Gesamtes Protokol
Die Sitzung ist eröffnet.
Folgende amtliche Mitteilung wird ohne Verlesung in den Stenographischen Bericht aufgenommen:
Der Bundeskanzler hat am 11. Dezember 1972 im Nachgang zu seinem Schreiben vom 2. August 1972 gemäß § 30 Abs. 4 des Bundesbahngesetzes vom 13. Dezember 1951 den Stellenplan der Deutschen Bundesbahn für das Geschäftsjahr 1972 mit der Bitte um Kenntnisnahme übersandt. Der Stellenplan liegt im Archiv zur Einsichtnahme aus.
Meine Damen und Herren, ich rufe Punkt 2 der Tagesordnung auf:
Zweite Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 1972
— Drucksachen 7/10, 7/11 —
Antrag des Haushaltsausschusses — Drucksache 7/32 —
Berichterstatter: Abgeordneter Leicht
Wünscht der Herr Berichterstatter das Wort? — Das ist nicht der Fall.
Wir kommen zur zweiten Lesung. Wird das Wort zur Beratung gewünscht? — Bitte schön, Herr Abgeordneter Jenninger.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Namens und im Auftrag der CDU/CSU-Fraktion darf ich zu dieser sogenannten zweiten Beratung des Bundeshaushalts 1972 folgende Erklärung abgeben:
Nachdem es das erklärte Bedürfnis der Bundesregierung und der Koalitionsfraktionen ist, die „Tragödie des ewigen Haushaltsentwurfs 1972" durch einen, wie es heißt, „rein formalen Akt" wenige Tage vor dem Abschluß des Haushaltsjahres — gewissermaßen im Jahresabschlußgalopp — ihrem wohlverdienten Ende zuzuführen, sieht die CDU/ CSU-Fraktion zu ihrem Bedauern keinen Sinn mehr darin, im Rahmen dieser sogenannten zweiten Beratung in eine, wie es der Übung dieses Hauses entspräche, eingehende Beratung .der Bestimmungen des Haushaltsgesetzes 1972 und der Einzelpläne des Haushaltsplanes 1972 einzutreten.
In Anlehnung an den alten lateinischen Spruch „de mortuis nil nisi bene" — in freier deutscher Übersetzung: über einen Leichnam sollte man nicht reden —
können wir nur noch in einem Akt der Barmherzigkeit zur Kenntnis nehmen, wie dieser Bundeshaushalt nach 15monatigen Beratungen, nach 15monatigem Liegenlassen und Hinauszögern,
nach 355 Tagen etatlosen Regierens nun im Schnellverfahren über die Bühne gezogen werden soll.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, was hier vor sich geht, hat nichts mehr mit einer ordentlichen und demokratischen Beratung eines Bundeshaushalts zu tun, sondern ist schlicht die Verabschiedung einer in Gesetzesform gekleideten Indemnitätserklärung des Haushalts 1972.
Diese Art von Verabschiedung und diese Art der Abwicklung der Beratung eines Bundeshaushalts hat es, meine sehr verehrten Damen und Herren, in diesem Jahrhundert in Deutschland noch nicht gegeben, und sie wird als eine einmalige negative Ruhmestat der sozialliberalen Koalition in die Geschichte des deutschen Parlamentarismus eingehen.
Das vielgepriesene Schicksalsbuch der Nation 1972 ist dank des Versagens und der haushaltsrechtlichen Manipulationen der vorherigen Bundesregierung mittlerweile zum „letzten Ladenhüter der Nation 1972" geworden.
Nachdem schon bei der Aufstellung des Etats durch die Bundesregierung die ehernen Grundsätze der Wahrheit und Klarheit des Haushalts mitnichten Pate standen, kann man jetzt — nach zahlreichen Änderungen, Verschiebungen, dreimaligen abschließenden Beratungen und Beschlußfassungen im Haus-
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Dr. Jenninger
haltsausschuß, nach der tatsächlichen Abwicklung des Haushalts in fast 12 Monaten durch den Zwang oder auch, wie man es nehmen will, durch den Vorteil des Nothaushaltsrechts im Rahmen der vorläufigen Haushaltsführung — nur noch allgemeine Dunkelheit hinsichtlich des Zustands dieses Etats konstatieren.
Was uns hier, meine sehr verehrten Damen und Herren, an sogenannten Entwürfen und an Vorschlägen für die Einzelpläne heute auf den Tisch gelegt wird, hat nichts mit der Wirklichkeit, nichts mit der tatsächlichen Abwicklung, mit dem tatsächlichen Ablauf der Haushaltsführung in diesem Jahr im einzelnen zu tun, sondern ist allenfalls noch mit der Philosophie Nietzsches von der „Umkehrung aller Werte" zu erklären.
Meine Damen und Herren, auch die neue Bundesregierung hielt es nicht für notwendig, die wahren Haushaltszahlen vorzulegen, geschweige denn eine umfassende Bestandsaufnahme der augenblicklichen Situation der Bundesfinanzen diesem Parlament und der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Was wir von diesem Etat wissen, ist lediglich, daß er auf der Ausgabenseite auf rund 109 Milliarden DM begrenzt ist. Aber auch das ist schon fraglich geworden, da sich die Bundesregierung konstant weigert, erstens die mittlerweile entstandenen weiteren überplanmäßigen und außerplanmäßigen Ausgaben in der Größenordnung von rund 665 Millionen DM konkret in die Einzelpositionen der Pläne einzubauen, wozu sie gesetzlich und verfassungsrechtlich verpflichtet wäre, und zweitens eine Konkretisierung der sogenannten globalen Minderausgaben, die auf die Einzeletats entfallen sollen, vorzunehmen, um einen konkreten Überblick auch über die wirklichen Belastungen der Einzelpläne zu ermöglichen. Drittens sprach die Bundesregierung gestern im Haushaltsausschuß noch von einem weiteren Nachdeckungsrisiko von rund 300 Millionen DM, die irgendwo und irgendwann im Laufe der nächsten Wochen in den Haushalt hinein „verwurstelt" werden sollen, was dieses Parlament gar nicht zu interessieren habe.
Durch diese Art der Haushaltsmanipulationen wird das vornehmste Recht des Parlaments, eine wirksame Kontrolle über die Staatsfinanzen auszuüben, ad absurdum geführt; es ist zu einer Farce geworden.
Mit dieser Art der Haushaltsberatung wird den meisten Kollegen in diesem Hause außerdem praktisch das Recht genommen, in der zweiten Lesung Einzelanträge zu stellen, geschweige denn hat ein Kollege in diesem Hause die Möglichkeit, sich einen wirklichen Überblick über die Situation der Einzelpläne zu verschaffen.
Ich darf zusammenfassen. Erstens: Es ist für die CDU/CSU-Fraktion eine Zumutung, über etwas zu beschließen, was ohnehin nicht mehr zum Tragen kommen kann. Zweitens: Es ist eine noch größere Zumutung, etwas im nachhinein einzusegnen, das man nicht einmal kennt.
Aus diesem Grunde, meine sehr verehrten Damen und Herren, sind wir nicht bereit, in dieser sogenannten zweiten Lesung all den Einzelplänen unsere Zustimmung zu geben, hinter denen die politische Verantwortung dieser Bundesregierung steht. Wir werden den Einzelplänen 01, 02, 03, 19, 20 und 33 unsere Zustimmung geben, aber alles andere in dieser zweiten Beratung ablehnen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete von Bülow.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Haushalt 1972 ist zumindest für die Mitglieder des Haushaltsausschusses in der Tat ein fast nicht mehr zu ertragender Evergreen dieses Parlamentsjahres: im Herbst des vergangenen Jahres von der Bundesregierung eingebracht, vom Plenum und vom Haushaltsausschuß beraten, dann im Patt dieses Hauses hängengeblieben, zurückverwiesen an den Haushaltsausschuß, nach der Bundestagswahl neu eingebracht, vom Haushaltsausschuß erneut beraten und jetzt, wenige Tage vor Schluß des Rechnungsjahres, hier zur Debatte gestellt.
Herr Jenninger, Sie haben es sich mit Ihrem „Akt der Barmherzigkeit" etwas einfach gemacht.
Die Situation war doch so, daß dieser Haushalt wie so vieles im Patt des Hauses hängengeblieben ist, das wiederum aus Anlaß des konstruktiven Mißtrauensvotums entstanden war. Es war das gescheiterte konstruktive Mißtrauensvotum, aus dessen Anlaß einige Parlamentarier in diesem Hause ihre Fraktion gewechselt haben. Hierdurch hat auch dieser Haushalt 1972 Schaden gelitten. Jetzt kommt es darauf an, das Beste aus der Situation zu machen. Damals mußte das Parlament aufgelöst werden; es mußte eine neue Mehrheit durch das Volk bestimmt werden. Das ist geschehen, und jetzt wird der Haushalt ordnungsgemäß verabschiedet werden.
Der Haushalt war zentrales Wahlkampfthema, genauso auch sein Vollzug. Seine Konjunkturgerechtigkeit stand und steht zum Teil heute noch im Mittelpunkt der Auseinandersetzung. Dabei wird leicht übersehen, was die Bundesregierung und die sie tragenden Fraktionen der sozialliberalen Koalition mit der Vorlage dieses Etats an politischen Zielen erreichen und verfolgen wollten. In der zweiten Lesung stehen die Einzelpläne 1 bis 60 zusammen mit dem Haushaltsgesetz zur Abstimmung, und da mag es nützlich sein, sich daran zu erinnern, daß der Staatshaushalt der in Zahlen gegossene politische Wille einer Regierung und einer Parlamentsmehrheit ist.
Vergegenwärtigen wir uns noch einmal die Schwerpunkte dieses Zahlenwerks. Der Haushalt umfaßt ein Volumen von rund 109 Milliarden DM.
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Dr. von Bülow
Seine Steigerungsrate gegenüber 1971 beträgt nach den neuesten Erkenntnissen des Haushaltsausschusses 10,5 %. Er ist damit allen Behauptungen zum Trotz konjunkturgerecht, was nicht von allen Haushalten der anderen Gebietskörperschaften der Bundesrepublik gesagt werden kann. Schwerpunkte mit überdurchschnittlichen Steigerungsraten liegen auf dem Gebiet des Verkehrs mit 18 %, des Ministeriums für Jugend und Gesundheit mit 20 %, des Wohnungsbaues mit 44 %, der Bildung und Wissenschaft mit etwa 14,2 %.
Wir sollten diese beeindruckenden Anstrengungen nicht über all der Kritik, all den Diskussionen, vergessen. Wir sollten aber auch einmal dem deutschen Steuerzahler Dank dafür sagen, daß er von den Gesamtausgaben in Höhe von 109 Milliarden, DM sage und schreibe 100 Milliarden DM durch Steuern erarbeitet hat. Dieser Steuerzahler ermöglicht es dem Bund, seine Neuverschuldung in diesem Jahr auf 4 Milliarden DM zu begrenzen und die Verschuldungsquote insgesamt auf einem international sehr niedrigen Niveau zu halten.
Nun aber zu den Vorwürfen, die im jetzigen Stadium des Verfahrens sowohl hinsichtlich der Neueinbringung des Haushalts als auch in bezug auf die Schattenhaushalte von seiten der Opposition erhoben worden sind. Nachdem die in der Sache völlig abwegigen Reizworte vom Staatsbankrott, vom Zusammenbruch der Staatsfinanzen beim Wähler wohl doch nicht so gezogen haben, wie vermutet und gehofft worden ist, bleibt es nun Herrn Jenninger vorbehalten, nach dem Motto „Spiel mir das Lied von den Haushaltsgrundsätzen" neue und schwerwiegende Bedenken grundsätzlicher Art zu erheben.
Da ist zum einen der Art. 110 des Grundgesetzes, der gebietet, daß ein Haushalt zeitnah veranschlagt sein soll. Die Opposition hat die Aktualisierung des im November von der Bundesregierung neu eingebrachten Haushalts gefordert. In den wichtigsten Punkten, Herr Dr. Jenninger, ist — das haben Sie in Ihrer Rede gar nicht berücksichtigt — diese Aktualisierung ja gestern im Haushaltsausschuß auf Ihre Anregung und zusammen mit uns vorgenommen worden. Die im Gesamthaushalt aufzufangenden über- und außerplanmäßigen Ausgaben wurden gestern durchaus im Detail eingestellt. Gleichzeitig wurde eine globale Minderausgabe in entsprechender Höhe eingestellt. Außerdem wurden die neuesten Einnahmeschätzungen mit einer Steuermehreinnahme von mindestens 900 Millionen DM eingesetzt. Gleichzeitig wurde die Neuverschuldung des Bundes von 4,9 Milliarden auf 4 Milliarden DM zurückgenommen. Wir haben also durchaus angepaßt, soweit das sinnvoll gewesen ist. 4 Milliarden DM Schuldaufnahme so gesund sind die Finanzen des Bundes, meine Damen und Herren von der Opposition!
Eine Aktualisierung des Haushalts in bezug auf die etwa 6500 Einzelpositionen ist die Entscheidung, die wir gestern im Haushaltsausschuß getroffen haben, natürlich nicht. Aber die Bundesregierung stand im November wie gestern der Haushaltsausschuß — vor der Frage, ob sie kurz vor Ablauf des Rechnungsjahres eine Aktualisierung bis auf die letzte Position betreiben und damit die Verabschiedung des Haushalts erst für das nächste Jahr vorsehen sollte oder ob dafür Sorge getragen werden sollte, daß der Haushalt noch in dieser Weihnachtswoche kurz vor Abschluß des Rechnungsjahres verabschiedet werden kann. Ich glaube, die Entscheidung für eine schnelle Verabschiedung des Etats war richtig. Wer sich — Herr Jenninger, nach drei Jahren Zugehörigkeit im Haushaltsausschuß sind wir alte Hasen — die Aufstellung eines Haushaltsplans vor Augen hält, der im Februar mit den Ressortverhandlungen beginnt, um dann kurz vor der Sommerpause mit der Verabschiedung durch die Bundesregierung — wenigstens im administrativen Teil — zu enden, der weiß, wie schwierig eine Aktualisierung des Haushalts innerhalb von wenigen Wochen ist. Jeder, der die Dinge realistisch betrachtet, weiß, daß eine derartige zeitnahe Überarbeitung nicht möglich sein kann.
Es wird nun Sache des Rechnungshofes und des Rechnungsprüfungsauschusses sein, über die haushaltsmäßige Abwicklung des Jahres 1972 zu wachen und diesem Haus zu berichten.
Nun vielleicht noch einige Worte zum Thema Schattenhaushalt. Diese Schattenhaushalte gibt es nicht. Sie sind ein Gespinst, das von der Opposition — wie so vieles — zur Verwirrung der Gemüter in Marsch gesetzt worden ist. Mit Schattenhaushalten sind Finanzierungsmethoden gemeint, die schon seit Jahren — auch unter einem Finanzminister Franz Josef Strauß — gang und gäbe gewesen sind.
So z. B. die Finanzierung eines Teils des Straßenbaus über die sogenannte Offa, einer privaten Gesellschaft des Bundes, die am Kapitalmarkt Kredite aufnimmt, um damit Mittel für den Straßenbau zu erhalten.
— Krankenhausfinanzierungsgesetz ist ein weiteres Thema.
Diese Kredite erscheinen im Haushalt. Sie werden ausgewiesen einmal bei den einzelnen Straßenbaurnaßnahmen, aber auch bei den Zahlungen für Zins- und Tilgungsleistungen. Hier wird nicht am Haushalt vorbeifinanziert, vielmehr sind alle Einzelheiten im Haushalt selbst ersichtlich. Insofern ist das Wort Schatten- oder Scheinhaushalt völlig verfehlt.
Worüber wir uns im Haushaltsausschuß unterhalten müssen, ist die Frage, inwieweit wir auch für diese Finanzierungsmethoden zum allgemeinen Prinzip der Bruttoveranschlagung übergehen sollten. Unsere Gesprächsbereitschaft wurde in der vorigen Woche vom Kollegen Haehser erklärt. Ich hoffe, wir werden zu einem sachlichen und fairen Ergebnis kommen, sofern sichergestellt ist, daß mit dem Ergebnis eines solchen Gesprächs nicht erneut Miß-
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Dr. von Bülow
brauch durch Irreführung der öffentlichen Meinung getrieben wird.
Ich glaube, die Regierung, aber auch der Haushaltsausschuß haben das Beste aus der schwierigen Lage gemacht, in der sich der Haushalt 1972 befunden hat. Meine Fraktion wird dem Haushalt auch in den einzelnen Plänen zustimmen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat der Abgeordnete Kirst.
Frau Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich habe die Verabredungen, die zum heutigen Ablauf getroffen worden sind, so verstanden, daß wir uns darauf beschränken wollen, heute vormittag Erklärungen zum Verfahren abzugeben. Ich will mich im wesentlichen auch daran halten, schon damit vermieden wird, daß wir die Debatte jetzt doch noch ausweiten. Ich will also auch nichts vorwegnehmen, was nach meiner Auffassung in die dritte Lesung gehört; das wird dann morgen zu sagen sein.
Wir sind uns einig, daß wir heute den Haushalt 1972 nach kurzen Erklärungen der drei Fraktionen in zweiter Lesung verabschieden. Wir sind uns hinsichtlich des Verfahrens einig, wenn die Motive zu diesem Verfahren sicherlich auch unterschiedliche sein mögen. Das schadet aber nichts; die Hauptsache, wir sind uns im Effekt einig.
Ich meine, daß dieses Verfahren auch arbeitsökonomisch ist. Wir werden im Januar 1973 die Regierungserklärung der neuen Regierung debattieren. Sicherlich wäre es jetzt eine Vorwegnahme gewesen, bei der zweiten Lesung des Haushalts über viele Sachfragen zu sprechen — man spricht bei der Haushaltsberatung ja nicht nur über Zahlen, sondern auch über die dahinterstehenden Sachprobleme —, bzw. im Januar bei der Debatte über die Regierungserklärung eine Wiederholung, wenn wir jetzt eine detaillierte Beratung in zweiter Lesung zu den Einzelplänen und damit auch zu der Politik in den einzelnen Bereichen geführt hätten. Was im übrigen — das sagte ich schon — an Generellem zu dem Haushalt zu sagen ist, scheint mir am besten bei der morgen stattfindenden dritten Lesung aufgehoben zu sein.
Nur meine ich, die Begründung des Kollegen Jenninger, das Verfahren der zweiten Lesung sei für die Opposition Grund, den Haushalt abzulehnen, ist nicht stichhaltig. Ich würde so formulieren: Es ist ja eigentlich das Normale, daß eine Opposition den Haushalt ablehnt. Insofern schiene mir eine Opposition, die plötzlich den Haushalt annimmt, fast etwas ungeheuer oder unheimlich zu sein. Insofern brauchen Sie, glaube ich, das Verfahren hier gar nicht als Begründung dafür anzuführen, daß Sie diesen Haushalt ablehnen.
Herr Dr. Jenninger, ich möchte aber noch zwei Bemerkungen zu Ihren Ausführungen machen. Sie haben hier von einem Leichnam gesprochen. Das ist etwas widersprüchlich, denn dieser „Leichnam" lebt ja — was Sie selber kritisieren — durch den Haushaltsvollzug.
Er wird auch weiterleben, und er wird, wie ich es — am Freitag war es wohl schon sagte, durch den Akt der Beschlußfassung heute und morgen nun auch noch legitimiert. Das ist das eine.
Ein Zweites. Ich habe Ihnen ja gestern schon im Haushaltsausschuß gesagt: Wir sollten eigentlich nicht so argumentieren, wie Sie es tun. Wenn Sie aber schon wieder in dieser Weise anfangen — ich sage Ihnen das, damit Sie es morgen vielleicht nicht wieder tun , so nehmen Sie bitte folgendes zur Kenntnis. Sie haben hier davon gesprochen, so etwas an Haushaltssituation und Haushaltsbehandlung habe es in diesem Jahrhundert noch nicht gegeben. So habe ich Sie doch wohl richtig verstanden, Herr Kollege Jenninger. Sie müssen sich darauf natürlich sagen lassen: So etwas an Versuchen, eine demokratisch durch Wählerwillen zustande gekommene Mehrheit in diesem Hause durch noch so zweifelhafte Methoden
in ihre Gegenteil umzukehren, hat es in diesem Jahrhundert und auf der ganzen Welt auch noch nicht gegeben. Die Quittung dafür haben Sie ja bekommen.
Ich sage Ihnen das gleich so deutlich, wie ich Ihnen das gestern im Haushaltsausschuß angekündigt habe, damit wir morgen vielleicht wirklich über die Sachprobleme des Haushalts diskutieren und nicht eine unnötige Vergangenheitsbewältigung beginnen.
Meine Damen und Herren, die FDP stimmt allen Einzelplänen dieses Haushalts zu, und zwar als Ausdruck der von ihr bisher und in Zukunft mit getragenen erfolgreichen Politik der sozialliberalen Koalition.
Wird das Wort noch gewünscht? — Das ist nicht der Fall. Dann kommen wir zur Abstimmung über die Einzelpläne.
Ich rufe in zweiter Lesung auf:
Einzelplan 01
Bundespräsident und Bundespräsidialamt
Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Einstimmig angenommen.
Ich rufe auf:
Einzelplan 02
Deutscher Bundestag
Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 5. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 19. Dezember 1972 45
Vizepräsident Frau Funcke
Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Einstimmig angenommen.
Ich rufe auf:
Einzelplan 03 Bundesrat
Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Einstimmig angenommen.
Ich rufe auf: Einzelplan 04
Geschäftsbereich des Bundeskanzlers und des Bundeskanzleramtes
Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Das erste war die Mehrheit.
Der Haushalt ist angenommen.
Ich rufe auf:
Einzelplan 05
Geschäftsbereich des Auswärtigen Amts
Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen.
— Gegenprobe! — Enthaltungen? — Das erste war die Mehrheit. Der Haushalt ist angenommen.
Ich rufe auf: Einzelplan 06
Geschäftsbereich des Bundesministers des Innern
Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Das erste war die Mehrheit. Der Haushalt ist angenommen.
Ich rufe auf: Einzelplan 07
Geschäftsbereich des Bundesministers der Justiz
Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Das erste war die Mehrheit. Der Haushalt ist angenommen.
Ich rufe auf: Einzelplan 08
Geschäftsbereich des Bundesministers für Wirtschaft und Finanzen
— Bereich Finanzen —
Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Das erste war die Mehrheit. Der Haushalt ist angenommen.
Ich rufe auf: Einzelplan 09
Geschäftsbereich des Bundesministers für Wirtschaft und Finanzen
— Bereich Wirtschaft —
Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Das erste war die Mehrheit. Der Haushalt ist angenommen.
Ich rufe auf: Einzelplan 10
Geschäftsbereich des Bundesministers für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten
Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Das erste war die Mehrheit. Der Haushalt ist angenommen.
Ich rufe auf: Einzelplan 11
Geschäftsbereich des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung
Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Das erste war die Mehrheit. Der Haushalt ist angenommen.
Ich rufe auf: Einzelplan 12
Geschäftsbereich des Bundesministers für Verkehr
Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Das erste war die Mehrheit. Der Haushalt ist angenommen.
Ich rufe auf: Einzelplan 13
Geschäftsbereich des Bundesministers für das Post- und Fernmeldewesen
Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Das erste war die Mehrheit. Der Haushalt ist angenommen.
Ich rufe auf: Einzelplan 14
Geschäftsbereich des Bundesministers der Verteidigung
Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Das erste war die Mehrheit. Der Haushalt ist angenommen.
Ich rufe auf: Einzelplan 15
Geschäftsbereich des Bundesministers für Jugend, Familie und Gesundheit
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Vizepräsident Frau Funcke
Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Das erste war die Mehrheit. Der Haushalt ist angenommen.
Ich rufe auf:
Einzelplan 19 Bundesverfassungsgericht
Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? —Der Haushalt ist einstimmig angenommen.
Ich rufe auf:
Einzelplan 20
Bundesrechnungshof
Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der Haushalt ist einstimmig angenommen.
Ich rufe auf: Einzelplan 23
Geschäftsbereich des Bundesministers für wirtschaftliche Zusammenarbeit
Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? Das erste war die Mehrheit. Der Haushalt ist angenommen.
Ich rufe auf: Einzelplan 25
Geschäftsbereich des Bundesministers für Städtebau und Wohnungswesen
Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Das erste war die Mehrheit. Der Haushalt ist angenommen.
Ich rufe auf: Einzelplan 27
Geschäftsbereich des Bundesministers für innerdeutsche Beziehungen
Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Das erste war die Mehrheit. Der Haushalt ist angenommen.
Ich rufe auf: Einzelplan 31
Geschäftsbereich des Bundesministers für Bildung und Wissenschaft
Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? Das erste war die Mehrheit. Der Haushalt ist angenommen.
Ich rufe auf:
Einzelplan 32
Bundesschuld
Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! Enthaltungen? Das erste war die Mehrheit. Der Haushalt ist angenommen.
Ich rufe auf:
Einzelplan 33 Versorgung
Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich . um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der Haushalt ist einstimmig angenommen.
Ich rufe auf:
Einzelplan 35
Verteidigungslasten im Zusammenhang mit
dem Aufenthalt ausländischer Streitkräfte
Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der Haushalt ist einstimmig eingenommen.
Ich rufe auf:
Einzelplan 36
Zivile Verteidigung
Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Das erste war die Mehrheit. Der Haushalt ist angenommen.
Ich rufe auf:
Einzelplan 60
Allgemeine Finanzverwaltung
Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Das erste war die Mehrheit. Der Haushalt ist angenommen.
Damit sind alle Einzelpläne mit den vom Haushaltsausschuß vorgeschlagenen Änderungen angenommen. Wir kommen damit nunmehr zur zweiten Lesung des Haushaltsgesetzes selbst mit der vom Haushaltsausschuß genannten Änderung. Wer den §§ 1 bis 24, der Einleitung und der Überschrift die Zustimmung geben will, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Das erste war die Mehrheit. Damit ist das Haushaltsgesetz mit der angegebenen Änderung in der zweiten Lesung angenommen.
Es ist vereinbart worden, daß die dritte Lesung morgen stattfindet. Damit schließe ich die Beratung dieses Tagesordnungspunktes für heute.
Ich rufe nunmehr den Tagesordnungspunkt 3 auf:
Erste Beratung des von den Fraktionen der SPD, FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung von Vorschriften der gesetzlichen Rentenversicherungen — Drucksache 7/3 —
Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 5. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 19. Dezember 1972 47
Vizepräsident Frau Funcke
Wird das Wort zur Begründung gewünscht? Herr Abgeordneter Schellenberg, bitte schön!
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Rentenreform ist das Reformwerk der sozialliberalen Koalition.
Daran kann es keinen Zweifel geben.
Allerdings hat die CDU/CSU in der letzten Runde bei einer Reihe von Einzelfragen mit der Zufallsmehrheit von einer Stimme
Regelungen durchgesetzt, die nicht sinnvoll sind. Gegen diese Mängel hat der Bundesarbeitsminister und haben die Sprecher der Koalitionsfraktionen bereits bei der Beratung des Gesetzes
mit Nachdruck Stellung genommen.
— Sie müssen einmal die Protokolle lesen, Herr Wohlrabe.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage, Herr Schellenberg?
Bitte schön.
Herr Kollege Professor Schellenberg, ist Ihnen eine Wahlbroschüre des Bundesarbeitsministers bekannt, in der es heißt:
Der Deutsche Bundestag hat das Rentenreformgesetz mit 493 Stimmen bei i Enthaltung verabschiedet.
Ist Ihnen bekannt, daß das in Millionenauflage draußen auf der Straße während des Wahlkampfes verteilt worden ist? Wie verhält sich das jetzt mit dem Einsammeln dessen, was dort gesagt worden ist?
Die Rentenreform als Gesamtwerk ist von dieser Bundesregierung konzipiert und eingebracht worden.
Deshalb hatte sie das Recht und die Pflicht, die Bevölkerung über das Gesetz zu informieren, auch wenn Sie in letzter Runde unvernünftige Einzelregelungen durchgesetzt haben.
Durch den Entwurf des Vierten Rentenversicherungs-Änderungsgesetzes, den die Koalitionsfraktionen heute in Übereinstimmung mit der Bundesregierung vorlegen, soll eine Fehlentscheidung
rückgängig gemacht werden, die im Zusammenhang mit der flexiblen Altersgrenze getroffen wurde und deren Korrektur besonders dringlich ist. Bekanntlich hat die CDU/CSU bei der Schlußberatung des Rentenreformgesetzes durchgesetzt, daß neben dem vorgezogenen Altersruhegeld voller Arbeitsverdienst unter Wegfall des Rentenversicherungsbeitrages von 9 0/o bezogen werden kann. Diese Regelung birgt gesundheitspolitische, sozialpolitische und finanzpolitische Gefahren in sich. Darauf haben wir bei der Beratung hingewiesen. Auf diese Gefahren haben die Koalitionsparteien auch im Wahlkampf hingewiesen und ausdrücklich eine Änderung dieser Vorschriften angekündigt. Deshalb ist die von Herrn Barzel kürzlich aufgestellte Behauptung, hier würde ein fundamentales Wahlversprechen wieder zurückgenommen,
eine unverantwortliche Irreführung der Öffentlichkeit.
— Wollen Sie die ganze Broschüre verlesen? Das wäre sehr gut.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Franke?
Ja, bitte.
Herr Kollege Schellenberg, darf ich Sie fragen, ob Sie den Punkt 4 aus dieser Broschüre kennen, der lautet:
Wer die flexible Altersgrenze vom 62. Lebensjahr — das ist eine Sonderregelung — oder vom 63. Lebensjahr in Anspruch nimmt, darf neben dem Rentenbezug weiterarbeiten.
Glauben Sie nicht auch, daß Sie dem Wähler vorher etwas Falsches versprochen haben, wenn Sie das jetzt wieder einsammeln wollen?
Die Bundesregierung hat durch diese Broschüre pflichtgemäß den Inhalt des Gesetzes den Versicherten und Rentnern bekanntgemacht.
Meine Damen und Herren, die Koalition hat durch
die Wahlentscheidung vom 19. November den Auftrag erhalten, die flexible Altersgrenze nach der
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Dr. Schellenberg
Konzeption des Regierungsentwurfs wiederherzustellen. Darum geht es heute.
— Nach der Konzeption des Regierungsentwurfs! Den müssen Sie sich durchlesen. In der Begründung steht genau das, was wir heute beantragen.
Gegen die von der CDU/CSU damals durchgesetzte Regelung, vorgezogenes Altersruhegeld bei vollem Arbeitsverdienst zu gewähren, bestehen schwerwiegende Bedenken.
Wir haben die Bedenken bei der zweiten Lesung
ausführlich vorgetragen, sowohl die Sprecher der
Koalitionsfraktionen wie der Bundesarbeitsminister.
1. Die gegenwärtige Regelung widerspricht dem gesundheitspolitischen Sinn der flexiblen Altersgrenze. Sie schafft außergewöhnliche wirtschaftliche Anreize für die Arbeitnehmer, trotz Altersruhegeld weiterzuarbeiten. Das führt dazu, daß viele Arbeitnehmer nicht mit 63 oder 62 Jahren in den Ruhestand treten, sondern ohne Rücksicht auf ihren Gesundheitszustand weiterarbeiten, zumal sie durch das Gesetz bis zum 65. Lebensjahr einen erhöhten Kündigungsschutz erhalten haben. Diese Regelung verkehrt den humanitären Sinn der flexiblen Altersgrenze geradezu in sein Gegenteil.
2. Die gegenwärtige Regelung widerspricht den Prinzipien einer zweckentsprechenden Alterssicherung. Das geltende Recht führt nämlich dazu, daß die Arbeitnehmer, die während ihres langen Erwerbslebens nur auf Arbeitseinkommen angewiesen sind, im Alter ein Doppeleinkommen erhalten, nämlich erhöhten Arbeitsverdienst und Rente dazu.
Das ist mit dem Sinn der flexiblen Altersgrenze und mit dem Sinn der sozialen Sicherung, die den Wegfall des Arbeitseinkommens ausgleichen soll, nicht zu vereinbaren. Der gleichzeitige Bezug von Rente und Arbeitsverdienst stellt die Lohnersatzfunktion der Rente geradezu auf den Kopf.
3. Die gegenwärtige Regelung muß zu Unzufriedenheit in den Betrieben führen und die Solidarität der Arbeitnehmer beeinträchtigen; denn die jüngeren Arbeitnehmer, die in der Regel eine Familie zu versorgen haben, finanzieren mit ihren Beiträgen das Doppeleinkommen ihrer älteren Kollegen. Ein solcher Konflikt zwischen den Generationen muß vermieden werden.
Herr Kollege Schellenberg, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Härzschel?
Ja, bitte schön, Herr Kollege Härzschel.
Herr Kollege Schellenberg, wollen Sie dann auch den Doppelverdienst nach dem 65. Lebensjahr abschaffen?
Herr Kollege Härzschel, Sie wissen, daß wir darüber sehr eingehend in den Ausschüssen gesprochen haben, und Sie wissen auch, daß nur rund 1 % der über 65jährigen noch weiterarbeitet, während hier ein sehr großer Personenkreis angesprochen ist.
— Wenn ich das nicht wüßte, dann müßte ich ihnen sagen, daß 99 % der Berechtigten die vorgezogene Altersgrenze und das Arbeitseinkommen in Anspruch nehmen. Das ist die Wirkung, die sich aus der von Ihnen durchgesetzten Regelung ergibt.
4. Die gegenwärtige Regelung widerspricht dem Grundsatz sozialer Gerechtigkeit. Während ältere Arbeitnehmer, die aus gesundheitlichen Gründen wirklich nicht mehr arbeiten können, ausschließlich auf die Rente angewiesen sind, bezieht ein rüstiger Arbeitnehmer Doppeleinkommen. Damit werden am Ende des Arbeitslebens praktisch zwei Klassen von Arbeitnehmern im gleichen Betrieb geschaffen. Das ist gesellschaftspolitisch nicht zu rechtfertigen.
5. Die gegenwärtige Regelung gefährdet die langfristige finanzielle Solidität der Rentenversicherung. Das haben Sie durch Ihre Zwischenfrage, Herr Härzschel, ungewollt bestätigt. Die Vorausberechnungen für das Rentenreformgesetz beruhen auf einer Inanspruchnahmequote von 70 % der Berechtigten. Wenn aber die Bezieher von vorgezogenem Altersruhegeld bei erhöhtem Nettoeinkommen voll weiterarbeiten können, so ist damit zu rechnen, daß 80 oder 90 % aller berechtigten Arbeitnehmer dieses Altersruhegeld in Anspruch nehmen. Die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte rechnet sogar — ich zitiere wörtlich — „mit einer Inanspruchnahmequote von nahezu 100 %".
Diese hohe Inanspruchnahmequote, meine Damen und Herren, wird kaum dadurch gemindert, daß nach der gegenwärtigen Regelung bei vorläufigem Rentenverzicht vom 63. Lebensjahr an ein Zuschlag zur zukünftigen Rente gewährt wird. Der Anreiz, sofort Rente neben erhöhtem Arbeitsverdienst beziehen zu können, ist so stark, daß der zukünftige Vorteil eines Rentenzuschlages wenig durchschlägt.
6. Die gegenwärtige Regelung muß dazu führen, daß wegen der überhöhten Inanspruchnahmequote die Beiträge der Rentenversicherung über den Satz von 18 vom Hundert hinaus zu erhöhen sind. Eine solche Entwicklung muß im Interesse der Beitragszahler verhindert werden. Den Arbeitnehmern ist nämlich nicht zuzumuten, daß sie wegen einer unvernünftigen Regelung erhöhte Beiträge entrichten müssen.
Herr Kollege Katzer hat kürzlich in einer Stellungnahme zu dem vorliegenden Gesetzentwurf erklärt:
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Dr. Schellenberg
Selbst bei einer höheren Inanspruchnahme der flexiblen Altersgrenze ist in den nächsten Jahren die finanzielle Stabilität den Rentenversicherung nicht gefährdet.
Das ist eine leichtfertige Behauptung, die die Interessen der Arbeitnehmer mißachtet. Die Versicherungsträger und die Gewerkschaften erklären übereinstimmend, daß die gegenwärtige Regelung zwangsläufig zu einer stärkeren finanziellen Belastung der Rentenversicherung führt. Bei dieser Sachlage hat der Gesetzgeber die Pflicht, unverzüglich zu handeln.
Die Koalition bringt deshalb den vorliegenden Gesetzentwurf eines Vierten RentenversicherungsÄnderungsgesetzes ein. Er sieht vor:
1. Neben dem Bezug des flexiblen Altersruhegeldes soll bis zum 65. Lebensjahr nur gelegentliche Tätigkeit bis zu drei Monaten jährlich ohne Einkommensgrenze oder laufende Nebentätigkeit, deren Entgelt drei Zehntel der Beitragsbemessungsgrenze nicht überschreiten darf — das sind 690 DM für das
Jahr 1973, die dann dynamisiert werden —, zugelassen werden.
2. Der Zuschlag, den die gegenwärtige Regelung bei vorläufigem Rentenverzicht vorsieht, soll nicht schon vom 63. Lebensjahr an, sondern erst nach Erfüllung der allgemeinen Voraussetzung für das unbedingte Altersruhegeld, also vom 65. Lebensjahr an, gewährt werden.
Dieser Zuschlag wird auf Grund versicherungsmathematischer Berechnungen pro Monat des Rentenverzichts 0,6 % betragen. Die Änderung der Vorschriften über den Zuschlag ist im Interesse der finanziellen Solidität der Rentenversicherung geboten; denn bei Gewährung von Zuschlägen bereits vom 63. Lebensjahr an wird das durch den Gesetzentwurf angestrebte Ziel einer wohlausgewogenen langfristigen Finanzierung der Rentenversicherung beeinträchtigt.
3. Übergangsregelungen stellen sicher, daß insbesondere den Arbeitnehmern, die in der Zwischenzeit bestimmte arbeitsrechtliche Dispositionen getroffen haben, keine finanziellen Nachteile entstehen.
Schlußbemerkung. Der vorliegende Gesetzentwurf ist besonders eilbedürftig. Nach dem Willen der Koalition soll das Vierte Rentenversicherungs-Änderungsgesetz am 1. Januar 1973 in Kraft treten. Hierdurch wird erreicht, daß die Gewährung der flexiblen Altersgrenze, von Übergangsregelungen abgesehen, nach einheitlichem Recht erfolgt. Ein späterer Termin des Inkrafttretens würde zu einer Ungleichbehandlung der Arbeitnehmer führen, die sachlich nicht gerechtfertigt ist. Zudem vergrößert ein späteres Inkrafttreten die finanziellen Gefahren, die sich für die Rentenversicherung aus der Gewähwährung der flexiblen Altersgrenze bei vollem Arbeitsverdienst ergeben.
Die Koalition ist deshalb der Auffassung, daß der Gesetzentwurf noch in dieser Woche verabschiedet werden sollte. Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf wird eine Regelung der flexiblen Altersgrenze verwirklicht, die finanziell solide ist, die mehr Gerechtigkeit und mehr Humanität am Ende des Arbeitslebens schafft.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Götz.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Durch den von der Koalition eingebrachten und soeben von Herrn Professor Schellenberg in der ihm eigenen Art und Weise begründeten Entwurf eines Vierten Rentenversicherungs-Änderungsgesetzes soll das erst vor knapp drei Monaten am 21. September vom Deutschen Bundestag verabschiedete Rentenreformgesetz in zwei sehr wesentlichen Punkten, die die flexible Altersgrenze betreffen, wieder geändert werden. Das ist ein ungewöhnlicher Vorgang, ungewöhnlich nicht deshalb, weil eine Regierungskoalition stellvertretend für die Bundesregierung ein Gesetz ändern will, das ihr nicht paßt oder das zu ändern sie sich auf Grund neuer Tatsachen, Erfahrungen und Erkenntnisse zu ändern gezwungen sieht, nein, das Ungewöhnliche liegt meines Erachtens darin, daß hier ein Gesetz geändert werden soll, das am Ende der vergangenen Legislaturperiode nicht mit einer Stimme Mehrheit, Herr Professor Schellenberg, verabschiedet wurde, sondern die Zustimmung aller drei Fraktionen gefunden hat,
und zwar, Herr Professor Schellenberg, in voller Kenntnis der materiellen Auswirkungen für die Versicherten und unter der Annahme bestimmter Größenordnungen hinsichtlich der finanziellen Konsequenzen für die Rentenversicherungsträger. Ich meine, dies ist ein schlechter politischer Stil, mit dem die Koalition ihre Arbeit in der 7. Legislaturperiode aufgenommen hat. Dies ist nicht nur unsere Meinung, sie deckt sich auch mit einer Reihe von Kommentaren in Zeitungen,
die ansonsten, Herr Wehner, treue publizistische Wegbegleiter Ihrer beiden Koalitionsfraktionen sind.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, zwei Fraktionen, die sich im Wahlkampf nicht genug tun konnten, dieses Rentenreformgesetz und insbesondere die Einführung der flexiblen Altersgrenze als ihre große sozialpolitische Tat herauszustellen, versuchen jetzt mit aller Macht, die von ihnen für notwendig gehaltene Korrektur der Rentenreform durchzusetzen, zu der sie offenbar vor dem Wahltag nicht den Mut hatten.
Herr Kollege Dr. Götz, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
50 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 5. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 19. Dezember 1972
Und ich meine, Herr Kollege, das ist ganz sicher nicht der Weg, das Ansehen der Parteien und des Parlaments zu fördern.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Jawohl!
Herr Kollege Götz, können Sie bestätigen, daß wir Sie bei den Auseinandersetzungen in den Ausschußberatungen davor gewarnt haben, dieses CDU/CSU-Kabinettstück bei der dritten Lesung im Bundestag zu betreiben, und zwar wegen der hohen finanziellen Anforderungen, die damit verbunden sind? Können Sie zweitens bestätigen, daß gerade die Regierungsvertreter und die Koalitionsvertreter im Ausschuß Sie immer wieder vor möglichen Beitragserhöhungen gewarnt haben, die mit Ihrem Vorschlag verbunden wären,
und können Sie bestätigen, daß wir bis in die zweite Lesung im Plenum mit aller Massivität gegen Ihre Vorschläge angekämpft haben?
Herr Kollege, es ist richtig, Sie haben gewarnt, aber Ihre Warnungen waren nicht überzeugend. Auf die Quote der Inanspruchnahme werde ich noch zu sprechen kommen. Im übrigen stelle ich noch einmal fest, daß Sie trotz der Kontroverse im Ausschuß diesem Gesetzentwurf zum Schluß Ihre Zustimmung gegeben haben.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, bedenklich ist dieses Verfahren, das hier angewandt wird, auch aus einem anderen Grund. Dieser Gesetzentwurf ist mit einer an sich unverständlichen Hektik eingebracht worden. Es ist, wie wir gehört haben, die erklärte Absicht der Koalition, ihn ohne Einschaltung des Fachausschusses sozusagen im Hauruckverfahren in drei aufeinanderfolgenden Lesungen durchzupeitschen, obwohl mit diesem Gesetzentwurf ganz entscheidend in gesetzlich geregelte Besitzstände von Hunderttausenden von Bürgern eingegriffen wird. Wir wissen doch, ,daß bereits die Ankündigung dieses Gesetzentwurfes unter den Betroffenen Unsicherheit und Unruhe ausgelöst hat. Wie soll eigentlich der Bürger noch Vertrauen in die Demokratie und ihre Institutionen haben können, wenn er damit rechnen muß, daß ihm kurz nach einer Wahl wieder weggenommen wird, was ihm vor der Wahl gesetzlich zugesichert wurde?
Warum eigentlich, meine Damen und Herren? Es drängt sich nicht nur für uns, sondern auch für die Betroffenen die Frage auf, welche Erkenntnisse, welche Erfahrungen und welche Tatsachen Sie eigentlich veranlaßt haben könnten, drei Monate
nach Verabschiedung des Rentenreformgesetzes wesentliche Regelungen der flexiblen Altersgrenze wieder zu ändern. Was Sie, Herr Professor Schellenberg, in der Begründung Ihres Gesetzentwurfes angeführt haben, ist nach unserer Meinung wirklich nicht überzeugend, weil das nicht mit Fakten belegt ist.
Ich möchte als ersten Punkt zu der Frage des Rentenbezugs bei unbeschränkter Weiterarbeit Stellung nehmen. In den parlamentarischen Beratungen des Rentenreformgesetzes war die Frage, ob und in welchem Umfang dem Versicherten neben dem vorzeitigen Rentenbezug ein Nebenverdienst oder eine uneingeschränkte Erwerbstätigkeit gestattet werden dürfe, heftig umstritten. Wir haben uns gegen eine Beschränkung der Erwerbstätigkeit für die Bezieher eines vorgezogenen Altersruhegeldes ausgesprochen. Wir haben hierfür mehrere Gründe angeführt, und ich will hier nur die mir wesentlich erscheinenden wiederholen.
Es war der Wille aller Parteien, die starre Altersgrenze durch eine flexible Regelung zu ersetzen. Jedenfalls war auch bei Ihnen immer nur von einer flexiblen Altersgrenze die Rede und nicht nur von der Herabsetzung der Altersgrenze vom 65. auf das 63. Lebensjahr. Wir aber meinen, daß wirkliche Flexibilität und echte persönliche Wahlfreiheit zur Voraussetzung haben, daß derjenige, der einen früheren Rentenbeginn wählt, nicht schlechter gestellt werden darf als nach bisherigem Recht ein 65jähriger. Dieser konnte schon immer neben seiner Rente eine unbegrenzte Erwerbstätigkeit ausüben. Es ist nicht einzusehen, warum diese Möglichkeit nicht auch der haben soll, der sich für einen früheren Rentenbezug entscheidet.
Wir sind der Meinung, daß eine Beschränkung der Erwerbstätigkeit dem Versicherten ganz einfach die Möglichkeit nimmt, über die Gestaltung seines Lebensabends frei und ausschließlich nach seiner individuellen Situation zu entscheiden.
Die Flexibilität wird durch eine Einschränkung der Erwerbstätigkeit nicht erreicht. Nach Ihren Vorstellungen, meine sehr verehrten Damen und Herren von der Koalition, gäbe es Flexibilität nur noch für solche Versicherte, die entweder eine so hohe Rente erwarten können, daß sie auf einen wesentlichen Nebenverdienst nicht angewiesen sind, oder bei denen die Rente durch erhebliche betriebliche Altersleistungen ergänzt wird, oder in solchen Fällen, in denen noch sonstige Ansprüche oder Einkommensquellen bestehen oder ein Vermögen vorhanden ist. Mit anderen Worten, in die Rente wird bei Beschränkung der Erwerbstätigkeit in erster Linie derjenige gehen, der es sich finanziell leisten kann. Wir halten eine solche Regelung für unsozial.
Wir halten das auch deshalb für unsozial, weil derjenige, der wegen einer zu niedrigen Rente gezwungen ist, weiter zu arbeiten, durch seine Beitrags-
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Dr. Götz
leistung die Rente desjenigen mitfinanziert, der es sich aus den soeben genannten Gründen leisten kann, von der Möglichkeit des vorgezogenen Altersruhegeldes Gebrauch zu machen. Aber wir wollen keine flexible Altersgrenze nur für Privilegierte.
Ein zweiter Gesichtspunkt. Wenn die Möglichkeit der Weiterarbeit eingeschränkt werden soll, muß man sich vorher auch über den Umfang der Teilzeitarbeitsangebote Gedanken machen, insbesondere für männliche Versicherte. Es wird vor allem für jene Versicherten, die während ihres Arbeitslebens einen qualifizierten Beruf ausgeübt haben, sehr schwierig sein, eine einigermaßen altersadäquate Nebenarbeit zu finden. Und auch die leichte Erhöhung der Verdienstgrenze von 25 auf 30 % der Beitragsbemessungsgrenze in der Rentenversicherung kann doch, Herr Professor Schellenberg, nicht die Tatsache ausräumen, daß es für viele Versicherte keine akzeptablen Teilzeitarbeitsplätze geben wird; und das gilt doch insbesondere für wirtschaftlich schwach strukturierte Gebiete.
Ein weiterer, meines Erachtens nicht unwesentlicher Gesichtspunkt, den wir auch schon in den Ausschußberatungen angeführt haben, ist die Frage nach den Kontrollmöglichkeiten. Hier stellt sich doch die Frage, wie die Einhaltung der gesetzlich festgelegten Verdienstgrenzen kontrolliert werden soll und kontrolliert werden kann.
Von den Versicherungsträgern wurde ja wiederholt darauf hingewiesen, daß eine Kontrolle praktisch nicht möglich ist
oder jedenfalls nur über einen sehr aufwendigen Verwaltungsapparat.
Wenn dem aber so ist — und davon muß man nach Auskunft der Versicherungsträger ausgehen —, dann führt doch, meine Damen und Herren, die Einführung von Verdienstgrenzen bei mangelnden Kontrollmöglichkeiten zu einer Benachteiligung der Ehrlichen,
zu einer Ausweitung der Schwarzarbeit oder zu einem Ausweichen auf sie und darüber hinaus zu einer Umgehung der sozialversicherungsrechtlichen Bestimmungen und der Lohnsteuerregelungen dadurch, daß Arbeitsentgelte ganz einfach als „sontige Entschädigungen" deklariert oder, besser gesagt, verschleiert werden.
Schließlich ein weiterer und letzter Punkt zur Begründung unseres Standpunktes: Herr Bundesminister Arendt, Sie sagten in der zweiten Lesung des Rentenreformgesetzes — mit Erlaubnis der Frau Präsidentin darf ich zitieren —:
Ich glaube, Sie in Ihrer Fraktion hätten alle Veranlassung, einmal ernsthaft ... darüber nachzudenken, ob das der richtige Weg ist, wenn der Arbeitnehmer neben seinem Lohn seine volle Rente beziehen kann.
Warum eigentlich, Herr Bundesarbeitsminister, soll dem Rentner — ich erlaube mir die Gegenfrage — versagt sein, was jedem Beamten,
der vorzeitig in Pension geht, gestattet ist? Dieser hat
nämlich die uneingeschränkte Möglichkeit des Nebenverdienstes außerhalb des öffentlichen Dienstes.
Für den Beamten, der mit 62 Jahren in den Ruhestand geht, beträgt der Pensionsanspruch in der Regel 75 % seiner Besoldungsbezüge, und er darf hinzuverdienen, soviel er will und soviel er kann.
Der Sozialversicherte dagegen kann, wenn er mit 63 Jahren die Rente in Anspruch nimmt, im Regelfall nur einen Rentenanspruch von 40, höchstens 45 % seines durchschnittlichen Arbeitseinkommens erreichen; aber seine Nebenverdienstmöglichkeiten sollen nach den Vorstellungen der Regierungskoalition relativ eng begrenzt werden.
Wie eigentlich wollen Sie unter dem Gesichtspunkt der sozialen Gerechtigkeit diese unterschiedliche Behandlung von Beamten einerseits und Sozialversicherten andererseits rechtfertigen?
Ein Wort zu den Zuschlägen bei Aufschub des Rentenbezugs. Durch das Rentenreformgesetz werden entsprechend unseren Vorschlägen Rentenzuschläge zum Ausgleich der kürzeren Rentenbezugszeit bei einem Rentenverzicht eingeführt. Damit wird doch dem Versicherten die Chance geboten, nicht nur durch Weiterarbeit und den dadurch bedingten Erwerb von zusätzlichen Versicherungszeiten, sondern darüber hinaus durch die Nichtinanspruchnahme des Altersruhegeldes seine spätere Altersrente zu verbessern.
Meine sehr verehrten Damen und Herren von der SPD und der FDP, Sie selbst haben doch im Ausschuß eine differenzierte Zuschlagsregelung vom 63. Lebensjahr an vorgeschlagen und mit einer Stimme Mehrheit beschlossen.
Wenn ich mich nicht irre, ging diese Anregung, eine differenzierte Zuschlagsregelung einzuführen, in erster Linie von der FDP und da wieder insbesondere von Herrn Mischnick aus. Warum wollen Sie eigentlich jetzt diese Zuschlagsregelung wieder streichen? Sie sprechen jetzt davon, daß dies ein wirtschaftlicher Anreiz zur Weiterarbeit sei.
52 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 5. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 19. Dezember 1972
Dr. Götz
Herr Glombig sagte hier im Plenum — ich darf ihn zitieren —:
Diese Rentenzuschläge sollen kein wirtschaftlicher Anreiz zur Weiterarbeit sein. Sie sollen vielmehr einen Ausgleich für den vorläufigen Verzicht auf Rente darstellen ... Der Rentenzuschlag stellt deshalb ... einen Akt der Gerechtigkeit dar.
Soll dies jetzt nicht mehr gelten?
Herr Professor Schellenberg, Sie haben Ihre Änderungsvorschläge begründet, indem Sie sagten, daß dadurch schwerwiegende gesundheitspolitische, sozialpolitische und finanzpolitische Gefahren abgewendet werden sollten. Nun, ich sage Ihnen ganz offen, wir halten die vorgebrachten gesundheitspolitischen Bedenken für unbegründet. Ich meine, Sie unterschätzen ganz einfach das Verantwortungsgefühl des Versicherten gegenüber sich selbst und gegenüber seiner Familie.
Was bleibt denn eigentlich von der auch von Ihnen oft zitierten Mündigkeit des Bürgers übrig,
wenn er, was Sie ihm unterstellen, nicht in der Lage sein soll, selbst zu entscheiden, was zu seinem Besten ist? Warum eigentlich wollen Sie den Bürger gängeln? Wir können uns des Eindrucks nicht erwehren, daß hier dem Bürger eine bestimmte Verhaltensweise suggeriert werden soll.
Soll dies der Ausdruck jener sozialistischen Auffassung sein, daß der Bürger zu seinem Glück gezwungen werden muß?
Völlig unverständlich ist der Vorschlag der Koalition, Zuschläge bei Rentenverzicht ab 65. bis 67. Lebensjahr zu gewähren, also bei dem 65- und 66jährigen Versicherten die Fähigkeit, selbst zu beurteilen, in welchem Umfang er noch Weiterarbeiten kann, zu bejahen, die gleiche Fähigkeit aber dem 63jährigen und dem 64jährigen abzusprechen.
Meine Damen und Herren, wir sind im Gegenteil der Auffassung, daß die im Zweiten Rentenreformgesetz gefundene Lösung auch unter gesundheitspolitischen Gesichtspunkten optimal ist, weil derjenige, dessen gesundheitliche Konstitution eine volle Weiterarbeit nicht mehr zuläßt, einen frühen Rentenbeginn wählen kann, während derjenige, der sich noch voll leistungsfähig fühlt — davon gibt es auch noch welche, und es gibt auch noch welche, die Spaß an der Arbeit haben —, bei Aufschub des Rentenbezuges über die Zuschlagsregelung eine sozial gerechte Erhöhung seiner Rente erzielt. Dazu möchte ich aus einem Kommentar der „Frankfurter Rundschau", die bestimmt nicht der CDU/CSU besonders nahesteht, vom 13. November, zitieren. Es heißt dort:
Wo soll der gesundheitspolitische Effekt der Neuregelung liegen, wenn durch sie ein Teil der Versicherten selbst bei schlechter gesundheitlicher Verfassung sich aus finanziellen Gründen die flexible Altersgrenze nicht wird leisten können, während andere selbst bei hervorragender körperlicher Verfassung sich das Geschäft
— gemeint ist die frühere Inanspruchnahme der Rente bei gleichzeitigem sonstigen Einkommen — wohl kaum entgehen lassen dürften?
Meine Damen und Herren, die SPD behauptet in ihren „Presseinformationen", die CDU/CSU-Regelung beeinträchtige die langfristige Solidität der Rentenversicherung, weil entgegen den finanziellen Berechnungen mit einer weit über 90 % liegenden Inanspruchnahmequote gerechnet werden müsse. Damit werde, so argumentiert die Koalition, die Solidität der Rentenfinanzen in Frage gestellt. Nun, ich meine, hier handelt es sich um eine Einschätzung der Regierungskoalition, die durch nichts bewiesen ist. Im Gegenteil, in anderen europäischen Ländern, so z. B. in Schweden, wo es eine ähnlich ausgestattete flexible Altersgrenze gibt, gehen nur 5 bis 10 °/o der Versicherten vor dem 67. Lebensjahr in die Rente. Allerdings haben die Regierung und die Regierungskoalition nichts unversucht gelassen, den Grad der Inanspruchnahme der flexiblen Altersgrenze durch eine falsche Informationspolitik künstlich hochzutreiben.
Über die Höhe der Inanspruchnahme gingen im Ausschuß und hier im Plenum bei der zweiten Lesung die Meinungen auseinander. Wir haben die Auffassung, man müßte sie mit mehr als 70 % veranschlagen, nicht geteilt, und wir teilen sie auch heute nicht. Wir halten nach wie vor eine Inanspruchnahme von maximal 70 % für realistisch und glauben, daß die tatsächliche Beanspruchung eher niedriger als höher sein wird. Meine Damen und Herren von der Koalition, vor allem von der SPD, Sie haben zwei Jahre lang im Zusammenhang mit der Einführung der flexiblen Altersgrenze von einer großen sozialen Tat für die Arbeitnehmer gesprochen, und jetzt wollen Sie — das ist doch die zwangsläufige Folge Ihrer Änderungsvorschläge —den Grad der Inanspruchnahme dieser sozialen Wohltat nach unten korrigieren.
Wir halten das für falsch und für unsozial.
Niemand wird mit absoluter Sicherheit behaupten können, daß seine Berechnungen über die voraussichtliche Inanspruchnahme richtig seien. Hier handelt es sich doch um eine ganz persönliche Entscheidung des Versicherten, die von vielen Faktoren, nicht nur von den Zuschlägen, sondern auch vom Gesundheitszustand, von seiner Zufriedenheit am Arbeitsplatz, von den sonstigen Lebensumständen und nicht zuletzt bei vielen ganz einfach von dem Wunsch, frühzeitig aus dem Arbeitsleben auszu-
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Dr. Götz
scheiden, bestimmt wird. Aber diese Faktoren lassen sich doch nicht im voraus statistisch erfassen und berechnen. Daher sollten wir, so meinen wir, in aller Gelassenheit abwarten, wie sich die Versicherten wirklich verhalten werden. Unseres Erachtens liegt kein Grund vor, in einem hektischen Verfahren das Rentenreformgesetz bereits drei Monate nach seiner Verabschiedung wieder zu ändern.
Herr Kollege Schellenberg, Sie haben hier behauptet, der gleichzeitige Bezug von Altersruhegeld und vollem Arbeitsverdienst könne den Beitragszahlern nicht zugemutet werden. Auch nach der von der CDU/CSU durchgesetzten Regelung ist nicht beabsichtigt, den Versicherten zum Rentenbezug neben dem vollen Arbeitsverdienst anzuhalten. Die CDU/CSU schlägt dazu einen liberalen Weg vor. Sie macht es durch Rentenzuschläge interessant, den Rentenbezug aufzuschieben, während die SPD/ FDP-Regierungskoalition den bürokratischen Weg des Beschäftigungsverbots geht. Eine gesetzlich reglementierte Einschränkung der Erwerbstätigkeit aber halten wir für inhuman.
Sie haben behauptet, Herr Professor Schellenberg, die Rentenzuschläge reichten nicht aus, um den Rentenbezug und die Beitragsersparnisse auszugleichen. Diese Ansicht ist falsch. Die Rentenzuschläge bei Rentenaufschub führen zu einem Mehrertrag an Rente, der den Kapitalwert der vorgezogenen und dann angesparten Frührente plus Beitragsersparnis weit übertrifft, und zwar nach den Berechnungen von Versicherungsmathematikern um 30%. Davon haben insbesondere die Witwen wegen ihrer gegenüber den Männern höheren Lebenserwartung einen entscheidenden Vorteil.
Ich komme zum Schluß. Fast alle von den Koalitionsfraktionen, insbesondere von der SPD bis jetzt vorgetragenen Argumente waren zum Zeitpunkt der Verabschiedung der Rentenreform bereits bekannt. Wir haben darüber im Ausschuß lang und breit diskutiert. Sie haben die Regierungskoalition nicht daran gehindert, der von der CDU/CSU vorgeschlagenen Regelung zuzustimmen. Wenn Sie jetzt trotzdem auf eine Novellierung drängen, so dürfte dafür nicht zuletzt ausschlaggebend sein, daß Sie im Grunde gar keine flexible Altersgrenze, sondern lediglich eine Herabsetzung der Altersgrenze unter bestimmten Bedingungen und Auflagen wollen.
Zur dritten Lesung des Rentenreformgesetzes hatten SPD und FDP einen Entschließungsantrag eingebracht, in dem die Bundesregierung ersucht wird, bis Ende 1973 dem Bundestag über die Auswirkungen des Rentenreformgesetzes zu berichten. Es heißt dort:
. . . insbesondere über:
1. die Erfahrungen, die mit der Inanspruchnahme der flexiblen Altersgrenze und auch mit der Gewährung von Zuschlägen bei einem Rentenverzicht gemacht wurden, . . .
Kollege Schmidt (Kempten) hat im Zusammenhang damit hier ausdrücklich betont, daß diese Erfahrungen, daß neue Erkenntnisse eingehend — und das kann doch wohl nur so verstanden werden: im Fachausschuß — geprüft werden müssen.
Was steht eigentlich entgegen, diesen Bericht erst einmal abzuwarten, bevor man eine Änderung des Rentenreformgesetzes in Erwägung zieht?
Der angeforderte Bericht liegt nicht vor. Er kann auch noch gar nicht vorliegen, da Erfahrungen ja überhaupt erst nach Inkrafttreten der Bestimmungen über die flexible Altersgrenze gesammelt werden können, d. h. nach dem 1. Januar 1973.
Da wir uns, meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen von der Koalition, nicht vorstellen können und nicht vorstellen wollen, daß die Motivation für den jetzt vorgelegten Gesetzesentwurf lediglich auf Rechthaberei beruht, müssen wir uns fragen, welche Absichten diesen nach unserer Meinung fragwürdigen Manipulationen eigentlich wirklich zugrunde liegen.
Herr Professor Schellenberg, Sie haben am Schluß Ihrer Rede gesagt — Sie haben das auch schon zu einem früheren Zeitpunkt hier einmal erklärt —, die Einführung der flexiblen Altersgrenze bedeute mehr Freiheit und mehr Humanität. Wir sind der Meinung, daß eine Verwirklichung des vorliegenden Gesetzentwurfes nicht zu mehr, sondern zu weniger Freiheit, nicht zu mehr, sondern zu weniger Humanität führt.
Wir halten unsere Argumente für die von uns in der zweiten Lesung durchgesetzten Vorschläge zur Einführung der flexiblen Altersgrenze, die von der Koalition in der dritten Lesung akzeptiert wurden, für nicht widerlegt. Wir halten es für nicht vertretbar, diesen Gesetzentwurf ohne eingehende Beratung im zuständigen Fachausschuß hier heute und morgen zu verabschieden.
Das Wort hat der Abgeordnete Schmidt .
Frau Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich glaube, ich kann es Ihnen und mir ersparen, für den vorliegenden Änderungsgesetzentwurf noch einmal eine eingehende Begründung zu geben,
nachdem der Kollege Schellenberg das bereits getan hat.
Aber der Kollege Dr. Götz hat mir genügend Gelegenheit gegeben, zu einzelnen Punkten Stellung zu nehmen. Ich muß Ihnen ehrlich sagen, ich bedaure es eigentlich, daß ich Sie, verehrter Herr Kollege Dr. Götz, als Vorredner hatte. Ich hätte es lieber gesehen, wenn Herr Kollege Katzer, der Sie
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Schmidt
seinerzeit in die Situation gebracht hat, hier gewesen wäre.
— Jawohl, er hat Sie damals in die Situation gebracht. Er hat die Dinge mit der erschlichenen Zweitagesmehrheit aus Gründen durchgesetzt, die mit der Wahl zusammenhingen.
— Bitte schön, Herr Kollege!
Darf ich Sie bitten, zur Kenntnis zu nehmen, daß der Kollege Katzer an einer schweren Grippe erkrankt ist.
Herr Dr. Barzel, ich bitte um Entschuldigung, das wußte ich nicht.
— Meine sehr geehrten Damen und Herren, das kann man nicht wissen. Ich bitte um Entschuldigung. Ich bitte auch ausdrücklich, das zu Protokoll zu nehmen. Ich hätte es sonst, wie Sie verstehen werden, für richtig gehalten, daß der Kollege Katzer gesprochen hätte. Daß er das nicht kann, nehme ich zur Kenntnis.
Herr Kollege Dr. Götz, wenn ich sagte, ich bedauere es eigentlich, daß Sie mein Vorredner sind, dann habe ich das deshalb getan, weil es mir schwerfällt, auf manche Ihrer Argumente zu antworten
— meine Damen und Herren, Sie haben es immer zu eilig —, da Sie — Sie waren einer der wenigen, die das taten in den ganzen Jahren unserer Beratungen und ganz ,besonders auch bei den Beratungen im Sozialpolitischen Ausschuß als Haushaltsexperte für Sozialpolitik immer mit sehr viel Sorgfalt auf die finanzpolitischen Entwicklungen hinwiesen und beispielsweise auch, Herr Kollege Dr. Götz, in der Frage ,des Zuverdienstes — ich denke hier an so manche Gespräche am Rande des Ausschusses — Ihre Bedenken hatten. Deshalb bedaure ich, daß Sie die Dinge, die Sie für Ihre Fraktion selbstverständlich so sagen mußten, aus dieser Sicht hier vortragen mußten und ich Ihnen natürlich auch entsprechend antworten muß.
Herr Kollege Schmidt, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Müller?
Bitte schön!
Herr Kollege Schmidt, können Sie bestätigen, daß die Argumente, die mein Kollege Dr. Götz hier vorgetragen hat, zum großen Teil schon im Ausschuß vorgetragen wurden und als
Überzeugung der Ausschußmitglieder zu bewerten sind?
Ich kann bestätigen, daß sie im Ausschuß vorgetragen worden sind. Ich kann aber auch bestätigen, daß die Einigkeit für die Haltung, die Sie dann mit der erschlichenen Mehrheit, hier im Plenum zeigten, erst auf Grund eines interfraktionellen Gespräches und der harten Situation, die Herr Katzer in die Dinge hineingebracht hat, zustande gekommen ist.
Sie waren vielleicht nicht beteiligt, aber die an diesem Gespräch Beteiligten wissen sehr genau, daß man sie erst auf diese schwierige Situation, die sie hier durchstehen mußten, einschwören mußte.
— Ich habe meine Erfahrungen; ich war ja überall dabei.
Herr Kollege Dr. Götz, Sie haben von schlechtem politischen Stil gesprochen. Sie haben davon gesprochen, daß es dem Ansehen des Parlaments nicht förderlich wäre, wenn man ein Gesetz so schnell ändert. Ich weiß nicht, ob es dem Ansehen des Parlaments sehr förderlich war, seinerzeit die Ausschuß-beschlüsse, die das Ergebnis sehr sorgfältiger Beratungen während eines halben Jahres waren, hier mit einer zufälligen, einer erschlichenen Mehrheit zu ändern. Ich weiß nicht, ob das ein guter politischer Stil war. Sie sollten hier also nicht so reden, nachdem der Wähler Ihnen am 19. November eine Antwort auf dieses Verhalten damals gegeben hat.
Sie haben weiter von unverständlicher Hektik gesprochen. Auf der anderen Seite hat eben Ihr Kollege Müller gesagt, alle diese Dinge, die Sie hier vorgetragen haben, seien im Ausschuß vorgetragen worden und dort beraten worden. Die Dinge sind also alle durchdiskutiert.
— Herr Kollege Leicht, aber zufälligerweise sind mit Ausnahme des Kollegen Ruf — ich bedaure sehr, daß er nicht mehr hier ist — alle diejenigen, die im letzten Bundestag mit diesen Fragen befaßt waren, hier wieder im Saale; sie kennen also die Dinge, sie haben die Beratungen mitgemacht, sie wissen, um was es geht.
Das hat ja der Kollege Müller mit seiner Frage eben deutlich gemacht. Es ist also gar keine, wie Sie sagen, sorgfältige Beratung in dem Sinne mehr notwendig, weil sie ja erfolgt ist. Damals stand Meinung gegen Meinung, und auch heute steht Meinung gegen Meinung. Bei der Abstimmung stand da-
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Schmidt
mals allerdings Sachverstand der Koalition gegen eine für zwei Tage erschlichene Mehrheit.
Nun komme ich zu einem weiteren Punkt. Sie versuchen hier so gern eine Legendenbildung.
— Herr Kollege Müller , wenn Sie meine Rede zur zweiten Lesung — ich will jetzt nicht zitieren; das würde zu lange dauern — nachlesen, werden Sie feststellen, daß ich dort einen Satz zitiert habe, den einmal ein diesem Hause nicht mehr angehörender Kollege, der Kollege Schmücker, im Rahmen einer Kindergelddebatte hier gesagt hat: Wir lassen uns auch durch den besseren Sachverstand nicht von unserer politischen Meinung abbringen. — Genau das haben Sie am 19., 20. und 21. September hier praktiziert.
Herr Kollege Schmidt, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Leicht?
Ja, bitte schön!
Bitte schön, Herr Kollege!
Herr Kollege Schmidt, ich verstehe Sie nicht. Warum haben Sie, wenn Sie meinen, Sie hätten den besseren Sachverstand gehabt, dann hier in der dritten Lesung entgegen diesem besseren Sachverstand zugestimmt?
Herr Kollege Leicht, ich hatte eben, ehe Sie Ihre Frage stellten, begonnen, auf diese Dinge einzugehen, um einer Legendenbildung hier endlich einmal eine klare Gegendarstellung gegenüberzustellen.
Gerade Sie, Herr Kollege Leicht, kennen die Praxis dieses Hauses sehr genau. Sie alle wissen sehr genau — Sie können die während der zweiten und dritten Lesung gehaltenen Reden im Protokoll nachlesen —: alle Ihre Änderungsanträge haben hier in namentlicher Abstimmung zur Entscheidung gestanden, und allen diesen Änderungsanträgen haben die Angehörigen der sozialliberalen Koalition, haben die Kollegen der SPD und FDP, nicht zugestimmt. Das wollen wir hier noch einmal klar feststellen:
alle Änderungsanträge sind von uns abgelehnt worden. Sie wissen sehr genau — und die Sozialpolitiker wissen es am besten , daß eine — —
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Müller?
Bitte schön!
Herr Kollege Schmidt, warum haben Sie denn in der dritten Lesung dennoch zugestimmt?
Ich muß, glaube ich, um Zeitverlängerung bitten, weil die Fragen immer dann gestellt werden, wenn ich gerade von etwas rede, womit die Fragen zu tun haben. Warten Sie ab, Herr Kollege Müller.
Genauso wie immer — und ich darf jetzt Sie, Herr Kollege Leicht, als Haushaltsexperten ansprechen — war es beispielsweise heute hier in diesem Haus vor einer Stunde: Sie haben einer Reihe von Haushalten in der zweiten Lesung zugestimmt, einen anderen Teil haben Sie abgelehnt.
Diese Praxis, Herr Kollege Leicht, hinsichtlich der zweiten und der dritten Lesung kennen Sie sehr genau.
Sie wußten sehr genau, daß bei einer dritten Lesung, in der es ebenfalls um Anpassungsfragen ging, vielen Gesetzen, die zwischen Opposition und Koalition dieses Hauses strittig waren — ob es diese oder jene Regierung, diese oder jene Oppostion war —, in dritter Lesung zugestimmt wurde, auch wenn in zweiter Lesung bei Details Ablehnungen erfolgt waren — eine Praxis dieses Hauses seit 1949, die Ihnen nicht neu ist.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Leicht?
Wären Sie bereit zuzugestehen, daß das, was Sie soeben gesagt haben, gar nicht in diese Debatte hineingehört? Denn Sie haben vorher behauptet, daß damals bei der Rentengesetzgebung in zweiter Lesung von Ihnen gegen alle Anträge der Opposition gestimmt worden sei; und das ist unrichtig.
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Entschuldigen Sie, Herr Kollege Leicht: gegen alle Anträge der CDU/CSU — lesen Sie das Protokoll nach —, die sich mit den Entwürfen der Bundesregierung befaßten und die die Ausschußbeschlüsse betrafen, die den Kern der Rentenreform ausmachten. Daß wir die Anpassungsfrage in die Rentenreform mit einbezogen hatten, war ja eine gesetzestechnische Sache der gleichzeitigen Beratung; das wissen auch Sie.
Sie wissen auch sehr genau — ich bin noch nicht ganz fertig mit dem Abbau dieser Legendenbildung —, daß bereits in der zweiten und dritten Lesung hier von mir und den Kollegen der SPD in den Erklärungen deutlich gemacht wurde, daß wir, sobald wir eine Möglichkeit sähen, willens seien, die Dinge wieder zu ändern, die wir für unrichtig, unsachlich, unvernünftig und finanziell nicht tragbar halten. Vom 22. September an bis zum heutigen Tage habe ich in der Öffentlichkeit kein einziges Mal Unklarheit darüber gelassen. Und ich weiß, daß viele meiner politischen Freunde ebenfalls deutlich gemacht haben, daß wir so bald als möglich vordringlich diese Frage im Zusammenhang mit der flexiblen Altersgrenze, aber auch — auf längere Sicht — die Fragen der Problematik bei der Mindestrente, die noch offenen Probleme bei der Öffnung und auch des „Baby-Jahres" wieder anschneiden werden. Damit wir das ganz klar sehen! Heute geht es um die Änderung dessen, was Sie in die flexible Altersgrenze hineingebracht haben. Nachdem Sie, Herr Kollege Götz, diese Frage angesprochen haben, kann ich nur noch einmal kurz wiederholen, was Herr Kollege Schellenberg gesagt hat: Mit der Festlegung auf einen vollen Zuverdienst vom 63. Jahr an haben Sie die gesundheits- und sozialpolitischen Aspekte der flexiblen Altersgrenze auf den Kopf gestellt.
Sie haben die Entscheidungsfreiheit, die Herr Kollege Götz hier angesprochen hat, in Wirklichkeit voll auf die materielle Seite abgedrängt. Die Entscheidung des einzelnen wird nicht von seinem Gesundheitszustand, nicht von der Überlegung abhängen, einen langsamen Übergang ins Rentenalter zu bekommen, sondern allein von der Ausrechnung: wie stehe ich mich besser.
— Herr Kollege Götz, Sie können hier nicht — um das gleich zu erwähnen — die Beamten zum Vergleich heranziehen. Der Beamte muß immerhin seinen Arbeitsplatz verlassen, wenn er sich mit 62 Jahren pensionieren läßt. Er kann im Bereich des öffentlichen Dienstes keinen unbegrenzten Zuverdienst haben, sondern nur in Höhe der Spanne, um die sein Ruhegehalt gegenüber den Aktiv-Bezügen zurückbleibt.
Nun nennen Sie mir einmal die Zahl der Beamten,
die in der Lage sind, aus dem Beamtenverhältnis
heraus einen vollen Zuverdienst irgendwo anders zu finden.
— Entschuldigen Sie, Herr Kollege Götz, dann wäre ja die Ausnutzungsquote bei den Beamten sehr hoch. In Wirklichkeit ist sie sehr niedrig, wie Sie genau wissen. Es ist doch eben das Problem, daß nach der von Ihnen durchgesetzten Regelung, die wir heute ändern werden, der einzelne seinen Arbeitsplatz beibehält und gleichzeitig Rente bezieht.
Herr Kollege Dr. Götz, Sie haben von Gesundheitsaspekten gesprochen. Sie haben gesagt, daß jemand, der gesund ist, besser weiterarbeiten kann als jemand, der nicht so gesund ist. Gerade dort liegt doch das Problem bei Ihren Vorstellungen. Wer gesund ist, kann ganz klar die materielle Entscheidung treffen: ich bleibe auf dem Arbeitsplatz, verdiene voll und bekomme die Rente dazu. Wer nicht gesund ist, tut sich schwer, und bei Arbeitsmarktschwankungen wird er möglicherweise sogar aus seinem Arbeitsplatz herausgedrängt, weil er zwar die Möglichkeit hat, sich für den Zuverdienst zu entscheiden, aber nicht mehr über seine volle Arbeitskraft verfügt.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Müller?
Herr Kollege Schmidt, können Sie mir bestätigen, daß nach der von der Bundesregierung im Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung gegebenen Auskunft nur 1 bis 1,5 O/o der Rentner im Alter von mehr als 65 Jahren weiterarbeiten? Ist bei diesen die Gesundheit nicht gefährdet?
Schmidt Kempten) : Herr Kollege Müller, Herr Kollege Schellenberg hat darauf vorhin schon abgehoben. Ich will es wiederholen. Die 65 Jahre sind eine selbstverständliche Grenze in der Altersversorgung gewesen. Sie bieten jetzt die 63 Jahre als Grenze an, aber nicht mit persönlich freier Entscheidung aus gesundheitlichen Überlegungen, sondern mit der Entscheidung auf Grund der materiellen Ausrechnung, wie sich der einzelne bessersteht. Jeder muß und wird versuchen, das zu tun, was ihn materiell besserstellt. Das ist das, was ich meine, wenn ich sage: die Dinge auf den Kopf stellen.
Gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Härzschel?
Herr Kollege Schmidt, halten Sie wirklich die gesundheitspolitischen Argumente für überzeugend? Jemanden, der 63 Jahre alt ist, halten Sie für gesundheitsgefährdet, aber vom 65. Lebensjahr an verstärken Sie noch die Anreize zum Arbeiten — mit vollem Arbeitslohn. Dann ist es nach Ihrer Meinung gerechtfertigt.
Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 5. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 19. Dezember 1972 57
Herr Kollege Härzschel, ich habe nicht gesagt, daß ich den 63jährigen für gesundheitsgefährdet halte. Wir wollen vielmehr, daß er frei entscheidet,
ob er von der flexiblen Altersgrenze mit Zuverdienst — 30 % — Gebrauch macht und dadurch einen echten flexiblen Übergang in ein Rentnerleben hat, wo er dann meistens mit 65 Jahren seinen Nebenverdienst ganz aufgeben oder weiter einschränken wird. Daß das der sozialpolitische, gesundheitspolitische Sinn der flexiblen Altersgrenze war und ist, wird niemand von Ihnen bestreiten. Er wird durch die von Ihnen vertretene Regelung auf den Kopf gestellt. Das ist das Problem.
Kurz noch etwas zu dem Zuverdienst. Wenn Sie die Zuverdienstfrage, die Frage des vollen Weiterverdienstes, für eine so bedeutsame und entscheidende Frage halten, frage ich mich und möchte ich an Sie die Frage richten, warum es seinerzeit in den Beratungen von Ihrer Seite keinen Antrag gegeben hat, auch den Frauen, die bereits vom 60. Lebensjahr an Rente beziehen können, eine solche volle Zuverdienstmöglichkeit zu geben.
Ich habe nie etwas von Ihnen darüber gehört, daß Sie das auch möchten. Das paßt allerdings in manche andere frauen- und familienfeindliche Punkte Ihrer Anträge hinein, vom Babyjahr bis zur Öffnung der Rentenversicherung.
— Darüber werden wir ein andermal reden.
Ich sehe, die Uhr geht weiter. Ich hatte nur deshalb 30 Minuten angemeldet, weil ich mir im klaren war, daß Sie eine Reihe von Zwischenfragen stellen würden.
Einige wenige Worte zu den gesamten Finanzauswirkungen und zu der Frage der Auslastungsquote, der Antragsquote, oder wie Sie das nennen wollen. Es steht ohne Zweifel fest, daß bei einem vollen Zuverdienst ab 63. Lebensjahr die Quote derer, die Anträge stellen, höher liegen wird als bei einem 30 %igen Zuverdienst. Ich glaube, darüber sind wir uns alle einig. Es steht auch fest, daß eine Erhöhung der Quote um 10 % nach Ihren Vorstellungen 8 Milliarden DM mehr kostet. Wir gehen bei unseren Vorstellungen von einer Quote von 70 % aus, die bis 1986 63 Milliarden DM kosten wird. Wenn wir nun nach Ihren Vorstellungen eine Quote von 90% mit 79 Milliarden DM annehmen, besteht schon ein Unterschied von 16 Milliarden DM. Bei einer hundertprozentigen Ausnutzung erhöht sich der Aufwand sogar auf 87 Milliarden DM, so daß der Unterschied 24 Milliarden DM ausmacht.
In den letzten Wochen, sowohl vor dem Wahltag als auch nach dem Wahltag, und auch bei der Beantwortung der ersten, „kleinen" Regierungserklärung durch Ihren Fraktionsvorsitzenden habe ich mit großer Freude und mit viel Verständnis gehört, daß Sie der Wiedergewinnung der Stabilität, der Herabsetzung der Preissteigerungsraten in den nächsten Jahren genau solche Prioritäten einräumen, wie wir das seit eh und je tun. Jeden Tag bitten Sie wie wir die Tarifpartner, mit ihren Lohnansätzen nicht zu hoch zu gehen. Da das so ist, frage ich mich, wie Sie diese Kostenerhöhung von 24 Milliarden DM bezahlen wollen. Sie ist nur zu bezahlen, wenn Sie gleichzeitig einkalkulieren, daß wesentlich höhere Lohnraten und dadurch wesentlich höhere Beitragsraten kommen werden, daß also keine Stabilität eintritt.
Wir aber gehen den Weg einer stabilitätskonformen Regelung, wir gehen den Weg einer soliden Finanzierung der Rentenversicherung. Wir sind nicht bereit, wie seinerzeit in der Großen Koalition notwendig, wegen Finanzschwierigkeiten in der Rentenversicherung Rentenverschlechterungen und Beitragsanhebungen in Zukunft einzukalkulieren, wie dies Ihr unsinniger Vorschlag der flexiblen Altersgrenze mit vollem Zuverdienst bedingen würde, akzeptiert hat.
Meine Damen und Herren, in den Monaten vor der Wahl bestand in den Versammlungen nicht etwa das große Glück über die Beschlüsse, die wir von Ihnen aufs Auge gedrückt bekamen, sondern fast alle, ob Rentner oder Beitragszahler, stellten immer wieder die besorgte Frage — diese Erfahrung haben viele von uns gemacht —: Müssen wir denn nicht in absehbarer Zeit mit Rentenverschlechterungen rechnen, ähnlich wie damals beim RentnerKrankenversicherungsbeitrag oder bei der Abschmelzung bei der Knappschaft, oder müssen wir nicht — das waren die 23 Millionen Beitragszahler — mit Beitragserhöhungen rechnen, nachdem die Beschlüsse über die finanziellen Möglichkeiten der Rentenversicherung bis 1986 hinausgehen? Diese Fragen habe jedenfalls ich im Wahlkampf immer wieder bekommen, und ich habe mich deshalb noch mehr beauftragt gefühlt, sobald wie möglich das von Ihnen damals Durchgesetzte wieder in eine finanziell vernünftige Form zu gießen. Das tut unser Vorschlag.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Müller?
Herr Kollege Schmidt, eine Frage zu Ihren finanzpolitischen Überlegungen in Verbindung mit den Tarifpartnern. Gehe ich fehl in der Annahme, daß der Schätzungskreis bei der Bundesregierung für die langfristige Vorausschau der Finanzentwicklung der Rentenversicherung eine jährliche Lohnsteigerung von 6 % zugrunde gelegt hat, und geile ich etwa fehl in meiner Annahme, daß zur Zeit Lohnforderungen von beispielsweise 11 % gestellt werden? Halten Sie Ihre Ausführungen in diesem Zusammenhang nicht für reichlich gewagt?
Herr Kollege Müller , es ist richtig, daß die Vorausschätzungen der Rentenversicherung für die Zukunft im Schnitt bei 6 % liegen. Es ist auch richtig, daß die
Schmidt
Lohnforderungen in dieser Höhe liegen. Aber ich bin nicht der Meinung — und das darf ich auch für meine politischen Freunde sagen —, daß diese 11 % unbedingt eine sehr glückliche Forderung sind. Möglicherweise muß man sich weiter unten treffen. Wir können die Tarifpartner nur bitten, es zu tun, im Sinne der Stabilität. In dem Augenblick, wo wir auf Raten kommen, die bei 7 oder 8 % liegen, werden die 24 Milliarden DM, die im Augenblick im Spiel sind, nicht einzubringen sein.
Aber, meine Damen und Herren, meine Uhr läuft ab. Ich kann nur noch einmal wiederholen: Der wichtigste Aspekt für unsere Änderungsnovelle ist der gesundheits- und sozialpolitische, ist der Aspekt der echten Entscheidung mit 30 % Zuverdienst. Der zweite ist die solide Finanzentwicklung der Rentenversicherung, die Abwehr aller Gefahren von Rentenkürzungen und Beitragserhöhungen. Beides haben meine Freunde, die Sprecher der SPD und ich in zweiter und dritter Lesung Ihnen noch einmal klarzumachen versucht. Es ist damals nicht gelungen. Wir mußten es heute wieder tun, und wir werden uns auch in Zukunft noch mit einer Reihe von Fragen dieses Bereiches befassen müssen.
Wir haben Entschließungsanträge vorliegen, die einen Bericht verlangen. In dieser Frage, Herr Kollege Dr. Götz, waren wir auf Grund der bereits gemachten Erfahrungen der Meinung, diesen Bericht nicht mehr abwarten zu müssen. In den anderen werden wir den Bericht abwarten. Wir werden dann, wenn die finanziellen Auswirkungen überschaubar sind, auch prüfen, ob es nicht möglich ist, das von Ihnen abgelehnte Baby-Jahr im Laufe der Legislaturperiode noch einzuführen, allerdings erst dann, wenn wir die finanzielle Ubersicht über die Zukunft der Rentenversicherung haben.
In diesem Sinne sind wir der Auffassung, daß es nicht notwendig ist, den Antrag der Koalitionsfraktionen noch einmal zu beraten. Er ist im Ausschuß damals, als es um die gleichen Punkte ging, ausführlich beraten worden. Es ist nach unserer Meinung ohne weiteres möglich, in die zweite und morgen in die dritte Lesung zu gehen, um die Gefahren, die mit Ihren Vorstellungen auf die Rentenversicherung zugekommen sind, wieder zu korrigieren.
Meine Damen und Herren, wird das Wort noch gewünscht? — Das ist nicht der Fall. Dann schließe ich die Beratung in der ersten Lesung.
Mir liegt seit gestern ein Antrag der Fraktionen der SPD und FDP vor, jetzt mit der zweiten Beratung fortzusetzen und die dritte Beratung auf morgen früh festzusetzen und damit gleichzeitig die Frist zwischen der ersten und der zweiten Lesung abzukürzen.
Hierzu hat Herr Abgeordneter Wagner um das Wort gebeten.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Fraktionen der
SPD und der FDP beabsichtigen, in gut 24 Stunden über den Entwurf eines Vierten Rentenversicherungs-Änderungsgesetzes in erster, zweiter und dritter Beratung ohne Beteiligung eines Ausschusses zu entscheiden. Dieser Antrag verstößt nach unserer Meinung klar gegen die Praxis dieses Hauses und behindert die sachgerechte Beratung des vorliegenden Gesetzentwurfs.
Glaubwürdigkeit und sachgerechte Behandlung sind wesentliche Bestandteile unserer Arbeit. Beides wird durch den von der Koalition vorgeschlagenen Weg erheblich beeinträchtigt.
Meine Damen und Herren, wer im September dieses Jahres mit dem Rentenreformgesetz einer überzeugenden Lösung für die flexible Altersgrenze zugestimmt hat — und das haben SPD und FDP getan —, diese Regelung aber nach den Wahlen, ohne daß Erfahrungen vorliegen und ohne daß es neue Argumente gibt, wieder aufheben will, macht parlamentarische Arbeit unglaubwürdig.
Meine Damen und Herren, wer in 24 Stunden die endgültige Entscheidung über den Entwurf eines Vierten Rentenversicherungs-Änderungsgesetzes haben will, verhindert eine sachgerechte Beratung.
Der Deutsche Bundestag hat seit 1958, also in 14 Jahren, in genau acht Fällen auf die Mitberatung von Ausschüssen verzichtet, und dies immer unter der Voraussetzung, daß die Fraktionen Einvernehmen erzielt hatten, und dies immer unter dem Zwang bestehender Fristen. Heute gibt es weder das Einverständnis zwischen den Fraktionen noch irgendeine Frist, die uns zwingen würde, den vorliegenden Gesetzentwurf auf dem von der Koalition beantragten Weg und in der von der Koalition vorgesehenen Zeit durchzupeitschen.
Meine Damen und Herren, weil wir Unglaubwürdigkeit nicht wollen und weil wir eine sachgerechte Behandlung wünschen, lehnen wir den Antrag der Koalition ab. Ich bitte Sie, an Stelle dessen zu beschließen, den Entwurf eines Vierten Rentenversicherungs-Änderungsgesetzes an den Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung — federführend — sowie an den Haushaltsausschuß zur Mitberatung zu überweisen. Der Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung kann nach dem gleichen Verfahren, wie in den letzten Tagen der Haushalts- und der Rechtsausschuß eingesetzt wurden, morgen eingesetzt werden und unverzüglich seine Arbeit aufnehmen.
Ich bitte Sie namens der Fraktion der CDU/CSU, so zu entscheiden. Jede andere Regelung würde einer sauberen parlamentarischen Arbeit und Sachbehandlung nicht gerecht.
Das Wort hat der Abgeordnete Wienand.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir haben in der Debatte zur ersten Lesung von dem Sprecher der Koalitionsparteien
Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 5. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 19. Dezember 1972 59
Wienand
gehört, warum wir dieses Gesetz als eilbedürftig ansehen und warum wir es heute in erster und zweiter Lesung beraten wollen, so daß morgen die dritte Lesung erfolgen kann. Ich kann mir deshalb Ausführungen zur Sache ersparen und weise nur in einem Satz darauf hin, Herr Kollege Wagner, daß es gerade um die Glaubwürdigkeit dieses Parlaments und auch der Koalition und der Regierung gegenüber denen, die die Möglichkeiten des Gesetzes in Anspruch nehmen wollen, geht, wenn wir jezt, vor dem Termin des 1. Januar, Klarheit schaffen.
Sosehr wir immer bemüht gewesen sind, gerade in solchen Geschäftsordnungsfragen der Opposition entgegenzukommen, sosehr müssen wir heute um Verständnis dafür bitten, daß der Antrag auf Ausschußüberweisung von der FDP- und der SPD-Fraktion nicht akzeptiert werden kann.
— Das hat nichts mit mehr Demokratie zu tun.
Gerade der Herr Zwischenrufer und diejenigen, die so eifrig Beifall klatschen, sollten sich doch einmal daran erinnern, wie sie von der Regierungskoalition in den letzten drei Jahren als Opposition behandelt worden sind, und wie wir früher von Ihnen behandelt worden sind.
— Herr Kollege Rawe, wenn Sie Beifall klatschen, reizen Sie mich, aus meiner Weihnachsstimmung herauszukommen. Solange Sie die Regierungsmehrheit hatten, sind Sie doch diejenigen gewesen,
die der Opposition nur das äußerste Minimum an Rechten eingeräumt haben, was aus der Geschäftsordnung abzuleiten war,
während wir Ihnen fast in allen Fragen großzügig entgegengekommen sind und dies um der Demokratie und der Stellung der Opposition willen auch in Zukunft tun werden.
Hier kommt es aber nicht darauf an, daß man Ihren Querelen Rechnung trägt, hier kommt es darauf an, daß der Mehrheit der Bürger draußen im Lande Rechnung getragen wird, damit die Bürger wissen, woran sie sind.
Da das Rentenreformgesetz sowohl im Ausschuß als auch im Plenum und vor allen Dingen die Frage der flexiblen Altersgrenze und des Nebeneinkommens gründlichst erörtert wurden, bitte ich im Namen der Koalitionsfraktionen, dem Antrag nicht stattzugeben, sondern in die zweite Lesung einzutreten, wie wir es in der interfraktionellen Besprechung, da es im Ältestenrat noch nicht möglich war, besprochen haben.
Ich bitte die Frau Präsidentin, über diesen Antrag, in die zweite Lesung einzutreten, den ich im Namen der beiden Koalitionsfraktionen stelle, abstimmen zu lassen.
Meine Damen und Herren, Sie haben die Begründung für beide Anträge gehört. Herr Kollege Wienand hat zugleich festgestellt, daß interfraktionell vereinbart worden ist, zunächst über den Antrag der SPD- und der FDP-Fraktion abzustimmen, nach dem die Frist zwischen der ersten und zweiten Lesung nach § 80 der Geschäftsordnung abgekürzt und sogleich mit der zweiten Lesung des Gesetzentwurfs fortgefahren werden soll. Wer diesem Antrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! —
Das erste war die Mehrheit. Damit erledigt sich die Abstimmung über den Antrag der CDU/CSU-Fraktion auf Überweisung.
Wir treten damit in die
zweite Lesung
ein.
Wird das Wort gewünscht? — Bitte schön, Herr Abgeordneter Franke !
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Kollegen der Koalitionsfraktionen haben über die finanziellen Belastungen durch die flexible Altersgrenze gesprochen. Es gibt eine Reihe von Argumenten, die auch am 20. und 21. September in diesem Hohen Hause eine Rolle gespielt haben. Hier ist wiederum, wie am 20. und 21. September, mit falschen Zahlen gearbeitet worden. Während der Kollege Schmidt hier eben von einer Differenz von 24 Milliarden DM sprach, lehnen wir einfach das Zurkenntnisnehmen dieser Inanspruchnahme ab, weil es für die Annahme des Herrn Kollegen Schmidt überhaupt keinen Beweis gibt. Meine Damen und Herren, wir gehen von einer Inanspruchnahme durch die 63- und 64jährigen von 0,7 v. H. aus. Das bedeutet bis 1986 eine Belastung von 61 Milliarden DM. Die Regierung geht davon aus, daß das 76,4 Milliarden DM kostet. Wieso Sie und woher Sie auf eine Differenz von 24 Milliarden gekommen sind, ist mir völlig rätselhaft.
Dann sprechen Sie von einer soliden finanziellen Sicherung. Ich glaube, ich brauche Ihnen die Geschichte Ihrer Schätzungen der bis 1986 eintretenden Überschüsse in der Rentenversicherung nicht noch einmal vorzutragen.
60 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 5. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 19. Dezember 1972
Franke
Ich darf dabei auf das verweisen, was ich am 20. September hier zu dieser Frage gesagt habe: Sie schätzten einmal 132 Milliarden DM; unsere Kollegen schätzten, es gäbe einen Überschuß von 205 Milliarden DM. Die Kollegen von der Regierungsbank haben von einem Milliardenrausch des Katzer gesprochen, und dann mußten sie anschließend vor aller Öffentlichkeit zugeben, daß die Schätzungen der Opposition, nämlich 205 Milliarden DM, damals richtig waren. Sie gingen sogar noch so weit, mit einer Regierungsvorlage, die uns am 4. September im Ausschuß vorgelegt worden ist, die Einnahmenüberschüsse bis zum Jahre 1986 auf 221 Milliarden DM zu schätzen. Wenn Sie hier von einer finanziell unsoliden Haltung sprechen, muß man diese Ihre dreimal fehlgegangenen Einschätzungen als völlig unsolide und unseriös bezeichnen.
Der Kollege Schellenberg stützt sich auf einen Brief, den er von der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte aus Berlin erhalten hat. Danach gehen die Herren, die dort schätzen, davon aus, daß nach den bisher vorgelegten Anträgen mit einer Inanspruchnahme der vorzeitigen Altersgrenze von 90 und mehr Prozent zu rechnen sei. Jedem Kenner der Verhältnisse ist klar, daß man nach zwei Monaten natürlich noch keinen repräsentativen Überblick über die Inanspruchnahme haben kann. Aber wenn hier eine höhere Inanspruchnahme durch die Angestellten erfolgt, liegt das auf der Hand, weil die Angestellten in der Regel eine höhere Rente erhalten, als die Durchschnittsrenten — bei 38 Versicherungsjahren 550 DM pro Monat bei den Arbeitern — ausmachen. Ich bin genauso in der Lage, Ihnen eine Erhebung der Landesversicherungsanstalt Rheinland-Pfalz hier vorzulegen, wonach von 15 000 63- und 64jährigen bis Ende November 1000 einen Antrag gestellt haben, vorzeitiges Altersruhegeld zu beziehen. Wenn ich es ablehne, die Zahlen von Herrn Kollegen Schellenberg hier als repräsentativ anzusehen, können Sie natürlich mit gleichem Recht sagen: Auch deine Zahlen sind nicht repräsentativ. Aber selbst wenn sich die genannte Zahl — 1000 von 15 000 in zwei Monaten — auf 6000, 7000, 8000 erhöht, bedeutet das nur eine Annäherung an unsere Schätzung der Inanspruchnahme der flexiblen Altersgrenze von 60 oder 70 N. Damit fallen alle Ihre Argumente, die Sie hier heute morgen gebracht haben, zusammen. Ich will gar nicht davon sprechen, daß die Fachleute sagen, daß ohnehin, langfristig gesehen, bei einer entsprechenden und nicht so falschen Aufklärung, wie sie von Ihnen betrieben wird, nur mit einer Inanspruchnahme von 30 bis 40 % zu rechnen sei. Ich wiederhole noch einmal das Argument des Kollegen Dr. Götz — ich habe es auch am 20. September hier gesagt —: In Schweden gibt es bei einem gleichen Modell eine Inanspruchnahme von 5 bis 10 %, und dort gibt es eine Beobachtung über mehrere Jahrzehnte.
Ein anderes Argument muß ich einfach noch einmal wiederholen. Sie wollen dem älteren Bürger gar keine Entscheidungsfreiheit lassen. Sie wollen den älteren Bürger gängeln, und Sie wollen ihm irgendwo am grünen Tisch vorschreiben, er sei gesund oder er sei nicht gesund. Mir ist klar: die Sozialdemokratie muß zu einer solchen Überzeugung kommen; das entspricht ihrem — wenn Sie so wollen — sozialistischem Weltbild. Was ich nicht verstehe, ist, daß die Freie Demokratische Partei sich diesem Bürokratismus anschließt.
Das ist mir vor allem auch deshalb unverständlich, weil der Kollege Mischnick — ich will ihn jetzt einmal loben, sonst tue ich das nicht, Herr Kollege Mischnick — während der Beratungen, als wir die 0,4 % Prämie pro Monat für diejenigen, die über das 63. Lebensjahr hinaus weiterarbeiten wollen und die Rente nicht in Anspruch nehmen, vorgesehen haben, eine „degressive" Steigerung der Prämie vorgeschlagen hat. Das heißt, im Grundsatz haben Sie sich unseren Argumenten angeschlossen, daß derjenige, der bis zum 65. oder 67. Lebensjahr weiterarbeiten will, dafür auch eine Prämie haben soll. Jetzt schließen Sie sich dem sozialistischen Weltbild der Koalitionsfraktion der SPD an, und ich kann mir nicht ersparen, Ihnen das hier deutlich unter die Weste zu reiben. Sozialistisch ist das
— das hat mir soeben ein Kollege zugerufen —, aber sozial ist das, was Sie hier treffen, auf gar keinen Fall.
— Herr Kollege Wehner, ich habe mir vorgenommen, bei Ihren Zwischenrufen viel Nachsicht zu üben. Ich möchte Ihre Gesundheit nicht noch mehr strapazieren,
als sie ohnehin schon aus Ihren eigenen Reihen strapaziert wird.
690 DM pro Monat darf also jemand, der 63 Jahre alt geworden ist und Rente bezieht, künftig verdienen. Können Sie mir einmal sagen, meine Damen und Herren, woher Sie insbesondere in den strukturell vernachlässigten oder schwachen Gebieten, aber auch in den industriellen Ballungsräumen Teilzeitarbeitsplätze bekommen, auf denen diejenigen, die Rente beziehen, für 690 DM monatlich arbeiten können? Solche Teilzeitarbeitsplätze gibt es in den ohnehin schon benachteiligten strukturgefährdeten Gebieten der Bundesrepublik nicht. Durch diese Ihre Regelung schädigen Sie die ohnehin schon sozial schlecht Gestellten außerdem noch.
Meine Damen und Herren, die Weiterarbeit derjenigen, die knapp 35 Versicherungsjahre hinter sich gebracht haben und eine Rente beziehen, die in der Gegend von 500 DM liegt, hat für die Familien eine große Bedeutung, in denen der Mann stirbt und die Witwe mit 60 % der Rente zurückbleibt. Das heißt, die Inanspruchnahme wird unter Berücksichtigung der künftigen Witwenrente geringer sein. Die Witwenrente also solche wird durch die Prämie höher. Damit wird hier auch ein sozialer Beitrag geleistet.
Schließlich darf ich das Argument, daß der Herr Kollege Härzschel hier gebracht hat, noch einmal aufgreifen. Sie machen sich Gedanken und Sorgen
Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 5. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 19. Dezember 1972 61
Franke
um den 63jährigen; der soll aus gesundheitlichen und humanitären Gründen nicht weiterarbeiten. Aber ab 65 ist Ihnen das völlig egal; da ist also die Gesundheit wiederhergestellt, und dann kann er weiterarbeiten.
Hier liegt, meine Damen und Herren, ein Bruch in Ihrer Überlegung. Ihre Überlegungen sind unsozial, und daher lehnen wir diese Ihre Forderung der Abschaffung der Prämie ab.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Mischnick.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Nachdem hier zweimal davon gesprochen worden ist, ich hätte einen anderen Vorschlag gemacht, als er heute zur Entscheidung steht, muß ich die Kollegen, die das gesagt haben, doch bitten, dann wenigstens meinen Vorschlag in der Gesamtheit zu nennen. Mein Vorschlag lautete: für diejenigen, die nach dem 65. Lebensjahr weiterarbeiten und erst später die Rente beziehen wollen, einen sich steigernden Zuschlag zu geben und für diejenigen, die vor dem 65. Lebensjahr in die Rente gehen wollen, einen wachsenden Abschlag vorzunehmen. Das, was Sie hier dargestellt haben, war nur die eine Hälfte des Vorschlags. Die andere Hälfte haben Sie geflissentlich weggelassen, weil Sie eben nach unserer Auffassung das gesamte Problem falsch betrachten.
Zweitens. Sie haben hier mehrfach davon gesprochen, daß Sie diese Überlegung für sehr sinnvoll hielten. Ich bin sehr froh darüber, daß Sie nachträglich dazu kommen. Es wäre gut gewesen, wenn Sie bei den Ausschußberatungen den Gesamtvorschlag akzeptiert hätten.
Drittens. Ich hätte es sehr schön gefunden, wenn Sie beispielsweise den Sockelbetrag akzeptiert hätten, der auch von mir vorgeschlagen worden war. Aber dagegen haben Sie sich zum Nachteil all der Kleinstrentner gewendet;
da haben Sie wieder gezeigt, daß Sie eben nicht vernünftig zu entscheiden in der Lage sind.
Vierter Punkt: Sie haben das Zahlenspiel noch einmal gebracht. Ich kann hier nur feststellen: Ob 24, 16 oder 8 Milliarden richtig sind — ohne Zweifel kostet es die Rentenversicherungsanstalten mehr, wenn Sie vom 63. Lebensjahr an einen vollen Verdienst zulassen. Daran gibt es keinen Zweifel, und das können Sie nicht wegdiskutieren. Das wollen wir reparieren, weil wir weder dem Beitragszahler noch dem Rentner zumuten wollen, daß wir in kürzester Zeit erneut darüber sprechen, weil die finanziellen Belastungen zu hoch werden. Deshalb und aus keinem anderen Grund wird das heute korrigiert.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Franke ?
Bitte!
Herr Kollege Mischnick, wollen Sie gar nicht zur Kenntnis nehmen, daß die sozialliberale Regierung im September selbst einen Überschuß von 221 Milliarden DM bis 1986 errechnet hat und daß damit alle Leistungen, die wir am 20. September beschlossen haben, finanziert sind?
Lieber Herr Kollege Franke, auch ich habe die Zahlen zur Kenntnis genommen, genauso wie Sie sie zur Kenntnis genommen haben. Es bleibt aber unbestreitbar, daß bei einem 100%igen Zuverdienst die Inanspruchnahme höher und damit die Belastung der Rentenversicherung größer ist, und das wollen und werden wir ändern.
Davon beißt die Maus keinen Faden ab.
Sie sagen immer wieder, das sei eine Manipulation, das sei ein Zurücknehmen von Beschlüssen. Das nehmen Sie doch selbst nicht ernst. Sie wissen ganz genau, daß wir während des Wahlkampfes immer wieder gesagt haben: Sobald wir die Mehrheit wieder haben, werden wir diesen Fehler korrigieren. Wir haben die Mehrheit, und wir korrigieren den Fehler!
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Wir kommen zur Abstimmung.
Ich rufe Art. 1, Art. 2 sowie Einleitung und Überschrift auf. Wer dem Gesetz in der zweiten Beratung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich danke. Gegenprobe! — Danke! Stimmenthaltungen? — Das Gesetz ist in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalitionsparteien angenommen.
Die dritte Beratung des Gesetzentwurfs wird morgen nach der Schlußabstimmung über den Bundeshaushalt 1972 aufgerufen.
Ich unterbreche die Sitzung für zwei Minuten und rufe dann Punkt 1 der Tagesordnung — Fragestunde — auf.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir beginnen mit der
Fragestunde
— Drucksachen 7/12, 7/29 —.
Ich rufe zunächst die dringlichen Fragen für die heutige Fragestunde auf, die der Herr Abgeordnete
62 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 5. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 19. Dezember 1972
Vizepräsident Vockenhausen
Damm eingebracht hat. Zur Beantwortung der Fragen steht Herr Staatssekretär Gscheidle zur Verfügung. Ich rufe die erste Frage aus dem Geschäftsbereich des Ministers für Forschung und Technologie und für das Post- und Fernmeldewesen auf und frage: Ist der Herr Abgeordnete Damm im Saal? - -Der Herr Abgeordnete Damm ist nicht im Saal. Dann können beide Fragen nur schriftlich beantwortet werden. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers der Justiz auf. Für die Beantwortung der Fragen steht Herr Parlamentarischer Staatssekretär Dr. Bayerl zur Verfügung. Der Herr Fragesteller, Dr. Jahn , hat allerdings um schriftliche Beantwortung der eingereichten Frage gebeten. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Ich rufe nunmehr den Geschäftsbereich des Bundesministers der Finanzen auf. Zur Beantwortung der Fragen steht Herr Parlamentarischer Staatssekretär Hermsdorf zur Verfügung. Die Frage 11 ist von dem Herrn Abgeordneten Dr. Schmude eingebracht worden:
Wird die Bundesregierung sicherstellen, daß Aufwendungen echter und scheinbarer Wirtschaftsvereinigungen im Wahlkampf zugunsten bestimmter Parteien nicht durch die Beitragszahler bzw. Spender steuerlich zu Lasten der Allgemeinheit abgesetzt werden können?
Herr Staatssekretär!
Beiträge und Spenden an politische Parteien im Sinne des § 2 des Parteiengesetzes sind nach § 10 b des Einkommensteuergesetzes und § 11 Ziff. 5 des Körperschaftsteuergesetzes bis zur Höhe von insgesamt 600 DM im Kalenderjahr abzugsfähig. Im Fall der Zusammenveranlagung von Ehegatten erhöht sich der abzugsfähige Betrag auf 1200 DM.
Aus diesen Bestimmungen ergibt sich ein grundsätzliches Verbot, Beiträge und Spenden an politische Parteien bei Ermittlung des Einkommens einer natürlichen oder juristischen Person als Betriebsausgaben oder Werbungskosten abzusetzen. Beiträge und Spenden an politische Parteien finden nur im Rahmen der genannten Höchstbeträge steuerliche Berücksichtigung. Das Abzugsverbot kann durch die Zwischenschaltung einer juristischen Person grundsätzlich nicht umgangen werden.
Die Finanzminister achten im Rahmen der Steueraufsicht auf die Innehaltung dieser Grundsätze. Das Bundesfinanzministerium wird die Anfrage zum Anlaß nehmen, die obersten Finanzbehörden der Länder zu bitten, an die Beachtung dieser Grundsätze noch einmal zu erinnern.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Schmude.
Herr Staatssekretär, wird dieser Hinweis, von dem Sie sprachen, auch die Bemerkung darüber enthalten, daß Beiträge an tatsächliche oder sogenannte Berufsverbände nicht nach § 9 Abs. 1 Nr. 3 des Einkommensteuergesetzes als
Werbungskosten absetzbar sind, wenn diese Verbände die Beiträge im wesentlichen weiterleiten oder zu politischer Tätigkeit benutzen?
Herr Abgeordneter, ich nehme an, Sie beziehen sich mit Ihrer Frage insbesondere auf sogenannte Wirtschaftsvereinigungen.
Die Finanzverwaltung vertritt in Anlehnung an ein Gutachten des Bundesfinanzhofs vom 17. Mai 1952 die Auffassung, daß Zuwendungen einmaliger oder laufender Beträge an politische Parteien oder Wahlfonds die Steuerfreiheit einer Wirtschaftsvereinigung als steuerbefreiter Berufsverband nicht berühren, sofern sie nicht in einem Umfang erfolgen, der den Charakter der Vereinigung als Berufsverband verändert. Die Körperschaft ist als politischer Verein anzusehen und damit voll steuerpflichtig, wenn sie einen erheblichen Teil ihrer Einnahmen politischen Parteien zuführt oder wenn sie durch ihre Zuwendungen einen beherrschenden Einfluß auf eine Partei ausübt. Diese Folgerung wird insbesondere dann zu ziehen sein, wenn sich eine Wirtschaftsvereinigung nicht darauf beschränkt, Beträge an politische Parteien weiterzuleiten, sondern selbst in erheblichem Umfang Wahlwerbung für eine Partei treibt. Entsprechend der Behandlung der Wirtschaftsvereinigung sind die Zuwendungen an die Wirtschaftsvereinigung steuerlich zu beurteilen.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Schmude.
Werden diese Grundsätze auch dann Anwendung finden, Herr Staatssekretär, wenn es sich um die Gegenleistung für Gutachten sogenannter Forschungsgemeinschaften handelt, um Gegenleistungen, die nicht als Entgelt im eigentlichen Sinne anzusehen sind, sondern zum wesentlichen Teil anderen Zwecken dienen, nämlich politischen Zwecken zugeführt werden?
Herr Kollege Schmude, darauf kann ich Ihnen keine generelle Antwort geben. Das kann nur von Fall zu Fall entschieden werden. Wenn sich aber aus einem solchen erstellten Gutachten ergeben sollte, daß es sich bei der Gegenleistung eindeutig um eine Zuwendung an eine politische Partei handelt, tritt der Grundsatz, den ich vorhin vertreten habe, in Kraft.
Ich rufe die Frage 12 des Abgeordneten Dr. Wittmann auf:
Welche Liegenschaften des Bundes im Ballungsraum München sind für den Bund entbehrlich und können nach dem Grundstücksverbilligungsgesetz vom 16. Juli 1971 für den öffentlich geförderten Wohnungsbau, die Bildung von Eigentum für breite Schichten der Bevölkerung, zur Schaffung von Bildungseinrichtungen sowie für städtebauliche Sanierungs- und Entwicklungsmaßnahmen zur Verfügung gestellt werden?
Bitte, Herr Staatssekretär!
Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 5. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 19. Dezember 1972 63
Die Bundesregierung ist grundsätzlich bereit, Liegenschaften des Bundes, die für seine Zwecke entbehrlich sind, unter Anwendung des Grundstücksverbilligungsgesetzes vom 16. Juli 1971 zur Verfügung zu stellen. Der Stadt München wurde bereits die Veräußerung einer Fläche von rund 3,5 ha für die Anlegung eines neuen Friedhofs an der Schleißheimer Straße angeboten. Außerdem hat sich der Bund bereit erklärt, ihr eine Fläche von 10 ha des Übungsplatzes München-Feldmoching zum Zwecke des sozialen Wohnungsbaus im Zusammenhang mit der Abgabe des städtischen Geländes zur Erweiterung der Stettenkaserne zu veräußern. Darüber hinaus sind im Ballungsraum München zur Zeit für den Bund entbehrliche Liegenschaften nicht vorhanden.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Wittmann.
Herr Staatssekretär, ist zur Zeit eine Entbehrlichkeitsprüfung für weitere Grundstücke im Gange, und wann ist gegebenenfalls mit einem Ergebnis zu rechnen?
Ich kann mich nur auf meine vorhergehende Antwort beziehen. Die Grundstücke in München, die wir noch zur Verfügung haben, können nicht an die Stadt München veräußert werden, da der Bund insbesondere im Bereich der Verteidigung — dort gibt es eine ganze Fülle von Wohnungssuchenden — auf seine eigenen Liegenschaften zurückgreifen muß und diese nicht an die Stadt München weiterveräußern kann.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter.
Herr Staatssekretär, muß ich aus Ihrer letzten Antwort schließen — ich weiß, das steht nur in mittelbarem Zusammenhang mit der Frage —, daß der Bund selbst Baumaßnahmen im größeren Umfang vorhat?
Herr Kollege, wir müssen diese Baumaßnahmen durchführen erstens wegen der Notwendigkeiten im Bereich der Verteidigung und zweitens wegen der Belange des Internationalen Patentamtes, das wir in München als Bauvorhaben geplant haben. Auch dafür brauchen wir Grundstücke, die dem Bund zur Verfügung stehen. Wir können diese Grundstücke nicht veräußern, weil wir eine Reihe von Wohnungen erstellen müssen.
Meine Damen und Herren, damit sind die Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers der Finanzen beantwortet. Ich danke Ihnen, Herr Staatssekretär.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers für Raumordnung, Bauwesen und Sädtebau auf. Zur Beantwortung der Fragen steht Herr Bundesminister Dr. Vogel zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 51 des Abgeordneten Dr. Schneider auf:
Trifft es zu, daß das Ausmaß der Kosten- und Mietpreissteigerungen im sozialen Wohnungsbau einen Spitzensatz von 16,16 DM pro qm erreicht hat, hält die Bundesregierung dies für die betroffenen Personen für tragbar, und wie will sie den sozialen Wohnungsbau bei den für die nächsten Jahre geschätzten weiteren Mietpreissteigerungen von bis zu 140 % weiter aufrechterhalten?
Herr Minister!
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, nach der Bewilligungsstatistik beträgt die durchschnittliche Miete der im zweiten Vierteljahr 1972 geförderten Sozialwohnungen 3,61 DM pro Quadratmeter Wohnfläche. Bei dem vom Direktor des Deutschen Mieterbundes, Herrn Schlich, mitgeteilten Satz von 6,16 DM pro Quadratmeter, der Ihrer Frage wohl zugrunde liegen dürfte, handelt es sich offensichtlich um einen extremen Einzelfall, der nicht verallgemeinert werden kann.
Im übrigen hat sich die Entwicklung der Baupreise in diesem Jahr deutlich abgeschwächt. So betrug beispielsweise der Anstieg der Wohnungsbaupreise im August 1972 gegenüber dem Vorjahr nur noch 6,4 %.
Mit dem zweiten Teil Ihrer Frage, Herr Kollege, wollen Sie offensichtlich nicht die Mietpreissteigerungen im sozialen Wohnungsbau auf Grund von Baukostensteigerungen, sondern die Mietpreissteigerungen ansprechen, die sich für bereits vorhandene Sozialwohnungen der jüngeren Förderungsjahrgänge aus der stufenweisen Degression der Subventionen ergeben. Steigerungen von bis zu 140 % sind in diesem Zusammenhang aus Bayern bekanntgeworden. Das dort von der Bayerischen Landesregierung 1971 eingeführte Förderungssystem bewirkt in der Tat innerhalb eines Zeitraumes von 12 Jahren Mieterhöhungen bis zu 140 % und ist deshalb auch wiederholt auf Kritik gestoßen. Offenbar hält die Bayerische Landesregierung solche Steigerungen für tragbar. Die Bundesregierung hat auf die Förderungssysteme der Länder keinen Einfluß.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Schneider.
Herr Bundesminister, nachdem Sie besonders auf Maßnahmen der Bayerischen Staatsregierung abgehoben haben, frage ich Sie unter einem bundespolitischen Aspekt: Welchen Anteil machen die reinen Baukosten im Verhältnis zu den Grunderwerbskosten im Rahmen der gesamten Baukostensteigerungen aus?
64 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 5. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 19. Dezember 1972
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Diese Frage kann jetzt mit Werten, die für das gesamte Bundesgebiet gelten, nicht beantwortet werden. Aus Verdichtungsgebieten sind Werte bekannt, in denen der Grundstückskostenanteil an den Wohnungskosten innerhalb weniger Jahre von 6 % auf 12%, in Einzelfällen sogar auf 24 % gestiegen ist.
Eine weitere Zusatzfrage.
Herr Bundesminister, welche Prioritäten gedenkt die Bundesregierung dem Wohnungsbau im Rahmen ihrer mittelfristigen Gesamtplanung einzuräumen?
Herr Kollege, bei Ihrer ersten Zusatzfrage war der notwendige Zusammenhang mit Ihrer eingebrachten Frage schon nur in Konturen noch sichtbar. Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie Ihre Frage etwas umformulieren würden, damit der Zusammenhang zu Ihrer eingebrachten Frage vorhanden ist.
Herr Bundesminister, wie ist Ihre Antwort, daß insbesondere der Bodenkostenanteil für die Baupreissteigerungen im sozialen Wohnungsbau ausschlaggebend sei, mit den Ergebnissen der amtlichen Statistik in Einklang zu bringen, die zeigen, daß der Grundstückskostenanteil im sozialen Wohnungsbau von 5,4% im Jahre 1955 auf 6,4 % im Jahre 1971 angestiegen ist, daß aber beispielsweise die Baunebenkosten von 8,9 % auf 15,5 % angestiegen sind, und meinen Sie nicht, daß vor allem die Inflationsangst die Flucht in die Sachwerte fördert und damit weiter die gegenwärtig trabende Inflation anheizt?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, was die Zahlen angeht, so verweise ich auf die Zahlen, die ich in der Antwort auf Ihre erste Zusatzfrage nannte. Meine Beispiele bezogen sich auf einige Verdichtungsgebiete. Die Werte insgesamt stehen leider jetzt nicht zur Verfügung.
Was die angebliche Flucht in die Sachwerte betrifft, so glaube ich, daß richtigerweise eigentlich von einem Sachwertboom gesprochen werden muß. Die Erhöhung der Einkommen führte dazu, daß die Spartätigkeit insgesamt gestiegen ist. Das Kontensparen ist gestiegen, andere Formen von Spartätigkeit sind gestiegen, und gleichzeitig hat sich auch — das ist begrüßenswert — das Bestreben verstärkt, Grundstückeigentum und Wohnungen zu erwerben. Es ist also nicht so, daß beim Kontensparen ein Rückgang zu verzeichnen ist und dafür mehr Wohnungen gekauft werden. Infolge der günstigen allgemeinen Entwicklung werden vielmehr alle Sparformen, auch das Kontensparen, stärker in Anspruch genommen.
Ich danke Ihnen, Herr Bundesminister. Damit ist die zu Ihrem Geschäftsbereich eingebrachte Frage beantwortet.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers für Bildung und Wissenschaft auf. Zur Beantwortung der Fragen steht der Herr Parlamentarische Staatssekretär Zander zur Verfügung.
Ich rufe zunächst die Frage 58 des Herrn Abgeordneten Dr. Kreutzmann auf:
Welche Möglichkeiten sieht die Bundesregierung, Söhnen von Landärzten und Studenten der Medizin, die sich verpflichten, mindestens zehn Jahre in einer Landarztpraxis tätig zu sein, bevorzugt die Zulassung zum Medizinstudium zu ermöglichen?
Herr Staatssekretär, wollen Sie die beiden Fragen des Herrn Abgeordneten Dr. Kreutzmann in der Beantwortung verbinden?
Das würde ich gern tun, Herr Präsident.
Ist der Herr Fragesteller damit einverstanden? Si e haben ja ohnehin vier Zusatzfragen.
Dann rufe ich noch die Frage 59 des Herrn Abgeordneten Dr. Kreutzmann auf:
Teilt die Bundesregierung den Standpunkt der Kassenärztlichen Vereinigung Hessens, daß in der bevorzugten Zulassung zum Studium für derartige Arztsöhne und Medizinstudenten keine Bevorzugung gegenüber jenen Studenten zu erblicken ist, die nicht bereit sind, in einer Landarztpraxis tätig zu werden?
Bitte, Herr Staatssekretär!
Eine bevorzugte Zulassung zum Medizinstudium wird es künftig, abgesehen von der Zulassung zur Vermeidung außergewöhnlicher Härten, nach dem Willen der Länder nur in zwei Fällen geben.
Erstens. Bei gleichem Rang und gleicher Wartezeit haben diejenigen Bewerber den Vorrang, die eine Dienstpflicht nach Art. 12 a Abs. 1 und 2 des Grundgesetzes geleistet haben.
Zweitens. Ein bestimmter Teil der zur Verfügung stehenden Plätze soll sowohl den aktiven Sanitätsdienstanwärtern der Bundeswehr als auch den Bewerbern für den öffentlichen Gesundheitsdienst, die sich nach den dafür maßgeblichen Landesvorschriften verpflichtet haben, vorbehalten bleiben. Derartige Vereinbarungen haben die Länder in ihrem kürzlich abgeschlossenen Staatsvertrag über die Vergabe von Studienplätzen getroffen.
Nach Auffassung der Bundesregierung wäre es darüber hinaus zur Vermeidung einer weiteren Ver-
Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 5. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 19. Dezember 1972 65
Parl. Staatssekretär Zander
schlechterung der ärztlichen Versorgung in Landgemeinden durchaus denkbar, eine bevorzugte Zulassung auch für jene Studienbewerber in Erwägung zu ziehen, die sich verpflichten, nach Abschluß ihrer Ausbildung zehn Jahre in Praxen auf dem Lande tätig zu sein. Eine sachlich ungerechtfertigte Bevorzugung gegenüber anderen Studienbewerbern kann nach Auffassung der Bundesregierung darin ebensowenig erblickt werden wie bei der vorhin erwähnten bevorrechtigten Zulassung von Sanitätsdienstanwärtern und Bewerbern für den öffentlichen Gesundheitsdienst.
Die rechtliche Zulässigkeit einer bevorzugten Zulassung dieser Bewerber müßte allerdings noch geprüft werden. Es gibt aber eben wegen des Rechtes der freien Berufswahl und der Freiheit der Niederlassung wohl kaum ausreichende rechtliche Möglichkeiten, die spätere Durchsetzung der Verpflichtung sicherzustellen.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Kreutzmann.
Herr Staatssekretär, ist der Bundesregierung bekannt, daß in vielen Gebieten der Bundesrepublik die ärztliche Versorgung auf dem Land vielfach nur mit Hilfe ausländischer Ärzte möglich ist?
Herr Abgeordneter, nach den mir vorliegenden Informationen ist die Zahl der ausländischen Ärzte in ländlichen Gebieten im Gegensatz zu manchen Bereichen der krankenhausärztlichen Versorgung unbedeutend. Dies ist vor allem auf Sprachschwierigkeiten zurückzuführen, aber auch auf eine nicht immer ausreichende Kontaktfähigkeit und Kontaktbereitschaft sowohl der ausländischen Ärzte als auch der ländlichen Bevölkerung.
Im übrigen weise ich darauf hin, daß eine genaue Differenzierung der Staatsangehörigkeit der in den ländlichen Gebieten tätigen Ärzte einen statistischen Nachweis der berufstätigen Ärzte nach Gemeinden voraussetzt. Ein solcher Nachweis erfolgt aber nicht, da die Gesundheitsämter die statistischen Angaben für ihren gesamten Zuständigkeitsbereich nur global melden.
Eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, können mittels des hier angeregten Weges nicht auch Kapitalhilfen und erhebliche Vorleistungen, die Landgemeinden erbringen müssen, um überhaupt Ärzte zu bekommen, eingespart werden?
Herr Abgeordneter, ich bitte Sie -- mit dem Hinweis auf die Kürze der Zeit, in der ich in diesem Amt bin —, damit einverstanden zu sein, daß wir diese Frage schriftlich beantworten werden.
Ich danke Ihnen, Herr Abgeordneter. Ich danke Ihnen, Herr Staatssekretär. Damit sind die Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Bildung und Wissenschaft beantwortet.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers für wirtschaftliche Zusammenarbeit auf. Für die eingebrachte Frage des Herrn Abgeordneten Dr. Aigner steht Herr Staatssekretär Sohn zur Verfügung. Ist der Herr Abgeordnete Aigner im Saal? — Ich sehe den Herrn Abgeordneten Aigner nicht; damit wird die Frage schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Die Frage des Herrn Abgeordneten Kunz wird vom Bundesminister für innerdeutsche Beziehungen beantwortet. Damit, Herr Staatssekretär, ist Ihr Geschäftsbereich abgeschlossen.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministers des Innern. Zur Beantwortung der Fragen steht Herr Bundesminister Genscher zur Verfügung. Die erste Frage ist von Herrn Abgeordneten Hansen eingebracht; ich rufe die Frage 1 auf:
Wird die Bundesregierung die Studie „Gewässerschutz sofort" des Arbeitskreises für Umweltschutz an der Universität Konstanz zum Anlaß nehmen, um bei den Waschmittelherstellern in der Bundesrepublik Deutschland eine drastische Senkung des überflüssig hohen Phosphatgehalts in Waschmitteln durchzusetzen?
Herr Bundesminister!
Herr Abgeordneter, die Bundesregierung stimmt den Forderungen des Arbeitskreises Umweltschutz, wie sie im Oktober 1972 in einer Studie vorgelegt worden sind, hinsichtlich der Herabsetzung und schrittweisen Verringerung des Phosphatgehalts in Wasch- und Reinigungsmitteln im Grundsatz zu. Die rechtlichen Voraussetzungen hierfür sollen im Rahmen des Gesetzgebungsgangs schnellstens geschaffen werden. Es ist beabsichtigt, eine Ermächtigung zum Erlaß einer Rechtsverordnung über die Beschränkung oder das Verbot umweltschädigender Waschmittelzusätze zu schaffen.
Es wird ferner geprüft, ob und wie eine Deklarierungspflicht für Inhaltsstoffe der Wasch- und Reinigungsmittel eingeführt werden kann. Im übrigen ist es der auf den Austausch der WaschmittelPhosphate angesetzten Forschung inzwischen gelungen, einen Ersatzstoff aufzuzeigen, der, wie es scheint, bei guten Wascheigenschaften weder gesundheitsschädlich ist noch zu Überdüngungen in Seen und Talsperren führen soll. Es ist beabsichtigt, die Prüfung dieses Stoffes durch Mittel des Bundes zu fördern.
66 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 5. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 19. Dezember 1972
Bundesminister Genscher
Weil sich die Überdüngung der Gewässer durch Phosphate und andere Pflanzennährstoffe besonders auf Seen, Talsperren und langsam fließende Gewässer auswirkt, hat die Bundesregierung außerdem einen Schwerpunkt der Maßnahmen auf den Bau von speziellen Abwasserreinigungsanlagen oder Ringkanalisationen im Einzugsbereich gefährdeter Gewässer gesetzt, wodurch im Abwasser insgesamt enthaltene Phosphate, gleich welcher Herkunft, entfernt werden können.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Hansen.
Herr Minister, Sie sprachen von „schnellstens". Darf ich Sie fragen, wann mit dieser Verordnung zu rechnen ist.
Wir müssen eine gesetzliche Grundlage für den Erlaß der Verordnung schaffen, Herr Abgeordneter. Wenn ich sage „schnellstens", so heißt das, daß in jedem Fall zu Beginn des kommenden Jahres diese Sache in Angriff genommen wird.
Keine Zusatzfragen.
Ich rufe die Frage 2 des Herrn Abgeordneten Dr. Dübber auf:
Sind Pressemeldungen richtig, wonach es jetzt infolge von neuen Tarifabschlüssen im öffentlichen Dienst möglich sein wird, vom 63. Lebensjahr ab neben dem Gehalt auch die Rente der Zusatzversorgung zu beziehen, und welche Kosten werden dadurch entstehen?
Herr Bundesminister!
Infolge Einführung der flexiblen Altersgrenze vom 1. Januar 1973 an durch das Rentenreformgesetz vom 16. Oktober 1972 waren Tarifverhandlungen über die Anpassung der Manteltarifverträge und des Zusatzversorgungsrechts für die Arbeitnehmer des öffentlichen Dienstes notwendig. Die Verhandlungen hatten für den hier angesprochenen Fall des vollen Weiterverdienens neben dem Bezug des sogenannten flexiblen Altersruhegeldes aus der gesetzlichen Rentenversicherung folgendes Ergebnis:
Bezieht ein Arbeitnehmer „flexibles" Altersruhegeld und scheidet er nicht aus dem Arbeitsverhältnis aus, so endet die Pflichtversicherung in der Zusatzversorgung und der Versicherungsfall tritt ein. Neben dem Altersruhegeld aus der gesetzlichen Rentenversicherung und dem Arbeitsentgelt werden jedoch zunächst keine Leistungen aus der Zusatzversorgung gewährt. Diese beginnen erst nach dein Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis im öffentlichen Dienst oder nach Vollendung des 65. Lebensjahres. Ein Nebeneinander von Leistungen der Zusatzversorgung und Arbeitsentgelt ist insoweit ausgeschlossen.
Nur dann, wenn ein Arbeitnehmer „flexibles" Altersruhegeld bezieht und nach dem Ausscheiden aus dem öffentlichen Dienst ein Arbeitsverhältnis bei einem privaten Arbeitgeber begründet, wird der Anspruch auf Leistungen der Zusatzversorgung nicht berührt. Die Regelung mußte sich insoweit innerhalb der materiellen Grenzen und der Systematik des Beamtenversorgungsrechts halten, an dem die Zusatzversorgung der Arbeitnehmer des öffentlichen Dienstes orientiert ist.
Die durch die Einführung der flexiblen Altersgrenze in der gesetzlichen Rentenversicherung für Arbeitnehmer des öffentlichen Dienstes entstehenden geringfügigen Mehrkosten werden von der Versorgungsanstalt des Bundes und der Länder und den sonstigen Zusatzversorgungseinrichtungen des öffentlichen Dienstes getragen. Eine Erhöhung der Umlage aus Anlaß der Neuregelung ist nicht erforderlich. Auch bei den Zusatzversorgungseinrichtungen der Deutschen Bundesbahn und der Deutschen Bundespost dürften entscheidungserhebliche Mehrkosten nicht entstehen. Die Bundesregierung hat deshalb dem Ergebnis der Verhandlungen zwischen den Tarifvertragsparteien des öffentlichen Dienstes ausdrücklich zugestimmt.
Durch Absprache mit den Tarifpartnern auf Arbeitgeber- und Gewerkschaftsseite ist sichergestellt, daß dieses Verhandlungsergebnis an das von den Koalitionsfraktionen eingebrachte Vierte Rentenversicherungs-Änderungsgesetz angepaßt wird. Beseitigt das Änderungsgesetz wie vorgesehen die unbeschränkte Zuverdienstmöglichkeit neben dem Bezug von Altersruhegeld, wird dies auch für die Leistungen der VBL bei Weiterbeschäftigung innerhalb und außerhalb des öffentlichen Dienstes gelten.
Dem hier dargestellten Ergebnis der Vereinbarungen der Tarifvertragsparteien des öffentlichen Dienstes entgegenstehende Pressemeldungen sind unzutreffend.
Keine weitere Zusatzfrage.
Ich rufe die Frage 3 des Herrn Abgeordneten von Bockelberg auf:
Wird nach Auffassung der Bundesregierung das Ergebnis dei Haager Ministerkonferenz über den Schutz des Rheins vor Verunreinigung richtig beurteilt durch den nordrhein-westfälischer Landwirtschaftsminister, der es als „verlorene Schlacht für der Umweltschutz" und als Todesurteil für den Rhein bezeichnet oder durch den hessischen Umweltminister, der darin „einer großen Erfolg" sieht?
Herr Bundesminister!
Herr Präsident, wegen des Sachzusammenhangs würde ich gern beide Fragen zusammen beantworten.
Der Fragesteller ist einverstanden, Herr Minister
Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 5. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 19. Dezember 1972 67
Vizepräsident Vockenhausen
Ich rufe dann also noch die Frage 4 des Herrn Abgeordneten von Bockelberg auf:
Sieht die Bundesregierung nach Abschluß der Haager Vereinbarung noch Raum für die von ihrer Vorgängerin angestrebten zweiseitigen Verhandlungen über die Aufteilung der Wärmekapazität des Rheins mit Frankreich und eine Verbesserung der offenkundig unzulänglichen Haager Absprachen über die thermische Belastung des Rheins?
Bitte schön!
Die in den Rheinanliegerstaaten für den Umweltschutz verantwortlichen Minister haben am 25./26. Oktober 1972 in Den Haag darüber beraten, was geschehen muß, um den Strom vor zunehmender Überbelastung durch Abwässer zu bewahren und seine Gewässergüte so schnell wie möglich zu verbessern. Es war zu erwarten, daß gemeinsame wirksame Maßnahmen bei den unterschiedlichen Interessen der Anlieger nur auf der Basis vertretbarer Kompromisse zustande kommen.
Zur Teilnahme an den Verhandlungen im Rahmen der deutschen Delegation, die von der Bundesregierung geführt wurde, waren alle Bundesländer eingeladen, die Rheinanlieger sind.
Alle diese Bundesländer haben sich vertreten lassen, zwei davon, nämlich Hessen und Baden-Württemberg, durch die zuständigen Minister, die übrigen durch Beamte. Der hessische Minister für Landwirtschaft und Umwelt, Dr. Best, nahm gleichzeitig als Vorsitzender der Deutschen Rheinschutz-Kommission teil. Das Verhandlungsergebnis hat die Zustimmung der Vertreter der Bundesregierung und aller beteiligten Bundesländer gefunden.
Schon deshalb kann man einen Erfolg der Konferenz darin sehen, daß die Verringerung der Salzbelastung des Rheins durch Zurückhaltung und Ablagerung eines beachtlichen Teiles der Abfallsalze der Kaligruben im Elsaß beschlossen worden ist. Die zugesagte deutsche Beteiligung an den Kosten ist als eine Abgeltung für Maßnahmen zu verstehen, die im eigenen Lande nicht durchführbar sind. Der deutsche Kostenanteil von 30 % entspricht etwa dem deutschen Anteil an der Versalzung des Rheins.
Ein weiterer Erfolg der Konferenz ist in dem Beschluß zu sehen, daß alle künftigen Kraftwerke am Rhein mit geschlossenen Kühlsystemen ausgerüstet werden sollen. Damit wird erreicht, daß die Kraftwerke künftig in kritischen Zeiten keine und in der übrigen Zeit nur so viel Wärme in den Rhein einleiten dürfen, wie dieser sie schadlos verträgt.
Es ist nun Aufgabe der Internationalen Rheinschutz-Kommission, zu prüfen, wie dieser Beschluß realisiert werden kann, auch im Hinblick auf die drei im Bau befindlichen Kernkraftwerke. Diese Frage wird zur Zeit untersucht. Je nach dem Ergebnis dieser Untersuchung werden sich die Minister unter Umständen im kommenden Jahr erneut mit dieser Frage befassen müssen.
Schließlich hat die Ministerkonferenz eine Reihe weiterer Beschlüsse gefaßt, die zur Aktivierung der
Arbeiten der Internationalen Rheinschutz-Kommission wesentlich beitragen und auch ihre Arbeitsweise verbessern werden. Damit hat die Konferenz es verstanden, die festgefahrene Situation in der Internationalen Rheinschutz-Kommission zu überwinden.
Die Notwendigkeit zweiseitiger Verhandlungen mit der französischen Regierung hängt davon ab, ob sich in den kommenden Verhandlungen der Internationalen Rheinschutz-Kommission ein befriedigendes Ergebnis abzeichnet.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter.
Herr Bundesminister, wie stellen Sie sich zu der Differenz zwischen den beiden zuständigen Ministern von Nordrhein-Westfalen und Hessen?
Sie mag damit zusammenhängen, daß der eine an der Verhandlung teilgenommen hat und der andere nicht.
Keine weiteren Zusatzfragen.
Ich rufe die Frage 5 des Herrn Abgeordneten Becker auf:
Wird die Bundesregierung nach den gesammelten Erfahrungen, insbesondere bei den Betriebsverwaltungen Bahn und Post, Pauschalabgeltung von Mehrleistungen bei besonderen Anlässen in Zukunft wieder zulassen?
Herr Bundesminister!
Rechtsgrundlage für die Abgeltung von Mehrarbeit ist § 36 a des Besoldungsgesetzes, der durch das Erste Gesetz zur Vereinheitlichung und Neuregelung des Besoldungsrechts in Bund und Ländern vom 18. März 1971 neu in das Bundesbesoldungsgesetz eingefügt worden ist. Danach ist die Entschädigung unter Berücksichtigung des Umfangs der auszugleichenden Dienstbefreiung zu staffeln. Eine Pauschalierung unter Rückgriff auf Durchschnittswerte aus früheren Zeiten ist also nicht zulässig. Hieran ist die Bundesregierung bei Erlaß der Verordnung über die Gewährung von Mehrarbeitsentschädigung für Beamte gebunden gewesen, so daß diese Verordnung nur eine Einzelstundenabgeltung für tatsächlich geleistete Mehrarbeit vorsieht. Die Forderung nach einer Pauschalabgeltung ist bis jetzt ausschließlich von Beamten im Betriebsdienst der Deutschen Bundespost anläßlich des diesjährigen Weihnachts- und Neujahrsverkehrs erhoben worden. Die Beamten gehen hierbei von der Annahme aus, die Einzelstundenentschädigung für geleistete Mehrarbeitsstunden nach der Mehrarbeitsentschädigungsverordnung stelle sie schlechter als die bisher praktizierte Pauschalabgeltung. Ob und in welchem Umfang diese
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Bundesminister Genscher
Annahme zutrifft, kann mangels konkreter Zahlen über die Auswirkungen der Umstellung von der Pauschalabgeltung auf die Einzelstundenentschädigung zur Zeit noch nicht beurteilt werden.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Becker.
Herr Minister, nachdem in diesen Wochen eine Reihe betrüblicher Erfahrungen auf diesem Sektor gesammelt worden sind, insbesondere weil der Verwaltungsaufwand zur Erfassung der jetzt zu erbringenden Mehrleistungen möglicherweise höher sein wird als der für die in früheren Jahren gezahlten Pauschalabgeltungen, wären Sie bereit, nach Abschluß der diesjährigen Regelung das Problem erneut zu überprüfen?
Jawohl, Herr Abgeordneter.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Becker.
Herr Minister, darf ich Sie dann noch fragen, ob Sie bereit sind, zur Kenntnis zu nehmen, daß Ihr Staatssekretär und ich bei den damaligen Beratungen empfohlen haben, anders zu verfahren, als wir es im § 36 a schließlich doch vereinbart haben.
Ich bin nicht nur bereit, das zur Kenntnis zu nehmen, ich weiß es schon. Das hat mich ermutigt, Ihre vorangegangene Frage so freudig zu beantworten.
Die nächsten beiden Fragen sind von Herrn Abgeordneten Reiser eingebracht. Herr Minister, wäre eine Verbindung auch dieser beiden Fragen angebracht, oder wollen Sie sie gesondert beantworten?
Man kann sie gesondert beantworten.
Dann rufe ich nur die Frage 6 des Herrn Abgeordneten Reiser auf:
Ist der Bundesregierung bekannt, daß ab Frühjahr 1973 etwa 30 Kilometer nordwestlich von Helgoland regelmäßig dänische Arzneimittelabfälle ins Meer versenkt werden sollen, und wenn ja, ist ihr bekannt, um welche Substanzen es sich hierbei handelt?
Das Bundesministerium des Innern wurde am 7. Dezember 1972 durch die Königliche Dänische Botschaft darüber unterrichtet, daß das dänische Ministerium für Umweltschutz am 22. November 1972 einer dänischen Arzneimittelfirma in Airbus die Genehmigung erteilt hat, ab 1. April 1973 für die Dauer von sechs Monaten flüssige Produktionsabfälle an einer Stelle in die Nordsee einzuleiten, die etwa 30 km nordwestlich der Insel Helgoland liegt. Voraussetzung für die Einleitung ist u. a., daß diese Lauge keine Stoffe enthält, deren Einbringung nach Annex I der Oslo-Konvention vom 15. Februar 1972 verboten ist, und daß eine sofortige Verdünnung auf 1/200o eintritt. Der Bundesregierung ist seit dem 7. Dezember 1972 auch bekannt, um welche Produktionsabfälle es sich hierbei handelt. Die dänische Genehmigung läßt die Einleitung von insgesamt 8000 Kubikmeter Lauge zu, die im wesentlichen folgende Stoffe in gelöster Form enthält:
Natriumsulfat und -chlorid, Natriumacetat und Essigsäure, Malonsäure, Anilin, Cyanide und Kohlenwasserstoffe.
Die dänische Regierung hat ausdrücklich vorgeschrieben, daß die Cyanid-Konzentration den Wert von 1/1000 nicht übersteigen darf und daß die Elemente Antimon, Arsen, Beryllium, Zinn, Titan, Vanadium und Zink in den Abfällen nicht enthalten sein dürfen.
Die Bundesregierung prüft durch die dafür zuständigen Forschungsinstitute, ob die Einleitung der genannten Stoffe von Umfang und Inhalt her Schäden für die maritime Umwelt hervorrufen kann.
Eine Zusatzfrage, Herr Kollege.
Sieht denn die Bundesregierung wirklich eine Möglichkeit, bereits das sogenannte Osloer Abkommen heranzuziehen, obwohl dieses Abkommen überhaupt noch nicht ratifiziert worden ist?
Herr Abgeordneter, wir gehen davon aus, daß alle Staaten, die sich für dieses Abkommen ausgesprochen haben, auch vor der Ratifizierung schon im Geiste des Abkommens handeln werden.
Keine weitere Zusatzfrage.
Dann rufe ich die Frage 7 des Herrn Abgeordneten Reiser auf:
Ist bekannt, warum die dänischen Abfälle gerade an dieser Stelle abgeladen werden sollen und wo sie bisher deponiert oder vernichtet worden sind?
Herr Abgeordneter, es liegt bisher keine offizielle Äußerung der dänischen Regierung darüber vor, warum die Gewässer 30 km nordwestlich der Insel Helgoland für die Einleitung gewählt worden sind. Wir werden aber auch hier um Aufschluß bitten.
Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 5. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 19. Dezember 1972 69
Keine Zusatzfrage.
Ich rufe die Frage 8 des Herrn Abgeordneten Freiherr von Fircks auf:
Beabsichtigt die Bundesregierung, angesichts der vom 6. Deutschen Bundestag beschlossenen Vorziehung der 15. Rentenanpassung auf den 1. Juli 1972 und angesichts der weiteren überdurchschnittlichen Preis- und Kostensteigerungen auch im Bereich der ebenfalls dynamisierten Leistungen zur Altersversorgung nach dem Lastenausgleichsgesetz den gleichen Anpassungstermin vorzuschlagen, zumal die nach dem Lastenausgleichsgesetz vorgesehenen Zuschläge für ehemals selbständige Landwirte und frühere Angehörige selbständiger mittelständischer Berufe durch das 4. Unterhaltshilfe-Anpassungsgesetz in den Jahren 1971 und 1972 überhaupt nicht angehoben worden sind?
In diesem Falle, Herr Präsident, bitte ich um den Vorzug, beide Fragen gemeinsam beantworten zu dürfen.
Der Fragesteller ist offensichtlich einverstanden. Dann rufe ich auch die Frage 9 des Herrn Abgeordneten Freiherr von Fircks auf:
Ist die Bundesregierung bereit, zur Vermeidung eines weiteren Zurückbleibens der Leistungen zur Altersversorgung der Vertriebenen und Flüchtlinge und der Kriegsopferrenten hinter den Einkommen der Sozialversicherungsrentner alsbald Gesetzentwürfe vorzulegen, die nine um ein halbes Jahr vorgezogene Anpassung der Unterhaltshilfen und der Kriegsopferrenten jeweils zum 1. Juli eines Jahres, erstmals am 1. Juli 1973, entsprechend der Regelung im Sozialversicherungsrecht vorsehen?
Die in den Fragen angeschnittenen Probleme sind der Bundesregierung bekannt. Die Bundesregierung prüft schon, ob Möglichkeiten für eine Lösung bestehen. Diese Prüfung gestaltet sich deshalb schwierig, weil u. a. auch die finanziellen Auswirkungen bedacht werden müssen. Entscheidungsreife Ergebnisse liegen der Bundesregierung zur Zeit noch nicht vor.
Eine Zusatzfrage.
Herr Bundesminister, beachtet die Bundesregierung dabei, daß die Kosten, die entstehen, nicht aus dem Bundeshaushalt, sondern allein aus den Mitteln des Lastenausgleichsfonds zu tragen wären, soweit es sich um die erste von mir gestellte Frage handelt?
Der Lastenausgleichsfonds, Herr Abgeordneter, ist keine vom Bundeshaushalt absolut zu trennende Finanzmasse, wie Sie wissen.
Eine weitere Zusatzfrage.
Herr Bundesminister, darf ich dann fragen, ob Sie mit mir einer Meinung sind, daß die hier auf den Fonds zukommenden Mehrkosten sehr viel geringer sind als die Minderung der Einnahmen durch den Erlaß bei der
Ruhrkohle AG, dem die Bundesregierung zugestimmt hat.
Herr Abgeordneter, die Mehrkosten können im Augenblick noch nicht voll übersehen werden. Die Bundesregierung sieht aber alle Aspekte und würdigt natürlich auch die Belastungen, die sich für den Ausgleichsfonds durch Erlaß oder auch nur durch Stundung von Ausgleichsabgaben ergeben.
Eine weitere Zusatzfrage.
Herr Bundesminister, darf ich aber Ihrer Antwort entnehmen, daß sich die Bundesregierung, weil sie die Lösung des Problems sucht, bewußt ist, daß unterschiedliche Anpassungstermine in der Rentenversicherung und in der Altersversorgung nach dem Lastenausgleichsgesetz sowie in der Kriegsopferversorgung dem Grundsatz der sozialen Gerechtigkeit widersprechen?
Herr Abgeordneter, auch das gehört zu den Aspekten, die die Bundesregierung zu würdigen hat.
Keine weiteren Zusatzfragen.
Herr Minister, ich danke Ihnen. Damit sind die Fragen aus Ihrem Geschäftsbereich beantwortet.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers für Wirtschaft auf. Zur Beantwortung der Fragen steht der Bundesminister Friderichs zur Verfügung.
Die erste Frage, Frage 13, ist von Herrn Abgeordneten Dr. Schneider eingebracht:
Teilt die Bundesregierung die Befürchtung der IG Bergbau, bei einer langanhaltenden Kälteperiode drohe ein Energieengpaß, und durch welche Maßnahmen will die Bundesregierung längerfristig die ausreichende Stromversorgung der Bevölkerung sicherstellen?
Herr Bundesminister!
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, die von dem Vorsitzenden der Industriegewerkschaft Bergbau und Energie geäußerte Befürchtung bezog sich auf die Wärmeversorgung der durch Elektrizität beheizten Wohnungen. In der Bundesrepublik Deutschland sind nur etwa 5 % aller Wohnungen elektrisch beheizt, und zwar überwiegend in Gestalt der Nachtspeicherheizung. Die Energie liefern die Kraftwerke in den belastungsschwachen Stunden, vornehmlich während der Nacht. Wie allgemein bekannt ist, haben die Elektrizitätswerke nur so viele Neuanschlüsse für diese Nachtspeicherheizung zugelassen, wie sie
70 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 5. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 19. Dezember 1972
Bundesminister Dr. Friderichs
mit Sicherheit mit dem von anderen Stromkunden nicht benötigten Nachtstrom versorgen können. Daher teilt die Bundesregierung die Befürchtung des Vorsitzenden der Industriegewerkschaft Bergbau und Energie nicht.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter.
Herr Minister, wie bewerten Sie in Ihrem Zusammenhang den Vorwurf des Vorsitzenden der Gewerkschaft Bergbau und Energie, Adolf Schmidt, die Bundesrepublik gehe — so sagte er wörtlich — so fahrlässig, ja, strafbar mit den eigenen Bodenschätzen um wie kein anderes Land?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich möchte hier von einer Bewertung dieser Aussagen absehen. Die Bundesregierung wird sich aber bemühen, noch im Jahr 1973 ein energiepolitisches Konzept vorzulegen, in dem unter anderem die Frage der Sicherheit der Versorgung mit eigenen Energierohstoffen geprüft wird.
Eine weitere Zusatzfrage.
Herr Bundesminister, meinen Sie nicht, daß eine in der Bevölkerung latente Angst vor Strom- und Energieengpässen möglicherweise dazu führt, im Wohnungsbau auf weniger umweltfreundliche Heizsysteme umzusteigen, als es Elektroheizungen sind, daß also eine Entwicklung eintritt, die genau dem entgegensteht, was die Umweltschutzpolitiker anstreben?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die Bundesregierung wird sich bemühen, bei ihren energiepolitischen Überlegungen die Frage der Umweltbelastung sowohl bei der Produktion der Energie als auch bei der tatsächlichen Anwendung zu berücksichtigen. Ich gehe zuversichtlich davon aus, daß es gelingen wird, diese Überlegungen so zu gestalten, daß Versorgungssicherheit und Preisgünstigkeit der Energie in Einklang zu bringen sind.
Die Fragen 14 und 15 des Herrn Abgeordneten Zebisch werden auf Wunsch des Fragestellers schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlage abgedruckt.
Wie beurteilt die Bundesregierung die durch die Mineralölkonzerne kurz hintereinander folgende zweimalige Benzinpreiserhöhung?
Herr Bundesminister!
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Der besonders auf dem Benzinmarkt ausgeprägte starke Wettbewerb hat in den vergangenen Jahren für den deutschen Verbraucher im europäischen Vergleich zu relativ günstigen Benzinpreisen geführt. Dieser Wettbewerb hat es den Mineralölgesellschaften nicht ermöglicht, die inzwischen eingetretenen erheblichen Kostensteigerungen — insbesondere durch zusätzliche staatliche Abgaben in den Förderländern — bei ihren Produktenpreisen weiterzugeben. Die Mineralölgesellschaften in der Bundesrepublik Deutschland haben daher in den letzten Jahren zum überwiegenden Teil erhebliche Verluste hinnehmen müssen. Sie sind daher bestrebt, hierfür einen Ausgleich zu finden und angemessene Gewinne zur Finanzierung ihrer unbedingt notwendigen Investitionen zur Erschließung neuer Rohölquellen und ihrer Verarbeitungsanlagen zu erwirtschaften. Die jetzigen Preissteigerungen auf dem Mineralölmarkt werden durch einen Abbau des bisherigen Überangebots begünstigt. Die relative Marktenge gerade auf dem Benzinsektor hat auch erhebliche Preiserhöhungen auf dem Weltmarkt mit sich gebracht.
Die Bundesregierung wird die ihr zur Verfügung stehenden wirtschaftspolitischen Möglichkeiten ausnutzen, um diesen Preisanstieg in einem der europäischen Entwicklung vergleichbaren Rahmen zu halten.
Zusatzfrage.
Herr Bundesminister, an welche wirtschaftspolitischen Möglichkeiten, die Sie eben erwähnt haben, denkt die Bundesregierung dabei?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, ich möchte die Beantwortung Ihrer zweiten Frage nicht vorwegnehmen. Wenn Sie gestatten, würde ich Ihre Zusatzfrage zusammen mit Ihrer zweiten Hauptfrage beantworten.
Damit ist die Frage 16 beantwortet. Ich rufe die Frage 17 des Abgeordneten Dr. Weber auf:
Welche Maßnahmen wird die Bundesregierung ergreifen, um das offensichtlich gleichförmige und abgestimmte Verhalten der Konzerne bei der Benzinpreiserhöhung zu überprüfen?
Herr Bundesminister, bitte!
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Nach dem geltenden Kartellrecht besteht die Möglichkeit, die Benzinpreiserhöhungen zu überprüfen. Eine marktbeherrschende Stellung der Mineralölgesellschaften bei Straßentankstellen außerhalb der Bundesautobahnen läßt sich nach § 22 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen in seiner gegenwärtigen Fassung nicht feststellen.
Mit der Kartellgesetznovelle, die die Bundesregierung dem Bundestag unverzüglich wieder vorlegen wird, soll erreicht werden, daß die Eingriffsmöglich-
Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 5. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 19. Dezember 1972 71
Bundesminister Dr. Friderichs
keiten der Kartellbehörde gegenüber nicht marktkonformen gleichförmigen Preiserhöhungen verbessert werden.
Eine Zusatzfrage.
Herr Bundesminister, sind Sie nicht der Meinung, daß die zweimal hintereinander erfolgte Preiserhöhung offensichtlich auf Grund von gutachtlichen Empfehlungen oder, wie es dort heißt, Consultings vorgenommen worden ist und daß damit ein Verhalten gezeigt wird, welches das Bundeskartellamt zum Einschreiten zwingen könnte?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich bin nicht in der Lage, die Motivation für die zweimalige Erhöhung genau zu überprüfen. Die Bundesregierung muß aber zur Kenntnis nehmen, daß die Entwicklung der Benzinpreise an vergleichbaren Märkten — ich nenne nur den Vergleich mit Rotterdam für Normalbenzin und Superbenzin — der Entwicklung in der Bundesrepublik Deutschland entspricht. Die Bundesregierung bedauert, daß vor Verabschiedung der Kartellnovelle, bei der u. a. diese Frage eine Rolle spielt, die Möglichkeiten des Kartellamts begrenzt sind.
Keine weitere Zusatzfrage.
Herr Minister, ich danke Ihnen. Damit sind die Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Wirtschaft beantwortet.
Wir kommen zu den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten. Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär Logemann zur Verfügung.
Die Frage 18 des Abgeordneten Höcherl wird schriftlich beantwortet, da der Fragesteller nicht im Saal ist. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Ich rufe die Frage 19 des Abgeordneten von Alten-Nordheim auf:
Nachdem das Ausmaß der Sturmschäden vom Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten nach jetzigem Stand mit ca. 16,3 Millionen Festmeter beziffert wird und eine Beschränkung des ordentlichen Holzeinschlags auf Grund des Forstschädenausgleichsgesetzes verordnet ist, frage ich die Bundesregierung, welche zusätzlichen Maßnahmen der Importbeschränkungen und Exportförderung sie zu ergreifen gedenkt, um damit zur Stabilisierung des Inländischen Holzmarktes beizutragen?
Bitte sehr, Herr Staatssekretär!
Herr Kollege von Alten-Nordheim, die Bundesregierung prüft gegenwärtig vordringlich, ob und inwieweit die Einfuhr von Holz zur Stabilisierung des inländischen Holzmarkts beschränkt werden kann. Eine derartige nationale Maßnahme bedarf der Genehmigung der Europäischen Gemeinschaften. Staatliche Förderungsmaßnahmen für den Holzexport sind nicht möglich. Es ist ,der Initiative des Waldbesitzers und des Holzhandels überlassen, verstärkte Exportmöglichkeiten für das Schadholz zu erkunden.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter.
Herr Staatssekretär, beziehen Sie in diese Überlegungen eventuell auch die Verbindungen mit den Staatshandelsländern ein?
Auch diese Überlegungen werden durchaus mit einbezogen.
Eine weitere Zusatzfrage.
Wie hoch beurteilen Sie die Chance hierfür?
Das kann ich Ihnen, Herr Kollege von Alten-Nordheim, jetzt noch nicht sagen. Wir haben ja — darauf darf ich gleich mit verweisen — eine Kleine Anfrage von CDU-Abgeordneten vorliegen. Wir werden diese sorgfältig beantworten und dabei vielleicht auch auf diesen Punkt noch eingehend zurückkommen.
Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Mursch.
Mursch (CDU/CSU) : Herr Staatssekretär Logemann, hat sich der Ernährungsminister persönlich einen Eindruck über das ungeheuer große Ausmaß der Schäden verschafft, die in Norddeutschland eingetreten sind, Schäden, die in dieser Größe seit Beginn des vorigen Jahrhunderts einmalig sind?
Der Minister hatte persönlich keine Möglichkeit, sich die Schäden anzusehen, aber sein Parlamentarischer Staatssekretär, der nach Auffassung der Opposition gar nicht mehr im Dienst sein sollte, hat sich diese Schäden sehr gründlich angesehen.
72 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 5. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 19. Dezember 1972
Ich rufe die Frage 20 des Abgeordneten von Alten-Nordheim auf:
Welche Förderungsmaßnahmen gedenkt die Bundesregierung zu ergreifen, um den geschädigten Waldbesitzern bei der ohnehin schon unrentablen Lage der Forstwirtschaft die Aufarbeitung des Schadholzes zu ermöglichen, und die Aufräumung und Aufforstung zur Wiederherstellung der Flächen zu ermöglichen, die sonst mit Sicherheit unterbleiben müßte?
Herr Kollege von Alten-Nordheim, die Abwehr von Katastrophen und die Beseitigung ihrer Folgen ist nach den Art. 30 und 104 a des Grundgesetzes grundsätzlich Aufgabe der Länder. Eine finanzielle Hilfe des Bundes für die Behebung der Schäden und die Wiederherstellung der verwüsteten Landschaft kommt nur subsidiär in Betracht, und zwar unter der Voraussetzung, daß eine ausreichende Hilfe die Kräfte der betroffenen Länder übersteigen würde und im Einzelfall die Existenz der Geschädigten gefährdet ist.
Die Länder Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen haben eine finanzielle Beteiligung des Bundes beantragt. Die Bundesregierung prüft gegenwärtig intensiv, inwieweit sie den Anträgen dieser Länder folgen kann. Die Prüfung umfaßt Zuschüsse zur Aufarbeitung des Schadholzes, Zuschüsse zur Aufräumung der Schadensflächen, Zuschüsse zur Wiederaufforstung und Zuschüsse zu gegebenenfalls notwendig werdenden Kosten zur Bekämpfung von Sekundärschäden wie Pilz- und Käferbefall sowie Waldbrand.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter.
Herr Staatssekretär, sind Sie in der Lage, schon in etwa Zahlen zu nennen, die zur Zeit zu den einzelnen von Ihnen genannten Positionen in Erwägung gezogen werden?
Herr Kollege von Alten-Nordheim, das kann ich leider nicht. Ich muß Sie auf die Beantwortung Ihrer Kleinen Anfrage vom 13. Dezember verweisen. Ich habe eben gesagt, wir werden uns intensiv bemühen. Ich möchte vielleicht hinzufügen: mit Rücksicht auf die verheerenden Schäden insbesondere im Lande Niedersachsen halte ich es für unumgänglich, daß sich der Bund in diesem Falle neben den Ländern an den Kosten für die Beseitigung der Schäden beteiligt. Die Verhandlungen hierüber laufen.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter.
Herr Staatssekretär, sind Ihnen die Probekosten der niedersächsischen Landesregierung, die sie bei ihren staatlichen Forstämtern hat ermitteln lassen, bekannt, und sehen Sie im Rahmen dieser dort festgestellten Kosten etwa auch Ihre Möglichkeiten der Hilfen?
Wir werden uns bemühen, vom Bund aus entsprechend Hilfe zu leisten. Die Berechnungen sind uns bekannt, sie sind ja gemeinsam mit uns zustande gekommen. Wir sind, wie schon gesagt, in den Beratungen, ich kann Ihnen aber leider keine Einzelbeträge nennen.
Ich lasse noch eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Mursch zu.
Mursch (CDU/CSU) : Herr Kollege Logemann, obwohl ich nicht einzusehen vermag, was die Frage der Parlamentarischen Staatssekretäre mit den Katastrophenschäden zu tun hat, möchte ich Sie fragen: Wann hat der Ernährungsminister die Absicht, mein Fernschreiben zu beantworten, in dem ich zu diesem Punkt zehn konkrete Vorschläge an das Ernährungsministerium gemacht und den Ernährungsminister gebeten habe, sich an Ort und Stelle mit mir diese Schäden anzuschauen? Wann haben Sie die Absicht, dies endlich zu beantworten?
Zu 1: Über den Reiseplan des Herrn — —
Einen Moment, Herr Staatssekretär!
Herr Kollege Mursch, ich lasse diese Frage nicht zu. Das ist keine Zusatzfrage zu der Frage des Herrn Kollegen von Alten-Nordheim. Sie haben selbstverständlich die Möglichkeit, selbst Fragen einzubringen. Ich habe vorhin schon einmal darüber hinweggesehen, aber wir wollen nicht alle guten Grundsätze der letzten Legislaturperioden hier zu Beginn in den Wind schlagen. Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie den von der Geschäftsordnung vorgeschriebenen Sachzusammenhang mit der Frage herstellen würden und gegebenenfalls von Ihrem Recht Gebrauch machen, eine eigene Frage zur Ergänzung Ihres Fernschreibens einzubringen.
Die nächste Frage stellt der Herr Abgeordnete von Fircks.
Herr Staatssekretär, wird die Bundesregierung bezüglich der Maßnahmen, die zu treffen sind, insbesondere in den Erholungsgebieten und um die Ballungsräume herum außer der Zusammenarbeit mit der Landesregierung auch den Wunsch des Niedersächsischen Heimatbundes berücksichtigen, bei der Planung mitberatend herangezogen zu werden?
Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 5. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 19. Dezember 1972 73
Das wird sicherlich gern geschehen, Herr von Fircks. Wir werden Ihren Rat gern annehmen. Es ist unser Hauptanliegen, schnellstens wieder zu einer normalen Landschaft zu kommen, die Verwüstungen der Landschaft, die durch den Orkan entstanden sind, zu beseitigen. Wir werden hier sicherlich für jeden Rat dankbar sein.
Keine weiteren Zusatzfragen. — Ich danke Ihnen!
Die Frage 21 ist von dem Abgeordneten Lemp eingebracht:
Welche Maßnahmen hat die Bundesregierung seit der Sturmkatastrophe vom 13. November 1972 ergriffen bzw. eingeleitet, um ruinösen Marktstörungen infolge des vermehrten Holzanfalles durch Windbruch und Windwurf zu begegnen?
Der Abgeordnete ist im Saal. Bitte schön, Herr Staatssekretär!
Herr Präsident, ich bitte, die Fragen des Abgeordneten Lemp zusammenfassen zu dürfen.
Ja, der Herr Fragesteller ist einverstanden, Herr Staatssekretär. Ich rufe auch noch die Frage 22 des Abgeordneten Lemp auf:
Welche Möglichkeiten sieht die Bundesregierung für schnelle und wirksame Unterstützung der in Frage kommenden Länder bei der Aufräumung der Schadensflächen, der Aufbereitung des Schadholzes und der Wiederaufforstung im Interesse einer zügigen Wiederherstellung der verwüsteten Landschaft in den von der Sturmkatastrophe besonders hart betroffenen Gebieten?
Herr Kollege Lemp, die Bundesregierung hat seit der Sturmkatastrophe, also seit dem 13. November 1972, folgende Maßnahmen ergriffen bzw. eingeleitet:
Erstens. Beschränkung des ordentlichen Einschlags nach dem Forstschäden-Ausgleichsgesetz. Der danach notwendigen Verordnung hat der Bundesrat am 1. Dezember 1972 zugestimmt; sie ist bereits seit dem 14. Dezember 1972 in Kraft.
Zweitens. Wie schon zu Frage Nr. 19 des Abgeordneten von Alten-Nordheim dargelegt, bemüht sich die Bundesregierung, die Holzeinfuhr zu beschränken.
Drittens. Frachtermäßigungen: die Deutsche Bundesbahn hat bereits Ausnahmetarife vorgeschlagen.
Viertens. Die Bundeswehr ist — regional unterschiedlich — sofort eingesetzt worden. Ein weiterer gezielter Einsatz wird gegenwärtig mit den in Frage kommenden Ressorts geprüft.
Fünftens. Steuerliche Erleichterungen sind nach dem Forstschäden-Ausgleichsgesetz mit Verabschiedung der Verordnung automatisch in Kraft getreten. Weitere steuerliche Maßnahmen werden augenblicklich geprüft.
Sechstens. Wegen der finanziellen Förderung verweise ich auf die Fragen Nr. 19 und Nr. 20 des Abgeordneten von Alten-Nordheim.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Lemp.
Herr Staatssekretär Logemann, ist der Bundesregierung bekannt, daß der Zentralverband der Deutschen Forstunternehmen in Jugoslawien 700 Waldfacharbeiter angeworben hat, die wegen allzu bürokratischen Verhaltens der zuständigen Dienststellen bisher nicht in die Bundesrepublik Deutschland zum Zwecke der Arbeitsaufnahme im Katastrophengebiet einreisen konnten?
Herr Kollege Lemp, ich weiß lediglich, das Forstarbeiter aus verschiedensten Ländern schon in die Bundesrepublik eingereist sind. Ich kenne diesen besonderen Fall nicht; ich höre heute morgen hier zum erstenmal davon.
Eine weitere Zusatzfrage.
Ist die Bundesregierung bereit, sich dafür zu interessieren und dafür zu sorgen, daß hier die Möglichkeit der zügigen Einreise gewährleistet wird?
Das werden wir selbstverständlich gern tun; denn wir brauchen zur Aufräumung der Schadensflächen Facharbeiter. Deshalb sind hier im Augenblick ausländische Arbeitskräfte bei uns durchaus begehrt.
Herr Abgeordneter Mursch, Sie haben eine Zusatzfrage.
Mursch (CDU/CSU) : Herr Kollege Logemann, gehören zu den steuerlichen Maßnahmen, die in Ihrem Hause geprüft werden, auch der Erlaß der Mehrwertsteuer für Lohnarbeiten und steuerliche Erleichterungen für Forstbetriebsgemeinschaften, z. B. die Befreiung von der Umsatzsteuer, wenn der Freibetrag von 12 000 DM umsatzmäßig überschritten wird?
Herr Kollege, zu diesen steuerlichen Erleichterun-
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Parl. Staatssekretär Logemann
gen gehören die Maßnahmen, die man nach § 2 des Forstschäden-Ausgleichsgesetzes einleiten kann, und zwar die Möglichkeit zur gewissen Beschränkung der Holzeinfuhr, die ich schon erwähnt habe. An steuerlichen Maßnahmen treten z. B. automatisch in Kraft: eine langfristige Stundung der Vermögensabgabe, die Inanspruchnahme einkommensteuerbegünstigter Rücklagen aus betrieblichem Schadensausgleich, eine Erhöhung der Betriebsausgabenpauschale von 65 auf 90 v. H. für alle nicht buchführungspflichtigen Forstbetriebe, ein Bewertungsabschlag bei der Einkommensteuer für Betriebe der Holzwirtschaft, soweit sie sich Überholzvorräte anlegen. Das Bundesministerium für Finanzen hat schon eine großzügige Stundungs- und Billigkeitsregelung angekündigt, die auch zu diesem Bereich zu zählen ist.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten von Alten-Nordheim.
Herr Staatssekretär, hat die Bundesregierung auch die Möglichkeit geprüft, die ihr im Rahmen des Bundeswehreinsatzes gegeben sind, hier zu helfen, und wie sehen Sie diese Dinge?
Ich habe schon soeben bei Beantwortung der Fragen des Abgeordneten Lemp gerade auf diesen Punkt hingewiesen. Die Bundeswehr ist sofort eingesetzt worden, und im Augenblick überlegen wir, wie ein weiterer Einsatz der Bundeswehr in Zukunft noch erfolgen kann, z. B. bei der Räumung der Wege und bei anderen Dingen.
Ich rufe die Frage 23 des Herrn Abgeordneten Dr. Gruhl auf:
Hat die Bundesregierung das Ausmaß der Sturmschäden festgestellt, die durch den Orkan am 13. November 1972 in den Wäldern Norddeutschlands verursacht worden sind?
Herr Kollege Dr. Gruhl, die Bundesregierung hat das Ausmaß der Sturmschäden festgestellt. Nach dem augenblicklichen Stand der Schadenserhebung sind rund 17,6 Millionen Festmeter Holz geworfen oder gebrochen worden; das sind über zwei Drittel des für das laufende Forstwirtschaftsjahr im gesamten Bundesgebiet vorgesehenen Einschlags. Die Schadensfläche beläuft sich auf über 100 000 ha.
Ich rufe die Frage 24 des Herrn Abgeordneten Dr. Gruhl auf:
Hat die Bundesregierung Maßnahmen ergriffen, damit diese riesigen Holzmengen einer Verwendung zugeführt werden, wie das die Bundesregierung im März 1967 auf Grund der Sturmschäden vom 20. bis 28. Februar 1967 getan hat?
Herr Kollege, die Frage 24 bitte ich durch die Antworten zu den vorhergehenden Fragen Nr. 19 bis 22 als beantwortet anzusehen.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, welche Chancen sieht die Bundesregierung, die anderen Bundesländer, die außer Niedersachsen fast alle nicht von diesen Sturmschäden betroffen sind, dazu zu veranlassen, ihre Einschlagquoten in diesem Jahr beträchtlich zu vermindern, um den Absatz des Holzes in Niedersachsen zu fördern?
Herr Kollege, ich darf dazu folgendes sagen. Wir hatten ja am 1. Dezember eine Verordnung zum Forstschädenausgleichsgesetz vorgelegt. Diese Verordnung ist durch einstimmige Befürwortung seitens des Bundesrates schon am 14. Dezember dieses Jahres in Kraft getreten. Auf Grund dieser Verordnung ist es möglich, den normalen Holzeinschlag vor allen Dingen in den Ländern zu beschränken, die durch Orkanschäden nicht betroffen sind. Wir haben durchaus den Eindruck, daß sich die nicht betroffenen Länder mit den betroffenen Ländern — vor allen Dingen Niedersachsen, denn Niedersachsen ist am stärksten betroffen — solidarisch erklären und also auf Grund der Verordnung den Holzeinschlag im Rahmen der Möglichkeiten beschränken werden.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Gruhl.
Herr Staatssekretär, haben Sie schon Äußerungen einzelner Länder, wie stark sie ihre Einschlagquoten vermindern wollen?
Nein, solche Äußerungen liegen noch nicht vor. Aber es besteht ja die Möglichkeit, die Quote um einen bestimmten Prozentsatz zu beschränken; wir hatten bei Kiefern an 70 % und bei Fichten an 30 % gedacht.
Damit, meine Damen und Herren, sind die Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten beantwortet. Ich danke Ihnen, Herr Staatssekretär.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung auf. Für die Beant-
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Vizepräsident Vockenhausen
wortung der Fragen steht der Herr Parlamentarische Staatssekretär Rohde zur Verfügung.
Die erste Frage, Frage 25, ist vom Abgeordneten Ziegler eingebracht. Ich sehe den Herrn Abgeordneten Ziegler nicht, so daß diese Frage und die von ihm eingebrachte Frage 26 schriftlich beantwortet werden. Die Antworten werden als Anlage abgedruckt.
Ich rufe Frage 27 des Herrn Abgeordneten Geisenhofer auf:
Ist die Bundesregierung der Auffassung, daß durch Hinweise auf eine angeblich notwendige Korrektur der von der Opposition gegen den Willen der Regierungskoalition durchgesetzten Bestimmungen über Renten nach Mindesteinkommen Unsicherheit und Unruhe unter ca. einer Million Kleinrentner geschaffen wird?
Herr Staatssekretär!
Herr Präsident, ich würde gern die beiden Fragen des Herrn Kollegen Geisenhofer zusammen beantworten.
Ist der Fragesteller einverstanden?
Ich bin einverstanden, wenn ich Zusatzfragen dann zum Gesamtkomplex stellen darf.
Herr Kollege, Sie haben in diesem Fall natürlich vier Zusatzfragen. — Ich rufe dann zusätzlich Frage 28 des Abgeordneten Geisenhofer auf:
Kann die Bundesregierung unverzüglich und verbindlich erklären, daß sie weder eine Einschränkung des von der Kleinrentenregelung begünstigten Personenkreises noch eine Senkung der Mindestbemessungsgrundlage und damit eine Verschlechterung des nach CDU/CSU-Vorschlag beschlossenen Gesetzes beabsichtigt?
Herr Kollege, Gegenstand der öffentlichen Erörterungen in den letzten Wochen — das darf ich zu Ihren Fragen sagen — war nicht das Bestreben, das Leistungsrecht für Empfänger von Kleinrenten nach Mindesteinkommen zu Lasten der Betroffenen zu ändern. Es ging vielmehr um die diesen Personenkreis beschäftigende Frage, wie sichergestellt werden kann, daß möglichst schnell alle davon Betroffenen die erhöhten Rentenbezüge erhalten.
Das ist, wie Sie mir zugeben werden, eine berechtigte Frage, nachdem die Versicherungsträger dem Arbeitsministerium mitgeteilt hatten, daß es Fälle geben könne, in denen die Neuberechnung bis zu fünf Jahre in Anspruch nehmen würde.
Ich will die Diskussion über die praktikabelste Form der Rentenberechnung bei der Anhebung von Kleinrenten hier nicht noch einmal in allen Einzelheiten aufnehmen. Dies ist im letzten Bundestag in den Ausschuß- und Plenarberatungen, wie Sie wissen, detailliert behandelt worden.
Daß keine Verschlechterungen im Rentenrecht beabsichtigt sind, zeigt auch der Koalitionsentwurf, der in dieser Woche im Parlament eingebracht worden ist und behandelt wird. In ihm ist keine Einschränkung des materiellen Inhalts der Mindestrentenregelung vorgesehen.
Das Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung hat sofort nach Verkündung des Rentenreformgesetzes mit den Rentenversicherungsträgern und ihren Aufsichtsbehörden gemeinsam nach Wegen gesucht, um den betroffenen Rentnern zügig die Leistungsverbesserungen zukommen zu lassen. Diese Gespräche werden im Januar des nächsten Jahres fortgesetzt, um einen Erfahrungsaustausch unter den Versicherungsträgern zu ermöglichen.
Zur Zeit ist der Stand der Umrechnungen bei den Versicherungsträgern noch unterschiedlich, so daß heute noch kein genauer Termin genannt werden kann, bis zu dem jeder anspruchsberechtigte Rentner einen Bescheid über die Erhöhung erhalten hat. Die Bundesregierung beabsichtigt aber, dem Parlament bis spätestens Ende nächsten Jahres einen Bericht über die Durchführung der neuen Gesetzesregelung vorzulegen.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Geisenhofer.
Herr Staatssekretär, Sie sprachen von den Schwierigkeiten bei den Landesversicherungsanstalten bezüglich der Bearbeitung der Rente nach Mindesteinkommen. Besteht die Möglichkeit, daß Landesversicherungsanstalten, die weniger belastet sind und bei denen auch noch Arbeitskräfte eingestellt werden könnten, den Landesversicherungsanstalten, die überbelastet sind, zu Hilfe kommen?
Herr Kollege, das ist eine schwierige Frage, die ich ohne Konsultation mit den Versicherungsträgern hier nicht abschließend beantworten möchte. Ich werde sie aber in die Beratungen einführen, die wir Anfang nächsten Jahres mit den Versicherungsträgern haben werden.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Kollege.
Herr Staatssekretär, ist Ihnen bekannt oder kann recht bald ermittelt werden, wie viele begünstigte Kleinrentner bereits im Januar ihre erhöhten Renten erhalten werden und wie vielen noch bis Ende 1973 die Bescheide zugestellt werden können?
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Ich hatte Ihnen schon gesagt, Herr Kollege, daß der Stand der Bearbeitung dieser Anträge bei den einzelnen Anstalten unterschiedlich ist. Es gibt auch vorläufige Zahlen, die aber noch hinsichtlich ihrer Richtigkeit einer letzten Überprüfung bedürfen. Ich bin sicher, daß im ersten Monat des Jahres 1973 die Sache rein quantitativ besser zu übersehen ist als heute, und werde dann gern darauf zurückkommen.
Keine weiteren Zusatzfragen? — Ich danke Ihnen, Herr Kollege.
Ich rufe die Fragen 29, 30 und 31 der Herren Abgeordneten Brandt und Wolfram auf. Die Fragesteller haben darum gebeten, daß sie schriftlich beantwortet werden. Dies gilt auch für die Fragen 32 und 33 des Herrn Abgeordneten Krampe sowie die Fragen 34 und 35 des Herrn Abgeordneten Franke (Osnabrück). Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt. Herr Staatssekretär, ich danke Ihnen. Damit sind die Fragen aus Ihrem Geschäftsbereich beantwortet.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers der Verteidigung auf. Zur Beantwortung der Fragen steht Herr Parlamentarischer Staatssekretär Berkhan zur Verfügung. Die Frage 36 ist vom Herrn Abgeordneten Metzger eingebracht worden:
Welche Folgerungen wird die Bundesregierung aus den Feststellungen des Bundesrechnungshofs ziehen, in den Jahren 195G bis 1966 seien Hunderte von Millionen Mark nutzlos für die Entwicklung von kurz- oder senkrechtstartenden Flugzeugen ausgegeben worden, wobei in einem Fall von Anfang an keine echten technischen und überhaupt keine militärischen Interessen zugrunde gelegen haben?
Herr Staatssekretär!
Herr Präsident, wenn es erlaubt ist, möchte ich die Fragen 36 und 37 im Zusammenhang beantworten.
Ich würde das sehr begrüßen, weil das die Möglichkeit gibt, im Hinblick auf den Ablauf der Fragestunde noch beide Fragen zu beantworten, Herr Abgeordneter Metzger.
Ich rufe also noch die Frage 37 des Herrn Abgeordneten Metzger auf:
Ist die Bundesregierung bereit zu überprüfen, ob auf Grund der vom Bundesrechnungshof getroffenen Feststellungen Möglichkeiten bestehen, Schadensersatzansprüche gegenüber den Verantwortlichen geltend zu machen?
Bitte, Herr Staatssekretär!
Herr Kollege Metzger, es ist Ihnen sicherlich bekannt, daß die Bemerkungen des Bundesrechnungshofs Gegenstand eingehender Erörterungen im Rechnungsprüfungsausschuß des Deutschen Bundestages sein werden. Die Bundesregierung wird dort auch zu dem von Ihnen angesprochenen Fragenkomplex Stellung nehmen. Hierbei wird die Frage der Kosteneffektivität und auch die eines eventuellen Schadensersatzanspruches zu prüfen sein. Wir sollten diesen Beratungen heute nicht vorgreifen. Ich bitte daher um Ihr Verständnis, wenn ich mich hier auf wenige Bemerkungen beschränke.
Herr Kollege Metzger, Sie fragen u. a. nach den Folgerungen, die die Bundesregierung gezogen hat. Ich kann Ihnen hierzu mitteilen, daß das letzte dieser Vorhaben, nämlich die Entwicklung des Senkrechtstarterprojektes VAK 191, zum Ende dieses Jahres eingestellt wird. Die Entwicklung aller anderen Projekte ist, wie Sie sicherlich wissen, bereits zu einem früheren Zeitpunkt eingestellt worden.
Nun lassen Sie uns, Herr Kollege Metzger, doch einmal über die Frage des Nutzens von Experimentalentwicklungen nachdenken. Ich weiß nicht, ob Sie mit mir übereinstimmen. Aber — das ist meine ganz persönliche Meinung, Herr Kollege Metzger — der technische Fortschritt ist ohne Risiken nicht zu erreichen. Ich erinnere dabei nur an die Automobilindustrie, die auch ihre „Erlkönige" — wenn mir diese Bemerkung hier gestattet ist — kennt und bei der einige „Erlkönige" niemals Serienreife erreichen. Die hieraus gewonnenen technischen Erkenntnisse gehen jedoch nicht verloren; sie kommen vielmehr anderen Vorhaben zugute.
Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, ist es richtig, daß diese Millionenbeträge ohne die Zustimmung der Fachleute in Ihrem Ministerium ausgegeben wurden?
Das ist nicht richtig, Herr Kollege Metzger. Es kann allerdings sein, daß der eine oder der andere Fachmann oder jemand, der sich für einen Fachmann hält, Ihnen gesagt hat, er habe seine Zustimmung nicht gegeben. Das Ministerium umfaßt über 6000 Mitarbeiter, und ich kann deshalb nicht für den letzten Fachmann die Gewähr übernehmen. Unser Hauptfachmann jedoch, der Hauptabteilungsleiter II, der im wesentlichen für diese Fragen zuständig ist, hat mir das Material für diese Fragestunde aufbereitet. Ich konnte in diesem Material keinen Hinweis darauf finden, daß er oder seine Mitarbeiter nicht beteiligt gewesen wären.
Eine weitere Zusatzfrage.
Kann ich also davon ausgehen, Herr Staatssekretär, daß die Planungen und auch die Ausgaben für diese Planungen in Übereinstimmung mit den Fachleuten erfolgt sind?
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Herr Kollege Metzger, ich habe vor mir eine Graphik. Danach ist die erste militärische Forderung Ende 1957 aufgestellt worden. Die Fachleute von 1957 sind aber nicht mehr die Fachleute von 1972. Daher müssen Sie mir schon konkreter sagen, welche Fachleute Sie meinen. Ohne genaue Angaben — Jahreszahlen und Namen — kann ich die Damen und Herren, die in Frage kommen, nicht befragen. Ich kann also hier auch keine Meinung dazu äußern oder meine Kenntnis kundtun.
Eine weitere Zusatzfrage.
Dann will ich die Frage präziser formulieren. Ist es richtig, daß die Fachleute zum Zeitpunkt des Beginns des Programms diesem und auch den Ausgaben zugestimmt haben?
Herr Kollege Metzger, ich fühle mich jetzt überfragt. Ich werde das in meinem Hause überprüfen lassen. Aber ich mache Sie noch einmal darauf aufmerksam, daß die erste militärische Forderung auf 1957 zurückgeht. Die Änderungen dieser militärischen Forderung erfolgten vier Jahre später. Dann kamen erst die Verhandlungen. Sie müssen mir da noch das Projekt nennen. Es sind ja vier Projekte. Ich bin gern bereit, diesen Fragen nachzugehen und Ihnen entweder in einem Brief oder in einer anderen Fragestunde Rede und Antwort zu stehen. Aber vier Projekte, die sich über zehn Jahre hinziehen, hier in allen Einzelheiten im Kopf oder in den wenigen schriftlichen Unterlagen parat zu haben, das ist eine Überforderung, der ich nicht gewachsen bin.
Ich danke Ihnen, Herr Staatssekretär.
Wir sind damit am Ende der Fragestunde und auch am Ende der heutigen Sitzung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages für Mittwoch, den 20. Dezember, 9 Uhr, ein.
Die Sitzung ist geschlossen.