Protokoll:
8211

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Metadaten
  • date_rangeWahlperiode: 8

  • date_rangeSitzungsnummer: 211

  • date_rangeDatum: 17. April 1980

  • access_timeStartuhrzeit der Sitzung: 09:00 Uhr

  • av_timerEnduhrzeit der Sitzung: 21:40 Uhr

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  • tocInhaltsverzeichnis
    Plenarprotokoll 8/211 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 211. Sitzung Bonn, Donnerstag, den 17. April 1980 Inhalt: Glückwünsche zu den Geburtstagen der Abg. Dr. h. c. Kiesinger, Dr. Gradl, Dr. Schäfer (Tübingen), Blumenfeld, Scheffler, Müller (Bayreuth) und Vizepräsident Dr. von Weizsäcker 16853A 16864 A Erweiterung der Tagesordnung . . . . 16853 B Beratung des Jahresgutachtens 1979/1980 des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung — Drucksache 8/3420 — in Verbindung mit Beratung des Jahreswirtschaftsberichts 1980 der Bundesregierung — Drucksache 8/3628 — Dr. Graf Lambsdorff, Bundesminister BMWi 16853B, 16928A Dr. Biedenkopf CDU/CSU 16864A Roth SPD 16871 A Dr. Haussmann FDP 16878 C Matthöfer, Bundesminister BMF . . . 16881 D Dr. Dollinger CDU/CSU 16885 C Junghans SPD 16911 D Gärtner FDP 16916A Pieroth CDU/CSU 16919B Dr. Jens SPD 16922 B Dr. Sprung CDU/CSU 16925 A Dr. Schwarz-Schilling CDU/CSU . . . 16934 B Dr. Narjes CDU/CSU 16937 C Beratung der Schlußempfehlung des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes (Vermittlungsausschuß) zu dem Gesetz zur Änderung des Fleischbeschaugesetzes und des Geflügelfleischhygienegesetzes — Drucksache 8/3836 — Schmidhuber, Staatsminister des Freistaates Bayern 16909 C Beratung der Beschlußempfehlung des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes (Vermittlungsausschuß) zu dem Gesetz über den Beruf des Logopäden — Drucksache 8/3837 — Pfeifer CDU/CSU 16910A Engelhard FDP 16910B Dr. Hammans CDU/CSU 16910 C II Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 211. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 17. April 1980 Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Zusatzprotokoll vom 10. Mai 1979 zum Europäischen Übereinkommen über den Schutz von Tieren beim internationalen Transport — Drucksache 8/3665 — Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten — Drucksache 8/3794 — 16941 B Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 25./29. Januar 1979 zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Europäischen Weltraumorganisation über die Anwendung des Artikels 20 des Protokolls vom 31. Oktober 1963 über die Vorrechte und Befreiungen der Organisation — Drucksache 8/3479 — Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung — Drucksache 8/3848 — 16941 B Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu der Vereinbarung vom 25. August 1978 zur Durchführung des Abkommens vom 25. Februar 1964 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Schweizerischen Eidgenossenschaft über soziale Sicherheit in der Fassung des Zusatzabkommens vom 9. September 1975 — Drucksache 8/3655 — Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung — Drucksache 8/3849 — 16941 C Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 7. April 1977 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Fürstentum Liechtenstein über Soziale Sicherheit — Drucksache 8/3656 — Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung — Drucksache 8/3850 — 16941 D Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum Übereinkommen vom 9. Dezember 1977 zwischen der Bundesrepublik Deutschland, dem Fürstentum Liechtenstein, der Republik Österreich und der Schweizerischen Eidgenossenschaft im Bereich der Sozialen Sicherheit und zu der Vereinbarung vom 28. März 1979 zur Durchführung dieses Übereinkommens — Drucksache 8/3657 — Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung — Drucksache 8/3851 — 16942 A Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Dr. Jenninger, Dr. Jobst, Röhner, Dr. George, Dr. Friedmann, Schröder (Lüneburg), Carstens (Emstek), Dr. von Wartenberg, Sauter (Epfendorf), Dr. Schulte (Schwäbisch Gmünd), Dr. Dregger, Kolb, Broll, Hanz, Spranger, Seiters, Glos, Susset, Dr. Waigel, Dr. Sprung, Dr. Warnke, Gerlach (Obernau), Dr. Miltner und Genossen eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Investitionszulagengesetzes — Drucksache 8/2780 — Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung — Drucksache 8/3774 Beschlußempfehlung und Bericht des Finanzausschusses — Drucksache 8/3771 — in Verbindung mit Zweite Beratung des von den Abgeordneten Engelsberger, Dr. Kreile, Dr. Warnke, Dr. Narjes, Dr. Waigel, Röhner, Dr. Jobst, Dr. Kunz (Weiden), Pohlmann, Dr. Voss, Niegel, Regenspurger, Kiechle, Haberl, Frau Fischer, Dr. Jenninger und Genossen und der Fraktion der CDU/CSU eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Investitionszulagengesetzes — Drucksache 8/3298 — Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung — Drucksache 8/3774 — Beschlußempfehlung und Bericht des Finanzausschusses — Drucksache 8/3771 — 16942 B Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Narjes, Dr. Marx, Dr. Mertes (Gerolstein), Dr. Dollinger, Dr. Stercken, Dr. von Geldern, Kittelmann, Dr. Klein (Göttingen), Dr. Hoffacker, Hüsch, Sick, Dr. Voss, Hartmann, Dr. Wittmann (München), Dr. Hupka, Kunz (Berlin), Dr. Ritz, Amrehn, Broll, Dr. Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 211. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 17. April 1980 III Hornhues, Schetter, Seiters, Graf Huyn, Hanz, Dr. Köhler (Wolfsburg), Dr. Hammans, Dr. Möller, Berger (Lahnstein), Würzbach, Werner, Dr. Sprung, Schröder (Wilhelminenhof), Dr. Wulff, Reddemann, Bahner, Frau Berger (Berlin) und der Fraktion der CDU/CSU III. VN-Seerechtskonferenz — Drucksache 8/3760 — in Verbindung mit Beratung des Antrags der Fraktionen der SPD, FDP Dritte Seerechtskonferenz — Drucksache 8/3910 — Dr. von Geldern CDU/CSU 16943 B Dr. Corterier SPD 16945 A Angermeyer FDP 16946 B Dr. von Dohnanyi, Staatsminister AA . 16947 D Kittelmann CDU/CSU 16949 C Grunenberg SPD 16952 A Frau Schuchardt FDP 16953 C Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Raumordnungsbericht 1978 zu dem Antrag der Abgeordneten Frau Pack, Dr. Dollinger, Dr. Jahn (Münster), Dr. Schneider, Dr. Möller, Sauter (Epfendorf), Sick, Dr. Ritz, Dr. Waffenschmidt, Nordlohne, Francke (Hamburg), Kolb, Niegel, Eymer (Lübeck), Dr. van Aerssen, Dr. Freiherr Spies von Büllesheim, Burger, Dr. Warnke, Dr. George, Schedl, Dr. Unland, Frau Hoffmann (Hoya), Milz, Dr. Jobst, Feinendegen, Geisenhofer, Biehle, Neuhaus, Müller (Berlin), Susset und der Fraktion der CDU/ CSU Raumordnung — Drucksachen 8/2378, 8/1656, 8/3674 — Frau Pack CDU/CSU 16956A Immer (Altenkirchen) SPD 16958 B Gattermann FDP 16960 D Dr. Haack, Bundesminister BMBau . . . 16962 B Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen zu dem Antrag der Abgeordneten Pfeffermann, Dr. Schulte (Schwäbisch Gmünd), Sick, Dr. Jobst, Schröder (Lüneburg), Dr. Stavenhagen, Weber (Heidelberg), Lenzer, Straßmeir, Dr. Friedmann, Dr. Freiherr Spies von Büllesheim, Dr. Riesenhuber, Wissmann, Dr. Langguth, Bühler (Bruchsal), Dr. Stark (Nürtingen) und Genossen und der Fraktion der CDU/CSU Förderung des Einsatzes von Elektrofahrzeugen — Drucksachen 8/2691, 8/3784 — . . . 16965 A Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Stavenhagen, Lenzer, Dr. Probst, Pfeifer, Benz, Engelsberger, Gerstein, Dr. Hubrig, Dr. Riesenhuber, Dr. Freiherr Spies von Büllesheim, Dr. Laufs, Pfeffermann, Frau Dr. Walz, Dr. Müller-Hermann, Metz, Kolb, Frau Fischer und der Fraktion der CDU/ CSU Raumfahrtpolitik — Drucksache 8/3438 — Dr. Stavenhagen CDU/CSU 16965 B Frau Erler SPD 16967 A Dr.-Ing. Laermann FDP 16968 B Stahl, Parl. Staatssekretär BMFT . . . 16970B Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 21. Dezember 1979 zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung der Deutschen Demokratischen Republik auf dem Gebiet des Veterinärwesens — Drucksache 8/3875 — 16971 C Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über die Aufgaben des Bundes auf dem Gebiet der Binnenschiffahrt — Drucksache 8/3795 — 16971 C Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Untersuchung von Seeunfällen (Seeunfalluntersuchungsgesetz) — Drucksache 8/3828 — 16971 D Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Weingesetzes — Drucksache 8/3829 — 16971 D Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für innerdeutsche Beziehungen zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung • Erweiterter Verkehrswegeplan für das Zonenrandgebiet hier: Bericht des Bundesministers für Verkehr 1978 über den Fortgang der Verkehrserschließung des Zonenrandgebietes — Drucksachen 8/2521, 8/3786 — . . . 16972A IV Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 211. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 17. April 1980 Beratung der Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses zu dem Entschließungsantrag der Fraktion der CDU/CSU zur dritten Beratung des Haushaltsgesetzes 1980 hier: Einzelplan 09 — Geschäftsbereich des Bundesministers für Wirtschaft — Drucksachen 8/3493, 8/3775 — . . . 16972A Beratung der Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses zu der Unterrichtung durch den Bundesminister der Finanzen Überplanmäßige Ausgaben bei Kap. 10 02 Tit. 656 51 — Altershilfe für Landwirte — und bei Kap. 10 02 Tit. 656 55 — Krankenversicherung der Landwirte — im Haushaltsjahr 1979 — Drucksachen 8/3515, 8/3776 — . . . 16972B Beratung des Berichts des Ausschuses für Wirtschaft zu der aufhebbaren Einundvierzigsten Verordnung zur Änderung der Ausfuhrliste — Anlage AL zur Außenwirtschaftsverordnung — aufhebbaren Fünfundsiebzigsten Verordnung zur Änderung der Einfuhrliste — Anlage zum Außenwirtschaftsgesetz — aufhebbaren Fünfundvierzigsten Verordnung zur Änderung der Außenwirtschaftsverordnung — Drucksachen 8/3645, 8/3646, 8/3647, 8/3831 — 16972 C Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Vorschlag einer Richtlinie des Rates über die Zulassung reinrassiger Zuchtrinder zur Zucht — Drucksachen 8/3509 Nr. 17, 8/3793 — 16972 D Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Finanzausschusses zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Vorschlag einer Richtlinie des Rates betreffend die gemeinschaftsrechtliche Regelung der Mehrwertsteuer und der Verbrauchsteuern auf den Bordbedarf von Luft- und Wasserfahrzeugen sowie Zügen im grenzüberschreitenden Verkehr — Drucksachen 8/3670 Nr. 29, 8/3798 — 16972 D Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Vorschlag einer Verordnung (EWG) des Rates über die Erhebung einer Gebühr durch die Gemeinschaft für Lizenzen für den Lachsfang durch Schiffe unter der Flagge eines Mitgliedstaates der Gemeinschaft in der schwedischen Fischereizone — Drucksachen 8/3339 Nr. 16, 8/3832 — 16972 D Beratung der Sammelübersicht 66 des Petitionsausschusses über Anträge zu Petitionen — Drucksache 8/3909 — 16973 C Fragestunde — Drucksache 8/3899 vom 11. 04. 1980 — Vereinbarkeit der Schließung von Zweigstellen des Goethe-Instituts in Kleinstädten und der Errichtung von Neubauten in Großstädten mit dem Bundesraumordnungsprogramm MdLAnfr A61 11.04.80 Drs 08/3899 Dr. Müller CDU/CSU Antw StMin Dr. von Dohnanyi AA . 16891A, B, C ZusFr Dr. Müller CDU/CSU 16891 B, C Politik der Bundesregierung im Bereich der nuklearen Mittelstreckenwaffen MdlAnfr A62 11.04.80 Drs 08/3899 Graf Stauffenberg CDU/CSU MdlAnfr A63 11.04.80 Drs 08/3899 Graf Stauffenberg CDU/CSU Antw StMin Dr. von Dohnanyi AA . . . 16891D, 16892 A, B, C, D, 16893A,B,C ZusFr Graf Stauffenberg CDU/CSU . . . 16891D, 16892A, B, C ZusFr Dr. Hupka CDU/CSU 16892A, D ZusFr Dr. Möller CDU/CSU 16892 C ZusFr Horn SPD 16892 D ZusFr Pawelczyk SPD 16893 A ZusFr Werner CDU/CSU 16893A ZusFr Rawe CDU/CSU 16893 B ZusFr Dr. Corterier SPD 16893 B Aussagen des Staatsministers Dr. von Dohnanyi zur Oder-Neiße-Linie und Auswirkungen auf einen möglichen Friedensvertrag MdlAnfr A64 11.04.80 Drs 08/3899 Dr. Czaja CDU/CSU MdlAnfr A65 11.04.80 Drs 08/3899 Dr. Czaja CDU/CSU Antw StMin Dr. von Dohnanyi AA . . 16893 C, D, 16894 A, B, C, D, 16895 A ZusFr Dr. Czaja CDU/CSU . 16893 C, D, 16894C ZusFr Polkehn SPD 16894A ZusFr Dr. Hupka CDU/CSU . . 16894A, 16895A Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 211. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 17. April 1980 V ZusFr Jäger (Wangen) CDU/CSU . . . 16894B,D ZusFr Becker (Nienberge) SPD 16894 D Ausklammerung der Menschenrechtssituation Deutscher in Polen bei Äußerungen Staatsminister Dr. von Dohnanyis zur KSZE-Folgekonferenz in Madrid MdlAnfr A66 11.04.80 Drs 08/3899 Jäger (Wangen) CDU/CSU MdlAnfr A67 11.04.80 Drs 08/3899 Jäger (Wangen) CDU/CSU Antw StMin Dr. von Dohnanyi AA . 16895 B, C, D, 16896 A, B, C, D ZusFr Jäger (Wangen) CDU/CSU . . . 16895 B, C, 16896A ZusFr Sauer (Salzgitter) CDU/CSU . . . 16895 C ZusFr Dr. Czaja CDU/CSU . . 16895D, 16896C ZusFr Dr. Schweitzer SPD 16896 B ZusFr Dr. Hupka CDU/CSU 16896 C Haltung des Staatsministers Dr. von Dohnanyi zur Massenvertreibung Deutscher; Ausklammerung einer negativen Darstellung der deutsch-polnischen Schulbuchkonferenz beim Zitieren einer Rede des Bundeskanzlers MdlAnfr A68 11.04.80 Drs 08/3899 Sauer (Salzgitter) CDU/CSU MdlAnfr A69 11.04.80 Drs 08/3899 Sauer (Salzgitter) CDU/CSU Antw StMin Dr. von Dohnanyi AA . . . 16896D, 16897 A, B, C, D, 16898A, B, C ZusFr Sauer (Salzgitter) CDU/CSU . . . 16896D, 16897A B ZusFr Jäger (Wangen) CDU/CSU . . . . 16897B ZusFr Dr. Hupka CDU/CSU 16897 C ZusFr Dr. Schweitzer SPD 16897 C ZusFr Dr. Czaja CDU/CSU 16897 D ZusFr Polkehn SPD 16898A ZusFr Broll CDU/CSU 16898 B ZusFr Frau Dr. Balser SPD 16898 C ZusFr Becker (Nienberge) SPD 16898 C Darstellung der deutschen Geschichte in polnischen Schulbüchern; Bezeichnung der Vertreibung nach Empfehlungen der deutsch-polnischen Schulbuchkonferenz MdlAnfr A70 11.04.80 Drs 08/3899 Dr. Hupka CDU/CSU MdlAnfr A71 11.04.80 Drs 08/3899 Dr. Hupka CDU/CSU Antw StMin Dr. von Dohnanyi AA . . . 16898D, 16899A,B,C,D, 16900A,C,D, 16901A,B,C,D ZusFr Dr. Hupka CDU/CSU . 16898D, 16899A D ZusFr Sauer (Salzgitter) CDU/CSU . . . 16899A ZusFr Jäger (Wangen) CDU/CSU . . . . 16899B, 16900 D ZusFr Dr. Czaja CDU/CSU . . 16899B, 16901 A ZusFr Broll CDU/CSU 16900A ZusFr Thüsing SPD 16900 B ZusFr Dr. Hennig CDU/CSU 16901 B ZusFr Ey CDU/CSU 16901 C Durchführung des deutschpolnischen Kulturaustausches durch auf kommunaler Ebene tätige Vereinigungen MdlAnfr A72 11.04.80 Drs 08/3899 Kittelmann CDU/CSU Antw StMin Dr. von Dohnanyi AA . 16902 B, C, D, 16903 A, B, C ZusFr Kittelmann CDU/CSU 16902B, C ZusFr Dr. Becher (Pullach) CDU/CSU . 16902D ZusFr Sauer (Salzgitter) CDU/CSU . . 16902D ZusFr Dr. Hupka CDU/CSU 16903 A ZusFr Jäger (Wangen) CDU/CSU . . . 16903B ZusFr Dr. Czaja CDU/CSU 16903 C Auffassung des Staatsministers Dr. von Dohnanyi zur Existenz des bipolaren Gleichgewichts zwischen Europa, der Sowjetunion und den USA MdlAnfr A76 11.04.80 Drs 08/3899 Dr. Hoffacker CDU/CSU Antw StMin Dr. von Dohnanyi AA .. . 16903D, 16904A, B, C, D, 16905 A ZusFr Dr. Hoffacker CDU/CSU . . . . 16903D ZusFr Dr. Czaja CDU/CSU 16904A ZusFr Jäger (Wangen) CDU/CSU . . . 16904B ZusFr Werner CDU/CSU 16904 C ZusFr Broll CDU/CSU 16904 D ZusFr Dr. Möller CDU/CSU 16905 A Zusammenhang der Vertragstreue der Bundesrepublik Deutschland mit eventuellen multi- und bilateralen Maßnahmen gegen den sowjetischen Einmarsch in Afghanistan MdlAnfr A77 11.04.80 Drs 08/3899 Dr. Hennig CDU/CSU Antw StMin Dr. von Dohnanyi AA . 16905 B, C, D ZusFr Dr. Hennig CDU/CSU 16905 B ZusFr Dr. Czaja CDU/CSU 16905 C ZusFr Horn SPD 16905 D Inhaltliche Verbesserung der Braunschweiger deutsch-polnischen Schulbuchempfehlungen MdlAnfr A80 11.04.80 Drs 08/3899 Werner CDU/CSU Antw StMin Dr. von Dohnanyi AA . . . 16905D, 16906AB,C,D, 16907A VI Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 211. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 17. April 1980 ZusFr Werner CDU/CSU 16906A,B ZusFr Dr. Becher (Pullach) CDU/CSU . 16906 C ZusFr Jäger (Wangen) CDU/CSU . . . 16906 D ZusFr Dr. Hupka CDU/CSU 16907 A Unterstützung der Verfolgungskampagnen lateinamerikanischer Militärdiktatoren gegen fortschrittliche Christen durch den Geheimdienst CIA MdlAnfr A81 11.04.80 Drs 08/3899 Thüsing SPD Antw StMin Dr. von Dohnanyi AA . . 16907B ZusFr Thüsing SPD 16907 B ZusFr Sauer (Salzgitter) CDU/CSU . . 16907 B Ausschaltung der Rassendiskriminierung aus dem deutsch-südafrikanischen Kulturabkommen MdlAnfr A82 11.04.80 Drs 08/3899 Thüsing SPD Antw StMin Dr. von Dohnanyi AA . . 16907 C, D ZusFr Thüsing SPD 16907 C ZusFr Frau Erler SPD 16907 D Überwachung deutscher Touristen während der Olympischen Spiele in Moskau MdlAnfr A84 11.04.80 Drs 08/3899 Dr. Möller CDU/CSU Antw StMin Dr. von Dohnanyi AA . . 16908A,B ZusFr Dr. Möller CDU/CSU 16908A Unterstützung der Maßnahmen des amerikanischen Präsidenten gegenüber dem Iran durch die Bundesregierung MdlAnfr A85 11.04.80 Drs 08/3899 Dr. Möller CDU/CSU Antw StMin Dr. von Dohnanyi AA . 16908 B, C, D, 16909A, B ZusFr Dr. Möller CDU/CSU 16908 C ZusFr Dr. Czaja CDU/CSU 16908 D ZusFr Thüsing SPD 16908 D ZusFr Jäger (Wangen) CDU/CSU . . . . 16909A ZusFr Dr. Hupka CDU/CSU 16909A ZusFr Broll CDU/CSU 16909 B Nächste Sitzung 16973 C Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten . 16975* A Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 211. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 17. April 1980 16853 211. Sitzung Bonn, den 17. April 1980 Beginn: 9.00 Uhr
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    Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Dr. Abelein 25. 4. Dr. van Aerssen* 18. 4. Dr. Aigner* 18. 4. Alber* 18. 4. Dr. Bangemann* 18. 4. Blumenfeld* 18. 4. Brandt* 18. 4. Feinendegen 18. 4. Fellermaier* 18. 4. Flämig** 18. 4. Frau Dr. Focke* 18. 4. Franke 25. 4. Friedrich (Würzburg) * 18. 4. Dr. Früh* 18. 4. Dr. Fuchs* 18. 4. von Hassel* 18. 4. * für die Teilnahme an Sitzungen des Europäischen Parlaments ** für die Teilnahme an Sitzungen der Nordatlantischen Versammlung Anlage zum Stenographischen Bericht Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Katzer* 18. 4. Dr. h. c. Kiesinger 18. 4. Dr. Klepsch 25. 4. Dr. Köhler (Duisburg) * 18. 4. Lange* 18. 4. Dr. Luda 25. 4. Lücker* 18. 4. Luster * 18. 4. Dr. Marx 25. 4. Dr. Müller-Hermann* 18. 4. Dr. Pfennig * 18. 4. Picard 18. 4. Frau Schleicher* 18. 4. Schulte (Unna) 18. 4. Dr. Schwencke (Nienburg) * 18. 4. Seefeld* 18. 4. Dr. Starke (Franken) 17. 4. Dr. Steger 17. 4. - Stöckl 18. 4. Sybertz 25. 4. Tönjes 25. 4. Frau Tübler 25. 4. Frau Dr. Walz* 18. 4. Wawrzik* 18. 4. Wischnewski 18. 4. Ziegler 18. 4.
Gesamtes Protokol
Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID0821100000
Die Sitzung ist eröffnet.
Vor Eintritt in die Tagesordnung kann ich einigen Mitgliedern des Hauses zu runden oder entsprechend fortgeschrittenen Geburtstagen gratulieren. Es haben der Abgeordnete Kiesinger seinen 76. Geburtstag, der Abgeordnete Dr. Gradl seinen 76. Geburtstag, der Abgeordnete Dr. Schäfer (Tübingen) seinen 65. Geburtstag, der Abgeordnete Blumenfeld seinen 65. Geburtstag, der Abgeordnete Scheffler und der Abgeordnete Müller (Bayreuth) ihren 60. Geburtstag gehabt. Die herzlichen Glückwünsche des Hauses und alles Gute!

(Beifall)

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung soll die heutige Tagesordnung um die Beratungspunkte ergänzt werden, die in der Ihnen vorliegenden Liste „Zusatzpunkte zur Tagesordnung" aufgeführt sind:
1. Beratung des Antrags der Fraktionen der SPD, FDP Dritte Seerechtskonferenz (Drucksache 8/3910) (Zu Punkt 11 TO)
Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuß (federführend)

Ausschuß für Wirtschaft
Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit
2. Beratung der Sammelübersicht 66 des Petitionsausschusses über Anträge zu Petitionen (Drucksache 8/3909)

Ist das Haus damit einverstanden? — Ich sehe keinen Widerspruch. Es ist so beschlossen.
Ich rufe Punkt 4 der Tagesordnung auf:
a) Beratung des Jahresgutachtens 1979/1980 des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung
— Drucksache 8/3420 —
b) Beratung des Jahreswirtschaftsberichts 1980 der Bundesregierung
- Drucksache 8/3628 —
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Herr Bundesminister für Wirtschaft.

Dr. Graf Otto Lambsdorff (FDP):
Rede ID: ID0821100100
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Die Aussprache des Deutschen Bundestages über den Jahreswirtschaftsbericht der Bundesregierung und das Sachverständigengutachten dient dazu, in einer sachlichen und intensiven Diskussion den von der Bundesregierung vorgeschlagenen Kurs der Wirtschaftspolitik zu prüfen und festzustellen, wie breit die parlamentarische Unterstützung dafür ist und ob es realistische Alternativen zu dieser Wirtschaftspolitik gibt.
Dem Jahreswirtschaftsbericht geht jeweils im November eine ausführliche Diagnose der wirtschaftspolitischen Konstellation voraus. Sie ist die Ausgangsgrundlage für die Überlegungen und Entscheidungen der Regierung im Zusammenhang mit dem Jahreswirtschaftsbericht. Im Namen der Bundesregierung darf ich dem Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung für sein Jahresgutachten 1979/80 auch an dieser Stelle ;loch einmal ausdrücklich danken.
Der Rat versteht sich als unabhängiger und objektiver Prüfer der Wirtschaftsentwicklung und als unvoreingenommener Wegweiser zu den Lösungsmöglichkeiten der akuten wirtschaftspolitischen Probleme. Er muß über den Interessen stehen. Das ist sein gesetzlicher Auftrag, und er ist ihm, wie wir meinen, mit dem Jahresgutachten 1979/80 gerecht geworden.
Zwischen der Vorlage des Gutachtens des Sachverständigenrates und der des Jahreswirtschaftsberichts, also von November bis Januar, sind allerdings wichtige, die Weltwirtschaft schwer belastende Veränderungen eingetreten. Über die inzwischen zusätzlich eingetretenen Risiken spreche ich später.
Die drastische Ölverteuerung im Zusammenhang mit der OPEC-Konferenz in Caracas bedeutet ohne Zweifel eine schwere Belastung der Weltkonjunktur und auch der deutschen Wirtschaft. Sie dämpft die reale Binnennachfrage, sie vergrößert die ohnehin vorhandenen Preisrisiken, und sie beeinträchtigt weltweit die Grundstimmung in der Wirtschaft. Andererseits kann sie aber auch eine internationale Welle von Investitionen zur Einsparung und Substitution von 01 nach sich ziehen, an denen die deutsche Wirtschaft auf Grund ihres hohen technologischen Standes und ihrer breiten Angebotspalette überproportional teilhaben könnte. Ich glaube, daß diese Mutmaßung auch angesichts des Ein-



Bundesminister Dr. Graf Lambsdorff
drucks, den ich gestern auf der Hannover-Messe gewinnen konnte, zutrifft.
Möglich und wahrscheinlich ist darüber hinaus eine gewisse Mehrnachfrage der OPEC-Staaten, die sich allerdings nicht in der Größenordnung der Jahre nach der Ölkrise 1973/74 bewegen und die auch mit größerer Verzögerung an den Markt kommen wird. Noch ist allerdings andererseits nicht die Gefahr gebannt, daß von den Ereignissen in Teheran und Afghanistan weitere Belastungen für die Weltwirtschaft ausgehen, die die Wachstumskräfte lähmen. Möglich sind aber von daher auch, zumindest kurzfristig, gewisse stimulierende Nachfrageimpulse auf Grund spekulativer Rohstoffeinkäufe, die ihrerseits allerdings auch beträchtliche Inflationsrisiken einschließen.
Vor diesem Hintergrund hat die Bundesregierung am 30. Januar den Jahreswirtschaftsbericht abschließend beraten und damit auch die Eckwerte für die Jahresprojektion verabschiedet. Inzwischen ist genügend Zeit verstrichen, um in dieser Debatte die Frage beantworten zu können, ob die Bundesregierung einen realistischen Jahreswirtschaftsbericht vorgelegt hat und ob sie ein adäquates wirtschaftspolitisches Programm verfolgt. Ich kann meine Antwort vorwegnehmen: der Jahreswirtschaftsbericht ist auch in seiner Grundaussage weiterhin gültig. Es besteht kein Anlaß, ihn zu revidieren — was angesichts der geänderten weltpolitischen Lage manchen überraschen mag. Das erste Quartal 1980 hat gezeigt, daß ein Wirtschaftswachstum von rund 2,5 % erreichbar sein könnte und daß es gelingen kann, die Zahl der Arbeitslosen auf 3,5 bis 4% der unselbständigen Erwerbspersonen zu begrenzen.
Die Entwicklung der Verbraucherpreise zu stabilisieren, ist unsere wichtigste Aufgabe. Wir haben schon bei der Vorlage des Jahreswirtschaftsberichts ausdrücklich darauf hingewiesen, daß unser Preisziel ehrgeizig ist. Ehrgeiz ist hier aber auch geboten. Insbesondere auf Grund der Entwicklung der Einfuhrpreise ist dieses Preisziel aus heutiger Sicht besonders gefährdet. Daß sich das Defizit in der Leistungsbilanz auf Grund der Verteuerung der Öleinfuhren beträchtlich erhöhen und der nominale Außenbeitrag weitgehend abgebaut werden wird, begründet, warum die Bundesregierung im Jahreswirtschaftsbericht von allen die Bereitschaft zur Zusammenarbeit, Leistung und Strukturveränderung fordert. Aus heutiger Sicht dürfte das zu erwartende Leistungsbilanzdefizit sogar eher über 20 Milliarden DM ausfallen.
Zur aktuellen wirtschaftlichen Lage gut zwei Monate nach der Verabschiedung des Jahreswirtschaftsberichts können wir feststellen, daß sich die Befürchtungen, die in verschiedenen Herbstprognosen hinsichtlich des Wachstums zum Ausdruck gekommen waren, bisher nicht bewahrheitet haben. Einerseits haben sich die dämpfenden Einflüsse in der Weltwirtschaft insgesamt nicht in dem von vielen befürchteten Ausmaß durchgesetzt. Andererseits hat sich das Wachstum der deutschen Wirtschaft bisher als recht widerstandsfähig erwiesen. Die nach wie vor positive Grundtendenz ist jedenfalls nicht zu übersehen. Vielleicht liegt das an der
gegenüber 1973/74 deutlich besseren Ausgangslage der deutschen Wirtschaft.
Aber wir wollen uns dabei keiner falschen Selbstzufriedenheit hingeben. Auch wir sind von den negativen Auswirkungen der gestiegenen Ölpreise und der veränderten weltpolitischen Lage schwer belastet. Das wird für uns alle schon an den deutlich gestiegenen Preissteigerungsraten sichtbar, welche die in dieser Hinsicht ja auch nicht gerade optimistischen Herbstprognosen im negativen Sinne übertroffen haben. Die Inflationseffekte des gestiegenen Ölpreises und der ebenfalls weiter gestiegenen Rohstoffpreise sind in den letzten Monaten bis zum Verbraucher durchgeschlagen.
Die staatliche Wirtschaftspolitik, die konsequent auf die Verbesserung der wachstumspolitischen Rahmenbedingungen ausgerichtet blieb, hat wesentlich dazu beigetragen, daß die Konjunktursonne trotz allem immer noch scheint. Aber diese Politik bedarf der Unterstützung durch die Tarifpartner und durch die Unternehmen. Trotz der damit verbundenen erheblichen Kostenbelastungen zeigen die bisherigen Tarifabschlüsse, daß die Tarifpartner in ihre Entscheidungen ein erhebliches Maß an gesamtwirtschaftlicher Verantwortung eingebracht haben. Jetzt sind vor allem die Unternehmen mit ihrer Preispolitik gefordert, äußerste Zurückhaltung zu üben.

(Beifall bei der SPD)

Für die Vergangenheit hätten wir uns im Einzelfall
ein bißchen mehr Preisdisziplin vorstellen können.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD — Unruhe bei der CDU/CSU)

Meine Damen und Herren, neben der Beurteilung der Geschäftslage, die sich weiterhin auf einem hohen Niveau bewegt, und der gegenüber dem Vormonat deutlich verbesserten Geschäftserwartungen spricht auch die Entwicklung der aktuellen Konjunkturindikatoren — ich greife hier beispielhaft die weiterhin hohen Auftragseingänge, die überraschend hohen Einzelhandelsumsätze und das weiterhin hohe Produktionsniveau zum Jahresbeginn heraus — dagegen, daß der von manchen schon seit Monaten prophezeite Konjunktureinbruch unmittelbar vor der Tür steht. Sicherlich werden wir — wie im Jahreswirtschaftsbericht dargestellt — im weiteren Verlauf mit einer gewissen Abschwächung rechnen müssen. Die Annahme, daß es schon bald zu einer abrupten Verschlechterung kommt, findet im gegenwärtigen Datenbild aber keine Stütze. Dabei ist allerdings vorausgesetzt, daß sich die weltwirtschaftlichen Rahmendaten im weiteren Jahresverlauf nicht weiter gravierend verändern.
Ich denke, daß an dieser Stelle auch hier vor dem Hause ein Hinweis auf die aktuelle internationale Diskussion, ihre Risiken und die Folgen für unsere Wirtschaftsbeziehungen und auch unsere Außenhandelsbeziehungen notwendig ist. Die Stichworte Afghanistan und Iran machen diesen Problemkreis deutlich.
Zu Afghanistan: Wir haben von Beginn dieser Entwicklung an unseren amerikanischen Partnern



Bundesminister Dr. Graf Lambsdorff
versichert, daß die deutsche Wirtschaft nicht in Verträge mit der Sowjetunion eintreten wird, die amerikanische Unternehmen auf Weisung ihrer Regierung nicht abschließen oder nicht erfüllen können. Es besteht auf beiden Seiten Übereinstimmung dahin, daß Vertragsbrüche nicht vorkommen dürfen, sondern daß bestehende Verträge und Abmachungen eingehalten werden müssen.
Wir haben uns weiter dahin verständigt, daß wir das sogenannte COCOM-Verfahren, also die Begrenzung und die Genehmigungspflicht für die Lieferung strategisch-militärischer Güter in die Sowjetunion, miteinander überprüfen und erforderlichenfalls — dieses Erfordernis dürfte vorliegen — strikter und stringenter handhaben werden. Vorschläge unserer amerikanischen Partner hierzu liegen vor. Sie werden im Geiste dieser Zusage geprüft. Aber wir glauben nicht, meine Damen und Herren, daß eine rein sektorale oder volumenmäßige Begrenzung der Zielsetzung von COCOM gerecht wird. Vielmehr muß es sich hier um den Inhalt der Lieferungen, um die Art der gelieferten Gegenstände handeln, an denen die Entscheidungskriterien — wie in der Vergangenheit so auch in Zukunft — angebunden werden müssen.
Im übrigen besteht weiter volles Einvernehmen zwischen den Vereinigten Staaten und ihren Partnern, daß es sich hier um Lieferungen in die Sowjetunion handeln muß und daß nicht etwa die übrigen Staaten des Comecon von gleichen Restriktionen und von gleichen Maßnahmen betroffen werden sollen. Hier gibt es, wie gesagt, überhaupt keine Meinungsverschiedenheiten. Das erklärt auch, daß ich vor kurzem zu wirtschaftspolitischen Gesprächen in Warschau gewesen bin und die Absicht habe, in einigen Wochen nach Ungarn und Rumänien zu fahren.
Natürlich gilt dies — aus unserer Sicht gesehen — in besonderem Maße auch für die Beziehungen zwischen der Bundesrepublik und der Deutschen Demokratischen Republik. Sie wissen, daß das Mitglied des SED-Politbüros und der für Wirtschaftsfragen zuständige oberste Verantwortliche der Deutschen Demokratischen Republik, Herr Dr. Mittag, in diesen Tagen in Bonn ist. Ich habe gestern abend ein konstruktives und vernünftiges Gespräch über die wirtschaftlichen Beziehungen zwischen der Bundesrepublik und der DDR mit Herrn Mittag geführt. Wir stimmen überein, daß beide Seiten an der Festigung und an der Ausweitung dieser wirtschaftlichen Beziehungen interessiert sind. Wir haben im Jahre 1979 eine Ausweitung der Handelsbeziehungen erlebt — zwar nicht in erheblichem Maße, aber auf dem allgemeinen weltwirtschaftlichen Hintergrund ist das ein zufriedenstellendes Ergebnis. So wird es jedenfalls von beiden Seiten beurteilt. Es sind zur Zeit Gespräche über die Lieferung größerer Anlagenprojekte aus der Bundesrepublik in die DDR auf der Tagesordnung. Hier wird mit Firmen und Unternehmen aus der Bundesrepublik verhandelt.
Es war für uns eine wichtige Einzelheit aus dem Gespräch gestern abend, daß die verantwortlichen Instanzen der Deutschen Demokratischen Republik Verstöße gegen die Regeln des innerdeutschen
Handels, wie sie bei Drittlandseinfuhren im Textilbereich leider festgestellt werden mußten, verfolgen und ahnden werden und solche Verstöße keinesfalls zu decken beabsichtigen. Dies ist eine hilfreiche Erklärung, weil solche Verstöße das Gesamtgeflecht des innerdeutschen Handels — auch in seinen Beziehungen zu den Bestimmungen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft — gefährden könnten. Beide Seiten sind sich einig, daß man daran nicht interessiert sein kann.
Es wurde schließlich, meine Damen und Herren, im Grundsätzlichen — da heute noch ein Gespräch zwischen Herrn Dr. Mittag und dem Herrn Bundeskanzler stattfindet, habe ich mich gestern abend auf die wirtschaftlichen Probleme und deren Erörterung beschränkt — Übereinstimmung darüber erzielt, daß wirtschaftliche und handelspolitische Beziehungen zum friedlichen Miteinander beitragen, dieses friedliche Miteinander und den Frieden generell aber nicht ersetzen können.
Zweites Stichwort: Iran. Meine Damen und Herren, ich glaube, es besteht Übereinstimmung darin, daß das Verhalten der amerikanischen Regierung in den vergangenen sechs Monaten — so lange dauert diese Geiselnahme, die Folge eines unglaublichen Völkerrechtsbruchs, jetzt schon an — alle Schärfen vermieden hat, daß die Verbindungen von Geduld und Festigkeit und die Haltung des amerikanischen Volkes in der Bundesrepublik große Bewunderung gefunden haben.
Wir stimmen mit der Regierung der Vereinigten Staaten darin überein, daß der Zeitpunkt gekommen ist, in dem nunmehr Solidarität mit den Vereinigten Staaten von ihren Partnern nicht nur erklärt werden darf, sondern durch Handlungen und Taten auch bewiesen werden muß.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Unter diesem Gesichtspunkt prüfen wir die Notwendigkeit und die Möglichkeit wirtschaftlicher Sanktionen.
Es ist selbstverständlich, daß wir uns darum bemühen, solche Sanktionen gemeinsam mit unseren Partnern in der Europäischen Gemeinschaft durchzuführen. Das ist schon deswegen selbstverständlich, weil das Maß der erzielten Wirkung — an dem man ja, wie wir alle wissen, ohnehin zweifeln kann — sicher davon abhängt, daß nicht einer oder zwei oder drei allein dies betreiben, sondern man es gemeinsam tut.
Die Bundesregierung hat darauf aufmerksam gemacht, daß nach ihrer Überzeugung der Art. 113 der. Römischen Verträge die notwendige rechtliche Grundlage für ein gemeinschaftliches Vorgehen bietet, und sie wird in der Sitzung des Ministerrates in der nächsten Woche mit den Partnern darüber reden.
Wir haben hinzugefügt — das ist manchmal mißverstanden worden, und deshalb will ich das aufklären —, daß wir im Außenwirtschaftsgesetz auch nationale Rechtsgrundlagen haben, um durch nationale Entscheidungen zu solchen Maßnahmen zu



Bundesminister Dr. Graf Lambsdorff
kommen. Dies bedeutet nicht, daß wir etwa anstrebten, einen Alleingang zu unternehmen. Schon wegen des von mir erwähnten Wirkungsgrades wäre dies höchst unerwünscht. Wir gehen auch mit Sicherheit davon aus, daß dann, wenn wider Erwarten eine gemeinschaftliche Haltung nicht zustande kommen sollte — ich hoffe, daß das eine sehr theoretische Annahme bleibt —, die Mehrheit unserer Partner in Europa auf alle Fälle bereit sein wird, gemeinsam mit uns und anderen die notwendigen Schritte zu unternehmen.
Meine Damen und Herren, dies ist für den Wirtschaftminister der Bundesrepublik keine erfreuliche Situation und auch keine angenehme Ankündigung, denn natürlich sind damit volkswirtschaftliche Kosten und in einzelnen Bereichen auch für einzelne Unternehmen Kosten verbunden. Aber es kommt wohl im gegenwärtigen Zeitpunkt darauf an, die Maßnahmen zu ergreifen, die weitere Risiken — die ja auch in der Öffentlichkeit diskutiert werden — ausschließen, um mindestens Zeit zu gewinnen, in der man vielleicht doch noch darauf hoffen kann, daß auf der anderen Seite das Maß an Vernunft und Rechtsachtung einkehrt, das wir für notwendig halten. Unter diesem Gesichtspunkt der Risikominimierung halten wir es in der Tat für notwendig, jetzt zu Entscheidungen zu kommen.

(Vereinzelt Zustimmung bei der CDU/ CSU)

Es geht dabei in erster Linie nicht mehr um ökonomische Betrachtungen — so wichtig die auch sind —, sondern um diese weiteren Überlegungen und natürlich um das bündnispolitische Verhältnis, um das Verhältnis der Europäer zu den Vereinigten Staaten. Die Bundesregierung wird das hier Notwendige und Geforderte tun.
Es ist uns auch klar, daß dies energiepolitische Schwierigkeiten auslösen kann. Vorab möchte ich sagen — ich komme darauf nachher noch zu sprechen —: Die Versorgungslage ist zum gegenwärtigen Zeitpunkt, wie wir alle wissen, so gut wie zu keiner vergleichbaren Zeit eines Jahres, was eine ganz natürliche Wirkung ist. Dann, wenn alle Welt davon redet, daß das Öl teurer und knapper wird, kaufen die Verbraucher und lagern möglichst viel ein. Sie verhalten sich völlig marktgerecht und marktkonform. Wir sollten auch nicht dazu beitragen, durch allzu übertriebene Befürchtungen, zu denen kein Anlaß besteht, weitere Käufe, hektische Käufe zu veranlassen.
Wir haben einige unfreundliche Ankündigungen — die bisher erfreulicherweise nicht spezifiziert worden sind — aus Libyen und Algerien gehört; sie richteten sich in erster Linie gegen die USA und nicht gegen die Europäer. Wir haben mit Befriedigung vom Ölminister der Vereinigten Arabischen Emirate hier in Bonn am Montag gehört, sein Land habe nicht die Absicht, das Erdöl als politische Waffe einzusetzen, insbesondere nicht gegen die Europäer. Er hat diese Erklärung nach seinem Kenntnisstand auch für das ja entscheidende Öllieferland Saudi-Arabien mit abgeben können.
Meine Damen und Herren, ich wiederhole, was ich an anderer Stelle gesagt habe: Man kann bei der Entscheidung über politische, auch über energiepolitische Fragen nicht bei jeder ersten Ankündigung einer unerfreulichen Konsequenz, eines Übels, in die Knie gehen, weil wir sonst aus der Haltung der Kniebeuge überhaupt nicht mehr herauskämen.

(Beifall bei der FDP und der SPD)

Lassen Sie mich zur ökonomischen Analyse unserer Situation zurückkehren. Vorrangige wirtschaftspolitische Aufgaben bleiben auch in diesem Jahr die Stabilisierung des Preisniveaus und die Sicherung der verbesserten Beschäftigungslage. Wegen der neuen außenwirtschaftlichen Inflationsrisiken ist es unabdingbar, ein weiteres Ausufern des Preisauftriebs zu vermeiden. Die Stabilisierung des Preisniveaus ist die wichtigste Voraussetzung für Fortschritte im Beschäftigungsbereich. Wir wollen daher unsere Bemühungen darauf konzentrieren, so schnell wie möglich den Anschluß an den Stabilisierungserfolg von 1978 zu finden.
Ich kann nur jedem, sei er Investor oder Konsument, Arbeitnehmer oder Arbeitgeber, raten, die Signale und die Daten, die in der Stabilitätspolitik gesetzt worden sind, zu beachten und bei seinem Verhalten in Rechnung zu stellen. Nichts wäre derzeit falscher, als die Entschlossenheit von Bundesbank und Bundesregierung zu unterschätzen, die Preissteigerungen unter Kontrolle zu bringen. Im Gegensatz zu 1973/74 sind dieses Mal alle Unternehmen, die großen genauso wie die kleinen und mittleren, von Zinssteigerungen betroffen. Ein Ausweichen der Großen ins Ausland ist angesichts der dort bestehenden und geforderten Zinshöhe kaum möglich.
Zwangsläufig bekommt die Bauindustrie — wie wir wissen und was wir natürlich nicht begrüßen — hohe Zinsen immer besonders und immer zuerst zu spüren, insbesondere im Bereich des Hoch- und Wohnungsbaus. Aber können und sollen wir deshalb auf Stabilitätspolitik verzichten? Wir meinen, die richtige Antwort kann nur gerade in einer konsequenten Fortsetzung der Stabilitätspolitik bestehen.
Das Arbeitsplatzdefizit und der durch die neuen Ölpreissteigerungen noch verstärkte Bedarf zur Strukturanpassung erfordern auch in diesem Jahr ein hohes Maß an Investitionen der Wirtschaft. Die Chancen dafür sind nicht schlecht. Eine weitere allmähliche Verbesserung der Rahmenbedingungen für die Investitionstätigkeit bleibt erklärtes Ziel und praktische Politik der Bundesregierung. Sie wird deshalb auch angesichts der gewachsenen Risiken an ihrer mittelfristig angelegten Linie der Wirtschaftspolitik festhalten, die auf ein stetiges Wachstum bei vernünftigen Rahmenbedingungen ausgerichtet ist.
Im übrigen gilt es auch fernerhin, soweit wie möglich Wachstumshindernisse abzubauen. Das ist ein wichtiger Weg, um ein relativ großes Investitionspotential zu mobilisieren, das sich heute nach wie vor behindert sieht, und damit auch Fortschritte auf dem Arbeitsmarkt zu erreichen.



Bundesminister Dr. Graf Lambsdorff
Es ist mehr als die Zufälligkeit des Kalenders, der ein neues Jahrzehnt anzeigt, es ist die Entwicklung der letzten Monate, die mich veranlaßt, die auf ein Kalenderjahr bezogene Perspektive des Jahreswirtschaftsberichtes zu verlassen und mich den längerfristigen Problemen zuzuwenden, die uns in den 80er Jahren begleiten werden. Daß es dabei naturgemäß nur um erste Trends gehen kann, die den Einstieg in die kommende Dekade charakterisieren, und nicht um eine genauere Verlaufsbeschreibung, muß ich an dieser Stelle nicht besonders betonen.
Über die Ziele besteht unter uns wohl Einmütigkeit: hohes Beschäftigungsniveau auf der Basis eines stetigen Wachstums in Stabilität im Rahmen eines offenen Weltwirtschaftssystems. Daß wir dabei auch soziale Indikatoren und qualitative Maßstäbe wie z. B. Umweltschutz, den verstärkt sparsamen Umgang mit Rohstoffen und Energie, humanere Areitsbedingungen, den Schutz des Verbrauchers sowie eine gerechtere Verteilung der Zuwächse im Auge behalten, ist selbstverständlich. Diese Ziele sind aber leichter beschrieben als erreicht.
Weitgehende Einigkeit besteht unter den Fachleuten, die sich gegenwärtig in großer Zahl mit den wirtschaftlichen Problemen der 80er Jahre beschäftigen, über einige wahrscheinliche Entwicklungslinien. Ich möchte sie im folgenden kurz skizzieren:
Erstens. Die Produktivität wird in den nächsten Jahren voraussichtlich nicht wieder die gleich hohen Anstiegsraten wie vor der ersten Ölkrise 1973/74 erreichen.
Zweitens. Wir müssen in den 80er Jahren einerseits von einer schrumpfenden Bevölkerungszahl, andererseits von einer zunächst noch ansteigenden Erwerbsbevölkerung ausgehen.
Drittens. Weltweit ist die Inflationsgefahr noch lange nicht gebannt, im Gegenteil, die ölpreisbedingten Inflationsanstöße wurden durch interne Preisauftriebstendenzen verstärkt. Vor allem aber beobachten wir wieder zunehmende Divergenzen in den Preissteigerungsraten.
Viertens. Die Veränderung der außenwirtschaftlichen Rahmenbedingungen ist dauerhaft und langfristig. Ich nenne nur die Stichworte: Ölpreise und OPEC, Ungleichgewichte im Nord-SüdVerhältnis und die daraus resultierende Forderung der Länder der Dritten Welt nach einer neuen Weltwirtschaftsordnung, Veränderungen im Weltwährungssystem und die Gefahren auf Grund zunehmender protektionistischer Tendenzen.
Fünftens. Die Notwendigkeit des Strukturwandels zeigt sich immer deutlicher. Die Bereitschaft zum Strukturwandel dagegen nimmt vor allem in den Industrieländern eher ab. Strukturwandel ist notwendig innerhalb der nationalen Volkswirtschaften genauso wie im Verhältnis unter den Industrieländern und zwischen Industrie- und Entwicklungsländern, hier insbesondere den sogenannten Schwellenländern. Steigende Energiekosten zwingen zum Energiesparen sowie zur Erschließung alternativer Energien und erfordern eine entsprechende Anpassung des Produktionsapparats.
Sechstens. Nicht einig sind sich die Fachleute, ob sich der technische Fortschritt in den nächsten Jahren weiter beschleunigt. Wir müssen ihn nutzen, um unsere Strukturprobleme gegenüber der Weltwirtschaft bewältigen zu können. Die Mehrheit der Fachleute sieht in ihm unsere wirtschaftliche Chance und nicht eine Gefahr für unsere Gesellschaft. Ich gehe davon aus: Der technische Fortschritt wird uns nicht überrennen; er wird uns helfen.
Siebtens. Maßnahmen zur Umweltverbesserung müssen weltweit zunehmen, wobei es weniger darauf ankommt, umweltfreundliche Techniken durch staatliche Hilfe zu fördern, als darauf, sie durch geeignete Rahmenbedingungen zu fordern. Wir werden alle noch viel Phantasie bei der Beantwortung der Frage entwickeln müssen, wie man das ökologisch Notwendige ökonomisch effizient erreicht.
Achtens. Schließlich dürfen wir auch die stärker hervortretenden sozioökonomischen Grenzen und Probleme des Wachstums nicht übersehen, die auf eine veränderte Einstellung der Gesellschaft zu Arbeit, Wachstum, technischem Fortschritt, Lebensinhalt und Rolle des Staates hindeuten. An der traditionellen Meßlatte des Bruttosozialprodukts gemessen, werden wir in den 80er Jahren wohl „kleinere Brötchen" als in den vorangangenen Jahrzehnten backen müssen. Dennoch — daran kann gar kein Zweifel bestehen — setzen die Bundesregierung und, wie wir meinen, auch die anderen westlichen Industrieländer auch für die nächsten Jahre unverändert auf eine angemessene Steigerung des Wirtschaftswachstums, wobei dies selbstverständlich möglichst ressourcenschonend verwirklicht werden soll. Denn nur so kann ein höheres Beschäftigungsniveau erreicht und die Arbeitslosigkeit abgebaut werden; denn nur so können wir unseren Verpflichtungen in den internationalen Institutionen — dies gilt gleichermaßen für die EG und die UNO wie für die NATO und vor allem gegenüber den Ländern der Dritten Welt — ohne größere Friktionen nachkommen.
Selbstverständlich gibt es auch Wege, mit weniger Wachstum auszukommen. Aber das setzt voraus, daß wir die entsprechenden Konsequenzen ziehen, d. h. unsere Ansprüche an das Netz der sozialen Sicherung, an das staatliche Leistungsangebot usw. herunterschrauben. Aber dazu ist, soweit ich es sehe, der überwiegende Teil unserer Bevölkerung jedenfalls gegenwärtig nicht bereit. Vor allem sind die Politiker nicht dazu bereit. Keiner oder nur sehr wenige von denen, die sich gegen Wachstum aussprechen, nennen die vollen Konsequenzen einer solchen Entwicklung.

(Zuruf des Abg. Ey [CDU/CSU])

Auf einem anderen Blatt steht allerdings, ob wir in den nächsten Jahren angesichts der geänderten weltpolitischen und weltwirtschaftlichen Lage Wachstum in dem bisher anvisierten Maß realisieren können. Sich eventuell geringeren Wachstumsraten anzupassen ist aber etwas ganz anderes, als das Wachstumsziel von vornherein unterzubewerten und niedrig zu schreiben.

(Beifall bei der FDP und der SPD)




Bundesminister Dr. Graf Lambsdorff
Welche generellen Lehren können wir aus dem Wirtschaftsverlauf in den vergangenen Jahren für die künftige Wirtschaftspolitik ziehen? Die Entwicklung von Beschäftigung und Preisen, Reallöhnen und Wirtschaftswachstum in den Jahren 1976 bis 1979 weist aus, daß unsere Wirtschaftspolitik insgesamt erfolgreich war. Das gilt insbesondere im internationalen Vergleich.
Die exorbitanten Erhöhungen der Ölpreise haben diesen Erfolgstrend vorerst abgeflacht. Diese vergleichsweise guten Ergebnisse sind nicht zuletzt durch das wirtschaftspolitische Gesamtkonzept und das insgesamt verantwortungsbewußte Handeln aller Entscheidungsträger einschließlich der Tarifpartner begründet. Es geht von einer eindeutigen Arbeitsteilung aus und weist staatlichen Entscheidungsträgern und autonomen Gruppen klar umrissene Aufgaben mit der jeweils entsprechenden wirtschaftspolitischen Primärverantwortlichkeit zu.
Die monetäre Politik hat dabei die primäre Aufgabe, den internen Geldwert zu sichern. Gelingt das, dann leistet sie damit auch ihren größtmöglichen Beitrag zur Vermehrung der Beschäftigung. Dem Staat fällt mit der Finanzpolitik und mit der Steuerpolitik die zentrale Aufgabe zu, für die Aufrechterhaltung günstiger Wachstumsbedingungen zu sorgen.
Unsere Wirtschaftspolitik muß angesichts der gravierenden binnen- und außenwirtschaftlichen Anpassungsprobleme auf eine dauerhafte Verbesserung der Wachstumsbedingungen ausgerichtet bleiben. Dazu gehören die Sicherung der Wettbewerbsordnung im Innern und die Absage an Protektionismus, der Abbau von Wachstumshemmnissen, so daß der Mut zu Innovationen gefördert, die Mobilität und Qualität von Arbeit und Kapital verbessert und die Risikobereitschaft erhöht wird. Dazu gehören auch eine marktwirtschaftlich orientierte Forschungs- und Entwicklungspolitik, die Sicherung der Energieversorgung in den 80er Jahren ebenso wie vorübergehende Anpassungshilfen im strukturellen Wandel der Wirtschaft, finanzpolitische Auffangstellungen für unvorhersehbare Konjunkturrisiken und die Sicherung des sozialen Netzes.
Der Einkommenspolitik der autonomen Tarifparteien obliegt die primäre Verantwortung für das mit einer niedrigen Inflationsrate erreichbare gesamtwirtschaftliche Beschäftigungsniveau. Die Vergangenheit hat gezeigt, daß staatliche Ausgabenprogramme die Beschäftigung nur in sehr beschränktem Umfang sichern können.

(Sehr wahr! bei der CDU/CSU)

Der selbsttragende Wachstumsprozeß kam erst nach einer deutlichen Verbesserung der staatlich beeinflußbaren Investitionsbedingungen zustande.

(Dr. Waigel [CDU/CSU]: Späte Einsicht!)

Das allein hätte jedoch nicht ausgereicht; wesentlich war, daß auch eine verantwortungsbewußte Lohnpolitik der Tarifparteien den Weg für mehr Wachstum ebnete.
Wenn Herr Kollege Waigel den Zwischenruf „späte Einsicht" macht, bin ich gern bereit, ihm
meine Reden, die ich von diesem Platz aus in den Jahren 1972, 1973, 1974 gehalten habe, zur Verfügung zu stellen. Damals habe ich dasselbe gesagt.

(Beifall bei der FDP und der SPD — Zuruf des Abg. Dr. Waigel [CDU/CSU])

Ich hoffe, wir alle sind uns in diesem Haus darüber einig, daß wir mit dieser Grundkonzeption auch für die Zukunft am besten gerüstet und zur Bewältigung der anstehenden Probleme in der Lage sind.
Über den konkreten Inhalt dieser Wirtschaftspolitik ist heftig gestritten worden — es gibt ja noch so Erinnerungszuckungen —, nicht nur zwischen Regierung und Opposition. Auch externe Ratgeber wie der Sachverständigenrat, die großen wirtschaftswissenschaftlichen Forschungsinstitute und die wirtschaftspolitischen Beratungsorgane auf beiden Seiten der Tarifparteien haben zur Klärung des richtigen Kurses der Wirtschaftspolitik beigetragen. Von der zeitweisen Polarisierung der wirtschaftspolitischen Diskussion — hier Vorherrschen der gesamtwirtschaftlichen Angebotspolitik, dort Schwergewicht auf staatlicher Nachfragepolitik — hat die Politik der mittleren Linie, die die Bundesregierung seit 1975 im großen und ganzen durchhält, erheblichen Nutzen gezogen. Dadurch wurde in der öffentlichen Meinung Raum für die Durchsetzung einer vernünftigen Politik geschaffen, die die Wachstumsbedingungen der Wirtschaft hinreichend stärkt, ohne die gesamtwirtschaftlichen Nachfrageperspektiven aus dem Blick zu verlieren.
Mit einseitigen Akzentsetzungen zur einen wie zur anderen Seite hätten wir die Erfolge nicht erreicht. Dabei wäre zudem der soziale Konsens gefährdet worden. Aber der ist eine zentrale gesamtwirtschaftliche Rahmenbedingung für erfolgreiche Wirtschaftspolitik.

(Beifall bei der FDP und der SPD)

Ein Blick in die internationale Wirtschaftspolitik zeigt, daß sich viele Länder zu fragen beginnen, was ihre Wirtschaftspolitik angesichts der Probleme der 80er Jahre von der deutschen Wirtschaftspolitik übernehmen könnte. Nachdem die einseitig nachfrageorientierte Lokomotiven-Theorie im Schuppen steht, die Konvoi-Theorie abgewrackt ist, stößt unser wirtschaftliches Konzept der breit angelegten Verbesserung der Wachstumsbedingungen zur Erleichterung des strukturellen Anpassungsprozesses auf ein gesteigertes internationales Interesse.

(Dr. Langner [CDU/CSU]: Siehe die Bewertung der D-Mark!)

— Den Zwischenruf, Herr Kollege, überhöre ich lieber. — Auch in der wirtschaftspolitischen Diskussion der OECD steht dieses Thema inzwischen obenan. Der OECD-Ministerrat hat im Sommer letzten Jahres eine Reihe von wichtigen Orientierungen für die mittelfristige Wirtschaftspolitik im internationalen Bereich verabschiedet, die die Bundesregierung in der mittelfristigen Ausrichtung ihrer Wirtschaftspolitik bestärken. Die Inflation wurde als das hauptsächliche Wachstumshindernis auf mittlere Sicht identifiziert. Der OECD-trade-pledge,



Bundesminister Dr. Graf Lambsdorff
der die Verpflichtung zu einem freizügigen Welthandelssystem enthält, wurde wiederum für ein Jahr verlängert. Ein Programm zur Entwicklung positiver Anpassungspolitiken wurde gebilligt mit dem Ziel, den weltweiten Strukturwandel zu erleichtern.
Erfreulicherweise hat sich in den letzten Jahren international und nicht nur bei den Politikern, sondern zunehmend auch in breiten Kreisen der Bevölkerung die Einsicht durchgesetzt, daß Inflation keine Arbeitsplätze schafft, sondern längerfristig die Arbeitslosigkeit vergrößert.

(Beifall bei der FDP, der SPD und der CDU — Dr. Sprung [CDU/CSU]: Das hat lange gedauert!)

— Daran haben wir heftig gearbeitet, Herr Kollege. Bis wir das in das Kommuniqué über den Londoner Weltwirtschaftsgipfel auf deutsche Anregung hin bekommen haben, waren mühsame Arbeiten und Anstrengungen notwendig. Aber schließlich hat es gereicht.

(von der Heydt Freiherr von Massenbach [CDU/CSU]: Wen mußten Sie denn hauptsächlich überzeugen? — Zuruf von der CDU/CSU: Den Mister 5 %! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU)

— Schauen Sie sich einmal die Ergebnisse des Jahres 1978 an, wo wir bei den Preissteigerungsraten gelegen haben!

(Pieroth [CDU/CSU]: 19721)

— Nach 1972 haben wir eine erfolgreiche Stabilitätspolitik betrieben und sind 1973/74 von den ölpreisbedingten Preiserhöhungen in einem Stadium getroffen worden, als hier die Stabilitätspolitik bereits eingeleitet war.

(Beifall bei der FDP und der SPD — Zuruf des Abg. Pieroth [CDU/CSU])

Meine Damen und Herren, eine solche Haltung stärkt auch die Bereitschaft zur Stabilitätspolitik in unseren Nachbarländern, obwohl das auf kürzere Frist zunächst noch eine Zunahme der Zahl der Arbeitslosen bedeutet. Die Verwerfungen auf Grund jahre- bzw. jahrzehntelanger Inflation und die daraus erwachsende Inflationsmentalität können nicht von heute auf morgen aus der Welt geschaffen werden. Deshalb wird die stabilitätspolitische Orientierung der finanz- und geldpolitischen Globalsteuerung in den nächsten Jahren nach unserer Auffassung eine zentrale Rolle spielen.
Dabei kann es nicht um eine Bekämpfung direkter Ölpreissteigerungen gehen; wohl aber müssen die davon ausgehenden Sekundärauswirkungen möglichst gering gehalten werden. Gleichzeitig muß die weltweit wieder zunehmende hausgemachte Geldentwertung gedämpft werden, was nur gelingen kann, wenn auch Tarifparteien und Unternehmen ihren Beitrag dazu leisten. Erreicht die Stabilitätspolitik ihr Ziel nicht, werden wir noch am Ende der 80er Jahre unter den Unterlassungen zu Beginn dieser Dekade zu leiden haben.
Wir wissen heute, daß kein Land von sich aus in der Lage ist, die sich weltweit abzeichnenden wirtschaftspolitischen Probleme mit Mitteln der nationalen Politik allein zu steuern. Gerade auch angesichts, der sich abzeichnenden weltweiten Leistungsbilanzungleichgewichte zwischen Ölerzeuger- und Ölverbraucherländern ist eine internationale Abstimmung notwendiger denn je. Die Bundesregierung wird weiterhin ihren Beitrag dazu leisten, innerhalb der EG und der OECD, mit unseren Freunden in den USA, in Kanada und in Japan, aber auch im Rahmen von GATT, IWF und UNCTAD.
Im Währungsbereich kommt zwangsläufig den Vereinigten Staaten die Schlüsselrolle zu. Auch im heutigen System ist und bleibt der Dollar die zentrale Reserve- und Transaktionswährung der Welt. Daran wird sich auch nichts ändern. Die Entscheidung der USA, bis 1981 das interne Energiepreisniveau schrittweise an das Weltmarktniveau heranzuführen, ist eine fundamentale Voraussetzung für die Stabilität der Weltwährungsbeziehungen in den kommenden Jahren.
Die Bunderegierung begrüßt deshalb auch die nachdrücklichen Bemühungen der Vereinigten Staaten um eine Stabilisierung des Dollars. Für die 80er Jahre scheint mir die Stabilität der internationalen Währungs- und Finanzbeziehungen eine eminente Vorbedingung für ein ausreichend hohes Wachstum zu sein.
Die amerikanischen Bemühungen allein genügen allerdings nicht. Neben der Lösung des Recyclings der Ölgelder sind insbesondere auch verstärkte Anstrengungen der Ölverbraucherländer zur strukturellen Verbesserung ihrer Leistungsbilanzen notwendig.
Wie, meine Damen und Herren, wird sich in den nächsten Jahren das Welthandelssystem entwikkeln? Zweifellos werden die OPEC-Staaten und die anderen rohstoffproduzierenden Länder einen größeren Anteil am Welthandel haben. Der Wettbewerbsdruck von seiten der westlichen Industrieländer bleibt sicherlich bestehen. Wir müssen uns sogar darauf einstellen, daß dieser Wettbewerbsdruck durch die Erweiterung der Europäischen Gemeinschaft eher zu- als abnimmt. Es bleibt darüber hinaus auch der Importdruck und damit der Anpassungsdruck von seiten der sogenannten Schwellenländer auf die Industrieländer, der schon in den letzten Jahren deutlich spürbar war. Aller Voraussicht nach wird sich dieser Druck aber nicht wesentlich intensivieren, da sich die Zahl der Schwellenländer kaum schnell vergrößern wird und das selbstgesteckte Ziel der-Entwicklungsländer, d. h. 25 % Anteil an der Weltindustrieproduktion, nicht realistisch ist. Unseren Bemühungen, den internationalen Strukturwandel zu fördern, dürfte aber nur ein geringer Erfolg beschieden sein, wenn es uns nicht gelingt, das bestehende Welthandelssystem auch institutionell weiter auszubauen. Von entscheidender Bedeutung ist deshalb für mich der erfolgreiche Abschluß der Tokio-Runde des GATT im letzten Sommer, wobei ich vor allem die Vereinbarungen über die nichttarifären Handelshemmnisse hervorheben möchte. Sie schaffen einen Rahmen für mehr Disziplin und



Bundesminister Dr. Graf Lambsdorff
für mehr Transparenz. Weitere Anstrengungen sind aber notwendig. Deshalb müssen wir den Impuls der Tokio-Runde durch neue Impulse erhalten oder möglichst noch verstärken.
Ich habe, meine Damen und Herren, gestern bei der Eröffnung der Hannover-Messe darum auch noch einmal ausdrücklich betont, daß wir dem Ansinnen einzelner Branchen nach außenwirtschaftlichen Schutzmaßnahmen nicht nachkommen werden — auch dann nicht, wenn dazu Anregungen aus den Reihen der Opposition auf meinen Schreibtisch kommen. Sich an die geänderten Marktdaten anzupassen, ist und bleibt eine unternehmerische Aufgabe. Nicht Protektionismus und Subventionsbegehren an den Staat, sondern die aktive Annahme der Herausforderung werden für die Industrieländer auf Dauer die bekömmlichste Reaktion auf den zunehmenden internationalen Wettbewerb, auf den gewachsenen Druck zur Strukturanpassung sein. Weder aus binnen- noch außenwirtschaftlichen Gründen hätte eine investitionslenkende Strukturpolitik Erfolge zu erwarten. Dies gilt für Maßnahmen, die aus Brüssel kommen, genauso wie für Maßnahmen, die in den einzelnen Hauptstädten beschlossen werden.
Wir müssen vielmehr alle versuchen, unsere spezifischen Standortvorteile auszunutzen. Die Entwicklungsländer werden sich auf die standardisierten Fertigprodukte spezialisieren und die besonders arbeitsintensiven Produktionen übernehmen. Die Industrieländer — und das heißt: auch die Bundesrepublik — werden sich weiter spezialisieren und auf die Produktion von know-how-intensiven Produkten konzentrieren missen. Wir machen dabei Fortschritte. Auch das sieht man in Hannover deutlich.

(Zustimmung bei Abgeordneten der SPD)

Nur diese sind bei unserem hohen Lohnniveau zu einem internationalen Wettbewerbspreis in großem Umfange absetzbar.
Selbstverständlich wird auch die nationale Wettbewerbspolitik bei uns weiterhin eine zentrale Rolle spielen. Die vierte Kartellnovelle tritt in diesen Tagen in Kraft. Weil ich, meine Damen und Herren, leider nicht an der dritten Lesung hier im Bundestag und der abschließenden Beratung im Bundesrat teilnehmen konnte, nutze ich diese Debatte, um noch einmal ausdrücklich auf die Übereinstimmung aller Fraktionen in den ordnungspolitischen Grundsatzfragen hinzuweisen und mich für die sachliche und zügige Beratung der Kartellnovelle zu bedanken.
Von einer konsequenten Wettbewerbspolitik werden nicht nur die inländischen Konsumenten profitieren, sondern auch unsere Unternehmen — auch wenn diese das manchmal nicht einsehen mögen —, deren internationale Wettbewerbsfähigkeit dadurch gestärkt wird.
Daneben werden wir natürlich auch unsere Konsultationen über ein internationales Kartellrecht fortsetzen, wenngleich wir hier realistischerweise mit raschen Erfolgen nicht rechnen können.
Meine Damen und Herren, an dieser Stelle scheint es angebracht, ein Wort zur deutschen Leistungsbilanz zu sagen. Das Leistungsbilanzdefizit des vergangenen Jahres geht auf den konjunkturellen Einfuhrsog, auf strukturelle Entwicklungen in der Dienstleistungsbilanz, vor allem jedoch auf die drastische Verteuerung des Mineralöls zurück. Anders als nach der Ölkrise von 1973/74 können wir dieses Mal nicht davon ausgehen, daß sich das Leistungsbilanzdefizit ohne weiteres zurückbildet. Die konjunkturelle Komponente verändert sich zwar, die strukturellen Einflüsse bleiben jedoch wirksam, und — davor können und dürfen wir die Augen nicht verschließen — insbesondere die Belastung durch die Ölrechnung wird weiter zunehmen. Für die Zukunft werden wir mit einem länger anhaltenden Anstieg des realen Ölpreises — d. h. der tatsächlich gezahlten Ölpreise — über die Preisentwicklung für industrielle Güter hinaus rechnen müssen.
Außerdem — und dies muß man mit Nachdruck sagen — wird die deutsche Wirtschaft in nächster Zeit einem sich international verschärfenden Konkurrenzdruck ausgesetzt sein. Deshalb müssen wir alles unternehmen, ein international konkurrenzfähiges Kostenniveau zu behalten. Wenn ich manche der sozialpolitischen Vorschläge der jüngsten Tage aus vielen Ecken und Richtungen lese und mich frage, woher das bezahlt werden soll, weiß ich nicht, wie wir unter solchen Umständen, bei solchen Anregungen dieses international konkurrenzfähige Kostenniveau wirklich bewahren sollen.

(Beifall bei der FDP und der SPD)

Meine Damen und Herren, der Trend zu real wachsenden Ölpreisen und zu einem steigenden Konkurrenzdruck vom Weltmarkt, der sich im Rahmen der internationalen Arbeitsteilung abspielt, kann und muß von der deutschen Wirtschaft als Anstoß zu verstärkten Anstrengungen genutzt werden, Rationalisierungen vorzunehmen, neue Marktlükken zu entdecken und sie zu nutzen und neue Produkte zu entwickeln. Die real steigenden Ölpreise bieten zugleich eine Chance, deutliche Fortschritte bei der Anpassung des Produktionsapparates und der Konsumgewohnheiten an die neuen Kostenstrukturen zu machen.
Kurzfristig stellt das Leistungsbilanzdefizit für uns zwar kein wirtschafts- und währungspolitisches Problem dar; es trägt im Gegenteil international zu einer gleichmäßigeren Verteilung der Leistungsbilanzdefizite der Industrieländer bei und erleichtert deren Wachstumspolitik sowie die Stabilisierung des ölpreisbedingten Umschichtungsprozesses der Finanzmärkte und der Währungsbeziehungen.
Mittel- und längerfristig müssen wir jedoch auch im Interesse der internationalen Arbeitsteilung erhöhte Leistungen erbringen, was eine Verbesserung unserer Produktionsstruktur und entsprechend hohe Investitionen voraussetzt. Auf längere Sicht könnten anhaltende deutsche Defizite von der internationalen Finanz- und Geschäftswelt — zu Recht oder zu Unrecht — als Zeichen dafür interpretiert werden, daß die Bundesrepublik ihre Fähigkeit verloren habe, in ausreichendem Maße mit den wirt-



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schaftlichen Schwierigkeiten der Energieverknappung fertig zu werden.

(Dr. Sprung [CDU/CSU]: Sie wird es schon!)

Ich stimme dem, was der Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie gestern in Hannover gesagt hat, durchaus zu: Wir gehen nicht kleinmütig in das nächste Jahrzehnt; wir schaffen diese Anpassung, und wir werden am Ende des Jahrzehnts auch sehen, daß wir sie geschafft haben.
Der internationale Wert der D-Mark hängt von unserem Leistungsvermögen ab. Deshalb müssen wir alle Kraft aktivieren, daß sich die mittelfristigen Stabilitätserwartungen bezüglich der Krisenbewältigung nicht zuungunsten der Bundesrepublik verändern. Ein Schwund an Vertrauen in unsere bisher außerordentlich anpassungsfähige Wirtschaft, der wir im übrigen, Herr Kollege Sprung, auch nicht das Wort reden sollten, könnte schnell in eine dauerhafte Abwertung der D-Mark mit allen negativen Konsequenzen für das inländische Preisniveau und für den sozialen Frieden in unserem Land, die damit verbunden wären, münden.

(Pieroth [CDU/CSU]: Aber es läuft doch!)

Die Bundesrepublik muß deshalb zum außerwirtschaftlichen Gleichgewicht finden, indem sie ihrem gesamten Güterangebot ein verbessertes Preis-Leistungs-Verhältnis gibt. Mit anderen Worten: Wir müssen auch die Kostensteigerungen so niedrig wie möglich halten und die Produktivität unserer Wirtschaft durch raschen technischen Fortschritt und eine beschleunigte Strukturanpassung erhöhen. Die Bundesrepublik hat als hochentwickelte Volkswirtschaft im internationalen Entwicklungsprozeß die Aufgabe, durch langfristige Nettokapitalexporte den Ländern der Dritten Welt das für ihre Entwicklung notwendige Kapital zur Verfügung zu stellen.

(Dr. Sprung [CDU/CSU]: Das macht sie nur nicht!)

— Das kann sie im Augenblick nicht, weil sie es an die OPEC-Länder zahlen muß; das ist richtig. Diesen Zustand müssen wir aber überwinden.
Schlagzeilen hat in den letzten Wochen die Meldung über die Kreditaufnahme des Bundes im Ausland gemacht. Ich muß gestehen, daß ich die damit verbundene Aufregung nicht verstanden habe. Insbesondere angesichts unseres Leistungsbilanzdefizits ist die Inanspruchnahme der Finanzierungsquelle Ausland wirtschaftlich vernünftig, zumal wir uns mit den im Ausland aufgenommenen Geldern im Kreditrahmen des Haushaltsgesetzes 1980 bewegen.

(Beifall bei der FDP und der SPD — Pieroth [CDU/CSU]: Wir sind pleite! Dann müssen wir ja Kredite aufnehmen!)

Die Tatsache der Kreditaufnahme im Ausland darf nicht gleichgesetzt werden mit einer insgesamt großzügigeren Kreditfinanzierung. Es bleibt bei unserem Ziel der Konsolidierung der öffentlichen Haushalte.
Die Finanzierung im Ausland ist für uns auch keine Dauerregelung, zumal sich eine solche nicht mit unserer längerfristigen Rolle in der Weltwirtschaft, wie ich sie eben skizziert habe, vertragen würde.

(Roth [SPD]: Sehr richtig!)

Im übrigen, meine Damen und Herren, scheint mir das Gerede über eine unangemessene Abhängigkeit, die dadurch entstehe und in die wir mit der bisherigen Kreditaufnahme geraten seien, fehl am Platze zu sein; dies erscheint unter internationalen wirtschaftspolitischen Gesichtspunkten und deren Zusammenhängen reichlich kleinkariert.

(Roth [SPD]: Provinziell!)

Meine Damen und Herren, im unmittelbaren Kontext mit der Leistungsbilanz stehen unsere Energieprobleme. Das ölpreisbedingte Defizit in unserer Leistungsbilanz läßt sich längerfristig nur abbauen, wenn wir Ursachentherapie betreiben, d. h. die Politik des „weg vom Öl" konsequent fortsetzen. Auch im Energiebereich müssen wir in längerfristigen und umfassenden Perspektiven denken. Zwar haben wir keine kurzfristigen mengenmäßigen Ölversorgungsprobleme; wir sind, wenn auch zu gestiegenen Preisen, gut über den relativ milden Winter gekommen.

(Ey [CDU/CSU]: Das ist alles relativ!)

Für 1980 könnte sich, wie das Abbröckeln der internationalen Spitzenpreise zeigt, sogar eine relativ entspannte Situation ergeben, allerdings zu dem gewiß hohen Preis, daß die Ölnachfrage weltweit durch geringes Sozialproduktwachstum gefährdet wird. Trotz des derzeit ungehinderten Ölzuflusses befindet sich die Welt aber weiterhin in einer äußerst labilen Versorgungslage, in der Förderkürzungen durch die Produzentenländer jederzeit zu befürchten sind, schon relativ geringfügige Ausfälle zu Störungen führen würden und in der wir nicht allgemein von einer berechenbaren Politik dieser Länder ausgehen können. Die Erfahrungen in Iran haben uns dies gelehrt. Hoffentlich wiederholen sie sich nicht in Kürze.
Niemand kann übersehen, daß die Weltenergieversorgung mittel- und langfristig durch wachsende Ungleichgewichte zwischen Nachfrage und Angebot gefährdet erscheint. Bei aller Skepsis gegenüber Versuchen, die Weltenergieversorgung der nächsten 50 Jahre abzutasten, müssen wir doch zur Kenntnis nehmen, daß alle Prognosen namhafter internationaler Institutionen mit einer Verdoppelung des Weltenergieverbrauchs bis zum Jahre 2000 und mindestens einer Verdreifachung bis zum Jahre 2030 rechnen. Denn selbst ein angenommenes mäßiges Wirtschaftswachstum und deutliche Einsparerfolge in den Industrieländern dürften durch die Verbrauchszuwächse der Entwicklungsländer mehr als aufgewogen werden, bei denen starkes Bevölkerungswachstum und Nachholbedarf zusammenwirken. Dem steht aus heutiger Sicht ein Angebot gegenüber, das sich zwar mit steigendem Preisniveau und verbesserter Technologie noch beträchtlich ausdehnen läßt; aber wir kommen an drei Tatsachen nicht vorbei.



Bundesminister Dr. Graf Lambsdorff
Erstens. Die Vorräte an fossilen Energien und auch an Uran sind endlich. Je nach Knappheitsgrad orientieren sich deren Preise mehr und mehr an den Produktionskosten für Ersatzenergien.
Zweitens. Die meisten Länder mit Energievorräten streben daher eine Streckung ihrer Ressourcen an und beschränken die Förderung auf eine Menge, deren Erlöse ausreichen, um die Kosten der Entwicklung ihres Landes jeweils zu decken. Diese aus nationaler Sicht ökonomische Rationalität kann man keineswegs pauschal verurteilen.
Drittens. Die Mobilisierung der technisch vorhandenen Vorräte erfordert lange Zeiträume, hohe Investitionen, große Anstrengungen bei Forschung, Entwicklung und Markteinführung neuer Energietechnologien sowie — dieses Problem unterschätzen wir keineswegs — bei der Lösung der Umweltschutzfragen.
Am deutlichsten werden diese Probleme beim Öl, das heute 45 % des Weltenergieverbrauchs deckt. Die meisten Fachleute gehen davon aus, daß die Förderung von konventionellem Öl, wie es jetzt so schön heißt, nicht mehr nennenswert erhöht wird oder daß sie sogar stagniert. Erst langfristig könnten zunehmende Ölmengen aus unkonventionellen Quellen — ich nenne z. B. Teersände, Ölschiefer, Schweröle — zusammen mit Öleinsparung und Ölsubstitution wieder eine gewisse Entlastung bringen. Wir haben hier eine Durststrecke zu überwinden, die für alle ölimportierenden Länder eine Gratwanderung werden kann. Deswegen habe ich auch am Anfang dieses Jahres das Bild vom Abgrund gewählt, an dem man uns halten will. Wir müssen uns deshalb stetig und nachdrücklich um ein international abgestimmtes und gleichgerichtetes Verhalten, insbesondere der Industrieländer bemühen. Dabei gibt es immer wieder Schwierigkeiten — ich will das gar nicht verschweigen —, die vor allem darauf beruhen, daß einerseits das Vertrauen der einzelnen Regierungen in die Marktkräfte und andererseits ihr Zutrauen in die Wirksamkeit staatlicher Eingriffe recht unterschiedlich ist.
Im Februar habe ich die im Verlaufe dieses Jahres in der Internationalen Energie-Agentur und auf dem Weltwirtschaftsgipfel anzusteuernde Linie mit unseren amerikanischen Freunden eingehend diskutiert. Wir hatten recht unterschiedliche Ausgangspunkte, einigten uns aber auf eine gemeinsame Linie, die von den Mitgliedsländern der Internationalen Energie-Agentur getragen werden kann. Wir wollen in Zukunft — das wird sich schon auf der Ministerratssitzung im Mai zeigen, wie ich hoffe — allzu ausgedehnte und leicht ins Mechanistische abgleitende Zahlendiskussionen vermeiden und uns mehr mit dem Umfang und der Wirksamkeit der energiepolitischen Maßnahmen der einzelnen Länder befassen. Wir sind uns darüber einig, daß wir leider die wieder einmal allzu sprunghaft gestiegenen Ölpreise benutzen müssen, um unsere Abhängigkeit vom Cl schneller zu verringern, zugleich aber alles tun müssen, um während dieses sicherlich schmerz-. haften Prozesses die westliche Solidarität und Zusammenarbeit auch innerhalb der Europäischen Gemeinschaft vor größeren Belastungsproben zu be-
wahren. Dabei müssen wir im Auge haben, daß die sich abzeichnenden Energieprobleme des Ostens die ohnehin schwierige Weltenergiesituation weiter verschärfen können. Schließlich ist nicht zu übersehen, daß in maßgeblichen Ölländern und Regionen Spannungen bestehen, deren Verschärfung jederzeit zu erheblichen Versorgungsstörungen führen kann und die Zündstoff für eine allgemeine Konfrontation enthalten.
Diese Entwicklung wird durch die Verbindung mit den Nord-Süd-Problemen noch akzentuiert. Wir müssen deutlich sehen, daß die Entwicklungsländer über die sie bereits jetzt bedrückenden und noch wachsenden Zahlungsbilanzprobleme hinaus langfristig von steigenden Preisen und tendenzieller Verknappung der Ölversorgung besonders betroffen werden. Dies gilt nicht zuletzt für die sogenannten Schwellenländer, die auf das leicht transportierbare und vielseitig einsetzbare Cl angewiesen sind. Wenn die Ölpreisexplosion nicht zu einer weiteren Verzögerung der Teilnahme dieser Staaten an Weltwirtschaft und Wohlstand führen soll, müssen international verstärkte Anstrengungen unternommen werden, um ihre Abhängigkeit von Ölimporten zu senken, ihre eigenen Ressourcen zu entwickeln und die auch bei ihnen bestehenden Einsparmöglichkeiten auszuschöpfen.
Über die Bereitstellung finanzieller Mittel hinaus, an der sich gerade auch die OPEC-Länder stärker als bisher beteiligen sollten, müssen die Entwicklungsländer durch Beratung und Aufklärung über die Notwendigkeit der Anpassung ihrer Energiestrukturen zugleich zu verstärkter .Eigeninitiative angeregt werden.
Für die Industrieländer, meine Damen und Herren, kann es schon bald heißen, daß sie einen absoluten Rückgang der ihnen bisher zur Verfügung stehenden Ölmengen hinnehmen müssen, weil ein konstantes Weltölangebot zunehmend von den Entwicklungsländern, von den Ölländern selbst und — ab Mitte der 80er Jahre — vielleicht auch von den RGW-Ländern, also den Ostblockländern, beansprucht wird.
Was sind die Konsequenzen? Der Schlüsselrolle der Energieversorgung für die gesamtwirtschaftliche Entwicklung entspricht die zentrale Bedeutung adäquater wirtschafts- und energiepolitischer Maßnahmen. Diese Antwort kann nur ein. kombinierter Ansatz von Energie- und Wirtschaftspolitik sein, der auf Anpassung der Strukturen von Produktion und Energieversorgung an knapper werdendes und sich real verteuerndes 01 ausgerichtet ist. Energiesparende Produktion einerseits und eine Politik des „weg vom 01" andererseits durch konsequente Entwicklung von Alternativen zum 01 — das sind die Ziele, die schnell und mit Nachdruck anzusteuern sind.
Die deutsche Energiepolitik ist seit Jahren auf diese Perspektiven ausgerichtet. Die Erfolge dieser Politik sind spürbar. Wir haben nicht wie andere Länder Barrieren gegen die vom internationalen Markt ausgehenden Signale durch die Ölpreissteigerung errichtet. Der Verbraucher bekommt bei uns, so hart es im Einzelfall sein mag, die Marktsignale



Bundesminister Dr. Graf Lambsdorff
unverfälscht zu spüren. Er reagiert darauf, wie der relativ geringe Anstieg des Mineralölverbrauchs im Jahre 1979 — trotz eines harten Winters, besonders hoher PKW-Zulassungszahl und Sonderkonjunktur im ölintensiven Chemiebereich — zeigte, auch mit einem sparsameren Umgang.
Der Mineralölanteil am Energieverbrauch fiel von 55 % im Jahre 1973 auf 51 % im Jahre 1979 zurück, In den Jahren seit 1970 stieg der Mineralölverbrauch durchschnittlich um knapp 2 % pro Jahr, während das Bruttosozialprodukt um knapp 3 wuchs. In deutschen Kraftwerken hat das 01 nur noch einen Anteil von 8 %. Auch dies ist ein Erfolg, nicht zuletzt im internationalen Vergleich, vorausschauender Energiepolitik.

(Beifall bei der FDP und der SPD)

Wir haben mit massiven Hilfen des Staates und der Verbraucher eine Kohlepolitik durchgehalten, die gerade in dieser Zeit extremer Unsicherheiten und Risiken ihre Bestätigung findet. Wir haben schließlich ein mehrjähriges Einsparprogramm, das auf ein schrittweises Ausschöpfen der noch bestehenden Einsparpotentiale gerichtet ist, das laufend überprüft und, wo nötig, akzentuiert wird. Die international vorbildlichen Erfolge des 4,35-MilliardenDM-Programms nenne ich nur als Beispiel.
Wir wissen alle, daß nicht zuletzt auch der Markt inzwischen Preissignale gesetzt hat, die Wirtschaft und Verbraucher zum sparsameren Umgang mit Energie veranlaßt haben.
Aber, meine Damen und Herren, auf dieser Erfolgsbilanz wollen wir uns nicht ausruhen. Wie im Jahreswirtschaftsbericht ausgeführt, werden wir die Politik der sparsamen und rationellen Energienutzung fortsetzen. Inzwischen haben sich Steinkohlebergbau und Elektrizitätswirtschaft über eine Aufstockung und eine Verlängerung des langjährigen Abnahmevertrags geeinigt. Ich möchte auch hier dankbar notieren, daß gestern auf der Messe in Hannover der Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie diesen Vertrag ausdrücklich begrüßt und ihm seine Unterstützung zugesichert hat.

(Beifall bei der FDP und der SPD)

Wenn nunmehr in Kürze die dazu notwendigen gesetzlichen Voraussetzungen geschaffen sind, ist damit die politische Forderung aller Parteien hier im Bundestag, nämlich Vorrang für die deutsche Steinkohle bei unserer Energieversorgung, erfüllt.

(Zustimmung bei der SPD)

Wir werden hierüber in der nächsten Woche ausführlich im Rahmen der Debatte über die Novelle des Verstromungsgesetzes diskutieren.
Zusammen mit den Kohlemengen, die bei Realisierung des kürzlich beschlossenen Kohleveredelungsprogramms benötigt werden, rechnen wir gegen Ende der 80er Jahre mit einem starken Anstieg der Kohlenachfrage. Auch deshalb war es notwendig, die Voraussetzungen für eine zusätzliche vorsichtige Öffnung des deutschen Marktes für Importkohle zu schaffen. Dies ist Voraussetzung, um in der Industrie das zur Wärmeerzeugung noch in beträchtlichem Umfang verbrannte schwere Heizöl zu ersetzen. Eine solche Substitution würde absichern, daß wir unser international für 1985 vereinbartes Olimportziel erreichen können.
Langfristig, meine Damen und Herren, strebt die Bundesregierung eine vollständige Verdrängung des schweren Heizöls auch aus den Kraftwerken an. Es ist heute sicher zu früh, hierfür einen Termin zu nennen, aber die Elektrizitätsunternehmen müssen sich beizeiten darauf einstellen. Dieser Schritt, der von der Weltölsituation her bereits heute geboten ist und in Zukunft noch dringlicher wird, setzt — das muß ich deutlich sagen — auch voraus, daß in unserem Lande wieder Kernkraftwerke gebaut werden

(Glos [CDU/CSU]: Sehr richtig!)

— ich hoffe, Sie unterstützen das in Ihrem Wahlkreis, Herr Kollege Glos —, ein Bereich, in dem wir ohnehin Versäumtes nachzuholen haben. Besonders gern erwähne ich deshalb auch die Einigung, die der Herr Bundeskanzler mit den Ministerpräsidenten der Länder über die Entsorgungsgrundsätze erzielt hat. Sie sind eine wichtige Grundlage für weitere Fortschritte im Energiebereich. Die Bundesregierung begrüßt die Bemühungen der hessischen Landesregierung zur Wiederaufbereitung von Kernbrennstoffen, und sie hört mit Aufmerksamkeit nach Niedersachsen, ob auch dort solche Vorstellungen spät, aber nicht zu spät wieder Gestalt annehmen.

(Zuruf von der CDU/CSU: Fragen Sie mal die SPD!)

— Die hat doch dort nicht die Mehrheit. Oder wie ist das?
Wir müssen die Übergangszeit, die uns bleibt, nutzen. Das beschlossene Kohleveredelungsprogramm wird ab Mitte bis Ende der 80er Jahre zu unserer 01- und Gasversorgung beitragen können. Auch die Umstrukturierung des Energieverbrauchs, die Einführung neuer, energiesparender Geräte, Maschinen, Kraftfahrzeuge und Heizungssysteme zur Verdrängung des Öls benötigen viel Zeit — trotz beschleunigend wirkender staatlicher Rahmenbedingungen und Anreize. Sparen und Substitution bleiben daher Daueraufgaben und sind keine einmaligen Kraftakte. Sie stellen sich den gewerblichen Verbrauchern, bei denen Energie zwar als Kostenfaktor schon immer aufmerksam verfolgt wurde, die es aber nicht beim Weiterwälzen von Kosten belassen dürfen. Sie stellen sich genauso den privaten Verbrauchern, von denen künftig ein noch ausgeprägteres Energiebewußtsein und ein noch rationaleres Verhalten gefordert werden muß. Ich, meine Damen und Herren, bezweifle jedenfalls, daß der Verbraucher vom Staat zum Sparen gezwungen sein will. Ich vertraue darauf, daß mündige Bürger auch ohne staatliche Verbote vernünftig mit der kostbarer werdenden Energie umzugehen lernen.

(Beifall bei der FDP)

Ich muß zugeben — und jeder von uns wird das müssen —, daß wir nicht auf alle hier angeschnittenen Fragen bereits eine voll befriedigende Antwort wissen. Die Zahl der Fragen ist groß, und ihre Lö-



Bundesminister Dr. Graf Lambsdorff
sung wird durch ihre Interdependenz nicht gerade leichter. Gemessen an den soeben von mir aufgestellten Maßstäben scheint mir die Bundesrepublik für den Einstieg in die 80er Jahre generell nicht schlecht gerüstet zu sein. Trotz der teilweisen Verschlechterung der internen und außenwirtschaftlichen Rahmenbedingungen, trotz aller Unvollkommenheiten bleibt für mich der Pfad der marktwirtschaftlichen Lösungen die beste Antwort auf die anstehenden Probleme. Nicht Flucht in dirigistische Scheinalternativen, sondern beharrliche Stärkung der marktwirtschaftlichen Ordnung, national wie international, und ihres wirtschaftspolitischen Instrumentariums — dies, so meine ich, muß der kategorische Imperativ für die Wirtschaftspolitik des nächsten Jahrzehnts sein.

(Beifall bei der FDP und der SPD)


Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID0821100200
Bevor ich weiter das Wort erteile, möchte ich ein Versäumnis nachholen. Ich habe bei den Geburtstagsglückwünschen übersehen, daß der Vizepräsident des Deutschen Bundestages, unser Kollege Dr. von Weizsäcker, ebenfalls seinen 60. Geburtstag gehabt hat. Ich möchte das mit besonderer Herzlichkeit nachholen.

(Beifall)

Das Wort hat Herr Professor Dr. Biedenkopf.

Dr. Kurt H. Biedenkopf (CDU):
Rede ID: ID0821100300
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! „Der Pfad marktwirtschaftlicher Lösungen bleibt die beste Antwort auf die anstehenden Probleme. Nicht Flucht in dirigistische Scheinalternativen, sondern beharrliche Stärkung der marktwirtschaftlichen Ordnung muß der kategorische Imperativ auch für das nächste Jahrzehnt sein."

(Beifall bei der CDU/CSU)

Ich kann dieser Formulierung uneingeschränkt zustimmen. Die Tatsache, daß sie vorgetragen worden ist, legt die Vermutung nahe, daß es in der Koalition eine Arbeitsteilung gibt: die FDP ist zuständig für die Prinzipien, und die SPD ist zuständig für die Politik.

(Wehner [SPD]: Und Sie sind zuständig für die falsche Auslegung!)

Zwei Beispiele, Herr Kollege Wehner! In der Rede des Wirtschaftsministers heißt es: „Es bleibt bei unserem Ziel: Konsolidierung der öffentlichen Haushalte." In den jüngsten Projektionen des Finanzplanungsrates wird für das Jahr 1981 nicht 43 Milliarden Verschuldung, sondern 60 Milliarden Verschuldung in Aussicht genommen, wenn es nicht gelingt, entsprechende Einsparungen im öffentlichen Haushalt zu leisten. Daß Einsparungen im öffentlichen Haushalt kaum möglich sein werden unter der gegenwärtigen Regierung, hat der Bundesfinanzminister in einem kürzlichen Interview im „Spiegel" mitgeteilt, in dem er feststellte, daß es politisch unmöglich sei, Besitzstände abzubauen. Da der Haushalt im wesentlichen aus Besitzständen besteht, soweit er überhaupt konsolidiert werden kann, hat der Finanzminister erklärt, daß die in Aussicht genommene Konsolidation aus politischen Gründen nicht möglich ist. Der Finanzplanungsrat hat die daraus notwendigen Konsequenzen gezogen. Das ist die Politik. Graf Lambsdorff hat die Konsolidation der öffentlichen Haushalte verkündet: das ist das Prinzip.

(Beifall und Heiterkeit bei der CDU/CSU)

Graf Lambsdorff hat in seiner Rede gesagt — und ich stimme dem uneingeschränkt zu —: Die Stabilisierung des Preisniveaus ist die wichtigste Voraussetzung für Fortschritte im Beschäftigungsbereich und überhaupt die wichtigste Aufgabe gegenwärtig. — Gleichzeitig emittiert die Bundesregierung Anleihen über zehn Jahre mit 10 % Zinsen. Wenn wir dieses Stabilitätsziel erreichen, dann bedeutet das, daß die Bundesregierung 7 % Realzinsen zahlen muß. Kein Unternehmen ist in der Lage, bei 7 % Realzinsen Kredite aufzunehmen und in einer durch Wettbewerb und Umstrukturierung bedingten Landschaft diese Zinsen zu verdienen. Die Emittierung einer Anleihe zu 10 % Zinsen über zehn Jahre kann nur bedeuten, daß die Bundesregierung an ihr Stabilitätsziel selbst nicht glaubt, sondern langfristig von einer Inflationsrate von 6 bis 7 % ausgeht.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Andernfalls wäre eine so langfristige Festlegung auf einen so hohen Zinssatz unverantwortlich.
Die Debatte über den Jahreswirtschaftsbericht ist vom Wirtschaftsminister in dankenswerter Weise in diesem Jahr dazu benutzt worden, über das Jahr hinaus in die 80er Jahre zu blicken. Ich freue mich darüber. Denn bei früheren Anlässen haben Versuche der Opposition, den Jahreswirtschaftsbericht zu längerfristigen Betrachtungen zu verwenden, stets das Mißfallen der Koalition ausgelöst. Ich begrüße es auch deshalb, weil ich in der Tat glaube, daß in der gegenwärtigen Lage in unserem Land eine auf ein Jahr oder jetzt praktisch noch auf ein halbes Jahr reduzierte Perspektive keine sinnvollen Leitlinien für Politik liefern kann.
Grundlage für unsere Wirtschaftspolitik ist nach wie vor die Zielvorgabe des Stabilitätsgesetzes: Vollbeschäftigung, Preisstabilität, ausgeglichene Handels- und Leistungsbilanz bei angemessenem Wachstum. Diese Ziele — das hat der Wirtschaftsminister am Ende ja auch für die Regierung festgestellt — sind im Rahmen der marktwirtschaftlichen Ordnung zu lösen.
Das Ziel „Vollbeschäftigung" ist in der Bundesrepublik nur teilweise, und zwar nur regional, erreicht. Es gibt einige Länder, etwa das Land Baden-Württemberg, in denen es kaum noch Arbeitslosigkeit gibt. Es gibt Länder, etwa das Land Nordrhein-Westfalen, in denen die Arbeitslosigkeit über dem Bundesdurchschnitt liegt. Der Bundesdurchschnitt bewegt sich seit Jahren um eine Million. Das ist eine Million zu viel.

(Beifall bei der CDU/CSU — Roth [SPD]: Das Saarland ist nächste Woche dran!)

Zurückgegangen ist allein die Kurzarbeit. Das Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Institut des Deutschen Gewerkschaftsbundes hat deshalb den Jahreswirtschaftsbericht der Bundesregierung auch



Dr. Biedenkopf
nicht freundlich kommentiert. Das Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Institut des DGB hat festgestellt, es handele sich bei dem Jahreswirtschaftsbericht der Bundesregierung um ein Dokument vordergründigen Optimismus.

(Lampersbach [CDU/CSU]: Hört! Hört!)

Nach Auffassung des Deutschen Gewerkschaftsbundes wird — im Gegensatz zu den Annahmen der Bundesregierung — die Kapazitätsauslastung mit zunehmender Geschwindigkeit sinken — ein Wendepunkt nach oben sei nicht in Sicht —, sich die Konjunktur bei vergleichsweise hohen Inflationsraten abschwächen, die Arbeitslosigkeit im Laufe des Jahres spürbar ansteigen. Nach Auffassung des Deutschen Gewerkschaftsbundes befindet sich die Bundesrepublik Deutschland erneut auf dem Weg in die Stagflation. Dabei geht das Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Institut davon aus, daß die Vorgaben des Jahreswirtschaftsberichtes im Laufe des Jahres nicht eingehalten werden können, daß die Wachstumsrate geringer als 2,5 % sein wird, daß die Arbeitslosigkeit höher als 3,5 % sein wird, daß die Verbraucherpreissteigerungen, also die Inflationsrate, höher als 4,5 % sein werden und daß das Defizit der Leistungsbilanz höher als 20 Milliarden DM sein wird. Der Bundeswirtschaftsminister hat einen Teil dieser Korrekturen bereits vorweggenommen, indem er gesagt hat, die Leistungsbilanz werde wahrscheinlich ein höheres Defizit aufweisen. Jedenfalls hat er seiner Befürchtung Ausdruck verliehen, daß auch die Inflationsrate höher sein wird. Nach meiner Auffassung sind die Einschätzungen des Deutschen Gewerkschaftsbundes über die tatsächliche Entwicklung unserer Wirtschaft realistischer als die der Bundesregierung.

(Westphal [SPD]: Er zieht andere Konsequenzen als Sie!)

— Zu den Konsequenzen, Herr Kollege, komme ich noch.
Die Analyse des Jahreswirtschaftsberichtes muß lauten: Die Dinge sind teilweise in Ordnung, teilweise haben wir zur Zeit eine konjunkturelle Landschaft, die instabil ist. Voraussagen und Perspektiven über das, was in der Bundesrepublik Deutschland wirtschaftspolitisch notwendig ist, enthält der Bericht nicht.
Es ist für mich interessant, daß der Wirtschaftsminister auch in seiner heutigen Rede, die ja vom Bericht weit weggeht und im wesentlichen die Internationalen Dinge behandelt hat, bezüglich der Schlußfolgerungen für die deutsche Wirtschaftspolitik nur sehr kursorische Angaben gemacht hat. Er hat sich weder zur zukünftigen Entwicklung der Staatsverschuldung geäußert, noch hat er sich dazu geäußert, wie die Eigenkapitalbildung der Unternehmen gestärkt werden kann, die ja die Chancen, von denen hier die Rede war, nur dann nutzen können, wenn sie Eigenkapital bilden können, noch hat er von den Beschäftigungsrisiken und damit von der Erhaltung und Sicherung der Vollbeschäftigung in den kommenden Jahren sowie davon gesprochen, was denn
nun unter marktwirtschaftlichen Gesichtspunkten praktisch notwendig und zu tun ist.

(Lampersbach [CDU/CSU]: Er darf das ja auch nicht!)

Genau dies wäre aber die Aufgabe eines solchen über den Jahreswirtschaftsbericht hinausgehenden Exkurses gewesen.

(Zuruf von der CDU/CSU: Das macht der Kanzler ganz alleine!)

Tatsächlich geben die Ausführungen des Jahreswirtschaftsberichts über die geplante Wirtschafts-und Finanzpolitik der Regierung keinen Aufschluß. Maßnahmen sollen vielmehr nach den gesamtwirtschaftlichen Erfordernissen — was immer dies dann im konkreten Fall sein mag — getroffen werden.
Diese Politik wird von dem schon zitierten Gewerkschaftsinstitut wie folgt kommentiert:
Dieses Verfahren ist in höchstem Maße unbefriedigend, denn die Publikation ehrgeiziger und nach herkömmlichem wirtschaftspolitischem Verständnis ansatzweise sogar widersprüchlicher Zielvorstellungen allein vermag die Probleme nicht zu lösen. Ohne die gleichzeitige Nennung der für zieladäquat gehaltenen Wirtschaftspolitik wird sie allenfalls einen vordergründigen Optimismus erzeugen, was letztlich die Unsicherheit über die weitere Entwicklung und damit die ohnehin schon erheblichen beschäftigungspolitischen Risiken eher vergrößert.
Ich stimme dieser Analyse vollinhaltlich zu.
Die erste und wichtigste Frage für die Beurteilung der weiteren wirtschaftlichen Entwicklung in der Bundesrepublik Deutschland ist in meinen Augen die Frage nach dem weiteren Verlauf der Verschuldenspolitik. Daß die Verschuldung des Staates in den letzten Jahren nicht nur ein finanz- oder haushaltspolitisches, sondern auch ein wirtschaftspolitisches Problem geworden ist, wird heute nicht mehr bestritten. Weder der Sachverständigenrat noch die Bundesbank noch irgendein anderer Sachverständiger, der sich an der Diskussion beteiligt, bezweifelt die Notwendigkeit einer Kursänderung im Bereich der Verschuldenspolitik, und jeder sagt voraus, daß im anderen Falle, bei einer Fortsetzung der gegenwärtigen Politik, nicht nur die Vollbeschäftigung gefährdet ist, nicht nur das Wachstum gefährdet ist, sondern langfristig auch die marktwirtschaftliche Ordnung gefährdet ist, die der Wirtschaftsminister am Schluß seiner Rede zum kategorischen Imperativ für unsere Politik erklärt hat.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Wenn aber dieser inhaltliche Zusammenhang zwischen der Staaatsverschuldungspolitik in der Zukunft und dem so formulierten kategorischen Imperativ besteht, kann der Wirtschaftsminister die Frage der zukünftigen Staaatsverschuldung nicht seinem Kollegen Finanzminister überlassen, sondern dies ist ein entscheidender Gegenstand der zukünftigen wirtschaftspolitischen Entwicklung unseres Landes und damit seiner Wohlfahrt und seiner Zukunft.



Dr. Biedenkopf
Äußerungen führender Koalitionspolitiker lassen ebenso wie die jüngsten Projektionen des Finanzplanungsrates erkennen, daß weitere Kreditaufnahmen geplant sind, um konjunkturelle Niederungen zu überbrücken, um die Vollbeschäftigung zu sichern, um die Wirtschaft anzukurbeln, wenn dies für erforderlich gehalten wird. Daß es für erforderlich gehalten wird, ergibt sich bereits aus den von mir erwähnten Projektionen des Finanzplanungsrates.
Andererseits — ich habe auch das schon erwähnt
— erklärt der Finanzminister, Einsparungen seien unwahrscheinlich, denn in der Bundesrepublik politische Mehrheiten für den Abbau von Besitzsständen zu finden, sei außerordentlich schwierig.

(Bundesminister Matthöfer: Eine Verfälschung, lieber Herr Kollege! — Zuruf von der CDU/CSU: Eine Bankrotterklärung!)

— Herr Matthöfer, Zitat aus dem „Spiegel"-Interview vom 7. April 1980: Es sei „schwierig, in der Bundesrepublik politische Mehrheiten für den Abbau von Besitzständen zu finden". — Falls Sie sich hier falsch zitiert fühlen, bedaure ich es, denn ich halte diese Aussage für richtig; ich stimme ihr voll zu,

(Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/ CSU)

und ich hatte gehofft, daß wir darin übereinstimmen.
In der Tat ist es schwierig, politische Mehrheiten für den Abbau überholter Besitzstände zu finden. Aber gerade weil dies schwierig ist, ist es unerläßlich, daß alle politischen Kräfte im Lande — so, wie wir ja auch eben vom Wirtschaftsminister aufgerufen worden sind — dazu beitragen, daß der Abbau überholter Besitzstände politisch mehrheitsfähig wird.
Genau das Gegenteil wird aber von der Sozialdemokratischen Partei betrieben. Wann immer irgend jemand aus dem Kreis der Opposition irgendeinen Vorschlag zum Abbau irgendeines Besitzstandes macht, muß er damit rechnen, daß er im Lande draußen als jemand, der soziale Demontage betreibt, als jemand, der den Menschen die Arbeitsplätze wegnehmen will,

(Beifall bei der CDU/CSU)

als jemand, der den Menschen die Wohnungen wegnehmen will, diffamiert wird.

(Roth [SPD]: Agrarsubventionen, Herr Professor!)

— In allen Bereichen, Herr Kollege, selbst da finden Sie Sozialdemokraten, die vor Ort genau das Gegenteil dessen sagen, was ihre Regierung für richtig hält.

(Erneuter Zuruf des Abg. Roth [SPD])

Wenn aber die Bundesregierung selbst durch die politischen Parteien, die sie tragen, den Abbau von Besitzständen dort, wo sie überholt sind, unmöglich macht, dann kann sie natürlich auch den Haushalt nicht konsolidieren. Wenn sie den Haushalt nicht konsolidieren kann, muß sie sich neu verschulden. Wenn sie sich neu verschuldet, macht sie aber genau das, was sie nach ihrer eigenen Auskunft, nämlich der Auskunft des Wirtschaftsministers, nicht tun darf, nämlich die Wirtschaft weiter belasten, die Bevölkerung weiter belasten, den Kapitalmarkt weiter belasten und damit eben die Wachstumskräfte abwürgen, die wir dringend brauchen, um die Aufgaben der 80er Jahre zu lösen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

So müssen wir damit rechnen, daß, wenn es bei der gegenwärtigen Politik bleibt, die Staatsverschuldung fortgeführt wird. Bereits heute haben wir im Schnitt eine Laufzeit der staatlichen Verschuldung von unter fünf Jahren. Das bedeutet, daß die Umwälzungen — neue Schulden zur Bezahlung alter Schulden — zugleich zu einem immer höheren Zinsniveau führen.

(Roth [SPD]: Vorher waren zehn Jahre zu lang! Was ist nun?)

— Verzeihen Sie, Herr Roth — das unterscheidet uns offenbar auch im Aufnehmen solcher Sachverhalte —, ich habe gesagt, daß eine Zehnjahresverschuldung gut ist, aber nicht zu 10 % Zinsen, wenn man die Inflationsrate auf 3 % senken will. Das war das Problem.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Wir würden es außerordentlich begrüßen, wenn die Verschuldungspolitik auf eine längerfristige Inanspruchnahme des Kapitalmarkts gerichtet wäre. Nur kann man das angesichts der gegenwärtigen Politik der Bundesregierung eben nicht machen, weil das Konsolidationsziel verfehlt wird.
Meine Damen und Herren, bereits 1983 müssen wir damit rechnen, daß etwa 10 % des regulären Haushaltes unter den Bedingungen einer Fortdauer der Hochzinspolitik für Zinsen der Staatsverschuldung aufgewendet werden müssen. Die Staatsverschuldung verdrängt zunehmend die private Kapitalnachfrage auf dem Kapitalmarkt. Rund 40 % des Kapitalmarktes werden heute durch die öffentliche Nachfrage nach Krediten in Anspruch genommen. In der Zeit von 1960 bis 1970 ist der Kapitalmarkt von den öffentlichen Händen mit Ausnahme des Jahres 1967 nicht nennenswert und in den meisten Jahren überhaupt nicht in Anspruch genommen worden.

(Ey [CDU/CSU]: Hört! Hört!)

Durch hohe Zinsen bei Anleihen wird das Investieren in Staatsanleihen interessanter als das Investieren in der Wirtschaft. Wenn jemand damit rechnen kann, real 6 % Zinsen auf ein Staatspapier erzielen zu können, dann wird er kaum einen privaten Investor finden, der in der Lage ist, ihm die gleiche Realverzinsung des Eigenkapitals anzubieten. Das hißt, ein wesentlicher Teil des Angebots an Kapital geht nicht mehr dorthin, wo es dringend gebraucht wird, nämlich zur Finanzierung der strukturellen Veränderungen, die der Wirtschaftsminister doch durch seine Politik erleichtern will.

(Beifall bei der CDU/CSU — Ey [CDU/ CSU]: Aushöhlung der Marktwirtschaft!)

Die Staatsverschuldung greift im übrigen tief in das Gefüge der Wirtschaft ein und verletzt damit zu-



Dr. Biedenkopf
nehmend den kategorischen Imperativ marktwirtschaftlicher Ordnung.

(Ey [CDU/CSU]: Aushöhlung der marktwirtschaftlichen Ordnung!)

Zunächst einmal verändert die wachsende Staatsverschuldung die Verteilung und Verwendung des Sozialprodukts. Ein Unternehmen muß hohe Steuern zahlen und darf dann beim Staat Zuschüsse für die Eigenkapitalbildung beantragen, die es nach großem bürokratischen Aufwand möglicherweise bekommt. Die einzigen, die hier einen Vorteil haben, sind diejenigen, deren Arbeitsplätze im Zusammenhang mit diesem bürokratischen Aufwand stehen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Tatsächlich ist dies ein höchst unwirtschaftliches Verfahren der Eigenkapitalbildung. Außerdem führt es zu einer Beschränkung der Freiheit der Unternehmen, denn die Unternehmen können nicht mehr frei über das Geld verfügen, das sie investieren wollen, sondern staatliche Behörden schreiben vor, wo, in welcher Weise, zu welchen Bedingungen, mit welchen Zielen, unter welchen Risiken und für welche Zeiträume investiert werden soll. Dies ist die Praxis im Gegensatz zur „Nicht-Flucht in dirigistische Scheinalternativen", dem zweiten kategorischen Imperativ des Wirtschaftsministers.

(Zuruf von der CDU/CSU: Das will ja Herr Matthöfer!)

Die Privathaushalte in der Bundesrepublik Deutschland zahlen heute nach Auskunft aus den bisherigen Arbeiten der Transferkommission ungefähr die Hälfte ihrer Transfereinkommen selbst. Das heißt, ungefähr die Hälfte dessen, was Privathaushalte vom Staat in Form von Zuschüssen, Beihilfen, Leistungen und sonst bekommen, müssen sie zunächst selber als Steuern bezahlen. Ein Lediger zahlt in der Bundesrepublik Deutschland heute auf die letzten 100 DM über 50% Steuern und Abgaben, und wenn er heiraten will, bieten wir ihm an, daß er beim Staat ein Darlehen beantragen darf, damit er heiraten kann. Wäre es nicht viel vernünftiger, ihm selbst die Vermögensbildung zu gestatten, so daß er den Staat nicht braucht?

(Beifall bei der CDU/CSU)

Hier wird in die private Verfügung über privates Einkommen in einer Weise eingegriffen, die das Verhalten der Bevölkerung beeinflußt und verändert. Auch dies ist eine Methode der Systemveränderung.

(Ey [CDU/CSU]: Sehr richtig!)

Eine immer größere Ausdehnung des Staatsanteils beeinflußt die Höhe und die Art der Vermögensbildung. Die Vermögensbildung findet immer mehr im staatlichen Bereich und immer weniger im privaten statt. Das heißt, immer mehr des gesamten Volksvermögens wird nach Gesichtspunkten planwirtschaftlicher Art verwaltet und eingesetzt und nicht nach privatwirtschaftlicher, wettbewerbsorientierter Art.
Wenn die Tendenz zur weiteren Staatsverschuldung nicht gestoppt wird, wird die Wirtschaftsordnung selbst Schritt für Schritt umgestaltet.

(Ey [CDU/CSU]: Sehr richtig!)

Was heißt denn marktwirtschaftliche Ordnung? Marktwirtschaftliche Ordnung heißt, daß die Bürger zu einem wesentlichen Teil über die Verfügung des Volkseinkommens selbst bestimmen.

(Ey [CDU/CSU]: In Freiheit!)

In dem Maß, in dem der Staatsanteil am Bruttosozialprodukt, d. h. am Volkseinkommen, wächst, bestimmt der Staat darüber, was mit dem Volkseinkommen geschieht.

(von der Heydt Freiherr von Massenbach [CDU/CSU]: Das ist schlecht!)

Wenn der Anteil, über den der Staat verfügt, eine gewisse Grenze überschreitet, wird die staatliche Verfügung über das Volkseinkommen zur Regel und die private Verfügung über das private Einkommen zur Ausnahme. Und dann haben wir die Systemveränderung. Dann haben wir eine Situation, wo man private Verfügungen noch in Teilbereichen zuläßt, aber alle wichtigen Entscheidungen beim Staat landen, ob es künftige Investitionen, künftige Forschung, künftige Forschungsunterstützung etc. etc. sind. Genau dies beschreibt die Veränderung der Wirtschaftsordnung durch Staatsverschuldung. Auf diesem Weg sind wir schon einen wesentlichen Schritt gegangen.
Letztlich: Die mit der Staatsverschuldung aus konjunkturellen Gründen angestrebten Wirkungen gehen immer weiter zurück. Nach Auskunft der Sachverständigen, etwa von Mitgliedern des Sachverständigenrats, befinden wir uns, was die Wirksamkeit konjunktureller staatlicher Maßnahmen betrifft, die ja alle oder zum großen Teil durch Kredite finanziert werden, heute etwa an der Stelle, wo sich die angelsächsischen Länder vor sechs bis acht Jahren befanden, d. h. an der Stelle, von der man sagen kann, daß zusätzliche staatliche konjunkturelle Maßnahmen praktisch wirkungslos sind. Der Sachverständigenrat hat in seinem letzten Jahresgutachten, im Jahresbericht für 1979/80, den Versuch gemacht, die bisher zu Zwecken der Konjunkturanregung aufgenommenen Schulden des Staates in der zweiten Hälfte der 70er Jahre, unter dem Gesichtspunkt ihrer Wirksamkeit zu überprüfen. Er ist zu dem Ergebnis gekommen, daß die konjunkturellen Impulse der öffentlichen Hände — Bund, Länder und Gemeinden —, soweit sie durch Kreditaufnahme erfolgten, in der zweiten Hälfte der 70er Jahre etwa 20 Milliarden jährlich betrugen — mehr nicht! Alles andere war nicht wirksam im Sinne der Maßnahmen. Im selben Zeitraum mußten jährlich annähernd genauso viel Zinsen für die aufgelaufenen Gesamtschulden gezahlt werden. Wenngleich beides nicht in unmittelbarem Zusammenhang miteinander steht, so kann man doch sagen, daß für 1 DM konjunkturwirksam ausgegebenen Staatskredits ungefähr 1 DM Zinsen bezahlt werden mußte.
Staatsverschuldungen sind vertagte Steuern. Sie erzeugen eine Illusion. Wenn sie nicht für investive, sondern für konsumtive Zwecke ausgegeben wer-



Dr. Biedenkopf
den — das ist bei der großen Mehrzahl der Staatsschulden der Fall —, erzeugen sie die Illusion eines größeren vorhandenen Volkseinkommens und einer größeren vorhandenen Vermögensbildung des Volkes.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Diese beiden Illusionen sind gefährlich.
Wenn Staatsverschuldungen vertagte Steuern sind, weil sie einmal zurückgezahlt werden müssen und weil wir alle, die Staatsbürger, die einzigen sind, die sie zurückzahlen können, dann geht von den Staatsschulden mittelfristig die gleiche Wirkung aus wie von einer Überlastung durch Besteuerung. Die steigende Staatsquote, die mit der Staatsverschuldung Hand in Hand geht, dämpft die Dynamik der Wirtschaft, dämpft das Wachstum der verfügbaren Einkommen. Gerade daran sind wir nicht interessiert; denn wenn die Perspektive, die der Wirtschaftsminister vorgetragen hat, zutrifft, brauchen wir eine Freisetzung der Dynamik und eine Freisetzung des Wachstums in der Wirtschaft. Das ist genau das Gegenteil von dem, was ich durch eine immer größere Staatsverschuldung bewirke.

(Beifall bei der CDU/CSU — Zuruf des Abg. Roth [SPD])

— Lieber Herr Kollege Roth, ich habe vorhin gesagt — falls Sie mir die Ehre gegeben haben sollten, in diesem Zeitraum zuzuhören —, daß wir uns heute mit der Wirksamkeit des Interventionismus aus konjunkturpolitischen Gründen etwa dort befinden, wo Großbritannien vor sechs bis acht Jahren war. Wenn wir die gegenwärtige Politik weiterführen, können wir jetzt in der Geschichte der letzten sechs bis acht Jahre von Großbritannien ablesen, wo wir in fünf bis sechs Jahren stehen. Genau darauf kommt es an.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Warum leistet der Bürger weniger Widerstand gegen die Staatsverschuldung? Weil mit der Staatsverschuldung eine Wohlstandsillusion verbunden ist. Der Bürger kauft Staatspapiere und glaubt, er bilde damit Vermögen. Gleichzeitig erhält er die mit den Staatspapieren finanzierte staatliche Leistung und glaubt, er erhalte diese Leistung auf Grund seiner Steuerzahlung. Er übersieht aber, daß er das dem Staat im Wege der Kredithingabe überlassene Geld selbst verbraucht, nämlich konsumiert hat, daß er dieses Kapital später zurückzahlen muß und daß er in der Zwischenzeit Steuern zahlen muß, um die Zinsen auf das Kapital zu finanzieren, das er als Bürger bereits in Form von Transferleistungen verbraucht hat.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Diese Wohlstandsillusion hat eine gefährliche Wirkung.

(Kittelmann [CDU/CSU]: So ist es, Herr Matthöfer!)

Sie hat deshalb eine gefährliche Wirkung, weil die Bürger nicht mehr mit den Kosten der Leistungen konfrontiert werden, die sie in Anspruch nehmen.

(Sehr richtig! bei der CDU/CSU)

So haben wir deshalb auch in unserem Lande inzwischen eine sogenannte „objektive Bedarfsdiskussion", d. h., es wird über den objektiven Bedarf der Menschen diskutiert. Alle Sachverständigenschätzungen in den jeweils einzelnen Sachgebieten zusammengenommen führen zu einem ungeheuren Bedarf. Bedarf ist aber nie objektiv zu ermitteln, es sei denn, es handelt sich um die Existenzsicherung des Menschen. Alles, was darüber hinausgeht, kann nur ermittelt werden, wenn man den angemeldeten' Bedarf und die Kosten nennt, die mit der Befriedigung des Bedarfes verbunden sind.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Nur wenn die Bürger wissen, was mehr Lehrer, was mehr Ärzte, was mehr Sozialhelfer, was mehr Jugendarbeiter, was mehr Straßen, was mehr Kanäle kosten, sind sie überhaupt in der Lage, als mündige Bürger demokratisch darüber zu befinden, ob das ein Bedarf ist, den sie politisch geltend machen und dann auch bezahlen wollen. Wer einen wesentlichen Teil des gegenwärtigen Bedarfs mit Staatsverschuldung finanziert, beraubt die Bürger der Möglichkeit, über die Kosten dieses gegenwärtigen Bedarfs ein sinnvolles, aufgeklärtes Urteil zu fällen, und belastet gleichzeitig nachkommende Generationen mit den Kosten eines Bedarfs, von dem sie nichts mehr haben.

(Beifall bei der CDU/CSU — Dr. Kohl [CDU/CSU]: Die Expropriation der Jungen!)

Die jungen Menschen sind diejenigen, auf deren Schultern heute eine immer größere Hypothek aufgehäuft wird, deren Berechtigung man damit begründet, daß man den gegenwärtigen Bedarf mit den gegenwärtigen Steuern der Bürger nicht mehr bezahlen könne. Soweit es sich um Investitionen handelt, ist gegen die Verschuldung des Staates zu Lasten nachwachsender Generationen nichts einzuwenden, wenn die Investitionen auch noch für die nachwachsenden Generationen wirksam werden. Aber wenn ich Gehaltserhöhungen mit Schulden bezahle, dann sind das keine Investitionen für nachwachsende Generationen, sondern dann ist das eine Wohlstandsillusion.

(Beifall bei der CDU/CSU — Dr. Kohl [CDU/CSU]: Sehr gut! — Zuruf des Abg. Westphal [SPD])

Meine Damen und Herren, nichts ist brutaler als die Fakten. Wenn man deshalb über Fakten diskutiert, ist die Empörung derer, denen die Fakten nicht passen, meistens am größten.

(Zuruf von der CDU/CSU: So ist es!)

Deshalb gilt auch der alte Satz, daß man, wenn die Theorie nicht mit den Fakten übereinstimmt, die Fakten leugnen muß.
Wenn man über diese Zusammenhänge redet — diese leidvolle Erfahrung machen wir in der praktischen politischen Diskussion heute draußen —, dann heißt es: Wer gegen die weitere Staatsver-



Dr. Biedenkopf
schuldung ist, ist dafür, daß die Menschen ihre Arbeitsplätze verlieren.

(von der Heydt Freiherr von Massenbach [CDU/CSU]: So macht man das! Das ist Matthöfer!)

Dies ist eine der übelsten Formen der Irreführung der Menschen in diesem Lande überhaupt.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Was hier behauptet wird, ist: Ihr habt nur zwischen zwei Übeln zu wählen, der Staatsverschuldung oder der Arbeitslosigkeit.
Meine Damen und Herren, eine Regierung, deren Politik die Menschen in eine solche Alternative führt, wo nur noch die Wahl zwischen Staatsverschuldung und Arbeitslosigkeit offen ist, hat so offensichtlich versagt, daß eine weitere Begründung kaum möglich ist.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Die Alternative zwischen Arbeitslosigkeit und Staatsverschuldung ist keine akzeptable Alternative, denn sie bedeutet, daß die Staatsverschuldung gewissermaßen auf Dauer programmiert ist, da ja niemand von uns das Vollbeschäftigungsziel aufgeben will oder aufgeben könnte.
Die Aufgabe muß also lauten: Wie kann ich denn Vollbeschäftigung sichern, ohne den Staat dauernd weiter zu verschulden? Ich hätte mir gewünscht, daß der Wirtschaftsminister dazu etwas gesagt hätte.
1979 hat die deutsche Wirtschaft 350 000 neue Arbeitsplätze zur Verfügung gestellt, Arbeitsplätze, die nicht allein in Großbetrieben entstanden sind, sondern in Handwerksbetrieben, in Einzelhandelsbetrieben, bei Selbständigen, in mittelständischen Unternehmen. Zehntausende von Bürgerinnen und Bürgern haben in diesem Lande im Jahre 1979 den Mut und die Kraft gehabt, zu investieren und neue Arbeitsplätze zu schaffen.
Was ist die Reaktion der Bundesregierung? Die Reaktion der Bundesregierung ist nicht, diese Leistung anzuerkennen, den Bürgern eine Anerkennung dafür auszusprechen, daß sie 350 000 Arbeitsplätze neu geschaffen haben. Herr Wischnewski erklärt vielmehr, die Bundesregierung habe diese 350 000 Arbeitsplätze geschaffen.

(Heiterkeit bei der CDU/CSU — von der Heydt Freiherr von Massenbach [CDU/ CSU]: Der weiß es nicht besser!)

Ich wußte bisher nicht, daß wir eine so phänomenale Erweiterung des öffentlichen Dienstes miterlebt haben.

(Franke [CDU/CSU]: Der redet so, wie er es versteht!)

Genau hier liegt aber das Problem. Wenn wir nicht deutlich machen, daß allein die Kraft der Wirtschaft, derer, die Güter und Dienstleistungen produzieren und anbieten, die im Wettbewerb bestehen müssen, die diesen Strukturwandel bewältigen müssen, von dem hier die Rede war, entscheidend ist, wenn wir nicht endlich anerkennen, daß allein dort das Problem der Vollbeschäftigung gelöst werden kann, wenn wir immer weiter der Illusion nachhängen, nur der Staat könne die Vollbeschäftigung sichern und deshalb müsse man alle Verantwortung beim Staat abladen, dann programmieren wir nicht nur eine weitere Staatsverschuldung, eine weitere Einschränkung der Handlungsfähigkeit des Staates, sondern auch die Arbeitslosigkeit.
Wir können die Vollbeschäftigung nur mit der Kraft und der Leistungsbereitschaft der Menschen im Lande selbst sichern. Deshalb muß diese unsinnige Diskussion über die Alternative „Arbeitslosigkeit und Abbau der Staatsverschuldung oder Vollbeschäftigung und Staatsverschuldung" aufhören. Es ist nicht nur eine irreführende, es ist eine politisch verantwortungslose Diskussion,

(Beifall bei der CDU/CSU)

weil sie die Menschen in den Konflikt zweier Ängste treibt: die Angst vor der Arbeitslosigkeit und die Angst vor der Staatsverschuldung. Wenn die betroffenen Wähler in diesen Konflikt der Ängste getrieben werden, kann ich mich darauf verlassen, daß sie sich gegen die Angst entscheiden, die ihnen weher tut, und für die Angst, die ihnen weniger weh tut. Die Staatsverschuldung trifft erst die Jungen, die Arbeitslosigkeit trifft den Wähler heute. Ihn vor den Konflikt zu stellen: „Du bist entweder arbeitslos oder wir verschulden uns weiter", ist eine unerträgliche politische Alternative.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Graf Lambsdorff hat die internationalen Perspektiven beschrieben. Ich kann diesen Perspektiven weitgehend zustimmen. Ich möchte daraus zum Abschluß einige Schlußfolgerungen für die Wirtschaftspolitik im Inneren ziehen:
Die Entwicklung, die sich abzeichnet und die, sowohl was die Ansprüche der Dritte-Welt-Länder an eine neue Weltwirtschaftsordnung als auch was die Ansprüche der Rohstoffländer an das Bruttosozialprodukt der Industrieländer anbetrifft, Krisendimensionen hat, ist für uns auch eine Chance. Richard von Weizsäcker hat hier von diesem Platz vor einigen Jahren über die Chance der Krise gesprochen — in ganz anderem Zusammenhang. Schon damals wurden seine innenpolitischen Anregungen, die er als Chancen aus der Krise begriffen haben wollte, als soziale Demontage diffamiert,

(Zuruf von der CDU/CSU: So war es!)

weil sie darauf ausgerichtet waren, mit Hilfe der Krise die Verantwortungsbereitschaft, die Bereitschaft der Bürger zum Mittun zu mobilisieren und der Ohne-mich-Mentalität der Menschen entgegenzutreten. Das müssen wir auch heute wieder tun. Diese Krise bietet Chancen für neue Aktivitäten in der Wirtschaft, für das Entstehen neuer Industrien, für die Ausweitung und den Ausbau des Mittelstandes.
Voraussetzung — auch da stimme ich dem Wirtschaftsminister zu — ist, daß der Staat die Wachstumshemmnisse abbaut. Im Prinzip stimmen wir auch hier überein, nur die Praxis ist das nicht. Wachstumshemmnisse abbauen, das heißt zunächst



Dr. Biedenkopf
einmal, den Geldwert sichern. Es müssen alle Anstrengungen gemacht werden, und dies ist ohne eine Zurückdrängung der Neuverschuldung nicht möglich. Also muß es endlich in diesem Lande eine konzertierte Aktion zur Überwindung überholter Besitzstände geben. Solange dies nicht möglich ist, werden wir diese Aufgabe nicht lösen können.
Die Ertragslage der Unternehmen muß verbessert werden, insbesondere ihre Eigenkapitalbildung. Es ist völlig ausgeschlossen, daß die Wirtschaft unter dem Wettbewerbsdruck, unter dem sie steht, neue Chancen nutzt, wenn ihr dazu das notwendige Eigenkapital fehlt. Man kann neue Chancen nicht nur mit Fremdmitteln finanzieren, weil die Möglichkeit, Risiken zu übernehmen, mit der Zunahme der Fremdfinanzierung abnimmt. Eine angemessene Eigenkapitalausstattung der Unternehmen ist nicht nur ein vermögenspolitisches Problem, es ist vor allem ein Problem der Elastizität, der Risikobereitschaft und der Anpassungsfähigkeit der Wirtschaft: je kleiner das Eigenkapital, um so geringer die Risikofähigkeit und damit natürlich auch die Risikobereitschaft.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Die Sicherung des Wettbewerbs ist die dritte notwendige Bedingung. Graf Lambsdorff hat das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen erwähnt. Ich habe mich über den Dank gefreut, den er an alle ausgesprochen hat, die mitgewirkt haben. Aber das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen ist nur ein kleiner Ausschnitt unserer Bemühungen, den Wettbewerb zu sichern. Ein Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen ist sinnlos, wenn der Staat im Rahmen eines solchen Gesetzes die Konzentration bekämpft und im Rahmen seiner anderen Aktivitäten die Konzentration prämiert.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Solange nur große Unternehmen Aussicht haben, in großem Umfang staatliche Fördermittel zu erhalten, solange nur große Unternehmen in der Lage sind, die auf das Unternehmen abgewälzten Soziallasten nach dem Gesetz der großen Zahl zu übernehmen, solange nur große Unternehmen die Chance haben, staatliche Hilfe zu erhalten, wenn sie in Schwierigkeiten kommen, solange nur die großen Unternehmen die Chance haben, in großem Umfang an Gemeinschaftsprojekten mit dem Staat im Bereich neuer Technologien beteiligt zu werden, können wir nicht erwarten, daß die Lebendigkeit, die Innovationskraft und die Veränderungskraft des Großteils unserer Unternehmen in diesem Lande aktiviert wird.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Die vierte Voraussetzung ist eine leistungsgerechte Besteuerung der Masseneinkommen. Wenn die Grenzbelastung der Arbeitnehmer mit Steuern und Abgaben über 50 % wächst, dann kann ich nicht erwarten, daß sich die Bevölkerung in der Bundesrepublik Deutschland an den Anstrengungen beteiligt, die auf uns zukommen. Denn niemand gebe sich einer Illusion hin: Wenn wir neue Industrien aufbauen wollen, neue Kraftwerke bauen wollen, neue Infrastrukturleistungen erbringen wollen
und in großem Maßstab Fernwärme einführen wollen, so muß die Bevölkerung dies finanzieren. Der Staat ist die Bevölkerung. Am besten wäre es, die Finanzierung würde von den Menschen direkt geleistet, und das setzt eine breitere Vermögensbildung voraus.
Leider sind wir auch in dieser Legislaturperiode mit unserem Petitum, die Vermögensbildung zu verbessern und zu verbreitern, wieder an der Koalition gescheitert. — Graf Lambsdorff, warum haben denn die Kollegen von der FDP im Wirtschaftsausschuß unseren Initiativen zur Vermögensbildung nicht zugestimmt, obwohl sie in diesem Bereich genau die gleichen politischen Ziele haben wie wir? Warum haben Sie denn nicht den ersten Schritt getan?

(Beifall bei der CDU/CSU)

Die Begründung lautete interessanterweise, man könne den ersten Schritt nicht tun, weil der zweite noch nicht feststehe.

(Lachen bei der CDU/CSU)

Dies, meine Damen und Herren, ist eine merkwürdige Form, Prinzipien zu verwirklichen.

(Zuruf von der CDU/CSU: Das ist typisch!)

Wir hätten einen Schritt tun können, wir hätten Vertrauen in die Fähigkeit der Politik begründen können, breitere Bevölkerungskreise an der Vermögensbildung zu beteiligen.
Der nächste Punkt, der notwendig ist, um Vollbeschäftigung und Wachstum im Rahmen der Sozialen Marktwirtschaft zu sichern, ist die Erleichterung des strukturellen Wandels. Es muß aufhören, daß aus politischen Gründen überholte Strukturen dort konserviert werden, wo wir sie — langfristig gesehen — nicht mehr brauchen. Dies ist auch eine schwierige Aufgabe für alle politischen Parteien — daran zweifle ich gar nicht —, aber wenn wir mit der Bevölkerung nicht über diese Zusammenhänge reden, sondern wenn wir die Wohlstandsillusion aufrechterhalten, können wir nicht erwarten, daß wir Mehrheiten für die notwendige Politik gewinnen.
Der letzte Punkt ist die Senkung der Staatsquote. Eine annähernd 50 %ige Staatsquote sichert weder die Vollbeschäftigung noch das Wachstum.
Meine Damen und Herren — andere Redner werden dieses Thema wieder aufgreifen —, abschließend brauchen wir Klarheit, daß sich neue Technologien entwickeln können. Graf Lambsdorff hat zum Thema Kernenergie vorgetragen: Die Bundesregierung begrüßt auch die Bemühungen der hessischen Landesregierung zur Wiederaufbereitung von Kernbrennstoffen. Anläßlich der Eröffnung der Frankfurter Messe hat der Oberbürgermeister von Frankfurt, unser Freund Wallmann, dies ebenfalls gesagt. Börner hat es in seiner späteren Antwort als ,,wohltuend' bezeichnet, daß es möglich war, in Hessen zu einer solchen politischen Gemeinsamkeit zu kommen. Wenn es möglich wäre, auch in Niedersachsen zu der gleichen Gemeinsamkeit zu kommen,

(Beifall bei der CDU/CSU)




Dr. Biedenkopf
dann brauchte die Bundesregierung nicht mit Aufmerksamkeit nach Niedersachsen zu blicken. Graf Lambsdorff, ich würde Ihnen empfehlen, auch einmal mit Aufmerksamkeit nach Nordrhein-Westfalen zu blicken.

(Sehr richtig! bei der CDU/CSU)

Dort hat nämlich der gegenwärtige Regierungschef erklärt, das Land brauche die Kernenergie nicht. Die einzige Partei, die sich vor Ort für die Verwirklichung der Politik der Bundesregierung geschlagen und dafür auch Nachteile in der Kommunalwahl in Kauf genommen hat, war die CDU.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Wir können die Herausforderungen von morgen bewältigen, wir können dies auch im Rahmen des kategorischen Imperativs, den Graf Lambsdorff am Schluß seiner Rede formuliert hat. Aber wir können es nur mit einer neuen Politik.

(Anhaltender lebhafter Beifall bei der CDU/CSU)


Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID0821100400
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Roth.

Wolfgang Roth (SPD):
Rede ID: ID0821100500
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nach Auffassung der Sozialdemokratischen Bundestagsfraktion gibt der Jahreswirtschaftsbericht 1980 ein wirklichkeitsnahes Bild der Wirtschaftsentwicklung in der Bundesrepublik Deutschland wieder. Er nennt die Chancen für das Wirtschaftswachstum und für mehr Beschäftigung, verschweigt aber auf der anderen Seite nicht die Risiken. Der Bundesrepublik Deutschland kommt es dabei zugute, daß sie wegen der deutlichen Verstärkung der selbsttragenden investiven Wachstumskräfte, insbesondere im Jahre 1979, mit einem hohen Niveau der gesamtwirtschaftlichen Tätigkeit in die 80er Jahre geht. Diese positive Entwicklung hat sich bis in diese Tage fortgesetzt, obgleich die weltwirtschaftlichen Rahmenbedingungen extrem riskant, ja — man muß es schon so sagen — negativ sind. Die Arbeitslosigkeit ist im März um 81000 niedriger als im Vorjahr, die Nachfrageentwicklung in Arbeit und Gewerbe ist positiv, die industrielle Produktion hält sich auf hohem Niveau, die Kapazitäten sind erstmals seit 1974 ausgelastet.
Nun wissen wir alle, daß wir inzwischen ein binnenwirtschaftliches Risiko haben, nämlich die Preissteigerungsrate. Trotzdem können wir insgesamt ein positives Bild der binnenwirtschaftlichen Entwicklung zeichnen.
Die Weltwirtschaft beinhaltet im Jahre 1980 nach meiner Überzeugung aber größere Risiken, als sie jemals seit der Währungsreform 1948 bestanden haben. Ich will jetzt nicht von dem reden, was Herr Barbier gestern in einem Kommentar in der „Süddeutschen Zeitung" zu Recht das „Superrisiko" genannt hat.

(Zuruf von der CDU/CSU: Warum nicht?)

Er meinte damit die Gefahr, daß eine weltweite Zuspitzung der militärischen Konflikte auch zu einem Zusammenbruch der Weltwirtschaft führen könnte. Ich glaube, es wäre auch gegenüber dem Bericht un-
gerecht, dieses Superrisiko in einer Wirtschaftsdebatte einkalkulieren zu wollen, die vom Jahreswirtschaftsbericht ausgeht. Aber immerhin muß man die mittleren Risiken, die aus Wirtschaftsboykottforderungen, beispielsweise in Richtung auf Iran, resultieren, bewerten, und man muß ihre Auswirkungen auf die Binnenwirtschaft ermessen. Ich glaube, daß wir sehr darauf aufpassen müssen, daß wir in der Auseinandersetzung mit Fragen des Wirtschaftsboykotts die eigenen wirtschaftlichen und sozialen Interessen der Bundesrepublik Deutschland berücksichtigen und durchsetzen.
Normalere Risiken ergeben sich aus der Ölrechnung des Jahres 1980; aber sie sind gefährlich genug. Etwa 65 Milliarden DM werden auf der Passivseite der Zahlungsbilanz allein aus der Ölrechnung fällig. Das sind also 32 Milliarden DM mehr als im Jahr 1978 und 16 Milliarden DM mehr als im Vorjahr. Ich bedauere es, daß der Sprecher der Opposition nur die Feststellung machte, er habe keine Probleme mit dem, was Graf Lambsdorff gesagt hat, statt daß er selbst eine eigenständige Position der Opposition zu dieser weltwirtschaftlichen Gefährdung aufgebaut oder jedenfalls detailliert dargestellt hätte.

(Beifall bei der SPD und der FDP)

Es gibt keine handels- oder geldpolitischen binnenwirtschaftlichen Instrumente, die derartige kurzfristige Veränderungen der Außenwirtschaft einfangen können.
Besonders nachteilig wirkt sich aus, daß die Wiederanlage der Ölmilliarden noch sehr viel schlechter funktioniert, als es nach 1973 der Fall war.
1980 ist ein Jahr gewaltiger Spekulationsbewegungen. Zwar ist die Silber- und Goldspekulation vorübergehend zusammengebrochen, aber ich befürchte, daß die Spekulation in weiteren Bereichen stattfindet. Lassen Sie mich hinzufügen: Ich habe erhebliche Zweifel, ob nicht die Dollarbewegung der letzten Wochen stark durch spekulative Überlegungen beeinflußt war; mehr als durch das vielzitierte Zinskalkül. Wir können nur hoffen, daß sich die betroffenen Staaten und ihre Zentralbanken der gewaltigen Gefahren bewußt sind, die aus diesen Wechselkursbewegungen herrühren.
Ich glaube — das sage ich auch kritisch und selbstkritisch in Richtung auf die Regierung —, der nächste Wirtschaftsgipfel in Italien muß auch Gegenmittel gegen das zersetzende Gift der Spekulation finden. Wir können es uns in dieser Situation nicht leisten, daß sich zwar die Menschen anstrengen, die Verbraucher sparen, wir das Energiesparen anpacken und alle ihren Solidaritätsbeitrag erbringen, aber eine Minderheit die Lage durch Spekulation ausnutzt und die Weltwirtschaft zerstört. Das ist meine Meinung.

(Beifall bei der SPD) Darüber muß man reden.

Uns beunruhigt die internationale Inflationsrate. Sie liegt über 10 % in der OECD und geht bis zu 20 bei den wichtigsten Handelspartnern. Darüber muß man reden. Dieses weltweite Inflationsklima schafft



Roth
bei uns Unsicherheiten, die man nicht abfangen kann, insbesondere wenn Spekulationsbewegungen beim Wechselkurs die importierte Inflation unterstützen.
Noch mehr Sorgen macht uns als exportabhängiges Land nach meiner Überzeugung kurzfristig die Tatsache, daß wichtige Handelspartner in der Welt zahlungsunfähig geworden sind oder werden können. Insbesondere die nichterdölproduzierenden Staaten der Schwellenländer, aber auch der Dritten Welt, also insbesondere solche außerhalb der OECD, müssen sich derzeit in großem Umfang vom Welthandel abkoppeln.
Abgesehen von sicherheitspolitischen Interessen war es natürlich in unserem wirtschaftspolitischen Interesse, daß die Bundesregierung der Türkei Beistand geleistet hat. Welche Folgen hätte für uns ein Ausfallen wichtiger Länder aus unseren Exportmärkten? So lautet die erste Frage. Eine zweite Frage lautet: Glaubt jemand in diesem Hause, daß wir uns zwei, drei oder gar zehn Beistandsaktionen wie die für die Türkei aus dem Etat leisten können? Wie lange geht das noch? Ich beglückwünsche Minister Matthöfer, daß er hier heute, wenn er nachher redet, wird sagen können, daß die Operation Türkei erfolgreich war. Aber ich bezeifle, daß weitere Operationen dieses Umfangs bei der Lage der anderen Partner in der OECD möglich sind.
Wenn wir in dieser Situation sind und feststellen, daß sich der Welthandelszuwachs nach OECD-Schätzung im Jahr 1980 auf kümmerliche 2 % reduziert — früher hatten wir Welthandelszuwächse von real bis zu 15 % —, müssen meines Erachtens neue Gedanken zur internationalen Finanzierung der Sozialproduktzuwächse formuliert werden.
Warum betone ich diese internationalen Risiken? Wir Sozialdemokraten wollen nicht von unserer nationalen Aufgabe ablenken. Wir wollen kein Problem bei uns verkleinern. Im Gegenteil, man muß die Lage wahrscheinlich sogar ernster sehen, als sie in unserer öffentlichen Meinung derzeit oft gesehen wird. Wir wollen auch nicht andere Schuldige finden, wie manche uns polemisch vorwerfen wollen.
Nein, es geht um etwas ganz anderes: Das internationale Gefährdungspotential muß genau analysiert und erkannt werden, damit man auf nationaler und internationaler Ebene Antworten findet. Es geht also darum, Rezepte zu formulieren.
Ich habe dieses Wort „Rezepte" mit großem Bedacht gewählt, denn dieses Wort spielt, wie sich die meisten von uns erinnern, eine große Rolle in einer Rede aus dem Jahre 1974. Damals sagte Ihr Kanzlerkandidat von heute, Franz Josef Strauß — ich zitiere —:
Zur Taktik jetzt: Nur anklagen und warnen, aber keine konkreten Rezepte etwa nennen.
Ich muß Ihnen sagen: Die Rede von Herrn Biedenkopf lag genau auf der Sonthofener Marschrichtung und -linie.

(Beifall bei der SPD — Lachen bei der CDU/ CSU — Zuruf von der CDU/CSU: Sie disqualifizieren sich selbst!)

Es ist nicht meine Aufgabe, den ganzen Zynismus noch einmal auszuloten, den dieser Marschbefehl für die eigene Truppe beinhaltet hat.

(Pieroth [CDU/CSU]: Von welcher Rede reden Sie denn?)

Ich bedaure, daß sich die CDU/CSU als Fraktion von dem Zynismus dieser Rede niemals distanziert hat.

(Beifall bei der SPD — Pieroth [CDU/CSU]: Welcher Rede?)

Wir wissen heute, daß die Hoffnungen von Franz Josef Strauß von 1974, es müsse „alles wesentlich tiefer sinken, bis wir Aussicht haben, mit unseren politischen Vorstellungen durchzukommen", sich nicht erfüllt haben, daß diese Rechnung nicht aufgegangen ist. Meine Frage ist nur: Warum tritt jemand, der damals als Oppositionspolitiker einen derartigen Offenbarungseid leistete und erklärte, er habe keine Rezepte, keine Antworten, jetzt an und will Rezepte geben — in einer Situation, die weit komplizierter ist als damals?

(Kittelmann [CDU/CSU]: Das ist ja ein peinliches Auftreten!)

Die damalige Rechnung des Herrn Strauß ist nicht aufgegangen, aber Sie haben sich aus Ihren Fesseln nicht mehr befreien können. Auch heute hat Herr Biedenkopf keine Minute zu konkreten Vorschlägen der Wirtschaftspolitik aufgewandt.

(Widerspruch bei der CDU/CSU)

— Wenn Sie es anders sehen, bitte, kommen Sie anschließend herauf und zitieren Sie, wo Herr Biedenkopf in seiner Rede konkrete Alternativen nennt!

(Kittelmann [CDU/CSU]: Nun fangen Sie mal an, Alternativen zu nennen!)

Die Strategie der Scheindiskussionen und Scheinalternativen wurde fortgesetzt. Nach meiner Überzeugung zeichnet sich diese Strategie durch vier Elemente, durch vier Eigenschaften aus.
Erstens. Die internationalen Faktoren und Bedingungen, die die Weltwirtschaft setzt, werden systematisch unterschätzt. Deshalb bleibt das Programm der Opposition schlechthin provinziell.

(Beifall bei der SPD — Kittelmann [CDU/ CSU]: Was Provinz ist, bestimmt Herr Roth!)

Zweitens. Es werden Symptome dramatisiert, statt nüchtern die wirklichen Ursachen zu erkennen. Deshalb bleibt das Programm der Opposition vordergründig und letztlich nur polemisch.
Drittens. Die Aufgaben des Staates — gerade in der Krise — werden in verhängnisvoller Weise relativiert. Die Argumentation strotzt vor Vorurteilen gegenüber dem Staat, seinen Vorleistungen, seinen Stützungen und seinen Anpassungshilfen. Deshalb ist das Programm ebenso naiv wie verantwortungslos.

(Beifall bei der SPD — Zuruf von der CDU/ CSU: Alles Unsinn!)




Roth
Viertens. Die Opposition flüchtet vor konkreten Antworten. Deshalb widerspricht sie sich ständig und fordert ständig Widersprüchliches.
Bei der Polemik um die Staatsschuld, die Herr Professor Biedenkopf heute wieder praktiziert hat, werden alle diese vier Irrwege der Oppositionsstrategie wiederum beschritten. Sie wissen genauso wie wir, warum wir uns seit 1975 — nicht zwischen 1970 und 1974, wie vorhin wieder behauptet wurde, sondern seit 1975 — mehr als früher verschuldet haben. Einerseits war es natürlich der Kampf gegen die Arbeitslosigkeit, andererseits aber auch unser Beitrag für die Weltkonjunktur.
Was wäre eigentlich mit der Weltwirtschaft geschehen, wenn sich ein starkes Land wie die Bundesrepublik Deutschland nach der ersten Ölpreiskrise abgekoppelt hätte?

(Beifall bei der SPD)

Wie hätten die anderen Länder darauf reagiert? Erinnern Sie sich eigentlich nicht mehr an die Weltwirtschaftsgipfel, an jenen in Tokio, an jenen in Bonn, wo die Amerikaner gefordert haben, die Deutschen sollten die Lokomotive der Weltkonjunktur über öffentliche Verschuldung fahren? So war das doch.
Wir haben damals — Graf Lambsdorff hat darauf hingewiesen — diese Theorie abgelehnt, weil sie einseitig und auch nicht ausreichend auf die Inflationsgefahren der Weltwirtschaft eingegangen ist. Aber wir mußten — und das haben wir bewußt getan — unseren Beitrag zur Erholung aus der tiefen Krise nach 1973/74 leisten. Ihre heutige Kritik nachträglich daran ist eben provinziell und nichts anderes.

(Beifall bei der SPD)

An und für sich sollten Sie, Herr Biedenkopf, die vielfältigen Konflikte und Probleme kennen, die aus mangelnder Solidarität mit den Partnern in der Weltwirtschaft resultieren. Kennen Sie nicht die vielfältigen Forderungen innerhalb der USA, innerhalb Großbritanniens nach Protektionismus, und zwar weit über die Gewerkschaften hinaus, auch von Industrieverbänden? Das heißt, wenn wir keine Solidarität gegenüber Forderungen zur Weltkonjunktur zeigen, bedeutet das gleichzeitig negative Reaktionen auf den Welthandel.
Graf Lambsdorff sprach vom GATT und dem Abschluß der Tokio-Runde. Meine Damen und Herren, glaubt irgend jemand, daß die Tokio-Runde positiv hätte abgeschlossen werden können, wenn wir uns 1974, 1975, 1976, 1978 mit Ellenbogen egoistisch gegenüber der Weltkonjunktur gezeigt hätten?

(Zuruf von der CDU/CSU: Aber selbstverständlich! — Weitere Rufe von der CDU/ CSU)

Das wäre nicht gelungen.

(Beifall bei der SPD)

Im Zusammenhang mit dem „Provinzialismus" auch ein Wort zu Ihrer Kritik an der Kreditaufnahme von Matthöfer in Saudi-Arabien. Meine Damen und Herren, Sie mögen sich über die OPEC-
Staaten ärgern — wer tut das nicht? —, Sie sollten sich aber klarmachen, daß das Schüren von Vorurteilen gegenüber der OPEC überhaupt nichts nützt, sondern nur Kooperation. Wenn weltwirtschaftlich durch die Ölpreissteigerung ein Überschuß in Höhe von eventuell nahezu 100 Milliarden im nächsten Jahr entsteht, dann muß dieser Überschuß in den weltwirtschaftlichen Kreislauf zurückgeführt werden. Es ist ganz vernünftig und eine Stufe einer Kooperation, wenn der Bundesfinanzminister mit Zustimmung der Bundesregierung auch dort Geld aufnimmt.
Meine Frage ist sogar, ob man nicht über dieses Programm hinaus gemeinsam mit den OPEC-, den OECD-Ländern und den Entwicklungsländern ein Finanzierungsprojekt für wichtige Entwicklungsaufgaben organisieren sollte. Die OPEC-Länder legen ihr Geld zur Zeit nur kurzfristig an, weil sie die internationalen Wechselkursrisiken scheuen. Das heißt, wir haben vagabundierende Milliarden, die wirtschaftlich nicht sinnvoll angelegt werden. Darin liegt eine große Gefahr auch für die Weltwirtschaft.
Natürlich haben wir zur Zeit Schwierigkeiten, unsere weltweiten Verpflichtungen zu finanzieren, insbesondere in der Entwicklungshilfe, weil bei uns selber das Geld knapp geworden ist. Ich glaube, um es noch einmal zu wiederholen, nicht daran, daß wir noch ein paar Türkeioperationen finanzieren können.
Die Frage ist: Kann man das Interesse der Ölstaaten auf wirtschaftlich sichere Anlage ihrer Milliarden und unser Interesse auf Finanzierung des Welthandels und der Nord-Süd-Beziehungen nicht zusammenführen? Können wir nicht einen Teil des Kursrisikos übernehmen, das bisher die OPEC-Staaten allein tragen? Und könnte man in diese Verhandlungen nicht auch Verhandlungen über stetigere Preisentwicklungen beim 01 einbeziehen? Diese drei Interessen müssen verschmolzen werden. Das geht nach meiner Überzeugung nicht, wenn man Vorurteile weckt, sondern es geht nur, wenn man bereit ist, vorurteilslos zu handeln, nicht provinziell zu handeln, die Leute zusammenzuführen. Der Schritt von Bundesfinanzminister Matthöfer war ein Schritt in genau die richtige Richtung.

(Beifall bei der SPD)

Die weltwirtschaftliche und politische Krise wird nicht durch Egoismus und Engstirnigkeit überwunden, sondern nur durch gemeinsame Projekte. In diesem Jahr 1980 ist mehr verlangt als Erbsenzählerei und hohle Sprüche in der Außenpolitik.

(Zuruf von der CDU/CSU: Warum machen Sie denn hohle Sprüche?)

Der Bericht der Brandt-Kommission, der, wie gerade „Die Zeit" berichtet hatte, anderswo, beispielsweise in Großbritannien oder in USA, intensiver diskutiert wurde als bei uns, ist ein Weg, der uns etwas aufzeigt.

(Zuruf von der CDU/CSU)

Übrigens ist das kein Bericht, der ein Parteidokument ist. — Ich frage mich, warum Sie jetzt Zwi-



Roth
schenrufe machen. Wollen Sie eigentlich Edward Heath oder Eduardo Frei blamieren — soweit ich weiß, sind das Christdemokraten—, die wesentlichen Anteil am Zustandekommen dieses Berichts haben? —

(Lampersbach [CDU/CSU]: Nein, es geht hier um die Qualität Ihrer Rede! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU)

Dieser Bericht durchbricht die Enge, die viele wirtschaftspolitische Diskussionen kennzeichnet. Es würde dem Deutschen Bundestag meines Erachtens gut anstehen, wenn er den Brandt-Bericht in die entwicklungspolitische Diskussion im Mai einbeziehen könnte.
Lassen Sie mich jetzt noch auf die Argumentationskette der Opposition in der Verschuldungspolitik zurückkommen. Sie haben ja jetzt ein neues Thema, das außenwirtschaftliche Defizit,

(Zuruf von der CDU/CSU: So ist es!)

das ganz schrecklich sei und das uns letztlich wirtschaftlich zerstören werde. Meine Damen und Herren, es ist doch eine schlichte logische Rechnung: Wenn im Jahre 1980 in Ölländern gewaltige Überschüsse in Höhe von mindestens 80 Milliarden, vielleicht sogar von 100 Milliarden entstehen, so muß an andere Stelle in der Weltwirtschaft ein Defizit entstehen. Das ergibt sich aus der Logik der Rechnung. Die internationalen Bilanzen müssen sich ausgleichen, so wie sich jede Bilanz, die ordentlich geführt wird, ausgleicht. Jede direkte Antwort auf dieses Symptom würde Verwerfungen der Weltwirtschaft zur Folge haben. Die deutsche Wirtschaft wird sich diesem Anpassungsprozeß nur schrittweise stellen können. Das heißt: Wir müssen im Jahre 1980 und darüber hinaus bereit sein, auch Kapital einzuführen und entsprechend zu verzinsen.
Die Dramatisierung von Symptomen, so sagte ich, statt Analyse der Probleme ist Ihr Kennzeichen der Argumentation. In besonderem Maße gilt das für das Problem der Staatsschulden. Ohne Zweifel, unstreitig ist richtig, daß wir, soweit die jetzige Konjunkturlage vorhält — und das ist in der Koalition unstrittig —, den Konsolidierungsprozeß — entsprechend der Konjunkturlage — fortsetzen werden. Aber ebenso unstreitig ist zwischen uns, daß zur Dramatisierung kein Grund besteht.
Sie haben sich seit 1974 mit Wollust auf das Thema Staatskredit geworfen. Herr Biedenkopf, der ja den Professor nie ganz verleugnen kann, hat sich nun dankenswerterweise die Mühe gemacht,

(Zurufe von der CDU/CSU)

alle Vorurteile und Fehlurteile von Ihnen heute wieder einmal zusammenzufassen.

(Beifall bei der SPD)

Um so leichter fällt es mir, einmal geschlossen darauf zu antworten.

(Bahner [CDU/CSU]: Aha!)

Das, was Sie völlig verkennen, ist, daß die Staatsschuld seit 1974 mehr Ergebnis der privatwirtschaftlichen Abschwächung denn irgendwelcher anderer
Faktoren gewesen ist. Das heißt: Als Antwort auf die privatwirtschaftliche Rezession ist der Staat in die Lücke getreten. Zum Teil entsteht das Defizit auch automatisch, weil wir viele Staatsausgaben bekanntlich gesetzgeberisch festgelegt haben, und die wirken zum Glück dem privatwirtschaftlichen Rezessionsmechanismus entgegen. Das eingebaute Defizit des Staates halte ich in solchen Situationen für einen Segen, Ihre Argumentation dagegen für ein Herumfingern am Symptom.

(Beifall bei der SPD)

Wären wir — diesen Satz sage ich mit Bedacht — den Empfehlungen des Herrn Biedenkopf gefolgt, so hätten wir heute nicht 900 000 Arbeitslose, sondern mehr als das Doppelte.

(Beifall bei der SPD — Zurufe von der CDU/ CSU: Unglaublich! — Unerhört! — Das ist Verhetzung!)

— Hören Sie ruhig zu. Sie haben ja noch einige Redner.

(Erneute Zurufe von der CDU/CSU)

— Hören Sie ruhig zu, Sie werden überrascht sein.
Sie sagen in Ihrem Buche, Herr Biedenkopf

(Bahner [CDU/CSU]: Schreien Sie doch nicht so! — Weitere Zurufe von der CDU/ CSU)

— heute haben Sie es nicht gesagt —, daß wir ohne öffentliches Gegensteuern — die Stelle kann ich Ihnen auch sagen; es ist die Seite 50 — seit 1975 Null-Wachstum gehabt hätten. Es heißt dann weiter — ich zitiere —:
Das aber heißt, daß ohne den Einsatz der öffentlichen Hände das reale Wirtschaftswachstum unter den gegebenen wirtschaftlichen und politischen Bedingungen nur knapp über Null Prozent betragen hätte.
Wir alle wissen — das ist jetzt nicht meine Aussage, sondern diejenige von Wirtschaftsinstituten, und zwar von allen Instituten gemeinsam -, daß die Produktivität einer Volkswirtschaft in solchen Situationen nicht in dem Maße wie das Wachstum zurückgeht. Das ist unstreitig. Das können Sie bei IFO nachlesen; IFO ist ja, wie ich aus dem Wirtschaftsausschuß weiß, ein Institut, dem Sie, Herr Professor, üblicherweise durchaus vertrauen.
Man muß also annehmen, daß die Produktivität jedes Jahr mindestens um 2 % gewachsen wäre — statt, wie es letztens im Schnitt der Jahre gewesen ist, um 3,2 %. Das hätte dann zu einem Rückgang des gesamtwirtschaftlichen Arbeitsvolumens um fast 2 % und zu einem Rückgang der Erwerbstätigkeit um nahezu 1,5 % geführt, und zwar jedes Jahr.
Ich berechne nun eine — sehr hoch angesetzte — Arbeitszeitverkürzung von 1 %, die ja gegenwirkt, ein. Was bedeutete dann der Rückgang der Erwerbstätigen seit 1975? Nichts anderes, als daß wir jedes Jahr 1,5 % weniger Erwerbstätige gehabt hätten. Das heißt, auf der Grundlage Ihrer Annahmen, Herr Bie-



Roth
denkopf, wären wir bei mehr als 2 Millionen Arbeitslosen.

(Zuruf von der CDU/CSU: Schlichter Schwachsinn!)

Nun können Sie sich ja von Ihrem Ko-Autor Miegel distanzieren, aber Sie können sich nicht von Ihren eigenen Zahlen distanzieren,

(Beifall bei der SPD)

und genau dies ist der Grund, weshalb wir sagen: Sie fordern mehr Arbeitslosigkeit, ob Sie das wollen oder nicht; ich nehme nicht an, daß Sie das wollen.

(Zuruf von der CDU/CSU: Gespielte Heuchelei!)


Georg Leber (SPD):
Rede ID: ID0821100600
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Pieroth?

Wolfgang Roth (SPD):
Rede ID: ID0821100700
Bitte schön.

Elmar Pieroth (CDU):
Rede ID: ID0821100800
Herr Kollege, was sagen Sie zu dem Satz von Hans Barbier vor wenigen Tagen in der „Süddeutschen Zeitung", daß die Verschuldenspolitik der Regierung mehr Wachstumsquellen verschüttet als eröffnet hat?

(Zustimmung bei Abgeordneten der CDU/ CSU)


Wolfgang Roth (SPD):
Rede ID: ID0821100900
Ich habe Herrn Barbier mehr so verstanden — und das steht im Einklang mit meinen Überlegungen —, daß man in der jetzigen Situation, im Jahre 1980, wo wir ja ein sich selbst tragendes Wirtschaftswachstum haben, abbauen muß. Insoweit unterstreiche ich das völlig. Sollte es anders gemeint sein, kann ich auch nichts dafür, daß sich auch jener Schreiber irrt.
Ihre Argumentation gegen die staatliche Kreditaufnahme ist in Wahrheit ein Horrorkurs in die Massenarbeitslosigkeit. Es ist deshalb nur logisch, daß aus Ihrer Dramatisierung des Symptoms einer wirtschaftlichen Wechsellage, nämlich der Verschuldung, ein höchst gefährlicher konzeptioneller Rückschluß folgt: Wachstum, das nur mit Hilfe staatlicher Maßnahmen zustande kommt, ist für Sie — wieder ein wörtliches Zitat — „künstliches Wachstum". Jetzt frage ich Sie: Ist der Bau von Kernanlagen, der auch zum großen Teil durch öffentliche Kreditfinanzierungen zustande kommt, nun künstliches Wachstum oder natürliches Wachstum? Das ist ein völlig abstruses Durcheinander von falschen Kategorien!

(Beifall bei der SPD)


Georg Leber (SPD):
Rede ID: ID0821101000
Herr Abgeordneter, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Biedenkopf?

Wolfgang Roth (SPD):
Rede ID: ID0821101100
Ja, bitte.

Dr. Kurt H. Biedenkopf (CDU):
Rede ID: ID0821101200
Herr Kollege. Roth, würden Sie mir zustimmen, wenn ich sage, daß im Jahre 1979 bei 4,5 % realem Wachstum ein Wachstumsprozeß, den man als selbsttragend bezeichnen
kann, stattgefunden hat, daß sich der Staat aber gleichwohl mit fast 50 Milliarden DM neu verschuldet hat?

(Zuruf von der CDU/CSU: Das ist zu hoch für ihn!)


Wolfgang Roth (SPD):
Rede ID: ID0821101300
Herr Professor, es bleibt dem Staat unbenommen, in dem Umfange, in dem er langfristig nutzbare öffentliche Anlagen, Infrastruktureinrichtungen, Energieeinrichtungen,

(Pieroth [CDU/CSU]: Gehaltserhöhungen!)

die Investitionscharakter haben, finanziert, schon aus einem wirtschaftlichen Kalkül heraus auch Schulden aufzunehmen. Das ist nicht das Problem. Es hat jedenfalls keine zusätzliche, keine höhere Nettoneuverschuldung stattgefunden,

(Oho-Rufe bei der CDU/CSU)

und wir werden nun, wie wir betont haben, konsolidieren.

(Weitere Zurufe von der CDU/CSU)

— Die Quote der Nettoneuverschuldung ist im Jahre 1979 natürlich nicht gestiegen! In Ihrem Buch, Herr Professor Biedenkopf, ergibt sich das ja auch logisch aus Ihren Annahmen, und Sie bekennen sich ja sogar dazu. Sie fordern nämlich in Ihrem Buch, der Staat solle die Vollbeschäftigungspolitik aufgeben. Das ist jedenfalls der Kernsatz Ihres Buches. Der Auftrag zur Vollbeschäftigung sei ein Auftrag an die Unternehmen und die Sozialpartner allein, der Staat solle sich da heraushalten.

Georg Leber (SPD):
Rede ID: ID0821101400
Erlauben Sie noch eine Zwischenfrage des Abgeordneten Pieroth?

Wolfgang Roth (SPD):
Rede ID: ID0821101500
Nein, Herr Präsident. Es tut mir leid, aber ich werde mit meiner Zeit knapp. Ich möchte jetzt weiterreden.
Ich frage mich — jetzt nicht im körperlichen Sinne, sondern im geistigen Sinne; der Herr Blüm ist nicht da —: Wo bleiben eigentlich die Sozialausschüsse, die mit anhören, ohne zu protestieren, daß ein christdemokratischer Politiker Vollbeschäftigungsgarantie und -politik des Staates aufgibt? Wo bleiben sie denn?

(Beifall bei der SPD — Zurufe von der CDU/ CSU)

Sie werden Ihre Glaubwürdigkeit — Herr Hasinger, sagen Sie es dem Herrn Blüm — nicht dadurch wiedergewinnen, daß Sie hingehen und die Koalition angreifen, sondern indem Sie in Ihrer Partei dafür sorgen, daß wieder Vollbeschäftigungspolitik nicht nur als Bekenntnis, sondern als Praxis der CDU/ CSU-Opposition und ihrer Landesregierungen festliegt.

(Pieroth [CDU/CSU]: Jawohl, sobald wir regieren! — Kittelmann [CDU/CSU]: Eine Million klagt Sie an, nicht uns! — Hasinger [CDU/CSU]: Was haben Sie denn erreicht?)

— Es wundert mich, daß Sie die Sache nicht ernster
nehmen. Wenn Vollbeschäftigungspolitik nicht



Roth
mehr als staatliche Garantie steht, was folgt daraus für die Sozialpartner? Was sollen denn die Gewerkschafter in der Situation davon halten, wenn das Wichtigste, das der Arbeitnehmer von der staatlichen Politik erwarten kann, quasi abgeschmiert wird? Das ist in diesem Buch geschehen.

(Pieroth [CDU/CSU]: Wie haben Sie denn die Garantie eingelöst? — Kittelmann [CDU/CSU]: Was ist das für eine Garantie, eine Million Arbeitslose?)

Der Unterschied zwischen der Bundesrepublik Deutschland und anderen Staaten ist ja, daß der soziale Konsens funktioniert. Der soziale Frieden ist da. Dieser soziale Friede wächst nicht in der Wüste, sondern wächst in einer Situation, wo der Staat Garantien gegenüber dem Arbeitnehmer und seinen Gewerkschaften formuliert.

(Beifall bei der SPD)

Herr Biedenkopf, es gibt ja ein Land in Europa, wo man nach Ihnen und Ihrem geistigen Ziehvater Milton Friedman seit zwölf Monaten gehandelt hat. Ich meine Großbritannien.

(Dr. Häfele [CDU/CSU]: Eine böse Erbschaft!)

Damals, als Frau Thatcher an die Regierung kam,

(Zuruf von der CDU/CSU: Hat sie den sozialistischen Bankrott übernommen!)

hat Herr Strauß begeistert ausgerufen, weil ihm der Neokonservatismus dieses Landes so gut gefallen hat: „Ich bin der deutsche Thatcher!"

(Heiterkeit)

Das war vor zwölf Monaten. In der Situation lohnt es sich schon einmal, nachzusehen, wie sich der „deutsche Thatcher" angesichts der britischen Wirtschaftspolitik fühlt.
Als die konservative Regierung ihr Amt antrat, war — das werden Sie nicht bestreiten können — die Inflationsrate in Großbritannien bei 10% mit sinkender Tendenz. Ich könnte Ihnen aus der damaligen Zeit viele Kommentare vom Wahltag vorlesen, als auch konservative Zeitungen der Bundesrepublik geschrieben haben: „Callaghan hat die Früchte seiner Anstrengungen nicht mehr geerntet, sondern ist nachträglich bestraft worden."

(Zurufe von der CDU/CSU: Der Arme!)

Inzwischen hat Großbritannien eine Inflationsrate von sage und schreibe 18 %.

(Zuruf von der CDU/CSU: Das sind die Früchte sozialistischer Mißwirtschaft!)

Diese Regierung hat genau das Konzept einer kurzfristigen Konsolidierung betrieben, die Biedenkopf machen will. Sie hat genau nach diesem Konzept binnen kurzer Zeit die Staatsausgaben erheblich reduziert, die Mehrwertsteuer um zwei Punkte erhöht. Strauß und Sie bekamen ja am Anfang — ich erinnere mich an mehrere Reden — auf Grund der Politik von Frau Thatcher leuchtende Augen.
Die drastische Erhöhung der Preise in Großbritannien ist aber nicht der einzige Mißerfolg. Nach offiziellen Schätzungen — und das sind Schätzungen der britischen Regierung — wird das Sozialprodukt in Großbritannien im Jahre 1980 um 2 % sinken.

(Zuruf des Abg. Pieroth [CDU/CSU])

Die Zahl der Arbeitslosen wird im nächsten Jahr nach staatlichen Schätzungen in Großbritannien von 5,6 % auf 7,4 % steigen. Das geschieht in einem Land, das durch die Ölpreisexplosion nicht so negativ betroffen ist. Das ist ja vielmehr, wenn man so will, eine Art OPEC-Land. In diese Situation hat die Konsolidierungspolitik der Regierung Thatcher die Volkswirtschaft in Großbritannien gebracht.
Der in Großbritannien ohnehin noch mehr als bei uns gefährdete soziale Konsens ist auseinandergebrochen. Die Stahlarbeiter in Großbritannien hatten seit 40 Jahren nicht gestreikt. Ihre Gewerkschaft war die, die gesamtwirtschaftliche Aspekte und Erfordernisse am stärksten berücksichtigte.

(Kittelmann [CDU/CSU]: Reden Sie doch mal über die Bundesrepublik!)

Aber durch die Politik der Regierung Thatcher ist das nach kurzer Zeit zusammengebrochen.
Der letzte Widerspruch: Sie fordern mit großem Pomp die Reduzierung der Staatsquote, und zwar eine drastische Reduzierung; so heute wieder Herr Biedenkopf. Trotzdem werden landauf, landab gegenläufige Wahlversprechungen von Ihnen gemacht. Sie sagen, Sie wollten den Staatskredit zurückführen. Trotzdem versprechen Sie dort, wo es Ihnen politisch in den Kram paßt, daß Blaue vom Himmel.

(Kittelmann [CDU/CSU]: Den blauen Himmel über der Ruhr hat ein anderer versprochen!)

Natürlich bleiben bei Ihnen die Subventionen für die Landwirtschaft ungeschmälert erhalten. Statt eines Babyjahrs, wie die Sozialdemokratie es verantwortlich befürwortet, fordert Herr Geißler immer wieder fünf Babyjahre. Wir wissen, was das kostet, wenn man es gerecht ausbaut. Sie reden von Stabilität und fordern mitten in einem Preisstoß, der durch Ölpreisverteuerung entstanden ist, eine umfassende Senkung der Einkommensteuer.
Der Bundesfinanzminister hat Ihnen in einem Papier vorgerechnet, daß Sie in den letzten beiden Jahren durch Gesetzentwürfe und durch herausragende Sprecher Ihrer Parteien und Ihrer Fraktion zusätzlich Steuersenkungen in Höhe von 90 Milliarden DM und Mehrausgaben in Höhe von 35 Milliarden DM verlangt haben.

(Hört! Hört! bei der SPD)

Das wurde, Punkt für Punkt aufgelistet, ziemlich pedantisch vom Bundesfinanzministerium gemacht.
Oder ich denke an den vorigen Sonntag.

(Zuruf von der CDU/CSU)

Da haben sich die Mittelstandspolitiker der Union versammelt. Sie haben Steuersenkungen in Höhe von 20,95 Milliarden DM gefordert,

(Wehner [SPD]: Hört, hört!)

Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 211. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den. 17. April 1980 16877
Roth
und das an einem einzigen Wochenende. So verhält sich ein Interessentrupp Ihrer Partei.

(Kittelmann [CDU/CSU]: An einem Sonntag!)

Herr Biedenkopf, gehen Sie nicht hierher und reden Sie nicht von Konsolidierung, wenn Sie sich nicht gegen diese Forderung Ihres eigenen Kreises aussprechen!

(Beifall bei der SPD und der FDP — Wehner [SPD]: Die eine Hand nimmt, die andere Hand gibt!)

Verlangt wurden die Einführung einer steuerlichen Rücklage — 6 Milliarden DM —, die Erhöhung der Wertgrenze für geringfügige Wirtschaftsgüter — was 3,5 Milliarden DM ausmacht —,

(Kittelmann [CDU/CSU]: Warum schreien Sie eigentlich so?)

die Korrektur des Einkommensteuertarifs über die jetzigen Vorschläge hinaus, was 7,7 Milliarden DM zur Folge hat. Das sind nur die Hauptposten, und nur für eine einzige Gruppe. Herr Hasinger, verstecken Sie sich nicht so sehr! Denn die Gruppe, die Sie zu vertreten belieben und manchmal als Mitglied der Sozialausschüsse vertreten — viele von diesen Mitgliedern sind ja aufrechte Leute —, hat ja gar nichts davon.

(Zuruf des Abg. Hasinger [CDU/CSU])

Das ganze Steuersystem würde in ein Ungleichgewicht zuungunsten der Arbeitnehmer geraten, so daß der soziale Frieden in diesem Land kaputt wäre.

(Beifall bei der SPD — Zuruf des Abg. Kittelmann [CDU/CSU])

Dazu sagen Sie nichts. Ihr Chaos der Versprechungen ist so groß, daß Ihnen zur Zeit wirklich keiner mehr glauben kann.

(Beifall bei der SPD und der FDP)

Da frage ich mich allerdings eines: Wo bleibt eigentlich der starke Mann aus dem Süden,

(Kittelmann [CDU/CSU]: Nun sind Sie ja wieder beim Thema!)

der die Staatsquote von 46% auf 36 % reduzieren will? Was hier gefordert wird, führt ja in eine andere Richtung.
Lassen Sie mich die Auffassung der SPD-Bundestagsfraktion zum Jahreswirtschaftsbericht in acht Punkten zusammenfassen:
Erstens. Der Jahreswirtschaftsbericht '80 zeichnet ein realistisches Bild der Wirtschaftslage in der Bundesrepublik Deutschland.

(Kittelmann [CDU/CSU]: Und die ist chaotisch!)

Die binnenwirtschaftlichen Chancen und die weltwirtschaftlichen Risiken werden mit der notwendigen Nüchternheit eingeschätzt. Ich glaube, das Wachstum von 2,5 % kann erreicht werden. Wir brauchen kein Nullwachstum. Wir werden damit eine deutliche Senkung der Arbeitslosenzahl noch im Sommer erreichen, wobei freilich keiner weiß,
wie — auch aus weltwirtschaftlichen Gründen — die weitere wirtschaftliche Entwicklung sein wird.
Zweitens. Die SPD-Bundestagsfraktion

(Kittelmann [CDU/CSU]: Ist am Ende!)

unterstützt die Deutsche Bundesbank und die Bundesregierung im Kampf gegen eine erhöhte Preissteigerungsrate.

(Dr. Dregger [CDU/CSU]: Wodurch?)

Es muß verhindert werden, daß die ölbedingten Preissteigerungen zum Inflationsmißbrauch über die Kostenentwicklung der Wirtschaft hinaus führt. Insoweit ist die Bundestagsfraktion der SPD nicht bereit, die Bundesbank für ihre Zinspolitik zu kritisieren. Wir mußten durch diese Zinspolitik, die dankenswerterweise ergriffen wurde, die Inflationsmentalität auffangen und bekämpfen, die hereingespült worden ist.

(Hasinger [CDU/CSU]: Was heißt denn „insoweit"?)

Aber ich füge hinzu: Diese Hochzinsphase muß so kurz wie möglich gehalten werden. Sie ist vor allem psychologisch wirksam; wirtschaftlich ist sie mittelfristig nicht sehr erträglich. Wir müssen diese Phase insbesondere kurz halten, um negative strukturelle wirtschaftliche Effekte auf die kleine und mittlere Wirtschaft und auch Wirkungen wie die zu verhindern, daß eine lange Abschreibungsdauer Investitionen benachteiligen würde.
Drittens. Die Finanzpolitik der Förderung des Wachstums durch öffentliche Nachfragestabilisierung und durch eine Verbesserung der Angebotsbedingungen in der Wirtschaft — Graf Lambsdorff hat diese zwei Seiten einer Medaille einer konstruktiven Wirtschaftspolitik genannt — wird auch weiterhin — je nach Lage mit unterschiedlicher Gewichtung — in Frage kommen. Die Begrenzung der Staatskredite muß im Einklang mit der Konjunkturlage erfolgen, d. h. Konsolidierungsschritte werden von der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion mitgetragen.
Viertens. Die außenpolitische und außenwirtschaftliche Lage verlangt keine Angstreaktionen, sondern stetige Anpassung an die Weltenergiepreise. Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion unterstützt alle Bemühungen zum Energieeinsparen und zur Förderung heimischer, billigerer und langfristig sinnvollerer Energiequellen — auch dann, wenn hohe Anlaufkosten, wie beispielsweise bei der Kohle, durch den Staat übernommen werden müssen und auch schon übernommen worden sind. Wir glauben, das sind Zukunftsinvestitionen, die zum Teil auch durch künftige Generationen mitfinanziert werden müssen.
Fünftens. Kapitalzufuhr aus dem Ausland, insbesondere aus OPEC-Staaten, ist das notwendige ergänzende Instrumentarium zur Stabilisierung der Weltwirtschaft. Neue Ideen und internationale Vereinbarungen auf diesem Gebiet sollten nachdrücklich unterstützt werden.
Sechstens. Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion wird die Bundesregierung weiterhin in ihrer Politik unterstützen, die kleine und mittlere



Roth
Wirtschaft, die national und international viele strukturelle Nachteile gegenüber der Großwirtschaft hat, besonders zu fördern. Das gilt für den Kapitalmarkt, das gilt für die Forschungspolitik. Ich habe gehört, daß Sie, Herr Biedenkopf, die Forschungspolitik der Bundesregierung kritisiert haben. Als Ihre Partei das Forschungsressort verwaltete, als beispielsweise Herr Strauß Atomminister war, gab es nur Großforschung und nichts anderes. Bundesminister Hauff und Bundesminister Graf Lambsdorff haben hier neue und zukunftsträchtige Elemente der Forschungsförderung eingeführt, die wir nachdrücklich unterstützen.

(Beifall bei der SPD und der FDP)

Siebtens. Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion ermutigt die Bundesregierung, Ökologie und Ökonomie, beide Ebenen schrittweise zu versöhnen. Die Sicherung der natürlichen Lebensgrundlagen ist auch ein Ziel der Wirtschaftspolitik. Eine Verbesserung der Umweltbedingungen bedeutet Investitionen von Privaten, aber zum Teil auch Mitfinanzierung durch den Staat, d. h. durch öffentliche Ausgaben. Wer diese öffentlichen Ausgaben nicht will, der trägt letztlich zu dem grünen Chaos bei. Es ist ja kein Zufall, daß Professor Biedenkopf dem grünen Chaos in den letzten Wochen mehrfach öffentlich so freundlich, so nett, so liebevoll gegenübergetreten ist.

(Beifall bei der SPD)

Wer den Saarbrücker Kongreß der Grünen beobachtet hat, auf dem eine lange Liste strammer, radikalster gewerkschaftlicher Forderungen verabschiedet wurde — 35-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich schon morgen —, und anschließend als verantwortlicher Politiker der Union sagt, es seien ja glänzende Gedanken, die in Saarbrücken erörtert worden seien, der ist völlig unglaubwürdig, widersprüchlich, unehrlich. Das ist schlicht und einfach Wahltaktik.

(Beifall bei der SPD und der FDP — Breidbach [CDU/CSU]: Mit Ausnahme von Herrn Eppler hat die keiner ernstgenommen!)

Das Jahr 1980 birgt erhebliche Risiken. Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion fordert die Bundesregierung auf, in ihrem Kurs weiter fortzufahren.

(Kittelmann [CDU/CSU]: Nein, bitte nicht!)

Dazu gehört die Rücksicht auf Stabilität und auch Wachstumspolitik. Vollbeschäftigungspolitik bleibt unverzichtbar.
Ich möchte mich an dieser Stelle zum Schluß ausdrücklich beim Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung bedanken, der uns ein sorgfältiges und differenziertes Gutachten geliefert hat, das manche Einseitigkeiten früherer Jahre vermieden hat.
Ich bedanke mich bei der Bundesregierung für ihre Arbeit für die Wirtschaftspolitik im vergangenen Jahr und wünsche ihr viel Erfolg in diesem schwierigen Jahr 1980.

(Beifall bei der .SPD und bei Abgeordneten der FDP — Kittelmann [CDU/CSU]: Das wird das letzte Jahr für diese Bundesregierung! — Der Beifall ist sehr schwach!)


Georg Leber (SPD):
Rede ID: ID0821101600
Als nächster Redner hat der Abgeordnete Dr. Haussmann das Wort.

Prof. Dr. Helmut Haussmann (FDP):
Rede ID: ID0821101700
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Man merkt: Bonn liegt in Nordrhein-Westfalen, und dort ist bald Wahl. Nachdem wir früher oft eine sehr sachliche Debatte zum Jahreswirtschaftsbericht hatten, ist es heute etwas farbiger geworden. Ohne Zweifel hat Herr Biedenkopf durch seine zwar unterkühlt vorgetragenen, aber in der Konsequenz zum Teil äußerst gefährlichen Äußerungen zum Zusammenhang zwischen Arbeitslosigkeit und Staatsverschuldung dazu Anlaß gegeben. Ich werde nachher darauf zurückkommen. Ich akzeptiere, daß er wegen der Erkrankung des Spitzenkandidaten der CDU in Nordrhein-Westfalen die Wirtschaftsdebatte leider nicht weiter verfolgen kann.
Die FDP-Fraktion meint, daß die Opposition reichlich Gelegenheit gehabt hätte, zu vergleichen und zu analysieren, weil die Zielprognose des Jahreswirtschaftsberichts seit vielen Wochen vorliegt. Ich persönlich bin ebenfalls wie Herr Roth enttäuscht darüber, daß Professor Biedenkopf zu den zentralen aktuellen außenwirtschaftlichen Themen relativ wenig Konkretes gesagt hat.
Er hat hier Herrn Lambsdorff unterstützt, aber wir wissen aus vielen Reden der Opposition draußen, daß man darüber hinausgeht, daß man von „voller Solidarität" im wirtschaftlichen Bereich redet, was immer dies heißen mag, und daß umgekehrt der Wirtschaftsrat intern darum bittet, daß die Wirtschaftssanktionen bitte in concreto nicht so hart ausfallen sollen, wie man sich das vorstellen würde.

(Zuruf des Abg. Roth [SPD])

Herr Barbier hat gestern in der „Süddeutschen Zeitung" darauf hingewiesen — das halte ich für einen sehr verdienstvollen Artikel —, daß die Zielprognosen auch noch zehn Wochen nach Veröffentlichung des Jahreswirtschaftsberichts in der Bandbreite der Realität liegen. Dies halte ich für einen großen Erfolg. Wir hatten zehn Wochen lang die Möglichkeit, die Voraussagen für dieses Jahr zu überprüfen.
Natürlich gebe ich zu, daß wir uns im Bereich der Preisstabilität — darauf hat der Herr Wirtschaftsminister hingewiesen — mit 4,5 % Preissteigerung ein äußerst ehrgeiziges Ziel gesetzt haben. Es erscheint fast unwahrscheinlich, daß in der zweiten Jahreshälfte solche Erfolge erzielt werden können, daß wir diesen Jahresdurchschnitt erreichen können.
Nach wie vor bleibt gültig — insofern hat Herr Biedenkopf unrecht —, was im Jahreswirtschaftsbericht steht und was uns die Sachverständigen empfohlen haben: Es gibt keinen kurzfristigen konjunkturellen Handlungsbedarf. Insofern verstand ich die Aussage von Herrn Biedenkopf nicht, daß wir die weitere staatliche Verschuldung mit nachfragestützenden Effekten begründeten. Das geht auch an dem vorbei, was Graf Lambsdorff angekündigt hat.



Dr. Haussmann
Ich glaube, man kann ruhig sagen: Die wirtschaftlichen Erwartungen in der Bundesrepublik sind trotz sehr hoher neuer außenwirtschaftlicher Risiken positiver und stabiler als in fast allen anderen großen westlichen Industrieländern. Man muß herausheben, daß kein anderes großes Industrieland bisher die enormen Ölverteuerungen durch aktiven Strukturwandel so gut gemeistert hat wie die Bundesrepublik. Kein anderes großes Industrieland hat trotzdem noch so hohe Devisenbestände wie wir.

(Zustimmung bei der FDP und der SPD)

Dies ist ein großer Erfolg der sozialliberalen Regierung. Er wird international überall anerkannt — nur nicht von der deutschen Opposition.
Ich glaube, es sind vor allem zwei Gründe, die diesen großen Erfolg möglich gemacht haben. Der eine ist eine äußerst hohe Bereitschaft unserer Arbeitnehmer und Unternehmer, sich diesen harten außenwirtschaftlichen und energiepolitischen Herausforderungen zu stellen und durch Phantasie, durch Wagemut, durch Innovation diesen Strukturwandel offensiv mitzuvollziehen. Ich kenne keine amtliche Forderung deutscher Unternehmen, deutscher Gewerkschaften oder der Verbände, daß dieser Strukturwandel durch Protektionismus zurückgedrängt werden soll. Ich halte das für einen sehr großen Erfolg und ein hervorragendes Zeichen für das wirtschaftspolitische Klima in der Bundesrepublik.
Zweiter Grund für diesen Erfolg ist eine verstetigte und nach wie vor sehr robuste Investitionsbereitschaft. Auch die Äußerungen in Hannover gehen in diese Richtung. Ich verstehe die Arbeitsgemeinschaft Selbständiger Unternehmer in diesem Zusammenhang nicht. Sie liegt außerhalb des Trends, wenn sie voraussagt, daß wir noch in diesem Jahr in eine Konjunkturflaute kommen und Inflationsraten von 13 % drohen. Das ist sicher kein Beitrag, der in der mittelständischen Industrie Vertrauen schafft.
Diese robuste Investitionsbereitschaft, meine Damen und Herren, ist außer durch objektive Marktchancen, die die Unternehmer natürlich sehen, auch durch einen anderen wichigen Faktor begründet, nämlich einen Klimawechsel. Die sozialliberale Regierung wird von der deutschen Wirtschaft und einem großen Teil ihrer Funktionäre endlich weniger emotional und fairer als früher eingeschätzt. Ich verstehe, daß es die Opposition gerade in einem Wahljahr nervös macht, daß sie mit ihrem Kanzlerkandidaten, Franz Josef Strauß, kein Monopol mehr für die Vertretung ökonomischen Sachverstandes in der Bundesrepublik hat. Im Gegenteil, es gibt Äußerungen von Herrn Rodenstock, von Herrn Wolff von Amerongen, aber auch von Mittelständlern, die eine gewisse Distanz zu diesem Kanzlerkandidaten feststellen lassen und die dieser Regierung und insbesondere ihrem liberalen Wirtschaftsminister Graf Lambsdorff eine sehr gute Note ausstellen. Dies ärgert natürlich Herrn Stoiber. Der ist nicht bereit, dies einzusehen. Er wird dies lernen müssen; denn die „Stuttgarter Zeitung" hat sehr recht, wenn sie fordert — ich zitiere —:
So kann man den Standhaften unter den Funktionären in der Wirtschaft nur Kraft und Mut
wünschen bei ihrem Kampf um Selbständigkeit gegenüber allen Parteien; denn nur so sind sie in der Lage, ihre Interessen auch bei der Regierung objektiv anzubringen.
Für die FDP-Fraktion bleibt in dem nächsten Jahr Kern ihrer Wirtschaftsphilosophie: Wir wollen unsere Arbeitsplätze noch krisensicherer machen. Dies bedeutet vor allem, die internationale Wettbewerbsfähigkeit zu erhalten. Dies heißt, daß wir eine hohe Leistungsbereitschaft unseres ökonomischen Systems bekommen müssen; denn nur so sind die Wahrung der sozialen Sicherheit und die Erfüllung verstärkter internationaler Verpflichtungen möglich.
Ich glaube, gerade im mittelständischen Bereich, auf den es der FDP besonders ankommt, wurden die Rahmenbedingungen in den letzten Jahren nachhaltig verbessert. Es ist auch bezeichnend, daß dem Mittelstandskongreß der CDU nichts Besseres eingefallen ist, als pauschale Steuervergünstigungen zu fordern, ohne in praxi auf konkrete Themen wie eine verbesserte Forschungsförderung oder andere mittelstandspolitische Schritte zu antworten.
Wir haben erstens wesentliche Steuererleichterungen durchgesetzt — Gewerbesteuerbereich, Verlustrücktrag —, wir haben bei den Forschungsinvestitionen die Abschreibungsmöglichkeiten verdreifacht — auf 20 % —, wir haben im Wettbewerbsrecht mit der Hilfe von Professor Biedenkopf, gegen den Widerstand des Bundesrates, der CDU-regierten Länder,

(Pieroth [CDU/CSU]: Na, na, na!)

die Kartellnovelle wesentlich zugunsten des Mittelstandes verbessert, Herr Pieroth,

(Pieroth [CDU/CSU]: Zum Schluß zugestimmt!)

obwohl am Anfang eine Streichung der entscheidenden Passagen in bezug auf die Fusionskontrolle von den CDU-regierten Ländern im Bundesrat gefordert wurde.

(Pieroth [CDU/CSU]: Jetzt sind Sie wieder exakter!)

Wir haben drittens den Forschungs- und Entwicklungsbereich durch die Einführung einer Personalzulage wesentlich verbessert, und wir haben die Möglichkeiten, sich selbständig zu machen, durch eine schnell wirksame Maßnahme und nicht durch ein Modell verbessert, wie es die Opposition vorschlägt, das nur über Ansparvorgänge über viele Jahre zu dem erwünschten Erfolg führt.

(Pieroth [CDU/CSU]: Schnell-Unternehmer!)

Wir haben allerdings bei all diesen mittelstandspolitischen Vorschlägen relativ wenig Konkretes von der Mittelstandsvereinigung gehört. Ich habe mit Interesse im „Handelsblatt" gelesen, daß die Mittelstandsvereinigung inzwischen zum Stimmführer in der Bundestagsfraktion der Union geworden sei. Das halte ich an sich für eine gute Formulierung, aber bei den Gesetzen, bei denen es darauf ankam, lag die Stimmführerschaft leider bei anderen Interessenvereinigungen der Union.



Dr. Haussmann
Nun wurde für die Zukunft die große Forderung nach einer steuerfreien Investitionsrücklage in Höhe von 6 Millionen DM erhoben und der deutschen Wirtschaft verkauft. Das war ein Verfahren, das ich aus zwei Gründen nicht für seriös halte: einmal stellt man solche Anträge bezeichnenderweise oft am Ende einer Legislaturperiode, wo man nicht mehr in die Gefahr kommt, nachweisen zu müssen, ob die gesamte Fraktion so etwas mitträgt

(Pieroth [CDU/CSU]: Sie reden von Ihrem Eigentumsgesetz!)

und wie es denn zu finanzieren sei, Herr Pieroth, und zum anderen gibt man keine Auskunft über die damit verbundene Verwaltungskomplizierung. Steuerfachleute sagen, daß die fristgerechte Verwendung der in die Rücklage eingestellten Mittel für begünstigte Investitionen überwacht werden müßte. Dies würde natürlich dem anderen Ziel, das die CDU immer postuliert, weniger Staat und weniger Bürokratie, widersprechen.
Nun hat Herr Biedenkopf — er ist erfreulicherweise noch hier; er ist gerade im Gespräch mit seinen Kollegen — relativ wenig zu drei Punkten gesagt, die wir für sehr wichtig halten. Erstens hat er wenig zum außenwirtschaftlichen Bereich gesagt. Zum anderen hat er sehr wenig zu der Frage beigetragen, ob er und die Opposition bereit seien, den harten Anti-Inflationskurs des Wirtschftsministers zu unterstützen, auch draußen. Er hat auch wenig dazu gesagt, ob er das Investitionsklima in der Bundesrepublik in diesem Jahr nach wie vor für so stabil hält wie wir. Herr Professor Biedenkopf hat wieder an seine Lieblingsvorlesung, die ich vom Thema her für wichtig halte, angeknüpft und theoretisch über die Folgen der Staatsverschuldung doziert. Dies kennen wir, und ich glaube, die deutsche Öffentlichkeit und das Parlament haben inzwischen längst ein Anrecht darauf, daß man sich mit der praktischen Umsetzung dieser Forderung nach weniger Staatsverschuldung beschäftigt.

(Breidbach [CDU/CSU]: Das ist Aufgabe der Regierung! Also los!)

Da sieht es allerdings nicht sehr gut aus.

(Breidbach [CDU/CSU]: Die Regierung hat keine Einfälle!)

Herr Professor Biedenkopf hat bisher mit sehr wechselndem Erfolg einzelne Vorschläge gemacht, z. B. zum Abbau sozialer Komponenten im Wohnungsbau, die aber nicht über seine Fraktion hinausgekommen sind, weil sie bereits in seiner eigenen Fraktion keine Mehrheit gefunden haben. Insofern ist es auch nicht möglich, daß wir hier im Parlament oder innerhalb der anderen Fraktionen darüber diskutieren.
Er hat in vielen Bereichen wesentlichen Forderungen der Opposition, die letztlich zu einer Erhöhung der Staatsquote führen müssen, nicht widersprochen. Es ist selbstverständlich, daß er auch hier nicht zwischen der Steuerquote und der Staatsquote unterscheidet; er müßte sonst zugeben, daß die Steuerquote nicht nur konstant geblieben ist, sondern sogar gesenkt werden konnte, und er müßte zugeben, daß die erhöhte Staatsquote durch immer
mehr zusätzliche sozialpolitische Maßnahmen, die ja die CDU und ihre Sozialausschüsse mit großem Nachdruck fordern, verursacht wird. Herr Roth hat zu Recht darauf hingewiesen, daß eine weitere Ausweitung wünschenswerter Forderungen wie eine Anrechnung von fünf Baby-Jahren oder ein Erziehungsgeld dazu führen muß, daß die Staatsquote noch höher wird. Insofern ist es schwierig, mit ihm in eine praktische Diskussion einzusteigen, weil er sich ja zu diesen teuren Forderungen nie in seiner Fraktion zu Wort gemeldet hat.

(Lampersbach [CDU/CSU]: Was schlagen Sie denn vor, Herr Haussmann? Kommen Sie einmal zur Sache!)

— Wir machen viele Vorschläge, Herr Kollege; wir haben in der Sozialpolitik durch unseren Sprecher, Herrn Schmidt (Kempten), einen Vorschlag gemacht,

(Breidbach [CDU/CSU]: Er kostet nichts!)

der dem deutschen Mittelstand in den nächsten Jahren helfen wird, weil sonst die Sozialpolitik wahrscheinlich durch die Mittelständler nicht mehr finanzierbar sein wird. Wir haben mit der Hilfe von Herrn Hoppe und Herrn Windelen im Haushaltsausschuß eine ganze Reihe von Sparvorschlägen durchgesetzt, die nachher auch insgesamt vom Kabinett nachvollzogen wurden. Wir sind auch bereit, durch eine Steuerreform — aber bitte auf mehrere Jahre verteilt — weitere Entlastungen zu geben.
Lassen Sie mich noch zu einem weiteren Punkt Stellung beziehen. Wenn wir über höhere Energiepreise, knappere Rohstoffe und höhere Ansprüche im Umweltbereich reden, sollten wir dies nicht immer nur als Wachstumsbremse für unsere Wirtschaft sehen, sondern wir sollten die Entwicklungschancen sehen, die sich aus diesen Entwicklungen gerade für den Mittelstand ergeben. Denn neue Verfahren im Energiebereich, bessere Möglichkeiten des Recyclings oder individuelle Anlagen im Umweltschutz können eine Domäne des deutschen Mittelstandes werden. Er ist beweglich, er ist innovativ, er kann sich schneller auf regionale, auf lokale Lösungen einstellen. Wenn wir die Exportchancen in diesem Bereich sehen — darauf hat auch der Sachverständigenrat hingewiesen —, so stellen wir fest, daß wir ein Land sind, das überdurchschnittlich viel know-how-intensive Fertigung hat, was wir noch ausbauen müssen, und das daher in diesem Bereich große Exportchancen hat.
Nach meinem Eindruck werden in der Öffentlichkeit, auch bei den betroffenen Arbeitnehmern, Rohstoffknappheit, Energieverteuerung, Umweltschutzauflagen immer zu sehr restriktiv für die Wirtschaft und viel zu wenig positiv unter dem Aspekt neuer Marktchancen gesehen. Nur erfordert dies — das müssen wir ehrlich sagen — Investitionen und den Einsatz von Kapital, das dann für andere Verwendungszwecke in unserer Volkswirtschaft nicht mehr zur Verfügung stehen kann. Dies wird in den 80er Jahren gewaltige Umschichtungen in unserer Verwendung von volkswirtschaftlichem Kapital bedingen. Ich kann nur unterstreichen, was Graf Lambsdorff gesagt hat: Die Veränderung der außenwirt-



Dr. Haussmann
schaftlichen Rahmenbedingungen werden dauerhaft, langfristig und irreversibel sein. Wer heute nicht bereit ist, sich diesen veränderten Rahmenbedingungen anzupassen, der wird in einigen Jahren am internationalen Markt keine Chance mehr haben.
Eine Schlüsselfrage für die weitere Behauptung der deutschen Wirtschaft wird sein, inwieweit wir unsere internationale Wettbewerbsfähigkeit aufrechterhalten können. Das wird davon abhängen, ob wir unsere hohe Innovationskraft und Anpassungsfähigkeit bewahren können. Einer der Testfälle wird die Frage sein, inwieweit die deutsche Automobilindustrie auf die japanische Herausforderung reagieren wird. Ich möchte ganz offen sagen, daß die deutsche Reaktion nach meiner wirtschaftlichen Auffassung nicht ein Wunsch nach Protektionismus sein kann, den man als deutscher Automobilhersteller zwar nicht direkt äußert, den man aber zumindest in Brüssel ventiliert. Für mich reicht es auch nicht aus, wenn man für den Vorsprung der Japaner ausschließlich einseitige, monokausale Erklärungen anführt, es seien Kostenvorteile da, die Produktivität sei unglaublich hoch. Es reicht auch nicht aus, wenn Herr Loderer von einer Reise nach Japan zurückkehrt und lapidar sagt, die Fabriken seien dort sehr viel moderner als in der Bundesrepublik.
Ich glaube, wir müssen uns damit auseinandersetzen, daß die Japaner in einem erstaunlich schnellen Maße gelernt haben, Verbraucherwünsche auf dem Automobilmarkt in praktische Güter umzusetzen. Sie haben heute eine sehr viel größere Ausstattungs-, Karosserie-, Motorengrößenvielfalt als alle europäischen Hersteller. Sie haben durch gute Fertigungsmethoden und hohe Automation einen hohen Qualitätsstandard erreicht. Es muß uns bedenklich stimmen, wenn der TÜV-Report herausfindet, daß die Japaner heute bei vierjährigen Fahrzeugen in der Zuverlässigkeit an der Spitze liegen.
Wir müssen auch feststellen, daß uns die Japaner in der Umsetzung von Basisinnovationen in schnell marktfähige, verkaufsfertige Produkte zumindest ebenbürtig sind, wenn nicht sogar bald voraus sein werden. Ich bin sehr gespannt, ob es eine deutsche oder eine japanische Firma sein wird, die z. B. das Antiblockiersystem, das Bosch, BMW und Daimler für große Fahrzeuge entwickelt haben, als erste in kleineren und mittleren Autos auf den Markt bringen wird. Ich bin gespannt, ob wir im Bereich des Energiesparens auf Dauer ähnlich günstige Motoren, Übersetzungen und Elektronikeinsatz bringen werden wie die Japaner. Ich wollte nur darauf hinweisen, daß dies auch für sehr viele mittelständische Zulieferanten ein Testfall sein wird. Es wird sehr viel davon abhängen, wie die deutsche Automobilindustrie diese Herausforderung annimmt.
Meine Damen und Herren, ich möchte Ihnen Zeit sparen und zum Schluß kommen. Für die FDP-Fraktion möchte ich folgendes zusammenfassen.
Wir glauben nach wie vor, daß die Bundesrepublik durch ihre liberale Wirtschaftspolitik für die Herausforderungen und Umwälzungen der 80er Jahre gut gerüstet ist. Die Unternehmen sind bereit, sich umzustellen, sich umzurüsten und weltwirtschaftlich anzupassen. Wir wissen, daß unsere Arbeitnehmer nach wie vor bereit sind, mehr zu leisten, mobiler zu sein und eine hohe Produktivität zu erbringen. Wir hoffen, daß unsere Verbraucher auch in Zukunft so klug sein werden, sich umzustellen, daß sie bereit sind, sparsamere Produkte zu honorieren und am Anfang zwar einen höheren Kapitaleinsatz zu leisten, mittelfristig aber bei den Investitionsgütern zu sparen.
Zur Bewältigung dieser Herausforderung der 80er Jahre ist dreierlei wichtig. Erstens müssen wir in der Lage sein, finanzielle Reserven zu bilden. Das wird ein großes Thema der Steuerdebatte werden. Zweitens müssen wir uns die Anpassungsfähigkeit weltwirtschaftlich erhalten. Drittens müssen wir in der Lage sein, zusammen mit unseren Bündnispartnern dem freien Welthandel eine Chance zu lassen.
Wenn wir also beweglich und anpassungsfähig bleiben, wenn wir den Weg nicht in mehr Staat, sondern in mehr Marktwirtschaft suchen, wenn wir Wettbewerb und Dynamik eine Chance geben, dann glauben wir, daß. die deutsche Wirtschaft und ihre Arbeitnehmer in den 80er Jahren besser abschneiden werden als die anderen westlichen Industrieländer.
Die FDP-Fraktion unterstützt darin ihren liberalen Wirtschaftsminister, und das wird auch so bleiben. Wir werden nicht nur die Prinzipien bestimmen, wie es Herr Biedenkopf gesagt hat, sondern auch die praktische Wirtschaftspolitik.

(Beifall bei der FDP und der SPD)


Georg Leber (SPD):
Rede ID: ID0821101800
Das Wort hat der Bundesminister der Finanzen.

Hans Matthöfer (SPD):
Rede ID: ID0821101900
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Da Herr Professor Biedenkopf ganz und gar unbußfertig immer wieder dieselben falschen Dinge behauptet, muß man sie unverdrossen widerlegen. Das ist im Rahmen eines solchen Diskussionsbeitrags nicht umfassend möglich, weil sein Redebeitrag ein Komprimat aller falschen Vorstellungen über staatliche Kreditaufnahme war.

(Lampersbach [CDU/CSU]: Na, Na!)

Aber ich will zwei oder drei Punkte einmal herausnehmen, die dem einen oder anderen Kollegen von der Opposition vielleicht doch einleuchten werden.
Der größte Teil wurde schon von Herrn Roth abgehandelt,

(Pieroth [CDU/CSU]: Aber wie!)

dem ich sehr herzlich für seine Ausführungen danke.

(Pieroth [CDU/CSU]: Sie haben heute Ihren ironischen Tag!)

— Lieber Herr Pieroth, zu Ihnen komme ich noch. Bleiben Sie ganz ruhig und sparen Sie Ihre Energie; Sie werden sie noch brauchen.

(Pieroth [CDU/CSU]: Aber wir kommen auch noch zusammen!)




Bundesminister Matthöfer
Die erste Behauptung war, der größte Teil unserer Staatsverschuldung werde für konsumtive Zwecke eingesetzt. Nun freue ich mich, daß Herr Windelen hier sitzt. Er wird Herrn Biedenkopf sicher einmal aufklären, daß es haushaltsmäßig und schon aus Buchhaltungsgründen ganz und gar unmöglich ist, zu sagen, diese Steuereinnahme — mit Ausnahme der Mineralölsteuer, die zweckbestimmt ist; aber auch da halte ich das für falsch — sei für diese Ausgabe und dieser Teil der Kreditaufnahme für jene Ausgabe bestimmt. All das ist nicht richtig, und es zu sagen zeugt von mangelnder Kenntnis der tatsächlichen Zusammenhänge.
Er hat gesagt, die Gehaltserhöhung werde durch Kreditaufnahme finanziert. Dies ist nicht richtig. Was wir infolge der Gehaltserhöhungen zusätzlich brauchen, werden wir — das wird der Nachtragshaushalt zeigen — in diesem Jahr durch Streichungen bei anderen Haushaltstiteln finanzieren.
Auch die Beispiele, die er brachte — Lehrer, Sozialhelfer usw. —, betreffen den Bund nicht. Der Bund hat keine Sozialhelfer angestellt. Das sind Probleme der Länder und Gemeinden. Nicht richtig ist, daß etwa das Zukunftsinvestitionsprogramm, die Investitionszulagen, das Programm zur Förderung von Investitionen zur Einsparung von Heizenergie oder das Fernwärmeprogramm nicht erwähnt werden. Ich sage das nur, weil er es anschließend selber brachte.
Es gibt allerdings die Möglichkeit zu sagen: Aber ihr habt doch Steuersenkungen vorgenommen, das hat zweifellos euer Defizit erhöht, und das dient konsumtiven Zwecken. Diese Konstruktion würde ich zulassen. Aber dies ist nun gerade das, was die Opposition und Herr Biedenkopf immer gefordert haben: daß wir nur durch Steuersenkungen Konjunkturpolitik machen sollten. Das hätte dann in der Tat konsumtiven Zwecken gedient. — Ich will Sie nicht länger mit solchen Überlegungen langweilen. Ich will Ihnen nur sagen, daß das, was Herr Biedenkopf vorgetragen hat, theoretisch falsch, in sich nicht stimmig und politisch ungeheuer gefährlich ist.
Dann zu der zweiten Behauptung, die Staatsverschuldung verdränge die private Nachfrage nach Krediten. Das Gegenteil ist der Fall. Der Staat muß einspringen, wenn das Sparen oder die Geldkapitalbildung höher sind als die freiwilligen Investitionen. Tut er dies nicht, führt dies in der Tat zur Arbeitslosigkeit. Daran führt keine Empörung vorbei. Herr Roth hat schon aus dem Buch, das Herr Biedenkopf mit herausgegeben hat, zitiert, daß dies in der Tat so ist. Für jeden, der sich einmal die Kreislaufgrößen und ihre Zusammenhänge rechenmäßig klargemacht hat, ist selbstverständlich, daß dieser Zusammenhang besteht. Wer sagt: Wir hätten in den letzten Jahren nicht soviel Kredite aufgenommen, der sagt damit zugleich: Wir hätten eine wesentlich höhere Arbeitslosigkeit in Kauf genommen. Darum kommen Sie nicht herum.

(Beifall bei der SPD und der FDP)

Wenn es sich um die private Kreditnachfrage handelt, sind wir sehr flexibel. Wir hatten in unserem ersten Entwurf für den Haushalt 1980 eine Nettokreditaufnahme von ca. 30 Milliarden DM vorgesehen, weil dies damals allen vernünftig erschien, den Fachleuten im Wirtschaftsministerium, in der Bundesbank, in den Instituten; alle haben uns empfohlen, dies sei ungefähr die richtige Größenordnung. Als sich die Konjunktur aber sehr viel stärker und besser entwickelte, als wir damals vermutet hatten, sind wir in einem Jahr von den geplanten 30 auf ca. 25 Milliarden DM zurückgegangen. Niemand von Ihnen hätte dem Bundesfinanzminister eine solche Flexibilität zugetraut.

(Zustimmung bei der SPD)

Wir sind also in der Lage, uns mit der Konjunktur zu bewegen, das konjunkturpolitisch Richtige zur Sicherung der Beschäftigung zu tun.
Darüber hinaus sagte Herr Kollege Biedenkopf, die Zinsen seien durch die Staatsverschuldung hochgetrieben worden. Auch dies ist nicht richtig.

(Zurufe von der CDU/CSU)

— Lieber Herr Kollege Sprung, ich habe neulich etwas von Ihnen gelesen, worüber ich mich doch sehr gewundert habe. Nun hat das deutsche Volk soviel Geld in Ihre Ausbildung investiert, und wir alle haben eine so hohe Meinung von Ihren fachlichen Kenntnissen und dann schreiben Sie solche Dinge!

(Heiterkeit und Beifall bei der SPD — Lampersbach [CDU/CSU]: Weil Sie das nicht verstehen, ist es doch nicht falsch!)

Herr Kollege Sprung, Sie wissen, ich habe an den Diskussionen über die Zinserhöhungen teilgenommen. Das ist doch selbstverständlich. Die Bundesbank ist gesetzlich verpflichtet, die Wirtschaftspolitik der Bundesregierung zu unterstützen. Das tut sie auch nach Kräften. Da gibt es überhaupt keinen Unterschied in der Meinung zwischen dem Direktorium, das solche Entscheidungen vorbereitet, und der Bundesregierung. Wir haben jede dieser Zinserhöhungen diskutiert. Ich sage Ihnen: Nicht ein einziges Mal ist von der Bundesbank diese Beschwerde vorgebracht worden, und nicht ein einziges Mal ist von der Bundesregierung gesagt worden: Aber wir brauchen doch höhere Zinsen, weil wir sonst nicht genug Geld bekommen.
Das Problem waren vielmehr zunächst einmal die steigenden Baupreise. Herr Präsident Emminger hat damals argumentiert: Wir müssen die Zinsen hochsetzen, um den Bau-Boom zu brechen, um die enormen Preissteigerungen auf dem Baumarkt zurückzudrängen. — Und Sie haben dem alle zugestimmt. Das war das eine.
Das zweite war der große Geldkapitalabfluß aus der Bundesrepublik in den letzten Monaten wegen der enormen amerikanischen Zinsen von 19 und 20 %. Ich will überhaupt nicht dazu Stellung nehmen, ob solche Zinsen lange durchhaltbar sind, ob das alles richtig ist. Was sie in ihrem Lande machen, müssen die Amerikaner besser wissen. Für uns jedenfalls hatte das zur Folge, daß bis zu 15 Milliarden DM Geldkapital abgeflossen sind. Um diesen Abfluß



Bundesminister Matthöfer
zu vermindern, zu bremsen, hat die Bundesbank mit uns gemeinsam gesagt: Also gut, wir gehen mit den Zinsen noch einmal ein bißchen höher. — Das hat überhaupt nichts mit der öffentlichen Kreditaufnahme zu tun.
Dann wurde gesagt, auch private Unternehmer könnten sich diese Zinssätze nicht leisten. Das ist natürlich grober Unsinn, wenn man sich die Kreditbildung ansieht. Die Bundesbank hat große Sorge, daß sie trotz der hohen Zinsen noch immer eine zu hohe Buchgeldschöpfung durch die privaten Banken hat.
Alles das zeugt nicht von Kenntnis der theoretischen Zusammenhänge und zeugt auch nicht von einer genauen Kenntnis der Tatsachen, die im Moment zu konjunkturpolitischen Entscheidungen führen. Es tut mir sehr leid, das sagen zu müssen.
Herr Biedenkopf hat dann aus einem „Spiegel"-Interview von mir zitiert. Der „Spiegel" fragte mich: Wollen Sie nicht Subventionen abbauen? Da habe ich gesagt: Das sind alles schlaue Redensarten, machen Sie doch einmal einen Vorschlag! Daraufhin wurde gesagt: Sparförderung und Vermögensbildung. Darauf habe ich argumentiert: Dies ist eine ganz schwierige Materie. Dann kommt der Satz, den Herr Biedenkopf hier zitiert. Er zitiert ihn gegen mich. Anschließend klagt er mich Arm in Arm mit Herrn Pieroth an, daß ich diesen Besitzstand nicht abbauen will, verlangt aber zugleich, daß ich ihn noch ausweiten solle.

(Pieroth [CDU/CSU]: Ach was! Jetzt verwechseln Sie Sparförderung mit Produktivvermögensbildung!)

— Entschuldigung, wo ist denn da Ihre Konsistenz? Erst wird ein Zitat von mir gebracht, in dem gesagt wird, der Matthöfer wolle keine Besitzstände abbauen, und in derselben Rede wird dann gesagt, er weigere sich nicht nur, diesen Besitzstand abzubauen, sondern er wolle ihn auch nicht ausweiten. — Meinen Sie denn, das entgeht den Wählern? Halten Sie diese für so dumm, daß Sie glauben, in einer Rede mich anklagen zu können, weil ich mich weigere, an Sparförderung und Vermögensbildung heranzugehen, weil ich sage: die Kräfte sind zu stark,

(Pieroth [CDU/CSU]: Das ist ja der Unterschied!)

und zum Schluß der Legislaturperiode geht das überhaupt nicht, und eine Viertelstunde später dann sagen zu können: Außerdem weigert er sich nicht nur, die Vermögensbildung abzubauen, sondern er will sie auch nicht ausbauen? Dies entbehrt, lieber Herr Pieroth, nicht nur jeder ökonomischen Logik, sondern auch jeder normalen Alltagslogik.

(Beifall bei der SPD und der FDP)

Vielleicht kann mir Herr Windelen helfen, seinen Kollegen aufzuklären, daß Mindereinnahmen durch solche Vermögensbildungspläne, die ja wohl beträchtlich sein müssen, wenn sie was taugen sollen, wenn sie Millionen Menschen erfassen sollen — es geht hier um größere Beträge und nicht um irgendwelche Kükenfutterdiskussionen; hier würden doch Milliardenausfälle entstehen —, nicht mehr in die-
ser Legislaturperiode verkraftet werden können. Das ist doch selbstverständlich. Aber das ist Ihre Unsolidität und Doppelzüngigkeit: Einerseits sagen Sie: Das ist ein Schuldenmacher, und andererseits sagen Sie: Der macht nicht genug Schulden; eigentlich müßte er noch ein paar Milliarden Mindereinnahmen bei der Vermögensbildung akzeptieren.

(Beifall bei der SPD)

Ein Wort zum Abbau der Subventionen durch die CDU/CSU. Sehen Sie sich die Tagesordnung der heutigen Sitzung des Deutschen Bundestages an! Tagesordnungspunkt 10 a: Änderung des Investitionszulagengesetzes. Da wollen Sie Investitionstatbestände wieder ausbauen. Tagesordnungspunkt 10 b betrifft Wasserkraftwerke und Investitionszulagen; weil dort eine Kumulation nicht ausgeschlossen werden kann, müßte ein enormer Verwaltungsapparat aufgebaut werden. Die heutige Tagesordnung allein zeigt: Sie wollen nicht Subventionen abbauen, Sie wollen sie ausbauen. Man wird doch langsam dieser Art und Weise, auch mit der öffentlichen Meinung umzugehen, überdrüssig.
Herr Professor Biedenkopf ist in seiner Rede auf die Beratungen des Finanzplanungsrates eingegangen. Aus seiner Darstellung habe ich den Eindruck, er meint, dieser sei ein Instrument der Bundesregierung. Das ist er natürlich nicht. Der Bundesfinanzminister sitzt darin mit allen Länderfinanzministern, der Vertretung der Gemeinden, und auch der Bundesbank. Sie alle treffen Beschlüsse, und zwar immer einstimmig; sonst kommt gar kein Beschluß zustande. Einen Beschluß, wie ihn Herr Biedenkopf formuliert hat, hat der Finanzplanungsrat selbstverständlich nie gefaßt. Ich glaube, er hat sogar das Gegenteil von dem beschlossen, was Herr Biedenkopf gesagt hat. Aber dies ist immerhin interessant, weil es voll meiner Meinung entspricht. Meine Kollegen, die Länderfinanzminister, haben mir zugestimmt; sie stehen zum Teil — auch die CDU-Finanzminister — im harten Abwehrkampf gegen ihre eigenen Landtagsfraktionen, die draußen zwar schöne Reden halten, aber innen immer mehr Ausgabenbeschlüsse fassen wollen.
Wir, die Finanzminister, und die Bundesbank haben folgenden Beschluß gefaßt:
Der Finanzplanungsrat beriet erste vorläufige yolks- und finanzwirtschaftliche Annahmen für die Haushaltspläne 1981 und die mittelfristigen Finanzpläne 1980/1984. Die Mitglieder des Finanzplanungsrates waren der Auffassung, daß aus heutiger Sicht bei der Planung für die Haushalte 1981 von Bund, Ländern und Gemeinden aus gesamtwirtschaftlichen und kapitalmarktwirtschaftlichen Gründen und wegen der wachsenden Zinsbelastungen die Höhe der Neuverschuldung des Jahres 1980 nicht überschritten werden soll.
Dies ist meine Meinung, und das werden wir durch, setzen. Ich werde bei dem Nachtragshaushalt, den wir Ihnen vorlegen werden, durchsetzen, daß alle Zusatzausgaben durch Streichungsvorschläge bei anderen Titeln gedeckt werden, weil ich in der augenblicklichen konjunkturellen Situation — mit al-
16884 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 211. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 17; April 1980
Bundesminister Matthöfer
len Ungewißheiten für die zweite Jahreshälfte, die uns ja von allen möglichen Leuten immer vorgetragen werden — eine Erhöhung des Defizits konjunkturpolitisch und zur Sicherung der Beschäftigung nicht für erforderlich halte. Deshalb werden wir alle Mehrausgaben für Verteidigung, Türkei-Hilfe, Beamtengehälter und gestiegene Treibstoffkosten durch Streichungen bei anderen Titeln decken. Es wird keine Erhöhung des Defizits durch diese unabweisbaren Ausgaben geben.

(Beifall bei der SPD)

Was geschehen wäre, wenn ich Ihren Forderungen nachgegeben hätte, die Steuern schon für 1980 zu senken, weiß ich allerdings nicht. Ich weiß nicht, ob unser Staat dann noch so handlungsfähig wäre, wie er es jetzt ist, ob er sich konjunkturpolitisch so vernünftig verhalten könnte wie jetzt.

(Beifall bei der SPD und der FDP)

Sie haben doch — im Verein mit ganzen Zeitungskonzernen — den vergangenen Herbst mit der Forderung bestritten, die Steuern in diesem Jahr zu senken. Jetzt dagegen wollen Sie den Arbeitnehmern die notwendige Steuersenkung sogar für 1981 vorenthalten. Wo ist denn da die Logik?

(Beifall bei der SPD und der FDP — Dr. Hubrig [CDU/CSU]: Das ist eine reine Verleumdung!)

Was mich bei einem so weltläufigen Herrn wie Herrn Professor Biedenkopf sehr gewundert hat, ist, daß er überhaupt keine internationalen Bezüge hergestellt hat! Die Bundesrepublik ist offenbar eine Insel der Seligen: Sie führt zwar viel aus und viel ein, aber sonst braucht man internationale Probleme bei der Diskussion des Jahreswirtschaftsberichts nicht mit in die Betrachtung einzubeziehen.

(Zuruf von der SPD)

— Nichts gegen Bochum. Ich bin dort geboren und aufgewachsen. Es gibt dort Leute, die sich in der Welt durchaus auskennen.

(Lenzer [CDU/CSU]: Nur mit dem Fußball ist es im Moment ein bißchen schwach!)

— Das ist richtig, Herr Kollege Lenzer, aber das werden wir dann in der Sportdiskussion des Deutschen Bundestages gebührend zu beachten und zu würdigen wissen. — Also, wie gesagt: keinerlei internationale Perspektive bei Herrn Biedenkopf, nichts über die Notwendigkeit, den Nord-Süd-Graben einzuebnen, keine Würdigung der Bemühungen der Bundesregierung auf dem Gebiet der Entwicklungshilfe. Ist Ihnen bekannt — der Herr Kollege Windelen weiß das —, daß die IstAusgaben für die Entwicklungshilfe im vergangenen Jahr um etwa 40 To gestiegen sind,

(Beifall bei der SPD)

daß wir trotz aller internen Schwierigkeiten zu unseren Bündnispflichten stehen, daß wir versuchen, Spannungen in der Welt — auch unter materiellen Opfern — abzubauen, daß wir in der Lage sind, das alles zu tun, dies alles solide zu finanzieren?

(Dr. Hubrig [CDU/CSU]: Solide!)

In einer Phase, in der sich alle Länder — von Nord bis Süd, von Ost bis West — auf den Abbau von Spannungen konzentrieren sollten, tragen auch wir materiell dazu bei. Wir wollen dazu beitragen, allen Menschen einen produktiven Arbeitsplatz zu verschaffen. Die Notwendigkeit dafür ist größer als je zuvor.
Wir müssen bei unseren Bemühungen das Gewicht aller neun Partner in der Europäischen Gemeinschaft in die Waagschale werfen. Europa muß in dieser entscheidenden Phase der Weltgeschichte handlungsfähig bleiben. Auch hier, meine Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU, ist die Bundesregierung handlungsfähig, weil sie es abgelehnt hat, sich durch ihre Steuersenkungspläne in eine unmögliche Situation drängen zu lassen.

(Beifall bei der SPD und der FDP)

An uns scheitert der Ausgleich für Großbritannien nicht. Wir sind der Meinung, daß es Großbritannien als einem der ärmsten von neun Ländern nicht zuzumuten ist, 4,5 Milliarden DM, also dreimal soviel wie wir in der Zeit unserer größten Nettozahlungen auf den Tisch zu legen. Das geht einfach nicht! Das muß man doch anerkennen. Davon muß man einen Teil übernehmen, und dazu sind wir bereit, weil wir Europa wollen.
An dieser Stelle wäre vielleicht, Herr Kollege Sprung, ein Wort zum Europäischen Währungssystem zu sagen. Dieses Währungssystem hat seine Bewährungsprobe in diesen anderthalb Jahren, in denen die Währungen sich so verhalten, als wäre das System in Kraft

(Dr. Sprung [CDU/CSU]: Ein Jahr!)

— bitte, wir haben es am 21. Dezember 1978 beschlossen, und seitdem verhalten sich die Währungen so, als wäre das System in Kraft, und das funktioniert tadellos —, in jeder Beziehung bestanden.

(Dr. Sprung [CDU/CSU]: Das Ziel ist aber nicht erreicht!)

Nehmen wir nur die Wirkung dieses Währungssystems in Verbindung mit der Abwertung der D-Mark durch die Dollarpolitik. Ich halte es nicht für vernünftig, daß man eine Währung, die ein Preisdifferential zur D-Mark von zur Zeit 8 bis 10 To zu ihren Ungunsten hat, in relativ kurzer Zeit um über 10 To aufwertet. Das ist doch keine gesunde wirtschaftliche Entwicklung!

(Pieroth [CDU/CSU]: Sie war ja vorher unterbewertet!)

— Der Kurs wird auch wieder zurückgehen, das ist ganz klar.
Dabei hat das Europäische Währungssystem — und wer hätte das gedacht?, Sie ganz sicher nicht — dazu beigetragen, daß diese Entwicklung gedämpft wurde. Es stützt die D-Mark nach oben und nach unten,

(Zustimmung bei Abgeordneten der SPD)

es hat in jeder Beziehung, auch in politischer Beziehung, nämlich hinsichtlich der Stärkung der Bestrebungen der Mitgliedsregierungen, die Inflation zu



Bundesminister Matthöfer
bekämpfen — wollen Sie diese Bemühungen den Briten, den Franzosen und den Italienern nicht auch unterstellen? —, seine Bewährungsprobe bestanden. Sie aber haben nichts als düstere Horrorgemälde an die Wand gemalt.

(Zustimmung bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

Wenn Sie an der Regierung gewesen wären, wäre das Europäische Währungssystem, dieser wichtige Beitrag zur europäischen Politik, aus lauter Angst vor dem zweifellos auch vorhandenen Risiko niemals geschaffen worden. Sie hätten es nicht zustande gebracht; wir hingegen sind der Meinung, daß man für Europa auch Risiken in Kauf nehmen muß.
Vielleicht ist hier der Punkt, an dem die TürkeiHilfe kurz erwähnt werden kann. Wir haben in diesem Jahr noch einmal 1,16 Milliarden Dollar auf die Beine gebracht, und zwar zu viel besseren Bedingungen, was sehr wichtig ist, weil das Zuschußelement bei diesen Krediten eigentlich immer das Interessante ist. Das ist aber nur ein Teil der Bemühungen. Wir brauchen in diesem Jahr etwa 3 Milliarden Dollar Zahlungsbilanzzuschuß für die Türkei. Das wird auch gelingen. Da kommt jetzt der Internationale Währungsfonds, es kommt die Weltbank, es kommt die Europäische Gemeinschaft; es erfolgen die Umschuldung der öffentlichen und der öffentlich verbürgten Schulden und die Umschuldung der Bankschulden; es kommen die Ölländer, die Militärhilfe kommt hinzu. Das ist eine sehr komplexe Operation, die sicher noch das ganze Jahr in Anspruch nehmen wird.
Wir haben bereits die ersten wichtigen Teilerfolge erzielt, und wir haben die türkische Regierung bei ihrer mutigen Bemühung, den richtigen wirtschaftspolitischen Weg einzuschlagen, rechtzeitig und umfassend unterstützt. Ich glaube, auch dies liegt im Interesse der Friedenswahrung. Niemand hat ein Interesse daran, daß dieser wichtige Partner des Verteidigungsbündnisses, diese wichtige Kraft in dieser Region politisch völlig destabilisiert wird und daß Links- und Rechtsradikale dort die politische Demokratie zerstören.
All dies, was wir tun, um die Länder an der Südflanke des Bündnisses, Griechenland und die Türkei, nicht nur wirtschaftlich stabil zu halten, sondern auch militärisch zu stärken und auf einen Weg des wirtschaftlichen Aufschwungs zu bringen, ist solide finanziert. Alles wird durch Deckungsvorschläge im jetzigen Haushalt gedeckt sein. Ich glaube, das ist eine Leistung, die Sie anerkennen sollten, auch wenn Sie in der Opposition und daher nicht gerade zum Lob der Regierung berufen sind.
Wir haben eine finanzpolitisch solide Grundlage, um Friedenspolitik zu betreiben. Wir haben eine finanzpolitisch solide Grundlage, um weiterhin in unserem Lande Wirtschaftswachstum und eine Annäherung an die Vollbeschäftigung zu erreichen. Ihre Vorschläge sind falsch. Der Beitrag von Herrn Professor Biedenkopf heute morgen war wieder ein Beispiel dafür.

(Beifall bei der SPD und der FDP)


Georg Leber (SPD):
Rede ID: ID0821102000
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Dollinger..

Dr. Werner Dollinger (CSU):
Rede ID: ID0821102100
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Herr Bundesfinanzminister hat nochmals unterstrichen, wie wichtig es ist, daß wir bei dieser Wirtschaftsdebatte nicht nur unser Land sehen, sondern auch Europa und die weite Welt. Das ist sicher richtig und in einer Zeit hochpolitischer Spannungen verständlicher denn je. Schon der Herr Bundeswirtschaftsminister hat diesem Thema einen großen Teil seiner Ausführungen gewidmet. Ich glaube aber, daß unser Beitrag in Europa und in der Welt auch in bezug auf die Nord-Süd-Problematik entscheidend dadurch bestimmt sein wird, ob die wirtschaftlichen Verhältnisse in der Bundesrepublik selbst entsprechend in Ordnung sind oder nicht.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Der Herr Bundeswirtschaftsminister war heute nach meinem Empfinden sehr mutig. Er sagte, daß die Projektion des Jahreswirtschaftsberichtes nicht korrigiert würde, und er nannte das Ziel ehrgeizig. Das ist nun ein schönes Wort. Wenn die Regierung sagt, das Ziel sei ehrgeizig, dann könnte man sagen, sie stelle sich sogar unter Streß. Das ist bei uns im allgemeinen gar nicht sehr gefragt. Wenn die Regierung dieses Ziel hat — gut, wir hören es gerne und wir wollen Sie dabei auch unterstützen. Aber ich glaube, wir müssen feststellen, daß in den letzten Jahren einige Dinge im wirtschaftlichen Bereich geschehen sind, die nicht gerade eine geradlinige Politik der Bundesregierung gezeigt haben, sondern häufig einen Zickzackkurs. Ich darf daran erinnern, daß ein entscheidender Wandel erst eingetreten ist, als die Regierung gewisse Dinge in ihrer Politik geändert hat. Ich nenne hier z. B. den Abbau von leistungshemmenden Steuern, den wir in den vergangenen Jahren immer gefordert haben, und die damit zusammenhängende Ertragsverbesserung der Unternehmungen. Ich erwähne auch eine sehr vernünftige und verständnisvolle Tarifpolitik der Gewerkschaften und der Unternehmer. Ich nenne einen gewissen Klimawechsel gegenüber der Wirtschaft, denn wir sollten nicht vergessen, daß es eine Zeit gegeben hat, in der nicht zuletzt von den Sozialdemokraten die selbständigen Unternehmer und die Wirtschaft in einer negativen Weise kritisiert wurden, und daß diese Hemmnisse eine gewisse Verzögerung in der wirtschaftlichen Entwicklung bewirkt haben. Ich erwähne die Stop-and-go-Politik der Bundesregierung. Ich erinnere an die Ablehnung des Leistungsprinzips, an die Gedanken der Gleichmacherei und der Nivellierung. Ich erinnere auch an die Verunsicherung der Wirtschaft durch die Forderung nach Investitionslenkung und Verstaatlichung bestimmter Bereiche. Solche Forderungen kamen nicht von der Regierung — das möchte ich sagen —, sondern aus den sie tragenden Parteien, insbesondere der SPD. Ich denke an die Forderungen, man solle die Belastbarkeit der Wirtschaft testen, und nicht zuletzt auch an die Plakataktion „Gelber Punkt".

(Zurufe von der SPD)




Dr. Dollinger
— Ich weiß, daß das heute nicht mehr gern gehört wird, aber diese Dinge haben damals einen wesentlichen Beitrag geleistet, das Klima in der Wirtschaft zu verschlechtern.

(Beifall bei der CDU/CSU — Zurufe von der SPD)

Meine Damen und Herren, in dieser Debatte heute hat die Vollbeschäftigung bereits eine große Rolle gespielt. Nach dem Stabilitäts- und Wachstumsgesetz ist die Bundesregierung gehalten, jenes magische Viereck von Wachstum, Vollbeschäftigung, Preisstabilität und außenwirtschaftlichem Gleichgewicht zu befolgen. Wenn nun heute dem Herrn Kollegen Biedenkopf unterstellt worden ist, seine Maßnahmen und Überlegungen würden zu einer neuen großen Arbeitslosigkeit führen, so wäre ich damit an Ihrer Stelle, Herr Roth, etwas vorsichtiger.

(Sehr richtig! bei der CDU/CSU)

Ich darf daran erinnern, daß Herr Schmidt als damaliger Bundeswirtschafts- und -finanzminister im Jahre 1972 erklärt hat:
So sah 1966/67 die Rezession aus: 673 572 Arbeitslose, 343 718 Kurzarbeiter, und Millionen von Familienvätern hatten Angst um ihre Existenz. Die CDU/CSU hatte die Rezession gewollt.
Meine Damen und Herren von der SPD, ich könnte Sie jetzt umgekehrt fragen: Haben Sie in den letzten Jahren die Millionen-Arbeitslosigkeit gewollt? So sollte man nicht miteinander umgehen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Der Herr Bundeswirtschaftsminister hat heute darauf hingewiesen, daß die Inflation die Arbeitsplätze gefährden würde. Diese Feststellung ist nicht nur richtig, sondern auch erfreulich, weil wir einmal von einem anderen Trend hörten. Ich erinnere daran, daß der Herr Bundeskanzler in einem Interview mit der „Zeit" gesagt hat:
Mein im Mai 1972 geprägtes Wort, wonach 5 % Preissteigerung zwar schlimm, aber eher zu ertragen sind als 5 % Arbeitslosigkeit, war richtig.
Schmidt wies darauf hin, daß Deutschland sichere Arbeitsplätze hat, und fügte hinzu:
Darauf sind wir stolz.
In dem Inserat mit dem Bild des damaligen Wirtschaftsministers schrieb die SPD:
Jeder Deutsche soll wissen, was das bedeuten würde: eine halbe Million Arbeitslose, Existenzangst, Radikalismus. Dazu darf es nicht kommen. Sorgen Sie dafür, daß Sozialdemokraten weiter regieren. Dann bleiben die Arbeitsplätze sicher.
Und so geht es weiter.
Wo nehmen Sie eigentlich den Mut her, hier Persönlichkeiten der CDU, in diesem Fall Herrn Biedenkopf, zu unterstellen, mit den Arbeitern und der Arbeitslosigkeit einen leichtfertigen Umgang zu haben. Herr Roth, Sie sollten solche Reden nicht halten. Denn es ist ein Anliegen unserer Politik, Vollbeschäftigung zu erreichen. Wir kennen die Not der Menschen, die arbeitslos sind. Es hat keinen Sinn, hier mit klassenkämpferischen Reden und mit Verdächtigungen zu versuchen, einander etwas zu unterstellen, was nicht stimmt.
Das Problem der Arbeitslosigkeit ist leider nach wie vor nicht gelöst. Die Prognosen der SPD in dieser Beziehung sind nicht eingetroffen, und ihre Versprechungen sind ebenfalls nicht eingehalten worden, wie man an Hand der Unterlagen nachweisen kann.

(Beifall bei der CDU/CSU — Dr. Waigel [CDU/CSU]: So ist es!)

Der Herr Bundeswirtschaftsminister hat sich bei seinen Betrachtungen verständlicherweise ausführlich mit der Energiefrage auseinandergesetzt. Mein Kollege Narjes wird heute darauf zurückkommen. Ich möchte aber doch noch einmal erwähnen, daß man die Gefährdungen der Energieversorgung nach meinem Empfinden viel früher hätte erkennen müssen. Wir hatten ja in diesem Bundestag x-mal erregte Debatten über die Frage: Was müssen wir tun, um die Abhängigkeit vom 01 abzubauen? Ich habe den Eindruck, daß hier nicht zuletzt auf Grund innerer Schwierigkeiten in der sozialdemokratischen Fraktion und Partei eine Reihe von wichtigen Entschlüssen verzögert worden ist, und zwar vielleicht so, daß wir darunter noch zu leiden haben werden. Die Energieversorgung ist ja nicht nur eine Frage der Wirtschaft. Sie ist etwas, was das ganze heutige Leben berührt. Denken wir nur einmal daran, was es bedeutet, wenn in der modernen Küche der elektrische Strom ausfällt oder im Hochhaus der Aufzug nicht mehr geht oder im modernen Verkehr die Verkehrsampeln nicht funktionieren. Das muß umfassend gesehen werden. Wir haben immer gefordert, hier zu handeln. Letzten Endes sind wir durch die Verzögerung in eine Situation gekommen, zu der man heute sagen muß: Es ist vieles versäumt worden — zum Nachteil unserer Volkswirtschaft und unseres Volkes. Daß jetzt erhöhte Preise anstehen und die Versorgung zum Teil unsicher ist, ist gewiß bedauerlich.
Da wir bei den Kosten sind, am Rand doch noch eine Bemerkung, Herr Bundeswirtschaftsminister. Sie haben sich seinerzeit sehr bemüht, von dieser Sache wegzukommen. Ich habe den Eindruck, daß bei den Tarifverhandlungen Ihre 7 % doch eine reichlich ominöse Zahl waren und sicher bei den Verhandlungen nicht förderlich gewesen sind. Wir müssen letzten Endes feststellen, daß wir — laut dem Bericht der Deutschen Bundesbank — bei den Lohnverhandlungen wohl zu einer Erhöhung um insgesamt 8 % gekommen sind.
Der Herr Bundeswirtschaftsminister hat bei seiner Betrachtung auch sehr auf die Frage abgestellt, welches die Probleme in den 80er Jahren sein werden. Ich halte das für eine richtige und notwendige Betrachtungsweise. Damit kommen wir auch wieder zu den binnenwirtschaftlichen Fragen zurück. Ich muß allerdings leider feststellen, daß ich auch heute von dem Herrn Bundeswirtschaftsminister nichts über die Absichten gehört habe, die eventuell bestehen, um den immerhin noch hohen Sockel der



Dr. Dollinger
Arbeitslosigkeit abzubauen. Wir haben, um diese Zahl noch einmal zu nennen, im Jahresdurchschnitt 1979 876 000 Arbeitslose gehabt. Ich gebe zu, daß das ein Rückgang ist, wenn man die Zahlen der Vorjahre zum Vergleich nimmt: 1975 über 1 Million, 1976 1 060 000 und 1977 1 030 000. 1973 waren es noch 273 000. Der Sockel steht also. Ich glaube, das erfordert eine Antwort.
Die Bereitschaft, die weltwirtschaftlichen Herausforderungen anzunehmen und ihnen zu begegnen, ist in unserer Volkswirtschaft zweifellos vorhanden. Es fragt sich nur, in welchem Ausmaß dieser Wille durch Rahmenbedingungen entsprechend unterstützt wird. Daß dabei die Haushaltspolitik und die Steuerpolitik eine Rolle spielen, kann wohl niemand ernsthaft bezweifeln.
Das Thema der Subventionen ist angeklungen. Wir haben den Zustand, daß die Bundesregierung, die sich sonst als so entschlußfreudig darstellt, immer fragt, was die Opposition vorhat. Das ist eine sehr merkwürdige Sache. Eine Regierung, die sich stark fühlt und angeblich klare Konzepte hat, müßte auch hier ihr Regierungsamt ausüben, indem sie sagt, was sie machen will, und darf nicht mit allgemeinen Redensarten über die Dinge hinweggehen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Ich bin sicher, daß uns das Problem des Zahlungsbilanzausgleichs in Zukunft stärker beschäftigen wird. Mein Kollege Sprung wird auf diese Frage gleichfalls noch zurückkommen.
Nun hat der Herr Bundesfinanzminister das Thema der Verschuldung behandelt. Er hat die Verschuldung natürlich — wie könnte es anders sein — verteidigt. Auf diesem Gebiet ist eine unwahrscheinliche Entwicklung festzustellen. Wenn man sich vor Augen hält, daß der Bund 1969 45,3 Milliarden DM Schulden hatte, 1970 47,3 Milliarden DM — ein geringer Anstieg —, fünf Jahre später 108,5 Milliarden DM und 1979 bereits 202 Milliarden DM, dann ist das wirklich eine tolle Leistung. Ich gestehe Ihnen eines zu. Es gab einmal ein Wahlplakat, auf dem stand — wir hatten nicht geglaubt, daß es stimmt —: „Wir haben die besseren Männer.” Dieses Ihr Wahlplakat hat sich jetzt insofern bestätigt, als Sie in diesem Fall tatsächlich die „besseren" Männer haben; denn in 20 Jahren CDU/CSU-geführter Regierung war uns eine solche Verschuldung nicht gelungen. Das ist absolut Spitze. Das kann man nicht bezweifeln.

(Zustimmung bei der CDU/CSU)

In dem Zusammenhange haben wir auch zu erwähnen, daß die Staatsquote von 37 % im Jahr 1969 auf 47 % im Jahr 1979 angestiegen ist. Hier stellt sich die entscheidende Frage: Ist das eine systematische Politik oder sind es Zufälle? Der Herr Bundeskanzler hat in einer Fernseh-Diskussion am 13. Dezember 1979 gesagt, daß der Staat zwangsläufig einspringen müsse, „wenn die Unternehmer nicht investieren". Auch das ein Vorwurf: wenn sie nicht investieren. Weil häufig auch das Geld der Sparer in der Wirtschaft verwendet wird — das sollte man einmal klar sehen; das gilt gerade für Aktiengesellschaften, aber auch für kleine Unternehmungen, die Kredite
aufnehmen —, muß sich derjenige, der Geld aufnimmt, fragen: Kann ich das verantworten? Diese Überlegung gehört natürlich dazu, wenn man investieren will. Kann ich das, was ich aufnehme, irgendwann wieder zurückzahlen? Wenn die gesamtpolitische Situation, wenn die Umstände, die eine Regierung zu schaffen hat — und eventuell nicht schafft —, einfach gegen Investitionen sprechen, kann man doch nicht erwarten, daß Unternehmer investieren. Das wäre verantwortungslos; denn letzten Endes würden sie mit Ersparnissen der Bevölkerung leichtfertig umgehen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Die Staatsspritzen, die gegeben worden sind, haben sicher etwas bewirkt; das bestreite ich gar nicht. Ob das aber immer unter dem Gesichtspunkt des wirtschaftlichen Fortschritts und der Produktivität notwendig gewesen ist, ist eine große Frage.

(Zuruf des Abg. Roth [SPD])

— Ich kann Sie nicht verstehen. Ich stelle nur einmal die Frage, ob alles richtig war, was z. B. im Rahmen der kommunalen Investitionsmöglichkeiten gefördert wurde. Ich spreche in diesem Zusammenhang nur das Wort „Hallenbäder" aus. Fragen Sie heute einmal draußen viele Bürgermeister, die nach dem Motto „Das Geld, das es gibt, dürfen wir nicht verfallen lassen" gehandelt und heute die dauernden Lasten, die damit verbunden sind, zu tragen haben.

(Zuruf des Abg. Roth [SPD] — Zuruf von der CDU/CSU)

Da haben wir den entscheidenden Punkt. Ich habe vorhin klarzumachen versucht, daß ein Privater bei der Kreditaufnahme überlegt, ob er es verantworten kann, denn er muß ja das Geld zurückzahlen. Er haftet vielleicht auch mit seinem guten Namen und dem letzten Pfennig seines Vermögens. Der Staat hingegen geht mit dem Geld der Steuerzahler um; wenn es nicht reicht, kann man die Steuern erhöhen, wenn es dann noch nicht reicht, kann man auch Schulden machen. Wie sie bezahlt werden, ist dann vielleicht eine Frage der nächsten Generationen. Das ist keine gute Politik!

(Beifall bei der CDU/CSU)

Der Herr Bundeswirtschaftsminister hat bei seiner Betrachtung im Hinblick auf den zukünftigen Trend gesagt, daß wir vor allem auch dafür sorgen müssen, die Wirtschaftskraft, die Produktivität zu erhöhen. Herr Bundeswirtschaftsminister, ich entnehme dem Januarbericht der Bundesbank, daß eine deutliche Verlangsamung des Produktivitätsfortschritts zu verzeichnen ist. Ich möchte folgende Zahlen nennen: Von 1960 bis 1969 betrug der Produktivitätsfortschritt im Durchschnitt gut 5 %; von 1974 bis 1979 ist er auf 3,5 % gesunken. Es zeigt sich hier ganz klar ein negativer Trend. Ich glaube, das hat auch etwas mit den Chancen der wirtschaftlichen Entfaltung und mit den Rahmenbedingungen zu tun, die der Staat für die Wirtschaft gesetzt hat.
Meine Damen und Herren, ich möchte das Problem der Schulden und der Steuern hier nicht weiter



Dr. Dollinger
behandeln. Lassen Sie mich aber auf ein Zitat zurückkommen, das im Gutachten des Sachverständigenrats steht und das mir im Hinblick auf die Finanzpolitik sehr interessant zu sein scheint. Ich darf zitieren:
Nichts an den siebziger Jahren war normal.
— Das haben die Sachverständigen geschrieben, nicht die CDU/CSU. —
In den frühen siebziger Jahren hat der Staat trotz eines sehr hohen Beschäftigungsstandes eine stark expansive Finanzpolitik betrieben und damit die Inflation angeheizt. Danach waren dann ständig hohe Defizite nötig, um die Folgen einer Stabilisierungskrise zu bekämpfen.
Das ist die Ziffer 229. In derselben Ziffer heißt es weiter:
Letztlich erzeugte die expansive Finanzpolitik selbst den •Bedarf an einer expansiven Finanzpolitik. Das mag man zwar auch Gewöhnung nennen, aber es wäre jedenfalls eine Gewöhnung an Bedingungen, die nicht zu Vollbeschäftigung passen.
Meine Damen und Herren, ich glaube, diese Passagen aus dem Sachverständigengutachten zeigen in sehr deutlicher Weise, daß man nicht selbstgefällig alles das, was hier passiert ist, loben oder darstellen soll.

(Pieroth [CDU/CSU]: Das hat Herr Matthöfer aber nicht gelesen!)

Der Herr Bundeswirtschaftsminister hat auch von der Notwendigkeit gesprochen, Strukturen in der Wirtschaft zu ändern. Es ist gar keine Frage, daß wir uns neben den konjunkturellen Schwankungen mit strukturellen Wandlungen zu beschäftigen haben. Ich meine auch: Je früher die Notwendigkeit für solche Prozesse erkannt wird, desto besser ist es für die Volkswirtschaft, für die Bevölkerung und für den Staat.
Nun haben wir in diesen Bereichen in den letzten Jahren immer wieder in besonderem Maße etwas von den Problemen der mittelständischen Wirtschaft gehört. Der Wissenschaftliche Beirat beim Bundesministerium für Wirtschaft hat in seinem Gutachten „Staatliche Interventionen in einer Marktwirtschaft" im Januar 1979 festgestellt:
Vor allem kleinere und mittlere Unternehmen werden durch ein Mißverhältnis zwischen gestiegenen Risiken und verminderten Anreizen belastet.
Es heißt dann weiter:
... die mit der zunehmenden Kompliziertheit der Gesetze entstehenden Mehrkosten und das Risiko, einer immer weiter anwachsenden Normenflut ausgesetzt zu sein, (belasten) das kleinere Unternehmen ungleich stärker als größere.
Meine Damen und Herren, das ist in der Tat ein Problem, das die Strukturen unserer Wirtschaft negativ beeinflußt. Es steht dort — von diesem Beirat formuliert — noch der Satz:
„Unsterblichkeit wegen Größe" darf keine Regel für das Überleben am Markt sein.

(Roth [SPD]: Das sieht man bei AEG und den bayerischen Standorten! Jetzt reden Sie doch mal konkret!)

— Herr Roth, ich glaube, es hat gar keinen Wert, daß wir hier versuchen, unsachlich miteinander zu polemisieren.

(Kittelmann [CDU/CSU]: Er kann doch nicht anders!)

Das sind ernste Dinge. Ich bedauere es sehr, daß es kaum mehr möglich ist, hier sachlich miteinander zu sprechen. Selbst wenn wie hier etwas von einem Beirat zitiert wird, führt das sofort zu einem neuen Angriff, anstatt daß man einmal überlegt, inwieweit diese Kritik berechtigt ist und was man im Interesse des Volksganzen tun kann, damit in Zukunft derartige Beanstandungen nicht mehr notwendig sind.

(Beifall bei der CDU/CSU)

„Unsterblichkeit wegen Größe" — meine Damen und Herren, das ist nicht nur eine Frage im Vergleich zur mittelständischen Wirtschaft, zu Handwerks- und Handelsbetrieben, sondern

(Roth [SPD]: Soll AEG sterben?)

das ist — neben der menschlichen Seite — nach meiner Überzeugung auch eine Frage für unsere Wirtschaftsordnung schlechthin.
Es ist nicht zu bezweifeln, daß in den letzten Jahren leider Entwicklungen eingetreten sind, die keineswegs befriedigend sind und die nicht mit den Zielen der Regierung übereinstimmen, die sagt, sie betreibe eine Politik zur Förderung des Mittelstandes.
Ein paar Zahlen: Von 1970 bis zum Jahre 1978 nahm die Zahl der Selbständigen von 2 690 000 auf 2 410 000 ab, d. h. ein Minus von 280 000; das sind etwas über 10 %. Meine Damen und Herren, 10 % Abnahme bei der Zahl der Selbständigen! Ich weiß nicht, ob es in Deutschland eine andere Gruppierung gibt, die einen ähnlichen Schwund zu verzeichnen hat wie die der Selbständigen.

(Pieroth [CDU/CSU]: Der öffentliche Dienst bestimmt nicht!)

Man sollte einmal sehen, was hier tatsächlich passiert ist.
In der Regierungserklärung 1976 hatte der Herr Bundeskanzler einräumen müssen — ich zitiere —, „daß die Zahl der Betriebseinstellungen in den letzten ... Jahren überdurchschnittlich angestiegen ist". Der Bundeskanzler glaubte allerdings zu erkennen, daß — ich zitiere wieder — „der Wille zur Gründung neuer selbständiger Existenzen keineswegs nachgelassen" habe. Meine Damen und Herren, das war ein schöner Optimismus, ich habe aber den Eindruck, daß die Entwicklung leider eine andere gewesen ist.
Wir wollen ganz klar festhalten, daß Unternehmensgründungen ein Risiko beinhalten und daß dieses Risiko der Unternehmer zu tragen hat. Das gehört zu unserer Wirtschaftsordnung. Aber wenn wir



Dr. Dollinger
sehen, wie im Rahmen der Entwicklung Betriebe zugrunde gegangen sind, dann müssen wir uns fragen: Sind hier nicht Fehler gemacht worden? Ich meine, daß man in der Tat die mittelständische Wirtschaft zuwenig in ihrer Struktur gesehen hat.
Es ist für mich sehr aufschlußreich, die Zahl der Insolvenzen in den letzten zehn Jahren, die rund 70 000 betragen hat, zu betrachten. Man kann hier feststellen, daß zwischen 70 und 79 To der Insolvenzen Unternehmungen betroffen haben, die nicht älter als acht Jahre gewesen sind.
Welche Folgerungen muß ich daraus ziehen? Ich muß daraus folgern, daß einfach die Bedingungen, das Klima, manchmal sicher auch die Fähigkeiten, oft die Kapitalausstattungen dieser Leute nicht ausgereicht haben, sich behaupten zu können. Ich meine, das ist im Grunde genommen eine sehr bedauerliche Entwicklung.
Meine Damen und Herren, es ist nach meiner Meinung interessant, was der stellvertretende Bundesvorsitzende der Arbeitsgemeinschaft Selbständige in der SPD, Herr Hans-Erich Schult, in dem Buch „Was sind der SPD die Selbständigen wert?", erschienen 1979, feststellt. Er schreibt von „verwirrenden Zwischentönen aus der eigenen Partei und fährt dann wörtlich fort:
Zu dieser Verketzerung der Unternehmer passen Äußerungen einzelner und Beschlüsse von Gliederungen der Partei, die nicht nur Kritik an bestimmten Erscheinungen oder Auswüchsen der Marktwirtschaft üben, sondern generell Wirtschaftsfeindlichkeit zum Ausdruck bringen oder die gesamte Marktwirtschaft ablehnen.
Meine Damen und Herren, wenn wir Marktwirtschaft erhalten wollen, dann brauchen wir eine Struktur von kleinen, mittleren und großen Unternehmungen. Je mehr der Konzentrationsprozeß in unserer Wirtschaft fortschreitet, desto mehr wird die Marktwirtschaft gefährdet. Aber es geht uns nicht allein um das Schlagwort oder das System „Marktwirtschaft", sondern letzten Endes auch um die Freiheit des Bürgers in seiner gesamten Umwelt, als Verbraucher wie auch als Arbeitskraft.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Herr Bundeswirtschaftsminister, die Eigenkapitalhilfe, die nun gestartet worden ist, hat nach meinem Empfinden bisher doch nicht jenen großen Erfolg — ich sage: leider — gehabt, den man erwartet hat, denn die Zahl derjenigen, die daran teilgenommen haben, ist außerordentlich gering. Es stellt sich die Frage: Ist das Programm noch nicht bekannt, oder muß es vielleicht doch verbessert werden? Denn der bisherige Erfolg — ich glaube, 700 bis 800 Personen haben dieses Programm bisher in Anspruch genommen — bei der Förderung der Gründung von selbständigen Existenzen kann doch wirklich nicht als durchschlagend bezeichnet werden.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Im zweiten Halbjahr 1979 — die Zahl liegt mir hier vor — sind 887 Anträge positiv entschieden worden. Für das ganze Jahr waren 10 000 Förderungen geplant. Ich glaube, dieses Zahlenverhältnis ist
Anlaß, darüber nachzudenken, ob das Programm verbessert werden muß oder ob es irgendwo anders fehlt. Ich stelle fest, daß der Deutsche Industrie- und Handelstag in seinem Jahresbericht 1979 schreibt:
Allerdings muß kritisiert werden, daß die Vergabevorschriften so ausgelegt sind, daß ein Existenzgründer, der das Programm voll ausschöpfen will, eine Eigenkapitalquote von nur 13,2 % aufweisen darf. Diese Regelung kann dazu führen, daß die Risikoträgerfähigkeit des neugegründeten Unternehmens nicht ausreicht, die, wie die Insolvenzstatistik zeigt, schwierige Pionierphase erfolgreich zu überstehen.
Ich wäre sehr dankbar, Herr Bundeswirtschaftsminister, wenn man vielleicht noch einmal darüber nachdenken würde, was hier noch verbessert werden kann.

(Pieroth [CDU/CSU]: Auch der Staatssekretär!)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich möchte feststellen, daß mit diesem Jahreswirtschaftsbericht, der in einer schwierigen Zeit vorgelegt worden ist, letzten Endes auch festgestellt werden muß, daß das gesunde wirtschaftliche Wachstum, das einmal da war, in der Zeit der SPD/FDP-Regierung nicht aufrechterhalten worden ist. Wir haben schwerste Rückschläge zum Schaden des Ganzen gehabt. Die Vollbeschäftigung konnte nicht gehalten werden. Wir haben Arbeitslosigkeit; die Zahlen schwanken. Die Preisstabilität hat eine gefährliche Entwicklung genommen, nicht nur aus außenwirtschaftlichen Gründen, sondern auch aus innerstaatlichen Gründen. Das außenwirtschaftliche Gleichgewicht wird uns angesichts der neuen Entwicklung sehr große Schwierigkeiten und Sorgen bereiten. Von soliden Staatsfinanzen kann bei dieser Schuldenwirtschaft nicht mehr gesprochen werden.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Es mag heute manchem Bürger auf Grund vieler Zahlen so scheinen, als sei doch alles in Ordnung, als sei alles gar nicht so schlimm und gar nicht so schlecht. Ich glaube, bei allem Positivem, das auch wir bejahen, sollte man auch einmal sehen — —

(Wehner [SPD]: Warum sagen Sie das? Ist Ihnen auch nicht wohl, daß Sie das so schlechtmachen müssen?)

— Herr Wehner, ich freue mich, daß Sie mich mit diesem Zwischenruf noch würdigen. Aber ich habe Sie trotzdem nicht verstanden.

(Wehner [SPD]: Ich sagte, daß Sie sich darüber wundern, daß das in unserem Volk noch nicht verstanden worden ist! Hören Sie mal! Wollen Sie aufputschen oder aufmotzen, damit die endlich begreifen, daß alles schlecht ist?)

— Vielen Dank, Herr Wehner. Mir geht es hier nicht um das Aufputschen

(Wehner [SPD]: Mir auch!)




Dr. Dollinger
oder Aufmotzen, wie Sie sagen — das Wort kenne
ich nicht; es ist bei uns in Franken und in Bayern
nicht zu Hause —, sondern mir kommt es darauf an
— was, wie ich glaube, ein Anliegen des ganzen Hauses und aller politischen Kräfte sein sollte —, dafür zu sorgen, daß dem Volk ehrlich die Wahrheit gesagt wird und auch die Perspektiven für die Zukunft klar herausgestellt werden.

(Beifall bei der CDU/CSU — Wehner [SPD]: Das wäre wirklich gut, ehrlich die Wahrheit zu sagen! Sagen Sie das Ihrer CSU!)

— Das brauche ich meiner CSU nicht zu sagen, denn ich gehöre ihr selbst an!

(Wehner [SPD]: Deswegen können Sie es auch glaubhaft machen! — Zuruf von der SPD: Die Wahrheit!)

Herr Wehner, Sie können nicht bestreiten, daß hier zumindest einige Dinge in bezug auf die Beurteilung wirtschaftlicher Vorgänge in der Zukunft auf dem Tisch liegen. Ich habe vorhin das Thema der Arbeitslosigkeit zitiert, wo man zumindest sagen muß, daß sich die Verantwortlichen furchtbar getäuscht haben. Ich glaube, das kann man nicht bestreiten. Ich sage, daß wir Klarheit schaffen wollen, damit auch unser Volk in seiner Gesamtheit die Gefahren erkennt. Seien wir uns gegenüber doch ehrlich: Wie lange hat es gedauert, bis ein Teil der Bevölkerung gemerkt hat, daß Energiesparen notwendig ist! Die Dinge sind viel zu lange bagatellisiert worden. Es kommt mir darauf an, daß wir den Ernst der Entwicklung sehen.
Wir haben in dem Körper unserer Wirtschaft, der nach außen gesund erscheint, nach meinem Empfingen gefährliche Infektionsherde. Es kommt darauf an, diese Infektionsherde zu beseitigen und auszuheilen, bevor der gesamte Körper der Volkswirtschaft davon erfaßt wird. Ein Infektionsherd — ich möchte das noch einmal sagen — ist nach meiner Meinung die inflationäre Entwicklung, die wir nun praktisch seit den 70er Jahren haben. Man sollte nicht sagen, daß das erst mit der Ölverteuerung gekommen ist. Wir haben einen erschreckend hohen Schuldenstand des Staates, der, wenn er weiter ansteigt — darüber müssen wir uns im klaren sein —, mehr oder minder zu einer politischen Handlungsunfähigkeit führt.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Politische Handlungsunfähigkeit der politischen Gremien in einer parlamentarischen Demokratie ist eine unendliche Gefahr, weil sich daraus Radikale neu etablieren können, und das wollen wir sicher alle nicht.

(Zuruf von der FDP: Grüne!)

Wir haben bei dem Bürger die Sorge, was aus seinem Geld wird; das sollte man im Zusammenhang mit der Verschuldung nicht übersehen. Ich habe noch nicht erlebt, daß ein Staat Pleite gemacht hat, sondern er hat sich vorher zu Lasten seiner Bürger entschuldet. Das muß man sehen.

(Zuruf von der CDU/CSU: Leider wahr!)

Ich denke auch an die Unternehmungen, die letzten
Endes auch unter dem Aspekt der Sicherung und
Schaffung von Arbeitsplätzen mit dieser Entwicklung etwas zu tun haben. Energieversorgung und Energiekosten sind ein ganz gefährlicher Infektionsherd, und hier gibt es einfach Versäumnisse. Es wäre völlig falsch, es zu bestreiten. Eine geschlossene SPD im Bund und in den Ländern hätte sehr viel dazu beitragen können, daß die Verzögerung bei den Investitionen in diesem Bereich vermieden worden wäre.

(Zurufe von der CDU/CSU)

Ich meine — diese Gefahr möchte ich noch einmal unterstreichen — auch den Prozeß der Konzentration in unserer Wirtschaft. Ich betone das nicht nur im Interesse der Erhaltung von Unternehmungen, sondern auch im Interesse einer freiheitlichen Bewegung im Rahmen der Wirtschaft für jeden einzelnen Bürger. Herr Bundeswirtschaftsminister, ich möchte Sie bitten: Setzen Sie sich mit Ihren Vorstellungen marktwirtschaftlicher Art, die Sie am Ende Ihrer Ausführungen so stark herausgestellt haben, bitte überall durch, wo Sie Verantwortung tragen. Ich weiß, daß das oft nicht einfach ist. Das bezweifle ich gar nicht.

(Zuruf von der FDP)

— In diesem Fall denken Sie offenbar an die Judos.
Das „Durchsetzen" bezieht sich auch darauf, daß Sie mit Ihrem Koalitionspartner hier entsprechend zurechtkommen und dafür gesorgt wird, daß die marktwirtschaftliche Ordnung durch staatliche Rahmenbedingungen so gestaltet wird, daß eine wirtschaftliche Entfaltung im Interesse von Wachstum, von Vollbeschäftigung, im Interesse des außenwirtschaftlichen Gleichgewichts und auch im Interesse eines Beitrags zur Stabilisierung der sozialen Verhältnisse der Bundesrepublik Deutschland möglich ist. Denn ohne gesunde Wirtschaft gibt es keine gute Sozialpolitik.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Nur dann, meine Damen und Herren, wenn die Bundesrepublik Deutschland eine gute wirtschaftliche und eine gute soziale Ordnung hat, wird es möglich sein, daß wir einen entscheidenden Einfluß — ich sage: Einfluß — auf die Lösung der Probleme in Europa und darüber hinaus werden ausüben und einen entscheidenden Beitrag dazu werden leisten können.

(Anhaltender Beifall bei der CDU/CSU)


Georg Leber (SPD):
Rede ID: ID0821102200
Meine Damen und Herren, nach einer Verabredung im Ältestenrat ist eine Mittagspause vorgesehen. Ich unterbreche die Sitzung.
Der Bundestag tritt um 14 Uhr zur Fortsetzung seiner Arbeit wieder zusammen.

(Unterbrechung von 12.57 bis 14.00 Uhr)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID0821102300
Die Sitzung ist wieder eröffnet.
Meine Damen und Herren, interfraktionell ist vereinbart worden, daß wir nicht unterbrechen, wenn die Fragestunde vorzeitig zu Ende sein sollte,



Vizepräsident Frau Renger
sondern dann gleich die Vorlagen des Vermittlungsausschusses beraten.
Ich rufe Punkt 1 der Tagesordnung auf: Fragestunde
— Drucksache 8/3899 —
Zunächst der Geschäftsbereich des Bundesministers des Auswärtigen. Herr Staatsminister Dr. von Dohnanyi steht zur Beantwortung der Fragen zur Verfügung.
Zunächst die Frage 58 des Abgeordneten Petersen. — Er ist nicht im Saal; die Frage wird schriftlich beantwortet, ebenso die Frage 59 des Abgeordneten Petersen. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Frage 60 des Herrn Abgeordneten Niegel. — Auch er ist nicht da; die Frage wird ebenfalls schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Frage 61 des Herrn Abgeordneten Dr. Müller:
Hält die Bundesregierung die Pläne des Goethe-Institutes, Zweigstellen in Kleinstädten zu schließen und dafür Neubauten in Großstädten zu errichten, für vereinbar mit den Zielen des Bundesraumordnungsprogramms?
Bitte sehr, Herr Staatsminister.

Dr. Klaus von Dohnanyi (SPD):
Rede ID: ID0821102400
Herr Kollege, die Bundesregierung kennt die Überlegungen, die das Goethe-Institut zu verstärkter Arbeit in den Großstädten veranlassen. Die Bundesregierung weist hier noch einmal ausdrücklich darauf hin, daß es sich bei den Tätigkeiten des Goethe-Instituts im Inland um Tätigkeiten eines privaten Vereins handelt, die nicht durch öffentliche Zuwendungen gefördert werden. Die Bundesregierung ist jedoch der Auffassung, daß das Goethe-Institut versuchen sollte, auch in seiner Inlandsarbeit die kulturellen Chancen der kleinen Städte im Rahmen ihrer Möglichkeiten zu wahren.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID0821102500
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Müller.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0821102600
Herr Staatsminister, ist nicht gerade das Goethe-Institut in Passau, das in einer neuen, jungen Universitätsstadt besteht und das jetzt geschlossen werden soll, ein Beispiel dafür, daß bei den Spitzen des Goethe-Instituts gelegentlich sehr negative Überlegungen angestellt werden?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, ich würde Ihnen so nicht zustimmen. Man müßte dann den Fall Passau im einzelnen analysieren. Es wird da sicherlich begründete Überlegungen gegeben haben. Aber ich wiederhole: Die Bundesregierung hat natürlich im Rahmen ihrer Zuständigkeiten ein erhebliches Interesse daran, daß auch die kulturelle Entwicklung der kleineren Städte gefördert wird. Sie wissen, daß ich mich selber um die Gründung einer Universität in Passau initiativ schon im Jahre 1968/69 bemüht habe. Ich hoffe, daß das Goethe-Institut diese Perspektiven in die Überlegungen einbezieht.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID0821102700
Zweite Zusatzfrage, Herr Dr. Müller.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0821102800
Herr Staatsminister, teilen Sie, wenn Sie die Meinung der Studenten etwa an dem Gooethe-Institut in Passau kennen, meine Meinung, daß die Behauptung der Führung des GoetheInstituts, die Studenten an Goethe-Instituten seien nicht gern in kleinen Städten, nicht den Tatsachen entspricht?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, ich kann das wirklich nicht beurteilen. Ich wiederhole: Man müßte dann den Fall Passau im einzelnen studieren.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID0821102900
Keine weiteren Zusatzfragen.
Für das Protokoll darf ich nachschieben: Aus dem Geschäftsbereich des Bundeskanzlers und des Bundeskanzleramtes werden alle Fragen, also die Fragen 55 des Herrn Abgeordneten Kroll-Schlüter sowie 56 und 57 des Herrn Abgeordneten Röhner auf Wunsch der Fragesteller schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.

(Niegel [CDU/CSU]: Wenn Sie das vorher gesagt hätten, wäre ich bei meiner Frage da gewesen!)

— Tut mir leid, Herr Kollege: Es ist gerade beschlossen worden, daß jemand, der nicht anwesend ist, nicht später noch einmal aufgerufen werden kann.

(Niegel [CDU/CSU]: Nur eine Minute!)

— Würden Sie das, was Sie dazu zu sagen hätten, freundlicherweise dem Präsidenten mitteilen!
Ich rufe Frage 62 des Herrn Abgeordneten Graf Stauffenberg auf:
Welchem Ziel räumt die Bundesregierung politischen Vorrang ein: dem Ziel, durch Modernisierung der nuklearen Mittelstreckenwaffen gemäß dem NATO-Beschluß vom 12. Dezember 1979 einen Ausgleich der ins Ungleichgewicht geratenen westlichen Nuklearbewaffnung herbeizuführen, oder dem Ziel, Verhandlungen über die Abrüstung der nuklearen Mittelstreckenwaffen zwischen Ost und West zustandezubringen?
Bitte sehr, Herr Staatsminister.
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, Vorrang hat die Gewährleistung der äußeren Sicherheit der Bundesrepublik Deuschland. Diesem Ziel dienen beide Elemente des NATO-Beschlusses, die Modernisierungsmaßnahmen ebenso wie das an die Sowjetunion ergangene Rüstungskontrollangebot. Dabei haben wir das Ziel, unter Berücksichtigung der Gleichheit im Wege der Rüstungskontrolle zu erreichen, daß das Niveau der Mittelstreckenraketen so niedrig wie möglich sein kann.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID0821103000
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Graf Stauffenberg.

Graf Franz Ludwig Schenk von Stauffenberg (CSU):
Rede ID: ID0821103100
Herr Staatsminister, haben die kürzlichen Verlautbarungen des Herrn Bundeskanzlers — die abgegeben worden sind, nachdem die Frage schon eingereicht war — nicht auch im Auswärtigen Amt Anlaß gegeben, zumindest korrigierend durch Stellungnahmen eingreifen zu müssen, damit nicht unter unseren Ver-



Graf Stauffenberg
bündeten der Eindruck entsteht, die Bundesregierung möchte von dem gemeinsamen NATO-Beschluß abrücken?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, ich bin sicher, daß unter den Verbündeten — insbesondere in den erforderlichen Entscheidungsgremien — überhaupt kein Anlaß bestanden hat, anzunehmen, daß der Bundeskanzler von den bestehenden Beschlüssen Abstand nehmen wolle.

(Dr. Bötsch [CDU/CSU]: Na, na!) Dies ist ja auch ganz deutlich erklärt worden.


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID0821103200
Zweite Zusatzfrage, Graf Stauffenberg.

Graf Franz Ludwig Schenk von Stauffenberg (CSU):
Rede ID: ID0821103300
Herr Staatsminister, was war der Anlaß für den Sprecher des Auswärtigen Amtes, vorgestern eine Erklärung im Hinblick auf die Äußerung des Herrn Bundeskanzlers mit dem Wortlaut abzugeben: „Es ist nicht beabsichtigt, die Haltung der Bundesregierung zu ändern, es bleibt bei den Beschlüssen vom Dezember 1979", was war der Anlaß?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, der Anlaß war, das zu unterstreichen, was ich eben gesagt habe.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID0821103400
Zusatzfrage, Herr Kollege Dr. Hupka.

Dr. Herbert Hupka (CDU):
Rede ID: ID0821103500
Herr Staatsminister, nachdem Sie eben in Ihrer Antwort davon gesprochen haben, es sei notwendig, das Niveau der Mittelstrekkenraketen so niedrig wie möglich zu halten, frage ich: Wir gehen doch gemeinsam davon aus, daß es eine sowjetrussische Überlegenheit an Mittelstrekkenraketen gibt?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Ja.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID0821103600
Keine weitere Zusatzfrage.
Ich rufe Frage 63 des Herrn Abgeordneten Graf Stauffenberg auf:
Ist die Bundesregierung entschlossen, ihren Anteil zur Durchführung des NATO-Beschlusses zur Modernisierung der nuklearen Mittelstreckenwaffen auch dann zu erbringen, wenn die Sowjetunion wie bisher darauf besteht, daß die Bundesrepublik Deutschland vor Beginn von Ost-West-Verhandlungen über die Abrüstung der nuklearen Mittelstreckenwaffen von diesem Beschluß abrückt?
Bitte, Herr Staatsminister.
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, die Antwort lautet: Ja.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID0821103700
Zusatzfrage, Graf Stauffenberg.

Graf Franz Ludwig Schenk von Stauffenberg (CSU):
Rede ID: ID0821103800
Herr Staatsminister, ist die Bundesregierung bereit, den Eintritt in eine neue Abrüstungsverhandlungsrunde von einem zumindest zeitweiligen Verzicht auf die Durchführung des Nachrüstungsbeschlusses der NATO abhängig machen zu lassen?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, ich wiederhole die Antwort, die ich auf Ihre Frage
gegeben habe. Sie hatten gefragt, ob die Bundesregierung entschlossen sei, ihren Anteil zur Durchführung des NATO-Beschlusses usw. zu erbringen, unabhängig von der von der anderen Seite gestellten Bedingung. Die Antwort lautet: Ja.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID0821103900
Zweite Zusatzfrage, Graf Stauffenberg.

Graf Franz Ludwig Schenk von Stauffenberg (CSU):
Rede ID: ID0821104000
Herr Staatsminister, haben die Äußerungen des Bundeskanzlers, die er ausdrücklich in Hamburg und in Essen auf Parteiveranstaltungen der SPD im Hinblick auf die Abrüstung und Rüstungsverhandlungen getan hat, und die Andeutung eines Konzepts etwas mit der seit gestern bekannten Einladung zu einem Besuch in der Sowjetunion in diesem Sommer, also mit der terminlichen Festlegung und dem Terminvorschlag, zu tun?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Nein.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID0821104100
Zusatzfrage, Herr Dr. Möller.

Dr. Franz Möller (CDU):
Rede ID: ID0821104200
Herr Staatsminister, liegen der Bundesregierung Erkenntnisse vor, wie viele SS20-Raketen die UdSSR pro Woche produziert?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Ja, und die Bundesregierung hat hierzu öffentlich Stellung genommen.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID0821104300
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Horn.

Erwin Horn (SPD):
Rede ID: ID0821104400
Herr Staatsminister, können Sie bestätigen, daß es bei der Kanzlerdarstellung ausdrücklich darum ging, die Strategie des Gleichgewichtes darzustellen und von dieser Voraussetzung aus politisch Rüstungskontrollmaßnahmen den Vorrang gegenüber einer Rüstungseskalation zu geben?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, es besteht überhaupt kein Zweifel daran, daß der Bundeskanzler seine Überlegungen auf der Grundlage des NATO-Beschlusses angestellt hat. Insofern stimme ich Ihnen zu.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID0821104500
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Hupka.

Dr. Herbert Hupka (CDU):
Rede ID: ID0821104600
Herr Staatssekretär, können Sie mir darin zustimmen, daß auf keinen Fall die Nachrüstung so lange ruhen soll, bis die Gespräche über die Dislozierung der Mittelstreckenraketen abgeschlossen worden sind?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, für mich ist Ihre Frage sachlich nicht verständlich. Vielleicht haben Sie besondere Einsichten in den NATO-Beschluß, die mir nicht gegeben sind. Bisher bin ich immer davon ausgegangen, daß zu dem Beschluß nicht nur die Entwicklung und die Produktion, sondern auch die Dislozierung auf der einen Seite und auf der anderen Seite das Element der Rü-



Staatsminister Dr. von Dohnanyi
stungskontrolle gehören. Insofern verstehe ich Ihre Frage nicht.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID0821104700
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Pawelczyk.

Alfons Pawelczyk (SPD):
Rede ID: ID0821104800
Herr Staatsminister, teilen Sie meine Auffassung, daß man Zweifel haben muß, ob diejenigen, die mit der Stellungnahme und dem Vorschlag des Bundeskanzlers, der die Position der NATO wiederholt und unterstreicht, insbesondere die rüstungskontrollpolitische Seite für den Zeitraum, in dem wir noch nicht stationieren können, derart kritisch umgehen, die rüstungskontrollpolitische Seite, dieses Gleichgewicht, wünschen, wenngleich ihnen an der verteidigungspolitischen Seite gelegen ist?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, ich möchte hier keine Bewertungen vornehmen. Ich gehe davon aus, daß dem Hause und unseren Bündnispartnern klar ist, daß sich die Äußerung des Bundeskanzlers auf der Grundlage des NATO-Beschlusses vom Dezember 1979 bewegt.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID0821104900
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Werner.

Herbert Werner (CDU):
Rede ID: ID0821105000
Herr Staatsminister, da Sie soeben noch einmal das angebliche Stehen auf der Grundlage des NATO-Beschlusses unterstrichen haben: Wie beurteilen Sie vor diesem Hintergrund die offiziösen Aussagen, die etwa aus dem NATO-Hauptquartier in Brüssel kommen, daß die Überlegungen des Bundeskanzlers de facto und auch vor dem Hintergrund von Überlegungen hinsichtlich des strategischen Gleichgewichts in Europa einen wesentlichen Schritt über den NATO-Beschluß hinaus bedeuten würden?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, dies sind Fehlinterpretationen, die jedem einmal unterlaufen können.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID0821105100
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Rawe.

Wilhelm Rawe (CDU):
Rede ID: ID0821105200
Herr Staatsminister, da Sie ja Erkenntnisse über die Produktionszahlen der SS-20 haben: Darf ich Sie bitten, diese dem Hause bekanntzugeben?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Nach den uns bisher vorliegenden Informationen gibt es etwa eine Stationierung pro Woche.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID0821105300
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Corterier.

Dr. Peter Corterier (SPD):
Rede ID: ID0821105400
Herr Staatsminister, ist Ihnen bekannt, daß der Herr Bundeskanzler am Dienstag im Auswärtigen Ausschuß seinen Vorschlag erläutert hat und daß es gegen seine Begründung, die er für den Vorschlag gegeben hat, keinerlei Widerspruch von seiten der Opposition im Auswärtigen Ausschuß gegeben hat?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Das ist richtig, Herr Kollege.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID0821105500
Keine weiteren Zusatzfragen.
Ich rufe die Frage 64 des Herrn Abgeordneten Dr. Czaja auf:
Wieso weist die Bundesregierung einerseits immer wieder auf den deutschen Vertragsvorbehalt, keinen Friedensvertrag zu Lasten Deutschlands vorwegzunehmen, hin und erklärt, am Gebot der Grundgesetzpräambel,die staatliche Einheit :ganz Deutschlands zu wahren an
den Beschlüssen des Bundesverfasseungsagerichts vom Juli 1973 und 1975 mit dem Verbot, Rechtspositionen ganz Deutschlands zu mindern, und an Artikel 7 des Deutschlandvertrages festzuhalten, macht aber andererseits Staatsminister von Dohnanyi bereits jetzt (Bulletin 24/198) Zukunftsaussagen zur Oder-Neiße-Linie als endgültiger Grenze ganz Deutschlands?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, ich habe in meinem Referat in Bielefeld festgestellt, daß ein wiedervereinigtes Deutschland als Rechtsperson durch den Warschauer Vertrag nicht gebunden werden kann. Ich habe hinzugefügt, daß jedoch die übereinstimmende Feststellung beider Staaten im Warschauer Vertrag für die Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Volksrepublik Polen wesentlich ist, daß die OderNeiße-Grenze die Westgrenze Polens bildet, und daß sich daran auch in Zukunft nichts ändern wird.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID0821105600
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Czaja.

Dr. Herbert Czaja (CDU):
Rede ID: ID0821105700
Gilt also auch für die Zukunft die Feststellung der Bundesregierung, durch den Warschauer Vertrag sei nichts zu Lasten Deutschlands vorweggenommen — eine Feststellung, die sie in der Begründung zum Vertragsgesetz, im Bulletin von 1976 und in Fragestunden von 1979 getroffen hat —, und können Sie die auch vom Bundesverfassungsgericht bestätigte Pflicht der Bundesregierung leugnen, keine Rechtspositionen Deutschlands vor einem Friedensvertrag aufgeben zu dürfen?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, auf dem Hintergrund dieser drei von Ihnen gestellten Zusatzfragen möchte ich sagen: Das alles habe ich in meinem Referat auch so ausgeführt. Wenn man es lesen würde, könnte man das feststellen.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID0821105800
Zweite Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Czaja.

Dr. Herbert Czaja (CDU):
Rede ID: ID0821105900
Teilen Sie also, Herr Staatsminister, in bezug auf Art. I des Warschauer Vertrages die im Buch „Ostverträge" mit Zustimmung des Auswärtigen Amtes niedergelegten intimen Kenntnisse Ihres als Benno Zündorf zeichnenden Kollegen, wonach in Art I zwar die Registrierung des tatsächlichen Befundes, aber keine Anerkennung der Grenzen und des Gebietsstandes vorgenommen worden ist und es überhaupt keine Souveränitätsanerkennung zu Lasten Deutschlands gibt?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, ich beziehe mich auf die Antwort, die ich Ihnen soeben gegeben habe. Ich habe das alles schon einmal gesagt.

(Dr. Schäfer [Tübingen] [SPD]: Sehr gut!)





Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID0821106000
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Polkehn.

Walter Polkehn (SPD):
Rede ID: ID0821106100
Herr Staatsminister, sind Sie mit mir der Auffassung, daß die Oder-Neiße-Grenze, die ja eine Realität des verlorenen Hitler-Krieges ist, heute, nach 35 Jahren, durch die in diesem Gebiet inzwischen geborenen Hunderttausenden von Polen auch eine moralische Bestätigung gefunden hat und eine revanchistische Änderung, wie sie von einigen offenbar gefordert wird, eine erneute Vertreibung zur Folge hätte?

(Zurufe von der CDU/CSU)

Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, zur Sachfrage — was die Heimat der in diesen Gebieten geborenen Polen angeht — habe ich in meiner Bielefelder Rede ebenfalls Stellung genommen. Die Rechtsfrage beantworte ich weiterhin wie bisher: Die Bundesrepublik Deutschland kann selbstverständlich eine Bindung für den Fall eines zukünftigen Friedensvertrages nicht eingehen.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID0821106200
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Hupka.

Dr. Herbert Hupka (CDU):
Rede ID: ID0821106300
Herr Staatsminister, um Ihr letztes Wort aufzugreifen: Warum haben Sie dann in Ihrer Rede gesagt, daß sich auch in Zukunft nichts an der gegenwärtigen, durch Annexion, Okkupation und Vertreibung entstandenen Grenze ändern wird?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, eben weil ich zu beidem Stellung genommen habe, zu den tatsächlichen Verhältnissen und zur Rechtsfrage. Ich wiederhole die Antwort, die ich eben gegeben habe.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID0821106400
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Jäger (Wangen).

Claus Jäger (CDU):
Rede ID: ID0821106500
Herr Staatsminister, wie will die Bundesregierung ausschließen, daß von der polnischen Seite eben diese Ihre Äußerung dazu benutzt wird, den Friedensvertragsvorbehalt, den die Bundesrepublik Deutschland gemacht hat, auszuhöhlen?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, dadurch, daß ich davon ausgehe, daß die Vertreter der Volksrepublik Polen im Gegensatz zu denen der Opposition das lesen, was ich in Bielefeld gesagt habe.

(Dr. Schäfer [Tübingen] [SPD]: Sehr gut!)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID0821106600
Ich rufe Frage 65 des Herrn Abgeordneten Dr. Czaja auf:
Hat Staatsminister von Dohnanyi in Bielefeld am 28. Februar 1980 die Gelegenheit wahrgenommen, um gemäß der Antwort der Bundesregie- rung vom 26. April 1979 „der polnischen Seite die Bedeutung für die gegenseitigen Beziehungen zu erläutern", die Artikel IV des Warschauer Vertrags besitzt, der den Deutschlandvertrag, welcher Grenzfestlegungen vor frei vereinbarten Friedensvertragsregelungen nicht gestattet, unberührt läßt?
Bitte, Herr Staatsminister.
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, ja, indem ich auf die Rechtslage verwiesen habe.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID0821106700
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Czaja.

Dr. Herbert Czaja (CDU):
Rede ID: ID0821106800
Bedeutet das, daß Ihnen bekannt ist, daß in bezug auf die gegenwärtig bestehenden Grenzlinien im ganzen Warschauer Vertrag der Begriff „Anerkennung" überhaupt nicht vorkommt und Art. I von einer Grenzlinie spricht, die eine gegenwärtig bestehende . Grenze bildet, aber keineswegs feststellt oder anerkennt, daß sie Polens Grenze ist?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, ich habe mich in meiner Rede auf den Warschauer Vertrag und damit selbstverständlich auch auf den Wortlaut bezogen.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID0821106900
Die zweite Zusatzfrage, Herr Kollege.

Dr. Herbert Czaja (CDU):
Rede ID: ID0821107000
Herr Staatsminister, weisen Sie bei jedem sich bietenden Anlaß, wie es das Auswärtige Amt am 7. Dezember 1978 hier versprochen hat, auch Polen gegenüber auf das Offensein der ganzen deutschen Frage dank des Deutschlandvertrages hin, und halten Sie diese Position im Bewußtsein des In- und des Auslands wach?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, wenn sich dazu ein Anlaß bietet, ja, aber wir haben natürlich im Augenblick bei der Realisierung des Warschauer Vertrages Aufgaben, die es nicht erforderlich machen, ständig einen Rechtsvorbehalt zu wiederholen, über den sich beide Seiten bei Abschluß des Vertrages klar waren.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID0821107100
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Jäger (Wangen).

Claus Jäger (CDU):
Rede ID: ID0821107200
Herr Staatsminister, wie vereinbaren Sie Ihre hier aufgestellte Behauptung, der polnischen Seite in ausreichender Weise über unsere Haltung Aufschluß gegeben zu haben, mit der Tatsache, daß Sie davon reden, daß sich an der Westgrenze Polens auch in Zukunft nichts ändern werde, wo doch der Friedensvertragsvorbehalt gerade der Vorbehalt einer freien vertraglichen Abmachung ist, die nicht ohne den Willen aller Vertragspartner zustande kommen kann?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, deswegen, weil ich in diesem Zusammenhang auf beides Bezug genommen habe, auf tatsächliche Entwicklungen einerseits und auf den Rechtsvorbehalt andererseits. Und ich darf auch Sie bitten, nicht satzweise, sondern absatzweise zu lesen; das wäre hilfreich.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID0821107300
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Becker.

Helmuth Becker (SPD):
Rede ID: ID0821107400
Herr Staatsminister, haben wir nicht aus moralischen und menschlichen Gründen alle Veranlassung, immer wieder deutlich zu machen, daß diejenigen Menschen, die sich im heutigen Staatsgebiet Polens befinden, von der Sicherheit ihrer Wohnstätten, ihrer Arbeitsstätten



Becker (Nienberge)

und ihres Lebensraums auch für die Zukunft ausgehen können?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, ja, das ist der Grund, aus dem ich in meiner Rede darauf hingewiesen habe, daß es für viele in den 60er Jahren nicht leicht war, zu erkennen, daß ihre frühere Heimat inzwischen zur Heimat von Polen geworden war.

(Zurufe von der CDU/CSU)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID0821107500
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Hupka.

Dr. Herbert Hupka (CDU):
Rede ID: ID0821107600
Herr Staatsminister, können Sie mir darin zustimmen, daß es keine politische Kraft im Deutschen Bundestag gibt, die die Vertreibung für ein Mittel der Politik hält, und daß wir alle gemeinsam davon ausgehen können, daß eine Vertreibung in der Weltpolitik bereits eine Vertreibung zuviel war?

(Beifall bei der CDU/CSU)

Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, ich denke, daß hier niemand — wie Sie es eben ausgeführt haben — davon ausgeht, daß Menschen, die ihre Heimat nach 1945 gefunden haben, nun aus dieser Heimat wieder vertrieben werden sollten. Ich bin deswegen auch der Meinung, daß die Äußerungen, es handele sich bei meinen Äußerungen um „marxistische Annäherungen an den Ostblock" — wie der Kollege Czaja dies in Ihrem Pressedienst geschrieben hat —, mindestens — um mich entsprechend der Rolle, die ich hier habe, vorsichtig auszudrücken — deplaciert sind.

(Beifall bei der SPD — Zurufe von der CDU/ CSU)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID0821107700
Ich rufe Frage 66 des Herrn Abgeordneten Jäger (Wangen) auf:
Warum hat Staatsminister von Dohnanyi bei seinen Ausführungen zur Madrider Folgekonferenz von der Deutsch-Polnischen Gesellschaft nur die Fortentwicklung von vertrauenbildenden militärischen Maßnahmen, jedoch nicht von menschenrechtlichen Maßnahmen im Sinne der Schlußakte und des Korbes III von Helsinki erwähnt und dabei nicht auch auf die Verletzung der Menschenrechte in Polen — auch gegenüber den Deutschen — hingewiesen?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, weil ich in diesem Zusammenhang auf Entspannungsfragen Bezug genommen hatte. Sie müssen den Satz im Zusammenhang lesen.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID0821107800
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Jäger (Wangen).

Claus Jäger (CDU):
Rede ID: ID0821107900
Herr Staatsminister, da auch die Bundesregierung mehrfach und auch in internationalen Erklärungen den engen Zusammenhang von Entspannung und Menschenrechten betont hat, frage ich Sie, weshalb Sie in Ihrer Rede zwar den Korb III der Schlußakte von Helsinki erwähnt haben, aber verschwiegen haben oder unerwähnt gelassen haben, daß ein Großteil der dort von den beteiligten Staaten abgegebenen Zusagen von der polnischen Regierung bisher nicht erfüllt worden ist.
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, ich hätte auch auf diese Tatbestände im einzelnen Bezug nehmen können. Man kann sich in einer Rede, die zeitlich begrenzt ist, immer nur auf bestimmte Themen konzentrieren. Die besondere Lage und die weltpolitische Entwicklung gaben Anlaß, den Entspannungsgesichtspunkt zu diesem Zeitpunkt mit besonderer Sorgfalt zu behandeln. Ich würde Sie bitten, daraus keine falschen Schlußfolgerungen zu ziehen.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID0821108000
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Jäger (Wangen).

Claus Jäger (CDU):
Rede ID: ID0821108100
Herr Staatsminister, darf ich aus Ihrer Bemerkung die Schlußfolgerung ziehen, daß die Bundesregierung bei den deutschpolnischen Konsultationen, die Sie in Ihrer Rede erwähnt haben, diesen Bereich der Schlußakte und die Nichterfüllung der Zusagen im Korb III zur Sprache, und zwar deutlich ,zur Sprache bringen wird?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, Sie wissen, daß wir in diesen Fragen versuchen, eine pragmatische, für die Menschen wirkliche Fortschritte bringende Politik zu betreiben. In diesem Sinne werden konkrete Probleme dieser Art auch immer wieder aufgegriffen.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID0821108200
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Sauer.

Helmut Sauer (CDU):
Rede ID: ID0821108300
Herr Staatsminister, darf ich gerade Ihrer positiv zu beurteilenden letzten Bemerkung entnehmen, daß dazu auch die zukünftige Gewährung eines Volksgruppenrechtes für die in der Heimat verbliebenen Deutschen gehört?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, auch zu diesem Zusammenhang habe ich hier im Bundestag häufig Auskunft gegeben. Ich müßte diese Frage sehr differenziert beantworten und beziehe mich daher auf meine früheren Antworten.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID0821108400
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Czaja.

Dr. Herbert Czaja (CDU):
Rede ID: ID0821108500
Werden Sie also bei den Konsultationen auf die von der Bundesregierung zugesagte Intervention zugunsten der Volksgruppenrechte zu sprechen kommen oder nicht?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, wir werden darauf zu sprechen kommen, wie ich es auch beim letztenmal gesagt habe. Das ist richtig.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID0821108600
Ich rufe Frage 67 des Herrn Abgeordneten Jäger (Wangen) auf:
Können die Erwartungen an den Warschauer Vertrag, daß er „... einen Schlußstrich setzen soll unter Leiden und Opfer einer bösen Vergangenheit", angesichts der nach wie vor auch seitens der Bundesregierung registrierten Diskriminierung von Deutschen und der Vorenthaltung wesentlicher Menschenrechte für sie als erfüllt angesehen werden?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, der Warschauer Vertrag konnte nur eine Entwicklung in Gang setzen. Insofern ist festzustellen, daß die Entwicklung positiv war, aber noch nicht abgeschlossen ist. Der Punkt, den Sie anschneiden, bleibt



Staatsminister Dr. von Dohnanyi
auf der Tagesordnung deutsch-polnischer Gespräche.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID0821108700
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Jäger.

Claus Jäger (CDU):
Rede ID: ID0821108800
Das bedeutet also, Herr Staatsminister, wenn ich Sie richtig verstanden habe, daß in der Bilanz, die Sie mit dieser Rede ziehen wollten, festzuhalten ist, daß die Hoffnungen bezüglich dieses Vertrages, daß er einen Schlußstrich unter die Leiden und Opfer einer bösen Vergangenheit ziehen soll, bisher nicht, jedenfalls nicht voll in Erfüllung gegangen sind.
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, es bedeutet, daß das Zitat, auf das ich Bezug genommen habe und das Sie auch nur zu einem Teil zitiert haben, weiterhin voll gültig ist, nämlich daß der Vertrag auch dazu dienen soll, „eine Brücke zu schlagen" zwischen den beiden Staaten und den beiden Völkern. Es ist ganz selbstverständlich, daß die damit eingeleitete Entwicklung noch nicht in allen Punkten abgeschlossen sein kann.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID0821108900
Zweite Zusatzfrage, Herr Kollege.

Claus Jäger (CDU):
Rede ID: ID0821109000
Herr Staatsminister, teilen Sie meine Auffassung, daß dieser Schlußstrich unter die Leiden einer bösen Vergangenheit schon deswegen noch nicht als gezogen angesehen werden kann, weil für viele Zigtausende von Deutschen im polnischen Machtbereich diese Leiden keine Vergangenheit sind, sondern bis zum heutigen Tag durch Vorenthaltung und Verweigerung von Menschenrechten andauern?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, ich teile diese Auffassung nicht. Der Vertrag bedeutet eine Zäsur und damit einen Schlußstrich zu einem bestimmten Zeitpunkt. Beide Seiten waren sich darüber klar, daß damit eine Entwicklung einzuleiten ist, die in einem Jahrzehnt nicht ihre volle Erfüllung finden kann.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID0821109100
Zusatzfrage. Herr Abgeordneter Dr. Schweitzer.

Prof. Dr. Carl-Christoph Schweitzer (SPD):
Rede ID: ID0821109200
Herr Staatsminister, würden Sie meine Auffassung teilen, daß ein direkter oder indirekter Vergleich zwischen den Leiden und Opfern einer bösen Vergangenheit von Deutschen und Polen einerseits und gelegentlich noch feststellbaren Diskriminierungen in der Volksrepublik Polen heute im Sinne des Fragestellers andererseits historisch und moralisch völlig unangebracht ist?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, wenn Sie das bedenken, was das deutsche Volk dem polnischen Volk angetan hat, dann gebe ich Ihnen uneingeschränkt recht.

(Jäger [Wangen] [CDU/CSU]: Hört! Hört!)

Wenn man das Leiden aus der Sicht eines einzelnen
oder seiner Familie betrachtet, dann bleibt es sein
persönliches Leiden. Insofern bleibt unsere Aufgabe,
denen, die von solchen Bedingungen betroffen sind, weitere Verbesserungen zu ermöglichen.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID0821109300
Zusatzfrage, Herr Dr. Hupka.

Dr. Herbert Hupka (CDU):
Rede ID: ID0821109400
Herr Staatsminister, können Sie mir darin zustimmen, daß es in dem Verhältnis zwischen Deutschland und Polen auf keinem Feld eine Aufrechnung geben soll und daß ein ermordeter Pole ein ermordeter Pole zuviel war, aber auch ein ermordeter Deutscher ein ermordeter Deutscher zuviel war?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, ich empfinde gerade in Ihrer Fragestellung eine Form von Aufrechnung, die Sie selber nicht haben wollen. Natürlich kann man nicht aufrechnen. Aber es ist unbestreitbar, daß die Tragödie in Polen vom deutschen Volk, durch Deutsche, durch eine deutsche Regierung ausgelöst wurde und daß wir diesen Ursachenzusammenhang bei allen Überlegungen heute nicht übersehen dürfen.

(Dr. Hupka [CDU/CSU]: Verbrechen rechtfertigt nicht Verbrechen!)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID0821109500
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Czaja.

Dr. Herbert Czaja (CDU):
Rede ID: ID0821109600
Herr Staatsminister, ist nicht deshalb seit zehn Jahren kein Fortschritt erzielt worden, weil die deutschen Einwohner in diesem Gebiet nach dem fortwirkenden Vertreibungsrecht nicht als existent als Deutsche oder als Volksgruppe anerkannt werden und keinen muttersprachlichen Unterricht und keine Gottesdienste haben und kein Amt bekleiden dürfen?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, ich kann der Behauptung, daß keine Fortschritte erzielt worden seien, nicht zustimmen. Ich wiederhole: Die Bilanz des Warschauer Vertrags ist positiv. Der Warschauer Vertrag hat eine Entwicklung eingeleitet, die allerdings noch nicht abgeschlossen ist.

(Dr. Czaja [CDU/CSU]: Na ja!)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID0821109700
Ich rufe die Frage 68 des Herrn Abgeordneten Sauer (Salzgitter) auf.
Von welcher völkerrechtlich relevanten Tatsache leitet Staatsminister von Dohnanyi ab, daß die Massenvertreibung Deutscher und — in ihrer Folge — der Heimatverlust „unwiderruflich anzuerkennen„ sind (Bulletin 24/197)?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, ich habe nicht vom Völkerrecht gesprochen, sondern von geschaffenen Tatsachen.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID0821109800
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Sauer.

Helmut Sauer (CDU):
Rede ID: ID0821109900
Herr Staatsminister, teilen Sie also die Auffassung, die der Herr Bundesaußenminister Genscher bei den Vereinten Nationen dargelegt hat: daß das Recht auf die Heimat für jedes Volk, also nicht nur für das palästinensische, sondern auch für das deutsche, gilt?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Ja, ganz sicher.




Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID0821110000
Keine weitere Zusatzfrage.
Ich rufe die Frage 69 des Herrn Abgeordneten Sauer auf.
Warum brach Staatsminister von Dohnanyi in Bielefeld beim Zitieren der Rede des Bundeskanzlers vor dem 32. Deutschen Historikerkongreß zu den Braunschweiger Schulbuchempfehlungen das Zitat vor folgendem Satz ab: .Die polnischen staatlich beauftragten Wissenschaftler haben sich an der einen oder anderen Stelle gegenüber ihren ungebundenen deutschen Verhandlungspartnern ein bißchen zu entschlossen durchgesetzt. Keine Stelle darf sich überfahren lassen, darf andere überfahren, niemand soll sich überfahren fühlen."?
Bitte, Herr Staatsminister.
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, ich habe das von Ihnen angeführte Zitat nur zum Teil vorgelesen, weil ich konkreter als der Bundeskanzler geworden bin, indem ich ein Beispiel genannt habe, nämlich die Nichterwähnung des Hitler-Stalin-Pakts.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID0821110100
Zusatzfrage. Herr Abgeordneter Sauer.

Helmut Sauer (CDU):
Rede ID: ID0821110200
Das heißt, Sie stimmen mit mir darin überein, daß sowohl die Bemerkung des Bundeskanzlers als auch Ihre Bemerkung dahin gingen, daß noch erhebliche Korrekturen an den bisher vorliegenden Schulbuchempfehlungen nötig seien?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Die Schulbuchempfehlungen können noch verbessert werden. Aber es ist wichtig, daß alle Bundesländer so schnell wie möglich für die Umsetzung der Schulbuchempfehlungen eintreten.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID0821110300
Ihre zweite Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Sauer.

Helmut Sauer (CDU):
Rede ID: ID0821110400
Herr Staatsminister, wenn auch Sie die Auffassung vertreten, daß die bisher vorliegenden Schulbuchempfehlungen noch zu verbessern seien, frage ich: Wäre die Bundesregierung bereit, im Rahmen ihrer Kompetenzen eine objektive Korrektur mit zu fördern?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Die Bundesregierung versucht im Rahmen ihrer Zuständigkeiten hilfreich zu sein. Aber zuständig für die Ergebnisse sind die Wissenschaftler in der Kommission, und zuständig für die Umsetzung ist nicht die Bundesregierung, sondern sind die Landesregierungen.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID0821110500
Zusatzfrage. Herr Abgeordneter Jäger (Wangen).

Claus Jäger (CDU):
Rede ID: ID0821110600
Herr Staatsminister, wie rechtfertigen Sie die Erklärung, die Sie jetzt dem Kollegen Sauer für den Abbruch des Zitats des Bundeskanzlers genau an der für manche Zuhörer Ihrer Rede wohl kritischen Stelle geben, angesichts der Tatsache, daß der Bundeskanzler nicht bloß wie Sie kritisch etwas angemerkt, sondern einen ganz konkreten Vorwurf erhoben hat, nämlich daß, wie er sagte, die polnischen, staatlich beauftragten Wissenschaftler sich an der einen oder anderen Stelle gegenüber ihren ungebundenen deutschen Verhandlungspartnern ein bißchen zu entschlossen durchgesetzt haben?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, wenn Sie, wie ich empfohlen habe, nicht nur Sätze, sondern Absätze lesen würden, hätten Sie vielleicht den Absatz davor gelesen. In diesem Absatz habe ich bereits auf eine von mir selbst zitierte, mögliche Kritik an den Empfehlungen Bezug genommen. Ich glaube daher, daß Sie mir durch Ihren Hinweis etwas unterstellen, was sich aus der Rede nicht ergibt.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID0821110700
Eine Zusatzfrage, Herr Dr. Hupka.

Dr. Herbert Hupka (CDU):
Rede ID: ID0821110800
Herr Staatsminister, Sie haben eben wieder an die Bundesländer appelliert, die Schulbuchempfehlungen zu übernehmen. Glauben Sie nicht, daß die Bundesländer — jedenfalls ihre Mehrzahl — gewichtige Gründe dafür haben, diese deutsch-polnischen Schulbuchempfehlungen als geschichtsklitternd nicht zu übernehmen?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Nein. Ich glaube nicht, daß es solche Gründe gibt. Die Schulbuchempfehlungen sind von großem Gewicht und im großen und ganzen ein ganz erheblicher Fortschritt. Ich teile nicht die Auffassung derjenigen, die gegen die Umsetzung der Schulbuchempfehlungen eintreten.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID0821110900
Eine Zusatzfrage, Herr Dr. Schweitzer.

Prof. Dr. Carl-Christoph Schweitzer (SPD):
Rede ID: ID0821111000
Herr Staatsminister, stimmen Sie mir darin zu, daß ein ganz wesentlicher Fortschritt darin zu sehen ist, daß vor einigen Monaten erstmalig ein deutsch-polnisches Gemeinschaftswerk von etwa 20 deutschen und polnischen Wissenschaftlern gleichzeitig in der Volksrepublik Polen und in der Bundesrepublik Deutschland erschienen ist,

(Zurufe von der CDU/CSU)

in dem nach wie vor bestehende wissenschaftliche Unterschiede in der Bewertung ganz klar herausgestellt worden sind, und meinen Sie nicht, daß es doch sehr bemerkenswert ist, daß dieses Gemeinschaftswerk auch in der Volksrepublik Polen voll verbreitet wird?

(Zurufe von der CDU/CSU)

Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, ich teile die Auffassung, daß das ein Fortschritt ist. Und obwohl mir das eigentlich nicht zusteht, Frau Präsidentin, möchte ich dem Kollegen Hupka sagen, daß ja nichts dagegen einzuwenden ist, wenn ein Mitautor dieses Werkes diese Frage stellt.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID0821111100
Eine Zusatzfrage, Herr Dr. Czaja.

Dr. Herbert Czaja (CDU):
Rede ID: ID0821111200
Herr Staatsminister, haben Sie in dieser Rede nicht selbst auf die erheblichen Mängel dieser Schulbuchempfehlungen hingewiesen, und zeigt nicht die Bemerkung des Bundeskanzlers, man dürfe nicht überfahren werden, daß noch ganz erhebliche Korrekturen an den einseitigen Schulbuchempfehlungen notwendig sind?



Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, nichts ist vollkommen; Sie haben recht. Ich habe auch darauf hingewiesen, daß die Schulbuchempfehlungen noch nicht vollkommen sind.

(Dr. Czaja [CDU/CSU]: Mängel!)

Auf beiden Seiten sind Schulbücher heute zu den betreffenden Tatbeständen noch viel unvollkommener. Deswegen unterstützt die Bundesregierung die Umsetzung der Schulbuchempfehlungen.

(Dr. Czaja [CDU/CSU]: Das müssen Sie aber beweisen!)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID0821111300
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Polkehn.

Walter Polkehn (SPD):
Rede ID: ID0821111400
Herr Staatsminister, teilen Sie die Äußerungen des Herrn niedersächsischen Kultusministers Remmers, der vor polnischen Schulbuchfachleuten und Verlegern erklärt hat:
Ich wünsche, daß die Begegnung im Rahmen der Schulbuchkonferenz und auch Kontakte wie diese es erleichtern, sowohl in Polen als auch in der Bundesrepublik Deutschland alle Probleme ohne Scheu anzusprechen, nicht etwa, weil, wie man hier etwas voreilig sagt, Gras über die geschichtlichen Ereignisse gewachsen ist, sondern weil man sich davon überzeugt hat, daß auch wir Deutschen aus der Geschichte gelernt haben und es auch verstehen, die Folgen der eigenen Geschichte zu tragen.
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollge, das war ein langes Zitat. Es fällt mir nicht leicht, dem Zitat eines Kollegen einer Landesregierung von dieser Stelle aus pauschal zuzustimmen oder nicht. Aber nach dem, was ich jetzt gehört habe, möchte ich sagen: Ich könnte dem zustimmen. Ich könnte übrigens auch manchen anderen bildungspolitischen Äußerungen des Kollegen Remmers zustimmen, der ja seine Schwierigkeiten bei seinen Parteikollegen in der CDU hat.

(Beifall bei der SPD und der FDP)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID0821111500
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Broll.

Werner Broll (CDU):
Rede ID: ID0821111600
Herr Staatsminister, da Sie die Reden des Kultusministers Remmers offenbar mit großer Aufmerksamkeit und mit Gewinn lesen, möchte ich Sie fragen: Stimmen Sie mir in der Bewertung zu, daß sich ausgerechnet aus dieser Rede des Ministers ergibt, daß er die Schulbuchempfehlungen für wesentlich verbesserungsbedürftig hält und der Auffassung ist, daß gerade auf der polnischen Seite noch eine ganze Menge Einsichten nötig sind?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollge, ich wiederhole, daß ich natürlich nicht die ganze Rede pauschal unterschreiben kann. Das Zitat schien mir zustimmungsfähig zu sein. Ich lese die Reden von Herrn Remmers im übrigen natürlich auch deswegen mit Gewinn, weil ich feststellen kann, daß er jetzt das sagt, was ich vor zehn Jahren gesagt habe.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID0821111700
Eine Zusatzfrage, Frau Abgeordnete Dr. Balser.

Dr. Frolinde Balser (SPD):
Rede ID: ID0821111800
Herr Staatsminister, teilen Sie meine Auffassung, daß es ein wesentlicher Beitrag zur weiteren Verbesserung der Schulbuchempfehlungen wäre, wenn alle Länder der Bundesrepublik sie auch wirklich einführen und benutzen würden?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Frau Kollegin, das habe ich gesagt.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID0821111900
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Becker.

Helmuth Becker (SPD):
Rede ID: ID0821112000
Herr Staatsminister, ich möchte noch einmal fragen: Glauben Sie nicht, daß wir im gegenwärtigen Zeitpunkt zunächst den größten Wert darauf legen sollten, die Schulbuchempfehlungen so, wie sie jetzt existieren, in der Bundesrepublik Deutschland durch alle Bundesländer umzusetzen?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Ich stimme Ihnen zu, Herr Kollege. Ich würde allerdings ergänzen: in der Bundesrepublik und in der Volksrepublik Polen.

(Sauer [Salzgitter] [CDU/CSU]: Also Unwahrheiten sollen gefördert werden!)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID0821112100
Ich rufe die Frage 70 des Herrn Abgeordneten Dr. Hupka auf:
Welche Nachweise hat die Bundesregierung dafür, daß in den Schulen der Volksrepublik Polen „Fortschritte" in der Darstellung der deutschen Geschichte (Bulletin 24/199) erzielt wurden?
Bitte.
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, meine Feststellung deckt sich mit dem von der deutsch-polnischen Schulbuchkommission gemeinsam erarbeiteten Wortwort zu den Empfehlungen, in dem es heißt:
Mit Befriedigung stellt die gemeinsame Kommission erste positive Auswirkungen ihrer Arbeit fest. Sie bestehen in Ergänzungen und Verbesserungen in einem Teil der Schulbücher der beiden Länder.
Seither hat es eine Reihe weiterer Fortschritte gegeben.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID0821112200
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Hupka.

Dr. Herbert Hupka (CDU):
Rede ID: ID0821112300
Herr Staatsminister, ist Ihnen bekannt, daß sich einer der polnischen Mitautoren, Professor Markiewicz, wochenlang in der Bundesrepublik aufhält? Ich frage: Warum ist ähnliches nicht in umgekehrter Richtung für jemanden möglich, der etwa die Alternativempfehlung zu den deutsch-polnischen Schulbuchempfehlungen zu verantworten hat?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, ich gehe davon aus, daß es wirklich zunächst darauf ankommt, die Empfehlungen umzusetzen. Aber ein Meinungsaustausch nach beiden Seiten ist selbstverständlich immer begrüßenswert.




Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID0821112400
Zweite Zusatzfrage, bitte.

Dr. Herbert Hupka (CDU):
Rede ID: ID0821112500
Liegt der Bundesregierung eine Aufzeichnung darüber vor, in welcher Weise heute in den polnischen Schulbüchern nicht mehr unzumutbare Erklärungen über die Bundesrepublik Deutschland abgegeben werden?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, es gibt Aufstellungen und Übersichten, aber ich habe sie hier nicht zur Hand. Ich bin sicher: Wenn Sie die Frage konkret noch einmal an das Amt stellen, sind wir bereit, Ihnen notwendige Hinweise zugeben.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID0821112600
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Sauer.

Helmut Sauer (CDU):
Rede ID: ID0821112700
Herr Staatsminister Dohnanyi, sind diese Untersuchungen wirklich wissenschaftlich tragfähig?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Ich weiß nicht, auf welche Untersuchungen Sie Bezug nehmen.

Helmut Sauer (CDU):
Rede ID: ID0821112800
Die Untersuchungen darüber, ob in polnischen Schulbüchern die deutsche Geschichte wahrheitsgemäß dargestellt wird.
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Die Schulbücher sind ja zugänglich. Es wird Möglichkeiten geben, sich Übersichten zu beschaffen, natürlich im Rahmen der bestehenden Begrenzungen, z. B. der Sprache und der Notwendigkeit von Übersetzungen und dergleichen mehr. Aber ich bin sicher: Wir können Herrn Kollegen Hupka helfen.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID0821112900
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Jäger (Wangen).

Claus Jäger (CDU):
Rede ID: ID0821113000
Herr Staatsminister, da Sie von dem Kollegen Hupka in der hier schriftlich ausgedruckten Frage schon nach den Nachweisen für Ihre Feststellung gefragt worden sind, die Sie heute nicht zur Hand haben: Sind Sie bereit; sie den Mitgliedern des Auswärtigen Ausschusses zugänglich zu machen, damit wir uns selber ein Bild darüber machen können, ob Ihre Behauptung zutrifft?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, ganz sicherlich. Im übrigen bin ich den Nachweis nicht schuldig geblieben. Ich habe mich nur nicht bereitfinden können, alles aufzulisten. Ich habe ein Zitat gebracht. Ich bin sicher, Herr Kollege: Wenn Sie hier stünden, hätten Sie auch nicht die Absicht, ein Konvolut zu zitieren.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID0821113100
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Czaja.

Dr. Herbert Czaja (CDU):
Rede ID: ID0821113200
Herr Staatsminister, ist Ihnen nicht bekannt, daß der dafür zuständige polnische Autor Krasuski in der neuesten Dokumentation „Bundesrepublik Deutschland/Volksrepublik Polen" bestätigt, daß in vielen polnischen Geschichtsbüchern die ganzen tausend Jahre deutschpolnischer Beziehungen in diesem Punkt fälschlich
als tausend Jahre deutschen Hegemonialstrebens dargestellt werden?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, die Frage, die ich zu beantworten hatte, bezog sich auf die Umsetzung der Empfehlungen. Es ist ja kein Zweifel, daß es auf beiden Seiten Fehldarstellungen der deutschpolnischen. Beziehungen gegeben hat. Die Einsetzung der Schulbuchkommission hat ja in diesem Tatbestand ihren Grund.
Wenn Sie jetzt zitieren, daß es in der Vergangenheit solche Dinge gegeben hat, wie sie der polnische Wissenschaftler aufgezeigt hat, müssen Sie wohl mit der Bundesregierung die Auffassung teilen, daß es zweckmäßig wäre, die Schulbuchempfehlungen beiderseitig so schnell wie möglich umzusetzen.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID0821113300
Ich rufe die Frage 71 des Abgeordneten Dr. Hupka auf:
Betrachtet die Bundesregierung die Kritik der Mehrheit der Bundesländer und die in den Landesparlamenten geäußerten ablehnenden Stellungnahmen zu der Verschweigung der Vertreibung und ihrer Umschreibung als „Bevölkerungsverschiebung" in den deutsch-polnischen Schulbuchempfehlungen als „borniert" (Bulletin 24/199)?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, die Überschrift der Ziffer 22 gibt den Inhalt nicht voll wieder. Weil im Inhalt z. B. auch von „Zwangsumsiedlung" gesprochen wird, halte ich die Forderung nach einer anderen Überschrift für borniert.

(Sehr richtig! bei der SPD)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID0821113400
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Hupka.

Dr. Herbert Hupka (CDU):
Rede ID: ID0821113500
Herr Staatsminister, würden Sie auch diejenigen für borniert halten, die die Ansicht von Herrn Professor Alfred Grosser teilen, der geschrieben hat: „Die Formulierungen über die Vertreibung sind ungenau, sie sind nicht hart genug. Es waren echte Vertreibungen, bei denen Abertausende von Menschen umgekommen sind. Wenn man schon sagen will, wieviel Abertausende von Polen, Hunderttausende, niedergemetzelt und vernichtet wurden, so muß man auch die Wahrheit über die Vertreibung 1945 in solche Empfehlungen hineinbringen.'
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, ich habe mich in meiner Feststellung ausdrücklich auf diejenigen bezogen, die sich auf die Überschrift konzentrieren. Wenn Sie meine Rede ganz lesen, werden Sie feststellen, daß ich z. B. den Ausdruck „Vertreibung" benutzt habe. Sich aber hier gegen die Umsetzung der Schulbuchempfehlungen zu wenden, weil eine Überschrift umfassender ist, als der Begriff der Vertreibung ihn umschreiben kann, scheint mir borniert. Herr Alfred Grosser hat eine solche Forderung auch nicht aufgestellt.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID0821113600
Zusatzfrage, Herr Dr. Hupka.

Dr. Herbert Hupka (CDU):
Rede ID: ID0821113700
Herr Staatsminister, es geht nicht um die Überschrift, es geht um den Inhalt: Halten Sie es auch für borniert, wenn Professor Golo Mann schreibt:



Dr. Hupka
Beschönigungen der Art, wie sie heute auf Grund polnisch-bundesdeutscher Lehrerkonferenzen in die Geschichtsbücher kommen — es ist da nicht von Vertreibung die Rede, sondern von Rücksiedlung und ethnischen Frontbegradigungen und ähnlichem verlogenen Unsinn.
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, ich kann nur wiederholen, was ich eben gesagt habe: Meine Feststellung bezog sich auf die Forderung nach einer anderen Überschrift. Unter der Empfehlung 22 gibt es z. B. auch den Hinweis auf die Zwangsumsiedlung. Wenn hier gefordert wird, daß in erster Linie eine andere Überschrift gewählt werden sollte, muß ich das leider als borniert bezeichnen — tut mir aufrichtig leid.

(Zustimmung bei der SPD)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID0821113800
Ich bitte, möglichst von der Verlesung längerer Zitate Abstand zu nehmen und hier Eigenes zu bringen.
Kollege Broll.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0821113900
Herr Staatsminister, halten Sie den Begriff „Bevölkerungsverschiebung" wirklich für umfassender als das Wort „Vertreibung" oder schlichtweg für falsch? Eben sagten Sie, Sie hielten ihn für umfassender.
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Ich halte ihn für umfassender, und ich will versuchen, Ihnen das zu erläutern.
Es gab neben der Vertreibung ganz ohne Zweifel z. B. auch eine Flucht, die sich aus der Entwicklung des Krieges ergeben hat,

(Zuruf von der CDU/CSU: Das kann doch nicht wahr sein!)

aus der Tatsache, daß die sowjetischen Truppen vormarschierten und auch die Teile Polens eroberten und besetzten, in denen Deutsche angesiedelt waren oder wohnten; und später Teile Deutschlands eroberten. Diejenigen, die dort unter dem Druck der kriegerischen Ereignisse fluchtartig das Land verlassen haben, sind z. B. in diesem Sinne nicht vertrieben worden. Insofern gibt es Bevölkerungsverschiebungen,

(Dr. Hennig [CDU/CSU]: Das ist borniert, Herr Staatssekretär!)

die nichts mit einer Vertreibung zu tun haben.

(Dr. Möller [CDU/CSU]: Das ist juristisch einfältig, was Sie da sagen!)

— Aber richtig.
Vizepräisident Frau Renger: Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Thüsing.

Klaus Thüsing (SPD):
Rede ID: ID0821114000
Herr Staatsminister, stimmen Sie meiner Auffassung zu, daß es bei Erarbeitung solcher Empfehlungen zunächst darum geht, daß das friedliche Zusammenleben der Völker gefördert wird und Verständigung zwischen Völkern erreicht wird, statt daß sich - wie das hier geschieht — einzelne auf einzelne Begriffe kaprizieren?

(Widerspruch bei der CDU/CSU)

Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, sicherlich dienen die Schulbuchempfehlungen einer besseren Information der Jugend in unserem Lande über die historische Entwicklung und über die historischen Beziehungen zwischen Polen und Deutschen in Europa; oder zwischen dem polnischen Staat und dem deutschen Staat in den verschiedenen Phasen der Geschichte. Die Empfehlungen sollen der Aufklärung und damit auch dem gegenseitigen Verständnis dienen, so eine solidere Grundlage des Friedens zu sichern. Aber zu dieser Aufklärung gehört natürlich auch der wahrheitsmäßige Umgang mit Tatbeständen.

(Sauer [Salzgitter] [CDU/CSU]: Die volle Wahrheit!)

Deswegen habe ich in meiner Rede z. B. darauf hingewiesen, daß das Auslassen des Hitler-StalinPaktes ein Problem darstellt, mindestens für einige Betrachter aus der Perspektive der Bundesrepublik Deutschland. Dies aber kann und darf uns nicht daran hindern, die Schulbuchempfehlungen umzusetzen, weil sie ein erheblicher Fortschritt gegenüber demjenigen Zustand sind, den wir in der gegenseitigen Information der Kinder, der Jugendlichen auf beiden Seiten vorgefunden haben.
Diejenigen, die sich der Umsetzung der Empfehlungen hier entgegenstellen, Herr Kollege Thüsing, sind damit auch, willentlich oder unwillentlich, Hindernisse für die Versöhnung und für die Sicherung des Friedens in Europa.

(Zustimmung bei der SPD — Sauer [Salzgitter] [CDU/CSU]: Das ist eine Unverschämtheit! Dann wollen wir die volle Wahrheit haben!)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID0821114100
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Jäger (Wangen).

Claus Jäger (CDU):
Rede ID: ID0821114200
Herr Staatsminister, wie kommen Sie zu dem Begriff „Borniertheit" für die Kritik an einem Verschleierungs- und Verniedlichungsbegriff, wie es der der Bevölkerungsverschiebung ist, der doch gerade mit dazu beigetragen hat, daß diese Schulbuchempfehlungen in der deutschen Öffentlichkeit voll diskreditiert und inzwischen selber zu einem Hindernis der deutsch-polnischen Verständigung geworden sind?

(Zuruf von der CDU/CSU: So ist es!)

Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, weil hier immer wieder falsch und aus dem Zusammenhang zitiert worden ist und weil diejenigen, die sich an einer solchen Überschrift festhalten, leider versuchen, bestehende Vorurteile zu stärken, anstatt sie abzubauen.

(Beifall bei der SPD)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID0821114300
Zusatzfrage, Dr. Czaja.




Dr. Herbert Czaja (CDU):
Rede ID: ID0821114400
Herr Staatsminister, sind Sie im Zusammenhang mit dem Inhalt dieses Kapitels bereit, zuzugestehen, daß es sowohl rechtlich als auch politisch allein richtig ist, eine Aussiedlung mit Zwangsmitteln als „Vertreibung" zu bezeichnen, wie es sich schon aus den Belegen des angesehenen „Wörterbuch des Völkerrechts" von Strupp/ Schlochauer ergibt?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, wenn ich richtig informiert bin, dann enthält Ziffer 22 auch Begriffe wie „Ausweisungen" und „Zwangsumsiedlungen".

(Dr. Czaja [CDU/CSU]: Aber nicht „Vertreibung"!)

Da muß ich nun wirklich sagen: Die semantischen Feinheiten, Herr Kollege, die Sie hier suchen, können doch, da die Darstellung ja sachlich nicht falsch ist, über eine so wesentliche Frage wie die Umsetzung der Schulbuchempfehlungen nicht entscheiden. Die Position dessen — entschuldigen Sie, daß ich das wiederhole —, der allein auf diese Überschrift und auf dieses Wort Bezug nimmt, halte ich für borniert.

(Zustimmung bei der SPD)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID0821114500
Ich lasse noch zwei Zusatzfragen zu.
Herr Abgeordneter Dr. Hennig.

Dr. Ottfried Hennig (CDU):
Rede ID: ID0821114600
Ich will Ihnen eine praktische Frage stellen. Nehmen wir einmal einen ganz persönlichen Fall, nämlich meinen Fall. Darf ich Sie fragen, ob ich, als ich am 23. Januar 1945 zusammen mit meinen Eltern meine Heimatstadt Königsberg vor den heranrückenden sowjetischen Truppen verlassen mußte, Objekt einer Bevölkerungsverschiebung oder Vertriebener war?

(Becker [Nienberge] [SPD]: Nein, Sie waren ganz eindeutig Flüchtling!)

Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, ich vermute, daß Sie und Ihre Familie — Sie waren, wie ich Ihnen ansehe, zu diesem Zeitpunkt noch sehr jung — Ihre Heimatstadt aus Furcht vor den anrückenden sowjetischen Truppen verlassen haben. Aber es hätte Sie niemand daran gehindert, abzuwarten und dort zu bleiben. Insofern sind Sie zwar flüchtig gewesen — —

(Zurufe von der CDU/CSU)

— Herr Kollege, ich will das erläutern; ich bitte, Geduld zu haben. — Zu diesem Zeitpunkt sind Sie geflohen. Der Begriff der Vertreibung umfaßt nicht das ganze Geschehen zwischen Polen und Deutschen in der Zeit um 1945.

(Dr. Hennig [CDU/CSU]: Ich empfinde das als zynisch, Herr Staatsminister!)

— Frau Präsidentin, darf ich mich verwahren gegen den Ausdruck — der hier möglicherweise ins Protokoll kommt —, dies sei zynisch. Ich habe einen Zusammenhang darzustellen versucht,

(Zurufe von der CDU/CSU)

der der Wahrheit entspricht und dem sich das deutsche Volk und damit auch die Opposition hier im Hause stellen muß.

(Jäger [Wangen] [CDU/CSU]: Unverantwortlich! — Weitere Zurufe von der CDU/ CSU)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID0821114700
Herr Abgeordneter Ey zu einer letzten Zusatzfrage.

Richard Ey (CDU):
Rede ID: ID0821114800
Herr Staatsminister, sind Sie nicht mit mir der Meinung, daß angesichts der zum Teil dramatischen und auch schicksalhaften Verflechtung der Geschichte beider Völker im Grunde die Verwendung der Vokabel „Bevölkerungsverschiebung" Jugendlichen beider Völker einen schlechten Dienst hinsichtlich der Wahrheit des Geschichtsbildes erweist, das in beiden Völkern wirklich bestanden hat und auch fortwirkt, und daß man darüber hinaus in gefährliche Zonen gerät, wenn wir dies kaschieren oder unseren Nachkommen gegenüber anders darstellen, als es gewesen ist?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, ich würde Ihre Auffassung teilen,

(Ey [CDU/CSU]: Das ist der Konjunktiv!)

wenn in den Empfehlungen nicht die Begriffe „Zwangsumsiedlung" und „Ausweisung" ebenfalls verwendet würden. Der Begriff der „Bevölkerungsverschiebung" findet sich in erster Linie in der Überschrift. Ich habe doch nur versucht, hier zu verdeutlichen, wie es zu diesem Sammelbegriff gekommen ist,

(Sauer [Salzgitter] [CDU/CSU]: Die sind doch nicht im Salonwagen vertrieben worden!)

weil eben viele Tatbestände unter diesen Sammelbegriff fallen. Zu diesen gehört unter anderem auch die Flucht vor den anrückenden Truppen. Ich habe ja nicht gesagt, Herr Kollege, daß die Flucht vor den anrückenden Truppen nicht berechtigt und verständlich gewesen wäre; ich habe nur gesagt, daß sie mit den Begriffen „Zwangsumsiedlung" und „Ausweisung" z. B. nicht gedeckt werden könnte.

(Anhaltende Zurufe von der CDU/CSU)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID0821114900
Bitte lassen Sie den Herrn Staatsminister erklären, was dies bedeuten soll!
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, lassen Sie uns in diesem Zusammenhang z. B. auch feststellen, daß die sowjetischen Truppen weit nach Deutschland hinein, in die heutige DDR, vorgedrungen sind und daß auch da deutsche Bewohner unvermeidlich und unter oft sehr tragischen und grausamen Umständen in ihrer Heimat verblieben sind und dort verbleiben mußten, und zwar trotz anrükkender Truppen. Daher möchte ich Herrn Kollegen Hennig noch einmal mit ganzer Klarheit sagen — deswegen weise ich seinen Ausdruck des Zynischen hier wirklich zurück —, daß es um die Frage geht, ob man für die Schulbuchempfehlungen einen Sammel-



Staatsminister Dr. von Dohnanyi
begriff finden kann, der in einer Überschrift all diese Tatbestände deckt,

(Jäger [Wangen] [CDU/CSU]: Es geht nicht um einen Sammelbegriff!)

die Zwangsaussiedlung, die Ausweisung, aber auch die Fälle des freiwilligen Verlassens und der Flucht. Das hat die Wissenschaftler bewogen, dieser Überschrift gemeinsam zuzustimmen. Sie können diejenigen, die von deutscher Seite dieser Überschrift zugestimmt haben,

(Zuruf des Abg. Dr. Hupka [CDU/CSU])

nicht sozusagen einer Nichteinsicht in diese für die Deutschen tragischen Umstände zeihen. Ich sage noch einmal, daß ich es wirklich für unerhört halte, daß Sie eine solche Erläuterung hier als zynisch darstellen wollen. Das ist das letzte, was Sie mir hier vorhalten dürften.

(Beifall bei der SPD — Dr. Hennig [CDU/ CSU]: Ich halte das voll aufrecht, Herr Staatsminister!)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID0821115000
Zu diesem Komplex sind keine weiteren Zusatzfragen möglich.

(Sauer [Salzgitter] [CDU/CSU]: Das ist sehr, sehr schade!)

Ich glaube, wir haben heute das mögliche Maß an Klärung erreicht.
Ich rufe die Frage 72 des Herrn Abgeordneten Kittelmann auf:
Sieht die Bundesregierung auch darin ein „erfreuliches Charakteristikum" sowie eine „positive Entwicklung" des deutsch-polnischen Kulturaustausches (Bulletin 24/199), wenn auf Grund der Rahmenvereinbarung zwischen Hannover und Posen auf kommunaler Ebene tätige Vereinigungen eine Absprache treffen, um die Beschlüsse der NATO zur Wiederherstellung des Gleichgewichts wie auch führende deutsche Politiker deshalb zu bekämpfen, weil sie für die Rechte Deutschlands und der Deutschen im Sinne des Völkerrechts und des Grundgesetzes eintreten (vgl. dazu auch „Ostinformationen" des BPA vom 12. Januar 1980)?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, dem Inhalt der Vereinbarung kann man an der von Ihnen zitierten Stelle nicht zustimmen; aber in der Tatsache, daß es Gespräche Jugendlicher auch zu diesen Fragen, auch zu den Fragen der Rüstung in Europa, gibt, ist eine positive Entwicklung zu sehen.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID0821115100
Eine Zusatzfrage.

Peter Kittelmann (CDU):
Rede ID: ID0821115200
Herr Staatsminister, ich gebe zu, daß ich darüber glücklich bin, daß Sie auch einmal eine relative Einschränkung in diesem Zusammenhang machen. Teilt die Bundesregierung die Auffassung, daß die Pflege der auswärtigen Beziehungen in die Bundeskompetenz fällt, daß auf kommunaler Ebene keine Rahmenvereinbarungen zur Auslegung von Staatsverträgen geschlossen werden dürfen und daß, wenn es geschieht, ohne daß die Bundesregierung wohlwollend Einspruch erhebt, der Verdacht aufkommt, hier handele es sich um Geschäftsführung ohne oder mit Auftrag?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, es handelt sich selbstverständlich nicht um Geschäftsführung mit Auftrag, sondern darum, daß zwischen den Städten und Gruppen immer wieder Kommuniques oder Vereinbarungen geschlossen werden. Für die Bundesregierung wirft dies gelegentlich außenpolitische Probleme auf. Ich könnte Ihnen einige Bundesländer und einige prominente Ministerpräsidenten von CDU/CSU-geführten Bundesländern nennen, die leichthin versuchen, u. a. Rahmenvereinbarungen mit anderen Staaten abzuschließen, obwohl dies eigentlich in die Zuständigkeit der Bunderegierung fällt. Der Kanzlerkandidat der Union steht da mit an der Spitze.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID0821115300
Eine zweite Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Kittelmann.

Peter Kittelmann (CDU):
Rede ID: ID0821115400
Herr Staatsminister, Sie werden mir zugeben, daß es sehr einfach ist, mit der Replik, mit der Sie geantwortet haben, ohne sie konkret auszufüllen, von den Gleisen abzulenken. Sind Sie nicht mit mir der Meinung, daß es gerade im Zusammenhang mit kommunistischen Staaten, die ein ganz anderes Staatsverständnis als demokratische Staaten haben, eine Aufgabe der Bundesregierung sein sollte, bei andersartigen Verlautbarungen von kommunalen Beziehungen zumindest, einzugreifen zu versuchen, um hier eine gemeinsame Richtlinie zu finden, vor allem wenn es sich um parteipolitisch gleichartige Besetzungen handelt?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, man kann nicht überall eingreifen. Ich habe meine Meinung zu der Sache gesagt; ich glaube, ich brauche mich nicht zu wiederholen.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID0821115500
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Becher.

Dr. Walter Becher (CSU):
Rede ID: ID0821115600
Herr Staatsminister, sind Sie nicht der Meinung, daß es bedenklich ist, wenn die polnische Seite die in den meisten Fällen von ihr vorgeschlagenen und erzwungenen Präambeln zu solchen Städtepartnerschaftsverträgen, wie es oft geschieht, verwendet, um politische Propaganda zu betreiben, zum Teil auch verfassungswidrige Vorschläge zu machen, und wenn sie solche Verträge, wie im Fall Nürnberg/Krakau, dann annulliert, wenn die deutsche Seite nicht gewillt ist, sich freiwillig der polnischen Auslegung des Warschauer Vertrages zu unterwerfen?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, ich will auf den von Ihnen angesprochenen besonderen Fall hier nicht eingehen, weil dieser, wie Sie am allerbesten wissen, einen besonderen Hintergrund hat. Aber sicherlich wäre es zweckmäßig, wenn man versuchen würde, die Zusammenarbeit zwischen den Städten in ihren schriftlichen Fixierungen zunächst auf die Aufgabengebiete der Städte zu konzentrieren.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID0821115700
Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Sauer.

Helmut Sauer (CDU):
Rede ID: ID0821115800
Herr Staatsminister, sieht die Bundesregierung auch darin ein erfreuliches Charakteristikum sowie eine positive Entwicklung des deutsch-polnischen Kulturaustausches, wenn — wie z. B. in der Rahmenvereinbarung



Sauer (Salzgitter)

Hannover/Posen — von polnischer Seite lediglich die Zwangseinheitsorganisation „Föderation der sozialistischen Verbände der polnischen Jugend" beteiligt wird und nicht z. B. auch die zahlenmäßig große Gruppe der polnischen katholischen Jugend?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, es ist nicht Sache der Bundesregierung, der polnischen Seite vorzuschreiben, wen sie zu welchen Begegnungen entsenden will oder wer dazu ausgewählt wird. Daß wir auf seiten der Bundesrepublik Deutschland für eine möglichst breite und auch differenzierte Beteiligung eintreten, ist gar kein Zweifel. Das habe ich übrigens auch in meiner Rede in Bielefeld ganz deutlich gesagt.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID0821115900
Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Dr. Hupka.

Dr. Herbert Hupka (CDU):
Rede ID: ID0821116000
Herr Staatsminister, nachdem sie sich gegen Rahmenvereinbarungen von Bundesländern gewandt haben, die in die Bundeskompetenz eingreifen, frage ich: Warum hat die Bundesregierung noch nicht dazu Stellung genommen, wenn Städtepartnerschaften in die Bundeskompetenz eingreifen?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, ich glaube, Eingriffe von Städten in Bundeskompetenzen gibt es in diesem Sinne nicht. Aber ich habe darauf hingewiesen, daß es gelegentlich Grauzonen gibt, in denen man darüber diskutieren könnte. Man kann da nicht überall eingreifen. Aber ich wiederhole: Es wäre sicherlich zweckmäßig, wenn sich die schriftlichen Rahmenvereinbarungen, die getroffen werden, in erster Linie auf die unmittelbaren Aufgaben der Städte konzentrierten. Daß die Debatten und Diskussionen, die in diesem Rahmen dann stattfinden, das ganze Spektrum politischer Aufgaben und Fragestellungen umfassen können, ist selbstverständlich.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID0821116100
Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Jäger (Wangen).

Claus Jäger (CDU):
Rede ID: ID0821116200
Herr Staatsminister weswegen sagen Sie hier — was selbstverständlich ist —, daß es nicht Aufgabe der Bundesregierung sei, der polnischen Seite vorzuschreiben, wen sie zu schicken habe, während Sie unerwähnt lassen, daß nach dem am Anfang unserer Fragen angesprochenen Korb III der KSZE-Schlußakte, die ja auch die polnische Seite unterschrieben hat, gerade auf die Beteiligung z. B. kirchlicher Organisationen — dazu gehören Jugendgruppen — am internationalen Austausch Wert gelegt wird?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, es ist doch selbstverständlich, daß wir es begrüßen würden, wenn die Entwicklung, die in den letzten Jahren so erhebliche Fortschritte gemacht hat, noch weiter vorangetrieben werden könnte. Ich sehe, offen gesagt, nicht, daß die Union hierbei sehr hilfreich ist.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID0821116300
Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Dr. Czaja.

Dr. Herbert Czaja (CDU):
Rede ID: ID0821116400
Herr Staatsminister, ist Ihnen bekannt, daß der Oberbürgermeister von Nürnberg gegenüber seinem Stadtrat und dem Regierungspräsidenten von Mittelfranken zu den Rahmenvereinbarungen eine Erklärung abgegeben hat, wonach er entgegen der weiten Fassung dieser Vereinbarungen nichts tun werde und nichts zulassen wolle, was die verfassungsrechtliche Lage ändere oder die Kompetenzen der Länder bezüglich der Schulbuchempfehlungen berühre, also zugegeben hat, daß das zu weit gefaßt ist?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, ich habe darauf ja gerade Bezug genommen, als ich die Frage des Kollegen Becher beantwortete, der über den Vorgang in Nürnberg bestens informiert ist.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID0821116500
Keine weitere Zusatzfrage.
Die Fragen 73 des Abgeordneten Straßmeir sowie 74 und 75 des Abgeordneten Kunz (Berlin) werden auf Wunsch der Fragesteller schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt
Ich rufe die Frage 76 des Abgeordneten Dr. Hoffacker auf:
Sieht Staatsminister von Dohnanyi in den Beziehungen zwischen Europa, der Sowjetunion und den USA die „Konstellation des bipolaren Gleichgewichts" als derzeit gegeben und tragfähig an?
Bitte schön, Herr Staatsminister.
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, ich habe in meiner Rede darauf hingewiesen, daß Politik im bipolaren Gleichgewicht leichter ist als im Verhältnis zur Dritten Welt. Die Bipolarität ist im Laufe der Jahrzehnte nach 1945 zunehmend verlorengegangen. Sie besteht heute sicherlich nicht mehr.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID0821116600
Zusatzfrage, Herr Kollege.

Dr. Paul Hoffacker (CDU):
Rede ID: ID0821116700
Darf ich fragen, Herr Staatsminister, warum Sie China in der Weltpolitik und in deren Kräftefeld ausschließen?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, wenn ich sage, daß die Bipolarität nicht mehr besteht, so ist das Hineinrücken der Volksrepublik China in weltpolitische Aufgaben einer der Gründe hierfür.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID0821116800
Eine weitere Zusatzfrage, bitte.

Dr. Paul Hoffacker (CDU):
Rede ID: ID0821116900
Herr Staatsminister, dann würde ich gern wissen, warum Sie die Länder der Dritten Welt als unsichere Partner diffamieren, obwohl Sie, wie Ihre Rede im Kapitel 12 deutlich bestätigt, wissen, daß das Hegemonialstreben der Sowjetunion und die Stellvertreterkriege in der Dritten Welt die Ursache für die Probleme sind?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, wenn Sie meinen, daß die Ursache für den rapiden



Staatsminister Dr. von Dohnanyi
Strukturwandel in der Dritten Welt in erster Linie bei der Sowjetunion liegt, so befinden Sie sich in einem tiefen historischen Irrtum. Es wäre gut, man würde dann etwas tiefer in diese Dinge hineinleuchten. Denn die Entwicklung der Dritten Welt ist sicherlich nicht in erster Linie auf sowjetische Interventionen zurückzuführen, sondern auf tiefgreifende Veränderungen in der Dritten Welt selbst.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID0821117000
Nur der Ordnung halber: Bewertungen sind auch in Zusatzfragen nicht erlaubt. — Bitte, Herr Dr. Czaja.

Dr. Herbert Czaja (CDU):
Rede ID: ID0821117100
Herr Staatsminister, warum meinen Sie eigentlich, daß die Beziehungen Europas und der USA zur Sowjetunion, die doch ein offensichtliches Hegemonialstreben an den Tag legt, weniger Probleme aufwerfen als die Beziehungen zu der Dritten Welt?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, ich kann diese Frage in dem hier gefundenen Zusammenhang wirklich nicht verstehen. Würden Sie freundlicherweise — —

Dr. Herbert Czaja (CDU):
Rede ID: ID0821117200
Herr Staatsminister, Sie haben soeben noch einmal bestätigt, daß die Beziehungen Europas und der USA zur Sowjetunion weniger Probleme aufwerfen als die Beziehungen zur Dritten Welt. Warum ist das so?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, ich habe darauf hingewiesen — in dieser Rede wie auch bereits an anderer Stelle —, daß eines der Probleme zwischen Ost und West darin besteht, daß es schnellen Wandel und strukturelle Veränderungen in der Dritten Welt gibt, die für die Beziehungen zwischen Ost und West oft unvorhergesehene neue Probleme aufwerfen, daß von hier aus Unsicherheiten auch in das Ost-West-Verhältnis eindringen. Und ich habe gesagt, daß man diese Zusammenhänge sehen muß.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID0821117300
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Jäger (Wangen).

Claus Jäger (CDU):
Rede ID: ID0821117400
Herr Staatsminister, haben Sie nicht inzwischen selber die Erkenntnis gewonnen, daß Ihre immerhin schon am 28. Februar gehaltene Rede mit der Behauptung, dort gebe es weniger Probleme als im Verhältnis zur Dritten Welt, durch die weltpolitischen Verhältnisse und Tatsachen inzwischen in der Sache einfach widerlegt ist?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, ich würde sagen, das Gegenteil ist richtig. Es ist kein Zufall, daß die Verschärfung der Beziehungen zwischen den Weltmächten über Probleme entstanden ist, die in zwei Staaten der Dritten Welt aufgetreten sind, in erster Linie natürlich im Zusammenhang mit Afghanistan. Insofern bestätige und unterstreiche ich das, was ich gesagt habe.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID0821117500
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Werner.

Herbert Werner (CDU):
Rede ID: ID0821117600
Herr Staatsminister, würden Sie mir in diesem Zusammenhang bestätigen können, daß, beginnend etwa mit der Suez-Krise im Jahre 1953 über Angola bis hin zu Afghanistan, doch wohl nicht übersehen werden kann, in welcher Art und Weise im Rahmen des Ost-West-Konfliktes gerade die Sowjetunion in die Beziehungen zwischen der Dritten Welt und der industrialisierten Welt hineingewirkt hat, und zwar nicht zu unseren Gunsten?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, daß die Sowjetunion zu ihren Gunsten einwirkt, scheint mir eine Selbstverständlichkeit zu sein. Im übrigen kann ich nicht ganz verstehen, wie Sie die Suez-Krise zitieren können für eine Intervention der Sowjetunion.

(Zustimmung bei der SPD)

Wenn ich mich richtig erinnere, war das eine Intervention — —

(Werner [CDU/CSU]: Dann wissen Sie nichts von der atomaren Drohung von Herrn Chruschtschow?)

— Aber, Herr Kollege, die Intervention in der SuezKrise ging nicht von der Sowjetunion aus.

(Werner [CDU/CSU]: Darum geht es doch gar nicht!)

Es ist doch unbestreitbar, daß die Sowjetunion eine Einwirkung vorgenommen hat. Im übrigen gab es auch, wenn ich mich richtig erinnere, Interventionen von westlicher Seite in diesen Jahrzehnten, die ebenfalls wiederum aus Krisenentwicklungen in der Dritten Welt entstanden sind.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID0821117700
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Broll.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0821117800
Herr Staatsminister, wirken solche Krisenentwicklungen in der Dritten Welt von Natur aus auf das deutsch-russische oder sowjetisch-atlantische Verhältnis ein, oder sind sie nicht erst deswegen brisant, weil sich insbesondere die UdSSR solcher Krisen bedient, um ihren Hegemonialbereich auszudehnen?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, es trifft sicherlich zu, daß es solche Fälle gegeben hat.

(Zuruf von der CDU/CSU: Gegeben hat?)

Aber es ist wohl unbestreitbar, daß bei Veränderungen in der Dritten Welt beide Seiten in der Versuchung stehen, ihre Positionen im Zuge dieser Veränderungen zu verbessern. Es ist ja nicht so — obwohl es gelegentlich so dargestellt wird —, als ob die Bilanz der Veränderungen in der Dritten Welt in den letzten beiden Jahrzehnten ausschließlich zugunsten der Sowjetunion gegangen wäre. Mindestens ein großes Land mit einer Milliarde Einwohnern hat doch in den beiden Jahrzehnten seit 1960 seine Position deutlich zuungunsten der Sowjetunion verschoben. Ich sage also: es besteht die Versuchung, daß bei strukturellen Veränderungen in der Dritten Welt beide Seiten ihre Position zu verbessern su-



Staatsminister Dr. von Dohnanyi
chen. Das schlägt auch auf das Ost-West-Verhältnis zurück.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID0821117900
Letzte Zusatzfrage, Dr. Möller, bitte.

Dr. Franz Möller (CDU):
Rede ID: ID0821118000
Herr Staatsminister, habe ich Sie soeben richtig verstanden, daß nach Ihrer Auffassung die Kuba-Krise nicht von der UdSSR verursacht worden ist? Wer hat denn nach Ihrer Meinung die Kuba-Krise verursacht?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, wenn Sie von der Kuba-Krise 1962 sprechen, haben Sie einen eindeutigen Fall, in dem die Sowjetunion versucht hat, einen Positionsgewinn zu erreichen. Ich habe ja nicht bestritten, daß es solche Fälle gibt. Ich habe gesagt: für beide Seiten besteht die Versuchung. Die Sowjetunion hat z. B. durch ihren gewaltsamen Einmarsch in Afghanistan unter Verletzung des Völkerrechts dort in eklatanter Weise einer solchen Versuchung nachgegeben.
Ich sage nur: es ist kein Zufall, daß aus solchen Veränderungen immer wieder Schwierigkeiten für das Ost-West-Verhältnis entstehen. Darauf habe ich in der Rede hingewiesen. Wer das bestreiten würde, hätte nach meiner Meinung nicht verstanden, was unsere weltpolitischen Probleme heute entscheidend mit bestimmt.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID0821118100
Ich rufe Frage 77 des Herrn Abgeordneten Dr. Hennig auf:
Wieso könnten sich „Zweifel an der Vertragstreue der Bundesrepublik Deutschland" (Bulletin 24/199) ergeben, wenn sie nach der gravierenden Verletzung der „unverletzbaren Regeln" des Gewaltverbots der UN-Charta durch den Einfall in Afghanistan im Rahmen des Internationalen Deliktrechts Retorsionen und Repressalien gegen den Urheber der Verletzung multi- und bilateraler Verpflichtungen anwendet?
Bitte, Herr Staatsminister.
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, ich nehme nicht an, daß Sie die Vertragstreue der Bundesrepublik in Frage stellen wollen. Damit habe ich auch meine Antwort schon gegeben.

(Beifall bei der SPD)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID0821118200
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Hennig.

Dr. Ottfried Hennig (CDU):
Rede ID: ID0821118300
Herr Staatsminister, stimmen Sie mir darin zu, daß nach dem Völkerrecht als Gegenmaßnahme gegenüber seiner schwerwiegenden Verletzung auch Eingriffe in bestehende Abmachungen ohne Gewaltanwendung als Repressalien möglich sind?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, wenn Sie theoretische Fragen stellen, könnte ich nur theoretische Antworten geben. Das tue ich von dieser Stelle aus ungern. Ich wiederhole: an der Vertragstreue der Bundesrepublik Deutschland darf niemand zweifeln.
Vizepräsident Frau !Unger: Weitere Zusatzfrage.

Dr. Ottfried Hennig (CDU):
Rede ID: ID0821118400
Herr Staatsminister, warum spielen in Ihren Ausführungen die Regeln
des internationalen Deliktrechts bei schweren Verstößen gegen das Gewaltverbot gar keine Rolle?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, weil ich nicht als Rechtsprofessor dort zu sprechen, sondern eine politische Erklärung abzugeben hatte. Deswegen habe ich unterstrichen, daß an der Vertragstreue der Bundesrepublik Deutschland kein Zweifel bestehen kann. Ich hoffe, daß ich Ihre Frage nicht so verstehen muß, als würden Sie Zweifel an der Vertragstreue der Bundesrepublik Deutschland säen wollen.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID0821118500
Zusatzfrage, Dr. Czaja.

Dr. Herbert Czaja (CDU):
Rede ID: ID0821118600
Herr Staatsminister, sind Sie nicht der Meinung, daß man nicht ein Rechtsprofessor sein muß — obwohl ich vor denen hohe Achtung habe —, um eine Politik auf den Grundlagen des Rechtes zu vertreten, und daß das auch Ihre Aufgabe ist? Und würden Sie, da das keine theoretische Frage ist, sondern in der eingereichten Frage steht, zugeben, daß nach internationalem Deliktrecht Repressalien völlig zulässige Mittel sind?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, wenn man sich im Rahmen des Rechts bewegt — und so weit man sich im Rahmen des Rechts bewegt —, handelt man rechtmäßig. Ich bitte um Verzeihung, wenn es jetzt doch nach Rechtsprofessor klingt: Das aber ist eine Tautologie, Herr Kollege.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID0821118700
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Horn.

Erwin Horn (SPD):
Rede ID: ID0821118800
Herr Staatsminister, würden Sie mir zustimmen, wenn ich sage, daß diese Fragen verhältnismäßig theoretisch sind, daß dann einmal sehr konkrete Hinweise gegeben werden sollten, wobei wir bestehende Verträge tatsächlich brechen und sie ablösen sollten?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, das ist sicherlich richtig. Ich fand die Fragen unverhältnismäßig theoretisch.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID0821118900
Die Fragen 78 und 79 — des Herrn Abgeordneten Dr. Mertes, der nicht im Raum ist — müssen schriftlich beantwortet werden. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Frage 80 — des Herrn Abgeordneten Werner —:
Welche Hilfen beabsichtigt die Bundesregierung, um die auch nach den Erkenntnissen des Bundeskanzlers von Einseitigkeiten und Mängeln behafteten Braunschweiger Schulbuchempfehlungen „zu ergänzen, zu differenzieren und zu vertiefen" (Bulletin 24/199), und werden dabei die zahlreichen fundierten Kritiken in der Bundesrepublik Deutschland berücksichtigt werden?
Bitte, Herr Staatsminister.
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, die Bundesregierung ist bemüht, durch Gespräche und Kontakte mit den politischen Vertretern der Länder und mit den Kultusverwaltungen, die für die Schulbücher verfassungsrechtlich verantwortlich sind, darauf hinzuwirken, daß in der Frage der Schulbuchempfehlungen und ihrer Umsetzung Fortschritte erreicht werden.



Staatsminister Dr. von Dohnanyi
Die zu den Schulbuchempfehlungen in der Bundesrepublik Deutschland geäußerten Meinungen zu berücksichtigen, halte ich für erforderlich. Dies bleibt jedoch Sache der Wissenschaftler.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID0821119000
Zusatzfrage, Herr Kollege Werner.

Herbert Werner (CDU):
Rede ID: ID0821119100
Herr Staatsminister, würden Sie es angesichts der Unzulänglichkeiten der Schulbuchempfehlungen nicht für sinnvoll erachten, mit deren Anwendung so lange zu warten, bis die Ergänzungen und Differenzierungen, deren Notwendigkeit wohl alle Seiten des Hauses hier zugeben und einräumen, durchgeführt werden können?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, es tut mir leid, daß ich darauf jetzt noch einmal mit einer Antwort eingehen muß, nachdem wir den Komplex vorhin doch abgehandelt haben. Ich habe vorhin versucht, zu sagen, daß angesichts des inhaltlichen Fortschritts, der erzielt worden ist, die Umsetzung ein großer Fortschritt wäre, wenn auch zuzugeben ist, daß es Lücken gibt, daß Ergänzungen zweckmäßig wären und daß vielleicht auch Korrekturen sinnvoll wären. Aber im Kern geht es doch zunächst einmal darum, die Umsetzung möglich zu machen, die auf beiden Seiten so erhebliche Fortschritte bringen würde.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID0821119200
Eine zweite Zusatzfrage.

Herbert Werner (CDU):
Rede ID: ID0821119300
Herr Staatsminister, wie würden Sie denn dann den Sachverhalt beurteilen, daß einzelne Bundesländer etwa die deutschen Grenzen des Jahres 1937 nach Möglichkeit nur noch in einer historischen Karte wiedergeben möchten, während in anderen Karten — in zeitgenössisch-kulturellen und soziologischen Karten — diese Grenzziehung nicht mehr vorgenommen werden soll, und würden Sie mir zugeben, daß den Schülern unserer Schulen auf diese Weise — im Widerspruch zum Bundesverfassungsgericht — ein wichtiger Bestandteil der deutschen Geschichte und auch der gegenwärtigen Rechtslage vorenthalten werden würde?

(Zustimmung des Abgeordneten Sauer [Salzgitter] [CDU/CSU])

Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, ich bin ganz anderer Auffassung als Sie. Ich bin der Auffassung, daß Atlanten für die Kinder von heute sind und daß es z. B. bei der Darstellung von kulturellen Beziehungen nicht in erster Linie um Rechtsfragen, sondern um die Darstellung von Beziehungen in bestimmten Räumen geht. Ich beziehe mich auf das, was ich zur Gültigkeit der Westgrenze Polens, der Oder-Neiße-Grenze, für die Beziehungen der Bundesrepublik Deutschland und der Volksre, publik Polen gesagt habe. Ich bin der Auffassung, daß man den Kindern keinen Gefallen tut, wenn man ihnen Darstellungen in die Schulbücher schreibt, die mit der Wirklichkeit nicht übereinstimmen. Die Politik der Illusionen ist nicht die Politik, die wir der jungen Generation in diesem Lande beibringen sollten.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID0821119400
Ich lasse nur noch drei Zusatzfragen zu, weil wir dieses Problem nun lang und breit diskutiert haben. — Zunächst Herr Dr. Becher.

Dr. Walter Becher (CSU):
Rede ID: ID0821119500
Herr Staatsminister, können Sie bei der Interpretation der Schulbuchempfehlungen und des Gesamtkomplexes der Fragen, die jetzt eine Dreiviertelstunde, eine Stunde lang erörtert wurden, ganz das berühmte Telegramm vergessen, das die Sozialdemokratische Partei — der von Ihnen in dem Vortrag so oft zitierte Willy Brandt gemeinsam mit Herbert Wehner und Erich Ollenhauer — seinerzeit an eine große Kundgebung der Schlesier sandte, in dem es hieß:
Breslau und Oppeln, Gleiwitz, Hirschberg, Glogau — das sind nicht nur Namen, das sind lebendige Erinnerungen, die in den Seelen von Generationen verwurzelt sind und unauffällig an unser Gewissen klopfen. Verzicht ist Verrat. Wer sollte das bestreiten? Das Recht auf Heimat kann man nicht für ein Linsengericht verhökern.
Ist das ganz vergessen, oder bleibt das noch aufrechterhalten?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminster: Herr Kollege, das ist nicht vergessen. Es geht darum, das zu unterrichten und zu zeigen, auch auf Landkarten zu zeigen, was heute ist. Der Rechtsvorbehalt, der besteht, und die Gemeinsamkeit kultureller Erfahrungen z. B. in Räumen, in denen früher vorrangig oder ausschließlich deutsch gesprochen wurde, bleiben erhalten. Aber wie in den Beziehungen zwischen den beiden Staaten in Deutschland wird es nur möglich sein, das, was den Hintergrund dieses Telegrammes darstellt, zu erhalten, wenn die Beziehungen zwischen der Volksrepublik Polen und der Bundesrepublik Deutschland vertieft und ausgebaut werden. Das kann man nicht, wenn man sich der Umsetzung der Schulbuchempfehlungen entgegenstellt, wie Sie dies leider, Herr Kollege, tun.

(Sauer [Salzgitter] [CDU/CSU]: Warum werden denn bei Israel in den Atlanten die besetzten Gebiete besonders dargestellt?)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID0821119600
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Jäger (Wangen).

Claus Jäger (CDU):
Rede ID: ID0821119700
Herr Staatsminister, wäre es angesichts der Schulhoheit der Länder nicht die wichtigste Hilfe der Bundesregierung, für eine Einheitlichkeit der Schulbücher im deutschen Sprachraum, in der Bundesrepublik dadurch zu sorgen, daß sie mit der Empfehlung hinsichtlich dieser Schulbuchempfehlungen so lange wartet, bis angesichts der Mängel, die Sie ja selbst zugegeben haben, ein wirklich tragfähiger Konsens aller Bundesländer in dieser Frage erreicht ist?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, wir sind dafür, daß der Konsens auf der bestehenden Grundlage erreicht wird mit dem Ziel, Verbesserungen und Ergänzungen zu ermöglichen, weil wir der Auffassung sind, daß die Empfehlungen bereits einen erheblichen Fortschritt bedeuten, wenn es auch



Staatsminister Dr. von Dohnanyi
noch — ich wiederhole das — Bedarf an Ergänzungen, Verbesserungen gibt.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID0821119800
Die letzte Zusatzfrage, Herr Dr. Hupka.

Dr. Herbert Hupka (CDU):
Rede ID: ID0821119900
Herr Staatsminister, Sie haben wiederholt gesagt, bei Übernahme der Schulbuchempfehlungen gäbe es Fortschritte auf beiden Seiten. Ist Ihnen die von Frau Minister Laurien in Rheinland-Pfalz veranlaßte Untersuchung bekannt, aus der hervorgeht, daß die Schulbücher, die in Rheinland-Pfalz benutzt werden, längst vor den Schulbuchempfehlungen ein zutreffendes PolenBild vermittelt haben, was sicher auch von anderen Bundesländern zu sagen wäre?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, es gibt dazu zum Teil unterschiedliche Auffassungen. Um jetzt auf die Schulbücher in einem einzelnen Bundesland eingehen zu können, müßte man sich wirklich diese Schulbücher hier direkt vornehmen. Aber weder hat die Bundesregierung dafür die Zuständigkeit, noch kann, so scheint mir, die Fragestunde dem dienen.

(Sehr richtig! bei der SPD)

Vizepräsident Frau Renger; Ich rufe Frage 81 des Herrn Abgeordneten Thüsing auf:
Trifft nach Information der Bundesregierung die Meldung in „PublikForum" vom 7. März 1980 (Seite 22) zu, wonach Verfolgungskampagnen lateinamerikanischer Militärdiktatoren gegen fortschrittliche Christen durch den nordamerikanischen Geheimdienst CIA unterstützt werden, und sieht sie sich veranlaßt, im Interesse der Glaubwürdigkeit der westlichen Allianz dagegen bei der Regierung der Vereinigten Staaten vorstellig zu werden?
Bitte, Herr Staatsminister.
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Der Bundesregierung ist eine Reihe von Fällen bekannt, in denen fortschrittliche Christen, auch Kleriker, in Lateinamerika Opfer politischer Verfolgung wurden. Der Bundesregierung liegen jedoch keine Erkenntnisse über die behauptete Unterstützung solcher Menschenrechtsverletzungen durch den CIA vor.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID0821120000
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Thüsing.

Klaus Thüsing (SPD):
Rede ID: ID0821120100
Herr Staatsminister, sehen Sie irgendwelche Möglichkeiten, diesen aus Kreisen der lateinamerikanischen katholischen Kirche erhobenen und in dem genannten Artikel im „Publik-Forum" dokumentierten Vorwürfen nachzugehen?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, wir sind immer bemüht, einzelnen Personen zu helfen, und dort, wo sich zeigt, daß man einer Person durch Rücksprache an anderer Stelle helfen kann, werden wir das sicherlich tun.

(Thüsing [SPD]: Danke schön!)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID0821120200
Noch eine Zusatzfrage? — Bitte, Herr Kollege Sauer.

Helmut Sauer (CDU):
Rede ID: ID0821120300
Herr Staatsminister, ist Ihnen bekannt, was der Kollege Thüsing unter „fortschrittlichen Christen" versteht?

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID0821120400
Herr Kollege, Sie wissen, daß wir die Regierung nicht über Kollegen be- fragen dürfen. Es tut mir leid, ich kann diese Frage nicht zulassen.
Ich rufe dann Frage 82 des Herrn Abgeordneten Thüsing auf:
Hat sich die südafrikanische Regierung inzwischen bereit erklärt, das deutsch-südafrikanische Kulturabkommen neu zu formulieren, damit die in seinem Rahmen stattfindenden Aktivitäten bezüglich der Gleichbehandlung aller Rassen sich realisieren lassen, und wenn nein, ist die Bundesregierung bereit, das Abkommen zu kündigen?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Gespräche über eine Neuformulierung des Kulturabkommens mit der Republik Südafrika sind nicht aufgenommen worden und derzeit auch nicht vorgesehen, weil es der Bundesregierung mit zunehmendem Erfolg gelungen ist, die tatsächlichen Kulturbeziehungen so zu gestalten, daß durch Einbeziehung der nicht weißen Bevölkerungsmehrheit ein Beitrag zum Abbau der Rassendiskriminierung geleistet werden kann.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID0821120500
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Thüsing.

Klaus Thüsing (SPD):
Rede ID: ID0821120600
Herr Staatsminister, wie beurteilen Sie in diesem Zusammenhang die ganz andere Bewertung der holländischen und der belgischen Regierung, die angesichts der in meiner Frage angesprochenen Probleme ihre Kulturabkommen außer Kraft gesetzt haben?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, andere Regierungen mögen andere Entscheidungen treffen. Unsere Erfahrungen sind die, daß es uns gelingt, z. B. beim Austausch über den DAAD zunehmend auch die schwarze Bevölkerung zu beteiligen. Wir halten das für eine Möglichkeit der Einflußnahme auf die dortige Entwicklung und möchten daher an dem Kulturabkommen unter den gegebenen Umständen festhalten.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID0821120700
Eine Zusatzfrage, Frau Abgeordnete Erler.

Brigitte Erler (SPD):
Rede ID: ID0821120800
Herr Staatsminister, wie viele der kulturellen Veranstaltungen, die etwa deutsche Theater- oder Konzertgruppen in Südafrika gegeben haben, haben in den letzten Jahren nicht vor rein weißem Publikum stattgefunden?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Frau Kollegin, das kann ich Ihnen so nicht beantworten, aber dieser Bereich ist ja auch nicht das ganze Kulturabkommen. Ich habe eben auf den DAAD hingewiesen, und ich kann auf die Entwicklung bei den Stipendien hinweisen. Kurz, wir machen Fortschritte; wir glauben, daß wir Fortschritte in der richtigen Richtung machen. Dies ist der Grund, aus dem wir an dem Abkommen festhalten.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID0821120900
Frage 83 des Abgeordneten Immer (Altenkirchen) wird auf Wunsch des Fragestellers schriftlich beantwortet, und die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Ich rufe Frage 84 des Herrn Abgeordneten Dr. Möller auf:
Müssen deutsche Touristen, die die Olympischen Spiele in Moskau
besuchen und in einem der neuerrichteten Hotels — etwa Kosmos —
wohnen werden, mit einer ständigen Überwachung durch Ton- und



Vizepräsident Frau Renger
Filmaufnahmen rechnen, oder kann die Bundesregierung den Bericht der „Welt am Sonntag" vom 23. März 1980 der amerikanischen Journalisten Dennis Eisenberg und Uri Dan dementieren?
Bitte, Herr Staatsminister.
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, was die von Ihnen geschilderten Bedingungen betrifft, die deutsche Touristen bei ihrem Aufenthalt in Moskauer Hotels vorfinden, so ist die Bundesregierung nicht in der Lage, dazu im einzelnen Angaben zu machen.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID0821121000
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Möller.

Dr. Franz Möller (CDU):
Rede ID: ID0821121100
Kann also die Bundesregierung den Bericht in der „Welt am Sonntag" vom 23. März dementieren?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, ich habe gesagt, ich kann Angaben dazu nicht machen, weil der Bundesregierung die Tatbestände nicht bekannt sind. Wenn man keine Angaben machen kann, kann man weder dementieren noch bestätigen.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID0821121200
Die zweite Zusatzfrage, Herr Dr. Möller.

Dr. Franz Möller (CDU):
Rede ID: ID0821121300
Können also deutsche Besucher der Olympischen Spiele völlig unbelastet und ohne Furcht zu den Olympischen Spielen nach Moskau reisen, so wie sie nach Paris, London oder Rom reisen können?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, eine Reise nach Moskau ist sicher etwas anderes als eine Reise nach Paris.

(Heiterkeit — Sauer [Salzgitter] [CDU/ CSU]: Da wollen wir nicht nachbohren!)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID0821121400
Frage 85 des Herrn Abgeordneten Dr. Möller:
Was gedenkt die Bundesregierung zu tun, um entsprechend der von ihr wiederholt betonten Solidarität mit den Vereinigten Staaten die Maßnahmen des amerikanischen Präsidenten gegenüber dem Iran vom 6. April 1980 (Abbruch der diplomatischen Beziehungen, wirtschaftliche Sanktionen) zu unterstützen?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, die Bundesregierung hat seit Beginn der Geiselnahme in der US-Botschaft in Teheran wiederholt klargestellt, daß sie angesichts des eklatanten Völkerrechtsbruches solidarisch zu den USA steht und als Freund und Partner handelt. Aber ebenso selbstverständlich ist es, daß dieses Handeln, das ja erfolgreich sein soll, abgestimmt wird mit anderen Staaten, insbesondere natürlich mit unseren europäischen Partnern.
Auf deutsche Initiative hin haben die Außenminister der Europäischen Gemeinschaft in Lissabon am 10. April beschlossen, zunächst eine gemeinsame Demarche der EG-Botschafter in Teheran gegenüber Präsident Bani Sadr unternehmen zu lassen, und haben dann ihre Botschafter um persönliche Berichterstattung gebeten. Dies ist auch erfolgt. Es wird von den weiteren Abstimmungen in der Europäischen Gemeinschaft abhängen, wann und in welchem Umfang die Entscheidungen gemeinsam getroffen werden können.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID0821121500
Zusatzfrage.

Dr. Franz Möller (CDU):
Rede ID: ID0821121600
Herr Staatsminister, wie beurteilt denn die Bundesregierung im jetzigen Zeitpunkt die Möglichkeit, daß die EG-Staaten der amerikanischen Regierung die nötige Unterstützung gewähren?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Ich bin sicher, daß alle Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft ein vitales Interesse daran haben, daß die Geiselnahme in Teheran sobald wie möglich friedlich beendet wird. Welche Entscheidungen die einzelnen Mitgliedstaaten der Gemeinschaft hier für die zweckmäßigsten halten und welche sie treffen werden, kann ich zu diesem Zeitpunkt nicht sagen.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID0821121700
Weitere Zusatzfragen, bitte.

Dr. Franz Möller (CDU):
Rede ID: ID0821121800
Herr Staatsminister, für den Fall, daß es nicht zu einer einheitlichen Regelung kommen wird: sieht dann die Bundesregierung Veranlassung, so wie es der Bundeswirtschaftsminister angedeutet hat, einen Alleingang zu machen?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, ich halte mich hier am liebsten an das alte englische Sprichwort, daß man eine Brücke erst betreten soll, wenn man am Ufer angekommen ist.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID0821121900
Herr Dr. Czaja zu einer Zusatzfrage.

Dr. Herbert Czaja (CDU):
Rede ID: ID0821122000
Herr Staatsminister, hat die Bundesregierung die in der Frage enthaltenen Sanktionen dem amerikanischen Präsidenten nur abgeraten, oder hat sie ihm als Bündnispartner auch irgendwelche konkreten Maßnahmen angeraten?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Die Bundesregierung hat angeraten und abgeraten.

(Dr. Czaja [CDU/CSU]: Aber was?)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID0821122100
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Thüsing.

Klaus Thüsing (SPD):
Rede ID: ID0821122200
Herr Staatsminister, stimmen Sie meiner Auffassung zu, daß, bevor von Sanktionen gesprochen werden sollte, zunächst die nach wie vor vorhandenen Beziehungen und das große Ansehen, das die Bundesrepublik nach wie vor im Iran genießt, genutzt werden sollten, um die Geiselfrage zu lösen?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, ich möchte einen Widerspruch zwischen gewissen Maßnahmen einerseits und dem Nutzen unserer guten Beziehungen und Verbindungen hier nicht entstehen lassen. Die Bundesregierung ist auch in diesen Stunden und Tagen und Wochen — ich meine das so — darum bemüht, in Teheran zugunsten des persönlichen Schicksals der Geiseln und ihrer Familien und zugunsten einer Lösung des Problems wirksam zu sein.




Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID0821122300
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Jäger (Wangen).

Claus Jäger (CDU):
Rede ID: ID0821122400
Herr Staatsminister, was hat die Bundesregierung unternommen, um sicherzustellen, daß die derzeit geführten Gespräche und die dadurch hervorgerufene Verzögerung bei den Entscheidungen der europäischen Staaten in den Vereinigten Staaten nicht in gefährlicher Weise als eine Zögerlichkeit der deutschen Seite in der Erfüllung ihrer Bündnispflichten mißdeutet werden könnten?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, ich möchte den Ausdruck „Verzögerung" zurückweisen. Es ist ganz selbstverständlich, daß nach den in den USA getroffenen Entscheidungen auch die Europäische Gemeinschaft und jeder ihrer Partner Zeit in Anspruch nehmen müssen, um zu prüfen, auf welche Weise sie jeweils dem Anliegen unserer amerikanischen Freunde am ehesten entsprechen können. Auch die amerikanische Seite hat für ihre Entscheidungen Zeit in Anspruch genommen und Zeit gebraucht.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID0821122500
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Hupka.

Dr. Herbert Hupka (CDU):
Rede ID: ID0821122600
Herr Staatsminister, da Sie soeben vom persönlichen Schicksal der Geiseln gesprochen haben, frage ich Sie: Können Sie mir darin zustimmen, daß sich mit diesem persönlichen Schicksal der Geiseln das gesamte amerikanische Volk identifiziert und deswegen die Lösung dieser Frage für Amerika entscheidend für die Politik ist?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Das ist ganz sicher richtig. Aber für die, die hier persönlich betroffen sind, bleibt dies dennoch in besonderer Weise ein persönliches Schicksal.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID0821122700
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Broll.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0821122800
Herr Staatsminister, sind nicht auch Sie der Meinung, daß die Optionen, die der Bundesregierung gegenüber Teheran übrigbleiben konnten, insgesamt seit langem abzusehen waren und daß jetzt beginnende Konsultationen im Grund reichlich spät kommen?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, die Konsultationen betreffen ja nicht die internen Überlegungen der Bundesregierung, sondern die Abstimmung unter den Neun und die darüber hinausgehende Abstimmung mit anderen befreundeten Staaten. Für diese Abstimmung mußte man selbstverständlich zunächst einmal die amerikanischen Überlegungen und Entscheidungen abwarten. Ich unterstreiche hier, daß die Bundesregierung zügig gehandelt hat und daß die amerikanische Seite dies seit mehreren Monaten weiß.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID0821122900
Keine weitere Zusatzfrage.
Die Frage 86 ist zurückgezogen.
Damit sind wir am Ende der Fragestunde. Herzlichen Dank, Herr Staatsminister.
Wir kommen zu Punkt 2 der Tagesordnung:
Beratung der Beschlußempfehlung des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes (Vermittlungsausschuß) zu dem Gesetz zur Änderung des Fleischbeschaugesetzes und des Geflügelfleischhygienegesetzes
— Drucksache 8/3836 —
Berichterstatter: Minister Schmidhuber
Das Wort zur Berichterstattung hat Herr Minister Schmidhuber.

Peter M. Schmidhuber (CSU):
Rede ID: ID0821123000
Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Der Deutsche Bundestag hat in seiner 189. Sitzung am 29. November 1979 das Gesetz zur Änderung des Fleischbeschaugesetzes und des Geflügelfleischhygienegesetzes beschlossen. Mit dem Gesetz werden u. a. die Regelungen der EG-Fleischerzeugnisrichtlinie sowie der EG-Drittlandrichtlinie in das innerstaatliche Recht umgesetzt. Weiter sollte auch das im Inland erlegte Haarwild der amtlichen Fleischuntersuchung unterstellt werden. Ausgenommen sollte hiervon im wesentlichen nur das für den Eigenverbrauch bestimmte Wild sein. Anlaß dafür war nach der Begründung des Regierungsentwurfs u. a., daß die EG-
Kommission die bisherige unterschiedliche Behandlung von importiertem und von im Inland erlegten Haarwild als diskriminierend angesehen und deswegen ein Vertragsverletzungsverfahren eingeleitet hatte.
Der Bundesrat forderte im ersten Durchgang u. a. die Streichung der Fleischbeschau für inländisches Haarwild im wesentlichen mit der Begründung, daß für sie fachlich kein Grund bestehe. Der Bundesrat beschloß in seiner 481. Sitzung am 21. Dezember 1979 wegen der Fleischbeschau für inländisches Haarwild den Vermittlungsausschuß anzurufen.
Dieser hat in seiner Sitzung am 20. März 1980 den Einigungsvorschlag beschlossen, der Ihnen auf der Drucksache 8/3836 vorliegt. Der Vermittlungsausschuß hat gemäß § 10 Abs. 3 Satz 1 seiner Geschäftsordnung weiter beschlossen, daß im Deutschen Bundestag über die Änderungen gemeinsam abzustimmen ist.
Der Einigungsvorschlag sieht, kurz gefaßt, folgendes vor: Erstens. Keine Fleischbeschau für Eigenverbrauch und für die Weitergabe an einzelne natürliche Personen zum Eigenverbrauch. Zweitens. Keine Fleischbeschau unter der Voraussetzung, daß das Fleisch unmittelbar nach dem Erlegen in geringen Mengen an nahe gelegene be- oder verarbeitende Betriebe zur Abgabe an den Letztverbraucher geliefert wird. Wegen der Gleichbehandlung mit importiertem Wild gilt diese Regelung unter den obigen Voraussetzungen auch für Kleineinfuhren aus dem grenznahen Ausland.
Namens des Vermittlungsausschusses empfehle ich, diesem Vorschlag zuzustimmen.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID0821123100
Danke schön, Herr Minister.



Vizepräsident Frau Renger
Wird das Wort zu einer Erklärung gewünscht? — Das ist nicht der Fall.
Wir kommen zur Abstimmung. Der Vermittlungsausschuß hat gemäß § 10 Abs. 3 Satz 1 seiner Geschäftsordnung beschlossen, daß über die vorliegenden Änderungen gemeinsam abzustimmen ist. Wer dem Antrag des Vermittlungsausschusses auf Drucksache 8/3836 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Es ist so beschlossen.

(Sauer [Salzgitter] [CDU/CSU]: Der Kollege Broll hat sich enthalten!)

— Bei Stimmenthaltung des Kollegen Broll. Wir nehmen das zur Kenntnis.
Ich rufe Punkt 3 der Tagesordnung auf:
Beratung der Beschlußempfehlung des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes (Vermittlungsausschuß) zu dem Gesetz über den Beruf des Logopäden
— Drucksache 8/3837 —
Berichterstatter: Abgeordneter Pfeifer
Das Wort als Berichterstatter hat der Abgeordnete Pfeifer.

Anton Pfeifer (CDU):
Rede ID: ID0821123200
Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Ich kann einen sehr kurzen Bericht geben. Der Bundestag hat am 24. Januar 1980 den Gesetzentwurf über den Beruf des Logopäden in dritter Lesung verabschiedet. Der Bundesrat hat am 29. Februar 1980 den Vermittlungsausschuß angerufen.
Seither hat es zwar, ähnlich wie vor der dritten Lesung im Bundestag, auch von seiten der betroffenen Verbände Vorschläge zu Änderungen des Gesetzesbeschlusses des Bundestages gegeben. Mit ihnen konnte sich der Vermittlungsausschuß allerdings nicht befassen, da die drei Anrufungsbegehren des Bundesrates letztlich von eher gesetzestechnischer Art waren. Sie betrafen den Zeitpunkt für das Inkrafttreten des Gesetzes und die Bestimmungen über das Außerkrafttreten derzeit bestehender landesrechtlicher Normen.
Der Vermittlungsausschuß ist diesen Anrufungsbegehren des Bundesrates gefolgt. Ich möchte Sie als Berichterstatter des Vermittlungsausschusses bitten, diesen Empfehlungen zuzustimmen.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID0821123300
Ich danke dem Herrn Berichterstatter.
Das Wort zu einer Erklärung hat Herr Abgeordneter Engelhard.

Hans A. Engelhard (FDP):
Rede ID: ID0821123400
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich habe um das Wort gebeten, um die Frage zu stellen, ob es richtig und sinnvoll sein kann, der vorliegenden Beschlußempfehlung des Vermittlungsausschusses zuzustimmen. Bei der zweiten und dritten Lesung am 24. Januar 1980 habe ich — —

(Franke [CDU/CSU]: Es gibt keine Debatte, es gibt nur Erklärungen!)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID0821123500
Verehrtester Kollege, es sind. jetzt nur Erklärungen zulässig. Eine Debatte
ist nicht möglich. Wenn Sie Ihre Ausführungen in der Form einer Erklärung vorbringen könnten, wäre ich Ihnen dankbar.

Hans A. Engelhard (FDP):
Rede ID: ID0821123600
Ich glaube, daß ich mich mit meinen Ausführungen im Rahmen einer Erklärung halte,

(Broll [CDU/CSU]: Das ist Ihr Glaube!)

wenn ich darauf hinweise, daß ich bei der zweiten und dritten Lesung gegen die Verabschiedung votiert und das anschließend in einer Erklärung zur Abstimmung auch begründet habe.
Ich wende mich wie seinerzeit gegen die Zustimmung zur vorliegenden Beschlußempfehlung auf Grund der Bedenken gegen § 4 Abs. 2 des Gesetzes, der die Voraussetzungen für die Zulassung zur Ausbildung regelt. In der jetzt vorliegenden Fassung, zustande gekommen auf Grund eines interfraktionellen Antrags in der zweiten Lesung, wird vorgesehen, daß eine abgeschlossene Realschulbildung, eine andere gleichwertige Ausbildung oder eine zweijährige abgeschlossene Berufsausbildung nach dem Hauptschulabschluß ausreicht. Ich weiß nicht, ob diese Regelung als sachgerecht angesehen werden kann.
Ich habe darauf hingewiesen, daß die Logopäden einen besonders schwierigen und verantwortungsvollen Beruf ausüben. Sie haben eine dreijährige Ausbildung zu absolvieren, die sich auf die Bereiche der Pädagogik, der Psychologie, der Sonderpädagogik und der Linguistik erstreckt. Dementsprechend ist im umliegenden europäischen Ausland — in Osterreich, in der Schweiz, in den Niederlanden, in Belgien, England und Frankreich — auch ausschließlich das Abitur Voraussetzung für die Zulassung zur Ausbildung. Die Logopäden in der Bundesrepublik verlangen dies nicht.
Viele Kollegen haben das genauso gesehen wie ich heute, wie die Debatte am 24. Januar 1980 gezeigt hat. Sie haben sich nur damit beruhigt, daß der Bundesrat darangehen werde, dies über die Anrufung des Vermittlungsausschusses zu korrigieren. Diese Hoffnung hat getrogen. Zwar haben die beteiligten Ausschüsse des Bundesrates empfohlen, die Realschulausbildung oder eine gleichwertige Ausbildung und die Vollendung des 18. Lebensjahres vorzusehen, und dies als Mindestvoraussetzung bezeichnet; aber aus Gründen, die niemand kennt, ist im Plenum des Bundesrats ein Stimmungswandel eingetreten. Lediglich die Vertreter von zwei Bundesländern haben für eine Änderung in diesem Punkt votiert — mit der Folge, worauf auch der Herr Berichterstatter hingewiesen hat, daß dies nicht mehr Gegenstand der Beratungen im Vermittlungsausschuß sein konnte.
Es stellt sich die Frage: Was spricht eigentlich dafür, heute für dieses Gesetz zu stimmen? Ich sehe die Hereinnahme des Hauptschulabschlusses als ausreichende Bildungsvoraussetzung allenfalls von einem Standpunkt bildungspolitischer Ideologie aus gerechtfertigt; denn es ist gleichzeitig unfair gegenüber den Hauptschülern, die mit ihren Voraussetzungen die Ausbildung nicht schaffen können, den



Engelhard
Eindruck zu erwecken, als könnten sie dieses Berufsziel überhaupt erreichen. Jene, die so großen Wert darauf legen, die Hauptschule als zulässigen Bildungsabschluß hineinzunehmen, übersehen, daß wir heute in einem offenen Bildungssystem leben, in dem es jedermann möglich ist, nach seinen Gaben und Befähigungen mit öffentlicher Unterstützung die Schule zu besuchen, die ihm gemäß ist und die er für die richtige hält.
Die andere Frage ist die, daß wir herunterzonen wollen, um den Ansturm der Besoldungswünsche zu stoppen. Mir ist dies bekannt. Nur ist das hier bei den Logopäden das falsche Exerzierfeld; denn heute ist weithin in den Bundesländern das Abitur Voraussetzung, zumindest aber die abgeschlossene Realschulbildung. Was die Logopäden in der ursprünglichen Formulierung zu akzeptieren bereit waren, ist für sie also eine Verschlechterung.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID0821123700
Verehrter Herr Kollege, ich muß Sie wirklich sehr herzlich bitten: Dies geht über eine Erklärung hinaus. Es ist ein Teil der Debatte, was Sie hier einfügen. Wir sind alle großzügig gewesen. Ich möchte Sie auch nach § 39 der Geschäftsordnung, die Redezeit betreffend, herzlich bitten, mit Ihrer Erklärung zum Schluß zu kommen.

(Franke [CDU/CSU]: Auch nach § 91!)


Hans A. Engelhard (FDP):
Rede ID: ID0821123800
Frau Präsidentin, ich folge dem gern und fasse zusammen. Ich möchte die hier anwesenden Kolleginnen und Kollegen auffordern, der Beschlußempfehlung des Vermittlungsausschusses nicht zuzustimmen. Ich will dies auch dahin gehend begründen, daß dies deswegen ein geeignetes Objekt ist, weil hier keine große politische Frage ansteht,

(Wehner [SPD]: Aber eine große politische Erklärung!)

weil es hier keinen Standpunkt der Bundesregierung zu verteidigen gilt, weil auch die Opposition über ihren Gesetzentwurf heute nicht mehr glücklich ist.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID0821123900
Lieber Herr Kollege, ich muß Sie jetzt herzlich bitten, Ihre Ausführungen zu beenden. Sonst muß ich feststellen, daß es keine Erklärung ist, und dann muß ich Ihnen das Wort entziehen. Das möchten wir nicht. Deswegen seien Sie doch bitte so freundlich, Ihre Rede zu beenden.

Hans A. Engelhard (FDP):
Rede ID: ID0821124000
Ich bin am Schluß und weise darauf hin, daß es ganz sicherlich auch im Sinne eines Minderheitenschutzes ist, sich für die einzusetzen, die in diesem Lande eine verschwindende Minderheit sind. Es gibt ganze 550 Logopäden. Sie haben auf meine Anfrage hin klar erklärt: besser kein Gesetz als ein solches.
Gegen den Willen der Betroffenen ein solches Gesetz zu machen, erscheint mir nicht sinnvoll. Ich bitte Sie daher, die Beschlußempfehlung abzulehnen.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID0821124100
Eine weitere Erklärung des Herrn Abgeordneten Dr. Hammans, bitte.

Dr. Hugo Hammans (CDU):
Rede ID: ID0821124200
Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Zu gern würde auch ich eine politische Erklärung wie der Kollege Engelhard abgeben. Ich werde mich an die Geschäftsordnung halten und werde nur erklären, daß ich diesem Vermittlungsausschußvorschlag zustimme, weil die Praxis doch das Abitur als Voraussetzung bringen wird.

(Beifall bei der CDU/CSU)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID0821124300
Herzlichen Dank, daß Sie sich so kurz gefaßt haben, verehrter Herr Kollege.
Weitere Wortmeldungen zu Erklärungen liegen nicht vor.
Wir kommen zur Abstimmung. Der Vermittlungsausschuß hat gemäß § 10 Abs. 3 Satz 1 seiner Geschäftsordnung beschlossen, daß über die vorliegenden Änderungen gemeinsam abzustimmen ist. Wer dem Antrag des Vermittlungsausschusses auf Drucksache 8/3837 zuzustimmen wünscht, bitte ich um ein Handddzeichen. —

(Dr. Hammans [CDU/CSU]: Schweren Herzens!)

Gegenprobe! - Enthaltungen? — Gegen zwei Stimmen angenommen.
Wir setzen jetzt die Aussprache zu Punkt 4 der Tagesordnung, also zum Jahresgutachten 1979/ 1980 des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung und zum Jahreswirtschaftsbericht 1980 der Bundesregierung, fort. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Junghans.

Hans-Jürgen Junghans (SPD):
Rede ID: ID0821124400
Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Dr. Dollinger hat vorhin hier gesagt, er wolle die ehrliche Wahrheit sprechen. Überhaupt hat er sich mehr in der Wirtschaftsphilosophie bewegt, worauf einzugehen sich kaum lohnt. Er sprach von einer Verschlechterung des Klimas in der Wirtschaft und führte als Beispiel an, daß von 1960 bis 1977 die Zahl der Selbständigen um 280 000 gesunken sei und daß diese Bundesregierung durch die Belastung der Unternehmer die Hauptschuld an den Insolvenzen trage.
Diese Zahl ist laut Statistischem Jahrbuch zwar richtig — ich habe es nachgeprüft —: Von 1960 bis 1970 ist die Zahl der Selbständigen um 274 000 zurückgegangen. Aber Herr Kollege Dollinger hat nicht gesagt, daß allein von 1960 bis 1970, also unter Regierungen, die von der CDU geführt wurden, 202 000 Unternehmen aus den Märkten gingen, während es von 1970 bis 1977 ca. 72 000 waren und die Zahl der Selbständigen 1977/78 — immer laut Statistischem Jahrbuch — sogar um rund 20 000 zugenommen hat.

(Zustimmung bei der SPD)

Meine Damen und Herren, dies ist die ehrliche Wahrheit, Herr Dr. Dollinger,

(Zuruf des Abg. Pieroth [CDU/CSU])

und nicht, wie Sie es hier versucht haben, eine systematische Verunsicherungskampagne zur Verschlechterung des Klimas in der Wirtschaft.



Junghans
Nun möchte ich Ihnen etwas zu den Insolvenzen zitieren. Hier gibt es einen bemerkenswerten Artikel im „Arbeitgeber", Nr. 24/31, 1979, von Diplomkaufmann Joachim Steiner zum Mittelstand. Ich empfehle Ihnen den Artikel sehr zur Lektüre, Herr Dr. Dollinger. Da können Sie einiges lernen. Dort heißt es:
Übereinstimmend kommen die Insolvenzforscher jedoch zu dem Ergebnis, daß bei der weitaus größten Zahl der untersuchten Insolvenzfälle schwerwiegende Fehler im Management für das Ausscheiden der Betriebe zumindest mit verursachend waren. In mehr als 75 % der analysierten Gerichtsakten ließ sich eine — überwiegend erhebliche — Entstehungsquelle für die Insolvenz im jeweiligen Management des Betriebes finden.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID0821124500
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Dollinger?

Hans-Jürgen Junghans (SPD):
Rede ID: ID0821124600
Nein, ich will das erst einmal zu Ende führen.

(Heiterkeit bei der CDU/CSU)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID0821124700
Keine Zwischenfrage, Herr Dr. Dollinger.

Hans-Jürgen Junghans (SPD):
Rede ID: ID0821124800
Herr Dr. Dollinger hat lange genug Zeit gehabt, hier zu philosophieren. Jetzt kann ich auch einmal reden.

(Dr. Langner [CDU/CSU]: Ach, philosophieren! — Dr. Dollinger [CDU/CSU]: Was ist das für ein Ton?)

Herr Dr. Dollinger, über die Marktwirtschaft, die die Leistung belohnen solle, hatten Sie sich hier ausführlich ausgelassen.

(Zurufe von der CDU/CSU)

— Lassen Sie mich doch mal ausreden, Herr Franke. Sie können doch auch hier heraufkommen.

(Franke [CDU/CSU]: Sie reden gar nicht, Sie lesen vor!)

— Ich habe das vorgelesen, selbstverständlich; warum nicht?

(Franke [CDU/CSU]: Sie lesen alles vor! Sie reden gar nicht!)

— Nein, nein.

(Franke [CDU/CSU]: Sie haben noch nie frei gesprochen!)

Herr Dr. Dollinger, wenn Fehler im Management die überwiegende Ursache der Insolvenzen sind, die Sie beklagen, dann ist Ihr Bekenntnis zur Marktwirtschaft, das Sie hier abgegeben haben, sicherlich nicht sehr ernst zu nehmen. Die ehrliche Wahrheit ist das mit Sicherheit nicht, Herr Dr. Dollinger, sondern allenfalls nur Krisengerede.
Dann sprechen Sie außerdem von Versäumnissen in der Energiepolitik unter dem Stichwort „weg vom 0V. Das habe ich mir notiert: Lichter gehen bei Ihnen aus, Fahrstühle bleiben auf halber Höhe stehen; schrecklich für die Menschen, die darin sitzen, mit Sicherheit. Dies ist auch wieder nicht die ehrliche Wahrheit, von der Sie gesprochen haben. Wer hat denn dem Prozeß der Verdrängung der Kohle durch das 01 in den 50er und 60er Jahren tatenlos zugesehen?

(Zustimmung bei der SPD)

Seit wann gibt es eine vernünftige Kohlepolitik? Wenn Sie weiterregiert hätten, meine Damen und Herren — das sage ich hier ohne jeglichen Vorbehalt —, dann gäbe es in der Bundesrepublik Deutschland keinen gut funktionierenden Steinkohlenbergbau mehr.

(Beifall bei der SPD)

Der wäre dann marktwirtschaftlich gestorben.

(Lachen und Widerspruch bei der CDU/ CSU)

Wir haben seit 1973 ein Energieprogramm. Darum hat uns die Welt beneidet. Vor der Energiekrise! Wir haben das Kohleverstromungsgesetz hier durchgesetzt gegen den harten Widerstand gerade der CSU.
Das Problem „weg vom Öl ist doch im übrigen kein Problem der Lichter, der Fahrstühle oder Paternoster, sondern ein Problem des Wärmemarktes und der Treibstoffe für die Fahrzeuge. Hier haben die Regierung und die Koalitionsparteien ja einiges eingeleitet. Sie haben dazu bisher keinen Beitrag geliefert.

(Dr. Waigel [CDU/CSU]: Sie haben auch was eingebrockt!)

— Ja, ja. Das sagen Sie mal Herrn Dr. Dollinger. Er fing ja hier an mit Energieproblemen. Wir werden das in der nächsten Woche noch debattieren können, wenn über die Kohlevorlagen zu sprechen ist.
So geht das immer, meine Damen und Herren. Seit 1970, seit es Debatten über den Jahreswirtschaftsbericht gibt, hat die Opposition ihre Rolle immer so verstanden, Krisen auf bestimmten wirtschaftspolitischen Gebieten und Bereichen an die Wand zu malen, genauso wie heute Sie, Herr Dollinger, und Herr Biedenkopf. Das ist sehr schade, denn die Debatten um den Jahreswirtschaftsbericht sollten — —

(Dr. Dollinger [CDU/CSU] meldet sich zu einer Zwischenfrage)

— Nein, nein.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID0821124900
Sie lassen keine Zwischenfrage zu?

Hans-Jürgen Junghans (SPD):
Rede ID: ID0821125000
Nein.

(Franke [CDU/CSU]: Weil die Antworten nicht aufgeschrieben sind! — Dr. Dollinger [CDU/CSU]: Er spricht mich ständig an!)

— Ich habe genug Antworten, Sie werden es nachher noch merken.
Das ist sehr schade; denn die Debatten um den Jahreswirtschaftsbericht sollten in der Wirtschaft weiterführen. Die Bundesregierung sollte wissen, wie



Junghans
darüber in der Opposition gedacht wird. Wir haben es hier im allgemeinen nur mit Krisengerede zu tun.
Ich kann mich noch sehr genau erinnern, wie wir den ersten Jahreswirtschaftsbericht 1970 hier debattierten. Herr Strauß bekämpfte damals die Aufwertung und hat dann vorausgesagt, die Exportwirtschaft würde im tödlichen Siechtum enden.
Anfang der 70er Jahre sagte die Opposition dann den Übergang von der schleichenden zur galoppierenden Inflation voraus. Das Gegenteil trat ein. Wir haben die Preissteigerungsraten Schritt für Schritt nach unten gedrückt, sogar bis auf nur 2,6 % im Jahre 1978. Heute liegen wir auf dem vierten Platz mit 4,1 %.
Mitte der 70er Jahre wurde dann das Thema gewechselt. Da hieß das Thema Massenarbeitslosigkeit. Auch dies entsprach nicht den wirtschaftspolitischen Tatbeständen.

(Zurufe von der CDU/CSU)

Die Wirtschaftspolitik der sozialliberalen Koalition hat die Arbeitslosigkeit Schritt für Schritt abgebaut.

(Dr. Dollinger [CDU/CSU]: Wer hat sie denn aufgebaut? — Zuruf von der CDU/ CSU: Haben wir denn keine mehr?)

Zwar haben wir eine Vollbeschäftigung im Sinne unserer Vorstellungen und des Gesetzes noch nicht erreicht, aber immerhin war die Zahl der Arbeitslosen im vergangenen Jahr — und darüber ist zu reden — um rund 1 Million niedriger als im Höhepunkt der Krise 1975.

(Broll [CDU/CSU]: Und wer hat da regiert?)

— Entschuldigen Sie einmal, wir reden hier von Krisen. Ich will Ihnen einmal folgendes sagen, verehrter Herr Zwischenrufer.

(Zuruf von der CDU/CSU: Sagen Sie es einmal!)

Wenn Herr Biedenkopf damals Wirtschaftsminister gewesen wäre — Gott behüte! —,

(Zurufe von der CDU/CSU: Lassen Sie den lieben Gott aus dem Spiel! — Schön wäre es!)

dann hätten wir nach seinen heutigen Ausführungen und dem, was er geschrieben hat, heute eine Arbeitslosenzahl von mindestens zwei Millionen.

(Lachen bei der CDU/CSU — Broll [CDU/ CSU]: Wie vor 1967! — Pieroth [CDU/CSU]: Woher wissen Sie das?)

— Das ist das Ergebnis, wenn man seine Theorien hochrechnet. Lassen Sie dieses Gegeifere! Können Sie nicht einmal in aller Ruhe zuhören? Auch wir hören Ihnen zu.

(Pieroth [CDU/CSU]: Dann lesen Sie weiter!)

Sie haben überhaupt keine Ahnung davon, wie man
eine Debatte führt. Sie können noch nicht einmal ruhig zuhören, und wenn etwas gesagt wird, das Ihnen
unangenehm ist, fangen Sie an, hier herumzutoben. Lassen Sie doch den Quatsch!

(Pieroth [CDU/CSU]: Herr Kollege, lesen Sie bitte weiter!)

Sie müssen auch akzeptieren, daß wir das bei einem Einfluß von der Außenwirtschaft gemacht haben, der uns gerade nicht unterstützte. Im Gegenteil, der Wind blies uns ins Gesicht. Es heißt in einem Zitat, daß die Frage, woher der Wind bläst, nicht allein von der Bundesregierung entschieden werden kann.

(Lachen bei der CDU/CSU)

Die Frage, woher der Wind weht, kann nicht allein von der Bundesregierung entschieden werden.

(Lachen bei der CDU/CSU — Pieroth [CDU/CSU]: Auch die Länder bestimmen mit! — Broll [CDU/CSU]: Sie machen Philosophie! — Zuruf von der CDU/CSU: Wer entscheidet darüber? — Weitere Zurufe von der CDU/CSU)

— Wissen Sie, wer das gesagt hat? Das war Franz Josef Strauß in der Debatte zum Stabilitäts-undWachtstums-Gesetz am 15. September 1966. Lachen Sie bitte weiter!

(Zurufe)

Nachdem es mit der Massenarbeitslosigkeit nichts wurde, meine verehrten Kollegen, heißt es nun Staatsverschuldung und Staatsbankrott. Bei jeder dieser Debatten frage ich mich immer wieder, was dieses Krisentheater soll. Es hat zunächst keinen weiteren Sinn, als dem starken Mann aus Bay- 1 ern die Muskeln zu stärken, und der scheint es nötig zu haben. Sicherlich soll es auch für Ihre eigenen Reihen sein, um erst einmal eine gewisse Kampfmoral herzustellen.
„Der Bundeskanzler wendet sich gegen das Wort ,Krise'. Auch ich bin der Meinung, daß man das Wort ,Krise' nicht allzu leicht in den Mund nehmen sollte,

(Franke [CDU/CSU]: Er spricht nur vom August 1914!)

weil die Benutzung dieses Wortes genau wie die Benutzung des Wortes ,Inflation' psychologische Wirkungen auslöst, die zu Verhaltensweisen führen, die dann ihrerseits erst in die Situation hineinschliddern lassen, die man schon vorweggenommen mit diesem Wort bezeichnet hat"

(Dr. Waigel [CDU/CSU]: Sagen wir lieber „crisis", um das Wort „Krise" zu vermeiden!)

— Ich habe hier wieder nur etwas aus der Debatte vom 15. September 1966 vorgelesen. Das war die erste Lesung des Stabilitäts-und-Wachstums-Gesetzes, und hier handelt es sich um ein Zitat vom Abgeordneten Franz Josef Strauß.

(Wehner [SPD]: Hört! Hört! Sehr verdächtig, daß der dauernd zitiert wird!)

Ich glaube, Sie wollen mit Ihrem Krisengerede auch verbergen, daß Sie keine Alternativen zu der Wirtschaftspolitik dieser Bundesregierung anbieten



Junghans
können; und das ist nicht nur bei der Wirtschaftspolitik so.
Niemals in der deutschen Geschichte ist es den Deutschen in unserer Republik, was das Materielle betrifft, so gut gegangen, wie unter der Regierung von Helmut Schmidt.

(Beifall bei der SPD — Zuruf von der CDU/ CSU: Aha!)

§ 2 des Stabilitäts-und-Wachstums-Gesetzes, das hier zur Rede steht, verpflichtet die Bundesregierung, im Januar jedes Jahres einen Jahreswirtschaftsbericht vorzulegen, und den haben wir heute zu debattieren. In diesem Gesetz, das auch die heutige Opposition damals politisch mitgetragen hat, heißt es, daß Bund und Länder ihre Maßnahmen so zu treffen haben, daß sie im Rahmen der marktwirtschaftlichen Ordnung gleichzeitig zur Stabilität des Preisniveaus, zu einem hohen Beschäftigungsstand und außenwirtschaftlichem Gleichgewicht bei stetigem und angemessenem Wirtschaftswachstum beitragen.
Diese marktwirtschaftlichen Ziele — darüber ist heute morgen schon debattiert worden — mögen für Herrn Professor Biedenkopf als Professor für natürliches Wachstum überholt sein. Herr Dr. Dollinger war heute anderer Meinung. In Ihren Reihen wird das sicher zu klären sein. Aber wenn das so ist, wenn Sie den Staat aus seinen Verpflichtungen, für Wachstum, Stabilität, Beschäftigung und außenwirtschaftliches Gleichgewicht zu sorgen, herausnehmen wollen, dann wäre es ehrlich, wenn die Kollegen der CDU/CSU hier, statt darüber zu polemisieren, was man tun und was man lassen sollte, einen Antrag einbrächten, in dem steht, daß das Stabilitäts-und-Wachstums-Gesetz geändert werden sollte.
Der Sachverständigenrat stellt rückblickend fest, daß die expansive Ausrichtung der Finanzpolitik ohne Zweifel zum Wirtschaftsaufschwung beigetragen hat. Alle internationalen wirtschaftspolitischen Gremien bestätigen uns Erfolg. Der Vergleich unserer Wirtschaftsdaten mit denen anderer Länder spricht ohnehin für sich.
Wir haben die Folgen der Ölpreisexplosion 1974/ 75 besser gemeistert als fast alle anderen Länder. Nicht einmal der hartnäckigste Opponent kann die Augen davor verschließen, daß wir im vergangenen Jahr die Ziele des Stabilitäts-und-Wachstums-Gesetzes fast erreicht haben, jedenfalls mehr denn je seit der Wirtschaftskrise.
Wir haben ein Wirtschaftswachstum von knapp 4,5 % erreicht. 390 000 Arbeitsplätze wurden neu geschaffen. Diè Zahl der Arbeitslosen ging um 117 000 auf rund 870 000 zurück. Dem außenwirtschaftlichen Gleichgewicht waren wir, wenn auch zum Teil unfreiwillig und nicht ohne Probleme, so nahe wie selten zuvor. Die Verteuerung des privaten Verbrauchs konnte trotz der unerwartet starken Preissteigerung bei 01 und anderen Rohstoffen auf 4,1 % im Jahresdurchschnitt begrenzt werden.
Meine Damen und Herren, wir haben uns den erfolgreichen Konjunkturaufschwung aus dem welt-
weiten Einbruch 1974/75 mit Sonderprogrammen zur Wachstumsstärkung in Höhe von 35 Milliarden DM und mit Steuerentlastungen seit 1977 im Umfang von rund 25 Milliarden DM erkauft. Dies ist richtig. Erheblich zum Aufschwung beigetragen haben auch die Tarifvertragsparteien, insbesondere die Gewerkschaften, durch ihre gesamtwirtschaftlich verantwortungsbewußte Tarifpolitik.
Sonderprogramme, Sonderausgabenprogramme und Steuerentlastungen — übrigens zugunsten der Arbeitnehmer u n d der Unternehmer — bedeuten natürlich zwangsläufig höhere Staatsschulden. Zu diesem Thema ist heute morgen gesprochen worden. Herr Kollege Roth hat die Zahlen genannt. Es ist ein Widerspruch und Doppelzüngigkeit, gleichzeitig Steuersenkungen und Mehrausgaben im Umfang von 125 Milliarden DM zu fordern. Herr Minister Matthöfer hat dem einiges hinzugefügt.
Auch ich habe dazu einiges zu sagen. In den letzten Tagen war zu lesen, die CDU/CSU-Bundestagsfraktion wolle klare Aussagen darüber haben, welche Subventionen künftig überflüssig seien. Dann wird berichtet, daß Herr Stoltenberg etwas über eine dramatische Verschlechterung und über hemmungslose Staatsverschuldung bemerkt hat. Auf dem gleichen Blatt — von dpa — steht oben drüber:. Bayern will Sonderabschreibungen für Landwirte erhalten.
Am gleichen Tag, unter dem 16, April, erhielten wir von Dr. Wolfgang von Geldern ein Schreiben mit Briefkopf der CDU/CSU, in dem er u. a. Bemerkungen zur Fischwirtschaft macht. Dort steht unter Nr. 3 die Frage, welche zusätzlichen Hilfen der Fischerei angesichts der Energiepreisexplosion gewährt werden sollen.
Wenn ich es richtig sehe, kann man fast jeden Tag Bemerkungen in der Richtung machen, wie Sie es denn eigentlich mit den Subventionen und der Staatsverschuldung halten.
Meine Damen und Herren, diese Wachstumsanstöße sind nicht verpufft, sondern haben die Eigendynamik der Wirtschaft wieder in Gang gebracht. Die Investitionsneigung hat sich vor allen Dingen auch dank der verantwortungsvollen Lohnpolitik, ..der höheren Unternehmergewinne und gleichzeitig höherer Realeinkommen deutlich gefestigt. Das Investitionsklima ist gut, sogar sehr gut. Sie können es nicht herunterreden. Mit diesen Investitionen wurden und werden heute Arbeitsplätze in aussichtsreichen Branchen geschaffen und in weniger begünstigten Branchen gesichert.

(Vorsitz : Vizepräsident Wurbs)

Wir werden aber auch in diesem Jahr vor besonderen, unabwägbaren Risiken stehen. Hauptursache hierfür werden sein: die erneuten drastischen Ölpreissteigerungen, weitere Preisanhebungen bei Rohstoffen sowie die weltpolitischen Unsicherheiten im Iran, in Afghanistan und im Nahen Osten. Niemand hier im Saal oder dort auf der Regierungsbank kann die Auswirkungen dieser Belastungen auf Konjunktur, Wachstum, Einkommen und Beschäftigung, auf Kosten und Preise sowie auf Zahlungsbilanz und Wechselkurse auch nur annähernd



Junghans
abschätzen. Dennoch wäre es falsch, die Zukunft allzu düster zu malen. Wir stehen eben nicht nur vor Risiken, es bieten sich auch neue Chancen. Beides muß gegeneinander abgewogen werden.
Da ist zunächst die Lage der Weltwirtschaft. Zweifellos belastet die erneute Ölpreisexplosion die Weltkonjunktur und beeinträchtigt deshalb unsere Exportchancen — wahrscheinlich die anderer Länder mehr als unsere. Außerdem verschärft sie den ohnehin kräftigen weltweiten Preisauftrieb und zwingt die Regierungen und Zentralbanken zu einem harten Restriktionskurs, um die Spielräume für Preisüberwälzungen in angemessenen Grenzen zu halten. Dabei wäre aus beschäftigungspolitischen Gründen überall ein expansiver Kurs erforderlich. Auch das wachsende Inflationsgefälle — allein gegenüber den Vereinigten Staaten wird es in diesem Jahr um 1 % und gegenüber den OECD-Staaten um 11/2% höher sein — bringt eine Fülle von Problemen mit sich, auf die ich hier nicht näher eingehen möchte. Klar ist aber, daß die Zahlungsbilanzprobleme wachsen werden. Der Welthandel . wird im Jahre 1980 statt um 7 % nur um 3 % wachsen. Die Ölländer werden nach den OECD-Schätzungen im Jahre 1980 einen Leistungsbilanzüberschuß von 97 Milliarden Dollar erwirtschaften, die Industriestaaten ein Defizit von 63 Milliarden Dollar, und die Entwicklungsländer haben mit einem Minus von 48 Milliarden Dollar zu rechnen.
Diese extremen Ungleichgewichte schaffen Spannungen und begünstigen einen weiteren Zinsauftrieb. Wir müssen aufpassen, daß diese Ungleichgewichte der Leistungsbilanzen nicht den schon jetzt überall grassierenden protektionistischen Neigungen zum Durchbruch verhelfen. Denn Protektionismus wäre die größte Gefahr für unsere Exportwirtschaft, für unsere Beschäftigung, für unseren Wohlstand, aber auch für eine friedenserhaltende internationale Arbeitsteilung.
Binnenwirtschaftlich bedeutet die Ölpreisexplosion den Entzug von Kaufkraft, eine Dämpfung der realen Binnennachfrage, vor allem des privaten Verbrauchs, und vergrößerte Preisrisiken, damit auch Gefahren für die Beschäftigung.
Aber von der Ölpreisexplosion gehen auch Chancen für die deutsche Exportwirtschaft aus. Denn Investitionen zur Einsparung und Substitution von 01 werden in den 80er Jahren mit Sicherheit in Ost, West, Nord und Süd eine hervorragende, sogar die entscheidende Rolle der heute anstehenden wirtschaftlichen Probleme spielen. Auch die weltpolitischen Unsicherheiten im Iran und in Afghanistan sind zunächst psychologische Belastungen, die die Wachstumskräfte bremsen können.
Trotz dieser Unsicherheiten und Risiken wird sich der Wachstumsprozeß in diesem Jahre fortsetzen. Ich glaube, daß das Ziel von 21/2% gut erreichbar sein wird. Dieses Ziel ist gewiß ehrgeizig das wurde ja schon gesagt —, aber keineswegs realitätsfern. Otto Wolff von Amerongen hat vorgestern treffend festgestellt: Die Lage ist besser als die aktuelle Stimmung. Die Opposition meint allerdings umgekehrt, die Lage sei sehr viel schlechter als die Stimmung.
Ein ehrgeiziges Ziel ist auch die Begrenzung des Preisanstieges auf 41/2%, denn der Preisdruck aus dem Ausland ist massiv. Allein auf Grund der Ölrechnung werden wir in diesem Jahr mit Sicherheit mit 1 % rechnen können. Auch die Importpreise sind um 25 % höher. Kein Zweifel, wir werden in diesem Jahr, ob wir es wollen oder nicht, Inflation importieren müssen. Wir können uns gegen diese vorn Ausland ausgehenden Einflüsse auf die Preisentwicklung nicht wehren, schon gar nicht mit Mitteln der Geldpolitik. Es zu versuchen, wäre gefährlich. Denn eine noch schärfere Restriktionspolitik der Bundesbank könnte leicht zu einem konjunkturpolitischen Zuviel, zu einem Einbruch führen.
Aber nicht nur von dem Ölpreis und den internationalen Preiszusammenhängen her drohen Gefahren für unsere Stabilität. Auch intern gibt es Risiken, obwohl die Geldpolitik der Bundesbank keineswegs lax ist. Die Preisentwicklung in den kommenden Monaten wird auch stark davon abhängen, ob die Unternehmen nicht nur die Kostensteigerung aus dem 01 und aus den Rohstoffpreissteigerungen verkraften, sondern diese auch zum Anlaß nehmen, weitere Ertragsverbesserungen durchzusetzen.

(Dr. Schwarz-Schilling leicht müssen sie das sogar?)

— Wie kommen Sie dazu? (Lachen bei der CDU/CSU)

— Das ist Ihre Philosophie. Es mag schon sein, Herr Schwarz-Schilling.

Richard Wurbs (FDP):
Rede ID: ID0821125100
Verzeihen Sie, Herr Abgeordneter, ich bitte Sie, zum Schluß zu kommen. Ihre Zeit ist um.

Hans-Jürgen Junghans (SPD):
Rede ID: ID0821125200
Lassen Sie mich zum Schluß noch einige Bemerkungen zu dem Thema machen, das hier ansteht.
Wir sind auf die internationale Arbeitsteilung angewiesen. Ich bin überzeugt, daß Fortschritte in der internationalen Arbeitsteilung, zugleich auch immer Beiträge zur internationalen Friedenssicherung sind. Aber die Arbeitsteilung beruht auf vertraglicher Abmachung. Deshalb — ich zitiere hier unseren Vorsitzenden Willy Brandt — ist die Einhaltung aller geschlossenen Verträge für uns eine politische Notwendigkeit. Vertragstreue gilt umfassend, also auch für das Abkommen über die langfristige wirtschaftliche Zusammenarbeit mit d er Sowjetunion, unsere Verträge mit der DDR und mit anderen Partnern überall in der Welt.
Dies vorausgeschickt, unterstützen wir die Bundesregierung in ihrem Bemühen, Sanktionen gegen den Iran eingehend zu prüfen und dann auch durchzusetzen. Diese Sanktionen werden um so wirkungsvoller sein, je mehr Staaten sich daran beteiligen, wenn auch nach wie vor Zweifel am Erfolg wirtschaftlicher Boykottmaßnahmen erlaubt sein dürfen.
Diese Solidarität gegenüber den USA wird uns Opfer abfordern. Gestatten Sie mir zu dem Thema



Junghans
Solidarität auch in Richtung USA eine Bemerkung. Wenn — und das ist möglich — diese Maßnahmen zu weiteren Ölpreiserhöhungen — an Mengenprobleme infolge des Ausfalls des iranischen Öls auf westlichen Märkten glaube ich nicht — führen, dann gilt es zusammen auch mit der amerikanischen Administration zu verhindern, daß die amerikanischen Ölmultis wie 1979 wieder die lachenden Dritten sind.
Zum Schluß möchte ich folgendes sagen. Wir danken der Bundesregierung für die besonnene, nüchterne und zum Wohle alle Bürgerinnen und Bürger wirkungsvolle Wirtschaftspolitik in einer Welt voll Turbulenzen. Wir unterstützen die Ziele und Maßnahmen dieses Jahreswirtschaftsberichts.

(Beifall bei der SPD und der FDP)


Richard Wurbs (FDP):
Rede ID: ID0821125300
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Gärtner.

Klaus Gärtner (FDP):
Rede ID: ID0821125400
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Debatte über den Jahreswirtschaftsbericht hat heute morgen der Herr Kollege Biedenkopf
— der ja aus verständlichen Gründen, wie wir alle wissen, wieder im Wahlkampf in Nordrhein-Westfalen ist — dazu benutzt, getreu dem Slogan der nordrhein-westfälischen CDU „Mit doppelter Energie" hier mit einer Doppelstrategie anzutreten. Er liegt ja in manchen Teilen seiner Analyse nicht ganz falsch.

(Dr. Waigel [CDU/CSU]: Das ist aber lieb von dir!)

— Das weiß ich, Herr Kollege Waigel. Das wissen Sie auch zu schätzen, wenn ich Sie jetzt auf einen Punkt anspreche. Herr Kollege Biedenkopf und Sie fordern, Subventionen müßten abgebaut werden. Als wir die Reform der Einkommensbesteuerung der Landwirte hier beschlossen haben, waren Sie aber gemeinsam mit dem Kollegen Biedenkopf dagegen. Das ist der eine Teil, bei dem man zwischen Dichtung und Wahrheit unterscheiden muß.

(Beifall bei der FDP und der SPD)

Der zweite Teil: Wenn gesagt wird, die Verschuldung solle abgebaut werden, dann wissen mindestens die Kollegen der Union aus dem Haushaltsausschuß — Herr Kollege Waigel, bei weiteren Zwischenrufen sehe ich Ihnen nach, daß Sie seit längerer Zeit nicht mehr im Haushaltsausschuß sind und daher wahrscheinlich auch in der Sache hier weniger qualifziert Stellung nehmen können —, daß wir uns sehr ernsthaft bemüht haben und dies bei der Haushaltsberatung 1980, bei der Verabschiedung des Haushaltes hier auch dargestellt haben. Wir haben im Regierungsentwurf Kürzungen um 800 Millionen DM vorgenommen. Wir haben knapp 4 Milliarden DM umgeschichtet, d. h., wir haben neue Aufgaben finanziert, ohne die Verschuldung zu erhöhen. Dies ist ein Beitrag, den man noch nicht für ausreichend halten mag — wir selbst haben bei den Beratungen auch geglaubt, wir kämen etwas weiter —, aber wir sind erheblich weitergekommen, als Sie es uns zugetraut haben. Sie haben uns bei der Haushaltsberatung ja vorgeworfen, wir würden einen Wahlkampfhaushalt aufstellen und mit Wahl
geschenken durch die Gegend laufen. Als wir dann den Wahlkampfhaushalt gekürzt haben, hat Ihnen das aus verständlichen Gründen auch nicht gepaßt.
Herr Biedenkopf selbst ist vor knapp vier Wochen in bemerkenswerter Form bei einem Interessenverband als Festredner aufgetreten. Auf einer Veranstaltung des Verbandes der Damenoberbekleidungsindustrie hat er vor knapp vier Wochen - ich will mich jetzt nicht in weitere Einzelheiten verlieren — eine steuerfreie Rücklage von 50 000 DM für jedes Unternehmen gefordert. Das würde Steuermindereinnahmen von 6 Milliarden DM bedeuten. Das also hat Herr Biedenkopf vor vier Wochen hingekriegt. Mittlerweile ist das Beschlußlage bei den Stimmführern der Mittelstandsvereinigung, wie ich habe nachlesen dürfen, die in Saarbrücken — ich nehme an: im Zusammenhang mit einem Wahlkampftermin — gleichzeitig noch als kleines Zubrot die Verdoppelung von 800 DM auf 1 600 DM bei geringwertigen Wirtschaftsgütern mit beschlossen hat, was Kosten in Höhe von 3,5 Milliarden DM verursacht.
Wenn man das alles zusammenzählt, wird das, was der Kollege Biedenkopf heute morgen hier vorgetragen hat, nach und nach theoretisch. Es ist theoretisch möglicherweise zwar noch zu unterschreiben, aber praktisch ist es eben nicht mehr glaubwürdig. Man kann sich hier nicht hinstellen und auf der einen Seite Subventionen und Verschuldung abbauen, aber auf der anderen Seite alles das mitnehmen wollen, was Subventionsberichte verlängert, die Einnahmen verringert und damit bei nicht vorgesehenen Ausgabekürzungen den Schuldenstand erhöht.
Herr Biedenkopf hat heute morgen einen richtigen Satz gesagt, den ich wirklich unterschreibe. Er hat gesagt: Nichts ist brutaler als die Fakten. Das Problem ist nur: Man muß immer aufpassen, was man einen Tag vorher selbst gesagt hat. Der Kollege Biedenkopf hat gegenüber der „Westdeutschen Allgemeinen Zeitung" gesagt — ich darf das zitieren —:
Der Vorrang der Kohle ist gesichert. Was wir noch sicherstellen müssen, ist, daß die jüngeren Bergleute auch wirklich bei der Kohle bleiben und nicht in andere Betriebe abwandern. In diesem Zusammenhang ist natürlich der Wohnungsbau wichtig, d. h., wir müssen gezielt Wohnungen — Mietwohnungen, Eigentumswohnungen und natürlich auch Eigenheime — für die Kumpel zur Verfügung stellen.

(Dr. Langner [CDU/CSU]: Projektförderung!)

Ich frage mich, wie Herr Biedenkopf das organisieren will, etwa über den sozialen Wohnungsbau, den er ja zur Disposition stellt? Oder gibt es innerhalb der Union irgendwelche Überlegungen, eine Bauträgergesellschaft mit einem anderen Namen als „Neue Heimat" zu gründen? Ich kann mir jedenfalls nicht vorstellen, daß das alles zueinander paßt.



Gärtner
Ich habe heute morgen mit Erstaunen zur Kenntnis genommen, daß im Grunde jeder in der Unionsfraktion Herrn Biedenkopf zugeklatscht hat.

(Dr. Waigel [CDU/CSU]: Weil es gut war!)

— Ich gebe ja zu, daß Herr Biedenkopf die Fähigkeit hat, hervorragend zu formulieren, und im Grunde genommen gut reden kann, Herr Waigel. Das stimmt, das können Sie am besten beurteilen.

(Dr. Waigel [CDU/CSU]: So ist es!)

Aber sachlich verstehe ich einiges nicht. Ich verstehe nicht, wie der Kollege Blüm und Frau Wex, die z. B. die Dynamisierung des Kindergeldes fordert, Beifall klatschen können, während der Kollege Biedenkopf ihnen vorrechnet, das sei alles viel zu teuer. Ich verstehe nicht, wie der Kollege Dregger, der im übrigen heute morgen auch anwesend war und das wohl auch mitgehört haben muß und der die Ausgaben für die zivile Verteidigung erhöhen will, auch mitklatscht, wenn Herr Biedenkopf sagt, wir müßten weniger ausgeben. Der Kollege Wörner war zwar nicht da, aber er wird mit Sicherheit nachlesen, was hier gesagt worden ist.

(Pieroth [CDU/CSU]: Schicken Sie es ihm vorbei! — Heiterkeit bei der CDU/CSU)

— Ich bedanke mich, Herr Pieroth. Sie sind offenbar der Meinung, daß er meiner Post eher traut, als wenn Sie es ihm persönlich sagen. Oder wie habe ich das zu verstehen?

(Pieroth [CDU/CSU]: Jetzt sind sie eine Stufe zu hoch! Kommen Sie wieder herunter!)

— War das für Sie zu hoch gewesen? Entschuldigung! Für Herrn Wörner werden wir einen Weg finden, ihm das, was hier gesagt worden ist, zugänglich zu machen. — Herr Wörner, der seine Verteidigungsausgaben — entgegen unseren Einschränkungen, die wir aus gesamtwirtschaftlichen Gründen vornehmen müssen — erhöhen möchte, wird natürlich auch etwas zusammenzucken, wenn hier dann wohl auch die militärischen Ausgaben zur Disposition gestellt werden.
Wenn ich mir vorstelle, wie sich all das zusammenreimen soll, so muß ich sagen, vollends merkwürdig wird das, wenn ich in der „Welt" von gestern oder vorgestern lese, daß Herr Stoltenberg

(Zuruf von der CDU/CSU: Herr Ministerpräsident!)

— ja, gut, so muß es auch sein: Herr Ministerpräsident Stoltenberg —

(Zuruf von der CDU/CSU: So ist es!)

sagt: Wir alle leben über unsere Verhältnisse. — Das klingt natürlich hervorragend, aber daß dies im Brustton der Überzeugung ausgerechnet der Ministerpräsident eines Bundeslandes sagt, das hinsichtlich der Pro-Kopf-Verschuldung unter allen Bundesländern Spitzenreiter ist, hat, so muß ich sagen, immerhin etwas Merkwürdiges an sich,

(Sehr gut! bei der SPD)

jedenfalls für meine Begriffe.

(Westphal [SPD]: Kostgänger des Bundes!)

Er ist im übrigen auch ein Empfänger von sonstigen Maßnahmen, die wir vorsichtigerweise als „Ergänzungszuweisungen" bezeichnen.

(Dr. Spöri [SPD]: Und dabei Spitzenreiter!)

Wenn das, was der Kollege Dollinger heute morgen gesagt hat, stimmt, ist der Herr Ministerpräsident Stoltenberg, was die Frage der Handlungsfähigkeit eines Ministerpräsidenten angeht, einer der am wenigsten handlungsfähigen Ministerpräsidenten der Bundesrepublik Deutschland. Immerhin ist er aber, so habe ich mir sagen lassen, im Nebenberuf wirtschaftspolitischer Sprecher der CDU. Das ist eine Qualifikation, die für die Lage, die wir eben beschrieben haben, offenbar ausreichend ist.
Die Diskussion über die Verschuldungspolitik, die der Herr Kollege Biedenkopf und mit ihm auch einige andere, die das vielleicht nicht so gut formulieren können wie er, seit einiger Zeit hier in der Bundesrepublik Deutschland vom Zaun zu brechen versuchen, vergißt eines völlig. Was haben wir 1974 erlebt? Vieles muß man ja häufiger sagen, denn das, was Sie sagen und was auch der Herr Kollege Dollinger heute morgen gesagt hat, hat im Grunde alle Erwartungen erfüllt: Sie haben hier alle Zeichen der Zeit aus den letzten 15 Jahren aufgerollt, wie sie bisher schon immer aufgerollt worden sind, und deshalb müssen Sie auch immer wieder zuhören, wenn Sie gesagt bekommen, warum unsere Politik so und nicht anders angelegt war. Damit möchte ich die Zwischenrufe schon prophylaktisch abwehren.
Wir haben 1974 einen Ölpreisschock zu überwinden gehabt, den wir nicht zu vertreten hatten. Ich glaube, es gibt keinen Zweifel daran, daß an ihm mindestens die Bundesregierung nicht schuld ist. Das, was damals gemacht worden ist, nämlich wegen des Ausfalls der privaten Nachfrage einen öffentlichen Auftragsschub auf den Weg zu bringen, hat doch im übrigen die Zustimmung auch der unionsregierten Länder gefunden. Ich kann mich noch gut erinnern: Als z. B. 1976 das Zukunftsinvestitionsprogramm von uns aufgelegt worden ist, gab es im Vorfeld eine ganze Menge Geschrei und Ärger, bis dann bei der Quotenzuteilung herausgekommen ist, daß Baden-Württemberg am besten abschneidet. Dann sind die Einsprüche von dort ausgeblieben. Es gibt ja häufiger Erfahrungen mit dem Geld, insbesondere was die Sinnlichkeit von Geld betrifft.
Auf jeden Fall scheint klar zu sein, daß man nur so lange gegen die Verschuldungspolitik polemisiert, wie man nicht in einem ausreichenden oder gar in einem Übermaß daran partizipiert.

(Zustimmung bei Abgeordneten der FDP — Pieroth [CDU/CSU]: Das ist nicht seriös!)

— Herr Pieroth, ich bin gespannt, wie Sie hier nachher Ihre vermögenspolitische Strategie im Blick auf das, was der Herr Biedenkopf heute morgen gesagt hat, seriös verkaufen wollen.

(Zustimmung bei der FDP und bei Abgeordneten der SPD)




Gärtner
Sie brauchen dabei gar nicht so kritisch auf unsere Seite zu schauen; das machen wir schon untereinander aus.

(Pieroth [CDU/CSU]: Ich schaue nur, ob der Kollege Cronenberg klatscht, aber er ist nicht da, und deshalb hat er nicht klatschen können!)

— Wer hier an der falschen und wer an der richtigen Stelle klatscht, machen wir untereinander aus, aber Sie können ihm ja sagen, daß Sie ihn gerügt hätten, wenn er geklatscht hätte.

(Pieroth [CDU/CSU]: Er hätte nicht geklatscht!)

In der Diskussion über die Höhe und die Struktur unserer Verschuldung habe ich mich heute morgen bei Herrn Biedenkopf etwas darüber gewundert, daß er so sehr investitionsgläubig ist. Er sagte, Verschuldung sei in jedem Falle dann sinnvoll, wenn sie für Investitionen verwendet werde. Als abschreckendes Beispiel hat er angeführt: Auf keinen Fall darf man mit Schulden Gehälter zahlen. Gar keine Frage, das würde ich auch sagen. Nur sollten wir uns einmal darüber verständigen, in welcher Form die nächsten Gesetze betreffend die Struktur der Beamtenbesoldung im Plenum dieses Deutschen Bundestages verabschiedet werden. Herr Pieroth, da sollten Sie einmal Ihre Kollegen im Innenausschuß fragen; ich glaube, in diesem Falle ist die Lobby stärker, als Sie denken.

(Dr. Waigel [CDU/CSU]: Das Innenministerium ist doch von der FDP besetzt!)

— Herr Kollege Waigel, das ist völlig klar, und wir sind auch ganz froh darüber, daß das Innenministerium von der FDP besetzt wird.

(Dr. Waigel [CDU/CSU]: Wir auch! Die kann man nämlich angreifen!)

— Prima! Wenn Sie auch noch Zufriedenheit damit für sich reklamieren können, muß ich sagen: Solange wir dieses Ministerium haben, bin ich jedenfalls sicher, daß die innere Sicherheit, der Umweltschutz, die Medienpolitik und alles, was dieses Ministerium zu verantworten hat, in hervorragenden Händen sind. Es gibt neuerdings sogar Aufkleber: „Baum ab? Nein, danke!"

(Heiterkeit)

Wir können, wie ich meine, die Ergebnisse der Politik, die wir seit 1974 über vermehrte öffentliche Kredite auf den Weg gebracht haben, als durchaus erfolgreich bezeichnen. Woran kann man eigentlich feststellen, daß eine Politik erfolgreich ist? Sie ist mindestens dann erfolgreich, wenn im Ausland nicht sehr schlecht darüber geredet wird. Daß Sie im Inland eine ganz andere Strategie vertreten, kann ich Ihnen nachsehen. In der Betrachtung vom Ausland her ist das anders. So konnten Sie beispielsweise vor knapp drei Monaten in „Newsweek" lesen, daß die Leute in Amerika sagen, im Grunde sei in den 70er Jahren in der Bundesrepublik Deutschland der zweite Teil eines Wirtschaftswunders gelaufen. Ich meine, das ist etwas, auf das wir alle gemeinsam stolz sein könnten. Wenn jemand dabei behilflich ist, von der Verschuldung auch in dem Falle herunter-
zukommen, wenn es sich um das sogenannte strukturelle Defizit des Bundeshaushalts handelt, das uns die Sachverständigen auf der Basis der Bundeshaushaltsrechnung für 1979 mit etwa 12 Milliarden DM attestiert haben — Herr Kollege Schröder, das ist die letzte Ausgabe, die ich eben zitiert habe —, dann sind wir gerne bereit, das zu machen. Ich bitte Sie herzlich, daran mitzuwirken.
Wenn wir die 1975 umgestellte Zahlung des Kindergeldes wieder so vornehmen, daß Bund, Länder und Gemeinden daran beteiligt werden, dann wäre dies für den Bundeshaushalt unter dem Gesichtspunkt des Abbaus des strukturellen Defizits hervorragend. Man muß sich einmal klarmachen, was es für ein Witz und, wie ich finde, Unsinn ist, daß wir bei einer Kindergeldzahlung, bei der wir 17 Milliarden DM bewegen, allein für die Verwaltungsaufgaben der Bundesanstalt für Arbeit über den Bundeshaushalt knapp 300 Millionen DM bezahlen, und zwar nur für die Umsetzung des Kindergeldes. Ich meine, es kann nicht Sinn der Veranstaltung sein, daß diese Summe nicht den Betroffenen zugute kommt, sondern Leuten, die nichts anderes machen, als das Geld zu verwalten. Das empfände ich im Sinne eines Abbaus von Bürokratie als eine sinnvolle Sache. Herr Dollinger, wenn wir darin einig sind und ich Sie weiterhin zitieren darf, kämen wir, wie ich meine, ein Stück weiter.
Wenn man die Verschuldung nach dem Muster diskutiert, wie sie der Kollege Biedenkopf heute morgen diskutiert hat, werden wir auch nicht umhin können, in unserem Lande ernsthaft über die Probleme unserer eigenen Wohlstandsgesellschaft zu diskutieren. Der Kollege Biedenkopf hat heute morgen etwas angesprochen, — —

(Dr. Waigel [CDU/CSU]: Das muß schon sehr gut gewesen sein!)

— Es war auch nicht ganz so schlecht, Herr Kollege Waigel. Ich finde, da Sie heute nicht reden können, ist das wohl auch ein gewisses Zeichen, um es vorsichtig zu sagen. Sie konnten heute leider nicht reden. Von daher war Herr Biedenkopf — —

(Dr. Waigel [CDU/CSU]: Das geht Sie doch überhaupt nichts an, wer bei uns redet!)

— Nein, das erklärt aber, warum Sie dauernd Zwischenrufe machen.

(Heiterkeit)

Das erklärt mir, warum Sie dauernd so begeisterte Zwischenrufe machen. Das war doch allein die Begründung.

(Dr. Waigel [CDU/CSU]: Das ist doch mein freies Recht! — Pieroth [CDU/CSU]: Das ist Parlamentarismus!)

— Ich verstehe das ja auch ganz gut. Ich wollte ja auch zum Kollegen Waigel nicht boshaft sein, sondern ihm nur sagen, daß ich es ganz erfrischend fände, wenn wir uns im Plenum des Deutschen Bundestages gelegentlich auf die Art und Weise verständigen. Zumindest ist das, wie der Kollege Waigel gesagt hat, ein Zeichen dafür, daß er mir zugehört hat,



Gärtner
wenn er vielleicht auch nicht alles verstanden hat. Das vermag ich ihm aber nachzusehen.

(Heiterkeit)

Ich will am Ende nur noch einmal darauf hinweisen, was der Kollege Biedenkopf heute morgen zum Thema der Wohlstandsdiskussion in unserem Lande gesagt hat, d. h. zu der Frage, inwieweit wir in unserem Lande in Zukunft noch die Zuwachsraten verteilen können, die wir heute in unserem Lande verteilen. Ich bin ganz sicher, daß wir über das Thema, welche Zuwachsraten in diesem Lande noch verteilt werden können, in den nächsten Jahren ganz anders diskutieren müssen, auch unter sicherheitspolitischen Gesichtspunkten. Wer der Meinung ist, daß Sicherheit für die Bundesrepublik Deutschland z. B. nur darin besteht, daß bestimmte Ausgaben im Bereich der äußeren Sicherheit für Panzer, Raketen, Flugzeuge usw. für die Bundeswehr getätigt werden, der übersieht, daß es auf dieser Welt Probleme gibt, die in den Ländern der Dritten Welt dazu führen, daß sie im Grunde zu Stellvertreterkriegen provoziert werden, in denen sich Staaten um Landstriche streiten, von denen im Grunde niemand etwas hat, egal ob die Betreffenden zu dem einen oder anderen Land gehören. Wir müssen eben dazu beitragen, daß die Zahl der Konflikte auf dieser Welt geringer wird. Das wird für uns notwendigerweise dazu führen, daß unsere alten Ausgabenstrukturen überprüft werden müssen. Das beginnt vielleicht in den nächsten vierzehn Tagen in unserem Land, wenn wir z. B. unseren Verkehrswegeplan diskutieren und verabschieden. Ob wir all die alten Ausbauplanungen, die wir uns vorgenommen haben, verwirklichen können, wage ich zu bezweifeln. Auch dort darf aber nicht gelten: Gespart werden darf überall, nur nicht bei meiner Straße. — Es muß auch an den Stellen gespart werden können, wo es ein bißchen schmerzhaft ist.
Denn alles zusammen — weniger Einnahmen, weniger Verschuldung und höhere Ausgaben — können wir jedenfalls gemeinsam als Regierung und als Koalitionsfraktionen finanziell nicht realisieren. Da auch Sie es nicht können und bisher keine entsprechenden Vorschläge gemacht haben, nehme ich an, daß Sie, so leid es Ihnen wahrscheinlich tun wird, nach den beiden anstehenden Wahlen die Übung der letzten vier bzw. fünf Jahre nochmals fortsetzen müssen.

(Widerspruch bei der CDU/CSU — Dr. Hennig [CDU/CSU]: So kann man sich irren! — Pieroth [CDU/CSU]: Überlassen wir das ruhig dem Wähler!)

Ich wünsche Ihnen viel Glück.

(Beifall bei der FDP und der SPD)


Richard Wurbs (FDP):
Rede ID: ID0821125500
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Pieroth.

Elmar Pieroth (CDU):
Rede ID: ID0821125600
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Bundesfinanzminister ist nicht mehr anwesend. Gestatten Sie trotzdem, daß ich zunächst auf zwei Punkte eingehe und zwei Argumente aus seiner nicht gerade geglückten Mittagsrede zurechtrücke.
Der Minister hat gemeint, er könne einen Zusammenhang zwischen Schulden- und Zinshöhe wegdiskutieren. Fast hat er den Eindruck erweckt, die hohen Zinsen seien ganz erwünscht. Zugegeben, der Staat ist sehr zinsrobust. Die großen Firmen sind es, wenn sie genug Subventionen bekommen, erst recht. Die kleinen und mittleren Unternehmen haben es schon schwerer. Der private Eigenheimbesitzer weiß nicht mehr, wie es weitergeht.
Dazu haben viele Konjunkturprogramme eines bestimmt bewirkt: daß bei einem leergefegten Arbeitsmarkt die Baupreise in die Höhe getrieben wurden, so daß der Sachverständigenrat völlig zu Recht feststellt, die Bauaufträge hätten besser gestreckt werden müssen.
Gehen aber die Baupreise und zugleich die Zinsen in die Höhe, dann hat der Hypothekenbankverein wohl recht, der gestern feststellte, daß die Belastung für eine Doppelhaushälfte, also für ein nur sehr kleines Eigenheim, von 1978 bis 1980 von 1 200 DM im Monat auf 3 375 DM gestiegen ist. Die Hypothekenbanken vermerken: Eigenheimbau ist jetzt die exklusive Veranstaltung einer wohlhabenden Minderheit. Wenn der Herr Bundesfinanzminister das wegbagatellisiert, hat er offensichtlich kein Herz mehr für kleine Leute.
Die Doppelzüngigkeit, die er uns durch die Unterstellung vorwirft, wir wollten die Sparförderung zu-
gleich senken und anheben, zeigt eigentlich das
gleiche. Der Bundesfinanzminister verwechselt — wie ich meine: bewußt — die Geldsparförderung mit der notwendigen Kapitalbildung auch in Arbeitnehmerhand.
Die Eigenkapitalausstattung unserer Unternehmen muß verbessert werden. Das äußert der Sachverständigenrat in seinem Jahresgutachten, das wir heute diskutieren. Das hat in der vorigen Woche der Wissenschaftliche Beirat des Wirtschaftsministeriums zum Ausdruck gebracht. Das hat sehr diskret und versteckt, weil er ja nichts vorweisen konnte, der Wirtschaftsminister heute morgen zum Ausdruck gebracht. Die Formulierung war: Diese Ziele ließen sich leichter beschreiben als durchführen.
Vermögensbildung in Arbeitnehmerhand zur Verbesserung der Eigenkapitalausstattung unserer Unternehmen: das ist die große Chance, wirtschaftspolitisch Notwendiges mit sozialpolitisch Erwünschtem zu kombinieren. Der Finanzminister hat verschiedentlich erklärt, er habe so etwas, was wir wollen, nie gewollt, nämlich daß von vielen Millionen Arbeitnehmern schon in wenigen Jahren jeder einzelne über etliche tausend DM Eigenkapital in der deutschen Wirtschaft verfügt. Auch dazu wollte sich der Finanzminister heute nicht äußern.
Zu den übrigen Punkten seines nicht gelungenen Versuchs, die Schuldenpolitik zu rechtfertigen, wird sich Kollege Sprung anschließend noch äußern. Ich halte fest, daß 1969 alle vier Ziele, die das Stabilitäts-
und Wachstumsgesetz postuliert — Stabilität des Preisniveaus, hoher Beschäftigungsstand, angemessenes Wachstum, außenwirtschaftliches Gleichgewicht —, erreicht waren.



Pieroth
Dann kamen Sie. Zuerst ging Anfang der 70er Jahre die Stabilität verloren. Dann begann das Wachstum abzubröckeln. Es folgte der Verlust der Vollbeschäftigung. Im letzten Jahr geriet auch die letzte Säule ins Wanken. Für das laufende Jahr nehmen Sie 20 Milliarden DM Leistungsdefizit an. Im letzten Jahr waren es 9 Milliarden DM. Das Institut der Wirtschaft stellt heute fest, daß wir noch 1985 mit über 30 Milliarden DM Defizit rechnen müßten; allein das Dienstleistungsbilanzdefizit wird sich dann auf etwa 30 Milliarden DM belaufen. Das ist die gefährliche Entwicklung, von der Sie, Herr Minister, heute morgen sagten, daß sie auf Dauer nicht zu vertreten sei, daß wir auf Dauer vielmehr ein Zahlungsbilanzgleichgewicht brauchten, weil sonst im Ausland die Zweifel in die Leistungsfähigkeit der deutschen Wirtschaftspolitik wachsen würden. Der harte Kern Ihrer Wirtschaftspolitik nach zehn Jahren besteht also schlicht darin: SPD und FDP haben es geschafft; das magische Viereck ist an allen vier Ecken eingebrochen.
Aber nicht nur das erregt unsere Besorgnis. Atemberaubend ist, daß all diese Belastungen zu einem Zeitpunkt kumulieren, zu dem wir einen neuen Schuldenhöchststand — 225 Milliarden DM — haben, zu dem wir angesichts der internationalen Lage vor unausweichlichen neuen Verpflichtungen stehen. Hier zeigt sich in aller Deutlichkeit: Diese Regierung hat ihre Kräfte falsch eingeschätzt. Sie hat jetzt keine Reserven mehr. Deshalb muß der Finanzminister Alarmbriefe zur Finanzlage verschicken, Kapitulationsurkunden zur Vermögenspolitik, wo es doch jetzt auf Handlungsfähigkeit ankäme. Der Regierung geht es wie einem Radfahrer, der im Tal, um den Zuschauern zu imponieren, ständig gespurtet ist und dem jetzt, wo er am Fuße des Berges ankommt, die Puste ausgegangen ist.
Deshalb verschweigt der Jahreswirtschaftsbericht auch mehr, als daß er Klarheit schafft. An den ganz zentralen Stellen hat der Jahreswirtschaftsbericht nur die Qualität eines Rätselbuchs. Letztes Jahr konnte ich noch von einem Telefonbuch sprechen: wenig Inhalt und viele Seiten. Sie waren so freundlich, mir den Jahreswirtschaftsbericht mit dem Vermerk „das beiliegende Telefonbuch' zu übersenden. In diesem Jahr ist es ein Rätselbuch geworden; denn es ist doch ein Rätsel, Herr Minister, wie die Inflation auf 4,5 % begrenzt werden soll. Eine Voraussetzung hierfür wären stabilitätsfreundliche Tarifabschlüsse gewesen, was ja 1979 die große Leistung der Gewerkschaften war.
Doch dann kam der Graf. Bei seiner Rückkehr aus dem Morgenland hat er noch davon gesprochen, daß wir am Rande des Abgrunds stünden. Ein paar Tage später setzten Sie die heilige Zahl in die Welt. Wie konnten Sie mit diesen 7 % Ihrer eigenen Jahresprojektion nur so in den Rücken fallen? Das durften Sie doch nicht tun.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Rätselhaft bleibt uns weiter, wie die große unternehmerische Leistung der letzten Monate, die gute Investitionsentwicklung politisch untermauert werden soll. Die zentrale Aussage des Sachverständigenrates lautet — ich darf zitieren —:
Der Handlungsbedarf für die Wirtschaftspolitik liegt nicht bei der Konjunkturpolitik ... Drängend ist nach wie vor, die Bedingungen für eine anhaltende Investitionskonjunktur zu verbessern ..
Hierfür, zur Verbesserung der Eigenkapitalfinanzierung tun Sie nichts.
In der Energiepolitik schaffen Sie alles andere als Sicherheit. Rätselhaft bleibt aber vor allem, wie die großen Herausforderungen der 80er Jahre gemeistert werden sollen. Wir alle spüren doch, daß jetzt Führung verlangt wird, daß es auf ermunternde, auf zündende Antworten auf die großen Fragen unserer Zeit ankommt. Läßt sich unsere freiheitlich-soziale Lebensordnung in einer Welt voller Zaghaftigkeit, Leichtsinn und Unverständnis über wirtschaftliche Zusammenhänge überhaupt bewahren? Lassen sich die zuversichtlichen Kräfte motivieren, die erforderlich sind, um ein Höchstmaß an wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit zu erbringen? Wie begegnen wir der Sorge der jungen Generation vor einer befürchteten zerstörerischen Dynamik unserer Wirtschaft? Es reicht heute nicht mehr, sich technokratisch kurzatmig zu Stabilität, Vollbeschäftigung und Wachstum zu bekennen. Der Blick muß über den Tellerrand des Wahljahres 1980 hinaus auf die Herausforderung der 80er Jahre gerichtet werden. Deshalb müssen wir den Menschen sagen, daß die Risiken auch Chancen bringen. Wir müssen, um nicht den Eindruck von einer zerstörerischen Dynamik erst aufkommen zu lassen, deutlicher machen, daß Wachstum und Umweltschutz keine Gegensätze sind. Wir müssen verständlicher machen, daß wir die Energiekrise nur mit freier Preisbildung lösen, weil nur so die vorhandene Energie besser genutzt und neues Angebot angeregt wird.
Wir müssen überzeugender darlegen, daß die Lage der Entwicklungsländer nicht nur Anlaß zu politischer Sorge und moralischer Verpflichtung ist, sondern daß diese Länder zugleich ökonomische Aufgabe und Bewährungschancen für unsere Besten, für unsere Eliten, werden. Nur so können wir auf Dauer die Weltlage stabilisieren.
Es muß eindringlicher als bisher klargestellt werden, daß es hier besonders auf unsere Wirtschaftsordnung ankommt. Ihre Regierung hat es nicht verstanden, die Soziale Marktwirtschaft bei der jungen Generation verständlich zu machen. Aus Ihren Reihen ist nicht zu hören, daß die Soziale Marktwirtschaft mehr ist als ein System zur Mehrung von Einkommen und Wohlstand. Sie ist vor allem auch eine Ordnung im Interesse des Gesamtwohls, die Selbständigkeit voraussetzt und schafft, die sozialen Fortschritt bedingt und ermöglicht, die Strukturwandel erkennbar macht und meistert.
Vor 30 Jahren erschienen die Probleme noch größer als heute. Aber mit der richtig angewandten Sozialen Marktwirtschaft ist es gelungen, 9 Millionen Flüchtlinge rasch einzugliedern und ein eher landwirtschaftliches Land zu einem Industrieland zu machen. Wir müssen nur auf den Erfindungsreichtum, die Leistungskraft, die Kreativität einer Vielzahl von Menschen setzen. Probleme sind dann nichts Störendes, sondern ein Antrieb. So hat Ludwig Er-



Pieroth
hard 1949 gedacht und gehandelt. Diesen Geist brauchen wir auch wieder für die 80er Jahre.
Wir haben deshalb im neuen Wirtschaftsprogramm der CDU diese Perspektiven aufgezeigt. Es ist in der Öffentlichkeit auch so verstanden worden. Dafür sind wir dankbar; genauso wie für die völlige Übereinstimmung beim wirtschaftspolitischen Grundkurs mit dem Sachverständigenrat. Wir sind wie der Sachverständigenrat der Ansicht, daß es einer neuen Wachstumspolitik bedarf. Es muß Schluß sein mit der Eigendynamik der Schuldenmacherei, mit dem Zwang zu bestimmten Wachstumsraten, um die eigene Regierung auf Kosten der Zukunft über Wasser zu halten.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Wir brauchen dazu eine Politik zur Förderung der Wachstumsgrundlagen. Es geht um solche Rahmenbedingungen, die Anreize zur Problembewältigung geben, die Vertrauen schaffen. Wachstum, meine Damen und Herren, ist dann nicht mehr das Ergebnis politischer Vorgaben und Eingriffe, sondern das Resultat freigesetzter unternehmerischer Dynamik, und die brauchen wir.
Wir werden deshalb das doppelt asymmetrische Arbeitsmarktproblem wieder in Ordnung bringen. Es ist unerträglich, daß einerseits viele Betriebe händeringend nach Arbeitskräften suchen und andererseits der harte Kern Hunderttausender von Arbeitslosen einfach keine Zukunftschance sieht.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Wir werden die grundlegenden Entscheidungen für die Sicherheit der Energieversorgung treffen. Wir werden das breite Potential unserer innovativen mittelständischen Betriebe, unserer Erfinder, unserer Tüftler fördern. Überall gilt unsere Kurskorrektur: Die Weichen müssen von Subvention auf Innovation umgestellt werden. An die Stelle direkter Förderung, an die Stelle dieser Eingriffe muß stärker die breit wirkende indirekte steuerliche Erleichterung treten. Die Subventionspraxis dieses Forschungsministeriums hat sich immer mehr zum Skandal entwickelt. Erst macht der Minister die Betriebe mit seinem Subventionsgift süchtig; er wird gewissermaßen zum Dealer. Staatsbetriebe werden total abhängig; um in der Sprache zu bleiben: Staatsbetriebe werden nie mehr clean. Jetzt hat der Minister auch noch die Impertinenz, in einem Brief von seinen Opfern Vorschläge für ihre Bestrafung zu verlangen, anstatt die eigene Schuld zu bekennen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Ich freue mich, daß die deutsche Industrie diesem plumpen Versuch die gebührende Abfuhr erteilt hat. Unsere Unternehmer wissen, daß sie nichts geschenkt bekommen, von dieser Regierung schon gar nicht, und daß solche Subventionen nichts anderes sind als die Vorstufe der Investitionslenkung, die wir ablehnen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Unternehmer sollen um die Gunst der Verbraucher konkurrieren und nicht um die Gunst der Subventionsgeber. Das ist ihrer nicht würdig.

(Zustimmung bei der CDU/CSU)

Wir werden die Führungsrolle der Investitionen bekräftigen, wie dies der Rat fordert. Wachstum der Kapazitäten braucht mehr Unternehmer und mehr Kapital. Mehr Unternehmer heißt: mehr Selbständige. Kollege Junghans, Sie haben Herrn Dollinger falsche Zahlen genannt. Ist Herr Junghans noch da? — Er hat falsche Zahlen genannt. Das sollte er nicht tun. Die Zahl der Selbständigen ist laut Sachverständigengutachten auch im letzten Jahr um 58 000 zurückgegangen, im Vorjahr um 72 000, von 1977 auf 1979 um mehr als 150 000. Deshalb brauchen wir jetzt eine steuerliche Unterstützung von Existenzgründungen.
Wir haben hierfür einen Antrag vorgelegt. Ihr sogenanntes Eigenkapitalhilfeprogramm, Herr Minister, ist wegen seiner bürokratischen Struktur kläglich gescheitert. Es wird gar nicht angenommen. Stimmen Sie deshalb unserem Existenzsparen zu, und schon in wenigen Monaten können Zehntausende deutscher Arbeitnehmer mit dem Existenzsparen beginnen und damit in wenigen Jahren den Versuch, in eigene wirtschaftliche Existenz zu starten, wagen. Schließlich geht es um bessere Eigenkapitalbildung.
In der öffentlichen Diskussion wird fast ausschließlich über den Produktionsfaktor Arbeit und Energie gesprochen, der Produktionsfaktor Kapital wird seit Jahren vernachlässigt. Wir brauchen aber eine Renaissance der Kapitalbildung, wenn wir die Zukunft finanzieren wollen. Deshalb muß die Bildung von Eigenkapital durch Einführung einer Investitionsrücklage und Verbesserung der Sofortabschreibung erleichtert werden. Sie sollten die vernünftigen Vorschläge unserer Mittelstandsvereinigung prüfen und nicht darüber reden, Kollege Roth, ohne sie gelesen zu haben.
Wir brauchen mehr Kapitaleigner, d. h. Vermögensbildung auch in Arbeitnehmerhand. Was zu geschehen hätte, ist an sich sonnenklar, technisch leicht zu realisieren und sachlich seit längerem bekannt. Die Gesetzentwürfe der CDU/CSU sind beschlußreif. Der Bürger fragt sich zu Recht, warum SPD und FDP hier nichts tun.
Die Antwort ist leider sehr, sehr einfach: Die SPD in ihrer Gesamtheit hegt immer noch ein tiefes Mißtrauen gegenüber der Marktwirtschaft und ist deshalb nicht imstande, die Bedeutung privater Kapitalbildung für Investitionen, Wohlstand und sozialen Fortschritt zu realisieren. Sie, meine Damen und Herren von der FDP — das ist hart für Sie, aber Sie wissen doch selbst, daß es stimmt —, sind in dieser Frage zu Magd und Büttel der SPD herabgesunken. Sie haben leider nichts getan.

(Zurufe von der CDU/CSU: Leider wahr! — Das spüren die auch selbst!)

Ein letzter außenwirtschaftlicher Punkt: Der Sachverständigenrat macht konkrete Vorschläge zur Entwicklungspolitik. Die Bundesregierung hat



Pieroth
hierzu im Jahreswirtschaftsbericht nur ein paar Allgemeinplätze übrig.
Ich kann hier nur noch auf den wichtigsten Vorschlag eines allgemeinen Liberalisierungsplanes für den Handel mit Entwicklungsländern, eines offenen Weltmarktes, eingehen. Ich halte es für ganz wichtig, daß wir trotz aller aktuellen Boykott- und Sanktionsmaßnahmen an diesem Ziel festhalten. Die globale Handelsliberalisierung ist aber nur ein notwendiger Schritt für wirtschaftliches Wachstum in den Entwicklungsländern. Ein anderer, insbesondere für die ärmeren liegt darin, daß diese Länder erst marktfähig werden müssen, um als Partner am Welthandel teilnehmen zu können. Dafür brauchen sie kleine, mittlere Unternehmen. Selbständigkeit und eine tragfähige Mittelschicht sind besonders in den Entwicklungsländern Voraussetzung für ökonomische Erfolge und — noch wichtiger — für eine demokratische Entwicklung. Hierfür ist vielmehr als bisher das Engagement, die Erfahrung, die Kooperation unserer kleinen und mittleren Unternehmen in den Industrieländern zu nutzen. Nur 6 % der Privatinvestitionen in den Entwicklungsländern kommen nicht von den großen Industrieunternehmen. Hier haben wir die Möglichkeit, das dem Steuerzahler abgeknöpfte Geld sinnvoller zu verwenden als für gigantische Prestigeobjekte oder den Aufbau von Zentralverwaltungswirtschaften in der Dritten Welt. So eröffnet auch die Entwicklungspolitik eine große Chance für die 80er Jahre. Aber auch hier gilt es, den wirtschaftlichen Sachverstand zu nutzen.

(Beifall bei der CDU/CSU)


Richard Wurbs (FDP):
Rede ID: ID0821125700
Das Wort hat der Herr Abgeornete Jens.

Prof. Dr. Uwe Jens (SPD):
Rede ID: ID0821125800
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Erlauben Sie mir, daß ich noch einmal zum eigentlichen Thema des heutigen Tages zurückkehre, nämlich zur Analyse des Jahreswirtschaftsberichts

(Kittelmann [CDU/CSU]: Das hat Herr Roth auch gemacht!)

und zum Gutachten des Sachverständigenrats. Diese beiden Dokumente befassen sich mit der wirtschaftlichen Lage und der wirtschaftlichen Entwicklung. Herr Pieroth, von Ihnen haben bisher recht viele über Verschuldung gesprochen, über Vermögensbildung, über Mittelstandspolitik. Das ist alles sehr schön, aber das eigentliche Thema ist die wirtschaftliche Lage in diesem Lande und die wirtschaftliche Entwicklung für die voraussehbare Zeit. Das ist das Thema des heutigen Tages und darüber möchte ich einige Bemerkungen machen.

(Zurufe von der CDU/CSU: Gehört für Sie Eigentum und Mittelstand nicht zur Wirtschaft? — Herr Kollege Jens, Schulden haben damit nichts zu tun?)

Vielleicht darf ich einleitend noch einmal sagen: Ihre Ideen zur Vermögensbildung — wir haben das ja im Wirtschaftsausschuß ausführlich diskutiert — sind doch nun wirklich nicht ausgereift. Sie wollen einigen wenigen Arbeitnehmern in den Aktiengesellschaften, in jenen Unternehmen, die das eben können, zusätzlich etwas im Bereich der betrieblichen Vermögensbildung geben. Sie übersehen, daß Sie überhaupt keine Vorschläge auf den Tisch legen für eine tarifvertragliche Lösung, so daß alle Arbeitnehmer hiervon profitieren könnten. Sie haben auch keinen Vorschlag zu dem wirklich schwierigen Bewertungsproblem gemacht. Wie wollen Sie denn die GmbH- oder KG-Anteile bewerten? Darauf können Sie keine Antwort geben. Deshalb ist Ihr Vorschlag eben nicht ausgereift und deshalb konnten auch die Kollegen von der FDP dem nicht zustimmen.

(Pieroth [CDU/CSU]: Herr Cronenberg hat das ganz anders gesagt!)

Das Thema, das heute ansteht, wurde vom Sachverständigenrat mit dem Obertitel „Herausforderung von außen" überschrieben. In der Tat ist es so, daß wir einer gewaltigen Herausforderung von guBen gegenüberstehen, von der wir sicherlich alle nicht wissen, wie wir ihr begegnen sollen. Aber ich darf einleitend bemerken, daß die wirtschaftliche Entwicklung im Jahre 1979 wirklich die beste war, die nach 1974 in diesem Lande zu verzeichnen gewesen ist. Ich zitiere den Sachverständigenrat, der in Ziffer 26 feststellt:
Alles in allem bleibt aber der Nachfrageanstieg für das Jahr 1980 kräftig genug, eine befriedigende Auslastung des Produktionspotentials zu sichern.
Wir sind ein wenig stolz darauf, daß wir es hinbekommen haben, daß es mit unserer wirtschaftlichen Entwicklung nach den vorhersehbaren Daten wieder bergauf gehen kann.
Herr Dollinger, deshalb haben Sie von der Opposition quasi vermieden über die wirtschaftliche Lage und über die wirtschaftliche Entwicklung zu sprechen, weil Sie ganz genau wissen: in diesem Lande sieht es in Sachen Wirtschaft recht gut aus.

(Beifall bei der SPD und der FDP)

So hatten wir zum Beispiel im Jahre 1979 ein Wirtschaftswachstum von 4,5 %.

Richard Wurbs (FDP):
Rede ID: ID0821125900
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dollinger? — Bitte.

Dr. Werner Dollinger (CSU):
Rede ID: ID0821126000
Haben Sie zur Kenntnis genommen, daß wir durchaus die positiven Seiten anerkannt haben, es aber doch eine Pflicht im Blick auf die Zukunft ist, die Gefahren zu sehen? Das gehört zusammen.

Prof. Dr. Uwe Jens (SPD):
Rede ID: ID0821126100
Ja. Nur: Die Gefahren machten ungefähr 90 % Ihrer Rede aus, und 10% Ihrer Rede haben sich damit befaßt, daß es vielleicht auch einmal einige positive Lichtblicke gegeben hat.

(Zurufe von der CDU/CSU)

Ich trage Ihnen das gar nicht nach. Es ist ja die Auf-
gabe der Opposition, schwarz und schwarz zu malen,



Dr. Jens
zu kritisieren und zu meckern; nur erhoffe ich von den Bürgern, daß sie darauf nicht mehr hören.

(Dr. Dollinger [CDU/CSU]: Das ist zu einfach! So war die Darstellung nicht! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU)

So ist zum Beispiel die Beschäftigung im letzten Jahr tatsächlich um 1,5 % angestiegen, und die , Arbeitslosenzahl ist um exakt 117 000 kleiner gewesen als im Jahre 1978. Auch wenn wir uns im inter. nationalen Vergleich einmal in diesem Lande umsehen, müssen wir feststellen: Wir können mit unserer Bundesrepublik durchaus zufrieden sein. Gerade sind mir die jüngsten Daten vom Wirtschaftsministerium auf den Tisch gekommen. Daraus geht hervor: Wir hatten im Jahre 1979 eine Arbeitslosenquote von 3,8%. Das ist nicht ideal, aber die Arbeitslosenquote betrug z. B. in Belgien 8,8%. In Großbritannien betrug die Arbeitslosenquote 5,8%, in Italien 7,6%, in Kanada 7,5 %, in den USA 5,8%; in Osterreich war sie mit 2,0 To allerdings niedriger.
Wenn wir uns im internationalen Vergleich die Steigerungsrate der Verbraucherpreise ansehen, ergibt sich folgendes Bild. In der Bundesrepublik Deutschland waren es 4,1 %. Das ist nicht ideal, es könnte noch besser sein; aber im internationalen Vergleich ist es ganz hervorragend. In Frankreich waren es 10,5 %, in Großbritannien 13,4%, in den Niederlanden 4,5 %, in den USA wiederum 11,3 %, und in Österreich sah es mit 3,7 % ein bißchen besser aus. Ich hatte soeben gesagt, daß die Preisentwicklung aus unserer Sicht nicht optimal ist; aber wir müssen feststellen, daß der push in der Preisentwicklung insbesondere auf Grund der Ölpreiserhöhungen in dieses Land eingetreten ist. Möglicherweise hat der eine oder andere Konzern und das eine oder andere Unternehmen diese Kostensteigerung auch zum Vorwand genommen, um die Preise noch ein bißchen stärker nach oben zu drücken, als es auf Grund der Kostenentwicklung eigentlich gerechtfertigt war.
Das Hamburgische Weltwirtschaftsarchiv weist in der neuesten Statistik aus, daß z. B. die Preise für die importierten Industrierohstoffe um 50,8 To und die Preise für die Treib- und Brennstoffe um 70,5% gestiegen sind und daß die Einfuhrpreise im Dezember um 21 % höher als im Vorjahresmonat lagen. Darin drückt sich ganz zweifellos die inflationäre Tendenz im Ausland aus, die auch wir hier verspüren.
Der Preisindex für die Lebenshaltung für den März ist mit einer Steigerung von 5,8% gegenüber dem Vorjahr zu hoch; aber Dr. Emminger hat gerade heute angekündigt, daß er davon ausgeht, daß wir im Herbst wahrscheinlich wieder eine „4" vor dem Komma haben werden, was wir außerordentlich begrüßen würden.
Ein Problem ist zweifellos der hohe Zinssatz; denn Zinsen sind zweifellos Kosten für Unternehmen und für die Kreditnehmer; aber die Zinsen — das hat Bundesfinanzminister Matthöfer deutlich gesagt — sind nicht deshalb so hoch, weil das Geld so knapp ist, sondern sie sind auf Grund des Zinsgefälles gegenüber den Vereinigten Staaten heraufgesetzt worden. Wer heute ein Haus bauen will, dem kann man nur raten: Warten, bis das Geld wieder billiger wird. Aber der hohe Zins ist gewollt. Wir, wollen mit dem hohen Zinssatz erreichen, daß jetzt beim Häuserbauen Zurückhaltung geübt wird, damit die Bauwirtschaft ein bißchen von dem Nachfragedruck befreit wird. Ich füge gern hinzu: Die Hochzinspolitik muß einmal ein Ende haben. Auf lange Sicht hat sie sicherlich keinen Sinn, und wir hoffen sehr, daß wir von den hohen Zinsen möglichst bald wieder herunterkommen.
Noch einige Bemerkungen zur Arbeitslosigkeit, die in diesem Land im März 4,8% betrug. Auch hier wurden Lichtblicke ganz deutlich; denn im letzten Jahr ist z. B. die Dauerarbeitslosigkeit — das ist die Arbeitslosigkeit derjenigen, die über ein Jahr arbeitslos sind — von 175 500 auf 146 300 gesunken. Das ist eine positive Entwicklung. Mehr Arbeitnehmer, die über eine längere Frist arbeitslos waren, haben wieder einen Arbeitsplatz gefunden. Die Zahl der jungen Arbeitslosen — das sind die Arbeitslosen unter 20 Jahren — ist von September 1978 bis zum Januar 1980 von 92 000 auf 68 600 gesunken. Das ist ebenfalls sehr erfreulich, wie wir meinen. Allerdings gibt es auf dem Arbeitsmarkt noch Problemgruppen, denen wir unsere Aufmerksamkeit zuwenden müssen.
Ich habe gerade vor kurzem zwei Arbeitslose getroffen. Der eine ist 55 Jahre alt. Er war bereits fünf Jahre arbeitslos. Je länger die Arbeitslosigkeit dauerte, desto schwieriger wurde es für ihn, wieder einen Arbeitsplatz zu finden.
Der andere Arbeitslose ist 26 Jahre alt. Er ist Spastiker. Er hat eine kaufmännische Lehre hervorragend abgeschlossen. Seit drei Jahren bemüht er sich um einen Arbeitsplatz. Er hat mittlerweile 250 Bewerbungen abgegeben. Aber keine hat ihm den gewünschten Arbeitsplatz gebracht.
In diesen Fällen müssen wir verstärkt etwas unternehmen. Sonst dürfen wir uns nicht wundern, wenn diese Arbeitslosen möglicherweise eines Tages an unserer Ordnung verzweifeln. Eine noch so gute Arbeitslosenhilfe, wie wir sie ausgebaut haben, ersetzt eben nicht die sinnvolle Arbeit.
Doch was ist zu tun, um das Problem zu lösen? Eine jüngste Untersuchung des Ifo-Instituts, auf das gerade die Opposition immer so sehr hört, hat ergeben, daß Arbeitszeitverkürzung eine durchaus vernünftige Maßnahme sein könnte, um die Arbeitslosigkeit zu reduzieren.
Eine Vollbeschäftigungsgarantie oder eine Preisstabilitätsgarantie kann es in einer marktwirtschaftlichen Ordnung nicht geben. Aber das Streben nach Vollbeschäftigung bleibt eine vorrangige Aufgabe aller wirtschaftspolitischen Instanzen.
Woran es fehlt, hat meines Erachtens Graf Lambsdorff in Hannover angedeutet. Es fehlt in der Tat im Sinne Schumpeters an technischen Neuerungen, an bahnbrechenden Neuerungen, am technischen Fortschritt in dem Sinne, daß die Unternehmen verstärkt neue Produktionsverfahren einführen oder neue Märkte erschließen, neue Produkte auf den



Dr. Jens
Markt bringen, die wieder eine Absatzchance haben.
Über die abstrusen Ideen von Herrn Biedenkopf brauche ich nur eine Nebenbemerkung zu machen. Es ist jedenfalls meine Meinung, daß der Staat nicht zwingend in die Bresche springen sollte. Das allerbeste wäre es zweifellos, wenn die privaten Unternehmer dafür sorgten, daß die anfallenden Spargelder laufend wieder investiert würden. Aber so ist es doch nicht. Wir erleben immer wieder — 1974 hatten wir das allerletzte Beispiel —, daß die Gelder nicht aufgenommen werden und daß es dann zu Krisenerscheinungen kommt. Dann ist der Staat, um die Arbeitslosigkeit nicht noch größer werden zu lassen, einfach gezwungen, diese Gelder aufzunehmen und sie wieder in den Wirtschaftskreislauf hineinzupumpen.
Herr Biedenkopf sollte also seine überholten, neoliberalen Uraltideen wirklich auf den Müllhaufen der Geschichte schmeißen, wo sie hingehören.

(Sehr gut! Bei der SPD — Zuruf von der CDU/CSU)

Ich möchte noch zwei Bemerkungen zu zwei Wirtschaftszweigen machen. Dem einen Wirtschaftszweig geht es zur Zeit recht gut. Das ist die Stahlindustrie. Bis vor kurzem befand sie sich noch in der Krise. Da hat sie laut gejammert. Aber 1979 hat sie überdurchschnittlich hohe Produktionssteigerung und Gewinnsteigerung zu verzeichnen gehabt. Glauben Sie bitte nicht, daß das etwa die Auswirkungen der Kartellierungsbestrebungen des Herrn Davignon waren. Nein, das ist einfach deshalb eingetreten, weil die Nachfrage in diesem Wirtschaftszweig nach oben tendiert hat, und — das füge ich hinzu — auch dank einer vernünftigen Politik hier in Bonn, z. B. auch wegen des Werfthilfeprogramms, das mit dazu beigetragen hat, daß es in der Stahlindustrie wieder bergauf geht.
Hier muß allerdings auch noch einmal gesagt werden, welches die Erfahrung und die Lehre aus dieser Entwicklung in der Stahlindustrie ist. Wir müssen uns auf Grund der internationalen Entwicklung einfach umstellen. Es hat keinen Zweck mehr, in diesem Lande auf Dauer Massenprodukte zu produzieren. Für die Stahlindustrie heißt das: Wir müssen weg vom Massenstahl und hin zur Produktion hochwertiger Spezialstähle, weil wir nur mit diesen Gütern auf dem Weltmarkt langfristig eine Chance haben.
Was gestern der Stahlindustrie geschehen ist, kann morgen schon der Automobilindustrie passieren. Aber die Automobilindustrie treibt die Preise nach oben und erhöht kräftig die Dividende. Das ist aus ihrer egoistischen Sicht möglicherweise richtig. Aber jeder sieht doch, daß die japanischen Autos von deutschen Nachfragern einfach deshalb gekauft werden, weil sie 2 000 bis 4 000 DM billiger sind. Die Automobilhersteller sollten sich nicht wundern, wenn sie demnächst wieder in eine Krise hineinschliddern. Möglicherweise wäre es sinnvoller und
richtiger gewesen, die anfallenden Gewinne zur Rationalisierung zu nutzen.

(Dr. Schwarz-Schilling [CDU/CSU]: Das hat sie nicht gemacht?)

Die Automobilindustrie in Japan ist uns nämlich gerade auf diesem Gebiet — das wissen Sie doch, Herr Schwarz-Schilling — der Automatisierung um etliche Längen voraus. Das muß man der Automobilindustrie einmal sagen. Sie sollte, wenn sie dann in der Krise ist, nicht wieder schnell nach staatlicher Hilfe rufen. Davon halte ich überhaupt nichts.
Ich fasse zusammen: Gesamtwirtschaftlich ist die wirtschaftliche Lage zur Zeit, wenn sich keine außergewöhnlichen politischen Ereignisse einstellen, gut. Wir haben überhaupt keinen Grund, etwa schwarz in die Zukunft zu sehen. Wir können sogar davon ausgehen, daß sich die Preisentwicklung noch reduzieren und daß auch die Arbeitslosenzahl in diesem Jahr unter Umständen noch leicht abgebaut werden wird.
Auch dem Handwerk — das hat bisher noch keiner gesagt; fragen Sie die Handwerker einmal — geht es zur Zeit wirtschaftlich gut.
Allerdings müssen wir über den Tag hinaus auch einen Blick wagen. Dann ist es zwingend notwendig, daß die exportabhängige Industrie zur Umstellung mehr Bereitschaft zeigt. Denn von ihr hängt ganz zweifellos der Wohlstand in diesem Lande ab, der Wohlstand aller Bürger in der Bundesrepublik Deutschland.
Aber ich darf hier vielleicht noch eben anfügen: Seit 1970 bis einschließlich 1980 ist das Realeinkommen, also das Einkommen abzüglich Preissteigerungen, der Menschen in diesem Lande zwar nicht übermäßig, aber alljährlich gestiegen. Das begrüße ich außerordentlich. Darauf können wir mit gutem Recht immer verweisen. Denn in anderen Ländern ist es — so muß man leider sagen — anders.
Von einer Exportoffensive, über die in der Öffentlichkeit immer so gern und häufig gesprochen wird, halte ich nicht allzu viel. Sie hat leider den üblen Beigeschmack, daß wir einmal mehr „beggar my neighbour policy " betreiben wollen. Wenn alle Industrienationen eine derartige Politik betrieben, würde sich so etwas schnell neutralisieren. Deshalb bleibt richtig, was der Sachverständigenrat deutlich und an mehreren Stellen unterstrichen hat: Wir müssen eine Politik „weg vom 01' betreiben.
Wichtig ist aber vor allem auch, daß wir nicht in eine nationalistische Wirtschaftspolitik verfallen, sondern Weltoffenheit praktizieren, daß wir uns gegen jeden Protektionismus wenden. Die europäische Agrarpolitik — wir haben sie nicht mehr unmittelbar in der Hand — ist ein schreckliches Beispiel. Gerade die Opposition sollte, da sie sich ja so sehr um die Bauern kümmert, einmal konstruktive Vorschläge machen, wie wir zu einer vernünftigeren Agrarpolitik kommen können.
Wenn ich zum Schluß wieder ein klein wenig auf die außenwirtschaftlichen Probleme gekommen bin, dann liegt das einfach daran, daß unsere Probleme,



Dr. Jens
mit denen wir zu kämpfen haben, eben von außen und nur von außen kommen.

(Dr. Waigel [CDU/CSU]: Das ist doch nicht wahr!)

Deshalb darf ich vielleicht aus aktuellem Anlaß hier noch einmal feststellen: Nicht nur das Gespräch, sondern vor allem gute Wirtschaftsbeziehungen festigen den Frieden zwischen den Ländern in der Welt.

(Beifall bei der SPD)


Richard Wurbs (FDP):
Rede ID: ID0821126200
Das Wort hat der Abgeordnete Sprung.

Dr. Rudolf Sprung (CDU):
Rede ID: ID0821126300
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zunächst einige Worte zu den Ausführungen von Herrn Matthöfer heute morgen. Wenn Argumente nicht mehr zur Verfügung stehen, greift der Herr Bundesfinanzminister zur Polemik. Der Bundesfinanzminister wird offensichtlich nervös.

(Zuruf von der CDU/CSU: Ist das ein Wunder?)

Das zeigt bereits sein Brief vom 31. Januar an die SPD-Fraktion. Seine Politik ist eine einzige Reihe von Beschönigungen. Und wer ihm diese Beschönigungen nicht abnimmt, meine Damen und Herren, wird persönlich angegriffen. Dies ist kein fairer und kein sauberer Stil.
Der Herr Bundesfinanzminister hat erklärt, die Opposition wolle den Arbeitnehmern für 1981 Steuersenkungen vorenthalten. Dies ist falsch. Dies ist eine Aussage wider besseres Wissen. Die Union ist und bleibt die Steuersenkungspartei. Unser Steuersenkungspaket liegt seit Dezember vor und ist erheblich besser als das von den Koalitionsparteien daraufhin sehr schnell zusammengeschusterte eigene Paket.
Die beiden wichtigsten Argumente des Bundesfinanzministers heute morgen waren seine Meinung, daß die Bundesregierung mit ihrer Verschuldungspolitik die Zinsen nicht treibe, und die Feststellung, daß die öffentliche Verschuldung auf die Lücke zwischen Kapitalangebot und Kapitalnachfrage hinauslaufe. Beide Argumente sind und bleiben falsch. Darauf werde ich sogleich eingehen.
In den internationalen Wirtschaftsbeziehungen und an der Währungsfront hat sich in den letzten Monaten Entscheidendes getan. Die wichtigsten Währungen haben fast über Nacht ihre Rollen getauscht. Jahrelang hatte die Bundesrepublik ebenso wie die Schweiz und Japan eine starke, aufwertungsverdächtige Währung. Jetzt haben die USA mit der Inflationsbekämpfung ernst gemacht. Die harte Kreditpolitik des Federal Reserve Board hat den Zinssatz auf über 20 % in den Vereinigten Staaten ansteigen lassen. Es ist ein Satz, der gleichwohl gerade nur ausreicht, die Inflationsrate in den Vereinigten Staaten abzudecken. Nicht nur in Konsequenz dieser Entwicklung ist für die Bundesrepublik das Karussell „hohe Leistungsbilanzüberschüsse, starke Geldzuflüsse, Aufwertung der D-Mark, Importverbilligungen, relative Preisstabilität" zum
Stillstand gekommen. Wir erleben statt dessen eine Abwertung der D-Mark, starke Kapitalabflüsse, Importverteuerungen und steigende Preise als Konsequenz dieser Entwicklung.
Auf dem Höhepunkt der Dollarkrise vor 18 Monaten hat die Bundesrepublik alles getan — wie im übrigen auch die Schweiz und Japan, die sich in einer ähnlichen Situation befanden —, um hineinströmendes spekulatives Geld wieder loszuwerden. Milliarden wurden aufgekauft, um einen weiteren Kursanstieg der D-Mark zu verhindern. Seit einigen Monaten haben wir nun eine total veränderte Situation. Die Bundesrepublik ist wie die beiden anderen genannten Länder dabei, alles zu tun, um aus den Schwierigkeiten herauszukommen. Diese drei Länder haben inzwischen ihre Zinssätze erhöht. Sie haben die meisten Barrieren, die früher gegen Geldzuflüsse errichtet worden sind, beseitigt. Sie haben erhebliche Dollarverkäufe vorgenommen, um ihre Währungen zu stützen. Noch im Herbst 1979 — wir alle haben es noch in Erinnerung, meine ich — klagte Henry Reuss, ein auch diesseits des Atlantik bekannter amerikanischer Politiker, die Bundesrepublik an, mit ihrer Hochzinspolitik die USA in eine Rezession zu treiben. Jetzt sagt Bundesbankpräsident Pöhl, daß die internationale Zinseskalation — gemeint sind hier natürlich in erster Linie die Vereinigten Staaten — schwere Probleme für die Bundesrepublik mit sich bringen könne. Daran sollte die Bundesregierung denken, wenn sie, mal milde warnend, mal schulmeisterlich, mal kopfschüttelnd, die Wirtschafts- und Finanzpolitik der USA bewertet. Sie hat es in der Vergangenheit oft getan und damit auch auf diesem Feld ganz gewiß nicht zu einer Verbesserung des deutsch-amerikanischen Verhältnisses beigetragen.
Der bedeutsamste Wandel — gleichsam eine Änderung um 180 Grad —, der in der jüngsten Vergangenheit stattgefunden hat, betrifft die Frage der Reservewährung. Jahrelang hat die Bundesregierung alles getan, um zu verhindern, daß unsere Währung, die D-Mark, wachsende Bedeutung als internationale Reservewährung erlangte. Jetzt plötzlich werden ausländische Zentralbanken und andere Institute ermuntert, insbesondere natürlich, wie wir inzwischen wissen, die OPEC-Staaten, Anlagen auf unseren Märkten vorzunehmen.
Herr Matthöfer ist sogar sehr stolz darauf, daß wir eine allererste Adresse sind. Meine Damen und Herren, was für eine verräterische Formel! Wir bieten uns an: Seht her! Habt keine Angst! Euer Geld ist bei uns gut aufgehoben. Ich hätte den Bundesfinanzminister, wenn er hier wäre, gern gefragt: Ist es schon soweit gekommen? Ist dies schon nötig? Ist unsere Situation so, daß wir so verfahren müssen? Meine Damen und Herren, nichts demonstriert den Wandel, die Kehrtwendung stärker als die hektischen Bemühungen der letzten Wochen um Kreditaufnahmen in Saudi-Arabien.
Dieses Herausstellen der Bundesrepublik als erste Adresse, als Anlageland bringt zudem für die Zukunft eine große Gefahr mit sich: Wie wird die Bundesregierung bei einem erneuten Schwächeanfall des Dollars reagieren, der ja wegen der hohen



Dr. Sprung
US-Inflationsrate und auch aus politischen Gründen durchaus in solch eine Situation kommen kann? Wie wird sie sich verhalten, wenn die D-Mark wieder stärker nachgefragt wird? Man wird dann ganz sicher — davon bin ich überzeugt — den Bundesfinanzminister an die Kreditaufnahme in Saudi-Arabien und an seinen Spruch von der allerersten Adresse erinnern. Ich möchte wissen, wie die Bundesregierung dann aus dieser Situation herauskommen will.
Das Stichwort Saudi-Arabien führt mich zur Verschuldungspolitik des Bundes. Meine sehr verehrten Damen und Herren, die erste und nicht zuletzt im Hinblick auf die Wahlentscheidung im Oktober für die Bundesregierung offensichtlich unangenehmste Tatsache ist, daß der Bund mit seiner maßlosen Verschuldungspolitik die Zinsen auch bei uns inzwischen auf ein fast exotisch hohes Niveau getrieben hat.

(Dr. Schäuble [CDU/CSU]: So ist es!)

Es hilft nichts, wenn der Bundesfinanzminister und sein für diese Frage zuständiger Staatssekretär dauernd das Gegenteil beteuern. Seit 1974 hat der Bund zusammen mit den anderen öffentlichen Händen — der Bund natürlich als Hauptschuldner — rund die Hälfte der laufenden Geldkapitalbildung der Privaten zur Finanzierung seiner Defizite in Anspruch genommen. Dies hat selbstverständlich zinstreibend gewirkt. Oder will der Bundesfinanzminister leugnen, daß gerade auf dem Kapitalmarkt das Spiel von Angebot und Nachfrage funktioniert?
Der Bund hat mit rabiater Gewalt, mit sehr attraktiven Anleihen, Schuldscheindarlehen' und Bundesschatzbriefen andere Nachfrager aus dem Markt gedrängt. Die Zinsen könnten heute niedriger sein, wenn die öffentlichen Hände nicht die Hälfte der Geldkapitalbildung an sich gezogen hätten.

(Westphal [SPD]: Beides falsch!)

Dies hat der Bundesfinanzminister, dies hat vor allem sein Staatssekretär Lahnstein, in den letzten Tagen im übrigen indirekt sehr deutlich bestätigt. Herr Lahnstein veröffentlichte am 9. April im sozialdemokratischen Pressedienst einen Aufsatz mit der Überschrift: „Gute Gründe für eine Kreditaufnahme im Ausland". Darin behauptet er — ich zitiere jetzt —: „Es läßt sich an allen Daten der letzten Jahre ablesen, daß der Bund die Zinsen nicht getrieben hat" Meine Damen und Herren, zur Rechtfertigung der Kreditaufnahme im Ausland kommt dann aber die Feststellung — ebenfalls von Herrn Lahnstein in diesem Artikel —, daß bei uns die Zinssituation entspannt wird, wenn unsere ausländischen Partner Geld bei uns anlegen.

(Hört! Hört! bei der CDU/CSU)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, hier ist doch ein schlichter Umkehrschluß erlaubt: Wenn Herr Lahnstein behauptet, daß die Verschuldung im Ausland den inländischen Kapitalmarkt entspannt, muß doch auf der anderen Seite auch gelten, daß die
Verschuldung auf dem heimischen Kapitalmarkt diesen zinstreibend belastet.

(Gerster [Mainz] [CDU/CSU]: So ist es! — Zuruf von der CDU/CSU: Absolut richtig!)

Sonst sähe ich keine Logik in einer solchen Argumentation. Oder kommen Sie her und zeigen Sie, wie es anders aussieht!

(Dr. Köhler [Wolfsburg] [CDU/CSU]: Das ist einzig und allein die Schuld der Privaten, die so frech sind, auch noch Kredite haben zu wollen! — Zustimmung bei der CDU/ CSU)

— So ist es; genauso ist es! Ich stimme dem voll und ganz zu.
Der Bundesfinanzminister, meine sehr verehrten Damen und Herren, hat in den vergangenen Jahren immer wieder behauptet — er hat dies im Hinblick auf die Verschuldung 1980/81 heute morgen hier wieder sehr nachdrücklich getan —, daß der Bund sich exakt in der Größenordnung verschulden müsse und werde, die erforderlich ist, um die Lücke am Kapitalmarkt zwischen angebotenem Kapital und privater Kapitalnachfrage zu schließen. Meine Damen und Herren, nach der Kreditaufnahme des Bundesfinanzministers in Saudi-Arabien muß er sich allerdings fragen lassen, welche Lücke er denn jetzt schließen will, nachdem auf unserem Kapitalmarkt offenbar keine mehr vorhanden ist. Damit ist klar: Die Lückentheorie des Bundesfinanzministers, für die er sich so vehement einsetzt und die er heute morgen hier so vehement vorgetragen hat, muß als nichts anderes denn als Ausrede für die unsolide Ausgaben- und Haushaltspolitik der Bundesregierung herhalten.
Wie unwohl sich der Bundesfinanzminister im übrigen trotz der beruhigenden Sprüche in der Öffentlichkeit in seiner Haut zu fühlen scheint, zeigt sein von mir schon erwähntes, an die SPD-Fraktion gerichtetes Schreiben vom 31. Januar. Hier offenbart sich ein ziemlich kleinlauter Bundesfinanzminister, dem plötzlich einleuchtet, daß das, was die CDU/ CSU ihm und seinen Vorgängern schon seit Jahren klarzumachen versucht, nämlich daß die Verniedlichung der Probleme der hohen Verschuldung nicht länger zu verantworten ist, offenbar zutreffend ist. In Erinnerung an seinen Amtsvorgänger Karl Schiller will er darüber hinaus offenbar wenigstens intern rechtzeitig gewarnt haben, um nicht nach der Wahl eventuell der Prügelknabe zu sein, wenn statt der versprochenen Steuersenkungen, die ja im Augenblick noch diskutiert werden, im nächsten Jahr dann möglicherweise Steuererhöhungen beschlossen werden müssen.
Deutlicher aber als alles andere beweist die Kreditaufnahme im. Ausland, an welch kritischem Punkt wir mit der Verschuldungspolitik der Bundesregierung angelangt sind. Es gibt eine Reihe von Argumenten, die volkswirtschaftlich die Kreditaufnahme begründen können. Erstens: Der inländische Kapitalmarkt wird entlastet. — Einverstanden mit diesem Argument! Aber, meine Damen und Herren, damit wird dann auch gleichzeitig zugegeben, daß die Verschuldungspolitik zinstreibend wirkt. Zwei-



Dr. Sprung
tens: Der D-Mark-Kurs erfährt eine Stützung. Es ist richtig: diese Stützung kann er gut gebrauchen. Drittens: Das Recycling der Zahlungsbilanzüberschüsse der OPEC-Staaten wird damit erleichtert.
Es ist vor allem dieses Argument, daß immer wieder von seiten der Bundesregierung herausgestellt wird. Aber wie vieles, was von dort gesagt wird, stimmt es nur zum Teil. Der Kreislauf der Ölgelder, dessen Funktionieren allein unsere Ölversorgung sichern kann — denn funktioniert dieser Kreislauf nicht, funktioniert das Recycling nicht, dann lassen die Ölstaaten das 01 lieber in der Erde -, wäre nur dann geschlossen und würde gleichzeitig die Ölversorgung aller Staaten nur dann sicherstellen können, wenn die Gelder auf ihrer letzten Station auch die bedürftigen Entwicklungsländer erreichten. Diese könnten nämlich, wenn das nicht der Fall wäre, ihre Ölrechnung künftig nicht mehr bezahlen. Statt dessen aber schleust der Finanzminister die Ölgelder in seine Kasse, um damit Personalkosten zu bezahlen und Haushaltslöcher zu stopfen.
Mit der Kreditaufnahme im Ausland wird ein Beitrag — auch das wird nicht bestritten — zum Ausgleich unseres inzwischen auf den enormen Betrag von voraussichtlich 25 Milliarden DM gestiegenen Leistungsbilanzdefizits geleistet, übrigens ein Leistungsbilanzdefizit, das in dieser Größenordnung kein anderes Land aufweist. Wir sind Spitzenreiter in bezug auf das Leistungsbilanzdefizit dieses Jahres.
Mit Kreditaufnahmen können wir zwar die an sich notwendige Reduzierung unseres Lebensstandards bzw. die Wiederherstellung ausreichender Exportüberschüsse eine gewisse Zeit vor uns herschieben, wir können auf diese Art und Weise eine gewisse Zeit auf Pump leben, was wir anderen Ländern so lange und so oft mit beinahe penetranter Selbstgefälligkeit vorgeworfen haben. Doch, meine Damen und Herren, wir können dies nicht auf die Dauer tun.
Die Gefahr dieser Politik liegt doch darin, daß die unabdingbar notwendigen Maßnahmen zum Abbau des Leistungsbilanzdefizits — dies ist ja ein strukturelles Defizit — hinausgeschoben werden, ebenso hinausgeschoben werden wie die schon seit langen Jahren fällige Konsolidierung des Bundeshaushalts.
Es ist übrigens interessant — was das Leistungsbilanzdefizit anlangt —, daß neben der Ölpreiserhöhung, die dafür verantwortlich gemacht wird, seit einigen Tagen ein neuer Verursacher gefunden worden ist, und dies sind die deutschen Auslandsurlauber. Ich will nur hoffen, daß nicht die Absicht besteht, auf diesem Wege, über diese, das Leistungsbilanzdefizit zu reduzieren.
Wir haben anderen Ländern über viele Jahre hinweg gute Ratschläge erteilt, was sie eigentlich tun müßten, um ihre Leistungsbilanz zu verbessern. Jetzt sind wir gefordert, das zu tun, was wir von diesen Ländern jahrelang verlangt haben.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Meine Damen und Herren, falsch ist es — man hört und liest dies in letzter Zeit häufiger —, daß wir uns, was den Ausgleich unseres Leistungsbilanzdefizits anlangt, auf unsere Währungsreserven verlassen könnten. Wie schnell auch die größten Währungsreserven wie Butter in der Sonne zusammenschmelzen können, wenn Leistungsbilanzdefizite in der Größenordnung, wie sie bei uns vorliegen, auftreten, das zeigen die Zahlen, die wir haben: Die Devisenreserven betrugen 1978 101 Milliarden DM, 1979 89 Milliarden DM und jetzt, vor zehn Tagen, nur noch 75 Milliarden DM. Damit waren wir 1978 noch in der Lage, für fünf Monate unsere Einfuhr zu bezahlen, 1979 noch für 3,7 Monate und jetzt sind wir herunter auf 2,8 Monate. Länger reichen diese Devisenreserven nicht mehr.

(Zuruf von der CDU/CSU: Bergab geht es immer schneller!)


Richard Wurbs (FDP):
Rede ID: ID0821126400
Verzeihen Sie, ich bitte zum Ende zu kommen. Die Redezeit ist abgelaufen.

(Zuruf von der CDU/CSU: Wie das Geld!)


Dr. Rudolf Sprung (CDU):
Rede ID: ID0821126500
Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Bilanz der Bundesregierung in der Finanz-, Währungs- und Außenwirtschaftspolitik ist eine Bilanz der roten Zahlen.
Erstens. Die Bundesrepublik, traditionelles Überschuß- und Gläubigerland, ist in Gefahr, zum Schuldnerland zu werden. Kreditaufnahme im Ausland ist auf die Dauer kein geeignetes Mittel zum Abbau des Leistungsbilanzdefizits. Hier helfen allein Anpassungen unserer Volkswirtschaft, Verringerung der Ölabhängigkeit und sparsamste Ausgabenpolitik.
Zweitens. Die D-Mark, seit Jahrzehnten eine der härtesten Währungen der Welt, beginnt weich zu werden. Auch dies ist die Quittung für eine unsolide Finanzpolitik und für verschlechterte wirtschaftliche Zukunftsperspektiven.
Drittens. Der Bund ist infolge der überhöhten Kreditaufnahme Zinstreiber Nummer Eins. Bauherren, Mieter und mittelständische Wirtschaft zahlen die teure Zeche.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Wann soll eigentlich mit der Konsolidierung der Bundesfinanzen begonnen werden, wenn nicht in einer konjunkturellen Situation, wie wir sie 1979 gehabt haben und vielleicht auch 1980 haben werden.

Richard Wurbs (FDP):
Rede ID: ID0821126600
Herr Abgeordneter, ich bitte zum Schluß zu kommen.

Dr. Rudolf Sprung (CDU):
Rede ID: ID0821126700
Letzter Satz. Die Kreditaufnahme des Bundes im Ausland bringt die Gefahr der Gewöhnung mit sich. Der Versuch, unseren Wohlstand auf Kosten des Auslands zu finanzieren, ist politisch gefährlich. Ölgelder können und dürfen eine sparsame Ausgabenpolitik nicht ersetzen.

(Beifall bei der CDU/CSU)


Richard Wurbs (FDP):
Rede ID: ID0821126800
Das Wort hat der Herr Bundeswirtschaftsminister.




Dr. Graf Otto Lambsdorff (FDP):
Rede ID: ID0821126900
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Sprung, ich habe mit Ihnen genügend währungspolitische Diskussionen in den vergangenen Jahren geführt, um annehmen zu können, daß sie von dieser Argumentation, die Sie hier vorgetragen haben, selbst nicht überzeugt sind. Sie können es gar nicht sein, ich hoffe es jedenfalls.
Es ist völlig klar — und im übrigen gibt es in der Fachliteratur, auch in der Ihnen nahestehenden Presse, heute kaum noch eine abweichende Meinung darüber —, daß die Kreditaufnahme im Ausland unter den gegenwärtigen Umständen, nämlich einer defizitär gewordenen Leistungsbilanz, richtig ist. Es ist auch völlig richtig, wenn der Staatssekretär Lahnstein die von Ihnen vorgetragenen Beurteilungen vorbringt. Sie widersprechen sich eben deswegen nicht, weil der erste Tatbestand zur Zeit einer positiven Leistungsbilanz geschildert wird, in der die Bundesrepublik Deutschland ein Nettokapitalexporteur gewesen ist, und weil der jetzt von ihm beschriebene Zustand, was das Zinstreiben oder Nichtzinstreiben anlangt, wie Sie es nennen, für den Zeitpunkt der negativen, defizitären Leistungsbilanz gilt, in dem wir ein Nettokapitalimporteur zur teilweisen Deckung des Leistungsbilanzdefizits sein müssen.
Wir sind uns völlig einig darüber — ich habe dies heute morgen gesagt —, daß dies kein lang andauernder Zustand sein kann und darf.

(Dr. Sprung [CDU/CSU]: Auf die Dauer, habe ich gesagt!)

Wir sind uns aber ebenso im klaren darüber, daß Mehrkosten von 40 Milliarden DM für Öleinkäufe — da können Sie den Auslandstourismus, die ganze Dienstleistungsbilanz zwar erwähnen, aber der Bedeutung nach beiseite lassen — nicht im Laufe eines und auch nicht im Laufe von zwei Jahren zu verkraften sind. Denn — auch darüber besteht ja Einverständnis auf allen Seiten dieses Hauses — die Leistungsbilanzdefizite abzubauen und die Struktur wieder zur positiven Seite zu verändern ist nur durch Erhöhung der Wettbewerbsfähigkeit und der Produktivität möglich, also durch das, was heute morgen sowohl Herr Biedenkopf wie ich vorgetragen haben.
Unter diesen Umständen ist es völlig richtig — ich wiederhole dies —, daß im Ausland Kredite aufgenommen werden, wenn — auch dies habe ich heute morgen gesagt — die Möglichkeit und Tatsache der Finanzierung im Ausland und damit ein relativ leichter Zugang zu Finanzierungsquellen nicht etwa als eine Verführung dazu dienen, grundsätzlich mehr und leichter Schulden zu machen.

(Dr. Sprung [CDU/CSU]: Das ist doch der entscheidende Punkt!)

— Dieser entscheidende Punkt ist heute morgen von mir im Namen der Bundesregierung klipp und klar so vorgetragen worden, daß die Kreditaufnahmen sich selbstverständlich im Rahmen des Haushaltsgesetzes 1980 halten und halten müssen und daß keine einzige Mark mehr aufgenommen und
Schulden gemacht werden dürfen, als im Rahmen dieses Haushaltsgesetzes beschlossen worden ist.

(Zuruf des Abg. Dr. Sprung [CDU/CSU])

Im übrigen, Herr Sprung, ist für solche Anlagen der ölproduzierenden Länder die Bezeichnung, unsere D-Mark werde als Reservewährung benutzt, eine sehr gewagte Formulierung. Ich persönlich bin der Meinung: Die Formulierung ist falsch.

(Dr. Sprung [CDU/CSU]: Der Bundesfinanzminister sagte: Wir sind eine allererste Adresse! Was besagt denn das anderes?)

— Moment! Daß es falsch ist, die D-Mark als Reservewährung zu bezeichnen, will ich darzulegen versuchen. In Reservewährungen legen Notenbanken kurzfristig ihre Aktiva an, auf die sie in Fällen zurückgreifen können, wie sie sich z. B. bei uns jetzt gezeigt haben. Ich bin ja — ich glaube, mit Ihnen — immer der Meinung gewesen, daß man die Währungsreserven, die die Bundesbank unterhält, nicht für andere Zwecke verpulvern soll. Es zeigt sich heute, daß das wohl ganz richtig gewesen ist. Aber daß wir schon längere Zeit ein Anlageland sind — auch für OPEC-Länder —, doch deswegen, weil -es sich um langfristige und längerfristige Anlagen handelt, keineswegs ein Reservewährungsland sind, ist unbestritten.
Wenn der Bundesfinanzminister sagt, die Bundesrepublik Deutschland sei eine gute Adresse für Anleihen, wollen sie da behaupten, wir seien eine schlechte Adresse? Und wollen Sie es irgend jemandem, der Darlehen aufnimmt — angefangen von der gewerblichen Wirtschaft bis zu jedweder Gebietskörperschaft —, vorwerfen, daß er sagt, er sei eine gute Adresse? Wollen Sie, daß er sich hinstellt und sagt, er sei eine schlechte Adresse, damit die Zinsen noch ein bißchen erhöht werden, weil er selber das Risiko als so hoch darstellt? Ich glaube nicht, daß wir hier ernsthaft in eine Diskussion darüber eintreten sollten, die auch nur den Anschein erweckt, wir im Deutschen Bundestag gingen davon aus — und ich sage das auch an die Adresse der Opposition —, die Bundesrepublik Deutschland sei eine schlechte Adresse.
Was im übrigen, Herr Sprung, die Formulierung „Die D-Mark beginnt weich zu werden" anlangt, so kann ich hinter das marktwirtschaftliche Verständnis, das angesichts freier Wechselkurse aus einer solchen Bemerkung spricht, nur drei Fragezeichen setzen. Mich amüsiert geradezu, daß dieselben Menschen im Land, die vor einigen Monaten noch gesagt haben: „Das ist ja unglaublich, wie billig dieser Dollar wird; unser Export wird gefährdet; wir können damit überhaupt nicht mehr operieren", heute in die-selbem Schreie ausbrechen, weil sich die Dinge nun umgedreht haben. Niemand will davon Kenntnis nehmen, daß dies Entscheidungen sind, die der Markt, d. h. die Devisenbörsen — meist fängt das morgens in Tokio an, weil die sechs Stunden früher dran sind —, trifft.

(Beifall bei der FDP)

Ich halte auch überhaupt nichts von der Diskussion, der Dollar sei überbewertet oder unterbewer-



Bundesminister Dr. Graf Lambsdorff
tet. Das alles ist ziemlich dummes Zeug. Ober diese Bewertung entscheidet der Markt. Es kommt nicht darauf an, ob irgendein sehr kluger Mensch plötzlich auf den Einfall kommt, nachzurechnen, ob da eine Ober- oder Unterbewertung vorliegt.

(Kittelmann [CDU/CSU]: Sie wissen, wer das gesagt hat?)

Dies alles ist natürlich im Zusammenhang mit einem Leistungsbilanzdefizit und gleichzeitiger Inflationsbekämpfung in den Vereinigten Staaten mit exorbitant hohen Zinssätzen zu sehen. Freilich 1st nicht, wie Sie gesagt haben, der Federal-ReserveZinssatz bei 20 %, sondern die Prime Rate. Das ist ja immer noch ein Unterschied.

(Dr. Sprung [CDU/CSU]: Ich habe gesagt: Die Politik hat zu einem Zinssatz von 20 geführt!)

Ich möchte auch sagen, Herr Sprung, daß die Behauptung, die 20 % deckten gerade die Inflationsrate ab — wie Sie behauptet haben —, an die Adresse unserer amerikanischen Freunde doch ein bißchen happig ist. Die laufende Inflationsrate dürfte in den Vereinigten Staaten in diesem Jahr bei 14 % liegen. Das ist viel zu hoch; das wissen die auch. Aber bitte, sagen Sie ihnen nun nicht eine 20%ige Inflationsrate voraus.

(Dr. Sprung [CDU/CSU]: Nicht im amerikanischen Vergleich, im europäischen Vergleich!)

— Was heißt amerikanischer Vergleich? Die amerikanische Inflationsrate liegt bei 14 %.

(Dr. Sprung [CDU/CSU]: Das ist nicht richtig!)

— Wo liegt sie denn?

(Dr. Sprung [CDU/CSU]: Wenn Sie sie auf Monatsbasis umrechnen, liegt sie über 18 %!)

— Die Umrechnung auf Monatsbasis — das wissen Sie selber genauso gut wie ich — ist eine reichlich unsolide Berechnungsform. Das, was am Ende des Jahres auf Jahresbasis wirklich herauskommt, wird eine Inflationsrate von 14 % sein. Deswegen werden die 20 % ganz gewiß nicht so bezeichnet werden können, als deckten sie, wie Sie formuliert haben, die Inflationsrate gerade ab.
Wenn Sie nun in der Tat einen solchen Wert darauf legen — worin ich Ihnen zustimme —, daß die deutsch-amerikanischen Beziehungen auch auf diesem Gebiete pfleglich behandelt werden sollen, dann würde ich die Dinge in den Vereinigten Staaten nicht noch schlechter darstellen, als sie in mancher Beziehung ohnehin sind. Aber daß sich die Vereinigten Staaten, was den Dollar anbelangt, eine festere Position erarbeitet haben, Herr Sprung, ist nicht zuletzt auch darauf zurückzuführen, daß wir, Bundesregierung, amerikanische Regierung und die Notenbanken, in enger Kooperation seit November 1978 alles getan haben, um den Wert des Dollars zu stabilisieren. Stellen Sie sich einmal vor, wo der Dollar bei den OPEC-Preisbeschlüssen vor Caracas gelandet wäre, wenn das nicht geschehen wäre. Ge-
rade in dieser Zeit hat sich der Dollar außerordentlich stabil gehalten.
Ich bitte um Nachsicht, wenn ich sage — aber vielleicht gilt das für meine Ausführungen von heute morgen genauso; das überlasse ich Ihrer Beurteilung —, daß es ganz gewiß schwer ist, angesichts dreier bevorstehender Wahlen miteinander eine Diskussion zu führen, die an das anknüpft, was wir früher in den Diskussionen zum Jahreswirtschaftsbericht miteinander erlebt haben oder, wenn ich es so formulieren darf, was wir miteinander leisten konnten. Es ist schwer, sich von diesen auf bestimmte Tage bezogene Überlegungen fernzuhalten. Sicherlich ist es auch von jedem von uns zuviel verlangt, das gerade in diesem Jahre erfolgreich zu tun.
Wir erleben dasselbe natürlich auch bei der Gesamtdiskussion über Staatsverschuldung auf der einen Seite, Ansprüche und Subventionsbegehren auf der anderen Seite. Vielleicht ist es das Kennzeichen einer pluralistischen Gesellschaft, in der wir leben. Nur wird man Bedenken haben können und haben müssen, daß sich die gefundenen politischen Kompromisse letztendlich eher darin ausdrücken, daß man zu vielen Begehren auf allen Seiten nachzugeben geneigt ist und sie damit auf dem Rücken der Schwächeren erfüllt, als daß man sich auf der Basis einigen kann, wechselseitig auf Wünsche und Forderungen zu verzichten.

(Beifall bei der FDP)

Der Kollege Biedenkopf, dessen Abwesenheit wir voll würdigen und die in gar keiner Weise zu beanstanden ist, hat heute die Analyse zur Situationsbeschreibung aus der Stellungnahme des Wirtschaftswissenschaftlichen Instituts der Gewerkschaften vorgetragen. Ich hätte gerne eine Antwort von ihm, ob er denn auch die Therapievorschläge dieses Instituts übernehmen möchte — Herr Windelen schüttelt gewissermaßen stellvertretend für ihn den Kopf —; denn da heißt es dann, die Bundesbank sollte bald signalisieren, daß sie ihren Restriktionskurs verlassen habe. Das WSI plädiert für eine vorübergehende Zurückstellung der Konsolidierungsabsicht und für eine stärkere Expansion der öffentlichen Ausgaben für staatliche Investitionen und Dienstleistungen. Es plädiert für die verstärkte Einstellung von Personal in den öffentlichen Dienst. Es hält das für notwendig und sinnvoll.
Man sollte doch nach Möglichkeit die Argumentationsquellen benutzen, die das Gesamtbild dann etwas glaubwürdiger erscheinen lassen und etwas überzeugender machen; denn für so töricht können Sie uns nicht halten, daß wir anschließend nicht noch einmal nachsehen, was denn diese Quelle wohl zur Behebung der Beanstandungen und der Mängel sagt. Wie gesagt, die Frage, ob er diesen Vorschlägen folgen will, kann heute von Herrn Biedenkopf nicht beantwortet werden.
Herr Biedenkopf hat das Stichwort gebraucht, man müsse eine konzertierte Aktion zur Oberwindung überholter Besitzstände schaffen. Das ist ein weiser Vorschlag. Aber es wäre doch zu fragen, ob eigentlich in den Reihen der Opposition die Bereit-



Bundesminister Dr. Graf Lambsdorff
schaft besteht, sich an einer solchen konzertierten Aktion zu beteiligen und die Folgen aus dem zu ziehen, was Herr Biedenkopf, dem ich in manchem Ansatz beipflichte, vorgetragen hat.
Ist es nicht so, daß alles das, was Herr Biedenkopf in wissenschaftlich häufig sehr ansprechender Weise vorschlägt — die Veröffentlichungen seines Instituts sind anregend, die Analysen, denen ich nicht immer zustimme, geben Anlaß zum Nachdenken, und das ist ja für die wirtschaftspolitische Situation unseres Landes schon ein Gewinn an sich —, was unter seinem Namen veröffentlicht wird, in Ihren Reihen, meine Damen und Herren von der Opposition, nicht die geringste Aussicht auf politische Unterstützung hat?

(Beifall bei der FDP und der SPD)

Haben Sie, um nur ein Beispiel zu nennen, die Wohnungsbauthesen von Herrn Biedenkopf am Leben gelassen? Herr Barbier hat das kürzlich in der „Süddeutschen Zeitung" — Herr Schneider, Sie sind ja auch erwähnt worden — sehr eingehend an einer ganzen Reihe von Punkten dargelegt. Glauben Sie in der Tat, daß das, was bei Ihnen zur Zeit rentenpolitisch diskutiert wird — die Meinungsbildung ist, jedenfalls nach unserer Kenntnis, noch nicht abgeschlossen —, die Dynamisierungsdinge, die der Kollege Gärtner vorhin erwähnt hat, in irgendeiner Weise mit dem zusammenpaßt, was Herr Biedenkopf hier vorschlägt?
Das ist ja die Problematik in der Auseinandersetzung mit dem wirtschaftspolitischen Sprecher Ihrer Fraktion, daß man sich fragen muß: Für wen spricht Herr Biedenkopf ? Er spricht immer für sich selbst; das ist ja auch in Ordnung, das kann jeder tun. Aber spricht er eigentlich auch beim zweiten Nachdenken und bei einer vertieften Diskussion mit Ihnen
für Sie?

(Zuruf von der CDU/CSU: Sprechen Sie für die Koalition?)

Ich nehme einmal ein Beispiel aus Nordrhein-Westfalen. Herr Biedenkopf hat seine Bedenken gegen die Förderung des Baus eines Stahlwerks der Firma Hoesch ganze 24 Stunden aufrechterhalten. Seither haben Sie nicht mehr einen Ton von ihm gehört, nichts, weil das natürlich nicht in den Wahlkampf von Nordrhein-Westfalen hineinpaßt.

(Dr. Jens [SPD]: Das ist Flexibilität! — Dr. Waigel [CDU/CSU]: Es genügt doch, wenn man es einmal sagt!)

— Aber dann muß man es durchhalten und aufrechterhalten, verehrter Herr Waigel, und nicht zurückziehen und schleunigst unter dem Mantel der Nächstenliebe und des Schweigens begraben, weil die eigenen Freunde natürlich sagen: Du wirst doch wohl unsere Wahlaussichten hier nicht beschneiden und beschränken!
Diese Frage wäre durchaus einer vertieften Diskussion wert. Dabei geht es nicht darum, ob diesem oder einem anderen Unternehmen die von diesem Hause unter bestimmten Voraussetzungen und Bedingungen zur Verfügung gestellten Mittel gegeben werden, sondern es geht darum, ob es überhaupt
richtig und sinnvoll ist — einer solchen Diskussion würden wir uns gern stellen —, solche Mittel zu bewilligen. Der Anfang liegt doch hier im Hause bei der Bewilligung.
Der Finanzminister hat die Vorschläge veröffentlicht, wie er den Nachtragshaushalt zu finanzieren gedenkt. Ich finde sie auch in manchen Bereichen schmerzhaft, z. B. wie er den Etat meines Ministeriums zu kürzen gedenkt. O Jammer, da schrie die Werfthilfe auf. Wer war der erste, der sich lautstark in der Presse beschwerte? Der schleswig-holsteinische Wirtschaftsminister, dessen Ministerpräsident uns die Staatsverschuldung vorwirft!
Ich sage noch einmal: Es wäre wünschenswert, wenn wir auf dem Wege dessen, was Herr Biedenkopf mit dem aus anderen Gründen nicht ganz passenden Stichwort „konzertierte Aktion" umschrieben hat, dazu kommen könnten, beim Abbau Übereinstimmung zu erzielen. Aber wir reden immer nur davon. Ich nehme mich selber gar nicht aus; ich weiß, wie schwierig das ist.

(Dr. Besch [CDU/CSU]: Wer regiert denn?)

— Es geht auch um die Frage, wer regiert. Aber wir tun dies doch keineswegs nur auf der Ebene des Bundes. Hier ist heute von Herrn Biedenkopf der Vorwurf erhoben worden, Hilfe würde nur an große Firmen gegeben, die pleite gehen.

(Dr. Dollinger [CDU/CSU]: Wenn Große zu sterben drohen!)

— Richtig, Herr Dollinger. Bitte, urschriftlich per Einschreiben und Eilboten an Ihren Kollegen Jaumann, der sich im Sanieren von Textilunternehmen sicherlich erhebliche Sporen verdient hat! Das gilt doch für zahlreiche Länderminister. Dies ist eine Haltung, die sich von Land zu Land zieht und die leider in vielen Bundesländern tagtäglich praktiziert wird.

Richard Wurbs (FDP):
Rede ID: ID0821127000
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Waigel?

Dr. Graf Otto Lambsdorff (FDP):
Rede ID: ID0821127100
Aber gerne.

Dr. Theodor Waigel (CSU):
Rede ID: ID0821127200
Herr Bundesminister, sind Sie bereit, zuzugeben, daß die Sanierungen, die in Bayern durch den bayerischen Wirtschaftsminister erfolgt sind, genau nach den Richtlinien durchgeführt werden, die zwischen dem Bundeswirtschaftsminister und den Länderwirtschaftsministern vereinbart worden sind?

(Zuruf von der CDU/CSU: Sehr interessant!)


Dr. Graf Otto Lambsdorff (FDP):
Rede ID: ID0821127300
Herr Kollege Waigel, mir sind solche Richtlinien — muß ich offen gestehen — für diese Fälle und diese Frage nicht bekannt. Aber ich habe der Länderwirtschaftsministerkonferenz vor etwa einem Jahr ein Memorandum vorgelegt, über das wir hoffentlich einmal sprechen können, das eine sehr viel stringentere Handhabung in diesen Sanierungsfällen ermöglichen würde. Wir werden alle dauernd unter politischen Druck gesetzt. Wir wissen doch:



Bundesminister Dr. Graf Lambsdorff
Nichts ist für einen Wirtschaftsminister — ob das der Bundeswirtschaftsminister oder ein Landeswirtschaftsminister ist, ist völlig gleichgültig — schlimmer als der Augenblick, in dem Gewerkschaften und Unternehmensverbände Arm in Arm vor seinem Schreibtisch auftauchen, um etwas durchzusetzen.

(Beifall bei der FDP)

Dann ist es vorbei. Dann sind Sie kaum noch in der Lage, sich erfolgreich zur Wehr zu setzen.
Meine Damen und Herren, was die Haushaltsentwicklung anbelangt: Hehre Grundsätze und Empfehlungen sind uns auch von dieser Stelle häufig gegeben worden. Ich erinnere mich noch — ich habe ihm damals widersprochen —, daß der Ministerpräsident des Freistaates Bayern — damals noch in seiner Eigenschaft als Mitglied dieses Hauses — von uns verlangte, man solle den Haushaltszuwachs auf den realen Zuwachs des Bruttosozialprodukts beschränken. Ich habe ihm damals gesagt, daß dies nicht gehe, daß es politisch nicht durchhaltbar und durchführbar sei. Ich sehe mit großem Interesse, daß die Zuwachsrate im Haushalt des Freistaates Bayern im Jahre 1979 bei den Ausgaben bei 10,4 vom Hundert gelandet ist — natürlich nicht im Soll; da waren es 8,1 %; beim Ist waren es nachher 10,4 %.

(Zuruf von der CDU/CSU: Das ist doch die geringste Verschuldung aller Länder!)

— Dies liegt aber weniger an der Ausgabenpolitik als an der Einnahmenstruktur, zu der ich Sie nur beglückwünsche. Das ist doch alles ganz schön, aber solche hehren Forderungen, wie sie hier aufgestellt worden sind, sind in der Praxis oft nicht durchhaltbar. Ich wollte das nur mit diesem einen Beispiel unterlegen.
Herr Biedenkopf hat recht, meine Damen und Herren, wenn er sagt, daß der Bürger die Kosten nicht mehr sehe und daß der Bürger deshalb politisch nicht über das entscheiden könne, was in diesem Hause — überhaupt von Regierungen — auf dem Gebiet der öffentlichen Ausgaben veranstaltet werde. Ich habe mehrfach — ich glaube, auch hier an dieser Stelle — versucht, klarzumachen, daß es in unserem Lande immer nur zwei Gruppen von Menschen gibt, die alle diese Segnungen, zum Teil notwendigen Segnungen — ich will das überhaupt nicht abstreiten; ich sage gleich noch ein Wort dazu —, bezahlen, die wir uns ausdenken und die wir finanzieren: Entweder sind es die Steuerzahler oder es sind die Verbraucher. Gelegentlich deckt sich das dann auch noch. Andere gibt es nicht, solange wir nicht die Inflationsmaschine in Gang setzen und Geld drucken. Aber weil das so kompliziert und wenig durchsichtig für den Bürger, den einzelnen im Lande geworden ist, meine ich, erhöht sich unsere Verpflichtung, soweit wie möglich Rücksicht zu nehmen und soweit wie möglich dafür zu sorgen, daß die Durchsichtigkeit geschaffen wird, soweit wie möglich aber auch unserer Verantwortung gerecht zu werden, nicht Umverteilungen zu veranstalten, die im Grunde nicht mehr wirtschaftlich sind und eigentlich niemandem mehr helfen.
Meine Damen und Herren, wie weit wir im Sprachgebrauch gekommen sind, mag vielleicht ein
Beispiel verdeutlichen. Herr Biedenkopf hat heute kritisiert, daß der stellvertretende SPD-Vorsitzende, unser Kollege Wischnewski, formuliert hat: Die Bundesregierung hat 350 000 Arbeitsplätze geschaffen. Dazu hat Herr Biedenkopf sehr emphatisch gesagt: Das hat der Bürger geschaffen, das haben die Unternehmen geschaffen. Das ist auch alles in Ordnung. Wir liefern die Rahmenbedingungen dazu. Das geht doch alles nur im Zusammenwirken. Man muß das vielleicht nicht so genau nehmen. — Aber am gleichen Tage, an dem Herr Biedenkopf dies hier vorträgt, erscheint im Handelsblatt ein Aufsatz mit der Überschrift „Prioritäten der Regierung: das Land schafft neue Arbeitsplätze!" von Ministerpräsident Ernst Albrecht. Es ist nichts anderes als das, was Herr Wischnewski als Sprachgebrauch benutzt hat. Es hat sich überall schon durchgesetzt. Ich bin ja dankbar dafür und greife es gerne auf, daß wir die Sprachgebräuche einmal überdenken und vielleicht neu sortieren. Nur — im Brustton der Überzeugung, wenn man morgens das Handelsblatt nicht gelesen hat, macht sich das nicht so überragend gut.
Richtig ist natürlich, daß wir erneut in eine Situation geraten können, in der attraktive Renditen in unseren Finanzmärkten es dahin bringen, daß nicht Investitionen getätigt werden, sondern daß man sich sagt: 10 % Rendite — das kann ich auch in einer Bundesanleihe haben, warum soll ich dazu unternehmerisches Risiko eingehen? Das ist ein Problem, das uns in den 70er Jahren beschäftigt hat. Und daß 10 % Zins auf die Dauer ein zu hoher Zins ist, darüber brauchen wir gar nicht miteinander zu sprechen. Daß das nicht nur die Unternehmer kneift, sondern daß es letztlich auch die Mieter und die Eigenheimbesitzer, die sehr häufig noch keine festen Zinssätze für ihre Hypotheken vereinbaren konnten, kneift, das wissen wir alles. Nur, wenn man es so darstellt, wie das ein Frankfurter Privatbankier vor einigen Wochen im Handelsblatt getan hat, wo es dann hieß, der Sieg über die Inflation werde an den Gräbern der Gefallenen, der Toten unter den Unternehmen gefeiert, so fordert einen das zu näherem Nachdenken auf. Haben wir einen Weg gefunden, mit dem man Inflation und Preissteigerung bekämpfen kann, ohne es über knappes Geld und- damit über hohe Zinsen zu tun? Wir sind uns einig: Dies geht nicht. Wir haben dabei in Kauf zu nehmen, daß diese Medaille auch die unerfreuliche Seite einer hohen Kostenbelastung — ich habe heute morgen davon gesprochen — mit sich bringt.
Wir haben den Unternehmen von dieser Stelle aus immer gesagt: Nach den Erfahrungen der Jahre 1974/75 muß jeder sich darauf einstellen, daß es auch wieder einmal eine Hochzinsphase gibt, in der Inflation bekämpft werden muß. Wer in diese Hochzinsphase mit kurzfristiger Finanzierung für langfristige Investitionen gegangen ist, der kann sich nicht beklagen über die Politik der Bundesbank oder der Bundesregierung oder der Federal Reserve — denn wir folgen doch in diesem Falle jetzt der Zinsführerschaft der Vereinigten Staaten —, sondern der hat einen unternehmenspolitischen, einen Managementfehler begangen.



Bundesminister Dr. Graf Lambsdorff
Einigen Bankiers, die sich dann an diesen Gräbern als Trauergäste versammeln, muß man dann wohl auch sagen, daß sie rechte Krokodilstränen weinen; denn sie haben die Finanzierung zur Verfügung gestellt, die jetzt in diese Ecke geführt hat. So ganz glaubwürdig sind dann solche Bekundungen nicht. Wie ich überhaupt meine, daß man sich, wenn man sich die Ertragslage unserer Banken ansieht, die Frage stellen muß, ob nicht einige in Zeiten hoher Liquidität zu relativ niedrigen Zinssätzen — um überhaupt nur eine Anlage- und Ausleihmöglichkeit gehabt zu haben — sehr langfristige Kredite ausgeliehen haben, deren Refinanzierung sie heute von der Kostenseite her erheblich drückt. Daß im übrigen deren konjunkturpolitische Beurteilung der Situation nicht so günstig ist und nicht so objektiv ausgefallen ist, wie wir uns das wünschen, ist verständlich. Wenn man auf die eigene Gewinn- und Verlustrechnung guckt und die nicht so schön aussieht, sieht die Welt auch im ganzen nicht so ungewöhnlich erfreulich aus.
Aber noch ist das Risiko, Herr Kollege Dollinger, daß bei uns nicht investiert wird, glücklicherweise nicht zu sehen. 1979 und auch die zweite Hälfte 1978 sind entgegen dem, was Sie ausgeführt haben, gerade von den Investitionen der privaten Wirtschaft gekennzeichnet worden, und dieser Trend hält erfreulicherweise an. Wir sollten aber alles tun, um ihn weiter lebhaft und wachsend sein zu lassen und ihn nicht zu behindern und ihn nicht zu erschweren.
Daß sich der Produktivitätsfortschritt — Herr Dollinger, Sie haben das sehr betont herausgestellt; Sie haben sehr freundlich gesprochen, was das Sympathische an Ihnen ist, denn auch wenn Sie polemisch und bösartig sein wollen, kommt es immer noch freundlich an, was wir schätzen —

(Beifall bei der CDU/CSU)

verlangsamt, habe ich heute morgen selber gesagt. Nur ist die Bundesrepublik Deutschland mit einem Fortschritt von 3,5 % — vergleichen Sie das einmal mit den Vereinigten Staaten, wo das eigentlich die Ursache der schlechten Entwicklung ist! — immer noch relativ gut dran. Daß ein Kapitaleinsatz, der in höherem Umfang als früher auf qualitative Überlegungen, wie das heute genannt wird, Rücksicht nehmen muß, der über Umweltschutz und ähnliches höhere Kostenbelastungen mit sich bringt, hinsichtlich des Produktivitätsfortschritts nicht mehr dasselbe wie in den 50er und 60er Jahren erzeugen kann — Sie haben die Zahlen genannt —, ist unbestreitbar richtig. Ich glaube, das müssen wir sehen und auch in Kauf nehmen; denn wir wollen es so. Wir wollen nicht Investition und Wachstum, die auf externe Bedingungen und auf das, was wir für notwendig halten, keine Rücksichten nehmen.
Gewiß ist die Eigenkapitalbasis unserer Unternehmen, die sich glücklicherweise wieder bessert, im internationalen Vergleich — ich will nicht die Japaner nennen, wo es anders aussieht, was man schwer vergleichen kann — zu den Vereinigten Staaten und auch zu unseren westlichen Partnern, nicht sehr beruhigend. Das war sie nie. In einem Lande, das zwei Kriege verloren und drei Währungsreformen hinter sich hat, ist es die Folge eines so schnellen Wiederaufbaues, daß die Eigenkapitalquote zu niedrig und zu gering ist. Da gibt es die Vorschläge mit den 50 000 DM — und das kostet hinterher Milliarden —, wie sie die CDU-Mittelstandsvereinigung in Saarbrücken „ausgebraten" hat. Ich will gar nicht von der Erhöhung der Abschreibung für geringwertige Wirtschaftsgüter reden, die Herr Gärtner erwähnt hat. Es ist völlig unbezahlbar, und unfinanzierbar, dies zu verdoppeln. Wie kann man uns das im Ernst vorschlagen und gleichzeitig sagen: Die Verschuldung muß abgebaut werden? Ich täte es auch gern; denn es ist Vereinfachung, es ist natürlich weniger Bürokratie, und es ist für einige Bereiche unserer Wirtschaft, für einige Lieferfirmen — von Büromaschinen und ähnlichem — ein uraltes Anliegen. Aber Sie können es nicht bezahlen, und es ist nicht vertretbar, wenn Sie hier Nutzen und Kosten haushaltsmäßig und finanzpolitisch gegeneinanderstellen.
Auch ich wäre dafür gewesen, wie Sie alle wissen, daß wir bei der Frage der Vermögensbildung einen Schritt weitergekommen wären. Das ist schwierig. Nur, wenn Herr Pieroth hier sagt, daß damit eine wesentliche, so hat er formuliert, Verbesserung der Eigenkapitalbildung erreicht werden könnte, dann widerspreche ich dem. Man kann damit Vermögensbildung in Arbeitnehmerhand betreiben — das ist wünschenswert —, aber die Erfahrung der Vergangenheit spricht überhaupt nicht dafür, daß dabei zusätzliches neues Eigenkapital in nennenswertem Umfang herauskäme. Die Ausweitung auf die stille Beteiligung schafft überhaupt kein Eigenkapital, denn die muß man wirtschaftlich als Darlehen sehen, und der Einschluß der Aktien von Tochtergesellschaften und auch von Nicht-Tochtergesellschaften schafft natürlich überhaupt kein zusätzliches Eigenkapital. Es könnte sein, daß ein solcher Schritt dazu führt, daß es mit dem Abfluß von Mitteln, mit denen man zukünftig Eigenkapital bilden kann, etwas besser aussähe; aber das ist auch alles.
Im übrigen hat Herr Pieroth, der leider nicht hier ist, vom Jahreswirtschaftsbericht als einem Rätselbuch gesprochen. Für ihn — das sage ich mit aller Deutlichkeit — war dieses Rätsel zu schwer, er hat es nicht gelöst und nicht verstanden.

(Beifall bei der FDP und der SPD)

Ich halte es für eine Zumutung für den Grips der hier Versammelten, wenn formuliert wird: SPD und FDP haben es geschafft: durch die defizitäre Leistungsbilanz ist das magische Viereck zusammengebrochen. Haben wir denn die Ölpreise in zwei Jahren um 40 Milliarden DM erhöht?
Herr Pieroth hat hier gesagt, niemand in dieser Koalition habe begriffen und formuliert, daß Marktwirtschaft mehr als ein geeigneter Weg für das Erwirtschaften von Gewinnen sei, daß Marktwirtschaft und die damit verbundene Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung andere Funktionen haben. Ich möchte sehr höflich und zurückhaltend sein — eigentlich würde ich gern etwas anderes sagen — und das auf ein hohes Maß von Ignoranz und NichtZuhören und Nicht-Lesen mindestens dessen zu-



Bundesminister Dr. Graf Lambsdorff
rückführen, was der Wirtschaftsminister dieser Regierung landauf, landab verkündet.
Ich möchte auf die wirtschaftliche Situation unseres Landes im Jahre 1979 zurückblicken. Es ist ein auch für uns überraschend erfolgreiches Jahr gewesen. Das gilt auch für die Bundesregierung; denn Sie wissen, daß der Jahreswirtschaftsbericht kein Wachstum von 4,4 % erwarten ließ. Das Jahr 1979 und auch das Jahr 1980 stellen uns ganz gewiß vor große Herausforderungen. Wir müssen ihnen in einer schwieriger werdenden politischen Umwelt gerecht werden. Wie ich heute morgen gesagt habe, wird man nicht alles, was ökonomisch zu entscheiden ist, ausschließlich an der ökonomischen Meßlatte ablesen und danach entscheiden können. Das ist bitter. Das tut der Wirtschaftsminister schon gar nicht gern. Aber es wäre töricht, wenn wir dies anders sehen wollten. Es wäre töricht, wenn wir nicht in der internationalen politischen Entwicklung die größeren Risiken sähen, um deren Eindämmung es geht. Wenn wir sie jetzt eindämmen, haben wir vielleicht einen niedrigeren Preis zu zahlen als dann, wenn sie wirklich entstehen.
Daß die energiepolitische Herausforderung eine große Rolle spielt, werden wir in der nächsten Woche diskutieren. Dann steht ja das Verstromungsgesetz auf der Tagesordnung. Das gibt Anlaß, den Gesamtkomplex der Energiepolitik miteinander zu besprechen.
Ich möchte zu der Bemerkung von Herrn Biedenkopf, die CDU sei die einzige Partei, die in Nordrhein-Westfalen für den Ausbau der Kernenergie spreche, einfach nur der guten Ordnung halber etwas sagen. Meine Damen und Herren, erlauben Sie mir einen Augenblick als Landespolitiker Nordrhein-Westfalens, aus einem Wahlprospekt der Freien Demokraten dieses Landes zu zitieren:
Die FDP baut auf die heimische Kohle als sicheren Energieträger. Sie befürwortet den Einsatz von Kernenergie, wenn Sicherheit und Entsorgung gewährleistet sind.
Herr Narjes legt sein Ohr nach vorn, um zuzuhören. Dann will ich ihm auch gleich sagen, daß wir dem Herrn Ministerpräsidenten Stoltenberg auf seinen Wunsch hin in einem Brief geschrieben haben — damit wir auch das klar haben —:
Daher kann kein Zweifel bestehen, daß auch der Bau des Kernkraftwerks Brokdorf mit der energiepolitischen Zielsetzung des Energieprogramms der Bundesregierung in Einklang steht.
Meine Damen und Herren, gelegentlich höre ich einen bestimmten Zuruf, mal von dieser Landespartei, mal von jener Gruppierung, früher auch aus den eigenen Reihen. Ich weiß, daß man zum Durchsetzen solcher Positionen ein hartes Kreuz haben muß. Ich fordere auch andere freundlichst auf, es zu haben. Ich habe das ein paar Jahre lang praktiziert, mit einem Ergebnis, das im Zweifelsfall im wesentlichen Ihren Vorstellungen entspricht.

(Lampersbach [CDU/CSU]: Haben Sie das auch Herrn Klose geschrieben?)

— Herr Klose ist, wie Sie ja wissen, in dieser Frage nicht meiner Ansicht. Der bezieht in Hamburg nur 60 % des Stroms auf der Basis von Kernenergie!

(Zuruf von der CDU/CSU: So ist es! — Beifall bei der CDU/CSU)

Zum Durchsetzen von Positionen bedarf es auch politischer Anstrengungen, des politischen Sich-dafür-Einsetzens. Ich wiederhole: Diese Position durchzusetzen und durchzuhalten und sich für den weiteren Ausbau der friedlichen Nutzung der Kernenergie auszusprechen setzt aber voraus, daß wir auf dem Gebiet der Entsorgung die notwendigen Schritte unternehmen.
Wenn Herr Biedenkopf fragt, wo der Beitrag des Landes Nordrhein-Westfalen bleibe, dann sage ich: Der Bau des Zwischenlagers in Ahaus ist ein wesentlicher Beitrag zur Entsorgung. Ohne Entsorgung ist die Nutzung der Kernenergie unverantwortbar. Ich sage weiter: Ohne Wiederaufbereitung ist die Endlagerung radioaktiven Abfalls unverantwortbar. Deswegen ist die Wiederaufarbeitung, wie sie in Hessen jetzt geplant wird — ich sagte schon: wir hören mit Interesse nach Niedersachsen, ob es auch da wieder kommt —, notwendig. Diese Voraussetzungen müssen — davon gehen wir allerdings aus — erfüllt werden, wenn wir hier zu positiven Entscheidungen kommen wollen.

(Lampersbach [CDU/CSU]: Auch von Herrn Hirsch!)

Ich sage noch einmal, meine Damen und Herren, daß es in der wirtschaftspolitischen Diskussion, aber nicht nur dort, sondern auch in der Praxis, in den praktischen täglichen Entscheidungen, darum gehen muß — innenpolitisch wie außenpolitisch, sowohl bezüglich der nationalen als auch bezüglich der internationalen Wirtschaftsbeziehungen —, den Grundsätzen offener Märkte Geltung zu verschaffen, die Grundsätze einer wettbewerbsorientierten Politik durchzusetzen und dies, jedenfalls was unsere nationale Ordnung anlangt, an den Grundsätzen einer sozialverpflichteten Marktwirtschaft zu orientieren.
Dabei hätte ich manchmal ganz gern nicht nur die verbale Unterstützung aus den Reihen der Opposition. Ich hoffe, Sie alle haben gelesen, was Herr Barbier unter der Überschrift „Ludwig Erhards Erben" am 2. April 1980 in der Süddeutschen Zeitung geschrieben hat. Es klingt nicht gut, wenn es da heißt:
Denn die Unionspolitiker selbst setzen marktwirtschaftlichen Elementen der Wirtschaftspolitik immer wieder Hürden in den Weg. Sie zweifeln am Verlaß auf den Marktmechanismus bei der Überwindung von Wohnungsmangel und Arbeitslosigkeit. Sie neigen dazu, Trostpflästerchen zu verteilen, statt Unternehmenspleiten und Korrekturen beim Reallohn als Ausdruck wirtschaftlicher Veränderung zu akzeptieren.
Und das heißt schließlich:
Es wäre Selbstbetrug, wenn die Union sich ein-
reden ließe, ihre Politik habe, am Kriterium der



Bundesminister Dr. Graf Lambsdorff Marktwirtschaftlichkeit gemessen, irgend etwas Herausragendes an sich.
Ich pflichte diesem Urteil bei, würde mich aber freuen, wenn sich das ändern könnte, weil ich, wie Sie wissen, davon überzeugt bin, daß marktwirtschaftliche Grundsätze und deren Umsetzen in die Praxis der einzige Weg sind, um unsere Probleme in einer Weise zu lösen, die uns wirtschaftliche und soziale Verwerfungen erspart.
Wenn wir das tun, meine Damen und Herren, haben wir in der Bundesrepublik Deutschland auf der Grundlage, von der aus wir operieren können, bessere Aussichten, als sie in fast allen anderen Volkswirtschaften der Welt bestehen, sicherlich bessere Aussichten als in allen anderen vergleichbaren Volkswirtschaften — wir sind ein energie- und rohstoffarmes Land, das dürfen wir nicht übersehen —, weil wir ein hohes Potential an risikobereiten Unternehmern, an einsatzbereiten, technisch geschickten, erfahrenen und fleißigen Arbeitnehmern haben und weil wir — darum wird sich die Bundesregierung jedenfalls auch in Zukunft bemühen — von der staatlichen Wirtschaftspolitik her die Rahmenbedingungen setzen wollen und setzen werden, die einen solchen Prozeß zu einem endgültigen, positiven Ergebnis führen.

(Beifall bei der FDP und der SPD)


Richard Wurbs (FDP):
Rede ID: ID0821127400
Das Wort hat der Abgeordnete Schwarz-Schilling.

Dr. Christian Schwarz-Schilling (CDU):
Rede ID: ID0821127500
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Bundeswirtschaftsminister sprach am Schluß vom risikobereiten Unternehmer, und der Präsident des BDI erklärte gestern bei der Eröffnung der Hannoverschen Messe, daß die Unternehmen aller Größen einigermaßen gewappnet und nicht kleinmütig in das nächste Jahrzehnt gehen. Wer einen Blick in die Hannoversche Messe getan hat oder noch Gelegenheit haben wird zu tun, der wird feststellen, daß die Innovationskraft, die Leistungsbereitschaft vorhanden sind, und daß die Arbeit, die damit verbunden ist, von den Unternehmen in voller Gänze geleistet wird. Es sind neue Gerätekonstruktionen zu sehen. Die Mikroprozessortechnik, die so sehr oft verteufelt wird, findet schon in weiten Bereichen Anwendung. Damit sind echte neue Chancen für die deutsche Wirtschaft im Entstehen begriffen. Wir substituieren Energie. Der Bereich der Solartechnik nimmt immer größere Formen an, auch bei dieser Ausstellung. Das Interessante dabei ist, daß es sich hier nicht um einige wenige Unternehmen handelt — vielleicht solche, die staatliche Forschungszuwendungen erhalten —, sondern daß diese Entwicklung bei allen Unternehmungen bis hin zu dem kleinsten zu sehen ist. Damit ist die große Bereitschaft der Unternehmerschaft und der Unternehmungen schlechthin deutlich sichtbar.
Auf der anderen Seite haben sich die ökonomischen Daten der Welt außerordentlich geändert. Wir sind zu einem Hochlohnland geworden. Wir sind Spitzenreiter bei den Lohnstückkosten. Die Energiekostenexplosion hat unsere Kalkulationen über den Haufen geworfen. Die Umstrukturierung der Arbeitsteilung zwischen den Industrieländern und den Entwicklungsländern ist voll im Gange.

(V o r s i t z : Vizepräsident Leber)

Es handelt sich hier, wie Herr Kollege Roth richtig sagte, um eine Herausforderung, die in den vergangenen 30 Jahren in dieser Dimension nicht bestanden hat. Ich bin der festen Überzeugung, daß diese Herausforderung in der Bundesrepublik Deutschland nur bestanden werden kann, wenn alle Partner, d. h. der Staat, die Wirtschaft und die Sozialpartner, verantwortungsvoll handeln.
Da muß man die Frage stellen: wie haben sich die einzelnen Partner verhalten? Wer hat wem Lehren zu erteilen? Wer hat wem Ermahnungen zu geben? Und wer sollte sich an die eigene Brust fassen? Das wäre eigentlich auch das Thema eines solchen Wirtschaftsberichtes. Man mußte feststellen: hat die Bundesregierung die Verantwortung übernommen, die sie als Staat übernehmen muß, und haben es die anderen auch getan?
Überblicken wir einmal dieses Jahrzehnt! Die Staatsquote wurde bewußt von 38 auf 48 % des Sozialprodukts erhöht, entsprechend der Meinung der Sozialdemokraten, der Staat sei besser geeignet, Vorsorge zu treffen; aus diesem Grunde müsse ein größerer Teil des Sozialprodukts aus dem privaten Bereich in den staatlichen Bereich transferiert werden. Das hat man mit großem Geschick und mit entsprechendem Erfolg getan. .
Nur ist jetzt die Frage zu stellen: was hat man denn mit den 10 % Mehr vom Sozialprodukt im staatlichen Bereich getan? Wo sind denn die Reserven, die wir für die Vorsorge bräuchten, angelegt, um sie in Zeiten der Not in Anspruch nehmen zu können? Da stellen wir fest, daß man dieses Geld nicht nur für spezielle Objekte, die heute als Reformruinen dastehen, für die Aufblähung des öffentlichen Haushaltes, des Personalaufbaues und ähnliches mehr benutzt hat, sondern daß man mit diesen riesigen Mehrmengen der Transferierung von 10 des Sozialprodukts nicht einmal ausgekommen ist. Man hat gleichzeitig noch die Verschuldung in einer Weise in Gang gebracht. Man muß sich wirklich fragen: wohin sind diese riesigen Gelder gegangen? Sind sie produktiver angelegt worden, als sie die private Wirtschaft hätte anlegen können? Denn das war ja der entscheidende Grund vor zehn Jahren, warum man das tat. Da kann man nur feststellen, daß diese produktive Anlage kaum zu sehen ist; vielleicht in einigen Bereichen, aber nicht in dem Ausmaß, in dem transferiert worden ist.
Das Fazit: der Staat hat die Rahmenbedingungen für die Wirtschaft nicht verbessert, sondern entscheidend verschlechtert. Denn er hat durch diese Transferierung die Möglichkeiten der privaten Wirtschaft, Vorsorge zu treffen, technologische Umstrukturierungen vorzunehmen, um in den eigenen Unternehmungen den Spielraum zu haben, solche riesigen, schwierigen Prozesse ohne Schwierigkeiten der finanziellen Grundlegungen durchführen zu können, behindert, statt sie zu fördern. Die wichtigste Größe, die Produktivität, die ja bestimmt, wie



Dr. Schwarz-Schilling
viele Güter wir produzieren, wie viele wir verbrauchen können, wieviel wir arbeiten müssen, wieviel Freizeit wir haben, wie sauber wir unsere Umwelt haben und welches Tempo wir dabei vorlegen, diese wichtigste Größe der Produktivität ist durch diese Politik behindert und nicht gefördert worden.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Was die Lohnkosten angeht — um den nächsten Partner, die Tarifpartner, anzusprechen —, kann man nur sagen, da hätte die Bundesregierung nicht an die falschen Adressen — — Die Bundesregierung ist wohl schon zurückgetreten, man sieht überhaupt
keinen mehr auf der Regierungsbank.

(Zuruf von der CDU/CSU: Der Minister steht in der Ecke! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU)

— Nun ja, nachdem der Bundeswirtschaftsminister seine Redezeit so stark erweitert hat, wäre man doch ganz dankbar, wenn irgend jemand auf der Regierungsbank noch zuhörte, wenn ein Oppositionspolitiker spricht.

(Zustimmung bei der CDU/CSU — Zuruf: Das ist die Arroganz!)

Ich sprach vom dem zweiten Partner. Bei den Lohnkosten, die von den Tarifpartnern ausgehandelt werden, hat der Wirtschaftsminister plötzlich das Wort an die Tarifpartner gerichtet und von den 7 % gesprochen. Vorher hatte er nicht den Mut, Orientierungsdaten zu setzen, was er nach dem Stabilitätsgesetz hätte tun müssen. Statt dessen hat er auf der falschen Seite an der Kostenschraube weiter gedreht. Denn er hat nicht gesagt, daß er in diese 7 auch schon die vorher für das Jahr 1980 vereinbarten entsprechenden Kostenerhöhungen etwa mit eingerechnet hätte. Das wäre eine entsprechende Konsequenz gewesen. Wir sind doch heute so weit, daß wir praktisch 70 % Lohnnebenkosten dazulegen müssen und damit, wenn wir die beiden Dinge zusammensehen, die Spitze in der Welt einnehmen.

(Werner [CDU/CSU]: Sehr richtig!)

Wir brauchen uns also nicht zu wundern, wenn die Nettoinvestitionsrate, die im ersten Konjunkturzyklus von 1950 bis 1966 noch bei 12 %, im zweiten Konjunkturzyklus von 1966 bis 1970 bei 10 % und im dritten Zyklus von 1971 bis 1974 bei 8 % lag; jetzt auf nur noch 4 % zurückgegangen ist. Damit sind die Nettoinvestitionen der Wirtschaft viel stärker als die Kapitalbildung gefallen. Die offizielle Berichterstattung spricht zwar immer von den Bruttoinvestitionen, die relativ stabil sind, weil sie sich aus der Nettoinvestition und dem großen Block der Abschreibungen zusammensetzen. Aber damit wird eine Entwicklung verschleiert: nicht die Brutto-, sondern die Nettoinvestitionen erhöhen den Kapitalbestand und bestimmen damit weitgehend die Produktivität.
Damit rückt ein weiterer ganz wichtiger Punkt ins Blickfeld, nämlich die Renditen der Unternehmungen. Der Anteil des Eigenkapitals an der Bilanzsumme ist bei den industriellen Aktiengesellschaften von 38 % im Jahre 1968 auf 30 % im Jahre 1978 und bei dem übrigen produzierenden Gewerbe — Baugewerbe und Handel — von 30 % auf 22,5% zurückgegangen. Insofern, Herr Wirtschaftsminister, stimmt es nicht, wenn Sie erklären; daß die Eigenkapitalquote schon immer so schlecht gewesen sei. Sie hat sich in diesen Jahren ganz entscheidend verschlechtert.

(Zustimmung des Abg. Dr. Kunz [Weiden] [CDU/CSU])

Insofern war das eine ganz falsche Darstellung.
Ein nächster Punkt: Wie sieht es denn mit den Gewinnerwartungen der Unternehmungen aus, die kalkulieren müssen, die Kapital einsetzen müssen, das sich rentieren soll? Wenn sich Vermögenskapital heute schon zu 10 % verzinst, wie soll denn dann Produktivkapital verzinst werden? Bei dem dabei entstehenden Risiko müßte es mit weit mehr als 10 % verzinst werden. Die Kapitalrendite sinkt gerade in den letzten Jahren wieder unter die entsprechende Geldvermögensrendite, wie wir das schon einmal gehabt haben. Dann ist tatsächlich die Frage zu stellen: Wie soll in einer Zeit, in der das Geld sozusagen ohne jedes Risiko in Anleihen oder in entsprechendes Geldvermögen gesteckt werden kann, zu Investitionen angereizt werden? Man hat ja gesehen, daß die Unternehmungen sofort in eine ganz schwierige Lage kommen, wenn sie auf Grund von Konjunkturdämpfung die Fixkosten, die Zinsen für Fremdkapital weitertragen müssen und selber ihr Eigenkapital nicht mehr verzinsen können.

(Lampersbach [CDU/CSU]: So ist es!)

Sie kommen damit in die größten Schwierigkeiten, wie wir in den Jahren ab 1973/74 gesehen haben.
So kommt es eben, daß wir bei 155 Milliarden DM Bruttoinvestitionen eine Nettokreditaufnahme von nur 3 Milliarden DM haben. Das heißt: Die Industrie finanziert ihre Investitionen heute zu 98 % selber, weil das Risiko der Verschuldung, das Anfang der 70er Jahre zu katastrophalen Entwicklungen geführt hat, für sie ein entsprechender Erfahrungsschatz geworden ist. Und dann wird, wenn von Erlösverbesserungen über eine entsprechende Preisgestaltung die Rede ist, gefragt: Ja, warum ist denn das notwendig? Meine Damen und Herren, wenn man die Finanzstrukturen der Unternehmen so wenig kennt, dann sollte man sich an einer solchen Debatte gar nicht beteiligen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Ein weiterer Punkt: Die Regierung erklärt, daß sie alles tue, um diesen Wandlungs- und Strukturprozeß zu verbessern. Ich frage mich nur: Was ist denn z. B. auf dem ganzen Sektor unserer Kernenergietechnologie passiert? Da ist doch in der entsetzlichsten Weise die Entwicklung einer Spitzenleistung der deutschen Wirtschaft, die gerade diesen Umstrukturierungsprozeß zu den, wie man es international nennt, sophisticated technologies in erstklassiger Weise vollbringen könnte, bei uns von politischer Seite gestoppt worden, so daß heute ganze Branchen stilliegen. Arbeitnehmer sind auf die Straße gesetzt worden, Zulieferbetriebe können



Dr. Schwarz-Schilling
nicht mehr liefern. So verlieren wir einen der wichtigsten Sektoren der Zukunftstechnologie.

(Zurufe von der CDU/CSU: So ist es! — Leider wahr!)

Oder denken Sie an den Bereich der Medientechnologie. Medientechnologie, was ist das? Das ist das Zusammenwachsen der Computertechnik mit der Fernmeldetechnik im Einklang mit den Mikroprozessoren und der Mikroelektronik. In den Vereinigten Staaten von Amerika hat dieses Zusammenwachsen zu einer völlig neuen Technologie geführt, zu einer völlig neuen Entwicklung der Endgeräte und der Vorgeräte. Dort hat dieser Bereich bereits ein Wirtschaftsvolumen von mehreren Milliarden Dollar mit Zuwachsraten zwischen 40 und 80 % pro Jahr. Und wir glauben, es uns leisten zu können, auf Grund irgendwelcher philosophischen Gespräche ganz normale Fortentwicklungen der Fernmeldetechnik, der Kabeltechnik blockieren zu können, weil der Bundeskanzler noch darüber nachdenken will, ob man nun an einem oder an zwei Abenden nicht fernsehen soll.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Meine Damen und Herren, wo leben wir eigentlich? Jeder kann am Abend sein Fernsehgerät abstellen; aber es sind nur Diktaturen, in denen der Staatschef bestimmt, an welchem Tage das geschieht. Es geschieht bestimmt nicht in unserem freien Land!

(Roth [SPD]: Man sollte Ihre Argumentation niedriger hängen! — Weiterer Zuruf von der SPD: Laß ihn doch!)

— Sagen Sie das einmal den Firmen, die wegen die-
ser Entwicklung nicht mehr in der Lage sind, markt-
wirtschaftlich tätig zu sein,

(Weitere Zurufe des Abg. Roth [SPD])

weil die Bundespost mit ihrem staatlichen Monopol es ihnen nicht gestattet, in freiem wirtschaftlichen Verkehr in der Bundesrepublik ihre Leistungen anzubieten. Das ist doch die Situation!

(Zustimmung bei Abgeordneten der CDU/ CSU)

Wir reden hier über Stahl und Eisen, statt in diesen Fragen, bei denen wir moderne Wege gehen könnten, der Wirtschaft diese Möglichkeiten zu geben und nicht eine Blockierungspolitik zu betreiben.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Meine Damen und Herren, ganz besonders betroffen sind in diesen Dingen natürlich die mittleren und die kleineren Unternehmungen.

(Sehr richtig! bei der CDU/CSU)

Diese werden, wenn das Wort „Mittelstand" fällt, meistens dann vergessen, wenn sie als Industrieunternehmen im Wettbewerb mit Großunternehmen stehen.

(Zuruf von der CDU/CSU: So ist es!)

Das ist eine der gefährdetsten Gruppen, es ist die Gruppe, die das größte Risiko auf sich nehmen muß, um in diesem Wettkampf zu bestehen.
Das, was die Bundesregierung durch ihre Politik in dieser Weise gerade dieser Gruppe zumutet, werden spätere Rückblicke eindeutig klarstellen. Nehmen wir z. B. nur die Frage der Kreditaufnahme. Es wird Inflationsbekämpfung gemacht, indem wir bei hohen Zinsen knappes Geld haben, selbstverständlich auch im Anschluß an das Zinsniveau in den Vereinigten Staaten. Aber es ist eben interessant, wie hier über sogenannte erste Adressen gesprochen wird.

(Sehr richtig! bei der CDU/CSU)

Diese „ersten Adressen" sind einmal immer der Staat und zum zweiten die multinationalen Großunternehmen. Was sollen eigentlich die mittleren und die kleineren Unternehmen sein, die technisch, im Know-how, in der Leistungsbereitschaft mehr als erste Adressen sind, aber in dieser Frage immer durchs Netz fallen, weil sie 10')/0 und mehr zu zahlen haben? Das sind nämlich diejenigen, die bei dieser Art von Finanzpolitik nachher auf Grund der Ungleichheit, die durch diese Politik entsteht, nicht mehr mithalten können.

(Roth [SPD]: Dann würde ich einmal über die Bankenstruktur nachdenken! — Kittelmann [CDU/CSU]: Bank für Gemeinwirtschaft — oder welche?)

— Wissen Sie, ich bin der Auffassung,

(Pfeffermann [CDU/CSU]: Er meint die Hessische Landesbank!)

daß der Staat und die Regierung erst einmal über das nachdenken sollten, was in ihrer Macht steht, z. B. über die Frage, wie die Medientechnologie in Gang zu setzen ist,

(Beifall bei der CDU/CSU)

statt der Bundespost Auflagen zu machen, die gar nicht gemacht werden dürfen.

(Pfeffermann [CDU/CSU]: Er meint doch die Bank für Gemeinwirtschaft und die Hessische Landesbank!)

Schauen Sie sich bitte an, wie groß die Wachstumsschwierigkeiten bei der mittleren und der kleineren Industrie sind. Das „Handelsblatt" hat gerade — ich glaube, es war vorgestern — bezüglich der Wachstumsfinanzierung Ausführungen darüber gemacht, daß fast die Hälfte der mittleren und der kleineren Firmen das Wachstumsplanziel, das sie sich gesetzt haben, nicht erreicht. Lediglich 55 % konnten eine geplante Erweiterung des Sachanlagenbestandes in vollem Umfang verwirklichen. 44 % haben ihr Wachstumsziel entweder nur teilweise oder überhaupt nicht erreicht. Es steht dort weiter, daß das Expansionsziel je nach der Betriebsgröße ohne Einschränkung von 73 % bis herunter zu 26 % — bei der untersten Beschäftigtenklasse — erreicht werden konnte. Das heißt, je kleiner das Unternehmen ist, um so weniger war es in der Lage, die geplante Erweiterung der Anlagen durchzuführen, und zwar zu über 50 % aus Finanzierungsschwierigkeiten wegen der Hochzinsen und wegen entsprechender Schwierigkeiten, die damit für die Eigenkapitalbildung der Unternehmungen entstehen.

(Zuruf des Abg. Cronenberg [FDP])




Dr. Schwarz-Schilling
— Ich spreche von einem Artikel des „Handelsblattes" von vorgestern.
Meine Damen und Herren, früher galt die Regel, daß eine Mark einbehaltener Gewinn zwei Mark Kredit zu Investitionen ermöglicht, so daß eine Mark Gewinn drei Mark Investitionsnachfrage auslösen konnte. Im Jahre 1978 in der Hochkonjunktur betrugen, wie ich schon erwähnt habe, die Bruttoinvestitionen der Unternehmen 155 Milliarden DM; die Nettokreditaufnahme betrug nur 3 Milliarden DM. Wenn jetzt gefragt wird, warum nicht mehr investiert wurde, dann kann man nur sagen — Graf Lambsdorff, der Wirtschaftsminister, hat es gerade erklärt —, da waren früher so viele Managementfehler gemacht worden. Jawohl, genau aus diesem Grunde, weil das Management gelernt hat, daß die Unternehmen in Deutschland bei der dünnen Eigenkapitalbasis und einer entsprechend hohen Fremdfinanzierung in dem Moment, wo die Kapazitäten nicht mehr voll ausgelastet werden, sofort in die roten Zahlen rutschen und damit eigentlich gar nicht in der Lage sind, die Schwankungen der Konjunktur aufzufangen.
Bei uns sind die variablen Faktoren mit der Zeit zu Fixfaktoren geworden: was die Arbeitskräfte angeht, was die Situation der Kreditfinanzierungen angeht, was die Gewinnmarge angeht, die so gering ist, daß die Unternehmen beim geringsten Ausschlag unter die Nullgrenze fallen. Die Gewinne sind auf diese Weise nicht mehr der Puffer, mit dem man in der Lage ist, schlechte Zeiten zu überstehen und in guten Zeiten die Flexibilität aufzubringen, um im eigenen Unternehmen den Strukturwandel vollziehen zu können. Dies ist so, weil diese Finanzierungsmittel nicht mehr in den eigenen Unternehmungen sind, sondern durch den Transfer in den Staatsanteil des Sozialprodukts dort angesiedelt sind und dort mit riesigen Programmen einzelnen zukommmen. Ich möchte hier nur an die Forschungs- und Entwicklungsförderung erinnern. Aus diesem Grunde sind wir nicht mehr in der Lage, diesen Strukturwandel normalerweise mit marktwirtschaftlichen Mitteln und Methoden zu vollziehen.
Lassen Sie mich deswegen zum Schluß folgendes sagen: Nur eine hohe Beteiligung der breiten Arbeitnehmerschichten am Risikokapital — da widerspreche ich dem Wirtschaftsminister — kann in Zukunft überhaupt hohe Lohnsteigerungen und hohe Lohnquoten ermöglichen, weil ansonsten Eigenkapitalquoten gar nicht mehr möglich sind. Der Staat hat in den ihm unterstehenden Bereichen in diesen Fragen verantwortungslos gesündigt.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Er hat den Saldo, den Spielraum für die Unternehmen eher eingeschränkt als erhöht und den sich für ihn selbst ergebenden größeren Spielraum verwirtschaftet. Das ist die Situation, in der wir stehen. Um so mehr kommen in vielen Unternehmerkreisen Mutlosigkeit, Resignation und Nachlassen der Leistungsbereitschaft auf. Ich kann nur sagen, es ist eigentlich eine Freude zu sehen, wie in diesen Kreisen immer noch das Wort „dennoch" das Klima bestimmt. Der Staat sollte sich aber nicht der Täuschung hingeben, daß dies über die Generations-
schwelle hinweg möglich sein wird. Die nächste Generation wird diese, eine ungeheure Erfahrung und eigene Anstrengung erfordernde Einstellung in dieser Weise nicht bewirken können, wenn nicht wieder Leistungsanreize gegeben werden, Leistungsbereitschaft auch bezahlt und ermutigt und nicht bestraft wird, wie dies in unserem Land der Fall ist.

(Dr. Spöri [SPD]: Ein Schreckensgemälde! Was ist denn mit dem Investitionsboom?)

Nur in diesem Appell an unsere Freiheit, an unsere Verantwortung, an unsere soziale Marktwirtschaft, die hier beheimatet ist,

(Dr. Spöri [SPD]: Der läßt hier die Welt untergehen!)

liegt unsere Chance. Indem wir diese Kräfte stärken — und nicht die Verwirtschaftung durch den Staat —, werden wir in der Lage sein, die Herausforderung des nächsten Jahrzehnts gut zu überstehen.
Um das zu bewerkstelligen, bedürfen wir im Oktober 1980 einer neuen Regierung.

(Beifall bei der CDU/CSU)


Georg Leber (SPD):
Rede ID: ID0821127600
Das Wort hat Herr Abgeordneter Narjes.

Dr. Karl-Heinz Narjes (CDU):
Rede ID: ID0821127700
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen, meine Herren! Der Herr Bundeswirtschaftsminister hat sich in seiner letzten Intervention mit dem Kollegen Sprung auseinandergesetzt. Ich habe seinen Ausführungen mit wachsendem Erstaunen über seine Fähigkeit und Bereitschaft zugehört, die Identität in der Sache in Polemik umzumünzen; denn wenn ich seine Rede heute morgen richtig verstanden habe, war sie in anderen Worten dasselbe, was der Kollege Sprung sagte.
Dann hat er sich mit dem Kollegen Biedenkopf auseinandergesetzt

(Zuruf von der CDU/CSU: Versucht!)

und in dem Zusammenhang berechtigte Fragen gestellt. Er hat mich aber durch seine Fragestellung an eine Rede erinnert, die an dieser Stelle vor einiger Zeit der Kollege von Weizsäcker gehalten hat. In dieser Rede hat Kollege von Weizsäcker das gesamte Spektrum des Anspruchsdenkens, des Mißbrauchs des Staates und aller damit zusammenhängender Ausgabenprobleme zur Diskussion gestellt. Er wurde daraufhin in einer Weise mit Polemik überzogen und angegriffen, daß die Diskussion nicht über den Tag, an dem diese Rede gehalten wurde, hinauskam.
Ich möchte den Grafen Lambsdorff fragen, ob damals die Polemik gegen den Kollegen von Weizsäkker eigentlich auch in seinem Namen erfolgte. Jedenfalls eines müßten Sie wissen: Wenn wir eine neue Phase vertieften Nachdenkens über die Ausgabenwirtschaft des Staates beginnen wollen, muß der nächste Anstoß von Ihnen kommen.

(Dr. Spöri [SPD]: Dann müssen Sie Ihre Anträge zurückziehen, die hier auf der Tagesordnung stehen! — Roth [SPD]: Nur bei den Dr. Narjes kleinen Leuten gibt es bei Ihnen Anspruchsdenken!)




Die Debatte des heutigen Tages über den Jahreswirtschaftsbericht ist eine Debatte über den letzten Jahreswirtschaftsbericht dieser Legislaturperiode und eine Debatte über das letzte Jahresgutachten gewesen, das der Sachverständigenrat in dieser Legislaturperiode diesem Hause vorgelegt hat.
Ich möchte als letzter Redner der Opposition für uns diesen Tag mit einigen Bemerkungen zu dem dominierenden Thema der Wirtschaftspolitik der vergangenen und wohl auch der nächsten Legislaturperiode schließen, nämlich zu dem der Energiepolitik. Ich möchte feststellen, daß nach vier Jahren der Regierung dieser Koalition die Energiepolitik eine Politik der großen Versäumnisse, des Zuwenig und des Zuspät gewesen ist.

(Zustimmung bei der CDU/CSU)

Ich möchte, anknüpfend an alle Debatten der Jahre 1973, 1974, 1975, 1977, 1978 und 1979, die wir gerade zu den außenwirtschaftlichen Aspekten der Energieprobleme in diesem Hause geführt haben, hier sehr deutlich wiederholen: Hätte die Bundesregierung nach dem ersten Ölschock rechtzeitig entschlossen begonnen, eine Energiepolitik des. „Weg vom 01" nicht nur aufs Papier, sondern auch ins Werk zu setzen, wären wir heute nicht so lebensgefährlich in unserer nationalen Sicherheit durch Importabhängigkeit bedroht, wie wir es tatsächlich sind.

(Zustimmung bei der CDU/CSU — Dr. Spöri [SPD]: Lesen Sie eigentlich Zeitung? Wir haben 5 % Öl eingespart!)

In der Auseinandersetzung über die Verantwortung der seit 1973 vertanen sechseinhalb Jahre geht es uns nicht nur um den vordergründigen Streit, welche praktische Maßnahme zweckmäßigerweise hätte ergriffen oder unterlassen werden können.

(Roth [SPD]: Sie waren sogar gegen das Sonntagsfahrverbot!)

Die Dimensionen des Versagens, Herr Kollege Roth, sind so groß, daß wir die Frage — und nur d i e Frage — stellen müssen,

(Roth [SPD]: 130 km/h — alles dagegen!)

ob das, was Sie in den letzten sechseinhalb Jahren
hier getan oder unterlassen haben, noch mit der
Verpflichtung der Bundesregierung vereinbar ist,
Schaden vom deutschen Volk fernzuhalten. Das ist
das einzige Kriterium, das wir anzuwenden haben.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Ich möchte, bevor ich einige Punkte dazu erwähne, darauf hinweisen, daß mir im Jahreswirtschaftsbericht und auch in den Reden, die heute von Regierungsseite gehalten worden sind, aufgefallen ist, zu wie vielen Punkten des Jahresgutachtens des Sachverständigenrates heute und auch im Jahreswirtschaftsbericht geschwiegen worden ist. Offensichtlich gab es doch das eine oder andere, worüber zu diskutieren man gern vermieden hätte.
Meine erste Feststellung ist, daß die Energiepolitik der Bundesregierung eine Energiepolitik ohne Gesamtstrategie, ohne Gesamtschau der interdependenten Tatbestände gewesen ist.

(Roth [SPD]: Was für ein Ding?)

Sie haben in den letzten sechs Jahren so getan, als ob es sich in erster Linie oder ausschließlich um ein wirtschaftspolitisches und nicht auch um ein sicherheitspolitisches und außenpolitisches Problem gehandelt hat. Erst im August des vergangenen Jahres hat ein Staatssekretärausschuß von der Bundesregierung den Auftrag erhalten, einmal über diese Dinge nachzudenken. Er hat im Januar 1980, sechseinhalb Jahre nach dem Ölschock von 1973, sein Gutachten abgeliefert.

(Dr. Spöri [SPD]: 5 % Öl im Winter eingespart! Das ist ein Erfolg!)

Es ist ein Anfang; es enthält aber noch keine ausgereifte Strategie, weil in ihm noch viele Geschichtspunkte fehlen.

(Roth [SPD]: Wenn die „Kohlekiller" hier reden!)

Die Bundesregierung hat sich bis in die Iran-Krise hinein — das ist jetzt offenkundig — keine hinreichenden Vorstellungen über die weittragenden Konsequenzen der Importabhängigkeit gemacht, die seit zwanzig Jahren unser Schicksal ist und es auch in Zukunft bleiben wird. Die Fehleinschätzung der fundamentalen Veränderung unserer Ölversorgung, unserer Energievesorgung, die den ersten 01-schock ausgelöst hat und die damals hätte korrigiert werden müssen, ist der Angelpunkt aller weiteren Fehlentscheidungen, die uns bis zum heutigen Tage verfolgen.

(Lenders [SPD]: Haben Sie den Ölschock von 1973/74 vorausgesehen? — Roth [SPD]: Von 01 reden und die Multis nicht erwähnen, das ist doch grotesk!)

Der Bundeswirtschaftsminister hat heute in seiner Rede festgestellt, daß unsere Versorgungslage labil sei, daß wir unkalkulierbaren Risiken ausgesetzt seien und daß wir auch in den 80er Jahren Schwierigkeiten zu bewältigen hätten. Das ist alles richtig. Nur sind das keine Erkenntnisse des Jahres 1980, sondern es sind Erkenntnisse, aus denen bereits seit 1973 Konsequenzen hätten gezogen werden können, die, wenn sie gezogen worden wären, diese Durststrecke verkürzt, wenn nicht ganz vermieden hätten.
Deshalb lauten die großen Fragen an den Bundeswirtschaftsminister und an seinen Amtsvorgänger: Warum haben Sie es unterlassen, den theoretisch richtigen Weg weg vom 01 tatsächlich ernsthaft auch als Politik zu verfolgen? Warum haben Sie den Wettlauf gegen die Uhr, der 1973 begonnen hatte, sechseinhalb Jahre zurückgestellt? Warum gilt heute offiziell noch die Zweite Fortschreibung des Energieprogramms, in der noch heute für das Jahr 1990 42 % Ölabhängigkeit vorgesehen sind? Warum — um in diesem Zusammenhang den Sachverständigenrat zu zitieren — sagen Sie nichts zu seiner Feststellung, daß es notwendig sei — so in Nr. 403 —,

Dr. Narjes
den Anteil des Mineralöls am gesamten Primärenergieverbrauch der Bundesrepublik noch stärker zurückzunehmen, als in der Zweiten Fortschreibung des Energieprogramms der Bundesregierung vorgesehen war? Hier haben Sie vom Sachverständigenrat noch einmal schwarz auf weiß, was wir als Opposition Ihnen seit Jahren vergeblich sagen. Die dazugehörende dahinterstehende Feststellung ist wohl die, daß es sich nicht nur um Handlungsschwäche, sondern offensichtlich auch um analytisches Versagen handelt, was Sie zu diesen Unterlassungen gebracht hat.
Meine zweite Feststellung ist, daß aus einer unzulänglichen Lagebeurteilung unzulängliche Prioritätenfestsetzungen folgen. Das große unsere Energieversorgung bedrohende und gefährdende Problem ist das der Ölversorgung. Es ist eine Existenzfrage, die uns von außen auferlegt ist,

(Dr. Spöri [SPD]: Das ist ganz neu, was Sie da sagen!)

an deren Zustandekommen wir nicht mitgewirkt haben und die wir nicht außen beenden können.
Im Gegensatz dazu ist die Akzeptanzkrise der Kernenergie eine Krise, die in Deutschland entstanden, gemacht und nur in Deutschland politisch beendet werden kann. Das ist der qualitative Unterschied dieser beiden Krisen.
Die Theorie vom Vorrang der Kohle besagt entweder eine Selbstverständlichkeit, oder aber sie ist eine Redensart, mit der in der Kernenergiedebatte die Restbedarfsphilosophie abgedeckt werden soll.
Der Kollege Junghans — ich glaube, er war es — hat heute wieder versucht, die Kohlegeschichte der 60er Jahre mit selektiven Argumenten falsch anzusprechen. Ich möchte ihn doch bitten, einmal in seinen Zettelkasten zu sehen und die Äußerungen und Stellungnahmen der Kollegen Deist oder Schiller zum Thema Energieversorgung in den 60er Jahren auch mit herauszusuchen, damit wir die Schlacht dann umfassend und nicht nur mit den Meinungen einiger Wahlkreisabgeordneter führen.
Es gibt im übrigen keine Alternative zwischen 01-sparen und Ölsubstitution. Beides sind gleichrangige und gleichwertige Ziele. Das eine kann das andere nicht ersetzen.
Wir haben drittens die völlige Verkennung des Zeitdrucks, unter dem wir stehen, durch die Bundesregierung. Wir stehen unter ihm, weil die Konservierungspolitik, der großen Produzenten das Weltangebot um eine halbe bis eine Milliarde Tonnen gegenüber dem verringert hat, was wir ursprünglich annehmen konnten. Wir haben einen Zeitdruck, weil wir die Ölwaffe ernst nehmen müssen, Sie ist nicht stumpf. Sie wird von Tag zu Tag schärfer, weil die multinationalen Verteilergesellschaften von Tag zu Tag aus ihren Einflußpositionen herausgedrängt werden.
Wir haben bei der Bundesregierung immer noch keine praktischen Konsequenzen aus den langen Vorlaufzeiten, mit denen in der Energiepolitik Investitionen nur abzuwickeln sind. Im Gegenteil, beide Bundesinnenminister haben dazu beigetragen, daß diese Fristen noch künstlich verlängert werden. Der Bundeswirtschaftsminister hat dies hingenommen.
Die Lösung der Nahostkrise und die Lösung vom Nahostöl sind also Aufgaben aktiver Friedenspolitik. Sie sind nach diesem Rang zu beurteilen. Wir haben seit Jahren darauf hingewiesen, im letzten Jahr auch formal einen Antrag gestellt, daß diese Bundesregierung, der deutsche Staat sich entschließt, sich im Laufe von zehn Jahren von Nahost unabhängig zu machen, weil wir der Ansicht sind, daß die Bereitschaft der Vereinigten Staaten, diese Energiequellen zu schützen, wenn sie nicht mehr lebenswichtig auf die Versorgung mit Nahostöl angewiesen sind, eine andere Qualität hat als im Augenblick, in dem auch sie lebenswichtig davon abhängig sind. Hier gab es keine Antwort der Bundesregierung. Bis heute hat sie auf diese Argumentation, die international geteilt wird, geschwiegen. Offensichtlich ist sie nicht in der Lage, sich dazu eine Meinung zu bilden.
Ich sage dies alles erst recht, weil auch in diesem Punkt der Sachverständigenrat eine eindeutige Feststellung trifft, die sich nicht im Jahreswirtschaftsbericht oder in heutigen Reden wiederfindet. Es heißt dort in Nr. 427:
Die Energiepolitik kann wenig falsch machen, wenn sie ihren Kurs der Verringerung der Abhängigkeit vom Öl forciert fortsetzt. Je früher sie handelt, um so schneller kann sich die Volkswirtschaft an den Ölpreis anpassen, der der künftigen Knappheitssituation entspricht.
Ich habe dem nichts hinzuzufügen. Der Zeitdruck ist die dominierende Größe unserer Energiepolitik. Die Bundesregierung ist ihm bisher nicht gerecht geworden.
Ich muß mir viertens ersparen, zu wiederholen, wie viele Mängel die Krisenvorsorge gegen kurzfristige Versorgungsstörungen aufweist. Seit Jahren haben wir darauf hingewiesen. Nichts Ausreichendes ist geschehen.
Ganz im argen liegen im übrigen die Bemühungen um die Diversifizierung unserer Bezugsquellen. Die seit 1973 erzielte Verlagerung des Schwerpunkts unserer Versorgung bleibt weit hinter dem zurück, was bei einer umsichtigen und allen Risiken Rechnung tragenden Politik möglich gewesen wäre. Andere Länder sind mit dieser Aufgabe besser fertig geworden.
Ganz im argen liegt fünftens auch das, was die Bundesregierung zur Lagerstättensicherung getan hat. Wir können erst jetzt beginnen, langfristige und mengenmäßig ins Gewicht fallende Bezugsverträge über Kohle abzuschließen und vor allen Dingen auch Eigentum zu erwerben. Vieles wurde versäumt.
Was das nicht konventionelle Öl anlangt, die Teersände, Schweröle und Ölschiefer, so gibt es außer Halbherzigkeit wenig zu vermelden. Während die ersten kommerziellen Großprojekte anderer Staaten zur Ausbeutung der Teersände anlaufen, nehmen wir immer noch eine abwartende Haltung ein. Ich möchte 'nur wissen, worauf wir warten.



Dr. Narjes
Die Mängel der Struktur der Deminex wurden kürzlich offenkundig, als ihr der Zugriff zu einer großen und in vieler Hinsicht interessanten Lagerstätte verwehrt wurde. Wo bleiben die Vorschläge des Bundeswirtschaftsministers, die sicherstellen, daß sich ein solches sträfliches Unterlassen nicht wiederholt?

(Roth [SPD]: Reden Sie doch über den, der das sabotiert hat! Reden Sie doch über die Gesellschaft, die das sabotiert hat! Reden Sie nicht über den Wirtschaftsminister!)

Wie steht es mit der Sicherung der Gasversorgung? Wie steht es mit dem Zugang zum Nordseeöl? Wie steht es mit den Beziehungen zu Norwegen, das seit beinahe zehn Jahren auf eine konstruktive Äußerung von deutscher Seite wartet?
Sechstens. Die Bundesregierung weiß sehr genau, welche große Bedeutung die Elektrizitätsversorgung für unsere Industriegesellschaft hat. Wir haben dem, was sie zu diesem Thema in der ursprünglichen Fassung des Energieprogramms geschrieben hat, nichts hinzuzufügen. Aber was ist in der Praxis daraus geworden? Engpaßbefürchtungen für die zweite Hälfte der 80er Jahre, sonst nichts!
Ebenso deutlich ist es, daß in der Stromerzeugung die Kernenergie unverzichtbar ist. Wir haben es mit Freude registriert, daß der Bundeswirtschaftsminister heute in seiner Rede in diesem Zusammenhang das Wort „Versäumnisse" benutzt hat. Nur ist das noch eine harmlose Bezeichnung des faktischen Kernenergiemoratoriums, das die Bundesregierung durch ihre Innenminister Maihofer und Baum implementieren und ausführen ließ.

(Zuruf des Abg. Gobrecht [SPD])

Wenn heute für die zweite Hälfte der 80er Jahre die Stromversorgung nicht gesichert erscheint, so sind die Verantwortlichen und Schuldigen alle Mitglieder dieser Bundesregierung, die die Nutzung der Kernenergie in einem unvorstellbaren Maß an Bürokratie zu ersticken sich bemüht und das auch erfolgreich bewerkstelligt haben. Man hat es sich erspart, die Nutzung der Kernenergie formell zu verbieten. Man hat jeden einzelnen Reaktor zum Abschuß freigegeben.

(Roth [SPD]: Albrecht!)

Siebentens. In der Sparpolitik haben wir außer einem lebhaften Schlagabtausch zwischen den smarten Technokraten im Bundesforschungsministerium und dem Bundeswirtschaftsminister nichts Lebhaftes vernommen. Wir freuen uns, daß der Bundeswirtschaftsminister dabei gewonnen hat. Nur sind die Verunsicherungsschäden dieser langen Debatte bei weitem noch nicht überwunden.
Im übrigen zwei Beispiele für ausstehende dringende Maßnahmen: Wir sind im siebenten Jahr der Ölkrise, und die öffentlichen Hände haben bis heute noch nicht ernsthaft begonnen, für ihren eigenen Gebäudebestand ein Beispiel für vorbildliche Umstrukturierung hin auf neue Technologien zu geben.
Das gilt für alle Gemeinden, alle Länder und auch den Bund.

(Beifall bei der CDU/CSU — Lenders [SPD]: Gucken Sie mal in den Haushalt hinein, was da drinsteht! Sie müssen auch den Baumarkt berücksichtigen!)

Ein Wort zur Verkehrspolitik: Herr Bundeswirtschaftsminister, ich habe es bis heute nicht verstanden, wie Sie nach einer Unterhaltung mit den Spitzen der deutschen Automobilindustrie in einem Kommuniqué Ihre Zufriedenheit darüber zum Ausdruck bringen konnten, daß man Ihnen zugesagt hatte, bis 1985 den spezifischen Verbrauch um 10 bis 12 % zu senken. Dies war offenkundig viel zuwenig. Ich freue mich, daß andere Mitglieder der Bundesregierung dieses Thema inzwischen aufgegriffen haben und sich bemühen zu korrigieren.
Wenn auch ich es hier aufgreife, so vor allen Dingen aus industriepolitischen Gründen. Selbst wenn man in Deutschland meint, den Individualverkehr auch bei Preisen von 1,50 DM oder 2,— DM für einen Liter Benzin aufrechterhalten zu können, wird man auf den Markten, auf denen unsere Automobile abgesetzt werden müssen, den Exportmärkten, anders denken. Ich fürchte, daß die Wettbewerber ein wirklichkeitsnäheres Bild über das künftige Verbraucherverhalten haben als die Industrie, die Sie im letzten Jahr besucht haben. Ich möchte durch eine öffentliche Diskussion verhindern, daß unsere Automobilindustrie dann dasselbe Schicksal erleidet, das die Amerikaner in den Vereinigten Staaten heute gegenüber den Europäern und Japanern erleiden.

(Zurufe von der FDP)

Mein letzter Punkt ist, daß sich die Substitution des Öls in der Praxis doch wohl durch eine Serie von Investitionsentscheidungen vollzieht. Investitionsentscheidungen erfordern Rechtssicherheit und Vertrauen und Verläßlichkeit in die Energiepolitik. Dies genau ist Mangelware.
Ich möchte deshalb, Herr Bundeswirtschaftsminister, mit einem Hinweis auf das Gutachten schließen, das der Wissenschaftliche Beirat Ihres eigenen Hauses, des Bundeswirtschaftsministeriums, Ihnen vor drei Monaten zur Frage der Ölpolitik vorgelegt hat. In diesem Gutachten heißt es unter Nr. 34 und den folgenden Nummern unter der Überschrift „Transparenz, Stetigkeit und Konsistenz der Rechtsordnung", daß eine beschleunigte strukturelle Anpassung an die sich abzeichnende Ölverknappung voraussetze, daß die Rechtsordnung den Investoren eine sichere Planung ermögliche.

(Lenders [SPD]: Sie schlagen aber auch eine zusätzliche Abgabe auf den Ölpreis dazu! Was halten Sie denn davon?)

Dies bedeute vor allem, daß die Rechtsordnung die Voraussetzungen für Errichtung und Inbetriebnahme so klar und praktikabel formuliere, daß Investoren möglichst schon vor einem Genehmigungsverfahren erkennen könnten, welche Vorhaben die Rechtsordnung zulasse und welchen sie entgegenstehe, und daß dort, wo eine Genehmigung erforder-



Dr. Narjes
lieh ist, das Verfahren so gestaltet werden müsse, daß es binnen angemessener Zeit endgültig abgeschlossen werden könne. Dazu erschienen Reformen des Verwaltungsverfahrens und des gerichtlichen Rechtsschutzes notwendig. Dabei sollte die Möglichkeit, Gegeninteressen und Gegenrechte geltend zu machen, auf möglichst ein Verfahren konzentriert und dessen Durchführung beschleunigt werden.
Herr Bundeswirtschaftsminister, wenn Sie weiterlesen, werden Sie noch viele andere Forderungen feststellen, die nicht erfüllt worden sind. Wenn Sie am Schluß dieses Gutachtens den letzten Satz lesen, dann werden Sie feststellen, daß das Energieproblem, die entscheidende Sicherheitsfrage der 80er Jahre, ohne eine Investitionsbereitschaft der deutschen Wirtschaft nicht gelöst werden kann und daß die Bundesregierung insoweit in vollem Verzug ist. Ich frage Sie, ob Sie meinen, daß Sie mit diesem Verzug Ihrer Verpflichtung, Daseinsvorsorge sicherzustellen und Schaden vom Volke abzuwenden, gerecht geworden sind.

(Beifall bei der CDU/CSU)


Georg Leber (SPD):
Rede ID: ID0821127800
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Der Ältestenrat schlägt die Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 8/3420 und 8/3628 zur federführenden Beratung an den Ausschuß für Wirtschaft und zur Mitberatung an den Haushaltsausschuß vor. Ist das Haus damit einverstanden? — Ich sehe keinen Widerspruch; es ist so beschlossen.
Ich rufe Punkt 5 der Tagesordnung auf:
Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Zusatzprotokoll vom 10. Mai 1979 zum Europäischen Übereinkommen über den Schutz von Tieren beim internationalen Transport
— Drucksache 8/3665 —
Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten (10. Ausschuß)

— Drucksache 8/3794 —
Berichterstatter: Abgeordneter Rainer (Erste Beratung 203. Sitzung)

Ich sehe, daß das Wort nicht gewünscht wird.
Wir kommen dann zur Einzelberatung in zweiter Beratung und zur Schlußabstimmung.
Ich rufe die Art. 1 bis 3, die Einleitung und die Überschrift auf. Die Abstimmung hierüber wird mit der Schlußabstimmung verbunden. Ich frage das Haus, ob es mit dem Gesetz als Ganzem einverstanden ist. Wer dem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Das Gesetz ist angenommen.
Ich rufe Punkt 6 der Tagesordnung auf:
Zweite Beratung und Schlußabstimmung des
von der Bundesregierung eingebrachten Ent-
wurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 25./29. Januar 1979 zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Europäischen Weltraumorganisation über die Anwendung des Artikels 20 des Protokolls vom 31. Oktober 1963 über die Vorrechte und Befreiungen der Organisation
— Drucksache 8/3479 —
Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung (11. Ausschuß)

— Drucksache 8/3848 —
Berichterstatter: Abgeordneter Sieler (Erste Beratung 196. Sitzung)

Das Wort wird nicht gewünscht.
Wir kommen zur Einzelberatung in zweiter Beratung und zur Schlußabstimmung. Ich rufe die Art. 1 bis 3, die Einleitung und die Überschrift auf. Die Abstimmung hierüber wird mit der Schlußabstimmung verbunden. Wer dem Gesetz als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Das Gesetz ist angenommen.
Ich rufe Punkt 7 der Tagesordnung auf:
Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Enwurfs eines Gesetzes zu der Vereinbarung vom 25. August 1978 zur Durchführung des Abkommens vom 25. Februar 1964 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Schweizerischen Eidgenossenschaft über Soziale Sicherheit in der Fassung des Zusatzabkommens vom 9. September 1975
— Drucksache 8/3655 —
Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung (11. Ausschuß)

— Drucksache 8/3849 —
Berichterstatter: Abgeordneter Dr. George (Erste Beratung 203. Sitzung)

Ich sehe, daß das Wort nicht gewünscht wird.
Wir kommen zur Einzelberatung in zweiter Beratung und zur Schlußabstimmung. Ich rufe die Art. 1 bis 3, Einleitung und Überschrift auf. Die Abstimmung hierüber wird mit der Schlußabstimmung verbunden. Wer dem Gesetz als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Wer stimmt dagegen? — Wer enthält sich der Stimme? — Das Gesetz ist angenommen.
Ich rufe Punkt 8 der Tagesordnung auf:
Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 7. April 1977 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Fürstentum Liechtenstein über Soziale Sicherheit
— Drucksache 8/3656 —



Vizepräsident Leber
Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung (11. Ausschuß)

— Drucksache.8/3850 —
Berichterstatter: Abgeordneter Dr. George (Erste Beratung 203. Sitzung)

Ich sehe, daß das Wort dazu nicht gewünscht wird.
Wir kommen dann zur Einzelberatung in zweiter Beratung und zur Schlußabstimmung. Ich rufe die Art. 1 bis 3, Einleitung und Überschrift auf. Die Abstimmung hierüber wird mit der Schlußabstimmung verbunden. Wer dem Gesetz als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Wer stimmt dagegen? — Stimmenthaltungen? — Das ist nicht der Fall. Das Gesetz ist beschlossen.
Ich rufe Punkt 9 der Tagesordnung auf:
Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum Übereinkommen vom 9. Dezember 1977 zwischen der Bundesrepublik Deutschland, dem Fürstentum Liechtenstein, der Republik Osterreich und der Schweizerischen Eidgenossenschaft im Bereich der Sozialen Sicherheit und zu der Vereinbarung vom 28. März 1979 zur Durchführung dieses Übereinkommens
— Drucksache 8/3657 —
Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung (11. Ausschuß)

— Drucksache 8/3851 —
Berichterstatter: Abgeordneter Dr. George

(Erste Beratung 203. Sitzung) Das Wort wird nicht gewünscht.

Wir kommen zur Einzelberatung in zweiter Beratung und zur Schlußabstimmung. Ich rufe die Art. 1 bis 3, die Einleitung und die Überschrift auf. Die Abstimmung hierüber wird mit der Schlußabstimmung verbunden. Wer dem Gesetz als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Wer stimmt dagegen? — Wer enthält sich der Stimme? — Das Gesetz ist angenommen.
Ich rufe Punkt 10 der Tagesordnung auf:
a) Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Dr. Jenninger, Dr. Jobst, Röhner, Dr. George, Dr. Friedmann, Schröder (Lüneburg), Carstens (Emstek), Dr. von Wartenberg, Sauter (Epfendorf), Dr. Schulte (Schwäbisch Gmünd), Dr. Dregger, Kolb, Broll, Hanz, Spranger, Seiters, Glos, Susset, Dr. Waigel, Dr. Sprung, Dr. Warnke, Gerlach (Obernau), Dr. Miltner und Genossen eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Investitionszulagengesetzes
— Drucksache 8/2780 —
aa) Bericht des Haushaltsausschusses

(8. Ausschuß) gemäß § 96 der Geschäftsordnung

— Drucksache 8/3774 —
Berichterstatter: Abgeordneter Löffler
bb) Beschlußempfehlung und Bericht des Finanzausschusses (7. Ausschuß)

— Drucksache 8/3771 —
Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Spöri

(Erste Beratung 154. Sitzung)

b) Zweite Beratung des von den Abgeordneten Engelsberger, Dr. Kreile, Dr. Warnke, Dr. Narjes, Dr. Waigel, Röhner, Dr. Jobst, Dr. Kunz (Weiden), Pohlmann, Dr. Voss, Niegel, Regenspurger, Kiechle, Haberl, Frau Fischer, Dr. Jenninger und Genossen und der Fraktion der CDU/CSU eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Investitionszulagengesetzes
— Drucksache 8/3298 —
aa) Bericht des Haushaltsausschusses

(8. Ausschuß) gemäß § 96 der Geschäftsordnung

— Drucksache 8/3774 —
Berichterstatter: Abgeordneter Löffler
bb) Beschlußempfehlung und Bericht des Finanzausschusses (7. Ausschuß)

— Drucksache 8/3771 —
Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Spöri

(Erste Beratung 186. Sitzung)

Wünscht einer der Berichterstatter das Wort? — Das ist nicht der Fall. Wird das Wort anderweitig gewünscht? — Auch das ist nicht der Fall.
Wir kommen zur Einzelberatung und zur Abstimmung in zweiter Beratung des Gesetzentwurfes auf Drucksache 8/3771. Ich rufe die Art. 1 bis 3, Einleitung und Überschrift in der Ausschußfassung auf. Wer mit den aufgerufenen Vorschriften einverstanden ist und ihnen zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Das Gesetz ist in zweiter Beratung angenommen.
Wir treten in die
dritte Beratung
ein. Wird das Wort gewünscht? — Das Wort wird nicht gewünscht.
Wir kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetz als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich vom Platz zu erheben. — Wer stimmt dagegen? — Stimmenthaltungen? — Das Gesetz ist angenommen.



Vizepräsident Leber
Wir haben noch über zwei Beschlußempfehlungen des Ausschusses abzustimmen.
Der Ausschuß empfiehlt auf Drucksache 8/3771 unter Ziffer 2, den Gesetzentwurf der Abgeordneten Engelsberger, Dr. Kreile, Dr. Warnke und weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache 8/3298 abzulehnen. Ich frage das Haus, ob wir über diese Beschlußempfehlung abstimmen können oder ob Einzelberatung in zweiter Beratung gewünscht wird. — Einzelberatung wird nicht gewünscht. Wer mit der Beschlußempfehlung des Ausschusses auf Drucksache 8/3771 unter Nr. 2 den Gesetzentwurf auf Drucksache 8/3298 ablehnen will, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Die Beschlußempfehlung des Ausschusses ist angenommen.
Der Ausschuß empfiehlt außerdem auf Drucksache 8/3771 unter Ziffer 3, die eingegangenen Petitionen für erledigt zu erklären. Ist das Haus damit einverstanden? — Ich sehe keinen Widerspruch. Es ist so beschlossen.
Ich rufe Punkt 11 der Tagesordnung auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Narjes, Dr. Marx, Dr. Mertes (Gerolstein), Dr. Dollinger, Dr. Stercken, Dr. von Geldern, Kittelmann, Dr. Klein (Göttingen), Dr. Hoffacker, Hüsch, Sick, Dr. Voss, Hartmann, Dr. Wittmann (München), Dr. Hupka, Kunz (Berlin), Dr. Ritz, Amrehn, Broll, Dr. Hornhues, Schetter, Seiters, Graf Huyn, Hanz, Dr. Köhler (Wolfsburg), Dr. Hammans, Dr. Möller, Berger (Lahnstein), Würzbach, Werner, Dr. Sprung, Schröder (Wilhelminenhof), Dr. Wulff, Reddemann, Bahner, Frau Berger (Berlin) und der Fraktion der CDU/CSU
III. VN-Seerechtskonferenz
— Drucksache 8/3760
Überweisungsvorschlag des Ăltestenrates:
Auswärtiger Ausschuß (federführend)

Ausschuß für Wirtschaft
Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit
Dazu rufe ich auch den Zusatzpunkt 1 zur Tagesordnung auf:
Beratung des Antrags der Fraktion der SPD, FDP
Dritte Seerechtskonferenz
— Drucksache 8/3910
Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuß (federführend)

Ausschuß für Wirtschaft
Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit
Interfraktionell sind für die Aussprache zwei Kurzbeiträge für jede Fraktion vereinbart worden. Wird das Wort dazu gewünscht? Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. von Geldern.

Dr. Wolfgang von Geldern (CDU):
Rede ID: ID0821127900
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die CDU/CSU-Fraktion fordert mit dem heute zur Plenardiskussion gestellten Antrag die Bundesregierung auf, die sich abzeichnenden Verhandlungsergebnisse der III. Seerechtskonferenz der Vereinten Nationen und die
weitere Entwicklung dieser Konferenz unverzüglich zum Thema des Europäischen Rates und der Gipfelkonferenz der sieben führenden Industrienationen zu machen und sie auf die Tagesordnung der jeweils nächsten Sitzung zu setzen.
Der Verlauf der Seerechtsverhandlungen läßt uns eine schwerwiegende Fehlentwicklung nicht nur des künftigen Seevölkerrechts befürchten. Unsere Befürchtungen sind um so größer, als wir trotz einer vieljährigen begleitenden Kritik der Verhandlungen unverändert den Eindurck haben, daß diese Konferenz zu den Stiefkindern der Bundespolitik gehört.

(Zustimmung bei der CDU/CSU)

Die Bedeutung der Konferenz kann nicht hoch genug veranschlagt werden.

(Kittelmann [CDU/CSU]: So ist es!)

Sie entscheidet mit über die künftige Weltrohstoffversorgung. Sie stellt Weichen für die Weltwirtschaftsordnung und die Verkehrsordnung zur See und in der Luft. Sie hat darüber hinaus aber auch für die Friedenssicherung in der Zukunft größte Bedeutung.
Amerikanische Beobachter haben davon gesprochen, daß hier das Kriegspotential des 21. Jahrhunderts durch schlechte Konferenzergebnisse geschaffen werden könnte. Vielleicht aus Unterschätzung der Vereinten Nationen in der öffentlichen Meinung, vielleicht auf Grund einer zu geringen maritimen Orientierung der Bundesregierung und der Öffentlichkeit sind jedenfalls bis heute weder die Bundesregierung noch die Massenmedien der Seerechtskonferenz gerecht geworden, die Henry Kissinger einmal als die bedeutendste, konplizierteste und schwierigste Konferenz bezeichnete, die je stattgefunden hat.
Die Zusammenarbeit in der Europäischen Gemeinschaft muß als Geschichte verpaßter Gelegenheiten geschrieben werden. Im engeren Sicherheitsbereich hat die Zusammenarbeit in der NATO, was die Seerechtskonferenz betrifft, wohl besser funktioniert. Doch gerade die Situation in der Ostsee ist nach den bisher vorliegenden Konferenztexten in keiner Weise befriedigend.
Daß die Gruppe der 53 am stärksten benachteiligten Binnen- und Kurzküstenstaaten von der Bundesregierung keineswegs gestaltend geführt wurde, daß hier vielmehr die österreichische Delegation ein entscheidendes Engagement zeigte, ist bedenklich.
Heute muß klar festgestellt werden, daß die Begründung neuer Hoheitsrechte und damit die Nationalisierung von nahezu einem Drittel der gesamten Oberfläche unseres Planeten die jahrhundertalte Freiheit der Hohen See in ungeheurer Weise eingeschränkt hat.

(Breidbach [CDU/CSU]: Sehr wahr!) Wir sehen uns folgender Lage gegenüber:

1. Es wird Küstenmeere von 12 Seemeilen als nationale Hoheitsgebiete geben.
2. Es werden 200-Seemeilen-Wirtschaftszonen mit erheblichen Befugnissen der Küstenstaaten er-



Dr. von Geldern
richtet, die das Monopol der wirtschaftlichen Nutzung erhalten.
3. Darüber hinaus soll es weitergehende Nutzungsbefugnisse der Küstenstaaten im Bereich des Kontinentalschelfs geben, soweit sich dieser über die 200-Seemeilen-Grenze erstreckt.
4. Es kommt zu einem Meeresbodenbergbauregime, das auch für den verbleibenden Teil der Hohen See eine rigorose Zugangskontrolle postuliert.
5. Es kommt zu einem weitgehenden Ausschluß der Staaten mit ungünstiger Küstenlinie vom Zugang zu den Fischgründen aus eigenem Recht. Was das bedeutet, erfahren wir gerade in diesen Tagen an der Küste sehr klar.
6. Es wird zu einer Beeinträchtigung der Meeresforschung durch Genehmigungsverfahren aller Art ohne zureichende Rechtsansprüche kommen.
7. Es wird nicht mißbrauchssichere Prozeduren des Umweltschutzes und der Schiffssicherheit für die Seeschiffahrt geben. Meine Damen und Herren, ein Tanker hat nach diesen Regelungen auf der Fahrt vom Persischen Golf zu uns allenfalls noch 10 % seiner Fahrtstrecke in nicht den Hoheitsbefugnissen oder Kontrollbefugnissen anderer Staaten unterliegenden Bereichen zurückzulegen. Er kann jederzeit angehalten werden. Was das bei den heutigen Tages- und Stundenkosten der Seeschiffahrt bedeutet, brauche ich sicher nicht weiter auszuführen.
8. Es gibt erhebliche Unklarheiten über die Navigation in den neu geschaffenen Archipelen, halbgeschlossenen Meeren und Meerengen.
9. Es wird unklare Regelungen über die militärischen Zugangsrechte geben, die befürchten lassen, daß sich die Supermächte unbeschadet der Rechtslage überall die notwendigen Spielräume für die militärische Nutzung verschaffen, während schwächere Mächte in einer wesentlich schwierigeren Lage zurückbleiben.
10. Bisher ist für die Schiedsgerichtsbarkeit eine fragwürdige und unvollkommene Streitregelung vorgesehen.
Eine politische Wertung des bisherigen Konferenzverlaufs zeigt auch folgendes. Unter den Gesichtspunkten der Verteilungsgerechtigkeit ist schlechthin nicht einzusehen, warum die Staaten, die vor allem bei der 200-Seemeilen-Wirtschaftszone, in der sich 80 % der Weltfischbestände, 90 % der marinen Energien und sonstige wertvolle Vorräte befinden, und die darüber hinaus unter Umständen zu den Meeresschätzen jenseits der 200-SeemeilenGrenze bis zum äußeren Rand des Kontinentalschelfs einen privilegierten Zugang erhalten sollen, diesen Löwenanteil aus der Schatzkammer der Weltmeere unentgeltlich oder, was den Kontinentalschelf betrifft, zu bevorzugten Bedingungen erhalten sollen, während alle übrigen Staaten — und das sind wahrscheinlich mehr als 120 Länder dieser Erde — dann die verbleibenden, restlichen Rohstofflagerstätten nur gegen ein nicht abschätzbares Entgelt in Anspruch nehmen dürfen, sofern sie überhaupt einen Zugang erhalten. Die bisherige Rechtslage der Freiheit der Meere hatte auch die freie Nutzung der Ressourcen des Meeres zum Inhalt. Warum soll sie zugunsten solcher Privilegierungen von maximal 40 Staaten, die das Glück haben, eine lange Küste zu besitzen, und die überdies überwiegend zu den Industrieländern gehören, aufgegeben werden? Das Minimum wäre eine angemessene Kompensation der Benachteiligten für die enormen wirtschaftlichen und politischen Gewinne der Küstenstaaten.
Warum haben wir uns dieser Entwicklung nicht mit allen wirtschaftlichen und politischen Mitteln entschlossen entgegengestellt? Es wäre dies weder Nationalismus noch Neokolonialismus gewesen — auch das ist in der Diskussion sachfremd behauptet worden —, sondern die nüchterne Wahrnehmung der Interessen eines von der Natur benachteiligten Staates, was wir mit unserer kurzen Küste in diesem Fall sind.
Es läge dies auch im Sinne einer gerechteren Weltordnung, die so gern verbal verlangt wird und für die so wenig getan wird, wenn ein Konferenzgewinn winkt. Niemand bestreitet, daß die technisch weniger entwickelten Länder *der Dritten Welt an den Ergebnissen etwa des künftigen Meeresbergbaus angemessen beteiligt werden müssen, und zwar einmal durch die Verwendung der in Aussicht genommenen Bergbauabgaben und zum anderen vor allen Dingen auch als Verbraucher von im Weltmeer gewonnenen Rohstoffen in ausreichenden Mengen und zu günstigen Marktpreisen.
Bei dieser allgemeinen Feststellung darf es jedoch nicht bleiben. Der Begriff des Entwicklungslandes ist viel zu undifferenziert, als daß er, wie vorgesehen, als Vertragsbasis herangezogen werden könnte. Warum sollen die aufsteigenden Schwellenmächte, etwa des pazifischen Raumes, zeitlich unbegrenzt privilegiert werden? Warum sollen die großen ölproduzierenden Staaten auch noch Empfänger von Abgaben aus dem Meeresbergbau werden?
Meine Damen und Herren, der Ausgang der Konferenz ist offen. Ich möchte hier feststellen, daß für den Fall ihres Scheiterns grundsätzlich der bisherige Zustand der Freiheit der Hohen See weitergelten muß, daß dieses Scheitern also keineswegs ein Chaos auslösen würde. Unter allen Umständen muß vermieden werden, daß irgendwo in der Welt das Recht des Stärkeren an die Stelle der bisherigen Freiheit der Meere tritt. Denkbar wären für diesen Fall auch regionale Teilregelungen. Auf die Bemühungen einer Interimsgesetzgebung im Meeresbergbau werden wir in dieser Debatte noch besonders eingehen. Wir dürfen jetzt auf keinen Fall unter Zeitdruck geraten und in eine Torschlußpanik hineinkommen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Lassen Sie mich bitte zum Schluß noch einen Gedanken aus dem verdienstvollen Symposium der schleswig-holsteinischen Landesregierung zur Seerechtskonferenz anfügen. Der Widerspruch zwischen der Teilterritorialisierung und Teilnationalisierung der Weltmeere durch die Einrichtung der



Dr. von Geldern
200-Seemeilen-Zonen einerseits und der Erklärung des Restes zum „gemeinsamen Erbe der Menschheit" andererseits muß international deutlich gemacht werden. Das enorme Zugeständnis der Einrichtung von 200-Seemeilen-Zonen an die Langküstenstaaten muß eine Kehrseite der daraus erwachsenden Verpflichtungen bekommen, Verpflichtungen gegenüber dem, der in seinen bisherigen Rechten beeinträchtigt wird und der das technische und wirtschaftliche Wissen und Können zur Nutzung gerade dieser Ressourcen des Meeres besitzt.

(Breidbach [CDU/CSU]: Sehr gut!)

Ein Verzicht auf derartige Verpflichtungen der Gewinner der Konferenz wäre nicht nur ungerecht, sondern auch verantwortungslos,

(Breidbach [CDU/CSU]: So ist es!)

auch und gerade gegenüber den zu entwickelnden Ländern.
Unsere Verantwortung auf der Seerechtskonferenz der Vereinten Nationen ist groß. Wir erwarten, daß dieser Verantwortung durch die Deutsche und die europäische Politik künftig angemessener Rechnung getragen wird. Deshalb haben wir heute diesen Antrag im Deutschen Bundestag eingebracht.

(Beifall bei der CDU/CSU)


Georg Leber (SPD):
Rede ID: ID0821128000
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Corterier.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0821128100
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist natürlich leicht, hier von der Tribüne des Bundestages herunter einen so langen und auch weitreichenden Forderungenkatalog aufzustellen, wie Sie es eben getan haben, Herr von Geldern. Wie diese Forderungen aber alle miteinander gegen 160 übrige Teilnehmerstaaten durchgesetzt werden sollen, haben Sie uns leider nicht erklärt.

(Dr. von Geldern [CDU/CSU]: Diese Replik hatte ich erwartet!)

Die Schwierigkeiten, die wir auf diese Weise auf der Konferenz haben, werden von Ihnen immer wieder heruntergespielt, um den Eindruck zu erwecken, die Bundesregierung lasse es am nötigen Einsatz fehlen. Diesen Eindruck werden wir nicht aufkommen lassen.
Es ist nicht das erstemal, daß wir über das See- recht hier debattieren. Wir haben es schon sehr oft getan. Wir haben in zwei grundlegenden Entschließungen— vom 1. Juli 1976 und vom 22. Juni 1977 — eine Reihe von Prinzipien aufgestellt, denen eine die deutschen Interessen berücksichtigende Seerechtskonvention unserer Meinung nach entsprechen sollte. Über diese Grundsätze bestand jedenfalls bislang Einigkeit zwischen allen Fraktionen des Hauses.

(Dr. von Geldern [CDU/CSU]: Nach wie vor!)

— Es ist gut, wenn das weiter so ist.
Der jetzt vorliegende Entschließungsantrag der CDU/CSU-Fraktion drückt vor allem seine Besorgnis über den bisherigen Konferenzverlauf aus. Sicher ist das, was die Konferenz nach nunmehr siebenjährigen Verhandlungen aufzuweisen hat, für uns kein Anlaß, etwa jetzt in Jubel auszubrechen. Aber — ich habe es eben schon angedeutet — der Schluß, den die Opposition immer wieder daraus zieht, dies sei letzten Endes der schlechten Verhandlungsführung durch die Bundesregierung oder einer Fehleinschätzung der Bedeutung dieser Konferenz zuzuschreiben, ist unserer Meinung nach unhaltbar und demagogisch.

(Widerspruch bei der CDU/CSU)

Die in Ziffer 1 Ihres Antrages angesprochene Begründung von Hoheitsrechten über die Hälfte der Meeresbodenoberfläche und ihre Zuweisung an die Küstenstaaten ist, wie Sie wissen, verehrte Kollegen von der Opposition, nicht etwa nur das Ergebnis von Verhandlungen auf der Konferenz, sondern von einseitigen Maßnahmen der Langküstenstaaten. Insoweit wirken die Ergebnisse der Konferenz eigentlich eher weiteren territorialen Ansprüchen entgegen.
In der Frage des Meeresbodenregimes entspricht der derzeitige Verhandlungstext sicherlich nicht der gemeinsamen Entschließung des Deutschen Bundestages. Aber auch die bisherigen Verhandlungen auf der 9. Session haben erkennen lassen, daß mit wesentlichen Ănderungen, die die deutschen Interessen voll berücksichtigen würden, nicht zu rechnen ist, zumal die Vereinigten Staaten und die Sowjetunion, wie wir wissen, inzwischen auf einen raschen Abschluß der Konferenz drängen. Immer wieder muß darauf hingewiesen werden: Wir sind nur einer von 160 Teilnehmerstaaten und zugleich auch nur ein Kurzküstenstaat mit erheblicher geographischer und rohstoffpolitischer Benachteiligung.
In dieser Situation einer so sehr ungünstigen Verhandlungsposition mußten wir einer völkerrechtlichen Entwicklung zusehen, die sich zu einem großen Teil auch außerhalb der Konferenz vollzogen hat, nämlich der Ausweitung der Hoheits- und Wirtschaftszonen.
In der wahrscheinlich letzten Phase der Konferenz gilt es nun, trotz der für uns nicht in jedem Fall erfreulichen Tendenzen unsere Interessen wie bisher nachhaltig zu vertreten. Die gesamtwirtschaftliche Bedeutung der Seerechtskonferenz ist unbestritten. Deshalb ist es auch so wichtig, für uns annehmbare Verhandlungsergebnisse zu erzielen. Die Bundesrepublik Deutschland lebt nun einmal von ihrer Industrie und Technologie. Unser Interesse gilt daher zwangsläufig einer gesicherten Rohstoffversorgung, dem ungehinderten Zugang zu den Ressourcen und dem Einsatz der von unserer Industrie entwickelten Spitzentechnologien. Das bedingt nicht zuletzt auch einen freien Seeverkehr und eine freie Meeresforschung. Darüber hinaus haben wir im Rahmen unserer Bündnisverpflichtungen Sicherheitsinteressen, die zumindest in der Ostsee gefährdet sind. Der Nord-Süd-Konflikt ist sicherlich ebenfalls ein wichtiger Aspekt der Seerechtskonferenz.

(Zuruf von der CDU/CSU: Sehr wichtig!)

— Ein sehr wichtiger Aspekt der Seerechtskonferenzl Wir haben Verständnis für vitale weltwirtschaftliche Interessen der Entwicklungsländer auf



Dr. Corterier
dieser Konferenz. Wir müssen aber gleichzeitig bedauern, daß sehr viele Entwicklungsländer entgegen ihren eigenen Interessen innerhalb der Gruppe der 77 geschlossenen Blockinteressen vertreten, die letztlich nur den Langküstenstaaten unter den Entwicklungsländern oder auch den Industrieländern zugute kommen.
Die Bundesrepublik Deutschland hat auf Grund ihrer geostrategischen Situation teilweise anders gelagerte Interessen als andere westliche Industrieländer wie z. B. die Vereinigten Staaten, Frankreich oder Großbritannien, deren territorialer Zugewinn doch ganz erheblich sein wird. So ist es denn auch für uns besonders wichtig, auf ein weiteres Zusammenwachsen innerhalb der EG zu drängen und ein möglichst geschlossenes Vorgehen der Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft zu erreichen. Es muß daher auch deutsches. Verhandlungsziel bleiben, die Europäische Gemeinschaft als Unterzeichner einer Konvention von den übrigen Staaten auf der Konferenz anerkennen zu lassen.
Zum Abschluß möchte ich zusammenfassend sagen, daß der bisherige Konferenzverlauf unseren Wünschen und Interessen nicht in jedem Punkt entspricht — dies ist nicht zuletzt auf die geostrategische Lage der Bundesrepublik Deutschland und einseitige völkerrechtliche Entwicklung außerhalb der Konferenz zurückzuführen, nicht etwa auf mangelnde Verhandlungsinitiative der Bundesregierung —, daß wir unsere Interessen bis zum Abschluß der Konferenz weiterhin nachhaltig vertreten müssen und daß der Deutsche Bundestag die Frage der Ratifizierung einer Konvention sehr ernsthaft — unter Zugrundelegung unserer deutschen Interessen — wird prüfen müssen.

(Beifall bei der SPD)


Georg Leber (SPD):
Rede ID: ID0821128200
Ich erteile dem Herrn Abgeordneten Angermeyer das Wort.

Joachim Angermeyer (FDP):
Rede ID: ID0821128300
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir haben heute über zwei Entschließungsanträge zur Dritten UN-Seerechtskonferenz zu debattieren. Die mit den Problemen der Konferenz befaßten Kolleginnen und Kollegen kennen den Abschlußbericht der deutschen Delegation nach dem ersten Teil der 9. Session, so daß ich mir die Aufzählung der dort genannten Punkte ersparen möchte. Ich möchte aber an dieser Stelle der Bundesregierung für ihre Verhandlungsführung, insbesondere aber den Mitgliedern der Delegation und ihrer Leitung für ihren Einsatz danken.

(Kittelmann [CDU/CSU]: Denen, ja! — Dr. von Geldern [CDU/CSU]: Letzteren ja, ersteren nicht!)

Von diesem Einsatz und den auf der Konferenz gezeigten Leistungen konnten sich Mitglieder aller. Fraktionen an Ort und Stelle mehrfach überzeugen. Lieber Kollege Kittelmann, diese Delegation handelt auf Weisung der Bundesregierung, wie auch Ihnen bekannt sein dürfte.

(Kittelmann [CDU/CSU]: Sie hätte aber bessere Weisungen verdient, Herr Angermeyer! — Heiterkeit bei der CDU/CSU)

Meine Damen und Herren, Ihnen liegt auch ein Entschließungsantrag der Fraktionen der SPD und FDP vor, der im Gegensatz zum Antrag der CDU/ CSU das Ende der Konferenz in New York abgewartet hat. Sie werden diesem Antrag entnehmen können, daß sich die Fraktionen von SPD und FDP der Probleme und Schwierigkeiten sehr wohl bewußt sind, die für die Bundesrepublik im Rahmen der Verhandlungen der Seerechtskonferenz der Vereinten Nationen aufgetreten sind und sicher noch weiter auftreten werden. Ich will hier die Situation der Bundesrepublik in keiner Weise beschönigen. Aber lassen Sie mich unter Berücksichtigung der Anfrage der Opposition an die Bundesregierung und der daraufhin ergangenen Antwort zum Antrag der CDU/ CSU inhaltlich Stellung nehmen. Die Opposition hat in Ziffer 1 ihrès Antrages zu Recht festgestellt, daß „eine schwere Zurücksetzung der Kurzküsten- und geographisch benachteiligten Staaten", einschließlich der Bundesrepublik, durch die „Begründung von Hoheitsrechten über nahezu die Hälfte der Meeresoberfläche" stattgefunden hat. Dieser Erkenntnis ist nichts hinzuzufügen, außer vielleicht die gedankliche Hilfe, daß wir uns ganz besonderer, uns nicht zur Verfügung stehender Mittel bedienen müßten, um die geographische Struktur der Welt zu verändern.

(Dr. von Geldern [CDU/CSU]: Das ist ja wohl nicht ernst gemeint!)

Ob das dann allerdings zu unseren Gunsten passiert, möchte ich hier nicht vorhersagen.
Wir müssen uns darüber im klaren sein, daß Allianzen und Freundschaften zwischen Staaten, die auf anderen Gebieten bestehen und auch schon ernste Belastungsproben überstanden haben, in diesem Punkt jedesmal neu beurteilt werden müssen. Anstatt der ständig ärger werdenden Kritik der Opposition an der Verhandlungsführung der Bundesregierung hätte ich gern einmal einen Vorschlag gehört, wie man unsere engsten Freunde, nämlich die westlichen Staaten, die in der europäischen Gemeinschaft und in der NATO eng mit uns verbunden sind, von der Vorstellung befreien sollte, daß sie als Langküsten- oder Nur-Küsten-Staaten gefälligst etwas aufzugeben haben, was die Bundesrepublik Deutschland für sich aus geographischen Gründen nicht in Anspruch nehmen kann. Leider ist mir ein derartiger Lösungsvorschlag von der Opposition aber nicht zu Ohren gekommen.
Dieselbe Unterscheidungsnotwendigkeit hinsichtlich der Haltung einzelner Staaten auf der Seerechtskonferenz im Vergleich zu ihrer Haltung bei anderen bi- oder multilateralen staatlichen Abkommen ergibt sich auch bei der so gern erwähnten Gruppe der geographisch benachteiligten Staaten. Hier ist es wohl das einzige Mal, daß die Opposition eine gemeinsame Situation von Staaten des Warschauer Paktes, Blockfreien, Neutralen und der Bun-



Angermeyer
desrepublik Deutschland liebt. Leider lassen sich aber neben den vorgenannten gemeinsamen Eigenschaften bestehende Differenzen nicht so ohne weiteres zerreden. Ich stimme der Bundesregierung voll zu, wenn sie sagt, daß die gemeinsame Eigenschaft der erwähnten Staaten, nämlich die geographische Benachteiligung, nicht schwerwiegend genug ist, um die trennenden Eigenschaften aufzuwiegen.
Die gleiche konträre Interessenlage besteht auch im Verhältnis zu den uns befreundeten Staaten, die Landproduzenten derjenigen Produkte sind, die die Bundesrepublik gerne aus dem Seebereich fördern möchte. Mir ist kein Vorschlag der Opposition bekannt, der besagt, wie man den Vereinigten Staaten und Kanada klarmachen sollte, daß sie auf die Vorteile, die sie als Landproduzenten der wichtigsten Nichteisenmetalle haben, verzichten sollten.
Ich möchte aber der Opposition hier nicht nur vorhalten, in welchen Fällen ihr Rat nicht präzise genug gewesen ist, sondern möchte auch darauf hinweisen, daß einige Teilergebnisse der soeben zu Ende gegangenen Teilsession in New York für die Bundesrepublik ja nicht ganz so schlecht aussehen.

(Kittelmann [CDU/CSU]: Scheinbar!)

Der von der Opposition kritisierte Charakter der Meeresbodenbehörde, Nukleus einer neuen Weltwirtschaftsordnung zu sein, ist ja nicht zuletzt durch die Tätigkeit der deutschen Delegation erheblich verändert worden. Die Konferenz hat sich dahin gehend verständigt, daß das gesamte Unternehmen des Meeresbodenbergbauregimes als Wirtschaftsunternehmen konzipiert und auf das- Betreiben einer gesunden Geschäftspolitik festgelegt werden soll. Ebenso sollen dem Unternehmen die gleichen Abgaben wie privaten Unternehmern auferlegt werden; damit soll es in eine wirtschaftliche Konkurrenzsituation gebracht werden.
Ich möchte mir die Aufzählung weiterer — sicher nicht immer befriedigender — Verbesserungen ersparen; sie sind im Abschlußbericht der Delegation nachzulesen. Ich meine aber, hier feststellen zu können, daß durchaus bestimmte Erfolge im Rahmen des Möglichen erzielt worden sind.
Die Kosten für die Behörde, Produktionsbeschränkungen, Revisionsverfahren und anderes machen mir Sorgen, und hier soll und muß weiterverhandelt werden. Ich verkenne nicht, daß einige Dinge, die die Opposition in ihrem Entschließungsantrag angesprochen hat, auch weiterhin zu ernsthaften Bedenken Anlaß geben. Wir dürfen dabei • aber nicht vergessen, daß die Seerechtskonferenz und ihre Auswirkungen auch für die Bundesregierung nur einen Teil ihrer Politik bilden. Wenn ich hier von „nur einem Teil der Politik" spreche, meine ich allerdings — das möchte ich hier ebenfalls betonen — nicht einen verschwindend geringen Teil.
Die Maßstäbe, nach denen wir, d. h. die Bundesrepublik Deutschland, Politik im Rahmen der Seerechtskonferenz machen möchten und machen können, sind uns durch unsere geographische und geophysikalische Lage vorgegeben. Daran ändern sämtliche guten oder weniger guten Beziehungen zu
anderen Staaten nun leider nichts. Jeder Ruf nach kräftigerem Auftreten und härterem Durchgreifen — wie auch immer man zu einer derartigen Politik stehen mag — muß hier schon deshalb ungehört verhallen, weil uns die Mittel dazu einfach fehlen.

(Zuruf von der CDU/CSU: Das stimmt!)

Auf der anderen Seite möchte ich aber feststellen, daß die Bundesrepublik Deutschland sehr wohl in der Lage ist, zu beurteilen und zu berücksichtigen, wer in für die Bundesrepublik wichtigen Belangen auf der Seerechtskonferenz pro oder kontra oder neutral aufgetreten ist. Wir müssen — wie andere Staaten auch — auf der Seerechtskonferenz bereit sein, negative Folgen in einem bestimmten Ausmaß hinzunehmen; daran läßt sich nichts ändern. Es könnte sich jedoch der Fall ergeben, daß diejenigen, die zu den sogenannten „hardliners" gehören, auch einmal in die Rolle des Petenten kommen. Die Bundesrepublik und die Regierung sind nicht aufgefordert, Gleiches mit Gleichem zu vergelten, aber bei der Abwägung von Wünschen mehrerer Petenten wird es sicherlich schon aus Gründen der Selbstachtung nicht von der Hand zu weisen sein, daß die Bundesrepublik dann gelegentlich eher demjenigen freundschaftlich zu Hilfe kommt, der hier und an anderer Stelle der Bundesrepublik ebenso entgegengekommen ist.

(Breidbach [CDU/CSU]: Jetzt sind Sie auf dem richtigen Dampfer!)

— Schönen Dank für Ihre freundliche Zustimmung, Herr Kolleg Breidbach!
Lassen Sie mich deshalb noch einmal betonen: Eine wesentliche Aufgabe der Bundesregierung, die für die Bundesrepublik die Verhandlungen auf dieser Seerechtskonferenz führt, ist es, u. a. die Rohstoffversorgung zu sichern. Dann, wenn das gelingt — bisher ist es immer gelungen, und ich bin davon überzeugt, daß das auch weiter so sein wird —, sind die Seerechtskonferenz und der möglicherweise zu erwartende Konventionstext für uns zwar nicht gerade die berühmte Feder, die wir uns an den Hut stecken könnten, aber auch nicht gerade ein nationales Debakel.

(Dr. von Geldern [CDU/CSU]: Eine Fehleinschätzung!)

Jede Art von Kraftmeierei sollten wir unterlassen. Dazu ist die Rolle der Bundesrepublik bereits zu wichtig und zu vielschichtig. Auf der anderen Seite sollten wir unseren Freunden und auch denen, die sich nicht zu unseren Freunden zählen, zu verstehen geben, daß wir sehr wohl unsere nationalen Belange wahren wollen und wahren werden und demzufolge weiter hart auf der Seerechtskonferenz verhandeln werden. Dazu ermutigen wir Freien Demokraten die Bundesregierung.

(Beifall bei der FDP und der SPD)


Georg Leber (SPD):
Rede ID: ID0821128400
Das Wort hat Herr Staatsminister von Dohnanyi.

Dr. Klaus von Dohnanyi (SPD):
Rede ID: ID0821128500
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Bundesregierung versteht durchaus die Beden-



Staatsminister Dr. von Dohnanyi
ken und teilt die Besorgnis, die angesichts des Verhandlungsstandes und der zu erwartenden Ergebnisse der Dritten Seerechtskonferenz in den Entschließungsanträgen der Fraktionen des Deutschen Bundestages ihren Niederschlag gefunden haben. Die Bundesregierung hat von Anfang an alle Anstrengungen unternommen, um ein unserer Interessenlage besser entsprechendes Ergebnis, als es sich heute abzeichnet, zu erzielen. Zwischen unseren Wünschen und der Verwirklichung stehen aber politische Realitäten. An die Oppositionsfraktion möchte ich deswegen die Bemerkung richten: Eine Politik der Illusionen hilft uns auch hier nicht weiter.
Ein großer Teil der Entwicklungen, die für uns negativ sind, traten bereits vor Beginn der Seerechtskonferenz ein, und zwar durch einseitige Akte einzelner Staaten. Zu diesen Staaten gehörten auch unsere Verbündeten. Die z. B. von den Langküstenstaaten eingeleitete Ausdehnung von Hoheitsrechten auf 200 Seemeilen ist eine Realität, auf die sich alle Staaten einstellen müssen. Die Bemerkungen zu diesem Vorgang unter Ziffer 1 des Entschließungsantrages der CDU/CSU können daher wohl nichts sein als eine Feststellung des Bedauerns.
Es ist unvermeidlich, daß z. B. die Europäische Gemeinschaft schon heute auf dieser Grundlage der erweiterten Zonen mit anderen Staaten um Fischereirechte verhandelt. Die Tendenz zur Ausdehnung der Kontroll- und Nutzungsbereiche der Küstenstaaten in Bereiche, die bisher Hohe See waren, diese „Landnahme zur See" ist nicht mehr rückgängig zu machen. Solange sich aber dieser Prozeß durch autonome Maßnahmen der Staaten ohne internationalen Rechtsrahmen vollzieht, bleiben die Begünstigten dieser Entwicklung ausschließlich die Langküstenstaaten. Durch die Schaffung eines neuen internationalen Rechtsrahmens haben die Binnenstaaten und die geographisch benachteiligten Staaten wie die Bundesrepublik Deutschland auch eine Möglichkeit, ihre Interessen zukünftig besser wahrnehmen zu können.
Ein zweiter Grund führt uns ebenfalls zu der Schlußfolgerung, daß auch wir an einem neuen Seevölkerrecht ein vitales Interesse haben. Die Schätze dieser Welt zu Lande und zur See sind endlich. Nur verbindliche Rechtsregeln können einen zerstörerischen Wettlauf um diese Ressourcen verhindern. Die Ausrottung von Walen, überfischte Fanggebiete, unerhörte Umweltbelastungen durch OffShore-Industrien sind doch für uns alle aufschrekkende Warnsignale. Allein können die Kräfte des Marktes diese Probleme also auch nicht lösen. Deshalb möchte ich den Hinweis auf den Meeresumweltschutz im Entschließungsantrag der Fraktionen der SPD und der FDP ausdrücklich begrüßen.
Eine rechtliche Regelung der Nutzung und Ausbeutung der Meere, auch wenn sie nicht in allen Punkten den Vorstellungen des einen oder des anderen Staates entspricht, bringt auch für uns Fortschritte im Vergleich zur autonomen Landnahme zur See durch die Langküstenstaaten oder zu einem
völlig ungeregelten Wettlauf um die Meeresressourcen.

(Dr. von Geldern [CDU/CSU]: Jetzt sind Sie aber doch sehr weit von der Praxis entfernt!)

Hierfür ist ein neues Seerecht notwendig. Rechtsregeln setzen aber immer auch Grenzen. Ihre Realisierung geht auch nicht ohne eine gewisse Bürokratie ab.
Das neue Seerecht muß international ausgehandelt werden. Unter den Verhandlungspartnern — hierauf wurde schon hingewiesen — sind die Bundesrepublik Deutschland und die westlichen Industriestaaten zwangsläufig zunächst einmal in einer Minderheit. Innerhalb dieser Minderheit gibt es neben zahlreichen Übereinstimmungen im einzelnen doch sehr verschiedene Interessenlagen.
In diesem Zusammenhang ein Wort zur Forderung in dem Entschließungsantrag der Opposition nach Einführung der Konferenzproblematik beim Europäischen Rat oder auf dem Weltwirtschaftsgipfel. Hierüber hat bereits im vergangenen Januar eine Erörterung mit befreundeten Industriestaaten stattgefunden. Die Bundesregierung wird diese Möglichkeit weiter im Auge behalten. Vergessen wir aber nicht — die Kollegen der SPD und der FDP haben hierauf hingewiesen —, daß auch unter den Industrieländern und hier wiederum unter den am Tiefseebergbau interessierten westlichen Industriestaaten naturgemäß sowohl in Sachfragen als auch in prozeduralen Fragen nicht unerhebliche Unterschiede bestehen. Kanada z. B. ist ein Industriestaat. Abgesehen davon, daß es ein Langküstenstaat ist, ist es Verfechter auch einer eher protektionistischen Beschränkung des Tiefseebergbaus zugunsten der Landproduzenten, zu denen Kanada eben gehört. Die USA sind ein ausgeprägter Langküstenstaat, aber auch Landproduzent. Ihre Tiefseeindustrie hat eine große Finanzkraft. Bei den Amerikanern schlagen auch die Flotteninteressen erheblich zu Buch.

(Dr. von Geldern [CDU/CSU]: Das wird alles zerredet!)

Japan wiederum ist ein Insel- und Langküstenstaat. Das gleiche gilt für Großbritannien. Großbritannien und Frankreich haben darüber hinaus ebenso wie die USA gewichtige küstenstaatliche Interessen in Übersee.

(Dr. von Geldern [CDU/CSU]: Das wissen wir alles!)

— Herr Kollege von Geldern, Sie sagen, das wissen Sie alles. Dann sollten Sie nicht die Bundesregierung für den Ausgang von Verhandlungen bei Interessenlagen verantwortlich machen, die eben so sind, wie ich sie Ihnen hier noch einmal in Erinnerung zu rufen versuche.

(Dr. von Geldern [CDU/CSU]: Es hätte mehr geschehen können! Das ist zu einfach!)

Die Gewinne, die sich die einzelnen Industrieländer von der Seerechtskonferenz versprechen, können daher kaum unterschiedlicher sein. Ich habe hier eine Aufstellung, aus der sich bei den einzelnen Industrieländern die Landfläche im Verhältnis zur



Staatsminister Dr. von Dohnanyi
Küstenlänge und zur Fläche einer zu erwartenden Wirtschaftszone ergibt. Um ein Beispiel herauszugreifen: die USA mit einer Binnenlandfläche von über 9 Millionen qkm und einer Küstenlänge von rund 21 000 km werden ohne Berücksichtigung der von ihnen verwalteten pazifischen Gebiete eine Wirtschaftszone von fast 8 Millionen qkm erhalten, also einen flächenmäßigen Zugewinn von über 80%. Die Bundesrepublik Deutschland dagegen hat eine Landfläche von 248000 qkm und eine Küste von 570 km. Sie wird nur eine Wirtschaftszone erhalten, die einem Flächenzuwachs von weniger als 20 entspricht.
Man sollte sich daher, meine Damen und Herren von der Opposition, von der Anrufung des Weltwirtschaftsgipfels, der OECD oder der Europäischen Gemeinschaft keine Wunder versprechen.
Die Bundesregierung hat in einer Vielzahl von Konsultationen versucht, Entscheidungen in unserem Interesse zu beeinflussen. Ich zähle allein im Jahr 1979, Herr Kollege, 27 Konsultationen in der Europäischen Gemeinschaft, sechs mit den USA und zahlreiche weitere mit Kanada, Japan usw.

(Dr. von Geldern [CDU/CSU]: Aber auf welcher Ebene?)

Daß dennoch angesichts der Ausgangslage die Langküstenstaaten gewinnen und alle Binnenstaaten und geographisch benachteiligten Staaten, zu denen eben auch die Bundesrepublik Deutschland gehört, weniger günstig abschneiden, ist leider unvermeidlich. Wer von der deutschen Delegation verlangt, sie müsse in der Lage sein, die Mehrheit anderer Interessen zu überstimmen, ist nicht realistisch. Für unsere Verhandlungsstrategie müssen wir aber von den realen Möglichkeiten ausgehen. Ich wiederhole: In einer sich schnell verändernden Welt ist in der Politik nichts gefährlicher als eine Politik der Illusionen, wie sie nach meiner Einschätzung auch im Entschließungsantrag der CDU/CSU erkennbar wird.

(Dr. von Geldern [CDU/CSU]: Das ist aber nicht Ihre wirkliche Meinung!)

— Das ist meine wirkliche Meinung, Herr Kollege. Sonst würde ich das hier nicht sagen. Sie sagen ja von hier hoffentlich auch nichts anderes als Ihre wirkliche Meinung.

(Zuruf von der CDU/CSU: Sie haben sich die ganze Zeit damit beschäftigt!)

Die Rahmenbedingungen, unter denen die Bundesregierung die Interessen der Bundesrepublik Deutschland zu wahren hat, müssen klar erkannt werden, wenn wir überhaupt erfolgreich verhandeln wollen. Lassen Sie mich noch einmal die Mindestziele umreißen, die das Bundeskabinett für die Verhandlungen vor allem über das Meeresbodenregime am 27. Februar 1980 präzisiert hat: Eintreten für die Interessen der Tiefseebergbaustaaten im Rat der Meeresbodenbehörde; Vermeidung wirtschaftlich untragbarer Abgaben der nationalen Unternehmen an die Meeresbodenbehörde; Vermeidung eines Zwangstransfers von Technologie an das Behördenunternehmen und an Entwicklungsländer; Abgabe
von Technologie an das Behördenunternehmen nur zu kommerziell vertretbaren Bedingungen; Verhinderung nicht vertretbarer Produktionsbeschränkungen für den Tiefseebergbau.
Die Bundesregierung ist bei ihren Bemühungen zu jeder Zeit von den Grundsätzen ausgegangen, die der Deutsche Bundestag in seiner Entschließung vom Juni 1977 für eine akzeptable Regelung des Meeresbodenregimes aufgestellt hat. Die Bundesregierung wird ihre Bemühungen auf dieser Grundlage auch auf intersessionalen Treffen und in Konsultationen mit ihren Verbündeten und Gemeinschaftspartnern fortsetzen.
Abschließend möchte ich unserer Delegation in dieser wichtigen Zwischenphase ein Wort der Anerkennung aussprechen, die auf der Seerechtskonferenz unter wirklich außergewöhnlich schwierigen Umständen für unser aller Interesse eintritt. Die Bundesregierung begrüßt es dabei besonders, daß Mitglieder aller drei Fraktionen dieses Hauses die Arbeit der Delegation vor Ort unterstützen. Das ist und war für die Bundesregierung eine große Hilfe.

(Beifall bei der SPD und der FDP)


Georg Leber (SPD):
Rede ID: ID0821128600
Das Wort hat der Abgeordnete Kittelmann.

Peter Kittelmann (CDU):
Rede ID: ID0821128700
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Staatsminister, damit ich am Anfang etwas Positives sage: Ich bewundere Ihr klassisches Understatement, das darin zum Ausdruck kommt, daß Sie die wahren Probleme der Seerechtskonferenz mit einem Lächeln beiseite geschoben und auf die schlechte Position der Bundesrepublik Deutschland als Kurzküstenstaat hingewiesen haben. Wenn die Dinge so einfach und für uns so traurig wären, hätte die Bundesregierung kaum Chancen gehabt, auf der Konferenz doch noch so viel an Möglichkeiten zu erreichen, wie sie es zum Teil geschafft hat, nämlich da, wo sich die westlichen Industrieländer einig waren und gemeinsam aufgetreten sind.
Für die Entwicklungsländer ist die Seerechtskonferenz seit bestehen der UNO die bedeutendste Konferenz im Nord-Süd-Dialog. Warum? Weil die Ergebnisse ein Modellfall für sämtliche kommenden Konferenzen sein werden, die im Nord-Süd-Bereich stattfinden werden. Das sollte doch die Kolleginnen und Kollegen interessieren, die speziell im Zusammenhang mit dem Seerecht See mit eh und nicht mit ee schreiben. Ob das UNCTAD, ob das UNIDO oder was auch immer ist: Was auf der Seerechtskonferenz von den 160 Staaten festgeklopft wird, wird uns, den westlichen Industrieländern und speziell der Bundesrepublik Deutschland, auf allen Konferenzen der Zukunft entgegengehalten werden.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Darin liegt doch die große Unterschätzung, Herr Kollege Angermeyer. Ich bedauere, daß auch Sie diese Unterschätzung mitmachen — ich habe sehr häufig mit Ihnen über diese Probleme gesprochen —, indem Sie sagen, insgesamt sei das, was dort beschlossen werde, kein nationales Unglück, wenn wir in Teilbereichen noch Verbesserungen erziel-



Kittelmann
ten. Nein, das ist auf Ihrer Seite eine Unterschätzung. Allerdings weiß ich, daß Sie diese Frage durchaus auch anders beantworten könnten.
Sollte den ideologischen Verfechtern der neuen Weltwirtschaftsordnung hier ein Durchbruch gelingen, wird die Konsequenz für alle Folgekonferenzen eindeutig sein. Die Seerechtskonferenz hätte völkerrechtliche Wirkungen, die weit über die Belange des Seerechts hinausgingen. Das wird auch von niemandem bestritten. Wenn es aber so ist, liegt hier das schwerste Versäumnis der Bundesregierung: der Öffentlichkeit das nicht sichtbar gemacht zu haben, auf diese Probleme nicht immer und immer wieder hingewiesen zu haben.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Die Bedeutung dieser Konferenz, Herr von Dohnanyi, ist sträflich unterschätzt worden. Die langfristigen negativen Folgen für die Bundesrepublik Deutschland sind nicht mit der notwendigen Weitsichtigkeit abgewehrt worden. Dafür macht die CDU/CSU-Fraktion-diese Bundesregierung verantwortlich.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Unabhängig von den Konsequenzen, die sich u. a. für die deutsche Volkswirtschaft aus den zu erwartenden negativen Ergebnissen der Seerechtskonferenz ergeben, wird eine ideologisch veränderte Weltwirtschaftsordnung sehr negative Auswirkungen für den praktizierten freien Welthandel haben. Das der Öffentlichkeit auch nicht immer klar erkennbar gemacht zu haben, ist ein weiteres Versäumnis der Bundesregierung.
Auf CDU/CSU-Anfragen wird das Problem durch die Bundesregierung heruntergespielt, verniedlicht, bagatellisiert.

(Zurufe von der SPD)

Wir nehmen Ihnen nicht ab, Herr von Dohnanyi, daß es in den letzten acht Jahren nicht möglich war, auf Gipfeltreffen der EG, der NATO, der OECD die westlichen Interessen so zu koordinieren, daß wenigstens ein relativ einheitliches Verhandlungskonzept der westlichen Industrieländer erreichbar gewesen wäre. Sie haben es gar nicht erst versucht.

(Dr. Corterier [SPD]: Habt Ihr schon einmal etwas von Kanada gehört?)

— Ihr Hinweis, Herr Corterier, auf zahlreiche Konsultationen — der Herr Staatsminister hat diesen Hinweis auch gemacht — zeigt doch, daß immer nur Einzelgespräche stattgefunden haben und nie versucht wurde, die westlichen Interessen in irgendeiner Form zu koordinieren und auf der Seerechtskonferenz in einem Gesamtkonzept geltend zu machen. Da hilft jetzt auch kein böses Reagieren seitens der Bundesregierung auf die Vorwürfe, wenn das Kind relativ weit in den Brunnen gefallen ist.
Es ist nicht bekanntgeworden, daß die Bundesregierung die Möglichkeit genutzt hat, parallele Konferenzen zu koordinieren, Interessengegensätze insgesamt auszugleichen und dadurch für eine Besserung der Position der Bundesrepublik Deutschland
gesorgt zu haben. Die jetzt negative Position — da I stimme ich mit meinen Vorrednern überein — ist nicht, die Folge schlechter Verhandlungen unserer Delegation auf der Seerechtskonferenz. Dort wurde hart gearbeitet und im Rahmen der Konferenz das Mögliche getan. Der Vorwurf gilt der Bundesregierung, die im Vorfeld der Konferenz die Verhandlungen nicht hoch genug aufgehangen hat, sondern sich mit einem gelegentlich fallenden Hinweis bei Treffen auf höherer Ebene begnügte.

(Wehner [SPD]: Ein Glück, daß es Sie gibt!)

— Herr Wehner, Sie werden dies vielleicht noch öfter sagen.
Zum Spott und zum Vorteil der Länder der Dritten Welt verlagerten die Industriestaaten ihre Auseinandersetzung über gegensätzliche Interessen in die Ausschüsse der Konferenz. Auf der Seerechtskonferenz wurde gestritten zwischen den USA und der Gruppe der 77, mit der EG und vielen anderen mehr. Die USA treffen Absprachen mit der Gruppe der 77, ohne die EG zu konsultieren. Die EG-Länder treten auf, als gelte es, aller Welt zu beweisen, daß eine Koordinierung ihrer Interessen völlige Nebensache sei. Es gibt auf dieser Konferenz kein erkennbares gemeinsames Konzept der EG. Die Weltmächte Sowjetunion und USA entwickeln eigene Absprachemechanismen, von denen die westlichen Partner der USA später gelegentlich Kenntnis erhalten. Kanada und Australien verfolgen gemeinsam mit der Dritten Welt protektionistische Regelungen der Produktionsbeschränkung, als gäbe es keine übergeordneten negativen Folgen des Welthandels, die auch für diese Länder sehr stark gelten.

(Zuruf von der FDP)

Gerade die AKP-Staaten sind die kompromißlosesten Verfechter einer ideologischen Veränderung der Weltwirtschaftsordnung, ohne daß auch nur im Ansatz erkennbar ist, daß die enge wirtschaftliche Verbindung der EG mit diesen Staaten zu deren unübersehbarem Nutzen ist.

(Dr. Corterier [SPD]: Da hilft nur eines: mit der Faust auf den Tisch hauen!)

— Herr Corterier, genau da sind wir am Grundprinzip unserer verschiedenen Meinung. Wenn die Bundesregierung erklärt, daß sie keine Chancen und Möglichkeiten sieht, im diplomatischen Vorfeld von Konferenzen verschiedene Konferenzen miteinander zu koordinieren und einen Interessenausgleich vorzunehmen, dann versagt sie, und wir können uns gemeinsam glücklich schätzen, daß wir ab Oktober eine neue Bundesregierung haben werden.

(Lachen bei der SPD — Dr. Corterier [SPD]: Kittelmann als Sonderbotschafter!)

— Ich danke für die Ehre, die Sie mir jetzt im Moment zuteil werden lassen, aber die Wahrheit meiner Vorwürfe relativiert sich dadurch nicht.

(Zuruf von der SPD)




Kittelmann
Dabei droht auch der EG — dies bitte ich trotz der Lachsalven sehr ernst zu nehmen — auf dieser Konferenz eine historische Niederlage;

(Breidbach [CDU/CSU]: Die können nicht mehr lachen! Die haben nur gewiehert!)

denn der Versuch, eine gemeinsame EG-Klausel auf der Seerechtskonferenz zu erreichen, steht kurz vor dem Scheitern. Dies alles, meine Damen und Herren von den Regierungsparteien, wirkt zwar für Sie sehr lächerlich, aber es ist von einer sehr, sehr ernsten Bedeutung.

(Zustimmung des Abg. Dr. George [CDU/ CSU])

Für die deutsche Industrie ist jede weitere Investition — nun bitte ich, wieder einmal zu lachen, meine Damen und Herren — für die Vorbereitung der Durchführung von Tiefseebergbau unvertretbar. Da nutzen auch keine Gespräche von seiten der Bundesregierung mit Industrievertretern. Die Industrie will vielmehr harte Fakten sehen, daß die Milliarden von Investitionen, die vor uns stehen, auch umgesetzt werden. Die Gewerkschaft will sehen, daß die Arbeitsplätze gesichert werden. Wir alle wollen aus volkswirtschaftlichen Gründen, daß die Bundesrepublik in der Lage ist, Tiefseebergbau zu betreiben.

(Breidbach [CDU/CSU]: Sehr gut!)

Die deutsche Delegation hat in New York erfreulicherweise festgestellt, daß die Bedingungen der augenblicklichen Verhandlungstexte auf diesem Gebiet für uns nicht akzeptabel sind. Die CDU/CSU erinnert noch einmal eindeutig an die gemeinsam verabschiedete Resolution vom Juni 1977, an der wir festhalten. Wir wenden uns, Herr Dohnanyi, gegen Produktionsbeschränkungen, Zwangs-, Technologietransfer und unzumutbare finanzelle Belastungen für die Unternehmen.
Wir sind aber nicht nur dagegen und stellen hinterher fest, daß dies von uns nicht mit Erfolg durchgesetzt werden konnte, sondern wir fragen Sie auch — und wir bitten Sie, darauf eine Antwort in den Ausschüssen zu geben —: Wie ist die Zielvorstellung der Bundesregierung, wenn sie diese Bedingungen auf der Seerechtskonferenz nicht durchsetzen kann?
Der Tiefseebergbau wird für uns wichtig sein. Die Dritte Welt erhofft sich eine Superbehörde, in der — vorherrschend durch die große Mehrheit der Gruppe der 77 — ein finanzielles Faß ohne Boden aufgemacht wird. Die wirtschaftlichen Erwartungen der Entwicklungsländer werden sich aber nicht erfüllen. Man kann sagen: Man ist dabei, einen „Meeresagrarmarkt" zu errichten, der uns sehr viel Geld kosten, aber leider keine positiven Ergebnisse für die Beteiligten bringen wird.
Den Entwicklungsländern muß klargemacht werden — und auch dies, Herr von Dohnanyi, ist ein wesentlicher Faktor —, daß uns jede Mark, die in dieses Unternehmen hineingesteckt wird — und das geht bis in die Milliarden —, bei der Entwicklungshilfe, die bitter notwendig ist, fehlen wird, weil auch — und dies, meine Herren, dürfte Ihnen auch bekannt
sein — unser Gürtel in dieser Frage immer enger wird.

(Dr. Schäfer [Tübingen] [SPD]: Der Gürtel wird nicht enger!)

Es werden Illusionen erweckt, als handele es sich bei den abzubauenden Manganknollen um Goldbarren. Nach der vorauszuberechnenden Ernüchterung wird der Nord-Süd-Konflikt über eine neue Weltwirtschaftsordnung auf dieser Konferenz aber nicht entschärft, sondern das Gegenteil wird eintreten.
Ich bitte Sie, meine Damen und Herren, sehr herzlich, sich mit der Seerechtskonferenz in den Fraktionen und in den Ausschüssen im Hinblick auf die Konsequenzen ernsthafter zu beschäftigen, die sich aus einem Scheitern dieser Konferenz oder aus dem Überstimmen der westlichen Interessen für die Gruppe der 77 und für uns alle im Nord-Süd-Problem ergeben werden.
Der Begriff des gemeinsamen Erbes der Menschheit wird immer mehr zur Farce. Man ist schon dabei, den Weltraum zum gemeinsamen Erbe der Menschheit zu erklären. Das überschüssige Getreide, die Touristenströme sollen zum gemeinsamen Erbe der Menschheit erklärt werden. Dies alles geschieht im Rückenwind einer Seerechtskonferenz.

Georg Leber (SPD):
Rede ID: ID0821128800
Herr Kollege, darf ich Sie darauf aufmerksam machen: Ihre Redezeit ist abgelaufen!

Peter Kittelmann (CDU):
Rede ID: ID0821128900
Ich komme zum Schluß, Herr Präsident.
Sie werden feststellen, daß dann das Problem für uns alle sehr sichtbar wird.
Das jetzige Ergebnis der Konferenz würde einen Jahrhundertschaden bedeuten, der nicht mehr reparabel wäre. Wir bitten Sie, aufzuwachen und konsequenter gegen dieses Ergebnis anzukämpfen.
In unserem Antrag fordern wir die Bundesregierung auf, dafür Sorge zu tragen, daß das Thema Seerechtskonferenz unverzüglich auf die Tagesordnung der nächsten Sitzung des Europäischen Rates und der nächsten Gipfelkonferenz der führenden sieben Industrienationen der OECD gesetzt wird. Die CDU/CSU bittet um die Unterstützung des Hauses bei diesem Antrag.
Wir sind bereit, statt einer Abstimmung heute beide Anträge — auch den Antrag der Koalition — in die vorgesehenen Ausschüsse mit dem Auftrag zu überweisen, so schnell wie möglich die Formulierung einer gemeinsamen Entschließung aller Fraktionen zu versuchen. Wir gehen dabei davon aus, daß insbesondere unser Anliegen übernommen wird.

(Beifall bei der CDU/CSU — Abg. Dr. Corterier [SPD]: Na also! Das Ende war gut, aber der Anfang nicht! — Zuruf des Abg. Breidbach [CDU/CSU])


Georg Leber (SPD):
Rede ID: ID0821129000
Ich erteile Herrn Abgeordneten Grunenberg das Wort.




Horst Grunenberg (SPD):
Rede ID: ID0821129100
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In der Beurteilung der dritten UN-Seerechtskonferenz und ihrer Folgen, Herr Breidbach, hat zwischen den Bundestagsfraktionen bisher eigentlich immer weitgehende Übereinstimmung bestanden. Dies drückt sich auch in der gemeinsamen Entschließung des Bundestages des Jahres 1977 aus, deren Grundsätze sich in dem vorliegenden Antrag der Koalition wiederfinden.
Nach siebenjährigen Marathonverhandlungen dieser Mammutkonferenz sieht es so aus, als käme es endlich nach mühsamem Konsensusverfahren zu einem formellen Verhandlungstext.
Eine Reihe der inzwischen 163 Teilnehmerstaaten — und jeder hat eine Stimme — sind aus Kostengründen nicht mehr in der Lage, Delegationen zu entsenden.

(Abg. Breidbach [CDU/CSU]: Unglaublich!)

Auch einige absolute Gewinner aus der Gruppe der Langküsten-, Insel- und Archipelstaaten gehören dazu. Das wissen wir alle.
Nachdem sich unlängst in der ersten Hälfte der neunten Session in New York die Supermächte weitgehend darüber einig geworden sind, außer der 200-Meilen-Wirtschaftszone die Grenze der nationalen Jurisdiktion über den Festlandssockel auf 350 Seemeilen, von der Basislinie an der Küste gerechnet, auszudehnen, ist von dem, was ursprünglich als gemeinsames Erbe der Menschheit angepeilt wurde, nur noch ein Torso übriggeblieben.

(Zustimmung bei der CDU/CSU)

Wenn man sich die Vorstellung der Gruppe der 77 — allerdings von einigen reichen Rohstoffländern unterstützt — über die Funktion einer internationalen Behörde und eines internationalen Unternehmens in der Praxis vorzustellen versucht — mit Produktionsbeschränkung und damit auch preisgestaltend zugunsten terrestrischer Landproduzenten, trotz Technologiezwangstransfers und Zuschüsse nach UNO-Schlüssel —, bleibt der Traum von Überschüssen aus dem Tiefseebergbau zugunsten der ärmsten der Entwicklungsländer eben nur ein Traum.

(Breidbach [CDU/CSU]: So ist es!)

Die Reichen aber werden reicher werden. Wenn das die von der Gruppe der 77 ersehnte neue Weltwirtschaftsordnung sein soll, frage ich mich, ob die jetzige denn so schlecht ist.
Da diese Entwicklung aber im Sinne des monolithischen Blockes der Gruppe der 77 betrieben wird, kann in Zukunft von daher den Industriestaaten kein Vorwurf gemacht werden, wenn die gewünschten Ergebnisse ausbleiben. Der Verhandlungsführung der Bundesrepublik ist jedenfalls nicht anzulasten, nicht darauf hingewiesen zu haben.
Durch die Proklamation der 200-Seemeilen-Wirtschafts- oder/und Fischereizone durch über 70 Küstenstaaten — darunter auch die Bundesrepublik — hat sich das Bild der Weltkarte heute schon von Grund auf verändert. Es löst bei mir immer wieder
Verwunderung aus, wie wenig die Öffentlichkeit hierzulande davon Notiz nimmt.

(Breidbach [CDU/CSU]: Sehr gut!)

Ich glaube, selbst fortschrittlichste Erdkundelehrer erzählen den Schulkindern noch immer, daß das Buntgefleckte auf der Landkarte Kontinente sind, unterteilt durch die Grenzen der Staaten. Das Blaue ist dann das Meer, also Niemandsland. Dabei ist dies schon fast ebenso Vergangenheit wie die Darstellung der Welt zur Zeit der napoleonischen Kriege.
Obwohl es sich die Seerechtskonferenz zum Ziel gesetzt hat, alle Probleme in einem Pakt, in einer Konvention, zu lösen, haben fast die Hälfte der Teilnehmerstaaten Konferenzergebnisse vorweggenommen. Die ersten Auswirkungen dieser Entwicklung bekommen wir bereits unmittelbar zu spüren. So hat die deutsche Hochseefischerei ihre Hauptfanggebiete durch die Verzonung des Nordatlantiks verloren. Die Hoffnung auf ein gemeinsames EG-Fischereiregime hat sich bisher nicht erfüllt. 15 ältere Fangschiffe sind bereits aus dem Verkehr gezogen, und es ist zu befürchten, daß von den derzeitigen 42 Fangeinheiten Ende nächsten Jahres nicht viel mehr als die Hälfte existieren, wenn sich die EG nicht einigen kann. Die Reedereien sehen sich wirtschaftlich nicht in der Lage, vorübergehend mit diesen Schiffen andere Fangplätze, insbesondere der südlichen Hemisphäre, aufzusuchen. Gleiches gilt für die Kutterfischerei, vor allem in der Ostsee.
Es gibt Überlegungen in Holland, die Territorialzone von derzeit drei auf zwölf Seemeilen in die See hinauszuschieben. In diesem Fall würden andere EG-Staaten nachfolgen. Wir würden uns dieser Entwicklung kaum widersetzen können, und es ist dann auch vorhersehbar, daß dies in der Ostsee mit der Folge geschieht, daß die Grenze zwischen beiden deutschen Staaten einige Kilometer länger wird. In der Nordsee gäbe es Kompetenzprobleme zwischen den vier Küstenländern und dem Bund.
In diesem Zusammenhang versuche ich mir vorzustellen, ob der schleswig-holsteinische Wirtschaftsminister als „Hauptkassandrarufer" in Sachen Seerechtskonferenz seine hehren Ziele auch dann in die Tat umsetzen würde, wenn der Festlandssokkelanteil der Bundesrepublik reich an Kohlenwasserstoffen wäre. Vermutlich hätten wir in diesem Fall eher eine Miniseerechtskonferenz innerhalb der vier Küstenländer, um einen möglichst großen Anteil am Förderzins zu erhalten.

(Dr. von Geldern [CDU/CSU]: Das sind doch abwegige Überlegungen! Was soll denn das?)

— Natürlich ist das abwegig! Aber es gehört beim Thema Seerechtskonferenz sehr viel Phantasie dazu, um Realist zu sein.

(Dr. von Geldern [CDU/CSU]: Sie haben doch die Gelegenheit in Kiel, das Symposion, auch gern genutzt!)

Die Bundesrepublik verfügt als einziges größeres westliches Industrieland nur über eine kurze Küstenlinie, ist also geographisch benachteiligt und kann dazu keine nennenswerten Rohstoffvorkom-



Grunenberg
men als ihr Eigentum aufweisen. Unsere Zugehörigkeit zum NATO-Bündnis zur Erhaltung von Sicherheit und Frieden für die Bürger der Bundesrepublik, unsere konsequente EG-Mitgliedschaft, damit Europa geschaffen werden kann, machen unsere Verhandlungsposition bei dieser Seerechtskonferenz besonders schwierig, müssen aber in die Waagschale gelegt werden. Darum kommen wir nicht herum.
Es ist aber zu erkennen, daß in den Fragen der Küstenmeerbegrenzung, der Durchfahrtsregelung und des marinen Umweltschutzes befriedigende Regelungen erreicht werden können, daß die küstenstaatliche Souveränitätsausweitung angesichts der bereits vollzogenen Ausweitung der Wirtschaftszonen nur noch sehr begrenzt zur Disposition der Konferenz steht, daß die Grundzüge des internationalen Meeresbodenregimes derzeit noch höchst unbefriedigend erscheinen, in wichtigen Einzelfragen aber noch keine Ergebnisse absehbar sind.
Absehbar ist jedoch, daß wir nach Maßgabe des UNO-Schlüssels — ob mit oder ohne Beitritt zu einer Konvention — mindestens 200 Millionen Dollar für die Einrichtung des internationalen Enterprise sowie mindestens 30 Millionen Dollar jährlich für die laufenden Kosten der internationalen Behörde zu zahlen haben.

(Dr. von Geldern [CDU/CSU]: Das ist schlimm genug!)

Es ist von daher schon sehr genau zu überlegen, meine Damen und Herren von der Opposition, ob es sinnvoll ist, den Beitritt zu einer Konvention abzulehnen, wenn sie unseren Vorstellungen nicht entspricht. Ich meine, wir sollten unserer Delegation mit auf den Weg geben, alles zu versuchen, um Sitz und Stimme in der Behörde und oder auch im internationalen Enterprise zu erlangen nach dem Motto: Wer die Musik bezahlt, darf auch mal ein Lied bestellen.

(Beifall bei der SPD — Dr. von Geldern [CDU/CSU]: Die Delegation braucht mehr als Sprüche auf den Weg! Deshalb unser Antrag! — Weitere Zurufe von der CDU/ CSU)

Wenn das mit dem Lied nicht klappt, wollen wir wenigstens in die Noten sehen können, um festzustellen, ob alle richtig spielen.
Die SPD-Fraktion steht nach wie vor zu den von allen Fraktionen getragenen Konferenzzielen als Richtschnur für die weiteren Verhandlungen, wohl wissend, daß sie nicht sofort und absolut erfüllbar sind.
Die SPD-Fraktion dankt der Bundesregierung, daß sie in weiser Voraussicht die Tür zum Beitritt in den Antarktispakt aufgestoßen hat, um Wissenschaft und Technik ein weites Betätigungsfeld als etwaigen Ausgleich im Falle unerfreulicher Konferenzergebnisse zu bieten.

(Dr. von Geldern [CDU/CSU]: Das war unser Antrag! Sie wissen ganz genau, daß wir den Antrag gestellt haben!)

Dies war ja der Sinn der ganzen Geschichte. Das müssen Sie sich einmal merken.
Wir ermutigen die Bundesregierung, auf allen Ebenen meinetwegen im Sinn des Vorschlags, den Sie eben gemacht haben — mit geeigneten Gesprächspartnern, auch auf der nächsten Gipfelkonferenz in Venedig, diese wichtigen Fragen einer Lösung im Sinne der vom Bundestag formulierten Konferenzziele näherzubringen.
In der Frage des Tiefseebergbaus wünschen wir unserer Delegation ganz besonders „Glück auf".

(Beifall bei der SPD und der FDP — Zurufe von der CDU/CSU)


Georg Leber (SPD):
Rede ID: ID0821129200
Das Wort hat Frau Abgeordnete Schuchardt.

Helga Schuchardt (FDP):
Rede ID: ID0821129300
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Union hat hier nicht zu Unrecht gefordert, daß man den Bürger über dieses Thema stärker informieren sollte. Wenn Sie jetzt einmal die beiden vorliegenden Anträge der Union und der Koalition miteinander vergleichen, dann erfüllt mit Sicherheit nur ein Antrag die Aufgabe der Information,

(Breidbach [CDU/CSU]: Danke, Frau Oberlehrer!)

und das ist der der Koalition. Zur Information gehört nämlich, daß man nicht nur darüber informiert, was man meint, im Wahlkampf gut einsetzen zu können, in Cuxhaven, Herr von Geldern,

(Dr. von Geldern [CDU/CSU]: Sie haben sich durch diesen Entschließungsantrag erstmals mit diesem Thema beschäftigt!)

nämlich sich dort für die besonderen Interessen der Bürger, die Ihre Veranstaltungen aufsuchen, zu engagieren, und diese Bürger zu beruhigen, sondern es gehört auch dazu, einmal zu beschreiben, unter welchen Sachzwängen eigentlich solche Verhandlungen stattfinden.

(Dr. von Geldern [CDU/CSU]: Hier stehe ich; ich kann nicht anders! Das ist die Devise!)

Insofern ist mir dieser Antrag der Union wieder einmal allzusehr auf der Unkenntnis der Bürger aufgebaut. Er wirkt so, als ob wir hier hervorragende Karten in der Hand hätten und lediglich der Verhandlungsdelegation Versäumnisse vorzuwerfen wären.

(Beifall bei der SPD und der FDP — Zurufe von der CDU/CSU)

Das ist das eigentlich Schlimme an Ihrem heutigen Diskussionsbeitrag.
Herr Kittelmann hat mit Recht gesagt — —

(Anhaltende Zurufe von der CDU/CSU)

— Ich weiß ja, daß das, was ich sage, Ihnen meistens nicht paßt, aber es wäre vielleicht trotzdem angemessen, daß Sie hin und wieder einmal zuhören.
Herr Kittelmann hat gesagt, es werden Illusionen geweckt. Wenn man es vermeidet, darauf hinzuweisen, welche schlechten Karten die Bundesrepublik



Frau Schuchardt
Deutschland hat, dann weckt man in der Tat Illusionen. Insoweit wird die Koalition und die Regierung den Anforderungen, die heute von der Union an uns gestellt worden sind, voll gerecht.

(Dr. von Geldern [CDU/CSU]: Haben Sie das überhaupt gelesen? — Weitere Zurufe von der CDU/CSU)

Sie informiert und weckt eben keine Illusionen.
Meine Damen und Herren, es findet auf internationaler Ebene keineswegs nur die Seerechtskonferenz statt, sondern es finden eine Reihe von Konferenzen statt, in denen wir die stärkeren Karten in der Hand haben. Bei der Seerechtskonferenz gibt es in der Tat durch unsere geographische Lage und vor allem auch durch unsere rohstoffpolitische Lage eindeutig Benachteiligungen. Dies ist eine Erfahrung, die die Bundesrepublik Deutschland in internationalen Konferenzen nicht so häufig macht,

(Dr. von Geldern [CDU/CSU]: Sie meinen, es tut uns mal ganz gut, Verlierer zu sein! Das ist auch eine Haltung!)

denn sie hat meistens starke Karten in der Hand.
Die Union war Beobachter dieser Konferenzen. Sie hat das auch wahrgenommen und müßte eigentlich ihrerseits gemerkt haben, daß sich in dieser Konferenz jeder der Nächste ist.
Sie haben es beklagt, Herr Kittelmann, daß die USA hier möglicherweise völlig ungeachtet unserer Interessen und der Interessen der anderen Bündnispartner, die kleine oder keine Küstenlängen haben, operieren. Es geht hier um ganz hartes wirtschaftliches Interesse. Wer große Küstenlängen hat, wird , darauf bedacht sein, nicht nur bei der Fischerei, sondern, seitdem er weiß, daß in der See ein ungeheures Reservoir an Kohlenwasserstoffen liegt, natürlich auch darüber hinaus Vorteile zu haben. Diese Vorteile sind für die Länder von ganz entscheidender Bedeutung geworden. Das ist eine bedauerliche Situation, mit der wir fertigzuwerden haben.
Wenn Herr Kittelmann darauf hingewiesen hat, daß, gemessen an der schlechten Verhandlungssituation, in der sich die Bundesrepublik befindet, Erhebliches erreicht worden ist, dann kann man das nur zur Kenntnis nehmen und unterstützen.

(Kittelmann [CDU/CSU]: „Erhebliches" haben S i e gesagt!)

Meine Damen und Herren, ich möchte doch noch einmal auf einen Satz hinweisen, der in dem Antrag der Union steht:
Der Deutsche Bundestag stellt fest, daß die sich abzeichnenden Verhandlungsergebnisse nicht mit den in einer gemeinsamen Entschließung des Deutschen Bundestages vom Juni 1977 beschlossenen Grundsätzen für die Seerechtskonferenz der Vereinten Nationen im Einklang stehen.

(Dr. von Geldern [CDU/CSU]: So ist es!)

Das ist nun einmal leider der Charakter von Verhandlungen, daß man das, was man vertritt und im eigenen Interesse durchzusetzen für nötig hält, eben nicht durchsetzt, und in einer solchen Machtlage, in
der wir uns in diesem Zusammenhang befinden, können wir es erst recht nicht durchsetzen.
Meine Damen und Herren, die Koalition berücksichtigt bei der Beurteilung der Verhandlungsergebnisse genau diese Sachzwänge, in der sich die Regierung befindet. Sie würde gleichzeitig gern einmal wissen, wie die Union ihre Forderungen verwirklichen möchte. Es ist leicht, eine Reihe von Forderungen aufzustellen, wenn man nicht gleichzeitig sagt, wie man sie verwirklichen will. Meine Vorredner haben darauf hingewiesen.

(Dr. von Geldern [CDU/CSU]: Wenn Sie sich jemals vorher damit beschäftigt hätten, dann wüßten Sie das! Das haben wir hundertmal gesagt!)

Wie stellen Sie sich um alles in der Welt eigentlich vor, daß man diese geradezu automatische Ausweitung auf die 200-Seemeilen-Zone verhindern könnte? Das müssen Sie dem Bürger doch einmal mitteilen, welche Instrumente Sie einsetzen würden, um dieses Ziel zu erreichen.

(Beifall bei der SPD — Kittelmann [CDU/ CSU]: Sie haben bei mir nicht zugehört!)

Wir sehen hier im Augenblick leider keine politischen Möglichkeiten, dieses Anliegen durchzusetzen. Es reicht nicht aus, einfach zu sagen, hier handle es sich um einen ganz schlimmen Vorgang, und etwas zu fordern. Fordern können wir immer. Ich finde, wenn man Politik machen will, muß man gleichzeitig sagen, wie man sich die Durchsetzung der Forderungen vorstellt.

(Beifall bei der FDP und der SPD)

Zur Frage des Meeresbergbaus. Es ist in der Tat sehr unbefriedigend, daß die Länder mit langen Küsten ihre Vorteile ausweiten.

(Pfeffermann [CDU/CSU]: Sie sagen es!)

— Ja, das ist so. Das ist überhaupt keine Frage; das haben auch alle meine Vorredner gesagt. Es ist auch nicht richtig, daß Sie hier ein Erstgeburtsrecht für sich in Anspruch nehmen. Wenn Sie zugehört hätten, was Ihnen offenbar schwerfällt, wüßten Sie, daß auch alle meine Vorredner gesagt haben, daß wir uns in der Tat ein besseres Verhandlungsergebnis vorstellen könnten, wenn wir andere Karten in der Hand hätten.
Meine Damen und Herren, die Länder mit den langen Küsten gehen nun dazu über, sich die 200Seemeilen-Zone selber zuzurechnen. Darüber hinaus sagen sie: Was übrigbleibt, muß gleichberechtigt verteilt werden. Das ist eine sehr unerfreuliche Feststellung für uns.

(Kittelmann [CDU/CSU]: Aber Sie nehmen es hin!)

Aber an dieser Stelle sollten wir wieder einmal zur Kenntnis nehmen, daß die Karten, die wir beim Meeresbergbau in der Hand haben, sehr viel stärker sind als die Karten, die die Länder der Dritten Welt in der Hand haben. Denn in dem Moment, wo man auf Hoher See Meeresbergbau betreibt, kann man dies nur tun, wenn man über ganz entscheidendes Know-how und über Geld verfügt.



Frau Schuchardt
Ich bedaure außerordentlich, daß sich die Entwicklungspolitiker, die den CDU/CSU-Antrag mit unterschrieben haben, so still verhalten und den entwicklungspolitischen Aspekt im Grunde überhaupt nicht haben durchsetzen können.

(Beifall bei der FDP und der SPD — Dr. von Geldern [CDU/CSU]: Sie haben das völlig mißverstanden! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU)

Meine Damen und Herren, wenn es nun darum geht, den Meeresboden auszubeuten,

(Dr. von Geldern [CDU/CSU]: Jetzt sprechen Sie nur noch von Neo-Kolonialismus; dann sind wir am Ende!)

so sind wir als Bundesrepublik Deutschland technologisch und finanziell in der Lage, dies zu tun. Wir müssen zur Kenntnis nehmen, daß auf der anderen Seite viele Länder dazu nicht in der Lage sind. Insofern brauchen wir uns gar nicht zu wundern, daß es außerordentlich schwierig ist, in diesem Bereich zu einem Kompromiß zu kommen, weil viele Länder der Dritten Welt — das weiß man — gerade in ihrem gesamten wirtschaftlichen Wachstum vom Rohstoffexport abhängig sind und natürlich befürchten, daß dann, wenn die Industrieländer z. B. Metallbergbau im Tiefseebereich betreiben, damit die Schere zwischen Arm und Reich möglicherweise noch weiter auseinandergeht. Ich finde, dies muß man einbeziehen, wenn man vor sich selbst ehrlich ist.

(Vorsitz: Vizepräsident Dr. von Weizsäkker)

Es ist allerdings — Herr Kittelmann, da stimme ich Ihnen zu —

(Kittelmann [CDU/CSU]: Vorsichtig!)

wegen der Tatsache, daß wir bei der Seerechtskonferenz außerordentlich schlechte Karten in der Hand haben, natürlich auch nicht zu verwundern, wenn die Länder der Dritten Welt gerade über diese Konferenz Dinge durchzusetzen versuchen, die sie in anderen Bereichen nicht durchsetzen können, weil wir dort die besseren Karten in der Hand haben. Da stimme ich Ihnen zu. Aber in dieser Frage können Sie nun der Regierung weiß Gott keinen Vorwurf machen. Denn es bestehen — Herr Angermeyer hat ja darauf hingewiesen — berechtigte Aussichten, daß dieses sogenannte Meeresbergbauregime organisiert wird wie ein Wirtschaftsunternehmen und gleiche Rechte und Pflichten wie mit ihm konkurrierende private Unternehmen hat. Ich meine, wenn dies erreicht werden kann, wären die Befürchtungen, die Sie haben, daß dies ein Einstieg in eine neue Weltwirtschaftsordnung sein könnte, wohl unbegründet. Deswegen sollten wir in dieser Richtung weiterarbeiten.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zum Schluß noch zwei Gedanken anfügen. Die öffentliche Diskussion, übrigens auch diese Diskussion hier, hat sich wieder einmal allzu stark darauf beschränkt, das wirtschaftliche Interesse in den Vordergrund zu stellen. Nun hat die Seerechtskonferenz ja noch mehr Aufgaben als nur Meeresbergbau oder 200-Meilen-Zone. Sie hat ein wichtiges Thema möglichst schnell zu lösen, nämlich den Meeresumweltschutz. Ich glaube, wir sollten die Bundesregierung ermutigen, ihren Teil dazu beizutragen, daß gerade dieser Bereich, der dringend einer internationalen Regelung bedarf,

(Kittelmann [CDU/CSU]: Das ist doch gelöst!)

tatsächlich auch zu befriedigenden Ergebnissen kommt.

(Beifall bei der FDP und der SPD)

Hier braucht man nämlich internationale Übereinstimmung, um letztendlich die Verschmutzung der Meere zu verhindern.

(Dr. von Geldern [CDU/CSU]: Wir sollten erst einmal vor unserer eigenen Haustür etwas tun, was die Meeresverschmutzung angeht!)

— Warum schreien Sie eigentlich immer ununterbrochen dazwischen? Mein Gott, soviel habe ich Sie ja nun wirklich nicht provoziert.
Meine Fraktion ist sich — das möchte ich noch einmal zusammenfassen — der schwierigen Verhandlungssituation bewußt. Wir sind der Auffassung, daß es dennoch gelungen ist, einen Teil dessen, was wir für richtig gehalten haben, durchzusetzen. Wir vertrauen weiterhin darauf, daß sich, indem man auf das, was Herr Angermeyer schon betont hat, hinweist, auf das Geben und Nehmen, möglicherweise durch die Parallelität anderer Konferenzen, bei denen wir stärkere Karten in der Hand haben, Chancen ergeben. Insofern hoffen wir, daß die Fortsetzung der Session mehr Hoffnungen erfüllen wird, als wir im Augenblick in sie setzen.

(Beifall bei der FDP und .der SPD)


Dr. Richard von Weizsäcker (CDU):
Rede ID: ID0821129400
Meine Damen und Herren! Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Der Ältestenrat schlägt Überweisung der Anträge auf den Drucksachen 8/3760 und 8/3910 vor zur federführenden Beratung an den Auswärtigen Ausschuß, zur Mitberatung an den Ausschuß für Wirtschaft, den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten und den Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit. Ist das Haus damit einverstanden? — Kein Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich rufe Punkt 12 der Tagesordnung auf:
Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau (15. Ausschuß)

zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Raumordnungsbericht 1978
zu dem Antrag der Abgeordneten Frau Pack, Dr. Dollinger, Dr. Jahn (Münster), Dr. Schneider, Dr. Möller, Sauter (Epfendorf), Sick, Dr. Ritz, Dr. Waffenschmidt, Nordlohne, Francke (Hamburg), Kolb, Niegel, Eymer (Lübeck), Dr. van Aerssen, Dr. Freiherr Spies von Büllesheim, Burger, Dr. Warnke, Dr. George, Schedl, Dr. Unland, Frau Hoffmann (Hoya), Milz, Dr. Jobst, Feinendegen, Geisenhofer, Biehle,



Vizepräsident Dr. von Weizsäcker
Neuhaus, Müller (Berlin), Susset und der Fraktion der CDU/CSU
Raumordnung
— Drucksachen 8/2378, 8/1656, 8/3674 —
Berichterstatter:
Abgeordnete Immer (Altenkirchen) Frau Pack
Wünscht einer der Berichterstatter das Wort? — Das ist nicht der Fall.
Dann eröffne ich die allgemeine Aussprache. Das Wort hat Frau Abgeordnete Pack.

Doris Pack (CDU):
Rede ID: ID0821129500
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist sicher nicht möglich, in dieser Debatte zu allen Details des Berichts im einzelnen Stellung zu nehmen. Wir haben ja dazu im Ausschuß genügend Zeit und Gelegenheit, und die Debatte am 28. Juni des vergangenen Jahres im Bundestag gab uns ebenfalls Gelegenheit zu einer ersten Stellungnahme zu den wichtigsten Aussagen bzw. Lücken im Raumordnungsbericht der Bundesregierung.

(Zuruf von der CDU/CSU: Lücke an Lükke!)

Ich möchte mich auch heute auf wenige Punkte beschränken.
SPD und FDP beteuern immer wieder, daß ihnen genauso viel an der Schaffung gleichwertiger Lebensverhältnisse liege wie uns, obgleich in den Stellungnahmen des Bundesministers nur eine Thema eine Rolle spielt, nämlich: Wie stoppe ich die Stadtflucht? Wir haben dies bereits im vergangenen Jahr festgestellt und um Revidierung dieses Eindrucks nicht nur in Worten, sondern auch in der Tat gebeten. Dabei wäre unser Antrag zur Raumordnung sicher sehr dienlich gewesen. Nichts ist erfolgt! Im Gegenteil: Ich darf aus der Leistungsbilanz der SPD-Landtagsfraktion in Nordrhein-Westfalen zitieren: „Die Stadtflucht muß gestoppt, ja umgekehrt werden. Das heißt also im Klartext für Otto Normalverbraucher: die SPD im volkreichsten Bundesland schürt die Landflucht.

(Beifall bei der CDU/CSU — Zuruf von der SPD: Das glauben Sie ja selbst nicht!)

Es vergeht fast keine Woche, sicher keine Wahlkampfrede des viel reisenden Bundesministers Haack, in der dieser nicht die Stadtflucht thematisiert. Das Thema Landflucht umgeht er, vielleicht, weil es für ihn und seine Partei keines ist. Ich meine jedoch, daß heute und zukünftig unsere Sorge gleichermaßen den Ballungszentren und ihrer Entwicklung für das Gesamtwohl wie auch den Ballungsrandzonen und ländlichen Gebieten gelten muß.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Eine Bedarfsverlagerung hin zu nur einem dieser Räume ist nicht zu erkennen.
Wenn man sich den Bericht der Bundesregierung zur Standortwahl für Behörden vom Februar 1980 ansieht, kann man sich wirklich nur wundern. So lange nämlich, fast zehn Jahre, hat sie gebraucht, um
zu diesen Erkenntnissen in dem Bereich zu kommen, die wir von der CDU/CSU in diesem Zeitraum immer wieder vorgetragen haben, zuletzt noch einmal in unserem Antrag zur Raumordnung. Es ist sehr erfreulich, wenn sie überhaupt endlich vom Strahl der Erkenntnis getroffen wird. Aber der Vergleich zwischen dieser Analyse und der Praxis ihrer Politik ist blamabel. Da kann man nur sagen, dies ist eine Vorgehensweise, die man wie folgt beschreiben kann: man hat ein Problem, man stellt das Problem in den Raum, man zieht den Hut — und läßt das Problem stehen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Das tat schon der Vorgänger von Herrn Haack, und ich meine, das tut dieser in der Raumordnung noch immer.
In diesen Zusammenhang gehört natürlich auch das unverantwortliche Wursteln im Straßenbau. Ich habe den Eindruck, daß da die Grünen den Roten im Nacken sitzen und die Feder bei den Streichungen führen. Ich will mir das Erinnern an die monumentalen Absichten im Straßenbau eines Verkehrsministers Leber ersparen. Aber kann das denn jetzt eine solide und gute Politik sein, die heute vor einer von Emotionen geladenen Umweltdiskussion kuscht, ohne Rücksicht auf die raumordnerischen und regionalpolitischen Belange sowie die Aspekte der Verkehrssicherheit und nur aus politischer Opportunität sogenannte vermutete Umweltbelastungen höher veranschlagt als alles andere und wichtige Straßenbaumaßnahmen streicht?
Ich bin, um bei einem Beispiel aus meiner Heimat zu bleiben, für den Ausbau der Bundesautobahn A 8 Pirmasens–Karlsruhe.

(Lachen bei der SPD)

Hier verlangt der Wirtschaftsraum Ost-Saar und West-Pfalz, sehr verehrter Herr Kollege Immer aus Rheinland-Pfalz, dringend eine längst fällige Anbindung an den süddeutschen Absatzmarkt. Das sagt auch Ihr Kollege Collet, der ist leider nicht da. Gerade dieser Teil des Saarlandes und der Pfalz zählt zu den strukturschwachen Gebieten. Nun gibt es natürlich, wie ich sehr wohl weiß, Bürgerinitiativen und Protestaktionen und Demonstrationen dagegen, da diese Autobahnen durch den landschaftlich äußerst reizvollen Pfälzer Wald führen müßte. Wir müssen daher den richtigen Mittelweg zwischen Ökologie und Ökonomie finden..

(Zustimmung bei der CDU/CSU)

Man wird nicht immer so verfahren können, daß beide Seiten dabei beglückt sind. Die Lösung auf diesem Gebiete kann daher nicht in Streichungen allein bestehen. Sie kann nur darin bestehen, daß z. B. diese Autobahn, für die ich jetzt spreche, gebaut wird, aber so — und hier zitiere ich unseren Kanzlerkandidaten Franz Josef Strauß —,

(Sehr gut! bei der CDU/CSU — Aha-Rufe von der SPD)

„daß durch eine Symbiose von landschaftlicher Schönheit und technischer Ästhetik

(Lachen bei der SPD)




Frau Pack
eine für alle tragbare und trotzdem der wirtschaftlichen Erschließung dieser Region dienende Verkehrsverbindung geschaffen wird.

(Beifall bei der CDU/CSU — Gattermann [FDP]: Das ist das Ei des Kolumbus! — Zurufe von der SPD)

Diese Symbiose kostet halt mehr Geld, als die billigste landschaftszerstörende stur querbeet durchgeführte Lösung. Ende des Zitates. Hätten Sie zugehört, Herr Immer, es würde genau zu dem passen, was Sie eigentlich auch denken, aber nicht sagen dürfen.

(Heiterkeit bei der CDU/CSU)

Aber diese Autobahn und andere Autobahnen, die jetzt unter falschen Voraussetzungen gestrichen worden sind, sind ja mal aus raumordnerischer Sicht aufgenommen worden, wenn ich mich recht entsinne. Der Bau muß durchgeführt werden, gerade auch um die Möglichkeiten zur Behebung der Probleme in diesem ländlichen Raum zu schaffen.
Denn die Bedrohung der ländlichen Räume liegt ja vor allem in ihrer schlechten Arbeitsmarktlage.

(Ey [CDU/CSU]: Sehr richtig!)

Was diese Räume brauchen, sind Arbeitsplätze und noch einmal Arbeitsplätze! In den nächsten zehn Jahren werden die Erwerbspersonen in Ballungsräumen um ca. 190 000, in den ländlichen Räumen jedoch um 415 000 zunehmen. Das bedeutet dann im Klartext: Die höheren Wanderungsverluste an Einwohnern zwischen 18 und 25 Jahren werden die ländlichen Regionen erleiden müssen.

(Dr. Möller [CDU/CSU]: Das steht im Raumordnungsprogramm überhaupt nicht drin! — Zuruf des Abg. Immer [Altenkirchen] [SPD])

Dies wird sozialpolitische Auswirkungen haben, lieber Herr Kollege Immer, die die Problematik der Ballungszentren an Brisanz übersteigen werden. Denn geht es hier darum, Familien mit Kindern und Besserverdienende als Wohnbevölkerung in der Stadt zu behalten, so geht es in den ländlichen Gebieten darum, junge Erwerbtätige, die die Stützen des Arbeitsmarktes und die Träger der Zukunft dieser Gebiete sind, durch ein Angebot von Arbeitsplätzen in diesem Gebiet zu halten.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Wann endlich, meine sehr verehrten Damen und Herren, vor allen Dingen Herr Minister, werden-die Mittel, die aus dem EG-Topf zurückfließen, zur Aufstockung der Mittel der Gemeinschaftsaufgabe verwandt, wie wir es seit Jahren fordern, d. h. zur Schaffung von Arbeitsplätzen in strukturschwachen Gebieten?
Für die Probleme des ländlichen Raums, meine sehr verehrten Damen und Herren, besteht, wie wir jetzt hier auch gemerkt haben, ein Bewußtseinsloch. Für die Behebung der Probleme der Ballungszentren werden viele Strategien, viele Energien zur Verfügung gestellt bzw. aufgewandt. Dieses Bewußtseinsloch in bezug auf den ländlichen Raum ist
meines Erachtens vor allen Dingen auch dadurch entstanden, daß eine permanente Funkstille des Hauses Haack auf dem Gebiete der Raumordnung zu verzeichnen ist.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Die große Mehrheit der Bevölkerung kennt die Situation der ländlichen Gebiete nur aus dem Touristikblickwinkel der Zeitungsbeilage. Prospekte und Beschreibungen suggerieren die heile Welt mit genügend Selbstheilungskräften.

Dr. Richard von Weizsäcker (CDU):
Rede ID: ID0821129600
Frau Abgeordnete, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Hoffmann?

Doris Pack (CDU):
Rede ID: ID0821129700
Sehr gern, Herr Hoffmann, aber nicht jetzt, da ich nur sehr wenig Zeit habe.

(Lachen und Zurufe von der SPD)

Da man die Gegebenheit in diesen Räumen in der
öffentlichen Diskussion der Bundesrepublik
Deutschland als gottgegeben ansieht, fehlt hier die bei anderen Problemen aufkommende Solidarisierungswelle in den Medien. Das geht so weit, daß der DGB-Chef Vetter — er war ja bis vor kurzem Europa-Abgeordneter der SPD —,

(Lachen und Beifall bei der CDU/CSU)

der mit diesen Problemen ein bißchen mehr vertraut sein müßte, die Pendlerströme in Ballungsgebieten vom Kern zum Umland kritisiert, weil die Arbeitnehmer dadurch nicht in den ganzen Genuß der Arbeitszeitverkürzungen kommen könnten. Aber hat er sich schon einmal — und mit ihm all seine Freunde da drüben — Gedanken über die Probleme der Fernpendler in ländlichen Räumen,

(Pfeffermann [CDU/CSU]: Sehr gut!)

über den Verlust der Freizeitmöglichkeiten der Fernfahrschüler in diesen Gebieten gemacht? Diese Probleme müssen bewußt gemacht werden, damit sie auch angepackt werden können.
Bisher kann bei der Verteilung der raumwirksamen Bundesmittel eine durchgängige Beachtung der Ziele der Raumordnung nicht nachgewiesen werden. Die Raumordnungsinstrumente müssen mehr koordiniert werden. Zu allen Maßnahmen der Einzelressorts müßte, wie wir es seit Jahren verlangen, ein raumordnerisches Widerspruchsrecht mit Genehmigungsfiktion vorgesehen werden, um alle Fachpolitiken, einschließlich der Steuer- und Finanzpolitik, in den raumordnungsrelevanten Dialog zu zwingen. Ich erlaube mir, den heute schon sehr oft zitierten Bundeswirtschaftsminister Lambsdorff mit seinen eigenen Worten hier zu zitieren. Er sagt nämlich:
Die Zusammenarbeit mit anderen raumwirksamen Politiken wird künftig in der regionalen Strukturpolitik eine noch größere Rolle spielen als in der Vergangenheit. Die regionalwirtschaftlichen Probleme lassen sich nur dann befriedigend lösen, wenn die regionale Strukturpolitik durch die regionalen Effekte anderer Po-



Frau Pack
litiken nicht konterkariert, sondern so weit wie möglich unterstützt wird.

(Dr. Spöri [SPD]: Das ist richtig, das ist logisch!)

Dem ist nichts hinzuzufügen, nur hat der Bundesminister für Raumordnung das bis heute noch nicht fertiggebracht.

(Sick [CDU/CSU]: Er ist ja nur das Sprachrohr!)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, es muß gerade auf dem Gebiet der Raumordnung zum Problem der Landflucht mehr als bisher geforscht und öffentlich diskutiert werden.

(Dr. Möller [CDU/CSU]: Das ist richtig!)

Der Wille zur Lösung der Probleme muß jedoch vor allem bei den Verantwortlichen — hier an erster Stelle beim verantwortlichen Bundesraumordnungsminister — geweckt werden. Die Aktivitäten, die er in seiner Eigenschaft als Bundesminister für Raumordnung entwickelt, hinken weit hinter denen her, die er als Bundesstädtebauminister entfaltet. Da er seine Bezüge für die Wahrnehmung beider Aufgaben erhält, wäre es wohl hohe Zeit, zumindest seriös, den Nachholbedarf in der Raumordnungspolitik zu befriedigen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Unser von ihm und seinen Freunden als unnötig abgetaner Antrag zur Raumordnung mit praktischen Vorschlägen zur Verbesserung des Instrumentariums der Raumordnung hätte ihm hierbei eine große Hilfe auf dem Wege der Besserung sein können. Aber ich erinnere mich an einen Satz, den ich als Kind sehr oft gehört habe: Wer nicht hören will, muß fühlen.

(Oho-Rufe bei der SPD)

Ich hoffe, daß Ihnen, sehr geehrter Herr Minister, nach dem 5. Oktober dieses Gefühl nicht erspart bleibt.

(Beifall bei der CDU/CSU)


Dr. Richard von Weizsäcker (CDU):
Rede ID: ID0821129800
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Immer.

Klaus Immer (SPD):
Rede ID: ID0821129900
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir sind erneut in einer Raumordnungsdebatte.

(Pfeffermann [CDU/CSU]: Ohne daß sich seither etwas verändert hat! Das ist richtig!)

Wir haben im Ausschuß und in den mitberatenden Ausschüssen den Raumordnungsbericht ausführlich behandelt und sind mehrheitlich zu dem Schluß gekommen, den Antrag der Opposition abzulehnen, weil wir die Inhalte und Zielsetzungen des Raumordnungsberichts zustimmend zur Kenntnis genommen haben.

(Dr. Möller [CDU/CSU]: Wir nicht! — Pfeffermann [CDU/CSU]:Weil nicht sein kann, was nicht sein darf!)

Diese Debatte kann nur den Sinn haben, einige Schwerpunkte herauszuarbeiten und sie im Blick auf eine Fortschreibung des Bundesraumordnungsprogramms zu kennzeichnen. Die Problematik, die hier in Rede steht, möchte ich, wie es meiner Tradition entspricht, mit einem Zitat deutlich machen.

(Frau Pack [CDU/CSU]: Aus der Bibel? — Pfeffermann [CDU/CSU]: Sie haben Tradition?)

— Nein, diesmal nicht aus der Bibel, sondern von meinem geliebten Dichter, nämlich Tucholsky, der sagt:
Ja, das möchtste: eine Villa im Grünen mit großer Terrasse,
vorn die Ostsee, hinten die Friedrichstraße, mit schöner Aussicht, ländlich — mondän, vom Badezimmer aus ist die Zugspitze
zu sehen,
aber abends zum Kino hast du's nicht weit.
Ich füge einen Satz von mir hinzu:
Ein beheiztes Schwimmbad im Haus mit Sauna daneben,
dafür billige Energie, die müßte es immer geben,
aber ein Kraftwerk, ob Kohle, ob Kern, das haltet von meiner Behausung fern,
doch der Weg zum Arbeitsplatz, 20 Minuten, das wär schon zu weit.

(Pfeffermann [CDU/CSU]: „Hans Sachs war ein Schuh — Macher und Poet dazu"!)

Das ist die Meinung vieler, und wenn ich die Rede von Frau Pack gehört habe — und ich habe sie sehr aufmerksam gehört — und in Beziehung zu den Äußerungen Ihrer Fraktion zum Jahreswirtschaftsbericht bringe, soweit sie, z. B. bei Herrn Dollinger, eine Relevanz in dieser Richtung haben, kann ich nur sagen: Sie versuchen, allen alles recht zu machen.
Ein Zitat möchte ich noch hinzufügen, auch wenn es etwas polemisch klingt. Meine Damen und Herren, gerade nach der Debatte heute morgen und auch nach den jetzigen Ausführungen habe ich manchmal den Eindruck, daß Sie jedesmal, wenn Sie eine Fraktionssitzung oder einen Parteitag beginnen, inbrünstig das schöne alte evangelische Kirchenlied singen: „O daß ich tausend Zungen hätte und einen tausendfachen Mund."

(Zustimmung bei der SPD und der FDP) Sie versprechen jedem jedes und allen alles


(Pfeffermann [CDU/CSU]: Ein vorzüglicher Vergleich! Nur merken Sie das nicht!)

und erklären Unvereinbares für vereinbar.

(Dr. Möller [CDU/CSU]: Jetzt kommen Sie einmal zur Raumordnungspolitik!)

Das möchte ich Ihnen einmal ganz klar sagen.

(Pfeffermann [CDU/CSU]: Ist Ihnen aufgefallen, daß Sie dasselbe Lied singen!)

Meine Damen und Herren, unsere Raumordnungspolitik hält im Prinzip daran fest, erstens



Immer (Altenkirchen)

gleichwertige Lebensbedingungen in allen Bereichen zu sichern oder zu schaffen. Ich möchte drei Begriffe einführen, deren wechselseitige Bewertung wichtig ist, nämlich Lohnwert, Wohnwert und Freizeitwert, Dinge also, die natürlich je nach der ganz bestimmten Situation einmal mehr und einmal weniger ins Gewicht fallen.

(Pfeffermann [CDU/CSU]: Mein Gott, ein blanker Schüler von Willy Brandt! Lauter Phrasen!)

Das bedeutet zweitens Sicherung und Schaffung von Arbeitsplätzen,

(Pfeffermann [CDU/CSU]: Jetzt kommt noch der blaue Himmel über der Ruhr!)

Sicherung und Schaffung einer gleichwertigen Infrastruktur, und es heißt drittens Sicherung und Verbesserung der Wohn- und Umweltqualität.
Meine Damen und Herren, ich möchte nicht differenzieren wie Frau Pack. Sie hat das ja sehr elegant gemacht.

(Dr. Möller [CDU/CSU]: Differenzieren ist gut! — Pfeffermann [CDU/CSU]: Das war der erste gute Satz!)

— Moment mal, differenzieren in einer falschen Weise zwischen Ballungsraum und ländlichem Raum. Ihr Antrag enthält einen fatalen Rückgriff in längst vergangene Zeiten.

(Dr. Spöri [SPD]: Genau!)

Sie versuchen immer noch, ohne das zu definieren, die „Besonderheit des ländlichen Raumes" herauszustellen, und fordern gleichzeitig, daß er die Ausstattung erhält, daß dort ein stadtgleiches Leben geführt werden kann.

(Widerspruch bei Abgeordneten der CDU/ CSU — Dr. Möller [CDU/CSU]: Das steht nirgendwo! — Lesen Sie ihn erst einmal richtig!)

— Entschuldigung, das ist die Konsequenz, die wir daraus ziehen müssen. Das ist miteinander nicht vereinbar.
Im Bundesraumordnungsbericht wird deutlich, daß bereits vor Jahren ein Bündel von Maßnahmen in Gang gesetzt worden ist, einige nicht erst durch uns, sondern schon in der Großen Koalition; andere sind später verfeinert worden. Es ist ein Bündel von Maßnahmen mit der Zielrichtung, beide Räume, wenn wir sie überhaupt differenzieren wollen, je nach ihrer Qualität und ihrer Ausstattung so zu fördern, wie ich das vorhin skizziert habe. Ich erinnere an die Gemeinschaftsaufgabe, an der auch die Länder mittlerweile wieder fester halten als nach ihrer Kritik vor zwei Jahren, ich denke an den Verkehrswegeplan, auf den Frau Pack in Verbindung mit einer Straßentrasse hingewiesen hat, ich denke an die Konjunkturprogramme, ich denke an die Städtebauförderung, an die Wohnungsmodernisierung, an die Dorferneuerung: Instrumente, die — darüber können wir diskutieren, darüber haben wir auch schon diskutiert — in ihrer Verschränkung miteinander, ihrer Verbindung miteinander noch nicht optimal zusammengeführt sein mögen. Frau Pack, ich glaube, Sie haben hier wiederum verschwiegen — Sie wissen es ja — —

(Daweke [CDU/CSU]: Ein süßes Geheimnis!)

— Nein, ein süßes ist das nicht, das ist ein bitteres Geheimnis für den Bundesraumordnungsminister, der hier in dieser Eigenschaft angesprochen worden ist. Er hat nämlich gar nicht die Kompetenz, ohne die Zustimmung aller Bundesländer wirksame Maßnahmen operational durchzusetzen. Nein, er muß die gemeinsame Basis finden. Wir sind dankbar dafür

(Pfeffermann [CDU/CSU]: Aus Angst, er findet sie nicht, fängt er gar nicht erst an!)

— hören Sie sich das einmal an —, daß die Konferenz der Raumordnungsminister in drei entscheidenden Punkten, erstens im Bereich „ländlicher Raum", zweitens im Bereich „Fremdenverkehr" und drittens im Bereich „Verkehrserschließung", zu gemeinsamen Bewertungsgrundlagen gekommen ist. Das ist doch ein erfreulicher Fortschritt. Ich bin davon überzeugt, dazu wird der Bundesminister für Raumordnung schon Erhebliches beigetragen haben.
Eine neue Herausforderung liegt darin, daß die Ballungsräume dadurch, daß ihnen strukturell geholfen werden muß, in eine harte Konkurrenz zu den peripheren Räumen, zu den näher an die Ballungsräume heranreichenden Räumen und den Ballungsrandzonen geraten sind. Gerade in Nordrhein-Westfalen wird das deutlich. Die Forderung der Landtagsfraktion der CDU in Nordrhein-Westfalen etwa weist in die Richtung. Sie wollen doch gerne, daß bei der Gemeinschaftsaufgabe eine Ausweitung in Richtung auf die Ballungsräume erfolgt. Das würde eine Nivellierung der Förderung bedeuten.
Ich kann nicht alle Punkte ansprechen. Ich möchte nur in diesem Konzert der Meinungen, die Sie hier vorgetragen haben und die auch heute morgen in der Debatte zum Jahreswirtschaftsbericht deutlich geworden sind, gerade im Blick auf die Raumordnung eines lobend erwähnen. Ich habe vor wenigen Tagen druckfrisch den Raumordnungsbericht der rheinland-pfälzischen Landesregierung 1979 auf den Tisch bekommen. Ich habe ihn darauf durchgesehen und mich gefragt: Was sagt er zur Gemeinsamkeit zwischen Bund und Ländern? Welche Ziele vertritt denn die Staatskanzlei des Herrn Dr. Bernhard Vogel? Siehe da, es ist eine sachliche, würdigende, positive Schrift, die überhaupt nicht im Unklaren läßt, daß in Rheinland-Pfalz der Bund zusammen mit dem Land eine konstruktive Politik getrieben hat,

(Daweke [CDU/CSU]: So sind wir!)

gerade für die benachteiligten Gebiete. In Rheinland-Pfalz sind immerhin 66 % aller Gebiete Fördergebiete.

(Pfeffermann [CDU/CSU]: Und das schafft das Land Rheinland-Pfalz bei dieser Bundesregierung!)




Immer (Altenkirchen)

— Das schafft Rheinland-Pfalz gar nicht. Hier wird deutlich, wie der Bund seine Verantwortung unabhängig

(Zuruf von der CDU/CSU: Unabhängig?)

— ja, natürlich! — von der Regierungsform, (Lachen bei der CDU/CSU)

— bzw. von der Regierungsmehrheit — —

(Fortgesetztes Lachen bei der CDU/CSU — Zurufe von der CDU/CSU: Ei, ei, ei!)

— Wenn ich von der Frau Pack höre, daß sie als neuen Regierungsstil einführen will „Wer nicht hören will, muß fühlen", dann muß das schon eine andere Regierungsform sein. Das ist doch eine Selbstverständlichkeit.

(Zurufe von der CDU/CSU)

Ich möchte noch einmal Herrn Dollinger erwähnen, der heute morgen mit einem Schlenker — wohl, weil er die Kompetenzen nicht genug kennt; darum ist es sehr gut, wenn Raumordner auch beim Jahreswirtschaftsbericht ein wenig zuhören, ob da nicht irgend etwas von jemand gesagt wird, was so nicht ganz hinhaut —

(Zuruf von der CDU/CSU: „Hinhaut" ist gut!)

auf die Hallenbäder in den Dörfern zu sprechen kam und in diesem Fall plötzlich dem Bundeswirtschaftsminister anlasten wollte, er sei dafür verantwortlich, daß ein viel zu dichtes Netz von Hallenbädern in den ländlichen Gebieten geschaffen worden sei und die Folgekosten von den Gemeinden nicht getragen werden könnten. Ei, ei! Das ist Sache der Länder gewesen.

(Zurufe von der CDU/CSU)

Ich habe bereits 1976 in meiner Rede zum Raumordnungsbericht Ihnen, damit Sie sich das noch mal in Erinnerung rufen, ein Zitat vorgetragen, das genau in diese Richtung paßt. Damals haben wir bereits auf die Unmöglichkeit hingewiesen, die Zentralen Orte in einem so dichten Netz, wie es etwa die Bayerische Staatsregierung vorgesehen hat, als förderungswürdig zu bezeichnen.

(Haase [Kassel] [CDU/CSU]: Immer!)

— Ja: Immer wieder. Selbstverständlich.
Da mir nur noch eine Minute bleibt, möchte ich nur noch eine Schlußbemerkung machen: Wir ermutigen die Bundesregierung und erwarten von ihr erstens, daß sie in dem Bemühen weiter macht, auf der horizontalen Bundesebene alle raumwirksamen Politiken zu koordinieren, zweitens, daß sie sich darum bemüht, Bewertungen und effektiven Mitteleinsatz zwischen Bund und Ländern zu vereinbaren, drittens, daß sie dadurch mithilft, daß wir zu einer Konzentration der Schwerpunktorte und der Fördergebiete kommen, damit wir effektiver fördern können. Viertens sollten wir die Förderungsprogramme dahin differenzieren, daß die einzelnen Räume nicht einfach nach dem Schema „Ballungsraum hie, ländlicher peripherer Raum dort" beurteilt werden, sondern daß jeder Raum in seiner Funktion und Zuordnung zu den verschiedenen Be-
reichen angesehen, bewertet und notfalls in seiner Struktur und Funktion gefördert wird.

Dr. Richard von Weizsäcker (CDU):
Rede ID: ID0821130000
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Graf Stauffenberg?

Klaus Immer (SPD):
Rede ID: ID0821130100
Nein. Leider nicht. Genau wie die Kollegin Pack. Wir haben uns wegen der fortgeschrittenen Zeit auf eine Kurzdebatte geeinigt. Hätte ich fünf Minuten mehr, würde ich Ihnen gern eine Zwischenfrage gestatten.
Fünftens. Raumordnungspolitik — wir bezeichnen sie so — kann nicht abstrakt formuliert und praktiziert werden.

(Pfeffermann [CDU/CSU]: Uns ist es recht, wenn konkret etwas getan wird!)

— Entschuldigung! Da sind wir uns ja einig. Ihre, beinah hätte ich gesagt: Hintermännin nickt ja. Sie müssen doch nicht dauernd Ihrer Kollegin ins Wort fallen oder ihr die Möglichkeit beschneiden, mir zuzustimmen! Kommen Sie in den Ausschuß; dann können Sie mit uns darüber reden!
Raumordnungspolitik ist nicht abstrakt zu formulieren, sondern sie ist darauf gerichtet, dem Menschen Lebensraum zu schaffen und zu erhalten, der seiner Würde und seinen Entfaltungsmöglichkeiten entspricht.
Sechstens. Dazu hat der Raumordnungsbericht 1978 klare Aussagen gemacht. Wir begrüßen diesen Bericht als einen mutigen Schritt auf diesem Weg. Wir bedanken uns sehr herzlich bei all denen in Bund und Ländern, die an diesem Bericht, besonders an seinem Materialteil, gearbeitet haben, der insbesondere für die Forschung im Raumforschungsbereich wichtige Fingerzeige gegeben hat.
Weil wir diesem Bericht zustimmen

(Dr. Möller [CDU/CSU]: Und der Forschungsminister?)

und ihn auch in seinen positiven, in die Zukunft weisenden Aussagen für gut halten, müssen wir den Antrag der Opposition, der das alles in Frage stellen möchte, ablehnen.. Das bedeutet, daß wir der Empfehlung des Ausschusses für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau zustimmen.

(Beifall bei der SPD' und der FDP)


Dr. Richard von Weizsäcker (CDU):
Rede ID: ID0821130200
Das Wort hat der Abgeordnete Gattermann.

Hans H. Gattermann (FDP):
Rede ID: ID0821130300
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Frau Kollegin Pack, ich habe eine Schwäche für gute Formulierungen. Ich fand es ungewöhnlich gelungen, zu formulieren, „Stopp der Stadtflucht" heißt „schürt die Landflucht". Daß das natürlich nur eine hübsche Formulierung ohne Inhalt ist, wissen Sie als kluge Frau selbst;

(Dr. Möller [CDU/CSU]: Das ist die Politik dieser Regierung!)

denn mit „Stopp der Stadtflucht" ist natürlich etwas
gänzlich anderes gemeint als der gezielte Transport



Gattermann
der ländlichen Bevölkerung aus dem Bayerischen Wald nach München. Das wissen Sie.

(Pfeffermann [CDU/CSU]: Das war keine gelungene Formulierung!)

Noch eine Anmerkung: Bei Ihren Erinnerungen an pädagogische Erlebnisse der Kindheit — „wer nicht hören will, muß fühlen" — soll ja doch wohl der strafende Lehrer alter Couleur der Wähler sein. In dem Zusammenhang erinnerte ich mich Ihrer Passagen, die Sie zu dem Thema stärkere Berücksichtigung des Bürgerwillens bei der Planung vorgetragen haben. Da dachte ich so für mich, ob das FühlenMüssen nicht vielleicht ein Fühlen-Müssen der Opposition ist, nämlich ein elftes und ein zwölftes Jahr die harten Bänke der Opposition zu drücken. Ich meine, das sollte man auch bedenken.

(Pfeffermann [CDU/CSU]: Sie dürfen versichert sein: Das ist damit nicht gemeint!)

Frau Kollegin Pack, Sie haben gemeint, die gesamten Politikbereiche sollten unter raumordnerischen Gesichtspunkten besser koordiniert werden. Diese Forderung unterstreiche ich bis zu einem gewissen Grade; denn es gibt in der Tat Verantwortung tragende Politiker — auch in diesem Hause soll es einige geben, obwohl sie jetzt natürlich nicht hier sind —, für die Raumordnungspolitik so etwas wie eine Spielwiese für elitäre Planer und ihnen geistesverwandte Politiker ist. Diese Politiker meinen, daß die sogenannte praktische Politik Gott sei Dank nicht auf dieser Spielwiese gemacht wird.

(Dr. Möller [CDU/CSU]: Meinen Sie damit den Minister?)

Der vorliegende Raumordnungsbericht 1978 der Bundesregierung, dessen zustimmende Kenntnisnahme dem Hohen Hause anempfohlen wird, weist, so meine ich, gerade das Gegenteil aus, wenn man sich der Mühe der Lektüre dieses Berichtes unterzieht. Es dürfte keine intellektuelle Überforderung sein, den Zusammenhang zwischen der sogenannten handfesten praktischen Politik, d. h. den konkreten Maßnahmen, und den Zielvorgaben der Raumordnung zu erkennen. Am sinnfälligsten wird dieser Zusammenhang in der Verkehrs- und Regionalpolitik. Aber nicht nur dort. Dabei scheint es mir selbstverständlich zu sein, daß in dem einen oder anderen Fall unterschiedliche Auffassungen darüber bestehen, ob die Subsumierung der konkreten Maßnahmen unter die Zielvorgabe nun hundertprozentig oder nur zu 80 % gelungen ist.
Planungszielvorgaben der Raumordnungspolitik sind — auch das macht der Bericht der Bundesregierung deutlich — nichts Statisches, nichts ein für allemal Festgeschriebenes. Solche Zieldefinitionen sind vom politischen Willen getragen und unterliegen insofern natürlich auch der Änderung. Auch die aufgestellten Beurteilungskriterien, die den Handlungsbedarf staatlichen Handelns zur Erreichung der Ziele ablesbar machen sollen, sind nicht ein für allemal gültig. Wir kennen die Diskussionen im Zusammenhang mit der Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur. Und auch die Handlungsinstrumente bedürfen natürlich der ständigen Überprüfung.
In der ersten Lesung des Raumordnungsberichtes hatte ich auf die Notwendigkeit hingewiesen, daß im Rahmen der Kriterien stärker das zu beachten sei, was ich damals als subjektive Bürgerwünsche bezeichnet habe. Ich hatte damals angemerkt, daß die Diskussion und die Behandlung der Fortschreibung des Verkehrswegeplans eine erste Gelegenheit sei festzustellen, ob diesen Kriterien größere Beachtung geschenkt wird oder nicht. Frau Kollegin, Sie haben darauf hingewiesen und haben gemeint, diesem Kriterium habe man über Gebühr Berücksichtigung widerverfahren lassen. Dies höre ich in dieser vornehmen Formulierung nicht zum ersten Mal. In Diskussionen zu diesem Thema wird behauptet, hier sei aus wahltaktischen Gründen vor den Grünen gekuscht worden.
Meine Damen und Herren, ich möchte dem mit allem gebotenen Nachdruck widersprechen.

(Dr. Möller [CDU/CSU]: Das muß gerade ein FDP-Mann sagen! Alle Tatsachen widersprechen dem!)

Es bedurfte nicht der braun-rot motivierten ökologischen Parteigründung, um die Grenzen der Verplanbarkeit des Raumes ebenso zu erkennen wie den teilweise berechtigten Unmut des wider Willen beglückten Bürgers. Dies war in der Tat nicht notwendig. Diese Erkenntnisse waren bereits Gegenstand und Leitlinien der Politik der Bundesregierung, lange bevor von solchen Parteigründern überhaupt die Rede war, als der Großteil der Nachläufer, wie ich fast sagen möchte, noch in den Windeln lag.

(Zustimmung bei der SPD)

Meine Damen und Herren, in diesem verkehrlichen Bereich müssen in der Tat die Belange der Bürger sehr viel intensiver berücksichtigt werden, als dies in der Vergangenheit der Fall gewesen ist. In einen solchen Abwägungsprozeß gehört dann allerdings auch die Fragestellung, ob es in der Tat richtig und notwendig ist, daß man sozusagen an jedem Ort der Bundesrepublik absolut gleichwertige Grundlagen zum Leben und zum Arbeiten vorfinden muß. Ich stelle die Frage ganz bewußt und ganz deutlich so, ob es tatsächlich richtig ist, Fördermaßnahmen zur Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur undifferenziert an einem solchen Ziel zu orientieren.
Ich reklamiere für meine Fraktion, daß im Zuge der anstehenden Arbeit zur Entwicklung verbesserter Kriterien zur Festlegung der Fördergebiete solche Überlegungen nicht tabu sein dürfen. Es muß doch nachdenklich stimmen, wenn aus dem Bericht der Bundesregierung ablesbar ist, daß einerseits trotz all der Fördermaßnahmen die Abwanderung aus strukturschwachen ländlichen Räumen relativ stark war und geblieben ist, daß andererseits in monostrukturierten Ballungsgebieten wie in meiner Heimat, dem Ruhrgebiet, die Erwerbslosenzahlen beachtlich über dem Bundesdurchschnitt liegen.
Es ist deshalb völlig zu Recht vom zuständigen Minister herausgestellt worden, daß ein Schlüsselwort in diesem Bereich die Berücksichtigung ungünstiger Erwerbsstrukturen ist. Man wird fragen



Gattermann
müssen, ob es auch wirtschaftlich vertretbar ist, daß man hervorragende Infrastruktureinrichtungen in bestimmten monostrukturierten Ballungsräumen faktisch durch Nichtannahme verkommen läßt, um andererseits andernorts mit Milliardenaufwand solche infrastrukturellen Einrichtungen zu schaffen.
Meine Damen und Herren, wir haben darauf verzichtet, im Ausschuß und innerhalb der Koalitionsfraktionen einen besonderen Entschließungsantrag zum Raumordnungsbericht 1978 vorzulegen. Alle Ansatzpunkte für eine modifizierte Interpretation der Ziele der Raumordnung, alle Ansatzpunkte für notwendige Weiterentwicklungen der Beurteilungskriterien, alle Ansatzpunkte für Kritik an den Handlungsinstrumenten sind in dem Bericht durch Fragestellungen und Andeutung der Lösungswege enthalten. Deshalb besteht nach Einschätzung meiner Fraktion kein Bedarf, per Entschließungsantrag Handlungsaufträge an die Regierung zu erteilen.
In der zustimmenden Kenntnisnahme des Berichts drückt sich die Übereinstimmung mit der Raumordnungspolitik der Bundesregierung aus. Diese zusammenfassende Beurteilung des Raumordnungsberichts wiederum bedeutet dann zugleich die Ablehnung des zu diesem Thema gestellten Antrags der Opposition.

(Beifall bei der FDP und der SPD)


Dr. Richard von Weizsäcker (CDU):
Rede ID: ID0821130400
Das Wort hat der Bundesminister für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau.

Dr. Dieter Haack (SPD):
Rede ID: ID0821130500
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich glaube, daß — so ergeben es jedenfalls die Protokolle der Ausschüsse des Bundestages — der Raumordnungsbericht 1978 bei den Beratungen in den Ausschüssen des Bundestages insgesamt positiv aufgenommen worden ist. Ich glaube, daß damit auch die Konzeption dieses Berichts, nämlich die wesentlichen raumwirksamen Fachplanungen des Bundes zusammenfassend darzustellen, Zustimmung gefunden hat. Wir haben inzwischen — das ist noch in der letzten Debatte von Ihnen, Frau Pack, kritisiert worden — auch den Materialband vorgelegt, der die fachbezogenen Aussagen des Berichts durch eine Fülle informativen Materials belegt.
Frau Kollegin Pack, Sie haben auch bei dieser Debatte — wie schon bei mehreren Aussprachen in der Vergangenheit — kritisiert, daß ich als Minister zu sehr über Probleme der Stadtflucht und der Stadtumlandwanderung spreche. Ganz abgesehen davon, daß Sie damit einen Effekt erzielt haben, den Sie gar nicht erreichen wollten, daß Sie mich als Städtebauminister gelobt haben,

(Dr. Möller [CDU/CSU]: Wir haben den Raumordnungsminister kritisiert!)

muß ich erneut darauf hinweisen, daß es eine ver-
kürzte Sicht der Dinge wäre, zu glauben, Raumordnungspolitik hätte sich ausschließlich auf den ländlichen Raum zu beziehen.

(Frau Pack [CDU/CSU]: Das habe ich nie behauptet!)

Eine vernünftige Raumordnungspolitik muß alle Räume des Bundes, selbstverständlich die ländlichen Gebiete, die Mittelstädte, aber auch die Kernbereiche der großen Städte und der Ballungsgebiete, mit berücksichtigen. Insofern ist das gar kein Widerspruch. Ich kann Ihnen sagen, daß etwa der Beirat für Raumordnung, den wir wieder berufen haben, in seinen Gutachten auch die Frage der Stadtumlandwanderung mit einbezieht, weil das ein Teil einer vernünftigen Raumordnungspolitik ist.
Jetzt zu Ihrem weiteren Vorwurf, es würde zuwenig über die ländlichen Gebiete gesprochen. Sie haben gesagt, hier bestehe ein Bewußtseinsloch. Ich weiß nicht, bei wem dieses Bewußtseinsloch besteht. Ich muß aber darauf hinweisen, daß wir natürlich nicht nur im Raumordnungsbericht, sondern auch konkret in unserer Raumordnungspolitik von den ländlichen Räumen sprechen und die ländlichen Räume berücksichtigen. Allein der Bericht führt doch — das kann niemand bestreiten; darüber haben Sie auch in den Ausschüssen diskutiert — ganz deutlich aus, daß die Bereitstellung von Erwerbsmöglichkeiten in den strukturschwachen und abgelegenen Gebieten einschließlich des Zonenrandgebietes das Schlüsselproblem der Raumordnungspolitik ist. Hier sehen Sie doch, daß die Probleme des ländlichen Raumes richtig gewertet werden.
Im übrigen sind das keine leeren Worte, sondern wir bemühen uns, auch in unserer praktischen Politik diese Ziele entsprechend zu erfüllen. Ich darf Sie
— als aktuelles Beispiel — etwa an das arbeitsmarktpolitische Programm der Bundesregierung für Regionen mit besonderen Beschäftigungsproblemen erinnern. Das sind genau solche Regionen, von denen Sie gesprochen haben. Dieses Programm
— das kann heute schon, nach kurzer Zeit, festgestellt werden — hat hervorragende Ergebnisse erzielt.
Ich darf Sie etwa daran erinnern, daß die Forschungs- und Technologieförderung im Rahmen der Gemeinschaftsaufgabe Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur, die Erfolge erzielt hat, auch eine Politik für die mehr ländlich strukturierten Gebiete ist.
Schließlich darf ich Sie darauf hinweisen — es ist vor kurzem von der Bundesregierung ein Erfahrungsbericht über die Ergebnisse der Gemeinschaftsaufgabe Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur vorgelegt worden —, daß wir gerade in den strukturschwachen Gebieten im Zeitraum von 1970 bis 1976 viel erreicht haben, etwa bei der Entwicklung des Bruttoinlandsprodukts. Die 38 schwächsten Landkreise haben in diesem Zeitraum gegenüber dem Durchschnitt um 6 % aufgeholt. Es ist also nicht so — wie auch manchmal gesagt wird —, daß etwa eine passive Sanierung des ländlichen Raumes angestrebt wird, sondern hier wird; so-



Bundesminister Dr. Haack
weit es möglich ist, eine konstruktive Politik gemacht.

(Zuruf des Abg. Dr. Möller [CDU/CSU])

Ich darf Sie weiter informieren. — Frau Kollegin Pack, vielleicht könnten Sie ganz kurz zuhören, weil die Angriffe von Ihnen stammten. Insofern ist es vielleicht ganz gut, wenn man Ihnen hier einige Informationen geben kann. Ich habe allerdings das Gefühl, daß es nicht allzuviel helfen wird; denn Ihr Manuskript war im wesentlichen ein Manuskript für den saarländischen Wahlkampf und weniger ein Manuskript für die Rede einer Berichterstatterin hier.

(Pfeffermann. [CDU/CSU]: Unverschämte Schulmeistermanier!)

Ich darf Sie aber darauf hinweisen, daß sich die Ministerkonferenz für Raumordnung — ich bin im Moment der Vorsitzende dieser Ministerkonferenz, in der auch alle elf Raumordnungsminister der Länder vertreten sind — gerade im letzten Jahr sehr intensiv mit Fragen und Problemen des ländlichen Raumes befaßt hat. Es wurde eine Entschließung zum öffentlichen Personennahverkehr verabschiedet — darauf hat Herr Immer schon hingewiesen —, in der grundlegende Aussagen zur Verbesserung des öffentlichen Personennahverkehrs im ländlichen Raum enthalten sind.
Ich darf Sie auf eine weitere einvernehmlich gefaßte Entschließung der Raumordnungsministerkonferenz zur Ausweisung und Gestaltung von Gebieten für Freizeit und Erholung hinweisen. Wir haben hier auch darauf hingewiesen, daß Freizeit und Erholung von entscheidender Bedeutung für diese Räume sind.
Ich darf Sie im übrigen darüber informieren, daß der Rat für Stadtentwicklung heute früh bei uns im Ministerium getagt hat. Auch dort war man einstimmig der Auffassung, daß sich dieses wichtige Beratungsgremium in Zukunft mit den Problemen der Gemeinden — auch städtebaulicher Art — im ländlichen Raum befassen soll. Es gibt hier also eine einheitliche Linie der Raumordnungsminister.
In diesem Zusammenhang, Frau Kollegin Pack, eine Bemerkung. Sie haben vorhin — wie schon häufig — nicht nur eine Koordinierung im Bereich der Raumordnung, sondern auch eine bessere Durchsetzung gefordert. Nun müsen Sie diese Forderung natürlich an alle Raumordnungsminister, auch an die Raumordnungsminister der Länder richten; Sie müssen sie fragen, ob sie sich in jedem Einzelfall durchgesetzt haben.
Bei aller Bedeutung der Raumordnungspolitik will ich vor einer Illusion warnen. Es wäre nämlich eine Illusion, zu glauben, daß der jeweilige Raumordnungsminister auf Bundes- oder Landesebene die politischen Entscheidungen so steuern kann, daß sich ihm jeder Fachminister, noch dazu der Finanzminister, wie Sie es angedeutet haben, zu beugen hätte. Dann wäre er ein „Überminister". Das kann er überhaupt nicht schaffen. Wichtig ist aber, daß wesentliche raumordherische Gesichtspunkte Eingang in die fachlichen Entscheidungen finden. Ich
sage ganz offen: Sie sollten in Zukunft noch stärker berücksichtigt werden, als das bisher der Fall war, so etwa in Fragen der Strukturpolitik, vor allem in Fragen der Verkehrspolitik und auch der Bildungspolitik, vor allen Dingen dann, wenn es um Ausbildungsmöglichkeiten für junge Menschen im ländlichen Raum geht. Aber gerade hier ist in den letzten Jahren einiges erreicht worden. Das haben wir auch im Raumordnungsbericht darzustellen versucht.
Es war dann die Rede von den Problemen der Ökologie. Da kann ich dem zustimmen, was etwa Herr Gattermann oder Herr Immer gesagt haben. Das ist für uns nichts Neues. Wir haben im Rahmen der Raumordnungspolitik oder im Rahmen regionaler Strukturpolitik auch in der Vergangenheit nie ausschließlich von Fragen der Industriepolitik oder der Ansiedlungspolitik gesprochen — so wichtig das für die Verbesserung der Arbeitsbedingungen im ländlichen Raum auch ist —, sondern für uns war eine vernünftige Raumordnungspolitik gleichzeitig auch eine vernünftige Ökologiepolitik, weil ja auch für die weitere Entwicklung dieser Räume die ökologischen Verhältnisse von ganz entscheidender Bedeutung sind. Insofern wird hier nichts Neues gesagt, sondern das war bereits Grundlage unserer Raumordnungspolitik.
Es ist dann auf den Bericht über die Behördenstandorte hingewiesen worden, den wir den zuständigen Ausschüssen des Bundestages vor einigen Wochen vorgelegt haben. Es ist eine Art Sachstandsbericht. Ich meine aber, daß es auf der Grundlage dieses Berichts Aufgabe der Raumordnungspolitik der Zukunft sein muß, noch stärker als bisher Verlagerungsmöglichkeiten und auch Möglichkeiten zur Neugründung von Behörden — sowohl von Bundes- als auch von Landesbehörden — im ländlichen Raum zu finden.
Ich möchte noch eine Bemerkung — das ist ja auch sehr aktuell — zu Fragen der Energiepolitik machen, von denen ich meine, daß sie auch noch stärker als bisher unter raumordnerischen Gesichtspunkten gesehen werden müssen.

(Zuruf von der CDU/CSU: Die werden von dieser Regierung überhaupt nicht gesehen!)

Auch das wichtige energiepolitische Problem, wie man etwa Heizöl durch andere Energieträger ersetzt, ist auch ein Problem der Raumordnung, nicht nur ein Problem der Energiepolitik. Anhand dieses Beispiels kann nachgewiesen werden, wie sich diese wichtigen Fachbereiche überschneiden. Wir wissen z. B., daß zwei Drittel des Bundesgebietes mit 55 der Bevölkerung nicht an das überregionale Erdgasnetz angeschlossen sind und daß es in vielen Ballungsgebieten, in denen von der Abnahmedichte her die Heizung mit Fernwärme aus der Kraftwärmekopplung sinnvoll wäre, an geeigneten Kraftwerken und dem entsprechenden Leitungsnetz fehlt. Deshalb mißt die Bundesregierung ja auch dem Ausbau der leitungsgebundenen Energiearten eine besondere Bedeutung bei. Ich meine, daß diese Fragen der Energiepolitik in den nächsten Jahren noch mehr als bisher Fragen der Raumordnungspolitik sein müssen. So könnte ich mir etwa vorstellen, daß die



Bundesminister Dr. Haack
Heizung in Großstädten und Ballungsgebieten vorrangig durch Fernwärme erfolgt und in Klein- und Mittelstädten sowie am Rande der Verdichtungsgebiete das Erdgas in Zukunft eine besondere Bedeutung gewinnen wird.

(Pfeffermann [CDU/CSU]: Welche Investitionsprogramme sind dazu aufgestellt?)

Jetzt will ich Ihnen noch ein ganz konkretes Beispiel nennen, um Ihnen deutlich zu machen, daß die Probleme der Raumordnungspolitik und in diesem Zusammenhang die Probleme des ländlichen Raumes gerade auch von mir als zuständigem Minister, den Sie, Frau Kollegin Pack, mehrmals angesprochen haben, nicht vernachlässigt werden. Sie wissen alle, daß wir zur Zeit in unserem Land eine sehr aktuelle wohnungspolitische Diskussion haben, die sehr stark von den Großstädten und Ballungsgebieten bestimmt wird. Die dortigen Vertreter, Kommunalpolitiker aller politischen Parteien, sagen: Hier sind die eigentlichen Wohnungsversorgungsprobleme, und es ist deshalb Aufgabe des Staates, des Bundes und der Länder, hier die öffentlichen Förderungsmittel konzentriert einzusetzen. Weiter wird behauptet, die Förderung, die der Staat, Bund und Länder, direkt über den sozialen Wohnungsbau, indirekt durch Steuererleichterungen in diesen Gebieten geben, sind bisher vorrangig in die ländlichen Gebiete geflossen, wo die Wohnungsversorgung sowieso gut ist, wo etwa die Eigentumsquote sehr hoch ist.
Ich erkenne diese Diskussion aus der Sicht der Großstädte und Ballungsgebiete durchaus an. Ich weise allerdings in jeder dieser Diskussionen, auch in München, auch in anderen Großstädten, wo es vor dem jeweiligen Zuhörerkreis unpopulär ist, weil dort quer durch die politischen Richtungen nur Großstädter vertreten sind, immer darauf hin, daß wir Wohnungspolitik nicht so isoliert sehen können, daß wir nur noch die Großstädte und Ballungsgebiete sehen, weil wir dort unbestreitbare Wohnungsprobleme haben. Vielmehr sage ich immer: Es ist Aufgabe der Raumordnungspolitik, nicht nur bessere Verhältnisse etwa in ländlichen Gebieten zu schaffen, sondern außerdem noch dazu beizutragen, dort, wo bestimmte Verhältnisse in ländlichen Gebieten besser als im städtischen Bereich sind, dafür zu sorgen, daß sie weiterhin besser bleiben.

(Beifall bei der SPD)

Dem liegt folgende Überlegung zugrunde. Trotz der vielfältigen Aufgabenstellung der Raumordnungspolitik gibt es in diesem Punkt, wie ich glaube, keine unterschiedlichen Auffassungen darüber, daß wir zu gleichwertigen Lebensverhältnissen kommen. Was Herr Immer vorhin vorgetragen hat, daß einer alle Vorteile auf einmal hat, wird nie erreichbar sein. Gewisse Unterschiede in der Situation wird es immer geben.
Wir sind bisher immer davon ausgegangen, daß bestimmte Bereiche in ländlichen Gebieten — dazu zählten die Wohnungsversorgung, die Umweltsituation, Reinheit der Luft — besser als in städtischen Gebieten sind. Wir haben außerdem immer gesagt, daß diese Tatsache — das will ich in diesem Zusammenhang unterstreichen, um Ihnen deutlich zu machen, welche Bedeutung die Raumordnung hier spielt, was auch bei der aktuellen Wohnungsversorgung- und -förderungsdiskussion deutlich werden muß —, daß es gewisse Vorteile bei der Wohnungsversorgung im ländlichen Raum gibt, aufrechterhalten werden muß und daß das nicht nivelliert werden darf. Es darf auch nicht nur konzentriert in den Großstädten gefördert werden, weil die Tatsache einer besseren Wohnungsversorgung, vor allem im Rahmen der Eigentumsbildung im ländlichen Raum, dazu beigetragen hat, daß nicht noch mehr Menschen, noch dazu junge Menschen, aus diesen ländlichen Räumen abgewandert sind.
Das wollte ich Ihnen bei dieser Debatte nur noch einmal abschließend sagen, um deutlich zu machen, daß auch bei jeder engeren Fachdiskussion, etwa über die Wohnungspolitik, von mir aus diese raumordnerischen Gesichtspunkte und auch gerade die Interessen des ländlichen Bereiches mit vertreten werden. Das war auch der Grund dafür, daß ich den Beirat für Raumordnung, den ich vorhin schon einmal erwähnt habe, gebeten habe, sich sehr kurzfristig, auch für die aktuelle Diskussion bis zum Sommer dieses Jahres, dieser Problematik der Wohnungsprobleme in Ballungsgebieten und der raumordnerischen Anforderungen einer guten Wohnungsversorgung in ländlichen Gebieten zu widmen. Sie mögen daraus also ersehen, daß diese raumordnerischen Gesichtspunkte durchaus eine wichtige Rolle spielen.
Ich komme zu einer abschließenden Bemerkung. Sie wissen, daß wir vor der Fortschreibung des Bundesraumordnungsprogrammes stehen. Wir meinen von seiten des Ministeriums, daß uns die Ausschußberatungen, die wir in den verschiedenen Ausschüssen des Bundestages zum Raumordnungsbericht 1978 hatten, wertvolle Hinweise und Anregungen gegeben haben und wir auch bei der Fortschreibung dieses Bundesraumordnungsprogramms davon profitieren können. Insgesamt kann es überhaupt keinen Zweifel daran geben, daß die Aufgaben der Raumordnungspolitik auch in den 80er Jahren zu unseren zentralen Aufgaben gehören und daß wir zu einer ganz engen Verzahnung der raumordnerischen Gesichtspunkte mit den jeweiligen Fachpolitiken kommen müssen.

(Beifall beider SPD und der FDP — Dr. Möller [CDU/CSU]: Zu den Problemen der Ballungsrandzonen haben Sie nichts gesagt!)


Dr. Richard von Weizsäcker (CDU):
Rede ID: ID0821130600
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Ausschusses. Der Ausschuß empfiehlt auf Drucksache 8/3674 unter Nr. 1, den Raumordnungsbericht 1978 zustimmend zur Kenntnis zu nehmen. Wer dem zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Die Gegenprobe! — Enthaltungen? — Das erste war die Mehrheit. Die



Vizepräsident Dr. von Weizsäcker Beschlußempfehlung des Ausschusses ist mit Mehrheit angenommen.
Der Ausschuß empfiehlt ferner auf Drucksache 8/3674 unter Nr. 2, den Antrag der Abgeordneten Frau Pack, Dr. Dollinger, Dr. Jahn (Münster) und weiterer Abgeordneter der Fraktion der CDU/CSU betreffend Raumordnung — Drucksache 8/1656 — abzulehnen. Wer dieser Beschlußempfehlung des Ausschusses zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Die Gegenprobe! — Enthaltungen? — Das erste war die Mehrheit. Die Beschlußempfehlung des Ausschusses unter Nr. 2 ist mit Mehrheit angenommen.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 13 auf:
Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen (14. Ausschuß) zu dem Antrag der Abgeordneten Pfeffermann, Dr. Schulte (Schwäbisch Gmünd), Sick, Dr. Jobst, Schröder (Lüneburg), Dr. Stavenhagen, Weber (Heidelberg), Lenzer, Straßmeir, Dr. Friedmann, Dr. Freiherr Spies von Büllesheim, Dr. Riesenhuber, Wissmann, Dr. Langguth, Bühler (Bruchsal), Dr. Stark (Nürtingen) und Genossen und der Fraktion der CDU/ CSU
Förderung des Einsatzes von Elektrofahrzeugen
— Drucksachen 8/2691, 8/3784 — Berichterstatter: Abgeordneter Batz
Meine Damen und Herren, Wortmeldungen liegen nicht vor. Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Ausschusses. Der Ausschuß empfiehlt auf Drucksache 8/3784 die Annahme einer Entschließung. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Die Gegenprobe! — Enthaltungen? — Die Beschlußempfehlung des Ausschusses ist einstimmig angenommen.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 14 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Stavenhagen, Lenzer, Dr. Probst, Pfeifer, Benz, Engelsberger, Gerstein, Dr. Hubrig, Dr. Riesenhuber, Dr. Freiherr Spies von Büllesheim, Dr. Laufs, Pfeffermann, Frau Dr. Walz, Dr. Müller-Hermann, Metz, Kolb, Frau Fischer und der Fraktion der CDU/CSU
Raumfahrtpolitik
— Drucksache 8/3438 —
Interfraktionell ist ein Kurzbeitrag für jede Fraktion vereinbart. Wird das Wort zur Begründung gewünscht? — Das ist nicht der Fall. Dann eröffne ich die Aussprache.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Stavenhagen.

Dr. Lutz G. Stavenhagen (CDU):
Rede ID: ID0821130700
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Raumfahrt gehört zu den dynamischsten Schrittmachern für den technischen Fortschritt unserer Zeit. So bemerkenswert
die technischen Leistungen und die Forschungsergebnisse sind, so bedeutend sind auch die Auswirkungen auf die Volkswirtschaft.
Es gibt nicht nur die Firmen, die unmittelbar mit der Raumfahrt befaßt sind; es gibt Zulieferindustrie, es gibt wissenschaftliche Folgeprodukte, die unser ganzes Wirtschaftsleben direkt und indirekt beeinflussen.
Von der Wetterkarte, die selbstverständlicher Bestandteil der Nachrichtensendungen ist, bis zum Versuch des direkten Fernsehsatellitenempfangs durch die Hausantenne gibt es eine Fülle von Anwendungen.
Im Nachrichtensektor sind die Fortschritte und Leistungen besonders sichtbar. Telefongespräche über Satelliten gehören zum Alltag, Sportübertragungen aus anderen Erdteilen ebenfalls.
Die Beobachtung und die Vermessung der Erdoberfläche durch Satelliten hat einen wichtigen Beitrag zur Erschließung unserer Erde vermittelt. Das Aufspüren von Rohstofflagerstätten und die Beobachtung von Ernten kann einen wichtigen Beitrag zur Bekämpfung des Hungers auf der Welt leisten.
In der Medizin sei nur an die Gastroskopie erinnert. Mikrotechnik und Datenverarbeitung sind weitere Anwendungsbeispiele.
Man muß sich aber davor hüten, meine Damen und Herren, zu meinen, daß eine Vielzahl von Projekten allein schon eine gute Forschungspolitik bedeute. Entscheidend ist, was dabei herauskommt; entscheidend sind die Innovationen.
Wir meinen, daß Forschungspolitik ein schlechtes Turnierfeld für Dirigismus und gesellschaftsverändernde Kraftakte sind. Wenn die Bürokratie — eine Fülle von Projektträgern, Projektbegleitern usw. — notwendig wird, dann ist hier etwas nicht in Ordnung. Wir erinnern auch bei dieser Gelegenheit an ein ausgewogenes Verhältnis von direkter und indirekter — nämlich steuerlicher — Forschungsförderung.
Meine Damen und Herren, die Raumfahrtindustrie nimmt in der gesamten Industrie von ihrem Umfang her nur einen kleinen, aber, wie ich ausführte, wichtigen Platz ein. Deswegen ist es völlig ausgeschlosssen, daß diese Raumfahrtindustrie die Kosten allein aufbringen kann. Hier ist staatliche Hilfe notwendig.
Die großen Projekte können nicht allein nationalstaatlich, sondern sie müssen international gemacht werden. Falsch wäre es aber, allein auf die internationale Karte zu setzen. Zwar hat man mit der europäischen Weltraumorganisation ESA einige gute Ergebnisse erzielt — ich denke an die Wettersatelliten —; aber daneben müssen auch eine ausreichende nationale Kapazität und ein ausreichendes nationales Raumfahrtkonzept vorhanden bleiben. Es geht heute auch darum, im internationalen Konzert gegenüber den Supermächten der Raumfahrt den Selbstbehauptungswillen Europas zu stärken und das Mitbestimmungsrecht Europas in der Welt in diesem wichtigen Feld zu verteidigen. Wir werden unser geistiges und materielles Erbe nur



Dr. Stavenhagen
dann für die Zukunft aller Völker nutzbar machen können, wenn wir zu einem führenden Kontinent des Technologietransfers werden, gewissermaßen zu einer Denkschmiede und einem Technologielieferanten für andere.
Ich meine auch, daß wir gerade angesichts der derzeitigen Diskussion bei der Jugend über die Bewegung „Zurück zur Natur" dieser Jugend klarmachen müssen, daß Naturwissenschaft, Technik und ihre industrielle Nutzung keine Feinde unserer natürlichen Umwelt sind. Neben der Nuklearforschung, neben der Kernenergie repräsentiert die Luft- und Raumfahrtindustrie einen der modernsten und unverzichtbarsten Technologiezweige unserer Zeit. Es ist notwendig, einmal klipp und klar auszusprechen, daß der Verzicht eines Staates auf eines dieser beiden Felder der Technologie nicht zu verantworten wäre und uns unserer industriellen und weltwirtschaftlichen Zukunft berauben würde.

(Beifall bei der CDU/CSU)

In einer wettbewerbsorientierten Gesellschaft darf sich kein verantwortlicher Politiker mehr einen wie auch immer ideologisch verbrämten Schritt in Richtung Steinzeit leisten.

(Sehr gut! bei der CDU/CSU)

Es geht vielmehr darum, einer möglichst breiten Öffentlichkeit mit aller Eindringlichkeit klarzumachen, daß es ohne technologische Innovation heute für die Jugend der Welt kein Morgen gibt.

(Haase [Kassel] [CDU/CSU]: Sehr richtig!)

Ganz besonders gilt dies auch für die Forschung und Entwicklung im Bereich der Luft- und Raumfahrtindustrie, die in ihren westlichen Bereichen von jungen Wissenschaftlern und Ingenieuren aufgebaut wurde und getragen wird. Außerdem ist die Erforschung des Weltraums eine kulturelle und geisteswissenschaftliche Aufgabe, die der staatlichen Förderung des bereits vorhandenen Kulturgutes ebenbürtig ist.
Mit dem Start des ersten Sputniks am 4. Oktober 1957 begann der eigentliche Eintritt in das Zeitalter der Weltraumfahrt. Seitdem haben die USA und die Sowjetunion eine Vielzahl von Pionierleistungen erbracht. Aber auch andere Nationen beteiligen sich mit wachsendem Erfolg an der Erforschung des Weltalls.
Die Bundesregierung stellt sich dieser geistig anregenden, schöpferische Kräfte freisetzenden Herausforderung nicht. Sie will nach eigener Aussage der Größte unter den kleinen europäischen Ländern bleiben und beispielsweise Frankreich, England und Italien den Vortritt in der Raumfahrt lassen. Deutschland, das in bezug auf Bevölkerung, auf Bruttosozialprodukt und wissenschaftliche Kapazität in Europa vorne ist, stellt sich hinten an. Dazu paßt auch, daß es keine mittel- oder gar langfristige Raumfahrtplanung der Bundesregierung gibt. Mit dem Motto „abwarten und sehen, was in den nächsten Jahren passiert" kann man die Raumfahrt nicht vorantreiben. Man läßt vorhandene Chancen ungenutzt und steigt ab in die Zweitklassigkeit.
Die Konkurrenzfähigkeit der deutschen Raumfahrtindustrie ist in Gefahr, weil der Forschungsminister ohne langfristige Perspektive kurzfristig von einem Projekt auf ein neues steigt. Seit 1977 ist es der Bundesregierung nicht gelungen, das Weltraumprogramm fortzuschreiben. Hochqualifizierte Arbeitsplätze sind in der Raumfahrtindustrie in Gefahr und ohne Zukunftsperspektive..
Am 17. Oktober 1972 hat die Bundesregierung die Grundlinien des von der CDU/CSU formulierten Weltraumprogramms in wesentlichen Elementen umgesteuert. Das Ergebnis dieser Fehlentscheidungen läßt sich in fünf Punkten zusammenfassen: erstens die übermäßige Konzentration allein auf die Entwicklung des Spacelab unter Vernachlässigung anderer wichtiger Bereiche, z. B. kommerziell nutzbarer Satelliten, zweitens der Verzicht auf eine eigene europäische Trägerkapazität, drittens der Verzicht auf wesentliche Teile eines nationalen Raumfahrtprogramms, viertens die Vernachlässigung langfristiger Perspektiven und fünftens die Reduzierung des wissenschaftlichen Programms.
Nach der verständlichen Euphorie über die Zusammenarbeit mit den Amerikanern folgte dann die Ernüchterung. Fehlende Vertragserfahrungen im Umgang mit den USA auf europäischer Seite führten zu kostentreibenden Änderungen, die ausgerechnet in einer Phase beginnender weltweiter Kommerzialisierung der Raumfahrt in Deutschland langfristig Entwicklungsgelder in erheblichem Umfange binden. Der Beschluß, auf eigene Trägerkapazität zu verzichten, hat sich als falsch herausgestellt. Die Bundesregierung hat dies selbst erkannt und ist nachträglich in das Ariane-Programm der Franzosen eingestiegen. Ergebnis aber war, daß die nachträgliche Beteiligung nur ein sehr begrenztes Mitwirkungs- und Mitspracherecht ermöglicht hat.
Wesentliches Element der Raumfahrtpolitik heute ist die Zusammenarbeit in der ESA. Das Problem in der ESA ist aber, daß über die Abstimmungsverfahren im Industrial Policy Committee praktisch nationale Zwänge und nationale Egoismen wieder betont werden. Das Prinzip des fairen Returns, des fairen Zurückgebens des eingeschossenen Geldes lähmt im Grunde genommen die Initiative und führt zu ständiger Verzögerung und auch zu Kostensteigerungen. Die Bundesregierung hat diese Fehlentwicklung erkannt, hat aber bis heute immer noch kein neues Programm vorgelegt. Daran kann man den Stellenwert, den die Bundesregierung der Raumfahrt beimißt, ablesen.
Wir meinen, daß in einem hochtechnisierten Land wie der Bundesrepublik Deutschland eine Neuorientierung und Intensivierung der Raumfahrtpolitik erforderlich ist. Wir fassen dies in fünf Punkten zusammen, die Sie in unserem Antrag finden.
Erstens. Realisierung eines nationalen Forschungs- und Entwicklungsprogramms für Raumfahrt und eine angemessene Beteiligung an übernationalen Programmen.
Zweitens. Eine eigene Trägerkapazität mit stärkerer Nutzungsmöglichkeit für die Bundesrepublik Deutschland.



Dr. Stavenhagen
Drittens. Angemessene Beteiligung an der bemannten Raumfahrt, insoweit diese als Basis für die Erschließung zukünftiger Raumfahrtanwendungen notwendig ist.
Viertens. Förderung von Aktivitäten im Bereich der praktischen Nutzung der Satellitentechnik für die Bundesrepublik einschließlich politischer Unterstützung bei Export und Nutzung von Raumflugsystemen durch den Fernseh-Daten-Navigationssatelliten.
Fünftens. Die Förderung von Raumfahrtvorhaben mit besonderem wissenschaftlichen und technischen Interesse in der Bundesrepublik.
Dies ist unser Antrag. Wir hoffen, daß diesem Antrag gute und konstruktive Beratungen beschieden sein mögen.

(Beifall bei der CDU/CSU)


Dr. Richard von Weizsäcker (CDU):
Rede ID: ID0821130800
Das Wort hat Frau Abgeordnete Erler.

Brigitte Erler (SPD):
Rede ID: ID0821130900
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe zum wiederholten Male die traurige Aufgabe, daß ich zu einem Antrag der Opposition sprechen muß, der absolut nichts Neues bringt, nicht einmal eine Kritik an der Regierungspolitik, sondern lediglich eine Aufzählung und Bestätigung dessen enthält, was die Regierung sowieso schon macht.

(Beifall bei der SPD und der FDP)

Dies ist nicht nur eine traurige Aufgabe, weil es ziemlich langweilig ist, immer zu bestätigen, daß die Regierung irgend etwas ganz toll macht. Es ist auch deshalb traurig, weil es mir scheint, daß es für den Zustand der Opposition symptomatisch ist. Sie ist eigentlich auf keinem einzigen Gebiet bereit, eine wirkliche Alternative zu erarbeiten, sondern sie setzt immer nur kleine Pünktchen, die sie anders sieht. Sie fordert uns nirgendwo zu einer echten Auseinandersetzung heraus.

(Beifall bei der SPD)

Auf dem Gebiet der Energiepolitik haben wir das gleiche. Sie fordern lediglich, daß wir etwas schneller und etwas rücksichtsloser die Kernkraft einführen. Das gleiche haben wir auf dem Gebiet der Entspannungspolitik, wo Sie etwas mehr poltern wollen. Das gleiche haben wir auf dem Gebiet der Entwicklungspolitik, wo Sie — jedenfalls Ihr Sprecher — Kurzsichtigkeit demonstrieren.
Auf dem Gebiet der Forschungspolitik hören wir von Ihnen immer das gleiche Credo nach mehr direkter Förderung. Dies geschieht jetzt sogar auf einem Gebiet, nämlich der Raumfahrtpolitik, auf dem es eindeutig so ist, daß mit indirekter Förderung nun wahrlich nichts zu holen ist. In Ihrem Antrag wird das auch ganz deutlich.
Den einzigen Unterschied, den ich bei einem Vergleich Ihres Antrags mit der Politik der Bundesregierung sehe, ist der, daß in Ihrem Antrag eine kleine Prise mehr Nationalismus steckt. Ansonsten sehe ich da wirklich nichts Neues. Um dies zu bele-
gen, möchte ich doch auf die einzelnen Punkte dessen eingehen, was Sie fordern.
Sie fordern als erstes ein nationales Forschungs-und Entwicklungsprogramm. Dabei wissen Sie ganz genau, daß die Bundesregierung ein Programm der Weltraumforschung und Weltraumtechnik 1976 bis 1979 vorgelegt hat.

(Dr. Stavenhagen [CDU/CSU]: Was haben wir jetzt?)

Die Fortschreibung dieses Programms ist im Moment in Bearbeitung — das wissen Sie auch — und wird 1980 noch fertiggestellt werden. Selbstverständlich können Sie sagen, sie hätte es schon ein Jahr vorher vorlegen müssen. Aber Sie wissen auch, daß die Hauptpunkte dieses Programms, nämlich die Entwicklung des TV-Sat, die Industrialisierung der Ariane-Produktion, ArianeSpace und auch das Europäische Erderkundungsprogramm bei der ESA, im Moment in Vorbereitung sind. Das heißt: Das, was Sie fordern, nämlich ein nationales Forschungs-und Entwicklungsprogramm, liegt zum Teil vor, zum Teil kann es noch nicht vorliegen, weil es in der Bearbeitung ist.
Das zweite: Sie fordern eine eigene Trägerkapazität für Europa. Wir haben Ariane. Die Alternative damals waren ja schließlich Europa. II und III. Daß wir das hätten weiterverfolgen sollen, werden Sie ja wohl nicht wollen. Was fordern Sie eigentlich außer Ariane?
Das dritte: Beteiligung an bemannter Raumfahrt. Wir haben eine Beteiligung an Spacelab von 53,34 %. Wenn das nicht eine angemessene oder vielleicht sogar überangemessene Beteiligung an der bemannten Raumfahrt ist, dann weiß ich nicht, was angemessen ist.
Als viertes fordern Sie die praktische Nutzung der Satellitentechnik. Wir haben eine 30%-Beteiligung an ECS, und wir beteiligen uns intensiv am TV-Sat. Und so geht es weiter und weiter.
Was fünftens die Förderung von Raumfahrtvorhaben mit besonderem wissenschaftlichen und technischen Interesse in der Bundesrepublik angeht, so gibt es dafür geradezu ein Paradebeispiel, nämlich den Robisat, bei dem die besondere Leistungsfähigkeit der deutschen Wissenschaftler in der Gammastrahlenforschung dazu geführt hat, daß wir dieses nationale Projekt — allerdings auch mit dem Versuch internationaler Zusammenarbeit — planen.
Die Ziffer 2 Ihres Antrags mit Forderungen an die Bundesregierung hätten Sie sich meiner Ansicht nach nun wirklich sparen können. Denn dies ist ein reines Abschreiben des ESA-Programmes.

(Dr.-Ing. Laermann [FDP]: Sehr wahr!)

Es findet sich kein einziger neuer Gedanke darin.

(Frau Dr. Timm [SPD]: Hört! Hört!)

Was die Forderung unter Ziffer 3 angeht, die Nutzungsmöglichkeit und Wirtschaftlichkeit von Spacelab kritisch zu überprüfen, so ist zu sagen: Erstens macht die Bundesregierung das natürlich, und zweitens scheint mir da ein gewisser Wider-



Frau Erler
Spruch zu dem zu sein, was Sie vorher sagen, nämlich daß die Spacelab-Entscheidung zu sehr auf Wirtschaftlichkeit abgestellt sei. Eine Seite weiter fordern Sie dann, daß die Wirtschaftlichkeit dauernd überprüft werden solle.
Was die Forderung in Ziffer 4 betrifft, nämlich die Effektivität der ESA dauernd kritisch zu überprüfen, so ist dies nun wirklich eine ganz genaue Beschreibung dessen, was die Bundesrepublik bei der ESA wirklich dauernd tut. Das letzte Beispiel ist die Ablösung des bisherigen Generaldirektors und — auf Betreiben, mit Betreiben der Bundesregierung — die Einführung eines neuen Generaldirektors im Mai. Selbstverständlich sind wir einer Meinung, daß die internen Kosten der ESA im Moment zu hoch sind. Aber genau daran, dies zu reduzieren, arbeitet ja die Bundesregierung.
Meine Damen und Herren, ich könnte den ganzen Forderungskatalog noch bis zum Schluß durchgehen und nachweisen, daß alles das, was dort gefordert wird, von der Bundesregierung längst durchgeführt wird oder in der Planung ist, soweit da Planung gefordert wird. Ihre Forderung etwa, daß die Bundesregierung zur Erhaltung der Leistungsfähigkeit unserer Forschungsinstitute und der Industrieforschung beitragen soll, ist bis in die Formulierung hinein identisch mit unserer Forderung.
Was soll also ein solcher Antrag? Es ist mir wirklich absolut nicht klar, wieso Sie den Bundestag mit einem solchen Antrag beschäftigen, der angeblich ein Oppositionsantrag ist, tatsächlich aber lediglich eine Bestätigung und Aufzählung dessen ist, was die Bundesregierung in den letzten Jahren gemacht hat, was sie weiter macht und was sie weiter vorhat. Ich meine, daß wir uns in den Stunden, die uns hier im Parlament bis zum Ende dieser Legislaturperiode noch bleiben, wirklich mit sinnvolleren Dingen befassen sollten als mit einer reinen Bestätigung der Regierungspolitik durch die Opposition. Ich meine deshalb, daß Sie sich diesen reichlich läppischen Antrag hätten sparen können.

(Beifall bei der SPD und der FDP)


Dr. Richard von Weizsäcker (CDU):
Rede ID: ID0821131000
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Laermann.

Prof. Dr.-Ing. Karl-Hans Laermann (FDP):
Rede ID: ID0821131100
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe mich den ganzen Tag über nicht des Eindrucks erwehren können, auf einem falschen Dampfer zu sein. Ich frage mich, auf welchem Raumschiff wir uns eigentlich bewegen oder auf welchem Raumschiff die Opposition sich eigentlich bewegt. Ich weiß es nicht.

(Dr. Schäfer [Tübingen] [SPD]: Ein Traumschiff! — Weitere Zurufe)

— Ja, dem möchte ich zustimmen: auf einem Traumschiff. Ich habe schon das Gefühl, daß die Opposition vom Mond kommt. Wenn wir uns nämlich gerade diesen Antrag, über den wir hier debattieren, einmal ansehen, ist es doch in der Tat genau so, wie die Frau Kollegin Erler es schon gesagt hat: Was soll das eigentlich? Hier wird doch im Grunde genommen
nur das aufgezählt und aufgeführt, was die Regierung inzwischen doch gemacht hat.

(Dr. Schäfer [Tübingen] [SPD]: Hört! Hört!)

Da beklagt die Opposition die Neuorientierung des von ihr vor Übernahme der Regierungsverantwortung durch SPD und FDP konzipierten Weltraumprogramms. Ich meine, daß diese Neuorientierung notwendig war, weil doch die anfängliche Zielsetzung im wesentlichen durch die spektakulären russischen und amerikanischen Erfolge bedingt gewesen war. Immerhin hat es auch damals, meine verehrten Kollegen, mehr als vierjähriger schwierigster Verhandlungen bedurft, um auf diese wissenschaftlich-technische Herausforderung mit einer europäischen Initiative zu antworten. Ich beziehe mich hier — Sie können das dort gern nachlesen; ich möchte auf das Zitieren verzichten — auf die Ausarbeitung der Kommission für wirtschaftlichen und sozialen Wandel.
Die Bedeutung und die Notwendigkeit der Förderung der Raumfahrt sind sicher unbestritten, und dies ist wohl die übereinstimmende Beurteilung aller Parteien in diesem Hause. Aber die in dem vorliegenden Antrag der Opposition enthaltenen Formulierungen und die daraus abgeleiteten Forderungen müssen energisch zurückgewiesen werden.

(Haase [Kassel] [CDU/CSU]: Ist das wahr?)

Ich möchte das an Hand einiger Beispiele begründen.
Erstens stelle ich fest: Die Bundesregierung liegt mit ihrer Politik richtig, aus längerfristigen Zielsetzungen konkrete Programme abzuleiten und den aktuellen Entwicklungen anzupassen. Wir haben das Weltraumprogramm 76/79, in der Planung befindet sich das Programm 80/84, und der kontinuierliche Übergang ist gesichert. Die Bundesregierung entspricht mit dieser Planung und mit diesen Programmen in vollem Umfange der Verantwortung und auch der Verpflichtung, die Wissenschaft und die Entwicklung neuer intelligenter Produkte zu fördern, d. h. den Strukturwandel zu unterstützen und der Wirtschaft neue Märkte zu eröffnen. Sie anerkennt damit auch, Herr Kollege Stavenhagen, eindeutig den Stellenwert dessen, und Sie als Berichterstatter im Haushaltsausschuß wissen doch sehr wohl über die Mittel Bescheid, die in die Raumfahrtforschung und in die Förderung der Raumfahrt fließen. Von daher verstehe ich Ihre Kritik am allerwenigsten.
Sie fordern in Ihrem Antrag die Förderung von Kommunikationssatelliten. Was sind denn, so frage ich Sie, Symphonie 1 und 2? Was ist denn mit den Anteilen der Industrie der Bundesrepublik an Intelsat, an CTS, an dem europäischen Fernmeldesatelliten ECS, am Seefunksatelliten Marecs? Wollen Sie das alles als nicht existent bezeichnen?

(Dr. Stavenhagen [CDU/CSU]: Was ist mit Luxemburg?)

— Ich komme darauf gleich zurück. — Wollen Sie das als im Sinne Ihres Antrages nicht existent betrachten?



Dr.-Ing. Laermann
Sie fordern Fernerkundungssatelliten und erwähnen gleichzeitig schon selbst die Wettersatelliten. Was ist denn mit Meteosat? Wollen Sie das nicht anerkennen? Sie fordern die Förderung wissenschaftlicher Raumfahrzeuge. Was ist denn mit dem ESA-Projekt Hipparcos und mit Robisat, was ist mit Spacelab? Sie fordern internationale Kooperation. Was ist denn mit der europäisch-amerikanischen Kooperation, mit Solarmissionen, mit der Helios-Mission, mit der Jupiter-Mission?
Die Opposition erhebt den Vorwurf, die Bundesregierung habe keine Zielvorstellungen. Sie tun gerade so, als ob dies alles, was Sie selbst in Ihrem Antrag aufgezeigt haben und was regierungsamtliches Programm ist, gar nicht existierte.
Die Opposition fordert also internationale Kooperation. Aber sie geschieht doch! Das können Sie doch nicht leugnen. Gleichzeitig wollen Sie es nicht akzeptieren, wenn dabei Schwierigkeiten auftreten. Sie machen die Bundesregierung verantwortlich, wenn Schwierigkeiten auftreten, die nicht in nationaler Verantwortung liegen. Sie müssen doch davon ausgehen, daß bei so komplizierten Projekten in der internationalen Kooperation auch einmal Sand ins Getriebe gerät. Im übrigen liegt es wohl in der Natur von Forschung, daß nicht alles planmäßig verläuft. Ich glaube, sonst bräuchten wir nicht mehr von Forschung zu reden.
Sie behaupten in Ihrem Antrag, die Projektentscheidung für Spacelab sei vorrangig auf die vermeintliche Wirtschaftlichkeit abgestützt worden, und dieses sei falsch, weil zu technokratisch, und führe zu falschen politischen Entscheidungen. In Ihrem Forderungskatalog fordern Sie aber ein Programm und Aktivitäten unter Berücksichtigung des wirtschaftlichen Nutzens. Den Widerspruch müssen Sie mir, bitte schön, einmal auflösen.
Für Spacelab fordern Sie Überprüfung der Nutzungsmöglichkeiten, der Wirtschaftlichkeit. Sie sagen, es müsse geprüft werden, ob die Investitionen und die Nutzung der Investitionen ausgewogen und sinnvoll seien. Auf der anderen Seite kritisieren Sie, daß die Entscheidung auf Wirtschaftlichkeit abgestützt sei.
Sie fordern langfristig Erhaltung und Weiterentwicklung von Trägerkapazität und kritisieren die Bundesregierung wegen des Verzichts auf europäische Trägerkapazität. Ich frage Sie: Wo ordnen Sie eigentlich Ariane ein?
Sie kritisieren die Europäische Raumfahrtorganisation ESA wegen ihrer Schwerfälligkeit, wie Sie sagen, der Bestimmungsmodalitäten wegen, der politischen Einflußnahme der Mitgliedsländer wegen. Es läßt sich zweifellos einiges an Kritik anmelden, und einiges ist sicherlich auch verbesserungsfähig. Gleichzeitig fordern Sie aber mehr internationale Partnerschaft und Intensivierung eines nationalen Programms. Wie läßt sich das miteinander vereinbaren? Wollen Sie die internationale Beteiligung kürzen? Wie ist das dann mit Ihrem Bekenntnis zu Europa?
Wollen Sie die Erhöhung der Mittel für ein nationales Programm? Wir haben heute in der Debatte
zum Jahreswirtschaftsbericht von seiten der Opposition immer wieder den Vorwurf gehört, die Bundesregierung verschulde sich zu stark. Sie haben die Finanz- und Haushaltspolitik der Bundesregierung kritisiert. Jetzt fordern Sie eigene Trägerkapazität, jetzt fordern Sie ein nationales Programm. Ich kann doch nicht davon ausgehen, daß Sie die internationale Kooperation in gleichem Maße zurückfahren wollen. Sie fordern an allen Ecken und Enden, auch in der Raumfahrtförderung, Mehrausgaben; Sie müssen doch nun endlich sagen, wie Sie denn diese Mehrausgaben decken wollen.
Die FDP-Fraktion stimmt der Überweisung Ihres Antrages zu. Wir erwarten mit Interesse die Diskussion im Ausschuß. Wir werden uns mit Ihren Forderungen auseinandersetzen. Ich denke, wir werden uns gemeinsam um die Fortentwicklung und Fortschreibung des neuen Raumfahrtprogramms der Bundesregierung bemühen können.
Aber da, meine verehrten Kollegen von der Opposition, wo es notwendig wäre, wo sicher noch ein Nachholbedarf ist, wo man tatsächlich mit neuen Vorschlägen und neuen Forderungen kommen könnte, schweigen auch Sie sich aus. Was ist denn eigentlich mit der Beurteilung von Technikfolgen? Das ist doch Ihr Thema, wie der Kollege Riesenhuber immer wieder fordert: Technology Assessment. Warum befassen wir uns nicht intensiver mit den Folgen des Absturzes oder eines möglichen Absturzes von Satelliten? Wir haben es ja erlebt. Wir haben diese Besorgnis bei Skylab erlebt, und wir haben sie auch mit den Kosmos-Satelliten erlebt: Was ist beim Absturz von Satelliten? Wie kann man hier für mehr Sicherheit sorgen? Je mehr Satelliten in den Weltraum geschossen werden, um so größer wird die Gefahr und das Gefährdungspotential, das dadurch aufgebaut wird.
Sie wollen sogar — ich dachte, ich lese nicht richtig, ich mußte es zweimal lesen — den Beitrag der Raumfahrt zur nuklearen Entsorgung: Auf, Brüder, zur Freiheit, zur Sonne!

(Haase [Kassel] [CDU/CSU]: Er kennt sich gut aus in den sozialistischen Volksliedern!)

Wollen Sie etwa den nuklearen Müll in die Sonne schießen? Ich frage mich, ob Sie dieses abenteuerliche Unternehmen ernstlich angehen wollen.
Ich möchte noch eine andere Sache aufgreifen. Was ist eigentlich mit den medienpolitischen Aspekten bei der verstärkten Markteinführung von Kommunikationssatelliten? Wollen wir uns um die Notwendigkeit einer neuen europäischen Rundfunkordnung herummogeln? Die FDP steht zu der Forderung nach Freiheit der Information und Kommunikation im internationalen Rahmen,' und sie steht dazu, daß es durchgesetzt werden muß, daß diese Freiheit gewährleistet wird. Wir können aber andererseits die Augen nicht vor der Tatsache verschließen, daß es hier auch Regelungsbedürftigkeiten gibt. Die Überlagerung nationaler Rundfunkstrukturen durch Fremdkommerzialisierung muß doch wohl verhindert werden.



Dr.-Ing. Laermann
Ich weise in dem Zusammenhang auch auf den französischen Nora-Bericht hin, der sich mit den politischen Problemen einer informierten Gesellschaft auseinandersetzt. Es geht nicht darum, den Bürger bevormunden zu wollen, ob er den Knopf eines Fernsehgerätes drücken kann, ob er das Fernsehgerät einschalten darf oder nicht, sondern es geht um eine geordnete Entwicklung in diesem Bereich unter Berücksichtigung der gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Interessen.

(Zurufe von der CDU/CSU)

Die Weltraumforschung, verehrter Herr Kollege Stavenhagen, ist für den nationalen Rahmen nicht nur eine, sondern zwei Nummern zu groß. Dies haben Bundesregierungen ja schon zu einer Zeit festgestellt, als die CDU/CSU die Mehrheit in diesem Haus hatte. Ich weise darauf hin — ich habe vorhin den Bericht schon einmal erwähnt —: Nur in internationaler Kooperation, vor allem in europäischer Kooperation, können wir auf diesem Gebiet erfolgreich weiterarbeiten. Aber lassen Sie mich auch erwähnen — ich bin am Ende meiner Redezeit —: Die wirtschaftliche Nutzung europäischer Entwicklungen bedarf auch politischer Regelungen. Dieser Aufgabe sollten wir uns zuwenden.

(Beifall bei der FDP und der SPD)


Dr. Richard von Weizsäcker (CDU):
Rede ID: ID0821131200
Das Wort hat der Herr Parlamentarische Staatssekretär Stahl.

Erwin Stahl (SPD):
Rede ID: ID0821131300
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Auf einzelne Punkte des Oppositionsantrags möchte ich hier nicht eingehen. Aber ich möchte das, was Sie, Herr Stavenhagen, soeben gesagt haben, nämlich daß selbst die Weltraumforschung ideologisch verbrämt werde,

(Dr. Stavenhagen [CDU/CSU]: „Forschung" habe ich nicht gesagt!)

als einen Witz bezeichnen — wenn ich mir dieses Wort hier einmal gestatten darf.

(Dr. Stavenhagen [CDU/CSU]: Nicht „die Forschung", sondern „die Forscher"!)

Meine Damen und Herren, lassen Sie mich feststellen, daß die Vorstellung der Opposition eigentlich in bemerkenswerter Weise mit der Raumfahrtpolitik der Bundesregierung übereinstimmt.

(Dr.-Ing. Laermann [FDP]: Sehr richtig!)

Es ist auch richtig — wie in Ihrem Antrag aufgeführt —, daß im Jahr 1972 eine Umsteuerung des Weltraumprogramms vorgenommen wurde. Jedoch die Konsequenzen, meine Damen und Herren von der Opposition, die Sie daraus ziehen, sind schlicht falsch und auch nicht akzeptierbar.
Herr Stavenhagen, es ist nicht richtig, wenn Sie sagen, daß das Programm nur bis 1977 gelaufen sei. Es lief bis Ende 1979, und wir sind dabei, mit den einschlägigen Fachleuten und Beratern ein neues Programm zu erstellen. Sie als Mitglied des Haushaltsausschusses wissen das sicher.
Es trifft auch nicht zu, daß z. B. die Bundesregierung auf eine eigene europäische Trägerkapazität verzichtet hat. Richtig ist vielmehr, daß nach der damals notwendigen Einstellung des Europa-Trägerraketenprogramms 1972 die Bundesrepublik sich einerseits vergewissern konnte, daß ihr die Benutzung des kostengünstigen amerikanischen Space-Shuttle offensteht. Andererseits hat sich die Bundesrepublik durch ihre Beteiligung an der Ariane die europäische Option, Nutzlasten in eine Umlaufbahn zu bringen, offengehalten. Dazu haben Sie eigentlich nichts gesagt.

(Zuruf des Abg. Haase [Kassel] [CDU/ CSU])

Das Projekt Spacelab bietet den europäischen Partnern als transatlantischer Kooperationsbeitrag zum amerikanischen wiederverwendbaren Raumtransportsystem Space-Shuttle nicht nur den Einstieg in die bemannte Raumfahrt, sondern die Partner provitieren damit gleichzeitig von der Verfügbarkeit leistungsfähiger Transportsysteme. Das Spacelab, für dessen Entwicklung und Bau die Bundesrepublik Deutschland auch eine erhebliche finanzielle Verantwortung übernommen hat, eröffnet ' neue Möglichkeiten der Nutzung des Weltraums auch für Bereiche, die bisher kaum Berührungspunkte mit der Raumfahrt hatten.
Über den Spacelab-Flug von ESA/NASA im Jahr 1982 hinaus wollen wir zumindest einen weiteren Flug für deutsche Experimente durchführen. Das wird 1984 sein. Erst dann werden wir entscheiden — und ich glaube, diese Einstellung ist richtig —, ob weitere Flüge dieser Art angebracht und sinnvoll sind. Dies kann heute noch nicht entschieden werden.
Unabhängig davon wird untersucht, welche Mitfluggelegenheiten für einzelne Experimente besonders bei NASA-Missionen von unserer Seite genutzt werden können. Die Bundesregierung hat bei der Planung und Durchführung ihrer Weltraumprogramme wissenschaftliche, technologische, politische, wirtschaftliche, außenpolitische sowie längerfristige wissenschaftlich-technische Aspekte in bestmöglicher Weise in Einklang gebracht. Das wird auch in der Begründung Ihres Antrages, Herr Stavenhagen, eigentlich bestätigt; denn in dem heutigen Stand der Raumfahrt und Raumforschungstechnik sehen Sie eine gute Ausgangsposition für die 80er Jahre. Eine meines Erachtens notwendige Aufgabe besteht jetzt darin, die Auswirkungen der Investitionen der Vergangenheit zu analysieren und daraus eine Bewertung für die weitere Bearbeitung des Programms abzuleiten, um übereilte Entscheidungen mit der Gefahr kostspieliger Fehlinvestitionen zu vermeiden.
Von einer zu einseitigen Betonung der Wirtschaftlichkeit kann also, Herr Kollege Stavenhagen, wohl keine Rede sein. Es ist Ihnen gut bekannt, daß große Teile des Programms wissenschaftlichen Zielen dienen, die nicht wirtschaftlichen Kriterien unterworfen werden können.
Im politischen Bereich hat die Weltraumpolitik der Bundesregierung ihre Ziele erreicht. Erstens. Die europäische Zusammenarbeit wurde gefestigt



Parl. Staatssekretär Stahl
und die transatlantische Kooperation weiter ausgebaut. Zweitens. Technologisch gesehen hat die europäische und deutsche Industrie den Anschluß an das Weltniveau gefunden und zumindest auf einigen Sektoren ihre kommerzielle Wettbewerbsfähigkeit im anwendungsnahen Bereich weltweit bewiesen.
Trotz der Übereinstimmungen in vielen Einzelpunkten mit den Maßnahmen der Bundesregierung läßt Ihr Antrag, meine Damen und Herren von der Opposition, in wesentlichen Punkten eine realistische Einschätzung der Möglichkeiten zur Durchführung einer Raumfahrtpolitik unter den vorgegebenen Randbedingungen vermissen.

(Haase [Kassel] [CDU/CSU]: Wer sagt das? — Zuruf von der CDU/CSU: Das ist aufgeschrieben!)

Diese Randbedingungen erfordern Schwerpunkte, die im Oppositionsantrag nicht erkennbar sind.
Herr Haase, Sie sollten einmal Ihren eigenen Antrag lesen. Sie haben doch nur eine reine Aufzählung von Fakten angestellt. Wie wollen Sie die denn finanzieren?

(Haase [Kassel] [CDU/CSU]: Herr Stahl, jetzt wachen Sie auf! Jetzt haben Sie Ihre große Stundel Erzählen Sie doch mal, wer Ihnen das aufgeschrieben hat!)

Das undifferenzierte Nebeneinanderstellen fast aller denkbaren Bereiche der Weltraumaktivitäten würde die technologische und finanzielle Kapazität der Bundesrepublik bei weitem überfordern. Herr Kollege Haase, Herr Kollege Windelen und Herr Kollege Stavenhagen, ich hoffe nur, daß Sie sich in der nächster Haushaltsausschußsitzung,

(Haase [Kassel] [CDU/CSU]: Da passen Sie mal auf!)

wenn dieses Thema beraten wird, großzügig zeigen und. Ihre eigenen Vorschläge auch dementsprechend finanzieren helfen.
Das Weltraumprogramm der Bundesregierung hat durch seine Schwerpunktsetzung zu beachtlichen Erfolgen in diesen Bereichen geführt, die die Basis für die weiteren nationalen und internationalen Aktivitäten bilden. Diese Aktivitäten werden insbesondere die Bereiche der wissenschaftlichen und Anwendungssatelliten sowie der Produktion und Nutzung der von Europa entwickelten Weltraumtransportsysteme umfassen. Eine undifferenzierte Breitenförderung nach Vorstellung der CDU/ CSU würde zu einer Zersplitterung der Kräfte führen und die bisher erreichten Erfolge in Frage stellen. Ich darf die Frage der Finanzierung nochmals in den Raum stellen.
Trotz vieler Übereinstimmung in einzelnen Punkten sollten Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, Ihren Antrag in seiner Gesamtheit noch einmal überprüfen.

(Wehner [SPD]: Ja, aber jetzt nicht noch einmal lesen! — Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU und bei Abgeordneten der SPD)

In dieser Form sollte er im zuständigen Ausschuß abgelehnt werden.

(Beifall bei der SPD und der FDP)


Dr. Richard von Weizsäcker (CDU):
Rede ID: ID0821131400
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Der Ältestenrat schlägt vor, den Antrag auf Drucksache 8/3438 zur federführenden Beratung an den Ausschuß für Forschung und Technologie und zur Mitberatung an den Ausschuß für Wirtschaft zu überweisen. Ist das Haus damit einverstanden? — Kein Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich rufe die Punkte 15 bis 18 auf:
15. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 21. Dezember 1979 zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung der Deutschen Demokratischen Republik auf dem Gebiet des Veterinärwesens
— Drucksache 8/3875
Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten (federführend)

Ausschuß für innerdeutsche Beziehungen
16. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über die Aufgaben des Bundes auf dem Gebiet der Binnenschiffahrt
— Drucksache 8/3795
Überweisungsvorschlag des Ăltestenrates:
Ausschuß für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen (federführend)

Innenausschuß
Ausschuß für Wirtschaft
17. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Untersuchung von Seeunfällen (Seeunfalluntersuchungsgesetz, SeeUG)

— Drucksache 8/3828 —
Überweisungsvorschlag desĂltestenrates:
Ausschuß für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen (federführend)

Rechtsausschuß
Haushaltsausschuß mitberatend und gemäß § 96 GO
18. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Weingesetzes
— Drucksache 8/3829
Überweisungsvorschlag des Ăltestenrates:
Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit (federführend) Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten
Das Wort wird nicht gewünscht. Der Ältestenrat schlägt die Überweisung der Gesetzentwürfe auf den Drucksachen 8/3875, 8/3795, 8/3828 und 8/3829 an die Ausschüsse vor. Die Überweisungsvorschläge können Sie der Tagesordnung entnehmen. Ist das Haus mit den Überweisungsvorschlägen einverstan-



Vizepräsident Dr. von Weizsäcker
den? — Kein Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich rufe Punkt 19 der Tagesordnung auf:
Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für innerdeutsche Beziehung (16. Ausschuß) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung.
Erweiteter Verkehrswegeplan für das Zonenrandgebiet
hier: Bericht des Bundesministers für Verkehr 1978 über den Fortgang der Verkehrserschließung des Zonenrandgebietes
— Drucksachen 8/2521, 8/3786 —
Berichterstatter:
Abgeordnete Böhm (Melsungen) Zebisch
Das Wort wird nicht gewünscht. Der Ausschuß empfiehlt auf Drucksache 8/3786 unter den Nr. 1 und 2, den Bericht der Bundesregierung auf Drucksache 8/2521 zur Kenntnis zu nehmen, sowie die Annahme einer Entschließung. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Bitte die Gegenprobe! — Enthaltungen? — Das ist einstimmig beschlossen.
Ich rufe Punkt 20 der Tagesordnung auf:
Beratung der Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses (8. Ausschuß) zu dem Entschließungsantrag der Fraktion der CDU/ CSU zur dritten Beratung des Haushaltsgesetzes 1980
hier: Einzelplan 09 — Geschäftsbereich des
Bundesministers für Wirtschaft
— Drucksachen 8/3493, 8/3775 —
Berichterstatterin: Abgeordnete Frau Simonis
Das Wort wird nicht gewünscht. Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Ausschusses. Der Ausschuß empfiehlt, den Entschließungsantrag der Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache 8/3493 abzulehnen. Wer damit einverstanden ist, den bitte ich um das Handzeichen. — Die Gegenprobe! —

(Haase [Kassel] [CDU/CSU]: Wir haben die Mehrheit, Herr Präsident!)

— Das erste war die Mehrheit. Die Beschlußempfehlung des Ausschusses ist angenommen.
Ich rufe Punkt 21 der Tagesordnung auf:
Beratung der Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses (8. Ausschuß) zu der Unterrichtung durch den Bundesminister der Finanzen
Überplanmäßige Ausgaben bei Kap. 10 02 Tit. 656 51
— Altershilfe für Landwirte — und bei Kap. 10 02 Tit. 656 55
— Krankenversicherung der Landwirte — im Haushaltsjahr 1979
— Drucksachen 8/3515, 8/3776 —
Berichterstatter:
Abgeordneter Schmitz (Baesweiler)

Das Wort wird nicht gewünscht. Der Haushaltsausschuß empfiehlt, von der Unterrichtung durch den Bundesminister der Finanzen auf Drucksache 8/3515 Kenntnis zu nehmen. — Ich stelle fest, daß das Haus Kenntnis genommen hat.
Ich rufe nunmehr Punkt 22 der Tagesordnung auf:
Beratung des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft (9. Ausschuß) zu der
aufhebbaren Einundvierzigsten Verordnung zur Änderung der Ausfuhrliste — Anlage AL zur Außenwirtschaftsverordnung — aufhebbaren Fünfundsiebzigsten Verordnung zur Änderung der Einfuhrliste — Anlage zum Außenwirtschaftsgesetz —
aufhebbaren Fünfundvierzigsten Verordnung zur Änderung der Außenwirtschaftsverordnung
— Drucksachen 8/3645, 8/3646, 8/3647, 8/3831 —
Berichterstatter: Abgeordneter Lenders
Das Wort wird nicht gewünscht. Das Haus braucht von diesem Bericht nur Kenntnis zu nehmen, wenn nicht Anträge gestellt werden. Anträge liegen mir nicht vor. Ich stelle fest, daß das Haus von dem Bericht des Ausschusses für Wirtschaft auf Drucksache 8/3831 Kenntnis genommen hat.
Ich rufe nunmehr die Punkte 23 bis 25 auf:
23. Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten (10. Ausschuß) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Vorschlag einer Richtlinie des Rates über die Zulassung reinrassiger Zuchtrinder zur Zucht
— Drucksachen 8/3509 Nr. 17, 8/3793 —
Berichterstatter:
Abgeordneter Schröder (Wilhelminenhof)

24. Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Finanzausschusses (7. Ausschuß) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Vorschlag einer Richtlinie des Rates betreffend die gemeinschaftsrechtliche Regelung der Mehrwertsteuer und der Verbrauchsteuern auf den Bordbedarf von Luft- und Wasserfahrzeugen sowie Zügen im grenzüberschreitenden Verkehr
— Drucksachen 8/3670 Nr. 29, 8/3798 —
Berichterstatter: Abgeordneter Kühbacher
25. Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten (10. Ausschuß) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Vorschlag einer Verordnung (EWG) des Rates



Vizepräsident Dr. von Weizsäcker
über die Erhebung einer Gebühr durch die Gemeinschaft für Lizenzen für den Lachsfang durch Schiffe unter der Flagge eines Mitgliedstaates der Gemeinschaft in der schwedischen Fischereizone
— Drucksachen 8/3339 Nr. 16, 8/3832 —
Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Zumpfort
Das Wort wird nicht gewünscht. Ich gehe davon aus, daß wir über die Vorlagen gemeinsam abstimmen können. Wer den Beschlußempfehlungen der Ausschüsse auf den Drucksachen 8/3793, 8/3798 und 8/3832 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Bitte die Gegenprobe! — Enthaltungen? — Die Beschlußempfehlungen des Ausschusses sind einstimmig angenommen.
Nunmehr rufe ich den Zusatzpunkt 2 zur heutigen Tagesordnung auf:
Beratung der Sammelübersicht 66 des Petitionsausschusses über Anträge zu Petitionen
— Drucksache 8/3909 —
Das Wort wird nicht gewünscht. Wer der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses, die in der Sammelübersicht 66 enthaltenen Anträge anzunehmen, zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Bitte die Gegenprobe! — Enthaltungen? — Die Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses ist einstimmig angenommen.
Meine Damen und Herren, wir sind damit am Ende unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, den 18. April 1980, 9 Uhr ein.
Die Sitzung ist geschlossen.