Rede von
Benno
Erhard
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Herr Kollege Czaja, ich werde mir Mühe geben, die Frage mit vielen Aspekten so kurz wie möglich zu beantworten.
Der Bundesregierung liegen keine gesicherten Erkenntnisse zur Beurteilung der Frage vor, ob Ärzte in einer Vielzahl von Fällen Indikationsfeststellungen nach § 218 a Abs. 2 Nr. 3 des Strafgesetzbuches getroffen haben, obwohl die Vorausetzungen der Notlagenindikation nicht vorlagen. Aus empirischen Studien — ich verweise auf Band 123 der Schriftenreihe des Bundesministers für Jugend, Familie und Gesundheit — ist zwar bekanntgeworden, daß in Einzelfällen das Vorliegen einer sonstigen schweren Notlage bescheinigt wurde, ohne daß eine solche in Wirklichkeit gegeben war. Hierbei handelt es sich jedoch um Fälle, die durch statistische Erhebungen nicht belegt werden können und deshalb einen zuverlässigen Schluß auf eine allgemein verbreitete Übung nicht zulassen.
Die Bundesregierung mißt der Aussage des 87. Deutschen Ärztetages eine hohe Bedeutung bei. Da die Ärzte dem fraglichen Geschehen sehr nahestehen, wird die Bundesregierung in Zusammenwirken mit den Verantwortlichen des Deutschen Ärztetages versuchen, die konkreten Erfahrungen der Ärzteschaft zu prüfen, um gesicherte Erkenntnisse darüber zu gewinnen, ob die Aussage des Deutschen Ärztetages richtig ist. In diesem Zusammenhang sei darauf hingewiesen, daß ausweislich der Strafverfolgungsstatistik des Statistischen Bundesamtes in den Jahren 1977 bis einschließlich 1982 keine gerichtlichen Strafverfahren wegen unrichtiger ärztlicher Feststellungen durchgeführt wurden.
Einen Konflikt zwischen der geltenden Finanzierungsregelung einerseits und dem prinzipiellen ärztlichen Heilungsauftrag andererseits sieht die Bundesregierung nicht. Die geltende Finanzierungsregelung betrifft in erster Linie das Verhältnis Versicherter zur Krankenkasse, und zwar sowohl auf der Beitrags- als auch auf der Leistungsseite. Daß auch der Arzt im Ergebnis einen Honoraranspruch gegen die Krankenkasse hat, läßt seinen prinzipiellen ärztlichen Heilungsauftrag unberührt. Die Gewissensfreiheit des Arztes ist durch Art. 2 des 5. Strafrechtsreformgesetzes ausdrücklich abgesichert, demzufolge niemand verpflichtet ist, an einem Schwangerschaftsabbruch mitzuwirken.
In diesem Zusammenhang möchte ich nur noch darauf hinweisen, daß das Bundesverfassungsgericht in seinem Beschluß vom 18. April 1984 — also vor kurzem — folgendes ausgeführt hat, was bei verständiger Betrachtung einer pluralistischen Gesellschaft selbstverständlich ist — ich zitiere —:
Der einzelne Bürger, der eine bestimmte Verwendung des Aufkommens aus öffentlichen Abgaben für grundrechtswidrig hält, kann aus seinen Grundrechten keinen Anspruch auf generelle Unterlassung einer solchen Verwendung herleiten. Soweit diese mit seinem Glauben, seinem Gewissen, seinem religiösen oder weltanschaulichen Bekenntnis unvereinbar ist, kann er jedenfalls nicht verlangen, daß seine Überzeugung zum Maßstab der Gültigkeit gesetzlicher Rechtsnormen oder ihrer Anwendung gemacht wird.
Die Bundesregierung sieht zur Zeit keine Möglichkeit, den nicht auszuschließenden mißbräuchlichen Fällen von Schwangerschaftsabbrüchen unmittelbar oder durch Vorschläge zur Änderung der gesetzlichen Bestimmungen zu begegnen. Sowohl die Strafvorschriften wie auch die Vorschriften über Ordnungswidrigkeiten reichen aus, den Mißbräuchen wirksam zu begegnen. Auch ist die Bundesregierung der Auffassung, daß das Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient nicht eingeschränkt oder gar ausgehöhlt werden darf. Ein allgemeines Mißtrauen gegen das Verhalten der Ärzte ist nicht begründet. Rechtsverletzungen müssen von den dafür zuständigen Behörden aufgeklärt und, falls diese Verletzungen strafrechtlich relevant sind, auch verfolgt werden. Die Bundesregierung hat keinen Anlaß zu der Annahme, daß sich die Justizbehörden der Länder pflichtwidrig verhalten.