Gesamtes Protokol
Die Sitzung ist eröffnet.Vor Eintritt in die Tagesordnung darf ich dem Herrn Abgeordneten Vehar zu seinem 60. Geburtstag gratulieren.
Für den aus der Beratenden Versammlung des Europarates als ordentliches Mitglied ausscheidenden Abgeordneten Dr. h. c. Schmücker schlägt die Fraktion der CDU/CSU den Abgeordneten Blumenfeld vor, der bisher stellvertretendes Mitglied war. Der Abgeordnete Dr. h. c. Schmücker wird als stellvertretendes Mitglied benannt. Ist das Haus mit diesem Vorschlag einverstanden? Ich höre keinen Widerspruch. Damit sind der Abgeordnete Blumenfeld als ordentliches Mitglied und der Abgeordnete Dr. h. c. Schmücker als stellvertretendes Mitglied gewählt.Meine Herren und Damen, es liegt Ihnen eine Vorlage der Bundesregierung vor, die keiner Beschlußfassung bedarf und die nach § 76 Abs. 2 der Geschäftsordnung an die zuständigen Ausschüsse überwiesen werden soll:Vorlage des BundeskanzlersBetr. Investitionsprogramm des Bundes für die Jahre bis1973Bezug: § 50 Abs. 5 des Haushaltsgrundsätzegesetzes vom 19. August 1969— Drucksache VI/1169 —zuständig: Haushaltsausschuß , WirtschaftsausschußErhebt sich gegen die beabsichtigte Überweisung Widerspruch? — Das ist nicht der Fall; es ist so beschlossen.Nach einer interfraktionellen Vereinbarung soll die Tagesordnung um die in der Ihnen vorliegenden Liste bezeichneten Vorlagen ergänzt werden.Das Haus ist damit einverstanden. Die Erweiterung der Tagesordnung ist damit beschlossen.Folgende amtliche Mitteilungen werden ohne Verlesung in den Stenographischen Bericht aufgenommen:Der Bundesminister für Städtebau und Wohnungswesen hat am 24. September 1970 auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Erpenbeck, Dr. Czaja, Mick, Ott, Baier, Geisenhofer und der Fraktion der CDU/CSU betr. Darlehensschulden im öffentlich geförderten Wohnungsbau — Drucksache VI/143 — zu seiner Antwort auf Drucksache VI/216 eine Ergänzung übersandt, die als Drucksache VI/1196 verteilt ist.Der Bundesminister des Innern hat am 25. September 1970 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Dichgans, Frau Tübler, Berger und Genossen betr. Vor-, Aus- und Fortbildung sowie Förderung der Beamten und Angestellten — Drucksache VI/697 — beantwortet. Sein Schreiben ist als Drucksache VI/1203 verteilt.Der Bundesminister der Finanzen hat am 30. September 1970 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Hirsch, Dichgans, Mertes und Genossen betr. Anerkennung des Umweltschutzes als besonders förderungswürdiger und gemeinnütziger Zweck — Drucksache VI/1151 — beantwortet. Sein Schreiben ist als Drucksache VI/1206 verteilt.Der Bundesminister der Finanzen hat am 30. September 1970 die Kleine Anfrage der Fraktion der CDU/CSU betr. Besteuerung von Veräußerungsgewinnen beim Verkauf von landwirtschaftlichen Grundstücken — Drucksache VI 1148 — beantwortet. Sein Schreiben ist als Drucksache VI/1207 verteilt.Der Bundesminister der Finanzen hat am 30. September 1970 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Dr. Pohle, Leicht Dr. Althammer, Ott und Genossen betr. weitere Förderung des privaten Wohnungsbaus — Drucksache VI/1146 — beantwortet. Sein Schreiben ist als Drucksache VI/1208 verteilt.Der Parlamentarische Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft hat am 30. September 1970 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Dr. h. c. Schmücker, Lampersbach, Gewandt, Dr. Müller-Hermann, Berding, Engelsberger und Genossen betr. Förderung mittelständischer Unternehmen — Drucksache VI/1142 — beantwortet. Sein Schreiben ist als Drucksache VI/1210 verteilt.Der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung hat am 30. September 1970 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Zebisch, Höhmann , Dr, Müller (München), Dr. Haack, Fellermaier, Seidel, Marx (München), Schmidt (Kempten) und Genossen betr. Förderung der Umschulung in den Regionalen Aktionsprogrammen — Drucksache VI/976 — beantwortet. Sein Schreiben ist als Drucksache VI/1212 verteilt.Der Bundesminister für innerdeutsche Beziehungen hat am 30. September 1970 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Strauß, Stücklen, Wagner , Niegel und Genossen betr. innerdeutsche Beziehungen — Drucksache VI/1164 — beantwortet. Sein Schreiben ist als Drucksache VI/1217 verteilt.Der Bundesminister für Verkehr hat am 30. September 1970 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Dr. Kreile, Dr. Riedl , Geisenhofer, Dr. Warnke und Genossen betr. Einführung von Grünblinken an Lichtsignalanlagen — Drucksache VI/1163 — beantwortet. Sein Schreiben ist als Drucksache VI/1221 verteilt.Der Bundesminister des Innern hat am 5. Oktober 1970 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Hirsch, Dichgans, Mertes und Genossen betr. elektronische Datenverarbeitung und Schutz der Privatsphäre — Drucksache 1150 — beantwortet, Sein Schreiben ist als Drucksache VI/1223 verteilt.Der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung hat am 5. Oktober 1970 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Pieroth, Dr. Burgbacher, Vogt, Dr. Pinger, Dr, von Bismarck, Frau Griesinger und Genossen betr. Angaben zur Bildung und Verteilung von Einkommen und Vermögen in der Bundesrepublik Deutschland — Drucksache VI/1174 — beantwortet. Sein Schreiben wird als Drucksache VI/1224 verteilt.Der Bundesminister der Finanzen hat am 16. September 1970 unter Bezug auf die Regierungserklärung vom 28. Oktober 1969 einen Bericht über den Stand der Steuerreform übersandt, der als Drucksache VI/1152 verteilt ist.Der Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten und der Ausschuß für Wirtschaft haben mit Schreiben vom 22., 23. und 24. September 1970 mitgeteilt, daß gegen die nachstehenden Verordnungen des Rates keine Bedenken erhoben wurden bzw. sich eine Berichterstattung an das Plenum erübrigt, da die Verordnungsvorschläge zwischenzeitlich verkündet sind:Verordnung des Rates zur Änderung der Verordnung Nr. 950/68 des Rates vom 28. Juni 1968 über den Gemeinsamen Zolltarif— Drucksache VI/693 —
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3780 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 69. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 7. Oktober 1970
Vizepräsident Frau FunckeVerordnung des Rates zur Ergänzung der Verordnung , Nr. 1898/68 zur Festlegung der Maßnahmen betreffend die Grundquoten für Zucker im Falle der Zusammenlegung oder Veräußerung von Unternehmen und im Falle der Veräußerung oder Verpachtung von Fabriken— Drucksache VI/769 —Verordnung des Rates zur Änderung mehrerer Agrarverordnungen in bezug auf die Lizenzen und Abschöpfungen— Drucksache VI/904 —Verordnung des Rates zur Änderung der Verordnung Nr. 204/69 zur Festlegung der allgemeinen Regeln für die Gewährung von Ausfuhrerstattungen und der Kriterien zur Festsetzung des Erstattungsbetrages für bestimmte landwirtschaftliche Erzeugnisse, die in Form von nicht unter Anhang II des Vertrages fallenden Waren ausgeführt werden— Drucksache VI/921 —Verordnung des Rates zur Änderung der Verordnung Nr. 886/68 zur Festsetzung des Richtpreises für Milch sowie der Interventionspreise für Butter, Magermilchpulver, Grana padano und Parmigiano-Reggiano für das Milchwirtschaftsjahr 1968/1969— Drucksache VI/690 —Verordnung des Rates zur Änderung der Verordnung Nr. 1230/69 über die Anwendung von Ausgleichsbeträgen beim Handel mit bestimmten, unter die Verordnung (EWG) Nr. 1059 fallenden Waren— Drucksache VI/814 —Verordnung des Rates zur Festlegung der Grundregeln für die Gewährung der Erstattungen bei der Ausfuhr von Wein und der Kriterien für die Festsetzung des ErstattungsbetragesVerordnung des Rates betreffend den Zusatz von Alkohol zu den zum Weinsektor gehörenden Erzeugnissen mit Ursprung in der GemeinschaftVerordnung des Rates über die Regeln zur Einrichtung einer Klassifizierung der Rebsorten— Drucksache VI/817 —Verordnung des Rates zur Änderung der Verordnung Nr. 1975/69 des Rates vom 6. Oktober 1969 zur Einführung einer Prämienregelung für die Schlachtung von Kühen und die Nichtvermarktung von Milch und Milcherzeugnissen— Drucksache VI/1042 —Verordnung des Rates zur Festlegung allgemeiner Vorschriften für die Lieferung von Butter und Magermilchpulver an Peru, Rumänien und die Türkei— Drucksache VI/1046 —Verordnung des Rates zur Ausdehnung des Anhangs der Verordnung Nr. 109/70 des Rates vom 19. Dezember 1969 zur Festlegung einer gemeinsamen Regelung für die Einfuhr aus Staatshandelsländern auf weitere Einfuhren (1. Erweiterung)— Drucksache VI/755 —Richtlinie des Rates zur Änderung der Richtlinie des Rates vom 9. April 1968 über den Verkehr mit vegetativem Vermehrungsgut von Reben— Drucksache VI/1104 —Verordnung Nr. 1214/70 des Rates vom 29. Juni 1970 zur Festsetzung des Interventionspreises für Rohreis, der Schwellenpreise für geschälten Reis und Bruchreis und des in den Schwellenpreis für vollständig geschliffenen Reis einzubeziehenden Schutzbetrags für das Wirtschaftsjahr 1970/1971Verordnung Nr. 1215/70 des Rates vom 29. Juni 1970 zur Festsetzung einer Übergangsvergütung für die am Ende des Wirtschaftsjahres 1969/1970 vorhandenen Bestände an RohreisVerordnung Nr. 1216/70 des Rates vom 29. Juni 1970 zur Festsetzung der monatlichen Zuschläge zu den Preisen für Reis für das Wirtschaftsjahr 1970/1971Verordnung Nr. 1225/70 des Rates vom 29. Juni 1970 über die Grundregeln zum Ausgleich der Auswirkungen der Berichtigungsbeträge, die auf die Interventionspreise gewisser Milcherzeugnisse angewandt werdenVerordnung Nr. 1226/70 des Rates vom 29. Juni 1970, mit der Belgien zur Gewährung von Beihilfen für die Herstellung von Vollmilchpulver ermächtigt wirdVerordnung Nr. 1227/70 des Rates vom 29. Juni 1970 zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 986/68 zur Festlegung der Grundregeln für die Gewährung von Beihilfen für Magermilch und Magermilchpulver für FutterzweckeVerordnung Nr. 1209/70 des Rates vom 29. Juni 1970 zur Festsetzung des Schwellenpreises für Getreide für das Wirtschaftsjahr 1970/1971Verordnung Nr. 1210170 des Rates vom 29. Juni 1970 zur Festlegung der wesentlichsten Handelsplätze für Getreide und der für diese Handelsplätze geltenden abgeleiteten Interventionspreise sowie des Interventionspreises für Mais für das Wirtschaftsjahr 1970/1971Verordnung Nr. 1211/70 des Rates vom 29. Juni 1970 zur Festsetzung der monatlichen Zuschläge der Preise für Getreide und Mehl, Grütze und Grieß von Weizen oder Roggen für das Wirtschaftsjahr 1970/1971Verordnung Nr. 1212/70 des Rates vom 29. Juni 197(1 zur Festsetzung der Beihilfe für die Erzeugung von Hartweizen für das Wirtschaftsjahr 1970/1971Verordnung Nr. 1374/70 des Rates vom 13. Juli 1970 zur Festsetzung des Grundpreises und des Ankaufspreises für BirnenVerordnung Nr. 1375/70 des Rates vom 13. Juli 1970 über Sondermaßnahmen für das Brennen von Pfirsichen, die Gegenstand von Interventionsmaßnahmen warenVerordnung Nr. 1387/70 des Rates vom 13. Juli 1970 zur Abgrenzung der Weinbauzonen der GemeinschaftVerordnung Nr. 1398/70 des Rates vom 13. Juli 1970 zur Festsetzung des Grundpreises und des Ankaufspreises für ApfelVerordnung Nr. 1432/70 des Rates vom 20. Juli 1970 über die Anpassung der von Frankreich zu zahlenden, infolge der Abwertung des französischen Franken herabgesetzten Interventions- oder AnkaufspreiseVerordnung Nr. 1462/70 des Rates vom 23. Juli 1970 zur Festlegung der Grundregeln für die Gewährung einer Beihilfe für Flachs und Hanf für das Wirtschaftsjahr 1970/71Der Präsident des Bundestages hat entsprechend dem Beschluß des Bundestages vom 25. Juni 1959 die nachstehenden Vorlagen überwiesen:EWG-VorlagenVerordnung des Rates zur Verlängerung der Geltungsdauer der Artikel 1 bis 4 der Verordnung Nr. 290/69 zur Festlegung der Kriterien für die Bereitstellung von Getreide für die Nahrungsmittelhilfe— Drucksache VI/1171 —überwiesen an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im RatRichtlinie des Rates zur Erfassung der Straßengütertransporte zwischen Mitgliedstaaten im Rahmen bilateraler und multilateraler KontingenteRichtlinie des Rates zur Erfassung der innerstaatlichen Straßengütertransporte im Rahmen einer regional gegliederten Transportstatistik— Drucksache VI/1172 —überwiesen an den Ausschuß für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im RatRichtlinie des Rates zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten für Speiseeis— Drucksache VI/1181 —überwiesen an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten und an den Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im RatVerordnung des Rates zur Änderung der Verordnung Nr. 1467 vom 23. Juli 1969 über die Einfuhr von Zitrusfrüchten mit Ursprung in MarokkoVerordnung des Rates zur Änderung der Verordnung Nr. 1472 vom 23. Juli 1969 über die Einfuhr von Zitrusfrüchten mit Ursprung in Tunesien— Drucksache VI/1182 —überwiesen an den Ausschuß für Wirtschaft mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im RatVerordnung des Rates zur Änderung der Artikel 35 und 48 der Verordnung Nr. 542/69 über das gemeinschaftliche Versandverfahren— Drucksache VI/1183 —überwiesen an den Ausschuß für Wirtschaft mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im RatVerordnung des Rates über eine erneute Verlängerung der in Artikel 20 Absatz 1 der Verordnung Nr. 17/64/ EWG über die Bedingungen für die Beteiligung des EAGFL vorgesehenen Frist für das Jahr 1969Verordnung des Rates über die Beteiligung des EAGFL, Abteilung Ausrichtung, für das Jahr 1971— Drucksache VI/1184 —überwiesen an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im RatVerordnung des Rates zur Einführung einer Prämienregelung für die Abschaffung von Kühen und die Nichtvermarktung von Milch und Milcherzeugnissen— Drucksache VI/1185 —überwiesen an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten und an den Haushaltsausschuß mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im RatVerordnung des Rates über die Eröffnung, Aufteilung und Verwaltung des Gemeinschaftszollkontingents für Baumwollgarne, nicht in Aufmachungen für den Einzelverkauf, der Tarifnr. 55.05 des Gemeinsamen Zolltarifs mit Ursprung in Malta
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Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 69. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 7. Oktober 1970 3781
Vizepräsident Frau FunckeVerordnung des Rates über die Eröffnung, Aufteilung und Verwaltung des Gemeinschaftszollkontingents für bestimmte synthetische und künstliche Spinnfasern der Tarifnr. 56.04 des Gemeinsamen Zolltarifs mit Ursprung in MaltaVerordnung des Rates über die Eröffnung, Aufteilung und Verwaltung des Gemeinschaftszollkontingents für bestimmte Oberbekleidung der Tarifnr. 60.05 des Gemeinsamen Zolltarifs mit Ursprung in MaltaVerordnung des Rates über die Eröffnung, Aufteilung und Verwaltung des Gemeinschaftszollkontingents für Oberbekleidung für Männer und Knaben der Tarifnr. 61.01 des Gemeinsamen Zolltarifs mit Ursprung in Malta— Drucksache VI/1195 —überwiesen an den Ausschuß für Wirtschaft mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im RatVerordnung des Rates über Sondermaßnahmen für das Brennen von Birnen, die Gegenstand von Interventionsmaßnahmen warenVerordnung des Rates über Sondermaßnahmen für den Auftrag zur Verarbeitung von Tomaten und Birnen, die Gegenstand von Interventionsmaßnahmen waren— Drucksache VI/1200 —überwiesen an den Finanzausschuß und an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im RatVerordnung des Rates über die teilweise Aussetzung des autonomen Zollsatzes des Gemeinsamen Zolltarifs für Pampelmusen und Grapefruits
— Drucksache VI/1202 —überwiesen an den Ausschuß für Wirtschaft mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im RatRichtlinie des Rates über die Verlängerung der in Artikel 19 der Richtlinie des Rates vom 6. Oktober 1969 zur Änderung der Richtlinie vom 26. Juni 1964 zur Regelung gesundheitlicher Fragen beim innergemeinschaftlichen Handelsverkehr mit frischem Fleisch vorgesehenen Frist— Drucksache VI/1201 —überwiesen an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten und an den Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im RatWir kommen zu Punkt 1 der Tagesordnung: Fragestunde— Drucksache VI/1218 —Wir beginnen mit dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Städtebau und Wohnungswesen. Die Frage 1 des Herrn Abgeordneten Dr. Schulze-Vorberg ist nicht zugelassen worden.Die Fragen 2 und 3 des Herrn Abgeordneten Dr. Ahrens aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Bildung und Wissenschaft werden vom Herrn Bundesminister des Innern beantwortet.Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministers der Finanzen. Zur Beantwortung der Fragen ist Herr Staatssekretär Dr. Reischl anwesend. Die Frage 8 der Abgeordneten Frau Funcke wird schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.Frage 9 des Herrn Abgeordneten Cramer:Ist die Bundesregierung bereit, anzuordnen, daß den Lohnsteuerpflichtigen ab 1971 bei der Steuerjahresausgleichszahlung statt der bisher üblichen Zahlungsanweisung eine detaillierte Abrechnung zugestellt wird?Ist der Herr Abgeordnete Cramer im Saal? -Bitte schön, Herr Staatssekretär!
Bescheide zu Anträgen auf Lohnsteuerjahresausgleich sind bisher schon in allen Fällen erteilt worden, in denen dem
Antrag nicht oder nicht in allen Punkten gefolgt wurde. In einzelnen Ländern wurden Bescheide gegebenenfalls auf Verlangen des Arbeitnehmers auch dann erteilt, wenn dem Antrag in vollem Umfang entsprochen worden ist. Von den insgesamt rund 14 Millionen Anträgen auf Lohnsteuerjahresausgleich ergehen bisher schon in rund 4,8 Millionen Fällen förmliche Bescheide.
Die Bundesregierung stimmt mit den Länderregierungen darin überein, daß angestrebt werden muß, ausnahmslos jedem Arbeitnehmer einen Bescheid zukommen zu lassen. In den meisten Ländern wird dieses Ziel beim Lohnsteuerjahresausgleich 1970 erreicht werden. In einzelnen Ländern sind die personellen und technischen Voraussetzungen zur Zeit noch nicht gegeben. Aber auch diese Länder sind bemüht, die allgemeine Bescheiderteilung zum frühestmöglichen Zeitpunkt einzuführen.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Cramer.
Herr Staatssekretär, können Sie mir sagen, ob auch im Land Niedersachsen vom nächsten Jahr an allgemein solche Abrechnungen zugestellt werden?
Ja. Nach meinen Aufzeichnungen, die auf den Feststellungen bei den einzelnen Landesregierungen beruhen, ist für das Land Niedersachsen erstmals die Bescheiderteilung für den Lohnsteuerjahresausgleich 1970, also für den auf dieses Jahr folgenden, vorgesehen.
Keine weitere Zusatzfrage.
Wir kommen zur Frage 10 des Herrn Abgeordneten Picard:
Da seit mehreren Jahren von vielen Sachverständigen, zuletzt auch von der Mineralölwirtschaft, darauf hingewiesen wird, daß der Hubraum als Bemessungsgrundlage für die Kraftfahrzeugsteuer die Entwicklung größerer und ruhiger laufender Motoren, die mit bleifreien Kraftstoffen betrieben werden könnten, erschwert oder gar verhindert, frage ich die Bundesregierung, wann sie ernsthaft an eine Reform der Kraftfahrzeugsteuer heranzugehen gedenkt.
Ist der Herr Abgeordnete im Saal? — Das ist der Fall. Bitte schön, Herr Staatssekretär!
Wie bereits im Bericht über den Stand der Steuerreform — Bundestagsdrucksache VI/1152 — ausgeführt, ist im Rahmen der Steuerreform auch die Reform der Kraftfahrzeugsteuer in Angriff genommen worden. Dabei wird selbstverständlich das Problem überprüft, ob der Hubraum als Besteuerungsgrundlage beibehalten werden soll oder nicht. Über die mögliche Konzeption einer künftigen Kraftfahrzeugbesteuerung kann jedoch zur Zeit noch keine Aussage gemacht werden, weil, wie die Bundesregierung schon mehrfach erklärt hat, den Vorschlägen der unabhängigen Steuerreformkommission, die sich ebenfalls mit diesen Fragen beschäftigt, nicht vorgegriffen werden soll.
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3782 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 69. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 7. Oktober 1970
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Picard.
Herr Staatssekretär, in Anbetracht der Tatsache, daß man in Kommissionen sehr leicht in die Gefahr gerät, Probleme vor sich herzuschieben, und in Anbetracht der Tatsache, daß das Problem einer Reform der Kraftfahrzeugsteuer, soweit es die Hubraumbesteuerung angeht, nicht nur seit Jahren diskutiert wird, sondern daß auch praktische, positive Erfahrungen vorliegen, frage ich Sie: Halten Sie das Verfahren nicht für zu langatmig, von dem die Bundesregierung schon mehrmals gesprochen hat?
Herr Kollege, es geht hier um das Grundproblem, daß der Gesamtbericht der Steuerreformkommission abgewartet werden soll. Dieser ist uns für Ende dieses Jahres, also in drei Monaten, fest zugesagt. Dann liegt es bei der Regierung, welches Problem aus dem gesamten Steuerreformpaket sie nach vorn zieht. An sich ist die Kraftfahrzeugsteuer nicht in diesem ersten Gesetz vorgesehen; aber dann ist der Weg frei, zumal da das mit einigen anderen Dingen zusammenhängt, z. B. mit der Mineralölsteuer.
Eine weitere Zusatzfrage des Abgeordneten Picard.
Herr Staatssekretär, sehen Sie nicht die Notwendigkeit, die Reform der Kraftfahrzeugsteuer vorzuziehen, da sie doch von einer erheblichen Bedeutung in Anbetracht der Probleme der Luftreinhaltung ist?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege, ich teile Ihre Meinung, daß das Problem vordringlich ist. Aber wir haben nun einmal der Kommission zugesagt, daß wir den Bericht abwarten. Da es jetzt nur um drei Monate geht, würde ich meinen, nach so langer Zeit könnte man die drei Monate wenigstens noch abwarten.
Keine weitere Zusatzfrage.
Ich rufe die Frage 11 des Abgeordneten Picard auf:
Soll bei einer evtl. beabsichtigten Reform der Kraftfahrzeugsteuer auch das Erhebungsverfahren dieser Steuer vereinfacht werden, und an welche Methoden der Vereinfachung ist hier gegebenenfalls gedacht?
Im Bericht über den Stand der Steuerreform ist bereits erklärt worden, daß die Vereinfachung des Erhebungsverfahrens bei der Kraftfahrzeugsteuer ein vordringliches Anliegen der Reform ist. Zu der Frage, welche Möglichkeiten einer Vereinfachung sich bieten, kann ich noch nicht Stellung nehmen, weil auch hierzu erst die Vorschläge der Steuerreformkommission abzuwarten sind.
Keine weitere Zusatzfrage.
Ich rufe die Frage 12 des Herrn Abgeordneten von Bockelberg auf:
Ist der Bundesregierung bekannt, daß die Anwendung der derzeitigen Fassung des Abschnitts 20 a EStR zu erheblichen Schwierigkeiten bei der Berechnung, die in keinem Verhältnis zum Arbeitsaufwand steht, und zu einem steten Zankapfel zwischen Finanzämtern und Steuerpflichtigen führt ?
Ich bitte, die beiden Fragen im Zusammenhang behandeln zu dürfen.
Einverstanden. —Dann rufe ich auch die Frage 13 des Herrn Abgeordneten von Bockelberg auf:
Könnten die erforderlichen Schätzungen der Anteile, die auf nichtabzugsfähige Aufwendungen für Fahrten zwischen Wohnung und Betrieb entfallen, künftig auf Antrag im Rahmen des Abschnitts 118 EStR durch einen Zuschlag zum nach Abschnitt 118 Abs. 2 Satz 3 EStR zu ermittelnden Betrag durchgeführt werden?
Bitte schön!
Zu Frage 12. Durch die Vereinfachungsregelungen des Abschnitts 20 a Abs. 2 der Einkommensteuerrichtlinien ist den Bedürfnissen der Praxis Rechnung getragen worden. Schwierigkeiten sind bisher nicht bekanntgeworden.
Zu Frage 13. Die Frage ist mit Nein zu beantworten. Eine Erhöhung der Pauschsätze des Abschnitts 118 Abs. 2 der Einkommensteuerrichtlinien zur Berücksichtigung der nicht abzugsfähigen Kosten für Fahrten zwischen Wohnung und Betrieb würde nicht berücksichtigen, daß die Entfernung zwischen Wohnung und Betrieb bei den einzelnen Steuerpflichtigen unterschiedlich ist, und somit zu Ergebnissen führen, die mit dem Grundsatz einer gerechten und gleichmäßigen Besteuerung unvereinbar sind.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten von Bockelberg.
Ist der Bundesregierung bekannt, daß jede Pauschalregelung nicht die individuelle, sondern die typische Betrachtungsweise voraussetzt, und ist es unter diesen Umständen nicht möglich, auch im Rahmen des Abschnitts 118 eine Alternativregelung zu schaffen?
Herr Kollege, es ist klar, daß alle Pauschalregelungen ein gewisses Maß an Ungerechtigkeit im Rahmen der Steuergerechtigkeit enthalten müssen. Aber es ist gerade bei dieser Frage, bei der der Unterschied in den Entfernungen eigentlich ziemlich klar ersichtlich ist, schwerer, von dem Grundsatz der Steuergerechtigkeit abzuweichen. Trotzdem werde ich das gern noch einmal prüfen und Ihnen schriftlich darüber Bescheid geben.
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Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 69. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 7. Oktober 1970 3783
Eine weitere Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten von Bockelberg.
Herr Dr. Reischl, ist dem Bundesfinanzministerium durch die Betriebsprüfungsstellen gemeldet worden, daß hier immer wieder Zankäpfel bei den Schlußbesprechungen entstehen?
Nein, davon ist mir nichts bekannt; aber ich werde es gern feststellen.
Keine weitere Zusatzfrage.
Ich rufe die Frage 14 des Herrn Abgeordneten Leicht auf:
In welchem Umfang haben in den Monaten August und September dieses Jahres Dienststellen des Bundes oder Dienststellen, die im Auftrage des Bundes tätig sind, fällige Rechnungen aus Mangel an Zahlungsmitteln nicht alsbald nach Fälligkeit beglichen?
Dem Bundesfinanzministerium ist bei fernmündlichen Rückfragen bei den Ressorts lediglich aus dem Bereich der Straßenbau- und Wasserstraßenverwaltung mitgeteilt worden, daß sich Ende September für wenige Tage ein Überhang fälliger Rechnungen in Höhe von rund 44 Millionen DM ergeben hat. Dieser Überhang ist bereits in den ersten Oktobertagen durch Begleichung der Rechnungen abgebaut worden. Verzugszinsen wurden nicht erhoben. Eine umfassende Erhebung bei den rund 6000 Dienststellen, die Haushaltsmittel des Bundes bewirtschaften, mußte schon aus Zeitgründen und wegen des damit verbundenen Verwaltungsaufwandes unterbleiben.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Leicht.
Herr Dr. Reischl, glauben Sie nicht, daß diese Engpässe durch die vielleicht zu große Beschränkung der gerühmten Betriebsmittelzuweisungen eingetreten sind?
Herr Kollege, ich möchte das nicht annehmen. Denn die Betriebsmittelbeschränkungen — ich habe sie ja selber gerade während der Ferienzeit zu handhaben gehabt — waren so gestaltet, daß wir sofort, wenn die Anforderung kam: „Es liegen fällige Rechnungen vor", den angeforderten Betrag freigegeben haben. Das ging oft telefonisch und mit sofortiger Zuweisung. Daß es in Einzelfällen, wenn der Weg hinaus recht lang ist, einmal vorkommen kann, daß das Geld draußen bei der Stelle zu spät ankommt, möchte ich allerdings nicht ausschließen.
Eine weitere Zusatzfrage.
Aber es ist doch richtig, daß nur durch eine Aufnahme von Buchkrediten Ende Juli und August in der Größenordnung von einmal über 1 Milliarde und einmal über 700 Millionen DM die Zahlungsfähigkeit des Bundes aufrechterhalten werden konnte und damit gleichzeitig die Wirkung der Konjunkturausgleichsrücklage aufgehoben wurde?
Herr Kollege, das kann ich ohne eine nochmalige Nachprüfung nicht beantworten.
Eine Zusatzfrage? — Bitte sehr, Herr Kollege.
Mursch (CDU/CSU) : Herr Staatssekretär, haben sich Ihre Nachforschungen auch auf das Gebiet des Straßenbaus erstreckt?
Im Prinzip ja. Wir haben bei sämtlichen Ministerien nachgeforscht, weil das ja unsere Ansprechpartner sind. Wieweit diese nun wieder bei den ihnen unterstellten Behörden nachgeforscht haben, kann ich nicht sagen. Aber ich muß auch zu bedenken geben, daß es in der kurzen Zeit kaum möglich ist, bei 6000 Dienststellen nachzuforschen.
Eine weitere Zusatzfrage.
Mursch (CDU/CSU) : Haben Sie eine Antwort auf Ihre Frage vom Bundesminister für Verkehr erhalten?
Ja.
Mursch (CDU/CSU) : Können Sie mir diese bekanntgeben?
Ja, ich habe sie nicht hier, aber das ist die telefonische Mitteilung, daß die 44 Millionen DM eben überfällig waren.
Keine weitere Zusatzfrage.Ich rufe die Frage 15 des Herrn Abgeordneten Leicht auf:Was gedenkt die Bundesregierung zu unternehmen, um künftig die fristgerechte Bezahlung fälliger Rechnungen sicherzustellen und damit der Forderung von Verzugszinsen und der Androhung der Einstellung von Bauvorhaben entgegenzuwirken sowie die Auswirkungen der mangelnden Zahlungsfähigkeit des Bundes vor allem auf mittelständische Unternehmen zu mildern, die auf pünktlichen Geldeingang angewiesen sind, um die Gehälter und Löhne rechtzeitig bezahlen zu können?Bitte, Herr Staatssekretär!
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3784 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 69. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 7. Oktober 1970
Die seit April vorgenommenen Kürzungen der monatlichen Betriebsmittelanforderungen sind Teil der konjunkturgerechten Haushaltsführung, die auch der Deutsche Bundestag in seiner Entschließung vom 18. Juni 1970 gefordert und der der Bundesfinanzminister in dem Rundschreiben zur Haushalts- und Wirtschaftsführung 1970 Rechnung getragen hat.
Die bewirtschaftenden Stellen, die monatliche Betriebsmittelzuweisungen erhalten, sind angewiesen, aus den zur Verfügung gestellten Betriebsmitteln die fälligen Zahlungsverpflichtungen vorab zu erfüllen. Soweit die Betriebsmittel zur Begleichung fälliger Rechnungen nicht ausreichen, wurden den Dienststellen auf Anforderung schon bisher zusätzliche Mittel zur Verfügung gestellt.
Bei dieser Handhabung wird es auch künftig verbleiben. Es besteht deshalb kein Anlaß, besondere Maßnahmen anzuordnen, um die fristgerechte Bezahlung fälliger Rechnungen sicherzustellen. Die geltenden Bestimmungen des Haushaltsrechts und die angeordneten Maßnahmen der Haushaltsführung stellen die fristgerechte Erfüllung von Zahlungsverpflichtungen des Bundes sicher.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Leicht.
Würden Sie so freundlich sein, Herr Dr. Reischl, auch nachprüfen zu lassen, ob die Mißstände in der Zahlungsweise des Bundes, die überall — das ist gar nicht als Vorwurf gedacht — festzustellen sind, insbesondere bei mittelständischen Unternehmungen und im Bausektor, behoben und die Zahlungen in Zukunft etwas schneller abgewickelt werden können.
Ich werde gern eine Nachprüfung einleiten.
Keine weitere Zusatzfrage.
Ich rufe Frage 16 des Abgeordneten Krockert auf:
Hält die Bundesregierung die geltenden Vorschriften der Verdingungsordnung für Bauleistungen, insbesondere die Gewährleistungsfrist von nur zwei Jahren, angesichts der in der Öffentlichkeit diskutierten Häufigkeit von Bauschäden für noch ausreichend?
Bitte, Herr Staatssekretär!
Nach der Verdingungsordnung für Bauleistungen — VOB/B § 13 Nr. 4 — ist die Vereinbarung anderer Verjährungsfristen für die Gewährleistung als der zweijährigen Verjährungsfrist zulässig. Hiervon wird auch Gebrauch gemacht, wenn dies durch die Eigenart der Bauleistung begründet ist. In solchen Fällen sind alle Umstände abzuwägen, insbesondere wenn etwaige Mängel wahrscheinlich erkennbar werden und wieweit die Mängelursachen noch nachgewiesen werden können. So können längere Verjährungsfristen als zwei Jahre beispielsweise bei der Verwendung von neuen Bauelementen und -konstruktionen in Betracht kommen, über deren Eignung noch keine ausreichenden Erfahrungen vorliegen. Unter Umständen kann es in solchen Fällen sogar richtig sein, über die gesetzliche Gewährleistungsfrist von fünf Jahren hinauszugehen.
Die Bestimmungen der VOB reichen also aus, um den Bauherrn vor den Folgewirkungen mangelhafter Bauausführung zu schützen.
Keine Zusatzfrage.
Ich rufe die Frage 17 des Abgeordneten Krockert auf:
Sieht die Bundesregierung eine Möglichkeit, in der Verdingungsordnung für Bauleistungen, notfalls im Rahmen anderer einschlägiger Vorschriften, Qualifikationsanforderungen für Planverfasser niederzulegen, um die Urteilsfähigkeit über das Baumaterialienangebot und über mögliche Schadensursachen zu fördern sowie unzuverlässige Planverfasser auszuschließen?
Soweit die öffentlichen Auftraggeber nicht über eigene Fachkräfte verfügen und Freischaffende, also Architekten und Ingenieure, beauftragen, ist ihnen in aller Regel der qualifizierte Personenkreis bekannt. Im übrigen wirken bei der Auswahl von Architekten und Ingenieuren unter Umständen mehrere Fachinstanzen mit. Infolgedessen können im öffentlichen Bereich Bauschäden auf Grund von Planungsfehlern weitgehend vermieden werden.
Größere Schwierigkeiten können allerdings im privaten Sektor auftreten, soweit die Erstellung von Bauten nicht als Unternehmenszweck — beispielsweise Wohnungsbaugesellschaft — betrieben wird und Erfahrungen in der Auswahl von Architekten und Ingenieuren nicht vorliegen.
Die Verankerung von Qualifikationsanforderungen für Architekten und Ingenieure in der VOB ist nicht möglich. Die Verdingungsordnung für Bauleistungen regelt nämlich nur das Verfahren für die Ausschreibung und Vergabe von Bauleistungen und legt darüber hinaus im großen Umfang allgemeine Vertragsbedingungen fest. Vertragspartner des Bauherrn, d. h. des Auftraggebers, sind also Unternehmen, die Bauleistungen ausführen. Regelungen für freischaffende Berufe, die im Auftrag des Bauherrn tätig werden, haben somit in der VOB keinen Platz. Die Beziehungen zu den Architekten und Ingenieuren sind vielmehr in gesonderten Verträgen außerhalb der VOB zu regeln. Damit muß die Auswahl des Architekten oder des Ingenieurs dem Urteilsvermögen des Bauherrn überlassen bleiben.
Keine Zusatzfrage.Damit sind die Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers der Finanzen beantwortet. Ich danke dem Herrn Parlamentarischen Staatssekretär Dr. Reischl.
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Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 69. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 7. Oktober 1970 3785
Vizepräsident Frau Funcke
Sind der Bundesregierung die zahlreichen aasländischen und internationalen Berichte — z. B. der Bericht des Generalsekretärs der UN bezüglich der Umweltkonferenz und der Bericht des US- Innenministers an Präsident Kennedy — bekannt, wonach eine Reihe deutscher Maßnahmen für den Schutz der Natur und der Landschaft und anderer Umweltbereiche als vorbildlich bezeichnet werden?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Präsidentin, ich bitte, die beiden Fragen 27 und 28 auf Grund des inneren Sachzusammenhanges gemeinsam beantworten zu dürfen.
Sind Sie damit einverstanden, Herr Dr. Schmidt? Gut, dann rufe ich auch noch die Frage 28 auf:
Teilt die Bundesregierung — trotz der Tatsache, daß noch vieles geschehen muß — die Auffassung des Bundesbeauftragten Prof. Grzimek, wonach der „ungeheuere Rückstand" der Bundesrepublik Deutschland auf diesen Gebieten gegenüber den USA und vielen europäischen Nachbarstaaten „peinlich" sei?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Der Bundesregierung sind zahlreiche ausländische und internationale Berichte, insbesondere auch der Bericht des Generalsekretärs der UN über die Probleme der menschlichen Umwelt für die Umweltkonferenz 1972 in Stockholm und der Sonderbericht des amerikanischen Innenministers an den Präsidenten der Vereinigten Staaten über die amerikanische Mission zum Studium von Umweltproblemen in Deutschland vom 3. bis 10. März 1966 bekannt. Die Mission des amerikanischen Innenministers diente insbesondere der Suche von Lösungsmöglichkeiten für die anstehenden Probleme. Insofern enthält der Bericht eine Reihe von Maßnahmen — in der Regel Beispielmaßnahmen auch für den Bereich der Bundesrepublik —, die zur Lösung aktueller Probleme geeignet sind.
Die Auffassung des Beauftragten der Bundesregierung für Angelegenheiten des Naturschutzes, Professor Grzimek, daß ihm der Rückstand der Bundesrepublik gegenüber den USA und vielen anderen europäischen Nachbarstaaten peinlich sei, bezieht sich nach seinen gegenüber der Presse gegebenen Erläuterungen auf die Einfuhr, Ausfuhr und den Transit von freilobenden Tieren und den Handel mit Fellen gefährdeter Tierarten sowie auf die Rechtszersplitterung auf dem Gebiet des Naturschutzes.
Eine Kritik an den derzeitigen Regelungen auf dem Gebiet des Naturschutzes ist nicht unberechtigt. Es sind auf diesem Gebiet in der Vergangenheit zwar bedeutungsvolle Ansätze zu verzeichnen gewesen, es ist jedoch nicht zu verkennen, daß nunmehr neue Regelungen erforderlich sind. Insbesondere ist die Rechtszersplitterung unbefriedigend.
Die Bundesregierung hat deshalb den Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes vorgelegt, nach dem unter anderem Naturschutz und
Landschaftspflege in die konkurrierende Gesetzgebungskompetenz des Bundes überführt werden sollen. Damit soll sichergestellt werden, daß die Rechtszersplitterung auf dem Gebiet des Naturschutzes beseitigt werden kann. Die Bundesregierung hat im übrigen im Rahmen des jetzt verabschiedeten Umweltschutzprogramms notwendige Sofortmaßnahmen auf dem Gebiet des Naturschutzes beschlossen.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Schmidt .
Herr Staatssekretär, sind Sie wirklich der Auffassung, daß es an Maßnahmen gefehlt hat, der Rechtszersplitterung, die gewisse nachteilige Folgen gehabt hat, entgegenzuwirken, oder ist es nicht vielmehr so, daß im Rahmen der Mittel, die zur Verfügung standen, das Mögliche geschehen ist und selbstverständlich bei Inanspruchnahme größerer Mittel darüber hinaus mehr geschehen kann, auch auf seiten der Länder?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das ist nicht zu bestreiten, Herr Abgeordneter.
Sind Sie nicht mit mir der Auffassung, daß es große, bedeutende Maßnahmen des Naturschutzes gibt, angefangen vom Siebengebirge, von den Autobahnen über die Rekultivierungsmaßnahmen in Bergbaugebieten bis zur Biggetalsperre oder was auch immer, daß es eine Fülle großartiger, genialer Beispiele moderner Landschaftsgestaltung gibt, in die ungeheure Mittel hineingesteckt worden sind, so daß der Herr Bundesbeauftragte drüben in Amerika sehr wohl Grund gehabt hätte, eine positive Darstellung der Probleme zu geben.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Präsidentin, ich weiß nicht, ob das als eine Frage aufzufassen ist.
Nehmen Sie es als eine Feststellung! Ich kann Sie nicht daran hindern.
Ich bedanke mich, die Feststellung genügt mir.
Ich rufe die Frage 29 des Abgeordneten Gallus auf:
Welche Maßnahmen hat die Bundesregierung ergriffen, die Forschung in die Lage zu versetzen, durch Neuzüchtung von nikotinarmen bzw. nikotinfreien Tabaksorten mit geringeren teerhaltigen Rückständen zur Beseitigung der gesundheitsschädlichen Nebenwirkungen des Rauchens beizutragen?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die Bundesregierung hat bis zum 31. Dezember 1969 eine besondere Bundesanstalt für Tabakforschung
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3786 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 69. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 7. Oktober 1970
Staatssekretär Dr. Griesauunterhalten. Ein Schwerpunkt der Arbeiten dieser Anstalt befaßte sich mit der Nikotinvererbung und auch mit Fragen der Tabakrückstände. Die Bundesanstalt betätigte sich auch züchterisch, wobei die wissenschaftlichen Erfahrungen berücksichtigt wurden.Mit Rücksicht auf den rückläufigen Anbau und dessen Konzentration vor allem auf die Länder Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz wurde die Bundesanstalt am 1. Januar 1970 dem Land Baden-Württemberg übergeben. Sie wird als Landesanstalt fortgeführt. Ich bin dahin gehend unterrichtet, daß bei den wissenschaftlichen Arbeiten dieser Landesanstalt, die finanziell auch vom Land Rheinland-Pfalz unterstützt wird, weitere Schwerpunkte der wissenschaftlichen Arbeit die Nikotinvererbung und die Rückstandsfrage sein werden.
Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Gallus.
Herr Staatssekretär, ist das Landwirtschaftsministerium, falls diese Forschungen nun zu konkreten Ergebnissen führen, bereit, den Anbau nikotinfreier Tabaksorten finanziell zu unterstützen?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Diese Möglichkeit müßte zum gegebenen Zeitpunkt geprüft werden.
Die Frage 30 des Herrn Abgeordneten Schmidt wird schriftlich beantwortet, da der Fragesteller nicht im Saal ist. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
— Hier werden nicht Bewertungen über Fragen abwesender Kollegen vorgenommen, meine Herren. Die Frage ist mit der schriftlichen Antwort erledigt.
Ich rufe die Frage 31 des Abgeordneten Dr. Früh auf:
Ist die Bundesregierung im Rahmen des Verwaltungsausschußverfahrens an der beträchtlichen Herabsetzung der Ausfuhrerstattung für Getreide, die seit August in Kraft getreten ist, beteiligt gewesen?
Das Wort hat der Herr Staatssekretär Dr. Griesau.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter Früh, zu Frage 31 schlicht und einfach die Antwort: Ja.
Eine Zusatzfrage wird nicht gestellt.
Wir kommen dann zu Frage 32 des Abgeordneten Dr. Früh:
Ist die Bundesregierung den Bestrebungen auf Herabsetzung der Erstattung entgegengetreten, die auf Grund des im Frühjahr 1971 zu erwartenden Drucks französischer Ware auf den deutschen Markt eine Gefährdung des derzeitigen Marktpreises befürchten lassen?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die Bundesregierung ist den Bestrebungen auf Herabsetzung der Erstattung im August 1970 nicht entgegengestreten. Die Begründung hierfür ist folgende:
Die Erstattung soll den Unterschied zwischen EWG-Getreidepreisen und den wesentlich niedrigeren Weltmarktpreisen ausgleich. Sie wird gezahlt, wenn Überschüsse der Gemeinschaft exportiert werden müssen. Die EWG-Ernte 1970 brachte einen Minderertrag gegenüber 1969 bei allen Getreidearten von rund 3 Millionen t; davon entfallen allein auf Weizen rund 2,5 Millionen t. Frankreich hat im laufenden Getreidewirtschaftsjahr außer den traditionellen Lieferungen nach Schwarzafrika einen exportierbaren Weizenkörnerüberschuß in Drittländer von nur rund 250 000 t. Die restlichen französischen Weizenüberschüsse von rund 2 Millionen t werden im laufenden Wirtschaftsjahr zum Ausgleich der EWG-Weizenbilanz innergemeinschaftlich benötigt. Die Gerstenbilanz ergibt einen Zuschußbedarf der EWG von rund 1,4 Millionen t.
Die Marktpreise für Getreide liegen im laufenden Getreidewirtschaftsjahr im Gegensatz zu den Vorjahren deutlich über den Interventionspreisen. Sie betragen zur Zeit für Weizen in Frankreich und Holland 108 bis 110 % des Interventionspreises, in Italien 110 bis 113 % und in der Bundesrepublik Deutschland 104 bis 106 % des Interventionspreises.
Höhere Exporterstattungen sind angesichts der EWG-Getreidebilanz und der Marktpreise zur Zeit nicht zu verantworten. Sollten dennoch aus unvorhersehbaren Gründen die Marktpreise deutlich absinken, so könnten die Exporterstattungen kurzfristig vom Verwaltungsausschuß „Getreide" jederzeit angehoben werden. Bei einer Weltweizenernte, die 1970/71 voraussichtlich um etwa 15 Millionen t niedriger liegt als im Vorjahr, und geminderten Exportüberschüssen an Futtergetreide dürfte eine Ankurbelung des Exports relativ kurzfristig möglich sein.
Es muß im übrigen darauf hingewiesen werden, daß die EWG rund 1 Million t Weizen als Nahrungsmittel liefert und der Mehlexport durch unverändert hohe Erstattungen zügig fortgeführt wird. Die abgerufenen Exportlizenzen für Mehl liegen weit über den Vergleichszahlen des Vorjahres.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Früh.
Herr Staatssekretär, kann davon ausgegangen werden, daß sich die Bundesregierung, falls es sich als notwendig erweisen
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Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 69. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 7. Oktober 1970 3787
Dr. Frühsollte, die Exporterstattungen wieder zu erhöhen, bei diesem Anliegen in Brüssel zum Vorreiter machen würde?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, ich habe in meiner Antwort ausgeführt, daß das Verwaltungsausschußverfahren kurzfristig in Gang Besetz werden kann. Wenn die Bundesregierung für die Bundesrepublik Deutschland die Notwendigkeit dazu sieht, wird sie sich auch sicherlich zum Vorreiter machen.
Eine weitere Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Früh.
Herr Staatssekretär, kann damit gerechnet werden, daß eventuell auf Grund dieser Maßnahme entstehende Einsparungen in Kap. 10 03 — Marktordnung — zusätzlich für die nationale Agrarpolitik verwendet werden können?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Damit kann sicher gerechnet werden, da diese Möglichkeit im Haushaltsgesetz verankert ist.
Keine weiteren Zusatzfragen.
Ich rufe die Frage 33 des Herrn Abgeordneten Dr. Ritz auf:
Ist der Bundesregierung bekannt, daß eine große Anzahl von landwirtschaftlichen Betrieben die Erhebungsbögen zur Abwicklung des DM-Aufwertungsausgleichs nicht oder erst nach Ablauf der Einreichungsfristen en die landwirtschaftlichen Alterskassen zurückgesandt hat?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich bitte, auch die Fragen 33 und 34 im Zusammenhang beantworten zu dürfen.
Der Fragesteller ist damit einverstanden. Ich rufe dann auch die Frage 34 des Abgeordneten Dr. Ritz auf:
Ist die Bundesregierung bereit, unverzüglich die notwendigen Maßnahmen einzuleiten, um durch eine Verlängerung der Ausschlußfristen bis zum 31. Dezember 1970 allen antragsberechtigten Betrieben die Möglichkeit zu geben, den DM-Aufwertungsausgleich noch zu erhalten?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Zu Frage 33: Es ist der Bundesregierung bekannt, daß wie bereits in der Fragestunde vom 24. September 1970 mitgeteilt — bis Ende August 1970 insgesamt 29 921 Landwirte ihren Anspruch auf Aufwertungsausgleich nicht rechtzeitig geltend gemacht haben. Davon entfallen 26 292 auf Mitglieder der landwirtschaftlichen Alterskassen, 3 629 auf Nichtmitglieder.
Der relativ niedrige Anteil der Versäumnisfälle an den gesamten Eingängen beträgt bei den Alterskassen-Landwirten 3,63 %, bei den Nicht-Alterskassen-Landwirten 2,43 %. Wie groß die Anzahl der Landwirte ist, die ihren Anspruch auf Aufwertungsausgleich überhaupt nicht angemeldet haben, läßt sich zur Zeit nicht genau feststellen.
Fest steht, daß von 787 624 durch die landwirtschaftlichen Alterskassen im Amtsverfahren versandten Erhebungsvordrucken 63 037 nicht zurückgesandt worden sind. Nach Auskunft des Gesamtverbandes der landwirtschaftlichen Alterskassen handelt es sich dabei wahrscheinlich größtenteils um ehemalige, heute nicht mehr aktive Landwirte, die derzeit noch in der noch nicht bereinigten Mitgliederkartei geführt werden.
Zur Frage 34: Da der Anteil der Fristversäumnisse im Amtsverfahren regional stark schwankt, und zwar zwischen 0,26 % und 7,96 % in den einzelnen Alterskassenbezirken und 17,26 % bei der Alterskasse für den Gartenbau, ist es im Interesse einer gleichmäßigen Gesetzesanwendung gerechtfertigt, die geltenden Fristen zu verlängern. Die hierzu erforderliche Änderungsverordnung, die des Einvernehmens der Bundesminister der Finanzen und für Arbeit und Sozialordnung sowie der Zustimmung des Bundesrates bedarf, ist in meinem Hause bereits fertiggestellt worden und wird umgehend dem Bundesrat zugeleitet.
Es ist damit zu rechnen, daß der Bundesrat am 13. November 1970 darüber beschließt. Die Verordnung sieht vor, daß sowohl die Rücksendungsfrist im Amtsverfahren als auch die Antragsfrist für Nicht-Alterskassen-Landwirte bis zum 30. November 1970 verlängert werden. Das Ausmaß dieser Fristenerstreckung ist als ausreichend anzusehen, weil zum einen alle bekannten Fälle von Fristüberschreitungen hierunter fallen und zum anderen die Alterskassen bereits vor Verabschiedung der Verordnung im Bundesrat von sich aus auf eine rechtzeitige Anmeldung der Ausgleichsansprüche durch die bisher säumigen Landwirte hinwirken.
Im übrigen haben sich die vorab konsultierten Länder mehrheitlich gegen eine Fristverlängerung über den 30. November hinaus ausgesprochen.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, glauben Sie nicht doch, daß, wenn man davon ausgeht, daß am 13. November die Änderungsverordnung in Kraft tritt, die Fristverlängerung bis zum 30. November ein wenig eng begrenzt ist, und daß eine Verschiebung um einen weiteren Monat auf den 31. Dezember bessere Möglichkeiten böte?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, wie ich in meiner Antwort ausgeführt habe, sind die meisten, die die Formulare nicht zurückgesandt haben, bereits von den Alterskassen dazu aufgefordert worden, und die Alterskassen bleiben daran, sie zu drängen. Ich glaube, daß die Frist ausreicht.
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3788 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 69. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 7. Oktober 1970
Keine Zusatzfrage mehr.
Ich rufe die Frage 35 des Herrn Abgeordneten Schröder auf:
Teilt die Bundesregierung die von der durch staatliche Mittel finanzierten Arbeitsgemeinschaft der Verbraucherverbände aufgestellten Behauptungen zu Fragen der Erhöhung des Trinkmilchpreises:
„— Eine Erhöhung der Trinkmilchpreise würde außerdem eine weitere Anhebung der ohnehin überhöhten Preise für Frischmilchprodukte zur Folge haben,
— die Trinkmilchpreiserhöhung käme keineswegs der Landwirtschaft insgesamt zugute, sondern nur einer Minderheit von 15 % der Milchhauern,
— das Argument einer entsprechenden Kostensteigerung sei bisher völlig unbewiesen,
— eine Preiserhöhung erscheine bei einem Produkt, das in anderer Form — nämlich als Butter und Milchpulver — nach wie vor mit Hilfe von Milliardensubventionen am Weltmarkt verschleudert werde, wirtschaftlich völlig unangebracht."?
Bitte schön, Herr Staatssekretär!
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die Frage ist in mehrere Unterpunkte unterteilt, so daß ich mir erlaube, jeweils zu a), b) usw. zu antworten.
Zu a) . Die Preise für Frischmilchprodukte bilden sich frei im Markt nach Angebot und Nachfrage. Eine unmittelbare Verbindung zwischen diesen Preisen und den staatlich festgesetzten Preisen für Trinkmilch besteht insbesondere nach Aufhebung der Einzugs- und Absatzgebiete nicht.
Zu b). Es ist richtig, daß nur rund 15 % der angelieferten Milch als Trinkmilch zu staatlich festgesetzten Preisen vermarktet wird. Die Erlöse aus der Trinkmilch kommen jedoch allen Landwirten ganz oder teilweise zugute, die an Molkereien liefern, die am Trinkmilchabsatz beteiligt sind.
Zu c). Es wird zur Zeit überprüft, in welcher Höhe Kostensteigerungen in der Milchwirtschaft eingetreten sind, die eine Änderung des Trinkmilchpreises notwendig machen.
Zu d). Die Höhe des Trinkmilchpreises in der Bundesrepublik steht in keinem Zusammenhang mit der Verwertung der Milchüberschüsse der Gemeinschaft auf dem Weltmarkt. Es gibt keine Überschüsse an Trinkmilch in der Gemeinschaft, im Gegenteil, es sind hier und da schon Verknappungserscheinungen eingetreten. Die Trinkmilchversorgung der Bevölkerung kann daher nur gesichert werden, wenn für die Molkereien ein finanzieller Anreiz besteht, Trinkmilch anstelle der Interventionsprodukte Butter und Magermilchpulver zu vermarkten.
Das Überschußproblem in der Gemeinschaft ist nur langfristig und im wesentlichen durch strukturelle und soziale Maßnahmen zu lösen.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Schröder.
Herr Staatssekretär, wenn ich Sie richtig verstanden habe, stimmen Sie mir also zu, daß die Arbeitsgemeinschaft der Verbraucherverbände falsche Behauptungen aufgestellt hat.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, diese Zusatzfrage dürfte im Zusammenhang mit dem zweiten Teil meiner Antwort stehen, zu dem ich noch komme. Es ist die Frage gestellt, was die Bundesregierung hinsichtlich der Arbeitsgemeinschaft der Verbraucherverbände zu tun gedenkt.
Herr Staatssekretär, Sie beantworten diese Zusatzfrage dann gleich bei der nächsten Frage mit.
Bitte schön, Herr Abgeordneter Schröder, eine andere Zusatzfrage.
Wenn das bis zur zweiten Frage zurückgestellt wird, dann bin ich damit einverstanden. Ich möchte aber die direkte Frage beantwortet haben, ob es zutrifft, daß Milliardensubventionen aufgewandt werden, um Butter und Milchpulver zu verschleudern.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Diese Frage ist mir nicht verständlich.
Sie geht aus der letzten Unterteilung der Frage 35 hervor.
Der Herr Staatssekretär ist nicht verpflichtet, eine Frage zu beantworten.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Entsprechende Zahlen stehen mir augenblicklich nicht zur Verfügung; es ist mir daher leider nicht möglich, auf Ihre Frage, Herr Abgeordneter, direkt einzugehen.
Keine weitere Zusatzfrage. — Dann rufe ich die Frage 36 des Herrn Abgeordneten Schröder auf:
Was gedenkt die Bundesregierung zu unternehmen, um sachfremde Behauptungen der Arbeitsgemeinschaft der Verbraucherverbände, die das Klima zwischen Verbrauchern und der Landwirtschaft belasten, zukünftig zu unterbinden, und wie steht sie selbst zu einer Anhebung des Trinkmilchpreises?
Da kommt das wieder.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die Arbeitsgemeinschaft der Verbraucherverbände e.V. hat das Ziel, die Position des Verbrauchers im Wirtschaftsleben zu verbessern. Sie verfügt über verschiedene Finanzierungsquellen. Vom BML erhält sie keinen globalen Zuschuß, sondern nur zweckgebundene Förderungsbeiträge. Nähere Erläuterungen können meinen Antworten auf eine Zusatzfrage des Herrn Bundestagsabgeordneten Niegel vom 28. Januar 1970 entnommen werden.Es ist nicht möglich und nicht beabsichtigt, die AGV dahingehend zu beeinflussen, daß sie ihre
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Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 69. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 7. Oktober 1970 3789
Staatssekretär Dr. GriesauVeröffentlichungen mit den agrar- und ernährungspolitischen Zielsetzungen der Bundesregierung in Einklang bringt. Die Bundesregierung bemüht sich nach wie vor um einen guten Kontakt mit den Vertretern aller Organisationen, um auf diese Weise insbesondere auch das Verständnis zwischen Erzeugern und Verbrauchern zu fördern.Zur Anhebung des Trinkmilchpreises, die von der Milchwirtschaft gefordert wird, kann ich mich erst äußern, wenn die Unterlagen über die Kostenentwicklung geprüft sind. Bei der Entscheidung soll mit erwogen werden, ob das bisherige Festpreissystem den geänderten Wettbewerbsverhältnissen in der EWG, der Entwicklung der Verpackungstechnik sowie den modernen Absatzgepflogenheiten im Handel noch entspricht.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Schröder.
Frau Präsidentin, ich bin nicht der Meinung, daß der Herr Staatssekretär meine Frage beantwortet hat. Ich habe gefragt: Was gedenkt die Bundesregierung zu tun, um sachfremde Behauptungen richtigzustellen? — Herr Staatssekretär, sind Sie oder ist die Bundesregierung bereit, über den Bereich dieser Fragestunde hinaus die Öffentlichkeit sachgerecht über diese Zusammenhänge aufzuklären?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, hierzu folgendes.
Erstens werde ich in den nächsten Tagen den Vorsitzenden der AGV zu einem Gespräch empfangen.
Zweitens habe ich betont, daß eine direkte Einflußnahme nicht möglich ist. Es handelt sich um einen eingetragenen Verein. Die Bundesregierung ist gehalten, in dieser Form keinen Einfluß zu nehmen. Das ist Angelegenheit der satzungsgemäßen Organe eines Vereins selbst.
Drittens. Selbstverständlich ist die Bundesregierung bereit, mit allen ihr zur Verfügung stehenden Möglichkeiten entsprechende Öffentlichkeitsarbeit zu treiben.
Eine Zusatzfrage? — Bitte schön, Herr Kollege!
Herr Staatssekretär, darf ich Ihre Zusage, die Kostenentwicklung prüfen zu wollen, so verstehen, daß die Trinkmilchpreise, wenn festgestellt wird, daß die Kosten der Milchgewinnung und -verarbeitung gestiegen sind, entsprechend erhöht werden?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter Dr. Reinhard, diese Frage wird innerhalb der Bundesregierung, d. h. zunächst einmal in Ressortbesprechungen, eingehend erörtert und geprüft werden. Im Augenblick ist es — das muß ich ausdrücklich betonen — leider so, daß trotz intensiver Anforderungen seitens meines Hauses von der Molkereiwirtschaft bis jetzt nur sehr lückenhaft Material vorgelegt wurde.
Herr Kollege Dr. Reinhard, wer die Frage nicht selbst gestellt hat, hat nur eine Zusatzfrage. — Jetzt hat sich Herr Abgeordneter Niegel zu einer Zusatzfrage gemeldet.
Herr Staatssekretär, halten Sie es in Anbetracht der vorhin geschilderten Situation, unter anderem in Anbetracht der Tatsache, daß Herr Bundesminister Ertl kürzlich in etwa erklärt hat, er halte eine Trinkmilchpreiserhöhung für richtig, für in Ordnung, daß eine aus Bundesmitteln mitfinanzierte Institution — ob jetzt aus Ihrem Hause zweckgebunden oder aus dem Bundeswirtschaftsministerium direkt gefördert —, nämlich die sogenannte Arbeitsgemeinschaft der Verbraucherverbände,
eine dieser Preisforderungen, die zur Zeit besonders aktuell ist, nämlich die Forderung nach Erhöhung des Molkereiabgabepreises für Trinkmilch, in polemischer Weise als — ich zitiere — „Verlangen der großbäuerlichen Interessenvertreter" abtut?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, bevor ich das Gespräch mit dem Vorsitzenden der AGV geführt habe, vermag ich das nicht zu werten.
Keine weitere Zusatzfrage. Damit sind die Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten erledigt. Ich danke dem Herrn Staatssekretär Dr. Griesau.Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministers des Innern. Zur Beantwortung ist der Herr Parlamentarische Staatssekretär Dorn anwesend. Ich rufe zunächst die Frage 4 des Herrn Abgeordneten Seefeld auf. — Herr Seefeld ist nicht im Saal; die Frage wird schriftlich beantwortet und als Anlage abgedruckt.Die Frage 5 ist zurückgezogen.Wir kommen zur Frage 6 des Herrn Abgeordneten Dröscher. — Der Abgeordnete ist nicht im Saal; auch in diesem Fall wird die Antwort als Anlage abgedruckt.Wir kommen zur Frage 7 des Herrn Abgeordneten Storm:Ist die Bundesregierung bereit, unter Berücksichtigung des Urteils des Dritten Senats des Bundesarbeitsgerichtes vorn 22. Oktober 1969 — Az.: 3 AZR 483/68 — die derzeitige Regelung des Bundesbesoldungsgesetzes bezüglich der Stellenzulage für Beamte der besonderen Fachrichtungen, insbesondere die Fußnote zur Besoldungsgruppe A 9 — A 11, zu prüfen und gegebenenfalls dahin gehend zu ändern, daß Beamten der besonderen Fachrichtungen des gehobenen Dienstes, z. B. graduierten Ingenieuren im Fachgebiet Schiffsmaschinendienst, auf dem Ver-
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3790 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 69. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 7. Oktober 1970
Vizepräsident Frau Funckeordnungswege zugebilligt wird, daß das nach der Bundeslaufbahnverordnung vom 27. April 1970 an Stelle der Laufbahnprüfung geforderte Befähigungszeugnis C 6 in besoldungsmäßiger Hinsicht der Laufbahnprüfung gleichgestellt wird, um dann den Betroffenen eine entsprechende Stellenzulage zu gewähren?Bitte schön, Herr Staatssekretär!
Herr Kollege Storm, die Bundesregierung prüft bei der Erstellung eines Gesamtkonzepts zur Besoldungsneuregelung, ob für Beamte besonderer Fachrichtungen des gehobenen technischen Dienstes bei Berücksichtigung der Gesamtstruktur der Beamtenbesoldung Verbesserungen verwirklicht werden können, die in der Richtung Ihrer Frage liegen. Im Verordnungswege wäre eine Lösung nicht möglich, da das Bundesbesoldungsgesetz eine Ermächtigung zum Erlaß einer entsprechenden Verordnung nicht enthält.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Storm.
Herr Staatssekretär, können Sie mir ungefähr sagen, wann dieses Problem bereinigt sein könnte?
Herr Kollege Storm, die abschließenden Beratungen zur Erstellung des Referentenentwurfs werden zur Zeit in unserem Hause geführt. Ich nehme an, daß der Referentenentwurf sehr kurzfristig erstellt sein wird und dann den zuständigen Gremien zugeleitet werden kann.
Eine Zusatzfrage, Herr Kollege von Bockelberg.
Herr Staatssekretär, ist der Bundesregierung die Ungerechtigkeit bekannt, die darin liegt, daß es für die Beamten des gehobenen technischen Dienstes und des gehobenen nichttechnischen Dienstes nicht zwei verschiedene Eingangsstufen gibt?
Die Eingangsstufen sind zur Zeit noch gleich. Es geht jetzt darum, daß die technischen Beamten für die Zukunft eine andere, eine angehobene Eingangsstufe haben wollen. Es besteht in meinem Hause die Chance, daß das erreicht wird. Allerdings ist dafür Voraussetzung, daß die ersten Absolventen der Fachhochschulen aus dem Gesamtbereich der Fachhochschulen — erst einmal die Fachhochschule verlassen haben. Das kann frühestens im Sommer des kommenden Jahres der Fall sein, so daß die Eingangsvoraussetzungen und die Laufbahnrichtlinien des geltenden Rechts zur Zeit noch nicht geändert zu werden brauchen.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Becker .
Herr Staatssekretär, ist es in diesem Zusammenhang Ihr Wille, die Berufsbilder sowohl für den technischen wie für den nichttechnischen Dienst beschleunigt erstellen zu lassen?
Herr Kollege, dieses Hohe Haus hat mit der Erstellung von Berufsbildern und mit der Abgrenzung von Berufsbezeichnungen und den Voraussetzungen dafür leider schlechte Erfahrungen gesammelt. Sie wissen, daß das Bundesverfassungsgericht mit einer Stimme Mehrheit damals für das Ingenieurgesetz eine negative Entscheidung getroffen hat und daß der Herr Bundespräsident wegen des Architektengesetzes eine Entscheidung getroffen hat, die unser Haus veranlaßt, diese Frage im Augenblick nicht in Angriff zu nehmen.
Keine Zusatzfrage.
Ich rufe jetzt die Fragen 2 und 3 auf, die im Geschäftsbereich des Bundesministers für Bildung und Wissenschaft abgedruckt sind, aber hierhin gehören, zunächst die Frage 2 des Abgeordneten Dr. Ahrens:
Decken sich die Feststellungen des französischen Forschers Cousteau über die schädlichen Wirkungen zivilisatorischer Einflüsse auf die Meeresbiologie auch mit anderen Forschungsergebnissen?
Bitte sehr, Herr Staatssekretär!
Herr Kollege Dr. Ahrens, im Einvernehmen mit dem Bundesminister für Bildung und Wissenschaft und dem Bundesminister für Verkehr beantworte ich die Frage wie folgt: Die aus der Presse bekannten Äußerungen Cousteaus, nach denen in den letzten 50 Jahren 1000 Gattungen und während der vergangenen 20 Jahre 40 % des Meereslebens vernichtet worden seien, mögen zwar etwas dramatisiert klingen, in der Tendenz sind sie jedoch richtig. Das Leben im Meer ist durch zivilisatorische Einflüsse gefährdet, insbesondere durch die zunehmende Verschmutzung der Küstengewässer, durch industrielle Abfälle und zivilisatorische Schadstoffe.
Wenn keine entscheidenden Maßnahmen getroffen werden, besteht die Gefahr, daß die geschilderte Situation in absehbarer Zeit auch in unseren Gewässern zu schwer wiedergutzumachenden Schäden führt.
Keine Zusatzfrage.
Ich rufe die Frage 3 des Abgeordneten Dr. Ahrens auf:
Ist die Bundesregierung auf der Grundlage dieser Forschungsergebnisse bereit und in der Lage, die Ablagerung von Industrieabfällen in Nord- und Ostsee auch bereits vor Abschluß internationaler Übereinkommen jedenfalls insoweit zu verhindern, als diese Ablagerung von deutschen Kästen aus erfolgt?
Herr Dr. Ahrens, die Bundesregierung war schon bisher bemüht, auf Industrie, Speditionen und Reedereien dahin einzuwirken, daß schädliche Industrieabfälle in Nord- und Ostsee auch
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Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 69. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 7. Oktober 1970 3791
Parlamentarischer Staatssekretär Dornaußerhalb des drei Meilen breiten Küstenmeeres nicht oder nur unter bestimmten Bedingungen eingebracht werden. Trotz gewisser Erfolge war dieses Verfahren leider nicht lückenlos.Die Bundesregierung hat deshalb im Sofortprogramm für den Umweltschutz vorgesehen, daß noch im November 1970 dem Kabinett der Entwurf eines Vertragsgesetzes zu dem internationalen Übereinkommen über die Hohe See vorgelegt werden soll. Darin wird eine Ermächtigung enthalten sein, die es erlaubt, zu bestimmen, unter welchen Voraussetzungen schädliche Stoffe vom Bundesgebiet aus in der Hohen See beseitigt werden dürfen. Damit wird gleichzeitig erreicht werden, daß bereits vor einer Vereinbarung zwischen den Anliegern von Nord-und Ostsee oder vor einem umfassenden internationalen Übereinkommen die Verschmutzung der See durch Industrieabfälle aus der Bundesrepublik eingeschränkt und kontrolliert wird.Die Bundesregierung hofft, daß die Nachbarstaaten ähnliche nationale Maßnahmen und Interimsregelungen ergreifen werden.Direkte Einleitungen von Industrieabwässern in das Küstenmeer müssen nach dem Wasserhaushaltsgesetz durch die zuständigen Landesbehörden einzeln genehmigt werden.Ferner beabsichtgt die Bundesregierung, entsprechend dem Sofortprogramm eine umfassende gesetzliche Regelung für die Beseitigung der im Bundesgebiet anfallenden Abfallstoffe zu treffen. Der Entwurf soll noch in diesem Jahr dem Bundesrat zugeleitet werden. In ihm wird auch die Abfallbeseitigung in der See einer Kontrolle unterworfen werden.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Ahrens.
Herr Staatssekretär, werden Sie bei Ihren weiteren Maßnahmen und bei den Gesprächen mit den Nachbarstaaten die Tatsache berücksichtigen, daß die Wissenschaft heute noch nicht in der Lage ist, auch für die Zukunft sichere Aussagen über die Schädlichkeit oder Unschädlichkeit bestimmter Abfallstoffe im Meere zu machen?
Darüber sind wir uns im klaren, Herr Kollege. Es ist aber so, daß die erkennbaren Schmutzstoffe auf jeden Fall beseitigt werden sollten, denn die Stoffe, die bereits erkannt sind, werden mit Sicherheit nicht noch wissenschaftlich erforscht werden müssen.
Keine weitere Zusatzfrage. Damit sind die Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers des Innern beantwortet. Ich danke dem Herrn Parlamentarischen Staatssekretär Dorn.
Wir kommen zu den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers der Verteidigung. Zur Beantwortung ist Herr Parlamentarischer Staatssekretär Berkhan anwesend. Ich rufe die Frage 52 des Herrn Abgeordneten Pawelczyk auf:
Wie viele Berufsoffiziere wurden bisher zu einem Hochschulstudium abkommandiert?
Frau Präsident! Herr Kollege, ich beantworte Ihre Frage folgendermaßen. Bisher wurden 248 Berufsoffiziere zu einem wissenschaftlichen Hochschulstudium kommandiert. Mit Beginn des Wintersemesters 1970/71 werden weitere 41 Offiziere das Studium aufnehmen. Bisher haben 12 Offiziere das Studium erfolgreich beendet.
Frau Präsident, wenn Sie gestatten, beantworte ich die zweite Frage des Herrn Abgeordneten Pawelczyk gleich mit, weil sie in einem inneren Zusammenhang mit dieser Frage steht.
Dann rufe ich noch die Frage 53 des Herrn Abgeordneten Pawelczyk auf:
Welche Laufbahnen sind für diese Offiziere vorgesehen?
Mit der Frage, ob eigene Laufbahnen für wissenschaftlich vorgebildete Offiziere eingerichtet werden sollen, befassen sich zur Zeit eine Personalstrukturkommission und eine Bildungskommission. Bisher werden diese Offiziere je nach Eignung auf Dienstposten verwendet, die eine technische oder eine nichttechnische wissenschaftliche Ausbildung voraussetzen. Der Abschluß der Arbeiten der beiden Kommissionen bleibt abzuwarten.
Herr Staatssekretär, in welchen Fachrichtungen haben diese Berufsoffiziere bisher studiert?
Herr Kollege, wenn die Unterlagen, die mir im Moment hier vorliegen, richtig sind, kann ich davon ausgehen, daß von den jährlich zur Zeit etwa 40 studierenden Offizieren in der Regel 25 ein Studium für technische Berufe und 15 ein Studium für nichttechnische Berufe aufnehmen.
Eine weitere Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Pawelczyk.
Ist der Offizier mit abgeschlossenem Hochschulstudium in Laufbahn und Verwendung auch hinsichtlich der Vielseitigkeit der Verwendungen — dem Generalstabsoffizier gleichgestellt?
Diese Frage läßt sich generell nicht beantworten. Herr Kollege, vielleicht gestatten Sie mir eine Vorbemerkung. Es gibt studierte Offiziere, die darüber hinaus eine Generalstabsausbildung haben. Wenn wir hier genau differenzieren wollten, kämen wir zu einer Art „Über-
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3792 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 69. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 7. Oktober 1970
Parlamentarischer Staatssekretär Berkhan generalstabsoffizier". Wir hätten dann zu unterscheiden zwischen demjenigen, der studiert hat, demjenigen, der nicht studiert hat, und demjenigen, der studiert hat und noch dazu eine Generalstabsausbildung hat.Die während des Studiums kommandierten Berufsoffiziere werden auch während ihres Studiums nach den allgemeinen Grundsätzen befördert, d. h. nach den Grundsätzen, die jeweils für Nichtgeneralstabsoffiziere gelten, oder nach den Grundsätzen, die für Generalstabsoffiziere gelten. Nach Abschluß des Studiums richtet sich die weitere Beförderung nach Eignung, Verwendungsplanung und Vorhandensein einer höherwertigen Planstelle. Insoweit besteht zum nichtstudierten Truppenoffizier grundsätzlich kein Unterschied. Bei vergleichbarer Eignung wird auch die Förderung bei studierten Offizieren und Offizieren im Generalstabsdienst gleich sein. Personalstrukturkommission und Bildungskommission werden in Zukunft die Grundsätze festlegen, nach denen die Weiterbildung von Offizieren erfolgen wird.
Eine weitere Zusatzfrage.
Ihre letzte Antwort läßt mich zu der Frage kommen, ob Sie es für richtig halten, daß Offiziere mit abgeschlossenem Hochschulstudium anschließend noch einmal für zweieinhalb Jahre an die Führungsakademie der Bundeswehr gehen. Ich komme auch deswegen auf die Frage-
Herr Kollege, entschuldigen Sie, aber mit der ursprünglichen Frage hat das nicht mehr viel zu tun.
Doch!
Sie müssen schon eine einschlägige Frage stellen. — Nein, hier geht es uni die Frage, wer studiert und welche Richtung, aber nicht darum, was hinterher an weiterer Ausbildung erfolgt. Vielleicht stellen Sie später einmal eine entsprechende Frage.
Meine nächste Frage ist dann, ob die Offiziere mit Hochschulstudium vornehmlich als Spezialisten eingesetzt werden. Das klang in Ihrer Antwort so ein bißchen an.
Wenn das in meiner Antwort anklang, bitte ich, den Klangton zu verändern. Ich beantworte Ihre Frage generell mit Nein. Es ist vorgesehen, daß Offiziere, die studiert haben, während ihres Berufslebens von Zeit zu Zeit auch außerhalb ihres Fachgebiets jene militärischen Erfahrungen erwerben, die für eine weitere fachliche Verwendung auf einer höheren Ebene erforderlich sind. Wenn Sie aber in die Grenzsituation gehen, Herr Kollege, z. B. bei den Sanitätsoffizieren, werden Sie verstehen, warum ich hier antworte, daß meine Antwort nur generell eben mit Nein aufzufassen ist — generell —, weil wir eben so knapp an Sanitätsoffizieren sind, daß wir es uns gar nicht erlauben können, einen Sanitätsoffizier außerhalb seiner Laufbahn zu verwenden.
Frau Präsidentin, ich habe dann noch eine Frage; eine wurde ja zurückgezogen.
Zur Frage 2 möchte ich die Zusatzfrage stellen, ob Sie es für richtig halten, daß Offiziere mit Hochschulstudium, um die generelle Verwendungsbreite zu haben, noch einmal eine Zusatzausbildung von über zweieinhalb Jahren an der Führungsakademie haben müssen.
Herr Kollege Pawelcyk, ich vermag diese Frage hier weder mit Ja noch mit Nein zu beantworten, bin aber bereit, das prüfen zu lassen. In Kürze werden wir wahrscheinlich eine breite Diskussion darüber im Verteidigungsausschuß haben. Sie haben Gelegenheit, auf dieses Problem zurückzukommen. Eine Verkürzung der Antworten in der Fragestunde würde nur zu Mißverständnissen führen.
Keine weiteren Zusatzfragen.
Ich rufe die Frage 54 des Herrn Abgeordneten Cramer auf:
Trifft es zu, daß eine Musterungskammer in Karlsruhe den Antrag des querschnittgelähmten Vaters eines Wehrpflichtigen aus Haltingen , seinen Sohn von der Ableistung des Grundwehrdienstes zurückzustellen, da er ohne die Hilfe seines Salines sein Geschäft nicht mehr existenzfähig halten kann, abgelehnt hat mit der Begründung, der Vater könne seine Kunden ja im Rollstuhl bedienen, und ist die Musterungskammer überhaupt zuständig für die Entscheidung über solche Zurückstellungsanträge?
Bitte, Herr Staatssekretär!
Herr Kollege Cramer, die Musterungskammern haben über Widersprüche gegen Bescheide der Musterungsausschüsse zu entscheiden. Sie sind daher auch zuständig bei Zurückstellungsanträgen, insbesondere bei Zurückstellungsanträgen, die vor der Musterung oder während des Musterungsverfahrens gestellt worden sind.Hier handelt es sich um den Zurückstellungsantrag eines Friseurmeisters aus Haltingen, der jedoch nicht querschnittgelähmt ist. Nach der im Musterungsverfahren vorgelegten ärztlichen Bescheinigung leidet er zwar an rheumatischen Beschwerden; eine Minderung der Erwerbsfähigkeit ist in dem ärztlichen Attest aber nicht festgestellt. Die bereits am 9. September 1969, also vor einem Jahr, getroffene Entscheidung ist sachlich nicht zu beanstanden. Sie wurde weder vom Wehrpflichtigen noch von seinem Vater seinerzeit angefochten. Auch bei der Einberufung im Januar 1970 wurden keine Zurückstellungsgründe geltend gemacht.In den Entscheidungsgründen wurde allerdings darauf hingewiesen, daß es genügend technische,
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Parlamentarischer Staatssekretär Berkhanmaschinelle Vorkehrungen, z. B. eine entsprechende Art von Fahrstuhl, gebe, mit deren Hilfe die erforderliche Tätigkeiten auch im Sitzen ausgeführt werden könnten. Mit dieser zugegeben unglücklichen Formulierung sollten nur Möglichkeiten der Arbeitserleichterung angesprochen werden, von denen in einigen Friseurgeschäften wie uns bekannt ist, bereits heute Gebrauch gemacht wird.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, Sie halten also mit mir den Hinweis auf den Rollstuhl für unangebracht? Das wollte ich ja nur festgestellt haben.
Für unglücklich, Herr Kollege Cramer.
Gut. Danke schön.
Wir kommen zur Frage 55 des Abgeordneten Maucher.
Frau Präsident, ich möchte die Fragen 55 und 56 gern im Zusammenhang beantworten.
Der Fragesteller ist einverstanden. Ich rufe also die Fragen 55 und 56 auf:
Ist der Bundesregierung bekannt, daß die Bundeswehrkapellen als sogenannte Werbespiele bei Veranstaltungen der Jugend zu verbilligten Honoraren spielen?
Wenn ja, werden solche Werbespiele auch bei den Jugendgruppen der politischen Parteien durchgeführt?
Es ist der Bundesregierung nicht bekannt, daß Musikkorps der Bundeswehr oder Teile derselben Werbespiele bei Veranstaltungen der Jugend zu verbilligten Honorarsätzen durchführen. Spielen Musikkorps der Bundeswehr für Werbeveranstaltungen, die sich an die Jugend wenden, so werden diese Einsätze dienstlich angeordnet. Die Musikkorps können dafür kein Honorar erhalten.
Sollten Sie aber, Herr Kollege, einen Fall im Auge haben, bei dem einzelne Soldaten außerdienstlich in Zivil auf dem Unterhaltungsabend einer Jugendgruppe gegen Bezahlung spielten, dann muß ich Ihnen sagen, daß wir auf die Mitwirkung von Soldaten insoweit keinen Einfluß nehmen können und auch nicht nehmen wollen. Auch die Honorierung unterliegt der freien Vereinbarung.
Ebensowenig kommt es darauf an, ob es sich um eine parteipolitische oder um eine gesellige Veranstaltung handelt, sofern die Soldaten — wohlgemerkt — außerdienstlich und in Zivil auftreten.
Der Einsatz geschlossener Musikkorps allerdings ist bei parteipolitischen Veranstaltungen weder dienstlich noch außerdienstlich zulässig.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Maucher. Bitte schön!
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Habe ich Sie also richtig verstanden: das gilt aber dann generell? Oder halten Sie es für möglich, daß das Verteidigungsministerium nach Sigmaringen mitgeteilt hat, daß ein verbilligtes Honorar nicht möglich sei?
Herr Kollege, ich halte das weder für möglich noch für unmöglich. Ich bitte Sie, mir die Unterlagen zuzusenden; dann werde ich es prüfen lassen, und Sie werden einen Bescheid bekommen.
Falls ein Beamter oder ein Soldat einen unangemessenen Bescheid erteilt hat, werde ich Wege finden, diesen Offizier oder Beamten darauf hinzuweisen, wie er in Zukunft richtig verfährt.
Keine weitere Zusatzfrage.
Ich rufe die Frage 57 des Herrn Abgeordneten Dr. Jenninger auf:
Sieht die Bundesregierung eine Möglichkeit, landwirtschaftliche Betriebshelfer grundsätzlich vom Wehrdienst freizustellen, wenn sich die betreffenden Personen verpflichten, für eine gewisse Zeit hauptberuflich als Betriebshelfer tätig zu sein?
Auch hier bitte ich, Frau Präsident, die beiden Fragen gemeinsam beantworten zu dürfen.
Ich rufe dann auch die Frage 58 des Abgeordneten Dr. Jenninger auf:
Welche Hindernisse stehen entgegen, landwirtschaftliche Betriebshelfer insoweit Entwicklungshelfern gleichzustellen?
Die generelle Freistellung landwirtschaftlicher Betriebshelfer vom Wehrdienst würde auch im Falle ihrer Verpflichtung zu einer hauptberuflichen Tätigkeit für eine gewisse Zeit die Bevorzugung einer bestimmten Berufsgruppe bedeuten und damit dem Bemühen der Bundesregierung um Wehrgerechtigkeit zuwiderlaufen. Zudem kann den Belangen der Landwirtschaft auch beim Einsatz von Betriebshelfern durch eine Unabkömmlichstellung im Einzelfall Rechnung getragen werden. Es besteht deshalb keine Notwendigkeit für eine generelle Freistellung dieses Personenkreises. Anträge des Deutschen Bauernverbandes aus den Jahren 1968 und 1970 mußten daher aus diesen sachlichen Gründen abschlägig beschieden werden.Wehrpflichtige Entwicklungshelfer hingegen erfüllen — verglichen mit dem Wehrdienst — in adäquater Weise eine im öffentlichen Interesse liegende Aufgabe. Sie nehmen besondere Risiken und Erschwernisse auf sich und sind ohne Erwerbsabsichten tätig. Nur mit Rücksicht auf diese Eigenarten des Entwicklungsdienstes brauchen Wehrpflichtige, die mindestens zwei Jahre Entwicklungsdienst geleistet
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3794 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 69. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 7. Oktober 1970
Parlamentarischer Staatssekretär Berkhanhaben, keinen Grundwehrdienst zu leisten. Gleiche oder ähnliche Merkmale sind bei der Tätigkeit landwirtschaftlicher Betriebshelfer nicht gegeben, so daß eine Gleichstellung beider Personengruppen nicht gerechtfertigt wäre.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Jenninger.
Herr Staatssekretär, wären Sie in der Lage, mir — nicht jetzt, aber schriftlich — mitzuteilen, wie viele Unabkömmlichstellungen für landwirtschaftliche Betriebshelfer in den letzten Jahren genehmigt worden sind?
Herr Kollege, ich will mich bemühen. Ich bin nicht ganz sicher, ob wir eine einwandfreie Statistik haben Wir werden uns aber bemühen, und wir rechnen dabei auf die Hilfe der zuständigen Verbände der Landwirtschaft. Sie haben ja Möglichkeiten, auf diese Verbände einzuwirken.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Niegel.
Herr Staatssekretär, würden Sie Anträge auf Rückstellung genehmigen, die damit begründet werden, daß der Betriebshelfer in dem Bereich, in dem er eingesetzt sei, weiterhin tätig sein müsse, weil sonst soundso viele Betriebe nicht mehr über die Runden kommen würden.
Herr Kollege, ich habe diese Anträge nicht zu genehmigen. Ich würde jedoch der dafür zuständigen Verwaltung sagen, daß sie in den Fällen, in denen eine ernsthafte Gefährdung des Betriebes nachgewiesen wird, den Anträgen auf Zurückstellung zu entsprechen hat.
Keine weitere Zusatzfrage. Wir sind am Ende der Fragestunde. Ich danke dem Herrn Parlamentarischen Staatssekretär Berkhan.
Meine Herren und Damen! Wir haben heute den Herrn Präsidenten des Parlaments der Arabischen Republik Jemen, Scheich Abdallah ben Hussein al-Ahmar, mit einer Delegation bei uns.
Ich begrüße die Herren in unserem Hause. Wir kommen zu Punkt 2 der Tagesordnung:
Beratung der Sammelübersicht 8 des Petitionsausschusses über Anträge von Ausschüssen des Deutschen Bundestages zu Petitionen
— Drucksache VI/1170 —
Wer dem Antrag des Ausschusses auf Drucksache VI/1170 die Zustimmung geben will, den bitte ich um das Handzeichen.-Gegenprobe! - Enthaltungen?
— Es ist so beschlossen.
Ich rufe Punkt 3 der Tagesordnung auf:
Große Anfrage der Fraktion der CDU/CSU
betr. Wirtschafts- und Konjunkturpolitik
— Drucksachen VI/ i 144, VI/1215 —
Dazu liegt Ihnen die schriftliche Antwort des Herrn Bundesministers für Wirtschaft vor.
Zur mündlichen Ergänzung hat Herr Bundesminister für Wirtschaft Schiller das Wort.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Bundesregierung hat dem Deutschen Bundestag mit Datum vom 1. Oktober 1970 die ausführliche Antwort auf die Große Anfrage der CDU CSU-Fraktion zur Wirtschafts- und Konjunkturpolitik vorgelegt. Ich darf mich hier auf einige grundsätzliche Bemerkungen zur Lage und eine Skizzierung der Hauptlinien unserer Politik und der weiteren Entwicklung beschränken.Unsere neuen Konjunkturdaten zeigen deutlich: Mit dem Rückgang der industriellen Auftragseingänge ist eine Entspannung auf der Nachfrageseite eingeleitet. Sicherlich liegt der Höhepunkt des Booms jetzt hinter uns. Wir befinden uns nun in einer Zwischenphase von gedämpfter industrieller Nachfrageentwicklung einerseits und gleichzeitig noch vorhandenen Preis- und Kostensteigerungstendenzen andererseits. Diese Zwischenphase, meine Damen und Herren, wird für uns alle nicht leicht sein. Da gibt es überhaupt nichts zu beschönigen. Denn die Preisentwicklung folgt der Nachfrage erst mit einem zeitlichen Abstand. Aber wir sollten alle miteinander das Unsere dazu tun, damit sich die Nachfragedämpfung bald in Preisberuhigung umsetzt.Meine Damen und Herren, wer jetzt die Preiserwartungen unserer Bevölkerung noch künstlich nach oben treibt, der tut dem Normalisierungsprozeß keine guten Dienste.
Gerade in dieser Situation hilft weder Panikmache noch Gesundbeterei, hilft weder Resignation noch Bagatellisieren. Was uns jetzt allen aufgegeben ist, ist eine nüchterne und klare Erkenntnis und Beurteilung der Lage.Was die Zeichen der Entspannung angeht, darf ich hier den Monatsbericht der Deutschen Bundesbank vom September zitieren. Er lautet:Immerhin ist nun der Bestand an unerledigten Aufträgen in der Wirtschaft nicht mehr weiter gestiegen, und bei anhaltend wachsenden Kapazitäten kann sich daher die Lieferfähigkeit allmählich wieder verbessern. Insoweit sind erste Anzeichen für den Beginn einer konjunkturellen Auflockerung zu erkennen; sie lassen sich überdies durch manche andere Symptome ergänzen, etwa durch eine geringe Abnahme der Zahl der offenen Stellen oder durch ver-
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Bundesminister Dr. Schillerstärkte Bemühungen um das Auslandsgeschäft in einigen Branchen.So weit das Zitat der in ihrer Beurteilung bekanntlich immer sehr vorsichtigen Bundesbank.Ich möchte noch hinzufügen: Die Geschäftserwartungen der Unternehmer sind nicht mehr wie bisher auf eine Überkonjunktur gerichtet. Die Lagerbestände werden überwiegend als ausreichend angesehen, und die Investitionsneigung stellt sich auf ein ruhigeres Tempo ein.Auftragseingänge, Arbeitmarkt und Unternehmererwartungen haben in den vorangegangenen Konjunkturzyklen den Umschwung frühzeitig signalisiert. Es besteht für die Bundesregierung kein Grund, diese Frühindikatoren heute zu ignorieren.Aber wir müssen auch entgegengerichtete Faktoren im Auge behalten:Erstens: Geldpolitik und Finanzpolitik können nur dann zur Stabilität führen, wenn die am Wirtschaftsprozeß Beteiligten, die einzelnen Wirtschaftler, die Unternehmer und die organisierten und autonomen Gruppen, diese Politik durch ihr eigenes preis- und lohnpolitisches Verhalten unterstützen.Der Zuwachs der Einkommen der Arbeitnehmer ist in diesem Jahr höher als jemals zuvor gewesen.
Die Lohn- und Gehaltsbewegung seit September vorigen Jahres hatte ihren Grund in dem legitimen Wunsch nach Deckung eines aufgestauten Nachholbedarfs. Und es ist ebenso legitim, daß die Gewerkschaften bis in die jüngste Zeit versuchen, durch neue Tariflöhne einen Teil der davongelaufenen Effektivlöhne einzufangen. Aber wir sind uns wohl alle darin einig, daß sich dies alles in den seit einem Jahr üblichen Größenordnungen in Zukunft nicht fortsetzen und wiederholen kann. Sonst würde der nachlassende industrielle Nachfragedruck durch einen steigenden Kostendruck abgelöst. Die Preissteigerungen würden dann möglicherweise mit veränderten Ursachen weitergehen.Wie schon in der schriftlichen Antwort auf die Große Anfrage der CDU/CSU-Fraktion dargelegt, hat der Bundeswirtschaftsminister im letzten Gespräch in der Konzertierten Aktion am 17. Juli als Orientierungshilfe neue vorläufige Eckwerte der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung vorgelegt. Wir werden in der nächsten Sitzung der Konzertierten Aktion am 9. Oktober die eigenen Vorstellungen der Tarifpartner gegenüber diesen vorläufigen Eckwerten erfahren. Die Bundesregierung wird die Ergebnisse dieser Aussprache in ihre eigenen Überlegungen einbeziehen. Die Bundesregierung erwartet, daß die sich aus den gemeinsamen Erörterungen ergebende gesamtwirtschaftliche Orientierung es den Tarifvertragsparteien erleichtert, in den künftigen Lohnverhandlungen autonom zu stabilitätskonformen Entscheidungen zu gelangen.Meine Damen und Herren, es wäre sicherlich völlig falsch, die Lohnpolitik heute allein zum Instrument der Dämpfungspolitik, zum Prügelknaben der Stabilität oder zum Ersatzmittel für staatliche Konjunkturpolitik zu machen. Nein, der Hinweis auf eine notwendige adäquate Preis- und Lohnpolitik der Unternehmen und der Gruppen ist keine EscapeKlausel für die staatliche Politik.Zweitens: Die andere offene Flanke für die Politik der Bundesbank und der Bundesregierung ist durch den bekannten internationalen Preiszusammenhang gegeben. Dies ist weiß Gott keine neue Entdeckung. Aber wir erleben heute gerade in den führenden Industrieländern eine internationale Preis- und Lohnwelle von besonderer Heftigkeit. In den Ländern der OECD ohne die Bundesrepublik Deutschland lag die mittlere Steigerungsrate der Verbraucherpreise im Jahre 1966 noch bei 3 1/2 %. In der zweiten Hälfte 1969 hat sie in der OECD die 5-%-Marke bereits überschritten und bewegt sich heute noch auf diesem Niveau. In den Ländern der Europäischen Gemeinschaft lag die Preissteigerungsrate 1966 — ohne Einrechnung der Bundesrepublik — etwas über 3 %. 1970 stieg sie auf 5,4 % an. Im Vergleich dazu liegt die Bundesrepublik Deutschland entgegen allen anderslautenden Behauptungen heute noch immer sehr günstig.Meine Damen und Herren von der Opposition, das war im letzten Boom 1965/1966 nicht der Fall. Damals stiegen die Kosten der Lebenshaltung in der Bundesrepublik Deutschland über 4 % hinaus, und in den übrigen EWG-Ländern und den Ländern der OECD lag die Preissteigerung im Durchschnitt nur wenig höher als 3 %. Damals lag also die Bundesrepublik 1 % über dem internationalen Niveau, heute liegen wir 1 1/2% darunter. Wir liegen damit am unteren Ende der Skala der internationalen Preissteigerungen. Das ist ein Erfolg der Politik dieser Regierung seit 12 Monaten.
Und das ist — — Es geht noch weiter!
— Vielen Dank für Ihr beifälliges Lächeln. — Und das ist auch die Wirkung unserer Maßnahmen zur außenwirtschaftlichen Absicherung, Herr Barzel, 1968 mit steuerpolitischen Mitteln und 1969 auf valutarische Weise; das hat auch mit geholfen.
Was die heute bei uns feststellbaren Preissteigerungsraten betrifft, so dürfen wir — sosehr diese Preissteigerungsraten in der Bundesrepublik uns herausfordern — dabei doch nicht jegliches Augenmaß verlieren.
Im letzten Boom 1965/1966 bewegte sich unser Lebenshaltungskostenindex in seiner Steigerungsrate immerhin 7 Monate ununterbrochen zwischen 4 und 4 1/2 %. Das ist die Wahrheit.
In dem heutigen Boom hat dieser Lebenshaltungskostenindex bisher in einem Monat, nämlich imAugust, mit 4,1 % jene Marke überschritten, und im
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Bundesminister Dr. SchillerSeptember dieses Jahres — und das ist das neue Ergebnis vom Statistischen Bundesamt vom gestrigen Tage — ist die Rate auf 3,8 % zurückgegangen. Ich will mit der Ewähnung dieser neuesten Zahl, die geringer ist in der Preissteigerungsrate,
unsere heutige Lage, Herr Müller-Hermann, in keiner Weise verniedlichen. Aber wer selbst im Glashaus sitzt, sollte nicht mit Steinen werfen.
Außerdem verweise ich — ohne mich damit zu identifizieren — auf das Ifo-Institut, das jetzt damit rechnet, daß die Zuwachsrate des Preisindex für die Lebenshaltung die von der Bundesregierung als Grenzmarke gesetzte Größe — wörtlich — „von 4 % in den nächsten Monaten nicht überschreiten wird". Das nur als Hinweis.Was den internationalen Preiszusammenhang betrifft, so wird dieser von uns nicht als billige Entschuldigung für alle inneren Preissteigerungen oder als Anlaß für eine bedingungslose Kapitulation an der Heimatfront angesehen.
Davon kann keine Rede sein.
Die Bundesregierung hat sich darüber hinaus an der Außenfront, d. h. in allen internationalen Wirtschafts- und Währungsorganisationen, denen wir angehören — in den Europäischen Gemeinschaften, im Zehner-Klub, im Internationalen Währungsfonds und in der OECD —, für ein koordiniertes, zwischenstaatliches Bemühen um mehr Stabilität eingesetzt. Ferner haben wir konkrete Vorschläge gemacht, in Brüssel und in größerem internationalen Rahmen, zuletzt in Kopenhagen bei der Jahresversammlung des Internationalen Währungsfonds und der Weltbank. Die Bundesregierung erfüllt damit den klaren ersten Auftrag des § 4 im Stabilitäts- und Wachstumsgesetz, gemäß welchem sie erst mal „alle Möglichkeiten der internationalen Koordination zu nutzen" hat, bevor sie zu anderen Mitteln der außenwirtschaftlichen Absicherung greift.Ich komme nun zur Darlegung der Grundlinien unserer Stabilitätspolitik in diesen zwölf Monaten. Sie begann damit, daß wir ab 27. Oktober vorigen Jahres die Parität der D-Mark verbesserten. Das war der zweite Auftrag, der in § 4 des Stabilitäts-und Wachstumsgesetzes ausgesprochen wird. Aus heutiger Sicht können wir zu jenem Vorgang folgendes sagen.Erstens haben wir damals die Voraussetzung für eine neue Stabilisierungspolitik der Deutschen Bundesbank geschaffen. Die Bundesbank wird auch in Zukunft ihre Restriktionspolitik fortsetzen, soweit es das ausländische Zinsniveau erlaubt. Ein Ausscheren aus der internationalen Zinsentwicklung ist allerdings nicht unbegrenzt möglich.
Zweitens: Was immer man über den damaligen Aufwertungssatz von 9,3 % im nachhinein sagen mag, ohne jenen Akt, meine Damen und Herren, wären die Inlandspreise mit Sicherheit weit stärker gestiegen. Darüber gibt es heute zwischen Fachleuten kaum einen Meinungsunterschied. Das sollte sich die CDU/CSU hinter die Ohren schreiben.
Drittens wird nun aus späterer Sicht oder Einsicht verlangt, und zwar im nachhinein, die Aufwertung der D-Mark hätte schneller durch flankierende binnenwirtschaftliche Maßnahmen ergänzt werden müssen. Meine Damen und Herren, wer das heute sagt, vergißt, daß damals die Stärke des Booms und die Intensität der internationalen Preissteigerungen von allen Seiten unterschätzt wurde,
allen voran von der CDU/CSU.
Denn die CDU/CSU hat im vorigen Jahr bis in den Herbst hinein von einer rechtzeitigen Stabilitätspolitik überhaupt nichts wissen wollen.
Herr Strauß hat im Juli vorigen Jahres gesagt, der steilste Teil der Konjunkturstrecke sei jetzt vorüber. Herr Strauß hat damals auch erklärt, daß Sie von der Opposition „die Stabilität für ein hohes, aber nicht der Güter höchstes" ansähen. Es gebe „Situationen, in denen eine forcierte Wachstumspolitik aus übergeordneten Gründen geboten" scheine. So Franz Josef Strauß vom 11. und 14. Juli 1969, nachzulesen in der FAZ.
Und von Kurt Georg Kiesinger war am 20. August 1969 in der „Kölnischen Rundschau" zu lesen:Man rechnet nahezu in der ganzen Welt damit, daß sich die Konjunktur in den nächsten Monaten abflacht. Angesichts dieser Perspektiven nach wie vor eine Aufwertung der D-Mark zu verlangen, ist nicht zu verantworten.
Und am 23. August 1969 heißt es von Kiesinger in der „Welt":Es wird keine anomalen Preissteigerungen geben; das Gerede, sie würden bestimmt kommen, ist unverantwortlich.
— Das sind doch ganz manierliche Zitate. Ich bringe die Zitate, um zu zeigen, daß jeder irren kann.
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Bundesminister Dr. SchillerHerr Kollege Höcherl würde diese zitierten Prognosen der Herren Kiesinger und Strauß andere bezeichnen. Ich glaube, der listenreiche Odysseus würde sagen: Diese Prognosen von Strauß und Kiesinger waren alle rachitische Eintagsfliegen.
Noch am 2. März dieses Jahres, als in der Bundesregierung neue, zusätzliche Stabilisierungsmaßnahmen diskutiert wurden, hieß es in der ,,Rheinischen Post": „Stoltenberg wirft Schiller unnötige Dramatisierung vor." Später sind Sie dann auf den anderen, den richtigen Dampfer gekommen, Herr Stoltenberg.
Ich glaube, meine Damen und Herren, diese Auslese genügt, um zu zeigen: Die CDU/CSU sollte an ihre eigene Brust schlagen, wenn sie der Bundesregierung vorwirft, ihre Stabilisierungsmaßnahmen vom Juli dieses Jahres seien spät oder zu spät gekommen.
Seitdem diese Regierung die Verantwortung für die politische und die wirtschaftliche Entwicklung unseres Landes übernahm, haben wir nach und nach alle Weichen auf kontinuierliche, allmähliche Stabilisierung gestellt. Sicherlich, meine Damen und Herren - das sage ich ganz freimütig —, haben wir dabei auch Lehrgeld gezahlt; wer wollte das ableugnen!
Eine bessere, nämlich antizyklische Finanzpolitik hätten Sie damals auch ohne Stabilitätsgesetz betreiben können.
Soweit meine Bemerkungen zum Haushalt 1970 im Vergleich zum letzten Boom-Haushalt 1965. Ich darf hinzufügen: das Stabilitäts- und Wachstumsgesetz gilt selbstverständlich auch für den Haushaltsplan 1971. Meine Damen und Herren von der Opposition, Sie haben den Kabinettsbeschluß vom 17. September dieses Jahres anscheinend immer noch nicht recht zur Kenntnis genommen, offenbar weil dieser Kabinettsbeschluß nicht in Ihre Linie des Wehklagens über den Haushaltsentwurf 1971 paßt. Das Kabinett hat an jenem Tage beschlossen — das ist auch publiziert worden —: erstens, daß wir vor dem Inkrafttreten des Haushalts 1971 im Januar/ Februar nächsten Jahres noch überprüfen werden, ob er in unsere Konjunkturlandschaft paßt; zweitens, daß der gegenwärtige Entwurf aus heutiger Sicht eine absolute Obergrenze darstellt — einige Herren bei Ihnen, die Mehranforderungen in bezug auf Strukturpolitik und Verteidigungsausgaben stel-
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Bundesminister Dr. Schillerlen, sollten auch einmal berücksichtigen, daß wir von der Regierung gesagt haben, dieser Ausgabenzuwachs in Höhe von 12,1 % stelle aus heutiger Sicht eine absolute Obergrenze dar —; drittens, daß wir, wenn nötig, dann den Haushaltsvollzug unter die Bedingungen des § 6 des Stabilitäts- und Wachstumsgesetzes stellen können; viertens, daß die Haushaltssperren 1970 und die Konjunkturausgleichsrücklagen bestehen bleiben.Diesen Kabinettsbeschluß sollte auch die Opposition endlich zur Kenntnis nehmen und nicht immer so tun, als ob der Haushalt 1971 mit seiner Einbringung vor 14 Tagen schon in Kraft getreten sei.
Was das bisherige reale Ergebnis, Herr Müller-Hermann, unserer stabilitätsorientierten Finanzpolitik betrifft, so beziehe ich mich da auf den letzten Wochenausweis der Deutschen Bundesbank. Er weist eine von Bund und Ländern angesammelte Konjunkturausgleichsrücklage von rund 3 Milliarden DM sowie bisher aufgelaufene Zahlungen für den Konjunkturzuschlag zur Einkommen- und Körperschaftsteuer in Höhe von 724 Millionen DM aus; das macht zusammen rund 3,7 Milliarden DM.Diese Gesamtsumme-Konjunkturausgleichsrücklagen und Konjunkturzuschlag — wird durch den weiter bis Sommer 1971 erhobenen Konjunkturzuschlag bis auf 7 bis 8 Milliarden DM anwachsen und im Ausweis der Deutschen Bundesbank nachzulesen sein. Meine Damen und Herren, ich möchte die Bundesregierung sehen, die für die Stabilität finanzpolitisch mehr getan hätte oder mehr hätte tun können, als sich gerade in diesen Milliardenzahlen niederschlägt.
Stabilitätspolitik, meine Damen und Herren, wird mit Maßnahmen gemacht und nicht mit Worten,
erst recht nicht mit simplen Propagandatricks.
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Leicht?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Lieber Herr Leicht, ich bin jetzt gerade in einem Gedankengang. Danach bin ich sehr gern bereit, Ihnen auf eine Frage zu antworten.Ich möchte zu diesem Thema sagen: Bruno Heck hat mit seiner Behauptung, daß die deutschen Sparer durch die Preissteigerungen in diesem JahrVerluste von 15 Milliarden DM erlitten, eine höchst unseriöse Milchmädchenrechnung aufgemacht.
Herrn Hecks Rechnung, die er da ausgeheckt hat,
ist nämlich unvollständig und damit falsch.
Die Antwort lautet — hören Sie sich doch die Antwort an! —: Das Vermögen, das Geldvermögen der Privatpersonen in Form von Spareinlagen, Bauspareinlagen, Lebensversicherungen, festverzinslichen Wertpapieren und Aktien betrug nach Schätzung der Bundesbank im Jahre 1969 377 Milliarden DM. Das ist die Basiszahl, von der wohl auch Bruno Heck ausging. Dieses Geldvermögen wird 1970 einen Ertrag von 24 Milliarden DM in Form von Zinsen, Dividenden und Sparprämien erbringen. Es wird zusätzlich Erträge aus Steuerersparnissen nach dem 624-DM-Gesetz und nach dem Bausparprämiengesetz abwerfen, die sich nicht genau quantifizieren lassen. Der Reinertrag der Geldvermögen nach Berücksichtigung der Preissteigerung
beträgt daher 1970 über 9 Milliarden DM. Das ist die Wahrheit.
Der reale Zins — hören Sie doch zu; es ist ein bißchen kompliziert —, der diesen Ertrag zuwege bringt, ist heute höher als in den Jahren 1962 bis 1966, in denen die CDU/CSU für die Stabilität unserer D-Mark verantwortlich war. Das ist der Vergleich.
Die Zinssätze sind nämlich heute stärker gestiegen als die Preise. Nicht, daß ich diesen Zustand von Preissteigerungen und noch höheren Zinsen
für besonders schön halte. Aber das Erebnis ist doch: Es lohnt sich auch heute, zu spareng.
Herr Heck hat in seiner Rechnung nur die Passivseite genannt. Ich möchte die Opposition ernsthaft fragen: Was haben Sie eigentlich mit jener einseitigen Rechnung, die nur eine Seite der Bilanz aufmacht, im Sinn gehabt? Sie haben damit doch gerade dem kleinen Mann einen schlechten Dienst erwiesen.
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Bundesminister Dr. SchillerSie haben ihn verunsichert und ihn zu für ihn selber schädlichen Verhaltensweisen animiert.
Sie haben doch mit dieser einseitigen, verkürzten und falschen Rechnung der Inflationsmentalität, von der Herr Strauß so gerne spricht, neue Nahrung gegeben.
Meine Damen und Herren, seit Oktober 1969 ist in der Stabilitätspolitik ein schweres Stück Arbeit durch Bundesbank und Bundesregierung im Zusammenwirken mit Ländern und Gemeinden geleistet worden:Mit Hilfe aller eben erwähnten Maßnahmen sind wir dabei, den im Jahre 1969 noch ungezügelten Nachfrageboom jetzt Stufe für Stufe unter Kontrolle zu bringen.
Damit ist eine Kumulierung der Fehlentwicklungen des Jahres 1969 verhindert worden. Und das ist schon etwas.
Die Bundesregierung weiß, daß Stabilität nur schrittweise wiederzugewinnen ist. Ich habe das auch bereits 1965 und 1966 in der Öffentlichkeit und hier in diesem Hohen Hause gesagt.
— Sie von der Opposition wollten nämlich damals Stabilität von heute auf morgen bei Verbraucherpreisen, deren Anstieg damals wesentlich größer war als heute, und Sie sind mit diesem Von-heuteauf-morgen damals gescheitert.
Wir befinden uns dagegen nach wie vor in der guten Gesellschaft des Sachverständigenrates,
der bei der Wiedergewinnung der Stabilität immer den Grundsatz der Allmählichkeit betont hat.
— Heute haben wir eine gute Strecke des Weges zur Normalisierung hinter uns gebracht.
.letzt geht es um die Fortsetzung dieses Weges, undes geht um die Weichenstellung für das Jahr 1971.
Wir werden erneut handeln, wie es die Situation erfordert.
Wir werden uns aber weder durch Druck noch durch Verlockung von der Opposition in der sich abflachenden Entwicklung zu einem Übersteuern der Konjunktur verleiten lassen.
Wir setzen uns nicht in jenen Oldtimer aus dem Jahre 1966, mit dem die CDU/CSU damals das „Ende einer Dienstfahrt" erlebte.
Was wir unter Normalisierung verstehen, wollen wir durch ein allmähliches Ansteuern des mittelfristigen Entwicklungspfades zeigen. Für 1971 bedeutet das: Jenes Jahr wird nicht durch die hohen Zuwachsraten eines konjunkturellen Aufschwungs aus der Talsohle wie etwa im Jahre 1968 geprägt werden, auch nicht durch die Raten der Jahre 1969/70, die Folgen und Ausdruck der Überhitzung waren. Die Wachstumsraten auf den verschiedensten Gebieten werden im Jahre 1971 mehr als in den vergangenen Jahren von der nachhaltigen Entwicklung der Leistungsfähigkeit unserer Wirtschaft bestimmt werden. Das wird zunächst vor allem für die Investitionen gelten, die in den letzten Jahren besonders ungestüm angewachsen sind. Das wird in zunehmendem Maße aber auch für die Entwicklung der Masseneinkommen und für den privaten Verbrauch gelten. Ein weiterer Anstieg des Lebensstandards ist uns auch dann gewiß.Wenn das nächste Jahr noch nicht ein Jahr des kompletten Genusses ohne Reue wird, so deshalb nicht, weil in den Preisen von 1971 immer noch Spuren der Vergangenheit sichtbar bleiben werden.
Meine Damen und Herren, darin sind wir uns wohl einig, und das versteht sich von selbst: das Jahr 1971 wird noch weniger als irgendein anderes Jahr dafür geeignet sein, besondere Geschenke an einzelne Gruppen zu verteilen.
Nur allzu leicht könnten wir auf diesem Weg die Chancen für ein höheres Maß an Stabilität vertun. Dies gilt um so mehr, als im Laufe des Jahres 1971 die Belastungen wegfallen werden, die Verbrauchern und Investoren durch die zusätzlichen Stabilisierungsmaßnahmen vom Juli dieses Jahres auferlegt worden sind.
Meine Damen und Herren! Ein Jahr des konjunkturellen Überganges wie das Jahr 1971 wird neben den Chancen auch Risiken bergen. Es wird hohe Anforderungen sowohl an die Konjunkturpo-
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Bundesminister Dr. Schillerlitik als auch an die autonomen Gruppen in unserer Gesellschaft stellen.Auch die Opposition ist unersetzlich bei der Lösung dieser Aufgabe, meine Damen und Herren von der Opposition.
Ich frage die Opposition immer und immer wieder: Was ist Ihr Konzept für 1971?
Was sind Ihre Alternativen, um hier mit der Regierung in einen leistungsfördernden Wettbewerb um mehr Stabilität einzutreten?
Auch die Opposition sollte erkennen: Unser freiheitliches Wirtschaftssystem, unsere marktwirtschaftliche Ordnung, ist ein kostbares Gut.
— In Marktwirtschaft können Sie mir nichts vormachen.
— Hören Sie einen Augenblick bitte zu! Dieses System beruht auf den normalen und stabilen Verhaltensweisen von Millionen von Arbeitnehmern und Unternehmern, von Verbrauchern und Sparern. Wir alle sollten dabei wissen — mit allem Ernst-: Wer diese Verhaltensweisen verunsichert oder in anomale Spontanreaktionen umfunktioniert,
der rührt damit an die Fundamente unserer gemeinsamen freiheitlichen Ordnung.
Für die Bundesregierung wird auch in Zukunft das Gesetz zur Förderung der Stabilität und des Wachstums der Wirtschaft Grundgesetz und Richtlinie des konjunkturpolitischen Handelns im Rahmen der marktwirtschaftlichen Ordnung sein, wie es in § 1 des Gesetzes heißt. Seine Ziele haben wir wie bisher in einer sehr offenen, nach dem Ausland hin völlig offenen Wirtschaft zu verwirklichen.Diese Problematik hat die Bundesregierung in diesem Jahr zu besonderen Bemühungen bei der Erarbeitung des Stufenplans für die Wirtschafts- und Währungsunion innerhalb der Europäischen Gemeinschaft angespornt. Auch bei diesem Problem liegen — meine Damen und Herren, ich sage das ganz freimütig - Chance und Risiko dicht beeinander. Die Europäische Gemeinschaft wird im Kern eine Stabilitätsgemeinschaft werden müssen. Die Arbeiten sind jetzt weit fortgeschritten, so daß der Stufenplan noch in diesem Jahr dem Ministerrat in Brüssel vorgelegt werden kann. Wir erreichen damit in der Europäischen Gemeinschaft eine Orientierung der Konjunkturpolitik an gemeinsamen Zielen. Die angestrebte bessere Koordination des Mitteleinsatzes macht aber die nationalen Instrumente der Konjunkturpolitik zunächst nicht überflüssig, erhöht sogar die Anforderungen an deren Flexibilität. Dies wird sich freilich ändern, wenn am Ende des mehrjährigen Annäherungsprozesses gleichwertige Gemeinschaftsinstrumente geschaffen worden sind.Meine Damen und Herren, ein solcher Ausblick auf das Jahr 1971 und darüber hinaus wäre nicht möglich, wenn diese Bundesregierung nicht von der ersten Stunde nach ihrem Amtsantritt an durch außen- und binnenwirtschaftliche Maßnahmen gehandelt hätte und nicht auch den Mut zu unpopulären Entscheidungen gehabt hätte.
Nein, wir haben diesen Mut zu höchst unpopulären Entscheidungen gehabt,
und Sie haben sich dem vornehm versagt.Die moderne Wirtschaftspolitik, meine Damen und Herren, hat gezeigt, daß sie durchaus in der Lage ist, die Wirtschaft aus der Talsohle hinauszuführen. Die moderne Wirtschaftspolitik kann auch den Boom unter Kontrolle bringen. Die Bundesregierung wird sich nicht von ihrem Kurs abdrängen lassen, der sicher sowohl an Inflation wie an Stagnation vorbeiführt.
Nach allem, was wir heute sagen können, könnte das Jahr 1971 ein Jahr des Atemholens und der Entspannung in unserer Wirtschaft sein. Ich kann Ihnen, meine Damen und Herren von der Opposition, nur eindringlich nahelegen: Gehen Sie in allem, was Sie sagen und tun, mit dieser Bundesregierung auch in der Wirtschaftspolitik auf Entspannungskurs.
Das würde Ihnen und der deutschen Wirtschaft nur zum Nutzen gereichen.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Stoltenberg.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Bei der Lektüre der schriftlichen Antwort der Bundesregierung auf unsere Große Anfrage und auch bei einigen Passagen der Rede des Kollegen Schiller wurde ich an eine der jüngsten Äußerungen des Sprechers der Bundesregierung, Conrad Ahlers, erinnert, dem wir so manche interessante Wortschöpfung verdanken. Er
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Dr. Stoltenberghat vor einigen Tagen die Informationspolitik des Kabinetts als „die Verbreitung von Wahrheiten in verschönter Form" charakterisiert.
Wahrheiten in verschönter Form sind freilich zumeist nur noch Teilwahrheiten.
Die Form verdeckt sehr leicht den Inhalt. Was wir lasen und soeben hörten, enthält zudem auch einige recht anfechtbare Behauptungen, die zum Widerspruch herausfordern.
Aber verschönt waren diese Darstellungen sicher. Die Wirklichkeit der wirtschaftlichen Lage in Deutschland ist ernster und teilweise auch gefahrvoller, als der Kollege Schiller es eben dargestellt hat.
Erneut müssen wir, wie schon mehrfach in den vergangenen 12 Monaten, feststellen, daß die Bundesregierung nicht bereit ist, diesem Hause und der deutschen Öffentlichkeit ein wirklich ungeschminktes Bild der Wirklichkeit als Voraussetzung für eine nachhaltigere und erfolgreichere Politik vorzulegen.Herr Kollege Schiller, ich möchte es mir versagen, sehr ausführlich auf Ihre historischen Exkurse einzugehen. Ich habe den Eindruck, daß die Flucht in die Vergangenheit zum Teil doch die Verlegenheit der Gegenwart bemänteln soll, die Tatsache, daß Sie auf die Fragen, die die Menschen in unserem Lande bedrängen, keine überzeugenden Antworten geben können.
Sie haben hier mit Schlagzeilen und Zeitungsmeldungen vergangener Jahre und Monate operiert. Ich greife nur einmal die Schlagzeile — sie stammt vom 2. März — heraus, die mich selbst betrifft: „Stoltenberg wirft Schiller unnötige Dramatisierung vor." Das war eine Feststellung im Anschluß an Ihre Rede vor dem Industrie- und Handelstag, als Sie selbst im Zusammenhang mit den wirtschaftspolitischen Entscheidungen von Schlachten wie Skagerrak, Jena und Sedan gesprochen haben.
Das sind Begriffe der Kriegsgeschichte, die nicht geeignet waren, jene Hysterie zu vermeiden, die Sie hier beklagt haben,
und jene Beunruhigung zu dämpfen, die Sie doch selbst zum Teil vor und nach der Bundestagswahl erzeugt haben.
Wir haben hier bereits am 29. und 30. Oktober, in den Tagen nach der Regierungserklärung, eindringlich ein binnenwirtschaftliches Stabilitätskonzept verlangt. Wir haben Sie gewarnt, jene konjunkturwidrigen leichtfertigen Versprechungen auf Steuersenkungen zu machen, die Ihnen seitdem so sauer geworden sind.
Wir haben das aus einer richtigeren Einschätzung der konjunkturellen Probleme des Jahres 1970 heraus getan, allerdings auch nicht frei von Irrtum. Wer ist das schon? Im Grundsatz war das, wie ich glaube, aber doch vorausschauender als jene ersten falschen Signale, die Sie gaben.Sie haben den Kollegen Strauß als früheren Bundesfinanzminister hier noch einmal besonders kritisiert. Man muß aber doch daran erinnern, daß er es fertiggebracht hat, die Staatsausgaben in den neun Monaten vor der Bundestagswahl auf ein Wachstum von 7 % zu begrenzen. Wir wollen uns morgen dann im einzelnen einmal darüber unterhalten, welche erschreckenden Steigerungsraten seitdem unter seinem Nachfolger zu verzeichnen sind.
Aber lassen wir diese ausführlichen Exkurse in die Vergangenheit. Ich glaube, es sind vor allem drei Fragen, die die Menschen gegenwärtig in unserem Lande beschäftigen und beunruhigen: Wie sind die bestimmenden Tendenzen der Wirtschaftsentwicklung für die nähere Zukunft? Welche Folgerungen ergeben sich daraus für eine konsequente Anwendung des Stabilitätsgesetzes? Vor allem aber: Welchen Stellenwert hat das Ziel der Stabilität überhaupt noch in den realen Erwägungen, nicht in den verbalen Beteuerungen dieser Regierung?
Im Gegensatz zu dem verschönten Bild, das die Bundesregierung hier wieder einmal von dem angeblich bevorstehenden Übergang zu einem ausgewogenen Gleichgewicht der Konsolidierung auf hohem Niveau entworfen hat, stehen die Eingangsbemerkungen im jüngsten Monatsbericht der Bundesbank, und sie sind entscheidend,
nicht die sehr ausgewählten Zitate aus den weiteren Passagen, die Sie, Herr Kollege Schiller, gebracht haben.Die Bundesbank sagt — ich darf das hier kurz vortragen —:Die konjunkturelle Lage in der Bundesrepublik ist weiterhin durch eine Überforderung des industriellen Produktionsapparates gekennzeichnet. Dies wird in der anhaltenden Steigerung der Preise und der Effektivlöhne sichtbar.Ich zitiere weiter:Zu diesem Befund einer stark inflatorisch beeinflußten Situation der Wirtschaft paßt auch, daß die wichtigsten monetären Größen, die Kreditgewährung der heimischen Banken und die Geldbestände der Wirtschaft, weiter stark gewachsen sind.Die Bundesbank diagnostiziert dann Gewichtsverschiebungen zwischen den einzelnen Nachfragekomponenten, und sie betont vor allem den unge-
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Dr. Stoltenbergschwächten Aufwärtstrend der Nachfrage der öffentlichen Hand. Sie hält es im Gegensatz zur Bundesregierung nicht für möglich, bereits jetzt aus einzelnen Symptomen, die der Kollege Schiller hier ausführlich geschildert und meines Erachtens überinterpretiert hat,
auf ein Abebben der inflatorischen Tendenzen und damit auf eine Wende zu schließen. Damit steht in den Kernfragen der Konjunkturdiagnose die Notenbank, unterstützt von vielen unabhängigen Stimmen, erneut in einem deutlichen Kontrast zu den optimistisch gefärbten Darlegungen der Regierung.
Wir sind uns sicher mit dem Bundeswirtschaftsminister darin einig, daß in diesen beginnenden Herbstwochen jede Konjunkturdiagnose besonders schwierig ist.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Sofort, Herr Kollege Porzner.
Aber nach den Erfahrungen der letzten elf Monate haben sich die Vorhersagen der Bundesbank als zuverlässiger, weil freier von politischen Opportunitätserwägungen, erwiesen als die Aussagen dieses Kabinetts. Bitte sehr, Herr Kollege!
Herr Stoltenberg, ist Ihnen entgangen, daß die Bundesbank unmittelbar nach dem, was Sie zitierten, folgendes schreibt — ich zitiere jetzt —:
Auf der einen Seite läßt der Frühindikator der Nachfrage, der Auftragseingang bei der Industrie nämlich, erkennen, daß sich die Bestellungen im Unternehmensbereich abzuschwächen beginnen.
Es ist dann weiter vom Abbau der Lagerbestände die Rede, die die Unternehmungen anstreben; und davon, daß sich bei Gütern für Ausrüstungsinvestitionen die Nachfrage 'vermindert und daß der Bestand an unerledigten Aufträgen in der Wirtschaft nicht mehr weiter gestiegen ist.
Wörtlich schreibt die Bundesbank in dem Monatsbericht — und ich frage Sie, ob Ihnen das entgangen ist —:
Insoweit sind erste Anzeichen für den Beginn einer konjunkturellen Auflockerung zu erkennen.
Die Bundesbank fährt fort:
Sie lassen sich überdies durch manche andere Symptome ergänzen,
etwa durch eine geringe Abnahme der Zahl der offenen Stellen oder auch durch verstärkte Bemühungen um das Auslandsgeschäft in einigen Branchen.
Eine Frage? -Nein, ich kann sie nicht zulassen. Bitte, zur Beantwortung!
Haben Sie auch das gelesen, Herr Kollege Stoltenberg?
Herr Kollege Porzner, Sie haben Ihre ausführliche Zwischenfrage, die ja zum Teil Zitate des Kollegen Schiller wiederholt, zu einem Zeitpunkt gestellt, in dem ich selbst mit der Würdigung dieses Textes noch nicht ganz zu Ende war, und ich möchte eigentlich jetzt gern in meinen Ausführungen fortfahren; damit beantworte ich auch Ihre Frage dem Kern nach.Zweifellos weisen einige Daten, auf die der Kollege Schiller hingewiesen hat und die sich auch in dem Bundesbankbericht finden, auf eine sektorale Abschwächung der Nachfrage hin.
— Ja, verzeihen Sie, das ist eigentlich das Stichwort, das ich vor mir hatte. Ich bin mit meiner Analyse dieses Berichtes nicht am Ende gewesen. - Ich stimme dem Kollegen Schiller darin zu, daß wir diese Abschwächung in bestimmten Bereichen sehr sorgfältig zu beobachten und zu würdigen haben. Hier scheinen sich in der Tat erste Wirkungen des harten Restriktionskurses der Bundesbank zu zeigen. Aber — und das findet sich auch in diesem Bericht, den wir nun doch nicht ganz von Anfang bis Ende vortragen können - die noch ansteigende private Nachfrage und vor allem die negativen Wirkungen einer konjunkturwidrigen staatlichen Ausgabenpolitik
tragen den Boom in seiner Spätphase offensichtlich mit einem neuen inflatorischen Treibsatz noch weiter, einem Treibsatz, dessen Kraft und Dauer heute niemand exakt vorherschätzen kann.
Ich glaube, so muß man es sehen, und hier begegnen nun allerdings, Herr Kollege Schiller, auch einige Zahlen und einige Argumente, die Sie vortrugen, unseren ernsten Bedenken. Auch ein eindeutigerer Rückgang der Auftragseingänge, der denkbar, nicht sicher ist, und in deren Gefolge allmählich der Produktionsspitzen sind so lange kein Anlaß zur Selbstzufriedenheit, wie die Kostensteigerungen anhalten.
Hier spricht die Bundesbank im Gegensatz zur Bundesregierung bei den industriellen Erzeugerpreisen nur von einer vorübergehenden Beruhigung, weil sich die zugrunde liegenden Faktoren nicht verändert haben. Und hier, Herr Kollege Schiller, muß
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Dr. Stoltenbergman in der Tat auch Ihre Äußerungen über die jüngsten Indikatoren auch Äußerungen, die außerhalb dieses Hauses fielen — etwas kritisch untersuchen.Der Staatssekretär im Wohnungsbauministerium hat erklärt, der Aufwärtstrend der Baupreise sei gebrochen. Nun, daß die Baufirmen im Herbst nicht für die vor ihnen liegenden Monate mit weiteren erheblichen Steigerungen rechnen, ist, wie ich glaube, zunächst einmal ein saisonaler Vorgang.
Er sagt bei dem anhaltenden Kostendruck auch auf diesem Sektor für die Entwicklung des kommenden Jahres überhaupt nichts aus, weder etwas Positives noch etwas Negatives.Sie haben, Herr Kollege Schiller, auch die jüngsten Indizes doch nur ausgewählt zitiert. Denn diese Zahlen für September — für Nordrhein-Westfalen liegen sie vor — geben zunächst einmal ohne Saisonwaren eine Preissteigerung von 4,3% für alle Haushalte an.
Einschließlich Saisonwaren — hier steht noch etwas von Heizöl und Blumen; ich kenne die einzelnen statistischen Bewertungsmaßstäbe nicht so genau — sind es 4 %. Es ist richtig, daß die Zahl bei den Arbeitnehmerhaushalten noch ein kleines Stück darunter liegt; aber 4,3 und 4 % sind ja nun keineswegs Ziffern, die irgendwie Anlaß zur Beruhigung geben.Was Ihre Vergleiche mit 1966 anbetrifft, so muß ich sagen: die sind natürlich sehr einseitig gewählt. Denn Sie haben hier übersehen, daß wir heute im Vergleich zu 1966 ein Ansteigen der industriellen Erzeugerpreise bei Investitionsgütern von über 10 % haben, während damals die Ziffern bei 1 bis 2% lagen. Das gehört nach meiner Überzeugung auch in eine solche Bilanz hinein.
Ich glaube, insofern müssen wir in der Bewertung dieses differenzierten Zahlenbildes, das — auch nach Meinung der Bundesbank — entscheidend bestimmt ist durch das Anhalten der zugrunde liegenden Auftriebstendenzen, sehr vorsichtig sein. Und dies wäre nun allerdings die gefährlichste der denkbaren Zukunftsmöglichkeiten: Rückgang der Produktion und weiter anhaltende Erhöhung der Kosten, d. h. eben Stagnation und Inflation. Deshalb muß sich die Bundesregierung eindeutiger als bisher um die Brechung der weitverbreiteten Inflationsmentalität und des Preisauftriebs bemühen, statt hier unzulängliches Handeln mit ausgesuchten statistischen Daten zu verschönen und zu bemänteln.
Dabei stellt sich vor der Erörterung der angemessenen Mittel die erwähnte prinzipielle Frage nach dem Stellenwert der Stabilität in der Politik dieses Kabinetts. Wesentlich stärker noch als die Kritik der Bundesbank, des Sachverständigenrates, der Wirtschaftspresse und der CDU/CSU haben die widersprüchlichen und teilweise auch leichtfertigen und gefährlichen Äußerungen aus dem Regierungslager zu diesem Punkt die Öffentlichkeit beunruhigt.Ich meine hier vor allen' die jüngsten Darlegungen der Kollegen Rosenthal und Arndt, Vorgänger und Nachfolger im gleichen Amt, denn des Parlamentarischen Staatssekretärs des Wirtschaftsministers, die beide wie Elefanten in der Porzellanmanufaktur moderner Wirtschaftspsychologie tätig waren.
Es geht dabei aber nicht nur um negative psychologische Wirkungen, sondern auch um die zugrunde liegende Sache. Herr Rosenthal hat gemeint, daß die jetzigen Preissteigerungen nicht sehr beunruhigend seien, solange die rasch wachsenden Einkommen wesentlich stärker stiegen. Deshalb sollten sich die Bürger nicht in das „Preisbockshorn" jagen lassen. Herr Arndt hat gesagt, wir müßten mit der heutigen Inflationsrate leben, weil die außenwirtschaftliche Absicherung ohne flexiblere Wechselkurse unmöglich sei. Es hat hier offensichtlich auch in den eigenen Reihen nicht an herber Kritik gefehlt.
Herr Abgeordneter Stoltenberg, gestatten Sie eine Zwischenfrage von Herrn Rosenthal?
Einen Augenblick! - In etwas abgeschwächter Form werden ihre Argumente aber auch von anderen prominenten Regierungsvertretern verwandt, so vorn Bundeskanzler bei seinen Wahlreisen im Land, deren Verlauf allerdings zunehmend die Unzufriedenheit vieler Bürger mit diesen Verharmlosungen deutlich macht.
Bitte sehr, Herr Kollege Rosenthal!
Herr Kollege Stoltenberg, wo habe ich je gesagt, daß die derzeitigen Preissteigerungen nicht beunruhigend seien? Wenn ich gesagt habe, daß Stabilität zwar ein wichtiger, aber nicht der einzige Faktor für den Wohlstand sei, und Sie zitieren dann nur den zweiten Halbsatz, ist das nicht so ähnlich, wie wenn Sie zu Ihrem Jungen sagen: schneide dir die Haare, aber die Pfoten mußt du dir auch waschen, und ich sage dann: Sie sind ein Vertreter der Hippie-Haarmode!?
Herr Kollege Rosenthal, ich habe den Sinn des allegorischen Bildes nicht ganz verstanden, wie ich gestehen muß. Aber ich werde noch etwas darüber nachdenken.Zum ersten Teil Ihrer Frage muß ich Ihnen sagen, daß ich Ihre in allen führenden deutschen Zeitungen wiedergegebenen Äußerungen aus einer Pressekonferenz korrekt zitiert habe.Meine Damen und Herren, ich sagte soeben: In etwas abgeschwächter Form werden diese Argumente auch von anderen prominenten Regierungsvertretern verwandt, so vom Bundeskanzler bei seinen Wahlreisen im Lande, deren Verlauf allerdings
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Dr. Stoltenbergzunehmend die Unzufriedenheit vieler Bürger mit diesen Verharmlosungen deutlich macht.
In der Tat wird hier übersehen, daß es viele Millionen Menschen gibt, die nicht in der Lage sind, die Preissteigerungen dieses Jahres mit Einkommensverbesserungen von 8, 10 oder mehr Prozent zu kompensieren. Ich erinnere hier an die 9 Millionen Sozialrentner, die ab 1. Januar nächsten Jahres nach der Rentenformel eine Erhöhung ihrer Bezüge um 5,5 Prozent erhalten
und im Durchschnitt schon jetzt eine Steigerung der Lebenshaltungskosten von 4 bis 5 %, in vielen Fällen durch höhere Mieten und andere Sonderfaktoren von 6 und 7 % und mehr hinnehmen müssen.
Das gleiche gilt bei gebundenen Preisen für Millionen Landwirte, bei steigenden Kosten für den kleinen selbständigen Mittelstand, für die kinderreichen Familien und andere Gruppen mehr. Hier wird ganz deutlich, daß die Inflationierung die wirtschaftlich Schwächeren am härtesten trifft,
und bei ihnen haben die Kollegen Rosenthal und Arndt mit ihren Darlegungen deshalb zu Recht heftigen Widerspruch gefunden.Wie kann man, so erklärte der Finanzminister in seiner Etatrede, bei der Preisdebatte die enge internationale Verflechtung der deutschen Wirtschaft übersehen? Er hat dann eine Serie von Vergleichszahlen über höhere Steigerungsraten der Lebenshaltungskosten in anderen Ländern vorgetragen. Nun, zu dieser Art statistischer Präsentation sagten die Römer höflich: Wer anfängt zu zählen, fängt an zu irren. Denn andere und besonders relevante statistische Daten ergeben ein wesentlich ungünstigeres Bild als das hier vorgetragene. Ich verweise etwa auf die Vergleichszahlen für die industriellen Erzeuger- und Baupreise. Im Wohnungsbau lag die Bundesrepublik bereits im Mai mit 17,3 % Preisanstieg gegenüber dem Vorjahresmonat in Westeuropa an der Spitze,
vor Italien mit 17,1, den Niederlanden mit 16% bis herunter zu den USA mit 4,5% und Frankreich mit 2,8 %.
Auch bei den industriellen Erzeuger- und Großhandelspreisen, Herr Kollege Schiller, bilden die 6,2 bzw. 6,6% mehr vom August keineswegs einen günstigen Durchschnittswert. Und bei dem Preisindex für Investitionsgüter beträgt die Inflationsrate mit 10,2% heute mehr als das Doppelte der Daten so wichtiger Konkurrenten wie der USA und Japans.
Der Kollege Möller hat in seinen Darlegungen zu diesem Punkt also übersehen, daß die Geldentwertungsrate nicht einfach mit der Steigerung der Lebenshaltungskosten gleichzusetzen ist.
Für das erste Halbjahr 1970 ergibt sich vielmehr eine Differenz des realen und des nominalen Sozialprodukts von rund 7 % als der gültige Faktor der Gesamtwirtschaft, und da sind wir aus der Spitzengruppe der Stabilität schon ganz weit zurückgefallen, meine Damen und Herren.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Nein, im Augenblick nicht.Das sind, wie ich glaube, entscheidende nationale und internationale Daten für die künftigen Lebenshaltungskosten der Jahre 1971 und 1972, die Wettbewerbsfähigkeit und die Sicherheit der Arbeitsplätze von morgen. Sie unterstreichen die schon ausgesprochene Warnung, jetzt einzelne rückläufige Bewegungen bei den Auftragseingängen bereits als einen Übergang zur Normalisierung anzusehen. Es gibt in vielen anderen Ländern, wie bei uns, anhaltende inflationäre Tendenzen; das ist sicher völlig richtig. Aber der Generalsekretär der OECD hat in seinem jüngsten Bericht dargelegt, daß in den USA eine konsequente Stabilitätspolitik jetzt zu niedrigeren Steigerungsraten als bei uns führt, nach den jüngsten Monatsdaten im August übrigens auch bei den Lebenshaltungskosten.So muß man es sich wohl auch erklären, daß einer der bekanntesten amerikanischen Nationalökonomen mir vor einigen Tagen sagte, er halte es für denkbar, daß die Bundesrepublik in absehbarer Zeit aus dem vornehmeren Club der aufwertungsverdächtigen Länder in den weniger reputierlichen Kreis der abwertungsverdächtigen hinüberwechseln könne.
1950 bis 1968 haben wir bewiesen — bei einer einmaligen Aufwertung 1961 —, daß man auch ohne ständige Wechselkursänderungen durch eine konsequente binnenwirtschaftliche Stabilitätspolitik erheblich unter dem Durchschnitt der Preissteigerungen bei den Partnerländern bleiben kann,
mit einer Jahresrate von etwa 2 % mehr bei den Lebenshaltungskosten gegenüber fast 4 % im übrigen Westeuropa. Das, Herr Kollege Schiller, ist die Gesamtbilanz der Wirtschaftspolitik der CDU auf dem Gebiet der Stabilität, nicht einzelne ausgesuchte Monatsziffern aus dem Jahre 1966.
Dieses Ergebnis der Vergangenheit erscheint dem Kollegen Arndt nach elf Monaten einer sozialdemokratisch geführten Regierung jetzt für die Zukunft als eine unrealistische Illusion. Ich weiß nicht ge-
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Dr. Stoltenbergnau, ob ihm ganz klar wurde, welches vernichtende Zeugnis er damit nach seinem Ausscheiden aus dem Kabinett seinen regierenden Parteifreunden ausgestellt hat.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die Bundesrepublik ist keine Insel der Stabilität mehr. — Aber die Frage lautet, ob wir das hinzunehmen haben, ob das so bleiben muß,
wie die Kollegen Arndt, Rosenthal und andere offensichtlich meinen. Weshalb ist jetzt die Stabilitätsforderung eine „Schnapsidee", um den Kollegen Helmut Schmidt aus einer Fernsehdebatte zu zitieren, die gleiche Forderung, die bei denselben weltwirtschaftlichen Verflechtungen 1966 und 1969 das Glanz- und Kernstück sozialdemokratischer Wahlpolitik war?
Darauf erwartet das deutsche Volk mit uns eine klarere Antwort, als sie bisher gegeben wurde.Gilt, was der Kollege Schiller in Kopenhagen mit seiner dramatischen Aufforderung zur Inflationsbekämpfung und zur Stabilität sagte?
Oder war das auch nur eine abwegige Idee — ich will den Ausdruck „Schnapsidee" im Zusammenhang mit Ihnen natürlich nicht gebrauchen —?Was von den Ausflüchten, den Entschuldigungen über angebliche internationale Zwangsläufigkeiten zu halten ist, hat ein besonders kompetentes Mitglied der Koalitionsparteien, der Kollege Kienbaum, am kommenden Sonntag ganz klar formuliert. Ich möchte das hier kurz zitieren.
— Am vergangenen Sonntag, jawohl, ich bitte um Entschuldigung. Ich bedanke mich für die Berichtigung, Herr Lenders. — Am vergangenen Sonntag hat er es klar formuliert.
Er wird es vielleicht im Verlauf der kommenden Debatte noch wiederholen, — wenn auch nicht am Sonntag. Ich zitiere ihn:Die Stabilitätspolitik hat Vorrang. Wer diese Politik ernsthaft verfolgt, kann ein Hinausreden auf die Entwicklung im Ausland nicht anerkennen. Die außenwirtschaftlichen Verflechtungen berühren nur einen Teilsektor der deutschen Wirtschaft. Sie haben am Gesamtaufkommen nur einen Anteil von 30%. Die zunehmende Inflationsrate der Bundesrepublik wurde durch binnenwirtschaftliche Maßlosigkeit hervorgerufen.
Das sind, Herr Kienbaum, goldene Worte, bei denen wir allerdings fragen müssen, ob sie, wie die frühere Entschließung des FDP-Hauptausschusses für eine restriktivere Haushaltspolitik, nur verbales Rankenwerk bleiben oder bestimmend für die Politik dieser Regierung werden.
Der letzte Satz des Kollegen Kienbaum, den ich hier nicht unterschlagen will, bedarf meines Erachtens einer Ergänzung. Er lautet:Der entscheidende Impuls für eine Besserung muß jetzt von den Tarifpartnern kommen.
Das ist, wie ich glaube, eine Teilwahrheit, wenn auch eine unverschönte. Denn neben und vor ihrer großen Verantwortung, die wir unterstreichen, stehen die Verpflichtungen des Staates aus dem Stabilitätsgesetz, die bis heute nicht voll wahrgenommen werden.
Wir unterscheiden uns hier von der gegenwärtigen amtlichen Politik vor allem in einer unterschiedlichen Bewertung der Folgerungen, die sich heute aus § 1 des Stabilitätsgesetzes ergeben. Bei den aufgewiesenen Tendenzen und Gefahren ist das Ziel der Preisstabilität nicht nur eines von mehreren, neben Vollbeschäftigung, Wachstum, außenwirtschaftlichem Gleichgewicht, das man niedriger — wie die Kollegen Rosenthal und Arndt und auch Bundeskanzler Brandt in manchen Wendungen — oder etwas höher — wie Professor Schiller — ansetzen kann. Es ist in der gegenwärtigen Lage statt dessen die Voraussetzung für die mittel- und langfristige Gewährleistung der anderen Ziele, weil es bei anhaltender Inflationierung der Kosten keine sicheren Arbeitsplätze, kein stetiges Wachstum und voraussichtlich auch kein außenwirtschaftliches Gleichgewicht geben kann.
Wir stimmen mit dem Bundeskanzler überein: diese Ziele, vor allem auch die Sicherung der Arbeitsplätze, muß die Wirtschaftspolitik stets im Auge haben. Nur sind die praktischen Folgerungen für die aktuellen wirtschaftlichen Erfordernisse genau entgegengesetzt. Der Bundeskanzler hat unrecht, wenn er jetzt in Frankfurt bei einer möglichen Beruhigung der überschäumenden Konjunktur gleichsam automatisch eine Preisberuhigung erwartete. Deshalb muß das Kabinett endlich nach so langen Versäumnissen eine konsequente Stabilitätspolitik genau auf diesen Punkt hin, nämlich zur Eindämmung der Kosten, entwickeln. Hier betonen wir auf das nachdrücklichste den Zusammenhang aller Instrumente des Stabilitätsgesetzes und einer völlig homogenen gemeinsamen Politik von Bundesregierung und Bundesbank, die es seit Februar nicht gibt.Wir haben seit Juli den Konjunkturzuschlag, also Steuervorauszahlung zur Verminderung der privaten Nachfrage. Aber die damals vom Kollegen Schiller angekündigte, auch von uns für dringend notwendig gehaltene Umrüstung der Stabilitätspolitik durch eine substantielle Diskontsenkung blieb bisher
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3806 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 69. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 7. Oktober 1970
Dr. Stoltenbergaus, ebenso wie auch die für den Herbst versprochene Preisberuhigung. Die Ausgabenpolitik des Bundes für 1970 und der Entwurf des Bundesetats 1971 entsprechen nicht den Erfordernissen des Stabilitätsgesetzes, und von einer Konzertierten Aktion kann doch seit Anfang dieses Jahres keine Rede sein.
Hier ist der neuralgische Punkt. Statt eines abgestimmten und gleichmäßigen Einsatzes der verschiedenen Instrumente haben wir nach wie vor einen harten Restriktionskurs der Bundesbank, zu hart, verursacht durch das Zurückbleiben der anderen Verantwortlichen, einen entgegengesetzten expansiven Haushaltskurs der Bundesregierung und ohne Konzertierte Aktion eine gefährliche offene Flanke bei den Preisen und Löhnen. Bei dieser Disharmonie der Ziele und Mittel kann die Regierung die entscheidende Aufgabe, die schnelle Eindämmung der Preise und Kostensteigerungen, nicht in befriedigendem Umfange meistern.Wir plädieren in dieser schwer zu beurteilenden Konjunktursituation keineswegs für undifferenzierte härtere Bremsmaßnahmen, sondern für einen koordinierten Einsatz aller Instrumente, eine Diskontpolitik, die durch angemessene Maßnahmen der Regierung endlich entlastet wird, eine stabilitätsgerechte Haushaltspraxis und -planung, die ein Beispiel setzt, die Verminderung der privaten Nachfrage, die in diesem Zusammenhang vertretbar ist, aber auch nur dann, und eine Konzertierte Aktion. Hierin, Herr Kollege Schiller, besteht unsere Alternative zu dem Kurs der Regierung, nach der Sie fragten.
Nur so können wir die entgegengesetzten, einander aufhebenden Wirkungen der jetzigen disharmonischen Politik mit ihren gefährlichen Folgen beseitigen und den inflatorischen Prozeß unter Kontrolle bringen.Meine Damen und Herren, ich will der Haushaltsdebatte des morgigen Tages nicht im einzelnen vorgreifen. Unter dem Gesichtspunkt der konjunkturpolitischen Verantwortung des Staates bedauern wir es, daß sich die Regierung nicht entschlossen hat, dem Vorschlag des Wirtschaftsministers und unseren eigenen Anträgen zu folgen, den Etat in einen Kern- und einen Eventualhaushalt zu untergliedern. Führende deutsche Zeitungen, wie etwa die „Süddeutsche Zeitung" vom 30. September, haben über die internen Meinungsverschiedenheiten im Kabinett ausführlich berichtet. Insoweit hat der Kollege Schiller heute mit der Verteidigung dieser Entscheidung eine bemerkenswerte Kabinettsdisziplin bewiesen.Wir erkennen den angeblichen Gegensatz zwischen konjunkturgerechter Haushaltsgestaltung und der Verwirklichung innerer Reformen, den der Bundesfinanzminister in seiner Etatrede hier postuliert hat, auf gar keinen Fall an. Die erschreckenden Preissteigerungen im öffentlichen Hochbau von 20 bis 30 % in diesem Jahr machen jedermann deutlich, daß eine Inflationierung der Baukosten höhere Sozialinvestitionen verhindert und statt dessen zu einem gefährlichen Substanzverlust, teilweise zu einem Rückgang des realen Leistungsstandes zu führen droht.
Unsere Forderung nach einer konsequenten kurzfristigen Stabilitätspolitik, auch unter vorübergehender Einbeziehung der Staatsausgaben, steht deshalb nicht im Gegensatz zu den mittel- und langfristigen Zielen einer erheblichen Steigerung der Sozialinvestitionen. Sie ist vielmehr die unverzichtbare Voraussetzung hierfür.
— Aber in gar keiner Weise, Herr Kollege Haehser. Wenn in diesem Jahr die Straßenbaukosten einschließlich der Hochbaumaßnahmen um etwa 17 % steigen und der Kollege Leber nur etwa 10 % mehr Haushaltsmittel hat, kann er durch diese Politik nur weniger Straßen bauen.
Das ist das Ergebnis des Jahres 1970, das Sie genauso gut kennen wie wir. Wenn Sie die Ursachen für diese Preissteigerungen nicht beseitigen, dann können Sie sich wie die Ressortminister nominal mit brasilianischen Zuwachsraten schmücken, Sie werden trotzdem die Modernisierung unseres Landes nicht meistern.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Nein!Für das Jahr 1971 hat der Präsident der Bundesbank, Karl Klasen, ein gewiß unverdächtiger Zeuge, in einem Zeitungsinterview ein Urteil abgegeben, das diesen Erklärungen des Finanzministers klar entgegensteht. Ich zitiere Herrn Klasen:Nach den gegenwärtigen Tendenzen müssen wir annehmen, daß mindestens im ersten Halbjahr 1971 das innere Gleichgewicht noch nicht voll wiederhergestellt sein wird. Dabei wird es sehr viel darauf ankommen, wie sich die Erwartungen insbesondere hinsichtlich der weiteren Preissteigerungen entwickeln werden. Die Ankündigung einer Zunahme des Bundeshaushalts von 12 % ist nicht geeignet, diese Erwartungen zu dämpfen.
Diese deutliche Kritik eines besonders verantwortlichen und unabhängigen Mannes weist auf die eminente Signalwirkung hin, die von dem Verhalten des Bundes ausgeht. Er hat die zentrale Verantwortung. Er setzt die Eckdaten. Es ist schon ein Ausdruck der Verlegenheit, daß sich der Finanzminister hier zur Entschuldigung auf die Wachstumsraten Baden-Württembergs, Schleswig-Holsteins oder anderer Länder berief. Er muß doch im Finanzplanungsrat die volkswirtschaftlichen Voraus-
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Dr. StoltenbergSetzungen für die Bundesregierung setzen und die Maßstäbe geben, die dann auch für andere als Orientierungspunkte gelten können!
Ernste konjunkturpolitische Kritik fordern auch die finanziellen Planungen der Bundesregierung für die kommenden Jahre heraus. Sie sehen für 1971 bis 1974 eine Neuverschuldung der öffentlichen Hand um 50 Milliarden DM vor. Allein für 1971, meine Damen und Herren, ist mit mehr als 8 Milliarden DM eine höhere Wachstumsrate der Kreditaufnahme vorgesehen, als das Volumen der beiden Investitionshaushalte zur Konjunkturbelebung im Rezessionsjahr 1967 ausmachte.
Meine Damen und Herren, uns überzeugt die Stellungnahme der Bundesregierung zu dieser Kritik der Bundesbank nicht. Wir befürchten vielmehr mit der Notenbank — ich zitiere —, daß eine derartige Ausweitung der öffentlichen Neuverschuldung weit über das hinausgeht, was bei einem inflationsfreien Wachstum in einem Vierjahresabschnitt finanziert werden kann. Diese große Sorge beruht vor allem auch auf der ungünstigen Entwicklung der Sparquote des Jahres 1970. Sie spiegelt sich in den Zahlen wider, die von der Bundesregierung hier jetzt auch schriftlich bei der Beantwortung der Großen Anfrage genannt wurden, in dem Rückgang bei längerfristigen Anlagen von 17 auf rund 15 Milliaden DM.Im übrigen ist die Antwort gerade in diesem Punkt außerordentlich enttäuschend. Nicht weniger als viermal drückt sie mit mehr oder weniger beredten Worten ihre Hoffnung aus, daß die Sparquote der privaten Haushalte kräftig weitersteigen möge. Schließlich wird erklärt: Sollte dies allerdings auf Schwierigkeiten stoßen, dann müßte man die Frage einer Steuererhöhung neu durchdenken. Solche Wendungen, Herr Kollege Schiller, sind allerdings auch dazu angetan, die Bürger auf das höchste zu beunruhigen.
Eine wachsende Sparquote ist naturgemäß ein entscheidender Faktor für die Sicherung steigender Sozialinvestitionen. Um dieses Ziel zu erreichen, muß jedoch zunächst das erschütterte Vertrauen in den Stabilitätswillen dieser Regierung wiederhergestellt werden.
Die neuen Ideen zur strukturellen Milderung anhaltender Inflationsfolgen für sozial schwache Gruppen, die jetzt vom Kollegen Arndt angedeutet und auch von hohen Beamten der Regierung diskutiert bzw. entwickelt werden, sind hierzu nicht gerade geeignet. Sie erwecken außerdem die Befürchtung, daß der Kapitalmarkt durch dirigistische Maßnahmen aufgespalten und ganz einseitig in den Dienst politischer Ziele gesetzt werden soll.
Die gegenwärtige Flucht in die Immobilien ist zweifellos bedenklich, weil sie die Preise von Grund und Boden und damit die Kosten des Wohnungsbaues so stark erhöhen. Hier, meine Damen und Herren, im mangelnden Vertrauen liegen die Ursachen für die sozialen Härten im Wohnungswesen und nicht in der erfolgreichen Politik Paul Lückes in den Jahren 1957 bis 1965.
- Ja, meine Damen und Herren, glauben Sie denn,daß die Bausparer noch Vertrauen zu Ihnen haben, wenn sie feststellen, daß ihre Substanz in kurzer Zeit um 20 % geschmälert wird?!
Das hören Sie doch in Ihren eigenen Versammlungen, daß dieses Vertrauen nicht mehr vorhanden ist.
Im übrigen sollte die Bundesregierung bei ihren eigenen Bauplanungen gerade in dieser Zeit nicht die falschen Signale setzen. Wir sind für eine moderne, funktionsgerechte Planung hier in Bonn. Aber wir haben ernste Bedenken, wenn jetzt völlig überdimensionierte Projekte vorgelegt werden, etwa der Plan, im neuentworfenen Kanzleramt für den ersten Mitarbeiter des Bundeskanzlers ein Arbeitszimmer von 108 qm einzurichten.
Meine Damen und Herren, die bedeutenden Ratgeber der Präsidenten der USA oder der französischen Republik leisten effektive Arbeit in wesentlich kleineren Büros.
- Sind Sie einmal bei Henry Kissinger oder beiGeorge McBundy gewesen? Da können Sie es ansehen. Das Versailles Ludwigs XIV, in dem man ähnliche Zimmerfluchten besichtigen könnte, wird sicher für niemanden in diesem Haus ein Vorbild sein.
Nicht von ungefähr ist die schriftliche Antwort der Bundesregierung bezüglich der Konzertierten Aktion besonders wenig überzeugend; denn schließlich ist diese Institution seit Anfang des Jahres im Sinne des Gesetzes nicht mehr wirksam, und zwar bedingt durch die konjunkturpolitischen Versäumnisse des Kabinetts. Ich zitiere hier aus dem vorliegenden Antworttext der Regierung folgenden typischen Passus:Der Bundeswirtschaftsminister hat im letzten Gespräch in der Konzertierten Aktion am 17. Juli 1970 als Orientierungshilfe neue vorläufige Eckwerte der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung vorgelegt. Ihnen werden in der nächsten Sitzung am 9. Oktober die Vorstellungen der Tarifpartner gegenübergestellt werden. Die Bundesregierung erwartet, daß die sich daraus ergebende gesamtwirtschaftliche Orientierung es den Tarifvertragsparteien erleichtert, in den kommenden Lohnverhandlungen, autonom3808 Deutscher Bundestag —6. Wahlperiode — 69. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 7. Oktober 1970Dr. Stoltenbergzu stabilitätskonformen Entscheidungen zu gelangen.Meine Damen und Herren, seit vielen Monaten ist jedermann bekannt, daß die grundlegenden Entscheidungen der neuen Lohnrunde im Herbst von Mitte September bis Anfang Oktober, also vor der nächsten Sitzung der Konzertierten Aktion, fallen würden. Unter diesem Vorzeichen also soll die Stellungnahme der Sozialpartner zu den sogenannten Orientierungshilfen der Regierung vom 17. Juli erstmals am 9. Oktober erörtert werden — nachdem die neuen Tarifvereinbarungen getroffen sind oder definitive Verhandlungspositionen bezogen wurden.Allein diese völlig unmögliche Wahl der Termine macht deutlich, in welcher Weise die Bundesregierung ihre Verpflichtung nach § 3 des Stabilitätsgesetzes mißachtet und dieses wichtige Gremium gegenwärtig auf den Stand eines vornehmen Debattierklubs reduziert.
Dies gilt auch für die Weigerung der Regierung, Orientierungsdaten nach dem Wortlaut des Gesetzes vorzulegen. Man hat sich auf sogenannte vorläufige Eckwerte beschränkt, die nur als Aussage des Ressorts, nicht aber der Regierung deklariert sind. Die Bundesregierung sagt dazu in ihrer schriftlichen Antwort selbst:Sie wurden der Konzertierten Aktion am 17. Juli 1970 lediglich zur Charakterisierung eines von mehreren möglichen gesamtwirtschaftlichen Entwicklungsverläufen 1970/71 vorgelegt.Dies erinnert mich allerdings lebhaft an eine Rede, die der damalige Oppositionssprecher Professor Karl Schiller am 17. Februar 1966 hier über die Aufgaben dieser bedeutenden Institution gehalten hat. Diesen Text darf ich kurz zitieren. Er sagte damals:Das Gutachten schlägt eine konzertierte Aktion aller beteiligten Wirtschaftsgruppen unter eindeutiger Führung der Bundesregierung vor. Nach dem, was wir heute vernommen haben ..., muß ich sagen: Es ist gut, daß diese Bundesregierung nicht die Führung in einer solchen konzertierten Aktion angenommen hat. Denn das hat mich an etwas erinnert ...: In einigen Städten und so auch in der Freien und Hansestadt Hamburg gibt es Lokale mit dem Namen „Zillertal". Da gibt es eine große Kapelle, und da kann jeder, auch ein Kabinettsmitglied, hingehen und seinen Jugendtraum realisieren und für 5 oder 10 DM — je nach Preissteigerungsrate aufs Podium steigen und dirigieren. In diese Lage wäre die Bundesregierung bei jener Einstellung gekommen: ein Dirigent ohne Partitur, ohne Takt, manchmal auch ohne Taktgefühl ..., ein Dirigent, der in dem Moment, wo das Orchester mit 4,2 % aus dem Takt gekommen ist, immer noch weiterdirigiert, und zwar im alten Tempo, weil sein Staatssekretär vergessen hat, es ihm zu sagen.
Welch ein prophetisches Bild der eigenen Regierungswirklichkeit von heute!
Gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Nein. — Nur mit dem Unterschied, daß hier nicht ein Staatssekretär etwas zu sagen vergessen hat, sondern daß sein Bundeskanzler ihm verboten hat, etwas anderes zu tun.
1966 gab es kein Stabilitätsgesetz und keine Konzertierte Aktion. Wir haben sie auf Grund der Lehren jener Zeit gemeinsam in der Großen Koalition geschaffen und ihre Möglichkeiten von uns aus immer etwas zurückhaltender beurteilt als der Kollege Schiller vor der Bundestagswahl. Aber wir nehmen es nicht hin, daß die Regierung jetzt bei einer Preissteigerungsrate von 7 % ihre gesetzlichen Verpflichtungen vernachlässigt, nur weil sie in der Diskussion mit den gesellschaftlichen Gruppen durch ihre stabilitätswidrige Haushaltspolitik an Glaubwürdigkeit und Handlungsfähigkeit verloren hat.
Die Erwartung des Kollegen Schiller vom 10. Juli schließlich, die immanente Kraft des Konjunkturzuschlags werde nachhaltig auf die Tarifverhandlungen im Herbst wirken, hat sich bisher nicht erfüllt. Wenn es jetzt konkret um die Erhöhung von Einkommen um etwa 11 bis 14 % geht, dann spiegelt sich in solchen Vereinbarungen und Forderungen die Sorge um ein weiter anhaltendes Steigen der Lebenshaltungskosten und damit auch das mangelnde Vertrauen in den Stabilitätswillen dieser Regierung deutlich wider.
Derartige Sätze werden allerdings ihrerseits nicht ohne Wirkung auf die Kosten und die Preise von morgen bleiben können.
Meine Damen und Herren, über die negativen sozial- und gesellschaftspolitischen Folgen der Geldentwertung wird im Laufe der Debatte ausführlicher zu sprechen sein. Ich möchte hier im Augenblick grundsätzlich folgendes zum Abschluß sagen. Wenn die Vermögensbildung 1970 in breiten Schichten durch die Wirkungen der Geldentwertung weitgehend blockiert oder annuliert wird, wenn die wachsenden Wohnungsbau- und Mietkosten viele Menschen zu Recht beunruhigen, wenn die wirtschaftlichen Sorgen bei den Landwirten, den Arbeitnehmern, den Rentnern und anderen Gruppen besonders zunehmen, dann ist dies die Folge einer falschen Konjunkturpolitik dieser Regierung.
Der Versuch, den wir auch in der schriftlichen Antwort und in der mündlichen Begründung vielfach
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Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 69. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 7. Oktober 1970 3809
Dr. Stoltenbergerneut fanden, auf angebliche Versäumnisse früherer Zeiten apologetisch zu verweisen, überzeugt jetzt, zu Beginn des zweiten Amtsjahres dieser Bundesregierung, niemanden in Deutschland mehr. Das Bestreben mancher linkssozialistischen Kräfte in unserem Land, die sozialen Härten als Folge einer falschen Konjunkturpolitik, jetzt als Argumente zum politischen Sturmangriff gegen die marktwirtschaftliche Ordnung schlechthin zu benutzen, weisen wir nachdrücklich zurück.
An diese Kräfte, Herr Kollege Schiller, außerhalb und teilweise auch innerhalb Ihrer Partei sollten Sie Ihre marktwirtschaftlichen Bekenntnisse richten, nicht an uns.
Wir haben Kritik geübt und zugleich die Maßstäbe für eine überzeugendere Stabilitätspolitik dargelegt. Hierfür konkret in Einzelentscheidungen zu arbeiten, auch gemeinsam mit anderen in diesem Hause, sind wir bereit.
Das Wort hat der Bundesminister Helmut Schmidt. Er spricht als Mitglied der Bundesregierung.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe nicht die Absicht, mich in die konjunkturpolitische Debatte einzumischen.
— Den Beifall habe ich nicht ganz verstanden. Es könnte, wenn es notwendig würde, durchaus geschehen. Aber Schiller hat Hilfe nicht nötig, meine Damen und Herren!
Anlaß für mich, von meinem Recht nach dem Grundgesetz hier Gebrauch zu machen und in dieser Debatte ein Wort zu sagen, ist eine entstellende — ich nehme an, unabsichtlich entstellende Zitier-weise des Kollegen Stoltenberg mir gegenüber. Ich habe den von der Pressestelle der CDU/CSU-Fraktion herausgegebenen Text Ihrer Rede vor mir liegen, Herr Kollege Stoltenberg. Das Protokoll dessen, was Sie eben gesagt haben, steht mir noch nicht zur Verfügung. Ich nehme an, Sie sind einverstanden, wenn ich mich mit dem Zitat in der Form beschäftige, wie Sie selber es durch Ihre Pressestelle haben verbreiten lassen. Danach haben Sie gesagt, die Stabilitätsforderung habe der Kollege Helmut Schmidt in einer Fernsehdebatte als Schnapsidee bezeichnet. Ich weiß nicht, ob Sie die Fernsehsendung miterlebt haben. Es war eine Debatte, an der außer mir auch der Kollege Dr. Schröder beteiligt war. Vielleicht erkundigen Sie sich bei ihm, wie es wirklich war. Außerdem wird es ja wohl auch Nachschriften geben beim Bundespresseamt oder bei der Fernsehanstalt, die die Sendung ausgestrahlt hat.Es tut mir sehr leid, daß Sie sich aus fremden Zettelkästen bedienen. Bisher war das das Vorrecht des „Bayernkurier".
- Ich kann Ihnen noch mehr Beispiele geben. Mirliegt ja daran, daß der Herr Kollege Stoltenberg —
- Nein. Wissen Sie, ich bin nicht so sehr für Entschuldigungen, jedenfalls dann nicht, wenn jemand, nachdem andere monatelang die tollsten Gemeinheiten schriftlich, gedruckt und mündlich verbreitet haben, seinerseits mal aus der Haut fährt. Da bin ich gegen jede Entschuldigung.
Ich habe Herrn Stoltenberg nicht so verstanden, als habe er wirklich entstellend zitieren wollen.
Wenn Sie mir mit Ihren Zwischenrufen Zeit ließen, würde ich das jetzt sagen können.
— Nein, ich will keine Erklärung abgeben, ich will hier reden; das ist nämlich mein Recht nach dem Grundgesetz.
- Wollen Sie es nun hören, oder wollen Sie esnicht hören? — Was ich gesagt habe, ist folgendes. Ich habe zwar die wörtliche Nachschrift nun auch nicht innerhalb einer Viertelstunde beibringen können; aber es wird ja nachgesehen werden können, und Sie können dann kontrollieren, ob ich es jetzt richtig zitiere.Was ich gesagt habe, ist, daß es eine Schnapsidee sei, zu meinen, wir könnten in einer Welt, in der wir wirtschaftlich auf das engste mit fünf anderen EWG-Ländern verflochten seien, in denen sich überall sehr starke Preissteigerungen auswirken, in einer Welt, in der wir auf das engste verflochten seien darüber hinaus zum Beispiel mit England, zum Beispiel mit den Vereinigten Staaten von Amerika — alles Länder mit sehr viel schnelleren Preissteigerungen als bei uns —, von dieser allgemeinen inflatorischen Entwicklung in der industriellen Welt ver-
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3810 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 69. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 7. Oktober 1970
Bundesminister Schmidtschont bleiben und uns eine Insel der Stabilität, ein(' „Insel der Seligen", einrichten.
— Dazu, Herr Stoltenberg stehe ich auch. Wenn Sie sich damit auseinandersetzen wollen, wäre es gut. Dann bin ich auch bereit, darauf noch einmal zu antworten. Dazu stehe ich, aber nicht zu Ihrem Zitat, das so tut, als ob ich sowohl das Gesetz über Stabilität und Wachstum als auch die Regierungserklärung dieser Bundesregierung als auch die Einlassungen meiner Kollegen Möller und Schiller nicht ernst nähme. — Bitte schön!
Herr Kollege Schmidt, darf ich Sie dahin gehend ergänzen, daß Sie diese Ausführungen, es sei eine Schnapsidee, daß wir uns von den weltwirtschaftlichen Verflechtungen auf Inflation hin absetzen könnten, im Zusammenhang mit einer Fragestellung gemacht haben, in der eben gefragt wurde, ob ein Stabilitätskonzept in der Bundesrepublik durchsetzbar sei, und würden Sie in diesem Zusammenhang konzedieren, daß mein Zitat nicht so falsch war, wie Sie es eingangs dargestellt haben,
auch wenn es vielleicht interpretationsfähig ist?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Stoltenberg, es ist noch nicht richtig, wie Sie es jetzt gesagt haben. Aber Sie werden das ja nachlesen, und Sie werden Herrn Kollegen Schröder fragen. Sie haben aber zum Schluß Ihrerseits eine Konzessionsbereitschaft angedeutet, indem Sie gesagt haben: so falsch ist das, was ich — Stoltenberg gesagt habe, wohl nicht. Das heißt, Sie haben nicht ganz bestritten, daß es im Grunde doch falsch ist. Und dafür bin ich dankbar.
Was nun Schnapsideen angeht, möchte ich Ihnen noch ein weiteres Beispiel dafür sagen dürfen. Ich spreche nicht davon, daß Sie zum Beispiel als präsumtiver Lenker der Geschicke eines deutschen Bundeslandes in diesem Bundeslande öffentliche Reden halten und Ihrerseits verlangen, der Bundeshaushalt solle mehr tun für das Land, das Sie demnächst regieren möchten. Davon will ich gar nicht sprechen. Da gibt es eine ganze Menge Zitate.
— Nein, im Augenblick nicht, Herr Präsident.
Sie kommen gleich, Herr Stoltenberg. Ich muß aber zuerst noch die wirkliche Schnapsidee an den Mann bringen, und dann haben Sie Gelegenheit zu einer Zwischenfrage. Das war ja eben wirklich bloß eine Zwischenbemerkung.
Sie kommen gleich zu Wort.. Aber erst muß ich Ihnen sagen, was eine Schnapsidee ist. Nämlich wenn Sie und andere Ihrer Fraktion, zum Teil sehr ernst zu nehmende Kollegen in ernst zu nehmenden Reden, zum Teil sehr viel weniger ernst zu nehmende, hier seit Monaten und auch heute wieder dem Finanzminister sagen, der Bundeshaushalt solle sich einschränken und der Bund solle nicht soviel tun, aber wenn ich z. B. auf meinem Fachgebiet gleichzeitig Aufsätze des sehr geschätzten Herrn Kollegen Zimmermann lese,
in denen der Bundesregierung schwerste Vorwürfe gemacht werden, daß sie für die Rüstung nicht mehr ausgebe, als im Haushalt steht, dann nenne ich das eine Schnapsidee.
- Bitte schön!
Herr Kollege Schmidt, darf ich darauf hinweisen, daß Sie, nachdem Sie soeben ein, wie ich glaube, in der Sache richtiges, in der Formulierung aber zu interpretierendes oder zu verfeinerndes Zitat von mir beanstandet haben, mich jetzt völlig falsch zitiert haben. Ich habe nämlich die Forderung auf höhere Bundesmittel für die finanzschwachen Länder, zu der ich stehe, immer mit dem klaren Zusatz versehen, daß diese Mittel 1970 in einem Eventualhaushalt zu veranschlagen sind, der erst dann wirksam wird, wenn es konjunkturpolitisch zu verantworten ist, so daß deshalb diese Forderung völlig im Zusammenhang mit dem steht, was ich hier zur Stabilitäts- und Haushaltspolitik gesagt habe.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Stoltenberg, habe ich Sie richtig verstanden und darf ich es demnächst in Schleswig-Holstein so verwenden, falls ich es richtig verstanden haben sollte? —, daß Sie sagten: Ich, Stoltenberg, will erstens, daß der Bundeshaushalt gegenwärtig kleiner gemacht wird? Zweitens soll aber außerdem ein Eventualhaushalt im Hintergrunde stehen. Drittens will ich aus diesem Eventualhaushalt aber mehr für Schleswig-Holstein haben, als der Finanzminister aus dem gegenwärtigen Haushalt für mich bewilligt. Habe ich das richtig verstanden?
— Es tut mir leid, daß der Kollege Stoltenberg jetzt kein Mikrophon zur Verfügung hat. Ich muß deswegen laut wiederholen, was er mir zuruft. Ungefähr sei das richtig, hat er gesagt.
Ich habe nichts dagegen einzuwenden, daß jemand,der für die Interessen seines Landes strebt, sich soeinstellt, Herr Stoltenberg. Das ist durchaus eine
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Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 69. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 7. Oktober 1970 3811
Bundesminister Schmidthaltbare Position. Nur, sie ist nicht in Konsistenz mit dem, was Sie hier für die Gesamtfraktion der CDU/CSU vertreten.
Das Wort hat der Abgeordnete Junghans. Seine Redezeit beträgt 45 Minuten.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben in den letzten Wochen und Tagen sehr viele verschiedene Reden zur Konjunktur- und Wirtschaftspolitik gehört. Das bringen die Landtagswahlen so mit sich. Der Inhalt aller dieser Reden läßt sich auf den verhältnismäßig kleinen Nenner bringen: Bundesregierung und Koalitionsfraktionen ringen um die Stabilität, die Opposition redet über Inflation. Das hat auch Herr Kollege Stoltenberg hier heute wieder bewiesen.
Ich frage Sie, meine Damen und Herren von der Opposition: Was verstehen Sie unter einer, wie Herr Stoltenberg hier sagte, konsequenten und kurzfristigen Stabilitätspolitik? Was schlagen Sie denn vor? Die Antwort bleiben Sie seit elf Monaten schuldig.
Meine Damen und Herren, worum geht es überhaupt? Ich nenne drei Problemkreise. Es geht doch darum, daß wir auch morgen noch billig einkaufen können und daß die Mark des Sparers ihren Wert behält. Zweitens geht es darum, daß die Arbeitsplätze auch in Zukunft so sicher sind wie heute. Drittens und nicht zuletzt geht es darum, daß für unsere Jugend bessere Schulen und Ausbildungsstätten, für unserer Kinder Kindergärten geschaffen werden, daß unsere Städte bewohnbarer werden und daß mehr und bessere Straßen gebaut werden. Dies alles ist ein sozialer Rechtsstaat seinen Bürgern schuldig.Was haben alle diese Dinge miteinander zu tun? Um es mit einfachen Worten zu sagen: Wir setzen alle Bemühungen daran, wieder zur Preisstabilität zu kommen. Zugleich müssen wir darauf achten, daß unsere Bremsmaßnahmen so dosiert sind, daß der konjunkturpolitische Karren nicht ins Schleudern gerät, daß also die Arbeitsplätze nicht gefährdet werden. Außerdem dürfen die Bemühungen um Preisstabilität nicht dazu führen, daß wichtige Aufgaben des Staates, die unsere Zukunft sichern sollen, nicht in Angriff genommen werden.Meine Damen und Herren, diese Probleme sind allerdings zu schwierig, als sie damit lösen zu können, daß auf dem Bonner Marktplatz Zettel verteilt werden, auf denen von seiten der CDU/CSU verkündet wird: „Zwiebeln und Kabeljau, Schokolade und Elektroherde sind teurer geworden." So gehen Sie vor, meine Damen und Herren von derCDU/CSU! Wir können dem etwas entgegensetzen.
Ich kann Ihnen eine ähnliche Liste nennen: Eier und Tomaten sind billiger geworden, auch Unterhosen für Männer sind billiger geworden.
Ich meine, daß eine solche Betrachtungsweise, wie sie auf Ihrer Seite zu erkennen ist, dem Ernst der Sache nicht angemessen ist.
— Woher wissen Sie denn das, Herr Kollege?
— Haben Sie die Rechnung gesehen?
Der Herr Bundeswirtschaftsminister hat heute morgen sehr anschaulich dargestellt, daß wir uns in einer konjunkturellen Übergangsphase befinden. Ich möchte noch einmal betonen, daß die Auftragseingänge in der Industrie, die im vergangenen Jahr noch um 20 % bis 30% gestiegen sind, jetzt stagnieren. Die Auftragseingänge sind — diese Auffassung teilen wir mit den maßgeblichen Konjunkturforschungsinstituten — das wichtigste Anzeichen für die Beschäftigung der Industrie in der Zukunft. Hier deutet sich also ein Umschwung an.Wir dürfen aber nicht übersehen, daß es auch andere Einflüsse gibt. Der herr Bundeswirtschaftsminister hat sie hier im einzelnen genannt. Ich möchte besonders noch auf den von den Devisenzuflüssen ausgehenden monetären Druck auf unser Preisniveau hinweisen. Man kann also nicht mit Sicherheit sagen, daß wir den Boom endgültig überwunden haben. Noch liegt die Steigerungsrate bei den Lebenshaltungskosten knapp unter 4 %.Ich muß hier Herrn Kollegen Stoltenberg rügen. Es ist einfach unseriös, den Deflationsfaktor als Maß für die Preissteigerungsrate zu nehmen. Darüber besteht unter allen Wirtschaftspolitikern und -wissenschaftlern Einigkeit. Der Preissteigerungsatz von knapp 4 % ist uns zu hoch. Er ist auch für uns untragbar. Es ist aber nicht möglich, die Preissteigerung von heute auf morgen aus der Welt zu schaffen. Sollte man das mit Gewalt versuchen wollen, fügte man der Volkswirtschaft schwersten Schaden zu.Sie haben 1965/66 unsere Wirtschaft in die Rezession gebremst, obwohl damals bereits die wirtschaftlichen Daten längst auf einen Umschwung deuteten. Meine Damen und Herren von der Opposition, ich erkläre hier ganz offen: Diesen Fehler werden wir nicht machen.
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3812 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 69. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 7. Oktober 1970
JunghansLassen Sie mich auch noch eines sagen — ich will durchaus nicht verniedlichen —: Die Schwierigkeit, der wir uns in der Konjunkturpolitik gegenübersehen, ist doch folgende. Der Bremsweg vor allem der geldpolitischen Maßnahmen ist sehr lang. Das ist unbestreitbar. Deswegen werden sich die Erfolge unserer konjunkturpolitischen Maßnahmen vom Juli erst in einigen Monaten einstellen.Unsere politische Verantwortung verpflichtet uns, das Ziel der Preisstabilität zu verfolgen. Diese Verpflichtung nehmen wir ernst. Ich möchte daran erinnern, daß die SPD-Fraktion, die FDP-Fraktion und vor allen Dingen der jetzige Bundeswirtschaftsminister Schiller dem Stabilitätsgesetz Form und Inhalt gegeben haben.Aber bei aller Wichtigkeit der Preisstabilität sollten wir nicht vergessen, daß uns der § 1 dieses Gesetzes auch dazu verpflichtet, neben der Stabilität des Preisniveaus für Vollbeschäftigung, außenwirtschaftliches Gleichgewicht und für ein stetiges und angemessenes Wirtschaftswachstum zu sorgen. Der Sturzflug, wie ihn die Opposition empfiehlt, der unversehens in eine Rezession enden kann, ist uns also versagt.
— Ja, sicher.
Wir streben den wirtschaftlichen Gleitflug an, der uns einen nahtlosen Übergang in das gesamtwirtschaftliche Gleichgewicht ermöglicht. Bei einem so empfindlichen System, wie es die Marktwirtschaft ist, empfiehlt sich eben nicht die Holzhammermethode. Meine Damen und Herren, Sie würden ja an die Reparatur Ihres Fernsehgeräts auch nicht mit Hammer und Meißel herangehen.Die Bundesregierung hat das Richtige getan und sechs der wichtigsten Paragraphen des Stabilitätsgesetzes angewandt. Es sind das die §§ 3, 4, 5, 15, 22 und 26.Im Oktober vergangenen Jahres haben wir den Wert der D-Mark gegenüber den ausländischen Währungen verbessert. Jedem Sachkundigen ist klar — und ich wiederhole das hier —, daß wir ohne diese Maßnahme heute Preissteigerungsraten von 6 bis 8 % hätten
und nicht eine Steigerungsrate von knapp unter 4 %.Wir haben ferner einen Bundeshaushalt für 1970 vorgelegt, der in Übereinstimmung mit den Zielen des § 1 des Stabilitätsgesetzes steht. Das heißt: wir fahren trotz all Ihrer Unkenrufe in diesem Jahr einen Haushalt, der mit einer Steigerung von 9,5 % gegenüber dem Vorjahr erheblich unter der Wachstumsrate des Bruttosozialprodukts mit 12 1/2 % liegt.
— Es ist die nominale Steigerungsrate, Herr Kollege, und wenn sie um 3 % unter der Wachstumsrate des Bruttosozialprodukts liegt, kann man hier doch wohl die Behauptung aufstellen, daß der Vollzug des Haushalts 1970 antizyklisch gewesen ist und nicht prozyklisch wie noch 1965/66. Ich glaube, daswill hier auch niemand von Ihnen bestreiten. Rechnen müssen Sie sowieso noch lernen; das werde ich Ihnen nachher noch nachweisen.
Nur am Rande möchte ich bemerken, daß einige CDU-regierte Länder sich nicht so konjunkturgerecht verhalten haben. 1970 liegen z. B. — ich rede von den Länderhaushalten 1970, Herr Kollege — Rheinland-Pfalz mit 14,6 %, Baden-Württemberg mit 12,7 %, Bayern mit 12,9 % und das Saarland mit 13,5 % erheblich über der Steigerungsrate des Bundeshaushalts. Das werden Sie nicht bestreiten.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Bitte, Herr Kollege.
Herr Kollege, da Sie vorhin sagten, der Bundeshaushalt 1970 sei gegenüber dem Haushalt 1969 nur um 9 % angehoben, möchte ich Sie fragen — —
9 1/2 %; ich möchte das halbe Prozent auch gelten lassen.
9,5%, jawohl. Haben Sie übersehen, daß der frühere Finanzminister Strauß vor zehn Tagen nachgewiesen hat, daß der Bundeshaushalt 1969 durch Ausgaben bis zum Februar 1970 manipuliert worden ist und daß dadurch diese von Ihnen genannten Zahlen gekommen sind?
Was der Herr Kollege Strauß in der Öffentlichkeit sagt, ist für mich noch nie ein Beweis der Richtigkeit gewesen.
Ich hatte jetzt eigentlich eine andere Zwischenfrage erwartet, nämlich die, wie es denn nun mit den Haushalten der sozialdemokratisch regierten Länder im Jahre 1970 aussehe, und habe deswegen die Zahlen auch hier liegen: Hessen 9,1 %, Bremen 10,3 %, Hamburg 7,2 % Berlin 7,8 % und Nordrhein-Westfalen 10,0 %. Also ich kann nur sagen, daß es auf diesem Sektor eine Abstimmung zwischen der Bundesregierung und diesen Ländern gegeben hat und daß die SPD-regierten Länder der Parole von Herrn Kohl „Wir machen doch für die Sozis keine Konjunkturpolitik" nicht gefolgt sind.
Wir haben beschlossen, für Bund und Länder eine obligatorische Konjunkturausgleichsrücklage von insgesamt 2,5 Milliarden DM zu bilden. Der Herr Bundesminister für Wirtschaft hat eben ausgeführt, daß gegenwärtig in den Tresoren der Bundesbank sogar 3 Milliarden DM als Konjunkturausgleichsrücklage liegen. Wir haben außerdem die Strekkung der Begebung von Anleihen durch Bundesbahn und Bundespost durchgesetzt. Wir haben ferner im Juli die degressive Abschreibung bis Ende
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Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 69. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 7. Oktober 1970 3813
JunghansJanuar nächsten Jahres ausgesetzt, um die privaten Investitionen der Industrie zu drosseln.Ebenso haben wir analog zum § 26 des Stabilitätsgesetzes die Steuervorauszahlungen beschlossen, die in Höhe von 10 % der Steuerschuld vom 1. August 1970 bis zum 30. Juni 1971 von jedem zu entrichten sind, der mehr als 100 DM Steuern im Monat bezahlt. Das Geld wird bei der Bundesbank in den Tresor gelegt; der Bund kann also nicht darüber verfügen. Eine Verzinsung des Konjunkturzuschlages, wie Sie sie hier beantragt haben, ist nicht möglich, weil das Geld ja auch nicht in der Wirtschaft arbeitet. Die Rückzahlung des Konjunkturzuschlages ist gesetzlich festgelegt. Spätestens bis zum 31. März 1973 müssen die Gelder an den Steuerzahler zurückgezahlt sein.Zusammen mit den Maßnahmen der Bundesbank im Zuge unserer Stabilitätspolitik werden — und das ist die interessante Zahl — insgesamt 19 Milliarden DM stillgelegt, ein Zeichen dafür, daß die Konjunkturpolitik dieser Bundesregierung gradlinig und erfolgreich war und auch sein wird.
Welche wirtschaftspolitischen Vorstellungen hat nun die Opposition produziert — abgesehen davon, daß sie in schönen regelmäßigen Abständen in diesem Hause darüber redet, aber nicht über ihre eigenen Vorschläge, sondern nur über das, was andere falsch machen könnten oder sollten?
— Das machen wir schon! Was haben Sie denn konkret hier vorgeschlagen, Herr Stoltenberg? Das können Sie nachher durch Ihre Redner einmal sagen lassen. Das wollen wir nun endlich hören! Auch was Sie für 1971 vorschlagen, wollen wir endlich einmal hören.
Beginnen wir mit dem Jahre 1969, meine Damen und Herren. Damals hat Bundeskanzler Kiesinger, der seinerzeit die Richtlinien der Politik bestimmte, dem Wirtschaftsminister Schiller alle Maßnahmen zur Dämpfung der Konjunktur verweigert. Sie werden sich doch erinnern, Herr Stoltenberg, daß er Herrn Diehl als Pressesprecher noch verkünden ließ — und zwar im Frühherbst vergangenen Jahres —, es gebe keinerlei Anzeichen für steigende Preise. Und Sie werden sich auch noch erinnern können, daß Herr Strauß im September vorigen Jahres sagte: Schiller empfiehlt, auch noch weiter stark zu bremsen, ohne zu merken, daß sich das Konjunkturklima wieder spürbar abzukühlen beginnt. Würden seine Vorschläge aus jüngster Zeit — die Aufwertung — jetzt angewendet, dann würde die Konjunktur in wenigen Monaten abgewürgt. - Meine Damen und Herren, die Vorschläge wurden angewendet, die Konjunktur wurde nicht abgewürgt.Sie werden sich, Herr Müller-Hermann, auch noch an Ihre eigene Äußerung vom Oktober erinnern können, wir hätten allen Anlaß, uns mit der Frage zu beschäftigen, wie wir — um ein Wort Ihres Fraktionsvorsitzenden zu gebrauchen — mit dem Klotz einer überzogenen Aufwertungsquote am Bein leben könnten, ohne Schaden auf die Dauer zu nehmen. An anderer Stelle meinten Sie, daß die Bundesregierung für wichtige Bereiche unserer Wirtschaft im Interesse der inneren Stabilität und sicherer Arbeitsplätze Schäden abzuwenden bemüht sein müsse.Das, Herr Stoltenberg, waren die flankierenden Maßnahmen, die damals vorgeschlagen worden sind. Wenn ich mich also richtig erinnere und das richtig sehe, waren das Maßnahmen für eine Konjunkturspritze. Und Sie können heute nicht so tun, als seien dies Maßnahmen zur Erreichung der Stabilität gewesen. Es ist für Sie nicht möglich, dies so umzufunktionieren.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Ja, bitte!
Herr Kollege Junghans, Sie wollen doch wohl nicht unsere Forderung von Ende Oktober, aus konjunkturpolitischen Gründen auf die Steuersenkungen zu verzichten, als eine „Konjunkturspritze" bezeichnen?
Wir haben darauf verzichtet; das wissen Sie.
Herr Kollege Stoltenberg, ich darf wiederholen: Herr Müller-Hermann, Herr Strauß und Herr Höcherl haben gefordert, im Interesse sicherer Arbeitsplätze Schäden für wichtige Bereiche unserer Wirtschaft abzuwenden. Das kann ich doch wohl nur so verstehen, daß sie die Konjunktur gefährdet sahen. Seit April des Jahres 1970 argumentiert die Opposition genau umgekehrt. Herr Kollege Dr. Stoltenberg warf der Bundesregierung im April dieses Jahres vor, daß sie es versäumt habe, zugleich mit der Aufwertung ein binnenwirtschaftliches Stabilitätsprogramm zu verwirklichen. Herr Höcherl machte es etwas vornehmer. Er sagte, alles wäre nicht notwendig gewesen, wenn man nach der Aufwertung, also nicht zugleich, ein flankierendes Programm aufgestellt hätte, und zwar zunächst einmal beim Haushalt. Herr Stoltenberg und Herr Höcherl hatten die Kassandrarufe der Opposition im Spätherbst und Winter nach der Aufwertung, die Kassandrarufe, es werde bald eine Arbeitslosigkeit geben, schlicht vergessen.Dem Verlangen nach restriktiver Haushaltsführung stehen immer neue Forderungen der CDU/CSU nach Mehrausgaben gegenüber. Sie brachte einen Gesetzentwurf zur Altershilfe für Landwirte ein: zusätzliche Ausgaben 200 Millionen DM pro Jahr.
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3814 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 69. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 7. Oktober 1970
JunghansMit ihrem Gesetz zur Erhöhung des Kindergeldes will die Opposition den Haushalt mit rund 1,6 Millionen DM mehr pro Jahr belasten. Hinzu kommen Gesetzentwürfe zur Kriegsopferversorgung und zur Beamtenbesoldung, die von der CDU/CSU-Fraktion Anfang dieses Jahres eingebracht wurden und deren Verwirklichung ebenfalls viele hundert Millionen D-Mark Mehrausgaben bedeuten würde. Schließlich legten Sie aus wahltaktischen Gründen den Entwurf für ein Mittelstandsprogramm vor, das die öffentliche Hand rund 3 Milliarden DM pro Jahr zusätzlich kosten würde. Das sind aber nur die optimistischen Mindereinnahmenschätzungen; in Ihren Reihen werden die Kosten, wie ich gehört habe, sogar auf 5 Milliarden DM geschätzt. Neuerdings fordert Herr Zimmermann — der Herr Bundesverteidigungsminister ist schon darauf eingegangen — auch höhere Verteidigungsausgaben.
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Ja.
Herr Kollege Junghans, sollte man nicht auch erwähnen, daß z. B. das Mittelstandsprogramm in seinen wesentlichen Elementen ausdrücklich auf den Zeitpunkt der Realisierung der Steuerreform abhebt, d. h. auf einen Zeitpunkt, zu dem es, wie auch Sie hoffentlich glauben, die heutige Konjunktursituation nicht mehr gibt?
Ich rate Ihnen, das Ihren Kollegen zu sagen. Ich habe die Frage des Zeitpunkts im Zusammenhang mit der Vorlage des Mittelstandsprogramms nur auf die bevorstehenden Landtagswahlen und auf nichts anderes bezogen.
— Sicher! Meinen Sie, ich wäre so unfreundlich, nicht alles zu lesen, was von Ihnen zu solchen konkreten Fragen vorgeschlagen wird?
Jedenfalls beweist die Opposition mit dieser Art von Argumentation Tag für Tag ihr widersprüchliches Verhalten. Während Sie, Herr Stoltenberg, und Herr Müller-Hermann immer wieder in schöner Monotonie abwechselnd weitere Kürzungsmaßnahmen im fiskalischen Bereich verlangen, beantragen Teile Ihrer Fraktion, manchmal auch die Gesamtfraktion, in ebenso schöner Regelmäßigkeit zusätzliche Belastungen des Bundeshaushalts. Die Summe aller Einzelhaushalte — das muß ich wirklich sagen — ist nun einmal der Bundeshaushalt. Sie wollen den Gesamthaushalt kürzen und die Einzelhaushalte erhöhen. Rechnen, vor allen Dingen addieren, müßte man können, meine Damen und Herren!
Dabei ist es Ihnen auch nicht gelungen, konkret zu sagen, wo Sie eigentlich die Prioritäten sehen und was Sie bei den einzelnen Ausgabepositionen streichen wollen.
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Einen Moment! — Man kann eben nicht immer mehr fordern und zugleich weniger ausgeben wollen; das geht nicht.
Bitte sehr!
Wären Sie so freundlich, dann auch mit zu erwähnen, daß die ChristlichDemokratische Union und Christlich-Soziale Union schon im August bei der Diskussion über die Regierungserklärung, dann bei der Beratung aller Haushalte das Angebot gemacht hat, ihre ausgabensteigernden Gesetzentwürfe selbst zurückstellen, auf weitere Ausgabenwünsche zu verzichten, wenn die Regierung ein eigenes Stabilitätskonzept, mit uns abgestimmt, vorlegt?
Ich kann mich erinnern, daß die SPD-Fraktion in einer ähnlichen Lage hier von diesem Pult aus alle Anträge zurückgezogen hat, als die Karre im Dreck war. Zurückgezogen, das war wirksam. Stehen Sie auf, Herr Wörner, und ziehen Sie die haushaltswirksamen Anträge von diesem Pult aus zurück. Alles andere ist Makulatur.
Gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage?
Darf ich Sie dann f ragen, ob Sie, die diese Regierung bilden, bereit sind, als Einleitung zu einem solchen Verfahren von Steigerungsraten des Haushalts 1971 von real 14 % auf angemessene Steigerungsraten zurückzugehen? Dann reden wir über unsere Vorstellungen.
Ich darf folgendes wiederholen. Die Bundesregierung hat beschlossen, nicht über einen Steigerungssatz von 12,1 % hinauszugehen. Da stehen wir im Wort.
— Entschuldigen Sie, Sie können sowieso nicht rechnen. Sie können noch nicht einmal addieren. Addieren Sie doch einmal Ihre Milliardenforderungen. Ich habe das einmal getan; da kommt man auf irrsinnige Summen. Ich kenne nämlich auch noch andere Pläne, die bei Ihnen schmoren. Wenn ich das hier so sehe, kann ich nur sagen, ist vom Bundeshaushalt nicht mehr viel übrig, dann sind die hundert Milliarden fast konsumiert.
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Herr Kollege Junghans, gilt diese Aussage über die Steigerung
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Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 69. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 7. Oktober 1970 3815
Dr. Müller-Hermannder Bundesausgaben für 1971, die Sie und vorher schon Herr Schiller gebraucht haben, auch für die bevorstehenden Ausgaben öffentlicher Dienst, Defizit der Bundesbahn, höhere Verteidigungslasten, Bildungsanleihe und was sonst dazu kommt? Können wir uns daran halten, daß es bei dem Level von 12,1 % Mehrausgaben bleiben wird?
Selbstverständlich.
— Das steht Ihnen frei. Ich würde Ihnen doch empfehlen, Ihre Anträge erst einmal selber zurückzuziehen; dann haben Sie die Legitimation, hier sachlich zu argumentieren.
Wie haben Sie sich denn, meine Damen und Herren von der Opposition, im Juli dieses Jahres verhalten, als wir aus den Ferien zusammenkamen, um die Beschlüsse über die Aussetzung der degressiven Abschreibung und über die Steuervorauszahlung zu fassen? Nachdem Sie Woche für Woche Alarm geschlagen hatten, konnten Sie sich nicht durchringen, diesen Maßnahmen zuzustimmen. So betreibt man keine verantwortungsvolle Konjunkturpolitik. Solange man im Wahlkampf die Preishysterie anheizen kann, ist man dabei; aber wenn man in die Pflicht genommen werden soll, dann drückt man sich. Das war Ihre Politik.
Ähnliches gilt, meine Damen und Herren, für Ihre Angriffe gegen den Haushaltsentwurf 1971. Dieser Haushalt ist das politische Programm der Regierung für das nächste Jahr. In ihm setzt die Regierung die Prioritäten. Herr Müller-Hermann hat erst vor kurzem in Ansbach erklärt, das Gefälligkeitsdenken müsse wieder durch den Mut zu Prioritäten ersetzt werden. Deswegen können wir von Ihnen erwarten, daß Sie entweder diesem Haushalt in seiner Struktur und Größenordnung zustimmen oder daß Sie andere Prioritäten setzen.
Die Bundesregierung hat jedenfalls gezeigt, wo sie die Schwerpunkte ihres Programms der inneren Reformen sieht. Bei Bildung und Wissenschaft gibt sie im nächsten Jahr 23 % mehr aus —
— 43 % mehr aus; Entschuldigung, ich habe mich versprochen. — Bei Städtebau und Wohnungsbau sind es 35 % mehr Ausgaben und bei den Verkehrsinvestitionen 14 %.
Wir begrüßen die Vorlage des Bundeshaushalts 1971 in dieser Höhe und mit dieser Steigerungsrate von 12 %. Ich möchte aber Kritikern ausdrücklich sagen — der Herr Bundeswirtschaftsminister hat auch darauf hingewiesen, aber ich möchte es noch für uns als Fraktion sagen —, daß die endgültige Entscheidung über diesen Haushalt ja in den Ausschüssen und in dem Plenum dieses Hauses in zweiter und dritter Lesung fällt. Für uns ist es selbstverständlich, daß der Haushalt 1971, sollte wider Erwarten die konjunkturelle Lage anders sein, im Januar und Februar 1971 überprüft wird.
Aber ich sage ausdrücklich: nach unseren heutigen Erkenntnissen paßt der Haushalt 1971 in die konjunkturelle Lage des Jahres 1971.
Eine Zwischenfrage!
Herr Kollege Junghans, darf ich zunächst einmal fragen, ob wir uns in einem Punkt einig sind: daß es nicht darauf ankommt, was aus dem Bundeshaushalt mehr ausgegeben wird, sondern darauf, was mit den Mehrausgaben mehr geleistet wird.
Das stimmt nicht! Sowohl — als auch!
Sie können doch nicht sagen, daß damit — —
— Natürlich! Wenn Sie nicht mehr Geld ausgeben wollen, können Sie auch nicht mehr leisten; das ist doch ganz klar.
Ich weiß schon, worauf Sie hinauswollen, ich kann Ihnen die Antwort vorwegnehmen. Sie sagen: Baupreissteigerung sei 20 %. Und wenn man dann weniger ausgeben würde, glauben Sie, die Baupreissteigerungen wären dann sofort weg? Damit würden sie aber nur sagen, daß Sie weniger Straßen bauen.
Herr Kollege Junghans, darf ich an einem Beispiel in Frageform zu erklären versuchen, wo ich eine Antwort von Ihnen erbitte. Wir sind uns einig: der Verkehrshaushalt — ein besonders eklatantes Beispiel — wird um 14 % 1971 ausgeweitet. Herr Minister Leber hat auf eine Anfrage der CDU/CSU-Fraktion erklärt, daß er mit Preissteigerungen von 15 % rechnen müsse. Sind wir uns darin einig, daß diese Mehrausgaben um 14 % höchstens das gleiche, wahrscheinlich aber weniger bewirken: nach Auskunft der Bauindustrie ein Minus an Straßenbauleistungen um 6 % im Jahre 1971!?
Das würde bedeuten, daß die Bauindustrie die Prognose für 1971 anders stellt als wir. Ich rede heute an diesem Ort nicht über die Preissteigerungsraten des Jahres 1971. Ich bin nicht bereit, jetzt in diesem Hause bereits Prognosen über Preissteigerungsraten im Baugewerbe für 1971 zu machen.
Das ist nämlich Ihr Trick dabei.Ich will Ihnen aber auch eines sagen, Herr Kollege Müller-Hermannn. Worauf läuft Ihr Vorschlag, Einsparungen dort vorzunehmen, hinaus? Ich nehme an, daß Sie das doch tun wollen. Denn Sie können nur bei den investiven Ausgaben sparen. Alle anderen Ausgaben liegen ja fest. Oder wollen Sie Beamte
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3816 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 69. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 7. Oktober 1970
Junghansentlassen? Das geht nicht. Oder was wollen Sie machen?
Herr Kollege Junghans, obwohl ich zweifle, daß Sie die Einsicht aufbringen, muß ich noch einmal fragen: unterstützen Sie unsere Grundsatzthese, daß die erste Voraussetzung für die inneren Reformen und den Ausbau der Infrastruktur Stabilität im Preisniveau ist?
Aber selbstverständlich, Herr Kollege Müller-Hermann. Ich habe vorhin ausgeführt, daß das mit dazu gehört. Aber Sie müssen auch einsehen, daß ich jetzt nicht bereit bin, über Preissteigerungsraten für 1971 — so wie Sie das heute in die Bevölkerung hineintragen — überhaupt zu debattieren.
Meine Damen und Herren von der CDU/CSU, wenn Sie an der Meinung festhalten, daß dieser Haushalt zu hoch ist, werden Sie auch nicht darum herumkommen, hier in den Ausschüssen und im Plenum zu sagen, wo Sie sparen wollen. Wollen Sie weniger Straßen bauen? Sollen die Arbeitnehmer beim Bund, Herr Müller-Hermann, nicht mehr im vollen Umfang an den Gehaltssteigerungen teilnehmen? Wollen Sie die Ausgaben für die Sicherheit kürzen? Sollen die Bevölkerungsschichten, die wegen der verfehlten Wohnungsbaupolitik von frühe) ren CDU-Ministern noch ohne menschenwürdige Wohnung sind, noch länger auf eine Wohnung warten?
Nur dann, meine Damen und Herren, wenn Sie diese Fragen beantworten — ich sage es mit Nachdruck —, kann man sachlich über den Haushalt 1971 debattieren.
Die Bundesregierung hat den Haushalt in dieser Höhe aufgestellt, weil sie der Meinung ist, daß die Bürger einen Anspruch auf Leistungen haben, die für die Sicherung unserer Zukunft von entscheidender Bedeutung sind. Das haben auch Sie, Herr Müller-Hermann, in Ansbach selbst gesagt. Sie haben gesagt: „Den öffentlichen Investitionen kommt besondere Bedeutung zu. Wir haben in der Bundesrepublik einen Nachholbedarf an Infrastruktur." Dieser letzte Satz läßt uns hoffen, daß die CDU/CSU schließlich doch dem Haushalt 1971 zustimmen wird. Sie wird einsehen, daß Kürzungen an diesem Haushalt zu unerwünschten sozialen Ergebnissen führen.
Ich möchte in diesem Zusammenhang aus dem Artikel zitieren, den Herr Grünwald am 16. September in der „Stuttgarter Zeitung" veröffentlicht hat:
Einsparungen im Straßenbau hätten kaum einen anderen Effekt, als daß weniger Straßenkilometer fertig würden. Überhitzungen gibt es dort kaum. Einsparungen im sozialen Wohnungsbau bewirkten, daß Baukapazitäten vom freien Wohnungsmarkt nicht auf den sozialen Wohnungsmarkt umgeleitet würden. Das kann angesichts der überhitzten Mietendiskussion kaum jemand wünschen.
Zudem muß festgestellt werden, daß sich zunehmend die Stimmen derer mehren, die der Auffassung sind, daß dieser Haushalt in die konjunkturpolitische Landschaft des Jahres 1971 passen wird. Als weiteres Beispiel empfehle ich nur, das „Handelsblatt" vom 28. September zur Hand zu nehmen, in dem es heißt, daß die Mehrheit der Forschungsinstitute der Meinung ist, daß sich der Bundesfinanzminister mit der Vorlage seines Haushalts richtig verhält.
Sie von der Opposition haben mehr als einmal konjunkturpolitische Fehlprognosen gestellt. Die Folgerungen, die Sie aus § 1 des Stabilitäts- und Wachstumsgesetzes zu ziehen gedenken, stehen bei Ihnen, Herr Kollege Stoltenberg, heute noch genauso aus wie vor elf Monaten. Angesichts dieser Tatsache kann ich Ihnen nur den Rat geben, noch einmal Ihre Forderung, den Haushalt 1971 zu spalten, zu überdenken. Dieser Haushalt gefährdet keineswegs die Preisstabilität. Wir erfüllen damit vielmehr die Forderungen, die von der Zukunft an diese Regierung und an diese Koalition gestellt werden: Schaffung einer modernen Infrastruktur im weitesten Sinne.
Das Wort hat Herr Bundesminister Ehmke.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Kollege Stoltenberg hat heute Pech mit seinen Zitaten. Nachdem schon Herr Kollege Schmidt ihn hat zurechtrücken müssen, muß ich das ebenfalls tun. Er hat hier, wie er mir eben sagte — er ist nicht im Raum —, offenbar auf Grund einer unrichtigen Zeitungsmeldung behauptet, es seien in der Ausschreibung des Architektenwettbewerbs für den Neubau 108 qm für das Zimmer des Chefs des Kanzleramtes vorgesehen. Das trifft nicht zu. Für den Arbeitsraum des Ministers stehen nach der Raumgebühr 48 qm zur Verfügung, hinzu kommt ein Empfangsraum, in dem man auch Besuchsgruppen empfangen kann. Beide Räume zusammen sollen 108 qm ausmachen. Ich möchte das hier im Protokoll festhalten. Ich muß sagen, man könnte solche Dinge leicht vermeiden, wenn man den betroffenen Kollegen vorher fragte, was es mit solchen Zeitungsmeldungen auf sich hat.
Das Wort hat der Abgeordnete Kienbaum.
Herr Präsident! Meine verehrten Damen! Meine Herren! Gestatten Sie mir zu Beginn meines Beitrages einige Feststellungen. Die Große Anfrage der CDU/CSU liegt erfreulicherweise so lange vor, daß ich jedenfalls beginnen konnte,
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Kienbaummich zunächst einmal an der sauberen Gliederung zu erfreuen: I. 1970; II. 1971; III. Mittelfristige Finanzplanung. Sie liegt aber auch so lange vor, daß ich außerdem gespannt darauf gewartet habe, wie denn in der Begründung die zahllosen Fragen — wie gesagt, besonders sorgfältig abgegrenzt und gegliedert — ergänzt würden, mit Kritik und Vorwürfen, versteht sich sozusagen selbstverständlich.Es ist schon darauf hingewiesen worden, daß Wahlen bevorstehen, und daß natürlich Herr Stoltenberg auch in dieser Richtung einiges würde tun müssen, lag auf der Hand.Die Große Anfrage der CDU/CSU enthält in der Begründung die Worte: . . der Bundesregierung Gelegenheit zu geben....". Nun, wozu? Ihre Beurteilung von Lage und Trend des Wirtschaftsgeschehens bekanntzugeben, ihre Handlungen und Entscheidungen zu rechtfertigen. Das ist für die Opposition ein verständliches Anliegen. Allerdings darf ich wie schon bei meiner ersten Rede in diesem Hohen Hause wiederum betonen, daß ich mich in der Rückwärtsbetrachtung immer wieder zu begrenzen bemühe und lieber in die Vorausentwicklung und -gestaltung einsteigen möchte. Und es soll der Regierung Gelegenheit gegeben werden, ihre Absichten für die Zukunft zu entwickeln.Ich darf auch ein Drittes feststellen. Diese Große Anfrage der CDU/CSU bietet die für die FDP willkommene Gelegenheit, diese immer wieder wichtigen Fragen, die zugleich auch außergewöhnlich verwickelte Probleme eines politischen Sachgebiets, das sonst nicht im Brennpunkt steht, betreffen, ohne Rücksicht auf Tabus vor den Augen und Ohren der Öffentlichkeit zu behandeln.Mit dieser Anfrage verband sich für die Opposition schließlich die Chance und für die Koalitionsfraktion der FDP die Erwartung, die immer wieder betonten besseren Einsichten der CDU/CSU, die abweichende Beurteilung der Fakten und die sich daraus ergebenden vorteilhafteren Zukunftsmaßnahmen offengelegt zu bekommen.Ich wiederhole meinen Vorredner, aber ich muß es sagen: ich bin wirklich ehrlich betrübt über die Feststellung, daß nun in der ganzen umfassenden Darstellung des Kollegen Stoltenberg, in der Bewertung von Lage und Trend nichts Neues vorgetragen wurde.
Er hat vielmehr zum wiederholten Mal — und da treffen sich unsere Beurteilungen — zum Ausdruck gebracht, daß die Lage unübersichtlich ist, daß sich widersprechende Fakten und Indikatoren immer noch keine Möglichkeit geben, zu einer eindeutigen Beurteilung darüber zu kommen, daß nur eine oder möglicherweise zwei sich ergänzende Maßnahmen zu einer Lösung der uns aufgegebenen Problematik führen könnten. Wenn er also nichts Neues gesagt hat, dann darf ich hier hinzufügen: ich betrachte es als sein gutes Recht, daß er nichts sagt, wenn er zu der Erkenntnis kommt, daß es dazu nichts Neues auszusagen gibt.Betrübt bin ich allerdings auch über die Feststellung, daß die Vorwürfe und die Kritik gegenüber der Regierung wie gehabt geboten wurden. Eine einzige Nuance habe ich in den letzten Wochen entdecken können, Herr Kollege Müller-Hermann: die FDP-Suppe auslöffeln. Das war eine neue Variante. Vielleicht können Sie mir das gelegentlich einmal etwas näher erklären.Schließlich ist — auch dafür habe ich Verständnis — von konkreten Vorschlägen zur Änderung keine Spur. Es gab eine neue Formulierung: kurzfristige Stabilitätspolitik. Wenn kurzfristiges gegenüber mittel- oder langfristigem Bemühen um Stabilität auf Grund der Ausführungen des Kollegen Stoltenberg gewertet werden soll, dann habe ich natürlich genug Einsicht, zu erwarten, daß man in der Frage, ob kurz- oder mittelfristig Stabilitätspolitik nötig sei, auch in der Zukunft immer unterschiedliche Auffassungen wird feststellen müssen und können. Darüber wird im Detail jederzeit zu sprechen sein. Aber ich stelle fest, konkret haben wir nichts hören dürfen.Die FDP teilt die Beurteilung der Regierung. Ich darf aus dem gesamten Paket einige Feststellungen zur Unterstreichung wiederholen. Wir haben das wirtschaftliche Gleichgewicht noch keineswegs zurückgewonnen, aber es ist ein Nachlassen der Übernachfrage festzustellen. Dabei ist gleichzeitig zu betonen — das scheint mir als einem in besonderer Weise mit der Produktion Verbundenen von ausschlaggebender Bedeutung —: der Produktionsapparat, unser deutscher Produktionsapparat ist wie nie zuvor bis zur Grenze ausgelastet. Neueste Informationen des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung sprechen für 1970 von 94 % und einer nochmaligen Steigerung nach einem Spitzenjahr, als welches man das Jahr 1969 bezeichnen kann.Es sollte mir aber gestattet sein, diesen Feststellungen aus der Sicht der Regierung ausdrücklich noch einiges hinzuzufügen, was mit der politischen Aufgabenstellung, insbesondere dem Auftrag aus dem Stabilitätsgesetz, in gar keiner Weise abgedeckt und gelöst werden kann, aber ein Faktum darstellt. Ich möchte es so beschreiben :das Tempo, ja die Hektik der gleichzeitigen und vielfältigen Veränderungen um uns herum beginnt uns alle zu überfordern. Daraus ergibt sich, daß es für Entscheidungen insbesondere in der Privatwirtschaft — ich habe den Eindruck, daß dies aber auch allüberall im öffentlichen Bereich der Fall ist — an sichtbaren Orientierungsdaten mangelt.Es gibt immer weniger feste Punkte. Die zu treffenden Entscheidungen in der Privatwirtschaft, wo ja Jahr für Jahr in der Bilanz ausgewiesen wird, wie das Ergebnis aussieht, enthalten immer mehr unkalkulierbare Risiken sowohl für den Ertrag als auch für die Liquidität und selbstverständlich auch für das Vermögen. Was ich in meinem Beruf als besonderes nachteilig feststelle, ist die Tatsache, daß die Entscheidungen Treffenden in einen immer unerträglicher werdenden Stress geraten.Die Opposition hat, ich betone es, leider auch keine Wunderwaffen zur Problemlösung. Da sie diese nicht hat, geht sie andere Wege: sie steigert z. B. die Polarisation im Parlament. Das ist ihr gutes Recht, aber es darf doch auch festgestellt werden,
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Kienbaumdaß sie das tut. Sie vermehrt die ohnehin große Unsicherheit im Lande. Ob das ihr Recht ist, ist eine zweite Frage; das sie es tut, insbesondere angesichts bevorstehender Wahlkämpfe, ist ein Faktum.
Ja, ich gehe noch einen Schritt weiter: sie peitscht im Wahlkampf die Emotionen,
die noch nie geeignet waren, eine verwickelte Materie ruhig und sachlich und auf Lösungen hin weiterzuentwickeln.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Sie dürfen mich jederzeit fragen.
Herr Kollege Kienbaum, ist Ihnen entgangen, daß nicht nur die CDU/ CSU, sondern unter anderem auch die Deutsche Bundesbank und sehr bekannte wirtschaftswissenschaftliche Institute unsere Sorgen, die auch die Sorgen der Bevölkerung sind, teilen? Halten Sie es nicht für das Recht, ja sogar für die Pflicht der Opposition, diese Sorgen in diesem Hause zur Sprache zu bringen?
Ich halte es für das Recht und für die Pflicht der Opposition, es in diesem Hause zur Sprache zu bringen. Ich halte es für das Recht und für die Pflicht der Opposition, sich genauso Sorgen zu machen, wie wir das tun. Aber ich halte es nicht für die Pflicht der Opposition, aus einer solchen Sorge ein Anheizen von Emotionen zu machen. Davon sprach ich.
Aber bleiben wir
bei der Sache. Ich hatte nur festgestellt, was zu beobachten ist. Die Opposition mag das alles für den richtigen Weg halten. Ich bin ganz ungeeignet, Ihnen etwa Vorschläge oder gar Vorhaltungen zu machen, wie Sie zu entscheiden haben. Aber das darf wohl angemerkt werden. Allerdings frage ich mich, ob Sie — und zwar die Persönlichkeiten, die das zu verantworten haben — schon einmal etwas vom Bumerang gehört haben.
— Den Bumerang? Wer den gewonnen hat?
— Da warten wir lieber mal ab.In der Verantwortung, so scheint mir, muß der Politiker — und dazu steht die FDP — immer wieder den Versuch unternehmen, von der heute gegebenen Ausgangslage her zu handeln. Dabei ist es allerdings notwendig, den wiederholten Feststellungen des Sprechers der Opposition, Herrn Stoltenbergs, folgendes hinzuzufügen. Bei diesem Bemühen geht es um den selbständigen und mündigen Mitbürger ebenso wie um Parlament, Regierung, Bund, Land, Kommune und Bundesbank. Darauf möchte ich noch im einzelnen eingehen.Es ist nicht richtig, daß es etwa nur ein Zentrum gäbe, von dem Impulse in Richtung Konjunktur, seien sie positiv oder negativ zu beurteilen, ausgingen. Es sind — und das ist nicht zu bestreiten — drei große Bereiche, von denen diese Impulse ihren Ausgang nehmen. Der eine ist natürlich der Staat. Der zweite ist die Bundesbank. Aber auch der dritte Bereich — ich habe mich gefreut, daß Herr Stoltenberg das einmal ausdrücklich anerkannt hat — muß erwähnt werden. Das sind die autonomen Tarifpartner, die Zusammenfassung der freien und mündigen und selbständig entscheidenden Bürger und Verbraucher.Die Wirkungsmöglichkeiten dieser drei unterscheiden sich allerdings so stark, daß sie nicht oft genug erläutert werden können. Ich möchte mich dabei zunächst auf die Nachfrageseite beschränken und mich mit der Bundesbank beschäftigen.Hier ist der Eindruck entstanden — und draußen wird immer wieder dieser Vorwurf erhoben —, daß die Bundesbank allein gelassen werde. Was und wen trifft denn die Bundesbank mit ihrem Einfluß? Doch das Kreditvolumen und die Kreditkosten, und zwar sowohl das Kreditvolumen, das aus einem Zufluß von draußen herrührt, wie das Kreditvolumen, das von innen her kommt. Der Binnen- und der Außenmarkt sind also das Feld, auf dem die Bundesbank Einfluß ausübt. Es ist nicht richtig — das ist heute überhaupt noch nicht in der Erörterung bewertet worden —, daß die Bundesbank etwa am Ende sei. Es ist nicht richtig, daß nur noch die Möglichkeit einer Zinsbewegung — jedermann wünscht: einer Zinsbewegung nach unten — die verfügbare Reserve sei. Es gibt durchaus, wie in bezug auf die Absicherung nach draußen in der letzten Zeit praktiziert, auch das Instrument der Mindestreservenveränderung.
— Es fragt sich, ob das zieht. Nun, es ist ganz unverkennbar, daß die letzte Maßnahme des Zentralbankrats in Richtung auf Liquiditätsabschöpfung bzw. Verhinderung der Vermehrung eindeutig gezogen hat.Die Frage, die Sie anschneiden, ist allerdings, ob alle Geldschöpfung, die vom Ausland hereinkommende und die im Binnenmarkt entstehende, überhaupt vom Zentralbankapparat beeinflußt werden kann. Diese Frage muß erörtert werden. Sie ist
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Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 69. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 7. Oktober 1970 3819
Kienbaumkaum geeignet, im Plenum ausführlich diskutiert zu werden. Aber es sei darauf hingewiesen, daß natürlich die Direktaufnahme von Geldmitteln bei frei konvertierbarer Währung eine Umgehung des Zentralbankapparats ermöglicht. Es sei aber auch darauf hingewiesen, daß mit der Freigabe der Zinssätze innerhalb der Bundesrepublik — und das will ja wohl niemand zurückdrehen — bei längerfristiger Anlage, nämlich bei Anlage über vier Jahre, die Mindestreservenpflicht entfällt, so daß auf diesem Wege eine zusätzliche oder von Belastung freibleibende Liquidität gegeben ist.Welche Möglichkeiten hat der Bund? Sein Einflußbereich — ich unterstelle: in einer abgestimmten Handlungs- und Verfahrensweise zwischen Bund, Ländern und Kommunen — ist auf der einen Seite der Haushalt in seinem Volumen und ist die daraus resultierende Nachfrage in den Markt hinein. Sein Zufluß resultiert aus Abschöpfungen für öffentliche Aufgaben. Die Gesamtbetrachtung muß erweitert werden um all den Zufluß in Institutionen, der nicht unmittelbar im Bundeshaushalt seinen Niederschlag findet.Die Frage, die sich heute morgen gestellt hätte — ich will sie nur rhetorisch stellen —, ist die: Will die Opposition Steuererhöhungen oder Zwangssparen ernsthaft als ein Instrument ansehen, das zur Zeit zu erörtern ist? Für uns jedenfalls ist es nicht das geeignete Instrument. Das sei ganz deutlich festgehalten.Ich komme zu den Tarifpartnern. Ihr Einfluß auf die Konjunktur entsteht aus den Entscheidungen über die Vergütung, aus den in festen oder annähernd festen Intervallen von etwa Jahresfrist wiederkehrenden Tarifverträgen. Der Spielraum, der volkswirtschaftlich für diese Entscheidungen gegeben ist, ist aber lediglich die Steigerung der Produktivität. Es ist die Frage zu stellen: was passiert, wenn dieser Spielraum überschritten wird? Diese Frage muß auch in diesem Gremium hier erörtert werden, weil — das ist meine Feststellung, über die wir intern mehrfach eingehend diskutiert haben und die wir als eine gemeinsame Feststellung vor diesem Hohen Hause, aber auch vor der Bevölkerung deutlich aussprechen wollen — dieser Spielraum der Tarifpartner der entscheidende Faktor für konjunkturelle Nachfrageveränderungen ist.
Das möchte ich verdeutlichen, indem ich eine Rechnung aufmache. Wir haben in diesen Tagen von den anstehenden Tarifverhandlungen gehört. Wir haben gehört, daß beispielsweise für den Regionalraum Hessen eine Aktivverbesserung der Vergütungen im Lohnbereich um 10 % verabredet wurde. Daß dabei noch Nebenleistungen eine Rolle spielten, soll jetzt in meiner Vergleichs- und Beispielrechnung außer Betracht bleiben. Ich glaube, daß sich in diesem Hohen Hause alle einmal die Rechnung vorlegen sollten: Was heißt es, wenn in der gesamten deutschen Wirtschaft — in der öffentlichen und der privaten Wirtschaft — vereinbbart wird, bei allen unselbständig Beschäftigten 10 % zuzulegen?Ausweislich der Statistik beträgt die Zahl der unselbständig Beschäftigten etwa 22 Millionen. Bei dem heutigen durchschnittlichen Jahreseinkommen würde sich aus einer für alle in der gleichen Weise gegebenen Erhöhung um 10 % ein sofortiger Kaufkraftstoß von zunächst brutto rund 25 Milliarden DM ergeben. Daß das wegen der Laufzeiten nicht auf einmal passiert, ist klar. Was ich aber hier verdeutlichen wollte, ist das Gewicht einer solchen Bewegung im Verhältnis zu den beiden anderen Zentren, die auf die Konjunktur Einfluß nehmen können, z. B. im Verhältnis zum Bundeshaushalt. Innerhalb von 12 Monaten — das ist ja die Laufzeit eines Bundeshaushalts — ist mit einer vollen Tarifrunde zu rechnen. Gehen wir also von diesen 10 % aus, so würde eine solche Erhöhung beispielsweise innerhalb des Jahres 1971 — der Laufzeit des Haushalts — eine Veränderung des Spielraums um 25 Milliarden DM zur Folge haben, während für den Haushalt ja, wenn ich Herrn Stoltenberg richtig verstanden habe, allenfalls eine Marge — nach oben oder nach unten — von, sagen wir, drei bis fünf Milliarden DM von Ihnen diskutiert wird. Hiermit wird deutlich, daß dieser Bereich viel entscheidender ist und viel bedeutsameren Einfluß hat. Daher muß auch unsere Aufmerksamkeit mehr auf ihn gerichtet sein, obwohl wir weder durch das Stabilitätsgesetz noch durch das Grundgesetz irgendeine Möglichkeit haben, par ordre de mufti in dieser Richtung etwas zu verordnen.Was folgt daraus? Ich glaube, daraus folgt, daß die Politiker und wir alle in diesem Bundestag diesen dominierenden Faktor der Veränderung anders bewerten müssen, als es in der Vergangenheit der Fall war. Diese Blickrichtung folgt für mich daraus auch deshalb, weil die Statistik bisher nur für das erste Quartal 1970 endgültige Ergebnisse der Lohn- und Vergütungssteigerungen vorgelegt hat. In diesem ersten Quartal beträgt der Anstieg gegenüber 1969 nicht 10 %, sondern 17 %, meine Damen und Herren. Daran ist jetzt keine Veränderung mehr zu erwarten.Nun gehe ich zurück zu der Frage — dazu ist man ja hier versucht —: Was hat denn eigentlich wohl den Stoß im ersten Quartal 1970 ausgelöst? Ist es die Suppe, die die FDP gekocht hat und die Herr Müller-Hermann meinte nun auslöffeln zu müssen, oder wirkt sich nicht de facto im ersten Quartal 1970 nach aller auch die Wechselbeziehungen berücksichtigenden Gesetzmäßigkeit das aus, was im Sommer 1969 unterlassen wurde?
Sie wissen, daß mir zwar daran liegt, Fakten festzustellen und Tabus auf keinen Fall unausgesprochen zu lassen, daß mir aber immer im wesentlichen daran liegt, aus dieser Erkenntnis nun für die Folge für uns alle, wie ich glaube, für die gesamte deutsche Bevölkerung einen Nutzen zu ziehen. Dieser Nutzen könnte z. B. darin liegen, daß wir, jeder einzelne von uns, diese Erkenntnis ohne emotionales Anheizen verbreiten und daß wir damit das Bemühen um die Verbreitung der Kenntnis der Folge-
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Kienbaumwirkungen verbinden. Denn daß es Folgewirkungen geben wird, darüber kann gar kein Zweifel bestehen, wenn wir in Rechnung stellen und in unsere Überlegungen einbeziehen, daß 50 % der volkswirtschaftlichen Kosten nun einmal von der Vergütung her beeinflußt werden.Ich möchte die weitere Folgerung ziehen, daß wir das Bemühen verstärken sollten, auch darüber Erkenntnisse zu verbreiten, daß in diesem Jahr, in dem wir jetzt das vierte Quartal begonnen haben, nicht ohne Schäden Forderungen abrupt erhoben und Verträge abrupt verändert werden können. Dies ist nicht ohne Schäden zu bewältigen.
— Ich darf noch einmal klarstellen, daß gerade der Wirtschaftsminister in seinem heutigen zusätzlichen Beitrag darauf verwiesen hat, daß weder er, dem Rat des Sachverständigenrates folgend, noch der Sachverständigenrat zu irgendeinem Zeitpunkt einen Vorschlag gemacht haben, auf Grund einer Lagebeurteilung Änderungen abrupt vorzunehmen. Ich darf nochmals wiederholen: es geht darum, auch die Erkenntnis zu verbreiten, daß nicht ohne Schaden von heute auf übermorgen — oder wie immer Sie die Phase „abrupt" umreißen wollen — eine Veränderung herbeigeführt werden kann, sondern daß in dieses Bemühen mehr Stetigkeit hinein muß, die mit längeren Fristen rechnen muß.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage? —
Herr Kollege Kienbaum, ist Ihnen die Äußerung des Herrn Bundeswirtschaftsministers Schiller nicht mehr bekannt, der vor Beginn dieser großen neuen Lohnrunde der IG-Metall eine Lohnerhöhung von 12 % — das ist durch die Presse gegangen — als möglich zugestanden hat?
Mir ist bekannt, daß der Herr Bundeswirtschaftsminister geäußert hat, daß die IG Metall am Ende einer Lohnrunde nach seiner Vorstellung berechtigte Forderungen erhoben hat. Mir ist nicht bekannt, daß er dazu auch quantifizierte Aussagen gemacht hat.
Ich möchte die Folgerungen aber noch ein wenig ausbauen. Ich halte es für dringend erforderlich, daß wir auch die Erkenntnis verbreiten, daß die Entwicklung, wie wir sie von 1969 bis in das Jahr 1970 hinein zu beklagen haben, sich nicht zwangsläufig in einer Eskalation des „gegenseitigen Aufschaukelns" fortsetzen muß. Ich möchte hiermit die Verbreitung der Erkenntnis verbinden, daß sich bei einem solchen Vorgang auf die Dauer niemand — weder einzelne noch Gruppen — einen Sondervorteil verschaffen können. Etwas anderes anzunehmen, wäre ein Traum. Der Vorteil wird in kürzester Zeit aufgeholt und egalisiert, und zwar jeweils von den anderen, die ja auch ein Auge darauf haben, was im Nachbarbereich vor sich geht. Das gilt z. B. verständlicherweise auch für den öffentlichen Dienst, der nicht schlechtergestellt sein will, kann und darf als andere Gruppen unserer Mitbürger. Ein momentaner Vorteil wird aber nicht nur von den anderen eingeholt; sein vermeintlicher Sondervorteil wird unmittelbar und in kürzester Zeit ja auch von den Preisen eingeholt.Damit blende ich zurück auf den Spielraum in den Tarifverhandlungen und in der Vergütungspolitik. Der Spielraum richtet sich allein nach der Steigerung der Produktivität.In Zusammenfassung dieser Erkenntnisse läßt sich, glaube ich, sagen, daß weder Übermut — ihn gibt es hin und wieder; er soll vor allen Dingen bei Personen jüngeren Lebensalters gelegentlich auftreten noch Mutwilligkeit und erst recht nicht Maßlosigkeit Fortschritt bringen, weder für den einzelnen, der manchmal davon träumen mag, noch für die Gesamtheit und uns alle.
Ich bin mir bewußt, daß eine solche Feststellung dem einen oder anderen vielleicht etwas lästig ist oder auch unpopulär erscheint. Sie muß aber getan werden, und die FDP und ich persönlich werden sie immer wieder bei sich bietender Gelegenheit treffen.Hieraus folgert schließlich die Erkenntnis, daß sich der Staat und seine Organe z. B. der Diskussion über Forderungen stellen müssen, die unabhängige, selbständige und mündige Bürger oder Bürgergruppen erheben. Das gleiche gilt für die Aussagen im Hinblick auf solche Forderungen. Es hilft uns gar nichts, wenn wir zu Forderungen der einen oder anderen Gruppe — mögen sie uns auch noch so absurd erscheinen — schweigen. Wenn wir schweigen, machen wir uns an unguten Entwicklungen mitschuldig. Es muß übertriebenen Forderungen - allerdings begründet — entgegengehalten werden.Minister Schiller hat in seiner heutigen Ergänzung der Antwort auf die Große Anfrage seine Auffassung über den Part, den insbesondere die Regierung in diesem Zusammenhang spielen soll und übernehmen wird, vorgetragen. Er hat diesen Part verbal ausgedeutet und ihn auf die Aufgabenstellung des Stabilitätsgesetzes bezogen.
Herr Stoltenberg hat Kritik im Zusammenhang mit dem neudeutschen Wort Timing angemeldet, bezogen auf die Daten, die Fristen und Termine der nächsten Konzertierten Aktion, die ja in eine Zeitphase fallen, in der bedeutende Bereiche, die in Tarifverhandlungen stehen, die Fronten gewissermaßen schon bezogen haben. Ich glaube, daß es hier notwendig ist, meine in einer öffentlichen Äußerung gegenüber dem Herrn Bundeswirtschaftsminister geäußerte Kritik zu wiederholen. Es gibt für mich und, wie ich glaube, auch für Sie, keine Möglichkeit, ein wirkliches Ende einer Tarifrunde zu kennzeichnen. Aus diesem Grunde ist das, was der Herr Bundeswirtschaftsminister heute morgen hier vorgetragen
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Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 69. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 7. Oktober 1970 3821
Kienbaumhat, treffend und wirksam für die Zukunft, nämlich wenn in der Konzertierten Aktion vom 9. Oktober, die wenige Tage vor uns steht, das von ihm angestrebte Ziel der Erörterung tatsächlich erreicht wird. Das setzt natürlich voraus, daß alle beteiligten Partner auch wirklich bereit sind, zu diskutieren und ihre eigenen Vorstellungen unter Berücksichtigung der genannten Eckdaten aus dem Juli vorzutragen. Es ist notwendig, daß die Beteiligten ihre Auffassungen auch begründen; denn nur dann kann man diskutieren. Das gilt für beide Tarifpartnerseiten. Die Öffentlichkeit muß sich ein Urteil bilden können, und wir müssen es erst recht. Wir müssen wissen, welche Vergütungssteigerungen die in der Konzertierten Aktion Beteiligten aus ihrer sorgfältigen Prüfung von Daten und Fakten ermittelt haben. Wir müssen aber auch wissen, mit welchen Produktivitätsverbesserungen sie dabei rechnen, ob diese real sind und schließlich bei welcher Preisentwicklung sie ihre Folgerungen gezogen haben. Mir erscheint ein solches Ziel durchaus erreichbar, und ich darf hinzufügen: nur ein solches Ziel ist förderlich für das ganze Volk. Neue Eckdaten — das sagte ich schon — haben die Tarifpartner rechtzeitig erhalten.Ich darf abschließend erklären, daß die FDP dieses Ergebnis am 9. Oktober als Folge der Beratung erhofft. Sie erwartet im Anschluß daran aber auch eine Stellungnahme der Bundesregierung in der Form von Orientierungsdaten nach den Bestimmungen des Stabilitätsgesetzes. Der Bundeswirtschaftsminister hat heute eine solche Stellungnahme bereits angekündigt. Um einen Termin zu nennen: wir halten eine Äußerung noch in diesem Quartal für erforderlich, damit die Wirkungen in 1971 auch eintreten können.
— Es sind die jetzt anstehenden Verhandlungen zu einem Teil geführt, nämlich die Metallrunde.
— Natürlich.
— Ich darf noch einmal wiederholen: für mich gibt es kein Ende einer Lohnrunde oder Vergütungsrunde. Aus diesem Grunde ist der Zeitpunkt auch dann und gerade dann richtig, und er sollte in vollem Umfang ausgeschöpft werden. Die FDP glaubt, daß damit alle Tarifpartner vor der Öffentlichkeit zur Begründung ihrer Stellungnahmen, ihrer Bemühungen, ihrer Ziele und ihrer Forderungen in einer ordentlichen, ihre freie Entscheidung nicht beeinträchtigenden Weise aufgefordert werden. Uns erscheint das als das Gebot der Stunde.
Ich schlage vor, jetzt die Mittagspause eintreten zu lassen. Wir werden um 15 Uhr fortfahren. Nächster Redner ist Herr Höcherl.
Ich unterbreche die Sitzung.
Die unterbrochene Sitzung wird fortgesetzt.
Wir sind bei der Behandlung von Punkt 3 der Tagesordnung. Das Wort hat der Abgeordnete Höcherl. Für ihn hat seine Fraktion eine Redezeit von 30 Minuten angemeldet.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Nach dieser ersten Runde darf ich einmal die Argumente einsammeln, die die beiden letzten Redner, Herr Junghans und Herr Kienbaum, vorgetragen haben. Sie hatten eine schlechte Sache zu verteidigen und haben das im Armenrecht gemacht, mit sehr vielen, aber nicht überzeugenden Argumenten. Das kann man verstehen, wenn vor allem auch der Angeklagte — die Bundesregierung — zwar überführt, aber nicht geständig ist.
Die Marken und der Maßstab für diese Debatte sind vom Herrn Bundeskanzler und vom Wirtschaftsminister gesetzt worden. Ich darf deswegen einmal eine Äußerung des Herrn Bundeskanzlers vom August 1969 verlesen, in der er sich bereits als der neue Bundeskanzler vorgestellt hat. Die Verlobung war ja, wie Sie wissen, am 5. März 1969 gewesen, und die Trauung zur linken Hand mit der FDP ist dann vom 28. auf den 29. September nachgekommen. Der Herr Bundeskanzler hat sich damals mit folgenden markanten Worten vorgestellt:Der Verbraucher und der Sparer — um beide geht es — dürfen nicht auf kaltem Wege enteignet werden.
Ich werde nicht zulassen, daß notwendige wirtschafts- und finanzpolitische Entscheidungen aus parteitaktischen Gründen auf die lange Bank geschoben werden.
Ich meine, dies ist ein nobler und gültiger Maßstab, dem wir uns auch selbst sehr gerne unterwerfen, und auch der Autor muß sich gefallen lassen, daß er nach diesen Kriterien geprüft wird.Dann hat er sich auch noch zum Stabilitätsgesetz geäußert. Und da heißt es einmal in der Regierungserklärung — man könnte auch sagen: im Wunschkonzert — vom 28. Oktober des vergangenen Jahres neben vielen anderen verbindlichen Worten:Dieses Gesetz, eine der großen Reformleistungen des 5. Deutschen Bundestages, verpflichtetzum Handeln, wenn das gesamtwirtschaftliche
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HöcherlGleichgewicht gefährdet ist. Diese Pflicht warseit dem Frühjahr 1966 vernachlässigt worden.Das sind die beiden Maßstäbe, die der Herr Bundeskanzler als Inhaber der Richtlinienkompetenz selbst gesetzt hat. Er und die Bundesregierung müssen es sich gefallen lassen, daß sie daran gemessen werden.Meine Damen und Herren, die Crux beginnt ja eigentlich schon ganz woanders. Die Regierung spricht wirtschaftspolitisch mit vielen Zungen. Nur das Pfingstwunder bleibt aus, das all die vielen Zungen zu einem einheitlichen Verständnis brächte.
Es äußert sich zur Wirtschaftspolitik naturgemäß Herr Professor Schiller. Als Oppositionspolitiker hat er das anders getan denn als verantwortlicher Wirtschaftsminister und damit auch anders als damals, als Plisch und Plum noch in enger ökonomischer Übereinstimmung gehandelt haben. Und es geht ein Wort von Herrn Professor Schiller um, das lautet: „Was waren das doch für schöne Zeiten!"
Heute — ich kann ihm das nachfühlen — ist es etwas schwieriger, obwohl Herrn Professor Schiller ein gewisses Gefühl, sich auf einem Nebenkriegsschauplatz zu befinden, vielleicht doch innerlich befriedigt, weil er nicht ganz so sehr im Mittelpunkt der Auseinandersetzungen stand, sondern sich diese Auseinandersetzungen mehr auf seinen Kollegen, Herrn Möller, konzentrierten.In der Oppositionszeit, in der man sich mit seinen Absichten und mit seinen Konzeptionen vorstellt, hat Herr Professor Schiller einen sehr strengen Standpunkt eingenommen. Sie wissen, 1 % war das Höchste, was er damals der Regierung Erhard zugebilligt hat — 1 % das Höchste! Davon ist heute nicht mehr die Rede. Heute sind 4 % harmlos, und man sieht ein Liebeswerben um jedes Zehntelprozent, das irgendwo bei den Aufträgen ausbleibt, und schon wird daraus eine große Prognose gebildet.
Meine Damen und Herren, die Pythia — wir kennen sie —, die antike Weissagerin, hat geradezu Aussagen wie ein Computer gemacht,
wenn ich ihre Aussagen mit dem vergleiche, was Herr Professor Schiller uns als Oppositionspolitiker, als Wirtschaftsminister der Großen Koalition und als heutiger Wirtschaftsminister zu bieten vermocht hat.Die zweite Stimme wurde lange Zeit von meinem sehr verehrten Kollegen Arndt geführt, der sich den Zorn des „Zuchtmeisters" der Koalition zugezogen hat. Dieser hat nämlich gesagt, das sei alles Quatsch. Aber es war durchaus kein Quatsch, was Herr Arndt gesagt hat. Herr Arndt hat nämlich eine sehr differenzierte Aussage gemacht und erklärt: Wenn wir drei Voraussetzungen haben, nämlich Tarifautonomie, eine freie Konvertibilität und einen festen Wechselkurs, besteht keine Aussicht, das Preisbild zu halten. Das ist eine Voraussetzung mehr, als Herr Minister Schmidt heute vorgetragen hat. Er hat nur zwei Voraussetzungen genannt. Er muß also volkswirtschaftlich noch etwas nachholen, obwohl er bei Professor Schiller ausgebildet worden ist.
Aber immerhin sind es tatsächlich drei Voraussetzungen. Wenn diese drei Bedingungen erfüllt sind, ist es schwer.Herr Arndt hat damit jedoch etwas ganz anderes angesprochen, nämlich die fehlende Effizienz der Konzertierten Aktion. Die Konzertierte Aktion vermag zwar nicht die freie Konvertibilität und den Wechselkurs, aber die Tarifautonomie und die Preispolitik der Unternehmerschaft zu ändern. Das heißt, beides soll in der Konzertierten Aktion abgestimmt werden. Ich habe den Eindruck, daß dieses „Konzert" es ist heute schon gesagt worden — in der Zwischenzeit zu einer gemütlichen, harmlosen und unverbindlichen Kaffeerunde degradiert worden ist. Es erinnert bei ihren Mißtönen gelegentlich an Bremer Musikanten.
Meine Damen und Herren, die Konzertierte Aktion ist eine interessante und sehr berechtigte Einrichtung. Sie verlangt aber eine Führung des Bundeswirtschaftsministers. Sie verlangt nicht vorläufige, sondern ernsthafte Eckzahlen und verlangt darüber hinaus auf dem Fiskalgebiet ein gutes Beispiel,
indem man z. B. die verschärfte Anwendung des Katalogs der möglichen Maßnahmen des Gesetzes zur Erhaltung von Stabilität und Wachstum androht. Offenbar fehlt dazu aber der Mut. Man sollte meinen, daß der Einfluß angesichts der verwandtschaftlichen Beziehungen zumindest zu dem einen Teil größer. wäre. Professor Schiller werden auch zu dem anderen Teil sehr gute Beziehungen nachgesagt. Das müßte eigentlich mehr Effekt haben.Darüber hinaus hat sich auch Herr Rosenthal als wirtschaftspolitischer Sprecher betätigt. Das waren sozusagen die ersten Gehversuche im gouvernementalen Bereich. Sie sind etwas mißlungen. Herr Slotosch von der „Süddeutschen Zeitung" hat einmal nachgerechnet, Herr Rosenthal, wie das mit der Leistung, dem Ergebnis und den Zahlen unter dem Strich wirklich ist. Unter dem Strich bleibt heute für den Arbeiter auch bei hohen Lohnsätzen, betrachtet man die Lohnsteuer und die Preisentwicklung, fast nichts. Das ist die Wirklichkeit.
Wenn Sie meinen, das sei eine harmlose Geschichte, sollten Sie sich einmal diesen Artikel vornehmen. Sie selbst sind Unternehmer. Ich weiß nicht, wie Ihre Preislisten aussehen,
ob die Lohnbewegungen Ihre Preislisten ganz unverändert lassen.
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Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 69. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 7. Oktober 1970 3823
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Lenders?
Ja, bitte sehr!
Herr Kollege Höcherl, leider kommt meine Frage etwas spät; aber ich bin nicht rechtzeitig bemerkt worden.
Sie haben soeben gesagt, für den Arbeiter bleibe unter dem Strich fast nichts. Könnten Sie das einmal beziffern? Es würde uns doch sehr interessieren, was Sie unter „fast nichts" verstehen.
Sehen Sie, eben weil Sie zu spät kamen, haben Sie den Eingangssatz nicht gehört. Ich habe gesagt: Selbst sehr beachtliche Erhöhungen führen dazu. Ich rede jetzt gar nicht von den 15 %. Das wäre nämlich das Dreifache des Produktivitätszuwachses, der ein gültiger Maßstab ist. Immerhin sind diese hohen Sätze mit durch die Preisentwicklung provoziert worden. Die Lohnsteuer allein ist in einem Jahr um 1 Milliarde DM gewachsen. Die 4 % Preissteigerung sind in Wirklichkeit nicht 4 %, sondern wie an einer Rechnung des Statistischen Bundesamtes über das Bruttosozialprodukt einwandfrei nachgewiesen wurde — es sind 7 bis 8 %. Dann bleibt fast nichts. Mir wurde gerade ein Zettel überreicht, in dem diese Aufrechnung steht. Ich bin gern bereit, Ihnen diese Aufrechnung zur Verfügung zu stellen.
Gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Apel?
Herr Höcherl, sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß die Nettogehälter — also nach Abzug von Versicherungsbeiträgen und Steuern — im ersten Vierteljahr 1970 um 15,7 %, im zweiten Vierteljahr um 13,7% über dem vergleichbaren Zeitraum des Vorjahres gelegen haben? Dem stehen Preissteigerungen zwischen 3,5 und 4% gegenüber. Sind Sie bereit, das zur Kenntnis zu nehmen, und sind Sie angesichts dieser Differenzen bereit, Ihre Aussage zu korrigieren?
Ich bin bereit, das zur Kenntnis zu nehmen, aber nicht, es zu akzeptieren; denn die Rechnung ist anders.
- Wir machen das nicht so, sondern ich mache das genauso wie Sie. Wir wollen das nicht aufteilen lassen. Sie haben dann später Gelegenheit, Herr Peters, sich hier zu einem markanten Beitrag zu stellen.Nun, Herr Rosenthal, Sie haben eine gewisse Möglichkeit, auf landsmannschaftliche Toleranz zu rechnen. Aber wenn Sie fortfahren, Ihre wirtschaftspolitischen Kenntnisse in dieser Form zu verbreiten, dann könnte das anders werden. Wenn ich mir das nebenbei gestatten darf: der etwas bizarre Arbeitsstil — das ist kein negatives Vorzeichen — von Herrn Professor Schiller ist bekannt, und ich bin darauf gespannt, wie sich die beiden gleichgeladenen Pole — ich habe über die Ladungsart keineswegs etwas ausgesagt — auf die Dauer vertragen werden.
Dann griff naturgemäß auch der Herr Finanzminister in die konjunkturpolitische Debatte ein. Dazu gibt es etwas Interessantes vorzutragen. Bücher haben so ihre Schicksale. Herr Möller ist als Kommentator hervorgetreten, und sein Kommentar hat bereits eine zweite Auflage erfahren. In diesem Kommentar finden sich ganz hervorragende Äußerungen, und zwar in dem Teil, der auf seine eigene Autorenschaft zurückgeht. Dort wird das Wachstums- und Stabilitätsgesetz als normatives Aktionsmodell bezeichnet — ein sehr anspruchsvoller und mit einem Rufzeichen ausgestatteter Begriff. Was steht dort aber noch weiter? Dort steht weiter: Dieses Stabilitäts- und Wachstumsgesetz ist an eine Regierung ohne Konzeption adressiert, damit sie wenigstens ein Mindestmaß von Maßnahmen ergreift. — Meine Damen und Herren, Sie sind am Zuge; eine Regierung ohne Konzeption; Sie haben das Stabilitätsgesetz und noch dazu kommentiert von einem wichtigen Partner der Stabilitäts- und Konjunkturpolitik. Bitte, handeln Sie!
Heute ist schon von vielen Seiten dargestellt worden, wie die wirklichen Ergebnisse der bisherigen Entwicklung sind. Ich darf das noch etwas illustrieren. Meine Damen und Herren, in erster Linie ist der Sparer angesprochen und auch in den besonderen Schutz des Bundeskanzlers genommen. Wir haben 45 Millionen Sparkonten. Für diese 45 Millionen Sparkonten muß man heute von einem Kaufkraftverlust nicht von 4,1% ausgehen — all diese auf den Haushalt bezogenen Rechnungen ergeben keine genügende wirtschaftliche Aussage —, sondern von 7 bis 8%. Das ist die letzte Ziffer des Statistischen Bundesamtes, geschätzt und abgeleitet vom Bruttosozialprodukt des ersten Halbjahres 1970, Dazu haben wir 6 Millionen Bausparer und 5 Millionen Wertpapiersparer. Heute wurde uns von Herrn Minister Schiller eine Rechnung aufgemacht. Ich muß schon sagen, mit dem Rechnen ist es schwierig, und wenn man die Rechnung einer politischen Defensive anpassen muß, dann wird sie notleidend. Uns ist heute gesagt worden, dieses Sparvermögen von 377 Milliarden DM würde einen Ertrag von 24 Milliarden DM bringen und abzüglich des Kaufkraftverlustes würde immerhin noch ein erklecklicher Teil übrigbleiben. Meine Damen und Herren, das ist eine geschminkte, kosmetisch aufgemachte Rechnung. Auf diesen Ertrag haben die Sparer in allen drei Formen einen echten Anspruch, und zwar in vollwertigem Geld. So ist es. Daß ihm in seinem Ertrag von diesen 24 Milliarden die 7 bis 8 % abgenommen werden, allein das ist schon ein weiß Gott sehr bemerkenswerter Verlust.Darüber hinaus, Herr Professor Schiller: War es nicht so, daß von der Bundesregierung Bundes-
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3824 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 69. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 7. Oktober 1970
Höcherlschatzbriefe-5 1/2 bis 6%ige Pfandbriefe — angeboten wurden, die heute tief im Keller sitzen mit 78 oder 80 %?
Dieser Vermögensverlust über den Kaufkraftverlust hinaus, das ist die echte Rechnung, die hier aufgemacht werden muß.
Von den Löhnen habe ich bereits gesprochen. Es gab eine Entwicklung, und es hat sehr viele Gespräche in der Öffentlichkeit gegeben, und auch die Lohnpolitik wurde davon sehr beeinflußt, und die Regierung hat die Dinge nicht klargestellt. Wenn ich heute ihre Antwort sehe, die sie auf die Fragen gegeben hat, erkenne ich: sie rechnet mit einem Rückgang der Ertragsteuern. Damit ist zum Ausdruck gebracht, daß die Wirtschaft nicht mehr dieselbe Leistungsfähigkeit und die Steuerkraft haben wird. Die Auswirkungen auf den Haushalt, auf das Reformprogramm brauche ich nicht darzustellen. Wenn die Erträge sinken, möchte ich gern wissen, ob über die Lohnsteuer und über die Verbrauchsteuern allein all das aufgebracht werden kann, was Sie sich vorstellen in Ihrer Reformpolitik, wobei Sie großzügigerweise die Länder, ohne sie besonders zu fragen, mit einbeziehen. Nehmen Sie den Wissenschaftshaushalt, bei dem Sie 5 % echten eigenen Anteil liefern, 95% haben die Länder beizutragen. Alles wird letzten Endes bestimmt von der Ertragskraft, die Sie selber als degressiv bezeichnen angesichts der eingeleiteten Entwicklung.Darüber hinaus ist noch folgendes festzustellen. Von einem sehr unverdächtigen Zeugen wurde folgende Berechnung auf den Tisch gelegt. Die hohen Zinssätze, die wegen der einseitigen Belastung der Bundesbank und aus zahlungsbilanzpolitischen Gründen notwendig geworden sind, führen dazu, daß die deutsche Wirtschaft — auf Jahresbasis bezogen — mit einer Zinslast von zusätzlich 15 Milliarden belastet wird. Glauben Sie, daß das ohne Folgen sein wird?
Ein Rentner, der mit 5,5 %, wie Herr Stoltenberg schon ausführte, bei der Anpassung zu rechnen hat nach dem System, das wir gefunden haben, kriegt praktisch 1,5 % echt auf die Hand, weil der Rentnerhaushalt mit den Haushaltsbestandteilen aus der Indexrechnung viel stärker belastet ist. Der Mittelstand mit der Zinsbelastung kann sich zum Teil auf dem Markt mit Preisen nicht erholen, weil es die Marktsituation nicht zuläßt — von der Landwirtschaft gar nicht zu reden, die in festgezurrten, von der Gemeinschaft festgelegten Preisen steht.Oder gehen Sie einen Schritt runter! Nehmen Sie die Vermögensbildung! Der Bundeshaushalt hat für die Vermögensbildung 10 Milliarden zur Verfügung gestellt. 20 Milliarden ist der Verlust aus all den Dingen, die ich vorgetragen habe, allein in dem Bereich, in dem auf DM-Basis gespart ist. Wir hätten uns die 10 Milliarden sparen können —
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Porzner?
Herr Höcherl, Sie sprachen vorhin von der 5,5%igen Rentensteigerung und davon, daß die Rentner nur etwa 1,5% realen Einkommenszuwachs hätten. Ist es nicht richtiger, wegen der Rentenformel längere Zeiten zugrunde zu legen, und stimmt es nicht, daß seit 1966 die Renten um mehr als 40 % gestiegen sind und daß selbst dann, wenn Sie die Steigerungen der Lebenshaltungskosten abziehen, die reale Steigerung der Einkommen bei den Rentnern höher ist als in allen übrigen Einkommensbereichen?
Herr Porzner, die Sache ist vollkommen richtig. Das System haben wir 1957 mit unserer Mehrheit eingeführt; das ist mir bestens bekannt.
Aber die innere Voraussetzung des Systems war eine Stabilitätspolitik, wie wir sie 20 Jahre betrieben haben. Wenn aber in einer Anpassung ein solcher Verlust dazukommt, dann stimmt die Rentenformel, auch wenn sich das später einmal ausgleichen sollte, für den heute lebenden und auf sein Einkommen angewiesenen Rentner eben nicht.
Das mußte ausgerechnet Ihnen passieren, die Sie sich im politischen Tageskampf als die geborenen Vertreter der sozial schwachen Schichten ausweisen. Sie nehmen nur auf einige organisierte Teile Rücksicht. Die anderen bleiben schön am Rande des Geschehens.
Gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Abgeordneten Zander?
Nein, Herr Präsident, ich möchte mich im Zusammenhang äußern. Dafür werden Sie Verständnis haben.
— Die brauche ich in dieser Rechnung gar nicht, das ist gar kein Bestandteil. Wenn diese 2 % nicht da wären, würden sie überhaupt nichts bekommen, dann hätten sie 0,5 % minus.
Wenn Sie das schon wissen wollen!Meine Damen und Herren, die Wissenschaft hat ihre eigene Nomenklatur, und sie bezeichnet einen solchen Vorgang als Inflation. Der etwas angeschlagene Seelenhaushalt unseres Bundeskanzlers erlaubt das nicht. Schon Strauß, der heute wegen seiner Äußerung von Herrn Junghans, wie ich meine, nicht in fairer Weise angegriffen worden
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Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 69. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 7. Oktober 1970 3825
Höcherlist, ist wegen des Nervenkostüms auf eine ,,schleichende Inflation" ausgewichen. Wir dürfen nur mehr sagen „Preisanstieg", während man im eigenen Lager, wie wir wissen, in den Äußerungen natürlich großzügig ist, wenn man sich dann auch mühselig Schritt und Schritt halb oder ganz entschuldigt. Der Bundeskanzler hat ein gutes Beispiel gegeben, Herr Wehner, Sie ein halbes, und das dritte steht noch aus.
Meine verehrten Damen und Herren, wenn Sie das ganze Tableau sehen mit den Verlusten, die heute eingetreten sind, und wenn Sie behaupten, daß diese Entwicklung zu Ende sei, dann lesen Sie doch mal jeden Tag in der Presse, und Sie werden sehen, auf welchen entscheidenden Gebieten neue Preissteigerungen angekündigt sind. Die Lohnrunden in dieser Höhe müssen ja in die Preise eingehen. Sie können nicht vom lieben Gott zusätzlich finanziert werden. Das ist das Bedenkliche.Das ist nicht unsere Sprache, nicht die Sprache der Opposition allein oder weil wir in der Opposition sind, sondern auch die OECD, alle wirtschaftswissenschaftlichen Institute, die gesamte Wirtschaftspresse, auch die, die in ihrer politischen Haltung weiß Gott mit uns keine verwandtschaftlichen Beziehungen hat, sie alle erteilen Ihnen auf diesem Sektor die Note, die Ihnen Strauß, meines Erachtens viel zu vorsichtig, ich möchte sagen, bei schandbar milder Beurteilung gegeben hat: ungenügend.
Meine verehrten Damen und Herren, es konnte nicht ausbleiben, daß ein alter Eintopf wieder aufgewärmt wurde. Dreimal oder viermal, wenn ich mich nicht täusche, kommt in der schriftlichen Antwort auf die Große Anfrage in den Erklärungen aller Diskussionsredner, soweit sie zur Koalition gehören, und des Herrn Bundeswirtschaftsministers die Geschichte mit der Aufwertung. Das sei an allem schuld, die verzögerte Aufwertung. Jetzt muß dieser Film mit einigen Stationen und mit einigen Szenen noch einmal durchgespielt werden. Ich will Ihnen einmal etwas sagen.
— Nein, ich sage Ihnen das schon!Meine Damen und Herren, die Aufwertungsbefürworter stehen in Übereinstimmung mit dem früheren Präsidenten Blessing und einem großen Teil anderer Sachverständiger auf dem Standpunkt, Ende 1968 hätte die Aufwertung, wenn überhaupt, erfolgen müssen. Damals hat man sich auf eine andere Methode geeinigt — der Herr Wirtschaftsminister hat davon gesprochen —, auf die Exportabgabe von 4 %. Nun, er mag seine Gründe dafür haben; die Sache ist passé. Im Frühjahr 1969 wollte er noch einmal anheizen, obwohl schon die 4 % allein aussagen, daß zum Anheizen gar kein Anlaß war und viele andere Indikationen im Raume standen. Wenn ich 4 % Exportabgabe verlange und im Frühjahr 1969 noch einmal anheizen will, kann ich nicht von einer korrekten, sachbezogenen und richtigen Lagebeurteilung ausgehen. Was dann geboten wurde, diese 4 % plus 2,25 %, das war ein Wellenpeitschen, meine Damen und Herren, und sonst nichts! Es hätte vom Standpunkt der Aufwertungsfreunde überhaupt nichts bewirken können. Setzen Sie das für sich weiter fort und nehmen Sie den berühmten 27. Oktober, der in Wirklichkeit durch die Freigabe der Bandbreite am 29. September bereits vorweggenommen war; das war nur mehr eine formelle Bestätigung nach gewissen Konsultationen. Wenn das alles zu spät war, meine Damen und Herren — ich stelle mich einmal auf den Argumentationsstandpunkt der Bundesregierung —, dann war allerhöchster Anlaß zu einem flankierenden Programm, wie es die Franzosen und andere aufgestellt haben.
Sie können nicht sagen, daß es zu spät war. Auch in der Regierungserklärung steht es. Wenn es zu spät war, dann durften Sie diese Form der Aufwertung nicht isoliert im ökonomischen Raum stehen lassen, sondern dann mußten Sie zusätzlich Mittel ergreifen, für die Sie ein ganzes Jahr lang gebraucht haben. So war es doch.Ihr Verspätungseinwand zieht doch gar nicht angesichts des Ablaufs. Dazu wissen wir, Herr Bundeskanzler, daß sich der Herr Wirtschaftsminister dem Kabinett mit 12% präsentiert hat. Über die FDP wurde er dann auf 8,3 oder 8,5 oder 9,25 oder 9,3 % zurückgeschnitten. Wenn das alles damals schon zuwenig und zu spät und isoliert war, ohne begleitendes und unterstützendes Programm dastand, dann, meine Damen und Herren, sind dies die Fehler, die sich auswirken.
Der bezüglich der Aufwertung geäußerte Standpunkt berührt eine Frage der Technik, eine Frage auch der Gemeinschaftspolitik. Es ist eine Frage, die man nicht dogmatisch behandeln kann. Aber dogmatisch werden hier von der Regierung Grundsätze aufgestellt. Sie, Herr Bundeskanzler, haben in einer, ich muß sagen, menschlich rührenden Form in Ihrem neuesten Interview im „stern" zum Ausdruck gebracht, daß Sie zeitweise ökonomisch etwas gewurschtelt haben. Bloß sind wir der Meinung: nicht nur zeitweise, sondern die ganze Zeit.
Immerhin möchte ich Ihnen als Mensch das Kompliment nicht versagen, daß Sie genauso wie das letzte Mal ohne weiteres den Weg gefunden haben, sich von dem Ausrutscher zu distanzieren, leichter, als ihn andere gefunden haben. Es wurde akzeptiert, daß Sie das als Ausrutscher zugaben. Um dieses Ausrutschen in der Wirtschaftspolitik geht es. Alle Prognosen waren falsch, keine einzige ist eingetroffen.Wir stehen vor einer Situation, wo es nicht um die 4,1 oder die 3,8 % geht, die neuerdings angeblich feststehen sollen. Sie wissen doch, wie sich der Preisindex zusammensetzt, Da gibt es saisonale Einflüsse, die keineswegs entscheidend sind. Für die Konjunkturbeurteilung sind es vielmehr die Investitionsgüter, die Ausrüstungsgüter. Als Sie damals die Regierung übernahmen, hatten Sie die Preisent-
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3826 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 69. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 7. Oktober 1970
Höcherlwicklung um uns herum ja schon gesehen, die heute auch hereingezogen wird. Das kann aber keine Entschuldigung sein, weil sie schon damals sichtbar war und auch die französicher Abwertung, die ja zu Preiserhöhungen führen mußte, bereits sichtbar war. Die Preisentwicklung in anderen Ländern und die Wechselkurssituation waren ebenfalls klar. Aber die Indikation durch die Investitionsgüterpreise, der ausschlaggebende Indikator war schon so kraß, daß höchste Eile geboten war, den Dingen zu steuern. Das ist versäumt worden. Sie haben sich mit einer glänzenden Parade, mit Versprechungen vorgestellt.Wir, Herr Bundeskanzler, haben Ihnen geholfen, daß Sie Zusagen auf steuerlichem Gebiet, die Sie gemacht haben, nicht einlösen mußten.
Suchen Sie sich eine Opposition, die nicht das weite Gewissen hat wie frühere Oppositionen,
die zu Gesprächen damals bereit war und auch jetzt bereit ist; Herr Stoltenberg hat es zum Schluß seiner Rede zum Ausdruck gebracht. Wenn Sie sich mit uns an einen Tisch setzen und ein gemeinsames Tableau ausarbeiten, was noch von den Maßnahmen des Stabilitätsgesetzes durchzuführen ist, vor allem auf dem Fiskalgebiet, dann sind wir bereit, mit Ihnen mitzuziehen, weil wir es uns anders nicht erlauben können, nicht wegen des Bumerangs, der heute von Herrn Kienbaum so etwas in die Luft geworfen wurde — das meine ich natürlich rethorisch —, nein, weil uns das Gewissen diese Großzügigkeit nicht gestattet, wie sie einmal von einer anderen Opposition — auch im Jahre 1966 — gezeigt wurde. Herr Bundeskanzler Erhard, Sie werden sich erinnern. Diese Haushaltsanstrengungen waren ein Gemeinschaftswerk. Die größten Anteile und die größte Mitbestimmung bei diesem Gemeinschaftswerk hatte die damalige Opposition.Heute, da man auf der Regierungsbank sitzt, ist es halt etwas anderes, auch wenn sie um zehn Zentimeter gesenkt wurde, also gegenüber damals etwas demokratischer geworden ist. Wenn man heute auf der anderen Seite steht und für eine solide Haushaltsführung, für stabiles Geld, für den Sparerschutz, für den kleinen Mann eintreten soll und es nicht kann, dann ist dies schwierig.Wir sind bereit, Ihnen dabei zu helfen, aber nicht in der Form, daß wir alle Ihre Fehler unter den Teppich kehren; vielmehr müssen sie öffentlich ausgebreitet werden, weil der Wähler wissen muß, daß Sie diese Probleme nicht aus eigener Kraft lösen konnten.
Fortgesetzt wird Beschwerde darüber geführt, daß wir eine solche Debatte vor Landtagswahlen hervorrufen.
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Wir machen das auch vor Landtagswahlen. Ich sageganz bewußt: Wir machen es gern vor Landtagswahlen. Warum? Weil in diesen Landtagswahlen —Bundesrat! — mit entschieden wird über die Qualität dieser Bundesregierung. Der Wähler muß wissen, was hier los ist. Sollen wir das alles verschweigen?
Herr Abgeordneter Höcherl, darf ich Sie bitten, zum Ende zu kommen. Ihre Zeit ist abgelaufen.
Es tut mir außerordentlich leid, daß ich einige wesentliche Dinge nicht mehr so ansprechen kann, wie ich es mir vorgenommen hatte. Ich darf aber vielleicht noch einige wenige Bemerkungen machen.
Sogar der Herr Verteidigungsminister hat in die Debatte eingegriffen, was schon ein sensationeller Vorgang ist. Seine Ausführungen waren nicht uninteressant, aber er sollte vielleicht daran denken, daß der Verteidigungshaushalt weit über seine eigene Funktion hinaus wegen der außenpolitischen Bedeutung ein ganz anderes Gewicht und ein politisches, gemeinsam bejahtes Recht darauf hat, anteilsmäßig zum Zuge zu kommen; denn angesichts der schwierigen Situation, in der wir uns befinden, darf man die Schlagkraft der Bundeswehr und den Verteidigungsbeitrag nicht gefährden.
Ich muß doch noch ein Wort von Herrn Kienbaum herausgreifen. Er meinte, die Frage der Steuervorauszahlung sei nicht seine Sache. Ich kann mich daran erinnern, daß die FDP dafür gestimmt hat — aber erst nach den Wahlen; vorher durfte es nicht stattfinden. Es war die schmalbrüstige FDP, der Ihnen zur linken Hand angetraute Partner, Herr Bundeskanzler, den Sie über den 14. Juni hinwegbringen mußten. Mit 0,8 0/0, glaube ich, ist Ihnen dies in einem der Bundesländer gelungen. Ich habe Verständnis dafür. Wer sich nun einmal so verheiratet hat, muß diese Familiensorgen tragen.
Herr Abgeordneter, ich bitte nunmehr endgültig, zum Schluß zu kommen. Ihre Zeit ist abgelaufen.
Es wäre noch eine Fülle vorzutragen. Ich darf zum Schluß nur noch eines erwähnen. 1948 hat sich herausgestellt, worin der Wert eines guten Geldes besteht: die Zwangswirtschaft verschwand, die Freiheit begann, die Waren kamen aus den Verstecken, und es entstand eine blühende Wirtschaft mit dem Aufbau, der uns in die Spitzengruppe geführt hat. Das war die Kraft des Geldes. Dieses Geld muß in seinem Wert bewahrt werden, nicht nur wegen seiner Tauschwirkung, sondern weil es darüber hinaus ein Element der Freiheit und einer freiheitlichen Ordnung ist. Das soll man nicht vergessen.Wir helfen Ihnen dabei. 20 Jahre lang haben wir es Ihnen vorgemacht.
Wir helfen Ihnen dabei, weil Sie es nicht können.
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Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 69. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 7. Oktober 1970 3827
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Apel. Seine Fraktion hat 30 Minuten für ihn beantragt.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Höcherl, spaßig war es ja, aber wenig zur Sache geredet! Wir haben heute morgen eine Debatte geführt, die doch in der Tat sehr sachbezogen war. Ich glaube auch, uns allen ist in dieser Situation. nicht zum Spaßen zumute.
Herr Kollege Höcherl, eine Bemerkung zur Vergangenheit. Sie haben gesagt, es sei stets höchste Eile geboten gewesen, etwas zu tun. Um so unverständlicher ist es dann eigentlich, daß sich die CDU/ CSU bei den letzten einschneidenden Maßnahmen der Stimme enthalten hat; denn eigentlich sollte auch für Sie das Zitat der Bibel gelten: „Eure Rede sei: ja, ja, nein, nein; was darüber ist, das ist von Übel". Es war von Übel, daß Sie sich der Stimme enthalten haben, und Sie werden von dieser Entscheidung nicht herunterkommen. Wir werden dafür sorgen, daß immer wieder deutlich gemacht wird, wer bisher Konjunkturpolitik in diesem Lande tatkräftig betrieben hat und wer nur Demagogie und billige Propaganda getrieben hat.
Herr Kollege Stoltenberg hat heute morgen gesagt, wir sollten hier die Wahrheit sagen, und zwar nicht die verschönte, sondern die echte. Ich will versuchen, dazu Beiträge zu liefern.
Das erste Problem, vor dem wir heute in der Konjukturpolitik stehen, ist — und das merken wir deutlicher denn je -, daß das, was die Ökonomen Wirtschaftsablaufspolitik nennen, nämlich die Konjunkturpolitik, durch Fehler in der Wirtschaftsordnung zunehmend in ihrer Funktionsfähigkeit gehemmt wird. Ich weise in diesem Zusammenhang nicht allein auf das vielzitierte Beispiel der Währungsverflechtung unseres Landes hin. Ich weise auch darauf hin, daß wir, die Bundesrepublik, heute nicht mehr in der Lage sind, z. B. in einer Hochkonjunktur wie der jetzigen autonom Zölle zu senken, vorübergehend Zölle zu senken, wie das als konjunkturpolitisches Instrument früher möglich war. Alles das bringt in unsere außenwirtschaftliche Absicherung eine gewisse Schwierigkeit, Rigidität und Starrheit hinein.. Wir müssen das zur Kenntnis nehmen.
Denn wir alle wollen die europäische Integration, und der Herr Bundeskanzler hat völlig recht, daß hier Integrationskonsequenzen auf uns zukommen, die auch Sie, Herr Müller-Hermann, nicht leugnen können.
Über die Gegenwart. - Wenn Sie sich die Rede des Herrn Wirtschaftsministers heute morgen sehr genau angehört haben, werden Sie festgestellt haben, daß um uns herum, auch in der EWG, die Preissteigerungen immer noch weit über dem deutschen Niveau liegen, und das wirkt direkt in unser Land hinein..
— Ich bitte Sie, dann müssen Sie sich die letzten Zahlen angucken. Sie sind von dem Herrn Minister genannt worden.
Meine Damen und Herren, in einem zweiten Punkt kommt die Wirtschaftsablaufspolitik, die Konjunkturpolitik, an die Grenzen der Wirtschaftsordnung. Ich spreche hier sehr konkret die Fragen des Bodenrechts, des Mietrechts und des sozialen Wohnungsbaus an.
— Darüber werden wir morgen diskutieren. Aber wenn wir über Preissteigerungen in diesem Land reden, kommen wir nicht umhin, festzustellen, daß hier eine der Ursachen liegt und daß 20 Jahre CDU/CSU-Politik es verhindert haben, daß in diesem Land ein vernünftiges Bodenrecht geschaffen und daß ein echter Mieterschutz eingeführt werden konnte.
Durch die Lücke-Politik — der verehrte Kollege Lücke wird mit seinem Namen auf Dauer mit diesem Gesetz, dem Lücke-Gesetz, verbunden sein — sind zu früh Freigaben eingeführt worden.
Sie waren es
— sofort, Herr Kollege Stoltenberg —, die schrittweise die Ausgaben für den sozialen Wohnungsbau im Bundeshaushalt reduziert haben. Wir müssen jetzt erst neu ansetzen, um im nächsten Jahr zusätzlich etwas zu tun.
Auch das gehört in die Konjunkturdebatte, weil hier in der Wirtschaftsordnung etwas falsch ist.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Stoltenberg?
Bitte schön!
Glauben Sie wirklich, Herr Kollege Apel, daß Sie im Zusammenhang mit der Wohnungsbaupolitik weiterhin in dieser gängigen Form über angebliche Versäumnisse von 20 Jahren CDU/CSU-Politik sprechen können, nachdem jetzt bereits fünf Jahre Minister aus den Reihen3$Metadaten/Kopzeile:
28 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 69. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 7. Oktober 1970
Dr. Stoltenbergder heutigen Koalition die Verantwortung dafür im Kabinett tragen?
Aber ich bitte Sie, Herr Kollege Stoltenberg! Ich habe doch in der letzten Legislaturperiode erlebt, wir wir Ihnen mit der Kneifzange schrittweise Zugeständnisse zur Reform des sozialen Mietrechts abringen mußten.
Gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Abgeordneten Müller ?
Nein, jetzt möchte ich einen Augenblick weiterreden, Herr Präsident.
In einem dritten Punkt stößt Wirtschaftsablaufpolitik, Konjunkturpolitik an die Grenzen der Wirtschaftsordnung. Hier möchte ich mich sehr kurz an Herrn Kienbaum wenden. Natürlich erwarten auch wir von der Konzertierten Aktion einiges. Aber übersehen wir doch bitte nicht, daß die Wettbewerbsordnung in unserem Land nicht in Ordnung ist und daß ein Teil der Lohnsteigerungen auf Grund des Fehlens einer normalen und ordentlichen Wettbewerbsordnung in unserem Land ungerechtfertigt auf die Preise abgewälzt wird! Auch dies ist ein Problem der Wirtschaftsordnungspolitik, und um dieses Problem wird sich diese Bundesregierung durch eine Novellierung kümmern.
Das heißt mit anderen Worten, Herr Müller-Hermann: im Rahmen dieser noch ausstehenden Reformen, die notwendig sind, die vor uns liegen, die wir anpacken, kann sich Wirtschaftsablaufspolitik heute auswirken, und von hierher kommen auch negative Einflüsse hinein, die wir unseren Bürgern wahrheitsgemäß sagen müssen.
Ja, warten Sie nur weiter begierig! Sie wird kommen.
Meine Damen und Herren! Herr Stoltenberg hat heute morgen Fragen hinsichtlich der weiteren Entwicklung im Jahre 1971 aufgeworfen. Er hat unsere Prognosen in Zweifel gestellt. Der Herr Wirtschaftsminister hat darauf aufmerksam gemacht, daß auch wir Prognosen mit einer gewissen Vorsicht betrachten.
Dennoch nehme ich für mich und meine Fraktion zur Kenntnis, daß die wirtschaftswissenschaftlichen Institute — so abgedruckt im „Handelsblatt" am 25. und 26. September — unter der Überschrift „Möller hat recht" deutlich gemacht haben, daß es eben keineswegs sicher ist, daß Ihre Aussage zum Haushalt 1971 richtig ist. Diese Institute kommen jedenfalls zu anderen Ergebnissen. Aber wir wollen uns hier nicht streiten. Unsere Fraktion und die Bundesregierung haben deutlich gemacht, daß wir im Januar oder Februar erneut über diese Frage diskutieren werden.
Dennoch möchte ich mich einmal auf den Boden der Prämisse von Herrn Stoltenberg stellen und davon ausgehen, daß wir im Jahre 1971 in der Tat eine ähnlich angespannte Situation wie in diesem Jahr haben werden. Dann aber müssen Sie nun für sich die Frage beantworten, ob es dann richtig und vernünftig ist, erneut die öffentlichen Ausgaben zurückzudrängen, also keine Hochschulen zu bauen, keine Straßen zu bauen, keine Wohnungen zu bauen
gut, sagen wir: weniger Wohnungen zu bauen, weniger Straßen zu bauen, weniger Hochschulen zu bauen, oder ob wir, Herr Breidbach, nicht alle zusammen einmal ernsthaft überlegen müssen, ob wir dann nicht die private Investitionslust zurückdrücken müssen. Darauf müssen Sie uns eine Antwort geben. Wenn Sie sagen, wir haben im nächsten Jahr Hochkonjunktur, müssen Sie uns einmal sagen, ob dann nach Ihrer Meinung die Aussetzung der degressiven Abschreibung über Januar 1971 hinaus verlängert werden sollte. Ich für meine Person halte es für unerträglich, daß wir weiterhin unbegrenzt Autos produzieren, die notwendigen Straßen dazu aber nicht.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Breidbach?
Herr Kollege Apel, haben Sie heute im Laufe des Tages zur Kenntnis genommen, daß die Sprecher der Opposition nicht davon ausgegangen sind, daß man weniger Straßen, weniger Hochschulen bauen muß, sondern davon, daß man nur dann mehr Straßen und mehr Hochschulen bauen kann, wenn Preisstabilität da ist?
Herr Breidbach, nun muß ich leider einmal als Ökonom reden. Ich tue das sehr ungern. Ich habe das bei Herrn Schiller gelernt wie auch Herr Schmidt. Sie sehen, Herr Schiller hat gelehrige Schüler.
Das Volkseinkommen setzt sich doch zusammen aus Konsum und Investitionen. Das ist doch wohl richtig. Und für Investitionen steht doch ein gewisser nominaler und auch realer Betrag zur Verfügung. Damit ist aber keineswegs entschieden, wie die Aufteilung zwischen staatlicher und privater Investition vorzunehmen ist. Dies ist vielmehr eine Globalsumme. Wenn Sie nun sagen, im nächsten Jahre werde immer noch eine Überspannung der
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Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 69. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 7. Oktober 1970 3829
Dr. ApelKonjunktur herrschen, so müssen Sie uns sagen, ob Sie die private Investition ungeschoren lassen und dafür die staatliche zurückdrängen wollen oder ob es nicht andere Wege gibt.Ich unterstreiche: Für uns steht diese Frage überhaupt nicht zur Debatte, weil unsere Konjunkturanalyse uns dazu führt, daß im Jahre 1971 diese Alternative, die ich als Frage an Sie aufgestellt habe, weil Sie ja diese krasse Prognose geben, nicht besteht.Eine letzte Bemerkung: Machen wir uns doch nichts vor! 90% der Ausgaben des Bundeshaushalts sind fixiert, und 15 % betreffen überhaupt nur Investitionsvorhaben. Das macht doch auch deutlich, wie bedingt nur der Bundeshaushalt in der Lage sein wird, etwas beizutragen, falls im Jahre 1971 Überbeschäftigung und Überkonjunktur zu bremsen sein werden. Das bedeutet nicht, daß meine Fraktion hier das letzte Wort gesprochen hat. Aber ich glaube, hier muß auch einmal deutlich werden, mit welchen Mythen die CDU und die CSU in der Konjunkturpolitik arbeiten.
— Herr Müller-Hermann, der Herr Stoltenberg hat uns nun vier Maßnahmen vorgeschlagen, wenn Sie so wollen, das Konjunkturprogramm der CDU/ CSU von heute, Herr Höcherl, wenige Wochen vor den Landtagswahlen. Nun wollen wir uns das mal angucken.Er hat gesagt, es müsse eine andere Diskont-Politik kommen. Dem habe ich nichts hinzuzufügen. Herr Arndt hat sich ja mit Herrn Klasen darüber unterhalten. Auch ich bin der Meinung, da könnte einiges verändert werden. Dies ist aber nicht eine Sache, die in das Belieben der Bundesregierung oder der Mehrheit dieses Hauses gegeben ist.Dann haben Sie, Herr Stoltenberg, gesagt, die private Nachfrage solle zurückgedrängt werden, so ganz konkret; ich kann Ihnen auch das Zitat im ausgedruckten Text vorlegen. Nun muß ich Sie fragen: wie soll denn das geschehen? Wollen Sie den § 26 des Stabilitätsgesetzes anwenden und die Steuern erhöhen? Oder wollen Sie weitere Steuervorauszahlungen haben? Ich kann nur daran erinnern, daß Sie sich noch im Juli der Stimme enthalten haben. Also bitte keine platonischen Forderungen, sondern Roß und Reiter nennen!
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Stoltenberg?
Sollte es, Herr Kollege Apel, aus unseren ausführlichen Darlegungen im Juli und heute erneut nicht auch Ihnen klargeworden sein, daß wir die Zurückdrängung der privaten Nachfrage, auch durch Steuervorauszahlungen, dann für vertretbar halten, wenn alle Instrumente des Stabilitätsgesetzes angewandt werden und nicht eine falsche Alternative zwischen öffentlicher und privater Nachfrage aufgebaut wird, die es tatsächlich in keinem geordneten Staat geben kann?
Herr Stoltenberg, Sie sind genau der Frage ausgewichen. Aber mehr habe ich nach Ihrem Knockdown heute morgen auch nicht erwartet.Dann haben Sie gesagt, wir müßten Haushaltspolitik betreiben. Ich habe dazu das Nötige gesagt.Weiter verlangen Sie eine bessere Konzertierte Aktion. Nun, warten wir das Wochenende ab! Aber eines tut diese sozialdemokratische Bundestagsfraktion nicht: sie ist nicht bereit, die schwere konjunkturpolitische Situation in diesem Lande, die durch fehlende außenwirtschaftliche Absicherung, durch Fehler in der Wirtschaftsordnungspolitik vergangener Jahrzehnte gekennzeichnet ist, jetzt den Arbeitnehmern anzulasten und ihnen die Schuld für die Preissituation in die Schuhe zu schieben.
Herr Höcherl, Sie haben dann den Sparer beklagt.
— Darf ich Sie mal eben ein bißchen anschießen, bevor Sie Ihre Frage stellen?
Sie haben den Sparer beklagt, Herr Höcherl, und haben gesagt, das sei alles ganz schlimm. Jetzt muß ich Zahlen vortragen, damit wir genau wissen, worüber wir reden. Ich habe vor mir liegen eine Zahlenreihe der Preissteigerungsraten, der Erhöhung des Lebenshaltungskostenindex für Arbeitnehmerhaushalte, und dem gegenübergestellt die Zinszahlungen für Einlagen mit gesetzlicher Kündigungsfrist bei den Sparkassen.
Die Differenz, Herr Höcherl, zeigt dann, was der Sparer netto übrig gehabt hat. Das sieht so aus: 1962 - da haben Sie ja regiert — hatte er 0,25 % übrig, 1963 ebenfalls. 1964 waren es dann 0,95 %, 1965 nur noch 0,1 % und 1966 1 %. In diesem Jahre wird es nach den Zahlen, die uns heute zur Verfügung stehen, dazu kommen, daß bei den Sparern, die ihr Geld bei den Sparkassen auf Sicht festgelegt haben, auf Grund der Zinssätze netto 1,3 % bleiben. Das ist mehr als jemals zu den Zeiten von 1962 bis 1966, als Sie Wirtschaftspolitik zugunsten der Sparer machten.
— Gut, die Zinssätze sind höhergegangen. Aber was beweist denn das, Herr Rösing? Das beweist doch auf der anderen Seite Kapitalknappheit in unserem Lande und in den Entwicklungsländern. Wir Sparer leben doch von der Differenz. Insofern muß diese billige Demagogie endlich mal weg. Ob-
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3830 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 69. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 7. Oktober 1970
Dr. Apelwohl niemand mit den aktuellen Preissteigerungen in diesem Jahre zufrieden ist, hat der Sparer, wenn er auf Sicht angelegt hat, 1,3 % in diesem Jahr mehr. Die anderen, die nicht auf Sicht sondern längerfristig angelegt haben, haben sowieso viel mehr Einnahmen. 1,3 % aber sind mehr als von 1962 bis 1966, in der glorreichen Zeit der CDU-Wirtschaftspolitik.
Herr Porzner hat durch eine Zwischenfrage das Rentenproblem gelöst. Aber zu dem, was Herr Höcherl gesagt hat, muß ich einmal zwei Bemerkungen machen. Erstens: Die Rentenformel mit der verspäteten Anpassung haben doch Sie erfunden. Darauf waren Sie vor zehn Minuten noch so stolz. Zum zweiten: Wenn jetzt die Rentner relativ geringe Zuwächse bei ihren Renten erhalten, dann doch deswegen, weil Sie 1966 und 1967 eine Krise fabriziert haben, die sich in den Lohnsteigerungen ausgewirkt hat.
Das ist doch genau die Situation.
Sie haben damals durch das, was Herr Schmücker die gewollte Rezession nennt, Lohnzuwächse verhindert, und heute wollen Sie uns das vorwerfen, obwohl Sie, wie Sie so stolz sagen, die Rentenformel erfunden haben.Herr Höcherl,
ich habe auch durch eine Zwischenfrage deutlich gemacht, daß Ihre Zahlen über die Einkommenszuwächse der Arbeitnehmer in unserem Lande nicht stimmen. Ich will das hier wiederholen, damit wir uns richtig verstehen. Netto — nach Abzug der Sozialabgaben und Steuern — ergibt sich im ersten Quartal 1970 im Vergleich zum ersten Quartal 1969 ein Mehr von 15,7% bei Preissteigerungen in Höhe von 3,6 %. Auf das zweite Quartal bezogen ergibt sich ein Mehr von 13,7 % bei Preissteigerungen in Höhe von 3,8 %. Hören Sie also mit diesem Argument auf, wenn Sie in der konjunkturpolitischen Debatte irgendwie noch ernst genommen werden wollen.
In vier Jahren sozialdemokratischer Wirtschaftspolitik von 1967 bis 1970 sind die Löhne netto um mindestens 30 % gestiegen; die Preissteigerungen betrugen rund 10 %.
Gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Stoltenberg?
Halten Sie es für richtig, Herr Kollege Apel, daß Sie dann, wenn Sie Vorgänge der Vergangenheit für schlecht halten, von 20 Jahren CDU-Herrschaft reden, aber dann, wenn Sie Vorgänge der Vergangenheit für gut halten, von vier Jahren sozialdemokratischer Politik sprechen?
Es gibt Bereiche in der gemeinsamen Arbeit, in denen trotz des Widerstandes von Herrn Kiesinger vernünftige Ergebnisse erzielt worden sind.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich abschließen. Wenn die Opposition im Deutschen Bundestag über Preissteigerungen in Höhe von 4 % oder 3,8 % lamentiert und die Preissteigerungsraten zum Zentralthema der Debatte macht, muß sie uns auch sagen können, was sie tun will, um dieser Situation Herr zu werden.
Meine Damen und Herren, aber darum geht es der Opposition ja auch gar nicht. Es geht der Opposition darum, jedes Argument, auch das billigste und schlechteste, das sie finden kann, zu benutzen,
— sehr richtig! um diese sozial-liberale Koalition
zu beenden.
Sie wollen zurück in die kalten Gräben der 50er und 60er Jahre. Sie wollen zurück zum System der Bevorzugungen der 50er und 60er Jahre.
Diese sozial-liberale Koalition schafft ein anderes Deutschlandbild.
Davon lassen wir uns auch von Ihnen nicht abbringen.
Das Wort hat der Abgeordnete Katzer.
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Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 69. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 7. Oktober 1970 3831
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Apel, mit dieser Polemik kann doch niemand draußen im Lande etwas anfangen. Sie hilft uns doch keinen Millimeter weiter.
— Herr Kollege Apel, ich habe den ganzen Morgen hier gesessen. Wer die Rede von Herrn Kollegen Stoltenberg heute morgen hier gehört hat, kann sich doch jetzt nicht hinstellen und sagen: Was ist denn Ihr Programm? Dieses Programm ist von Herrn Kollegen Stoltenberg hier doch klipp und klar dargestellt worden.
Es ist doch einfach nicht möglich, eine Diskussion so zu führen.
— Ich bringe es in meinem Beitrag zu ganz bestimmten Punkten. Ich bitte Sie herzlich, zuzuhören und dann vielleicht die Chance zu ergreifen, das, was Sie doch auch nicht wollen können, mit uns gemeinsam wieder in Ordnung zu bringen.
Nur darum kann es uns doch gehen. Sie sagen doch auch: Eine Preissteigerungsrate von 4 % ist uns zu hoch. — Oder nicht? Natürlich sagen Sie das! Wenn wir Ihnen anbieten, mitzuhelfen, diese Rate herunterzudrücken, - sollten Sie uns dafür dankbar sein und unseren Beitrag anhören.
Das ist doch meines Erachtens die Position, in der wir uns befinden. Anders kann man es nicht sehen. Ich bedaure, Herr Kollege Apel, daß Sie die Dinge jetzt verniedlichen wollen. Das ist doch das Verkehrteste, was es überhaupt gibt. Wir brauchen keine Dramatisierung, aber ich wende mich auch ganz energisch gegen jede Verniedlichung. Ich möchte Ihnen vorschlagen, das nachzulesen, was Herr Slotosch in der Süddeutschen Zeitung geschrieben hat. Wegen der Kürze der mir zur Verfügung stehenden Zeit will ich das jetzt nicht zitieren. Aber ich glaube, der Wirtschaftsminister und auch der Finanzminister wären gut beraten, wenn sie zu diesen Darstellungen offiziell Stellung bezögen.
Warum führen wir jetzt diese Diskussion so? Doch einfach deshalb, weil aus Ihren Reihen keine klaren Antworten kommen.
Sie beklagen sich und sagen, jede Rede hier im • Hohen Hause könnte die Situation verschlimmern. Das kann nur dann wahr sein, wenn dieses Hohe Haus nicht eine klare Antwort und den Menschen draußen im Lande nicht die Zuversicht gibt, daß auch Sie das Ziel erkannt haben und gemeinsam daran arbeiten werden, wieder eine Preisstabilität herzustellen. Nur dann kann es eine schädliche-Wirkung haben.
Nun haben wir Stimmen gehört — das muß hier einmal dargestellt werden —, die dazu raten, man möge sich mit der gegenwärtigen Geldentwertung abfinden. Herr Kollege Arndt hat vor drei Wochen ein „Spiegel"-Interview gegeben und ,dabei geglaubt, auch für das kommende Jahr eine Preisteigerungsrate bei den Lebenshaltungskosten von 4 % — bei den Investitionsgütern noch höher — hinnehmen zu müssen. Er meinte wörtlich, wirkliche Preisstabilität sei nicht möglich. Natürlich sieht jetzt auch Herr Kollege Arndt, -daß eine solche Steigerungsrate von 4 bis 5 % gerade die schwächsten Schichten des Volkes besonders hart trifft, und da meint er — ich würde sagen: logisch —, wenn man mit der Inflation leben wolle, müsse man staatliche Ausgleichsmaßnahmen treffen. Er denkt an Zinsgleitklausel bei Pfandbriefen und Lebensversicherungen, an eine Verkürzung des time-lag bei den Rentenanpassungen, und er denkt daran, die Sparguthaben von Kleinsparern bei Fälligkeit in realer Kaufkraft auszahlen zu lassen. Nun, meine Damen und Herren, wer so eine Aussage macht, darf sich natürlich nicht wundern, wenn in der Öffentlichkeit Unruhe entsteht. Man darf aber nicht uns dafür verantwortlich machen, sondern muß erst dafür sorgen, daß diese Regierungskoalition eine gemeinsame Sprache, auch eine einheitliche Sprache für die Menschen draußen spricht.
Lassen Sie mich dazu noch eine Bemerkung machen. Die Fakten sind bekannt. Der Lebenshaltungskostenindex ist um 4,1 % gestiegen, im September in Nordrhein-Westfalen um 4,3 % ohne Saisonwaren. Es ist eine bekannte Tatsache, daß sich diese Preissteigerung bei den Rentnern besonders stark niederschlägt. Herr Kollege Schellenberg hat für die vergangenen 20 Jahre in fast jeder Rentendiskussion darauf mit Recht hingewiesen. Beim Statistischen Bundesamt haben wir einen besonderen Lebenshaltungskostenindex für Rentnerhaushalte, und dieser Index ist in den vergangenen neun Monaten fast regelmäßig noch mehr gestiegen als der allgemeine Index. Zum 1. Januar — Herr Kollege Höcherl hat darauf hingewiesen — werden die Renten — — Bitte schön, Herr Kollege Schellenberg!
Herr Kollege Katzer, würden Sie mir bestätigen, daß dieser Preisindex für die Lebenshaltung der Rentner im Jahre 1965 im Durchschnitt 4 % und im Jahre 1966 im Durchschnitt 4,1 % betragen hat, daß er aber im Durchschnitt dieses Jahres bis jetzt bei 3,9 % liegt, also niedriger ist als in den Jahren 1965 und 1966, in denen die CDU/CSU die Verantwortung für die Bundesregierung getragen hat?
Nein, das kann ich Ihnen nicht bestätigen, Herr Kollege Schellenberg. Ich kann Ihnen aber bestätigen, daß wir in diesen Jahren sehr erhebliche Rentenerhöhungen hatten.
— Aber entschuldigen Sie doch höflichst. Ich findees unerträglich, wenn jemand hingeht und sagt,
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3832 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 69. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 7. Oktober 1970
Katzerdiese Preissteigerung im Zaum zu halten, sei eine Schnapsidee. Ich halte das nicht für eine Schnapsidee, sondern ich halte das für lebensnotwendig für unsere und Ihre Reformen, für die Reformen, die wir alle wollen. Anders können Sie es doch gar nicht erreichen.
— Nachher, Herr Kollege Apel; ich möchte den Gedanken der Renten jetzt erst zu Ende bringen.Herr Kollege Schellenberg, wir haben — das bleibt doch übrig — zum Januar 1971 eine Rentenerhöhung von 5,5 %. Das ist systemimmanent; ob es nun dieser oder jener Minister ist, das ist völlig egal. Das liegt im System.
— Entschuldigen Sie mal! In diesen Jahren haben die Rentner 8 % bekommen, und die Aktiven sind zum Teil mit 0 % herausgegangen.
Aber jetzt ist doch die Situation effektiv so, Herr Kollege Schellenberg, daß von den 5,5 % angesichts dieser Preissteigerungsrate kaum noch etwas für den Rentner übrigbleibt und daß dies zu einer Denaturierung der Rentendynamik führt, denn wir wollten hier nicht eine Preisverfallsklausel einführen, sondern die Beteiligung der Rentner am wachsenden Lebensstandard sichern. Das war der Sinn der Rentenreform von 1957!
Eine zweite Bemerkung, meine Damen und Herren. Nicht weniger betroffen sind die Sparer. Ich habe auch gelesen, was der Bundeskanzler im „stern"-Interview gesagt hat. Herr Bundeskanzler, das, was Sie über die höheren Zinsen für die Sparer angeführt haben, gilt in aller Regel nur bei beachtlichen Sparsummen. Bei kleinen Leuten, die nicht über beachtliche Sparsummen verfügen, sind die Zinsen sehr viel niedriger. Und das ist ja auch nur die eine Seite der Medaille. Sehen Sie doch bitte die andere Seite der Medaille an: Diese kleinen Leute sind ja auch Schuldner, z. B. Hypothekenschuldner, und für diese Schulden müssen sie jetzt höhere Zinsen zahlen als vor dieser Entwicklung. Ich glaube, das müßte man zusammen sehen. Und besonders hart betroffen sind durch die jetzige Entwicklung die kinderreichen Familien, die in der Regel nicht die Möglichkeit haben, sich den Preissteigerungen durch einen Konsumverzicht zu entziehen.Damit komme ich zu einer Frage, die einfach entscheidend ist. Ich habe vorhin Ihren Ausführungen entnommen, daß Sie sagen: Wir wollen Reformen machen und lassen uns nicht daran hindern. Aber wahr ist doch, Herr Kollege Apel: wenn wir im Baugewerbe Preissteigerungen von 20 % — im Tiefbau teilweise noch mehr — haben, dann kann mit einer Steigerung des Etats von 12 oder 15 % doch nicht mehr gebaut werden, sondern weniger. Deshalb kann die Lösung des Problems, vor dem wir hier stehen, doch nur lauten: Wir wollen Reformen - ja. Aber vor diesen Reformen wollen wir gemeinsam dafür eintreten, daß wir zu einer Geldwertstabilität kommen, die für die Zukunft nicht in dem Ausmaß gefährdet ist, wie das aus Ihren Reihen gesagt worden ist.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Apel?
Bitte schön!
Herr Katzer, sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß wir erstens für 1971 von einer anderen Konjunkturprognose ausgehen und daß zweitens selbst dann, wenn wir Ihre Konjunkturprognose unterstellen, immer noch hier entschieden werden muß, ob es vernünftig ist, die privaten Investitionen zu Lasten der staatlichen ungehindert wachsen zu lassen?
Herr Kollege, ich verstehe Sie gar nicht. Wenn Sie das wollen, was Sie andeuten, wenn Sie sagen, der Haushalt werde uns ja überhaupt erst im Januar oder Februar 1971 vorgelegt werden, warum gehen Sie dann eigentlich nicht auf unseren Vorschlag ein, in dem wir sagen, wir machen jetzt einen Haushalt, der sich im Rahmen des normalen Zuwachses hält, und einen Eventualhaushalt, der dann greift, wenn es konjunkturpolitisch sinnvoll und richtig ist?
Das scheint mir doch der entscheidende Punkt zu sein. Ich begreife das nicht. Ich begreife es wirklich nicht, warum wir uns hier alle diesen Ärger machen. Wenn Sie auf diesen unseren Vorschlag, auf den Vorschlag der Opposition eingingen, hätten Sie auch draußen sehr viel weniger Arger, und wir hätten ein Instrument, das dann greift, wenn es nötig ist.Ich will zum Schluß nur folgende Bemerkung machen. Herr Kollege Apel, wenn Sie die Freundlichkeit hätten, zuzuhören!
— Gern. — Ich möchte folgendes sagen. Ich habe Sorge, daß wir durch dieses — Herr Schiller hat das einmal gesagt — „süße Gift" der schleichenden Inflation beeinflußt werden. Dieses süße Gift der schleichenden Inflation trifft doch am stärksten und am härtesten den kleinen Mann, den Rentner, den kleinen Sparer, die kinderreiche Familie. Darüber sind wir uns in diesem Hohen Hause, glaube ich, alle miteinander einig. Meine Sorge ist jetzt, daß wir das Gefühl haben könnten: nun, wir müssen damit leben. Und Herr Slotosch, den ich nur in einem Punkt noch einmal zitieren will, sagt zu dem Vorschlag von Herrn Arndt mit Recht: Das heißt doch, den Teufel mit Beelzebub austreiben, denn das bedeutet
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Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 69. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 7. Oktober 1970 3833
Katzernichts anderes als den Versuch, sich den Folgen der Inflation dadurch zu entziehen, daß man durch nochmalige inflatorische Geldschöpfungen Subventionen finanziert. Und das ist doch genau das, was wir nicht wollen.
Durch ein solches System-und nehmen Sie unsdas, meine Damen und Herren, doch bitte ab — würden wir den, wie ich meine, verhängnisvollen Kreislauf nicht abbremsen, sondern beschleunigen. Wir würden das Stabilitätsbewußtsein in weiten Kreisen gefährden, denn nur allzu leicht könnte sich eine Mentalität breitmachen, die sagt: na ja, was kümmern uns steigende Preise; wir werden sie schon wieder über Preisverfallsklauseln einholen können. Gegen diese Mentalität sollten wir gemeinsam angehen,
denn aus dieser Mentalität kann nichts Gutes gedeihen.Meine Damen und Herren, lassen Sie mich eine letzte Bemerkung hinzufügen. Es besteht ein fundamentaler Unterschied zwischen dem Vorschlag des Kollegen Arndt, Gleitklauseln einzusetzen, und unserer Vorstellung. Wir möchten keine Gleitklauseln, sondern wollen die Stabilität des Geldwerts wiederherstellen. Wer sich mit einer schleichenden Geldentwertung abfindet, dessen Programm ist in Wahrheit kein Programm für mehr soziale Gerechtigkeit, sondern ein Programm für mehr soziale Ungerechtigkeit. Dagegen werden wir uns wehren.
Das Wort hat der Herr Bundesminister für Wirtschaft, Herr Schiller.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die heutige Stabilitätsdebatte ist sicherlich nicht vergebens. Einiges ist geklärt, anderes ist noch zu klären.
Das erste, das mir für den weiteren Verlauf dieser Stabilitätsdebatte klärungsbedürftig erscheint, ist die Orientierungsgröße, nämlich die Größe, an der wir Stabilitätspolitik zu messen und an der wir uns zu orientieren haben. Nach der überwiegenden Meinung gibt es nur eine einzige Größe, die dafür am besten in Frage kommt: Das, Herr Kollege Stoltenberg, ist schlicht und einfach der Lebenshaltungskostenindex
möglichst für alle Personen, nicht ein besonderer Index. Es tut mir leid, feststellen zu müssen, daß neuerlich auch Sie — ebenso wie es draußen geschieht - wie wild zu ganz anderen Zahlenreihen und Indizes greifen, nach dem Motto: Man nehme von jedem etwas; Hauptsache, der Index ist hoch.
Z. B. nehmen Sie, Herr Kollege Stoltenberg — es tut mir sehr leid; Herr Höcherl hat das auch getan —, die Differenz zwischen nominalem und realem Bruttosozialprodukt. Herr Stoltenberg, das kann kein Maßstab für den Grad der Stabilität sein.
Ich muß es erklären. Es ist einfach eine Rechengröße, aus der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung, die von Faktoren beeinflußt wird, die überhaupt nichts mit Stabilität zu tun haben. Wenn z. B. in einem Land wie dem unseren aufgewertet wird, dann wird diese Rechengröße, der sogenannte Deflationierungsfaktor, automatisch höher, weil sich nämlich die terms of trade, d. h. die Relation zwischen Ausfuhr- und Einfuhrpreisen, erhöhen. Wenn die Bundesrepublik, was niemand ernsthaft will, heute die D-Mark nach draußen abwerten würde, würde diese Rechengröße, nämlich der Deflationierungsfaktor, d. h. die Differenz zwischen nominalem und realem Sozialprodukt, automatisch kleiner und der Anschein erweckt werden, als hätten wir eine höhere Stabilität. Das ist kein Maßstab, um daran Stabilitätspolitik in einer konkreten Situation zu messen.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Stoltenberg?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ja, bitte!
Herr Kollege Schiller, halten Sie es wirklich für abwegig, daß heute viele Publizisten und auch manche Politiker nicht nur auf die Lebenshaltungskosten, sondern im Zusammenhang mit einer Konjunkturdiskussion über das kommende Jahr und einer Debatte über die Sicherheit der Arbeitsplätze auch auf die industriellen Erzeugerpreise, die Großhandelspreise und ähnliche Faktoren hinweisen, die sich kostenmäßig für die Bürger von morgen auswirken werden?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege Stoltenberg, ich habe soeben von Weihnachten geredet; jetzt reden Sie von Ostern, indem Sie auf eine zweite Größe zu sprechen kommen.
— Ja. Jetzt reden Sie von den industriellen Erzeugerpreisen. Das ist eine zweite Größe, über die ich auch noch reden wollte. Sie können nicht — ich glaube, das haben Sie doch wohl zu akzeptieren — die fiktive Rechengröße, von rd. 7 % — das hört sich schauerlich an — die Differenz zwischen nominalem und realem Sozialprodukt kurzfristig als Maßstab für die Stabilität nehmen.
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3834 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 69. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 7. Oktober 1970
Bundesminister Dr. SchillerBitte, steuern Sie dem Mißbrauch! Das ist ein Abusus dieser Zahl, der hier vorgenommen wird.
Zweitens: Industrielle Erzeugerpreise. Herr Stoltenberg, als Mittel für eine Analyse, ja, nicht aber als Orientierungsgröße der Stabilitätspolitik. Es gibt kein Land in dieser Welt, das sich bei stabilitätspolitischen Maßnahmen zum Ziel setzt, die industriellen Erzeugerpreise stabil zu halten. Das gibt es einfach nicht. Jedes Land ist mit Recht auf die Größe eingestellt, die den einzelnen Verbraucher als Preisindex für die Lebenshaltung interessiert. Das ist die dritte Größe und auch die übliche Größe. Die sollten wir nehmen. Die industriellen Erzeugerpreise sind kein Datum, an dem wir unsere Stabilitätspolitik orientieren könnten.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Müller-Hermann?
Herr Kollege Schiller, ist es aber bei der Betrachtung zukünftiger Erwartungen für den Lebenshaltungsindex nicht legitim und notwendig, die derzeitigen Indizes für die industriellen Güter mit in Rechnung zu setzen?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Ist eine Sache der Analyse. Da müssen Sie wieder in den Index der industriellen Erzeugerpreise hineingehen, und dann stellen Sie fest, daß die Erzeugerpreisindizes für Verbrauchsgüter ziemlich nahe an dem Lebenshaltungskostenindex liegen, d. h. von den Investitionsgüterpreisen schlägt sehr wenig durch.
— Da besteht kein zwingender Zusammenhang. Herr Müller-Hermann, ich habe ja zugegeben, für eine Analyse der Bewegungstendenzen kann man sich durchaus mit den Erzeugerpreisen beschäftigen, sie sind aber kein Maßstab — —
— Ich bitte Sie, Sie verunsichern die gesamte Bevölkerung, wenn Sie mit rund 7 % oder mit 6,4 %
— das sind nämlich die beiden anderen Größen — rechnen. Es geht jetzt um den schlichten, blanken Preisindex für die Lebenshaltung, der zur Zeit, Herr Höcherl, amtlich bei 3,8% steht.
Gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Abgeordneten Leicht?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ja.
Ich möchte die Frage nur stellen, Herr Minister, damit wir das festhalten.
Sind Sie allen Ernstes bereit, Stabilität nur nach diesem sogenannten Warenkorb auszurichten? Denn es ist ja gar nicht der Lebenshaltungskostenindex, sondern ein ominöser Warenkorb.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Leicht, ich antworte Ihnen diesmal — nicht weil ich das nicht selber formulieren wollte, oder so hoffe ich dieses Thema dann erledigt zu haben —, mit dem letzten Jahresgutachten des Sachverständigenrats zur Beurteilung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung. Da heißt es in Ziffer 158 wörtlich:
Im großen und ganzen sind wir bei der Untersuchung des Preisindex für die Lebenshaltung und seiner Berechnungsgrundlagen zu dem Ergebnis gekommen, daß man ihn ohne schwerwiegende Bedenken als konventionellen Maßstab für die Geldwertentwicklung in der Bundesrepublik akzeptieren kann.
Ende des Zitats. Herr Leicht, ich stimme dem zu, und damit ist Ihre Frage beantwortet.
— Sie können eine umfangreiche Analyse machen. Aber Wirtschaftspolitik muß sich an bestimmten Größen orientieren.
Es geht nicht an, daß nach dem Motto „Man nehme von diesem oder jenem" irgendeine Zahl in den Raum geschleudert wird, die für diesen Tatbestand überhaupt nicht relevant ist.
Dann zum Gebrauch des Preisindex für die Lebenshaltung. Ich glaube, Herr Kollege Stoltenberg, auch über diesen Punkt sind wir uns jetzt letztlich klar. Wenn er über eine bestimmte Marke rutscht — wie im August auf 4,1 %—,
dann ist niemand entschuldigt, auch die Regierung nicht, wenn man sagen würde: Es sind saisonale Faktoren. Nein, das ist keine Entschuldigung. Wenn wir Politik machen, stehen wir für diesen Index als Ganzen ein. Dann können Sie aber nicht umgekehrt, wenn er nun besser läuft und auf 3,8% geht — ich will das nur als Beispiel nennen, weil Sie es erwähnten — kommen und sagen, das seien saisonale Faktoren gewesen. Dann müßten Sie es immer machen; es wäre unfair, wenn Sie in einem Falle, in dem es für Stabilität günstiger ist, saisonale Zufallsfaktoren ins Feld führen, im anderen Fall aber, wo das Bild für die Stabilität ungünstiger ist, saisonale Faktoren nicht anführen. Das sollten wir lassen, Herr Stoltenberg. Nehmen wir diesen Index so, wie er ist. Er ist unbequem für uns alle. Damit haben wir zu leben, und daraufhin haben wir unsere Politik zu betreiben.
Deutscher Bundestag —6. Wahlperiode — 69. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 7. Oktober 1970 3835
Bundesminister Dr. Schiller
Ein Wort in diesem Zusammenhang zum Herrn Kollegen Höcherl. Ich weiß nicht, ob Herr Kollege Höcherl hier ist. — Leider nicht, das bedauere ich ungemein. Er hat ja unsere Unterhaltungen hier wie immer sehr animiert. Er hat behauptet, ich hätte diesen Lebenshaltungskostenindex — meinetwegen von 4,1 im vorigen Monat und von 3,8 in diesem Monat — als „harmlos" bezeichnet. Wie kann jemand so viel Charme und so viel Chuzpe haben, an demselben Tag, wo ich hier morgens sage „die Preissteigerungen sind eine Herausforderung für uns", am Nachmittag zu behaupten, ich hätte das verharmlost?!
Das ist leider Herr Kollege Höcherl. Er hat zwar einen beneidenswerten hohen Grad an Charme —deshalb genießt er auch unser Wohlwollen —, aber auch einen hohen Grad an Chuzpe.
Ich habe weiß Gott in meinen heutigen Darlegungen versucht, aber auch jeglichen Anschein zu vermeiden, daß wir diesen jetzt erreichten Stand eines Lebenshaltungsindex als eine schöne Angelegenheit ansehen. Ich glaube, das müssen Sie mir zugehen. Herr Höcherl hat mit großer Gebärde das Gegenteil behauptet.
Der nächste Fall von unwahrscheinlicher Chuzpe ist,
wie er mit der Aufwertung umgeht. Die Aufwertung, die diese neue Regierung damals gemacht hat, ist für ihn nur eine Formalie gewesen; in Wahrheit sei die nicht am 27. Oktober, sondern mit jener lautlosen Freigabe des Wechselkurses am 29. September erfolgt. Das ist typisch Hermann Höcherl. Schade, daß er nicht hier ist. Ich kann Ihnen nur ein Zitat entgegenhalten. Unser Kollege Gerhard Stoltenberg hat in einem Interview im Süddeutschen Rundfunk am 14. Dezember 1969 klar und deutlich ex cathedra gesagt - als Sprecher der neuen
CDU/CSU-Fraktion -, wörtlich:
Die Freigabe der Wechselkurse war eine klare Übergangsmaßnahme. Hätten wir die neue Regierung gebildet, wären wir in Übereinstimmung mit den Diskussionen, die wir über diese Möglichkeit mit der Bundesbank geführt haben, zu dem alten Wechselkurs zurückgekehrt.
Punkt. Schluß.
Das ist Stoltenberg. Der Höcherl ist wieder nicht da;
er stellt etwas einfach in den Raum und geht davon.
Wir mögen ja alle den Höcherl furchtbar gerne.
Dann das dritte! Herr Apel hat es ihm zu erklären versucht; er lehnt es ab, es in sich aufzunehmen. Das Statistische Bundesamt hat genau ausgerechnet: Nettoeinkommenszuwachs in der Gesamtsumme, dann Abzug der Preissteigerung, dann noch - um einen Punkt weiterzugehen als der Kollege Apel — auch den Nettoeinkommenszuwachs im ersten Halbjahr 1970 je unselbständig Beschäftigten.
Die ist abgezogen, lieber Freund, ist schon weg, vorneweg: erst Bruttoeinkommen, dann Nettoeinkommen, alles weg, alles runter,
und die Preissteigerungen sind runter, für den Halbjahresdurchschnitt 1970 gegenüber dem ersten Halbjahr 1969. Da bleiben laut Statistischem Bundesamt plus 8,2 % je Kopf real und netto übrig. Das ist die amtliche Zahl, die nun auch Herr Höcherl bitte mal zur Kenntnis nehmen möchte.
Des ist der reale Einkommenzuwachs, der den Arbeitnehmern in dem ersten Halbjahr dieses Jahres im Vergleich zum vorigen Jahr zugewachsen ist nach Abzug aller Belastungen, auch der durch Preissteigerungen.
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Breidbach?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ja, bitte!
Herr Wirtschaftsminister, vorausgesetzt, daß die Zahlenangaben, die Sie jetzt gebracht haben, stimmen, frage ich Sie, wie Sie sich dann die Unzufriedenheit innerhalb der Arbeitnehmerschaft und die hohen Lohnforderungen erklären, mit denen wir uns in den letzten Wochen beschäftigt haben.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich weiß nicht, was Sie mit dem Wort Unzufriedenheit meinen.
Eins darf ich Ihnen sagen: Wenn Sie heute mit Gewerkschaftsfunktionären sprechen, wenn Sie heute die Verhandlungen sehen, z. B. im Bereich der IG Metall — Sie sehen doch, daß sich die Dinge in einem gewissen Rahmen bewegen —, werden Sie auch dort feststellen, daß die Männer, die für die Leute in den Betrieben zu reden haben, durchaus anerkennen, daß es in diesem Jahr realiter mehr gegeben hat als im vorigen Jahr.
Ich weiß nicht, mit wem Sie in den Betrieben reden.
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3836 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 69. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 7. Oktober 1970
Bundesminister Dr. SchillerSie können doch nun nicht diese amtlichen Angaben bezweifeln. Meinen Sie nicht, daß das klarzumachen ist? Denn es ist in der Lohntüte mehr, selbst wenn Sie auch den Konjunkturzuschlag berücksichtigen.
— Die Erhöhung der Mieten: Nun machen Sie wieder so eine Geschichte! Ist denn jeder Konsument durch eine Erhöhung der Mieten betroffen? Fragen Sie sich doch einmal ehrlich!
— Schauen Sie sich die Statistik an, dann werden Sie feststellen, daß es nicht so ist. Aber über dieses Ärgernis, daß eine Zahl von übermäßigen Mietsteigerungen über die Bundesrepublik verteilt ist und das ganze Klima verschlechtert, werden wir uns in diesem Hause binnen kuzem unterhalten.
Gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Abgeordneten Müller ?
Herr Bundesminister, halten Sie die Warnstreiks zur Durchsetzung von 15 % Lohnerhöhung für einen besonderen Ausdruck der Zufriedenheit?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich kann Ihnen nur sagen: Streiks sind ein legitimes Mittel in einem Arbeitskampf. Wir in der Bundesrepublik haben uns ein bißchen dieses Mittels entwöhnt. Wenn so etwas einmal auftaucht, sollte man das als das nehmen, was es ist, als eine Sache, bei der die Welt nicht zusammenfällt, bei der man seine Position im Markt durch zeitweilige Verknappung des Angebots an Arbeitskraft verstärken will. Das ist nämlich der Sinn des Streiks, auch des temporären Warnstreiks, und nicht mehr.
Gestatten Sie noch eine Zwischenfrage des Abgeordneten Müller ?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Er hat bloß nicht zugehört, was ich ihm eben geantwortet habe.
Herr Bundesminister, ich habe nicht von der Legitimität des Arbeitskampfes gesprochen, sondern davon, ob Sie das als Zufriedenheit in den Betrieben deuten.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich habe Sie leider nicht verstanden.
Bitte schön, noch einmal, Herr Müller!
Deuten Sie die Warnstreiks zur Durchsetzung von 15 % Lohnerhöhung als besonderen Ausdruck der Zufriedenheit?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich habe Ihnen schon einmal auf diese Frage geantwortet: Ich halte sie in dieser Situation für ein legitimes Mittel, nichts weiter. Was war im vorigen Jahr? Da haben wir viel mehr Warnstreiks gehabt. Bitte, wenn ich Ihnen antworte: Sie sehen von dieser Seite viel besser aus als von der anderen Seite; das gehört wohl auch zum normalen Umgang zwischen Menschen. Sie wissen, was ich meine. — Ich glaube, ich habe es Ihnen genügend erklärt.
Nun, Herr Stoltenberg, eins hat mich an Ihrer Rede nicht ganz befriedigt, daß Sie sagen, ich hätte hier heute zum Thema der Beurteilung der Konjunkturlage — —
— Herr Höcherl, ich habe vorhin in Ihrer Abwesenheit gesagt, daß Sie den höchsten Grad der Chuzpe erreicht haben. Ich habe es an drei Beispielen belegt. Tut mir leid, daß ich das nicht in Ihrer Gegenwart tun konnte.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Leicht?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich wollte mich jetzt Herrn Stoltenberg zuwenden, aber Herr Leicht tut's auch.
Sie geben mir noch einmal Gelegenheit, darauf zurückzukommen, Herr Minister: Wie erklären Sie sich, daß Sie im Jahre 1969 im Finanzbericht auf Seite 116 genau das Gegenteil dessen hinsichtlich des Preisindex vertreten haben, was Sie heute hier verkündet haben? Ich zitiere wörtlich:
Preisstabilität entspricht einer Differenz der Zunahme des nominalen Bruttosozialprodukts zum Wachstum des realen Bruttosozialprodukts von 1 v. H. Ein Deflationierungsfaktor des Bruttosozialprodukts von 1 v. H. ergibt sich zu einem großen Teil aus den technischen Berechnungsmethoden der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung ...; sie bedeutet praktisch eine Stabilität des „Niveaus" der Marktpreise....
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege Leicht, vom technischen Standpunkt hat derjenige, der das geschrieben hat, durchaus Recht.
Nur sage ich Ihnen noch einmal: Die rund 7 %, die wir heute im ersten Halbjahr 1970 -
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Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 69. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 7. Oktober 1970 3837
Bundesminister Dr. Schiller- Wenn Sie mir bitte mal zuhören wollen! Ichglaube, es gehört auch zu den von uns versuchten Formen der Gemeinsamkeit.
- Ja, da erreichen wir Herrn Höcherl natürlichnicht. Sie müssen mir doch zugeben, daß der hohe Deflationierungsfaktor des ersten Halbjahres 1970 zu einem erheblichen Teil durch einen rein technischen Vorgang, in diesem Fall der Aufwertung, verursacht ist.
— Ich stelle mich auch da auf den Standpunkt des Sachverständigenrats.
— Ach, lieber Herr Luda! Nicht wie es paßt!
Wir haben in diesem Hause seit 1965 Debatten geführt. Soweit wir Stabilitätsdebatten geführt haben— es gab ziemlich viele —, haben wir .uns immer an dem Lebenshaltungskostenindex orientiert. Das andere ist eine technische Berechnung gewesen, die wir in diesem Zusammenhang, Herr Luda, nun wirklich nicht nötig haben. Darüber ist doch gar kein Zweifel.
— Ach, Herr Luda, mit dem Maßstab der Kaufkraft des Geldes — nicht „wie Sie es brauchen" — habe ich es im Jahre 1965 genauso wie heute gehalten,
— Herr Luda, für diesen Vorgang brauche ich Sie nicht als Gewährsmann oder Eideshelfer.
Ich möchte jetzt versuchen, erneut auf die Ausführungen von Herrn Stoltenberg zu sprechen zu kommen. Herr Stoltenberg, es hat mich nicht ganz befriedigt, daß Sie das Bild der Konjunkturlage, das ich heute morgen zu geben versucht habe, als ein Bild bezeichnet haben, in dem ich die Lage verschönert, etwas rosiger dargestellt hätte. Ich weiß nicht, ob Sie wirklich zugehört haben. Sie wurden eine Zeitlang durch Ihren Nebenmann etwas gestört; das kommt auch hier so vor. Da mag Ihnen einiges gerade am Anfang entgangen sein.Ich erinnere Sie daran, daß ich ganz deutlich gesagt habe: In dieser Zwischenphase, in der wir uns befinden, sind Elemente der Entspannung, aber auch entgegengesetzte Elemente der Anspannung, d. h. der Preis- und Kostensteigerung, in bunter Mischung vorhanden. Ich habe gesagt: Es ist für uns alle nicht leicht, diese Zwischenphase durchzustehen. Das nenne ich nicht beschönigen, sondern das nenne ich nüchtern und klar die Lage zu beurteilen, ungeschminkt das Bild zu zeichnen, wie wir es zu tun verpflichtet sind. So habe ich es getan.
— Ich habe zwei ganz wichtige Faktoren genannt, die heute im Sinne der Anspannung vielleicht noch wirksam sind.Damit komme ich im übrigen auf Ihr Alternativprogramm, und das ist ja eigentlich das Interessante. Sie haben heute in Ihrer Rede in drei oder vier Zeilen ein CDU-Alternativprogramm vorgelegt. Sie haben einmal gesagt — das ist wichtig —: „Wir plädieren in dieser schwer zu beurteilenden Konjunktursituation keineswegs für undifferenzierte härtere Bremsmaßnahmen." Daraus ziehe ich den Schluß, Herr Stoltenberg, daß Sie in einem Punkt Fortschritte gemacht haben. Sie haben nämlich den Oldtimer von 1966 abgerüstet; Sie wollen nicht die Stabilität durch ein scharfes Abwürgen der Konjunktur wiedergewinnen.
— Sie haben es aber erreicht, Herr Müller-Hermann; darauf kommt es an.
Sie wissen: die guten Absichten gelten in der Politik nicht, sondern der Erfolg.
— Wissen Sie, jetzt kommen Retourkutschen. Das ist die billigste Form der Diskussion.
] Und Ihre gute
Absicht, von 4 % auf 3, 2, 1 % zu kommen?)— Ich habe Ihnen heute morgen das Prinzip der Allmählichkeit zu erklären versucht. Damals hat Ihr Sprecher, Ihr Kanzler gesagt: Das geht mir viel zu langsam; ich will sofort von heute auf morgen Stabilität haben, und zwar volle Stabilität.Da haben wir gesagt: Das ist unmöglich! Wenn Sie das tun, werden Sie irgendwo anders landen!Wir haben recht gehabt. Das war Ihre Forderung, Stabilität durch Heruntergehen auf 0 % zu bekommen.
Sie erkennen nicht den gedanklichen Zusammenhang. Damals traten sowohl der Sachverständigenrat als auch wir für ein allmähliches Zurückdrücken der Inflationselemente in der deutschen Volkswirtschaft über vier Jahre hinweg ein. Das war der Sinn der Sache, nicht aber eine Operation, die so vorgenommen wird, wie wenn man in einem dunklen Zimmer den Lichtschalter andreht und dann sofort volle Helligkeit — hier: volle Stabilität —3838 Deutscher Bundestag 6. Wahlperiode — 69. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 7. Oktober 1970Bundesminister Dr. Schillererzielt. Das hat Erhard versucht, und, wie wir wissen, ist er dabei nicht zu Rande gekommen.
Ich darf auf Ihr Programm zu sprechen kommen. Sie selber sind ja anscheinend nicht so versessen darauf, daß wir darüber sprechen. Herr Stoltenberg, Sie haben als Alternative der CDU/CSU einen „koordinierten Einsatz aller Instrumente" angeboten: „eine Diskontpolitik, die durch das Zusammenwirken mit angemessenen Maßnahmen der Regierung entlastet wird, eine stabilitätsgerechte Haushaltspraxis und -planung, die Verminderung der privaten Nachfrage und eine Konzertierte Aktion".Nun, ich will darauf an worten. Die Diskontpolitik, die durch das Zusammenwirken mit staatlichen Maßnahmen entlastet wird, liegt auf unserer Linie, Herr Stoltenberg, da gibt es gar keine Meinungsdifferenz. Das braucht seine Zeit. Auch das wissen Sie ganz genau.
Über die Zeithorizonte wird man noch sprechen müssen. Jetzt ist es noch nicht soweit. Man wird eine gewisse Zeit brauchen. Haben Sie denn geglaubt, daß mit diesem relativ bescheidenen Anteil von 724 Millionen DM an Konjunkturzuschlägen, die bei der Bundesbank ausgewiesen sind, schon eine nachhaltige Wirkung für den September erreicht werden würde?!
Das haben Sie doch selber nicht angenommen. Herr Stoltenberg, lassen wir doch die Dinge gemeinsam in einer Linie sehen, daß nämlich die staatlichen Maßnahmen nach der ganzen Art, wie sie gesetzlich angelegt sind, von Monat zu Monat weiter wirken,
und dann auch die Diskont- oder Restriktionspolitik der Bundesbank entlasten können.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Stoltenberg?
Sie müssen doch einräumen, daß die von Ihnen Anfang Juli vor der Presse erhoffte und erwartete Umrüstung als Folge Ihrer nicht ausreichenden Maßnahmen von damals durch eine Diskontsenkung eben nicht eingetreten ist, ebensowenig wie ;die Preissenkung, die Sie für den Herbst angekündigt haben.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Stoltenberg, haben Sie mit der Umrüstung ein bißchen Geduld! Sie wird nicht so lange dauern wie die Abrüstung. Die Abrüstung dauert länger; das wissen wir allesamt.Diese Umrüstung wird kommen. Sie wird von der Bundesbank in dem Augenblick Schritt für Schritt realisiert werden können, wenn sich die Maßnahmen auf der staatlichen Seite stärker niederschlagen. Wir haben schon heute, an diesem Tage,
— nun hören Sie doch zu! - einen Kommentar des Bundesbankpräsidenten zur Verringerung der Steigerungsrate des Preisindex für Lebenshaltung vernommen, der außerordentlich positiv ist.
— Ich habe mich mit der, wie Sie wissen, recht optimistischen Prognose vom Ifo-Institut nicht identifiziert.Gehen wir weiter. Zur stabilitätsgerechten Haushaltspraxis und -planung habe ich heute morgen etwas zu sagen versucht. Im Prinzip stimmen wir Ihnen alle zu. Im übrigen ist das morgen der Tagungsordnungpunkt.Dann: Verminderung der privaten Nachfrage. Das heißt doch, Herr Stoltenberg, Sie stimmen damit unseren Maßnahmen zur zusätzlichen Stabilisierung vom Juli zu? Das war doch der Sinn der Maßnahme, eine Verminderung der privaten Nachfrage herbeizuführen.
- Zwei Antworten; Sie müssen in den Kirchenchor,daß Sie ein bißchen gemeinsam üben. — Herr Stoltenberg!
- Ich bin nun so penetrant und mache dieses geschlossene Stabilitätskonzept, das Sie so zaghaft angedeutet haben, ein bißchen auf und gucke nach, welche Elemente da drin sind, und ich treffe lauter alte Bekannte. Das ist das, was ich hier registrieren muß.
Zur Konzertierten Aktion! Da muß ich Ihnen nun sagen: Sowohl aus Ihren Worten wie aus Herrn Höcherls charmanter Plauderstunde entnahm ich eine späte Liebe der CDU/CSU zur Konzertierten Aktion. Früher waren Sie da sehr reserviert, sehr distanziert. Ich erinnere mich noch an unsere Kabinettsitzungen, wo Sie immer gesagt haben, das sei so eine Nebenregierung oder ein Nebenparlament. Der Unmut ist weg, Sie trauen der Einrichtung heute furchtbar viel zu.
Ihnen, Herr Höcherl, muß ich noch eines sagen. Sie haben sich da in dieses unbehagliche Dreieck Konvertibilität der Währungen, Autonomie der Ta-
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Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 69. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 7. Oktober 1970 3839
Bundesminister Dr. Schillerrifvertragsparteien und feste Wechselkurse begeben und gesagt, das sei nicht vereinbar. Sind Sie etwa für Flexibilität der Wechselkurse?
- Was sagen Sie denn dazu?
— Ich war jetzt bei diesem unbehaglichen Dreieck. Da haben Sie Herrn Arndt zitiert.
Verzeihung, wir haben hier keinen Dialog.
Wenn eine Zwischenfrage gewünscht wird oder wenn nachher vielleicht Herr Höcherl noch einmal das Wort begehrt, wird es ihm sicher erteilt werden.
Gestatten Sie noch eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Stoltenberg?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ja, bitte.
Darf ich in Ihre Erinnerung rücken, Herr Kollege Schiller, aus den wie Sie gelegentlich meinen, schöneren Zeiten der vergangenen Regierung,
daß wir damals nur dann von einer Nebenregierung gesprochen haben, wenn Sie bereits Ihre Gesetzentwürfe im Kabinett mit der Zustimmung der Konzertierten Aktion begründen wollten, daß wir aber niemals gegen die volle Ausschöpfung der Verpflichtungen nach § 3 gesprochen haben, denen Sie heute nicht folgen, wie wir heute vormittag nachgewiesen haben?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich weiß nicht, welche Gesetzentwürfe Sie meinen. Vielleicht meinen Sie gewisse Initiativen von damals, die die Lohnfortzahlung voranbringen sollten. Aber das war wohl nur im Rahmen einer bestimmten Situation zu sehen, in der konjunkturell die Löhne in der Tat schneller hätten nachholen müssen.
Trotzdem, Sie haben nun beide gefordert, die Konzertierte Aktion müsse straffer — feuriger, sagten Sie, Herr Höcherl —, wirken. Nun muß ich Ihnen eines sagen. Die Konzertierte Aktion ist kein Debattierklub.
Es ist schade, daß Sie so in diesem Jargon über diese Veranstaltung reden. Sie ist eine Veranstaltung der gegenseitigen Information, und zwar der Tarifvertragsparteien, der Sachverständigen, der Bundesbank, der Bundesregierung. Wir haben deutlich gesagt, daß wir die vorläufigen Eckwerte vom Juli dieses Jahres jetzt — wir haben die Tarifvertragsparteien schon im Juli gebeten — mit den eigenen Vorstellungen der Tarifvertragsparteien konfrontieren werden. Wir hatten im Januar dieses Jahres Orientierungsdaten durch den Jahreswirtschaftsbericht gegeben. Wir haben im Sommer vorläufige Eckwerte für 1971 geliefert, weil es uns qua Regierung noch nicht
— nein, noch nicht — erforderlich und noch nicht möglich, noch nicht zumutbar erschien, für das Jahr 1971 Orientierungsdaten für die Gesamtentwicklung zu beschließen. Deshalb haben wir diese vorläufigen Werte genommen. Jetzt — ich habe das sehr deutlich gesagt — wird nach der wie immer freimütigen Aussprache in der Konzertierten Aktion die Regierung an Hand der Ergebnisse der Konzertierten Aktion ihre eigenen Überlegungen anstellen. Ich glaube, Herr Kienbaum hat mich vollkommen richtig verstanden, daß sich dann auch die Regierung gegebenenfalls äußert. Vielleicht genügt es auch, mit dem Ergebnis aus der Konzertierten Aktion vom 9. Oktober zu leben. Es kommt darauf an.
- Dazu kann ich Ihnen nur eines sagen. Herr Strauß hat einmal an dieser Stelle gesagt: Die Tarifautonomie ist ein beinahe grundgesetzliches Element unserer freiheitlichen Ordnung. Nun dürfen Sie nicht in diesem Augenblick dagegen verstoßen oder dieses Element verletzen. Denn in eine seit Wochen und Monaten diskutierte spezielle Tarifrunde eines großen Wirtschaftszweiges, der Metallindustrie, von der Konzertierten Aktion aus hineinzuoperieren — Herr Luda: völlig illusionär —, das wäre eine Verletzung der Tarifautonomie.
Wir haben uns in der Konzertierten Aktion nie mit speziellen Lohnrunden oder mit Tarifverhandlungen spezieller Branchen, mögen sie noch so groß sein, befaßt, sondern wir haben immer Distanz gewahrt. Herr Katzer weiß das noch aus eigener Präsenz in diesen Runden.
Wir werden also in unserem Timing — ich glaube, jeder versteht das in diesem Saal — den richtigen Zeitpunkt finden, nach dem, was dann im Metallbereich — hoffentlich vernünftig — gelaufen sein wird. Dann werden wir sehen, ob vielleicht schon die Ergebnisse der Konzertierten Aktion ausreichen oder ob vielleicht Äußerungen oder Überlegungen der Bundesregierung erforderlich sind. So etwa möchte ich es sagen. Das ist wohl in diesem Saal deutlich verstanden worden.
Aber bitte, nehmen Sie noch einmal diese Konzertierte Aktion als eine Angelegenheit, die mit der Tarifautonomie als einem Element unserer Ordnung sehr behutsam umgehen muß!
Was Sie verlangen, das ist nicht nur eine Partitur — um das Bild von dem Dirigenten aus dem Zillertal hier aufzugreifen —; die haben wir mit den Eckwerten. Wir nehmen auch den Taktstock. Aber was
3840 Deutscher Bundestag —6. Wahlperiode — 69. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 7. Oktober 1970
Bundesminister Dr. Schiller
Sie, Herr Stoltenberg, und auch andere verlangen, in eine laufende, akute Runde hineinzuoperieren, das ist der Vorschlaghammer, und damit wäre die ganze Sache geplatzt. Das wissen Sie ganz genau.
Meine Damen und Herren! Wenn ich das ganze Alternativprogramm der CDU/CSU, wie Herr Stoltenberg es heute vorgetragen hat, nehme — nur in wenigen Sätzen , komme ich zu dem Ergebnis: wenn man die pflichtgemäße Kritik und Polemik der Opposition abzieht, bleibt von einer tiefgreifenden Kluft zwischen Ihnen und der Bundesregierung in Sachen Konjunkturpolitik nicht mehr viel übrig.
— Ja, Sie mögen jetzt verbal kommen. Jetzt kommen Sie genau mit dem, was ich als pflichtgemäße Kritik oder Polemik bezeichnete. Wenn man das, was Sie konkret nennen, in der Sache nimmt, gibt es keine Entfernungen zwischen der Opposition und der Regierung, die unüberbrückbar wären.
Und so nehme ich tatsächlich das wieder auf, was ich ich zum Schluß gesagt habe: Gehen Sie doch auf Entspannungskurs!
Herr Höcherl hat gesagt, wir, alle drei Fraktionen dieses Hauses, sollten uns gemeinsam an einen runden Tisch setzen und in Sachen Konjunkturpolitik miteinander reden. Ich bin sehr für diese Gemeinsamkeit. Allerdings, Herr Höcherl, ich bin dagegen, daß nun die Regierung, bevor sie an diesen runden Tisch herantritt, nach Ihrem Verlangen erst einmal eine theologische Ehrenbezeigung macht, indem sie ein Sündenbekenntnis ablegt.
Es scheint mir unzumutbar zu sein, daß jeder, der dort an dieser Runde teilnimmt, vorweg ein Schuldbekenntnis ablegt.
Herr Höcherl, Sie wären ja dabei. Ich würde dann von Ihnen verlangen, daß Sie alle die Sünden bekennen, die Sie als Agrarminister gegen die Stabilität begehen mußten, weil Ihnen andere im Nacken saßen. Denn Sie haben auch sündigen müssen, gerade als Landwirtschaftsminister.
Sie haben sündigen müssen gegen die Stabilität, und wir wollen doch auch bei Ihnen den Mantel der Nächstenliebe über die vergangenen Sünden decken, Herr Höcherl. Aber von diesem allem abgesehen, nachdem die Opposition gezeigt hat, daß, ich möchte so sagen: bei ihr nicht mehr sehr viel Druck im Schlauch ist,
— nein, die Luft ist bei Ihnen ziemlich heraus —
nachdem wir das festgestellt haben, sollten wir an die gemeinsame Arbeit gehen und das tun, was hier einige Kollegen angeboten haben und was auch Herr Kienbaum angedeutet hat und was ich offeriert habe: wir sollten gemeinsam an die Arbeit gehen.
Das Wort hat der Abgeordnete Grüner.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Katzer hat hier bedauert, daß diese Diskussion darunter leide, daß sie nicht von Sachlichkeit geprägt sei. Ich möchte ihm durchaus zustimmen, kann allerdings auch nicht finden, daß sein eigener Diskussionsbeitrag hier in diesem Sinne gewirkt habe.
Es ist nun einmal leider so, daß, wie in den Wald hineingerufen wird, es auch heraushallt. Herr Kollege Höcherl hat in unüberbietbarer Deutlichkeit klargemacht, daß es hier nicht um eine Sachdebatte gehe, sondern darum, vor den Landtagswahlkämpfen darzustellen, wer nun eigentlich das Recht gepachtet habe, wer nun eigentlich hier die Wahrheit vertrete. Sie haben es sehr deutlich gemacht, Herr Kollege Höcherl, indem Sie sich in dieser Diskussion zu dem Ausdruck „Inflation" bekannt haben. Ich meine, das ist es gerade, was wir in dieser Diskussion draußen nicht brauchen können.
Da ist die Grenze der Sachlichkeit überschritten.
Ich bestreite nicht, Herr Kollege Höcherl, daß die Inflation in der wissenschaftlichen und volkswirtschaftlichen Debatte ein gängiger Begriff ist und üblicherweise verwendet wird. Aber es ist wohl richtig, noch einmal daran zu erinnern, daß dieser Begriff der Inflation, wie er von der Opposition verwendet wird, draußen im Wahlkampf von der Masse der Bevölkerung verstanden wird als Geldentwertung wie nach dem ersten und dem zweiten Weltkrieg, die uns allen ja geläufig ist. Hier sollten wir klar unterscheiden, und das müßte die Grundlage für eine sachliche Debatte in diesem Hause einmal sein.
Die Milchmädchenrechnung, die der Kollege Dr. Heck mit dem Milliardenverlust der Sparer aufgestellt hat, ist, meine ich, kennzeichnend für die Art, wie Sie diese Debatte hier zu führen versuchen. Ich möchte daran erinnern, wie derselbe Kollege Heck, den ich aus meinem Wahlkreis sehr gut kenne, in der Frage der Aufwertung die Katastrophe für die Industrie an die Wand gemalt hat. Irren ist menschlich - wenn man sich an die Prognosen der CDU damals erinnert —, aber so selbstgerechtes Irren geht weit über das hinaus, was man uns hier zumuten sollte.
Deutscher Bundestag—6. Wahlperiode — 69. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 7. Oktober 1970 3841
Grüner
Sie mögen recht Nahen, gnädige Frau. Es ist richtig, so wie in den Wald hineingerufen wird, hallt es heraus. Ich möchte das für mich in Anspruch nehmen, und ich nehme nicht in Anspruch, hier etwa einen reinen Sachbeitrag geliefert zu haben. Ich bedauere, daß das nicht möglich ist, versuchte aber zu erklären, wie es zustande kam.
Wenn wir uns hier ehrlich unterhalten wollen, müßten wir an die Spitze einer solchen ehrlichen Unterhaltung die beiderseitige Einsicht stellen, daß niemand eine Prognose für die Zukunft abgeben kann und daß es deshalb unsere gemeinsame Aufgabe wäre, der Bevölkerung draußen zu sagen, daß wir uns um die Lösung dieser Probleme bemühen, aber keinen fest fixierten Wechsel auf die Zukunft ausstellen können.
Was die augenblickliche Konjunktursituation angeht, so hat Kollege Stoltenberg ja sehr differenziert darauf hingewiesen, wie wenig Möglichkeiten im Augenblick gegeben sind, zu beurteilen und zu erklären, wo anzusetzen ist. Er hat von einer sehr differenzierten Konjunkturlage gesprochen. Wenn wir diese Situation im Augenblick sehen, kann man jetzt nur eins feststellen: Wir sind auf der einen Seite von der Gefahr bedroht, daß insbesondere die private Nachfrage einen weiteren Preisanstieg induzieren kann, und auf der anderen Seite ist die Gefahr gegeben, daß es auf Grund der großen Preissteigerungen der letzten Monate und der in der bevorstehenden Zeit zu erwartenden Kostensteigerungen im Investitionsgüterbereich zu einem Rückgang kommt, der uns in eine schwierige Lage bringen kann. Mit dieser möglichen Entwicklung haben wir uns hier auseinanderzusetzen.
Ich möchte in diesem Zusammenhang an die Ausführungen meines Kollegen Kienbaum erinnern, der darauf hingewiesen hat, welche Rolle gerade die autonomen Tarifpartner in dieser Hinsicht spielen. Allerdings muß hinzugefügt und deutlich gemacht werden, daß die autonomen Tarifpartner nicht etwa im luftleeren Raum handeln, sondern daß sie ihrerseits Sachzwängen und Emotionalzwängen ausgesetzt sind, denen sie sich nicht entziehen können. So bleibt es der Regierung und unserer Politik überlassen, unsererseits Daten zu setzen, die es den autonomen Tarifpartnern unter den Voraussetzungen, die sie antreffen, dann auch erlauben, ihrer Einsicht entsprechend zu handeln. Es hätte uns sehr interessiert, zu diesem Komplex die Meinung der Opposition zu hören.
Herr Kollege Stoltenberg hat in einem sehr langen Referat auf die brennende Frage, was aus der Sicht der Opposition in dieser Hinsicht getan werden kann, mit ganzen vier Zeilen geantwortet. Herr Minister Schiller hat das dargestellt. Gerade an diesem Punkte wird doch deutlich, daß die Opposition nicht bereit ist, sich mit der brennenden Frage, was aus der Sicht der Opposition jetzt getan werden kann, in der Breite auseinanderzusetzen, wie es eigentlich notwendig wäre.
Wir Freien Demokraten haben uns für die Stabilität ausgesprochen. Wir haben uns in unserem politischen Handeln ständig der Stabilität verpflichtet gefühlt. Deshalb wundert es mich, daß Sie, Herr Kollege Höcherl, wenn ich es richtig gehört habe, hier die Behauptung aufgestellt haben, der Konjunkturzuschlag sei am Widerstand der Freien Demokraten gescheitert. Er hätte erst nach den Landtagswahlen verabschiedet werden können.
Dann habe ich Sie offenbar mißverstanden. Es erschien uns jedenfalls richtig, gerade die Form der Steuervorauszahlung zu wählen. Diese Vorauszahlungen sind ja einer Konjunkturrücklage zugeführt und sollen nicht- der Befriedigung eines erhöhten Staatsbedarfes dienen.
Wir sind der Meinung, daß das Stabilitätsgesetz ergänzt werden sollte. Wir müssen Möglichkeiten finden wie gesagt, auch durch eine Ergänzung des Stabilitätsgesetzes —, hier auf diesem Gebiet auch in Zukunft rasche Maßnahmen ergreifen zu können. Ich meine, daß sich das mit Überlegungen trifft, die hier Herr Kollege Stoltenberg angestellt hat und die auch von Herrn Minister Schiller aufgenommen worden sind.
Ich bin durchaus dafür, diese Debatte hier hart zu führen. Ich habe nichts dagegen, ja, ich halte es sogar für richtig, daß die Opposition die Preissteigerungen angreift, die wir ebenso bedauern und für ebenso verhängnisvoll halten, wie die CDU/CSU- Opposition es tut.
Wir glauben aber, daß es in dieser Lage von außerordentlicher Wichtigkeit ist, daß sich auch die Opposition ihrer Verantwortung bewußt wird und daß draußen ebenso sachlich argumentiert wird, wie es streckenweise in der Diskussion hier von ihren Sprechern versucht worden ist.
Es darf keine gespaltene Diskussion geben. Eine gespaltene Diskussion — darauf ist mehrfach hingewiesen worden hat ja den entscheidenden psychologischen Effekt, den wir unter allen Umständen verhindern müssen: daß nämlich das geglaubt wird, was hier und draußen an Inflationsthesen verkündet wird. Damit würde eine Entwicklung heraufbeschworen, die wir gemeinsam mit allen Kräften verhindern sollten.
Das Wort hat der Abgeordnete Zander.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich freue mich, daß ich Gelegenheit habe, zunächst einige Bemerkungen zu dem Beitrag des von mir sehr geschätzten Kollegen Katzer zu machen. Ich habe entdeckt, daß wir einen Autor haben, den wir offenbar gemeinsam ziemlich regelmäßig und, wie ich annehme, auch mit einigem
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3842 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 69. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 7. Oktober 1970
ZanderInteresse lesen, nämlich Herrn Slotosch. Ich nehme an, auch Sie lesen ihn regelmäßig, Kollege Katzer? — Ja. Da beschäftigt er sich am 15. September mit dem Thema des Tages, auch — ich weiß nicht, ob Ihnen das entgangen ist — mit der Art und Weise, wie von Ihrer Partei oder von Ihrer Schwesterpartei — das ist wohl der richtige Ausdruck -hier gegen diese Koalition und gegen die Sozialdemokraten mit der Behauptung polemisiert wird: „20 Jahre lang bestimmte die CDU/CSU die Politik der Bundesregierung; 20 Jahre lang war die Deutsche Mark eine der stabilsten Währungen der Welt. Seit 10 Monaten regiert in Bonn eine Koalition aus SPD und FDP; seit 10 Monaten ist die Deutsche Mark in Gefahr." Soweit das Zitat aus Ihrer eigenen Wahlanzeige, also derjenigen, die auch Sie sicher mit zu vertreten haben; denn die CDU ist ja auch in dieser Annonce genannt.Ich glaube, man kann dazu nichts weiter sagen als das, was Herr Slotosch, den offenbar auch Sie sehr schätzen, dazu gesagt hat. Ich finde es sehr treffend und darf mit Genehmigung des Herr Präsidenten die Meinung von Herrn Slotosch dazu zitieren. Er sagt:Nein, die Deutsche Mark ist in den 20 Jahren der CDU/CSU-Regierung wirklich nicht stabil geblieben. Daran ändert auch die Tatsache nichts, daß andere Länder eine noch größere Inflation hatten. Es gehört wahrhaftig eine ziemliche Unverfrorenheit dazu, jetzt so zu tun, als hätte die Aufweichung der stabilen Mark erst vor zehn Monaten begonnen.Genau diesen Eindruck versuchen Sie hier zu erwecken.
Zu den Sparern, Kollege Katzer, hat mein Kollege Apel bereits einiges gesagt. Nach meiner Meinung bleibt es dabei: für die Sparer ist in dieser Situation kein Vermögensverlust eingetreten. Der Zinsertrag ist immer noch höher als der Kaufkraftschwund. Sparen ist nach wie vor lohnend geblieben.
Nun zu den Rentnern, Kollege Katzer, auch eine Gruppe, die ganz sicher Schwierigkeiten und ganz sicher auch keine rosige Situation hat.
Aber auch hier muß man Vergleichbares vergleichen. Wie war es früher? Die Renten stiegen im Jahre 1961 um 5,4 %, die Preise damals um 2,7 %. Im Jahre 1962 stiegen die Renten um 5 % die Preise um 3,6 N. Dann kam eine Periode, in der sich die Rentensteigerungen etwa zwischen 8 und 9% bewegten. Sie wissen das sicher besser als ich selbst. 1970 haben wir — wir reden über die Situation in diesem Jahr — eine Rentensteigerung von 6,35 % und eine Preissteigerungsrate von zirka 4 % für das laufende Jahr zu verzeichnen. Die Situation der Rentner ist also im Jahre 1970 noch günstiger als in den Jahren 1961 und 1962. Kollege Katzer, wenn ichdazu noch die Entlastung der Rentner, die Steigerung ihres Realeinkommens durch die Abschaffung des Rentnerbeitrages von 2 % addiere, habe ich faktisch eine Rentensteigerung von 8,5 %, und damit erst kann ich einen Vergleich anstellen. Sie sagen allgemein, daß die Steigerungssätze für Rentner zu gering sind. Auch bei den Rentnern hat sich aber inzwischen herumgesprochen, wem wir die Rezession zu verdanken haben.Im Grunde wird da hat der Volksmund recht — nie soviel gelogen wie nach einer Jagd und vor einer Wahl, und wir haben zwei Wahlen ins Haus stehen. Ich möchte mich deshalb bemühen, mich in meinem Beitrag streng an Tatsachen zu halten. Zunächst einmal bin ich dem Bundeswirtschaftsminister dafür dankbar, daß er heute vormittag in seinem streng sachlichen Beitrag einige Tassen zurechtgerückt hat, die durcheinandergeraten waren. Ich möchte bei diesen Tatsachen bleiben.Der Index der Lebenshaltungskosten liegt jetzt unter der Marke von 4 % und damit deutlich unter dem Steigerungssatz von April 1966, als Sie unter dem Kanzler Ludwig Erhard und dem Wirtschaftsminister Kurt Schmücker — beide CDU — den Rekordstand von 4,5 % erreichten. Selbst die Marke von 4,2 %, die im Juli 1965 erreicht wurde, ist diesmal noch unterschritten worden.Ich will hier nicht wiederholen, wie — angefangen von der Aufwertung über die Beschlüsse vom Juli und die haushaltspolitischen Maßnahmen — im Laufe des Jahres von seiten der Bundesregierung alles versucht wurde, um dieser Entwicklung in Abstimmung mit der Bundesbank zu begegnen. Dafür aber möchte ich darüber sprechen, wie sich in dieser Zeit die Opposition verhalten hat. Die Opposition hat diesen Kampf der Bundesregierung gegen den Preisauftrieb mit Urteilen, Wertungen und Forderungen begleitet. Das ist ihr gutes Recht. Nur kann sie nicht erwarten, daß ihren Vorstellungen jemand folgt, wenn ihre Vorschläge widersprüchlich sind und ohne eine fundierte Konjunkturprognose hier vorgetragen werden. Widersprüchlich ist es in der Tat — ich kann das nur noch einmal betonen —, wenn Herr Dr. Stoltenberg Haushaltskürzungen verlangt und sein Kollege Gewandt zur gleichen Zeit 3 Milliarden DM für ein Mittelstandsprogramm zusätzlich fordert. Können Sie sich wirklich nicht zunächst einmal in Ihrer eigenen Fraktion darüber einig werden, wo gekürzt und wo zugelegt werden soll?
Meine Damen und Herren, Herr Kollege Strauß hat hier am 24. September bei der ersten Lesung des Haushaltes gefordert, „Schluß zu machen mit der inflationären Mentalität, mit der Verharmlosung der Inflation". Ich kenne niemanden, der hier den Preisauftrieb verharmlosen würde,
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Zanderaber ich kenne aus Ihren Reihen genügend Äußerungen, die die inflationäre Mentalität schüren und die öffentlich Inflationsangst predigen.
Damit heizen Sie das Klima zusätzlich an, und wir alle können im Grunde nur von Glück sagen, daß sich die Bevölkerung trotz Ihrer einseitigen Propaganda weitgehend immun zeigt gegenüber dem Bazillus, den Sie ständig im Lande verbreiten. Und als es im Juli um die Schutzimpfung gegen diesen Bazillus ging, haben Sie sich der Stimme enthalten. Glaubwürdiger sind Sie damit in der Tat auch nicht geworden. Aber das sind Ihre Widersprüchlichkeiten, und die müssen Sie sich hier einmal vorhalten lassen..Meine Damen und Herren, Sie können glaubhaft und überzeugend -nur wirken, wenn Sie uns mitteilen, welchen Konjunkturverlauf für das kommende Jahr Sie selbst unterstellen. Das gilt ganz besonders für die von Ihnen vorgetragene Kritik am Bundeshaushalt für 1971. Die Bundesregierung sagt doch im Grunde: Das sind unsere politischen Vorstellungen, und wir gehen davon aus, daß ihre Finanzierung in die konjunkturelle Landschaft des Jahres 1971 paßt. Aber es bleibt ein gewisser Zweifel, ob das so sein wird, und daher stellen wir diesen früher, als es je zuvor bei einem anderen der Fall gewesen ist, im Deutschen Bundestag eingebrachten Haushalt unter den Vorbehalt der Feinabstimmung.Wenn Sie allerdings jetzt schon mit Gewißheit sagen können, daß das Haushaltsvolumen aus konjunkturpolitischen Gründen überhöht ist, dann muß dieser Behauptung, was Sie doch sicher sehr gerne einräumen werden, eine Konjunkturprognose für 1971 zugrunde liegen, die Ihnen diese Gewißheit gibt. Diese Prognose sind Sie uns aber bis heute schuldig geblieben, und damit steht und fällt der ganze Zauber, den Sie hier ständig veranstalten.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Müller-Hermann?
Ja.
Herr Kollege, haben Sie vergessen, daß uns soeben vor einer Viertelstunde der Herr Wirtschaftsminister gemahnt hat, nicht auf Zukunftsprognosen bezüglich des Lebenshaltungskostenindexes einzugehen, wenn wir etwa auch die industriellen Erzeugerpreise und deren künftige Wirkungen mit in Erwägung ziehen? Sehen Sie da nicht einen gewissen Widerspruch zu dem, was Sie soeben sagten?
Ich stelle hier nur einen Widerspruch fest, und das ist der, daß Sie mit Gewißheit sagen zu können glauben, daß dieser Haushalt im nächsten Jahr nicht in die konjunkturpolitische Landschaft paßt, und daß Sie dennoch diese Landschaft hier nicht schildern.
Meine Damen und Herren, es ist ja nicht ausgeschlossen, daß Sie in Ihren Reihen jemanden haben, der wie Joseph von Ägypten mit seherischen Fähigkeiten ausgestattet ist. Es ist ja möglich, daß Sie einen Traumdeuter haben,
der den Traum von den sieben fetten und den sieben mageren Kühen deuten kann. Aber dann lassen Sie uns doch bitte nicht im Ungewissen. Legen Sie uns Ihre Prognose für den Konjunkturverlauf des nächsten Jahres vor, dann können wir darüber reden, ob sie realistisch ist und ob aus ihr eventuell Konsequenzen gezogen werden müssen. Solange das ausbleibt, sind alle Ihre Folgerungen auf Sand gebaut, und den wollen Sie uns und der Bevölkerung auch noch in die Augen streuen.
Meine Damen und Herren, Konjunkturpolitik ist allerdings seit der Zeit, als der Pharao von den Kühen träumte, die dem Nil entstiegen waren, sehr viel schwieriger und differenzierter geworden. Ihre Scheu vor Prognosen ist ja nicht nur den Eingeweihten bekannt. Sie werden es sehr schwer haben, wenn Sie eine Vorausschau wagen wollen. Aber das müssen Sie schon tun; sonst ist die ganze Dramatik hier grundlos. Die entsprechenden Angaben und Erwartungen der Bundesregierung und die deutlichen Anzeichen der Entspannung wollen Sie nicht wahrhaben.
Die CDU/CSU hat schon oft die Zeichen der Zeit nicht erkannt. Sehen Sie nicht oder wollen Sie nicht sehen, daß bei den Auftragseingängen der gesamten Industrie
z. B. im Juli 1970 ein Rückgang von 0,8 % gegenüber dem entsprechenden Vorjahresmonat zu verzeichnen ist? Sehen Sie nicht, daß ein Auftragsrückgang in einigen Branchen sehr deutliche Entspannungsmarken setzt? Selbst auf dem Arbeitsmarkt zeigen sich Entspannungstendenzen.
Meine Damen und Herren, die Frauenarbeitslosigkeit, die bekanntlich ein wichtiger konjunktureller Frühindikator ist, hat bereits Steigerungsraten erreicht, die auch Ihnen zu denken geben sollten.
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3844 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 69. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 7. Oktober 1970
ZanderSie lag im Juli 1970 um 12,2 % höher als im Juli 1969.
— Lassen Sie mich das bitte noch zu Ende führen.Meine Damen und Herren, wer angesichts dieser Entwicklung immer noch von Bremsen und Ausgabekürzungen spricht, ohne seine Prognose vorzulegen, der muß wissen, wohin das führt: zunächst zu Schwierigkeiten in einzelnen Branchen und letztlich in die Rezession. Wir haben in den letzten Jahren große Anstrengungen gemacht, um bisher vernachlässigte Regionen und Branchen an das allgemeine Niveau heranzuführen. Wenn Sie jetzt mit der großen Walze allgemeiner Konjunkturdämpfung kommen und alles wieder plattwalzen, werden diese Regionen zunächst betroffen, obwohl sie in den letzten Jahren an wirtschaftlicher Stabilität gewonnen haben. Sie sind jedoch keineswegs so stabil, daß sie ein allgemeines Sinken des Niveaus überstehen würden. Die Unternehmer und die arbeitenden Menschen im Zonenrandgebiet können unter diesem Gesichtspunkt von Glück sagen, daß Sie in diesem Hause nicht die Mehrheit haben.Das gleiche, meine Damen und Herren, was für Regionen gilt, gilt auch für einige Branchen. Schauen Sie in die Zeitungen: „Gesamttextil vermerkt erstmals seit Januar 1969 einen Rückgang der Beschäftigtenzahl unter die 500 000-Grenze" ; „Schuhindustrie: Kurzarbeit bei einigen Werken." Diese Aufzählung könnte man beliebig verlängern.
— Ich rede von Branchen, die bereits jetzt deutliche Schwierigkeiten haben. Ich weiß auch, daß eine Fülle von Ursachen dazu geführt hat. Aber ich registriere im Augenblick nur die Tatsachen.Die Auftragseingänge in der Textilindustrie sind von Juni auf Juli 1970 um 11,2, bei den Stahl- und Walzwerken um 12,2 und in der ledererzeugenden Industrie um 16 % zurückgegangen. In der Schuhindustrie betrug der Rückgang sogar 43,7%. Sicher gibt es dafür eine Reihe von Ursachen. Aber ich frage Sie jetzt: Können Sie es gegenüber den arbeitenden Menschen in diesen Bereichen noch verantworten, ohne die Wirkung der Beschlüsse vom Juli abzuwarten, zusätzliche, von Ihnen gar nicht konkretisierte Dämpfungsmaßnahmen zu fordern?Meine Damen und Herren, nachdem Sie offensichtlich — das zeigen auch die jüngsten Auslassungen der wichtigsten Konjunkturforschungsinstitute — von jeder nationalökonomisch fundierten Untermauerung Ihrer Argumentation verlassen worden sind, kann ich Ihnen eigentlich nur empfehlen, sich Ihrer lautstarken Wahlkampfparolen zu enthalten und sich einmal in Klausur zu begeben, um die wirtschaftliche Situation zu analysieren.Ihre Parolen verschweigen darüber hinaus eine wichtige Tatsache, auf die es aber nach unserer Meinung neben der von der Bundesregierung gradlinig und zielbewußt verfolgten Stabilitätspolitik ebenfalls ankommt, und das ist die Entwicklung der realen Einkommen. Herr Kollege Höcherl, unter dem Strich, wie Sie sagten
— ja, unter, nicht auf dem Strich, Kollege Höcherl —,
hat der Industriearbeiter in der Bundesrepublik im laufenden Jahr einen realen Einkommenszuwachs von 8 % zu erwarten.
Konkret bedeutet das, er arbeitet für einen VW 1300 62 Stunden, das sind anderthalb Wochen, weniger als im Jahre 1969, für ein Kilogramm Butter 0,2 Stunden, für einen Herrenanzug 3 Stunden und für ein Paar Herrenschuhe 0,4 Stunden weniger. Ich meine, darauf kommt es ganz entscheidend an, und diese Tatsache verschweigen Sie. Darum komme ich zu dem Ergebnis, Sie verschweigen wichtige Tatsachen. Sie verschweigen diese Tatsachen hier in der Diskussion, Sie verschweigen sie in der Diskussion draußen mit der Bevölkerung. Das Bild, das Sie zeigen und dem Bürger vorgaukeln wollen. ist falsch, einseitig und demagogisch.
Sie sagen nicht die volle Wahrheit, und Ihre Propaganda wird auch darum langfristig wirkungslos bleiben, weil die Realitäten eine andere Sprache sprechen.
Meine Damen und Herren, das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Pohle.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist nicht leicht, am Ende einer solchen Debatte noch das Wort zu ergreifen. Deshalb lassen Sie mich meine Ausführungen auf einige, allerdings sehr sorgenvolle Bemerkungen beschränken. Sorgenvoll deshalb, weil ich aktiv tätiger Unternehmer bin, die Ehre habe, diesem Hause seit vielen Jahren anzugehören, und darauf Anspruch erhebe — ich glaube, alle, die mich kennen, wissen das —, daß ich mich einer sehr objektiven Haltung befleißige. Gerade von diesem Standpunkt aus sage ich „sorgenvoll". Denn wenn wir die Stabilität neben das Wachstum rücken und dies als besonders ehernes Ziel einer Konjunktur- und Wirtschaftspolitik seit zwanzig Jahren mit großem Erfolg betrieben haben, dann sorgen wir uns, ob wir nicht an einem Zeitpunkt angekommen sind, an dem die Stabilität ins Rutschen gekommen ist. Wenn hier von verschiedener Seite gesagt worden ist, das sei auch in den letzten zwanzig Jahren so gewesen, dann berufe ich mich meinerseits auf den Bundesbankpräsidenten, der soeben — ich werde ihn nachher auch an anderer Stelle zitieren — wieder gesagt hat, daß die Entwertungsrate innerhalb der letzten zwanzig Jahre nur 1,9 % be-
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Dr. Pohletragen hat, daß diese Entwertungsrate im letzten Jahre aber viel höher war.Meine Damen und Herren, es handelt sich wirklich um Sorgen, die wir hier austauschen. Deshalb bin ich mit dem einverstanden, was hier zum Schluß von den Regierungsvertretern und von verschiedenen Rednern gesagt worden ist, nämlich daß wir alle gemeinschaftlich versuchen müssen, aus dieser Lage wieder herauszukommen. Das entspricht einem gemeinschaftlichen Verantwortungsgefühl, das ich auch für die Opposition in Anspruch nehme. Es sind nicht Gründe der Demagogie, der fabrizierten Krise, der Propaganda oder welche schönen Ausdrücke Sie, lieber Herr Kollege Apel, sonst hier erwähnt haben.
Ich wundere mich: daß der Bundeswirtschaftsminister auf eine Auslassung in diesem Hause heute nur mit einem Nebensatz eingegangen ist, die meines Erachtens aber an den Kern der Dinge rührt, nämlich auf die Auslassung des Kollegen Kienbaum. Ich komme darauf gleich noch einmal zurück. Es ist doch Spiegelfechterei, wenn wir behaupten wollten, daß es innerhalb des letzten Jahres keine inflatorischen Erscheinungen in verstärktem Maße gegeben hätte. Das, was hier im hause von meiner Fraktion ausgeführt worden ist, ist doch nichts weiter als eine Wiedergabe dessen, was draußen gesprochen wird.Dabei kann man sicherlich nicht das räume ichein-wissen, wie die Konjunktur sich entwickelnwird. Aber schließlich haben wir ja nicht die Zielprojektionen und die Zukunftsprognosen in dieser Richtung erfunden. Und alle Zielprojektionen, die vom Herrn Bundeswirtschaftsminister in dieser Richtung angestellt worden sind, haben sich nun einmal als fehlsam erwiesen, im positiven Sinne; wir wissen nicht, ob auch im negativen Sinne. Ich bin der letzte, der sich etwa auf das Gebiet begibt, für das Jahr 1971 schlüssige Voraussagen zu machen. Ich kann mich aber durchaus noch nicht zu der Ansicht bekennen, daß wir, wenn die Auftragseingänge einmal herauf- und heruntergehen, damit schon ein untrügliches Indiz dafür haben, daß sich die Konjunktur nunmehr abschwächt. Das muß man sagen, wenn man gleichzeitig hinzufügt, daß, um einige Branchen noch zu exemplifizieren, wie Sie, Herr Kollege Zander, es zum Schluß getan haben, sich in vielen Branchen so etwas wie eine Ertragskrise abzeichnet, eine Krise, die viel schlimmer ist als die Mengenkonjunktur. Die Frage ist, durch welche Ursachen sie entstanden ist. Sie ist mit Sicherheit nicht durch die importierte Inflation entstanden, sondern sie ist mit Sicherheit durch die innere Inflation entstanden, durch die Kostenexplosion nach allen Seiten. Deshalb war äußerst beherzigenswert, was Herr Kollege Kienbaum hier vorgetragen hat. Der Schritt aus der Spätphase einer ungezügelten Hochkonjunktur, eines ungezügelten Booms und der ist eben nicht gezügelt worden, weil im Oktober vorigen Jahres die flankierenden Maßnahmen unterblieben , in eine schwindende Ertragskraft ist klein. Die Folge ist unermeßlich. Sie führt nämlich zu möglichen Insolvenzen, und sie führt auf alle Fälle zum Nachlassen der Investitionsneigung unddamit zu einem Sichtbarwerden der bestehenden Vertrauenskrise.
Das wage ich hier offen auszusprechen.
Ich möchte mich jetzt nicht in eine Diskussion mit dem Herrn Bundeswirtschaftsminister über die Indikatoren einlassen.
Er hat vorhin vom Lebenshaltungskostenindex als dem einzig vernünftigen Indikator für die Entwertung gesprochen. Mein Kollege Leicht hat das bereits durch Hinweis auf den Finanzbericht des Wirtschaftsministers aus dem Jahre 1969 widerlegt. Es gibt eine ganze Menge anderer Indikatoren. Man kann diese Dinge nicht einfach damit abtun, daß der Lebenshaltungsindex nur um 4 % gestiegen sei und daß alle anderen Zahlen deshalb nicht Geltung hätten.Aber lassen Sie mich noch ein Wort zu der hier angesprochenen Frage der inneren Kostensteigerung sagen. Mir ist völlig klar, niemand denkt daran, in die Tarifautonomie einzugreifen. Die Tarifautonomie ist, sowei ich weiß, sogar grundgesetzlich verankert. Niemand kann hier irgendeinen Eingriff vornehmen. Das war auch nicht der Sinn der Ausführungen meines Kollegen Stoltenberg, der von einer stärkeren Wirksamkeit der Konzertierten Aktion gesprochen hat, ebenso wie der Kollege Höcherl. Die Lohnrunden, die jetzt stattfinden, müssen selbstverständlich unter den tarifautonomen Parteien weitergehen. Heute morgen ist auch schon gesagt worden, daß die Lohnrunden permanent sind. Denn nach der IG Metall kommen ändere, und dann dreht sich die Sache weiter.Was aber noch erreicht werden kann- und dasist das, was ich vermisse-, ist über die Konzertierte Aktion oder auch sonst stärkere Einwirkungen auf die Tarifparteien durch publizistische Mittel in dem Sinne, daß es nichts nützt, wenn die Löhne in die Höhe geschraubt werden — trotz aller Versuche, das mit der Brutto-Netto-Rechnung so ein bißchen zu verharmlosen —, wenn gleichzeitig damit die Preisspirale nicht zum Halten gebracht werden kann. Denn eines bedingt das andere. Infolgedessen muß nach dieser Richtung etwas getan werden.Zweierlei darf man bestimmt nicht tun, wenn man das will, nämlich erstens sich äußern wie Regierungsmitglieder — ich will hier keine Namen nennen; sie sind alle schon auf den Tisch gelegt worden —,
das sei alles nicht so schlimm, denn die höheren Löhne fingen ja die gestiegenen Preise doppelt und dreifach auf. Dabei wird denn gleichzeitig die Brutto-Netto-Rechnung vom Kollegen Apel zugrunde gelegt, was natürlich nicht geht.Das zweite betrifft die öffentliche Hand. Das ist mein eigentliches Anliegen, und deshalb wiederhole ich, was Herr Kollege Stoltenberg hier gesagt hat: alles gehört zusammen; das eine ist nun einmal ohne das andere nicht denkbar bei der überragenden Bedeutung des öffentlichen Sektors in der
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Dr. PohleVolkswirtschaft. Das Eckdatum, das auch für die Tarifpartner gesetzt werden muß, ist die Beschränkung der öffentlichen Hand auf den Nettozuwachs des Bruttosozialprodukts.
Anders kann man es doch nicht machen. Man kann den Tarifpartnern nicht übelnehmen, daß sie auf 12 % gehen, wenn sie vorexerziert bekommen, daß die öffentliche Hand auch auf 12 % geht.Nun ist hier gesagt worden: Sie können die Konjunktur von 1971 gar nicht übersehen, vielleicht ist dieser Haushalt vollkommen konjunkturgerecht, vielleicht haben wir dann eine so starke Abschwächung, daß wir schon wieder antizyklisch im Sinne dieses Haushalts tätig werden müssen, so ähnlich wie 1966. Meine Damen und Herren, das Wachstum des Bundeshaushalts 1971 um über 12 % wird damit begründet, mit der Annahme, daß sich das Wachstum des privaten Verbrauchs ab 1971 erheblich abschwächt: Finanzierungsüberschuß 1970 zirka 1 Milliarde DM, Nettofinanzierungsdefizit 1971 2,9 Milliarden DM; ähnlich ist die Entwicklung bei Ländern und Gemeinden. Dazu sage ich: Wir wissen das gar nicht. Erfolgt keine Abschwächung der privaten Nachfrage, so ist der Bundeshaushalt ohne jeden Zweifel so, wie er jetzt vorgelegt ist, prozyklisch und nicht antizyklisch.
Zum anderen ist die Annahme einer Abschwächung der privaten Nachfrage genauso ungesichert wie Ende 1969, als die Bundesregierung eine Konjunkturabschwächung für das zweite Halbjahr 1970 prophezeite und ihren Planungen zugrunde legte. Die gegenwärtige Konjunktur weist Schwächezeichen, aber noch sehr viele Anzeichen eines Übergangs zu einer ausgesprochenen Verbrauchskonjunktur auf, die, wenn sie eintritt, mit Sicherheit weit in das Jahr 1971 hinüberreichen wird.Nun frage ich: Wie fährt man denn einen Haushalt? Jeder, der längere Zeit dem Parlament und dem Hohen Hause angehört, weiß, wie schwierig es ist, einen Haushalt herunterzufahren, viel schwieriger, als ihn aufzustocken. Wir können Eventualhaushalte machen, die wir zuschießen, wenn sich die Notwendigkeit herausstellen sollte, für das Jahr 1971 einen antizyklischen vermehrten Haushalt zu machen. Wir können aber nicht in der vagen Annahme, daß sich 1971 die Konjunktur anders entwickeln werde, schon vorher einen Haushalt verabschieden, der 12% Zuwachs zum Gegenstand hat, und damit allen anderen Beteiligten an der Aufrechterhaltung der Stabilität, insbesondere auch den Tarifpartnern, schlechte Beispiele geben.
Meine Damen und Herren, ich möchte noch zwei Worte zu der ständigen Kritik an den angeblichen Versäumnissen der letzten 20 Jahre sagen. Wenn diese Kritik richtig ist, so ist zumindest ein Teil dieser Bundesregierung, nämlich die Freien Demokraten, an diesen Versäumnissen mitschuldig, denn sie waren in mehreren Kabinetten Koalitionspartner der CDU/CSU, und sie stellten nicht einmal schlechte, sondern sehr solide Bundesfinanzminister.Der Begriff „Versäumnis" kann nur das umfassen, was als notwendig erkannt, aber nicht getan wurde, obwohl die materiellen und sonstigen Voraussetzungen gegeben waren. Hier fehlt jeder Nachweis von Ihrer Seite.
Der Investitionsrückstand im öffentlichen Bereich ist die Folge von zwei verlorenen Weltkriegen. Deshalb war nach dem zweiten Weltkrieg die Prioritätenskala eine völlig andere, als sie sich gegenwärtig darstellt: Aufbau des Produktionsapparates, sozialer Wohnungsbau, Eingliederung der Flüchtlinge, Wiederherstellung der Infrastruktur usw.Endlich konnte der Wiederaufbau nur im Rahmen der zur Verfügung stehenden volkswirtschaftlichen Ressourcen erfolgen. Hätte man mehr tun und all das realisieren wollen, was heute als vordringlich angesehen wird, so wären damals die Folgen nicht mehr Investitionen, sondern notwendigerweise schon damals angesichts einer seit Jahren ständig vollbeschäftigten Wirtschaft höhere Preise gewesen. Das ist doch dasselbe Problem, mit dem wir uns gerade jetzt dauernd herumzuschlagen haben.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich noch ein Wort zur Zinspolitik sagen. Die Zinspolitik hat auch heute eine gewisse Rolle gespielt. In der Antwort der Bundesregierung steht, daß der Zins um 1/2 % von seinem höchsten Punkt zurückgegangen sei. Damit reimt sich in keiner Weise zusammen, daß wir heute in der „Frankfurter Allgemeinen" lesen, daß neue Schuldscheine der Bundesbahn und der Bundespost mit einem effektiven Zinssatz — das ist der höchste Punkt, der überhaupt erreicht worden ist — von rund 9,2 % ausgegeben worden sind.Ich will auf die Steuerlastquote und die Steuerreformfragen nicht eingehen. Lassen Sie mich aber sagen, daß in Kopenhagen der Bundeswirtschaftsminister ganz offen immerfort das Wort „Inflation" erwähnt hat. Er hat gesagt: Inflation ist wie eine Droge; Inflation ist sozial ungerecht; Inflation nährt sich selbst; Inflation ist ansteckend von Land zu Land; Inflation ist nicht ein Phänomen ohne Ausweg. — Alles Dinge, die ich unterstreiche. Was aber in der Presse nicht zu lesen war und was ich von einem Augenzeugen weiß, Herr Bundeswirtschaftsminister, das ist, daß in der öffentlichen Diskussion in Kopenhagen hinterher der als nüchtern bekannte Bundesbankpräsident, Herr Dr. Klasen, in seiner allen bekannten trockenen und witzigen Art gesagt hat: Alle Worte, die ich hier von den Wirtschaftsministern gehört habe, sind großartige Worte; mir läge aber daran, daß die Wirtschaftsminister, die gegen die Inflation gesprochen haben, das zunächst einmal in ihren eigenen Ländern verwirklichen.
Meine Damen und Herren, die ganze Meisterung der Krise hängt ab vom Vertrauen. Das Vertrauen in die politische Führung ist nun einmal die Basis der Konjunktur, der wirtschaftlichen Entwicklung und des inneren Friedens. Ich habe nicht den Eindruck, daß es dieser Bundesregierung gelungen ist,Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode —69. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 7. Oktober 1970 3847Dr. Pohlesich innerhalb eines Jahres das Vertrauen zu erhalten, das sie versprochen hat. Die Wirtschaft ist nun einmal die Basis unseres Wohlstands und unserer außenpolitischen Geltung; niemand kann das bestreiten. Ist das Vertrauen in die Wirtschaftspolitik einmal gestört, so ist damit die Existenz des Staates angesprochen.
Ich möchte dazu den Bundeswirtschaftsminister aus dem Jahre 1965 zitieren. Er sagte damals:Die Bevölkerung braucht eine Regierung, der sie vertrauen kann, die Bevölkerung braucht eine Regierung, die in ihren Worten glaubwürdig und in ihrem Handeln vertrauenswürdig ist. Das ist die erster Vorbedingung. Ein schlechter Stil verdirbt Märkte und Preise.Märkte und Preise sind verdorben, meine Damen und Herren. Diese Vorbedingungen, die der damalige Oppositionsredner und heutige Bundeswirtschaftsminister als notwendig bezeichnet hat, sind von der Bundesregierung mit ihrer falschen Wirtschaftspolitik sicherlich nicht erfüllt.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Lenders.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Pohle endete in seinem sehr sachlichen Beitrag mit der Feststellung: Märkte und Preise sind verdorben. Er stellte fest, das sei der Hintergrund des angeblich nicht mehr vorhandenen Vertrauens. Meine Damen und Herren von der Opposition, wenn Sie so argumentieren, müssen Sie sich immer wieder, wie das auch eingangs der Bundeswirtschaftsminister und unsere Redner getan haben, die Frage stellen lassen: Wann hat es mit dem Verderben der Preise und Märkte denn begonnen?Wenn ich mir den Verlauf der bisherigen Debatte noch einmal vor Augen führe, möchte ich folgendes feststellen. Zunächst einmal haben Sie diese Große Anfrage gestellt. Sie haben diese Debatte gewollt. Wir, die Koalitionsfraktionen, und sicherlich auch die Bundesregierung und der Bundeswirtschaftsminister können Ihnen eigentlich nur dankbar sein, uns noch einmal die Gelegenheit gegeben zu haben, die Wirtschaftspolitik dieser Regierung und ihre Geradlinigkeit heute hier deutlich zu machen.
— Ich lese die Zeitung. Da steht sehr viel über Sie drin,
und da stand sehr viel über die „Geradlinigkeit" oder die Konzeptionslosigkeit Ihrer politischen Vorstellungen im Bereich der Wirtschaftspolitik drin. Lesen Sie den letzten „Volkswirt"! Dann werden Sie darüber belehrt werden.Nun ist hier von den Sprechern der Opposition vielfach beklagt worden, daß zuviel Polemik in der Debatte sei. Aber im gleichen Zuge wurde mit der Polemik von Ihrer Seite fortgefahren. Sie dürfen sich dann nicht wundern, wenn wir ebenfalls polemisch und scharf antworten. Ich gebe zu, daß Sie in Ihren Reden — ob das Herr Stoltenberg, Herr Höcherl oder vor allem jetzt Herr Pohle war — mit der Preisentwicklung des letzten Jahres zusammenhängende Sorgen vortragen, die wir teilen und die wir wie Sie ernst nehmen.Ich glaube, darin besteht auch nicht der eigentliche Dissens. Wenn diese Debatten unbefriedigend sind und zur Polemik ausarten, hat das meiner Meinung nach im wesentlichen zwei Hintergründe. Sie üben scharfe Kritik und erheben Vorwürfe, sind aber auf der anderen Seite nicht bereit und nicht in der Lage, einen Ihrer Kritik, Ihren Vorwürfen und Ihrer Dramatisierung der Situation entsprechenden Beitrag zur Einschätzung der weiteren konjunkturellen Entwicklung und zur Lösung der Aufgaben, vor denen wir stehen, zu leisten. Das ist der eine Grund dafür, daß diese Debatten so unbefriedigend sind.Der zweite Grund dafür, daß die Debatten sehr leicht in die Polemik ausrutschen und von unserer Seite aus auch als polemisch angesehen werden, ist wohl darin zu sehen, daß Sie ständig den Versuch unternehmen, dieser Regierungskoalition und dieser Regierung zu unterstellen, sie seien nicht willens, die seit 1969 gefährdete Preisstabilität wiederherzustellen.
Das ist doch die Polemik, die Sie führen. Sie unterstellen dieser Regierung aus bestimmten politischen, taktischen Überlegungen heraus einfach, sie sei auf Inflationskurs.Dazu möchte ich für beide Koalitionsfraktionen auch nach dem Ergebnis dieser Debatte feststellen: das Ziel dieser Regierungskoalition ist mehr Preisstabilität, und dieses Ziel hat in unserer Wirtschaftspolitik gegenwärtig den Vorrang, der ihm zukommt. Wir sind der Meinung — ich sage das deshalb noch einmal sehr deutlich, weil das durch Ihre Polemik eben immer wieder verwischt zu werden droht —, daß die Verteuerung der Lebenshaltung von derzeit 4 % entschieden zu hoch ist. Daß wir dieser Meinung sind, beweisen die von Oktober 1969 bis Juli 1970 ergriffenen Maßnahmen, deren nochmalige Aufzählung ich mir hier doch wohl ersparen kann.Was wir nicht versprechen — ich glaube, auch das gehört zur Glaubwürdigkeit unserer Politik — und nicht versprochen haben — die Richtigkeit dieser Aussage können Sie erkennen, wenn Sie die Regierungserklärung vom Oktober 1969 nachlesen —, ist, daß wir Stabilität von heute auf morgen wieder erreichen werden. Dieses Versprechen einzuhalten — das ist heute mehrfach auch von Wirtschaftsminister Schiller gesagt worden —, wäre nur möglich, wenn wir die übrigen Ziele des Stabilitäts- und Wachstumsgesetzes außer acht ließen, wenn wir die
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LendersErschütterungen in Kauf nähmen, die die Menschen in unserem Lande 1966/67 erlebt haben.Das wäre nur möglich — diesen Gesichtspunkt möchte ich hinzufügen —, wenn wir uns völlig aus den internationalen Preiszusammenhängen lösen könnten. Wie es in der internationalen Landschaft mit den Preisen aussieht, ist heute ebenfalls mehrfach dargestellt worden.Meine Damen und Herren, auch wenn Herr Höcherl das ein ständiges Aufwärmen eines Eintopfes nennt, muß ich der Vollständigkeit halber hinzufügen: wir hätten die Preissteigerungen der letzten Monate in der Bundesrepublik nicht in diesem Maße gehabt, wenn Sie, die CDU/CSU, die konjunkturelle und preispolitische Situation 1969 nicht völlig falsch eingeschätzt und sich damals den von Professor Schiller vorgeschlagenen notwendigen Maßnahmen — das war nicht nur die Aufwertung — nicht versagt hätten.Noch einmal zur internationalen Preissituation. Sie haben sich folgendes angewöhnt: wenn wir darauf hinweisen, daß die Bundesrepublik nach wie vor am unteren Ende der internationalen Preisentwicklung, auf die Lebenshaltungskosten bezogen, steht, dann unterstellen Sie uns, wir wollten uns mit dieser Feststellung zur Ruhe setzen und im Grunde nichts mehr gegen die Preisentwicklung tun. Daß dem nicht so ist, haben zuletzt die von uns im Juli beschlossenen, sicherlich nicht sehr populären Maßnahmen bewiesen. Daß nichts dergleichen stimmt, geht auch daraus hervor, daß diese Bundesregierung, vertreten durch ihren Wirtschaftsminister, es ist, die in den internationalen Währungsgremien immer wieder für mehr Stabilität und für mehr stabilitätsorientiertes Verhalten eintritt. Daran ändert auch nichts das Zitat einer Nebenbemerkung von Herrn Klasen, das Herr Pohle eben gebracht hat.Ein Zweites. Was Sie in der Debatte immer wieder verschweigen, daß wir nämlich am Ende der internationalen Preisentwicklung stehen,
daß wir in bezug auf die Lebenshaltungskosten mit die geringsten Preissteigerungen in der Bundesrepublik haben, ist das Ergebnis der seit Oktober geführten, mit der Aufwertung beginnenden stabilitätsorientierten Politik dieser Bundesregierung gemeinsam mit der Bundesbank.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Müller-Hermann?
Ja, bitte schön.
Herr Kollege Lenders, Sie haben nun wieder mit dem Versuch angefangen, mit einem internationalen Vergleich unsere eigene preispolitische Situation etwas zu bagatellisieren. Wollen Sie nicht bitte endlich einmal zur Kenntnis nehmen, daß gerade diese Bemühungen —
Eine Frage bitte!
Wollen Sie bitte einmal zur Kenntnis nehmen, daß gerade diese Bemühungen von Ihrer Seite uns in der Sorge bestätigen, daß Sie weder in der Lage noch willens sind, sich mit der jetzigen Situation kritisch auseinanderzusetzen?
Herr Müller-Hermann, ich habe das Gefühl, Sie haben nicht zugehört. Ich habe eben erklärt: Wenn wir so argumentieren, daß wir am Ende dieser Preisentwicklung sind, dann wollen wir damit keineswegs der Bevölkerung oder uns selbst Beruhigungspillen geben,
sondern dann weisen wir lediglich auf bestimmte Tatbestände hin, deren Einfluß wir uns nicht völlig entziehen können. Daß es darüber hinaus das Ziel dieser Regierungskoalition und dieser Regierung ist, wieder mehr Stabilität, als heute vorhanden ist, in der Bundesrepublik zu erreichen, das hat auch der Wirtschaftsminister zu Beginn dieser Aussprache noch einmal deutlich gemacht.
Herr Abgeordneter Lenders, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Arndt?
Bitte schön!
Herr Kollege Lenders, wenn, wie Sie ausführen, die Bundesrepublik am Ende des internationalen Preisauftriebs steht, halten Sie das für eine Leistung der Wirtschaftspolitik der Bundesregierung oder halten Sie das für keine Leistung?
Herr Kollege Arndt, ich halte das nicht für ein zufälliges Ergebnis, sondern ich halte dieses Ergebnis in der Tat für eine Leistung dieser Bundesregierung.
Dieses Ergebnis ist durch die stabilitätsorientierten Maßnahmen der Bundesregierung erreicht worden, die mit der Aufwertung im Oktober vorigen Jahres begonnen haben. Das ist meine Auffassung.Nun, meine Damen und Herren, ich will nicht mehr zur konjunkturellen Lage und zu den Einschätzungen der weiteren Entwicklung sagen. Daß wir diese Entwicklung vorsichtig einschätzen, ist auch in den Ausführungen des Wirtschaftsministers deutlich zum Ausdruck gekommen. Zweifellosdarüber können Sie nicht hinweg, und darauf weisen auch die Institute hin-, Arbeitsmarkt, Auftragseingänge und Auftragsbestände sowie Ge-
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Lendersschäftserwartungen signalisieren, daß der Höhepunkt des Booms offensichtlich überschritten ist. Vorsichtiger Optimismus ist von unserer Seite deutlich geworden.Nur, die Preisentwicklung allein — und jetzt komme ich noch einmal auf Ihre Beurteilungspunkte — kann heute nicht mehr der maßgebende Indikator für die Konjunktur sein. Das wird auch bei all denen deutlich, die sich von der Seite der Wissenschaft mit dieser Frage befassen. Wir müssen auch auf die Nachfrageseite, etwa auf die Auftragsseite, sehen; denn Preisentwicklung und reale Konjunkturentwicklung laufen nicht mehr synchron. In dieser beginnenden konjunkturellen Beruhigung laufen diese Entwicklungen auseinander. Das ist eine alte Erfahrung. Und der Beruhigung selbst von der Nachfrageseite her wird — auch das ist eine Erfahrung — das Preisniveau erst mit einer gewissen zeitlichen Verzögerung folgen.
Meine Damen und Herren von der Opposition, hier kommt ja der entscheidende Punkt. In dieser schwierigen Übergangssituation, von der auch der Herr Bundeswirtschaftsminister gesprochen hat, würden wir es sehr begrüßen, wenn die Opposition unter dem soeben genannten Gesichtspunkt ihre Einschätzung der konjunkturellen Entwicklung in den Jahren 1970/71 einmal sachlich darlegte und wenn die Opposition sachlich darlegte, welcher Auffassung sie im Hinblick auf die jetzt noch notwendigen Maßnahmen ist. Diese sachliche Darstellung haben wir bis heute vermißt, auch in der heutigen Debatte. Statt dessen setzen sie, abgesehen von einigen wenigen Versuchen zur Sachlichkeit von Ihrer Seite, das Inflationsgerede fort und fachen im Grunde das Feuer weiter an, das Sie angeblich austreten wollen.Zum Abschluß möchte ich auf einen Punkt kommen, der in den Ausführungen sowohl des Kollegen Stoltenberg als auch des Kollegen Pohle eine Rolle gespielt hat. Das ist die Frage der Konzertierten Aktion, der Vorwurf, es würden zur Zeit keine Orientierungsdaten vorgelegt, und die Bundesregierung habe die Möglichkeiten der Einkommenspolitik nicht ausgeschöpft. Insbesondere hinsichtlich dessen, was der Kollege Stoltenberg dazu ausgeführt hat, muß ich Sie doch fragen: Soll sich die Bundesregierung in die gegenwärtigen Tarifauseinandersetzungen direkt einmischen? Diese Frage müssen Sie doch klar beantworten.Es steht eine weitere Frage dahinter: Sind Sie der Meinung, daß die Arbeitnehmer im vergangenen Jahr zuviel an Einkommen und Lohn bekommen haben? Ich glaube, auch auf diese Frage müssen Sie eine deutliche Antwort geben.Sie müssen weiterhin nach wie vor eine deutliche Antwort geben auf die Frage, wie Sie die Konzertierte Aktion in unsere marktwirtschaftliche Landschaft einordnen. Da gibt es ja eine ganze Reihe von Widersprüchen. Herr Müller-Hermann hat in Ansbach in einer Rede davon gesprochen, daß die Konzertierte Aktion Lohnleitlinien ausgeben sollte. Da kommt also wieder dieser Begriff, der mit dem Stabilitätsgesetz überhaupt nichts zu tun hat. Dieser Begriff steht in Ihrer Rede, andernfalls wäre er falsch wiedergegeben. Wenn Sie von Lohnleitlinien sprechen, Herr Müller-Hermann, dann bedeutet das doch letztlich einen Eingriff in die Tarifautonomie zu Lasten der Arbeitnehmer. Sie müssen sich also darüber klar werden — Ihre Äußerungen zu der Funktion der Konzertierten Aktion sind widersprüchlich —, was Sie wollen: Marktwirtschaft und dezentrale Entscheidungen oder staatliche Lenkung der autonomen Gruppen.
Die Konzertierte Aktion kann doch stets nur die Einsicht in die gesamtwirtschaftlichen Zusammenhänge bei den Beteiligten fördern und die Möglichkeiten und Konsequenzen der verschiedenen Ansprüche an das Sozialprodukt aufzeigen, mehr nicht. Was sie nicht leisten kann — und das beziehe ich jetzt auf die aktuelle Diskussion —, ist, sich gegen Verteilungskorrekturen zu wenden, die in den letzten zwei Jahren aus einer bestimmten Entwicklung heraus, an der Sie ja nicht unschuldig sind, notwendig geworden sind. Wenn Sie das versuchen, werden Sie nicht die wirtschaftliche Stabilität zurückgewinnen, sondern die soziale Stabilität verlieren.Ein letztes Wort. Der Lebensstandard der Arbeitnehmer ist im Jahre 1970 kräftig angestiegen. Darauf ist hingewiesen worden, aber das wollen Sie vertuschen. Der DGB, auch der DGB-Vorsitzende Vetter, hat in diesen Tagen auch auf die realen Steigerungen, die da sind, noch einmal hingewiesen. Dieser Entwicklung muß in der kommenden Phase bei der Sicherung dessen, was wir jetzt erreicht haben, natürlich auch dadurch Rechnung getragen werden, daß die Tarifparteien kosten- und preisbewußt das, was jetzt erreicht worden ist, absichern. Das deutlich zu machen ist sicher eine Aufgabe der Konzertierten Aktion. Da bestehen keine Meinungsverschiedenheiten, da geht die Koalition einig mit dem Bundeswirtschaftsminister.Die Opposition ist ausgezogen — das klang in Ihren Ausführungen immer wieder durch —, die Inflationsmentalität in unserem Lande zu brechen. Zur Zeit tun Sie aber das Gegenteil. Wenn Sie es wirklich ernst meinen mit den Sorgen, die Sie hier ständig vortragen, dann sollten Sie hier im Bundestag und heute in eine sachliche Erörterung der konjunkturellen Probleme und der konjunkturellen Lage eintreten. Ich bin der Meinung, daß der Bundeswirtschaftsminister Ihnen dafür eine Plattform gegeben hat.
Meine Damen und Herren, wir stehen am Ende der Aussprache über die Große Anfrage zur Wirtschafts- und Konjunkturpolitik. Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.Ich rufe den Punkt 6 der heutigen Tagesordnung auf:
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Vizepräsident Dr. Schmidt-VockenhausenZweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Neunten Gesetzes zur Änderung des Tabaksteuergesetzes— Drucksache VI/ 1156 —Schriftlicher Bericht des Finanzausschusses
— Drucksache VI/1213 —Berichterstatter: Abgeordneter Ott
Der Herr Berichterstatter wünscht das Wort nicht. — Das Wort wird in der zweiten Beratung nicht begehrt.Wir kommen zur Abstimmung. Ich rufe auf Art. 1, — Art. 2, — Art. 3, — Einleitung und Überschrift. — Wer den aufgerufenen Bestimmungen in zweiter Beratung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich danke. Gegenprobe! — Stimmenthaltungen? — In zweiter Beratung einstimmig angenommen.Ich rufe diedritte Beratungauf. — Das Wort wird nicht begehrt.Wir kommen zur Abstimmung. Wer dem Gesetz in dritter Beratung zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Ich danke Ihnen. Gegenprobe! — Stimmenthaltungen? —
— Das ist natürlich auch ein Argument. Bei einer Stimmenthaltung ist das Gesetz in dritter Beratung angenommen.Aus der Zusatztagesordnung rufe ich nun den Punkt 1 auf:Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Engelsberger, Strauß, Dr. Pohle,Haage , Schmidt (Kempten), Ollesch und Genossen und der Fraktion der CDU/CSU eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Güterkraftverkehrsgesetzes— Drucksache VI/428 —Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen
— Drucksache VI/1191 —Berichterstatter: Abgeordneter Wendt
Der Berichterstatter wünscht keine ergänzenden Ausführungen zu machen. Das Wort wird nicht gewünscht.Wir treten in die zweite Beratung ein. Ich rufe auf Art. 1, — Art. 2, — Art. 3, — Einleitung und Überschrift. — Wer den aufgerufenen Bestimmungen in zweiter Beratung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Zeichen. — Ich danke. Gegenprobe! — Stimmenthaltungen? — Ich stelle einstimmige Beschlußfassung fest.Das Wort zurdritten Beratung wird nicht begehrt.Wer dem Gesetz zur Änderung des Güterkraftverkehrsgesetzes in der dritten Beratung zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Ich danke Ihnen. Gegenstimmen? — Stimmenthaltungen? — Auch dieses Gesetz ist einstimmig verabschiedet.Wir stehen damit am Ende der heutigen Tagesordnung.Ich berufe die nächste Plenarsitzung des Deutschen Bundestages auf Donnerstag, den 8. Oktober 1970, 9 Uhr.Die Sitzung ist geschlossen.