Gesamtes Protokol
Die Sitzung ist eröffnet. Meine Damen und Herren, am 4. Juni hatte der Vizepräsident des Deutschen Bundestages, Heinz Westphal, seinen 60. Geburtstag. Ich wünsche ihm auch von hier aus noch einmal von Herzen alles Gute.
Unser Kollege Hartmann hat am 4. Juni 1984 wegen seiner Wahl zum Landrat auf die Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag verzichtet. Als Nachfolger hat am 4. Juni 1984 der Abgeordnete Götzer die Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag erworben. Ich heiße ihn herzlich willkommen und wünsche ihm eine gute Zusammenarbeit.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung soll die verbundene Tagesordnung um die Zusatzpunkte „Beratung des Antrags der Fraktion DIE GRÜNEN, gegen Aussperrung im Tarifkonflikt und Aushöhlung des Streikrechts — Drucksache 10/1523 —" sowie „Beratung des Antrags der Fraktion DIE GRÜNEN, Besuch des südafrikanischen Ministerpräsidenten Botha in Bonn — Drucksache 10/1544 —" erweitert werden. Der erstgenannte Zusatzpunkt soll zusammen mit Tagesordnungspunkt 2, der weitere Zusatzpunkt mit Tagesordnungspunkt 3 aufgerufen werden.
Ebenfalls einer interfraktionellen Vereinbarung entsprechend soll der Punkt 8 der Tagesordnung — Entwurf eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über das Kreditwesen — bereits nach Punkt 3 der Tagesordnung aufgerufen werden.
Sind Sie damit einverstanden? — Kein Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich rufe Punkt 2 und Zusatzpunkt 1 der Tagesordnung auf:
Abgabe einer Erklärung der Bundesregierung zum bevorstehenden Weltwirtschaftsgipfel vom 7. bis 9. Juni 1984 in London Beratung des Antrags der Fraktion DIE GRÜNEN
Gegen Aussperrung im Tarifkonflikt und Aushöhlung des Streikrechts
— Drucksache 10/1523 —
Zu Punkt 2 der Tagesordnung liegen außerdem Entschließungsanträge der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 10/1545 und der Fraktion der SPD auf Drucksache 10/1548 vor.
Meine Damen und Herren, es ist verabredet, den Punkt 2 der Tagesordnung und den Zusatzpunkt 1 in verbundener Beratung zu behandeln und für diese Beratung vier Stunden vorzusehen. — Kein Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Das Wort hat der Herr Bundeskanzler.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Morgen beginnt in London das diesjährige Treffen der Staats- und Regierungschefs der sieben wichtigsten westlichen Industrieländer. Ziel unserer Gespräche wird es sein, zu gemeinsamen Schlußfolgerungen für die zukünftige Wirtschaftspolitik in unseren Ländern zu kommen, um die dringend notwendige Fortsetzung der eingeleiteten weltweiten wirtschaftlichen Erholung zu sichern und zu unterstützen.Ich nehme dieses wichtige internationale Treffen zum Anlaß, den Deutschen Bundestag auch über meine Beurteilung der gegenwärtigen Wirtschaftslage in der Bundesrepublik Deutschland zu unterrichten.In wenigen Tagen, am 17. Juni, wird in allen Ländern der Europäischen Gemeinschaft zum zweiten-mal das Europäische Parlament gewählt. Ich möchte daher an den Anfang der heutigen Regierungserklärung ein Wort zur Lage in der Europäischen Gemeinschaft stellen.Ich hatte mir, wie wir alle, von den Gipfelkonferenzen in Athen und in Brüssel einen deutlicheren Schritt nach vorn, ein besseres Ergebnis erhofft. Seit dem Stuttgarter Gipfel, wo wir die Probleme der Gemeinschaft einstimmig und einmütig in einem Gesamtpaket gebündelt hatten, ist es gelungen, in fast allen anstehenden Fragen zu einvernehmlichen Lösungen zu kommen. In der Öffentlichkeit wurde diese Gemeinsamkeit leider nicht überall registriert, weil die entscheidenden Beschlüsse wegen der Nichteinigung in Sachen britischer Beitrag nicht erfolgen konnten.Die Einigung der Agrarminister und die Weiterentwicklung der europäischen Forschungs- und
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5188 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 73. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 6. Juni 1984
Bundeskanzler Dr. KohlTechnologiepolitik sind wichtige Schritte in diese Richtung. Auch die Vereinbarung einer strikten Haushaltsdisziplin in der Gemeinschaft ist ein neues Element europäischer Politik.Offen geblieben ist allein die Höhe des britischen Beitrags zum EG-Haushalt. Ich bin trotz allem zuversichtlich, daß der Europäische Rat Ende Juni auch hier zu einer vernünftigen und fairen Lösung kommen wird. Wir, die Bundesregierung und ich selbst, werden alles tun, um noch während der französischen Präsidentschaft zu einem Abschluß zu kommen.Meine Damen und Herren, dabei muß uns allen immer wieder eines ganz klar sein: Zur Einigung Europas, zur wirtschaftlichen und politischen Einigung Europas, gibt es keine Alternative.
Das gilt für alle europäischen Staaten in der Gemeinschaft, das gilt in ganz besonderer Weise für die Bundesrepublik Deutschland. 50 % unserer Exporte gehen in die Partnerländer der Europäischen Gemeinschaft. Jeder sechste Arbeitsplatz in der Bundesrepublik hängt von diesen Exporten in die Gemeinschaft ab. Die Vollendung eines Binnenmarktes in der EG steht immer noch aus. Hier liegen bei einem Wirtschaftsraum mit 270 Millionen Einwohnern — was sich auf über 300 Millionen Einwohner steigern wird, wenn Spanien und Portugal der Gemeinschaft beigetreten sind — beträchtliche Wachstumsreserven auch für die deutsche Wirtschaft. Wir müssen sie mobilisieren und die vielfältigen wirtschaftlichen Grenzbarrieren, die sichtbaren und die versteckten, abbauen. Nur dann behalten wir auf Dauer die Chance, gestützt auf die Größe des eigenen Marktes im Wettbewerb mit den anderen großen Industrienationen erfolgreich bestehen zu können.Wenn ich vom Abbau von Barrieren spreche, denke ich natürlich nicht nur an die wirtschaftlichen Barrieren, sondern auch an die tatsächlichen Grenzbarrieren. Glücklicherweise sind wir ja bei unserer letzten deutsch-französischen Konsultation auf diesem Weg ein wesentliches Stück vorangekommen.
Aber, meine Damen und Herren, Europa ist für uns nicht nur eine Freihandelszone oder eine irgendwie geartete Zollunion. Europa braucht die Perspektive der politischen Einigung, der Politischen Union. Das heißt, wir müssen an der Gemeinschaft in den politischen Kernbereichen weiterbauen, und zwar so rasch als möglich. Vor allem müssen wir die Entscheidungsfähigkeit der Gemeinschaft stärken, auch und gerade im Hinblick auf den notwendigen Beitritt Spaniens und Portugals zum 1. Januar 1986. Die von den Römischen Verträgen vorgesehene Mehrheitsentscheidung muß Anwendung finden.Der Präsident der Französischen Republik, Francois Mitterrand, hat kürzlich in einer bedeutenden Rede vor dem Europäischen Parlament weitreichende Perspektiven entwickelt, die unsere volleUnterstützung finden und die auch Ertrag vieler gemeinsamer Gespräche in dieser Richtung sind. Bei vielen — nicht bei allen, aber bei vielen — unserer europäischen Partner treffen wir auf ähnliche Gedanken und Ideen.Meine Damen und Herren, dies zeigt, daß der Wille zur politischen Gestaltung Europas mehr und mehr an Raum gewinnt. Gerade im Blick auf die bevorstehenden Wahlen zum Europäischen Parlament erkläre ich heute von dieser Stelle aus erneut, daß wir — die Bundesregierung — fest entschlossen sind, gemeinsam mit unseren Partnern diesen Weg zur Europäischen Union zu gehen.
Um ein Stück konkreter Europapolitik ging es auch bei den jüngsten agrarpolitischen Entscheidungen. Die Gemeinschaft stand hier vor einer sehr schwierigen Situation: Die Kassen in Brüssel waren leer. Zusätzliche Exportmöglichkeiten für Überschußprodukte waren auf den Weltmärkten kaum noch vorhanden. Die Kritik von Drittländern an der Agrarpolitik der Gemeinschaft hatte spürbar zugenommen. Zur Lösung dieser Aufgabe gab es auch keine Patentrezepte. Die EG stand in der Gefahr, in diesem Jahr — 1984 — zahlungsunfähig zu werden.Die Bundesregierung hat deshalb in Brüssel eine Entscheidung mitgetragen, die Eingriffe in die Marktordnungen einschließt, die aber in ihren Auswirkungen auf die Einkommen der Landwirte kalkulierbar ist. Es ist nicht der Weg drastischer Preissenkungen, die von manchen vorgezogen worden wären, und es ist auch nicht der Weg, der zu landwirtschaftlichen Großbetrieben oder gar zu Agrarfabriken führt.
Es ist der Weg, der unserem agrarpolitischen Leitbild, dem bäuerlichen Familienbetrieb, am ehesten gerecht wird.
Es ist der Weg, der Funktion und Finanzierbarkeit der Agrarpolitik sichert.Weil wir wissen, meine Damen und Herren, daß die Brüsseler Beschlüsse in den nächsten Jahren zu weitreichenden Einkommensminderungen in der Landwirtschaft führen, haben wir unverzüglich gehandelt. Zum Ausgleich dieser Einkommensminderungen schlagen wir ein nationales Programm von mehr als 3 Milliarden DM jährlich vor. Diese Beschlüsse zugunsten unserer Bauern sind in den letzten Tagen und Wochen kritisiert worden
als eine Nachgiebigkeit gegenüber einer Almosen- und Subventionsmentalität. Dieser Vorwurf ist rundum abwegig. Wenn wir bedenken, was wir in den anderen wichtigen Teilen der deutschen Wirtschaft — ich denke an den Stahlbereich, ich denke an die Kohle und an viele andere Bereiche —
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Bundeskanzler Dr. Kohlselbstverständlich in dieser schwierigen Übergangsphase tun müssen, ist es für mich völlig unerträglich, die Bauern zu Prügelknaben der EG-Entwicklung zu machen.
Als vor 27 Jahren die Römischen Verträge unterschrieben wurden, wurde die Agrarpolitik als einer der wesentlichsten und ersten Politikbereiche angegangen in der sicheren Erwartung, daß weitere Bereiche bald folgen würden. Diese Erwartung hat sich leider nicht erfüllt, und dafür dürfen die Bauern, auch die deutschen Bauern, nicht büßen. Wir alle, denke ich, verstehen ihre Sorgen um die Zukunft ihrer Betriebe.Die von der Bundesregierung vorgesehenen Maßnahmen sind der gerechte Ausgleich für plötzliche und weitgehende Einkommenskürzungen, die die Landwirte im Interesse einer Weiterentwicklung Europas und damit in unser aller Interesse hinnehmen müssen.
Ich bin den Bauern dankbar, die in ihrer überwiegenden Mehrheit die Notwendigkeit dieser Eingriffe einsehen und letztlich bejahen.
Die Beschlüsse der Bundesregierung werden helfen, die Lage der Landwirtschaft zu verbessern. Sie werden insbesondere dazu beitragen, die schwierigen Jahre der EG-Agrarpolitik zu überbrücken und den Weg zu bereiten für eine Zeit, in der wieder eine kostenorientierte Preispolitik möglich ist. Nur weil die EG-Beschlüsse diese Perspektive eröffnen, habe ich hierzu letztlich meine Zustimmung gegeben.
Herr Präsident, meine Damen und Herren, die weitere wirtschaftliche Entwicklung in Europa wird darüber hinaus ganz entscheidend auch von weltwirtschaftlichen Faktoren mitbestimmt.
Beim Weltwirtschaftsgipfel im Mai 1983 in Williamsburg waren in einigen Ländern bereits deutliche Zeichen des Aufschwungs erkennbar, so auch in der Bundesrepublik Deutschland.
Vor diesem Hintergrund verpflichteten sich die Staats- und Regierungschefs zu einer Wirtschaftspolitik, die den sich abzeichnenden Aufschwung unterstützen und dauerhaft festigen sollte. Wir haben uns darauf geeinigt, eine stabilitätsorientierte Geld-und Haushaltspolitik zu betreiben, protektionistischen Tendenzen entschieden entgegenzutreten und den hochverschuldeten Entwicklungsländernbei der Lösung ihrer schwierigen Probleme zu helfen.
— Meine Damen und Herren, ich weiß gar nicht, warum Sie lärmen. Sie treten doch draußen im Lande für eine Politik der Neutralität und der Gemeinsamkeit mit einem Machtblock, dem Warschauer-Pakt-Block ein, der in diesem Jahr zusammen weniger Mittel für Entwicklungshilfe ausgibt als die Bundesrepublik Deutschland allein.
Heute, ein Jahr später, kann ich feststellen: Wir sind auf dem in Williamsburg vorgezeichneten Weg ein gutes Stück vorangekommen, wenngleich wir — das muß man genauso ehrlich feststellen — keineswegs alles erreicht haben, was wir uns vorgenommen hatten.
Die weltwirtschaftliche Erholung hat sich in einer Reihe weiterer Länder vorteilhaft ausgewirkt.
Der Welthandel hat erheblich zugenommen und dazu beigetragen, die Verschuldungsprobleme vieler Entwicklungsländer zu erleichtern. Wir wissen aber auch um die sehr ernsten Gefahren, die sich beispielsweise gerade in bestimmten Ländern Lateinamerikas gezeigt haben — Gefahren, die fortbestehen. Die Krisen in bestimmten Ländern dieses Halbkontinents sind keineswegs gebannt.Der Anstieg der Arbeitslosigkeit, meine Damen und Herren, ist in den meisten Industrieländern zum Stillstand gekommen. Die Stabilisierung der Preise hat deutliche Fortschritte gemacht. Die Lage der öffentlichen Haushalte hat sich in vielen Ländern spürbar entspannt. Damit sind die Chancen für einen stabilitätsgerechten und dauerhaften Aufschwung deutlich besser geworden,
durch den allein wir — auch wir in der Bundesrepublik — ausreichend Arbeitsplätze schaffen können.Herr Präsident, meine Damen und Herren, diese Erfolge dürfen aber nicht den Blick für die schwerwiegenden weltwirtschaftlichen Probleme verstellen, die in London auf der Tagesordnung stehen. Mit Sorge sehe ich, sehen wir den Zinsanstieg in den Vereinigten Staaten und seine negativen Auswirkungen auf andere Industrieländer, vor allem auch auf die hochverschuldeten Entwicklungsländer; dies ist ein wichtiges Thema der Londoner Konferenz — erneut ein wichtiges Thema. Dies ist die Folge von zwei parallel laufenden Entwicklungen: Zum einen nimmt die Kreditnachfrage der Unternehmen zur Finanzierung höherer Investitionen zu, während gleichzeitig die Ersparnisse der priva-
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Bundeskanzler Dr. Kohlten Haushalte in den USA vergleichsweise niedrig sind.
Dem steht eine Haushaltspolitik gegenüber, die bisher — im Gegensatz zu anderen Ländern — noch kein überzeugendes Konsolidierungskonzept vorgelegt hat, obwohl die außergewöhnliche Höhe des Staatsdefizits eben dies verlangt. Es gibt, wie jeder weiß, erste Bemühungen, aber sie reichen sicher noch nicht aus. Weitere Fortschritte bei der Haushaltskonsolidierung sind erforderlich, um die Voraussetzungen für die notwendigen Zinssenkungen zu schaffen. Alle Teilnehmerländer müssen daher in London ihre Entschlossenheit bekräftigen — und Taten folgen lassen —, bei den Staatsausgaben Disziplin zu üben und die strukturellen Haushaltsdefizite weiter zu verringern.
Ein zweites wichtiges Gipfelthema ist die Frage, wie die internen Probleme der Strukturanpassung in den Industrieländern bewältigt werden können. Die internationalen Konferenzen der vergangenen zwölf Monate — zuletzt der OECD-Ministerrat im Mai in Paris — haben erfreulicherweise gezeigt, daß der Konsens über das Richtige und das Notwendige gewachsen ist. Immer deutlicher hat sich die Erkenntnis durchgesetzt, daß es ein Irrweg ist, wirtschaftspolitische Ziele mit der künstlichen Erhaltung überalterter Industriestrukturen und mit der Ausschaltung des Wettbewerbs zu verfolgen. Auch der Londoner Gipfel — so hoffe ich jedenfalls — wird derartigen Strategien eine Absage erteilen.Ein zentrales Anliegen in London wird der Kampf gegen den Protektionismus sein. Bei der weiteren Liberalisierung des internationalen Handels müssen wir zweifelsohne mutigere Schritte nach vorn tun. Nur so kann für eine Vielzahl von Ländern aus konjunktureller Erholung dauerhaftes Wirtschaftswachstum werden — mit der begründeten Aussicht, meine Damen und Herren, auf mehr Beschäftigung, und das heißt immer: auf neue Arbeitsplätze.Ein besonders wichtiges Thema des Gipfels in London wird die schwierige Lage der hochverschuldeten Entwicklungsländer sein. Die vor einem Jahr vereinbarte Strategie ist auch aus heutiger Sicht unverändert gültig.Den wichtigsten Beitrag müssen die Schuldnerländer durch eigene Anstrengungen zur Stabilisierung ihrer Wirtschaft leisten. Aber auf der anderen Seite dürfen den betroffenen Ländern weitere Finanzhilfen nicht vorenthalten werden. Eine zentrale Rolle muß dabei weiterhin der Internationale Währungsfonds einnehmen, der mit seinen Krediten nicht nur bei der Finanzierung hilft, sondern zugleich auch den Weg zur Stabilität und neuem Vertrauen ebnet.
Die Zinsen in den Industrieländern dürfen nichtweiter steigen, gerade auch wegen der Zinsbelastung der Entwicklungsländer. Nicht zuletzt, meine Damen und Herren, müssen die Industrieländer den Zugang zu ihren Märkten stärker als bisher öffnen.Mit der Bestätigung und Bekräftigung dieser wirtschaftspolitischen Grundlinien kann der Londoner Gipfel eine wichtige Etappe auf dem Weg zu einem dauerhaften Aufschwung in der Weltwirtschaft werden.Die Bundesrepublik Deutschland leistet einen weithin anerkannten Beitrag zu dieser gemeinsamen internationalen Strategie für mehr Wachstum und Beschäftigung. Unsere Bilanz, mit der wir jetzt, im Juni 1984, nach London gehen, kann sich sehr wohl sehen lassen.
Im Herbst 1982, bei Amtsantritt dieser Regierung, befand sich die deutsche Wirtschaft mitten in der tiefsten und schwersten Rezession der Nachkriegszeit. Im Frühjahr dieses Jahres haben die führenden wirtschaftswissenschaftlichen Institute übereinstimmend festgestellt, daß die konjunkturelle Erholung zu einem sich selbst tragenden Aufschwung geführt hat. Zwischen diesen beiden Daten, meine Damen und Herren, liegen die ersten eineinhalb Jahre unserer Koalition der Mitte. Wir haben nicht nur erreicht, daß die verhängnisvolle Abwärtsentwicklung gestoppt wurde, wir haben eine neue und dauerhafte Aufwärtsentwicklung in Gang gebracht. Der Erfolg hat das wirtschaftliche Klima verändert. Erstmals seit langem gibt es in unserem Land wieder eine realistische Perspektive für Fortschritt beim Abbau der Arbeitslosigkeit und für mehr Beschäftigung.
— Ich lebe in jener Bundesrepublik, die Sie in jenen Zustand gebracht hatten!
Wie war die wirtschaftliche Lage im Frühjahr dieses Jahres, bevor sich die tarifpolitische Auseinandersetzung zuzuspitzen begann?
Das wirtschaftliche Wachstum hat sich deutlich beschleunigt. Während sich das Bruttosozialprodukt im Jahresdurchschnitt 1983 um 1,3% erhöhte, wurde der Vorjahresstand im vierten Quartal 1983 bereits um 2,9 % übertroffen. Im ersten Quartal dieses Jahres, meine Damen und Herren von der Opposition, erhöhte sich die Wachstumsrate weiter auf 3,6%.Entscheidender Motor dieses Wachstums waren die Investitionen. Nachdem die Investitionen 1981 und 1982 noch deutlich geschrumpft waren, haben die Unternehmungen 1983 ihre Ausgaben für Maschinen und Ausrüstung real um 5,7 % erhöht. In den ersten drei Monaten dieses Jahres lag dieser Anstieg sogar bei 8,1 %.
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Bundeskanzler Dr. KohlNur über wachsende Investitionen, über eine wachsende Wirtschaft wird es ein wachsendes Angebot an Arbeitsplätzen geben.
Die Auftragseingänge in der Industrie zeigen, daß diese wirtschaftliche Aufwärtsentwicklung andauern kann. Sie lagen im ersten Quartal immerhin real um 8,4% über dem Vorjahresstand.Die Zahl der Firmenzusammenbrüche ist spürbar zurückgegangen, und es waren deutlich mehr Neueintragungen ins Handelsregister zu verzeichnen. Auch die Zahl der von der Bundesregierung geförderten Unternehmensneugründungen hat weiter zugenommen, nachdem sie bereits im vergangenen Jahr um ein rundes Drittel gestiegen war.Nach Jahren schleichender Geldentwertung durch hohe Inflationsraten haben wir heute wieder nahezu stabile Preise. Im Mai ist die Preissteigerungsrate auf 2,8 % weiter zurückgegangen. Meine Damen und Herren, dieser Stabilitätsgewinn hat den Bürgern der Bundesrepublik Deutschland im vergangenen Jahr Kaufkraft in Höhe von 20 Milliarden DM gesichert. Das ist konkrete Sozialpolitik.
Es hat mehr zur Ankurbelung der Wirtschaft beigetragen als alle von Ihnen in der Vergangenheit ersonnen staatlichen Ausgabenprogramme.
Die Strukturanpassung der deutschen Wirtschaft ist angeregt und gefördert worden. Den besonders betroffenen Stahlunternehmen wird der Übergang in neue Unternehmensstrukturen erleichtert. Im Kohlebergbau wird von allen Beteiligten, Arbeitgebern und Gewerkschaften, gemeinsam ein tragfähiges mittelfristiges Konzept verwirklicht. Im Interesse der Küstenregion wird die Umstrukturierung der Werften finanziell unterstützt. Diese und weitere Maßnahmen der Bundesregierung erleichtern die Neuorientierung von Unternehmen und Arbeitnehmern in Zeiten tiefgreifender struktureller Veränderungen in Übereinstimmung mit den Grundsätzen einer sozial verpflichteten Marktwirtschaft.Meine Damen und Herren, auf dem Arbeitsmarkt können wir feststellen, daß der Anstieg der Arbeitslosigkeit zum Stillstand gekommen ist.
Im April waren zum erstenmal seit 1980, wie auch jetzt im Mai, weniger Arbeitslose registriert als vor Jahresfrist. Die Zahl der arbeitslosen Jugendlichen lag zuletzt sogar um 16 % unter dem Vorjahresstand.
Diese Entwicklung ist für uns ermutigend, besonders wenn wir bedenken — und Sie wissen das doch auch —, daß in jedem Konjunkturaufschwung der Arbeitsmarkt erst mit deutlicher Verzögerung auf die bessere Wirtschaftslage reagiert. Zunächst werden die vorhandenen Kapazitäten an Maschinen und Personal besser ausgelastet: Eine halbe Million ehemaliger Kurzarbeiter beziehen inzwischen wieder vollen Lohn. Die Kapazitätsauslastung in derIndustrie ist seit Herbst 1982 um 6 Prozentpunkte auf über 80 % gestiegen. Wir nähern uns also wieder dem Punkt, an dem neue Aufträge konsequenterweise die Einstellung zusätzlicher Arbeitskräfte nach sich ziehen können.Daß der gegenwärtige Arbeitskampf, meine Damen und Herren, Neueinstellungen nicht fördert, liegt auf der Hand.
Die ungewisse Situation im Tarifkonflikt verstärkt in vielen Unternehmen die abwartende Haltung bei der Entscheidung über Neueinstellungen. Sie wissen nicht, wie es weitergeht, müssen aber Entscheidungen über Investitionen und damit Arbeitsplätze treffen, und viele versuchen, diese Entscheidungen hinauszuzögern. Hier muß rasch Klarheit geschaffen werden, damit sich kein neuer Pessimismus ausbreitet.
Meine Damen und Herren, die wirtschaftliche Bilanz der ersten 18 Monate unserer Regierungszeit ist positiv.
Denjenigen in der Opposition, die sich heute anspruchsvoller äußern, wie man hier an diesen Zwischenrufen erkennt, möchte ich frühere Äußerungen aus ihren eigenen Reihen entgegenhalten und ins Gedächtnis rufen. Am 18. Februar des vergangenen Jahres — man wird ja nach 14, 15 Monaten noch zitieren dürfen — hat Ihr Kanzlerkandidat
in der „Zeit" erklärt: „Wenn Sie mich fragen, welchen Zeitraum ich brauche, um diesen Prozeß der weiter ansteigenden Arbeitslosigkeit zu bremsen und dann umzukehren, dann antworte ich, daß dies eine Aufgabe für eine volle Regierungsperiode sein wird."
Das war vor der Wahl. Damals haben Sie uns mit dem geballten nationalökonomischen Sachverstand, den Sie im Wahlkampf einbrachten, vorgehalten, unsere Politik werde die Arbeitslosigkeit auf 3 Millionen hochtreiben. Nun, meine Damen und Herren, gemessen an Ihren damaligen Prognosen haben wir zweifelsohne sehr gute Fortschritte gemacht.
Natürlich — das habe ich auch vor der Wahl gesagt — ist der Prozeß der Bekämpfung, des Stopps und des Abbaus der Arbeitslosigkeit — die ja nicht in einem Jahr entstanden ist und auch nicht in einem Jahr abzubauen ist — noch lange nicht am Ziel.Aber wichtiger noch als die genannten positiven Wirtschaftsdaten ist der für mich unübersehbare Stimmungsumschwung, den wir registrieren können.
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5192 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 73. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 6. Juni 1984
Bundeskanzler Dr. KohlStatt Zukunftsangst — das war ja die schlimmste Erblast, die Sie hinterlassen haben — gibt es wieder Zuversicht.
Die Konjunkturumfragen in der Industrie signalisieren, daß wir bis zum Frühjahr dieses Jahres, d. h. bis zum Beginn der Auseinandersetzungen über Wochenarbeitszeit und Arbeitskampf, über eineinhalb Jahre hinweg eine Verbesserung der Lagebeurteilung durch die Unternehmen feststellen konnten.
— Ich würde es wirklich begrüßen, wenn Sie bei den Zwischenrufen auch aufstünden, damit das Fernsehpublikum Sie voll wahrnimmt!
Dieses Bild, meine Damen und Herren, wurde durch den Verlauf der Hannover-Messe voll bestätigt. Diese größte Industrieausstellung der Welt hat ein beeindruckendes Signal neuen Selbstbewußtseins gegeben. Die deutsche Leistungsschau in Tokio hat gezeigt, daß sich die deutsche Wirtschaft mit ihren Produkten, mit ihrer Technik und mit ihren Zukunftsinvestitionen weltweit sehen lassen kann.
— Meine Damen und Herren, ich weiß, daß Sie das aufregt. Wenn Sie am Ende Ihrer Amtszeit eine solche Bilanz hätten vorlegen können, dann wären Sie glücklich gewesen.
Die von Ihnen getragene Bundesregierung ist doch daran zerbrochen, daß sich die Sozialdemokratie als unfähig erwiesen hat, eine moderne Volkswirtschaft zu gestalten.
Dennoch, meine Damen und Herren, habe ich nie einen Zweifel daran gelassen, daß wir noch lange nicht über den Berg sind, daß entscheidende Probleme vor uns liegen. Fehlentwicklungen vieler Jahre lassen sich nicht in wenigen Monaten korrigieren. Das bedeutet harte Arbeit. Der Erfolg wird sich erst Schritt für Schritt einstellen.
Anders als zu Beginn der 50er Jahre haben wir in der Bundesrepublik Deutschland heute ein unübersehbares Problem mit der Wirtschaftswanderung von Nord nach Süd. Wir haben sogar bereits ein Wirtschaftsgefälle von Süd nach Nord. Und diese Tendenz hält weiter an. Da hätten Sie doch, Herr Oberbürgermeister aus dem Ruhrgebiet, viel früher anfangen können als in den letzten achtzehn Monaten.
Über den Verfall der Wirtschaftskraft bestimmter Branchen und Regionen in den Gebieten nördlichdes Mains, im Revier an Rhein und Ruhr, an der Küste, aber auch an der Saar dürfen wir nicht hinwegsehen. Die Menschen in Bremen und in Hamburg, in Dortmund und in Neunkirchen brauchen jetzt und heute Hilfe, nicht erst in zehn oder fünfzehn Jahren.
— Meine Damen und Herren, ich weiß gar nicht, warum Sie lärmen. Sie hatten doch dreizehn Jahre Zeit, an diesem Problem zu arbeiten.
Uns geht es um die gesamtstaatliche Verantwortung. Wir werden uns dementsprechend verhalten.
Wichtigste Aufgabe unserer Innenpolitik bleibt die Überwindung der Arbeitslosigkeit. Es geht um Menschen in Sorge, um ihre Chancen zur beruflichen Erfüllung und zum persönlichen Glück. Durchgreifende Erfolge — ich sagte es schon — lassen sich jedoch nur erzielen, wenn wirtschaftliches Wachstum dauerhaft erreicht wird. Ohne Investitionen und ohne Wirtschaftswachstum gibt es keine neuen Arbeitsplätze. Mehr Investitionen zur Modernisierung und Stärkung unserer Wirtschaft sind daher Dreh- und Angelpunkt einer erfolgreichen Wirtschaftsentwicklung. Das Beispiel der Vereinigten Staaten von Amerika zeigt, daß diese Strategie erfolgreich sein kann, wenn — und dies betone ich besonders — alle gesellschaftlichen Gruppen ihren Beitrag dazu leisten.
In den USA war es möglich, von 1970 bis 1983 — auch unterstützt durch die Lohnpolitik amerikanischer Gewerkschaften — weit über 20 Millionen neuer Arbeitsplätze entstehen zu lassen. Allein im letzten Jahr, 1983, waren es 4 Millionen neue Arbeitsplätze.
Von besonderem Interesse ist dabei — auch für uns —, daß dieser Zuwachs an Beschäftigung zum ganz überwiegenden Teil von mittelständischen und vor allem auch von neu gegründeten Unternehmen geschafft worden ist. Wenn es uns gelingt, die Existenzneugründungswelle in der Bundesrepublik Deutschland weiter zu verstärken, besteht auch für unser Land eine begründete Aussicht auf eine ähnlich günstige Entwicklung.
Wir haben die Sanierung der Staatsfinanzen auf den Weg gebracht, und wir haben die sozialen Sicherungssysteme wieder sicher gemacht.
Wir reden nicht nur von Entbürokratisierung, wirhaben bereits wesentliche Schritte auf diesem Wegunternommen. Der Deutsche Bundestag und der
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 73. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 6. Juni 1984 5193
Bundeskanzler Dr. KohlBundesrat werden sich j a noch in dieser Legislaturperiode, beginnend schon in den nächsten Monaten, mit vielen Gesetzesvorhaben dieser Art zu beschäftigen haben.Wir haben erste Schritte zur Reprivatisierung unternommen.
Wir haben einen ganzen Katalog von Maßnahmen zur Förderung der Beschäftigung zur Diskussion gestellt und eine Neuorientierung, die eine bessere Zukunft verheißt, in der Forschungspolitik vorgenommen.Wir haben die Unternehmen steuerlich entlastet, und in Kürze werden wir über die Reform der Lohn- und Einkommensteuer beschließen. Es bleibt bei dem schon mehrfach dargelegten Zeitplan: Noch vor der Sommerpause wird das Bundeskabinett über die Eckdaten der Reform entscheiden. Die Regierungsvorlage wird dann zuständigkeitshalber dem Bundesrat im November zugeleitet — nach Anhörung der Verbände —, damit er zu Beginn des neuen Jahres 1985 die Beratung unverzüglich aufnehmen kann. Ich habe schon heute die Bitte an den Deutschen Bundestag, das Gesetzgebungsverfahren so zu beschleunigen, daß das Gesetz bis zur Sommerpause 1985 verabschiedet werden kann.Ich halte daran fest, daß das Gesetz zum 1. Januar 1986 in Kraft tritt. Ob die steuerliche Entlastung in einem Schritt oder in zwei Schritten, d. h. als Ganzes zum 1. Januar 1986 oder in zwei Abschnitten zum 1. Janaur 1986 und zum 1. Januar 1988 wirksam werden kann — und in welchem Umfang —, wird entscheidend durch die wirtschaftliche Entwicklung bestimmt, und diese hängt auch davon ab, wie sich die gegenwärtige Tarifauseinandersetzung auf unsere Volkswirtschaft auswirkt.
Die Entlastung der Familien — um das deutlich zu sagen — muß und wird aber in jedem Fall zum 1. Januar 1986 wirksam werden.
Das wirtschaftspolitische Programm der Bundesregierung schafft günstigere Bedingungen für mehr Wachstum und Beschäftigung.
Aber wir wissen auch, daß diese Politik ergänzt werden muß durch Maßnahmen, die schon sehr kurzfristig zur Entlastung des Arbeitsmarktes beitragen. Dazu hat die Bundesregierung den Tarifpartnern mit der sogenannten Vorruhestandsregelung ein konkretes Angebot zur Verkürzung der Lebensarbeitszeit gemacht, das inzwischen auch in Tarifvereinbarungen aufgenommen wurde. Diese Regelung erscheint für alle Beteiligten finanziell tragbar. Die zeitliche Begrenzung auf bestimmte Jahrgänge trägt zudem der zu erwartenden demographischen Entwicklung. Sie berücksichtigt aber auch, daß die hier angesprochenen Jahrgänge dieHauptlast der Kriegs- und Nachkriegszeit sehr persönlich zu tragen hatten.Darüber hinaus prüfen wir, ob bestimmte Vorschriften, die die Einstellung von Arbeitnehmern eher hemmen, anstatt sie zu fördern, nicht beseitigt werden müssen. Befristete Arbeitsverträge und die Förderung von Teilzeitarbeit sind beispielhafte Anstöße, wie Abhilfe geschaffen werden kann. Gerade am Thema Teilzeitarbeit läßt sich zeigen, daß durchaus noch ungenutzte Chancen für mehr Beschäftigung vorhanden sind. Wenn 2 Millionen Arbeitnehmer heute erklären, daß sie gerne Teilzeitarbeit annehmen würden, dann muß es doch möglich sein, diesem Wunsch, diesem Anliegen gerecht zu werden.
Dadurch könnten auch viele andere, nicht zuletzt Frauen, die jetzt noch ohne Arbeit draußen stehen, einen Arbeitsplatz finden.Dies gilt um so mehr, als — wie ich finde: erstaunlicherweise — die Teilzeitarbeit bei uns im internationalen Vergleich bisher eine relativ geringe Rolle spielt. Während bei uns nur 10 % aller Beschäftigten einer Teilzeitarbeit nachgehen, sind es in den USA 14 %, in Großbritannien 15 % und in den skandinavischen Ländern zwischen 20 und 30 %. Hier bestehen durchaus noch ungenutzte Möglichkeiten — für Unternehmungen, für die Gewerkschaften, für die Tarifpartner.Dasselbe gilt auch, meine Damen und Herren, für eine flexiblere Organisation der Arbeit in den Betrieben. Wir sind heute so weit, daß dem Wunsch der Arbeitnehmer nach einer individuelleren Gestaltung ihrer persönlichen Arbeitszeit wesentlich besser Rechnung getragen werden kann als in der Vergangenheit,
nicht zuletzt auch wegen der Möglichkeiten, die der technische Fortschritt eröffnet. Auch diese Chance für ein Stück mehr Lebensqualität muß genutzt werden.
Abgerundet wird diese Strategie durch direkte Maßnahmen zur Entlastung des Arbeitsmarkts. Die Bundesregierung hilft in diesem Jahr 70 000 Menschen im Wege der Arbeitsbeschaffung. Sie leistet damit einen ganz unmittelbaren Beitrag zu mehr Beschäftigung.Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Vor dem Hintergrund einer wieder aufwärts gerichteten Wirtschaftsentwicklung und einer nachhaltigen Verbesserung der wirtschaftspolitischen Rahmenbedingungen haben einige Gewerkschaften die Einführung der 35-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich zur zentralen Forderung ihrer Tarifpolitik gemacht. Andere Gewerkschaften innerhalb und außerhalb des DGB haben sich dieser Forderung mit Rücksicht auf den in Gang gekommenen wirt-
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Bundeskanzler Dr. Kohlschaftlichen Aufschwung und die Erfordernisse unseres Exports nicht angeschlossen.
In diesem Zusammenhang möchte ich zunächst erneut betonen: Wir alle wissen sehr genau, daß die deutschen Gewerkschaften, die Tarifpartner — Arbeitgeber und Arbeitnehmer — entscheidenden Anteil am Aufbau und am Erfolg unserer Volkswirtschaft nach dem Kriege haben. Wesentliche Grundlage dafür war die Tarifautonomie, die von Gewerkschaften und Arbeitgebern über viele Jahre hinweg mit großem Verantwortungsbewußtsein wahrgenommen worden ist. Der Vergleich der Streiktage und Streikstunden in den letzten 30 Jahren mit denen in unseren Nachbarländern — in Italien, in Frankreich, in Großbritannnien oder in Belgien, um nur wenige Beispiele zu nennen — zeigt, daß es in der Bundesrepublik möglich war, bei aller Härte der Auseinandersetzung auch bei Tarifkonflikten den Weg der Vernunft zu beschreiten.
Die Tarifautonomie ist ein unverzichtbarer Bestandteil der Sozialen Marktwirtschaft. Das gilt auch für die schwierigen Tarifauseinandersetzungen, die gegenwärtig geführt werden.Zwei Einzelgewerkschaften haben die Forderung nach Einführung der 35-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich zum Kernpunkt einer Tarifauseinandersetzung und eines Arbeitskampfes gemacht, dessen Folgen weite Teile der deutschen Volkswirtschaft in Mitleidenschaft ziehen.
Heute — nach mehreren Wochen der Tarifauseinandersetzung — müssen wir feststellen, daß dieser Konflikt die bisher von allen gemeinsam erarbeitete Grundlage für mehr Wachstum und Beschäftigung in den kommenden Jahren ernsthaft gefährdet.
Anders als ein Teil der Gewerkschaften hat es die Sozialdemokratische Partei für richtig gehalten, diese Forderung nach der 35-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich voll und ganz zu ihrer eigenen zu machen. Sie hat dieser Forderung die politische Rückendeckung gegeben, und sie steht damit auch in der vollen politischen Verantwortung für alle Folgen, die sich in diesen Tagen abzeichnen.
Meine Damen und Herren, wer im übrigen verfolgt hat, wie einseitig der jüngste SPD-Bundesparteitag dieser Forderung der beiden jetzt streikenden Einzelgewerkschaften applaudiert hat und wie unbekümmert die deutlichen und mutigen Hinweise der Vorsitzenden von DAG und IG Chemie, Hermann Brandt und Hermann Rappe, und anderer Gewerkschafter auf den unauflöslichen Zusammenhang zwischen Arbeitszeit und Lohnkosten überhört wurden, der muß sich fragen, meine Damen und Herren von der SPD, welche Strategie Siedamit verfolgen und welches Ihre wahren Motive sind.
Ich will hier vor dem Deutschen Bundestag mit allem Nachdruck feststellen, daß wir jeden Versuch, die Tarifauseinandersetzung zu einer politischen Machtfrage umzufunktionieren, entschieden zurückweisen.
Über politische Macht und politische Verantwortung in der Bundesrepublik Deutschland haben die Bürger in der freien Wahl am 6. März des vergangenen Jahres entschieden.
Und, meine Damen und Herren von der SPD, da Sie ja inzwischen so weit gekommen sind, daß ein Regierungswechsel für Sie Machtwechsel bedeutet — die Sprache ist verräterisch —, suchen Sie jede Gelegenheit, um Ihre Wahlniederlage wiedergutzumachen.
Worum es bei der Verkürzung der Wochenarbeitszeit tatsächlich geht, hat niemand besser und klarer als Oswald von Nell-Breuning ausgedrückt, einer der großen alten Männer der Gewerkschaftsbewegung in Deutschland,
den Sie ja bei jeder Gelegenheit gern zitieren. Ich bin sicher, Sie freuen sich auch über dieses Zitat. Nach seinen Worten kann das Angebot „selbstloser Solidarität" nur lauten — ich zitiere ihn wörtlich —:Wir, die wir das Glück haben, in Arbeit und Verdienst zu stehen,
treten von unseren 40 Wochenstunden fünf an euch ab und geben euch damit die Gelegenheit, euren Familien Unterhalt durch eigene Arbeit zu verdienen ... Hinfort übernehmt ihr die fünf Wochenstunden mit deren Lohn.Oswald von Nell-Breuning betont:Maßstab für den Lohn kann immer nur die wirtschaftliche Gesamtlage sein in ihrer ganzen Komplexität.
Und er fährt fort:
Aus einigen gewerkschaftlichen Äußerungen kann ein wohlmeinender Hörer heraushören, an verantwortlicher Stelle sei man sich dessen bewußt, und das hinausposaunte Schlagwort „voller Lohnausgleich" solle in diesem Sinne verstanden werden. Dann sollte man aber das
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 73. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 6. Juni 1984 5195
Bundeskanzler Dr. Kohllaute Kampfgeschrei unterlassen, das nur dazu angetan ist, bei den einen unbegründete Erwartungen, bei den anderen vielleicht nicht ganz ebenso unbegründete Besorgnis zu erwecken.So weit Oswald von Nell-Breuning.Genau dieses Auseinanderlaufen von Erwartung und Besorgnis, von Wunsch und Realität, dies ist es, was auch die große Mehrheit der Bürger und, ich bin sicher, auch die meisten Gewerkschaftsmitglieder beunruhigt.Niemandem, meine Damen und Herren, will es einleuchten, wie wir mit der wirtschaftlichen Herausforderung, vor der jetzt unser Land steht, fertig werden sollen, wenn wir nicht mehr, sondern statt dessen weniger arbeiten, und das noch bei gleichem Lohn.
Die große Mehrheit unserer Bürger sieht das genauso. Deshalb verstehen sie diesen Konflikt nicht. Statt dessen sind sie in Sorge um Wachstum und Beschäftigung und viele auch um ihren eigenen Arbeitsplatz.Die Bundesregierung in ihrer Verantwortung für das Gemeinwohl ist darüber hinaus besorgt um die Wettbewerbsfähigkeit unseres Landes auf den Weltmärkten.
Auf diese unverzichtbare Voraussetzung haben die führenden wirtschaftswissenschaftlichen Forschungsinstitute erst kürzlich mit großer Deutlichkeit erneut hingewiesen.Die Zahlen sprechen eine eindeutige Sprache. Die deutschen Lohn- und Arbeitskosten gehören zu den höchsten in der Welt. Weniger bekannt ist, daß gleichzeitig die Zahl der in der Bundesrepublik pro Jahr geleisteten Arbeitsstunden eine der niedrigsten ist. In Japan werden 2 101, in der Schweiz 2 044 und in den USA immerhin noch 1 904 Stunden gearbeitet. Bei uns sind es im Augenblick, vor weiteren Vereinbarungen, noch 1 773 Arbeitsstunden im Jahr.
Dabei ist die Exportabhängigkeit gerade dieser Länder erheblich geringer als die der Bundesrepublik Deutschland. Während wir rund ein Drittel der bei uns produzierten Waren und Dienstleistungen bei ausländischen Kunden absetzen müssen, sind es für die japanische Wirtschaft nur 17 % und für die Vereinigten Staaten nur ganze 12 %. Es kann sich doch jeder leicht vorstellen, welche Auswirkungen eine generelle Verkürzung der Wochenarbeitszeit bei vollem Lohnausgleich auch die Wettbewerbsposition vieler deutscher Unternehmen haben müßte.
Es ist ja auch kein Zufall, daß es in keinem mit uns vergleichbaren Industrieland eine ähnlichemassive Forderung nach Verkürzung der Wochenarbeitszeit in dieser Dimension gibt.
Gerade in Frankreich hat man auf diesem Gebiet nicht die allerbesten Erfahrungen gemacht.
Mit um so größerem Interesse verfolgen viele unserer Exportwettbewerber auf den Weltmärkten die Diskussion über die 35-Stunden-Woche bei uns. Ich zitiere hier gerne einmal einen Kommentar aus einem Land, das Ihnen wegen einer bestimmten politischen Grundausrichtung besonders sympathisch ist, nämlich aus Schweden. Dort heißt es wörtlich:Viele schwedische Unternehmen können durch den westdeutschen Arbeitskonflikt gewinnen, wenn die Streikenden ihre Forderungen ganz oder nur teilweise durchsetzen. Wenn die westdeutschen Arbeiter ihre Forderung nach der 35Stunden-Woche bei gleichbleibendem Lohn durchsetzen können, wird das vermutlich zur Folge haben, daß die Lohnkosten um zehn bis fünfzehn Prozent steigen. Die erhöhten Kosten— immer noch ein schwedischer Kommentar —in Westdeutschland führen in diesem Fall dazu, daß die schwedischen Unternehmen wieder konkurrenzfähiger werden, was wichtig ist, weil Westdeutschland in der Metallindustrie Schwedens größter Konkurrent ist ...Meine Damen und Herren, Sie brauchen doch diesen Kommentar nur zur Kenntnis zu nehmen, um die tatsächliche Situation zu begreifen.
— Aber, meine Damen und Herren, lassen Sie sie doch ruhig lärmen. Das ist der Beitrag, den sie in diesen Jahren geleistet haben.
Hier lärmen und sich draußen in den Versammlungen mit Kräften, die diese Republik zerstören wollen, zusammentun: Das ist der Beitrag zur Demokratie!
Ich habe in diesen Tagen in Hamburg die Punker und die Grünen in einer Gemeinsamkeit des Hasses gesehen, der für mich unvorstellbar war.
Bei uns in der Bundesrepublik geht es heute darum, daß wir Vereinbarungen schaffen, in denen nicht neue Strukturen auf Jahre hinaus fest zementiert werden, sondern mit denen die alten Strukturen aufgelockert werden und neue Flexibilität entsteht. Es muß doch möglich sein, eine Regelung zu treffen, die einem Handwerksbetrieb eine Arbeits-
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5196 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 73. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 6. Juni 1984
Bundeskanzler Dr. Kohlzeitgestaltung erlaubt, die sich von der eines kapitalintensiven Industrieunternehmens unterscheidet, dessen Produktion im Schichtbetrieb rund um die Uhr gefahren wird.
Bestimmte Formen der Arbeitszeitverkürzung — das ist doch ein Kernstück der jetzigen Debatte —, die für ein Großunternehmen vielleicht zu verkraften sind, können für ein mittelständisches Unternehmen der gleichen Branche die Katastrophe, das wirtschaftliche Ende und den Verlust aller Arbeitsplätze bedeuten.
Ich sage deshalb noch einmal mit aller Klarheit: Für uns ist Arbeitszeitverkürzung doch kein Tabu, auch nicht die Verkürzung der Wochenarbeitszeit.
Aber jetzt in dieser konkreten wirtschaftlichen Lage, in der es darum geht über zwei Millionen Arbeitslose von der Straße zu bekommen, muß doch eine Lösung der Solidarität gefunden werden,
die den Aufschwung — und damit die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit — unterstützt und nicht bremst oder zerstört.
Nur so — das heißt gemeinsam — können wir die vorhandenen Arbeitsplätze sichern und behalten wir die Chance für mehr Beschäftigung und zusätzliche Arbeitsplätze.Die Beendigung dieser Tarifauseinandersetzung ist eine elementare Aufgabe der beteiligten Tarifparteien, die ihnen auch niemand abnehmen kann. Sie müssen jetzt einen neuen, einen wichtigen Beweis jenes gesamtstaatlichen Verantwortungsbewußtseins erbringen, das in der Vergangenheit — ich sagte es schon rühmend — soviel zum wirtschaftlichen Erfolg unseres Landes beigetragen hat. Die Eskalation des Arbeitskampfes, sei es durch Streik, sei es durch Aussperrung, hilft niemandem. Jetzt ist es an der Zeit, für einen Abschluß der Tarifauseinandersetzung zu sorgen. Jetzt ist es an der Zeit, den Weg zu Gemeinsamkeit und zu Partnerschaft zu finden. Die Verlängerung des Arbeitskampfes schädigt unsere Volkswirtschaft insgesamt. Sie schadet den Arbeitnehmern, sie schadet natürlich auch den Arbeitgebern, aber die Zeche bezahlen vor allem die Arbeitslosen in der Bundesrepublik Deutschland.
Wie wichtig dies ist, zeigen die Folgen für die Gesamtwirtschaft. Ich will das an einem Beispiel darlegen. Kommt die Produktion in der Automobilindustrie und bei ihren Zulieferanten völlig zum Erliegen, so bedeutet das pro Woche knapp 1 Milliarde DM an Steuerausfällen und verlorenen Beitragszahlungen für die Sozialversicherung.
Es könnte zum Schluß die bittere Erfahrung übrigbleiben, daß niemand etwas gewonnen hat, daß wir alle aber viel, wahrscheinlich sogar sehr viel verloren haben.Ich appelliere daher eindringlich an beide Seiten, den Weg der Vernunft zu beschreiten und zum Kompromiß zu kommen. Hier geht es doch um viele Hunderttausende von Menschen, die zum Teil schon seit Wochen sehr erhebliche Einbußen in ihrem Einkommen erleiden. Bei immer mehr von ihnen wächst die Sorge um den Unterhalt ihrer Familien, um die Erfüllung ihrer laufenden Verpflichtungen, um die Grundlage ihrer materiellen Existenz.Bei der Beendigung dieses Tarifkonflikts darf es keinen Sieger und keinen Besiegten geben. Einer muß gewinnen: der Arbeitnehmer, der um die Sicherheit seines Arbeitsplatzes bangt, und derjenige, der noch draußen steht und der den Unterhalt für seine Familie endlich wieder mit eigener Kraft und Arbeit verdienen will.
Wir alle würden davon großen Nutzen haben. Die Einkommen würden wieder steigen, Investitionen und Nachfrage hätten eine sichere Perspektive, die Unternehmungen könnten mit tragfähigen Arbeitsbedingungen rechnen, Wachstum und Beschäftigung nähmen wieder zu. Damit können wir dem wichtigsten Ziel ein Stück näher kommen: die Arbeitslosigkeit Schritt für Schritt weiter abzubauen.Herr Präsident, meine Damen und Herren, so, wie wir Schutt und Trümmer im Nachkriegsdeutschland beseitigt haben, so können wir auch die Arbeitslosigkeit überwinden — nicht mit Klassenkampf, sondern mit der Zusammenarbeit der Sozialpartner.
— Ich finde es bemerkenswert, daß Sie dies als lächerlich empfinden; denn Sie haben als deutsche Sozialdemokratie doch einen wesentlichen Anteil an dieser Leistung.
Ich wäre an Ihrer Stelle stolz auf diese gemeinsame Leistung der Demokraten, statt daß Sie jetzt einem dummen Zeitgeist nachlaufen und das auch noch suspekt machen.
Wenn wir diesen Weg gehen, dann können wir unseren Platz als eine der führenden Industrienationen der Welt behaupten und festigen. Wir haben gute Aussichten, unsere technische Spitzenposition zu halten und damit auch in Zukunft ein gleichwertiger und gesuchter Partner für andere Länder zu bleiben.Ich weise darauf hin, daß dies nicht nur für uns selbst wichtig ist. Als mit Abstand größte Industrienation in Europa hängt es entscheidend von uns, der Bundesrepublik Deutschland, ab, welche Rolle die Länder der Europäischen Gemeinschaft in den
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Bundeskanzler Dr. Kohlletzten 15 Jahren dieses Jahrhunderts spielen werden. Ohne uns gibt es in Wahrheit in der Europäischen Gemeinschaft keinen dauerhaften wirtschaftlichen Aufschwung. Gibt es diesen Aufschwung nicht, dann fällt Europa im wirtschaftlichen Wettbewerb mit Japan und den Vereinigten Staaten noch weiter zurück, und es erscheint dann auf absehbare Zeit ausgeschlossen, den Anschluß an die führenden Industrieländer des Westens wiederherzustellen.Auch das, was wir uns von der politischen Einigung Europas und von dem erhoffen, was die Europäer in der Welt zu sagen haben, dürfte dann in den Geschichtsbüchern bestenfalls als eine der großen verpaßten Gelegenheiten nachzulesen sein.Meine Damen und Herren, wenn wir eine solche Entwicklung tatenlos hinnähmen, würden wir auch dem Auftrag gegenüber der kommenden Generation nicht gerecht. Wir setzen darauf, daß der wirtschaftliche Aufschwung in unserem Lande nicht nur bei uns selbst zu mehr Wachstum, Beschäftigung und Arbeitspätzen führt; wir glauben, daß dies auch ein wichtiger Impuls für Europa als Ganzes ist. Nur mit unseren Partnern in der Europäischen Gemeinschaft, gemeinsam mit ihnen, haben wir begründete Aussicht, der Stimme Europas in der Welt stärkeres Gehör zu verschaffen, und eine große Aussicht, die Probleme im Innern unseres Landes zu lösen. Nur so sind wir fähig, Zukunft zu gestalten. Diese Bundesregierung und die sie tragenden Fraktionen und Parteien haben diese Herausforderung angenommen, und wir werden sie bestehen.
Meine Damen und Herren, wird das Wort zur Begründung der vorliegenden Anträge gewünscht? — Das ist nicht der Fall.
Dann hat der Abgeordnete Dr. Vogel das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Bundeskanzler hat sich zu Beginn seiner Regierungserklärung zu Europa geäußert. Das Thema wird uns in dieser Woche noch ausführlich beschäftigen. Deshalb beschränke ich mich auf die Feststellung: Wir Sozialdemokraten haben schon vor 60 Jahren die Schaffung einer europäischen Wirtschaftseinheit und die Bildung der Vereinigten Staaten von Europa gefordert.
Wir haben an europäischem Engagement und an europäischen Bekenntnissen keinerlei Nachholbedarf.
Wir wollen, daß alle politischen Kräfte unseres Landes, daß das ganze Gewicht unserer Republik auf ein Ziel gerichtet wird, nämlich auf die Beendigung der Krise, auf die Überwindung der Rückschläge, auf neue Fortschritte zur europäischen Einigung.
Auch wir sehen in der Rede des französischen Staatspräsidenten François Mitterrand eine große Ermutigung auf diesem Wege.
Wir wollen allerdings, daß Europa endlich auch zum Europa der Arbeitnehmer wird.
Die Sorgen der Arbeitnehmer, die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit, die Sicherung und Fortentwicklung der Mitbestimmung und der sozialen Sicherungssysteme müssen endlich den gleichen Rang einnehmen wie die Sorgen anderer, zahlenmäßig viel kleinerer Gruppen in dieser Europäischen Gemeinschaft.
Es darf nicht so bleiben, daß die Arbeitnehmer die Milliarden aufbringen, die dann anderen in ungerechter Weise zufließen.
Ich rufe deshalb gerade von dieser Stelle die Arbeitnehmer auf, ihren Unmut, ihren Ärger über Europa, ihren Verdruß über die Überschußproduktion, über die wuchernde Bürokratie, über die Ministerräte, die ergebnislos die Probleme vor sich herschieben, nicht durch Stimmenthaltung zum Ausdruck zu bringen; ich rufe sie auf, zur Wahl zu gehen und mit dem Stimmzettel zu protestieren — zu protestieren für Europa und für ihre eigenen Interessen.
Herr Bundeskanzler, Sie haben sodann Ihre Darstellung unserer wirtschaftlichen Lage gegeben. Wir bestreiten gar nicht, daß eine ganze Reihe von Konjunkturdaten günstiger sind als vor einem Jahr. Wir begrüßen das. Wir sind keine Katastrophenphilosophen, während Sie das während Ihrer Oppositionszeit waren.
— Meine sehr verehrten Damen und Herren, der Herr Bundeskanzler spricht von „Lärmen", wenn zwei Zwischenrufe kommen. Wenn ich diesen Maßstab anlege, ist das, was Sie hier bieten, ein Toben. Aber ich mache mir die Maßstäbe des Kanzlers auch in dieser Frage nicht zu eigen.
Wir sagen nicht, daß alles immer schlechter werden müßte, damit die Chancen der Opposition steigen, wie Sie, meine Damen und Herren, es während Ihrer Oppositionszeit immer wieder erklärt haben.
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Dr. VogelIch lasse jetzt auch unerörtert, daß nach Ansicht der Experten die Konjunkturdaten auch schon vor Beginn des Arbeitskampfes wieder eine weniger günstige Entwicklung angezeigt haben. Darüber, daß eine ganze Reihe dieser Daten allein auf die Kursentwicklung des Dollar zurückzuführen ist, gibt es unter ernsthaften Diskussionsteilnehmern j a wohl überhaupt keinen Streit, auch wenn Sie, Herr Bundeskanzler, diesen Gesichtspunkt in Ihren langen Darlegungen verschwiegen und überhaupt nicht erwähnt haben.
Im übrigen, Herr Bundeskanzler, spricht es auch nicht für den Optimismus, den Sie unentwegt zur Schau tragen, daß Sie in geradezu penetranter Weise schon jetzt die deutschen Gewerkschaften zum Sündenbock für alles zu machen versuchen, was Ihren Ankündigungen und Versprechungen widerspricht.
Entscheidend, Herr Bundeskanzler, ist etwas anderes. Entscheidend ist, daß alle von Ihnen genannten Daten die Arbeitslosigkeit in unserem Lande ganz unberührt gelassen haben. Tatsache ist, daß die Arbeitslosigkeit leider seit Februar saisonbereinigt Monat für Monat wieder im Steigen ist, leider auch, wie wir seit gestern wissen, im gerade zu Ende gegangenen Monat. Entscheidend ist auch — dazu haben Sie kein Wort verloren —, daß ein Wachstum, mit dessen Hilfe allein die Arbeitslosigkeit überwunden werden könnte, gänzlich unrealistisch und eine Utopie ist.
Dazu haben Sie geschwiegen. Richtig zitiert haben Sie meine Äußerung, die Überwindung der Arbeitslosigkeit sei eine Aufgabe für die ganze Regierungsperiode. Ich bekenne mich zu dieser Aussage. Aber Sie werden mit der Politik, die Sie treiben, das Problem in dieser Regierungsperiode nicht bewältigen. Das ist der Unterschied!
— Ich danke den Lärmern. Es gibt doch immer wieder anschauliche Beispiele dafür, was Sie von den Erklärungen Ihres Bundeskanzlers halten, nur atemloses Schweigen sei gute Demokratie.
Wie die Arbeitslosenzahlen im nächsten und im übernächsten Jahr bei einer Politik aussehen werden, die vom Wachstum und von den sogenannten Selbstheilungskräften des Marktes alles Heil erwartet, die Gesellschaft und den Staat aber in eine passive Zuschauerrolle verweist, das bleibt weiß Gott abzuwarten — von der entsolidarisierenden Wirkung dieser Politik, die unser Volk immer tiefer in eine Mehrheit, der es möglicherweise nicht nur gut —, sondern bessergeht, und eine Minderheit,der es zunehmend schlechtergeht, teilt, ganz abgesehen.
Das ist ein gesellschaftliches Kernproblem.
Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren, auch der Zustand der Weltwirtschaft gibt unverändert Anlaß zu tiefer Sorge. Gewiß, auch die Konjunkturdaten der Vereinigten Staaten, Japans und einzelner europäischer Länder sind günstiger als vor einem Jahr, aber das ändert doch nichts an der Tatsache, daß die strukturelle Krise der Weltwirtschaft andauert und daß mehrere Faktoren sogar die Befürchtung rechtfertigen, diese Krise werde sich weiter verschärfen.Das sind die Fakten: Die Arbeitslosigkeit besteht nicht nur bei uns, sondern in ganz Europa fort; neuerdings hat sie sogar auch in anderen europäischen Ländern wieder steigende Tendenz. Auf dem Euromarkt sind in wenigen Jahren Kredite in Höhe von 2 Billionen US-Dollar, das sind 5 400 Milliarden DM — zum Vergleich: unser Sozialprodukt liegt bei 1 600 bis 1 700 Milliarden DM in einem Jahr —, aufgetürmt worden, die sich fast völlig von den Handelsströmen und vom Welthandel gelöst haben und die keinen effektiven Kontrollen unterliegen. Viele Entwicklungs- und Schwellenländer bewegen sich am Rande der Zahlungsunfähigkeit und müssen überdies einen kontinuierlichen Rückgang ihres pro Kopf berechneten Bruttosozialprodukts unter die Schwelle des Lebens- und Existenzminimums hinnehmen. Die alten Industriestrukturen befinden sich mitten in einem tiefgreifenden Umbruch. An zinsgünstigem Investitionskapital mangelt es sowohl in den Entwicklungsländern als zunehmend auch in den meisten Industrienationen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das ist die Realität. Sie werden in London überhaupt nur etwas bewegen können, wenn Sie sich über diese Realitäten bis ins Detail im klaren sind und das auch aussprechen.
Das gilt auch für die Ursachen der Krise und ihre Gewichtung. Nur wer die Ursachen und ihre Tragweite richtig einschätzt, kann zur Überwindung der Krise beitragen. Gewiß, es gibt nicht nur eine einzige Ursache; da spielt die Ölpreisentwicklung eine Rolle, da wirken sich die technologische Revolution und die fortschreitende Veränderung der weltweiten Arbeitsteilung aus, und da bekommen wir auch die Folgen eines um sich greifenden Protektionismus zu spüren.Sie haben unsere Unterstützung, wenn Sie dem entschieden entgegentreten.
Sie haben auch unsere Unterstützung — es klang an einigen Stellen in Ihrer Erklärung durch, obwohl es nicht sehr konkret war —, wenn Sie konkrete Vorschläge für eine Regelung der Verschuldungs-
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Dr. Vogelprobleme und für ein Hilfsprogramm für die Ärmsten unter den Entwicklungsländern unterbreiten und in London auf den Tisch legen.
Sie haben auch unsere Unterstützung, wenn Sie eine Perspektive für die Erneuerung des Weltwährungssystems entwickeln. Aber das alles ist nicht der Kern der Sache, ist nicht die zentrale Ursache für die Schwierigkeiten, in denen sich die Weltwirtschaft befindet. Ich sage: Die wesentliche Ursache ist die Verschwendung des Reichtums der Völker für militärische Zwecke und für Rüstungen.
Der sich beschleunigende Rüstungswettlauf ist deshalb auch ein Verbrechen an der Wohlfahrt der Menschheit. Eine Weltordnung, die es zuläßt, daß im gleichen Jahr, in dem Millionen und aber Millionen ohne Arbeit sind, in dem 790 Millionen Menschen in absoluter Armut leben und 300 Millionen Kinder an den Folgen von Unterernährung leiden, daß im gleichen Jahr, in dem täglich 40 000 Kinder verhungern, mehr als 750 Milliarden Dollar oder über 2 Billionen DM für Rüstungszwecke ausgegeben werden, eine solche Weltordnung ist schlechterdings aus den Fugen.
Es ist Ihre Pflicht, Herr Bundeskanzler,
diese Zusammenhänge auf dem Weltwirtschaftsgipfel anzusprechen, und es ist ebenso Ihre Pflicht, unsere amerikanischen Freunde darauf hinzuweisen, daß ihre Defizitpolitik, die ja mit dem Rüstungswettlauf zusammenhängt, der Dritten Welt und den übrigen Industrieländern dringend benötigtes Investitionskapital entzieht und das verbleibende Kapital durch die exorbitanten Realzinsen in unerträglicher Weise verteuert. Da hilft kein Leisetreten, da hilft nur eine freundschaftliche, aber offene Sprache;
eine Sprache, die erkennen läßt: Wir sind auch auf dem wirtschaftlichen Gebiet die Verbündeten und nicht die Vasallen der Vereinigten Staaten von Amerika.
Es ist gut, daß Sie selbst heute solche Absichten angekündigt haben. Noch besser wäre es gewesen, Sie hätten schon vor einem Jahr in Williamsburg in dieser Frage Klartext geredet.
Herr Bundeskanzler, auf dem letzten Weltwirtschaftsgipfel haben Sie auch Sicherheitsfragen erörtert. Damals vor einem Jahr wurde eine historische Chance versäumt, die Chance, einen Kompromiß voranzubringen, der die drastische Reduzierung der Zahl der sowjetischen Mittelstreckenraketen, den Stationierungsverzicht auf unserer Seite und den vertraglichen Ausschluß aller neuen Mittelstreckenstationierungen zum Gegenstand gehabt hätte. Inzwischen hat sich der Stationierungswettlauf auf beiden Seiten in dramatischer Weise beschleunigt. All Ihre Beschwichtigungen, die Stationierung werde den Dialog beleben, werde neue Abkommen erleichtern, haben sich als eitel erwiesen.
Das Gegenteil ist richtig: Die Spannungen zwischen den Weltmächten nehmen ständig zu, die Beziehungen der Weltmächte sind auf einem Tiefpunkt angelangt. In dieser besorgniserregenden Situation haben die Staatsoberhäupter und Regierungschefs von Indien, Mexiko, Schweden, Griechenland und Tansania die Weltmächte aufgefordert, die weiteren Stationierungen einzustellen und dem Wettrüsten ein Ende zu setzen.
Der Papst, der Weltkirchenrat, der Generalsekretär der Vereinten Nationen haben sich dieser Aufforderung schon in den ersten Tagen angeschlossen. Ich bitte Sie eindringlich: Lassen Sie nicht wieder eine Chance ungenutzt, machen Sie sich diesen Appell zu eigen, greifen Sie ihn in London auf! Der wahnwitzige Rüstungswettlauf ist keine Entwicklung, die man aussitzen kann. Er ist ein tödliches Verhängnis, an dessen Abwendung mitzuwirken unser aller Pflicht ist, insbesondere aber Ihre Pflicht als Bundeskanzler.
Der Tag, an dem sich das blutige Sterben an den Stränden der Normandie zum vierzigsten Male jährt, mahnt uns, mahnt Sie dazu mit besonderer Eindringlichkeit.Herr Präsident, meine Damen und Herren, in der Regierungserklärung ist der Arbeitskonflikt angesprochen worden. Dieser Konflikt dauert in der Druckindustrie bereits mehr als neun Wochen und in der Metallindustrie mehr als vier Wochen. Er ist inzwischen zu einem der bittersten sozialen Konflikte in der Geschichte unserer Bundesrepublik geworden —
das nicht deshalb, weil die Positionen der Gewerkschaften und der Arbeitgeber vor Beginn des Arbeitskampfes weit auseinanderklafften; das haben sie auch früher getan, und trotzdem hat man Kompromisse gefunden. Nein, die Bitterkeit, die Erbitterung haben Sie, Herr Bundeskanzler, in diesen Konflikt hineingetragen, weil Sie von der ersten Sekunde an einseitig Partei ergriffen haben,
weil Ihr Wirtschaftsminister die Gewerkschaftenimmer wieder geradezu mit Lust herausgefordertund provoziert hat und dabei zwischen Herrn
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Dr. VogelRappe und Herrn Mayr natürlich keinen Unterschied gemacht hat — beide, die gesamten Gewerkschaften waren die Adresse seiner Provokationen — und weil Sie beide die Arbeitgeber über lange Wochen bei jeder Gelegenheit zur Unnachgiebigkeit aufgefordert haben.
Sie sagen, das sei Ihre Pflicht als Bundeskanzler gewesen, weil ein Kompromiß den Aufschwung gefährde. Aber, Herr Bundeskanzler, das ist doch, um mit Ihren Worten zu reden, „absurd und töricht";
und ich füge hinzu, weil ich Kohl zitiere: Es ist auch dumm.
Das „Handelsblatt", auf das Sie sich doch sonst gern berufen, hat doch recht, wenn es letzte Woche in einem Leitartikel schrieb, für die diesjährige Tarifrunde stünde ein Verteilungsspielraum von über 4 % zur Verfügung; andere sprechen von über 5%. Warum, so fragt das „Handelsblatt" — und ich greife diese Frage auf —, sollten sich die Tarifparteien nicht darüber verständigen, diesen Verteilungsspielraum in dieser Runde eben in erster Linie für die Verkürzung der Arbeitszeit zu verwenden?
Warum ist da für einen deutlichen Schritt in Richtung 35-Stunden-Woche kein Raum? Warum ruiniert er die Wirtschaft?Es ist doch derselbe Oswald von Nell-Breuning, auf den Sie sich hier gerade berufen haben, der in diesem Rahmen die positive Beschäftigungswirkung der Arbeitszeitverkürzung ausdrücklich bejaht.
Warum bringen Sie dieses Zitat nicht?
Herr Bundeskanzler, es geht Ihnen gar nicht um die Wirtschaft, es geht Ihnen und einem engen Kreis Ihrer Freunde um ein Stück politischer Macht.
Sie stellen die Dinge geradezu auf den Kopf, wenn Sie uns die Politisierung dieser Auseinandersetzung vorwerfen.
Am Anfang stand Ihr Wort, die Forderung der Gewerkschaften sei dumm, absurd und töricht. Das war der Beginn der Politisierung.
Sie und der engere Kreis Ihrer Freunde — nicht all Ihre Freunde — wollen die Gewerkschaften schwächen, und zwar selbstverständlich alle Gewerkschaften, nicht nur diejenigen, die Sie hier namentlich nennen. Sie wollen den gesellschaftlichen Einfluß der Arbeitnehmerorganisationen auf den Stand der 50er Jahre zurückdrängen, wenn es möglich ist, auf den Stand der Jahre 1930 oder 1931. Ihre Minister Genscher und Lambsdorff sagen das inzwischen doch mit geradezu brutaler Deutlichkeit und Eindringlichkeit.
Weil dies Ihr Ziel ist, haben Sie Partei ergriffen, Herr Bundeskanzler.
Darum haben Sie der Verschärfung des Konflikts das Wort geredet. Darum haben Sie sich für Aussperrung ausgesprochen. Darum haben Sie es — ich vermute, nicht nur im nachhinein — begrüßt, daß die Bundesanstalt für Arbeit diesmal anders als 1971 denen Leistung verweigert, die außerhalb der im Arbeitskampf stehenden Tarifbezirke vorübergehend Arbeit und Lohn verloren haben. Darum sind Sie jetzt wegen Ihrer Parteilichkeit auch zur Vermittlung außerstande. Ja, selbst die begrüßenswerte Aufforderung an die Tarifparteien, sich zu verständigen, klingt auf diesem Hintergrund hohl und unglaubwürdig.
Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren, der Herr Bundeskanzler benützt hier jede Gelegenheit, in unbestimmter Richtung — meist in dieser Richtung — Belehrungen über demokratisches Verhalten vorzubringen.
Ich stelle den Zuhörern und Zuschauern anheim, zu beurteilen, ob es ein demokratisches Verhalten ist, wenn es in einer solchen Aussprache der Bundeskanzler ostentativ vermeidet, zuzuhören und sich mit diesen Gedanken auseinanderzusetzen.
Ich werfe die Frage auf, ob ein Bundeskanzler, wenn solche Fragen erörtert werden, außer dem bekannten Ausdruck „unerschütterliche Heiterkeit" vielleicht auch einmal Nachdenklichkeit und Betroffenheit erkennen läßt.
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 73. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 6. Juni 1984 5201
Dr. Vogel— Herr Kittelmann, Sie sind ein lustiger Lärmer — um die Sprache Ihres Kanzlers zu verwenden.Ihre Vorgänger, Herr Bundeskanzler, haben das anders gemacht. Die haben sich als Hüter und Bewahrer des sozialen Friedens verstanden. Konrad Adenauer, auf den Sie sich ebenso häufig wie unzutreffend berufen,
hat 1951 im Konflikt um die Montan-Mitbestimmung
einen Kompromiß angebahnt und mit Hilfe der Sozialdemokraten gegen einen Teil der Union durchgesetzt.
Ludwig Erhard, der weiß Gott ein offenes Ohr für die Interessen der Wirtschaft und für die Entwicklung der Volkswirtschaft hatte, hat 1963 als Bundeswirtschaftsminister wenige Wochen vor seiner Wahl zum Kanzler einen schweren Lohnkonflikt in der Metallindustrie geschlichtet, und auch Willy Brandt und Helmut Schmidt haben oftmals im stillen, aber auch öffentlich zur Verständigung und zur Beilegung der Konflikte beigetragen.
Herr Bundeskanzler, Sie sind der erste Bundeskanzler, der diese Linie verläßt, der Machtkalkulation höher stellt als die Wiederherstellung des sozialen Friedens, der einer Machtverschiebung in unserer Gesellschaft zuliebe sowohl eine Beschädigung des sozialen Friedens als auch wirtschaftliche Folgewirkungen in Kauf nimmt.
Ich sage Ihnen voraus: Diese Rechnung geht nicht auf. Wir stehen dabei als Sozialdemokraten selbstverständlich — das ist unser geschichtlicher Auftrag, und das ist der Sinn unseres politischen Engagements — auf der Seite derer, die sich als die Schwächeren in diesem von Ihnen angeführten Machtkampf zur Wehr setzen.
Kritik regt sich auch schon in Ihrem eigenen Lager, so z. B. — da sehe ich Herrn Blüm an — bei dem langjährigen Vorsitzenden Ihrer Sozialausschüsse,
bei einem Bundesarbeitsminister aus Ihren Reihen, der breiten Respekt genossen hat, bei Hans Katzer, der dieser Tage öffentlich geäußert hat, er hätte Ihnen von Ihrer Art der Einmischung in den Tarifkampf dringend abgeraten. Nichts anderes sage ich.
Weil Sie zur Vermittlung unfähig geworden sind, müssen sich andere darum bemühen, einen Kompromiß herbeizuführen, etwa Professor Kurt Biedenkopf, dem wir Sozialdemokraten bei seiner Aufgabe allen Erfolg und gute Fortschritte wünschen.
Er war wohl nicht mehr gut genug als Ihr Landesvorsitzender in Nordrhein-Westfalen; aber für diese Vermittlungsaufgabe ist er jedenfalls nach unserem Urteil gut.
Ich appelliere an alle Gutwilligen — —
— Ich freue mich über Ihre Heiterkeit, die Ihnen offenbar aus der augenblicklichen Verlegenheit hilft.
Die Tatsache, meine Damen und Herren, daß Sie an die Spitze Ihrer nordrhein-westfälischen Parteifreunde unter Abwahl von Herrn Biedenkopf Herrn Worms gesetzt haben, werden Sie auch mit Heiterkeit wohl nicht überspielen können. Das war die Aussage, und der stimmen Sie sicher zu.
Ich appelliere von dieser Stelle aus an alle Gutwilligen, den Graben zu überbrücken. Ich appelliere insbesondere an die Arbeitgeber, endlich die Tabuhaltung gegenüber einer Reduzierung unter die Zahl 40 aufzugeben.
Die Gewerkschaften, insbesondere die IG Metall und die IG Druck, haben schon längst deutlich gemacht, daß sie nicht auf einer Alles-oder-NichtsPosition beharren. Gegen die verantwortungsbewußte Haltung dieser Gewerkschaften geht das von Ihnen erwähnte Zitat ins Leere. Das trifft das Verhalten dieser Gewerkschaften nicht.
Jetzt ist es Sache der Arbeitgeber, sich zu bewegen, und Ihre Sache, Herr Bundeskanzler, wäre es, wenigstens jetzt noch das Maß an Zurückhaltung zu zeigen, das Sie besser vorn ersten Tag an in diesem Konflikt bewahrt hätten.
Auf einem anderen Gebiet hingegen sollten Sie Ihre Zurückhaltung aufgeben und endlich Klarheit
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5202 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 73. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 6. Juni 1984
Dr. Vogelschaffen. Das ist das Gebiet der sogenannten Steuerreform. Sie veranstalten hier seit Wochen — nein, seit Monaten — eine geradezu chaotische Diskussion, bei der in Ihrem Lager praktisch jeder gegen jeden steht: Herr Lambsdorff — im übrigen mit einem Sprachgebrauch, der in den Bereich der geistig-moralischen Erneuerung gehört — gegen Herrn Späth, Herr Späth ebenso deftig gegen Herrn Lambsdorff, Herr Barschel gegen Sie persönlich — mit der Folge, daß er dann durch den Pressesprecher eine harte Rüge erhält —, die Sozialausschüsse und die Familienpolitiker Ihrer Partei gegen den Wirtschaftsflügel Ihrer Partei. „Das quasseligste Steuerpalaver aller Zeiten" hat ein angesehener Kommentator diese Veranstaltung kürzlich zu Recht genannt, und Sie haben es heute fortgesetzt, Herr Kanzler.
Auch heute haben Sie keinerlei Klarheit geschaffen. Ich habe die einschlägige Stelle in Ihrer Regierungserklärung dreimal gelesen. Noch immer ist der Zeitpunkt des Wirksamwerdens und der Anfang der von Ihnen beabsichtigten Entlastung ebenso offen wie der Umfang dieser Entlastung. Noch immer bleibt völlig unklar, wem die Entlastungen eigentlich zugute kommen sollen.
Und auch heute schweigen Sie dazu, ob Sie zum Ausgleich die Verbrauchsteuern erhöhen wollen oder nicht. Hätten Sie wenigstens die Kraft gehabt, hier diese Möglichkeit auszuschließen und zu sagen: Es wird in diesem Zusammenhang keine Erhöhung der Mehrwertsteuer und der Verbrauchsteuer geben! Noch nicht einmal das können Sie.
Um das ganz deutlich zu machen: Wir sind ausschließlich für eine Entlastung der Schwächeren und eine sozial gerechte Verbesserung der Familieneinkommen zu haben. Allen Umverteilungsversuchen zugunsten der Hochverdienenden werden wir entschiedenen Widerstand in dieser Debatte entgegensetzen.
Außerdem, wenn Sie jetzt trotz „Erblast" und anderer semantischer Kampfworte soviel Geld übrig haben: Mit unserer Zustimmung hätten Sie dieses Geld auch zur Korrektur der krassen sozialen Ungerechtigkeiten vewenden können, die Sie in den beiden letzten Jahren ins Werk gesetzt haben, etwa zur vernünftigeren Wiedereinführung des Schüler-BAföG oder zur Rückgängigmachung der Kürzungen, die Sie den Behinderten zugemutet haben. Auch dafür hätte man das Geld verwenden können, mit unserer Zustimmung.
— Herr Lärmer, wenn Sie bitte etwas deutlicher sprechen würden! Die Lautstärke läßt die Deutlichkeit etwas in den Hintergrund treten.
— Das ist sehr liebenswürdig, aber wir hören ja, welche Milliardenbeträge Sie jetzt zur Verfügung haben. Ich mache Vorschläge, wo Sie mit unserer Zustimmung zur Behebung krasser sozialer Ungerechtigkeiten das Geld einsetzen können. Das ist das Thema.
Inzwischen ist es allerdings sehr fraglich geworden, ob Sie denn überhaupt noch eine solche finanzielle Dispositionsmasse besitzen, und zwar deshalb, weil Sie überfallartig — überfallartig ist ja neuerdings ein besonderes Kennzeichen der Initiativen, an denen Sie persönlich beteiligt sind, Herr Bundeskanzler —
Subventionen durchsetzen wollen, deren Vereinbarkeit mit dem EG-Recht höchst zweifelhaft ist und die nach dem, was wir in der kurzen Zeit erfahren konnten, weder gerecht noch sozial vertretbar noch tatsächlich an die Adresse derer gerichtet sind, die die Hilfe wirklich brauchen.
— Ich brauche Ihnen, Herr Kollege, keine Bauernpredigt zu halten. Das machen die Bauern selber. Bei jeder Gelegenheit halten Ihnen die Bauern eine Predigt.
Lesen Sie einmal eine Zeitung, die über jeden Verdacht erhaben ist. Lesen Sie einmal Berichte der „Passauer Neuen Presse" über die Bauernversammlung in Gebieten, wo Sie 70% haben. Dort kriegen Sie die Bauernpredigten. Die muß nicht ich Ihnen halten.
Jetzt ist auch Herr Waigel wach geworden. Guten Morgen, Herr Waigel, guten Morgen!
Ich begrüße ihn und freue mich, daß er seine schläfrige Haltung während der Rede des Bundeskanzlers jetzt durch Lebhaftigkeit ersetzt.
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 73. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 6. Juni 1984 5203
Dr. VogelIch rede von Ihrem Plan, die Vorsteuerpauschale für Landwirte zum 1. Juli 1984 um 5% zu erhöhen, nachdem Sie mit der Ihnen eigenen Überzeugungskraft im Mai noch eine Erhöhung um 3% zum 1. September für ausreichend und hinlänglich gehalten haben. Die Steuermindereinnahmen für Bund und Länder werden, wenn das durchgesetzt wird, schon 1984 rund 1,8 Milliarden DM betragen. Sie werden sich ab 1985 auf 3 bis 4 Milliarden DM jährlich erhöhen. Für die bis 1991 geplante Gesamtlaufzeit des Subventionsprogramms werden sich die Mindereinnahmen auf über 20 Milliarden DM belaufen. Übrigens erinnere ich mich an die Leichtigkeit, mit der Sie mich abgefertigt haben, als ich bei der Europadebatte sagte, es werden mindestens 32 Milliarden für alle Belastungen sein. Sie haben behauptet 18 Milliarden DM. Jetzt sehen Sie schon für diese eine Maßnahme 20 Milliarden DM vor.Das alles, Herr Bundeskanzler, wollen Sie mit Ihrer unbegrenzten Hochachtung vor dem deutschen Parlament bis Ende dieses Monats in noch verbleibenden drei oder vier Sitzungstagen durch dieses Parlament peitschen. Ist das eine solide Haushaltspolitik? Die Frage kann man nur verneinen.
Wir sind nicht gegen einen wirksamen Einkommensausgleich für die Familienbetriebe. Wir sind für einen Einkommensausgleich für die Landwirte kleiner und mittlerer Betriebe. Mit uns kann man auch über die direkte Einkommensübertragung reden, die tatsächlich Hilfe bedeutet und nicht wieder dazu führt, daß die Kleinen die Prozente und die Großen die D-Mark bekommen. Darüber kann man mit uns reden.
Aber wir sind gegen die Bevorzugung der Einkommensstarken und der Großagrarier. Aber gerade diesem Personenkreis — und das hören Sie ja von den Bauern selber — wollen Sie im Schnellverfahren hohe Millionenbeträge zur Verfügung stellen.
Ich würde hier gerne einmal sehen, was bei Ihnen los wäre, wenn wir in einem solchen Schnellverfahren für die Behinderten, für die Arbeitslosen, für die Kranken und Rentner solche Beträge durch das Parlament peitschen wollten. Was da von Herrn Stoltenberg und anderen an Krokodilstränen über Haushaltsstabilität geweint würde!
Natürlich fehlen diese Beträge auch für eine vernünftige Steuerreform.Herr Bundeskanzler, Sie reisen mit schweren Hypotheken nach London. Was uns sonst Gewicht gab, die soziale Stabilität, ist erschüttert. Die Arbeitslosigkeit steigt, Ihre Finanz- und Haushaltspolitik ist — um das mindeste zu sagen — widersprüchlich.
Unser Einfluß im Bündnis — dieser merkwürdige Briefwechsel zwischen Herrn Genscher und Herrn Shultz beweist das — ist gemindert. Ihre Koalition ist angeschlagen.
Sie werden von zwei Ministern begleitet, die den Zustand der Koalition in besonderer Weise verdeutlichen: Minister unter Anklage der eine, Parteivorsitzender auf Abruf — und damit natürlich auch Minister auf Abruf — der andere.
Sie selbst erheben gegen die Partei und die Fraktion, die diese Herren repräsentieren, öffentlich den Vorwurf des Umfallens, sprechen in Richtung Ihres Koalitionspartners schon im zweiten Jahr Ihrer Regierung von Umfallerpartei.
Sie lassen bereits öffentlich darüber nachdenken, welche neuen Konstellationen und neuen Minister Ihnen möglicherweise zur Verfügung stehen.
Das sind alarmierende Schwächezeichen einer Koalition, die noch nicht einmal das zweite Jahr der Legislaturperiode hinter sich gebracht hat.
Herr Bundeskanzler, das läßt wenig Hoffnung, daß Sie mit einer solchen Delegation in London die deutschen Interessen mit Festigkeit und Überzeugungskraft vertreten, daß Sie etwas durchsetzen können.
Doch auch in dieser von Ihnen selbst geschaffenen Lage bleibt es Ihre Pflicht, zu tun, was in Ihren Kräften steht. Wir werden Sie nicht an Ihren heutigen Worten und Absichtserklärungen, wir werden Sie nach dem Gipfel an Ihren Taten und an dem messen, was Sie tatsächlich erreicht haben. Wir hoffen und wünschen im Interesse unseres Volkes, daß Sie aus London nicht mit ebenso leeren Händen zurückkommen, wie Sie vor einem Jahr aus Williamsburg zurückgekehrt sind.
Das Wort hat der Abgeordnete Wissmann.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Dr. Vogel hat am Anfang seiner Rede gesagt, er sei kein Katastrophenphilosoph.
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5204 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 73. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 6. Juni 1984
Wissmann Wir haben zu keinem Zeitpunkt wegen des zweiten Teils dieses Wortes behauptet, er sei ein solcher. Aber nach dieser Rede, Herr Kollege Dr. Vogel, in der Sie nichts Wesentliches zum Thema dieses Morgens gesagt haben, muß ich sagen: Sie haben eine katastrophale Rede gehalten,
keine Rede, die etwas zur Sache brachte, sondern es war eine Rede, die sich in Polemik verloren hat.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Kollege Dr. Vogel hat hier unter anderem zum Streik Stellung genommen.
Er hat dem Bundeskanzler vorgeworfen, er habe einseitig Stellung bezogen.Meine Damen und Herren, in Wirklichkeit war es doch so, daß der Bundeskanzler und die Bundesregierung eine Position bezogen haben, die auf der Seite jener 80 % der Arbeitnehmer, die sich aus letzten Umfragen ergeben haben, steht, die sagen: Wir ziehen die Verkürzung der Lebensarbeitszeit einer generellen Verkürzung der Wochenarbeitszeit vor. Es war keine einseitige Stellungnahme, sondern eine Stellungnahme, die sehr nahe bei dem liegt, was auch die IG Chemie vertreten hat, während Sie, Herr Vogel, an der Spitze derer stehen — Ihr Entschließungsantrag von heute zeigt es ja —, die sich bedingungslos mit den Ideologen in der Gewerkschaftsbewegung solidarisiert haben. Ich meine, es ist hier am Platze, das zu kritisieren.
Auch heute wieder kein Wort zu den Äußerungen von Herrn Ferlemann.
Herr Kollege Dr. Vogel, wo bleibt ein klärendes Wort von Ihnen zu der Rede von Herrn Ferlemann, indirekte Zensur meinend, bei Ihrem Parteitag?
Wo bleibt, Herr Kollege Vogel, ein Wort von Ihnen zu den Auswüchsen des Streiks?
Wo bleibt ein Wort beispielsweise zu den Vorgängen um das Stuttgarter Verlagshaus oder in den letzten Tagen bei der Adam Opel AG, wo arbeitswillige Angestellte und Arbeiter gezwungen wurden, unter einer Gasse durchzukriechen, wo sie bespuckt und gedemütigt wurden?Wer sich hier nicht mit einem klaren distanzierenden Wort äußert, der solidarisiert sich mit denschlimmsten Ideologen, und das müssen wir Ihnen leider vorwerfen, Herr Kollege Vogel.
Ich habe den Eindruck, daß die Sozialdemokraten unter Ihrer Führung auf jenem Weg sind, der sich in Hessen bereits konkret manifestiert in der Zusammenarbeit zwischen SPD und GRÜNEN.
Es bedarf hier keiner eigenen Zitate aus den Reihen der Union, sondern nur dessen, was der hessische Finanz- und Wirtschaftsminister Reitz am Anfang dieser Woche in einem Interview erklärt hat. Er sagte — ich zitiere wörtlich —:Früher war Hessen in Sachen Wirtschaft eine erste Adresse. Heute ist dies wegen der wirren Vorstellungen der Grünen nicht mehr so.Er fuhr fort:Mir läuft es eiskalt den Rücken runter, wenn ich daran denke, wie die Grünen unsere Wirtschaftskraft beschneiden.Er sagte dann:Ich sehe die Gefahr permanenter Erpressung der SPD durch ihren neuen Bündnispartner.Daß Herr Fischer hier beifällig nickt, kann ich gut verstehen. Nur, es wäre gut, wenn Herr Vogel dazu ein klares Wort sagen würde. Dann hätten wir eine klare Position der Sozialdemokraten im Deutschen Bundestag.
Weiter hat Herr Vogel gesagt, in Sachen Europa sei die SPD durch niemanden zu übertreffen. Ich erinnere in diesem Zusammenhang an zwei Dinge, die Ihr Wort sehr in Zweifel ziehen.
Die SPD-Spitzenkandidatin der Europawahl, Frau Focke, hat sich im Europäischen Parlament geweigert, dem Vertragsentwurf zuzustimmen, der das Ziel hat, Europa aus seiner gegenwärtigen Lethargie herauszuführen und hin zu einer politischen Union zu führen.
Genauso läuft Ihr Wahlkampf ab. Überschrift: „Laßt die Wende wackeln". Kein klares Konzept zu Europa! Nein, Sie sind nicht die Europapartei, von der Sie hier gesprochen haben.
Sie betreiben das Gegenteil dessen, was Sie hier gesagt haben.
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 73. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 6. Juni 1984 5205
WissmannDie SPD hat mit der Rede des Kollegen Vogel die Chance versäumt, die die Debatte heute morgen geboten hat.
Das erste Mal hat der Bundeskanzler die Position der Bundesregierung vor dem Beginn eines Weltwirtschaftsgipfels dem Deutschen Bundestag mitgeteilt. Wir begrüßen diesen neuen Stil der Bundesregierung, vor einer wichtigen Konferenz dem Parlament eine Chance zu geben, mit Anregungen der Bundesregierung zusätzliche Überlegungen aus dem Parlament auf den Weg zu geben.
Nur hätten wir gewünscht, daß Sie die Chance nutzen und nicht ausschließlich zu anderen Themen Stellung nehmen.
Der Weltwirtschaftsgipfel bringt in der Tat schwerwiegende Probleme auf die Tagesordnung, die eigentlich unser gemeinsames Interesse verdienen. Ein zentrales Thema dieses Gipfels ist das Zahlungsproblem der hochverschuldeten Schwellen- und Entwicklungsländer. Zwar konnte das Leistungsbilanzdefizit der Entwicklungsländer von 107,5 Milliarden US-Dollar in 1981 auf 66,7 Milliarden US-Dollar in 1983 gesenkt werden. Die Gesamtverschuldung der Entwicklungsländer hat jedoch 1983 den bedenklichen Stand von 810 Milliarden US-Dollar erreicht. Die drei größten Schuldner sind Brasilien, Mexiko und Argentinien. Allein auf die 20 am meisten verschuldeten Länder entfallen Schulden von beinahe 500 Milliarden Dollar, und ihre Schuldendienstverpflichtungen liegen derzeit bei 92 Milliarden Dollar.
Bei mehr als 35 Ländern waren bisher Umschuldungsmaßnahmen der verschiedensten Art notwendig. Wie prekär die Lage ist, zeigt sich auch daran, daß am vorigen Wochenende Bolivien einseitig ankündigte, keine Zinsen mehr zahlen zu können.
Der Bundeskanzler hat heute morgen mit Recht neben anderen Gründen das hohe Zinsniveau in den USA genannt,
das seinerseits auf das hohe Defizit im US-Bundeshaushalt und auf den spürbaren Konjunkturaufschwung zurückzuführen ist.
Ich mache hier namens der CDU/CSU-Bundestagsfraktion deutlich, daß die Bundestagsfraktion der CDU/CSU die Forderung der Bundesregierung auch beim Weltwirtschaftsgipfel nach einer Sen-kung des amerikanischen Haushaltsdefizits mit Nachdruck unterstützt.Ich frage mich nur, weswegen Sie von der SPD dieses Haushaltsdefizit mit Recht kritisieren, gleichzeitig aber zu einer ähnlichen Ausgabendisziplin im deutschen Haushalt nicht bereit waren und auch heute nicht bereit sind. Denn damit sind Sie in Ihrer Strategie ja doppelzüngig.
Wir sind dagegen
nach wie vor der Ansicht, daß eine solide Haushaltspolitik nicht nur die Schuldenprobleme der Schwellen- und Entwicklungsländer lindern hilft, sondern auch für ein dauerhaftes Wachstum der Weltwirtschaft unerläßlich ist.
Herr Abgeordneter Wissmann, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Matthöfer?
Nein, ich möchte gerne im Zusammenhang reden.
Meine Damen und Herren, ich glaube, daß es in der Debatte heute morgen zum Weltwirtschaftsgipfel
richtig wäre, wenn wir auch von den Kollegen aus den anderen Fraktionen zu den Themen des Weltwirtschaftsgipfels klare Aussagen hören würden. Denn wir wissen doch alle, daß in der Weltschuldenproblematik eine tickende Zeitbombe steckt, die wir nur durch eine Politik aller Industrienationen zusammen mit Schwellen- und Entwicklungsländern, die auf eine langfristige Konsolidierung setzt, entschärfen können.Die Bundesregierung hat hier eine klare Aussage gemacht: Sie setzt darauf, die kurzfristigen Schulden in langfristige umzuwandeln, um somit den Banken die Möglichkeit zu geben, die Zinsen zu senken. Sie setzt darauf, von Einzelfall zu Einzelfall vorzugehen und pauschale Schuldenmoratorien zu vermeiden. Denn, meine Damen und Herren, würde eine pauschale Moratoriumsregelung für die Entwicklungs- oder Schwellenländer durchgeführt, wäre die Gefahr groß, daß die Bereitschaft zur Anpassung, zur Stabilisierung der inneren wirtschaftlichen Verhältnisse in den betroffenen Ländern nachließe
und daß am Ende die Schuldenpyramide nicht mehr konsolidiert werden könnte.
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5206 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 73. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 6. Juni 1984
WissmannMit Recht hat der Präsident der Schweizerischen Nationalbank, Fritz Leutwiler, auch auf die Verantwortung der Banken und ihrer Aktionäre hingewiesen. Er hat darauf hingewiesen, daß alles Notwendige getan werden muß, um eine entsprechende Risikovorsorge zu treffen. Die deutschen Großbanken haben ja bereits Vorsorge getroffen. Leider haben die amerikanischen Banken diesen Weg bis jetzt nicht eingeschlagen.Dieses wichtige Thema, das vielleicht nicht in Ihre Wahlkampfstrategie paßt, das aber, meine ich, ein entscheidendes Thema für Milliarden Menschen auf dieser Erde ist, bedarf einer ernsthafteren Auseinandersetzung. Deswegen bedaure ich die Rede des Kollegen Vogel: Außer Polemik nichts gewesen! Kein Beitrag zur Sache! Das ist das Resümee Ihrer Rede.
Meine Damen und Herren, wir wollen auch deutlich machen, daß die Strategie von Anpassung und Finanzierung im internationalen Schuldenmanagement nur Erfolg haben kann, wenn sich die weltwirtschaftlichen Rahmenbedingungen entsprechend entwickeln. Ein möglichst inflationsfreies Wachstum, ein Rückgang der Zinsen, stabile 01-preise und eine Konsolidierung des Wechselkurses des Dollars sind wichtige Elemente, die die Überwindung der Verschuldungsprobleme außerordentlich erleichtern können. Aber ich füge hinzu — das betrifft uns ganz unmittelbar —: Es wird nur gelingen, dieses ganze Problem in vernünftige Bahnen zu lenken, und die Entwicklungsländer werden ihre Schulden nur bezahlen können, wenn die Industrieländer bereit sind, ihre Märkte stärker als bisher für Halb- und Fertigwaren aus den Ländern der Dritten und Vierten Welt zu öffnen. Nur wenn die Entwicklungsländer die entsprechenden Exporterlöse haben werden, werden sie auch in der Lage sein, schrittweise nicht nur Zinsen zu bezahlen, sondern Schulden zurückzubezahlen. Auch deswegen — nicht nur in unserem eigenen Interesse — ist der Kampf gegen die Behinderung des freien Welthandels, gegen den Protektionismus eine entscheidende Aufgabe, die weit über unsere nationalen Grenzen hinaus reicht. Die Bundesregierung hat diesen Kampf immer auf ihre Fahne geschrieben, und sie wird in diesem Sinne beim Weltwirtschaftsgipfel tätig werden.Meine Damen und Herren, es gibt ja Anlaß zu Klagen und Kritik auch gegenüber unseren wichtigsten Handelspartnern. In den USA gibt es derzeit allein fast 100 protektionistische Gesetzesinitiatiyen, die dem amerikanischen Kongreß vorliegen. Darunter ist eine zur Besteuerung von Pkw, die, würde sie Gesetz, den deutschen Automobilexport in die USA dramatisch erschweren und weitreichende Verzerrungen im internationalen Automobilhandel bewirken würde,
oder die protektionistische Haltung im Stahlhandel oder der nicht akzeptable geplante Einbau von Import- und Exportsanktionen in das neue amerikanische Ausfuhrgesetz.Daß hier die Bundesregierung immer eine klare Haltung vertreten hat und daß sie das auch in Zukunft tun wird, sollte für uns gemeinsam als Parlament eine Grundlage sein, um zu sagen: Wir erwarten hier ein Veto des amerikanischen Präsidenten gegen solche Behinderungen des freien Welthandels; denn nur dann, wenn der Welthandel frei bleibt, wenn Japaner und Amerikaner ein Beispiel setzen und wir auf unserem Weg voranschreiten können, werden wir uns als eine der größten Handels- und Exportnationen der Erde behaupten können und werden Millionen Arbeitsplätze, die vom Export abhängen, in Deutschland und anderswo gesichert werden.
Meine Damen und Herren, wir haben den Blick nicht nur auf Amerikaner und Japaner zu richten, sondern auch auf das Thema Protektionismus innerhalb der Europäischen Gemeinschaft.
Nach Berechnungen des Europäischen Parlamentes werden durch tarifäre und nichttarifäre Handelshemmnisse Kosten von zusätzlich 30 Milliarden DM pro Jahr, die die Wirtschaft und damit alle Beteiligten — auch die Arbeitnehmer — belasten, hervorgerufen. Allein die Kosten der Wartezeiten der Lastkraftwagen an den Grenzen werden auf ca. 2 Milliarden DM pro Jahr beziffert.
Rund 400 Fälle von Verstößen gegen Art. 30 EG-Vertrag, der die wirtschaftliche Freizügigkeit zum Inhalt hat, sind zur Zeit in Bearbeitung. Deswegen meinen wir, daß es gut ist, daß die Bundesregierung nicht wie frühere Bundesregierungen dazu nur allgemeine Erklärungen abgibt, sondern daß sie zum Thema Grenzkontrollen bereit ist, mit konkreten Schritten voranzugehen. Wir begrüßen die Aussagen des französischen Staatspräsidenten und des Bundeskanzlers beim letzten Zusammentreffen zum Abbau und zur Abschaffung der Personengrenzkontrollen zwischen Deutschland und Frankreich und meinen, daß wir auch in anderen Bereichen Liberalisierungsfortschritte haben müssen, im Interesse des freien Handels und im Interesse des Zusammenwachsens Europas.
Meine Damen und Herren, die Bundestagsfraktion der CDU/CSU hat eine Große Anfrage zum Protektionismus im Bundestag eingebracht.
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 73. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 6. Juni 1984 5207
WissmannWir haben dabei viele ganz konkrete Punkte zur Überwindung von Handelsschranken innerhalb und außerhalb Europas angesprochen.
Ich wäre froh, wenn gerade die SPD, die im Grunde genommen zum Thema freier Welthandel immer nur Reden hält, diese Anregungen und Ideen zum Abbau von Wettbewerbsbeschränkungen in Europa und außerhalb Europas praktisch unterstützen würde. Wir hätten dann eine gemeinsame Initiative der großen Fraktionen dieses Hauses im Interesse der betroffenen Arbeitnehmer.
Meine Damen und Herren, wir haben von Herrn Vogel gehört, daß er die Wirtschaftslage schlechter einschätzt als die wichtigsten Konjunkturforscher.
Gerade heute hat sich das Rheinisch-Westfälische Institut für Konjunkturforschung und vor wenigen Tagen hat sich das Münchner Ifo-Institut für Wirtschaftsforschung über die vermutliche weitere Entwicklung der Konjunktur geäußert. Dabei sagt Ifo — ich zitiere wörtlich —:Aus heutiger Sicht erscheint im Verlauf des zweiten Halbjahres eine erneute Verstärkung der konjunkturellen Auftriebskräfte durchaus möglich, ja wahrscheinlich.
Meine Damen und Herren, die einzige Gefahr für den Aufschwung, den der Bundeskanzler hier in Zahlen beschrieben hat, besteht nicht in der inneren Dynamik unserer Volkswirtschaft, in der Leistungsbereitschaft von Arbeitnehmern und Unternehmern, sondern die eigentliche Gefahr besteht in jenen Ideologen,
die Gewerkschaften in Streikauseinandersetzungen hetzen wollen, statt den Aufschwung weiter zu sichern durch einen Kompromiß in der Tarifauseinandersetzung.
Meine Damen und Herren, das, was wir an Ihnen, an der Mehrheit der SPD, mit Recht, meine ich, kritisieren müssen, ist, daß Sie sich bedingungslos in dieser Auseinandersetzung zur Streikpartei gemacht haben.
Die SPD, die in ihren eigenen Reihen Mitglieder wie Hermann Rappe, den Vorsitzenden der IG Chemie, hat, der mit uns den Gedanken der Lebensarbeitszeitverkürzung dem Gedanken der generellen Wochenarbeitszeitverkürzung vorzieht,
ist inzwischen so weit gekommen, daß sie bei ihrem Bundesparteitag einen Beschluß gefaßt hat, in dem sie zu Werktoraktionen auffordert,
um die Streikposten zu unterstützen. Kein Versuch der Mäßigung mehr, nein, ein Versuch, in einer Auseinandersetzung bedingungslos Partei zu ergreifen. Und deswegen sage ich hier noch einmal: Herr Vogel, wenn Sie auf diesen Vorwurf entgegnen wollen, dann kommen Sie doch hier hoch und nehmen Sie endlich einmal zu den Äußerungen von Herrn Ferlemann Stellung.
Sie haben eine Stellungnahme' zu diesen schlimmen Aussagen und zu dem Beifall des SPD-Parteitages bisher verweigert.
Wir, die CDU/CSU-Bundestagsfraktion, werden den Weg der Bundesregierung nicht nur bei der Konsolidierung des Weltschuldenproblems, beim Kampf gegen den Protektionismus, sondern auch bei der weiteren Durchführung unserer nationalen Wirtschaftspolitik unterstützen. Wir begrüßen die Initiativen, die die Bundesregierung zur Entbürokratisierung ergriffen hat. Wir begrüßen die Absicht der Bundesregierung, beispielsweise durch eine grundlegende Vereinfachung des Baurechts und des Baugenehmigungsrechts, durch eine grundlegende Vereinfachung des Gewerberechts ermutigende Zeichen gerade für die mittelständische Wirtschaft zu setzen. Meine Damen und Herren von der SPD, wir würden es begrüßen, wenn Sie nicht nur gelegentlich bei Veranstaltungen irgendwo in der Bundesrepublik generell zur Entbürokratisierung Stellung nähmen, sondern wenn Sie auch in Ihren praktischen Wirtschaftsprogrammen Ernst machten mit einer Politik, die auf mehr Markt und weniger Staat setzt. Leider ist das nicht die Politik, die sich aus Ihren Wirtschaftsprogrammen ergibt.Die SPD hat vor wenigen Tagen bei ihrem Parteitag ein wirtschaftspolitisches Programm diskutiert und verabschiedet, das auf mehr Staat und neue Belastungen für die Bürger setzt. Neue Infrastrukturinvestitionen, Aufstockung von staatlichen Dienstleistungen, direkte Forschungsförderung, neue staatliche Konjunkturprogramme — das ist der Mittelpunkt Ihrer Konzeption. In Ihrem Europaprogramm sagen Sie beispielsweise — was sich gut anhört —: Ein Prozent des Bruttosozialprodukts — ein Prozent — sollte zur Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit eingesetzt werden. Diese sicherlich gut gemeinte Forderung bedeutet, auf die Bundesrepublik bezogen, daß die deutschen Steuerzahler mit ca. 2,5 % mehr Mehrwertsteuer belastet werden müßten; denn nur vom Steuerzahler kann doch die Finanzierung solcher Programme ermöglicht werden. Das heißt — und auch dazu hätten wir von Herrn Vogel gern etwas gehört —: Die SPD hat aus den Fehlern der Vergangenheit, die zu der wirtschaftlichen Krise geführt haben, nichts gelernt. Im
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5208 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 73. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 6. Juni 1984
WissmannGegenteil, mehr noch als Helmut Schmidt setzt sie auf mehr Staat, mehr Staatseingriffe, mehr Bürokratie.
Und meine Damen und Herren, wer auf mehr Bürokratie setzt, der belastet am Ende den kleinen Mann mit Steuern und Sozialabgaben und würgt damit jeden Aufschwung ab.
Deshalb, meine Damen und Herren, können wir Ihren Vorstellungen nicht folgen. Die Rede von Herrn Vogel, das Essener Programm der SPD, das Europaprogramm, alles, was Sie zur Wirtschaftspolitik beitragen, deutet auf eines hin: Sie brauchen noch lange, lange Zeit in der Opposition, um eine vernünftige, arbeitnehmerorientierte Wirtschaftspolitik zu entwickeln.Und haben Sie keine Sorge: Diese Zeit in der Opposition werden wir den Sozialdemokraten auch in Zukunft lassen.
Meine Damen und Herren, wir haben die große Freude, den Präsidenten des Finnischen Reichstages mit einer Delegation hier im Deutschen Bundestag willkommen zu heißen. Ich begrüße Herrn Präsidenten Pystynen und die Kollegen aus Helsinki. Ich heiße Sie herzlich im Deutschen Bundestag willkommen!
Wir sehen in Ihrem Besuch nicht nur einen Ausdruck unserer guten Beziehungen, sondern auch ein Zeichen der Freundschaft unserer Völker.
Wir wünschen Ihnen einen guten Aufenthalt. Ich freue mich auf die Fortsetzung unserer Gespräche. — Vielen herzlichen Dank.
Meine Damen und Herren, wir fahren in der Aussprache fort. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Stratmann.
Liebe Bürgerinnen und Bürger!
Der Bundeskanzler hat die Gelegenheit des Weltwirtschaftsgipfels in London zu einer Regierungserklärung genutzt, und er hat sich eigentlich so verhalten, wie nach Meinung mancher Kritiker zu erwarten war: Er hat sich zu den tatsächlichen Problemen der Weltwirtschaft ausgeschwiegen, und man kann erwarten, daß er wieder einmal eine dramatisch sich zuspitzende Krise aussitzen will.
— Was er getan hat, Herr Kittelmann, war im Gegenteil, die fanatische Exportorientierung der Bundesregierung und der Bundesrepublik sowie dieWeltmarktfixierung als innenpolitisches Disziplinierungsinstrument in dem augenblicklichen Tarifkonflikt um die 35-Stunden-Woche zu benutzen. Obwohl er das zwar nicht so deutlich wie Parteikollegen vorher und Genscher auf dem letzten Parteitag gesagt hat, war doch zwischen den Zeilen aus seiner Argumentationskette deutlich herauszulesen, daß der Streik der Gewerkschaften angeblich den Aufschwung bzw. den angeblichen Aufschwung gefährde und damit auch die Exportfähigkeit der Bundesrepublik in Frage stelle.
Dagegen ist mehreres einzuwenden. Erstens. Herr Bundeskanzler, alle konjunkturellen Daten weisen seit März dieses Jahres — worauf Sie überhaupt nicht eingegangen sind — darauf hin, daß wir schon seit März — im Vergleich zu den relativ günstigen Monaten Januar und Februar — einen konjunkturellen Knick haben. Sie können selbst in den Ifo-Konjunkturtests, auch in den aktuellen Konjunkturtests, nachlesen, daß das Geschäftsklima und die Geschäftserwartungen der Unternehmer schon zurückgingen, bevor die Tarifauseinandersetzung in die heiße Phase eingetreten ist. Das ganze Gerede Ihrer Seite, auch von Mitgliedern Ihrer Bundesregierung, gedämpftes Geschäftsklima sei die Folge der Tarifauseinandersetzungen, ist zeithistorisches Geschwätz, Herr Bundeskanzler, und darauf bezog sich mein kritischer Zwischenruf betreffend Ihre historischen Kompetenzen.
Zweitens. Von den Streikauseinandersetzungen sind weniger als 1 % aller Erwerbstätigen in der Bundesrepublik erfaßt. Allein diese Tatsache weist schon darauf hin, daß ein enger Zusammenhang zwischen Streik und Nachlassen der Wirtschaftstätigkeit empirisch und ökonomisch gar nicht nachweisbar ist. Genau dies ist sowohl in den einschlägigen Untersuchungen der „Wirtschaftswoche" als auch bei konservativen Wirtschaftsforschungsinstituten nachzulesen.
Was allerdings — wenn überhaupt — den angeblichen Aufschwung gefährden könnte, ist die zahlenmäßig viel stärker ins Gewicht fallende Aussperrung, ist der Pakt zur kalten Aussperrung, den Sie, Herr Bundeskanzler, im Verein mit Herrn Blüm mit dem Präsidenten der „Bundesanstalt gegen Arbeit" geschlossen haben.
Was ebenfalls nicht abenteuerlich, sondern in jeder bürgerlichen Untersuchung nachzulesen ist, ist ein Vergleich der augenblicklichen Streikausfälle mit den Arbeitsausfällen in den streikintensiven Jahren 1971 und 1978.
— Hören Sie doch erst einmal zu! Selbst in diesenstreikintensiven Jahren 1971 und 1978 sind wenigerals 1 Promille aller Arbeitstage in der Bundesrepu-
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 73. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 6. Juni 1984 5209
Stratmannblik ausgefallen, weniger als 1 Promille, obwohl damals wesentlich mehr gestreikt worden ist — ich begrüße übrigens aufs schärfste, daß seinerzeit wesentlich mehr gestreikt worden ist —, obwohl damals wesentlich mehr gestreikt worden ist als in den letzten drei bis vier Wochen oder bei der DruPa in den letzten sieben Wochen. Diese Streiks 1971 und 1978 haben den Konjunkturverlauf in den entsprechenden Jahren überhaupt nicht beeinträchtigt. Das ist nachzulesen in entsprechenden wirtschaftlichen Untersuchungen des „Spiegel" und auch bei Ifo, Herr Grünbeck.Drittens, Herr Bundeskanzler — wenn Ihnen das Ihre Berater nicht selbst gesagt haben; daß Sie selber bei der Analyse der Statistiken nicht darauf stoßen, ist mir kein Geheimnis —, sind die Exporterwartungen der heimischen Industrie ausgesprochen günstig. Im Vergleich des ersten Quartals dieses Jahres mit dem Vergleich des letzten Quartals letzten Jahres ist der Export um ca. 14 % gestiegen. Die Exporterwartungen der bundesdeutschen Industrie sind trotz anhaltenden Arbeitskampfes für den weiteren Verlauf des Jahres unerwartet hoch, trotz der augenblicklich anhaltenden Arbeitskämpfe, so daß der Zusammenhang, den Sie hier zu konstruieren versucht haben, der Streik gefährde den Aufschwung, der Streik gefährde die Exportfähigkeit, an den Haaren herbeigezogen ist, ökonomisch und empirisch durch nichts zu halten ist und eindeutig als Disziplinierungsinstrument gedacht ist.
Herr Bundeskanzler, was Sie längst hätten wissen können, was mittlerweile die bürgerlichsten Konjunkturinstitute von den Dächern pfeifen, ist, daß der unbezweifelbare Aufschwung in den ersten Monaten dieses Jahres — im ersten Quartal ein Wirtschaftswachstum von 3,6 %; wir wissen natürlich, daß das über das ganze Jahr in etwa anhalten wird — auf dem Arbeitsmarkt absolut keine Besserung gebracht hat,
daß die Erwartung in den Monaten Januar und Februar, daß auf dem Arbeitsmarkt tatsächlich eine konjunkturelle Besserung stattfinden werde, seit März dieses Jahres nicht mehr eingetroffen ist, sondern sich umkehrt. Seit März dieses Jahres haben wir trotz Wirtschaftsaufschwung eine konjunkturelle Verschlechterung der Situation auf dem Arbeitsmarkt. Ihr Paktgenosse zur kalten Aussperrung, Herr Franke, Herr Bundeskanzler — vielleicht hören Sie sich das einmal an, denn Herr Geißler wird Ihnen diese Facts auch nicht nennen können —, kommentiert die Mai-Ergebnisse auf dem Arbeitsmarkt: „Der Arbeitsmarkt dümpelt so vor sich hin", genauso wie der Bundeskanzler in dem kommenden Weltwirtschaftsgipfel dümpelt.
Eingetreten ist auf dem Arbeitsmarkt — wir haben das schon bei der Haushaltsdebatte im letzten Jahr hier gesagt —, daß wir es infolge der technischen Rationalisierung mit einer technikbedingten Arbeitslosigkeit zu tun haben, die weiter fortschreitetmit der Folge einer strukturellen Entkoppelung von Wirtschaftswachstum und Arbeitsmarkt. Genau dies ist eingetroffen, genau das sind die jüngsten Zahlen, und darauf lassen Sie sich in Ihrer Regierungserklärung mit keinem Wort ein. Der Grund ist klar: weil Sie das entweder nicht wissen, oder, wenn es Ihnen Ihre Berater verraten haben, Sie diese Facts verschweigen müssen.Angesichts dieser Entkoppelung von Wirtschaftswachstum und Arbeitsmarkt erweist sich wieder einmal die Notwendigkeit, arbeitszeitpolitisch die Arbeitsmarktprobleme zu lösen, die Notwendigkeit der 35-Stunden-Woche. In diesem Zusammenhang betonen wir noch einmal, wir haben dafür den entsprechenden Antrag vorgelegt, daß wir die kalte Aussperrung, die unterstützt wird durch den Beschluß der „Bundesanstalt gegen Arbeit" strikt ablehnen, daß wir das Instrument der Aussperrung als Mittel im Arbeitskampf grundsätzlich ablehnen, weil es mit diesem Instrument überhaupt nicht darum geht, eine eventuell verlorengegangene Kampfparität wieder herzustellen. Die Kampfparität in der sogenannten sozialen Marktwirtschaft ist von vornherein strukturell nicht gegeben. Die Besitzer der Produktionsmittel verfügen von vornherein über das Recht der Investitionsentscheidung, über das Preisdiktat, über das Recht, Leute einzustellen
— Herr Kolb, hören Sie doch mal zu — und, wenn es ihrem wirtschaftlichen Interesse entspricht, Leute rauszuschmeißen, sozusagen freizusetzen.Weil wir aus grundsätzlichen Erwägungen das Mittel der Aussperrung ablehnen und darin nur den Versuch sehen, materiell die Streikfähigkeit der Gewerkschaften auszuhöhlen, machen wir uns die Forderung der streikenden Kollegen zu eigen und lehnen nicht nur die Aussperrung grundsätzlich ab und treten nicht nur wie die SPD für die Achtung der Aussperrung ein, sondern wir haben gestern in der Bundestagsfraktion beschlossen, noch bis zur nächsten Sitzungswoche eine Gesetzesinitiative hier im Parlament einzubringen zum gesetzlichen Verbot der Aussperrung. Wir sind zu dieser Gesetzesinitiative von den Vertrauensleuten bei der Opel AG in Bochum ausdrücklich aufgefordert worden.
Auch von Teilen des Betriebsrats von ARBED Saarstahl ist unsere Initiative begrüßt worden.
Ich habe versucht, darzustellen,
daß der Bundeskanzler die augenblickliche Situation auf dem Arbeitsmarkt, die Exportorientierung benutzt, um innenpolitisch auf die Gewerkschaften disziplinierend zu wirken. Die Exportorientierung und die fanatische Fixiertheit auf den Weltmarkt
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5210 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 73. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 6. Juni 1984
Stratmanndienen allerdings ebenfalls zur Disziplinierung nach außen, und zwar zur Disziplinierung gegenüber den hochverschuldeten Dritte-Welt- und Schwellenländern.Und hier komme ich auf das angebliche Krisenlösungsmittel, das der IWF uns empfiehlt, das Sie uns, Herr Wissmann, gerade wieder anempfohlen haben, daß die Lösung der weltwirtschaftlichen Probleme, die Lösung der Verschuldungsprobleme dadurch anzustreben sei, daß wir den Welthandel liberalisieren, daß wir, wie die Bundesregierung jetzt gefordert hat, zu diesem Zweck eine neue GATT-Runde oder, wie Reagan noch Ende letzten Jahres vorgeschlagen" hat, eine neue Tokio-Runde einberufen, daß wir den Protektionismus abbauen und den verschuldeten Ländern über für sie verbesserte Exportchancen die Möglichkeit geben, ihre Schulden auf diese Weise zurückzuzahlen.Wir halten dies für einen völlig falschen Weg. Ich möchte dies einmal an dem Szenario deutlich machen, das der IWF in seinem jüngsten „World Economic Outlook" als mittelfristiges Szenario vorgestellt hat. Darin schlägt der IWF als Krisenlösungsstrategie vor, die Exporte der verschuldeten Länder sollten sich bis ungefähr 1990 um 4,6 % steigern; über diese Exporterlöse könnten sie zunehmend ihre Schulden abzahlen. Gleichzeitig sollten allerdings die Importe dieser Länder um 1 % über den Exporten liegen. Der IWF mutet ihnen also für einen mittelfristigen Zeitraum weiterhin strukturelle Handelsbilanzdefizite zu und begründet die ökonomisch damit, daß die Banken dann, wenn die Schwellenländer und Entwicklungsländer erst einmal anfingen, ihre Schulden abzuzahlen, wieder bereit sein würden, ihnen Zahlungskredite zu geben. Das, was hier vom IWF, von Ihnen, Herr Wissmann, und von der Bundesregierung strukturell fortgeschrieben wird, ist die internationale Abhängigkeit dieser Länder von Großbanken, von undurchschaubaren, unkontrollierbaren Eurodollarmärkten und von den führenden westlichen industriekapitalistischen Staaten,
von einer internationalen Arbeitsteilung, die sie genau in die Probleme geführt hat, die wir im Moment beklagen.Die Alternative kann nur darin bestehen, Wege zu finden und zu entwickeln, die die internationale Arbeitsteilung reduzieren, ohne daß es auf diesem Wege zu einem Wohlfahrtsverlust in den hochverschuldeten Staaten und in den Industriestaaten selbst kommt.Wir haben solche Wege der Reduzierung der internationalen Arbeitsteilung und der Umkehrung der Exportorientierung auf eine Binnenorientierung hier schon mehrfach vorgestellt. Wir sind der Meinung, daß es überhaupt nicht darauf ankommt, die Exportnation Nummer eins, also die Bundesrepublik — Nummer eins in bezug auf den Export im Verhältnis zum Bruttosozialprodukt oder pro Kopf — zu stabilisieren, sondern es kommt darauf an, die wirtschaftliche Exportförderung in der Bundesrepublik, z. B. -über die Hermes-Versicherung,zurückzuführen und die Gelder, die auf tausendfache Art in die Exportförderung gehen, in die Stärkung binnenwirtschaftlicher Investitionen — natürlich in einem Umstrukturierungskonzept, das zu verwirklichen einiger Jahre bedarf — umzulenken.
— Das, was selbstmörderisch ist, ist die Strategie, Herr Kittelmann, die Sie im Auge haben. Die Hermes-Defizite haben sich im letzten Jahr auf 1,5 Milliarden DM belaufen, und sie werden sich bis 1988— das sind die Schätzungen Ihrer Regierung —jährlich auf mehr als 1 Milliarde DM belaufen. Das heißt: In einem Zeitraum von fünf Jahren werden 6 bis 7 Milliarden DM an Defiziten aus dieser Exportorientierung entstehen, die die öffentliche Hand übernehmen muß.
Wir sind der Meinung, daß diese Gelder z. B. für den Aufbau alternativer Energiestrukturen wesentlich besser eingesetzt wären. Im „Wärmekonzept 2000" von Herrn Traube, Mitglied Ihrer Partei, ist auf Heller und Pfennig nachgewiesen worden, daß ein solches Konzept der Binnenorientierung allein im Energiebereich die Abhängigkeit von Ölimporten drastisch reduziert und gleichzeitig erheblich arbeitsintensiv ist, wesentlich arbeitsintensiver als die Gelder, die Sie in die Exportförderung hineinstecken, und als die Exportindustrie überhaupt.
Wir sagen ebenfalls: Zu einer Binnenorientierung der Wirtschaft gehört, daß wir von Importen, sowohl von Energie- als auch von Rohstoffimporten, unabhängiger werden. Der Aufbau einer Recyclingwirtschaft, wie sie ökologischen Maßstäben entspricht, macht uns unabhängiger von Rohstoffen.Dabei sehen wir natürlich das Problem, daß wir damit gleichzeitig die Exportmöglichkeiten von Dritte-Welt-Ländern, die heute in die Verschuldungsspirale eingebunden sind, verringern. Wenn nichts weiteres geschähe, würde sich dadurch auch deren Schuldenlast vergrößern. Unsere Alternative für die Dritte-Welt- und verschuldeten Länder kann deswegen nur heißen: Sofortiges Schuldenmoratorium. Wir begrüßen es ausdrücklich, wenn sich, wie es vorgestern geschehen ist, Bolivien einseitig dazu erklärt, die Schulden zeitweise nicht mehr zurückzuzahlen.
Was über das Schuldenmoratorium hinaus notwendig ist, ist eine Entschuldung. Sie darf allerdings nicht auf Kosten der öffentlichen Hände, sondern sollte ganz wesentlich auf Kosten der Banken und der Spekulanten gehen, die über ihre Eurodollarkredite und ihre Profitkredite die Verschuldungsländer in ihre Situation überhaupt erst hineingetrieben haben.
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 73. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 6. Juni 1984 5211
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Lammert?
Herr Kollege Stratmann, wie hoch schätzen Sie die Wahrscheinlichkeit ein, daß Länder, die einseitig Schuldenmoratorien erklären, die Möglichkeit erhalten, weitere Kreditmittel von internationalen Organisationen und Banken zu bekommen, deren Verfügbarkeit nach unserer gemeinsamen Einschätzung eine unverzichtbare Voraussetzung für deren künftige wirtschaftliche Entwicklung ist?
Die Lampe hier auf dem Rednerpult leuchtet auf. Daher möchte ich mit der Beantwortung Ihrer Frage enden.
Herr Lammert, Sie haben nur immanent, innerhalb der bestehenden Struktur der internationalen Arbeitsteilung und der internationalen Bankenwelt, recht. Wenn wir nicht erkennen, daß erstens die Ursache für die Verschuldungskrise realwirtschaftlich das Hineingetriebenwerden der Entwicklungsund Schwellenländer in die internationale Arbeitsteilung ist, die sie gar nicht bezahlen konnten und weswegen sie sich erst einmal verschuldet haben, wenn wir nicht erkennen, daß zweitens die westlichen Industriestaaten, allen voran die USA, die Großbanken und die privaten Eurodollarmärkte hieran schuld sind und von dieser Verschuldung profitieren, dann werden wir uns aus diesem Kreislauf überhaupt nicht lösen können. Im Gegenteil, wenn wir so verfahren, wie Sie es — zwischen den Zeilen Ihrer Frage — vorschlagen und wie es der IWF deutlicher gemacht hat, wenn wir eine Strategie einschlagen, bei der wir die Kreditwürdigkeit der verschuldeten Länder weiter erhalten, und zwar dadurch, daß sie a) Importrestriktionen aufgezwungen kriegen und b) weiter zu Exporten gezwungen werden, was ja heißt, daß ihnen vom IWF eine Binnenwirtschaftsstruktur aufgezwungen wird, d. h. letztlich von den Staaten, die den IWF kontrollieren — u. a. die Bundesrepublik —, dann werden wir des krisenerzeugenden Mechanismus überhaupt nicht Herr werden. Sie werden mit Ihrer Strategie — Herr Lammert, Sie drücken nur aus, was die Position der Bundesregierung ist — die Krise nur jeweils auf neue Höhen schrauben, die Krisenschraube weiterdrehen.
Wir sind der Meinung: Es muß grundsätzlich umgedacht werden. Es muß realwirtschaftlich an der Verschuldungskrise und an der Bankenkrise angesetzt werden, und zwar durch eine Infragestellung der internationalen Arbeitsteilung, durch eine Binnenorientierung der Wirtschaft, der Dritte-WeltStaaten auf ihren Binnenmarkt und der Industriestaaten auf ihren Binnenmarkt.
Herr Lammert, ein letztes Wort.
Herr Abgeordneter, ich bitte, zum Schluß zu kommen. Sie haben Ihre Redezeit schon weit überschritten.
Entweder Sie drehen die Krisenschraube weiter, wie es andeutungsweise aus Ihrer Frage herauszuhören war und wie es der
IWF-Strategie entspricht, oder Sie sitzen die Probleme aus, wie es Herr Kohl offensichtlich in London weiterhin vorhat.
Ich danke Ihnen.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Haussmann.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Weltwirtschaftsgipfel in London ist an sich das Thema, der Anlaß. Aber in dieser Debatte geht es um viele andere Dinge, auf die ich nachher zu sprechen komme.Wird es ein Gipfel wie jeder andere werden? Nein. Ich bin der Meinung, wir haben Erfolge erreicht. Seit Williamsburg gibt es in den Gipfelländern 2,5 Millionen Arbeitslose weniger, und zwar mit einer Strategie der Marktwirtschaft, Herr Vogel, nicht mit einer Strategie der Marktverhinderung.
All die Länder, Herr Vogel, die sich für eine marktwirtschaftliche Strategie entschieden haben, wie Japan, USA und die Bundesrepublik, schneiden in der Arbeitsbilanz gut ab. Alle anderen Länder, wie Frankreich, wie andere Länder auch in der EG, schneiden schlecht ab, weil sie dem Staat eine falsche Rolle einräumen. Deshalb ist es so wichtig, Herr Vogel, daß auch Sie festgestellt haben, in Sachen Freihandel — die Position der GRÜNEN kenne ich nicht, und ich habe auch nicht begriffen, was Sie in Sachen Freihandel vorhaben, Herr Stratmann — gibt es immer noch keine Unterschiede in diesem Haus. Das ist von ganz großer Bedeutung, weil mehr als in jedem anderen Land Millionen Arbeitsplätze von diesen offenen Grenzen abhängen. Protektionismus ist leider innenpolitisch, auch vor Wahlen, in vielen Ländern populär, und auch der Musterknabe in Sachen Freihandel — Herr Wissmann hat das bereits angesprochen —, die Vereinigten Staaten von Amerika, sind im Moment in einem Gestrüpp von Gesetzesvorlagen, die zumindest die Frage aufwerfen, ob wir in den Vereinigten Staaten von Amerika einen verläßlichen Freihandelspartner behalten.Meine Damen und Herren, es ist entscheidend, welche Wirtschaftsphilosophie sich auf diesem Wirtschaftsgipfel fortsetzen wird. Wird es eine Philosophie der offenen Märkte sein, wird es eine Philosophie der Dynamik, der Umstrukturierung sein, oder wird es mehr eine Philosophie der Defensivität, der Arbeitsplatzumverteilung sein? Wer die Arbeitsplatzbilanz zwischen den USA und der Bundesrepublik vergleicht — 1970 bis 1983 in Amerika 22 Millionen zusätzliche Arbeitsplätze und 1,5 Millionen weniger Arbeitsplätze in der Bundesrepublik —, der muß in dieser jetzigen Situation, wo es in einem politischen Kampf darum geht, ob die Wirtschaftspolitik durch zusätzliche Arbeitsplätze oder durch eine defensive Umverteilung von Arbeitsplätzen bestimmt wird, der muß in diesem politischen Machtkampf Position ergreifen. Ich halte es für entscheidend, daß der Bundeskanzler, der über die Richtlinienkompetenz verfügt, nicht im Streik
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5212 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 73. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 6. Juni 1984
Dr. Haussmannim Arbeitskampf selbst Position bezogen hat, sondern daß er Position hinsichtlich des Inhalts bezogen hat, um den es in diesem Streik geht.
— Ich kann nur dem folgen, Herr Roth, was „Die Zeit", die wir eigentlich beide schätzen, heute so formuliert hat:Der Streik droht außer Kontrolle zu geraten und dabei Schäden anzurichten, die nicht mehr hingenommen werden können. Wer einen wochenlangen Streik führt,
um eine wirtschaftlich unsinnige Forderung durchzusetzen— so auch der Bundeskanzler —,verspielt das Recht auf Rücksichtnahme. Niemand kann verlangen, daß das ganze Land in ein solches Abenteuer getrieben wird, nur damit sich einige Funktionäre nicht blamieren.
Das ist, Herr Vogel, auch die Position der Freien Demokraten. Wir haben seit Friedrich Naumann kein gestörtes Verhältnis zu den Gewerkschaften.
Wir haben seit Friedrich Naumann in allen unseren Programmen zur Arbeitswelt, zur Wirtschaftsdemokratie, zum Mitbestimmungsgesetz immer die Rechte des einzelnen Arbeitnehmers gegenüber den Institutionen gestärkt. In diesem Arbeitskampf in der Bundesrepublik Deutschland ergreift die FDP Position für die Rechte des einzelnen Arbeitnehmers, für den, der nicht arbeiten darf,
für denjenigen, der nicht gefragt wird, der nicht mitbestimmen kann, ob es Streik gibt, und für all diejenigen selbständigen Zulieferanten, die jetzt durch diesen Arbeitskampf mit Arbeitslosigkeit und mit Existenzverlust überzogen werden.
Deshalb wird die FDP nicht ein riesiges Verbändegesetz, wie hier schon bereits polemisch vorgetragen wird, vorlegen, sondern sie möchte eine Diskussion über Regeln im Arbeitskampf. Wir meinen, daß die Allgemeinverbindlichkeit von Tarifverträgen auch umgekehrt zu Recht die Frage aufwirft, welche Mitbestimmungsmöglichkeiten diejenigen haben — Arbeitnehmer, aber auch kleine mittelständische Unternehmer —, die keine Chance haben, daran mitzuwirken, ob gestreikt wird oder nicht.
Es kann doch nicht richtig sein, daß Streiks entweder durch Vorstandsbeschlüsse oder durch kleineAbstimmungen in einzelnen Abteilungen verfügtwerden, meine Damen und Herren. Das kann doch nicht richtig sein.
Diese Frage darf doch gestellt werden. Jede Partei, die für mehr Demokratie und für mehr Selbstbestimmung für Arbeitnehmer kämpft, muß hier an unserer Seite stehen.
Ich kann nur sagen: Wer sich mit der Philosophie der GRÜNEN etwas beschäftigt — sie ist ja auch für Liberale in manchen Bereichen nicht unattraktiv:
Stärkung der Dezentralisation, kleine Einheiten —, wer für das Sanfte ist,
der kann sich nur wundern, daß sich die GRÜNEN bei diesem Machtkampf ausschließlich auf die Seite der großen Machtorganisationen stellen.
Herr Stratmann, kümmern Sie sich doch einmal um die Leute, die bei diesem Arbeitskampf gar nicht mitbestimmen können, um die Drittwirkung! Ich habe mir vorhin ein Zitat von Ihnen aufgeschrieben. Sie wollten für jeden Streik kämpferisch eintreten. Sie versuchen hier, die SPD links zu überholen. Ich kann das mit der grundsätzlichen Haltung, die Sie sonst haben, nicht in Einklang bringen: kleine Einheiten, Selbstbestimmung des einzelnen, Skepsis gegenüber großen Organisationen. Das ist das, was ich nicht verstehe.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Da ich sehr wenig Zeit habe und weil auch Kollegen von den Sozialdemokraten gebeten haben, diese Diskussion offen zu gestalten, möchte ich heute keine Zwischenfragen zulassen.
Ich möchte Herrn Vogel noch einmal sagen: Wir haben kein gestörtes Verhältnis zu den Gewerkschaften. Wir haben eine sehr ausführliche Diskussion über die innerdemokratische Gestaltung von Verbänden geführt. Die Freien Demokraten werden in Gesprächen mit Gewerkschaften und Arbeitgebern ihre Vorstellungen vortragen, wie die innerorganisatorische Demokratie, die Mitbestimmungsmöglichkeit von Drittbetroffenen verstärkt werden kann. Ich bin ganz sicher, daß sich jeder christdemokratische Politiker zumindest dieser Diskussion nicht entziehen wird.
Wie das nachher ausgestaltet wird, ist eine andere Frage.
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Dr. HaussmannMeine Damen und Herren, in dieser Auseinandersetzung über Weltwirtschaft sind wir in einer psychologisch schwierigen Lage. Es ist der neuen Regierung gelungen, einen Wirtschaftsaufschwung herbeizuführen. 3,6 % Wirtschaftswachstum im ersten Vierteljahr sind gut. Die Frage ist eben, wer sich jetzt in diesem Machtkampf durchsetzt, ob dieses Wachstum kaputtgemacht wird oder ob Unternehmer und arbeitswillige Arbeitnehmer die Chance bekommen, das Wachstum fortzusetzen und neue Arbeitsplätze zu schaffen.
Wenn eine Woche Betriebsausfall der deutschen Automobilindustrie bereits eine Milliarde D-Mark Steuerausfälle verursacht, meine Damen und Herren,
muß sich die Regierung überlegen, in welcher Dimension eine Steuersenkung durchgeführt werden kann.
Natürlich sind wir für diese Steuersenkung. Wir möchten das auch nicht in zwei Abteilungen. Aber bevor dieser Streit entschieden ist, können wir uns in der Koalition nicht definitiv festlegen.Herr Vogel hat gestern erklärt — auch das möchte ich hier noch ganz kurz sagen —, die FDP stehe vor einer Spaltung, es gebe nur noch einen Rest von Liberalität. Herr Vogel, ich kann Sie beruhigen. Wir haben gestern sehr ausführlich darüber gesprochen. Die FDP wird eine Partei der Liberalität bleiben. Es wird die Rechtsstaatsliberalen geben; es wird die Marktwirtschaftsliberalen geben. Es wird keine Trennung geben. Viele in der Opposition werden sich wundern, wie diese FDP in den nächsten drei Jahren ihre Rolle in dieser von ihr gewollten Koalition wahrnehmen wird.
Wir wollen diese Koalition, weil wir in den Kernpunkten der Wirtschafts-, Sozial- und Gesellschaftspolitik in großer Übereinstimmung mit den Unionsparteien Vorstellungen entwickeln.
Dieses Land braucht dafür Zeit. Die Strukturanpassung muß vorangehen. Das ist ja auch das Thema: auf welche Weise, ob defensiv über Arbeitsumverteilung oder offensiv über zusätzliche Arbeitsplätze.
Wenn dieser Streit vorbei sein wird, wird diese Koalition ihre Chance nutzen durch Steuerreform, durch Existenzgründungsprogramme, durch marktwirtschaftliche Forschungspolitik, durch eine Arbeitszeit nach Maß, wie der Bundeskanzler das vorgetragen hat. Es ist ein Wahnsinn, den kapitalintensiven Industriebetrieb so zu behandeln wie den arbeitsintensiven Handwerksbetrieb.
Es wäre doch auch nicht falsch, wenn z. B. Sozialdemokraten sagen könnten, das Angebot an Schichtarbeiter, 38 Stunden zu arbeiten, ist in dieser Tarifauseinandersetzung ein sinnvoller Vorschlag.In der Auseinandersetzung der großen Wirtschaftsmächte im westlichen Lager — zwischen Japan und USA auf der einen Seite und der Bundesrepublik als führender Industrienation in Europa auf der anderen Seite — muß dieses Jahr klarwerden, mit welcher Wirtschaftsstrategie wir diesen Wettbewerb mit Japan und USA aufnehmen. Wir kommen sonst außenpolitisch, verteidigungspolitisch in eine Randlage. Die Dynamik, die Wachstumsraten, die Zahl der zusätzlichen Arbeitsplätze in Japan und USA sind so gewaltig und unsere Fortschritte in den letzten zehn Jahren so gering, daß dieser Verlust an ökonomischer Kraft ohne Zweifel in Kürze auch zum Verlust an außenpolitischer und verteidigungspolitischer Einflußnahme führt.
Wer die Vereinigten Staaten von Amerika im guten Sinne beeinflussen will, muß dafür sorgen, daß die Ökonomie in der Bundesrepublik stark bleibt. Dazu wird in London gesprochen. Dazu hat die Regierung die Unterstützung der FDP-Fraktion. Mehr Freihandel, mehr Marktwirtschaft, offene Grenzen — das ist der beste Beitrag auch für die Entwicklungsländer, ihre Schulden aus eigener Kraft und nicht durch Hilfe dritter Staaten zurückzahlen zu können.Ich bedanke mich.
Das Wort hat der Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Diese Debatte, die anläßlich des bevorstehenden Weltwirtschaftsgipfels geführt wird, gibt die Möglichkeit, ein paar Worte über die Zusammenhänge zwischen allgemeiner Wirtschaftspolitik und der Agrarpolitik in der Europäischen Gemeinschaft zu sagen. Ich tue das gerne. Beide leben in unserer Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft in einer Art Symbiose miteinander.Unser Land, Deutschland, hat davon Nutzen und Kosten — wie immer, wenn Geschäfte getätigt werden. Das ist im öffentlichen Bewußtsein leider oft untergegangen. Der Herr Bundeskanzler hat in seiner Regierungserklärung schon darauf hingewiesen: Die wenigsten Menschen unseres vom Export so sehr abhängigen Landes wissen, daß wir mit den neun Partnern dieser Gemeinschaft rund 50 % unseres Außenhandelsvolumens abwickeln. Die wenigsten Menschen wissen, daß wir erhebliche Han-
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Bundesminister Kiechledelsbilanzüberschüsse bei diesem Handel mit den neun Partnerstaaten haben.
1982 waren es 25 Milliarden DM, fast die Hälfte des gesamten Handelsbilanzüberschusses. Auch im Jahr 1983 waren es 16 Milliarden DM.Dieser handelspolitische Erfolg ist nur auf der Basis eines funktionsfähigen EG-Agrarmarktes möglich. Das sollten wir nie vergessen, auch dann nicht, wenn wir berechtigte Kritik an dieser oder jener Nebenerscheinung des EG-Agrarmarktes üben.
Deswegen ist der EG-Agrarmarkt auch nicht nur Sache der Landwirtschaft.Dieser EG-Agrarmarkt war in sehr ernster Gefahr auseinanderzubrechen, und er ist es immer noch. Es gab und gibt dort Fehlentwicklungen. Ich erinnere nur an die bevorstehende und absehbare Zahlungsunfähigkeit der Europäischen Gemeinschaft, bezogen auf ihren Haushalt. Ich erinnere an die Kollision innerhalb des Marktordnungssystems, die dadurch entstanden ist, daß in Teilbereichen unbeschränkte Preis- und Mengengarantien vorhanden waren, die zu diesen Fehlentwicklungen geführt haben, die wir heute wie an einem Seismographen an den unverkauften und unverkäuflichen Lagerbeständen einer ganzen Reihe von agrarischen Produkten ablesen können.Ich erinnere auch an die zunehmenden politischen Schwierigkeiten für alle Partner durch das bisherige System des sogenannten Grenzausgleichs. Ich will nicht über die Ursachen reden, sondern nur sagen: Das war das Faktum. Deswegen mußte gehandelt werden, um das System wieder funktionsfähig zu machen und zu halten sowie langfristig finanzierbar zu machen. Das Ziel dabei ist, für die Landwirtschaft eine an Kosten und Inflationsraten orientierte Preisentwicklung zu ermöglichen.Daß dies bei einer so grandiosen Fehlleistung, die in den letzten Jahren entstanden ist — nicht durch die Schuld einzelner Länder, sondern durch das Fehlverhalten der ganzen Gemeinschaft —, nicht durch einen Beschluß und nicht in einem Jahr, auch nicht in zwei Jahren ermöglicht werden kann, liegt für jeden, der einen ökonomischen Mindest- und Minisachverstand hat, auf der Hand.Das zweite Ziel dieser Maßnahmen war die Beseitigung des gnadenlosen Verdrängungswettbewerbs innerhalb der Landwirtschaft, eines Verdrängungswettbewerbs durch immer größere und jeweils am günstigsten Standort bodenunabhängig produzierende Betriebe zu Lasten unserer mittleren und kleineren Bauern, die in ungünstigeren Lagen produzieren müssen.
Wir haben mit unseren Beschlüssen, meine Damen und Herren, diese Agrarpolitik in zwei wichtigen Positionen geändert, nämlich erstens durch die Einführung des Garantiemengenprinzips und zweitens durch die Reform des Grenzausgleichsystems. Beides hat — neben anderen Dingen, die hinzukamen — finanzielle Folgen für unsere Bauern für eine nicht genau festlegbare, aber sicherlich einige Jahre dauernde Übergangszeit von mindestens drei bis vier Jahren. Die finanziellen Einbußen entstehen erstens durch den Abbau von bisher gewohnten und sogar steigerbar gewesenen Produktionsmengen, zweitens durch marktbedingte Preisrückgänge — denn immer dann, wenn in ein solches System eingegriffen wird, reagieren ja die Märkte — und drittens durch systembedingte Preisrückgänge. Die Eingriffe waren notwendig, nicht nur wegen des Agrarmarkts, sondern um die Funktionsfähigkeit sowohl des Agrarmarkts als auch des Gemeinsamen Markts auf industriell-gewerblichem Gebiet aufrechtzuerhalten.In dieser Situation war es unbedingt erforderlich, unseren Landwirten entsprechende Hilfe zu gewähren, insbesondere um dem bäuerlichen Familienbetrieb Unterstützung zukommen zu lassen. Wir haben daher mit einem Teil unserer Hilfen umsatzbezogen — so werden auch die Einbußen entstehen — reagiert, nämlich durch die Mehrwertsteuerpauschale von 5 %, die in diesen Tagen dem Parlament zur Beratung vorliegt. Diese Regelung ist begrenzt auf die Zeit zwischen dem 1. Juli 1984 und dem 31. Dezember 1988. Vom 31. Dezember 1988 bis zum 31. Dezember 1991 gilt eine Mehrwertsteuerpauschale von 3 %.Wir werden einem Element der öffentlichen Diskussion in unserer Gesetzesvorlage dadurch Rechnung tragen, daß wir hinsichtlich der Definition, was ein landwirtschaftlicher Betrieb bei uns ist — bezogen auf diese Unterstützung —, eine Obergrenze einführen. Ansonsten ist die Definition im Bewertungsgesetz seit vielen Jahren geregelt.Wir haben, auf die Leistungsfähigkeit der Betriebe bezogen, weitere Hilfen vorgeschlagen und auf den Weg gebracht und werden sie gewähren, nämlich erstens durch die Ermäßigung der Beitragslasten in der Sozialversicherung, die ganz besonders den kleinen und mittleren Betrieben in schwachen Regionen zu Hilfe, und zwar nennenswert zu Hilfe kommen wird, und wir haben eine Entlastung der weiterhin Milch produzierenden Betriebe herbeigeführt, indem wir nicht durch Umlage, sondern durch Herauskauf von 1 Million t Milch für die Bedienung von Härtefällen sorgen. Schließlich und endlich wird es durch Verbesserung des Bergbauprogramms ebenfalls eine auf die Leistungsfähigkeit der Betriebe bezogene Hilfe geben.Hilfe habe ich gesagt, Hilfe für Anpassung an geänderte EG-Agrarpolitik; keine Subvention!
Es handelt sich um Unterstützung in einer UmDrientierungsphase, eine aus ganz anderen, übergeordneten, europapolitisch notwendigen, aber auch für unseren gesamten Arbeitsmarkt und Absatz-
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 73. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 6. Juni 1984 5215
Bundesminister Kiechlemarkt außerhalb des eigenen Landes notwendige bzw. wichtige Unterstützung.
Das bedeutet auch, daß dies eine Voraussetzung für weitere Funktionsfähigkeit des Gemeinsamen Marktes war und sein wird, und zwar des Gemeinsamen Marktes in beiden Teilen: Agrarmarkt und industriell-gewerblicher Markt.Dabei werden wir alle Benachteiligungen der bäuerlichen Familienbetriebe vermeiden und ihnen — ich habe versucht, das ganz ruhig darzulegen — zusätzliche Hilfe geben, zum ersten Mal auch abgesichert durch EG-einheitliches, agrarpolitisch und vor allem von der Produktion her abgesichertes Verhalten aller Mitgliedsstaaten und nicht nach der Überschrift: Der eine gibt Marktanteile preis, damit sie ein anderer füllen kann.Daß dies zum Nutzen unseres ganzen Volkes, unserer gesamten Wirtschaft sein wird, davon bin ich fest überzeugt.Nun hat der stellvertretende Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion, Herr Roth, diese Entscheidungen in der Öffentlichkeit sehr heftig kritisiert.
Er hat klargemacht, die SPD wolle alles tun,
um sie zu verhindern. Er hat gleichzeitig versucht, einen Graben zwischen großen und kleinen Betrieben aufzubrechen.Mir geht es nicht um Klassenkampf.
Mir geht es darum, daß unsere Bauern nicht die Zeche für eine aus übergeordneten integrationspolitischen Überlegungen für Europa notwendige Entscheidung etwa allein zu zahlen haben.
Und das hat die Bundesregierung erreicht. Dafür steht sie. Dafür stehen auch die Koalitionsfraktionen.Ich würde mich sehr freuen, wenn die SPD — dies ist keine Floskel meinerseits, Herr Vogel — sich so verhalten könnte, wie sich die Union in ihrer Oppositionszeit 1970, als Sie wegen Ihrer Aufwertungsmaßnahmen ebenfalls entsprechende Ausgleichsleistungen gewährten, verhalten hat.
Mit der Anhebung der Vorsteuerpauschale, mit der Milchrente, mit den zusätzlichen Bundesmitteln zur Unfallversicherung und mit der Weiterentwicklung des Bergbauernprogramms leisten wir eine solche Hilfe.Gestatten Sie mir noch ein Wort, das ich an Sie, Herr Dr. Vogel, richten möchte. Ich schätze Sie als einen, wie ich meine, doch wohl seriösen Politiker.
Warum werden Sie, wenn Sie an diesem Pult stehen, so laut, wenn es um die Landwirtschaft geht? Warum sprechen Sie in diesem Zusammenhang von Subvention? Warum zählen Sie die Milliarden in diesem Zusammenhang gleich von sieben Jahren zusammen und die Milliardenkosten erhöhter Beiträge nach Europa, die auf uns zukommen — wir alle wissen, daß das so ist —, noch dazu, um den Eindruck der Zugehörigkeit dieser Mittel zum Agrarbereich zu erwecken?
— Ich würde Sie bitten, Ihre Rede nachzulesen. Ich habe Ihnen nicht mit vorgefaßter Meinung zugehört. Ich bin nur etwas betroffen davon; denn die Bauern sollen diese Umstellungshilfe nun wirklich nicht als Subvention im Sinne zusätzlicher Mittel vorgeworfen bekommen, sondern wir müssen auch hier, wie ich meine, psychologisch korrekt vorgehen. Das wäre meine Bitte.
Auch Ihre Kritik am System eines solchen Ausgleichs ist nicht ganz seriös. Das ist ja nichts Neues. So haben z. B. die alten Bundesregierungen schon von 1970 bis 1980 dieses System hinsichtlich der Folgen aus der damaligen Aufwertung der D-Mark selber angewandt. Sie haben es als Ausgleich für die seinerzeitige Aufwertung benutzt. Ich habe hier die Zahlen; sie waren ja auch sehr erheblich. Zehn Jahre lang ist dieses System von Ihnen — bitte, mit unserer Zustimmung, obwohl wir in der Opposition waren — benutzt worden. Wir haben sogar dem Vier-Jahres-Zeitraum des Abbauverfahrens auf Grund des Haushaltsstrukturgesetzes zugestimmt — eine Oppositionsleistung, die ich von Ihnen nicht einmal erwarten würde. Es wäre schön, wenn es sie geben könnte.
Sie haben dieses System ohne jede Obergrenze — Sie haben auch nicht den Versuch unternommen, eine Obergrenze zu schaffen — durchgezogen. Bitte werfen Sie uns in der Öffentlichkeit daher nicht vor, daß wir in dieser Frage etwa unsozial handelten,
denn dann müßten wir Ihnen sagen: Sie haben zehn Jahre lang ohne jede Obergrenze bestimmt nicht weniger sozial gehandelt. Nur: Dies ist keine soziale, sondern eine ökonomische Maßnahme.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich meine, diese Ausgleichsmaßnahmen für unsere Landwirtschaft helfen allen nach möglichst objektiven Maßstäben: den Bauern, die wieder mit Vertrauen in die Zukunft schauen können; den Steuer-
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Bundesminister Kiechlezahlern, weil die Marktordnungen kalkulierbar und finanzierbar geworden sind und werden können, insbesondere aber Europa, weil sein Fortschritt nicht an den integrationspolitisch bedingten Unzulänglichkeiten der Agrarpolitik scheitern wird und scheitern muß, übrigens auch dem deutschen Arbeitsmarkt, der deutschen Volkswirtschaft.Lassen Sie mich am Schluß ein Wort zu gelegentlichen Bemerkungen sagen, die aus der grünen Ecke kommen. Die deutschen Bauern haben nicht nur Betriebe mit bis zu zehn Kühen oder über 100 ha, sondern es ist ein breit gemischtes Feld.
Alle, solange sie dazu auch eine entsprechende Flächenausstattung haben, haben den Anspruch, Bauern genannt und als Bauern behandelt zu werden. Nur diejenigen, die, ohne über Fläche zu verfügen, mit dem Zukauf von Rohstoffen von außen das Schutzsystem der EG nutzen wollen, betreiben Agrarfabriken. Aber alle anderen kann man nicht an Hektaren allein messen. Das möchte ich auch gesagt haben, wenn wir hier über diese Ausgleichmaßnahmen reden.Ich danke Ihnen.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Mitzscherling.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Einen Tag vor dem nächsten Gipfel ist es nützlich, sich an Williamsburg zu erinnern. Ich möchte zwei Sätze aus dem Kommuniqué zitieren:1. Wir verpflichten uns erneut zur Verringerung struktureller Haushaltsdefizite, insbesondere durch Eindämmung des Ausgabenwachsturns .. .2. Die internationalen Auswirkungen unserer eigenen politischen Entscheidungen werden wir voll berücksichtigen.Der Herr Bundeskanzler ist damals aus Williamsburg zurückgekommen und hat verkündet, jetzt müsse jeder seine Hausaufgaben machen, jeder müsse den staatlichen Kreditbedarf zurückschrauben.
Nach Ihrem Selbstverständnis haben Sie die Hausaufgaben vermutlich auch erledigt.
Sie haben konsolidiert. Sie haben die Sozialabgaben dabei erhöht. Sie haben die sozialen Leistungen gekürzt. Sie haben versteckte Steuerhöhungen feststellen können und haben einen erhöhten Bundesbankgewinn verfügbar gehabt. Nur bei den Subventionen waren Sie eher zurückhaltend. Sie glauben damit offenbar, daß Sie mit Ihrer Konsolidierung nun alles für einen dauerhaften Aufschwung getan haben.
Was mag der Bundeskanzler denn nun denken, wenn er jetzt nach London geht mit dem Wissen, daß sich der Präsident der Vereinigten Staaten nicht einen Deut um die von ihm selbst unterschriebenen Verpflichtungen geschert hat?
Er hat nicht die allergeringsten Anstrengungen unternommen, seine gigantischen Haushaltsdefizite im letzten Jahr zu reduzieren. Hat der Bundeskanzler den Präsidenten der Vereinigten Staaten eigentlich jemals aufgefordert, seinen selbst eingegangenen Verpflichtungen nachzukommen? Hat er ihn jemals auf die verhängnisvollen internationalen Auswirkungen seiner eigenen politischen Entscheidungen hingewiesen?
Falls er das getan hat — und das hat man dann wohl gemerkt —, dann hat sich der Präsident dafür offenbar kaum interessiert; denn das zeigt ja seine Politik. Der Präsident der wirtschaftlichen Führungsmacht verfolgt einen wirtschaftspolitischen Kurs, der sich vor allem an nationalen Zielen orientiert und sich auf wahltaktische Überlegungen stützt. Es ist ihm offenbar völlig gleichgültig, was dies für den Rest der Welt bedeutet.Die Folgen der amerikanischen nationalen Politik sind sehr ernst. Sie liegen darin, daß die Realzinsen in den Vereinigten Staaten eine historische Höhe von 8 % erreicht haben. Die Folge davon sind historisch hohe Realzinsen auch bei uns, die unser Wachstum bremsen, die unseren Strukturwandel hemmen und die den Abbau der katastrophalen Arbeitslosigkeit bei uns nahezu unmöglich machen. Diese Realzinsen strangulieren die Entwicklungsländer, die einen immer größeren Teil ihres Sozialprodukts für Zinszahlungen an die reichen Staaten des Nordens aufwenden müssen. Das bedeutet doch nichts anderes als Ausbeutung durch Zinswucher.
Diese Realzinsen ziehen wie ein Magnet Sparkapital aus aller Welt, vor allem aus Europa an, das dann zu Hause für Investitionen zur Schaffung neuer Arbeitsplätze fehlt.Schließlich ist es auf die Realzinsen zurückzuführen, daß der Dollar als Reservewährung Nummer eins dieser Welt auf ein deutlich überbewertetes Niveau hochgezogen worden ist. Die Folgen davon sehen wir doch in einem enormen und weiter steigenden Handelsbilanz- und Leistungsbilanzdefizit der USA und deshalb wachsendem Protektionismus und in der völligen Instabilität des Weltwährungsgefüges.
Meine Damen und Herren, diese Mischung aus riesigen Budget- und Zahlungsbilanzdefiziten, hohen Dollarkursen und Zinssätzen in den USA ist hochexplosiv und eine erhebliche Gefahr für die Weltwirtschaft. Sie ist insbesondere eine hohe Gefahr für die außenwirtschaftlich so stark abhängige Bundesrepublik.
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Dr. MitzscherlingAuf den ersten Blick — und das könnte man einwenden — ist das bei uns ja halbwegs gutgegangen. Wir haben von der ständigen Aufwertung und Überbewertung des Dollars profitiert. Sie hat es unseren Unternehmen ermöglicht, die amerikanische Konkurrenz auf vielen Märkten schlicht an die Wand zu drücken. Das, meine Damen und Herren, ist die Hauptursache unserer gegenwärtigen Exporterfolge, nicht etwa die Zunahme des Welthandels; denn die ist sehr bescheiden. Sie war im ersten Aufschwungjahr der letzten beginnenden Konkjunkturperiode doppelt so hoch wie heute. Wir haben also Exportvorteile dank preislicher Wettbewerbsvorteile, die durch eine krasse Überbewertung des Dollar oder durch eine Unterbewertung der D-Mark entstanden sind. Das ist es, was unsere wirtschaftliche Erholung seit fast einem Jahr trägt. Ich sage: leichte wirtschaftliche Erholung trotz überhöhter Zinsen.Ohne die überhöhten Zinsen wäre unsere Erholung sicherlich stärker, und ohne die Abhängigkeit von den amerikanischen Zinsen könnten wir in der Bundesrepublik bei unseren niedrigen Inflationsraten durchaus Zinssätze von nominal 5 bis 6 % haben. Nur: An diese 5 bis 6 %, die möglich wären, meine Damen und Herren, werden wir nicht herankommen, solange die Zinsen in den Vereinigten Staaten bei 13 % und höher liegen.
Da können Sie konsolidieren, soviel Sie wollen. Sie haben mit Ihrer Konsolidierungspolitik auch nicht erreicht, den Zinsabstand zu den USA nennenswert auszuweiten. Vor Ihrem Regierungsantritt hatten wir einen solchen Abstand von vier Prozentpunkten — bei den Zinsen für langfristiges Kapital —, und erst seit wenigen Wochen ist er etwa um einen Prozentpunkt größer geworden, aber nicht wegen Ihrer Haushaltskonsolidierung, sondern weil das Mißtrauen in die amerikanische Wirtschaftspolitik und die Solidität der stark in Lateinamerika engagierten amerikanischen Banken gefährlich gewachsen ist und weil sich die amerikanische Außenhandelsbilanz weiter rapide verschlechtert.Was hatten Sie damals vor der Wahl versprochen? Wir bringen den Bundeshaushalt wieder in Ordnung. Das ermöglicht Zinssenkungen, das stärkt das Wachstum. — Diese Rechnung ist nicht aufgegangen. Seit der Wahl sind unsere Zinsen gestiegen.
— Ich habe mich auf Ihre eigenen Erklärungen bezogen.Was geschieht denn, wenn die Konjunktur der Vereinigten Staaten weiter an Fahrt gewinnt oder wenn die Inflation oder die Inflationserwartungen in den Vereinigten Staaten wieder ansteigen? Die Zinsen werden sich dann weiter erhöhen. Glauben Sie etwa, wir könnten uns noch weiter von Zinsbewegungen in den USA abkoppeln als bisher? Daswäre nur dann möglich, wenn in den USA eine totale Vertrauenskrise ausbräche. Die allerdings ginge dann auch zu unseren Lasten.Wie sind nun die Aussichten für uns, wenn die Zinsen weiter hoch bleiben und weiter steigen und wenn Sie dazu noch Ihre restriktive Finanzpolitik fortsetzen? Das allein kann nicht zu einem dauerhaften Aufschwung führen, von dem Sie ständig reden. Sie können allenfalls auf schnelle und auf kräftige Steuererhöhungen in den USA nach den dortigen Wahlen hoffen. Die allerdings könnten wir, wenn sie überhaupt kommen, kaum vor dem zweiten Halbjahr 1985 wirksam werden sehen. Mindestens bis dahin also werden die Zinsen hoch bleiben, dort wie hier.Wir in der Bundesrepublik verkraften hohe Zinsen weniger gut als die Vereinigten Staaten. Unsere Unternehmen haben keine 50 % Eigenkapital. Ich weiß, daß Sie das beklagen und deshalb j a auch Lohnzurückhaltung über Jahre hinweg fordern, um auch in den deutschen Unternehmen auf diese 50 Eigenkapital zu kommen. Auch wir sind durchaus für eine bessere Eigenkapitalausstattung der Unternehmen,
aber nicht durch eine Bereicherung der jetzigen Unternehmenseigentümer, durch niedrige Lohnabschlüsse über Jahre hinaus, sondern durch eine breitere Streuung des Produktivvermögens.
Wir sind für Beschaffung von Eigenkapital am Markt, so, wie es Porsche und Nixdorf in letzter Zeit vorgemacht haben. Das ist eine marktwirtschaftliche Lösung zu mehr Eigenkapital, meine Damen und Herren von der Union, und außerdem ein sozial gerechterer Weg als Lohnzurückhaltung über Jahre hinweg.
Bis wir an die amerikanische Eigenkapitalquote herankommen, wird es also noch Jahre dauern. Und so lange bleiben wir nun einmal anfälliger gegen hohe Zinsen als die Amerikaner, die übrigens auch als Konsumenten ihre Schuldzinsen, wie Sie wissen, steuerlich absetzen können.Ich frage: Was will die Bundesregierung gegen die hohen und womöglich weiter steigenden Zinsen tun? Ich frage weiter: Welche Vorstellungen hat die Bundesregierung für eine Lösung der internationalen Verschuldungskrise? Das, was Herr Wissmann dazu erklärt hat, reicht nicht aus.
Diese Verschuldungskrise ist doch zur Zeit nur aufgeschoben.
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5218 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 73. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 6. Juni 1984
Dr. MitzscherlingUnd sie kann sich bei jedem weiteren Zinsanstieg und genauso bei einer frühzeitigen Abschwächung des Wachstums in den Industrieländern jederzeit schlagartig zuspitzen. Für die deutschen Banken ist das Problem nicht mehr ganz so groß; denn sie haben beträchtliche Rückstellungen bilden können. Sie haben das deshalb gekonnt, Herr Kolb, weil sie ihre Zinsmargen relativ hoch gehalten haben.
In den USA haben die Banken nicht genügend Rückstellungen für ihre Entwicklungsländerkredite bilden können, weil sie es vorzogen, höhere Dividenden auszuschütten, als es die deutschen Banken taten. Die amerikanischen Banken sind deshalb gegen eine Zuspitzung der Verschuldungskrise weitaus empfindlicher. Und diese Krise kann sogar von ihnen ausgehen. Sie kann sich dann sehr leicht zu einem Kollaps des internationalen Finanzsystems ausweiten. Was hat die Bundesregierung hier für ein Konzept? Wie weit geht die internationale Kooperation auf staatlicher Ebene zur Bewältigung dieser Krise? Soll es bei den bisherigen Ad-hocLösungen bleiben? Meine Damen und Herren, die starken Währungsschwankungen der letzten Zeit zeigen, daß es an der Bereitschaft zu internationaler Zusammenarbeit noch deutlich mangelt. Wenn der Londoner Wirtschaftsgipfel auch wieder nur wohltönende Absichtserklärungen hervorbringt und wenn von vornherein erkennbar ist, daß die USA nicht bereit sind, sich daran auch zu halten, sollte der Herr Bundeskanzler besser darauf verzichten, seine Unterschrift wieder unter feierliche Abschlußerklärungen zu setzen.
Konflikte sind nicht zu lösen, indem man sie hinter wohltönenden Worten über gemeinschaftliche Überzeugungen versteckt; Konflikte müssen letztlich ausgetragen werden.Wir teilen das Bekenntnis zu Europa, das der Herr Bundeskanzler abgegeben hat. Denn wenn Europa in dieser Situation seine Interessen gewahrt sehen will, ist es unverzichtbar, daß die europäischen Länder enger zusammenrücken und sich wirtschaftlich und politisch nach innen und nach außen stärken.Deshalb sagen auch wir Sozialdemokraten ein Ja, ein deutliches Ja, zum Ausbau des europäischen Binnenmarktes, ein Ja zur Bekämpfung des Protektionismus, ein Ja zu einer gemeinsamen Forschungs- und Technologiepolitik, ein Ja zum Ausbau des Europäischen Währungssystems und ein Ja zur Politischen Union Europas.
Wenn Sie hier Initiativen in die Wege leiten, haben Sie unsere Zustimmung.
Denn nur wenn Europa mit einer Stimme spricht, wird es auch gehört werden, nur dann wird der amerikanische Partner gezwungen sein, uns ernster zu nehmen, als er es derzeit tut.Ich bedanke mich.
Das Wort hat der Bundesminister für Wirtschaft.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich bin dem Kollegen Mitzscherling dafür dankbar, daß er zum Thema des bevorstehenden Gipfels zurückgekehrt ist und damit etwas getan hat, was ich jedenfalls dem Entschließungsantrag seiner Fraktion heute nicht entnehmen konnte.
Der ist zwar mit „Erklärung der Bundesregierung zum bevorstehenden Weltwirtschaftsgipfel" überschrieben, aber im ganzen Text kommt von diesem Thema nicht ein einziges Wort vor.
Ich glaube, es ist auch richtig, Herr Mitzscherling, sich über die Ursachen einer Entwicklung zu unterhalten, die uns nach Williamsburg nicht befriedigt hat. Allerdings möchte ich gerne wissen, woher Herr Vogel seine Kenntnis bezieht, daß in Williamsburg nicht im Klartext über amerikanische Zinsen gesprochen worden ist.
Ich hätte Sie gerne im Sitzungssaal erlebt, Herr Vogel, damit Sie hätten zuhören können. Natürlich wird das diesmal geschehen.
— Sie müssen noch ein bißchen warten, bis Sie wieder in diese Sitzungssäle zurückkehren; das gebe ich zu.
Herr Mitzscherling, ich bin gerne bereit, Ihnen die zahllosen Reden zur Verfügung zu stellen, die von unserer Seite — nicht nur von mir, auch von anderen — zum Thema der amerikanischen Verschuldung und der amerikanischen Zinspolitik gehalten worden sind, auch in den Vereinigten Staaten gehalten worden sind.Sie fragen: Was ist eure Politik dazu? Dazu kann ich nur sagen, wir sind mit dieser Entwicklung der amerikanischen Haushaltspolitik nicht zufrieden, aber das ist keine Antwort im Sinne einer Lösung der daraus für uns entstehenden Probleme. Die Antwort bei uns heißt — dies haben wir seit Jahren gesagt und seit Jahren praktiziert —: Bringen wir unser eigenes Haus in Ordnung und tun wir das, was in unseren Kräften steht, um uns von einer eventuell für uns unerfreulichen Entwicklung so weit zu entfernen — ich benutze das Wort „abkoppeln" nicht sehr gerne —, wie es nur irgend möglich ist. Daß das in einer Welt der interdependenten Wirtschaft schwierig ist, wissen wir sehr genau. Eine andere Politik gibt es da nicht. Das heißt Kon-
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Bundesminister Dr. Graf Lambsdorffsolidierung, das heißt Stabilisierung, das heißt alle Kräfte freisetzen, um den Aufschwung in der Bundesrepublik Deutschland zu sichern.Sie fragen: Was soll gegen die Verschuldenskrise geschehen? Nach meiner Überzeugung gibt es keinen anderen Weg als den — ich benutze die deutschen Worte „angehen von Fall zu Fall"; im Englischen heißt es „case-by-case-approach" —, diese Probleme von Fall zu Fall zu lösen, denn es gibt keine generelle Lösung der Verschuldensprobleme, es gibt nur die Kooperation zwischen Zentralbanken, Regierungen, dem Internationalen Währungsfonds und den privaten Banken. Ich sehe keine globale Schuldenregelung, keine globale Lösung dieses Problems, die realistisch diskutiert werden könnte.Erlauben Sie mir noch diese Bemerkung, Herr Kollege Mitzscherling: Ich habe mit Interesse gehört, auch die Sozialdemokratische Partei sei für bessere Eigenkapitalverhältnisse der deutschen Unternehmen. Auf Grund vergangener Diskussionen erlaube ich mir, da Zweifel anzumelden.
Sie sagen, Sie wollten das durch bessere Streuung des Produktivvermögens erreichen. Genau das haben Sie nun in der vorigen Koalition immer wieder zu verhindern gewußt.
Ich glaube, ich trete dem Kollegen Matthöfer nicht zu nahe, wenn ich ihm sage, er hat noch nie etwas davon gehalten und hält auch heute noch nichts davon. So war es denn auch in der vorigen Koalition.
Herr Bundeswirtschaftsminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Matthöfer?
Wenn Sie mir erlauben, daß dies die einzige bleibt wegen der beschränkten Zeit. Aber nachdem ich ihn angesprochen habe, gehört sich das wohl so: Ja.
Herr Kollege Graf Lambsdorff, war es nicht vielmehr so, daß die FDP jede Lösung blockierte, weil sie verhinderte, daß eine Lösung zustande kommen würde, der auch der DGB hätte zustimmen können?
Die FDP in der Koalition war allerdings immer der Meinung, daß die Wahlfreiheit des Arbeitnehmers und die individuellen Rechte des Arbeitnehmers gewahrt bleiben müssen.
Ich sage nur noch einmal, Herr Kollege Matthöfer, Sie haben von dieser Lösung des Problems, von diesem Lösungsansatz — ich glaube, Ihnen da nicht zu nahe zu treten; wir haben uns oft darüber unterhalten — im Grundsatz nie viel gehalten.Meine Damen und Herren, es ist bedauerlich, wenn wir nach London fahren und uns dort ganz gewiß in der Unterhaltung mit unseren Partnern mit einem Thema konfrontiert sehen, nämlich dem Arbeitskampf in der Bundesrepublik Deutschland für ein Ziel, das die anderen Kollegen für außerordentlich bemerkenswert und für etwas befremdlich halten. Diese Diskussionen werden verlaufen — das erleben wir jetzt schon — zwischen Mitgefühl und Vorerbschaftsfreude, nämlich Vorerbschaftsfreude auf das, was ihnen übrigbleibt, wenn wir unsere Wettbewerbsfähigkeit wirklich beschädigen sollten. Wir stünden in der Diskussion auch unseren amerikanischen Partnern gegenüber, die natürlich sagen werden: „Guckt euch mal unser Wachstum an, guckt euch mal unseren Wirtschaftsaufschwung an, guckt euch mal unsere Arbeitsmarktzahlen an! Ihr in Europa schafft das nicht; ihr tut ja nicht genug" — wir kennen doch die Diskussion —, sehr viel besser da, wenn wir nicht vor dem Hintergrund eines Arbeitskampfes für dieses Ziel nach London fahren und uns mit unseren Partnern darüber unterhalten müßten.
Die Vereinigten Staaten werden uns darauf aufmerksam machen, daß sie Wachstumsraten in der Größenordnung zwischen 6 und 8% in diesem Jahr erzielen werden. Sie werden uns — das ist vorhin schon erwähnt worden — darauf aufmerksam machen, daß bei gleichbleibenden Reallöhnen — das ist das Problem dabei — in den Jahren 1970 bis 1983 in den USA 25 Millionen neue Arbeitsplätze geschaffen wurden. Wir haben um ein Drittel gestiegene Reallöhne und haben 1,7 Millionen Arbeitsplätze verloren. Wer diese Zusammenhänge nicht sehen will, wer immer noch der Meinung ist, Arbeitskosten spielten bei der Arbeitsmarktsituation keine Rolle, dem ist sehr schwer zu helfen.
Dies ist doch der Punkt: Arbeitslosigkeit bekämpft man nicht durch Verteuerung der Arbeitskosten, und hier habe ich heute — ich habe es nachgelesen, Herr Kollege Vogel, und ich will sehr deutlich darauf aufmerksam machen — eine mittlere Sensation gehört. Sie, Herr Vogel, haben gesagt: „Warum sollten sich die Tarifparteien nicht darüber verständigen, die Lohnprozente einmal anders zu verteilen und sie in eine Arbeitszeitverkürzung zu verwandeln? Warum ist da für einen deutlichen Schritt in Richtung 35-Stunden-Woche kein Raum? Warum ruiniert der die Wirtschaft?" Dies ist Produktivitätszuwachsverteilung in Form von Arbeitszeitverkürzung ohne vollen Lohnausgleich.
— Dann bitte ich, diesen Absatz einmal nachdrücklich zu lesen. Wenn Sie ihm widersprechen, ist auchKlarheit, daß es eben nach Ihrer Vorstellung doch
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Bundesminister Dr. Graf Lambsdorffnur bei vollem Lohnausgleich geht. Diese Position ist ökonomisch unvertretbar und falsch.
— Verehrte Frau Kollegin, ich stelle es Ihnen ja zur Wahl zu sagen, mit vollem Lohnausgleich oder ohne vollen Lohnausgleich. Bei der Antwort „ohne" wäre ich ja sehr vergnügt.
— Die Alternativen sind nicht falsch. Bei vollem Lohnausgleich ist das Arbeitskostenverteuerung, und dies ist der falsche Weg.
— Herr Roth, das ist schon lange die Klage des Bundeswirtschaftsministeriums, daß es mit einem Juristen an der Spitze leben muß. Aber in der Zwischenzeit habe ich ein bißchen von dem Metier gelernt.Meine Damen und Herren, es bleibt bei unserer Position: Ohne reales Wachstum ist die Arbeitslosigkeit bei uns nicht erfolgreich zu bekämpfen. Wachstum in der Größenordnung, das man braucht, um diese Arbeitslosenzahlen, die wir heute leider haben, zu beseitigen, steht schnell nicht zur Verfügung. Deshalb bedarf es zusätzlicher Maßnahmen, eines Bündels von Maßnahmen. Dazu gehört auch die Arbeitszeitverkürzung z. B. in der Form des Vorruhestandes. Dazu gehört auch die Wochenarbeitszeitverkürzung, aber flexibel, individuell, beweglich genutzt und nicht mit Gewalt in einem Arbeitskampf über Große und Kleine, schlecht Verdienende, gewaltsam drübergestülpt.
Das kann nicht funktionieren, das geht vor allen Dingen nicht für die kleinen und mittleren Unternehmen, die das Qualifikationsprofil der Leute, die sie dabei einbüßen, bei den Arbeitsämtern, auf dem Arbeitsmarkt gar nicht finden können.
— Das was ich hier sage, sage ich ja nicht nur in eine Richtung, sondern in alle Richtungen.
Meine Damen und Herren, ich habe mit großem Interesse gesehen und auch mit etwas Befremden die Reaktion verfolgt, daß in der vorigen Woche ein Angebot nach zwei Stunden schon wieder vom Tisch genommen worden ist, wonach Nacht- und Schichtarbeit unter 40 Stunden pro Woche geführt werden sollten. Das heißt: Der weitaus größte Teil der Belegschaften der großen Unternehmen wäre davon erfaßt worden, und gleichzeitig hätte man das Ziel erreicht, die kleinen und mittleren Unternehmen, die das nicht verkraften können, von einer solchen Regelung auszunehmen. Ich hoffe sehr, daßdieses Thema in den heute wieder aufgenommenen Verhandlungen doch noch eine Rolle spielen kann. Denn das scheint mir ganz außerordentlich wichtig zu sein.Wir wollen die Verhandlungen, die jetzt geführt werden, gewiß nicht durch die Diskussion von Einzelheiten beeinflussen oder gar stören. Eines aber möchte ich noch einmal sagen: Es wird höchste Zeit, daß eine Einigung in dieser Auseinandersetzung zustande kommt. Am Ende bezahlen wir die Schäden, die jetzt entstehen, alle miteinander: die Streikenden, die Bestreikten, die Steuerzahler, die Beitragszahler und zuallererst die Arbeitslosen. Meine Damen und Herren, das ist das Allerschlimmste.
Ich will wenige Worte zu den Beschlußvorlagen sagen, die uns auf den Tisch gelegt worden sind, z. B. zum Thema Aussperrung. Ich weiß nicht, ob die formuliert worden sind, bevor das Landesarbeitsgericht Frankfurt entschieden hatte. Jedenfalls ist klar, daß eine Entscheidung getroffen worden ist, die mit der des Bundesarbeitsgerichts aus dem Jahre 1980 korrespondiert. Nun wird das Verfahren wohl in der Hauptsache fortgesetzt werden, und dann wird man hören, ob die ganz ungewöhnlich einseitigen Positionen, die z. B. im Antrag, im Beschlußvorschlag der Sozialdemokratischen Partei hier auf dem Tisch liegen, die richtige Rechtsauffassung darstellen oder nicht. Es wird sehr interessant sein, meine Damen und Herren, mitzuerleben, ob nun dieses Mal — 1980 hat man das vermieden — das Bundesverfassungsgericht angerufen werden wird, wenn es in der Entscheidung zur Hauptsache dazu kommen kann und kommen sollte. 1980 hat die IG Metall das, wie gesagt, nicht getan.Ich will hier ganz deutlich sagen: Nach meiner festen Überzeugung — das ist auch die Meinung der Bundesregierung — gibt es ohne das Instrument der Aussperrung — das Instrument des Streiks ist völlig unbestritten — keine Waffengleichheit. Dies bezieht sich nicht so uneingeschränkt — ohne es problematisieren zu müssen — auf die Frage von Aussperrung in Gebieten außerhalb der Tarifgebiete, in denen der Arbeitskampf stattfindet.
Das kann durchaus eine andere Frage sein.
Eines allerdings aus den Anträgen, die uns vorliegen, kann hier nicht unwidersprochen bleiben. In dem Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN wird dem Deutschen Bundestag zugemutet, einen Beschluß zu fassen, der Betriebsbesetzungen als wirksame Mittel im Arbeitskampf anerkennen soll. Dies, meine Damen und Herren, ist nicht die Politik der Sanftheit, sondern das ist die Politik der Gewalt, das ist die Politik der Rechtlosigkeit.
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Bundesminister Dr. Graf LambsdorffDen Sozialdemokraten sage ich nur: Von diesen Vertretern der Politik der Gewalt wird Herr Börner morgen zum hessischen Ministerpräsidenten mitgewählt werden. Ich begrüße sehr die couragierte Entscheidung seines Finanzministers.
Eines wird uns in den nächsten Monaten sicherlich noch beschäftigen, nämlich die Frage, die sich aus diesem Arbeitskampf, aus dem Ablauf dieses Arbeitskampfes ergibt. Es ist — Gott sei Dank — bei uns seit vielen Jahren wieder der erste große Arbeitskampf.
— Ja, sicherlich. Ich bin jedenfalls nicht der Meinung, daß Arbeitskampf und Streik eine wünschenswerte Erscheinung in einer Industriegesellschaft, in einem demokratischen Land wie der Bundesrepublik Deutschland sind. Wenn Sie anderer Meinung sind, dann sagen Sie das deutlich, damit es auch jeder versteht. — Es wird die Frage diskutiert werden müssen, ob es richtig sein kann, daß z. B. 20 000 Belegschaftsangehörige, die in Zulieferbetrieben streiken, wobei nicht einmal die Mehrheit von ihnen satzungsmäßig unbedingt notwendig ist, um den Streikbeschluß zu fassen, Hunderttausende andere von ihren Arbeitsmöglichkeiten abhalten können. Bei der Verflechtung von Unternehmen und der Tatsache, daß z. B. in einem modernen Automobilwerk die Zulieferung mit Eisenbahnwagen an die Montagestraßen erfolgt, so daß dort gar keine Lager mehr bestehen, führt der Streik in einem solchen Schlüsselzulieferunternehmen unmittelbar zu einer Ausweitung auf Hunderttausende von anderen.
— Nein, Herr Stratmann. Ich habe vorhin gesagt: Ich lasse keine Fragen zu.Dort werden also Positionen entwickelt, bei denen man sich doch fragen muß: Wer hat hier eigentlich noch eine Möglichkeit, mitzuentscheiden? Wer ist hier eigentlich fremden Entscheidungen, die, wer weiß, wo, getroffen werden, ziemlich hilflos ausgeliefert? Kann das so bleiben? — Passen die herkömmlichen Strickmuster noch in eine derart verzahnte, arbeitsteilige, moderne und sich weiterentwickelnde Industriegesellschaft und Industriepraxis, wie sie bei uns heute bestehen?
Dies, meine Damen und Herren, sind Fragen, über die man, wie ich glaube, sprechen muß.Ich will noch einmal zu einem Thema zurückkehren, das in engem Zusammenhang hiermit steht, nämlich zu unserer Wettbewerbssituation im Ausland. Das ist eine große Frage für den Weltwirtschaftsgipfel in London. Sie steht hiermit auch deswegen in engem Zusammenhang, weil wir schon jetzt erleben, daß sich unsere ausländischen Wettbewerber — ich sage: das ist in einer Welt offener Märkte legitim — darum bemühen, ihre wirtschaftlichen Vorteile aus der Streiksituation in der Bundesrepublik Deutschland zu ziehen.
— Sie werden sich wundern, Herr Stratmann, wie „marginal" das ist. — Die Japaner haben zu Anfang dieses Jahres über alle Erfahrungen hinaus ihre Läger an Pkws in Deutschland aufgefüllt in der Erwartung, das es längere Lieferfristen als Folge eines Streiks in der Metallindustrie in Deutschland geben muß und daß man in diese Lücke mit sofort präsenten und vorhandenen Pkws aus japanischer Fertigung hineinstoßen will. Ich sage noch einmal: Das ist legitim; das sind die Folgen, an die man denken muß.Ich habe, wie ich Ihnen sagen muß, mit einigem Erschrecken gestern in einem Interview eine Antwort eines Managers eines großen deutschen Automobilunternehmens gehört. Auf die Frage des Reporters, ob denn ein Streik, ein Arbeitskampf nicht etwas Bedrohliches sei, habe ich die Antwort gehört: Arbeitskämpfe gibt es auch bei unseren Konkurrenten. Ich empfehle dem Herrn, wirklich einmal zu dem Hauptkonkurrenten zu fahren, wo es die Arbeitskämpfe nicht gibt — man muß das nicht begrüßen — und wo man sich mit den Wettbewerbsfolgen auseinanderzusetzen hat.
Meine Damen und Herren, wir werden trotz all dieser Erfahrungen
auf dem Weltwirtschaftsgipfel in London ganz selbstverständlich dafür eintreten, daß die Märkte der Welt weiter geöffnet werden. Das ist eine alte Forderung der Bundesrepublik Deutschland unter jeder Regierung. Ein Drittel unseres Bruttosozialprodukts müssen wir in anderen Ländern der Welt absetzen. Übrigens gehen 50 % unseres Exports in die Länder der Europäischen Gemeinschaft, was bei der Europadiskussion in unserem Land und bei der Reaktion auf die Frage, ob die Wahl zum Europäischen Parlament eigentlich etwas Wichtiges sei und ob die Europäische Gemeinschaft etwas Wichtiges sei, häufig übersehen wird. 50 % dessen, was wir exportieren, verkaufen wir an unsere Nachbarn in Europa. Auch das darf bei der Europadiskussion nicht zu kurz kommen.Wir werden diese Position also weiter vertreten. Aber wir sehen, daß der Protektionismus weltweit zugenommen hat, obwohl sich jedermann sagt: Wenn die Weltwirtschaft wieder anzieht — und so mager, wie Sie, Herr Mitzscherling, es vorhin dargestellt haben, finde ich das eigentlich nicht —, müßte es doch möglich sein, inzwischen entstandene protektionistische Instrumente loszuwerden. Die Ant-
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Bundesminister Dr. Graf Lambsdorffwort auf die Frage, warum das nicht so geht, ist verhältnismäßig einfach: Wir befinden uns zum erstenmal in der Periode konjunkturellen Aufschwungs, der dabei die strukturellen Probleme als Folgen von Ölpreiskrise, neuer weltwirtschaftlicher Arbeitsteilung und neuer Wettbewerber noch nicht geschafft und noch nicht gelöst hat. Daraus entsteht regional und politisch Druck für mehr Protektionismus bei uns, in anderen Ländern, in den Vereinigten Staaten noch viel mehr — dort ganz besonders deswegen, weil die Haushaltssituation, die Zinssituation und der Dollarkurs dazu geführt haben, daß ein Leistungsbilanzdefizit von abenteuerlicher Höhe entstanden ist. Dies wird uns übrigens auch von den Amerikanern vorgehalten, die nämlich sagen: Wir öffnen euch unseren Markt durch unsere Wirtschaftspolitik in einer Weise, in der wir euren Aufschwung mit ankurbeln. Das ist eine sehr einseitige Betrachtung; aber sie ist nicht vollständig falsch. Jedes Argument hat immer seine zwei Seiten.Wir werden auf dem Weltwirtschaftsgipfel dafür eintreten, daß das Arbeitsprogramm der Ministertagung des GATT vom November 1982 zügig durchgeführt wird, daß die OECD-Liberalisierungsinitiative aufgegriffen wird und die Zollsenkungen, die wir vereinbart haben, um ein Jahr vorgezogen werden. Wir hätten sie lieber noch stärker vorgezogen; mehr war beim OECD-Ministerrat in Paris aber nicht zu erreichen, der in dieser Frage im übrigen eine gute Note angeschlagen hat. Wir werden dafür eintreten, daß die Anregungen, eine neue GATT-Runde aufzunehmen, aufgegriffen werden, weil wir glauben, daß neue Initiativen, neue Entwicklungen eingeleitet werden müssen, um insgesamt eine Antiprotektionismusdebatte in der Welt zu befördern und zu ermuntern. Dabei wird man sich beschäftigen müssen mit der Situation der Entwicklungsländer, auch mit dem Agrarprotektionismus, den es nicht nur in der EG, sondern auch in den Vereinigten Staaten und bei anderen gibt, mit den Dienstleistungen und, wie ich glaube, ganz besonders auch mit den Grauzonen, die dadurch entstanden sind, daß wir internationale Verträge abschließen und daß sich dann die Parteien, die die Verträge geschlossen haben, untereinander verständigen, wie sie um die von ihnen selbst geschlossenen Verträge herum andere Vereinbarungen treffen. Keine sehr fabelhafte Veranstaltung.Alles dies wird die Position der Bundesregierung sein, und wir werden das mit Nachdruck vertreten. Ich bin auch ganz sicher, daß wir Kommuniqués erzielen werden, die uns zufriedenstellen werden.
— Herr Vogel, ich weiß, daß der Zwischenruf kommen mußte. Glauben Sie, es war zu Zeiten Helmut Schmidts besser, als wir mit Kommuniqués nach Hause kamen?
Es ist immer die Aufgabe, daß man versucht, sich auf Formulierungen zu einigen, und daß man dann anschließend an die Arbeit geht, um seine Hausaufgaben und seine Schulaufgaben auf der Grundlagesolcher Vereinbarungen zu machen. Der Bundeskanzler hat vorhin dargelegt, daß wir dies getan haben. Wir haben uns darum bemüht. Sie werden sagen, Sie sind nicht mit allem einverstanden. Wir werden sagen, wir haben nicht alles erreicht. Es kann doch nur so gehen, daß man dort eine Basis für das schafft, was man dann in der nationalen Politik und in der künftigen internationalen Kooperation erledigen will. Entscheidungen mit unmittelbarer Auswirkung auf diese oder jene offenstehende wirtschafts- oder währungspolitische Frage können Sie auf einer Zwei-Tages-Konferenz zwischen sieben Gipfelländern wohl kaum erwarten. Dies wäre bare Illusion.Meine Damen und Herren, ich möchte zum Abschluß ein paar Minuten auf eine Diskussion zurückkommen, die ich mit Kollegen der sozialdemokratischen Fraktion gehabt habe. Herr Vogel hat inhaltlich etwas angeknüpft. Der Herr Kollege Rappe hat mich hier von diesem Podium kritisiert, ich hätte eine antigewerkschaftliche Rede gehalten, den Rubikon überschritten. Herr Vogel hat ihm dann anschließend seine Glückwünsche dafür ausgesprochen. Diese Veranstaltung hatte ein kleines Nachspiel, nämlich die Bitte Ihrer Fraktion an mich, ich möchte Ihnen doch sehr frühzeitig das Stenographische Protokoll dieser Rede zur Verfügung stellen, und den Zusatz, Sie wollten das veröffentlichen. Ich habe das selbstverständlich getan, ich halte das für völlig legitim und in Ordnung, das zu veröffentlichen. Aber ich habe dazu gesagt: Lesen Sie es noch einmal durch, dann werden Sie es nicht veröffentlichen! Dies war keine antigewerkschaftliche Rede. Ich habe auch nicht gesehen, daß es veröffentlicht worden wäre. Es war keine Rede gegen die Gewerkschaften, sondern es war eine Rede — meine Damen und Herren, dabei bleibe ich — gegen die Praktiken der Industriegewerkschaft Druck und Zensur in dem Arbeitskampf.
— Ich finde, daß das Blockieren von Druckhäusern durchaus mit dem Zuruf „Pfui" bezeichnet werden kann. Dagegen habe ich überhaupt nichts einzuwenden.
Ich bin der letzte, verehrter Herr Kollege Vogel, der auch nur irgendwie in den Verdacht gebracht werden dürfte und sich in den Verdacht bringen würde,
Herr Ferlemann mit Herrn Mayr, wie Sie vorhin gemeint haben, zu vergleichen und über einen Leisten zu schlagen. Das kommt überhaupt nicht in Frage.
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Bundesminister Dr. Graf LambsdorffAber wenn ich in deutschen Zeitungen wie in der vorigen Woche in Bremen weiße Flecken sehe, weil auf Anweisung einer Industriegewerkschaft ein Kommentar nicht erscheinen durfte, wenn ich Gewaltanwendung vor Druckhäusern sehe, wenn ich Gewaltanwendung gegen Streikbrecher sehe — —
Meine Damen und Herren, welcher Wortwahl sind wir inzwischen erlegen? Was sind eigentlich Streikbrecher? Es sind Arbeitswillige, die ihren Arbeitsvertrag erfüllen wollen. Ich glaube, wir sollten die deutsche Sprache etwas sorgfältiger handhaben.
Es geht auch da nicht um die Auseinandersetzung mit den Gewerkschaften. Es geht hier in diesem Hause um die Auseinandersetzung mit der politischen Partei, die diese Praktiken nicht nur unwidersprochen hinnimmt, sondern die ihnen applaudiert, die sich nicht davon distanziert. Dies ist die Sozialdemokratische Partei, meine Damen und Herren.
Sie hat diesen Streit politisch geschürt. Sie, Herr Vogel, haben die 35-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich — wenn wir noch einmal auf die Ausgangsforderung zurückkommen wollen — schon in Ihrem Bundestagswahlprogramm gehabt. Ist das etwa keine Verletzung der tarifpolitischen Neutralität? Oder darf nur eine Seite darüber reden und die andere nicht?
Die politische Verantwortung für die Auseinandersetzung in dieser Frage und für die Folgen dieser Auseinandersetzung wird weitgehend von Ihnen zu tragen sein. Darum geht es bei dieser Diskussion.
Das Wort hat der Abgeordnete Roth.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich am Anfang nur einen Satz zu dem Thema des Gipfels sagen. Herr Mitzscherling hat dazu schon eine Menge gesagt, dem ich voll zustimme. Ich könnte dem nicht sehr viel hinzufügen.
Graf Lambsdorff, Sie haben gesagt, Sie hätten die ganzen Jahre über und vor allem beim letzten Wirtschaftsgipfel in Williamsburg sehr deutlich gegen die wahnwitzige Haushaltspolitik der Amerikaner Stellung genommen, die die Zinsen so hoch getrieben hat. Das mag ja sein. Nur hatte das im letzten Jahr überhaupt keine Wirkung; im Gegenteil: Das amerikanische Defizit und die amerikanischen Zinsen steigen dauernd weiter, im Gefolge auch die deutschen Zinsen.
Sie haben gesagt, das sei bei Helmut Schmidt ähnlich gewesen. Da hätte man auch nur Kommuniqués gemacht.
Das ist ein großer Irrtum. Wir wissen, daß auf den Gipfeln der 70er Jahre jeweils entschiedene Weichenstellungen stattfanden — beispielsweise in Richtung auf Beschäftigungspolitik —, denen entsprechend dann anschließend auch verfahren wurde. Oder ist es ein Zufall, daß eine Zeitung wie der Bonner „General-Anzeiger" — also nicht gerade ein Linksblatt — am 2. Juni, letzten Samstag, schreibt:
US-Präsident Ronald Reagan wird insgesamt froh sein, daß unter den Gipfel-Teilnehmern nicht mehr ein so scharfzüngiger Sachkenner wie der ehemalige Bundeskanzler Helmut Schmidt ist. — Genau das ist es.
Das heißt, es wird ein Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland nach London reisen, der zu dieser internationalen Wirtschaftsdiskussion sachlich wenig beiträgt und der in seiner politischen Kraft eben wirklich nur einen Prozentteil dessen darstellt, was der Bundeskanzler Helmut Schmidt in internationalen Verhandlungen dargestellt hat.
Sie können auch in der internationalen Wirtschaftspresse nachlesen, daß das wirtschaftspolitische Gewicht der Bundesrepublik Deutschland außerordentlich abgenommen hat.Meine Damen und Herren, ich war in den zehn Minuten des sorgfältigen Zuhörens bei Graf Lambsdorff erstaunt und dachte: Hilft er jetzt vielleicht doch mit, Brücken zum sozialen Kompromiß in der Tarifauseinandersetzung zu bauen?
Da kamen Hinweise, die mir ganz wichtig erschienen. Zum erstenmal hat er von der Verkürzung der Wochenarbeitszeit als einer möglichen Maßnahme gesprochen. Das heißt, er hat insofern ein bißchen an diesem Tabu der Arbeitgeber gekratzt. Aber zum Schluß, bei der Auseinandersetzung über die 1G Druck und Papier, ist er wieder völlig in seinen üblen Stil der Diffamierung zurückgefallen.
Was hat es denn für einen Sinn, eine demokratische Gewerkschaft mit ein paar hunderttausend Mitgliedern „IG Druck und Zensur" zu nennen?
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5224 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 73. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 6. Juni 1984
RothWas hat es denn für einen Sinn, nachdem Herr Ferlemann vor mehr als zwei Wochen gesagt hat, daß er sich mißverständlich ausgedrückt hat
und daß er das so nicht sagen wollte, das nun vom Wirtschaftsministerium her noch einmal anzuklagen?
Das ist doch eine üble Rhetorik. Wenn Sie mich hier attackieren: Sie können das nachlesen. In der vorvorletzten Ausgabe der Wochenzeitung „Deutsches Allgemeines Sonntagsblatt" aus Hamburg habe ich gesagt, daß ich die Äußerung von Herrn Ferlemann in diesem Fall, zu diesem speziellen Problem für nicht akzeptabel halte, und zwar übrigens in völliger Übereinstimmung mit Herrn Ferlemann selber. Ich finde es gut, wenn sich ein Gewerkschaftsführer nicht zu schade ist, sich insoweit zu korrigieren. Ein Wirtschaftsminister dieser Republik sollte mitten in einem harten Tarifkampf dieser Gewerkschaft im Zusammenhang mit dieser Äußerung nicht wieder einheizen, sondern er sollte mithelfen, daß hier ein Problem gelöst wird.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Glos?
Nein. Die Zeit würde von der eines Kollegen abgehen. Das kann ich nicht machen.Ich will ein paar Bemerkungen zum Tarifkampf machen, d. h. zu der Situation, wie wir sie analysieren. Das, was von der Regierung von Anfang an falsch gemacht wurde, ist das folgende — Graf Lambsdorff war Anführer dieser Truppe, nachdem Herr Kohl die allgemeinen Sprüche „dumm, töricht und absurd" gebracht hatte —: Es wurde immer so getan, als wäre die Forderung der IG Metall und der IG Druck und Papier nach der 35-Stunden-Woche bei Lohnausgleich
die Ausgangsposition, für die dann letztlich im Blick auf einen Kompromiß auch gestreikt werden würde. In Wahrheit war es ganz anders.Wie bei jeder Auseinandersetzung um Tarife oder Arbeitszeit formulierten die Verhandlungsgegner oder -partner — je nachdem, wie Sie das ausdrükken wollen — Ausgangspositionen. Im Verlauf eines Prozesses, der zu einem Kompromiß führt, wird dann ein Punkt gefunden, bei dem man einen Tarifvertrag abschließen kann. Die Bundesregierung hat aber in der öffentlichen Kampagne im Grunde immer wieder versucht, die Gewerkschaften auf die Ausgangsposition zurückzudrängen, um den Kompromiß zu erschweren, weil sie diesen Kompromiß von Anfang an nicht wollte.
Wenn Graf Lambsdorff heute etwas Konstruktives hätte sagen wollen, hätte er nicht allgemeine Worte wählen sollen, sondern er hätte zu dem heutenacht veröffentlichten Tarifangebot der IG Metall ein paar Worte sagen können. Dieses Angebot lautet folgendermaßen —
ich will das gar nicht bewerten, sondern nur darstellen; ich komme gleich darauf zurück —: eine Wochenarbeitszeitverkürzung um zwei Stunden ab 1. Januar 1985 und dann drei Jahre lang um eine weitere Stunde.
Dieses Angebot setzt auf längere Frist eine Lohnsteigerung um 2,5 % voraus. Jeder weiß aus dem Jahreswirtschaftsbericht — wenn Sie ihn noch ernst nehmen — und auf Grund der Prognosen, daß wir über die Jahre hinweg eine höhere Preissteigerungsrate haben werden. Jeder weiß auch, daß wir weit höhere Produktivitätssteigerungsraten als solche von 2,5 % haben werden.
Das ist das Tarifangebot der IG Metall. Wer da noch mit alten, allgemeinen Floskeln operiert, der hilft nicht, zu einem Tarifkompromiß zu kommen, sondern der verlängert den Arbeitskampf.
Graf Lambsdorff, Sie haben beklagt, daß die deutsche Delegation auf dem Gipfel — Sie, der Herr Bundeskanzler, Herr Stoltenberg — in einer Situation verhandeln müsse, die noch durch Streik und Aussperrung gekennzeichnet sei. Ich beklage das auch. Sie wissen ganz genau, daß die Sozialdemokratische Partei in den letzten Wochen viel getan hat — auch abseits öffentlicher Veranstaltungen, gerade im Rahmen diskreter Gespräche —, um diesen Tarifkonflikt zu verkürzen, um eine Lösung zu finden. Aber das Problem, vor dem Sie jetzt in London stehen — eine schwächere Verhandlungsposition —, haben Sie gerade durch Ihr Verhalten in der vorvergangenen Woche im Bundestag herbeigeführt, nämlich dadurch, daß Sie die Tarifdiskussion — ich habe auch bedauert, daß sie auf Grund von Anträgen notwendig geworden ist — so forsch und einseitig geführt haben.Wenn wir aus der heutigen Diskussion etwas lernen könnten, wäre es meiner Meinung nach das folgende: Wir müssen in den nächsten Tagen auch Gesamtmetall sagen, daß sie den Schritt von ihrem Tabu weg genauso machen muß, wie ihn die IG Metall in dieser Nacht gemacht hat. Das ist die Realität.
Das heißt, der eine sitzt noch im Tabu-Schützengraben, und der andere hat jetzt — das mag taktisch vielleicht gar nicht ganz günstig sein — sein Konzept einer stufenweisen Regelung mit Orientierung an Produktivität und Preissteigerungsrate öffentlich dargestellt.Das ist die Situation. Auf diese Situation, Graf Lambsdorff, haben Sie dann doch keine Antwort gegeben. Vom Bundeskanzler will ich in diesem Zu-
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Rothsammenhang gar nicht mehr reden; denn da habe ich jede Hoffnung aufgegeben, daß er in diesem Tarifkonflikt noch eine positive Rolle spielt.Meine Damen und Herren, zum Schluß noch ein paar Bemerkungen
zur aktuellen wirtschaftspolitischen Lage, zur Konjunkturlage. Ich finde, es geht an der Realität vorbei, wie der Bundeskanzler sie eingeschätzt hat. Sie haben es ja unterstrichen, Graf Lambsdorff. Ich möchte hier gar nicht mit meinen Worten formulieren, sondern auf Institute zurückgreifen, die Sie selbst genannt haben, oder auf Presseorgane, die Sie besonders lieben.Nehmen wir das Ifo-Institut. Das Ifo-Institut hat Anfang April eine Umfrage durchgeführt, die sogenannte Prognose 100, bei der die wichtigsten Unternehmen im Hinblick auf ihre wirtschaftlichen Absichten, aber auch im Hinblick auf den Arbeitsmarkt befragt wurden. Dazu ein paar Zitate. Erstes Zitat:Von einem Investitionsboom kann nicht gesprochen werden.
— Anfang April, Herr Zwischenrufer. Zweites Zitat:Aus den Plänen der befragten Firmen ergibt sich ein Beschäftigtenabbau in der Industrie um 1,7 % im Jahre 1984.
Das ist die Realität.In demselben Bericht heißt es für das Jahr 1985:1985 dürften im verarbeitenden Gewerbe fast 160 000 Personen weniger beschäftigt sein als im Jahre 1983.Die Prognose für das jetzige Jahr lautet — Sie wollten die Arbeitslosigkeit ja abbauen —:Seit Januar steigt die saisonbereinigte Zahl der Arbeitslosen.
Sie wissen ganz genau: Wenn Ihre Prognose für das Jahr 1984 eintreffen soll, hätten wir im Mai weniger als 2 Millionen Arbeitslose haben müssen. Wir hatten aber 2,13 Millionen Arbeitslose.Das Ifo-Institut schreibt weiter:Die Industrie geht— und zwar für die nächsten fünf Jahre —von einer eindeutigen Beschleunigung des Produktivitätsfortschritts aus, die trotz gestiegener Wachstumserwartungen immer noch zu einem spürbaren Personalabbau führen wird.Das können Sie nun wirklich nicht mehr in irgendeinen Zusammenhang mit den Tarifauseinandersetzungen bringen. Das ist die Prognose eines seriösen Instituts für die nächsten fünf Jahre.
Genau auf diese Prognose, auf die mittelfristige Rationalisierungsprognose und die Wachstumsprognose gibt die Bundesregierung nicht die Spur einer Antwort.
Die Schere öffnet sich. Wer bei dieser sich öffnenden Schere zwischen Produktivität und Produktion nicht bereit ist, mit einer Wochenarbeitszeitverkürzung engagiert dagegen anzutreten, wird die Arbeitsmarktprobleme in den nächsten Jahren nicht lösen.
— Seien Sie still, Herr Kolb. Ich bringe Ihnen gleich noch ein Zitat von Herrn Gillies von der „Welt", den Sie ja kennen und besonders schätzen. Er ist jedenfalls jemand, der Ihnen weit näher steht als mir. Er schrieb im Zusammenhang mit der Konjunktur, der Streiksituation und dem zu erwartenden Arbeitskampf — wörtliches Zitat —:Mehrere Indikatoren deuten darauf hin, daß die wirtschaftliche Belebung an Tempo verloren hat. Im März und im April sank die Produktion um rund 3,5 % gegenüber den beiden Vormonaten. Auch der Auftragseingang ließ zu wünschen übrig. Die Bautätigkeit gab unerwartet kräftig nach. Die Verbraucher halten sich neuerdings zurück.Das ist die Analyse von Herrn Gillies, jenseits von allem Streik und aller Aussperrung. Gillies schrieb weiter:Es wäre zu einfach, den Arbeitskampf als Alleinverursacher der Abkühlung darzustellen, zumal da der konjunkturelle Aufschwung schon lange vor dem Streik einen Dämpfer erhielt.Diese Aussage bekommt ihr eigenes Gewicht, weil Herr Gillies dieser Bundesregierung wirklich nur Gutes will. Ich bin eigentlich der Meinung; Sie sollten bereit sein, ihm zuzuhören, und auf diese neue Situation in der Konjunktur und am Arbeitsmarkt eine Antwort finden und nicht daherreden.Vielen Dank fürs Zuhören.
Das Wort hat Frau Abgeordnete Dr. Martiny-Glotz.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich habe mich, meine Herren von der Regierung, soweit Sie noch da sind, gefragt, ob Sie bei diesem Londoner Weltwirtschaftsgipfel nicht einer Schwindelfirma aufgesessen sind. Sie hatte versprochen, das Weltwirtschaftshaus zu renovieren und hatte schon einmal ein Gerüst für einen neuen Außenanstrich aufge-
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5226 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 73. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 6. Juni 1984
Frau Dr. Martiny-Glotzstellt. Aber nun werde ich den Verdacht nicht los, daß dieses Gerüst im Grund bloß dazu da ist, um den Polier der Malerkolonne auf das prächtigste herauszustellen. Gestrichen — um im Bild zu bleiben — wird frühestens von Januar 1985 an, wenn nämlich der neue amerikanische Präsident gewählt ist und sein Amt angetreten hat, d. h. die Lameduck-Periode, die Lahme-Enten-Periode, auch noch vorbei ist, in der wir uns bereits befinden.Spöttisch formuliert das „Deutsche Allgemeine Sonntagsblatt" im Vorab des Gipfels: „Sieben und kein Streich". Das Treffen könnte sich auch in einem Besuch des Britischen Museums und der Londoner Börse erschöpfen. Man könnte vielleicht noch ein kleines Golfspiel einlegen und sich am Ende für den Januar des nächsten Jahres verabreden, wenn der Präsident gewählt ist und man endlich zur Sache kommen kann.
Aber aus dieser Debatte, meine Herren von der Regierung, habe ich gelernt: Sie beteiligen sich auch noch an dieser Schwindelfirma, weil Sie nämlich nicht von dem reden, was eigentlich auf der Tagesordnung steht: Weltwirtschaft, sondern versuchen, dies in ein Schattenboxen vor der Europawahl umzufunktionieren.
Da kriegen die Bauern noch rasch ein Zuckerle sowohl vom Kanzler wie vom Landwirtschaftsminister, und im übrigen wird die Debatte zu einer Streikdebatte umfunktioniert, damit man weiß, wer hier den Schwarzen Peter haben soll.
— Ach, Herr Glos!Ich will jetzt zu den beiden Punkten ganz gern noch etwas sagen. Zunächst, Herr Kiechle: Sie haben sich hier tapfer bemüht, schön sachlich zu sein. Das gelingt Ihnen hier leicht, denn wir sind zivilisierte Zuhörer. Bei Bauernversammlungen werden Sie es zur Zeit etwas schwerer haben.
Aber von „psychologisch korrektem Vorgehen" kann natürlich nicht gesprochen werden. Das haben auch Sie nicht geboten, daß Sie psychologisch korrekt vorgegangen wären. Sonst hätten Sie natürlich darauf hinweisen müssen, daß es in der deutschen Volkswirtschaft keine andere Branche gibt, bei der die Einkommensdisparitäten so horrend wie beim Bauernstand sind, und daß das, was Sie vorgeschlagen haben, trotz Obergrenze, vielleicht sogar wegen Obergrenze, natürlich dazu dient, denen, die eh schon genug haben, noch mehr zu geben, und denen, die wenig haben, praktisch nichts zu geben.
Was heißt denn Obergrenze? Es heißt: 300 Großvieheinheiten. Ich habe gelernt, daß eine Kuh nochnicht einmal eine Großvieheinheit ist, sondern nur0,75 Großvieheinheiten. Bloß der Bulle ist eine Großvieheinheit.
Ein Schwein ist 0,16 Großvieheinheiten und ein Huhn 0,06 Großvieheinheiten. Das bedeutet: Sie unterstützen die Agrarfabriken und nicht den familiären Kleinbetrieb.
Noch etwas, gerade da ich aus Bayern komme, auch wenn ich dort nicht geboren bin:
Wenn man sich die Struktur der bayerischen Dörfer anguckt, kann man doch nicht sagen, daß man hier etwas tut, um diese Struktur zu erhalten. Denn jeder, der volkswirtschaftlich einigermaßen rechnen kann, sieht, daß die dörfliche, die ländliche Struktur mit diesen Betrieben mit durchschnittlich 15 ha wegkippt und daß Sie nichts tun, um dies aufzuhalten.
Die getroffenen Regelungen sind etwas für den Freiherrn Heereman. Er mit seinem Großbauernverband ist ja sehr dafür, daß diese Mehrwertsteuererhöhung in diesem Umfang
— wobei man fragen muß, ob das überhaupt EG-konform ist — vorgenommen wird. Aber dem familiären Kleinbetrieb nützt dies nichts.Der zweite Punkt: Der Bundeskanzler ist ja immer so freiweg mit seinen persönlichen Bekenntnissen, was seine Familiengeschichte angeht, wenn es um Krieg und Frieden geht. Ich will einmal etwas zur Wirtschaft sagen. Ich komme aus einer Familie, in der auf die Gewerkschaften ungefähr so geschimpft worden ist, wie Graf Lambsdorff das hier immer vorführt. Infolgedessen habe ich mich schwergetan zu begreifen, was eigentlich Gewerkschaften in dieser Gesellschaft bedeuten. Graf Lambsdorff, ich habe gelernt: Wenn man Wirtschaftsdemokratie ernst nimmt, dann kann Wirtschaftsmacht nur durch gleich starke Gegenmacht kontrolliert werden.
Die Regierung ist in einer solchen Auseinandersetzung zur Neutralität verpflichtet. Was Sie hier als Regierung tun — nicht nur Graf Lambsdorff, sondern insbesondere der Bundeskanzler —, ist der Versuch, eine demokratische Grundstruktur auf dem wirtschaftlichen Felde zu zerschlagen. Das können wir uns als Sozialdemokraten wirklich nicht gefallen lassen.
Frau Abgeordnete, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 73. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 6. Juni 1984 5227
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich habe nur zehn Minuten; ich lasse keine Zwischenfrage zu.
Im übrigen hat mich diese Debatte auch ziemlich geärgert,
denn sie hat — mit Ausnahme des Streikthemas — hinsichtlich dessen, was unsere Mitbürgerinnen und Mitbürger in bezug auf die wirtschaftliche Situation beschäftigt, eigentlich nichts gebracht, wovon sich die Menschen direkt betroffen fühlen. Wenn Sie sich morgen die Zeitungen angucken, dann werden Sie sehen, daß die Journalistenkollegen von dem wenigen, was konkret, plastisch, begreiflich gesagt worden ist, auch praktisch nichts transportieren, um unseren Mitmenschen die Wirtschaft näherzubringen.
Angezettelt wurde diese Debatte, um auch den Bundeskanzler und sein Kabinett auf jenes Anstreichergerüst zu heben, das den Präsidenten Reagan so vorteilhaft heraushebt, ohne daß es wirklich mit den Ausbesserungsarbeiten am Weltwirtschaftshaus beginnen würde. So bleibt dann alles wie gehabt: Die Regierung redet vom sicheren Aufschwung; das Volk glaubt es nicht. Das Volk hat auch nichts davon, denn — wie wir gehört haben — weder geht die Arbeitslosigkeit zurück noch verbessert sich die wirtschaftliche Situation des Durchschnittsbürgers in nennenswertem Umfang.
Was den Bundesbürgerinnen und Bundesbürgern bleibt, was ihnen Angst macht, wo ihnen dieser Bundeskanzler überhaupt kein Vertrauen einflößt und warum sie sich auch von der Europawahl nichts versprechen, dazu will ich zum Abschluß ein paar Stichworte nennen.
Das Waldsterben geht überall weiter. Besonders bedrohlich ist es im Schwarzwald und im Bayerischen Wald und in den Grenzgebieten zu unseren östlichen Nachbarn. Dort häufen sich seit neuestem die Erkrankungen der Atmungsorgane bei Menschen, wie man sie bisher nur aus den schmutzigsten Stadtvierteln im Ruhrgebiet kannte.
Die Gesundheits- und Umweltrisiken durch Wasch- und Putzmittel, Lacke, Lösungsmittel Formaldehyd und viele andere chemische Substanzen bedrücken unsere Bürger immer mehr. Die Altlasten im Wasser und Boden und die fortgesetzten Umweltsünden an der Nordsee bereiten große Sorgen.
Die Arzneimittel- und die Krankenhauskosten steigen erneut und bedrohlich. Andererseits werden mehr Ärzte ausgebildet, als benötigt werden, die sich ihre entsprechende Nachfrage schon schaffen werden. Wer gebietet eigentlich der Interessenpolitik der Pharmaindustrie und der Ärzteschaft Einhalt?
Und schließlich: Wer hilft unserer Jugend, in dieser Gesellschaft einen angemessenen Platz zu finden? Ausbildungsplätze und Arbeitsplätze sind knapper denn je. Mutlosigkeit, Resignation, Vorwürfe nehmen bei der jungen Generation zu. Wo, Herr Bundeskanzler und Herr Bundeswirtschaftsminister, bleibt die nationale Politik und die Weltwirtschaftspolitik, die diesen Sorgen Rechnung trägt?
Vielen Dank.
Das Wort hat der Abgeordnete Kittelmann.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! In wenigen Tagen beginnt ein anderer Wirtschaftsgipfel, von dem heute hier nicht die Rede war; es tagt nämlich der Rat für gegenseitige Wirtschaftshilfe in Moskau. Nach 13jähriger Pause haben wir einmal Gelegenheit zu sehen, wie das System, das uns seit Jahrzehnten wirtschaftlich überholen will, seine Wirtschaftsprobleme ordnet und regelt und wie man unter der Tyrannei der Weltmacht Sowjetunion dabei ist, andere Länder wirtschaftlich ausbluten zu lassen und neue Befehle auszugeben.
Vielleicht werden alle diejenigen, die heute über Sinn oder Sinnlosigkeit des Weltwirtschaftsgipfels der freien Nationen reden, einmal darüber nachdenken, wie froh wir sein müssen, daß es heute selbstverständlich ist, daß sich die sieben großen Nationen der Welt treffen, um zu beraten, wie man der Dritten Welt, den Schwächeren, helfen kann. Das Klagelied darüber, wie sinnlos es sei, diesen Weltwirtschaftsgipfel überhaupt durchzuführen, das Sie hier angestimmt haben — Herr Mitzscherling, ich muß leider sagen: Sie auch —, schadet in erster Linie den Ländern der Dritten Welt.
Herr Dr. Vogel, Sie haben in Ihrer langen Rede etwa drei Minuten verwandt, um zum Weltwirtschaftsgipfel zu reden. Sie haben die drei Minuten gebraucht oder verbraucht, um auch zu erwähnen, daß täglich 40 000 Kinder in der Welt an Hunger sterben, und Sie haben anschließend Ihre ganze Rede dazu gebraucht, um Maßnahmen zu unterstützen, die, wenn sie umgesetzt werden würden, leider wahrscheinlich dazu führen, daß wir unsere Wettbewerbsfähigkeit verlieren und daß wir dann nicht in der Lage sind, gerade den Ländern zu helfen, die dringend auf unsere Hilfe angewiesen sind.
Wir müssen langsam erkennen, daß es zwischen diesen komplexen Situationen Zusammenhänge gibt und daß die Menschen draußen, die Ihnen zugehört haben, wahrscheinlich verwirrt waren, verwirrt vor allen Dingen deshalb, weil sie nicht kapiert haben, was Ihr Antrag, den Sie hier eingebracht haben, zum Weltwirtschaftsgipfel aussagt. Es ist doch ein Stück Unverschämtheit, hier im Deutschen Bundestag zur Erklärung der Bundesre-
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Kittelmanngierung zum bevorstehenden Weltwirtschaftsgipfel einen Antrag einzubringen, um anschließend lediglich innenpolitische Kampfaussagen zu treffen, die darüber hinaus jenseits der Wahrheit sind.
Wenn ich zu dem Antrag etwas sagen soll, dann kann ich Ihnen nur sagen: Die Bundesregierung hat keinen Eingriff vorgenommen, sondern sie hat eine Meinungsäußerung zur Sache getan, die von 80 % der Bevölkerung voll gebilligt und getragen wird.
Die SPD fordert den Deutschen Bundestag auf, eine Verurteilung zu treffen, obwohl die Bundesregierung rechtmäßig entschieden hat. Die SPD ist so tief gesunken, daß sie rechtsstaatliches Denken im Nebel versinken läßt, indem sie hier etwas verurteilt, was rechtmäßig war.
— Herr Dr. Vogel, Sie können darüber noch so sehr lachen. Dieser Antrag, den Sie hier gestellt haben, spricht gegen sich selber. Ihr Antrag greift in die Tarifautonomie ein. Sie sind bemüht, dem Deutschen Bundestag das aufzuzwingen, was Sie selbst der Bundesregierung vorwerfen. Dazu werden Sie nicht unsere Stimme und nicht unsere Unterstützung haben.
— Das glaube ich Ihnen.Zur außenwirtschaftlichen Frage darf ich abschließend sagen: Früher haben auch wir in der Opposition uns bemüht, zumindest dort Konsens zu halten, wo es für uns, für die Nation, für die Länder der Dritten Welt und für die Weltwirtschaft wichtig war.
Das, was Sie hier vorgetragen haben, waren — mit wenigen Ausnahmen, z. B. den Beiträgen von Herrn Mitzscherling — Kampfansagen, die einer Regierung, die über schwere Probleme gemeinsam mit anderen beraten muß, nicht helfen, sondern genau das Gegenteil erwirken. Die Maßnahmen gegen Protektionismus, gegen Beschränkung des liberalen Welthandels und vor allen Dingen die Hilfe für die arg bedrängten Schuldnerländer werden nicht dadurch ermöglicht, daß man hier die Regierung beschimpft, die seit Williamsburg auf einem erfolgreichen Weg weiter vorangekommen ist. Es wird dadurch geschadet, daß Sie selber zeigen, daß Sie keine Lösung haben. Sie sind dabei, sich aus der gemeinsamen Lösung dieser schweren Probleme auszuklinken. Das ist Ihr Problem. Die Öffentlichkeit hat es aber gemerkt.Schönen Dank.
Das Wort hat Frau Abgeordnete Beck-Oberdorf.
Herr Kittelmann, man fragt sich manchmal, ob Sie sich selber wirklich glauben. Das ist die typische Politik hier: Hier werden Krokodilstränen vergossen über die hungernden und sterbenden Kinder in der Welt, und gleichzeitig verschweigen Sie die Realität. Wenn Sie einmal Zeitung lesen würden, wüßten Sie es — Sie tun es und wissen es sicherlich auch —: Die Versteppung in der Welt nimmt ungeheuerlich zu. Es ist gerade heute wieder eine Meldung von der UNO darüber herausgegeben worden. Das ist eine Folge der Politik, die von hier ausgeht und die Sie vertreten.
Insofern, finde ich, ist es auch ein Skandal, wenn — —
— Ich werde das gleich ein bißchen belegen. Ich finde, es ist ein Skandal, wenn der Herr Bundeskanzler wieder einmal diesen Weltwirtschaftsgipfel nur zum Anlaß nimmt, hier für gute Stimmung zu sorgen, dann über innenpolitische Probleme zu reden, und die außenpolitischen Probleme überhaupt nicht zum Thema macht. Das paßt in das Bild von ungeheurem Wirtschaftsegoismus, der von unseren Ländern ausgeht.
Nun hat man im allgemeinen — wie gesagt — Krokodilstränen gegenüber den Dritte-Welt-Ländern vergossen. Aber nicht einmal die Mühe hat er sich heute gemacht.Ich möchte heute ein Problem herausnehmen, über das mit Sicherheit noch mehr gesprochen werden wird, nämlich die IWF-Politik. Die Dritte-WeltLänder stecken bis zum Hals in Schulden. Auch darüber kann man jammern, denn Schulden drükken. Das wissen die kleinen Leute, aber das wissen insbesondere die Gläubiger. Von dieser Seite interessiert uns die IWF-Politik, weil nämlich die DritteWelt-Länder ihre Schulden nicht mehr zurückzahlen können. Deswegen hat der IWF eine zunehmende Bedeutung in dem Verhältnis von Entwicklungsländern zu uns Industrienationen.
Lobenswert scheinen nun die IWF-Ziele, wie sie formuliert worden sind. Da geht es um die Ausweitung und ein ausgewogenes Wachstum des Welthandels. Da geht es darum, den Mitgliedern Gelegenheit zu geben, Unausgeglichenheit in ihrer Zahlungsbilanz zu bereinigen, ohne zu Maßnahmen Zuflucht nehmen zu müssen, die dem nationalen oder internationalen Wohlstand schaden. Und da soll der IWF zur Förderung und Aufrechterhaltung eines hohen Beschäftigungsgrades und Realeinkommens sowie zur Entwicklung des Produktionspotentials aller Mitgliedsländer führen. Ist hier also tatsäch-
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Frau Beck-Oberdorflich mit dem IWF eine Instanz geschaffen worden, um einen Ausgleich zwischen den armen und reichen Staaten zu erreichen? Sollten sich die reichen Länder tatsächlich eines Besseren besonnen haben und anders als unsere Vorväter zur Zeit der Kolonialisierung von der brutalen Ausbeutung der Armen abgekehrt sein? Sie kennen doch vielleicht die Zahlen aus der Zeit der Konquistadoren. Zwischen 1503 und 1660 gelangten 185 000 kg Gold und 16 Millionen kg Silber in die Häfen von Spanien. Das in etwas mehr als 150 Jahren nach Spanien gebrachte Silber überstieg dreimal die gesamten Reserven Europas. Und dabei sind diese offiziellen Zahlen noch unvollständig — ganz zu schweigen von dem blutigen Gemetzel, welches unter den Menschen angerichtet wurde, die damals dieses Gold und Silber in den Minen aus der Erde holen mußten.
Heute werden weltweit Kredite vergeben, Umschuldungen vorgenommen, Fonds zum Ausgleich von Ölverteuerung und Exportverlusten gebildet. Und was hören wir dazu aus den betroffenen Ländern? Von der in Lima abgehaltenen Konferenz der UNO-Wirtschaftskommission für Lateinamerika Anfang April bekamen wir folgende Daten. Die neun größten Banken in den USA haben 1983 an der Neufinanzierung von Schulden der Dritten Welt zwischen 70 und 130 Millionen Dollar zusätzlich verdient. Wir haben hier also den altbekannten Trick: Nach außen werden Hilfsmaßnahmen für die armen Länder vorgetäuscht, und nach innen werden über den Weg der Umschuldung sogar noch Gelder in die Taschen der Banken der westlichen Länder hineingeschaufelt. Das ist IWF-Politik!
So braucht es einen nicht zu wundern, wenn wir aus Santo Domingo hören, daß dort von den Menschen, die verzweifelt sind, die Geschäfte gestürmt werden, damit sie Brot bekommen, wenn wir von Demonstrationen in Honduras hören, die sich gegen eine Politik des IWF richten, bei der es immer heißt: Kredite bekommt ihr nur dann, wenn ihr euren Staatshaushalt saniert. — Da wird dann nicht etwa an die nationalen Regierungen appelliert, daß sie ihr Militärbudget reduzieren, sondern es wird ihnen folgende IWF-Kondition auferlegt: Lohnstop, Abwertung, Rücknahme der Unterstützung im sozialen Bereich, Stärkung der Investitionskraft des privaten Kapitals. Das ist eine klassisch monetaristische Politik, ausgetragen auf dem Rücken der Armen. Über die IWF-Politik wird diesen Ländern ein marktwirtschaftlich-kapitalistisches System aufgezwungen, wie wir es hier haben.
Der Teufelskreis von Kreditaufnahme, drückenden Zinslasten und noch höherer Verschuldung hat verheerende Auswirkungen für Mensch und Natur. Da ist es unausweichlich, daß die landwirtschaftliche Produktion in diesen Ländern nicht mehr der Eigenversorgung dienen kann, sondern am Export orientiert sein muß. Cash crops statt Nahrung, nurals Stichwort. Und die Versteppung der Erde, die sich letzten Endes auch auf uns auswirken wird, hat damit etwas zu tun.
Herausgepreßt wird dieser Export aus Monokulturen mit irrsinnigem Einsatz von Dünger und Pestiziden, an denen Bayer und BASF noch verdienen, und mit unbarmherzigem Einsatz von Menschen.
Es hat sich nichts geändert: Der Überfluß in den westlichen Nationen beruht auf dem Hunger der anderen Menschen. Und der IWF trägt mit seiner Politik wesentlich dazu bei.Die Bundesrepublik ist inzwischen das drittstärkste Land innerhalb des IWF. Sie hält 6 % der Stimmen. Sie kann also maßgeblich auf diese Politik Einfluß nehmen. Dazu kein Wort von unserem Bundeskanzler.
Die einzig vertretbare Lösung für diese sich immer mehr verschärfende Situation der Dritte-Welt-Länder wäre ein sofortiges Moratorium für die Schulden der Dritten Welt. Wir haben die verdammte Pflicht und Schuldigkeit, nicht Almosen zu verteilen, sondern von der skrupellosen Politik der Raffgier abzulassen, aus Schulden auch noch Kapital zu schlagen.Das heißt, die Länder der Dritten Welt brauchen Luft, brauchen nicht Umschuldung in die Taschen der Privatbanken, sondern Entschuldung, brauchen Förderung aller Ansätze, die den Ausbau ihrer Binnenmärkte verfolgen.Der von uns vorgelegte Antrag zum Lomé-Abkommen beinhaltet genau diese Ideen, nämlich Stärkung einer binnenwirtschaftlichen Orientierung dieser Länder. Wir fordern Sie deswegen auf, diesem Antrag zuzustimmen, fordern insbesondere die SPD auf, sich nicht der Stimme zu enthalten.Einen letzten Satz noch: Diese Politik — —
Frau Kollegin, Sie haben leider keine Redezeit mehr. Ich bin von Ihrer Fraktion ausdrücklich aufgefordert worden, die Redezeit genau einzuhalten.
Ich bitte Sie, dies auch zu tun. Danke schön. (Beifall bei den GRÜNEN)
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Hauchler.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich möchte kurz zu dem Antrag der GRÜNEN Stellung nehmen. Der Antrag liegt seit einer halben Stunde vor, und ich bitte aus diesem Grunde um Verständnis, daß wir diesen Antrag nicht studieren konnten. Wir würden einer Überweisung zustimmen. Wenn die GRÜNEN aber dar-
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Dr. Hauchlerauf bestehen, abzustimmen, müssen wir ihn ablehnen oder uns zumindest der Stimme enthalten.
Bitte haben Sie Verständnis.Zur Sache möchte ich folgende Bemerkungen machen. Das, was der Bundeskanzler heute und vor einem Jahr als zentrales Ergebnis des letzten Wirtschaftsgipfels feierte, nämlich die Vereinbarung einer gemeinsamen Strategie und die weltweite Solidarität der Industrienationen, hat sich als leere Hoffnung erwiesen. Was es in Williamsburg gab und auch heute in der Erklärung des Kanzlers wieder gibt, sind Lippenbekenntnisse.Dies gilt auch und besonders für die von allen Regierungschefs zum Ausdruck gebrachte gemeinsame Sorge um die Dritte Welt. Nichts, gar nichts wurde im zurückliegenden Jahr in dieser Hinsicht konkret erreicht. Sie wissen genau, die Lage der Entwicklungsländer hat sich weiter zugespitzt, der Nord-Süd-Dialog steht vor dem Aus.
Eintracht zwischen den Industrienationen zeigt sich nur dort, wo es darum geht, das Interessenkartell des Westens gegen die Ansprüche des Südens noch fester zu schmieden, wo man sich darauf verständigt, Hilfe dort zu streichen, wo sie nicht mit politischem Wohlverhalten honoriert wird. Ich erinnere an Nicaragua und an Tansania.Lassen Sie mich dies kurz erläutern. Erstens. Die westlichen Regierungen haben nichts getan, um die Entwicklungsländer spürbar vom Druck ihrer Schuldendienstverpflichtungen zu entlasten und um das Verschuldungsproblem strukturell und langfristig zu lösen. Hier hilft ein Krisenmanagement von Fall zu Fall nicht. Wir brauchen langfristige strukturelle Lösungen.
Diese hektische Wechselreiterei der internationalen Finanzdiplomatie müßte als kriminell bezeichnet werden, steckte dahinter nicht bereits mehr Hilflosigkeit als grobe Fahrlässigkeit.Zweitens. Die westlichen Regierungschefs, die morgen auf den 10. Wirtschaftsgipfel steigen, werden dort oben wieder exklusiv speisen und dem Elend der Massen in Afrika, Asien und Südamerika weit entrückt sein.
— Jawohl, so wird das sein! Oder werden sie endlich etwas unternehmen, um die Auflagenpolitik des IWF zu korrigieren, die in vielen Entwicklungsländern zu bürgerkriegsähnlichen Unruhen und zur Destabilisierung von Regierungen geführt hat?Weiß der Bundeskanzler und wissen Sie, meine Damen und Herren, eigentlich, wie viele Menschen durch diese satzungsmäßige Politik des IWF vor Hunger umgekommen sind,
wie viele in Tunesien, in Marokko und erst jetzt in Santo Domingo erschossen wurden, weil sie um ihr tägliches Brot kämpften?
— Diese Themen, Herr Kittelmann, müssen auf dem Wirtschaftsgipfel auch besprochen werden!
Drittens. Die nach wie vor überhöhten Realzinsen ziehen nicht nur aus den westlichen Ländern dringend benötigtes knappes Sparkapital ab; sie belasten noch weit mehr die Entwicklungsländer. Bedenken Sie: Ein Zinsprozent bedeutet angesichts des gigantischen Schuldenturms, in den auch westliche Banken die Entwicklungsländer getrieben haben, zusätzliche Zinszahlungen von 6 Milliarden Dollar. Es ist grotesk! Der Süden exportiert heute Kapital in den Norden, obwohl er selbst praktisch zu keinerlei Kapitalbildung fähig ist.Woraus wird dieser Kapitalabfluß im Süden finanziert? Aus dem Lebensstandard der Massen und erneuter Zukunftsverschuldung gegenüber dem Norden!Der Bundeskanzler sollte sich endlich in London dafür einsetzen, daß unter Freunden klar wird, daß die USA ihre Verbündeten weder militärisch noch wirtschaftlich herumkommandieren können und darauf verzichten müssen, sich ihre Rüstung und ihren Aufschwung aus den Taschen ihrer Freunde und auf dem Rücken der Ärmsten in der Dritten Welt finanzieren zu lassen. Das ist die Wahrheit.
Hieran gibt es für den Kanzler nun wirklich nichts „auszusitzen". Hier gilt es, Rückgrat zu zeigen.
— Das hat mit linker Ideologie nichts zu tun. Das sind die Realitäten, aber Sie leiden ja an Realitätsverlust.
Viertens. Fehlanzeige auch, was eine gemeinsame westliche Strategie zur Erhöhung und qualitativen Verbesserung der öffentlichen Entwicklungshilfe anlangt. Statt zu der Zusage zu stehen, die Entwicklungshilfe auf 0,7 % des Sozialprodukts zu erhöhen, wie es in der OECD vereinbart ist, kürzen Sie. Das können Sie nicht bestreiten. Und entgegen den Worten des Wirtschaftsministers vor genau einem Jahr an dieser Stelle binden Sie Entwicklungshilfe zunehmend an deutsche Lieferungen. Der Entwicklungsminister ist dabei, dem Wirtschaftsminister den Rang abzulaufen, wenn es darum geht, Marketingagent der deutschen Exportwirtschaft zu spielen.Auch wir Sozialdemokraten sind angesichts der Arbeitslosigkeit selbstverständlich daran interessiert, daß wir exportieren können und mehr expor-
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Dr. Hauchlertieren können. Dies darf jedoch nicht zu überhöhten Lieferpreisen und dazu führen, daß deutsche Großfirmen Einfluß auf Auswahl und Durchführung von Entwicklungsprojekten nehmen oder sich gar im Bundesministerium die Türklinken in die Hand geben.Meine Damen und Herren, der Bundeskanzler sollte den Londoner Gipfel wirklich zu einer Initiative nutzen, um der Welt zu zeigen, daß die von ihm angekündigte Solidarität der großen westlichen Industrienationen nicht eine Solidarität der Reichen gegen die Armen, sondern eine Solidarität der Industrienationen mit der Dritten Welt ist.Vielen Dank.
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Ich möchte Ihnen mitteilen, daß der von Frau Beck-Oberdorf eben mitbegründete Entschließungsantrag der GRÜNEN auf Drucksache 10/1545 rechtzeitig vorgelegen hat, aber durch ein technisches Versehen nicht verteilt worden ist.
Wir stimmen jetzt ab über diesen Entschließungsantrag.
— Pardon, ich bin jetzt beim Entschließungsantrag auf Drucksache 10/1545. Über den können wir abstimmen, dann über den Entschließungsantrag der SPD. Danach gibt es noch einen Antrag von Ihnen. Alles klar? — Gut.
Wir stimmen jetzt ab über den Entschließungsantrag der GRÜNEN auf Drucksache 10/1545. Wer diesem Antrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen?
— Der Antrag ist abgelehnt.
Ich rufe jetzt den Entschließungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 10/1548 auf. Wer diesem Antrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen?
— Bei einigen Enthaltungen mit Mehrheit abgelehnt.
Wir kommen jetzt zum Zusatzpunkt 1 der Tagesordnung. Hier liegt der Antrag der GRÜNEN auf Drucksache 10/1523 vor. Er wird begründet von Herrn Abgeordneten Kleinert.
Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben auch in dieser Debatte wieder erlebt, wie massiv die Bundesregierung jede Chance nutzt, um ihre Kampagne gegen die Gewerkschaften und die streikenden Arbeitnehmer mit der lächerlichen Behauptung, der Streik gefährde den Aufschwung, fortzusetzen. Um so wichtiger ist es, daß der Deutsche Bundestag die Gelegenheit wahrnimmt, hier und heute eindeutig zur Aussperrung Stellung zu beziehen. Das ist insbesondere deshalb wichtig, weil durch die skandalöse Entscheidung der Bundesanstalt für Arbeit, bei Kurzarbeit und Arbeitslosigkeit keine Gelder an dieBetroffenen auszuzahlen, wenn der Arbeitsausfall indirekt durch Streik bedingt ist, die Folgen der Aussperrung verschlimmert und auf einen wesentlich größeren Personenkreis ausgedehnt werden. Wenn sich diese Bundesregierung mit dem Wirtschaftsgrafen an der Spitze schon derart eindeutig als Sachwalter derjenigen versteht, von denen Sie Ihre Parteispendengelder beziehen, dann ist es um so wichtiger, daß der Deutsche Bundestag zur Aussperrung hier eindeutig Stellung nimmt.
Hier zur Aussperrung eindeutig Stellung zu nehmen ist auch noch deswegen besonders wichtig, weil gerade der Wirtschaftsgraf Lambsdorff mit dem Hinweis auf die Japaner vorhin sehr deutlich gemacht hat, worum es Ihnen eigentlich geht. Ich habe Ihre Außerungen von vorhin und Ihre Argumentationslosigkeit so verstanden, daß Sie das Streikrecht insgesamt am liebsten abschaffen wollen.
Der Streik — und ganz besonders dieser Streik — ist eine Notwehrmaßnahme der abhängig Beschäftigten gegen die Macht der Unternehmer. Die Arbeitnehmer können der wirtschaftlichen Macht der Unternehmer nur durch gemeinsame Arbeitsverweigerung wirklich etwas entgegensetzen.
Die Aussperrung ist demgegenüber kein Mittel, das Waffengleichheit im Arbeitskampf herstellen würde. Vielmehr erhöht die Aussperrung das Ungleichgewicht zugunsten der Unternehmer. Deshalb können Streik und Aussperrung nicht als gleichberechtigte Mittel im Arbeitskampf angesehen werden. Wer das tut, betreibt im Grunde eine groteske Verzerrung der wirklichen wirtschaftlichen Machtverhältnisse.
Wer das Streikrecht wirklich als wesentlichen Bestandteil der Demokratie versteht, muß sich entschieden dagegen wenden, daß das Streikrecht durch Aussperrung und solche Entscheidungen wie die der Bundesanstalt für Arbeit, die von dieser Bundesregierung mitgetragen werden, eingeschränkt wird. Deshalb ist es notwendig, hier im Bundestag nicht nur festzuhalten, wie das in unserem Antrag zum Ausdruck kommt, daß sich der Bundestag dagegen wendet, daß jetzt schon versucht wird, den Streikenden die Schuld für die wirtschaftlichen Schwierigkeiten, in die Sie demnächst wieder kommen werden, in die Schuhe zu schieben, sondern auch ganz eindeutig, klipp und klar zu sagen: Die Aussperrung wird als Mittel zur Einschränkung des Streikrechts verurteilt und zurückgewiesen. Dabei genügt es nicht, das hier bloß als Meinungsäußerung zu dokumentieren, sondern es muß auch darum gehen, die Aussperrung gesetzlich
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Kleinert
anzugehen. Deswegen haben wir gestern auch beschlossen, einen Gesetzentwurf zum gesetzlichen Verbot der Aussperrung in der Bundesrepublik Deutschland einzubringen.Zum Schluß noch ein Wort zum Text der Anträge. Der Wirtschaftsgraf Lambsdorff hat uns vorgeworfen, wir würden in unserem Antrag den Bundestag auffordern, Gewalttaten zu billigen; er hat sich dabei auf Betriebsbesetzungen bezogen. Hierzu ist nur kurz die Frage zu stellen: Worum geht es denn bei Betriebsbesetzungen in der Regel? Betriebsbesetzungen sind doch in aller Regel Akte der Notwehr der von Arbeitslosigkeit und Firmenzusammenbrüchen Betroffenen. Und Sie bezeichnen solche Akte der Notwehr hier als Gewaltakte. Gewaltakte sind für uns viel eher Unternehmensentscheidungen, die zur Existenzbedrohung und zur Existenzvernichtung von Tausenden von Familien führen. Deswegen hat diese Passage in dem Antrag auch ihren guten Sinn.
Ein allerletztes Wort zum SPD-Antrag und zur Begründung unserer Stimmenthaltung. Wir teilen die Grundposition, die in dem Antrag zum Ausdruck kommt, die Grundposition, die sich eindeutig gegen Aussperrung wendet. Wir sehen aber in der Begründung, die Sie hier vorgelegt haben, eine ganze Reihe von Inkonsequenzen und von Punkten, die wir so nicht mittragen können. Deshalb haben wir uns der Stimme enthalten, deshalb müssen wir auf unserem eigenen Antrag bestehen.Wir bitten hier um Zustimmung.
Das Wort hat der Abgeordnete Lutz.
Sie haben soeben unseren Antrag, der die Thematik richtig beschrieben und Sie gebeten hat, dieser Bundesregierung einen Tadel zu erteilen, abgelehnt.
Sie haben dies getan, obwohl er in Ordnung war.
Der Antrag, den Sie jetzt eingebracht haben, richtet sich nicht nur gegen die Bundesregierung, sondern auch gegen uns.
Wir werden diesen Antrag deshalb ablehnen. Sie wissen sehr genau, daß wir in dieser Situation keinen hektischen Aktionismus, sondern eine vernünftige Kooperation mit den Gewerkschaften in diesem Lande haben wollen.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.
Meine Damen und Herren, wir kommen zur Abstimmung. Wer dem Antrag der GRÜNEN auf Drucksache 10/1523 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der Antrag ist abgelehnt.
Meine Damen und Herren, ich unterbreche die Sitzung bis 14 Uhr. Wir beginnen dann mit der Fragestunde.
Die Sitzung ist wieder eröffnet. Wir fahren in den Beratungen fort. Ich rufe Punkt 1 der Tagesordnung auf:
Fragestunde
— Drucksache 10/1538 —
Meine Damen und Herren, wir beginnen mit dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten. Zur Beantwortung steht der Herr Parlamentarische Staatssekretär Dr. von Geldern zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 1 des Herrn Abgeordneten Kirschner auf:
Wie werden sich die von der Bundesregierung beabsichtigte Erhöhung der Vorsteuerpauschale um 5 v. H. ab 1. Juli 1984 und die Agrarbeschlüsse der EG auf die Einkommen der landwirtschaftlichen Vollerwerbsbetriebe, gestaffelt nach Vierteln wie im Agrarbericht, auswirken?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Herr Kollege Kirschner, die Bundesregierung hat über die Auswirkungen der Agrarbeschlüsse der Europäischen Gemeinschaft auf die Einkommen der Vollerwerbsbetriebe schon verschiedentlich berichtet. Zusammenfassend stellt sich die Situation — bezogen auf ein volles Wirtschaftsjahr — folgendermaßen dar.Ohne Ausgleich über eine Umsatzsteueranhebung und sonstige flankierende Maßnahmen zur Sicherung der Einkommen, z. B. Erhöhung der Bundesmittel für die Unfallversicherung, würden die Einkommen in den Vollerwerbsbetrieben auf Grund der Beschlüsse erheblich zurückgehen. Dabei ist auch zu berücksichtigten, daß die Einkommen auf Grund von Entscheidungen der Kommission, z. B. der Verlängerung der Zahlungsfristen, stärker sinken dürften, als zunächst angenommen werden konnte. Aus diesen Gründen ist eine Aufbesserung der nationalen Einkommenshilfen unerlässlich, für die sich die Bundesregierung gegenwärtig einsetzt und die einen weitgehenden Ausgleich der sonst zu erwartenden Einkommenseinbußen bringen wird.Ihre Frage zu den nach Vierteln differenzierten Auswirkungen der Agrarbeschlüsse und des Ausgleichs über die Umsatzsteuer ist aus methodischen Gründen nicht quantifiziert zu beantworten. Eine einfache Kalkulation auf Grund der im Agrarbericht veröffentlichten Ergebnisse würde jedenfalls zu ganz falschen Schlußfolgerungen verleiten, denn
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Parl. Staatssekretär Dr. von Gelderndie Betriebe werden erst nach Feststellung ihres Gewinns in die Einkommensviertel eingeteilt. Die Gewinne können mit sehr unterschiedlichen Umsätzen erwirtschaftet werden, so daß die Einteilung in Gewinnklassen keine Aussage über die Höhe der Ausgleichsbeträge zuläßt.
Da sich die Umsätze zwischen den Vierteln in der Größenordnung nicht wesentlich unterscheiden, kann eine am Umsatz ausgerichtete Maßnahme in Betrieben der unteren Viertel durchaus zu ähnlichen Ausgleichsbeträgen führen wie für Betriebe der oberen Viertel. Auf den niedrigen Gewinn in den einzelnen Vierteln bezogen, ergeben sich dann sehr hohe Veränderungsraten, die aber wiederum agrarpolitisch nicht aussagefähig sind.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Kirschner.
Herr Staatssekretär, teilen Sie die Auffassung, daß besonders umsatzstarke Betriebe von der 5%igen Vorsteuerpauschale, wie sie geplant ist, profitieren werden, und können Sie beispielsweise angeben, wie hoch der Ausgleichsbetrag für einen Milchviehbetrieb mit heute 80 000 DM Umsatz und für einen Veredelungsbetrieb beispielsweise mit 800 000 DM Umsatz sein wird?
Dr. von Geldern, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Kirschner, es liegt auf der Hand, daß der Abbau des positiven deutschen Grenzausgleichs — das ist ja einer der wichtigen Hintergründe für die Ausgleichsmaßnahme — besonders stark Betriebe betrifft, die einen besonders hohen Umsatz haben. Umgekehrt greift auch die Hilfsmaßnahme der Verbesserung der Abzugspauschale bei der Mehrwertsteuer an derselben Stelle — ich meine, daß das folgerichtig ist — ein und kommt den Betrieben, die einen höheren Umsatz haben, natürlich auch stärker zugute, wie jede Entlastung bei der Steuer demjenigen, der mehr Steuern zahlt, mehr Entlastung als demjenigen bringt, der weniger Steuern zahlt.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Kirschner.
Herr Staatssekretär, sind Sie mit mir der Auffassung, daß ein Umsatzsteuerausgleich in der genannten Höhe von 5 % Schweinemast- und Geflügelhaltungsbetrieben ungerechtfertigte Gewinnmitnahmen bringt, und können Sie angeben, wie die Einkommenssituation in den einzelnen Betriebsformen mit und ohne Mehrwertsteuerausgleich aussehen wird?
Dr. von Geldern, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Kirschner, jetzt verlassen Sie mit Ihrer Zusatzfrage doch den Ausgangspunkt und erwarten von mir Rechnungen, die ich nicht ad hoc im Kopf anstellen kann. Ich würde Ihnen das gerne schriftlich nachreichen.
Die Situation ist in den einzelnen Bereichen sicher unterschiedlich — das möchte ich jetzt noch gern grundsätzlich antworten —, aber wir sind schon der Überzeugung, daß die Einbußen, die auf
Grund der europäischen agrarpolitischen Beschlüsse auf die gesamte Landwirtschaft zukommen, ausgeglichen werden müssen und mit dieser Maßnahme auch ausgeglichen werden können.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Eigen.
Herr Staatssekretär, sind Sie mit mir der Meinung, daß man wirtschaftliche Probleme auch wirtschaftlich lösen muß, daß man soziale Probleme auf der Sozialebene lösen muß und daß man diese Dinge nicht miteinander verquicken darf?
Dr. von Geldern, Parl. Staatssekretär, Herr Kollege Eigen, ich glaube, daß diese Aussage grundsätzlich richtig ist.
Ich rufe die Frage 2 des abgeordneten Kirschner auf:
Auf welchen Betrag belaufen sich die nationalen Beihilfen und Subventionen im letzten Jahr für die Landwirtschaft, und wie gliedern sie sich auf?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Dr. von Geldern, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Kirschner, nach dem Neunten Subventionsbericht der Bundesregierung — das ist die Drucksache 10/352 — betrugen die Subventionen des Bundes für den Bereich Ernährung, Landwirtschaft und Forsten im vergangenen Jahr 2,58 Milliarden DM. Das waren 9 % der gesamten Subventionen des Bundes.
Der Gesamtbetrag gliedert sich in 2,286 Milliarden DM Finanzhilfen und 296 Millionen DM Steuervergünstigungen des Bundes auf. Über die Gesamthöhe der Finanzhilfen der Bundesländer für den Bereich Ernährung, Landwirtschaft und Forsten liegen der Bundesregierung detaillierte Zahlen nicht vor.
Ich könnte die Finanzhilfen, die ich eben pauschal angesprochen habe, jetzt noch differenzieren, wenn Sie wollen. Ich kann Ihnen das aber auch gern schriftlich zuleiten.
Zusatzfrage, bitte.
Damit bin ich einverstanden, Herr Staatssekretär. — Ich möchte aber trotzdem eine Frage anhängen. Ich habe nach den nationalen Beihilfen gefragt. In dem von Ihnen genannten Betrag sind — wenn ich das richtig überblicke — die Beihilfen bzw. die Bundeszuschüsse zur Altershilfe, zur landwirtschaftlichen Krankenversicherung oder zur Landabgaberente nicht enthalten. Könnten Sie diese Summen im Zusammenhang mit Beihilfen — was ich ja gefragt habe; das verstehe ich darunter mit — aufführen?Dr. von Geldern, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Kirschner, ich habe eben den Gesamtbereich Finanzhilfen und auch den Bereich Steuervergünstigungen erwähnt. Sie sprechen jetzt ausdrücklich
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5234 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 73. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 6. Juni 1984
Parl. Staatssekretär Dr. von Gelderndie Altershilfe an. Ich kann Ihnen die Zahlen durchaus nennen. Sie lassen sich ja auch im Haushalt nachlesen: Zuschuß zur landwirtschaftlichen Altershilfe, zur Krankenversicherung für Landwirte und für den Küstenschutz. Diese Maßnahmen sind aber, weil sie unmittelbar auf Privatpersonen bezogen sind oder weil sie allgemeine Staatsausgaben darstellen, im Neunten Subventionsbericht für den Agrarbereich nicht enthalten, d. h. sie sind hier nicht mit unter dem Begriff der Subventionen aufgeführt und zu verstehen.
Zweite Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Kirschner.
Herr Staatssekretär, ich habe nicht nur nach den Subventionen gefragt, sondern auch nach den Beihilfen, und darunter verstehe ich dies. Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie mir dies nachliefern würden.
Dr. von Geldern, Parl. Staatssekretär: Ich kann das gerne jetzt tun. Das sind nur drei Positionen: Zuschuß zur landwirtschaftlichen Altershilfe 2 Milliarden DM, Zuschuß zur Krankenversicherung für Landwirte 986 Millionen DM und Küstenschutz 136 Millionen DM.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Eigen.
Herr Staatssekretär, ist es nicht richtig, daß diese Summen für die Sozialpolitik der Landwirtschaft deshalb nicht im Subventionsbericht stehen, weil es sich um einen Ausgleich von Staats wegen für den ungeheureren Strukturwandel handelt, den die Landwirtschaft ähnlich wie der Bergbau hat durchmachen müssen, und daß man diese Maßnahmen im Sozialbereich den Knappschaftsausgaben gleichsetzen kann?
Dr. von Geldern, Parl. Staatssekretär: Ich hatte das, Herr Kollege Eigen, eben schon gesagt. Nach Auffassung der Bundesregierung sind die zuletzt genannten Beihilfen nicht als Subventionen anzusehen und deshalb auch im Subventionsbericht nicht aufgeführt.
Danke schön, Herr Staatssekretär.
Dann rufe ich den Geschäftsbereich des Bundesministers für das Post- und Fernmeldewesen auf. Zur Beantwortung steht der Herr Parlamentarische Staatssekretär Rawe zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 3 des Herrn Abgeordneten Fischer auf:
Ist die Bundesregierung bereit, die 2000 jungen Fernmeldetechniker, deren Ausbildung im Spätsommer dieses Jahres beendet sein wird, bei der Deutschen Bundespost weiter zu beschäftigen?
Bitte sehr, Herr Staatssekretär.
Herr Kollege Fischer, die Deutsche Bundespost bildet im Jahre 1984 12 300 junge Menschen aus, d. h. sie beenden
in diesem Jahr ihre Ausbildung. Davon werden etwa 10 400 ein Arbeitsverhältnis bei der Deutschen Bundespost antreten. Das entspricht einem Stand von 85 %.
Die Bundesregierung bedauert es außerordentlich, daß im Fernmeldebereich, wo 3 900 Auszubildende ihre Ausbildung beenden, zur Zeit noch nicht für alle Unterbringungsmöglichkeiten vorhanden sind. Nach dem gegenwärtigen Stand kann ich Ihnen sagen, daß wir etwa 2 000 dieser 3 900 unterbringen können. Aus Sorge um die Beschäftigungsmöglichkeiten für die junge Generation hat der Bundespostminister gerade in diesen Tagen erneut alle Dienststellen des Unternehmens Deutsche Bundespost aufgefordert, auf das sorgfältigste alle Beschäftigungsmöglichkeiten mit dem Ziel zu überprüfen, möglichst viele auch dieser restlichen noch unterzubringen.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Fischer.
Herr Staatssekretär, können Sie mir sagen, wie groß die Chance ist, daß diese 2 000 jungen Leute, von denen Sie sprachen, auch tatsächlich weiterbeschäftigt werden können, und in welcher Weise — in ihrem Beruf oder in anderen Bereichen — sollen sie weiterbeschäftigt werden?
Rawe, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich sagte schon, sie werden nicht alle ausbildungsgerecht untergebracht werden können. Wie viele noch zusätzlich untergebracht werden können, hängt natürlich von den technischen, von den betriebswirtschaftlichen, aber auch von den personalwirtschaftlichen Belangen ab. Sie wissen ganz genau, daß das Unternehmen Deutsche Bundespost unter der ständigen Aufsicht des Bundesrechnungshofs steht und daß wir alle diese Belange zu berücksichtigen haben. Gleichwohl wollen wir versuchen, zu tun, was in unseren Kräften steht, um auf Grund der Mehrarbeit, die sich z. B. auch im Bereich der Breitbandverkabelung ergeben hat, möglichst viele unterbringen zu können.
Eine zweite Zusatzfrage, Herr Abgeordneter.
Herr Staatssekretär, ist sichergestellt, daß zumindest bei denen, die Sie jetzt übernehmen wollen, der Übergang vom Ausbildungsverhältnis zum Arbeitsverhältnis nahtlos erfolgt?
Rawe, Parl. Staatssekretär: Bei denen, von denen jetzt schon feststeht, daß wir sie übernehmen können, Herr Kollege, ist das sichergestellt. Hinsichtlich der anderen kann ich nicht ausschließen, daß es vorübergehende Wartezeiten gibt; denn Sie können sich vorstellen, daß das sorgfältige Überprüfen einige Zeit in Anspruch nimmt. Ich rechne damit, daß unsere Ämter und Direktionen uns etwa Ende Juli die letzten Übersichten geben können.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Klejdzinski.
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 73. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 6. Juni 1984 5235
Herr Staatssekretär, darf ich Sie fragen, wie viele Überstunden bei der Deutschen Bundespost geleistet werden und wie viele Überstunden abgebaut werden könnten, wenn man die jetzt nicht zu beschäftigenden Fernmeldehandwerker beschäftigen würde.
Rawe, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, diese Frage steht natürlich nicht in einem unmittelbaren Zusammenhang mit der eingebrachten Frage. Aber ich beantworte sie Ihnen trotzdem gerne.
— Keine Aufregung. Ich sage Ihnen j a: Ich beantworte sie Ihnen trotzdem gerne.
Der Anfall an Überstunden ist sehr unterschiedlich. Das hängt einfach damit zusammen, daß wir schon immer dann Überstunden haben, wenn beispielsweise an Feiertagen Dienst geleistet werden muß. Wie aber diese Überstunden rückvergütet werden können, hängt auch vom Tarifrecht ab, wie Sie wissen; denn nicht alle Überstunden, die geleistet werden, können wir tarifrechtlich durch Freizeit ausgleichen. Wir müssen sie manchmal auch bezahlen.
Die Schwierigkeiten beim Ausgleich bestehen vor allen Dingen dann, wenn an einer Stelle drei Überstunden anfallen, an der nächsten fünf und sich das über das gesamte Bundesgebiet verstreut. Dann ist es außerordentlich schwierig, das durch den Einsatz von zusätzlichen Kräften auszugleichen. Ich denke, Sie sehen das Problem.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Reschke.
Herr Staatssekretär, welche Kosten entstünden, wenn man für diese etwa 2 000 jungen Leute Planstellen schaffen würde? Vielleicht geben Sie auch einmal einen Hinweis darauf, welche Planstellen im Fernmeldebereich auf Grund des Überstundenanfalls von fast 1 Million Stunden
— so die Mitteilung der Gewerkschaft — bei der Deutschen Bundespost unbesetzt sind.
Rawe, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich weiß nicht, ob Sie unter denen waren, die uns das alles schon schriftlich zugesandt haben.
— Ich gehe davon aus. Alle Vorschläge, die Sie von unserem größten Tarifpartner her uns immer erneut unterbreiten, haben wir sorgfältig geprüft. Ich glaube, stärker, als mein Minister das durch seine erneute Anordnung zum Ausdruck gebracht hat, auch die letzte Beschäftigungsmöglichkeit auszuschöpfen, kann man in einem wirtschaftlich zu führenden Unternehmen diese Frage wirklich nicht angehen.
Ich rufe die Frage 4 der Abgeordneten Frau Reetz auf:
Welche postpolitischen Ziele verfolgte Bundespostminister Schwarz-Schilling mit seiner Reise nach China, die er, wie das Nachrichtenmagazin DER SPIEGEL Nr. 17/84, Seite 25, berichtet, zusammen mit seiner Ehefrau unternahm, und wie wurden die Kosten der Reise gedeckt?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Rawe, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin Reetz, die Reise des Bundespostministers erfolgte auf Einladung der chinesischen Regierung. Sie hatte das Ziel, die deutsch-chinesische Zusammenarbeit auf dem Gebiet des Post- und Fernmeldewesens zu intensivieren. Im Bereich des Fernmeldewesens wurden wirtschaftliche Kontakte und Möglichkeiten der technischen Kooperation vorbereitet, und im Bereich Postwesen wurde die Entsendung von Experten nach China und die Ausbildung von chinesischen Postangehörigen im Bereich der Deutschen Bundespost vereinbart.
Ich denke, daß Sie darüber hinaus aus Ihren Erfahrungen mit einer Delegationsreise des Ausschusses für das Post- und Fernmeldewesen nach Japan und Indonesien selbst den hohen Informationswert solcher Reisen kennen.
Darüber hinaus will ich aber auch gern hinzufügen, daß mir ein Artikel des „Handelsblatts" vorliegt, der deutlich macht, wie sehr gerade China daran interessiert ist, deutsche Fernmeldeerfahrungen mit uns auszutauschen.
Sie haben weiter nach den Kosten gefragt. Wie bei solchen Einladungen international üblich, tragen die Einlader die Aufenthaltskosten und diejenigen, die dorthin fahren, die Flugkosten.
Zusatzfrage, Frau Abgeordnete Reetz.
Herr Staatssekretär, stimmt es, daß der Herr Bundespostminister diese Reise aus wissenschaftlichem Interesse gern schon im vorigen Jahr gemacht hätte, aber keine Einladung von der chinesischen Regierung bekommen hat?
Rawe, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin, dies ist mir nicht bekannt. Aber es ist richtig, daß mein Minister schon öfter zu Aufenthalten in China war. Sie sollten vielleicht nicht immer alles, was in so mancher Zeitung steht, so ernst nehmen. Das gilt auch für den letzten Satz in diesem Artikel, in dem es heißt, der Minister habe noch einen privaten Aufenthalt in diesem Land gehabt. Auch das ist unzutreffend.
Haben Sie noch eine Zusatzfrage? — Bitte, Frau Kollegin.
Meinen Sie mit „manche Zeitung" den „Spiegel"?
Rawe, Parl. Staatssekretär: Ich weiß nicht, welche Sie alle lesen. Es ist auch nicht meine Aufgabe, das festzustellen.
Zusatzfrage, Frau Abgeordnete Steinhauer.
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5236 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 73. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 6. Juni 1984
Herr Staatssekretär, war es auch ein Ziel der Reise, eventuell unser Post- und Fernmeldesystem einschließlich Kabelfernsehen nach China zu übertragen?
Rawe, Parl. Staatssekretär: Welch großes Interesse die chinesische Regierung an diesem Besuch gehabt hat, und zwar insbesondere auch für die Fragen, die Sie jetzt gerade angesprochen haben, nämlich wie man Fernsehprogramme vernünftig ausstrahlen und verteilen kann, mögen Sie daran erkennen, daß schon in diesem Monat der chinesische Postminister uns einen Gegenbesuch abstattet, um hier seine Informationen zu vertiefen.
Herr Abgeordneter Lutz, eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, ich hätte gern gewußt, welche Kontinente der Herr Postminister in der nächsten Zeit noch mit seinem Ratschlag bedenkt.
Das steht nicht im Zusammenhang mit der Frage; tut mir leid. Aber wenn der Herr Staatssekretär zu antworten wünscht, bitte.
Rawe, Parl. Staatssekretär: Wissen Sie, ich füge mich in diesem Fall der Anordnung der Frau Präsidentin.
Das ist eine gute Regel.
Danke vielmals.
Damit sind die Fragen aus dem Bereich Ihres Ministeriums erledigt. Ich danke Ihnen, Herr Staatssekretär.
Wir kommen zu den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau. — Ich sehe, daß der Herr Abgeordnete Dr. Sperling nicht da ist. Herr Staatssekretär, es tut mir leid, aber die Fragen 5 und 6 werden nicht beantwortet, auch nicht schriftlich. Sie müssen neu eingebracht werden, wenn eine Antwort gewünscht wird. Danke schön.
Wir kommen zum Bereich des Bundesministers für Bildung und Wissenschaft. Zur Beantwortung steht Herr Parlamentarischer Staatssekretär Pfeifer zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 7 der Abgeordneten Frau Odendahl auf:
Wie hat sich nach Auffassung der Bundesregierung die Zahl der BAföG-Anträge von Studienanfängern in Aachen und Freiburg bei richtiger Zählung entwickelt — in einer Erklärung des Bundesministeriums für Bildung und Wissenschaft vom 18. April 1984 wurde die Umfrage des Deutschen Studentenwerks über Änderungszahlen bzw. Rückgang der BAföG-Anträge von Studienanfängern insbesondere hinsichtlich der Ergebnisse in Aachen und Freiburg kritisiert —, und welche neuen Ergebnisse liegen vor?
Bitte sehr, Herr Staatssekretär.
Frau Präsident! Frau Kollegin Odendahl, die Zahl der BAföG-Erstanträge ist in Aachen von 3 541 auf 3 157 zurückgegangen. In Freiburg wird zwischen Erstanträgen und Wiederholungsanträgen nicht unterschieden. Die Gesamtzahl der Anträge ist von 7 378 auf 6 537 zurückgegangen. Ich weise aber mit Nachdruck darauf hin, daß aus diesen Zahlen nicht auf einen entsprechenden bundesweiten Trend geschlossen werden kann. Wir verfügen nicht über eine Bundesstatistik. Wohl aber wissen wir, daß das Bild sehr uneinheitlich ist. Es gibt auch Hochschulen, besonders Fachhochschulen im technischen Bereich, bei denen die Zahl der Anträge von Studienanfängern gestiegen oder der Rückgang nur gering ist. Als Beispiel nenne ich die Gesamthochschule Dortmund mit einer Steigerungsrate von 1,04 % und die Fachhochschule Konstanz mit einer Steigerungsrate von 2 %. Im übrigen waren ein gewisser Rückgang von Anträgen und, was für ein Leistungsgesetz wesentlich entscheidender ist, ein gewisser Rückgang von Bewilligungen stets zu beobachten, wenn die letzte Anpassung ein Jahr oder länger zurücklag. Hier wirkt sich der Anstieg der Bruttoeinkommen aus. Um dies auszugleichen, hat die Bundesregierung Ende 1983 das 8. Änderungsgesetz zum Bundesausbildungsförderungsgesetz vorgelegt, das inzwischen in Kraft getreten ist. Als dessen Folge werden die Bewilligungszahlen im Herbst 1984 wieder steigen.
Zusatzfrage, Frau Abgeordnete Odendahl.
Herr Staatssekretär, ich entnehme Ihrer Antwort, daß Sie die berichtigten Zahlen von Aachen als Zeichen einer normalen Entwicklung ansehen und daß Sie trotz eines Rückgangs, der ja, wenn man die Gesamtzahlen betrachtet, zu verzeichnen ist, darin keine Besonderheit sehen. Meine Zusatzfrage: Ist die Bundesregierung denn bereit, den Bundestag objektiv über die Änderung der Zahl der Förderungsanträge im Schüler- und Studentenbereich für 1983/84 gegenüber 1982/ 83 zu unterrichten? Das erscheint nötig, da es Zweifel an der Auswertung gibt.
Pfeifer, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin, ich sage noch einmal, daß der Rückgang von Erstanträgen an einzelnen Hochschulen nach meiner Einschätzung nicht auf die Umstellung der Leistungen auf Volldarlehen zurückzuführen ist, sondern daß dafür andere Faktoren maßgebend sind. Aber ich bin gern bereit, wenn Sie es wünschen, den gesamten Themenkomplex im zuständigen Ausschuß im einzelnen vorzutragen und zu erörtern, sobald wir zuverlässige Unterlagen zur Verfügung haben.
Keine weitere Zusatzfrage. Danke schön, Herr Staatssekretär.Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers für wirtschaftliche Zusammenarbeit auf. Herr Staatssekretär Dr. Köhler steht zur Beantwortung zur Verfügung.Ich rufe die Frage 8 des Abgeordneten Schwenninger auf:
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 73. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 6. Juni 1984 5237
Vizepräsident Frau RengerWas hat die Erstellung des vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit herausgegebenen Posters „Von Kindern in fernen Ländern" insgesamt gekostet?Bitte sehr, Herr Staatssekretär.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Präsidentin, ich beantworte die Frage wie folgt. Die Herstellung von 210 000 Exemplaren der Kinderwandzeitung hat gemäß der Endabrechnung 119 540,19 DM gekostet.
Haben Sie eine Zusatzfrage, Herr Kollege? Bitte.
Ist die Bundesregierung, Herr Staatssekretär, mit mir der Meinung, daß es eine Zumutung für den deutschen Steuerzahler ist, solches Unterrichtsmaterial mit neokolonialen Tendenzen zu finanzieren?
Dr. Köhler, Parl. Staatsekretär: Die Bundesregierung, Herr Kollege Schwenninger, teilt weder Ihre Meinung noch Ihre Unterstellung, daß diese Wandzeitung neokoloniale Tendenzen enthält.
Haben Sie eine weitere Zusatzfrage, Herr Kollege?
Ja. Welche weiteren pädagogischen Materialien in dieser Richtung sind beim BMZ in Planung, und wie hoch werden die Kosten dafür sein?
Dr. Köhler, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Schwenninger, wir sind in einem laufenden Prozeß der Erstellung oder der Unterstützung der Erstellung von Materialien der verschiedensten Art, z. B. für den Bereich der Schulen. Ich bin leider außerstande, dieses Gesamtvolumen hier jetzt aufzuzählen. Die Kosten lassen sich erst auf Grund der Ausschreibungen quantifizieren. Wenn Sie es wünschen, können wir im zuständigen Ausschuß gern darüber berichten.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Peter.
Herr Staatssekretär, kann ich davon ausgehen, daß dieses in Entwicklung befindliche Material den Grundsätzen der Pluralität in der Darstellung entspricht?
Dr. Köhler, Parl. Staatssekretär: Davon können Sie ausgehen, Herr Kollege. Dafür spricht allein schon die Tatsache, daß wir auch die Berater, die in der Vergangenheit das BMZ beraten haben, weiter im Gespräch halten. Die Jury für die Verleihung des vom BMZ ausgesetzten Kinderillustrationspreises, die heute in Troisdorf tagt, ist entsprechend pluralistisch zusammengesetzt.
Frau Abgeordnete Reetz, eine Zusatzfrage. Bitte schön.
Denken Sie auch noch an andere Poster, z. B. „Frauen in fernen Ländern"
oder vielleicht auch „alte Leute in fernen Ländern"?
Herr Staatssekretär, möchten Sie darauf antworten? — Bitte sehr.
Dr. Köhler, Parl. Staatssekretär: Frau Präsidentin, im Augenblick existieren solche Pläne nicht. Wir sind für solche Anregungen aber durchaus offen.
Das ist ja ausgezeichnet, finde ich.
Dr. Köhler, Parl. Staatssekretär: Frau Präsidentin, vielleicht gestatten Sie mir noch einen Zusatz hinsichtlich der Beantwortung der vorigen Frage.
Gerne.
Dr. Köhler, Parl. Staatssekretär: Wir haben kürzlich dem zuständigen Ausschuß in verschiedener Weise darüber berichtet, welche hohe Bedeutung wir gerade der Frau im Entwicklungsprozeß zumessen. Die Deutsche Stiftung hat ein entsprechendes Symposium veranstaltet. Dies ist eindeutige Linie der Politik des BMZ.
Ich rufe Frage 9 des Herrn Abgeordneten Schwenninger auf:
Wurde vor Erstellung dieses Posters die seit langen Jahren vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit finanziell unterstützte Arbeitsgruppe „Dritte Welt in der Grundschule" unter Leitung von Prof. Rudolf Schmitt, Bremen, dazu konsultiert, und wenn nein, warum nicht?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Dr. Köhler, Parl. Staatssekretär: Das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit, Herr Kollege Schwenninger, fördert den Arbeitskreis Grundschule e. V. in Frankfurt. Im Rahmen dieser Förderung gibt Professor Schmitt eine Fachbeilage „Dritte Welt in der Grundschule" im WestermannVerlag heraus.
Das Anliegen der Kinderwandzeitung, die ja für Kinder im Vorschulalter und im Grundschulalter bestimmt ist, ist ein anderes Anliegen als das des genannten Arbeitskreises. Während dieser Arbeitskreis die Bearbeitung von Lehrmitteln für den Schulunterricht betreibt, soll die Kinderwandzeitung allgemeine Informationen außerhalb der Schule für Kinder im Alter von drei bis zehn Jahren vermitteln. Trotz dieser unterschiedlichen Aufgabenstellung ist Herr Professor Schmitt von Mitarbeitern des Ministeriums zu den Texten der Kinderwandzeitung befragt worden. Seine Anregungen wurden bei der Endfassung bedacht.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Schwenninger.
Herr Staatssekretär, ist das Wandposter „Von Kindern in fernen Ländern" als Ersatz für die vor eineinhalb Jahren eingezo-
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5238 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 73. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 6. Juni 1984
Schwenningergene Kinderfibel gedacht, die dem BMZ und auch meinem Kultusminister Mayer-Vorfelder von Baden-Württemberg wegen der kritischen Darstellung der ungerechten Weltwirtschaftsordnung und der den Hunger verursachenden Welternährungssituation nicht genehm erschien?Dr. Köhler, Parl. Staatssekretär: Nein, Herr Kollege, es handelt sich nicht um einen Ersatz. Es sind zwei verschiedene Dinge. Diese Wandzeitung ist davon unabhängig zu sehen. Die Frage der Fibel gehört in einen anderen Zusammenhang.
Sie haben noch eine Zusatzfrage. — Bitte, Herr Kollege.
Herr Staatssekretär, entspricht es der entwicklungspolitischen Einsicht der Bundesregierung, wie es in dem Kinderposter zum Ausdruck kommt, daß die Not der Menschen in der Dritten Welt dargestellt wird, ohne die Ursachen der Armut zu benennen?
Dr. Köhler, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, es steht mir zwar nicht zu, Ihre Formulierung zu kritisieren oder zu verändern,
aber wenn Sie damit meinen, daß wir es für richtig halten, Kinder im Vorschul- und Grundschulalter auf die Problematik hinzuführen, ohne sofort Schuldvorwürfe damit zu suggerieren, dann ist das in der Tat so.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Toetemeyer.
Herr Staatssekretär, halten Sie es für pädagogisch sehr geschickt, daß in diesem Kinderposter Kinderarbeit am Beispiel der Teppichproduktion als positiv dargestellt wird?
Dr. Köhler, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, aus dem vorletzten Bild kann nach unserer Auffassung nicht die Propagierung ausbeuterischer Kinderarbeit abgeleitet werden, die wir absolut ablehnen und verurteilen. Die maßvolle Mithilfe von Kindern gilt allerdings auch in unserem Lande als pädagogisch positiv.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Krizsan.
Herr Staatssekretär, entspricht es der Politik der Bundesregierung, wenn auf diesem Kinderposter dargestellt wird, daß, wenn ein Problem auftritt, der Entwicklungshelfer sofort zur Stelle ist und mit einer Maschine hilft, anstatt die Menschen ihre Probleme selbst lösen zu lassen?
Dr. Köhler, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, in dieser Formulierung kann ich das schwerlich mit Ja beantworten. Denn wir wissen alle, daß die Hilfe leider eben nicht immer schnell kommen kann. Trotzdem ist es nach unserer Auffassung nicht Sache eines solchen Mediums, die Unlösbarkeit zu verbreiten, sondern Möglichkeiten der Lösung zu zeigen. Wenn dabei auch technische Mittel gezeigt
werden, dann sollten Sie das bitte so verstehen, daß eine Reihe von Problemen ohne Technik einfach nicht gelöst werden kann. Ohne mechanische Bohrgeräte und Pumpen lassen sich nun einmal Wasservorräte in größeren Tiefen nicht erschließen.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Peter .
Herr Staatssekretär, wenn Sie bei vielen Ihrer Antworten immer gesagt haben, was nicht die Absicht dieses Posters ist, könnten Sie vielleicht einmal erläutern, welches die didaktische Absicht dieses Posters für Kinder im Alter von drei bis zehn Jahren ist?
Dr. Köhler, Parl. Staatssekretär: Das Ziel dieser Kinderwandzeitung ist es, bei Kindern Verständnis zu erwecken, daß in vielen Teilen der Welt Menschen und damit auch Kinder anders leben und in ihrem äußeren Erscheinungsbild auch häufig anders sind als wir, daß alle Menschen trotzdem gleich fühlen und gleiche Bedürfnisse haben, daß in der Dritten Welt die Menschen ihre Grundbedürfnisse oft nicht befriedigen können, daß man dagegen etwas tun kann und tun muß, daß es unser Wille ist, dabei zu helfen, und daß wir auch helfen können.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Klejdzinski.
Herr Staatssekretär, wenn ich richtig zugehört habe, haben Sie vom Vorschulalter gesprochen. Meine Frage: Wann können Kinder im Vorschulalter lesen, und wie ist es, wenn das so ist, für Vorschulkinder verständlich: Bei diesen Arbeiten können die Entwicklungsländer Fachleute der Entwicklungshilfe gut gebrauchen?
Dr. Köhler, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich erinnere mich an die Zeit, in der ich selbst noch Kinder in diesem Alter hatte. Da war es üblich, daß z. B. über den Anreiz eines Bildes Fragen gestellt wurden an eine Kindergärtnerin, an Eltern, so daß nicht unbedingt das eigene Lesen die Voraussetzung war, daß aber sehr wohl über den Reiz des Bildes und die Fragestellung das Interesse am Lesen geweckt wurde, so daß das fließend ineinander übergeht.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Lutz.
Herr Staatssekretär, ich rekurriere auf dieses Poster: Wo bitte ist im deutschen Recht diese Form maßvoller Kinderarbeit — wie Sie sich ausdrückten — erlaubt?Dr. Köhler, Parl. Staatssekretär: Ich habe nicht von maßvoller Kinderarbeit gesprochen, Herr Kollege,
sondern meine Formulierung lautete „maßvolle Mithilfe von Kindern", wie Sie im Protokoll unschwer werden feststellen können. Ich glaube, daß Mithilfe von Kindern bei den verschiedensten Gele-
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 73. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 6. Juni 1984 5239
Parl. Staatssekretär Dr. Köhlergenheiten in Haus und Familie etwas absolut Normales ist, was mit Ausbeutung und Kinderarbeit und Zwang zur Kinderarbeit nichts zu tun hat. Ich darf hinzufügen, Herr Kollege: Wer z. B. einmal in Ländern der Dritten Welt gesehen hat, wie Kinder zur Arbeit gezwungen werden in einem Alter, in dem dies unter Umständen schwerste gesundheitliche Schädigungen nach sich zieht, der kann nicht im Ernst das, was ich hier mit maßvoller Mithilfe gemeint habe, mit den Mißständen verwechseln, von denen ich eben gesprochen habe.
Zusatzfrage, Frau Abgeordnete Reetz.
Ich möchte fragen: Gehört es zum entwicklungspolitischen Programm der Bundesregierung, daß den Kindern, möglichst kindgerecht aufbereitet, mitgeteilt wird, daß möglichst viele deutsche technische Produkte in die Dritte Welt zu verkaufen sind?
Dr. Köhler, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin, ich habe eben schon gesagt, daß der Einsatz von Technik für bestimmte Aufgaben als nötig gezeigt werden soll. Ich vermag aus dieser Wandzeitung aber nicht zu ersehen, daß der Vorwurf, den Sie hier erheben, stichhaltig ist.
Danke sehr, Herr Staatssekretär. Dieser Fragenbereich ist damit beendet.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung auf. Herr Parlamentarischer Staatssekretär Höpfinger steht zur Beantwortung zur Verfügung. Die Fragen 10 und 11 werden auf Wunsch des Fragestellers schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Ich rufe die Frage 12 des Herrn Abgeordneten Jaunich auf:
Warum hält die Bundesregierung an dem bereits in der Regierungserklärung angekündigten Ziel fest, mit dem Abbau der Mischfinanzierung im Krankenhausbereich zu beginnen, obwohl inzwischen alle im Krankenhauswesen verantwortlichen Verbände und sogar einige Länderfachminister den Rückzug des Bundes aus der Mischfinanzierung im Krankenhausbereich abgelehnt haben?
Frau Präsident, darf ich bitte, wenn der Fragesteller damit einverstanden ist, die Fragen 12 und 13 gemeinsam beantworten?
Einverstanden, Herr Kollege? — Danke schön. Dann stehen Ihnen vier Zusatzfragen zur Verfügung. Ich rufe dann also auch noch die Frage 13 des Herrn Abgeordneten Jaunich auf:
Beabsichtigt die Bundesregierung weiterhin, den Rückzug des Bundes aus der Mischfinanzierung im Krankenhausbereich zum 1. Januar 1985 mit einer Neuordnung der Krankenhausfinanzierung zu verbinden, oder bedeutet die Erarbeitung der Regelungen zum Abbau der Mischfinanzierung durch den Bundesminister der Finanzen, daß außer der Kostenverlagerung auf die Länder zur Lösung der Krankenhausfinanzierungsprobleme nichts geschieht?
Höpfinger, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, die in der Regierungserklärung angekündigte Auflösung von Mischfinanzierungen entspricht einer langjährigen Forderung aller Länder, also einschließlich der SPD-regierten Länder. Sie wurde für den Krankenhausbereich erstmals Mitte der 70er Jahre erhoben, als der Bund durch das Haushaltsstrukturgesetz 1975 seine Finanzhilfen für die Krankenhausinvestitionen der Länder drastisch kürzte. Die seither immer nachhaltiger gestellte Forderung der Länder nach Entflechtung der Mischfinanzierung wurde im Grundsatz auch von der SPD/FDP-geführten Bundesregierung anerkannt. Sie hat im Frühjahr 1981 gemeinsam mit den Ländern eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe der Finanzminister zum Abbau von Mischfinanzierung eingesetzt. Die Forderung der Länder nach einem zügigen Abbau der Mischfinanzierung wurde zuletzt in der Ministerpräsidentenkonferenz am 23. Februar 1984 mit Nachdruck wiederholt.
Die Bundesregierung ist sich bewußt, daß sich inzwischen alle im Krankenhauswesen verantwortlichen Verbände, zum Teil aus sehr unterschiedlichen Interessenlagen heraus, gegen den Rückzug des Bundes aus der Mischfinanzierung ausgesprochen haben. Die einen befürchten, daß den notleidenden Krankenhäusern künftig noch weniger öffentliche Fördermittel als bisher zur Verfügung stehen werden. Die anderen, insbesondere die Krankenkassen, sehen darin den Beginn einer monistischen Finanzierung.
Die Bundesregierung teilt diese Befürchtungen nicht. Sie strebt zugleich mit dem Abbau der Mischfinanzierung auch die Lösung der übrigen in Koalitionsvereinbarung und Regierungserklärung angesprochenen Probleme an. Das sind im einzelnen: die Eindämmung der Kostenexplosion im Krankenhausbereich, der Bettenabbau bei Wahrung gleichwertiger Chancen der freien und gemeinnützigen Träger sowie die Stärkung der Selbstverwaltung der Krankenkassen.
Der Themenkomplex ist Gegenstand der Besprechung des Bundeskanzlers mit den Regierungschefs der Länder am 7. Juni, also morgen. Außerdem ist in diesem Zusammenhang auf den Kabinettsbeschluß vom 8. Mai 1984 hinzuweisen, in dem ausdrücklich die Verantwortung des Bundes für die Beitragsentwicklung der gesetzlichen Krankenkassen betont und deshalb ein Fortbestehen der Gesetzgebungskompetenz für das Pflegesatzrecht und die Finanzierungsgrundsätze für erforderlich gehalten wird.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Jaunich.
Herr Staatssekretär, nachdem diese Regierung als Regierung der Wende angetreten ist: Halten Sie die Bezugnahme auf Überlegungen früherer Bundesregierungen für angezeigt?Höpfinger, Parl. Staatssekretär: Im Krankenhausbereich ist ein Bezug auf frühere Regierungen meines Erachtens auf jeden Fall angezeigt, weil die Problematik ja nicht erst seit heute und auch nicht
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5240 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 73. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 6. Juni 1984
Parl. Staatssekretär Höpfingererst zwei Jahren, sondern seit dem Bestehen des Krankenhausfinanzierungsgesetzes gegeben ist.
Zweite Zusatzfrage, Herr Jaunich.
Herr Staatssekretär, nachdem Sie auf einen Beschluß der Ministerpräsidentenkonferenz vom 23. Februar in Ihrer Antwort verwiesen haben, darf ich Sie fragen, wie die Bundesregierung damit die Empfehlung der Konzertierten Aktion vom 28. März 1984 vereinbaren will, wo es heißt:
Die Konzertierte Aktion hält es aus diesem Grunde
— als Erläuterung muß gesagt werden: weil unterlassene Modernisierungs- und Rationalisierungsinvestitionen die Pflegesätze belasten —
für unerläßlich, daß Bund, Länder und Gemeinden entsprechend ihrer gemeinsamen Verantwortung im Krankenhausbereich ausreichende Mittel für die notwendigen Investitionsmaßnahmen zur Verfügung stellen.
Erblicken Sie nicht einen Dissens zwischen diesen beiden Beschlüssen?
Höpfinger, Parl. Staatssekretär: Zunächst einmal ist bekannt, daß sowohl von den Krankenhäusern als auch in der Konzertierten Aktion die Frage der Investionsmittel angesprochen wurde. Die Bundesregierung teilt die Auffassung, daß Investitionsmittel im Krankenhausbereich sowohl von den Trägern als auch von den Ländern in stärkerem Maße gegeben werden sollen.
Weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Jaunich.
Herr Staatssekretär, in meiner Frage 13 hatte ich die Bundesregierung danach gefragt, wie denn nun das Konzept eigentlich aussehe, ob angesichts der Tatsache, daß die ersten Schritte hierzu vom Bundesfinanzminister eingeleitet worden seien, auch ein inhaltliches Konzept angestrebt werde. Darauf habe ich bisher keine Antwort von Ihnen erhalten.
Höpfinger, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Jaunich, ich darf Ihnen sagen, daß die Vorbereitungen zur Novellierung des Krankenhausfinanzierungsgesetzes im Bundesarbeitsministerium . sehr zügig vorangetrieben werden und wir auf das Ergebnis der Besprechungen der Länderchefs mit dem Herrn Bundeskanzler, die morgen stattfinden wird, warten, um dann weitere Schritte in dieser Frage unternehmen zu können.
Noch eine Zusatzfrage, bitte, Herr Kollege.
Herr Staatssekretär, darf ich aus Ihrer Antwort schließen, daß die Bundesregierung, an der Spitze der Herr Bundeskanzler, in das morgige Gespräch mit den Ministerpräsidenten ohne ein Konzept, ohne einen Lösungsansatz, hineingeht und, wenn nein, wie sieht dieser Lösungsansatz aus?
Höpfinger, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Jaunich, das kann gar nicht stimmen, weil der Herr Bundeskanzler schon in seiner Regierungserklärung die Zielsetzung in der Krankenhauspolitik sehr deutlich zum Ausdruck gebracht hat. Dabei ist nicht nur die Auflösung der Mischfinanzierung angesprochen worden, sondern ebenfalls die anderen Punkte, die ich bereits in der Antwort auf Ihre Frage genannt habe.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Egert.
Herr Staatsseketär, halten Sie es nicht für lebensfremd, anzunehmen, daß in einer Situation, in der die finanziellen Mittel überall knapp sind, ein Abbau der Mischfinanzierung dazu führen wird, das das Ergebnis für die Krankenhäuser plus minus Null ist?
Höpfinger, Parl. Staatssekretär: Das würde ich nicht unterstellen. Die Länder wissen sehr wohl, daß auf Grund des Investitionsstaus ein Investitionsbedarf besteht, und ich bin davon überzeugt, daß auch die Länder daran interessiert sind, diesen Investitionsstau nach und nach abzubauen. Wenn aber von allen Ländern die Auflösung der Mischfinanzierung gewünscht wird, sollte man sich, glaube ich, diesem Wunsch nicht verschließen.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Becker.
Herr Staatssekretär, gesetzt den Fall, es käme zu einer Vorabregelung der Mischfinanzierungsfrage, hätten die Länder dann noch ein Interesse an einer inhaltlichen Neuordnung der Krankenhausfinanzierung?
Höpfinger, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Bekker, deshalb legen wir so großen Wert darauf, daß nicht nur die Frage der Mischfinanzierung gelöst wird, sondern auch in einem Zusammenhang alle anderen Fragen in einem Novellierungsverfahren mit aufgegriffen und einer Lösung zugeführt werden.
Zweite Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Becker.
Auch die Auflösung der Mischfinanzierung würde ja Gesetzestechnik erfordern. Halten Sie es gesetzestechnisch für sinnvoll, das Krankenhausfinanzierungsgesetz in einer Legislaturperiode zweimal zu ändern, zum einen zur Durchführung der finanziellen Entflechtung, zum anderen zur Verwirklichung der Neuordnung?Höpfinger, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Bekker, unser Bestreben ist es, die Novellierung in all den von mir vorhin genannten Punkten in einem Zuge und in einem Verfahren durchzuführen, weil wir ansonsten befürchten müßten, daß allein durch Zeitablauf die eine oder andere Frage nicht mehr gelöst werden könnte.
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 73. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 6. Juni 1984 5241
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Immer.
Herr Staatssekretär, ist Ihnen bekannt, daß das Land Rheinland-Pfalz einen eigenen Gesetzentwurf zur Änderung des Krankenhausfinanzierungsgesetzes einbringt, und, wenn ja, ist der in genau derselben Intention, die auch Sie haben, gefaßt?
Höpfinger, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich weiß, daß es in den Ländern einige Bestrebungen gibt, und weiß auch, daß mehrere Gespräche stattgefunden haben, aber von einem eigenen Entwurf ist mir nichts bekannt.
Eine Zusatzfrage, Frau Abgeordnete Fuchs.
Herr Staatssekretär, können wir Ihren Bemerkungen entnehmen, daß die Bundesregierung den Abbau der Mischfinanzierung im Krankenhausbereich erst dann vornehmen wird, wenn die Novellierung des Krankenhausfinanzierungsgesetzes verabschiedet ist?
Höpfinger, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin, die Bundesregierung wird auf jeden Fall bemüht sein, mit der Frage der Mischfinanzierung auch die anderen Problembereiche zu behandeln.
Noch eine Zusatzfrage, Frau Abgeordnete.
Herr Staatssekretär, Sie haben angekündigt, daß Sie die Vereinbarungsbefugnisse der Krankenkassen verbessern wollen. Darf ich Ihren Bemerkungen entnehmen, daß die Bundesregierung beabsichtigt, im Krankenhausfinanzierungsgesetz den Krankenkassen die Vereinbarungsbefugnis über die Pflegesätze gänzlich zuzuweisen?
Höpfinger, Parl. Staatssekretär: Sie dürfen davon ausgehen, daß wir bestrebt sind, diesem Verlangen Rechnung zu tragen.
Ich wollte nur darauf aufmerksam machen, daß hierzu ungefähr zehn Fragen auf der Tagesordnung stehen und daß wir bei den Zusatzfragen darauf vielleicht Rücksicht nehmen sollten.
— Gut, das ist ja wundervoll, aber es gehört nicht in meinen Bereich, das hier zu vermerken.
Ich rufe Frage 14 des Herrn Abgeordneten Hauck auf:
Welche Chancen sieht die Bundesregierung angesichts der zum Teil sehr unterschiedlichen Initiativen und Vorstellungen einzelner Bundesländer, eine Neuordnung der Krankenhausfinanzierung vorzuschlagen, die von der Mehrheit der Bundesländer akzeptiert wird und zugleich den drängenden Problemen in diesem Bereich Rechnung trägt?
Höpfinger, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Hauck, nach den bisherigen Besprechungen mit den Ländern ist die Bundesregierung der Auffassung, daß es nach wie vor möglich sein müßte, mit den Ländern zu einem auch inhaltlich sinnvollen Konsens zu kommen. Denn auch die Länder müssen daran interessiert sein, daß die drängenden Probleme der Krankenhäuser und der Krankenkassen gelöst werden, nämlich die Probleme des Investitionsstaus, des Bettenüberhangs und der durch die unwirtschaftlichen Pflegesatzregelungen bedingten Kostenexplosion im Pflegesatzbereich.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Hauck.
Herr Staatssekretär, nachdem Sie gerade eine positive Antwort gegeben haben, frage ich noch einmal: Ist dabei auch daran gedacht, die Mitwirkungs- und Mitbestimmungsrechte der Krankenkassen zu stärken?
Höpfinger, Parl. Staatssekretär: Ich nehme an, Herr Kollege Hauck, Sie meinen jetzt vor allem den Investitionsbereich.
Auch in der Regierungserklärung von Herrn Bundeskanzler Dr. Kohl ist bereits angeführt, daß eine stärkere Hereinnahme der Selbstverwaltung auch in diesen Fragen vollzogen werden soll. Es wird also auch hier angestrebt, eine stärkere Mitwirkung der Kassen zu bewerkstelligen.
Herr Hauck, Sie haben noch eine Zusatzfrage.
— Dann eine Zusatzfrage der Frau Abgeordneten Fuchs.
Herr Staatssekretär, woher nehmen Sie die Zuversicht, daß Sie die Länder in diese Ihre Gedanken einbeziehen können, und würden Sie notfalls ein Krankenhausfinanzierungsgesetz scheitern lassen, wenn die Länder nicht bereit sind, die Verankerung der Krankenkassen zu verstärken?
Höpfinger, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin, an ein Scheitern der Novelle würde ich nicht denken. Ich bin vielmehr der Auffassung, daß das morgige Gespräch mit dem Herrn Bundeskanzler eine Reihe von Klärungen bringen wird, so daß wir dann weiter sehen, wie die Novellierung des Krankenhausfinanzierungsgesetzes weiter betrieben werden kann. Sie wissen aber selbst, die Krankenhausfinanzierung ist ein zustimmungsbedürftiges Gesetz. Insofern halte ich es für richtig, daß man mit den Ländern Verbindung hält und zunächst einmal versucht, all die Fragen mit den Ländern zu klären, ehe wir an die weitere gesetzgeberische Beratung gehen.
Ich rufe Frage 15 des Herrn Abgeordneten Hauck auf:
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5242 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 73. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 6. Juni 1984
Vizepräsident Frau RengerBeabsichtigt die Bundesregierung, einen Teil der Investitionskosten im Krankenhausbereich auf die Krankenkassen zu verlagern, und wenn ja, wie ist diese Absicht mit dem Ziel zu vereinbaren, die Beitragssätze in der gesetzlichen Krankenversicherung stabil zu halten?Bitte schön, Herr Staatssekretär.Höpfinger, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Hauck, die Bundesregierung beabsichtigt derzeit nicht, Investitionskosten in die Pflegesätze zu verlagern. Sie schließt jedoch nicht aus, daß ein derartiger Schritt unter bestimmten Voraussetzungen erwägenswert sein könnte. Allerdings könnte eine solche zusätzliche Belastung der Krankenkassen nur in Betracht kommen, wenn diese andererseits in die Lage versetzt würden, durch verstärkte Mitsprache auf die Ausgabenentwicklung im stationären Bereich Einfluß auszuüben. Eine bloße Kostenverlagerung von der öffentlichen Hand auf die Krankenversicherung wäre nicht akzeptabel.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Hauck.
An welche Investitionskosten haben Sie gegebenenfalls gedacht?
Höpfinger, Parl. Staatssekretär: Ich würde hier an den § 10 des Krankenhausfinanzierungsgesetzes denken.
Noch eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Hauck, bitte.
Wie bewertet nun die Bundesregierung, Herr Staatssekretär, die Tatsache, daß einige Krankenkassen und Krankenhausträger bereits in der Vergangenheit Mittel für Investitionen in Krankenhäusern bereitgestellt haben, obwohl die Investitionsfinanzierung eine öffentliche Aufgabe ist, die nach geltendem Recht Bund und Ländern obliegt?
Höpfinger, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Hauck, hier haben wir es ja mit Selbstverwaltungseinrichtungen zu tun. Wenn sich eine Krankenkasse zu einer solchen Mitfinanzierung bereit erklärt, wird sie das nicht ohne Beschlüsse der Selbstverwaltung, der Vertreterversammlung bzw. des Vorstandes, tun.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Egert.
Herr Staatssekretär, Sie waren so freundlich, auf die Fragen meines Kollegen Hauck zu sagen, daß die eindeutige Aussage, daß die Bundesregierung nicht beabsichtige, einen Teil der Investitionskosten auf die Krankenkassen zu verlagern, unter bestimmten Voraussetzungen anders sein könnte. Dies ist eine sehr vornehme Umschreibung. Könnten Sie sagen, welches diese „bestimmten Voraussetzungen" sind?
Höpfinger, Parl. Staatssekretär: Ich denke vor allem an die Wiederbeschaffungsgüter. Das heißt aber, die bestimmten Voraussetzungen, die ich in meiner vorhergehenden Antwort genannt habe, darf ich hiermit wiederholen, d. h. sie kämen nur in
Frage, wenn stärkere Mitwirkungsrechte der Kassen gegeben sind.
Danke sehr. — Frau Kollegin Hürland hat noch eine Zusatzfrage. Bitte schön.
Frau Präsidentin! Herr Staatssekretär, Sie werden mir die Frage sicher jetzt nicht beantworten können, aber ich bitte Sie, sie mir dann schriftlich zu beantworten und auch entsprechend zu publizieren: Können Sie sagen, in welchem Maße, mit welchem Betrag der Bund sich seit Einbringung des Krankenhausfinanzierungsgesetzes im Jahre 1972 aus der Mischfinanzierung zurückgezogen hat?
Höpfinger, Parl. Staatssekretär: Es sind 1,5 Milliarden DM, Frau Kollegin.
Dann rufe ich jetzt die Frage 16 der Frau Kollegin Fuchs auf:
In welcher Weise beabsichtigt die Bundesregierung, die Empfehlungen der von ihr eingesetzten „Beratergruppe zur Neuordnung der Krankenhausfinanzierung", vor allem die Abkehr vom vollpauschalierten Pflegesatz, vom Kostendekkungsprinzip und von der ausschließlich staatlichen Bedarfsplanung, zu berücksichtigen?
Herr Staatssekretär.
Höpfinger, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin Fuchs, das Gutachten der Beratergruppe zur Neuordnung der Krankenhausfinanzierung enthält eine Fülle interessanter und neuartiger Vorschläge mit allerdings überwiegend längerfristigen Perspektiven. Die Bundesregierung wird diese Vorschläge weiter verfolgen. Für die bevorstehende Novelle zum Krankenhausfinanzierungsgesetz sind aus der Sicht des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung insbesondere die Empfehlungen zur Gestaltung des Pflegesatzverfahrens verwertbar. Die Übertragung von Bedarfsplanungskompetenz auf neu zu schaffende Selbstverwaltungsgremien in Form von Körperschaften des öffentlichen Rechts ist — unabhängig von verfassungsrechtlichen Problemen und Fragen der Zweckmäßigkeit — gegen den Widerstand der Länder nicht durchsetzbar. Die Entwicklung der von der Beratergruppe vorgeschlagenen Gebührenordnung für Krankenhäuser wird eine längere Zeit in Anspruch nehmen, so daß diese schon deshalb nicht im Rahmen des anstehenden Gesetzgebungsverfahrens eingeführt werden kann.
Zusatzfrage, Frau Abgeordnete Fuchs? Keine Zusatzfrage.Dann rufe ich die Frage 17 der Abgeordneten Frau Fuchs auf:Wie gedenkt die Bundesregierung das im Sozialbericht 1983 genannte Ziel, die Krankenhäuser gleichgewichtig in die Kostendämpfung in der gesetzlichen Krankenversicherung einzubeziehen, umzusetzen?Bitte sehr, Herr Staatssekretär.Höpfinger, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin Fuchs, die Bundesregierung hält an der im Sozialbericht 1983 genannten Zielsetzung fest, die Krankenhäuser zusammen mit den anderen Bereichen
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 73. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 6. Juni 1984 5243
Parl. Staatssekretär Höpfingerdes Gesundheitswesens gleichgewichtig in die Kostendämpfung einzubeziehen, um damit auch zur Beitragsstabilität in der gesetzlichen Krankenversicherung angemessen beizutragen.Die konkreten Schritte zur Verwirklichung dieses Ziels sind innerhalb der Bundesregierung noch nicht im einzelnen abgestimmt. Ich kann Ihnen daher nur die Richtung andeuten, in der der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung denkt.Erstens. Das geltende Vergütungssystem für Krankenhausleistungen in Gestalt des tagesgleichen, vollpauschalierten Pflegesatzes, verbunden mit dem Selbstkostendeckungsprinzip und mit dem automatischen Gewinn- und Verlustausgleich, wirkt kostentreibend. Es löst keine Anreize für eine wirtschaftliche Betriebsführung im Krankenhaus aus. Der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung ist sich daher mit allen Ländern und allen Beteiligten darin einig, daß der zwingend vorgeschriebene Gewinn- und Verlustausgleich beseitigt werden muß. Den Krankenhäusern müssen künftig Gewinnmöglichkeiten eröffnet werden. Umgekehrt müssen sie für Verluste, die auf Unwirtschaftlichkeit oder mangelnde Leistungsfähigkeit zurückzuführen sind, in Zukunft selbst einstehen.Zweitens. Eine weitere entscheidende Schwäche des geltenden Vergütungssystems ist die weitverbreitete Praxis der Selbstkostenerstattung. Danach werden die Pflegesätze häufig erst in der zweiten Hälfte des Wirtschaftsjahres endgültig festgelegt. Wir denken daran, zwingend vorzuschreiben, daß die Pflegesätze künftig vor Beginn des laufenden Wirtschaftsjahres vereinbart oder festgesetzt werden müssen. Mit anderen Worten: Wir wollen aus der Soll-Vorschrift des § 18 Abs. 5 Krankenhausfinanzierungsgesetz eine Muß-Vorschrift machen. Das Krankenhaus muß vor Beginn des Jahres wissen, mit welchen Einnahmen es zu rechnen hat. Nur dann ist eine vernünftige Betriebsführung möglich, die auf die Entstehung und Entwicklung der Kosten vorbeugend Einfluß nehmen kann.Drittens. Wir denken weiter daran, den vollpauschalierten Pflegesatz zu differenzieren und damit transparenter und auch vergleichbarer zu machen. Für besonders teure Leistungen, beispielsweise für Organtransplantationen oder Herzoperationen, soll das Krankenhaus künftig gesonderte Entgelte berechnen können. Wir denken an einen Katalog von zehn bis fünfzehn teuren Leistungen, die wir aus dem allgemeinen Pflegesatz herausnehmen und damit von der Berechnung über die Pflegetage unabhängig machen wollen. Wir sind davon überzeugt, daß dies nicht nur zu einer Verminderung der Pflegesätze, sondern auch zu einer Senkung der Verweildauer führen wird.Viertens. Ein weiterer Schritt zu einer wirksamen Kostendämpfung dürfte ferner die geplante konsequente Anwendung des Verhandlungsprinzips bei der Aushandlung der Pflegesätze zwischen Krankenhäusern und Krankenkassen, mit einer unabhängigen Schiedsstelle im Falle der Nichteinigung sein; das ist also eine Änderung gegenüber dem derzeitigen Verfahren.Fünftens. Wir denken schließlich an die Wiederherstellung und behutsame Erweiterung des Vertragsprinzips im Rahmen des § 371 RVO. Nach der geltenden Vorschrift haben Universitätskliniken und Krankenhäuser, die in den Krankenhausplan eines Landes aufgenommen sind, automatisch einen Anspruch auf Behandlung von Kassenpatienten. Wir prüfen zur Zeit, ob es im Interesse des notwendigen Bettenabbaus und der Kostendämpfung nicht sinnvoller wäre, das Vertragsprinzip auch hier wieder zur Geltung zu bringen. Das heißt: Die Krankenkassen hätten Krankenhauspflege nur durch solche Krankenhäuser zu gewähren, mit denen ihre Landesverbände entsprechende Versorgungsverträge abgeschlossen haben.
Haben Sie noch eine Frage nach dieser ausführlichen Regierungserklärung?
Ich habe eine Zusatzfrage, Frau Präsidentin. Und ich frage jetzt: Herr Staatssekretär, Sie sind der Auffassung, daß Sie alle Ihre Gedanken, die Sie vorgetragen haben, in ein Gesetz einbringen, das so zeitig verabschiedet wird, daß dann auch an die Entflechtung der Mischfinanzierung gedacht werden kann?
Höpfinger, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin, von unserem Hause aus wird alles unternommen, um diese Gedanken auch in eine Gesetzgebungsvorlage einbringen zu können; wir werden uns also bemühen.
Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Lutz.
Herr Staatssekretär, es ist immer löblich, wenn die Regierung denkt, hofft und glaubt. Aber wie real ist ihr Denken, wenn man die Weiterentwicklung in dem Gespräch mit den Ländern sieht?
Höpfinger, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Lutz, wir wissen alle, daß wir einen föderativen Staatsaufbau haben. Die Länder wirken an der Gesetzgebung mit. Ich darf wiederholen: Das Krankenhausfinanzierungsgesetz ist ein zustimmungsbedürftiges Gesetz. Wir haben unsere Absichten und Gedanken dargelegt. Nun kommt es darauf an, in Verhandlungen mit den Ländern zu einer Gesetzesvorlage zu gelangen.
Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Jaunich.
Herr Staatssekretär, was Sie soeben auf die Frage der Kollegin Fuchs erwidert haben, geht weit über das hinaus, was in der Regierungserklärung des Herrn Bundeskanzlers steht. Wird es dennoch morgen Gegenstand der Gespräche zwischen Ministerpräsidenten und Bundesregierung sein?
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5244 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 73. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 6. Juni 1984
Höpfinger, Parl. Staatssekretär: Ich nehme an, daß morgen eine Reihe von Einzelfragen im Zusammenhang mit der Krankenhausfrage Gegenstand der Aussprache zwischen den Länderministerpräsidenten und dem Herrn Bundeskanzler sein werden.
Ich rufe die Frage 18 des Abgeordneten Lutz auf:
Wie will die Bundesregierung sicherstellen, daß zumindest die Mittel, die der Bund in der Vergangenheit für die Krankenhausfinanzierung bereitgestellt hat, auch in Zukunft durch die Länder und Gemeinden dem Krankenhausbereich zur Verfügung gestellt und nicht für andere Zwecke verwendet werden?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Höpfinger, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Lutz, das in dieser Frage aufgeworfene Problem ist nicht einfach zu lösen. Die Länder können nämlich bundesgesetzlich kaum verpflichtet werden, die Mittel, die ihnen im Rahmen eines Abbaus der Mischfinanzierung zufließen, künftig in vollem Umfang für Krankenhausinvestitionen zu verwenden. Die Bundesregierung erwartet aber wenigstens eine entsprechende eindeutige politische Zusage der Ministerpräsidenten.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Lutz.
Herr Staatssekretär, gründet sich Ihre Erwartung wiederum auf das Prinzip Hoffnung oder auf Vorabklärungen mit den Ländern?
Höpfinger, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Lutz, ich bin zwar der Meinung, daß man in keiner Frage und in keiner Weise die Hoffnung aufgeben sollte; der Mensch braucht wirklich auch die Hoffnung. Aber in dieser Frage geht es nicht nur um das Prinzip Hoffen, sondern um die Notwendigkeit, Mittel für die Krankenhäuser aufzubringen. Das wissen die Länder so gut wie diejenigen, die hier im Saal sitzen.
Zweite Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, jetzt wollen wir einmal von der Hoffnung zur Gewißheit kommen. Wie groß ist Ihre Gewißheit, daß die Länder ihrem Auftrag nachkommen, wenn die Mischfinanzierung fällt?
Höpfinger, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Lutz, auch für die Länder ist die Krankenhausfrage eine äußerst politische Frage in Anbetracht der Gesundheitspolitik. Ich würde den Ländern in dieser Frage zumindest die gleiche Verantwortung zubilligen, wie wir sie für uns selber in Anspruch nehmen.
Ich rufe die Frage 19 des Herrn Abgeordneten Lutz auf:
Wie bewertet die Bundesregierung die Wettbewerbsnachteile zwischen den öffentlichen und freigemeinnützigen Krankenhäusern, die dadurch entstehen, daß die freien und gemeinnützigen Krankenhausträger nicht — wie die kommunalen Krankenhausträger — die Möglichkeit haben, die Finanzierungslücken aus öffentlichen Mitteln zu decken?
Höpfinger, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Lutz, nach Aussagen der kommunalen Spitzenverbände fließen kommunalen, in geringerem Umfang
aber auch freigemeinnützigen Krankenhäusern außerhalb des Krankenhausfinanzierungssystems zusätzliche Mittel in Höhe von zur Zeit mehr als 500 Millionen DM jährlich zu. Diese gesetzlich nicht vorgesehene Finanzierung kann in der Tat zu Wettbewerbsverzerrungen zwischen einzelnen Trägergruppen, zur Aufrechterhaltung unwirtschaftlicher Betriebsstrukturen sowie zu Leistungsangeboten führen, die weder mit den Landesbehörden noch mit den Krankenkassen abgestimmt sind. Dieser unbefriedigende Zustand muß einerseits durch eine ausreichende Finanzierung der Krankenhäuser auf der Grundlage des Krankenhausfinanzierungsgesetzes und durch einen größeren Freiraum auch für die kommunalen Krankenhäuser für wirtschaftliches Handeln beseitigt werden. Zum anderen erscheint es erforderlich, daß die für die Kommunalaufsicht zuständigen Stellen die Notwendigkeit von Finanzierungen außerhalb des Krankenhausfinanzierungsgesetzes überprüfen.
Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Lutz.
Herr Staatssekretär, wenn ich Ihnen richtig zugehört habe, schwingt da eine Spur Besorgnis mit. Könnte das daraus resultieren, daß Prälat Buchholz, der Präsident der Deutschen Krankenhausgesellschaft bei der konzertierten Aktion am 24. März gesagt hat, daß ein Großteil der freien und gemeinnützigen Krankenhäuser finanziell am Ende sei? Und was ist dagegen zu unternehmen?
Höpfinger, Parl. Staatssekretär: Die Sorge der freigemeinnützigen Krankenhäuser ist bekannt. Auch von daher ist es notwendig, daß wir in der Novellierung der Krankenhausgesetzgebung einige Schritte, und zwar in kurzer Zeit, vorankommen.
Zweite Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, da Sie diese Probleme sehen, frage ich: Wie wollen Sie die gleichwertigen Chancen der freigemeinnützigen Träger — zwischen den Koalitionsparteien ist das ja längst vereinbart — Wirklichkeit werden lassen?
Höpfinger, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Lutz, wenn die Fragen der Entmischung bzw. der Mischfinanzierung und die dazugehörigen Fragen, die ich jetzt schon einige Male genannt habe, im Gesetzgebungsverfahren behandelt werden und die Novellierung Rechtskraft hat, dann werden sich, wie ich glaube, auch eine Reihe von Finanzproblemen lösen, gerade was Investitionsstau und freigemeinnützige Krankenhausträger anlangt.
Ich rufe die Frage 20 des Herrn Abgeordneten Egert auf:Welche Möglichkeiten und Kompetenzen verbleiben der Bundesregierung nach dem Rückzug aus der Mischfinanzierung im Krankenhausbereich, vor allem hinsichtlich der finanziellen Sicherung und Fortentwicklung besonderer, länderübergreifender Aufgaben im Krankenhausbereich und bei der Umstellung nicht bedarfsnotwendiger Versorgungseinheiten auf andere Aufgaben (z. B. für Pflegefälle)?Bitte, Herr Staatssekretär.
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 73. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 6. Juni 1984 5245
Höpfinger, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Egert, die Auflösung der Mischfinanzierung bedeutet keinen Rückzug des Bundes aus seiner politischen und gesetzgeberischen Verantwortung für das Krankenhaus. An der Gesetzgebungskompetenz des Bundes nach Art. 74 Nr. 19 a des Grundgesetzes ändert sich nichts. Das Pflegesatzrecht und die Finanzierungsgrundsätze werden auch künftig bundesrechtlich zu regeln sein. Nach den Vorstellungen der Bundesregierung muß dem Bund auch künftig eine finanzielle Förderung der Forschung möglich sein. Eine darüber hinausgehende Modell- und Schwerpunktförderung wird der Bund aber nur vornehmen können, wenn entsprechende Haushaltsmittel hierfür bewilligt werden.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Egert, bitte.
Herr Staatssekretär, wie bewerten Sie vor dem Hintergrund Ihrer Antwort die Auffassung verschiedener Verfassungsrechtsexperten, das mit dem Rückzug des Bundes aus der Mischfinanzierung auch keine verfassungsrechtliche Basis für die Gesetzgebungskompetenz des Bundes zur Krankenhausfinanzierung und vor allem für die Rahmenregelung der Bedarfspläne mehr bestehe?
Höpfinger, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Egert, ich kann nur noch mal sagen, daß wir nach eingehender Prüfung der Auffassung sind, daß wir für die Fragen der finanziellen Förderung bzw. für Fragen der Pflegesatzgestaltung nach wie vor zuständig bleiben werden.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Egert.
Herr Staatssekretär, unabhängig von diesem verfassungsrechtlichen Streit habe ich die Sorge, daß mit dem, was Sie anstreben, künftig eine Situation entsteht, in der kaum eine Chance mehr besteht, in besonders unterversorgten Bereichen zu helfen. Ich denke etwa an die Versorgung psychisch Kranker, wo der Bund in der Vergangenheit Bundesmittel gegeben hat. Für den Fall, daß Sie diese Auffassung nicht teilen, frage ich Sie: Wie sehen Sie Ihren Beitrag, um künftig die Lebenssituation psychisch Kranker zu verbessern?
Höpfinger, Parl. Staatssekretär: Für die finanzielle Regelung werden nach der Auflösung der Mischfinanzierung weitgehend die Länder zuständig sein. Herr Kollege Egert, gerade weil Sie diese besondere Personengruppe ansprechen und ich diese Frage für bedeutsam halte, möchte ich das noch einmal aufgreifen und Ihnen, wenn Sie einverstanden sind, zu dieser Frage noch eine Stellungnahme zugehen lassen.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Jaunich.
Herr Staatssekretär, können Sie sich unter Berücksichtigung Ihrer soeben gegebenen Antwort vorstellen, daß es seitens des Bundes ein Modellprogramm Psychiatrie hätte geben können, wenn die Entflechtung der Finanzierung, der Abbau der Mischfinanzierung vor Jahren erfolgt wäre?
Höpfinger, Parl. Staatssekretär: An Modellprogrammen wird es auch künftig nicht fehlen; denn selbst wenn die Mischfinanzierung aufgelöst wird, wird man in der Lage sein, Modellprogramme mit durchzuführen, wie ich es vorhin gesagt habe: wenn die entsprechenden Haushaltsmittel hierfür bewilligt werden.
Ich rufe die Frage 21 des Herrn Abgeordneten Egert auf:
Welche Maßnahmen plant die Bundesregierung, um dem Problem der Fehlbelegungen in den Krankenhäusern entgegenzuwirken ?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Höpfinger, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Egert, nach § 184 Abs. 1 der Reichsversicherungsordnung wird Krankenhauspflege nur gewährt, wenn die Aufnahme in ein Krankenhaus erforderlich ist, um die Krankheit zu erkennen oder zu behandeln oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Bei konsequenter Anwendung dieser Vorschrift könnte einiges gegen die Fehlbelegungen in Krankenhäusern — sei es durch Pflegefälle, sei es durch Patienten, die auch ambulant behandelt werden können — getan werden. Schon nach geltendem Recht — § 369b Abs. 1 Nr. 1 RVO — hat die Krankenkasse in erforderlichen Fällen eine Nachprüfung durch den Vertrauensarzt zu veranlassen. Außerdem sind 1981 durch die Neufassung der §§ 372 und 373 RVO die gesetzlichen Voraussetzungen dafür geschaffen worden, die wirtschaftliche Erbringung der Krankenhauspflege im Einzelfall durch Prüfungsausschüsse zu prüfen. Diese rechtlichen Möglichkeiten sind — teils wegen des unzureichend entwickelten vertrauensärztlichen Dienstes, teils wegen fehlender Einigung der Krankenkassen und Krankenhäuser über die Durchführung der §§ 372 und 373 RVO — bisher nicht voll ausgeschöpft worden. Es ist hier also nicht in erster Linie der Gesetzgeber, sondern die Selbstverwaltung der Beteiligten aufgerufen, die erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Egert.
Herr Staatssekretär, teilen Sie meine Auffassung, daß es, um dieses Problem zu lösen, auch zu einer eindeutigen Finanzierungsregelung hinsichtlich des Risikos der Pflegebedürftigkeit kommen muß, und wenn, wird die Bundesregierung mit ihrem Konzept dazu überkommen; können Sie eventuell sogar einen zeitlichen Rahmen nennen, in dem wir mit einer solchen Regelung rechnen können?
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5246 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 73. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 6. Juni 1984
Höpfinger, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Egert, die Debatte über die Finanzierung von Pflegefällen, über das ganze Pflegefallrisiko ist voll im Gange. Nur würde ich darum bitten, daß man jetzt im Zusammenhang mit der Krankenhausgesetznovellierung nicht auch die Pflegefallregelung mit hineinnimmt. Aber das ist in Behandlung, und die Notwendigkeit und Dringlichkeit werden durchaus eingesehen.
Herr Abgeordneter Egert, bitte sehr.
Herr Staatssekretär, darf ich Sie daran erinnern, daß diese Regelung — für die Sie nicht unmittelbar zuständig sind — hinsichtlich der Berichtspflicht bereits zeitlich überfällig ist?
Höpfinger, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Egert, Sie wissen, daß das Bundesministerium für Jugend, Familie und Gesundheit einen Bericht erstellen soll. Die Konferenz der Arbeits- und Sozialminister der Länder hat gebeten, diesen Bericht bis zum Herbst vorzulegen; denn man weiß, daß auf Grund dieses Berichts die ganze Problematik der Pflegefälle in die Diskussion gebracht werden kann.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Lutz.
Herr Staatssekretär, Ihre originellen Antworten machen mich neugierig. Wie bitte kann die Selbstverwaltung — wie Sie sich geäußert haben — im Sinne der Frage des Abgeordneten Egert tätig werden? Sie haben auf die Selbstverwaltung rekurriert.
Höpfinger, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Lutz, um eine genaue Antwort zu geben, müßte ich bitten, daß diese Frage aufgenommen wird und ich sie Ihnen schriftlich beantworten kann.
Ich rufe die Frage 22 des Herrn Abgeordneten Gilges auf:
Wie hoch schätzt die Bundesregierung den Investitionsstau im Krankenhausbereich, und was gedenkt die Bundesregierung zum Abbau dieses — auch beschäftigungspolitisch schädlichen — Investitionsstaus beizutragen?
Bitte sehr, Herr Staatssekretär.
Höpfinger, Parl. Staatssekretär: Frau Präsident, ich bitte, daß die Fragen 22 und 23 auf Grund des Sachzusammenhangs gemeinsam beantwortet werden können, sofern der Herr Kollege Gilges einverstanden ist.
Ich rufe die Frage 23 des Herrn Abgeordneten Gilges auf:
Teilt die Bundesregierung die Einschätzung verschiedener Experten, die bei einem Reinvestitionsbedarf im Krankenhausbereich von 6 Milliarden DM und öffentlichen Finanzhilfen von 4,3 Milliarden DM für 1983 eine erhebliche Finanzierungslücke festgestellt haben, und was gedenkt die Bundesregierung zum Abbau dieser Finanzierungslücke zu unternehmen?
Höpfinger, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Gilges, zwei Länderumfragen vom September 1981 und vom Mai 1983 haben einen Investitionsstau von 13 Milliarden DM ergeben. Dabei handelt es sich sowohl um dringend notwendige Maßnahmen in einer geschätzten Größenordnung von 8 Milliarden DM als auch um aufschiebbare, lediglich wünschenswerte Investitionsvorhaben mit einem Volumen von etwa 5 Milliarden DM. Sowohl die Höhe des Investitionsstaus als auch das genannte Verhältnis von notwendigen, aufschiebbaren und wünschenswerten Investitionsvorhaben ist allerdings von Land zu Land unterschiedlich.
Die Durchführung nur der dringend notwendigen Investitionen hätte auch einen beschäftigungspolitischen Effekt. Nach der Entflechtung der Mischfinanzierung hat allerdings der Bund keine Möglichkeit mehr, in diese Richtung zu wirken. Dies liegt dann ausschließlich in der Verantwortung der Länder.
Die Bundesregierung ist der Auffassung, daß der j ährliche Refinanzierungsbedarf im Krankenhausbereich bei rund 6 Milliarden DM liegt. Das hat eine im Auftrag des Bundesministeriums für Arbeit und Sozialordnung vom Deutschen Krankenhausinstitut erstellte Untersuchung bestätigt. Ein Beitrag zum Abbau der bestehenden Finanzierungslücke könnte dadurch geleistet werden, daß Teile der Investitionskosten — rund 1,3 Milliarden DM — in den Pflegesatz verlagert werden, wie wir vorhin in einigen Fragen und Antworten schon angedeutet haben. Hieran ist zur Zeit jedoch nicht gedacht. Insoweit verweise ich auf die Antwort auf die zweite Frage des Kollegen Hauck. Nach Auflösung der Mischfinanzierung liegt die Verantwortung für eine ausreichende Finanzierung der notwendigen Krankenhausinvestitionen bei den Ländern.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Gilges.
Herr Parlamentarischer Staatssekretär, halten Sie es nach Ihrer Antwort noch für notwendig, die Mischfinanzierung aufzugeben, insbesondere unter der Berücksichtigung, daß die Konferenz der Arbeits- und Sozialminister von einem Investitionsstau von 15 Milliarden DM ausgeht, durch dessen Abbau in unserer Republik 200 bis 300 Arbeitsplätze geschaffen würden?
Höpfinger, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Gilges, die Frage der Mischfinanzierung ist in der Regierungserklärung angesprochen. Also nicht ich oder unser Haus haben sich mit der Frage zu beschäftigen, ob die Mischfinanzierung aufgelöst werden sollte oder nicht. Das ist Zielsetzung der Bundesregierung. Daran werden wir festhalten.
Ihre zweite Anmerkung, daß die Länder auf einen Investitionsstau von 15 Milliarden DM kommen: Hier kommt es darauf an, von welchen Größenordnungen, von welchen Problemen und von welchen Maßnahmen die Länder ausgehen.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Gilges.
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 73. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 6. Juni 1984 5247
Halten Sie es trotz der Möglichkeit, 200 bis 300 Arbeitsplätze zu schaffen, nicht für sinnvoll, die Prioritätenfestlegung, die Mischfinanzierung aufzugeben, in der Regierungserklärung zu verändern bzw. diesen Ansatz abzusetzen?
Höpfinger, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Gilges, ich bin überzeugt, daß gerade für die Investitionen im Bereich des Krankenhauswesens nicht weniger ausgegeben werden wird — auch wenn die Mischfinanzierung aufgelöst wird —, weil die Notwendigkeit von Investitionen gegeben ist.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter.
Herr Parlamentarischer Staatssekretär, Sie müssen davon ausgehen, daß sich, nachdem sich der Bund zurückzieht, auch die Länder aus dieser Finanzierung zurückziehen — die Tendenz ist zumindest schon angedeutet worden —, weil sie auf Grund der haushaltsmäßigen Entwicklung nicht mehr das Geld haben, um diese Lücken zu schließen, die dadurch entstehen. Das gilt doch insbesondere auch für die Finanzierungslücken, die im Reinvestitionsbereich entstehen.
Höpfinger, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Gilges, ich darf klarstellen: Die Länder bekommen ja nach wie vor denselben Betrag, aber nicht im Zusammenhang mit der Krankenhausfinanzierung, sondern auf andere Weise. Die Länder sind dann selber verantwortlich, die Probleme des Investitionsstaus, der Investitionsaufgaben in den Krankenhäusern zu lösen. Ich hätte daher keine Sorge und auch keinen Verdacht, daß die Länder ihren Aufgaben nicht gerecht werden würden.
Herr Abgeordneter Lutz, eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, am Ende der Frageserie zu den Krankenhausfinanzierungsproblemen darf ich Sie fragen: Trügt mich mein Eindruck, daß dies Ihre erste Fragestunde ist, die Sie als Parlamentarischer Staatssekretär zu bewältigen haben? Sie haben sich wacker geschlagen. Würden Sie im Namen meiner Fraktion mein Kompliment annehmen?
Höpfinger, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Lutz, es ist nicht die erste Fragestunde. Sie konnten wahrscheinlich nicht dabei sein.
Komplimente nimmt man gerne an. Aber ich habe noch nicht alle Fragen beantwortet, die gestellt worden sind. Insofern kommt das Kompliment etwas zu früh.
Sie haben ausnahmsweise noch einmal das Wort.
Ich hatte das Kompliment nur wegen des Fachbereiches Krankenhausfinanzierung für angebracht gehalten. Jetzt nehmen Sie es an?
Herr Dr. Becker, eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, teilen Sie meine Auffassung, daß der Investitionsstau, der nun eingetreten ist, hauptsächlich darauf zurückzuführen ist, daß das System der Mischfinanzierung, wie es bestanden hat, nicht klappte, und das wiederum hauptsächlich deswegen, weil sich der Bund von seinem Drittel-Anteil zurückgezogen hat?
Höpfinger, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Bekker, Sie sprechen hier ein sehr bedeutsames Problem an. Wir müssen einfach auch gegenüber den Ländern zugeben, daß die bei der Schaffung des Krankenhausfinanzierungsgesetzes gewollte EinDrittel-Finanzierung des Bundes nie voll erreicht werden konnte. Es geht hier nicht um Vorwürfe, aber diese Tatsache muß einmal festgestellt werden. Deshalb, glaube ich, ist es auch nicht gut, wenn man nun gegenüber den Ländern ein gewisses Unbehagen aufbringt, was diese wohl bei den Krankenhausinvestitionen tun würden.
Wir sollten auch die positiven Seiten nicht übersehen. Zum Beispiel hat allein Bayern im letzten Haushalt 950 Millionen DM eingesetzt, um den Investitionsstau abzubauen. Das sind doch Zeichen, daß die Länder längst wissen, in welcher Verantwortung sie in der Krankenhausfrage stehen.
Herr Dr. Becker, noch eine Zusatzfrage, bitte.
Kann ich den Ausführungen, die Sie zuvor gemacht haben, entnehmen, daß der Bund bereit ist, hinsichtlich der Finanzmasse — allerdings auf einem anderen Weg — die Länder mehr zu unterstützen, als das bisher der Fall war?
Höpfinger, Parl. Staatssekretär: In welcher Größenordnung die Finanzmasse liegen wird, kann ich nicht sagen. Da muß ich mich zurückhalten. Aber auf jeden Fall hat der Bund Bereitschaft dazu signalisiert.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Immer.
Herr Staatssekretär, ich möchte Sie fragen, ob wir nicht befürchten müssen, daß es bei dem Rückzug des Bundes aus der Mischfinanzierung in diesem Bereich Versorgungsprobleme dergestalt geben wird, daß gewisse Länder, die über weniger Finanzmittel verfügen, dann nicht mehr in der Lage sind, die Krankenhausversorgung so sicherzustellen, wie es in anderen Ländern möglich ist.
Höpfinger, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, wenn sich einige Länder gegen die Auflösung der Mischfinanzierung gewandt hätten, würde ich Ihre Sorge teilen. Nachdem aber alle Länder für die Auflösung der Mischfinanzierung sind, bin ich der Meinung, daß die Länder natürlich gewußt haben, was in dieser Weise auf sie zukommt. Insofern kann ich Ihre Sorge nicht teilen.
Zweite Zusatzfrage, bitte.
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5248 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 73. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 6. Juni 1984
Ich frage aus folgendem Grund. Ist Ihnen bekannt, daß das Land Rheinland-Pfalz bei der Krankenhausfinanzierung sich häufig der Mittel bedient hat, die eigentlich für die Kommunen gedacht waren, und deshalb die Kommunen schlechtergestellt worden sind? Wird das nicht in Zukunft bei solchen Verfahren auch in anderen Ländern erfolgen?
Höpfinger, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, mir ist nur bekannt, daß es in manchen Ländern besondere Schwierigkeiten bei der Krankenhausfinanzierung gibt. Ich möchte jetzt hier kein einzelnes Land herausgreifen.
Zusatzfrage, Frau Abgeordnete Fuchs.
Herr Staatssekretär, sind Sie aber bereit, sich mit Nachdruck dafür einzusetzen, daß im Rahmen der Aufhebung der Mischfinanzierung und im Rahmen einer Neuordnung des Länderfinanzausgleichs Wert darauf gelegt wird, daß alle Länder in der Lage sind, den Investitionsstau im Krankenhausbereich abzubauen?
Höpfinger, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin Fuchs, ich habe bei der Antwort auf eine vorhergehende Frage schon darauf hingewiesen: Wenn die Mischfinanzierung aufgelöst ist, ist die Finanzierung überwiegend Aufgabe der Länder. Natürlich wird der Bund bei den Mitteln, die er den Ländern zuweist, auch diese Frage immer wieder ansprechen.
Keine weitere Zusatzfrage.
Die Fragen 24 und 25 des Abgeordneten Dr. von Bülow können nicht beantwortet werden, weil der Fragesteller nicht im Raum ist. Ich sehe das, glaube ich, richtig.
Die Frage 26 des Abgeordneten Grünbeck wird auf Wunsch des Fragestellers schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Ich rufe die Frage 27 des Herrn Abgeordneten Stiegler auf:
Wie sind die Mittel für Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen der Bundesanstalt für Arbeit auf die einzelnen Landesarbeitsamtsbezirke verteilt worden, und hält die Bundesregierung angesichts des unterschiedlichen Mittelabflusses diesen Verteilungsschlüssel für veränderungsfähig?
Bitte sehr, Herr Staatssekretär.
Höpfinger, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Stiegler, für die Bewilligung neuer Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen sind die für das laufende Haushaltsjahr bereitstehenden Ausgabemittel und Verpflichtungsermächtigungen der Bundesanstalt für Arbeit den Landesarbeitsämtern wie folgt zugeteilt worden — die Größen gebe ich in Millionenbeträgen an —: Schleswig-Holstein 187,7, Niedersachsen/ Bremen 381,4, Nordrhein-Westfalen 613,9, Hessen 133,3, Rheinland-Pfalz/Saarland 156,1, Baden-Württemberg 102,4, Nord-Bayern 168,8, Süd-Bayern 122,9 und Berlin 104,7.
Die Zuteilung der Mittel ist eine Aufgabe der Bundesanstalt für Arbeit. Wie in den Vorjahren haben Präsident und Selbstverwaltung auch bei der Zuteilung der Mittel für 1984 die Bedarfsmeldungen der Landesarbeitsämter, den nach bestimmten Kennzahlen des Arbeitsmarkts errechneten Bedarf sowie die Besonderheiten der Landesarbeitsamtsbezirke berücksichtigt. Die Bundesregierung respektiert den Verteilungsschlüssel, der der Entscheidung der Bundesanstalt zugrunde liegt.
Im übrigen schichtet die Bundesanstalt für Arbeit regelmäßig in der zweiten Jahreshälfte Mittel, die in einem Landesarbeitsamtsbezirk entgegen den Erwartungen nicht gebraucht werden, auf andere Bezirke um. Daß es möglich ist, bei rechtzeitiger Umschichtung die ABM-Mittel voll zu nutzen, zeigt das vergangene Jahr: Von den Ausgabemitteln des Haushaltsjahres 1983 sind 98 % abgeflossen.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Stiegler.
Herr Staatssekretär, wodurch erklären Sie sich den unterschiedlichen Mittelabfluß in den einzelnen Landesarbeitsamtsbezirken und den einzelnen Arbeitsämtern, der dazu geführt hat, daß die einen schon jetzt nichts mehr haben und die anderen die Beträge nicht einmal zur Hälfte ausgegeben haben, und werden Sie vor diesem Hintergrund im Rahmen Ihrer Möglichkeiten Einfluß auf die Bundesanstalt nehmen, daß der Mittelausgleich jetzt und nicht etwa erst im Herbst erfolgt, wenn man bestimmte Außenarbeiten, z. B. Waldarbeiten, nicht mehr ausführen kann?
Höpfinger, Parl. Staatssekretär: Die Frage, Herr Kollege, werden wir gern der Bundesanstalt für Arbeit vorlegen. Sie wissen natürlich selbst, daß gerade für die Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen neben der Aktivität der Arbeitsämter, also der Bundesanstalt, auch die Zuarbeit entweder von privaten oder von öffentlichen Trägern erfolgen muß. Wir sind also auch bei den Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen auf die Mitarbeit anderer Träger der öffentlichen Hand angewiesen.
Sie haben noch eine Zusatzfrage, Herr Kollege Stiegler, bitte.
Herr Staatssekretär, ist Ihnen bekannt, daß in einzelnen Arbeitsämtern die Verstärkungsmittel des Bundes z. B. für bauwirksame Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen wahrscheinlich zurückgegeben werden müssen, weil es an den Kornplementärmitteln der Bundesanstalt fehlt? Werden Sie wenigstens jetzt unverzüglich dafür eintreten, daß diejenigen zusätzlichen Mittel der Bundesanstalt bereitgestellt werden, die es erlauben, die bereitgestellten Bundesmittel wenigstens abzurufen und entsprechende Maßnahmen anzuerkennen?
Höpfinger, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich nehme Ihre Zusatzfrage auf und lasse im Hause prüfen, was hier getan werden kann.
Zusatzfrage, Frau Steinhauer.
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 73. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 6. Juni 1984 5249
Herr Staatssekretär, sind Sie in der Lage, mir Antwort auf die Frage zu geben, inwieweit die Mittel schon verplant sind bzw. schon Bindungsermächtigungen durch die Selbstverwaltungskörperschaften bei der Bundesanstalt für Arbeit gefaßt worden sind und ob noch Mittel zur Verfügung stehen?
Höpfinger, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin, Sie vermuten richtig: Ich kann Ihnen auf der Stelle nicht sagen, welche Zahlen genannt werden müssen. Aber da die Frage so bedeutsam ist, bitte ich, daß sie Ihnen schriftlich beantwortet werden darf.
Wir danken Ihnen, Herr Staatssekretär.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers für Verteidigung auf. Zur Beantwortung steht der Herr Parlamentarische Staatssekretär Würzbach zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 28 des Abgeordneten Würtz auf:
Sind dem Bundesminister der Verteidigung noch immer Klagen von ausgeschiedenen bzw. ausscheidenden Berufssoldaten über ungenügendes sogar mangelhaftes Informationsmaterial des Dienstherrn beim Dienstende bekannt, und wenn ja, welche Maßnahmen sind geplant, um diesen Mißstand zu beseitigen?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Frau Präsidentin! Herr Kollege Würtz, der Bundesminister der Verteidigung ist der Auffassung, daß die den ausscheidenden Berufssoldaten erteilten Hinweise, Merkblätter und Bescheide in sachlicher Form alle notwendigen Informationen enthalten. Um jedoch einem noch weitergehenden Bedürfnis nach möglichst umfassender Fürsorge beim Ausscheiden aus dem militärischen Berufsleben zu entsprechen, hat der Bundesminister der Verteidigung in diesem Jahr erstmals zusätzlich eine Broschüre „Vorbereitung auf den Ruhestand" herausgegeben, die an alle demnächst Ausscheidenden, an Soldaten wie an zivile Mitarbeiter, verteilt wird.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Würtz.
Herr Staatssekretär, dürfen auch die, die schon ausgeschieden sind, diese Broschüre anfordern; wenn ja: wo?
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Gern; im Ministerium oder über die Kollegen, die das dann bei uns tun.
Die zweite Zusatzfrage?
Keine weitere.
Keine weitere Zusatzfrage.
Ich rufe die Frage 29 des Herrn Abgeordneten Würtz auf:
Wie bewertet der Bundesminister der Verteidigung die Senkung des Versetzungsumfangs im Jahre 1982 auf etwas mehr als 9 000 Familien, und wie sehen die Zahlen für 1983 sowie für das erste Halbjahr 1984 aus?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Im Jahr 1982 hat der Versetzungsumfang im Vergleich zu den Vorjahren deutlich abgenommen; er konnte 1983 auf diesem Niveau gehalten, stabilisiert werden. Da die Auswertung jeweils erst am Ende des Kalenderjahres erfolgt, stehen für 1984, Herr Kollege Würtz, noch keine Zahlen zur Verfügung. Die Bemühungen um weitere Verringerung des Versetzungsumfangs werden fortgesetzt. Die in den vergangenen beiden Jahren erreichten Umfänge kennzeichnen jedoch in etwa das Ausmaß an Versetzung, das insbesondere zur Gewährleistung eines planvollen Verwendungsaufbaus für die Offiziere und der Nachbesetzung freier Dienstposten mindestens erforderlich ist.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Würtz.
Herr Staatssekretär, muß ich Ihre Antwort so verstehen, daß Sie 9 000 Versetzungen für die Zukunft für üblich halten?
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Ich habe darauf hingewiesen, daß wir uns bemühen, die Zahl weiter zu reduzieren, daß jedoch aus den beiden genannten Gründen — Personalplanung und Förderung — eine Zahl in etwa dieser Höhe erforderlich bleiben wird. Wir werden uns bemühen, sie zu drücken, wissend, was dies nicht nur für den versetzten Mann bedeutet, sondern besonders für die ja mitversetzt werdende Ehefrau, für die Kinder, damit für die Familie.
Weitere Zusatzfrage? — Keine.Ich rufe die Frage 30 des Herrn Abgeordneten Horn auf. — Er ist nicht im Raum. Die Frage wird nicht beantwortet.Ich rufe die Frage 31 der Frau Abgeordneten Dr. Skarpelis-Sperk auf:Ist der Bundesregierung bekannt, daß während eines Manövers des Panzerbataillons Landsberg/Lech in dem Ort Webaras bei Kaufbeuren aus einem Panzer mit — wie sich später herausstellte — Platzpatronen auf eine Frau und deren vierjährige im Garten spielende Tochter geschossen wurde (siehe Bericht der „Allgäuer Zeitung" vorn 8. Mai 1984)?Bitte schön, Herr Staatssekretär.Würzbach, Parl. Staatssekretär: Das Panzerbataillon 224 aus Landsberg/Lech hat in der Zeit zwischen dem 20. und dem 22. März während einer Gefechtsübung die Ortschaft Webams durchfahren. Obwohl weder polizeiliche Ermittlungen noch die Untersuchung des Vorfalls durch den zuständigen Vorgesetzten zu einem konkreten Ergebnis führten, können wir nicht ausschließen, daß sich ein Vorfall so, wie von Ihnen dargestellt, oder in ähnlicher Weise ereignet hat. Ich würde dies — und ich tue es — sehr bedauern und für nicht entschuldbar halten. Der Kommandeur des betreffenden Bataillons hat
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5250 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 73. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 6. Juni 1984
Parl. Staatssekretär Würzbachder betroffenen Frau sein Bedauern über den Vorfall zum Ausdruck gebracht.
Zusatzfrage, Frau Abgeordnete.
Herr Staatssekretär, trifft es zu, daß auf Grund der Berichterstattung in der Presse Mitglieder der Bundeswehr die zuständige örtliche Redaktion angerufen und die Journalistin, die diesen Vorfall öffentlich beklagt hat, wegen der Berichterstattung massiv angegriffen haben? Halten Sie eine derartige Vorgehensweise von Mitgliedern der Bundeswehr für richtig?
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Diese Vorgehensweise ist mir nicht bekannt. Sollte das so zutreffen, wie Sie es in Ihrer Frage schildern — was ich nicht bestätigen kann —, halte ich es für richtig, daß, um den Vorfall aufzuklären, entsprechende Offiziere bei der Redakteurin, die die einzige ist, die zunächst nähere Informationen darüber zu haben schien, anrufen, um sich in Kenntnis zu setzen. Das andere, was Sie fragten, halte ich nicht für richtig.
Zusatzfrage, Frau Kollegin.
Ich habe nur eine Zusatzbitte, nämlich daß Sie veranlassen, daß dieser Ihr Vorschlag, den ich für vernünftig und zweckmäßig halte, wenigstens im nachhinein nachgeholt wird.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Krizsan.
Herr Würzbach, wir kriegen ja nun fast in jeder Fragestunde Berichte und Anfragen über derartige Vorfälle auf den Tisch des Hauses. Wären Sie nicht mit mir einer Meinung, daß man endlich überlegen sollte, ob Übungen der bei uns stationierten Truppen und der Bundeswehr auf die Truppenübungsplätze beschränkt werden können, um diese Vorfälle und Unfälle endgültig zu vermeiden?
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, 495 000 Soldaten und in jedem Jahr 220 000 durch die Bundeswehr gehende Wehrpflichtige werden in einer im normalen Dienst vernünftigen Form, ohne daß es zu ähnlichen Vorkommnissen kommt, durch alle unsere Vorgesetzten ausgebildet. Dies sind Einzelerscheinungen — weil Sie in Ihrer Frage etwas anderes unterstellten —, die wir nicht verniedlichen, denen wir nachgehen, die wir als Anlaß zu Belehrungen nehmen, um sie abzustellen. Dies möchte ich sehr klar feststellen. Nur auf Übungsplätzen kann eine bewegliche und hochtechnisierte Truppe nicht ausgebildet werden; wir können dies nicht auf die Übungsplätze beschränken.
Sehe ich richtig, daß die von Ihnen eingebrachte Frage 32 schon beantwortet ist, Frau Kollegin? —
Dann rufe ich die Frage 32 der Abgeordneten Frau Dr. Skarpelis-Sperk auf:
Was gedenkt die Bundesregierung zu tun, um derartige Vorfälle in Zukunft zu verhindern?
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Vor jeder Übung werden die Soldaten über die Einhaltung der Sicherheitsbestimmungen und über die Befehle für den Umgang mit Waffen und Munition eingehend belehrt. Ganz generell kann festgestellt werden, daß unsere Soldaten hierdurch das unbedingt erforderliche Empfinden für ein entsprechendes Verhalten entwickelt haben.
Im vorliegenden Fall hat der Kommandeur des Bataillons die Soldaten seines Bataillons über den Vorfall unterrichtet und eine erneute Belehrung angeschlossen.
Eine Zusatzfrage, Frau Abgeordnete? — Dann Herr Krizsan zu einer Zusatzfrage. Bitte sehr.
Herr Würzbach, jetzt muß ich doch noch einmal nachfragen: Sie sprachen davon, daß die Soldaten der Bundeswehr ein Empfinden entwickelt haben. Wir haben hier schon häufig über Fehlschüsse, Unfälle und dergleichen verhandelt. Finden Sie, daß das mit diesem Empfinden für die Gefährlichkeit Ihrer Übungen übereinstimmt?
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, würden wir uns die Mühe machen, über die vielen Jahrzehnte des Bestehens der Bundeswehr im und für den Frieden zurückzurechnen, und Sie wollten das in Prozentzahlen ausdrücken, dann bin ich ganz sicher, daß Sie im Vergleich zu der sonst ordnungsgemäß ohne gerinste Verstöße stattfindenden Ausbildung zu einer Prozentzahl von 0,0 — sicherlich folgt noch eine Null — kämen.
Ich rufe die Frage 33 des Herrn Abgeordneten von Schmude auf:Wie hoch ist derzeit der Anteil der Wehrpflichtigen, der auf Grund mangelnder Tauglichkeit weder Wehrdienst noch Ersatzdienst leistet, und welche Überlegung stellt die Bundesregierung an, um die Tauglichkeitsfeststellung realistischer und gerechter zu treffen?Würzbach, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege von Schmude, Aussagen über die Heranziehung der Wehrpflichtigen sind für den Geburtsjahrgang 1954 möglich, der die Altersgrenze von 28 Jahren für die Einberufung überschritten hat. Rund 21 % dieses Geburtsjahrgangs sind aus Tauglichkeitsgründen nicht zur Dienstleistung herangezogen worden. Angaben über jüngere Jahrgänge sind noch nicht möglich, weil sich bis zur Vollendung des 28. Lebensjahres noch Änderungen der Tauglichkeit ergeben können. Für den Jahrgang 1955 liegt die Auswertung noch nicht vor.Die Bundesregierung ist jetzt bemüht, durch Änderung und Anpassung der Tauglichkeitsbestimmungen auch an moderne medizinische Erkenntnisse die Musterungsergebnisse zu verbessern. Außerdem laufen zur Zeit Untersuchungen mit dem Ziel, die Verwendungsausschlüsse zu reduzieren und eine sogenannte fachbezogene Wehrdienstfä-
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 73. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 6. Juni 1984 5251
Parl. Staatssekretär Würzbachhigkeit einzuführen. Auf Abruf bin ich in der Lage und willens, dazu Beispiele zu geben.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter? — Bitte.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Staatssekretär, wie beurteilt die Bundesregierung die Tatsache, daß Spitzensportler wie z. B. ein bekannter Fußballnationalspieler wegen Abnutzungserscheinungen an den Sprunggelenken vom Wehrdienst befreit werden?
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, die Gruppe der Spitzensportler, die Sie ansprechen — aber ich erweitere sie gleich einmal: auch z. B. die des wehrpflichtigen Zahnarztes, der fertiger Zahnarzt ist und früher operiert wurde, wie der Spitzensportler — dies ist nämlich der Grund —, am Meniskus, oder eine Wirbelsäulenverkrümmung hat, die ihn aber befähigt, seinen Dienst als Arzt zu tun, oder der Materialbuchhalter in einer Firma, der diesen Dienst exzellent tun kann, in der Firma wie auch bei uns —, diese Gruppen beabsichtigen wir in Zukunft trotz bestimmter gesundheitlicher Beeinträchtigungen verwendungsbezogen entsprechend ihrer Qualifikation in die Bundeswehr zu rufen, so daß wir die Zahl von 21 % angeblich — so füge ich mal hinzu — Untauglicher eines Jahrgangs dadurch erheblich reduzieren können und damit einen wichtigen Beitrag zur Wehrgerechtigkeit leisten.
Ich habe jetzt keine Zeit mehr, weitere Zusatzfragen zuzulassen. Die Fragestunde ist abgelaufen. Wir beginnen morgen um 13 Uhr mit der Fortsetzung der Fragestunde in diesem Bereich. — Danke sehr, Herr Staatssekretär.
Meine Damen und Herren, ich rufe Punkt 3 der Tagesordnung auf:
Beratung des Antrags der Fraktion der SPD zu Südafrika
— Drucksache 10/1508 —
Es ist vereinbart worden, die Beratung dieses Punktes mit der Beratung der beiden folgenden Zusatzpunkte zu verbinden:
Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN
Besuch des südafrikanischen Ministerpräsidenten Botha in Bonn
— Drucksache 10/1544 —
Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und FDP
Lage im Südlichen Afrika
— Drucksache 10/1549 —
Für die verbundene Aussprache sind 60 Minuten vorgesehen. Ist das Haus damit einverstanden? — Dann ist so beschlossen.
Das Wort in der Aussprache hat der Abgeordnete Verheugen.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Antrag der SPD-Fraktion, der zu dieser Debatte geführt hat, behandelt nicht die Frage, ob es richtig war, den südafrikanischen Ministerpräsidenten Botha in Bonn zu empfangen. Uns geht es vielmehr darum, die Gelegenheit dieses Besuchs zu benutzen, um noch einmal klarzumachen, daß wir die Politik Bothas und seiner Regierung rundheraus ablehnen und daß die südafrikanische Rassentrennungspolitik in unserem Lande keine Unterstützung findet.
Dennoch zunächst ein paar Worte zur Zweckmäßigkeit solcher Begegnungen.Man kann sich ja fremde Regierungen nicht aussuchen. Und wenn wir die Probleme auf der Welt friedlich lösen wollen, müssen wir miteinander reden. So halten wir es mit vielen Regierungen, an deren Politik wir viel auszusetzen haben, und deshalb ist ja auch Bothas Vorgänger Vorster seinerzeit von Bundeskanzler Schmidt empfangen worden. Wir meinen aber, daß es bei solchen Begegnungen immer auch auf den Zeitpunkt und die Umstände ankommt.Die Europareise des südafrikanischen Ministerpräsidenten verfolgt einen einzigen Zweck: Er will die politische Isolierung seines Landes durchbrechen und, wie er selber sagt, „als zivilisierter Politiker mit anderen Zivilisierten reden". Er will ein Honorar einstreichen für die Vertragspolitik, die seine Regierung im südlichen Afrika betreibt und die in der Tat die Lage verändert hat, seit wir im Februar das letzte Mal über das südliche Afrika diskutiert haben. Aber wir meinen, daß Botha keinen Anspruch auf Honorierung seiner Politik durch uns hat.Die Vertragspolitik begründet keinen dauerhaften Frieden. Ihr Ziel ist vielmehr die südafrikanische Vorherrschaft über die ganze Region. Die Rassentrennungspolitik im Innern soll nicht mehr von außen gefährdet werden können, und die Befreiungsbewegungen sollen ihre Basis außerhalb der Grenzen Südafrikas und Namibias verlieren, damit der Widerstand im Innern so brutal wie eh und je bekämpft werden kann.Wir meinen nicht, daß eine solche Absicht diplomatische Unterstützung verdient. Das kann man drehen und wenden wie man will, in südafrikanischer Sicht ist es eine diplomatische Unterstützung durch die Bundesregierung, daß Botha unter diesen Umständen hier erscheinen durfte. Wir haben deshalb die Einladung für einen Fehler gehalten. Die Bundesregierung hat sich dabei offenbar auch nicht wohlgefühlt und der Peinlichkeit des Besuchs ein paar weitere Peinlichkeiten hinzugefügt —
als wenn es dem Herrn Botha darauf angekommen wäre, mit dem Bundeskanzler auf dem Besuchersofa abgebildet zu werden. Ich muß schon sagen: Es ist eine sehr beeindruckende Form von Außenpolitik, wenn der Bundeskanzler in Gegenwart des Fernsehens ein Sofa entfernen läßt.
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5252 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 73. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 6. Juni 1984
Der Besuch, der nun stattfindet, wirft für unser Land zwei Fragen auf, die wir vielleicht heute klären können.Erstens. Wie beurteilen wir die neueste Entwicklung im südlichen Afrika?Zweitens. Welche Konsequenzen ziehen wir aus den andauernden Menschenrechtsverletzungen in Südafrika und Namibia?Wir glauben im Gegensatz zur Bundesregierung nicht, daß die Verträge zwischen Südafrika und einigen seiner Nachbarn ermutigend sind. Daß der Bundeskanzler den südafrikanischen Regierungschef seinerzeit zum Vertrag mit Mosambik beglückwünscht hat, war im besten Fall naiv. Das ist auch das, was man zum Antrag der CDU/CSU- und der FDP-Fraktion nur sagen kann: im besten Falle naiv.Es steht uns nicht zu, den Regierungen im südlichen Afrika vorzuschreiben, was sie zu tun oder zu lassen haben. Wer gesehen hat, wie es in diesen Ländern aussieht, wie die Menschen aus Angst um ihr Leben aus ihren Dörfern flüchten, wie sie hungern, wie sie jede Hoffnung verlieren, der begreift, warum z. B. Mosambik diesen Vertrag abschließen mußte. Und ich will auch gar nicht ausschließen, daß Südafrika Frieden in der Region im Sinn hat, aber Frieden zu seinen Bedingungen, eine Pax Pretoriana, wie gestern ein Kommentator schrieb.Wer sollte besser verstehen als wir, daß Frieden so billig nicht zu haben ist? Man kann nicht Länder an den Verhandlungstisch bomben, ihnen Bedingungen diktieren und sich dann als Friedensheld feiern lassen. Man stelle sich vor, jemand würde diese Politik, zu der der Bundeskanzler ausdrücklich gratuliert hat, in anderen Teilen der Welt, etwa bei uns, praktizieren.Die südafrikanische außenpolitische Initiative dient innenpolitischen Zwecken. Es soll damit die Herrschaft der Minderheit über die Mehrheit in Südafrika abgesichert werden, und es soll Zeit gewonnen werden, bis in Namibia vielleicht eines Tages doch eine Scheinunabhängigkeit mit einer Satellitenregierung installiert werden kann.Frieden in der Region gibt es nur, wenn die Ursache des Unfriedens beseitigt wird: das Apartheidssystem. Ich hoffe, es findet sich hier niemand, der es für einen Fortschritt hält, daß es in Südafrika auch schon Parkbänke gibt, auf denen Weiße und Schwarze sitzen dürfen.
Apartheid heißt heute, daß die schwarze Bevölkerungsmehrheit politisch und sozial rechtlos als billiges Arbeitskräftepotential ausgebeutet wird. Die Verhältnisse sind nicht besser, sondern schlimmer geworden. Und deshalb können wir der Frage nach unserem eigenen Verhalten nicht ausweichen.Wir verlangen, daß die über Südafrika verhängten Sanktionen strikt eingehalten werden. Immernoch kann unwidersprochen der Vorwurf erhoben werden, daß deutsche Firmen das Rüstungsembargo umgehen. Hier ist eine strengere Auslegung der Bestimmungen und vor allen Dingen eine strengere Kontrolle durch die Bundesregierung nötig. Wir erwarten auch, daß der Verhaltenskodex der Europäischen Gemeinschaft für europäische Firmenniederlassungen in Südafrika weiterentwickelt wird. Die Bundesregierung hat in ihrem Bericht über die Einhaltung des Kodex ein sehr freundliches Bild gezeichnet. Von den Betroffenen hören wir es jedoch anders.Wir sind der Meinung, daß es auch an der Zeit ist, die Ergebnisse des Kulturabkommens mit Südafrika kritisch zu überprüfen. Ein Kulturabkommen mit einem Land, das die Freiheit der Rede, der Presse, der Kunst und der Wissenschaft nicht akzeptiert, das Zensur ausübt und in unzähligen Fällen politisch Mißliebige gebannt hat, kann ganz anders wirken, als man es sich vielleicht vorgestellt hatte.In diesem Zusammenhang ist auch an die sich häufenden Fälle von Sichtvermerksverweigerungen für die Einreise und von Ausreiseverweigerungen für Einheimische zu erinnern. In Ihrer Antwort auf unsere Große Anfrage hat die Bundesregierung diese Praxis kritisiert und Konsequenzen angedroht. Wir fragen jetzt, wo die Konsequenzen bleiben, nachdem sich die Praxis nicht geändert hat.In bezug auf Namibia fordern wir die Bundesregierung auf, mit allem Nachdruck für die Verwirklichung des Unabhängigkeitsplans der Vereinten Nationen einzutreten. Das heißt, daß die unselige Verbindung dieser Frage mit der Präsenz kubanischer Truppen in Angola aufgegeben werden muß.
Wenn man die Kubaner wirklich aus dem südlichen Afrika herausbringen will, muß man die Unabhängigkeit Namibias und die Integrität Angolas anerkennen. Vertritt die Bundesregierung diese Haltung auch gegenüber den USA? Welche Rolle spielt zur Zeit die westliche Kontaktgruppe? Was tut die Bundesregierung, um diese Gruppe wieder arbeitsfähig zu machen?Wir fordern schließlich erneut eine intensivere wirtschaftliche Zusammenarbeit mit Südafrikas Nachbarn in der Region. Je stabiler diese Länder auch wirtschaftlich sind, desto eher können sie der südafrikanischen Machtpolitik widerstehen.
Wir treten für eine enge Zusammenarbeit mit den Kräften ein, die den südafrikanischen Rassismus und Kolonialismus bekämpfen, mit den Befreiungsbewegungen ANC und SWAPO, mit Kirchen und Gewerkschaften und auch mit der fortschrittlichen weißen Opposition in Südafrika.Lassen Sie mich zu Botha ein Letztes sagen. Dieser Mann und seine Regierung wollen den Eindruck erwecken, sie seien im südlichen Afrika ein Vorposten der westlichen Freiheit. Aber es rechtfertigt
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 73. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 6. Juni 1984 5253
Verheugendie unmenschliche Politik Südafrikas nicht, daß sie außerdem noch antikommunistisch ist. Wir wollen für diese Politik nicht in Anspruch genommen werden. Südafrika ist kein Vorposten der Freiheit, sondern das Grab der Freiheit und der Menschenwürde vieler Millionen. Das wollen wir Herrn Botha sagen. Die internationale Aufwertung, die er sucht, soll er bei uns nicht finden.Danke schön.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Hornhues.
Frau Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren!
Lieber Kollege Verheugen, ich bin völlig sicher, daß Sie hier heute einmal mehr keinen Beitrag dazu geleistet haben, daß die konkreten Probleme gelöst werden.Meine sehr geehrten Damen und Herren, der gegenwärtige Besuch des südafrikanischen Premierministers Botha hier bei uns ist der äußere Anlaß für diese Debatte; formaler Anlaß ist das Vorliegen der entsprechenden Anträge der Fraktionen. Wir begrüßen den Besuch Bothas in der Bundesrepublik,
weil dieser Besuch unserer Regierung die Gelegenheit gegeben hat, direkt und unmißverständlich denen, die dort Macht haben und Verantwortung tragen, zu sagen, wie wir und sie — die Bundesregierung — die Situation und die Entwicklung im südlichen Afrika sehen und beurteilen.Wir begrüßen, daß der Bundeskanzler und der Bundesaußenminister — —
— Ach, Herr Voigt, ich freue mich ja sehr darüber, daß die Bundesregierung ab und zu auch noch ein wenig zur Erhöhung Ihres Adrenalinspiegels beitragen kann und Ihnen insoweit das Leben erleichtert.
Vielleicht leihen Sie es sich einmal zum Sitzen aus, zum Üben, weil Sie es so schnell nicht wiedersehen werden.Der Bundeskanzler und der Bundesaußenminister haben also dem südafrikanischen Premierminister unsere Ablehnung der Apartheid und unsere Erwartungen bezüglich eines friedlichen Wandels im südlichen Afrika deutlich gemacht, wie es die Bundesregierung in der Antwort auf die Große Anfrage in der damit verbundenen Debatte hier am 10. Februar deutlich gemacht hat und wie wir es unverändert nachdrücklich unterstützen.Wir begrüßen den Besuch von Herrn Botha auch deshalb, Herr Kollege Voigt, weil damit dem Oppositionsführer die Gelegenheit gegeben wurde, mit ihm zu sprechen. Ich will in allem Ernst sagen: Ich habe mich darüber gefreut, daß Herr Vogel und Herr Ehmke dies getan haben. Nach dem, was Herr Verheugen hier gerade erklärt hat, muß ich annehmen, daß es bei Ihnen noch heftige Debatten darüber gibt, ob man so etwas überhaupt tun kann.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir begrüßen das also auch deswegen, weil damit der Oppositionsführer die Chance bekommen hat oder — wie Sie es sehen wollen — sich genommen hat, sich mit dem südlichen Afrika näher zu beschäftigen.
Mit dem Besuch von Ministerpräsident Botha in der Bundesrepublik ist ein — zugegebenermaßen neuer — Schritt in bezug auf das getan worden, was wir einen konstruktiv-kritischen Dialog nennen, den wir immer und unverändert als das wichtigste Instrument unseres Beitrags zur friedlichen Lösung der Probleme im südlichen Afrika angesehen haben und weiter ansehen werden.
Wenn von Kritikern dieses Besuchs behauptet wurde und, wie ich höre, wieder behauptet wird, dies sei Anerkennung oder Aufwertung des Apartheidsystems in Südafrika, so ist dies — lassen Sie mich dies in aller Deutlichkeit feststellen — barer Unsinn. Mit den Wertvorstellungen der CDU/CSU ist Apartheid unvereinbar. Das ändert aber nichts an der Pflicht, miteinander zu reden, um Lösungen zu suchen und zu finden.
Zweifelsohne ist die Europareise von Ministerpräsident Botha und sein Besuch in Deutschland für ihn in Südafrika von hoher Bedeutung.
Wir bewerten seine innenpolitischen Veränderungen — Reformen nennen es manche — vorsichtig als Schritte, die in die richtige Richtung führen könnten.
Es sind Schritte, denen noch viele folgen müssen,
wenn sich unsere Hoffnungen als berechtigt erweisen sollen.Innerhalb der gegenwärtig alleinherrschenden weißen Bevölkerung in Südafrika ist dieser Weg
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5254 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 73. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 6. Juni 1984
Dr. Hornhuesheftig umstritten. Der weiße Widerstand formiert sich. Auch dies gehört zur Realität dieses Landes. Wenn diese Reise Bothas, die ihm Rückenwind gibt für weitere, wie wir hoffen, zügige Schritte zur Überwindung der Apartheid, dann kann ich das nur begrüßen. Die Entwicklung im südlichen Afrika in den letzten Monaten war für viele verblüffend. Ich habe es am Beitrag von Herrn Verheugen gemerkt, der offensichtlich die Welt lieber so hätte, wie sie vorher war, dem es offensichtlich lieber wäre, daß weiterhin auf der einen Seite RENAMO oder UNITA militärisch unterstützt werden und auf der anderen Seite Bomben zur Explosion kommen. Meine sehr geehrten Damen und Herren, wenn Sie dies um der Klarheit Ihrer Vorstellung willen lieber haben, dann ist das Ihre Angelegenheit. Wir können dies nicht begrüßen. Wir sind immer eingetreten für den friedlichen Wandel, und wir sehen in dem, was sich da getan hat, einen wichtigen Schritt in eine neue Richtung, nämlich weg von der permanent eskalierenden Konfrontation, in die manche hier blauäugig ihre Sympathisanten hineingeredet haben, hin zu einem Suchen nach einem Status quo.
Über Jahre hinweg wurden die Nachbarstaaten Südafrikas teils aus eigener Überzeugung, teils getrieben von einer Weltmeinung zur Hauptkampflinie gegen die letzten Reste von Rassismus und Kolonialismus in Afrika. Der Begriff „Frontlinienstaaten" wurde geboren. Die Sowjetunion machte sich dies, so gut sie konnte, zunutze.Der gegen Südafrika geschaffene Druck — Isolierung, Verdammung, Boykott, Sanktionen, Ausschluß von internationalen Sportwettkämpfen usw., die Unterstützung bewaffneter Aktionen von SWAPO und ANC — führte in Afrika dazu, daß sicherlich einerseits liberale Kräfte auf Reformen drängten, andererseits aber Südafrika, wesentlich der Theorie des totalen Anschlages folgend, begann, seine Wagenburg immer besser herzurichten. Mit militärischen Ausfällen aus dieser Wagenburg, mit Destabilisierung der Nachbarländer durch Unterstützung von Rebellengruppen in diesen Ländern versuchte es, diesem, wie man es nannte, „totalen Anschlag" zu begegnen. Die Folgen für die Nachbarländer waren verheerend. Diese mußten zunehmend begreifen, daß sie, zudem von denjenigen, die sie am lautstärksten mit markigen Sätzen unterstützten, in dieser Situation nicht einmal hinreichend mit Waffen zur Abwehr versorgt wurden und die auch nur gegen harte Devisen bekamen, sondern daß ihnen das wichtigste an wirtschaftlicher Hilfe von dieser Seite nicht zuteil geworden ist. Hier dürften meiner Auffassung nach neben anderen Problemen in vielen Staaten des südlichen Afrikas die Hauptmotive für die erheblich veränderte Haltung gelegen haben, die wir im letzten halben Jahr zu konstatieren hatten. Andererseits blieb auch in Südafrika die zunehmende Konfrontation nicht ohne Wirkung. Sie kostete auch Südafrika Erhebliches: Menschen und Geld.Die Frage der langfristigen Zukunftssicherung bekam allmählich — langsam, aber stetig — über-hand über tradierte Ideologien. Auf diesem Hintergrund, meine sehr geehrten Damen und Herren, ist Personen zu danken, die Brücken zu bauen versuchten. Es ist zu danken Ihrem Freund, dem früheren portugiesischen Premierminister Mario Soares, Mitglied der Sozialistischen Internationale, soweit ich weiß, sowie dem Amerikaner Chester Crocker, daß — von Vernunft geleitet — Pragmatismus Brücken entstehen ließ, die zu den Abkommen von Lusaka und Nkomati geführt haben. Es ist dem sambischen Präsidenten Kaunda zu danken, daß er sich — jenseits aller festgefahrenen Ideologien und Situationen — bemüht hat, Gruppen, Personen zusammenzubringen: auf der Suche nach friedlichen Lösungen, weg von Eskalation, Gewalt und Gegengewalt im südlichen Afrika.
Ich betone, meine sehr geehrten Damen und Herren: Das, was sich da entwickelt hat, sind erste Wege; wichtige Elemente zur Befriedung, zur friedlichen Regelung im gesamten südlichen Afrika fehlen noch. Dazu gehören die Unabhängigkeit Namibias genauso wie die Befriedung Angolas und nicht zuletzt der Wandel in Südafrika hin zu einer gesellschaftlichen und politischen Ordnung, die von der Zustimmung aller Gruppen in Südafrika getragen ist, so wie wir es in den Debatten als unsere Vorstellung immer wieder betont haben.Aber: Der entscheidend neue Ansatz im südlichen Afrika ist, daß man versucht, einen Weg zu beschreiten, der nicht in Gewalt, sondern im friedlichen Ausgleich versucht, eine Lösung zu finden.
Dabei ist weder Samora Machel ein Anhänger der Apartheid geworden, noch habe ich den Eindruck, daß Botha deswegen ein Marxist geworden sei. Nur, beide scheinen dazugelernt zu haben, allerdings bei entsprechendem Nachhilfeunterricht. Das sollte hier mancher vielleicht auch tun, auch wenn dabei das gewohnte Schema, Vorurteile durcheinander geraten.
Mein lieber Herr Fischer, Sie krähen dazwischen, damit Sie nicht zuhören müssen; ich verstehe das j a.
— Draußen stehen eine ganze Menge Sofas. Vielleicht gehen Sie hin, so daß ich in Ruhe weiterreden kann und Sie nicht die ganze Zeit ärgere.
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 73. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 6. Juni 1984 5255
Dr. HornhuesMeine sehr geehrten Damen und Herren, konkret zu den vorliegenden Anträgen: Der Antrag der SPD macht deutlich, daß das, was sich im südlichen Afrika entwickelt hat, offensichtlich noch keinen Eingang in das Denken Ihrer Fraktion gefunden hat.
Ich habe den Eindruck, daß Sie sich eher darum bemühen, bei für Sie scheinbar relevanten Gruppen Sympathie zu bekommen. Dies ist für Sie offensichtlich wichtiger als der Versuch, zu überlegen, was wirklich Sache sein kann, wie wir in der Sache, wenn's geht, hier gemeinsam wirklich weiterhelfen können. Bitte, gehen Sie diesen Weg — wir können sie daran nicht hindern —, aber für die Menschen im südlichen Afrika tun Sie damit wenig, herzlich wenig.Ich möchte festhalten, meine sehr geehrten Damen und Herren, daß wir hinsichtlich der Verträge und Vertragsentwicklung anderer Auffassung sind und dies völlig anders bewerten; das habe ich hier deutlich gemacht. Deswegen können wir Ihrem Antrag nicht zustimmen. Wir haben daher einen eigenen Antrag eingebracht, in dem wir die Kernpunkte unserer Auffassung zur Lage im südlichen Afrika noch einmal zusammengefaßt darlegen.Wir verlangen und erwarten, daß im südlichen Afrika Frieden geschaffen und erhalten wird und die Menschenrechte durch Beseitigung der Apartheid verwirklicht werden.Wir begrüßen die zwischen der Republik Südafrika und den Regierungen von Mosambik und Angola abgeschlossenen Vereinbarungen und die Intensivierung der Beziehungen zu anderen Staaten in der Region.Wir sind der Auffassung, daß nur der Verzicht auf Anwendung von Gewalt nach innen und außen die Voraussetzung für eine erfolgreiche Entwicklung schafft, die allen Beteiligten Unabhängigkeit und Selbstbestimmung eröffnet. Wir sind der Auffassung, daß dies auch eine wesentliche Voraussetzung für die Unabhängigkeit Namibias auf der Grundlage der Resolution 435 des UN-Sicherheitsrates ist.Wir fordern die Bundesregierung erneut auf, sich an allen Maßnahmen zu beteiligen, durch die dieser Prozeß beschleunigt werden kann, und geeignete entwicklungspolitische Maßnahmen zur Förderung dieser Entwicklung zu ergreifen.Wir sind uns der Abhängigkeit der Sicherheit Europas von der Lage im südlichen Afrika, im Atlantischen und im Indischen Ozean bewußt. Es dient daher den deutschen und europäischen Interessen, an der Sicherung von Frieden und Stabilität auf der Grundlage gesicherter Menschenrechte aktiv teilzunehmen und die Politik zu unterstützen, die gegenwärtig im südlichen Afrika versucht wird.Lassen Sie mich als letztes folgendes festhalten. Sie, meine Damen und Herren von der SPD, haben in Ihrem Antrag wunderschön gesagt, dies sei alles nichts, die Regierung möge das nicht anerkennen.Anschließend fordern Sie auf der zweiten Seite Ihres Antrags, man möge die Politik der Frontlinienstaaten unterstützen. Diese allerdings unterstützt die Politik des friedlichen Wandels im südlichen Afrika, die Vertragspolitik. Sie sollten sich in nächster Zeit entscheiden, ob Sie sich mit den Realitäten im südlichen Afrika beschäftigen wollen oder weiterhin Ihre Propagandasprüche für die Innenpolitik vom Stapel lassen wollen.Herzlichen Dank.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Schwenninger.
Liebe Freundinnen und Freunde Südafrikas und Namibias! Der Besuch von Ministerpräsident Botha in Bonn markiert den endgültigen Wendepunkt in der Südafrikapolitik der konservativen Bundesregierung. Wer bisher noch an eine Fortführung der sozialliberalen Außenpolitik durch Genscher geglaubt hat, wird jetzt eines Besseren belehrt. Franz Josef Strauß feiert Triumphe, da sein kompromißloser Kurs zur uneingeschränkten Unterstützung des rassistischen Apartheidregimes endlich offizielle Regierungspolitik geworden ist.
— Hören Sie doch zu!Der Bundeskanzler und der Bundespräsident geben sich und ihrem Gast aus dem rassistischen Südafrika die Ehre. Würdenträger aus Wirtschaft und Politik lauschen auf Einladung der Deutschen Gesellschaft für auswärtige Politik den bewegenden Ausführungen des Friedensboten aus dem Reich der Apartheid. Unserer Meinung nach wäre Nelson Mandela, der seit über 20 Jahren in südafrikanischen Gefängnissen sitzt, als entschiedener Kämpfer gegen Apartheid und für den Frieden als würdiger Gast der Bundesregierung zu empfangen gewesen.
— Dieses Plakat besteht schon seit 10 Jahren.
Immer deutlicher schwenkt die Bundesregierung auf die Linie der südafrikanischen Regierungspropaganda ein. Bisher hat die Bundesregierung immer betont, daß sie die von Südafrika geschaffenen Bantustans nicht als unabhängige Staaten anerkennt. Am Montag verteilte das Bundespresseamt Material an Journalisten, in dem statistische Angaben zu Südafrika unter Ausschluß der vier Bantustans gemacht wurden, die von Südafrika bisher als unabhängig erklärt wurden. Erst nachdem wir protestiert hatten, wurde der Skandal zum größten Teil korrigiert. Aber immer noch werden in dem Informationsblatt die vier Bantustans beim Stichwort „Größe des Landes" separat aufgeführt.
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SchwenningerBeim Botha-Besuch geht es aber nicht nur um die Aufwertung eines Rassistenregimes. Die schon bisher sehr engen wirtschaftlichen Beziehungen sollen noch ausgebaut werden. Auch der Export von Waffen und Rüstungstechnologien soll intensiviert werden.Nach vielen Verschleierungsversuchen hat die Bundesregierung auf Anfrage der GRÜNEN endlich zugegeben, daß im Jahr 1983 Exportgenehmigungen von Waren des Teils I der Ausfuhrliste im Wert von 350 Millionen DM nach Südafrika erteilt wurden. Diese Liste umfaßt Waffen, Nukleartechnik und sonstige Güter von sogenannter strategischer Bedeutung.
Das ist für uns das offene Eingeständnis, da die Bundesregierung das UNO-Waffenembargo gegen Südafrika unterläuft. Wir haben vorgestern einen Brief an den UNO-Generalsekretär geschrieben und ihn darüber informiert.
— Die Antwort wird schon noch kommen. — Außerdem habe ich ihn aufgefordert, angemessene Maßnahmen gegen die Bundesregierung wegen dieses Verstoßes gegen das Völkerrecht zu ergreifen.
Die GRÜNEN unterstützen die Forderungen der Befreiungsbewegung von Südafrika und Namibia nach einem totalen Wirtschaftsboykott,
nach Abbruch der diplomatischen und kulturellen Beziehungen und nach sofortiger Beendigung der militärisch-nuklearen Zusammenarbeit.
Wir werden auch weiterhin die Anliegen der Südafrika-Solidaritätsbewegung ins Parlament hineintragen und die enge Zusammenarbeit der Bundesregierung mit dem Rassistenstaat bei jeder Gelegenheit aufdecken und bekämpfen.Wir begrüßen die Initiative der SPD, diesen Antrag zum Botha-Besuch im Parlament einzubringen.
Wir haben allerdings kein Verständnis dafür, daß der SPD-Fraktionsvorsitzende Vogel diesen Oberrassisten Botha empfängt.
Die Haltung der Labour Party und der LiberalParty zum Besuch Bothas in Großbritannien wareindeutig. In der gestrigen Presseerklärung stand: Einen Hitler empfängt man nicht.
Wie ernst es die SPD oder zumindest einige ihrer Abgeordneten mit wirksamen Taten und nicht nur mit hohlen Worten gegen das Apartheidsregime meinen, werden wir alle sehen, wenn nachher über unseren Antrag abgestimmt wird.Die vielfältigen Proteste gegen den Botha-Besuch haben deutlich gemacht, daß der Widerspruch bei uns gegen das Apartheidsregime zunimmt. Das haben auch die gestrigen Demonstrationen gezeigt. Zusammen mit anderen Gruppen werden wir unsere Bemühungen in Zukunft noch verstärken, damit die Bundesrepublik schon bald von einem der wichtigsten Verbündeten zum heftigsten Kritiker der rassistischen Gewaltherrschaft wird.
Ich danke Ihnen. Amandla ngawetu!
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Schäfer .
Meine Damen und Herren! Es gehört zu den Übungen des Deutschen Bundestages, daß wir uns hier ständig wiederholen müssen, daß wir Debatten, die wir noch vor wenigen Wochen geführt haben, nur wiederholen, weil es aus propagandistischen Zwecken, Herr Schwenninger, offensichtlich notwendig erscheint, weil der Ministerpräsident von Südafrika gerade hier ist.
Ich verstehe nicht ganz, wieso wir uns eigentlich mit solchen Wiederholungen aufhalten.
Erstens ist Ihre Beweisführung auch heute falsch. Der Bundesaußenminister wird dazu Stellung nehmen. Es ist unwahr, daß die Bundesregierung und daß dieser Staat Waffen oder gar nukleares Material nach Südafrika liefert. Sie müssen hier erst einmal den Beweis führen. Es wird nicht besser, wenn diese Behauptungen Jahr für Jahr immer wieder wiederholt werden, obwohl feststeht, daß es nicht zutrifft.
Zweitens empfangen wir hier in Bonn weiß Gott eine Fülle von Staatsmännern aus der ganzen Welt, wobei wir uns nicht immer wohlfühlen, wenn wir mit ihnen reden. Wir reden aber nicht mit ihnen, um sie anzuerkennen oder ihre Politik für richtig zu halten, sondern um sie auch von unserer Politik zu überzeugen.
Ich glaube, wenn Sie die heutige „Frankfurter Allgemeine Zeitung" lesen, wird Ihnen klar, daß das, was der Bundeskanzler gegenüber Botha gesagt hat, an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrigläßt. Das wird Sie vielleicht ärgern, weil Ihre Feindtheo-
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Schäfer
rie dann nicht mehr stimmt. Sie stimmt eben nicht. Ich glaube, das muß hier einmal deutlich gesagt werden.Ich meine, auch der neue Antrag der SPD unterscheidet sich inhaltlich nicht wesentlich von dem, was hier bereits wiederholt gesagt worden ist.
Wir haben einen neuen Antrag dazu zimmern müssen. Ich muß Ihnen gestehen, daß das nach der üblichen Methode geschah: Am Montag erfuhren wir, daß eine solche Debatte stattfindet, und dann mußte schnell ein Antrag geschrieben werden. Das ist nicht ganz einfach, und die Arbeit ist dann auch nicht sehr sorgfältig.
— Lieber Herr Voigt, es ist nicht immer einfach, Ihren Anträgen zuzustimmen, obwohl ich es gern täte. Es geht nicht immer.
— Wir stimmen mit einer Reihe von Ihren Formulierungen überein; es gibt hier keinen Dissens über Apartheid. Wenn Sie aber in der Regierung sitzen, können Sie bestimmte Dinge nicht in der Weise fordern, wie Sie das in der Opposition tun können. Wir hatten lange Zeit gemeinsam in der sozialliberalen Koalition auch solche Forderungen aufzustellen, und ich kann nur sagen: Auch damals waren wir der Auffassung, es verändert sich leider nichts, wenn wir hier verbal fordern, daß sich etwas verändern sollte. Das reicht eben einfach nicht aus.
Erlauben Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Roth?
Bitte schön.
Herr Schäfer, ohne Zweifel treten hier keine völlig neuen Gesichtspunkte auf. Aber könnte es nicht sein — Herr Schäfer, dazu möchte ich doch Ihre Meinung wissen —, daß es sinnvoll ist, nachdem dieser Besuch von Botha in der regierungsamtlichen Propaganda Südafrikas als quasi politische Anerkennung dieses Regimes durch Europa aufgewertet wurde, daß das Parlament der Bundesrepublik Deutschland aus Anlaß dieses Besuches mit dieser Debatte deutlich macht, wie nicht nur die Position allein — so wichtig das ist — von Amtspersonen, sondern des gesamten Parlaments ist? Das scheint mir — sind Sie da anderer Auffassung? — eine gewisse Rechtfertigung für eine derartige Debatte zu sein.
Herr Kollege Roth, ich bin der Auffassung, daß das richtig ist. Ich stimme Ihnen zu. Nur hätten wir nicht einen eigenen Entschließungsantrag über die Grundlinien der Südafrikapolitik gebraucht, wie Sie ihn wieder vorgelegt haben. Darüber haben wir erst vor wenigen Wochen diskutiert.
Inzwischen gibt es keine neuen Dinge. Der Besuch des Herrn Botha mag Anlaß gewesen sein, noch einmal zu bekräftigen, was diese Bundesregierung wiederholt gesagt hat. Wir lehnen die Apartheid genauso wie Sie ab. Wir haben kein Interesse daran, sie zu fördern.
Wir sind auch nicht überzeugt, Herr Ehmke, daß die Verträge, die Südafrika mit Angola und Mozambique geschlossen hat, schon ausreichend sind. Ich sage das ganz bewußt. Aber wir sind der Meinung, daß Ansätze gesehen werden müssen und daß wir solche Ansätze auch bei solchen Gesprächen mit Ministerpräsidenten fördern sollten — trotz aller Kritik, die wir weiterhin an dem System in Südafrika üben. Wir werden nicht nachlassen, gemeinsam mit Ihnen diese Kritik aufrechtzuerhalten. Sie sollten keine Sorge haben, daß der Besuch von Herrn Botha eine Änderung der Haltung der Bundesregierung oder der sie tragenden Parteien herbeigeführt hat.
Vielen Dank.
Das Wort hat der Herr Bundesminister des Auswärtigen.
Frau Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Die Bundesregierung begrüßt ausdrücklich, daß heute die Möglichkeit besteht,
über die deutsche Südafrikapolitik zu sprechen,
nicht zuletzt deshalb, weil wir an den Beiträgen, die wir hören, überprüfen können, inwieweit die verschiedenen Fraktionen des Deutschen Bundestages bei ihrer Politik in dieser Frage bleiben, inwieweit sie klar oder inwieweit sie widersprüchlich sind. Die Bundesregierung nimmt diese Debatte zum Anlaß, noch einmal ihre Position zu bekräftigen.
Die Bundesregierung verfolgt im südlichen Afrika eine zielstrebige Friedenspolitik, mit der sie dazu beitragen will, die Konflikte zu entschärfen und Voraussetzungen für eine gerechte und dauerhafte Ordnung zu schaffen. Bei dieser Politik handelt die Bundesregierung gemäß den Grundsätzen ihrer Außenpolitik, für die sie in Europa und weltweit eintritt: Selbstbestimmungsrecht der Völker, Durchsetzung der Menschenrechte, Gewaltverzicht, Nichteinmischung sowie Achtung der Souveränität und territorialen Integrität der Staaten. Das haben wir in der Antwort vom 21. Dezember 1983 auf die
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Bundesminister GenscherGroße Anfrage der Fraktion der SPD erklärt. Das ist heute unsere Meinung. Dabei wird es bleiben.Wir sind damals wie heute wie auch bei dem Besuch des südafrikanischen Außenministers der Auffassung gewesen, daß Gespräche unabhängig davon, ob wir mit der inneren oder äußeren Politik eines Landes einverstanden sind oder nicht, nützlich sind. Sie sind um so notwendiger, als wir diese Gespräche nutzen wollen, um unsere außenpolitischen und menschenrechtlichen Vorstellungen zum Ausdruck zu bringen.
Ich kann mich deshalb eigentlich nur fragen, wie die Fraktion der SPD auf der einen Seite
die Tatsache dieses Besuches beklagen kann, während auf der anderen Seite der Vorsitzende der Fraktion der SPD und sein Stellvertreter Herr Professor Ehmke den Besuch — was wir begrüßen — genutzt haben, mit Herrn Botha und dem Außenminister Botha zu sprechen. Herr Kollege Schwenninger, es ist nicht so, daß Herr Vogel Herrn Botha empfangen hat. Der Bundeskanzler hat Herrn Botha empfangen. Aber Herr Vogel ist zu Herrn Botha in das Gästehaus des Auswärtigen Amtes gegangen, ob mit oder ohne Sofa, Herr Verheugen, weiß ich nicht, weil ja der Protest von Herrn Vogel darin zum Ausdruck kam, daß er sich nur vor dem Haus und nicht im Haus fotografieren ließ.
Meine Damen und Herren, ich denke, wir sollten uns nicht gegenseitig die Aufrichtigkeit in der Ablehnung der Politik der Apartheid bestreiten.
Wir sollten vielmehr gemeinsam zum Ausdruck bringen, daß wir hier im Deutschen Bundestag und daß die Bundesregierung weltweit, nicht einäugig und unabhängig davon, wer die Menschenrechte verletzt, gegen Menschenrechtsverletzungen eintreten.
Die Bundesregierung läßt es ganz unabhängig davon, wie die Regierungsform eines Landes ist, nicht an Entschlossenheit fehlen, für die Beachtung der Menschenrechte einzutreten. Sie hat die Europareise des südafrikanischen Ministerpräsidenten genutzt, um ihre Auffassung von der Notwendigkeit friedlicher Lösungen im südlichen Afrika, der Notwendigkeit der dringlichen Lösung der Namibia-Frage und der Notwendigkeit der Herstellung menschenrechtlicher Zustände in Südafrika selbst zum Ausdruck zu bringen. Sie hat es damit nicht anders gehalten als die Regierung Portugals, die Regierung der Schweiz, die Regierung Englands, die belgische Regierung und die österreichische Regierung. Das heißt, der Bundeskanzler befand sich bei seinen Gesprächen mit Herrn Botha in der Gemeinschaft von immerhin zwei Regierungschefs, deren Parteien wie die Sozialdemokratische Partei der Sozialistischen Internationale angehören.Ich begrüße das ausdrücklich, weil damit nämlich deutlich wird, daß die Frage der Ablehnung der Apartheid in den demokratischen Parteienfamilien Europas kein Gegenstand von Streit ist und daß die Regierungen in den Demokratien Europas wie wir den Dialog, das Gespräch für das einzig mögliche Mittel zur Überwindung von menschenrechtsfeindlichen Vorstellungen halten.
Wir wissen uns dabei auch mit den Mitbürgern einig, die Zweifel an der Nützlichkeit dieses Besuches haben. Wir sind aber mit ihnen einig, daß in jedem Fall die Möglichkeit genutzt werden muß, um die Lage im südlichen Afrika zu verbessern.
Die Gesprächsführung mit dem Ministerpräsidenten und dem Außenminister Südafrikas ist genutzt worden, um unsere ablehnende Haltung zur Vertreibung von Menschen aus Südafrika gegen ihren Willen zum Ausdruck zu bringen; um die Rassendiskriminierung zu kritisieren; um zu kritisieren, daß Menschen, die zu uns kommen möchten, keine Ausreise erhalten, und daß andere, nämlich deutsche Staatsangehörige, die nach Südafrika reisen möchten, diese Möglichkeit wegen einer Verweigerung des Visums nicht erhalten. Wir sind der Auffassung, daß die Abkehr der südafrikanischen Regierung von der Politik der Rassentrennung dringlich ist, wenn menschenwürdige Verhältnisse in diesem Land hergestellt werden sollen.Wir wissen auch, daß unsere Bemühungen im Dialog und daß auch die Bemühungen, die die deutsche Wirtschaft in Anwendung des Verhaltenskodex der Europäischen Gemeinschaft unternommen hat, zu einer Verbesserung der rechtlichen Lage von Arbeitnehmern — unabhängig von ihrer Hautfarbe — in der Republik Südafrika jedenfalls in den Unternehmen geführt haben, die mit deutschem Kapital gebaut worden sind. Das heißt: wir haben die Möglichkeit gehabt, hier ein Stück mehr Menschenrechte in Südafrika mit friedlichen Methoden zu verwirklichen. Ich denke, diesen Weg sollten wir weitergehen.
Wir werden abzuwarten haben, inwieweit die Veränderungen, die die Interessenlage von Farbigen und Indern verbessern sollen, von diesen angenommen werden.Wir haben auf die Anfrage der Fraktion der SPD hin unsere Auffassung zum Ausdruck gebracht, daß eine Politik der Destabilisierung durch Südafrika gegenüber den Nachbarstaaten nicht im Interesse einer Befriedung des südlichen Teils Afrikas liegt. Wenn wir das getan haben, so können wir jetzt nicht Kritik an Abkommen üben, die Nachbarstaa-
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Bundesminister Genscherten Südafrikas mit der Republik Südafrika schließen.
Dabei möchte ich ganz klar zum Ausdruck bringen, daß es jetzt darauf ankommt, die Hauptursachen zu beseitigen, aus denen sich die tiefgreifenden Spannungen im südlichen Afrika ergeben haben. Es wird also noch abzuwarten sein, ob die von uns erhofften Befriedungsentwicklungen eintreten oder nicht.Aber es ist nicht so, daß diese Länder beim Abschluß dieser Abkommen alleinstehen. Sie haben trotz Skepsis anderer Regierungschefs sehr wohl auch Unterstützung durch andere Staaten des südlichen Afrikas erhalten. Wenn andere Staaten des südlichen Afrikas, darunter auch Frontlinienstaaten, sich als Mächte der Region positiv äußern, dann sollten wir nicht als europäische Länder in einer Art bevormundender Haltung die Regierungen des südlichen Afrikas kritisieren, die glauben, auf diese Weise ihre nationalen Interessen am besten durchsetzen zu können.
Meine Damen und Herren, ich darf zitieren, was der Staatspräsident von Sambia, Kaunda, trotz seiner bekannten Skepsis zu den Verträgen zwischen Mosambik und Südafrika öffentlich erklärt hat. Er sagte:Ich glaube, daß der von beiden Regierungen unternommene Schritt, ihre Probleme zu erörtern und einen akzeptablen Modus vivendi zu erreichen, ein richtiger Schritt ist. Er kann dazu beitragen, Frieden zwischen beiden Staaten herbeizuführen.Die Staatschefs der portugiesisch sprechenden afrikanischen Staaten haben bei ihrer Konferenz in Maputo am 27./28. April 1984 erklärt:Nach Würdigung der Faktoren, die zum Kompromiß von Lusaka zwischen Angola und Südafrika sowie der Zeichnung des N'Komati-Vertrags zwischen Mosambik und Südafrika führten, bekräftigen die fünf Staatschefs ihre volle Unterstützung für diese Initiativen, die die Herbeiführung eines dem Frieden günstigen Klimas im südlichen Afrika ermöglichen.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, diese Politik sollten wir unterstützen. Wir sollten aber den Abschluß dieser Verträge nicht als die Endstation auf dem Wege zur Herstellung menschenwürdiger und friedlicher Zustände im südlichen Afrika ansehen, sondern wir sollten vielmehr darauf dringen, daß ausgewogene Beziehungen zwischen Südafrika und seinen Nachbarn entstehen, daß vorhandene Konfliktlagen wie die ungelöste Namibia-Frage überwunden werden und daß die innere Ordnung Südafrikas Schritt für Schritt der Herstellung menschlicher, menschenrechtlicher Bedingungen entsprechend entwickelt wird.Hierzu haben wir den Besuch wie alle früheren Begegnungen genutzt. Wir sind allerdings der Meinung, daß die Unterbrechung der wirtschaftlichenBeziehungen zu Südafrika kein taugliches Mittel der Politik wäre. Wir lehnen ja auch gegenüber anderen Ländern wirtschaftliche Boykottmaßnahmen, ebenso wie eine Embargo-Politik ab. Auch hier kann es keine Einäugigkeit und keine Einseitigkeit geben.
Eines können wir heute schon sagen, meine Damen und Herren: Nichts, auch nicht eine bessere wirtschaftliche Lage, kann über die Entziehung der Menschenrechte der schwarzen Bevölkerung Südafrikas hinwegtäuschen. Aber wirtschaftliche Embargo-Maßnahmen träfen zuallererst die Ärmsten der Armen, und das ist der schwarze Bevölkerungsteil in Südafrika.
Deshalb würden wir mit dieser Maßnahme Wirkungen, wie Sie und auch wir sie erhoffen und erwarten, nicht erreichen.Mein Kollege Schäfer hat zu Recht die immer wieder erhobenen, deshalb aber nicht richtiger werdenden Vorwürfe einer Rüstungszusammenarbeit mit der Republik Südafrika zurückgewiesen.
Ich tue das namens der Bundesregierung. Wer diese Vorwürfe erhebt, erhebt sie wider besseres Wissen. Wer sie erhebt, sollte, wenn er das hier im Deutschen Bundestag tut, die Kraft haben, die Beweise dafür vorzulegen, und sich nicht auf allgemeine Erklärungen beschränken.Meine sehr geehrten Kollegen von den GRÜNEN: Wir alle, wie unterschiedlich unsere Meinungen auch sein mögen, tragen als gewählte Abgeordnete des deutschen Volkes hier im Deutschen Bundestag eine Verantwortung für unser Land. Zu dieser Verantwortung gehört, daß auch der, der als Opposition der Regierung gegenübersteht, dieser frei gewählten Regierung keine Vorwürfe macht, die er nicht beweisen kann. Die Bundesregierung, die Sie ablehnen, ist auch Ihre Bundesregierung, denn sie ist die Regierung unseres demokratisch verfaßten Staates.
Es ist die Frage des Kulturabkommens und seiner Wirkungen aufgeworfen worden. Meine Kollegen von der SPD, ein Kulturabkommen gibt die Möglichkeit, wenn auch in beschränktem Maß, unsere Wertvorstellungen in einem Land zum Ausdruck zu bringen, das anderen Wertvorstellungen folgt. Hätten wir eine andere Auffassung und würden wir Kulturabkommen nur dort haben wollen und praktizieren, wo die gleichen menschenrechtlichen und demokratischen Vorstellungen, wie wir sie haben, verwirklicht werden, dann müßten wir viele Kulturabkommen kündigen,
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Bundesminister Genscherund dann dürften wir uns z. B. nicht um den Abschluß von Kulturabkommen mit den osteuropäischen Staaten bemühen.
Aber wir sind doch gerade der Meinung, daß unsere Kulturpolitik im Ausland Ausdruck unserer freiheitlichen Gesinnung und unserer Vorstellungen von der Menschenwürde und den Menschenrechten ist. Wenn wir — und sei es auch nur beschränkt — durch unsere Kulturarbeit in der Republik Südafrika diese Vorstellungen zum Ausdruck bringen können, dann nützt das zuallererst den Menschen dort. Die Ausbildungsleistungen, die für Farbige in Südafrika durch unsere Kulturarbeit erbracht werden, sind ein zusätzlicher Beitrag der Bundesrepublik Deutschland, um Menschen, denen heute Rechte vorenthalten werden, früher zu diesen Rechten zu verhelfen.
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Conradi?
Ich würde gern zu Ende führen. — Meine sehr geehrten Damen und Herren, es gibt in Wahrheit — und es sollte sie ja auch nicht geben — unter den Fraktionen des Deutschen Bundestages über die Ablehnung der Politik der Apartheid keine Meinungsverschiedenheiten. Wir sollten nicht so tun, als gäbe es sie.
Je eindrucksvoller unsere Ablehnung ist und je eindeutiger unsere friedlichen Bemühungen sind, zum gewaltfreien Wandel in Südafrika beizutragen, um so mehr helfen wir den Menschen.
Das gleiche gilt für unsere Bemühungen um eine friedliche Lösung der Namibia-Frage.
Dafür ist und bleibt die Entschließung 435 des Sicherheitsrats die alleinige Grundlage. Sie wird auch nicht mit der Forderung nach Abzug der Kubaner befrachtet. Denn wenn wir sie verändern würden, würden wir unseren Bemühungen eine wichtige Grundlage entziehen. Aber es kann doch gar kein Zweifel bestehen, daß wir ein gemeinsames Interesse haben müssen und daß es — unabhängig von der Entschließung 435 — im Interesse des Friedens in Europa ist, daß raumfremde militärische Kräfte in Afrika nicht stationiert sind. Auch wenn es keine Namibia-Frage gäbe und auch wenn Namibia unabhängig wäre, würde sich die Bundesregierung mit aller Kraft dafür einsetzen, daß die kubanischen Truppen afrikanischen Boden und damit auch Angola verlassen.
Darüber sollte es doch gar keine Meinungsverschiedenheit geben.
Es geht nicht um das Problem des Junktims, das
wir nicht herstellen, sondern es geht um die klare
Durchsetzung einer Politik, die wir auch einmal,
meine Kollegen von der SPD, gemeinsam vertreten haben, einer Politik, die davon ausgeht, daß die Staaten der Dritten Welt Anspruch darauf haben, ihre eigene Identität zu entwickeln und unabhängig, selbständig und frei von äußeren Einflüssen sein zu können. Ein Land, das in Afrika eine große Anzahl ausländischer Truppen auf seinem Boden dulden muß, kann eben nicht diese innere Unabhängigkeit entfalten.
Deshalb liegt es im Interesse Angolas selbst wie im Interesse Afrikas als auch der Stabilität auf diesem Kontinent, daß gänzlich unabhängig von der Namibia-Frage, aber natürlich in einem zeitlichen Zusammenhang, die Forderung nach dem Abzug der Kubaner erhoben wird. Auch in dieser Frage sollten wir doch jetzt nicht künstlich so tun, als hätten wir eine unterschiedliche Meinung.
Meine Damen und Herren, wir sind der festen Überzeugung: Eine Politik der wirtschaftlichen Zusammenarbeit mit den Staaten Afrikas, unsere Art der Entwicklungshilfe ohne Einmischung sowie Selbständigkeit und Unabhängigkeit sind der beste Weg für das Wohlergehen der afrikanischen Staaten. Und: Die Politik des Dialogs mit Südafrika ist für uns die einzige Möglichkeit, Einfluß darauf zu nehmen, daß auch in diesem Land Menschenrechte verwirklicht werden und daß Namibia endlich seine Unabhängigkeit erhält.
Danke schön.
Meine Damen und Herren, ich möchte auf eine Schwierigkeit aufmerksam machen. Wir haben soeben beschlossen, daß wir für diese Debatte eine Stunde ansetzen. Der Herr Bundesaußenminister hat über 20 Minuten gesprochen. Ich frage das Haus, wie wir jetzt weiter verfahren sollen, denn es liegen natürlich noch Wortmeldungen vor. Aber wenn wir immer so handeln, dann brauchen wir vorab nicht solche Beschlüsse zu fassen, um das ganz klar zu sagen.
Wäre das Haus damit einverstanden, damit wir annähernd mit der Zeit zurechtkommen, nach § 28 Abs. 2 der Geschäftsordnung jedem Antragsteller noch einmal fünf Minuten Redezeit zu geben? Das müssen wir sowieso nach der Geschäftsordnung. Sind Sie damit einverstanden? — Ist das nicht erforderlich? — Können wir abschließen mit dieser Debatte?
— Dann müssen wir den Beschluß aufheben. Heißt das: Debatte mit offenem Ende?
— Verzeihen Sie, ich habe doch soeben ganz klar gesagt, worum es sich handelt. Wir haben eine Stunde Debatte verabredet. Wir werden heute bis 24 Uhr und weiter debattieren. Ich bitte doch, seitens
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 73. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 6. Juni 1984 5261
Vizepräsident Frau Rengerder Fraktionen nun einmal einen vernünftigen Vorschlag zu machen.
— Zehn Minuten für jede Fraktion. Ich muß leider so verfahren, weil jetzt natürlich eine Antwort auf die Ausführungen der Regierung erforderlich ist.Ich erteile dem Herrn Abgeordneten Toetemeyer das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bin dem Herrn Bundesaußenminister — — Wo ist er?
Ich bin Ihnen dankbar, Herr Genscher, daß Sie im Gegensatz zum Kollegen Schäfer gesagt haben
— Sie wissen ja noch gar nicht, was ich sagen will —,
diese Debatte sei sinnvoll. — Herr Kollege Schäfer, ich habe bedauert, daß Sie die Möglichkeit des Parlaments, in einer so wichtigen Frage heute zu diskutieren, in Zweifel gestellt haben. Das kann nicht wahrer Liberalismus sein.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Schäfer?
Nein.
Ich bin der Auffassung, Kollege Schäfer, daß es nicht nur in der Bundesrepublik, sondern in vielen Ländern Europas und auch Afrikas im Zusammenhang mit diesem Besuch große Unruhe gibt. Ich will das so formulieren und hier nicht auf den Streit über Einladung oder Nicht-Einladung eingehen: Durch die Akzeptanz dieses Besuchs wird ganz ohne Zweifel ein Staat aufgewertet, so meinen diese Menschen — meine Damen und Herren, das darf man doch an dieser Stelle nicht verschweigen —, in dessen Verfassung Menschen nichtweißer Hautfarbe von politischen Rechten ausgeschlossen werden. Das ist doch die Wahrheit. Darüber muß man hier sprechen.
Ich bleibe deswegen bei der Auffassung, Herr Bundesaußenminister, die ich Ihnen mitgeteilt habe — Sie haben andere Länder genannt; Sie haben lei-der Frankreich weggelassen —, daß unsere französischen Freunde klüger gewesen sind, indem sie diesen Besuch nicht akzeptiert haben. Wie dem auch sei, nun ist Herr Botha gekommen, und nun müssen wir mit ihm reden.Herr Bundesaußenmnister, es bringt doch nichts, wenn Sie jetzt auf das Gespräch zwischen Herrn Botha und dem Oppositionsführer hinweisen. Wir haben Herrn Botha nicht eingeladen, und ich hätte gern gehört, was Sie gesagt hätten, wenn der Kollege Vogel ein Gespräch mit dem eingeladenen Botha abgelehnt hätte.
Das hätten Sie dann zu Recht mißbilligt. Also hat dieses Gespräch stattgefunden.Meine Damen und Herren, diese Debatte heute im Hohen Hause bietet die Gelegenheit — und das wollten Sie ja von uns wissen; ich sage das wie einer meiner Kollegen eben in einem Zwischenruf —, Tacheles zu reden. Wir, Herr Bundesaußenminister, teilen Ihre Auffassung nicht. Ich teile auch Ihre Auffassung nicht, Herr Kollege Hornhues, daß die Verträge — ich will den einen mit Mosambik herausgreifen — ein Weg seien, die Apartheid in Südafrika schneller zu beenden. Diese Auffassung teilen wir nicht. Das Gegenteil ist der Fall. Dies sind im Grunde genommen Knebelungsverträge mit den Nachbarn gewesen. Hier will man die Nachbarn, die Frontlinienstaaten, in die gleiche Abhängigkeit bringen wie die Homelands in Südafrika selbst.
Das ist die Absicht. Je länger diese Politik unterstützt wird, desto länger dauert der Weg zur Abschaffung der Apartheid.
Meine Damen und Herren, wer in diesem Hause — ich meine, zu Recht — die Vertreibung unserer Landsleute aus den Gebieten jenseits von Oder und Neiße anprangert, der kann auf der anderen Seite nicht eine Regierung hofieren, die die schwarze Mehrheit in sogenannte Homelands unter Anwendung jeder Art von Gewalt umsiedelt,
mehr als zwei Drittel der Bevölkerung auf ein Drittel des Landes zusammendrückt. Da muß die Argumentation konsequent bleiben. In diesen Homelands haben die Menschen eben keine Möglichkeit, sich selbst zu versorgen; sie sind zu über 60 % auf die Hilfe Südafrikas angewiesen.
Meine Damen und Herren, ich halte das, was da beispielsweise in der Transkei — Sie werden gleich merken, warum ich so engagiert bin — passiert, für einen Skandal: daß auf Grund fehlender Arbeitsplätze in diesen sogenannten Homelands arbeitsfähige Schwarze gezwungen sind, als Wanderarbeiter oder ausländische Pendler in Südafrika zu arbeiten. Ich halte das — Herr Bundesaußenminister, ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie mich darin unter-
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Toetemeyerstützten — für die südafrikanische Variante der Sklaverei, um das sehr deutlich in diesem Hause zu sagen.
Die schwarze Bevölkerung — so haben Herr Botha und vor ihm Herr Vorster immer wieder erklärt — solle — das sei der Sinn der Apartheid — in ihren eigenen Ländern ihren eigenen politischen Weg gehen können. Aber nun hat — ich habe Sie deswegen angeschrieben, Herr Bundesaußenminister — die südafrikanische Regierung vor wenigen Tagen bewiesen, daß sie offensichtlich unfähig ist, sich mit der an der schwarzen Universität Umtata entstanden kritischen Opposition intellektuell auseinanderzusetzen. Sie hat den Chief des Homelands nicht etwa aufgefordert, die Ursachen für die Unruhen an der Universität zu beachten, sondern kritische Professoren aus dem Lande zu verweisen. Ich bin deswegen so engangiert, weil mein eigener Bruder, der Dekan der Philosophischen Fakultät, innerhalb einer Stunde das Land verlassen mußte.
Meine Damen und Herren, das ist Mißachtung der Freiheit von Forschung und Lehre.
Das ist kein Staat, der mit den Maßstäben eines freiheitlichen Rechtsstaates zu messen ist. Das muß hier in dieser Stunde deutlich gesagt werden.
— Ich freue mich, daß auch Bayern mir zustimmt. Ich stelle fest: Freiheit der Meinung, Freiheit von Forschung und Lehre sind in Südafrika nicht gefragt. Kritische Geister werden diszipliniert, indem man ihnen die materielle Grundlage entzieht.
— Nun hören Sie zu, wenn ich Ihnen sage, daß in der Universität von Umtata inzwischen 200 Studenten inhaftiert worden sind und daß inzwischen 50 Studenten zu folgender Strafe verurteilt worden sind:
ein Jahr Haft plus jedes Mal zehn Stockschläge. Daran sehen Sie das menschenverachtende Antlitz dieser Regierung.
Ich wäre Ihnen sehr dankbar, Herr Bundesaußenminister, wenn Sie diesen Fall zum Anlaß nähmen, in den Gesprächen, die ich begrüße, deutlich zu sagen: Dies können wir nicht akzeptieren.Ich habe es schon, Herr Bundesaußenminister, für sehr schlimm gehalten, daß diese Bundesregierung im November 1982 unter klarer Mißachtung eines entgegenstehenden Beschlusses der Vollversammlung der Vereinten Nationen einem Kredit des IWF an Südafrika von mehr als 1 Milliarde US-Dollar zugestimmt hat. Das war ein Fehler; denn damit wird die Apartheidspolitik verlängert.
Dadurch wird der berechtigte Kampf der schwarzen Mehrheit um legitime Rechte und Freiheiten unterbunden.
Meine Damen und Herren, ich möchte, weil die Zeit zu Ende geht, hier das übernehmen — ich hoffe, es ist Ihnen allen zugegangen —, was die Informationsstelle Südliches Afrika anläßlich dieses Besuches von Botha vor wenigen Tagen ausgesagt hat. Sie weist auf Jeremias 6 im Alten Testament hin. Ich will es insbesondere für die CDU mal zitieren. Dort heißt es:Sie sagen: Frieden! Frieden! und ist doch kein Frieden. In Schanden stehen sie da; denn sie haben Greuel verübt. Doch Scham kennen sie nicht, wissen nichts von Beschämung.Daraus folgert diese Informationsstelle — und das, meine Damen und Herren, ist auch unsere Bewertung der sogenannten Nichtangriffspakte —:Mit der Apartheid kann es keinen Frieden geben. Wer mit ihr Geschäfte macht, verschärft die Gefährdung des Weltfriedens in der Region des südlichen Afrika.Dem ist nichts hinzuzufügen. — Und, Herr Kollege Hornhues, insofern ist Ihr Schluß vom ersten Absatz zum zweiten Absatz falsch. Sie sagen im ersten Absatz, Sie seien gegen die Apartheid, und sagen dann im zweiten Absatz, „in diesem Sinne" begrüßten Sie die Verträge. Das ist falsch. Das ist keine logische Konsequenz. „In diesem Sinne" müßten Sie die Verträge ablehnen; denn sie verlängern die Apartheid. Und deswegen können wir nicht zustimmen.
Das Wort hat der Abgeordnete Klein .
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Toetemeyer, Sie haben vorhin eine falsche Behauptung über den Kollegen Schäfer aufgestellt, ihm aber keine Gelegenheit gegeben, sich dazu zu äußern. — Der Kollege Schäfer hat überhaupt nicht erklärt, daß diese Debatte sinnlos sei. Er hat sich bloß an Ihre Adresse gewandt und gegen die ständigen Wiederholungen des gleichen Blabla, das Sie zu Papier bringen.
Und von ähnlicher Korrektheit war der Rest Ihrer Ausführungen.Meine sehr verehrten Damen und Herren, ein deutscher nach Südafrika ausgewanderter Jude hat vor etwa zwei Jahren einmal zu mir gesagt, wie peinlich er es empfinde, daß sich das Land, aus dem er fliehen mußte, gegen das Land, in dem er Zuflucht gefunden hat, jetzt in dieser Weise zum Rassenrichter aufwirft.
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Klein
— Herr Kollege Ehmke, ich würde keine blödsinnige Bemerkung dazu machen.
Niemand — und das haben alle Teile dieses Hauses bekundet — ist ein Befürworter der Apartheid in der Republik Südafrika.
Das ist auch dem Besucher, den wir in diesen Tagen hier hatten, gesagt worden.Auf Ihren Zuruf über Herrn Strauß: Seien Sie gewiß, der bayerische Ministerpräsident hat bei seinen Gesprächen in Südafrika in dieser Richtung sicherlich mehr zu bewegen vermocht als Sie mit all Ihren Propagandaaktionen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich wiederhole, daß niemand in diesem Hause ein Befürworter der Apartheid ist.
Ich zitiere Ihnen jetzt einmal, nachdem der Herr Toetemeyer diese alttestamentarischen Denkfiguren angeführt hat
— das war mittelmäßig —, das, was Herr Kaunda gesagt hat, nämlich er sei beeindruckt von der Menschlichkeit des Premierministers Botha.
Und er hat gesagt: Ich würde mich freuen, wenn Südafrika ein Mitglied der OAU würde. Natürlich hat er die Bedingung daran geknüpft, daß es vorher die Apartheid fallenläßt.
— Ja, warum konstruieren Sie dann so künstliche Gegensätze in diesem Hause?
Herr Abgeordneter Klein, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Brück?
Nein, wie meine Vorredner möchte ich keine Zwischenfragen zulassen.Ich möchte nur noch darauf hinweisen, daß in dieses als so schrecklich dargestellte Südafrika — und hier soll nichts beschönigt werden — in den letzten Jahren 1,8 Millionen Schwarze aus Nachbarländern eingewandert sind, daß Hunderttausendeaus Nachbarländern in dieses Land reisen, um dort zu arbeiten. Das muß doch einen Grund haben!
Das muß doch zumindest den Grund haben, daß es den Menschen dort wirtschaftlich nicht schlechter, sondern wesentlich besser als in allen Nachbarländern geht.
Das, was Sie, meine sehr verehrten Damen und Herren, hier ständig an Unterstützungsforderungen für die diversen sogenannten Befreiungsorganisationen vortragen, wäre eine eigene Debatte wert, nämlich eine Debatte über die Frage, ob Sie an die gerechte Gewalt glauben und ob wir damit alle Debatten über Gewaltanwendung beenden können, denn wer über die Gerechtigkeit entscheidet, das bleibt dann offen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, im südlichen Afrika ist ein Friedensprozeß eingeleitet worden,
und das kann eine Basis auch zur Verbesserung und zur schließlichen Herstellung von gerechten Verhältnissen in der Republik Südafrika selbst werden. Wenn wir diesen Prozeß hemmen, dienen wir mit Sicherheit nicht dem Frieden. Wenn wir jeden ersten Schritt nur mit Propagandaaktionen begleiten, hemmen wir diesen Prozeß. Wenn wir aber das Unsere tun — sowohl gegenüber der Republik Südafrika als auch gegenüber den in Frage kommenden Nachbarstaaten dieser Republik —, zu helfen, diesen Prozeß fortzuführen,
dann kann ich nicht verstehen, wieso sich ein Mitglied der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands — wo stehen Sie eigentlich? — dafür einsetzt, von diesem Rostrum aus Argumente für die Besetzung Angolas durch kubanische Truppen zu verkünden.
— Lieber Herr Kollege Ehmke, Sie werden mir doch nicht sagen wollen, daß die angolanische Bevölkerung die Kubaner im Lande haben will!
— Ja, Sie treffen immer die Richtigen, Herr Roth!
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Klein
Wenn wir dabei helfen, daß dieser Friedensprozeß im südlichen Afrika weitergeht und zum Erfolg kommt, dann ist allen Anliegen gedient, auch im Sinne der Menschen dort, was die Frage der Gerechtigkeit für alle Menschen
— ohne Unterschiede, ohne Ansehen ihrer Rasse oder Hautfarbe — betrifft.Ich danke Ihnen.
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Nach § 28 Abs. 2 unserer Geschäftsordnung hat der Abgeordnete Schwenninger als einer der Antragsteller das Wort.
Ja, manchmal kann man auch zweimal sagen! — Die GRÜNEN haben einen eigenen Antrag zum Besuch des südafrikanischen Ministerpräsidenten eingebracht, da der Antrag der SPD zu kurz greift und in sich widersprüchlich ist. Wer so deutlich, wie die SPD es tut, auf die Ursachen von Gewalt und Unterdrückung im südlichen Afrika hinweist, sollte sich auch Gedanken darüber machen, wie das Apartheid-Regime zu einer Änderung seines Kurses gezwungen werden kann.
Da genügt es eben nicht, wenn die SPD völlig verschwommen konkrete politische und wirtschaftliche Maßnahmen fordert.
Jeder, der die praktische Politik und die Ideologie der südafrikanischen Rassisten kennt, weiß,
daß sie auf freundliche Ermahnungen und auf Appelle an ihr christliches Gewissen noch nie reagiert haben.Die Vertreter der schwarzen Mehrheit haben immer wieder betont, daß nur durch direkte und spürbare Sanktionen eine letzte Chance zur friedlichen Überwindung der Apartheid besteht.
Zuletzt hat noch vor wenigen Wochen der Generalsekretär des Südafrikanischen Kirchenrates — einige von Ihnen waren mit dabei, als er da war — in Bonn konkrete Wirtschaftssanktionen gegen Südafrika gefordert.Wenn die westlichen Verbündeten Südafrikas nicht zu solchen Schritten bereit sind, ist die Alternative nur ein unvorstellbares Blutbad. Denn derFreiheitskampf der unterdrückten Mehrheit mit dunkler Hauptfarbe im südlichen Afrika und in Namibia ist nicht mehr aufzuhalten.Die sachlichen Argumente gegen einen Wirtschaftsboykott können nicht überzeugen, da sie nur zur Sicherung eigener Interessen vorgeschoben sind. Wann immer es für die westlichen Regierungen zur Druckausübung oder Propaganda zweckmäßig erscheint, werden Wirtschaftssanktionen verhängt. Ich erinnere da nur an Polen, Afghanistan, Kuba, Argentinien und andere Fälle. Auch die Schutzbehauptung, die Ärmsten in Südafrika würden von Sanktionen am härtesten betroffen, ist falsch. Ihre Leiden im Apartheidsstaat sind heute schon unerträglich und werden immer schlimmer. Ich nenne nur die Stichworte wie vorhin schon Zwangsumsiedlung, Wanderarbeit, Verbannung, Folter, Seuchen und massenhaftes Kindersterben in den Homelands.Was die Frontstaaten anbelangt, so könnten die westlichen Staaten durch zusätzliche Hilfeleistungen sicherstellen, daß diese Länder nicht unter Wirtschaftssanktionen gegen Südafrika zu leiden hätten.Die Bonner Politik des kritischen Dialogs mit Südafrika hat keine nennenswerten Ergebnisse gebracht. Sie hat auch nie die Überwindung der Apartheid durch Druckausübung ernsthaft angestrebt. Im Gegenteil, die Wirtschaftskreise der Bundesrepublik und der anderen westlichen Staaten sind an einem Fortbestehen der herrschenden Macht- und Ausbeutungsverhältnisse durchaus interessiert. Außerdem ist Südafrika von hoher geostrategischer Bedeutung für eventuelle Kriegführungspläne der USA und der NATO.Für uns ist die Entwicklung im südlichen Afrika in hohem Maße verhängnisvoll. Dieser Konfliktherd wird zunehmend zu einer Bedrohung für den Weltfrieden. Schon aus Eigeninteresse müßten alle Menschen auf eine sofortige Beseitigung der rassistischen Gewaltherrschaft in Südafrika dringen. Wir haben diesen Antrag auch deshalb eingebracht, weil wir den Protest vieler Menschen gegen den Botha-Besuch ins Parlament tragen wollen. Vor allem die Kirchen, aber auch viele Gruppen der Solidaritätsfriedensbewegung haben sich gegen die Aufwertung dieses Regimes ausgesprochen.Besonders betroffen sind wir von dem unverhältnismäßig harten Vorgehen der Polizei gestern gegen die Demonstranten hier in Bonn. Auch die Auflagen für die Demonstration, die von der Antiapartheidsbewegung angemeldet wurde, sind für uns eine ernsthafte Verletzung demokratischer Grundrechte. Als Begründung für die Einschränkung wurde von der Polizei angegeben, daß der Staatsgast Anspruch auf respektvolle Behandlung und formelle Höflichkeit habe.
Deshalb durften auch keine Schilder mit der Aufschrift „Botha raus aus Bonn" gezeigt werden. Das halten wir für einen Skandal. Wir haben kein Verständnis dafür, daß der Ministerpräsident des rassi-
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Schwenningerstischen Gewaltregimes durch diese Polizeimaßnahmen von dem friedlichen Protest der Bevölkerung isoliert werden soll, wie es hier beim Hotel Bristol geschehen ist.Gegenüber der auf dem Rassismus auftauenden südafrikanischen Politik darf es bei uns nach den eigenen leidvollen Erfahrungen unter dem nationalsozialistischen Rassenwahn keinerlei Toleranz geben. Stimmen Sie deswegen bitte unserem Antrag zu.
Meine Damen und Herren, wir kommen nun zu den Abstimmungen.
Ich lasse zuerst über den Antrag zum Tagesordnungspunkt 3, Antrag der SPD auf Drucksache 10/1508 abstimmen. Wer diesem Antrag seine Zustimmung geben will, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Keine Enthaltung. Die Mehrheit hat dagegen gestimmt; der Antrag ist abgelehnt.
Wir stimmen nunmehr über Zusatzpunkt 2, Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 10/1544, ab. Wer diesem Antrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer möchte dagegen stimmen? — Wer enthält sich der Stimme? — Dann ist dieser Antrag mit Mehrheit abgelehnt.
Wir kommen zum Zusatzpunkt 3: Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und der FDP auf der Drucksache 10/1549. Wer dem Antrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Der Antrag ist mit Mehrheit angenommen.
Meine Damen und Herren, wir kommen dann nach einer interfraktionellen Vereinbarung jetzt zu Punkt 8 der Tagesordnung:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über das Kreditwesen
— Drucksache 10/1441 —
Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Finanzausschuß
Ausschuß für Wirtschaft
Haushaltsausschuß gemäß § 96 GO
Meine Damen und Herren, der Ältestenrat hat vereinbart, dafür eine Aussprache von 60 Minuten vorzusehen. — Dazu sehe ich keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Wird das Wort zur Begründung gewünscht? — Das ist nicht der Fall.
Dann eröffne ich die allgemeine Aussprache. Das Wort hat der Bundesminister der Finanzen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Kreditwirtschaft hat in jeder hochentwickelten Volkswirtschaft eine zentrale Bedeutung.
Voraussetzung für die Bewältigung ihrer Aufgaben ist das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Sicherheit und Solidität der Banken. Die Bankpolitik muß deshalb dafür sorgen, durch bankaufsichtliche Regelungen die Voraussetzungen für dieses Vertrauen in das Kreditgewerbe zu schaffen und immer wieder zu erhalten. Diese Aufgabe ist heute wichtiger denn je.
— Ich mache eine kleine Pause, meine Herren Kollegen. Ich wäre für Ihre Aufmerksamkeit wirklich dankbar. —Es ist eine Schwäche im derzeitigen Bankaufsichtssystem, das nur die einzelnen in der Bundesrepublik Deutschland tätigen Kreditinstitute, nicht aber die von ihnen gebildeten, meist international arbeitenden Bankkonzerne überwacht werden. Die vergleichsweise wenigen, aber sehr wichtigen Kreditinstitute, die an der Spitze einer Bankengruppe stehen, haben damit die Möglichkeit, die gefahrenabwehrenden Risikogrenzen des geltenden Kreditwesengesetzes durch Aufbau zusätzlicher Kreditvolumina über ihre Töchter zu umgehen. Das gilt sowohl für ihre Inlandstöchter als auch vor allem für ihre Auslandstöchter.Das Kreditvolumen über Töchterinstitute ohne reale Unterlegung von Eigenkapital hat eine ganz erhebliche Größenordnung erreicht. Nach den Auswertungsergebnissen einer Erhebung — Stand: Ende 1982 — betrug es bei den betroffenen 23 Bankkonzernen rund 71 Milliarden DM und machte damit knapp 4 % der von der deutschen Kreditwirtschaft insgesamt vergebenen Kredite an Nichtbanken aus. Soweit diese Geschäftsausweitung über die Auslandstöchter erfolgt, treten neben den allgemeinen Geschäftsrisiken, die ein Kreditinstitut natürlich auch bei Geschäften im Inland eingeht, besondere Gefahrenmomente auf, etwa Devisenkurs-, Transfer- und Länderrisiken.Dementsprechend konzentriert sich der Gesetzentwurf, den die Bundesregierung heute vorlegt, auf die Einführung der bankaufsichtlichen Konsolidierung. Damit soll neben den einzelnen Banken künftig auch der jeweilige Bankkonzern, einschließlich seiner in- und ausländischen Töchter, überwacht und das von den Bankkonzernen aufbaubare Gesamtrisiko begrenzt werden.Der Gesetzentwurf folgt den dringenden Empfehlungen der Deutschen Bundesbank und entspricht internationalen Bestrebungen. Auch unsere Kreditinstitute selbst, die am meisten Betroffenen, begrüßen nach intensiven Debatten, die wir mit ihnen geführt haben, im Grundsatz die Einführung der bankaufsichtlichen Konsolidierung und beginnen, sich mit ihrer Geschäftspolitik darauf einzustellen.In den Konsolidierungskreis fallen neben den in- und ausländischen Tochterbanken wegen ihrer tatsächlichen Finanzierungsfunktion auch die Factoring- und Leasing-Töchter. Eine Ausnahme für die Hypothekenbank-Töchter, wie sie verschiedentlich gefordert wird, ist schwer begründbar. Denn unbestreitbar tragen sie zur Mehrfachausnutzung des Eigenkapitals ihrer Mutterbanken bei. Die ins Feld
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Bundesminister Dr. Stoltenberggeführte Risikoarmut des Hypothekenbankgeschäftes wird in den maßgeblichen Risikogrenzen schon heute berücksichtigt. Kredite an die öffentliche Hand werden nicht, Hypothekarkredite lediglich mit 50 % angerechnet. Zudem wird ausdrücklich klargestellt, daß die gesellschaftsrechtlichen Grenzen der Einflußnahme eines Mutterinstituts auf seine Töchter unberührt bleiben.Weitere wesentliche Punkte des vorgelegten Gesetzentwurfs sind eine verbesserte Streuung der Kreditrisiken durch Absenkung der Grenze für den zulässigen größten Kredit von 75 auf 50 % des haftenden Eigenkapitals des Kreditinstituts und eine angemessene Berücksichtigung der tatsächlichen wirtschaftlichen Risikoeinheit von Kreditnehmern. Die Ereignisse vom letzten November um das Bankhaus Schröder, Münchmeyer, Hengst & Co. gaben hierzu einen zusätzlichen Anstoß. Jedoch erscheint es mir nicht angebracht, daraus eine allgemeine Forderung nach mehr Staat in unserer liberalen Bankaufsichtsordnung herzuleiten. Mit Recht kann die Kreditwirtschaft darauf hinweisen, daß es durch ihre Solidaritätsaktionen gelungen ist, das genannte Bankhaus aufzufangen, ohne daß es zu Schädigungen der Einleger kam.Die Einführung der bankaufsichtlichen Konsolidierung sowie die weiteren Novellierungsschritte lösen für einige Kreditinstitute und Gruppen zum Teil erhebliche Anpassungslasten aus. Sie benötigen angemessene Übergangsfristen, um in die neuen Rahmenbestimmungen des Bankgeschäfts hineinzuwachsen. Auch die notwendige Mitwirkung der deutschen Kreditwirtschaft am Stabilisierungsprozeß der hochverschuldeten Länder muß dabei berücksichtigt werden. Daher wird den Kreditinstituten mit einer Übergangsfrist von fünf Jahren ein großzügig bemessener Anpassungszeitraum eingeräumt, der zudem bei nachgewiesenem Bedarf auch im Einzelfall verlängert werden kann.Meine Damen und Herren, wir haben uns bewußt auf die wichtigsten Problemfelder konzentriert, auf die Felder, wo wirklich dringlicher Handlungsbedarf besteht. Ich will über die vieljährige Vorgeschichte dieser Novelle in anderer politischer Verantwortung nicht reden.
— Dazu sage ich noch etwas. Aber jetzt ist das wirklich nicht unser Thema, Herr Kollege Spöri. Unser Hauptthema ist die heute morgen diskutierte Situation der Verschärfung der internationalen Verschuldenskrise. — Wir haben nur solche Maßnahmen vorgeschlagen, für die jetzt in der Konsolidierung Handlungsbedarf besteht im Interesse der Institute und nicht zuletzt im Interesse auch ihrer Geldanleger und Aktionäre.Die Begrenzung der bankbetrieblichen Risiken liegt in erster Linie in der Verantwortung von Vorstand und Aufsichtsrat. Viele unserer Banken werden schon heute dieser Eigenverantwortung durch eine ausgeprägte unternehmensintensive Risikovorsorge und durch die Verbreiterung der Eigenkapitalbasis in anerkennenswerter Weise gerecht. Wir wollen also nicht die Selbstverwaltung der Bankendurch ein Übermaß an staatlichen Regelungen verdrängen.Damit komme ich jetzt zu Ihrem Stichwort, Herr Kollege Spöri. Als bankaufsichtlich anzuerkennendes haftendes Eigenkapital können nur Mittel in Betracht kommen, die voll eingezahlt sind, dauerhaft zur Verfügung stehen und am Verlust teilnehmen. Deshalb vertritt die Bundesregierung auch im Lichte der Diskussion der letzten Wochen und in Beachtung der Stellungnahme des Bundesrats die Grundsätze ihrer Novelle. Die Ertragslage fast aller Kreditinstitute hat sich in den letzten Jahren über alle Erwartungen hinaus positiv entwickelt. Ich habe bereits vor dem Bundesrat darauf hingewiesen, daß sich beispielsweise die Ertragssituation der Sparkassen nach dem Subventionsabbaugesetz nicht verschlechtert, sondern verbessert hat.
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Spöri?
Herr Bundesminister, haben Sie nicht zur Kenntnis genommen, daß es bei der Frage des Haftungszuschlags der Sparkassen um die Frage des Wettbewerbsgefälles zwischen den Sparkassen auf der einen und den Kreditgenossenschaften auf der anderen Seite geht?
Das ist mir wohl bewußt, und ich wollte im Rahmen meiner knappen Redezeit darauf noch eingehen.
— Ja. Darauf wollte ich noch eingehen. Ich werde Ihre Erwartungen voll erfüllen, in einem Punkt sofort, in einem anderen Punkt in wenigen Minuten.Ich habe bereits darauf hingewiesen, daß sich hier gegenüber der Diskussion von 1981, Herr Kollege Spöri, die Situation völlig verändert hat, und zwar — was sehr schön ist — wesentlich zum Besseren für die Betroffenen.
— Zur Zeit wurde bezüglich des Haftungszuschlags für jeden Kenner, zu denen ich Sie zähle, Herr Roth, doch deutlich von den Sparkassen geredet. Wenn ich also von den Betroffenen spreche, rede ich natürlich von den Sparkassen; von denen reden wir im Augenblick.Wir können unterstreichen, daß allein von 1981 auf 1982 das Betriebsergebnis der Sparkassen von 7,3 Milliarden DM auf 9,2 Milliarden DM angestiegen ist, eine sehr begrüßenswerte Entwicklung. Insofern sind die damaligen Stellungnahmen und Erklärungen in diesem Hohen Hause von Vertretern aller Fraktionen, im Bundesrat von den Vertretern vieler Länder — darunter auch in meiner früheren Funktion von mir — durch die Entwicklung erfreu-
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Bundesminister Dr. Stoltenberglicherweise überholt worden. Wir haben nicht die angekündigte Verschlechterung durch das damalige Subventionsabbaugesetz, sondern auf Grund allgemeiner Entwicklungen eine erhebliche Verbesserung ihrer Ertragssituation. Die Auswertungen für 1983 liegen noch nicht vor, aber alles spricht dafür, daß bei ihnen und anderen diese positive Entwicklung anhält.Der Hinweis auf den Haftsummenzuschlag der Kreditgenossenschaften — und damit komme ich zum zweiten Stichwort der Frage —, der durch den vorgelegten Gesetzentwurf nicht berührt wird, kann im Lichte dieser Erträge einen Haftungszuschlag für die Sparkassen nach meiner Meinung nicht begründen. Zwischen der auf dem genossenschaftlichen Solidarprinzip beruhenden privatrechtlichen Nachschußpflicht der Kreditgenossen und der gesetzlich angeordneten Gewährträgerhaftung der öffentlichen Hand für ihre Sparkassen besteht keine Vergleichbarkeit. Allerdings genießt der vor fünf Jahrzehnten unter vollkommen anderen Bedingungen geschaffene Haftsummenzuschlag der Kreditgenossenschaften in seiner gegenwärtigen Größenordnung auch keinen automatischen und absoluten Bestandsschutz. Er wurde ja durch das Kreditwesengesetz von 1934 eingeführt und war bewußt als eine zugunsten des genossenschaftlichen Solidarprinzips geschaffene Starthilfe gedacht. Die Kreditgenossenschaften haben heute eine erfreuliche und unangefochtene Marktposition, sie haben kraft ihrer Leistungsfähigkeit sogar die größte Zunahme von Marktanteilen in den letzten Jahren zu verzeichnen. Man kann daher durchaus mit Recht fragen, ob der Haftsummenzuschlag noch wettbewerbs- und zeitgemäß ist. Der Gesetzgeber hat ja schon vor 20 Jahren dem Bundesminister der Finanzen die Ermächtigung gegeben, den Haftsummenzuschlag durch eine Verordnung einzuschränken. Ich werde im Lauf des weiteren Gesetzgebungsverfahrens auch im Gespräch mit dem zuständigen Ausschuß prüfen, ob und inwieweit in diesem Zusammenhang ein Handlungsbedarf besteht.Den vom Land Niedersachsen im Bundesrat in die Diskussion gebrachten Vorschlag, Genußrechtskapital als haftendes Eigenkapital im Kreditwesengesetz in begrenztem Umfange anzuerkennen, halte ich — ich sage das für die Bundesregierung — für sehr überlegenswert. Dabei geht es darum, die Voraussetzungen für die Anerkennung so auszugestalten, daß die bankaufsichtlichen Anforderungen an das haftende Eigenkapital erfüllt sind. Den Kreditinstituten würde damit zur Aufbringung zusätzlichen Risikokapitals eine allen Institutsgruppen, das heißt auch Sparkassen und Landesbanken, offenstehende Kapitalform zur Verfügung gestellt, die bestimmte Vorzüge der stillen Beteiligung und der Vorzugsaktie in sich vereinigt. Ich könnte mir vorstellen, daß man sich auf diese zusätzliche Kapitalform verständigen kann und daß damit die ja zum Teil etwas leidenschaftliche Diskussion um Haftungszuschlag und Haftsummenzuschlag an Härte oder an Brisanz verlieren kann. Eine solche Lösung — dies möchte ich abschließend sagen — entspräche dem traditionellen, auch von dieser Novelle verfolgten Konzept eines möglichst wettbewerbsneutralen, liberalen und an marktwirtschaftlichen Prinzipien ausgerichteten Kreditwesengesetzes. Es hat zu den hervorragenden Leistungen der deutschen Kreditinstitute auf den nationalen und internationalen Kredit- und Kapitalmärkten beigetragen. Es muß jetzt aus den genannten Gründen novelliert werden.Schönen Dank.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Rapp .
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Gesetz über das Kreditwesen — KWG —, aus dem Jahre 1934 stammend, 1961 neu gefaßt, 1976 aus Anlaß mehrerer Bankinsolvenzen novelliert, steht erneut zur Änderung an. Die Intervalle, in denen neue Herausforderungen neue gesetzliche Antworten erheischen, werden kürzer, wobei gilt, daß das hochsensible Kreditwesen in seiner wirtschaftlichen Schlüsselfunktion schon deshalb der Beständigkeit des Ordnungsrahmens bedarf, weil zu den Gestaltungsparametern des Kredits ja auch die Zeit, die Diskontierung von Zukunft gehört.Die große neue Herausforderung, der wir uns mit dem dritten Änderungsgesetz zu stellen haben, ist mit der Weltwirtschaftskrise in der Folge der 01preisexplosionen weltweit über das Bankgewerbe gekommen. Hier müssen Stichwörter genügen: Recycling der Petrodollars, dazu Aufbau exterritorialer, nicht durch Bankaufsicht begrenzter Geldmärkte unter Gründung von Tochterbanken im Ausland, die durch Mehrfachbelegung ein und desselben Haftkapitals zusätzliche Kreditpyramiden aufbauten, dementsprechend riesige Volumina an vagabundierender, destabilisierender internationaler Liquidität und endlich und in letzter Konsequenz die Verschuldenskrise, die immer mehr Staaten der Dritten Welt und nicht nur der Dritten Welt erfaßt.Das Kreditwesen hat sich internationalisiert. Die Risikosituation hat sich demgemäß verändert. Die Bankenaufsicht aber operiert nach dem geltenden KWG noch immer national. Jetzt gilt es, über die nationale Sicht hinaus der Bankenaufsicht die internationale Reichweite zu erschließen.Nun aber hat j a, mag man sagen, die deutsche Kreditwirtschaft die internationale Krise fast geräuschlos gemeistert. Selbst der neuerlich zu bereinigende SMH-Fall hat das Vertrauen in unsere Banken und Sparkassen in keiner Weise erschüttert. Dafür darf und soll dem deutschen Kreditgewerbe auch einmal von der Tribüne der Nation herab Lob und Anerkennung gezollt sein!Unsere Banken haben im internationalen Geschäft vorsichtiger operiert als z. B. die der USA. Daß die Geräuschlosigkeit der Schadensminderung auch mit den hohen Zinsspannen und Gewinnen der letzten Jahre zu tun hatte, ist freilich auch richtig. Mit so hohen Zinsspannen sollte man auf lange Sicht nicht rechnen müssen. Es ist also angezeigt,
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Rapp
das Problem auch bankenaufsichtsrechtlich anzugehen, indem man für die Zukunft ausschließt, daß mit ein und demselben Haftkapital mehr als eine Kreditpyramide unterlegt wird; bisher nämlich konnten Kreditinstitute den an das haftende Eigenkapital anknüpfenden bankenaufsichtsrechtlichen Geschäftsbeschränkungen in der Weise ausweichen, daß sie, wie gesagt, Tochterinstitute gründeten, die auf dem ihnen zugewiesenen Geschäftskapital ein eigenes Kreditvolumen aufbauen konnten, ohne daß der Institutsgruppe im ganzen neues Risikokapital zugeführt worden wäre.Schwerpunkt der Gesetzesänderung ist folglich das Konsolidierungsverfahren, durch das die für die Normierungsgrundsätze der Liquiditätshaltung maßgeblichen Bilanzposten — Kreditgeschäft und Beteiligungen einerseits, Eigenkapital auf der anderen Seite — in Höhe derjenigen Anteilsquote beim Mutterinstitut zusammengefaßt werden, die der Kapitalbeteiligung am nachgeordneten Kreditinstitut entspricht. Vom so quotal zusammengefaßten Eigenkapital ist der beim Mutterinstitut ausgewiesene Buchwert der Kapitalbeteiligungen abzuziehen. Soweit die dazu nötigen Informationen dem Mutterinstitut nicht zugänglich sind, wird subsidiär ein einfaches Abzugsverfahren angewandt, das freilich etwaigen Anpassungsbedarf allein dem Mutterinstitut auferlegt.Die Bundesregierung setzt mit ihrem Gesetzentwurf eine einschlägige EG-Richtlinie in nationales Recht um. Der Entwurf folgt in den Grundzügen der Konsolidierung einem noch in der Zeit sozialdemokratischer Regierungsführung erstellten Referentenentwurf. Eine bedeutsame Abweichung gegenüber diesen früheren Überlegungen ist die, daß die Beteiligungsschwelle, oberhalb derer Kreditinstitute als zusammengehörig und demgemäß als konsolidierungspflichtig gelten, auf 40 vom Hundert festgesetzt werden soll; daneben gilt selbstverständlich das Kriterium der Beherrschung. Bei früheren Überlegungen ist man von 25 von Hundert ausgegangen. Es ist klar, daß die Bankenaufsicht eine noch niedrigere Schwelle wünschte; die von ihr vorgeschlagenen 10 von Hundert sind freilich unrealistisch.Die Bundesregierung wird in den Ausschußberatungen überzeugender, als in der Begründung geschehen, noch darzutun haben, warum die von ihr gewählte Schwelle von 40 von Hundert so sehr nahe an der Wunschgrenze der Betroffenen liegt.Die Konsolidierungsregeln sind kompliziert; das kann auch nicht anders sein. Es erträgt sich das, weil derzeit nur 50 Institutsgruppen betroffen sind. Der weitaus größte Teil der knapp 5 000 Kreditinstitute ist nicht betroffen. Gleichwohl wird der Bereinigungsbedarf durch Kapitalaufstockung und/oder Umschichtung von 70 Milliarden DM Kreditvolumen auch in fünfjähriger Übergangszeit ein harter Brocken sein.Nun hat, meine Damen und Herren, der Bundesrat eine andere Konsolidierungsregelung vorgeschlagen, der zufolge das vom Tochterinstitut selbst gebildete Eigenkapital, das ja gar nicht doppelt mit Risiken belegt werden kann, beim Abzug unberücksichtigt bleiben soll. Die Bundesregierung macht zutreffend die Nachteile dieses Verfahrens geltend. Zu den Vorteilen aber schweigt sie. Es gibt ordnungspolitische Vorteile mindestens dahin gehend, daß z. B. den im Verbund stehenden Hypothekenbanken die Eigenständigkeit der Geschäftspolitik erhalten bliebe, die eben zum Aufbau selbstgebildeten Eigenkapitals geführt hat. Wir Sozialdemokraten werden dazu — wie zu anderen streitigen Fragen — im Laufe der Beratung eine Anhörung beantragen.Damit das Konsolidierungsverfahren Biß bekommt, sind Regelungen zur Verbesserung der internationalen Zusammenarbeit der Bankenaufsicht zu treffen.Das bankenaufsichtliche Zusammenfassungsverfahren hat den erwünschten Nebeneffekt, Wettbewerbsunterschiede zwischen Einzelinstituten und Institutsgruppen abzubauen. Hauptzweck aber ist die größere Stringenz der Rahmenvorschriften zur Risikobegrenzung. Kernstück wiederum dieser Vorschriften sind die Grundsätze nach § 11 KWG, nach denen aus der Gegenüberstellung bestimmter Aktivkomponenten mit dem haftenden Eigenkapital Kennziffern zur Liquidität zu bilden sind. So darf z. B. das Kredit- und Beteiligungsvolumen das Achtzehnfache des Haftkapitals nicht übersteigen. Dem haftenden Eigenkapital und folglich der Definition dessen, was als solches gilt, kommt somit für die Geschäftspolitik einer Bank überragende Bedeutung zu. Über die wirtschaftliche Funktion der Risikopufferung hinaus begrenzt es den Umfang der Geschäftstätigkeit.Wenn zum erstenmal an einer Novelle des KWG breites öffentliches Interesse besteht, so wegen der neu zu beantwortenden Frage, was als haftendes Eigenkapital zu gelten hat. Hier ist der Wettbewerb zwischen den Institutsgruppen berührt. Unser Kreditwesen spiegelt in seiner pluralistischen Gruppenstruktur unterschiedliche gesellschaftspolitische Präferenzen wider, was ganz vorzüglich so eingerichtet ist. Jeder kann wählen. Es stehen ihm genossenschaftliche, gemeinwirtschaftliche, kommunalwirtschaftliche, sonstige öffentlich-rechtliche und privatwirtschaftliche Institute zur Verfügung.Die Bundesregierung will an der geltenden Definition des haftenden Eigenkapitals im wesentlichen nichts ändern. Es soll dabei bleiben, daß zugunsten der Kreditgenossenschaften ein der Nachschußpflicht der Genossen Rechnung tragender Haftsummenzuschlag bis zu 50 % des eingezahlten Eigenkapitals eingeräumt wird, wohingegen z. B. den Sparkassen eine äquivalente Berücksichtigung der Gewährträgerhaftung der öffentlichen Hand versagt bleibt.Der Bundesrat hat sich demgegenüber die im Referentenentwurf 1982 vorgesehene Regelung zu eigen gemacht, wonach generell, für alle Institutsgruppen, sogenannte Eigenkapitalsurrogate — also Haftsummenzuschlag der Genossenschaften, Haftungszuschlag der Sparkassen, aber auch nachrangiges Haftungskapital in verschiedener Form — von 20 % zugelassen werden.
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Rapp
Selbst Sie, Herr Stoltenberg, die Ministerpräsidenten Späth und Strauß, Abgeordnete aus der damaligen CDU/CSU-Opposition in großer Zahl haben 1982 in starken Worten und kräftigen Bekenntnissen zum chancengleichen Wettbewerb einen Haftungszuschlag für die Sparkassen gefordert. Sollte da sogar die eigene Vernunft der Wende zum Opfer gefallen sein? Das ist damals auch nicht nur, Herr Bundesfinanzminister, im Hinblick auf gewisse Einzelfallschwierigkeiten im Sparkassensektor, sondern ganz prinzipiell so gefordert worden, weshalb man die Sache jetzt auch nicht mit dem Argument abtun kann, die Sparkassen hätten in den letzten Jahren gut verdient und kräftig Eigenkapital gebildet.Selbst wenn man sich auf die Frage nach den rechtlichen und tatsächlichen Unterschieden zwischen der Nachschußpflicht von Genossenschaftsmitgliedern einerseits und der Gewährträgerhaftung der öffentlichen Hand andererseits einläßt — dabei kann man j a zu unterschiedlichen Wertungen kommen —, selbst wenn man also zu Differenzierungen bereit ist, kann doch niemand ernstlich behaupten wollen, die Qualitätsunterschiede zwischen Nachschußpflicht und Gewährträgerhaftung spreizten sich im Verhältnis von 50 bei den Kreditgenossenschaften zu null bei den Sparkassen auseinander. Das geht doch nicht an.
Es ist klar, daß wir Sozialdemokraten dazu Korrekturen beantragen werden,
wobei wir uns des Problems bewußt sind, das sich ergeben würde, wenn man die Kreditgenossenschaften dem doppelten Zugriff von herabgesetzter Großkreditgrenze und der Reduzierung des Haftsummenzuschlags aussetzte. Aber sicher ist: Die Relation von 50 : 0 ist nicht sachgerecht, nicht wettbewerbsgerecht, und sie ist eine Quelle ständigen Streits.
Die Bundesregierung sieht das ja auch nicht anders, wenn sie in ihrer Gegenäußerung den Haftsummenzuschlag sozusagen hinter vorgehaltener Hand in Frage stellt — es ist das hier wieder geschehen, Herr Bundesfinanzminister —,
was nicht unsere Lösung wäre.
Wir hoffen sehr, daß wir gerade in dieser Frage in der CDU/CSU-Fraktion noch Bundesgenossen finden. Es muß eine friedenstiftende Lösung gefunden werden. Es bekäme dem deutschen Kreditgewerbe nicht gut, wenn nach der Verabschiedung des Gesetzes die Institutsgruppen vor dem Bundesverfassungsgericht übereinander herfielen.
Unter den sehr zahlreichen weiteren Änderungen ist im Rahmen der ersten Lesung nur noch auf wenige Themen einzugehen:Wir tragen mit, daß in direkter Konsequenz der SMH-Pleite die Höchstgrenze für den einzelnenGroßkredit von 75 auf 50 v. H. des Haftkapitals herabgesetzt wird.Wir begrüßen alle Regelungen zur Verfahrensvereinfachung. Sie werden ohnehin in ihrer Summe die Summe der Erschwerungen und Komplizierungen nicht aufwiegen.Unter diesem Gesichtspunkt muß auch die Unterschiedlichkeit der Beteiligungsgrenze für die Konsolidierung nach § 10 a und für das Meldewesen nach § 13 a (50 %) nochmals überprüft werden.Wir nehmen mit Genugtuung zur Kenntnis, daß wenigstens über § 12, der die Deckung der schwer veräußerbaren Anlagen durch Haftkapial fordert, das Halten bankfremder Beteiligungen begrenzt wird.Wir finden die Begriffsvereinheitlichungen zum Realkredit und bei den Ausnahmeregelungen für die Meldepflicht richtig.Es wird zu prüfen sein, Herr Minister, ob wir uns beim Factoring und beim Leasing nicht den Mut zur Lücke leisten sollten.Wir werden zu den Vorschriften über Spareinlagen zusätzliche Fragen und Themen zur Sprache bringen und gegebenenfalls Anträge stellen. Im Referentenentwurf 1982 war dazu noch die Anhebung des ohne Kündigung rückforderbaren Betrags von 2 000 DM auf 3 000 DM vorgesehen.Insgesamt, meine Damen und Herren, ist die Absicht zu begrüßen, durch die Weiterentwicklung des KWG das Vertrauen der Bankgläubiger in unsere Kreditwirtschaft weiter zu stärken. In diesem Zusammenhang ist die im Entwurf enthaltene Klarstellung richtig, daß die Bankenaufsicht wie auch die Versicherungsaufsicht nur im öffentlichen Interesse ausgeübt wird. Zum Schutz des einzelnen Bankgläubigers, des Einlegers, wurden auf Grund der Novelle 1976 die Sicherungseinrichtungen geschaffen.Frage: Ist die Novelle sachgerecht? Hinter verschiedene Positionen des Entwurfs habe ich Fragezeichen gesetzt, hinsichtlich des Haftkapitals eine Gegenposition bezogen.Ist die Novelle umfassend genug? Wir vermissen, von der erwähnten Verbesserung in § 12 abgesehen, Regelungen zu den Themen, die im Bericht der Bankenstrukturkommission unter der Kapitelüberschrift „Machtanhäufungen und Machtmißbrauch" angesprochen wurden.
Niemand will Strukturen zerstören, die sich bewährt haben und gerade jetzt bewähren müssen. Die weitergehende Begrenzung der Aufsichtsratsmandate in Bankenhand und die wirksamere Transparenz bei der Wahrnehmung des Depotstimmrechts — beides im Entwurf 1982 enthalten — fallen nicht unter dieses Verdikt.Man könnte sich auch denken, daß eine Begrenzung der Länderrisiken zunächst dergestalt angegangen werden sollte, daß die Banken angehalten sein sollen, im Geschäftsbericht ihre im Ausland
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5270 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 73. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 6. Juni 1984
Rapp
eingegangenen Engagements nach Ländern gegliedert summarisch darzustellen.
Die Erfahrung hat auch gezeigt, daß es nicht gut ist, wenn die Prüfung der Jahresabschlüsse immer von denselben Wirtschaftsprüfern vorgenommen wird.Ist die Novelle angemessen, oder führt sie zur Überreglementierung? Das KWG hat sich auf Rahmenvorschriften für die Risikobegrenzung zu beschränken. Die Verantwortung für die Geschäftspolitik und die Entscheidungen über einzelne Geschäfte liegt und bleibt bei der Bankleitung. Banking hat nun einmal mit Risiko zu tun; wollte man aus dem Kredit das Element des „credere", des Risikos, durch reglementierende Aufsicht austreiben, müßte eine allgemeine Sklerose unserer Wirtschaft die Folge sein.Diese Einsicht gilt es freilich mit der anderen zu verbinden, daß die Sicherheit der Bankeinlagen für den einzelnen, für die Gesellschaft, für den Staat von überragender Bedeutung ist. Der Staat muß hierfür durch Aufsicht in wirksamer Weise sorgen. Also müssen Kreditinstitute und Aufsicht vertrauensvoll und produktiv zusammenarbeiten. Wir Sozialdemokraten wollen bei der Beratung der KWG-Novelle mit dafür sorgen, daß dies auch durch die im einzelnen vorgesehenen neuen Maßnahmen und Vorschriften gewährleistet bleibt.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Kreile.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die CDU/CSU-Fraktion begrüßt es, daß die Bundesregierung nach langer — manche meinen: zu langer — Vorbereitungszeit den Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Kreditwesensgesetzes nunmehr vorgelegt hat. Sie begrüßt es besonders, daß dieses Grundgesetz der Banken zu einem Zeitpunkt beraten werden kann, wo die Notwendigkeit seiner Zielsetzung immer deutlicher zutage tritt. Die internationale Schuldenkrise, die auch ein beherrschendes Thema des Londoner Weltwirtschaftsgipfels sein wird, wird nur bewältigt werden können, wenn die Öffentlichkeit berechtigtes Vertrauen in die Sicherheit und die Solidität der Banken hat und wenn der Ordnungsrahmen, den der Gesetzgeber den Banken gibt, hierfür ausreichend ist.Das am 1. Januar 1962 in Kraft getretene Kreditwesengesetz hat in den 22 Jahren wenig Änderungen erfahren müssen. Das ist erstaunlich, wenn man sich vor Augen führt, welchen Wandlungen das Bankgewerbe und das Bankgeschäft in diesem Zeitraum unterworfen waren, und noch erstaunlicher, wenn man die geradezu inflationäre Flut von Gesetzesänderungen in anderen Bereichen in den letzten Jahren betrachtet. Der Gesetzgeber hat hier zu Recht zwei volle Jahrzehnte weitgehende Zurückhaltung üben können, weil er die Bankenaufsichtsbehörde mit genügend Flexibilität ausgestattet hat, damit sie auf vorübergehende Tagesereignisse an-gemessen reagieren konnte. In den Problemfällen des Kreditbereichs wurde dies im Zusammenwirken zwischen Bankenaufsicht, der Bundesbank und der Bankwirtschaft erfolgreich getan.So ist die hier anstehende Novellierung nicht eine Reaktion auf etwaige interne Fehlentwicklungen im deutschen Kreditgewerbe. Vielmehr geht es um eine angemessene Fortentwicklung der Bankenaufsicht in Anpassung an grundlegend veränderte Verhältnisse.Tiefgreifende Änderungen im Kreditgeschäft der deutschen Banken haben sich vollzogen. Die Risiken sind in einem früher nicht gekannten Umfang gestiegen. Neue Risiken sind entstanden. An erster Stelle sind hier die Internationalisierung des Bankgeschäfts und die stetige Expansion der internationalen Finanzmärkte zu nennen. Mit dieser Internationalisierung des Bankgeschäfts wuchsen natürlich die Risiken. Zumindest rein tatsächlich haften die deutschen Mutterbanken für ihre ausländischen Töchter, die ihrerseits nicht an ähnlich strenge Obergrenzen für die Kreditvergabe gebunden sind, wie es bei uns durch den Grundsatz 1 des KWG sichergestellt ist. Hierdurch sind für die Kreditinstitutskonzerne Kreditrisiken entstanden, die zum Teil weit über das 18fache des haftenden Eigenkapitals hinausgehen.Daß in dieser Situation Parlamente und Regierungen der westlichen Welt ihr geltendes Bankenaufsichtsrecht mit dem Ziel überprüfen, festzustellen, ob für diese neuen, auf Dauer angelegten Risiken die vorhandenen Erkenntnisquellen und Regulierungen ausreichen, ist verständlich und auch notwendig. Die Bundesrepublik Deutschland kann hierbei in der wichtigen Frage der Konsolidierung, dem Schwerpunkt der jetzigen Novelle, auf die für alle EG-Länder geltenden Richtlinien des Rates der Europäischen Gemeinschaften vom 13. Juni 1983 aufbauen. Zu Recht wird deswegen der vorliegende Änderungsentwurf zum Kreditwesengesetz Konsolidierungsnovelle genannt. Sein Hauptziel ist die Konsolidierung der Auslandstöchter der deutschen Banken bzw. der Bankenkonzerne.Die KWG-Novelle wird jedoch nicht nur die Risiken aus dem Kreditgeschäft begrenzen. Der Konsolidierungseffekt führt auch zu einer Verbesserung der Wettbewerbsneutralität. Institutsgruppen, Bankkonzerne konnten bisher vorhandenes Eigenkapital durch den Aufbau von Kreditpyramiden mehrfach belegen. Einzelinstitute hatten diese Möglichkeit nicht. Ich betone dies deshalb, weil die Frage der Wettbewerbsneutralität des Kreditwesengesetzes im weiteren Verlauf der parlamentarischen Beratung eine sehr wichtige Rolle spielen wird.Es ist zu begrüßen, daß die Bundesregierung keine Änderung des bewährten Konzepts unserer Bankenaufsicht vorgeschlagen hat, etwa in Richtung auf eine von anderen Ländern praktizierte staatliche Bewertung von Einzelkreditrisiken oder von Länderrisiken. Diese Bewertung vorzunehmen ist und bleibt nach meiner Überzeugung Sache der Bankenvorstände. Herr Rapp, Ihr Vorschlag, daß
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Dr. Kreileetwa die Länderrisiken in einer Einzelaufstellung im Geschäftsbericht dargestellt werden sollten,
ist wohl ein sehr schwierig zu praktizierender Vorschlag. Es wird uns dann das gleiche passieren, was den Banken des Auslands passiert, wenn sie Kredite in einzelnen Bankbereichen und einzelnen Auslandsbereichen reduzieren oder Rückstellungen machen, nämlich, daß sich gewisse, sagen wir einmal, außenpolitische Schwierigkeiten ergeben.Deswegen meine ich, wir sollten die bewährten Bilanzierungsvorschriften, die bewährten Vorschriften zur allgemeinen Berichterstattung im Geschäftsbericht beibehalten. Wir sollten dies den Bankenvorständen überlassen. Die Bankenaufsicht nämlich darf grundsätzlich nicht in die geschäftspolitische Verantwortung der Banken mit einbezogen werden. Im übrigen haben die deutschen Kreditinstitute bei der Bemessung ihrer Länderrisiken im großen und ganzen ein Augenmaß bewiesen, wie Statistiken über ihr Engagement im Vergleich zur internationalen Konkurrenz zeigen, das nur zu loben ist.Ich stimme dem von der Bundesregierung vorgeschlagenen Modell der Konsolidierung grundsätzlich zu, also der Zusammenfassung der maßgeblichen Kennzahlen für Eigenkapital und Kreditvolumen im Institutskonzern. Innerhalb dieses Modells gibt es jedoch verschiedene Berechnungsmethoden, deren Vor- und Nachteile noch sorgfältig gegeneinander abgewogen werden müssen.Insbesondere wird zu prüfen sein, ob der Vorschlag des Bundesrates, bei der Konsolidierung den Buchwert nur in Höhe desjenigen anteiligen Eigenkapitals abzuziehen, der von der Tochterbank nicht aus einbehaltenen Gewinnen selbst gebildet wurde, nicht ebenfalls zu dem gewünschten Ergebnis einer Risikobegrenzung führt und darüber hinaus nicht gewollte Veränderungen in der gewachsenen gesunden Bankenstruktur verhindert. Die Konsolidierungsmethode sollte in die bewährte Aufgabenverteilung zwischen Universalbanken und Spezialkreditinstituten, wie z. B. Hypothekenbanken, nicht unnötig eingreifen.Von der Konsolidierung werden starke Impulse ausgehen, die das Eigenkapital verstärken. Eine solide Eigenkapitalausstattung ist die Grundvoraussetzung für das Funktionieren des Kreditgewerbes. Dabei darf die Eigenkapitaldiskussion allerdings nicht auf die Frage verengt werden, ob Einleger im Konkursfall zu Schaden kommen. Die richtige Antwort lautet vielmehr, daß wir uns Konkurse oder handfeste Krisen im Kreditgewerbe nicht leisten können.
Die lange nachwirkenden internationalen Auswirkungen der Herstatt-Pleite — alle Beteiligten haben aus ihr wohl sehr viel gelernt — seien hier in Erinnerung gerufen.Ich stimme daher dem Regierungsentwurf grundsätzlich in der Verschärfung der Anforderungen andie Einlagen stiller Gesellschafter und bei der ablehnenden Haltung gegenüber der Neuzulassung von Eigenkapitalsurrogaten zu, soweit darunter prozentuale Zuschläge auf vorhandenes Eigenkapital verstanden werden. Bei der Bedeutung, die ich dem haftenden Eigenkapital in seiner Pufferfunktion, also seiner Fähigkeit, Verluste aufzufangen, zumesse, wird jedoch der Vorschlag des Bundesrates, nachrangige Verbindlichkeiten bankenaufsichtlich anzuerkennen, im weiteren Verlauf des Gesetzgebungsverfahrens sicher noch eingehend geprüft werden müssen. Bei dieser Prüfung kommt besondere, aber wohl nicht nur ausschließliche Bedeutung auch dem sogenannten Genußscheinkapital zu, das Gestaltungsmöglichkeiten bietet, die den Anforderungen, die an bankenaufsichtlich akzeptiertes Eigenkapital zu stellen sind, sehr nahekommen oder sie vollständig erfüllen. Wir dürfen bei der Eigenkapitalfrage nicht außer acht lassen, daß unsere Kreditinstitute sich dem internationalen Wettbewerb stellen müssen und im Bankenaufsichtsrecht vieler ausländischer Staaten Eigenkapitalergänzungen in der einen oder anderen Form Anerkennung finden. Eine Prüfung dieses Fragenkomplexes wird also offen und ohne vorzeitige Festlegungen erfolgen müssen.Bei der Diskussion über Eigenkapital wird man sich darüber klar sein müssen, daß es nicht um ein theoretisches Problem geht, sondern darum, der Bankenaufsicht brauchbare und handhabbare Maßstäbe zur Bemessung von Risiken zur Hand zu geben. Hieran werden sich alle Vorschläge zur Eigenkapitalausstattung messen lassen müssen. Wir haben ein Interesse daran, daß es bei der Vielfalt des deutschen Bankenwesens bleibt, daß Privatbanken, öffentlich-rechtliche Banken, Sparkassen und Genossenschaftsbanken gleichgeordnet und gleichberechtigt, weder bevorteilt noch nachbeteiligt sich gegenüberstehen. Deswegen liegt uns viel daran, daß das Ergebnis jeder Neufassung des Kreditwesengesetzes die Wettbewerbsneutralität des Aufsichtsrechts ist.Neben diesen Hauptproblemen der Novelle des Kreditwesengesetzes, also der Konsolidierung, der Eigenkapitaldiskussion und der Diskussion über den Konsolidierungskreis und die Konsolidierungsmethode, neben diesen Hauptproblemen also werden wir uns in den Ausschußberatungen noch mit einer Fülle von Änderungen des geltenden Rechts zu befassen haben. Hierbei wird die Chance genutzt werden müssen, die Kreditinstitute von einigem Verwaltungsaufwand zu entlasten. Ich hoffe und bin auch ganz sicher, daß die Bundesregierung ihren Spielraum voll ausgeschöpft hat, damit auch in diesem Bereich unserem erklärten Ziel, der Bürokratisierung des Wirtschaftslebens entgegenzuwirken, gedient wurde.Es ist das Bestreben der CDU/CSU-Fraktion, das Kreditwesengesetz gründlich aber zügig zu beraten. Und selbstverständlich begrüßen wir es, daß es zu einer Anhörung der Beteiligten kommt.Die Kreditwirtschaft, aber auch die Kreditnehmer erwarten zu Recht, daß alsbald Klarheit über das künftige Recht herrscht. Unser Ziel ist es, die
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5272 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 73. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 6. Juni 1984
Dr. KreileNovelle am 1. Januar 1985 in Kraft treten zu lassen. Für die anstehende Beratung bietet der konzentrierte, einleuchtend begründete Entwurf, bieten aber auch die ergänzenden Stellungnahmen des Bundesrates — und insoweit gilt unser Dank dem Bundesminister der Finanzen und dem Bundesrat — eine hervorragende Grundlage.
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Beck-Oberdorf.
Es geht überhaupt nicht los, denn solche Themen reißen wohl niemanden hier vom Sessel. Aber es ist j a wohl nötig, die Position zu Protokoll zu geben. Also werden auch die GRÜNEN dieser Pflichtübung nachkommen und zu Protokoll geben, was sie hierzu zu sagen haben.
Die heute vor uns liegende Novelle zum Kreditwesengesetz wird in keinem Punkt den drängenden Erfordernissen für eine Neugestaltung der Bankenaufsicht gerecht.
— Wir haben auch unsere Referenten, wissen Sie. So ist es nicht. Nur mit dem eigenen Suppentopf arbeiten wir nicht, wie Sie wohl bei den GRÜNEN oft vermuten.Mit diesem Gesetzentwurf wird die Bundesregierung ihrer Verantwortung für eine gesellschaftliche Kontrolle und Steuerung der Kreditinstitute nach sozialen und ökologischen Kriterien nicht gerecht. Im Gesamtzusammenhang der Probleme im Bankensektor ist die Begrenzung der internationalen Kreditrisiken, das Kernstück der mit vielen Mühen auf die Welt gebrachten Novelle, nur ein Randproblem. Aus Eigeninteresse haben die bundesdeutschen Geschäftsbanken schon seit einigen Jahren ihre extrem günstige Ertragssituation zur umfangreichen Risikovorsorge genutzt. Bei uns müssen die Sparer und Einleger mit niedrigen Zinsen vorlieb nehmen, den Kreditnehmern aber werden deftige Zinsen abgeknöpft. So bezahlen gerade die kleinen Sparer und Kreditnehmer für die hohen Risiken aus den Krediten an die Entwicklungsländer — und das knüpft natürlich genau an das Thema an, das wir heute morgen diskutiert haben.
— Die Frage ist, was mit den Geldern in den Entwicklungsländern gemacht wird. Darum ging es j a auch heute morgen.Die Banken werden die vorgesehene geringfügige Verschärfung der Kreditvergabegrenzen durch die Konsolidierung ihrer Bilanzen ohne jede Schwierigkeit auffangen können.Für uns, für die GRÜNEN im Bundestag, besteht das zentrale Problem der bundesdeutschen Bankenaufsicht in der enormen Machtkonzentration bei den großen Geschäftsbanken. Sie spielen eine Schlüsselrolle für die Durchsetzung eines ökologisch und sozial zerstörerischen Wachstumskurses. Über ihre Kreditvergabe, ihre Industriebeteiligungen und ihre Einflußmöglichkeiten in den Aufsichtsräten der Konzerne tragen die Großbanken entscheidend dazu bei, daß Umweltvernichtung und Massenarbeitslosigkeit bei uns und die Ausbeutung der Entwicklungsländer immer katastrophalere Ausmaße annehmen.
Ich erinnere an die Daten, die ich heute morgen genannt habe, die zeigen, wie sich gerade amerikanische Banken an den Krediten gesundgestoßen haben, die an Entwicklungsländer gegeben worden sind.
Wir fordern eine drastische Verschärfung der Bankenaufsicht, um die zerstörerische Macht der bundesdeutschen Geschäftsbanken in den Griff zu bekommen. Und das sagen wir hier sehr deutlich: Wir gehen nicht davon aus, daß so ein Gesetzentwurf reicht, sondern wir gehen davon aus, daß gesellschaftliche Kontrolle an den jetztigen Eigentumsstrukturen der Banken ansetzen muß. Wir brauchen neue Modelle gesellschaftlicher Eigentumsformen. Es ist hier wohl kein Geheimnis, daß wir da für tiefgreifende Umstrukturierungen sind, um die Geschäftspolitik der Kreditinstitute grundsätzlich nach sozialen und ökologischen Kriterien neu ausrichten zu können.Auch die konkreten Inhalte der Novelle sind für die GRÜNEN im Bundestag völlig unannehmbar. Deutlich erkennbarer Hintergedanke der vorgeschlagenen gesetzlichen Regelungen ist die Schwächung des öffentlich-rechtlichen Bankensektors. Zwar wird der Haftsummenzuschlag für die Genossenschaftsbanken beibehalten, um die Mittelstandsklientel der Regierungsparteien nicht zu verärgern, für die Sparkassen aber soll eine ähnliche Ausweitung des anzurechnenden Eigenkapitals nicht gelten. Die GRÜNEN im Bundestag wenden sich gegen diese Beeinträchtigung der Wettbewerbsbedingungen für die öffentlich-rechtlichen Kreditinstitute und fordern die Einführung eines Haftungszuschlags von 50 % zur Gleichstellung dieser Gruppe mit dem Genossenschaftssektor.
Da sowohl Sparkassen als auch die Genossenschaftsbanken aus unserer Sicht volkswirtschaftlich besonders förderungswürdig sind, halten wir eine Besserstellung dieser Gruppen gegenüber den privaten Geschäftsbanken für gerechtfertigt.
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Frau Beck-OberdorfWir lehnen grundsätzlich jeden Versuch zur offenen oder verdeckten Teilprivatisierung der öffentlich-rechtlichen Institute ab.
Wir fordern die Sparkassen auf, ihre hervorragende Ertragssituation dazu zu nutzen, die Konditionen bei der Kreditvergabe zu verbessern. Gegenüber der kartellhaften und zerstörerischen Geschäftspolitik der Großbanken sollten die Sparkassen ihrer gesellschaftlichen Verantwortung durch eine ökologisch und sozial orientierte Marktführerschaft gerecht werden.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Solms.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Dieses Gesetz, welches eine so große Bedeutung hat, weil es das Grundgesetz der Kreditwirtschaft ist, wird in der Öffentlichkeit und beim Bürger wenig Beachtung finden, weil es ein Gesetz für Spezialisten ist. Und wie man in diesem Hause sieht, interessieren sich, vielleicht mit Ausnahme der Vorrednerin, auch nur noch die Spezialisten dafür.Marktwirtschaftliche Grundsätze, meine Damen und Herren, müssen bei diesem Gesetz besonders beachtet werden. Wir sollten uns bei dem vorliegenden Gesetzesvorhaben daran erinnern, daß die Weltwirtschaftskrise der 30er Jahre in Deutschland durch den Zusammenbruch von Großbanken, damals der Danat-Bank, ausgelöst wurde. Die gesetzlichen Ordnungs- und Kontrollmechanismen waren damals nicht vernünftig organisiert.
Die heutige Novelle hat ihren aktuellen Anlaß in erheblich gewachsenen Risiken. Sie sind vorwiegend durch das internationale Handels- und Kreditgeschäft entstanden. Zur Finanzierung der drastisch gestiegenen Exporte haben sich die deutschen Banken in starkem Maße ihrer ausländischen Töchter bedient. Dabei haben sie bei Einbeziehung der Auslandstöchter die im Grundsatz 1 des Kreditwesengesetzes festgelegten Grenzen für die Ausleihungen deutlich überschritten. Es ist eine immense Gefahr für die Existenz der Banken und letztlich der deutschen Wirtschaft insgesamt, wenn die Kredite der Banken nicht durch ausreichende Eigenmittel unterlegt sind. Dies wird durch die dramatische Zuspitzung der internationalen Verschuldungskrise, über die ja heute morgen gesprochen worden ist, besonders deutlich. Im übrigen, Frau Beck-Oberdorf, wenn sich die Großbanken durch die Verschuldungskrise gesundstoßen könnten, weiß ich nicht, warum eine solche Nervosität und Aktivität bei Großbankenmanagern entstanden ist, die nicht wissen, wie sie die Situation beherrschen sollen.
— Auch bei der Deutschen Bank müssen noch einige Jahre Gewinne für die Rückstellung der Risiken herbeigezogen werden. Da müssen Sie nur mit den Bankmanagern reden.
Durch die Einbeziehung der ausländischen Bankentöchter in die deutschen Maßstäbe der Kreditvergabe sollen überhöhte Risiken eingefangen werden. Dem dient die Konsolidierung der Tochtergesellschaften deutscher Banken. Nach Auffassung der FDP-Fraktion sollten in die Konsolidierung nur die Kreditinstitute einbezogen werden, bei denen von einer einheitlichen Leitung und Steuerung durch ein übergeordnetes Kreditinstitut ausgegangen werden kann. Dabei sollte bei den Ausschußberatungen nochmals geprüft werden, ob nicht die im Gesetzentwurf vorgesehene Konsolidierungsgrenze einer 40 %igen Beteiligung allzu gegriffen ist.Für dringend überprüfungswürdig halten wir die Frage, ob es notwendig und gerechtfertigt ist, die Hypothekenbanken in den Konsolidierungskreis einzubeziehen. Wir müssen uns hier auf den Grundgedanken der Konsolidierung zurückbesinnen, nach dem in erster Linie Risiken aus dem internationalen Bankgeschäft eingegrenzt werden sollen. Solche Risiken existieren bei den Hypothekenbanken so gut wie gar nicht.Dieter Piel teilt unsere Auffassung, wenn er in der „Börsen-Zeitung" von gestern schreibt, daß bis heute eine stichhaltige Begründung für eine Konsolidierung der Hypothekenbanken nicht vorgelegt worden ist. Ich zitiere wörtlich:Die Geschäfte dieser Institute sind risikoarm. Sie unterliegen einem eigenen strengen Gesetz. Die Einbeziehung des Eigenkapitals der Hypothekenbanken in die Konzernrechnung ist mithin erstens überflüssig und zweitens schädlich, weil die Spezialität des Hypothekenbankengesetzes damit ausgehöhlt wird und weil möglicherweise auch die Rechte der freien Aktionäre der Hypothekenbanken beeinträchtigt werden.Dem füge ich hinzu: Die Konsolidierung der Hypothekenbanken kann die Unabhängigkeit dieser Institute gefährden. Die Gefahr, daß die Hypothekenbanken über kurz oder lang voll in die Konzernstruktur ihrer Muttergesellschaften einbezogen würden, ist nicht von der Hand zu weisen. Die Konzentration im Bankensektor würde gefördert. Letztlich könnte die Struktur des Bankensystems verändert werden, wobei Auswirkungen auf andere Spezialkreditinstitute wie die Bausparkassen nicht ausbleiben könnten.Hinzu kommt, daß die bei der Konsolidierung der Hypothekenbanken anzuwendende Berechnungsmethode umstritten ist. Darauf hat Herr Kreile bereits hingewiesen. Der Bundesrat geht beispielsweise von einem Verfahren aus, das statt des von der Bundesregierung ermittelten Konsolidierungsbedarfs von 21,5 Milliarden DM nur zu einem Konsolidierungsbedarf von 4,6 Milliarden DM führt. Dies würde eine Konsolidierung sozusagen vernachlässigenswert erscheinen lassen.
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5274 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 73. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 6. Juni 1984
Dr. SolmsDas Debakel der SMH-Bank, die zu hohe Kredite an einen einzelnen Kreditnehmer gegeben hatte, ist ein weiterer, neu hinzugekommener Anlaß für die KWG-Novelle. Es hat sich gezeigt, daß die Grenze für Großkredite an einzelne Kreditnehmer von zur Zeit 75 % des Eigenkapitals herabgesetzt werden muß. Es soll dabei auch sichergestellt werden, daß sich Großkreditnehmer nicht durch Aufspaltung der Kredite auf verschiedene Konzerngesellschaften der Überwachung entziehen können.Die Frage aber, was unter Eigenkapital zu verstehen ist, gehört zu den insbesondere politisch — auch in diesem Hause — umstrittenen Punkten. Nur haftende und im Bedarfsfall auch _verfügbare Mittel sollten als Eigenkapital anerkannt werden. Deswegen hat es die FDP — im Unterschied zu den anderen Fraktionen — von Anfang an abgelehnt, den Sparkassen einen Zuschlag zum Eigenkapital, den sogenannten Haftungszuschlag, einzuräumen. Die Begründung dieser Forderung, hinter den Sparkassen stünden die Kommunen, die im Ernstfall für ihre Sparkassen einträten, ist nicht akzeptabel.
Letztlich wäre es der Steuerzahler, der für die Geschäftspolitik der Sparkassen einzustehen hätte.Es ist auch ein Widerspruch, einerseits über die schlechte Finanzsituation der Gemeinden zu klagen,
andererseits aber den Gemeinden erhöhte Risiken aufbürden zu wollen, die bei Einführung eines Haftungszuschlages eintreten würden.
Auch im Falle des seit 50 Jahren bestehenden Haftsummenzuschlags der Genossenschaften sieht die FDP-Fraktion keinen gesetzgeberischen Handlungsbedarf. Diese Form des Eigenkapitals, die der persönlichen Haftungsverpflichtung des einzelnen Genossen Rechnung trägt, entspricht dem Genossenschaftsgedanken: Einer für alle, alle für einen.
Auf Grund der großen Zahl der Genossen und der klaren Begrenzung ihrer Haftung ist das Risiko breit gestreut. Damit ist gewährleistet, daß die Haftsumme im Bedarfsfall auch tatsächlich zur Verfügung steht. Es ist ein Unterschied, ob ein Bürger freiwillig Mitglied einer Genossenschaft wird und freiwillig der Nachschußpflicht zustimmt oder ob ein Bürger gewissermaßen in die Haftung der Gemeinden für ihre Sparkassen „hineingeboren" wird.
Auch das nachrangige Haftkapital kann nicht als Eigenkapital anerkannt werden, denn es nimmt nicht am Verlust teil und muß in Verlustjahren sogar bedient werden. Dagegen bleibt im Ausschuß zu prüfen, ob das jetzt in die Diskussion eingebrachteGenußscheinkapital so ausgestaltet werden kann, daß es den Kriterien für Eigenkapital genügt. Anerkennungsfähiges Genußscheinkapital muß voll haften, dauerhaft verfügbar sein, am laufenden Verlust teilnehmen. Darüber hinaus muß es von Bankgesellschaften aller Rechtsformen eingesetzt werden können.Abschließend möchte ich noch betonen: Bei diesem Gesetzentwurf muß vor der Illusion gewarnt werden, man könne durch allzu strenge Vorschriften und allzu strenge perfektionistische Mitteilungs-, Kontroll- und Überwachungsbestimmungen jegliche Risiken des Kreditgeschäftes ausschließen. Die Verantwortung für den Erfolg einer Bank muß nach wie vor bei ihrer Geschäftsführung liegen. Eine allzu kleinliche bürokratische Kontrolle darf die Geschäftstätigkeit der Banken nicht einengen. Andernfalls könnten die Banken ihre volkswirtschaftliche Finanzierungsfunktion nicht mehr angemessen erfüllen.Diese Koalition ist angetreten mit der Aufgabe, die Bürokratie und den Staat insgesamt zurückzudrängen und dem Bürger mehr freien Entscheidungsspielraum zu lassen, dies auch in der Wirtschaft. Diesem Ziel wird sie auch bei der Beratung des Kreditwesengesetzes dienen.Danke schön.
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen zu diesem Tagesordnungspunkt nicht mehr vor. Ich schließe deshalb die Aussprache. Der Ältestenrat schlägt vor, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 10/1441 zur federführenden Beratung an den Finanzausschuß, zur Mitberatung an den Ausschuß für Wirtschaft sowie zur Beratung gemäß § 96 unserer Geschäftsordnung an den Haushaltsausschuß zu überweisen. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? — Das ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.Ich rufe Tagesordnungspunkt 4 auf:Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft zu dem Antrag der Abgeordneten Wissmann, Hauser (Krefeld), Kraus, Doss, Dr. Lippold, Dr. Lammert, Lattmann, Dr. Schwörer, Müller (Wadern), Dr. Freiherr Spies von Büllesheim, Dr. Unland, Niegel, Gerstein, Pfeffermann, Lenzer, Seesing, Günther, Krey, Dr. Bugl, Dr. Hoffacker, Eigen, Dr. Möller, Dr. Müller, Kroll-Schlüter, Tillmann, -Weiß, Haungs, Hinsken, Frau Krone-Appuhn, Frau Geiger, Frau Will-Feld, Frau Verhülsdonk, Wilz, Bohl, Dr. Olderog, Sauter (Ichenhausen), Berger, Dr. Götz, Dr. Hornhues, Pohlmann, Magin, Dr. Schroeder (Freiburg), Hedrich, Uldall, Jung (Lörrach), Dr. Stavenhagen, Dr. Friedmann, Dr. Laufs, Schwarz, Sauer (Stuttgart), Dr. Kunz (Weiden), Linsmeier und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Dr. Solms, Dr. Haussmann, Gattermann, Grünbeck, Hoffie, Wurbs,
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 73. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 6. Juni 1984 5275
Vizepräsident WestphalDr. Weng, Dr.-Ing. Laermann, Dr. Feldmann und der Fraktion der FDPFörderung der Bildung von Risikokapital — Drucksachen 10/918, 10/1315 —Berichterstatter: Abgeordneter WissmannMeine Damen und Herren, im Ältestenrat ist für die Aussprache eine Runde vereinbart worden. Erhebt sich dazu Widerspruch? — Das ist so beschlossen. Wird das Wort zur Berichterstattung gewünscht? — Das ist nicht der Fall.Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Lattmann.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Antrag der Koalitionsfraktionen „Förderung der Bildung und Risikokapital" zielt auf einen Bereich, der wichtiger Teil einer für unsere gesamtwirtschaftliche Entwicklung gravierenden Frage geworden ist. Das zentrale Thema, in das der Teilaspekt Risikokapital eingebettet ist, lautet: Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft mit dem Ziel der Förderung von Wachstum und Beschäftigung. Dieses Ziel konnte in den vergangenen Jahren auf Grund fundamentaler wirtschaftlicher Fehlentwicklungen zunehmend weniger erreicht werden. So ist die Investitionsschwäche der deutschen Wirtschaft erklatant. In der verarbeitenden Industrie, in der ein Drittel aller Erwerbstätigen beschäftigt ist, lag das Investitionsvolumen 1982 um 21 % unter dem Niveau von 1970. Andere Betriebe und Bereiche weisen einen ähnlichen Abwärtstrend auf. Die Folgen zeigen sich nicht nur auf der Angebots-, sondern noch deutlicher auch auf der Nachfrageseite. Untersucht man diese in ihren drei Komponenten, Konsum, Investitionen und Export, so ist der entscheidende Einbruch der letzten Jahre bei den Investitionen festzustellen. Diese Entwicklung hat die derzeitige Massenarbeitslosigkeit zu einem erheblichen Teil verursacht. Ihre Überwindung ist deshalb unverzichtbare Voraussetzung für die Lösung unserer Beschäftigungsprobleme.Diesem Bestreben wirken nach wie vor verschiedene Faktoren entgegen. So setzen Investitionsentscheidungen neben einer bestimmten Gewinnerwartung zunächst einmal die Fähigkeit voraus, sie zu finanzieren. Die beiden möglichen Finanzierungsquellen sind jedoch in der gegenwärtigen Situation nicht ausreichend oder nicht ausreichend rentabel zu erschließen. Bei der Fremdfinanzierung steht das hohe Zinsniveau, aber oft auch die sich dadurch weiter verschlechternde Struktur der Kapitalausstattung in Richtung einer Überschuldung entgegen. Eigenkapital steht demgegenüber nicht im nötigen Umfang zur Verfügung.Der Eigenkapitalanteil deutscher Firmen ist im letzten Jahrzehnt rapide gesunken. Das schreckt Betriebe in wirtschaftlich schwierigen Zeiten von der Übernahme neuer Risiken ab. Ursächlich fürdiesen Eigenkapitalrückgang ist eine ständig abnehmende Rendite bei erhöhtem Risiko.
So ist beispielsweise der Ertrag aus Geldvermögen bei weitaus geringerem Risiko höher als der aus produktiven Anlagen in Unternehmen.
Neben der augenblicklichen Zinshöhe hat dazu eine Besteuerungspraxis erheblich beigetragen, die das Eigenkapital von Unternehmen zum am höchsten besteuerten Kapital werden ließ.
Dadurch wurden und werden weiterhin Gelder, die auch im Inland nach wie vor ausreichend vorhanden sind, in die falsche Richtung geleitet.Unser Antrag, meine Damen und Herren, ist ein Schritt — allerdings ein sehr wichtiger —, der uns der sicher unbestritten notwendigen Veränderung— d. h. in diesem Fall: nachhaltigen Verbesserung— näherbringt.
Meine Damen und Herren, Eigenkapital, Risikokapital: Neuerdings wird auch bei uns sehr viel von Venture-Capital gesprochen. Man hat gelegentlich den Eindruck, die Leute denken dabei an „adventure". Mit Abenteuer hat dies allerdings sehr wenig zu tun, mit Risikobereitschaft dagegen eine ganze Menge. Zur begrifflichen Klärung ist deshalb darauf hinzuweisen, daß jede Form von Eigenkapital risikobehaftet ist, also Risikokapital darstellt.Im vorliegenden Antrag geht es allerdings schwerpunktmäßig um jene Bereiche, in denen mit Erfindergeist und Mut Zukunftstechnologien entwickelt und vorangetrieben werden. Oft handelt es sich dabei um junge Leute, um Kleinunternehmer, die zwar brillante Ideen, aber nicht das nötige Kapital zu ihrer Realisierung haben. Diese Ideen brauchen wir allerdings dringend, wenn wir den Anschluß an die Weltspitze halten wollen. Wer — wie wir — und ein Drittel aller Güter, die produziert werden, exportieren muß, hat nur dann eine Chance, wettbewerbsfähig zu bleiben, wenn er auch in Zukunft hochveredelte Produkte herstellen kann.Die Wettbewerbsfähigkeit im Exportgeschäft ist eine Schlüsselgröße für die deutsche Wirtschaft. Die wirtschaftliche Aktivität in unserem Lande wird vom Auslandsgeschäft entscheidend mitbestimmt.
Die wichtigsten Exportindustrien in Deutschland stellen zugleich den Kern der deutschen Wirtschaft dar. Dieser Bereich beschäftigt eine große Zahl von Arbeitnehmern. Beträchtliche Investitionen werden hier getätigt, um technologischen Weiter- und Neuentwicklungen zum Durchbruch zu verhelfen. Wenn die deutsche Exportwirtschaft nicht mehr wettbewerbsfähig wäre, hätte das nicht nur Nachteile für die Zahlungsbilanz und den Wechselkurs der D-Mark, sondern auch das reale Einkommen und
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Lattmannder Lebensstandard unserer Bevölkerung könnten nicht auf diesem hohen Niveau gehalten werden.
Kritisch in diesem Zusammenhang ist die Entwicklung beim Export von Spitzentechnologien.
Hier hat die Bundesrepublik Deutschland nach dem Geschäftsbericht der Deutschen Bundesbank gegenüber den Hauptkonkurrenten an Boden verloren. Der deutsche Anteil der sechs wichtigsten Lieferländer, USA, Japan, Großbritannien, Frankreich, Schweiz und Bundesrepublik, am Export von Datenverarbeitungsanlagen, Nachrichtentechnik, Elektronenröhren, Meß- und Prüfinstrumenten sowie medizinischen Geräten ist von 26 % im Jahre 1972 auf 17 % im Jahre 1983 zurückgegangen. Hier handelt es sich um Güter, bei denen in den nächsten Jahren Konkurrenz von seiten der Schwellenländer noch nicht zu befürchten ist. Damit könnte also ein Ausgleich für die wachsende Konkurrenz bei alten Industrieprodukten geschaffen werden. Leider ist hier bereits einiges versäumt worden, wie der bereits zitierte Bericht der Bundesbank ausweist.Auch die deutschen wirtschaftswissenschaftlichen Institute bescheinigen in ihren jüngsten Strukturberichten der deutschen Wirtschaft, daß sie bei der Bewältigung des notwendigen Strukturwandels nicht genügend vorangekommen sei. Auf Märkten für neue Technologien haben ihrer Ansicht nach häufig andere die Nase vorn. Die Institute diagnostizieren eine im internationalen Vergleich schwache deutsche Position in Schlüsseltechnologien.Selbst der SPD ist dieser Rückstand nicht verborgen geblieben. Da stellte der Kollege Roth in der Debatte um den jüngsten Jahreswirtschaftsbericht, an die CDU/CSU gewandt, folgende kluge Frage: Meine Damen und Herren, merken Sie bei Ihren Industriebesuchen im In- und Ausland nicht, daß wir in einzelnen Sektoren wie etwa in der Mikroelektronik, der Bio- und Gentechnologie bereits zurückliegen? — Man kann dem Kollegen Roth nur sagen: Doch, wir merken das wohl, aber wir merken auch die Methode, die hinter dieser Fragestellung steckt: Das Haus anstecken und anschließend die Feuerwehr beschimpfen, weil es mit dem Löschen nicht schnell genug vorangeht.
Meine Damen und Herren, daß dieser technologische Rückstand nicht in den letzten zwei Jahren entstanden ist, sondern eine längere Geschichte hat, nämlich eine sozialdemokratische, muß wohl nicht näher erläutert werden.
Es ist schon eine ziemliche Unverfrorenheit, wie auch hier die Ergebnisse von 13 Jahren SPD-Politik anderen in die Schuhe geschoben werden sollen.
Die SPD hat die ordnungspolitischen Rahmenbedingungen so gesetzt, daß eine Risikoscheu undeine Vollkaskomentalität in Deutschland entstanden sind. Sie hat die Belastbarkeit der Wirtschaft ausprobiert und damit vor allem bei jungen Leuten eine Mentalität erzeugt, die eine Erwartungshaltung gegenüber staatlichen Institutionen hervorgebracht hat, welche dann nicht erfüllt werden konnte. Sie hat bei all ihren Reformen versäumt, die Bereitschaft zum Risiko, zur Eigeninitiative, zur Kreativität, zum selbständigen Unternehmertum zu fördern. Den Antrag der Koalitionsfraktionen zum Risikokapital und die Debatte heute müßte es gar nicht geben, wenn Sie diese Dimension frühzeitig erkannt hätten.
Die SPD hat in ihrer Regierungsverantwortung auf diesem Gebiet schlichtweg geschlafen. Oder waren es ideologische Motive, die sie davon abhielten, auf diesem Gebiet tätig zu werden?
Mißerfolge dürfen wir uns in diesem Bereich nicht weiter erlauben, da sie sich auf die Gesamtwirtschaft und damit auch auf die Beschäftigungslage nachhaltig schlecht auswirken würden.Wir stehen heute in der Weltwirtschaft mitten in der Phase eines technologischen Umbruchs. Wenn wir dabei unsere Wettbewerbsposition nicht verschlechtern wollen, müssen ausreichende Wirtschaftserträge gesichert und muß dafür gesorgt werden, daß sich Risiken wieder lohnen, daß Risiken, die zu einer Modernisierung führen, auch zukünftig wieder lohnend für die Wirtschaft sind.In den Vereinigten Staaten sind dazu eine Reihe von positiven Beispielen gesetzt worden. Wir wollen sie sicherlich nicht kopieren, wie einige Kritiker sagen. Wir dürfen aber auch nicht übersehen, daß es auch bei uns einen zusätzlichen Finanzierungsbedarf gibt, der durch die bisherigen Möglichkeiten nicht abgedeckt ist.Die Koalitionsfraktionen haben durch den Antrag zur Förderung der Bildung von Risikokapital verdeutlicht, daß es gilt, die steuerlichen und rechtlichen Rahmenbedingungen zu verändern. Es gilt besonders, für diesen Bereich die ordnungspolitischen Gesichtspunkte wieder stärker zum Tragen zu bringen. Es gilt, die Mentalität zu ändern und nicht länger Mittel in passive Kapitalanlagen zu leiten.Die wichtigste Voraussetzung für das Funktionieren eines Risikokapitalmarktes ist die Synchronisation von Geld und Markt. Risikokapitalbeteiligungsgesellschaften haben dabei die Aufgabe, jungen Unternehmen in den Bereichen Marketing, Management, Finanzierung und Strategie zu helfen. Junge Unternehmen benötigen Unterstützung bei der Markteinführung und beim Verkauf.
Häufig fehlen den Unternehmen die notwendigen Fachkräfte. Die Entwicklung von Finanzplänen, der Zugang zu Förderprogrammen und die notwendige Vorbereitung für Börseneinführung oder für Beteiligungskäufe bzw. -verkäufe können oft auch nicht
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Lattmanngeleistet werden. Sehr vielen Unternehmen mangelt es an einer langfristigen Strategie, die ihre Ressourcen gezielt einsetzt und rechtzeitig bestehende Produkte weiter- oder neue Produkte entwickelt. Risikokapitalbeteiligungsgesellschaften übernehmen sehr viel Verantwortung, wenn sie durch eine Außenfinanzierung Unternehmen Kapital zur Verfügung stellen. Es ist daher schon heute abzusehen, daß nur jene Gesellschaften erfolgreich sein können, die mehr als Kapital anzubieten haben.Im Interesse aller ist es schließlich, wenn Unternehmen, die nachhaltige Erfolge vorweisen und gewisse Größenordnungen erreicht haben, den Weg zur Börse finden. Dies ist ein Schwerpunkt unseres Antrages. Die Aktiengesellschaft ist eine geeignete Rechtsform zur Aufnahme von Eigenkapital auf breiter Basis.Die Koalitionsfraktionen haben die Bundesregierung gebeten, die geeigneten Maßnahmen zu ergreifen, um die Bereitstellung von Risikokapital zu verbessern. Um aber auch dies ganz deutlich zu sagen: Bei allem, was am Ende dabei vorgeschlagen wird, haben wir darauf zu achten, daß keine neue Subventionsrunde eröffnet wird. Nicht die Milderung des Risikos oder gar dessen Übernahme ist unser Ziel; vielmehr wollen wir jenen, die risiko-und leistungsbereit sind, Wege eröffnen, auf denen sie sich entfalten können.
Alles übrige müssen dann die am Wirtschaftsprozeß Beteiligten selbst leisten. Dazu gibt es hervorragende Beispiele. Ich erinnere an das Modell, das in diesen Tagen in der Presse erwähnt worden ist, das die Siemens AG praktiziert. Man kann alle nur herzlich einladen, dieses Modell aufzugreifen und selbst zu übernehmen. Ich bin davon überzeugt, daß solche Privatinitiativen in dem Rahmen, den wir zu schaffen haben, dem Ziel wesentlich näherkommen als staatlich gesteuerte Maßnahmen.Unser Antrag, meine Damen und Herren, liefert kein Patentrezept. Ich habe eingangs schon darauf hingewiesen, daß er nur auf einen allerdings wichtigen Teilaspekt zielt. Andere wichtige Probleme in diesem Bereich bleiben. Die CDU/CSU wird dafür sorgen, daß wir auch diesen anderen Aspekten die notwendige Aufmerksamkeit widmen. Unser Antrag erhebt auch keinen Anspruch auf Vollständigkeit; er ist vielmehr erweiterungsfähig. Die Opposition bleibt hier zur Mitwirkung herzlich eingeladen. Wenn man allerdings Ihre jüngsten wirtschaftspolitischen Vorstellungen hört oder liest, muß man befürchten, daß Ihnen auch zukünftig dazu nicht allzuviel Vernünftiges einfällt. Das unterscheidet Sie nicht nur von uns, sondern zum Glück auch von der Mehrheit unserer Bevölkerung.Insgesamt kann man schon heute bei uns eine Veränderung des Bewußtseins gegenüber den Herausforderungen der Zukunft erkennen. Der Pessimismus, der von der Opposition jahrelang verbreitet wurde, ist gebrochen. Wir können von einer Belebung der Investitionskraft, der Innovationskraft, der Kreativität und des Selbständigsein sprechen. Diese positiven Ansatzpunkte werden wir weiterverstärken, um neue Arbeitsplätze zu schaffen, die wir benötigen, um unseren arbeitslosen Mitbürgern neue Perspektiven zu geben.Herzlichen Dank.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Jens.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! In vielen Punkten konnte ich dem Kollegen Lattmann zustimmen, aber einmal ist er doch etwas ausgerutscht. Sie haben massiv Geschichtsklitterung betrieben, als Sie die Sozialdemokraten annahmen.
Herr Kollege Lattmann, ich will Ihnen nicht zu nahe treten, aber ich habe fast das Gefühl, daß hier im Raum sehr viele sitzen, die vor einem Jahr das Wort Venture-Capital überhaupt noch nicht kannten. Bis 1979 war die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft wirklich hervorragend. Wir hatten eine Arbeitslosenzahl von einer Million, die aus unserer Sicht noch zu hoch war. Mittlerweile haben wir 2,2 Millionen Arbeitslose, Herr Kollege Lattmann,
und an diesem Punkt müßten Sie wirklich ansetzen.Schließlich hatten wir seinerzeit ein Programm zur Förderung der Mikroelektronik ausgearbeitet, und dieses Programm ist lange am Widerstand der FDP gescheitert, bis es schließlich doch durchgesetzt wurde. Gerade die Sozialdemokraten wollten auf diesem Feld aktiv werden. Das haben Sie offenbar vergessen.Meine sehr verehrten Damen und Herren, das Thema Risikokapital ist ja ein sehr sprödes und trockenes Thema. Ich sehe auch, der Plenarsaal hat sich mittlerweile völlig geleert.Lassen Sie mich aber zunächst drei Punkte festhalten, die unser Thema fixieren sollen. Keiner sollte glauben, ein wenig mehr oder weniger Risikokapital löse unsere wirtschaftlichen Probleme. Das wäre völlig falsch. Das Thema, um das es bei Ihrem Antrag heute hier eigentlich geht, muß lauten: Wie lenken wir unsere Kapitalströme in der Volkswirtschaft in produktivere Bereiche?
Und schließlich: Fast alle aktuellen wirtschaftlichen Übel resultieren augenblicklich aus den viel zu hohen Zinsen auf dem Kapitalmarkt. Ohne eine massive Zinssenkung auf dem Kapitalmarkt gibt es unter Ihrer Ägide keine Gesundung unserer deutschen Wirtschaft.
— Darauf komme ich gleich noch zu sprechen, Herr Kollege Unland.
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5278 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 73. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 6. Juni 1984
Dr. JensLassen Sie mich ein paar Sätze zum Thema Risikokapital sagen.Wir sind ja hier nicht in einem betriebswirtschaftlichen Seminar. Deshalb will ich auch nicht die Unterschiede zwischen Eigenkapital, Risikokapital und Venture-Capital darlegen. Ich will nur soviel sagen: Ich kenne Unternehmen mit nur 5 % Eigenkapital, die aber dennoch erhebliche wirtschaftliche Leistungen vollbringen, und ich kenne andererseits Unternehmen mit 50 % Eigenkapitalausstattung, die wirklich keine wirtschaftliche Zukunft haben. An der Eigenkapitalausstattung liegt es nun wirklich nicht immer.
Mit besonders viel Risiken sind zur Zeit ganz zweifellos die Kapitalien behaftet, die die Banken in den Entwicklungsländern angelegt haben. Diese Gelder dort haben besonders viele Risiken. Im Vergleich dazu ist aus meiner Sicht die Finanzierung einer technologieorientierten Neuerung durch eine Bank nahezu ein todsicheres Geschäft.
Bei der heutigen Diskussion geht es um die Idee des Venture-Capital, die aus den USA zu uns herübergekommen ist. Dieses Chancenkapital — so würde ich es lieber nennen — soll kleinen und mittleren Unternehmen in einer Anlaufphase zukunftsträchtige Entwicklungen ermöglichen. Mit der Kapitalhingabe ist ferner zwingend Managementberatung und Marketinghilfe verbunden.
Wenn das Projekt erfolgreich ist, soll das Chancenkapital durch Aktienverkauf an der Börse und damit durch Eigenkapital von außen für das Unternehmen abgelöst werden.Die Sozialdemokraten sind der Meinung, daß die Eigenkapitalausstattung vor allem der kleinen und mittleren Unternehmen im allgemeinen zu gering ist.
Aber es gibt sehr viele Gründe dafür, daß das so ist. Ein Grund dafür ist z. B. die Steuergesetzgebung, die einbehaltene und ausgeschüttete Gewinne gleich belastet. Das war früher einmal anders. Z. B. wurde durch die Gewerbesteuerreform das Fremdkapital zusätzlich verbilligt, was wiederum dazu führt, daß die Unternehmer eher Fremdkapital anlegen, wie selbst der Sachverständigenrat festgestellt hatte. Hinzu kommt der außerordentlich hohe Realzins für Anlagen auf dem Kapitalmarkt. Es gibt eben etliche Gründe, die dazu führen, daß die Eigenkapitalausstattung der deutschen Unternehmen so gering ist, wie sie ist.Zum Thema Fehllenkung der Kapitalströme. Zunächst muß festgehalten werden: Richtig an dem CDU-Antrag ist, daß es sich um einen Prüfungsauftrag handelt. Das ist das eigentlich Positive. Prüfen kann man schließlich alles. Einige Punkte werden aber auch von uns unterstützt, wie z. B. die Eröffnung einer Möglichkeit für Versicherungen und Kapitalsammelstellen, Chancenkapital zur Verfügung zu stellen, die Hilfe der öffentlichen Hand bei der Schaffung von Innovations- und Gründerzentren, Reform des Börsenmarktes und besserer Technologietransfer zwischen Wissenschaft und Wirtschaft. Das ist alles richtig. Grundlegend falsch an dem Antrag ist dagegen, daß er erneut Subventionstatbestände beinhaltet und ankündigt.
Das geht nun wirklich nicht. Ich habe überhaupt kein Verständnis für das Petitum des Bundesverbandes der Deutschen Industrie, das uns heute auf den Tisch gelegt worden ist, in dem einmal mehr drinsteht, wir sollten die Unternehmensteuern generell weiter senken. Auch wir haben auf diesem Felde schon etwas getan. Aber zu einer generellen Senkung der Unternehmensteuern kann ich nur sagen: Nun hört mal langsam damit auf! Tatsache ist doch, daß in den letzten beiden Jahren die Gewinne — statistisch einwandfrei festgestellt — überdurchschnittlich stark gestiegen sind, und Tatsache ist doch: Wenn eine Steuer gestiegen ist, dann ist es die Lohnsteuer. Wenn man irgendwo Steuern senken muß, dann muß man in der Tat bei den kleinen und mittleren Lohnsteuerzahlern senken.
Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion hat zu dem Thema Chancenkapital eine ganztägige Anhörung durchgeführt. Dabei sind verschiedene Erkenntnisse deutlich geworden, die ich der Regierungskoalition nicht vorenthalten möchte.Erstens. Kapital, auch Kapital für Beteiligungen an Unternehmen — so meinen wenigstens die Sachverständigen —, ist in der Bundesrepublik im Grunde genug vorhanden. Worauf es vor allem ankommt, ist, die steuerliche Fehlleitung von Kapitalströmen in weniger produktive Bereiche zu stoppen. Das heißt in erster Linie eben Abschaffung der Steuervorteile für Bauherren- und Erwerbermodelle sowie für Abschreibungsgesellschaften. Darauf kommt es an.
— Was Sie nicht ausreichend gemacht haben, was Sie verstärkt weitermachen müssen. Das ist aber mittlerweile auch wirklich ein Ding, das abgeschafft werden muß, weil einfach kein sinnvoller Bedarf mehr dafür vorhanden ist. Der Bedarf ist befriedigt, auch dank unserer Politik.
Wenn nur ein Viertel der von unseren Bürgern gehaltenen Geldvermögensbestände den Weg in Unternehmensbeteiligungen fände — nur ein Viertel! —, dann stiege die durchschnittliche Eigenkapitalquote der deutschen Unternehmen von 20 auf 50 %.Zweitens. Ein weiteres Problem für unsere ungenügende Investitionstätigkeit in zukunftsträchtigen Bereichen liegt in der aus meiner Sicht — ich möchte es so sagen — Vollkaskomentalität vieler Unternehmer. In unserer Wirtschaft zeigt sich seit
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Dr. Jenslangem kein Mut zum Risiko mehr. Wer Unternehmer ist, will keinem Außenstehenden Mitspracherechte bei Investitionsentscheidungen einräumen. Das ist aber zwingend notwendig bei der Idee des Chancenkapitals. Um mit Schumpeter zu sprechen: Wir haben leider zu wenige Unternehmer, und wir haben zu viele Wirte.Drittens. Die Banken haben mehr Interese an gesicherter Kreditvergabe als an Beteiligungen, etwa durch Aktien. Die Banken sind auch nicht bereit, jungen Unternehmern Kredite zu geben, die keine dinglichen Sicherheiten haben. Warum sollten sie auch? Die starke Machtkonzentration in diesem Wirtschaftsbereich hat ihnen bisher fast risikolos hohe Gewinne beschert. Durch die Novelle zum Kreditwesengesetz, über die wir eben schon debattiert haben, will diese Regierung die Machtballung der Banken auch noch weiter stärken. Dabei wären eine schärfere Kontrolle durch die Bundesbank und mehr Wettbewerb das Gebot unserer Zeit.
Viertens. Zwar haben sich in der letzten Zeit einige Unternehmer an die Börse gewagt. Aber die Banken haben für diese Börseneinführung noch immer ein Monopol. Nur zwei Kreditinstitute sind in der Bundesrepublik mit diesem schwierigen Geschäft der Börseneinführung befaßt. Ein Unternehmen, das an die Börse will, ist auf Gedeih und Verderb auf diese Institute angewiesen. Auch andere Kreditinstitute sollten und müßten sich an diesem Geschäft beteiligen. Die Monopolsituation müßte jedenfalls schnellstens durchbrochen werden.Fünftens. Um die Umlenkung der Kapitalströme zu erreichen, ist ferner die Reform des Börsenmarktes längst überfällig. Hierfür ist eine Novelle des Börsengesetzes notwendig, die leider immer noch nicht — trotz mittlerweile einjähriger Debatte — auf dem Tisch liegt. Wer wirklich etwas mehr Chancenkapital im amerikanischen Sinne will, muß die Möglichkeiten verbessern, aus dem Engagement schnell wieder auszusteigen.Erlauben Sie mir, noch auf eine positive Entwicklung hinzuweisen — der Kollege Lattmann hat sie schon angesprochen —: Ich meine das Experiment von Siemens. Siemens versucht, „spin-offs" in die Welt zu setzen, indem es junge, dynamische Angestellte mit guten Ideen entläßt, ihnen auch noch Kapital gibt und sagt: Nun macht mal selbst. Das ist positiv, das muß herausgestellt werden, und das sollten andere Unternehmen auch nachahmen.
Außerdem hat die Kreditanstalt für Wiederaufbau sogenannte Innovationskredite zu günstigen Zinsen zur Verfügung gestellt. Für einige Millionen D-Mark sind bereits Kredite vergeben worden, und zwar an junge Unternehmer, die keine dinglichen Sicherheiten haben, sondern nur Ideen liefern können. Solche Innovationskredite sollten meines Erachtens in noch größerem Umfange bereitgestellt werden. Wir Sozialdemokraten würden jedenfalls dafür sorgen.Da wir aber immer noch bei der Kapitalfehllenkung sind, noch zwei Punkte, die vom Antrag der CDU ebenfalls nicht erfaßt werden, weil er mit heißer Nadel genäht worden ist. Es geht uns Sozialdemokraten, wie bekannt, auch um die Beteiligung der Arbeitnehmer am Produktivvermögen. Das letzte Vermögensbildungsgesetz, das nur die betriebliche Vermögensbildung vorsieht, mußte heute schon als Fehlschlag bezeichnet werden. Bei der betrieblichen Vermögensbildung — und das hatten wir Sozialdemokraten immer kritisiert — werden den Arbeitnehmern einmal das Arbeitsplatz- und zusätzlich auch noch ein Vermögensrisiko aufgebürdet, und das geht nicht. Wer die Beteiligung am Produktivvermögen auf breite Basis stellen will, muß die sozialdemokratische Forderung nach der Möglichkeit einer überbetrieblichen Beteiligung unterstützen. Nur dann besteht die Chance, daß die Gewerkschaften dies aufgreifen und die Beteiligung der Arbeitnehmer am Produktivvermögen wirklich angenommen wird.Ferner sind die von uns eingeführten Programme für Existenzgründung, Eigenkapitalverbesserung und für technologieorientierte Unternehmen bisher mit gutem Erfolg angelaufen. Eine Neugründung schafft im allgemeinen vier bis fünf Arbeitsplätze. Diese direkten Hilfen sind wesentlich effektiver und billiger als eine allgemeine Steuersenkung. Eine Aufstockung dieser Programme wäre deshalb angebracht.Man sollte außerdem überlegen, ob risikoreiche Unternehmensgründungen nicht durch eine gewinnabhängige Verzinsung noch besser gefördert werden könnten. In der Anlaufphase bei anfallenden Verlusten würden dann keine Zinszahlungen für die jungen Unternehmer anfallen.Zum Schluß komme ich zum dritten Komplex, zum Thema Kapitalmarktzins. Darüber ist heute morgen schon viel gesprochen worden. Aber erlauben Sie mir noch einige zusätzliche Bemerkungen. Vor einem Jahr in Williamsburg hatte sich Präsident Reagan verpflichtet, die überhöhten Zinsen zu senken und das strukturelle Haushaltsdefizit in seinem Lande abzubauen. Passiert ist in diesem vergangenen Jahr genau das Gegenteil. Seit Williamsburg, wissen wir offenbar von den Regierungen in Bonn und in Washington, wird Politik vor allem durch Publicity ersetzt. Die Kapitalmarktzinsen in den USA sind jetzt real 5 % höher als bei uns, und weitere Steigerungen stehen unmittelbar bevor. Ich kann Herrn Professor Stolper nur zustimmen, der vor kurzem in der „Wirtschaftswoche" festgestellt hat: ohne Kürzung der Militärausgaben kann das Haushaltsdefizit in den USA nicht verringert werden, und das hohe Defizit in den USA führt zu steigender Inflation und zu höheren Zinsen.Das beste und dringendste Mittel zur nachhaltigen Belebung unserer Wirtschaft wäre also eine massive Senkung der Realzinsen in den USA und bei uns. Ein Unternehmer vergleicht, wenn er rational handelt, die zu erwartende Rendite aus einer Unternehmensinvestition mit der Kapitalmarktrendite. Deshalb mache ich einem Unternehmer überhaupt keinen Vorwurf, wenn er sein Geld jetzt mög-
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Dr. Jenslicherweise auf dem Kapitalmarkt anlegt. Er verdient damit mehr, er handelt ökonomisch rational. Die Schuld liegt in Amerika und im ideologisch verklemmten Monetarismus, der von vielen Notenbanken der westlichen Welt jetzt seit Jahren praktiziert wird.
Ich stimme Professor Schiller zu, der einmal mehr darauf hingewiesen hat: In einer Situation höchster Arbeitslosigkeit kann eine angebotsorientierte Politik nicht mit einer monetaristischen Geldpolitik verbunden werden.
— Hier müssen die Weichen neu gestellt werden, Herr Kollege Wissmann.Ich fasse zusammen. Um die Bildung von Chancenkapital zu fördern, wie es der CDU-Antrag beabsichtigt, ist primär folgendes notwendig. Erstens. Die Fehllenkung von Kapitalströmen muß sofort beseitigt werden. Zweitens. Es dürfen keine neuen Subventionstatbestände angekündigt werden, die nur zum berühmt-berüchtigten Attentismus verleiten. Drittens. Die überbetriebliche Beteiligung der Arbeitnehmer am Produktivvermögen ist einzuführen. Viertens. Zinssenkungen auf breiter Ebene sind nicht nur anzukündigen, sondern endlich durchzusetzen. Der Antrag der CDU zur Risikokapitalbildung ist leider zu oberflächlich, zuwenig durchdacht. Er fordert wieder neue Subventionen, die jedoch die Regierungsparteien eigentlich abschaffen wollten. Manches ist nicht falsch, aber vieles ist Effekthascherei.Wir Sozialdemokraten haben unsere Position noch einmal in einem gesonderten Antrag im Wirtschaftsausschuß vorgelegt. Wir halten diesen Antrag für zielgerechter und umfassender und müssen deshalb den Antrag der CDU leider ablehnen.Schönen Dank.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Solms.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Jens, ich freue mich ja, daß wir so weitgehend übereinstimmen in den Absichten, die Kapitalausstattung der Wirtschaft zu fördern und neue Unternehmen zu unterstützen. Ich habe bei der Aufzählung Ihrer Punkte eigentlich nicht festgestellt, daß in irgendeinem Punkt gegensätzliche Auffassungen vorhanden wären. Ich wundere mich nur, wo Sie in dem Entschließungsantrag der Koalitionsfraktionen eine Forderung zur Ausweitung von Subventionen finden. In diesem Antrag wird darauf besonderer Wert gelegt, daß keine neuen Subventionstatbestände geschaffen werden, ganz im Gegenteil, Subventionstatbestände sollen weiter reduziert werden, wie das bereits bei den Abschreibungsmodellen geschehen ist.Der Antrag der Koalitionsfraktionen zur Förderung von Risikokapital setzt an einer zentralen wirtschaftspolitischen Aufgabe an, nämlich der besseren Versorgung der Wirtschaft mit haftendem, mit Eigenkapital. Die Eigenkapitalausstattung der deutschen Unternehmen hat sich in den vergangenen 20 Jahren drastisch verschlechtert. Zu geringe Eigenmittel gefährden aber auch die Fähigkeit und die Bereitschaft der Betriebe zur Übernahme risikobehafteter Investitionen. Für Fehlschläge sind keine ausreichenden finanziellen Polster vorhanden. Gerade aber die Investitionen in Forschung und Entwicklung sind risikobehaftet. Sind sie unzureichend, gehen Dynamik und Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft verloren, der volkswirtschaftliche Strukturwandel, der ja von allen hier im Hause gefordert wird, verzögert sich, Arbeitsplätze werden gefährdet. Schwerwiegende Folgen für die Betriebe und die Volkswirtschaft insgesamt waren die Konsequenz. In Krisenzeiten fehlt kapitalschwachen Unternehmen die Widerstandskraft. Verlustphasen können sie nur eine begrenzte Zeit überstehen, dann müssen sie ihre Tore schließen. Jeweils 12 000 Konkurse in den Jahren 1982 und 1983 mit dem Verlust zahlloser Arbeitsplätze sprechen eine deutliche Sprache. Und diese Arbeitsplätze sind für immer verloren.Bei den kleinen und mittleren Unternehmen war der Rückgang der Eigenmittel stärker ausgeprägt als bei den Großbetrieben. Andererseits aber haben kleine und mittlere Betriebe bei den zukunftsorientierten Technologien besonders große Chancen. Sie sind in hohem Maße kreativ, flexibel und verfügen über eine hohe Innovationskraft. Vor allem sie können neue Arbeitsplätze schaffen. Wenn kleine und mittlere Unternehmen über eine mangelhafte Eigenkapitalversorgung klagen, ist dies also besonders mißlich und muß besonders beachtet werden.Der Koalitionsantrag will dazu beitragen, den Weg zu mehr Eigenmitteln zu ebnen. Mehr Risikokapital, das ist das Gebot der Stunde. Deshalb haben die Koalitionsfraktionen die Bundesregierung gebeten, kapitalmarktpolitische, steuerpolitische und andere Maßnahmen zur Verbesserung der Eigenkapitalausstattung zu prüfen, die vor allem kleinen und mittleren Betrieben zugute kommen sollen.Die kapitalmarktpolitischen Vorschläge zielen vor allem darauf ab, den Weg zur Rechtsform der Aktiengesellschaft gangbar zu machen. Diese Rechtsform ist in besonderem Maße geeignet, den Unternehmen Eigenkapital zuzuführen.Der Beitrag, den der Aktienmarkt bislang zur Unternehmensfinanzierung geleistet hat, ist mehr als bescheiden. In den vergangenen 15 Jahren deckte die Wirtschaft nur 5 % ihrer Außenfinanzierung über die Aktie. Im letzten Jahr lagen die Verhältnisse mit 7,5 % geringfügig besser; sie sind aber nach wie vor unbefriedigend.Die im Antrag geforderten Erleichterungen der Voraussetzungen des Zugangs für kleine und mittlere Unternehmen zum Börsenmarkt sollen die Bereitschaft der Unternehmen zum Gang an die Börse fördern. Die FDP empfindet ein bißchen Genugtu-
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Dr. Solmsung darüber, daß sich ihre Position hier offensichtlich durchgesetzt hat. Die FDP hatte von Anfang an Bedenken gegen die Schaffung des sogenannten Parallelmarktes, der j a ursprünglich von der Bärsensachverständigenkommission gefordert worden ist. Mit einem Parallelmarkt entstände neben dem Handel mit amtlichen Notierungen, dem geregelten Freiverkehr und dem Telefonverkehr ein vierter Markt, der die bestehende Struktur der Aktienmärkte eher verkompliziert hätte.Ausgehend von der Überlegung, daß es bei der Schaffung eines funktionsfähigen Aktienmarktes für kleine und mittlere Unternehmen darauf ankommt, in breiten Anlegerkreisen Vertrauen zu erzeugen, hat die FDP eine grundsätzliche Verbesserung des geregelten Freiverkehrs durch eine Reorganisation dieses Marktes vorgeschlagen. Dieser Auffassung hat sich nunmehr die Börsensachverständigenkommission angeschlossen. Die FDP bittet deshalb die Bundesregierung, die Reorganisation des geregelten Freiverkehrs gesetzgeberisch baldmöglichst umzusetzen. Der geregelte Freiverkehr sollte börsengesetzlich verankert und bundeseinheitlich ausgestaltet werden. Seine Publizität sollte verbessert werden, und dem Anleger sollte ein fester Anspruch auf Abrechnung eines Auftrages zu einem festen Kurs eingeräumt werden.Wir werden darauf zu achten haben, daß die Errichtung und Handhabung von Kapitalgesellschaften nicht von europäischer Seite her über Gebühr erschwert wird. Mit Sorge sieht die FDP-Fraktion den Entwurf eines Transformationsgesetzes zur Vierten EG-Richtlinie über die Rechnungslegung der Kapitalgesellschaften. Die Rechnungslegung dieser Gesellschaften darf nicht durch ein überzogenes Berichtswesen bürokratisch überfrachtet werden.Daneben werden wir auch zu verhindern haben, daß durch ein unausgeglichenes Nebeneinander von derzeitigem Recht und neuem EG-Recht die Praktizierbarkeit der GmbH oder AG erschwert wird. Dies gilt besonders für die durch diesen Gesetzentwurf für die GmbH erstmals einzuführenden und die für die AG erheblich zu steigernden Auskunftspflichten und die damit verbundenen erhöhten Prozeßrisiken bis hin zu strafrechtlichen Sanktionen.Wir sollten bei der Einführung der Vierten EG-Richtlinie in deutsches Recht darauf achten, daß das Aktienrecht handhabbarer als heute — gerade für kleine Unternehmen — werden wird. Solche extensiven Auskunftspflichten verleiten zu Mißbrauch durch Außenstehende und können eine Kapitalgesellschaft, entgegen aller guten Absicht, leicht zum Spielball fremdgerichteter Interessen machen. Ich erinnere an die Vorkommnisse, die bei Hauptversammlungen großer Aktiengesellschaften in den letzten Jahren auftraten.
— Nein. Weil eine kleine Gesellschaft nicht in derLage ist, sich mit so viel Fachwissen und so vielFachberatern zu versehen, um allen möglichen Auskunftspflichten und gezielten, von einzelnen unter Umständen böswillig gestellten Fragen gerecht werden zu können, wie das eine große Gesellschaft kann. Die kleine Gesellschaft hat eben ganz andere Probleme und Zusammenhänge. Sie muß mit wenigen, oft einer Handvoll Leuten das leisten, was in der Großgesellschaft viele Stäbe machen.
Erfreulich ist, daß die Versicherungswirtschaft nunmehr der aus der Politik kommenden Anregung, sich verstärkt auch im Risikokapital zu engagieren, aufgeschlossen gegenübersteht. Die dem Vernehmen nach in Aussicht stehende Gründung einer Kapitalbeteiligungs-AG der Lebensversicherer, deren Aufgabe Unternehmensbeteiligungen in Form von Aktien, GmbH- und Kommanditanteilen sein sollen, ist ein begrüßenswerter Schritt. Er betrifft zunächst allerdings nur das freie Vermögen der Versicherungsgesellschaften. Ziel sollte es sein, auch das gebundene Vermögen stärker als bisher in den Dienst der Eigenkapitalbildung der Unternehmen zu stellen. Deshalb hält es die FDP-Fraktion für sinnvoll, das Gesetz über Kapitalanlagegesellschaften und das Versicherungsaufsichtsgesetz so zu ändern, daß diesen Gesellschaften das Recht eingeräumt wird, Beteiligungen an Unternehmen zu erwerben, die nicht an der Börse gehandelt werden.Die kapitalmarktpolitischen Maßnahmen bedürfen allerdings einer steuerpolitischen Ergänzung. Es kann und darf dabei nicht um Subventionen gehen. Notwendig ist es vielmehr, steuerliche Hemmnisse der Eigenkapitalbildung abzubauen. Die Gesellschaftsteuer muß beseitigt werden; eine Steuer, die die Außenfinanzierung durch Eigenkapital belastet, können wir uns nicht länger leisten. Nachdem die EG-Kommission bereits ihre Bereitschaft zu einer entsprechenden Änderung der Kapitalverkehrsteuerrichtlinie signalisiert hat, sollte nun die Bundesregierung darauf dringen, daß die Abschaffung der Gesellschaftsteuer unverzüglich in Gang gesetzt werden kann.Für wünschenswert hält die FDP-Fraktion auch die volle Abzugsfähigkeit der Kosten für die Überwachung der Geschäftsführung. Es wäre paradox, einerseits die Überwachungsorgane gesetzlich vorzuschreiben, andererseits aber die Abzugsfähigkeit der Kosten für diese Überwachungsorgane nicht zuzulassen.
Die volle Abzugsfähigkeit der Aufsichtsratskosten wäre im übrigen eine sinnvolle Ergänzung der mit dem Steuerentlastungsgesetz 1984 bereits verabschiedeten Abzugsfähigkeit der Emissionskosten.
Eines allerdings darf nicht übersehen werden: Günstigere kapitalmarktpolitische Rahmenbedingungen und ein Abbau steuerlicher Hemmnisse bei der Eigenkapitalbeschaffung sind wichtig; allein
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Dr. Solmsreichen sie nicht aus. Unerläßlich ist es, daß die Unternehmen in ihrer Ertragskraft gestärkt werden. Die Risikokapitalbildung muß, wie im Antrag der Koalitionsfraktionen dargelegt, durch eine wesentliche und nachhaltige Verbesserung der ökonomischen Zusammenhänge zwischen Kosten und Ertrag verbessert werden. Die Verbesserung der Selbstfinanzierungskraft muß im Vordergrund stehen.
— Ich kann darauf nicht eingehen, weil ich eine sehr beschränkte Redezeit habe, wie Sie wissen.
Hierzu sind Kostenentlastungen auf breiter Basis möglich. Nicht zuletzt die Steuerpolitik muß die Unternehmen weiter stärken. Wir können es uns in Zukunft nicht leisten, daß die Erträge aus Investitionen, wie es heute in der Bundesrepublik der Fall ist, höher besteuert werden als die Erträgnisse aus allen anderen Anlagenformen, die wir haben. Das ist ein Paradoxon in einer Zeit, wo wir händeringend um zusätzliche Arbeitsplätze kämpfen.
Wir müssen also ein schlüssiges Gesamtkonzept für die Besteuerung der Unternehmen langfristig vorlegen. Die FDP wird sich dieser Aufgabe stellen.Abschließend möchte ich sagen — zurückkommend auf die Ausführungen von Herrn Jens —: Es geht dabei nicht allein um die Rahmendaten, die der Gesetzgeber stellen kann. Es geht darum, daß wir das Klima in der Bevölkerung, die Stimmung in der Bevölkerung dahin gehend beeinflussen, daß Investitionen, die Übernahme von Risiko, die Bereitschaft, unternehmerisch tätig zu werden, wieder positiv angesehen und nicht verurteilt wird.
Nur wenn es uns gelingt, ein positives Klima zu erzeugen, werden wir wieder junge, innovative, kreative Personen bewegen können, diese Aufgabe zu übernehmen; denn sie ist weiß Gott nicht einfach. Das kann ich Ihnen aus eigener Erfahrung sagen. Mit Programmen wie „Sondervermögen Arbeit und Umwelt" der SPD ist so etwas nicht zu leisten.
— Dann müßte auch von seiten der Opposition dieses Klima positiv unterstützt werden.Wer soll heute noch neue Arbeitsplätze schaffen, wenn nicht neue Unternehmen und die kleinen und mittleren Unternehmen? Die großen Unternehmen werden ihre Arbeitsmarktprobleme dadurch regeln können, daß sie sich ihres internationalen Verbundes bedienen. Wir sind hier in der Bundesrepublik angewiesen auf junge und neue Unternehmen. Wir müssen alles dazu tun, um die Leute, die diesen Schritt überlegen, zu ermutigen.Ich danke Ihnen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Burgmann.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn einige junge, dynamische Politiker das Wort „Venture-Capital" hören oder in den Mund nehmen, dann beginnen plötzlich ihre Augen zu glänzen.
Der Besuch einer Delegation des Wirtschaftsausschusses in den USA hat dann auch dazu geführt, daß diese Idee des Venture-Capital oder zu deutsch: des Risikokapitals nun auch als Erfolgsrezept für die Bundesrepublik entdeckt wurde und als Wachstumsspritze hier per Antrag eingebracht wurde. Dabei geht man von dem Kurzschluß aus, daß die deutschen Unternehmen zuwenig Eigenkapital haben und daß deshalb eine unzureichende Technologieentwicklung stattfinde und daß die Wachstumskrise und die Arbeitslosigkeit auf diese Entwicklung zurückzuführen seien. Und so will man nun den kranken Patienten mit einer Spritze gemischt aus Venture-Capital, High-Tech und der Dynamik junger Unternehmer wieder gesundmachen.High-Tech, das ist das zweite Reizwort, wo die Augen zu glänzen beginnen. Ich habe das selber recht gut beobachten können, als wir anläßlich der Leistungsschau in Tokio waren. Japan ist ja in dieser Zeit zu einem Pilgerland der High-Tech-Fans geworden. Dort haben sich die deutschen Aufschwung- und Wendepolitiker die Klinken in die Hand gegeben, um das japanische Erfolgsrezept zu studieren und zu erleben. — Was besonders seltsam anmutet, ist, daß nun auch die SPD auf diesem High-Tech-Trip voll drauf ist und die kritische Technologiediskussion, die es in dieser Partei einmal gegeben hat, scheinbar vergessen hat.
Auch die SPD glaubt nun, mit den Supertechnologien und Subventionierungen der Unternehmer die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft wieder so steigern zu können, daß wir die Japaner überholen oder zumindest mit ihnen gleichziehen und auf diese Weise den verlorengegangenen Anteil des Weltmarktes wieder zurückerobern können. Das war auch ein zentrales Thema bei dem Besuch des Wirtschaftsausschusses in Japan. Die gemeinsame Eroberung der Weltmärkte war eines der Probleme, die man dort vornehmlich angesprochen hat. In der Diskussion hieß es dann oft: Verhinderung von Abschottung und Protektionismus. Und sozusagen als Vorbedingung dafür, daß wir die Japaner dabei unterstützen, wurde die Öffnung des japanischen Marktes für deutsche Produkte gefordert.In Japan hätte man allerdings auch noch einiges mehr studieren können als nur High-Tech. Zum Beispiel wurde dort auch ganz klar gesagt, daß die Eigenkapitalquote der japanischen Unternehmen noch viel geringer als die der deutschen ist. Trotzdem gibt es dort eine dynamische Technologieent-
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 73. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 6. Juni 1984 5283
Burgmannwicklung und in diesem Jahr ein Wachstum von über 5 %.
Genauso könnte man in den USA studieren, daß es dort bis 1982 trotz Venture-Capital, das es dort schon lange gibt, die größte und längste Rezession der Geschichte gab. Die konnte also offensichtlich mit Venture-Capital nicht verhindert werden.Die Spritze aus Venture-Capital und High-Tech, die man nun verabreichen will, geht an den Ursachen dieser Krankheit vollkommen vorbei. Mich erinnert das so ein bißchen an Medizinmänner, die versuchen, einem fieberkranken Patienten mit TaiGinseng-Wurzeln wieder zu Potenz zu verhelfen.
Das geht an dem Problem also vollkommen vorbei.Die Arbeitslosigkeit ist eben nicht auf fehlende Technologieentwicklung zurückzuführen, sondern sie ist eine Folge von Rationalisierung und einer falschen Technologieentwicklung, genauso wie die Umweltzerstörung, das Natursterben, die Folge einer falschen Technologieentwicklung ist, einer Technologieentwicklung, die sich ganz alleine an der Profitmaximierung orientiert.
Wenn Sie, die Sie schon länger in diesem Bundestag sitzen, nicht 50 Milliarden DM in die Atomkraft fehlinvestiert hätten, hätten Sie viel mehr Kapital zur Verfügung, um sinnvolle Technologien zu entwickeln, als Sie in 30 Jahren durch Venture-Capital jemals zusammenbringen könnten.
Da zeigt sich, daß man Technologieentwicklungen sehr kritisch untersuchen muß.Es gibt zweifelsohne eine ganze Reihe von sehr segensreichen Entwicklungen in der Technologie. Aber inzwischen beginnen die unheilvollen Entwicklungen diese segensreichen Entwicklungen deutlich zu überwuchern. Ich erinnere in dem Zusammenhang nur an die Atomtechnologie, die Millionen Menschen bedroht, an eine Waffentechnologie, mit der inzwischen die ganze Menschheit ausgelöscht werden kann, an die Gentechnologie, die an die Ursprünge des Lebens geht, an die neuen Medien, die zu immer stärkerer Vereinsamung der Menschen führen, an die Roboter, die zu Arbeitslosigkeit oder zu einem unmenschlichen Arbeitsleben führen. Der Grund ist der: Die Technologie wird nicht danach entwickelt, was die Menschen brauchen, sondern wird danach entwickelt, was den höchsten Gewinn verspricht. Genau dieser Trend — Entwicklung der Technologie nach dem maximalen Gewinn — wird durch diese Idee des Venture-Capital noch verstärkt.Deutlich wird das in Äußerungen, wie sie sich beispielsweise in der „Welt am Sonntag" vom 20. November 1983 finden:Die Motivation, Geld zu machen wie in den USA, ist hier einfach nicht vorhanden.In den USA ist tatsächlich Venture-Capital eine Methode, Geld zu machen. Nun soll also auch in der BRD angeregt werden, mit Venture-Capital
Geld zu machen und dabei die Dynamik und Fähigkeit der kleinen und mittleren Unternehmer zu nutzen.
Es ist ganz klar, daß Technologieentwicklung unter diesem Gesichtspunkt eben noch viel stärker dazu benutzt wird, Geld zu machen, und daß die Interessen der Menschen in den Betrieben und in den Städten, daß die Probleme des Natursterbens dabei ganz auf der Strecke bleiben.
Genauso bleiben auch die Interessen der Menschen in den wirtschaftlich weniger entwickelten Ländern auf der Strecke. Dr. Böttcher vom Wirtschaftsministerium hat uns in Vorbereitung des Japan-Besuchs sinngemäß gesagt: Die europäischen Staaten zählen für uns nicht mehr; für uns gelten im Vergleich nur noch Japan und die USA. — Da muß man die Frage stellen: Wenn selbst auf die Europäer von seiten der Bundesrepublik keine Rücksicht mehr genommen wird, wo bleiben dann am Ende die Interessen und die Probleme der Dritten Welt? Die Probleme der Menschen zwischen den Maschinen, die Probleme der Millionen, die in der Dritten Welt verhungern, das Sterben der Natur um uns herum, all das sehen unsere Wirtschaftspolitiker nicht. Man sieht sie im Geiste vielmehr mit glänzenden Augen in den geplanten „Technologieparks" in Niedersachsen das Innovationspotential mit Venture-Capital düngen, um High-Tech zur höchsten Blüte zu bringen,
während in den Naturparks die letzten Bäume im Schwefeldioxid zugrunde gehen.Nicht das Sterben der Natur und der Menschen interessiert, sondern das Wachstum der Technik und der Wirtschaft. In Japan, das an seinem Wachstum zu ersticken droht, hätte man da einiges sehen können. Was an den Lebensbedingungen, die wir dort vorgefunden haben, erscheint uns denn wirklich beispielhaft und erstrebenswert? Die endlosen Städte? Der unglaubliche Verkehr? Die Straßen in bis zu vier Ebenen übereinander? Die Hochhäuser, die alles erdrücken? Oder die Musik in den Betrieben,
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5284 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 73. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 6. Juni 1984
Burgmanndie den Lärm der Roboter zu überdröhnen versucht? Oder die steigende Aggression? Oder die steigende Zahl der Selbstmordversuche?Aber diese Seite von Japan wurde uns ja gar nicht erst gezeigt. Wir hatten keine Gespräche mit Oppositionellen, nicht mit Gewerkschaften und Betriebsräten. Aber man konnte einiges sehen, und darüber hinaus haben mir einige Gespräche am Rande einiges gezeigt.Sie haben auch gezeigt, daß inzwischen auch Japan Cruise Missiles, genannt Tomahawks, zur Verteidigung von Wachstum und High-Tech braucht. Und ich habe Hiroshima gesehen,
das Ergebnis einer imperialistischen Wirtschaftspolitik,
auf die wir auch heute wieder zusteuern — mit genau der gleichen Konsequenz. Hiroshima ist ein Zeichen dafür, wohin diese expansive Wirtschaftspolitik führen kann.
Aber unsere Politiker, die in Japan waren, begeistern sich am Technologietaumel und am Wachstum. Doch wenn Sie diese 6 bis 7% Wachstum erreichen wollen, um die Arbeitslosigkeit zu beseitigen, muß man fragen: Wohin wollen Sie das Zeug noch liefern, wer soll das denn noch kaufen?
Und was wird mit diesem Wachstum an Zerstörung ausgelöst?Der Antrag zum Venture-Capital ist ein falscher Ansatz. Er berührt nicht die wirklichen Ursachen der Probleme und nicht die wirkliche Krise. Er bringt nur den Unternehmern zusätzlich zu den 3 Milliarden Mark, die die Regierung an Entlastung über die Vermögensteuer schon erbracht hat, wahrscheinlich noch weitere Steuervorteile in Höhe von ca. 1 Milliarde DM,
und er bringt eine wesentlich stärkere Profitausrichtung der technologischen Entwicklung.Die GRÜNEN meinen, wenn der Staat heute Technologieentwicklungen unterstützt, dann müssen wir solche Entwicklungen unterstützen, die das Leben wieder menschlicher machen, die das Leben erhalten, die das Natursterben stoppen, die die Arbeitsbedingungen verbessern, die die Arbeitslosigkeit beseitigen, Gesundheit fördern und die vor allem auch in der Dritten Welt helfen, Hunger zu beseitigen und zu einer eigenständigen Entwicklung zu kommen. Das bedeutet Aufbau und Ausbau der öffentlichen Verkehrsmittel und der Bundesbahn statt der geplanten Stillegungen, das bedeutetAufbau und Ausbau umweltfreundlicher Energieversorgungen, Kraft-Wärme-Kopplungen, Häuserisolierungen und andere Maßnahmen zur Energieeinsparung, das bedeutet den Ausbau der Energiegewinnung aus der Sonnenenergie, Sonnenkollektoren und Solarzellen, das bedeutet Recycling und Rückgewinnung von Rohstoffen durch die Entwicklung von Verfahren und Technologien, bei denen die tödlichen Abfallstoffe wie Dioxin und Plutonium erst gar nicht entstehen.Das sind Technologien, die mehr Arbeitsplätze schaffen als Atom- und Gentechnologien und Roboter, die durch Ihr Venture-Capital gestützt werden wollen. Das sind Verfahren und Technologien, die die Menschen brauchen und die ihnen nützen, die das Natursterben stoppen können und die Abhängigkeit von 01, Uran und Rohstoffimporten verringern.Das sind Technologien, die auch der Dritten Welt helfen, eine eigenständige Entwicklung zu nehmen, weil sie erstens bezahlbar sind, zweitens beherrschbar und von ihnen selbst herstellbar, weil sie die natürlichen Schätze in den Ländern schützen und die Lebensgrundlagen erhalten. Das sind Technologien, die auch uns helfen, Geld zu sparen, statt unkalkulierbare Kosten und Risiken auf die kommenden Generationen abzuwälzen.Für solche Technologien wollen sich die GRÜNEN einsetzen. Darin sehen wir technischen Fortschritt. So muß technischer Fortschritt neu definiert werden. Wenn wir Technologieentwicklung unterstützen, dann unter diesem Gesichtspunkt.
Wenn die Regierung in dieser Richtung einen Vorschlag vorlegte, würden wir gerne die Hand heben und dem zustimmen. Aber das, was hier von den Regierungsparteien vorgelegt worden ist, dieser Appell zur Bildung von Venture-Capital bedeutet nur eine Verstärkung der profitorientierten Technologieentwicklung, die uns genau in die Schwierigkeiten geführt hat, in denen wir heute sind.
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe deshalb die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung. Wer der Beschlußempfehlung des Ausschusses für Wirtschaft auf Drucksache 10/1315 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Stimmenthaltungen? — Die Beschlußempfehlung des Ausschusses ist damit mit Mehrheit angenommen.Wir kommen zum Tagesordnungspunkt 5:Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft zu dem Antrag der Abgeordneten Roth, Reuschenbach, Dr. Jens, Junghans, Hoffmann (Saarbrücken), Urbaniak, Stiegler, Schluckebier, Wieczorek (Duisburg), Dr. von Bülow, Dr. Ehrenberg, Jung (Düsseldorf), Frau Dr. Martiny-Glotz, Dr. Mitzscherling,
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 73. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 6. Juni 1984 5285
Vizepräsident WestphalRohde , Frau Dr. Skarpelis-Sperk, Wolfram (Recklinghausen), Zeitler, Meininghaus, Sieler, Stockleben, Grobecker, Waltemathe, Brück, Frau Steinhauer, Liedtke, von der Wiesche, Menzel, Purps, Reschke, Toetemeyer, Lohmann (Witten), Grunenberg, Dr. Klejdzinski und der Fraktion der SPDSicherung der Arbeitsplätze in den Stahlstandorten— Drucksachen 10/578, 10/1157 —Berichterstatter: Abgeordneter Dr. LammertMeine Damen und Herren, nach einer Vereinbarung im Ältestenrat sind für die Aussprache 60 Minuten vorgesehen. — Ich sehe keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.Wird das Wort zur Berichterstattung gewünscht? — Das ist nicht der Fall. Dann eröffne ich die Aussprache. Das Wort hat Frau Dr. Skarpelis-Sperk.
Herr Präsident! Meine Herren! Meine Damen! Seit die SPD-Bundestagsfraktion am 9. November vergangenen Jahres ihren Antrag zur Sicherung der Arbeitsplätze in den Stahlstandorten einbrachte, hat sich in der europäischen und deutschen Stahlindustrie grundsätzlich nur wenig geändert. Auch wenn Sie sich, meine Herren und Damen von der CDU/CSU und FDP, in gelindem Optimismus wiegen,
bleibt der größte Teil unserer Forderungen dringend wie im Winter vergangenen Jahres.Einen Teil unserer Forderungen haben auch die Regierungsparteien mittragen können, und wir Sozialdemokraten freuen uns über jede politische Gemeinsamkeit, die den betroffenen Menschen und den Regionen, in denen sie leben, wenigstens auf Zeit hilft.
Leider aber sind Sie unseren Forderungen nach einer erhöhten sozialen Flankierung durch Maßnahmen im Einzelplan 11 nicht gefolgt,
obwohl Sie — wie wir alle — wissen, daß es auf Dauer ohne vermehrte soziale Flankierung ohnehin nicht abgehen wird und es letztlich auch dem Bundesfinanzminister egal sein müßte, aus welchem Topf dieses Einzelplanes Mittel abgerufen werden —
nicht aber den Menschen, für die z. B. Anpassungsschichten im Kohlebergbau und vermehrte innerbetriebliche Umschulung und Fortbildung sinnvoller und menschlicher sind,
als sie zum Stempeln zu schicken.
Grundsätzlich nicht einig sind wir mit Ihnen hinsichtlich Ihrer Einschätzung der Situation. Sie schreiben als Antwort auf unseren Antrag:Nach mehreren Jahren einer sich dramatisch zuspitzenden Krise der Stahlindustrie ist inzwischen eine spürbare Verbesserung bei den Rahmenbedingungen und bei der Auftragslage eingetreten.Woher Sie die Fakten für eine so optimistische Beurteilung nehmen, muß schleierhaft bleiben.
Tatsache ist: Die Stahlindustrie in der Bundesrepublik Deutschland hat sich — von einem extrem niedrigen Niveau aus — auf einem Stand eingependelt, der von den Erlösen her für die Unternehmen als knapp ausreichend angesehen werden kann.
Die Zeichen einer konjunkturellen Besserstellung, die zum Ende des Winters sichtbar waren, sind in den jüngsten Zahlen jedoch nicht mehr wiederzufinden. Die Zahlen aus Nürnberg von gestern zeigen eine totale Verfestigung der Massenarbeitslosigkeit. Und das, was Sie der Eisen- und Stahlindustrie durch Ihre Aufschwungprognosen an Morgenröte ausgemalt haben, ist durch harte Fakten widerlegt.
Eine deutliche Verbesserung der Stahlnachfrage insgesamt wird es nicht geben, und die ohnehin schon im März gegenüber dem Vorjahr zurückgegangenen Auftragseingänge — ausgenommen den Bereich Edelstahl — werden in diesem Jahr weiter unter Druck stehen.Derzeit beziehen die Unternehmen die freigegebenen Mittel der Kommission, nachdem der geforderte Kapazitätsabbau nachgewiesen worden ist. Es wird ihnen dadurch und durch die Konzentration der Produktion auf leistungsfähigere Anlagen zwar möglich sein, wirtschaftlicher und mit höherer Auslastung zu arbeiten, aber die Kehrseite ist der massenhafte Abbau von Arbeitsplätzen an Rhein und Ruhr, im Saarland, in der Oberpfalz, in Bremen und Niedersachsen bis Ende 1985.
— Das ist zwar nichts Neues, aber Sie wissen auch, daß die Wirtschaftsvereinigung Eisen und Stahl geschätzt hat, daß als Folge dieses Kapazitätsabbaus bis Ende 1985 ca. 33 000 Arbeitsplätze verlorengehen. Jeder hier im Raum weiß, daß insbesondere nach den harten Forderungen, die der Bundeswirtschaftsminister an ARBED-Saarstahl gerichtet hat, nach dem Stand der Beschlüsse der Aufsichtsräte und Vorstände von Peine-Salzgitter die Zahl weit
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5286 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 73. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 6. Juni 1984
Frau Dr. Skarpelis-Sperkhöher als die 33 000 prognostizierten verlorenen Arbeitsplätze sein wird.
Auch wenn die Stahlindustrie mit einer leichten Besserung der Auftragslage aus den Kellern der Jahre 1982 und 1983 aufgestiegen ist, kann man die mittelfristigen Aussichten nur als wenig erfreulich betrachten. Der Prozeß der Absatzschrumpfung, der ja schon im letzten Jahrzehnt beachtlich war, wird sich unvermindert fortsetzen. Denn die Massenarbeitslosigkeit verfestigt sich, und die strukturellen Ursachen der anhaltenden Stahlkrise würden selbst dann, wenn die weltweite Konjunkturflaute dauerhaft überwunden wäre, noch lange nicht wegfallen.Es bleiben als Probleme erhalten — das wissen Sie auch — bzw. nehmen sogar weiter zu: die Stagnationserscheinungen und Strukturkrisen in wichtigen Abnehmerbereichen — und das ist nicht nur der Schiffbau, wie auch Sie wissen; die Substitutionskonkurrenz auf Kosten des Werkstoffes Stahl durch andere Werkstoffe; die Verringerung des „spezifischen" Stahlverbrauchs und natürlich die Konkurrenz der industriellen Schwellenländer.Die deutsche Eisen- und Stahlindustrie ist zusätzlich auch durch eine andere Situation getroffen, nämlich durch den Subventionswettlauf zwischen den „alten" Industrieländern, und der ist weiterhin ungebrochen. Zusätzlich leidet die deutsche Eisen- und Stahlindustrie an den schweren Fehlentscheidungen ihrer Vorstände, die sowohl die Welt-Stahlnachfrage weit überschätzten als auch die Konkurrenzfähigkeit der Schwellenländer weit unterschätzten.
Und sie befand und befindet sich noch immer in einem mörderischen Wettbewerb mit stark subventionierter europäischer und überseeischer Konkurrenz, deren Druck durch die Notmaßnahmen der EG bis 1985 zwar stark abgebremst, aber nicht beseitigt ist.Zu diesen — Ihnen bekannten — welt- und europaweit wirksamen strukturellen Problemen kommen noch Probleme hinzu, die auch den kurzfristigen Horizont bis Ende 1984 und 1985 weiter verdüstern. Noch vor Jahresfrist ging die EG-Kommission von einer Stahlproduktion von zirka 120 Millionen Jahrestonnen aus. Vor kurzem hat sie ihre Prognose auf 115 Millionen Jahrestonnen reduziert. Das ist meines Erachtens ein deutlicher Warnschuß aus Brüssel vor den Bug all jener, die die Stahlprobleme bis 1985 als wesentlich gemeistert sehen und meinen, es sei damit getan, die Stahlbeschlüsse des europäischen Ministerrats in die Tat umzusetzen — auch das ist nötig —, einige beschwörende Reden an die Adresse der Unternehmer zu richten, brav die Kapazitäten abzubauen, die Werke zu modernisieren, ein wenig zu kooperieren, und darüber hin-aus von den europäischen Partnern zu „erwarten", ab 1985 keine weiteren Subventionen zu zahlen,
wie Sie das in Ihrem Antrag tun.Wir haben dieses Konzept des bloßen Abwrakkens und Verkleinerns der Stahlindustrie auf Kosten der Allgemeinheit nie für ausreichend und für die betroffenen Stahlarbeiter und deren Heimatregionen nie für erträglich gehalten.
Ein Konzept, das darauf hinausläuft, daß allein in Nordrhein-Westfalen über 20 000 Arbeitsplätze, im Saarland etwa 5 000, in Bremen noch 700, in Niedersachsen über 5 000 ersatzlos wegfallen, ist für Sozialdemokraten als Lösung nicht akzeptabel.
Wir stehlen uns dabei als Opposition nicht aus der Verantwortung und fordern nicht, weil wir nun für den Staatssäckel in Bonn nicht mehr unmittelbar verantwortlich sind, Milliarden Erhaltungssubventionen. Ich glaube, Sie kennen das auch aus der Diskussion im Ausschuß; so einfach haben wir es uns nicht gemacht.Wir fordern aber eine Situation, bei der die Menschen in den angezählten Stahlstandorten nicht nur irgendwie in die nächste, wiederum kostspielige Runde gerettet werden. Es geht uns Sozialdemokraten darum, mit den Hilfen, die wir fordern, den Menschen und ihren Heimatregionen eine industrielle Zukunftschance zu geben.
Dabei geht es nicht nur um eine soziale Abfederung des notwendigen und unvermeidlichen Strukturwandels — das muß selbstverständlich auch sein —, sondern es geht uns in erster Linie darum, den Strukturwandel sich so langsam vollziehen zu lassen, daß die einzelnen Regionen auch eine realistische Chance haben, erstens ihre traditionellen Industrien umzustrukturieren und zu modernisieren und zweitens etwas Neues entstehen und aufwachsen zu lassen, was in die neue Struktur hineinpaßt, was sich mittelfristig selber trägt; und das bedeutet drittens langfristig gesicherte Arbeitsplätze.
Bei dieser Frage der Sicherung der Arbeitsplätze in den Stahlstandorten machen Sie es sich mit Ihren Vorschlägen bzw. „Erwartungen" schlicht zu einfach und stehlen sich aus der politischen Verantwortung gegenüber den Stahlarbeitern und den Steuerzahlern.
— Wir haben denselben Wirtschaftsminister, und Sie wissen, daß wir in der Frage nicht für „laisser faire, laisser passer" gewesen sind.
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Frau Dr. Skarpelis-SperkSie sehen mit an, wie die Stahlunternehmer fröhlich weiterpokern und hoffen, daß den jeweils Schwächsten die Hunde beißen werden.
Obwohl die Bundesregierung, gerade weil sie Milliarden in diesen Bereich gesteckt hat und steckt, genügend Einflußmöglichkeiten hätte, läßt sie die Zügel weiterhin schleifen und überläßt es den deutschen Stahlunternehmen weiterhin, hart gegeneinander zu konkurrieren. Dabei könnte sie am Beispiel der europäischen Partner sehen, daß das nicht sinnvoll ist.Diese Tu-nix-Strategie der Bundesregierung läßt sich, wie Herr Lambsdorff vor knapp einem Jahr selber zugegeben hat, ordnungspolitisch auch gar nicht begründen; denn einen Wettbewerb haben wir in der Stahlindustrie schon länger nicht mehr.
Gekommen ist von der Regierung nichts außer einer Zustimmung zum Moderatorenkonzept, das nicht anderes bedeutet hatte, als daß der eine der propagierten Zusammenschlüsse wettbewerbsfähig und florierend sein sollte, der zweite aber mittelfristig zum industriellen Tod oder zu einer Existenz als auf Dauer nicht haltbarem Kostgänger der öffentlichen Hand verurteilt war. Ihnen war die Sicherung der Risiken der deutschen Großbanken wichtiger als das Wohl und Wehe Zehntausender) Menschen und ihrer Familien in den Stahlstandorten. Das ist die Realität.
Nachdem Sie dieses Konzept wegen des Widerstandes auch vieler betroffener Länderregierungen nicht durchsetzen konnten, haben Sie sich wieder aus der Verantwortung gezogen, und so warten wir auch heute noch vergebens auf das beschäftigungs-, regional- und wettbewerbspolitisch ausgewogene, unternehmensübergreifende Gesamtkonzept. Statt dessen haben sich Unternehmen, zum Teil nicht, weil sie es wollten, Alleingangsstrategien entwikkelt, deren Ergebnis für ein oder zwei Regionen das industrie- und beschäftigungspolitische Aus mit der Aussicht bedeuten kann, mit mehr als 25% Arbeitslosigkeit zu Armenhäusern dieser Republik zu werden. Daß das nicht so sein müßte, weiß jeder, der sich mit den Problemen näher befaßt hat. Diese Alleingangsstrategien wären schlimm genug, wenn sie ohne des Steuerzahlers Geld auf Kosten der Stahlarbeitsplätze und der betroffenen Regionen abliefen. Aber daß Sie dieses Spielchen auf Kosten der Steuerzahler und auf dem Rücken von Zehntausenden zulassen und dazu noch die Musik bezahlen, ist gesamtwirtschaftlich, regionalpolitisch und sozial nicht zu vertreten.
— Ich würde gerade an Ihrer Stelle aus dem Saarland und gerade bei der Situation von ARBED Saarstahl das Moderatorenkonzept ein bißchen anders beurteilen, als Sie jetzt dazwischenrufen.
Darüber hinaus ist durchaus noch offen, ob Ihr Gesundschrumpfungskonzept auch wirklich längerfristig trägt. Im Rahmen der EG mehren sich j edenfalls die Zeichen, daß sich das, was an Sanierungsmaßnahmen und Kapazitätsabbau bis Ende 1985 geplant und was auch die Grundlage all Ihrer Konzepte war, kaum rechtzeitig realisieren lassen wird.Es wird heute schon über die Verlängerung des Beihilfekodex über 1985 hinaus gesprochen, weil wichtige europäische Regierungen entweder selbst bisher kein Konzept vorgelegt haben, wie Italien, oder zwar eines gemacht haben, wie die Französische Republik und Großbritannien, aber bisher nicht daran gedacht haben, es einzureichen.Die Bundesregierung hat dagegen ihre Verpflichtungen zum Kapazitätsabbau mit aller Konsequenz und den damit verbundenen Arbeitsplatzverlusten penibel eingehalten. Es wäre sinnvoll und notwendig, wenn die Bundesregierung — ich glaube, in dem Punkt könnten wir uns einig sein — in Brüssel tatkräftiger aufträte und darauf drängen würde, daß die Voraussetzungen für einen Abbau auch wirklich erfüllt werden.
Wenn in diesem Jahr bei den anderen nichts Entscheidendes läuft, sind alle Forderungen, die wir und die Sie gestellt haben, nämlich nach 1985 den Subventionswettlauf zu beenden, schlicht und einfach Makulatur.
Aber Graf Lambsdorff zeigt seine Härte ja lieber im Inland und prügelt auf den Gewerkschaften und den deutschen Arbeitnehmern herum.
Kämpferisch gibt er sich in erster Linie im deutschen Parlament, wenn er in der schlimmsten Klassenkampf-von-oben-Rede, die dieses Haus in der Aktuellen Stunde je zu hören bekam, gegen den Streik der Drucker und Metallarbeiter loswettert, während er gegenüber seinem Standesgenossen in Brüssel die Samthandschuhe anzieht.
Ein bloßes Konzept des Schrumpfens sichert zwar viele Arbeitsplätze — das ist wichtig —, vernichtet aber gleichzeitig viele Zehntausende in ohnehin gebeutelten Regionen. Dann ist es auch mit sozialem Abfedern allein nicht getan. Die Menschen an Rhein und Ruhr, im Saarland, in Bremen, in Niedersachsen, in der Oberpfalz, die Menschen, die abgebaut, die freigestellt werden, und die vielen jungen Menschen, die einen Arbeitsplatz suchen,
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5288 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 73. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 6. Juni 1984
Frau Dr. Skarpelis-Sperkbrauchen keine vagen Hoffnungen, die mit den Zahlen der Bundesanstalt für Arbeit von gestern ohnehin verflogen sein dürften.
Sie brauchen eine Zukunft für sich; sie brauchen eine industrielle Zukunft. Hier hapert es halt bei der Regierung und bei den Regierungsparteien, aber auch bei den Stahlunternehmen selbst. Die Stahlkonzerne haben in den letzten Jahren in erheblichem Ausmaß Arbeitskräfte entlassen und werden das auch in den nächsten Jahren tun — sie müssen es sogar tun —, ohne daß sie sich für die Schaffung von Ersatzarbeitsplätzen ausreichend verantwortlich gefühlt haben. Öffentliche Mittel für Investitionen und Umstrukturierungshilfen müssen deswegen an die Bedingung der Schaffung von Ersatzarbeitsplätzen geknüpft werden.
Ob das nun durch eigene Investitionen und/oder die Erlaubnis zur Nutzung der Infrastruktur für neue und sich ausweitende Unternehmen und/oder durch Zurverfügungstellen von Grund und Boden für gewerbliche Neuansiedlung erfolgt, kann und muß uns egal sein. Aber den Mitbestimmungsorganen der Stahlunternehmen — das wissen wir — fällt dabei auch eine wichtige Zukunftsaufgabe zu.Aber wir wissen auch, daß eine solche Bindung öffentlicher Mittel allein nicht genügen wird, um den existenzbedrohenden Umstellungsprozeß, der sich in den Stahlstandorten vollzieht, wirklich in den Griff zu bekommen. Hier erwarten wir von der Bundesregierung, daß sie aus ihrer gesamtstaatlichen Verantwortung heraus zusammen mit den Ländern ein umfassendes Strukturanpassungsprogramm für alle Regionen erarbeitet, die in besonderem Maße vom Strukturwandel betroffen sind.Daß der Bundeswirtschaftsminister ein solches Konzept prinzipiell ablehnt wie der Teufel das Weihwasser, ist bekannt. Nur hat er damit nicht verhindern können, daß jedes Bundesland auf eigene Faust Industrie- und auch Forschungspolitik betreibt. Diese Tatsache hat zu einem scharfen und kostspieligen Subventionswettlauf von Ländern und Kommunen in der Industrieansiedlung geführt, häufig nicht zugunsten jener Regionen, die der Strukturwandel besonders beutelt.
— Das ist richtig. — In der Bundesrepublik läuft ein Strukturwandel ab, der das Land in arme Regionen mit hoher Massenarbeitslosigkeit und wohlhabende Regionen mit geringer Arbeitslosigkeit aufteilt.
Ein bundesweites umfassendes Strukturanpassungsprogramm ist aber nicht nur notwendig, um die Vergeudung öffentlicher Mittel in diesem HaseIgel-Wettlauf der stärkeren und der schwächeren Regionen zu verhindern, sondern auch, um den Menschen und Unternehmen in den Regionen überzeugend zu signalisieren, daß die Regionen mit einem bedrohlichen Anstieg an Massenarbeitslosigkeit von der Bundesregierung nicht aufgegeben, daß sie nicht völlig abgeschrieben sind.
Sektorale Hilfen und regionale Wirtschaftsförderung dürfen nicht unverbunden und unkoordiniert nebeneinander laufen, sondern müssen endlich zu einem sinnvoll abgestimmten Konzept miteinander integriert werden. Ich glaube, darüber könnte man sich auch zwischen den Fraktionen dieses Hauses einig werden.Aber diese Drei-Affen-Haltung gegenüber längerfristiger Vorausschauplanung und Koordination wird dazu führen, daß auch dort, wo neue Arbeitsplätze geschaffen werden, neue Probleme absehbar sind. Zum Beispiel wird absehbar, daß nahezu alle Unternehmen ähnliche Diversifizierungsideen haben und sich auf die Weiterverarbeitung von Blechen, insbesondere elektrolytisch verzinkten Blechen, spezialisieren wollen. Was will denn die Regierung hier unternehmen? Will sie zulassen, daß erst mit massiven öffentlichen Finanzhilfen Überkapazitäten geschaffen und dann in der zweiten Hälfte des Jahrzehnts wieder mit massiven öffentlichen Hilfen abgebaut werden?
— Sie sollte aber aus den Anmeldungen der Unternehmen in Brüssel wissen, was sich da andeutet. Sie sollte auch wissen, daß dieser Prozeß nicht nur in Deutschland läuft, sondern in Gesamteuropa. Sie sollte diese Kapitalvergeudung einfach einmal bremsen.
Bei der Entwicklung dieses Programms sollten Sie auch die traditionellen Förderinstrumente grundsätzlich überdenken. Ihr auf Sachkapitalwachstum ausgerichtetes Ziel ist in Zeiten einer weltweiten Wirtschaftskrise weitgehend obsolet und führt überwiegend zu einer unsinnigen Konkurrenz zwischen den in die Krise geratenen traditionellen Industrierevieren und den traditionell strukturschwachen Regionen.Vielleicht sollten Sie in der Wirtschaftsförderung nicht in erster Linie an dem kleben, was in den Bilanzen schwarz auf weiß nachzurechnen ist, nämlich am Sachkapital. Denn die eigentliche strategische Größe für die Sicherung der Betriebe und für die Sicherung der betrieblichen und volkswirtschaftlichen Wettbewerbsfähigkeit wird immer mehr — das zeigt auch die Strukturberichterstattung — die qualifizierte menschliche Arbeit, das Humankapital.
Hier haben wir bei der unternehmensexternen Förderung beim Bund und bei den Ländern durchaus erste erfolgreiche Ansatzpunkte. Sie seien nicht wegdiskutiert. Bei der unternehmensinternen Förderung setzen Sie aber Ihre erste Priorität auf die Investitionsförderung und die Verbesserung der sachkapitalbezogenen Rahmenbedingungen. Sie vernachlässigen damit die Förderung von Know-
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 73. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 6. Juni 1984 5289
Frau Dr. Skarpelis-Sperkhow, die Mobilisierung der schöpferischen Fähigkeiten für die Innovation in den Unternehmen, die halt nicht von Robotern und Automaten, sondern nur von qualifizierten, motivierten Menschen kommen können.
Gerade für Branchen und Unternehmen mit großen Anpassungsproblemen gewinnen diese Fähigkeiten, dieses Humankapital, besonders an Bedeutung. Warum? Im Verlauf des Prozesses der Entlassungen bzw. des Schrumpfens durch Nicht-Neueinstellungen überaltern die Belegschaften. Wird neues Personal nicht eingestellt, bleiben neue Impulse häufig aus. Für die Unternehmen bedeutet das häufig ein Schmoren im eigenen Saft und nicht die Entwicklung neuer Ideen, die neue Produkte und neue Ersatzarbeitsplätze schaffen könnten.Ich fasse zusammen. Für uns Sozialdemokraten gibt heute weder die Lage der Gesamtwirtschaft noch die Lage der Eisen- und Stahlindustrie zu Optimismus Anlaß. Wir begrüßen, daß sich die Regierungsparteien entschlossen haben, einen Teil der von uns vorgeschlagenen Maßnahmen zu übernehmen, müssen aber feststellen, daß die von Ihnen vertretenen Maßnahmen nicht ausreichen werden, die Zukunft der deutschen Eisen- und Stahlindustrie auch nach 1985 dauerhaft zu sichern. Sie reichen nicht aus, eine ausreichende soziale Flankierung der Kapazitätsanpassungen in der Stahlindustrie sicherzustellen und die gravierende und sich weiter verschärfende Massenarbeitslosigkeit in den Krisenregionen und insbesondere an den Stahlstandorten zu beseitigen oder auch nur nennenswert zu mindern.Wir Sozialdemokraten fordern, daß die Regierung endlich für die am härtesten betroffenen Regionen ein Strukturanpassungsprogramm entwickelt und dann die geeigneten Maßnahmen ohne ideologische Scheuklappen durchsetzt. Ordoliberale Ideologien, scharfe Ablehnung jeder Arbeitszeitverkürzung, lässiges industriepolitisches Nichtstun sichern weder die Zukunft der betroffenen Industrien und damit der Arbeitsplätze Zehntausender Menschen und ihrer Familien noch schaffen sie jenes gewaltige Maß an Arbeitsplätzen, das nötig ist, wenn wir diesem Land den sozialen Frieden erhalten und wenn wir verhindern wollen, daß ein Teil unseres Landes floriert und ein anderer Teil zur Industriebrache und zu Armenhäusern dieser Republik verkommt, in denen jeder vierte arbeitslos ist.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Lammert.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es gibt in der Tat erfreulichere Themen mit faszinierenderen Perspektiven als die Stahlproblematik. In dem Punkt, Frau Skarpelis, können wir mühelos sofort den ersten Konsens erzielen. Diese richtige Beobachtung ist ja aber nicht den Innovationen der neuen Bundesregierung zu verdanken, sondern das gehört zu den politischenMagazinbeständen, die wir vorgefunden und übernommen haben.Geändert hat sich allerdings eins: Die deprimierende Dauerberichterstattung über die Krisenlage der deutschen und der europäischen Stahlindustrie hat in Umfang und Lautstärke in den letzten Monaten deutlich abgenommen.
Das ist gut so, und das hat auch gute Gründe; denn nach mehreren Jahren einer sich in der Tat dramatisch zuspitzenden Krise ist inzwischen eine spürbare Verbesserung — ich sage nicht: Lösung — bei den Rahmenbedingungen und bei der Auftragslage eingetreten. Deswegen, verehrte Kollegin Skarpelis-Sperk, überzeugt es niemanden und macht es auch keinen Sinn, wenn man angesichts dieser Situation mit leichtem Tremolo in der Stimme hilfsweise die Dramatik wenigstens in der Debatte wiederherzustellen versucht, die auf den Stahlmärkten glücklicherweise deutlich zurückgegangen ist.
Dies ist — das wird man doch einmal festhalten dürfen — die erste Stahldebatte seit einer Reihe von Jahren, die nicht unter dem Eindruck einer akuten Existenzbedrohung deutscher Stahlunternehmen und damit der industriellen Substanz ganzer Industrieregionen in der Bundesrepublik stattfindet.
Wenn wir jetzt zum erstenmal so etwas wie dünnes Licht am Ende des berühmten Tunnels sehen, dann leuchtet mir wirklich nicht ein, welchen Sinn es machen soll, nun mit Leidenschaft auf die Kerzen zu schießen, statt vielleicht die eine oder andere Kerze zusätzlich mit anzuzünden.Seit dem Regierungswechsel, meine Damen und Herren, sind wesentliche der vom Bundestag — übrigens meistens von allen seinen Fraktionen —, der von den Stahlunternehmen wie von den Gewerkschaften geforderten Verbesserungen realisiert worden, um in der Bundesrepublik eine, wie wir das gemeinsam anstreben, beschäftigungs-, regional-und wettbewerbspolitisch ausgewogene Lösung der Stahlkrise und damit verbunden eine Neuordnung des gesamten europäischen Stahlmarkts herbeizuführen.Wenn eben kritisiert wurde, wir seien den Erhöhungsanträgen nicht gefolgt, die die SPD in ihrem Antrag zu einer Reihe von Einzelpunkten vorgelegt hat, dann wird man doch daran erinnern dürfen, daß wir im Interesse einer nachhaltigen Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Stahlindustrie und der dort beschäftigten Unternehmen trotz einer miserablen, höchst schwierigen Haushaltslage erhebliche öffentliche Mittel zur Verfügung gestellt haben, die, wenn man einmal die Relation zwischen Subventionshöhe und Beschäftigtenzahl errechnet, zu dem Ergebnis führen, daß für jeden Arbeitsplatz in der Stahlindustrie
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5290 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 73. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 6. Juni 1984
Dr. Lammert20 000 DM an Steuergeldern in Form von Subventionen zur Verfügung stehen.
Es gibt keine weiteren drei Branchen in der Bundesrepublik, bei denen wir im Grundsatz und in der Höhe zu ähnlichen Maßnahmen bereit und in der Lage wären.
— Ich habe gesagt: Es gibt keine drei weiteren Branchen in der Bundesrepublik, bei denen wir im Grundsatz und in der Höhe zu ähnlichen Aufwendungen bereit und in der Lage wären. Deshalb ist es in der Sache falsch und politisch verhängnisvoll, den in der Tat um ihre Arbeitsplätze Kämpfenden auch noch mutwillig den Eindruck zu vermitteln, sie würden von der Politik, von der Regierung oder von diesem Parlament hängengelassen. Das genaue Gegenteil ist richtig.
Ich möchte deswegen an die Bemerkung erinnern dürfen, die der Kollege Reuschenbach in der letzten Stahldebatte des Deutschen Bundestags freundlicherweise unbedingt im Protokoll haben wollte,
den Hinweis nämlich, daß sich die Beträge für die Stahlindustrie, über die wir reden, seit dem Regierungswechsel verfünffacht bis versiebenfacht hätten.
Angesichts dieser Verbesserung der Ausgangslage hat er offensichtlich die enorme Mühsal einer wenigstens passiven Teilnahme an der heutigen Stahldebatte erst gar nicht mehr auf sich genommen.
Durch das Stahlinvestitionszulagengesetz, meine lieben Kolleginnen und Kollegen, werden Investitionen in der Stahlindustrie mit einem Anteil von 20 % gefördert. Mit einem Haushaltsaufwand von 1,2 Milliarden DM sollen auf diesem Wege Gesamtinvestitionen in der deutschen Stahlindustrie in einer Höhe von ca. 7 Milliarden DM ermöglicht werden. Wir haben darüber hinaus 1,8 Milliarden DM zur Förderung der Umstrukturierung der Stahlindustrie und damit zur Realisierung der von den einzelnen Unternehmen vorgelegten und inzwischen auch genehmigten Konzepte bereitgestellt.Dabei haben wir auch — im übrigen den Wünschen folgend, die die SPD in ihrem Antrag niedergeschrieben hatte — den Finanzierungsanteil des Bundes zugunsten der Länder auf zwei Drittel der Umstrukturierungsbeihilfen erhöht und damit eine wirksame Entlastung der besonders betroffenen Bundesländer ermöglicht,
die der letzte sozialdemokratische Bundeskanzler Helmut Schmidt noch ausdrücklich verweigert hatte.
Man wird in diesem Zusammenhang, da vorhin schon so interessante Regionalvergleiche angestellt wurden, darauf verweisen dürfen, daß wir dem weiß Gott mit wirtschaftlichen Problemen reich gesegneten Saarland eine 50 %ige Beteiligung zugemutet haben.
Es spricht weder für das politische Selbstbewußtsein noch für die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit eines Landes wie Nordrhein-Westfalen, daß es eine wirtschaftliche Beteiligung für sich selber nicht für zumutbar hält, die man dem Saarland selbstverständlich zumuten zu können glaubte.
Durch die Beschlüsse des europäischen Ministerrats Ende vergangenen Jahres ist eine Verlängerung des Produktionsquotensystems bis 1985 und damit eine zeitgleiche Lösung mit dem Auslaufen des Subventionskodex inzwischen verbindlich vereinbart. Mit diesen Vereinbarungen sollte gleichzeitig der deutsche Marktanteil gesichert und der Außenschutz gegenüber Importen von Drittländern durch angemessene regionale Verteilung der Lieferungen aus solchen Drittländern und durch zeitliche Streckung und Vermeidung von Produktkonzentrationen verbessert werden.Es ist darauf verwiesen worden, auch von meiner Vorrednerin, daß sich die wirtschaftliche Lage der Stahlunternehmen inzwischen auch durch eine deutliche Nachfragesteigerung entspannt hat, ohne daß damit freilich — da stimmen wir völlig miteinander überein — eine durchgreifende und dauerhafte Verbesserung signalisiert wäre.Die Zuwachsraten, die wir bei der Stahlnachfrage im Augenblick feststellen, sind natürlich auf dem Hintergrund der dramatischen Einbrüche vergangener Jahre, vor allen Dingen des absoluten Produktionstiefststands im vergangenen Jahr, zu bewerten, so daß hier eine statistische Verzerrung auftritt, die die Auftragslage in der Tat günstiger erscheinen läßt, als sie tatsächlich ist. Ich füge der Vollständigkeit halber hinzu, daß auch die gegenwärtigen Wechselkursrelationen den Export von Stahlprodukten derzeit erleichtern und daß diese Exporterleichterungen durch den Dollarkurs nicht als dauerhafte Rahmenbedingungen der Stahlproduktion in der Bundesrepublik angesehen werden können.
— Es kommt aus vielen Gegenden der Welt immer wieder eine ganze Reihe von Dingen auf uns zu. Ich bin gerade dabei, zu sortieren, an welcher Stelle wir verläßliche, dauerhafte, und an welcher Stelle wir
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 73. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 6. Juni 1984 5291
Dr. Lammerteher labile Änderungen der Situation vor uns haben.Ich denke, daß man auf Grund dieser Fakten in die gegenwärtig verstärkte Nachfrage keine übertriebenen Erwartungen setzen darf. Die Lage auf dem Stahlmarkt ist entspannt. Aber es gibt keinen Grund zur Entwarnung.
Nach vielen Monaten hinhaltender, jedenfalls erfolgloser Verhandlungen zwischen den verschiedenen Stahlunternehmen findet nun wenigstens eine Zusammenarbeit in größerem Umfang statt, die auch zu konkreten Vereinbarungen und unternehmensübergreifenden Kooperationen geführt hat. Auf Grund nationaler und europäischer Vereinbarungen ist Klöckner inzwischen in die Quotendisziplin zurückgekehrt. Dies stabilisiert die Marktregelung und im übrigen auch die deutsche Verhandlungsposition innerhalb der Europäischen Gemeinschaft, die in den vergangenen Monaten und Jahren nicht zuletzt durch diesen Umstand enorm gehandikapt war.Diese positiven Entwicklungstendenzen ändern allerdings nichts daran, daß nach wie vor, allerdings je nach Unternehmen mit unterschiedlichem Gewicht, erhebliche Unsicherheiten hinsichtlich der künftigen Entwicklung bestehen. Zu den Unsicherheiten gehört auch eine Reihe von europäischen Entwicklungen, die ich an dieser Stelle mit der besonderen Bitte erwähnen möchte, daß die Bundesregierung sich in den nächsten Monaten verstärkt um die sich hier abzeichnenden Entwicklungen kümmert.Zwischen den von mir vorhin genannten, im Ministerrat Ende 1983 beschlossenen Regelungen und ihrer Durchsetzung bestehen nämlich aus deutscher Sicht nach den ersten fünf Monaten dieses Jahres nicht unerhebliche Vollzugsdefizite zu Lasten der deutschen Stahlindustrie. Der der Bundesrepublik zugesagte deutsche Marktanteil ist bislang keineswegs überall gesichert. Gerade bei einer Reihe von einzelnen Produkten sind erhebliche Differenzen zwischen dem zugesagten und bestätigten Marktanteil und den gegenwärtig tatsächlich feststellbaren Größenordnungen zu ermitteln. Die Stahleinfuhren aus den übrigen EG-Ländern sind bisher nicht auf die traditionellen Handelsströme zurückgeführt. Mir ist noch gut eine Mitteilung der Bundesregierung in Erinnerung, daß zu den Vereinbarungen im letzten europäischen Ministerrat gehörte, daß Länder, die sich an diese traditionelle Handelsströme nicht halten, mit Sanktionen rechnen müssen, zu denen auch die Kürzung ihrer eigenen Quoten gehören könne. Es wäre vielleicht nützlich, wenn die Bundesregierung an diese Vereinbarung des letzten europäischen Ministerrats in diesem Zusammenhang ausdrücklich erinnern könnte.Auch die Umstrukturierung in anderen EG-Ländern verzögert sich nicht unbeträchtlich. Bis jetzt haben trotz der längst verstrichenen Fristen zwei wichtige Mitgliedsländer ihre Umstrukturierungspläne noch immer nicht vorgelegt. Wenn man sichdie Ankündigung der französischen Umstrukturierungspläne unter Berücksichtigung des Zeitplans ansieht, muß man zu dem Ergebnis kommen, daß das Auslaufen des Subventionskodex Ende 1985 akut gefährdet ist. Hier besteht ganz ohne Frage ein massiver Handlungsbedarf. Deswegen benutze ich diese Gelegenheit sehr gern, die Bundesregierung nicht nur erneut auf dieses Problem hinzuweisen, das sie im übrigen j a schon durch förmliche Beschwerde bei der Europäischen Kommission in Angriff genommen und zu dem sie Konsultationsverfahren eingeleitet hat, sondern auch die Unterstützung und den besonderen Wunsch des Bundestags, jedenfalls der Koalitionsfraktionen, in bezug auf eine hartnäckige Verfolgung dieser Ziele zum Ausdruck zu bringen.
Es gibt Probleme aber nicht nur auf der europäischen Flanke; es gibt auch innenpolitische Risiken der künftigen Entwicklung auf dem Stahlmarkt. Lasen Sie mich einen, Punkt ganz offen und ganz deutlich ansprechen. Ein möglicher Streik in der Stahlindustrie mit dem Ziel der Einführung einer 35Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich müßte von einer breiten Öffentlichkeit als Signal der Selbstaufgabe dieses bedrohten Industriezweigs verstanden werden.
Da die Sprecherin der SPD gerade die Bemühungen ihrer Fraktion um konstruktive Beiträge ausdrücklich vorgetragen hat, wäre es besonders hilfreich, wenn an dieser Stelle ein flankierender Beitrag der Sozialdemokratischen Partei erfolgen könnte, um diese Art von Risikolage für die Gesundung oder Wiederherstellung der deutschen Stahlindustrie möglichst zu beseitigen.Ich möchte auch an ein zweites Problem der binnenwirtschaftlichen Risikolage erinnern, das ich auch bei früheren Debatten schon einmal angesprochen habe. Nach wie vor ungelöst ist das Problem einer Wettbewerbsverzerrung innerhalb unserer Volkswirtschaft, das sich dadurch ergibt, daß mit Hilfe von subventionsgestützten Umstrukturierungen die Stahlindustrie in die Weiterverarbeitung getrieben wird und dabei die Konkurrenz mit mittelständischen — in vielen Fällen rentabel arbeitenden — stahlverarbeitenden Unternehmen aufnimmt, die mit ihren erwirtschafteten Steuern die verzerrte Konkurrenzlage finanzieren, die ihnen jetzt zugemutet wird. Dies ist ein Problem, das wir sehr sorgfältig im Auge behalten müssen, wenngleich die Benennung dieses Problems sicherlich eine Idee einfacher ist als praktikable Abgrenzungsverfahren, um dieses Problem in Grenzen zu halten.Meine Damen und Herren, wir haben in dem Ihnen vorliegenden Antrag, in der Beschlußempfehlung des Wirtschaftsausschusses, deutlich gemacht, welche Erwartungen wir mit der künftigen Entwicklung der Stahlpolitik im Inland und vor allen Dingen im Bereich der Europäischen Gemeinschaft verbinden.
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5292 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 73. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 6. Juni 1984
Dr. LammertWir erwarten erstens eine zügige Umsetzung der Umstrukturierungspläne.Wir erwarten zweitens eine Wahrnehmung der Kooperationsmöglichkeiten über die bisherigen Ankündigungen hinaus. Uns hat bisher in der Tat noch niemand davon überzeugen können, daß wir unsere mehrfach bekräftigte Annahme, daß unternehmensübergreifende Lösungen zur Bewältigung der Stahlkrise unverzichtbar sind, korrigieren müßten.Wir erwarten drittens eine konsequente Anwendung der europäischen Vereinbarungen, die auch der Erkenntnis Rechnung tragen, daß Mittel, die für die Subventionierung von Krisenbranchen aufgewendet werden, für die Neuregelung der finanziellen Verpflichtungen der EG-Mitgliedsländer nicht zur Verfügung stehen können. Dies ist jedenfalls auch — das sollte auch in Zukunft so bleiben — die erklärte Position der Bundesrepublik und der Bundesregierung.Wir müssen viertens auf der Einhaltung, auf der Beibehaltung der Fristen bestehen, die nach 1985 keine weiteren Subventionen und Quotenregelungen zulassen. Die bisherigen massiven Beeinträchtigungen auf dem europäischen Stahlmarkt sind überhaupt nur bei einem klar fixierten Zeitpunkt vertretbar, zu dem die eigenen Leistungen der Unternehmen wieder über ihren Erfolg bestimmen.Wir erwarten fünftens eine Überarbeitung des EGKS-Vertrages, um sicherzustellen, daß nach Auslaufen des Subventionskodex nicht eine Umgehung des Subventionsverbotes nach dem bisherigen Vertragstext durch indirekte Beihilfen erfolgen kann. Dies wird eine der wichtigsten formellen Änderungen sein, die auf europäischer Ebene dringend umgesetzt werden müssen.Frau Skarpelis-Sperk hat darauf hingewiesen, wir könnten die Probleme auf dem Stahlmarkt nur lösen, wenn wir ideologische Scheuklappen ablegten. Ich stimme dem ausdrücklich zu, habe in diesem Zusammenhang aber vermißt, Frau Kollegin, daß Sie nicht über den sagenumwobenen, die Republik von den Stühlen reißenden Vorschlag der Arbeitsgemeinschaft für Arbeitnehmerfragen zur Lösung der Probleme der deutschen Stahlindustrie, nämlich dieselbe zu verstaatlichen, gesprochen haben. Der ausgerechnet von der Arbeitsgemeinschaft für Arbeitnehmerfragen der SPD wiederbelebte Vorschlag einer Verstaatlichung der Stahlindustrie ist zur Fortsetzung der nun erkennbaren Gesundungstendenzen etwa so sinnvoll wie eine Vollnarkose als Therapie zur Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit eines rekonvaleszierenden Patienten.
Meine Damen und Herren, die SPD kriegt ihre ideologischen Bretter offensichtlich nicht vom Kopf. Auch aus diesem Grunde kann für die Stahlindustrie vorerst keine Entwarnung gegeben werden.
Das Wort hat der Abgeordnete Burgmann.
Doch, Sie müssen mich noch einmal fünf Minuten ertragen. — Die Diskussion über die Entwicklung im Stahlbereich ist hier im Bundestag ja schon zu einem Ritual geworden, fast zu einem typischen Ritual. Mindestens jedes Vierteljahr gibt es im Deutschen Bundestag eine Stahldebatte.
Während wir hier reden und reden, stirbt die deutsche Stahlindustrie in den Regionen so langsam dahin, im Saarland, im Siegerland, in der Oberpfalz vielleicht ein bißchen langsamer, weil dort meine Freunde von der CSU noch ein bißchen ihre national-staatlichen Interessen vorantreiben. Aber im Grunde ändert das nichts an der Entwicklung, daß diese Bereiche nach und nach, Zug um Zug abgewrackt, stillgelegt werden und daß wir das vom Bund dann auch noch finanzieren. Im Raum Salzgitter betreibt der Bund als Unternehmenseigner dieses Geschäft selber mit Teilprivatisierung und Abkoppelungstendenzen, womit er also versucht, hier sein Teil dazu beizutragen, daß sich die Zentralisierung fortsetzt.Der Herr Bundeswirtschaftsminister hat ja in verschiedenen Diskussionen immer wieder deutlich gemacht, daß er sich weigert, ein Konzept vorzulegen. Das bedeutet eben, daß sich die Privatinteressen der Industrie durchsetzen, und das bedeutet Konzentration der Stahlproduktion an Rhein und Ruhr. Dagegen zeigt allerdings leider auch der SPD-Antrag kein Konzept. Er zeigt vielmehr die Hilflosigkeit, die Sie schon in der Regierung bewiesen haben. Eine vernünftige Struktur im Stahlbereich können wir letzten Endes überhaupt nur finden, wenn wir zu einem neuen politischen Ansatz kommen.Soziale Kosten entstehen heute durch die Stillegung, durch die zunehmende Arbeitslosigkeit im Stahlbereich. Da sind nämlich die Probleme nicht gelöst, Herr Lammert, wie Sie gemeint haben. Die Probleme werden dort heute auf Kosten von mindestens 30 000 Menschen „gelöst", die auf die Straße gesetzt werden. Das betrachten wir als GRÜNE nicht als Problemlösung.Wenn wir die sozialen Kosten, die da entstehen, und die ökologischen Folgen der Stahlproduktion und die wirtschaftlichen Interessen, die auch vorliegen, im Stahlbereich zusammennähmen, würden wir zu einer ganz anderen Form von Stahlproduktion kommen. Dann würden wir zu der Erkenntnis kommen, daß dezentrale Strukturen notwendig sind. Das bedeutet natürlich in erster Linie nicht den Abbau, sondern den Ausbau der kleinen Stahlwerke.
— Nein, Herr Blüm, Sie könnten Ihre Phantasie daruhig etwas fröhlicher spielen lassen. Wir haben ein
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 73. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 6. Juni 1984 5293
Burgmannpaar Ansätze einer ökologischen Stahlproduktion. Kommen Sie mal in die Oberpfalz zur Maxhütte. Da gibt es beispielsweise die Abwärmenutzung bei Stahlwerken.
Das können Sie allerdings nur in kleinen Stahlwerken machen, weil bei großen Stahlwerken die Abwärme gar nicht mehr zu nutzen ist.
Ebenso gehört zu einem solchen Stahlwerk die Abgasentgiftung, die Abfallverarbeitung und auch die Einbindung in einen regionalen Absatzmarkt. Auch das ist in der Oberpfalz noch in etwa intakt. Da haben wir noch eine eigene Grube, die das Erz für die Maxhütte besorgt, und wir haben einen Absatzbereich im bayerischen Raum: Nürnberg, Augsburg, München, wo ein Großteil der Stahlproduktion noch vor Ort abgesetzt werden kann. Das wirkt sich letztlich auf eine ganze Region derart positiv aus, daß sich die Erhaltung der Stahlstandorte aus volkswirtschaftlichen Gesichtspunkten auf jeden Fall rentiert.Aber das bedeutet, daß man diese Faktoren auch in die volkswirtschaftliche Rechnung einbeziehen muß. Es bedeutet, daß man auch eine soziale Arbeitsgestaltung in eine volkswirtschaftliche Rechnung einbeziehen muß, und es bedeutet auch, daß man die Stahlwerker, die schon lange darum gekämpft haben, im Arbeitsprozeß entlasten muß. Das heißt, die 35-Stunden-Woche wäre im Stahlbereich eigentlich sofort notwendig, Herr Lammert, schon aus menschlichen Gründen, und wäre letzten Endes auch billiger, als wenn man 30 000 oder 40 000 Stahlarbeiter draußen vor der Hütte finanziert.Wenn die Unternehmer das nicht wollen, weil das vielleicht der Gewinnmaximierung und den Interessen widerspricht, dann bin ich allerdings der Meinung, es ist richtig, daß die Arbeiter die Stahlwerke in Selbstverwaltung übernehmen sollen; sie haben gerade in der letzten Zeit eine Reihe von guten Vorschlägen gemacht, durch die sie gezeigt haben, daß die Menschen, die in den Betrieben leben, auch ein Interesse daran haben, diese Betriebe zu erhalten und auch konkrete Vorschläge zu machen. Da sehen wir wirklich eine neue Perspektive, auch in einem solchen Bereich branchenweit eine neue Ordnung vorzunehmen.Deshalb halten wir diesen Antrag der SPD bei weitem nicht für ausreichend, um zu einer Neustrukturierung zu kommen. Es wäre eine Selbsttäuschung, diesem Antrag zuzustimmen. Wir werden uns deshalb der Stimme enthalten.
Das Wort hat der Abgeordnete Beckmann.
Frau Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Anlaß der Debatte ist, wie auch der Vorredner schon sagte, der ursprüngliche Antrag der SPD-Fraktion zur Sicherung der Arbeitsplätze an den Stahlstandorten. Wiedie CDU/CSU-Fraktion konnte auch meine Fraktion im Wirtschaftsausschuß diesem Antrag nicht zustimmen. Im Gegensatz zur SPD vertreten wir nach wie vor die Auffassung, daß die Schaffung und Sicherung von Arbeitsplätzen Aufgabe der Unternehmen ist. Das muß auch für die Stahlindustrie gelten.Allerdings, das verkennen wir nicht, haben Bund und Länder auch entsprechende Rahmenbedingungen zu schaffen, damit die Unternehmen die Krise im Stahlbereich überwinden können. Hier ist in letzter Zeit auch viel getan worden. Ich nenne das Stahlinvestitionszulagen-Änderungsgesetz, ich erinnere an die Bereitstellung von Haushaltsmitteln zur Förderung der Umstrukturierung der Stahlindustrie, und ich erinnere Sie an die Verlängerung der Kurzarbeiterregelung für Stahlarbeiter. Insbesondere darf ich darauf hinweisen, daß der Finanzierungsanteil des Bundes zugunsten der Länder auf zwei Drittel der Umstrukturierungsbeihilfen erhöht worden ist; Herr Kollege Lammert hat das soeben bereits gesagt.Aber auch in Brüssel hat, so meine ich, die Bundesregierung für die deutsche Stahlindustrie viel erreicht. Das Produktionsquotensystem ist bis Ende 1985 verlängert worden. Vor allen Dingen ist es den intensiven Bemühungen der Bundesregierung und des Bundeswirtschaftsministers zu verdanken, daß der deutsche Marktanteil an der europäischen Stahlproduktion gesichert werden konnte. Schließlich ist noch einmal festgehalten worden, daß 1985 die Subventionen für den Stahl auslaufen sollen.Daher hat die Koalitionsmehrheit im Wirtschaftsausschuß dies in einer Beschlußempfehlung zusammengefaßt und entsprechende Erwartungen an die Bundesregierung und an Brüssel formuliert. Für meine Fraktion kann ich die Zustimmung zu dem Bericht und der Beschlußempfehlung des Wirtschaftsausschusses ankündigen.Anschließen möchte ich nun einen Blick auf die gegenwärtige Lage und die daraus zu ziehenden Schlußfolgerungen. In der letzten Zeit hat sich die Absatzlage für die deutsche Stahlindustrie leicht verbessert, die Preise haben sich stabilisiert. Erfreulicherweise ist auch festzustellen, daß inzwischen eine Zusammenarbeit der deutschen Stahlunternehmen in stärkerem Maße als zuvor stattfindet. Doch insgesamt muß man sagen, daß die Lage auf dem deutschen und europäischen Stahlmarkt weiterhin labil ist.Dies liegt auch daran, daß in der Metallindustrie immer noch der Arbeitskampf um die Einführung der 35-Stunden-Woche mit vollem Lohnausgleich tobt. Auch hier schälen sich die Schäden für die einzelnen Betriebe und für den gesamten Stahlbereich und damit für die Arbeitsplätze in diesem Bereich mit aller Deutlichkeit heraus. Es drängt sich dann förmlich die Frage auf, wo die Solidarität der streikenden Gewerkschaft nicht nur mit den Arbeitslosen bleibt, sondern auch mit den Arbeitnehmern in anderen davon abhängigen Wirtschaftsbereichen, die noch Arbeitsplätze haben, aber zunehmend unter diesen Streikfolgen leiden müssen. Da müssen wir zu unserem großen Bedauern feststellen, daß
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5294 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 73. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 6. Juni 1984
Beckmanndie SPD-Führung ohne Vorbehalte diesen Streik auch noch gutheißt. Solange diese Haltung besteht, bleiben die Appelle der SPD zum Abbau der Arbeitslosigkeit reine Lippenbekenntnisse.
Wir müssen aber, meine sehr verehrten Damen, meine Herren, leider auch feststellen, daß die Umsetzung der Umstrukturierungspläne bei den deutschen Unternehmen nicht immer mit dem zügigen Tempo verläuft, das notwendig ist. Die Kostendegression muß noch entschlossener angepackt werden. Noch einmal möchte ich den deutschen Stahlunternehmen mit aller Deutlichkeit vor Augen führen, daß sie nur dann in der Bundesrepublik Deutschland, in der Europäischen Gemeinschaft und in der gesamten Welt Überlebenschancen haben, wenn sie tatkräftig und rasch diese Umstrukturierungen durchführen. Der lange Marsch durch die Stahlkrise ist für die Unternehmen, aber auch für ihre Arbeitnehmer noch immer nicht zu Ende. Und er wird nur dann erfolgreich abgeschlossen werden, wenn er konsequent zu Ende gegangen wird.
Auf europäischer Ebene sollte es keinen Zweifel an der Beibehaltung der vereinbarten Fristen geben, die nach 1985 keine weiteren Subventionen und Quotenregelungen zulassen. Wir sollten alle daran denken, daß hier die Glaubwürdigkeit der gesamteuropäischen Stahlpolitik auf dem Spiel steht. Daher sollten auch die beteiligten Partnerländer alles unterlassen, damit erst gar nicht solche Zweifel entstehen.Ich darf abschließend für meine Fraktion den Bundeswirtschaftsminister und die Bundesregierung auffordern, auf der Basis der Beschlußempfehlung des Wirtschaftsausschusses die Stahlpolitik bei uns und in Brüssel erfolgreich fortzusetzen. Ich fordere die deutschen Stahlunternehmen auf, zügig und entschlossen ihre Umstrukturierung fortzusetzen. Wir sind überzeugt davon, daß mit diesen Maßnahmen, entgegen den Vorschlägen der SPD, Arbeitsplätze in den Standorten langfristig gesichert werden können.Vielen Dank.
Das Wort hat der Parlamentarische Staatssekretär Sprung.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Frau Kollegin Skarpelis, die Bundesregierung hat die Zügel in der Stahlpolitik nicht schleifen lassen und wird die Zügel nicht schleifen lassen.
Seit der letzten Debatte über Stahlfragen im Plenum des Deutschen Bundestages am 1. Dezember des letzten Jahres hat die konsequente Politik der Bundesregierung in diesem Sektor zu deutlichen Fortschritten und Erfolgen geführt. Über diese Fortschritte möchte ich jetzt einige Worte sagen.Im nationalen Bereich wurde die Novelle zum Investitionszulagengesetz im Dezember 1983 verabschiedet. Dadurch wurden die Stahlinvestitionszulage von 10 auf 20 % erhöht und die Möglichkeit der Unternehmen, Umstrukturierungsinvestitionen durchzuführen, verbessert.Im gleichen Monat wurde die Richtlinie über die Gewährung von Strukturverbesserungshilfen in der Stahlindustrie veröffentlicht. Sie soll den mit der Umstrukturierung verbundenen Wertverzehr der Unternehmen teilweise ausgleichen und ihre Finanzkraft stärken. Die Strukturverbesserungshilfen stehen somit als zweite Komponente neben der Stahlinvestitionszulage.Die deutschen Unternehmen legten im Januar ihre verbindlichen Konzepte vor, die Grundlage für die Gewährung der Hilfen und deren Freigabe durch die Kommission der Europäischen Gemeinschaften sind. Die fristgerechte Vorlage der Konzepte erfolgte allen Unkenrufen zum Trotz, mit denen immer wieder behauptet wurde, die Industrie sei ohne staatliche Vorgaben nicht in der Lage, tragfähige Konzepte auszuarbeiten. Die Eigenverantwortung der Unternehmen und ihrer mitbestimmten Organe hat sich bewährt.In Brüssel wurden die Krisenmaßnahmen, die die Umstrukturierung der europäischen Stahlindustrie flankieren — hier ist insbesondere das Produktionsquotensystem zu erwähnen — entsprechend den Vorstellungen der Bundesregierung bis Ende 1985 verlängert. Dabei geht es auch darum, den traditionellen Anteil der deutschen Stahlindustrie an der EG-Gesamtproduktion zu sichern, ein — zugegebenermaßen — sehr schwieriges Unterfangen. Minister Graf Lambsdorff hat darüber am 8. Februar 1984 im Wirtschaftsausschuß des Deutschen Bundestages ausführlich berichtet. Frau Kollegin, Sie werden sich daran erinnern.
Zudem sind zusätzliche Maßnahmen wie das Warenbegleitscheinsystem und Mindestpreise eingeführt worden, um einer Gefährdung des Marktes durch Lieferungen hochsubventionierter Unternehmen entgegenzuwirken. Nach anfänglichen Anlaufschwierigkeiten, die gar nicht zu vermeiden waren, und weiteren intensiven Arbeiten in Brüssel greifen diese Maßnahmen mehr und mehr.Herr Lammert, ich kann Ihnen in diesem Zusammenhang sagen, daß die Importe aus mehreren anderen EG-Mitgliedstaaten nach unseren Zahlen bei einigen Produkten in der Tat höher gewesen sind, als dies nach den Vereinbarungen im Ministerrat zulässig gewesen wäre.
— Ja. Wir haben deshalb die Kommission förmlich aufgefordert, Abhilfe zu schaffen. Sie können versichert sein, daß wir diese Beschwerde mit allem Nachdruck weiter verfolgen werden.
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 73. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 6. Juni 1984 5295
Parl. Staatssekretär Dr. SprungDie Bundesregierung hat zum 31. Januar 1984, wie es in der Entscheidung der EG-Kommission Mitte 1983 verlangt wurde, die endgültigen Konzepte der Unternehmen in Brüssel notifiziert. Nach eingehenden Beratungen zwischen Kommission, Unternehmen und Bundesregierung hat die Kornmission inzwischen für die Mehrzahl der deutschen Unternehmen die Hilfen ganz oder teilweise freigegeben. Von seiten der Bundesregierung werden die Bescheinigungen für die Investitionszulage zügig ausgestellt, Zuwendungsverträge mit den Unternehmen abgeschlossen und Umstrukturierungshilfen ausgezahlt. Auch die Umstrukturierung der Unternehmen geht alles in allem zügig voran.Die Auftragslage der deutschen Stahlindustrie hat sich in den letzten Monaten — darauf ist schon hingewiesen worden von den Debattenrednern — im Gefolge der allgemeinen und deutlichen Konjunkturverbesserungen stabilisiert. Da die Nachfrage nach Stahl aber auf ein sehr niedriges Niveau abgesunken war, ist die Nachfrage, absolut gesehen, immer noch gering — zu gering, möchte ich hinzufügen.Die Erfolge bei der Umstrukturierung und die konjunkturelle Belebung können trotz der erkennbaren Besserung kein Anlaß zu Euphorie sein. Ich stimme darin mit Ihnen überein. Die Lage ist weiterhin labil, und das Ziel, das wir uns gesetzt haben, noch keineswegs erreicht.Die Stahlmarktsituation läßt deutlich erkennen, daß nach wie vor weltweit hohe Überkapazitäten bestehen. Eine durchgreifende Besserung der Nachfrage in absehbarer Zeit ist kaum zu erwarten. Dauerhaft haben nur extrem kostengünstige Stahlunternehmen eine Überlebenschance. Auf dem Stahlgebiet wachsen zudem laufend neue Konkurrenten unter den Schwellen- und Entwicklungsländern heran, die ihren Platz in der industriellen Welt suchen. Ihnen wird man auf Dauer nicht die Absatzmöglichkeiten reglementieren können. Die deutschen Stahlunternehmen bleiben daher mit allem Nachdruck aufgerufen, eigenverantwortlich zusätzliche Anstrengungen zu unternehmen und alle Chancen zu weiterer Rationalisierung auch durch unternehmensübergreifende Maßnahmen zu nutzen. Die Bundesregierung ist sicher, daß hier noch beträchtliche Möglichkeiten bestehen.Meine Damen und Herren, in diesem Zusammenhang macht uns auch der Fortgang der Umstrukturierung in einigen anderen europäischen Mitgliedstaaten große Sorgen. Italien hat erst jetzt in Brüssel ein Umstrukturierungskonzept vorgelegt. Die Umstrukturierungskonzepte von Frankreich und Großbritannien fehlen noch immer. Sie, Frau Skarpelis-Sperk, und auch Sie, Herr Lammert, haben darauf hingewiesen.Aus beiden Ländern hören wir, daß beide Länder zusätzliche Subventionen gewähren wollen, auch über die Laufzeit des Subventionskodex hinaus. Meine Damen und Herren, ich erkläre hier sehr, sehr nachdrücklich: Das ist eine äußerst gefährliche Entwicklung, die alles bisher durch die europäische Stahlpolitik Erreichte gefährdet. Herr Lammert, die Bundesregierung kümmert sich um diese Entwicklung. Sie ist deshalb ausgesprochen sensibilisiert. Graf Lambsdorff ist bereits in Paris aus diesem Grunde vorstellig geworden. Dabei muß immer wieder daran erinnert werden, daß ein gemeinsamer Markt offene Grenzen und in etwa gleiche Wettbewerbsbedingungen voraussetzt. Wenn das eine längere Zeit fehlt, wird das andere nicht erhalten bleiben. Auch diese Entwicklung zeigt, wie wichtig — —
— Dies geschieht, Herr Lammert. Noch einmal: In Paris ist deshalb auf die Gefährlichkeit dieser Entwicklung hingewiesen worden. Wir haben darauf aufmerksam gemacht, daß die Bundesregierung nicht bereit ist, diese Entwicklung tatenlos hinzunehmen. Wir verfolgen unverändert das Ziel, daß die wettbewerbsverzerrenden Subventionen in der europäischen Stahlindustrie schnell und endgültig beseitigt werden müssen, um die Funktionsfähigkeit der Europäischen Gemeinschaft in diesem Bereich wieder herzustellen.Meine Damen und Herren, auf die einzelnen Punkte des Antrags der SPD-Fraktion geht der Bericht des Wirtschaftsausschusses detailliert ein. Ein Teil der Vorschläge ist in den vergangenen Monaten realisiert worden. Frau Skarpelis und auch Herr Lammert haben darauf hingewiesen. Ich erwähne, da dies besonders bedeutsam ist, noch einmal unter einer ganzen Reihe von Maßnahmen die Erhöhung des Bundesanteils an den Strukturverbesserungshilfen von der Hälfte auf zwei Drittel. Dies zeigt, daß es auf diesem schwierigen Feld der Wirtschaftspolitik aller Polemik zum Trotz ein gehöriges Maß der Gemeinsamkeit zwischen Regierung und Opposition gibt. Das begrüßen wir, insbesondere im Interesse der betroffenen Arbeitnehmer.
— Genauso ist es. Das ist das Ergebnis der Maßnahmen, der Politik der Bundesregierung. Wir sollten uns dazu beglückwünschen.
Meine Damen und Herren, noch eine kurze Bemerkung zur Schaffung von Ersatzarbeitsplätzen in Stahlregionen. Wie Sie wissen, läuft seit 1982 mit diesem Ziel das Stahlstandorteprogramm im Rahmen der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur". Dieses Programm steht grundsätzlich auch Stahlunternehmen offen, wenn sie neue Arbeitsplätze außerhalb des Montanbereichs schaffen. Für die Arbeitsmarktregion Gelsenkirchen, die die Kriterien des Stahlstandorteprogramms nicht erfüllt, hat die Bundesregierung im Planungsausschuß der Gemeinschaftsaufgabe mit Erfolg darauf hingewirkt, daß Gelsenkirchen wegen seiner extremen Arbeitsmarktprobleme nunmehr als normales Fördergebiet in die Gemeinschaftsaufgabe aufgenommen worden ist.
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5296 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 73. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 6. Juni 1984
Parl. Staatssekretär Dr. SprungSeit kurzem gibt es auch im Rahmen des Europäischen Regionalfonds spezifische Fördermaßnahmen zur Unterstützung der Umstrukturierung von Stahlregionen. Die Bundesregierung hat sich in den Ratsverhandlungen mit Nachdruck dafür eingesetzt, daß bei diesen Gemeinschaftsmaßnahmen auch die Probleme der deutschen Stahlregionen die gebotene Berücksichtigung finden. Die Bundesregierung begrüßt es daher, daß die EG-Kommission in der vergangenen Woche nach der Region Saarland/Westpfalz auch die übrigen deutschen Regionen des nationalen Stahlstandorteprogramms in diese besondere Förderung aus dem Europäischen Regionalfonds mit einem finanziellen Gesamtvolumen von ca. 90 Millionen DM aufgenommen hat.Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich glaube, dies ist eine Bilanz, die sich sehen lassen kann, eine Bilanz, die auch die Anerkennung der Opposition finden sollte.Ich danke Ihnen.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Meine Damen und Herren, wir kommen zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Ausschusses für Wirtschaft auf Drucksache 10/1157. Wer der Beschlußempfehlung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Mit Mehrheit angenommen.
Meine Damen und Herren, ich rufe nunmehr den Tagesordnungspunkt 6 auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung der Wirtschaftspläne des ERP-Sondervermögens für das Jahr 1984
— Drucksache 10/911 —
Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft
— Drucksache 10/1249 —
Berichterstatter:
Abgeordnete Niegel Dr. Mitzscherling
Der Ältestenrat hat eine Aussprache mit einem Beitrag bis zu zehn Minuten für jede Fraktion vereinbart. Erhebt sich dagegen Widerspruch? — Das ist nicht der Fall. Dann ist das so beschlossen.
Wünschen die Berichterstatter das Wort? — Das ist auch nicht der Fall.
Dann eröffne ich die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Niegel.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Aus der Beschlußempfehlung und dem schriftlichen Bericht auf Drucksache 10/1249 wissen Sie, daß der Wirtschaftsausschuß dem Votum seines Unterausschusses ERP-Wirtschaftspläne einmütig gefolgt ist und dem Hohen Haus die Annahme der Gesetzesvorlage empfiehlt. Gegenüber der Vorlage wird nur eine — dafür aber wichtige — Änderung in bezug auf die Förderung von Existenzgründungen vorgeschlagen.Der Wirtschaftsplan mit seinem Planvolumen von rund 4,2 Milliarden DM ist das dauerhafteste wirtschaftspolitische Förderinstrument des Bundes. Darum ist es auch nur konsequent, daß die Programme des Vorjahres im laufenden Jahr fortgeführt werden. Der Plan ist seit einigen jahren weitgehend auf den gewerblichen Mittelstand ausgerichtet, und hieran soll sich auch in der vorhersehbaren Zukunft nichts ändern. Es handelt sich bei den ERP-Mitteln nicht um ein Privileg einiger Großunternehmen, sondern um eine Breitenförderung der kleineren Unternehmen zum Ausgleich von Wettbewerbsnachteilen. Allein im Jahre 1983 konnten 30 000 zinsgünstige Darlehen an den gewerblichen Mittelstand gegeben werden. Erst damit ist die Finanzierung von Investitionen für diese Unternehmen auf eine kalkulierbare und kostengünstige Basis gestellt worden. Ohne die ERP-Hilfen hätten viele der Vorhaben nicht durchgeführt werden können. Somit haben sie nicht nur strukturell, sondern auch konjunkturell einen Beitrag zum gegenwärtigen Aufschwung geleistet.Im Jahr 1983 konnten auch rund 1 000 Vorhaben mit 1,3 Milliarden DM im Umweltschutzbereich finanziert werden. Allerdings wird dieser einmalig hohe Betrag im laufenden Jahr nicht wiederholt werden können. Wie Sie wissen, standen 1982/83 zusätzliche Mittel in Höhe von 1 Milliarde DM für den Umweltschutz aus Kapitel 6 des ERP-Plans 1982 zur Verfügung, für die der Bundeshaushalt eine Entlastung gegeben hat. Wir sind sehr froh, daß wir diese Mittel in der Aufschwungphase nach der Regierungsneubildung einsetzen konnten. Sie waren da sowohl Struktur- als auch konjunkturpolitisch sehr hilfreich.Aber man kann nicht ein Sonderprogramm an ein anderes reihen. Vielmehr muß man, nachdem die Zusatzmittel verbraucht sind und neue Entlastungen aus dem Bundeshaushalt nicht zu erhalten sind, 1984 und auch in den kommenden Jahren wieder mit den vorhandenen ERP-Mitteln auskommen. Sie lassen sich, wie auf der Hand liegt, nur einmal ausgeben. Bei den Prioritäten, die wir zugunsten der kleinen und mittleren Betriebe Berlins und des Umweltschutzes bewußt gesetzt haben, kommen für diese rund 500 Millionen DM in Betracht.Auch im Umweltbereich muß sich daher die ERP-Förderung stärker als bisher — das möchte ich besonders betonen — auf die wirklich Bedürftigen, d. h. die kleineren und finanzschwächeren Unternehmen und die Kommunen, konzentrieren. Neue, strengere Regelungen im Umweltbereich fordern zwar laufend ihren Preis an Investitionskosten, das ERP-Sondervermögen wäre aber bei weitem überfordert, sollte es allgemein durch seine zinsgünstigen Darlehen die Aufwendungen auf Grund gesetzlicher Auflagen abfangen. Im Rahmen seiner begrenzten Möglichkeiten werde ich mich aber auch
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 73. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 6. Juni 1984 5297
Niegelkünftig dafür einsetzen, daß der Umweltschutz ein Schwerpunktbereich des ERP-Vermögens bleibt.Für die ERP-Hilfen nach Berlin gilt Ähnliches. Wir werden diesen Förderschwerpunkt beibehalten. Aber alleine, d. h. ohne parallele Hilfen zu Lasten des Bundeshaushalts, geht es auch hier nicht.Im übrigen sollte man bei der gesamten Investitionsförderung auch nicht übersehen, daß die bundeseigenen Kreditinstitute KfW und LAB durch kräftige Kapitalzuführungen in die Lage versetzt worden sind, auch weiterhin einen großen Beitrag zur Investitionsfinanzierung zu erbringen und damit das ERP-Sondervermögen zu entlasten. Auch das ERP-Sondervermögen wird in diesem Jahr noch 25 Millionen DM dem Lastenausgleichsbankkapital zuführen, sobald die Voraussetzungen für eine Gesetzesänderung vorliegen.Ich möchte nunmehr noch zu der eingangs erwähnten Förderung von Existenzgründungen zurückkommen. Wegen der auch im bisherigen Jahresverlauf anhaltend großen Existenzgründungsbereitschaft ist ein Engpaß in diesem Programm nicht auszuschließen. Eine vorzeitige Programmschließung muß aber unter allen Umständen vermieden werden;
denn der mit der Förderung verbundene arbeitsmarktpolitische Effekt kann nicht hoch genug veranschlagt werden.Wie die Lastenausgleichsbank bei der Programmauswertung festgestellt hat, kommen auf jede Existenzgründung im Schnitt fünf neue Arbeitsplätze. So kann man davon ausgehen, daß auf die fast 16 000 Zusagen im ERP-Existenzgründungsprogramm rund 80 000 Menschen Arbeit gefunden haben. Die hierfür zugesagten Darlehen von rund 900 Millionen DM sind nach meiner Meinung sehr gut angelegt, auch wenn oftmals kritisch angemerkt wird, daß manch ein junger Unternehmer die ersten fünf oder sechs Jahre seiner Selbständigkeit nicht überdauert. Natürlich wird sich der Ausleseprozeß fortsetzen, solange wir selbständige Unternehmen haben.Die LAB hat aber auch festgestellt, daß Fehlschläge bei den Geförderten gering sind, nicht zuletzt wegen der sorgfältigen Prüfungsmaßstäbe. Zur Erhaltung oder Steigerung der Selbständigenzahl in der Bundesrepublik ist die öffentliche Förderung jedenfalls heute noch unverzichtbar.
Dabei muß man auch den gewerblichen Bereich in seiner gesamten Breite erfassen. Es ist zwar in Mode, die technologieorientierten Gründungen ganz oben anzusiedeln. Aber dabei wird leicht vergessen, daß doch ein ständiger Innovationsprozeß in der Wirtschaft stattfindet und jeder Betrieb, der sich behaupten will, gezwungen ist, neue Produkte und Verfahren zu entwickeln. Die öffentliche Hand sollte Zurückhaltung üben, wenn es um die Kriterien geht, was förderungspolitisch berücksichtigt werden soll oder nicht. Ich halte es deshalb für richtig, den gesamten Bereich der Existenzgründungen,sei es durch Neugründung, Übernahme oder aktive Beteiligung, mit ERP-Mitteln zu fördern.Damit uns diese Aufgabe gelingen kann, brauchen wir das entsprechende Geld. Das Geld darf nicht ausgehen. Daher hat der Wirtschaftsausschuß über die Regierungsvorlage hinaus empfohlen, den Ansatz in Form einer Verpflichtungsermächtigung um 100 Milliarden DM zu erhöhen. Der Betrag belastet den Wirtschaftsplan erst im nächsten Jahr, und nur, wenn der Bedarf 1984 aus dem ursprünglichen Ansatz nicht gedeckt werden kann. Die Mittel bleiben so lange gesperrt, bis sich der Ausschuß von der Notwendigkeit der Aufstockung überzeugt hat. Die hohe Nachfrage läßt erkennen, daß der Beschluß zur Nachfragedeckung notwendig ist.Ich darf vielleicht noch eines anfügen. Wir haben im Unterausschuß und im Wirtschaftsausschuß auch den Beschluß gefaßt, in einer der nächsten Sitzungen die von der Opposition beantragte Förderung von alternativen Unternehmensformen zu untersuchen: ob hier die Möglichkeit einer Kreditgewährung gegeben ist. Ich möchte allerdings darauf hinweisen: Wenn die bankrechtlichen bzw. haftungsmäßigen Voraussetzungen für eine Kreditgewährung gegeben sind, kann man schon jetzt einen Existenzgründungskredit bekommen.Ich bitte Sie, meine Kolleginnen und Kollegen, der Beschlußempfehlung des Wirtschaftsausschusses zu folgen und den Gesetzentwurf entsprechend zu verabschieden.Herzlichen Dank.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Rapp.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Begonnen hat das Ganze vor 35 Jahren mit den uns nach dem Marshallplan zugekommenen 5,3 Milliarden DM an revolvierend einsetzbaren Gegenwertmitteln. Durch die Thesaurierung der Zinsen ist daraus bis Ende 1983 ein ERP-Sondervermögen von 14 Milliarden DM geworden. Die Bilanzsumme des ERP-Programms beläuft sich auf 20 Milliarden DM; 6 Milliarden DM sind auf dem Kapitalmarkt aufgenommen worden. Das Zusagevolumen für den Wirtschaftsplan 1984 — die in diesem Jahr einsatzfähigigen Mittel — beläuft sich auf rund 4,2 Milliarden DM. Es liegt im langfristigen Trend, daß davon etwa zwei Drittel in Darlehen für kleine und mittlere Unternehmen, insbesondere für Existenzgründungen, und je fast ein Sechstel in Maßnahmen für den Umweltschutz und für die Berlin-Hilfe gehen. Der Herr Kollege Niegel hat zu den Forderungsergebnissen zutreffende Ausführungen gemacht.Zu den Zahlen und Entwicklungslinien nur noch dies: Die ganz großen Zuwächse hat es in den Jahren nach 1978 gegeben. Unter sozialdemokratischer Regierungsführung ist vor allem die Förderung der kleinen und mittleren Unternehmen mit zinsgünstigen und kostenfreien Kredithilfen ausgebaut worden. Wir bekunden Genugtuung darüber, daß die
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5298 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 73. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 6. Juni 1984
Rapp
derzeitige Bundesregierung da auf Linie geblieben ist, j a dies noch ausgeweitet hat.Allerdings muß eine problematisierende Anmerkung gerade an der verhältnismäßig raschen Ausweitung des Ausleihvolumens und dementsprechend des Volumens der vom ERP-Sondervermögen selbst aufgenommenen Kapitalmarktmittel anknüpfen. Würde man mit der Finanzierung aus aufgenommenen Kapitalmarktmitteln so fortfahren wie in den letzten Jahren, kämen wir rasch an den Punkt, an dem die Sollzinsen die Zinseinnahmen übersteigen; die Folge wäre ein allmähliches Aufzehren des ERP-Sondervermögens. Dies ist uns zum Glück durch das Gesetz untersagt. Also wird man künftig, was die Zuwachsraten anbelangt, kleinere Brötchen backen müssen. Will man den Zeitpunkt ins nächste Jahrhundert hinüberschieben, an dem sich die Kurven von Soll- und Habenzinsen schneiden, muß man jetzt den jährlichen Zusagenzuwachs auf etwa 3 % zurücknehmen. Damit stellt sich aber schon im nächsten Jahr dringlicher als bisher die Frage nach den Prioritäten.Da uns die Förderung der kleinen und mittleren Unternehmen, insbesondere die Förderung der Existenzgründungen, ebenso wichtig wie die von Umweltmaßnahmen erscheint, liegt es nahe, künftig bevorzugt solche Investitionen zu fördern, die , wie das Programm für standortbedingte Investitionen, regelmäßig beiden Förderungszielen entsprechen. Auch meine ich, daß man über Fördergrenzen oder jedenfalls darüber nachdenken müßte, wie man Überförderung ausschließen kann. Die Vielfalt der Programme hat ihre Vorzüge, der Wettbewerb zwischen den Programmanbietern, hat sie auch; aber es geht nicht an, daß man in der Kumulation von Eigenkapitalhilfe, ERP-Programm und den Angeboten der Bundesländer auch schon mal auf eine hundertprozentige Förderung kommt. Kritik daran halte ich für den berechtigten Kern der sich in letzter Zeit häufenden Attacken, die Gründungsförderung drohe, unternehmenslustige Leute von vornherein auf Staatshilfen zu fixieren und sie davon abhängig zu machen.Meine Damen und Herren, der Wirtschaftsausschuß hat einen Antrag meiner Fraktion zur weiteren Bearbeitung an den Unterausschuß überwiesen, in dem die Bundesregierung aufgefordert wird, künftig auch wirtschaftlich tätige Selbsthilfegruppen zu fördern und dafür in einer Experimentierphase ein Zusagevolumen von 10 Millionen DM auszuweisen. In dem Antrag heißt es, bei einem Teil dieser Betriebe bestehe durchaus die Möglichkeit, daß sie sich im Markt behaupten; es fehle ihnen aber mangels Eigenkapital und hinreichender Sicherheiten zur Fremdfinanzierung die finanzielle Grundlage für die Anlaufphase. Wir bitten die anderen Fraktionen, im ERP-Unterausschuß mit uns zusammen dieses Projekt in dem Willen voranzubringen, Hilfe zur Selbsthilfe auch dort vorzuhalten, wo die bisherige und bewährte Routine der Förderung wegen anderer Startbedingungen nicht ganz hinreicht.Meine Damen und Herren, das ERP-Sondervermögen stammt aus einem — horribile dictu —staatlichen Wirtschaftsprogramm, dem folgenreichsten und erfolgreichsten der Geschichte. Das Gesetz, das wir heute verabschieden, nennt sich vollends noch Wirtschaftsplangesetz. Angenommen, die US-Regierung der Jahre 1947/49 hätte der heute bei uns verbreiteten „Weltanschauung" angehangen, jedwede staatliche Aktivität in der Wirtschaft, die nach Programm und Plan auch nur riecht, führe ins Verderben, es hätte den Marshallplan nicht gegeben. Die Frage, wo wir Europäer dann heute wirtschaftlich und politisch stünden, scheint mir jeder Spekulation offen zu sein. Nein, die damalige amerikanische Regierung hat erkannt, daß der Markt der Stütze und der Ergänzung durch Politik bedarf, wo er mit seinen Steuerungsmöglichkeiten nicht hinreicht. Das ERP-Sondervermögen, dieses großartige Instrument der Hilfe zur Selbsthilfe, ist durch planende Politik zustandegekommen und funktioniert noch heute nach vorgegebenen Programmen.Auch heute gibt es Probleme — ich nenne die der Beschäftigung und der Verbesserung der Umwelt —, die man gerade um der Marktwirtschaft willen nicht einfach aussitzen darf. Sie lassen sich nämlich gar nicht aussitzen. Wer die Verweigerung von Politik und Marktwirtschaft hält, der hat die Lektion aus dem Marshallplan nicht gelernt. Wichtige Elemente des Prinzips Marshallplan haben in das Programm „Sondervermögen Arbeit und Umwelt" Eingang gefunden, das meine Fraktion vor kurzem der Öffentlichkeit vorgestellt hat. Wir haben bei der Konzipierung dieses Programms bewußt am Marshallplan von 1947/49 Maß genommen. Insoweit möchte ich die verehrten Damen und Herren von den Regierungsfraktionen herzlichst ersuchen, in Erwägung zu ziehen und für möglich zu halten, das es sinnvoll wäre, unsere Vorlagen erst einmal zu lesen und sie nicht durch dazu bestallte Fraktionssprecher ungelesen abschmettern zu lassen.
Es bleibt mir nur zu sagen, daß die SPD-Fraktion dem ERP-Wirtschaftsplan 1984 zustimmt.
Das Wort hat der Abgeordnete Beckmann.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! In Anbetracht unserer gemeinsamen Bestrebungen zur Haushaltskonsolidierung muß man auch zur Struktur dieses Wirtschaftsplans einige Anmerkungen machen.Die FDP-Fraktion bedauert sehr, daß die Umweltschutzmaßnahmen um 40 Millionen DM auf insgesamt 685 Millionen DM reduziert wurden, obwohl die Positionen gegenseitig deckungsfähig und dadurch flexibel handhabbar gemacht wurden. Es sollte aber dennoch beachtet werden, daß in Zukunft einige Maßnahmen verstärkt in die Wirtschaftspläne des ERP-Sondervermögens eingefügt werden.Ich nenne im besonderen: Wir haben im Deutschen Bundestag einstimmig das Abwasserabgabengesetz beschlossen, das die Kommunen und
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Beckmannauch die Industrie natürlich vor große Aufgaben stellt, die vor allem mit erheblichen Investitionen verbunden sind. Schon heute kann ein großes Vollzugsdefizit vor allem bei den Kommunen festgestellt werden, das in Anbetracht der Verunreinigung unserer Flüsse und Seen schnellstens beseitigt werden muß. Die Industrie hat durch den zielstrebigen Einsatz von Kreislaufsystemen den Frischwasserbedarf wesentlich reduziert und die Abwasserqualität zum Teil erheblich verbessert. Dennoch ist eine große Anzahl von Maßnahmen noch unbedingt erforderlich.Die Abfallbeseitigung wird ebenfalls Kommunen und die Wirtschaft noch mit erheblichen Investitionen belasten, die aber allesamt unumgänglich sind. Durch neue Technologien, beipielsweise bei der Müllentsorgung, ist es möglich, umweltfreundlicher, energiewirtschaftlicher und preiswerter eine Entsorgung durchzuführen, die allerdings voraussetzt, daß relativ hohe Investitionen vorab eingesetzt werden.Wir begrüßen im ERP-Haushalt den Einsatz von 2 Milliarden DM zur Förderung von kleinen und mittleren Unternehmen. Nach unserer Auffassung werden gerade die mittelständischen Betriebe die Struktur am Arbeitsmarkt wesentlich verbessern können, und sie sollten deshalb aus diesem Grunde eine gezielte Förderung erfahren.Eine besondere Rolle spielt dabei für die FDP-Fraktion die Förderung der Existenzgründungen, zumal sich herausgestellt hat, daß durch jede Existenzgründung im Schnitt drei bis fünf neue Arbeitsplätze geschaffen werden. Herr Kollege Niegel hat ja eben bereits darauf hingewiesen. Wir begrüßen deshalb auch die Option, weitere 100 Millionen DM zur Förderung der Existenzgründungen einzusetzen. Wir glauben, es ist auch richtig, daß die Förderung von Existenzgründungen so strukturiert ist, daß ein Mindesteigenkapital vorhanden sein muß und dann über die Bund-Länder-Programme das Startkapital aufgestockt wird.Wir halten es allerdings für notwendig, zu überprüfen, ob die Umfrageergebnisse einiger Kammern zutreffen, nach denen etwa ein Drittel aller Existenzneugründungen innerhalb der ersten fünf Jahre wieder aufgegeben werden, was sicher nicht im Sinne einer staatlichen Förderungspolitik ist.
Nach unseren Informationen ist das wesentlich darauf zurückzuführen, daß eine mangelhafte Beratung oder gar keine Beratung durchgeführt wird. Daher sollte man gerade den Existenzgründern empfehlen, das Angebot der Unternehmensberatungen anzunehmen, zumal ja auch hier eine staatliche Förderung erfolgt.Aus der Sicht unserer liberalen Mittelstandspolitik mit zielgerichteter Verbesserung der Arbeitsmarktsituation müßte noch zusätzlich geprüft werden, ob man nicht langfristig gesehen die Betriebserweiterungen und die Existenzgründungen etwa gleich bewerten sollte, zumal hier sicher auch weitere arbeitsmarktpolitische Effekte zu erwarten sind.Die FDP-Fraktion begrüßt ferner das Volumen für die Berlin-Hilfe von 600 Millionen DM, wobei wir auch Verständnis haben für die Wünsche der alternativen Gruppen, ihre Bemühungen um die Existenzgründung mit zusätzlich 10 Millionen DM zu fördern.
— Ja, aber freuen Sie sich nicht zu früh. — Wir müssen allerdings den Standpunkt der Kreditinstitute unterstreichen, daß zur Ausleihe von Krediten ein unternehmerisches Konzept, eine unternehmerische Rechtsform mit entsprechender Haftung und ein Konzept über Verzinsung und Rückzahlung erforderlich ist. Wenn Sie der Auffassung sind, daß man Kredite auch ohne diese Voraussetzungen ausleihen sollte, so wäre es seriös, wenn Sie eine entsprechende Gesetzesvorlage zur Änderung des Kreditwesengesetzes einbrächten. Ansonsten wäre es, so meine ich jedenfalls, ein leichtfertiger Umgang mit den Spareinlagen und Steuergeldern unserer Bürger.Es wäre auch ungerecht, die vielen Antragsteller zur Existenzgründung aus Handel, Handwerk, Gewerbe und Industrie, die alle die vorgegebenen Voraussetzungen erfüllen, abzuweisen, weil die Finanzmittel erschöpft sind, und andererseits alternative Gruppen zu begünstigen, ohne daß diese die gesetzlichen Mindestanforderungen erfüllen.
So kann ich mich nur den Ausführungen meines Kollegen Grünbeck anschließen, der zu den Anträgen zur Förderung von Alternativgruppen in Berlin geäußert hat — ich zitiere wörtlich —: „Wenn jemand null unternehmerische Konzeption hat, null Grundlage für Zinsen und Tilgungsraten vorweist, dann habe ich null Bock auf Zustimmung für solche Anträge."Die FDP-Fraktion wird dem ERP-Wirtschaftsprogramm gerne zustimmen.Ich bedanke mich insbesondere für Ihre Aufmerksamkeit.
Das Wort hat der Abgeordnete Kleinert.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich will trotz der Anregungen, die sich aus Ihrem letzten Beitrag für mich jetzt ergeben könnten, erst einmal auf ein paar grundsätzlichere Dinge hinweisen.Es gab einmal eine kriegsgeschüttelte Nation, die die Westmächte trotz ihrer tollkühnen welteroberischen Manöver nach 1945 unbedingt in ihren Reihen aufnehmen wollten. Eines der Mittel, zumindest einem Teil dieser Nation wieder auf die Beine
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Kleinert
zu helfen, war das vom amerikanischen Außenminister angeregte ERP-Programm.Dieses Programm hat einen Grundstein gelegt für den gewöhnlicherweise als „Wirtschaftswunder" glorifizierten Wiederaufschwung der privatwirtschaftlichen Ordnung in der Bundesrepublik. Diese Wirtschaftsweise hat mittlerweile nicht nur diesen Glorienschein weitgehend verloren, sie hat ihrerseits eine krisengeschüttelte Nation hervorgebracht, die inzwischen auch viele Opfer gefordert hat. Sie kennen das alles: Arbeitslosigkeit vor allen Dingen bei jungen Menschen,
— ja, das ist nun einmal so —, eine ausgeplünderte Umwelt, notleidende Klein- und Mittelbetriebe und nicht zuletzt Gemeinden, die vor großen Finanzproblemen stehen.Eines der Mittel, um diesen Opfern wieder auf die Beine zu helfen, könnte das mittlerweile zu einer stattlichen Summe angewachsene ERP-Sondervermögen sein; ich sage bewußt „könnte", denn die gegenwärtige Bundesregierung versucht, auch dieses Korrektiv für den marktwirtschaftlichen Wildwuchs ihren Wendevorstellungen zu unterwerfen.Ursprünglich als Instrument des raschen Wiederaufbaus und der Wirtschaftsförderung konzipiert, ist mittlerweile das ERP-Sondervermögen zumindest teilweise zu einem Instrument des Ausgleichs marktwirtschaftlicher Folgeschäden geworden. Obwohl die meisten der von den ERP-Kreditprogrammen erreichten Bedarfsfelder drastisch angewachsen sind
— man sehe sich nur die Statistiken zur Jugendarbeitslosigkeit und zu den Umweltbelastungen an —, hat der den Wirtschaftsplan letztlich gestaltende Bundeswirtschaftsminister das Ausgabenvolumen des ERP-Sondervermögens in 1984 gegenüber 1983 um ca. 230 Millionen DM reduziert.Dies finden wir um so befremdlicher, als viele der genannten Problemfelder im Gefolge der von der SPD/FDP begonnenen und von der CDU/FDP verstärkt fortgeführten haushaltspolitischen Wende entstanden sind. Man vergegenwärtige sich hier beispielsweise nur die schleichende finanzielle Enteignung der Gemeinden einerseits und den Aufgabenzuwachs für die Gemeinden als sozialstaatliche Lückenbüßer andererseits.In Anbetracht dieser Zusammenhänge plädieren wir GRÜNEN für die volle Ausschöpfung des nach § 10 des ERP-Verwaltungsgesetzes möglichen Nettokreditvolumens. Das wären ca. 1,7 Milliarden DM gegenüber den 800 Millionen DM im vorgelegten Wirtschaftsplan.Darüber hinaus halten wir angesichts der gesamtwirtschaftlichen Aufgabenstellung des ERP eine zinslose bzw. zinsbegünstigte Verschuldung bei der Bundesbank für durchaus vertretbar. Die gegenwärtig durch die ausnahmslose Verschuldung bei Sparkassen und Geschäftsbanken in Verbindung mit der Geldpolitik der Bundesbank entstehende Zinskostenbelastung im ERP-Haushalt und die damit zusammenhängenden Einschränkungen des Manövrierspielraums dieses Haushalts könnten auf diese Weise umgangen werden. Innerhalb dieser Vergrößerung des Gesamtvolumens sollten die ERP-Mittel nach unseren Vorstellungen aufgestockt werden: zum einen zugunsten der betrieblichen Arbeitsplatzbeschaffungsmaßnahmen, zum anderen zur Erhöhung des Postens für Umweltschutzinvestitionen und für kommunale Infrastrukturinvestitionen.Betrachtet man im Rahmen des Umweltschutzprogramms des ERP-Plans die vorgesehenen Mittel beispielsweise für den Bereich der Abfallwirtschaft, so erscheint es fast als Ironie, daß für das Jahr 1984 ganze 75 Millionen DM vorgesehen werden, obwohl allein schon für die Sanierung eines Giftmüllbergs wie etwa des in Georgswerder bei Hamburg 40 Milliarden DM veranschlagt werden müssen.
Ebensowenig ist einsichtig, warum der Betrag für die Abfallwirtschaft 1984 noch unter der verausgabten Summe für 1982 liegt, obwohl doch, wie wir alle wissen, die Giftmüllskandale in ihrer Zahl abnehmen, sondern zunehmen.Verspielt wird auch für 1984 die einmalige Chance, ein beträchtliches Sondervermögen, das der Bundesrepublik als nicht haushaltsbelastende Finanzquelle zur Verfügung steht, aus dem Wiederaufbau- und Wirtschaftsförderungsgeist vergangener Jahre herauszuholen und es auf die aktuellen gesellschaftlichen Probleme der 80er Jahre zu orientieren. Die Förderungsmittel, die an die mittelständische Industrie gehen, machen nach wie vor den größten Teil des Programms, nämlich ca. 50 %, aus — und das unkontrolliert für Investitionen fast jeder Art. So fallen Sie mit diesem Programm noch hinter die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur" zurück, bei der mit den neu zu fördernden Investitionen wenigstens die Auflage verbunden wird, neue Dauerarbeitsplätze zu schaffen — wie es heißt — oder bestehende Dauerarbeitsplätze zu sichern.Verpaßt wurde die Chance, die zur Verfügung stehenden Gelder für die großen Problemfelder unserer Zeit, nämlich gegen Umweltzerstörung und Arbeitslosigkeit, einzusetzen. Statt z. B. 155 Millionen DM in die Exportfinanzierungshilfe in Entwicklungsländer zu stecken oder 23 Millionen DM für die Refinanzierung privater Kapitalgesellschaften herzugeben, hätte man zwei neue Programme eröffnen können. Das eine Programm wäre ein Notprogramm gegen die Folgen des sauren Regens, mit dem Kredite für private und öffentliche Umweltinvestitionen zur Bekämpfung des Waldsterbens und der Versauerung unserer Seen und Flüsse vergeben werden. Das zweite Programm, das wir vorschlagen, ist ein Programm zur Unterstützung örtlicher Beschäftigungsinitiativen, ein aktives Beschäftigungsprogramm, mit dem Arbeitslose, die sich in Selbsthilfegruppen, alternativen Betrieben, Genossenschaften etc. organisieren, ein finanzielles Unter-
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stützungsprogramm angeboten bekommen können. Solche Programme sind in anderen europäischen Ländern wie in England, Frankreich und Italien schon längst eine Selbstverständlichkeit. Nur die Bundesrepublik hinkt hier weit hinterher.
Das eigentliche Charakteristikum des ERP-Plans besteht darin, daß durch den Mittelabfluß im Bereich der Wirtschaftsförderung ökologische und soziale Defizite geschaffen werden, die dann durch einen Mittelabfluß an anderer Stelle beseitigt werden müssen. Diese Art haushaltspolitischer Selbstbewirtschaftung nennen wir GRÜNEN unsolide; wir müssen sie deshalb ablehnen.Der Bundesminister für Wirtschaft hat seine Prioritäten demgegenüber klar darin zum Ausdruck gebracht, daß gerade der Titel zur Förderung der Rationalisierung der einzige Titel mit nennenswertem Ausgabenzuwachs ist, während die für den Umweltschutz und die Gemeindeinvestitionen vorgesehenen Ausgaben praktisch samt und sonders rückläufig sind. Die Behauptung, daß die Gemeinden einen nicht mehr so hohen Investitionsbedarf im Wohn- und Freizeitbereich hätten, wie es in der Beschlußempfehlung des Wirtschaftsausschusses heißt, kann nur als interessierte Ignoranz gegenüber den aktuellen Gemeindefinanzproblemen und den aktuellen Gemeindeaufgaben bezeichnet werden.
Nach Auffassung der GRÜNEN könnte der ERP-Wirtschaftsplan durchaus eine sinnvolle Institution darstellen, um jenseits vorgeblicher haushaltspolitischer Zwänge und unter weitgehend eigenverantwortlicher Mittelverwendung durch die betroffenen Personen und Körperschaften marktwirtschaftliche Fehlentwicklungen zu korrigieren. Um dies zu verwirklichen, wäre aber eine Umorientierung des ERP-Zielkatalogs weg von der traditionellen Wirtschaftsförderung hin zu den neuen Problemen und Aufgabenfeldern wie Unterstützung von Selbsthilfegruppen, Alternativbetrieben, Bürger- und Umweltinitiativen notwendig.
Für die Bewältigung dieserAufgabenfelder gibt es bislang keine institutionellen Träger.Darüber hinaus wäre eine Rücknahme der im ERP-Verwaltungsgesetz festgeschriebenen Kompetenzen des Bundeswirtschaftsministers sinnvoll. An seine Stelle sollte eine besondere politische Körperschaft treten,
in der die vom ERP-Programm betroffenen Interessengruppen, Verbände der Klein- und Mittelbetriebe, Gewerkschaften, Umweltverbände, Bürgerinitiativen und Gemeinden vertreten und mit weitreichenden Mitbestimmungsrechten ausgestattet wären.
Auf diese Weise könnte das ERP-Programm durchaus zu einem Therapeutikum für jene Krankheiten werden, die es in seiner ursprünglichen Funktion selber mitverursacht hat.Jedoch der Einsatz von ERP-Mitteln, wie er heute vorgenommen wird, muß auf unsere Ablehnung stoßen. Deshalb werden wir dem ERP-Wirtschaftsplangesetz für 1984 nicht zustimmen.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Wir kommen zur Einzelberatung und Abstimmung.
Ich rufe die §§ 1 bis 13, den Gesamtplan, Einleitung und Überschrift mit den vom Ausschuß empfohlenen Änderungen auf. Wer diesen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Angenommen!
Wir treten in die
dritte Beratung
ein und kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetz im Ganzen zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Bei einigen Gegenstimmen angenommen.
Ich rufe Punkt 7 der Tagesordnung auf:
Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verbesserung des Gemeinnützigkeitsrechts
— Drucksache 10/1368 —
Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Finanzausschuß
Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten
Der Ältestenrat empfiehlt, die Aussprache auf bis zu zehn Minuten für jede Fraktion zu begrenzen. Es kann auch weniger geredet werden. — Es erhebt sich kein Widerspruch. Es ist so beschlossen.
Zur Begründung wird nicht das Wort erbeten. Ich eröffne die allgemeine Aussprache.
Das Wort hat der Abgeordnete Jäger .
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Mit dem heute in erster Lesung zu beratenden Gesetzentwurf des Bundesrates zur Änderung der Abgabenordnung wird der Versuch unternommen, einem schon lange bestehenden Anliegen der Kleintierzüchter auf Anerkennung der Gemeinnützigkeit für ihre Vereinigungen Rechnung zu tragen. Nach der vom Bundesrat gegebenen Begründung, der man die Berechtigung nicht absprechen kann, soll gleichzeitig eine Ungleichbehandlung und damit Benachteiligung der Kleintierzüchter und Pflanzenzüchter gegenüber anderen
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Jäger
als gemeinnützig anerkannten Vereinigungen beseitigt werden. Genannt werden hier der Motorsport und das Schachspiel, die der gemeinnützigen Sportausübung gleichgestellt worden sind, sowie die Kleingartenvereine oder die Pferderennvereine.In der Tat ist nicht recht einzusehen, weshalb Pferdezucht und Pferderennsport als gemeinnützig gelten sollen, während die Kleintierzucht — etwa von Kaninchen oder Geflügel — nicht anerkannt wird. Nach § 52 Abs. 1 der Abgabenordnung verfolgt eine Körperschaft dann gemeinnützige Zwecke, „wenn ihre Tätigkeit darauf gerichtet ist, die Allgemeinheit auf materiellem, geistigem oder sittlichem Gebiet selbstlos zu fördern". Bloße Freizeitgestaltung oder Ausübung eines Hobbys genügen diesen Anforderungen nicht.Von daher erhebt die Bundesregierung Einwände gegen den Gesetzentwurf. Sie befürchtet, daß mit ihm die Tür zur steuerlichen Anerkennung der Gemeinnützigkeit weiter Bereiche der reinen Freizeitbetätigung bis hin zur Pflege der Geselligkeit geöffnet werden könnte. Sie gründet ihre Befürchtungen auf das Gebot der steuerrechtlichen Gleichbehandlung vergleichbarer Sachverhalte.Eben dieses Gebot ist es andererseits, auf das der Bundesrat sein Begehren der Erweiterung der steuerlichen Gemeinnützigkeit auf Pflanzen- und Kleintierzucht stützt. Der Bundesrat weist darauf hin, daß Kleingärtnervereine, Jagdvereine und Sportfischereivereine im gesamten Bundesgebiet als gemeinnützig anerkannt sind. Bei der Beratung im Bundesrat hat die baden-württembergische Bundesratsministerin Annemarie Griesinger auf die gesellschaftliche und jugendfördernde Funktion der in Frage stehenden Idealvereine hingewiesen. Sie hat geltend gemacht, daß diese Vereine mit ihrer Tätigkeit in selbstloser und vorbildlicher Weise die Naturverbundenheit ihrer Mitglieder fördern, daß sie der Pflege und Erhaltung der vielfältigen Arten und Rassen kleiner Nutztiere und Nutzpflanzen und damit dem Pflanzen-, Tier- und Vogelschutz, letztlich einer notwendigen Natur- und Umweltpflege dienen.Diese Argumente, deren Gewicht anzuerkennen ist, haben zur Annahme des Gesetzentwurfs durch den Bundesrat und zur Einbringung in das Gesetzgebungsverfahren des Deutschen Bundestages geführt.Der Finanzausschuß und der Agrarausschuß, an die der Gesetzentwurf überwiesen werden soll, werden gründlich zu prüfen haben, ob das angestrebte Ziel mit dem vorliegenden Text des Gesetzentwurfs erreicht wird, ohne daß die von der Bundesregierung befürchtete unerwünschte Ausuferung des Gemeinnützigkeitsbereichs auf den Bereich reiner Freizeit- und Hobbybetätigung eintritt.Die Hunderttausende selbstlos tätiger Mitglieder in den Idealvereinen der Pflanzen- und Kleintierzucht haben ein Anrecht darauf, daß der Deutsche Bundestag ernsthafte Anstrengungen mit dem Ziel unternimmt, ihre Arbeit von ungerechten Steuerlasten zu befreien. Wir alle sollten dafür dankbarsein, daß es Bürgerinnen und Bürger gibt, die ehrenamtlich und in ihrer Freizeit Aufgaben in unserer Gesellschaft wahrnehmen, die sonst der Staat mit hohem finanziellem und bürokratischem Aufwand selbst bewältigen müßte, ohne daß gewährleistet wäre, daß er sie etwa besser bewältigt.Ich möchte daher die Gelegenheit dieser ersten Lesung wahrnehmen, um allen aktiven Mitgliedern der Pflanzen- und Kleintierzuchtvereine für ihre verantwortungsvolle und uneigennützige Tätigkeit herzlich zu danken. Sie alle sollen wissen, daß wir uns bemühen werden, auf der Grundlage des Gesetzentwurfs des Bundesrats und der baden-württembergischen Initiative von Finanzminister Palm eine Lösung zu finden, die ihren berechtigten Belangen ebenso Rechnung trägt wie dem Anliegen der steuerlichen Rechtssicherheit, die eine klare Abgrenzung der steuerlichen Gemeinnützigkeit von den Bereichen der Freizeit- und Hobbybetätigung erfordert. Schließlich dürfen wir die ohnehin überlastete Steuerverwaltung nicht mit neuer Mehrarbeit und die überlastete Finanzgerichtsbarkeit nicht mit neuen heiklen Steuerprozessen belasten, sondern sollten einen Beitrag zur Vereinfachung und Klarheit des Steuerrechts leisten.In diesem Sinne, meine Damen und Herren, sollten wir an die Arbeit gehen und — wie es der Gesetzentwurf ja auch anstrebt — eine echte Verbesserung des Gemeinnützigkeitsrechts schaffen.Ich danke Ihnen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Schlatter.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Deutsche Bundestag nimmt sich ja höchst selten die Zeit für kleine Tiere. Beim Gemeinnützigkeitsrecht und bei der Steuerbefreiung von Spenden — das haben ja die Debatten hier im Plenum in der Vergangenheit gezeigt — ging es bisher immer um große Tiere und beachtliche Summen.Der vorliegende Gesetzentwurf zur Verbesserung des Gemeinnützigkeitsrechts hat da schon sehr viel bescheidenere Ziele. Geholfen werden soll durch steuerliche Förderung einem Personenkreis, der sich in Idealvereinen zusammengeschlossen hat, um Pflanzen- und Kleintierzucht zu betreiben. Es geht also nicht um die Förderung elitärer Freizeitgestaltung, wie z. B. beim Golfsport oder bei der Pferdezucht, denen die Gemeinnützigkeit bereits früher zuerkannt wurde, sondern es sollen Aktivitäten der kleinen Leute gefördert werden, die nicht zu den Besitzenden der Republik gehören.Es geht nicht um große Summen. Die steuerlichen Mindereinnahmen bleiben voraussichtlich unter 1 Million DM pro Haushaltsjahr.Was hat die Bundesregierung ins Feld zu führen, um den Gesetzentwurf des Bundesrates abzulehnen? Erstes Argument der Bundesregierung: Die nicht berufsmäßige Kleintier- und Pflanzenzucht ist allgemeine Freizeitgestaltung und die Ausübung ei-
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Schlatterner Liebhaberei. Ein gemeiner Nutzen liege nicht vor, behauptet die Bundesregierung in ihrer Stellungnahme.Meine Damen und Herren, wer so argumentiert, zeigt nur, daß er keine Antennen hat für das große Engagement, das junge und ältere Mitbürger in den Vereinsgemeinschaften entwickeln. Er sollte sich z. B. im Ruhrgebiet einmal umtun und sich anschauen, wie Taubenzuchtvereine, aber auch Kaninchen- und Pflanzenzuchtvereine wichtige gesellschaftliche und jugendfördernde Funktionen erfüllen.
— Ich rede jetzt von der Bundesregierung, die nicht zur Kenntnis nimmt, wie dort in Stadtteil- und Ortsgemeinschaften in vorbildlicher Weise die Naturverbundenheit ihrer Mitglieder gefördert wird. Zugegeben, das ist nicht das kultivierte Klima einer gemeinnützig gepflegten Golfanlage, aber es ist bei weitem förderungswürdiger, meine Damen und Herren.Zweites Argument der Bundesregierung: Die Bundesregierung warnt vor dem Ausufern der steuerlichen Gemeinnützigkeit. Die Zahl der Zuchtvereine ist nicht überschaubar, ja es drohen Auswüchse im Gemeinnützigkeitsrecht, wenn der vorliegende Gesetzentwurf eine Mehrheit findet.Ich denke, das sind große Geschütze gegen so bescheidene steuerliche Vorhaben, wie es die Förderung der Kleintier- und Pflanzenzucht wäre. Die Argumente der Bundesregierung sind wenig überzeugend. Wie kann denn glaubwürdig von einem Dammbruch beim Gemeinnützigkeitsrecht gesprochen werden, wenn nach mir vorliegenden Informationen — ich bitte, mich zu korrigieren — bereits über 70 % der Idealvereine als gemeinnützig anerkannt sind? Das Argument von den Auswüchsen und Mißbräuchen bei der steuerlichen Gemeinnützigkeit sollte schleunigst vergessen werden. Das muß doch wie Hohn in den Ohren derjenigen klingen, die staunend von gemeinnützigen Geldwaschanlagen der politischen Parteien zur Erschleichung von Steuervorteilen gelesen oder gehört haben.Drittes Argument. Die Bundesregierung nennt steuersystematische Gründe für ihre ablehnende Haltung. Die bisherige Unterscheidung zwischen reinen Freizeitbeschäftigungen und solchen, die auch im öffentlichen Interesse liegen, dürfe nicht aufgegeben werden, werden wir gemahnt. Solche Argumente, meine Damen und Herren, sind wetterwendisch. Sie wollen vergessen machen, wie oft sich gerade im Steuerrecht die Fahne nach dem Winde dreht. Ich nenne ein Beispiel dafür. Im April 1982 hat die Finanzministerkonferenz mehrheitlich beschlossen, die Pferderennvereine als gemeinnützig anzuerkennen. Die Vereine veranstalten Galopp- und Trabrennen, bei denen Wetten angenommen werden. Da geht es sehr professionell zu. Die Förderung des Amateursports wird bei der Zuerkennung der Gemeinnützigkeit nicht verlangt. Und Tierzucht ist bei diesen Vereinen doch in ersterLinie dem eigenen wirtschaftlichen Interesse gewidmet.
Ich stelle deshalb fest: Was für die großen Tiere im April 1982 recht war, muß für die kleinen Tiere diesmal billig sein.
Den Kleintierzüchtern und Pflanzenzüchtern darf nicht versagt bleiben, was z. B. den Pferderennvereinen gewährt wird.Die Bundesregierung wäre gut beraten, sich mit einem Ja dieser Haltung anzuschließen. Der Bundeskanzler hat sich mit bisweilen unerhörtem Pathos zu den förderungswürdigen Vereinsgemeinschaften in unserer Gesellschaft bekannt. Wenn das nicht nur ideologisches Papperlapapp war, dann muß ich die Bundesregierung bitten, diesem Gesetzentwurf zuzustimmen. Und ich muß die CDU/ CSU-Bundestagsfraktion bitten, Kollege Jäger, heute nicht ein Vielleicht zu sagen, sondern heute schon deutlich zu machen, daß sie bereit ist, mit der SPD die Initiative der SPD-Landtagsfraktion von Baden-Württemberg, auf die die Gesetzesvorlage des Bundesrates zurückgeht, zu unterstützen.Vielen Dank.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Solms.
Frau Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Man könnte auf die Idee kommen, daß jeweils im Vier-Jahres-Rhythmus der Versuch unternommen wird, Vereinigungen nichtberufsmäßiger Pflanzen- und Kleintierzüchter den Gemeinnützigkeitsstatus zu verschaffen. Jedenfalls ist genau das gleiche Thema am 23. April 1980 in zweiter und dritter Lesung hier in diesem Hohen Hause beraten worden. Ein Schelm, der diesen Vier-Jahres-Rhythmus mit der vierjährigen Legislaturperiode in einigen Bundesländern, insbesondere im schönen Lande Baden-Württemberg, in Verbindung bringt. Ein Schelm aber auch, der den Zeitpunkt der Einbringung von Gesetzesinitiativen im jahreszeitlichen Ablauf mit den Wahlterminen in Verbindung bringen wollte. Falls es tatsächlich jemanden geben sollte, der meint, mit einer solchen Gesetzesinitiative vor Landtagswahlen auf Stimmenfang gehen zu können, Bundesregierung und Mehrheit des Deutschen Bundestages würden es dann schon richten und das Notwendige zur Verhinderung der Ausuferung des Gemeinnützigkeitsrechts tun, egal, wie Bundesregierung und Mehrheit des Deutschen Bundestages nun auch immer parteipolitisch zusammengesetzt sein mögen, so sagen wir Freien Demokraten, daß eine solche Rechnung nicht aufgeht.
Zum einen beinhaltet das gewachsene politische Interesse unserer Bevölkerung, der wachsende
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5304 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 73. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 6. Juni 1984
Dr. SolmsWunsch nach Information und Beteiligung auch ein gerüttelt Maß an Merkfähigkeit,
so daß die Spekulation auf Vergeßlichkeit des Wählers zunehmend eine Fehlspekulation ist.
Zum anderen nehmen wir das Petitum des Landes Baden-Württemberg und des Bundesrates ernst. Wir Freien Demokraten wollen heute in der ersten Lesung des Gesetzentwurfs weder der negativen Stellungnahme der Bundesregierung bedenkenlos beitreten noch eine vorbehaltlose Unterstützung des Gesetzesanliegens artikulieren.
— Soft, richtig.In der schon erwähnten Debatte vom 23. April 1980 hat mein leider viel zu früh verstorbener Kollege Schleifenbaum für die FDP folgendes erklärt— ich zitiere —:Wir wollen nicht verlernen, zwischen Gemeinnützigkeit, Gemeinwohl und der freien Gestaltung des privaten Bereichs in eigener Verantwortung zu unterscheiden. Zugegeben, schon jetzt gibt es eine schiefe Ebene.
Warum sollte nicht für Modellflugbauer und— da sind wir beim Thema —Galopper billig sein, was für Schrebergärtner und Motorsportler seit langem und für Schachspieler seit heute— so Schleifenbaum damals — Rechtens ist?Der verehrte Kollege von Wartenberg hat damals unter Hinweis auf den Wunsch der Pflanzen- und Kleintierzüchter gesagt — ich zitiere wiederum —:Wir hoffen, daß wir in der nächsten Legislaturperiode Gelegenheit haben werden, die weitergehenden Anträge zu beraten; denn die Tätigkeit und die Entfaltungsmöglichkeiten in den Vereinen sind ein nicht zu ersetzender Bestandteil unserer Gesellschaft.
Nun, meine sehr verehrten Damen und Herren, die schiefe Ebene des Gemeinnützigkeitsrechts gibt es immer noch, obwohl einige Korrekturen zwischenzeitlich von den Betroffenen bei den Gerichten durchgesetzt worden sind, und die erhoffte sorgfältige Beratung der weitergehenden Anträge, von denen Kollege von Wartenberg damals gesprochen hat, steht noch aus. Sie ist jetzt möglich. Meine Fraktion beabsichtigt deshalb, in den parlamentarischen Beratungen dieses Entwurfs darauf hinzuwirken, daß Sinn und Unsinn der Gemeinnützigkeitsregelungen, Richtigkeit und Unrichtigkeit der Abgrenzungskriterien insgesamt sorgfältig daraufhin abgeklopft werden, ob Korrekturen notwendig sind.
Dabei ist nicht nur zu klären, welche Qualitätskriterien eigentlich die unterschiedliche Behandlung von beispielsweise Pferdezucht und Hundezucht oder Schach und Skat rechtfertigen. Es ist auch die Frage zu stellen und zu beantworten, ob das Ausgrenzungskriterium „Hobby und Freizeitbeschäftigung" in der postindustriellen Freizeitgesellschaft von morgen immer noch denselben Stellenwert haben muß wie in der Verangenheit.
Wir fragen auch, warum eine Privatinitiative zur Verbesserung regionaler Wirtschaftsstrukturen, wie es sie z. B. in Rheinhausen gibt, nicht förderungswürdig ist,
eine Bürgerinitiative zur Verhinderung eines Straßenbauprojekts dagegen gemeinnützig ist.Wir sichern den Vereinigungen nicht gewerbsmäßiger Kleintier- und Pflanzenzüchter eine sorgfältige, vorurteilsfreie parlamentarische Beratung zu. Eine deutlich positive Grundeinstellung leugnen wir dabei nicht.Danke schön.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Ehmke.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich möchte es zu dieser schon relativ späten Stunde relativ kurz machen:
Wir GRÜNEN halten eine Verbesserung, d. h. vor allem eine Ausweitung des Gemeinnützigkeitsrechts für unbedingt notwendig.
— Es geht ja hier um die Vereine! Über die Anerkennung der Gemeinnützigkeit kann versucht werden, wenigstens ansatzweise jene Ungerechtigkeiten zu mildern, die die Marktgesetze mit ihrer Fixierung allein auf die Produktivität, allein auf die meßbare Arbeitsleistung und damit auf die abstrakte Arbeitszeit tagtäglich erzeugen.Es ist längst überfällig, daß endlich anerkannt wird, daß z. B. die meisten Alternativbetriebe und die meisten Initiativen aus dem Spektrum der neuen sozialen Bewegungen Arbeit leisten, die im wahrsten Sinne des Wortes der Allgemeinheit nützt, die also gemeinnützig ist und deshalb wenig-
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Dr. Ehmke
stens durch Steuerentlastungen und durch die steuerliche Abzugsfähigkeit von Spenden unterstützt werden sollte.
Nehmen wir z. B. den ökologisch wirtschaftenden Bauernhof, der nicht wie in der mechanisierten und chemisierten Landwirtschaft seine durch Überdüngung, Spritzmittel und Erosionsschäden entstandenen Folgekosten und Folgelasten auf die Allgemeinheit oder die Natur abwälzt. Oder nehmen wir den Tante-Emma-Laden oder den Wochenmarkt, bei dem beträchtliche Verpackungskosten und Verpakkungsfolgekosten durch Müllvermeidung und Müllverwertung gespart werden. Nehmen wir z. B. die medizinische Selbsthilfegruppe oder eben auch viele Bürgerinitiativen im Umweltschutz, die sich vergeblich um die Anerkennung ihrer Gemeinnützigkeit bemüht haben.Wir GRÜNEN haben vor allem diesen Einsatz des politischen Instruments der Ausweitung des Gemeinnützigkeitsrechts vor Augen, wenn wir dem hier vorliegenden Antrag auf Anerkennung der Gemeinnützigkeit für Kleintierzüchtervereine und Pflanzenzüchtervereine zustimmen. Diese Vereine erfüllen zudem in unserer Gesellschaft nicht mehr und nicht weniger gemeinnützige Funktionen als z. B. die Sportvereine, deren Gemeinnützigkeit längst anerkannt wurde.Daneben haben die Kleintierzüchter andere wichtige Aufgaben, die in bezug auf Nutzpflanzen wie z. B. Obstsorten längst von staatlich organisierten Genbanken übernommen werden mußten. Sie erhalten die Vielfalt eines Teils unserer Nutztiere. Es sind durchaus heute schon Situationen denkbar, in denen wir z. B. auf hier erhaltene Hühnerrassen zurückgreifen müssen, weil keines der Fabrikhühner mehr in der Lage ist, selber die Eier auszubrüten.Die Pflanzen- und Kleintierzüchtervereine erfüllen aber auch wertvolle soziale Funktionen in der Vermittlung ihrer konkreten Erfahrungen im Umgang mit diesen Tierarten oder durch das für ihre Mitglieder so wichtige Vereinsleben. Auch diese Seite der Vereine ist meines Erachtens unterstützenswert, selbst wenn wir mit den konkreten Ausformungen eines solchen Vereinslebens manchmal unsere Probleme haben.Schließlich ist aber der traditionelle Taubenschlag auf den Dächern der Ruhrgebietsstädte Ausdruck sowohl der Kehrseite der Medaille, der hemmungslosen Unterwerfung der Natur, die sich ja zum Teil bis in ziemlich perverse Züchtungsformen hinein fortpflanzt — das muß man ja auch sehen —, als auch der Sehnsucht und der Bedürfnisse der Stadtmenschen, den Kontakt zur lebendigen Natur nicht völlig zu verlieren.Wir meinen deshalb, daß hierbei die positive Seite für die Gesellschaft deutlich überwiegt, und stimmen der Gemeinnützigkeit der Pflanzen- und Kleintierzüchtervereine zu.Danke schön.
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Den Überweisungsvorschlag des Ältestenrates können Sie der Tagesordnung entnehmen. Erhebt sich dagegen Widerspruch? — Das ist nicht der Fall. Dann ist das so beschlossen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 9 und 10 auf:
Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Haushaltsausschusses zu dem Antrag des Präsidenten des Bundesrechnungshofes
Rechnung des Bundesrechnungshofes für das Haushaltsjahr 1982 — Einzelplan 20 —
— Drucksachen 10/93, 10/1392 —
Berichterstatter: Abgeordnete Nehm Roth
Kleinert
Beratung der Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses zu der Unterrichtung durch den Bundesrechnungshof Bemerkungen des Bundesrechnungshofes 1983 zur Haushalts- und Wirtschaftsführung (einschließlich der Bemerkungen zur Jahresrechnung des Bundes 1981)
— Drucksachen 10/574, 10/1500 —
Berichterstatterin:
Abgeordnete Frau Seiler-Albring
Wünscht einer der Berichterstatter das Wort? — Das ist nicht der Fall.
Dann eröffne ich die Aussprache. Der Ältestenrat schlägt vor, daß jede Fraktion einen Beitrag bis zu zehn Minuten leistet. Es kann auch wiederum weniger sein.
Das Wort hat Frau Abgeordnete Seiler-Albring.
Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Man neigt ja dazu, das eigene Arbeitsgebiet als besonders wichtig zu betrachten. Ich erlaube mir aber dennoch heute abend die Bemerkung, daß ich daran zweifle, daß die Art und Weise, wie wir zwangsläufig diesen Tagesordnungspunkt abhandeln, der Bedeutung des Themas Finanzkontrolle und, wie ich glaube auch sagen zu können, der mühseligen Arbeit aller Kollegen im Rechnungsprüfungsausschuß in keiner Weise gerecht wird. Um so mehr danke ich noch den anwesenden Kollegen sehr herzlich für ihre Anwesenheit.
Meine Damen und Herren, wir sind uns im Rechnungsprüfungsausschuß darin einig, daß es hohe Zeit ist, das Gesetz über den Rechnungshof zu novellieren. Ich begrüße dies ganz ausdrücklich. In meiner Rechnungshofrede vom letzten Jahr habe ich für meine Fraktion diese Forderung bereits erhoben und erläutert. Ich will deshalb hier nur noch auf drei Punkte eingehen, erstens auf das Problem der Zeitnähe. Eines unserer wichtigsten Anliegen muß es sein, die Kontrolle durch den Rechnungshof
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5306 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 73. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 6. Juni 1984
Frau Seiler-Albringzeitnah und effizienter zu gestalten. Auch heute müssen wir wieder kritisch anmerken, daß der zu behandelnde Bericht das Jahr 1981 betrifft, das heißt, mit einer zeitlichen Verzögerung von drei Jahren behandelt wurde. Ein Ziel der Novellierung muß es sein, die Voraussetzung zu schaffen, den Zeitpunkt der Entlastung der Regierung mit der endgültigen Beschlußfassung über den neuen Haushalt möglichst zu verbinden. Dies setzt voraus, daß künftig vorab Teilberichte dem Rechnungsprüfungsausschuß übersandt werden, damit dieser sofort mit den Beratungen beginnen kann und nicht erst auf den Gesamtbericht warten muß.Eine zeitnahe Kontrolle hat den Vorteil, daß die Vorgänge unmittelbar gewertet werden und eventuell notwendige Sanktionen direkt vollzogen werden können. Wir wissen doch alle, meine Damen und Herren, aus unserer Kindheit, daß ein kurzer Schlag auf die Finger auf dem Weg aus der Speisekammer sehr viel effektiver und eindrucksvoller war als eindringliches Ermahnen später, wenn die Erinnerung an den Griff in die Zuckerdose verblaßt war.
Aber wenn wir darauf drängen, aus Gründen der Zeitnähe die Bemerkungen oder Prüfungsmitteilungen so schnell wie möglich auf den Tisch zu bekommen, dann heißt das nicht, und das sage ich ganz ausdrücklich, daß wir auf Sorgfalt keinen Wert legten. Natürlich müssen die Häuser und Ämter die Gelegenheit haben, zu der Bemerkung Stellung nehmen zu können. Erst dann, wenn dieses abgeschlossen ist, sollte der Vorgang einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden. Wir haben in letzter Zeit zweimal erlebt — der letzte Vorgang datiert von Montag dieser Woche —, daß, von wem auch immer, Prüfbemerkungen oder Gutachten des Rechnungshofes vorab in die Öffentlichkeit lanciert werden mit allen negativen Begleiterscheinungen und Irritationen bei den Betroffenen. Bei den Mitgliedern des Rechnungsprüfungsausschusses, die sich freundlich gedulden, bis die Unterlagen auf ihrem Tisch landen, kommt da keine große Freude auf. Ich hoffe und erwarte, daß der Rechnungshof alles in seiner Verfügung Stehende tut oder getan hat, um sicherzustellen, daß zumindest von seiner Seite der ordnungsgemäße Verlauf gewährleistet bleibt.Zweitens, zur Wahl des Präsidenten. Nach unserer Auffassung soll der Präsident des Rechnungshofes in Zukunft vom Deutschen Bundestag gewählt und nicht wie bisher von der Bundesregierung ernannt werden.
Dieses neue Verfahren erhöht die demokratische Legitimation des Rechnungshofes und unterstreicht seine Bedeutung als Partner des Parlaments bei der Kontrolle der Regierung.Sinn der Novellierung kann es nicht sein — lassen Sie mich das bitte ganz deutlich klarstellen —, den Rechnungshof in seiner Unabhängigkeit zu beeinträchtigen, eine Befürchtung, die in den letztenWochen seitens einiger Vertreter der Rechnungshöfe, vor allen Dingen der der Länder, geäußert wurde.Drittens. Schließlich sollte die Novellierung berücksichtigen, daß die Qualifikation der Sachgebietsleiter des Rechnungshofes nicht nur allein auf die Befähigung zum Richteramt abstellt. Die Komplexität der Materie erfordert es zunehmend, verstärkt Wirtschaftsprüfer, Diplomingenieure und EDV-Spezialisten für die Arbeit im Rechnungshof zu gewinnen.Frau Präsident, meine Damen und Herren, ich möchte doch mit einigen ganz kurzen Bemerkungen auf den Bericht des Rechnungshofes 1981 eingehen. Er enthält wiederum eine Reihe von Paradebeispielen, die zeigen, wie unklar es in manchen Verwaltungen ist, daß sie es nicht mit Manna, das vom Himmel gefallen ist, sondern mit sauer verdienten und abgeführten Steuergeldern zu tun haben.
Da finden wir Sanitätsoffiziere der Bundeswehr, die, wegen Dienstuntauglichkeit in den Ruhestand versetzt — unter Zahlung von Ruhestandsbezügen selbstverständlich —, einem einträglicheren Broterwerb in zivilen Krankenhäusern nachgehen. Da kauft der Justizminister fleißig Ausstattungsgegenstände für die einzuführende Wehrstrafgerichtsbarkeit für zirka 3,5 Millionen DM. So sind wir jetzt zwar im Besitz von 51 319 Rangabzeichen, was ungeheuer beruhigend ist. Das notwendige abgestimmte Konzept zwischen den Häusern Justiz und Verteidigung fehlt aber nach wie vor.Weiter darf man die Großzügigkeit einer Rundfunkanstalt bestaunen, die, weil sie Zuwendungen des Bundes zu früh in Anspruch genommen hat, in ihrer beklagenswerten Finanznot oder besser: in der Not, wohin mit den Finanzen, unter souveräner Nichtachtung der Bewirtschaftungsgrundsätze Vorauszahlungen von mehr als 440 000 DM vorgenommen hat, mit der Folge erheblicher Zinsverluste.Die Liste der Skurrilitäten ließe sich noch beliebig verlängern. So sehr sich manche dieser Vorgänge als Stoff für Satire eigneten, so ernst ist andererseits der Hintergrund. In Zeiten knapper Mittel muß der Finanzkontrolle eine ganz besonders wichtige Funktion zugemessen werden.Der Rechnungshof soll — das ist selbstverständlich — wie bisher in der Wahl seiner Prüfungsgegenstände unabhängig bleiben. Wenn wir uns als Parlamentarier in unserer Rolle als Kontrolleur der Exekutive aber ernst nehmen, müssen wir fallweise die Möglichkeit ergreifen können, den Rechnungshof um Sonderprüfungen zu bitten. Wir wollen einen unabhängigen Rechnungshof. Wir erwarten und hoffen aber andererseits, daß sich der Rechnungshof wie in der Vergangenheit als Partner des Parlamentes begreift.Die bewährte Partnerschaft wird einmal mehr gefordert werden, wenn wir noch vor der Sommerpause zwei besonders brisante Themenbereiche aufgreifen. Wir werden uns mit der Frage nach der
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 73. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 6. Juni 1984 5307
Frau Seiler-AlbringWirtschaftlichkeit der geplanten Breitbandverkabelung zu beschäftigen haben und auf meine Bitte und auf die Bitte meiner Fraktion die Kostenüberschreitung beim Bau des Aachener Großklinikums beraten.Ich möchte abschließend dem Rechnungshof, an der Spitze seinem Präsidenten, aber auch allen seinen Mitarbeitern, für die angenehme Zusammenarbeit im vergangenen Jahr danken und hoffen, daß dieses sich auch im nächsten Jahr fortsetzen möge.Ich möchte Sie bitten, dem Antrag auf Entlastung der Bundesregierung stattzugeben.Ich danke Ihnen.
Das Wort hat der Kollege Glos.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Im wesentlichen ist von Frau Seiler-Albring in sehr engagierter Form vorgetragen worden, was es zur Entlastung für das Jahr 1981 zu sagen gibt. Ich möchte nur den einen Satz sagen: Wir stimmen der Entlastung zu, allerdings unter dem Vorbehalt des Ausgangs der Klage nach Art. 115 des Grundgesetzes, über die die Entscheidung noch aussteht. Diesen Vorbehalt möchte ich ausdrücklich anmelden.
Wird noch weiter das Wort gewünscht? — Herr Abgeordneter Kühbacher.
Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bedanke mich bei der Kollegin Seiler-Albring, die in so charmanter Form zusammengefaßt hat, was der Rechnungsprüfungsausschuß erarbeitet hat. Es erübrigen sich weitere Worte.
Was die Einlassung des Kollegen Glos zu der Klage vor dem Bundesverfassungsgericht angeht, weise ich auf die engagierte Rede meines Kollegen Esters vom 30. September vergangenen Jahres hin. Dem ist nichts hinzuzufügen.
Ich denke, wir werden den Punkt im übrigen einstimmig beschließen.
Danke.
Wird noch weiter das Wort erbeten? — Das ist nicht der Fall. Dann schließe ich die Aussprache.
Wir kommen zuerst zur Abstimmung über Tagesordnungspunkt 9. Wer der Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses auf Drucksache 10/1392 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Das ist angenommen.
Wir kommen jetzt zur Abstimmung über Tagesordnungspunkt 10. Wer der Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses auf Drucksache 10/1500 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Bei einigen Enthaltungen angenommen.
— Alles dies steht im Protokoll.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 11 auf:
Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Forstschäden-Ausgleichsgesetzes
— Drucksache 10/1394 —
Der Ältestenrat schlägt vor, daß die Fraktionen einen Redebeitrag von bis zu zehn Minuten leisten. Dagegen erhebt sich kein Widerspruch. Dann ist dieses so beschlossen. Wird das Wort zur Begründung gewünscht? — Das ist nicht der Fall.
Dann eröffne ich die Aussprache. Das Wort hat Herr Abgeordneter Niegel.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich glaube, wir sollten dem Bundesrat und dem Initiator im Bundesrat, dem Freistaat Bayern, danken, daß sie die Änderung des Forstschädenausgleichsgesetzes auf die parlamentarische Ebene gebracht haben. Wenn es nicht vom Bundesrat initiiert worden wäre, dann hätten wir als Fraktion diese Änderung einbringen müssen.Worum geht es? Es geht im wesentlichen darum, daß die vorliegenden schwerwiegenden Waldschäden — man kann jetzt darüber debattieren, ob man sie als neuartige Waldschäden oder als Immissionsschäden oder sonstwie bezeichnet; auf jeden Fall sind diese Schäden da, und sie sind auf Grund der Aussagen der Wissenschaftler erst vor wenigen Jahren erkannt worden — bereits zu schwerwiegenden Störungen des Rohholzmarktes geführt haben und diese durch das bestehende Forstschädenausgleichsgesetz, das im Jahre 1969 geschaffen wurde, nicht bewältigt werden können. Einschlag-und Importbeschränkungen sind bisher nur bei Waldschäden möglich, die auf ein besonderes Naturereignis zurückzuführen sind. Das Gesetz ist also nicht auf Waldschäden anwendbar, die durch diese neuartigen Umstände verursacht worden sind.Ob der Bundesrat „Immissionsschäden" oder die Bundesregierung in ihrer Gegendarstellung „neuartige Waldschäden" hineingeschrieben hat, ist nicht so tragisch. Wir sollten das dann in der Einzelberatung, auch in Form eines Hearings — auch von Sachverständigen —, klären lassen. Es muß auf jeden Fall der Tatbestand, den wir alle vor Augen haben, richtig beschrieben werden, damit dieses Gesetz greifen kann.Es kommt noch hinzu, daß die Beratung dieses Gesetzes schnell erfolgen soll; denn lange können wir es dem Waldbesitzer nicht zumuten, daß er
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5308 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 73. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 6. Juni 1984
Niegeldiese Schäden in der Verwertung seines Holzes für die Allgemeinheit auf sich nimmt.Es ist also eine Beschränkung des Holzeinschlages und auch eine Beschränkung von Holzimporten aus bestimmten Ländern notwendig, wenn Störungen des Marktgleichgewichtes durch diese neuartigen Waldschäden verursacht werden. Die Beschränkung des Holzeinschlages im Inland und von Importen soll nicht mehr vom Anfall einer Schadholzmindestmenge abhängig sein. Auch hier gibt es natürlich Differenzen zwischen initialer Beschlußfassung im Bundesrat und der Stellungnahme der Bundesregierung. Darüber braucht man sich jetzt in der ersten Lesung nicht aufzuregen. Die Zielsetzung ist im Gesetzentwurf drin, und in der Einzelberatung sollte das noch einmal klar herausgestellt und umschrieben werden. Nach meiner Meinung sollte Voraussetzung für den Erlaß von Einschlags- und Importbeschränkungen nur noch die Gefahr überregionaler Marktstörungen auf Grund eines katastrophenbedingten Auseinanderklaffens von Angebot und Nachfrage sein.Die Verordnung muß flexibler zu handhaben sein. Einschränkungen sollen auch für nur einzelne Holzsorten zulässig sein. Einschlags- und Importbeschränkungen sollen unabhängig voneinander zulässig sein.Eine Differenz ist, wie ich dem Bericht entnehmen konnte, auch darüber aufgetreten, ob der Tatbestand der Importe bzw. Lieferungen aus der DDR eigens aufgegriffen werden soll oder nicht. Hier gibt es die Meinung, der Stellungnahme der Bundesregierung entsprechend, daß rechtliche Grundlagen für den Bundeswirtschaftsminister vorhanden sind, daß er auch ohne einen neuen Gesetzesauftrag eingreifen kann. Ich bitte hier dann den Bundeswirtschaftsminister um die entsprechenden Initiativen, und zwar nicht nur auf dem Rohholzsektor, sondern auch auf dem Gebiet des veredelten Holzes; denn auch hier merken wir sehr große Störungen. Ich darf hier als Beispiel nur die Polstermöbelindustrie erwähnen. Wenn die Bestimmungen vorhanden sind, sollte man sie auch in dieser Weise anwenden.Meine Damen und Herren, ich möchte noch etwas zu diesem Gesetzentwurf sagen. In der kurzen Zeit der Einreichung dieses Gesetzentwurfs konnten natürlich nicht alle Belange der deutschen Forstwirtschaft berücksichtigt werden. Es müssen ergänzende Maßnahmen ergriffen werden, sei es, daß sie in der Einzelberatung noch in dieses Gesetz eingefügt werden, sei es, daß sie flankierend als Programm dazukommen. Ich denke hier z. B. an die Vermarktungshilfe. Vermarktungshilfe ist dringend notwendig, insbesondere weil das Holz sehr voluminös ist und hohe Transportkosten hat. Etwa 60 % des Holzpreises entfallen auf die Transportkosten. Eine finnische Consultingfirma hat festgestellt, daß wir bei den Transportkosten für Holz weltweit Spitzenreiter sind. Vom Bundesrat ist ein Vorschlag angebracht worden, den die Bundesregierung sehr vorsichtig und kritisch beurteilt hat; aber man sollte ruhig auch mit dem Transportgewerbe darüber reden, wie man die Transportkosten am besten in denGriff bekommt, ohne daß beim mittelständischen Verkehrsgewerbe Schaden verursacht wird.Dann sollte eine Förderung bei den Einschlagskosten und bei erhöhten Aufräumungsarbeitskosten bei Kalamitätsnutzung möglich sein. Ich möchte hier nur daran erinnern, daß z. B. die Forstwirtschaft bei der Anhebung der Mehrwertsteuer-pauschale, die zur Zeit in den parlamentarischen Gremien beraten wird, nicht beteiligt ist. Wir haben aber die Verpflichtung, der Forstwirtschaft und insbesondere denjenigen entsprechend unter die Arme zu greifen, die vom Wald und vom Waldbesitz leben müssen.Infolge der Kalamitätsnutzung wegen der neuartigen Waldschäden entstehen bei der aufnehmenden Holzwirtschaft Übervorräte, die zu hoch bewertet werden. Der jetzige Bewertungsabschlag von 30 % scheint mir zu niedrig zu sein. Man sollte ihn mindestens auf 50 % anheben, damit hier auch ein entsprechender Anreiz für die Holzwirtschaft vorhanden ist. Man sollte sich auch überlegen, wieweit man für die Vorratshaltung entsprechende Zinsbeihilfen und Finanzierungshilfen schafft.Auch die steuerfreie Rücklage sollte angesprochen werden. Ich denke hier auch an den Ausgleichsfonds. Die jetzt im Gesetz stehenden 12 % sind meines Erachtens zuwenig.Man sollte sich z. B. auch überlegen, wie man Holz, das durch die Kalamitätsnutzung in verstärktem Maße anfällt, notfalls auch mit entsprechender Unterstützung exportieren kann.Was Importbeschränkungen betrifft — ich habe hier die DDR angesprochen —, möchte ich auch unser östliches Nachbarland, die CSSR, ansprechen. Sie sind einer der großen Umweltverschmutzer, vor allem mit ihren Braunkohlewerken in Falkenau. Sie haben das nicht im Griff; sie belasten uns. Sie belasten uns aber auch zusätzlich mit Holzimporten und schleudern häufig Holz zu niedrigen Preisen auf unseren Markt. Zuerst liefern sie uns den Dreck, und dann stören sie zusätzlich unseren Markt. Das sollte meines Erachtens auch einmal angesprochen werden.Ich möchte noch eines ansprechen. Man kann nicht ständig von Waldschäden reden, man kann nicht ständig in der Öffentlichkeit besorgt sein, und dann die Waldbesitzer, die Bauern, die Kommunen oder die größeren Forstbetriebe im Stich lassen. Denn die wirtschaftliche Verwertung des betroffenen Holzes ist ebenfalls eine der Voraussetzungen für eine erfolgreiche Bekämpfung des Waldsterbens, meine Damen und Herren.Wenn wir das alles — ich habe hier nur einige Beispiele aufgeführt — einigermaßen in den Griff bekommen und dazu die Ursachen der neuartigen Waldschäden beseitigen, glaube ich, könnten wir doch etwas beruhigter in die Zukunft sehen.Ich danke Ihnen.
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Das Wort hat der Abgeordnete Pfuhl.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Vielleicht ist es den meisten von Ihnen so gegangen wie mir: Vor 14 Tagen wußte ich noch nicht, daß es ein solches Forstschäden-Ausgleichsgesetz gibt. Wenn man sich aber mit ihm beschäftigt, stellt man fest, daß es hier einige Dinge gibt, über die man reden sollte. Deswegen ist es auch nicht verwunderlich, daß der Bundesrat die Initiative ergriffen hat, nachdem die Bundesregierung bisher untätig war, hier eine Novelle vorzulegen.
Diese Novelle, muß ich sagen, bemüht sich, in etwa das Notwendigste fortzuschreiben, was sich seit 1969 entwickelt hat. Der Kollege Niegel hat dankenswerterweise auf die Fragen hingewiesen, die im Zusammenhang mit der Immission und hier speziell mit dem sauren Regen für uns und unsere Wälder auftauchen.Aber diese Novelle zeigt doch eine gewisse Schludrigkeit. Wenn ich betrachte, daß das Gesetz von 1969 „Gesetz zum Ausgleich von Schäden infolge besonderer Naturereignisse in der Forstwirtschaft" heißt, und ich jetzt feststellen muß, daß man noch nicht einmal das Wort „Naturereignisse" gestrichen hat, sondern stehen läßt — wobei doch die Umweltverschmutzung kein Naturereignis ist,
sondern auf uns zurückzuführen ist —, dann muß ich sagen: Diejenigen, die diesen Gesetzentwurf erarbeitet und vorgelegt haben, hätten sich doch etwas eher und besser damit beschäftigen sollen.
Dieses Gesetz ist an sich ein Katastrophenregulierungsgesetz, das einer bestimmten Branche, nämlich der Holzbranche, zugute kommt und das in der Vergangenheit, wie auch der Kollege Niegel dankenswerterweise erwähnt hat, auch den Holzmarkt bei besonderen Naturereignissen wie Windbruch, Schnee- und Eisbruch, Pilzbefall, Insektenfraß regulieren sollte. Da uns nach nunmehr etwa zwölf, dreizehn Jahren die Frage des Sterbens der Wälder im Rahmen dieser Immissionen in einem solchen Ausmaß entgegentritt, glaube ich, ist es notwendig, sich etwas mehr damit zu beschäftigen.Worum geht es bei dieser gesetzlichen Neuregelung? Wir müssen diese gesetzlichen Grundlagen nicht nur haben, um den Verfall des Holzpreises bei Großschäden zu begrenzen und somit den Holzwirtschaftler zu schützen, wir müssen auch dafür sorgen, daß die verbleibenden gesunden Waldbestände gesichert werden. Wir müssen sie nicht zuletzt dadurch sichern, daß wir der Massenvermehrung von Insekten und Pilzen — ich denke hier nicht allein an den Borkenkäfer —, ganz allgemein von Schädlingen, die auf den absterbenden oder abgestorbenen Bäumen ideale Brutstätten finden, dadurch entgegenwirken, daß wir diese Brutstätten von vornherein sehr schnell beseitigen. Deswegen müssen wir auch die Voraussetzungen schaffen, umschnell und problemlos dieses Schadholz aufzuarbeiten und zu verkaufen. Dazu bedarf es z. B. auch einer Exportförderung.Hier wurde die Frage des Transports und der Transportkosten angeschnitten. Leider Gottes ist auch im zuständigen Ausschuß des Bundesrates keine Mehrheit zustande gekommen, die sich dafür ausgesprochen hätte, als das Land Hessen einen Vorschlag unterbreitet hat. Wir müssen dafür sorgen, daß der Export in diesen Fällen gefördert wird. Das muß sowohl für Rundholz gelten als auch für Restholz, Späne und auch für das sogenannte Holz der ersten Bearbeitungsstufe, d. h. Bretter, Balken, Schwellen.Während der Einschlagsbeschränkungen und auch der Einfuhrbeschränkungen müssen wir gleichzeitig auch Zuschüsse für den Transport des Holzes, das für den Export bestimmt ist, gewähren. Über eine gewisse Kilometerzahl hinaus sollte man vielleicht bis zu 50 % der Frachtkosten aus öffentlichen Mitteln aufbringen, um Holz auch ins Ausland verkaufen zu können. In der Welt wird immer Holz gesucht, zu den verschiedensten Zwecken. Es ist immer nur die Frage, ob die Transportkosten in einem angemessenen Verhältnis zu der sinnvollen Verwendung durch Verkauf im Export stehen.Der Bundeslandwirtschaftsminister sollte zusammen mit dem Bundesfinanz- und den Bundeswirtschaftsminister die Möglichkeit haben, diese Frachtzuschüsse festzulegen und je nach Notwendigkeit und Bedarf auch die Rechtsverordnung dazu zu erlassen. Ich glaube aber, die gesetzlichen Rahmenbedingungen haben wir in dieser Novelle zu setzen.Noch etwas: Die von der Bundesregierung in ihrer Stellungnahme zu dem Entwurf des Bundesrates erhobene Klage, der Gesetzentwurf des Bundesrates verschärfe die Eingriffsmöglichkeiten, ohne aber eine entsprechende Verbesserung der Ausgleichsmaßnahmen im steuerrechtlichen Bereich vorzusehen, geht teilweise an der Sache vorbei. Denn alle Fragen, die hier steuerrechtlich zu behandeln sind, beziehen sich alleine auf den Privatforst, nicht auf den Kommunal- und den Staatsforst. Da aber in der Bundesrepublik rund 50 % des Waldes Staats- und Kommunalforst sind — in Hessen sogar 80 % —, haben wir auch dafür zu sorgen, daß in diesem Zusammenhang die Staats- und Kommunalwälder mit geschützt und gefördert werden.
Das Zeitlimit und auch die Unruhe in diesem Hause
— ich darf mich bei meiner eigenen Fraktion herzlich bedanken; endlich einmal Beifall auf offener Bühne —
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Pfuhlverbieten mir, in eine Fachdebatte einzusteigen. Das große Interesse Ihrerseits muß sich noch bis zur zweiten Lesung dieses Gesetzes gedulden.
Wir aber sollten im Gegensatz zum Bundesrat unsere Schulaufgaben richtig machen, sollten gegebenenfalls auch Experten heranziehen und den richtigen Schritt tun, damit wir sowohl unsere Wälder schützen als auch eine gute, wirtschaftliche Nutzung garantieren können.Ich bedanke mich.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Rumpf.
Frau Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich komme gerade aus dem sauren Regen.
Für die Freie Demokratische Partei darf ich feststellen, daß die vorliegende Änderung des Forstschäden-Ausgleichsgesetzes einem dringenden Bedürfnis der Waldbesitzer und der Holzwirtschaft nachkommt. In der Forstwirtschaft handelt es sich ja wie bei der Landwirtschaft um eine naturabhängige Urproduktion.
Das Produkt Holz und der Holzmarkt unterscheiden sich aber in zwei wichtigen Punkten von der landwirtschaftlichen Produktion. Zum ersten sind die Holzerträge ganz langfristig geplante, über Generationen reichende Erträge. Zum zweiten war der Holzmarkt in der Bundesrepublik immer frei und ohne Preisbindungen, d. h. der kalte Wind der internationalen Konkurrenz wehte auf dem Holzmarkt ungehemmt und blies den Forstbetrieben ins Gesicht. Denken Sie z. B. an die Holzangebote aus skandinavischen Ländern, aus Übersee und aus Staatshandelsländern, auch an Dumpingpreise.Man kann rückblickend sagen, daß die Freigabe der Preise Anfang der 50er Jahre zu einer Stabilisierung des Rohstoffes Holz und des Marktes geführt haben, so daß sich die Holzwirtschaft und auch die Forstwirtschaft gut entwickeln konnten. Die Preise für das Rundholz haben sich aber innerhalb von 30 Jahren auf Grund der Importkonkurrenz kaum verändert, während sich auf der anderen Seite die Kosten in den Forstbetrieben trotz starker Rationalisierung und Mechanisierung verzehnfacht haben. Die Preisverhandlungen zwischen Waldbau und Holzverwertern wurden von Jahr zu Jahr schwieriger. Naturkatastrophen führten bereits in den letzten Jahrzehnten öfters zum völligen Zusammenbruch des Holzmarkts. So gab es örtliche und regionale Insektenplagen, Wind- und Sturmschäden, Schneebruchkatastrophen und Waldbrände. Dabei sind sektoral bestimmte Holzartengruppen, z. B. Kiefern, Fichten oder Buchen, in den Preisen verfallen.D as erste Forstschäden-Ausgleichsgesetz von 1969 versuchte, solche Einbrüche aufzufangen, und zwar in dem Moment, als die Kalamitätsnutzungen im entsprechenden Jahr 10 Millionen Festmeter überschritten, bei einem Normaleinschlag von 27 Millionen Festmetern pro Jahr.Das Gesetz hat in der Vergangenheit im wesentlichen auch funktioniert, und zwar durch drei Maßnahmengruppen: Einschlagbeschränkungen, Einfuhrbeschränkungen, Transporterleichterungen.Die Waldschäden durch Luftverunreinigungen im Zusammenhang mit Trockenschäden und einer starken Insektenvermehrung bringen aber, meine Damen und Herren, eine ganz neue Dimension in die Zerrüttung des Holzmarkts.
Es ist nicht mehr der plötzliche Anstieg des Holzangebots auf dem Markt, und es handelt sich auch nicht um Holz, das durch Feuer, Bruch oder Zersplitterung oder ganz einfach durch das Zerschneiden entwertet ist, sondern das schleichende Waldsterben bewirkt, daß allmählich immer mehr Stammholz auf den Markt kommt, so daß dieser langsam, aber sicher ebenso schleichend zum Erliegen kommt.
So ist bereits jetzt festzustellen, daß der Fichtenstammholzverkauf völlig darniederliegt. Die Forstbetriebe sind gezwungen, fortwährend weiter Holz einzuschlagen, um zu vermeiden, daß es durch den Borkenkäfer geschädigt oder entwertet wird. Wohlgemerkt: es handelt sich um technisch und biologisch völlig einwandfreies Holz, das auf Grund des Nadelabfalls eine erhöhte Attraktivität auf bestimmte Borkenkäferarten ausübt und deshalb vorzeitig genutzt werden muß.Wir von der FDP hätten es lieber gesehen, wenn die ursprüngliche Bundesratsfassung zum Tragen gekommen wäre, wonach — bezogen auf den Normalhiebsatz — bereits 20 % mehr Einschlag aller Holzartengruppen zusammen ausgereicht hätten, das Gesetz greifen zu lassen, anstatt, wie jetzt vorgesehen, 25 %. Dasselbe gilt für den Mehranfall an einer Holzart, z. B. Fichte, wo die Schwelle bei 30 besser wäre als bei 40 %.Immerhin hat die Bundesregierung eingesehen, daß auch bestimmte Holzarten wie z. B. Stammholz oder Schadholz in die Regelung einbezogen werden müssen.
— Ich komme dazu, mein lieber Herr Fischer.Meine Damen und Herren, die wirtschaftliche Bedeutung der Holz- und Forstwirtschaft ist mit weit mehr als 100 Milliarden DM Umsatz — das wird Sie auch interessieren — und mit über 1 Million Beschäftigten schon an sich sehr groß. Herr Fischer, Sie müssen wie ein Borkenkäfer nur immer an der-
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 73. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 6. Juni 1984 5311
Dr. Rumpfselben Stelle nagen; vielleicht kommen Sie irgendwann einmal durch.
Ich möchte deshalb namens der FDP auch nicht verhehlen, daß das Forstschäden-Ausgleichsgesetz nur ein Teil eines Maßnahmenkatalogs sein kann. Es bringt nur einen schwachen Trost. Ich glaube, der Kollege von den GRÜNEN, Herr Ehmke, hat gesagt, es sei eine Sterbehilfe.
Ich möchte das nicht so nennen; aber es ist ein schwacher Trost. Es muß vor allem flankiert werden durch großzügige Handhabung der tariflichen Bestimmungen für Beförderungsentgelt im Güterkraft- und Binnenschiffsverkehr sowie durch Ausnahmetarife bei der Deutschen Bundesbahn.Unbegreiflich sind mir z. B. auch die peinlich genau einzuhaltenden und kontrollierten und bei Nichtbeachtung auch schwer geahndeten Vorschriften für den Transport von Langholz. Ich kenne holländische Betriebe, die viel deutsches Holz kaufen würden, wenn die Mengen- und Längenbeschränkungen etwas verändert oder großzügiger gehandhabt würden. Das gleiche gilt für den Export des Holzes nach Nahost.Der liberale Ansatz kann deshalb nur heißen: eher Abbau von Handelshemmnissen, Förderung von Marktchancen, zusätzliche Exportanreize anstatt Importbeschränkungen.Wir müssen uns aber auch überlegen, ob für Holz-und Forstwirtschaft weitere Überbrückungshilfen möglich sind, beispielsweise eine Aufstockung der Mittel aus der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes" statt einer Verringerung, wie sie zunächst im Rahmenplan 1985 vorgesehen ist. Damit könnte man die konservierende Behandlung von Langholz — Beregnung und Wasserlagerung — finanzieren, Kredite für Holzkäufer geben, damit sie mehr Holz vom Markt wegnehmen, als sie im Moment brauchen. Weitere Verwendungszwecke sind die Bekämpfung des Borkenkäfers direkt, die Früherkennung einschlagsnotwendiger Bestände, die bessere Verwendung des Rohstoffs Holz im Neu- und Ausbau von Häusern und schließlich die waldbauliche Behandlung geschädigter Bestände durch Neuanpflanzung und Düngemaßnahmen. Sehr wichtig erscheint mir in diesem Zusammenhang, daß Angstverkäufe im Moment auf dem Markt nicht angezeigt sind. Die Forstwirtschaft müßte, um aus dieser schwierigen Lage herauszukommen, ebenfalls in die Anhebung der Vorsteuerpauschale, wie sie für die Landwirtschaft vorgesehen ist, einbezogen werden.Zum Schluß muß hier sicher gesagt werden, daß das Übel an der Wurzel gepackt werden muß.
Es sind alles nur Versuche, an den Auswüchsen herumzukurieren. Die Schadquellen, die die Bäume schädigen, sind zu verstopfen. Meine Damen und Herren, auch Sie von der Opposition: Wir haben sowohl morgen als auch übermorgen noch ausreichend Gelegenheit, über diese Dinge zu sprechen.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Ehmke .
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Freundin Antje! Liebe Freunde!
Nachdem wir schon oft über die ökologischen Folgen des Waldsterbens gesprochen haben, wollen wir uns heute mal der ökonomischen Seite widmen. Ich möchte jetzt gar nicht viele Zahlen in den Raum stellen, sondern nur noch mal darauf hinweisen, daß vielen Leuten nicht bekannt ist, daß unsere Forst- und Holzwirtschaft vorwiegend klein- und mittelständisch organisiert ist und daß dieser Wirtschaftszweig eine volkswirtschaftliche Bedeutung hat, die etwa der Automobilherstellung entspricht.Ich will zum Anfang kurz die Situation eines solchen kleinständischen Waldbauern aus meiner weiteren Heimat, aus dem Schwarzwald, darstellen. Wir haben nämlich gerade dort eine große Zahl von kleinen und mittleren Waldbauern, die durch das Waldsterben und die jetzigen Kalamitäten sehr betroffen werden. Der Betrieb, von dem ich sprechen will, liegt ca. 10 km südlich von Freudenstadt in einer Höhe von 750 m. Die Betriebsfläche gliedert sich in ca. 11 ha landwirtschaftliche Nutzfläche und ca. 93 ha Forstwirtschaft. Der landwirtschaftliche Betriebszweig in Form reiner Gründlandwirtschaft ist völlig nebensächlich. Die Existenz der Familie gründet sich auf die erwirtschafteten Gewinne aus dem forstwirtschaftlichen Betriebsteil, der aus einem gepflegten Tannen-, Fichten- und Kiefernwald besteht. Hier hat sich allerdings in den vergangenen drei Jahren eine dramatische Verschlechterung der Waldsituation infolge von Luftverschmutzung und saurem Regen eingestellt. Die Waldungen liegen im Bereich der von dem Biologen Professor Reichel ermittelten Schadensfahne, verursacht durch die Emissionen des Industriegebiets Kehl/ Straßburg.
Besonders die Hochlagen in diesem Bereich zeigen die schlimmsten Schadensbilder.Das bedeutet im Klartext eine echte Existenzgefährdung der Familie. Denn rund 70 ha oder 75% der gesamten Waldungen zeigen schwerste Schäden und sind von den Jungpflanzen bis zum Altholz vom Absterben bedroht. Dazu wird der Borkenkäfer in diesem Jahr noch das Entsprechende beitragen,
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5312 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 73. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 6. Juni 1984
Dr. Ehmke
so daß diese gesamte Fläche in absehbarer Zeit den gleichen Zustand wie im Erzgebirge aufweisen wird. Nur auf 20 ha oder 22 % der Fläche sind die Schäden noch relativ begrenzt. Nur auf 3 ha zeigen sich lediglich erste, noch unbedeutende Schadensbilder.Was den Anfall von Kalamitätsnutzung infolge des Waldsterbens betrifft, zeigt sich ganz deutlich, daß man sich bereits auf einem steil ansteigenden Ast einer Schadenszunahme befindet: im Wirtschaftsjahr 1980/81 100 %, 1981/82 304 % und 1982/83 hochgeschnellt auf über 420 %.
Wir sehen also, meine Damen und Herren, daß das Waldsterben solche Waldbesitzer bis ins Mark trifft und die Existenz vieler Familien und Betriebe sowohl in der Forstwirtschaft als auch in der Holzwirtschaft gefährdet.In diesem Zusammenhang muß es für die Waldbauern wie Hohn klingen, wenn man verharmlosend von „neuartigen Waldschäden" redet. Die Bundesregierung setzt dem noch die Krone auf, indem sie in ihrer Stellungnahme zu dem Gesetzentwurf des Bundesrates eine Formulierung für § 1 Abs. 1 des Forstschäden-Ausgleichsgesetzes vorschlägt, die statt des Begriffes „Immissionsschäden", wie der Bundesrat vorschlägt, die aufschlußreiche Bezeichnung „Schädigungen unbekannter Ursache" einführt. Ich muß sagen: Das ist wirklich ein Meisterwerk an Verharmlosung.Meine Damen und Herren, das Gesetz, das wir heute behandeln, heißt Forstschäden-Ausgleichsgesetz. Dieser Name war bisher berechtigt, solange wir es nur mit kurzfristigen Schäden wie Wind- und Schneebruch oder Insektenbefall zu tun hatten. Das durch Luftschadstoffe bedingte Waldsterben wird sich aber selbst dann, wenn wir sofort massive Maßnahmen zur Emissionsminderung einleiten würden, noch über viele Jahre hinziehen und die Existenz vieler Betriebe in Frage stellen. Es kann sich somit nicht mehr um einen Ausgleich der Schäden handeln, sondern nur noch um eine finanzielle Sterbehilfe. Der Wald ist mit diesem Gesetz nicht zu retten. Darüber müssen wir uns im klaren sein.
Das Gesetz kann nur aufschiebend wirken. Die einzige sinnvolle Maßnahme gegen das Waldsterben ist eine wesentliche schnellstmögliche Verminderung der Schadstoffausstöße.
Wir haben ja schon im Mai 1983 ein Waldrettungsprogramm und verschiedene flankierende Notmaßnahmen eingebracht, die allerdings seitdem in den Ausschüssen des Bundestages vor sich hinschmoren, von ihnen nicht behandelt werden.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Kühbacher?
Ja, bitte.
Herr Kollege Ehmke, trauen Sie der Bundesregierung in diesem Zusammenhang zu, auch die heutige Fernsehnachricht, daß in Baden-Württemberg verstärkte Maikäferplagen aufgetreten sind, zur Begründung dieser Gesetzesänderung anzuführen?
Das setzt dem Ganzen eine weitere Krone auf, wovon ich schon gesprochen habe.
Meine Damen und Herren, zurück zum Forstschäden-Ausgleichsgesetz.
Würden Sie freundlicherweise fortfahren, Herr Kollege, damit wir noch zu Ende kommen. Es ist 21.30 Uhr. Es wäre ganz nett, wenn Sie weiterreden würden.
Ich werde versuchen, das hier schnell durchzuziehen. — Ich kann jetzt noch kein endgültiges Urteil zu der vorgesehenen Gesetzesänderung abgeben; dies muß den Ausschußberatungen vorbehalten bleiben. Wichtig erscheinen mir aber schon heute folgende Gesichtspunkte:Es sollte geprüft werden, ob nicht die vom Bundesrat in § 1 Abs. 2 vorgeschlagenen niedrigen Schwellenwerte für den Kalamitätsanteil, also 20 % bzw. 30 %, angesichts der Schwere des Waldsterbens angemesssener sind. Je niedriger die Schwellenwerte, desto besser können die Regelungen des Gesetzes greifen und zur Entlastung der Waldbauern beitragen. In manchen Landkreisen beträgt der Einschlagsanteil immissionsgeschädigter Bäume bereits über ein Drittel des Baumbestandes. Nach der geltenden Fassung gilt die Einschlagsbeschränkung maximal für zwei Jahre. Da es sich beim Waldsterben um ein langfristiges Schadensereignis handelt, würde demzufolge auch eine mehrjährige Einschlagsbeschränkung erforderlich.Die in § 3 vorgesehenen steuerfreien Rücklagen und die Möglichkeit der Inanspruchnahme des Ausgleichsfonds müssen wesentlich verbessert werden. Bisher war die Rücklage auf höchstens 12 Vo einer durchschnittlichen Jahreseinnahme begrenzt. Dies reicht nicht aus. Damit können höchstens die durch eine Einschlagsbeschränkung verminderten Holzerlöse eines einzigen Jahres ausgeglichen werden. Wenn die Beschränkung zwei Jahre dauert, reicht der Ausgleichsfonds schon nicht mehr aus. Um so mehr gilt dies, falls mehrjährige Einschlagsbeschränkungen zu erwarten sind, was j a ange-
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sichts der galoppierenden Schwindsucht in unseren Wäldern und der um sich greifenden Angsthiebe durchaus realistisch ist. Hier besteht nach meiner Meinung ein dringender Novellierungsbedarf; meine Freundin Antje Vollmer
wird das sicher einbringen. Ich könnte mir etwa vorstellen, daß man die Höhe der Rücklage von 12 % auf 100 % und die jährliche Zuführung zur Rücklage von 3 % auf 25 % anhebt.
Damit könnte man dann z. B. auch die Holzkonservierung bezahlen, von der soeben schon die Rede war, und zwar dann, wenn der Maßnahmenkatalog in § 3 Abs. 3 auch entsprechend geändert würde.Die ersatzlose Streichung der §§ 5 und 6 sollte angesichts der deutlichen Beschleunigung des Waldsterbens gerade im letzten Winter noch einmal überdacht werden, und es ist zu prüfen, ob und wie weitere Unterstützungen und Zuschüsse für den Transport und Export von Schadensholz möglich und nötig sind.Meine Damen und Herren, weitere Einzelheiten kann ich hier und heute nicht darstellen. Ich möchte aber zum Schluß noch einmal mit aller Deutlichkeit auf zwei Aspekte hinweisen:Erstens. Alle Waldbesitzer erleiden wirtschaftliche Nachteile durch das Waldsterben, nicht nur diejenigen in Waldschadensgebieten. Auch in den noch schadensfreien Gebieten, die dank der glorreichen Luftreinhaltepolitik unserer Bunderegierung immer kleiner werden, sinken die Erlöse durch den Verfall des Holzpreises. Es sind deshalb auch steuerliche Entlastungsmaßnahmen, etwa die Anwendung des günstigsten Einkommensteuersatzes bei allen Waldbesitzern, zu prüfen.Zweitens. Diese Entlastung bei der Einkommensteuer und die Erhöhung der steuerfreien Rücklage sind nicht kostenneutral, sondern führen zu Mindereinnahmen des Staates. Damit könnte ich aber leben, denn bisher hat sich der Forstwirt doch praktisch selbst helfen müssen, indem er vom eigenen Geld eine Sparkasse in Form des Ausgleichsfonds angelegt hat. Mit den jetzigen immissionsbedingten Waldschäden ist aber etwas Neues hinzugekommen: die großflächige, dauerhafte Devastierung des Waldes, die einen enteignungsgleichen Eingriff darstellt. Es ist deshalb meines Erachtens sinnvoll und berechtigt, wenn die Waldbauern steuerlich entlastet werden.Die Bundesregierung hat ihre Verpflichtung zur Erhaltung der Forstwirtschaft, die sich aus § 41 Abs. 2 des Bundeswaldgesetzes ergibt, nicht ernst genommen.
Unser Wald stirbt. Die Bundesregierung läßt die Luft weiter verpesten, obwohl schnelle und wirksame Gegenmaßnahmen möglich wären. Deshalb müssen die Waldbauern die Regierung auch finanziell und rechtlich in Anspruch nehmen können.Danke schön.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.Der Ältestenrat schlägt vor, den Gesetzentwurf auf Drucksache 10/1394 zur Ausschußberatung zu überweisen, und zwar an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten — federführend — sowie zur Mitberatung an den Innenausschuß, den Ausschuß für Wirtschaft und den Ausschuß für innerdeutsche Beziehungen. Gibt es noch weitere Vorschläge? — Nein. Sind Sie mit den Überweisungsvorschlägen einverstanden? — Dann ist das so beschlossen.Ich rufe Punkt 12 der Tagesordnung auf:Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und FDP eingebrachten Entwurfs eines Siebten Gesetzes zur Änderung des Bundeswahlgesetzes— Drucksache 10/1489Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:Innenausschuß
Ausschuß für Wahlprüfung, Immunität und GeschäftsordnungRechtsausschußHaushaltsausschuß gemäß § 96 GODas Wort zur Begründung wird nicht begehrt. — Das Wort in der Aussprache wird nicht gewünscht. Ich schließe die Aussprache.Der Ältestenrat schlägt vor, den Gesetzentwurf auf Drucksache 10/1498 an den Innenausschuß — federführend — und zur Mitberatung an den Ausschuß für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung, den Rechtsausschuß sowie gemäß § 96 unserer Geschäftsordnung an den Haushaltsausschuß zu überweisen. Auch dazu keine weiteren Vorschläge. Sie sind damit einverstanden? — Dann ist dies so beschlossen.Ich rufe die Tagesordnungspunkte 13 und 14 auf:Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Übereinkommen vom 9. Mai 1980 über den internationalen Eisenbahnverkehr
— Drucksache 10/1493 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Ausschuß für VerkehrErste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 17. November 1981 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Vereinigten Republik Tansania über den Fluglinienverkehr— Drucksache 10/1492 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Ausschuß für VerkehrAuch hier wird das Wort nicht begehrt.
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Vizepräsident Frau Renger— Der Punkt von Herrn Friedmann ist schon abgehandelt.Der Ältestenrat schlägt Überweisung der Gesetzentwürfe auf den Drucksachen 10/1493 und 10/1492 an den Verkehrsausschuß vor. Weitere Vorschläge werden dazu nicht gemacht. — Die Überweisung ist beschlossen.Ich rufe Punkt 15 der Tagesordnung auf:a) Beratung der Sammelübersicht 33 des Petitionsausschusses über Anträge zu Petitionen— Drucksache 10/1465 —b) Beratung der Sammelübersicht 34 des Petitionsausschusses über Anträge zu Petitionen— Drucksache 10/1491 —Auch hier wird das Wort nicht begehrt. Wir kommen zur Abstimmung.Wer den Beschlußempfehlungen des Petitionsausschusses zu den soeben genannten Sammelübersichten zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Gegen einige Stimmen angenommen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 16 bis 23 auf:16. Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten zu der Unterrichtung durch die BundesregierungBericht der Kommission an den Rat für den Bereich Zierpflanzenbau
Vorschlag für eine Verordnung des Rates mit zusätzlichen Maßnahmen im Rahmen der Verordnung (EWG) Nr. 234/68 für bestimmte Erzeugnisse des Blumenhandels— Drucksachen 10/1145 Nr. 6, 10/1403 —Berichterstatter: Abgeordneter Sander17. Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten zu der Unterrichtung durch die BundesregierungVorschlag einer Verordnung des Rates zur Verbesserung der Effizienz der AgrarstrukturVorschlag einer Verordnung des Rates zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 355/77 über eine gemeinsame Maßnahme zur Verbesserung der Verarbeitungs- und Vermarktungsbedingungen für landwirtschaftliche Erzeugnisse und zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 1820/80 zur Förderung der landwirtschaftlichen Entwicklung in den benachteiligten Gebieten von Westirland— Drucksachen 10/546 Nr. 15, 10/1395 —Berichterstatter: Abgeordneter Brunner18. Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr zu der Unterrichtung durch die BundesregierungVorschlag für eine Richtlinie des Rates zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten betreffend die Geräuschemissionen von Schienenfahrzeugen— Drucksachen 10/873 Nr. 33, 10/1300 —Berichterstatter: Abgeordneter Ibrügger19. Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit zu der Unterrichtung durch die BundesregierungVorschlag für eine Verordnung des Rates zur Festlegung von Vorschriften für die Anwendung der Verordnung (EWG) Nr. 3331/82 über die Nahrungsmittelhilfepolitik und -verwaltung— Drucksachen 10/1051 Nr. 12, 10/1145, 10/1411 —Berichterstatter:Abgeordnete Brück Dr. Pohlmeier20. Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Forschung und Technologie zu der Unterrichtung durch die BundesregierungMitteilung der Kommission an den Rat über die Strukturen und Verfahren der gemeinsamen Politik auf dem Gebiet der Wissenschaft und Technologie— Drucksachen 10/221, 10/1455 —Berichterstatter:Abgeordnete Seesing Fischer KohnFrau Dr. Bard21. Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Forschung und Technologie zu der Unterrichtung durch die BundesregierungVorschlag für einen Beschluß des Rates zur Annahme eines mehrjährigen Forschungs- und Ausbildungsprogramms der Europäischen Atomgemeinschaft auf dem Gebiet des Strahlenschutzes
— Drucksachen 10/414, 10/1456 —Berichterstatter:Abgeordnete Dr. Warrikoff Fischer
KohnFrau Dr. Bard22. Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Forschung und
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Vizepräsident Frau RengerTechnologie zu der Unterrichtung durch die BundesregierungVorschlag für einen Beschluß des Rates über ein Mehrjahres-Forschungs- und Entwicklungsprogramm der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft auf dem Gebiet der technologischen GrundlagenforschungVorschlag für einen Beschluß des Rates zur Annahme eines mehrjährigen Forschungs- und Entwicklungsprogramms für die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft zur Anwendung neuer Technologien— Drucksachen 10/415, 10/1457 —Berichterstatter:Abgeordnete Seesing Fischer KohnFrau Dr. Bard23. Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Forschung und Technologie zu der Unterrichtung durch die BundesregierungVorschlag für einen Beschluß des Rates zur Annahme eines Hilfsprogramms für den Aufbau einer eigenen wissenschaftlichen und technologischen Forschung in den Entwicklungsländern
— Drucksachen 10/425, 10/1458 —Berichterstatter:Abgeordnete Schneider Fischer (Homburg)KohnFrau Dr. BardAuch hierzu wird das Wort nicht begehrt. Die Beschlüsse in den Ausschüssen sind einmütig gefaßt worden. Ich lasse deshalb über die Vorlagen gemeinsam abstimmen.
— Sind Sie gegen eine gemeinsame Abstimmung? Möchten Sie Einzelabstimmung haben?
— Vielleicht sagen Sie mir, wo Sie eine gesonderte Abstimmung wünschen.
— Augenblick, meine Damen und Herren. — Wir können das nicht ändern, wenn Sie dieser Meinung sind, obwohl das in den Ausschüssen einmütig beschlossen worden ist. Ich möchte noch einmal darauf aufmerksam machen, daß also auch die Abgeordneten der GRÜNEN in den Ausschüssen zugestimmt haben. Ich weiß nicht, warum nun Einzelabstimmung verlangt wird. Bestehen Sie trotzdem darauf? —
Ich lasse dann zu den aufgerufenen Punkten der Tagesordnung einzeln abstimmen.Wer der Beschlußempfehlung des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten auf Drucksache 10/1403 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Einstimmig so beschlossen.Wer der Beschlußempfehlung des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten auf Drucksache 10/1395 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Die Gegenprobe!— Enthaltungen? — Bei einigen Enthaltungen so angenommen.Wer der Beschlußempfehlung des Ausschusses für Verkehr zum Vorschlag für eine Richtlinie des Rates zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten betreffend die Geräuschemissionen von Schienenfahrzeugen — Drucksache 10/1300 — zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Die Gegenprobe! — Enthaltungen? — Das ist einstimmig so beschlossen.Wer der Beschlußempfehlung des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit — Drucksache 10/1411 — zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen?— Bei einigen Enthaltungen ist das so angenommen.Wer der Beschlußempfehlung des Ausschusses für Forschung und Technologie — Drucksache 10/ 1455 — zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen?— Waren das Gegenstimmen? — Dann ist das einstimmig so angenommen.Wer der Beschlußempfehlung des Ausschusses für Forschung und Technologie — Drucksache 10/ 1456 — zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Das ist einstimmig so angenommen.Wer der Beschlußempfehlung des Ausschusses für Forschung und Technologie — Drucksache 10/ 1457 — zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Einstimmig so angenommen.Wer der Beschlußempfehlung des Ausschusses für Forschung und Technologie — Drucksache 10/ 1458 — zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Einstimmig so angenommen.
Ich rufe jetzt Punkt 24 der Tagesordnung auf:Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Forschung und Technologie zu der Unterrichtung durch die BundesregierungVorschlag für einen Beschluß des Rates zur Festlegung eines Forschungs- und Entwicklungsprogramms über nichtnukleare Energie
— Drucksachen 10/427, 10/1459 —Berichterstatter: Abgeordnete Seesing Fischer
KohnFrau Dr. Bard
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Vizepräsident Frau RengerDas Wort wird nicht gewünscht, wie ich sehe.Dann kommen wir zur Abstimmung. Wer der Beschlußempfehlung des Ausschusses für Forschung und Technologie — Drucksache 10/1459 — zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Bei einigen Enthaltungen ist auch dies angenommen.Ich rufe Punkt 25 der Tagesordnung auf:Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Forschung und Technologie zu der Unterrichtung durch die BundesregierungVorschlag für einen Beschluß des Rates zur Annahme eines Forschungsprogramms über die Reaktorsicherheit— Drucksachen 10/434, 10/1460 —Berichterstatter:Abgeordnete Dr. Warrikoff Fischer
KohnFrau Dr. BardDas Wort wird nicht erbeten.Wer der Beschlußempfehlung des Ausschusses für Forschung und Technologie — Drucksache 10/ 1460 — zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Bei einigen Gegenstimmen angenommen.Haben wir alles abgehandelt? — Dann, meine Damen und Herren, sind wir am Ende unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Donnerstag, den 7. Juni 1984, 13 Uhr ein.Die Sitzung ist geschlossen.