Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Leicht, ich antworte Ihnen diesmal — nicht weil ich das nicht selber formulieren wollte, oder so hoffe ich dieses Thema dann erledigt zu haben —, mit dem letzten Jahresgutachten des Sachverständigenrats zur Beurteilung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung. Da heißt es in Ziffer 158 wörtlich:
Im großen und ganzen sind wir bei der Untersuchung des Preisindex für die Lebenshaltung und seiner Berechnungsgrundlagen zu dem Ergebnis gekommen, daß man ihn ohne schwerwiegende Bedenken als konventionellen Maßstab für die Geldwertentwicklung in der Bundesrepublik akzeptieren kann.
Ende des Zitats. Herr Leicht, ich stimme dem zu, und damit ist Ihre Frage beantwortet.
— Sie können eine umfangreiche Analyse machen. Aber Wirtschaftspolitik muß sich an bestimmten Größen orientieren.
Es geht nicht an, daß nach dem Motto „Man nehme von diesem oder jenem" irgendeine Zahl in den Raum geschleudert wird, die für diesen Tatbestand überhaupt nicht relevant ist.
Dann zum Gebrauch des Preisindex für die Lebenshaltung. Ich glaube, Herr Kollege Stoltenberg, auch über diesen Punkt sind wir uns jetzt letztlich klar. Wenn er über eine bestimmte Marke rutscht — wie im August auf 4,1 %—,
dann ist niemand entschuldigt, auch die Regierung nicht, wenn man sagen würde: Es sind saisonale Faktoren. Nein, das ist keine Entschuldigung. Wenn wir Politik machen, stehen wir für diesen Index als Ganzen ein. Dann können Sie aber nicht umgekehrt, wenn er nun besser läuft und auf 3,8% geht — ich will das nur als Beispiel nennen, weil Sie es erwähnten — kommen und sagen, das seien saisonale Faktoren gewesen. Dann müßten Sie es immer machen; es wäre unfair, wenn Sie in einem Falle, in dem es für Stabilität günstiger ist, saisonale Zufallsfaktoren ins Feld führen, im anderen Fall aber, wo das Bild für die Stabilität ungünstiger ist, saisonale Faktoren nicht anführen. Das sollten wir lassen, Herr Stoltenberg. Nehmen wir diesen Index so, wie er ist. Er ist unbequem für uns alle. Damit haben wir zu leben, und daraufhin haben wir unsere Politik zu betreiben.
Deutscher Bundestag —6. Wahlperiode — 69. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 7. Oktober 1970 3835
Bundesminister Dr. Schiller
Ein Wort in diesem Zusammenhang zum Herrn Kollegen Höcherl. Ich weiß nicht, ob Herr Kollege Höcherl hier ist. — Leider nicht, das bedauere ich ungemein. Er hat ja unsere Unterhaltungen hier wie immer sehr animiert. Er hat behauptet, ich hätte diesen Lebenshaltungskostenindex — meinetwegen von 4,1 im vorigen Monat und von 3,8 in diesem Monat — als „harmlos" bezeichnet. Wie kann jemand so viel Charme und so viel Chuzpe haben, an demselben Tag, wo ich hier morgens sage „die Preissteigerungen sind eine Herausforderung für uns", am Nachmittag zu behaupten, ich hätte das verharmlost?!
Das ist leider Herr Kollege Höcherl. Er hat zwar einen beneidenswerten hohen Grad an Charme —deshalb genießt er auch unser Wohlwollen —, aber auch einen hohen Grad an Chuzpe.
Ich habe weiß Gott in meinen heutigen Darlegungen versucht, aber auch jeglichen Anschein zu vermeiden, daß wir diesen jetzt erreichten Stand eines Lebenshaltungsindex als eine schöne Angelegenheit ansehen. Ich glaube, das müssen Sie mir zugehen. Herr Höcherl hat mit großer Gebärde das Gegenteil behauptet.
Der nächste Fall von unwahrscheinlicher Chuzpe ist,
wie er mit der Aufwertung umgeht. Die Aufwertung, die diese neue Regierung damals gemacht hat, ist für ihn nur eine Formalie gewesen; in Wahrheit sei die nicht am 27. Oktober, sondern mit jener lautlosen Freigabe des Wechselkurses am 29. September erfolgt. Das ist typisch Hermann Höcherl. Schade, daß er nicht hier ist. Ich kann Ihnen nur ein Zitat entgegenhalten. Unser Kollege Gerhard Stoltenberg hat in einem Interview im Süddeutschen Rundfunk am 14. Dezember 1969 klar und deutlich ex cathedra gesagt - als Sprecher der neuen
CDU/CSU-Fraktion -, wörtlich:
Die Freigabe der Wechselkurse war eine klare Übergangsmaßnahme. Hätten wir die neue Regierung gebildet, wären wir in Übereinstimmung mit den Diskussionen, die wir über diese Möglichkeit mit der Bundesbank geführt haben, zu dem alten Wechselkurs zurückgekehrt.
Punkt. Schluß.
Das ist Stoltenberg. Der Höcherl ist wieder nicht da;
er stellt etwas einfach in den Raum und geht davon.
Wir mögen ja alle den Höcherl furchtbar gerne.
Dann das dritte! Herr Apel hat es ihm zu erklären versucht; er lehnt es ab, es in sich aufzunehmen. Das Statistische Bundesamt hat genau ausgerechnet: Nettoeinkommenszuwachs in der Gesamtsumme, dann Abzug der Preissteigerung, dann noch - um einen Punkt weiterzugehen als der Kollege Apel — auch den Nettoeinkommenszuwachs im ersten Halbjahr 1970 je unselbständig Beschäftigten.
Die ist abgezogen, lieber Freund, ist schon weg, vorneweg: erst Bruttoeinkommen, dann Nettoeinkommen, alles weg, alles runter,
und die Preissteigerungen sind runter, für den Halbjahresdurchschnitt 1970 gegenüber dem ersten Halbjahr 1969. Da bleiben laut Statistischem Bundesamt plus 8,2 % je Kopf real und netto übrig. Das ist die amtliche Zahl, die nun auch Herr Höcherl bitte mal zur Kenntnis nehmen möchte.
Des ist der reale Einkommenzuwachs, der den Arbeitnehmern in dem ersten Halbjahr dieses Jahres im Vergleich zum vorigen Jahr zugewachsen ist nach Abzug aller Belastungen, auch der durch Preissteigerungen.