Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Katzer hat hier bedauert, daß diese Diskussion darunter leide, daß sie nicht von Sachlichkeit geprägt sei. Ich möchte ihm durchaus zustimmen, kann allerdings auch nicht finden, daß sein eigener Diskussionsbeitrag hier in diesem Sinne gewirkt habe.
Es ist nun einmal leider so, daß, wie in den Wald hineingerufen wird, es auch heraushallt. Herr Kollege Höcherl hat in unüberbietbarer Deutlichkeit klargemacht, daß es hier nicht um eine Sachdebatte gehe, sondern darum, vor den Landtagswahlkämpfen darzustellen, wer nun eigentlich das Recht gepachtet habe, wer nun eigentlich hier die Wahrheit vertrete. Sie haben es sehr deutlich gemacht, Herr Kollege Höcherl, indem Sie sich in dieser Diskussion zu dem Ausdruck „Inflation" bekannt haben. Ich meine, das ist es gerade, was wir in dieser Diskussion draußen nicht brauchen können.
Da ist die Grenze der Sachlichkeit überschritten.
Ich bestreite nicht, Herr Kollege Höcherl, daß die Inflation in der wissenschaftlichen und volkswirtschaftlichen Debatte ein gängiger Begriff ist und üblicherweise verwendet wird. Aber es ist wohl richtig, noch einmal daran zu erinnern, daß dieser Begriff der Inflation, wie er von der Opposition verwendet wird, draußen im Wahlkampf von der Masse der Bevölkerung verstanden wird als Geldentwertung wie nach dem ersten und dem zweiten Weltkrieg, die uns allen ja geläufig ist. Hier sollten wir klar unterscheiden, und das müßte die Grundlage für eine sachliche Debatte in diesem Hause einmal sein.
Die Milchmädchenrechnung, die der Kollege Dr. Heck mit dem Milliardenverlust der Sparer aufgestellt hat, ist, meine ich, kennzeichnend für die Art, wie Sie diese Debatte hier zu führen versuchen. Ich möchte daran erinnern, wie derselbe Kollege Heck, den ich aus meinem Wahlkreis sehr gut kenne, in der Frage der Aufwertung die Katastrophe für die Industrie an die Wand gemalt hat. Irren ist menschlich - wenn man sich an die Prognosen der CDU damals erinnert —, aber so selbstgerechtes Irren geht weit über das hinaus, was man uns hier zumuten sollte.
Deutscher Bundestag—6. Wahlperiode — 69. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 7. Oktober 1970 3841
Grüner
Sie mögen recht Nahen, gnädige Frau. Es ist richtig, so wie in den Wald hineingerufen wird, hallt es heraus. Ich möchte das für mich in Anspruch nehmen, und ich nehme nicht in Anspruch, hier etwa einen reinen Sachbeitrag geliefert zu haben. Ich bedauere, daß das nicht möglich ist, versuchte aber zu erklären, wie es zustande kam.
Wenn wir uns hier ehrlich unterhalten wollen, müßten wir an die Spitze einer solchen ehrlichen Unterhaltung die beiderseitige Einsicht stellen, daß niemand eine Prognose für die Zukunft abgeben kann und daß es deshalb unsere gemeinsame Aufgabe wäre, der Bevölkerung draußen zu sagen, daß wir uns um die Lösung dieser Probleme bemühen, aber keinen fest fixierten Wechsel auf die Zukunft ausstellen können.
Was die augenblickliche Konjunktursituation angeht, so hat Kollege Stoltenberg ja sehr differenziert darauf hingewiesen, wie wenig Möglichkeiten im Augenblick gegeben sind, zu beurteilen und zu erklären, wo anzusetzen ist. Er hat von einer sehr differenzierten Konjunkturlage gesprochen. Wenn wir diese Situation im Augenblick sehen, kann man jetzt nur eins feststellen: Wir sind auf der einen Seite von der Gefahr bedroht, daß insbesondere die private Nachfrage einen weiteren Preisanstieg induzieren kann, und auf der anderen Seite ist die Gefahr gegeben, daß es auf Grund der großen Preissteigerungen der letzten Monate und der in der bevorstehenden Zeit zu erwartenden Kostensteigerungen im Investitionsgüterbereich zu einem Rückgang kommt, der uns in eine schwierige Lage bringen kann. Mit dieser möglichen Entwicklung haben wir uns hier auseinanderzusetzen.
Ich möchte in diesem Zusammenhang an die Ausführungen meines Kollegen Kienbaum erinnern, der darauf hingewiesen hat, welche Rolle gerade die autonomen Tarifpartner in dieser Hinsicht spielen. Allerdings muß hinzugefügt und deutlich gemacht werden, daß die autonomen Tarifpartner nicht etwa im luftleeren Raum handeln, sondern daß sie ihrerseits Sachzwängen und Emotionalzwängen ausgesetzt sind, denen sie sich nicht entziehen können. So bleibt es der Regierung und unserer Politik überlassen, unsererseits Daten zu setzen, die es den autonomen Tarifpartnern unter den Voraussetzungen, die sie antreffen, dann auch erlauben, ihrer Einsicht entsprechend zu handeln. Es hätte uns sehr interessiert, zu diesem Komplex die Meinung der Opposition zu hören.
Herr Kollege Stoltenberg hat in einem sehr langen Referat auf die brennende Frage, was aus der Sicht der Opposition in dieser Hinsicht getan werden kann, mit ganzen vier Zeilen geantwortet. Herr Minister Schiller hat das dargestellt. Gerade an diesem Punkte wird doch deutlich, daß die Opposition nicht bereit ist, sich mit der brennenden Frage, was aus der Sicht der Opposition jetzt getan werden kann, in der Breite auseinanderzusetzen, wie es eigentlich notwendig wäre.
Wir Freien Demokraten haben uns für die Stabilität ausgesprochen. Wir haben uns in unserem politischen Handeln ständig der Stabilität verpflichtet gefühlt. Deshalb wundert es mich, daß Sie, Herr Kollege Höcherl, wenn ich es richtig gehört habe, hier die Behauptung aufgestellt haben, der Konjunkturzuschlag sei am Widerstand der Freien Demokraten gescheitert. Er hätte erst nach den Landtagswahlen verabschiedet werden können.
Dann habe ich Sie offenbar mißverstanden. Es erschien uns jedenfalls richtig, gerade die Form der Steuervorauszahlung zu wählen. Diese Vorauszahlungen sind ja einer Konjunkturrücklage zugeführt und sollen nicht- der Befriedigung eines erhöhten Staatsbedarfes dienen.
Wir sind der Meinung, daß das Stabilitätsgesetz ergänzt werden sollte. Wir müssen Möglichkeiten finden wie gesagt, auch durch eine Ergänzung des Stabilitätsgesetzes —, hier auf diesem Gebiet auch in Zukunft rasche Maßnahmen ergreifen zu können. Ich meine, daß sich das mit Überlegungen trifft, die hier Herr Kollege Stoltenberg angestellt hat und die auch von Herrn Minister Schiller aufgenommen worden sind.
Ich bin durchaus dafür, diese Debatte hier hart zu führen. Ich habe nichts dagegen, ja, ich halte es sogar für richtig, daß die Opposition die Preissteigerungen angreift, die wir ebenso bedauern und für ebenso verhängnisvoll halten, wie die CDU/CSU- Opposition es tut.
Wir glauben aber, daß es in dieser Lage von außerordentlicher Wichtigkeit ist, daß sich auch die Opposition ihrer Verantwortung bewußt wird und daß draußen ebenso sachlich argumentiert wird, wie es streckenweise in der Diskussion hier von ihren Sprechern versucht worden ist.
Es darf keine gespaltene Diskussion geben. Eine gespaltene Diskussion — darauf ist mehrfach hingewiesen worden hat ja den entscheidenden psychologischen Effekt, den wir unter allen Umständen verhindern müssen: daß nämlich das geglaubt wird, was hier und draußen an Inflationsthesen verkündet wird. Damit würde eine Entwicklung heraufbeschworen, die wir gemeinsam mit allen Kräften verhindern sollten.