Protokoll:
9103

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Metadaten
  • date_rangeWahlperiode: 9

  • date_rangeSitzungsnummer: 103

  • date_rangeDatum: 27. Mai 1982

  • access_timeStartuhrzeit der Sitzung: 09:00 Uhr

  • av_timerEnduhrzeit der Sitzung: 20:38 Uhr

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  • tocInhaltsverzeichnis
    Plenarprotokoll 9/103 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 103. Sitzung Bonn, Donnerstag, den 27. Mai 1982 Inhalt: Verzicht des Abg. Röhner auf die Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag . . . . 6153A Eintritt des Abg. Voigt (Sonthofen) in den Deutschen Bundestag 6153A Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Erstellung von Übersichten über die üblichen Entgelte für nicht preisgebundenen Wohnraum (Mietspiegelgesetz) — Drucksache 9/745 — Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau — Drucksache 9/1672 — in Verbindung mit Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Mietrechtsänderungsgesetzes 1981 — Drucksache 9/791 —Beschlußempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses — Drucksachen 9/1679, 9/1680 — in Verbindung mit Zweite Beratung des von den Abgeordneten Dr. Möller, Dr. Jahn (Münster), Erhard (Bad Schwalbach), Dr. Schneider, Clemens, Hauser (Krefeld), Müller (Remscheid), Dörflinger, Günther, Dr.-Ing. Kansy, Link, Magin, Niegel, Frau Pack, Frau Roitzsch, Ruf, Sauter (Epfendorf), Zierer, Dr. Blüm, Dr. Faltlhauser, Herkenrath, Kiep, Kolb, Linsmeier, Dr. Finger, Rühe, Sick, Dr. Waffenschmidt, Repnik und der Fraktion der CDU/ CSU eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Erhöhung des Angebots an Mietwohnungen — Drucksache 9/469 —Beschlußempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses — Drucksache 9/1679 — in Verbindung mit Zweite Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Erhöhung des Angebots an Mietwohnungen — Drucksache 9/790 Beschlußempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses — Drucksache 9/1679 — Dr. Jahn (Münster) CDU/CSU 6154 A Schmidt (München) SPD 6157 D Gattermann FDP 6161 B Clemens CDU/CSU 6164 B Schröder (Hannover) SPD 6168A Engelhard FDP 6169 D Hansen fraktionslos 6171 B Dr. Haack, Bundesminister BMBau . . 6173A Späth, Ministerpräsident des Landes Baden-Württemberg 6176 A Dr. Schmude, Bundesminister BMJ . . 6179 B II Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 103. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Mai 1982 Dr. Schneider CDU/CSU 6182 A Gnädinger SPD 6185A Magin CDU/CSU 6186 D Wartenberg (Berlin) SPD 6188 A Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der SPD und FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neubewertung unbebauter baureifer Grundstücke (Teilhauptfeststellungsgesetz 1983) — Drucksache 9/1648 — Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung — Drucksache 9/1674 — Beschlußempfehlung und Bericht des Finanzausschusses — Drucksache 9/1673 — Dr. Langner CDU/CSU 6190 D Dr. Struck SPD 6192 D Dr. Solms FDP 6193 D Beratung der Beschlußempfehlung des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes (Vermittlungsausschuß) zu dem Gesetz über steuerliche und sonstige Maßnahmen für Arbeitsplätze, Wachstum und Stabilität (Beschäftigungsförderungsgesetz) — Drucksache 9/1647 — Dr.-Ing. Czichon, Senator der Freien Hansestadt Bremen 6214A Dr. Kreile CDU/CSU 6214C Walther SPD 6216 C Frau Matthäus-Maier FDP 6218 A Coppik fraktionslos (Erklärung nach § 90 GO) 6219C Beratung des Antrags der Fraktionen der SPD und FDP Fortschreibung des Bildungsgesamtplans — Drucksache 9/1643 — Frau Weyel SPD 6220 D Graf von Waldburg-Zeil CDU/CSU . . . 6222 C Neuhausen FDP 6224A Engholm, Bundesminister BMBW . . . . 6226 A Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über Maklerverträge — Drucksache 9/1633 — Dr. Schmude, Bundesminister BMJ . . . 6227 B Dr. Stark (Nürtingen) CDU/CSU . . . . 6229 A Dr. Schwenk (Stade) SPD 6230 D Kleinert FDP .6233A Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur Änderung mietrechtlicher und mietpreisrechtlicher Vorschriften im Land Berlin — Drucksache 9/1640 — Rastemborski, Senator des Landes Berlin 6235 B Schulze (Berlin) CDU/CSU 6236 A Wartenberg (Berlin) SPD 6237 C Wolfgramm (Göttingen) FDP 6239 A Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Stercken, Klein (München), Pfeifer, Dr. Mertes (Gerolstein), Dr. Schäuble, von der Heydt Freiherr von Massenbach, Picard, Rühe, Dr. Probst, Dr. Hornhues, Dr. Marx, Neuhaus, Linsmeier, Frau Geiger, Dr. Laufs, Lenzer, Dr. Bugl, Würzbach, Dr. Jobst, Löher, Freiherr von Schorlemer, Pohlmann, Dr. Kunz (Weiden), Niegel, Dr. Hüsch, Schwarz, Dr. Lenz (Bergstraße), Magin, Dr. Olderog, Sauter (Epfendorf), Sauter (Ichenhausen), Zierer, Jagoda, Bühler (Bruchsal), Boroffka, Dr. Rose, Spilker, Sick und der Fraktion der CDU/ CSU Kulturelle Beziehungen mit den Vereinigten Staaten von Amerika — Drucksache 9/1498 — in Verbindung mit Beratung des Antrags der Fraktionen der SPD und FDP Intensivierung der deutsch-amerikanischen Kulturbeziehungen — Drucksache 9/1665 — Dr. Stercken CDU/CSU 6240 B Gansel SPD 6243 D Schäfer (Mainz) FDP 6246 D Frau Dr. Hamm-Brücher, Staatsminister AA 6249 B Frau Fuchs, Bundesminister BMJFG . 6252 C Erste Beratung des von den Abgeordneten Regenspurger, Dr. Faltlhauser, Hartmann, Fellner, Zierer, Kalisch, Dr. Götz, Dr. Jobst, Dr. Kunz (Weiden), Keller, Müller (Wesseling), Hinsken, Rainer, Höffkes, Spilker, Dr. Kreile, Frau Geiger, Sauter (Ichenhausen), Kraus, Handlos, Lintner, Dr. Bötsch, Weiß, Dr. Probst, Biehle, Kroll-Schlüter, Linsmeier eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Anderung dienstrechtlicher Vorschriften — Drucksache 9/1497 — 6253 C Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 103. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Mai 1982 III Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Arzneimittelgesetzes — Drucksache 9/1598 — Frau Fuchs, Bundesminister BMJFG . . 6253 D Frau Dr. Neumeister CDU/CSU 6254 D Rayer SPD 6256 B Frau Dr. Adam-Schwaetzer FDP . . . 6257 B Erste Beratung des von der Fraktion der CDU/CSU eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Bundessozialhilfegesetzes — Drucksache 9/1602 — Kalisch CDU/CSU 6258 C Jaunich SPD 6260 B Eimer (Fürth) FDP 6261 D Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 6. Mai 1981 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Volksrepublik Bangladesch über die Förderung und den gegenseitigen Schutz von Kapitalanlagen — Drucksache 9/1619 — 6262 D Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 17. Juli 1981 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Kanada zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und bestimmter anderer Steuern — Drucksache 9/1620 — 6263A Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 9. Dezember 1980 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Königreich der Niederlande über die gemeinsame Information und Beratung der Schiffahrt in der Emsmündung durch Landradar- und Revierfunkanlagen — Drucksache 9/1632 — 6263A Beratung der Sammelübersicht 36 des Petitionsausschusses über Anträge zu Petitionen — Drucksache 9/1627 — 6263 B Beratung der Übersicht 9 des Rechtsausschusses über die dem Deutschen Bundestag zugeleiteten Streitsachen vor dem Bundesverfassungsgericht — Drucksache 9/1644 — 6263C Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Vorschlag für eine Richtlinie des Rates (EWG) über Tarife im Linienflugverkehr zwischen Mitgliedstaaten — Drucksachen 9/1088 Nr. 19, 9/1617 — . 6263C Fragestunde — Drucksache 9/1664 vom 21. Mai 1982 — Verteilung eines kritischen Zeitungsartikels des Bundesministers des Innern zu außenpolitischen Fragen an Bedienstete des Ministeriums MdlAnfr 53 21.05.82 Drs 09/1664 Broll CDU/CSU Antw StSekr Dr. Fröhlich BMI . . . 6195C,D ZusFr Broll CDU/CSU 6195C,D Auflagen für die geplanten Kernkraftwerke Biblis C, Isar II und Emsland MdlAnfr 61 21.05.82 Drs 09/1664 Dr. Laufs CDU/CSU Antw StSekr Dr. Fröhlich BMI . . 6196A, B, C, D ZusFr Dr. Laufs CDU/CSU 6196 B ZusFr Dr. Hirsch FDP 6196C ZusFr Dr. Kübler SPD 6196 D Substitutionsprodukte für PCB in Transformatoren MdlAnfr 4 21.05.82 Drs 09/1664 Dr. Kübler SPD Antw StSekr Dr. Fröhlich BMI 6197A ZusFr Dr. Kübler SPD 6197A Haltung der Bundesregierung zu den in einem Zeitungsartikel vertretenen außenpolitischen Ansichten des Bundesinnenministers MdlAnfr 9 21.05.82 Drs 09/1664 Broll CDU/CSU Antw StMin Dr. Corterier AA . . . . 6197 B, D, 6198 A, B, C, D ZusFr Broll CDU/CSU 6197 D ZusFr Jäger (Wangen) CDU/CSU . . . 6198A ZusFr Dr. Czaja CDU/CSU 6198 B ZusFr Graf Huyn CDU/CSU 6198 B ZusFr Dr. Voss CDU/CSU 6198C ZusFr Dr. Hirsch FDP 6198 D Berücksichtigung der Ziffer 7 der Entschließung des Bundestages vom 18. Dezember 1981 und der Frage der Inhaftierten IV Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 103. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Mai 1982 bei den Gesprächen mit dem polnischen Vizepremier Kowalczyk in Bonn MdlAnfr 11 21.05.82 Drs 09/1664 Dr. Czaja CDU/CSU Antw StMin Dr. Corterier AA . . . 6199 A, B, C ZusFr Dr. Czaja CDU/CSU 6199 B, C Rolle der Rechtslage Deutschlands und der friedlichen Lösung der deutschen Frage in den Aktivitäten der Koordinatoren für deutsch-amerikanische Beziehungen MdlAnfr 12 21.05.82 Drs 09/1664 Dr. Czaja CDU/CSU Antw StMin Dr. Corterier AA 6199C, 6200 A, B, C ZusFr Dr. Czaja CDU/CSU 6200 A ZusFr Dr. Wendig FDP 6200 B ZusFr Jäger (Wangen) CDU/CSU . . . 6200 C Entsendung eines Botschafters nach El Salvador und Gewährung von Entwicklungshilfe MdlAnfr 13, 14 21.05.82 Drs 09/1664 Niegel CDU/CSU Antw StMin Dr. Corterier AA 6200 D, 6201A,B,C,D ZusFr Niegel CDU/CSU . . . 6200D, 6201 A, C, D ZusFr Broll CDU/CSU 6201 A ZusFr Graf Huyn CDU/CSU 6201 B Praxis der Bundesregierung bei der Ausweisung enttarnter kommunistischer Spione MdlAnfr 49, 50 21.05.82 Drs 09/1664 Dr. Voss CDU/CSU Antw StMin Dr. Corterier AA . . 6202 A, B, C, D ZusFr Dr. Voss CDU/CSU 6202 B, C, D ZusFr Jäger (Wangen) CDU/CSU . . . 6202 D Bestellung des Bundestagsabgeordneten Wrede zum neuen Parlamentarischen Staatssekretär beim Bundesminister für innerdeutsche Beziehungen MdlAnfr 40 21.05.82 Drs 09/1664 Jäger (Wangen) CDU/CSU Antw StMin Wischnewski BK . . 6203 A, B, C, D ZusFr Jäger (Wangen) CDU/CSU . . . 6203A,B ZusFr Dr. Diederich (Berlin) SPD . . . 6203 C ZusFr Broll CDU/CSU 6203 C ZusFr Lattmann CDU/CSU 6203 C Kosten für das Kanzler-Sommerfest 1981; Verwendung der voraussichtlichen Ausgaben 1982 für Maßnahmen zur Senkung der Jugendarbeitslosigkeit MdlAnfr 41, 42 21.05.82 Drs 09/1664 Frau Roitzsch CDU/CSU Antw StMin Wischnewski BK 6203 D, 6204 A, B, C, 6205 A, B, C, D, 6206A ZusFr Frau Roitzsch CDU/CSU . 6204 A, D, 6205B ZusFr Gansel SPD 6204 B ZusFr Frau Schmidt (Nürnberg) SPD . 6205 B ZusFr Broll CDU/CSU 6205 C ZusFr Jäger (Wangen) CDU/CSU . . . 6205 C ZusFr Glos CDU/CSU 6205 D Gesetzesinitiativen der Bundesregierung zur Verwirklichung der steuerpolitischen Beschlüsse des SPD-Parteitags; Folgerungen aus dem Verzicht auf Steuersenkungsprogramme für die vorgesehenen Entlastungen bei der Lohn- und Einkommensteuer MdlAnfr 62, 63 21.05.82 Drs 09/1664 Glos CDU/CSU Antw PStSekr Haehser BMF . . . . 6206 B, C, D, 6207 B, C, D ZusFr Glos CDU/CSU . . . . 6206 B, C, 6207A, B ZusFr Jäger (Wangen) CDU/CSU . . . . 6207 C ZusFr Dr. Czaja CDU/CSU 6207 C ZusFr Jungmann SPD 6207 D Anerkennung der von der CDU ausgestellten Quittungen für Fahrkosten anläßlich der Bonner Demonstration am 5. Juni 1982 als steuerabzugsfähige Spendennachweise MdlAnfr 69 21.05.82 Drs 09/1664 Conradi SPD Antw PStSekr Haehser BMF . . . 6208 A, B, C, D, 6209 A ZusFr Conradi SPD 6208 B ZusFr Frau Blunck SPD 6208 C ZusFr Gansel SPD 6208 D ZusFr Peter (Kassel) SPD 6208 D Beanspruchung der Investitionszulage durch die Land- und Forstwirtschaft MdlAnfr 72, 73 21.05.82 Drs 09/1664 Funk (Gutenzell) CDU/CSU Antw PStSekr Haehser BMF 6209B, D ZusFr Funk (Gutenzell) CDU/CSU . . 6209 D Erschwerte Anwerbung von Saisonarbeitskräften für Obst- und Gemüsebau durch die Lohnsteuerpauschalierungsbescheinigung MdlAnfr 18 21.05.82 Drs 09/1664 Eigen CDU/CSU Antw PStSekr Haehser BMF . . 6209D, 6210A,B ZusFr Eigen CDU/CSU 6210A,B Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 103. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Mai 1982 V Schließung des einzigen deutschen Ferrochrom-Werks; Einbeziehung deutschen Ferrochroms in die Rohstoffbevorratung MdlAnfr 74, 75 21.05.82 Drs 09/1664 Berschkeit SPD Antw PStSekr Grüner BMWi 6210 C, D, 6211 A, B, C, D, 6212A ZusFr Berschkeit SPD 6210D, 6211 D ZusFr Ginnuttis SPD 6211A ZusFr Wolfram (Recklinghausen) SPD 6211 B Sanierung multinationaler Unternehmen durch Kostenverschiebungen zu Lasten deutscher und europäischer Tochtergesellschaften, insbesondere durch den Maschinenbaukonzern International Harvester Corp. MdlAnfr 76 21.05.82 Drs 09/1664 Dr. Soell SPD Antw PStSekr Grüner BMWi . . . . 6212 B, C, D, 6213A ZusFr Dr. Soell SPD 6212B,C ZusFr Eigen CDU/CSU 6212 C ZusFr Rapp (Göppingen) SPD 6212 D ZusFr Weisskirchen (Wiesloch) SPD . 6213A Novellierung des Energiewirtschaftsgesetzes und des Kartellgesetzes als Voraussetzung für die Verwirklichung regionaler Energieversorgungskonzepte MdlAnfr 77 21.05.82 Drs 09/1664 Catenhusen SPD Antw PStSekr Grüner BMWi . . . . 6213 B, C, D ZusFr Catenhusen SPD 6213 C Nächste Sitzung 6263 D Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . 6265* A Anlage 2 Schriftliche Erklärung des Abgeordneten Jahn (Marburg) (SPD) gemäß § 31 Abs. 1 GO zur Abstimmung über den Entwurf des Mietspiegelgesetzes und den Entwurf eines Mietrechtsänderungsgesetzes 1981 . . . 6265* C Anlage 3 Schriftliche Erklärung des Abgeordneten Jäger (Wangen) (CDU/CSU) gemäß § 31 Abs. 1 GO zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes (Vermittlungsausschuß) zu dem Gesetz über steuerliche und sonstige Maßnahmen für Arbeitsplätze, Wachstum und Stabilität (Beschäftigungsförderungsgesetz) 6266* A Anlage 4 Schriftliche Erklärung des Abgeordneten Dr. Schöfberger (SPD) gemäß § 31 Abs. 1 GO zur Abstimmung über den Entwurf eines Mietrechtsänderungsgesetzes 1981 6266* B Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 103. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Mai 1982 6153 103. Sitzung Bonn, den 27. Mai 1982 Beginn: 9.00 Uhr
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    Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Dr. Abelein ** 28. 5. Dr. Ahrens * 28. 5. Dr. Barzel 28. 5. Biehle ** 28. 5. Dr. Bötsch 28. 5. Brandt 28. 5. Braun 28. 5. Büchner (Speyer) 28. 5. Conrad (Riegelsberg) 28. 5. Dr. Enders * 28. 5. Francke (Hamburg) ** 28. 5. Dr. Geßner ** 28. 5. Herterich 28. 5. Dr. Holtz * 28. 5. Horn ** 28. 5. Dr. Hupka ** 28. 5. Ibrügger ** 28. 5. Jung (Kandel) ** 28. 5. Dr. Kreutzmann 28. 5. Frau Krone-Appuhn ** 28. 5. Dr. Kunz (Weiden) ** 28. 5. Lagershausen 27. 5. Lampersbach 28. 5. Dr. Lenz (Bergstraße) ** 28. 5. Lenzer * 28. 5. Frau Dr. Martiny 28. 5. Dr. Marx ** 28. 5. Meinike (Oberhausen) 28. 5. Möhring ** 28. 5. Möllemann ** 28. 5. Dr. Müller * 28. 5. Neumann (Stelle) ** 28. 5. Petersen ** 28. 5. Pfeifer 27. 5. Picard 28. 5. Poß 27. 5. Rühe ** 28. 5. Sauer (Salzgitter) 28. 5. Schmidt (Würgendorf) ** 28. 5. Seehofer 28. 5. Sick 28. 5. Dr. Unland * 28. 5. Vogel (Ennepetal) 28. 5. Dr. Vohrer * 28. 5. Voigt (Frankfurt) ** 28. 5. Dr. von Wartenberg ** 28. 5. Wehner 28. 5. Würtz ** 28. 5. Dr. Zimmermann 28. 5. * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates ** für die Teilnahme an Sitzungen der Westeuropäischen Union Anlagen zum Stenographischen Bericht Anlage 2 Schriftliche Erklärung des Abgeordneten Jahn (Marburg) (SPD) gemäß § 31 Abs. 1 GO zur Abstimmung über den Entwurf des Mietspiegelgesetzes und den Entwurf eines Mietrechtsänderungsgesetzes 1981 Das soziale Mietrecht hat bisher Millionen Mietern zuverlässige Sicherheit für den Bestand ihrer Wohnung und zugleich Schutz vor unverhältnismäßigen Mieterhöhungen gegeben. Den Hauseigentümern gewährleistet es jährliche wirtschaftlich gerechtfertigte Anpassungen der Mieten. In der Bundesrepublik Deutschland besteht ein erheblicher Fehlbestand an Mietwohnungen. Es fehlen insbesondere Wohnungen für Familien mit Kindern zu einkommensgerechten Mieten. Der Wohnungsmangel, der heute schon erhebliche regelmäßige Anstieg der Mieten und die unverhältnismäßig steigenden Heiz- und Nebenkosten belasten die Mieter überdurchschnittlich. Mieter brauchen deshalb mehr und nicht weniger Schutz für den Bestand ihrer Wohnung. Der Wohnungsbau braucht mehr und nicht weniger staatliche Förderung. Die Erwartung, durch Erleichterung des Mietanstiegs könne der Wohnungsbau belebt werden, ist nicht begründet. Auch Mieterhöhungen werden die Kluft zwischen der Kostenmiete für frei finanzierte Neubauwohnungen, die jetzt schon bis zu 25,- DM pro qm ausmachen und Marktmieten, die allenfalls 10,- bis 12,- DM pro qm erreichen können, nicht überbrücken. Mehr Wohnungen für Bezieher durchschnittlicher Einkommen werden so nicht gebaut werden können. In dieser Lage führen die Entscheidungen im Mietspiegelgesetz und im Mietrechtsänderungsgesetz zwar zu dringend gebotenen Verbesserungen des Mieterschutzes, zugleich aber zu ernsten Gefahren für die Mieter. Die sogenannte Aktualisierung der Mietspiegel, die Einführung der Staffelmieten und die Lockerung des Mieterschutzes durch Zeitmietverträge gehen einseitig zu Lasten der Mieter und bergen die Gefahr des Mißbrauchs in sich. Auf Dauer wird der Bestand des sozialen Schutzes der Mieter in Frage gestellt. Ich bin mir bewußt, daß die heutigen Entscheidungen Bestandteil der beschäftigungspolitischen Zielsetzungen der Koalition von SPD und FDP sind. Für die Grundsätze dieser Koalition und ihre Zielsetzungen stehe ich ein. Daran will ich auch dann keine Zweifel aufkommen lassen, wenn ich mit meiner Auffassung in der Frage der Änderungen des Mietrechtes für meine Überzeugung keine Mehrheit habe gewinnen können. In meiner hervorgehobenen Verantwortung für die Mieter, die ich als Präsident des Deutschen Mieterbundes außerhalb dieses Hauses trage, kann ich diese gegensätzlichen Interessen nicht ausgleichen. 6266* Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 103. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Mai 1982 Ich bin deshalb außerstande, den Gesetzen zuzustimmen. Mit einer Ablehnung der Gesetze müßte ich mich an die Seite der CDU/CSU stellen, die einen sehr viel weiter reichenden Abbau der Mieterrechte fordert. Ich müßte zudem auch Nein sagen zu den Verbesserungen im Mieterschutz, die das Mietrechtsänderungsgesetz tatsächlich auch bringt und die — wie ich anerkenne —, für sich genommen, den Mietern zugute kommen. Unter diesen Umständen kann ich meine Haltung nur dadurch verantwortlich ausdrücken, daß ich mich der Stimme enthalte. Anlage 3 Schriftliche Erklärung des Abgeordneten Jäger (Wangen) (CDU/CSU) gemäß § 31 Abs. 1 GO zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes (Vermittlungausschuß) zu dem Gesetz über steuerliche und sonstige Maßnahmen für Arbeitsplätze, Wachstum und Stabilität (Beschäftigungsförderungsgesetz) Mit meiner Ablehnung des Vermittlungsergebnisses bestreite ich nicht den darin enthaltenen Erfolg der CDU/CSU, die Erhöhung der Mehrwertsteuer verhindert zu haben. Der von mir als ungerecht und unsolide empfundenen Investitionszulage, die alle Unternehmen bestraft, die auch in den letzten Jahren trotz steigender Zins- und Kostenlasten investiert haben, um Arbeitsplätze zu erhalten, konnte ich jedoch nicht zustimmen, zumal sie zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit nicht beitragen und große Mitnahmeeffekte auslösen wird. Sie verschärft zudem das Strukturgefälle zwischen ländlichen Räumen und Industriegebieten, da die Zulage hauptsächlich in die letzteren fließen dürfte, und ist daher für mich als Abgeordneter eines überwiegend ländlich strukturierten Raumes nicht akzeptabel. Anlage 4 Schriftliche Erklärung des Abgeordneten Dr. Schöfberger (SPD) gemäß § 31 Abs. 1 GO zur Abstimmung über den Entwurf eines Mietrechtsänderungsgesetzes 1981 Ich stimme dem Mietrechtsänderungsgesetz nicht zu und begründe dies wie folgt: 1. Das Gesetz ist ein von der FDP initiierter Schlag gegen das von Sozialdemokraten geschaffene und bislang stets verteidigte soziale Mietrecht: a) es höhlt das Vergleichsmietensystem aus; b) es bringt mit der „Staffelmiete" unverantwortliche Mietpreissteigerungen für neue Mietwohnungen; c) es lockert mit der „Zeitmiete" den Kündigungsschutz. 2. Das Gesetz wird in den nächsten drei Jahren — vor allem in Ballungsräumen — Mietpreissteigerungen bis zu 30 % hervorrufen und ist daher eine Kampfansage gegen die Mieter. Millionen von Mietern werden empfindlich belastet, müssen sich erheblich einschränken oder können die hohen Mieten ohne Wohngeld oder Sozialhilfe überhaupt nicht mehr zahlen. Dies wiederum wird die öffentlichen Haushalte in Milliardenhöhe belasten. 3. Das Gesetz erschließt Vermietern mit großem Wohnungsbesitz Gewinne in Millionenhöhe. Die Hoffnung, daß diese Gewinne wiederum im Mietwohnungsbau investiert werden, sind durch nichts begründet. Bisherige Investitionshemmnisse sind typisch kapitalistische Erscheinungen, wie explodierende Bodenpreise, steigende Baukosten, hohe Baubetreuungskosten und ein hohes Zinsniveau auf dem Kapitalmarkt, nicht das soziale Mietrecht. 4. Das Gesetz ist höchst unzureichend formuliert und laienunverständlich; es kompliziert das geltende Mietrecht aufs Neue, statt es — wie seit 1974 angestrebt — zu vereinfachen. Es bringt rechtssystematische Mängel ins BGB, die Lehre und Rechtsprechung noch lange beschäftigen werden. 5. Die wenigen im Gesetz enthaltenen, von der SPD stammenden Verbesserungen (Schutz gegen Übermaß-Modernisierung, Mietkautionen, Vorkaufsrecht bei Umwandlungen) begrüße ich zwar. Sie können jedoch mein abschließendes Gesamturteil nicht mehr aufheben. Mein NEIN zum Mietrechtsänderungsgesetz ist ein gänzlich anderes als das NEIN der Union, die das soziale Mietrecht noch wesentlich weiter deformieren will, als das Gesetz es tut. Mein NEIN liegt vor allem im Interesse meiner Münchner Mitbürger, die es als Mieter bisher schon schwer genug haben. Diese Mieter möchte ich nicht im Stich lassen.
Gesamtes Protokol
Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID0910300000
Die Sitzung ist eröffnet.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Abgeordnete Röhner hat am 11. Mai 1982 auf seine Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag verzichtet. Als sein Nachfolger hat am 14. Mai 1982 der Abgeordnete Voigt (Sonthofen) die Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag erworben. Ich begrüße den neuen Kollegen, der uns kein Fremder ist, herzlich wieder in unserem Hause und wünsche ihm eine erfolgreiche Mitarbeit.

(Beifall)

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 2 und 3 auf:
2. Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Erstellung von Übersichten über die üblichen Entgelte für nicht preisgebundenen Wohnraum (Mietspiegelgesetz — MSpG)

— Drucksache 9/745 —
Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau (16. Ausschuß)

— Drucksache 9/1672 —
Berichterstatter:
Abgeordnete Wartenberg (Berlin) Magin

(Erste Beratung 55. Sitzung)

3. a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Mietrechtsänderungsgesetzes 1981 (MietRÄndG 1981)

— Drucksache 9/791 —
Beschlußempfehlung und Bericht des
Rechtsausschusses (6. Ausschuß)

— Drucksachen 9/1679, 9/1680 —
Berichterstatter:
Abgeordnete Clemens Schmidt (München)


(Erste Beratung 55. Sitzung) b) Zweite Beratung des von den Abgeordneten Dr. Möller, Dr. Jahn (Münster), Erhard (Bad Schwalbach), Dr. Schneider, Clemens, Hauser (Krefeld), Müller (Remscheid), Dörflinger, Günther, Dr.-Ing. Kansy, Link, Magin, Niegel, Frau Pack, Frau Roitzsch, Ruf, Sauter (Epfendorf), Zierer, Dr. Blüm, Dr. Faltlhauser, Herkenrath, Kiep, Kolb, Linsmeier, Dr. Pinger, Rühe, Sick, Dr. Waffenschmidt, Repnik und der Fraktion der CDU/CSU eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Erhöhung des Angebots an Mietwohnungen

— Drucksache 9/469 —
Beschlußempfehlung und Bericht des
Rechtsausschusses (6. Ausschuß)

— Drucksache 9/1679 —
Berichterstatter:
Abgeordnete Clemens Schmidt (München)


(Erste Beratung 55. Sitzung)

c) Zweite Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Erhöhung des Angebots an Mietwohnungen
— Drucksache 9/790 —
Beschlußempfehlung und Bericht des
Rechtsausschusses (6. Ausschuß)

— Drucksache 9/1679 —
Berichterstatter:
Abgeordnete Clemens Schmidt (München)


(Erste Beratung 55. Sitzung)

Der Ältestenrat hat zu den Tagesordnungspunkten 2 und 3 eine verbundene Debatte vorgeschlagen.



Vizepräsident Frau Renger
Ist das Haus damit einverstanden? — Kein Widerspruch.
Wird von den Berichterstattern das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall.
Dann eröffne ich die Debatte. Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Jahn (Münster).

Dr. Friedrich-Adolf Jahn (CDU):
Rede ID: ID0910300100
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Heute vor einem Jahr haben Bundesrat und CDU/CSU-Bundestagsfraktion drei wohnungsbaupolitische Gesetzesinitiativen auf den Weg gebracht.
Mit ihrer ersten, der steuerpolitischen Gesetzesinitiative ist ein Signal gesetzt worden: Anreize für private Investitionen nicht durch Subventionen, sondern durch steuerliche Vergünstigungen. Diesen Weg hat die Bundesregierung im Mai vergangenen Jahres abgelehnt. Erst im Herbst ist sie auf unseren Weg eingeschwenkt. Die Bundesregierung hat deshalb diese zeitliche Verzögerung mit all ihren negativen Begleiterscheinungen für die Baukonjunktur auch allein zu vertreten.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Die zweite Gesetzesinitiative, das Gesetz zur Belebung des sozialen Wohnungsbaus und zum Abbau nicht mehr gerechtfertigter Subventionen, hat die wohnungsbaupolitische Landschaft ebenfalls beeinflußt. Binnen weniger Monate floß nahezu 1 Milliarde DM zurück, mit der gebaut werden konnte. Dies war ein erster Schritt zur Schaffung neuen Wohnraums, ein erster Schritt zur Belebung der Baukonjunktur. Wir dürfen heute feststellen, meine Damen und Herren: Für zusätzliche Bauinvestitionen hat die Zinslösung der Union und nicht die Fehlbelegungsabgabe von SPD und FDP gesorgt.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Die dritte Gesetzesinitiative, den Entwurf eines Gesetzes zur Erhöhung des Angebots an Mietwohnungen, beraten wir heute, eine Gesetzesinitiative, an deren Zustandekommen unser Kollege Dr. Möller einen ganz maßgeblichen Anteil hat.
Meine Damen und Herren, wer im Wohnungsbau investieren will, nimmt Anfangsverluste in Kauf, wenn er steuerliche Erleichterungen erhält und mittelfristig eine angemessene Wirtschaftlichkeit erreichen kann. Eine Änderung der mietrechtlichen Bestimmungen ist zwar nicht die einzige, aber eine wesentliche Voraussetzung dafür, daß Investitionen im Wohnungsbau getätigt werden.
Diesen Kausalzusammenhang hat die Bundesregierung lange geleugnet — Graf Lambsdorff nicht; das gereicht ihm zur Ehre —. Aber die Sachverständigengutachten, die er in Auftrag gegeben hat, und das Sachverständigengutachten, das der Wohnungsbauminister in diesen Tagen vorgelegt hat, gehen eindeutig davon aus, daß es einen Kausalzusammenhang zwischen der mangelnden Investitionsbereitschaft einerseits und der derzeitigen Mietgesetzgebung andererseits gibt.

(Beifall bei der CDU/CSU — Löffler [SPD]: Der Kausalzusammenhang wird hier ex cathedra verkündet, und dann besteht er!?)

— Nein, er wird nicht ex cathedra verkündet, Herr Kollege Löffler. An dem Gutachten waren Wissenschaftler beteiligt, u. a. Karl Schiller, der Ihnen schon einmal zugerufen hat: Genossen, laßt die Tassen im Schrank! Er hat dieses Gutachten mitgeschrieben.

(Beifall bei der CDU/CSU — Gnädinger [SPD]: Zwischen Zinsen und Wohnungsbau gibt es keinen Kausalzusammenhang?)

— Es gibt auch andere Kausalzusammenhänge, Herr Kollege Gnädinger. Aber in dem Gutachten heißt es „das entscheidende Investitionshemmnis". Da Sie Jurist sind, werden Sie feststellen, daß das eines von vielen Investitionshemmnissen ist. Die Gutachter sagen, daß es das entscheidende Investitionshemmnis sei, und das müssen Sie sich auch einmal von den unabhängigen Sachverständigen sagen lassen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Unsere Gesetzesinitiative schafft mit dem Zeitmietvertrag Anreize zur Vermietung von leerstehendem Wohnraum. Unsere Gesetzesinitiative läßt die Staffelmiete im Neubau und im Bestand zu, damit von einer Mischkalkulation ausgegangen werden kann. Schließlich werden wir dem Maßstab der Rechtsprechung gerecht, indem wir die Marktmiete als Maßstab für das Vergleichsmietenverfahren fordern.
Diese ganze Politik vertritt auch die FDP, aber nur bei ihren öffentlichen Erklärungen, nicht auch bei ihrem Abstimmungsverhalten.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Ich bin sehr froh, daß Graf Lambsdorff heute hier ist, der sich auf dem wohnungsbaupolitischen Kongreß in Osnabrück eingehend mit der Wohnungsbaupolitik beschäftigt hat. Er hat am 16. November 1980 zur Staffelmiete ausgeführt — ich darf zitieren —:
Auch die Staffelmiete kann einen Beitrag zu mehr Vertragsfreiheit und somit zu mehr Markt im Wohnungsbau leisten. Allzuviel verspreche ich mir
— Graf Lambsdorff —
von diesem Schritt allerdings nicht, solange er nicht zeitlich unbegrenzt und auch für den Bestand vollzogen wird.

(Jäger [Wangen] [CDU/CSU]: Hört! Hört!)

Genau das ist unsere Politik. Wir stellen heute einen Änderungsantrag zur Regierungsvorlage, und es liegt nun in der Hand der Freien Demokraten, das, was sie öffentlich draußen erklären, auch hier durch ihr Abstimmungsverhalten zu dokumentieren.

(Beifall bei der CDU/CSU — Dr. Möller [CDU/CSU]: Dann kann der Lambsdorff endlich mal tun, was er gesagt hat!)

Dasselbe gilt für den Zeitmietvertrag. Der Zeitmietvertrag, Herr Kollege Gnädinger, den Sie gebracht haben, hat mit unserem nur den Wortlaut gemeinsam. Sie schaffen neue Kündigungsgründe,



Dr. Jahn (Münster)

und wir schaffen in der Tat ein Beispiel für mehr Vertragsfreiheit, weil dieser Zeitmietvertrag qua Vereinbarung und nicht durch ausdrückliche Kündigung endet.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Gesetzesinitiative der Bundesregierung zum Mietrecht kann nicht anders als eine Zangengeburt bezeichnet werden. Das Zustandekommen — darauf wird Herr Kollege Clemens nachher noch eingehen — war bis in die letzten Stunden hinein beschämend und kennzeichnet die tiefe Zerissenheit der Koalition im Mietrecht.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Der Streit hält an. Wer glaubte, im Jahre 1981 hätte sich der schwelende Streit erledigt, der sah sich dort getäuscht. Das Mietrecht sollte an das Beschäftigungsprogramm angekoppelt werden. Im Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau sagte Kollege Waltemathe: Das Mietrecht kommt nur, wenn auch das Beschäftigungsprogramm kommt. Damit war das Mietrecht erneut in Frage gestellt. Mit der Abkoppelung, Herr Kollege Waltemathe, der mietrechtlichen Teile des Beschäftigungsprogramms vom sogenannten Beschäftigungsförderungsgesetz haben Sie die Zustimmungsbedürftigkeit von Zeitmietverträgen und Staffelmieten erneut umgangen.
Meine Kolleginnen und Kollegen von der SPD, im Abkoppeln, im Ankoppeln, im Rückkoppeln haben Sie sich zu Spezialisten entwickelt. Doch Sie sollten wissen, mit all diesen Klimmzügen läßt sich das Vertrauen der Bürger nicht erreichen.

(Beifall bei der CDU — Waltemathe [SPD]: Sie kommen immer zu spät!)

Form und Inhalt des gesamten Verfahrens sind ein erschütterndes Beispiel dafür, wie notwendige Reformen verschleppt, Gesetzesinhalte verwässert und damit ihrer Zielsetzung nicht gerecht werden.
Der Bundeskanzler sah sich genötigt, hier in diesem Hause die Vertrauensfrage zu stellen, und zwar auch, wie er formuliert hat, für das Mietrecht. Mit dieser Prozedur hat der Kanzler zwar die Abstimmung, aber eben nicht an Vertrauen gewonnen. Die gefaßten Beschlüsse im Bundeskabinett wurden zerredet. Der Parteivorsitzende der FDP sagte: „Wer das Mietrecht zerredet, der zerredet die Koalition." Schon Tage nach der Vertrauensabstimmung zogen SPD-Abgeordnete durch die Lande und erklärten, das Ende des sozialen Mietrechts stehe bevor.
Die Mieterorganisation, der Präsident des Deutschen Mieterbundes wollte den Bürgern eine Aushöhlung des Mieterschutzes weismachen. Er hat in Kassel erklärt: „Die Mietrechtsänderungen der Bundesregierung" — ich zitiere noch einmal: die Mietrechtsänderungen der Bundesregierung — „sind ein Schlag gegen die Sache der Mieter."

(Dr. Jenninger [CDU/CSU]: Wer ist das denn?)

— Der Mieterbundpräsident? Ich komme darauf: unser Kollege Jahn von der SPD-Fraktion. — Herr Kollege Jahn, wenn ich Sie persönlich anspreche: Ich verstehe ja, daß ein Präsident des Deutschen Mieterbundes an einem Tage wie heute auf zwei Schultern trägt. Das wissen wir alle. Die Frage lautet nur: Wenn der Mieterbundpräsident einmal die Gesetzesinitiative der Bundesregierung zum Mietrecht mit seinem Vertrauensvotum für den Kanzler bedenkt, ist es dann damit vereinbar, daß er gleichzeitig in der Öffentlichkeit diese ganze Gesetzesmaterie kritisiert? Dies ist ein Widerspruch, den wir nicht verstehen.

(Beifall bei der CDU/CSU — Löffler [SPD]: Ein bißchen Parlamentarismus ist ja wohl noch drin!)

Wenn Sie, Herr Kollege Jahn, Anfang Mai in München vor der Presse bedauern, daß im Deutschen Bundestag zur Zeit offensichtlich keine Mehrheit für die Verteidigung der Mieterrechte existiere,

(Zuruf des Abg. Jahn [Marburg] [SPD])

dann mögen Sie sich mit dem Vorwurf auseinandersetzen und danach fragen, wer in diesem Hause eigentlich die Mehrheit hat. Die Mehrheit haben Sie mit den Freien Demokraten, und dann kritisieren Sie Ihre eigenen Reihen und bitte nicht uns.

(Beifall bei der CDU/CSU — Waltemathe [SPD]: Wie soll man das nun verstehen?)

Die Mietwohnungspolitik hat die Verwirklichung des Sozialstaatsprinzips in den letzten Jahren ernsthaft in Frage gestellt. Herr Kollege Waltemathe, es ist ganz und gar unsozial, im frei finanzierten Mietwohnungsbau den Sachzusammenhang zwischen der mangelnden Investitionsbereitschaft privater Bauherrn und der derzeitigen Mietgesetzgebung zu leugnen; denn dadurch werden private Investitionen nicht gefördert, sondern geradezu verhindert.
Meine Damen und Herren, es ist geradezu unsozial, daß im Mietwohnungsbau die Ärmeren die höheren Mieten zahlen müssen. Im sozialen Wohnungsbau hat die Koalition laufend die Einkommensgrenzen erhöht, um die Zahl der Fehlbeleger zu verringern. Die Interessen der untersten Einkommensschichten, die neue Konkurrenten an die Seite bekamen, wurden nicht beachtet. Es ist ganz und gar unsozial, daß die derzeitige Wohnungsbaupolitik mit der Ausgabe von immer mehr Wohnberechtigungsscheinen Erwartungen weckt, die überhaupt nicht erfüllt werden können.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Wer staatliche Hilfen mit der Gießkanne verteilt, tut dies zu Lasten der wirklich Einkommensschwachen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Ich füge hinzu, Herr Kollege Waltemathe: Vielen wenig zu geben ist nicht sozialer, als den wirklich Einkommensschwachen alles zu geben.

(Erneuter Beifall bei der CDU/CSU)

Es ist auch ganz und gar unsozial, daß die amtliche Wohnungsbaupolitik in erster Linie den Besitzstand gefördert hat. Am billigsten wohnt, wer am längsten wohnt. Die jungen kinderreichen Familien bleiben draußen vor der Tür. Die Überbetonung der Interessen derjenigen, die im Besitz einer Wohnung sind,



Dr. Jahn (Münster)

hat mehr neue sozialpolitische Probleme geschaffen, als sozialpolitische Zielsetzungen erreicht wurden.

(Waltemathe [SPD]: Also rausschmeißen aus den Wohnungen?)

— Hat keiner gesagt.

(Waltemathe [SPD]: Ich frage nur mal!)

— Ich komme gleich darauf zurück.
Herr Kollege Waltemathe, es ist ganz und gar unsozial, daß der Fehlbeleger mehr geschützt wird als die junge kinderreiche Familie, die in ihr eigenes gekauftes, aber vom Fehlbeleger bewohntes Haus einziehen möchte.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Dies ist mit einer vernünftigen Sozialpolitik nicht zu vereinbaren.
Es ist auch ganz und gar unsozial, unsere Mieter emotional aufzuladen, statt sie eingehend über ihre gesetzlichen Rechte zu informieren. Wir haben unseren Wohnungsbauminister gefragt, wie es denn sei mit den Mieterrechten, ob die ausreichend seien. Er hat uns eine Anfrage beantwortet — Drucksache 8/ 2250 —, in der er gesagt hat, die Mieterrechte seien ausreichend, nur die Mieter seien unzureichend informiert. Es gebe auch noch viel Spekulantentum. Er sagt dann als Beispiel: insbesondere in Hamburg. Wir fragen Sie: Wer regiert dort eigentlich?

(Beifall bei der CDU/CSU — Dr. Möller [CDU/CSU]: Aber nicht mehr lange!)

— Ja, nicht mehr lange!
Es ist auch ganz und gar unsozial, den Vermieter als den Ausbeuter des Mieters darzustellen. Einzelfälle von verwerflichem Spekulantentum kritisieren wir genauso wie Sie.

(Zuruf von der SPD: Aha!)

Deshalb sollte man uns da nicht in eine Ecke treiben.

(Zuruf von der CDU/CSU: Wieso, die haben doch die Neue Heimat nicht kritisiert!)

Herr Kollege Waltemathe, das ist nicht repräsentativ! Man kann nicht die Vermieter kategorisch in eine Ecke stellen. Es gibt überall, auf allen Gebieten, auch bei Mietern und Vermietern, Bürger, die sich nicht nach den Grundsätzen von Treu und Glauben verhalten.

(Zuruf des Abg. Waltemathe SPD)

— Ich sage nur, daß Sie das nicht als repräsentativ hinstellen sollen. SPD-Mitglieder, die sich bei der Neuen Heimat die Taschen gefüllt haben, setzen wir auch nicht mit der ganzen Sozialdemokratie in der Bundesrepublik Deutschland gleich.

(Beifall bei der CDU/CSU— Zurufe von der SPD)

Herr Kollege Waltemathe, es ist auch unsozial, den Bürgern verzugaukeln, wenn die Union die Mehrheit hätte, ginge es den Mietern schlechter.

(Waltemathe [SPD]: Das ist die Wahrheit! — Weitere Zurufe von der SPD)

Sie haben gestern ausweislich des Pressedienstes erklärt, heute werde das Mietrecht beraten, und die Union vertrete einseitig die Interessen der Wohnungsmieter. — Das ist wohl ein Druckfehler.

(Waltemathe [SPD]: Vermieter!) — Ja, hier steht aber „Mieter"!


(Heiterkeit)

Ich darf Sie bitten, das nachzulesen. Vielleicht können wir uns ausnahmsweise darauf verständigen, daß da „Mieter" steht.
Zweitens haben Sie zum Ausdruck gebracht, die Störung des sozialen Friedens stehe bevor,

(Zuruf von der CDU/CSU: Donnerwetter!)

es würde nunmehr der Mieterschutz aufgelöst, wenn das Gesetz heute so verabschiedet würde, und die Union wolle letztlich die Abschaffung des sozialen Mietrechts.
Herr Kollege Waltemathe, die Horrorbilder, die Sie hier malen, sind dieselben, die in anderem Zusammenhang in diesen Tagen auch unser Kollege Kiep in Hamburg über sich ergehen lassen muß. Dies alles ist geschmacklos. Es geht nicht an, solche der Wahrheit nicht entsprechenden Behauptungen aufzustellen.

(Beifall bei der CDU/CSU — Dr. Möller [CDU/CSU]: Unlauter und Lügen!)

Herr Kollege Waltemathe, mit welcher Politik ist denn eigentlich unser Staat aus Schutt und Asche aufgebaut worden? Mit welcher Politik ist eigentlich nach dem Kriege Wohnraum geschaffen worden? Und ich füge hinzu: Welcher Partei gehören eigentlich die verantwortlichen Männer an, die den Mietern ihre Heimat zur teuren Heimat gemacht haben?

(Heiterkeit und Zustimmung bei der CDU/ CSU — Löffler [SPD]: Das gehört gar nicht hierher!)

Hier vermissen wir im Grunde Ihre Empörung. Es wäre für Sie ein hervorragendes Betätigungsfeld, für soziale Gerechtigkeit, für die Mieter Sorge zu tragen, wenn sich solche Auswüchse ereignen.

(Beifall bei der CDU/CSU — Löffler [SPD]: Was hat das mit der Beratung zu tun?)

Meine Damen und Herren, die CDU/CSU-Bundestagsfraktion verläßt mit ihrem Gesetzentwurf keineswegs den Kernbereich des sozialen Mietrechts. Da nicht alle Bürger Eigentum an der Wohnung erwerben können oder wollen und für sie die Mietwohnung Mittelpunkt ihres Lebens ist, ist ein gesetzlich festgelegter Schutz des Mieters vor nicht gerechtfertigten Kündigungen unverzichtbar. Der Wunsch nach einer höheren Miete ist für uns kein Kündigungsgrund. Dabei bleiben wir, und wer etwas anderes behauptet, sagt die Unwahrheit. In allen Fällen wird der soziale Ausgleich für die, die am Markt keine bedarfsgerecht Wohnung finden, auch bei uns durch den sozialen Wohnungsbau und im übrigen durch das Wohngeld und durch Belegungsbindungen voll gewährleistet. Wir sind einmal gespannt, ob Sie zu den Belegungsbindungen, die wir gesetzlich



Dr. Jahn (Münster)

gefordert haben, j a sagen. Ich habe den Eindruck, daß Sie sich hierauf nicht verständigen wollen.
Wer soziale Marktwirtschaft auch im Mietwohnungsbau fordert, handelt zwar nicht sozialistisch, wohl aber sozial. Meine Damen und Herren, soziale Marktwirtschaft im Mietwohnungsbau ist kein Angriff auf das soziale Mietrecht, sondern die elementare Voraussetzung für das soziale Mietrecht.

(Zuruf von der CDU/CSU: So ist es!)

Denn verteilen kann man ja seriöserweise nur das, was man vorher erwirtschaftet hat.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Deshalb brauchen wir eine Rückkehr zur Wohnungsbaupolitik der 60er Jahre, zu sozialer Marktwirtschaft, zu Vertragsfreiheit,

(Dr. Emmerlich [SPD]: Zum Lücke-Plan!)

und dies unter individueller Absicherung der einkommensschwachen Bevölkerungskreise. — Herr Kollege, wenn ich sehe, was Sie in München beschlossen haben, dann bedeutet das nicht einen Schritt in die marktwirtschaftliche Richtung, sondern einen in die Richtung der Wohnungszwangswirtschaft.
Und da paßt genau das hinein, was die Jugendorganisation, die Ihnen nahesteht, beschlossen hat. Lassen Sie es mich zitieren. Es heißt in dem Beschluß der Jusos von 1981:
Die Wohnraumversorgung muß langfristig aus dem privatwirtschaftlichen Bereich herausgenommen werden. Die Kommunalisierung des Mietwohnraums ist unumgänglich.
Meine Damen und Herren, das heißt im Klartext: Vermieter soll langfristig kein Privatmann mehr sein.

(Dr. Emmerlich [SPD]: Machen Sie hier doch kein Schattenboxen!)

Und hier wird in der Tat die Soziale Marktwirtschaft verteufelt. Sie wird beschuldigt, daß sie im Mietwohnungsbau schlechte Dienste tue, obwohl Sie genau wissen, daß sich die Soziale Marktwirtschaft auf diesem Gebiet wegen der gesetzlichen Hemmnisse überhaupt nicht voll auswirken und entfalten kann.

(Gnädinger [SPD]: Was würden Sie ohne Jungsozialisten machen! — Dr. Emmerlich [SPD]: Wer keine Argumente hat, baut sich einen Popanz auf!)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Wohnungsbaupolitik der letzten 15 Jahre hat durch bewußte Vernachlässigung marktwirtschaftlicher Grundsätze den privaten Investor und sein Kapital aus dem Wohnungsbau vertrieben. Sie sprechen manchmal nur noch verbal von der Marktwirtschaft

(Zuruf von der SPD: Genauso wie Sie!)

und erwarten das Heil vom Staat, der am Ende seiner Finanzkraft ist.

(Dr. Emmerlich [SPD]: Billige Schwarzweißmalerei!)

Notwendig ist vielmehr die Wiederherstellung sachgerechter marktwirtschaftlicher Rahmenbedingungen für die Wohnungsbaupolitik, unter — ich betone noch einmal — individueller Absicherung der einkommensschwachen Bevölkerungskreise, insbesondere über das Wohngeld; denn, meine Damen und Herren, das Wohngeld ist die gerechteste Lösung für die Unterstützung der Einkommensschwachen. Wohngeld wird nur so lange bezahlt, wie einer der Hilfe bedarf. Wohngeld schafft keinen Fall der Fehlbelegung. Wohngeld ist auch das, womit wir unserem Steuerzahler am besten dienen; denn der hat einen Anspruch, daß die Mittel so verteilt werden, wie es nach der Bedürftigkeit zu machen ist.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID0910300200
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Waltemathe?

Dr. Friedrich-Adolf Jahn (CDU):
Rede ID: ID0910300300
Ja. Vizepräsident Frau Renger: Bitte.

Ernst Waltemathe (SPD):
Rede ID: ID0910300400
Herr Kollege Jahn, kann man Ihre Äußerung, daß das Wohngeld die gerechteste Subvention sei, dahin gehend verstehen, daß die CDU/CSU-Bundestagsfraktion deshalb bei den Haushaltsberatungen des letzten Jahres die Kürzung aller solcher Subventionen um 5 % beantragt hat?

Dr. Friedrich-Adolf Jahn (CDU):
Rede ID: ID0910300500
Herr Kollege Waltemathe, Sie täuschen darüber hinweg, daß wir beim Wohngeld, was die Sozialleistungen des Staates anbetrifft, eine absolute Priorität gesetzt haben. Sie laden mich geradezu ein, daß ich das noch einmal vor Ihnen hier bestätige.
Meine Damen und Herren, ich komme zum Schluß: Wohnungsbau braucht Marktwirtschaft, Ökonomie statt Ideologie. Was private Initiative leisten kann, daß darf der Staat nicht an sich ziehen.

(Zustimmung bei der CDU/CSU)

Der Staat baut auch nicht billiger, sondern teurer, wegen der Bürokratie. Deshalb sollten wir dies möglichst der Privatinitiative überlassen.
Mangelnde Investitionsbereitschaft ist nicht nur eine Folge mangelnden Geldes, nicht nur eine Folge mangelnder Wirtschaftlichkeit, sondern vornehmlich auch eine Folge mangelnden Vertrauens. Ohne Vertrauen lassen sich auch keine Wohnungen bauen. Ohne dieses Vertrauen lassen sich Investitionen stauen, aber keine Wohnungen bauen. Und dies will die Union mit ihren Gesetzesinitiativen ändern.

(Beifall bei der CDU/CSU)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID0910300600
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Schmidt (München).

Manfred Schmidt (SPD):
Rede ID: ID0910300700
Frau Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich begrüße es sehr, daß wir heute in diesem Hause eine Mieter-Debatte, eine Mieterschutz-Debatte, wie ich hoffe, führen. Ich weiß, daß dieser Themenbereich zu den sensiblen Bereichen in der Koalition gehört. Es gibt sicherlich Bereiche, wo zwischen FDP und SPD der



Schmidt (München)

Fundus an Übereinstimmung größer ist als in diesem Bereich.

(Dr.-Ing. Kansy [CDU/CSU]: Regierungssitze!)

Trotzdem möchte ich eines sagen: Es gehört zu den großartigen Leistungen dieser Koalition, ein soziales Mietrecht geschaffen zu haben, mit dem die Mieter erheblich besser geschützt sind, als sie es in der Vergangenheit waren. Und heute wird wieder — ich weiß gar nicht, mit welcher Dreistigkeit — das hohe Lied des Marktes in diesem Bereich gesungen. Ich kann mich erinnern, daß dies schon unter Lücke einmal der Fall war. Der Deutsche Bundestag war dann pausenlos beschäftigt, die katastrophalen Auswirkungen dieser Politik wieder zu reparieren.

(Beifall bei der SPD)

Wir haben in dieser Koalition also ein soziales Mietrecht geschaffen. Und dieses Mietrecht gilt es mit Klauen und Zähnen zu verteidigen.

(Dr. Jahn [Münster] [CDU/CSU]: Gegenüber der Regierung! — Dr.-Ing. Kansy [CDU/CSU]: Aber mehr mit Klauen!)

Die ganzen Angriffe auf den Mieterschutz werden geführt unter dem Stichwort „mehr Markt". Herr Kollege Jahn (Münster) hat heute — ihm ist da nichts Neues eingefallen — wieder die altbekannten Thesen vertreten, da müsse mehr Markt eingeführt werden. Ich möchte diese Thesen einmal zusammenfassend aus der Begründung des Antrags des Bundesrates hier vortragen, damit jeder weiß, wie die CDU da argumentiert. Im übrigen ist — wie so oft — der Antrag der CDU-Fraktion deckungsgleich mit dem des Bundesrates. Ich frage mich, wieviel Geschmack eigentlich dazu gehört, daß Parlamentarier des Deutschen Bundestages Gesetzentwürfe des Bundesrates, der eine andere Aufgabe, nämlich Länderinteressen zu vertreten hat, Wort für Wort abschreiben,

(Dr. Möller [CDU/CSU]: Ist das Teilhauptfeststellungsgesetz, das Sie gestern eingebracht haben, nicht von der Regierung gemacht? Bauen Sie hier doch keinen Popanz! Da haben Sie doch genau dasselbe getan!)

indem Sie deckungsgleiche Entwürfe einbringen.
Ich zitiere jetzt einmal — mit Genehmigung der Frau Präsidentin — aus der „Zielsetzung" dieses Antrages:
Das geltende Mietrecht ist mit eine Ursache für die besorgniserregende Entwicklung auf dem Wohnungsmarkt. Bauherren und Vermieter ziehen sich zunehmend vom Markt zurück, während gleichzeitig die Nachfrage nach Mietwohnungen von Jahr zu Jahr steigt. Allein durch öffentliche Mittel kann die zu erwartende, weiter steigende Nachfrage nicht befriedigt werden. Eine Umkehr der Entwicklung ist nur möglich, wenn marktwirtschaftlichen Gesichtspunkten mehr Geltung verschafft wird ... Es muß erreicht werden, daß die Vermieter in Zukunft wieder darauf vertrauen können, daß die mietrechtlichen Bestimmungen einer vernünftigen und notwendigen wirtschaftlichen Nutzung der Mietwohnungen nicht entgegenstehen.

(Erhard [Bad Schwalbach] [CDU/CSU]: Haben Sie was dagegen?)

— Herr Kollege Erhard, ich habe j a erwartet, daß Sie zustimmen. Darum lese ich Ihnen jetzt etwas anderes vor, das zeigt, welche Begründung die Mehrheit der CDU/CSU im Bundesrat benutzt, wenn es um Berlin geht. In Berlin will man nämlich erreichen, daß der Markt eben gerade nicht eingeführt wird. Da heißt es dann plötzlich:
Die Lage auf dem Wohnungsmarkt im Land Berlin ist äußerst angespannt.

(Dr. Jahn [Münster] [CDU/CSU]: In Berlin!)

— Nicht nur in Berlin.

(Dr. Jahn [Münster] [CDU/CSU]: Doch! Da steht das doch!)

— Es gibt andere Ballungsräume, wo es genauso ist. Aber wenn Sie mit der angespannten Wohnungssituation mit Hilfe der Marktwirtschaft nicht fertig werden, dann in keinem Ballungsraum, nicht nur nicht in Berlin.

(Beifall bei der SPD)

Ich möchte Ihnen also jetzt vorlesen, wie unlogisch und widersprüchlich Sie argumentieren. Da kommen jetzt nämlich die „Nichtmarktwirtschaftler" im Bundesrat und in der CDU, die ja immer alles deckungsgleich einbringen, zu Wort. Es heißt dann nämlich:
Die Lage auf dem Wohnungsmarkt im Land Berlin ist äußerst angespannt. Deshalb kann bei der bevorstehenden Aufhebung der Mietpreisbindung für Altbauwohnungen nicht ausgeschlossen werden, daß für verschiedene Teile der Bevölkerung nicht vertretbare Mietpreissteigerungen eintreten werden. Der vorliegende Gesetzentwurf soll die Mieter vor ungerechtfertigten Mieterhöhungen schützen.
Offensichtlich ist dies nicht möglich, wenn man den Mieterschutz aufhebt. Es geht dann so weiter; ich möchte das aber jetzt nicht ausdehnen.
Eine völlig andere Argumentation! Dort, wo man sozialem Druck ausgesetzt ist, wo man selber regiert, argumentiert man plötzlich völlig anders. Die Parolen dort klingen ganz anders, als sie hier vorgetragen werden.

(Dr. Jahn [Münster] [CDU/CSU]: Sie verkennen die Sondersituation Berlins!)

Der Mieterschutz war in den vergangenen Jahren, als wir Wohnungsbauleistungen von bis zu 740 000 Wohnungen hatten, kein Investitionshemmnis.

(Dr. Hennig [CDU/CSU]: Haben Sie nie gehabt!)

— Haben wir gehabt! Sie sollten mal ein bißchen nachlesen. Man kann sich doch auch nicht hier hinstellen und Nachhilfeunterricht erteilen; da käme man sich komisch vor.

(Beifall bei der SPD)




Schmidt (München)

Ich schicke Ihnen die statistischen Unterlagen zu.
Umfragen des Instituts für Wohnen und Umwelt in Darmstadt haben ergeben, daß sich praktisch kein potentieller Investor etwa vom Mieterschutz davon abhalten läßt, im Wohnungsbau zu investieren.

(Dr. Möller [CDU/CSU]: Lesen Sie doch einmal die amtlichen Gutachten!)

Der eigentliche Grund für den Kollaps des sozialen und sonstigen Mietwohnungsbaus in den Ballungsräumen sind allein die Gestehungskosten. Und da wird deutlich, was die eigentlichen Investitionshemmnisse sind. Die eigentlichen Investitionshemmnisse sind die teuren, exorbitanten Bodenpreise

(Dr. Jahn [Münster] [CDU/CSU]: Und die Regierungspolitik!)

und die Zinsen, zu denen kein vernünftiger Mensch mehr Kapital aufnehmen kann.

(Beifall bei der SPD)

Ich und die gesamte SPD-Fraktion würden gern mit Ihnen zusammen eines der wesentlichsten Investitionshemmnisse im Wohnungsbau ausräumen — durch Schaffung eines anderen Bodenrechts.

(Zurufe von der CDU/CSU)

Das wäre nämlich die Beseitigung eines echten Investitionshemmnisses.

(Dr. Jahn [Münster] [CDU/CSU]: Kommunalisierung!)

Da es Ihnen doch gar nicht um die Beseitigung von Investitionshemmnissen geht, sind Sie ja gleich empört, wenn man Sie auffordert, sich daran zu beteiligen.

(Dr. Stark [Nürtingen] [CDU/CSU]: Sie sind doch schon elf Jahre an der Regierung! — Dr. Schneider [CDU/CSU]: Wer hat denn die Grundstücke verkauft?)

— Neuperlach sagen Sie bitte zu Herrn Späth; er war damals, als Neuperlach gebaut worden ist, der Vorsitzende der Neuen Heimat Bayern. Richten Sie diesen Vorwurf nicht an mich.

(Beifall bei der SPD — Zurufe von der CDU/ CSU)

Da haben sie einen kürzeren Weg. Ich hoffe jedenfalls, daß der Weg von der CSU nicht über einen SPD-Abgeordneten zu einem Ministerpräsidenten der CDU gehen muß.

(Heiterkeit und Beifall bei der SPD)

Der Zuschußbedarf an öffentlichen Mitteln für Sozialwohnungen ist auf Grund der von mir genannten Investitionshemmnisse seit dem Jahre 1972 von 17 000 DM auf 184 000 DM — beispielsweise in München — gestiegen. Die Probleme in den Ballungsräumen sind nicht durch eine Lockerung des Mieterschutzes zu lösen; im Gegenteil, dies hätte katastrophale Folgen.
Es ist auch unrichtig, daß der Wohnungsbau insgesamt unrentabel sei. Vor allen Dingen im Bestand ist der Wohnungsbau durchaus rentabel; er profitiert auch von hohen Wertsteigerungen, die ja auch einen Teil dieser Rendite ausmachen.

(Dr. Möller [CDU/CSU]: Die nicht zu realisieren sind! Was soll denn das?)

Unser Bodenrecht ermöglicht maßlose Gewinne ohne eine eigene Leistung. Es ist im Grunde genommen der entscheidende Faktor für eine Reihe schwerwiegender Fehlentscheidungen im wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Bereich.

(Werner [CDU/CSU]: So monokausal können Sie das alles erklären!)

Das Bodenrecht hat die Wirkung einer Blockade des Wohnungsbaus in Ballungsräumen.

(Zuruf von der CDU/CSU: Dann ändern Sie es doch!)

— Wir werden es gerne mit Ihnen zusammen ändern.
Professor Bonczek sagte einmal mit Recht:
Der Staat kann so viel Geld in den Wohnungsbau pumpen wie er will:

(Dr. Jahn [Münster] [CDU/CSU]: Wo holt er es denn her? — Heiterkeit bei der CDU/ CSU)

Solange wir nicht das Bodenproblem lösen, solange lösen wir gar nichts.
Die Verteufelung bodenrechtlicher Reformvorstellungen durch die CDU und einige nicht ganz geistreiche Zwischenrufe, mit denen man sich immer auseinandersetzen muß, ändern nichts daran,

(Zuruf von der CDU/CSU: Wir werden Ihre Rede für den Nobelpreis vorschlagen!)

daß im eigentlichen Sinne das Bodenrecht das entscheidende Investitionshemmnis ist. Wir Sozialdemokraten sind durchaus für Markt, und zwar dort, wo sich Angebot und Nachfrage beeinflussen können. Aber wir haben es auf dem Sektor von Grund und Boden eigentlich mit Monopolisten zu tun. Dort, wo Monopolisten einzelne ausplündern, da sprechen wir jedenfalls nicht von Markt.

(Beifall bei der SPD — Zurufe von der CDU/ CSU)

Die Politik dieses Hauses hat wesentlich mit dazu beigetragen, daß das Horten von und das Spekulieren mit Grund und Boden erleichtert wird, indem man Grund und Boden — anders als andere Vermögenswerte — steuerlich sehr privilegiert behandelt.

(Dr. Schneider [CDU/CSU]: Weil die Bundesregierung untätig geblieben ist!)

Ich freue mich, daß heute ein Gesetzentwurf eingebracht worden ist, der wenigstens einen Teil

(Dr.-Ing. Kansy [CDU/CSU]: Warum denn nicht alles, Herr Kollege?)

dieser Ungerechtigkeit aufzufangen versucht. Auch
die kurze Spekulationsfrist begünstigt das Horten
von Grundstücken. — Ja, Herr Kollege Schneider,



Schmidt (München)

wenn Sie bereit wären, da mitzuwirken, dann würden wir das ganz gern machen.

(Dr. Schneider [CDU/CSU]: Wir haben 1975 einen Antrag eingebracht! Den haben Sie doch abgelehnt!)

— Sie haben doch nie einen Antrag eingebracht, der dazu beigetragen hätte, daß die steuerliche Privilegierung von Grund und Boden und das Horten von Grund und Boden abgeschafft werden.

(Beifall bei der SPD)

Ich möchte einmal sagen, daß gerade im Bereich der Steuern eine ungeheure Verzerrung eingetreten ist. Ich darf Professor Wolfgang Zeitler, den Vizepräsidenten des Bundesverfassungsgerichts, zitieren, der einmal gesagt hat:
Die bisherigen Maßstäbe bei der Besteuerung von Grundeigentum haben das materielle Prinzip der Steuergerechtigkeit in einem solchen Maße mißachtet, daß seit 1948 von Einnahmeverzichten des Staates in Höhe von mehreren hundert Milliarden DM ausgegangen werden kann.

(Zurufe von der CDU/CSU)

Das Bundesverfassungsgericht sagt auch, daß der knappe Grund und Boden nicht dem Belieben einzelner überlassen werden darf, sondern einer besonderen Verpflichtung unterliegt. Sie reden immer nur vom Eigentum. Die Sozialpflichtigkeit in Abs. 2 des Art. 14 des Grundgesetzes lesen Sie nie; das sollten Sie einmal tun!

(Beifall bei der SPD — Lachen bei der CDU/CSU)

Nun möchte ich noch ein paar Worte zum Gesetz sagen. Die Staffelmiete ist mit Sicherheit keine sozialdemokratische Erfindung. Wir haben sie hingenommen,

(Dr. Jahn [Münster] [CDU/CSU]: Warum? — Weitere Zurufe von der CDU/CSU)

weil man in einer Koalition Zugeständnisse machen muß. Wir erwarten jetzt allerdings — nachdem wir uns damit abgefunden haben —, daß das auch eintritt, was uns immer prognostiziert wird: daß sich jetzt ein ungeheurer Investitionsstrom ergießt und in den Ballungsräumen ungeheuer viele Wohnungen gebaut werden.

(Sehr gut! bei der SPD)

Wenn nicht, kann das Argument ja nicht so stichhaltig gewesen sein.
Anderer Punkt: Umwandlung! Wir begrüßen es außerordentlich, daß die Ausschlußfrist für Eigenbedarfskündigungen von drei auf fünf Jahre erhöht wurde. Was im Bestand an Wohnungen mit Leuten gemacht wird, die darin wohnen, ist ein sozialer Skandal. Es spricht für Ihren Mangel an sozialem Empfinden, daß Sie auch dieses ablehnen, obwohl Oberbürgermeister, die Ihrer Gruppierung angehören, uns ständig auffordern, mehr zu tun, damit die Mieter nicht vertrieben werden.

(Beifall bei der SPD — Zurufe von der CDU/ CSU)

Ich hoffe auch, daß die Erhaltungssatzung nach § 39 h, die im Wohnungsbauausschuß ansteht, erlassen wird. Denn dann möchte ich einmal sehen, wie die CDU-Bürgermeister und CSU-Bürgermeister, die heute immer mit dem Finger nach Bonn zeigen, diese Gesetze anwenden werden.
Zur Mietkaution möchte ich folgendes sagen. Wir begrüßen es, daß sie auf drei Jahre begrenzt wird und daß Teilzahlung ermöglicht wurde. Selbst diese Teilzahlung wurde von der CDU gestern im Rechtsausschuß abgelehnt, obwohl sie eine soziale Maßnahme ist oder vielmehr weil sie eine soziale Maßnahme ist. Wir begrüßen es ausdrücklich, daß es gestern in diesem Ausschuß möglich war, auch für Altverträge — dort, wo die Verzinsung nicht ausgeschlossen war — eine akzeptable Lösung zu finden.
Bei den Zeitmietverträgen handelt es sich meiner Meinung nach um eine ganz große Worthülse, vor allen Dingen auch bei dem, was Sie da vorgelegt haben. Das geltende Recht hat niemanden daran gehindert, wenn er aus Eigenbedarfsgründen jemanden aus seiner Wohnung oder aus seinem Haus haben wollte, ihn auch herauszubringen. Nur ist mit diesem Instrument eine ganze Menge Schindluder getrieben worden. Ich sage: wir werden sehr genau darauf zu achten haben, daß diese Zeitmietverträge nicht dazu führen, daß durch Ketten-Zeitmietverträge der bestehende Mieterschutz ausgehöhlt wird. Darauf werden wir sehr großen Wert legen.

(Beifall bei der SPD)

Wir begrüßen auch, daß der Mietspiegel für Städte über 100 000 Einwohner obligatorisch wird. Was wir Sozialdemokraten nicht sonderlich begrüßen, ist, daß unter dem Stichwort sogenannter „zeitnaher Mieterhöhungen" nur noch sehr viel kürzere Mieterhöhungen berücksichtigt werden und dies damit insgesamt dazu führt, daß die Mieten steigen werden. Das bedarf keiner besonderen Erwähnung.
Zusammenfassend möchte ich für die SPD-Fraktion folgendes sagen. Wir haben erhebliche Anstrengungen gemacht, um den Kernbestand des sozialen Mietrechts zu erhalten. Dies ist auch im wesentlichen gelungen. Es wird mit Sicherheit nicht der letzte Angriff auf das Mietrecht sein. Da hätte ich nicht den Kollegen Jahn zu hören brauchen. Es gibt auch eine ganze Reihe anderer, die sich immer weigern, dann auch deutlich zu sagen, daß sie nicht die Interessen der Mieter, sondern ausschließlich oder überwiegend die der Hauseigentümer vertreten. Das, Herr Kollege Jahn, ist der eigentliche ideologische Mantel und das ist die eigentliche Unanständigkeit, nicht zu sagen, was man tatsächlich mit einem Gesetz erreichen will.

(Beifall bei der SPD)

Wir Sozialdemokraten fordern alle auf, insbesondere auch die Mieter, wenn im Deutschen Bundestag Gesetzentwürfe beraten werden, sie sich einmal unter dem Gesichtspunkt anzusehen, den der bayerische Ministerpräsident so gern heranzieht: cui bono, wem nützt so etwas? Dann werden Mieter sicher keine Schwierigkeiten haben, zu erkennen, wer ihre Lage verbessern will, wer sie in ihren Rechten schüt-



Schmidt (München)

zen will, wer einen gerechten Ausgleich zwischen Vermietern und Mietern haben will und wer einseitig Interessen von Spekulanten und Kapitaleignern vertritt.

(Zurufe von der CDU/CSU: Unglaublich! — Unerhört! — Dr. Jahn [Münster] [CDU/ CSU]: Am besten stellen Sie alle unter Kündigungsschutz!)

Ich sage Ihnen eins — —

(Fortgesetzte Zurufe von der CDU/CSU)

Herr Kollege Jahn, ich sage Ihnen noch folgendes. Ich gehöre nicht zu denen, die alle Vermieter in einen Topf werfen. Wir haben in München — ich komme aus einer Stadt mit großen Problemen — in der Regel nicht Probleme mit dem einzelnen Grundstückseigentümer, mit dem einzelnen Vermieter, der ein Mietshaus hat, das seine Existenzgrundlage darstellt. Aber wir haben erhebliche Probleme mit Organisationen, deren Hauptziel die Spekulation ist.

(Zurufe von der CDU/CSU: Zum Beispiel? — Mit der „Neuen Heimat"!)

Und die müssen bekämpft werden. Sie hindern uns an einer wirksamen Bekämpfung dieser Spekulanten. Das halte ich für nicht in Ordnung.

(Zuruf von der CDU/CSU: Aber wir haben nicht die Mehrheit!)

Wir fordern die Mieter in diesem Land nur zu einem auf: Prüfen Sie, wer in wessen Interesse Gesetze erläßt, dann werden Sie selber feststellen können, wer Ihre Interessen vertritt. — Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD — Dr. Jahn [Münster] [CDU/CSU]: Mehr Staat! — Weiterer Zuruf von der CDU/CSU: Der Prüfung halten wird stand!)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID0910300800
Das Wort hat der Abgeordnete Gattermann.

Hans H. Gattermann (FDP):
Rede ID: ID0910300900
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Einer Legendenbildung muß mit Nachdruck entgegengetreten werden. Das Mietrechtsänderungsgesetz 1981 beinhalte in entscheidenden Punkten die Demontage des sozialen Mietrechts, so hört und liest man es nicht nur von einschlägigen Interessenvertretern, sondern auch von Mitgliedern dieses Hauses.

(Zuruf von der CDU/CSU: Eben! — Dr. Jahn [Münster] [CDU/CSU]: In der Koalition!)

Ein solches Etikett läßt sich die FDP-Fraktion, die zugegebenermaßen einen erheblichen Anteil an der Fortentwicklung der wohnungswirtschaftlichen Rahmendaten hat, nicht anheften, Herr Kollege Schröder.

(Beifall bei der FDP — Sehr gut! und Beifall bei der CDU/CSU)

In der unverzichtbaren — ich wiederhole: unverzichtbaren — Zielsetzung nach Ausgleich zwischen heißem sozialem Engagement und ökonomischer Vernunft lassen wir uns von niemandem überbieten, Herr Kollege Schmidt, ich empfinde es deshalb als wenig hilfreich, klassenkämpferische Parolen in diese sachbezogene Auseinandersetzung zu bringen.

(Beifall bei der FDP — Demonstrativer Beifall bei der CDU/CSU)

Da es der Legendenbildung entgegenzuwirken gilt, Herr Kollege Schmidt,

(Schmidt [München] [SPD]: Das ist der Klassenkampf von oben!)

darf ich zu Protokoll dieses Deutschen Bundestages feststellen, daß die Staffelmiete keine Erfindung der FDP ist. Lesen Sie bitte in unseren wohnungspolitischen Zielorientierungen vom Dezember 1979 nach, wie die FDP dieses Problem lösen wollte, nämlich über Mietzinsanpassungsklauseln. Die Staffelmiete — das muß hier klargestellt werden — ist eine originäre Erfindung zweier hochkarätiger Sozialdemokraten.

(Zurufe von der CDU/CSU: Sagen Sie die Namen! — Wie heißen sie denn? — Helmut Schmidt?)

— Ich will Ihnen die Antwort nicht vorenthalten. Sie heißen Schwedler und Helmut Schmidt.

(Lachen bei der CDU/CSU)

Meine Damen und Herren, erinnern wir uns: Als die Geschäftsgrundlage für die alten Mietschutzgesetze und die Wohnraumbewirtschaftung nach Beendigung der Kriegs- und Nachkriegszeit entfallen war, hat dieses Hohe Haus unter der Bezeichnung „Lücke-Plan" ein neues soziales Mietrecht geschaffen. Dies war der erste Versuch, Grundlagen für ein partnerschaftliches, faires Miteinander von Vermietern und Mietern unter Wahrung von Wirtschaftlichkeit des Hausbesitzes und eines geeigneten Klimas für Investitionen im Hausbesitz zu schaffen. Dieser Versuch enthielt einen entscheidenden Fehler. Die Änderungskündigung als Instrument der Mietzinsanpassung in laufenden Mietverträgen erwies sich als sozial unverträglich.

(Gnädinger [SPD]: Sehr gut!)

Wegen der besonderen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Folgen des Wohnungswechsels war die Feststellung unabweisbar, daß die Änderungskündigung den Mieter faktisch einem Preisdiktat unterwirft.

(Beifall bei der SPD)

Zwar hat die Mehrzahl seriöser Vermieter von dieser Möglichkeit zum Preisdiktat keinen Gebrauch gemacht, indes war am Ende der 60er und Anfang der 70er Jahre die Zahl der schwarzen Schafe groß genug, um unter sozialen Gesichtspunkten das Instrument der Änderungskündigung dauerhaft zu diskreditieren. Die Folge waren dann das Erste und Zweite Wohnraumkündigungsschutzgesetz, der zweite Versuch also, ein soziales Mietrecht zu schaffen, das gleichermaßen den Schutz des Mieters wie die Wahrung der Wirtschaftlichkeit des Haus- und Wohnungsbesitzes gewährleistet. Auch diesen Versuch sehen wir in einigen Punkten als gescheitert an.



Gattermann
Den dritten und nunmehr hoffentlich umfassend erfolgreichen Versuch unternehmen wir mit dem Mietrechtsänderungsgesetz 1981 und — flankierend — dem Mietspiegelgesetz. Der soziale Kern des Wohnraumkündigungsschutzgesetzes, nämlich der Besitzschutz des Mieters, bleibt nicht nur unangetastet; er wird verstärkt. Ich meine die Verlängerung der Frist für den Ausschluß des Eigenbedarfs bei umgewandelten Wohnungen, und ich meine die Begrenzung von Luxusmodernisierungen über den neuen § 541 BGB.
Lassen Sie mich unter diesem Besitzschutzgesichtspunkt auch die heiß umstrittene Neuregelung des Zeitmietvertragsrechts ansprechen. Es war eigentlich nie so recht einzusehen, warum die generelle Zulässigkeit des Abschlusses von befristeten Wohnungsmietverträgen praktisch dadurch konterkariert war, daß sich der Mieter durch den schlichten Wunsch auf Fortsetzung des Mietvertrags nach Ablauf der vereinbarten Zeit die Rechtsposition des Mieters aus einem unbefristeten Mietvertrag verschaffen konnte.
Die Möglichkeit der Umgehung des sehr weitgehenden Kündigungsschutzes durch Reihenzeitmietverträge war durch diese Regelung zwar endgültig verbaut, die negativen Folgen des faktischen Verbots von Zeitmietverträgen in alle jeden Lebenssachverhalten, bei denen nur ein befristeter Vertrag eine wirtschaftlich vernünftige Zwischennutzung zuläßt, haben sich aber inzwischen mit schöner Deutlichkeit herausgestellt. Tausende von Mietwohnungen standen und stehen über längere Zeiträume leer, weil nur so eine für die nähere Zukunft geplante Eigennutzung durch den Eigentümer oder seine Familienangehörigen, durchgreifende Modernisierung oder Abriß bewerkstelligt werden können.
Ich will mich heute nicht neuerlich mit dem Problem der Hausbesetzungen auseinandersetzen; das habe ich im Oktober vergangenen Jahres von dieser Stelle aus getan. Ich will nur anmerken, daß diese Hausbesetzungen den genannten gesetzlichen Mißstand jedermann sichtbar gemacht haben.

(Erhard [Bad Schwalbach] [CDU/CSU]: Richtig!)

Es ist schon beeindruckend, daß es gerade gemeinnützige Wohnungsunternehmen, insbesondere auch gemeinnützige Wohnungsunternehmen getragen von der öffentlichen Hand und beherrscht von ihr, waren und sind, die angesichts der Gesetzeslage unter Hinnahme von wirtschaftlichen Einbußen zum Mittel des längerfristigen Leerstehenlassens greifen mußten, um eine sachgerechte Bewirtschaftung ihres Wohnungsbestands durchführen zu können.
Die auf bestimmte Fallgestaltungen abgestellte Wiederzulassung von Zeitmietverträgen ist deshalb die folgerichtige Konsequenz aus dem eben geschilderten Tatbestand. Auch nach neuem Zeitmietvertragsrecht wird es wegen der Dauer eventueller Räumungsprozesse und werden des natürlich verbleibenden vollen Vollstreckungsschutzes noch gewisse Leerstände geben. Aber diese Leerstandszeiten sind für den Eigentümer kalkulierbar und prognostizierbar.
Meine Damen und Herren, die heftigen Angriffe gegen dieses neue Zeitmietvertragsrecht beinhalten, wenn man sie einmal aller Polemik entkleidet, nur einen einzigen relevanten Gesichtspunkt. Das ist jener, daß die Gefahr bestehen könnte, daß auf breiter Front Mißbrauch mit diesem Instrument zur Umgehung unseres Kündigungsschutzes ermöglicht wird. Wer aber so argumentiert, der übersieht, daß der Mißbrauch des Instruments „Zeitmietvertrag" Schadenersatz, möglicherweise sogar strafrechtliche Konsequenzen auslösen kann. Wir halten es ganz einfach für unzulässig, bei einer gesetzlichen Regelung davon auszugehen, daß ein ganzer Wirtschaftszweig sich in relevantem Umfang gesetzesuntreu verhalten wird.
Wir sehen hier eine besondere Aufgabe, Herr Kollege Schmidt, für die Mieterorganisationen, beratend und aufklärend zu wirken und dem einzelnen Mitglied in einem Mißbrauchsfall tatkräftig Unterstützung zu gewähren, damit niemand auf die Idee kommt, er könne ungestraft solchen Mißbrauch treiben. Das ist eine Aufgabe der Mieterorganisationen.
Man kann doch nicht, nur weil hier und da ein Manager die Regeln des Wohnungsgemeinnützigkeitsrechts mißbraucht, die gesamte gemeinnützige Wohnungswirtschaft verbieten.

(Löffler [SPD]: Sehr richtig!)

Im übrigen hat diese Gefahr des Mißbrauchs in der Vergangenheit moralisch mindestens auch eine Kehrseite gehabt, indem Mieter nämlich ungeniert in voller Kenntnis der Lage des Vermieters Zeitmietverträge unterschrieben haben — wohlwissend, daß sie nicht daran denken würden, mit Ablauf des vereinbarten Termins auszuziehen.
Der Gesetzentwurf enthält allerdings — das ist das Wichtigste — deutliche Korrekturen des Mietpreisrechts. Es wäre unredlich, darum herumzureden. Von niemandem wird ernsthaft bestritten, daß die Mieten in diesem Lande in nahezu allen Teilmärkten in sich verzerrt sind. Der Erfahrungssatz „Je älter der Mietvertrag, um so günstiger die Miete" wird nicht bestritten. Es wird nicht in Zweifel gezogen, daß die durchschnittliche Belastung des verfügbaren Nettoeinkommens unserer Wohnbevölkerung an Kaltwohnkosten zu gering ist, wobei ich gleich anmerke, daß es eine Vielzahl von Bürgern — namentlich jungen auf den Markt kommenden Bürgern — gibt, die objektiv wie subjektiv gesehen heute bereits eine zu hohe Belastung mit Wohnkosten haben.

(Gnädinger [SPD]: Man muß die Einkommensgruppen berücksichtigen!)

Dieser neue Interessengegensatz zwischen den Altsassen und den Newcomern — wie man das inzwischen in der wohnungspolitischen Diskussion nennt — ist ein Ärgernis. Der jüngste Wohnungs-
und Mietenbericht weist aus: Kostendeckungsgrad Neubauwohnungen knapp 50 %. Folgerichtig findet freifinanzierter Mietwohnungsbau nicht mehr statt.
Mietpreisanpassungen in alten Verträgen — das gilt namentlich bei älteren Einzelvermietern — fin-



Gattermann
den nicht statt aus Furcht vor Formalbarrieren des Mietrechts, finden nicht statt auf Grund der Beweisschwierigkeiten mit Vergleichsobjekten. Ein Ausstieg aus dem Vermietungsgeschäft kleiner und mittlerer Vermieter ist unverkennbar, wobei übrigens erst dadurch ein Markt für die Spekulationsumwandlung geschaffen wird.
Man könnte die Reihe der Argumente noch unendlich fortsetzen. Aus alledem folgt für uns, daß die Mietpreispolitik einer Korrektur bedarf. Für den Bereich der Sozialmietwohnungen haben wir das bereits am 18. Dezember 1981 getan. Jetzt soll es für den Bereich der freifinanzierten und der Altbauwohnungen nachvollzogen werden.
Teile dieses Mietrechtsänderungsgesetzes sind im Rahmen der Gemeinschaftsinitiative, des sogenannten Beschäftigungsprogramms, beschlossen worden. Wie die Gemeinschaftsinitiative insgesamt in der öffentlichen Diskussion durch Verkürzung auf Investitionszulage und Mehrwertsteuererhöhung falsch interpretiert worden ist, werden auch die mietrechtlichen Teile dieses Programmes vorsätzlich oder fahrlässig mißinterpretiert. Der Deutsche Mieterbund erklärt die Korrekturen der Mietpreispolitik zu einem Milliardengeschenk an die Vermieter, das keinerlei zusätzliche Investitionen für den Wohnungsbau mobilisiere. Klammer auf: Die „Allianz" hat übrigens bereits die ersten Investitionsentscheidungen auf Grund des überhaupt noch nicht beschlossenen Gesetzes getroffen, aber ausdrücklich im Hinblick darauf. Klammer zu.
Eine solche kurzatmige Betrachtungsweise liegt der Gemeinschaftsinitiative nicht zugrunde. Von dem erhofften kurzfristigen Investitionsanreiz durch die I-Zulage einmal abgesehen sind alle sonstigen Elemente der Gemeinschaftsinitiative darauf angelegt, die Rahmenbedingungen für Investitionen mittelfristig zu verbessern. Das gilt auch für die mietrechtlichen Teile der Gemeinschaftsinitiative.
Niemand ist jemals davon ausgegangen, daß die Zulässigkeit von Staffelmieten und die Verjüngung des Mietspiegeldatenmaterials für sich allein kurzfristig größere wohnungswirtschaftliche Investitionen auslösen würde. Niemand ist jemals davon ausgegangen, daß mit den Korrekturen des Mietrechts nun die Probleme des Wohnungsmarktes insgesamt gelöst seien. Niemand darf Bundesregierung und Koalitionsfraktionen für so töricht halten, sie negierten das Kardinalproblem des Mietwohnungsbaus, das in der Diskrepanz zwischen den exorbitant hohen Kosten und der Leistungskraft der Nachfrage liegt; sie negierten die Probleme eines engen und überteuerten Baulandangebotes; sie negierten die Probleme, die in dem langfristigen Vermietungsrisiko auf Grund der demographischen Entwicklung liegen usw. usw.
Nur, wir halten es für intellektuell unredlich, das komplexe Ursachenbündel in seine Einzelteile zu zerlegen, um sodann nicht genehme Einzelursachen für nicht kausal für die Misere zu erklären.

(Sehr richtig! bei der CDU/CSU)

Wenn man Problemlösungen will, dann muß man
sich schon allen diagnostizierten Ursachen stellen
und für alle Ursachen Problemlösungen suchen, da die Gesamtmisere natürlich auch nur insgesamt angegangen werden kann. Anderenfalls, meine Damen und Herren, geschieht nämlich nichts, gar nichts — mit dem Erfolg, daß wir Wohnungspolitik in Zukunft nur noch als Organisation der Verwaltung des Mangels veranstalten können. Davor wollen wir unsere Wohnbevölkerung schützen.

(Beifall bei der FDP)

Herr Kollege Jahn, Sie haben den Bundeswirtschaftsminister zitiert und gemeint, daß er sich in Osnabrück für Staffelmieten im Bestand ausgesprochen habe.

(Dr. Jahn [Münster] [CDU/CSU]: So wörtlich!)

Meine erste Bemerkung dazu ist: richtig als parteipolitische Forderung. Die zweite, entscheidende ist aber die: Staffelmieten im Bestand sind nur dann notwendig und ein richtiges Weiterdenken des Staffelmietgedankens für Neubauwohnungen, wenn man keine anderen Instrumente hat, die Bewegung in das Bestandsmietenniveau bringen. Denn nur wegen des Auseinanderdriftens der beiden Mietbereiche wird das Staffelmieteninstrument entwertet, wenn es für sich allein stehenbleibt. Mit der Verjüngung des Datenmaterials in den Mietspiegeln bringen wir eine kalkulierte Bewegung in das Bestandsmietenniveau. Dies verhindert das breite Auseinanderdriften dieser Mietbereiche und ersetzt Staffelmieten im Bestand so vollwertig.

(Zuruf von der CDU/CSU: Das ist ein theoretisches Kunstgebäude, das nicht bewohnbar ist!)

— Nein, nein, durchaus nicht.
Meine Damen und Herren, ich will zwei abschließende Bemerkungen machen, eine zum Verfahren, und zwar, Herr Ministerpräsident Späth — ich gestehe es —, vornehmlich an Ihre Adresse gerichtet: Dieses nicht zustimmungspflichtige Mietrechtsänderungsgesetz 1981 ist zwischen Verhandlungspartnern, die von höchst unterschiedlichen Denkansätzen aus operieren, in sich austariert. Dieses austarierte Konzept verträgt keine Veränderung

(Beifall bei der SPD — Zurufe von der CDU/ CSU)

im Sinne einer „Draufsattelaktion".

(Dr. Jahn [Münster] [CDU/CSU]: Sie stellen die Regierung unter Kündigungsschutz!)

Meine Damen und Herren, wer diesen Versuch unternimmt, muß wissen, daß er die notwendige Fortentwicklung des Mietrechts damit gefährden könnte.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD — Dr. Möller [CDU/CSU]: Das, was Sie machen, ist die Echternacher Springprozession, Herr Gattermann!)

Es ist zwar vielleicht nicht ganz gehörig, dies hier zu sagen, aber wir sind der Meinung: Jedermann sollte klar sein, wie die komplexe und schwierige Verhandlungslage ist.



Gattermann
Meine Damen und Herren, eine Schlußbemerkung zur gesellschaftlichen Einordnung dieses Ganzen aus unserer Sicht: Das alles, was wir hier veranstalten, hat auch etwas mit jener Wende zu tun, die wir im letzten Sommer durch Hans-Dietrich Genscher reklamiert haben.

(Dr.-Ing. Kansy [CDU/CSU]: Also, den Mund spitzen Sie jetzt schon ein Jahr, aber Sie müssen auch einmal pfeifen! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU)

— Meine Damen und Herren, es hat etwas damit zu tun. — Nahezu nirgendwo in der westlichen Welt ist der Wohnungsversorgungsstandard so hoch wie in der Bundesrepublik Deutschland.

(Dr. Möller [CDU/CSU]: Richtig!)

Nahezu nirgendwo in der westlichen Welt ist die Belastung mit Kaltmietkosten so niedrig wie in der Bundesrepublik Deutschland.

(Dr. Möller [CDU/CSU]: Auch richtig!)

Beides ist Folge staatlicher Mietenpolitik und staatlicher Subventionspolitik. Ich sage ausdrücklich: Beides ist wünschenswert, aber beides kann auf Grund veränderter nationalwirtschaftlicher und weltwirtschaftlicher Rahmendaten nicht aufrechterhalten bleiben. Ein Versuch in dieser Richtung würde die Wohnungsversorgungsprobleme sozialbedürftiger Zielgruppen unweigerlich verschärfen. Nur ein weitgehend marktwirtschaftlich regulierter Preis auch für die Wohnung erlaubt überhaupt erst, zwischen sozial unabweisbarer unbefriedigter Nachfrage und unbefriedigter, aber auch unbegrenzter Nachfrage nach staatlichen Subventionen zu unterscheiden. Nur auf diesem Wege erreichen wir die notwendige Kostenbegrenzung durch Abbau übersteigerter Ansprüche. Nur auf diesem Wege erreichen wir mittelfristig private Investitionen im Mietwohnungsbau und in der Bestandssicherung unserer Wohnungen. Und nur auf diese Weise gewinnen wir wieder die Verfügungsgewalt über die knapper gewordenen staatlichen Mittel, um zielgenaue Hilfen bei der Wohnungsversorgung derer ansetzen zu können, die unsere Hilfe in der Tat nötig haben.
Deshalb stimmen wir diesen Gesetzentwürfen in zweiter und dritter Lesung natürlich zu.

(Beifall bei der FDP und der SPD)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID0910301000
Das Wort hat Herr Abgeordneter Clemens.

Joachim Clemens (CDU):
Rede ID: ID0910301100
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte meinen Sachbeitrag zum Mietrecht mit einer kritischen Würdigung des bisherigen Gesetzgebungsverfahrens beginnen.
Wir haben immerhin im Mai 1981 unsere Gesetzentwürfe, nämlich den Entwurf eines Gesetzes zur Erhöhung des Angebots an Mietwohnungen und zwei weitere wohnungsbaupolitische Entwürfe, eingebracht. Wir haben damit dokumentiert, daß wir eine konstruktive Opposition sind. Ich sage das immer zur linken Seite dieses Hauses, die das j a hin und wieder bestreitet, insbesondere Herr Wehner, der heute bedauerlicherweise fehlt.
Wir haben Entwürfe eingebracht, derentwegen uns der Bundeswirtschaftsminister Graf Lambsdorff und auch Kollege Gattermann belobigt haben, Entwürfe, die zumindest besser sind als als das, Herr Kollege Gattermann, was Sie heute vorlegen. Das haben Sie in Osnabrück sehr deutlich gemacht. Wir haben das, wie ich meine, mit Genugtuung zur Kenntnis genommen.
Nun aber zurück zum Verfahren. Zunächst einmal hat die Mehrheit dieses Hauses die Beratung unserer Gesetzentwürfe abgeblockt. Sie haben sie einfach nicht auf die Tagesordnung gesetzt. Das bedeutete, daß wir Leerlauf von fast einem halben Jahr hatten. Dann haben wir hier in erster Lesung beraten. Wer daraufhin geglaubt hatte, daß die Probleme in einer zügigen und gründlichen Beratung im federführenden Rechtsausschuß gelöst werden könnten, muß letzten Endes sehr herb enttäuscht worden sein. Eine grundsätzliche Erörterung und ein verunglücktes Hearing zum Mietrecht haben zwar stattgefunden, aber eine Detailberatung haben wir bis zum gestrigen Tag nicht durchgeführt.
Deswegen lassen Sie mich ganz eindeutig sagen: Gestern wurde im Rechtsausschuß

(Gnädinger [SPD]: Sieben Stunden beraten!)

— ich komme darauf zurück, Herr Kollege Gnädinger — dieser Gesetzentwurf durchgepeitscht. Ich sage das deswegen, weil trotz der siebenstündigen Beratung viele Rechtsprobleme in der Hektik ungelöst auf der Strecke geblieben sind. Das muß man einmal ganz deutlich sehen.
Ich nenne hier zunächst die Regelung des § 5 des Wirtschaftsstrafgesetzes. Da tut man einfach so, als ob das mit der Staffelmiete überhaupt nichts zu tun haben könnte. Weiter nenne ich die rechtssystematische Einordnung des Zeitmietvertrags. Da war sogar Herr Schöfberger mit uns einer Meinung, daß das so, wie Sie es beschlossen haben, sehr unglücklich ist. Daß Sie letzten Endes die Studenten- und Wohnheime nicht aus der Vergleichsmietenregelung herausnehmen, ist auch eine Minusleistung; auch hier handelt es sich um ein ungelöstes Rechtsproblem.
Diese Dinge sind durchgepeitscht worden, offensichtlich auch deswegen, weil die Koalition allein das politische Ziel hatte, hier heute diese Mietrechtsänderung zu beschließen.
Wie gesagt, war die Ausschußberatung hektisch. Ich muß ganz offen sagen, ich wünsche mir, daß sich solches nicht wiederholt.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Denn wenn man als Berichterstatter erst kurz vor Mitternacht den Bericht korrigieren soll, dann muß ich sagen: Das ist fast eine unmögliche Zeit.
Von dieser Stelle aus muß ich einmal die Mitarbeiter im Rechtsausschuß loben, die an dieser Sache bis nach Mitternacht gearbeitet haben, damit die heutige Beratung überhaupt stattfinden kann. Das sollte hier am Rande erwähnt werden.

(Beifall bei der CDU/CSU)




Clemens
Die gestrige Debatte im Rechtsausschuß war auch deswegen sehr hektisch, weil es erhebliche Gegensätze gab, einmal zwischen einzelnen SPD-Mitgliedern und ihrer eigenen Fraktion, aber natürlich auch zwischen SPD und FDP. Mir ist aufgefallen, Herr Engelhard, daß Sie zu vielen Problemen sehr lange und sehr oft geschwiegen haben. Es kam zwar nicht zu verbalen Auseinandersetzungen, wie neulich, als der Kollege Jahn von der SPD — er ist leider nicht da — vor dem Mieterbund sagte, Sie seien von der FDP hintergangen worden. So hart war es formal nicht; aber die Gegensätze waren nicht zu übersehen.
Die Ursache hierfür liegt, wie wir gehört haben, im Vermittlungsausschuß. Der Vermittlungsausschuß hat sich geeinigt, so daß die Lesung heute stattfinden kann. Das kann man alles so tun, aber unsere Mitglieder im Vermittlungsausschuß wußten nicht, daß wir im Rechtsausschuß noch keine Detailberatung durchgeführt hatten.

(Zuruf von der SPD)

Nun frage ich die Mitglieder der Koalition, die sowohl im Rechtsausschuß als auch im Vermittlungsausschuß sind, warum sie nicht gleich Einspruch eingelegt haben, obgleich sie versprochen hatten, daß wir im Rechtsausschuß wirklich eine gründliche Debatte führen. Ich meine, wenn gute Gesetze gemacht werden sollen, müssen sie gründlich beraten werden. Hier ist etwas geschehen, was die parlamentarische Arbeit behindert hat, und das geht, wie gesagt, eindeutig zu Lasten der Koalition.
Lassen Sie mich vom Verfahren abgehen und feststellen, daß die CDU/CSU-Fraktion für ein soziales Mietrecht, für einen gerechten Ausgleich der schutzwürdigen Interessen von Mietern und Vermietern ist. Herr Schmidt, das ist besonders wichtig. Wir sind für die Sozialpflichtigkeit des Eigentums, und wir sind gegen eine zu starke Aushöhlung der Eigentumsgarantie. Man kann natürlich, wie es einige Sozialdemokraten hin und wieder tun, die Sozialbindung so weit auslegen, daß der Eigentumsbegriff stranguliert wird.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Das kann man tun, aber das ist nicht unsere Meinung, und ich gehe davon aus, daß es auch nicht die Meinung der FDP ist.
Wir beklagen seit einigen Jahren ein erhebliches Nachlassen im Wohnungsbau — daß also zu wenig investiert wird, und wir haben einen großen Fehlbestand. Insbesondere der frei finanzierte Wohnungsbau ist davon überproportional betroffen, was wir auch nicht vergessen sollten. Wir debattieren hier über den frei finanzierten Wohnungsbau und nicht etwa über den sozialen oder den öffentlich geförderten Wohnungsbau, der natürlich gerade hier bewirken müßte, daß einkommensschwache, sozial bedürftige Mieter — Ihr Thema — letzten Endes gut unterkommen. Aber damit sind Sie mit Ihrer Politik quasi gegen den Baum gefahren; denn im sozialen Wohnungsbau passiert ja leider nichts mehr.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Gerade im Hinblick auf Sie, Herr Schmidt, möchte ich noch einen Punkt ansprechen. Die Ursache für mangelhafte Wohnungsbauinvestitionen ist zum einen, daß im frei finanzierten Wohnungsbau mittelfristig eine unzureichende Rendite gegeben ist. Ein beredtes Zeugnis dafür ist die Versicherungswirtschaft, die früher einmal bis zu 7 % ihrer Anlagen im Wohnungsbau investiert hat; heute ist es nur noch knapp 1 %. Herr Schmidt, hören Sie gut zu: Die Versicherungswirtschaft brauchte für ihre Investitionen keine Fremdmittel. Sie ist also nicht etwa darauf angewiesen, hohe Zinsen zahlen zu müssen. Wenn Sie das zur Kenntnis nehmen, dann erkennen Sie ganz genau, daß dieses Argument, das auch von Ihrer Seite immer wieder gebracht wird, nämlich allein das hohe Zinsniveau sei am Wohnungsbaurückgang schuld, nicht stimmt.
Ganz abgesehen davon ist der Wohnungsbau seit 1974 kontinuierlich zurückgegangen, was die statistischen Zahlen ausweisen, und es ist sicherlich kein Zufall, daß gerade im Jahr 1974 das Zweite Wohnraumkündigungsschutzgesetz verabschiedet worden ist. Das muß ich dazu auch deutlich sagen. Die fehlende Investitionsbereitschaft geht daher auf das bestehende Mietrecht zurück. Wir können uns insoweit — das sollte man auf seiten der SPD auch einmal tun — auf große Experten berufen. Ich denke dabei an den Wissenschaftlichen Beirat beim Bundeswirtschaftsministerium mit seinen hochkarätigen Professoren, Herrn Giersch, Gutowski, Kloten, Krelle, Karl Schiller und Wallraff. Ich meine, Herr Schmidt, man kann das doch nicht nach dem Motto machen, daß nicht sein kann, was nicht sein darf, sondern man muß doch auch einmal diese fundierte Meinung zur Kenntnis nehmen.

(Beifall bei der CDU/CSU — Zuruf von der SPD)

Deswegen bitten wir Sie darum, dieses hier in der Tat einmal mit zu vertreten.
Ich könnte natürlich auch unseren Wohnungsbauminister Haack zitieren und will das auch wirklich einmal tun, der am 25. Mai 1981 in der „Welt" erklärt hat:
Man muß aber sehen, daß ein in Einzelpunkten überzogener Mieterschutz die Investitionsbereitschaft im frei finanzierten Wohnungsbau kaum anregt, sondern eher lähmt.
Herr Minister Haack, Sie haben absolut recht, wenn Sie so reden. Sie haben sich aber bedauerlicherweise bei Ihrer eigenen Fraktion nicht durchsetzen können, die mit konstanter Bosheit immer das Gegenteil behauptet.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich könnte mich in diesem Zusammenhang natürlich auch auf den Bundeskanzler berufen. Das hätte man Herrn Schmidt noch entgegenhalten müssen, der ja zum Regierungsprogramm erwähnt hat, daß er für mehr marktwirtschaftliche Elemente im Wohnungsbau eintritt. Herr Schmidt, davon war in Ihrer Rede nicht mehr die Rede.

(Beifall bei der CDU/CSU)




Clemens
Ich muß feststellen, daß, wenn das Wohnungsangebot nicht erhöht wird, sei es dadurch, daß leerstehende Wohnungen nicht vermietet werden, sei es dadurch, daß keine neuen Wohnungen gebaut werden, viele Wohnungsuchende, und zwar insbesondere kinderreiche und einkommensschwache jüngere Familien draußen vor der Tür bleiben. Ich nenne das ganz schlicht soziales Unrecht. Hieran mögen Sie einmal erkennen, daß die CDU sehr mieterfreundlich ist mit dieser Argumentation

(Lachen bei der SPD)

und mit dem, was sie durch ihre Gesetzesinitiativen bewirken will.
Ziel unserer Gesetzesinitiative ist nämlich, Herr Conradi — hören Sie einmal gut zu —, einen entscheidenden Widerspruch aufzulösen, nämlich den zwischen einem erhöhten Bestandsschutz zugunsten derer, die Wohnungen haben, und einer notwendigen Versorgung derer, die Wohnungen brauchen. Der Bestandsschutz wird gewährleistet durch die Mieterschutzmaßnahmen, die einseitig die Mieter mit bestehenden Mietverhältnissen begünstigen, die aber die Wohnungsuchenden benachteiligen. Das muß man hier deutlich sagen. Insofern findet der Interessenkonflikt, den Sie immer gerne mit klassenkämpferischen Tönen zwischen Mieter und Vermieter legen wollen, in Wirklichkeit zwischen Wohnungsbesitzern und Wohnungsuchenden statt. Man könnte es eine Art Zweiklassensystem nennen, was wir haben. Sie tun — ich wiederhole mich insoweit — wirklich den Mietern und insbesondere den Wohnungsuchenden keinen Gefallen, wenn Sie in diesen Bereichen unseren Intitativen nicht folgen.
Wenn ich so zur SPD schaue, habe ich manchmal das Gefühl, daß für Sie jeder Vermieter ein Kapitalist ist.

(Conradi [SPD]: Dumme Sprüche!)

Daß es sehr viele Vermieter gibt, die Arbeitnehmer sind, liegt auf der Hand.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Ich muß das hier einmal ganz deutlich feststellen.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID0910301200
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Reschke?

Joachim Clemens (CDU):
Rede ID: ID0910301300
Herr Reschke, ich bitte um Verständnis, ich komme mit der Zeit etwas in Bedrängnis.
Die CDU/CSU ist für mehr Marktwirtschaft, schrittweise eingeführt. Das haben wir vom Kollegen Dr. Jahn bereits gehört. Wir sind insbesondere für den Grundsatz der Vertragsfreiheit, der in unserem Gesetz allseits anerkannt und verankert ist.

(Dr. Emmerlich [SPD]: Und das alles, um angeblich die Mieter zu schützen!)

Dieser Grundsatz der Vertragsfreiheit wird meines Erachtens ausgehöhlt.

(Dr. Emmerlich [SPD]: Jetzt hören wir, wer die wahren Ideologen sind!)

Ich frage die Bundesregierung, ich frage SPD und FDP, insbesondere die FDP: Glauben Sie im Ernst, daß Sie durch die Verlängerung der Sperrfrist bei Eigenbedarf im Falle der Veräußerung von Wohnungseigentum, daß Sie durch das Vorkaufsrecht und die Mietkaution, d. h. daß Sie durch so eine geballte Einschränkung der Vertragsfreiheit die notwendigen marktwirtschaftlichen Elemente in das Mietrecht eingebaut haben? Ich habe da erhebliche Zweifel. Wir könnten uns der einzelnen Forderung sicherlich anschließen, wenn die Forderungen nicht in solcher Massierung aufträten.
Ich muß mich in diesem Zusammenhang auch mit der FDP befassen. Mit ihrem Bundeswirtschaftsminister an der Spitze gerieren Sie sich immer als Gralshüter der Marktwirtschaft.

(Gattermann [FDP]: Das sind wir auch!)

— Herr Gattermann, wenn man Sie so hört, könnte man dem j a zustimmen. Nur haben Sie selbst betont, daß unser Entwurf der bessere war. Ich frage Sie: Warum haben Sie sich dem nicht angeschlossen?

(Dr.-Ing. Kansy [CDU/CSU]: Vielleicht macht er es noch!)

— Vielleicht. — Schöne Reden, bei denen wir Ihnen Beifall zollen, nützen nichts, wenn keine Taten folgen. Kurzum, es müßte nun endlich die Wende von Herrn Genscher stattfinden.

(Beifall bei der CDU/CSU — Gattermann [FDP]: Die Karten liegen doch auf dem Tisch!)

— Herr Gattermann, Sie gerieren sich weiterhin immer als Bremser bei der Fahrt in Richtung Sozialismus. Ich will Ihnen ganz offen sagen: Es spielt für mich keine Rolle, ob man mit Tempo 180 oder nur mit Tempo 100 gegen einen Baum fährt; die Kiste liegt schief, und es dauert in dem einen Fall nur ein bißchen länger. Das muß man Ihnen gegenüber auch einmal deutlich sagen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Sie haben Gelegenheit, unserer Regelung bei den Zeitmietverträgen zuzustimmen. Ein entsprechender Änderungsantrag liegt auf dem Tisch. Ihre Regelung, wie Herr Schmude sie vorgeschlagen hat, hat erhebliche Nachteile und ist nicht geeignet, Anreize für die Vermietung von leerstehendem Wohnraum zu schaffen. Während unser Gesetzentwurf zum Inhalt hat, daß nach Ablauf eines befristeten Mietvertrages das Mietverhältnis bei beabsichtigtem Eigenbedarf oder bei beabsichtigten Baumaßnahmen qua Vereinbarung beendet ist, konstruiert der SchmudeEntwurf nichts anderes als eine erweiterte Kündigungsmöglichkeit. Der Vermieter muß nämlich weiterhin sein berechtigtes Interesse an der Beendigung des Mietverhältnisses geltend machen. Hier ist, so meine ich, mindestens eine psychologische Hemmschwelle festzustellen, und wir werden sehen, daß leerstehender Wohnraum auf Grund Ihrer Regelung des Zeitmietvertrages nicht vermietet wird.
Während der Vermieter beim CDU/CSU-Vorschlag damit rechnen kann, daß das Zeitmietverhältnis vereinbarungsgemäß gelöst wird — und das ist



Clemens
der eigentliche Charakter eines Zeitmietvertrages —,

(Dr. Jahn [Münster] [CDU/CSU]: Sehr wahr!)

geben Sie nur Kündigungsgründe. Sie lösen damit unter Umständen im Streitfall einen schwerfälligen Kündigungsmechanismus aus — Sie alle wissen das, wenn Sie Mietrechtler sind —, und das führt zu einer langwierigen Prozedur und dazu, daß der Vermieter den leerstehenden Wohnraum eben nicht vermietet.

(Dr. Möller [CDU/CSU]: So ist es!)

Damit wiederhole ich mich: Es ist auch soziales Unrecht, wenn die Wohnungen nicht dem Wohnungsmarkt zugeführt werden.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Nun kann man das Problem natürlich auch so lösen, wie ich es vom Münchener Parteitag der SPD gelesen habe. Da gab es j a Anträge — Sie sind wohl aus Zeitgründen nicht mehr dazu gekommen, sie zu behandeln; ich kann nur sagen, Gott sei Dank —, die ganz einfach sagen, man besteuert leerstehenden Wohnraum mit 10 DM pro Quadratmeter pro Monat, und dann ist die Sache erledigt. — Das ist natürlich auch eine Lösung, nur keine marktwirtschaftliche. Das ist eine Lösung, wie wir sie jetzt laufend von Ihnen erleben. Sie sind für Steuererhöhungen, aber bei Mieterhöhungen scheuen Sie sich ein bißchen, und damit tun Sie letzten Endes dem Mieter keinen Gefallen, weil Sie im Effekt das Angebot an Wohnungen nicht erhöhen. Wenn Sie es nicht erhöhen, bleibt die Nachfrage groß, und wenn die Nachfrage groß bleibt, bleibt der Mietpreis hoch, oder er steigt noch. Das muß man deutlich sehen.

(Zustimmung bei der CDU/CSU)

Das ist die entscheidende, die Kardinalfrage; ich möchte sogar sagen, es ist die soziale Kardinalfrage, die Sie nicht lösen, und deswegen sind Sie nicht sozial. Sie sind in diesem Bereich weder marktwirtschaftlich noch sozial.

(Beifall bei der CDU/CSU — Gnädinger [SPD]: Wir fühlen uns am Boden zerstört!)

Ein weiterer Punkt: Wir schlagen Ihnen vor, die Staffelmiete auch im Bestand einzuführen. Das machen wir allein deswegen, weil festgestellt wurde — da haben wir nun auch wieder die Sachverständigen bei uns im Hintergrund —, daß die Neuvertragsmieten erheblich gestiegen sind und daß dadurch für den Mieter der Wohnungswechsel zu einem ungewissen und teuren Unterfangen wird. Es ist also — Herr Dr. Jahn hat das schon ausgeführt — eine Verzerrung im Mietpreisgefüge eingetreten. Während die Mieterhöhung auf Grund des Mieterschutzes bei bestehenden Mietverträgen stark eingeschränkt ist, kann sie bei neuen Verträgen frei ausgehandelt werden, allerdings natürlich nur beim Erstabschluß; dann wird der Neubau zum Bestand.
Demzufolge sind im frei finanzierten Wohnungsbau — und jetzt richte ich das Wort auch und insbesondere wieder an die FDP — die Mieten in neuen Mietverträgen tendenziell höher als in alten Verträgen. Wohnraum wird gehortet. Ältere Familien, deren Personenzahl sich verringert, bleiben in großen Wohnungen, weil sie dort billiger wohnen, als wenn sie in kleinere gingen, die ihnen zwar mehr zusagen müßten, aber wesentlich teurer sind. Jüngere Familien, die durch Kinder Zuwachs bekommen, sind auf den Neubau, der zum Teil sehr beengt ist, angewiesen, weil sie in die alten Wohnungen nicht hineinkommen. Es fehlt also an der Mobilität der Mieter.

(Sehr gut! bei der CDU/CSU)

Das ist ein entscheidender Grund, der ausgeräumt werden kann. Deswegen bitten wir Sie, die Kollegen von der FDP, die Staffelmiete auch im Bestand zu akzeptieren. Das ist ein entscheidendes Argument. Es gibt weitere Argumente — dadurch, daß hier eine Mischkalkulation durchgeführt wird.
Ich komme zum Ende — zwangsläufig —: Mit der SPD wird man über diese Punkte — über die Marktwirtschaft, aber auch über die soziale Frage im Mietrecht — wenig reden können. Sie machen so eine Art ideologischer Scheuklappenpolitik. Aber man hofft j a wenigstens auf die FDP, die immer wieder gesagt hat, daß sie für mehr Marktwirtschaft sei, auch im Mietwohnungsbau, daß sie für unsere Regelung des Zeitmietvertrages und für die Staffelmiete im Bestand sei. Wir sind gespannt darauf, wie Sie nachher, wenn unser Änderungsantrag zur Abstimmung gestellt wird, entscheiden.
Das Fazit ist: Das Ziel, das Wohnungsangebot zu erhöhen, wird durch den Gesetzentwurf der Bundesregierung nicht erreicht, und zwar zum Nachteil der Mieter. Der große Wurf ist Ihnen nicht gelungen. Herr Bundesjustizminister, 1974, vor siebeneinhalb Jahren, gab es einen einstimmigen Beschluß des Deutschen Bundestages, das in unzählige Vorschriften zersplitterte Mietrecht zu vereinheitlichen. Ich frage Sie: Was haben Sie bisher mit Ihren Mitarbeitern geschaffen? — Ich meine: gar nichts.

(Beifall bei der CDU/CSU — Dr. Möller [CDU/CSU]: Ein neues Mietspiegelgesetz!)

Sie haben keine Vereinheitlichung vorgenommen. Es wurde nur Flickschusterei betrieben — auf Grund eines Minimalkonsenses zwischen SPD und FDP. Es kommt hinzu, daß keine gründliche Beratung durchgeführt worden ist. Mieter und Vermieter müssen bedauerlicherweise in einem zentralen Lebensbereich, der durch das Mietrecht geregelt wird, mit Rechtsunklarheit und Rechtsunsicherheit leben. Die gestrigen Beratungen im Rechtsausschuß sind dafür beredtes Zeugnis. Das Ergebnis stimmt außerordentlich traurig.
Wir stellen fest: Der Kadavergehorsam der Koalition hat trotz erheblicher Gegensätze zwischen SPD und FPD

(Glocke des Präsidenten)

offensichtlich wieder einmal gesiegt, und die von Herrn Genscher angekündigte Wende hat nicht stattgefunden. — Ich bedanke mich.

(Beifall bei der CDU/CSU — Zuruf von der SPD: Das wird auch so bleiben!)





Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID0910301400
Ich hatte zuletzt nicht wegen der Redezeit, sondern wegen des „Kadavergehorsams" geklingelt.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Schröder (Hannover).

(Clemens [CDU/CSU]: Jetzt kommt ein echter Marktwirtschaftler! — Heiterkeit bei der CDU/CSU)


Gerhard Schröder (SPD):
Rede ID: ID0910301500
Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Es wäre unredlich — und der Unredlichkeit war viel heute morgen —, so zu tun, als ob das vorliegende Änderungsgesetz in meiner Fraktion auf Beifall gestoßen wäre. Ich sage ganz offen: Wenn Sozialdemokraten hier allein die Mehrheit hätten, hätte es diesen Gesetzentwurf nicht gegeben, übrigens nicht, weil wir die Interessen des redlichen Vermieters geringschätzten, sondern weil unseres Erachtens das geltende Recht einen vernünftigen, einen gerechten Interessenausgleich zwischen Vermieter und Mieter gewährleistet.
Warum dann — so ist die Frage — diese Änderung? Es ist kein Geheimnis, daß sich in der Koalition zwei Parteien mit sehr unterschiedlichen gesellschaftspolitischen Konzeptionen verbunden haben. Es wäre völlig töricht, davon auszugehen, daß diese Tatsache im Gesetzgebungsverfahren keine Auswirkungen hätte. Der Hintergrund des Änderungsgesetzes ist eine nach meiner Auffassung zur Ideologie geronnene Auffassung von der Funktion des Marktes bei der Wohnungsversorgung.
Übrigens, geradezu groteske Formen und Züge nimmt diese Ideologie bei der Opposition an. Die Begründung des Oppositionsentwurfes weist dies aus. Sie nennt das nicht immer Markt-, bisweilen nennt sie es auch Vertragsfreiheit, meint aber in jedem Fall das gleiche.
Aber auch in der FDP wird ein Zusammenhang zwischen ausgebliebenen Investitionen auf dem Wohnungsmarkt und den Beschränkungen, die die Koalition der Vermietermacht auferlegt hat, gesehen. Dieser Zusammenhang existiert in Wahrheit nicht; jedenfalls ist er für die relevanten Investitionsentscheidungen nicht maßgebend. Es sind — ich glaube, da gibt es auch wenig Meinungsunterschiede — vor allem hohen Zinsen, unverschämte Bodenpreise und sehr hohe Baukosten, die die Investitionsentscheidungen auf diesem Sektor in erster Linie beeinflussen.
Worum es in Wirklichkeit geht, sind Interessen, meine Damen und Herren. Es sind Vermieterinteressen — das muß deutlich gesagt werden —, die vom Koalitionspartner mit Nachdruck vertreten worden sind. Oder wem dient es, wenn mit der Vereinbarung einer Staffelmiete regelmäßig Erhöhungen der Miete durchgesetzt werden können? Dies dient nicht den Mietern; dies dient den Vermietern. Oder wem nutzt es, wenn in Zukunft Mieterhöhungen von bis zu 30 % innerhalb von drei Jahren durchgesetzt werden können und die Durchsetzung durch die Veränderung von Form- und Fristvorschriften auch noch leichter gemacht wird? Hier herumzureden und so zu tun, als sei dies mehr Schutz von Mietern, ist schlicht falsch, nimmt uns keiner ab.

(Dr. Jahn [Münster] [CDU/CSU]: Stimmen Sie doch dagegen!)

Deswegen sollten wir es auch nicht sagen. Ich finde, dies hat mit Marktwirtschaft — hier ist dem, was Herr Clemens ein bißchen unsystematisch vorgetragen hat, zu widersprechen — sehr viel, mit sozialen Gesichtspunkten leider weniger zu tun.
Warum stimmt meine Fraktion, warum stimme auch ich diesem Gesetz gleichwohl zu?

(Dr. Jahn [Münster] [CDU/CSU]: Aus Gründen der Machterhaltung!)

— Ich sage dazu etwas, Herr Jahn.

(Dr. Jahn [Münster] [CDU/CSU]: Und jetzt sagen Sie, wir machten es noch schlimmer! Das ist Ihre Argumentation!)

Ich finde, wir sollten keinen Nebel werfen. Dieses Gesetz hat mit den Veränderungen unserer wirtschaftspolitischen Rahmenbedingungen zu tun. Die Verteilungsspielräume in unserer Gesellschaft sind schmaler geworden.

(Dr. Jahn [Münster] [CDU/CSU]: Dank Ihrer Regierungspolitik!)

Dies heißt, daß die Verteilungskämpfe — man kann das ruhig auch „Klassenkämpfe" nennen —

(Zuruf von der CDU/CSU: Jetzt sind Sie beim Thema!)

härter geworden sind. Es wäre also töricht, zu glauben, daß die Veränderungen der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen, die uns j a auch in anderen Bereichen beschäftigen, keine Auswirkungen auf eine Koalition zwischen einer Partei des aufgeklärten Bürgertums — im Unterschied zu Ihnen — wie der FDP und einer Partei des gesellschaftlichen Fortschritts wie der SPD hätte.

(Lautes Lachen bei der CDU/CSU — Dr. Möller [CDU/CSU]: Das nimmt er selber nicht ernst, obwohl er es ernst vorträgt! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU: Weiter so! — Das ist doch hier kein Juso-Kongreß!)

Die Zustimmung meiner Fraktion ist nur auf diesem Hintergrund verstehbar.

(Dr. Stark [Nürtingen] [CDU/CSU]: Aber nicht erklärbar!)

Das Beschäftigungsprogramm — damit komme ich zur Arbeitslosigkeit, die Ihnen ja völlig gleichgültig ist,

(Lebhafte Zurufe von der CDU/CSU: Unglaublich! — Pfui!)

uns indessen nicht; deswegen haben wir um ein Beschäftigungsprogramm gekämpft — —

(Beifall bei der SPD — Anhaltende Zurufe von der CDU/CSU)




Schröder (Hannover)

— Wer hat denn die Finanzierung des Beschäftigungsprogramms torpediert? Das waren doch Sie im Bundesrat.

(Dr. Möller [CDU/CSU]: Wer hat denn die Arbeitslosen geschaffen? Wir doch nicht, die Regierung!)

Die Leute werden das merken, vor allen Dingen die Arbeitslosen. Und Sie werden die Quittung dafür erhalten; seien Sie dessen ganz sicher!

(Anhaltende Zurufe von der CDU/CSU)

Das Beschäftigungsprogramm und der Einstieg in die Reform des Bodenrechtes waren und sind für uns so wichtig, daß wir glauben, die ohne Zweifel negativen Veränderungen beim Mietrecht dafür hinnehmen zu sollen. Daß uns das nicht leichtgefallen ist und nicht leichtfällt, ist, so glaube ich, nicht zuletzt auch aus meinen Bemerkungen deutlich geworden.
Ich habe das hier so offen dargestellt, um deutlich zu machen, daß es in der Koalition als einer Koalition zweier selbständiger Parteien mit unterschiedlichen gesellschaftspolitischen Zielrichtungen um solche Fragen Konflikte gibt. Wie sollte das denn anders sein! Im Unterschied zu Ihnen sagen wir, daß es diese Konflikte gibt, damit das für die Betroffenen auch deutlich nachvollziehbar ist, für diejenigen, die wissen wollen, warum wir hier eine Entscheidung so und nicht anders treffen. Es gibt diese Konflikte. Aber es gibt in der Koalition auch die ehrliche Bereitschaft, sich so zu einigen, daß der jeweils andere damit leben kann und diejenigen, die er politisch vertritt, eben auch.

(Zuruf von der CDU/CSU: Um an der Macht zu bleiben!)

Ein Beispiel hat Herr Gattermann hier eben gegeben. Natürlich gibt es — Sie haben zu Recht darauf hingewiesen — in der FDP weitergehende Forderungen, und natürlich gibt es bei uns entgegengesetzte Forderungen. Es gibt in der FDP auch Forderungen, die weiter gehen als das, was hier gemacht werden soll. Aber ebenso wie wir einen Teil unserer Forderungen zurückstecken mußten, hat natürlich auch die FDP auf einen Teil ihrer Forderungen verzichten müssen. Was ist dies anderes als der Versuch, einen gerechten Interessenausgleich

(Dr.-Ing. Kansy [CDU/CSU]: Einen RiesenPersilschein!)

zwischen zwei unterschiedlichen Parteien und Fraktionen herbeizuführen? Mit den Einzelheiten dieses Gesetzes wird sich — dessen bin ich sicher — der zuständige Minister schon noch auseinandersetzen. Er wird auch die positiven Aspekte dieses Gesetzes sicher erörtern. Ich will das gar nicht vorwegnehmen.
Ich will nur eines sagen: Ich sehe in der politischen Bereitschaft der FDP, auch ihre Maximalforderungen aufzugeben und sich den sozialen Erwägungen der SPD nicht zu verschließen, eine deutliche Ablehnung, die FDP-Forderungen mit Hilfe Ihres konservativen Blocks durchzusetzen.

(Zustimmung bei der SPD)

Oder lassen Sie mich einmal fragen: Hätten Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, etwa nicht gern die Staffelmiete im Bestand gehabt? Ich weiß sehr wohl, daß es solche Begehrlichkeiten auch in der FDP gibt; aber dies ist nicht gemacht worden. Es wäre aber mit Ihnen gemacht worden — mit fatalen Folgen für die betroffenen Mieter, was die Miethöhe angeht.
Oder wie steht es mit Ihrem Willen, auch die Sozialwohnungen in das Vergleichsmietensystem einzubeziehen? Ich sage nicht ausdrücklich, daß Herr Gattermann das auch will, aber ich kann mir schon vorstellen, daß es dort Stimmen gibt, die ähnliches wollen, immer unter dem Stichwort: mehr Markt. Dies ist mit uns nicht zu machen, und es wird nicht gemacht. Auch dies ist ein Zeichen dessen, daß hier sehr wohl im großen und ganzen Lösungen gefunden worden sind, mit denen jeder leben kann.
Ich sage dies, um deutlich zu machen, daß bei diesem Gesetzentwurf beide Koalitionspartner Federn lassen mußten. Dies ist für Sozialdemokraten deshalb besonders schmerzlich, weil die Zugeständnisse, die wir hinsichtlich der Miethöhe haben machen müssen, nicht die Reichen in dieser Gesellschaft treffen, sondern die Armen. Was wir aber verhindert haben, meine Damen und Herren, ist ein mietrechtlicher Kahlschlag, der uns dann drohte, wenn eine konservative Partei wie Ihre in einer anderen Koalition bestimmte Begehrlichkeiten bei unserem Koalitionspartner nicht bremste, sondern — wie Sie es zweifellos tun — noch anstachelte. Weil dies — der Betroffenen wegen — nicht geschehen darf, hat es diese Einigung gegeben. Darum wird es diese Einigung — seien Sie dessen ganz sicher — auch weiter geben. — Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der FDP)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID0910301600
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Engelhard.

(Dr.-Ing. Kansy [CDU/CSU]: Jetzt kommt der Persilschein von der Rückseite!)


Hans A. Engelhard (FDP):
Rede ID: ID0910301700
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es ist ja ganz augenscheinlich, daß wir hier ein hoch emotionalisiertes Thema behandeln, und zwar wohl in zweierlei Hinsicht: zum einen ein Thema, das — zumindest von Teilen der Kollegen — sehr stark ideologisiert wird, und zum anderen ein Thema, das natürlich in den einzelnen Regionen unseres Landes unterschiedliches Gewicht hat.
Als wir uns gestern im Rechtsausschuß unterhielten, wurde ganz deutlich, daß eine ganze Reihe von Kollegen begreiflicherweise sagte: Geht es eigentlich immer nur um München, geht es immer nur um Hamburg, mit den Argumenten, die dort gebräuchlich sind, unter dem Druck und den Schwierigkeiten, unter denen wir in diesen Städten, aber auch in Stuttgart und anderwärts, zu leiden haben, während in der Breite des Landes vieles ja überhaupt kein Problem ist und ganz anders gesehen wird?
Es gilt zunächst einmal, einen vernünftigen Ausgleich zu finden. Wir, die wir — wie ich — aus München kommen, müssen Wert darauf legen, daß man



Engelhard
die Schwierigkeiten in einer solchen Stadt und in einem solchen Ballungsgebiet sieht. Aber gleichwohl wissen wir, daß wir ein Gesetz zu machen haben, das für unsere ganze Republik gilt.
Ich weiß nicht, ob die Union gut beraten ist, wenn sie sich hier auf das hohe Roß setzt und sagt: Wir laden euch von der FDP ein, doch mit uns, wie es Herr Kollege Clemens sagte, das Richtigere, Vernünftigere zu machen.

(Zuruf von der CDU/CSU: Das ist doch ein Angebot!)

— Ja, dies ist ein wunderbares Angebot. Aber es ist doch nur auf dem Hintergrunde zu sehen, daß wir heute keinen Markt haben, und zwar seit vielen Jahrzehnten nicht, zurückgehend bis auf die Zeit des Ersten Weltkrieges: Zwangswirtschaft und Verkarstungen und Regelungen haben die einzelnen Wohnungsmärkte im Altbaubestand, bei den Sozialwohnungen, bei den Neubauwohnungen völlig auseinanderlaufen lassen. Das Problem ist — das wissen Sie selbst — doch einfach nicht so zu lösen, daß Sie hier Änderungsanträge vorlegen, die doch wirklich nicht der Weisheit letzter Schluß sind.

(Dr. Jahn [Münster] [CDU/CSU]: Die Folge Ihrer Politik, Herr Engelhard! — Weiterer Zuruf von der CDU/CSU: Sie sind aber gelobt worden!)

Damit wollen Sie den Versuch unternehmen, nun nach einer langen Zeit der Fehlentwicklung eine Kehrtwendung einzuleiten, eine Kehrtwendung, die Sie als eine solche um 180 Grad verstehen, die aber letztlich nichts bringen würde.

(Zustimmung bei der SPD)

Die Einladung geben wir Ihnen zurück. Es wird draußen nicht verstanden werden. Sie machen es sich zu leicht, wenn Sie glauben, uns einladen zu können, selbst aber das hier auf dem Tisch des Hauses liegende Angebot, Ihre Zustimmung nicht zu verweigern, zurückweisen. Sie haben es als Opposition, weil Sie wissen, daß dies hier eine Mehrheit finden wird, sehr leicht und können den Interessierten gegenüber mit Ihrer Ablehnung auftreten. Wir haben den schwereren Weg gewählt und haben zusammen mit einem Koalitionspartner, dem dies nicht leichtgefallen ist, wie wir alle wissen, ganz Wesentliches in der richtigen Richtung durchgesetzt.
Hier will ich einmal, gewandt an diesen Koalitionspartner, sagen: Vielleicht ist der Tag gar nicht mehr so fern, an dem die Auswirkungen dessen, was wir heute beschließen werden, auch dort stärker noch zu der Erkenntnis führen, daß es ganz gut war, daß die FDP hier sehr hart verhandelt hat und sehr darauf bestanden hat, daß hier etwas in Fluß gebracht werden muß. Wir haben gleichzeitig für jene, die das natürlich ganz anders sehen — etwa der Kollege Schröder und der Kollege Dr. Schöfberger —, sozusagen treuhänderisch in der Koalition eine Position wahrgenommen, die durchzusetzen sehr wichtig ist.
Wir wissen, daß die mangelnde Rentabilität den freifinanzierten und steuerbegünstigten Wohnungsbau nahezu zum Erliegen gebracht hat. Nun ist gesagt worden: Das hat ganz andere Gründe, das sind die Bodenpreise, das ist die Hochzinspolitik. Alles gut und schön. Wir wissen, daß gerade die Zinsen eine große Rolle spielen, daß 1 % Zins sich in einer um 2 DM höheren Quadratmetermiete pro Monat niederschlägt, daß die Bewirtschaftungskosten eine große Rolle spielen. Aber natürlich spielt die Rentabilität ebenso eine Rolle. Wenn noch zu Beginn der 70er Jahre mit der Anfangsmiete 70% der Aufwendungen im Mietwohnungsbau hereingeholt werden konnten, der Anteil dann kontinuierlich abgesunken ist und nun, wie Kollege Gattermann bereits erwähnt hat, bei knapp 50 % gelandet ist, dann spielt dies selbstverständlich für die Entscheidung der Investoren eine bedeutende Rolle. Das ist überhaupt nicht zu übersehen.
Herr Kollege Schmidt, Sie haben gesagt: Jetzt wollen wir einmal sehen, ob investiert wird. Ich formuliere es anders: Wir wollen dies hoffen. Es sollte aber keiner glauben, daß die Investoren ein Automat sind, wo die angeschriebene Geldsumme eingeworfen wird und — wenn die Apparatur nicht defekt ist — prompt und klingelnd die Ware unten herauskommt. So einfach sind die Dinge nicht.
Natürlich wissen wir, daß nicht jedermann, der nun vielleicht etwas besser in seiner Rendite als Miethausbesitzer liegen wird — das gilt insbesondere dann, wenn er kein Grundstück hat, wenn er älter ist oder was der Gründe mehr sein mögen —, nun sofort darangehen wird, neue Mietwohnungen zu errichten. Aber ich glaube, es ist der Schritt in die richtige Richtung. Ich sage Ihnen insbesondere gerade nach den Ausführungen, die der Kollege Schmidt gemacht hat: Das Unglück ist j a, daß zunehmend der mittelständische Miethausbesitz in Abnahme begriffen ist, daß es Gesellschaften sind, die ihre Karte auf die Spekulation setzen, die darauf ausgehen, Mietwohnungen in Eigentumswohnungen umzuwandeln. Aber woher — ich habe es bei der ersten Lesung gesagt — kommen diese Wohnungen? Aus dem Bestand des Hausbesitzes des Mittelstands, der für diesen Hausbesitz oft keine Zukunft mehr sieht, der Mühen und der Lasten leid ist und daran geht, diesen Hausbesitz zu stolzen Preisen abzustoßen. Hier wieder eine Wende zu bringen, daß wie ehedem die Altersversorgung in diesem Bereich wieder gesucht wird, ist meines Erachtens eine wichtige Aufgabe. Das wird am heutigen Tage mit dem, was wir beschließen werden, eingeleitet.
Es ist kein Abbau des Mieterschutzes, was wir hier beschließen werden. Ich lege für meine Fraktion nochmals den größten Wert darauf, dies festzustellen. Es ist nach wie vor der Tatbestand gegeben, daß der vertragstreue Mieter eine dem Dauerwohnrecht angenäherte Position haben soll. Die ganz andere Frage ist, wie die Miete zu gestalten ist. Da machen es sich jene zu leicht, die glauben, es dabei belassen zu können, im Bestand die Dinge festzuschreiben und es als ein Attentat auf den sozialen Rechtsstaat anzusehen, wenn sich hier etwas bewegt.
Es ist doch ganz klar, die theoretisch stärkste Form des Mieterschutzes wäre die totale Unkündbarkeit und die kostenlose Überlassung einer Woh-



Engelhard
nung auf Lebenszeit. Das ist theoretisch gedacht, aber eben nicht darstellbar. Es muß an jene gedacht werden, die morgen Wohnungen suchen und die heute verzweifelt in den Annoncenspalten der Zeitungen blättern und nichts finden. Ich glaube, daß der nicht zukunftsgerichtet handelt und daß der den Begriff des Sozialen verkürzt betrachtet, der so denkt und nicht auch die Wohnungen, die für morgen notwendig sind, mit im Auge hat. Dann geht es eben auch nicht darum, wie manchmal gesagt wird, eine Neuverteilung des Volkseinkommens vorzunehmen, den Armen etwas wegzunehmen, um es relativ wohlhabenden Leuten qua höherer Miete zu übertragen. Wenn wir den gerechten Ausgleich zwischen den Mietern einerseits und den Vermietern andererseits suchen, dann müssen wir sehen, daß sich das, was den Vermietern zugute kommt, langfristig in Investitionen niederschlagen wird, die ihrerseits wieder den Mietern von morgen nützen werden.
Ich glaube, daran können wir nicht vorbeikommen, und so werden wir die Dinge sehen müssen. Ich lade meinerseits die Union ein, diesen Weg, der sich bemüht, in ersten Schritten das Richtige und Vernünftige zu tun, mitzugehen und nicht zu glauben, es sich als Opposition in all der Uneinigkeit, wie sie seinerzeit in der Rede des Kollegen Blüm anfangs der Legislaturperiode zum Ausdruck gekommen ist, bequem machen zu können und hier nein sagen zu müssen.

(Beifall bei der FDP und der SPD)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID0910301800
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Hansen.

Karl-Heinz Hansen (SPD):
Rede ID: ID0910301900
Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Nach der „Operation '82" und dem „Beschäftigungsförderungsprogramm" heißen heute die den fortschreitenden Sozialabbau verschleiernden Stichworte „Mietspiegel" und „Staffelmiete". Und das vor einem sozialen Hintergrund, den auch die höchste Steigerungsform der Lüge, nämlich die Statistik, nicht länger beschönigen kann:
Wir haben weit über 2 Millionen Arbeitslose, davon viele, die überhaupt keine Aussicht mehr haben, ins Arbeitsleben zurückzukehren. Wir haben steigende Lebenshaltungskosten für alle, die noch in Arbeit sind, allerdings bei ständig sinkenden Realeinkommen. Wir verzeichnen seit 1972 einen beschleunigten und überdurchschnittlichen Anstieg der Mieten, bei den Sozialwohnungen stärker als bei den sogenannten frei finanzierten Neubauwohnungen. Der Anstieg ist um so höher, je größer die Gemeinden sind, also vor allem in den Ballungsräumen.
Wir konstatieren überdurchschnittliche Erhöhungen der Kosten für Heizung und Warmwasser für alle, die noch eine ausreichende Wohnung haben. Der Preis für leichtes Heizöl ist z. B. um über 80 % angestiegen.
Wir stellen fest, daß die Fünfte Wohngeldnovelle diesen Zustand nicht nur nicht gemildert hat, sondern beispielsweise einen großen Teil der Studenten aus der Wohngeldförderung hinausbeförderte, an deren Stelle dann natürlich eine wachsende Zahl von Arbeitslosen getreten ist.
In der Bundesrepublik leben — nein, überleben, muß man wohl sagen — fast 1 Million Menschen, vor allem solche mit niedrigem Einkommen und vielen Kindern, immer noch in menschenunwürdigen Behausungen ohne Bad und Toilette. Für sie gilt noch im Jahre 1982, daß man Menschen auch mit einer Wohnung, die keine ist, erschlagen kann.
Wer keine Wohnung hat, meine Damen und Herren, der pfeift auf die grundgesetzlich garantierte Unverletzlichkeit der Wohnung. Wer keine Wohnung mehr bezahlen kann, für den ist jeder Kündigungsschutz wertlos.
Vor diesem Hintergrund sind Äußerungen wie die des Sprechers der Hausbesitzer „Wenn alles teurer wird, kann Wohnen nicht billig bleiben" nichts als blanker Zynismus.

(Beifall des Abg. Coppick [fraktionslos])

Aber nur vor diesem Hintergrund kommt man auf den wahren Kern der vorliegenden Gesetze. Die Bundesregierung will mit dem Mietspiegelgesetz die Miethöhe nach den Mieten bestimmen, die in den letzten fünf Jahren vereinbart worden sind. Da die wesentlich höheren Neumieten als Maßstab dienen sollen, wird die ortsübliche Vergleichsmiete praktisch zu Fall gebracht. Damit wird dieses Gesetz zu einem Mietensteigerungsgesetz, das den Mietern mindestens 10% Mieterhöhung in jedem Jahr bescheren wird. Das heißt, daß die Renditen für den Wohnungsbestand auf Kosten der Mieter erhöht werden. Vor allem in den Ballungsräumen werden die Mieten beschleunigt und überdurchschnittlich weiter steigen und schließlich nur noch von den Beziehern hoher Einkommen bezahlt werden können.
Wahrlich ein weiter Weg: Vom Gesetz zur Verbesserung des Mietrechts und Begrenzung der Mieten von 1971 bis zu einem Gesetz zur Förderung von Mieterhöhungen hat die sozialliberale Koalition ziemlich genau zehn Jahre gebraucht.
Auch die Staffelmiete wird sich preissteigernd auf die Höhen der Mieten auswirken. Der Kritik der Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Juristen vom April dieses Jahres ist ausdrücklich zuzustimmen, wenn sie feststellt — zwar in der ihr eigenen Sprache, aber doch sehr klar —:
Die antizipierten Preissteigerungen des Staffelmietensystems werden auf Grund ihrer unmittelbaren Verkoppelung mit dem langfristig überproportionalen Anstieg des Baupreisindexes eine massive Preisauftriebstendenz entfalten und ökonomisch auf sämtliche Mieten zurückwirken. Während in anderen westeuropäischen Ländern Indexierungsklauseln für Lohn und Gehalt der Arbeitnehmer bestehen, führt die Bundesregieung mit den Staffelmieten praktisch zugunsten der Vermieter eine Indexierung ein, die zudem infolge des zu erwartenden Sicherheitszuschlags der Vermieter langfristig über dem allgemeinen Preissteigerungsniveau angesiedelt ist.



Hansen
Es bleibt völlig schleierhaft, auf welche Weise die vorliegenden Gesetze den Wohnungsbau beleben und damit beschäftigungspolitische Auswirkungen haben sollen. Wie soll eigentlich ein Investitionsanreiz von solchen Regelungen ausgehen, wenn wegen der sinkenden Realeinkommen die Grenze der Mietbelastung für viele schon längst erreicht ist?
Das wissen auch diejenigen ganz genau, die heute diesen Gesetzen zustimmen werden. So der jetzige Bundesarbeitsminister Westphal, der vor dem Bundesvorstand der SGK, also der Vereinigung sozialdemokratischer Kommunalpolitiker, im März 1982 meinte, es könnte durchaus sein, daß beispielsweise Mieterhöhungen einträten, ohne daß im Wohnungsbau neu investiert werde.
Die schon zitierte ASJ stellt dazu fest:
Es bleibt ein Novum, daß die Bundesregierung vage Investitionspläne einer potentiellen Kapitalanlegergruppe, der Versicherungswirtschaft, zum Anlaß für einen generellen Eingriff in den sozialen Bestandsschutz nimmt.
Hierhin gehört auch das, was der Kollege Schöfberger in einem offenen Brief dem Kollegen Engelhard im März 1982 bescheinigte:
Nach Ansicht aller Experten werden die Mieten in Ballungsräumen in den nächsten drei Jahren um 30 % ansteigen. Das bedeutet auch für Hunderttausende von Münchnern, vor allem für Arbeitnehmer, junge Familien und Rentner, einen drastischen Konsumverzicht in anderen Bereiche und für den Haushalt unserer Stadt Abermillionen Mark für zusätzliches Wohngeld und Sozialhilfe.
Noch drastischer Herr Jahn (SPD) in seiner Eigenschaft als Präsident des Deutschen Mieterbundes:
Mit einer Kostenexplosion muß leider gerechnet werden. Auf die Mieter kommen Belastungen in einem Maße zu, die ich gesellschaftspolitisch nicht mehr für vertretbar halte. Schon jetzt müssen Bezieher kleiner und mittlerer Einkommen 20, 25 und 30 % ihres Einkommens für die Miete zahlen. Dabei ist mit einer wesentlichen Steigerung des Realeinkommens in nächster Zeit nicht zu rechnen. Die Vermieter werden wesentlich höhere Gewinne machen. Nicht nur unsicher, sondern sogar unwahrscheinlich ist, daß dadurch mehr Wohnungen gebaut werden.

(Beifall des Abg. Coppick [fraktionslos])

Als Volksvertreter der SPD wird Herr Jahn heute dem für ihn als Präsidenten des Deutschen Mieterbundes unannehmbaren Gesetz zustimmen. Nun, das ist politische Schizophrenie, für die es meines Wissens noch kein Heilmittel gibt.

(Dr.-Ing. Kansy [CDU/CSU]: Das ist leider wahr!)

Deshalb darf auch der Brief des Vorsitzenden der SPD-Ratsfraktion Düsseldorf an den „lieben Genossen Schmidt" im Bundeskanzleramt nicht unerwähnt bleiben. Ich zitiere:
Die SPD-Ratsfraktion sieht — ähnlich wie in Stellungnahmen des Deutschen Gewerkschaftsbundes — bei den geplanten Mietrechtsänderungen die Gefahr eines massiven Anstiegs des Mietpreisniveaus und eine weitere Verschlechterung der Wohnungsversorgung in den Ballungsbereichen. Die mit diesen Maßnahmen erwarteten beschäftigungspolitischen Effekte halten wir für fraglich, da die rückgängige Baukonjunktur andere Ursachen hat. Ich meine insbesondere hohe Baukosten, kaum noch zu bezahlende Baulandpreise, hohes Zinsniveau und un-flexible Bauvorschriften. Im Interesse der Bewahrung des sozialen Friedens bitte ich Dich im Namen der SPD-Ratsfraktion Düsseldorf, die geplanten Mietrechtsveränderungen abzulehnen.
Mit freundlichen Grüßen
Klaus Bungert, Bürgermeister und SPD-Fraktionsvorsitzender
Zusammengefaßt: Im Wohnungsbau wird es keinen einzigen neuen Arbeitsplatz geben. Das Angebot preiswerter Wohnungen wird sich vor allem in Ballungsgebieten weiter verschlechtern. Die Mieten werden generell steigen. Wie das „Beschäftigungsförderungsprogramm" Geschenke an Unternehmer verteilt, ohne einen einzigen neuen Arbeitsplatz zu schaffen — im Gegenteil dafür sorgt, daß bestehende Arbeitsplätze weiter wegrationalisiert werden können —, so werden durch diese verniedlichend so genannte „Mietrechtsliberalisierung" Geschenke an Vermieter gemacht, werden Mieter mit niedrigem und mittlerem Einkommen noch mehr belastet. Die Einkommensverteilung zu Lasten der kleinen Leute und zum Vorteil der Besitzenden geht also mit brutaler Konsequenz weiter.
Die schleichende Aufweichung des sozialstaatlichen Anspruchs der Verfassung setzt sich fort, und schon kündigt Herr Lahnstein — wörtlich — „weitere Einschnitte in Leistungsgesetze" an. Jedenfalls stimme ich ausdrücklich dem zu, was der Kollege Dr. Jahn, diesmal CDU, in der Debatte am 1. Oktober 1981 zitiert und von dem sich der Kollege Wehner mit heftigen Zwischenrufen distanziert hat, nämlich einem Beschluß des Bundeskongresses der Jusos in Lahnstein 1981. Ich zitiere:
Die Wohnraumversorgung muß langfristig aus dem privatwirtschaftlichen Bereich herausgenommen werden. Die Kommunalisierung des Mietwohnraums ist unumgänglich. Ohne Beseitigung der geltenden Bodenordnung lassen sich die Probleme der Wohnungs- und Städteentwicklung auch künftig nicht lösen.

(Dr. Jahn [Münster] [CDU/CSU]: Reiner Sozialismus!)

Wer — jetzt hören Sie einmal genau zu — zugunsten von einigen zigtausend Vermietern für etwa 14,5 Millionen Mieterhaushalte das soziale Mietrecht beseitigt, muß sich sagen lassen, daß der soziale Frieden in der Bundesrepublik mehr durch solche Gesetze als durch die sporadische Besetzung leerstehender Häuser gestört wird.

(Werner [CDU/CSU]: Na!)




Hansen
Mein Kollege Coppik und ich lehnen die Mieterhöhungsgesetze dieser Regierung deshalb ab. — Ich danke Ihnen.

(Beifall des Abg. Coppik [fraktionslos])


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID0910302000
Das Wort hat der Bundesminister für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau, Dr. Haack.

Dr. Dieter Haack (SPD):
Rede ID: ID0910302100
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Gesetzentwürfe, die wir heute hier im Bundestag in zweiter und dritter Lesung beraten, sind Teil des Gesamtkonzepts, das der Bundeskanzler in seiner Regierungserklärung vom 24. November 1980 zur Belebung des Wohnungsbaus angekündigt hat. Ich rufe die wichtigsten Teile dieser Regierungserklärung hier ins Gedächtnis zurück: erstens Verbesserung der Rahmenbedingungen für den frei finanzierten Mietwohnungsbau u. a. durch Vereinfachung des Vergleichsmietenverfahrens und die Einführung von Staffelmieten für Neubauwohnungen, um die Investitionsbereitschaft privater Anleger, insbesondere der Lebensversicherer, zu verstärken, zugleich aber Verstärkung der Rechtsstellung der Mieter bei sogenannten Luxusmodernisierungen, bei der Umwandlung von Mietin Eigentumswohnungen un bei der Mietermodernisierung; zweitens Einführung von mehr marktwirtschaftlichen Elementen im sozialen Wohnungsbau, damit trotz gestiegener Kosten mehr Wohnungen gebaut werden können; drittens eine verbesserte Eigentumsförderung, insbesondere für Familien mit Kindern, bei gleichzeitigem Abbau von Mitnehmereffekten, die keine zusätzlichen Investitionen auslösen, und — schließlich — viertens ein neuer Anlauf in der Bodenpolitik, um mehr Bauland auf den Markt zu bringen und den Preisauftrieb zu dämpfen.
Zu allen diesen vier Bereichen hat die Bundesregierung im letzten Jahr Gesetzentwürfe vorgelegt. Im Zusammenhang mit dem Beschäftigungsprogramm wurden die von der Bundesregierung vorgeschlagenen Mietrechtsänderungen durch eine Neufassung des Vergleichsmietenbegriffs und das Instrument des Zeitmietvertrages ergänzt. Die Bundesregierung geht mit diesen Vorschlägen einen mittleren Weg, dem selbstverständlich Kompromisse zugrunde liegen; Sprecher der SPD und der FDP haben dies in der heutigen Debatte ganz deutlich gemacht. Herr Kollege Jahn, Sie versuchen hier immer wieder, die Gegensätze zwischen den beiden Koalitionsparteien besonders herauszustellen, und werfen dann sozusagen einem Partner vor, daß er sich in einer bestimmten Frage anders verhält als dort, wo er nur für sich spricht.

(Zuruf von der CDU/CSU)

— Herr Schröder hat auch nur dargestellt, was die SPD allein machen würde bzw. was er selbst für richtig hielte. Hier geht es aber um Kompromisse, Herr Kollege Jahn, und der Kompromiß ist ein Wesenselement unserer demokratischen Staatsordnung.

(Beifall bei der SPD und der FDP)

Ein solcher Kompromiß ist also etwas Positives und nicht etwas Negatives. Ich glaube, daß Sie hier vielleicht etwas in sich gehen sollten. Beruht denn Ihre Fraktionsgemeinschaft zwischen CDU und CSU nicht auch sehr oft auf einem Kompromiß? Oder stellen Sie hier die Behauptung auf, daß die CDU mit der CSU voll identisch ist? Ich bitte also, auch dies zu berücksichtigen. Der Kompromiß ist, wie gesagt, nichts Negatives, sondern er ist etwas Positives. Das müssen wir auch den Bürgern unseres Landes sagen. Es kann nicht nur eine Richtung geben, ein Interessenverband kann nicht mit dem Kopf durch die Wand, sondern es geht gerade auch im Wohnungsbau um einen vernünftigen Interessenausgleich.

(Beifall bei der SPD)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID0910302200
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Jahn (Münster)?

Dr. Dieter Haack (SPD):
Rede ID: ID0910302300
Ich möchte den begonnenen Satz noch eben zu Ende führen. — Die Bundesregierung, um das noch einmal ganz allgemein zu sagen, tritt für einen Interessenausgleich zwischen Vermietern und Mietern ein. Sie tritt ferner für Investitionsanreize ein, aber ebenso für die Sozialbindung des Eigentums.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID0910302400
Herr Abgeordneter Jahn, bitte.

Dr. Friedrich-Adolf Jahn (CDU):
Rede ID: ID0910302500
Herr Minister, Herr Kollege Schröder hat hier im Hause ausgeführt, daß das Mietrechtsänderungsgesetz nicht kommen würde, wenn die SPD allein darüber zu entscheiden hätte. Ist das auch Ihre Auffassung?

Dr. Dieter Haack (SPD):
Rede ID: ID0910302600
Das würde sicher so sein. Aber ich befasse mich mit den realen Dingen. Die realen Dinge sind die, daß die SPD nicht allein die Mehrheit hat, sondern daß wir eine Koalition haben und daß die Koalition im Sinne dieses Interessenausgleichs versucht, einen vernünftigen Beitrag zur Lösung unserer Wohnungsbauprobleme zu leisten.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Ich würde Ihnen, Herr Kollege Jahn, empfehlen, sich ebenfalls mehr mit den Realitäten zu befassen und nicht mit den Wunschträumen. Ich habe immer das Gefühl, daß Sie, wenn Sie über Wohnungsbau sprechen, sei es hier im Bundestag oder sonstwo, immer noch dem Wunschtraum nachhängen, daß wegen des Mietrechts oder einer anderen Differenz im Wohnungsbau die SPD/FDP-Koalition auseinanderfällt.

(Dr.-Ing. Kansy [CDU/CSU]: Die geht schon vorher kaputt!)

Ich würde Ihnen also vorschlagen, auf den Boden der Realitäten zurückzukehren. Sonst verunsichern Sie und stellen mit dieser dauernden Verunsicherung ein Investitionshemmnis für den Wohnungs-



Bundesminister Dr. Haack
bau dar. Das wollen wir doch alle gemeinsam nicht.

(Beifall bei der SPD und der FDP — Dr. Jahn [Münster] [CDU/CSU]: Die ganze Regierung ist ein Investitionshemmnis! — Dr. Möller [CDU/CSU]: Wer hat denn hier etwas verhindert?!)

Ich darf darauf hinweisen, daß in den vier Bereichen, die ich hier genannt habe, wichtige Vorhaben bereits seit Anfang dieses Jahres in Kraft sind. Sie sehen, daß es eine geschlossene Konzeption ist.
Ich weise auf die Maßnahmen zum Abbau von Fehlsubventionierungen und von Mietverzerrungen im sozialen Wohnungsbau hin. Herr Kollege Jahn, Sie haben heute wieder den Versuch gemacht, sich die Feder sozusagen allein an den Hut zu stekken. Ich habe schon bei unserer letzten Debatte hier im Bundestag gesagt: Mir kommt es nicht darauf an, wer sich die Feder an den Hut steckt, sondern darauf, ob eine sinnvolle Lösung gefunden worden ist. Ich glaube, daß dieser Fehlbelegungskompromiß sinnvoll und vertretbar ist.
Ich erinnere zweitens an die verbesserten Abschreibungsmöglichkeiten nach § 7 b und § 7 Abs. 5 des Einkommensteuergesetzes.

(Vorsitz : Vizepräsident Dr. h. c. Leber)

Herr Kollege Jahn, Sie haben in Ihrer Rede vorhin den Versuch gemacht, zu sagen, die Tatsache, daß wir diese verbesserten steuerlichen Abschreibungsmöglichkeiten nicht schon im Jahr 1981 beschlossen hätten, sondern etwas später, oder daß sie, anders ausgedrückt, erst 1982 in Kraft getreten seien, habe mit dazu beigetragen, daß die Investitionen im Ein- und Zweifamilienhausbau zurückgegangen seien. Herr Kollege Jahn, ich bitte Sie, sich nur die Baugenehmigungszahlen ins Gedächtnis zu rufen. Dann werden Sie feststellen, daß diese These nicht stimmt. Der Rückgang bei Ein- und Zweifamilienhausgenehmigungen im Jahr 1981, aber auch im ersten Quartal 1982 ist darauf zurückzuführen, daß für viele potentielle Bauherren von Ein- und Zweifamilienhäusern die hohen Zinsen das Investitionshemmnis sind.
Ich mache Ihnen das an folgenden Zahlen klar. Im ersten Quartal 1982 lagen die Baugenehmigungen insgesamt um 6 % unter dem Vorjahresniveau. Nun kommen die entscheidenden Zahlen: Bei Ein- und Zweifamilienhäusern lagen sie um 29,5 bzw. 27,1 unter dem Vorjahresniveau. Das gilt für das erste Quartal 1982, obwohl die verbesserten Abschreibungsbedingungen am 1. Januar dieses Jahres in Kraft getreten sind. Wenn sie bereits am 1. Juli vergangenen Jahres in Kraft getreten wären, dann hätten wir bei den Baugenehmigungen für Ein- und Zweifamilienhäuser genauso einen Rückgang gehabt, weil es eben nicht um die Abschreibung, sondern um die hohen Zinsen geht. Wir hoffen aber, daß in dem Moment, wo die Zinsen sinken, die verbesserten Abschreibungen wirken.
Drittens erinnere ich Sie an eine weitere beschlossene Maßnahme, den Abbau der Mitnehmereffekte beim unechten Zweifamilienhaus, viertens an das Auslaufen der Mehrwertsteueroption bei Bauherrenmodellen und fünftens an die Förderung der Mietermodernisierungen. Sie sehen, daß ein Teil dieser Maßnahmen bereits in Kraft getreten ist.
Ich begrüße vor allem, daß sich die Bundesländer auch in den letzten Monaten bemüht haben, die zusätzlichen Mittel, die sie durch den Fehlbelegungskompromiß bekommen, tatsächlich zu zusätzlichen Maßnahmen im sozialen Mietwohnungsbau zu verwenden. Nach unseren Informationen werden in den Bundesländern insgesamt etwa 23 000 Wohnungen auf diese Weise neu gebaut werden. Da wir alle wissen, daß eine Wohnung im Jahr etwa zwei Arbeitsplätze in der Bauwirtschaft sichert, erkennen wir, daß das eine vernünftige Maßnahme gewesen ist.
Mit den heute in zweiter und dritter Beratung anstehenden Gesetzentwürfen stehen weitere Maßnahmen zur Entscheidung an. Ich darf noch einmal mit wenigen Sätzen sagen, worum es uns geht.
Im Bereich des Mietrechts kommt es uns darauf an — über Einzelheiten wird noch Justizminister Schmude sprechen —, das Investitionsklima im frei finanzierten Mietwohnungsbau zu verbessern, ohne dabei allerdings den sozialen Mieterschutz in seinen Kernbereichen in Frage zu stellen. Deshalb halten wir auch im Mieterhöhungsverfahren am Vergleichsmietenprinzip fest, weil der einzelne Mieter nur so wirksam vor ungerechtfertigten Mieterhöhungen geschützt werden kann. Wir lehnen deshalb auch das von der CDU/CSU entwickelte Modell der Staffelmiete im Bestand ab; oder, mit den Worten gesprochen, die Herr Dr. Schneider immer verwendet: wir lehnen das Modell der Vertragsfreiheit in diesem Bereich ab.

(Beifall bei der SPD)

Denn die Vertragsfreiheit auch im Altbaubestand würde in Wirklichkeit den Mieterschutz voll aushöhlen. Wir wollen einen vernünftigen Interessenausgleich zwischen den Interessen der Mieter und der Vermieter, den Versuch, in einer auch wirtschaftlich schwierigen Zeit zu zusätzlichen Investitionen zu kommen. Deshalb geht an dieser Stelle auch mein Appell an diejenigen, die bisher von uns eine Liberalisierung des Mietrechts gefordert haben, jetzt auch von diesen in Ihrem Sinn verbesserten Rahmenbedingungen Gebrauch zu machen, mehr zu investieren.
Ich begrüße es — darauf ist vorhin, ich glaube, von Herrn Gattermann, schon hingewiesen worden —, daß einige Lebensversicherer bereits in den letzten Monaten zusätzliche Investitionsprogramme beschlossen haben. Ich darf in diesem Zusammenhang darauf hinweisen, daß diese Vertreter der Versicherungswirtschaft deutlich gemacht haben, daß ihnen das, was jetzt hier zur Beratung und Abstimmung ansteht, reicht. Das heißt, es gibt keinerlei Grund, draufzusatteln.
Herr Kollege Jahn, wer nun weitere Änderungen des Mietrechts über das hinaus fordert, was wir als Kompromiß vorlegen, der muß sich den Vorwurf gefallen lassen, den Sie immer an einige von uns richten, eine ideologische Politik zu machen. Das ist jetzt ein vernünftiger Interessenausgleich, und wer mehr fordert, dem geht es in Wirklichkeit gar nicht um die



Bundesminister Dr. Haack
Sache, sondern um eine ideologische Position, die er mit aller Macht durchsetzen will.

(Dr. Schneider [CDU/CSU]: Das glauben Sie doch selber nicht! — Dr. Jahn [Münster] [CDU/CSU]: Das ist eine Unterstellung!)

Deshalb appelliere ich an dieser Stelle vor allem an den Bundesrat, auch an Sie, Herr Ministerpräsident Späth — es handelt sich hier um ein Gesetz, das nicht zustimmungsbedürftig ist, wo es also keinerlei Kompromisse im Vermittlungsausschuß bedarf —, diesen Gesetzentwürfen im Bundesrat zuzustimmen, ohne den Vermittlungsausschuß erneut anzurufen; denn das würde wieder zu einer Verunsicherung und zu einer Verzögerung führen. Ich glaube, hier liegt ein vernünftiger und ein tragbarer Kompromiß vor.
Ich weise schließlich noch darauf hin — ich habe das in der Einleitung schon getan —, daß unser Konzept mit Steuerabschreibungen, mit der Fehlbelegungslösung, mit diesen Mietrechtsänderungen noch nicht geschlossen ist, sondern daß als vierter Punkt die Verbesserung des Bodenrechts hinzukommt. Wenn in der wohnungspolitischen Debatte schon von Investitionshemmnissen die Rede ist und glaubwürdig diskutiert und argumentiert wird, dann kann nicht darüber hinweggesehen werden, daß die hohen Bodenpreise gerade für viele kleine Leute, die ein Häuschen bauen wollen, ein Investitionshemmnis Nr. 1 sind. Wenn schon von Investitionshemmnissen die Rede ist, muß also auch auf den Bereich des Bodenmarkts gesehen werden. Deshalb appellieren wir an Sie, daß Sie unsere Vorschläge sehr sorgfältig prüfen und ihnen, wie ich hoffe, auch zustimmen, einmal im steuerlichen Bereich — das wird heute auch noch zur Debatte stehen —, wo wir auch mit dazu beitragen wollen, daß vorhandenes Bauland mobilisiert wird, dann aber auch im Bereich des Bundesbaugesetzes, wo wir im letzten Jahr mit unserem Gesetzentwurf entsprechende Vorschläge gemacht haben.
Herr Kollege Jahn, ich wollte noch auf zwei Dinge hinweisen, die mir bei Ihnen vorhin etwas widersprüchlich erschienen sind. Sie haben heute mit verschiedenen Argumenten — auch andere Sprecher Ihrer Fraktion haben das getan — die Gesetzentwürfe der Bundesregierung abgelehnt. Ich darf Sie darauf hinweisen, daß Sie am 25. Februar dieses Jahres im „Deutschland-Union-Dienst" folgendes gesagt haben: „Nachdem nun auch die Koalition auf die Vorschläge der Union eingeschwenkt ist, sollten diese unverzüglich verabschiedet werden."

(Dr. Jahn [Münster] [CDU/CSU]: Sie sind uns nachgelaufen!)

Sie müssen sich praktisch entscheiden. Es geht nicht, daß Sie einmal so und einmal anders argumentieren. Ich gebe Ihnen allerdings nicht recht, daß die Koalition auf die Vorschläge der Union eingeschwenkt ist. Wir sind gerade in entscheidenden Punkten nicht auf die Vorschläge der Union eingeschwenkt, gerade was die Staffelmiete im Bestand anbelangt.

(Dr. Schäuble [CDU/CSU]: Deswegen stimmen wir auch nicht zu! — Weitere Zurufe der CDU/CSU)

— Wenn Sie deshalb nicht zustimmen, ist das Ihre Sache. Dagegen habe ich gar nichts. Ich habe hier nur Herrn Jahn zitiert, der damals im Februar gesagt hat, wir seien auf Sie eingeschwenkt,

(Dr. Jahn [Münster] [CDU/CSU]: Das stimmt ja!)

und deshalb würden Sie jetzt zustimmen.
Abschließend, meine sehr geehrten Damen und Herren, weise ich darauf hin, daß diese Vorschläge, die wir im Rahmen des soeben geschilderten Gesamtkonzepts machen, selbstverständlich kein Patentrezept sind. Sie sind aber ein wichtiger Beitrag, den der Bundesgesetzgeber leisten kann. Es bedarf natürlich weiterer Beiträge. Ich greife hier das Stichwort unseres Beschäftigungsprogramms auf: Gemeinschaftsinitiative. Wir können hier im Bund oder im Bundestag nicht alle Probleme lösen, sondern wir können nur Beiträge leisten, Rahmenbedingungen ändern, und zwar auch durch Änderung bestehender Gesetze oder durch Bundesfinanzhilfen. Um in Zukunft zu mehr Investitionen gerade für den Wohnungsbau zu kommen, muß die begonnene Entbürokratisierung weitergeführt werden. Ich begrüße es sehr, daß mittlerweile praktisch alle Bundesländer dazu übergegangen sind, ihre Landesbauordnungen zu reformieren, sie zu entbürokratisieren und von daher auch dazu beizutragen, daß schneller gebaut werden kann.
Ich bin zweitens der Auffassung, daß wir zu einem noch flexibleren Mitteleinsatz vor Ort kommen müssen, auch dort, wo es sich um öffentliche Mittel handelt. Wir müssen von den starren Förderungsvoraussetzungen und -systemen der Vergangenheit abgehen. Wir müssen in diesem Zusammenhang noch mehr Kompetenzen auf die Gemeinden verlagern. Die Gemeinden kennen die Probleme vor Ort. Unsere Wohnungsbauprobleme werden regional immer differenzierter. Von daher benötigen wir stärkere Zuständigkeiten unserer Gemeinden.
Wir müssen die bereits begonnenen Experimente mit flächensparendem Bauen, mit kostensparendem Bauen, auch mit Selbsthilfemodellen, noch stärker in die Praxis umsetzen. Ich will damit zum Ausdruck bringen, daß es nicht nur um die öffentlichen Finanzmittel gehen kann, daß es nicht nur um Gesetze geht, sondern daß wir auf vielen anderen Gebieten, wo auch Phantasie notwendig ist, noch ein Stück vorankommen müssen.
Wenn wir das in dieser Weise tun, wenn wir, alle Verantwortlichen, an einem Strang ziehen, dann ist nach meiner Auffassung im Wohnungsbaubereich wie auch in anderen Politikbereichen trotz aller bestehenden Probleme kein Grund zum Pessimismus, sondern wir können durchaus mit Mut und Zuversicht an die Lösung unserer Zukunftsaufgaben gehen.

(Beifall bei der SPD und der FDP)





Georg Leber (SPD):
Rede ID: ID0910302700
Das Wort hat der Herr Ministerpräsident des Landes Baden-Württemberg.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0910302800
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bin eigentlich hierhergekommen, um an einer Debatte teilzunehmen, in der laut darüber nachgedacht werden soll, wie wir den zu geringen Bestand an Wohnungen erhöhen, wie wir jungen Familien Wohnungen schaffen wollen und wie wir ganz einfach unserer Verantwortung gerecht werden wollen, daß es nicht geht, daß in einer Gesellschaft die einen Wohnungen haben und verteidigen und die anderen keine haben und keine kriegen sollen. Das ist doch die eigentliche Frage.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Ich bin jetzt etwas irritiert, weil ich eigentlich folgende — —

(Zuruf von der SPD: Wer will das denn? Wer will den Leuten keine Wohnungen geben?)

— Ich gehe mal davon aus, daß wir das alle wollen.

(Weitere Zurufe von der SPD)

Lassen Sie mich doch erst zur Wertung kommen. Seien Sie nicht so aufgeregt, ich fange doch erst an.

Georg Leber (SPD):
Rede ID: ID0910302900
Herr Ministerpräsident, der Abgeordnete Schöfberger möchte Ihnen eine Frage stellen. Erlauben Sie eine Frage?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0910303000
Gerne.

Georg Leber (SPD):
Rede ID: ID0910303100
Bitte sehr.

Dr. Rudolf Schöfberger (SPD):
Rede ID: ID0910303200
Herr Ministerpräsident, glauben Sie, daß irgendein Wohnungsuchender eine Wohnung bekommt, indem wir die Bestandswohnungen wesentlich teurer machen?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0910303300
Indirekt könnte das sein. Das ist aber gar nicht die Frage. Ich komme gleich noch darauf. Ich möchte gerne einmal ein bißchen laut überlegen, wie man das machen könnte, weil ich eigentlich der Ansicht bin, grundsätzliche Erwägungen haben wir genügend ausgetauscht. Die Leute warten auf konkrete Lösungen. Damit möchte ich mich etwas befassen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Ich meine, es gibt verschiedene Möglichkeiten. Die eine wäre die: Der Staat bezahlt das Ganze; dann brauchen wir uns eigentlich keine weiteren Gedanken zu machen, wie wir private Investoren gewinnen. Ich will das nicht bewerten, ob das politisch gut oder schlecht wäre. Ich meine nur, wer sagt, wir brauchen das nicht, muß doch sagen: Ich habe eine eigene Lösung. Wenn Sie die Zahl der Wohnungen im sozialen Wohnungsbau angemessen erhöhen wollen, nur angemessen, und wenn Sie die vielen jungen Familien sehen, die auf eine Wohnung warten, dann müssen Sie nach bisherigem System mindestens 100 000 Wohnungen pro Jahr zusätzlich bauen. Sie können das ausrechnen. Ich warte auf Widerspruch, wenn die Zahl nicht stimmt. Sie können im sozialen Wohnungsbau in den Ballungsgebieten ohne Fördermittel von 100 000 bis 150 000 DM zinslos pro Wohnung die Sozialmiete von heute nicht herstellen. Das sind 15 Milliarden DM pro Jahr. Wer die hat, braucht sich keine weiteren Gedanken zu machen. Nur, die hat eben keiner, der Staat schon gar nicht. Deshalb hilft es doch nicht, wenn Sie sich hier hinstellen und sagen: Wir verweigern uns dem Problem der Mietanpassungen, und wenn wir uns dem verweigern, wird sich die Sache schon lösen. Dann müssen Sie sagen: Die hohen Zinsen sind schuld. Dann würde ich sagen: Dann müssen Sie sich dem Kapitalmarkt verweigern. Das würde wahrscheinlich größere Wirkungen zeitigen. Aber die öffentliche Hand verweigert sich dem Kapitalmarkt überhaupt nicht. Die nimmt auf, was der Kapitalmarkt hergibt, und trägt dadurch indirekt dazu bei, daß die Zinsen nicht sinken.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Erste Konsequenz also: Sie haben das Geld nicht. Also müssen wir darüber nachdenken, woher es kommen soll. Aus der Staatskasse ist nichts mehr zu holen; das hat ja, glaube ich, inzwischen jeder begriffen.

(Conradi [SPD]: Aus dem Bauherrenmodell?)

— Ich komme noch aufs Bauherrenmodell, Herr Conradi! — Jetzt überlegen wir einmal: Wo werden denn zur Zeit noch Wohnungen gebaut? Auf dem Eigenheimsektor gab es eine Lösung. Herr Wohnungsbauminister, ich muß Ihnen da widersprechen. Sie haben gesagt, trotz der Erhöhung der Abschreibung nach § 7 b sei die Zahl der Baugenehmigungen zurückgegangen. Dies stimmt, aber sie müssen die Ursache untersuchen. Die Untersuchung der Ursache zeigt, daß sich genau an dem Tage, an dem die Regelung in Kraft getreten ist, nach der der Zinsabzug für die unechte Zweitwohnung weggefallen ist, die Investoren zurückgezogen haben, weil sie das Ganze nicht mehr aufbringen konnten. Mit anderen Worten, wir haben beim § 7 b zugelegt, haben den Zinsabzug weggenommen, und jetzt ist der Bau von Einfamilienhäusern kaum heruntergegangen, aber der der unechten Zweifamilienhäuser ist heruntergegangen. Ich könnte Ihnen hier belegen, wie die genauen Zahlen sind. Zu etwa 20 % sind die Bauherren dieser Gruppe ausgestiegen, weil sie mit den Belastungen nicht mehr fertig werden.
Es ist ganz interessant, daß Sie hier immer den Bundesrat mahnen, er solle sich doch ja nicht mehr einmischen. Nun, ich habe Verständnis für den nervösen Zustand, daß der SPD-Vertreter sagt: Mein Minister wird Ihnen schon das für mich Unverständliche an diesem Entwurf erläutern; ich will das ja gar nicht. — Ich habe auch Verständnis, wenn die FDP sagt: Wir gehen ja in die richtige Richtung, aber mehr läßt sich nicht machen. — Beide sagen: Wir sind selbst nicht mit dem Problem fertig geworden; jetzt haben wir einen Kompromiß, der mag schlecht sein, aber mischt euch ja nicht mit Sachargumenten ein, sonst ist das Ganze nicht durchzuhalten.

(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU)




Ministerpräsident Späth (Baden-Württemberg) Ich habe dafür ein gewisses Verständnis.
Aber das Erfolgreichste war eigentlich, daß wir uns einmal nachts im Vermittlungsausschuß hingesetzt und eine sachliche Lösung gefunden haben, und ehe die Ideologen aufgetreten sind, war diese Lösung plötzlich Gesetz. Das ist das einzige, was in dieser Frage bisher funktioniert hat.

(Heiterkeit bei der CDU/CSU — Conradi [SPD]: Gesetzgebung à la Späth!)

— Herr Kollege Conradi, ich weiß, daß Ihnen das zutiefst zuwider war;

(Conradi [SPD]: Ich war nicht der einzige!)

dafür habe ich auch Verständnis.

(Conradi [SPD]: Das ganze Haus!)

— Ich glaube Ihnen das ja. Aber wenn im Moment konjunkturell überhaupt etwas passiert, passiert es bei den 22 000 Wohnungen, von denen der Wohnungsbauminister gesprochen hat, 6 000 davon in Baden-Württemberg. 2 Milliarden sind inzwischen bundesweit schon aus den Altdarlehen zurückgeflossen und können jetzt für den Wohnungsbau eingesetzt werden.

(Sehr gut! bei der CDU/CSU)

Das heißt, die Leute sind viel vernünftiger, wenn man ihnen gut zuredet und ihnen sagt, es ist ungerecht, daß der eine billig wohnt, weil er vor zehn Jahren oder vor zwanzig Jahren gebaut hat, und daß der andere überhaupt keine Chance hat. Die Leute sind da mehr für Gerechtigkeit, als manche Politiker begreifen wollen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Jetzt möchte ich aber doch zu dem Bereich kommen, der uns im Moment unmittelbar berührt. Lassen wir also einmal die Eigenheimsituation beiseite; heute geht es um die Frage der Mietwohnungen. Es geht schlicht um die Frage: Wie kommen wir zu mehr Mietwohnungen?
Eines steht fest: Etwa die Hälfte aller frei finanzierten Mietwohnungen wird augenblicklich im Bauherrenmodell gebaut, das ja beendet werden soll. Ich habe ja nichts dagegen, nur dürfen Sie nicht die letzten Dinge, die noch funktionieren, beendigen und zugleich darauf verzichten, statt dessen Dinge zu installieren, die dann wieder funktionieren. Sonst machen Sie nämlich den Markt ganz kaputt.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Man kann ja darüber reden, daß Sie das eine Modell aus dem Markt nehmen wollen. Auch ich halte es für falsch, daß wir nur noch mit Kunstkonstruktionen arbeiten können. Aber wenn Sie Kunstkonstruktionen wegnehmen wollen, müssen Sie doch einmal den Mut haben, einfach über ein paar Zahlen nachzudenken.
Vorweg will ich gleich sagen, an der Geschichte mit dem Bodenrecht ist manches dran, aber lassen Sie das Bodenrecht sogar einmal einen Moment weg. Sie können den Mietwohnungsbau einmal ohne Bodenanteil durchrechnen. In den Ballungsgebieten bauen Sie — wenn Sie die Bodenkosten einmal weglassen — mit weniger als 200 000 DM keine Wohnung von 100 qm. Das wird wenig strittig sein. Das sind also ohne Boden 2 000 DM pro qm. Ich will den Boden einmal weglassen, damit das Argument weg ist, wenn die Bodenpolitik eine andere wäre, dann wäre alles in Ordnung.
Ich will einmal eine ganz einfache Rechnung aufmachen und aus der die Überlegung ableiten: Sie haben das Problem, daß der, der die Wohnung baut, für die 200 000 DM zur Zeit 8 % Zinsen zahlen muß. Lassen Sie ihn 1 bis 2 % echten Abschreibungswert rechnen und 1 % Unterhaltung. Dann sind Sie etwa bei
11 %. Das erfordert eine Jahresmiete für diese 100-
qm-Wohnung von etwa 22 000 DM. Das ergibt eine Miete von 19 bis 20 DM pro qm und Monat.
Das ist doch die erste Realität, die man rechnen muß. Ich bin in der Politik immer dafür, daß man zuerst rechnet und dann politisch wertet. Es gibt zwar Leute, die sich nur durch Inkompetenz ihre Unbefangenheit erhalten, über politische Probleme zu diskutieren,

(Beifall bei der CDU/CSU)

aber das sollte nicht unser System sein. Wir sollten vielmehr einmal rechnen.
Jetzt haben wir hier eine Monatsmiete von 20 DM

(Zurufe von der CDU/CSU: Pro Quadratmeter!)

— pro Quadratmeter. Und jetzt müssen Sie sehen: Es gibt jemanden, der 6, 7 oder 8 DM zahlen kann — in den Städten —, und es gibt jemanden, der die
12 DM zahlen muß.

(Zuruf von der SPD: Das ist Marktwirtschaft!)

— Das ist überhaupt keine Marktwirtschaft, gar keine Wirtschaft, sondern das ist ein Rechenbeispiel, wie ich es in der Schule gelernt habe, daß nämlich, wenn 20 DM benötigt werden und nur 8 DM da sind, 12 DM fehlen.

(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU)

Ich habe gehört, daß sogar die in der Sowjetunion das so rechnen.
Jetzt müssen wir darüber reden, woher die 12 DM kommen.

(Conradi [SPD]: Von den Mietern! Jetzt müssen die Mieter höhere Miete zahlen!)

— Herr Conradi, um wieder ein Schulbeispiel zu geben: Es gibt Musterschüler, die melden sich während der Stunde immer und sagen: Herr Lehrer, ich weiß schon das Ergebnis. Der Lehrer sagt dann: Wir müssen es für die, die es noch nicht wissen, machen. — Für die will ich vor allem reden.

(Erneute Heiterkeit bei der CDU/CSU)

Die Zahl derer scheint mir bedenklich hoch zu sein; sonst wären wir politisch weiter. Für die will ich das also noch einmal wiederholen.
Ich fange wieder bei den 12 DM an. Ich muß also jemanden finden, der Geld zu weniger als 8 % einsetzt. Dann sind weniger als 20 DM erforderlich. Im



Ministerpräsident Späth (Baden-Württemberg) Augenblick ist es so, daß im Wohnungsbau laut Umfragen nicht nur die Versicherungswirtschaft, sondern auch kleine Leute zu 3 und 4 % Geld einzusetzen bereit sind, weil sie aus Sicherheitsgründen den Wert von Immobilien höher schätzen als den irgendeiner anderen Anlage. Wenn wir erreichen, daß möglichst viele Leute ihr Geld dort hineinstecken, dann erreichen wir schon dadurch ein Absinken der fehlenden 12 DM auf etwa 8 DM. — Das reicht aber noch nicht.
Jetzt kommen Leute, die sagen, sie seien bereit, sogar mit 0 % oder minus 2 % anzufangen, weil sie den Ertrag jetzt nicht brauchten, aber in zehn Jahren. Denen muß man doch sagen können: Vereinbart Staffelmieten, bei denen am Anfang keine Rendite erreicht wird, bei denen aber nach einigen Jahren mit den Mietern ein Verhältnis erreicht wird, bei dem es ganz langsam zu einer Rendite kommt. — Dies ist der Vorschlag der Staffelmiete im Neubestand — mindestens von der FDP voll begriffen und von Ihnen, wenn ich es richtig verstehe, toleriert.

(Zuruf von der SPD: Stimmt nicht!)

— Sie können es auch ablehnen. Wir werden es bei der Abstimmung sehen. — Ich glaube: Das ist der Kompromiß. Die einen wollen gar nichts, und die anderen wollen es so weit.
Jetzt kommt unsere Frage: Staffelmiete im Bestand? Nun gibt es Gruppen von Kapitalsammelstellen, beispielsweise Versicherungsgesellschaften — —

(Zuruf des Abg. Schröder [Hannover] [SPD])

— Kapital anzusammeln hat mit Kapitalismus noch nichts zu tun. Das machen sogar Sozialisten.

(Dr.-Ing. Kansy [CDU/CSU]: Die bringen das nach Berlin!)

Ich will nur vorbeugen. Herr Schröder hat gerade einen Zwischenruf gemacht, der so klang wie: Jetzt kommt das Kapital.
Ich spreche von Kapitalsammelstellen — —

(Frau Dr. Däubler-Gmelin [SPD]: Dann tun Sie es auch!)

— Das tue ich doch gerade.

(Zuruf von der SPD: So arrogant daherzureden! — Weiterer Zuruf von der SPD: Ein niedriges Niveau bringt der in den Saal; das ist unerträglich!)

— Ich will über Niveau nicht urteilen. Ich weiß, daß Ihnen das unangenehm ist. Ich mache trotzdem weiter.

(Sehr gut! bei der CDU/CSU)

Was wir jetzt überlegen müssen, ist, daß es Versicherungsgesellschaften und andere Kapitalanleger gibt, die z. B. einen Bestand von 10 000 Wohnungen haben und bei den 1 000, die sie jetzt bauen wollen, nicht zurechtkommen, auch nicht mit den bisherigen Möglichkeiten der Staffelmiete. Wenn Sie zulassen, daß diese die Staffelmiete im Altbestand einführen — darüber, wie man absichern kann, daß die Miete nicht zu hoch wird, können wir verhandeln —, schaffen Sie etwas ganz Einfaches: daß die, die relativ billig im Altbestand sind, ein bißchen mehr Miete zahlen und die Kapitalanleger dieses Geld zur Verbilligung der Neubaumiete nehmen. Dann kriegen Sie das Schwungrad, das Sie jetzt ein bißchen ansetzen, in eine wesentlich schnellere Bewegung; und die Versicherungswirtschaft hat es begriffen.

(Beifall bei der CDU/CSU) Um nichts anderes geht es.

Unser Problem ist — ich will mal alles andere weglassen —, daß Sie — und da wundere ich mich ein bißchen — im Grunde eine Klassengesellschaft verteidigen. Sie verteidigen die Klasse derer, die eine Wohnung haben. Die Klasse derer aber, die keine Wohnung haben, kriegt auch keine, weil die, die eine haben, für ihre alte Wohnung nicht solidarisch ein bißchen mehr bezahlen, damit die neuen Wohnungen bezahlt werden können.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Es wäre für mich sehr interessant, wenn Sie Gegenargumente brächten und mir beispielsweise erklären könnten, warum es große Altbaubestände gibt, bei denen auch im freien Wohnungsbau die Quadratmetermiete so tief liegt, daß immer noch Ein- und Zweipersonenhaushalte in den großen Altwohnungen Zimmer absperren — wegen der Heizungskosten —, in diesen Städten aber junge Familien mit drei Kindern nicht die geringste Chance haben, eine Wohnung zu kriegen.

(Beifall bei der CDU/CSU) Das muß doch einen Grund haben.

Jetzt nehmen Sie doch beispielsweise einmal die Kostenentwicklung der Kaltmiete. Ich bestreite nicht — vorhin hat das jemand gesagt —, daß die Mietnebenkosten exorbitant gestiegen sind. Aber das ist ja ein anderes Thema, wenn wir über Heizkosten und über Energiekosten reden. Aber reden wir mal von der Kaltmiete! Im Bundesgebiet hat sich folgende Kostenentwicklung ergeben. Die Wohnungsmiete ist von einem Index 100 im Jahre 1976 in Baden-Württemberg auf einen Index von 122,8 im ersten Vierteljahr 1982 gestiegen, im Bundesgebiet auf 125. Die Lebenshaltungskosten sind von 100 auf 129 gestiegen und die Kosten der Wohngebäude von 100 auf 143.
Jetzt lassen Sie einmal Zinsen und alles andere beiseite! Sie werden das Problem nicht lösen können, wenn die Baupreise um 40 % steigen, die Lebenshaltungskosten um 29 %, die Mieten aber nur um 23 %. Sie können das miteinander nicht in Einklang bringen, wenn gleichzeitig Subventionen der öffentlichen Hand abgebaut werden. Dies wird Ihnen nicht gelingen. Deshalb werden Sie mit diesen Konzepten scheitern — nicht deshalb, weil ich politisch will, daß Sie damit scheitern. Vielmehr können Sie fast ausrechnen, daß das nicht aufgeht.
Deshalb können Sie im Grunde nur folgendes tun. Entweder müssen Sie die Mehrkosten des Neubaus subventionieren. Das können Sie nicht. Sie haben das Geld nicht. Auch wir haben es nicht. Ich verstehe, wenn meine kleine Tochter morgens erklärt, sie habe einen schönen Traum gehabt und deshalb die



Ministerpräsident Späth (Baden-Württemberg)

Augen noch einmal zugekniffen, bevor sie aufgestanden sei. Aber wenn sie aufsteht, muß sie die Realitäten annehmen. Hier besteht die Realität darin, daß Sie nicht subventionieren können, weil Sie das Geld nicht haben, es auch nicht tun, aber die Leute vor dem Problem der Nichtversorgung lassen. Die jungen Familien aber können nicht noch fünf Jahre warten. Sie sind da. Die Menschen haben geheiratet, sie wollen Kinder kriegen. Sie wollen eine Wohnraumversorgung haben. Ich bezeichne es als eine Klassengesellschaft, wenn man denen, die vor 20 Jahren eine preiswerte Wohnung gebraucht und gemietet haben, die Miete — nicht den Wohnraum — schützt. Deshalb ist es unehrlich, wenn Sie dauernd von Kündigungsschutz reden. Es geht Ihnen um Preisschutz für die Besitzenden. Damit setzen Sie die jungen Wartenden einer unmöglichen und unsozialen Situation in diesem Staate aus.

(Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU)

Da müssen Sie Argumente bringen. Sie müssen einfach beweisen, wie Sie für junge Menschen Wohnungen bauen wollen. Sie dürfen nicht immer nur von denen reden, die in Wohnungen sitzen. Auch wir wollen diejenigen, die eine Wohnung haben, schützen, aber wir brauchen dann mehr Wohnungen, damit die, die draußen sind, auch eine kriegen. Sie können doch nicht die Neuen in die Altwohnungen setzen, wenn Sie die Alten gleichzeitig vor den Neuen schützen wollen. Sie machen hier eine große Schutzveranstaltung. Wir aber wollen weniger Berechtigungsscheine und mehr Wohnungen. Nach diesen Kriterien werden wir im Bundesrat einen Weg suchen, wie wir da miteinander zurechtkommen. Ich würde warnen, dieses Nachdenken — —

(Löffler [SPD]: So einfach ist die Welt auf baden-württembergisch!)

— Entschuldigung, in Baden-Württemberg ist es deshalb etwas einfacher, weil die Leute dort noch etwas konsequenter diesem Gedanken des Rechnens nachgehen. Wenn es wieder allgemein Mode wird, daß man zuerst rechnet und dann politisch entscheidet, dann finden wir vielleicht sogar einen Weg, und dann kommen Sie noch ein Stückchen herüber zu diesen vernünftigen Ideen; dann gibt es auch eine Einigung im Bundesrat.

(Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU)


Georg Leber (SPD):
Rede ID: ID0910303400
Das Wort hat der Bundesminister der Justiz.

Dr. Jürgen Schmude (SPD):
Rede ID: ID0910303500
Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Nach diesen unterhaltsamen und belehrenden Ausführungen des Ministerpräsidenten Späth

(Dr. Jahn [Münster] [CDU/CSU]: ... kommt jetzt Ihre Formulierungshilfe! — Dr.-Ing. Kansy [CDU/CSU]: Vor allen Dingen verständlich!)

möchte ich mich stärker auf das konzentrieren, was wir heute zu beraten und zu entscheiden haben, nämlich das Mietrechtsänderungsgesetz 1982.

(Zuruf von der CDU/CSU: Jetzt lauschen wir aber!)

Mit diesem Gesetzentwurf sind unerfüllbare Erwartungen ebenso wie übertriebene Sorgen verbunden. Ich halte es für die wesentliche Aufgabe dieser Debatte, gleichermaßen klarzustellen, daß unerfüllbare Erwartungen hier nicht erfüllt werden und inwiefern Sorgen übertrieben sind. Lassen Sie mich ganz offen sagen: Für weniger hilfreich halte ich es, in Einzelheiten darüber nachzudenken, wer was von seinen Vorstellungen nicht ganz durchgesetzt hat und wie es bei einem Kompromiß dieser Art zugegangen ist.
Mir geht es darum, als ganz besonders wichtig klarzustellen: Das soziale Mietrecht, das die sozialliberale Koalition zu Anfang der 70er Jahre durchgesetzt hat, bleibt erhalten.

(Zustimmung bei der SPD)

Die Auffassung, die auch hier geäußert worden ist, nun werde das soziale Mietrecht beseitigt, ist nicht nur falsch, sie ist schädlich, sie erweckt falsche Vorstellungen und verunsichert die Bürger, die uns zuhören.

(Dr. Jahn [Münster] [CDU/CSU]: Zu welcher Fraktion sagen Sie das?)

Nein, es bleibt dabei, daß der Kündigungsschutz erhalten bleibt und daß nur aus einem erheblichen Grunde gekündigt werden kann und nicht — wie noch zu Beginn der 70er Jahre — nach Belieben und nach Willkür. Es bleibt dabei, daß die Mieterhöhung nicht unbegrenzt möglich ist, sondern daß sie nur in einem geregelten Verfahren innerhalb fester Grenzen erfolgen kann.
Wenn wir uns daran erinnern — Herr Clemens hat heute morgen darauf aufmerksam gemacht —, daß dieses Recht 1974 hier einstimmig beschlossen worden ist, dann möchte ich aber gern auch noch drei Jahre weiter zurückgehen und Sie darauf hinweisen: Als diese Grundpfeiler des sozialen Mieterschutzes das erste Mal beraten wurden, da mußten wir von SPD und FDP das in einem harten und heftigen Kampf bis hin zur Zurückweisung des Einspruchs gegen Ihren Widerstand durchsetzen. Inzwischen ist dieses Recht ein selbstverständlicher sozialer Besitzstand geworden. Ich freue mich darüber, daß wir auch heute morgen alle im Grundsatz darin übereinstimmen, daran festzuhalten.

(Zustimmung bei der SPD und der FDP)

Die Neuregelung, über die wir zu befinden haben, kann — jetzt komme ich auf eine andere Art von Kompromiß zu sprechen — natürlich auch nur ein vernünftiger Kompromiß zwischen den Interessen des Vermieters und denen des Mieters sein. Ich finde es überhaupt nicht förderlich, wenn uns Herr Späth an dieser Stelle das Bild von denen zeichnet, die drinsitzen — gesichert und geschützt in alle Ewigkeit —, und denen, die draußen sitzen — verzagt und ohne jede Aussicht. Hier geht es nicht darum, solche krassen Gegensätze aufzumachen



Bundesminister Dr. Schmude
und das noch mit dem Schlagwort der Klassengesellschaft zu etikettieren;

(Zustimmung bei der SPD — Dr. Möller [CDU/CSU]: Wer will denn das?)

denn denen, die draußen sind, ist nicht damit gedient, wenn Sie denen, die darin sind, den Rechtsschutz nehmen, also diejenigen, die drin sind, einer erleichterten Verdrängung überlassen, so daß auch diejenigen, die dann hereinkommen, die Wohnungen mit einer verminderten Rechtsposition innehaben.

(Beifall bei der SPD — Dr. Möller [CDU/ CSU]: Wer will denn das? — Weitere Zurufe von der CDU/CSU)

Es bleibt also bei der Linie des Kompromisses, die dem Mieter den Schutz seiner Wohnung zu angemessenen Bedingungen gewährt und die dem Vermieter einen gesicherten, auskömmlichen Ertrag ermöglicht.
Da ist es schon lohnend, die Einzelpunkte des neuen Gesetzentwurfes zu betrachten. Herr Gattermann hat mit einigem Recht heute morgen darauf hingewiesen, daß das Mieterhöhungsverfahren — das wir ja nicht freigeben wollten und auch heute nicht freigeben wollen — in seiner förmlichen Ausgestaltung manche Barrieren enthalten hat. Wir halten an dem geregelten Verfahren und an den Grenzen, die die Mieterhöhung hat, fest. Aber wir haben das Verfahren etwas vereinfacht, um auf diese Weise den Einwänden Rechnung zu tragen, es gebe hier Verfahrenshindernisse, die inhaltlich nicht berechtigt sind.
Es wird eine Aktualisierung der Vergleichsmiete in der Weise geben, daß zum Vergleich Mieten aus Verträgen, die innerhalb der letzten fünf Jahre abgeschlossen worden sind, herangezogen werden. Ob diese Aktualisierung und die darin liegende Tendenz der Mietpreissteigerung die Erwartungen wirklich erfüllt, die da hinein gesetzt werden, ist, wie wir gehört haben, umstritten. Immerhin ist aber mit dieser Fünf-Jahre-Frist eine Grenze erreicht, die keinesfalls mehr überschritten werden sollte. Wenn von der Opposition in einem früheren Antrag vorgeschlagen worden ist, auf vier Jahre zu gehen, dann heißt das, eine Mietpreissteigerung zu betreiben, die wirklich nicht mehr zu vertreten ist.
Im übrigen: schon bisher haben Vermieter die Möglichkeiten zur Mietpreissteigerung, die sie haben, nicht voll ausgeschöpft, in manchen Fällen sogar in erheblichem Umfang ungenutzt gelassen. Sorgen wir gemeinsam dafür, daß die Neuregelung nicht als eine Aufforderung an Vermieter mißverstanden wird, nun voll zuzugreifen.

(Beifall bei der SPD)

Dort wo die Kostensituation es erfordert, ist es angemessen, wenn der Vermieter die Möglichkeiten der Mieterhöhung ausschöpft; wo sie es nicht erfordert, in Altbauten, die schon heute rentierlich vermietet sind, sollte es bei der bisherigen Situation bleiben.
Für den Fall nur, daß doch das Mißverständnis aufkommt, nun könne und müsse man zugreifen, ist die 30%-Grenze vorgesehen, die die äußerste Markierung kennzeichnet, bis zu der innerhalb von drei Jahren die Miete erhöht werden darf. Dies ist eine extreme Grenze. Ich erwarte nicht, daß sie praktisch werden wird. Sie setzt aber denen eine Beschränkung, die etwa a conto unterlassener Mieterhöhungen in den vergangenen Jahren jetzt plötzlich den großen Zugriff wünschen. Die Sorge vor einer Kostenexplosion habe ich nicht. Freilich gehört dazu, daß auch wir bei der Erläuterung des Gesetzentwurfs die richtigen Signale ausgeben.
Uns ist von denen, die Geld in Mietwohnungsbau zu investieren haben, immer wieder vorgehalten worden, daß sie auf eine längerfristige Kalkulation bei den Neubauten angewiesen sind und dazu die sogenannte Staffelmiete brauchen. Nun, die Staffelmiete ist in dem Gesetzentwurf enthalten, sogar für eine Frist von 20 Jahren je Wohnung, von bis zu zehn Jahren je Mietvertrag. Nun sind diejenigen am Zuge, ihre Leistung zu erbringen, die dieses Instrument gefordert haben.
Nur, meine ich, kann es doch überhaupt nicht angehen, die Neuerung, die den Neubau fördern soll, nun auch kurzerhand auf den Bestand auszudehnen. Das Argument, es gebe dann eine Mischkalkulation, und mit Rücksicht auf die höheren Erträge des Bestandes werde man sich leichter entschließen, Geld in den Neubau zu stecken, weil die dort geringere Rendite dann ausgeglichen werden könne, kann doch wirklich niemanden überzeugen.

(Dr. Möller [CDU/CSU]: Sie vielleicht nicht! — Jäger [Wangen] [CDU/CSU]: Doch! — Dr. Stark [Nürtingen] [CDU/CSU]: Die Ideologen natürlich nicht!)

— Hören Sie doch einmal einen kleinen Moment zu, ob das Ideologie ist oder schlichtes Rechnen, wozu wir ja heute morgen aufgefordert worden sind.
Wer Geld verfügbar hat und seine Investitionsentscheidung zu treffen hat, der fragt sich doch: Welche Rendite kriege ich von diesen 5 oder 10 Millionen? Er sagt sich doch nicht: Ich habe schon eine Rendite aus dem Bestand; die kann ich verrechnen; dann ist die neue Rendite aus dieser Anlage höher.

(Beifall bei der SPD)

Nein, es geht um den Neubaubereich. Darauf sollten wir uns konzentrieren. Wir dürfen es keinesfalls dazu kommen lassen, daß dort im Bestand, wo bisher die Vermietung eine auskömmliche Rendite erlaubt, durch die Staffelmiete noch ein zusätzlicher Auftrieb der Mieten erfolgt.
Wir haben — und da bin ich anderer Auffassung als manche Kritiker, die sich auch heute morgen geäußert haben — die Neuregelung des Zeitmietvertrags vorgeschlagen, um sicherzustellen, daß derjenige, der auf eine befristete Zeit — bis zu drei Jahren, mit Verlängerung bis zu fünf Jahren — anderen eine Wohnung zur Nutzung überläßt, sie danach auch zurückbekommt. Nach bisheriger Rechtslage ist das nicht gesichert. Ich weiß, daß es eine beträchtliche Anzahl von Wohnungen gibt, die auf diese Weise einer sinnvollen Nutzung zugeführt werden könnten. Müßten wir einen Wohnungsbau in dem Umfang aus öffentlichen Geldern finanzieren, dann würden wir



Bundesminister Dr. Schmude
die Dimension erkennen und mit Recht sagen: Das können wir uns nicht leisten. Hier stehen Wohnungen zur Verfügung, die zusätzlich genutzt werden können. Das sollte nun auch geschehen.

(Zuruf von der CDU/CSU: Das ist ein richtiger Gedanke; den hatten Sie nicht immer!)

Freilich nehme ich die Sorgen derer ernst, die sagen, dies könnte ein Einfallstor für den Mißbrauch sein; hier könnten sich Vermieter versucht fühlen, Kettenverträge abzuschließen, um dann alle zwei, drei Jahre frei die Mieten zu erhöhen. Ich warne alle, die diesen Sorgen zuhören, vor dem Fehlschluß, das sei auch so. Die Vermieter könnten sich mit solchen Manipulationen ins eigene Fleisch schneiden. Der Entwurf sieht für einen solchen Zeitmietvertrag eine ganz strikte Bindung an bestimmte Voraussetzungen vor. Fallen die Voraussetzungen fort oder fehlen sie, kann der Mieter einen unbefristeten Mietvertrag geltend machen. Täuscht der Vermieter den Mieter, indem er ihm sagt: ich habe bestimmte Gründe der Eigennutzung oder des Umbaus, und er hat sie nicht, dann drohen Schadenersatzansprüche und nach der Rechtsprechung, die ich ausdrücklich begrüße, auch die Bestrafung wegen Betrugs bzw. Prozeßbetrugs.
Meine Damen und Herren von der Opposition, Ihren Antrag dazu verstehe ich überhaupt nicht. Wenn Sie uns auch heute morgen wieder vorgehalten haben, nach dem Gesetzentwurf der Bundesregierung bzw. der Formulierungshilfe, die nachgeliefert worden ist, müsse der Vermieter beim befristeten Mietvertrag stets kündigen — und das wollten Sie dem Vermieter ersparen —, dann muß ich Ihnen, so leid es mir tut, vorhalten, daß Sie da juristisch nicht sauber gearbeitet haben. Nach dem vorliegenden Gesetzentwurf endet auch der Zeitmietvertrag mit Ablauf der Frist ohne zusätzliche Kündigung.

(Dr. Möller [CDU/CSU]: Das haben Sie nicht richtig erkannt, Herr Minister!)

Mit anderen Worten, Sie sind einem Irrtum erlegen und auf diesen haben Sie einen Änderungsantrag gestützt. Bitte betrachten Sie das noch einmal ganz genau im Zusammenhang. Wir wollen hier keine Paragraphenklauberei betreiben. Aber ich sage hier als derjenige, in dessen Ministerium diese Formulierung erarbeitet worden ist: Diese Auffassung ist falsch; der Zeitmietvertrag endet ohne Kündigung, und es ist Sache des Mieters, die Verlängerung zu verlangen, wenn er die Gründe für das Auslaufen des Vertrags bestreitet.

(Clemens [CDU/CSU]: Dann muß er ein berechtigtes Interesse vorbringen; damit sind wir wieder im gleichen Kreislauf!)

— Das berechtigte Interesse freilich muß von vornherein bestehen. Der Vermieter muß es dem Mieter beim Abschluß des Zeitmietvertrags mitteilen, und es muß auch noch beim Ablauf bestehen; denn wenn die Absicht einer anderweitigen Nutzung der Wohnung gar nicht besteht, dann kann der Mieter wohnen bleiben. Wenn Sie in Wirklichkeit davon herunter wollen, dann wären die Sorgen der Kritiker begründet, die sagen: Das öffnet dem Mißbrauch die Tür, das ermöglicht Kettenverträge.
Ein weiterer Punkt, der hier in der Debatte heute morgen zu kurz gekommen ist, der aber wichtig ist für die Verbesserung der Rechtsposition der Mieter, ist folgender. Die Regelung, die die unangemessene Modernisierung der Wohnung ohne Rücksicht und Abwägung der Zumutbarkeit für den Mieter ausschließt, ist eine wesentliche Verbesserung. Sie wird dazu beitragen, daß nicht wie bisher der Vermieter, der über Geld verfügt, bei Gelegenheit einer angeblich doch so sinnvollen und nützlichen Wohnungsmodernisierung den Mieter in Wirklichkeit hinausmodernisiert. Dieser Praxis, die sich vereinzelt sehr ärgerlich ausgebreitet hat, setzen wir mit der Neuregelung ein Ende.
Ich halte für außerordentlich bedeutend, daß dem Vermieter für eine längere Frist die Berufung auf den Eigenbedarf bei der Umwandlung einer Wohnung in eine Eigentumswohnung verwehrt wird. Die Praxis heute ist doch, daß vielfach Altbauten, die mit Mietern voll besetzt, die also voll genutzt sind, verkauft werden, daß dann eine Umwandlung in Eigentumswohnungen stattfindet, worauf die Veräußerung erfolgt und die Mieter unter Berufung auf den Eigenbedarf herausgeklagt werden. Der unschöne Begleitaspekt ist oft, daß derjenige, der dies alles als Verkäufer bewerkstelligt, einen großen Spekulationsgewinn einstreicht. Das werden wir in Zukunft mit der Verlängerung der Frist auf fünf Jahre erschweren. Zum einen wird der Schutz für den Mieter verbessert; zum anderen werden sich diejenigen, die Wohnungen aus einem solchen Bestand, also besetzte Wohnungen, als Altbaubestand kaufen, sorgfältig überlegen, ob sich dieser Ankauf überhaupt lohnt. Ich sehe die Spekulationsgewinne, die bisher auf diesem Gebiet gemacht wurden, in Zukunft erheblich schrumpfen, wenn nicht gar entfallen.
Schließlich halte ich es auch für eine wichtige Verbesserung der Position des Mieters, daß die Kaution auf einen Höchstbetrag begrenzt wird und daß sie sicher anzulegen und zugunsten des Mieters zu verzinsen ist. Einzelne Gerichte haben das in der Vergangenheit bereits so entschieden. Für die Zukunft erfolgt hier eine eindeutige gesetzliche Klarstellung.
Erneut, meine Damen und Herren, gehen wir mit diesem Gesetzentwurf einen mittleren Weg. Denen, die die völlige Freigabe der Mietverhältnisse wünschen, um zu kündigen und zu erhöhen, wie es ihnen beliebt, werden wir niemals nachgeben. Einen unangemessenen, übertriebenen Schutz von Miethöhe und Mietbestand gibt es aber auch nach dem neuen Recht nicht. Die Verbesserungen, die hier enthalten sind, und auch die erweiterte Möglichkeit, eine bessere Rendite zu erzielen, müssen nun ihre Wirkung zeigen.
Ich schließe mich dem Appell meines Kollegen Haack an Vermieter, an Kapitalanleger und alle anderen an, die uns zu solchen Regelungen gedrängt haben. Nun sind sie am Zug. Wir werden sie beim Wort nehmen. Diejenigen, die Neuregelungen verlangt haben, sollen nun auch bitte dafür sorgen, daß der Wohnungsbau intensiviert wird. In diesem Sin-



Bundesminister Dr. Schmude
ne, meine Damen und Herren, sollten wir eigentlich alle gemeinsam argumentieren.

(Beifall bei der SPD und der FDP)


Georg Leber (SPD):
Rede ID: ID0910303600
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Schneider.

Dr. Oscar Schneider (CSU):
Rede ID: ID0910303700
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich hatte ursprünglich die Absicht, nur über steuerrechtliche Fragen zu sprechen. Aber es gibt sehr gute Gründe, verehrter Herr Kollege Schmidt (München), daß ich mich an dieser Stelle zu Wort melde, insbesondere auch an Ihre ganz persönliche Adresse. Es ist j a immer ein Vergnügen, als Nürnberger mit einem Münchner zu reden, zumal deshalb, weil auf diese Weise klargestellt wird, wo man früher den Stein der Weisen gefunden hat, oder auch, wo man mehr das Rechnen nach dem fränkischen Rechenmeister Adam Riese gelernt hat.

(Zuruf von der SPD: Bis 20!)

Der Herr Ministerpräsident Späth hat vorhin ein glänzendes Beispiel dafür gegeben, daß es zwar eine sozialistisch-marxistische Ideologie und Philosophie geben kann, niemals aber ein marxistisches Einmaleins.

(Beifall bei der CDU/CSU — Schmidt [München] [SPD]: Aber ein christlich-soziales, Herr Schneider?!)

— Herr Kollege Schmidt, Sie haben wiederum die These vertreten, daß der entscheidende Grund für unsere wohnungswirtschaftliche Misere in unserem derzeit geltenden Bodenrecht liegt. Herr Schmidt, ich muß Sie fragen: Welches Bodenrecht meinen Sie? Sie kommen wie der frühere Justizminister und Oberbürgermeister Hans-Jochen Vogel aus München. Sie waren und sind ein Vertreter des bodenpolitischen Aufbruchs des Jahres 1972/73. Ich habe die Protokolle Ihres Parteitages in Hannover im April 1973 studiert. Was Sie und auch der Kollege Schröder heute gesagt haben, ist eine Wiederaufnahme der bodenpolitischen, bodenrechtlichen Diskussion, wie sie Hans-Jochen Vogel in der „Neuen Juristischen Wochenschrift" 1972 auf Seite 1544 eröffnet hat. Er hat damals u. a. geschrieben — ich darf das zitieren —:
Das bisherige Eigentum an Grund und Boden wird in ein Nutzungs- und ein Verfügungseigentum aufgeteilt. Dieses Verfügungseigentum an Grund und Boden geht auf die Gemeinschaft über ... Die Bestimmungen der §§ 93 und 94 BGB werden aufgehoben. Gebäude sind künftig nicht mehr wesentliche Bestandteile des Grundstücks. Sie sind — ... — selbständig eigentumsfähig.
Meine Damen und Herren von der SPD, wissen Sie, was für ein Bodenrecht das war? Das war dem DDR-Gesetz vom Dezember 1970 haargenau nachformuliert. Das Gesetz hat dort den Titel „Gesetz zur Verleihung von Nutzungsrechten an volkseigenen Grundstücken".

(Hört! Hört! bei der CDU/CSU)


Georg Leber (SPD):
Rede ID: ID0910303800
Herr Kollege Schneider, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Waltemathe?

Dr. Oscar Schneider (CSU):
Rede ID: ID0910303900
Bitte, Herr Kollege.

Ernst Waltemathe (SPD):
Rede ID: ID0910304000
Herr Kollege Dr. Schneider, können Sie bestätigen, daß der Oberbürgermeister von München Erich Kiesl mit Vertretern des Münchner Stadtrats — wenn ich mich recht entsinne — Anfang des vergangenen Jahres nach Bonn gereist ist, um mit allen Fraktionen darüber zu reden — in getrennten Gesprächen —, welche Maßnahmen der Deutsche Bundestag gegen Bodenspekulationen ergreifen werde, um auch Münchner Probleme lösen zu können, und kann ich davon ausgehen, daß Herr Kiesl kein Marxist oder Jungsozialist ist?

Dr. Oscar Schneider (CSU):
Rede ID: ID0910304100
Herr Kollege Waltemathe, daß der Herr Oberbürgermeister von München Erich Kiesl kein Marxist ist, kann ich selbst unter Anruf des Heiligen Geistes kurz vor Pfingsten durchaus bestätigen.

(Heiterkeit bei der CDU/CSU)

Was der Herr Oberbürgermeister Kiesl allerdings wollte, was er anstrebt, werde ich Ihnen gleich sagen.

(Waltemathe [SPD]: Aha! — Löffler [SPD]: Das war eine sehr erschöpfende Antwort, Herr Dr. Schneider!)


Manfred Schmidt (SPD):
Rede ID: ID0910304200
Wenn ich aus München käme und unter der politischen Ägide der SPD an dem Entstehen von Neu-Perlach mitgewirkt hätte, wäre ich beim Gebrauch des Begriffs Spekulation sehr vorsichtig.

(Kiechle [CDU/CSU]: Äußerst vorsichtig! Noch viel vorsichtiger!)

Ich würde mich auch entschieden dagegen verwahren, einen Landwirt, der auf ererbter Scholle sitzt, der väterliches Erbe verwaltet, pflegt, hütet und seinen Kindern weiter vererben will, als Bodenspekulanten zu diffamieren, wenn die Stadt auf ihn zuwächst und durch Planungsmaßnahmen der Stadt eine Wertsteigerung seiner Scholle eintritt.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Die Bodenspekulanten saßen und sitzen ganz woanders. Aber ich möchte heute das Thema einer großen Baugesellschaft nicht aufnehmen.

(Beifall bei der CDU/CSU)


Georg Leber (SPD):
Rede ID: ID0910304300
Herr Kollege Schneider, erlauben Sie noch eine Zwischenfrage?

Dr. Oscar Schneider (CSU):
Rede ID: ID0910304400
Ich werde es auf meine Redezeit anrechnen.

Lothar Löffler (SPD):
Rede ID: ID0910304500
Sehr geehrter Herr Kollege Schneider, Sie haben eben so ein großartiges Beispiel gegeben.

(Zuruf des Abg. Dr. Stark [Nürtingen] [CDU/CSU])

Geben Sie mir aber recht, wenn ich sage, daß derjenige als ein Spekulant zu bezeichnen ist, der einen
Hof in Großstadtnähe in der Erwartung aufkauft —



Löffler
der Bauer verkauft ihn, weil er davon nicht mehr leben kann —, daß der Bodenwert durch das Hinauswachsen der Stadt steigt und er dadurch später völlig mühelos Vermögen erwirbt? Ist das dann ein Spekulant?

Dr. Oscar Schneider (CSU):
Rede ID: ID0910304600
Wenn jemand seine rechtlichen Vorteile und Möglichkeiten im Rahmen der Gesetze nützt,

(Dr. Möller [CDU/CSU]: Wie Herr Vetter!)

dann ist er kein Spekulant. Wenn er ein Spekulant wäre, dann wäre eine hochangesehene, außerordentlich wichtige soziologische Gliederung unseres Staates, unserer Gesellschaft in einem hohen Maße von Spekulanten durchsetzt.

(Beifall bei der CDU/CSU — Dr. Jahn [Münster] [CDU/CSU]: Welcher Partei gehören die an? — Löffler [SPD]: Lassen Sie doch den anständigen Bauernstand aus Ihrer Argumentation!)

— Verehrter Herr Kollege Löffler, Sie wissen genau, daß Veräußerungen aus dem Betriebsvermögen von Landwirten durch Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom Mai 1970 der Besteuerung voll unterworfen werden. Sie wissen ganz genau, daß die letzte Hauptfeststellung — das ist heute auch aufgegriffen worden — am 1. Januar 1964 war. Ich frage mich: Warum haben wir bis heute keine allgemeine Hauptfeststellung mit der Folge, daß die Grundsteuer, die Schenkungsteuer, die Erbschaftsteuer und die Vermögensteuer insgesamt höher veranlagt werden können? Wie, das ist ein anderes Thema; darauf möchte ich im einzelnen nicht eingehen. Die Antwort: weil die Bundesregierung auf diesem Felde untätig geblieben ist.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Wenn den Gemeinden heute zuwenig an Steuern zufließt, dann gibt es dafür einen einzigen Schuldigen:

(Waltemathe [SPD]: Aha!)

die Bundesregierung. Denn sie wäre nach dem Gesetz gezwungen gewesen, dafür zu sorgen, daß alle sechs Jahre eine Hauptfeststellung durchgeführt wird. Aber sie hat nichts dergleichen getan. Erst im Jahre 1977 hat sie mit den flächendeckenden Probebewertungen begonnen. Dann hat sie den Versuch unternommen, bei den Mietwohngrundstücken ein Sachwertverfahren durchzusetzen, das nach den Schätzungen der Steuerverwaltungen im Falle der Durchführung Tausende zusätzliche Planstellen des gehobenen Dienstes erfordert hätte. Dafür, daß wir keine allgemeine Hauptfeststellung haben und den Gemeinden daher nicht genügend Grundsteuer zufließt, gibt es nur einen Schuldigen: das ist die Bundesregierung, weil sie, wie gesagt, untätig geblieben ist: der Bundesfinanzminister sowie alle dem Kabinett — seit 1969 — angehörenden Minister.

(Waltemathe [SPD]: Stimmen Sie denn jetzt zu? — Löffler [SPD]: Das sind schwache Argumente! — Weitere Zurufe von der SPD)

— Das ist kein schwaches Argument.
Ein Weiteres: Diese Gesetze sollen j a dazu führen, Bauland zu verbilligen und das Baulandangebot zu erhöhen. Mit diesen Gesetzen jedoch werden Sie das Bauland verteuern, den sozial Schwachen vom Grund und Boden vertreiben

(Widerspruch bei der SPD)

und ihm die Möglichkeit, Eigentum zu bilden, nehmen.

(Zurufe von der SPD)

Ich will es Ihnen beweisen: Angenommen, ein Grundstückseigentümer bezahlt für sein Grundstück im Augenblick 700 DM Grundsteuer jährlich. Nach Ihrem Gesetz ist es, gerade in den Ballungsräumen, möglich, daß er das Zehnfache bezahlen muß: 7 000 DM.

Georg Leber (SPD):
Rede ID: ID0910304700
Herr Kollege Schneider, erlauben Sie noch eine Zwischenfrage?

Dr. Oscar Schneider (CSU):
Rede ID: ID0910304800
Bitte sehr.

Otto Reschke (SPD):
Rede ID: ID0910304900
Herr Kollege Schneider, sind Sie mit mir und dem Kollegen Gaddum aus RheinlandPfalz der gleichen Auffassung — ich zitiere ihn hier einmal nach dem Protokoll der Bundesratssitzung vom 5. Juni —, der sagt:
Es ist kein Geheimnis, daß es keine vom Staat stärker privilegierte Wirtschaftseinheit gibt als unbebaute Grundstücke,

(Beifall bei der SPD)

die man einfach liegen läßt, um dann den Gewinn steuerfrei einzustreichen.
Ich meine, diese Aussage von Herrn Gaddum ist doch ein Grund, unserem Entwurf zuzustimmen, nachdem die Bundesregierung endlich in Ihrem Sinne reagiert.

Dr. Oscar Schneider (CSU):
Rede ID: ID0910305000
Der jetzige Entwurf verletzt den Gleichheitsgrundsatz; er ist unsozial;

(Widerspruch bei der SPD)

er bringt den Steuer- und Kommunalverwaltungen größte Vollzugsschwierigkeiten; er erreicht das wohnungspolitische Ziel nicht.

(Dr. Möller [CDU/CSU]: Richtig, völlig richtig!)

Nach § 39b Abs. 1 Bundesbaugesetz kann die Gemeinde einem Eigentümer kein Baugebot auferlegen, wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen, daß er aus wirtschaftlichen Gründen überfordert wird. Ich bleibe hier bei meinem Beispielsfall: Für ein Grundstück bezahlt jemand heute 700 DM Grundsteuer jährlich. Nunmehr soll in Ihrer Form vorgezogen veranlagt werden. Dann muß das Zehnfache bezahlt werden: 7 000 DM. Eine Leistung von 7 000 DM für ein Grundstück entspricht etwa dem Aufwand, den ein Gutverdienender jährlich an Bausparleistungen aufbringen kann. Das kommt aus dem so angelegten Grundsteuermodell bei gleichbleibender Steuermeßzahl heraus. Dabei hat sich die Bundesregierung früher bereit erklärt, bei einer allgemeinen Hauptfeststellung über die Steuermeßzahl mit sich reden zu lassen. Das bringt eine soziale



Dr. Schneider
Überforderung. Diese Lösung ist auch wirtschaftlich in jeder Hinsicht unvernünftig und unschlüssig.

(Dr. Möller [CDU/CSU]: Sehr richtig!)

Warum wird heute nicht gebaut? Hier kann ich im wesentlichen auf das verweisen, was meine Vorredner, insbesondere Herr Ministerpräsident Späth, gesagt haben.
Die Gutachter beim Bundesministerium für Wirtschaft haben festgestellt, daß die Veränderung der Rahmenbedingungen, insbesondere das Mietrecht und die inflationären Einwirkungen, dazu geführt haben, daß wir von der renditeorientierten Kapitalanlage von einst zu einer steuersparenden Investition gelangen. Das ist gerade auch der Erfolg des Bauherrenmodells. Hier wird zum Teil durchaus zu teuer gebaut, weil der Gesetzgeber nicht in der Lage ist, eine sachgerechte steuerliche Fortentwicklung dieser Problematik durchzuführen, weil der Gesetzgeber in diesem Fall einfallslos ist und untätig bleibt. Das gilt vor allem für den steuerrechtlichen Teil.

(Dr. Emmerlich [SPD]: Haben Sie noch irgendwelche Vorschläge zu diesem Thema zu machen?)

Im übrigen möchte ich Ihnen sagen: Es war die Unionsfraktion, die bereits 1975 empfohlen hat, die Spekulationsfrist nach § 23 von zwei auf zehn Jahre anzuheben. Bereits damals haben wir auch eine allgemeine Indizierung bei Einheitswerten zum Zwecke der Erzielung eines höheren Grundsteueraufkommens vorgeschlagen. Beide Überlegungen sind damals abgelehnt worden. Warum? Weil SPD und FDP bei ihrem Modell eines Planungswertausgleichs bleiben wollten. Dieser Planungswertausgleich bzw. dieses Modell mußte aus steuerrechtlichen und rechtsstaatlichen Gründen scheitern. Aber seit dieser Zeit sind sieben Jahre vergangen. Es ist Ihnen inzwischen nichts anderes eingefallen als eine Wiederauflage der alten Grundsteuer C, der alten Baulandsteuer, die man damals doch mehr mit Schimpf und Schande als mit Tränen zur Ruhe getragen hat.

(Beifall bei der CDU/CSU — Zurufe von der SPD)

Meine Damen und Herren, es geht mir hier darum, nachzuweisen, daß wir keinesfalls für eine unvernünftige Steuergesetzgebung sind, daß wir keineswegs der steuerrechtlichen Privilegierung des Grundvermögens das Wort reden. Aber wir können den verhängnisvollen Weg einer hektischen Steuergesetzgebung nicht mitmachen.

(Waltemathe [SPD]: Ach, jetzt ist es zu hektisch?)

— Diese Gesetzgebung ist nicht nur hektisch, sie bringt auch im Vollzug unnötige Belastungen.

(Waltemathe [SPD]: Vorher war die Regierung zu langsam, jetzt ist sie zu schnell!)

— Es kommt immer darauf an, ob man das Richtige tut, darauf, wer langsam, aber richtig ans Ziel kommt. Aber die Bundesregierung ist total untätig geblieben.
Herr Kollege Schmidt, Ihre bodenpolitischen Vorstellungen — ich habe sie vorhin qualifiziert — sind rein sozialistischer Natur.

(Schmidt [München] [SPD]: Auch Herr Vogel ist Sozialist!)

— Ich habe Herrn Vogel mit eigenen Worten zitiert. Herr Vogel hat es bis zur Stunde nicht zurückgenommen. Herr Vogel muß sich heute den Vorwurf gefallen lassen, daß er mit einem Bodenrechtsmodell an die Öffentlichkeit getreten ist, das in allen wesentlichen Zügen dem Gesetz zur Verleihung von Nutzungsrechten an volkseigenen Grundstücken in der DDR nachgeformt ist.

(Zurufe von der SPD)

— Das ist Wahrheit! Das ist Wahrheit!

(Zuruf von der SPD: Sie haben Geheimmodelle!)

Meine Damen und Herren, ich komme zum Schluß und stelle fest — —

(Schmidt [München] [SPD]: Selbst Adenauer hat sich solche Vorwürfe an die Adresse der SPD nicht erlaubt!)

— Wenn Sie Konrad Adenauer nennen, darf ich vielleicht doch noch einmal Herrn Vogel zitieren. Als es darum ging, Art. 15 ins Grundgesetz einzuführen, hatte man ganz große Bedenken. Dann wurde auch die Frage geklärt: Wie wird denn entschädigt, wenn einer sein Eigentum verliert, weil daraus ein Verfügungseigentum der Gemeinde wird?
In Art. 15 des Grundgesetzes steht: Es wird nach Art. 14 entschädigt. Herr Vogel wußte, daß niemand soviel Geld hat, sein Modell zu finanzieren und er hat einen Vorschlag gemacht, der eigentlich in die deutsche Rechtsgeschichte und Politikgeschichte eingehen müßte. Ich darf noch einmal aus der „Neuen Juristischen Wochenschrift" zitieren:
Die Entschädigungen bleiben in erträglichen Grenzen, weil die Gebäude von der Überführung ausgenommen sind. Sie können auch in Form verzinslicher Wertpapiere oder anteilsrechtlich geleistet werden. Dabei kommt auch die Verrechnung der Entschädigungsraten mit dem Nutzungsentgelt in Betracht.
Mit anderen Worten: Herr Vogel hat sich vorgestellt, daß jemand enteignet wird, und sein Entschädigungsanspruch gegen den künftigen Nutzungsentgeltanspruch der Gemeinde aufgerechnet wird. Das ist eine so unerhörte Vorstellung, eine so toll-dreiste Überlegung — das ist juristisch messerscharf gedacht —, daß ich mir einen nackteren Bodensozialismus nicht vorstellen kann, als er in diesem Satz zum Ausdruck kommt.

(Lachen bei der SPD — Zuruf von der SPD: Es kommt immer schlimmer!)

Herr Schmidt, Sie können diesem Sozialismus weiter huldigen, Sie können weiterhin auf die Fahne der Sozialisten schwören,

(Löffler [SPD]: Sie sind ein richtiger Verbalathlet!)




Dr. Schneider
aber mit sozialistischen Rezepten werden Sie die Probleme der deutschen Wohnungspolitik niemals lösen können.

(Beifall bei der CDU/CSU — Löffler [SPD]: Sie auch nicht!)


Georg Leber (SPD):
Rede ID: ID0910305100
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Gnädinger.

Fritz-Joachim Gnädinger (SPD):
Rede ID: ID0910305200
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich habe zunächst für die sozialdemokratische Bundestagsfraktion Anlaß, dem Kollegen Gattermann für zwei Bemerkungen heute zu danken und diese zu würdigen. Die erste Bemerkung war, daß es sich bei dem heute zur Verabschiedung anstehenden Gesetz um einen Kompromiß handelt, bei dessen Zustandekommen alles berücksichtigt worden ist, was berücksichtigt werden muß, und daß es von daher nicht mehr erforderlich ist, dieses Gesetz mit zusätzlichen Überlegungen, zusätzlichen Befrachtungen zu belasten.

(Dr. Jahn [Münster] [CDU/CSU]: Können Sie nicht schlauer werden?)

Ich bin dankbar dafür, daß sich der Kollege Gattermann direkt an den Ministerpräsidenten des Landes Baden-Württemberg, an Herrn Späth, gewandt hat, der heute anwesend ist, und versucht hat, ihm klarzumachen, wie die Haltung der sozialdemokratischen und der freien demokratischen Fraktion in diesem Hause ist, weil dies für die Entscheidungen des Bundesrates von Bedeutung sein könnte, und weil Sie, Herr Späth — ich unterstreiche das, was Herr Gattermann gesagt hat —, der Sache selbst keinen Dienst tun, wenn Sie versuchen, ein Gesetzgebungsverfahren durch zusätzliche Initiativen zu verzögern und zu belasten, das für die Mehrheit im Deutschen Bundestag abgeschlossen ist. Herr Gattermann hat darauf hingewiesen, daß es sich nicht um ein zustimmungsbedürftiges Gesetz handelt.
Zweitens muß ich mich kurz mit dem Monitum des Kollegen Clemens auseinandersetzen, es sei nicht gründlich genug beraten worden. In beiden Ausschüssen, im mitberatenden und im federführenden, ist mehrmals über das heutige Gesetzesvorhaben gesprochen worden. Wir haben uns bei der letzten Sitzung des Rechtsausschusses sieben Stunden lang mit dem Gesetzentwurf befaßt,

(Zurufe von der CDU/CSU)

und wir haben auf Antrag der Opposition eine Anhörung durchgeführt. Diese Vorwürfe sind nicht gerechtfertigt; insbesondere können sie nicht von einem Kollegen vorgebracht werden, der noch vor drei Wochen gesagt hat, es müsse sofort abgestimmt werden, und dem es nicht schnell genug gehen konnte.
Ich muß auch noch den Kollegen Engelhard ansprechen,

(Dr. Möller [CDU/CSU]: Kommen Sie zur Sache, zum Mietrecht!)

weil er darauf hingewiesen hat, daß man die heute
zu beschließenden Vorschriften einmal wirken lassen sollte und weil es durchaus möglich sei, daß die
praktischen Auswirkungen diejenigen überzeugen würden, die dem Gesetz heute noch skeptisch gegenüberstünden. Ich schließe daraus, Herr Kollege Engelhard, daß Sie für eine Erfolgskontrolle dieses Gesetzes eintreten. Ich begrüße dies und meine nur, daß es dann eine umfassende Erfolgskontrolle sein sollte.
Der Herr Ministerpräsident Späth hat — wenn ich das noch sagen darf — meiner Meinung nach wieder einmal den entscheidenden Fehler gemacht, zu meinen, eine Änderung des Mietrechtes bringe automatisch mehr Investitionen im Mietwohnungsbau. Wir haben ausländische Beispiele — Frankreich und die Schweiz —, wo das Mietrecht nicht verändert worden ist, bei denen es kein Mietrecht wie in der Bundesrepublik gibt und wo es im Mietwohnungsbau genau die gleichen Entwicklungen gibt wie bei uns. Dann muß man sich natürlich schon einmal die Mühe machen, über diesen Monokausalismus hinwegzukommen und ein paar andere Dinge mit in Betracht zu ziehen. Es ist nicht richtig, daß, wenn man das Mietrecht änderte, die Wohnungen wie Pilze aus dem Boden schießen würden. Herr Späth, es ist überhaupt eine falsche Vorstellung, wenn man meint, man könne durch Erhöhungen der Mieten im Bestand mit Automatik im Neubau etwas erreichen. Sie sprechen immer von den Versicherungen. Da muß man darauf hinweisen, daß die Wohnungen im Bestand nicht nur Versicherungswohnungen sind. Es gibt sehr viele Einzeleigentümer, die in der Oberzahl sind. Diese Einzeleigentümer werden natürlich Mieterhöhungen erreichen durch die von Ihnen vorgeschlagenen Maßnahmen, ohne daß ein Pfennig dieser Mieterhöhungen in den Neubau geht. Man muß da also sehr vorsichtig sein.

(Beifall bei der SPD)

Ich war dann sehr erfreut, daß Sie gesagt haben, am Bodenrecht sei was dran. Denn in der Tat ist es richtig: Bodenrecht und Investitionen im Mietwohnungsbau stehen in einem Zusammenhang. Ich war allerdings wieder sehr enttäuscht über das, was der Kollege Schneider gesagt hat. Es ist bei den Vertretern der Opposition immer so, daß sie auf der einen Seite gegen Bodenspekulation wettern, auf der anderen Seite, wenn konkrete und praktische Schritte gemacht werden sollen, verwaltungsmäßige und sonstige Bedenken haben und damit eigentlich den Stillstand in dieser Gesetzgebung herbeiführen.
Heute hat Herr Schneider gesagt, die Hauptfeststellung bei den Einheitswerten der Grundstücke sei ausgeblieben. Dies sei der eigentliche Grund dafür, daß im Bodenrecht und in der Bodenordnung nichts Vernünftiges zustande käme. Legen wir aber heute ein Gesetz vor, das einen Teil dieses Mangels beheben soll, nämlich eine Teilhauptfeststellung, dann lehnt es der Herr Schneider auch wieder ab. Dies ist nicht konsequent, Herr Schneider.

(Beifall bei der SPD — Waltemathe [SPD]: Doppelstrategie!)

Meine Damen und Herren, ich glaube, der Herr Bundesjustizminister Schmude hat recht getan, als er auf den eigentlichen Gegenstand der heutigen Debatte wieder zurückgekommen ist. Es handelt sich



Gnädinger
um eine Änderung des Mietrechts. Ich möchte zunächst mit Befriedigung feststellen, daß die Auseinandersetzungen um dieses Mietrecht in der Offentlichkeit eine hohe Aufmerksamkeit erfahren haben. Dies ist deshalb keine nebensächliche Bemerkung, weil wir im Mietrecht immer wieder den Zustand haben, daß Mieter und Vermieter über ihre Möglichkeiten nicht ausreichend informiert sind. Wenn eine politische Debatte dies in den Mittelpunkt der Auseinandersetzung stellt, dann bringt dies viel Positives für den Rechtsfrieden in unserem Lande. Mietrecht ist in der Tat eine Materie, die das tägliche Leben der Menschen betrifft, des Vermieters und in besonderem Maße natürlich des Mieters. Die Miete eines Liegestuhls am Strand und die Miete einer Wohnung kann nicht nach den gleichen rechtlichen Regeln behandelt werden. Die Wohnung ist keine beliebige Ware. Sie ist Lebensmittelpunkt und damit natürlich etwas, was man nicht durch beliebige Kündigungen wechseln sollte, sondern sie ist ein Zuhause mit schützenswerten sozialen Bezügen.
Deshalb, meine sehr verehrten Damen und Herren, ist ein ausreichender Mieterschutz ein entscheidendes Element sozialdemokratischer Politik und wird es auch in der Zukunft bleiben. Allerdings dürfen die Interessen des Vermieters dabei nicht mißachtet werden. Letztlich kommt es auf einen gerechten und sinnvollen Ausgleich der unterschiedlichen Interessen von Mieter und Vermieter an.
Zu diesem Interessenausgleich gehören nicht nur faire Regelungen, sondern diese müssen zugleich unkompliziert, einheitlich und übersichtlich sein. Dies kann vom geltenden Mietrecht und auch von der heute zu verabschiedenden Novelle nicht behauptet werden. Jedoch wird jeder Gutwillige nicht bestreiten können, daß innerhalb der heute zu verabschiedenden Novelle einige Punkte der Vereinheitlichung enthalten sind. Die Forderung nach einer besseren Übersichtlichkeit des Mietrechts wird von uns Sozialdemokraten nicht mit dem heutigen Tage von der Tagesordnung abgesetzt; denn nur bei klaren und übersichtlichen Regelungen kann das Recht seine friedensstiftende Funktion voll erfüllen.
Es sind heute eine Reihe von Bedenken gegen den Inhalt dieses Gesetzentwurfes vorgetragen worden. Ein gerechtes Urteil wird man jedoch nur dann abgeben können, wenn man auch berücksichtigt, daß in einer Reihe von anderen Punkten die Rechtsstellung des Mieters verbessert wird. Der Herr Bundesjustizminister hat darauf im einzelnen hingewiesen, so daß ich mich dazu nicht näher zu äußern brauche.
Der Einfluß des Mietrechts auf die Investitionsbereitschaft im Wohnungsbau wird immer wieder überschätzt. Man geht an der Wirklichkeit vorbei, wenn man dies zum zentralen Punkt der Mietrechtsdiskussion macht.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, das soziale Mietrecht hat zwei Eckpfeiler. Der eine ist der Schutz des Mieters vor willkürlichen Kündigungen, der andere die Abwehr ungerechtfertigter Mieterhöhungen. Was den Kündigungsschutz angeht, sieht die Novelle keine Änderung vor. Der Wunsch des
Vermieters nach einer höheren Miete ist auch künftig kein Kündigungsgrund. Es ist sicher richtig, daß sich der Mieter in Zukunft verstärkt Erhöhungsverlangen ausgesetzt sehen wird, aber keine Formulierung in dem heute zu verabschiedenden Gesetz deutet darauf hin, daß Mieterhöhungen nunmehr willkürlich geschehen könnten. Es bleibt bei den allermeisten Wohnungen bei der Vergleichsmiete. Es bleibt damit bei einem geordneten Verfahren, in dem der Vermieter nachweisen muß, daß in vergleichbaren Wohnungen höhere Mieten erzielt werden.
Zum Schluß, meine Damen und Herren, möchte ich noch eine Anregung geben. Das bisherige Mietrecht ist häufig mit der Behauptung kritisiert worden, der Vermieter habe in seinem Hause keine Rechte mehr, er müsse sich machtlos dem Willen des Mieters fügen. Dies war eine maßlose Übertreibung und fand im geltenden Recht überhaupt keine Stütze. Aber es schuf eine Stimmungslage, die manchen Eigentümer davon abgehalten hat, seine Wohnung zu vermieten.
Heute müssen wir verhindern, daß der Eindruck entsteht, Kündigung und Mieterhöhung seien nun schrankenlos möglich. Der Mieter wird auch künftig, insbesondere wenn er sich im Streitfall sachkundig beraten läßt, seine Rechte wahren können. — Ich bedanke mich.

(Beifall bei der SPD und der FDP)


Georg Leber (SPD):
Rede ID: ID0910305300
Als nächster Redner hat der Herr Abgeordneter Magin das Wort.

Theo Magin (CDU):
Rede ID: ID0910305400
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die heutige Debatte hat gezeigt — das gilt allerdings nicht für Sie, Herr Gnädinger —, daß Ihre Kollegen sich sehr schwer damit tun, die Realität zu ertragen. Aber, meine Damen und Herren, wenn es gerade bei einer so schwierigen und so komplexen Materie wie dem Mietrecht darum geht, die Probleme zu lösen, kann man sich nur auf den Boden der Tatsachen stellen. Wer hier nicht bereit ist, die Realität zu erkennen und anzunehmen, wird auch keine Lösungsmöglichkeiten beibringen können.

(Zustimmung bei der CDU/CSU)

Meine Damen und Herren, die Realität am Wohnungsmarkt ist schließlich bis zum heutigen Tage die, daß insbesondere in den größeren Städten und in ihrem Umland der Wohnungsmarkt aus dem Gleichgewicht geraten ist. Eine zunehmende Nachfrage trifft dort auf ein immer kleiner werdendes Angebot. Und es ist das Gebot der Stunde, dieses Problem so zu lösen — wenn ich es richtig verstanden habe, gelten dem die heutigen Beratungen und die Beratungen im letzten Jahr überhaupt —, daß dieses verlorene Gleichgewicht wiederhergestellt wird. Wer bereit ist — heute morgen wurde darüber wiederholt gesprochen —, das Verhalten der Menschen richtig einzuschätzen und gemachte Erfahrungen da mit einzubeziehen, der wird feststellen, daß es uns nur dann, wenn ein gerechter Ausgleich zwischen den Interessen der Mieter und den Interessen der Vermieter geschaffen wird, gelingen kann,



Magin
das Gleichgewicht wiederherzustellen; denn nur wenn dieses Verhältnis zwischen Mieter und Vermieter wieder verstärkt zu einem partnerschaftlichen Verhältnis wird, werden auch wieder Lösungen zwischen beiden Parteien vor Ort möglich sein. Nur wenn der Mieter, für den die Wohnung ein besonderes Wirtschaftsgut ist — und da unterstreichen wir das was Sie, Herr Gnädinger, gesagt haben —, das für ihn besondere Bedeutung hat, Kündigungsschutz genießt — und das war von unserer Seite, entgegen dem, was heute morgen von Kollegen der sozialdemoktratischen Fraktion gesagt worden ist, nie in Frage gestellt —, nur wenn dieser Kündigungsschutz bestehenbleibt, eine Kündigung zum Zweck der Mieterhöhung ausgeschlossen bleibt, werden nach unserer Auffassung auch die Interessen des Mieters gewahrt werden. Dem Vermieter andererseits muß zugestanden werden, daß er Mieten verlangen kann, die die Wirtschaftlichkeit der Wohnung nicht gefährden. Gesicherte gesetzliche Rahmenbedingungen müssen beiden Parteien, Mietern und Vermietern, auf lange Sicht Klarheit und zuverlässige Sicherheit geben.
Nur wenn das erreicht wird, werden wir diesen sehr sensiblen Komplex auch wieder beherrschen, wird dort Vertrauen erzeugt, was dringend notwendig ist.
Deswegen kommt dem gesetzlichen Verfahren zur Erhöhung der Mieten in diesem Zusammenhang große Bedeutung zu. Um die gesetzlichen Rahmenbedingungen zu verbessern, hat meine Fraktion im Mai letzten Jahres einen Gesetzentwurf zu Erhöhung des Angebots an Mietwohnungen vorgelegt, die Regierung im August letzten Jahres, den Entwurf eines Mietspiegelgesetzes.
Die Erfahrung der letzten Jahre hat gezeigt, daß sich der Mietspiegel, also die Übersicht über die ortsüblichen Entgelte — auch wenn hier, wie wir insbesondere bei der Hamburger Panne gesehen haben, nicht alles Gold ist, was glänzt —, als ein gut geeignetes Mittel zum Nachweis der Vergleichsmiete bei Mietanpassungen erwiesen hat. Mietspiegel haben mehr Transparenz in den Wohnungsmarkt gebracht. Sie haben den Streit zwischen den Mietparteien vermeiden helfen. Sie haben die Entscheidung vor Gerichten erleichtert. Und sie haben häufig dazu beigetragen, daß in Mieterhöhungsverfahren die Kosten niedrig gehalten werden konnten. Der Mietspiegel ist also nach unserer Meinung bei Mieterhöhungsverfahren ein durchaus brauchbares Instrument.
Die Regelung der Einzelfragen in diesem Gesetzentwurf der Bundesregierung stoßen bei meiner Fraktion allerdings auf Bedenken. So besteht nach unserer Auffassung keine Veranlassung, den Mietspiegel gegenüber den anderen Begründungsmöglichkeiten für ein Mieterhöhungsverlangen so dominant zu bevorzugen. Der Vermieter sollte auch künftig auf drei gleichberechtigte Begründungsmöglichkeiten für sein Mieterhöhungsbegehren zurückgreifen können: auf Mietspiegel, Sachverständigengutachten und Benennung von Vergleichswohnungen. Gerade in Anbetracht der Vielgestaltigkeit der Mietverhältnisse erscheint es uns notwendig, diese drei
Möglichkeiten weiterhin gleichberechtigt nebeneinander zu belassen, zumal der Gesetzentwurf der Bundesregierung für Gemeinden mit unter 50 000 Einwohnern überhaupt keine Regelung vorsieht. In diesem Zusammenhang denke man nur an die dann gegebene Situation an den Rändern großer Städte.
Wir halten es auch nicht für erforderlich, die Einzelfragen der Aufstellung und Fortschreibung von Mietspiegeln durch ein besonderes Gesetz zu regeln. Anstatt die Gesetzesflut endlich einzudämmen, werden hier wieder neue Regelungen geschaffen, die schon wegen der materiebedingten Veränderungen und Ergänzungen in diesem Bereich nur wiederum neue, langwierige Gesetzgebungsverfahren nach sich ziehen werden. Unseres Erachtens können Detailfragen flexibel auf die jeweiligen Bereiche bezogen — auf Maß genommen, wenn ich so sagen darf — durch den Verordnungsgeber unkomplizierter, gelenkiger und damit treffsicherer geregelt werden.
Nach dem Gesetzentwurf der Bundesregierung dürfen in die Bildung der Mietpreisspannen alle Mietverhältnisse — Ausreißer nach unten und nach oben ausgenommen —, die innerhalb einer Bandbreite von zwei Dritteln aller in den letzten fünf Jahren abgeschlossenen Mietverhältnisse dieses Wohnungsrasters liegen, eingehen. Wir sind der Meinung, daß die so gebildete Vergleichsmiete die Marktverhältnisse nicht zeitnah abbilden wird und daß damit die zur Aufrechterhaltung der Wirtschaftlichkeit für den Hausbesitzer geplante marktorientierte Mieterhöhung vereitelt werden kann. Eine solche Entwicklung könnte letztlich wiederum zu den Schwierigkeiten am Wohnungsmarkt führen, die gerade durch dieses Gesetz bekämpft werden sollen.
Weiter sieht der Gesetzentwurf vor, daß Gemeinden in der Größenordnung 50 000 bis 100 000 Einwohnern Mietspiegel aufstellen müssen, wenn dies von Interessenvertretern, die einen nicht unerheblichen Teil der Mieter und Vermieter im Gemeindegebiet vertreten — so heißt es im Gesetzentwurf —, beantragt wird. Konkret bedeutet dies doch, meine Damen und Herren, daß der Antrag einer Interessenvertretung den Beschluß einer kommunalen Vertretungskörperschaft ersetzt — nach meiner Kenntnis eine bisher einmalige Regelung, die uns verfassungspolitisch bedenklich erscheint.
Schließlich soll die Verletzung der Auskunftspflicht von Vermieter und Mieter als Ordnungswidrigkeit mit einer Geldbuße geahndet werden. Dies läßt — meine Damen und Herren, wir haben ja Vergleiche genug — einen Schwall unnötiger bürokratischer Belastung der städtischen Ordnungsämter und der Gerichte erwarten.
Solchen Regelungen können wir nicht zustimmen. Wir werden deshalb das Mietspiegelgesetz ablehnen. Unser Nein zum Mietspiegelgesetz bedeutet kein Nein zum Mietspiegel, um das einmal ganz deutlich zu sagen. Wir setzen gegen das Mietspiegelgesetz der Bundesregierung in unserem Gesetzentwurf zur Erhöhung des Angebots an Mietwohnungen eine Präzisierung des § 2 des Miethöhegesetzes, in dem die drei nach geltendem Recht bestehenden Begründungsmöglichkeiten — Mietspiegel, Gutach-



Magin
ten und der Hinweis auf zwei Vergleichswohnungen — konkreter gefaßt und verständlich wiedergegeben werden.

(Dr. Möller [CDU/CSU]: Dort gehört es hin!)

Danach sollen zur Erstellung des Mietspiegels alle Mietverhältnisse, die in den letzten vier Jahren abgeschlossen wurden, herangezogen werden. Die Mietspiegel sollen alle zwei Jahre fortgeschrieben werden, um eine stets zeitnahe Abbildung der Mieten zu erreichen. Dabei soll es der Entscheidung der einzelnen Gemeinde vorbehalten bleiben, ob sie einen Mietspiegel aufstellt, da die Verhältnisse in den Gemeinden verschieden sind und die Erstellung des Mietspiegels mit erheblichen Kosten verbunden ist.
Wir sind davon überzeugt — alle Erfahrungen geben uns recht —, daß unsere Vorschläge eher geeignet sind, das partnerschaftliche Verhältnis zwischen Vermieter und Mieter zu verbessern und die von uns allen gewollten Wirkungen zu erzeugen.

(Beifall bei der CDU/CSU)


Georg Leber (SPD):
Rede ID: ID0910305500
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Wartenberg.

Gerd Wartenberg (SPD):
Rede ID: ID0910305600
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich will es nach dieser langen Debatte sehr kurz machen und nur noch einige Grundsätze an Hand des Mietspiegelgesetzes diskutieren, die hier im Laufe der Debatte schon aufgeworfen worden sind. Das Mietspiegelgesetz ist ein Instrument, um die Anpassungsmechanismen der Mieten im Bestand zu regeln. Dabei stellt sich noch einmal die Frage: Welche Bedeutung hat eigentlich an die Anpassung im Bestand, die Erhöhung von Mieten im Bestand auf den Handlungsbedarf im Bereich der Investitionstätigkeit und der Neubautätigkeit, um das Angebot an Wohnungen zu vermehren?
Da ist hier heute von der Opposition außerordentlich unehrlich argumentiert worden. Es wird immer wieder scheinheilig gesagt, eigentlich seien die Investitionshemmnisse nicht nur das Mietrecht, sondern die Zinsen, das Bodenrecht und die hohen Baupreise. Aber wenn Sie sagen, wie Sie diesen Handlungsbedarf ausfüllen wollen, klopfen Sie nur auf dem Mietrecht herum.
Ich glaube, Ihre Unehrlichkeit ist der entscheidende Punkt; das war auch bei Herrn Späth vorhin sehr deutlich. Er macht eine Milchmädchenrechnung auf, wenn er im Zusammenhang mit dem Fehlbedarf von Mitteln im Wohnungsneubau sagt: 8 DM fehlen, wenn eine Kostenmiete von 20 DM besteht. Flugs ist er in einem Salto mortale bei den Staffelmieten im Bestand, um zu begründen, wie man die mangelnde Durchsetzbarkeit der Kostenmiete durch Mietsteigerungen auffangen kann. Das ist meines Erachtens eine dümmliche Milchmädchenrechnung, die überhaupt nicht dem wohnungswirtschaftlichen Problem gerecht wird, vor dem wir stehen.

(Zustimmung bei der SPD)

Deswegen sage ich noch einmal: Das Mietrecht im Bestand und damit auch die Anpassung der Mieten sind nicht das wirkliche Investitionshemmnis in unserem Bereich des Wohnungsbaus.
Lassen Sie mich ganz kurz auf den materiellen Teil des Mietspiegelgesetzes eingehen. Wir begrüßen das Mietspiegelgesetz und verstehen die CDU überhaupt nicht, wenn sie sagt: Wir begrüßen zwar den Mietspiegel, aber wir wollen kein Gesetz haben. —

(Zuruf von der CDU/CSU: Haben Sie unseren Entwurf gelesen, Herr Wartenberg?)

Wenn sich die Mietspiegel wirklich bewährt haben und für alle Beteiligten am Wohnungsmarkt transparent sind, dann kann man auch so ein Gesetz akzeptieren, das alle Gemeinden mit über 100 000 Einwohnern verpflichtet, einen solchen Mietspiegel aufzustellen, und das alle Gemeinden mit einer Einwohnerzahl zwischen 50 000 und 100 000 verpflichtet, so einen Mietspiegel aufzustellen, wenn einer der Vertreter der beteiligten Interessengruppen es wünscht.

(Dr. Möller [CDU/CSU]: Wenn Sie das per Gesetz machen wollen, können Sie die Parlamente in den Kommunen abschaffen!)

Mit diesem Mietspiegelgesetz waren allerdings auch für uns Sozialdemokraten indirekt einige Kröten zu schlucken, insbesondere die Vorschrift, daß nur die Mieten der letzten fünf Jahre in den Mietspiegel eingehen. Das heißt ohne Frage, daß mit diesem neuen Mietspiegelgesetz ein Mietensprung nach oben gemacht wird. Das ist für uns sehr problematisch. Allerdings möchte die CDU noch höhere Sprünge nach oben machen; sie will nur die Mieten der letzten vier Jahre berücksichtigen.

(Dr.-Ing. Kansy [CDU/CSU]: Wir machen im Gegensatz zu Ihnen immer Sprünge nach oben!)

Insofern sind wir wieder in der richtigen Frontlinie. Die CDU will die Mieten immer noch weiter erhöhen, selbst wenn es schon schlimm genug ist, was zum Teil in den Voraussetzungen für diesen Entwurf eines Mietspiegelgesetzes steht.
Wir haben allerdings als positives Element eine Kappungsgrenze eingeführt. Das heißt: Die Erhöhungen, die nach dem Mietspiegelgesetz durch die Berücksichtigung der Mieten der letzten fünf Jahre möglich sind, können durch eine Kappungsgrenze von 30 % in drei Jahren aufgefangen werden. Ich meine, bei dem Mietspiegelgesetz zeigt sich sehr deutlich, daß hier ein Instrument vorhanden ist, das sich bewährt hat, das transparent ist und das deswegen für alle großen Gemeinden allgemeinverbindlich sein wird.
Ich bedaure sehr, daß die Opposition diesem Gesetz nicht zustimmen kann — obwohl sie im Grundsatz den Mietspiegel für richtig hält —, und eine Regelung vorschlägt, die überhaupt nicht sinnvoll ist. Wir werden jedenfalls diesem Mietspiegelgesetz zustimmen.

(Beifall bei der SPD und der FDP)





Georg Leber (SPD):
Rede ID: ID0910305700
Das Wort hat der Abgeordnete Gattermann.

Hans H. Gattermann (FDP):
Rede ID: ID0910305800
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich will nur ganz wenige Bemerkungen zu den Ausführungen des Kollegen Magin machen und die Damen und Herren der Opposition bitten, doch ihre Haltung zum Mietspiegelgesetz einmal einer kritischen Überprüfung zu unterziehen.
Es ist richtig, daß wir drei Instrumente für Mietzinsanpassungen haben. Keiner will die Vergleichsobjekte beseitigen, keiner will das Sachverständigengutachten als Instrument beseitigen.

(Dr. Möller [CDU/CSU]: Praktisch machen Sie es!)

— Nein. — Aber Sie alle wissen: Sachverständigengutachten sind teuer.

(Dr. Möller [CDU/CSU]: Und Mietspiegel sind noch teurer!)

Sie alle wissen, daß man an Vergleichsobjekte unter Umständen „ums Verrecken" nicht herankommt. Was macht so ein armer Vermieter, wenn wir uns doch alle einig sind, daß es eine Änderungskündigung nicht geben kann und soll, damit er die Miete an veränderte wirtschaftliche Verhältnisse in einem festgezurrten Vertragsverhältnis anpassen kann? Also müssen wir dafür sorgen, daß auf jeden Fall eines dieser drei Instrumente zur Verfügung steht, damit der Vermieter wirtschaftlich vernünftig operieren kann.
Nun sagen Sie: Das wollen wir den Gemeinden überlassen. Das ist j a vom Denkansatz her eine sehr vernünftige Überlegung, nur haben wir seit zehn Jahren dieses Recht, und wir haben eine Unzahl von Gemeinden, in denen es keine Mietspiegel gibt. Unterhalten Sie sich beispielsweise einmal mit Vermietern aus der Stadt Kassel, in der es keinen Mietspiegel gibt, darüber, welche Probleme sie haben, um den Mietzins anzupassen.
Deswegen kommen wir nicht darum herum, Mietspiegel in einem gewissen Umfang obligatorisch zu machen.

(Dr. Möller [CDU/CSU]: Das steht auch bei uns!)

Wir haben gesagt, in Städten zwischen 50 000 und 100 000 Einwohnern soll das auf Antrag geschehen. Ich weiß nicht, welche verfassungsrechtlichen Bedenken dagegen bestehen sollten, daß eine Behörde auf Antrag tätig werden muß.

(Beifall bei der FDP)

Das ist doch wohl der normalste Vorgang von der Welt.
Bitte überprüfen Sie Ihre Meinung. Sie ist in sich nicht stimmig. Ich habe immer sehr viel Verständnis und Wohlwollen dafür, wenn die Opposition eine in sich stimmige Alternative zu den Regierungsvorschlägen und den Koalitionsvorschlägen bietet.
Aber bleiben Sie doch in sich stimmig! Das ist nun bei Ihrer Haltung zu diesem Gesetz nicht der Fall.

(Beifall bei der FDP und der SPD — Dr. Möller [CDU/CSU]: Was Sie sagen, ist unstimmig!)


Georg Leber (SPD):
Rede ID: ID0910305900
Weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Ist das Haus damit einverstanden, daß für die Tagesordnungspunkte 2 bis 4 von der Frist unserer Geschäftsordnung für den Beginn der Beratung abgewichen wird? — Ich sehe keinen Widerspruch. Dann ist mit der erforderlichen Mehrheit entsprechend beschlossen.
Wir kommen zuerst zur Einzelberatung und Abstimmung über Tagesordnungspunkt 2, Mietspiegelgesetz, verzeichnet auf den Drucksachen 9/745 und 9/1672. Ich rufe die §§ 1 bis 9, Einleitung und Oberschrift in der Ausschußfassung auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften, der Einleitung und der Überschrift zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Wer enthält sich der Stimme? — Mit Mehrheit beschlossen.
Damit ist die zweite Beratung abgeschlossen. Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat sollen die dritte Beratung und die Schlußabstimmung heute nachmittag nach Tagesordnungspunkt 7, Beratung der Beschlußempfehlung des Vermittlungsausschusses, stattfinden. — Ich sehe, das Haus ist damit einverstanden; es erhebt sich kein Widerspruch.
Wir kommen jetzt zur Einzelberatung und zur Abstimmung über Tagesordnungspunkt 3 a, Mietrechtsänderungsgesetz, verzeichnet auf den Drucksachen 9/791 und 9/1679. Die Fraktion der CDU/CSU hat Einzelabstimmung über eine Reihe von Vorschriften verlangt. Dementsprechend wird verfahren.
Ich rufe Art. 1 Nr. 1 auf. Wer der aufgerufenen Vorschrift zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Wer enthält sich der Stimme? — Mit Mehrheit so beschlossen.
Ich rufe Art. 1 Nr. 2 auf. Wer stimmt zu? — Wer stimmt dagegen? — Wer enthält sich? — Es ist entsprechend beschlossen.
Ich rufe Art. 1 Nr. 3 auf. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenstimmen? — Enthaltungen? — Mit Mehrheit angenommen.
Ich rufe Art. 1 Nr. 4 auf. Wer stimmt zu? — Gegenstimmen? — Enthaltungen? — Angenommen.
Ich rufe Art. 1 Nr. 4 a auf. Hierzu liegt auf Drucksache 9/1681 unter I Ziffer 1 ein Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU vor. Wer dem Änderungsantrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthält sich jemand? — Der Änderungsantrag ist abgelehnt.



Vizepräsident Dr. h. c. Leber
Wer Art. 1 Nr. 4 a in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenstimmen? — Enthaltungen? — Die aufgerufene Vorschrift ist in der Ausschußfassung angenommen.
Ich rufe Art. 1 Nr. 5 auf. Wer der aufgerufenen Vorschrift zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Wer enthält sich? — Die Vorschrift ist angenommen.
Ich rufe den Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU unter I Ziffer 2 auf Drucksache 9/1681 auf. Es wird beantragt, nach Art. 1 einen neuen Art. 1 a einzufügen. Wer dem zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Stimmenthaltungen? — Der Änderungsantrag ist abgelehnt.
Ich rufe Art. 2 Nr. 1 und 1 a auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenstimmen? — Enthaltungen? — Die aufgerufenen Vorschriften sind angenommen.
Ich rufe Art. 2 Nr. 2 auf. Hierzu liegt auf Drucksache 9/1681 unter II ein Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU vor. Wir stimmen über den Änderungsantrag ab. Wer ihm zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Der Änderungsantrag ist abgelehnt.
Wer dem Art. 2 Nr. 2 in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenstimmen? — Enthaltungen? — Art. 2 Nr. 2 in der Ausschußfassung ist angenommen.
Ich rufe Art. 3 auf. Wer der aufgerufenen Vorschrift zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenstimmen? — Enthaltungen? — Art. 3 ist angenommen.
Ich rufe Art. 4 bis 6, Einleitung und Überschrift in der Ausschußfassung auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenstimmen? — Enthaltungen? — Die aufgerufenen Vorschriften sind angenommen.
Damit ist die zweite Beratung abgeschlossen. Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat sollen die dritte Beratung und die Schlußabstimmung ebenfalls heute nachmittag stattfinden. — Ich sehe, dagegen erhebt sich kein Widerspruch. Das Haus ist einverstanden.
Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Tagesordnungspunkt 3 b, Gesetz zur Erhöhung des Angebots an Mietwohnungen, verzeichnet auf den Drucksachen 9/469 und 9/1679.
Der Ausschuß empfiehlt auf Drucksache 9/1679 unter Buchstabe b, den Gesetzentwurf der Abgeordneten Dr. Möller, Dr. Jahn (Münster), Erhard (Bad Schwalbach) und weiterer Abgeordneter der Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache 9/469 für erledigt zu erklären. Können wir über diese Beschlußfassung abstimmen oder wird eine zweite Beratung gewünscht? — Ich sehe, die zweite Beratung wird nicht gewünscht. Wer der Beschlußempfehlung des Ausschusses zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein
Handzeichen. — Gegenstimmen? — Enthaltungen? — Es ist entsprechend beschlossen.
Wir kommen zur Abstimmung über Tagesordnungspunkt 3 c, Gesetz zur Erhöhung des Angebots an Mietwohnungen, Gesetzentwurf des Bundesrates, verzeichnet auf den Drucksachen 9/790 und 9/ 1679. Der Ausschuß empfiehlt auf Drucksache 9/1679 unter Buchstabe b, den Gesetzentwurf des Bundesrates auf Drucksache 9/790 für erledigt zu erklären. Können wir über diese Beschlußempfehlung abstimmen, oder wird eine zweite Lesung gewünscht? — Die zweite Lesung wird nicht gewünscht. Dann stimmen wir über die Beschlußempfehlung des Ausschusses ab. Wer der Beschlußempfehlung des Ausschusses zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenstimmen? - Enthaltungen? — Es ist entsprechend beschlossen.
Meine Damen und Herren, ich rufe Punkt 4 der Tagesordnung auf:
Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der SPD und FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neubewertung unbebauter baureifer Grundstücke (Teilhauptfeststellungsgesetz 1983 — TeilhauptG 1983)

— Drucksache 9/1648 —
a) Bericht des Haushaltsausschusses (8. Ausschuß) gemäß § 96 der Geschäftsordnung
— Drucksache 9/1674
Berichterstatter:
Abgeordnete Walter Hoppe
Carstens (Emstek)

b) Beschlußempfehlung und Bericht des Finanzausschusses (7. Ausschuß)

— Drucksache 9/1673
Berichterstatter:
Abgeordneter Dr. Mertens (Bottrop)


(Erste Beratung 100. Sitzung)

Wünscht einer der Berichterstatter das Wort? — Ich sehe, das ist nicht der Fall. Dann eröffne ich die allgemeine Aussprache. Als erster Redner hat das Wort der Abgeordnete Dr. Langner.
Wir haben jetzt noch ein Quartel bis 1.00 Uhr. Ich gehe davon aus, daß wir ungefähr zu dem Zeitpunkt, zu dem die Mittagszeit vorgesehen ist, auch tatsächlich die Mittagspause aufnehmen werden.

Dr. Manfred Langner (CDU):
Rede ID: ID0910306000
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist schon ein besonderes Kabinettstückchen an Gesetzgebungskunst, was wir jetzt hier beraten.

(Dr. Jahn [Münster] [CDU/CSU]: Sehr wahr!)

Die Koalition wird heute mit nur wenig Zeit dazwischen zwei völlig widersprüchliche Gesetzgebungsbeschlüsse hier im Hause durchsetzen. Heute mittag



Dr. Langner
wird bei Verabschiedung des Beschäftigungsprogramms, bei dem Beschluß zum Vermittlungsergebnis die isolierte, vorgezogene Neubewertung von unbebauten baureifen Grundstücken abgelehnt werden. Mit dieser Initiative zur sogenannten Teilhauptfeststellung 1983 wird ein wortgleiches Gesetz die Zustimmung der Koalition finden. In der Tat ein Verfahren, das geeignet ist, beim Bürger das Ansehen des Gesetzgebers erheblich zu erhöhen, meine Damen und Herren!

(Dr. Jahn [Münster] [CDU/CSU]: Ein neuer Klimmzug!)

Dabei verkenne ich überhaupt nicht die Schwierigkeiten der Gesetzgebung im Zwei-Kammer-System mit parteiverschiedenen Mehrheiten. Aber Entwürfe, denen doch eine gewisse taktische Absicht auf der Stirn geschrieben steht, sind eben sehr problematisch. Als Spielmaterial für die Vermittlung beim Mietrecht oder gar als ein Bonbon für die Kommunen, um Finanzausgleichsverhandlungen mit den Ländern zu erleichtern, dafür sind, meine ich, die unbebauten Grundstücke nicht da.
Das, was als Begründung für diese Gesetzgebung angeführt wird, nämlich Argumente der Steuergerechtigkeit und der Vermehrung des Baulandangebots, kann nach Ansicht aller Sachverständigen mit diesem Entwurf gar nicht erreicht werden. Oder war etwa unser früherer SPD-Bundestagskollege Jacobi nicht sachverständig, als er zur Baulandsteuer 1963 hier im Plenum folgendes ausführte:
Die Baulandsteuer sollte den Bodenmarkt regulieren, vor allem das Angebot an Bauland anreichern, indem sie die Zurückhaltung baureifen Bodens verhinderte. Es bedarf nach einigen Jahren Praxis in der Tat keines weiteren Abwartens, sondern man kann schon jetzt feststellen, daß alle diese Zwecke nicht erreicht worden sind.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, diesem Gesetz wird es nicht anders gehen. Sie führen als Begründung an, daß die unbebauten baureifen Grundstücke besonders unterbewertet seien. Das ist richtig. Aber die Antwort darauf heißt eben, eine allgemeine Neubewertung vorzunehmen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Für eine maßvolle Anpassung der Einheitswerte — die Betonung liegt auf dem Wort „maßvoll" — bei gleichzeitiger Anpassung von Steuersätzen, Freibeträgen und Meßzahlen sind wir jederzeit zu haben. Lassen Sie sich doch nicht erst wieder von Karlsruhe vorführen, meine Damen und Herren! Das, was Sie hier vorlegen, hält den Anforderungen nicht stand.
Man sollte in der Vorbereitung der neuen Einheitsbewertung sogar einmal auf kühne Gedanken kommen. Man sollte durchaus einen Modellversuch unternehmen, ob man nicht ohne die komplizierte Einheitsbewertung, wie wir sie kennen, auskommen könnte.

(Dr. Häfele [CDU/CSU]: Sehr gut!)

Wir alle hatten ja Erfahrungen mit der Hauptfeststellung 1964. Sicherlich müßte man einige Unterschiedlichkeiten — regionaler oder anderer Art — in Kauf nehmen. Ich kann Ihnen beispielsweise sagen, daß wir in Hessen mit den Schätzungen, die die Ortsgerichte vornehmen, ganz ausgezeichnete Erfahrungen machen. Dort sind Leute, die die Verhältnisse seit Jahren kennen. Wenn wir den Finanzämtern etwas mehr Ermessen in diesen Dingen einräumten, würden sich dort Beamte herausbilden, die aus jahrelanger Praxis in ihrem Bereich, in ihrem Sprengel, die Verhältnisse kennen. Natürlich müßte in dem einen oder anderen Fall einmal verhandelt werden. Aber wäre es denn wirklich so schlimm, wenn wir den Ämtern wieder etwas mehr Ermessen einräumten? Ich glaube, das erhöht auch die Verantwortungsbereitschaft der Beamten.
Für vernünftige Reformen sind wir jederzeit aufgeschlossen, auch, wie gesagt, für kühne Wege dabei. Aber wir sind keinesfalls für diese unsystematische Komplizierung des Rechts zu haben, wie Sie sie vorschlagen.
Die Koalition sagt, die Kaufpreise seien bei den unbebauten baureifen Grundstücken besonders schnell gestiegen. Deshalb schlägt sie eine Verzehnfachung der Einheitswerte vor, also eine Erhöhung auf 1 000 %. Hier wird eine Erhöhung auf 1 000 % vorgeschlagen. Meine Damen und Herren, mit demselben Argument wird man morgen kommen und sagen: Die bebauten Grundstücke sind jetzt extrem unterbewertet, die müssen wir jetzt auf dieselbe Höhe anheben.
Heute sagt man: Ich will nur den Spekulanten treffen, den man erklärtermaßen und nach der Erfahrung überhaupt nicht trifft.

(Jäger [Wangen] [CDU/CSU]: Sehr richtig!)

Der Spekulant steckt dieses eine Prozent weg, weil er mit ganz anderen Margen spekuliert. Den trifft man gar nicht.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Wen trifft man? — Man trifft die Witwe, die den Baugrund für den Sohn oder den Enkel aufheben will.

(Zuruf des Abg. Waltemathe [SPD])

Man trifft den Betrieb, Herr Waltemathe, der das Vorratsland braucht. Man trifft die Wohnungsbaugesellschaft, die entsprechend ihrem Plan Bauland für kommende Bauvorhaben vorhält.
Man wird, wenn man diese Werte auf die bebauten Grundstücke überträgt, im Endergebnis auch den Häuslebesitzer, den Einfamilienhausbesitzer mit einem Prozent vom Einheitswert — gleich gemeiner Wert, gleich Verkehrswert — heranziehen wollen. Bei den heutigen Werten — ein kleines Einfamilienhaus hat heute den Wert von 200 000 DM oder 300 000 DM — sind das 2 000 DM bis 3 000 DM Grundsteuer im Jahr. 250 DM Grundsteuer pro Monat sind für den Einfamilienhausbesitzer einfach unerträglich und unzumutbar.

(Beifall bei der CDU/CSU — Waltemathe [SPD]: Das ist Quatsch!)




Dr. Langner
Wenn man hier heute den Anfängen nicht wehrt, Herr Waltemathe, wird das das Ende sein.
Aber es geht nicht nur um diese Substanzbesteuerung, sondern auch um neue Ungerechtigkeiten, die mit diesem System hervorgerufen werden, es geht schließlich auch darum, ein Beschäftigungsprogramm für Finanzämter, Finanzgerichte, Gemeindeverwaltungen, Gutachterausschüsse zu verhindern; d. h. auch nicht mitzumachen dabei, daß die Bürokratieverdrossenheit in unserem Land durch dieses Gesetz noch weiter zunimmt.

(Waltemathe [SPD]: Die Steuern ganz abschaffen!)

Läßt sich denn nicht trefflich darüber streiten, was innerhalb bebauter Ortsteile oder im Außenbereich ein baureifes Grundstück ist? Es ist doch voraussehbar, daß über all diese Fragen Streit entstehen kann.
Dann sollen die Gutachterausschüsse Bodenrichtwerte an die Finanzämter weitergeben, ohne daß der Eigentümer davon überhaupt etwas erfährt. Von einer Maßnahme, durch die er entscheidend betroffen wird, erfährt er zunächst einmal gar nichts. Erst mit einem späteren Einheitswertbescheid wird ihm die Beglückung mitgeteilt werden. Ja, glaubt denn die Bundesregierung, daß sich der Steuerpflichtige das alles so sang- und klanglos wird gefallen lassen, was hier mit ihm geschieht?
Wir haben beim Hearing die Argumente gehört, im Ausschuß sind uns die Argumente aus der Verwaltungssicht, d. h. aus der Praxis, vorgetragen worden. Niemand kann also behaupten, daß die klar auf dem Tisch liegenden Konsequenzen dieses Gesetzes nicht gesehen worden wären oder daß man nicht darauf hingewiesen hätte. Nein, hier wird sehenden Auges in einen neuen Bürokratismus hineingelaufen. Und da machen wir eben nicht mit.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Überdies ist das j a ein Gesetz, das aus der Finanznot und nicht aus der Reformabsicht geboren ist. Auch was das Aufkommen anbelangt, werden sich die Initiatoren sicherlich wundern.

(Waltemathe [SPD]: Aus wessen Finanznot?)

Im Ausschuß hat uns ein Kollege mitgeteilt, in Duisburg habe man einmal ermittelt, was denn wirklich herauskomme. Er nannte die Zahl von 300 000 DM. In der Großstadt Duisburg mit vielen Hunderttausend Einwohnern und sehr großen Flächen kommt man auf ganze 300 000 DM.

(Waltemathe [SPD]: Da sehen Sie einmal, wie gering die Belastung ist!)

— Jetzt macht Herr Waltemathe schon wieder einen Fehler, indem er sagt: Da können Sie einmal sehen, wie gering die Belastung ist. Nein, den einzelnen, der dran ist, belastet es wirklich, und zwar übermäßig. Aber insgesamt ist die Masse offenbar nicht so groß, wie manche Ideologen es gerne hätten.
Auch durch eine andere Maßnahme dieses Gesetzes wird das Vertrauen in. den Gesetzgeber enttäuscht. In dem Vermögen- und Erbschaftsteuerreformgesetz hatte der Gesetzgeber seinerzeit noch klar versprochen: Wenn es zu einer neuen Hauptfeststellung kommt — wegen der Zuschläge von 40 damals —, werden auch Freibeträge, Steuersätze und Meßzahlen geändert. Das war ein klares gesetzgeberisches Versprechen. Von dem will man sich heute mit der kühlen Bemerkung lösen, eine Teilhauptfeststellung sei eben keine Hauptfeststellung. Aber bezüglich der Vermögen-, Erbschaft- und Schenkungsteuer wäre es in diesem Teil in der Tat eine Anhebung auf 1 400 %, wenn Sie das jetzt verzehnfachen und außerdem 40 % hinzurechnen. Das geht meiner Meinung nach ebenfalls nicht. Bei diesen Reformüberlegungen hat eben die Finanznot Pate gestanden. Ein vernünftiger reformerischer Entwurf ist dabei nicht herausgekommen.
Lassen Sie mich dazu zum Abschluß doch einiges sagen. Sie müßten wirklich einmal einen Grundkurs in Steuerwirkungslehre mitmachen. All das, was Sie sich in der letzten Zeit ausgedacht haben — etwa die Erhöhung der Branntweinsteuer und der Tabaksteuer —, geht nicht auf, weil Sie die Rechnung ohne den Menschen, ohne den Wirt, ohne den Steuerbürger machen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Hier geht es wiederum nicht auf. Deshalb erhalten Sie unsere Zustimmung nicht. Machen Sie eine vernünftige neue Einheitsbewertung, oder erproben Sie ein neues System ohne Einheitswerte! Da machen wir mit. Aber hier nicht. — Schönen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU)


Georg Leber (SPD):
Rede ID: ID0910306100
Das Wort hat Herr Dr. Struck.

Dr. Peter Struck (SPD):
Rede ID: ID0910306200
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die SPD-Fraktion wird diesem Gesetz aus drei Gründen zustimmen:
Erstens. Dieses Gesetz schafft ein Stück mehr Steuergerechtigkeit.

(Beifall bei der SPD — Lachen bei der CDU/CSU)

Zweitens. Mit diesem Gesetz werden Grundstücksspekulationen und Grundstückshortung bekämpft.

(Beifall bei der SPD)

Drittens. Dieses Gesetz, meine Damen und Herren, verbessert die Finanzlage der Städte und Gemeinden.

(Dr. Möller [CDU/CSU]: Dieses Gesetz wird in zwei Jahren wiederaufgehoben werden müssen!)

Das, was Herr Kollege Langner hier vorgetragen hat, bestätigt nur die Strategie, die die Union und auch die unionsregierten Länder im Bundesrat immer vorführen. Ich nehme z. B. einmal das Thema der Finanzlage der Städte und Gemeinden.

(Dr. Möller [CDU/CSU]: Die ist miserabel!)

Wir haben hier — der Kollege Waffenschmidt ist anwesend — eine Debatte über diese Frage gehabt. Sie



Dr. Struck
haben bitter beklagt — wir haben dem nicht ernsthaft widersprechen können —, daß die Finanzlage der Städte und Gemeinden, um es vornehm auszudrücken, sehr schlecht ist.

(Zuruf von der CDU/CSU: Warum denn, Herr Struck? Man muß das Übel bei der Wurzel packen!)

Nun, meine Damen und Herren von der Opposition, legen wir einen Gesetzentwurf vor, der die Finanzlage der Städte und Gemeinden mit Sicherheit verbessern wird. Nun mögen Sie zwar als Gegenbeispiel die Stadt Duisburg anführen, ein Beispiel, das ich Ihnen im übrigen gestern gegeben habe, Herr Kollege Langner, aber es wird Ihnen vielleicht geläufig sein — der Kollege Waffenschmidt jedenfalls müßte das wissen —, daß die Anzahl der unbebauten baureifen Grundstücke in der Bundesrepublik Deutschland von Stadt zu Stadt und von Gemeinde zu Gemeinde sehr unterschiedlich hoch ist. Dementsprechend wird das Mehraufkommen an Grundsteuer sehr unterschiedlich sein. Sie können sich doch hier nicht hinstellen und sagen: Das sind nur 300 000 DM, also vergessen wir das. Fragen Sie einmal den Kämmerer der Stadt Duisburg, ob er darauf verzichten will!
Sie haben weiter gesagt, man müsse das über eine allgemeine Hauptfeststellung machen. Das ist von der steuertheoretischen Sicht her natürlich völlig richtig; wir sind uns da einig. Nur, alle Steuerexperten wissen hinsichtlich dieses Themas auch, daß eine allgemeine neue Hauptfeststellung frühestens vom Einheitswert 1985 ausgehen kann und erst mit Wirkung 1989 greifen wird. Wir wollen aber das Bekämpfen von Bodenhortung und Spekulantentum nicht auf den Sankt-Nimmerleins-Tag verschieben, meine Damen und Herren.
Ich möchte in Anbetracht der vorgeschrittenen Zeit dem Appell des Herrn Präsidenten folgen und mich kurz fassen.

Georg Leber (SPD):
Rede ID: ID0910306300
Herr Abgeordneter, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Jahn?

Dr. Peter Struck (SPD):
Rede ID: ID0910306400
Bitte sehr.

Dr. Friedrich-Adolf Jahn (CDU):
Rede ID: ID0910306500
Herr Kollege Struck, da das heutige Gesetz dieselbe Auswirkung hat wie damals die Baulandsteuer C, frage ich Sie, was Sie zu der Äußerung Ihres SPD-Kollegen Jacobi sagen, der damals, 1963, bei der Abschaffung dieser Steuer hier ausgeführt hat — ich darf zitieren —:
Von Anfang an war erkennbar, daß wirtschaftlich schwache Eigentümer kleinerer Grundstücke in Schwierigkeiten geraten würden, dagegen kapitalkräftige Grundstückseigentümer bei dieser Besteuerung in völliger Gelassenheit die Entwicklung abwarten können.

Dr. Peter Struck (SPD):
Rede ID: ID0910306600
Also, Herr Kollege Jahn, das sind alte Kamellen.

(Beifall bei der SPD — Lachen bei der CDU/CSU — Zuruf von der CDU/CSU: Was geht Sie das dumme Geschwätz Ihres Kollegen von gestern an?!)

Ich habe die Protokolle der Diskussion von damals sehr ausführlich nachgelesen, so daß ich Ihnen dazu sehr ausführlich antworten könnte. Auch könnte ich Ihnen z. B. ein Urteil des Bundesfinanzhofs dazu zitieren, aber in Anbetracht der Zeit möchte ich das nicht.

(Dr. Häfele [CDU/CSU]: Nicht ablenken!)

Ich möchte hier vielmehr ein Wort an den Bundesrat richten, von dem leider kein Vertreter mehr da ist

(Dr. Möller [CDU/CSU] und Dr. Jahn [Münster] [CDU/CSU]: Der Bundesfinanzminister ist auch nicht da!)

— der Bundesfinanzminister wird durch seinen Staatssekretär vertreten —, aber auch an die Kollegen der Union hier im Deutschen Bundestag. Bitte, nehmen Sie einmal eine Bemerkung sehr ernst, die der Bonner „General-Anzeiger" zu diesem Thema gemacht hat. Der Bonner „General-Anzeiger" vom 18. Mai dieses Jahres schreibt — Herr Kollege Langner, Sie sollten da einmal zuhören —:
Wie der Bundesrat beim zweiten Anlauf ... votieren wird, dürfte weitgehend davon abhängen, ob die
— das ist die entscheidende Betonung —
parteipolitischen Überlegungen, mit denen die Unionsmehrheit im Bundesrat der Regierung eine Schlappe beizubringen sucht, schwerer wiegen als die finanziellen Interessen von Ländern und Gemeinden.
Genau das ist das Problem, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD)

Ich bin sehr gespannt auf die Beratung im Bundesrat und auf die Stellungnahme der Länder, der Ministerpräsidenten, die sich gegenüber ihren Kommunalpolitikern, gegenüber ihren Bürgermeistern und Stadtdirektoren zu verantworten haben werden, wenn sie dieses Gesetz nicht passieren lassen.
Die SPD-Fraktion wird diesem Gesetzentwurf zustimmen.

(Beifall bei der SPD und der IMP)


Georg Leber (SPD):
Rede ID: ID0910306700
Das Wort hat Herr Abgeordneter Solms.

Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID0910306800
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Langner, es ist natürlich nicht so, daß es sich bei diesem Gesetzgebungsvorgang um ein besonders ungewöhnliches Verfahren handelt. Denn der Vermittlungsausschuß hat diesen Teil des Beschäftigungsförderungsgesetzes nicht abgelehnt, sondern einstimmig in der Sache ausgeklammert — unter ausdrücklichem Fristenverzicht auch der CDU/CSU-geführten Länder — und dadurch das Verfahren offengehalten.



Dr. Solms
In dem vorliegenden Gesetzentwurf zur Neubewertung der unbebauten baureifen Grundstücke geht es um eine Maßnahme, die nicht isoliert, nicht für sich gesehen werden darf, sondern im Zusammenhang der konjunktur- und beschäftigungspolitischen Maßnahmen der Koalition zu sehen ist. Er setzt die bereits mit dem 2. Haushaltsstrukturgesetz, der Operation '82, in Kraft gesetzten steuerpolitischen Förderungsmaßnahmen zugunsten des Baubereichs fort. Ich erinnere an die Verbesserung des § 7 b des Einkommensteuergesetzes, insbesondere an die Einführung der Kinderkomponente im Rahmen dieses Paragraphen, sowie an die erhebliche Verbesserung der degressiven Abschreibung von 3,5 auf 5 %.
Der Gesetzentwurf steht selbstverständlich auch in direktem Zusammenhang mit den eben diskutierten Maßnahmen zur Liberalisierung des Mietrechts und mit dem heute nachmittag zu beschließenden Beschäftigungsförderungsgesetz, das Betriebsgebäude in die Investitionszulage ausdrücklich einbezieht. Wer eine Belebung und eine Liberalisierung des Mietrechts für richtig hält, müßte auch einer Neubewertung der unbebauten baureifen Grundstücke seine Zustimmung geben können.
Dies sollte auch der Opposition nicht schwerfallen; denn sie hat sich — ich zitiere den wohnungspolitischen Sprecher der CDU/CSU-Fraktion, den Kollegen Friedrich-Adolf Jahn aus einer Presseerklärung vom 14. Mai 1982 — „immer für eine zeitnahe Einheitsbewertung ausgesprochen."

(Dr. Möller [CDU/CSU]: So ist es! Aber für alle!)

Folgende Gründe haben uns veranlaßt, eine Neufestsetzung der Einheitswerte für unbebaute baureife Grundstücke vorzuschlagen. Erstens. Gegen die Beibehaltung der gegenwärtigen Einheitswerte des Grundbesitzes bestehen verfassungsrechtliche Bedenken. Zur Zeit gelten die nach den Wertverhältnissen des Jahres 1964 ermittelten Einheitswerte, denen — mit Ausnahme der Grundsteuer und der Land- und Forstwirtschaft — ein Zuschlag von 40 % hinzugerechnet wird.
Das Verfassungsgericht hat bereits im Jahr 1976 erklärt, es sei erforderlich, in angemessener Zeit die bereits 1970 fällig gewesene, aber zurückgestellte neue Hauptfeststellung durchzuführen und zeitnahe Einheitswerte zu ermitteln. Die Auswertung von Kaufpreissammlungen ergab, daß die Einheitswerte bereits 1964 weniger als die Hälfte der seinerzeitigen Verkehrswerte erreichten. Im Vergleich zu den Verkehrswerten des Jahres 1977 betrugen sie je nach Grundstücksart sogar nur zwischen 20 und 42 %. Seit 1977 sind sie, wie wir alle wissen, weiteren Wertsteigerungen unterworfen gewesen. Gegenwärtig erfassen die Einheitswerte beim Bauland durchschnittlich nur noch ein Zehntel des Verkehrswerts.
Hieraus ergibt sich eine allzu große Ungleichmäßigkeit in der Besteuerung. Diese Ungleichmäßigkeit führt dazu, daß der Grundbesitz, insbesondere die unbebauten baureifen Grundstücke, gegenüber anderen Vermögensarten, z. B. dem Betriebsvermögen oder dem Sparvermögen, bei denen weitgehend die Verkehrswerte angesetzt werden, steuerrechtlich erheblich privilegiert ist.
Zweitens. Eine gerechtere Besteuerung des Baulandes wird zu einer höheren Mobilität des Bodenmarkts führen. Das Horten von Grund und Boden wird bei einer zukünftigen Steuerbelastung auf der Basis zeitnaher Einheitsbewertung seine steuerliche Vorteilhaftigkeit verlieren. Es ist doch in der Regel so — die Beispiele kennen Sie alle, insbesondere aus kleinen und mittleren Gemeinden —, daß ein neues Baugebiet ausgewiesen wird. Dieses muß neu parzelliert werden. Es gehört in der Regel wenigen Eigentümern. Diese verkaufen etwa 30 % des Baulandes, um damit ihre Anliegerkosten zu finanzieren. Den Rest lassen sie liegen, weil sie direkt keinen eigenen Bedarf haben und weil das Zuwarten für sie wirtschaftlich vorteilhaft ist.

(Dr. Langner [CDU/CSU]: Diesen seltenen Fall gibt es auch!)

— Herr Kollege Langner, diesen Fall gibt es gerade im hessischen Raum regelmäßig beinahe in jeder Gemeinde. Gehen Sie zu den Bürgermeistern und lassen Sie sich beraten. Diese werden Ihnen sagen: Wir sind gezwungen, mehr und mehr Bauland auszuweisen, weil das bereits ausgewiesene Bauland nicht der Bebauung zugeführt werden kann. Ich kann Ihnen viele Beispiele dafür geben.
Dies wird darüber hinaus einer weiteren Zersiedlung unseres Landes entgegenwirken, da eine bessere Ausnutzung des Baulandes neue Baulandausweisungen weniger nötig machen wird.
Drittens. Mit der Neubewertung der unbebauten baureifen Grundstücke wollen wir die Finanzlage der Gemeinden verbessern. Gerade erst kürzlich haben die kommunalen Spitzenverbände den Gesetzgeber aufgefordert, hierzu entsprechende Maßnahmen zu ergreifen. Auch namhafte Vertreter der CDU haben sich diesem Wunsch angeschlossen. Ich verweise auf die mehrfachen Äußerungen des Kollegen Waffenschmidt. Man kann eben nicht quasi in einem Satz, wie es der Herr Kollege Schneider heute morgen getan hat, beklagen, daß die Gemeinden nicht genügend Finanzmittel aus den einheitswertabhängigen Steuern erhalten, und gleichzeitig dem Gesetz widersprechen, mit dem man den Gemeinden gerade aus diesem Bereich zusätzliche Steuermittel zukommen lassen möchte.

Georg Leber (SPD):
Rede ID: ID0910306900
Herr Abgeordneter, erlauben Sie eine Zwischenfrage?

Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID0910307000
Bitte.

Dr. Horst Waffenschmidt (CDU):
Rede ID: ID0910307100
Herr Kollege, sind Sie bereit zuzugeben, daß gerade die kommunalen Spitzenverbände bei der Anhörung zu diesem Gesetz, das wir heute beraten, deutlich gemacht haben, daß ein Riesenverwaltungsaufwand wegen der Kompliziertheit des Gesetzes auf die Gemeinden zukäme und damit ein Effekt verbaut wird?

Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID0910307200
Ein zusätzlicher Verwaltungsaufwand wird auf die Gemeinden in jedem Fall, auch bei der Neubewertung aller Grundstücke, zukom-



Dr. Solms
men, so daß dies nicht ein spezifisches Problem dieses Bereiches ist.

(Beifall bei der FDP und der SPD — Dr. Möller [CDU/CSU]: Herr Solms, das ist sicherlich falsch, was Sie sagen!)

Die Neufestsetzung des Grundvermögens wird auch von Ihnen gefordert. Selbstverständlich würden wir es vorziehen, wenn der gesamte Grundbesitz und nicht nur die baureifen Grundstücke neu bewertet werden könnten. Dies ist jedoch — dies ist auch in diesem Hause unbestritten — aus verwaltungstechnischen Gründen in kurzer Zeit nicht möglich. Eine Gesamtneubewertung könnte frühestens — das ist bereits gesagt worden — zum Stichtag 1985 mit Wirkung von 1988/89 an möglich sein.

(Dr. Möller [CDU/CSU]: Dann hat die Regierung versagt!)

Wenn aber eine Neubewertung des gesamten Grundbesitzes kurzfristig nicht möglich ist, dann ist es doch nur vernünftig, eine Neubewertung in jenem Teil durchzuführen, in dem sie kurzfristig machbar und sachlich am dringendsten geboten ist. Dies ist eindeutig bei den unbebauten baureifen Grundstükken der Fall. Die FDP-Fraktion unterstützt aus den genannten Gründen den Gesetzentwurf und bittet um Ihre Zustimmung.

(Beifall bei der FDP und der SPD)


Georg Leber (SPD):
Rede ID: ID0910307300
Weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Einzelberatung und zur Abstimmung. Ich rufe die §§ 1 bis 7, sowie Einleitung und Überschrift auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Die Vorschriften sind angenommen. Damit ist die zweite Beratung abgeschlossen.
Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat soll die dritte Beratung, wie dies auch zu den Tagesordnungspunkten 2 und 3 vorgesehen ist, heute nachmittag vorgenommen werden.
Der Deutsche Bundestag tritt um 14 Uhr wieder zusammen.
Ich unterbreche die Sitzung für eine Mittagspause.

(Unterbrechung von 13.10 Uhr bis 14.00 Uhr)


Richard Wurbs (FDP):
Rede ID: ID0910307400
Meine Damen und Herren, die unterbrochene Sitzung ist wieder eröffnet.
Ich rufe Punkt 1 der Tagesordnung auf: Fragestunde
— Drucksache 9/1664 —
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministers des Innern. Zur Beantwortung der Fragen steht Herr Staatssekretär Dr. Fröhlich zur Verfügung.
Ich rufe Frage 53 des Herrn Abgeordneten Broll auf:
Teilt die Bundesregierung die Auffassung, daß es weder mit den Vorschriften des Bundespersonalvertretungsgesetzes noch mit dem in § 52 des Bundesbeamtengesetzes niedergelegten Gebot der parteipolitischen Neutralität der Beamten zu vereinbaren ist, daß mit dem in der Frage des Kollegen Regenspurger zitierten und an Angehörige des Bundesinnenministeriums verteilten Namens-Artikel von Minister Baum Beamte seines Hauses veranlaßt wurden, einseitige parteipolitische Äußerungen des Ministers zu publizieren und an die Angehörigen des Hauses zu verteilen?
Bitte, Herr Staatssekretär.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0910307500
Herr Abgeordneter, Sie haben sich in Ihrer Frage auf die vorher gestellte Frage des Herrn Abgeordneten Regenspurger bezogen. Ich darf mir deswegen erlauben, insoweit auch auf die Antwort auf diese Frage Bezug zu nehmen, die Herr Parlamentarischer Staatssekretär von Schoeler gestern gegeben hat, und Ihre Frage insoweit mit Nein beantworten.

Richard Wurbs (FDP):
Rede ID: ID0910307600
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Broll, bitte.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0910307700
Herr Staatssekretär, trifft es denn nun zu, daß die Abteilung „Dienstrecht" Ihres Ministeriums dem Herrn Minister angesichts dieses peinlichen Vorgangs hat bescheinigen müssen, daß es mit dem Beamtenrecht nicht vereinbar gewesen sei, diesen agitatorischen Artikel quasi als offizielle Verlautbarung des Ministers als eines Mitgliedes der Bundesregierung im Hause zu verteilen?
Dr. Fröhlich, Staatssekträr: Herr Abgeordneter, Sie werden sicher nicht von mir erwarten, daß ich hier über interne Geschäftsvorgänge des Hauses berichte. Ich darf Sie aber daran erinnern, daß Herr Parlamentarischer Staatssekretär von Schoeler gestern erklärt hat, daß auch seiner — des Ministers — Meinung nach die Verteilung dieses streitgegenständigen Artikels besser unterblieben wäre. Ich glaube, damit könnte es wohl sein Bewenden haben.

Richard Wurbs (FDP):
Rede ID: ID0910307800
Eine weitere Zusatzfrage des Abgeordneten Broll. Bitte, Herr Abgeordneter.

Werner Broll (CDU):
Rede ID: ID0910307900
Herr Staatssekretär, da mir das Wohlergehen der SPD/FDP-Regierung verständlicherweise sehr am Herzen liegt und ich zwar den Sturz des Ministers, nicht aber über solch eine Lappalie wünsche, frage ich Sie: Können Sie sicherstellen, daß derlei Fauxpas in Zukunft nicht mehr passieren?
Dr. Fröhlich, Staatssekretär: Ohne mich der Qualifikation als „Fauxpas" anzuschließen, darf ich insoweit daran erinnern, daß Herr von Schoeler gestern gesagt hat, solche Vorkommnisse würden sich nicht wiederholen.

Richard Wurbs (FDP):
Rede ID: ID0910308000
Ich rufe die Fragen 54 und 55 des Abgeordneten Bühling auf. — Der Herr Abgeordnete Bühling ist nicht im Saal.
Ich rufe die Fragen 56 und 57 des Abgeordneten Dr. Friedmann auf. Der Abgeordnete Dr. Friedmann



Vizepräsident Wurbs
hat um schriftliche Beantwortung gebeten. Die Antworten werden als Anlage abgedruckt.
Ich rufe Frage 58 des Abgeordneten Dr. Hupka auf. Auch er hat um schriftliche Beantwortung gebeten. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Ich rufe Frage 61 des Abgeordneten Dr. Laufs auf:
Wird die Bundesregierung auf ihren Genehmigungsauflagen und -vorbehalten für die geplanten Kernkraftwerke Bib-lis C, Isar II und Emsland beharren, die nach Auffassung der betroffenen Elektrizitätsgesellschaften wegen ihrer zeitlichen und finanziellen Auswirkungen die Verwirklichung dieser Projekte unmöglich machen, und mit welchen Maßnahmen wird die Bundesregierung das atomrechtliche Verfahren berechenbarer und überschaubarer machen?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Dr. Fröhlich, Staatssekretär: Herr Abgeordneter, die Bundesregierung sieht keinen Anlaß, von den Auflagen und Beschränkungen in der bundesaufsichtlichen Stellungnahme zu den geplanten Kernkraftwerken Biblis C, Isar II und Emsland vom 11./12. Februar 1982 abzugehen. Sie sind sicherheitstechnisch erforderlich.
Der Länderausschuß für Atomkernenergie hat unter Vorsitz des Bundesministers des Innern am 18. Mai 1982 übereinstimmend festgestellt, daß die sicherheitstechnischen Anforderungen der Erteilung einer ersten Teilerrichtungsgenehmigung nicht entgegenstehen. Es gibt daher unter diesem Gesichtspunkt auch keinen Anlaß zur Kritik am atomrechtlichen Verfahren.

Richard Wurbs (FDP):
Rede ID: ID0910308100
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Laufs, bitte.

Prof. Dr. Paul Laufs (CDU):
Rede ID: ID0910308200
Herr Staatssekretär, wie bewerten Sie die zunehmend vertretene Auffassung, daß die zeitlichen und finanziellen Unwägbarkeiten des atomrechtlichen Verfahrens im internationalen Vergleich in unserem Lande ein Ausmaß erreicht haben, das es fast unmöglich macht, eine kerntechnische Investition in Höhe von vielen Milliarden DM zu verwirklichen?
Dr. Fröhlich, Staatssekretär: Herr Abgeordneter, Sie wissen ja, daß im Augenblick eine öffentliche Diskussion darüber stattfindet, inwieweit in der Tat Auflagen, die gemacht werden, ursächlich für Verzögerungen in den Baufortschritten sind. Ich möchte mich dazu nicht äußern. Es ist aber übereinstimmende Meinung von Bund und Ländern in dieser Frage, daß die Auflagen, um die es hier geht, nicht verfahrensverzögernd wirken, weil bereits jetzt feststeht, daß die erste Teilerrichtungsgenehmigung auf der Grundlage der eingereichten Planungen für die drei Kernkraftwerke erteilt werden kann.

Richard Wurbs (FDP):
Rede ID: ID0910308300
Eine weitere Zusatzfrage? — Bitte, Herr Abgeordneter.

Prof. Dr. Paul Laufs (CDU):
Rede ID: ID0910308400
Herr Staatssekretär, wie beurteilen Sie, ausgehend von den von Ihnen gerade getroffenen Feststellungen, die Äußerungen des Präsidenten des Bundesverwaltungsgerichts, Professor Sendler, in einer Sendung des Süddeutschen
Rundfunks vom 6. April dieses Jahres, nach denen der Rechtsschutz im Atomrecht wegen der fast jahrzehntelang dauernden Streitverfahren praktisch zur Farce werde und die Exekutive in der Rolle des untergesetzlichen Normgebers mehr für die Rechtssicherheit tun könnte?
Dr. Fröhlich, Staatssekretär: Herr Abgeordneter, ich habe selbstverständlich hohen Respekt vor den Äußerungen des Präsidenten des Bundesverwaltungsgerichts, aber ich glaube, daß ich wiederholen muß, daß im Sinne der von Ihnen gestellten Frage für diese drei Kernkraftwerke durch die bestehende Möglichkeit, die erste Teilerrichtungsgenehmigung zu erteilen, Verzögerungen dieser Art nicht entstehen. — Das andere betrifft eine allgemeine Diskussion, die sicher noch mit Leidenschaft geführt werden wird.

Richard Wurbs (FDP):
Rede ID: ID0910308500
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Hirsch.

Dr. Burkhard Hirsch (FDP):
Rede ID: ID0910308600
Herr Staatssekretär, kann ich Ihren Antworten entnehmen, daß der Bundesminister des Innern trotz des wachsenden Drucks der Interessenten, die meinen, die Gunst der Stunde nutzen zu sollen, bei seiner Entscheidung bleibt, daß die Sicherheit der Kernkraftwerke — und zwar die nach dem jeweils neuesten Stand der Technik — den absoluten Vorrang vor allen anderen Überlegungen, auch vor denen der Rentabilität, haben muß?
Dr. Fröhlich, Staatssekretär: Herr Abgeordneter, ich kann Ihnen das bestätigen. Den Vorrang der Sicherheit haben der Bundesminister des Innern und die gesamte Bundesregierung wiederholt als zentralen Punkt ihrer Energiepolitik hervorgehoben, und daran hat sich nichts geändert.

Richard Wurbs (FDP):
Rede ID: ID0910308700
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Kübler.

Dr. Klaus Kübler (SPD):
Rede ID: ID0910308800
Herr Staatssekretär, sind der Bundesregierung über allgemeinpolitische Forderungen der Opposition hinaus konkrete Vorstellungen der CDU zum Abbau von Sicherheitsmaßnahmen bekannt?

(Zurufe von der CDU/CSU)

Dr. Fröhlich, Staatssekretär: Herr Abgeordneter, mir sind solche konkreten Forderungen derzeit nicht bekannt.

(Dr. Kübler [SPD]: Vielen Dank!)


Richard Wurbs (FDP):
Rede ID: ID0910308900
Keine weiteren Zusatzfragen.
Ich rufe Frage 4 des Abgeordneten Dr. Kübler auf:
Wie lange wird die von der Bundesregierung zugesagte Prüfung, ob die Substitutionsprodukte für PCB für den Einsatz in Transformatoren soweit geeignet sind, daß auf PCB künftig verzichtet werden kann, dauern, und sieht sie einen Stufenplan für den allgemeinen Ersatz von PCB in Transformatoren vor?
Bitte, Herr Staatssekretär.



Dr. Fröhlich, Staatssekretär: Herr Abgeordneter, in der Sache hat die Bundesregierung Ihnen gegenüber mit Schreiben vom 5. April 1982 bereits ausführlich Stellung genommen.
Die Prüfung, ob die Substitutionsprodukte für PCB für den Einsatz in Transformatoren soweit geeignet sind, daß bei neuen Transformatoren künftig auf PCB verzichtet werden kann, wird nicht vor Ende dieses Jahres abgeschlossen werden können. Ich werde Ihnen das Ergebnis der Prüfung gern schriftlich zuleiten.
Über einen Ersatz des PCB mit Hilfe eines Stufenplans, der wegen der begrenzten Kapazitäten zur schadlosen PCB-Beseitigung allein in Frage kommt, kann erst dann entschieden werden, wenn die Frage geeigneter Substitutionsprodukte geklärt ist.

Richard Wurbs (FDP):
Rede ID: ID0910309000
Eine Zusatzfrage? — Bitte sehr.

Dr. Klaus Kübler (SPD):
Rede ID: ID0910309100
Wäre die Bundesregierung bereit, in Überlegungen einzutreten, ob in Übergangszeiten eventuell besondere Warnhinweise möglich sind?
Dr. Fröhlich, Staatssekretär: Ich werde diese Anregung gern aufnehmen und fachlich prüfen lassen, Herr Abgeordneter.

(Dr. Kübler [SPD]: Vielen Dank!)


Richard Wurbs (FDP):
Rede ID: ID0910309200
Keine weiteren Zusatzfragen. Ich danke Ihnen, Herr Staatssekretär.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministers des Auswärtigen. Zur Beantwortung der Fragen steht Herr Staatsminister Dr. Corterier zur Verfügung.
Ich rufe die Fragen 5 und 6 des Abgeordneten Hartmann auf. Der Fragesteller hat um schriftliche Beantwortung gebeten. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Das gleiche gilt für die Fragen 7 und 8 des Abgeordneten Hansen.
Ich rufe nunmehr Frage 9 des Abgeordneten Broll auf:
Teilt die Bundesregierung, insbesondere der Bundesminister des Auswärtigen, die in dem vom Pressedienst des Bundesinnenministeriums verbreiteten Namens-Artikel vertretenen außenpolitischen Ansichten des Bundesinnenministers, denen zufolge Frieden und Abrüstung in Europa am meisten von Atomwaffen — sowjetischen wie amerikanischen — bedroht seien, das amerikanische Volk den Präsidenten zur entschlossenen Beendigung des Rüstungswahnsinns dränge und in der Entspannungspolitik die eigentliche Dynamik der Koalition stecke, und hält die Bundesregierung diese Äußerungen eines Regierungsmitglieds für nützlich, was- das deutschamerikanische Verhältnis betrifft?
Bitte, Herr Staatsminister.

Dr. Peter Corterier (SPD):
Rede ID: ID0910309300
Der Bundesminister des Innern hat mit seinen Ausführungen die Außenpolitik der Bundesregierung unterstützt. Die Bundesregierung teilt die Auffassung des Bundesministers des Innern, daß die Sicherung des Friedens für die Bürger in beiden deutschen Staaten besondere Priorität hat. Frieden in Freiheit ist das vorrangige Ziel, das die Bundesregierung gemeinsam mit den Verbündeten in der NATO verfolgt. Unsere Sicherheitspolitik ist Friedenspolitik. Rüstungskontrolle und Abrüstung sind zusammen mit Abschreckung und Verteidigung integraler Bestandteil unserer Sicherheitspolitik. Ziel der Rüstungskontroll- und Abrüstungspolitik ist ein stabiles militärisches Gleichgewicht auf möglichst niedrigem Niveau. In diesem Ziel weiß sich die Bundesregierung in voller Übereinstimmung mit der Politik der amerikanischen Regierung, wie sie in der gesamten Palette westlicher Rüstungskontroll- und Abrüstungsvorschläge zum Ausdruck kommt.
Diese sehen vor: im Rahmen der KSZE vertrauens- und sicherheitsbildende Maßnahmen für ganz Europa vom Atlantik bis zum Ural; im Rahmen von MBFR gleiche kollektive Gesamthöchststärken durch Verringerung der Mannschaftsstärken auf der Grundlage vereinbarter Daten; bei den Kernwaffenverhandlungen die vollständige Beseitigung amerikanischer und sowjetischer landgestützter Mittelstreckenraketen und substantielle Reduzierungen bei den interkontinentalstrategischen Systemen der USA und der Sowjetunion. Die Bundesregierung hält in Übereinstimmung mit ihren Verbündeten an dem Konzept fest, auf der Grundlage ausreichender militärischer Stärke und politischer Solidarität des Bündnisses zu wirklicher Entspannung und damit einem konstruktiveren Ost-WestVerhältnis zu gelangen.

Richard Wurbs (FDP):
Rede ID: ID0910309400
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Broll, bitte.

Werner Broll (CDU):
Rede ID: ID0910309500
Herr Staatsminister, wie ist es, wenn, wie Sie eben gesagt haben, der Artikel des Herrn Bundesinnenministers die Politik der Bundesregierung unterstützt hat, zu erklären, daß nach offenbar seriösen Presseinformationen mindestens zwei Tage sehr heftig zwischen Ihrem Hause und dem Innenministerium hin- und hertelefoniert worden ist, um die politische Linie, zumindest der FDP, innerhalb der Koalition klarzustellen?
Dr. Corterier, Staatsminister: Mir sind solche Telefongespräche nicht bekannt, Herr Abgeordneter.
Aber selbstverständlich gibt es in solchen Fällen den normalen Prozeß der Abstimmung zwischen den beteiligten Ministerien. Dazu mögen auch Telefongespräche gehören.

Richard Wurbs (FDP):
Rede ID: ID0910309600
Bitte, eine Zusatzfrage des Abgeordneten Broll.

Werner Broll (CDU):
Rede ID: ID0910309700
Herr Staatsminister, da ich Ihnen wünsche, daß die Abstimmung bezüglich der politischen Linie zumindest in Ihrer Partei vor solchen Äußerungen erfolgt, frage ich Sie, ob Sie die Äußerung, Frieden und Abrüstung seien vor allem durch Atomwaffen, sowjetische und amerikanische, bedroht, nicht für so primitiv halten, daß sie eigentlich von einem Manne im Range eines Ministers nicht getan werden dürfte.
Dr. Corterier, Staatsminister: Herr Abgeordneter, ich glaube, daß Sie den Artikel von Herrn Baum hier



Staatsminister Dr. Corterier
nicht richtig wiedergegeben haben. Ich darf ihn im Wortlaut zitieren. Dort heißt es:
Frieden und Abrüstung in Europa haben vor allem für die Bürger in beiden deutschen Staaten besondere Priorität. Sie sind am meisten von Atomwaffen, sowjetischen wie amerikanischen, bedroht.
Ganz offensichtlich sind hier die Bürger beider deutscher Staaten gemeint und nicht etwa Frieden und Abrüstung.

Richard Wurbs (FDP):
Rede ID: ID0910309800
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Jäger (Wangen).

Claus Jäger (CDU):
Rede ID: ID0910309900
Herr Staatsminister, teilt die Bundesregierung auch die in diesem Artikel zum Ausdruck kommende Auffassung des Herrn Bundesminister Baum, daß die Politik des amerikanischen Präsidenten einen Rüstungswahnsinn darstelle, zu dessen Aufgabe er seitens der eigenen Bevölkerung gedrängt werde?

(Niegel [CDU/CSU]: Das muß er erst lesen!)

Dr. Corterier, Staatsminister: Ja, das ist wohl legitim. Nachdem wir eben schon eine nicht korrekte Interpretation des Artikels gehabt haben, will ich das gerne nachlesen.
Herr Abgeordneter, ich habe hier sehr deutlich klargemacht, wie die gemeinsame Rüstungskontrollpolitik im Bündnis aussieht, daß das eine Politik ist, die wir mit unseren amerikanischen Verbündeten gleichzeitig tragen. Ich habe dem nichts hinzuzufügen.

Richard Wurbs (FDP):
Rede ID: ID0910310000
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Czaja.

Dr. Herbert Czaja (CDU):
Rede ID: ID0910310100
Herr Staatsminister, können Sie mit Blick auf den Hinweis in der Frage, daß die Dynamik in den Abrüstungsverhandlungen durch Druck erzeugt wurde, bestätigen, was der Herr Bundesaußenminister wiederholt ausgeführt hat, daß nämlich bereits nach der ersten Besprechung zwischen dem Bundeskanzler, dem Bundesaußenminister und dem amerikanischen Präsidenten vor seinem Amtsantritt der Präsident die entscheidende und ernsthafte Bemühung um die Abrüstungsverhandlungen verbindlich zugesagt hat?
Dr. Corterier, Staatsminister: Das ist bekannt. Herr Abgeordneter, wir sollten aber durchaus auch zur Kenntnis nehmen, daß wir doch in allen westlichen Ländern Druck aus der Bevölkerung, aus den politischen Parteien, jedenfalls aus vielen politischen Parteien, aus vielen gesellschaftlichen Organisationen in Richtung auf eine Politik der Rüstungskontrolle und der Abrüstung haben. Das ist doch eine gute Sache.

Richard Wurbs (FDP):
Rede ID: ID0910310200
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Huyn.

Graf Hans Huyn (CSU):
Rede ID: ID0910310300
Herr Staatsminister, angesichts der Tatsache, daß die Opposition im Deutschen Bundestag die Abrüstungspolitik des Bündnisses voll unterstützt und trägt, ist es für uns von besonderer Wichtigkeit, ganz konkret zu wissen, ob die Bundesregierung der Meinung ist, daß die Politik des amerikanischen Präsidenten einen Rüstungswahnsinn beinhalte.
Dr. Corterier, Staatsminister: Die Bundesregierung ist nicht dieser Meinung.
Ich möchte aber ausdrücklich hinzufügen, daß ich auch den Artikel des Herrn Bundesinnenministers nicht so interpretiere, daß er das unterstellt.

(Zuruf von der CDU/CSU: Das steht wörtlich drin!)


Richard Wurbs (FDP):
Rede ID: ID0910310400
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Voss.

Dr. Friedrich Voss (CSU):
Rede ID: ID0910310500
Herr Staatsminister, teilen Sie die Meinung des Herrn Innenminister in seinem Artikel, daß die deutsche Bevölkerung am stärksten von amerikanischen Atomwaffen bedroht sei?
Dr. Corterier, Staatsminister: Der Herr Bundesinnenminister hat diese Bemerkung doch ganz offensichtlich nicht politisch gemeint, sondern er wollte darauf hinweisen, welche Gefahren gerade für die deutsche Bevölkerung in beiden deutschen Staaten im Falle eines Konflikts bestehen würden. Er wollte darauf hinweisen, welche besondere Verantwortung gerade wir Deutschen haben, um einen Konflikt von vornherein auszuschließen. Aus dieser Verantwortung heraus macht die Bundesregierung ihre Politik, eine Politik, die eine Kombination von Verteidigungsbereitschaft durch Abschreckung auf der einen und Unterstützung aller nur möglichen Initiativen zur Abrüstung und Rüstungskontrolle auf der anderen Seite ist.

Richard Wurbs (FDP):
Rede ID: ID0910310600
Eine weitere Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Hirsch.

Dr. Burkhard Hirsch (FDP):
Rede ID: ID0910310700
Herr Staatsminister, sind Sie der Auffassung, daß ein essentieller Gegensatz besteht zwischen den Ausführungen des Bundesinnenministers und den Aussagen des Oppositionspolitikers Professor Biedenkopf auf dem letzten Bundesparteitag der CDU, wo er ausgeführt hat, daß ein Volk nicht dauernd in Frieden leben könne, wenn seine Sicherheit im Sinne der Abschreckung aus der Drohung des kollektiven Selbstmords besteht?
Dr. Corterier, Staatsminister: Ich glaube, daß man einen solchen essentiellen Gegensatz nicht sehen muß. Es ist ja unsere Politik, daß wir uns zwar im Moment noch auf diese Politik der Abschreckung verlassen müssen, daß wir das aber keineswegs als die Perspektive für alle Zukunft sehen, sondern versuchen, mehr und mehr eine zweite Stütze für unsere Politik zu bekommen, nämlich die der Vereinbarungen für Abrüstung und Rüstungskontrolle. Wir hoffen natürlich, daß diese zweite Stütze immer stärker wird, so daß in der Zukunft die Politik der Abschreckung nicht mehr die gleiche Bedeutung haben muß, wie das heute noch der Fall ist.




Richard Wurbs (FDP):
Rede ID: ID0910310800
Keine weiteren Zusatzfragen.
Der Fragesteller der Frage 10, Herr Dr. Hupka, hat um schriftliche Beantwortung gebeten. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Ich rufe die Frage 11 des Abgeordneten Dr. Czaja auf:
Sind bei den Gesprächen oder Verhandlungen, die der polnische, der Militärdiktatur unterstehende Vizepremier Kowalczyk Anfang Mai in Bonn mit dem Bundesaußenminister und dem Bundeswirtschaftsminister (lt. amtlicher Polnischer Nachrichtenagentur vom 11. Mai 1982) über die „Realisierung der früher getroffenen Beschlüsse zur wirtschaftlichen Zusammenarbeit" und eine gemischte Kommission für Umschuldungsfragen (Ostinformation BPA vom 12. Mai 1982) führte, Nummer 7 der gemeinsamen Entschließung der Fraktionen des Deutschen Bundestages vom 18. Dezember 1981 und die Frage der Inhaftierten (Drucksache 9/1220) berücksichtigt worden, und gegebenenfalls in welcher Weise?
Bitte, Herr Staatsminister.
Dr. Corterier, Staatsminister: Bundesaußenminister Genscher hat in dem Gespräch, das er am 12. Mai 1982 als Vorsitzender der FDP im ThomasDehler-Haus in Bonn mit dem Vorsitzenden des Zentralkomitees der Demokratischen Partei der Volksrepublik Polen und Vizeministerpräsident Edward Kowalczyk hatte, auf die auch in der gemeinsamen Entschließung aller Fraktionen des Deutschen Bundestages vom 18. Dezember 1981 ausgesprochenen Erwartungen an die polnische Militärregierung — nämlich die Aufhebung des Kriegsrechts, die Freilassung der Inhaftierten, die Wiederaufnahme des Dialogs mit der Kirche und mit der Solidarität — verwiesen und festgestellt, daß die Gestaltung der künftigen Wirtschaftsbeziehungen im Kreise der Gläubigerländer auch im Zusammenhang mit diesen Erwartungen zu besprechen sein werde.

Richard Wurbs (FDP):
Rede ID: ID0910310900
Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Czaja.

Dr. Herbert Czaja (CDU):
Rede ID: ID0910311000
Herr Staatsminister, nachdem der polnische Vizepremier auf der Pressekonferenz ausdrücklich nicht von Parteigesprächen, sondern auch von bilateralen staatlichen Kontakten in Wirtschaftsfragen und Fragen einer gemischten Wirtschaftskommission und auch über das Behandeln der Inhaftierten gesprochen hat: Sind Sie also der Meinung, daß amtliche Gespräche stattgefunden haben, oder wurde diese Behauptung über amtliche Gespräche, die ja auch das Bundespresse- und Informationsamt wiedergegeben hat, korrigiert?
Dr. Corterier, Staatsminister: Herr Abgeordneter, ich glaube, wir sollten das doch genau formulieren. Das, was das Bundespresse- und Informationsamt wiedergegeben hat, war nicht eine eigene Verlautbarung, sondern waren die Verlautbarungen polnischer Agenturen, die Sie eingangs zitiert haben.

(Dr. Czaja [CDU/CSU]: Genau das habe ich gesagt!)

Ich kann nur auf das verweisen, was ich eben gesagt habe: Der Bundesaußenminister hat dieses Gespräch in seiner Eigenschaft als Vorsitzender der FDP geführt.

Richard Wurbs (FDP):
Rede ID: ID0910311100
Eine weitere Zusatzfrage, bitte.

Dr. Herbert Czaja (CDU):
Rede ID: ID0910311200
Herr Staatsminister, bezüglich der Frage der Inhaftierten, die ja hier als souveräne Frage der polnischen Innenpolitik bezeichnet wurde: Können Sie bestätigen, daß die von Frau Staatsminister Hamm-Brücher namens der Bundesregierung am 8. September 1977 abgegebene Erklärung weiter gilt, wonach die Bundesrepublik Deutschland als Vertragspartner des politischen Menschenrechtspakts nach den allgemeinen Regeln des Völkerrechts auch Polen auf die Verletzung der Menschenrechte gegenüber eigenen Bürgern hinweisen und darauf hinwirken kann, daß sie in Zukunft unterbleibt?
Dr. Corterier, Staatsminister: Genau das haben wir ja getan.

(Dr. Czaja [CDU/CSU]: Danke!)


Richard Wurbs (FDP):
Rede ID: ID0910311300
Ich rufe Frage 12 des Abgeordneten Dr. Czaja auf:
Welche Rolle spielt in den Aktivitäten der Koordinatoren für deutsch-amerikanische Beziehungen und in der nach den USA vermittelten Deutschlandkunde die Rechtslage ganz Deutschlands sowie die friedliche Lösung der deutschen Frage auf der Grundlage des Selbstbestimmungsrechts und des Deutschlandvertrags?
Bitte, Herr Staatsminister.
Dr. Corterier, Staatsminister: Die Arbeit der Koordinatoren für die deutsch-amerikanische zwischengesellschaftliche kultur- und informationspolitische Zusammenarbeit erfaßt die ganze Breite des bilateralen Verhältnisses unterhalb der Regierungsebene. Insbesondere durch vermehrte und verbesserte Austauschprogramme auf allen Gebieten soll den führenden Vertretern der amerikanischen Nachfolgegeneration ein realistisches Bild der Bundesrepublik Deutschland einschließlich der deutschlandpolitischen Problematik in ihren geschichtlichen und gegenwärtigen Aspekten vermittelt werden.
Zur Verbreitung deutschlandkundlicher Kenntnisse in den Vereinigten Staaten selbst stehen in erster Linie drei Instrumente zur Verfügung: Erstens die Öffentlichkeitsarbeit der Bundesregierung, die umfassend über die rechtlichen und politischen Aspekte der Deutschland-Frage unterrichtet; zweitens die Zweigstellen des Goethe-Instituts in den Vereinigten Staaten, die das kulturelle Leben in der Bundesrepublik Deutschland auf dem Hintergrund der politischen und rechtlichen Lage in unserer geteilten Nation darstellen. Drittens: Schließlich haben eine deutsche und amerikanische Wissenschaftlergruppe im August 1981 erneut Empfehlungen zur Darstellung der Geschichte der beiden Länder in den Schulbüchern des jeweils anderen Landes erarbeitet. In den Empfehlungen für amerikanische Schulbuchautoren und Verleger wird auch die deutschlandpolitische Problematik behandelt.

Richard Wurbs (FDP):
Rede ID: ID0910311400
Zusatzfrage, bitte sehr, Herr Abgeordneter.




Dr. Herbert Czaja (CDU):
Rede ID: ID0910311500
Herr Staatsminister, könnten Sie mir in bezug auf die Frage sagen, was die beiden Koordinatoren gemeinsam tun werden, um die Verpflichtungen des Deutschland-Vertrages als Bestandteil gemeinsamer demokratischer und emotionaler Wertvorstellungen in der Bevölkerung auf beiden Seiten stärker, als das im Moment der Fall ist, präsent zu machen, und werden Sie dies als Aufgabe der 80er Jahre auch an die Jugend beider Völker herantragen?
Dr. Corterier, Staatsminister: Herr Abgeordneter, ich habe nicht den Eindruck, daß das, was ich hier bereits vortragen konnte, unzulänglich ist und daß wir hier Anlaß hätten, mehr zu tun. Selbstverständlich muß diese Arbeit fortgesetzt werden, selbstverständlich sind wir auch für Anregungen, was man im Einzelfall vielleicht noch besser machen könnte, dankbar, aber ich glaube, das, was ich hier gesagt habe, zeigt, daß wir die Rechtslage Deutschlands und die deutschlandpolitischen Probleme in dem ihnen zukommenden Maße in unserer Arbeit berücksichtigen.

Richard Wurbs (FDP):
Rede ID: ID0910311600
Eine weitere Zusatzfrage.

Dr. Herbert Czaja (CDU):
Rede ID: ID0910311700
Herr Staatsminister, ist den Koordinatoren im Zusammenhang mit dem, was Sie über Geschichte und Schulbücher und Ähnliches sagten, nicht aufgefallen, daß in den inoffiziellen deutsch-amerikanischen Schulbuchempfehlungen von einem unlösbaren Widerspruch zwischen der Westintegration und der Wiedervereinigung — dies also unter Nicht-Beachtung der Verpflichtungen des Deutschland-Vertrages — gesprochen wird, und werden die Koordinatoren versuchen, darauf zu drängen, daß diese Fehlaussage mit Hinweis auf die Verpflichtung des Deutschland-Vertrages korrigiert wird?
Dr. Corterier, Staatsminister: Um eine möglichst korrekte Behandlung aller Fragen und Probleme, die mit der Deutschland-Frage zusammenhängen, zu gewährleisten, hat das Auswärtige Amt das Schulbuchinstitut in Braunschweig gebeten, bei internationalen Schulbuchgesprächen und Arbeiten, bei denen auch die Deutschland-Frage zu behandeln ist, in Zukunft neben Historikern und Geographen auch Staatsrechtler zu beteiligen, um sicherzustellen, daß die Rechtslage Deutschlands und Berlins sachgerecht und in Übereinstimmung mit der Haltung der Bundesregierung dargestellt wird.

(Dr. Czaja [CDU/CSU]: Danke schön!)


Richard Wurbs (FDP):
Rede ID: ID0910311800
Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Wendig.

Dr. Friedrich Wendig (FDP):
Rede ID: ID0910311900
Herr Staatsminister, Frage 12 und die Zusatzfragen, die dazu gestellt worden sind, veranlassen mich zu der ganz klaren und kurzen Frage: Haben Sie den Eindruck, daß die Bestimmungen des Deutschland-Vertrages über das Selbstbestimmungsrecht der Deutschen und das, was sonst noch darin steht, für die offizielle amerikanische Seite keine Rolle mehr spielen?
Dr. Corterier, Staatsminister: Nein.

Richard Wurbs (FDP):
Rede ID: ID0910312000
Zusatzfrage des Abgeordneten Jäger (Wangen).

Claus Jäger (CDU):
Rede ID: ID0910312100
Herr Staatsminister, mich würde jetzt im Moment nur noch interessieren, welche Art von Erfolgskontrolle für die auf der Basis der Frage des Kollegen Czaja von Ihnen dargelegte Tätigkeit der Koordinatoren vorgesehen ist und wann diese einsetzt?
Dr. Corterier, Staatsminister: Das ist natürlich keine ganz leichte Frage. Wir haben zunächst einmal die Empfehlungen für die Schulbücher, bei denen — vielleicht mit Ausnahme der einen Passage, die von Herrn Abgeordneten Czaja moniert worden ist —, glaube ich, jeder zugeben muß, daß die deutschlandpolitische Problematik sehr breit und an vielen Stellen zur Behandlung in den amerikanischen Schulbüchern empfohlen wird. Nun wird es darum gehen, daß das auch in möglichst vielen Schulbüchern seinen Niederschlag findet. Aber das sind natürlich, wie Sie wissen, Herr Abgeordneter, private Verlage. Wir können also nur versuchen, mit den Möglichkeiten, die wir hier haben, darauf hinzuwirken, daß möglichst viel von den hier erarbeiteten Empfehlungen dann auch tatsächlich übernommen wird.

Richard Wurbs (FDP):
Rede ID: ID0910312200
Keine weiteren Zusatzfragen mehr.
Ich rufe Frage 13 des Herrn Abgeordneten Niegel auf:
Würde die Bundesregierung den durch demokratische Wahlen hervorgegangenen Übergangspräsidenten Magaña und der Befriedung des Landes nicht dadurch besser helfen, wenn sie wieder einen Botschafter nach El Salvador entsenden und Entwicklungshilfe gewähren würde anstatt sich hinter „Verbesserung der Sicherheitslage" und Verständigung zwischen allen demokratischen Kräften zurückzuziehen?
Bitte, Herr Staatsminister.
Dr. Corterier, Staatsminister: Die Bundesregierung ist in San Salvador durch eine von einem Geschäftsträger geleitete Botschaft vertreten. Sie wird im Lichte der weiteren Entwicklung prüfen, wann ein Botschafter erneut mit dieser Aufgabe beauftragt wird und in welcher Form mit El Salvador eine entwicklungspolitische Zusammenarbeit wieder aufgenommen werden kann, um auf diese Weise zur wirtschaftlichen und sozialen Gesundung und zur politischen Stabilisierung El Salvadors beizutragen. Die Bundesregierung wird sich hierbei mit ihren europäischen Partnern und den Vereinigten Staaten abstimmen.

Richard Wurbs (FDP):
Rede ID: ID0910312300
Zusatzfrage des Abgeordneten Niegel.

Lorenz Niegel (CSU):
Rede ID: ID0910312400
Herr Staatsminister, sind Sie nicht der Meinung, daß nach den am 28. März abgehaltenen demokratischen Wahlen unter Beteiligung von sechs Parteien jetzt die Voraussetzungen gegeben sind, endlich einen Botschafter zu entsenden?
Dr. Corterier, Staatsminister: Herr Abgeordneter, ich habe meiner Antwort auf Ihre Frage nichts hinzuzufügen. Wir werden zum geeigneten Zeitpunkt unsere Entscheidung treffen.




Richard Wurbs (FDP):
Rede ID: ID0910312500
Zweite Zusatzfrage, bitte.

Lorenz Niegel (CSU):
Rede ID: ID0910312600
Kann man etwa eine absehbare Zeit festlegen, wann der „geeignete Zeitpunkt" ist, und sind Sie nicht der Meinung, daß die Vereinigten Staaten, die selber einen Botschafter dort haben, dafür sind, daß endlich auch wir von uns aus einen Botschafter entsenden?
Dr. Corterier, Staatsminister: Herr Abgeordneter, das ist in solchen Fragen immer schwierig. Ich glaube nicht, daß man sagen kann, daß die Situation in El Salvador schon in dem einen oder anderen Sinne abschließend beurteilt werden kann.

Richard Wurbs (FDP):
Rede ID: ID0910312700
Weitere Zusatzfrage des Abgeordneten Broll.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0910312800
Herr Staatsminister, welche Veränderungen müßten nach Meinung der Bundesregierung in El Salvador noch geschehen, damit die Bundesregierung sich entschließen könnte, durch Entsendung eines Botschafters wieder normale Beziehungen herzustellen?
Dr. Corterier, Staatsminister: Zum Beispiel ist natürlich die Sicherheitsfrage ganz entscheidend. Das ist j a eine Frage, wo der Bundesminister des Auswärtigen aus seiner Fürsorgepflicht gegenüber den betroffenen Beamten eine ganz besondere Verpflichtung hat.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0910312900
Trifft das auf den Geschäftsträger nicht genauso zu?
Dr. Corterier, Staatsminister: Das trifft den auch. Aber es liegt auf der Hand, daß ein Botschafter natürlich eine etwas hervorgehobenere Position hat. Sie werden sich daran erinnern, daß im vergangenen Jahr, als der damalige Botschafter für kurze Zeit auf seinen Posten zurückkehrte, mit dieser Rückkehr des Botschafters eine Publizität verbunden war, die durchaus Anlaß zu Befürchtungen sein mußte, was seine persönliche Sicherheit angeht.

Richard Wurbs (FDP):
Rede ID: ID0910313000
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Graf Huyn.

Graf Hans Huyn (CSU):
Rede ID: ID0910313100
Herr Staatsminister, wäre es nicht angesichts der sehr bemerkenswerten Auskünfte, die das Auswärtige Amt dem Kollegen Hennig über die innere Lage in El Salvador im Zusammenhang mit und nach den Wahlen erteilt hat, angezeigt, möglichst bald alles zu unternehmen, um in Verbindung mit unseren amerikanischen Freunden ' stabilisierend in El Salvador zu wirken?
Dr. Corterier, Staatsminister: Ich habe darauf hingewiesen, daß wir unsere Politik gegenüber El Salvador sowohl mit den Vereinigten Staaten wie mit unseren europäischen Partnern abstimmen. Aber die Frage der Sicherheit eines Botschafters kann man nicht auf die leichte Schulter nehmen. Das muß sorgfältig abgewogen werden.
Auch die Frage, ob eine für eine entwicklungspolitische Zusammenarbeit erforderliche Sicherheitslage schon so stabil ist, daß sie Erfolg verspricht, muß sorgfältig abgewogen werden.

Richard Wurbs (FDP):
Rede ID: ID0910313200
Keine weiteren Zusatzfragen mehr.
Ich rufe Frage 14 des Abgeordneten Niegel auf:
Mit welchen Ländern mit denen die Bundesregierung diplomatische Beziehungen unterhält, werden die Grundsätze der Antwort vom 13. Mai 1982 auf meine Fragen angewandt, und warum nicht in allen Ländern, in denen dieselben oder ähnliche Vorgänge vorhanden sind oder waren?
Bitte, Herr Staatsminister.
Dr. Corterier, Staatsminister: Die Bundesregierung wendet den Grundsatz, in Gefahrensituationen Entscheidungen über die Personalausstattung unserer Auslandsvertretungen von der Entwicklung der Sicherheitslage im Einzelfall abhängig zu machen, ohne Einschränkung an. Dieser Grundsatz ergibt sich, wie ich bereits vorher ausführen konnte, aus der Fürsorgepflicht des Dienstherrn.

Richard Wurbs (FDP):
Rede ID: ID0910313300
Zusatzfrage des Abgeordneten Niegel.

Lorenz Niegel (CSU):
Rede ID: ID0910313400
Herr Staatsminister, wäre es nicht unter diesen Umständen angebracht, ebenfalls den Botschafter aus Nicaragua, aus Polen oder aus anderen Ländern abzuziehen? Oder sind Sie nicht der Meinung, daß da die Sicherheitslage und auch die Verhältnisse zu den demokratischen Kräften, die Ihre Frau Kollegin in der letzten Fragestunde als Hinderungsgrund angeführt hat, entsprechend zu beurteilen sind?
Dr. Corterier, Staatsminister: Herr Abgeordneter, es geht doch in El Salvador, wie ich vorhin darzutun versucht habe, ganz konkret um die persönliche Sicherheit eines deutschen Botschafters. Mir ist nicht bekannt, daß in den von Ihnen erwähnten Ländern solche Gefahren für unsere dortigen Botschafter bestehen.

Richard Wurbs (FDP):
Rede ID: ID0910313500
Weitere Zusatzfrage, bitte.

Lorenz Niegel (CSU):
Rede ID: ID0910313600
Herr Staatssekretär, wäre es möglich, daß sich die Bundesregierung gelegentlich eines Besuches in Mittelamerika — es fahren ja genügend Minister in der Gegend herum — über die Sicherheitslage in El Salvador informiert? Sie könnte dann feststellen, ob eine Sicherheitsgefahr für einen Botschafter tatsächlich gegeben ist. Wenn j a, ist dann Herr Engel als Geschäftsträger ein Mensch minderer Qualität, so daß man ihm eine solche Sicherheitslage zumutet?
Dr. Corterier, Staatsminister: Nein, der Geschäftsträger ist eben kein Mensch minderer Qualität. Deswegen können wir uns auch ein Bild der dortigen Lage auf Grund seiner Berichte machen, die sehr gut und sehr sorgfältig sind. Aber ich kann nur noch einmal sagen: Es besteht, was ein gewisses Meinungsbild in der Öffentlichkeit angeht, eben doch noch ein Unterschied zwischen einem Botschafter, der eine etwas herausgehobenere Position hat, und einem Geschäftsträger.

Richard Wurbs (FDP):
Rede ID: ID0910313700
Keine weiteren Zusatzfragen mehr.



Vizepräsident Wurbs
Ich rufe die Frage 49 des Abgeordneten Dr. Voss auf:
Ist es zutreffend, daß die Bundesregierung kommunistische Spione, die in der Bundesrepublik Deutschland enttarnt worden sind, stillschweigend ausreisen läßt, statt sie wie bisher zu unerwünschten Personen zu erklären, und sich damit nicht nur von der bisher üblichen, sondern auch der im Ausland noch immer geübten Praxis abwendet?
Bitte, Herr Staatsminister.
Dr. Corterier, Staatsminister: Das Wiener Übereinkommen über diplomatische Beziehungen von 1961 sieht in seinem Artikel 9 vor, daß der Empfangsstaat dem Entsendestaat jederzeit ohne Angabe von Gründen notifizieren, d. h. in schriftlicher Form ausdrücklich mitteilen kann, daß der Missionschef oder ein Mitglied des diplomatischen Personals „persona non grata" oder daß ein anderes Mitglied des Personals der Mission ihm nicht genehm ist. Der Entsendestaat hat dann die betreffende Person abzuberufen oder ihre Tätigkeit bei der Mission zu beenden.
Die Bundesregierung steht zu diesem vorgegebenen rechtlichen Rahmen.
Bezüglich des Verfahrens im Falle enttarnter kommunistischer Spione, die zu dem oben genannten Personenkreis gehören, beziehe ich mich zur Beantwortung Ihrer Frage auf Ziffer 6 der Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage zum Thema „Legale Residenturen" gegnerischer Nachrichtendienste, Drucksache 9/1485 vom 22. März 1982. Es heißt dort:
Die Bundesregierung hat bisher — anders als befreundete westliche Länder — darauf verzichtet, erkannte „legale Residenten" von Nachrichtendiensten der Ostblockstaaten formal zur „persona non grata" zu erklären. Statt dessen ist in den letzten zehn Jahren in zehn Fällen enttarnten „legalen Residenten" das Verlassen der Bundesrepublik Deutschland nahegelegt worden. Diese Form der Behandlung solcher Fälle hat sich als effektiv erwiesen. Alle zehn Personen haben umgehend das Land verlassen.

Richard Wurbs (FDP):
Rede ID: ID0910313800
Zusatzfrage, Herr Dr. Voss.

Dr. Friedrich Voss (CSU):
Rede ID: ID0910313900
Herr Staatsminister, vermögen Sie mir zu folgen, daß Sie durch diese Handlungsweise, auch wenn Sie sie schon über Jahre hindurch tätigen, den Entsendestaaten von kommunistischen Spionen die Arbeit sehr, sehr leicht machen?

(Zuruf von der SPD: Quatsch!)

Dr. Corterier, Staatsminister: Ich kann Ihnen in dieser Feststellung nicht folgen, Herr Abgeordneter.

Richard Wurbs (FDP):
Rede ID: ID0910314000
Weitere Zusatzfrage, bitte.

Dr. Friedrich Voss (CSU):
Rede ID: ID0910314100
Herr Staatsminister, vermögen Sie mir denn zu sagen, wie viele kommunistische Spione in den letzten fünf Jahren bei uns enttarnt worden sind und wie viele von denen dann entsprechend hätten behandelt werden müssen, wenn die alte Regelung noch gegolten hätte?
Dr. Corterier, Staatsminister: Ich kann Ihnen außer der Zahl, die ich Ihnen in meiner Antwort bereits genannt habe, keine weiteren nennen.

Richard Wurbs (FDP):
Rede ID: ID0910314200
Keine weiteren Zusatzfragen.
Ich rufe die Frage 50 des Abgeordneten Dr. Voss auf:
Sieht sich die Bundesregierung zu dieser neuen Verhaltensweise veranlaßt, um gegenüber dem Ostblock weiteres Wohlwollen und Verständnis zu zeigen, und ist ihr bekannt, daß dieses Verhalten gegenüber den Auftraggebern der Spione im westeuropäischen Ausland Kopfschütteln und Unverständnis hervorgerufen hat?
Bitte, Herr Staatsminister.
Dr. Corterier, Staatsminister: Diese Verfahrensweise ist nicht neu, sondern wird seit vielen Jahren praktiziert. Der Bundesregierung ist nicht bekannt, daß die deutsche Praxis bei den Regierungen der westeuropäischen Staaten Kopfschütteln und Unverständnis hervorgerufen hat.

Richard Wurbs (FDP):
Rede ID: ID0910314300
Zusatzfrage, bitte.

Dr. Friedrich Voss (CSU):
Rede ID: ID0910314400
Ich darf Ihrer Antwort aber entnehmen, Herr Staatssekretär, daß das Verfahren, das die Bundesregierung entwickelt hat, in deutlichem Gegensatz zu den Verfahren anderer westlicher Staaten steht?
Dr. Corterier, Staatsminister: Dies ist ein Verfahren, das tatsächlich anders ist als das einiger befreundeter westlicher Staaten, das sich aber, wie ich eben schon ausgeführt habe, für uns bewährt hat.

Richard Wurbs (FDP):
Rede ID: ID0910314500
Zweite Zusatzfrage.

Dr. Friedrich Voss (CSU):
Rede ID: ID0910314600
Herr Staatsminister, wären Sie denn bereit, für diese Bewährung ein paar konkrete Gründe zu nennen? Sie sagen einfach, es hat sich bewährt; aber Sie haben bis jetzt keine Gründe dafür nennen können.
Dr. Corterier, Staatsminister: Sicherlich nicht hier im Plenum, Herr Abgeordneter.

Richard Wurbs (FDP):
Rede ID: ID0910314700
Zusatzfrage des Abgeordneten Jäger (Wangen).

Claus Jäger (CDU):
Rede ID: ID0910314800
Herr Staatsminister, da Sie bis jetzt den Teil der Frage des Kollegen Voss nicht beantwortet haben, ob diese Behandlung von Spionen einen Ausdruck besonderen Entgegenkommens gegenüber den Entsendestaaten darstellt, möchte ich Sie fragen, ob, selbst wenn das nicht die Absicht der Bundesregierung sein sollte — das werden Sie sicher gleich bekräftigen —, durch ein solches abweichendes Verhalten nicht dieser Eindruck erweckt wird, als träte die Bundesregierung bei der Enttarnung von Spionen leisetreterischer und liebedienerischer gegenüber den Entsendestaaten auf als unsere westlichen Nachbarn?
Dr. Corterier, Staatsminister: Ich bin nicht dieser Meinung.

Richard Wurbs (FDP):
Rede ID: ID0910314900
Keine weiteren Zusatzfragen. Ich danke Ihnen, Herr Staatsminister.



Vizepräsident Wurbs
Wir kommen zu den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundeskanzlers und des Bundeskanzleramts. Zur Beantwortung steht Herr Staatsminister Wischnewski zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 40 des Abgeordneten Jäger (Wangen) auf:
Welche Gründe haben den Bundeskanzler bewogen, den Bundestagsabgeordneten Wrede anstelle des bisherigen Amtsinhabers Dr. Kreutzmann zum neuen Parlamentarischen Staatssekretär beim Bundesminister für innerdeutsche Beziehungen vorzuschlagen?
Bitte, Herr Staatsminister.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0910315000
Herr Kollege Jäger, ich beantworte Ihre Frage wie folgt. Bei der von Ihnen angeführten Personalentscheidung handelt es sich um eine Maßnahme im Rahmen der Ende April vollzogenen Veränderungen innerhalb der Bundesregierung im Einvernehmen mit dem zuständigen Bundesminister. Hierzu hat der Bundeskanzler, dem in solchen Fällen das Vorschlagsrecht gegenüber dem Bundespräsidenten zusteht, die notwendigen Erklärungen abgegeben. Diesen Erklärungen ist nichts hinzuzufügen.

Richard Wurbs (FDP):
Rede ID: ID0910315100
Zusatzfrage, bitte.

Claus Jäger (CDU):
Rede ID: ID0910315200
Herr Staatsminister, da Sie ja sicher meine Auffassung teilen werden, daß es sich bei dem bisherigen Inhaber dieses Amts, dem Kollegen Dr. Kreutzmann, um einen erfahrenen und qualifizierten Kenner der deutschlandpolitischen Situation handelt, möchte ich von Ihnen gerne wissen, welche besonderen und über diese Qualifikationen hinausgehenden Kenntnisse und Erfahrungen in diesem Bereich der neue Inhaber dieses Amts besitzt, um dem bisherigen Amtsinhaber vorgezogen zu werden.
WischnewskI, Staatsminister: In der parlamentarischen Demokratie ist der Wechsel innerhalb der Bundesregierung ein normaler Vorgang. Er sagt nichts aus über die fachliche oder menschliche Qualität der Betroffenen.

Richard Wurbs (FDP):
Rede ID: ID0910315300
Zweite Zusatzfrage.

Claus Jäger (CDU):
Rede ID: ID0910315400
Herr Staatsminister, da die Bundesregierung im Gegensatz zu dem, was Sie eben gesagt haben, von dieser Regierungsumbildung eine Verstärkung der Schlagkraft und Durchsetzungsfähigkeit der Regierung erhofft, also doch wohl davon ausgeht, daß mit diesen Maßnahmen eine qualitative Verbesserung eingetreten ist, möchte ich Sie fragen, ob Sie mir, da Sie meine bisherigen Fragen und Zusatzfragen nicht inhaltlich beantwortet haben, in der Sache widersprechen können, wenn ich feststelle, daß der neue Staatssekretär im innerdeutschen Ministerium, verglichen mit seinem Vorgänger, über keine einschlägigen sachlichen Erfahrungen verfügt, die ihn dafür qualifiziert hätten.
Wischnewski, Staatsminister: Das ist Ihre Meinung, die von mir nicht geteilt wird.

Richard Wurbs (FDP):
Rede ID: ID0910315500
Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Diederich.

Dr. Nils Diederich (SPD):
Rede ID: ID0910315600
Herr Staatsminister, sind Sie wenigstens in der Lage, dem verehrten Kollegen zu erläutern, warum der Bundeskanzler einen Abgeordneten der Koalition und nicht einen der Opposition, z. B. den Kollegen Jäger, zum Staatssekretär ernannt hat?

(Heiterkeit)

Wischnewski, Staatsminister: Ich gehe von der Voraussetzung aus, daß es die Kollegen der Opposition selbst wissen.

Richard Wurbs (FDP):
Rede ID: ID0910315700
Zusatzfrage des Abgeordneten Broll.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0910315800
Herr Staatsminister, wollten Sie Ihre Antwort an den Kollegen Jäger eben so verstanden wissen, daß auch aus Ihrer eigenen Berufung zum Staatsminister im Kanzleramt nicht auf Ihre persönliche Qualifikation zu schließen sei?
Wischnewski, Staatsminister: Ich dachte, die Fragestunde sei eine ernste Angelegenheit, Herr Kollege.

(Beifall bei der SPD)


Richard Wurbs (FDP):
Rede ID: ID0910315900
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Lattmann.

Herbert Lattmann (CDU):
Rede ID: ID0910316000
Herr Staatsminister, können Sie mir die Frage beantworten, ob der neue Amtsinhaber bisher Publikationen oder andere Sachbeiträge zum Thema Deutschlandpolitik geliefert hat?
Wischnewski, Staatsminister: Der neue Amtsinhaber hat im Laufe einer politischen Lebensarbeit, die ein Vierteljahrhundert dauert, viel publiziert. Ich nehme an, da fallen auch solche Aufgaben in diesen Rahmen.

(Jäger [Wangen] [CDU/CSU]: Mager!)


Richard Wurbs (FDP):
Rede ID: ID0910316100
Keine Zusatzfragen mehr.
Ich rufe die Frage 41 der Abgeordneten Frau Roitzsch auf:
Was hat das Kanzler-Sommerfest im Jahre 1981 gekostet, und wie hoch werden die Kosten für das diesjährige Fest veranschlagt?
Bitte, Herr Staatsminister.
Wischnewski, Staatsminister: Verehrte Frau Kollegin, ich darf Ihre Frage wie folgt beantworten. Das Kanzler-Sommerfest 1981, das im Bonner Stadttheater mit etwa 5 000 Teilnehmern stattgefunden hat, hat 173 256,39 DM gekostet. Im Jahr davor, 1980, fand das Kanzler-Sommerfest mit etwa 8 000 Gästen im Park des Palais Schaumburg statt. Die Kosten beliefen sich auf 189 849,98 DM.
Die Kosten für dieses Jahr lassen sich noch nicht genau beziffern. Das kann man bei derartigen Veranstaltungen erfahrungsgemäß genau erst einige Wochen später tun. Der amtsinterne Voranschlag sieht vor, daß die Kosten zumindest unter den Beträ-



Staatsminister Wischnewski
gen der beiden letzten Jahre liegen, obwohl das Fest wie 1980 wieder mit ca. 8 000 Gästen im Park stattfinden wird.

Richard Wurbs (FDP):
Rede ID: ID0910316200
Eine Zusatzfrage, bitte schön.

Ingrid Roitzsch (CDU):
Rede ID: ID0910316300
Herr Staatsminister, ist es im Bundeskanzleramt üblich, Dinge zu veranstalten, von denen man nicht einmal in etwa sagen kann, was sie am Ende kosten werden?
Wischnewski, Staatsminister: Nein, es gibt ja einen genauen Kostenvoranschlag. Ich habe Ihnen, verehrte Frau Kollegin, bis auf den letzten Pfennig Auskunft gegeben. Das kann ich für das bevorstehende Fest mit 8 000 Teilnehmern allerdings nicht auf den Pfennig genau. Der Voranschlag für das Fest liegt selbstverständlich vor. Die Kosten werden — ich habe Ihnen das ausdrücklich gesagt — unterhalb dessen liegen, was während der letzten beiden Jahre ausgegeben worden ist. Wir gehen allerdings von 8 000 Personen aus.

(Dr. Soell [SPD] [zur CDU/CSU gewandt]: Sie kennen auch nicht die Kosten Ihrer Veranstaltung am 5. Juni!)


Richard Wurbs (FDP):
Rede ID: ID0910316400
Eine weitere Zusatzfrage, bitte.

Ingrid Roitzsch (CDU):
Rede ID: ID0910316500
Herr Staatsminister, kann es sein — Sie haben freundlicherweise die Kosten für die Feste 1980 und 1981 bis auf den letzten Pfennig genannt —, daß in diesen Summen nicht alle tatsächlichen Kosten enthalten sind, d. h. Kosten auch noch in einem anderen Ressort bzw. in einem anderen Titel zu finden sind?
Wischnewski, Staatsminister: Natürlich gibt es auch noch andere Institutionen, die sich daran beteiligen, insbesondere das deutsche Handwerk. Das wird auch diesmal in ganz starkem Maße der Fall sein. Wir haben das ja schon öfter durchgeführt. Über diese Kosten kann ich Ihnen jetzt gar nichts sagen. Jedenfalls ist das eine Gemeinschaftsarbeit, an der sich auch andere beteiligen. Andere Haushaltstitel werden nicht in Anspruch genommen.

Richard Wurbs (FDP):
Rede ID: ID0910316600
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Gansel.

Norbert Gansel (SPD):
Rede ID: ID0910316700
Herr Staatsminister, können Sie den Intentionen der Kollegin Roitzsch Rechnung tragen, indem Sie meiner Bitte folgen und zu dem Fest des Bundeskanzlers den Ministerpräsidenten und den Bundesratsminister des Landes Schleswig-Holstein mit so vielen Gästen, wie diese wünschen, einladen, damit diese Herren in Zukunft ihrerseits nicht teure repräsentative Empfänge geben und Feste veranstalten müssen?

(Beifall bei der SPD)

Wischnewski, Staatsminister: Wenn es ganz besondere Wünsche gibt, ist das vielleicht möglich. Andererseits ist es so: Die Zahl der Interessenten aus der
CDU ist bereits jetzt so groß, daß wir aufpassen müssen, daß das nicht ausufert.

(Heiterkeit bei der SPD und der FDP)

Ich muß also für eine gewisse Ausgewogenheit eintreten.

(Gansel [SPD]: Über meine Einladung können Sie gern verfügen, Herr Staatsminister!)

Frau Kollegin, z. B. sind die Ortsvereinsvorsitzenden der drei Parteien in Bonn eingeladen worden. Daraufhin sind für die FDP vier, für die SPD 12 und für die CDU — Kreisverband Bonn-Stadt — 35 Einladungswünsche geäußert worden. Es ist selbstverständlich, daß der Bundeskanzler dem mit besonderer Freude nachkommt.

(Heiterkeit und Beifall bei der SPD und der FDP)


Richard Wurbs (FDP):
Rede ID: ID0910316800
Keine weiteren Zusatzfragen.
Ich rufe die Frage 42 der Abgeordneten Frau Roitzsch auf:
Ist die Bundesregierung bereit, angesichts der Finanzlage das diesjährige Kanzler-Sommerfest ausfallen zu lassen und statt dessen für den eingesparten Betrag Ausbildungsmaßnahmen für Schulabgänger und arbeitslose Jugendliche zu fördern?
Bitte, Herr Staatsminister.
Wischnewski, Staatsminister: Ich darf Ihre zweite Frage, verehrte Frau Kollegin, wie folgt beantworten. Die Bundesregierung sieht keinen Anlaß, das Kanzler-Sommerfest ausfallen zu lassen. Die Bundesregierung teilt die Sorge der Fragestellerin über die in diesem Jahr besonders schwierige Situation bei den Ausbildungsstellen. Eine Absage des schon zu einem festen Bestandteil der Selbstdarstellung unseres Staates in zeitgemäßer, populärer Form gewordenen Kanzler-Sommerfestes wäre aber völlig ungeeignet, einen Beitrag zur Lösung der Ausbildungsprobleme zu leisten. Der Bund wird sich auf sinnvolle und wirksame Weise auch in diesem Jahr sehr anstrengen, den Schulabgängern und arbeitslosen Jugendlichen zu helfen. Als Beitrag im eigenen Bereich sollen die Ausbildungsstellen beim Bund um rund 10 % gegenüber 1981 erhöht werden. Der Bund ist in den letzten Jahren beim Angebot von Ausbildungsplätzen mit gutem Beispiel vorangegangen. Das demonstrieren die folgenden Zahlen: 1977 waren 21 000 Ausbildungsplätze zu besetzen; 1981 konnten 32 000 Auszubildende vom Bund aufgenommen werden.

Richard Wurbs (FDP):
Rede ID: ID0910316900
Zusatzfrage? — Bitte sehr.

Ingrid Roitzsch (CDU):
Rede ID: ID0910317000
Vielen Dank. — Herr Staatsminister, die Anzahl der Ausbildungsstellen beim Bund zu erfahren war nicht ganz der Sinn meiner zweiten Frage. Ich wollte Sie vielmehr fragen, ob die Bundesregierung nicht glaubt, daß es eine positive psychologische Auswirkung gehabt hätte, wenn man der Bevölkerung, der man Opfer zumuten wird und muß, gesagt hätte: Auch wir verzichten zunächst



Frau Roitzsch
einmal auf das Geldausgeben, wenn wir keines in den Kassen haben.

(Zeitler [SPD]: Das ist doch Schaustellerei!)

Wischnewski, Staatsminister: Verehrte Frau Kollegin, die Bevölkerung nimmt an diesem Fest teil. Damit Sie sehen, um was es sich handelt, möchte ich Ihnen einmal einen Überblick darüber geben, welche Gruppen der Bundeskanzler in diesem Jahr in besonderem Maße eingeladen hat. Es sind Bürger eingeladen, die sich in besonderem Maße für alte Menschen engagiert haben; Bürger, die sich für Behinderte engagieren; Kavaliere der Straße sind eingeladen; ferner 50 fleißige Bonner Sekretärinnen, 25 junge Hochzeitspaare, Gewinner beim Fassadenwettbewerb und beim Hobbygartenwettbewerb der Stadt Bonn, Handwerker verschiedener Fachrichtungen, Arbeiter und Angestellte einschließlich Betriebsratsmitglieder verschiedener Bonner Firmen, junge Leute, die sich in ganz besonderem Maße kulturell engagiert haben, Bonner U-Bahn-Schaffner und Busfahrer, Mitbürger, die dafür sorgen, daß Bonn immer sauber dasteht, nämlich Straßenreiniger und Müllmänner, deutsche und ausländische Arbeitnehmer, die im Schichtdienst tätig sind, insbesondere in Krankenhäusern; insbesondere sind diesmal auf Wunsch der Stadt Bonn 100 jüdische Bürger eingeladen worden, die bis 1933 in Bonn gelebt haben und die jetzt auf Einladung der Stadt Bonn wieder hier sind. Ich hoffe, Sie werden für diese Form der Einladung Verständnis haben.

Richard Wurbs (FDP):
Rede ID: ID0910317100
Weitere Zusatzfrage? — Bitte.

Ingrid Roitzsch (CDU):
Rede ID: ID0910317200
Herr Staatsminister, könnten Sie sich vorstellen, daß der Besuch des Kanzlers bei Ortsfesten in verschiedenen Gemeinden einen mindestens ebenso großen Effekt haben und weniger Kosten verursachen würde als das diesjährige Fest?
Wischnewski, Staatsminister: Der Bundeskanzler besucht immer dann, wenn er eine Möglichkeit hat, die vielen Ortsfeste. Aber einmal im Jahr ist er Gastgeber, um die Bürgerinnen und Bürger unseres Landes einzuladen; dies gehört zu unserem Staat.

(Dr. Soell [SPD]: Zur politischen Kultur!)


Richard Wurbs (FDP):
Rede ID: ID0910317300
Eine weitere Zusatzfrage, Frau Abgeordnete Schmidt.

Renate Schmidt (SPD):
Rede ID: ID0910317400
Herr Staatsminister, wie viele Ausbildungsplätze wären — um auf die Frage der Frau Kollegin Roitzsch einzugehen — mit diesem eingesparten Betrag überhaupt zu finanzieren, und teilen Sie meine Einschätzung, daß dann, wenn alle Abgeordneten endlich auf ihr Privileg, in der ersten Klasse fliegen zu dürfen, verzichten würden, mit diesem so eingesparten Betrag wesentlich mehr Ausbildungsplätze finanziert werden könnten?
Wischnewski, Staatsminister: Ich teile das, was Sie in bezug auf den ersten Punkt gesagt haben. Wir werden ja heute nachmittag hier im Hause eine wichtige Entscheidung fällen. Dann wird die Frau Kollegin j a sehen, um welche Beträge es sich handelt.
Im übrigen hält sich die Bundesregierung daran, nicht zu Fragen Stellung zu nehmen, die die innere Ordnung dieses Hauses betreffen.

Richard Wurbs (FDP):
Rede ID: ID0910317500
Weitere Zusatzfrage des Abgeordneten Broll.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0910317600
Herr Staatsminister, darf ich Ihnen, um eine weitere Rüge zu vermeiden, die sehr ernst gemeinte Frage stellen, ob Sie die Nachfrage gerade aus Kreisen der CDU und der Stadt Bonn, am Kanzlerfest teilzunehmen, vielleicht auch darauf zurückführen, daß man das diesjährige Fest in diesen Kreisen möglicherweise für das letzte Fest hält, das dort unter der SPD-Regie stattfindet?
Wischnewski, Staatsminister: Der Kollege Glos hat mir j a schon einmal vor längerer Zeit Fragen in bezug auf die Titel für die Feste gestellt. Die Zahl der Titel war darauf ausgerichtet, daß der Bundeskanzler seine Feste hier mindestens bis 1984 durchführt. Davon können Sie bitte ausgehen.

(Beifall bei der SPD und der FDP)


Richard Wurbs (FDP):
Rede ID: ID0910317700
Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Jäger (Wangen).

Claus Jäger (CDU):
Rede ID: ID0910317800
Herr Staatsminister, da Sie davon gesprochen haben, daß dieses Fest der Selbstdarstellung unseres Staates dienen solle, frage ich: Meinen Sie nicht, daß die Intention der Frau Kollegin Roitzsch der Selbstdarstellung dieses Staates besonders gedient hätte, daß nämlich der Bürger die Selbstdarstellung eines Staates mit einem Schuldenrekord und einem Arbeitslosenrekord besonders gut verstanden hätte, wenn sie in der Absage eines solchen Festes bestanden hätte?
Wischnewski, Staatsminister: Für mich ist diese Ihre Frage sehr interessant, einfach weil insbesondere in den Ländern, in denen die Zahl der Ausbildungsplätze am meisten zurückgegangen ist — an der Spitze steht Bayern, dann kommt Niedersachsen,

(Wolfram [Recklinghausen] [SPD]: Hört! Hört!)

und dann kommt der Staat Schleswig-Holstein —, keinerlei Veranstaltungen abgesagt worden sind. Vielleicht sollten Sie, Herr Kollege, hierüber nachdenken.

(Beifall bei der SPD und der FDP)


Richard Wurbs (FDP):
Rede ID: ID0910317900
Zu einer letzten Zusatzfrage Herr Abgeordneter Glos.

Michael Glos (CSU):
Rede ID: ID0910318000
Verehrter Herr Staatsminister, da Sie die Diskussion mit mir wieder beginnen wollen, darf ich meine Frage wiederholen, die ich vor vier Jahren gestellt habe: Trifft es auch für dieses Jahr zu, daß dieses Fest zum Teil wieder mit



Glos
Zwangsbeiträgen deutscher Landwirte finanziert wird?

(Wolfram [Recklinghausen] [SPD]: So ein Quatsch!)

Wischnewski, Staatsminister: Das Fest ist zu keiner Zeit mit Zwangsbeiträgen finanziert worden. Diesmal wirkt das deutsche Handwerk mit, wo Sie ja Ihre besonderen Interessenlagen haben. Wir freuen uns außerordentlich, daß wir bei dieser Gelegenheit die Möglichkeit haben, die großen Leistungen des deutschen Handwerks nicht nur den Bürgern in Bonn, sondern einer breiten internationalen Offentlichkeit darzustellen. Wir wissen, daß sich das deutsche Handwerk darüber sehr freut. Ich hoffe, Sie werden uns als Handwerksmeister nicht daran hindern.

Richard Wurbs (FDP):
Rede ID: ID0910318100
Keine Zusatzfrage mehr. Ich danke Ihnen, Herr Staatsminister.
Wir kommen zu den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers der Finanzen. Zur Beantwortung steht der Herr Parlamentarische Staatssekretär Haehser zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 62 des Abgeordneten Glos auf:
Beabsichtigt die Bundesregierung, Gesetzesinitiativen zur Verwirklichung der steuerpolitischen Beschlüsse des SPD- Parteitages — insbesondere zur Einführung einer Arbeitsmarktabgabe und Ergänzungsabgabe, zur Erhöhung des Spitzensatzes bei der Einkommen- und Körperschaftsteuer, zur Anhebung der Vermögensteuer zur Erhöhung der Familienbesteuerung durch Einschränkung des Ehegattensplittings sowie zur zusätzlichen Belastung der freien Berufe mit einer gewerbesteuerähnlichen Abgabe — zu ergreifen?
Bitte, Herr Staatssekretär.

Karl Haehser (SPD):
Rede ID: ID0910318200
Herr Kollege Glos, wie Sie wissen, ist auf dem Bundesparteitag der SPD die Frage, wie die Beschäftigungsprobleme gelöst werden können, eingehend diskutiert worden. In diesem Zusammenhang sind verschiedene Maßnahmen erörtert worden, u. a. Möglichkeiten zur Erschließung weiterer öffentlicher Einnahmen. Der Bundesparteitag der SPD hat beschlossen, die verantwortlichen Stellen in Bundesregierung, Landesregierungen und Parlamenten um die Prüfung einiger solcher Möglichkeiten zu bitten sowie ihnen auch die Verwirklichung eines Teils dieser Maßnahmen nahezulegen.
Die Bundesregierung wird auch wie in der Vergangenheit das Spektrum der finanz- und steuerpolitischen Probleme und Anregungen im Gesamtzusammenhang prüfen. Ihre eigene Ausgangsposition ist dabei durch die Regierungserklärung des Bundeskanzlers vom 24. November 1980, durch den Jahreswirtschaftsbericht sowie durch die in der Gemeinschaftsinitiative enthaltenen Vorschläge und niedergelegten Absichten bestimmt.

Richard Wurbs (FDP):
Rede ID: ID0910318300
Zusatzfrage, bitte.

Michael Glos (CSU):
Rede ID: ID0910318400
Herr Staatssekretär, kann ich aus Ihrer Antwort schließen, daß, wie es Bundesminister Graf Lambsdorff in der „Zeit" formuliert hat, der Gruselkatalog sozialistischer Marterwerkzeuge möglicherweise doch in Kraft gesetzt wird?
Haehser, Parl. Staatssekretär: Sie können aus meiner Antwort schließen, Herr Kollege Glos, daß es keine Anregung einer großen politischen Partei gibt, die nicht verdient hätte, geprüft zu werden. Übrigens wird ganz aufmerksam auch die Tatsache verfolgt, daß eine der großen Parteien in diesem Staat bisher noch nicht mit brauchbaren Vorschlägen zur Arbeitslosigkeitsbekämpfung aufgewartet ist.

(Beifall bei der SPD)


Richard Wurbs (FDP):
Rede ID: ID0910318500
Eine weitere Zusatzfrage, bitte.

Michael Glos (CSU):
Rede ID: ID0910318600
Herr Staatssekretär, darf ich an Sie die generelle Frage richten, welchen Stellenwert Parteitagsbeschlüsse von Regierungsparteien für die künftige Arbeit der Bundesregierung generell haben?

(Wolfram [Recklinghausen] [SPD]: Er tut so, als wäre er ein Anfänger!)

Haehser, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Glos, Parteitagsbeschlüsse können selbstverständlich nicht unmittelbar in Regierungsarbeit umgesetzt werden. Daß sie aber bei der Formulierung der Regierungsarbeit bedacht werden, ist eine Selbstverständlichkeit. Das gilt für die jetzige Bundesregierung und galt für alle ihre Vorgängerinnen, wahrscheinlich nicht so sehr zur Zeit der Ära Adenauer.

(Beifall bei der SPD)


Richard Wurbs (FDP):
Rede ID: ID0910318700
Keine Zusatzfrage mehr.
Ich rufe die Frage 63 des Abgeordneten Glos auf:
Welche Folgerungen zieht die Bundesregierung aus dem Beschluß des SPD-Parteitags, auf weitere Steuersenkungsprogramme zu verzichten, nachdem eine Koalitionsvereinbarung Entlastungen bei der Lohn- und Einkommensteuer zum 1. Januar 1984 vorsieht?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Haehser, Parl. Staatssekretär: Lieber Herr Kollege Glos, durch die Verweigerungshaltung der CDU- und CSU-regierten Länder im Bundesrat entfällt die im Entwurf des Beschäftigungsförderungsgesetzes vorgesehene Erhöhung der Mehrwertsteuer ab 1. Juli 1983.

(Jäger [Wangen] [CDU/CSU]: Das ist eine Qualifizierung!)

Aus dieser Steuererhöhung sollten zunächst — —

(Zurufe von der CDU/CSU)

— Herr Präsident, ich werde bei meiner Antwort gestört.

(Heiterkeit bei der CDU/CSU)




Parl. Staatssekretär Haehser
Aus dieser Steuererhöhung sollten zunächst beschäftigungspolitische Maßnahmen finanziert werden. Ab 1. Januar 1984 sollte sie

(Zuruf von der CDU/CSU: Er kann nicht lesen, wenn einer redet! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU)

— ich sage es jetzt noch einmal, obwohl es mir hier nicht aufgeschrieben worden ist, damit der Zusammenhang bleibt —, nämlich die Erhöhung der Mehrwertsteuer, zu einer Entlastung bei der Lohn- und Einkommensteuer dienen, womit zugleich eine weitere Verbesserung der Steuerstruktur durch Umschichtung von der direkten auf die indirekte Steuerbelastung erreicht würde. Stimmen die gesetzgebenden Körperschaften, wie zu erwarten ist, dem Vorschlag des Vermittlungsausschusses zum Beschäftigungsförderungsgesetz zu, so entfällt damit zunächst die wesentliche Geschäftsgrundlage für die zum 1. Januar 1984 vorgesehen gewesene Steuersenkung.

Richard Wurbs (FDP):
Rede ID: ID0910318800
Eine Zusatzfrage, bitte, Herr Abgeordneter Glos.

Michael Glos (CSU):
Rede ID: ID0910318900
Herr Staatssekretär, darf ich dann aus Ihrer Antwort schließen, daß das Versprechen, das führende Repräsentanten der FDP öffentlich abgegeben haben, nämlich dem Lohn- und Einkommensteuerzahler die sogenannten heimlichen Steuererhöhungen, die durch die Progressionssprünge entstehen, zurückzugeben, entfällt?
Haehser, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Glos, zunächst habe ich Ihnen die wertvolle Anregung zu geben, den polemischen Begriff „heimliche Steuererhöhungen" zukünftig zu unterlassen. Er entspricht nicht der Wirklichkeit.

(Beifall bei der SPD — Frau Pack [CDU/ CSU]: Maßregelungen sind nicht zulässig! Lehrer des Parlaments! — Eigen [CDU/ CSU]: Das geht zu weit! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU)

Zweitens will ich Ihnen sagen: Durch die Nicht-Erhöhung der Mehrwertsteuer zum vorgesehenen Zeitpunkt entfällt die Geschäftsgrundlage für die Steuersenkung zunächst, d. h. die Bundesregierung muß über neue Geschäftsgrundlagen für ihren Plan nachdenken und wird das tun und mit Vorschlägen zur rechten Zeit aufwarten.

Richard Wurbs (FDP):
Rede ID: ID0910319000
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Glos.

Michael Glos (CSU):
Rede ID: ID0910319100
Herr Staatssekretär, darf ich Sie noch einmal fragen, ob Sie persönlich oder die Bundesregierung glauben, daß derart widersprüchliche Erklärungen zweier Koalitionspartner dazu beitragen, daß unsere Bevölkerung, insbesondere die Jugend, weiterhin diesem demokratischen Staat und seinen Parteien glaubt?
Haehser, Parl. Staatssekretär: Wenn Sie, Herr Kollege Glos, aus den einheitlichen Auffassungen der Bundesregierung Widersprüche heraushören und diese als solche publizieren, dann kann Mißtrauen auftreten. Aber zwischen dem, was der Wirtschaftsminister gesagt hat, und dem, was ich jetzt gesagt habe, besteht deswegen kein Unterschied, weil ich nicht erklärt habe, es werde keine Steuersenkung geben, sondern ich habe gesagt: sie — fast hätte ich gesagt: Sie — entziehen uns die Geschäftsgrundlage durch die Verweigerung der Erhöhung der Mehrwertsteuer. Wir werden über eine neue Geschäftsgrundlage nachdenken und mit Vorschlägen aufwarten.

Richard Wurbs (FDP):
Rede ID: ID0910319200
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Jäger (Wangen).

Claus Jäger (CDU):
Rede ID: ID0910319300
Herr Staatssekretär, da Sie soeben in der Antwort auf die Frage des Kollegen Glos von einer Verweigerungshaltung des Bundesrates gesprochen haben, möchte ich Sie fragen, ob Sie eine derartige Qualifizierung der Haltung eines Verfassungsorgans für eine mit den Richtlinien für diese Fragestunde in Einklang stehende Haltung der Bundesregierung halten.

(Frau Pack [CDU/CSU]: Das müßte der Präsident rügen und nicht er!)

Haehser, Parl. Staatssekretär: Ja.

Richard Wurbs (FDP):
Rede ID: ID0910319400
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Czaja.

Dr. Herbert Czaja (CDU):
Rede ID: ID0910319500
Herr Staatssekretär, entspricht das der verfassungsrechtlich vorgesehenen Rücksichtnahme der Verfassungsorgane aufeinander?
Haehser, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich habe die Bundesratsmehrheit nicht beschimpft, sondern Tatsachen festgestellt.

(Beifall bei der SPD — Frau Pack [CDU/ CSU]: Na!)


Richard Wurbs (FDP):
Rede ID: ID0910319600
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Jungmann.

Horst Jungmann (SPD):
Rede ID: ID0910319700
Herr Staatssekretär, können Sie uns vielleicht einmal deutlich machen, welche Ausfälle durch die Verweigerungshaltung des Bundesrates für Landeshaushalte und Kommunalhaushalte entstehen und welche Investitionen in diesem Bereich deswegen nicht getätigt werden können?
Haehser, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, dies ist schwer zu beziffern, weil natürlich diese Haushalte selber auch Zahler der Mehrwertsteuer sind. Aber auch in den kleinsten Ländern dürften die Ausfälle, die auf die Länder zukommen, einige hundert Millionen DM im Rahmen der mittelfristigen Finanzplanung betragen. Das müssen Sie in den entsprechenden Prozentsätzen auf die Gemeinden umlegen.

Richard Wurbs (FDP):
Rede ID: ID0910319800
Keine weiteren Zusatzfragen mehr.
Die Fragen 64 des Abgeordneten Weirich, 65 und 66 des Abgeordneten Schröder (Hannover) und 67 und 68 des Abgeordneten Krey werden auf Wunsch



Vizepräsident Wurbs
der Fragesteller schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Ich rufe Frage 69 des Abgeordneten Conradi auf:
Auf Grund welcher steuergesetzlichen Regelungen ist es möglich, Fahrkosten zu der von der CDU geplanten Demonstration am 5. Juni 1982 in Bonn, für die die CDU den Teilnehmern Spendenbescheinigungen für die selbst gezahlten Fahrkosten anbietet, steuerlich abzusetzen, und gibt es diese Möglichkeit auch für andere Demonstrationen?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Haehser, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Conradi, nach der Rechtsprechung sind Aufwendungen für die satzungsgemäßen Zwecke einer steuerbegünstigten Organisation unter folgenden Voraussetzungen als Spenden steuerlich abzugsfähig:
1. Der Spender muß gegenüber der steuerbegünstigten Organisation einen Rechtsanspruch auf Ersatz seiner Kosten haben. Der Anspruch muß den Spender in die Lage versetzen, jederzeit von der Organisation Ersatz der entstandenen Kosten zu verlangen.
2. Der Spender muß auf diesen Anspruch verzichten.
3. Die Organisation, für die der Spender Aufwendungen leistet, muß zum Empfang steuerbegünstigter Spenden berechtigt sein und muß eine Spendenbescheinigung ausstellen.
Danach kann es möglich sein, daß Aufwendungen im Zusammenhang mit Demonstrationen als steuerbegünstigte Spenden abzugsfähig sind. Ob in dem von Ihnen angesprochenen Fall die genannten Bedingungen erfüllt werden, kann nur nach genauer Kenntnis aller Einzelheiten des jeweiligen Sachverhalts — die ich nicht habe — beurteilt werden. Im übrigen entscheidet über die Zulässigkeit des steuerlichen Spendenabzugs im konkreten Einzelfall die hierfür zuständige Landesbehörde.

Richard Wurbs (FDP):
Rede ID: ID0910319900
Zusatzfrage des Abgeordneten Conradi.

Peter Conradi (SPD):
Rede ID: ID0910320000
Herr Staatssekretär, halten Sie es für möglich, daß die Finanzverwaltungen zukünftig diese Möglichkeit staatlicher Finanzierung von Demonstrationen auch anderen gemeinnützigen Veranstaltern von Demonstrationen gewähren, die beispielsweise gegen Kernkraftwerke, Landebahnen oder Kanalbauten demonstrieren, oder beschränkt sich diese steuerliche Förderung von Demonstrationen auf Veranstaltungen staatstragenden Charakters?
Haehser, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, in Ihrer Frage steckt eine Unterstellung. Diese Möglichkeit des Spendenabzugs ist in allen Fällen dann gegeben, wenn die unter den Ziffern 1, 2 und 3 von mir genannten Voraussetzungen bestehen, also nicht nur für den Fall, der jetzt ansteht.

Richard Wurbs (FDP):
Rede ID: ID0910320100
Weitere Zusatzfrage.

Peter Conradi (SPD):
Rede ID: ID0910320200
Herr Staatssekretär, ich bin sicher, daß andere gemeinnützige Veranstalter dies mit Interesse hören werden. Deswegen frage ich: Was hindert die Bundesregierung, diese Art der staatlichen Finanzierung von Demonstrationen, die wir doch sicher gemeinsam für nicht gerade einer Demokratie würdig erachten, über die Steuer durch eine Verordnung oder einen Erlaß an die Finanzämter abzustellen?
Haehser, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, diese Art des Steuerabzugs — ich hatte das in meiner Antwort dargestellt — entspricht einem höchstrichterlichen Urteil, nämlich einem Urteil des Bundesfinanzhofes. Würde man dieses Urteil nicht befolgen wollen, wäre es notwendig, daß eine Gesetzesinitiative ergriffen würde. Niemand im Hohen Hause ist daran gehindert, das zu tun.
Ich will aber folgendes sagen: Eine Partei, die sich darstellen will und damit für sich werben will, kann das in einer Demokratie natürlich auch in einer Demonstration. Wenn das im Rahmen der satzungsgemäßen Zwecke erfolgt, dann kann auch eine steuerliche Begünstigung erfolgen. Das ist jedenfalls der Tenor des seinerzeit ergangenen Urteils.

Richard Wurbs (FDP):
Rede ID: ID0910320300
Zusatzfrage, Frau Abgeordnete Blunck.

Lieselott Blunck (SPD):
Rede ID: ID0910320400
Herr Staatssekretär, habe ich Sie eben richtig verstanden, daß unter Berücksichtigung der Kriterien, die Sie eben genannt haben, eventuell auch die Brokdorf-Demonstranten nicht bestraft, sondern mit einer Spendenbescheinigung bevorzugt werden?

(Zuruf von der CDU/CSU: Unverschämtheit!)

Haehser, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin, Sie dürfen hier natürlich eines nicht verwechseln: Wer demonstriert, der tut damit etwas, was er darf. Wer seine Meinung durch eine Demonstration äußert, sollte eigentlich sogar mit einem Kompliment bedacht werden. Etwas anderes ist es, wenn man auf Polizisten oder auf andere Leute einschlägt.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Da darf ja nun in unserer Fragestunde kein Mißverständnis auftreten.
Ich will hier folgendes sagen, damit auch da kein Mißverständnis auftritt. In der Frage, ob es gut ist, daß das so möglich ist, mögen in mir Zweifel nagen, aber ich hoffe, ich kann dieses „In-mir-Nagen" verdecken.

Richard Wurbs (FDP):
Rede ID: ID0910320500
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Gansel.

Norbert Gansel (SPD):
Rede ID: ID0910320600
Herr Staatssekretär, halten Sie es für denkbar, daß in Zukunft auch die Teilnahme an Demonstrationen gegen Steuererhöhungen steuerlich abgesetzt werden kann, wenn dabei nicht auf Polizisten eingeschlagen wird?
Haehser, Parl. Staatssekretär: Das wäre eine interessante Variante.

Horst Peter (SPD):
Rede ID: ID0910320700
Herr Staatssekretär, um da fortzufahren: Wenn Veranstalter solcher Demon-



Peter (Kassel)

strationen gemeinnützige Organisationen wie kirchliche Organisationen sind, würden ähnliche Bedingungen zutreffen?
Haehser, Parl. Staatssekretär: Ja, Herr Kollege, es handelt sich um Veranstaltungen gemeinnütziger Organisationen — das sind die Parteien, wie Sie wissen, j a nicht —, mildtätiger Organisationen oder aber auch der Parteien. Natürlich darf, wenn ich nicht ganz falsch unterrichtet bin, das Ergebnis der Steuerbegünstigung nicht den Rahmen überschreiten, in dem man überhaupt Parteien Spenden zufließen lassen kann.

Richard Wurbs (FDP):
Rede ID: ID0910320800
Keine weiteren Zusatzfragen.
Die Fragesteller der Fragen 70, der Abgeordnete Dr. Mitzscherling, und 71, der Abgeordnete Dr. Jahn (Münster), haben um schriftliche Beantwortung gebeten. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Ich rufe die Frage 72 des Abgeordneten Funk (Gutenzell) auf:
Kann die Investitionszulage auch von Landwirten mit geringem Wirtschaftswert, welche nach § 13 a veranlagt sind, beansprucht werden, und wie erfolgt die finanzielle Abwicklung?
Haehser, Parl. Staatssekretär: Herr Präsident, wenn der Herr Kollege einverstanden ist, würde ich seine beiden Fragen gern zusammen beantworten.

Richard Wurbs (FDP):
Rede ID: ID0910320900
Sind Sie damit einverstanden, Herr Abgeordneter?

(Funk [Gutenzell] [CDU/CSU]: Ja!)

— Gut, dann rufe ich zusätzlich Frage 73 des Abgeordneten Funk (Gutenzell) auf:
Welche Investitionen in der Land- und Forstwirtschaft fallen in den Zuschußbereich des Gesetzes, und kann für Gebäudesanierung auch die Investitionszulage beansprucht werden?
Bitte.
Haehser, Parl. Staatssekretär: Vielen Dank, Herr Kollege. — Zur Inanspruchnahme der Investitionszulage zur Förderung der Beschäftigung sind Steuerpflichtige im Sinne des Einkommensteuergesetzes, die betriebliche Investitionen im Inland vornehmen, berechtigt. Das können selbstverständlich auch Landwirte sein, die nach § 13a des Einkommensteuergesetzes veranlagt werden, deren Gewinn also nach Durchschnittssätzen ermittelt wird.
Jetzt zur Technik: Die Investitionszulage wird auf Antrag nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem das Wirtschaftsjahr der Anschaffung oder der Herstellung endet, durch das für die Besteuerung des Antragstellers nach dem Einkommen zuständige Finanzamt gewährt. Der Antrag kann nur innerhalb von neun Monaten nach Ablauf des Kalenderjahres gestellt werden. Das Finanzamt setzt die Investitionszulage durch schriftlichen Bescheid fest und zahlt sie innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe des Bescheids aus.
Als begünstigte Investitionen kommen nach § 4 b Abs. 2 des Investitionszulagengesetzes in Betracht: erstens die Anschaffung oder Herstellung von neuen abnutzbaren beweglichen Wirtschaftsgütern des Anlagevermögens, zweitens die Herstellung von abnutzbaren unbeweglichen Wirtschaftsgütern des Anlagevermögens, drittens nachträgliche Herstellungsarbeiten an abnutzbaren Wirtschaftsgütern des Anlagevermögens und viertens bestimmte Baumaßnahmen eines Mieters oder sonstigen Nutzungsberechtigten.
Für betriebliche Investitionen in der Land- und Forstwirtschaft gelten die gleichen Voraussetzungen wie für betriebliche Investitionen im gewerblichen und freiberuflichen Bereich. Insbesondere ist es erforderlich, daß die Investitionen im Jahre 1982 begonnen und bis Ende 1983 — bei unbeweglichen Wirtschaftsgütern bis Ende 1984 — abgewickelt werden.
Unter diesen Voraussetzungen kann die Investitionszulage auch bei einer Gebäudesanierung, nach der Sie gefragt haben, beansprucht werden, soweit es sich bei den Aufwendungen nicht um Instandhaltungskosten, sondern um Herstellungskosten handelt.
Wohngebäude und nachträgliche Herstellungskosten von Wohngebäuden sind in keinem Falle zulagenbegünstigt.
Im übrigen ist generelle Voraussetzung für die Begünstigung, daß die Höhe der Investition über dem Durchschnitt der letzten drei Jahre liegt. Das gilt also auch für den Bereich der Land- und Forstwirtschaft.

Richard Wurbs (FDP):
Rede ID: ID0910321000
Zusatzfrage, bitte sehr.

Honor Funk (CDU):
Rede ID: ID0910321100
Herr Staatssekretär, in welcher Weise muß ein Landwirt, der nicht buchführungspflichtig ist, den Nachweis über seine durchschnittlichen Investitionen der letzten drei Jahre erbringen?
Haehser, Parl. Staatssekretär: Das, Herr Kollege, wird die Durchführungsverordnung zu dem Investitionszulagengesetz ergeben. Ich nehme an, daß eine sehr praktikable Regelung erfolgen wird.

Honor Funk (CDU):
Rede ID: ID0910321200
Wo sind diese Anträge dann zu stellen, und wo kann er diese Durchführungsverordnung bekommen?
Haehser, Parl. Staatssekretär: Ich bitte, auch dies abzuwarten. Das wird sehr bald der heutigen Entscheidung im Bundestag folgen.

Richard Wurbs (FDP):
Rede ID: ID0910321300
Keine Zusatzfrage mehr.
Ich rufe die Frage 18 des Abgeordneten Eigen auf:
Ist der Bundesregierung bekannt, daß die Obst- und Gemüsebauern — insbesondere die Erdbeeranbauer — durch die verschärften Bestimmungen beim 390-DM-Gesetz — Lohnsteuerpauschalierungs-Bescheinigung — in größter Sorge um ihre Existenz sind, da sie befürchten, nicht genügend Saisonarbeitskräfte anwerben zu können?
Haehser, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Eigen, die Bundesregierung teilt nicht die Befürchtung hinsichtlich der ungünstigen Auswirkungen des Be-



Parl. Staatssekretär Haehser
scheinigungsverfahrens auf die Beschäftigungssituation bestimmter Wirtschaftsbereiche. Gegen solche Befürchtungen spricht schon die Tatsache, daß die Kommunen, die auf Antrag die Bescheinigungen ausstellen, eine rege Nachfrage nach den Pauschalierungsbescheinigungen verzeichnet haben. Nachprüfbare Erfahrungen darüber, ob Aushilfskräfte vielfach tatsächlich nicht bereit sind, sich eine Bescheinigung zu besorgen, und eher auf die Beschäftigung verzichten würden, können wegen der erst Mitte Mai ausgelaufenen Übergangsregelung noch nicht vorliegen. Arbeitnehmer, die an kurzfristigen und zeitlich unvorhergesehenen Aushilfstätigkeiten interessiert sind, können sich ohne weiteres die Bescheinigung vorsorglich, im voraus also, ausstellen lassen.

Richard Wurbs (FDP):
Rede ID: ID0910321400
Zusatzfrage des Abgeordneten Eigen.

Karl Eigen (CDU):
Rede ID: ID0910321500
Herr Staatssekretär, wie erklären Sie sich, wenn das alles so ist, die Gesetzesinitiative des Bundesrates, der den alten Zustand wiederherstellen will, und warum kann die Bundesregierung die Übergangszeit nicht über den 15. Mai hinaus verlängern? Sie müßte sie doch eigentlich verlängern, wenn eine solche Gesetzesinitiative des Bundesrates vorliegt.
Haehser, Parl. Staatssekretär: Ich kann mir, Herr Kollege Eigen, die Gesetzesinitiative von zwei Bundesländern — nicht des Bundesrates — nur damit erklären, daß diese beiden Länder nicht glauben, daß es so ist, wie ich es geschildert habe.

Richard Wurbs (FDP):
Rede ID: ID0910321600
Weitere Zusatzfrage.

Karl Eigen (CDU):
Rede ID: ID0910321700
Herr Staatssekretär, können Sie sich vorstellen, daß es bei einem Saisonbetrieb, vor allen Dingen bei der jetzt anstehenden Erdbeerernte, in der Tat so ist, daß der Beginn der Arbeit so ungewiß und die Vielzahl der Mitarbeiter so groß ist, daß die Möglichkeit der technischen Abwicklung gar nicht vorhanden ist? Jedenfalls ist nicht ohne Grund die gesamte beteiligte Wirtschaft in großer Unruhe im Hinblick darauf, wie eine solche Erntesaison verlaufen soll.
Haehser, Pari. Staatssekretär: Herr Kollege Eigen, gerade diesem von Ihnen befürchteten Tatbestand soll die Regelung dienen, daß man sich Bescheinigungen im voraus geben lassen kann. In der Regel hat man schon in vorausgegangenen Jahren bei der Ernte mitgewirkt und weiß, daß man auch im Jahre 1982 die Absicht hat. Also kann man sich — und dies ist nun auch mein Rat, den ich öffentlich gebe — die Bescheinigung vorher geben lassen. Einer Aufnahme der Arbeit zum geforderten Zeitpunkt steht dann nichts im Wege.
Im übrigen, Herr Kollege Eigen, räume ich ein, daß man auch mit dieser neuen Vorschrift Erfahrungen sammeln wird. Deswegen wende ich mich auch nicht gegen die Initiative der Länder Bayern und Baden-Württemberg im Bundesrat, sondern begrüße, daß sie erneut Gelegenheit gibt, über die Gesamtproblematik zu debattieren.

Richard Wurbs (FDP):
Rede ID: ID0910321800
Keine weiteren Zusatzfragen mehr.
Der Abgeordnete Junghans hat um schriftliche Beantwortung der von ihm eingebrachten Frage 89 gebeten. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Ich bedanke mich, Herr Staatssekretär.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers für Wirtschaft auf. Zur Beantwortung der Fragen steht der Herr Parlamentarische Staatssekretär Grüner zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 74 des Abgeordneten Berschkeit auf:
Ist der Bundesregierung bekannt, daß der einzige Ferrochromhersteller in der Bundesrepublik Deutschland, das Elektrowerk Weisweiler, mit ca. 700 Beschäftigten, unter den gegebenen Verhältnissen die Produktion nicht fortführen kann?
Bitte, Herr Staatssekretär.

Martin Grüner (FDP):
Rede ID: ID0910321900
Diese Maßnahme ist nach Meinung der Geschäftsführung notwendig geworden, da in jüngster Zeit auch bei den obengenannten Ferrochromsorten der Absatz stoppt, so daß sich Lagerbestände gebildet haben, welche dem Unternehmen erhebliche Kosten verursachen. Hintergrund dieser Schwierigkeiten ist die nach wie vor niedrige Nachfrage der Edelstahlindustrie nach Legierungsmitteln bei gleichzeitigem reichlichen Angebot überseeischer Anbieter. Ein außerordentlich scharfer Preiswettbewerb ist die Folge. Die Geschäftsführung des Elektrowerks Weisweiler geht jedoch davon aus, daß mit Beginn des Jahres 1983 die Bestände weitgehend abgebaut sein werden, so daß die Produktion der vorstehend genannten Ferrochromsorten im bisherigen Umfang fortgesetzt werden kann.

Richard Wurbs (FDP):
Rede ID: ID0910322000
Eine Zusatzfrage, bitte.

Erich Berschkeit (SPD):
Rede ID: ID0910322100
Die Meinung, die im letzten Satz der Antwort zum Ausdruck kommt, wird von der Geschäftsführung nicht geteilt. Ist die Bundesregierung wie Italien bereit, bei der EG-Kommission den Antrag zu stellen, durch Antidumpingmaßnahmen und Zollregelungen Ferrochrom-Einfuhren aus Südafrika und Simbabwe zu begrenzen?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, es ist Sache der Industrie, Anträge auf Antidumpingverfahren zu stellen und die entsprechenden Nachweise zu führen. Selbstverständlich ist die zuständige Behörde jederzeit bereit, solchen Hinweisen nachzugehen. Meine Antwort auf die von Ihnen gestellte Frage beruht auf den Informationen, die uns vom Unternehmen gegeben worden sind.

Richard Wurbs (FDP):
Rede ID: ID0910322200
Eine weitere Zusatzfrage.

Erich Berschkeit (SPD):
Rede ID: ID0910322300
Herr Staatssekretär, in bezug auf Silizium-Chrom ist von den EG-Produzenten ein Antidumpingverfahren gegen Venezuela und Jugoslawien eingeleitet, aber noch nicht durchgeführt worden. Diesem haben sich die Trostberg AG und die Vereinigten Aluminiumwerke, die sich im Bundesbesitz befinden, angeschlossen. Wäre es dann nicht sinnvoll, wenn auch gegen die weit unter deut-



Berschkeit
schem Preis Ferrochrom liefernden Länder Südafrika und Simbabwe ein Antidumpingverfahren eingeleitet würde?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich kann noch einmal auf die Verantwortung der Industrie hinweisen, solche Antidumpingverfahren zu beantragen, wenn sie das auf Grund der Kenntnis der Marktlage für notwendig hält. Es ist hier kein Handeln einer staatlichen Behörde notwendig, sondern wir können darauf rechnen, daß sich, wenn solche Wettbewerbsverzerrungen bestehen, die im Gegensatz zu den internationalen Wirtschaftsvertragsvereinbarungen stehen, die auch wir anerkannt haben, die Industrie rühren wird.

Richard Wurbs (FDP):
Rede ID: ID0910322400
Eine Zusatzfrage.

Horst Ginnuttis (SPD):
Rede ID: ID0910322500
Herr Staatssekretär, meines Wissens gewährt Italien den Elektrostahlwerken in Form von Strompreisnachlässen außerhalb der Hauptverbrauchszeiten einen Zuschuß von 50 Milliarden Lire; das sind 100 Millionen DM. Beabsichtigt die Bundesregierung, für den deutschen Ferrochromhersteller eine ähnliche Strompreisermäßigung zu gewähren?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Dazu gibt es keine Möglichkeit für die Bundesregierung, die ja keine Energieversorgungsunternehmen betreibt.
Herr Kollege, ich schlage vor, derartige Spezialfragen einer Firma — wenn die Bundesregierung davon berührt ist — im direkten Gespräch der daran interessierten Abgeordneten mit der Geschäftsleitung der Firma und dem Wirtschaftsministerium zu besprechen, weil es in der Fragestunde nicht gut möglich ist, auf Spezialfragen, die auch nicht vorher ersichtlich waren, eine sinnvolle Antwort zu geben.

Richard Wurbs (FDP):
Rede ID: ID0910322600
Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Wolfram.

Erich Wolfram (SPD):
Rede ID: ID0910322700
Herr Parlamentarischer Staatssekretär, da offensichtlich einmal mehr ein Fall vorliegt, daß Mitgliedsländer der Europäischen Gemeinschaft Wettbewerbsverzerrungen durch Subventionen herbeiführen, frage ich Sie: Sind Sie bereit, an Hand dieses Falls erneut in Brüssel diese Fragen anzusprechen und auf die Partnerländer einzuwirken, daß sie ihrerseits derartige Maßnahmen unterlassen?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, mir ist erst auf Grund der hier gestellten Fragen bekannt geworden, daß derartige Wettbewerbsverstöße vorliegen sollen. Das höre ich hier in der Fragestunde zum erstenmal. Das ist nicht Gegenstand der Anfrage gewesen. Ich kann mich deshalb auch nicht qualifizierend dazu äußern, weil ich das nicht weiß. Aber selbstverständlich ist die Bundesregierung jederzeit bereit, mit allen ihr zur Verfügung stehenden Mitteln in Schwierigkeiten geratenen Unternehmen zur Seite zu stehen, soweit das in ihren rechtlichen und wirtschaftlichen Möglichkeiten liegt.

Richard Wurbs (FDP):
Rede ID: ID0910322800
Keine weiteren Zusatzfragen.
Ich rufe Frage 75 des Abgeordneten Berschkeit auf:
Sieht die Bundesregierung eine Möglichkeit, Ferrochrom aus deutscher Produktion in die Rohstoffbevorratung einzubeziehen, wie dies in den USA, der Schweiz, Schweden und Frankreich praktiziert wird?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Pläne für die Anlage von Rohstoffvorräten, die für die industrielle Produktion der Bundesrepublik Deutschland eine Schlüsselfunktion haben und deren Bezug in besonderem Maße als gefährdet angesehen werden muß, bestanden bei der Bundesregierung bis zum Jahre 1980. Unter den Rohstoffen, die im Rahmen eines Bevorratungsprogramms eingelagert werden sollten, befand sich auch Ferrochrom. Angesichts der grundlegend gewandelten Lage der öffentlichen Haushalte wurde anderen Vorhaben ein höherer Prioritätsgrad zugeordnet. So kam es, daß die Bundesregierung im Jahre 1980 das Rohstoffbevorratungsprogramm aufgegeben hat.
Unabhängig von vorstehend erwähnten Plänen zur Rohstoffbevorratung darf ich darauf hinweisen, daß die Bundesregierung von jeher den Standpunkt vertreten hat, daß die Bevorratung mit Rohstoffen in erster Linie eine unternehmerische Aufgabe ist. Wie die Entwicklung der letzten Jahre zeigt, haben die deutschen Unternehmer diese Aufgabe mit Geschick und beachtlichem Erfolg wahrgenommen.

Richard Wurbs (FDP):
Rede ID: ID0910322900
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Berschkeit, bitte.

Erich Berschkeit (SPD):
Rede ID: ID0910323000
Herr Staatssekretär, ich habe dem Bundeswirtschaftsminister am 30. November 1981 die Situation geschildert und frage Sie, ob der Bundesregierung entgangen ist, daß das Elektrowerk Weisweiler im Vertrauen auf die Bevorratungsmaßnahmen der Bundesregierung bereits große Mengen Ferrochrom eingekauft und eingelagert hatte und auf Grund des hohen Zinsniveaus in Schwierigkeiten in Höhe von rund 15 Millionen DM gekommen ist. Ist die Bundesregierung wenigstens bereit, hier Hilfestellung zu gewähren?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich kann diesen Sachverhalt nicht bestätigen, denn ein Unternehmen, das im Rohstoffbereich tätig ist, mußte wissen und hat gewußt, daß eine Rohstoffbevorratung der entsprechenden Beschlüsse der Bundesregierung und des Gesetzgebers bedurft hätte. Da solche Beschlüsse nicht gefaßt worden sind, kann auch niemand im Vertrauen auf solche erwarteten Beschlüsse gehandelt haben, es sei denn auf eigenes Risiko.

Richard Wurbs (FDP):
Rede ID: ID0910323100
Eine weitere Zusatzfrage, bitte.

Erich Berschkeit (SPD):
Rede ID: ID0910323200
Herr Staatssekretär, teilen Sie meine Meinung, daß das Elektrowerk Weisweiler auf Grund der eingetretenen Situation, in Anbetracht der 700 gefährdeten Arbeitsplätze und bei den Antworten, die wir heute gehört haben, keine Aus-



Berschkeit
sicht hat, zu gesunden und eventuell schließen muß?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich kann das nicht bestätigen, weil die vom Unternehmen gegebenen Informationen klar sagen: Die Geschäftsführung des Elektrowerks Weisweiler geht jedoch davon aus, daß mit Beginn des Jahres 1983 die Bestände weitgehend abgebaut sein werden, so daß die Produktion der vorstehend genannten Ferrochromsorten im bisherigen Umfang fortgesetzt werden kann. Die Schwierigkeiten, die das Unternehmen hat, habe ich ebenfalls hier dargestellt: den enorm scharfen Wettbewerb, der Nachfragerückgang nach den entsprechenden Legierungen von seiten der Edelstahlindustrie und das reichliche und z. T. auch preisgünstigere Angebot aus dem Ausland.

Richard Wurbs (FDP):
Rede ID: ID0910323300
Ich rufe Frage 76 des Abgeordneten Dr. Soell auf:
Ist der Bundesregierung bekannt, daß der multinationale Maschinenbaukonzern International Harvester Corp. (IHC) sein bis vor kurzem mit positiver Gewinnbilanz produzierendes deutsches Tochterunternehmen durch künstliche Kostenverschiebungen zugunsten der Muttergesellschaft in die roten Zahlen gebracht hat und inzwischen plant, einzelne Zweigwerke (z. B. in Heidelberg) mit über 600 Arbeitsplätzen zu schließen, und was gedenkt die Bundesregierung zu tun, um künftig — eventuell gemeinschaftlich mit anderen EG- Ländern — zu verhindern, daß multinationale Unternehmen sich ohne größere rechtliche Hindernisse auf Kosten bisher hochproduktiver Tochterunternehmen in der Bundesrepublik Deutschland oder in anderen europäischen Ländern sanieren?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Grüner, Parl. Staatssekretär: Die Bundesregierung hat keine eigenen Erkenntnisse über geschäftspolitische Praktiken, Entscheidungen oder Pläne des von Ihnen benannten Unternehmens. Die Bundesregierung tritt grundsätzlich für einen freien Kapitalverkehr ein. Dies bedeutet auch, daß sich ausländische Unternehmen frei in der Bundesrepublik niederlassen und auch ohne rechtliche Hindernisse zurückziehen können.
Hierbei handelt es sich um geschäftspolitische Entscheidungen, die im Verantwortungsbereich der Unternehmensleitungen bleiben müssen. Im übrigen würden rechtliche Hindernisse für den Wiederabzug ausländischen Kapitals abschreckend auf die Investitionsbereitschaft ausländischer Unternehmen wirken und dadurch die Schaffung von Arbeitsplätzen verhindern.
Zugleich hat sich die Bundesregierung national und international dafür eingesetzt, daß im Falle derartiger Betriebsstillegungen auch die Interessen der betroffenen Arbeitnehmer berücksichtigt und flankierende soziale Maßnahmen getroffen werden.

Richard Wurbs (FDP):
Rede ID: ID0910323400
Zusatzfrage, bitte, Herr Abgeordneter.

Dr. Hartmut Soell (SPD):
Rede ID: ID0910323500
Herr Staatssekretär, ist die Bundesregierung darüber informiert, daß die Ertragslage des Heidelberger Tochterwerks in den letzten Jahren mit künstlichen Kosten für Transport, Lagerung und Verkauf von Baumaschinen belastet worden ist, die in den USA produziert worden sind und wegen Lieferschwierigkeiten in andere Länder — etwa nach Iran — nicht verkauft worden sind?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, nein, darüber ist die Bundesregierung nicht informiert. Auch die in Frage kommenden Landesbehörden, deren Informationsmöglichkeiten größer sind, sind darüber nicht informiert.

Richard Wurbs (FDP):
Rede ID: ID0910323600
Eine weitere Zusatzfrage, bitte.

Dr. Hartmut Soell (SPD):
Rede ID: ID0910323700
Wie beurteilt die Bundesregierung die von Europa-Parlamentariern an die Brüsseler EG-Kommission gerichteten Initiativen, gemeinsame Richtlinien zu erarbeiten, um Mindestbedingungen für Betriebsstillegungen und Entlassungen von Arbeitskräften durch multinationale Unternehmen in den EG-Ländern durchzusetzen?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Wir beteiligen uns an allen Bemühungen, in der Europäischen Gemeinschaft zu einer Harmonisierung auf allen denkbaren Gebieten — auch auf diesem Gebiet — zu kommen.

Richard Wurbs (FDP):
Rede ID: ID0910323800
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Eigen.

Karl Eigen (CDU):
Rede ID: ID0910323900
Da es sich bei der IHC vor allem um eine Landmaschinenfabrik handelt, Herr Staatssekretär, frage ich: ist die Bundesregierung nicht auch der Meinung, daß möglicherweise durch die schlechten politischen Rahmenbedingungen die Landwirtschaft in den letzten drei Jahren nicht mehr investitionsfähig gewesen ist und dadurch natürlich auch bei Landmaschinenfabriken Arbeitsplätze gefährdet sind?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, es handelt sich um einen internationalen Konzern, der in Amerika domiziliert. Die Schwierigkeiten gehen offenbar in erster Linie von den amerikanischen Marktverhältnissen aus. Es gibt sicher eine Vielzahl von Ursachen für diese Schwierigkeiten.

(Hört! Hört! bei der SPD)


Richard Wurbs (FDP):
Rede ID: ID0910324000
Weitere Zusatzfrage des Abgeordneten Rapp.

Heinz Rapp (SPD):
Rede ID: ID0910324100
Herr Staatssekretär, ist es nach Auffassung der Bundesregierung nach deutschem Recht zulässig, daß — wie bei International Harvester geschehen und wie seinerzeit auch bei Video Color geschehen — Kreditkosten für in der Bundesrepublik aufgenommene Darlehen ausländischer Mutterfirmen den deutschen Tochterfirmen zugerechnet werden, um so deren Rentabilität zu mindern und die Schließung vorzubereiten?
Grüner, Pari. Staatssekretär: Herr Kollege, ich kann diesen Sachverhalt nicht bestätigen. Ich kann nur sagen, daß die deutschen Finanzbehörden mit ganz außergewöhnlicher Akribie darum besorgt sind, daß ihnen die zustehenden Steuern zufließen, die auch von ausländischen Betrieben hier erwirt-



Parl. Staatssekretär Grüner
schaftet werden. Darüber gibt es eine sehr intensive internationale Zusammenarbeit und eine Zusammenarbeit der Finanzbehörden über die Ländergrenzen hinweg. Ich halte es für reichlich unwahrscheinlich, daß es einem ausländischen Unternehmen möglich ist, auf diese Art und Weise etwa eine Ertragslage in der Bundesrepublik herbeizuführen, die dem Fiskus Steuern entgehen läßt. Ich halte es für unwahrscheinlich. Ich wäre sehr dankbar, wenn nicht mit solchen Informationen, die ich nicht nachprüfen kann, ein Eindruck erweckt wird, der jedenfalls, was das Interesse des Fiskus an solchen Unternehmen betrifft, durch die Erfahrung nicht bestätigt wird, ohne daß ich für jeden Einzelfall einen solchen Mißbrauch ausschließen kann.

Richard Wurbs (FDP):
Rede ID: ID0910324200
Eine weitere Zusatzfrage, Abgeordneter Weisskirchen.

Gert Weisskirchen (SPD):
Rede ID: ID0910324300
Herr Staatssekretär, wie auch immer diese Lage von International Harvester beurteilt werden mag: Ist der Bundesregierung bekannt, daß das deutsche Tochterunternehmen der International Harvester mit 21 % Lohnkostenanteil zu den Betrieben in der metallverarbeitenden Industrie mit den geringsten Lohnkosten zählt?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Nein, das ist mir nicht bekannt, Herr Kollege. Aber es ist mir bekannt, daß die Landmaschinenindustrie ganz allgemein sich im Augenblick in einer außerordentlich schwierigen Absatzsituation befindet.

Richard Wurbs (FDP):
Rede ID: ID0910324400
Als letzte Frage rufe ich die Frage 77 des Abgeordneten Catenhusen auf:
Ist es nach Auffassung der Bundesregierung nötig, das Energiewirtschaftsgesetz und das Kartellgesetz zú novellieren, damit örtliche Energieversorgungskonzepte zügig verwirklicht werden können?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Grüner, Parl. Staatssekretär: Ziel der örtlichen und regionalen Versorgungskonzepte ist es, im Interesse einer rationelleren Energienutzung und stärkeren Ölverdrängung durch enges Zusammenwirken zwischen den für die Versorgung verantwortlichen Unternehmen sowie den Gebietskörperschaften für jedes Gebiet ein möglichst optimales Energieangebot zu finden. Diese Zielsetzung steht im Einklang mit dem Zweck des Energiewirtschaftsgesetzes, wonach eine möglichst sichere und preisgünstige Energieversorgung zu gewährleisten ist. Das Energiewirtschaftsgesetz behindert daher die Verwirklichung der Versorgungskonzepte nicht.
Ein Zusammenwirken zwischen Gebietskörperschaften und Versorgungsunternehmen kann kartellrechtliche Fragen aufwerfen, soweit es Wettbewerbsbeschränkungen im Sinne des Kartellgesetzes zur Folge hat. Ob für einzelne Formen solcher Kooperationen eine kartellrechtliche Legalisierung erforderlich wird, weil sie sonst gegen das Kartellverbot verstoßen würden, läßt sich erst dann beurteilen, wenn mehr Erfahrungen mit der Entwicklung von Versorgungskonzepten vorliegen. Für Verfahren der Legalisierung wären in aller Regel die Landeskartellbehörden zuständig. Es empfiehlt sich sowohl für die Gebietskörperschaften wie für die Versorgungsunternehmen, mit diesen Behörden frühzeitig Kontakt aufzunehmen. Der Bundesregierung ist bisher nicht bekannt, daß die Realisierung von Versorgungskonzepten durch katellrechtliche Bestimmungen behindert wurde.

Richard Wurbs (FDP):
Rede ID: ID0910324500
Eine Zusatzfrage? — Bitte.

Wolf-Michael Catenhusen (SPD):
Rede ID: ID0910324600
Herr Staatssekretär, liegt der Bundesregierung eine Übersicht vor, in welchem Umfang örtliche und regionale Energieversorgungskonzepte in der Bundesrepublik in Angriff genommen worden sind?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Nein, darüber liegt mir keine Übersicht vor. Ich will aber nicht ausschließen, daß sie besteht. Die theoretische Diskussion über diese Frage führt uns allerdings nicht weiter, weil auch ein solcher Überblick keinen ausreichenden Einblick in die etwa bestehenden kartellrechtlichen Schwierigkeiten geben würde. Nur das Aufgreifen einer konkreten Schwierigkeit kann auch Hinweis darauf geben, ob das Kartellrecht wünschenswerter energiepolitischer Zusammenarbeit entgegensteht oder nicht und ob daraus etwa eine Notwendigkeit zum Handeln des Gesetzgebers hergeleitet werden muß.

Richard Wurbs (FDP):
Rede ID: ID0910324700
Letzte Zusatzfrage des Abgeordneten Catenhusen.

Wolf-Michael Catenhusen (SPD):
Rede ID: ID0910324800
Herr Staatssekretär, liegen der Bundesregierung Anhaltspunkte dafür vor, daß die Organisationsstruktur örtlicher Energieversorgungsunternehmen als Querverbundunternehmen ein Hindernis bei einer zügigen Durchführung örtliche Energieversorgungskonzepte darstellt?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Eine allgemeine Antwort auf diese Frage, Herr Kollege, ist nicht möglich. Im Einzelfall mag das durchaus so sein. In anderen Fällen ist gerade ein solches Verbundsystem da, wo der Wille, die unternehmerische Phantasie und die Einsicht in die energiepolitische Notwendigkeit bestehen, für die Verwirklichung unserer energiepolitischen Ziele förderlich.

Richard Wurbs (FDP):
Rede ID: ID0910324900
Meine Damen und Herren, wir sind damit am Ende der Fragestunde angelangt. Ich danke Ihnen, Herr Staatssekretär.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist der Punkt 7 der Tagesordnung nach der Fragestunde aufzurufen. Es handelt sich hier um die Beratung der Beschlußempfehlung des Vermittlungsausschusses. Danach kommen wir zur dritten Beratung und Schlußabstimmung über die Punkte 2, 3 und 4 der Tagesordnung. Wir fahren dann mit den Punkten 12, 6, 8 bis 11 und 13 ff. der Tagesordnung fort, wie sie in der vorliegenden Tagesordnung ausgedruckt sind. Ist das Haus damit einverstanden? — Es erhebt sich kein Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich rufe Punkt 7 der Tagesordnung auf:
Beratung der Beschlußempfehlung des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes



Vizepräsident Wurbs

(Vermittlungsausschuß) zu dem Gesetz über steuerliche und sonstige Maßnahmen für Arbeitsplätze, Wachstum und Stabilität (Beschäftigungsförderungsgesetz — BeschäftFG)

— Drucksache 9/1647 —
Berichterstatter:
Senator Dr.-Ing. Czichon
Wünscht der Herr Berichterstatter das Wort? — Das ist der Fall. Ich erteile ihm das Wort.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0910325000
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen, meine Herren! Der Vermittlungsausschuß hat mich beauftragt, Ihnen den Bericht zu der in Drucksache 9/1647 vorliegenden Beschlußempfehlung zu geben.
Die Bundesregierung hat im Jahreswirtschaftsbericht 1982 dargestellt, daß die gegenwärtige Wachstumsschwäche der deutschen Wirtschaft und die damit verbundenen Beschäftigungsprobleme nur durch eine gemeinsame Anstrengung aller für die Wirtschaft Verantwortlichen überwunden werden können. Als Beitrag zu einer solchen Gemeinschaftsinitiative und in Fortsetzung der mit der Operation '82 eingeleiteten Umschichtungen des Sozialprodukts zu mehr Investitionen hat der Deutsche Bundestag in seiner 95. Sitzung am 26. März 1982 das Beschäftigungsförderungsgesetz verabschiedet.
Der Bundesrat hat in seiner 511. Sitzung am 30. April 1982 dem Gesetz nicht zugestimmt. Deshalb hat die Bundesregierung noch am gleichen Tag die Einberufung des Vermittlungsausschusses gemäß Art. 77 Abs. 2 des Grundgesetzes mit dem Ziel einer weitestgehenden Wiederherstellung des Gesetzesbeschlusses des Deutschen Bundestages unter Beschränkung auf die Regelungsgegenstände des Beschäftigungsförderungsgesetzes begehrt.
Der Vermittlungsausschuß hat am 12. Mai die Vorlage beraten. Zu dem Anrufungsbegehren wurden Einigungsvorschläge beschlossen, durch die das vom Deutschen Bundestag beschlossene Gesetz wie folgt geändert werden soll:
Erstens. Die in Art. 3 vorgesehene Umsatzsteuererhöhung wird gestrichen.
Zweitens. Die vorgesehene Neubewertung unbebauter baureifer Grundstücke wird ebenfalls aus dem Gesetz gestrichen. Das bedeutet, daß die vorgesehene Änderung des Bewertungsgesetzes und des Grundsteuergesetzes in den Art. 4 und 5 sowie der das Teilhauptfeststellungsgesetz 1983 betreffende Art. 6 gegenstandslos sind. Der aus dem Beschäftigungsförderungsgesetz abgekoppelte Teil der Neubewertung unbebauter Grundstücke liegt nun als Gesetzesinitiative der Koalitionsfraktionen in Drucksache 9/1648 dem Bundestag vor.
Drittens. Die in Art. 7 enthaltene Änderung der Abgabenordnung, die eine Beschleunigung des Steuereingangs bei Mehrergebnissen aus längerdauernden Betriebsprüfungen vorsah, entfällt.
Viertens. Die in Art. 9 vorgesehene Kürzung des Bundeszuschusses zu den Ausgaben der Rentenversicherung wird rückgängig gemacht. Die vom Bundestag beschlossene Beteiligung der Rentner an den Kosten ihrer Krankenversicherung bleibt dagegen bestehen.
Fünftens. Durch Änderung des Art. 1 werden für Handelsschiffe keine Investitionszulagen mehr gewährt. Stattdessen nahm der Vermittlungsausschuß die Erklärung des Bundesfinanzministers zur Kenntnis, daß die Bundesregierung für den Nachtragshaushalt 1982 die Erhöhung der Schiffsbauzuschüsse um den auf die Hälfte aufgerundeten Bundesanteil der Investitionszulage, nämlich 140 Millionen DM, vorschlagen wird.
Gemäß § 10 Abs. 3 Satz 1 seiner Geschäftsordnung hat der Vermittlungsausschuß beschlossen, daß im Deutschen Bundestag über die Änderungen gemeinsam abzustimmen ist.
Namens des Vermittlungsausschusses bitte ich das Hohe Haus um Zustimmung zu der vorgelegten Beschlußempfehlung.

(Beifall bei der SPD und der FDP)


Richard Wurbs (FDP):
Rede ID: ID0910325100
Meine Damen und Herren, wird das Wort zur Abgabe von Erklärungen gewünscht? — Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Kreile.

Dr. Reinhold Kreile (CSU):
Rede ID: ID0910325200
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Ergebnis des Vermittlungsverfahrens bestätigt die von der Fraktion der CDU/ CSU konsequent verfolgte Linie der Ablehnung von Steuererhöhungen.

(Beifall bei der CDU/CSU — Waltemathe [SPD]: Immer nur anklagen!)

Die geschlossene Haltung der Union hat die von SPD und FDP geplanten Steuererhöhungen verhindert.

(Frau Matthäus-Maier [FDP]: Beschlossenen!)

Dem Bürger bleiben weitere Steuererhöhungen erspart. Das ist der Erfolg der Union.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Vor allem richtet sich unser entschiedenes Nein gegen die geplante Mehrwertsteuererhöhung. Entgegen allen anderslautenden Meldungen, insbesondere von seiten der Freien Demokraten, hatte die Mehrwertsteuererhöhung von Beginn an keine Chance einer Verwirklichung. Daran haben wir nie einen Zweifel gelassen.
Das monatelange Hin und Her um die Investitionszulage, das Wechselbad von Erwartungen und Enttäuschungen, die noch weiter um sich greifende Verunsicherung in der Wirtschaft gehen allein auf Konten der SPD/FDP-Regierung. Sie hat versäumt, diesem Programm eine solide Finanzierung zu geben.

(Widerspruch bei der SPD)

Die Selbstblockade der Koalition hat zudem eine
schnelle Verwirklichung und eine solide Finanzierung verhindert. Der Versuch, aus durchsichtigen,



Dr. Kreile
wahltaktischen Gründen der Union eine Blockierung dieses Programms anzulasten, ist restlos gescheitert.

(Frau Matthäus-Maier [FDP]: Das wollen wir abwarten!)

Die in diesem Gesetzespaket vorgesehene Mehrwertsteuererhöhung, der Kern der politischen Auseinandersetzung zwischen Koalition und Opposition in den letzten Wochen, hätte in keiner Weise eine Umstrukturierung unseres Steuersystems in Richtung eines investitionsfreundlicheren und arbeitsplatzschaffenden Steuersystems gesichert.
Die FDP, die das Gegenteil hier behauptet, ist — und das muß sie sich sagen lassen — in dieser Koalition angesichts ihrer zahlreichen steuerpolitischen Kapriolen kein Garant für eine solche Umstrukturierung.

(Glos [CDU/CSU]: Das ist leider wahr!)

Gewiß werden wir einmal über eine solche Umstrukturierung sprechen müssen. Unsere Haltung ist da aber ganz eindeutig: Eine Mehrwertsteuererhöhung ist für uns nicht das Mittel zur Rückzahlung heimlicher Steuererhöhungen.

(Sehr richtig! bei der CDU/CSU)

Heimliche Steuererhöhungen müssen dem Bürger zurückgegeben werden, ohne daß andere Steuern dafür erhöht werden. Noch weniger kann eine Mehrwertsteuererhöhung für eine so zweifelhafte und wirkungslose Maßnahme wie diese Investitionszulage verplempert werden. Die in einer Mehrwertsteuererhöhung liegende Manövriermasse muß für eine wirkliche Steuerreform erhalten bleiben.
Für die Bonner Koalition war die beabsichtigte Mehrwertsteuererhöhung zur Jahresmitte 1983 doch nur das Vehikel, um ein hinsichtlich seiner arbeitsmarktpolitischen Wirkung äußerst fragwürdiges und zudem steuerfinanziertes Programm auf die Beine zu stellen. Die für 1984 in Aussicht gestellte Steuerentlastung war eine unverbindliche Absichtserklärung, ein ungedeckter Wechsel, der jetzt zu Protest gegangen ist.
Mit seiner Ablehnung der Mehrwertsteuererhöhung — wir stimmen dem zu — hat auch der Vermittlungsausschuß erkannt, daß dieser Bundesregierung und der SPD/FDP-Koalition keine Glaubwürdigkeit für eine Steuerentlastung 1984 beizumessen ist.

(Jahn [Marburg] [SPD]: Das ist eine Unterstellung!)

Wo sollte auch die Glaubwürdigkeit für eine Steuerentlastung herkommen, wenn man an den Steuererhöhungsparteitag der SPD in München denkt?

(Beifall bei der CDU/CSU — Immer [Altenkirchen] [SPD]: Das ist ja unglaublich!)

Aber auch die FDP muß sich sagen lassen, daß sie in der Frage der Mehrwertsteuererhöhung eine äußerst schillernde Figur abgegeben hat. Ich erinnere Sie daran: zuerst die zahlreichen Dementis des FDP- Vorsitzenden und dann des Bundeswirtschaftsministers, es gebe keine kredit- und keine steuerfinanzierten Programme. Dann eine Präsidiumsäußerung und deren prompter Widerruf im Deutschen Bundestag. Dann aber die Zustimmung im Kabinett und schließlich der untaugliche Versuch des FDP-Vorsitzenden Genscher, die SPD im letzten Augenblick auf Konkretisierung der Steuerentlastung 1984 festzulegen. Man bedenke: gut eineinhalb Jahre vor dem Inkrafttreten, was denn auch sofort und erwartungsgemäß durch den Bundesfinanzminister abgelehnt wurde. Das alles ist ein Lehrstück für eine kurzsichtige, opportunistische und kraftlose Politik.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Demgegenüber verweise ich auf die konsequente Haltung der Union in der Ablehnung der Steuererhöhungen, wie sie auch in der Empfehlung des Vermittlungsausschusses zum Ausdruck kommt. Unsere Devise lautet unbeirrt von allen Anfeindungen und Verketzerungen von seiten der Koalition: Steuererhöhungen sind der falsche Weg aus der Krise.
Dieses Vermittlungsverfahren mag zudem deutlich machen: Die CDU/CSU wird auch künftig Steuererhöhungen ablehnen. Das gilt sowohl für direkte als auch für indirekte Steuern. Das gilt darüber hinaus auch für Steuererhöhungen, die unter dem Deckmantel des Abbaus vermeintlicher Steuervergünstigungen geplant sind.
Die Fraktion der CDU/CSU begrüßt es deswegen, daß sich der Vermittlungsausschuß auch gegen die beiden anderen Steuerelemente dieses Pakets, gegen die vorgezogene Neubewertung der unbebauten baureifen Grundstücke sowie gegen die Änderung der Abgabenordnung ausgesprochen hat.

(Wolfram [Recklinghausen] [SPD]: Schämen Sie sich. Die Kommunen sind die Verlierer!)

Volles Einvernehmen besteht in diesem Hause dagegen über die Gewährung von Bildungsbeihilfen für arbeitslose Jugendliche. Das ist ein Angebot an arbeitslose Jugendliche, ihre schulische und berufliche Qualifikation zu verbessern und damit ihre berufliche Eingliederung zu erleichtern. Wir hoffen, daß dieses Angebot von den betroffenen Jugendlichen aufgegriffen wird.
Als ein wichtiges Ergebnis des Vermittlungsverfahrens betrachten wir die Entscheidung, daß das den Rentnern ab 1984 zugemutete Opfer eines Krankenversicherungsbeitrags der Rentenversicherung zugute kommt und damit der Sicherheit der Altersversorgung der älteren Menschen dient. Die Mittel werden also nicht, wie das von der Bundesregierung und der SPD/FDP-Koalition vorgesehen war, zweckentfremdet und vom Bundesfinanzminister vereinnahmt.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Es muß ein Ende damit haben, daß der Bundesfinanzminister seinen Haushalt weniger aus eigener Kraft als vor allem durch Finanzmanipulationen und Finanzverschiebungen zu Lasten der Sozialversicherungsträger sowie der Länder und Gemeinden entlastet.
Die Investitionszulage ist ein Kernstück dieses sogenannten Beschäftigungsprogramms. Im Grunde



Dr. Kreile
— das muß noch einmal gesagt werden — hat die Union nichts gegen eine Investitionszulage, wenn sie solide finanziert und so gestaltet ist, daß durch sie die Eigenkapitalausstattung und die Investitionskraft der Unternehmen gestärkt wird. Doch das, was die Bundesregierung der Wirtschaft als Investitionszulage anbietet, erfüllt keine der in sie gesetzten Erwartungen: Sie ist finanziell nicht abgesichert, sie greift nicht, sie ist nicht praktikabel, und sie ist nicht gewollt.

(Wolfram [Recklinghausen] [SPD]: Also sind Sie dagegen?)

Wo hat es denn jemals ein Steuergeschenk gegeben, das von den damit Bedachten mit so abfälligen Äußerungen kommentiert worden ist wie diese Investitionszulage?

(Wolfram [Recklinghausen] [SPD]: Aber genommen wird sie! — Immer [Altenkirchen] [SPD]: Aber die Unternehmen halten trotzdem schon die Hand auf!)

Selbst der Deutsche Gewerkschaftsbund hat zum
Schluß eine zunehmende Skepsis erkennen lassen.
Die Investitionszulage wird nicht greifen. Bestenfalls gibt es zum Jahresende eine Auftragswelle, die rasch wieder verebbt. Als kurzfristig wirkende Maßnahme ist dieses Instrument des Stabilitätsgesetzes kaum zur Bewältigung unserer strukturellen Probleme geeignet. Die Investitionszulage wird zwar das eine oder andere Unternehmen, das in den letzten drei Jahren weniger investiert hat, begünstigen, doch werden gleichzeitig jene enttäuscht und verbittert sein, die gerade in den letzten drei Jahren den Mut zur Investition und zur Umstrukturierung bewiesen haben.

(Eigen [CDU/CSU]: So ist es!)

Der Unmut, der sich hier vor allem in der mittelständischen Wirtschaft breitmacht, ist erheblich und sollte nicht unterschätzt werden.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Außerdem: Die Investitionszulage ist nicht praktikabel. Dieses Gesetz ist vielmehr ein Beispiel für eine überhastete, wenig durchdachte und in den Folgen selbst von den Experten des Bundesfinanzministeriums gar nicht einschätzbare Steuergesetzgebung. Selbst mit einem Einführungserlaß von mehr als 60 Seiten, der derzeit vorbereitet wird, wird diese Investitionszulage nicht in den Griff zu bekommen sein. Das Abstellen der Förderung auf das Mehr gegenüber einer Referenzperiode stellt die Steuerverwaltung, insbesondere die Betriebsprüfung, vor unlösbare Probleme.
Wenn die Fraktion der CDU/CSU der Beschlußempfehlung des Vermittlungsausschusses gleichwohl ihre Zustimmung geben wird, dann gilt dieses Ja dem Ergebnis des Vermittlungsverfahrens als Ganzem. Unser Ja gilt der Verhinderung der Steuererhöhungen, der Gewährung von Bildungsbeihilfen an arbeitslose Jugendliche. Unser Ja gilt auch dafür, daß die Mehreinnahmen aus der Beteiligung der Rentner an den Kosten ihrer Krankenversicherung nicht in die Bundeskasse fließen, sondern die Finanzen der Rentenversicherung selbst stärken.
Da über den Vorschlag des Vermittlungsausschusses nur gemeinsam abgestimmt werden kann, lassen wir auch die Investitionszulage passieren.

(Zurufe von der SPD)

Doch etwas muß klar sein: Diese gesetzgeberisch mißratene, arbeitsmarktpolitisch und wirtschaftspolitisch höchst zweifelhafte und unsolide Maßnahme ist nicht die unsrige.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Wohl aber ist es unser Beitrag, daß wir sinnwidrige und unsere Volkswirtschaft schädigende Steuererhöhungen verhindert haben. — Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der CDU/CSU)


Richard Wurbs (FDP):
Rede ID: ID0910325300
Das Wort hat der Abgeordnete Walther.

Rudi Walther (SPD):
Rede ID: ID0910325400
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Kreile, mit dem, was Sie hier soeben in freier Interpretation des Begriffs Erklärung an Polemik vorgetragen haben,

(Zuruf von der CDU/CSU: Das nehmen Sie sofort zurück!)

will ich mich nicht lange auseinandersetzen, sondern nur so viel sagen: Das, was Sie hier vorgetragen haben, zeigt immer deutlicher: Die Union ist die qualifizierte Neinsager-Partei in diesem Lande, von der die deutschen Arbeitnehmer nichts zu erwarten haben.

(Beifall bei der SPD und der FDP — Lachen und Zurufe von der CDU/CSU)

Meine Damen und Herren, die sozialdemokratische Bundestagsfraktion wird dem Vermittlungsergebnis zustimmen. Ich begründe das wie folgt:
Die Bundesregierung hat ihre beschäftigungspolitische Aktion, über deren einen Teil wir heute hoffentlich letztmalig und abschließend beraten, zu Recht Gemeinschaftsinitiative genannt, Gemeinschaftsinitiative deshalb zu Recht, meine Damen und Herren, weil die Verantwortung für die Wiedergewinnung der Vollbeschäftigung in besonderem Maße, aber eben nicht nur die öffentlichen Hände, sondern alle am Wirtschaftsleben Beteiligten tragen.
Die Bundesregierung und die Koalitionsfraktionen haben ihren Teil im Rahmen dieser Initiative erbracht. Über die Investitionszulage und Maßnahmen zur Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit, die wir durchgesetzt haben und worauf wir stolz sind, wird heute abgestimmt.
Im ERP-Wirtschaftsplan werden zusätzliche, im wesentlichen private Investitionen in Höhe von 1,6 Milliarden DM auf den Weg gebracht. Der Verwaltungsrat der Bundespost hat in dieser Woche beschlossen, den Investitionsanteil der Post noch einmal um über 220 Millionen DM auf rund 13 Milliarden DM aufzustocken. Mit der Operation '82 haben wir eine erhebliche Anzahl zusätzlicher Investitionsanreize geschaffen, über die ich hier im einzelnen nicht noch einmal reden will. Darüber hinausgehende beschäftigungswirksame Investitionen wer-



Walther
den im Nachtragshaushalt 1982 und im Haushaltsentwurf 1983 vorgesehen werden.
Meine Damen und Herren, dies ist der Teil, über den dieses Parlament zu entscheiden hatte.
Ich komme zu einem anderen Teil. Wenn die konservative These, daß Lohnzurückhaltung der Arbeitsplatzerhaltung und der Schaffung neuer Arbeitsplätze dient, richtig ist, dann haben die deutschen Arbeitnehmer und die deutschen Gewerkschaften ihren Anteil mehr als erbracht. Dafür gebührt ihnen Dank, nämlich für ihre gewiß unpopuläre Haltung.

(Beifall bei der SPD)

Die Bundesbank hat mit ihrer zugegebenermaßen etwas zögerlichen Zinspolitik dennoch nicht abseitsgestanden, obwohl uns Sozialdemokraten eine mutigere Zins- und Geldmengenpolitik hilfreicher erschienen wäre, weil sie mithelfen könnte, die immer noch zu stark ausgeprägte Abwartehaltung — Attentismus nennt man das neudeutsch — der Investoren abzubauen, besser noch zu beenden.

(Unruhe)


Richard Wurbs (FDP):
Rede ID: ID0910325500
Herr Abgeordneter, gestatten Sie, daß ich Sie für einen Augenblick unterbreche. — Meine Damen und Herren, ich bitte, doch Platz zu nehmen.

Rudi Walther (SPD):
Rede ID: ID0910325600
Meine Damen und Herren, wir Sozialdemokraten appellieren an dieser Stelle aber auch an die deutschen Kreditinstitute, endlich die Zinsspielräume weiterzugeben, die ihnen die Bundesbank eingeräumt hat, und damit nicht zu lange zu warten.

(Beifall bei der SPD)

Aber wir appellieren auch an die Unternehmer im Lande, von den Möglichkeiten, die ihnen die Politik jetzt bietet, schnell und tatkräftig Gebrauch zu machen.

(Beifall bei der SPD)

Nicht Nörgelei, nicht Miesmacherei sind jetzt von den Unternehmern gefordert, sondern genau das, was Unternehmer ausmachen sollte: Risikofreude, Wagemut, aber auch soziale Verantwortung.

(Beifall bei der SPD)

Die in diesen Tagen erschienene öffentliche Anzeige des Bundesverbandes deutscher Banken unter der Überschrift „Wie kommen wir eigentlich dazu, uns selbst die Laune zu verderben?" sollte sich mancher Unternehmerfunktionär ins Stammbuch schreiben.

(Beifall bei der SPD)

Nun komme ich zur Union. Die Unionsmehrheit im Bundesrat hat leider weitgehend versagt. Sie hat sich wieder einmal nicht als Vertreter von Länderinteressen, sondern als verlängerter Arm der Bundestagsopposition verstanden

(Wolfram [Recklinghausen] [SPD]: So ist es!)

und erneut das Verfassungsrecht in eine vom Grundgesetzgeber nicht gewollte Verfassungswirklichkeit umgebogen. Meine Damen und Herren, der geheim tagende Vermittlungsausschuß als Obergesetzgeber ist eine Verfassungswirklichkeit, die an den Nerv der Demokratie rührt.

(Dr. Jenninger [CDU/CSU]: Was soll denn diese Beschimpfung?! Sie sollen eine Erklärung abgeben!)

Nun zu dem, was Sie, Herr Kreile, im Hinblick auf Mehrwertsteuererhöhung gesagt haben. Wir Sozialdemokraten hätten eine Erhöhung der Mehrwertsteuer zur Finanzierung dieses Programms gewiß nicht zu unseren freudigen Vorgaben gezählt. Andere Finanzierungsmöglichkeiten, die die Lasten der Krisenbewältigungskosten sozial gerechter verteilt hätten, wären mehr nach unserem Geschmack gewesen. Trotzdem wäre eine Erhöhung der Mehrwertsteuer gerechter als der Versuch, insbesondere der Oppositionsparteien, die Lasten der weltwirtschaftlich bedingten Krisenerscheinungen allein den Opfern dieser Krise aufzubürden. Ich sage das jetzt deutlich auch für die Zukunft: Solche Lösungen sind für Sozialdemokraten unzumutbar.
Herr Kreile, was immer Sie gesagt haben mögen,
— ich rede nicht aus dem hohlen Bauch, ich bin ganz sicher: Manche unionsregierten Länder werden es noch einmal bereuen, daß sie das nicht mitgemacht haben.

(Beifall bei der SPD — Zurufe von der CDU/ CSU)

— Herr Präsident, ich weiß nicht, ob ich bei einer Erklärung auf Zwischenrufe eingehen darf.

(Dr. Jenninger [CDU/CSU]: In Erklärungen sollte es keine Beschimpfungen geben! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU)


Richard Wurbs (FDP):
Rede ID: ID0910325700
Eine Erklärung ist kein Debattenbeitrag.

Rudi Walther (SPD):
Rede ID: ID0910325800
Ich darf also nicht auf Zwischenrufe einehen; das tut mir leid.
Bezeichnend — Herr Kreile, Sie haben sich dessen gebrüstet — für die fehlende soziale Sensibilität der Unionsmehrheit ist das Herausschießen der vorgeschlagenen Abschlagszahlungen bei feststehenden Betriebsprüfungsergebnissen und die vorgezogene Neubewertung für die unbebauten bebaubaren Grundstücke, über die wir heute morgen hier in diesem Hause schon einmal geredet haben. Was sollen die deutschen Arbeitnehmer von einem solchen Verhalten denken, die treu, brav und pünktlich jeden Monat ihre Steuern bezahlen,

(Beifall bei der FDP und der SPD)

und was sollen die Gemeinden denken, die dringend auf zusätzliche Einnahmen angewiesen sind?
Wir stimmen dem Vermittlungsergebnis zu, weil wir das Kernstück dieser Initiative, die Investitionszulage und die Qualifizierungsmaßnahmen für arbeitslose Jugendliche als ein deutliches Zeichen dafür durchgesetzt haben, daß staatliches Handeln zwingend gefordert ist. Denn schon einmal ist eine



Walther
deutsche Demokratie letztendlich an der Geißel Arbeitslosigkeit gescheitert. Deshalb müssen wir heute zeigen, daß wir aus der Geschichte gelernt haben. — Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP und der SPD)


Richard Wurbs (FDP):
Rede ID: ID0910325900
Das Wort hat Frau Abgeordnete Matthäus-Maier.

Ingrid Matthäus-Maier (SPD):
Rede ID: ID0910326000
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die FDP begrüßt, daß durch die heutige Entscheidung über das Beschäftigungsförderungsgesetz endlich die notwendige Klarheit entsteht, die Voraussetzung für weitere Investitionen ist. Die monatelange Unsicherheit, die, Herr Dr. Kreile, nun wirklich nicht zu Lasten der Koalitionsfraktionen geht,

(Lachen bei der CDU/CSU)

denn wir haben das Ganze bereits vor der Osterpause verabschiedet,

(Beifall bei der FDP und der SPD)

ist endlich beseitigt. Für zusätzliche Investitionen gibt es eine Investitionszulage von 10 %, und außerdem werden weitere Bildungsmaßnahmen zur Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit ergriffen.
An die Wirtschaft appelliere ich: Jetzt gibt es keinen Grund mehr für Attentismus.

(Beifall bei der FDP und der SPD)

Es geht jetzt darum, verstärkt, und zwar schnell, zu investieren und damit neue Arbeitsplätze zu schaffen bzw. bestehende Arbeitsplätze zu sichern. Da einige Teile der Wirtschaft — lassen Sie es mich besser sagen: einige ihrer Verbände oder ihrer Verbandsgeschäftsführer — diese Investitionszulage als unzureichend kritisiert haben, möchte ich folgendes in Erinnerung rufen.
Diese Investitionszulage steht nicht isoliert. Anfang des Jahres sind erst die Verbesserung der degressiven Abschreibung, steuerliche Verbesserung im Wohnungsbau und eine Ausweitung des Verlustrücktrages in Kraft getreten. Das Zweite Haushaltsstrukturgesetz hat damit die notwendige Umschichtung von den konsumtiven in die investiven Teile der Haushalte in sehr beachtlichem Umfang in Gang gesetzt. Ebenfalls zu Beginn dieses Jahres traten aus dem letzten Steuerentlastungspaket noch Steuerentlastungen von über vier Milliarden DM in Kraft. Sie erinnern sich: die Anhebung der Sonderausgabenhöchstbeträge, die Verbesserung des Vorwegabzugs für Selbständige und die Verbesserung des Haushaltsfreibetrags für die Alleinstehenden. Die Zinsen gehen deutlich nach unten, das Leistungsbilanzdefizit schwindet, und den Gewerkschaften ist es durch das vorliegende Beschäftigungsförderungsgesetz erleichtert worden, mit 4,2 % maßvolle Lohnabschlüsse zu akzeptieren.

(Beifall bei der FDP und der SPD)

Hinzu kommt die zu erwartende Belebung auf dem Wohnungsbaumarkt durch die in diesen Minuten zu verabschiedende Änderung der Mietgesetzgebung. Alle diese Maßnahmen zusammen bedeuten eine
enorme Verbesserung der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen binnen weniger Monate. Für Attentismus, für weiteres Zögern ist kein Raum.

(Beifall bei der FDP und der SPD)

Ein Zweites. Die FDP bedauert, daß sich die CDU/ CSU geweigert hat in diesem Gesetz zugleich die Finanzierung der Investitionszulage durch das Aufkommen aus einer Mehrwertsteueranhebung für ein halbes Jahr mit zu regeln. Das widerspricht zahllosen Aufforderungen aus den Reihen der Opposition, die Staatsverschuldung zurückzuführen, zu sparen und umzuschichten. Damit ist es nicht genug; die Opposition hat auch die anderen in diesem Gesetzentwurf vorhandenen Finanzierungsmöglichkeiten abgelehnt, nämlich die Neubewertung von unbebauten baureifen Grundstücken sowie ein schnelleres Eintreiben der Steueraußenstände des Staates bei den längerdauernden Betriebsprüfungen. Das letztere finde ich besonders bedauernswert, denn ich meine, bevor man über Abbau von Subventionen, Einschneiden in Transfergesetze und ähnliches nachdenkt, muß doch wohl das verstärkte Eintreiben von ohnehin bestehenden Steueraußenständen vorrangiges Ziel von uns allen sein.

(Beifall bei der FDP und der SPD)

Meine Damen und Herren von der Opposition, Sie haben damit alle ausgabenwirksamen Teile des Gesetzes akzeptiert, alle einnahmewirksamen Teile des Gesetzes aber abgelehnt und zugleich nicht einmal eine finanzielle Alternative angegeben. Dies ist Ausdruck kurzsichtiger Oppositionspolitik, nicht aber Beweis für eine verantwortungsbewußte seriöse Finanzpolitik. Dies ist insbesondere keine Empfehlung dafür, eine Opposition, die an die Macht will, weil sie angeblich besser sparen kann, tatsächlich an die Macht zu lassen.

(Beifall bei der FDP und der SPD)

Sie, meine Damen und Herren von der Opposition — lassen Sie mich das klar sagen —, sind persönlich wie sachlich keine Alternative zur Wirtschaftspolitik dieser Bundesregierung.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP — Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Ein Drittes. Die FDP bedauert insbesondere, daß die CDU/CSU nicht bereit war, schon in diesem Verfahren der Absicht der Bundesregierung und der sie tragenden Koalition zu folgen, durch eine Anhebung der Mehrwertsteuer und die entsprechende Absenkung der Lohn- und Einkommensteuer für das Jahr 1984 die dringend notwendige Umschichtung von den direkten Steuern in die indirekten Steuern mitzutragen. Dies ist uns unverständlich.

(Glos [CDU/CSU]: Weil wir euch nicht trauen! — Weiterer Zuruf von der CDU/CSU: Warum haben Sie keinen Gesetzentwurf gemacht?)


(Vorsitz : Vizepräsident Dr. h. c. Leber)

Führende Oppositionspolitiker, allen voran Franz Josef Strauß, haben von dieser Notwendigkeit jahrelang gesprochen. Wir haben sehr konkret angeboten, daß im Laufe dieses Vermittlungsverfahrens eine



Frau Matthäus-Maier
Konkretisierung der wichtigsten Eckdaten der Steuerentlastung erfolgen würde. Daß wir, Herr Kreile, nicht anderthalb Jahre vor dem Inkrafttretenstermin einen kompletten Gesetzentwurf vorlegen können, das wissen Sie als Steuerpolitiker genauso gut wie ich. Nur um die Koalition in Schwierigkeiten zu bringen, haben Sie, obwohl Sie für die Umschichtung sind, obwohl Sie wissen, daß sie kommen muß, für ein halbes Jahr die Mehrwertsteueranhebung abgelehnt.
Meine Damen und Herren, wir, die Koalitionsfraktionen, halten aber daran fest. Wir haben die Absicht, erstens wie in früheren Zeiten 1984 eine Entlastung bei der Lohn- und Einkommensteuer vorzunehmen,

(Beifall bei der FDP)

um die sogenannte kalte Progression nicht höher besteuern zu lassen.
Zweitens. Finanziert werden soll dies durch eine Anhebung der Mehrwertsteuer.
Drittens. Damit soll zugleich der Verschiebung von den Umsatz- und Verbrauchsteuern hin zur Lohn- und Einkommensteuer entgegengewirkt werden.
Viertens. Die Gesamtsteuerlast von Bürgern und Wirtschaft soll dabei gleichbleiben.
Ein möglicher Anstieg des Steueraufkommens soll zusätzlich zurückgegeben werden. Letzteres ist jedoch nach den heutigen Schätzungen weder notwendig noch möglich, denn nach allen vorhandenen Zahlen bleibt die Steuerlastquote in den nächsten Jahren bis einschließlich 1984 konstant, j a, sie wird sogar möglicherweise sinken. Berücksichtigt man die Kindergeldreform Mitte der 70er Jahre, so liegt der Anteil der Steuern am Bruttosozialprodukt für die Jahre 1981 bis 1984 sogar unter dem Anteil des Jahres 1952 und unter dem langjährigen Durchschnitt der letzten Jahrzehnte. Dieser Spielraum sollte meines Erachtens bei den für den kommenden Haushalt benötigten Einsparungen durch Einschnitte auch bei Steuervergünstigungen und steuerlichen Subventionen genutzt werden.
Viertens. Dieses Beschäftigungsprogramm ist kein Patentrezept für ein schnelles Absinken der Arbeitslosenzahlen. Es gibt auch kein solches Patentrezept. Wer vorgibt, ein solches zu haben, handelt demagogisch. Wir werden schon aus bevölkerungspolitischen Gründen, nämlich durch das Hineinwachsen von etwa 100 000 jungen Leuten jährlich bis in die 90er Jahre, noch über Jahre hinaus mit hohen Arbeitslosenzahlen zu kämpfen haben. Deswegen werden weitere Maßnahmen und nicht in erster Linie oder ausschließlich des Staates erforderlich sein. Dazu gehören insbesondere Maßnahmen der Arbeitszeitverkürzung, z. B. der Lebensarbeitszeitverkürzung, und nicht nur durch den Staat, sondern gerade auch durch Tarifvertrag, das Job-Sharing oder andere flexiblere Gestaltungen der Arbeitszeit. Dazu gehören weiter eine bessere Qualifizierung der Jugendlichen und eine größere Bereitschaft der
Wirtschaft, zusätzliche Ausbildungsplätze zur Verfügung zu stellen.

(Beifall bei der FDP und der SPD)

Dazu gehört auch, meine Damen und Herren, die Bereitschaft in den USA, die dortige Finanzpolitik zu ändern, denn dies ist die Voraussetzung dafür, daß die Deutsche Bundesbank

(Zuruf von der CDU/CSU) ihre Zinsen weiter senken kann.


(Beifall bei der FDP und der SPD)

Mit dem heutigen Gesetz verabschiedet dieses Parlament einen wichtigen Schritt aus der Gemeinschaftsinitiative der Bundesregierung. Daher stimmt die FDP-Fraktion ihm zu.

(Beifall bei der FDP und der SPD)


Georg Leber (SPD):
Rede ID: ID0910326100
Meine Damen und Herren, zu einer Erklärung nach § 90 der Geschäftsordnung erteile ich dem Herrn Abgeordneten Coppik das Wort.

Manfred Coppik (SPD):
Rede ID: ID0910326200
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Gemäß § 90 der Geschäftsordnung möchte ich — zugleich im Namen des Kollegen Hansen — folgende Erklärung abgeben.
Der Kollege Hansen und ich haben das Gesetz, das sich „Beschäftigungsförderungsgesetz" nennt, das in Wirklichkeit aber ein Gesetz zur Vermögensumverteilung zugunsten der besitzenden Schichten ist,

(Zuruf von der CDU/CSU: Klasse!)

bereits in zweiter und dritter Lesung abgelehnt. Wir lehnen auch das Ergebnis des Vermittlungsverfahrens zu diesem Gesetz ab.
Der wesentlichste Teil des Vermittlungsergebnisses ist das Investitionszulagengesetz, nach dem ohne Rücksicht auf die jeweiligen Beschäftigungswirkung private Investitionen gefördert werden sollen. Auf Kosten der Allgemeinheit sollen in Zeiten knapper öffentlicher Mittel Milliardenbeträge wahllos den Unternehmern zugeschoben werden. Die Schaffung neuer Arbeitsplätze ist davon nicht zu erwarten.
In der gegenwärtigen wirtschaftlichen Situation ist die Neigung besonders groß, wenn überhaupt Investitionen, dann Rationalisierungsinvestitionen, die bestehenden Arbeitsplätze vernichten, durchzuführen. Es ist schon absurd, wenn diese Arbeitsplatzvernichtung durch die öffentliche Hand finanziert werden soll und dann auch noch „Beschäftigungsförderung" genannt wird.

(Zustimmung des Abg. Hansen [fraktionslos])

Wer aber gar hofft, daß nunmehr auf Grund dieses Vermittlungsergebnisses die Unternehmer schon so lieb sein würden und Investitionszulagen nur für sinnvolle beschäftigungsfördernde Investitionen verwenden würden, der hat von den Interessen und den Kriterien, die die Entwicklung in einer kapitali-



Coppik
stischen Wirtschaftsordnung bestimmen, nichts begriffen.

(Zustimmung des Abg. Hansen [fraktionslos])

Es ist bedrückend, wenn auf der einen Seite, wie man gestern in der Presse lesen konnte, Minister Westphal davon spricht, man müsse an die dickeren Taschen gehen, und wenn hier gleichzeitig etwas verabschiedet wird, was die dicksten Taschen noch praller füllen soll.

(Zustimmung des Abg. Hansen [fraktionslos] — Zuruf von der CDU/CSU: So ein Quatsch!)

Bei einer Allparteienkoalition zur Förderung von privaten Kapitalinteressen machen Demokratische Sozialisten nicht mit. Wir stimmen dagegen.

(Zustimmung des Abg. Hansen [fraktionslos] — Zurufe von der CDU/CSU)


Georg Leber (SPD):
Rede ID: ID0910326300
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor.
Wir kommen zur Abstimmung. Der Vermittlungsausschuß hat gemäß § 10 Abs. 3 Satz 1 seiner Geschäftsordnung beschlossen, daß über die Änderungsvorschläge gemeinsam abzustimmen ist. Wer der Beschlußempfehlung des Vermittlungsausschusses auf Drucksache 9/1647 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Danke sehr. Wer stimmt dagegen? — Wer enthält sich der Stimme? — Es ist bei wenigen Gegenstimmen entsprechend beschlossen.
Meine Damen und Herren, entsprechend unserem Beschluß von heute vormittag treten wir jetzt in die dritte Beratung und Schlußabstimmung der Tagesordnungspunkte 2 bis 4 ein.
Wir kommen zuerst zum Tagesordnungspunkt 2: Mietspiegelgesetz, Drucksachen 9/745 und 9/1672. Dazu und zu Punkt 3 der Tagesordnung hat der Herr Abgeordnete Jahn (Marburg) eine schriftliche Erklärung abgegeben, die ich zu Protokoll gebe *). Das gleiche gilt für eine Erklärung des Herrn Abgeordneten Jäger (Wangen) nach § 31 der Geschäftsordnung. Auch sie wird zu Protokoll genommen **).

(Zuruf von der CDU/CSU: Können die Persilscheine nicht gebündelt abgegeben werden?)

Wir stimmen jetzt in
dritter Beratung
über das Mietspiegelgesetz ab.
Wer dem Gesetz als ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Wer stimmt dagegen? — Enthält sich jemand der Stimme? — Das Gesetz ist angenommen.
*) Anlage 2 **) Anlage 3
Wir kommen zurück zu Punkt 3 der Tagesordnung: Mietrechtsänderungsgesetz 1981, Drucksachen 9/791 und 9/1679.
Eine schriftliche Erklärung des Abgeordneten Schöfberger gemäß § 31 der Geschäftsordnung wird zu Protokoll genommen. ***)
Wir treten in die
dritte Beratung
ein und kommen zur Schlußabstimmung.
Wer dem Gesetz als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Gegenstimmen? — Wer enthält sich? — Das Gesetz ist in dritter Lesung bei einer Enthaltung angenommen.
Wir kommen zurück zu Punkt 4 der Tagesordnung: Teilhauptfeststellungsgesetz 1983, Drucksachen 9/1648 und 9/1673.
Wir treten in die
dritte Beratung
ein und kommen zur Schlußabstimmung.
Wer dem Gesetz als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Das Gesetz ist angenommen.
Ich rufe nun Punkt 12 der Tagesordnung auf:
Beratung des Antrags der Fraktionen der SPD und FDP Fortschreibung des Bildungsgesamtplans
— Drucksache 9/1643 —
Meine Damen und Herren, im Ältestenrat ist für die Aussprache ein Beitrag bis zu zehn Minuten für jede Fraktion vorgesehen worden. Ist das Haus damit einverstanden? — Ich sehe, dem wird nicht widersprochen.
Wird das Wort zur Begründung gewünscht? — Ich sehe, das ist nicht der Fall.
Ich eröffne die Aussprache. Als erste Rednerin hat Frau Abgeordnete Weyel das Wort.

Gudrun Weyel (SPD):
Rede ID: ID0910326400
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Fraktionen der SPD und FDP haben den Ihnen vorliegenden Antrag gestellt, in dem die Bundesregierung aufgefordert wird, den Entwurf zur Fortschreibung des Bildungsgesamtplans vorzulegen und über den Stand der Beratungen sowie das weitere Verfahren in der Bund-LänderKommission zu berichten, nachdem wegen fehlender Einigung über die Finanzierung diese Arbeit bisher nicht abgeschlossen werden konnte. Abgesehen davon, daß die mehrjährige Arbeit der Bund-LänderKommission seit 1977, die schließlich zum Einvernehmen in der Sache führte, durch eine Veröffentlichung gewürdigt wird, möchte ich einige Gründe für unseren Antrag nennen.
Das Grundgesetz verlangt die Wahrung — in der
Realität ist es manchmal erst die Schaffung — der
Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse über die
***) Anlage 4



Frau Weyel
Grenzen der Länder hinaus. Da Bildung und Ausbildung wesentliche Grundlagen für die weitere Lebensgestaltung schaffen, weist Art. 91 b des Grundgesetzes ausdrücklich auf das Zusammenwirken von Bund und Ländern bei der Bildungsplanung und der Förderung von Einrichtungen und Vorhaben der wissenschaftlichen Forschung im Rahmen der Gemeinschaftsaufgaben hin.

Georg Leber (SPD):
Rede ID: ID0910326500
Ich darf einen Augenblick unterbrechen, Frau Kollegin.
Meine Damen und Herren, es wäre der Fortsetzung der Debatte sicher sehr nützlich, wenn die Gespräche im Saal eingestellt würden.

(Beifall bei der SPD und der FDP)


Gudrun Weyel (SPD):
Rede ID: ID0910326600
Nun ist mir bekannt, daß sich Gemeinschaftsaufgaben nicht immer der größten Beliebtheit erfreuen. Deshalb möchte ich noch auf die Grundrechte der Freizügigkeit und der Wahl der Ausbildungsstätte hinweisen, die eine Abstimmung der Bildungsgänge und gegenseitige Anerkennung der Abschlüsse und Zugangsberechtigungen notwendig machen. Um so mehr bedaure ich es, daß anscheinend die Kultusministerkonferenz heute nicht in der Lage war, einen Beschluß über die gegenseitige Anerkennung der Abschlüsse zu fassen,

(Beifall bei der SPD und der FDP)

obwohl der Vorsitzende der CDU/CSU-Fraktion, Herr Kohl, sich laut einem Artikel der „Welt" für die Anerkennung der Abschlüsse der Gesamtschule ausgesprochen hatte. Ich halte es schlicht für verantwortungslos, wenn man bei der inzwischen nicht unbeträchtlichen Anzahl von Gesamtschülern parteipolitische Gesichtspunkte vor die wohlverstandenen Interessen der Betroffenen stellt.

(Beifall bei der SPD und der FDP)

Die Väter und Mütter des Grundgesetzes haben bei der Betonung der kulturellen Eigenständigkeit der Länder sicher mehr an die kulturelle Tradition der Länder als an moderne Lehrinhalte gedacht. Ich kann mir nicht vorstellen, daß z. B. Informatik im Bundesland Bayern anders betrieben wird als im Bundesland Hessen.
Als Vertreterin eines Wahlkreises, der an zwei weitere Bundesländer angrenzt, mit denen die Bevölkerung nach Tradition und Mundart stärker verbunden ist als mit weiten Teilen meines Heimatlandes Rheinland-Pfalz, eines Kreises, der nach vier verschiedenen peripheren Wirtschaftszentren orientiert ist, habe ich eine Fülle von Erfahrungen mit Problemen, die sich aus nicht abgestimmter Bildungspolitik ergeben. Im Interesse der Bürger, insbesondere der jungen Bürger, ist eine abgestimmte Entwicklung im Bildungsbereich notwendig.
Zweitens. Im letzten halben Jahr haben wir eine außerordentlich intensive Diskussion über Fragen der Wirtschaft und Probleme der Beschäftigung gehabt. Bei allen diesen Diskussionen tauchte der Hinweis auf, wie wichtig die Förderung von Innovationen und die weitere Entwicklung dessen, was man als intelligente Techniken bezeichnet, sind. Das klingt sehr überzeugend. Aber dann müssen wir fragen: Wer soll denn diese Techniken entwickeln, und wer soll sie anwenden? Welche Art der schulischen Grundbildung und welche Art der beruflichen Bildung sind notwendig, um den Übergang zwischen den Bildungsbereichen und vom Bildungssystem in das Beschäftigungssystem möglichst reibungslos zu gewährleisten und gleichzeitig die Grundlagen für die geforderte lebenslange Weiterbildung zu schaffen? Welche Angebote muß die Hochschule machen, und wie kann die Forschung gesichert werden?
Die Veränderungen der letzten zehn Jahre müssen ihren Niederschlag in der Fortschreibung des 1973 verabschiedeten ersten Bildungsgesamtplans finden.
Ich möchte als Beispiel für solche Überlegungen, die die BLK angestellt hat, die Diskussion um die Frage der Doppelqualifkation in der Sekundarstufe II nennen, die durchaus kontrovers, aber eigentlich mit demselben Ziel geführt wurde, oder die Frage der Beurteilung der Modellversuche und Zielsetzungen für die Zukunft. Die Bildungsplanung ist als Instrument der Koordinierung nicht nur zwischen den Ländern oder zwischen Bund und Ländern, sondern auch in der Verzahnung der Bildungspolitik mit Wirtschafts-, Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik notwendig.
Drittens. Veröffentlichungen der CDU/CSU-Fraktion im Zusammenhang mit diesem Thema konzentrieren sich stark auf Fragen der Hochschule, auf den Hochschulbau, auf Studentenwohnheimbau, auf Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses. Diese Fragen sind sicher wichtig, auch im Zusammenhang mit dem, was ich eben sagte. Aber in der Konzeption des bisherigen Bildungsgesamtplans und des Entwurfs, der uns vorliegt, wird besonders auf neue Problemfelder hingewiesen — wobei die Reihenfolge jetzt keine Wertung darstellen soll —, z. B. auf die demographische Entwicklung, die Sicherung der beruflichen Bildung für alle — ein Thema, das uns aktuell doch außerordentlich stark berühren muß —,

(Zustimmung bei der SPD)

die gesamtwirtschaftliche Entwicklung, die Abstimmung von Bildungs- und Beschäftigungssystem — für junge Menschen ein ganz entscheidendes Problem für ihren gesamten Lebenslauf —, die steigende Zahl ausländischer Kinder, die Förderung benachteiligter Gruppen, schließlich die Notwendigkeit, Erfahrungen aus der ersten Phase der gemeinsamen Bildungsplanung zu berücksichtigen. Wenn immer Kritik an Vorhandenem geübt wird — diese Kritik ist manchmal durchaus berechtigt —, dann wird damit die Notwendigkeit der Fortschreibung des Bildungsgesamtplans erst recht unterstrichen.
Was wir benötigen, ist nicht eine Planung für einzelne Bereiche, was wir benötigen ist die Zusammenschau aller Bereiche des Bildungswesens, wie sie der Bildungsgesamtplan in seinem Sachteil vorlegt.

(Zustimmung bei der SPD)

Schließlich möchte ich noch auf die Frage der Finanzierung eingehen, an der die Planung bisher ge-



Frau Weyel
scheitert ist. Zwischen Bildungsseite und Finanzseite waren am Ende noch 5 Milliarden DM strittig, ein Betrag, der sicher nicht als Bagatelle abzutun ist. Ich will keineswegs leichtfertigen Optimismus verbreiten, indem ich annehme, daß ein solcher Betrag noch irgendwo zu finden wäre. Ich halte es aber für sehr wohl möglich, daß sich in der Bewertung der Rahmendaten im Laufe der Zeit Veränderungen ergeben.
Wenn tatsächlich die einzige Möglichkeit zur Einsparung dieser 5 Milliarden DM darin bestand, 50 000 Lehrer zu entlassen, dann muß ich doch die Frage stellen: Wie sieht denn eigentlich die Situation aus, wenn wir diesen Bildungsgesamtplan nicht zur Kenntnis nehmen? Ändert sich dann eigentlich etwas, oder ist die Lage der einzelnen Bundesländer nicht so, daß sie auch ohne Bildungsgesamtplan gezwungen sind, diese Summe einzusparen und in der Form zu verfahren, die diskutiert wird, daß Lehrerstellen gestrichen werden, was j a praktisch heißt, daß freiwerdende Stellen nicht mehr besetzt werden können und daß hier die jetzt nachwachsende junge Generation vor der Tür stehenbleibt?

(Daweke [CDU/CSU]: Das ändert sich doch nicht durch den Gesamtplan, Frau Kollegin Weyel! — Frau Braun-Stützer [FDP]: Natürlich!)

— Ja, eben, es ändert sich nicht durch den Gesamtplan. Deswegen frage ich mich, warum der Gesamtplan abgelehnt wird, wenn die Situation auch ohne den Gesamtplan die gleiche ist.

(Daweke [CDU/CSU]: Fragen Sie doch einmal den Finanzminister!)

Nun stellt sich die Frage: Was geschieht nun eigentlich mit den nicht eingestellten Lehrern? Herr Kollege Daweke, ich nehme an, das ist ein Schicksal, das auch Sie nicht unberührt läßt. Wenn wir unterstellen, daß ein Teil der Bewerber — das trifft im übrigen in der kommenden Zeit nicht nur Lehrer, sondern weite Bereiche des öffentlichen Dienstes, beispielsweise auch Juristen — eine andere Beschäftigung findet, bleibt trotzdem eine große Zahl, die dann durch Arbeitslosen- oder Sozialhilfe ihren Lebensunterhalt bestreiten muß. Dann sieht die Gesamtrechnung der Einsparung wohl ein bißchen anders aus.
Ich finde es einfach absurd, daß durch Einsparungen an Lehrern, durch dadurch bedingte zu große Klassen und Unterrichtsausfall die Schulziele nicht erreicht werden, während die Lehrer arbeitslos vor der Tür stehen, und wenn dann Eltern diese Lücken durch private Nachhilfestunden bei eben diesen Lehrern zu schließen suchen, die wegen des fehlenden Geldes nicht beschäftigt werden können.

(Beifall bei der SPD)

Abgesehen davon entfallen dann auch noch die Steuereinnahmen für die beschäftigten oder nichtbeschäftigten Lehrer.
Wenn es aber andere Möglichkeiten der Einsparung gibt, dann sind diese eher durch eine breite Diskussion eines veröffentlichten Entwurfs über den einvernehmlich abgestimmten Bildungsgesamtplan im Sachbereich zu führen als dadurch, daß die gesamte Planung zu den Akten gelegt wird.
Ich bitte Sie daher, unserem Antrag zuzustimmen.

(Beifall bei der SPD und der FDP)


Georg Leber (SPD):
Rede ID: ID0910326700
Das Wort hat der Abgeordnete Graf von Waldburg-Zeil.

Graf Alois von Waldburg-Zeil (CDU):
Rede ID: ID0910326800
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen, meine Herren! Wenn man von der Aufmerksamkeit im Saal zu Beginn der Rede der Kollegin auf das Interesse an der Bildungsplanung in der Bundesrepublik schließen könnte und es mit dem großen Enthusiasmus, der im Jahre 1973 für diese Bildungsplanung geherrscht hat, vergleicht, dann kann man vielleicht ein wenig einen Rückschluß auf das Klima ziehen, das derzeit herrscht.
Der Vorgang dieses Antrages ist ein wenig ungewöhnlich. Da soll der Deutsche Bundestag auf Antrag der Fraktionen der SPD und der FDP die Bundesregierung auffordern, den Entwurf der Fortschreibung des Bildungsgesamtplanes vorzulegen, nachdem die Fortschreibung selber im zuständigen Gremium, in der Bund-Länder-Kommission für Bildungsplanung, nicht zustandegekommen ist. Soll dies eine öffentliche Bloßstellung des Organs sein, in dem Bund und Länder sich bisher bemühten, mittel- und langfristige Perspektiven der Bildungspolitik abzustimmen? Was soll das heißen, daß es, wie es im Antrag heißt, unumgänglich sei, um der demographischen und gesamtwirtschaftlichen Entwicklung Rechnung zu tragen, konsensfähige Planungsziele im Bildungswesen festzulegen, wenn die Bundesregierung selbst und ihr Finanzminister nicht in der Lage waren, einen Beitrag dazu zu leisten, eine Übereinkunft über die Finanzierung des künftigen Bildungswesens zu finden?

(Daweke [CDU/CSU]: So ist es!)

Der Vorgang offenbart mehr als eine Verhandlungskrise. Er legt grundlegende Probleme der Bildungsplanung offen, ohne deren Bereinigung auch künftig im Bereich der Abstimmung bildungspolitischer Vorstellungen zwischen Bund und Ländern nichts mehr gehen kann. Wer auf diese Abstimmung Wert legt, muß sich mit diesen Problemen auseinandersetzen, statt die Veröffentlichung eines Entwurfs, eines Fragments als Alibi zu fordern.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Lassen Sie mich als einen, der die Phase eines grenzenlosen bildungsplanerischen Optimismus ebenso hautnah erlebt hat wie die bittere Stunde der Wahrheit, ein paar kurze Bemerkungen zu diesen bildungspolitischen Gezeiten machen. Die Krise des Bildungsgesamtplanes hat sich nicht erst im Auseinanderweichen von pädagogischem Wunsch und finanzieller Wirklichkeit ergeben. Dieser Krise ging eine andere voraus, die des Planungsoptimismus selbst.
Zunächst einmal mußte eine philosophische Nachhollektion hingenommen werden. Schon Aristoteles wußte, daß ein Dreisatz nur stimmt, wenn die Sätze,



Graf von Waldburg-Zeil
aus denen er besteht, richtig sind. Das neue Verständnis von Begabung und Lernen, die Milieutheorie, Grundlage der kompensatorischen Pädagogik, war schon überholt, als der Bildungsgesamtplan herauskam, — wobei auch der Überholende, nämlich Eysenck, nicht recht behalten hat, sondern die Begabungsforschung in Fluß bleibt, augenblicklich auf dem Wege zur Mitte zwischen genetischer und Umweltbegabung.

(Löffler [SPD]: Also nicht ganz überholt, Herr Graf!)

Wichtig ist nur die Erkenntnis, daß gerade im humanwissenschaftlichen Bereich Wissenschaft eben auch auf der Suche nach Wahrheit und noch nicht in deren festem Besitz ist und daß deshalb Bildung mehr auf Erfahrungswerten als auf zeitbedingten wissenschaftlichen Theorien beruhen muß.
Sodann erlitt der Optimismus einen schweren Schlag, ein Optimismus, der hoffte, durch Curricularisierung der Lernvorgänge vom Vorschulbereich bis zum lebenslangen Lernen, also ohne die wissenschaftlich abgesicherte Organisation generell wiederholbarer und objektiv überprüfbarer Lernschritte je aus dem Auge zu verlieren, den Nürnberger Trichter erfunden zu haben.
In der Kürze der Zeit kann ich die Folgeprobleme nur andeuten: Fachlehrertum, Verlust der notwendigen Beziehungen vom Kind zum Lehrer als Bezugsperson, Einengung des pädagogischen Freiraums des Lehrers, Schulkonzentration — um Fachlehrer einsetzen zu können — mit den Folgen des Schülertransports, Stoffüberflutung und beispiellose Verkomplizierung der Lerninhalte, ganz abgesehen von der für Eltern und selbst für ältere Lehrer nicht mehr verständlichen Bildungsgeheimsprache, Überschätzung der Bildungstechnologie.
Schließlich ist die unterschwellige Höhereinschätzung allgemeiner Bildung vor der beruflichen zu erwähnen. Das ängstliche Vermeidenwollen vorzeitiger Festlegung auf bestimmte Bildungsgänge unterstellte offensichtlich, daß solche Festlegungen zu Sackgassen, zum Verlust besserer Chancen, zur Verdammung zu minderen Chancen führen müsse.

(Löffler [SPD]: Aber, Herr Graf, das stimmt doch in weiten Bereichen!)

Der Orientierungsstufendissens 1973 — schon damals mit Sondervoten — zeigte diese unausdiskutierte Grundströmung: Statt Chancenvielfalt durch reichhaltige Angebote, die alle weiterführen, das Stehenlassen des Verdachts, aussondern zu müssen oder vermeiden zu müssen.
Bei der Fortschreibung des Bildungsgesamtplans wurden die genannten Grundprobleme andiskutiert. Sie sind dann hinter Organisations- und Anerkennungsproblemen, deren Lösung die Beantwortung der vorgenannten Grundprobleme voraussetzt und nicht ersetzt, leider in den Hintergrund gerückt.

(Zuruf von der CDU/CSU: So ist es!)

Die wichtigste Erkenntnis des Bildungsgesamtplanes ist die, daß Pläne, die zu stark von der Theorie und zu wenig von der Erfahrungspraxis geprägt sind, mehr Schaden als Nutzen anrichten.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Bittere Erkenntnis ist weiterhin, daß ein Auseinanderdriften des Schulwesens durch Formelkompromisse nicht verhindert wird, sondern im Gegenteil dazu verführt, hinter unausdiskutierten Problemen auf Richtungsgleisen weiterzurollen.

Georg Leber (SPD):
Rede ID: ID0910326900
Herr Abgeordneter von Waldburg-Zeil, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Löffler?

Graf Alois von Waldburg-Zeil (CDU):
Rede ID: ID0910327000
Gerne. Vizepräsident Dr. h. c. Leber: Bitte sehr.

Lothar Löffler (SPD):
Rede ID: ID0910327100
Graf Waldburg-Zeil, selbst wenn ich einen Teil Ihrer Aussagen akzeptieren würde, würden Sie mir zustimmen, daß die früheren Formen des Unterrichts und der Unterrichtsorganisation wissenschaftlich und theoretisch auch nicht einwandfrei abgesichert waren?

Graf Alois von Waldburg-Zeil (CDU):
Rede ID: ID0910327200
Herr Kollege, ich möchte Ihnen voll zustimmen, daß auch in der gesamten Bildungsplanung eine Menge positiver Dinge gesteckt hat. Nur muß man auf der anderen Seite auch sehen, daß eine Planung Fehler in sich birgt; das Wesentliche ist, diese Fehler zu korrigieren.

(Löffler [SPD]: Schränken Sie doch den schönen Satz nicht ein, Graf!)

Der einzige klar zu erkennende Nutzen der Bildungsplanung, die mittelfristige Finanzplanung, konnte eben nicht in Kongruenz zum Bildungsgesamtplan gebracht werden.
Nun kann man einwenden, wir diskutierten Probleme, die laut Grundgesetz die Länder angehen. Das stimmt in dieser Form nicht; denn die Bildungsförderung z. B. war auch ein Thema des Bildungsgesamtplans. Dort war vorausschauend — ich nenne auch Positives — von der zumutbaren Eigenbeteiligung und von vermehrten Darlehensförderungen die Rede. Die Bundesregierung hat zwar im letzten Jahr Facharbeiter, die eine Meisterprüfung machen wollen, aus der Förderung herausgeworfen, auf Darlehen umgestellt und das Darlehen schlechter gestellt als die Arbeitslosenvergütung, einen stärkeren Darlehensanteil für Studenten, der bei Gewährung durch Banken den Staatshaushalt gewaltig entlastet und Gelder für die Finanzierung im Bildungsbereich freigestellt hätte, aber nicht genutzt und als Anschlag auf die Chancengleichheit verdammt, was einfach nicht stimmt, wenn man Darlehensangst durch einen einkommensabhängigen Rückzahlungsmodus vermeiden kann.
Was tun? Krisen sind immer auch Chancen. Die Krise des Bildungsgesamtplans könnte zu einer solchen Chance werden, wenn man überdenkt, wie Erfahrungen der Bildungspolitik in Bund und Ländern gemeinsam fortgeschrieben, Zukunftsaspekte laufend überprüft werden können, wie bei jeweiligen Finanzsituationen Ziele wirklichkeitsnah weiterverfolgt werden können. Eine solche Chance zum Neubeginn wird indes vertan, wenn der Hauptfehler je-



Graf von Waldburg-Zeil
der Planung — ganz ohne Planung geht es nicht —, die Utopie, fortgeschrieben und die Realität nun selbst in der Finanzierbarkeit weggelassen wird. Dies und nur dies ist der Grund, warum die CDU/ CSU-Bundestagsfraktion den Antrag der Fraktionen der SPD und der FDP zur unverbindlichen Fortschreibung des Bildungsgesamtplans ablehnt.

(Beifall bei der CDU/CSU — Löffler [SPD]: Also diese Begründung ist rhetorisch! Die akzeptieren Sie selber nicht!)


Georg Leber (SPD):
Rede ID: ID0910327300
Meine Damen und Herren, ich möchte mitteilen, es hat hier vorhin einen Irrtum gegeben. Die Frau Abgeordnete Weyel hatte sich zur Begründung gemeldet. Ich konnte das in der allgemeinen Unruhe, die herrschte, nicht klar unterscheiden. Ich stelle also zu Protokoll fest: Sie hat als Berichterstatterin gesprochen.
Das Wort hat der Abgeordnete Neuhausen.

Friedrich Neuhausen (FDP):
Rede ID: ID0910327400
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der heute hier vorliegende Antrag bietet die Grundlage dafür, die Beratungen des Deutschen Bundestages einer Reihe von Themen zuzuwenden, die bei aller Berücksichtigung der verfassungsrechtlich festgelegten Kompetenzverteilung zwischen Bund und Ländern angesichts der mit ihnen verbundenen gesamtstaatlichen Verantwortung auch von ihm behandelt werden müssen. Denn wie es in der Begründung des Antrags heißt, die großen Linien der Zukunftsgestaltung der Bildungspolitik und Bildungsplanung, die grundlegenden Fragen der Bildungsstruktur, die Sicherung der Ausbildungsangebote und die Beziehung zwischen Bildungs- und Beschäftigungssystem sind nationale Themen, die gesamtstaatliche Zielsetzung und gemeinsames Handeln von Bund und Ländern erfordern.

(Beifall bei der FDP und der SPD)


Georg Leber (SPD):
Rede ID: ID0910327500
Herr Kollege Neuhausen, erlauben Sie eine Zwischenfrage?

Friedrich Neuhausen (FDP):
Rede ID: ID0910327600
Bitte schön. Vizepräsident Dr. h. c. Leber: Bitte sehr.

Dr. Franz Möller (CDU):
Rede ID: ID0910327700
Herr Kollege, da Sie den Antrag begründen, möchte ich Sie gern folgendes fragen. Können Sie als Bildungspolitiker mir den Antrag der SPD und der FDP grammatikalisch und nicht politisch erläutern, da nach meinem Sprachverständnis — ohne Bildungsgesamtplan — dieser Antrag grammatikalisch fehlerhaft ist, da es dort heißt, daß die Bundesregierung „über den Stand der Beratungen sowie weiteres Verfahren" zu berichten hat? Irgend etwas ist grammatikalisch daran nicht in Ordnung, trotz Bildungsgesamtplan.

Friedrich Neuhausen (FDP):
Rede ID: ID0910327800
Verehrter Herr Kollege, diese Frage beantworte ich nicht; denn ich hatte die richtige grammatikalische Fassung aus Gründen der
Zeitersparnis aus meiner Rede bereits herausgelassen.

(Dr. Möller [CDU/CSU]: Dann müssen wir das ändern!)

Wir sind heute nicht zur philologischen Betrachtung der Angelegenheit hier, sondern eigentlich zur politischen Betrachtung.

(Beifall bei der FDP und der SPD)

Meine Damen und Herren, gerade die Tatsache, daß der Finanzierungsteil für die Fortschreibung des Bildungsgesamtplans fehlt, macht es um so notwendiger, die immerhin erreichte gemeinsame Sachplanung der parlamentarischen Beratung zugänglich zu machen. Denn wenn man die Hoffnung noch nicht aufgeben will, daß es doch noch zu einem abgestimmten Finanzierungskonzept kommen kann, dann muß man besonderen Wert darauf legen, daß die vorauszusehenden Entwicklungen, Probleme, Notwendigkeiten, Möglichkeiten und Alternativen deutlich sichtbar werden.
Ich gestehe allerdings, daß man schon stark in der Hoffnung und im Glauben sein muß, um angesichts der jüngsten Entwicklung in der Frage der Anerkennung der Gesamtschulabschlüsse das Maß an Offenheit und Gemeinsamkeit zu erwarten, ohne daß diese Überlegungen in der Luft hängen. Zu sehr erinnert, was jetzt geschieht, an die Situation von 1979: Scheitern des damals gefundenen Kompromisses zum Bildungsgesamtplan und der Anerkennung der Gesamtschulabschlüsse. Wäre der Kompromiß damals gelungen, dann hätte sich auch die Frage des Bildungsbudgets anders und früher gestellt.
Aber in der Hoffnung, meine Damen und Herren, auf Einsicht und Vernunft sollte man nie zu früh resignieren. So paradox es angesichts der fast religionskriegsähnlichen Auseinandersetzungen in der Bildungspolitik klingt: Wenn irgendwo, so muß im Interesse der jungen Generation im Hinblick auf eine langfristige Bildungsrahmenplanung ein Höchstmaß an erreichbarer Gemeinsamkeit angestrebt und gefunden werden. Was es davon schon gibt, darf nicht verlorengehen, sondern es muß erhalten bleiben und weiter ausgebaut werden.

(Beifall bei der FDP und der SPD)

Ein Blick auf die Vergangenheit zeigt: Ohne den Bildungsgesamtplan 1973, ohne die Bund-Länder-Kommission für Bildungsplanung und Forschungsförderung, ohne den Wissenschaftsrat, ohne den allerdings 1975 aufgelösten Bildungsrat, ohne den Beschluß der Regierungschefs zur Sicherung der Bildungs- und Berufschancen der jungen Generation vom November 1977, um nur diese Beispiele zu nennen, wäre es nicht gelungen, die den geburtenstarken Jahrgängen drohende Ausbildungslücke einigermaßen zu schließen. Es bedarf auch nicht vieler Phantasie, sich vorzustellen, was geschehen wäre, wenn die Öffnung des Bildungssystems auch unter sozialen Gesichtspunkten nicht gelungen wäre und rund 1,5 Millionen junger Menschen heute zusätzlich auf den Arbeitsmarkt drängten, ganz abgesehen von den sehr viel geringeren schulischen Qualifika-



Neuhausen
tionen derer, die sich einer beruflichen Ausbildung unterziehen wollten.
Meine Damen und Herren, die Probleme der geburtenstarken Jahrgänge dauern an. Gerade im Hinblick auf sie müssen z. B. die Notwendigkeiten einer besseren Abstimmung zwischen Bildungs- und Beschäftigungssystem erkannt und beraten werden, müssen auch immer noch die Kapazitätsfragen im Hochschulbereich besondere Beachtung finden. Der Schluß daraus lautet: Die Fortschreibung des Bildungsgesamtplans und die Funktion der Bund-Länder-Kommission als Instrument gesamtstaatlicher Bildungspolitik bleiben auch für die Zukunft unentbehrlich. Ohne sie wäre der Rückfall in auseinanderstrebende einzelstaatliche Entwicklungen zu befürchten, mit allen negativen Folgen für die Leistungsfähigkeit der Bildungseinrichtungen.

(Beifall bei der FDP und der SPD)

Meine Damen und Herren, wir leben in einer zunehmend mobilen Gesellschaft. Wir fordern und fördern im Hinblick auf die Probleme des Arbeitsmarktes und im Hinblick auf die Ausbildungsplatzsituation Beweglichkeit und Anpassungsbereitschaft von Erwachsenen und Jugendlichen. Auch dem muß eine gesamtstaatlich verantwortete Bildungspolitik Rechnung tragen.
Es ist kein Geheimnis, daß die Vorstellungen der Freien Demokraten im Zusammenhang mit den Fragen bildungspolitischer Kompetenzverteilung weitergehen. Wir fühlen uns in unseren Anschauungen durch die Auseinandersetzungen, die gerade jetzt kulminieren, nur bestärkt. Diese Auseinandersetzungen sind ein besonders deutliches Beispiel für die Berechtigung der Forderung nach einem Mindestmaß an Einheitlichkeit, nach einer stärkeren Kompetenz des Bundes für die Regelung der Übergänge und Abschlüsse im Bildungswesen sowie für die Anerkennung der Abschlüsse. Nur ein Mindestmaß an Einheitlichkeit kann den Notwendigkeiten genügen, die sich aus der Freizügigkeit und der Mobilität in unserem Lande im Interesse der einzelnen Menschen, der Kinder und ihrer Eltern ergeben.
Unsere Vorstellungen bedeuten keine Egalisierung länderspezifischer Bildungsformen oder Lehrplanangelegenheiten. Unsere Vorstellungen sind auch sehr genau von der falschen Einheitlichkeit des Diktats besonders hartnäckiger Länder über andere oder der verwaltungstechnischen Kompromißformeln zu unterscheiden. Gerade weil wir den föderalistischen Pluralismus bejahen, fordern wir die Anerkennung des pluralistischen Systems durch die Anerkennung der Bildungsgänge und Abschlüsse. Was für den föderalistischen Pluralismus gilt, gilt auch für den Pluralismus pädagogischer Innovationen und Initiativen.
Was wir sonst in unserer freiheitlichen Gesellschaft als hohe Werte preisen — Eigenverantwortung, Kreativität, Mut zur Erneuerung, zu Engagement und Leistung —, wird im Bereich des Bildungswesens oft ziemlich kleingeschrieben und durch bürokratische Einengungen kleingehalten. Das gilt nicht nur für die freien Schulen, denen die Bildungslandschaft immer wieder Anstöße zu neuen Wegen verdankt, die aber auch immer wieder der Gefahr ausgesetzt sind, Opfer technokratischer Gängelei und Gleichmacherei zu werden. Das gilt ebenso für die einzelnen staatlichen Bildungseinrichtungen und für den einzelnen Lehrer.
Wer die Ergebnisse des vom Verband „Bildung und Erziehung" veranstalteten Deutschen Lehrertages gründlich studiert, erhält einen plastischen Eindruck von dem Druck, den Verrechtlichung und ausufernde Verwaltungsregelungen auf das pädagogisch-menschliche Verhältnis zwischen Lehrer und Schüler ausüben.

(Beifall bei der FDP)

Kein Wunder, wenn dort darauf hingewiesen wird, daß das Grundgesetz das Schulwesen zwar der Aufsicht des Staates unterstellt, damit aber nicht einen Regelungsbedarf für alles und jedes proklamiert.
Vergessen wir nicht, daß unsere Themen mit dem Gegenstand der morgigen Debatte zum Zwischenbericht der Enquete-Kommission „Jugendprotest im demokratischen Staat" in enger Verbindung stehen. Das gilt nicht nur für die Grundfrage der Solidarität mit der jungen Generation im Hinblick auf ihre Bildungs-, Ausbildungs- und damit Lebenschancen, eine Solidarität, die auch in Zeiten der Konsolidierung der Staatsfinanzen aufrechterhalten bleiben muß. Das gilt auch für das Mindestmaß an Einheitlichkeit, z. B. bei der Anerkennung von Abschlüssen.
Meine Damen und Herren, hier geht es um sehr Grundsätzliches. Hans-Dietrich Genscher hat schon 1979 darauf hingewiesen, daß der Gehalt dieser Frage von staatspolitischer Bedeutung ist,

(Zuruf des Abg. Daweke [CDU/CSU])

verehrter Herr Daweke; denn die Schule ist — so Genscher — der Ort, an dem die Kinder dem Staat zum erstenmal sehr intensiv begegnen. Wenn ihnen, nachdem sie einige Zeit lang eine staatliche oder staatlich anerkannte Schule besucht haben, anschließend gesagt wird, mit diesem Zeugnis hast du keine Garantie dafür, daß es auch in einem anderen Bundesland anerkannt wird, muß das zu einer staatsfeindlichen, staatsablehnenden Haltung, zu Zweifeln an der Leistungsfähigkeit unserer Bildungspolitik führen.

(Beifall bei der FDP und der SPD)

Pluralität ist ein Ausdruck demokratischen, liberalen Staatswesens.
Ich komme zum Schluß. Bei den großen Begriffen, mit denen wir in der Politik so leicht umgehen, vergessen wir meistens die, um die sich alles drehen sollte. Wir vergessen die, die letzten Endes von Planungen und Zielprojektionen betroffen sind, deren frühe, das ganze Leben prägende Jahre unter dem Einfluß der von uns ausgetragenen Gegensätzlichkeiten stehen. Es sind unsere Kinder, es sind die jungen Menschen, die nicht nur Anspruch darauf haben, daß wir ihre Rechte und Erwartungen ernst nehmen, sondern denen wir die Zukunft unseres Landes, unserer Gesellschaft anvertrauen werden.



Neuhausen
Dessen muß sich Bildungspolitik immer mehr bewußt werden.

(Beifall bei der FDP und der SPD)


Georg Leber (SPD):
Rede ID: ID0910327900
Das Wort hat der Herr Bundesminister für Bildung und Wissenschaft.

Björn Engholm (SPD):
Rede ID: ID0910328000
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich darf den vorliegenden Antrag der Koalitionsfraktionen im Namen der Bundesregierung begrüßen.

(Daweke [CDU/CSU]: Hat er Sie überrascht?)

— Er hat mich außerordentlich überrascht, Herr Kollege. Ich hatte mitnichten damit gerechnet.
Ich darf bei dieser Gelegenheit auf zwei Dinge hinweisen. Zum einen darauf, daß die Bundesregierung davon ausgeht, daß die gesamtstaatliche Bildungsplanung und Bildungspolitik auch ohne Finanzierungskonzept unverändert eine hohe Bedeutung behält. Ich möchte ganz deutlich sagen: Überregionale Abstimmung, eine Abstimmung der Bildungspolitik über die Ländergrenzen hinweg und mit dem Bund ist kein Luxus für gute Zeiten. Ich glaube, sie ist lebensnotwendig gerade in den Jahren, in denen die Probleme wachsen.

(Beifall bei der SPD und der FDP)

Ich möchte zum zweiten darauf hinweisen, daß wir in der Bund-Länder-Kommission bei der Erstellung des Bildungsgesamtplanes eine außerordentlich fruchtbare Arbeit geleistet haben. Es gibt wenige Dokumente, die die bildungspolitische Kompromißfähigkeit zwischen Bund und Ländern so deutlich ausweisen. Gerade weil dies ein vorzeigbares Beispiel der Konsensfähigkeit in der Bildungspolitik ist, fände ich es ganz schlecht, wenn dieses wichtige Dokument schamhaft verschwiegen und der Öffentlichkeit vorenthalten würde. Deswegen muß das Ergebnis das Licht der Öffentlichkeit erblicken.

(Beifall bei der SPD und der FDP)

Die Bundesregierung hat diese Frage im Kabinett vor wenigen Wochen sehr sorgfältig beraten. Sie hält an der gemeinsamen Bildungsplanung von Bund und Ländern fest.

Georg Leber (SPD):
Rede ID: ID0910328100
Herr Bundesminister, erlauben Sie eine Zwischenfrage? — Bitte sehr.

Klaus Daweke (CDU):
Rede ID: ID0910328200
Herr Minister Engholm, glauben Sie nicht, daß dann, wenn Sie den Plan veröffentlichen, ohne auf die finanziellen Schwierigkeiten und auf die Konsequenzen einzugehen, die sich daraus ergeben, z. B. für die Einstellung von Lehrern usw., die Gefahr besteht, daß die Erwartungen wieder so hoch sind, daß wir eine große Zahl von Menschen eigentlich nur enttäuschen können, und ist das nicht politisch ein großes Problem, auch für Sie?

Björn Engholm (SPD):
Rede ID: ID0910328300
Ich will das ganz einfach beantworten: Der Bildungsgesamtplan hat immer das Ziel gehabt, eine
Perspektive zu geben, einen Rahmen zu stecken, in den sich alle einfügen können. Er ist sozusagen das inhaltliche Ziel der Entwicklung unseres Bildungswesens. Nun bin ich zwar mit Ihnen einer Meinung, daß die Finanzen und die Finanzpolitik sicherlich eine hohes Maß an Bedeutung in unserem Staat haben, aber Finanzpolitik allein kann nicht zum Maß aller Dinge gemacht werden.

(Beifall bei der SPD und der FDP — Dr. Freiherr Spies von Büllesheim [CDU/CSU]: Das sehen wir an der Pleite unseres Staates!)

Es muß daneben auch noch Zielsetzungen und Perspektiven geben dürfen. Ich glaube, auch wenn wir uns gemeinsam nach der Decke strecken müssen, und zwar in Bayern, in Schleswig-Holstein, in Hessen, in Berlin, den anderen Ländern und im Bund, dürfen wir nicht freiwillig den Blick auf längerfristige Perspektiven aufgeben.
Ich meine, daß es wichtig wäre, darauf hinzuweisen, daß bildungspolitische Aufgaben, insbesondere die Aufgaben, die in den kommenden Jahren vor uns liegen, Aufgaben von nationaler Bedeutung sind. Vor uns steht die Aufgabe, Ausbildung für mehrere hunderttausend junge Menschen zu schaffen. Wir alle wissen, welche Probleme in diesem Jahr bei der Versorgung der geburtenstarken Jahrgänge allein im dualen System auf uns warten. Dieses Problem wird uns bis 1986/87 begleiten. Problemlösungen im Interesse der jungen Generation kann man nicht isoliert in Bayern, nicht isoliert in Hessen finden. Dies muß man gemeinsam in dem dargelegten Sinne, im Schulterschlußverfahren machen; die Jugend braucht dieses Zeichen.

(Beifall bei der SPD und der FDP)

Dasselbe gilt, wenn wir uns darum bemühen, die Qualität der Bildung, insbesondere die Qualität der beruflichen Bildung, zu verbessern. Sie wissen, wie lange Abstimmungsverfahren hinsichtlich der Modernisierung von Ausbildungsberufen bei uns dauern. Je partikularer die Ansätze auf diesen Feldern werden, desto länger werden die Zeiträume der Anpassung unserer Ausbildung und Bildung an die gewachsenen Ansprüche. Ich glaube, auch dies kann man nicht partikular machen; da braucht man die Gemeinsamkeit aller Länder mitsamt dem Bund. Das gilt auch für andere Fragen, etwa für die Integration von Ausländerkindern in unsere Gesellschaft. Dies alles sind Aktionen, die man gemeinsam machen muß. Deswegen wird die Bundesregierung an der gemeinsamen Bildungsplanung festhalten.

(Beifall bei der SPD und der FDP)

Was Partikularismus bedeutet, haben Sie gestern bei dem überraschenden Beschluß der CDU/CSU- Fraktionschefs zum Thema Gesamtschule erlebt. Ich will mich dazu nicht im Detail auslassen. Nur so viel: Nachdem selbst der Ministerpräsident des Freistaates Bayern seine Kompromißfähigkeit angedeutet hat, ist es überraschend, wie weit die Unionsfraktionen, die Fraktionschefs von CDU und CSU hinter diese schon harte bayerische Linie zurückkehren. Ich hoffe nur, daß es jedem mit diesem Ticket bewußt ist, welchen Tort man Kindern, Eltern und Leh-



Bundesminister Engholm
rern an den deutschen Gesamtschulen mit dieser Entscheidung antut.

(Beifall bei der SPD und der FDP)

Was dies für die, die in viel mühevoller Kleinarbeit neue pädagogische Konzepte und Freiräume geschaffen haben, was es für das pädagogische Klima in diesen Einrichtungen bedeutet, muß sich jeder klarmachen, der diese Entscheidung jetzt aufrechterhält. Ich bin der Meinung: Die Länder, die besseren Willens und guten Mutes sind, sollten jetzt auch den Mut haben, sich von den blockierenden abzuklinken und zu einer eigenen Vereinbarung zu kommen.

(Beifall bei der SPD und der FDP)

Ich darf zum Abschluß noch einmal die Bereitschaft der Bundesregierung deutlich machen, an der gemeinsamen Bildungsplanung weiterhin festzuhalten und auch alle Anstrengungen zu unternehmen, damit die Instrumente in der Bund-Länder-Kommission beibehalten werden. Ich glaube, daß wir im Grundsatz bei den letzten beiden Positionen einer Meinung sein könnten. Es wäre schön, wenn auch Sie, Graf Waldburg-Zeil, diesem Antrag der Koalitionsfraktionen zustimmen könnten.

(Beifall bei der SPD und der FDP)


Georg Leber (SPD):
Rede ID: ID0910328400
Weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Beschlußfassung. Wer dem Antrag der Fraktionen der SPD und der FDP Drucksache 9/1643 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Stimmt jemand dagegen? — Wer enthält sich? — Mit Mehrheit angenommen.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 5 auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über Maklerverträge
— Drucksache 9/1633 —
Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Rechtsausschuß (federführend)

Ausschuß für Wirtschaft
Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau
Im Ältestenrat ist für die Aussprache eine Runde vereinbart worden. — Wie ich sehe, ist das Haus damit einverstanden.
Bevor ich die Aussprache eröffne, erteile ich zur Einbringung des Gesetzentwurfs Herrn Bundesminister Schmude das Wort.

Dr. Jürgen Schmude (SPD):
Rede ID: ID0910328500
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Mit dem vorliegenden Entwurf hat die Bundesregierung ein Vorhaben wieder aufgegriffen, das sie bereits in der vorigen Legislaturperiode des Bundestages betrieben hatte, das dann aber bis zu deren Ende nicht abgeschlossen werden konnte.
Der Entwurf eines Gesetzes über Maklerverträge erleichtert den Parteien die Aushandlung interessenangemessener Verträge. Zugleich vereinfacht er die Rechtsanwendung. Zum anderen führt der Entwurf verstreute Teile des Maklerrechts in das Bürgerliche Gesetzbuch zurück. Damit dient er der Übersichtlichkeit und der Geschlossenheit unseres Zivilgesetzbuchs. Eine Vielzahl von Sonderregelungen wird überflüssig. Wir leisten also auch einen Beitrag zur Eindämmung der sogenannten Normenflut.
Lassen Sie mich zugleich ein Ziel nennen, das dieser Entwurf nicht verfolgt. Er verfolgt nicht das Ziel, den Maklern das Leben sauer zu machen oder ihnen gar ihren Platz in unserem Wirtschaftsleben streitig zu machen. In manchmal etwas schrillen Tönen ist das von dem früheren Regierungsentwurf behauptet worden. Ich freue mich, daß inzwischen auch auf seiten der Makler anfängliches Mißtrauen und die zum Teil schroffe Ablehnung einer recht differenzierten Betrachtung gewichen sind. Auch bei den Maklern ist die Einsicht gewachsen, daß eine ausgewogene gesetzliche Regelung der gegenwärtigen Rechtsunsicherheit vorzuziehen ist. Denn was wäre die Alternative? Es wäre die Fortdauer des Schwebezustands zwischen Maximalforderungen in den Vertragsbedingungen der Makler einerseits und einer harten und restriktiven Rechtsprechung zur Inhaltskontrolle dieser Bedingungen andererseits. Das Ergebnis wäre eine alle Beteiligten belastende Rechtsunsicherheit.
Das Bürgerliche Gesetzbuch hat dem Maklervertragsrecht ganze fünf Paragraphen gewidmet, die seit dem Jahr 1900 unverändert geblieben sind. Zwei davon laufen seit längerem in der Lebenswirklichkeit leer, nachdem die Arbeitsvermittlung im wesentlichen bei der Bundesanstalt für Arbeit monopolisiert worden ist und die Ehevermittlung in ganz anderen Formen stattfindet, als es sich der Gesetzgeber seinerzeit vorgestellt hatte.
Im Jahre 1900 brauchte man neben den amtlich bestellten Handelsmaklern nur noch die Gelegenheitsmakler ins Auge zu fassen. Zwar berichten schon die Motive zum Bürgerlichen Gesetzbuch von „gewissen Mäklern", die das Mäklergeschäft gewerblich betrieben, wozu auch die sogenannten Häusermäkler gerechnet wurden. Dennoch konnten die Väter des BGB mit einigem Recht davon ausgehen, daß der Maklervertrag einer näheren Regelung nicht bedurfte.
Mißstände im Bereich des Wohnungsmarkts machten Anfang der 70er Jahre eine gesetzliche Regelung der Wohnungsvermittlung notwendig. Die Reaktion des Gesetzgebers war das Gesetz zur Regelung der Wohnungsvermittlung vom 4. November 1971, also ein Sondergesetz außerhalb des Bürgerlichen Gesetzbuchs. Wenige Jahre später forderte der Bundesrat im Rahmen der Beratungen des Ersten Gesetzes zur Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität die Bundesregierung auf, zu prüfen, ob nach dem Vorbild des Wohnungsvermittlungsgesetzes besondere Regelungen über die Darlehensvermittlung geschaffen werden sollten. Damit stand ein weiteres Sondergesetz zur Debatte.
Schließlich zeigte sich, daß der Wirklichkeit der Ehevermittlung und Eheanbahnung mit der recht lakonischen Vorschrift des § 656 BGB keine Gerech-



Bundesminister Dr. Schmude
tigkeit mehr getan werden konnte. Die Unklagbarkeit des Ehemaklerlohns, diese bewußte Diskriminierung der Ehemakler, war Ausdruck einer heute längst überholten moralischen Abwertung der Ehevermittlung. Für diese Diskriminierung gibt es keinen Grund. Übrigens wirkt sich die gesetzliche Regelung auch sehr zum Schaden der Auftraggeber aus: Ihnen werden regelmäßig erhebliche Vorausleistungen abverlangt. Aus allen Fraktionen des Bundestages ist der Gesetzgeber denn auch immer wieder zur Streichung des § 656 BGB und zur Schaffung von Schutzvorschriften zugunsten der Kunden der Ehevermittler aufgefordert worden.
Die Bundesregierung hielt es für notwendig, die erforderlichen neuen Vorschriften über die Darlehens- und Ehevermittlung in den Schuldrechtsteil des Bürgerlichen Gesetzbuches einzustellen. Ich teile die Abneigung der Rechtspolitiker aller Fraktionen und einer breiten Öffentlichkeit gegen immer neue zivilrechtliche Sondergesetze, die zwangsläufig nicht nur im Formalen, sondern auch im Inhalt der Rechtszersplitterung Vorschub leisten. Im Bundesministerium der Justiz wird deshalb an einer umfassenden Bereinigung und Überarbeitung des Schuldrechts gearbeitet. Mit einem neuen Sondergesetz über Maklerverträge hätte sich diese umfassende und langfristige Zielsetzung schlecht vereinbaren lassen. Aus diesem Grunde werden auch die zivilrechtlichen Vorschriften des Wohnungsvermittlungsgesetzes von 1971 in das Bürgerliche Gesetzbuch eingefügt.
Die Grundentscheidung für die Rückführung der Sondergesetze in das Schuldrecht des BGB machte die Überarbeitung des gesamten Achten Titels über den Maklervertrag unvermeidlich. Der Entwurf hat deshalb auch die vor allem für die Immobilienmakler bedeutsamen Vorschriften der §§ 652 bis 654 in den Entwurf einbezogen und im Lichte einer umfangreichen Rechtsprechung ergänzt. Dabei verzichtet der Entwurf auf manches interessante Detail; er regelt nur das, was für einen angemessenen Interessenausgleich zwischen Makler und Auftraggeber grundsätzlich bedeutsam ist oder im Interesse der Rechtssicherheit klärungsbedürftig erscheint.
Von grundsätzlicher Bedeutung ist die Regelung, daß der Provisionsanspruch des Maklers gegenüber einem nichtkaufmännischen Auftraggeber künftig zwingend davon abhängt, daß ein Vertrag mit einem Dritten tatsächlich zustande kommt und die Tätigkeit des Maklers hierfür ursächlich ist. Diese Präzisierung und Verfestigung des Grundsatzes des Erfolgshonorars entzieht einer Vielzahl mißbräuchlicher und kundenschädlicher Vertragsgestaltungen den Boden, die die Gerichte bisher über Gebühr beschäftigt haben.
Eine sehr wichtige Ausnahme vom Grundsatz des Erfolgshonorars sieht der Entwurf im Falle des Alleinauftrags vor. Damit faßt der Entwurf zweifellos ein heißes Eisen an. Aber er würde sein Ziel verfehlen und die in ihn gesetzten Erwartungen enttäuschen, wenn der eine praktisch, vor allem im Immobiliengeschäft, so bedeutsame Vertragsgestaltung mit Schweigen überginge.
Lassen Sie mich im Zusammenhang mit den allgemeinen Vorschriften des Entwurfs noch kurz auf die neue Regelung des Problems der wirtschaftlichen Verflechtung zwischen dem Makler und dem Vertragspartner seines Auftraggebers hinweisen. Im geltenden Recht gibt es hierzu, von der Wohnungsvermittlung einmal abgesehen, noch keine Regelung, sondern nur eine umfangreiche, nicht ganz leicht überschaubare Rechtsprechung. Der Entwurf will hier mehr Rechtssicherheit schaffen, indem er die wichtigsten Fälle beispielhaft regelt und im übrigen die Prinzipien schärfer umreißt, nach denen im Falle der Gefahr einer Interessenkollision zu entscheiden ist. Kurz gesagt, in dem konstruierten Fall, in dem ein Verkäufer einen von ihm abhängigen Makler einschaltet, um gleichzeitig Maklergebühr und Kaufpreis zu erhalten, ist der Verlust des Maklerlohns die Folge.
Mit den Vorschriften über die Darlehensvermittlung — das ist eine vielleicht noch peinlichere Fallgestaltung — kommt die Bundesregierung der schon erwähnten Aufforderung des Bundesrates nach, besondere Schutzvorschriften zugunsten der Kunden von Darlehensvermittlern zu schaffen. Diesem Ziel dient die Einführung der Schriftform mit obligatorischen Mindestangaben zur Information des Kreditsuchenden über Vermittlungskosten und Kreditbedingungen. Der Entgeltanspruch des Darlehensvermittlers wird von der tatsächlichen Auszahlung des Darlehens abhängig gemacht. Nebenentgelte werden ausgeschlossen. Damit wird es künftig notwendig sein, daß ein Kreditvermittler, der ja oft nur vortäuscht, er könne Kredit beschaffen, in Wirklichkeit aber eine überflüssige Aufgabe zwischen Sparkassen und Kleinkunden wahrnimmt, von vornherein seinem Kunden klar sagt, was an Belastungen auf ihn zukommt. Sollte die Kreditvermittlung erfolglos bleiben, d. h. der Kredit nicht ausgezahlt werden, dann gibt es auch keine Maklervergütung. Ein Mißstand, der sich ausgebreitet hat, wird damit erfolgreich bekämpft werden.
Der Regierungsentwurf verwirklicht ein, so meine ich, recht umfangreiches Programm mit dem gesetzestechnisch bescheidenen Aufwand von 19 Paragraphen. Wenn man bedenkt, daß die sondergesetzlichen Vorschriften des Wohnungsvermittlungsgesetzes entfallen, so kann der Vorwurf der Normenflut gewiß nicht erhoben werden. Eine weitere Straffung des Maklerrechts könnte nur auf Kosten der Qualität und der Verständlichkeit der Regelungen vorgenommen werden.
Abschließend bringe ich meine Hoffnung zum Ausdruck, daß die gewiß gründlich und gewissenhaft abgewogenen Vorschriften des Entwurfs in einem Klima der Sachlichkeit beraten werden können und daß dieses wichtige Vorhaben des Verbraucherschutzes bald als Gesetz in Kraft tritt. — Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und der FDP)


Georg Leber (SPD):
Rede ID: ID0910328600
Meine Damen und Herren, ich eröffne die Aussprache. Als erster Redner hat der Abgeordnete Dr. Stark das Wort.




Dr. Anton Stark (CDU):
Rede ID: ID0910328700
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Für die Fraktion der CDU/CSU darf ich zu dem erneuten Anlauf der Bundesregierung, das Maklerrecht im Rahmen des Bürgerlichen Gesetzbuches neu zu regeln, unser positives Interesse bekunden. Die CDU/ CSU-Fraktion ist mit der Bundesregierung der Meinung — ich glaube, darüber sind wir uns sogar alle hier im Hause einig —, daß die Bestimmungen des Bürgerlichen Gesetzbuches über das Maklerrecht, besonders über das Ehemaklerrecht, nicht ausreichend sind für die heutigen Verhältnisse, daß die nur bruchstückhafte Regelung, die für damalige Verhältnisse vielleicht angebracht war, heute in vielen Fällen nicht mehr ausreicht, wie die nicht seltenen Rechtsstreitigkeiten auf diesem Gebiet und auch die umfangreiche und nahezu unüberschaubare Rechtsprechung auf diesem Gebiete zeigen.
Auf Grund der gestiegenen Bedeutung der Maklertätigkeit, insbesondere auch in den Sonderbereichen, die von Herrn Minister Schmude bereits angedeutet wurden, nämlich der Wohnungsvermittlung, der Darlehensvermittlung und der Ehevermittlung und Eheanbahnung, ist es auch nach unserer Auffassung sinnvoll und geboten, daß hier eine Neuregelung stattfindet.
Allerdings darf diese grundsätzliche Feststellung und Erkenntnis nicht zu der Meinung verleiten, daß jede Regelung, ganz gleich wie sie auch aussähe, besser sei als die jetzige. Ich muß hier, was den Kollegen der SPD sicher nicht gefallen wird, nochmals an den berühmt-berüchtigten Beschluß des hannoverschen SPD-Parteitags aus dem Jahre 1973 erinnern, wo die SPD das Problem schlicht, einfach und geschmacklos dadurch regeln wollte, daß sie den Maklerberuf verbieten wollte. Das war sicher keine angemessene und ausgeglichene Regelung. — Bitte schön, Herr Minister.

Georg Leber (SPD):
Rede ID: ID0910328800
Herr Dr. Stark, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Schmude?

Dr. Anton Stark (CDU):
Rede ID: ID0910328900
Bitte schön.

Dr. Jürgen Schmude (SPD):
Rede ID: ID0910329000
Herr Kollege, würden Sie so freundlich sein, auch an den Beschluß des SPD-Parteitages von Mannheim aus dem Jahre 1975 zu erinnern, mit dem dieser erstgenannte Beschluß ausdrücklich aufgehoben worden ist?

Dr. Anton Stark (CDU):
Rede ID: ID0910329100
Vielen Dank, Herr Minister! Daran erinnere ich gern, da das ja zeigt, daß Sie zugeben, daß Sie im Jahre 1973 einen falschen Beschluß gefaßt haben. Lernfähigkeit werde ich Ihnen in diesem Zusammenhang gern bestätigen.

(Beifall bei der CDU/CSU — Dr. Schmude [SPD]: Schönen Dank!)

Sozusagen eine Auswirkung dieses Parteitagsbeschlusses der SPD aus dem Jahre 1973, den sie selber im Jahre 1975 aufgehoben hat, war dann der erste Entwurf zur Neuregelung des Maklerrechts aus dem Jahre 1979. Dieser Entwurf war noch zu nahe an dem Beschluß des SPD-Parteitages von 1973 und war deshalb nicht ausgeglichen und nicht ausgewogen. Er ist auf den erheblichen Widerstand der Betroffenen, aber auch auf den erheblichen Widerstand der Rechtspolitiker hier im Hause — und zwar nicht nur derjenigen der CDU/CSU, sondern auch, wenn Sie das nachlesen wollen, der Kollegen der FDP; das muß zu ihrer Ehre gesagt werden — gestoßen. Daran, Herr Minister, ist Ihr erster Anlauf gescheitert.
Mit dem nun vorgelegten Entwurf zur Neuregelung des Maklerrechts auf Drucksache 9/1633 — hier mache ich Ihnen ein Kompliment — zeigt die Bundesregierung, daß sie zumindest in Einzelbereichen — ich betone: in Einzelbereichen — noch lernfähig und auch kompromißfähig ist. Die Vorlage des jetzigen Entwurfs bedeutet einen erheblichen Fortschritt gegenüber dem Beschluß des Parteitages von 1973, aber in einigen Bereichen auch einen Fortschritt gegenüber dem Entwurf von 1979. Der jetzige Entwurf berücksichtigt einige unserer damaligen Einwendungen und berücksichtigt auch einige Anregungen des Bundesrates, so daß wir, wie ich glaube, über diesen Entwurf jetzt unideologisch und sachlich reden können. Ich persönlich bin der Meinung, wir könnten längst eine vernünftige Regelung des Maklerrechts haben, hätte es den Beschluß des SPD-Parteitages von 1973 nicht gegeben, der diesen Berufsstand diskriminiert und dieses Problem ins ideologische Fahrwasser und damit mit Polemik und Unsachlichkeit belastet hat.
Darüber hinaus begrüßen wir ausdrücklich, daß Sie, Herr Minister, aus dem früheren Entwurf den durchaus regelungsbedürftigen, aber äußerst schwierigen Tatbestand der Regelung von drittfinanzierten Rechtsgeschäften herausgenommen und damit die Materie übersichtlicher gemacht haben, was sicher der Beratung förderlich sein wird. Diese Materie muß ganz sicher auch geregelt werden, aber sie muß im Rahmen der europäischen Regelungen einheitlich geregelt werden. Wir werden uns außerhalb des Maklerrechts damit zu befassen haben.
Der neue Entwurf regelt nun neben dem allgemeinen Maklerrecht im Bürgerlichen Gesetzbuch — und wir begrüßen ausdrücklich, daß hier kein Sondergesetz gemacht wird; es ist auch unser Begehren, daß dies ins Bürgerliche Gesetzbuch einbezogen wird — lediglich die Sonderbereiche Wohnungsvermittlung, Darlehensvermittlung sowie Ehevermittlung und Eheanbahnung und hat damit — das muß man bestätigen — gegenüber dem früheren Entwurf an Übersichtlichkeit gewonnen.
Er hat auch — mit bestimmten Einschränkungen — an Klarheit gewonnen, wenn ich einmal von dem meines Erachtens völlig mißglückten Vorschlag zu § 654 über die Wohnungsvermittlung absehe. Ich will diesen Paragraphen wegen der Kürze der Zeit jetzt nicht vorlesen. Er besteht aus lauter Verweisungen und ist für einen Laien unlesbar. Das halte ich gerade im Bereich der Wohnungsvermittlung für ganz schädlich, da wir hier ja in bestimmtem Sinne auch ein Verbraucherschutzgesetz machen. Auch der Laie muß verstehen, was ihm auf diesem Gebiet an Rechten zusteht.

(Zuruf von der CDU/CSU: So ist es!)




Dr. Stark (Nürtingen)

Wir regen also an, daß dieser § 654 über die Wohnungsvermittlung neu gefaßt wird.
Aber meine sehr verehrten Damen und Herren, die erste Lesung eines Gesetzentwurfes ist nicht dazu da, daß wir quasi in eine Ausschußberatung eintreten. Trotzdem möchte ich mit einigen kurzen Bemerkungen andeuten, wo wir auch gegen diesen Entwurf gewisse Bedenken haben und wo wir für den Lauf der Beratungen in den zuständigen Ausschüssen Anregungen geben wollen.
Erstens. Im Laufe der Beratungen in den Ausschüssen sollte nochmals eingehend die Bitte des Bundesrates überprüft werden, ob nicht ein Teil der Bestimmungen der Makler- und Bauträgerverordnung, die sich in einem Gemisch von öffentlichrechtlichem und zivilrechtlichem Teil mit derselben Materie beschäftigt, in die angstrebte einheitliche Regelung des Maklerrechts im Bürgerlichen Gesetzbuch eingezogen werden sollte. Es muß bei jedem einzelnen Paragraphen der Bauträger- und Maklerverordnung darüber gesprochen werden, ob es sinnvoll ist, ihn in das Maklerrecht des BGB zu überführen oder nicht.
Zweitens. Eingehend sollte die Regelung der Wohnungsvermittlung erörtert werden. Das habe ich bereits angedeutet.
Drittens. Die Frage, ob jeder Maklervertrag schriftlich getätigt werden sollte — wie es der Bundesrat anregt —, weil häufig Unklarheiten darüber bestehen, ob es überhaupt zu einem Maklervertrag gekommen ist oder ob es sich nur um ein erkundigendes Gespräch gehandelt hat, muß weiter erörtert werden.
Viertens. Nicht voll gelungen — Herr Minister, das haben Sie etwas versteckt anklingen lassen — scheint uns nach wie vor die Ausgestaltung des qualifizierten Alleinauftrags für den Makler. Worum geht es hier, meine Damen und Herren? Wenn ein Auftraggeber, also jemand, der sein Haus oder seine Villa verkaufen will, einem Makler freiwillig beauftragt, mit ihm vereinbart, er allein solle dieses Geschäft betreiben, und er — der Auftraggeber — sich freiwillig verpflichtet, sich deshalb darum nicht selbst zu kümmern, während sich demgegenüber der Makler verpflichtet, mit allen seinen Kräften tätig zu werden, dann braucht sich der Auftraggeber auch nach diesem Gesetzentwurf dennoch nicht an diese Verpflichtung zu halten. Vielmehr darf er z. B. beim Kaffeetrinken sein Haus oder seine Villa an einen Freund verkaufen, den er gerade getroffen hat, oder zumindest einen entsprechenden Vorvertrag abschließen. Der Makler soll in diesem Falle nur bis zur Hälfte des vereinbarten Entgelts bekommen. Das, Herr Minister, ist eine Frage, über die weiter diskutiert werden muß. Man muß überlegen, ob das bei aus keinem Gesichtspunkt schutzwürdigen Auftraggebern, wenn sie ihre Villa verkaufen wollen und von sich aus mit einem Makler vereinbart haben, daß er allein den Verkauf betreiben solle, ihn dann aber doch selbst betreiben, diese Folgen haben solle. Wir müssen uns sicher noch darüber unterhalten, ob das bezüglich der Einhaltung von Verträgen möglich sein soll. Der Makler wird hier meines Erachtens im Vergleich zu anderen freien Berufen, soweit sie Dienstleistungen erbringen, anders behandelt als diese und benachteiligt.
Ein Fünftes — darauf brauche ich nicht näher einzugehen —: Manche Bestimmungen müssen klarer gefaßt werden. Wir sollten uns, da es sich um eine Regelung des Bürgerlichen Gesetzbuchs handelt, Mühe geben, nicht mit lauter Verweisungen zu arbeiten, sondern auch für den Laien, für den Verbraucher verständliches Deutsch zu formulieren.
Zum Schluß begrüße ich besonders die vorgesehenen Bestimmungen über die Darlehensvermittlung und die Bestimmungen über die Ehevermittlung und Eheanbahnung. Sicher werden wir im Laufe der Beratungen und in den Ausschüssen noch einige wunde Punkte zu erörtern haben. Insgesamt sind aber diese Bestimmungen dazu geeignet, gewissen Mißbräuchen auf diesen Gebieten doch Einhalt zu gebieten. Deshalb, glaube ich, ist gerade auf diesen Gebieten eine Neuregelung notwendig.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich darf feststellen, daß wir mit den hier vorgetragenen Einschränkungen, Bedenken und Anregungen dem vorgelegten Entwurf über die Neuregelung des Maklerrechts positiv gegenüberstehen, an einer gründlichen, aber auch zügigen Beratung interessiert sind und hoffen, daß diese Materie noch in dieser Legislaturperiode vernünftig geregelt werden wird.

(Beifall bei der CDU/CSU und bei Abgeordneten der SPD und der FDP)


Georg Leber (SPD):
Rede ID: ID0910329200
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Schwenk (Stade).

Dr. Wolfgang Schwenk (SPD):
Rede ID: ID0910329300
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Zusammenarbeit ist signalisiert worden. Ich darf jetzt schon dafür danken. Daß wir reichlich Beratungsstoff in den Ausschußberatungen vor uns haben, ist gleichfalls schon gesagt worden. Das ist erfreulich. Wir wollen ja am Schluß auch einen ausgewogenen Gesetzentwurf zur Beschlußfassung vorlegen, dem eine breite Zustimmung ganz gut tun würde. Ob wir uns in allem einigen werden, wird sich noch zeigen müssen.
Daß es sich hier um einen zweiten Anlauf handelt, ist bereits gesagt worden. Dem Entwurf vom Oktober 1979 ist durch den Ablauf der 8. Legislaturperiode das Aus gepfiffen worden.

(Dr. Stark [Nürtingen] [CDU/CSU]: Nicht nur!)

Nun sind wir also zu einem neuen Anlauf angetreten.
Daß die Fortentwicklung des Maklerrechtes überfällig ist, ist auch schon betont worden. Die fünf Paragraphen des Bürgerlichen Gesetzbuches von 1900 zum Maklerrecht waren mit der linken oder der rechten Hand, jedenfalls nur mit einer Hand eben so dahingeschrieben worden und bei weitem nicht ausreichend. Der fünfte Paragraph war der — man kann wirklich nicht sagen: für, sondern müßte sagen: gegen — die Heiratsvermittlung. Man kann das auch als einen Anti-Makler-Beschluß von 1900 bezeichnen. Der Anti-Makler-Beschluß des Parteitages



Dr. Schwenk (Stade)

der SPD von 1973 hatte also schon einen Vorgänger.
Weil Herr Kollege Stark mit innerem Frohsinn noch einmal auf den Maklerbeschluß des Parteitages von 1973 zurückgekommen ist, möchte ich auch dazu noch etwas sagen. Die SPD ist eine Volkspartei und kein wissenschaftlicher Beirat. Wenn also die Volksseele einmal überkocht, weil es zu jener Zeit, insbesondere im Bereich der Wohnungsvermittlung in den Ballungszentren, zahlreiche Mißstände gegeben hat, dann darf sich so etwas auch einmal Ausdruck verleihen in einem Parteitagsbeschluß. Es war nötig, einmal deutlich zu machen, daß es so nicht weitergeht. Sie sehen, daß vernünftige Leute daraus Folgerungen ziehen für eine vernünftige Gesetzgebung, die ausgewogen ist.
Mein Kollege Heyenn hat in der ersten Beratung schon deutlich gesagt: Die Fortentwicklung des Maklerrechts ist kein Gesetz gegen die Makler, es ist ein Gesetz mit dem Makler, und zwar mit dem seriösen Makler. Jeder Berufsstand ist bestrebt, ein gutes Erscheinungsbild darzubieten und denjenigen, die sich daranhängen wollen — das gibt es überall — und dann nicht in den Berufsstand des ehrlichen Maklers eingehen können, auch die Karte zu zeigen und sich gegen sie zu wehren. Manche der Bestimmungen, die vorgelegt worden sind und mit denen wir uns befassen werden, werden sich gegen den dubiosen Makler richten, nicht aber gegen den, der seinen guten Namen und seine gute Kundschaft fortentwickeln will.

(Zustimmung bei der SPD)

Ich meine, das sollte auch einmal gesagt werden und zur allseitigen Sachlichkeit zurückführen, die wir ja auch gefunden haben. Dazu haben auch Ihre Ausführungen, Herr Kollege Stark, eben noch einmal sehr deutlich beigetragen.
Damals, mit dem Beschluß des Gesetzgebers von 1900, zeigte sich wieder einmal, daß naive Listen des Gesetzgebers, die eine Art Quasiverbot darstellen, fehlschlagen. Dann sucht sich der freie Markt andere Auswege, die in der Folge nicht einem ausgewogenen Interessenausgleich dienen, sondern bei denen sich die Betroffenen nachher nur schwer zurechtfinden — insbesondere diejenigen, die nicht über spezifische Berufs- und Rechtskenntnisse verfügen. Sie werden es dann immer schwer haben. Deswegen ist es unser Auftrag, in den weiteren Beratungen zu möglichst klaren Abgrenzungen zu finden und — wie Sie auch schon gesagt haben — Paragraphen zu vermeiden, die von der Verweisung leben und für den Rechtsuchenden, aber auch für den Rechtanwendenden, erhebliche Schwierigkeiten bieten. Wir werden uns da zusammenfinden; ich denke, wir werden das auch schaffen.
Wir wollen also das Gebiet deutlicher darstellen und damit auch helfen, daß das Maklerrecht nicht mehr so stark von Allgemeinen Geschäftsbedingungen und von Formularverträgen bestimmt wird, wie das zur Zeit noch der Fall ist, und Problemlösungen durch die Rechtsprechung gefunden werden müssen, die da und dort die Zügel anziehen mußte, um
Mißbräuchen im Bereich der Vertragsvermittlung entgegenzuwirken.
Es ist aufgefallen — das ist soeben auch schon betont worden —, daß entgegen dem früheren Entwurf von 1979 das finanzierte Rechtsgeschäft jetzt ausgespart ist. Das hat zweierlei Gründe:
Auf den einen ist schon hingewiesen worden. Wir wollen abwarten, welche Entwicklung die Bemühungen um einen Richtlinienentwurf im Europarat bringen werden, den wir dann in nationales Recht zu transformieren haben. Ich begrüße es, daß Sie in Ihren Ausführungen auch diesbezüglich die Bereitschaft zur Zusammenarbeit signalisiert haben. Das hebt sich wohltuend von dem ab, was gestern im Ausschuß betreffend Haustürgeschäfte geäußert worden ist. Hier handelt es sich um ein Gebiet, bei dem wir internationale Interessen, aber auch nationale Interessen haben. Ich begrüße es, daß Sie hier Ihre Bereitschaft zur Zusammenarbeit signalisiert haben und daß nicht etwa gemutmaßt wird, hier würden Umwege gegangen.
Der zweite Grund ist, daß sich mangels bisheriger Tätigkeit des Gesetzgebers der Bundesgerichtshof bereits dieses Gebietes angenommen hat und in einem bemerkenswerten Urteil vom 29. April 1981 bereits den vermittelten drittfinanzierten Abzahlungsvertrag dem Abzahlungsgesetz unterworfen hat und damit schon einen wesentlichen Schritt in Richtung auf den Schutz des entweder nicht kundigen oder wehrlosen Verbrauchers getan hat. Er hat damit dem Gesetzgeber einen Teil seiner Arbeit abgenommen, wobei ich allerdings noch einmal sagen möchte: Es kann nicht das Bestreben des Gesetzgebers sein, der Rechtsprechung durch Aufschub und Zuwarten die Fortentwicklung des Rechts allein zu übertragen, worüber auch die Rechtsprechung nicht immer glücklich ist. Wir haben als frei gewähltes Parlament den Auftrag, rechtspolitischen Handlungsbedarf zu erfüllen, Normen zu setzen, die den sich wandelnden Anforderungen in einer sich ständig fortentwickelnden Industriegesellschaft entsprechen müssen — ich sagte es schon einmal und möchte es noch einmal wiederholen —, damit dem normalen Bürger, dem die branchenspezifischen Kenntnisse fehlen, der sie sich auch nicht so ohne weiteres verschaffen kann, denn er muß ja seinem eigenen Beruf, seinem eigenen Lebenserwerb nachkommen, etwas mehr Rückhalt gegeben wird. Andere Institutionen — gerade auch die Rechtsprechung — müßten das sonst in mühsamer Kleinarbeit tun, mit den Verzögerungen, die nun einmal durch den Instanzenzug gegeben sind, bis eine obergerichtliche Entscheidung getroffen werden kann.
Wir begrüßen es auch — der Herr Bundesjustizminister hat es schon gesagt —, daß die Wohnungsvermittlung nun in das BGB eingegliedert werden soll. Wir als Rechtspolitiker befürworten, daß die Sondergesetze allmählich wieder aufgehoben werden sollen, damit wir in dem zentralen Bürgerlichen Gesetzbuch die Regelungen finden, mit denen der Bürger leben muß und nach denen er sein Leben einzurichten hat.
Ich möchte noch einmal darauf hinweisen, daß in dem Gesetzentwurf wiederum der Hauptgrundsatz



Dr. Schwenk (Stade)

festgeschrieben ist, daß der Maklerberuf ein Honorar auf Erfolg zu verdienen hat. Ab und zu hören wir die Klage: „Maklers Müh' ist oft umsonst"; aber zum Ausgleich gelingt es dann auch hin und wieder, ein gutes Maklergeschäft mit geringerem Aufwand abzuschließen. Wer ein eingeführtes Maklergeschäft hat, über einen Kundenstamm verfügt, dem ist dies ja auch möglich. Der Newcomer wird sich eben erst einmal sehr anstrengen müssen, um das auch zu haben. Das gehört zum Berufsbild. Wer diesen Beruf ergreift, weiß auch, daß es so ist.
Auslagenersatz muß extra vereinbart werden. Die Hauptgrundlage des Verdienstes ist nun einmal das Erfolgshonorar. Das wird in einem gewissen Teil abgewandelt durch den qualifizierten Alleinauftrag, bei dem ein Auftraggeber — möglicherweise um sich weiterer Sorgen zu entschlagen, möglicherweise auch, um es dem Makler besonders interessant zu machen — verspricht, keine weiteren Vermittlungsaufträge zu vergeben. Wenn er es dann doch tut, ist nun eine Schadenersatzpflicht vorgesehen. Wir werden im Ausschuß noch einmal durchprüfen müssen, ob wir diesen Schadenersatz mit Prozentzahlen vom erzielten Verkaufspreis begrenzen oder ob dem Bundesratsvorschlag der Vorzug zu geben ist.
Wir müssen weiterhin überlegen, ob die Höchstgrenze nur für den verhinderten Kaufauftrag gelten soll oder auch für den durchkreuzten Vermittlungsauftrag für eine Wohnung und ob da auch eine Obergrenze eingezogen werden muß. Denn wir wissen, daß das Maklergeschäft weitgehend immer noch maßgebend für die Wohnungssuche, für die Vermietung von Wohnraum ist.
Etwas eigenartig berührt es allerdings, daß der neben dem qualifizierten Alleinauftrag zulässige Eigenverkauf durch den Auftraggeber unter eine vergleichbare Regelung gestellt werden soll. Wenn man das rechtsdogmatisch sieht, dann soll bei einem zulässigen Geschäft ebenso wie bei einem vertragswidrigen Geschäft ein Ausfallgeld gezahlt werden. Ob das durchzuhalten ist, werden wir noch einmal gründlich durchprüfen müssen. Von rechtsdogmatischer Seite sind da Einwendungen gemacht worden. Ob wir als Gesetzgeber es bei den rechtsdogmatischen Überlegungen belassen müssen, werden wir noch einmal überlegen müssen. Dies ist noch kein Gegenstand für eine erste Lesung. Schließlich wollen wir ja im Ausschuß die qualifizierte Arbeit leisten.
Für wichtig halte ich noch, daß die Interessenkollision deutlich gemacht wird: daß ein Makler kein Honorar verlangen kann, wenn er den Interessen des Auftraggebers an einer unabhängigen Maklerschaft zuwider doch ein enges Verhältnis zu einem anderen Auftraggeber hat. Solchen Mißständen muß auch vom Gesetzgeber her entgegengetreten werden. Wichtig ist — auch im Sinne der Maklerschaft —, daß jeglicher Zweifel daran beseitigt wird. Alles andere muß als unzulässig gelten. Sollte der Makler selber in das Geschäft eintreten wollen, mag ihm dazu die Möglichkeit eröffnet werden. Nur, dann muß auch der Maklerlohn entfallen. Dann ist der Makler Vertragspartner, so als ob eine Makelei nicht dazwischengestanden hätte. Ich schließe mich hier sehr deutlich einem Bundesratsvorschlag an, den wir ebenfalls überprüfen müssen.
Die Darlehensvermittlung ist immer noch ein sehr wunder Punkt, insbesondere dann, wenn bei wirtschaftlichen Schwierigkeiten jemand, der sich zu erheblichen Zahlungen verpflichtet hat, nicht mehr weiter weiß und dann auf Anzeigen verfällt: „Wenn Ihnen die Bank nichts mehr gibt, ich beschaffe Ihnen noch Kredit", „Kredit auch an Arbeitslose" und ähnliches. Das alles gibt es aber nicht umsonst. Vielfach werden Umschuldungen vorgenommen, die demjenigen, der Streckung braucht, zwar Verlängerungen bieten, ihn aber mit Verpflichtungen belasten, die an eine Zinsknechtschaft erinnern, bei denen er dann auf lange Jahre, auf Lebenszeit nur noch gegen Zinsen und Kosten anarbeiten muß. Es ist die Frage, ob das dann immer noch der freie Wille desjenigen ist oder ob er sich nicht in Zwänge hinein begibt, aus denen er nicht mehr herauskommen kann. Deswegen ist es so wichtig, daß demjenigen, der sich da hinein begibt, in Kostenaufstellungen klargemacht wird, was auf ihn zukommt.
Es ist auch noch einmal sehr zu prüfen — deshalb begrüße ich den Bundesratsvorschlag —, ob das sogenannte Packing mit aufgeführt werden soll. Denn derjenige, der sich in Umschuldungen begibt, weiß oft gar nicht, daß zusätzlich noch Honorare oder Provisionen im Verhältnis zu dem neuen Darlehensgeber zu zahlen sind. Auch dieses ist deutlich zu machen, damit derjenige, der das unternimmt, wenigstens weiß, was da auf ihn zukommt, daß er es durchschauen kann und nicht erst nachher feststellen muß, was er alles noch bezahlen muß.
Zum Ehevermittlungsrecht ist einiges gesagt worden. Auch hier ist eine objektive Beurteilung und Behandlung erforderlich. Es besteht überhaupt kein Anlaß mehr — und hat auch nie bestanden, auch 1900 nicht —, die Ehevermittlung als etwas sittlich nicht ganz Unumstrittenes anzusehen. Es handelt sich darum, Leuten zu helfen, die auf anderem Wege keinen Partner finden. Da gibt es viele Gründe. Wir brauchen bloß an die weit entfernt wohnenden und mit nicht viel Nachbarschaft gesegneten Leute denken, denen ein Kennenlernen sonst nicht leichtgemacht ist, die also zur Vermittlung greifen müssen. Denen ist ein ebenso objektives Recht zu gewähren wie anderen auch, insbesondere um zu vermeiden, daß sie weiterhin große Vorauszahlungen leisten müssen, ohne möglicherweise die entsprechenden Gelegenheiten nachgewiesen zu bekommen, und trotz großer Enttäuschung von solchen Zahlungen und Verbindungen nicht mehr herunterkommen. Hier müssen wir gerade demjenigen helfen, der selbst nicht genug gewandt ist, sein künftiges Schicksal voll in eigene Hände zu nehmen, sondern der einer Beratung und Vermittlung bedarf. Dieses halte ich für ein im Sinne des Verbraucherschutzes wichtiges Vorhaben.
Ich freue mich auf die zukünftigen Beratungen und danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD und der FDP)


Georg Leber (SPD):
Rede ID: ID0910329400
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Kleinert.




Detlef Kleinert (FDP):
Rede ID: ID0910329500
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Es ist ja nun schon sehr ausführlich einiges ausgebreitet worden. Die Sache mit den Haustürgeschäften habe ich bei aller Begeisterung, die ich sonst Ihren Ausführungen entgegengebracht habe, sehr ungern gehört. Der einzige Zusammenhang mit diesem Thema ist ja wohl, daß Makler häufig Häuser vermitteln, die auch eine Haustür haben müssen, damit man sie betreten kann.

(Heiterkeit)

Ich bin sehr dankbar, daß die Bundesregierung nun den Entwurf in dieser Form vorgelegt hat. Ich bin auch unbescheiden genug: Wir alle haben daran mitgearbeitet. Wir haben gehört — und das ist hier im Hause etwas Schönes —, daß wir auch in Zukunft alle zusammen weiter daran mitarbeiten wollen. Wir haben auch gehört — ich begrüße das ausdrücklich —, daß die nun nach so langer Zeit zu ändernden Bestimmungen in das Bürgerliche Gesetzbuch eingeführt werden.
Diese Gelegenheit möchte ich allerdings benutzen — ich meine, der Zusammenhang ist nicht ganz so locker wie bei den Haustürgeschäften —, um zu sagen: Wir sind grundsätzlich ungewöhnlich zurückhaltend bei der Idee, das, was in der Ruhe der damaligen Zeit die Väter des Bürgerlichen Gesetzbuches zustande gebracht haben, könnte in unserer so ganz anders gearteten Gesetzgebungstechnik in vergleichbar vorzüglicher Weise wiederholt werden. Deshalb werden wir uns ganz restriktiv verhalten, wenn es um dieses Grundgesetz unserer bürgerlichen Freiheiten und unserer bürgerlichen Vertragsgestaltung geht.
Das möchte ich hier anfügen mit ausdrücklichem Dank dafür, daß die wenigen — und jetzt so reduzierten — Paragraphen hier in das BGB eingeführt werden. Die Vorgeschichte hat insbesondere der Herr Bundesjustizminister dargestellt. Dem ist wenig hinzuzufügen. Was wir untereinander in dieser Sache gemacht haben, war j a zum Teil rein kaufmännische Tätigkeit. Ich erinnere mich an einen Entwurf, in dem von 1 % Entschädigung für den Fall, daß der Alleinauftrag nicht eingehalten wird, die Rede war. Wir stehen jetzt bei 2,5 % und haben damit gezeigt, daß auch die Abgeordneten des Hauses und die zuständigen Herren im Bundesjustizministerium dem Maklergeschäft so fremd nicht gegenüberstehen, wie es in der zwischenzeitlich erregten Diskussion manchmal ausgesehen hat.

(Dr. Stark [Nürtingen] [CDU/CSU]: Sie waren lernfähig!)

Wir haben uns nämlich aufeinander zugearbeitet.
Sehr geehrter Herr Stark, es ist natürlich einer der Kernpunkte im Immobilienmaklergeschäft: Der Alleinauftrag ist notwendig, damit eine feste Basis für das Geschäft geschaffen wird. Da er aber normalerweise, und zwar insbesondere bei den seriösen Unternehmen, zum Erfolg führt, reden wir nur über die prozentual weit geringer zu veranschlagenden Fälle, in denen kein Erfolg eintritt, sondern wie Sie es dargestellt haben, der Kunde das Geschäft beim Kaffee anderweitig macht. Da halte ich es für ebenso — im schlichten Wortsinn — gerecht wie auch für zweckmäßig, daß man sich ein für allemal — ich befinde mich da offenbar in einem gewissen Gegensatz zu Herrn Schwenk — auf einen festen Betrag einigt, damit nicht der ungetreue Kunde die Leistung des Maklers für sich verwerten kann, ohne dafür zu bezahlen. Andererseits muß Klarheit für die Fälle bestehen, wo das Geschäft wirklich ohne die Leistung des Maklers zustande gekommen ist. Hier dürfen — auf diesen Gesichtspunkt möchte ich mit Nachdruck hinweisen — nicht überflüssigerweise die Gerichte belastet werden. Wir haben doch in allen diesen Fällen nach geltendem Recht immer wieder das Problem, daß die Richter sich unterschiedliche Erzählungen darüber anhören müssen, wer das Geschäft vielleicht zustande gebracht hat und wer nicht. Das ein für allemal auszuschalten ist ein ausgesprochen anwaltsfeindliches Unterfangen, was ich in meiner Eigenschaft als Anwalt ganz deutlich machen möchte. Aber ich halte es nun einmal wegen der Überlastung der Gerichte für eine nützliche Sache.

(Abg. Frau Dr. Wilms [CDU/CSU] telefoniert von ihrem Platz aus)

— Wir haben jetzt offenbar die Einrichtung, daß hier zwei Leute gleichzeitig sprechen: die einen nach außen, die anderen an die wenigen dankenswerterweise noch Verbliebenen. Es geht mir ein wenig weit, gnädige Frau.

(Beifall bei der FDP)

Es gibt ja auch Telefone, mit denen man sich so verständigen kann, daß das andere gar nicht mitkriegen. Aber dieses Telefon scheint nicht von der Sorte zu sein.

(Kittelmann [CDU/CSU]: Kommen Sie mal wieder zum Thema!)

— Ich komme auf der Stelle wieder zum Thema zurück.
Ich halte es für einen nützlichen Gedanken, mit einem auch nach der Zahl fest gegriffenen Satz die zweifelhaften Fälle im Alleinauftrag abzumachen. Ich bin sehr dankbar, daß die Berufsverbände der Makler in den Gesprächen der letzten Jahre, wie man wohl sagen muß, auch bereit waren, in dieser Beziehung mit uns zusammenzuarbeiten. Es wurde möglich, daß man aufeinander zuging. Das Verständnis dafür ist gewachsen, daß wir keineswegs irgend jemandem Unrecht tun wollen oder daß wir den Verbraucherschutz als ein Abstraktum so hoch ansetzen, daß darunter eine Leistung leiden soll, die erbracht worden ist.
Wir sind in allen diesen Verhandlungen dazu gekommen, einen mittleren Wert zu finden. Ich hoffe, daß wir dabei bleiben werden und erwähne noch einmal: nicht zuletzt zum Wohle der Gerichte.
Es ist über den Ehemäklervertrag gesprochen worden. Hier haben wir ein sehr lehrreiches Beispiel, was dabei herauskommt, wenn sich der Gesetzgeber vornimmt, aus seinen besonderen moralischen und sittlichen Vorstellungen heraus Leute in Richtung seiner Meinung zu beeinflussen — das muß ich entgegen meiner vorhin geäußerten guten Meinung über den BGB-Gesetzgeber erklären —, indem er sagt: Nach meinen sittlichen Auffassungen



Kleinert
kann ich für eine Ehevermittlung keinen Lohn gewähren, und deshalb schließe ich das im Gesetz ausdrücklich aus. Meistens zeigt sich dann auf der Stelle, daß der Gesetzgeber mit solchen Absichten falsch läuft; denn die Kehrseite der Medaille hat sich herausgestellt: Es werden ungeheure Vorschüsse genommen, weil man dem Ehemäkler das Erfolgshonorar von Gesetzes wegen verweigert hat. Diese Vorschüsse werden zum Teil von Unternehmen genommen, die ihren Geschäftsbetrieb in erster Linie auf die Einnahme solcher Vorschüsse und nicht auf die Vermittlung von Ehen ausgerichtet haben. Ich finde es sehr gut, daß wir das nun wieder auf die Füße stellen — im Gegensatz zu dem, was sich der BGB-Gesetzgeber damals aus Gründen, die ich angedeutet habe, gedacht hat.
Wenn wir über die Kreditvermittlung sprechen, sollten wir auch einmal, selbst wenn es um solche mehr technischen und deshalb erkennbarerweise die Mehrzahl der Kollegen nicht sonderlich interessierenden Dinge geht, unsere ehrliche Meinung über das sagen, was wir aus dem täglichen Leben kennen. Wir müssen mit unserer Beurteilung von Kreditvermittlern gar nicht so zurückhaltend sein. Ich habe überhaupt noch nie einen Menschen kennengelernt, der mir hätte erklären können, warum anders als aus ganz verqueren und verknautschten psychologischen Gründen ein Kreditvermittler in diesem Lande eine Provision verdienen kann. Es gibt so viele Kreditinstitute unterschiedlichster Art, an die sich jeder Bürger, auch wenn er sich in einer schwierigen Situation befindet, wenden kann, daß es nicht einsehbar ist, warum die verschämte Armut den besonders teuren Weg über den Kreditvermittler sucht, der diesen Kredit j a schließlich von einer Bank beschaffen wird. Das sollte man einmal mit allem Nachdruck aussprechen.
Ich bin der Meinung, in diesem Lande braucht niemand einen Kreditvermittler. Aber das will ich gern dem Markt überlassen. Ich möchte hier nur meinen Beitrag zu diesem Marktgeschehen leisten, indem ich diese Auffassung bekanntgebe.

(Sehr gut! bei der SPD)


Georg Leber (SPD):
Rede ID: ID0910329600
Herr Kollege, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Klein?

Detlef Kleinert (FDP):
Rede ID: ID0910329700
Bitte.

Hans Klein (CSU):
Rede ID: ID0910329800
Herr Kollege Kleinert, glauben Sie nicht, daß die rhetorische Frage, die Sie eben gestellt haben, eigentlich an die Adresse der Banken und Kreditinstitute gerichtet werden müßte: warum bestimmte Menschen von ihnen nicht so bedient werden, wie sie offenbar von den Kreditvermittlern bedient werden?

Detlef Kleinert (FDP):
Rede ID: ID0910329900
Mit Sicherheit liegt da ein Versäumnis vor. Anders wäre diese Erscheinung nicht zu erklären. Man sieht ja, was sich die Banken so einfallen lassen. Neuerdings gibt es ganz flache Tische, an die man sich zum Gespräch mit dem Berater setzen kann. Das hat denen irgendein PR-Mann eingeblasen. Sie tasten sich also an die Sache heran.
Aber ganz unabhängig von den Tischen und dem anderen Gefühl, sich in einer Bank aufzuhalten, steht eins fest: Es kostet bares Geld, wenn sich ein Bürger eines Kreditvermittlers bedient, um einen Kredit zu bekommen, den er von der Bank genauso bekommen hätte und der im übrigen auch von der Bank kommt, an dem der Kreditvermittler aber noch zusätzlich eine Provision verdient. Das liegt daran, daß wir über diese Frage vielleicht nicht immer deutlich genug gesprochen haben. Darum habe ich es einmal gesagt.

(Zustimmung bei der FDP und der SPD)

Der 73er Hannoversche Beschluß der SPD steht auf meinem Notizzettel. Deshalb war ich natürlich etwas betrübt, als der Bundesjustizminister diesen fetten Bissen den anderen Kritiküssen mit seiner Zwischenfrage weggenommen hat. Aber ich möchte dazu doch noch einmal etwas sagen. Als zwar nicht ganz so Außenstehender, d. h. als Koalitionspartner, kann ich das vielleicht besser als die Betroffenen selbst. Es ist ganz erstaunlich, daß der 73er-Beschluß von Hannover — ausgerechnet auch noch meine Heimatstadt — in allen beteiligten Kreisen, besonders natürlich in der Maklerschaft, bemerkt worden ist und im Bewußtsein bis heute fortlebt, daß aber der 75er-Beschluß, der damit in der von mehreren inzwischen dargestellten Weise aufgeräumt hat, überhaupt nicht in das öffentliche Bewußtsein gedrungen ist. Nach dem, was nun im Laufe der Debatte über dieses Maklerrecht von dem in jedem Fall sozialdemokratisch geführten Bundesjustizministerium an Leistungen eingebracht worden ist, sollte man den beteiligten Kreisen auch sagen, daß der 75er-Beschluß, der die emotionale Aufwallung wieder in das normale Gleis gebracht hat, offenbar das Dauerhaftere war. Dafür möchte ich mich beim Koalitionspartner an dieser Stelle ausdrücklich bedanken.

(Beifall bei der FDP und der SPD)

Schließlich und endlich wollte ich darauf hinweisen, daß einer der wirklich bedeutenden deutschen Politiker, nämlich Herr von Bismarck, derjenige war, der sich darüber gefreut hat, ehrlicher Makler genannt zu werden, der diese Rolle für sich angenommen und gesucht hat. Das gibt einen sehr guten Hinweis darauf, was wir von diesem dringend benötigten Berufsstand in Wirklichkeit halten.
Eines muß ich nun leider doch noch anfügen: Da es so aussehen könnte, als ob ich mit dem Koalitionspartner zu nett umginge, möchte ich auf eine empirische Sache kommen; ich bin ein großer Freund der empirischen Methode. Nach dem 72erBeschluß und in der allgemeinen Aufregung, die damals im Hinblick auf Wohnungsvermittlung und Makelei überhaupt offenbar geherrscht hat, haben es sich eine Reihe deutscher Großstädte angelegen sein lassen, Wohnungsvermittlungsbüros nach Art der sattsam und unrühmlich bekannten Wohnungsämter aus unserer schlimmsten Notzeit ins Leben zu rufen. Das sollte ein ganz großer Fortschritt hinsichtlich der Versorgung der Bürger mit Wohnungen sein, und das ist nichts weiter als eine grausige Verschwendung von Steuergeldern der Bürger gewesen. Damit ist empirisch erwiesen, daß der Staat das, was



Kleinert
der freie Beruf der Makler leistet, beim besten Willen nicht leisten kann. Die Städte, die sich diesen Luxus aus Gründen der Gesichtswahrung — oder wie man das auf chinesisch nennt — heute noch leisten, sollten sich bei Gefahr des Rechnungshofes endlich davon lösen. — Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der FDP und der SPD)


Georg Leber (SPD):
Rede ID: ID0910330000
Meine Damen und Herren, es liegen keine weiteren Wortmeldungen vor. Ich schließe die Aussprache.
Der Ältestenrat schlägt vor, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 9/1633 zur federführenden Beratung an den Rechtsausschuß und zur Mitberatung an den Ausschuß für Wirtschaft sowie an den Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau zu überweisen. Ist das Haus mit dieser Überweisung einverstanden? — Ich sehe keinen Widerspruch. Es ist entsprechend beschlossen.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 6 auf:
Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur Änderung mietrechtlicher und mietpreisrechtlicher Vorschriften im Land Berlin
— Drucksache 9/1640 —
Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau (federführend)

Rechtsausschuß
Ausschuß für Wirtschaft
Ausschuß für innerdeutsche Beziehungen
Meine Damen und Herren, im Ältestenrat ist für die Aussprache eine Debattenrunde vereinbart worden. Ist das Haus damit einverstanden? — Ich sehe keinen Widerspruch.
Wird das Wort zur Einbringung gewünscht? — Bitte sehr, Herr Senator für Bau- und Wohnungswesen des Landes Berlin.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0910330100
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Aktuelle Probleme mit der Wohnungspolitik gibt es sicher bundesweit und nicht nur in Berlin. Das hat nicht zuletzt die Debatte in diesem Hohen Hause am heutigen Vormittag gezeigt. Dennoch: In keiner anderen Stadt gehen die Probleme mit dem Wohnen den Menschen so unter die Haut wie in Berlin. Nirgendwo ist ein Markt — aus naheliegenden Gründen — empfindlicher, nirgendwo auch ist die Zufriedenheit mit den gemieteten vier Wänden von größerer Bedeutung für das Klima in der Stadt als in Berlin.
Gerade hier liegt vieles im argen. Der amtierende Senat hat hier ein schweres Erbe übernommen und einen großen Nachholbedarf zu bewältigen. Heute soll aber nicht der Zeitpunkt sein, die Schuldfrage für Entwicklungen in der Vergangenheit aufzuwerfen.

(Windelen [CDU/CSU]: Die ist eindeutig!)

Es geht dem Senat von Berlin darum, Fehlentwicklungen für die Zukunft nachhaltig zu verhindern.
Es geht um Wohnraum für mehr als 1 Million Berliner Bürger, es geht um 585 000 Altbauwohnungen. Aber das ist es nicht allein. Berlin hat im Vergleich zu jedem anderen Ballungsgebiet in der Bundesrepublik nicht nur mehr alte Wohnungen, sondern auch einen gewaltigen und zu bewältigenden Nachholbedarf an Instandsetzung und Modernisierung. Berlin hat die größten Bereiche, die der alsbaldigen Erneuerung bedürfen.
Darüber hinaus ist Berlin, was seine Sozialstruktur angeht, noch nicht eine Stadt wie jede andere. Das Durchschnittseinkommen der Berliner Haushalte ist geringer. Keine Stadt hat mehr ältere Mitbürger. Jeder fünfte Einwohner ist 65 Jahre oder älter, jeder elfte Einwohner 75 Jahre oder älter.
Auch gibt es in Berlin eine mobile Schicht jüngerer Menschen, die neue Formen des Wohnens suchen und auch unsere Unterstützung haben sollten, wenn und soweit sich dies — das darf ich anmerken — in rechtlich geordneten Verhältnissen vollzieht.
Die Gesetzesinitiative des Senats, mit der geltendes Bundesrecht geändert werden soll, hat vor dem Hintergrund der Wohnungssituation der Stadt folgende wesentliche Ziele.
Zum einen soll die Mietpreisbindung entgegen geltendem Recht bis 1990 aufrechterhalten werden und nicht am 1. Januar 1983 auslaufen. Denn die hiermit verbundenen Risiken sind wegen der besonderen — auch geographischen — Lage der Stadt und wegen des hohen Nachholbedarfs im Wohnungsbereich schwer einzuschätzen.

(Beifall bei allen Fraktionen)

In diesem Zeitraum muß allerdings eine schrittweise Annäherung an das bundesweit geltende und doch wohl im wesentlichen bewährte Mietpreisrecht mit einer höheren Orientierung zum Markt hin ermöglicht werden.
Schließlich muß ein deutlicher und nachhaltiger Anreiz für die Instandhaltung und die Instandsetzung der Stadt gegeben werden. Die Wirtschaftlichkeit des Althausbesitzes muß nicht nur gewährleistet, sondern verbessert werden. Hierbei müssen tragbare Mieten für die Bewohner von 585 000 Altbauwohnungen erhalten bleiben. Dabei muß natürlich auch eine Transparenz in bezug auf die Mietentwicklung geschaffen werden.

(Zuruf von der CDU/CSU: Ein wichtiger Punkt!)

Über die gesetzliche Ausformung dieses Leitbildes hat es, ausgehend vom Gesetzentwurf des Senats und auf der Basis dieses Entwurfs, bereits intensive Gespräche auch mit den Fraktionen des Deutschen Bundestages gegeben, die schließlich — das darf ich berichten —, übrigens in den frühen Morgenstunden dieses Tages, zu einer einvernehmlichen Lösung geführt haben. Ich will mir an dieser Stelle die Einzeldarstellung mehr technischer Art versagen, aber Gelegenheit nehmen, hier im Namen Berlins den Dank an die Abgeordneten des Deutschen Bundestages für ihre bisherige Mitarbeit in Vorbereitung des Gesetzgebungsverfahrens auszu-



Senator Rastemborski (Berlin)

sprechen, eine Mitarbeit, die von hohem Verständnis für die besondere Berliner Situation geprägt war.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich spreche hier die Bitte und die Hoffnung aus, daß dieses Hohe Haus auch im weiteren Verfahren den Belangen Berlins Rechnung trägt, zumal jedenfalls die CDU, die FDP und die SPD in Berlin in diesem wichtigen Problembereich unserer Stadtpolitik erneut gezeigt haben, daß sie zu einem einheitlichen Auftreten gegenüber dem Bundesgesetzgeber bereit und in der Lage sind. — Ich danke Ihnen für ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei allen Fraktionen)


Georg Leber (SPD):
Rede ID: ID0910330200
Ich eröffne die Debatte.
Als erster Redner hat der Abgeordnete Schulze (Berlin) das Wort.

Gerhard Schulze (CDU):
Rede ID: ID0910330300
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Als Berliner Abgeordneter möchte ich zunächst einmal dem Bundesrat danken, daß er ohne Zeitverzug den vorliegenden Gesetzentwurf zur Änderung mietrechtlicher und mietpreisrechtlicher Vorschriften im Land Berlin in den Deutschen Bundestag eingebracht hat. Die Bundesregierung weist in ihrer Stellungnahme zu diesem Gesetzentwurf darauf hin, daß schon beim Zweiten Gesetz zur Änderung mietrechtlicher und mietpreis-rechtlicher Vorschriften im Land Berlin vom 24. Juli 1979 nach einer Übergangsphase eine Beendigung der Mietpreisbindung für Altbauwohnungen und eine Anpassung an die im Bundesgebiet geltenden Vorschriften erfolgen sollte. Das würde im Klartext bedeuten, daß beginnend mit der Übergangsfrist ab 1. Januar 1983 zum 1. Januar 1985 die Mietpreisbindung für Berlin total entfallen und damit der „weiße Kreis" in Berlin eingeführt würde. Das kann bei der angespannten Wohnungsmarktlage, auf die Herr Senator Rastemborski vorhin schon hingewiesen hat, zumindest zum jetzigen Zeitpunkt kein verantwortlicher Politiker in Berlin wollen.
Nun muß es natürlich andererseits auch unser Bestreben sein — auch darauf ist schon hingewiesen worden, und dazu hat das Berliner Abgeordnetenhaus dem Berliner Senat den Auftrag gegeben, ein entsprechendes Gesetz in den Bundesrat einzubringen, das vorsieht —, daß bis 1990, mit einer Übergangsfrist ab 1988, die Mietpreise in Berlin an das soziale Mietrecht im übrigen Bundesgebiet angeglichen werden und damit zugleich — das ist ein ganz wesentlicher Punkt — die Herbeiführung einer bundeseinheitlichen Regelung ermöglicht wird.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Der Regierende Bürgermeister von Berlin hat in seiner Regierungserklärung dazu u. a. gesagt: Entscheidend ist es, die kommenden Jahre dafür zu nutzen, einen Übergang zum sozialen Mietrecht zu schaffen, wie es in anderen Bundesländern, auch in Ballungsgebieten, gilt. Nun sagt die Bundesregierung in ihrer Stellungnahme zu dem Gesetzentwurf auch, daß sie sich der fortwirkenden Ausgangslage auf dem Berliner Wohnungsmarkt bewußt ist. Wir sind zwar sehr dankbar dafür, daß die Bundesregierung diese Feststellung getroffen hat, wären aber als Berliner sicher glücklicher darüber, wenn die Wohnungsverhältnisse in Berlin zumindest so wie in vergleichbaren Städten bzw. Ballungsgebieten im übrigen Bundesgebiet wären.

(Löffler [SPD]: Das ist aber bei der Baulandsituation in Berlin ohne Randgebiete schwer möglich!)

— Das ist richtig; aber lassen Sie mich, Herr Kollege Löffler, vielleicht zuerst ausreden, damit Sie den Gesamtzusammenhang meines Vortrags erkennen.
Bei Erlaß dieses Gesetzes hatte der Gesetzgeber unterstellt — insofern darf ich das, was der Herr Senator Rastemborski hier vorhin erklärt hat, noch etwas vertiefen —, daß bis 1982/84 erstens sich die Wohnungsnachfrage als Folge rückläufiger Bevölkerungszahlen deutlich abschwächt, zweitens ein zahlenmäßiger Ausgleich zwischen Haushalten und Wohnungen zu einem Ausgleich von Angebot und Nachfrage führt, drittens ein gewisser Leerstand an Wohnraum auf allen Wohnungsteilmärkten einen insgesamt funktionierenden Wohnungsmarkt gewährleistet und viertens das fehlende Umland und die damit fehlenden Ausweichmöglichkeiten wegen vorhandener Angebotsreserven keine marktverzerrenden Hemmnisse mehr darstellen. Diese Annahmen haben sich trotz der weiteren öffentlichen Förderung des Wohnungsneubaus und der Modernisierung von Wohnungen nicht bestätigt. Wir haben schon gehört, die Zahl der privaten Haushalte steigt trotz rückläufiger Bevölkerungsentwicklung, hat also eine steigende Tendenz. Auch die Zahl der Wohnungen liegt maximal etwa in der gleichen Höhe wie die Zahl der privaten Haushaltungen die auf etwa 1,07 Millionen geschätzt wird.

(Vorsitz : Vizepräsident Frau Renger)

Trotz dieses zahlenmäßigen Ausgleichs zwischen Haushalten und Wohnungen ist kein marktregulierender Wohnungsleerstand absehbar. Ein solcher statistischer Ausgleich bedeutet Wohnungsknappheit, weil Mobilitätsreserven für Umzüge, sanierungs-, modernisierungs-, umwandlungs- und spekulationsbedingte Leerstände den verfügbaren Wohnungsstand mindern.
Es kommt hinzu, daß ein nicht unbeachtlicher Prozentsatz von Altbauwohnungen vor 1918 gebaut wurde, ohne Badeeinrichtungen, ohne WC, nur mit Öfen ausgestattet, das heißt, daß sie den heutigen qualitätsbezogenen Wohnungsanforderungen nicht mehr entsprechen, häufig sogar, wie wir es hier schon gehört haben, sanierungs- und modernisierungsbedürftig sind.

(Zuruf von der CDU/CSU: Leider wahr!)

Dem trägt der Gesetzentwurf insofern Rechnung, als er Anreize für Investitionen zur Instandhaltung und Modernisierung, so auch für eine bessere Ausstattung der Wohnungen enthält. Dazu gehören auch die Zuschläge für Komfort und Wohnwert.
Wir wünschen uns — und stützen uns dabei auch auf eine vom Berliner Senat in Auftrag gegebene Wohnungsmarktanalyse —, daß bei der ebenfalls im Gesetzentwurf für den Althausbesitz vorgesehenen



Schulze (Berlin)

höheren Wirtschaftlichkeit, wie vom Verband der Berliner Haus-, Wohnungs- und Grundstückseigentümer kürzlich erklärt, mögliche höhere Mieten auch tatsächlich in die Instandhaltung der Häuser fließen. Der Althausbesitz muß für den einzelnen Eigentümer so attraktiv gemacht werden, daß er Mieten in diesen Althausbesitz investiert. Gleichermaßen muß selbstverständlich für die Mieter in diesen Altbauten sichergestellt sein, daß die Mieten angemessen, d. h. zahlbar sind und daß sich bei notwendigen Mieterhöhungen zum Schutze der Mieter keine unvertretbaren Sprünge ergeben.
Auf Grund der besonderen Lage Berlins sieht der Senat eine Sonderregelung über die Eigenbedarfskündigung bei der Umwandlung von Miet- und Eigentumswohnungen vor. Darüber und über die anderen im Gesetzentwurf enthaltenen Vorschläge wird im einzelnen in den Fachausschüssen zu beraten sein.
Lassen Sie mich noch bemerken, daß das Ziel eines ausgeglichenen Altbaumarktes selbstverständlich nur erreichbar ist, wenn genügend Wohnraum geschaffen wird. Daher ist es folgerichtig und auch nur zu begrüßen, wenn der Senat bis 1985 den Bau von 50 000 Wohnungen in Berlin vorsieht und durch diese begleitende Maßnahme den Übergang zur Angleichung an das soziale Mietrecht im übrigen Bundesgebiet wesentlich erleichtert,

(Beifall bei der CDU/CSU)

abgesehen davon — das hat das Gutachten, das hier schon angeführt wurde, auch gezeigt —, daß für bestimmte Bevölkerungsgruppen in Berlin und solche, die nach Berlin kommen sollen, noch ein erheblicher Bedarf an guten Wohnungen besteht.
Lassen Sie mich zum Schluß meiner Stellungnahme ausdrücklich darauf hinweisen, daß die Vorstellungen Berliner Mieterorganisationen und vor allen Dingen die vielen Unterschriften, die das Bürgerbegehren in Berlin zur Mietpreisbindung erreicht hat, sicher die Folge einer lang angestauten Unzufriedenheit mit der Wohnungspolitik vergangener Jahre ist. Das Bürgerbegehren ist, wie der Regierende Bürgermeister kürzlich erklärte, ebenfalls ein wichtiges Instrument und Zeichen für die Dringlichkeit der angestrebten Verlängerung der Mietpreisbindung in Berlin. Dennoch muß man zum Inhalt dieser Initiative feststellen, daß eine Verlängerung der Mietpreisbindung ohne Wenn und Aber bei den gegenwärtigen ordnungspolitischen Vorstellungen, d. h. mehr Liberalisierung, mehr Mobilität auch auf dem Wohnungs- und Mietsektor, die bei der Mehrheit des Deutschen Bundestages vorhanden sind, kaum eine Chance hätte.
Meine Damen und Herren, Politik ist die Kunst des Möglichen und auch der Kompromisse. Ich habe hier versucht, Ihnen die besondere Lage Berlins auf dem Wohnungsbau- und Mietsektor vor Augen zu führen, und bin sehr dankbar dafür, daß vor mir Herr Senator Rastemborski noch einmal auf die besondere Lage Berlins hingewiesen hat.
Es liegt im Interesse unserer Berliner Altbaumieter und des Althausbesitzes, wenn sich die im Abgeordnetenhaus vertretenen Parteien zur weiteren
Mietpreisbindung für Berlin abseits von allen parteipolitischen oder parteitaktischen Überlegungen auf einen gemeinsamen Vorschlag verständigen können, und ich bin aus diesem Grunde sehr dankbar dafür, daß es mit der gestrigen Nachtsitzung einer interfraktionellen Gesprächsrunde, an der ich beteiligt war, hier in Bonn gelungen zu sein scheint, auch über bisher strittige Fragen zu einem Konsens zu kommen, der zwar in den Fraktionen und den Ausschüssen noch abgeklärt werden muß, aber meines Erachtens die Gefahr beseitigt, daß die Mietpreisbindung für Berlin ab 1985 total entfällt.
Meine Damen und Herren, wir wären Ihnen daher sehr dankbar, wenn der Bundestag so, wie der Bundesrat es auch getan hat, in einer zügigen Beratung mit breiter Zustimmung des Hauses rechtzeitig vor dem 1. Januar 1983 dieses Gesetz verabschieden würde. Meine Fraktion stimmt der vorgeschlagenen Ausschußüberweisung zu. — Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der CDU/CSU)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID0910330400
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Wartenberg.

Gerd Wartenberg (SPD):
Rede ID: ID0910330500
Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Ich glaube, für alle Berliner Abgeordneten ist es eine besondere Genugtuung und Freude, daß es nach der gestrigen interfraktionellen Nachtsitzung gelungen ist, gerade an dem Tage, an dem hier die erste Lesung dieses Gesetzentwurfes auf der Tagesordnung steht, eine Einigung zu erzielen. Denn es war in Berlin — bei der in mancher Hinsicht politisch schwierigen Situationen — sehr lange umstritten, ob überhaupt zwischen den Parteien und zwischen den politischen Gruppierungen im Abgeordnetenhaus noch eine Einigung zu erzielen sein würde; und jeder weiß, daß eine Beratung im Bundestag auf jeden Fall eine vorherige Einigung der Berliner Parteien voraussetzte. Insofern sind wir alle, glaube ich, sehr froh darüber, daß dies in der letzten Nacht unter teilweise dramatischen Umständen gelungen ist.

(Sehr gut! bei der SPD)

Ich glaube, daß, wenn man sich gerade an diesem Tage für eine Berliner Mietpreisregelung einsetzt, ein anderer Hinweis nötig wird. Heute morgen sind für das Bundesgebiet Mietpreisliberalisierungen beschlossen worden. Vielen Abgeordneten gerade meiner Fraktion ist es außerordentlich schwergefallen, Liberalisierungen im übrigen Bundesgebiet zuzustimmen, während am gleichen Tage hier der Entwurf für eine Mietpreisbindung für Berlin eingebracht wird. Ich glaube, wir Berliner sind uns alle bewußt, daß eine solche Situation ohne Frage delikat ist und daß von uns Berliner Abgeordneten allen anderen Bundestagsabgeordneten Dankbarkeit entgegengebracht werden muß.
Bevor ich auf die Inhalte des Kompromisses kurz eingehe, möchte ich noch einmal auf die politische und auf die wohnungswirtschaftliche Ausgangslage zu sprechen kommen. Sie unterscheidet sich — darauf haben meine Vorredner schon hingewiesen — wesentlich von der Lage anderer Ballungsgebiete. Wir haben in Berlin noch 600 000 Altbauwohnungen,



Wartenberg (Berlin)

Wohnungen, die überwiegend im Zeitraum von 1870 bis 1890 gebaut worden sind, was dazu geführt hat, daß trotz der vielen Kriegszerstörungen in der Stadt ein überproportionaler Anteil schlechter Altbauwohnungen vorhanden ist. Deswegen würde insbesondere in schwierigen Innenstadtgebieten eine Freigabe der Mieten soziale Härten produzieren, die eigentlich von keiner Partei getragen werden könnten.
Ein weiterer Punkt, den ich ansprechen möchte, ist der, daß sehr häufig von Wohnungspolitikern des Bundestages und auch allgemein im Bundesgebiet gesagt wird, die Mietpreisbindung verschulde den Verfall der Häuser in Berlin.

(Dr. Möller [CDU/CSU]: Das ist richtig!)

Ich möchte entschieden widersprechen, und zwar mit dem Argument der historischen Entwicklung in der Nachkriegszeit. Wir müssen sehen, daß in einer Zeit, in der in westdeutschen Großstädten im Wohnungsbau schon lange wieder investiert und modernisiert worden ist, in Berlin aus politischen Gründen, wegen der unsicheren Lage der Stadt, bis Ende der 50er Jahre, sehr viele Hauswirte und Hausbesitzer Investitionen zurückgehalten haben. Der Schub der Investitionen, der in der übrigen Bundesrepublik Anfang der 50er Jahre begann, trat in Berlin erst mit 15jähriger Verspätung ein. Deshalb kann man nicht sagen, daß in erster Linie die Mietpreisbindung die Rückstände in der Instandhaltung produziert habe und ein Investitionshemmnis sei. Für mich ist das außerordentlich wichtig; denn wenn man das nicht klärt, kann man die Kollegen im Bundestag nicht für eine Verlängerung der Mietpreisbindung gewinnen. Ich meine, daß es nicht nur allgemeine politische Argumente für die Verlängerung der Mietpreisbindung gibt, sondern daß die Rückstände in der Instandhaltung der Bausubstanz und die historisch-politische Nachkriegsentwicklung dies in erster Linie begründen.
Folgendes zur politischen Ausgangslage: Wir hatten uns Anfang letzten Jahres im Berliner Abgeordnetenhaus geeinigt, eine Verlängerung der Mietpreisbindung für Berlin gemeinsam einzubringen. Der neue Senat hat dann Ende des letzten Jahres einen Entwurf vorgelegt, der von der SPD und der Alternativen Liste im Abgeordnetenhaus nicht getragen werden konnte, weil wir meinten, daß eine Verschlechterung der Situation der Mieter trotz eines administrativen Mietensystems, das auch der Senat vorgeschlagen hatte, eingetreten wäre. Der Mieterverein von Berlin hat daraufhin, unterstützt von der SPD, ein schweres Geschütz aufgefahren, das Bürgerbegehren. Während dieses Bürgerbegehrens in Berlin sind innerhalb eines kurzen Zeitraumes über 200 000 Unterschriften gegen den Senatsentwurf gesammelt worden. Ich glaube, daß dieses Bürgerbegehren ohne Frage mit dazu geführt hat, daß die Verhandlungsspielräume in der interfraktionellen Kommission wieder größer geworden sind.

(Zustimmung bei der SPD)

Wir meinen, daß gerade wir Sozialdemokraten, indem wir Fortschritte in den Verhandlungen für die
Berliner Mieter erreicht haben, dieses Bürgerbegehren, das über 200 000 Berliner Mieter unterstützt haben, politisch umgesetzt haben.

(Zustimmung bei der SPD)

Wenn in dieser Situation, in der wir uns interfraktionell geeinigt haben, so verfahren wird, daß diese Vorschläge ohne Änderungen vom Bundestag insgesamt übernommen werden, kann man davon ausgehen, daß der Bundesratsentwurf, der uns heute vorliegt — dem die SPD so allerdings nicht zustimmen kann —, mit den Änderungen eine Grundlage dafür bildet, die Situation der Berliner Mieter zu verbessern, und Sicherheit bei den Mietpreisen gibt.
Ich möchte kurz auf drei Punkte eingehen, die in der Kompromißrunde verbessert worden sind. Ganz wesentlich ist, daß wir dafür gesorgt haben, daß die Mieterhöhungsspielräume erheblich gesenkt wurden. Betrugen die Steigerungsmöglichkeiten nach dem Senatsentwurf bei voller Ausschöpfung innerhalb von sieben Jahren immerhin 113 %, so sind es jetzt

(Dr.-Ing. Kansy [CDU/CSU]: Von welcher Grundlage?)

— auf der Grundlage der Miete von 1973 — nur noch 65 % im ungünstigsten Falle. Das ist für uns Sozialdemokraten wirklich ein großer Fortschritt, den selbst der Mieterverein in Berlin so nicht erwartet hat. Wir bedanken uns da auch für die Kompromißbereitschaft der anderen Fraktionen.
Ein weiterer Punkt ist, daß für Berlin erstmalig — das gibt es auch im Bundesgebiet nicht — eine Rechtsverordnung eingeführt werden soll, wonach Mieterhöhungen auf Grund von Modernisierungen begrenzt werden können. Bis jetzt können bei Modernisierungen 111)/0 der Investitionskosten auf die Miete umgelegt werden. Das hat in allen Ballungsgebieten zu erheblichen Problemen geführt. Für Berlin haben wir es in dieser Kommission durchgesetzt, daß eine Rechtsverordnung erlassen wird, die den Senat von Berlin ermächtigt, eine Höchstgrenze zu ziehen. Ich kann mir vorstellen, daß dies auch für andere Ballungsgebiete im Bundesgebiet interessant ist, in denen das Hinausmodernisieren und das Modernisieren zu sehr hohen Kosten, was für Mieter häufig zu untragbaren Mieterhöhungen führt, eine große Bedeutung hat.
Ein Punkt in diesem Kompromißpaket — das ist der bitterste Teil, übrigens für alle Fraktionen — ist die Frage der Einschränkung der Umwandlung von Mietwohnungen in Eigentumswohnungen. Hier haben alle vier Fraktionen des Abgeordnetenhauses eine sehr weite Sonderregelung für Berlin gefordert, nach der die Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen weitgehend ausgeschlossen werden sollte. Hier hat insbesondere die FDP-Bundestagsfraktion gesagt, daß sie dem auf keinen Fall zustimmen könne. Es ist trotzdem zu einem Kompromiß gekommen. Analog zu der Sonderregelung für Berlin im sozialen Wohnungsbau wird eine verlängerte Frist für Berlin eingeführt: nicht fünf Jahre, wie jetzt für das Bundesgebiet vorgesehen, sondern sieben Jahre, also zwei Jahre Verlängerung. Damit kann man leben, damit ist zwar dem Willen der vier Parteien im Berliner Abgeordnetenhaus nicht ent-



Wartenberg (Berlin)

sprochen worden, aber es ist zumindest eine Kompromißlinie.
Ich möchte am Schluß allen Parteien im Bundestag danken, daß in dieser interfraktionellen Kornmission eine Einigung möglich wurde und daß die Parteien und Abgeordneten, die hier vertreten sind, bereit sind, zu akzeptieren, daß die Berliner Mietpreisbindung durchgesetzt wird, obwohl gleichzeitig im Bundesgebiet Liberalisierungen vorgenommen werden. Ich weiß, daß das für viele Abgeordnete, die nicht aus Berlin kommen, eine außerordentlich schwierige Angelegenheit ist. Dafür danken wir ganz besonders. Wir hoffen, daß wir auch in der zweiten und dritten Lesung bei einem vernünftigen Ergebnis bleiben.

(Beifall bei der SPD und der FDP)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID0910330600
Das Wort hat der Abgeordnete Wolfgramm.

Torsten Wolfgramm (FDP):
Rede ID: ID0910330700
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich darf den Kollegen Gattermann entschuldigen, der leider einen dringenden Termin hat. Aber meine Legitimation, heute hier zu sprechen, beziehe ich auch aus der Tatsache, daß ich in Berlin geboren bin. Ich sehe hier eine ganze Anzahl Berliner sitzen.
Im übrigen ist die „Flugzeugbesatzung" unauffällig wieder bei einer Zwischenlandung angekommen. Ich sehe die Mitglieder des Wohnungsbauausschusses jetzt hier stark vertreten. Allerdings scheint es inzwischen die Besatzung einer Boeing 707 zu sein, nicht mehr die einer 747. Wir sollten aufpassen, daß sich das nachher nicht einer Cessna-Besatzung nähert.
Die Berliner Mietverhältnisse sind ungünstig. Das ist von den Kollegen mehrfach unterstrichen worden. Aber es ist in diesem Hause bei den Beratungen 1975 und am 21. Juni 1979 einmütig festgehalten worden, daß dies damals auf jeden Fall die letzte Verlängerung der Besonderheiten der Berliner Mietpreissituation sein solle. Es sind da fast heilige Eide geschworen worden. Die Eide sind von Verlängerung zu Verlängerung immer heiliger geworden. Wir sehen uns jetzt wieder einem Sündenfall gegenüber. Anscheinend liegt es im Wesen der Sünder — leichtfertig oder nicht —, gerne in ihre Sünden zurückzufallen.
Wir Liberalen im Bundestag haben mehrfach betont, daß wir nicht glauben, daß die Verlängerung hilfreich ist. Wir haben betont, daß wir nicht glauben, daß wir damit die Verbesserung der Situation, die j a von der Sanierung und der Modernisierung der Altbauwohnungen abhängt, wirklich in den Griff bekommen. Für uns stellt sich die Frage — auch jetzt, obwohl die Vorlage hier stufenweise arbeiten will —, ob die vorgesehene Regelung denn nun im Interesse derer ist, die eine Wohnung suchen, insbesondere im Interesse der jüngeren Wohnungssuchenden. Bei einem solchen Closed-Shop-Verfahren sind j a immer die bevorzugt, die schon drin sind. Wir bezweifeln, ob wir die Verbesserung der Wohnsituation damit rasch schaffen können. Deshalb sehen wir das, was wir hier tun, mit einem gemischten Gefühl.
Wir wollen alles tun, um den Berliner Mietern zu helfen. Herr Senator Rastemborski hat ja festgehalten, wie lange gestern der „Mieterrat" getagt hat: 121/2 Stunden, bis in den grauen Morgen hinein, von einer Anzahl von Kollegen begleitet. Das war so etwas wie eine Ministerpräsidentenkonferenz, die sich schon vorab geeinigt hat.
Wir wollen festhalten, daß wir versuchen wollen, im Ausschuß für die wohlverstandenen Interessen der Mieter und für eine praktikable Regelung einzutreten. Ich meine, daß ein paar Vorschriften — z. B. Art. 6 des vorgeschlagenen Gesetzes — daraufhin überprüft werden müssen, ob sie nicht zu kompliziert sind und ob hier die Bürokratie nicht fröhliche Urstände feiert. Ich erinnere mich übrigens daran — dies an die Kollegen der Opposition gerichtet —, daß Sie ja einen Ausschuß gegründet haben, der sich mit der Behandlung von komplizierten Gesetzesvorlagen beschäftigen soll. Vielleicht bemühen Sie diesen Ausschuß auch bei dieser Angelegenheit. Er hat bisher, finde ich, nicht sehr wirkungsvoll getagt, wenn ich mir diese Anmerkung erlauben darf.
Wir wollen in die Gesetzesberatungen eintreten, und wir wollen auch hier dem Konsens, der bisher gefunden worden ist, nicht widersprechen.
Aber ich möchte noch einmal festhalten: Die Beratungen, die wir heute vormittag gehabt haben, und die Beschlüsse, die wir heute nachmittag zu der Frage der Mietrechtsituation gefaßt haben, weisen uns in die richtige Richtung. Der jetzige Weg kann nur ein Übergang sein. Wir hätten es lieber, er wäre rascher zu Ende, um all denen die Mietwohnung zu sichern, die sie brauchen. — Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP und der SPD)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID0910330800
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Die Vorschläge des Ältestenrates zur Überweisung sind aus der Tagesordnung ersichtlich. Ich nehme an, daß Sie dagegen nichts einzuwenden haben. — Das ist der Fall. Dann ist das so beschlossen.
Ich rufe Punkt 8 der Tagesordnung auf:
a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Stercken, Klein (München), Pfeifer, Dr. Mertes (Gerolstein), Dr. Schäuble, von der Heydt Freiherr von Massenbach, Picard, Rühe, Dr. Probst, Dr. Hornhues, Dr. Marx, Neuhaus, Linsmeier, Frau Geiger, Dr. Laufs, Lenzer, Dr. Bugl, Würzbach, Dr. Jobst, Löher, Freiherr von Schorlemer, Pohlmann, Dr. Kunz (Weiden), Niegel, Dr. Hüsch, Schwarz, Dr. Lenz (Bergstraße), Magin, Dr. Olderog, Sauter (Epfendorf), Sauter (Ichenhausen), Zierer, Jagoda, Bühler (Bruchsal), Boroffka, Dr. Rose, Spilker, Sick und der Fraktion der CDU/ CSU



Vizepräsident Frau Renger
Kulturelle Beziehungen mit den Vereinigten Staaten von Amerika
— Drucksache 9/1498 —
Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Auswärtiger Ausschuß (federführend)

Innenausschuß
Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit Ausschuß für Bildung und Wissenschaft
b) Beratung des Antrags der Fraktionen der SPD und FDP
Intensivierung der deutsch-amerikanischen Kulturbeziehungen
— Drucksache 9/1665 —
Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Auswärtiger Ausschuß (federführend)

Innenausschuß
Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit Ausschuß für Bildung und Wissenschaft
Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat ist eine verbundene Debatte für die Punkte 8 a und 8 b der Tagesordnung und eine Aussprache von einer Stunde vorgesehen.
Ich gehe gleichzeitig davon aus, daß von der Frist für den Beginn der Beratung des Antrags auf der Drucksache 9/1665 abgewichen wird. — Auch dagegen erhebt sich kein Widerspruch, so daß wir darüber nicht noch einmal Beschluß zu fassen brauchen.
Das Wort in der Aussprache hat der Abgeordnete Dr. Stercken.

Dr. Hans Stercken (CDU):
Rede ID: ID0910330900
Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Ich denke, Sie kreiden es mir nicht als eine Mißachtung dieses Hohen Hauses an, wenn ich mein Bedauern darüber zum Ausdruck bringe, daß ein Verhandlungsgegenstand wie die deutsch-amerikanischen Beziehungen in dieser Form und zu so später Abendstunde abgehandelt werden muß. Ich meine, daß dieser Deutsche Bundestag die Aufgabe hätte, seine außenpolitsche Kompetenz, seine Sicherheitskompetenz, seine Friedenskompetenz in solchen Debatten stärker zum Ausdruck zu bringen und die Erörterung solcher Fragen nicht der Straße zu überlassen.

(Beifall bei der CDU/CSU, bei der SPD und bei der FDP — Dr. Linde [SPD]: Das steht doch wenigstens auf der Tagesordnung, schon seit langem!)

— Das stand für morgen früh, 9 Uhr, auf der Tagesordnung; dann stand es für die Zeit nach 15.30 Uhr auf der Tagesordnung. Ich habe ja nur etwas festgestellt; die Konsequenzen kann jeder für sich daraus ziehen.

(Erneuter Zuruf des Abg. Dr. Linde [SPD])

Meine Damen und Herren, eine Studie aus dem Bundeskanzleramt gibt uns — vielleicht ist das jetzt in einem solchen Zusammenhang nicht einmal ein Zufall — Veranlassung, uns mit dem dort signalisierten Konfliktbedürfnis mit den Vereinigten Staaten auseinanderzusetzen. Da heißt es nämlich:
Zu den gemeinsamen Werten des Westens gehören nicht nur Parlamentarismus und Meinungsfreiheit, sondern auch soziale Gerechtigkeit, Arbeit und Brot, soziale Stabilität und Gerechtigkeit. Diese Werte setzen die amerikanische und britische Administration durch ihre Wirtschafts- und Sozialpolitik aufs Spiel. Sie mindern damit die Attraktivität des Westens.
Mit diesen Schlußfolgerungen aus Überlegungen zu einer außen- und gesellschaftspolitischen Kontroverse haben die von Herrn Bölling gelobten Chefdenker des Herrn Bundeskanzlers die Axt gleich an die Wurzeln der westlichen Allianz und der deutschamerikanischen Beziehungen gelegt.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID0910331000
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Wolfgramm?

Torsten Wolfgramm (FDP):
Rede ID: ID0910331100
Herr Kollege Stercken, würden Sie freundlicherweise dem Hause nicht vorenthalten, daß Ihnen gestern im Auswärtigen Ausschuß mitgeteilt worden ist — und Sie es auch schon vorher sicherlich wußten —, daß diese Studie nicht auf Anordnung der Bundesregierung, auch nicht des Bundeskanzlers angefertigt worden ist, ja daß diese Studie überhaupt kein Papier der Bundesregierung, auch nicht des Bundeskanzleramtes ist, weil weder der Bundeskanzler noch der Staatssekretär davon offiziell Kenntnis genommen haben oder haben konnten?

Dr. Hans Stercken (CDU):
Rede ID: ID0910331200
Herr Kollege Wolfgramm, am Ende gibt es diese Studie offenbar überhaupt nicht.

(Zurufe von der SPD — Zuruf: Doch!)

Nur lesen Sie einmal, was in der Weltöffentlichkeit, in der amerikanischen Presse und anderwärts darüber gesagt wird. Ich erkenne, daß die darin aufgestellten Behauptungen in hohem Maße mit Erörterungen in unserer deutschen Öffentlichkeit übereinstimmen, und das ist für mich Grund genug, sie hier öffentlich zu erörtern, nicht in Ausschüssen, und die Bedürftigkeit der Korrektur dieses Eindrucks hier in diesem Hohen Hause festzustellen.

(Beifall bei der CDU/CSU)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID0910331300
Herr Kollege, gestatten Sie noch eine Zwischenfrage des Abgeordneten Löffler?

Lothar Löffler (SPD):
Rede ID: ID0910331400
Sehr geehrter Herr Kollege, bei aller Anerkennung Ihres politischen Bedürfnisses, die Inhalte des Papiers, das Sie hier genannt haben, öffentlich zu erörtern, frage ich: würden Sie mir recht geben, daß es dann aber nicht ganz korrekt ist, von einer „Studie aus dem Bundeskanzleramt" oder von einer „Bundeskanzleramtsstudie" zu sprechen, sondern daß Sie es als das bezeichnen sollten, was es ist: ein Papier, das in der Weltöffentlichkeit einen ziemlichen Wirbel macht?

Dr. Hans Stercken (CDU):
Rede ID: ID0910331500
Herr Kollege Löffler, ich wäre bereit, Ihnen zu folgen, wenn durch die gestrigen Erklärungen für mich die Sache aus der Welt geschafft worden wäre. Ich kann nur feststellen, daß



Dr. Stercken
der Sprecher der Bundesregierung zur Verteidigung der Autoren dieser Studie angetreten ist und ihnen sogar öffentlich Lob gezollt hat.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Er hat dieses Wort in den Mund genommen. Ich erblicke darin eine Form der Identifikation, Kollege Löffler, die hier in diesem Hohen Hause korrekturbedürftig ist. Wo anders soll die Öffentlichkeit noch solche Dinge erfahren, wenn wir die jetzt in den Ausschüssen unter den Tisch reden?

(Zuruf von der SPD: Hier geht es um die kulturellen Beziehungen!)

Schutz, Zusammenarbeit und Freundschaft werden uns von unseren amerikanischen Bundesgenossen nicht deshalb gewährt, weil sich die Vereinigten Staaten nicht auf andere Weise verteidigen ließen, sondern weil die Gemeinsamkeit mit uns als ein Bündnis verstanden wird, das auf gleichen Wertvorstellungen und Werthaltungen beruht.
So war es in der Präambel des Nordatlantikvertrages festgelegt worden. Ich rufe dies hier ausdrücklich in Erinnerung, weil dies vielfach nicht mehr festgehalten wird:
Die Parteien dieses Vertrages bekräftigen erneut
— so heißt es dort —
ihren Glauben an die Ziele und Grundsätze der Satzung der Vereinten Nationen und ihren Wunsch, mit allen Völkern und allen Regierungen in Frieden zu leben.
Sie sind entschlossen, die Freiheit, das gemeinsame Erbe und die Zivilisation ihrer Völker, die auf den Grundsätzen der Demokratie, der Freiheit der Person und der Herrschaft des Rechts beruhen, zu gewährleisten.
Sie sind bestrebt, die innere Festigkeit und das Wohlergehen im nordatlantischen Gebiet zu fördern.
Sie sind entschlossen, ihre Bemühungen für die gemeinsame Verteidigung und für die Erhaltung des Friedens und der Sicherheit zu vereinigen.
Wer also behauptet, Amerikaner und Briten setzten diese Werte aufs Spiel, der deutet an, daß er nicht nur eine Revision der militärischen Folgerungen anstrebt, sondern daß ihm die geistige Geschäftsgrundlage nicht mehr paßt.

(Beifall bei der CDU/CSU — Dr. Mertes [Gerolstein] [CDU/CSU]: So ist es!)

Ich brauche hier nicht darzustellen, welche verheerenden Wirkungen solche Strategien bei unseren amerikanischen Freunden hinterlassen. Mit Sonntagsreden und charmanten Liebenswürdigkeiten ist dieses Porzellan nicht zu kitten. Auch mit weiteren Goetheinstituten in den USA kann den Schäden nicht entgegengewirkt werden, die sich als Konsequenz aus dem hier vorgeführten Marsch in einen anderen Staat ergeben.
Meine Damen und Herren, wenn die Verbesserung und Erweiterung der deutschen Kultur- und
Öffentlichkeitsarbeit in den Vereinigten Staaten dazu dienen soll, Konflikte mit der dortigen Administration zu verstärken, dann hat dies mit der im vorliegenden Entschließungsentwurf niedergelegten bisherigen gemeinsamen Auffassung von Regierung, Koalition und CDU/CSU-Fraktion, unsere Anstrengungen in den USA zu verstärken, nichts zu tun.

(Dr. Mertes [Gerolstein] [CDU/CSU]: Das kann man wohl sagen!)

Meine Fraktion ist auch nicht der Auffassung, daß sich dieses Thema für die Landtagswahlkämpfe eignete, wie es dort empfohlen wird.

(Zuruf von der FDP: Warum bringen Sie es dann vor?)

Eine solche perfide Idee kann doch nur die Extremisten im Lande sowie Jungsozialisten und Jungdemokraten ermuntern, ihren Antiamerikanismus bei gleichzeitiger Schonung des Kommunismus weiter auszudehnen.

(Schäfer [Mainz] [FDP]: Kommen Sie doch endlich zur Sache!)

— Ich sehe, wie Sie sich dabei aufregen. Das scheint Sie ja zu bewegen.
Wir stellen am Ende weitere Stipendien zur Verfügung, und alles ist wieder gut. Konflikte mit der amerikanischen Administration, Entspannung mit der Sowjetunion — das soll ein pragmatisch denkender Amerikaner verstehen! Nein, meine Damen und Herren, die CDU/CSU-Fraktion erwartet von der Bundesregierung, daß sie in aller Öffentlichkeit deutlich macht, daß dies nicht ihre Vorstellung von deutsch-amerikanischen Beziehungen, daß dies nicht ihre Bewertung der amerikanischen Regierung ist.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Meine Damen und Herren, manchmal will es so scheinen, als gebe das Zeitalter technologischer Entwicklungen kaum noch eine Chance, die Lebenskräfte, Ideen und Traditionen sichtbar zu machen, ohne die doch eigentlich technischer Fortschritt sinnlos ist. Eine letztlich wenig selbstbewußte und in ihrer Geschichte unerfahrene Generation mißt die Sinnhaftigkeit des persönlichen und politischen Lebens an Vordergründigkeiten, deren Gestaltung eigentlich dem Willen und der Freiheit des menschlichen Geistes unterworfen werden sollte. Die weitgehende Verbannung geschichtlichen Denkens aus unserem politischen Alltag mußte folgerichtig dazu führen, daß die marxistische und neutralistische Szenerie — bei uns mit deutscher Gründlichkeit — Unwissenheit und Verblendung zu nutzen wußte, um ein Klima der Teilnahmslosigkeit, des Verdrusses und der Gegnerschaft zu erzeugen.
In pragmatisch denkenden demokratischen Ländern ist dieser Vorgang schwer verständlich. Wie sagte dazu in der vorigen Woche Henry Kissinger? „Ich kann nur schwer verstehen, daß irgend jemand in Berlin, das so vollkommen auf amerikanische Unterstützung angewiesen ist, der mit einer von Korn-



Dr. Stercken
munisten gebauten Mauer leben muß, die USA als Bedrohung des Friedens sehen kann."

(Sehr richtig! bei der CDU/CSU)

Er fügte hinzu: „Aber die meisten Amerikaner begreifen: Dies ist nicht die allgemeine Auffassung der Berliner oder der Deutschen."

(Dr. Mertes [Gerolstein] [CDU/CSU]: Gott sei Dank!)

Wie recht er hat, zeigt das Ergebnis eines deutschen Meinungsbefragungsinstitutes, das Demoskopie und keine Parteipolitik betreibt: 73 % der deutschen Bevölkerung vertrauen den Vereinigten Staaten, 77 % mißtrauen der Sowjetunion. Nicht zu allen Zeiten war dieses Bild so günstig für unsere Freunde jenseits des Atlantiks.
Am 6. Oktober des nächsten Jahres wird es 300 Jahre her sein, daß deutsche Aussiedler aus Krefeld in Philadelphia eintrafen. Sieben Millionen Bauern, Handwerker, Arbeiter, Künstler und Wissenschaftler folgten ihnen und wirkten am Aufbau der Neuen Welt mit. Viele Namen stehen heute symbolhaft für den Einbezug der Deutschen in den amerikanischen Integrationsprozeß. Ich nenne Friedrich von Steuben, der einmal einem Freund in Deutschland schrieb:
Seien Sie unbesorgt für das Fortkommen Ihrer Kinder. Geben Sie ihnen eine gute Erziehung, und wenn Europa keine Aussicht für sie hat, Amerika hat hinlänglich Mittel, um gute Weltbürger zu versorgen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Hier machen weder Religionen noch Vaterland den geringsten Unterschied. Hier sind weder Ahnen noch Vermögen nötig, um einen Mann ansehnlich und glücklich zu machen.
Ich nenne Carl Schurz, über den Gustav Stresemann aus Anlaß seines 100. Geburtstages urteilte:
Er hat die Liebe zu Deutschland und die Treue zu seinem amerikanischen Vaterland zur wundervollen Geschlossenheit einer großen Persönlichkeit verschmolzen, weil sein Streben hier wie dort im tiefsten Sinne auf das Ethische gerichtet war, das nicht ein Vorrecht einer Nation, sondern ein Gemeingut der Menschheit ist.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Bei der Weltausstellung 1893 in Chicago sagte Carl Schurz, inzwischen amerikanischer Innenminister:
Ich bin immer für eine vernünftige Amerikanisierung gewesen. Aber das bedeutet nicht völlige Aufgabe all dessen, was deutsch ist. Es bedeutet, daß wir die besten Züge des amerikanischen Charakters annehmen und mit den besten Zügen des deutschen Charakters verbinden sollten. Tun wir das, so dienen wir dem amerikanischen Volk und seiner Zivilisation am besten.
Wir denken auch an die Einwanderer aus Deutschland, von Einstein bis Kissinger, die meist ihre alte Kultur in einem höheren Maße in die amerikanische hineingegeben haben, als es eigentlich ihren Vorbehalten hätte entsprechen können.
Carl Zuckmayer, einer der wenigen Heimkehrer nach Europa, hat seine Begegnung mit den USA wie folgt beschrieben:
Amerika hat mir die Chance gegeben, in meinem Beruf, in meinem Denken und Schaffen, in meiner Voraussetzung und meiner Arbeit europäisch, ja sogar deutsch zu bleiben und doch von Herzen ein Bürger Amerikas zu sein ..., einem Land voll klarer, sauberer, einfacher Menschlichkeit ..., einem Land, das aus unserer europäischen Zukunft nie mehr wegzudenken ist, nicht als unser Beherrscher, sondern als unser Weggenosse, und mit dessen freiem Volk wir gemeinsam eine freie und brüderliche Welt erstreben sollen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Schätzungsweise über 11 000 deutsche Wissenschaftler und Techniker sind seit 1949 in die USA ausgewandert. Viele von ihnen haben kein Hehl aus ihrer Besorgnis gemacht, die Deutschen hätten ihre Politik mehr auf ein Mittelmaß als auf zukunftsorientierte herausfordernde Leistungen orientiert.
Wer nach diesen geistigen Ursprüngen des amerikanischen und deutschen Denkens forscht, meine Damen und Herren, der wird auch erkennen, wie sehr der christlich-jüdische Kulturkreis eine glückliche Voraussetzung für die Entwicklung und Formulierung der Rechte des Menschen geworden ist. Jeffersons Unabhängigkeitserklärung von 1776 beschreibt zum erstenmal diese Menschenrechte und das Recht auf Widerstand gegen die Regierung. Was hier seinen Ausdruck findet, ist die Vermählung guter europäischer geistiger Traditionen mit dem Gestaltungswillen der Neuen Welt.
Wie sehr dieses Denken das Handeln der amerikanischen Nation bestimmt, das beweist der persönliche Einsatz ihrer Bürger für die Not in aller Welt. Die Hilfsaktion der Amerikaner nach beiden Weltkriegen dieses Jahrhunderts — insbesondere für uns — sind ein Zeugnis der Edelmütigkeit und Hilfsbereitschaft, mit dem unsere amerikanischen Freunde ein Beispiel geliefert haben, das in unseren Tagen nur schwerlich eine vergleichbare Nachfolge findet. Die Luftbrücke zur Überwindung der sowjetischen Blockade Berlins im Jahre 1948 war ein weiteres Zeichen menschlicher Solidarität, drei Jahre nach einem mörderischen Krieg.
In solchen Situationen erweist sich, meine Damen und Herren, die moralische Leistungsfähigkeit eines Landes.

(Dr. Mertes [Gerolstein] [CDU/CSU]: So ist es!)

Wir tun gut daran, dies alles nicht zu vergessen. Zahllos sind die Zeugnisse musischer, wissenschaftlicher und technischer Zusammenarbeit zwischen der Alten und der Neuen Welt. In ihnen spiegelt sich der Reichtum europäischer Traditionen. Zwischen Pazifischem und Atlantischem Ozean gelang eine in Europa nie erreichte Integration abendländischer Vielfalt, wurde ein umfassender Konsens erreicht,



Dr. Stercken
ohne daß dadurch der Charme individueller Eigenartigkeiten verdrängt worden wäre. So berufen sich heute rund 52 Millionen Amerikaner auf deutsche Vorfahren.
Die Begegnungen zwischen dem neuen amerikanischen Genius und dem deutschen Geistesleben lassen uns an viele Namen denken, die solche geistige Symbiose erfahrbar machten. Da in diesem Hohen Hause so viele Namen genannt werden, die wir uns oft nicht zu merken brauchen, möchte ich diesen einmal die Ehre erweisen, im Deutschen Bundestag genannt zu werden: Alexander von Humboldt, Mark Twain, Heinrich und Thomas Mann, Carl Zuckmayer, Franz Werfel, Gerhart Hauptmann, Ernest Hemingway, Ernst Rowohlt, Tennessee Williams, Max Reinhardt, Thornton Wilder, Bert Brecht, Kurt Weil, Bruno Walter, Paul Hindemith, Fritz Lang, Marlene Dietrich, Mies van der Rohe.

(Zuruf von der SPD)

— Ich finde, daß das auch einmal erwähnt werden sollte, wenn es um die Kulturlandschaft der Deutschen geht.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Sie können nun fragen: Warum beschäftigen Sie sich mit dem, was war? Warum sprechen Sie nicht von dem, was Sie mit diesem Antrag in den Bundestag als die Zusammenfassung des Willens aller einbringen? Es gab j a darüber keine grundsätzlichen Meinungsverschiedenheiten, obwohl wir uns in der vergangenen Legislaturperiode nicht über eine gemeinsame Linie einigen konnten; jedenfalls nicht mit einigen besonders exponierten Vertretern der Koalition.
Meine Freunde und ich haben die Befürchtung, daß wir uns wieder einmal über die administrative Erweiterung verständigen könnten, die Substanz der Beziehungen dabei aber auf der Strecke bliebe.

(Dr. Mertes [Gerolstein] [CDU/CSU]: Und auf die kommt es an!)

Wir wollten die Debatte über die geistige Fundierung unserer Beziehungen vor dem willkommenen Besuch des amerikanischen Präsidenten. Wir wollten das Bekenntnis zur geistigen und ethischen Grundlage unserer Beziehungen. Wie dringend das nötig ist, haben die Publikationen der letzten Tage ja gezeigt, auf die ich mich eingangs bezogen habe.
Unsere amerikanischen Freunde werden nicht mehr für die Sicherung unseres Überlebens, für die Freiheit Berlins einstehen und die Sicherung unseres Zugangs zu Rohstoffen und Energie — bis hin zur Straße von Hormuz — gewährleisten, wenn bei uns wirklich zum Marsch in einen anderen Staat, in eine andere Form der Partnerschaft mit den Vereinigten Staaten geblasen werden sollte. Dieses Denkmodell reduziert übrigens die europäische Identität auf eine Zusammenarbeit mit Ländern, in denen man vornehmlich sozialistische Partner ansprechen kann. Uns klingt das fatale Wort in den Ohren — wir sollten uns daran erinnern, daß das einmal jemand gesagt hat —, Europa werde sozialistisch oder es werde nicht.
Wie soll man solche Ideologie einem Amerikaner deuten, der nun schon seit 25 Jahren auf einen europäischen Staatenbund als Paßstück zu seinen Vereinigten Staaten wartet, weil mehr Selbstbewußtsein eines geeinten Europa manchen antiamerikanischen Komplex vermieden hätte? Man kann angesichts der europäischen Berge, die im Augenblick nur noch Mäuschen kreißen, allein mit Goethe in seinen „Zahmen Xenien" resignierend sagen: „Amerika, du hast es besser als unser Kontinent, der alte!"
Vor 475 Jahren gab der aus Radolfzell stammende schwäbische Kartograph Martin Waldseemüller dem, wie er irrtümlich meinte, von Amerigo Vespucci gesichteten Kontinent den Namen Amerika. Heute stehen wir als Europäer vor der Herausforderung eines Amerika, das die Integration der europäischen Völker kraft seiner Jugend und seines Glaubens vorgelebt hat. Wenn im Mittelpunkt dieses befruchtenden Spannungsfeldes wieder die geistigen Gemeinsamkeiten deutlicher werden, dann sollten wir für diesen Prozeß all die gemeinsamen Ideen einsetzen, die in den Ihnen vorliegenden Entschließungsentwürfen zusammengetragen worden sind. Auf einen gemeinsamen Entwurf, meine Damen und Herren, können wir uns einigen. Ich bitte Sie nur, zu verstehen, daß die CDU/CSU-Fraktion die damit eröffneten Möglichkeiten zur Vertiefung unserer Zusammenarbeit und Freundschaft mit den Vereinigten Staaten und nicht als Werkzeug einer neuen Konfliktstrategie einsetzen würde.

(Beifall bei der CDU/CSU)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID0910331600
Herr Abgeordneter Stercken, ich möchte Sie gerne fragen: Hatten Sie vorhin von „Volkssturm" gesprochen?

(Dr. Stercken [CDU/CSU]: In der Tat!)

— Dann darf ich Sie doch bitten, dies aus dem Protokoll zu streichen. Dies ruft eine sehr unangenehme Assoziation mit Nationalsozialisten hervor, die damit Menschen mißbraucht haben. Ich glaube, Sie sind damit einverstanden. — Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und der FDP) Das Wort hat der Abgeordnete Gansel.


Norbert Gansel (SPD):
Rede ID: ID0910331700
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! „Die kulturelle Außenpolitik muß sich von den Prinzipien der Partnerschaft leiten lassen. Sie darf nicht einseitige Selbstdarstellung sein, sondern dient dem Austausch und der Begegnung der Kulturen." Sie bewegt sich „in Richtung Weltzivilisation".

(Dr. Mertes [Gerolstein] [CDU/CSU]: Das hat Herr Stercken auch gesagt!)

So beschreibt die Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages Aufgaben und Ziele der kulturellen Außenpolitik.
Diese dritte, kulturelle Säule der Außenpolitik — neben der politischen und wirtschaftlichen — kann ihre tragende Funktion nur dann erfüllen, wenn sie nicht Regierungen, sondern Völker verbindet. Sie muß deshalb unabhängig vom Wechsel der Regierungen, unabhängig von deren Interessen und Poli-



Gansel
tiken funktionieren. Das bedeutet für unsere Bemühung, die deutsch-amerikanischen Kulturbeziehungen zu intensivieren, konkret:
Erstens. Es wäre außenpolitisch falsch, zu versuchen, aktuelle Interessen- und Meinungsunterschiede, die neben den vielen Gemeinsamkeiten zur Zeit zwischen den politischen Mehrheiten in den USA und in der Bundesrepublik bestehen, durch intensivierte Kulturbeziehungen kurzfristig zu überdekken.

(Dr. Mertes [Gerolstein] [CDU/CSU]: Wer will das denn?)

Wirkliche Partnerschaft muß sich auf Dauer verlassen können.
Zweitens. Es wäre falsch, innenpolitisch zu versuchen, diese Bemühungen als Kampfinstrumente innenpolitischer Auseinandersetzungen zu benutzen. Denn dem Austausch und der Begegnung der Kulturen haben wir uns gemeinsam zu stellen. Wir sind Partner als Volk, ein geteiltes Volk zwar, aber kein Parteienvolk und auch keine Einheitspartei. Bei allen Unterschieden zwischen den politischen Parteien haben wir nach Gemeinsamkeiten und nicht nach Gegensätzen zu suchen. Nur so können wir auf Dauer auch ein verläßlicher Partner in der auswärtigen Kulturpolitik sein. Es ist deshalb gut, daß die deutsch-amerikanischen Kulturbeziehungen im Unterausschuß für kulturelle Außenpolitik gemeinsam zu einem Schwerpunktthema gemacht worden sind, daß gemeinsam ein Anhörverfahren beschlossen und durchgeführt worden ist. Es wäre gut, wenn wir im Unterausschuß auch zu einem gemeinsamen Antrag an das Plenum des Deutschen Bundestages kommen könnten.

(Dr. Mertes [Gerolstein] [CDU/CSU]: Das hat Stercken doch angedeutet!)

Es wäre besser gewesen, wir hätten dies von vornherein versucht.
Es ist nicht gut, daß die heutige Diskussion 14 Tage vor einem Besuch des Präsidenten der USA in Bonn stattfindet.

(Zurufe von der CDU/CSU: Was?)

Dieser Besuch ist in der Öffentlichkeit umstritten. Gegen die Politik des amerikanischen Präsidenten wird in Bonn demonstriert werden. Als Reaktion darauf soll von anderen für Frieden und Freiheit demonstriert werden, als ob die Gegner der Politik Reagans auch gegen Frieden und Freiheit seien. Das alles ist in einem demokratischen Staat legal und legitim. Es wäre aber schlecht für unsere kulturelle Außenpolitik, wenn die heutige Diskussion für oder gegen eine Demonstration instrumentalisiert werden sollte. Ich bedaure, Herr Kollege Stercken, daß Sie in Anbetracht Ihres sonst doch geistesgeschichtlich interessanten und diskussionswerten Beitrags dieser Versuchung erlegen sind und daß Sie dies trotz der vielen Gemeinsamkeiten der beiden Anträge zum Anlaß eines Schlagabtausches zwischen den Parteien genommen haben. Die auswärtige Kulturpolitik darf kein Boxring sein, in dem die Parteien Punkte sammeln wollen.

(Beifall bei der SPD und der FDP)

Ich bedaure weiter, daß Ihnen der Fehler unterlaufen ist, zum Gegenstand einer Plenardebatte ein Papier zu machen, das im Auswärtigen Ausschuß einvernehmlich nicht für wert erachtet wurde, benutzt zu werden, um kritische Fragen an die Regierung zu stellen.
Nun wird allerdings niemand bezweifeln, daß es bei aller notwendigen Kontinuität der kulturellen Außenpolitik auch akute Ursachen und aktuelle Anlässe gibt, sie zu überprüfen und zu verändern.
Viele Jahre, so scheint es rückblickend, hat es in den kulturellen Beziehungen zwischen den USA und der Bundesrepublik keine Probleme gegeben. In den letzten Jahren beobachten wir eine gewisse Entfremdung, die über bloße gelegentliche Spannungen, die es auch zu Adenauers Zeiten gegeben hat, hinausgeht.
Man kann nun seiner persönlichen Meinung entsprechend Regierungen oder politischen Mehrheiten hier oder dort die Schuld daran geben. Die Grundströmungen in dem, was gelegentlich auch als Auseinanderdriften bezeichnet wird, bestehen wahrscheinlich darin, daß sich die USA in dem Maße, wie sie sich stärker zu sich selber — sie ist ja schließlich auch fast ein Kontinent — und zum pazifischen Raum hingewendet haben, von Europa abgewendet haben. Westeuropa, darin insbesondere die Bundesrepublik, hat dagegen im Prozeß seiner politischen Einigung an Selbstbewußtsein zugenommen. Die Entspannungspolitik hat dem Eisernen Vorhang die Undurchdringlichkeit genommen und neue Perspektiven eröffnet.
Wer hätte es zur Zeit des Kalten Krieges, zur Zeit der engsten Bindung der Bundesrepublik an die USA für möglich gehalten, daß die CDU/CSU im Deutschen Bundestag einmal die Bundesregierung auffordern würde, unter Berufung auf eine KSZE- Schlußakte, die sie vor ein paar Jahren hier in einer Sondersitzung auch noch ablehnen wollte, ein Abkommen mit der DDR über einen Jugendaustausch mit der DDR abzuschließen, wie es vor wenigen Wochen hier im Plenum geschehen ist?
Für die Bundesrepublik Deutschland beruhte die Freundschaft mit den USA auf den Erfahrungen einer Generation, die einen Weltkrieg, Diktatur, Rassenwahn und politische Verfolgung überlebt hatte. Das zerschlagende und dann geschlagene Deutschland konnte nicht erwarten, so bald wieder Freunde in der Welt zu finden. Nicht nur die amerikanische Regierung, sondern auch das amerikanische Volk halfen, mit Lebensmittelpaketen den Hunger zu überwinden, mit Ideen und Menschen die Demokratie zu wagen und einen Teil Deutschlands und WestBerlins — gewiß auch aus eigenem Interesse — militärisch zu sichern. Die Deutschen versuchten, zu danken, indem sie sich als treuester und unkritischer Bündnispartner zeigten. Der „American way of life" wurde von der neuen bundesdeutschen Gesellschaft in einer Weise idealisiert, wie es das geistige Amerika selber nie versucht hat. Das liegt fast eine Generation zurück.
Das Amerikabild der jungen Generation in der Bundesrepublik ist von Rassenunruhen, vom Vietnamkrieg, vom Watergate-Skandal und von der ver-



Gansel
meintlichen Diskrepanz zwischen Idealisierung und Realität geprägt.
Deshalb wird oft nicht wahrgenommen, was auch zur amerikanischen Wirklichkeit gehört: Kampf und Erfolg der Bürgerrechtsbewegung, die die Bundesrepublik im Hinblick auf ihre Probleme mit der Integration ausländischer Mitbürger vielleicht noch vor sich hat;

(Beifall bei der SPD und der FDP)

die Beendigung eines Krieges durch den Druck einer Protest- und Friedensbewegung auf die eigene Regierung und nicht durch eine totale militärische Niederlage; die schonungslose Radikalität von Presse, Gerichten und parlamentarischen Gremien im Kampf gegen die Korruption einer Regierung. Wer all das nicht als tatsächliche Ereignisse, sondern als traumatische Erlebnisse empfindet, sagt mehr über sich selber als Politiker aus als über die Wirklichkeit der Vereinigten Staaten von Amerika.

(Dr. Mertes [Gerolstein] [CDU/CSU]: Das ist eine Verfälschung der Aussage!)

Wer auf die amerikanische und die deutsche Gesellschaft hört, kann sich nicht des Eindrucks erwehren, daß „antiamerikanisch" oder „anti-German" eher ein Problem der Politiker als der Völker ist.

(Beifall bei der SPD und der FDP)

Für das gesellschaftliche Verhältnis zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den USA, für die Beziehungen der Völker zueinander, scheint mir folgende Beschreibung der deutsch-amerikanischen Schulbuchkommission zutreffend zu sein — ich zitiere mit Genehmigung der Frau Präsidentin —:
Gelegentlich sind engere Beziehungen zwischen vergleichbaren Gruppen beider Gesellschaften als zwischen den verschiedenen Gruppen innerhalb einer Gesellschaft zu beobachten. In der Arbeiterschaft und in der Mittelschicht beider Länder existieren, was Arbeitsethik, den Glauben an den Nutzen materiellen Fortschritts und das Verlangen nach Effizienz und Innovation betrifft, ähnliche Werte und Wünsche. Teile der Jugend in beiden Ländern werden zur Überwindung dessen, was sie an der Sozialstruktur und an traditionellen Konventionen als veraltet empfinden, von vergleichbaren Impulsen angetrieben.
Im ganzen gesehen wird deutlich, daß in der Geschichte beider Länder die Beziehungen kaum jemals enger als in der Nachkriegszeit gewesen sind. Interessenübereinstimmung und Wertekonsens haben neben anderem intensiven kulturellen Austausch bewirkt. Von gelegentlich auftauchender Kritik sowie zeitweilig zu beobachtendem Ausbruch antiamerikanischer oder antideutscher Emotionen abgesehen, sind die deutsch-amerikanischen Beziehungen durch gegenseitigen Respekt und wechselseitiges Vertrauen gekennzeichnet.
Diesen Befund hat übrigens das Anhörverfahren
des Unterausschusses zu den deutsch-amerikanischen Beziehungen in 6 Monaten durchaus bestätigt.

(Dr. Mertens [Gerolstein] [CDU/CSU]: Genau das ist jetzt gefährdet!)

Die Bundesregierung hat in ihrer Stellungnahme zum Bericht der Enquete-Kommission die auswärtige Kulturpolitik als ein „vermittelndes und verbindendes Element der Beziehungen zu anderen Völkern und zwischen Menschen unterschiedlicher Nation" bezeichnet. Ich wage zu bezweifeln, daß die beste auswärtige Kulturpolitik Freundschaft zwischen Völkern schaffen kann. Sie kann Freundschaft zwischen Menschen ermöglichen, insbesondere durch Austausch- und Besuchsprogramme, aber Völkerfreundschaft wächst wohl nur aus gemeinsamen historischen Erfahrungen. Im deutsch-amerikanischen Verhältnis gibt es diese historische Erfahrung. Sie darf nicht verschüttet werden, wie immer man zur aktuellen Politik einer Regierung in ihrer momentanen Zusammensetzung steht.

(Dr. Mertes [Gerolstein] [CDU/CSU]: Genau das hat Herr Stercken gesagt!)

Von besonderer Wichtigkeit ist in dem vorliegenden Antrag der Koalitionsfraktionen deshalb für die SPD der Vorschlag für ein deutsch-amerikanisches Austauschbüro für die junge Generation. Das persönliche Erlebnis des anderen Landes ist das beste Bindemittel; es der jungen Generation zur Verfügung zu stellen ist die beste Investition für eine verbindende Zukunft.
Unser Vorschlag beruht auf einer Anregung Willy Brandts in der Debatte über die Regierungserklärung im November 1980. Die SPD hat diese Anregung auf ihrem Münchener Parteitag aufgegriffen und konkretisiert. Aufgaben und Arbeitsweise des Austauschbüros haben wir in dem vorliegenden Antrag skizziert.
Ich möchte folgende Ergänzung machen:
Erstens. Austausch bedeutet Gegenseitigkeit. Wie die amerikanische Seite organisiert sein soll, kann allerdings nur Sache der Amerikaner selbst sein. Verstärkte Bemühungen für eine Intensivierung des Austausches können wir aber in aller Freundschaft auch von der amerikanischen Seite erwarten. Ich bin froh, daß die amerikanische Regierung nach einem Besuch von Frau Minister Dr. Hamm-Brücher in den USA von beabsichtigten Kürzungen im Austausch mit der Bundesrepublik Abstand genommen hat.

(Beifall bei der FDP)

Aber ich bedaure, daß insgesamt festzustellen ist, daß unter den jungen Amerikanern das Interesse, die Bundesrepublik zu besuchen, nach den uns bekannten Zahlen offenbar geringer als das Interesse der jungen Deutschen ist, die USA zu besuchen.

(Hört! Hört! bei der SPD)

Hier hat aber eine öffentlichkeitswirksame Gründung eines deutschen Austauschbüros auch die Chance, Einstellungsveränderungen zu bewirken. Ich begrüße in diesem Zusammenhang den entschiedenen Aufruf des amerikanischen Botschafters



Gansel
zur Verstärkung des Jugendaustausches, den er vor wenigen Wochen an seine Landsleute in den USA gerichtet hat.

(Beifall bei allen Fraktionen)

Zweitens. Wir haben in unserem Vorschlag offengelassen, in welcher Rechtsform das Austauschprogramm auf deutscher Seite organisiert werden soll. Aber dabei muß die Mitwirkung unserer Jugendorganisationen und insbesondere der privaten Organisationen, die schon bisher im deutsch-amerikanischen Jugendaustausch in drei Jahrzehnten Hervorragendes geleistet haben, gesichert werden. Das Austauschbüro soll ihre Arbeit nicht verwalten oder verstaatlichen, sondern fördern und insbesondere finanziell erleichtern.
Drittens. Die Intensivierung des deutsch-amerikanischen Jugendaustausches darf nicht auf Kosten der Austauschprogramme mit anderen Staaten in Westeuropa, in Osteuropa oder im Nahen Osten erfolgen. Die Vertreter der Jugendorganisationen, von den Jungsozialisten bis zur Sportjugend, haben darauf bei Vorgesprächen mit allem Nachdruck hingewiesen, und das ist richtig so.
Viertens. Für die Intensivierung des deutsch-amerikanischen Jugendaustausches müssen deshalb zusätzliche öffentliche Mittel und möglichst auch private Spenden zur Verfügung gestellt werden. Ersteres mag angesichts der finanziellen Situation von Bund und Ländern schwierig aussehen. Man sollte allerdings bedenken, daß manche Mehrausgabe im Verteidigungsetat auch im Hinblick auf „das klimatische Verhältnis" zwischen den USA und der Bundesrepublik beschlossen worden ist. Ich erinnere in diesem Zusammenhang insbesondere an die Diskussion über das AWACS-Projekt. Mit der Hälfte der Kosten eines modernen Düsenjägers könnte das deutsch-amerikanische Austauschbüro viele Jahre arbeiten und langfristig „klimatische Verbesserungen" bewirken, die keine militärische Kooperation oder Koproduktion erreichen kann, und das ist ja schließlich auch nicht ihre Funktion.
Fünftens. Zusätzliche finanzielle Mittel sind insbesondere erforderlich, um mehr Jugendlichen aus allen Schichten zu ermöglichen, das Partnerland kennenzulernen. Der Austausch darf sich nicht etwa auf die Jugendlichen mit Gymnasialbildung und finanzstarkem Elternhaus beschränken. Breitenwirkung kann nur erreicht werden, wenn auch Auszubildende, junge Arbeitnehmer, Empfänger von Ausbildungsförderung mitmachen können.

(Zustimmung bei Abgeordneten der SPD)

Der Bundestagsausschuß und das Bundesministerium für Jugend, Familie und Gesundheit werden insbesondere dafür Sorge tragen müssen, daß die Erfahrungen der internationalen Jugendarbeit berücksichtigt werden und daß nicht etwa der Eindruck entsteht, der deutsch-amerikanische Jugendaustausch werde in der gehobenen Diplomatenklasse stattfinden; aber das wollen wir sowieso nicht, Frau Minister Hamm-Brücher, in Anbetracht unserer bekannten Bescheidenheit.
Meine Damen und Herren, mancher Kommentator der deutsch-amerikanischen Beziehungen hält nach einer sogenannten successor-generation oder Nachfolgegeneration Ausschau. Sie soll an die Stelle der Generation treten, die nach einem schrecklichen Krieg auf Trümmern und Massengräbern Versöhnung und Freundschaft ermöglicht hat. Die jüngere Generation kann der älteren nur in ihren Lehren, nicht in den Fehlern ihrer Zeit nachfolgen. Wird ihr das gelingen? Es muß ihr gelingen. Niemand wird noch aus den Fehlern eines Atomkrieges Lehren ziehen können.
Diese Grunderkenntnis haben wir alle gemeinsam. Was sich in den USA und in der Bundesrepublik als Friedensbewegung versteht, hat daraus Konsequenzen gezogen, die falsch oder auch richtig sein können. Gewiß wäre es falsch, sie nur deswegen als antiamerikanisch zu klassifizieren, weil sie sich gegen die politische Strategie einer Regierung oder Administration richtet. Wer Freundschaft zwischen den Völkern will, darf nicht Teile der Völker von vornherein davon ausschließen.

(Beifall bei der SPD)

„Freundschaft und Zusammenarbeit mit den Vereinigten Staaten von Amerika gehören zu den Grundlinien der Außenpolik der Bundesrepublik Deutschland", so heißt es in unserem Antrag. Bei Meinungsunterschieden in politischen Einzelheiten fordern wir alle Fraktionen des Deutschen Bundestages auf, diesen Grundlinien auch in der auswärtigen Kulturpolitik gemeinsam weiter zu folgen.

(Beifall bei der SPD und der FDP)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID0910331800
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Schäfer (Mainz).

Helmut Schäfer (FDP):
Rede ID: ID0910331900
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es ist mit Herrn Stercken zumindest so viel Übereinstimmung auf meiner Seite festzustellen, daß auch ich es bedaure, daß ein so wichtiges Thema zu so später Stunde vor einem so. geringen Publikum behandelt wird. Das ist aber in diesem Bundestag nicht neu. Frau Präsidentin, es wäre die Frage, ob die Parlamentsreform nicht überfällig ist. Der Arbeitsablauf dieses Hauses ist in der Öffentlichkeit allmählich doch mit einem Fragezeichen zu versehen und bereitet auch uns große Frustration. Ich muß das hier einmal in aller Deutlichkeit sagen.

(Beifall bei Abgeordneten aller Fraktionen)

Wir haben die Maklergesetze zumindest heute hinter uns gebracht.
Herr Kollege Stercken, ich muß, wenn ich schon polemisch werde, zurückkommen auf das, was Sie hier zu Beginn Ihrer Ausführungen gesagt haben, die mich insofern überrascht haben, als Sie zu den Anträgen eigentlich nichts, aber zu einem Non-Paper viel gesagt haben. Das Non-Paper stammt nicht von mir, sondern von einem hier anwesenden Kollegen Ihrer Fraktion. Sie waren gestern leider zu spät im Auswärtigen Ausschuß. Ich meine nur, wir sollten, da wir beide nicht „Spiegel"-gläubig sind, doch nicht plötzlich Formulierungen des „Spiegel" hier



Schäfer (Mainz)

aufbauen zu einem Popanz, über den wir uns künstlich erregen und der im Endeffekt — so ist das ja bei Ihnen gewesen — wie ein großer Ballon ist, aus dem die Luft gestern schon raus gewesen ist.

(Beifall bei der FDP und der SPD)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID0910332000
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Stercken?

Helmut Schäfer (FDP):
Rede ID: ID0910332100
Ja, bitte schön.

Dr. Hans Stercken (CDU):
Rede ID: ID0910332200
Herr Kollege Schäfer, stimmen Sie mit mir darin überein,

(Zuruf von der SPD: Nein!)

— ich hatte den Kollegen Schäfer gefragt — daß diese Problematik längst die Weltöffentlichkeit beschäftigt und daß es deshalb dringend erforderlich wäre, in Bonn ein Zeichen zu setzen, daß dies mit den Auffassungen etwa der Bundesregierung oder der Koalitionsfraktionen überhaupt nichts zu tun hat?

(Dr. Ehmke [SPD]: Das haben wir doch schon dreimal gehört! Red' doch nicht so einen Quatsch!)


Helmut Schäfer (FDP):
Rede ID: ID0910332300
Herr Kollege Stercken, zunächst einmal bezweifle ich, daß sich die Weltöffentlichkeit so schnell erregt, wie Sie vermuten. Zweitens sind Ihre Ausführungen hier dazu angetan gewesen, die Weltöffentlichkeit vielleicht wieder etwas zu beruhigen. Ich glaube, damit wäre die Frage beantwortet.

(Beifall bei der FDP)

Im übrigen, Herr Stercken, hatte ich gedacht, wir beraten heute Anträge. Ich muß feststellen, Sie haben zumindest in einer Weise einen Amerikanismus aufgewiesen, Sie haben hier in Form des „Reader's Digest" eine Rückwärtsbetrachtung der deutschamerikanischen Beziehungen gegeben, die uns für die Zukunft nicht furchtbar viel gebracht hat. Ich meine, wir sollten doch ein bißchen konkreter werden und uns nicht nur in schöner Besinnung auf den Edelmut vergangener Zeiten ausruhen; das bringt uns nicht weiter.

(Dr. Mertes [Gerolstein] [CDU/CSU]: Das ist das typisch ahistorische Denken bei der FDP!)

— Herr Mertes, Sie haben für alles typische Worte, aber auch Sie sind nicht immer unfehlbar,

(Dr. Mertes [Gerolstein] [CDU/CSU]: Sehr richtig!)

besonders — um das bei der Gelegenheit auch einmal zu sagen — nicht in der Außenpolitik.

(Zustimmung bei der SPD — Lachen bei der CDU/CSU)

Jetzt noch einiges zu dem, was hier heute eigentlich behandelt werden soll, nämlich zu den Anträgen der CDU/CSU und der SPD und FDP. Da scheint es mir doch notwendig zu sein, zunächst noch einmal kurz auf all das einzugehen, was hier zur Einführung gesagt worden ist.
Meine Damen und Herren, wir in Deutschland sollten uns nicht immer so sehr in den Mittelpunkt des Weltgeschehens schwingen, daß wir glauben, wenn die Amerikaner kein so ungeheures Interesse an uns haben, sei das bereits der Weltuntergang.

(Dr. Mertes [Gerolstein] [CDU/CSU]: Wer tut das denn?)

Es gibt 25 oder mehr Nationen in Europa — —

(Dr. Mertes [Gerolstein] [CDU/CSU]: Das ist ein Popanz!)

— Doch, bei der Art und Weise, wie Herr Stercken hier gesprochen hat, hatte ich doch wieder den Eindruck, als ginge die Welt unter, wenn es hier einmal ein kritisches Papier im „Spiegel" gibt.

(Dr. Mertes [Gerolstein] [CDU/CSU]: Aber lieber Herr Schäfer!)

— Herr Mertes, lassen Sie mich bitte fortfahren. Wir können uns auch gern noch privat unterhalten; das tun wir häufig.

(Dr. Mertes [Gerolstein] [CDU/CSU]: Na also, ich muß schon sagen, Herr Schäfer!)

— Lehrerhaftigkeit führt uns hier nicht weiter, und ein guter Rat des Außenministers war: Gehen Sie um Gottes willen nicht dauernd auf die Zwischenrufe von Herrn Mertes ein; die stören ungeheuer. Ich darf das hier feststellen.
Meine Damen und Herren, wenn ich mir die Anträge, die heute vorliegen, anschaue, teile ich nicht den Optimismus, der hier vorhin auch von Herrn Gansel geäußert worden ist, daß das alles schon so ganz unbesehen endgültig sein soll. Denn ich glaube, wir müssen uns im Ausschuß noch erhebliche Gedanken darüber machen, ob all die Vorschläge, die hier in einer, wie mir scheint, etwas deutsch-perfektionistischen Weise vorgetragen worden sind, auch verwirklicht werden.
Der eine Punkt ist — und das ist bereits bezeichnend —, daß dieser Saal so leer ist und daß das Interesse an den deutsch-amerikanischen Beziehungen so groß ist, daß die restlichen Abgeordneten zum Teil bereits, wie ich feststellen muß, in Schlaf versinken. Dann wird, so fürchte ich, im Haushaltsausschuß das Interesses an dem, was wir hier wollen, noch geringer sein. Ich habe das dumpfe Gefühl, daß diese Anträge gut formuliert sind, aber, Frau Timm, ich fürchte, im Haushaltsausschuß wird man all die großen Pläne nicht so ohne weiteres akzeptieren.
Insofern warne ich davor, sich z. B. in der Frage des zu schaffenden Büros für den Jugendaustausch allzu kühnen Hoffnungen hinzugeben. Ich glaube nicht, daß eine neue bürokratische Behörde, die nunmehr mit weiteren Geldzuwendungen all das koordinieren soll, was zum Teil an sich schon läuft, so furchtbar viel an Effektivität bringen wird. Ich bin da ein bißchen skeptisch. Wir sollten uns das sehr genau überlegen.
Ich bin allerdings der Auffassung, daß wir nach Möglichkeit — und das halte ich für sehr wichtig — den Jugendaustausch verbessern. Dabei scheint es mir sehr wichtig zu sein, daß das nicht wieder nur auf Schüler und Studenten beschränkt wird. Viel-



Schäfer (Mainz)

mehr war ja auch in diesem Antrag von jungen Arbeitern die Rede, und ich denke, es wäre notwendig, daß sich der Ausschuß einmal Gedanken darüber macht, wie es überhaupt möglich sein soll, daß solche Arbeiter per Austausch in die Vereinigten Staaten gehen. Natürlich ist das auch ein Appell an die Industrie, z. B. vielleicht einmal den vieldiskutierten Bildungsurlaub in dieser Weise — eventuell unter Zusammenlegung mehrerer Bildungsurlaube — zu gestalten.

(Zustimmung bei der SPD — Zuruf von der CDU/CSU: Was sagt Graf Lambsdorff dazu?)

Ich glaube nämlich, daß gerade in diesem Bereich die Unkenntnis über die Vereinigten Staaten noch größer ist, als das vorhin schon für einen Teil unserer intellektuellen Jugend von Herrn Gansel beschrieben wurde.
Meine Damen und Herren, der Informationsaustausch, der in diesen Anträgen angeregt wird, ist sicher sehr wichtig, aber auch hier, Frau Staatsminister, sollten wir uns vor zu großen Erwartungen hüten. Ich glaube, es ist sicher sehr schwierig, in das hochkomplizierte amerikanische Mediensystem einzudringen. Die Mitglieder der Enquete-Kommission für Medien, die im Februar Gelegenheit hatten, dieses System sehr intensiv zu studieren, bekamen in den Vereinigten Staaten gesagt „Machen Sie sich keine Illusionen" und wissen, wie die Dinge liegen. Aber es wäre sehr schön, wenn es uns gelingen würde, z. B. mehr Programmaustausch zu schaffen, so daß auch mehr gute amerikanische Sendungen hierher kommen. Das wäre ein Appell an die Rundfunkanstalten. Auch sollte es uns — wie auch immer — gelingen, gute Fernsehprogramme in die Vereinigten Staaten zu transponieren.
Auch glaube ich, daß der deutsche Film in den Vereinigten Staaten inzwischen bereits ein hervorragendes Echo gefunden hat. Wir sollten die Filmförderung in der Weise weiter betreiben, daß der Einfluß des modernen deutschen Films deutlich macht, daß das Deutschlandbild der Vereinigten Staaten, das manchmal noch von den Edelweißclubs geprägt ist, nicht mehr der Wirklichkeit entspricht.
Ich meine, wir müßten auch ein bißchen bei dem ansetzen, wie dort deutsche Kultur gemacht wird. Im Augenblick, Herr Abgeordneter Klein, servieren wir bei der Weltausstellung in Kentucky wieder Trachtenkapellen aus Bayern. Das wird in Amerika sicher sehr gern gesehen, bestimmt aber leider etwas zu sehr das Bild vieler Amerikaner von der Bundesrepublik. Ich glaube, hier muß noch sehr viel Aufklärungsarbeit geleistet werden:

(Beifall bei der FDP und SPD)

Weg mit dieser falschen Rhein-Romantik und mit dem student prince in Heidelberg! Und vielleicht auch nicht nur die mir sehr am Herzen liegenden bayerischen Schmankerin! Das allein ist, glaube ich, nicht das Deutschland von heute.
Meine Damen und Herren, ich darf mir noch ironisch zu sagen erlauben, daß ich es interessant finde, daß in diesem Antrag an die deutschen Kultusminister, an die KMK, appelliert wird, sie mögen dafür sorgen, daß die amerikanischen und die deutschen Hochschul- und Schulabschlüsse aufeinander abgestimmt werden. Wer in diesen Tagen noch nicht einmal in der Lage gewesen ist, die Schulabschlüsse der deutschen Länder aufeinander abzustimmen, wird wohl kaum in der Lage sein, das so vielgeschmähte amerikanische Schulsystem jetzt auch noch mit unserem in einen Zusammenhang zu bringen.

(Beifall bei der FDP)

Da macht sich der Bundestag Illusionen, meine Damen und Herren.
Appellieren wir doch bitte an den bayerischen Ministerpräsidenten und andere, zunächst einmal die Gesamtschule zu akzeptieren; denn die Gesamtschule ist auch das Schulwesen der Vereinigten Staaten. Wir sollten das nicht dauernd diffamieren, indem wir das hier als sozialistisch brandmarken. Das ist, glaube ich, etwas, was wir vielleicht erst einmal in der Bundesrepublik lernen sollten, bevor wir hier hehre Vorschläge unterbreiten.
Wenn immer die Rede davon ist, daß wir uns bemühen müßten, den Austausch zu fördern, dann fehlt mir in diesem Antrag eine Gruppe, von der ich meine, daß auch sie sehr wichtig ist. Das sind die Künstler. Die werden mit keinem Wort erwähnt. Ich meine, auch sie verdienen es, die Chance zu erhalten, in Amerika in Programmen das zu lernen, was dieses Land sehr vorbildlich kann. Nicht nur auf dem Sektor Entertainment, wie wir alle wissen, sondern in sehr vielen anderen Bereichen sind sie uns um viele Nasenlängen voraus. Und man sollte jungen deutschen Architekten die Möglichkeit geben, vielleicht einmal aus der provinziellen Enge europäischer Architektur herauszukommen. Das gilt auch für den Bereich des Theaters, auch für den Bereich der Bildenden Kunst. Das fehlt mir noch. Wir sollten das hier ansprechen.

(Beifall bei der FDP)

Ich glaube, daß wir all das, was zu dem Verhältnis zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den Vereinigten Staaten gesagt worden ist, hier nicht immer so aufbringen sollten, als wäre es das Weltproblem Nr. 1. Die Wogen in den Vereinigten Staaten, die Erregung, die vorhanden war, haben sich schon ziemlich gelegt. Und es war ein Amerikaner, der in diesen Tagen gesagt hat, der amerikanische Präsident habe sich wie alle seine Vorgänger inzwischen auch schon zur Mitte zubewegt — nachdem er fast zwei Jahre im Amt ist. Wir sollten also nicht immer so tun, als ob anfängliche Irritationen bereits das gute Verhältnis zwischen Deutschland und den Vereinigten Staaten langfristig kaputtmachten.

(Dr. Mertes [Gerolstein] [CDU/CSU]: Wer hat das denn gesagt?)

Ich war nie so pessimistisch. Ich möchte aber meinen Kollegen Abgeordneten, die gelegentlich in die Vereinigten Staaten fahren — und das möchte ich zum Schluß noch sagen —, raten, nicht immer nur diese Wallfahrten nach Washington zu machen.

(Klein [München] [CDU/CSU]: Sehr gut!)




Schäfer (Mainz)

Ich habe als einer der letzten Wallfahrer im Dezember des vergangenen Jahres vom deutschen Botschafter dort gesagt bekommen: Sie sind der 156. in diesem Jahr. — Und ich habe Verständnis dafür, wenn unsere Kollegen Senatoren und Congressmen allmählich die Nase voll haben, wenn jedes europäische Land 150 Abgeordnete pro Jahr schickt, die alle Senatoren und Congressmen sehen wollen. Vielleicht sind wir in Zukunft mal ein bißchen klüger und gehen mal in den Middle-West, in die Südstaaten — viele werden sehr gern an die Westküste gehen — und diskutieren auch dort mal.

(Dr. Mertes [Gerolstein] [CDU/CSU]: Das tun viele von uns!)

Ich meine nicht Herrn Mertes. Daß Sie überall in Amerika sind, ist verständlich.

(Dr. Mertes [Gerolstein] [CDU/CSU]: Sie sind zu gütig!)

Aber es gibt hier Kollegen, die nur in Washington waren.
Ich hoffe also, daß wir auch einmal an die amerikanischen Universitäten gehen. Es gibt in jeder größeren amerikanischen Stadt so etwas wie ein Committee for Foreign Relations. Die sind dankbar, wenn deutsche Abgeordnete kommen. In Washington könnte man sagen: Mein Gott, schon wieder einer. Aber in Milwaukee sagt man vielleicht: Endlich mal einer. — Sollten wir uns das zu Herzen nehmen, werden diese Beziehungen in Zukunft sicher noch besser, als sie es sowieso schon sind. — Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP und der SPD — Dr. Mertes [Gerolstein] [CDU/CSU]: Milwaukee ist gut!)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID0910332400
Meine Damen und Herren, das Wort hat Frau Staatsminister Dr. HammBrücher.

Dr. Hildegard Hamm-Brücher (FDP):
Rede ID: ID0910332500
Frau Präsident! Meine sehr geehrten Herren und Damen! Nach dieser ersten Runde der Fraktionen zu diesen beiden Anträgen, bei der es selbst dem Kollegen Stercken nicht gelungen ist, die Einigkeit, die hier im Grundsatz herrscht, zu zerreden,

(Beifall bei der FDP und der SPD — Dr. Stercken [CDU/CSU]: Das war nicht meine Absicht!)

darf ich als mit diesem Aufgabenbereich besonders betrauter Koordinator für die Bundesregierung auch noch etwas sagen. Herr Kollege Stercken, Sie kommen leider nicht aus Bayern, sonst wüßten Sie, was ein Watschenmann ist. Ein Watschenmann wird aufgestellt, damit man ihn ordentlich watschen kann. Die Studie, von der Ihr Nachbar zu Recht gesagt hat, es sei ein Non-Paper — ich würde sogar sagen, Herr Kollege Mertes: es ist ein Nonsens-Paper — —

(Dr. Mertes [Gerolstein] [CDU/CSU]: Ich habe es übrigens nicht gesagt! Das hat die Vorsitzende gesagt!)

— Es wird Ihnen aber in den Mund gelegt. Nun, dieses Nonsens-Paper hier noch einmal zum Watschenmann aufzubauen, ist wirklich — —

(Dr. Stercken [CDU/CSU]: Sie sind das erste Mitglied der Bundesregierung, das das tut!)

— Ich verstehe das überhaupt nicht. Wir haben genug Differenzierungen zwischen den Parteien, so daß wir in dieser wichtigen Frage nicht künstlich so differenzieren sollten, wie das zu Beginn von Ihrer Seite geschehen ist.

(Beifall bei der FDP und der SPD)

Nachher haben wir Ihnen j a auch alle gelauscht und waren mit Ihrem Exkurs in die Vergangenheit einig. Ich fand es auch wichtig, daß man wirklich einmal aufzeigt, wie stark die Bindungen seit 300 Jahren sind, die gegenseitigen Befruchtungen, die geistige Begegnung. Das ist die Voraussetzung dafür, unserer jungen Generation überhaupt deutlich machen zu können, was da aufs Spiel gesetzt wird. Da bin ich völlig Ihrer Meinung.
Zu den inhaltlichen Anliegen der Anträge besteht, glaube ich, weitgehende Übereinstimmung. Über Einzelheiten werden wir im Ausschuß zu sprechen haben. Wir werden sicher — ich bin guten Mutes — unter dem Vorsitz des Herrn Kollegen Klein zu einer einmütigen Vorlage kommen.
Trotz der späten Stunde möchte ich etwas tun, was vielleicht von seiten der Regierung erwartet wird. Ich möchte nämlich noch einmal kurz auf den Befund eingehen, der uns zu diesen Bemühungen, zu diesen Initiativen veranlaßt hat. Ich bin der Meinung, wir sollten — der Kollege Schäfer vor allem hat es gesagt — die Lage weder überdramatisieren noch bagatellisieren. Ich kann es einfach nicht ertragen, wenn so in einem Wisch gesagt wird: in diesem Lande gibt es so etwas wie Antiamerikanismus nicht.

(Beifall bei der CDU/CSU — Dr. Mertes [Gerolstein] [CDU/CSU]: Da haben Sie recht!)

Man zitiert dann Meinungsumfragen. Meine Damen und Herren, ich glaube, so sehr auf die leichte Schulter dürfen wir diese Frage nicht nehmen.
Antiamerikanismus in seiner krassesten und ekelhaftesten Form besteht darin, daß die Fahne verbrannt wird und Haßparolen gesät werden. Aber es gibt auch sehr subkutane Formen des Antiamerikanismus, die mich persönlich viel mehr besorgt machen:

(Dr. Mertes [Gerolstein] [CDU/CSU]: Mit Recht!)

daß nämlich subkutan und schön langsam immer wieder da hineinsickert: Was sind die Amerikaner doch für Leute, die die Menschenrechte mit Füßen treten und für alles verantwortlich sind, was in der Welt außerhalb des Ostblocks Schlechtes geschieht! Diese subkutane Art der Loslösung, indem man uns vorsagt, wir müßten hier in Europa von beiden Blökken Abschied nehmen, weil beide sozusagen weltan-



Staatsminister Frau Dr. Hamm-Brücher
schaulich mit uns nichts gemein haben, finde ich besorgniserregend.

(Graf Huyn [CDU/CSU]: Sehr gut, was Sie da sagen!)

Hier müssen unsere Bemühungen einsetzen.
Überhaupt war mir in der bisherigen Debatte noch zu wenig die Rede davon, daß wir nicht nur einen Auftrag der deutsch- amerikanischen Beziehungen zu erfüllen haben: hinaus in die USA, sondern daß die innenpolitische Komponente dieser Aufgabe mindestens ebenso groß ist. Als Koordinator habe ich in diesen knapp fünf Monaten die äußere und die innere Mission eigentlich mit den gleichen Gewichten und den gleichen Anstrengungen betreiben müssen. Es geht für uns alle nicht nur darum, liebe Kollegen, nach Washington, in den Westen und in den Süden zu gehen, sondern wir müssen auch nach Deutschland gehen, in die Jugendgruppen, uns den jungen Menschen stellen und ihnen all das sagen, was wir hier soeben gesagt haben. Das ist der Teil der Stärkung und Intensivierung der deutsch-amerikanischen Beziehungen, den wir uns selber auferlegen müssen.

(Beifall bei der FDP)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID0910332600
Frau Staatsminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Klein? — Bitte, Herr Klein!

Hans Klein (CSU):
Rede ID: ID0910332700
Frau Staatsminister, wären Sie gerade vor diesem Hintergrund bereit, mir zuzustimmen, daß trotz des sehr verständlichen Ärgers der betroffenen Kollegen heute über die ungünstige Geschäftsordnungsadjustierung dieser Debatte, aber in voller Kenntnis der internen Abläufe dieses Parlaments, die Besetzung heute abend überhaupt nichts darüber aussagt, wie ernsthaft dieses Parlament diese Frage zur Kenntnis zu nehmen bereit ist?

(Beifall bei der CDU/CSU)


Dr. Hildegard Hamm-Brücher (FDP):
Rede ID: ID0910332800
Herr Kollege, aber mein Abgeordnetenherz ist auch betrübt, daß nur noch diese späte Stunde für diese Debatte übrig war. Herr Kollege, seit fast einem Jahr haben wir — das darf ich doch für uns alle sagen — mit einer außerordentlichen Intensität an diesem Thema gearbeitet; wir haben nicht erst abgewartet, bis uns die sogenannte Friedensbewegung hier Angst eingejagt hat, sondern wir haben uns um die deutsch-amerikanischen Beziehungen bemüht und gekümmert, seitdem wir wissen: Da kommt eine neue Generation, die nicht die Erfahrungen hat, wie wir sie in der Nachkriegszeit gemacht haben, die nicht die starke menschliche Verbundenheit hat, die uns auch einmal sozusagen über die Klippe geholfen hat. Wir müssen etwas tun für diese junge Generation, die natürlich in ihren politischen Denkgewohnheiten überhaupt erst einmal in die Kontinuität unserer jungen Demokratie hineinwachsen muß. Diese Aufgabe haben wir; das haben wir im Parlament rechtzeitig erkannt, und das werden wir ja auch in gewisser Weise fortsetzen.

(Beifall bei der FDP)

Meine Damen und Herren, ich möchte doch noch einmal fragen: Wo liegen denn die Defizite? Es ist zwar immer einmal angeklungen, aber ich will die drei Bereiche mit Blick nach den USA nennen, in denen Defizite vorhanden sind. Das ist einmal wirklich im Informationsbereich. Es ist schwierig, in amerikanische Medien hineinzukommen, und ich warne davor, es mit staatlich und amtlich finanzierten Programmen zu tun.

(Dr. Stercken [CDU/CSU]: Sehr richtig!) Da müssen wir uns etwas anderes ausdenken.

Meine Damen und Herren, das Informationsdefizit liegt aber genauso auch im Geschichtsunterricht in den Vereinigten Staaten. Die Geschichtsbücher hören leider fast alle bei Holocaust auf; die Geschichte, die Entwicklung unserer Demokratie gibt es fast nicht. Das Interesse für deutsche Sprache, deutsche Kultur, deutsche Expertise läßt beträchtlich nach. Hier haben wir natürlich eine Aufgabe vor uns, die wir gar nicht ernst genug nehmen können.
Zweitens: Kulturbeziehungen im weitesten Sinne. Herr Kollege Schäfer, ich bin Ihnen wirklich dankbar, daß Sie den Kulturbereich — die Literatur, die Musik, den Tanz, die Show — mit einbezogen haben, denn die Kultur vermag natürlich viel mehr auszusagen, was uns an Gemeinsamkeit verbindet.
Zum Thema Goethe-Institute. Herr Kollege Stercken, Sie haben das vorhin ein bißchen heruntergemacht. Mich hat es ein bißchen gekränkt, daß Sie das gemacht haben, denn wir waren uns doch einig, daß sechseinhalb Goethe-Institute in Nordamerika im Vergleich zu 18 in Südamerika schlicht zu wenig sind, um kulturell präsent zu sein. Aber warum witzeln Sie jetzt darüber und machen es herunter, indem Sie sagen, das seien alles nur Werkzeuge — wie sagten Sie? — einer neuen Konfliktstrategie. Das finde ich nach allem, was wir hier gemeinsam zusammen getragen haben, nicht gut.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID0910332900
Frau Staatsminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Stercken?

Dr. Hildegard Hamm-Brücher (FDP):
Rede ID: ID0910333000
Ja.

Dr. Hans Stercken (CDU):
Rede ID: ID0910333100
Frau Staatsminister, sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß ich ausgeführt habe, daß die Vermehrung der Goethe-Institute keinen Sinn hat, wenn wir sie für eine Konfliktstrategie mit der amerikanischen Öffentlichkeit oder der amerikanischen Administration einsetzen?

Dr. Hildegard Hamm-Brücher (FDP):
Rede ID: ID0910333200
Also gut, ich nehme das zur Kenntnis. Niemand will das, was Sie uns unterstellt haben, Herr Kollege.

(Beifall bei der FDP und der SPD — Dr. Mertes [Gerolstein] [CDU/CSU]: Sagten Sie: „Niemand"?)

— In diesem Hohen Hause kenne ich niemanden,
Herr Kollege, der das will. Von uns, die wir Verant-



Staatsminister Frau Dr. Hamm-Brücher
wortung für die Mittlerorganisationen tragen — das sage ich Ihnen —, will es auch niemand. Wenn es vorkommen sollte, werden wir es unterbinden.

(Beifall bei der FDP und der SPD)

Ich möchte noch ein Wort zu dem Personenaustausch sagen, weil es sich wirklich um einen Bereich handelt, über den wir nachdenken müssen. Die Amerikaner kennen Jugendaustausch nicht in der Form des Jugendtourismus. Sie wünschen den Schüleraustausch. Sie möchten gerne, daß Schüler in Familien leben, in die Schule gehen und auf diese Art und Weise einen Eindruck vom American way of life erhalten. Daß es weniger amerikanische Schüler bei uns gibt, als deutsche Schüler nach Amerika hinübergehen, liegt leider an der traurigen Tatsache, daß amerikanische Familien viel gastfreundlicher und aufnahmebereiter für deutsche Jugendliche sind als deutsche Familien in unserem Lande für amerikanische Jugendliche.

(Klein [München] [CDU/CSU]: Und auch an der Sprache!)

— Und auch die Sprache, das kommt hinzu. — Aber ich weiß von den Jugendorganisationen, die den Austausch vermitteln, daß sie annoncieren müssen, um Gasteltern zu finden. Das ist ein bißchen ein Armutszeugnis für unsere Seite.
Aber Personenaustausch ist eminent wichtig für politische Jugendorganisationen, für jüngere qualifizierte Berufstätige, für Studentenorganisationen, für junge Parlamentarier, nicht nur des Bundestages. Wir sollten mal die State legislature austauschen. Wir wollen die Staffer-Programme machen. Wir sind uns darüber einig, welchen großen Nachholbedarf wir haben, nachdem wir einfach davon ausgegangen sind: Deutsch-amerikanische Beziehungen sind kein Problem, das läuft sozusagen von allein.
Bezüglich des Verständnisses für die Vereinigten Staaten hier in unserem eigenen Lande sehe ich allerdings eine große Aufgabe: die Verantwortung unserer Massenmedien. Ich habe vorhin schon einmal anklingen lassen, daß hier in letzter Zeit sehr gesündigt worden ist. Wir müssen an das Verantwortungsgefühl gerade der Fernsehstationen appellieren, Amerika nicht nur in einer Weise zu zeigen, die subkutan Antiamerikanismus verbreitet, sondern auch das gute, das starke und das lebendige Amerika, und davon gibt es mehr als genug.

(Beifall bei der FDP)

Gucken Sie sich doch mal an, wie es mit den Amerika-Wissenschaften an unseren Hochschulen aussieht: sehr dürftig. Wenn wir beklagen, daß in Amerika fast keine Geschichtsforschung über die Nachkriegsgeschichte der Bundesrepublik vorhanden ist, dann fragen Sie mal, wo es hier einen Lehrstuhl für neuere amerikanische Geschichte in unserem Land gibt. Wir sollten das schöne Heinemannsche Wort „Wer mit dem Finger auf andere zeigt, sollte auch immer sehen, daß drei Finger auf einen zurückzeigen" im deutsch-amerikanischen Verhältnis ganz ernst nehmen.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID0910333300
Frau Staatsminister, gestatten Sie eine Frage des Abgeordneten Graf Huyn?

Graf Hans Huyn (CSU):
Rede ID: ID0910333400
Frau Staatsminister, wird die Bundesregierung sich bereit erklären, im Rahmen dieses Programms auch die Amerikaforschung an den deutschen Hochschulen zu fördern und auch Amerikareisen von deutschen Professoren, die bereit sind, solche Vorlesungen in ihr Programm aufzunehmen, an deutschen Hochschulen zu fördern?

Dr. Hildegard Hamm-Brücher (FDP):
Rede ID: ID0910333500
Herr Kollege Graf Huyn, wir haben ein fertiges Programm. Es harrt nur der Entscheidung des Haushalts für das Jahr 1983, daß wir es in Kraft setzen können. Ich kann hier gleich eine Bemerkung vorwegschicken: Wenn wir uns vornehmen wollen, hier wieder ein festeres Fundament zu bauen, erfordert das natürlich einige finanzielle Mittel. Mein Vorschlag sieht eine vergleichsweise geringfügige Erhöhung aller Ausgaben aller Ressorts für deutsch-amerikanische Beziehungen vor. Wenn ich es einmal umrechne — nicht in Schlachtschiffe oder Flugzeuge, Herr Kollege Gansel, aber in Prozenten zu unseren Verteidigungsausgaben —, dann ist es davon nicht einmal ein Fünfhundertstel, was wir für die geistigen Grundlagen, wie auch Sie gesagt haben, Herr Kollege Stercken, unseres Bündnisses ausgeben müßten, wenn wir in einigen Bereichen wesentlich zulegen. Und wenn wir diese Mittel haben, Graf Huyn, dann können wir auch solche Programme, die ebenfalls vorgesehen sind, in die Tat umsetzen.

(Zustimmung bei der FDP)

Das Erfreulichste an dem, was in den letzten Monaten zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den Vereinigten Staaten in diesem Bereich geschehen ist, ist die Zusammenarbeit. Ich habe eigentlich in den langen Jahren im Auswärtigen Amt selten erlebt, daß eine Aufgabe wie die Stärkung der deutsch-amerikanischen Beziehungen auf eine so einhellige Unterstützung und eine so einhellige gleiche Überzeugung stößt wie die Aufgabe, die ich zusammen mit dem Unterstaatssekretär Eagleburger zu erfüllen habe. Ich freue mich darauf, daß er im Juni nach Bonn kommen wird und daß wir dann auch die Gelegenheit haben, uns ganz direkt mit ihm darüber zu unterhalten.
Wir haben drei Zielrichtungen festgelegt. Ich möchte sie jetzt vortragen. Herr Kollege Stercken, weil Sie immer sagen, wir wollen nur Administratives, und Ihnen fehlen die geistigen Grundlagen, die Ziele. Wir haben festgelegt: 1. Die deutsch-amerikanischen Beziehungen müssen von der gegenseitigen Kenntnis der großen Bandbreite unserer politischen und geistigen Gemeinsamkeiten getragen werden — ganz in Ihrem Sinne. Dies ist die Voraussetzung für Verständigung, Vertrauen, Offenheit und Dialogbereitschaft. 2. Wir müssen unseren Bürgern, vor allem den jungen Bürgern, hier und in den Vereinigten Staaten die Möglichkeit eröffnen, diese Gemeinsamkeiten für sich selber neu zu entdecken, ihre Horizonte zu erweitern, Klischees und Vorurteile abzubauen und vor allem die geschichtliche und historische Kontinuität des Bündnisses zu begreifen, aus



Staatsminister Frau Dr. Hamm-Brücher
der neuerlich auszubrechen unabsehbare katastrophale Folgen für die eigene Zukunft haben würde.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Ich glaube, wir können uns doch darauf einigen und wollen nichts wissen von dem, was Sie uns heute leider unterstellt haben. 3. Ohne dieses breite Fundament der Gemeinsamkeiten würde das atlantische Verteidigungsbündnis auf ein mehr oder weniger lästiges Militärbündnis reduziert werden. Es will und soll aber mehr sein als das, nämlich ein Bündnis freier rechtsstaatlicher Demokratien, die ihre gemeinsamen, aus europäisch-abendländischen Wurzeln stammenden Grundlagen, ihren Freiheits- und Toleranzbegriff, ihre Vorstellungen von Grund- und Menschenrechten erhalten und notwendigenfalls verteidigen wollen. Darauf können wir uns doch einigen.

(Beifall bei der FDP — Dr. Mertes [Gerolstein] [CDU/CSU]: Das könnte ein Zitat Stercken sein!)

Meine Damen und Herren, ich möchte vor Euphorie warnen, ich möchte vor Resignation warnen, ich möchte die Öffentlichkeit bitten, uns zu helfen. Die freie Initiative, das freie Engagement ist viel wichtiger als alle staatlichen Mittel, die wir geben können. Ich bin sehr glücklich, daß alle großen Stiftungen in diesem Lande jetzt Programme entwickeln, die sich speziell den deutsch-amerikanischen Beziehungen widmen. Ich bin sehr glücklich, daß es deutsch-amerikanische Clubs gibt, wo alles aus der eigenen Tasche bezahlt wird. Das sollen wir dankbar anerkennen, das sollen wir unterstützen.
Ich möchte in meiner Tätigkeit Hürden abbauen. Auch hier ist die Bürokratie ein schwer zu überwindendes Hindernis. Das fängt bei der Anrechnung von Studienzeiten an und hört bei den Ressortegoismen auf, die es j a immer geben wird. Aber wir wollen sie um der Sache willen abbauen; wir wollen sie überwinden. Herr Kollege Gansel, wir sollten der Versuchung widerstehen, Spektakuläres zu tun. Ich glaube, das kostet so viel, daß uns dann für die wichtigeren kleinen Dinge zu wenig Geld übrig bleibt. Wir sollten wirklich die ganze Bandbreite der Beziehungen im guten Sinn der Agrikultur aufforsten und nicht sagen, wenn wir eine spektakuläre Sache machen, ist unser Soll erfüllt. Ich persönlich würde das bedauern.
Ein letztes Wort. Meine Damen und Herren, an diesem Beispiel wird eigentlich zum erstenmal politisch wirklich deutlich, daß die Kulturbeziehungen und die zwischengesellschaftlichen Beziehungen zwischen den Völkern heute ein unerläßliches Instrument der Außenpolitik geworden sind, und zwar nicht als Magd in abhängiger Funktion, sondern zwischen Demokratien als Voraussetzung dafür, daß Bündnis und Verständigungsbereitschaft funktionieren. In diesem Sinne ist es eben keine dritte Säule — die hat ja gar keine statische Funktion —, sondern ist eine dritte Dimension, die neben der Außenpolitik der Diplomaten und den Wirtschaftsbeziehungen solchen Beziehungen erst die Tiefe und damit die Beständigkeit gibt. Dazu beizutragen ist die auswärtige Kulturpolitik berufen. Nur mit Ihrer
Unterstützung kann sie diesen Rang halten und im Bereich der deutsch-amerikanischen Beziehungen einen Beitrag leisten, der wirklich entscheidend sein wird. Die Politiker können tun und lassen, was sie wollen — wenn wir dieses Bündnis nicht wieder in unserer Gesellschaft verwurzeln, lebendig machen, glaubwürdig halten, dann würden sich die Politiker umsonst plagen. Darum ist es keine Zierde, sondern ein Lebenselement des Umgangs der Völker und der Menschen miteinander. — Herzlichen Dank.

(Beifall bei allen Fraktionen)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID0910333600
Meine Damen und Herren, das Wort hat Frau Bundesminister Fuchs.

Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID0910333700
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich will mich sehr kurz fassen und nur noch ein paar ergänzende Bemerkungen machen. Die bisherige Debatte war ja hochinteressant. Ich glaube, daß die deutsch-amerikanischen Beziehungen viel stabiler sind, so daß wir auch in einen kritischen Dialog mit den amerikanischen Freunden eintreten können. Sie verstehen es durchaus, wenn wir nicht nur alles sehr gut finden, was in den Vereinigten Staaten passiert, sondern wenn wir auch kritisch mit ihnen in ein Gespräch eintreten.

(Dr. Stercken [CDU/CSU]: Und umgekehrt!)

Sie wollen einen Kultur- und Bildungsprogrammaustausch. Ich hoffe, daß wir uns einig sind: Dieser Programmaustausch muß natürlich über Krimiserien und Familienserien hinausgehen. Man sollte den Versuch unternehmen, uns ein bißchen die Lebensweise der Amerikaner in intellektuell besserer Form zu vermitteln.
Ich habe mich zu Wort gemeldet, um darauf hinzuweisen, daß wir, soweit es den deutsch-amerikanischen Jugendaustausch anlangt, nicht vor einem völlig neuen Problem stehen. Wir wollen im Rahmen des Programms, das die Bundesregierung ja auch auf Grund der Anträge, die heute dem Bundestag vorliegen, durchführen will, die bisherigen Instrumente des deutsch-amerikanischen Jugendaustauschs verstärken, aber nicht auf neue Instrumente zurückzugreifen.
Ich glaube, Herr Gansel hat zu Recht darauf hingewiesen, daß Jugendaustauschprogramme mit den Vereinigten Staaten von Amerika auch dort auf den vorhandenen Strukturen der Jugendarbeit aufbauen müssen. Das heißt, wir müssen unsere Kontakte zu dortigen Jugendorganisationen pflegen und unsere eigenen deutschen Jugendorganisationen noch stärker als bisher in die Lage versetzen, die jungen Generationen miteinander bekanntzumachen. Möglichst viele Jugendliche aus Betrieben, Schulen, Hochschulen und Jugendverbänden sowie nicht organisierte Jugendliche sollen in ein umfassendes Austauschprogramm einbezogen werden. Ich meine, hier dürfen nicht nur Gruppen beteiligt werden, die dem Partnerland ohnehin positiv gegenüberstehen. Es muß der Versuch unternommen wer-



Bundesminister Frau Fuchs
den, auch die Jugendlichen anzusprechen, die dem Partner mit Vorbehalten begegnen.

(Dr. Mertes [Gerolstein] [CDU/CSU]: Genau das sagt die CDU/CSU)

Das Programmangebot muß so angelegt werden, daß die finanzielle Belastung für die Teilnehmer tragbar bleibt und eine soziale Auslese über die Kosten der Einzelprogramme vermieden wird.
Ich glaube, wir sind uns einig, Herr Abgeordneter Mertes: Auch kritische junge Leute sollen in die Vereinigten Staaten. Sie müssen dieses Land kennenlernen.

(Dr. Mertes [Gerolstein] [CDU/CSU]: Das ist doch selbstverständlich!)

Die Begründung, warum es so schwierig geworden ist, wurde hier bereits gegeben: weil in der Tat die Kriegszeit so lange zurückliegt und unsere junge Generation hier einen Nachholbedarf hat.
Ich fand es auch richtig, daß Herr Gansel noch einmal darauf hinwies, daß es Sinn macht, ein deutschamerikanisches Austauschbüro für die junge Generation zu schaffen.
Ich will Ihre Zeit nicht länger in Anspruch nehmen. Ich bitte Sie herzlich, in den Ausschüssen diese Anträge weiter zu beraten. Das Bundesministerium für Jugend, Familie und Gesundheit ist bereit, Ihnen dabei zu helfen. Aber ich glaube, es geht vor allem darum — darauf haben Sie, Frau Hamm-Brücher, noch einmal hingewiesen —: Wir sollten gar nicht meinen, daß wir mit einem großen Kraftakt und mit vielen spektakulären Ereignissen den richtigen Weg gehen, sondern wir sollten auf die vorhandenen Erfahrungen, insbesondere im Jugendbereich, hinweisen.
Wenn es uns dann noch gelingt, ein bißchen Geld locker zu machen — da helfen Sie uns vielleicht —, sind wir auf dem richtigen Weg.
Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD und der FDP)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID0910333800
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache. Der Ältestenrat schlägt Ihnen vor, die Anträge auf den Drucksachen 9/1498 und 9/1665 an den Auswärtigen Ausschuß — federführend — und zur Mitberatung an den Innenausschuß und an den Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit sowie an den Ausschuß für Bildung und Wissenschaft zu überweisen. — Es erhebt sich kein Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Meine Damen und Herren, ich rufe Punkt 9 der Tagesordnung auf:
Erste Beratung des von den Abgeordneten Regenspurger, Dr. Faltlhauser, Hartmann, Fellner, Zierer, Kalisch, Dr. Götz, Dr. Jobst, Dr. Kunz (Weiden), Keller, Müller (Wesseling), Hinsken, Rainer, Höffkes, Spilker, Dr. Kreile, Frau Geiger, Sauter (Ichenhausen), Kraus, Handlos, Lintner, Dr. Bötsch, Weiß, Dr. Probst, Biehle, Kroll-Schlüter, Linsmeier eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung dienstrechtlicher Vorschriften.
— Drucksache 9/1497 —
Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Innenausschuß

(Dr. Jenninger [CDU/CSU]: Ist abgesetzt, Frau Präsident!)

— Ich bitte um Entschuldigung. Das kommt beim Wechsel schon einmal vor.
Dann rufe ich Punkt 10 der Tagesordnung auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Arzneimittelgesetzes
— Drucksache 9/1598 —
Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit (federführend)

Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten
Der Ältestenrat hat für die Aussprache einen Beitrag von bis zu zehn Minuten für jede Fraktion vereinbart. — Wenn ich das richtig sehe, ist das Haus damit einverstanden. Dann ist das so beschlossen.
Das Wort zur Einbringung hat Frau Bundesminister Fuchs.

Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID0910333900
Sie sehen die Vielzahl meiner Zuständigkeiten, meine Damen und Herren. Jetzt bin ich also beim Arzneimittelgesetz.
Die Bundesregierung will mit dem vorliegenden Gesetzentwurf zur Änderung des Arzneimittelgesetzes die Voraussetzungen dafür schaffen, daß die illegale Tierarzneimittelanwendung wirksam bekämpft und der Verbraucherschutz verbessert wird. Der Entwurf sieht Maßnahmen vor, die zur Eindämmung des Tierarzneimittelmißbrauchs und zur Bekämpfung des grauen Tierarzneimittelmarktes dringend erforderlich geworden sind.
Bei den Beratungen im Bundesrat ist über die zentralen Anliegen des Gesetzentwurfes weitgehende Übereinstimmung gefunden worden. Einer Reihe von Anregungen des Bundesrates kann die Bundesregierung vorbehaltlos zustimmen; zu anderen hat sie eine Prüfung zugesagt.
Als zentrale Regelungen des vorliegenden Gesetzentwurfs sind insbesondere zu nennen:
Erstens. Bei der Neuanmeldung eines Tierarzneimittels hat der pharmazeutische Unternehmer ein routinemäßig anwendbares Analyseverfahren vorzulegen. Damit werden die Überwachungsbehörden rechtzeitig in den Stand versetzt, in der Praxis zu überprüfen, ob die vorgeschriebenen Wartezeiten eingehalten werden und ob Lebensmittel von möglichen Rückständen frei sind. Wie sich im Fall des sogenannten Östrogenskandals gezeigt hat, konnte erst nach Einführung einer praktikablen Untersuchungsmethode die illegale Anwendung des krebs-



Bundesminister Frau Fuchs
erzeugenden Stoffes nachhaltig aufgedeckt werden. Ihre Weiterverwendung in der Mast hörte danach auf.
Zweitens. Der vorliegende Entwurf beschränkt die Verschreibung, Abgabe und Anwendung von Arzneimitteln für Tiere noch wirkungsvoller als bisher auf das unbedingt Notwendige. Der Verkehr mit Stoffen und Zubereitungen aus Stoffen, die bei der Herstellung von Arzneimitteln für Tiere nicht oder nur auf Grund tierärztlicher Verschreibung angewendet werden dürfen, sollen in die arzneimittelrechtliche Überwachung einbezogen werden. Es handelt sich hierbei um Stoffe wie Hormone oder Antibiotika, die noch als Rohstoffe im Verkehr sind. Der Verkehr mit solchen Stoffen soll nur dann zulässig sein, wenn sie nachweislich für eine arzneimittelrechtlich nicht verbotene Herstellung oder Anwendung bestimmt sind.
Die Überwachung konnte bisher erst einsetzen, wenn ein Stoff als Tierarzneimittel verwendet wurde. Künftig muß z. B. ein Futtermittelvertreter nachweisen, daß die von ihm etwa im Kofferraum seines Wagens mitgeführten Östrogene für einen nicht verbotenen Zweck bestimmt sind, was ihm nicht leichtfallen wird. Diese neue Regelung ist eine wesentliche Erfahrung aus dem Östrogenskandal. Sie soll besser als bisher eine wichtige Quelle für die Belieferung des illegalen Marktes verstopfen.
Drittens: Die Befugnisse der Überwachungsbehörden für die Kontrolle des Verkehrs mit Tierarzneimitteln werden verbessert. Dazu dient auch die Anerkennungspflicht für den Großhandel mit Arzneimitteln. Die Vorstellungen des Bundesrates gehen hier weiter. Er fordert eine generelle Erlaubnispflicht für alle Arzneimittelgroßhandlungen, d. h. auch für solche, die mit Humanarzneimitteln handeln. Dieser an sich wünschenswerte Vorschlag muß unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten sehr eingehend geprüft werden, da hierdurch die Freiheit der Berufswahl tangiert wird. Hinsichtlich des Großhandels mit Tierarzneimitteln führt die Regierungsvorlage zum gleichen Ziel wie der Bundesratsvorschlag.
Viertens. Bestimmte Verstöße gegen die Vorschriften des Arzneimittelgesetzes sollen nunmehr noch strenger geahndet werden können. Die Wünsche des Bundesrates gehen in einigen Punkten über den Entwurf der Bundesregierung hinaus. Die Bundesregierung ist jedoch der Auffassung, daß die Strafandrohungen auch im Arzneimittelrecht in einem abgewogenen Verhältnis zu vergleichbaren anderen Rechtsvorschriften stehen müssen.
Fünftens. Die vorgesehene Änderung des Fleischbeschaugesetzes ist eine wesentliche Ergänzung, um die Einhaltung arzneimittelrechtlicher Vorschriften effektiver als bisher kontrollieren zu können. Der Entwurf sieht vor, daß die Schlachtung durch den Erzeugerbetrieb so rechtzeitig angezeigt wird, daß die Entnahme von Proben insbesondere für die stichprobenweise Rückstandsuntersuchung bereits in die Erzeugerbetriebe verlagert werden kann. Leider hat der Bundesrat aus grundsätzlichen wirtschaftspolitischen Erwägungen dieser zentralen Regelung nur unter einschränkenden Voraussetzungen zugestimmt. Der Bundesrat sah hierin einen dirigistischen Eingriff in die Entscheidungsbefugnis des Tierhalters.
Um den Bedenken des Bundesrates Rechnung zu tragen und damit das Wirksamwerden dieses Gesetzes zum Schutze des Verbrauchers nicht zu verzögern, hat die Bundesregierung mit den zuständigen Behörden der Länder einen Vorschlag erarbeitet, der auch geeignet wäre, die mit der Regierungsvorlage verfolgte Zielsetzung zu erreichen. Wir werden darüber in den Ausschußberatungen sorgfältig sprechen.
Sechstens. Lassen Sie mich abschließend noch anmerken, daß der vorliegende Entwurf zur Änderung des Arzneimittelgesetzes auch der Umsetzung der EG-Tierarzneimittel-Richtlinien dient. Diese Richtlinien sind in Verbindung mit der sogenannten EG- Hormonrichtlinie nicht zuletzt auf deutsches Drängen verabschiedet worden. Sie sind ein wesentliches Instrument zur Vereinheitlichung des Arzneimittelrechts in der Europäischen Gemeinschaft. Sie dienen damit der Vervollständigung des Verbraucherschutzes bei Einführung von Lebensmitteln tierischer Herkunft aus den übrigen EG-Mitgliedstaaten und dem für die Bundesrepublik Deutschland wichtigen freien Verkehr mit Tierarzneimitteln in der Gemeinschaft.
Ich wünsche mir, meine Damen und Herren, daß die vorliegende Novelle zügig beraten und einvernehmlich zum Abschluß gebracht werden kann. — Danke.

(Beifall bei der SPD und der FDP)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID0910334000
Meine Damen und Herren, ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Frau Abgeordnete Dr. Neumeister.

(Vorsitz: Vizepräsident Wurbs)


Dr. Hanna Neumeister (CDU):
Rede ID: ID0910334100
Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Da sich die Herren Außenpolitiker zur geringen Besetzung des Plenums so entsetzt geäußert haben,

(Dr. Schäuble [CDU/CSU]: Die sind jetzt auch gegangen!)

möchte ich nur anmerken, daß wir Gesundheitspolitiker dazu schon gar nichts mehr sagen; denn wir sind dies gewohnt.

(Beifall bei der FDP)

Dabei ist gerade das Thema, das heute angesprochen worden ist, in den vergangenen zwei Jahren immer wieder sehr breit diskutiert worden. Es hat Riesenschlagzeilen in allen Zeitungen verursacht. Es hat viele Politiker, gerade auch aus unseren Reihen, zu sehr markigen Sprüchen veranlaßt und vor allen Dingen auch einen Staatssekretär stolpern lassen.
Ich glaube, daß wir heute trotz der geringen Besetzung die Konsequenzen, die aus dem sogenannten Östrogenskandal gezogen werden, besprechen können. Jedenfalls begrüßt die CDU/CSU-Fraktion es, daß die auf Grund der verbraucherschädigenden Vorkommnisse auf dem Fleischmarkt notwendig ge-



Frau Dr. Neumeister
wordene Novellierung des Arzneimittelgesetzes, und zwar für den Bereich der Tierarzneimittel, endlich auf dem Tisch liegt. Bereits in einer Beschlußempfehlung vom 27. Mai 1981 hatte der Deutsche Bundestag die Forderung erhoben, unverzüglich gesetzliche Änderungen einzubringen, um die illegale Anwendung von Stoffen mit pharmakologischer Wirkung bei Tieren einzudämmen.
Es hat sich gezeigt, daß die zum Schutze des Verbrauchers bisher schon erlassenen Vorschriften zur Verhinderung eines illegalen Handels mit Tierarzneimitteln und zur Einhaltung einer vorgeschriebenen Wartezeit nicht ausreichten, vor allen Dingen aber die schon nach dem Gesetz möglichen Kontrollen nicht eingehalten werden konnten und es dadurch zu einer Rückstandsbelastung der Lebensmittel kam, die durch verfeinerte Nachweisverfahren erst jetzt endgültig festgestellt werden konnte. Man muß allerdings feststellen, daß diese Nachweisverfahren heute noch nicht auf alle Mittel Anwendung finden können. Die zuständigen Ausschüsse werden die gesetzlichen Maßnahmen in Anbetracht der Eilbedürftigkeit — hier sind wir mit Ihnen, Frau Minister Fuchs, völlig einig — ganz sicherlich zügig, aber dennoch sehr sorgfältig beraten, um eine schnelle Eindämmung der illegalen Anwendung von Tierarzneimitteln zu gewährleisten.
Hierbei muß allerdings berücksichtigt werden — darauf hat der Bundesrat, über dessen Zustimmungsnotwendigkeit noch keine Einigkeit herrscht, bereits hingewiesen —, daß sicherlich zusätzliche Kosten bei den Lebensmittelüberwachungs- und Landesuntersuchungsämtern entstehen werden. Allerdings darf der als dringend erforderlich erachtete Verbraucherschutz letztendlich nicht auch noch der Finanzmisere dieses Bundeshaushalts zum Opfer fallen.

(Jaunich [SPD]: Frau Dr. Neumeister, Sie haben die falschen Zahlen!)

Allerdings ist es in der derzeitigen finanziellen Krisensituation vielleicht besonders angebracht, Prioritäten zu setzen und zunächst die dringendsten Schutzmaßnahmen zu fordern. So sollte in den Ausschüssen mit Hilfe der Information von Experten überlegt werden, ob die routinemäßig durchführbaren Rückstandsnachweisverfahren nach § 23 tatsächlich bei allen Tierarzneimitteln oder vielleicht nur bei einem aus ihrem Wirkprinzip heraus als gefährdend beurteilten Teil notwendig sind. Eine solche — wissenschaftlich fundiert abgesicherte — Lösung würde vor allem auch eine korrekte und sichere Durchführung der Kontrolle eher gewährleisten als ein Massenverfahren, dessen Qualität wegen Mangels an Kapazität und Finanzmitteln notgedrungen nicht mehr ganz ausreichen würde. Aber ich glaube, darüber werden wir uns im Ausschuß unterhalten können. Wir werden dann die notwendigen Übergangsregelungen sicherlich gemeinsam finden.
In Verbindung mit einem weiteren Gesetzentwurf und mit von Frau Minister Fuchs bereits angeführten vorgesehenen Maßnahmen, auf die ich jetzt aus Zeitgründen nicht näher eingehen will, sowie mit einer verstärkten Kontrolle, die bereits das bestehende Gesetz zuläßt, könnte der notwendige Schutz des Verbrauchers erheblich verbessert werden.
Nicht ganz einverstanden bin ich persönlich mit der vom Bundesrat vorgeschlagenen nachträglichen Änderung der Übergangsvorschriften des Arzneimittelgesetzes z. B. für Altpräparate, die sich an den Stichtagen nicht im Geltungsbereich des Gesetzes befanden, also für die Exportarzneimittel. Man kann nur hoffen, daß die Bundesregierung, die ja eine Prüfung dieser Situation vorgesehen und zugesagt hat, dabei bleibt, daß das Gesetz, wie es dieses Parlament 1976 endgültig verabschiedet hatte, so ausgelegt wird, daß in die fiktive Zulassung auch die Exportarzneimittel weiter einbezogen werden.
Für wichtig halte ich das, was Frau Minister Fuchs eben auch schon anschnitt, nämlich die Änderung des Fleischbeschaugesetzes. Wir sind durchaus der Meinung des Bundesrates, daß eine Anzeigepflicht des Erzeugers vor Abgabe von Schlachttieren möglichst nicht in der krassen Form, wie sie im Gesetz vorgesehen ist, eingeführt werden sollte. Ich bin dankbar, daß die Frau Minister schon jetzt bestätigt hat, daß gemeinsam mit den Ländern eine andere Formulierung gefunden worden ist, die wir aber noch nicht kennen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Etwas überraschend findet man in diesem Entwurf einen Vorschlag zur Lösung des Problems der Musterabgabe. Zwar ist zu begrüßen, daß das in der Vergangenheit total überzogene Verfahren der Musterabgabe im Sinne der freiwilligen Beschränkung der pharmazeutischen Industrie von der Bundesregierung unterstützt wurde und im Arzneimittelbericht auch angekündigt wurde, die Auswirkungen dieser seit dem 1. Januar 1982 geltenden Regelung zunächst einmal abzuwarten.
Ob aber nun das vorgesehene strafrechtliche Verfahren allein auf Grund des Verdachts, daß verschreibungspflichtige Arzneimittel in einem dem Zweck der Erprobung oder der Ausbildung nicht mehr angemessenen Umfang abgegeben worden sind, das gebotene und tatsächlich praktikable Mittel der Wahl ist oder ob nicht vielleicht eine empfindliche Geldbuße bei Abgabe verschreibungspflichtiger Arzneimittel in unangemessenem Umfang nicht angemessener wäre, wird sicherlich auch der Ausschuß entscheiden müssen. Ich glaube, hier werden wir uns einiges einfallen lassen müssen.
Auf jeden Fall sehe ich für uns eine Verpflichtung, endlich ein Konzept für diesen gesamten Bereich der Ärztemuster zu erarbeiten. Wir sollten anstreben daß man sich beim Informationszugang zum Arzt, bei dem bisher primär das Ärztemuster als Vehikel benutzt wurde, in Zukunft mehr auf den wissenschaftlichen Weg mit Hilfe der „Information für Fachkreise" konzentriert. Ein solches Konzept müssen wir auf etwas längere Sicht anlegen, denn mit allzu drastischen Maßnahmen, mit denen man jetzt ganz schnell dieses von allen anerkannte Problem zu lösen versucht, würden wir den gesamten Informationsweg blockieren.
Ganz und gar nichts mit Tierarzneimitteln hat die Aufhebung der sogenannten Residenzpflicht in § 9



Frau Dr. Neumeister
Abs. 2 des Arzneimittelgesetzes zu tun. Diese angeblich notwendige Änderung bedeutet theoretisch eine Aushöhlung des Verbraucherschutzes und steht damit in krassem Widerspruch zur Intention dieser Novelle.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Angesichts der noch keineswegs klaren Situation auf dem europäischen Arzneimittelmarkt und vor allem auf dem Gebiet der Rechtshilfeverträge sollte sich die Bundesregierung im Interesse der Arzneimittelsicherheit für die Bürger vom Europäischen Gerichtshof nicht unter Druck setzen lassen und sollte den Mut haben, Art. 36 der Römischen Verträge anzuwenden, der die Möglichkeit bietet, die wichtigen innenpolitischen Gesichtspunkte, die sich aus unserer gesundheitspolitischen Verantwortung für den Verbraucher ergeben, zu berücksichtigen.
Völlig unverständlich ist es aber — das muß hier mit allem Nachdruck gesagt werden —, daß die Bundesregierung bereits im Januar 1982 der EG-Kommission in einem Brief mitgeteilt hat, daß dieser Residenzparagraph, der § 9 des Arzneimittelgesetzes, ab sofort nicht mehr beachtet werden soll. Das Parlament, das das Gesetz verabschiedet hat, war an diesem faktischen Außerkraftsetzen eines nicht unwichtigen Teils eines von ihm erlassenen Gesetzes gar nicht beteiligt und nicht einmal darüber informiert. Ich weiß nicht, ob das Parlament das verdient hat.

(Zuruf von der CDU/CSU: Das ist unstatthaft!)

Trotzdem wird sich die CDU/CSU mit konstruktiven Vorschlägen an der zügigen Beratung dieses Gesetzentwurfs beteiligen, und wir hoffen, daß wir bald durch gemeinsame Arbeit ein gutes Gesetz vorlegen können. — Danke schön.

(Beifall bei der CDU/CSU)


Richard Wurbs (FDP):
Rede ID: ID0910334200
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Rayer.

Wolfgang Rayer (SPD):
Rede ID: ID0910334300
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich freue mich natürlich ganz besonders, daß Frau Dr. Neumeister die Bereitschaft erklärt hat, sich an der Beratung dieses Gesetzentwurfs zu beteiligen. Ich habe immer gedacht, es sei hier bei uns so üblich, daß wir uns an den Beratungen beteiligen. Dafür kriegen wir schließlich auch unser Geld.

(Frau Dr. Neumeister [CDU/CSU]: Ich meinte mit konstruktiven Vorschlägen, und das ist nicht immer üblich!)

Ich suche gerade die Außenpolitiker, die sich soeben so lautstark beschwert haben, daß so wenige im Saal anwesend sind, und finde leider keinen. Bei Gelegenheit sollte man vielleicht einmal darüber nachdenken. Dabei möchte ich aber einen ernsthaften Satz zu dem Lamento sagen, das vorhin stattgefunden hat. Man darf, glaube ich, nicht außer acht lassen, daß wir mittlerweile alle gemeinsam fast 12 Stunden auf den Beinen sind. Ich sage das einmal als Gesundheitspolitiker, gerade weil dies in der Öffentlichkeit viel kolportiert wird. Es ist gesundheitspolitischer Blödsinn, nach 12, 13 oder 14 Stunden Themen noch intensiv behandeln zu wollen.

(Beifall bei der SPD)

Jeder weiß, daß die Leistungskurven automatisch abnehmen, und dies — das muß man auch einmal selbstkritisch sagen — merkt man manchmal auch an unseren eigenen Leistungen, die wir dann vollbringen.
Ich will nur wenige Dinge zu dem vorliegenden Gesetzentwurf sagen. Der Anlaß ist uns allen noch nachhaltig in Erinnerung: Östrogenskandal und einige andere Vorkommnisse im Bereich des Mißbrauchs von Tierarzneimitteln, die uns alle und die Öffentlichkeit nachhaltig bewegt haben. Insofern sind wir, glaube ich, alle — dies ist auch deutlich geworden — froh darüber, daß der Gesetzentwurf nun präsentiert wird, der in diesem wichtigen Bereich die Möglichkeit eröffnet, einzuschreiten und verstärkt vorzugehen.
Das veranlaßt mich zu einer Bemerkung. In der Vergangenheit wurde die Diskussion in vielen Fällen von dem Motto beherrscht: Der Staat soll sich weitestgehend zurückhalten; die Wirtschaft und die Industrie regeln alles nach ihren Selbstregelungsmechanismen. — Ich glaube, genau hier haben wir ein Paradebeispiel, einen Paradefall dafür, daß sich der Staat dies in weiten Bereichen nicht erlauben kann; denn die Mißbräuche, die wir heute haben, sind ausschließlich durch die freie Wirtschaft verursacht worden.

(Zuruf von der CDU/CSU: Also nieder mit der Freiheit!)

— Nein, nicht nieder mit der Freiheit. Ganz im Gegenteil, hoch mit der Freiheit und auch hoch mit der Marktwirtschaft, sofern sie sich so sozial verhält, daß durch ihr Verhalten nicht die Gemeinsamkeit, die Gemeinschaft insgesamt gefährdet oder benachteiligt wird. Ich glaube, darüber sind wir uns sicherlich einig.

(Beifall bei der SPD und der FDP)

Damit ist für mich der zweite wichtige Punkt für eine sehr zügige Beratung dieses Gesetzentwurfs gegeben. Mit diesem Gesetzentwurf verändern wir nicht unsere bisherige Zielrichtung, sondern wir wollen auf Grund der gemachten Erfahrungen nur sicherstellen, daß der Staat in diesem Bereich nicht ständig den Ereignissen hinterherhechelt, daß wir uns also nicht erst dann um Lösungsmöglichkeiten bemühen müssen, wenn etwas passiert ist. Vielmehr wollen wir durch die Einführung eines praktikablen Nachweisverfahrens mit Neuzulassung der zukünftigen Mittel bereits die Handhabe dafür haben, daß sichergestellt wird, daß wir Gefahren schon im Vorfeld erkennen und dann auch sehr schnell reagieren können. Dies ist für mich ein ganz wesentlicher Punkt, dieses Gesetz so schnell und zügig wie möglich zu verabschieden.
Insgesamt kann ich für die SPD-Fraktion den vorgelegten Gesetzentwurf nur begrüßen. Die Kernpunkte des Gesetzentwurfes — praktikable Nachweisverfahren für neu eingeführte Mittel, verbesserte Kontrolle bei Einhaltung der Wartezeiten, Er-



Rayer
werb und Nachweispflicht bei Tierarzneimitteln — scheinen mir die richtigen Instrumente zu sein, um diesen Themenkreis in den Griff zu bekommen. Ein wichtiger Punkt, über den wir uns im Ausschuß werden unterhalten müssen, ist, die Praktikabilität dieser Instrumente abzuschecken und auch sicherzustellen, daß sie in ausreichendem Maße greifen können, so wie wir uns das vorgestellt haben.
Die Bundesregierung — damit will ich zum Schluß kommen — hat sich im EG-Bereich bemüht, für einen besseren Schutz zu sorgen. Ich finde, gerade in Anbetracht des bei uns nun vorliegenden Gesetzentwurfes muß nachdrücklich noch einmal appelliert werden, diese Bemühungen in Zukunft zu verstärken, denn bei den intensiven Verflechtungen, die wir haben, langt eine Regelung im nationalen Bereich, die wir hier vornehmen, bei weitem nicht aus. Es spielen auch andere Fragen — z. B. die Frage von Importbenachteiligungen — mit hinein, die wir mit diskutieren sollten und durchaus ihr Gewicht haben.
Insofern bitte ich für die SPD-Fraktion um eine zügige Beratung in den Ausschüssen. Mit einigen Punkten, die offengeblieben sind — Frau Dr. Neumeister hat auf einige hingewiesen —, die sich auch aus der ersten Diskussion des Arzneimittelberichtes ergeben haben und bei denen wir wissen, daß wir auf die eine oder andere Weise Korrekturen vornehmen werden, sollten wir meiner Auffassung nach diesen Gesetzentwurf nicht befrachten, weil die Diskussion über die Vielzahl der Punkte nur dazu führen kann, daß wir nicht mit der nötigen Schnelligkeit verfahren können, wie von uns allen gewünscht. Diese Punkte sollten wir insgesamt in die Diskussion über den Arzneimittelbericht einbeziehen und dann die notwendigen Konsequenzen in die Wege leiten. — Ich bedanke mich.

(Beifall bei der SPD und der FDP)


Richard Wurbs (FDP):
Rede ID: ID0910334400
Das Wort hat Frau Dr. AdamSchwaetzer.

Dr. Irmgard Adam-Schwaetzer (FDP):
Rede ID: ID0910334500
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe den Eindruck, die Verbraucher draußen wird das Thema, was wir heute abend hier diskutieren, viel mehr interessieren, als das offensichtlich bei unseren Kollegen der Fall ist. Ich möchte eine Umfrage zitieren, die das Institut Allensbach 1981 im September veröffentlicht hat. Nach dieser Umfrage haben 47 % der Bevölkerung mehr Angst vor Lebensmitteln mit gesundheitsschädlichen Rückständen als vor irgendeiner anderen Gefahr, die ihnen in ihrem Leben drohen könnte. Ich glaube, daß diese Zahl zeigt, daß in der Bevölkerung und in der Verbraucherschaft eine Verunsicherung eingetreten ist, denn diese Zahl ist ganz zweifellos eine Reaktion darauf, was im letzten Jahr etwa vom Frühjahr an an Meldungen über unsere Presse, über unsere Publikationsorgane gelaufen ist: Rückstände in der Babynahrung, die nicht tolerierbar waren, Rückstände im Kalbfleisch, die sich gesundheitsschädlich auswirken konnten, Rückstände von Schädlingsbekämpfungsmitteln auf Gemüsen, Rückstände von Luftverschmutzungen auf tierischen und pflanzlichen Lebensmitteln. Diese Meldungen sind uns allen noch im Ohr. Was uns wahrscheinlich aber nicht im Ohr ist, ist, daß es sich hier häufig, vor allen Dingen bei den verbotenen Arzneimittelrückständen, um Ausnahmesituationen handelt, daß wir in der Regel also sehr gute Lebensmittel haben. Das spricht durchaus dafür, daß unsere Lebensmittelkontrolle im ganzen funktionsfähig ist, daß vor allen Dingen bei den Erzeugern ein Bewußtsein vorhanden ist, im Sinne der Verbraucher sehr gute Lebensmittel zu erzeugen.
Die Mißstände, die im letzten Jahr zum Östrogenskandal geführt haben, fordern uns Politiker natürlich zum Handeln heraus. Deshalb begrüße ich es für meine Fraktion nachdrücklich, daß mit dem vorliegenden Gesetzentwurf der Bundesregierung auf diese Mißstände reagiert werden soll.
Ich glaube, in den Ausschußberatungen werden vier Punkte eine Rolle spielen. Es ist völlig unbestreitbar, daß wir Nachweismöglichkeiten für die Substanzen haben müssen, die als Arzneimittel bei der Tieraufzucht oder auch der Tierbehandlung eingesetzt werden können. Diese Nachweisverfahren gibt es zum Teil heute schon, zum Teil aber eben auch nicht, und vor allem haben die derzeit bekannten Nachweisverfahren ja einen ganz entscheidenden Nachteil: Sie alle dauern sehr lange, d. h. es kann vorkommen, daß dann, wenn das Nachweisverfahren abgeschlossen ist und das Ergebnis da ist, die Partie des Lebensmittels, die betroffen ist, bereits im Handel verschwunden ist und auch nicht mehr zurückverfolgt werden kann. Es ist hier also notwendig, eine Verbesserung des Nachweises von verbotenen Substanzen oder von Substanzen, bei denen die Wartezeiten für das Fleisch nicht eingehalten wurden, zu erreichen.

(Zustimmung bei der FDP)

Aber die Regelungen, die uns dazu einfallen müssen, müssen auch für die Lebensmittelüberwachung erträglich sein. Ich wies vorhin darauf hin, daß die Lebensmittelüberwachung derzeit wohl im großen und ganzen noch funktioniert. Nur dürfen wir sie natürlich auch nicht überfordern. Wir haben schon heute eine Unzahl von Stoffen, die kontrolliert werden müssen, und wir müssen uns einfach darüber im klaren sein, daß dann, wenn wir mit dieser Tierarzneimittelnovelle eine breite Palette von zusätzlichen Stoffen in die Nachweispflicht gegenüber den Lebensmittelkontrollbehörden einführen, die Beanspruchung dieser Behörden ganz einfach durch die Vielzahl der Nachweisverfahren, die durchgeführt werden müssen, wesentlich wachsen wird. Denn es müssen ja immer wieder Qualitätskontrollen durchgeführt werden.
Der zweite Punkt: Ich glaube, wir sind uns auch darüber einig, daß eine Kontrolle in den Ställen der Schlachtvieherzeuger notwendig ist. Hier gibt es ja auch schon die Bereitschaft zum Gespräch zwischen dem Bundesrat und der Bundesregierung; Frau Minister Fuchs hat darauf hingewiesen. Wir sollten diese Gesprächsbereitschaft nutzen und uns ein Verfahren überlegen, das tatsächlich für alle Seiten akzeptabel ist, das aber auch unserer Forderung Nachdruck verleiht, auch schon vor der Schlachtung eines Tiers ansetzen zu können, um möglicherweise



Frau Dr. Adam-Schwaetzer
die Verwendung verbotener Stoffe schneller aufdekken zu können oder auch ermitteln zu können, ob die Wartezeiten eingehalten worden sind.
Dann möchte ich noch auf zwei Punkte eingehen, die von der Bundesregierung auf diese Arzneimittelnovelle aufgepfropft worden sind, die eigentlich mit dem Bereich „Tierarzneimittel" originär überhaupt nichts zu tun haben. Da ist einmal die Aufhebung der Residenzpflicht für ausländische Hersteller im Bereich des Arzneimittelgesetzes. Was heißt das? Derzeit ist im Arzneimittelgesetz vorgeschrieben, daß derjenige, der hier bei uns Arzneimittel auf den Markt bringt, auch seinen Sitz hier haben muß. Das hat seinen Grund; dann kann nämlich bei einer Verletzung der Bestimmungen des Arzneimittelgesetzes hier die Kontrolle des Staates einsetzen, und der pharmazeutische Hersteller bzw. Inverkehrbringer kann zur Rechenschaft gezogen werden.
Wird diese Residenzpflicht aufgehoben, wie die Europäische Gemeinschaft es verlangt — und es gibt gar keine Diskussion darüber, daß dies von der Europäischen Gemeinschaft wohl verlangt werden wird —, so stehen wir vor der Situation, daß die Arzneimittelsicherheit in Deutschland mit Sicherheit beeinträchtigt wird.

(Zustimmung bei der CDU/CSU)

Deshalb müssen wir, glaube ich, über diesen Punkt im Ausschuß noch einmal reden.

(Zustimmung bei der FDP)

Der nächste Punkt, der aufgepfropft worden ist, den man hier aber positiv vermerken sollte, ist, daß Bestimmungen vorgesehen sind, die sich auf eine unangemessene Abgabe von Arzneimittelmustern beziehen. Auch dies hat zunächst nichts mit den Tierarzneimitteln zu tun, sondern bezieht sich auf den gesamten Arzneimittelbereich.
Ich begrüße, daß die Bundesregierung initiativ geworden ist, um das Problem der Abgabe der Arzneimittelmuster, über das in Deutschland schon sehr lange diskutiert wird, zu lösen. Ich glaube aber, daß die Vorschriften, die von der Bundesregierung vorgeschlagen werden, zunächst noch auf ihre Praktikabilität hin überprüft werden sollten und daß wir uns darüber unterhalten müssen, wie ein Tatbestand so klar formuliert werden kann, daß er dann auch tatsächlich handhabbar wird.
Fazit: Ich begrüße nachdrücklich, daß diese Novelle vorgelegt worden ist, weil ich glaube, daß wir, wenn wir in der Öffentlichkeit deutlich machen können, wo wir ansetzen wollen, auch bewirken können, daß der Verbraucher wieder Vertrauen in die Lebensmittel bekommt, die er auf dem deutschen Markt bezieht. Dies halte ich in der Tat für eine sehr vordringliche Aufgabe auch für uns Parlamentarier. — Vielen Dank.

(Beifall bei allen Fraktionen)


Richard Wurbs (FDP):
Rede ID: ID0910334600
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Der Ältestenrat schlägt vor, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 9/1598 zur federführenden Beratung an den Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit und zur Mitberatung an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten zu überweisen. Ist das Haus mit den vorgeschlagenen Überweisungen einverstanden? — Es erhebt sich kein Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich rufe Punkt 11 der Tagesordnung auf:
Erste Beratung des von der Fraktion der CDU/CSU eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Bundessozialhilfegesetzes
— Drucksache 9/1602 —
Im Ältestenrat ist für die Aussprache ein Beitrag bis zu zehn Minuten für jede Fraktion vereinbart worden. Ist das Haus damit einverstanden? — Das ist der Fall.
Wird das Wort zur Begründung gewünscht? — Das ist nicht der Fall.
Ich eröffne die allgemeine Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Kalisch.

Joachim Kalisch (CDU):
Rede ID: ID0910334700
Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich bin nicht nur sicher, sondern ich weiß, daß viele unserer Kollegen ein sehr starkes Interesse am Zusatztaschengeld haben. Das wissen auch Sie. Diese Kollegen will ich jetzt nicht dafür beschimpfen, daß sie nicht hier sind. Ich weiß vielmehr vermutlich genauso wie Sie, daß für viele heute wieder ein hektischer Tag gewesen ist. Und an einem solchen Tage darf man seinem Mandat auch auf andere Art nachgehen als der, im Plenum zu sitzen. Sie werden mit Sicherheit auch erfahren, was hier diskutiert worden ist.
Als jüngerer Abgeordneter — ich meine nicht die Lebensjahre, sondern die Zeit meiner Zugehörigkeit zum Deutschen Bundestag — freue ich mich ganz besonders, den hier zur ersten Lesung anstehenden Gesetzentwurf meiner Fraktion zur Änderung des Bundessozialhilfegesetzes begründen zu dürfen.
Wir alle, meine Damen und Herren, mußten zur Kenntnis nehmen, daß der Deutsche Bundestag und alle — ich betone „alle" — in ihm vertretenen Parteien keine glückliche Hand gehabt haben, als im Rahmen des 2. Haushaltsstrukturgesetzes für das sogenannte Zusatztaschengeld für Heimbewohner eine neue Regelung getroffen wurde.
Wir Politiker hören oft den Vorwurf, daß wir vermeintliche oder tatsächliche Fehler, die uns vorgehalten werden, verteidigten, nur um keine Schuld eingestehen zu müssen. Das, meine Damen und Herren, macht die Politik und ihre Vertreter in Stadt und Land oft recht unglaubwürdig.
Auch ich habe in der Hektik der damaligen Verabschiedung des 2. Haushaltsstrukturgesetzes der Kürzung des Zusatztaschengeldes zugestimmt. Ich zähle zu denen, die das auch nie bestritten haben. Ich rekonstruiere nicht mehr, ich will nicht in die Vergangenheit gehen und nicht darlegen, wer wann, wozu, aus welchem Grunde zugestimmt hat. Dar-



Kalisch
über ist unzählige Male berichtet worden, richtig, leider aber oftmals auch sehr polemisch und falsch.

(Zuruf von der CDU/CSU: Die SPD hielt es mit Schuldzuweisungen!)

Es ist nicht gut, meine Damen und Herren — so empfinde ich es auch —, daß die Kolleginnen und Kollegen der Koalition immer die Schuldzuweisung in Richtung Union, in Richtung Mehrheit im Bundesrat gelenkt haben. Dann hätten sie auch sagen müssen, daß das Gesetz nur mit der Mehrheit von SPD und FDP den Bundestag passieren konnte.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Dann hätten sie auch sagen müssen, daß im Bundesrat bzw. im Vermittlungsausschuß das von der SPD geführte Bundesland Nordrhein-Westfalen ebenfalls vorbehaltlos zugestimmt hat. — Aber lassen Sie uns den Streit darum bitte vergessen.
Ich freue mich — ich wiederhole das —, daß die jetzige Regelung für das Zusatztaschengeld korrigiert werden soll. Ich würde mich noch mehr freuen, meine Damen und Herren von der Koalition, wenn Sie unsere Initiative unterstützen und ihr zustimmen könnten. Die Aktivitäten der SPD und der FDP beschränkten sich im großen und ganzen auf Pressekampagnen, in denen auf die Notwendigkeit einer Berichtigung in der Frage des Zusatztaschengeldes hingewiesen wurde. Eine Initiative zur Einleitung entsprechender gesetzlicher Maßnahmen ist bisher allerdings nicht erfolgt.

(Jaunich [SPD]: Herr Kollege, Sie sind doch nicht redlich, wenn Sie so argumentieren!)

— Ich komme darauf noch, Herr Kollege Jaunich.
Auch hat im Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit bis gestern noch kein förmlicher Antrag vorgelegen.

(Jaunich [SPD]: Falsch!)

— Kein förmlicher Antrag. Heute morgen nun, in aller Eile, hat die Koalition drei Papiere auf den Weg und in den Ausschuß gebracht. Ich weiß, Herr Kollege Jaunich, Sie haben gesagt: Sie — also wir — hatten das Papier schon. Es tut mir leid, wir hatten es nicht, auch nicht die übrigen Kollegen.

(Immer [Altenkirchen] [SPD]: Eine Geschichtsklitterung!)

— Entschuldigung, hören Sie sich doch erst mal an, was ich zu sagen habe.
Durch ein Papier soll die Frage des Zusatztaschengeldes geklärt werden. Sicherlich werden die Vertreter der Koalition in ihren Reden zum Ausdruck bringen, das sei die perfekte Lösung, das werde schneller gehen, das sei der einfachere, der gerechtere Weg. Dazu haben Sie dieses Papier ja heute, noch vor der Debatte, vor der Behandlung unserer Initiative, eingebracht.

(Dr. Faltlhauser [CDU/CSU]: Es war noch ganz warm, das Papier!)

Meine Damen und Herren von der Koalition, wir
werden den Gang dieses Papieres und Ihrer Initiativen sehr aufmerksam verfolgen. Und wir sagen Ihnen schon heute: Für Verzögerungen tragen allein Sie die Verantwortung.
Demgegenüber wünscht die CDU/CSU die Wiederherstellung der alten Regelung, welche die Eigenleistung der älteren Mitbürger stärker berücksichtigt. Das ist ein unkomplizierter, schnell zu realisierender Vorschlag.

(Immer [Altenkirchen] [SPD]: Warum? Hat Herr Gölter das denn im Bundesrat eingebracht?)

Eine Korrektur ist also erforderlich. Deshalb legen wir den hier zur Debatte stehenden Gesetzentwurf vor.
Es geht auch nicht allein um das Geld. Es geht vor allem auch um Anstand, Fairneß und Gerechtigkeit, und zwar gegenüber einer Generation, ohne deren Leistungs- und Verzichtsbereitschaft der Wiederaufbau des Trümmerfeldes, das 1945 von Deutschland übriggeblieben war, ausgeschlossen gewesen wäre.

(Sehr wahr! bei der CDU/CSU — Zuruf von der SPD: Erzählen Sie das Herrn Späth!)

Hier sind Menschen betroffen, die auf ein arbeitsreiches Leben zurückblicken können und deshalb Anspruch haben auf eine würdevolle Behandlung durch ihren Staat.

(Jaunich [SPD]: Und deswegen den alten Zustand wiederherstellen?)

— Warten Sie doch ein Momentchen. Es dauert j a gar nicht so lange; die zehn Minuten sind gleich um.
Der Begriff stellt im Grunde eine Demütigung älterer Menschen dar, weil er den Eindruck erweckt, hier würden Leistungen gewährt, wie sie sonst bei Kleinkindern üblich sind, denen man aus Erziehungsgründen ein Taschengeld gibt. Dabei handelt es sich hier um Einkünfte — ich sage: um Einkünfte —, die für den Empfänger unentbehrlich sind. Wir sollten deshalb auch einen anderen Begriff für diese Leistung einführen.

(Jaunich [SPD]: Ja, das machen wir jetzt! — Dr. Faltlhauser [CDU/CSU]: Gebt dem Jaunich ein Zusatztaschengeld, dann ist er ruhig!)

Im vorliegenden Gesetzentwurf haben wir darauf verzichtet, diesen Gedanken aufzunehmen, um bei der Beratung der Vorlage keine Verzögerung eintreten zu lassen, Herr Kollege. Uns ist es nämlich wichtiger, daß es jetzt mal wieder anfängt, daß es weitergeht und daß wieder ein bißchen Hoffnung zu den Menschen kommt.
Betroffen durch die Kürzungsmaßnahmen im Sozialhilfebereich sind auch die Eltern der Behinderten. Gestatten Sie mir diesen kleinen Schwenk. Ich spreche von der Vorschrift des § 43 Abs. 2 Satz 2



Kalisch
BSHG. Die alte Regelung, die vor Inkrafttreten des Zweiten Haushaltsstrukturgesetzes galt, belastete die Eltern von Behinderten, die in einer Fördereinrichtung untergebracht sind, mit etwa 200 bis 300 DM pro Monat. Seit Inkrafttreten des Zweiten Haushaltsstrukturgesetzes müssen die Eltern aber erheblich tiefer in die Tasche greifen, weil die Grundlage für die Kostenbeteiligung der Eltern nun die tatsächlichen Kosten des Lebensunterhalts in der jeweiligen Fördereinrichtung sind und weil nach § 81 BSHG besondere Einkommensgrenzen der Eltern zugrunde gelegt werden müssen. Dieser Personenkreis ist unseres Erachtens durch einen behinderten Angehörigen ohnehin schon genug belastet und muß zusätzlich wie andere Eltern auch die übrigen Opfer aus dem Zweiten Haushaltsstrukturgesetz, wie z. B. Kindergeldkürzungen, tragen. Deshalb sollte er keinen weiteren Belastungen ausgesetzt werden. Wir hoffen, daß hier eine gemeinsame Lösung gefunden werden kann, nachdem wir die Initiative auch schon mit den CDU/CSU-geführten Ländern abgesprochen haben.
Es ist außerordentlich schwierig, meine Damen und Herren, sowohl die komplizierte Haushalts- und Finanzsituation in den Griff zu bekommen als dabei gleichzeitig auch sozialpolitischen Erfordernissen gerecht zu werden. Doch sind dort die Grenzen gesetzt, wo es darum geht, dem einzelnen Menschen nach wie vor die Grundlagen eines menschenwürdigen Daseins zu erhalten. Inwieweit auch andere Einschränkungen, die durch das Zweite Haushaltsstrukturgesetz bewirkt worden sind, verändert werden können, dürfte sehr zweifelhaft sein. Dies kann nur dann bewirkt werden, wenn wieder eine solide und überschaubare Haushalts- und Finanzpolitik in unserem Land hergestellt ist. — Schönen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU)


Richard Wurbs (FDP):
Rede ID: ID0910334800
Das Wort hat der Abgeordnete Jaunich.

Horst Jaunich (SPD):
Rede ID: ID0910334900
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Angesichts der vielen Diskussionen und auch Proteste über die Kürzung des sogenannten Zusatztaschengeldes für Heimbewohner wäre es verlockend, an dieser Stelle noch einmal auf den Werdegang und die Entstehungsgeschichte dieser Kürzungsvorschläge einzugehen.

(Zurufe von der CDU/CSU)

Ich widerrate diesem, meine Damen und Herren,

(Erneute Zurufe von der CDU/CSU)

weil die davon betroffenen Menschen überhaupt nichts davon haben, sondern von uns erwarten,

(Dr. Schäuble [CDU/CSU]:... daß Sie unserem Antrag zustimmen!)

daß wir dies, was dort geschehen ist, korrigieren.

(Beifall bei der SPD — Zurufe von der CDU/ CSU)

Wenn wir korrigieren — meine Damen und Herren, Ihre Lautstärke zeigt doch nur Ihre Schwäche in der Sache —,

(Lachen bei der CDU/CSU)

dann, meine ich, sollten wir in vernünftiger Weise verfahren. Wir Sozialdemokraten und die Freien Demokraten haben dies getan.

(Zuruf von der CDU/CSU: Durch Gleichmacherei, Herr Kollege!)

Das, was Sie hier mit Ihrem Antrag vorgelegt haben, ist sozialpolitisch so einfallslos, daß es in dieser Einfallslosigkeit überhaupt nicht zu übertreffen ist. Da wollen Sie zurück zu dem alten Zustand. Das zeigt doch, daß Sie aus den Diskussionen, die hinter uns liegen, nichts, aber auch gar nichts gelernt haben.

(Beifall bei der SPD)

Das fängt an bei dem Begriff. Sie bleiben bei dem Begriff „Taschengeld". Sie haben sich nichts einfallen lassen, dies in eine andere Form zu bringen. Dafür braucht man keinen Regierungsapparat; das haben wir auch freihändig formuliert, indem wir von einer „bedarfsgerechten Leistung" sprechen, die heute den Heimbewohnern gewährt werden soll.
Sie haben bei Ihren Überlegungen auch völlig außer acht gelassen, daß die alte Regelung, zu der Sie zurückkehren wollen, starre Beträge, keine Dynamisierung vorsieht, daß es in der Höhe des Grundtaschengeldes eine große Differenz im Lande gibt und daß dieses Grundtaschengeld keineswegs bedarfsgerecht ausgerichtet ist. Ihre Platte von der Leistungshonorierung und unserer angeblichen Leistungsfeindlichkeit, die Sie hier wiederum abspielen, hat doch einen Sprung. Das Lied, das auf dieser Platte abgespielt wird, ist völlig falsch, denn Taschengeld, lieber Herr Kalisch, ist nicht nur eine Leistung, die alten Menschen gewährt wird, sondern sie ist auch eine Leistung, die jungen Menschen gewährt wird, die auf Grund ihrer Situation in einem Heim untergebracht sind. Sie müssen also mit der Frage fertigwerden, ob Sie einem jungen Behinderten, der auf Grund seiner Behinderung von Geburt an oder von frühester Jugend an keine Alterssicherung hat aufbauen können, nicht ein bedarfsgerechtes Taschengeld zubilligen wollen, ob Sie dem die zusätzliche Tasse Kaffee nicht gönnen wollen.

(Zuruf von der CDU/CSU: Das ist doch polemisch!)

— Nein, wieso denn? Das sind die Tatsachen; ich bitte Sie! 85 DM beträgt z. B. das Grundtaschengeld in Rheinland-Pfalz. Mit 85 DM sind die Grundbedürfnisse nicht zu bestreiten. Das ist doch das Ergebnis der vielen Proteste, die wir auf Grund der Kürzungen bekommen haben!

(Beifall bei der SPD)

Ich stelle noch einmal fest: Das Zurückkehren zum alten Zustand ist das Einfallsloseste, was man tun kann.
Sie haben gesagt, es wäre ein lobenswertes Unterfangen, wenn man statt Taschengeld den Leuten einen Teil ihrer Rente beließe. Schauen Sie sich doch bitte unsere Vorschläge, die wir eingebracht haben — im zuständigen Bundestagsausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit — an! Unsere Konzeption war und ist, diese Angelegenheit mit dem Zehnten Buch des Sozialgesetzbuches zu regeln, welches zur zweiten und dritten Beratung im Juni hier im Ple-



Jaunich
num ansteht, weil dies für uns der kürzere und erfolgversprechendere Weg gewesen ist.

(Beifall bei der SPD und der FDP)

In diesen Vorschlägen steht, daß an Stelle des Taschengeldes Teile der Rente diesen Heimbewohnern überwiesen werden können. Daß das Verwaltungsprobleme für die Rentenversicherungsträger mit sich bringt, ist gar keine Frage. Deswegen haben wir keine Muß-Vorschrift daraus gemacht, sondern eine Soll-Vorschrift.
Wenn man dies alles zusammen sieht, werden auch Sie erkennen müssen, daß die Vorstellungen, die die Koalition vorgelegt hat, wesentlich besser an die Lösung des Grundproblems herangehen und mit dem Prinzip, welches die gesamte Sozialhilfe beherrscht, nämlich dem Bedarfsdeckungsprinzip, in Einklang stehen.
Wir haben heute morgen zwei Anträge originär eingebracht, Herr Kollege Kalisch, nicht die Taschengeldregelung; die ist in der letzten Sitzungswoche Ihnen und Ihrer Fraktion übergeben worden. Wir haben heute morgen, nachdem sich die Koalition gestern darauf verständigt hat, zwei Anträge eingebracht. Mit dem einen fordern wir „zurück zur alten Regelung" bei dem § 43 Abs. 2, d. h. die Eltern von minderjährigen Heimbewohnern sollen nur mit den tatsächlichen häuslichen Ersparnissen wieder belastet werden.

(Zuruf von der CDU/CSU: Späte Erkenntnis!)

— Entschuldigen Sie, daran werde ich Sie gleich noch einmal erinnern.
Da ist heute morgen im Ausschuß wie folgt argumentiert worden. Der Arbeitskreisvorsitzende von Ihnen, Herr Kroll-Schlüter, CDU, hat gesagt: Warum machen Sie das eigentlich? Das hätten doch diejenigen wieder in Ordnung bringen können, die uns das eingebrockt haben, die Bundesländer. — Heute nachmittag lese ich eine Pressemitteilung von Herrn Hartmann — das ist der Arbeitskreisvorsitzende der CSU —, darin sagt er: Lange, lange hat die Koalition gewartet.

(Heiterkeit bei der SPD)

Dies auf einen Nenner zu bringen, ist Ihr Problem, nicht das unsere. Nur: Sie waren bis zur Stunde nicht initiativ geworden. Wir haben, nachdem wir gestern in der Koalition eine Einigung herbeigeführt hatten, heute morgen diese Vorstellungen im Ausschuß präsentiert. Ich bin froh und dankbar darüber, daß wir in dieser Frage einheitlich votiert haben.

(Dr. Faltlhauser [CDU/CSU]: Also gestern erst die Einigung? Das ist mit heißer Nadel gemacht!)

— Was heißt denn „heiße Nadel"? Ich bitte Sie!

(Weitere Zurufe von der CDU/CSU)

Sie haben sich doch überhaupt nicht einigen können. Da sagt Herr Kroll-Schlüter: Laßt das doch die Länder in Ordnung bringen, die uns das eingebrockt haben, und da sagt Herr Hartmann: Ihr habt da zu
lange gewartet. Aber auf den Tisch gebracht haben Sie nichts.
Wir haben noch eine dritte Lösung auf den Tisch gebracht, nämlich bei einem weiteren Faktum, das durch das Haushaltsstrukturgesetz eingeführt worden ist. Nämlich zur vollen Anrechnung des Blindengeldes auf das Pflegegeld haben wir eine Anregung in die Diskussion gebracht und einen Antrag vorgelegt, wonach sich dieser Prozeß in drei Raten vollziehen soll, weil dieses Abschmelzen von dem einen auf den anderen Tag um den vollen Betrag eines Blindengeldes von 750 DM in der Tat den Betroffenen nicht zuzumuten ist. Die finanziellen Auswirkungen, die hier insgesamt zu erwarten sind, nämlich zirka 5 Millionen, können nicht das Argument rechtfertigen, daß hier finanzpolitische Gründe maßgebend seien. Auch in dieser Frage haben Sie Ihre Zustimmung gegeben. Ich bin froh darüber, weil ich sage: Wir haben zwar mit zu verantworten, daß wir einem Gesamtpaket hier die Zustimmung gegeben haben, aber derjenige, der solche Vorstellungen in die politische Diskussion einbringt — ich habe hier nur drei Bereiche von den umfangreichen Verschlechterungen auf dem Gebiet der Sozialhilfe nennen können —, der hat mehr Grund und Anlaß, in sich zu gehen. Daß Sie in der Taschengeldfrage diesen Mut gefunden haben, zeichnet Sie immerhin aus.
Schönen Dank.

(Beifall bei der SPD und der FDP)


Richard Wurbs (FDP):
Rede ID: ID0910335000
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Eimer.

Norbert Eimer (FDP):
Rede ID: ID0910335100
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn wir heute eine Änderung von erst kürzlich geänderten Gesetzen vornehmen sollen, wie wir das vorschlagen, so sind wir, glaube ich, als Parlament, und zwar alle miteinander, in einer sehr unglücklichen Situation.

(Zuruf von der CDU/CSU: Nicht das Parlament, sondern die Regierung!)

— Ich glaube, Sie kennen die Geschichte des Gesetzes nicht. Ich würde da etwas vorsichtig sein mit Zwischenrufen.
Wir müssen etwas korrigieren, was uns über den Vermittlungsausschuß aufgedrängt wurde und dem wir uns, wenn wir es realistisch betrachten, überhaupt nicht entziehen konnten. Die öffentliche Debatte um die Kürzung des Taschengeldes und die Erhöhung der Eigenleistung bei Heimunterbringung behinderter Kinder erinnert mich jedenfalls in vielen Bereichen an ein Schwarzes-Peter-Spiel. Ich habe den Eindruck, Herr Kollege Kalisch, Sie haben sich heute wieder ein bißchen an diesem SchwarzenPeter-Spiel beteiligen wollen. Ich bin Ihnen allerdings sehr dankbar — das muß ich hier sagen —, daß Sie durch diesen Antrag deutlich machen, daß Sie auch bereit sind, hier etwas zu korrigieren. Wir sind ja darauf angewiesen, daß Sie hier mitmachen. Genauso wie das über den Bundesrat auf uns zugekommen ist, sind wir bei der Korrektur wieder auf den Bundesrat angewiesen. Ich glaube, dieses Zeichen sollten wir dankbar annehmen. Ich will auch das



Eimer (Fürth)

hier gleich deutlich sagen: Ich bin davon überzeugt, daß das, was uns die Länder hier eingebrockt haben, sicher nicht in böser Absicht geschehen ist.

(Zuruf von der SPD: Was?)

Ich habe den Eindruck — und das will ich den Kollegen durchaus zugute halten —, daß sie selbst darüber erschrocken waren, welche Auswirkungen die Formulierung des Vermittlungsausschusses in den Verwaltungen gebracht hat. Die Ergebnisse des Vermittlungsausschusses sind nämlich oft nicht nur ein Problem in der Sache, wie wir gesehen haben, sondern auch ein Problem für das Selbstverständnis des Parlaments insgesamt. Ich wäre froh, wenn das in der Diskussion etwas deutlicher geworden wäre. Ich glaube, der unwürdige Streit, der sich hier anschließt, ist dem Parlament insgesamt abträglich. Wir sollten daraus die Lehren ziehen.

(Zuruf von der CDU/CSU: Da haben Sie freilich recht!)

Ich sage das auch im Hinblick auf die Stilfrage. Wir werden morgen eine Diskussion haben, wahrscheinlich wieder in ähnlicher Besetzung, zu dem Zwischenbericht der Enquete-Kommission. Dort geht es auch um eine Stilfrage: wie wir den Jugendlichen Demokratie wieder etwas näher bringen können. Ich meine, wir sollten hier etwas darauf achten.
Leider haben einige Kollegen der Union — ich will nicht alle in den gleichen Topf schmeißen — vom eigenen schlechten Gewissen dadurch ablenken wollen, daß sie dem Kollegen Glombig die Schuld in dieser Sache in die Schuhe schieben wollen, indem sie vom „Glombig-Papier" gesprochen haben. Ich finde, das ist nicht richtig. Jedermann, der das Verfahren kennt, weiß genau, daß der Kollege Glombig in dieser Sache völlig unschuldig ist.

(Beifall bei der FDP und der SPD)

Als relativ Unbeteiligter wollte ich in dieser Sache nicht abseits stehen und mir zu dem Streit der beiden großen Parteien still die Hände reiben. Ich meine, es ist wichtig, daß man hier einen Kollegen verteidigt, der in dieser Sache unschuldig angegriffen wird.

(Beifall bei der FDP und der SPD)

Natürlich ist es uns Liberalen sympathisch, meine Damen und Herren von der Opposition, wenn bei Regelungen wie beim Taschengeld die eigene Leistung stärker berücksichtigt wird.

(Zuruf von der CDU/CSU: Sehr gut!)

Aber dem Vorschlag der Union, nämlich Rückkehr zum ursprünglichen Zustand, steht entgegen, daß die Länder, aufgeschreckt durch die öffentliche Meinung, versucht haben, ihren Murks durch unterschiedliche Regelungen wieder zu beseitigen. Ich glaube, es ist heute gar nicht mehr möglich, daß wir zu dieser alten Regelung zurückkehren. Das muß man realistischerweise sehen. Deswegen meine ich, es bleibt uns gar keine andere Lösung, als die, die zur Zeit von der Koalition vorgeschlagen wird. Ich glaube, wir sollten in der Öffentlichkeit nicht Erwartung wecken, als ob die Rückkehr zum alten Zustand möglich wäre.
Bei den Kosten für die Heimunterbringung ist ein Zurückgehen auf den alten Zustand möglich. Wir in der Koalition haben dies vorgesehen. In den Gesprächen mit betroffenen Eltern wurde mir immer wieder deutlich gemacht, daß diese durchaus bereit wären, einen höheren Eigenanteil als bisher als angemessen zu betrachten. Aber das, was die jetzt gültige Formulierung hergibt und was vor allem von der Verwaltung an Eigenleistungen gefordert wird, übersteigt nicht nur jedes realistische Maß von der Sache her, sondern ist im höchsten Grade unsozial.

(Immer [Altenkirchen] [SPD]: Richtig!)

Deswegen kann ich nur hoffen, daß unser Vorschlag zur Korrektur nicht wieder im Bundesrat hängenbleibt. Die Signale, die von den Bundesländern kommen, machen mir jedenfalls Hoffnung.

(Zuruf von der CDU/CSU: Nicht Signale — Anträge!)

Ich glaube, wir können durch eine sachlichere Diskussion, als dies bisher üblich war, hier im Haus dazu beitragen, daß wir uns gemeinsam auf eine Lösung einigen. Dann können wir auch die unfruchtbare Diskussion um die Schuldzuweisungen vergessen und haben die Aussicht, im Bundesrat nicht hängenzubleiben. — Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP und der SPD)


Richard Wurbs (FDP):
Rede ID: ID0910335200
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Der Ältestenrat schlägt vor, den Gesetzentwurf der Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache 9/1602 zu überweisen zur federführenden Beratung an den Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit sowie zur Mitberatung und zur Beratung gemäß § 96 unserer Geschäftsordnung an den Haushaltsausschuß. Ist das Haus mit den vorgeschlagenen Überweisungen einverstanden? — Dann ist so beschlossen.
Meine Damen und Herren, der Tagesordnungspunkt 12 ist bereits aufgerufen worden.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 13 bis 15 auf:
13. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 6. Mai 1981 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Volksrepublik Bangladesch über die Förderung und den gegenseitigen Schutz von Kapitalanlagen
— Drucksache 9/1619 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Ausschuß für Wirtschaft (federführend) Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit
14. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 17. Juli 1981 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Kanada



Vizepräsident Wurbs
zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und bestimmter anderer Steuern
— Drucksache 9/1620 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Finanzausschuß
15. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 9. Dezember 1980 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Königreich der Niederlande über die gemeinsame Information und Beratung der Schiffahrt in der Emsmündung durch Landradar- und Revierfunkanlagen
— Drucksache 9/1632 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Ausschuß für Verkehr
Wird das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall.
Der Ältestenrat schlägt Überweisung der Gesetzentwürfe auf den Drucksachen 9/1619, 9/1620 und 9/1632 an die Ausschüsse vor. Die Überweisungsvorschläge des Ältestenrats ersehen Sie aus der Tagesordnung. Ist das Haus mit diesen Überweisungsvorschlägen einverstanden? — Es erhebt sich kein Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich rufe Punkt 16 der Tagesordnung auf:
Beratung der Sammelübersicht 36 des Petitionsausschusses (2. Ausschuß) über Anträge zu Petitionen
— Drucksache 9/1627 —
Wird das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall.
Wir kommen zur Abstimmung. Wer der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses auf der Drucksache 9/1627, die in der Sammelübersicht 36 enthaltenen Anträge anzunehmen, zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenstimmen? — Enthaltungen? — Die Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses ist angenommen.
Ich rufe Punkt 17 der Tagesordnung auf:
Beratung der Übersicht 9 des Rechtsausschusses (6. Ausschuß) über die dem Deutschen Bundestag zugeleiteten Streitsachen vor dem Bundesverfassungsgericht
— Drucksache 9/1644 —
Wird das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall.
Wir kommen zur Abstimmung. Der Rechtsausschuß empfiehlt auf Drucksache 9/1644, von einer Äußerung oder einem Verfahrensbeitritt zu den in der vorgenannten Drucksache aufgeführten Streitsachen vor dem Bundesverfassungsgericht abzusehen. Ist das Haus mit dieser Regelung einverstanden? — Es erhebt sich kein Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich rufe Punkt 18 der Tagesordnung auf:
Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr (14. Ausschuß) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Vorschlag für eine Richtlinie des Rates (EWG) über Tarife im Linienflugverkehr zwischen Mitgliedstaaten
— Drucksachen 9/1088 Nr. 19, 9/1617 — Berichterstatter: Abgeordneter Tillmann
Wird das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall.
Wir kommen zur Abstimmung. Wer der Beschlußempfehlung des Ausschusses zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenstimmen? — Enthaltungen? — Die Beschlußempfehlung des Ausschusses ist angenommen.
Meine Damen und Herren, wir sind damit am Schluß unserer heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestags auf morgen, Freitag, den 28. Mai 1982, 9 Uhr ein.
Die Sitzung ist geschlossen.