Rede von
Dr.
Andreas
von
Bülow
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Haushalt 1972 ist zumindest für die Mitglieder des Haushaltsausschusses in der Tat ein fast nicht mehr zu ertragender Evergreen dieses Parlamentsjahres: im Herbst des vergangenen Jahres von der Bundesregierung eingebracht, vom Plenum und vom Haushaltsausschuß beraten, dann im Patt dieses Hauses hängengeblieben, zurückverwiesen an den Haushaltsausschuß, nach der Bundestagswahl neu eingebracht, vom Haushaltsausschuß erneut beraten und jetzt, wenige Tage vor Schluß des Rechnungsjahres, hier zur Debatte gestellt.
Herr Jenninger, Sie haben es sich mit Ihrem „Akt der Barmherzigkeit" etwas einfach gemacht.
Die Situation war doch so, daß dieser Haushalt wie so vieles im Patt des Hauses hängengeblieben ist, das wiederum aus Anlaß des konstruktiven Mißtrauensvotums entstanden war. Es war das gescheiterte konstruktive Mißtrauensvotum, aus dessen Anlaß einige Parlamentarier in diesem Hause ihre Fraktion gewechselt haben. Hierdurch hat auch dieser Haushalt 1972 Schaden gelitten. Jetzt kommt es darauf an, das Beste aus der Situation zu machen. Damals mußte das Parlament aufgelöst werden; es mußte eine neue Mehrheit durch das Volk bestimmt werden. Das ist geschehen, und jetzt wird der Haushalt ordnungsgemäß verabschiedet werden.
Der Haushalt war zentrales Wahlkampfthema, genauso auch sein Vollzug. Seine Konjunkturgerechtigkeit stand und steht zum Teil heute noch im Mittelpunkt der Auseinandersetzung. Dabei wird leicht übersehen, was die Bundesregierung und die sie tragenden Fraktionen der sozialliberalen Koalition mit der Vorlage dieses Etats an politischen Zielen erreichen und verfolgen wollten. In der zweiten Lesung stehen die Einzelpläne 1 bis 60 zusammen mit dem Haushaltsgesetz zur Abstimmung, und da mag es nützlich sein, sich daran zu erinnern, daß der Staatshaushalt der in Zahlen gegossene politische Wille einer Regierung und einer Parlamentsmehrheit ist.
Vergegenwärtigen wir uns noch einmal die Schwerpunkte dieses Zahlenwerks. Der Haushalt umfaßt ein Volumen von rund 109 Milliarden DM.
Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 5. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 19. Dezember 1972 43
Dr. von Bülow
Seine Steigerungsrate gegenüber 1971 beträgt nach den neuesten Erkenntnissen des Haushaltsausschusses 10,5 %. Er ist damit allen Behauptungen zum Trotz konjunkturgerecht, was nicht von allen Haushalten der anderen Gebietskörperschaften der Bundesrepublik gesagt werden kann. Schwerpunkte mit überdurchschnittlichen Steigerungsraten liegen auf dem Gebiet des Verkehrs mit 18 %, des Ministeriums für Jugend und Gesundheit mit 20 %, des Wohnungsbaues mit 44 %, der Bildung und Wissenschaft mit etwa 14,2 %.
Wir sollten diese beeindruckenden Anstrengungen nicht über all der Kritik, all den Diskussionen, vergessen. Wir sollten aber auch einmal dem deutschen Steuerzahler Dank dafür sagen, daß er von den Gesamtausgaben in Höhe von 109 Milliarden, DM sage und schreibe 100 Milliarden DM durch Steuern erarbeitet hat. Dieser Steuerzahler ermöglicht es dem Bund, seine Neuverschuldung in diesem Jahr auf 4 Milliarden DM zu begrenzen und die Verschuldungsquote insgesamt auf einem international sehr niedrigen Niveau zu halten.
Nun aber zu den Vorwürfen, die im jetzigen Stadium des Verfahrens sowohl hinsichtlich der Neueinbringung des Haushalts als auch in bezug auf die Schattenhaushalte von seiten der Opposition erhoben worden sind. Nachdem die in der Sache völlig abwegigen Reizworte vom Staatsbankrott, vom Zusammenbruch der Staatsfinanzen beim Wähler wohl doch nicht so gezogen haben, wie vermutet und gehofft worden ist, bleibt es nun Herrn Jenninger vorbehalten, nach dem Motto „Spiel mir das Lied von den Haushaltsgrundsätzen" neue und schwerwiegende Bedenken grundsätzlicher Art zu erheben.
Da ist zum einen der Art. 110 des Grundgesetzes, der gebietet, daß ein Haushalt zeitnah veranschlagt sein soll. Die Opposition hat die Aktualisierung des im November von der Bundesregierung neu eingebrachten Haushalts gefordert. In den wichtigsten Punkten, Herr Dr. Jenninger, ist — das haben Sie in Ihrer Rede gar nicht berücksichtigt — diese Aktualisierung ja gestern im Haushaltsausschuß auf Ihre Anregung und zusammen mit uns vorgenommen worden. Die im Gesamthaushalt aufzufangenden über- und außerplanmäßigen Ausgaben wurden gestern durchaus im Detail eingestellt. Gleichzeitig wurde eine globale Minderausgabe in entsprechender Höhe eingestellt. Außerdem wurden die neuesten Einnahmeschätzungen mit einer Steuermehreinnahme von mindestens 900 Millionen DM eingesetzt. Gleichzeitig wurde die Neuverschuldung des Bundes von 4,9 Milliarden auf 4 Milliarden DM zurückgenommen. Wir haben also durchaus angepaßt, soweit das sinnvoll gewesen ist. 4 Milliarden DM Schuldaufnahme so gesund sind die Finanzen des Bundes, meine Damen und Herren von der Opposition!
Eine Aktualisierung des Haushalts in bezug auf die etwa 6500 Einzelpositionen ist die Entscheidung, die wir gestern im Haushaltsausschuß getroffen haben, natürlich nicht. Aber die Bundesregierung stand im November wie gestern der Haushaltsausschuß — vor der Frage, ob sie kurz vor Ablauf des Rechnungsjahres eine Aktualisierung bis auf die letzte Position betreiben und damit die Verabschiedung des Haushalts erst für das nächste Jahr vorsehen sollte oder ob dafür Sorge getragen werden sollte, daß der Haushalt noch in dieser Weihnachtswoche kurz vor Abschluß des Rechnungsjahres verabschiedet werden kann. Ich glaube, die Entscheidung für eine schnelle Verabschiedung des Etats war richtig. Wer sich — Herr Jenninger, nach drei Jahren Zugehörigkeit im Haushaltsausschuß sind wir alte Hasen — die Aufstellung eines Haushaltsplans vor Augen hält, der im Februar mit den Ressortverhandlungen beginnt, um dann kurz vor der Sommerpause mit der Verabschiedung durch die Bundesregierung — wenigstens im administrativen Teil — zu enden, der weiß, wie schwierig eine Aktualisierung des Haushalts innerhalb von wenigen Wochen ist. Jeder, der die Dinge realistisch betrachtet, weiß, daß eine derartige zeitnahe Überarbeitung nicht möglich sein kann.
Es wird nun Sache des Rechnungshofes und des Rechnungsprüfungsauschusses sein, über die haushaltsmäßige Abwicklung des Jahres 1972 zu wachen und diesem Haus zu berichten.
Nun vielleicht noch einige Worte zum Thema Schattenhaushalt. Diese Schattenhaushalte gibt es nicht. Sie sind ein Gespinst, das von der Opposition — wie so vieles — zur Verwirrung der Gemüter in Marsch gesetzt worden ist. Mit Schattenhaushalten sind Finanzierungsmethoden gemeint, die schon seit Jahren — auch unter einem Finanzminister Franz Josef Strauß — gang und gäbe gewesen sind.
So z. B. die Finanzierung eines Teils des Straßenbaus über die sogenannte Offa, einer privaten Gesellschaft des Bundes, die am Kapitalmarkt Kredite aufnimmt, um damit Mittel für den Straßenbau zu erhalten.
— Krankenhausfinanzierungsgesetz ist ein weiteres Thema.
Diese Kredite erscheinen im Haushalt. Sie werden ausgewiesen einmal bei den einzelnen Straßenbaurnaßnahmen, aber auch bei den Zahlungen für Zins- und Tilgungsleistungen. Hier wird nicht am Haushalt vorbeifinanziert, vielmehr sind alle Einzelheiten im Haushalt selbst ersichtlich. Insofern ist das Wort Schatten- oder Scheinhaushalt völlig verfehlt.
Worüber wir uns im Haushaltsausschuß unterhalten müssen, ist die Frage, inwieweit wir auch für diese Finanzierungsmethoden zum allgemeinen Prinzip der Bruttoveranschlagung übergehen sollten. Unsere Gesprächsbereitschaft wurde in der vorigen Woche vom Kollegen Haehser erklärt. Ich hoffe, wir werden zu einem sachlichen und fairen Ergebnis kommen, sofern sichergestellt ist, daß mit dem Ergebnis eines solchen Gesprächs nicht erneut Miß-
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brauch durch Irreführung der öffentlichen Meinung getrieben wird.
Ich glaube, die Regierung, aber auch der Haushaltsausschuß haben das Beste aus der schwierigen Lage gemacht, in der sich der Haushalt 1972 befunden hat. Meine Fraktion wird dem Haushalt auch in den einzelnen Plänen zustimmen.