahbereiche als einheitliches — die Bundesregierung meint: auch objektives — Kriterium einen Nahverkehrsbereich mit 20 Kilometer Radius um die maßgebende Vermittlungsstelle des jeweiligen Fernsprechortsnetzes zugrunde gelegt.Die Deutsche Bundespost hat ihrem Verwaltungsrat am 25. August 1983 einen ausführlichen Erfahrungsbericht über die inzwischen abgeschlossene Einführung des Nandienstes vorgelegt. Dieser Bericht ist auch an den Postausschuß des Bundestages, an die kommunalen Spitzenverbände und an den Bundesminister für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau gegangen. Dabei wurden auch zahlreiche Alternativen für eine Nahbereichsausweitung, gekoppelt mit kostenneutralen Zeittaktverkürzungen, angeboten, denn ein solches Junktim aus Entfernung und Zeittakt ist — ich bitte da um Ihr Verständnis, Herr Kollege — für die Deutsche Bundespost unverzichtbar, weil sonst Einnahmeverluste in Milliardenhöhe entstehen würden.Der Deutsche Städtetag und der Deutsche Städte- und Gemeindebund haben inzwischen, in ihrer Grundaussage übereinstimmend, bestätigt, daß sich aus ihrer Sicht der bisherige Nandienst bewährt hat und daß von daher keine Veranlassung für eine Ausweitung der Nahbereiche zu Lasten der Länge des Zeittakts besteht. Lediglich der Deutsche Landkreistag spricht sich für eine Ausweitung der Nahbereiche unter Inkaufnahme einer geringeren Länge des Zeittakts aus.Der Postausschuß des Bundestages hat in seiner Sitzung vom 12. Oktober 1983 ebenfalls den Nahdienstbericht der Deutschen Bundespost behandelt und hat dabei einen umfangreichen Untersuchungsauftrag erteilt, der sich auf folgende Schwerpunkte bezieht: erstens eine individuelle Untersuchung des Fernsprechverkehrs bestimmter einzelner Ortsnetze zur jeweiligen Kreisstadt. Dazu sind uns von den Ausschußmitgliedern einzelne Fallbeispiele vorgegeben worden. Zweitens geht es um eine bundesweite Strukturuntersuchung von Ortsnetzen mit weniger als 30 000 Hauptanschlüssen im Nahbereich.Diese Untersuchungen sind noch im Gange. Der Bericht hierüber soll im Laufe des Sommers fertiggestellt und dann dem Postausschuß dieses HohenHauses sowie dem Verwaltungsrat der Deutschen Bundespost zugeleitet werden, die dann daraus ihre Schlüsse ziehen werden.
Herr Kollege Zierer!
— Dann Herr Kollege Stiegler, bitte. Sie haben zwei Zusatzfragen.
Herr Staatssekretär, bei der von Ihnen erwähnten Untersuchung und bei der Einführung der Nahbereiche ist zugesagt worden, zusammen mit dem Untersuchungsbericht einen Vorschlag dazu zu machen, wie der Nahbereichsradius im Zonenrandgebiet und im bayerischen Grenzgebiet sowie an den Küsten ausgedehnt werden kann. Was ist dazu beschlossen worden?
Rawe, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, es ist richtig, daß uns auch mit diesem Ziel Anregungen gegeben worden sind. Sie können davon ausgehen, daß auch diese Untersuchungen Gegenstand des Berichts sein werden.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Sperling.
Herr Staatssekretär, wollen sie uns denn diesen ziemlich willkürlichen 20-km-Raster als bürgernah und unbürokratisch verkaufen?
Rawe, Parl. Staatssekretär: Verehrter Herr Kollege, wenn Sie der jetzt amtierenden Regierung diesen Vorwurf machen wollen, so bitte ich um Nachsicht: Die 20-km-Grenze, von der Sie gerade reden, ist nicht von dieser Bundesregierung beschlossen worden.
Läge es darum nicht nahe, zu sagen, wir wollen den unter bestimmten technischen Bedingungen ursprünglich eingeführten Ausgangsraster jedenfalls für die Zukunft in eine andere Entwicklung bringen, so daß man in der Tat den kommunalen Verwaltungsgrenzen auch mit der Abgrenzung der Fernsprechbereiche folgt?
Rawe, Parl. Staatssekretär: Nein, Herr Kollege, das glaube ich nicht. Wir werden dem nicht so konkret, wie Sie es jetzt gerade fordern, nachkommen können. Aber ich denke, Sie haben der ersten Antwort entnehmen können, daß das Unternehmen Deutsche Bundespost sehr wohl darüber nachdenkt, wie man den Nahverkehrsbereich noch kundenfreundlicher gestalten kann.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Stiegler.
Herr Staatssekretär, früher hieß es, die technischen Voraussetzungen für eine Ausdehnung des Nahbereichs seien nicht gegeben. Kann man jetzt feststellen, daß die technischen Voraussetzungen jedenfalls prinzipiell vorliegen?Rawe, Parl. Staatssekretär: Nein, auch prinzipiell liegen die noch nicht vor, denn das würde eine ganz erhebliche Umrüstung notwendig machen. Ich mei-
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5518 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 76. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. Juni 1984
Parl. Staatssekretär Rawene, zunächst müssen wir die Grundfrage klären, in welchem Umfange das vertretbar und machbar ist, und dann kann man natürlich — das ist selbstverständlich — die Technik immer anpassen.
Keine weiteren Zusatzfragen.
Meine Damen und Herren, die Fragen 11 und 12 des Abgeordneten Becker , 13 und 14 des Abgeordneten Reimann, 15 und 16 des Abgeordneten Liedtke, sowie 17 und 18 des Abgeordneten Bernrath werden auf Grund von Nr. 2 Abs. 2 der Richtlinien für die Fragestunde schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Herr Staatssekretär Rawe, ich darf Ihnen herzlich danken, denn damit ist Ihr Geschäftsbereich beendet.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers für Bildung und Wissenschaft auf. Zur Beantwortung steht der Staatssekretär Piazolo zur Verfügung.
Die Fragen 19 und 20 des Herrn Abgeordneten Schäfer — er ist nicht im Saal — werden nicht beantwortet.
Ich rufe Frage 21 des Herrn Abgeordneten Weisskirchen auf. — Er ist sicher in der Fraktionssitzung der SPD. Die Frage wird auch nicht beantwortet. Dies gilt auch für die von ihm gestellte Frage 22.
Die Frage 23 des Herrn Abgeordneten Vogelsang wird auf seinen Wunsch schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Ich muß Ihnen leider mitteilen, Herr Staatssekretär, daß Sie umsonst hierhergekommen sind. Wir bedanken uns für Ihr Kommen.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers des Innern auf. Zur Beantwortung steht Herr Staatssekretär Dr. Fröhlich zur Verfügung.
Ich rufe Frage 33 des Herrn Abgeordneten Sielaff auf:
Ist der Bundesregierung der Zusammenhang zwischen den rechtsradikalen Gruppen „Europäische Verbindungsstelle der Nationalen Kräfte" und der im Verfassungsschutzbericht 1983 erwähnten „Europäischen Neuordnung" in der Schweiz bekannt, und gibt es konkrete Hinweise dafür, daß die Aktivitäten der ENO 1983 nachgelassen haben?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, wie Herr Parlamentarischer Staatssekretär Spranger Ihnen bereits am 11. April von dieser Stelle aus mitgeteilt hat, ist der Bundesregierung eine „Europäische Verbindungsstelle für Nationale Kräfte" nicht bekannt. Die neonazistische „Europäische Neuordnung" wurde 1951 gegründet, hat ihren Sitz in Lausanne und strebt nach ihren eigenen Bekundungen den Zusammenschluß der nationalen europäischen Kräfte an, wobei sie ihren Mitgliedern empfiehlt, in ihren jeweiligen Organisationen zu verbleiben und diesen die Ergebnisse der Arbeit der ENO zur Verfügung zu stellen. Diese bestehen im wesentlichen aus der Herausgabe der Schrift „Courrier du Continent" und Versammlungen, die alle zwei Jahre stattfinden. Die letzte dieser Art war am 2. und 3. April 1983 in Hagenau. Ein Nachlassen der Aktivitäten der ENO konnte bisher nicht festgestellt werden.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter.
Herr Staatssekretär, würde die Bundesregierung widersprechen, wenn ich sage, daß die „Europäische Neuordnung" eine Nachfolgeorganisation der „Europäischen Verbindungsstelle der Nationalen Kräfte" der Schweiz ist?
Dr. Fröhlich, Staatssekretär: Herr Abgeordneter, Sie wissen, daß der Begriff „Nachfolgeorganisation" einen juristischen Gehalt hat. Ich kann Ihnen deswegen hier im Augenblick weder widersprechen noch dieses bestätigen. Ich will Ihnen aber gerne eine Auskunft darüber geben, wenn wir die Verhältnisse nachgeprüft haben. Bisher ist uns jedenfalls diese „Europäische Verbindungsstelle" nicht bekanntgeworden.
— Ja.
Ich rufe Frage 34 des Abgeordneten Peter auf:Treffen die Aussagen von Michael Kühnen in der Monitor-Sendung vom 29. Mai 1984 zu, daß bei seinem Grenzübertritt in die Schweiz die Schweizer Grenzbehörden „wohl einen Tip von den deutschen Behörden bekommen hatten" und daß er nach Zurückweisung durch die Schweizer Behörden am deutschen Kontrollpunkt eineinhalb Stunden festgehalten wurde, dort die von den Schweizer Behörden inkriminierte Literatur deponieren durfte und dann die Bundesrepublik Deutschland verlassen konnte, und wenn ja, welche Folgerungen zieht die Bundesregierung daraus?Bitte schön, Herr Staatssekretär.Dr. Fröhlich, Staatssekretär: Herr Abgeordneter, der deutsche Staatsangehörige Michael Kühnen ist am 19. März dieses Jahres an der Grenzübergangsstelle Blumberg-Neuhaus von den Schweizer Grenzbehörden zurückgewiesen worden, weil er nationalsozialistische Schriften und Gegenstände mitführte. Die Zurückweisung erfolgte nicht auf Grund eines Hinweises deutscher Behörden. Kühnen hat daraufhin die Dienststelle der deutschen Grenzpolizei aufgesucht und wollte die Schriften und Gegenstände bei der Dienststelle zurücklassen. Da nicht auszuschließen war, daß die Gegenstände und Unterlagen der Beschlagnahme unterliegen, hat die Grenzschutzstelle Neuhaus die zuständige Staatsanwaltschaft Konstanz informiert und zunächst Kühnen zurückgehalten. Eine Weisung, Kühnen festzuhalten, wurde von der Staatsanwaltschaft nicht erteilt. Da andererseits weder eine Paßversagung nach § 7 Abs. 1 des Paßgesetzes noch eine Ausreiseuntersagung nach § 2 Abs. 2 des Personalausweisgesetzes vorlag, hat die Grenzschutzstelle Kühnen daraufhin ausreisen lassen. Sie hatte keine andere Möglichkeit.
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 76. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. Juni 1984 5519
Staatssekretär Dr. FröhlichDie zurückgelassenen Schriften und Gegenstände hat sie auf Weisung der Staatsanwaltschaft dem Landeskriminalamt Baden-Württemberg übersandt. Von dort wurden sie zwischenzeitlich der Schwerpunktstaatsanwaltschaft in Karlsruhe zugeleitet. Nach diesem Vorfall sind gegen Kühnen von verschiedenen Staatsanwaltschaften Haftbefehle ergangen.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Peter.
Könnten die in dem Interview unter anderem gemachten Aussagen über Zusammenarbeit oder Aufbau einer europäischen neofaschistischen Organisation für die Bundesregierung und für die Staatsanwaltschaft die Voraussetzung geben, einen internationalen Haftbefehl gegen Michael Kühnen zu erwirken?
Dr. Fröhlich, Staatssekretär: Herr Abgeordneter, wir beurteilen den realen Gehalt dessen, was Herr Kühnen in der Monitor-Sendung gesagt hat — wofür zu meinem Bedauern, muß ich sagen, eine öffentliche Plattform zur Verfügung gestellt worden ist — skeptisch. Das ist eine ziemlich großmäulige Darstellung seiner Erfolge, die er wohl für den Hausgebrauch gegenüber seinen eigenen Mitgliedern verwendet hat, weil sie etwas erschreckt durch den Umstand waren, daß er ins Ausland ausgereist ist.
Auf Ihre Frage nach dem internationalen Haftbefehl muß ich Ihnen sagen: Er hat zur Voraussetzung, daß die Tatbestände, derentwegen er beantragt wird, auch in den betreffenden ausländischen Staaten Straftatbestände sind. Das ist hier in aller Regel nicht der Fall. Wir hätten mit einem internationalen Haftbefehl also keinen Erfolg.
Weitere Zusatzfragen? — Nein.
Ich rufe die Frage 35 des Abgeordneten Peter auf:
Ist die Bundesregierung bereit, die in der Monitor-Sendung vom 29. Mai 1984 angesprochenen Bestrebungen zum Aufbau einer europäischen faschistischen Bewegung zu überprüfen und rechtliche und politische Gegenmaßnahmen zu treffen?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Dr. Fröhlich, Staatssekretär: Herr Abgeordneter, nach den Erkenntnissen der Bundesregierung ist es Kühnen entgegen seinen Behauptungen in der Monitor-Sendung, die ich bereits qualifiziert habe, vom 29. Mai 1984 weder gelungen, im westlichen Ausland ernstzunehmende politische Kontakte zu knüpfen, noch neue Gruppen zu gründen, geschweige denn bereits bestehende zu einer einheitlichen Organisation unter seiner Leitung zusammenzufassen. Die Schilderung seiner angeblichen Erfolge diente offenbar dazu, sein Ansehen bei seinen Anhängern, das nach der Ausreise ins Ausland schwer angeschlagen war, sowie seine desolate Finanzlage aufzubessern.
Unabhängig von dieser Bewertung wird die Bundesregierung selbstverständlich wie schon bisher alle Bestrebungen, die auf den Aufbau rechtsextremistischer europäischer Gruppierungen gerichtet sind, sorgfältig beobachten und in Abstimmung mit befreundeten Staaten die nach der Rechtslage möglichen Maßnahmen treffen. In diesem Zusammenhang weise ich darauf hin, daß seit Jahren ein eingespielter Nachrichtenaustausch zwischen den entsprechenden Behörden des westlichen Auslands bis hin zum routinemäßigen Gedankenaustausch auf politischer Ebene besteht.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Peter.
Herr Staatssekretär, besteht dieser Informations- und Gedankenaustausch, den Sie angesprochen haben, auch zwischen der Bundesrepublik und Spanien? In dem Interview ist ja gerade auf Spanien hingewiesen worden.
Dr. Fröhlich, Staatssekretär: Er besteht, Herr Abgeordneter, auch zwischen der Bundesrepublik und Spanien. Er wird sich verdichten, wenn die Mitgliedschaft Spaniens in der EG auch die volle Einbeziehung in die Trevi-Zusammenarbeit ermöglicht, der Spanien bisher mit Beobachterstatus angehört.
Die zweite Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, auf Grund der Nennung französischer Organisationen in dem Interview frage ich: Ist die Bundesregierung bereit, die mir in den Antworten vom 11. April 1984 und 14. Dezember 1983 mitgeteilten Erkenntnisse des Verfassungsschutzes über die Zusammenarbeit zwischen Thule-Gesellschaft und Nouvelle Droite in Frankreich noch einmal zu überprüfen?
Dr. Fröhlich, Staatssekretär: Dazu ist die Bundesregierung bereit.
Der Herr Kollege Sielaff hat eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, ist die Bundesregierung denn jetzt nachträglich der Meinung, daß es nicht ausreichend war, damals Herrn Kühnen nur den Reisepaß abzunehmen und ihm das Verbot des Umgangs mit Gesinnungsgenossen mit auf den Weg zu geben?
Dr. Fröhlich, Staatssekretär: Herr Abgeordneter, das ist eine Rechtsfrage. Sie wissen, es gab ursprünglich von der Stadtverwaltung Stade ein Ausreiseverbot nach dem Personalausweisgesetz, das im verwaltungsgerichtlichen Verfahren dann aufgehoben worden ist. Es geht hier nicht um Fragen des Gefühls, sondern um die Rechtsgrundlage, auf der gehandelt werden kann.
Keine weitere Zusatzfrage.Die Frage 36 des Abgeordneten Reuschenbach wurde vom Fragesteller zurückgezogen.
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5520 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 76. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. Juni 1984
Vizepräsident Frau RengerDie Frage 37 des Abgeordneten Dr. Wernitz soll auf Wunsch des Fragestellers schriftlich beantwortet werden. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.Ich rufe die Frage 38 des Abgeordneten Kißlinger auf:Wie hat sich die Nitratbelastung der Oberflächengewässer und des Grundwassers in Ostbayern in den letzten fünf Jahren entwickelt, und welchen Trend erwartet die Bundesregierung unter Status-quo-Bedingungen'?Bitte schön, Herr Staatssekretär.Dr. Fröhlich, Staatssekretär: Herr Abgeordneter, Meßwerte über die Nitratbelastung von Oberflächengewässern und des Grundwassers in Ostbayern liegen der Bundesregierung nicht vor. Nach Auskunft des für den Vollzug des Wasserrechts zuständigen bayerischen Staatsministeriums des Innern spielt aber die Nitratbelastung von Oberflächengewässern eine untergeordnete Rolle.Bezüglich der Nitratgehalte im Grundwasser hat die bayerische Staatsregierung eine landesweite Erhebung darüber durchgeführt, welche aus dem Grundwasser fördernde Wasserversorgungsunternehmen einen Wert von 50 mg/l überschreiten. Die betroffenen Wasserfassungen einschließlich deren Einzugsgebiete wurden von den Fachbehörden gemeinsam mit den Unternehmensträgern überprüft, um die Ursachen der Nitratbelastung sowie Möglichkeiten der Problemlösung zu untersuchen. Diese umfangreichen Unterlagen werden derzeit noch ausgewertet.Die Ergebnisse dieser Auswertung mit Lösungsvorschlägen für die Beseitigung der Nitratbelastung werden im Herbst 1984 vorliegen. Insofern sind derzeit Aussagen über die Entwicklung der Nitratbelastung und des zukünftigen Trends nicht möglich.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Kißlinger? — Keine Zusatzfrage.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Stiegler, bitte.
Herr Staatssekretär, ist der Bundesregierung bekannt, daß z. B. im Raum Altenstadt/Neustadt in der Oberpfalz zunehmend auch Bleibelastung im Grundwasser auftritt, und welche Reaktionen sind aus der Sicht der Bundesregierung dazu angezeigt?
Dr. Fröhlich, Staatssekretär: Herr Abgeordneter, wie ich bereits vorhin bemerkt habe, liegt die Verantwortung sowohl für die Registrierung solcher Fälle als auch für Abhilfemaßnahmen in der Zuständigkeit der für den Vollzug des Wasserrechts zuständigen Landesbehörde, so daß die Frage zunächst an das zuständige bayerische Staatsministerium für Inneres zu richten ist. Ich bin aber sicher, daß uns im Rahmen des Informationsaustausches der Vorfall, wenn er wirklich von gravierender Bedeutung ist, zur Kenntnis gekommen ist. Aber in erster Linie müssen Maßnahmen aus der Zuständigkeit des Landes Bayern getroffen werden, wenn sie sich als notwendig erweisen.
Keine weitere Zusatzfrage? — Dann rufe ich die Frage 39 des Herrn Abgeordneten Kißlinger auf:
Wie könnte die Nitratbelastung verringert werden, wenn kurzfristig alle technisch möglichen Vorkehrungen und Auflagen in Kraft gesetzt würden'?
Dr. Fröhlich, Staatssekretär: Herr Abgeordneter, die Verringerung der Nitratbelastung muß an der Quelle erfolgen. Entscheidend hierfür ist die Intensivierung der Beratung der Landwirte, z. B. hinsichtlich mengenmäßiger und zeitlicher Verteilung der Düngerzahlen. Dies wird in Bayern — wie auch in anderen Bundesländern — zur Zeit mit Nachdruck betrieben. Daneben können in Trinkwasserschutzgebieten Beschränkungen der landwirtschaftlichen Nutzung vorgeschrieben werden. Das zeitliche Wirksamwerden solcher Maßnahmen hängt wesentlich von den Standortverhältnissen des Einzelfalls ab. Vom Zeitpunkt des Auswaschens bis zum Nitrateintrag ins Grundwasser oder gar in die Wasserfassung können oft mehrere Jahre vergehen.
Die Bundesregierung fördert aus diesem Grund auch Forschungsarbeiten, die sich mit der Nitratentfernung bei der Trinkwasseraufbereitung befassen. Solche „Reparaturmaßnahmen" können und sollen allerdings die Vorsorgemaßnahmen nicht ersetzen.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Kißlinger? — Das ist nicht der Fall.
Frau Blunck, eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, können Sie mir sagen, ob irgendwo schon eine solche Beschränkung der landwirtschaftlichen Nutzung in der Bundesrepublik Deutschland ausgesprochen worden ist?
Dr. Fröhlich, Staatssekretär: Frau Abgeordnete, die Reduzierung der Nutzung erfolgt auf landesrechtlicher Grundlage, hier zunächst im Wege der Beratung des landwirtschaftlichen Betriebsinhabers, und in aller Regel gibt es eine Übereinkunft, die dann dazu führt, daß der Düngereintrag reduziert wird. Es gibt auch rechtliche Möglichkeiten, dies zu erzwingen. Ob und wo davon Gebrauch gemacht worden ist, kann ich Ihnen nicht aus präsentem Wissen beantworten.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Stiegler.
Herr Staatssekretär, können Sie mir, wenn es hier nicht geht, dann in einer ergänzenden Antwort darstellen, welche Vorsorgemaßnahmen im einzelnen die Länder bzw. der Bundesgesetzgeber oder die Bundesregierung als Verordnungsgeber in Angriff zu nehmen gedenken?Dr. Fröhlich, Staatssekretär: Herr Abgeordneter, ich werde Ihnen gerne eine schriftliche Antwort übermitteln, wobei ich nochmals darauf hinweise, daß es sich um landesrechtliche Zuständigkeiten handelt, d. h. die Länder in eigener Zuständigkeit und Verantwortung Maßnahmen treffen müssen.
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 76. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. Juni 1984 5521
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Stockhausen.
Herr Staatssekretär, sind die in einzelnen Ländern erlassenen Gülle-Verordnungen mit einer Obergrenze für die Belastung pro ha mit Gülle nicht auch der Versuch, die Nitratbelastung zu verringern?
Dr. Fröhlich, Staatssekretär: Selbstverständlich, Herr Abgeordneter.
Keine weiteren Zusatzfragen.
Ich rufe die Fragen 40 und 41 des Herrn Abgeordneten Gerstl auf. — Der Abgeordnete ist nicht im Saal. Beide Fragen werden nicht beantwortet.
Ich rufe die Frage 42 des Herrn Abgeordneten Dr. de With auf:
Was haben die Kontakte der Bundesregierung zur DDR und CSSR zur Bekämpfung der Luft- und Wasserverschmutzung in Ostoberfranken erbracht?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Dr. Fröhlich, Staatssekretär: Herr Abgeordneter, mit der DDR haben seit Juni 1983 auf Expertenebene vier Gespräche über Techniken der Rauchgasentschwefelung stattgefunden, in denen sich beide Seiten über den jeweiligen Kenntnis- und den Entwicklungsstand unterrichtet haben. Die Gespräche werden in nächster Zeit mit dem Ziel fortgesetzt werden, gemeinsam praktische Möglichkeiten zur Verminderung von Kraftwerksemissionen zu erarbeiten.
Bei Gesprächen mit der CSSR auf allen Ebenen hat sich die Bundesregierung seit 1977 intensiv um eine Lösung des Problems der Luftverunreinigung im deutsch-tschechoslowakischen Grenzgebiet bemüht.
Bei dem letzten Treffen des deutschen und des tschechoslowakischen Grenzbevollmächtigten am 3. und 4. Mai des Jahres in Bonn wurde die Bildung einer gemeinsamen Arbeitsgruppe aus Umweltfachleuten beider Länder vereinbart, um gemeinsam vergleichbare Meßmethoden und Kriterien für die Messung und Beurteilung von Luftschadstoffen und ihrer Wirkungsweisen sowie technische Problemlösungen zur Minderung der Emissionen von in Grenznähe gelegenen Braunkohlekraftwerken zu erarbeiten. Der tschechoslowakische Außenminister Chnoupek hat die Bereitschaft der CSSR zu dieser Zusammenarbeit in seinem Schreiben vom 31. Mai des Jahres an den Bundesaußenminister ausdrücklich bestätigt. Ein erstes Expertentreffen zum Zwecke gemeinsamer Immissionsmessungen im Bereich der verursachenden Kraftwerke wird noch im Sommer dieses Jahres in der CSSR stattfinden.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter.
Herr Staatssekretär, hat die Bundesregierung in ihre Verhandlungen eingebracht, daß die Medien in Oberfranken den Tod von drei Kleinkindern auf die Pseudokrupp-Krankheit zurückführen und dabei davon ausgehen, daß hier die Luftverschmutzung eine große Rolle gespielt hat?
Dr. Fröhlich, Staatssekretär: Herr Abgeordneter, der Bundesregierung sind diese Vorfälle und die Beunruhigung der Bevölkerung bekannt. Selbstverständlich sind sie auch dem dafür in erster Linie zuständigen Freistaat Bayern bekannt. Eine auf Beschluß des bayerischen Ministerrats durchgeführte medizinische Untersuchung an Personen unterschiedlicher Bevölkerungsgruppen, darunter auch Kindergartenkinder, hat hierzu ergeben, daß durch die Luftverschmutzung keine akute Gefahr für die Bevölkerung in Nordostbayern besteht und wissenschaftlich abgesicherte Zusammenhänge zwischen dem plötzlichen Tod von Kleinkindern und der Luftverschmutzung nicht hergestellt werden können.
Dieses Ergebnis wurde auch anläßlich der öffentlichen Anhörung im Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit des Deutschen Bundestages zum Thema Auswirkungen der Luftverschmutzung auf die menschliche Gesundheit im Februar dieses Jahres bestätigt.
Da aber infolge zahlreicher unbekannter Einzelfaktoren nicht exakt beurteilt werden kann, ob Risiken einer langfristigen chronischen toxischen Schädigung durch Luftverschmutzung bestehen, haben die Bayerischen Staatsministerien des Innern und für Landesentwicklung und Umweltfragen mit einer flächendeckenden Untersuchung begonnen, in der die epidemiologischen Daten über die Häufigkeit des Auftretens bestimmter Atemwegserkrankungen und die Meßergebnisse der Luftüberwachung zusammengeführt und landesweit auf mögliche Korrelationen überprüft werden.
Insgesamt aber, Herr Abgeordneter, läßt sich nach den Ergebnissen der langjährig durchgeführten lufthygienischen Überwachungen feststellen, daß die Werte der SO2-Belastung in Nordostbayern etwa im Mittelfeld aller überwachten Gebiete der Bundesrepublik liegen. Gegenteilige Aussagen, wonach Nordostbayern zu den durch SO2 am stärksten betroffenen Gebieten der Bundesrepublik zähle, treffen daher nicht zu.
Der Bayerische Staatsminister für Landesentwicklung und Umweltfragen hat dies anläßlich eines Gesprächs am 9. Mai des Jahres Politikern und Journalisten aus Nordostoberfranken erläutert. Die Bundesregierung, Herr Abgeordneter, wird dafür Sorge tragen, daß der von Ihnen angesprochenen Frage unter Berücksichtigung der Ergebnisse der bayerischen Erhebungen und in Abstimmung mit der Bayerischen Staatsregierung im Rahmen der bevorstehenden Expertengespräche ein angemessener Stellenwert beigemessen wird.
Zweite Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. de With.
Hat die Bundesregierung im Vorfeld der Beratungen mit der DDR und der CSSR darauf hingewirkt, daß die in Oberfranken bzw. am
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5522 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 76. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. Juni 1984
Dr. de WithRand von Oberfranken bestehenden Werke, wie z. B. das in Arzberg und das in Frauenaurach, die wenn auch verschachtelt, zum Teil im Eigentum des Bundes und des Freistaates Bayern stehen, zunächst entgiftet werden, so daß man sagen kann: Wir kehren vor der eigenen Tür?Dr. Fröhlich, Staatssekretär: Es ist immer ein guter Grundsatz, vor der eigenen Tür zu kehren. Aber Sie wissen, wie schwierig die technischen Probleme auch hier sind. Selbstverständlich ist der Bundesregierung und auch dem Freistaat Bayern bewußt, daß die eigenen Kraftwerke in Grenznähe in gleicher Weise behandelt werden müssen, wie wir das gegenüber den Nachbarstaaten erwarten.
Ich darf jetzt Herrn Verheugen zu einer Zusatzfrage das Wort geben.
Herr Staatssekretär, sieht die Bundesregierung Möglichkeiten, darauf hinzuwirken, daß unter Einbeziehung der grenzüberschreitenden Umweltbelastungen in Nordostoberfranken endlich ein Luftreinhalteplan für diese Region aufgestellt wird?
Dr. Fröhlich, Staatssekretär: Herr Abgeordneter, Sie wissen, daß gerade mit unseren östlichen Nachbarn bei der multinationalen Umweltkonferenz in München gesprochen wird. Zweifellos ist auch das ein Thema, das intensiv erörtert wird. Es gibt auch spezielle bayerische Kontakte, vor allem zu den benachbarten tschechischen Behörden. Ich bin sicher, daß wir in den nächsten Tagen Näheres darüber werden hören können, was vereinbart worden ist.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Büchler .
Herr Staatssekretär, nachdem Sie die Durchschnittswerte angesprochen haben: Ist der Bundesregierung bekannt, daß in Nordostoberfranken zeitweilig die höchsten Spitzenwerte entstehen?
Dr. Fröhlich, Staatssekretär: Herr Abgeordneter, ich kann Ihnen nur wiederholen, daß nach den Unterlagen, die mir aufbereitet worden sind, die Werte für Nordostoberfranken im Mittelfeld der Werte für andere Gebiete liegen, so daß wir nicht sagen können, daß es sich hier im Durchschnitt um Spitzenwerte handelt. Das sagt aber nichts darüber aus, ob sich bei bestimmten Einzelmessungen Spitzenwerte ergeben. Das hängt von bestimmten atmosphärischen Verhältnissen ab.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Stiegler.
Herr Staatssekretär, wird die Bundesregierung in Ausfüllung des deutsch-tschechoslowakischen Vertrages auf die CSSR-Regierung mit dem Vorschlag zugehen, einen Umweltzusammenarbeitsvertrag zu schließen?
Dr. Fröhlich, Staatssekretär: Selbstverständlich ist das Thema sowohl unserer bisherigen Kontakte mit der tschechischen Seite, die ja auch zur Einführung von Umweltbeauftragten geführt hat, als auch der Gespräche, die jetzt in München geführt werden, eine intensivere und auf festen Absprachen beruhende Zusammenarbeit. Ob das nun Umweltzusammenarbeitsvertrag heißt oder ob es eine andere Abrede ist, die in anderer Weise für eine langfristige Kooperation verbindlich ist, muß im Augenblick dahingestellt bleiben.
Ich rufe die Frage 43 des Herrn Abgeordneten Dr. de With auf:
Ist die Bundesregierung bereit, zu einer internationalen Dreier-Konferenz zur Erörterung und zur Bekämpfung der Umweltverschmutzung in Ostoberfranken einzuladen?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Dr. Fröhlich, Staatssekretär: Herr Abgeordneter, die Bundesregierung wird auch weiterhin alles tun, um durch eine Intensivierung der Kontakte mit beiden Staaten, nämlich mit der CSSR und der DDR, die Probleme der Luftverschmutzung einer Lösung näherzubringen. Sie hofft, daß die Münchner Umweltkonferenz, die heute zu Ende geht und an der auch beide Staaten teilgenommen haben, politische Impulse für baldige Fortschritte gibt. Die Bundesregierung wird je nach Fortentwicklung der Zusammenarbeit zu gegebener Zeit prüfen, ob sich ein Dreiertreffen als zweckmäßig erweisen könnte.
Ich darf vielleicht vorschlagen, einige Tage abzuwarten, bis das Ergebnis der Münchner Konferenz bekanntgegeben werden kann.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter.
Ich darf aus Ihrer Antwort, Herr Staatssekretär, schließen, daß die Bundesregierung durchaus bereit wäre, hier nicht etwa in bilaterale Verhandlungen zu treten bzw. diese fortzuführen, sondern eine Dreierkonferenz einzuberufen, nachdem es in der Bundesrepublik kaum einen Landstrich gibt, der eine derartige Zwickellage mit zwei angrenzenden Ländern hat wie Oberfranken?
Dr. Fröhlich, Staatssekretär: Herr Abgeordneter, die auf Initiative des Bundesinnenministers zustandegekommene multinationale Umweltkonferenz in München, an der, wenn ich es recht sehe, 31 Staaten teilnehmen, dient j a gerade dem Zweck, die Zusammenarbeit zu multinationalisieren; denn das Zusammenwirken der Einflüsse aus mehreren Staaten macht in der Tat eine koordinierte Zusammenarbeit notwendig.
Eine weitere Zusatzfrage.
Darf ich nachstoßend noch einmal fragen, ob der Überlegungsprozeß der Bundesregierung mit Rücksicht vielleicht auch auf die Konferenz in München dahin geht, daß es hier doch zweckmäßig wäre, auch aus beispielhaften Gründen, zu einer Dreierkonferenz zu gelangen, weil es wohl, wie ich sagte, kaum einen Grenzbereich gibt, der so zwischen zwei Ländern liegt und von diesen
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Dr. de Withumweltmäßig bestrichen wird wie gerade Ostoberfranken.Dr. Fröhlich, Staatssekretär: Herr Abgeordneter, da ich glaube, daß über diese Fragen mit den Beauftragten auch der beiden Nachbarstaaten Tschechoslowakei und DDR in München gesprochen worden ist, möchte ich mit der Antwort warten, bis der neueste Sachstand aus diesen Gesprächen bekannt ist.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Stiegler.
Herr Staatssekretär, ist der Bundesregierung in der bilateralen Zusammenarbeit mit der CSSR schon ein genauer Termin genannt worden, bis wann die Anlage Sokolov gereinigt sein wird, und ist dieser Termin gemeinsam fixiert worden?
Dr. Fröhlich, Staatssekretär: Nach meinem Kenntnisstand ist eine solche feste Terminabsprache bisher nicht erfolgt. Wenn es anders sein sollte, werde ich es Ihnen mitteilen.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Verheugen.
Herr Staatssekretär, sind Sie der Meinung, daß die Herbeiführung internationaler Vereinbarungen über Beseitigung der Ursachen der Luftverschmutzung und der Gewässerverunreinigung in Ostoberfranken dadurch erleichtert werden könnte, daß die entsprechenden im Bundes-Immissionsschutzgesetz vorgesehenen Luftreinhaltepläne endlich aufgestellt werden, d. h. auch für Oberfranken ein nationaler Luftreinhalteplan aufgestellt wird.
Dr. Fröhlich, Staatssekretär: Mir scheint das plausibel zu sein, Herr Abgeordneter. Ich gehe davon aus, daß die entsprechenden Schritte unternommen sind.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Büchler.
Herr Staatssekretär, ich habe vernommen, daß Sie eventuell bereit sind, diese Dreiergespräche zu führen. Haben Sie einen zeitlichen Rahmen dafür, denn uns in Oberfranken brennt dies auf der Haut?
Dr. Fröhlich, Staatssekretär: Herr Abgeordneter, ich darf präzisieren: Ich habe gesagt, daß über die Frage der Zusammenarbeit mit den beiden Staaten, um die es hier geht, in München gesprochen wird und daß ich gerne abwarten möchte, was auf Ministerebene über die Art und Intensität der weiteren Zusammenarbeit vereinbart worden ist.
Herr Staatssekretär, würden Sie so freundlich sein, noch einmal die Fragen 40 und 41 zur Hand zu nehmen. Herr Kollege Gerstl ist eine Sekunde zu spät gekommen, als ich die Fragen aufrief. Ich möchte sie gern noch einmal aufrufen. Zunächst rufe ich jetzt also die Frage 40 von Herrn Abgeordneten Gerstl auf:
Wie hat sich die Schadstoffbelastung der Luft in den vergangenen fünf Jahren in Ostbayern entwickelt, und welchen Trend prognostiziert die Bundesregierung unter Status-quo-Bedingungen?
Dr. Fröhlich, Staatssekretär: Herr Abgeordneter, wenn Sie gestatten, würde ich Ihre beiden Fragen gerne zusammenhängend beantworten.
Dann rufe ich noch die Frage 41 des Herrn Abgeordneten Gerstl auf:In welcher Weise könnte die Schadstoffbelastung kurzfristig und mittelfristig (zwei bis fünf Jahre) vermindert werden, wenn unverzüglich alle technisch möglichen Verfahren und Anordnungen zur Bekämpfung der Luftverschmutzung in Kraft gesetzt würden?Dr. Fröhlich, Staatssekretär: Dem Bundesminister des Innern liegen für Ostbayern Meßwerte für die Schwefeldioxidbelastung, insbesondere für die letzten drei Jahre, vor. Danach ist eine Änderung der an den jeweiligen Meßstationen ermittelten Werte nicht erkennbar. Die künftige Schadstoffbelastung ist von der Entwicklung der Emissionen in der Bundesrepublik Deutschland und in den Nachbarstaaten abhängig, da, wie Sie ja wissen, ein maßgeblicher Belastungsanteil aus dem Ausland stammt.Mit der Großfeuerungsanlagen-Verordnung hat die Bundesregierung bereits eine besonders wichtige Vorschrift zur Bekämpfung der Luftverunreinigung in Kraft gesetzt. Danach rechnet die Bundesregierung bis 1988 mit einer Verminderung des Schwefeldioxidauswurfs — heute ca. 3 Millionen Jahrestonnen — um über eine Million Jahrestonnen, also um über ein Drittel. Eine kurzfristigere Umrüstung der vorhandenen Anlagen mit Entschwefelungseinrichtungen ist wegen des damit verbundenen Zeitaufwandes für Planung, Bau und Inbetriebnahme nicht möglich.Durch Kabinettsbeschlüsse vom 21. Juli und26. Oktober 1983 hat die Bundesregierung die Einführung bleifreien Benzins und des umweltfreundlichen Autos ab 1. Januar 1986 beschlossen und damit die Voraussetzungen für eine nachhaltige Verminderung der vom Verkehr ausgehenden Schadstoffemissionen geschaffen. Am 3. Juli dieses Jahres wird sich das Bundeskabinett mit einem Bündel von Einzelmaßnahmen zur Umsetzung dieser Beschlüsse befassen. Darüber hinaus wird die Bundesregierung in den anstehenden Ratsverhandlungen der EG mit Nachdruck darauf dringen, auch EGweit eine möglichst frühzeitige Einführung des umweltfreundlichen Autos durchzusetzen.Auf die Verminderung der aus ausländischen Quellen stammenden Emissionen hat die Bundesregierung nur mittelbaren Einfluß. Sie führt zu diesem Zweck bilaterale Gespräche mit der DDR und der CSSR. Sie hat darüber hinaus für den 24. bis27. Juni 1984 zu einer internationalen Umweltkonferenz auf Ministerebene nach München eingeladen. Ich habe darüber schon gesprochen. Die Bundesregierung erhofft sich davon eine Förderung der ge-
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5524 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 76. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. Juni 1984
Staatssekretär Dr. Fröhlichmeinsamen Luftreinhaltestrategie zur Bekämpfung der Emissionen an der Quelle in allen Staaten in Ost und West.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Gerstl.
Herr Staatssekretär, Sie sprachen von einem maßgeblichen Anteil der Luftverschmutzung aus den Nachbarländern. Können Sie diesen maßgeblichen Anteil nicht in Prozenten ausdrücken?
Dr. Fröhlich, Staatssekretär: Ich weiß nicht, ob es darüber verbindliche Prozentzahlen gibt, Herr Abgeordneter. Der Eintrag von Schadstoffen aus Nachbarstaaten hängt ja von den jeweiligen klimatischen Verhältnissen ab. Wenn es Zahlen geben sollte, teile ich sie Ihnen mit.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Stiegler.
Herr Staatssekretär, Sie haben in Ihrer Antwort nur die Entwicklung beim Schwefeldioxideintrag dargestellt. Wie sieht es denn bei den Photooxidantien und bei den Stickoxiden aus?
Dr. Fröhlich, Staatssekretär: Herr Abgeordneter, Messungen, auf die ich hier Bezug genommen habe, gibt es nur für Schwefeldioxid und nicht für die von Ihnen genannten Schadstoffe, so daß die Vergleichszahlen für die Entwicklung nicht in gleichem Maße genannt werden können. Ich gehe davon aus, daß die Maßnahmen zur Reduzierung dieser Schadstoffe in gleicher Weise im Gange sind wie für das Schwefeldioxid.
Eine zweite Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Stiegler.
Herr Staatssekretär, wird die Bundesregierung denn jetzt schleunigst dafür eintreten, daß auch bei den Stickoxiden und bei den Photooxidantien Messungen vorgenommen werden, damit auch dort Fakten auf den Tisch kommen'?
Dr. Fröhlich, Staatssekretär: Ich bin über die technischen Probleme, die dem entgegenstehen könnten, nicht hinreichend informiert. Wenn Sie es möchten, lasse ich Ihnen darüber aber Näheres zukommen.
Eine Zusatzfrage. Herr Abgeordneter Büchler.
Herr Staatssekretär, ist der Bundesregierung bekannt, daß gerade die letzten beiden Wirkstoffe in besonderer Weise die Waldschäden verursachen?
Dr. Fröhlich, Staatssekretär: Wenn das so ist, ist es der Bundesregierung auch bekannt.
Keine weitere Zusatzfrage.
Ich rufe Frage 44 des Herrn Abgeordneten Büchler auf:
Ist die Bundesregierung bereit, mit der CSSR und der DDR in konkrete Verhandlungen zu treten, um in einem gemeinsamen Kooperationsvertrag möglichst schnell durch gemeinsam produzierte Filteranlagen wenigstens die gröbsten Umweltschäden zu beseitigen?
Dr. Fröhlich, Staatssekretär: Herr Abgeordneter, seit Juni 1983 haben auf Expertenebene vier Gespräche mit der DDR über Techniken der Rauchgasentschwefelung stattgefunden, in denen sich beide Seiten über den jeweiligen Kenntnis- und Entwicklungsstand unterrichtet haben. Die Gespräche sollen demnächst mit dem Ziel fortgesetzt werden, praktische Möglichkeiten zur Verminderung von Kraftwerksemissionen zu erarbeiten.
Die deutsch-tschechoslowakischen Grenzbevollmächtigten konnten sich bei einem Treffen Anfang Mai in Bonn darauf einigen, daß auch hier in Zukunft eine Expertengruppe zur Frage der Luftreinhaltung eingerichtet werden soll.
Die Bundesregierung ist bei den Gesprächen offen für jede vernünftige und praktikable Regelung, die der Verminderung des Schadstoffauswurfs aus Anlagen dient. Bisher ist nicht erkennbar, ob die beiden Nachbarstaaten an einem Kooperationsvertrag für eine gemeinsame Produktion von Filteranlagen interessiert sind.
Zusatzfrage, Abgeordneter Büchler.
Herr Staatssekretär, hat die Bundesregierung einen Vorschlag zum Abschluß eines Kooperationsvertrages unterbreitet?
Dr. Fröhlich, Staatssekretär: Herr Abgeordneter, die Unterbreitung eines solchen Vorschlages würde mit ziemlicher Sicherheit mit finanziellen Aspekten verbunden werden. Insoweit ist mit einer gewissen Vorsicht zu verfahren.
Ihre zweite Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, ist Ihnen bewußt — die Diskussion in der Fragestunde heute nachmittag hat es gezeigt —, wie sehr die Menschen in Oberfranken darauf hoffen, daß ein solcher Vorschlag wirklich in die Tat umgesetzt wird, und daß die Filteranlagen wenigstens bei den größten Luftverschmutzern in diesem Grenzbereich möglichst schnell eingebaut werden?
Dr. Fröhlich, Staatssekretär: Das ist der Bundesregierung mit Sicherheit bewußt, Herr Abgeordneter.
Zusatzfrage, Abgeordneter Stiegler.
Herr Staatssekretär, ist Ihnen bekannt, daß sich insbesondere auch Japan intensiv um die Zusammenarbeit auf dem Gebiete des Umweltschutzes mit der CSSR bemüht und daß man dort oft auf die Restriktionen angesprochen wird,
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 76. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. Juni 1984 5525
Stieglerdie von der westlichen Cocom-Politik herrühren, und daß die Gefahr besteht, daß die Zusammenarbeit technologisch in die andere Richtung geht, wenn die Bundesregierung hier nicht sehr schnell aktiv wird und auch Vorbehalte verbindlich ausräumen kann?Dr. Fröhlich, Staatssekretär: Herr Abgeordneter, bei der sehr intensiven Zusammenarbeit gerade mit Japan in Fragen der Umwelttechnolgie und der Umweltpolitik bin ich sicher, daß das von Ihnen angesprochene Problem hier bekannt ist. Eine Delegation des Deutschen Bundestages hat ja erst kürzlich Japan besucht; sie hat sicher wertvolle Informationen beizusteuern. Insoweit kann ich Ihre Anfrage mit Ja beantworten.
Zusatzfrage, Dr. de With.
Herr Staatssekretär, wäre die Bundesregierung bereit, sich ein Dreier-Kooperationsabkommen — ich darf das in Anführungsstriche setzen — „etwas kosten" zu lassen, nachdem an der Grenze dort auch ein deutsches Werk liegt und der Wind nicht immer von Westen her weht?
Dr. Fröhlich, Staatssekretär: Herr Abgeordneter, Sie wissen sicher selber, daß Sie mich in eine schwierige Lage bringen, wenn Sie mich fragen, ob sich die Bundesregierung irgend etwas etwas kosten läßt. Das kann ich aus meiner Kompetenz heraus in dieser Form nicht beantworten.
Zusatzfrage, Abgeordneter Verheugen.
Herr Staatssekretär, glauben Sie, daß die Bundesregierung dafür Sorge tragen kann, daß im Falle der Einfädelung weiterer Milliardenkredite gegenüber östlichen Nachbarn dafür Sorge getragen wird, daß diese Milliardenkredite möglicherweise zur Vermeidung weiterer Luftverschmutzungen eingesetzt werden'?
Dr. Fröhlich, Staatssekretär: Herr Abgeordneter, ich bin sicher, daß das, was Sie hier sagen, als Anregung von den dafür zuständigen Stellen zur Kenntnis genommen wird.
Keine weitere Zusatzfrage.
Ich rufe Frage 45 des Herrn Abgeordneten Schreiber auf. — Der Kollege Schreiber ist nicht im Saal. Die Frage wird nicht beantwortet.
Ich rufe Frage 46 des Herrn Abgeordneten Clemens auf:
Ist die Bundesregierung der Auffassung, daß ein wegen Wehrdienstverweigerung in der DDR zu einer Freiheitsstrafe Veurteilter nach seiner Entlassung in die Bundesrepublik Deutschland Ansprüche auf Anerkennung dieser Haftzeit nach dem Häftlingshilfegesetz geltend machen kann, und wird sie gegebenenfalls durch eine gesetzgeberische Initiative dafür sorgen, daß diese Auffassung auch in die Praxis umgesetzt wird?
Dr. Fröhlich, Staatssekretär: Herr Abgeordneter, für die Anerkennung als ehemaliger politischer
Häftling nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 des Häftlingshilfegesetzes ist Voraussetzung, daß die Verurteilung in der DDR mit der verfassungsmäßigen Ordnung der Bundesrepublik Deutschland nicht zu vereinbaren ist. Bei Bestrafungen wegen Wehrdienstentziehungen und Wehrdienstverweigerung in der DDR haben Rechtsprechung und Verwaltungspraxis zur Anwendung des Häftlingshilfegesetzes und zur Erklärung der Unzulässigkeit der Vollstreckung Grundsätze entwickelt, die eine Einbeziehung hiervon Betroffener in das Häftlingshilfegesetz ermöglichen. Bei der Entscheidung kommt es jedoch auf den der Verurteilung im Einzelfall zugrunde liegenden Sachverhalt an.
Über die Anerkennung entscheiden die in den Ländern zuständigen Behörden, die das Häftlingshilfegesetz im Auftrag des Bundes ausführen. Deren Verwaltungspraxis gibt nach unserer Kenntnis keinen Anlaß, Gesetzesänderungen anzuregen.
Sollte Ihnen, Herr Abgeordneter, ein nach Ihrer Auffassung unbefriedigend entschiedener Einzelfall vorliegen, so bin ich gern bereit, diesen über die zuständige Aufsichtsbehörde prüfen zu lassen.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Clemens.
Herr Staatssekretär, wie beurteilt die Bundesregierung die ablehnende Begründung des Antrages eines ehemaligen Bürgers der DDR durch das Amt für Vertriebene in Braunschweig — Sie sehen, es liegt ein solcher Fall vor —, wonach eine Wehrdienstverweigerung in der Bundesrepublik genauso bestraft werden könnte, wie das in der DDR geschehen ist?
Dr. Fröhlich, Staatssekretär: Eine Begründung in dieser pauschalen Form würde ich nicht für richtig halten, Herr Abgeordneter.
Eine zweite Zusatzfrage, bitte schön, Herr Kollege.
Wenn Sie so antworten, Herr Staatssekretär, möchte ich Sie weiter fragen, wie Sie die Tatsache beurteilen, daß eine Gleichsetzung der Wehrdienstverweigerung in der DDR mit der Wehrdienstverweigerung in der Bundesrepublik vorgenommen wird, und ob in Ihrer Antwort nicht berücksichtigt werden müßte, daß bei uns ein Wehrersatzdienst geleistet werden kann.
Dr. Fröhlich, Staatssekretär: Herr Abgeordneter, wie wir diesen Fall beurteilen, kann ich indirekt durch den Hinweis beantworten, daß wir uns wegen des Falles, den Sie ansprechen und der uns bekannt ist, mit der zuständigen Landesbehörde in Verbindung gesetzt haben.
Keine weitere Zusatzfrage. — Dann rufe ich die Frage 47 des Herrn Abgeordneten Dr. Czaja auf:Müßte nach pflichtgemäßen Beobachtungen der seitens der Bundesregierung in die Rundfunkanstalt des Bundesrechts „Deutschlandfunk" entsandten Gremienmitglieder nicht der Entwertung seines gesetzlichen Sendeauftrags durch Änderung in den Strukturen und den Anstellungsver-
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5526 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 76. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. Juni 1984
Vizepräsident Frau Rengerträgen dann entgegengewirkt werden, wenn die öffentliche, bisher unwidersprochene Aussage eines hauptamtlichen Mitarbeiters des Deutschlandfunks zutrifft: „Dabei sind wir alle satt und bequem geworden, in unkündbaren Positionen, mit dicken Gehältern und einem beruhigenden Polster von Tarifverträgen und Arbeitsgerichtsentscheidungen, die unsere Privilegien absichern" , oder sind diese Behauptungen nach den Beobachtungen dieser Gremienmitglieder ganz oder teilweise unzutreffend?Bitte sehr, Herr Staatssekretär.Dr. Fröhlich, Staatssekretär: Herr Abgeordneter, die Bundesregierung sieht sich leider außerstande, die Gremienmitglieder des Deutschlandfunks, zu denen Sie ja selbst gehören, nach Beobachtungen hinsichtlich der von Ihnen angesprochenen arbeits- und tarifrechtlichen Strukturen zu befragen. Die Bundesregierung respektiert damit die im Bundesrundfunkgesetz zum Ausdruck gekommene Staatsferne der Rundfunkanstalten. Nach § 7 des Bundesrundfunkgesetzes werden nämlich von der Bundesregierung Mitglieder in den Rundfunkrat des Deutschlandfunks nicht entsandt. Das Gesetz sieht lediglich eine Benennung von fünf Rundfunkratsmitgliedern durch die Bundesregierung vor.Insoweit wird auch ein Höchstmaß an Unabhängigkeit der Rundfunkanstalten des Bundesrechts sichergestellt. Die Mitglieder des Rundfunkrats sind nicht weisungsgebundene Vertreter, sondern unabhängige Persönlichkeiten, die in eigener Verantwortung handeln.In der Sache selbst möchte ich darauf hinweisen, daß es sich bei der zitierten Äußerung um die persönliche Bewertung der Gehalts- und Tarif situation durch einen Mitarbeiter des Deutschlandfunks handelt. Ich schließe mich insoweit der Ihnen schon vom Intendanten des Deutschlandfunks übermittelten Bewertung an, daß es Sache des einzelnen Journalisten ist, wie positiv oder negativ er sich selbst oder seine Kollegen darstellt.Dafür, daß durch die gegenwärtigen arbeits- und tarifrechtlichen Regelungen der gesetzliche Sendeauftrag des Deutschlandfunks beeinträchtigt würde, liegen der Bundesregierung keine Anhaltspunkte vor. Ich habe auch nicht gehört, daß der Programmbeirat oder der Rundfunkrat in dieser Richtung bisher Überlegungen angestellt haben.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Czaja.
Herr Staatssekretär, darf ich davon ausgehen, daß von der Bundesregierung benannte Vertreter — es sind ja immerhin fünf — für die Tätigkeit in einer öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalt benannt worden sind — wenn Sie auch mit Recht betonen, daß sie keinen staatlichen Weisungsbefugnissen unterlägen —, um dort für die Beachtung der gesetzlichen Zwecke und der verfassungsmäßigen Ziele öffentlich-rechtlicher Rundfunkanstalten zu sorgen, deren Einhaltung zu überwachen und auch denen, die sie benannt haben, darüber zu berichten?
Dr. Fröhlich, Staatssekretär: Herr Abgeordneter, wir sollten gemeinsam davon ausgehen, daß die Benennung dieser Persönlichkeiten unter Auswahlkriterien erfolgt ist, die sicherstellen, daß die Benannten in eigener Verantwortung ihrer Aufgabe auch ohne Überwachung, die rechtlich ohnedies nicht möglich ist, gerecht werden.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Czaja, bitte.
Herr Staatsminister, wenn sie dort nur auf Grund ihrer eigenen Verantwortung tätig sind, so ist kaum verständlich, warum sie durch die Bundesregierung benannt werden. Doch wohl nicht nur, um die bescheidenen Sitzungsgelder in Empfang zu nehmen, sondern auch deshalb, um dort gewisse Tätigkeiten auszuüben.
Aber abgesehen davon frage ich Sie: Müssen es die benannten Vertreter nicht sehr ernst nehmen, wenn in einer öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalt ein kritischer Mitarbeiter behauptet: „Dabei sind wir alle satt und bequem geworden, in unkündbaren Positionen, mit dicken Gehältern und einem beruhigenden Polster von Tarifverträgen . .., die unsere Privilegien absichern"? Meinen Sie, daß damit ein „umfassendes Bild von Deutschland" gegeben werden kann?
Dr. Fröhlich, Staatssekretär: Herr Abgeordneter, Sie haben mir gegenüber die Kenntnis des Insiders voraus, weil Sie als Mitglied von Rundfunkrat und Programmausschuß wissen, was in diesen Gremien besprochen wird, und deswegen auch selbst die Frage beantworten könnten, ob den Mitgliedern diese Äußerung bekannt ist. Ich persönlich habe keinen Zweifel, daß die Mitglieder ihre Aufgabe ernst und pflichtgemäß wahrnehmen und sich deswegen auch um solche Vorgänge kümmern.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Verheugen.
Gilt das Grundrecht der Meinungsfreiheit auch für hauptamtliche Mitarbeiter des Deutschlandfunks?
Dr. Fröhlich, Staatssekretär: Ich kann dem Grundgesetz keine andere Deutung entnehmen.
Eine weitere Zusatzfrage? — Ich danke Ihnen, Herr Staatssekretär. Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministers der Justiz. Der Parlamentarische Staatssekretär Erhard steht zur Verfügung.Ich rufe die Frage 48 des Herrn Abgeordneten Dr. Czaja auf:Teilt die Bundesregierung die Auffassung des 87. Deutschen Ärztetages, daß „die Begründung einer Vielzahl der ,Notlagenindikationen` einer gerichtlichen Überprüfung an Hand der Leitsätze des Bundesverfassungsgerichts vom 25. Februar 1975 nicht standhält und damit solche als rechtswidrig zu bezeichnen wären" und die Überbürdung der Kosten für soziale Notlagenindikation auf die Versicherten-Gemeinschaft, die auch „gegen den prinzipiellen ärztlichen Heilungsauftrag verstößt" sowie „die ärztliche Gewissensfreiheit in diesem Bereich praktisch aufhebt" (Drucksache IV/37), und wenn ja, was hält die Bundesregierung für notwendig, um die gravierenden Rechtsverletzungen zu verhindern?
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 76. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. Juni 1984 5527
Vizepräsident Frau RengerBitte sehr, Herr Staatssekretär.
Herr Kollege Czaja, ich werde mir Mühe geben, die Frage mit vielen Aspekten so kurz wie möglich zu beantworten.
Der Bundesregierung liegen keine gesicherten Erkenntnisse zur Beurteilung der Frage vor, ob Ärzte in einer Vielzahl von Fällen Indikationsfeststellungen nach § 218 a Abs. 2 Nr. 3 des Strafgesetzbuches getroffen haben, obwohl die Vorausetzungen der Notlagenindikation nicht vorlagen. Aus empirischen Studien — ich verweise auf Band 123 der Schriftenreihe des Bundesministers für Jugend, Familie und Gesundheit — ist zwar bekanntgeworden, daß in Einzelfällen das Vorliegen einer sonstigen schweren Notlage bescheinigt wurde, ohne daß eine solche in Wirklichkeit gegeben war. Hierbei handelt es sich jedoch um Fälle, die durch statistische Erhebungen nicht belegt werden können und deshalb einen zuverlässigen Schluß auf eine allgemein verbreitete Übung nicht zulassen.
Die Bundesregierung mißt der Aussage des 87. Deutschen Ärztetages eine hohe Bedeutung bei. Da die Ärzte dem fraglichen Geschehen sehr nahestehen, wird die Bundesregierung in Zusammenwirken mit den Verantwortlichen des Deutschen Ärztetages versuchen, die konkreten Erfahrungen der Ärzteschaft zu prüfen, um gesicherte Erkenntnisse darüber zu gewinnen, ob die Aussage des Deutschen Ärztetages richtig ist. In diesem Zusammenhang sei darauf hingewiesen, daß ausweislich der Strafverfolgungsstatistik des Statistischen Bundesamtes in den Jahren 1977 bis einschließlich 1982 keine gerichtlichen Strafverfahren wegen unrichtiger ärztlicher Feststellungen durchgeführt wurden.
Einen Konflikt zwischen der geltenden Finanzierungsregelung einerseits und dem prinzipiellen ärztlichen Heilungsauftrag andererseits sieht die Bundesregierung nicht. Die geltende Finanzierungsregelung betrifft in erster Linie das Verhältnis Versicherter zur Krankenkasse, und zwar sowohl auf der Beitrags- als auch auf der Leistungsseite. Daß auch der Arzt im Ergebnis einen Honoraranspruch gegen die Krankenkasse hat, läßt seinen prinzipiellen ärztlichen Heilungsauftrag unberührt. Die Gewissensfreiheit des Arztes ist durch Art. 2 des 5. Strafrechtsreformgesetzes ausdrücklich abgesichert, demzufolge niemand verpflichtet ist, an einem Schwangerschaftsabbruch mitzuwirken.
In diesem Zusammenhang möchte ich nur noch darauf hinweisen, daß das Bundesverfassungsgericht in seinem Beschluß vom 18. April 1984 — also vor kurzem — folgendes ausgeführt hat, was bei verständiger Betrachtung einer pluralistischen Gesellschaft selbstverständlich ist — ich zitiere —:
Der einzelne Bürger, der eine bestimmte Verwendung des Aufkommens aus öffentlichen Abgaben für grundrechtswidrig hält, kann aus seinen Grundrechten keinen Anspruch auf generelle Unterlassung einer solchen Verwendung herleiten. Soweit diese mit seinem Glauben, seinem Gewissen, seinem religiösen oder weltanschaulichen Bekenntnis unvereinbar ist, kann er jedenfalls nicht verlangen, daß seine Überzeugung zum Maßstab der Gültigkeit gesetzlicher Rechtsnormen oder ihrer Anwendung gemacht wird.
Die Bundesregierung sieht zur Zeit keine Möglichkeit, den nicht auszuschließenden mißbräuchlichen Fällen von Schwangerschaftsabbrüchen unmittelbar oder durch Vorschläge zur Änderung der gesetzlichen Bestimmungen zu begegnen. Sowohl die Strafvorschriften wie auch die Vorschriften über Ordnungswidrigkeiten reichen aus, den Mißbräuchen wirksam zu begegnen. Auch ist die Bundesregierung der Auffassung, daß das Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient nicht eingeschränkt oder gar ausgehöhlt werden darf. Ein allgemeines Mißtrauen gegen das Verhalten der Ärzte ist nicht begründet. Rechtsverletzungen müssen von den dafür zuständigen Behörden aufgeklärt und, falls diese Verletzungen strafrechtlich relevant sind, auch verfolgt werden. Die Bundesregierung hat keinen Anlaß zu der Annahme, daß sich die Justizbehörden der Länder pflichtwidrig verhalten.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Czaja.
Herr Staatssekretär, darf ich den ersten Teil Ihrer Antwort so verstehen, daß der Bundesjustizminister mit aller Intensität überlegt, wie die bestehende Rechtsordnung, vor allem im Sinne des Schutzes des menschlichen Lebens, angesichts der Tatsache zu wahren ist, daß immerhin — bei verfälschten Statistiken — 220 000 Abtreibungen jährlich zu verzeichnen sind, davon 60 %, wie auch der Ärztetag, eine Zusammenfassung der amtlichen Ärztekammern, feststellt, unter Verletzung des § 14 des Gesetzes über die Bundesstatistik? Ist das alles, insbesondere da die Ärztekammer dies als meist rechtswidrige Abtreibungen bezeichnet, nicht Anlaß, sich intensiv damit zu befassen, wie die Rechtsordnung gewahrt werden kann?
Erhard, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Czaja, Sie haben mich völlig richtig verstanden. Die Bundesregierung, nicht nur das Bundesministerium der Justiz geht den Verdächtigungen und Verdachtselementen mit großer Aufmerksamkeit nach und versucht, Wege zu finden, wie erreicht werden kann, daß die geltende Rechtsordnung auch beachtet wird.
Eine zweite Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, nimmt es die Bundesregierung und der Bundesminister ebenso ernst, daß der Deutsche Ärztetag — ich sage es noch einmal: das ist die Zusammenfassung der Ärztekammern — die Feststellung trifft, daß die medizinisch nicht begründeten Abtreibungen „die ärztliche Gewissensfreiheit praktisch aufheben", und muß nicht intensiv darüber nachgedacht werden, wie die Gewissensfreiheit eines großen Berufsstandes, nämlich der Ärzte, gewährleistet werden kann?
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5528 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 76. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. Juni 1984
Erhard, Parl. Staatssekretär: Herr Kolelge Czaja, ich kann nur auf meine gegebene Antwort verweisen. Die Gewissensfreiheit, die gar nichts kostet, ist auch keine. Wenn man sich aus Gewissensgründen einer bestimmten Tätigkeit entzieht, dann muß das auch gelten und möglich sein, wenn man dadurch wirtschaftliche Einbußen erleidet. Sonst ist die Einhaltung von Gewissensfragen nicht sehr viel wert.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. de With.
Herr Staatssekretär, kann ich aus Ihren Darstellungen, nach denen Sie jede gesetzliche Änderung in diesem Bereich ablehnen, entnehmen, daß die Bundesregierung keineswegs den Gruppenantrag von Unionsabgeordneten unterstützt, nach dem die Bezahlung der Abtreibung bei Sozialindikation durch Krankenkassen abgeschafft werden soll?
Erhard, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege de With, wenn die Bundesregierung der Auffassung der Antragsteller wäre, wäre ein Regierungsentwurf vorgelegt worden.
Eine Zusatzfrage, Frau Abgeordnete Matthäus-Maier.
Hat sich an dieser gerade dargelegten Auffassung dadurch etwas geändert, daß das Bundesverfassungsgericht am 18. April 1984 einen entsprechenden Beschluß gefaßt hat, oder bleibt es auch danach bei dieser Ihrer Auffassung?
Erhard, Parl. Staatssekretär: Die Bundesregierung wird, wie es in der Koalitionsvereinbarung nachzulesen ist, die Sie mit Sicherheit auch gelesen haben, Frau Kollegin, nunmehr über das weitere Verfahren nachdenken, und es wird eine Entscheidung ergehen. Zu welchem Zeitpunkt das sein wird, kann ich nicht sagen, weil auch ein Mitglied der Bundesregierung oder gar ein Parlamentarischer Staatssekretär kein Hellseher ist.
Weitere Zusatzfragen werden nicht gewünscht.
Ich rufe jetzt die Frage 49 der Frau Abgeordneten Männle auf:
Wie häufig kommen Fälle von Ehescheidungen vor, bei denen Anwartschaften nicht in den Versorgungsausgleich einbezogen wurden, weil sie weder dem ausgleichsberechtigten Ehegatten noch dem Gericht bekanntgeworden sind, und welche Möglichkeiten sieht die Bundesregierung, in diesen Fällen bei späterem Bekanntwerden einen Ausgleich zu schaffen?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Erhard, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin Männle, ich beantworte Ihre Frage wie folgt: Der Bundesregierung ist nicht bekannt, wie häufig die von Ihnen angesprochenen Fallgestaltungen vorkommen; entsprechende Untersuchungen liegen nicht vor. Es ist jedoch zu vermuten — aber nur zu vermuten —, daß diese Fälle nicht ganz selten sind.
Eine spätere, ergänzende Entscheidung über den Versorgungsausgleich nach Bekanntwerden einer weiteren Anwartschaft wird in der Regel nur dann getroffen werden können, wenn das Familiengericht in seiner ersten Entscheidung nur über einen Teil des Versorgungsausgleichs vorab entschieden hat und dies in der Entscheidung oder in den Begleitumständen zum Ausdruck kommt.
Ist sich das Gericht jedoch nicht bewußt, daß es den Versorgungsausgleich unvollständig regelt, steht einer späteren, ergänzenden Entscheidung § 18 Abs. 2 FGG entgegen. Auch ein Wiederaufnahmegrund dürfte kaum jemals vorliegen. Diese Rechtsauffassung hat auch der Bundesgerichtshof in einem Beschluß vom 29. Februar dieses Jahres vertreten. Von diesem Beschluß ist, soweit ersichtlich, bisher nur der Leitsatz in der Familienrechtszeitschrift 1984, Heft 5 abgedruckt.
Das sich aus dem geltenden Recht insbesondere für den Ausgleichsberechtigten ergebende unerfreuliche Ergebnis könnte nur durch eine Gesetzesänderung vermieden werden. Bei den ohnehin notwendigen Änderungen im Bereich des Versorgungsausgleichs wird der von ihnen angesprochenen Problematik besondere Aufmerksamkeit gewidmet werden müssen. Die Vorstellungen, die bis jetzt hinsichtlich einer Neuregelung des Versorgungsausgleiches vorhanden sind, würden solche Fälle künftig vermeidbar erscheinen lassen.
Zusatzfrage, Frau Kollegin.
Eine kleine Zusatzfrage: Sehen Sie Möglichkeiten, vor Eröffnung eines Verfahrens zum Versorgungsausgleich eventuelle Ansprüche bekanntzumachen?
Erhard, Parl. Staatssekretär: Wenn die Parteien das Vorhandensein von Anwartschaften verschweigen — keine der Parteien etwas sagt und die eine von der anderen in dieser Hinsicht nichts weiß —, dann kann das Gericht es schließlich auch nicht besser wissen. Ich sehe keine Möglichkeit, dem Gericht bei Verschweigen durch die Parteien größere Weisheit zu vermitteln.
Eine Zusatzfrage, Herr Dr. Schöfberger.
Könnte die Bundesregierung bei der von Ihnen, Herr Staatssekretär, angekündigten Gesetzesergänzung auch daran denken, die Abänderungsklage nach § 323 ZPO so zu gestalten, daß nicht nur neue Tatsachen und Beweismittel für ein neues Urteil sorgen könnten, sondern daß auch alte Tatsachen und Beweismittel, die aber unbekannt geblieben sind —, sei es aus Verschulden, sei es aus anderen Gründen — die materielle Rechtskraft des früheren Urteils aufheben und zu einem neuen Urteil führen könnten?Erhard, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Schöfberger, die Bundesregierung hat sich, was diesen
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 76. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. Juni 1984 5529
Parl. Staatssekretär Erhardkonkreten Teil einer Neuregelung angeht, noch nicht zu einer abschließenden Meinung durchgerungen. Aber es besteht die Absicht, die ja schon durch das Härteregelungs-Gesetz und die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts praktisch notwendig geworden ist, eine Anpassung der Versorgungsanwartschaften in entsprechender Anwendung des § 323 ZPO vorzunehmen. Wie das auszugestalten ist, wird von der Bundesregierung vorgeschlagen und dann im Rechtsausschuß noch überprüft werden können.
Dr. de With, eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, wann ist, bitte, mit der Vorlage des eben angekündigten Entwurfs in etwa zu rechnen?
Erhard, Parl. Staatssekretär: Sie möchten von der Bundesregierung eine Antwort haben, die ich Ihnen nicht geben kann. Ich weiß es nicht, ich kann es auch nicht in etwa sagen. Wenn es nach mir ginge, hätten Sie es schon.
Ich rufe nunmehr die Frage 50 des Abgeordneten Dr. Schöfberger auf:
Warum hat sich die Bundesrepublik Deutschland der von der EG-Kommission geplanten Einführung der Produzentenhaftung widersetzt ?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Erhard, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Dr. Schöfberger, ich antworte wie folgt: Ihre Fragen zielen, wenn ich es richtig verstehe, auf die Haltung ab, die die Vertreter der Bundesregierung auf der Tagung des Verbraucherrats am 5. Juni dieses Jahres eingenommen haben und über die in der von Ihnen erwähnten Zeitungsnotiz berichtet wird.
Soweit die Richtlinie über die Produkthaftung angesprochen ist, trifft es nicht zu, daß sich die Bundesregierung der Einführung dieser Haftung widersetzt hat. Das Konzept einer solchen Haftung wird seit längerem in den zuständigen EG-Gremien erörtert. Auf der erwähnten Tagung des Verbraucherrats ist lediglich ein — wenn auch gewichtiger — Punkt des Gesamtkomplexes zur Sprache gekommen, nämlich die Frage, ob die Haftung des Produzenten nach der Richtlinie von den Mitgliedstaaten summenmäßig begrenzt werden kann.
Im deutschen Recht sind Gefährdungshaftungstatbestände im allgemeinen mit Haftungshöchstgrenzen gekoppelt. Demgemäß hat die Bundesregierung auch bei dem Richtlinienvorschlag, der eine verschuldensunabhängige Haftung für Produktfehler vorsieht, eine Haftungsgrenze für den Gesamtschaden gefordert, der durch den gleichen Fehler verursacht worden ist. Nach den derzeitigen Vorstellungen soll die Grenze bei mindestens 110 Millionen DM liegen, d. h. nur der Betrag, der diese Grenze übersteigt, soll nicht ersetzt werden.
Vorgesehen ist ferner, nach Ablauf einer bestimmten Zeit erneut darüber zu befinden, ob die
Grenze gegebenenfalls heraufgesetzt werden oder ganz entfallen kann.
Diesen Vorschlag hat sich die Kommission inzwischen zu eigen gemacht. Er wird auch von anderen Mitgliedstaaten unterstützt; einige Mitgliedstaaten haben dagegen Vorbehalte gegen eine Haftungsbegrenzung. Die Beratungen sind nocht nicht abgeschlossen und werden demnächst unter der irischen Präsidentschaft fortgesetzt.
Es ist also nicht, wie es in der Zeitungsnotiz heißt, so, daß die Einführung der Produkthaftung einstweilen abgeschmettert worden ist.
Eine Zusatzfrage, Herr Dr. Schöfberger.
Darf ich Ihrer Antwort, Herr Staatssekretär, erfreulicherweise entnehmen, daß sich die Bundesregierung entgegen der Praxis ihrer Vorgängerregierungen nicht einseitig den Interessen der Produzenten gewidmet und die Interessen der Verbraucher hintangestellt hat, daß also die Meldung in der „Süddeutschen Zeitung" zumindest unvollständig, wenn nicht unrichtig ist und daß die Bundesregierung mit einem geeigneten Pressemittel dafür sorgen könnte, daß darüber auch in der „Süddeutschen Zeitung" vollständig und wahrheitsgemäß berichtet wird?
Erhard, Parl. Staatssekretär: Zu dem ersten Teil Ihrer Frage kann ich Ihnen nur die Bestätigung geben: Die Bundesregierung kümmert sich intensiv um einen wirksamen Verbraucherschutz.
Zur zweiten Frage: Die Bundesregierung sieht keine Möglichkeit, einem Presseorgan etwas aufzuerlegen, was dieses selber nicht will.
Zweite Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Schöfberger.
Von Aufzwingen ist nicht die Rede, aber eine freundliche Mitteilung an die „Süddeutsche Zeitung", doch ein bißchen vollständiger und richtig zu berichten, könnte man der Bundesregierung und der „Süddeutschen Zeitung" doch zumuten.
Erhard, Parl. Staatssekretär: Sowohl die Bundesregierung als auch das Bundesministerium der Justiz bemühen sich um gute Kontakte zur Presse, auch zur „Süddeutschen Zeitung".
Eine Zusatzfrage, Herr Stiegler.
Herr Staatssekretär, bis wann glauben Sie, werden die Beratungen über die Produzentenhaftungsrichtlinie innerhalb der Europäischen Gemeinschaft abgeschlossen sein, so daß die Richtlinie kommt?Erhard, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Stiegler, meine Lebensjahre haben mir so viel Erfahrung gebracht, daß ich Ihnen auch hier wieder sagen muß: Ich kann Ihnen solche Fragen über die Zukunft nicht beantworten. Die Mühlen mahlen
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5530 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 76. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. Juni 1984
Parl. Staatssekretär Erhardmanchmal furchtbar langsam und manchmal sehr schnell.
Eine Zusatzfrage, Herr Dr. de With.
Herr Staatssekretär, wäre die Bundesregierung, falls ersichtlich ist, daß sich eine Vorlage im europäischen Rahmen unmäßig verzögert, bereit, eine nationale Vorlage einzubringen?
Erhard, Parl. Staatssekretär: Bis jetzt ist die Bundesregierung dieser Frage nicht nähergetreten, weil wir kaum eine zwingende Notwendigkeit sehen, im Alleingang in Europa etwas Derartiges zu machen; denn das würde die wirtschaftlichen Grundlagen der verschiedensten Unternehmen wesentlich verschieben.
Eine Zusatzfrage, Frau Abgeordnete Blunck.
Herr Staatssekretär, war die Begrenzung der einzige Grund, aus dem diese Richtlinie noch nicht übergekommen ist?
Erhard, Parl. Staatssekretär: Jetzt am 5. Juni j a.
Ich rufe die Frage 51 des Abgeordneten Dr. Schöfberger auf:
Warum hat die Bundesrepublik Deutschland gegen das von der EG-Kommission geplante Rücktrittsrecht bei Haustürgeschäften Einspruch erhoben, und ist „sie damit dem ausdrücklichen Wunsch einiger großer Konzerne gefolgt" ?
Erhard, Parl. Staatssekretär: Die Richtlinie über die Haustürgeschäfte hat folgenden Zustand: Die Bundesregierung hat sich auf der erwähnten Sitzung des Verbraucherrats nicht imstande gesehen, dem Vorschlag zuzustimmen. Sie ging dabei davon aus, daß neue Vorschriften — auch innerhalb der EG — nur geschaffen werden sollten, wenn hierfür ein zwingendes Bedürfnis besteht. Ein solches wird bisher mindestens nicht gesehen.
Durch die Gewerbeordnung sind bestimmte Arten von Haustürgeschäften überhaupt verboten. In weiten Bereichen, z. B. bei Abzahlungsgeschäften und anderen auf Dauer angelegten Verträgen, besteht bereits ein Widerrufsrecht. Hinzu kommt, daß im ambulanten Handel vielfach ein vertragliches Rücktrittsrecht eingeräumt wird. Es mag sein, daß die derzeitige Rechtslage nicht jeden Mißbrauch ausschließen kann. Das allein ist aber noch kein hinreichender Grund für eine Gesetzesänderung, die den ambulanten Handel unnötig komplizieren und erschweren würde. Dabei ist auch zu berücksichtigen, daß der mündige und aufgeklärte Verbraucher in der Regel sehr wohl imstande ist, seine Rechte wahrzunehmen. Letztlich war die Bundesregierung nicht davon überzeugt, daß — auch unter Berücksichtigung des integrationspolitischen Aspekts — eine solche Regelung auf EG-Ebene erforderlich ist.
Bei allen in diesem Zusammenhang anstehenden Überlegungen und Entscheidungen ließ und läßt sich die Bundesregierung nicht von sachfremden Erwägungen leiten.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Schöfberger.
Ist diese nicht verbraucherfreundliche Haltung der Bundesregierung neu, oder steht sie in der Kontinuität von früheren Bundesregierungen?
Erhard, Parl. Staatssekretär: Diese Haltung besteht jedenfalls. Daß hier unterschiedliche Auffassungen auch in der Vergangenheit vorhanden waren, wissen Sie ebenso wie ich. Daß aber auch die Bundesregierung in der Vergangenheit kein entsprechendes Gesetz vorgelegt hat, haben wir nicht zu übersehen. Wohl aber hat Bayern schon wiederholt einen entsprechenden Vorstoß unternommen.
Herr Staatssekretär, Sie sind bisher mit keinem Wort auf den entscheidenden Satz in der „Süddeutschen Zeitung" eingegangen, in dem es heißt, die Bundesregierung sei mit dieser Haltung „dem ausdrücklichen Wunsch einiger großer Konzerne gefolgt". Das ist ein sehr bedenklicher, wenn nicht in hohem Maße anrüchiger Vorwurf, und ich frage, ob Sie solchen lockeren Behauptungen entgegentreten können, wenn Sie ihnen entgegentreten könnten.
Erhard, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Schöfberger, ich habe deswegen in der Antwort so formuliert, wie ich es Ihnen hier vorgetragen habe. Ich wiederhole das:
Bei allen in diesem Zusammenhang anstehenden Überlegungen und Entscheidungen ließ und läßt sich die Bundesregierung nicht von sachfremden Erwägungen leiten.
Von Erwägungen, irgendeinem Unternehmen oder gar einem großen Unternehmen einen Gefallen zu tun, hat die Bundesregierung nicht einmal etwas vernommen.
Bitte, Herr Dr. de With, noch eine Zusatzfrage.
Das heißt, Herr Staatssekretär, die Bundesregierung verfolgt auf Europaebene nicht mehr die entsprechenden Richtlinien und bricht die Kontinuität auch mit der Maßgabe, daß es zu keiner Regelung der sogenannten Kaffeefahrten kommt?Erhard, Parl. Staatssekretär: Die Bundesregierung verhandelt auf der europäischen Ebene, und sie wird sich einer Regelung, die nur an der Bundesregierung scheitern würde, nicht widersetzen. Sie wird nichts nur durch die Haltung der Bundesregierung scheitern lassen.
— Das ist eingeschlossen.
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 76. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. Juni 1984 5531
Ich danke Ihnen.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers der Finanzen auf. Zur Beantwortung steht Herr Parlamentarischer Staatssekretär Dr. Häfele zur Verfügung. — Beide Fragesteller, die Abgeordneten Rapp und Müntefering, haben ihre Fragen, die Fragen 52 und 53 bzw. 54 und 55, zurückgezogen. Es tut mir außerordentlich leid, Herr Staatssekretär, daß Sie hier so lange warten mußten.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers für Wirtschaft auf. Zur Beantwortung steht Herr Staatssekretär Dr. von Würzen zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 56 des Herrn Abgeordneten von Schmude auf:
Wie beurteilt die Bundesregierung den Einsatz von DDR-Bauarbeitern im Zonenrandgebiet, und welche Einflußmöglichkeiten bestehen bei öffentlichen Ausschreibungen, insbesondere bei Straßenbaumaßnahmen des Bundes, dafür zu sorgen, daß Anbieter durch die Einschaltung von DDR-Firmen die Wettbewerbsverhältnisse nicht verfälschen?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die Bundesregierung beurteilt es grundsätzlich als positiv, wenn im Rahmen des innerdeutschen Handels auch Bauleistungen ausgetauscht werden. Derartige Geschäfte sind daher seit Jahren allgemein genehmigt. Diese Genehmigung ist allerdings unter der Bedingung erteilt, daß für die Leistung ein angemessenes Entgelt vereinbart wird. Die Angemessenheit der Preise kann notfalls in einem Preisprüfungsverfahren untersucht werden. Rechtlich bestehen keine Möglichkeiten, die Tätigkeit von DDR-Bauarbeitern auf Baustellen im Bundesgebiet zu verhindern, da diese als Deutsche weder eine Arbeits- noch eine Aufenthaltserlaubnis benötigen. Auch das Recht der öffentlichen Auftragsvergabe bietet keine Möglichkeit, die Weitergabe von Aufträgen an DDR-Betriebe allein auf Grund von Preisunterbietungen zu untersagen. Im öffentlichen Auftragsrecht verbleibt es bei der allgemeinen Möglichkeit, daß Zuschläge auf Angebote mit unangemessen niedrigen Preisen sowieso nicht erteilt werden dürfen.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ist die Bundesregierung, Herr Staatssekretär, gegebenenfalls bereit, durch Festlegung neuer Rahmenbedingungen Wettbewerbsverzerrungen zu begegnen?
Dr. von Würzen, Staatssekretär: Herr Abgeordneter, ich habe ja schon gesagt, daß die Bedingung der allgemeinen Genehmigung ist, daß zu angemessenen Preisen angeboten wird, und daß wir bereit sind, Preisprüfungsverfahren durchzuführen.
Eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, können Sie mir vielleicht sagen, wie viele Arbeiter aus der DDR zur Zeit in der Bundesrepublik arbeiten?
Dr. von Würzen, Staatssekretär: Unsere Schätzungen gehen auf 600 bis 800. Vielleicht darf ich Ihnen gleich die weitere Zahl nennen: 1 200 bis 1 400 westdeutsche Arbeiter arbeiten in der DDR.
Haben Sie noch eine Zusatzfrage? — Bitte schön.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Staatssekretär, warum sind uns die Zahlen der DDR-Arbeiter im Bundesgebiet nicht genau bekannt?
Dr. von Würzen, Staatssekretär: Es gibt darüber keine Statistik. Wir sind auf Schätzungen nach Angaben der westdeutschen Bauunternehmen angewiesen.
Ich rufe die Frage 57 des Abgeordneten von Schmude auf:
Ist die Bundesregierung gegebenenfalls bereit, Preisprüfungsverfahren durchzuführen, um festzustellen, ob in unzulässiger Weise Preisunterbietungen vorgenommen werden?
Bitte schön.
Dr. von Würzen, Staatssekretär: Dem Bundesamt für gewerbliche Wirtschaft liegt inzwischen ein Antrag des Baugewerbeverbands Schleswig-Holstein auf Einleitung eines Preisprüfungsverfahrens wegen eines solchen Bauvorhabens vor. Dem Antrag wird jetzt nachgegangen.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter von Schmude.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Staatssekretär, wird im Rahmen dieses Verfahrens der Vergleich so hergestellt, daß man dem Angebot der DDR-Baufirma nur das günstigste Angebot einer im Zonenrand ansässigen Firma gegenüberstellt und nicht das günstigste Angebot schlechthin, das von westdeutschen Firmen abgegeben wurde?
Dr. von Würzen, Staatssekretär: Die Richtlinien für dieses Preisprüfungsverfahren enthalten sehr genaue Regeln, daß man angemessene Preise richtig vergleichen kann.
Keine weiteren Zusatzfragen.Ich rufe die Frage 58 der Frau Abgeordneten Dr. Skarpelis-Sperk auf. — Die Fragestellerin hat um schriftliche Beantwortung gebeten. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.Ich rufe die Frage 59 des Abgeordneten Stockleben auf:In welchen Unternehmen sind nach Erkenntnissen der Bundesregierung Untersuchungen zur Abwärmegewinnung durchgeführt worden?Bitte sehr, Herr Staatssekretär.Dr. von Würzen, Staatssekretär: Nach den der Bundesregierung vorliegenden Informationen werden die technologisch möglichen und betriebswirtschaftlich sinnvollen Möglichkeiten der Abwärmegewinnung bei einer Vielzahl von Unternehmen nicht nur untersucht, sondern bereits konkret genutzt. Dies gilt vor dem Hintergrund nach wie vor
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5532 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 76. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. Juni 1984
Staatssekretär Dr. von Würzenhoher Energiepreise insbesondere für die energieintensiven Industrieunternehmen. Die Erfolge der Industrie bei der Abwärmenutzung werden insbesondere in der Entwicklung des spezifischen Energieverbrauchs in der Industrie deutlich. Dieser Verbrauch hat sich von 1955 bis 1973 um 43 % und 1973 bis 1982 um weitere 21 % verringert. Eine Darstellung bzw. Nennung all jener Unternehmen, in denen Untersuchungen zur Abwärmenutzung durchgeführt worden sind, ist uns leider nicht möglich.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter.
Herr Staatssekretär, ist die Bundesregierung bereit, über die jetzt vorhandenen Forschungsvorhaben hinaus weitere Forschungsvorhaben zu genehmigen, insbesondere unter dem Aspekt der Kooperation zwischen industrieller Abwärme und Kraftwerksabwärme?
Dr. von Würzen, Staatssekretär: Ich bin nicht genau unterrichtet, ob es im Forschungsministerium ein Programm für solche Forschung gibt. Ich bin aber sicher: Wenn es das gibt, wird es auch ausgenutzt.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Stockleben.
Herr Staatssekretär, sind Sie mit mir der Auffassung, daß ohne öffentliche Mittel des Bundes diese Forschungsvorhaben von den Unternehmen allein nicht hätten gefördert werden können?
Dr. von Würzen, Staatssekretär: Angesichts des Umfangs der bereits jetzt vorgenommenen Abwärmenutzung und der Erfolge, die auch mit der Vereinbarung zwischen der Fernwärmeversorgung und den Kommunen und der Industrie erreicht worden sind, bin ich eigentlich sicher, daß ein großer Teil der Abwärmenutzung auch ohne staatlich geförderte Forschung vorgenommen werden wird. Man muß ja auch berücksichtigen, daß in vielen Bereichen der Industrie, etwa in der chemischen Industrie und in der Eisen- und Stahlindustrie, Abwärmenutzung zum täglichen Brot gehört.
Ich rufe die Frage 60 des Abgeordneten Stockleben auf:
Wie beurteilt die Bundesregierung die dazu bisher vorliegenden Ergebnisse und Erkenntnisse?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Dr. von Würzen, Staatssekretär: Die Bundesregierung begrüßt die bisher erreichten Erfolge und Bemühungen der Industrie, die bei industriellen Prozessen anfallende Abwärme zu nutzen, als einen äußerst wichtigen Beitrag zur Energieeinsparung.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Stockleben.
Herr Staatssekretär, kann man nach Ihrer klaren Antwort davon ausgehen, daß die Bundesregierung in den nächsten Jahren die Umsetzung der in den Unternehmen gewonnenen Erfahrungen und Kenntnisse in die Praxis auch finanziell fördern wird?
Dr. von Würzen, Staatssekretär: Herr Abgeordneter, ich habe den Eindruck, daß die nach wie vor hohen Energiepreise eigentlich ein ausreichender Anreiz sind, jede Möglichkeit der Abwärmenutzung wahrzunehmen.
Zweite Zusatzfrage.
Ist die Bundesregierung unter dem Gesichtspunkt, daß gerade die Abwärme einen erheblichen Teil der Umweltbelastung verursacht, bereit, die Umsetzung auch finanziell stärker zu fördern, als das bisher der Fall war?
Dr. von Würzen, Staatssekretär: Ich möchte wiederholen, daß auch unter Berücksichtigung der Umweltgesichtspunkte, die wir selbstverständlich ernst nehmen, der hohe Energiepreis ein hinreichender Anreiz ist und daß wir zusätzliche finanzielle Förderungsmaßnahmen nicht vorsehen.
Keine weiteren Zusatzfragen.
Ich rufe die Frage 61 des Herrn Abgeordneten Büchler auf:
Hat die Bundesregierung Vorstellungen darüber, wie dem Fremdenverkehr in Nordostbayern geholfen werden kann, da er schon erhebliche Einbußen erlitten hat?
Dr. von Würzen, Staatssekretär: Rückgänge bei der Fremdenverkehrsnachfrage hat es im letzten Jahr nicht nur in Nordostbayern gegeben. Der Inlandsfremdenverkehr in der Bundesrepublik Deutschland ging 1983 insgesamt um 2,7 % zurück, in Bayern insgesamt nur um 0,4 %. Auch die Zahl der Reisen der Deutschen ins Ausland war 1983 etwa 3 % geringer als 1982.
Die Entwicklungsförderung einzelner Fremdenverkehrsregionen ist Ländersache. Nordostbayern hat Anteil an der Förderung durch die Gemeinschaftsaufgabe Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur. Eine gegebenenfalls wünschenswerte Verbesserung der Angebotsstruktur kann mit diesen Mitteln gefördert werden. Im übrigen ist es, glaube ich, überwiegend Sache der Anbieter selbst und ihrer Zusammenschlüsse, durch geeignete Werbung und Absatzförderung Nachfrage an sich zu ziehen.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter.
Herr Staatssekretär, Sie sind natürlich jetzt aus dem Schneider, denn — ich darf das hier sagen — dies war gefragt im Zusammenhang mit der Umweltverschmutzung in Nordostoberfranken. Deswegen darf ich jetzt nachfragen: Sind Ihnen die Rückgänge zahlenmäßig bekannt, die durch diese katastrophale Lage in Nordostoberfranken entstanden sind?Dr. von Würzen, Staatssekretär: Ich glaube nicht, Herr Abgeordneter, daß wir einen ursächlichen Zu-
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 76. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. Juni 1984 5533
Staatssekretär Dr. von Würzensammenhang zwischen Schadstoffbelastungszahlen und Fremdenverkehrszahlen herstellen können.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter.
Herr Staatssekretär, ist Ihnen bekannt, daß sehr viele von denen, die sonst jedes Jahr Urlaub in Ostoberfranken machen, in diesem Jahr wegen dieser katastrophalen Lage ihre Urlaubsquartiere nicht beziehen?
Dr. von Würzen, Staatssekretär: Mir ist nur bekannt, Herr Abgeordneter, daß die Zahlen für den oberfränkischen Wald etwas schlechter sind als für Bayern insgesamt.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. de With.
Herr Staatssekretär, muß ich Ihren Ausführungen entnehmen, daß es nach der Auffassung der Bundesregierung den Touristen grundsätzlich gleichgültig ist, wie verschmutzt Wasser und Luft dort sind, wohin sie zu reisen gedenken?
Dr. von Würzen, Staatssekretär: Herr Abgeordneter, ich habe hier Auskunft darüber gegeben, was zu tun ist oder wer etwas zu tun hat, wenn Fremdenverkehrszahlen zurückgehen, wer Anreiz für den Fremdenverkehr bieten und Werbung machen kann. Selbstverständlich ist es der Bundesregierung nicht gleichgültig, ob Touristen der Umweltbelastung ausgesetzt sind; doch dies ist eine Frage der allgemeinen Umweltpolitik und nicht eine Frage der Förderung des Fremdenverkehrs.
Noch eine Zusatzfrage? — Frau Blunck, bitte sehr.
Herr Staatssekretär, sind Ihnen die verschiedenen Schreiben der Gemeinde Nordstrand, der Gemeinde Helgoland, der Gemeinde St. Peter-Ording, der Gemeinde Westerland auf Sylt nicht bekannt, die sich darüber beklagen, daß ihnen die Umweltverschmutzung, die Verschmutzung der Nordsee erhebliche Einbußen im Fremdenverkehr gebracht hat, und die Sie auffordern, tätig zu werden, und die gleichzeitig diesen Brief an die Europäische Gemeinschaft geschickt haben, ebenfalls mit der Bitte, hier tätig zu werden und dafür Sorge zu tragen, daß die Grundlagen geschaffen und erhalten werden, um einen erquicklichen Fremdenverkehr zu behalten?
Dr. von Würzen, Staatssekretär: Mir persönlich sind sie nicht bekannt, aber ich nehme an, daß sie dem Innenministerium bekannt sind, das ja für die Umweltfragen zuständig ist.
Weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Carstensen .
Herr Staatssekretär, darf ich an die Zusatzfrage von Frau Blunck die Frage anschließen, ob Ihnen bekannt ist, daß diese Gemeinden wesentlich größere
Befürchtungen vor Pressemitteilungen haben, in denen dieses Problem sehr stark hochgespielt wird, und daß aus diesem Grunde schon im letzten Jahr Gewässerproben an der Nordsee gemacht worden sind, um zu beweisen, daß das Wasser dort sauber ist und daß Urlauber die Nordsee ohne Befürchtungen besuchen können?
Dr. von Würzen, Staatssekretär: Ich hatte schon zum Ausdruck gebracht, daß es etwas schwierig ist, aus bestimmten Prozentzahlen für den Reiseverkehr und Angaben über Umweltbelastung einen klaren ursächlichen Zusammenhang herzuleiten.
Meine Damen und Herren, da der Fragesteller nicht im Raum ist, verfahren wir mit den Fragen 62 und 63 des Herrn Abgeordneten Dr. Jens wie in der Geschäftsordnung vorgesehen. — Ich danke Ihnen, Herr Staatssekretär von Würzen.Wir haben keine Zeit mehr, die Fragen aus einem neuen Geschäftsbereich aufzurufen. Damit ist die Fragestunde beendet. — Ich danke den Herren.Meine Damen und Herren, ich bitte Sie, sich zu erheben. —Der Deutsche Bundestag trauert um sein ehemaliges Mitglied, Professor Dr. Dr. h. c. Siegfried Balke. Er ist am 11. Juni 1984 kurz nach Vollendung seines 82. Lebensjahres nach längerem Leiden in München verstorben.Siegfried Balke, am 1. Juni 1902 in Bochum geboren, gehörte dem Deutschen Bundestag von 1957 bis 1969 als Mitglied der Fraktion der CDU/CSU an.1956 wurde er Honorarprofessor für Chemiewirtschaft an der Universität München. Er blieb seiner Wissenschaft und seiner Wahlheimat für sein ganzes Leben eng verbunden.Konrad Adenauer übertrug 1953 dem damals noch Parteilosen das Bundesministerium für Post-und Fernmeldewesen. 1956 übernahm er in der Nachfolge von Franz Josef Strauß das Bundesministerium für Atomfragen, das spätere Bundesministerium für Atomkernenergie und Wasserwirtschaft, aus dem dann das Bundesministerium für wissenschaftliche Forschung hervorgegangen ist.Nach seinem Ausscheiden aus dem Kabinett 1962 kehrte er in die Industrie zurück und wurde schließlich 1964 Präsident der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände.Dr. Balke hat sich mit Erfolg für den technischen Fortschritt des Fernmeldewesens und für die Entwicklung und Nutzung neuer technischer Möglichkeiten eingesetzt. Dabei gehörte er schon früh zu denen, die auch auf die mit dem technischen Fortschritt verbundenen Probleme aufmerksam machten. So hat er die Nutzung der Kernenergie gefördert und sich zugleich für einen wirksamen Strahlenschutz eingesetzt.Der Förderung des naturwissenschaftlichen Nachwuchses galt sein besonderes Augenmerk. Er trat mit Nachdruck für den sozialen Frieden und
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5534 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 76. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. Juni 1984
Vizepräsident Frau Rengerfür den Ausbau der freiwilligen Schlichtung zwischen den Tarifpartnern ein.Im Februar 1958 wurde ihm das Großkreuz des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland verliehen.Der Deutsche Bundestag wird seinem ehemaligen Mitglied Siegfried Balke ein dankbares und ehrendes Gedenken bewahren.Ich danke Ihnen.Meine Damen und Herren, interfraktionell ist vereinbart worden, die Behandlung von Punkt 2 der Tagesordnung auf morgen, 9 Uhr zu verlegen. — Das Haus ist damit einverstanden.Dann habe ich das Vergnügen, Geburtstagsgrüße des ganzen Hauses an den Abgeordneten Dr. Schmidt , der am 16. Juni 70 Jahre alt geworden ist, zu übermitteln.
Und ich habe das besondere Vergnügen, noch einmal die herzlichsten Glückwünsche des ganzen Hauses an den Präsidenten des Deutschen Bundestages, Dr. Barzel, der 60 Jahre alt geworden ist, zu übermitteln.
Meine Damen und Herren, für den durch Verzicht augeschiedenen Abgeordneten Offergeld hat am 13. Juni 1984 der Abgeordnete Dr. Corterier die Mitgliedschaft des Deutschen Bundestages erworben. Meine Damen und Herren, wir kennen den Kollegen Corterier seit vielen Jahren. Ich freue mich, daß Sie wieder unter uns sind Herr Kollege Corterier.
Ich rufe Punkt 3 der Tagesordnung auf:Zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Umsatzsteuergesetzes— Drucksachen 10/1389, 10/1483 —a) Beschlußempfehlung und Bericht des Finanzausschusses
— Drucksachen 10/1643, 10/1653 —Berichterstatter:Abgeordneter Dr. Meyer zu Bentrupb) Bericht des Haushaltsausschusses
gemäß § 96 der Geschäftsordnung
— Drucksache 10/1676 —Berichterstatter:Abgeordnete Wieczorek Carstens (Emstek)Hoppe
Zu diesem Tagesordnungspunkt liegt Ihnen auch ein Entschließungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 10/1664 vor.Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat sind für die Aussprache zwei Stunden vorgesehen. Erhebt sich dagegen Widerspruch? — Das ist nicht der Fall. Dann ist das so beschlossen.Wird das Wort zur Berichterstattung gewünscht? — Das ist nicht der Fall.Meine Damen und Herren, dann eröffne ich die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Meyer zu Bentrup.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ziel des Gesetzentwurfs zur Änderung des Umsatzsteuergesetzes ist es, die erheblichen Einkommensverluste der deutschen Landwirtschaft auf Grund der Entscheidungen der Europäischen Gemeinschaft über eine höhere Umsatzsteuer auszugleichen. Aus diesem Grunde wird — erstens — der Durchschnittssatz bei pauschalierenden Landwirten um 5 v. H. angehoben bzw. ein Kürzungsanspruch in Höhe von 5 v. H. den optierenden land- und forstwirtschaftlichen Betrieben für bestimmte Umsätze in der Zeit vom 1. Juli 1984 bis Ende 1988 gewährt. Von 1989 bis Ende 1991 beträgt die Erhöhung bzw. der gewährte Kürzungsanspruch 3 v. H. Zweitens. Betriebe der gewerblichen Tierhaltung bleiben von dieser Sonderbeihilfe über die Umsatzsteuer ausgeschlossen. Drittens. Land- und forstwirtschaftliche Betriebe, deren Viehbestände die Grenze von 330 Vieheinheiten nach dem Bewertungsgesetz überschreiten, erhalten — nach einer Übergangszeit — vom 1. Juli 1985 keine erhöhte Umsatzsteuer bzw. keinen Kürzungsanspruch.Die Bundesregierung schlägt die Änderung des Umsatzsteuerrechts vor, um damit die finanzielle Last der europäischen Einigung nicht einseitig den deutschen Landwirten aufzubürden.
Der Rat der Europäischen Gemeinschaften sah sich Ende März 1984 gezwungen, tiefgreifende Maßnahmen im Bereich der landwirtschaftlichen Marktordnungen zu treffen, um Zahlungsfähigkeit und Handlungsfähigkeit der Gemeinschaft zu erhalten und damit den Zusammenbruch des europäischen Agrarmarktes als dem derzeit wichtigsten wirtschaftlichen Bindeglied des freien Europas abzuwenden. Denn die Ausgaben der Gemeinschaft für die gemeinsamen Marktordnungen erhöhten sich allein in den letzten acht Jahren um 175 %, von 14,4 Milliarden DM 1977 auf 42 Milliarden DM Ende 1984. Allein auf den Milchmarkt entfiel ein Drittel der Kosten. Nur auf einer soliden finanziellen Grundlage kann Europas Zukunft gebaut werden; deswegen mußte entschlossen und auch weitsichtig gehandelt werden.
Die Agrarbeschlüsse haben für alle Landwirte in der Europäischen Gemeinschaft zu Einschränkungen, aber für die deutsche Landwirtschaft zu harten Belastungen und nicht tragbaren Opfern geführt. Hierzu gehören erstens die Begrenzung der Milchmengen vom 1. April 1984 mit sofortigem Absatz- und Einkommensrückgang, zweitens die Senkung
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 76. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. Juni 1984 5535
Dr. Meyer zu Bentrupder Marktordnungspreise 1984 um ca. 1 %, um das Gleichgewicht auf einzelnen Produktmärkten wieder anzustreben, drittens die Verlagerung von 3 positiven Grenzausgleichs in den negativen Bereich, der sich zwar „kostenneutral", aber nicht erzeugerpreisneutral auswirkt, viertens der weitere Abbau des positiven Grenzausgleiches um 5 v. H. vom 1. Januar 1985 an, der einen entsprechenden Preisrückgang mit einem deutlichen Einkommensrückgang zur Folge haben wird, und fünftens die Änderung von Verwaltungsvorschriften für den Währungsausgleich, der zusätzliche Einkommensverringerungen auslöst. Diese Entscheidungen schlagen unmittelbar auf die landwirtschaftlichen Einkommen durch. Betriebe und Märkte sind dadurch verunsichert worden.Den Kritikern unserer nationalen Hilfsmaßnahmen müssen wir sagen: Keine Gruppe unserer Volkswirtschaft mit einem so hohen unternehmerischen Risiko hat derartig harte Einkommenseinbrüche hinnehmen müssen wie die deutschen Landwirte. Die notwendige und jahrelang aufgeschobene Neuausrichtung der Agrarpolitik würde ohne nationale Hilfsmaßnahmen und ohne eine auf 1984 vorgezogene Anhebung der Umsatzsteuer von 5 v. H. zu einer Einkommensminderung in der Größenordnung von 20 % für den einzelnen Betrieb führen. Deswegen ist es unser fester Wille, nachhaltig und unverzüglich über das Umsatzsteuergesetz zu helfen.
Die finanziellen Auswirkungen aller Brüsseler Beschlüsse haben die Bundesregierung veranlaßt, die im Gesetzentwurf des Umsatzsteuergesetzes vorgesehenen Hilfen zu verbessern und den Zeitpunkt des Inkrafttretens des Einkommensausgleichs auf den 1. Juli 1984, also auf den Beginn des landwirtschaftlichen Wirtschaftsjahres vorzuziehen.Die Anpassungshilfen, also die Steuermindereinnahmen des Umsatzsteuergesetzes, betragen etwa 19 Milliarden DM. Dazu kommt die Zusage der Europäischen Gemeinschaft von fast 500 Millionen DM in den nächsten Jahren.Da die Rechtsgrundlagen der Europäischen Gemeinschaft immer wieder im Zusammenhang mit dieser Gesetzesentscheidung angesprochen werden, möchte ich folgendes dazu sagen. Die Verordnung Nr. 885/84 des Europäischen Rates vom 31. März 1984 sieht eine Sonderbeihilfe von 3 % und ein Inkrafttreten zum 1. Januar 1985 vor. Die Bundesregierung hat für eine Erhöhung auf 5 % plädiert und für ein frühzeitiges Inkrafttreten zum 1. Juli 1984 unter der Bedingung, daß diese Verordnung geändert wird, um damit die Vereinbarkeit mit dem Gemeinschaftsrecht ausdrücklich zu unterstreichen.Diese Verordnung allein gibt jedoch keine ausreichende Rechtsgrundlage. Aus diesem Grund hatte der Agrarministerrat schon am 31. März 1984 vereinbart, vor dem 1. November 1984 eine Richtlinie zur Änderung der Sechsten Umsatzsteuerrichtlinie zu erlassen. Denn dieses ist die zwingende Voraussetzung. Auch 3 % hätten eine Änderungsrichtlinie erforderlich gemacht. Diese Vereinbarung vom 31. März 1984 dokumentiert, daß sich die Bundesregierung an das EG-Recht hält. In den letzten Tagen hat sie auf der Tagung des Europäischen Rates das bindende Einvernehmen dafür hergestellt. Wir danken dem Bundeskanzler für die erfolgreiche Verhandlungsführung.
Denn dies ist ein Erfolg für die Landwirtschaft. Damit ist ein entsprechender Gesetzeszuschluß, wie wir ihn heute fassen, nicht als pflichtwidrig zu beurteilen, auch wenn die formale Änderung der Sechsten Umsatzsteuerrichtlinie erst zu einem späteren Zeitpunkt nachfolgt. Hätten die Sozialdemokraten nicht die Sitzung des Finanzausschusses zum Schluß boykottiert, dann hätten sie die juristische Beurteilung der EG-Rechtsgrundlagen sicherlich mitbekommen. Manche Äußerung von ihnen wäre dann sachkundiger gewesen.
Der Vorschlag der Bundesregierung, die Umsatzsteuer als Instrument für einen nationalen Teilausgleich einzusetzen, hat bei der Anhörung im Finanzausschuß einen breiten Raum eingenommen. Unbestritten war der Ausgangspunkt, daß ein nationaler Ausgleich zu erfolgen habe. Unbestritten war der Ausgangspunkt, daß der Abbau des Währungsausgleiches in seiner Wirkung umsatzproportional auf die Einkommen der Betriebe wirke. Es wurden in der Anhörung Fragen nach der Verteilungswirkung gestellt; aber es wurden keine schlüssigen Antworten — auch nicht aus der Wissenschaft — geliefert.Wir haben 1969 die Diskussion über Schärfen und Unschärfen der Einkommenswirkungen über eine erhöhte Umsatzsteuer für landwirtschaftliche Erzeuger geführt, als die damalige SPD-geführte Bundesregierung im Gesetz zum Aufwertungsausgleich vom 23. Dezember 1969 der Landwirtschaft einen Gesamtbetrag von 9 Milliarden DM als Einkommensausgleich auch über eine erhöhte Umsatzsteuer gegeben hat.
Damals wurde das Verfahren für richtig befunden. Deswegen ist die Kritik der SPD-Opposition an der Gesetzesvorlage nicht sehr glaubwürdig.
Die von einigen Verbänden in der Anhörung des Finanzausschusses gemachten Vorschläge, die Erhöhung der Umsatzsteuer mit wachsender Betriebsgröße und steigenden Betriebsumsätzen degressiv zu staffeln, würde die Finanzverwaltungen vor unlösbare Abgrenzungskriterien und vor eine Fülle von Beschäftigungsproblemen stellen. Allein 800 000 Umsatzsteuerfälle müßten bearbeitet werden. Die abnehmenden Hände und Marktpartner würden — jetzt benutze ich ein Wort der Steuergewerkschaft aus der Anhörung — zu „Subventionsverwaltern" degradiert werden. Der verfahrensmä-
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5536 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 76. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. Juni 1984
Dr. Meyer zu Bentrupßig einfache Weg staatlicher Abwicklung würde damit total pervertiert.Ziel dieser Novelle ist es auch, wieder eine stärkere steuerliche Unterscheidung von landwirtschaftlicher und gewerblicher Tierhaltung herzustellen. Deshalb erhalten die gewerblichen Tiererzeuger keinen Kürzungsanspruch von 5 % bzw. 3 %.Darüber hinaus erhalten diejenigen land- und forstwirtschaftlichen Betriebe nicht die erhöhte Umsatzsteuer, deren Viehbestände nach dem Bewertungsgesetz zwar zur landwirtschaftlichen Nutzung gehören, aber die Obergrenze von 330 Vieheinheiten übersteigen. Entsprechend § 51 des Bewertungsgesetzes gehört bei einem Übersteigen der Grenze von 330 Vieheinheiten daher nicht der gesamte Tierbestand zur gewerblichen Nutzung; vielmehr sollen die Tierbestände, die zusammen die Obergrenze von 330 Vieheinheiten nicht übersteigen, weiterhin zur landwirtschaftlichen Nutzung gerechnet werden.Die Koalition macht mit der Änderung des Umsatzsteuergesetzes pragmatisch einen wichtigen Schritt in Richtung auf die Sicherung des bäuerlichen Familieneinkommens, denn der finanzielle Vorteil bei den Produktionskosten beträgt, durch die Ausschaltung der gewerblichen Tiererzeuger aus dem Gesetz z. B. in der Schweinehaltung 15 DM. Der bäuerliche Familienbetrieb wird damit gegenüber größeren gewerblichen Tierhaltern voll wettbewerbsfähig erhalten.Erstmalig geben wir mit der Obergrenze von 330 Vieheinheiten eine Zielorientierung in unserer Agrarpolitik vor.
Das in der Regierungserklärung des Bundeskanzlers vom Mai 1983 erklärte Leitbild des bäuerlichen Familienbetriebes erfährt hier eine besondere Charakterisierung: 330 Vieheinheiten sind landwirtschaftliche Betriebe in einer Größenordnung von rund 1000 Stallplätzen in der Schweinehaltung oder mit Beständen von 18 000 Legehennen.Die Obergrenze von 330 Vieheinheiten — und deswegen 330 Vieheinheiten — haben wir deshalb gezogen, damit das Ganze nicht zu einer „Steuerbestrafung" der leistungsfähigen Betriebe führt. Sie nimmt auch Rücksicht auf den europäischen Wettbewerb, dem sich ja alle Betriebe täglich im Kampf um die Marktanteile stellen müssen.
Diese Obergrenze darf nicht Leistung und Fortschritt der Landwirte einengen, denn das würde zu einer Beeinträchtigung strukturschwacher Betriebe und Standorte führen.
Als Ergebnis der Anhörung verzichten wir auf einen eigenen Umrechnungsschlüssel im Umsatzsteuergesetz.
Dazu erklären wir in einem Entschließungsantrag, den wir der Beschlußempfehlung beigefügt haben und damit zur Abstimmung stellen, unsere Absicht, den Umrechnungsschlüssel des Bewertungsgesetzes für die Vieheinheiten auf die heutigen ökonomischen und ökologischen Gegebenheiten hin zu überprüfen und daraus entsprechende Folgerungen zu ziehen.
Die Obergrenze im Umsatzsteuergesetz bedeutet jedoch kein rechtliches Verbot, bestimmte Höchstbestände in der Nutztierhaltung zu überschreiten; denn ohne einen Bestandsschutz würde das verfassungsrechtlich nach Art. 14 des Grundgesetzes einen enteignenden Eingriff in den „eingerichteten und ausgeübten Betrieb" darstellen. Wir betrachten diese Grenze vielmehr als eine agrarpolitische Gebotslinie, als ein wirksames Instrument zur Verhinderung unerwünschter Konzentration in der Tierhaltung, besonders in den Bereichen der bodenunabhängigen Geflügel- und Schweinehaltung.Wir wollen keinen ruinösen Verdrängungswettbewerb. Wir wollen keine Agrarfabriken, die ohne Bodenfläche mit importierten Rohstoffen die noch möglichen Zuwachsraten in der tierischen Veredelungswirtschaft zu Lasten des Familienbetriebes voll ausschöpfen würden. Wir wollen — wie der Bundeskanzler in der Regierungserklärung dargelegt hat — den bäuerlichen Familienbetrieb erhalten, der sich über Generationen dem Erbe und der Umwelt verpflichtet fühlt, der seine Leistungsfähigkeit täglich mit einem reichen Angebot von Nahrungsmitteln unter Beweis stellt und der sich den veränderten gesellschaftlichen Herausforderungen dynamisch und verantwortungsvoll stellt.Es bleibt zu hoffen und zu wünschen, daß dieses agrarpolitische Leitbild Eingang in die Gesetzgebung unserer europäischen Nachbarländer findet. In diesem Sinne stimmen wir dem Gesetzentwurf zu.Vielen Dank.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Apel.
Frau Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Obwohl der Bundeskanzler dem Deutschen Bundestag im Wege einer Regierungserklärung erst morgen über die Ergebnisse des Europagipfels in Fontainebleau berichten wird — ich will der Bewertung der SPD-Bundestagsfraktion nicht vorgreifen —, können wir natürlich heute bereits die finanziellen Konsequenzen beider Gipfel, des Brüsseler und des Fontainebleau-Gipfels, berechnen.
Wenn wir das tun, stellen wir fest, daß die heute von der Koalition geforderte Erhöhung der Vorsteuerpauschale für die deutsche Landwirtschaft bis Ende 1991 zu einem Steuerausfall von 18,4 Milliarden DM
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 76. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. Juni 1984 5537
Dr. Apelführen wird. Sie haben 19 Milliarden DM gesagt. Dies ist die Schätzung der Bundesregierung. Ich will nur am Rande erwähnen, daß viele Experten die tatsächlichen Ausfälle wesentlich höher schätzen.
Hinzu kommen die Milchrente und die Erhöhung der Zuschüsse für die landwirtschaftliche Unfallversicherung mit rund 2,1 Milliarden DM im gleichen Zeitraum, so daß sich allein die nationalen Ausgleichsmaßnahmen für die deutsche Landwirtschaft auf ein Gesamtvolumen von 20,5 Milliarden DM belaufen.
Neben diesen nationalen Maßnahmen treten die zusätzlichen Mehrwertsteuerabführungen an die EG, die sich bis 1991 auf 40,6 Milliarden DM belaufen.
Dabei haben wir die Vollausschöpfung der Eigenmittelgrenze unterstellt. Oder kann etwa die Bundesregierung oder die Koalition angesichts der derzeitigen Finanzlage der Europäischen Gemeinschaft davon ausgehen, daß das nicht passiert? Zählen wir die zusätzlichen Belastungen zur Abdekkung des Defizits im EG-Haushalt 1984 — wahrscheinlich auch 1985 — hinzu, rechnen wir die zusätzlichen Zahlungen für England ein, so bedeutet das — wie gesagt, auf der Basis der Zahlen der Bundesregierung —, daß der deutsche Steuerzahler bis 1991 weit mehr als 60 Milliarden DM aufbringen muß.
Diese Kosten — damit komme ich zu Ihrem Stichwort — sind nicht etwa der Preis für Europa, wie Sie durch Ihren Zwischenruf deutlich machen wollen,
sondern, meine Kollegen von der Koalition, diese weit mehr als 60 Milliarden DM sind das Ergebnis der fehlerhaften, der ziellosen, der nicht vorher organisierten und durchdiskutierten Verhandlungsführung der Bundesregierung.
Wie ich sehe, hat der Bundesfinanzminister soeben das Plenum des Deutschen Bundestages verlassen, was mich bei diesen 60 Milliarden DM sehr wundert.
Ich kann nur feststellen: Nachdem der Bundesfinanzminister nach seiner Mittäterschaft bei denAmnestieplänen jetzt einseitig 60 Milliarden DMbereitstellen kann, wird deutlich, wie einseitig und wie unseriös hier Finanzpolitik betrieben wird.
Nehmen wir mal ein paar Gegenpositionen, damit Sie sehen, was Sie tun. Die Wiederherstellung der vollen Sozialversicherungsbeiträge für Behinderte in Werkstätten kostet 80 Millionen DM im Jahr. Für 300 Millionen DM könnte man ein sinnvolles Konzept verwirklichen, das für Schwerbeschädigte und Schwerbehinderte die unentgeltliche Beförderung im öffentlichen Personennahverkehr oder die volle Kraftfahrzeugsteuerbefreiung sicherstellt.
Die volle Wiedereinführung des Mutterschaftsgeldes kostet 400 Millionen DM.
Für 1 Milliarde DM könnte man das Schüler-BAföG in der ursprünglichen Form wiederherstellen.
Mit weiteren 1,1 Milliarden DM könnte man die skandalöse Senkung der Leistungssätze
beim Arbeitslosengeld,
bei der Arbeitslosenhilfe, beim Kurzarbeitergeld und beim Schlechtwettergeld rückgängig machen.
Das ist Ihre Politik.
Meine Damen und Herren, alle diese soeben von mir genannten Maßnahmen kosten weniger pro Jahr als das, was heute zugunsten eines Teils der deutschen Landwirtschaft beschlossen werden soll.
Deswegen wird Ihnen deutlich, weshalb wir Sozialdemokraten in dieser Frage so empört sind.
Wenn im Schnellverfahren über derartige Summen beschlossen werden soll, wenn nicht einmal die Zeit besteht, in Ruhe Vor- und Nachteile unterschiedlicher Lösungen abzuwägen und zu überlegen, wie man denn nun den betroffenen Landwirten wirklich am besten helfen kann, dann wird klar, daß Ihr
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Dr. ApelVorhaben auf den entschiedenen Widerstand der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion stößt.
— Es steht für uns, Herr Eigen, gar nicht zur Debatte, ob man den betroffenen Landwirten helfen soll oder nicht. Auch für uns Sozialdemokraten ist diese Frage völlig unbestritten.
Es ist aber auch unbestritten, daß durch Ihre Politik insbesondere die Existenz vieler kleinerer Betriebe trotz Ihrer Hilfen existentiell gefährdet bleibt.
Wir legen deswegen dem Deutschen Bundestag mit unserem Entschließungsentwurf einen Plan vor, der diese gezielte Hilfe möglich macht. Wir müssen uns natürlich fragen, wie es überhaupt zu dieser Situation kommen konnte.
Dazu stellen wir fest: Die Bundesregierung, vor allem der Bundeslandwirtschaftsminister, hat das miserable Verhandlungsergebnis in Brüssel zu verantworten.
Auf der einen Seite werden den deutschen Bauern Lasten auferlegt, wie das während der Amtszeit der sozialdemokratisch geführten Bundesregierung zu keinem Zeitpunkt auch nur annähernd geschehen ist,
auf der anderen Seite bleiben die strukturellen Probleme des EG-Agrarmarkts weiterhin ungelöst.
Es ist schon bezeichnend, daß der deutsche Landwirtschaftsminsiter zugeben muß, er habe damals, als er in Brüssel die Hand zur Zustimmung gehoben habe, nicht übersehen, welche Konsequenzen sich daraus für die deutsche Landwirtschaft ergeben. Die Ehrlichkeit, mit der der Landwirtschaftsminister das zugibt, ist schon beeindruckend. In der Sache ist es aber das Eingeständnis, daß die Bundesregierung schlecht vorbereitet in Verhandlungen eingetreten ist, sie dilettantisch betrieben hat und jetzt von den agrar- und finanzpolitischen Konsequenzen dieser Entscheidungen überrollt worden ist.
Sie, mein Kollege Vorredner,
können doch nicht bestreiten, daß die Bundesregierung eine Regelung vorschlägt, die, jedenfalls soweit es um die Erhöhung der Vorsteuerpauschale von 3 auf 5 % und um das Vorziehen auf den 1. Juli geht, offen gegen geltendes EG-Recht verstößt. Das ist doch unbestritten das Ergebnis der Anhörung des Finanzausschusses. Im übrigen, hochverehrter Herr Kollege, hat die EG-Kommission diese Regelung ebenfalls für mit dem EG-Recht unvereinbar erklärt.
— Sie geben mir das Stichwort: Der Gipfel hat augenscheinlich ein Auge zugedrückt, weil der Herr Bundeskanzler Dr. Kohl einige weitere hundert Millionen über den Tisch geschoben hat. So ist es gewesen.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Niegel?
Nein, danke schön.Aber, meine Damen und Herren, schauen wir uns doch mal die Problematik an, die über die Agrarpolitik hinausreicht! Schauen wir uns die Langzeitwirkung an, die dramatisch genug ist!
Wie will die Bundesregierung in Zukunft eigentlich glaubwürdig auf Einsparungen in der EG-Agrarpolitik drängen, wenn sie im Anschluß an Einsparungen bei der EG nationale Ausgleichsmaßnahmen vorsieht, die sogar über ihren Anteil bei den EG- Einsparungen hinausgehen? Nach Angaben der EG- Kommission werden durch die EG-Beschlüsse, wie sie gefaßt worden sind, in den nächsten drei Jahren 15,6 Milliarden DM eingespart. Das entspricht einem jährlichen Anteil der Ersparnis für die Bundesrepublik Deutschland von 1,5 Milliarden DM. Was Sie uns heute vorlegen, kostet 3 Milliarden DM im Jahr.
Da kann ich Ihnen nur sagen, dies ist in der Tat eine sehr merkwürdige Sparpolitik, die in der Tat gegenüber den Kleinbetrieben nicht zu verantworten ist, da sie diesen überhaupt nichts nützt.
Dazu möchte ich gern die „Frankfurter Allgemeine Zeitung" vom 30. Mai 1984 zitieren:In Brüssel versteht man auch nicht, daß die Bundesregierung und hier besonders Bundesfinanzminister Stoltenberg bei den Beratungen über die Reform der Gemeinschaft stets auf wirksame Einsparungen bei der gemeinsamen
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Dr. ApelAgrarpolitik gedrängt haben, um die Kosten für die Finanzierung der Gemeinschaft in Grenzen zu halten, jetzt aber mit aller Großzügigkeit Milliardenbeträge für die deutsche Landwirtschaft verfügbar gemacht werden.Es kommt ein zweites hinzu. Durch Ihr Verhalten, das Verhalten der Koalition, lädt doch die Bundesregierung die Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft, unsere Partner — der Bundeslandwirtschaftsminister hat das dankenswerterweise auch ganz offen gesagt —, ebenfalls dazu ein, ihre Landwirtschaft national zu subventionieren.
— Hochverehrter Herr Kollege Eigen, hier ermöglicht die Bundesregierung, hier ermöglichen Sie einen Teufelskreis nationaler Subventionswettläufe.
Aber schauen wir einmal erneut über die EG- Agrarpolitik hinaus:
Wie will sich die Bundesregierung gegen den Subventionswettlauf in der EG, z. B. bei Stahl und Textil, überzeugend aussprechen?
Durch die Beschlüsse heute werden doch Weichen zu neuen Subventionswettläufen gestellt. Und die Bundesregierung kann vor die Alternative gestellt werden, entweder immer neue Subventionen, Milliarden-Subventionen aufzuwenden
oder aber den Verlust Zehntausender von Arbeitsplätzen in Kauf zu nehmen.
Nun will ich Ihnen ein Weiteres sagen: Sie werden in Brüssel erleben — der Bundeskanzler hat es auf dem Gipfel erlebt —, daß die Bundesregierung in allen zukünftigen Verhandlungen mit einer deutlich geschwächten Verhandlungsposition antreten wird.
Denn wie will sie künftig das Argument leerer Kassen in die Debatten in Brüssel einbringen, wenn hier Milliardenbeträge, 20 Milliarden DM bis 1991, flottgemacht werden können?
Wir fragen den Bundesfinanzminister, der an dieser Debatte nicht teilnimmt: Ist der Bundesfinanzminister bereit, den Bundesländern die sie aufGrund der heutigen Beschlüsse treffenden massiven Belastungen abzunehmen?
Ich frage den Bundesfinanzminister weiter: Sind Sie bereit — bitte, Herr Dr. Häfele, übermitteln Sie diese Frage Herrn Dr. Stoltenberg —, dem Deutschen Bundestag zu bestätigen, daß uns vorliegende Informationen nicht zutreffen, wonach Sie wegen der hohen Belastungen Ihrer verfehlten Europapolitik eine Mehrwertsteuererhöhung planen?
— Bitte, lachen Sie da nicht! Stellt sich der Bundesfinanzminister hierher und versichert uns das? Darauf haben wir wohl einen Anspruch — oder nicht?
Meine Damen und Herren, zur europapolitischen Bewertung dieses Gesetzentwurfs der Bundesregierung will ich zusammenfassend den Bonner „General-Anzeiger" vom 25. Juni, also von vorgestern, zitieren:
Die gegen die Warnungen des Auswärtigen Amtes einseitig verordnete Erhöhung der Vorsteuerpauschale für die Landwirte von 3 auf 5% ist ein häßlicher Flecken auf Bonns bisher relativ weißer europäischer Weste und alles andere als ein Meisterstück.
Der Beschluß hat die Glaubwürdigkeit der nationalen und europäischen Sparpolitik der Bundesregierung schwer beschädigt. Er hat die Vertragsnormen der EG und damit auch Bonns moralische Position verletzt. Er gibt der Begehrlichkeit anderer Partner ein schlechtes Beispiel .. .
Und da frage ich den Bundeskanzler — er mag es dann morgen beantworten —: Stimmt es — und nach unseren Informationen stimmt es —, daß nun zwar der britische Nettobeitrag zur EG begrenzt worden ist, nicht aber der deutsche Nettobeitrag? Wenn das so ist, dann haben wir ein wesentliches Ziel der europäischen Finanzpolitik aufgegeben. Dann sind wir nämlich in der Gefahr, daß die Bundesrepublik das einzige Land ist, das als Nettozahler künftig unbegrenzt zu den Brüsseler Ausgaben herangezogen wird.
Ich will es den Kollegen von der Union ersparen, sich hier all die Zitate anzuhören, mit denen sie als
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Dr. ApelOpposition den Abbau von Subventionen und Steuervergünstigungen gefordert haben.
Auch hier hat die Union alle ihre großen Versprechungen und Worte gebrochen.
Die aktuelle Diskussion zeigt aber noch mehr: daß nämlich die Union von ihrem Politikverständnis her gar nicht in der Lage ist, das zu leisten, was sozialdemokratisch geführte Bundesregierungen
1980 und 1981 getan haben,
nämlich in einem mühsamen Prozeß alle Subventionen und Steuervergünstigungen immer wieder Punkt für Punkt auf ihre Berechtigung zu überprüfen. An die Stelle dieses — ich gebe zu: schwierigen — Prozesses tritt bei der Union die Gefälligkeitspolitik gegenüber einer wichtigen Wählergruppe.
In einem Kommentar der „Süddeutschen Zeitung" vom 24. Mai wird das sehr plastisch beschrieben, und ich mache mir das zu eigen:Die Bauern von Flensburg bis Passau haben gemurrt und mit dem Wahlzettel gewinkt. Da haben sie eben die Milliarde auch noch bekommen. So einfach und so zynisch ist das mit der Haushaltspolitik der konservativ-liberalen Koalition. Würden Studenten und Arbeitslose sich als potentielle, aber doch noch ein wenig schwankende Unionswähler offenbaren, dann wären die BAföG-Leistungen nicht gestrichen und das Arbeitslosengeld nicht gekürzt worden.
Dem ist nichts hinzuzufügen.
Man kann das ja wohl nicht noch deutlicher formulieren, als es der Abgeordnete Susset Ende Mai im Pressedienst der CDU/CSU-Fraktion getan hat. Ich zitiere:Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion steht in dieser Situation zu ihren treuesten Anhängern.
Herr Susset, das ist der finanzpolitische Offenbarungseid der Koalition!
Ich füge hinzu: Der Finanzminister, Herr Dr. Stoltenberg, ist doch, wie wir wissen, selbst sehr aktiv tätig geworden, um diese verfehlten Subventionen für die Landwirtschaft kräftig aufzustocken.
Wo bleiben denn all die starken Worte, wenn es darum geht, nun wirklich einmal Farbe zu bekennen?
Wir Sozialdemokraten sind bereit, meine Damen und Herren von der Koalition,
der deutschen Landwirtschaft in einer schwierigen Situation zu helfen.
Diese Hilfe darf aber nicht nach dem Gießkannenprinzip verteilt werden,
sondern muß gezielt denen zugute kommen, die die erforderliche Anpassung allein nicht schaffen können. Dem wird aber der Gesetzentwurf der Bundesregierung und der Koalition nicht gerecht:
Er bringt den Großbauern wesentlich mehr als den kleinen und mittleren Betrieben.
Er kommt — und das ist doch ein Skandal, an dem Sie überhaupt nicht vorbeigehen können — auch denen zugute, die von den Brüsseler Beschlüssen überhaupt nicht betroffen sind.
Und wenn das Hearing eines ergeben hat, meine Damen und Herren von der Koalition,
dann dies: Diese Vorsteuerpauschale wird Betrügereien schlimmster Art Tor und Tür öffnen.
Unsere Alternative zu diesem verfehlten Konzept ist ein flächenbezogener direkter Einkommensausgleich für die Landwirtschaft. Deshalb legen wir dem Deutschen Bundestag unseren Entschließungsantrag vor.Im Namen der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion fordere ich den immer noch nicht anwesenden Bundesfinanzminister und die Koalition auf, den vorliegenden Gesetzentwurf zurückzuziehen und auf der von uns formulierten Grundlage umgehend eine Lösung anzustreben, die die große Mehrheit des Bundestags mittragen könnte und die den betroffenen Bauern wirklich eine wirksame Unterstützung geben würde.
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 76. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. Juni 1984 5541
Dr. ApelVielen Dank.
Das Wort hat der Abgeordnete Paintner.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich als bäuerlicher Abgeordneter mute mir nicht zu, einen Abgeordneten wie Dr. Apel zu belehren,
aber ich meine, daß es doch richtig ist, daß diese Finanzentscheidung, die getroffen worden ist, der Preis für Europa, der Preis für die Ernährungssicherung, der Preis für die Erhaltung der Kulturlandschaft und der Preis dafür ist, daß viele bäuerliche Betriebe in Zukunft nicht aufgeben müssen.
Mit großer Erleichterung haben wir die Nachricht entgegengenommen, daß es dem Herrn Bundeskanzler und dem Herrn Außenminister auf dem französischen Gipfel gelungen ist, im Hinblick auf die gewaltigen Einbußen der deutschen Landwirtschaft die übrigen europäischen Staaten im Zusammenhang mit den Entscheidungen über den positiven Grenzausgleich von der Notwendigkeit der Gewährung eines 5 %igen Ausgleichs über die Vorsteuerpauschale ab 1. Juli zu überzeugen. Dafür gebührt sowohl dem Bundeskanzler als auch ganz besonders dem Herrn Außenminister der Dank von uns allen,
und ich bin auch der Meinung, daß die gesamte deutsche Landwirtschaft Ihnen dankbar ist.
Wir als FDP-Fraktion machen allerdings keinen Hehl daraus, daß wir den Abbau des positiven Grenzausgleichs ungern gesehen haben, denn Sie wissen alle, wie unser ehemaliger Landwirtschaftsminister Ertl in diesem Zusammenhang tätig war und wie stark er diesen Grenzausgleich immer verteidigt hat.Leider gibt es über die Anhebung der Vorsteuerpauschale, die wir heute beraten, eine Reihe von Mißverständnissen. Wer mit der Materie nicht vertraut ist, muß den Eindruck erhalten, als solle durch diese Maßnahme die Landwirtschft ohne guten Grund zum Empfänger neuer, umfangreicher Subventionen werden.
In der Öffentlichkeit ist zuwenig bekannt, warum diese Maßnahme erforderlich ist. Es muß natürlich das Selbstverständnis der Landwirte berühren, wenn sie sich in erster Linie als Subventionsempfänger dargestellt sehen und nicht gleichzeitig auch die Gründe dafür verständlich gemacht werden, die die staatlichen Hilfen nicht nur rechtfertigen, sondern geradezu herausfordern. Wir brauchen nach wie vor eine starke bäuerliche Landwirtschaft,
weil wir auf die Leistungen und auf die Vorteile nicht verzichten wollen, die uns eine solche Landwirtschaft bringt. Wer aber von einer bäuerlichen Landwirtschaft redet, muß auch bereit sein — das, meine ich, müßte man der Opposition ganz gewaltig ins Stammbuch schreiben —, die entsprechenden staatlichen Rahmenbedingungen zu setzen, daß eine solche Landwirtschaft überleben kann. Diese Rahmenbedingungen bedürfen noch einer erheblichen Verbesserung.Die Einkommenssituation unserer Landwirtschaft ist gegenwärtig nachteilig, und sie droht katastrophal zu werden, wenn nichts geschehen würde. Im laufenden Wirtschaftsjahr 1983/84, das in den nächsten Tagen zu Ende geht, droht eine Verschlechterung des Einkommens um etwa 22 %. Mit einem weiteren, nahezu gleichen, Rückgang muß für das kommende Wirtschaftsjahr gerechnet werden. Die entscheidenden Ursachen hierfür finden sich in den Brüsseler Beschlüssen, die der Ministerrat im März dieses Jahres gefaßt hat. Dies ist die Kehrseite dieser Beschlüsse, die wegen der schwierigen Markt- und Haushaltsituation in Europa hinsichtlich der Einkommenswirkungen insgesamt nicht besser machbar waren, und das, meine ich, muß betont werden.Die nachteilige Einkommenswirkung der Brüsseler Beschlüsse ergibt sich aus zwei Komponenten. Zum einen gab es so gut wie keine Preisanhebungen. Zwar bleiben die Marktordnungspreise für Milch, Zucker, Roggen und Hartweizen unverändert, für Weichweizen, Gerste, Tafelwein, Rind-, Schaf- und Schweinefleisch mußten aber Preissenkungen hingenommen werden. Stärker noch wirkten sich die Korrekturen an den Marktordnungen aus. Ihre Einkommenswirkungen sind nur schwer vorauszusagen, da sich die Reaktion der Märkte nur schwer abschätzen läßt.Am stärksten wirkt zweifellos die Garantiemengenregelung bei Milch. Von Ausnahmefällen abgesehen, kann kein Landwirt damit rechnen, daß er auch 1984 seine Milchproduktion auf dem Niveau des Vorjahres halten kann. Kürzungen zwischen 2 % und 12,5% waren unumgänglich. Die Betriebswirtschaftler haben vorgerechnet, daß für jedes weniger produzierte Kilogramm Milch Einkommensausfälle zwischen rund 20 und 35 Pfennig entstehen.Auch bei Getreide übertreffen die flankierenden Maßnahmen in ihrer Einkommenswirkung die Veränderung der Marktordnungspreise. Am stärksten dürfte sich die von der Kommission eingeleitete Annäherung der Präferenzpreise für Brotweizen der Mindesqualität an den Interventionspreisen für Futterweizen auswirken. Bei den wichtigen Interventionsprodukten bleibt auch die Verlängerung des Zahlungsziels für die Interventionsbehörden nicht ohne negative Folgen für die Marktpreise.Insgesamt bleibt festzuhalten, daß Einkommensrückgänge in zwei aufeinanderfolgenden
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5542 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 76. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. Juni 1984
PaintnerWirtschaftsjahren von über 20% auf die Halbierung des Agrareinkommens hinauslaufen. Es ist, meine ich, nicht übertrieben, wenn man hier über solche Maßnahmen redet und sie tätigt. Einer solchen Entwicklung kann und darf die Bundesregierung nicht tatenlos zusehen. Die Landwirtschaft ist nun einmal von den staatlich fixierten Marktordnungspreisen abhängig. Dies ist ja auch durchaus gewollt. Die Marktordnungen sind eigens dazu geschaffen, einen Preisverfall bei landwirtschaftlichen Produkten zu verhindern. Kein verantwortungsbewußter Agrarpolitiker stellt diese Marktordnungen in Frage.
Vielmehr müssen wir alles tun, um ihre Funktionsfähigkeit zu erhalten.Es kann aber nicht angehen, daß auf der einen Seite staatlicherseits Vorkehrungen getroffen werden, die einen katastrophalen Einkommenseinbruch bei der Landwirtschaft verhindern, und auf der anderen Seite tatenlos zugesehen wird, wie ein solcher Fall eintritt.Die Anhebung der Vorsteuerpauschale um 5 %, wie wir sie heute diskutieren, ist deshalb kein Geschenk an die Landwirtschaft,
sondern nur ein knapper Ausgleich für das, was der Landwirtschaft durch die Brüsseler Beschlüsse — hier besonders durch den Abbau des deutschen Währungsausgleichs — entsteht.Auch wenn wir heute die Anhebung der Vorsteuerpauschale um 5 % für den 1. Juli beschließen, besteht immer noch kein Anlaß, in Euphorie zu verfallen. Die Einkommen der Landwirtschaft werden sich trotz dieser Maßnahme negativ entwickeln. Der Rückgang wird aber erheblich, ja, entscheidend gemildert. Auch wenn sich der schlechte zweitletzte Rang — wir stehen nur vor Griechenland —, den die deutsche Landwirtschaft im Einkommensvergleich mit den Partnerstaaten in der EG einnimmt, nicht verbessern wird. Vergessen wir nicht, daß durch den Abbau des Grenzausgleichs die Agrarpreise der Marktordnungsprodukte um 5% sinken werden. Nutznießer werden letzten Endes nicht die Landwirte, sondern die Verbraucher sein.
Wir glauben nicht, daß bei der in diesem und im nächsten Jahr zu erwartenden Einkommenssituation der deutschen Landwirtschaft verstärkte Produktionsanreize ausgehen werden. Vielmehr sehen wir eine dringende Notwendigkeit, viele Betriebe vor noch stärkeren Einkommenseinbußen zu bewahren.Wir von der FDP stehen zu dieser Erhöhung zum 1. Juli. Dies ist ganz einfach eine sachliche Notwendigkeit.
Die Anhebung zum 1. Januar käme zu spät, weil dieLandwirte ihre Erzeugnisse des Wirtschaftsjahrs1984/85 dann bereits weithin verkauft hätten undden beabsichtigten Ausgleich über die Umsatzsteuer nur noch auf einem geringen Teil ihrer Produkte erhielten. Es ist nun einmal so, daß in der Landwirtschaft im Jahr nur einmal geerntet werden kann.Leider wird durch das Vorziehen des Inkrafttretens auf den 1. Juli das Problem des Preisbruchs bei einigen Produkten nicht gelöst. Betroffen ist in erster Linie die aufnehmende Hand bei den Produkten, bei denen die Landwirtschaft Mindestpreise zu zahlen hat. Diese werden nach einem Umrechnungsfaktor ermittelt, der nach dem Abbautermin am 1. Januar gilt. Produkte wie Kartoffelstärke oder Zucker fallen in den letzten drei Monaten des laufenden Kalenderjahres an und erleiden am 1. Januar in vollem Umfang den Preiseinbruch. Das ist den betroffenen Unternehmern nicht zuzumuten. Die Bundesregierung ist gefordert, die entscheidende Weichenstellung zu einer Lösung der Probleme umgehend vorzunehmen. Gleichzeitig fordern wir den Finanzminister auf, eine tragbare Lösung der Rückerstattung der Vorsteuerpauschale bei Handel und Genossenschaften vorzulegen. Es ist der aufnehmenden Hand nicht zusätzlich zuzumuten, die Zinsbelastung bei der Abwicklung selber zu tragen.Für die FDP-Fraktion stand die grundsätzliche Zustimmung zu dieser Anhebung der Vorsteuerpauschale zum 1. Juli nie in Frage. Mein Kollege Bredehorn und ich haben das auch im Deutschen Bundestag schon bekräftigt. Wir halten eine umsatzbezogene Hilfsmaßnahme nicht nur für zweckmäßig, sondern auch für gerechtfertigt. Der Abbau des deutschen Währungsausgleichs, der ja Auslöser dieser Maßnahme ist, sowie die weit überwiegende Mehrzahl der flankierenden Maßnahmen schlagen sich auch in den Marktpreisen und somit umsatzbezogen nieder.Entscheidend für die Zustimmung der FDP war aber, daß von Anfang an in Aussicht gestellt wurde, nicht alle Erzeuger von tierischen Veredelungsprodukten in den Genuß dieser Ausnahme kommen zu lassen. Es war in diesem Zusammenhang dringend notwendig, ein Zeichen zugunsten der landwirtschaftlichen bäuerlichen Familienbetriebe zu setzen.
Wir legen allergrößten Wert darauf, daß gewerbliche Betriebe, so wie sie das Bewertungsgesetz gegenwärtig definiert, von der erhöhten Vorsteuerpauschale ausgeschlossen sind. Ferner sind wir der Meinung, daß auch landwirtschaftliche Betriebe mit mehr als 330 Vieheinheiten — etwa 1000 Liegeplätzen bei Mastschweinen entsprechend — nicht an der Maßnahme teilhaben können. Die Grenze ist gerechtfertigt und vernünftig, wobei durchaus geprüft werden kann, wie dies auch die gemeinsame Erklärung der Koalition vorsieht — —
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Oostergetelo?
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 76. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. Juni 1984 5543
Nein. — Es geht darum, umgehend den geltenden Umrechnungsschlüssel für die Vieheinheit zu überprüfen. Auch und gerade bei bäuerlichen Familienbetrieben muß nach unserer Auffassung die Bindung der Produktion an den Boden bestehen. Der Grundgedanke dieser Überlegung ist, daß dann eine ökologisch vertretbare Landbewirtschaftung möglich ist. Nur dann kann die Belastung des Grundwassers mit Schadstoffen in Grenzen gehalten werden, wenn die flächenmäßige Konzentration der Vieheinheiten kritische Grenzen nicht überschreitet.
Allerdings halten wir Vorschläge von der Art, wie sie aus der Ecke der GRÜNEN kommen, die Grenze bei 20 bis 30 Vieheinheiten pro Betrieb zu ziehen, für eine reine Phantasterei. Das Problem der deutschen Landwirtschaft wäre jedoch dann auf Dauer gelöst, wenn jeder 40-ha-Betrieb bei achtziger Böden im Nebenerwerb bewirtschaftet werden könnte und daneben noch ein Studienratsgehalt ins Haus flatterte, wie es, wie man hört, bei einem frischgewählten Europaabgeordneten der GRÜNEN der Fall sein soll.
Wir jedenfalls werden weiter an einer realistischen Agrarpolitik für den bäuerlichen Familienbetrieb in Zukunft festhalten.
Ich möchte abschließend nochmals betonen, daß wir als FDP-Fraktion mit dieser Bundesregierung stolz darauf sind, daß mit diesem Gesetzentwurf nun endlich bewiesen wird, daß den Worten auch Taten folgen, und daß diese Regierung und die sie tragenden Parteien, besonders die FDP-Fraktion mit der CDU/CSU, für den bäuerlichen Familienbetrieb sind und daß wir die Landwirtschaft nicht im Stich lassen.
Die FDP-Fraktion stimmt diesem Gesetzentwurf zu.
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Dr. Vollmer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist jetzt das vierte Mal in wenigen Wochen, daß ich meine Rede beginnen muß mit einem allmählich unwilliger werdenden Protest gegen den völligen Verfall parlamentarischer Sitten und Gebräuche, der in der letzten Zeit um sich gegriffen hat.
Es macht mir auch keine Freude, hier als Predigerin in Sachen parlamentarischer Moral auftreten zu müssen;
aber für mich ist das ein deutlicher Hinweis auf die Mißachtung des Parlaments und der Arbeit der Parlamentarier durch die gesetzgebende Ministerialbürokratie der jetzigen Regierung.Verfolgen wir einmal die Entstehung dieses Gesetzes. Am 3. Mai 1984 wurde es ruckzuck in die erste Lesung gebracht. Damals lautete der Vorschlag: Erhöhung der Vorsteuerpauschale um 3 %. Nachdem nun ausgerechnet in diese Zeit die Welle von Bescheiden der Molkereigenossenschaften fiel, die die Bauern über die realen Auswirkungen der Quotenregelung auf ihre Situation informierten, stellte sich schnell heraus, daß die 3 % bei weitem nicht ausreichen würden, um einen Einkommensausgleich zu schaffen. Auch der Minister mußte es jetzt endlich zur Kenntnis nehmen. Hinzu kam gleichzeitig eine reale Preissenkung für Milch, in einigen Gebieten bis zu 4 Pfennig pro Liter.
Die Unruhe unter den Bauern wurde sichtbar, spürbar. Sie erreichte selbst die Versammlungen des Ministers Kiechle im Allgäu und die Versammlungen des Ministers Stoltenberg in Schleswig-Holstein. Der Gesetzentwurf erwies sich, kurz, hinten und vorne als unausgewogen, nicht ausreichend, dazu sozial äußerst ungerecht, mit der EG nicht abgestimmt, wozu ich schon in der letzten Debatte zu diesem Thema eine Reihe von Belegen angeführt hatte.Es wurde also verschlimmbessert. Als erstes wurde die Anhebung schon für den 1. Juli vorgesehen, da es sonst katastrophale Auswirkungen für den Getreidehandel gegeben hätte und es entsprechende Proteste der Industrie gab.Als zweites wurde eine Anhebung auf 5%, also auf die volle Höhe der Preissenkung durch den Wegfall des Grenzausgleichs, angestrebt. Großer Jubel brach in der Gegend von Vechta und in den anderen Hochburgen der umsatzstarken Schweinebetriebe aus. Mehr und mehr setzte sich die Erkenntnis durch, daß die Anhebung der Vorsteuerpauschale eindeutig zugunsten der umsatzstarken Marktbetriebe vorgenommen werden sollte und daß sie diesen Betrieben noch über den Ausgleich der Einkommenseinbußen hinaus ganz erhebliche Vorteile verschaffen würde. Keinen Vorteil von dieser Regelung hätten dagegen Betriebe gehabt, die z. B. ihr eigenes Getreide ohne Umweg über die Genossenschaften verfüttern,
Betriebe, die miteinander im Handel sind, bäuerliche Betriebe, Betriebe, die direkt an den Markt und den Verbraucher liefern, und solche, die zu einem Gesamtpreis an den Händler liefern.Der dritte Schritt: Jetzt sollte wegen der vielen Proteste eine Schönheitsoperation vorgenommen werden. Zum ersten Mal sollte eine Art Bestandsobergrenze eingeführt werden, über die hinaus die landwirtschaftlichen Unternehmer nicht mehr in den Genuß der erhöhten Vorsteuerpauschale kom-
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5544 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 76. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. Juni 1984
Frau Dr. Vollmermen sollten. Der Antrag der SPD, diese Grenze bei 300 Großvieheinheiten festzulegen, war unseres Erachtens schon um das Dreifache zu hoch angesetzt. 300 Großvieheinheiten sind betriebswirtschaftlich schließlich keine Kleinigkeit.
Viertens kam es dann von seiten der CDU/CSUFPD-Koalition zu einem Antrag, der wirklich seinesgleichen sucht. Zwar wurden die 300 Großvieheinheiten aus dem Antrag der SPD beibehalten, ihnen wurde aber flugs ein neuer Berechnungsschlüssel untergeschoben, so daß damit Betriebe, die längst unter die Rubrik der „gewerblichen Betriebe" fallen, plötzlich wieder zu landwirtschaftlichen Betrieben gemacht wurden.
Meine Damen und Herren, wenn ich über diese Tatsache auf Bauernversammlungen gesprochen habe, habe ich immer eine Reaktion gefunden: ungläubiges, mißtrauisches Staunen.
Und ich will Ihnen gestehen, daß auch ich gedacht habe, Sie würden das nicht wagen.Wären Sie mit diesem Vorschlag durchgekommen, wären Betriebe mit 3 750 Mastschweinen pro Jahr, mit 41 000 Legehennen pro Jahr oder mit 577 000 Jungmasthühnern plötzlich mit unter die Rubrik bäuerlicher Familienbetrieb gefallen.
Urheber dieses Planes war der Präsident des Deutschen Bauernverbandes persönlich, Freiherr von Heereman. Man konnte es im „Landwirtschaftlichen Wochenblatt Westfalen-Lippe" lesen. Es war der Bauernverband, der äußerstes Gewicht auf die Erhöhung der Vorsteuerpauschale gelegt hatte. Es war der Bauernverband, der die Erhöhung des Berechnungsschlüssels für Schweine- und Hühnerhaltungsbetriebe gefordert hatte, also für seine besondere Klientel.
Herr Eigen, auch Verbandsfunktionär, fand sogar die zu Herzen gehende Formulierung, daß so schließlich ein Unrecht wiedergutgemacht werden könnte, das armen, vertriebenen Bauern geschehe, die so wenig Land hätten, daß sie in die Massentierhaltung gehen müßten.
Der Bauernverband bezeichnete sich, so wörtlich, als Interessenvertreter des „kleinen bäuerlichen Gewerbebetriebes". — Sie müssen die Bauern sehr wenig kennen, daß Sie sich getrauen, solche Vorschläge zu machen. Und Sie mußten sie dann doch auch zurückziehen.
Fünfte Stufe: Als der Protest wiederum laut wurde, als immer mehr Bauernverbände ihren Wahlboykott für die Europawahlen ankündigten — und das nutzte uns, nicht Ihnen, selbst der Wahlboykott —,
da verschwanden die ganzen Berechnungsschlüssel bei der nächsten Ausschußsitzung wiederum in der Versenkung. Nunmehr wurde eine Bestandsobergrenze von 330 Großvieheinheiten festgelegt mit dem schönen Ergebnis, daß sich jetzt noch ganze 300 Betriebe in Deutschland vom Genuß der Vorsteuerpauschale-Regelung ausgeschaltet sehen.
Sehr interessant ist, was bei diesen parlamentarischen Hoppelsprüngen unter der Decke passierte. So, wie es aussieht, ist der Deutsche Bauernverband für alle diese Gesetzgebungsmaßnahmen der Stichwortgeber. Der Landwirtschaftsminister sichert sich offensichtlich für sämtliche Maßnahmen vorher beim Deutschen Bauernverband ab. Gerät der Karren dann in die „Gülle", ist der Deutsche Bauernverband der erste, der hinter vorgehaltener Hand ziemlich lautstark feststellt, daß dies alles doch das Ergebnis dessen ist, daß der Landwirtschaftsminister in Brüssel so schlecht verhandelt habe
und daß dieser Landwirtschaftsminister — auch das hört man hinter vorgehaltener Hand — in seinem Ministerium nicht Herr des Hauses sei — man ahnt schon, wer besser Herr des Hauses sein könnte —,
als käme es dem Bauernverband ganz besonders darauf an, den Minister lächerlich zu machen. Ich wundere mich, wie lange er sich eine solche Art von Schützenhilfe noch gefallen läßt.
Letzte Etappe dieses Gesetzgebungsdramas: Das Gesetz war durch das EG-Recht nicht abgesichert. Es wurde von der EG-Kommission abgelehnt.
Trotzdem wurde es vom Ernährungsausschuß verabschiedet.
Damit wurde Ausschußarbeit zur reinen parlamentarischen Farce.
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 76. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. Juni 1984 5545
Wenn auch der Ministerrat schließlich die Zustimmung der EG zu den Bauernmilliarden erteilt hat, so doch offensichtlich um einen sehr teuren Preis, nämlich ein weiteres finanzielles Zugeständnis an die Briten.
Bliebe noch zu bemerken, was alles möglich gewesen wäre mit diesen 20 Milliarden DM in einer Zeit, in der Hunderttausende von bäuerlichen Klein- und Mittelbetrieben Einkommensverluste von 30% und 40 % ins Haus stehen, in einer Zeit, in der Hunderttausende von Arbeitern durch Kurzarbeit und Aussperrung ebensolche Einkommensverluste erleiden, in einer Zeit, in der Sozialhilfeempfänger erhebliche Einkommensverluste haben. Zu einer solchen Zeit wird über diese Milliarden in einem an Leichtfertigkeit nicht zu überbietenden Verfahren entschieden.
Das Ergebnis ist nichts anderes als eine Hilfe für landwirtschaftliche Unternehmer. Es nützt nicht denen, denen wirklich geholfen werden müßte.
Sie werden sich nicht wundern, daß wir dieses Gesetz ablehnen. Unser Vorschlag dagegen war die Erhöhung der Vorsteuerpauschale auf 5 Prozentpunkte bis zu 100 Großvieheinheiten und 100 Hektar und auf 3 Prozentpunkte bis zu 150 Großvieheinheiten und 150 Hektar und die Verteilung der eingesparten Gelder nach dem sozial sehr ausgewogenen Modell, das die GRÜNEN mit der SPD in Hessen verabschiedet haben.
— Sie werden schon sehen, wie dieses Modell den Bauern nützt.Noch ein Wort zum Entschließungsantrag der SPD. Wir werden uns deshalb der Stimme enthalten, weil Sie in Ihrem Entschließungsantrag als Alternative eben nicht dieses Modell vorgestellt haben, sondern das Modell der gezielten Einkommensübertragung, was wir aus verschiedenen Gründen ablehnen. Das sage ich nur, damit Sie wissen, warum wir uns der Stimme enthalten.Ich danke Ihnen.
Das Wort hat der Herr Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten.
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr verehrte Damen und Herren! Ich will noch einmal kurz skizzieren, worum es bei dieser zweiten und dritten Lesung des Umsatzsteuergesetzes geht, weil ich leider das Gefühl habe, daß manche Damen und Herren von der Opposition das offensichtlich noch immer nicht ganz begriffen haben.
Diese Schlußfolgerung muß zumindest jeder ziehen, der die Ausführungen des stellvertretenden Vorsitzenden der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion, Wolfgang Roth, zur sogenannten Krise der EG -Agrarsubventionen gelesen hat. Sie datieren vom 22. Juni dieses Jahres. Herr Roth, Sie zeigen damit leider, daß Sie nicht an tragbaren Entscheidungen zugunsten der Landwirte, sondern an klasenkämpferischer Polemik interessiert sind.
Ihre Kommentare — lassen Sie mich das zunächst nachweisen; Sie können mir dann ja widersprechen — sind eine Verhöhnung der Sorgen und Nöte unserer Bauern.
Wer zur destruktiven Neinsagerpartei wird, wer nicht die Sache im Auge hat — ich habe hier von dieser Stelle aus oft um eine sachliche Auseinandersetzung gebeten; ich will ja nicht Zustimmung, aber wenigstens sachliche Auseinandersetzung —, wie z. B. auch der Auszug aus den Fachausschüssen des Parlaments zeigt, wer also Parteitaktik dem Wohlergehen eines ganzen Wirtschaftszweiges unterordnet, der stellt sich selbst ins Abseits.
Meine Damen und Herren, meine Fraktion ist nie so arrogant mit den Sorgen der Stahl- und Werftarbeiter oder der Bergleute umgegangen.Herr Apel hat heute leider ebenfalls ein Beispiel für billige und, wie ich meine, auch unverantwortliche Polemik gegeben.
Herr Apel, es ist doch unzulässig — Sie wissen es auch; trotzdem tun Sie es —, hier Milliardenrechnungen dergestalt aufzumachen, daß Sie die Beiträge, die die Bundesrepublik Deutschland bis zum Jahre 1991 an die Europäische Gemeinschaft zahlt, schlicht und einfach unter die Rubrik „Subventionen für die Landwirtschaft" einordnen.
Man könnte, wenn man wirklich in dieser polemischen Form miteinander umgehen will, j a auch einmal fragen: Was wird denn in diesen sieben Jahren, die vor uns liegen — Sie haben gleich siebeneinhalb Jahre zusammengezählt —, in etwa der Nutzen für die Deutschen aus der Zugehörigkeit zur Gemeinschaft sein? Ein wichtiger Indikator für diesen Nutzen ist der Handelsbilanzüberschuß. In den letzten beiden Jahren betrug er 15 bzw. 25 Milliarden DM, bezogen auf den Handel mit den neun Mitgliedsländern der Gemeinschaft. Wenn Sie dies hochrechneten, so wäre dies auch eine nicht ganz zulässige
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5546 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 76. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. Juni 1984
Bundesminister KiechleRechnung, weil man natürlich nie weiß, welche Entwicklung sich ergibt. Wenn Sie aber den Schnitt der letzten Jahre und nicht nur den der beiden letzten Jahre nehmen, so können Sie ohne weiteres sagen: Für uns stehen rund 120 bis 140 Milliarden DM Handelsbilanzüberschuß zur Debatte, die wir nur dann erzielen, wenn wir mit den europäischen Nachbarn ein friedliches, ein freundliches und auch handelspolitisch ein auf Geben und Nehmen ausgerichtetes Verhältnis haben.
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Nein, ich lasse keine Zwischenfragen zu.
Es ist wirklich nicht gut, Herr Apel, daß ein Mann, der für die Finanzen der Bundesrepublik Deutschland Verantwortung getragen hat
— ich will das gar nicht bewerten —, hier mit einer solchen Milliardenrechnung nichts als Stimmung macht. Es ist noch übler — verzeihen Sie mir, wenn ich das einmal so hart sage —, wenn man dann auch noch Behinderte, Arbeitslose, Schüler und Studenten gegen die Bauern auszuspielen versucht, und zwar mit Rechnungen, die nicht zulässig sind.
Daß die Grünen dies tun, sei ihnen verziehen; von ihnen habe ich nicht mehr erwartet.
Daß Sie, Herr Apel, es tun, erschreckt mich.
Sie haben außerdem gesagt, der Gipfel der europäischen Regierungschefs — Sie bewerten sie offensichtlich doch recht „hoch" — habe ein Auge zugedrückt, weil der Kanzler einige hundert Millionen zusätzlich zahlen will. Das ist eine reine Unterstellung. Längst bevor wir über die 2 % mehr diskutiert haben, hatten wir j a alle Vorschläge auf dem Tisch. Der Kanzler hat eben nicht mehr zugestanden und zugestehen müssen als das, was damals auch zur Debatte gestanden hat.
Ein einziger Punkt, den Sie angeschnitten haben, stimmt, nämlich Ihre Aussage zur Höchstbegrenzung des deutschen Beitrags an die EG.
— Das ist schlimm, gut. — Sie haben daraus gleich die Feststellung gemacht: Deutschland muß für alle Zeiten unbegrenzt für Europa zahlen. Ich möchte Ihnen darauf nur antworten: Es waren doch von Ihrer Partei geführte Bundesregierungen, die die Erhöhung der Beitragsschlüssel vorgenommen haben, die die Zugeständnisse beim Beitritt Englands, Dänemarks und Irlands gemacht haben. Ich mache Ihnen von dieser Stelle aus ja gar keine Vorwürfe, nur: Sie haben das für richtig gehalten und außerdem die Situation geschaffen, wie sie jetzt ist; wenn man dann Bundesminister Stoltenberg und dem Herrn Bundeskanzler, die in der jetzigen Situation nicht erreichen konnten, daß eine zusätzliche Obergrenze eingezogen wird, einen Vorwurf machen will — noch dazu von so kompetenter Seite wie Sie selbst es sind —, so ist das unseriös.
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Apel?
Bitte schön.
Nun hat Herr Abgeordneter Apel das Wort.
Herr Bundesminister, ist es nicht doch so, daß die Begrenzung der deutschen Zahlungen — die Sie gefordert haben, die wir gefordert haben —, die für die finanzielle Hygiene der EG auch dringend geboten ist, quasi als Gegenleistung dafür, daß in Fontainebleau die erhöhten und eigentlich in Brüssel nicht beschlossenen Abzüge bei der Vorsteuerpauschale für die Landwirtschaft durchgingen, aufgegeben werden mußte?
Herr Dr. Apel, es ist nicht so, wie Sie sagen. Dies hätte unabhängig von dieser Vorsteuerpauschale, die nachträglich auf dem Gipfel durchgesetzt werden konnte, auch nicht durchgesetzt werden können. Insofern ist Ihre Behauptung, daß dies nun die Ursache gewesen sei, nichts als eine Behauptung.
Es war ja bei allen bisherigen Ratsversammlungen bis zum Gipfel in Brüssel — dort stand dieses Thema überhaupt nicht zur Debatte — auch nicht möglich, diese von uns sicher auch gewünschte, von Ihnen, wie ich annehme, nicht verteufelte Obergrenzenregelung durchzusetzen. Deswegen spricht mehr für meine Behauptung als für Ihre.
Sie haben gesagt, Herr Stoltenberg, der Bundesminister der Finanzen, sei nicht anwesend. Er ist im Hause. Ich bitte um Verständnis, wenn er im Augenblick nicht im Plenarsaal ist, denn er hat wichtige Ressortgespräche. Er wäre erreichbar, aber er ist durch den Herrn Parlamentarischen Staatssekretär vertreten.Ich möchte noch eine Bemerkung zu der Behauptung der Kollegin Vollmer in bezug auf die Ober-
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 76. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. Juni 1984 5547
Bundesminister Kiechlegrenze machen. Frau Vollmer, ich weiß nicht, ob Sie sich um Sachlichkeit bemühen — das ist Ihre Angelegenheit, nicht meine —, aber ich darf Ihnen zur Aufklärung immerhin sagen: Die neu eingezogene Obergrenze schließt 300 bisher bäuerliche und auch nach dem Gesetz weiterhin bäuerliche Betriebe — nur weil sie groß sind, über 330 Großvieheinheiten haben — von dieser Begünstigung oder Hilfsleistung aus; aber es sind auch rund 7 000 Betriebe' deswegen ausgeschlossen, weil sie nach dem bestehenden Bewertungsgesetz über den Höchstgrenzen liegen, so daß es nicht 300, sondern über 7 000 Betriebe sind. Auch dies gehört, wie ich meine, zur sachlichen Auseinandersetzung.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Bundesregierung hat sich dazu durchgerungen, der Neuorientierung der EG-Agrarpolitik zuzustimmen, denn nur so konnte die Basis für Fortschritte geschaffen werden, die für Europa ebenso wünschenswert wie notwendig sind. Die Bundesregierung war von vornherein entschlossen, die daraus resultierenden unerträglichen Härten für die deutschen Bauern mit nationalen Mitteln auszugleichen. Das wesentlichste Element dieses Ausgleichs ist die Anhebung der Vorsteuerpauschale um zugegebenermaßen jetzt 5 % statt der vorgesehenen 3 % zum 1. Juli 1984. Das ist ein unverzichtbarer Ausgleich. Es sind auch keine Almosen, keine Subventionen, es ist auch kein Ausgleich für unternehmerische Verluste der Landwirte. Nein, hier handelt es sich quasi um die Schadensregulierung einer agrarpolitisch falschen bzw. fehlenden Weichenstellung innerhalb der Europäischen Gemeinschaft in der Vergangenheit.
Es liegt mir eigentlich nicht, über Unterlassungssünden der Vergangenheit immer wieder zu reden. Solche Dinge sind ohnehin nicht mehr zu ändern. Ich unterstelle zudem, daß die SPD-geführte Bundesregierung seinerzeit zumindest das Beste gewollt hat, auch wenn der Wille allein nicht genügt und die gute Absicht manchmal nicht ausreicht. Nur soll sich die SPD dann bitte nicht hierher stellen und Maßnahmen attackieren, die weitgehend überflüssig gewesen wären, wenn sie selbst zu gegebener Zeit ihre Pflicht und Schuldigkeit getan hätte.
Jetzt müssen wir Entscheidungen treffen, mit denen das ausgebügelt wird, was vor Jahren versäumt wurde.Es sind nicht nur Schwierigkeiten, wie Herr Roth in maßloser Untertreibung die Probleme der Bauern abwiegelt. Vielleicht hätte sich einmal jemand von der Opposition die Mühe machen sollen,
die Einkommensaussichten der Landwirtschaft zu untersuchen.
Im abgelaufenen Wirtschaftsjahr wird es eine drastische Verschlechterung von wahrscheinlich 20 oder gar mehr Prozent durch schlechte Ernte und niedrige Schweinepreise geben. Nach der Prognose für das nächste Woche beginnende neue Wirtschaftsjahr wäre auf Grund der unvermeidbaren Beschlüsse der diesjährigen Preisrunde und vor allem wegen der technischen Maßnahmen der EG-Kommission ein weiterer erheblicher Rückgang der Einkommen die Folge. Sie, meine sehr verehrten Damen und Herren von der Opposition, reden trotzdem nur von „Schwierigkeiten".Ich sage: Hier geht es um die Existenzfrage von vielen Tausenden selbständiger bäuerlicher Betriebe. Das waren letztlich die Gründe, die ausschlaggebend waren für den Beschluß der Bundesregierung, die Vorsteuerpauschale anzuheben.
Damit werden insbesondere die Verluste der deutschen Landwirtschaft aus dem Abbau des Währungsausgleichs voll abgedeckt. Darüber hinaus ergibt sich noch ein gewisser Ausgleich für den Einkommensrückgang, der aus den übrigen Agrarbeschlüssen resultiert. Das ist auch wünschenswert; denn die deutsche Landwirtschaft hat durch die vergangene EG-Agrarpolitik eine derart schlechte Einkommenslage zu verzeichnen, daß die Brüsseler Beschlüsse und insbesondere der Abbau des Währungsausgleichs uns härter trifft als die übrigen Mitgliedstaaten. Das rechtfertigt eben spezielle Ausgleichszahlungen für die deutsche Landwirtschaft.Mit der Anhebung der Vorsteuerpauschale sollen nach Auffassung der Bundesregierung mit Ausnahme der Gewerbebetriebe und der großen, viehstarken landwirtschaftlichen Betriebe mit mehr als 330 Großvieheinheiten alle landwirtschaftlichen Betriebe begünstigt werden. Die SPD — das ist ihr gutes Recht — und auch DIE GRÜNEN sind dagegen. Es wäre auch schon fast eine Überraschung, falls es nicht so wäre.Sie versuchen jetzt, einen Keil zwischen die Landwirte zu treiben,
versuchen, die Solidarität der Bauern untereinander zu untergraben,
indem Sie kleine Bauern gegen große ausspielen wollen. Ich bezeichne das eindeutig als Klassenkampf.
Wir halten auch als Bundesregierung nichts davon,weil Klassenkampf vielleicht Emotionen weckt,
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5548 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 76. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. Juni 1984
Bundesminister Kiechleaber leider niemanden satt macht und auch niemandem hilft.
Unsere Bauern brauchen keine Ideologie, sondern Hilfe und Solidarität.
— Entschuldigen Sie, gnädige Frau. Ich habe nichts gegen Frauen, aber meine Zeit ist mir auch vorgegeben. Ihre Fraktion hat ja eben Gelegenheit gehabt, durch ihren prominentesten Sprecher eine Frage zu stellen.Größere Betriebe haben auch den größeren Umsatz. Ihre Verluste, die durch die EG-Beschlüsse entstehen, sind deshalb auch am größten. Und wenn diese Betriebe jetzt infolge des umsatzbezogenen nationalen Ausgleichs auch absolut mehr profitieren, so ist das durchaus angemessen. Der Ausgleich bewirkt deshalb auch keine Verzerrungen des Einkommensgefüges zwischen Groß und Klein. Zudem: Die ganz großen, viehstarken Betriebe werden ohnehin ausgeschlossen.Kritisch gesehen wird von der Opposition die Absicht der Bundesregierung, die Anhebung der Vorsteuerpauschale auch für Produkte wirksam werden zu lassen, die nicht unter den Währungsausgleich fallen. Ich halte diese Kritik nicht für gerechtfertigt. Denn angesichts der Überschußlage bei allen wichtigen Agrarprodukten sind auch alle Betriebe von Einkommensminderungen betroffen. Man kann die Produktionen einfach nicht isoliert betrachten. Alles ist letztendlich wie im System der kommunizierenden Röhren miteinander verbunden.
Über die wechselseitige Abhängigkeit der Agrarpreise werden mittelbar alle Produkte und Betriebsformen von dem Abbau des Währungsausgleichs betroffen.
Mit vollem Recht werden deshalb alle Produkte und Betriebsformen in den Einkommensausgleich einbezogen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich habe es kaum geglaubt, als ich es zum erstenmal gelesen habe, aber die SPD, Herr Apel, spricht von einem „Milliarden-Coup" für die Bauern — in einem offiziellen Papier. Sie nennt das Ganze sogar einen „Subventionsskandal". Ich lehne diesen Versuch der SPD ab, mit einer sprachlichen Anleihe aus dem Gaunermilieu die notwendigen und berechtigten Ausgleichsmaßnahmen für die Landwirte zu diffamieren.
— Wenn „Coup" und „Skandal" nicht aus diesem Milieu stammen, dann beweisen Sie mir mal das Gegenteil!
Die SPD unterstellt, daß diese Maßnahmen die Konsolidierungspolitik in Brüssel und die nationale Sparpolitik beenden.
— Hören Sie, wie man in den Wald hineinruft, so hallt es wider.
Ich bin der letzte, der solche Worte selber wählt; ich habe sie nur zitiert.Die Bundesregierung sieht das ganz anders.
Erst einmal freue ich mich, daß die Opposition das Sparen neuerdings für eine erstrebenswerte Sache hält.
Während ihrer eigenen Regierungszeit hat sie ja wohl ein bißchen anders gedacht, zumindest gehandelt. Aber unabhängig davon: Gerade unsere nationalen Ausgleichsmaßnahmen haben überhaupt erst die Voraussetzung für EG-Beschlüsse geschaffen, die den rasanten Ausgabenanstieg in Brüssel stoppen, die die Marktordnungen finanzierbar und sicherer machen und die dafür sorgen, daß nicht immer mehr Güter produziert werden, für die keine entsprechende Kaufkraft, keine Absatzmöglichkeiten vorhanden sind.Insgesamt führt der Weg, den die Bundesregierung eingeschlagen hat, auf lange Sicht gesehen, zu Einsparungen und nicht zu Mehrausgaben.Der EG-Gipfel gestern in Fontainebleau hat die deutschen Ausgleichsmaßnahmen akzeptiert. Damit können die Bauern wieder mit größerer Zuversicht in die Zukunft schauen. Wir haben auf diesem Wege erreicht, daß zukünftig Agrarpreiserhöhungen der Gemeinschaft den deutschen Bauern voll zugute kommen. Wir haben die schier erdrückende Hypothek — bei allen Verhandlungen übrigens — des bestehenden Währungsausgleichs beiseite gewälzt. Wir haben ein System abgeschafft, das dazu geführt hat, daß der deutsche Bauer hinsichtlich Einkommenshöhe und -entwicklung in der Gemeinschaft ganz am Ende — gerade noch vor Italien — steht. Dies ist eine unerträgliche Diskriminierung, wenn man weiß, daß das allgemeine deutsche Einkommensniveau in der EG eine Spitzenstellung einnimmt.
Bevor die Maßnahmen der Bundesregierung als „rechtswidriger Milliarden-Coup", als „Subventionsskandal" oder als „Einladung zum Betrug" abqualifiziert werden, sollten die Kritiker über folgende Tatsache einmal nachdenken. Von 1975 bis 1983 wurden die Agrarpreise in Ecu — und das ist schließlich die einzige für die Landwirte der EG maßgebende und gültige Währung — um 15% mehr
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 76. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. Juni 1984 5549
Bundesminister Kiechleangehoben, als die deutschen Bauern in D-Mark erhalten haben. Ich wiederhole: um 15% mehr. Dieser Unterschied resultiert aus dem ersatzlosen Abbau des Grenzausgleichs.
Darin liegt die unzureichende Einkommenslage in der deutschen Landwirtschaft begründet, und ich bitte Sie, meine Damen und Herren, diese Zusammenhänge mit etwas Nachdenklichkeit bei der Beurteilung der Beschlüsse über die Ausgleichsmaßnahmen zu berücksichtigen.Ich möchte den beiden Regierungsfraktionen, dem Herrn Bundeskanzler und dem Kabinett einen herzlichen Dank sagen, die für diese Hilfe und Unterstützung in der wichtigen und dringlichen Gesetzgebung im Parlament ihr Bestes gegeben und schließlich auch zur Inkraftsetzung dieser Maßnahmen beigetragen haben.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Müller .
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Minister Kiechle, ich möchte drei Vorbemerkungen zu Ihrer Rede machen. Sie haben gesagt, Sie müßten die Vorsteuerregelung erklären, wir hätten sie nicht begriffen. Ich, Herr Minister, habe den Eindruck, Sie haben die Folgen dieses Ihres Gesetzentwurfs mit der Vorsteuerregelung nicht begriffen
oder Sie wollen die Folgen nicht begreifen
oder Sie dürfen die Folgen nicht begreifen. Wenn wir auf diese Folgen hinweisen, wie es Kollege Apel getan hat oder wie es in den Presseveröffentlichungen von meinem Kollegen Wolfgang Roth gemacht worden ist,
dann sagen Sie einfach: Klassenkampf. So leicht, Herr Minister, ist das nicht, und so einfach ist das auch nicht. Ich komme dann noch auf einzelne Punkte zurück.
Zweitens haben Sie gesagt, wir hätten, als wir an der Regierung waren, nicht unsere Pflicht und Schuldigkeit getan. Haben Sie uns denn dabei geholfen, Herr Minister? Sind Sie uns denn nicht wiederholt in den Rücken gefallen,
wenn wir Versuche starteten, das in Ordnung zu
bringen? Sie sagten damals: Da liegen ein paar Kilo
Butter auf Lager, und schon spricht die SPD von Subventionen.
Damals lagen Hunderttausende Tonnen Butter auf Lager, und das war damals Ihre Meinung.
Herr Abgeordneter Müller, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Ertl?
Ja, bitte schön.
Herr Kollege Müller, können Sie mir bestätigen, daß bei den Hauptüberschußländern bei Milch, Holland mit über 300 %, Irland mit 340%, Dänemark mit 250% — Irland darf mehr produzieren, und Holland und Dänemark behalten ihre Quoten —, die Überschußmengen festgeschrieben sind?
Herr Kollege Ertl, ich kann noch hinzufügen, daß Herr Kiechle aus Brüssel mit den größten Kürzungen in bezug auf die Milchproduktion heimgekommen ist, was vor allem unsere kleinen und mittleren Betriebe trifft.
Herr Kollege Ertl, wir haben uns angewöhnt, die Antwort auf eine Zwischenfrage stehend entgegenzunehmen. Vielleicht ist das für das nächste Mal hilfreich.
Ich komme zu einem dritten Punkt. Herr Minister, Sie haben gesagt, wir sprächen von einem Subventionsskandal, und in Wirklichkeit seien es gar keine Subventionen. Ich habe hier den Auszug eines Interviews, das Sie gegeben haben, und das möchte ich kurz vorlesen. Da heißt es:Wie der Minister vor Journalisten in Bonn erklärte, tritt diese Regelung bereits am 1. September 1984 in Kraft. Mit dieser Maßnahme werden die Einnahmeminderungen, die der Landwirtschaft insgesamt durch den Abbau der Währungsausgleichsbeträge ab 1. Januar entstehen, ausgeglichen. Außerdem wird das vorgesehene Inkrafttreten der Erhöhung bereits zum 1. September 1984 dazu führen,— so der Minister —mögliche Vorwirkungen— hier liegt die Betonung —des Abbaus des Währungsausgleiches auf die Preise einzelner Erzeugnisse der Ernte 1984 zu kompensieren.Das sagten Sie zum Inkrafttreten am 1. September, und Sie nannten 3 %. Jetzt haben wir ein Inkrafttreten zum 1. Juli mit 5%.
Sagen Sie mir bitte, was das vor dem 1. Septemberdann sein soll? — Ja, Herr Eigen, welche Rolle Sie
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5550 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 76. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. Juni 1984
Müller
dabei gespielt haben, ist ja bekannt. Woher Sie kommen, wissen wir auch. —
Wir beraten heute, meine sehr verehrten Damen und Herren, einen Gesetzentwurf der Koalition mit Änderungsanträgen der Koalitionsparteien; das sagt eigentlich schon alles aus. Auch dieser Gesetzentwurf ist miserabel vorbereitet, so miserabel wie die gesamte Agrarpolitik der gegenwärtigen Regierung.
Ich kann auch hier wieder zitieren, übrigens aus der gleichen Zeitung wie vorhin, nämlich aus dem „Bayerischen Landwirtschaftlichen Wochenblatt", das Sie j a kennen. Die Überschrift im „Bayerischen Landwirtschaftlichen Wochenblatt" vom 9. Juni 1984 lautet: „Milchquote miserabel vorbereitet". Deswegen habe ich gesagt: Ihr Gesetzentwurf ist genauso miserabel vorbereitet wie die gesamte Agrarpolitik, die Sie hier betreiben. Und die Bauern sind die Leidtragenden.
Dieser Gesetzentwurf ist von der EG-Kommission als rechtswidrig eingestuft worden. Sie, meine Damen und Herren von der Regierung, haben gepokert — das geben wir zu —, und Sie haben gewonnen.
Ich gestehe weiter, daß ich dies — wie viele andere — nicht erwartet habe. Aber der französische Staatspräsident brauchte den Gipfelerfolg. Er konnte es sich nicht leisten, den vierten Gipfel platzen zu lassen. Das war das Glück des Bundeskanzlers; das geben wir ja zu.
Aber die Folgewirkungen Ihres Handelns für die europäische Agrarpolitik sind noch gar nicht abzusehen.
— Ach, Herr Kollege Susset, wenn Sie das Wort „Europa" im Munde führen, dann weiß ich, daß Sie irgendeine Entschuldigung brauchen. Wir sind auch für Europa, wir haben auch viel für Europa getan. Wir wissen, daß wir Vorteile durch Europa haben; das geben wir auch zu. Wir sind auch bereit, dafür zu bezahlen. Aber bitte unterschlagen Sie nicht, daß die anderen Länder die gleichen Vorteile haben wie wir auch. Schauen Sie sich eine Statistik Ihres Bundeswirtschaftsministers an! Dann werden Sie sehen, daß die Exporte der anderen EG-Länder in die Bundesrepublik mehr gestiegen sind als unsere Exporte in die EG-Länder.Ich befürchte, daß durch dieses Ergebnis eine ungeahnte Kostenlawine in der Agrarpolitik auf uns zukommen wird. Es ist damit zu rechnen, daß andere Mitgliedstaaten in Kürze ebenfalls Kompensationsforderungen stellen werden. Sie werden auf das Bonner Beispiel verweisen,
und schon im Herbst kann es zum Schwur kommen, dann nämlich, wenn die Mittelmeer-Politik wieder auf die Tagesordnung kommt. Dann werden Frankreich, Italien und Griechenland ihre Forderungen an die Gemeinschaft, an die Mitgliedstaaten stellen.
Ich sage Ihnen schon jetzt, daß Sie bitter für das bezahlen müssen, was Sie heute als Erfolg feiern. Die 5 %ige Mehrwertsteuerpauschale wird für den Finanzminister ein Pyrrhussieg ersten Ranges sein.Lassen Sie mich zum gestrigen Gipfelbeschluß eines anmerken: Wir kennen noch nicht das Kleingedruckte, wissen nicht, ob die EG-Partner Bedingungen — und welche — an ihre Zustimmung gebunden haben.
Die Bundesregierung hat mit dem Gesetzesvorhaben, das wir heute in zweiter und dritter Lesung beraten, nicht nur den EG-Partnern übel mitgespielt, sondern auch dieses Parlament wurde an der Nase herumgeführt. Denn es ist eine blanke Zumutung, daß die Bundesregierung bereits im Mai eine Broschüre herausgegeben hat, in der sie die 5 %ige Anhebung der Vorsteuerpauschale als beschlossene Sache darstellt. In dieser skandalösen Broschüre versuchen Sie, Herr Kiechle, Ihr miserables Verhandlungsergebnis von Brüssel in ein günstiges Licht zu rücken. Und der entscheidende Punkt ist: Unter den Folgen Ihres Ergebnisses leiden wir, leidet der Steuerzahler, leidet die Landwirtschaft.
Sie haben in Brüssel das schlechteste Ergebnis ausgehandelt, das je ein deutscher Landwirtschaftsminister erzielt hat.
Sie behaupten, es werde keine Preissenkungen in D-Mark für unsere Landwirte geben. Die Fakten sprechen eine ganz andere Sprache. Die deutschen Agrarpreise sind auf breiter Front abgesunken.
Einen solchen Preiseinbruch hat es für die deutsche Landwirtschaft noch nie gegeben.
— Ja, aber Sie machen nicht eine restriktive, sondern eine Politik, die überhaupt nicht zu verantworten ist! Die ist nicht restriktiv, sondern die Preise
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 76. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. Juni 1984 5551
Müller
sind im Keller und die Einkommen auch. Das ist die Konsequenz Ihrer Agrarpolitik, und verantwortlich dafür ist der Minister.
Herr Kiechle, Sie haben j a Ihre miserable Verhandlungsführung in Brüssel auch selbst zugegeben. Herr Kollege Apel hat darauf hingewiesen, und ich möchte das noch ergänzen. Sie haben gesagt, Sie hätten die Hand gehoben, ohne die Folgen zu überblicken. Das stimmt j a wohl auch, denn Sie waren es doch, der die 3 %ige Anhebung der Vorsteuerpauschale zum 1. September 1984 als ausreichend gefeiert und dazu gesagt hat, Verluste seien damit voll ausgeglichen.Dramatisch verlief auch die Diskussion um die Obergrenzen. Im Ernährungsausschuß haben Sie uns einen Vorschlag auf den Tisch geknallt, der mit Förderung des bäuerlichen Familienbetriebs absolut nichts zu tun hatte.
Unter dem Druck Ihrer norddeutschen Freunde wollten Sie eine Grenze von 330 Vieheinheiten mit einem neuen Umrechnungsschlüssel einführen.
Mehr als die Hälfte aller gewerblich geführten Betriebe wäre dadurch begünstigt worden.
— Sie sind nicht auf dem laufenden, Herr Niegel.
Dieses Vorhaben war schlicht ein Skandal. Erst durch massive Kritik von uns haben die Unionspolitiker einen Rückzieher gemacht. Aber Ihre Agrarpolitik steht auch künftig unter diesem schlechten Stern.Umsatzbezogene Förderung und damit Begünstigung der großen und umsatzstarken landwirtschaftlichen Betriebe,
das ist das Ergebnis. Die Unterschiede zwischen reich und arm, zwischen gut und schlecht strukturierten Gebieten werden in den nächsten Jahren dramatische Ausmaße annehmen.
Das Nord-Süd-Einkommensgefälle wird drastisch zuungunsten der schlecht strukturierten süddeutschen Länder zunehmen.
In der ersten Lesung des Gesetzentwurfes in seiner alten Fassung habe ich von dieser Stelle aus gesagt, wir halten den Mehrwertsteuerausgleich für den falschen Weg. Die von uns geforderte Anhörung muß doch auch Ihnen zu denken geben. Ein umsatzbezogener Ausgleich kann wegen seiner ungerechten Verteilungswirkungen nicht akzeptiert werden.
Es werden Betriebe und Produktionsbereiche der Landwirtschaft begünstigt, die von den Brüsseler Beschlüssen überhaupt nicht betroffen worden sind. Zahlen liegen doch ausreichend auf dem Tisch! Nach Berechnungen des BML müßten Veredelungsbetriebe ohne Ausgleich mit einem Einkommensrückgang von 25% rechnen. Das wurde uns ja im Ausschuß vorgelegt. Mit dem 5%igen Ausgleich über die Umsatzsteuer werden sie aber Gewinnsteigerungen von 35% haben.
Das ist doch das Entscheidende. Und da reden Sie von kleinen bäuerlichen Familienbetrieben, denen Sie helfen wollen!
Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung bestätigt diese Berechnungen.Gegen die 5 %ige Anhebung der Vorsteuerpauschale spricht auch die Gefahr des Mißbrauchs, des Subventionsbetrugs. Karussellgeschäfte, bei denen die Ware nur auf dem Papier unter Zwischenschaltung des Handels bewegt wird, werden in großem Umfange einsetzen. Die Anhörung hat gezeigt, daß das gar nicht zu kontrollieren ist. Direktverkäufe der Landwirtschaft werden benachteiligt. Sie werden drastisch zurückgehen, weil es lukrativ sein wird, künftig einen Händler einzuschalten. Es besteht kaum noch ein Anreiz, Getreide des eigenen Betriebs zu verfüttern. Der Bauer verdient am Verkauf, und es besteht die Gefahr, daß er Futtermittel mit hohem Substitutenanteil in verstärktem Umfang einkaufen wird.
All dies wissen Sie, meine Damen und Herren von der Regierung und von den Koalitionsparteien, aber das hindert Sie nicht daran, uns heute die 5 %ige Anhebung der Vorsteuerpauschale für Landwirte vorzuschlagen. Wir können Ihnen zu diesem Vorhaben nicht unsere Zustimmung geben. Wir sind dafür, daß die deutsche Landwirtschaft für das von der Bundesregierung verursachte und zu verantwortende schlechte Verhandlungsergebnis von Brüssel einen Ausgleich bekommt. Aber wir wollen, daß dieser Ausgleich gezielt, gerecht und in finanzpolitisch vertretbarer Form geschieht.
Wir wollen bäuerliche Familienbetriebe erhalten und einen gezielten Einkommensausgleich vornehmen, der vor allem einkommensschwachen Klein-und Mittelbetrieben zugute kommt.Durch die Einführung der Milchkontingentierung werden kleine und mittlere Betriebe in Grünlandgebieten in Existenznot getrieben. Ihnen helfen Sie nicht durch einen umsatzbezogenen Ausgleich.
Metadaten/Kopzeile:
5552 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 76. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. Juni 1984
Müller
Schauen Sie sich doch die Zahlen an, dann sehen Sie, was für sie herauskommt.
Ihnen kann nur geholfen werden, wenn ein Einkommensausgleich in der in unserem Entschließungsantrag geforderten Form durchgeführt wird.
Die SPD-Bundestagsfraktion ist der Auffassung, daß an die Stelle dieses umsatzbezogenen Mehrwertsteuerausgleichs ein direkter Ausgleich wie 1969/70, der an die Fläche gebunden ist, der nach verschiedenen Gruppen der Bodennutzung gestaffelt ist, treten sollte. Das wollen wir.
Damit werden die preissenkungsbedingten Einkommensverluste weitgehend ausgeglichen. Es würde keine einseitige Begünstigung von Betrieben mit intensiver Tierhaltung geben. Und Sie wissen doch: Der Flächenausgleich fördert die bodengebundene Agrarproduktion. Das ist doch unser Ziel. Sie reden doch auch immer davon. So tun Sie doch endlich etwas!Wir schlagen weiter vor, für Grünlandflächen ohne alternative Nutzungsmöglichkeiten einen besonderen Zuschlag zu gewähren, der die negativen Auswirkungen der Milchkontingentierung abfangen kann. Damit kann die Existenz vieler Milchviehbetriebe, die in dem Programm dieser Regierung ohne Chancen sind, gesichert werden. Unser Vorschlag enthält eine soziale Komponente, die in den Vorschlägen der Bundesregierung nirgendwo zu finden ist.
Wir schlagen vor, den je Betrieb auszuzahlenden Betrag mit steigender Betriebsgröße degressiv zu staffeln.Die Agrarpolitik der Bundesregierung ist sozial ungerecht. Das gilt für die Milchkontingentierung, und das gilt im besonderen für den fünfprozentigen Mehrwertsteuerausgleich. Mit beiden Maßnahmen tragen Sie Unfrieden in die Landwirtschaft hinein. Die einkommensschwachen Klein- und Mittelbetriebe werden in eklatanter Weise benachteiligt. Die großen, umsatzstarken Betriebe werden in unvertretbarer Weise begünstigt.Ich bitte Sie deshalb: Stimmen Sie unserem Entschließungsantrag zu. Er zeigt den Weg für eine neue, für eine gerechte Agrarpolitik; denn eine Umkehr auf diesem Ihrem Wege ist unbedingt notwendig. Lassen Sie uns jetzt damit beginnen. Stimmen Sie unserem Antrag zu.Herzlichen Dank.
Das Wort hat der Abgeordnete Scheu.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Müller, Sie haben hier heute Ihre Vorschläge wiederholt, die Sie bereits im Oktober des letzten Jahres und im März dieses Jahres auf den Tisch des Hauses gelegt hatten: Sie seien für eine restriktive Preispolitik, die über einen längeren Zeitraum durchgehalten werden müßte, für eine Lockerung der Interventionsmechanismen und für eine Erhöhung der Erzeugerabgabe, also eine gestaffelte Mitverantwortungsabgabe. — Ja, Herr Kollege Müller, hätten Sie — das muß man wirklich sagen — diese an sich brauchbaren Instrumente einer Agrarpolitik zu einer Zeit eingesetzt, als die Überschüsse in Europa noch zu verhindern gewesen wären, bräuchten wir heute diese Diskussion nicht zu führen, und wir bräuchten heute, Herr Kollege Ertl, nicht eine Diskussion darüber zu führen, daß Holland um 6,6 % reduzieren muß, Dänemark um 8,0 %, Großbritannien um 6,5 % und die Bundesrepublik Deutschland immer noch entsprechend ihrer Steigerung der Anlieferungsmenge von 1981 auf 1983 um 7,6 %. Das zeigt doch gerade, daß die von Ihnen zu Recht als die Hauptüberschußproduzenten bezeichneten Länder bereits vor dem Jahre 1981 die großen Überschüsse erzeugt hatten. Deshalb ist die Aussage richtig,
daß man bereits zu früheren Zeiten zu einer durchaus diskutierbaren Abgabe hätte kommen können. — Keine Zwischenfragen, bitte.
Herr Abgeordneter Ertl, der Redner möchte keine Zwischenfragen zulassen.
Meine Damen und Herren! Selten in der Geschichte der Bundesrepublik stand eine Bundesregierung auf dem Feld der europäischen Agrarpolitik vor einem solchen Berg von Schwierigkeiten, die sie nicht selber aufgehäuft hatte, sondern die ihr infolge vorangegangener europäischer Entschlußlosigkeit zugewachsen waren. Die Folgen kennen Sie alle. Ich brauche sie nicht zu wiederholen. Es liegen derzeit nicht zu normalen Preisen absetzbare Überschußprodukte im Wert von etwa 16 bis 17 Milliarden DM in den Interventionslagern der Gemeinschaft.
Jede Million t Überschußmilch kostet die Gemeinschaft einen Verwertungsaufwand von 540 Millionen DM.Es war klar, daß dies so nicht weitergehen konnte. Eine grundlegende Umkehr war nötig, sollten die Marktordnungen im Herbst dieses Jahres nicht
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Scheuendgültig und mit katastrophalen Folgen zusammenbrechen.Die überfällige Neuordnung der Agrarpolitik mußte vor allem rasch vollzogen werden. Diese Bundesregierung hat ein prinzipiell durchdachtes Konzept, aber infolge der europäischen Termine nicht die Muße, das Für und Wider jeder einzelnen Teilmaßnahme bis in den letzten Winkel auszuleuchten. Sie muß der Sofortwirkung Vorrang einräumen. Das wird von der Kritik einer Opposition vergessen — einer jetzt zuschauenden Opposition, die selbst lange Zeit und viele Jahre Muße hatte, durch vorausschauendes Handeln das zu verhindern, was sie heute der Bundesregierung anlasten möchte.
Wir erinnern uns noch, daß die SPD-geführte Bundesregierung Anfang der 70er Jahre die EG-Währungsunion
bis zum Jahre 1980
— Hören Sie doch zu! — auf die Fahnen geschrieben hatte. Wäre dieses Ziel oder wenigstens das Ziel einer Harmonisierung der Geldwertpolitiken nicht verfehlt worden — was sicher nicht in deutscher Hauptverantwortung liegt —, so bräuchten wir heute auch nicht dieses Gesetz zu beraten.Der vollintegrierte Agrarmarkt hat als einziger Teilmarkt eine gemeinsame Leitwährung, den ECU. Jede Veränderung der Parität einer nationalen Währung schlägt daher, wenn nicht Maßnahmen getroffen werden, im Prinzip auch auf die Preise für landwirtschaftliche Produkte — aber eben nur auf diese — unmittelbar durch.Es müßte auch für Sie, meine Damen und Herren von der SPD, die Sie 1970 ein Aufwertungsausgleichsgesetz, dann das System des Währungsausgleichs und schließlich das „Gentlemen's Agreement" für richtig gehalten haben, einsichtig sein, daß dieses Gesetz also keinerlei vorteilsgewährende Steuergeschenke für die Landwirtschaft enthält, sondern einzig und allein einen Ausgleich integrationsbedingter finanzieller Sonderbelastungen sicherstellen will, die den deutschen Landwirten aus dem Abbau des Währungsausgleichs, seinen Vorwirkungen auf dem Markt sowie aus den einkommenswirksamen zusätzlichen Maßnahmen der Kommission entstehen. Ansonsten hätte die Anpassung der repräsentativen Kurse an die Leitkurse in Deutschland allein deshalb einen Preisrückgang in der Landeswährung und einen erheblichen Rückgang der deutschen landwirtschaftlichen Einkommen zur Folge, weil die Währungspolitiken seither nicht stabil gehalten wurden.Der Rat hat der Bundesrepublik daher — ich zitiere — „zum Ausgleich" der Einkommensverluste gestattet, „die Mehrwertsteuer als Instrument einzusetzen".Von diesem durch die EG selbst bestimmten Zweck her ist es schon im Ansatz verfehlt, die Verteilungswirkungen des Gesetzes nach Grundsätzen zu messen, die für Hilfen zur Milderung sozialer Härten oder zur wirtschaftlichen Anpassung an abrupt geänderte politische Daten gelten mögen. Sinn und Zweck der Maßnahme ist es, 5 % deutschen positiven Grenzausgleich verbraucherpreisneutral abzubauen, wie j a auch seit 1975/76 Preisanhebungen in ECU durch Abbau positiver Währungsausgleichsbeträge nach unten gerechnet wurden.Deshalb sind die Marktordnungspreise in der Bundesrepublik um etwa 15 % weniger gestiegen als die Preise in ECU, und deshalb sind die deutschen Bauern im EG-Vergleich der Einkommensentwicklung jetzt an die drittletzte Stelle der Einkommensskala gesunken. Die von der Bundesregierung jetzt gefundene und durchgesetzte Regelung des Währungsausgleichsproblems — die stärkste Währung wird Agrarleitwährung — stellt im Vergleich zum früheren System demgegenüber eine bessere und zukunftsträchtigere Lösung dar. Sie kann uns künftig allmählich wieder Spielraum bei den Brüsseler Preisverhandlungen verschaffen und ist damit ein Baustein im Fundament der neuen Agrarpolitik sowie — im Zusammenhang mit der Garantiemengenregelung — die zweite Voraussetzung für die künftige Wiedergewinnung einer an Kosten- und Inflationsraten orientierten Preispolitik. Wir haben nie — schon aus übergeordneten europäischen Gründen nicht — erklärt, daß der in den Gemeinschaftsländern zu einem hochpolitischen Problem gewordene deutsche Währungsausgleich nicht verhandelbar sei. Aber wir haben gesagt: kein Abbau zu Lasten der deutschen Erzeuger. Das haben wir, soweit irgend möglich, eingehalten, allerdings mit dem Unterschied, daß bisher der Währungsausgleich ersatzlos gegen Verrechnung mit Preisanhebungen in ECU zu Lasten der deutschen Landwirtschaft abgebaut wurde, während jetzt im Effekt eine aus allgemeinen Haushaltsmitteln gedeckte Anhebung der Agrarerzeugerpreise zur Gegenleistung steht. Was ist, Agrarpolitiker der SPD, daran auszusetzen?Die Kritik an der umsatzproportionalen Verteilungswirkung geht auch aus anderen Gründen fehl. Beim spezialisierten Einzelbetrieb mögen Abweichungen in der Deckung möglich sein. Die preissenkende Wirkung tritt aber — wie bei Betrieben mit gemischter Struktur ohnehin — wegen der vielfältigen Verflechtungen zwischen den Produktbereichen auf allen Märkten ziemlich gleichmäßig ein. Selbst flächenbezogene Kriterien wirken, wie ein Sachverständiger in der Anhörung im Finanzausschuß auf Befragen eingeräumt hat, an sich nicht sehr zielgerichtet. Zieht man schließlich in Betracht, daß „Stützungspreise" für nahezu alle landwirtschaftlichen Erzeugnisse bestehen und daß eine praktikable Abgrenzung nach Produktgruppen oder Betriebssystemen mit dem Mehrwertsteuerinstrument nicht durchführbar ist — ebenso hat es Minister Dr. Posser in der Bundesratssitzung am 18. Mai gesehen —, dann war es vertretbar, ja mangels geeigneterer anderer Alternativen geboten,
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Scheudieses verhältnismäßig einfache Ausgleichsinstrument einzusetzen.Wir wissen, daß es nicht jeden Einzelfall vollkommen gerecht behandeln kann, aber es wirkt rasch und verläßlich, und darauf kommt es vor allem an. Das ist der entscheidende Punkt der Soforthilfe. Der Ausgleich über die Umsatzsteuer ist die wirksamste Form einer schnellwirkenden nationalen Kompensation. Die Argumentation, wenn man sie so bezeichnen darf, der SPD gegen das Gesetz im übrigen ist inzwischen auch zusammengebrochen.Die Anhebung der Vorsteuerpauschale ist zeitlich begrenzt und degressiv gestaffelt. Auch der von der SPD/FDP-Regierung durchgeführte Einkommensausgleich wurde überwiegend — immerhin über 9 Milliarden DM — über die Umsatzsteuer abgewikkelt. Noch Ende Mai zeigten sich die Agrarpolitiker der SPD im Ernährungsausschuß kompromißbereit und wollten sie einem Mehrwertsteuerausgleich für drei Jahre — verbunden mit Viehbestandsobergrenzen — zustimmen.
In ihrem „Tagesdienst" erklärten Dr. Apel und Herr Roth — ich zitiere:Wir können einen Mehrwertsteuerausgleich akzeptieren, wenn durch eine Änderung der Steuergesetze sichergestellt wird, daß umweltfeindliche Intensivtierhaltungen ausgeschlossen werden ... Dies würde ... einen direkten Einkommensausgleich ermöglichen, der vor allem kleinen und mittleren Betrieben zugute kommt.Sie nannten dann die Zahl von 300 Vieheinheiten.
Bereits am 8. Juni — da rückte die Europawahl näher, und solche Wahltermine haben auf den Oppositionsführer, Herrn Kollegen Dr. Vogel, immer Einfluß — polemisierte Herr Dr. Vogel gegen „Großagrarier", welchen durch dieses Gesetz „hohe Millionenbeträge" zur Verfügung gestellt werden sollten.Nun, der Ihnen, meine Damen und Herren von der SPD und den GRÜNEN, vorliegende Entwurf der Koalitionsfraktionen schließt alle wegen der Intensität der Tierhaltung in Relation zur Fläche gewerblichen Betriebe vom Ausgleich aus. Das sind — die Milchviehhaltung kann man wegen der Garantiemengenregelung vernachlässigen — bei den Mastschweinen zwar nur 1,2 % der Halter, aber immerhin 10,3% der gesamten Tiere, bei den Legehennen 62,4 % und bei den Masthühnern schon 78% der Tiere.
Außerdem — und damit bringt das Gesetz den Gedanken eines effektiveren Schutzes der bäuerlichen Veredelungswirtschaft erstmalig zum Durchbruch — scheiden ab 1. Juli 1985 auch an sich landwirtschaftliche Betriebe aus der Förderung aus, Betriebe, die Sie selbst als landwirtschaftliche definiert haben, soweit ihre Viehbestände bei der Schwelle 60 ha eine Grenze von 330 Tiereinheiten übersteigen. Damit haben wir unübersehbar ein Signal gesetzt, daß wir den allmählich heranreifenden Produktionstechniken entgegenwirken wollen, die es ermöglichen, daß auch der Schweinesektor zunehmend aus dem typisch bäuerlichen Familienbetrieb auswandern könnte. Wir wollen nicht, wie Bundesminister Kiechle kürzlich ausgeführt hat, daß die bäuerlichen Familienbetriebe durch Verdrängungswettbewerb und durch zügelloses Expansionsstreben einiger Großbetriebe in ihrer Existenz bedroht werden. Wir wollen nicht, daß Familienbetriebe, daß unsere mittleren und kleineren Bauern, die in ungünstigeren Lagen produzieren müssen, durch immer größere und jeweils am günstigsten Standort relativ bodenunabhängig produzierende Betriebe verdrängt werden. Und wir wollen dies auch nicht, weil solches nicht im Interesse des Verbraucherschutzes, der Ökologie und der artgerechten Tierhaltung liegt.
Dieselbe Intention können Sie dem Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU und der FDP beilegen, in dem wir die Bundesregierung um Prüfung ersuchen, inwieweit die Vieheinheitenstaffeln in § 51 des Bewertungsgesetzes noch den Erfordernissen einer gesunden bäuerlichen Landwirtschaft Rechnung tragen. Niemand hätte Sie gehindert, das zu tun, als Sie noch an der Regierung waren.Ihre letzten — angeblichen — Zweifel am agrarpolitischen Leitbild dieser Koalition sollten Sie, meine Damen und Herren von der SPD und den GRÜNEN, überwinden können, wenn Sie darüber hinaus in Erwägung ziehen, daß wir den einzelbetrieblichen Kürzungssatz bei den Milchmengen zwischen 2 und 12,5 % — auch sozial — gestaffelt haben, daß wir Anlieferer von bis 161 000 kg Milch vom Betriebsgrößenabschlag ausgenommen haben, daß wir Kleinerzeuger von der Erhöhung der Mitverantwortungsabgabe verschonen, daß wir eine erfolgreiche Aktion zum Aufkauf von Milchreferenzmengen durchführen, daß wir den Bundeszuschuß für die landwirtschaftliche Altershilfe auf der Höhe von 75 % für die gesamte Legislaturperiode sichern und uns — Sie werden es erleben — der Aufgabe stellen, eine sozial geeignetere Verteilung dieser Mittel zu bewirken, daß wir die Mittel für die landwirtschaftliche Unfallversicherung, die nach Ihren Vorstellungen bis 1987 auf Null abgebaut werden sollten,
ab 1985 auf 400 Millionen DM aufstocken und für die nächsten vier Jahre festschreiben werden,
womit endlich die strukturwandelbedingte Alte Last abgedeckt sein wird,
daß wir in der Agrarstrukturpolitik neue Akzentegesetzt haben: Abschaffung der Förderschwelle,
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ScheuAuflegung eines Agrarkreditprogramms, und daß wir schließlich im Rahmen der Gemeinschaftsaufgabe der Verbesserung der Hilfen in möglichst allen benachteiligten Gebieten durch direkte Einkommensübertragungen in Form der Ausgleichszulage Priorität einräumen werden, wofür im nächsten Jahr voraussichtlich bis zu etwa 115 Millionen DM an Bundesmitteln bereitgestellt werden können und die Länder Höchstbeträge von 200 bis 240 DM je Vieheinheit vorsehen können.Mithin, meine Damen und Herren, verbleibt als einziges der Einwand der Opposition — und auch von Herrn Dr. Apel hier heute —, dem Sektor Landwirtschaft werde eine Ausfallgarantie gewährt, während andere Bevölkerungsgruppen erheblich zur Haushaltskonsolidierung herangezogen würden. Meine Damen und Herren, die schlichte Wahrheit lautet:
Trotz des verbesserten Ausgleichs, der heute diskutiert wird — und auch dies wissen Sie —, werden die Einkommensverluste infolge der Brüsseler Agrarbeschlüsse nur bis auf einen Rest von etwa 4 bis 6 % ausgeglichen werden. Deshalb trägt die bäuerliche Landwirtschaft einen überproportionalen Anteil an der allgemeinen Konsolidierung mit — und dies in einem Berufszweig, der wie wenige fleißig und angestrengt arbeitet, der uns sicher, preiswert und gesund ernährt, einem Berufszweig, der unsere Landschaft und Lebensräume intakt hält, der Arbeitsplätze im ländlichen Raum sichert und damit einen unverzichtbaren Beitrag zur Erhaltung eines Minimums an Bevölkerungsdichte auf dem Land leistet und schließlich die Erholungsfunktion und touristische Bestimmung dieser Räume aufrechterhält.
Lassen Sie mich zum Schluß kommen: Wie kann man da, meine Damen und Herren, noch herabsetzend von „Subventionen" reden?
Wenn schon, dann sollte von der Sicherung derjenigen Lebensgrundlagen die Rede sein, die jedem Bürger, ob in Stadt oder Land, ob jung oder alt, ob mehr oder weniger begütert, zugute kommen.
Herr Abgeordneter, Sie müssen nun zum Schluß kommen
Sie haben schon ein bißchen überzogen.
Der Bundeskanzler und der Bundesminister Ignaz Kiechle haben vor diesem Hause erklärt, unsere Bauern könnten sich darauf verlassen,
daß der aus europapolitischen Gründen notwendige Abbau nicht ohne Einkommensbeihilfen durchgeführt werde.
Herr Abgeordneter, ich darf Sie bitten, einen letzten Satz zu sprechen.
Helmut Kohl und Ignaz Kiechle haben Wort gehalten.
Dafür danke ich ihnen im Namen der Fraktion der CDU/CSU.
Vielen Dank.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache zu diesem Punkt.Wir kommen zur Einzelberatung und Abstimmung. Ich rufe die Art. 1 bis 3, Einleitung und Überschrift in der Ausschußfassung auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Die aufgerufenen Vorschriften sind damit mit Mehrheit angenommen.Wir treten in diedritte Beratungein und kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetz als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich sich zu erheben. — Wer stimmt dagegen? — Stimmenthaltungen? — Das Gesetz ist mit Mehrheit angenommen.Meine Damen und Herren, es ist noch über eine Beschlußempfehlung des Ausschusses abzustimmen. Der Ausschuß empfiehlt auf Drucksache 10/1643 unter Nummer 2 die Annahme der Entschließung. Wer ihr zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Die Beschlußempfehlung des Ausschusses ist damit mehrheitlich angenommen.Wir kommen nun zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 10/1664. Wer diesem Entschließungsantrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Der Entschließungsantrag ist bei einer Reihe von Enthaltungen mit Mehrheit abgelehnt worden.Ich rufe Punkt 4 der Tagesordnung auf:Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Übereinkommen vom 15. Juli 1982 zur Gründung der Europäischen Fernmeldesatellitenorganisation „EUTELSAT"— Drucksachen 10/1082, 10/1147 —a) Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für das Post- und Fernmeldewesen
— Drucksache 10/1517 —
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Vizepräsident WestphalBerichterstatter:Abgeordneter Paternab) Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung— Drucksache 10/1568 —Berichterstatter:Abgeordnete Dr. Friedmann, Walther
Wird das Wort zur Berichterstattung gewünscht? — Das ist nicht der Fall.Das Wort zur Aussprache wird nicht gewünscht. Wir kommen zur Schlußabstimmung.Ich rufe das Gesetz mit seinen Art. 1 bis 3, Einleitung und Überschrift auf. Wer dem Gesetz als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Wer stimmt dagegen? — Stimmenthaltungen? — Das Gesetz ist mit Mehrheit angenommen worden.Meine Damen und Herren, wir kommen zum Tagesordnungspunkt 5:Erste Beratung des von der Fraktion DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum Verbot der Aussperrung— Drucksache 10/1635 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung RechtsausschußAusschuß für WirtschaftMeine Damen und Herren, im Ältestenrat ist für die Aussprache ein Beitrag von bis zu zehn Minuten für jede Fraktion vereinbart worden. — Ich sehe keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.Wird das Wort zur Begründung gewünscht? — Das ist nicht der Fall.Ich eröffne die allgemeine Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Stratmann.
Liebe Bürgerinnen und Bürger! Mein besonderer Gruß gilt denjenigen, die nicht in diesem Saal anwesend sind, den Streikenden und insbesondere den Ausgesperrten und den kalt Ausgesperrten. Seit vielen Wochen stehen zwei Gewerkschaften im Streik, um durchzusetzen, daß mit der 35-Stunden-Woche, daß mit einer drastischen Verkürzung der Wochenarbeitszeit ebenfalls ein deutlicher Beitrag zur Senkung der Arbeitslosigkeit geleistet wird. In diesem Arbeitskampf betrachten die Unternehmer und die Aussperrungsparteien die Aussperrung als ein Mittel, das geboten sei, um die Waffengleichheit der Parteien herzustellen.Das Gerede der Waffengleichheit erweist sich als unsinnig, wenn man einmal hinter die Kulissen der Unternehmerverbände selbst guckt. Schon 1963 hat der damalige Vorsitzende der Bundesvereinigung der Deutschen Industrie, Berg, in einem Arbeitskampf in Baden-Württemberg erklärt, daß die Aussperrung u. a. notwendig sei, um den Gewerkschaften deutlich zu machen, „wer in der Wirtschaft eigentlich etwas zu sagen hat". Damit ist klar, was das Gerede von der angeblichen Waffengleichheit nur verschleiert: Es kommt darauf an, mit der Aussperrung das strukturelle Übergewicht, das die Unternehmer in der sogenanten Sozialen Marktwirtschaft haben, zu zementieren.
Das strukturelle Übergewicht kommt darin zum Ausdruck, daß es in der Normalität der kapitalistischen Marktwirtschaft so ist, daß die Unternehmer es sind, die über die Investitionspolitik die Produktion bestimmen,
die über die Preispolitik, über die Marktpolitik und über die Personalpolitik, Einstellung und Entlassung, das entscheidende Sagen in der Wirtschaft haben.
Das strukturelle Übergewicht gewährleistet es, daß mit der Technologiepolitik der Unternehmer technologisch bedingte Arbeitslosigkeit produziert wird.Historisch war es so und auch heute ist es so, daß der Streik der Gewerkschaften den Versuch darstellt, gegenüber diesem strukturellen Übergewicht ein Gegengewicht zu schaffen. Der Streik war nie dazu gedacht, dieses strukturelle Übergewicht auszugleichen. Er war lediglich eine kleine Korrektur und ist auch heute nicht mehr.Die Aussperrung erweist sich angesichts dieses strukturellen Übergewichts als eine Zementierung der Machtverhältnisse und der unternehmerischen Übermacht und gleichzeitig als ein Angriff auf das Streikrecht, das in der Verfassung der Bundesrepublik Deutschland verankert ist.
— Es ist allen Verfassungsrechtlern, Herrn Cronenberg — vielleicht nicht Ihnen, weil Sie von Verfassungsrecht nicht so viel verstehen wie von Ihrem Mittelstandsbetrieb —, egal in welchem Lager, klar, daß durch Art. 9 Abs. 3 mit der Gewährleistung und Garantie der Koalitionsfreiheit gleichzeitig das Streikrecht garantiert werden sollte. Dies war in den Beratungen des Parlamentarischen Rates ebenfalls klar, bevor das Grundgesetz verabschiedet worden ist.Von der Gewährleistung eines Rechts auf Aussperrung ist weder im Grundgesetz noch irgendwo in einer gesetzlichen Grundlage etwas zu lesen.
Lediglich das Richterrecht — Bundesarbeitsgerichtsurteile und sich darauf stützende Urteile von Arbeitsgerichten — stellt eine Quasilegalisierung der Aussperrung und damit eine Quasilegalisierung
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Stratmanndes Angriffs auf das verfassungsrechtlich gestützte Streikrecht dar.
Wir sind der Meinung, daß die Aussperrung gesetzlich verboten werden muß, um diesen Angriff abzuwehren und um zu verhindern, daß durch die Wirkung der Aussperrung das Streikrecht unterhöhlt wird.Die Aussperrung stellt tatsächlich ein von den Unternehmern verfügtes Arbeitsverbot für arbeitswillige Beschäftigte dar. Es ist auch in diesem Arbeitskonflikt wiederholt passiert, daß große Gruppen von abhängig Beschäftigten — so auch bei Opel in Bochum; ich komme aus Bochum — ihre Arbeitskraft angeboten haben, die Unternehmer diese Arbeitskraft aber nicht angenommen haben.
— Herr Kolb, zu dem angeblichen Argument, es sei nichts zu schaffen: Es ist sowohl bei Opel in Bochum als auch an Hand vieler anderer Beispiele sowohl im aktuellen Arbeitskampf als auch schon 1971 und 1978 nachgewiesen worden — ich nenne Ihnen gleich die Belege —, daß die angeblichen Fernwirkungen des Arbeitskampfes, wodurch sozusagen technisch bedingte Produktionsstillegungen notwendig seien, nichts als Propagandagewäsch der Unternehmer und eine Verschleierungstrategie sind.
Zwei Belege unter vielen möglichen: Bei der Firma Sidler in Tübingen sollte einseitig Kurzarbeit eingeführt werden — wegen der angeblichen Fernwirkungen. Der Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Verfügung gegen diese Anordnung führte zur Zurücknahme dieser einseitigen Maßnahme. Das Verfahren wurde eingestellt, und die Firma verpflichtete sich, „vor Reduzierung des Regelungsspielraums auf Null" keine Kurzarbeit anzuordnen, weil der Betriebsrat auf Anhieb nachweisen konnte, daß die Firma in ihren Zulieferungen keinesfalls einseitig von den inländischen Automobilherstellern abhängig ist.Das zweite Beispiel wähle ich unter vielen aus meiner Heimatstadt Bochum aus. Bei Opel in Bochum wollte die Betriebsleitung wegen des Streiks in Baden-Württemberg und in Hessen Kurzarbeit anordnen. Angeblich war wegen fehlender Materialteile eine Weiterproduktion nicht mehr möglich, doch der Betriebsrat zweifelte die von der Geschäftsleitung aufgestellten Materiallisten an — mit Erfolg. Daraufhin zog die Betriebsleitung den ursprünglich vorgesehenen Produktionsstopp sofort zurück. Es konnte weitergearbeitet werden, Herr Kolb. Darüber hinaus stellte der Betriebsrat sogar noch fest, daß kein einziges fehlendes Teil aus dem streikbetroffenen Tarifgebiet kommt.
Viele andere Beispiele zeigen., daß das Gewäsch von den angeblichen Fernwirkungen nur dazu herhalten soll, eine zweite Form der Aussperrung neben der heißen Aussperrung, nämlich die kalte Aussperrung einzusetzen und damit das strukturelle Übergewicht der Arbeitgeber in diesem Tarifkonflikt zu stärken.Wir sind deswegen der Meinung, daß nicht nur die heiße Aussperrung gesetzlich verboten werden muß, sondern alle Formen, alle Ausweichstrategien der Unternehmer, die in ihren Folgewirkungen der heißen Aussperrung gleichkommen. Das ist ebenfalls die kalte Aussperrung, und das wären auch — wie es im Ausland praktiziert wird — sogenannte Massenänderungskündigungen.
— Herr Kolb, damit Sie auch ganz genau wissen, was wir mit der kalten Aussperrung meinen: Wir differenzieren nicht zwischen kalter Aussperrung und angeblicher Fernwirkung. Die Erfahrungen haben gezeigt, daß die Betriebsräte auf Grund der mangelnden Mitbestimmungsmöglichkeiten nicht in der Lage sind, letztlich die Unternehmer zu kontrollieren, ob eine Produktionsstillegung technisch bedingt ist oder nicht. Ich habe Ihnen Beispiele für Betrugsmanöver gezeigt. Das Mitbestimmungsrecht reicht nicht aus, um solche Betrugsmanöver effektiv zu verhindern. Deswegen sagen wir: Kalte Aussperrung ist jede Form der Produktionseinschränkung, die von Unternehmern im Zusammenhang eines Arbeitskampfes verfügt wird. Jede Form dieser unternehmerseitigen Produktionseinschränkung muß verboten werden.Als Sanktion gegen mögliche und zu erwartende Verstöße sehen wir vor, daß ebenfalls gesetzlich geregelt wird, daß in jedem Fall die Lohnfortzahlungspflicht, und zwar die volle Lohnfortzahlungspflicht, der Unternehmer bei Verstoß gegen Aussperrungsverbot und gegen das Verbot der kalten Aussperrung beibehalten wird.
Das Argument, die Aussperrung sei notwendig, um die Waffengleichheit herzustellen, sticht aus folgenden Gründen nicht — ich möchte sie kurz skizzieren —: Die Unternehmer haben auch ohne Aussperrung die Möglichkeit, einem Streik der Gewerkschaften eine relativ starke Position entgegenzusetzen. Die Erfahrungen haben schon gezeigt, daß sie sich untereinander durch Streikunterstützungsfonds helfen können, daß sie sich durch eine rechtzeitige und vorsorgliche Lagerhaltung selbst helfen können und daß sie sich ebenfalls durch gegenseitige Lagerlieferung untereinander stützen können. Das wird praktiziert; es könnte wesentlich mehr praktiziert werden.
Allein diese Beispiele zeigen, daß die Aussperrungunter dem Gesichtspunkt der Waffengleichheit rein
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Stratmannbetriebswirtschaftlich und produktionstechnisch gar nicht notwendig ist.
In der Auseinandersetzung um das Aussperrungsverbot in der hessischen Landesverfassung hat sich selbst der CDU-Abgeordnete Kanka zu der Einsicht bekannt, daß die Aussperrung ein sittenwidriges Manöver der Unternehmer ist. Wir appellieren deswegen an die Abgeordneten der CDU/ CSU, die sich den christlich-demokratischen Arbeitnehmern zugehörig fühlen, wir appellieren selbstverständlich an die Genossinnen und Genossen der sozialdemokratischen Fraktion, unserem Gesetzentwurf zuzustimmen.
Ich möchte abschließend auf den Brief des DGB-Vorsitzenden Ernst Breit verweisen, den Sie sicherlich heute alle bekommen haben. In diesem Brief stellt er fest, daß die Gewerkschaften — sowohl der DGB als auch die IG Metall, die IG Druck und Papier und andere — seit Jahr und Tag das Verbot der Aussperrung gefordert haben. Er weist in diesem Brief weiter darauf hin, daß dieses Verbot in der Landesverfassung Hessens garantiert ist,
und fordert zwischen den Zeilen — ich weiß es — die Abgeordneten der sozialdemokratischen Fraktion und ebenfalls die christlich-demokratischen Arbeitnehmer auf, diesen Gesetzentwurf sorgfältig zu prüfen und — ich darf ihn wohlwollend interpretieren — ihm zuzustimmen.Ich danke Ihnen.
Das Wort hat der Abgeordnete George.
Herr Präsident! Meine Damen und meine Herren! Verehrte GRÜNE!
Bevor ich auf die Sache selbst eingehe, möchte ich an uns alle einen wichtigen Gedanken richten. Ich finde es gut, daß es Georg Leber und Professor Rüthers gelungen ist, der IG Metall und Gesamtmetall ein Paket von Regelungen vorzuschlagen, die bei beiden tiefe Nachdenklichkeit ausgelöst hat, die so weit geht, daß wir möglicherweise heute abend oder morgen früh ein für beide Seiten erträgliches Ergebnis haben. Diese Tatsache zeigt, daß sich die Elastizität der Tarifpartner in unserem freiheitlichen Tarifvertragssystem und im Rahmen der Tarifautonomie bewährt hat.
Sie zeigt als zweites, daß sich die freiwilligen Friedens- und die freiwilligen Schlichtungsvereinbarungen der Tarifpartner laufend und vor allem in Krisensituationen bewähren. Aber wenn das Ergebnis vorliegt, müssen wir uns auch klar darüber sein, daß es eine neue Dimension in der Tarifautonomie gibt: qualitative Veränderungen der künftigen Tarifverhandlungen, qualitative Veränderungen künftiger Arbeitskämpfe.In einer so dramatischen Situation heute im Parlament ein gesetzliches Aussperrungsverbot zu fordern, heißt die Tarifpartner desavouieren und heißt die Tarifautonomie diskreditieren.
Zur Sache selbst — Herr Stratmann, als Staatsmann haben Sie nicht gesprochen; Sie heißen j a auch Stratmann —: Von der Anerkennung der Koalitionsfreiheit und der Streikfreiheit in der Gewerbeordnung von 1869 bis hin zur Garantie der negativen und der positiven Koalitionsfreiheit in Art. 9 Abs. 3 des Grundgesetzes hat es in der Arbeits- und Sozialgeschichte unseres Landes immer wieder Bemühungen gegeben, den Arbeitskampf rechtlich eng zu normieren. Der Gesetzgeber war jedoch klug beraten, daß er davon sparsamsten Gebrauch gemacht hat.Selbst, als im Rahmen der Gesetzgebung um die Notstandsverfassung im Jahr 1968 letztmals von der SPD der Versuch gemacht worden ist, den Streik zu privilegieren und damit indirekt die Aussperrung zu diskriminieren, hat sich der Deutsche Bundestag für den Begriff „Arbeitskampf" in Art. 9 Abs. 3 Satz 3 des Grundgesetzes entschieden. Damals erklärte der seinerzeitige Fraktionsvorsitzende der SPD, Helmut Schmidt, am 30. Mai 1968 — ich zitiere mit Genehmigung des Präsidenten —:Wir hätten gern darauf verzichtet, durch die Benutzung des Begriffs „Arbeitskampf"— im Grundgesetz —auch der Aussperrung den gleichen Schutz vor Notstandsmaßnahmen zu ermöglichen.Zuvor hatte es der Rechtsausschuß ausdrücklich abgelehnt, statt des Wortes „Arbeitskampf" das Wort „Streik" in das Grundgesetz aufzunehmen.Aus der Entstehungsgeschichte dieser Verfassungsbestimmung ergibt sich also eindeutig, daß es der Gesetzgeber nicht für zulässig gehalten hat, den Streik grundgesetzlich zu privilegieren, geschweige denn die Aussperrung grundgesetzlich zu verbieten.Was die Fraktion der GRÜNEN mit ihrem Gesetzentwurf zum Totalverbot der Aussperrung bezweckt, wäre also von der Verfassungsgeschichte her nicht nur ein Verfassungsbruch, sondern letztlich der Beginn der Abschaffung unserer freiheitlich-demokratischen und sozialen Grundordnung.
Auch von der historischen Entwicklung her gesehen wäre ein pauschales Aussperrungsverbot einrigoroser Bruch von Kampf- und Friedensregelun-
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Dr. Georgegen, die bisher von einem breiten Konsens der Tarifpartner und der Gesellschaft getragen worden sind. Dazu gehören: Kampffreiheit, Waffengleichheit, Sozial-Adäquanz und — ich gehe auf Ihren Gesetzentwurf und die Begründung ein; Justitia sei es gedankt — auch ein „fein verästeltes", an Gerechtigkeitsprinzipien orientiertes Rechtsprechungssystem. Die Rechtsprechung allein ist in dieser freiheitlichen Situation in der Lage, neuen Entwicklungen in Wirtschaft und Gesellschaft flexibel zu entsprechen.„Chaos" heißt also die Devise der GRÜNEN! Wie sähen denn unser Arbeitsleben, unser Wirtschaftsleben, unser Gesellschaftsleben, ja unser Staat aus,
wenn es nur ein Streikrecht, jedoch keinerlei Abwehrrechte gäbe? Alle Spielregeln menschlicher, gesellschaftlicher und sozialer Fairneß wären außer Kraft gesetzt. Ich denke: Die Blindheit der GRÜNEN gegenüber diesen Realitäten wird nur noch von ihrer bedenkenlosen Anbiederung beim DGB überboten.
Die Bundesregierung und die sie tragenden Parteien bekennen sich uneingeschränkt zum gewerkschaftlichen Streikrecht. Ohne das Recht zum Streik wären alle Forderungen der Gewerkschaften — wie das Bundesarbeitsgericht gesagt hat — nicht mehr, als ein „kollektives Betteln". In einem freiheitlichen Tarifvertragssystem müssen daher Arbeitskämpfe zum Ausgleich sonst nicht lösbarer Tarifkonflikte zulässig sein.Wir bekennen uns aber auch ebenso deutlich zum Aussperrungsrecht der Arbeitgeber. Ausstand und Aussperrung sind zwei sich gegenseitig bedingende Seiten ein und derselben Medaille, die Arbeitskampf heißt. Und der Arbeitskampf ist seinerseits Ultima ratio einer freiheitlichen Tarifautonomie.Dieses Bekenntnis heißt allerdings nicht — das möchte ich gerne zugeben —, daß die Aussperrung unbegrenzt, besonders in ihren früheren krassen Auswirkungen, vor allem als Angriffsaussperrung oder als lösende Aussperrung, von uns anerkannt wird.
Das Bundesarbeitsgericht hat in seinen Urteilen — und die sollten Sie wirklich einmal lesen — vom 10. Juni 1980 die Tarifautonomie zum Ausgangspunkt seiner Entscheidung zur Aussperrung gemacht. Unser Tarifvertragssystem stehe und falle damit, daß durch Tarifregelungen ein tatsächlicher Machtausgleich zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern geschaffen werde. Nur dann könnten Tarifverträge dem Anspruch gerecht werden, inhaltlich sachgerecht zu sein. Das Bundesarbeitsgericht forderte deshalb gleiche Kampf- und Verhandlungschancen zwischen den sozialen Gegenspielern. Das Gericht lehnte es andererseits — zu Recht — ab, die Verhandlungs- und Kampftaktik der Tarifparteien zu reglementieren.Sie sehen also: Wenn Sie tiefer in die Rechtsprechung und in die Verfassungsgeschichte einsteigen,
dann ergibt sich einwandfrei: Die Aussperrung ist zulässig. Ich möchte, auch für die Fraktion der CDU/CSU, erklären, daß ich diese Auffassung des Bundesarbeitsgerichts — von Randfragen abgesehen — für sachlich richtig halte.Mit den Mitteln des Schwerpunktstreiks allerdings hätten es die Gewerkschaften in der Hand — bei geringstem eigenem Risiko — die Arbeitgeberseite zu allen denkbaren Zugeständnissen zu pressen — ich sage nicht: zu erpressen. Die „MinimaxStrategie" der IG Metall zeigt, daß mit wenig Streikenden viele Betriebe lahmgelegt werden können und unendlich viele Arbeitnehmer betroffen werden. Wenn das in Zukunft die Regel wird, dann ist die Tarifautonomie als ein System von beiderseits freien Vereinbarungen gefährdet. Ohne Kräftegleichgewicht gibt es kein funktionierendes Tarifvertragssystem, keine Soziale Marktwirtschaft und im Endergebnis auch keinen Sozialstaat.
Auch den Gewerkschaften muß an einem funktionierenden Tarif- und Arbeitskampfsystem gelegen sein. Und ich warne uns alle: Wäre das Kräftegleichgewicht, die materielle Kampfparität also auf Dauer ernsthaft gestört, dann wäre es wirklich soweit, daß der Staat handeln müßte! Ich sage das zu Ihrem Einwurf „Verbändegesetz", Frau Fuchs. Ich kenne Staaten, in denen es schon lange kein Streikrecht mehr gibt, die demzufolge die Aussperrung nicht zu verbieten brauchen. Wollen wir soweit kommen?
Noch eine kurze Antwort zur Fernwirkung des Streiks, insbesondere bei Schlüssel- und Schwerpunktstreiks. Sie nennen das „kalte Aussperrung". Das Bundesarbeitsgericht hat in einem seiner Urteile gesagt, daß man aus der Sicht der Arbeitgeber solche Fernwirkungen des Streiks auch „kalten Streik" nennen könnte. Wenn ich mir die Abstimmungen bei DRUPA ansehe: Da haben die wenigsten Arbeitnehmer zugestimmt, da liegt sogar „heißer Streik" vor.
Meine Damen und Herren, ich bin selten polemisch, aber ich finde, daß ich in meiner Schlußbewertung sagen muß, daß der Gesetzentwurf der GRÜNEN zu so wichtigen Fragen nicht nur schlampig formuliert ist, sondern einseitig, klassenkämpferisch, destruktiv und sehr scheinheilig ist.
Demzufolge ist der Gesetzentwurf tatsächlich ein Credo der sachlichen Ignoranz,
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5560 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 76. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. Juni 1984
Dr. Georgeein Credo der fachlichen Inkompetenz und der basisdemokratischen Intoleranz.
Das Wort hat der Abgeordnete Dreßler.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sozialdemokraten haben nie einen Zweifel daran gelassen, daß die Aussperrung verboten werden muß. Die SPD hat deshalb erklärt, daß die Aussperrung mit dem Ziel der Abschaffung mit allen geeigneten Mitteln bekämpft werden muß. Wir wollen die Aussperrung geächtet sehen. Anfang dieses Monats, am 6. Juni 1984 — vielleicht erinnern Sie sich —, hat die SPD-Fraktion in einer im Deutschen Bundestag eingebrachten Entschließung folgendes formuliert:Der Deutsche Bundestag verurteilt die Aussperrung als Angriff auf das grundgesetzlich verankerte Streikrecht. Während der Streik vom Grundgesetz ausdrücklich zugelassen wird, hat die Aussperrung in der Bundesrepublik Deutschland keine gesetzliche Grundlage.
Gleichwohl eröffnen sich die Unternehmerverbände mit der Aussperrung in der Bundesrepublik Deutschland sowohl in rechtlicher, wirtschaftlicher als auch sozialer Hinsicht eine Möglichkeit, das Grundrecht des Streiks zu unterlaufen.
Im Gegensatz dazu hat die Aussperrung in fast allen westeuropäischen Ländern praktisch keine Bedeutung.Nach Auffassung des Deutschen Bundestages hat die Aussperrung keine moralische Berechtigung. Sie darf auch in der Bundesrepublik Deutschland kein Arbeitskampfmittel sein. Durch eine Ächtung der Aussperrung muß das Koalitions- und Streikrecht wieder seine grundgesetzlich vorgesehene Bedeutung erlangen.
Daraus ergibt sich zwangsläufig, meine Damen und Herren, daß Sozialdemokraten Initiativen, die diesen Zielen dienen, unterstützen. Gedanken, die zu einem Verbändegesetz führen, stoßen auf unseren erbitterten Widerstand.
Allerdings erlaube ich mir, Herbert Wehner zu zitieren,
der sich selber immer wieder als ein Stück alter Arbeiterbewegung ausgewiesen hat. Herbert Wehner hat am 10. Dezember 1978 auf einem SPD-Parteitag zum Thema gesagt: „Ich warne alle davor,anzunehmen, der Ruf nach einem Gesetz ändere eine Klassenlage, die ihren politischen Ausdruck in den gegenwärtigen Mehrheitsverhältnissen gefunden hat."Nachdem nun die Fraktion DIE GRÜNEN vor wenigen Wochen mit der CDU/CSU und der FDP das von Tausenden von Betriebsräten und von den Gewerkschaften seit Jahren geforderte neue Arbeitszeitgesetz gegen die SPD-Fraktion niedergestimmt hatte, wird heute ein Gesetzentwurf zum Verbot der Aussperrung angeboten, der wichtige Fragen offen läßt.
Erstens. Das Schicksal der Rechtsprechung, die die Tarifautonomie durch das Tarifvertragsgesetz konkretisiert sieht, dürfte durch die vier Sätze Ihres Gesetzentwurfs nicht eindeutig geregelt sein.Zweitens. Einerseits die kalte Aussperrung zu verbieten und zugleich dem Betriebsrat bei Verstößen ein Mitbestimmungsrecht einzuräumen
ist widersprüchlich und nicht miteinander zu vereinbaren.Es wird drittens völlig offengelassen, wie sich ein gesetzliches Verbot der Aussperrung auf den Inhalt des Streikrechts auswirken könnte. Soll das dann etwa den Gerichten überlassen bleiben? Ein Blick in die hessische Verfassung hätte Ihnen hier vielleicht helfen können.
Gleichwohl stimmt die SPD-Fraktion der Überweisung des Gesetzentwurfs ausdrücklich zu. Wir wollen über den sinnvollen, auch über den rechtlichen Weg der Ächtung und des Verbotes der Aussperrung diskutieren, und wir fordern alle Fraktionen des Deutschen Bundestages auf, sich an diesen Überlegungen konstruktiv zu beteiligen. Die SPD-Fraktion wird in Zusammenarbeit mit den Gewerkschaften eigene Vorschläge erarbeiten. Dabei sind ein Verbot der Aussperrung im Grundgesetz wie in der hessischen Verfasssung, ein gesetzliches Verbot der Aussperrung durch Bundesgesetz, eine Zurückdrängung der Aussperrung durch eine gesetzliche Pflicht zur Lohnfortzahlung — etwa die Beispiele Italien und Frankreich, Niederlande, Österreich und Großbritannien, die das bereits haben, zeigen, daß man damit faktisch der Aussperrung den Boden entziehen kann —, eine Verbesserung der Vorkehrungen gegen die kalte Aussperrung im Rahmen des Arbeitsförderungsgesetzes, um Fehlinterpretationen unmöglich zu machen, in die Diskussion einzubeziehen.Wir wollen, meine Damen und Herren, etwas bewegen, aber wir wollen keinen Schaukampf. Billige Effekthascherei nützt den ausgesperrten Arbeitnehmern überhaupt nichts. Die SPD will verdeutlichen, daß es bei einem Verbot der Aussperrung
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Dreßlernicht um das Schutzbedürfnis der Unternehmer, sondern um die Existenzsicherung der Arbeitnehmer geht.
Selbst wenn wir unterstellen, Herr Kolb, der Unternehmer habe bei einem Streik Gewinneinbußen, wird er durch einen Streik jedoch niemals in die Lage versetzt, seine persönlichen Bedürfnisse einschränken zu müssen. Der Streik, Herr Kolb, trifft ihn zwar an der Produktion, aber nicht am Lebensstandard. Er ist praktisch nur in der Bilanz, nicht aber in seiner Persönlichkeit betroffen.
Streik hat also eine völlig andere Bedeutung, eine völlig andere Wirkung als die Aussperrung.
Deshalb ist der einzelne Arbeitnehmer von Streik und Aussperrung auch ganz unterschiedlich betroffen.Professor Reuß, ein Arbeitsrechtler, hat, auf diesen Unterschied eingehend, folgendes formuliert:Der Unterschied ist immerhin, daß der streikende Arbeitnehmer in seinem Interesse freiwillig ein Opfer bringt, bei der Aussperrung aber gegen seinen Willen für die Interessen des Arbeitgebers ein Opfer zu bringen gezwungen wird.
Der ehemalige Generalstaatsanwalt und Oberlandesgerichtspräsident Dr. Richard Schmid erklärte dazu folgendes:Wenn die nicht streikenden Arbeiter einer Ulmer Fabrik auf die Straße gesetzt werden zu keinem anderen Zweck als dem, den Kampfwillen der streikenden Mannheimer Arbeiter zu brechen, so sind die ausgesperrten Arbeiter nur Mittel zu diesem Zweck. Bezüglich der ausgesperrten Arbeiter selbst liegt ein Zweck nicht vor. Sie sind also bloß als Mittel gebraucht.
Das ist nicht nur nicht „sozialadäquat" — um mich der Sprache des Bundesarbeitsgerichts zu bedienen —, sondern im eigentlichen und tiefsten Sinne unsittlich und widerspricht der Menschenwürde im Sinne des Art. 1 unseres Grundgesetzes.
Dieser einfache ethische Sachverhalt, Herr Kolb, wird augenscheinlich auch bei Ihnen durch pragmatische Erwägungen ausschließlich aus der Perspektive des Unternehmers verdrängt, nämlich von Gründen des geschäftlichen Erfolgs, von Gründen der Produktion, des Absatzes und des Marktes. Es ist sicherlich eine Zeiterscheinung, daß das betriebswirtschaftliche und marktmäßige Erfolgsdenken weiterhin die Wertmaßstäbe sozialen Verhaltens liefert.Zusammengefaßt: Die geschäftliche Moral orientiert sich am Markt. Daß sich aber auch die Politik, Herr Kolb, diese zu eigen machen müßte, geht nun wirklich aus keiner Verfassungsbestimmung hervor.
Es ist sicher kein Zufall, meine Damen und Herren, daß Aussperrung vom Referat „Berufs- und Arbeitswelt" des Bischöflichen Ordinariats in Mainz als Verletzung der Menschenrechte bezeichnet wird.
Während sich bei einem Streik jeder einzelne mit der Übernahme streikbedingter Risiken einverstanden erkläre, würden bei der Aussperrung Menschen zum Spielball übergeordneter Interessen; so dieses Ordinariat.
Wenn sich also eine Minderheit in der Bundesrepublik offensichtlich im Jahrhundert irrt, dann werben die Sozialdemokraten im Deutschen Bundestag für eine Mehrheit, die dem Sozialstaatsprinzip unseres Grundgesetzes Geltung verschafft, nämlich der Parteinahme für die Schwächeren.Ich danke Ihnen.
Das Wort hat der Abgeordnete Cronenberg.
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren Antragsteller! Der Arbeitskampf in der Metallindustrie und der seit über elf Wochen dauernde Arbeitskampf im Druckgewerbe belasten Arbeitnehmer und Unternehmen in unerträglichem Umfang. Der Streik und die Aussperrung gefährden den beginnenden Aufschwung. Der Arbeitskampf hilft niemandem; der Arbeitskampf schadet allen, er gefährdet Arbeitsplätze. Für die Automobilindustrie bedeutet dies konkret das denkbar beste Verkaufsprogramm für japanische Autos.Wir alle möchten, daß möglichst bald eine vernünftige Einigung erzielt wird.
Ich möchte an dieser Stelle Georg Leber, der sich um eine solche Einigung bemüht, für seine Bemühungen ausdrücklich danken und seinen Bemühungen Erfolg wünschen.
Genau in dieser Situation legt die Fraktion der GRÜNEN einen Gesetzentwurf vor, der nicht dazu angetan ist, Vernunft und Einsicht zu fördern.
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5562 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 76. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. Juni 1984
Cronenberg
Wenn dieser Vorschlag Gesetz wird, bleibt den Arbeitgebern nur noch die Alternative, Kotau vor dem Diktat von Gewerkschaftsforderungen zu machen.
Ich tue den GRÜNEN sicher nicht Unrecht, wenn ich feststelle: Genau dies ist gewollt.Diese Einseitigkeit hat weder der Gesetzgeber noch das Bundesarbeitsgericht gewollt. Letzteres hat gesagt: möglichst gleiche Verhandlungschancen, damit nicht eine Tarifvertragspartei von vornherein ihren Willen der anderen aufzwingen kann.
Dieses Gleichgewicht wollen Sie durch diesen Gesetzentwurf bewußt in Frage stellen.Wie schwach die Argumentation der Antragsteller ist, zeigt der Verweis auf das Jahr 1928 — olle Kamellen, kann man da nur sagen —, um den Vorschlag von heute zu begründen.Was man außerdem will — Herr Stratmann, ich hoffe, auch da tue ich Ihnen nicht Unrecht —, steht in der Begründung. Sie propagieren die Besetzung von Betrieben.
Sagen Sie das doch ganz deutlich!
Sie wollen das Eigentum an den Produktionsmitteln abschaffen,
wahrscheinlich das Eigentum überhaupt abschaffen. Geben Sie das ehrlich zu, dann sehen wir klarer.
Die Aussperrung ist und bleibt eine mögliche adäquate Antwort auf einen Streik.
Dabei sind die von der Rechtsprechung konkretisierten Formen und Regeln zu beachten.Der renommierte Verfassungskommentar von Maunz-Dürig-Herzog erklärt eindeutig: Jedenfalls verfassungsrechtlich garantiert ist die suspendierende Abwehraussperrung als solche, denn ihrer bedarf es nach der heutigen Entwicklung des Arbeitskampfes notwendigerweise. Vor allem gegenüber dem angreifenden Schwerpunktstreik sind die Arbeitgeber auf das Institut der Abwehraussperrung in unverzichtbarer Weise angewiesen.Meine Damen und Herren, ich sage sehr bewußt: Das Grundrecht der Koalitionsfreiheit mit seinen Ausprägungen in den verschiedenen Arbeitskampfmitteln wie Streik und Aussperrung ist unverzichtbarer Bestandteil unserer Demokratie. Die Liberalen unterstreichen dies ausdrücklich.
Derartige Grundrechte beinhalten aber auch Grundpflichten. Muß man sich denn nicht fragen, ob es wirklich richtig ist, daß bei der IG Druck und Papier Vorstandsentscheidungen an die Stelle von Urabstimmungen treten? Ist es denn eigentlich mit dem Selbstbestimmungsrecht der Arbeitnehmer vereinbar, wenn eine Urabstimmung nur in mancher kleinen Abteilung stattfindet — mit einer Wirkung auf ganze Unternehmen, auf ganze Wirtschaftszweige? Man wird den Gewerkschaften auch nicht die Frage ersparen können, ob es mit ihrem Demokratieverständnis wirklich vereinbar ist, daß 50, 60, 70 oder in Einzelfällen 80% einer Belegschaft, die die Auswirkungen des Arbeitskampfes voll mitzutragen haben, von der Mitbestimmung, ob gestreikt wird, völlig ausgeschlossen werden.
Man ist direkt versucht, zu sagen, sie werden von dieser Entscheidung ausgesperrt.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Stratmann?
Nein, Herr Präsident, die Zeit läßt das nicht zu, weil ich noch ein paar Sätze sagen will. Sollte aber noch Zeit übrigbleiben, Herr Kollege Stratmann, stelle ich sie Ihnen gern für eine Frage zur Verfügung.Die jetzige Situation — aber nicht nur diese — hat der Frage „Wie kann der Staat in privatrechtlich organisierten Verhältnissen Grundrechtsgefährdungen verhindern und wie die Berufsfreiheit der Arbeitnehmer strukturell sichern?" besondere Aktualität verschafft. Es war der frühere Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Professor Dr. Benda, der diese Frage formuliert hat. Er weist weiter darauf hin, daß der einzelne heute der Gestaltungsmacht der Tarifpartner nicht weniger umfassend ausgesetzt ist als den Regelungen des Gesetzgebers.Da ist ganz sicher das richtig, was Herbert Wehner 1977 gesagt hat und was der Kollege Dreßler kürzlich zitiert hat. Wehner hat gesagt:Ein demokratisches Gemeinwesen gewinnt durch das Vorhanden- und Tätigsein unabhängiger Verbände.
Aber freie unabhängige Organisationen der arbeitenden Menschen unter Kuratel stellen zu wollen schadet dem Blutkreislauf im demokratischen Gemeinwesen.Wie wahr! kann ich da nur sagen. Aber ich setze auch voraus, daß diese Verbände ihrerseits demokratischen Mitwirkungsprozessen breiten Raum lassen. Vor diesem Hintergrund ist doch die auf
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Cronenberg
dem ÖTV-Kongreß erhobene Forderung nach stärkerer Beteiligung der Mitglieder an der Tarifrunde sehr zu verstehen. Dreimal ja zur Tarifautonomie, aber sie verpflichtet zu verantwortungsvoller Handhabung, zu einer Praxis, mit der ein Höchstmaß an Demokratie, an Mitwirkungsrechten der einzelnen Arbeitnehmer und Arbeitgeber gesichert ist.
Meine Damen und Herren, verehrte Kollegen, auch ein Nichtgewerkschaftler hat ein Recht auf Arbeit, auf körperliche Unversehrtheit und Unversehrtheit vor psychischem Druck.
Das Verhalten vor einigen Werkstoren ist Freiheitsbeschränkung. Ich habe bisher geglaubt und hoffe weiterhin glauben zu dürfen, daß sich bei uns demokratische Gewerkschaften uneingeschränkt zum Recht, arbeiten zu dürfen, bekennen.
An einigen Werkstoren wird das Gegenteil praktiziert.
Wir brauchen kein Verbot der Aussperrung und selbstverständlich auch kein Verbot des Streiks. Wir brauchen vernünftige und verantwortungsbewußte Tarifabschlüsse, die es Arbeitnehmern und Unternehmern ermöglichen zu arbeiten. Streik bringt keinen Arbeitslosen in die Arbeit, Aussperrung hilft keinem Arbeitslosen. Arbeit selbst schafft Nachfrage, Nachfrage schafft Arbeit, und deswegen schafft Arbeit Arbeit. Lassen Sie uns dafür sorgen, daß Arbeit im Lande ist!Herr Stratmann, ich habe für Sie noch eine Minute reserviert.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Stratmann?
Bitte sehr.
Vielen Dank, Herr Cronenberg. — Herr Cronenberg, Sie sorgen sich um Demokratie in den Verbänden, insbesondere in den Gewerkschaften um Urabstimmung bei Streik. Entspricht das Gerücht den Tatsachen, daß Sie sich auf der letzten Mittelstandstagung Ihrer Partei an die Mittelständler in Ihrer Partei gewandt und sie aufgefordert haben, vor zukünftigen Aussperrungen eine Urabstimmung unter den Auszusperrenden durchzuführen?
Herr Kollege Stratmann, ich finde Ihre Frage in der Tat recht witzig, aber einen Mittelstandskongreß meiner Partei hat es in der letzten Zeit überhaupt nicht gegeben. Die FDP vertritt immer Mittelstandsinteressen, und zwar nicht im Sinne unberechtigter Interessenvertretung für eine bestimmte soziologische Gruppe, sondern im Sinne gesamtgesellschaftlicher Verantwortung. Ihre Frage geht völlig ins Leere, so witzig sie auch gemeint sein mag.
Gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage?
Gestatte ich gerne, aber das liegt ausschließlich bei Ihnen, dem Präsident.
Herr Kollege Cronenberg, Sie haben eben von dem Recht auf Arbeit der sogenannten Streikbrecher gesprochen. Was halten Sie von dem Recht auf Arbeit derjenigen, die durch die Arbeitgeber ausgesperrt werden?
Ich habe mich zu der Problematik geäußert, warum um der Chancengleichheit willen Aussperrung, wenn es sich um eine Abwehraussperrung handelt, also innerhalb der vom Bundesarbeitsgericht gesetzten Grenzen, ein adäquates Mittel ist, einen Arbeitskampf möglichst schnell zu beenden. Das heißt, ich würde mich wiederholen müssen, wenn ich im Detail noch einmal darauf einginge. Eugen Glombig, lassen Sie uns gemeinsam dafür sorgen, daß weder Streik noch Aussperrung nötig ist, sondern daß im Lande Arbeit möglich ist! Das ist viel, viel wichtiger. Dazu helfen unsinnige Forderungen, die den Wettbewerb zerstören, wie die, die zur Zeit in der Diskussion waren, nicht, sie schaden. Lassen Sie uns diesen Schaden abwenden! Dann sorgen wir dafür, daß Arbeit da ist.
Herzlichen Dank.
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.Der Ältestenrat schlägt vor, den Gesetzentwurf der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 10/1635 zur federführenden Beratung an den Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung und zur Mitberatung an den Rechtsausschuß und den Ausschuß für Wirtschaft zu überweisen. Gibt es andere Vorschläge? — Das ist nicht der Fall. Die Überweisung ist so beschlossen.Ich rufe Punkt 6 der Tagesordnung auf:Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Innenausschusses zu der Unterrichtung durch die BundesregierungBericht der Bundesregierung über ihre Maßnahmen zur Förderung der ostdeutschen Kulturarbeit gemäß § 96 BVFG in den Jahren 1979 und 1980— Drucksachen 9/1589, 10/358 Nr. 12, 10/1671 —Berichterstatter:Abgeordnete Dr. Czaja Dr. Nöbel
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5564 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 76. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. Juni 1984
Vizepräsident WurbsIm Ältestenrat ist für die Aussprache ein Beitrag bis zu zehn Minuten für jede Fraktion vereinbart worden.Die Beschlußempfehlung des Innenausschusses ist Ihnen heute verteilt worden. Ich gehe deshalb davon aus, daß von der Frist für den Beginn der Beratung abgewichen wird. — Ich sehe, Sie sind damit einverstanden. Es ist mit der erforderlichen Mehrheit beschlossen.Wird das Wort zur Berichterstattung gewünscht? — Das ist nicht der Fall.Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Czaja.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das vorzeitige Ende der vorigen Legislaturperiode hat die Behandlung des 2. Jahresberichts über Maßnahmen zur Förderung der ostdeutschen Kulturarbeit in den Jahren 1979 und 1980 verzögert.Bei den Ausschußberatungen gab es bei den großen Fraktionen eine erfreulich breite Zustimmung zu den Bemühungen der früheren Regierung. Wie zum vorangegangenen Bericht wurde eine eingehende Beschlußempfehlung für weitere Berichte und weitere Regierungsmaßnahmen verabschiedet.Während Politisches zum Offensein der ganzen deutschen Frage oft kontrovers behandelt wird, gab es bei den konstruktiven Empfehlungen zur weiteren Förderung der ostdeutschen Kulturarbeit in den Ausschußberatungen einen von unserer Fraktion begrüßten Konsens zwischen der Regierungskoalition und der größten Oppositionspartei, der SPD. Das ist auch ein Verdienst der sachlich prüfenden Arbeit des Mitberichterstatters Dr. Nöbel.Die Beschlußempfehlung fordert, im Rahmen der vorhandenen, 1984 etwas erhöhten und 1985, 40 Jahre nach der Massenvertreibung, wohl weiter zu erhöhenden Haushaltsmittel die Bildung einiger Schwerpunkte. Unsere Fraktion unterstützt dies nachdrücklich. Die kulturelle Breitenarbeit soll im Rahmen der nach § 96 BVFG bereitzustellenden Mittel verstärkt gefördert werden. Die dafür ehrenamtlich tätigen größeren Verbände sollen in Anwendung des Grundsatzkonzepts der Regierung zukünftig praktisch mit einem hauptamtlichen Fachmann für diese Arbeit gestützt werden. Die einigermaßen dotierten regionalen Kulturwerke und Stiftungen sollten ihre Arbeit zur Erfüllung der Ziele von § 96 verbessern und die Ergebnisse ihrer Tätigkeit auch für die Breitenarbeit verfügbar machen. Sie sollten Kontakt und enge Zusammenarbeit mit den anzusprechenden Organisationen und Institutionen der Vertriebenen besser pflegen, also nicht in zu schmalen Zirkeln Spezialstudien, die am Rande des gesetzlichen Auftrags liegen, betreiben. Haben, so frage ich, alle einigermaßen dotierten regionalen Stiftungen eine Übersicht über die gravierenden Forschungslücken in der Wirtschafts-, in der Sozial-, in der Bildungs-, in der Rechts- und in der politischen sowie in der Kulturgeschichte erstellt, und welche Ergebnisse haben sie in der Ausfüllung aufzuweisen? Sollte hier Fehlanzeige bestehen oder fern vom Gesetzesauftrag Spezialforschung betrieben oder sollten ausschließlich alte Forschungsergebnisse mit hohen Kosten nachgedruckt werden, dann wären die Dotationen zu überprüfen.Bei den im Aufbau befindlichen, von Bund und Ländern geförderten ostdeutschen Landesmuseen sollten nach berechtigten wissenschaftlichen Meinungen, aber auch im Anschluß an berechtigte Forderungen des Ausschusses für Bildung und Wissenschaft Stützpunkte für landeskundliche Forschung entstehen. Die Museen sollten nicht Mausoleen werden, sondern dem Wortlaut des Gesetzes gemäß die Weiterentwicklung der einschlägigen kulturellen und wissenschaftlichen Leistungen fördern. Hilfen für den Ankauf von Exponaten in Landesmuseen wären aus den Restmitteln der Nationalstiftung zu gewähren.Mit dem Ausschuß für Bildung und Wissenschaft bedauern wir das hohe Defizit in der zeitgemäßen geisteswissenschaftlichen, gesamtgeschichtlichen und kulturgeschichtlichen Durchforschung im ost-, sudeten- und südostdeutschen Bereich. Wir wünschen daher Schwerpunkte in der Mittelverwendung zur Förderung von Forschungsaufträgen an jüngere wissenschaftliche Kräfte, von Diplomarbeiten bei der Graduiertenförderung, sowie Gespräche mit den Ländern zur Schwerpunktbildung bei Lehrstühlen und Instituten deutscher Hochschulen. Die brauchbare neuere wissenschaftliche Forschung im Bereich der ostdeutschen Landeskunde weist, meine Damen und Herren, zum Teil entscheidende Lücken von über 50 Jahren auf. Auch die zeitgeschichtlichen Studien über die Rechtslage ganz Deutschlands für das In- und Ausland bedürfen dringend der Ergänzung. Das Bundesinnenministerium und das Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen sollen also Projekt- und Forschungsaufträge für wissenschaftliche Aufgaben im Rahmen von § 96 auch für engagierte jüngere Wissenschaftler vorsehen. Erfolgreiche Schwerpunkte solcher Arbeiten wären später zu institutionalisieren. Dagegen können überholte Meinungen von 1972 oder 1973 nicht ins Treffen geführt werden. Das ist eine vordringliche gesamtdeutsche Verpflichtung. Ohne Füllung dieser Lücken ist eine umfassende ostdeutsche Kulturgeschichte nicht denkbar. Das Bundesinnenministerium bräuchte für die Projektbeurteilung vielleicht auch noch eine geisteswissenschaftlich vorgebildete Kraft, um auf diesem schwierigen Gebiet die umfangreiche Genehmigungsarbeit vorwärtszutreiben.Die ebenfalls empfohlene bessere Förderung der deutschlandpolitischen Bildungs-, Publikations- und Öffentlichkeitsarbeit der Ost-, Sudeten- und Südostdeutschen stößt im Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen nach der das Engagement lobenden Regierungserklärung vom 4. Mai 1983 auf mehr Widerhall. Natürlich müssen auch hier im Detail in bezug auf die Förderung der Pressearbeit, der Publikationsarbeit, der Bild- und Toninformation, der Filmarbeit, der Seminararbeit, der Jugendarbeit, aber auch der wissenschaftlichen Projekte, noch Widerstände überwunden werden. Kritisch forderte schon in der vergangenen Legislaturperiode der ganze Auswärtige Ausschuß eine
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 76. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. Juni 1984 5565
Dr. Czajabessere Erfüllung des Gesetzesauftrags zur Information über die ostdeutsche Kultur und Wissenschaft im Ausland. Sachliche Darstellungen und lebendige Präsentationen des Kulturguts — nicht nur einzelner Schriftsteller — sollten helfen, die Zurückhaltung und Scheu zu überwinden, die andere Nationen bei ihrer Selbstdarstellung weniger haben. Dabei sind auch geeignete und fundierte Präsentationen der Rechtslage Deutschlands und womöglich gute kulturelle Kontakte mit deutschen Volksgruppen im Ausland und unter fremder Verwaltung anzustreben. Der Hinweis richtet sich an die auswärtige Kulturpolitik und die Mittlerorganisationen.Schließlich haben die Ausschüsse Anregungen zur Straffung der nur die Verwaltung bindenden Grundsatzkonzeption gegeben und bei qualitativ wertvollen und umfassenden kulturellen und wissenschaftlichen Aufgaben, die die Kräfte eines Patenlandes übersteigen, das Zusammenwirken von Bund und Ländern gefordert. Auch für die andersgeartete mitteldeutsche Kulturarbeit wäre eine Grundsatzkonzeption des zuständigen Ministeriums fällig.Meine Damen und Herren, die Förderung der ostdeutschen Kultur und Wissenschaft nach § 96 des Bundesvertriebenengesetzes ist gegenüber den sonstigen Förderungsmaßnahmen von Bund und Ländern für Kultur, Bildung und Wissenschaft noch relativ sehr gering. Um so dankbarer sind wir den wenigen Mitarbeitern in den Ministerien, die sich Mühe geben, mit diesen wenigen Mitteln qualitativ Ordentliches zu fördern. Unsere Hoffnung richtet sich auf einen Ausbau der Förderung im Rahmen des Möglichen, aber auch auf das dankbar begrüßte wertvolle Engagement mancher Fachkräfte jüngerer und mittlerer Altersstufen sowie das hohe Maß ehrenamtlicher Leistung in den Landsmannschaften, Landes- und Kreisverbänden der vertriebenen Deutschen, denen unsere Fraktion den ihnen gebührenden Dank sagt.Danke.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Nöbel.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Trachten der noch anwesenden Parlamentarier geht dahin, heute abend möglichst schnell zum Ende zu kommen. Ich kritisiere dies nicht, sondern habe Verständnis und werde es kurz machen.
Lassen Sie mich aber zunächst einmal eines sagen: Am 13. April 1978 wurde hier im Plenum der Bericht über die Jahre 1973 bis 1975 behandelt. Das war erstmalig eine Behandlung hier eines solchen Berichtes im Plenum, und die war sehr einvernehmlich. Die Würdigung der Ergebnisse erfolgte in einer gemeinsamen Linie aller Fraktionen. Ich betone dies als einer, der zwar hier in Bonn geboren, aber in den anstehenden Fragestellungen sehr engagiert ist. Heute mittag habe ich mich detailliert anläßlich einer Veranstaltung für meinen in Ostpreußen geborenen guten Freund Willi Preetz mit geschichtlichen Fragen der Landschaft seiner Herkunft befaßt. Ich tue Ähnliches häufig.
Ich meine, jetzt kommt es darauf an, was die Bundesregierung in dem bereits überfälligen neuen Bericht, Herr Staatssekretär, auf den Tisch bringen wird und wie wir uns hier im Parlament damit befassen werden. Ich meine, es täte — so habe ich auch Herrn Kollegen Czaja verstanden — politischem Streit manchmal gut, wenn wir verdeutlichten, daß wir eines gemeinsam haben, nämlich Geschichte und Kultur.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Schäfer?
Ja, bitte.
Herr Kollege Nöbel, Sie haben eben darauf hingewiesen, daß Sie wegen einer Veranstaltung für einen politischen Freund heute nachmittag verhindert gewesen seien, den Bericht des Innenausschusses zu unterzeichnen, den wir heute morgen erst haben fertigstellen können. Können Sie mir sagen, worum es sich handelt, da es doch außergewöhnlich ist, wenn die Unterschrift des Berichterstatters fehlt?
Es ging hier um dieselbe Sache. Herr Kollege Schäfer, Sie wissen, daß ich aus der Innenausschußsitzung weg mußte. Herr Preetz hat heute vom Bundespräsidenten das Bundesverdienstkreuz bekommen. Er kommt aus Ostpreußen. Deshalb war ich also in den Dingen, die wir hier behandeln, unterwegs. — Ich danke für Ihre Frage. Sie war hilfreich.Wenn ich sage, wir sollten die gemeinsame Geschichte und Kultur hier ab und zu verdeutlichen, mögen Sie denken, daß das selbstverständlich sei. Aber wieviel Selbstverständliches und wieviel Unwesentlicheres als unsere Geschichte und Kultur werden hier von diesem Platz dargestellt? Daran möchte ich in diesem Zusammenhang erinnern.
— Weiß ich nicht. Heute morgen im Innenausschuß sah es etwas anders aus.Natürlich sehen auch wir, Herr Kollege Sauer, diese geschichtlichen und kulturellen Vermächtnisse hier und da verschieden. Aber gemeinsam sind sie doch. Und Besinnung täte oft gut. Mehr will ich dazu nicht sagen.Ich habe Verständnis — das ist eine kritische Anmerkung —, wenn sich Kollegen meiner Couleur hier und da über Begebenheiten im Bereich der einen oder anderen Landsmannschaft Gedanken machen. Ich habe da einen Rat: Die Landsmannschaften sollten bei allem, was sie zu tun beabsichtigen, auf Gemeinsamkeit aus sein, ja darauf drängen, damit sie nicht in eine Ecke abrutschen. Ich
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5566 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 76. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. Juni 1984
Dr. Nöbelglaube, wir haben hier in all den Jahren Vorbildliches geschaffen.Nun reden wir über den Bericht der Bundesregierung über die Förderung der ostdeutschen Kulturarbeit in den Jahren 1979 und 1980. Wir begrüßen — wie könnte es anders sein? — diesen Bericht in voller Breite, vor allem, weil er vernünftige Zukunftsperspektiven aufweist.Der vorliegenden Beschlußempfehlung sind, wie Herr Kollege Czaja schon gesagt hat, sehr eingehende Beratungen in den mitberatenden Ausschüssen vorausgegangen, die vom federführenden Innenausschuß — auch das möchte ich erwähnen — allerdings nicht in allen Punkten berücksichtigt worden sind. Aber ich sage noch einmal: auf den neuen Bericht kommt es an.Wir sind dankbar, daß im Rahmen dieser Grundsatzkonzeption zum erstenmal nach Inkrafttreten des Grundgesetzes 1949 und zum erstenmal nach 1953, als das Bundesvertriebenengesetz in Kraft getreten ist, auch von den Abgeordneten der CDU/ CSU und der FDP — ich glaube, sagen zu können: auf Grund unserer Initiative — erkannt worden ist, daß die Kultur aller Deutschen trotz im Jahre 1945 willkürlich gezogener Grenzen nicht teilbar ist.
Über dreißig Jahre des Bestehens unserer Bundesrepublik hat es nur den Begriff der ostdeutschen Kulturarbeit gegeben. In unserer vielhundertjährigen Geschichte hat es niemals — das wissen wir doch alle — eine ost-, eine mittel-, eine westdeutsche Kultur gegeben, sondern immer nur eine deutsche Kultur in unterschiedlichen Landschaften — so möchte ich es formulieren. Aus diesen Gründen muß nach unserer Überzeugung die Weiterführung der Kulturpflege auch unsere Dichter, Denker, Wissenschaftler in den Provinzen Mitteldeutschlands umfassen; ich meine die Pommern, die Mecklenburger, die Brandenburger, Berliner, Thüringer, Anhaltiner und Sachsen. Dieses Kulturerbe ist ein untrennbarer Bestandteil unseres gesamten Kulturgutes. Seine Pflege ist deshalb eine selbstverständige Aufgabe aller Deutschen.
Dies gilt vor allem auch für die junge, bereits in unserem Lande hier aufgewachsene Generation. Ich sage nichts Neues, wenn ich bemerke, daß wir erkennen: Wir sind auf dem Wege von der Erlebniszur Bekenntnisgeneration.Kein Volk kann und darf sich aus seiner Geschichte und Kultur stehlen.
Sicher haben wir Deutsche ein schweres Schicksal erlitten und nach 1945 mehr an eine materielle als an eine ideelle Freiheit gedacht. Ich meine aber, daß die Deutschen langsam wieder begreifen, sich auf ihre Geschichte und Kultur zu besinnen. Ich möchte hier zitieren, was Herbert Wehner gesagt hat:Kein Volk weiß, wohin es geht, wenn es nicht weiß, woher es kommt.Wir müssen auch berücksichtigen, daß allein seit 1969 über 660 000 Aussiedler aus den Staaten Ost- und Südosteuropas, über 200 000 Deutsche aus der DDR und fast 20 000 politische Häftlinge zu uns gekommen sind, darunter z. B. Schriftsteller, Sänger, Liedermacher. Ich sage das, weil ich meine, sie alle, sie besonders bedürfen in unserer Freiheit der Lehre des freiheitlichen Denkens und der Bewahrung einer Kultur in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft.Aus diesen Gründen haben wir am Schluß der Ihnen vorliegenden Beschlußempfehlung — die ich zwar nicht unterzeichnet habe, aber die ich trage — mit aufgenommen:Eine Bestandsaufnahme und Grundsatzkonzeption für die mitteldeutsche Kulturarbeit und deutschlandpolitische Bildungsarbeit sowie die Förderung von mit mitteldeutschen Fragen befaßten Wissenschaftlern und geistig schöpferischen Kräften sind in die Erwägungen einzubeziehen.Ich danke Ihnen für die Geduld.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Hirsch.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Beide Berichterstatter, ob sie unterschrieben haben oder nicht, haben ja soviel Lichtvolles hier dargestellt, daß ich angesichts der Geschäftslage fast versucht bin, mich auf die Bemerkung zu beschränken: Es gilt das geschriebene Wort.Ihre Schlußbemerkung, Herr Kollege Nöbel, daß auch mitteldeutsche Kulturpflege erfaßt werden soll — die ich für sehr sinnvoll halte —, sollte uns eigentlich in Zukunft befähigen, wenn nicht gar berechtigen, auch unsere mitteldeutsche Mundart, so man ihrer noch mächtig ist, hier offener zur Schau zu tragen und das mit derselben Selbstverständlichkeit zu tun, wie unsere süddeutschen Kollegen oder unsere aus Ostdeutschland kommenden Kollegen ihre Mundart hier darstellen. Ich bin in dieser Beziehung für Gleichberechtigung, möchte aber heute noch einmal davon absehen, sächsisch zu sprechen.
Meine Damen und Herren, beide Berichterstatter haben dargestellt, daß das, was wir im Innenausschuß zu beurteilen gehabt haben, auf der Grundsatzkonzeption zur Weiterführung der ostdeutschen Kulturarbeit beruht, die mein Kollege und der damalige Innenminister Baum entwickelt hat, die heute noch Gültigkeit hat und die dann im ersten Entwurf 1980 im Plenum einmütig verabschiedet worden ist. Auf dieser Grundlage arbeiten wir heute noch weiter. Das ist auch richtig.
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 76. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. Juni 1984
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Dr. HirschWenn man sich im Ausland über Fragen der deutschen Wiedervereinigung oder über mittel- oder ostdeutsche Kulturpflege unterhält, so bemerkt man — dies gilt auch für das befreundete Ausland — ein zunehmendes Unverständnis, eine Unkenntnis und auch Mißtrauen in bezug darauf, welche Motive dieser Kulturarbeit zugrunde liegen. Man muß einfach einmal offen sagen, daß diese Arbeit in vielen Ländern, und zwar durchaus auch in befreundeten Ländern in keiner Weise mit derselben Selbstverständlichkeit gesehen wird, wie wir es hier tun. Deshalb ist es sinnvoll, sich mit diesem Thema zu beschäftigen.
— Ich komme auf die Goethe-Institute sofort zu sprechen. Ich will Ihnen dazu etwas sagen. Es wird ja eine Menge Geld verteilt. Die Verteilung dieses Geldes wird an bestimmte äußere Vorgänge geknüpft, an die Erstellung von wissenschaftlichen Arbeiten — von welchen Altersstufen auch immer, das ist mir nicht so wichtig; es kommt darauf an, ob sie gut sind —, an die Erstellung von Schriften, von Filmen aller Art. Was die Goethe-Institute, die Sie erwähnen, angeht, so habe ich eine Anweisung gesehen, in welcher Weise darüber Rechenschaft abgelegt werden soll, ob diese Materialien auch ausgelegt werden, verteilt werden, zum Gegenstand von Veranstaltungen werden, und zwar in einer gängelnden, bürokratischen Art, die einer kulturellen Betätigung der Sache nach fremd ist, fremd bleiben muß und auch fremd bleiben sollte. Wenn wir hergehen und den Wert und den Umfang dieser Kulturarbeit mit bürokratischen Mitteln erfassen wollen, schaffen wir, wie ich glaube, zwar eine Menge zusätzliches Papier, sind aber überhaupt nicht sicher, daß sich in der Welt der Tatsachen etwas verändert.Wir dürfen uns — dies soll meine letzte Berner-kung sein —, wenn wir uns Rechenschaft darüber ablegen wollen, ob diese Kulturarbeit sinnvoll betrieben wird, nicht darauf beschränken, wie es bisher ja getan wird, zu kontrollieren, wieviel Papier erstellt oder verteilt worden ist. Man muß sich vielmehr einmal etwas näher mit der Frage beschäftigen, was sich denn in den Köpfen der Menschen mit Hilfe dieser Mittel oder auch ohne diese Mittel oder entgegen diesen Mitteln verändert hat. Dies müssen wir einmal feststellen und daran dann die Effektivität dieser Kulturarbeit prüfen und beurteilen, und zwar nicht nur bei uns, sondern auch in anderen Ländern. Das wäre sinnvoll.Unsere Bitte geht dahin: Wenn wir uns in zwei Jahren — dann ist, wie ich glaube, der nächste Bericht fällig — erneut mit den Fragen der ostdeutschen und mitteldeutschen Kulturarbeit und ihrer Haushaltsbedeutung beschäftigen, möchten wir nicht nur einen Bericht bekommen, in dem aufgezählt wird, wieviel Veranstaltungen das Goethe-Institut, ich weiß nicht, wo, durchgeführt hat und wieviel Papier dort ausgelegt worden ist. Wir möchten etwas mehr darüber hören, was sich mit Hilfe dieser Kulturarbeit in den Köpfen der Menschen verändert oder erhalten hat.Ich möchte ebenso wie der Kollege Czaja mit einem Dank an alle diejenigen — ob sie nun Beamte sind oder nicht — schließen, die sich mit diesem segensreichen, aber sicherlich nicht einfachen Gebiet beschäftigen und die wir bei ihrer Arbeit ermutigen sollten.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Fischer.
Herr Präsident Meine Damen und Herren! Liebe Flüchtlinge und Heimatvertriebene bis hin zur nunmehr fünften Generation! Lassen Sie mich hier als Vertreter der Bekenntnisgeneration sprechen. Mir ward der Flüchtlingsausweis, der Vertriebenenausweis von Anfang an in die Wiege gelegt, und er war mir lieb und teuer — bis zu dieser Debatte hier im Bundestag.Wir debattieren hier heute über einen überaus wichtigen Bericht der Bundesregierung über die Förderung der ostdeutschen Kulturarbeit gemäß § 96 BVFG in den Jahren 1979 und 1980. Ein wahrhaft betagtes Werk also! Nicht minder museal mutet einem Inhalt und Sprache dieses parlamentarischen Fallobstes an.
— Ja, natürlich. — Da brütet das dumpfe Gedenken an die ehemaligen deutschen Ostgebiete haushaltswirksam vor sich hin und hält die Erinnerung an jene Zeiten wach, als man noch lauthals die Wiedergewinnung dieser Gebiete als regierungsamtliche Politik verkündete. Damit hat es sich mittlerweile, und Gott sei das gedankt, auch wenn man in letzter Zeit auf den jährlichen Vertriebenentreffen wie erst jüngst wieder die bezahlten Berufsflüchtlinge, die Herren Hupka und auch Czaja und wie sie sonst noch heißen mögen, wieder den üblichen — man muß schon sagen — reaktionären Schmonzes erzählen hört.
Aber von solcher Art politischer Fossilien ist wohl nichts anderes zu erwarten. — Von Bezahlung brauchen wir nicht zu reden; unsere Bezahlung ist karg.
— Leider nicht, nein. — Damit hier kein Irrtum aufkommt: Die GRÜNEN haben nichts gegen eine sinnvolle Förderung von Kultur und geschichtlicher Forschung über die früheren deutschen Minderheiten oder Gebiete in Osteuropa, sofern sie vom Geist der Versöhnung getragen sind.
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5568 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 76. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. Juni 1984
Fischer
— Ja, dann hätten Sie sich einmal diese Entschließung durchlesen sollen.
— Eben, eben. Dann hätte ich mir einmal einen anderen sprachlichen Geist darin gewünscht. Das ist doch das Entscheidende an der ganzen Sache. Da klingt doch noch der alte Ton heraus. Das wissen Sie doch so gut wie ich.
— Das hat mit „einfach" nichts zu tun. — Herr Czaja, wir begrüßen es ausdrücklich, wenn der rumänische Botschafter an der Jahresversammlung der Siebenbürger Sachsen teilnimmt oder wenn die noch bestehenden verwandtschaftlichen und kulturellen Beziehungen zwischen ehemaligen Flüchtlingen und Heimatvertriebenen zu ihrer alten Heimat zu einer Verbesserung der politischen und menschlichen und kulturellen Beziehungen beitragen. Hohle Schuldaufrechnungsrhetorik jedoch und die Forderung von sehr viel Obskurem und noch mehr Obskurantem lehnen wir entschieden ab. Wir bedauern es, daß wir dabei auch manch Sinnvolles, was in diesem Bericht steht, was förderungswürdig ist, die Zustimmung versagen müssen,
aber es ist schließlich hohe Zeit, die Kulturförderung für Osteuropa einmal grundsätzlich zu überprüfen, sie von der Form eines Instruments des kalten Krieges zu befreien und den Bedürfnissen einer auf Frieden und Völkerversöhnung ausgerichteten Haltung anzugleichen.
Ich bin sehr gespannt auf den Bericht, der jetzt kommen wird.
Da bin ich sehr gespannt. Ich sage Ihnen: Die Beschlußempfehlung, die da vorlag — das konnte man wirklich zwischen den Zeilen lesen —, atmet den Geist, der auf uns wieder zukommen wird und den Sie gegenwärtig schon auf den Vertriebenentreffen wieder zu hören bekommen. Das trifft dann auch Sie.
Einer Zustimmung unsererseits stünde dann nichts im Wege, wenn so verfahren würde. Aber wir sehen uns gegenwärtig nicht in der Lage, dem zuzustimmen. Solange diese fällige Überprüfung nicht stattgefunden hat, muß es beim Nein bleiben.Lassen Sie mich noch eine Korrektur anbringen. In der Beschlußempfehlung und im Bericht des Innenausschusses steht: Einstimmigkeit im Ausschuß. — Das muß in der Eile der Produktion heute morgen falsch geschrieben worden sein.
— Natürlich war ich bei der Abstimmung; aber selbstverständlich. Deswegen korrigiere ich das. Es gab keine Einstimmigkeit. Zwei GRÜNE haben dagegen gestimmt.
Das war's meine Damen und Herren. Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.Wir kommen zur Abstimmung. Wer der Beschlußempfehlung des Innenausschusses auf Drucksache 10/1671 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenstimmen? —
Enthaltungen? — Die Beschlußempfehlung des Ausschusses ist angenommen.Ich rufe Punkt 7 der Tagesordnung auf:Zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Einkommensteuergesetzes und des Körperschaftsteuergesetzes— Drucksachen 10/1189, 10/1314, 10/1370 —Beschlußempfehlung und Bericht des Finanzausschusses
— Drucksache 10/1634 —Berichterstatter:AbgeordneteDr. Köhler
Dr. Mertens
Wird das Wort zur Berichterstattung gewünscht? — Das ist nicht der Fall.Wird das Wort zur Aussprache gewünscht? — Das ist auch nicht der Fall.Wir kommen zur Einzelberatung und Abstimmung. Ich rufe die Art. 1 bis 4, Einleitung und Überschrift in der Ausschußfassung auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht; den bitte ich um das Handzeichen. — Danke. Gegenstimmen? — Enthaltungen? — Die aufgerufenen Vorschriften sind angenommen. Damit ist die zweite Beratung abgeschlossen.Wir treten in diedritte Beratungein und kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetz als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Wer stimmt dagegen? — Wer enthält sich der Stimme? — Das Gesetz ist angenommen.
— Einstimmig, jawohl.
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 76. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. Juni 1984 5569
Vizepräsident WurbsIch rufe Punkt 8 der Tagesordnung auf:Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Titels III der Gewerbeordnung und anderer gewerberechtlicher Vorschriften— Drucksache 10/1125 —Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft
— Drucksache 10/1646 —Berichterstatter:Abgeordneter Helmrich
Wird das Wort zur Berichterstattung gewünscht? — Das ist nicht der Fall.Wird das Wort zur Aussprache gewünscht? — Das ist nicht der Fall.Wir kommen zur Einzelberatung und Abstimmung. Ich rufe die Art. 1 bis 8, Einleitung und Überschrift in der Ausschußfassung auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Danke. Gegenstimmen? — Enthaltungen? — Die aufgerufenen Vorschriften sind angenommen. Damit ist die zweite Beratung abgeschlossen.Wir treten in diedritte Beratungein und kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetz als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Danke. Gegenstimmen? — Enthaltungen? — Das Gesetz ist angenommen.Ich rufe Punkt 9 der Tagesordnung auf:Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Durchführungsgesetzes EG-Richtlinien Funkstörungen— Drucksache 10/1001 —Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für das Post- und Fernmeldewesen
— Drucksache 10/1516 —Berichterstatter: Abgeordneter Linsmeier
Wird das Wort zur Berichterstattung gewünscht?— Das ist nicht der Fall.Wird das Wort zur Aussprache gewünscht? — Das ist ebenfalls nicht der Fall.Wir kommen zur Einzelberatung und Abstimmung. Ich rufe Art. 1 bis 3, Einleitung und Überschrift auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Danke. Gegenstimmen? — Enthaltungen?— Die aufgerufenen Vorschriften sind angenommen. Damit ist die zweite Beratung abgeschlossen.Wir treten in diedritte Beratungein und kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetz als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Danke. Gegenstimmen? — Enthaltungen? — Das Gesetz ist angenommen.Ich rufe Punkt 10 der Tagesordnung auf:Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Bundeswaldgesetzes— Drucksache 10/629 —a) Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten
— Drucksache 10/1598 —Berichterstatter:Abgeordneter Freiherr von Schorlemerb) Bericht des Haushaltsausschusses
gemäß § 96 der Geschäftsordnung
— Drucksache 10/1602 —Berichterstatter:Abgeordnete Schmitz Frau ZuttVerheyen
Wird das Wort zur Berichterstattung gewünscht?— Das ist nicht der Fall.Wird das Wort zur Aussprache gewünscht? — Das ist ebenfalls nicht der Fall.Wir kommen zur Einzelberatung und Abstimmung. Ich rufe die Art. 1 bis 3, Einleitung und Überschrift auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Danke. Gegenstimmen? — Enthaltungen?— Die aufgerufenen Vorschriften sind angenommen. Damit ist die zweite Beratung abgeschlossen.Wir treten in diedritte Beratungein und kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetz als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Danke. Gegenstimmen? — Enthaltungen? — Das Gesetz ist damit angenommen.Wir haben noch über eine Beschlußempfehlung des Ausschusses abzustimmen. Der Ausschuß empfiehlt auf Drucksache 10/1598 unter Nr. 2 die Annahme einer Entschließung. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Danke. Gegenstimmen? — Enthaltungen? — Die Beschlußempfehlung des Ausschusses ist angenommen.
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5570 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 76. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. Juni 1984
Vizepräsident WurbsIch rufe die Punkte 11 bis 18 der Tagesordnung auf:11. Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Beamtenversorgungsgesetzes— Drucksache 10/1478 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Innenausschuß
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung Haushaltsausschuß12. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Regelung der Preisangaben— Drucksache 10/1526 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Ausschuß für Wirtschaft13. Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verhinderung des Mißbrauchs von Sendeanlagen— Drucksache 10/1618 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:Ausschuß für das Post- und Fernmeldewesen
InnenausschußRechtsausschuß14. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 11. November 1982 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Königreich Lesotho über die Förderung und den gegenseitigen Schutz von Kapitalanlagen— Drucksache 10/1620 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Ausschuß für Wirtschaft Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit15. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 8. Dezember 1982 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Islamischen Republik Mauretanien über die Förderung und den gegenseitigen Schutz von Kapitalanlagen— Drucksache 10/1621 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Ausschuß für Wirtschaft Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 76. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. Juni 1984 5571
— Bei Enthaltungen.
— Ich lasse also über die Tagesordnungspunkte 22 und 23 getrennt abstimmen.Wer der Beschlußempfehlung des Innenausschusses auf der Drucksache 10/1324 seine Zustimmung zu geben wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenstimmen? — Einige Gegenstimmen. Enthaltungen? — Die Beschlußempfehlung ist angenommen.Ich lasse nunmehr über den Tagesordnungspunkt 23 — hier handelt es sich um die Drucksache 10/1454 — abstimmen. Wer der Vorlage seine Zustimmung zu geben wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenstimmen? — Enthaltungen? — Die Beschlußempfehlung ist angenommen.Ich rufe Punkt 24 der Tagesordnung auf:Beratung der Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses zu dem Antrag des Bundesministers der FinanzenVeräußerung einer 10 ha großen Teilfläche des bundeseigenen Geländes in Feldmoching an die Landeshauptstadt München— Drucksachen 10/1195, 10/1511 —Berichterstatter:Abgeordnete Wieczorek Dr. HackelKleinert
Der Ausschuß empfiehlt, der Veräußerung zuzustimmen.Wird das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall.Wir kommen zur Abstimmung. Wer der Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses auf Drucksache 10/1511 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenstimmen? — Enthaltungen? — Die Beschlußempfehlung ist angenommen.Ich rufe die Tagesordnungspunkte 25 und 26 auf:Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Haushaltsausschusses zu der Unterrichtung durch die BundesregierungVorschlag für einen Beschluß des Rates über die Anwendung des Beschlusses 83/200/EWG zur Ermächtigung der Kommission, im Rahmen des Neuen Gemeinschaftsinstruments Anleihen zur Investitionsförderung in der Gemeinschaft aufzunehmen— Drucksachen 10/1051 Nr. 19, 10/1512 —Berichterstatter:Abgeordneter Hoffmann
Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr zu der Unterrichtung durch die BundesregierungVorschlag für eine Entscheidung des Rates zur Änderung der Entscheidung 75/327/EWG zur Sanierung der Eisenbahnunternehmen und zur Harmonisierung der Vorschriften über die finanziellen Beziehungen zwischen diesen Unternehmen und den StaatenVorschlag für eine Verordnung des Rates zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 1107/70 des Rates über Beihilfen im Eisenbahn-, Straßen- und Binnenschiffsverkehr— Drucksachen 10/1005 Nr. 8, 10/1540 —Berichterstatter: Abgeordneter HaungsWird das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall.Ich lasse über die Vorlagen gemeinsam abstimmen.
— Sie wollen getrennte Abstimmung.
Ich lasse über die Vorlage zu dem Tagesordnungspunkt 25 auf der Drucksache 10/1512 abstim-
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5572 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 76. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. Juni 1984
Vizepräsident Wurbsmen. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenstimmen? — Enthaltungen? — Die Beschlußempfehlung ist angenommen.Ich lasse über die Vorlage zu Punkt 26 der Tagesordnung auf der Drucksache 10/1540 abstimmen. Wer dieser Vorlage seine Zustimmung zu geben wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenstimmen? — Enthaltungen? — Einige Enthaltungen. Die Beschlußempfehlung ist angenommen.Damit, meine Damen und Herren, sind wir am Schluß unserer heutigen Tagesordnung angelangt.Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Donnerstag, den 28. Juni 1984, 8 Uhr ein.Die Sitzung ist geschlossen.