Protokoll:
6064

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Metadaten
  • date_rangeWahlperiode: 6

  • date_rangeSitzungsnummer: 64

  • date_rangeDatum: 16. September 1970

  • access_timeStartuhrzeit der Sitzung: 09:00 Uhr

  • av_timerEnduhrzeit der Sitzung: 21:35 Uhr

  • account_circleMdBs dieser Rede
  • tocInhaltsverzeichnis
    Deutscher Bundestag 64. Sitzung Bonn, Mittwoch, den 16. September 1970 Inhalt: Nachruf auf den Abg. Lemmer . . . . . 3520 B Eintritt der Abg. Schmitz (Berlin), Brück (Köln) und Gallus in den Bundestag — Verzicht der Abg. Köppler und Dr. Dahrendorf auf die Mitgliedschaft . . . . 3501 A Glückwünsche zu den Geburtstagen der Abg. Dr. Preiß, Cramer, Müller (Berlin), Dr. Becker (Mönchengladbach), Schlee, Dr. Burgbacher und Dr. Schröder (Düsseldorf) 3501 B Überweisung von Vorlagen an Ausschüsse 3501 C Änderung der Überweisung des Entwurfs eines Zweiten Gesetzes über die Ausprägung von Olympiamünzen 3501 D Überweisung der Zusammenstellung der über- und außerplanmäßigen Haushaltsausgaben für das 4. Vierteljahr des Rechnungsjahres 1969 an den Haushaltsausschuß . . . .. . . . . . . . . 3502 A Amtliche Mitteilungen 3502 A Fragestunde (Drucksache W1138) Frage des Abg. Dr. Haack: Kommunale Kontakte mit Städten und Gemeinden in der DDR Herold, Parlamentarischer Staatssekretär 3507 A, B Dr. Haack (SPD) 3507 B Fragen des Abg. Vogt: Etablierung überhöhter Preise durch Preisempfehlungen — Preisempfehlungsverbote des Bundeskartellamts Rosenthal, Parlamentarischer Staatssekretär 3507 B, C, D Vogt (CDU/CSU) . . . . . . . 3507 C Fragen des Abg. Eckerland: Entlassungen im Ruhrbergbau vor dem 31. Oktober 1966 Rosenthal, Parlamentarischer Staatssekretär . . . . 3507 D, 3508 A Eckerland (SPD) . . . . . . . . 3508 A Frage des Abg. Dr. Schneider (Nürnberg); Verbesserung des Umweltschutzes durch Änderung der Gewerbeordnung Rosenthal, Parlamentarischer Staatssekretär 3508 B, C Dr. Schneider (Nürnberg) (CDU/CSU) 3508B Frage des Abg. Dr. Klepsch: Begriff der Demarkationslinie zur sowjetischen Besatzungszone Dorn, Parlamentarischer Staatssekretär . . . 3508 D, 3509 A Dr. Klepsch (CDU/CSU) . 3508 D, 3509 A Fragen des Abg. Barche: Unterbewertung der graduierten Ingenieure im öffentlichen Dienst Dorn, Parlamentarischer Staatssekretär 3509 B, C, D, 3510 A, C, D, 3511 A Barche (SPD) 3509 C, 3510 B Brück (Köln) (CDU/CSU) 3509 C, 3510 D Möhring (SPD) . . . 3509 D, 3510 C Becker (Nienberge) (SPD) 3510 D Frage des Abg. Bay: Koordination der wissenschaftlichen Tätigkeit auf dem Gebiet des Gesundheitsschutzes des Menschen und seiner Umwelt Dorn, Parlamentarischer Staatssekretär . . . . . . . 3511 B, C Dr. Brand (Pinneberg) (SPD) . . . . 3511 C Frage des Abg. Peiter: Waisenrente für Wehr- und Ersatzdienstpflichtige nach Vollendung des 18. Lebensjahres Rohde, Parlamentarischer Staatssekretär . . . . . . . . 3511 D Frage des Abg. Dr. Hauff: Berücksichtigung örtlicher Klimaverhältnisse bei der Gewährung von Schlechtwettergeld im Baugewerbe Rohde, Parlamentarischer Staatssekretär 3512 A, B Dr. Hauff (SPD) 3512 B Fragen des Abg. Härzschel: Tödliche Unfälle in Haushalt und Garten — Verstärkung der Unfallverhütungsmaßnahmen im privaten Bereich Rohde, Parlamentarischer Staatssekretär . . 3512 D, 3513 B, C, D, 3514 A, B, 3515 A Härzschel (CDU/CSU) . . 3513 B, 3514 A Burger (CDU/CSU) . . . 3513 D, 3514 B Geiger (SPD) . . . . . . . . . 3513 D von Hassel, Präsident 3514 C, D Frau Kalinke (CDU/CSU) . . . 3514 C, D Fragen des Abg. Dr. Beermann: Maßnahmen gegen die Fettleibigkeit der Soldaten Berkhan, Parlamentarischer Staatssekretär . . . 3515 B, D, 3516 A von Hassel, Präsident . . 3515 D, 3516 A Dr. Beermann (SPD) . . . . . . 3516 A Fragen des Abg. Dr. Schäfer (Tübingen) : Berichte über die Gefährlichkeit der sog. biologisch aktiven Waschmittel Dr. von Manger-Koenig, Staatssekretär 3516B, C Dr. Schäfer (Tübingen) (SPD) . . 3516 C Fragen des Abg. Dr. Enders: Voraussetzungen für die Gewährung der Ausbildungsbeihilfe für Schüler Dr. von Manger-Koenig, Staatssekretär . . . . . . . 3517 A, B Dr. Enders (SPD) 3517 B Frage des Abg. Dr. Geßner: Meldepflicht für Behinderte Dr. von Manger-Koenig, Staatssekretär 3517 C Fragen des Abg. Susset: Sozialhilfeempfänger mit kleinen Sparguthaben — Anpassung der Richtsätze an die Entwicklung Dr. von Manger-Koenig, Staatssekretär . . . 3517 D, 3518 A Susset (CDU/CSU) 3518 A Fragen des Abg. ,Strohmayr: Schutz der Insassen von Altersheimen vor Übervorteilung Dr. von Manger-Koenig, Staatssekretär . . . . . . . 3518 B, D Strohmayr (SPD) 3518 D Fragen des Abg. Schröder (Wilhelminenhof) : Bau der Bundesautobahn RuhrgebietOstfriesland Leber, Bundesminister 3519 A, B Frage des Abg. Dr. Riedl (München) : Abwicklung des Luftverkehrs aus Anlaß der Olympischen Spiele in München Leber, Bundesminister 3519 C Frage des Abg. Dr. Schneider (Nürnberg) : Forschungsvorhaben betr. die Konstruktion abgasfreier Motoren Leber, Bundesminister 3520 A Sammelübersicht 7 des Petitionsausschusses über Anträge von Ausschüssen des Deutschen Bundestages zu Petitionen (Drucksache VI/1050) 3520 D Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Einkommensteuergesetzes (Abg. Ott, Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 64. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 16. September 1970 III Stücklen, Gewandt, Dr. Kreile, Dr. Warnke, Niegel, Höcherl, von Bockelberg u. Gen.) (Drucksache VI/704) — Erste Beratung — 3520 D Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Umsatzsteuergesetzes (Mehrwertsteuer) (Abg. Strauß, Dr. Pohle, Engelsberger, Dr. Kreile, Kiechle, Dr. Althammer, Schlee, Weigl u. Gen.) (Drucksache M/366) — Erste Beratung — 3521 A Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über den Finanzausgleich zwischen Bund und Ländern (Drucksache VI/1098) — Erste Beratung — . . . . . 3521 A Entwurf eines Gesetzes zu dem Europäischen Übereinkommen vom 7. Juni 1968 zur Befreiung der von diplomatischen oder konsularischen Vertretern errichteten Urkunden von der Legalisation (Drucksache M/943) — Erste Beratung — 3521 B Entwurf eines Gesetzes zu dem Haager Übereinkommen vom 5. Oktober 1961 über die Zuständigkeit der Behörden und das anzuwendende Recht auf dem Gebiet des Schutzes von Minderjährigen (Drucksache M/947) — Erste Beratung — . . . 3521 B Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Durchführungsgesetzes EWG-Richtlinie Frisches Fleisch (Drucksache M/984) — Erste Beratung — . . . . . . . . . 3521 C Entwurf eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 9. Dezember 1969 zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung des Großherzogtums Luxemburg über den Verzicht auf die in Artikel 14 Abs. 2 EWG-Verordnung Nr. 36/63 vorgesehene Erstattung von Aufwendungen für Sachleistungen, welche bei Krankheit an Rentenberechtigte, die ehemalige Grenzgänger oder Hinterbliebene eines Grenzgängers sind, sowie deren Familienangehörige gewährt wurden (Drucksache M/1001) — Erste Beratung — 3521 C Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über die Statistik der Bevölkerungsbewegung und die Fortschreibung des Bevölkerungsstandes (Drucksache VI/ 1008) — Erste Beratung — 3521 D Entwurf eines Sechsten Gesetzes zur Änderung des Wehrsoldgesetzes (Drucksache VI/ 1011) — Erste Beratung — 3521 D Entwurf eines Gesetzes zur Europäischen Konvention vom 11. Dezember 1953 über die Gleichwertigkeit der Reifezeugnisse und zum Zusatzprotokoll vom 3. Juni 1964 (Drucksache VI/1012) — Erste Beratung — 3522 A Entwurf eines Gesetzes über das Fahrpersonal im Straßenverkehr (FahrpersGSt) (Drucksache VI/ 1060) — Erste Beratung — 3522 A Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über die Aufgaben des Bundes auf dem Gebiet der Binnenschiffahrt (Bundesrat) (Drucksache VI/1137) — Erste Beratung — 3522 B Entwurf eines Gesetzes über eine Zählung in der Land- und Forstwirtschaft (Landwirtschaftszählungsgesetz 1971) (Drucksache VI/1133) — Erste Beratung — . . . 3522 B Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über Bodennutzungs- und Ernteerhebung (Drucksache VI/1134) — Erste Beratung — 3522 C Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Handelsklassengesetzes (Drucksache VI/ 1135) — Erste Beratung — 3522 C Große Anfrage betr. Wiedereingliederung körperlich, geistig und seelisch Behinderter in Arbeit, Beruf und Gesellschaft (Rehabilitation) (Abg. Burger, Maucher, Härzschel, Rösing und Fraktion der CDU/ CSU) (Drucksachen M/665, M/896) Burger (CDU/CSU) . . . . . . . 3522 D Arendt, Bundesminister . 3527 C, 3543 C Glombig (SPD) 3530 B Schmidt (Kempten) (FDP) . . . . 3534 D Härzschel (CDU/CSU) . . . . . 3536 C Dr. Schmidt (Krefeld) (SPD) . . . 3538 D Dr. Riedl (München) (CDU/CSU) . 3540 A von Thadden (CDU/CSU) . . . . 3542 A Entwurf eines Gesetzes zur Fortführung der Krankenversicherungsreform (CDU/CSU) (Drucksache M/726) — Erste Beratung — in Verbindung mit Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Rechts der gesetzlichen Krankenversicherung (Zweites Krankenversicherungsänderungsgesetz — KVÄG) (Drucksache VI/1130) — Erste Beratung — Franke (Osnabrück) (CDU/CSU) . . 3544 C Arendt, Bundesminister . . . . . 3547 D Dr. Jungmann (CDU/CSU) . . . . 3550 A Dr. Schellenberg (SPD) . . . . . 3551 A Schmidt (Kempten) (FDP) . . . . 3554 B Vogt (CDU/CSU) 3557 A IV Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 64. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 16. September 1970 Killat-von Coreth (SPD) . . . . 3557 B Windelen (CDU/CSU) 3560 D Frau Kalinke (CDU/CSU) . . . 3561 C Geiger (SPD) 3564 D Härzschel (CDU/CSU) 3567 A Entwurf eines Gesetzes zur Änderung der Zivilprozeßordnung (Drucksache VI/790) — Erste Beratung — Jahn, Bundesminister . . 3568 A, 3573 D Dr. Hauser (Sasbach) (CDU/CSU) . . 3571 A Dr. Weber (Köln) (SPD) 3574 A Kleinert (FDP) . . . . . . . 3576 D Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Bundeskindergeldgesetzes (CDU/CSU) (Drucksache VI/903) — Erste Beratung — in Verbindung mit Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Änderung und Ergänzung des Bundeskindergeldgesetzes (Drucksache VI/939) — Erste Beratung — Köster (CDU/CSU) 3577 C Frau Strobel, Bundesminister . . 3580 A Vogt (CDU/CSU) . . . . . . . 3582 A Hauck (SPD) 3583 B Schmidt (Kempten) (FDP) 3587 C Entwurf eines Gesetzes zur Krankenversicherung der Landwirte (CDU/CSU) (Drucksache VI/970) — Erste Beratung — Horstmeier (CDU/CSU) 3589 B Arendt, Bundesminister 3590 D Peters (Poppenbüll) (FDP) . . . 3591 B Schonhofen (SPD) 3592 A Franke (Osnabrück) (CDU/CSU) . 3594 D Frau Kalinke (CDU/CSU) 3595 A Entwurf eines Zweiten Wohngeldgesetzes (Drucksache VI/1116) — Erste Beratung — Dr. Lauritzen, Bundesminister . . . 3596 A Geisenhofer (CDU/CSU) . . . . 3598 D Frau Meermann (SPD) 3602 B Wurbs (FDP) 3606 B Erpenbeck (CDU/CSU) 3607 C Dr. Schachtschabel (SPD) 3608 D Nächste Sitzung 3609 D Anlagen Anlage 1 Liste der beurlaubten Abgeordneten . . 3611 A Anlage 2 Stellungnahme des Bundesrates zum Gesetz zur Änderung und Ergänzung des Gesetzes für Jugendwohlfahrt . . . . 3611 C Anlage 3 Stellungnahme des Bundesrates zum Gesetz zur Änderung und Ergänzung bewertungsrechtlicher Vorschriften und des Einkommensteuergesetzes 3611 D Anlage 4 Schriftliche Antwort auf die Zusatzfrage des Abg. Reddemann zu der Mündlichen Frage des Abg. Meister betr. eine Maßnahme gegen die Erhöhung der Steuerausgleichsabgabe der DDR 3612 A Anlage 5 Schriftliche Antwort auf die Zusatzfrage des Abg. Wohlrabe zu der Mündlichen Frage des Abg. Meister betr. eine Intervention der Bundesregierung gegen die Erhöhung der Steuerausgleichsabgabe der DDR 3612 B Anlage 6 Schriftliche Antwort auf die Mündliche Frage des Abg. Haase (Kassel) betr. die Geltendmachung von Reparationsforderungen Polens gegenüber der Bundesrepublik 3612 C Anlage 7 Schriftliche Antwort auf die Mündlichen Fragen des Abg. Lampersbach betr. Verluste mittelständischer Unternehmen durch die Aufwertung 3612 D Anlage 8 Schriftliche Antwort auf die Mündlichen Fragen des Abg. Pieroth betr. Witwenrente für geschiedene unterhaltsberechtigte Frauen von Landwirten 3613 B Anlage 9 Schriftliche Antwort auf die Mündliche Frage des Abg. Peiter betr. Unterbindung der Verwendung von Zyklamaten . . . 3613 C Anlage 10 Schriftliche Antwort auf die Mündlichen Fragen des Abg. Schmidt (Kempten) betr. Haushaltsmittel zur Anschaffung von Notarzthubschraubern 3613 D Anlage 11 Schriftliche Antwort auf die Mündlichen Fragen des Abg. Dr. Pohle betr. Verteilung der nachträglich entsperrten 200 Millionen DM für den Straßenbau . . . . 3614 A 64. Sitzung Bonn, den 16. September 1970 Stenographischer Bericht Beginn: 9.00 Uhr
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    Berichtigung In dem Stenographischen Bericht der 60. Sitzung ist auf Seite 3321 D zwischen den Namen „Spillecke" und „Frau Strobel" der Name „Staak (Hamburg)" einzutragen. Anlage 1 Liste der beurlaubten Abgeordneten Abgeordneter) beurlaubt bis einschließlich a) Beurlaubungen Dr. Achenbach* 18. 9. Adams* 18. 9. Dr. Aigner * 18. 9. Dr. Artzinger * 18. 9. Behrendt * 18. 9. Dr. Burgbacher * 18. 9. Damm 16. 9. van Delden 16. 9. Dr. Dittrich * 18. 9. Dröscher * 18. 9. Faller* 18. 9. Fellermaier * 18. 9. Flämig* 18. 9. Dr. Furler * 18. 9. Geldner 17. 9. Gerlach (Emsland) * 18. 9. Dr. Götz 20. 9. Graaff 18. 9. Haage (München) * 18. 9. Dr. Hein * 18. 9. Dr. Jahn (Braunschweig) * 18. 9. Kater 16. 9. Klinker * 18. 9. Dr. Koch * 18. 9. Kriedemann " 18. 9. Lange* 18. 9. Langebeck 18. 9. Lautenschlager * 18. 9. Dr. Löhr * 18. 9. Lücker (München) * 18. 9. Meister * 18. 9. Memmel * 18. 9. Müller (Aachen-Land) * 18. 9. Müller (Remscheid) 17. 9. Frau Dr. Orth * 18. 9. Petersen 16. 9. Pieroth 16. 9. Richarts * 18. 9. Riedel (Frankfurt) " 16. 9. Dr. Ritgen 19. 9. Dr. Rutschke * 18. 9. Schneider (Königswinter) 16. 9. Schwabe * 18. 9. Dr. Schwörer * 18. 9. Seefeld * 18. 9. Springorum* 18. 9. Dr. Starke (Franken) * 18. 9. Strohmayr 16. 9. Unertl 18. 9. Werner * 18. 9. Wischnewski 16. 9. Wolfram* 18. 9. Wrede 18. 9. * Für die Teilnahme an einer Tagung des Europäischen Parlaments Anlagen zum Stenographischen Bericht Abgeordnete( beurlaubt bis einschließlich b) Urlaubsanträge Frau Dr. Diemer-Nicolaus 25. 9. Gewandt 23. 9. Heyen 18. 12. Horn 29. 9. Dr. Slotta 15. 10. Dr. Tamblé 30. 10. Westphal 26. 9. Wilhelm 30. 10. Anlage 2 Stellungnahme des Bundesrates zum Gesetz zur Änderung und Ergänzung des Gesetzes für Jugendwohlfahrt *) Der Bundesrat hat sich bei seiner Stellungnahme im ersten Durchgang dafür ausgesprochen, daß Doppelregelungen im BGB und im JWG beseitigt werden sollten. Der Bundestag hat bei der Verabschiedung des Gesetzes diesem Anliegen nicht Rechnung getragen. Der Bundesrat sieht im gegenwärtigen Zeitpunkt wegen der Eilbedürftigkeit des Gesetzes, das am 1. Juli 1970 in Kraft treten muß, davon ab, diese Frage durch Anrufung des Vermittlungsausschusses weiter zu verfolgen. Der Bundesrat bittet jedoch die Bundesregierung, bei der Neufassung des Jugendhilferechts dafür besorgt zu sein, daß Doppelregelungen im BGB und im JWG vermieden werden. Anlage 3 Stellungnahme des Bundesrates zum Gesetz zur Änderung und Ergänzung bewertungsrechtlicher Vorschriften und des Einkommensteuergesetzes **) Der Bundesrat begrüßt das Gesetz. Er bedauert jedoch, daß keine Vorschriften über die steuerliche Behandlung der zur Zeit wesentlichsten und vordringlichsten Maßnahmen zur Verbesserung der Agrarstruktur vorliegen. Er bittet deshalb die Bundesregierung, baldmöglichst einen entsprechenden Gesetzentwurf einzubringen. Vordringlich sind nach der Auffassung des Bundesrates vor allem folgende Regelungen: a) Kooperationen landwirtschaftlicher Erzeuger sollten steuerlich nicht durch eine Doppelbelastung mit Einkommen- und Körperschaftsteuer bei den Ertragsteuern, durch eine doppelte Belastung bei *) Siehe 62. Sitzung, Seite 3443 C, Zeile 15 **) Siehe 62. Sitzung, Seite 3443 C, Zeile 17 3612 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 64. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 16. September 1970 der Vermögensteuer und durch eine zusätzliche Belastung mit Gewerbesteuer benachteiligt werden. b) Die steuerliche Erfassung der Veräußerungsgewinne bei der Aufgabe landwirtschaftlicher Kleinbetriebe verzögert die sozialökonomische Umstrukturierung in der Landwirtschaft. Eine zeitlich befristete gesetzliche Regelung. sollte einen Steuerfreibetrag für alle die Fälle vorsehen, in denen die zuständige Behörde bestätigt, daß die Veräußerung der Verbesserung der Agrarstruktur dient. Anlage 4 Schriftliche Antwort des Parlamentarischen Staatssekretärs Dr. Reischl vom 29. Juli 1970 auf die Zusatzfrage des Abgeordneten Reddemann zu der Mündlichen Frage des Abgeordneten Meister *) . Durch das BdF-Schreiben vom 8. Mai 1970 ist im Benehmen mit den Finanzministern (Finanzsenatoren) der Länder angeordnet worden, daß für die Lieferungen und sonstigen Leistungen in das Gebiet der DDR eine Umsatzsteuer von 6 v. H. bzw. 3 v. H. (bisher 0 v. H.) erhoben wird und daß für die Lieferungen und sonstigen Leistungen aus dem Gebiet der DDR ein erhöhter Umsatzsteuer-Kürzungsbetrag von 11 v. H. bzw. 5,5 v. H. (bisher 4 v. H. bzw. 2 v. H.) gewährt wird. Durch diese Maßnahmen soll einerseits ein Anreiz zur Steigerung der Warenbezüge und Dienstleistungen aus der DDR gegeben und andererseits ein Dämpfungseffekt bei den Lieferungen in die DDR erzielt werden. Bekanntlich ist in letzter Zeit im innerdeutschen Handel ein Ungleichgewicht dadurch entstanden, daß die Lieferungen der Bundesrepublik Deutschland konstant die Gegenlieferungen der DDR überstiegen haben. Die Ursache hierfür liegt nicht zuletzt auch in den Nebenwirkungen der DM-Aufwertung. Die Bundesregierung sieht bei dieser Sachlage eine Änderung der Umsatzsteuerregelung nicht als geeignete Handhabe für Gegenmaßnahmen an. Anlage 5 Schriftliche Antwort des Parlamentarischen Staatssekretärs Dr. Reischl vom 29. Juli 1970 ,auf die Zusatzfrage des Abgeordneten Wohlrabe zu der Mündlichen Frage des Abgeordneten Meister **). Gegen die Erhöhung der Steuerausgleichsabgabe hat der Bundesfinanzminister in seinem an den DDR-Finanzminister gerichteten Schreiben vom *) Siehe 55. Sitzung, Seite 2826 B **) Siehe 55. Sitzung, Seite 2826 C 11. Mai 1970 Einspruch erhoben. Der Bundesfinanzminister hat darauf hingewiesen, daß die auf die Fahrzeuge aus der Bundesrepublik beschränkte Erhebung der Steuerausgleichsabgabe eine Diskriminierung darstellt und kein Beitrag zur Verbesserung der Beziehungen zwischen den beiden Staaten in Deutschland ist. Er hat vorgeschlagen, gemeinsam nach Lösungen zu suchen, die fiskalische Maßnahmen aller Art im Interesse der Verkehrsteilnehmer entbehrlich machen, und darüber in Verhandlungen einzutreten. Die Bundesregierung bedauert es sehr, daß es über die Modalitäten des Berlin-Verkehrs, insbesondere über die Erhebung von Gebühren und Abgaben, bisher keine vertraglichen Abmachungen gibt. Sie ist bereit, alle ihr zur Verfügung stehenden Möglichkeiten auszuschöpfen, damit vertragliche Regelungen erreicht werden, die auch den Beförderungsverkehr über das Gebiet der DDR umfassen. Diesem Ziel dient das vorbezeichnete Schreiben an den DDR-Finanzminister. Im übrigen darf ich bemerken, daß die Bundesregierung den innerdeutschen Handel nicht als geeignetes Mittel für Gegenmaßnahmen ansieht. Anlage 6 Schriftliche Antwort des Parlamentarischen Staatssekretärs Moersch vom 11. September 1970 auf die Mündliche Frage des Abgeordneten Haase (Kassel) (Drucksache VI/809 Frage A 99) : Ist eine vom Münchener Merkur in seiner Ausgabe vorn 6. Mai 1970 verbreitete Meldung zutreffend, wonach im Rahmen der deutsch-polnischen Gespräche die Geltendmachung von Reparations- oder Wiedergutmachungsforderungen gegenüber der Bundesrepublik Deutschland von polnischer Seite angekündigt worden ist? Die von Ihnen zitierte Pressemeldung trifft nicht zu. Die polnische Seite hat im Rahmen der deutschpolnischen Gespräche bisher Reparations- oder Wiedergutmachungsleistungen weder gefordert noch angekündigt. In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, daß die polnische Regierung am 24. August 1953 eine Erklärung abgegeben hat, mit der sie in einer auf ganz Deutschland bezogenen Formulierung vom 1. Januar 1954 an auf die weitere Zahlung von Reparationen verzichtet. Den Wortlaut dieser Erklärung habe ich Ihnen mit gleicher Post übersandt. Anlage 7 Schriftliche Antwort des Parlamentarischen Staatssekretärs Rosenthal vom 16. September 1970 auf die Mündlichen Fragen Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 64. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 16. September 1970 3613 des Abgeordneten Lampersbach (Drucksache VI/ 1138 Fragen A 21 und 22) : Ist der Bundesregierung bekannt, daß trotz ihrer ausdrücklichen Zusicherung, durch die Aufwertung der Deutschen Mark würden keine Nachteile entstehen, eine Reihe mittelständischer Unternehmen Verluste in Kauf nehmen mußten, da ihnen keine Ausgleichszahlungen gewährt worden sind? Ist sie bereit, diese Nachteile auszugleichen? Die Bundesregierung hat am 24. Oktober 1969 erklärt, daß die Aufwertung der D-Mark Auswirkungen auf strukturschwache Industriezweige und Dienstleistungsbereiche haben könne. Die zuständigen Ressorts der Bundesregierung seien deshalb beauftragt,. diese Auswirkungen im Laufe des kommenden Anpassungsprozesses ständig zu überprüfen. Diese Überprüfung findet im Rahmen der laufenden ministeriellen Arbeit statt. Bisher sind keine unzumutbaren Belastungen bekannt geworden, die tatsächlich auf die Aufwertung der DM zurückzuführen wären und denen im gesamtwirtschaftlichen Interesse entgegengewirkt werden müßte. Abgesehen von dem Sonderfall Landwirtschaft sieht die Bundesregierung keinen Anlaß für Ausgleichszahlungen. Davon unabhängig führt die Bundesregierung ihre vielfältigen strukturpolitischen Maßnahmen fort, um benachteiligten Bereichen der Volkswirtschaft eine reelle Chance zu geben, auch im internationalen Wettbewerb zu bestehen. Anlage 8 Schriftliche Antwort des Parlamentarischen Staatssekretärs Rohde vom 16. September 1970 auf die Mündlichen Fragen des Abgeordneten Pieroth (Drucksache VI/1138 Fragen A 34 und 35) : Ist dem Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung bekannt, daß en dem „Gesetz über eine Altershilfe für Landwirte" i. d. F. vom 3. Juli 1961 (BGBl. I S. 845) keine Regelung enthalten ist, die unterhaltsberechtigten geschiedenen Ehefrauen im Falle des Todes des Unterhaltspflichtigen eine Witwenrente gewährt, daß aber eine solche Regelung in der ursprünglichen Fassung des Gesetzes (BGBl. I S. 1063/1957) in § 3 Abs. 2 enthalten war und die Wegfallsgründe heute nicht mehr zutreffen? Ist der Bundesminister bereit, dafür Sorge zu tragen, daß auch geschiedenen unterhaltsberechtigten Frauen von Landwirten eine Witwenrente gewährt wird, so wie das in der sonstigen Sozialversicherung der Fall ist (I§ 1265, 592 RVO)? Es ist richtig, daß in der ersten Fassung des Gesetzes über eine Altershilfe für Landwirte (GAL) aus dem Jahre 1957 eine Verweisung auf die Vorschriften der Rentenversicherung über eine Rentengewährung an frühere Ehegatten vorhanden war. Diese Verweisung ist bei der Novellierung .des Gesetzes im Jahre 1961 gestrichen worden, da sie seinerzeit u. a. wegen der niedrigen Höhe des Altersgeldes der damaligen Bundesregierung nicht in das System der Altershilfe .für Landwirte zu passen schien. Die Bundesregierung arbeitet zur Zeit im Rahmen einer Änderung des Ehescheidungsrechts auch an Neuregelungen für das Unterhaltsrecht nach einer Ehescheidung. In diesem Zusammenhang werden die entsprechenden Vorschriften der Sozialversicherung und auch des Gesetzes über eine Altershilfe für Landwirte überprüft werden. Die entsprechenden Untersuchungen sind bereits, wie Sie sicherlich auch aus den öffentlichen Erörterungen wissen, im Gange. Anlage 9 Schriftliche Antwort des Staatssekretärs Dr. von Manger-Koenig vom 15. September 1970 auf die Mündliche Frage des Abgeordneten Peiter (Drucksache VI/ 1138 Frage A 41): Ist die Bundesregierung bereit, im Interesse der Volksgesundheit die Verwendung von Cyclamaten zu unterbinden? Das Bundesministerium für Jugend, Familie und Gesundheit läßt zur Zeit bei der FDA (Food and Drug Administration des amerikanischen Gesundheitsministeriums) in Washington klären, ob und inwieweit neue wissenschaftliche Erkenntnisse die amerikanische Behörde dazu veranlaßt haben, ab 1. September 1970 in den USA ein völliges Verbot für Cyclamat auszusprechen. Im übrigen möchte ich darauf hinweisen, daß die Cyclamatfrage in der Bundesrepublik stets mit besonderer Sorgfalt geprüft worden ist und daß die Verwendung von Cyclamaten von vornherein erheblichen Beschränkungen unterworfen war. Im Anschluß an das Bekanntwerden neuer amerikanischer Versuchsergebnisse im vergangenen Jahr hat das Bundesministerium für Jugend, Familie und Gesundheit nach eingehender Beratung mit führenden Krebsforschern, Toxikologen und Diabetologen ferner mit Erfolg auf den Abschluß einer Vereinbarung hingewirkt, in der sich die cyclamatherstellende und -verarbeitende Industrie mit zusätzlichen Einschränkungen einverstanden erklärte. Dies gilt insbesondere für eine engere Abgrenzung der Personengruppen, denen man allein den Verzehr von Cyclamat aus medizinischen Gründen zugestehen will. Diese Vereinbarung soll nun im wesentlichen in eine Rechtsverordnung überführt werden. Die Bundesregierung wird, sofern neue wissenschaftliche Erkenntnisse über die Wirkung von Cyclamaten dies im Interesse der Volksgesundheit erfordern, die Verwendung von Cyclamaten weiter einschränken oder ganz verbieten. Anlage 10 Schriftliche Antwort des Parlamentarischen Staatssekretärs Börner vom 16. September 1970 auf die Mündlichen Fragen des Abgeordneten Schmidt (Kempten) (Drucksache VI/ 1138 Fragen A 52 und 53) : Welche Konsequenzen gedenkt die Bundesregierung aus den Feststellungen zu ziehen, daß bereits durch den Einsatz eines zusätzlichen Notarzthubschraubers mit Kosten von etwa einer Million 30 Verkehrstote rechtzeitig gerettet werden könnten? Ist die Bundesregierung bereit, entsprechende Haushaltsmittel zur Anschaffung von Notarzthubschraubern zur Verfügung zu 3614 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 64. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 16. September 1970 stellen, um damit die Automobilverbände und die Industrie in die Lage zu versetzen, eine größere Anzahl solcher Notarzthubschrauber sobald als möglich zur Verkehrssicherheit zum Einsatz zu bringen? Die Bundesregierung kann auf dem Gebiet des Unfallrettungswesens im Straßenverkehr nur ergänzend und koordinierend wirken, da diese Aufgabe nach dem Grundgesetz in die Zuständigkeit der Länder fällt. Die Feststellung, auf die sich die Anfrage bezieht, beruht auf Schätzungen, gegen die von Sachverständigen Bedenken erhoben werden. Ich habe daher die Bundesanstalt für Straßenwesen mit einer Überprüfung der fraglichen Feststellung beauftragt. Da die Zuständigkeit des Bundes für den Unfallrettungsdienst nicht gegeben ist, stehen der Bundesregierung Haushaltsmittel zur Anschaffung einer Flotte von 50 Rettungshubschraubern nicht zur Verfügung. In Fortführung der bisherigen Modellversuche mit angemieteten Hubschraubern wird in Kürze der erste echte Rettungshubschrauber der Bundesrepublik Deutschland in Betrieb genommen werden. Zu seiner Beschaffung hat der Bundesminister für Verkehr einen namhaften Zuschuß geleistet. Anlage 11 Schriftliche Antwort des Parlamentarischen Staatssekretärs Börner vom 16. September 1970 auf die Mündlichen Fragen des Abgeordneten Dr. Pohle (Drucksache VI/1138 Fragen A 54 und 55) : An welche Länder sind die im Haushaltsausschuß für den Etat des Verkehrsministers (Straßenbau) auf Antrag des Abgeordneten Leicht nachträglich entsperrten 200 Millionen DM verteilt worden? Wie ist sichergestellt, daß diese Mittel entsprechend der im Haushaltsausschuß beschlossenen Auflage nur für Baumaßnahmen in strukturschwachen Gebieten verwandt werden? Der entsprechende Betrag von 200 Millionen DM wurde wie folgt verteilt: in Millionen DM Land Bundesstraßen BundesautobahnNeubau zusammen und Betriebsstrecken der BAB 1 2 I 3 4 BadenWürttemberg 10,0 — 10,0 Bayern 40,0 10,0 50,0 Hessen 25,0 5,0 30,0 Niedersachsen 15,0 10,0 25,0 NordrheinWestfalen 15,0 20,0 35,0 Rheinland-Pfalz 20,0 10,0 30,0 Saarland 5,0 — 5,0 Schleswig-Holstein 10,0 5,0 15,0 zusammen 140,0 60,0 200,0 Die vorstehende Bemessung orientierte sich am Flächenanteil strukturschwacher Gebiete des jeweiligen Landes. Hierunter sind insbesondere das Zonenrandgebiet, aber auch die Bundesausbau-gebiete sowie Räume der regionalen Aktionsprogramme zu verstehen. Der Anteil Bayerns mit 50 Millionen DM = 25 % des Gesamtbetrages wurde hiervon abweichend mit der Maßgabe festgelegt, daß ein Teilbetrag von rd. 20 Millionen DM zugunsten vordringlicher Bauobjekte des Olympia-Programms im Raume München zu verwenden sind. Die beteiligten obersten Straßenbaubehörden der Länder haben mit Schreiben vom 20. Juli 1970 (StB 1/Z 5 — Fha [1970] — 1028 Vmz 70) eine Liste erhalten, die alle Maßnahmen enthält, die mit dem aus der Haushaltssperre für strukturschwache Gebiete freigegebenen Betrag von 200 Millionen DM zu bedienen sind. Damit ist sichergestellt, daß — mit Ausnahme der 20 Millionen DM für die Olympiamaßnahmen im Raume München — der ausgewiesene Betrag den strukturschwachen Gebieten zugute kommt.
Gesamtes Protokol
Kai-Uwe von Hassel (CDU):
Rede ID: ID0606400000
Die Sitzung ist eröffnet.
Meine Damen und Herren, ich begrüße Sie nach der Sommerpause und hoffe, daß Sie leidlich erholt und gestärkt in die neue Herbst- und Winterarbeit zurückgekehrt sind.
Ich habe zunächst, bevor wir in die Fragestunde eintreten, eine Reihe von Bekanntmachungen vorzutragen.
Ich weise darauf hin, daß wir um 10 Uhr unseres Kollegen Lemmer gedenken. Für ihn hat der Abgeordnete Schmitz (Berlin) die Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag erworben. Ich darf ihn in unserer Runde sehr herzlich willkommen heißen.

(Beifall.)

Für den durch Verzicht mit Wirkung vom 8. August 1970 ausgeschiedenen Abgeordneten Köppler hat der Abgeordnete Brück, ein alter Bekannter in diesem Hause, am 14. August 1970 die Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag erworben. Ich begrüße den Herrn Kollegen Brück ebenfalls wieder sehr herzlich bei uns.

(Beifall.)

Für den durch Verzicht mit Wirkung vom 25. August 1970 ausgeschiedenen Abgeordneten Dr. Dahrendorf hat der Abgeordnete Gallus am 10. September 1970 die Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag erworben. Ich darf Sie, Herr Kollege Gallus, herzlich begrüßen.

(Beifall.)

Alsdann haben wir eine ganze Reihe von Glückwünschen zu runden Geburtstagen auszusprechen. Am 25. Juli hat der Abgeordnete Dr. Preiß seinen 60. Geburtstag gefeiert, am 29. Juli der Abgeordnete Cramer seinen 65. Geburtstag, am 5. August der Abgeordnete Müller (Berlin) seinen 65. Geburtstag, am 7. August der Abgeordnete Dr. Becker (Mönchengladbach) seinen 65. Geburtstag, am 25. August der Abgeordnete Schlee seinen 60. Geburtstag, am 1. September der Abgeordnete Professor Dr. Burgbacher seinen 70. Geburtstag und am 11. September der Abgeordnete Dr. Schröder (Düsseldorf) seinen 60. Geburtstag. Ich darf allen unseren Kollegen, die
ich soeben aufführte, die herzlichen Glückwünsche des ganzen Hauses übermitteln.

(Beifall.)

Meine Damen und Herren, es liegt Ihnen eine Liste von Vorlagen vor, die keiner Beschlußfassung bedürfen und die nach § 76 Abs. 2 der Geschäftsordnung den zuständigen Ausschüssen überwiesen werden sollen:
Vorlage des Sprechers der Deutschen Delegation bei der Versammlung der Westeuropäischen Union
Betr. Bericht über den ersten Teil der 16. Sitzungsperiode
der Versammlung der Westeuropäischen Union am 1. und 2. Juni 1970 in Paris
- Drucksache VI/981 -
zuständig: Auswärtiger Ausschuß (federführend)

Ausschuß für Bildung und Wissenschaft
Vorlage des Bundeskanzlers
Betr. Jahresbericht 1968/69 der Bundesregierung zur Luft-
und Raumfahrtindustrie und Basisprogramm für die deutsche Luft- und Raumfahrtindustrie 1970 bis 1974
Bezug: Beschluß des Bundestages vom 5. April 1968
- Drucksache VI/1044 -
zuständig: Ausschuß für Wirtschaft (federführend) Verteidigungsausschuß
Ausschuß für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen
Ausschuß für Bildung und Wissenschaft
Vorlage des Bundesministers des Auswärtigen
Betr. Weiterer Bericht der Bundesregierung über die Auswirkungen des Soltau-Lüneburg-Abkommens
Bezug: Beschluß des Bundestages vom 27. November 1968
- Drucksache V1/1073 -
zuständig: Innenausschuß (federführend)

Auswärtiger Ausschuß
Verteidigungsausschuß
Vorlage des Bundesministers des Innern
Betr. Sportförderung
Bezug: Beschluß des Bundestages vom 6. Mai 1970
- Drucksache VI/1122 -
zuständig: Sonderausschuß für Sport und Olympische Spiele (federführend)

Haushaltsausschuß
Vorlage des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung Betr. Bericht der Bundesregierung zu Fragen der Rentenversicherung
Bezug: Beschluß des Bundestages vom 2. Juli 1969
- Drucksache VI/1126 -
zuständig: Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung
Vorlage des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung Betr. Berufliche Rehabilitation
Bezug: Beschluß des Bundestages vom 2. Juli 1969
- Drucksache VI/1127 -
zuständig: Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung
Erhebt sich gegen die beabsichtigte Überweisung Widerspruch? - Das ist nicht der Fall.
Der Ältestenrat schlägt Ihnen vor, die Federführung für den Entwurf eines Zweiten Gesetzes über die Ausprägung von Olympiamünzen - Drucksache VI/743 -, die in der 56. Sitzung des Deutschen Bundestages am 4. Juni 1970 dem Sonderausschuß für

Präsident von Hassel
Sport und Olympische Spiele übertragen wurde, jetzt dem Ausschuß für Wirtschaft zu übergeben. Der Sonderausschuß für Sport und Olympische Spiele soll neben dem Haushaltsausschuß und dem Finanzausschuß mitberatend bleiben. Ist das Haus damit einverstanden? - Ich höre keinen Widerspruch; es ist so beschlossen.
Der Bundesminister der Finanzen hat am 17. Juli 1970 gemäß § 33 Abs. 1 der Reichshaushaltsordnung die Zusammenstellung der über- und außerplanmäßigen Haushaltsausgaben im Betrag von 10 000 DM und darüber für das 4. Vierteljahr des Rechnungsjahres 1969 - Drucksache VI/1054 - übersandt. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung wird diese Vorlage dem Haushaltsausschuß überwiesen. Ist das Haus damit einverstanden? - Ich sehe keinen Widerspruch; dann ist so beschlossen.
Die folgenden amtlichen Mitteilungen werden ohne Verlesung in den Stenographischen Bericht aufgenommen:
Der Bundesrat hat in seiner Sitzung am 15. Juli 1970 dem
Gesetz über die Erhebung eines rückzahlbaren Konjunkturzuschlags zur Einkommensteuer und Körperschaftsteuer
zugestimmt.
Der Bundesminister für Verkehr hat am 10. Juli 1970 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Lemmrich. Schmitt (Lockweiler), Vehar, Kiechle, Niegel, Unertl und Genossen betr. Zunahme der Verkehrstoten - Drucksache VI/963 - beantwortet. Sein Schreiben ist als Drucksache VI/1037 verteilt.
Der Bundesminister für Verkehr hat am 10. Juli 1970 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Dr. Apel, Grobecker, Haar (Stuttgart), Ollesch und Genossen und der Fraktionen der SPD, FDP betr. Schiffsbesetzungsordnung - Drucksache VI/891 - beantwortet. Sein Schreiben ist als Drucksache VI/1038 verteilt.
Der Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit hat am 13. Juli 1970 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Vogel, Erhard (Bad Schwalbach), Dr. Jaeger, Prinz zu Sayn-Wittgenstein-Hohenstein, Petersen, von Thadden und Genossen betr. Bekämpfung des Mißbrauchs von Rauschgiften und Drogen -Drucksache VI/865 - beantwortet. Sein Schreiben ist als Drucksache VI/1040 verteilt.
Der Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit hat
am 13. Juli 1970 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Picard, Dr. Martin, Dr. Jungmann, Haase (Kassel), Dr. Götz, Burger, Prinz zu Sayn-Wittgenstein-Hohenstein, von Thadden, Köster, Frau Stommel und Genossen und der Fraktion der CDU/CSU betr. Erziehungsberatungsstellen - Drucksache VI/949 - beantwortet. Sein Schreiben ist als Drucksache VI/1041 verteilt.
Der Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit hat
am 14. Juli 1970 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Leicht, Bremm, Dr. Wagner (Trier), Richarts, Dr. Ritz, Dr. Schulze-Vorberg, Susset, Dr. Hauser (Sasbach), Dr. Gölter, Alber und der Fraktion der CDU/CSU betr. Anwendung der weinbaurechtlichen Bestimmungen der Gemeinsamen Weinmarktorganisation - Drucksache VI/971 - beantwortet. Sein Schreiben ist als Drucksache VI/1045 verteilt.
Der Bundesminister für Bildung und Wissenschaft hat am 21. Juli 1970 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Rollmann, Dr. Jungmann, Rock, Stahlberg und Genossen betr. Durchführung der Rahmenvereinbarung über die Fachoberschule der Kultusministerkonferenz vom 6. Februar 1969 - Drucksache VI/953 - beantwortet. Sein Schreiben ist als Drucksache VI/1055 verteilt.
Der Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit hat am 21. Juli 1970 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Frau Schroeder (Detmold), Frau Brauksiepe, Frau Griesinger, Frau Stommel, Frau Jacobi (Marl), Frau Pieser und Genossen betr. familienpolitisdie Modellmaßnahmen - Drucksache VI/1039 - beantwortet. Sein Schreiben ist als Drucksache VI/1056 verteilt.
Der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung hat am 21. Juli 1970 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Liehr, Schmidt (Kempten) und der Fraktionen der SPD, FDP betr. Jugendarbeitsschutz - Drucksache VI/986 - beantwortet. Sein Schreiben ist als Drucksache VI/1059 verteilt.
Der Parlamentarische Staatssekretär beim Bundesminister des Auswärtigen hat am 21. Juli 1970 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Stücklen, Wagner (Günzburg), Dr. Riedl (München) und Genossen betr. Unterstützung von Vorhaben zur Förderung des europäischen Gedankens und der kulturellen Beziehungen zum Ausland - Drucksach VI/1018 - beantwortet. Sein Schreiben ist als Drucksache VI/1062 verteilt.
Der Bundesminister für Wirtschaft hat am 23. Juli 1970 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Höcherl, Dr. Warnke, Leicht, Stücklen, Dr. Ritz, Dr. Müller-Hermann und Genossen betr. Strukturpolitik - Drucksache VI/1014 - beantwortet. Sein Schreiben ist als Drucksache VI/1067 verteilt.
Der Parlamentarische Staatssekretär beim Bundesminister der Finanzen hat am 24. Juli 1970 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Strauß, Leicht, Dr. Pohle, Dr. Althammer, Höcherl und Genossen betr. Investitionsprogramm des Bundes für die Jahre bis 1973 - Drucksache VI/1035 - beantwortet. Sein Schreiben ist als Drucksache VI/1069 verteilt.
Der Bundesminister für Bildung und Wissenschaft hat am 23. Juli 1970 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Dr. Martin, Dr. Müller-Hermann, Krammig, Dr, Kotowski, Pfeifer, Dr. Hubrig, Dr. Probst, Dr. Huys, Lenzer, Dr. Gölter und Genossen betr. hochschulpolitische Entwicklung in Bremen - Drucksache VI/1028 - beantwortet. Sein Schreiben ist als Drucksache VI/1072 verteilt.
Der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung hat am 29. Juli 1970 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Katzer, Dr. Stoltenberg und der Fraktion der CDU/CSU betr. Überschüsse der Sozialversicherung im Jahre 1970 - Drucksache VI/980 - beantwortet. Sein Schreiben ist als Drucksache VI/1074 verteilt.
Der Bundesminister des Innern hat am 29. Juli 1970 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Jung, 011esch, Krall, Buchstaller und der Fraktionen der SPD, FDP betr. Fliegerzulage und ruhegehaltsfähige Stellenzulage - Drucksache VI/1043 - beantwortet. Sein Schreiben ist als Drucksache VI/1075 verteilt.
Der Bundesminister der Finanzen hat am 4. August 1970 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Hirsch, Dichgans, Mertes, Dr. Müller (München) und Genossen betr. Maßnahmen gegen die Einschränkung des Haushaltsrechts der Parlamente durch die Institution der Gemeinschaftsaufgaben - Drucksache VI/1057 (neu) - beantwortet. Sein Schreiben ist als Drucksache VI/1078 verteilt.
Der Bundesminister für Verkehr hat am 5. August 1970 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Hirsch, Dichgans, Mertes und Genossen betr. Transport gefährlicher Flüssigkeiten - Drucksache VI/1052 - beantwortet. Sein Schreiben ist als Drucksache VI/1079 verteilt.
Der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung hat am 7. August 1970 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Katzer, Dr. Stoltenberg, Dr. Götz, Dr. Müller-Hermann, Dr. Pohle und der Fraktion der CDU/CSU betr. Sozialbericht, gesamtwirtschaftliche Zielprojektion und mehrjährige Finanzplanung - Drucksache VI/1065 - beantwortet. Sein Schreiben ist als Drucksache VI/1085 verteilt.
Der Bundesminister für Verkehr hat am 10. August 1970 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Stücklen, Strauß, Höcherl, Lemmrich, Wagner (Günzburg), Dr. Pohle, Dr. Riedl (München) und Genossen betr. 2. Ausbauplan für die Bundesfernstraßen und 1. Fünfjahresplan 1971 bis 1975 - Drucksache VI/1034 - beantwortet. Sein Schreiben ist als Drucksache VI/1086 verteilt.
Der Bundesminister für Wirtschaft hat am 12. August 1970 die Kleine Anfrage des Abgeordneten Strauß und Genossen betr. Zahlungsverkehr mit der Ost-Berliner Deutschen Notenbank - Drucksache VI/1068 - beantwortet. Sein Schreiben ist als Drucksache VI/1097 verteilt.
Der Bundesminister des Innern hat am 21. August 1970 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Dr. Riedl (München), Stücklen, Strauß, Wagner (Günzburg), Dr. Warnke, Röhner, Höcherl, Dr. Dollinger, Dr. Schulze-Vorberg, Spilker, Niegel und Genossen betr. Ausstattung des Technischen Hilfswerks (THW) mit Fahrzeugen und Gerätschaften - Drucksache VI/1082 - beantwortet. Sein Schreiben ist als Drucksache VI/1113 verteilt.
Der Bundesminister des Innern hat am 25. August 1970 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Hirsch, Dichgans, Mertes und Genossen betr. Schwefelgehalt des leichten Heizöls - Drucksache Vl/1053 - beantwortet. Sein Schreiben ist als Drucksache VI/1115 verteilt.
Der Bundesminister des Innern hat am 26. August 1970 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Stücklen, Wagner (Günzburg), Dr. Riedl (München), Geisenhofer, Dr. Kreile, Dr. Schneider (Nürnberg), Dr. Franz, Ziegler und Genossen betr. in der Bundesrepublik Deutschland lebende Personen (anerkannte politische Häftlinge) nach Rückkehr aus Straflagern der UdSSR und „DDR", hier: Entschädigung nach dem Häftlingshilfegesetz (HHG) - Drucksache VI/1077 - beantwortet. Sein Schreiben ist als Drucksache VI/1119 verteilt.
Der Bundesminister für Wirtschaft hat am 28. August 1970 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Dr. Warnke, Höcherl, Stücklen, Dr. Müller-Hermann, Spilker, Niegel, Dr. Dollinger, Dr. Ritz und Genossen betr. Förderung der Wirtschaftsstruktur - Drucksache VI/1047 - beantwortet. Sein Schreiben ist als Drucksache VI/1120 (neu) verteilt.
Der Bundesminister für Wirtschaft hat am 28. August 1970 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Zebisch, Höhmann (Hessisch Lichtenau), Dr. Müller (München), Dr. Haack, Seidel, Marx (München), Schmidt (Kempten) und Genossen betr. Ergebnisse der Regionalen Strukturpolitik - Drucksache VI/975 - beantwortet. Sein Schreiben ist als Drucksache VI/1121 verteilt.
Der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung hat am 31. August 1970 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Rollmann, Müller (Remscheid), Frau Stommel, Orgaß, Dr. Jungmann und Genossen betr. Fortzahlung des Arbeitentgelts für berufstätige Mütter, die wegen notwendiger Betreuung ihres kranken Kindes ihrem Arbeitsplatz in der freien Wirtschaft fernbleiben müssen - Drucksache VI/721 - beantwortet. Sein Schreiben ist als Drucksache VI/1123 verteilt.
Der Parlamentarische Staatssekretär beim Bundesminister der, Finanzen hat am 31. August 1970 die Kleine Anfrage der Ab-



Präsident von Hassel
geordneten Dr. Pohle, Strauß, Leicht, Höcherl, Röhner und Genossen betr. Finanzierung der Europäischen Gemeinschaften — Drucksache VI/1036 — beantwortet. Sein Schreiben ist als Drucksache VI/1124 verteilt.
Der Bundesminister des Innern hat am 4. September 1970 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Strauß, Stücklen, Dr. Zimmermann, Wagner (Günzburg), Dr. Dollinger, Höcherl, Biehle, Gierenstein, Lemmrich und Genossen betr. Verletzung des Luftraums der Bundesrepublik Deutschland an der Demarkationslinie zur DDR — Drucksache VI/1081 — beantwortet. Sein Schreiben ist als Drucksache VI/1128 verteilt.
Der Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit hat am 11. September 1970 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Katzer, Dr. Götz, Dr. Schneider (Nürnberg), Dr. Jungmann und der Fraktion der CDU/CSU betr. Krankenhausfinanzierung — Drucksache V1/988 — beantwortet. Sein Schreiben wird als Drucksache VI/1141 verteilt.
Das Schreiben des Herrn Bundespräsidenten vom 23. April 1970 über die Nichtausfertigung des Architektengesetzes wird als Drucksache VI/1143 verteilt.
Der Bundesminister für das Post- und Fernmeldewesen hat am 21. August 1970 unter Bezugnahme auf § 19 Abs. 6 des Postverwaltungsgesetzes den Geschäftsbericht der Deutschen Bundespost über das Rechnungsjahr 1969 mit der Bitte um Kenntnisnahme vorgelegt. Der Bericht ist als Drucksache VI/1118 verteilt.
Der Bundeskanzler hat am 25. August 1970 gemäß § 32 Abs. 6 des Bundesbahngesetzes vom 13. Dezember 1951 den Jahresabschluß der Deutschen Bundesbahn für das Geschäftsjahr 1968 übersandt, der im Archiv zur Kenntnisnahme ausliegt.
Der Präsident des Bundesversicherungsamtes hat am 12. August 1970 die Abrechnung für die Rentenversicherung der Arbeiter für das Kalenderjahr 1969 übersandt, die im Archiv zur Kenntnisnahme ausliegt.
Der Vorsitzende des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten hat am 15. Juli 1970 mitgeteilt, daß gegen die nachfolgenden Verordnungen seitens des Ausschusses keine Bedenken erhoben wurden:
Verordnung (EWG) Nr. 1084/70 des Rates vom 9. Juni 1970 zur Festsetzung des Ausgleichsbetrags für Hartweizen und Gerste, die am Ende des Wirtschaftsjahres 1969/70 eingelagert und zur Ausfuhr bestimmt sind
Verordnung (EWG) Nr. 968/70 des Rates vom 26. Mai 1970 zur Festsetzung des Grundpreises und des Ankaufspreises für Zitronen
Verordnung (EWG) Nr. 969/70 des Rates vom 26. Mai 1970 zur Festsetzung des Grundpreises und des Ankaufspreises für Pfirsiche

(EWG Nr. 970/70 des Rates vom 26. Mai 1970 zur Festsetzung des Grundpreises und des Ankaufspreises für Tomaten Verordnung Der Vorsitzende des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten hat am 29. Juli 1970 mitgeteilt, daß der Ausschuß gegen die Verordnung für Flachs und Hanf für das Vermarktungsjahr 1970/71 — Drucksache VI/1002 —, die inzwischen im Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften Nr. L 155 vom 16. Juli 1970 veröffentlicht worden ist, keine Bedenken erhebt. Der Präsident des Deutschen Bundestages hat am 8. September 1970 gemäß § 96 a der Geschäftsordnung die von der Bundesregierung als dringlich bezeichnete Verordnung zur Änderung des Deutschen Teil-Zolltarifs — Drucksache VI/1131 — Verordnung zur Änderung des Deutschen Teil-Zolltarifs — Drucksache VI/1132 — mit der Bitte um fristgerechte Behandlung an den Ausschuß für Wirtschaft überwiesen. Die Stellungnahme des Bundesrates zum Entwurf eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 22. April 1970 zur Änderung bestimmter Haushaltsvorschriften der Verträge zur Gründung der Europäischen Gemeinschaften und des Vertrages zur Einsetzung eines gemeinsamen Rates und einer gemeinsamen Kommission der Europäischen Gemeinschaften ist als Drucksache zu V1/879 verteilt. Die Mündlichen Anfragen für die Monate Juli und August werden zusammen mit den dazu erteilten Schriftlichen Antworten als Drucksachen VI/1114, VI/1129 und zu VI/1129 verteilt. Der Präsident des Bundestages hat entsprechend dem Beschluß des Bundestages vom 25. Juni 1959 die nachstehenden Vorlagen überwiesen: EWG-Vorlagen Verordnung des Rates gemäß dem Beschluß vom 21. April 1970 über die Ersetzung der Finanzbeiträge der Mitgliedstaaten durch eigene Mittel der Gemeinschaften — Drucksache VI/956 — überwiesen an den Haushaltsausschuß Ermächtigungsverordnung des Rates zum Erlaß von Gruppenfreistellungsverordnungen Änderungsverordnung des Rates zu Art. 4 der Verordnung Nr. 17 vom 6. Februar 1962 — Drucksache VI/982 — überwiesen an den Ausschuß für Wirtschaft mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat Richtlinie über die Verwirklichung der Niederlassungsfreiheit und des freien Dienstleistungsverkehrs für die selbständigen Tätigkeiten des Tierarztes Vorschlag einer Richtlinie über die gegenseitige Anerkennung der Diplome, Prüfungszeugnisse und sonstigen Befähigungsnachweise des Tierarztes Vorschlag einer Richtlinie zur Koordinierung der Rechtsund Verwaltungsvorschriften für die selbständigen Tätigkeiten des Tierarztes Vorschlag einer Empfehlung des Rates betreffend die Staatsangehörigen des Großherzogtums Luxemburg, die Inhaber eines in einem Drittstaat ausgestellten tierärztlichen Diploms sind — Drucksache VI/983 — überwiesen an den Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit Richtlinie — Drucksache VI/991 — überwiesen an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat Verordnung des Rates zur Änderung der Regelung der Bezüge und der sozialen Sicherheit der Atomanlagenbediensteten der Gemeinsamen Kernforschungsstelle, die in der Bundesrepublik Deutschland dienstlich verwendet werden — Drucksache VI/993 — überwiesen an den Innenausschuß Verordnung des Rates über die Differenzierung der Erstattung bei der Ausfuhr von Kaseinaten — Drucksache VI/994 — überwiesen an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat Verordnung — Drucksache VI/995 — überwiesen an den Innenausschuß Verordnung — Drucksache VI/996 — überwiesen an den Innenausschuß Verordnung Drucksache VI/997 — überwiesen an den Ausschuß für Wirtschaft mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat Verordnung des Rates zur Änderung der Verordnung Entwurf einer Verordnung — Drucksache VI/998 — überwiesen an den Ausschuß für Wirtschaft mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat Präsident von Hassel Verordnung Verordnung Verordnung Verordnung — Drucksache VI/999 — überwiesen an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat Verordnung — Drucksache VI/1002 — überwiesen an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat Verordnung — Drucksache VI/1003 — überwiesen an den Ausschuß für Wirtschaft mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat Verordnung Verordnung — Drucksache VI/1004 — überwiesen an den Ausschuß für Wirtschaft Verordnung — Drucksache VI/1007 — überwiesen an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Richtlinie des Rates über die Verwirklichung der Niederlassungsfreiheit und des freien Dienstleistungsverkehrs für die selbständigen Tätigkeiten des Reisegewerbes über die Einzelheiten der Übergangsmaßnahmen auf dem Gebiet der selbständigen Tätigkeiten des Reisegewerbes — Drucksache VI/1026 —überwiesein an den Ausschuß für Wirtschaft mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat Richtlinie des Rates zur Koordinierung der Schutzbestimmungen, die in den Mitgliedstaaten den Gesellschaften im Sinne des Artikels 58 Absatz 2 des Vertrages im Interesse der Gesellschafter sowie Dritter bei Fusionen von Aktiengesellschaften vorgeschrieben sind — Drucksache VI/1027 — überwiesen an den Rechtsausschuß Verordnung des Rates — Drucksache VI/1042 — überwiesen an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat Verordnung des Rates zur Festlegung allgemeiner Vorschriften für die Lieferung von Butter und Magermilchpulver an Peru, Rumänien und die Türkei — Drucksache VI/1046 — überwiesen an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Richtlinie des Rates zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über Bier Verordnung des Rates zur Änderung der Verordnung Nr. 120/67/EWG und der Verordnung Nr. 359/67/EWG hinsichtlich der Erstattung bei der Erzeugung, die für bestimmte in der Brauerei-Industrie verwendete Erzeugnisse gewährt wird — Drucksache VI/1048 — überwiesen an den Ausschuß für Wirtschaft Richtlinie des Rates betreffend die Angleichung der Gesetze der Mitgliedstaaten bezüglich der Kraftfahrzeughaftpflichtversicherung und der Grenzkontrolle der entsprechenden Versicherungspflicht — Drucksache VI/1049 — überwiesen an den Ausschuß für Wirtschaft Richtlinie des Rates über die Verwirklichung der Niederlassungsfreiheit und des freien Dienstleistungsverkehrs für die selbständigen Tätigkeiten auf dem Gebiet der Finanz, der Wirtschaft und des Rechnungswesens Richtlinie des Rates zur Festsetzung der Einzelheiten der Übergangsmaßnahmen für bestimmte Tätigkeiten auf dem Gebiet der Finanz, der Wirtschaft und des Rechnungswesens Empfehlung des Rates betreffend das Großherzogtum Luxemburg — Drucksache VI/1051 — überwiesen an den Ausschuß für Wirtschaft mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat Verordnung des Rates über die Erhöhung des Gemeinschaftszollkontingents für Rohmagnesium der Tarifnr. 77.01 A des Gemeinsamen Zolltarifs — Drucksache VI/1063 — überwiesen an den Ausschuß für Wirtschaft mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat Verordnung des Rates über die Eröffnung, Aufteilung und Verwaltung eines Gemeinschaftszollkontingents für Veredelungsvorgänge bei bestimmten Spinnstoffwaren Im passiven Veredelungsverkehr der Gemeinschaft — Drucksache VI/1064 — überwiesen an den Ausschuß für Wirtschaft mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat Verordnung des Rates über die Eröffnung, Aufteilung und Verwaltung des Gemeinschaftszollkontingents für getrocknete Feigen in Umschließungen mit einem Gewicht des Inhalts von 15 kg oder weniger der Tarifnr. ex 08.03 B des Gemeinsamen Zolltarifs mit Ursprung in Spanien Verordnung des Rates über die Eröffnung, Aufteilung und Verwaltung des Gemeinschaftszollkontingents für getrocknete Weintrauben in Umschließungen mit einem Gewicht des Inhalts von 15 kg oder weniger der Tarifnr. 08.04 B I des Gemeinsamen Zolltarifs mit Ursprung in Spanien Verordnung des Rates über die Eröffnung, Aufteilung und Verwaltung des Gemeinschaftszollkontingents für andere Gewebe aus Baumwolle der Tarifnr. 55.09 des Gemeinsamen Zolltarifs mit Ursprung in Spanien Verordnung des Rates über die Eröffnung, Aufteilung und Verwaltung des Gemeinschaftszollkontingents für bestimmte Erdölerzeugnisse des Kapitels 27 des Gemeinsamen Zolltarifs mit Ursprung in Spanien — Zeitraum vom 1. Oktober 1970 bis 31. Dezember 1970 Verordnung des Rates über die Eröffnung, Aufteilung und Verwaltung des Gemeinschaftszollkontingents für bestimmte Erdölerzeugnisse des Kapitels 27 des Gemeinsamen Zolltarifs mit Ursprung in Spanien — Jahr 1971 Verordnung des Rates über die Eröffnung, Aufteilung und Verwaltung des Gemeinschaftszollkontingents für andere Gewebe aus Baumwolle der Tarifnr. 55.09 des Gemeinsamen Zolltarifs mit Ursprung in Israel — Zeitraum vom 1. Oktober 1970 bis 31. Dezember 1970 Verordnung des Rates über die Eröffnung, Aufteilung und Verwaltung des Gemeinschaftszollkontingents für andere Gewebe aus Baumwolle der Tarifnr. 55.09 des Gemeinsamen Zolltarifs mit Ursprung in Israel — Jahr 1971 — Drucksache VI/1070 — überwiesen an den Ausschuß für Wirtschaft mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat Richtlinie des Rates zur sechsten Änderung der Richtlinie des Rates zur Angleichung der Rechtsvorschriften der MitPräsident von Hassel gliedstaaten für konservierende Stoffe, die in Lebensmitteln verwendet Werden dürfen —Drucksache VI/1083 — überwiesen an den Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat Entscheidung des Rates zur Einführung eines Mechanismus mittelfristigen finanziellen Beistands — Drucksache VI/1087 — überwiesen an den Ausschuß für Wirtschaft Verordnung des Rates zur Änderung der Verordnung Nr. 132/67/EWG zur Festlegung der Grundregeln für die Intervention bei Getreide — Drucksache VI/1088 — überwiesen an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat Verordnung des Rates über die zeitweilige Aussetzung des Zollsatzes des Gemeinsamen Zolltarifs für Wein mit Ursprung In und Herkunft aus Algerien Mitteilung der Kommission an den Rat über die Regelung, die bei der Einfuhr von Wein mit Herkunft aus Algerien in die Gemeinschaft anwendbar Ist — Drucksache VI/1089 — überwiesen an den Ausschuß für Wirtschaft Richtlinie des Rates zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten betreffend Vorschriften über Meßgeräte sowie über Meßund Prüfverfahren — Drucksache VI/1091 — überwiesen an den Ausschuß für Wirtschaft mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat Verordnung des Rates zur Festlegung von Grundregeln für die Intervention von Tabak Vorschlag für eine Verordnung des Rates zur Festsetzung von Übergangsbestimmungen hinsichtlich der Bezeichnung der Interventionsorte für Tabak — Drucksache VI/1092 — überwiesen an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat Verordnung des Rates zur Änderung der Verordnungen über die Finanzierung der Interventionsausgaben auf dem Binnenmarkt — Drucksache VI/1093 — überwiesen an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat Verordnung des Rates über die Einfuhr von Olivenöl aus Spanien — Drucksache VI/1094 — überwiesen an den Ausschuß für Wirtschaft mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat Verordnung des Rates zur Ausdehnung des Anhangs der Verordnung — Drucksache VI/1095 — überwiesen an den Ausschuß für Wirtschaft mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat Verordnung des Rates über die Einfuhr von Zitrusfrüchten mit Ursprung in Spanien — Drucksache VI/1096 — überwiesen an den Ausschuß für Wirtschaft mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigem Beschlußfassung im Rat Verordnung des Rates zur Aufnahme weiterer Waren in die im Anhang I der Verordnung — Drucksache VI/1099 — überwiesen an den Ausschuß für Wirtschaft Verordnung des Rates zur Festlegung der Sonderbestimmungen, die bei der Einfuhr von unter die Verordnung — Drucksache VI/1102 — überwiesen an den Ausschuß für Wirtschaft mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat Verordnung des Rates betreffend allgemeine Durchführungsbestimmungen zu Artikel 6 und Artikel 7 Absatz — Drucksache VI/1103 — überwiesen an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Richtlinie des Rates zur Änderung der Richtlinie des Rates vom 9. April 1968 über den Verkehr mit vegetativem Vermehrungsgut von Reben — Drucksache VI/1104 — überwiesen an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat Verordnung des Rates über die Einfuhr von Olivenöl aus Tunesien — Drucksache VI/1105 — überwiesen an den Ausschuß für Wirtschaft mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat Verordnung des Rates über die Einfuhr von Zitrusfrüchten mit Ursprung in Israel — Drucksache VI/1106 — überwiesen an den Ausschuß für Wirtschaft mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat Verordnung des Rates über die im Handelsabkommen zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Vereinigten Republik Tansania, der Republik Uganda und der Republik Kenia vorgesehenen Schutzmaßnahmen — Drucksache VI/1107 — überwiesen an den Ausschuß für Wirtschaft mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat Verordnung des Rates zur Änderung der Regelung der Bezüge und der sozialen Sicherheit der Atomanlagenbediensteten der Gemeinsamen Kernforschungsstelle, die in Italien dienstlich verwendet werden — Drucksache VI/1108 — überwiesen an den Innenausschuß Verordnung des Rates über die Satzung einer Europäischen Aktiengesellschaft — Drucksache VI/1109 —überwiesen an den Rechtsausschuß Richtlinie des Rates über das Mindestniveau der Ausbildung für Fahrer im Straßenverkehr — Drucksache VI/1110 — überwiesen an den Ausschuß für Verkehr und für das Postund Fernmeldewesen mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat Verordnung Nr. 968/70 des Rates vom 26. Mai 1970 zur Festsetzung des Grundpreises und des Ankaufspreises für Zitronen Nr. 969/70 des Rates vom 26. Mai 1970 zur Festsetzung des Grundpreises und des Ankaufspreises für Pfirsiche Nr. 970/70 des Rates vom 26. Mai 1970 zur Festsetzung des Grundpreises und des Ankaufspreises für Tomaten Nr. 971/70 des Rates vom 26. Mai 1970 zur Festsetzung des Grundpreises und des Ankaufspreises für Tafeltrauben überwiesen an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten mit der Bitte um Berichterstattung innerhalb eines Monats, wenn im Ausschuß Bedenken gegen die Vorschläge erhoben werden Verordnung überwieset an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten mit der Bitte um Berichterstattung innerhalb eines Monats, wenn im Ausschuß Bedenken gegen die Vorschläge erhoben werden Verordnung überwiesen an den Ausschuß für Wirtschaft mit der Bitte um Berichterstattung innerhalb eines Monats, wenn im Ausschuß Bedenken gegen die Vorschläge erhoben werden Präsident von Hassel Verordnung überwiesen an den Ausschuß für Wirtschaft mit der Bitte um Berichterstattung innerhalb eines Monats, wenn im Ausschuß Bedenken gegen die Vorschläge erhoben werden Verordnung Verordnung Verordnung überwiesen an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten mit der Bitte um Berichterstattung innerhalb eines Monats, wenn im Ausschuß Bedenken gegen die Vorschläge erhoben werden Verordnung Verordnung Verordnung überwiesene an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten mit der Bitte um Berichterstattung innerhalb eines Monats, wenn im Ausschuß Bedenken gegen die Vorschläge erhoben werden Verordnung Verordnung Verordnung Verordnung überwiesen an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten mit der Bitte um Berichterstattung innerhalb eines Monats, wenn im Ausschuß Bedenken gegen die Vorschläge erhoben werden Verordnung überwiesen an den Ausschuß für Wirtschaft mit der Bitte um Berichterstattung innerhalb eines Monats, wenn im Ausschuß Bedenken gegen die Vorschläge erhoben werden Verordnung überwiesen an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten mit der Bitte um Berichterstattung innerhalb eines Monats, wenn im Ausschuß Bedenken gegen die Vorschläge erhoben weiden Verordnung überwiesen an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten mit der Bitte um Berichterstattung innerhalb eines Monats, wenn im Ausschuß Bedenken gegen die Vorschläge erhoben werden Verordnung überwiesen an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten mit der Bitte um Berichterstattung innerhalb eines Monats, wenn im Ausschuß Bedenken gegen die Vorschläge erhoben werden Verordnung überwiesen an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten mit der Bitte um Berichterstattung innerhalb eines Monats, wenn im Ausschuß Bedenken gegen die Vorschläge erhoben werden Verordnung über die Anpassung der von Frankreich zu zahlenden, infolge der Abwertung des französischen Franken herabgesetzten Interventionsoder Ankaufspreise überwiesen an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten mit der Bitte um Berichterstattung innerhalb eines Monats, wenn im Ausschuß Bedenken gegen die Vorschläge erhoben werden Verordnung zur Festlegung der Grundregeln für die Gewährung einer Beihilfe für Flachs und Hanf für das Wirtschaftsjahr 1970/1971 überwiesen an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten mit der Bitte um Berichterstattung innerhalb eines Monats, wenn im Ausschuß Bedenken gegen die Vorschläge erhoben werden Verordnung überwiesen an den Ausschuß für Wirtschaft mit der Bitte um Berichterstattung innerhalb eines Monats, wenn im Ausschuß Bedenken gegen die Vorschläge erhoben werden Verordnung Verordnung Verordnung Verordnung Drucksache VI/1071 überwiesen an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten mit der Bitte um Berichterstattung innerhalb eines Monats, wenn im Ausschuß Bedenken gegen die Vorschläge erhoben werden Verordnung Drucksache VI/1084 überwiesen an den Ausschuß für Wirtschaft mit der Bitte um Berichterstattung innerhalb eines Monats, wenn im Ausschuß Bedenken gegen die Vorschläge erhoben werden Verordnung Entwurf einer Entschließung des Rates über die Finanzierung und Lieferung von Butter, butter oil und Magermilchpulver an Peru, Rumänien und die Türkei Drucksache VI/1090 überwiesen an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Der Präsident des Bundestages hat entsprechend dem Beschluß des Bundestages vom 23. Februar 1962 die nachstehenden Vorlagen überwiesen: Überweisung von Zollvorlagen Neununddreißigste Verordnung zur Änderung der Einfuhrliste Anlage zum Außenwirtschaftsgesetz Drucksache VI/946 überwiesen an den Ausschuß für Wirtschaft mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor dem Plenum am 7. Oktober 1970 Verordnung zur Änderung des Deutschen Teil-Zolltarifs Drucksache VI/1066 überwiesen an den Ausschuß für Wirtschaft mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor dem Plenum am 14. Oktober 1970 Einundzwanzigste Verordnung zur Änderung der Ausfuhrliste Anlage AL zur Außenwirtschaftsverordnung Drucksache VI/1111 überwiesen an den Ausschuß für Wirtschaft mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor dem Plenum am 16. Dezember 1970 Vierzigste Verordnung zur Änderung der Einfuhrliste Anlage zum Außenwirtschaftsgesetz Drucksache VI/1112 überwiesen an den Ausschuß für Wirtschaft mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor dem Plenum am 16. Dezember 1970 Präsident von Hassel Wir treten nunmehr in Punkt 1 der Tagesordnung ein: Fragestunde — Drucksache VI/1138 — Ich rufe die Frage aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für innerdeutsche Beziehungen auf, die Frage i des Abgeordneten Dr. Haack: Haben sich außer der Stadt Erlangen in den letzten Monaten noch andere Gemeinden der Bundesrepublik um Partnerschaften mit Gemeinden der DDR bemüht? Zur Beantwortung der Herr Parlamentarische Staatssekretär Herold. Herr Präsident! Ich darf die Frage des Herrn Kollegen Haack wie folgt beantworten. Nach unseren Informationen sind außer der Stadt Erlangen auch der Landkreis Hanau, die Städte Lüneburg, Newiges und Dörnigheim am Main um kommunale Kontakte mit Städten und Gemeinden in der DDR bemüht. Es ist mir nicht bekannt, daß auch andere Gemeinden, Kreise. und Städte in irgendeiner Form in Verbindung getreten sind. Unsere laufende Untersuchung und unsere Kontakte mit den Landesinnenministern haben auch nichts anderes ergeben. Die Bundesregierung, speziell mein Haus, wird in der Sitzung des Ausschusses für innerdeutsche Beziehungen am kommenden Donnerstag einen Bericht über die Bemühungen dieser Städte und die Ergebnisse geben. Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Haack. Ist nach Kenntnis der Bundesregierung bisher eine Reaktion einer Gemeinde der DDR auf ein solches Angebot erfolgt? Bis jetzt nicht. Keine Zusatzfrage. Wir sind am Ende Ihres Geschäftsbereichs angelangt. Ich danke Ihnen für die Beantwortung, Herr Parlamentarischer Staatssekretär. Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers für Wirtschaft auf, zunächst die Frage 14 des Abgeordneten Vogt: Teilt die Bundesregierung die Ansicht der Arbeitsgemeinschaft der Verbraucherverbände, daß die Preisempfehlung weitgehend dazu dient, überhöhte „Mondpreise" zu etablieren? Der Abgeordnete ist anwesend. — Bevor ich das Wort zur Beantwortung weitergebe, darf ich hier den neuen Parlamentarischen Staatssekretär in seiner Eigenschaft bei uns begrüßen und ihn um die Beantwortung der Frage 14 bitten. Herr Kollege Vogt, Sie haben diese Fragen am 29. Januar schon einmal meinem Vorgänger gestellt oder, wenn auch anders formuliert, einen Teil dieser Fragen. Ich kann Ihnen sagen, daß die sogenannten „Mondpreise" seitdem seltener geworden sind. Zu den empfohlenen Richtpreisen, wenn es keine „Mondpreise" sind, ist zu sagen, daß diese auch ein effektvolles Werbemittel darstellen. Eine Zusatzfrage. Ich habe nur den Eindruck, daß der Parlamentarische Staatssekretär die Frage 14 nicht beantwortet hat, nämlich, ob die Bundesregierung die Auffassung der Arbeitsgemeinschaft der Verbraucherverbände teilt, daß die Preisempfehlungen zu „Mondpreisen" führen. Ich habe diese Frage negativ beantwortet. Die Frage ist negativ beantwortet. Keine Zusatzfrage. Ich rufe die Frage 15 des Abgeordneten Vogt auf: Wird die Bundesregierung bei der angekündigten Reform des Gesetzes gegen wettbewerbsbeschränkende Maßnahmen den Vorschlag der Arbeitsgemeinschaft der Verbraucherverbände aufgreifen, wonach das Bundeskartellamt das Recht erhalten soll, ein befristetes Preisempfehlungsverbot bei bestimmten Warengruppen auszusprechen, wenn die vom Letztverbraucher bezahlten Preise bei einem größeren Anteil des Gesamtabsatzes die empfohlenen Preise erheblich übersteigen? Zur Beantwortung, Herr Parlamentarischer Staatssekretär! Herr Kollege Vogt, die Bundesregierung ist der Ansicht, daß die derzeitigen gesetzlichen Möglichkeiten des Kartellamtes mit der Mißbrauchsaufsicht genügen. Das Kartellamt handelt auch, und wir sind nicht der Ansicht, daß zur Zeit zusätzliche gesetzliche Regelungen notwendig sind. Keine Zusatzfrage. Ich rufe Frage 16 des Abgeordneten Eckerland auf: Ist der Bundesregierung bekannt, ob vor dem Stichtag zur Gewährung von Abfindungsgeld nach den sog. Härtefallrichtlinien, dem 31. Oktober 1966, im Ruhrbergbau Entlassungen auf Grund von Rationalisierungsoder Stillegungsmaßnahmen der Zechengesellschaften vorgekommen sind? Ist der Abgeordnete im Saal? — Zur Beantwortung, Herr Parlamentarischer Staatssekretär! Herr Kollege Eckerland, zu Ihrer Frage 16: Ja, das ist der Bundesregierung bekannt. Keine Zusatzfrage. Ich rufe Frage 17 des Abgeordneten Eckerland auf: Ist die Zahl der davon betroffenen Bergarbeiter noch erfaßbar, und ist die Bundesregierung gegebenenfalls bereit, diese Arbeitnehmer den nach dem Stichtag Entlassenen gleichzustellen? Zur Beantwortung, Herr Parlamentarischer Staatssekretär! Herr Kollege Eckerland, wir müssen darauf hinweisen, daß der Stichtag für die Abfindungsregelung nach dem Kohlegesetz der 31. März 1967 ist. Der andere Stichtag, von dem Sie reden, der 31. Oktober 1966, gilt für die Härtefälle. Darüber hinaus noch zu untersuchen, auf wen das noch weiter zurück zutrifft, würde einen unmöglichen Verwaltungsaufwand beanspruchen. Ich darf darauf hinweisen, daß dieser zweite Termin keine Vorverlegung des Stichtages bedeutet, sondern lediglich betriebliche Härtefälle betrifft, also z. B. Fälle, in denen Teile der Belegschaften aus betrieblichen Gründen vorher verlegt worden sind. Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Eckerland. Herr Staatssekretär, sind Sie nicht mit mir der Meinung, daß es bei Festlegungen von Stichtagen immer zu Ungerechtigkeiten kommen kann? Deswegen bin ich der Meinung, daß alle, die im Ruhrbergbau auf Grund von Rationalisierungsoder Stillegungsmaßnahmen entlassen wurden, das Abfindungsgeld erhalten sollten. Ich teile Ihre Ansicht, daß alle Festlegungen von Stichtagen zu Ungerechtigkeiten führen. Aber Stichtage müssen nun einmal irgendwo festgelegt werden, und dieser Stichtag ist nach einer ausführlichen parlamentari-Behandlung so festgelegt worden. Keine Zusatzfrage. Ich teile mit, daß die Fragen 18 und 19 des Abgeordneten Dr. Kreile zurückgezogen sind. — Auf Wunsch des Abgeordneten Lampersbach werden die Fragen 21 und 22 schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt. Ich rufe die Frage 20 des Abgeordneten Dr. Schneider Bis wann beabsichtigt die Bundesregierung, den Entwurf eines Gesetzes zur Änderung der Gewerbeordnung vorzulegen, und inwieweit sollen die beabsichtigten Gesetzesänderungen den Umweltschutz verbessern? Zur Beantwortung, Herr Parlamentarischer Staatssekretär. Herr Kollege Schneider, das Gesetz zur Änderung der Gewerbeordnung ist für den Sommer 1971 geplant. Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Schneider. Darf ich fragen, ob das Gesetz Regelungen vorsieht, die die Abgasbeseitigung wesentlich besser lösen, als es bisher der Fall ist. Nein, Herr Kollege Schneider. Dieses Gesetz betrifft in der Hauptsache den Titel 10 — das ist die Änderung der Strafvorschriften in Ordnungswidrigkeitsvorschriften — und den Titel 4, mit dem das Marktund Messerecht den modernen Anforderungen besser entsprechend gestaltet werden soll. Die Frage des Umweltschutzes soll in einem besonderen Gesetz geregelt werden. Ich möchte Sie bitten, eventuelle Fragen nach Details an das Innenministerium zu richten, da dieses federführend ist. Keine Zusatzfrage. Ich teile mit, daß die Frage 23 des Abgeordneten Dr. Schmitt-Vockenhausen vom Fragesteller zurückgezogen worden ist. Ich danke Ihnen für die Beantwortung, Herr Parlamentarischer Staatssekretär. Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministers des Innern. Ich rufe die Frage 2 des Abgeordneten Dr. Klepsch auf: Aus welchen Gründen gedenkt die Bundesregierung die allgemeine Verwaltungsvorschrift zum Gesetz über den unmittelbaren Zwang bei Ausübung öffentlicher Gewalt durch Vollzugsbeamte des Bundes Zur Beantwortung der Parlamentarische Staatssekretär Dorn. Herr Kollege Klepsch, die allgemeine Verwaltungsvorschrift des Bundesministers des Innern zum Gesetz über den unmittelbaren Zwang bei Ausübung öffentlicher Gewalt durch Vollzugsbeamte des Bundes in der Fassung vom 24. Januar 1969 ist in verschiedenen Punkten überholt und daher änderungsbedürftig. Die Änderungen sind zum Teil mit den anderen Bundesressorts abgesprochen. Es ist auch beabsichtigt, im Abschnitt IX den Absatz 6 entfallen zu lassen, der den Begriff „Demarkationslinie zur sowjetischen Besatzungszone" enthält. § 11 des Gesetzes enthält nur den Begriff „Grenzdienst", so daß Absatz 6 entbehrlich erscheint. Eine endgültige Entscheidung in dieser Frage ist allerdings noch nicht ergangen. Eine Zusatzfrage, der Abgeordnete Dr. Klepsch. Herr Kollege Dorn, ist aus Ihrer Antwort zu entnehmen, daß die Bundesregierung den Begriff „Demarkationslinie" durch den allgemeinen Begriff „Grenzen" ersetzen will, und ist daraus ein weiteres Indiz für eine völkerrechtliche Anerkennung der DDR zu entnehmen? Herr Kollege Klepsch, so allgemein ist die Frage nicht zu beantworten. Der Sprachgebrauch hat sich in der Zwischenzeit Parlamentarischer Staatssekretär Dorn gewandelt. Zu ganz bestimmten Zeiten war der Sprachgebrauch „sowjetische Besatzungszone". Jetzt gilt das nicht mehr. Auch die Opposition spricht bereits heute von der DDR. Im übrigen werden die Bezeichnungsrichtlinien überarbeitet. Die Überarbeitung selbst ist noch nicht abgeschlossen. Eine zweite Zusatzfrage, der Abgeordnete Dr. Klepsch. Soll ich Ihrer Antwort entnehmen, daß Sie auch in Zukunft daran festhalten, daß es sich nicht um eine Grenze im Sinne der völkerrechtlichen Anerkennung handelt? Das ist eine Frage, die nicht in innerem Zusammenhang mit der von Ihnen gestellten Frage steht, Herr Kollege Klepsch. Keine Zusatzfrage. Ich rufe die Frage 3 des Abgeordneten Barche auf: Hält es die Bundesregierung für gerechtfertigt, daß die graduierten Ingenieure im öffentlichen Dienst mit Vorbildung, Ausbildung und einer hohen Verantwortung in ihrem Tätigkeitsbereich den Angehörigen der nichttechnischen Laufbahn mit zwar der gleichen Vorbildung aber nicht der weiteren speziellen Ausbildung weiterhin nach dem Bundesbeamtengesetz Zur Beantwortung Herr Parlamentarischer Staatssekretär. Herr Kollege Barche, das Bundesbesoldungsgesetz und die Besoldungsgesetze der Länder tragen den Besonderheiten des Ausbildungsganges der graduierten Ingenieure zur Zeit dadurch Rechnung, daß bei den Besoldungsgruppen A 9, A 10 und A 11 Zulagen ausgebracht sind. Für die Berücksichtigung herausgehobener Tätigkeiten und höherer Verantwortung stehen Beförderungsmöglichkeiten bis zur Besoldungsgruppe A 13 zur Verfügung. Dabei ist es in erster Linie eine Frage der Gestaltung des Haushalts, innerhalb des besoldungsrechtlichen Rahmens so viele Beförderungsstellen auszuweisen, daß den Anforderungen, die an ,diese Beamten jeweils zu stellen sind, Rechnung getragen wird. Zur Zeit wird im Bundesministerium des Innern der Entwurf eines Dritten Besoldungsneuregelungsgesetzes vorbereitet. Hierbei wird auch geprüft, wie im Rahmen eines ausgewogenen Gesamtkonzepts den berechtigten Belangen der Ingenieure und den Anforderungen am besten Rechnung ,getragen werden kann. Soweit Sie das Beamtenrecht und das Laufbahnrecht ansprechen, wird man die Frage im Zusammenhang mit der Bildungsreform sehen müssen. Nach der Überführung der Ingenieurakademien in den Fachhochschulbereich wird sich die Frage der besoldungsund laufbahnmäßigen Einstufung der graduierten Ingenieure in ähnlicher Weise stellen wie bei Bewerbern anderer Verwaltungszweige, ,die eine Fachhochschule absolviert haben oder deren Ausbildung mit einem Abschluß auf Fachhochschulniveau beendet wird. Diese Fragen werden jetzt im Bund und mit den Ländern eingehend erörtert. Ich kann schon jetzt sagen, daß die Entwicklung auf dem Bildungssektor Auswirkungen auf das Besoldungsund Laufbahnrecht haben und im Gesamtrahmen der Neuerungen auch der Stellung der Ingenieure im öffentlichen Dienst zugute kommen wird. Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Barche. Herr Staatssekretär, darf ich aus Ihrer Antwort entnehmen, daß die Bundesregierung gewillt ist, die altgraduierten Ingenieure mit den graduierten Ingenieuren der Fachhochschulen gleichzustellen, da diese ja kontinuierlich aus den Ingenieurschulen bzw. Ingenieurakademien hervorgegangen sind? Ich bin mit Ihnen der Meinung, daß hier keine unterschiedliche Behandlung erfolgen sollte. Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Brück. Herr Staatssekretär, darf ich Sie fragen — nachdem Sie nun das Dritte Besoldungsneuregelungsgesetz angesprochen haben —, ob Sie auch bereit sind, zu prüfen, wie neben der von dem Kollegen angesprochenen Frage auch der Aufstiegsbeamte in die Überlegungen — und in die Zulagenregelung — mit einbezogen werden kann? Denn Ihnen ist bekannt, daß der Aufstiegsbeamte ja zum Teil die gleichen Dienstpflichten wie jener Vorgebildete erfüllt. Herr Kollege Brück, wir beabsichtigen, bei dem Dritten Besoldungsneuregelungsgesetz einen etwas anderen Weg zu gehen, weil das Zulagensystem in sich im Rahmen des Besoldungsniveaus überholt ist. Wir versuchen vernünftige Eingruppierungen in die einzelnen Gruppen zu finden, so daß die berechtigten Ansprüche auf diesem Wege berücksichtigt werden können. Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Möhring. Hält die Bundesregierung die Einrichtung einer gesonderten technischen Laufbahn für Ingenieure des öffentlichen Dienstes, beginnend bei A 11 I a, für ausreichend, um auch für die in der Zukunft immer größer werdenen Aufgaben genügend qualifiziertes Personal gewinnen zu können? Das ist ein viele Jahre in diesem Hause diskutiertes Problem, Herr Kollege, in dem ich selbst mich sehr engagiert hatte. Ich Parlamentarischer Staatssekretär Dorn meine, die Frage kann man so generell nicht beantworten. Die Problematik der Eingruppierung der technischen Berufe insgesamt in unser Besoldungssystem ist sehr kompliziert und schwierig. Insoweit stimme ich mit Ihnen überein. Aber ob eine gesonderte technische Laufbahn nunmehr statuiert werden sollte, wage ich im Interesse der beteiligten technischen Beamten zu bezweifeln. Ich bin vielmehr der Meinung, daß es besser wäre, sie in unserem Besoldungssystem und in unserer Besoldungsordnung entsprechend einzuordnen. Keine weitere Zusatzfrage. Ich rufe die Frage 4 des Abgeordneten Barche auf: Ist der Bundesregierung bekannt, daß durch die Unterbewertung und die damit verbundene Diskriminierung der Ingenieure im öffentlichen Dienst die Personallage zur Zeit auf das äußerste angespannt ist und durch den hiermit entstandenen und sich auch weiterhin vergrößernden Nachwuchsmangel die Sicherheit und Sicherung der öffentlichen technischen Einrichtungen in absehbarer Zukunft nicht mehr gewährleistet sind? Zur Beantwortung, bitte, der Herr Parlamentarische Staatssekretär. Der Bundesregierung ist bekannt, daß in der öffentlichen Verwaltung ein zum Teil erheblicher Personalmangel besteht. Auf bestimmten Gebieten, so etwa in den technischen Zweigen, auf dem Erziehungssektor und im Bereich der öffentlichen Sicherheit ist dieser Mangel zur Zeit ganz besonders empfindlich. Dem Personalmangel ist aber nicht nur die öffentliche Verwaltung, sondern in gleicher Weise auch die gewerbliche Wirtschaft ausgesetzt. Er ist nicht in erster Linie eine Folge der fehlenden beruflichen Attraktivität in dem einen oder anderen Bereich, sondern Auswirkung des angespannten Arbeitsmarktes überhaupt. Negative Folgen dieser Personallage für die Wahrnehmung der öffentlichen Aufgaben haben sich bisher dank der Einsatzbereitschaft unserer Mitarbeiter im öffentlichen Dienst und auf Grund der Bemühungen der Verwaltungen selbst weitgehend vermeiden lassen. Die Bundesregierung ist sich jedoch bewußt, daß künftig noch mehr getan werden muß, um die in Ihrer Frage genannten Gefahren zu vermeiden. Dazu ist, neben weiterer Verwaltungsvereinfachung und Automatisierung, eine weitere Fortentwicklung des öffentlichen Dienstrechts erforderlich. Sie muß auch gehaltsund lohnpolitische Maßnahmen umfassen und mit den Reformen im Bildungswesen abgestimmt werden, die ich besonders im Hinblick auf die Stellung des Ingenieurs im öffentlichen Dienst schon in meiner Antwort auf Ihre vorige Frage dargestellt habe. Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Barche. Herr Staatssekretär, was gedenkt die Bundesregierung zu tun, um den deutschen Ingenieuren zu der ihnen gebührenden Anerkennung im EWG-Raum zu verhelfen? Herr Kollege, die Bundesregierung hat bei den Verhandlungen in Brüssel eindeutig die Position der deutschen Ingenieure vertreten. Sie hat auch die in der vorigen Legislaturperiode vom Parlament gefaßten eindeutigen Beschlüsse, die von allen Fraktionen getragen wurden, bei den Verhandlungen in Brüssel vertreten. Sie ist nicht mit allen ihren Überlegungen voll zum Zuge gekommen. Nur ein Teil der berechtigten Belange konnte bei den Verhandlungen in Brüssel durchgesetzt werden. Ein Teil der Forderungen ist leider auf der Strecke geblieben. Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Möhring. Ist sich die Bundesregierung darüber im klaren, daß die Ingenieure im öffentlichen Dienst den derzeitigen Zustand nicht länger stillschweigend hinnehmen können, sondern mit ihren berechtigten Forderungen an die Öffentlichkeit treten werden, zumal da dieses Problem Parlament und Regierung seit vielen Jahren bekannt ist? Ihre berechtigten Forderungen haben die Ingenieure schon in der Vergangenheit auch in der Öffentlichkeit sehr deutlich vorgetragen. Auch hier im Parlament sind von Vertretern aller drei Fraktionen immer wieder Versuche unternommen worden, diese berechtigten Forderungen durchzusetzen. So war es möglich, einen Teil der Zulagensysteme, die ja nunmehr im Besoldungsrecht verankert sind, hier im Parlament durchzusetzen. Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Brück. Herr Staatssekretär Dorn, Sie haben auf den Mangel an Ingenieuren hingewiesen, deren Laufbahn insgesamt interessanter gestaltet werden soll. Meine Frage: Müssen Sie dann nicht auch an den nichttechnischen Sektor denken? Denn nach meinen Erfahrungen in der letztenZeit ist die Personallage in diesem Bereich genauso bedauerlich wie im technischen Bereich. Natürlich hat die Bundesregierung die Pflicht, alle beruflichen Zweige im Rahmen der Besoldungsordnung gerecht einzuordnen, soweit das überhaupt menschenmöglich ist. Es ist doch aber ohne Zweifel so, Herr Kollege Brück, daß im technischen Dienst in der Vergangenheit ein erheblicher Personalmangel gegenüber den anderen Berufsgruppen innerhalb des öffentlichen Dienstes zu verzeichnen war. Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Becker Herr Staatssekretär, ist der Bundesregierung bekannt, daß Ingenieure Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode 64. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 16. September 1970 3511 Becker aus dem öffentlichen Dienst in den Tageszeitungen annoncieren, um sich in der freien Wirtschaft besser besoldete Arbeitsplätze zu suchen, und weiß die Bundesregierung, wieviel Ingenieure beispielsweise im letzten Jahr wegen unzureichender Besoldungsverhältnisse aus dem öffentlichen Dienst ausgeschieden sind? Der im ersten Teil Ihrer Frage angesprochene Tatbestand ist der Bundesregierung bekannt. Den zweiten Teil Ihrer Frage kann ich leider nicht beantworten, weil es darüber keinerlei Unterlagen gibt. Herr Kollege Becker, das ist aber nicht nur ein Problem der Ingenieure. Es gibt in den Tageszeitungen eine Reihe von Annoncen, in denen sich Angehörige des öffentlichen Dienstes um eine Stellung in der Wirtschaft bewerben. Ich denke etwa an die Berufsgruppe der Steuerbeamten. Die Zahl der Bewerbungen in dieser Gruppe ist mindestens genauso groß wie die im Bereich des technischen Dienstes im öffentlichen Dienst. Keine weiteren Zusatzfragen. Die Frage 5 des Abgeordneten Dr. Gölter ist vom Fragesteller zurückgezogen worden. Wir kommen dann zur Frage 6 des Abgeordneten Glombig. — Der Abgeordnete ist nicht im Saal. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt. Ich rufe dann die Frage 51 des Abgeordneten Bay auf: Beabsichtigt die Bundesregierung, durch Gründung einer „Akademie für Lebensschutz" die Koordination aller wissenschaftlichen Tätigkeiten auf dem Gebiet des Gesundheitsschutzes des Menschen und seiner Umwelt voranzutreiben, und wann wird sie das tun? Diese Frage war ursprünglich für den Geschäftsbereich des Bundesministers für Jugend, Familie und Gesundheit vorgesehen. Sie wird aber jetzt bei der Behandlung dieses Geschäftsbereiches beantwortet. Zur Beantwortung, Herr Parlamentarischer Staatssekretär. Die Bundesregierung beabsichtigt nicht, die Errichtung einer Akademie für Lebensschutz selbst zu betreiben oder finanziell zu fördern. Den Wunsch, eine solche Einrichtung zu fördern, habe ich im Einvernehmen mit allen beteiligten Bundesressorts sehr sorgfältig geprüft. Dabei hat sich ergeben, daß der Bund und die Länder über ausreichende qualifizierte Forschungseinrichtungen verfügen, die den derzeitigen und zu erwartenden Anforderungen gewachsen sind, auch soweit es um Wechselwirkungen zwischen der Gesundheitspolitik, der Raumordnung, Wirtschaftsund Sozialpolitik, dem nationalen Recht und der internationalen Zusammenarbeit mit dem Ziel einer Rechtsharmonisierung geht. Die Bundesregierung widmet im Rahmen ihres vor dem Abschluß stehenden Sofortprogramms für den Umweltschutz der Zusammenarbeit der Institute und Anstalten des Bundes und der Länder eine besondere Untersuchung. Ich bin sicher, daß sich dabei herausstellen wird, daß die gemeinsame Arbeit aller dieser Institute auch den mit einer Akademie für Lebensschutz angestrebten Zielen gerecht werden wird. Daneben bedienen sich der Bund und die Länder noch der freiwilligen Mitarbeit einer Reihe von Verbänden, Vereinigungen und sonstigen Zusammenschlüssen für die Erfüllung ihrer Zielsetzungen. Eine Zusatzfrage, der Abgeordnete Dr. Brand. Herr Staatssekretär, ist die Bundesregierung bereit, diese Antwort, die Sie soeben gegeben haben, zu gegebener Zeit je nach den Umständen der Entwicklung des Umweltschutzes noch einmal zu überprüfen? Die Bundesregierung ist selbstverständlich bereit, falls sich neue Aspekte aus irgendwelchen Untersuchungen oder aus tatsächlichen Entwicklungen ergeben, immer wieder in eine Überprüfung ihres Standpunktes einzutreten. Wir sind am Ende des Geschäftsbereiches des Bundesministers des Innern angelangt. Ich danke Ihnen, Herr Parlamentarischer Staatssekretär, für die Beantwortung. Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung auf, Frage 32 des Abgeordneten Peiter: Wird die Bundesregierung die Initiative ergreifen, damit auch wehrund ersatzdienstpflichtige Waisen nach Vollendung des 18. Lebensjahres Waisenrente aus der Sozialversicherung erhalten können? Ist der Abgeordnete im Saal? — Er ist im Saal. Zur Beantwortung Herr Parlamentarischer Staatssekretär Rohde. Herr Kollege Peiter, die Waisenrente wird über das 18. Lebensjahr hinaus bis zur Vollendung des 25. Lebensjahres u. a. an ein Kind gezahlt, das sich in Schuloder Berufsausbildung befindet. Im Falle der Unterbrechung oder Verzögerung der Schuloder Berufsausbildung durch Erfüllung der gesetzlichen Wehroder Ersatzdienstpflicht wird die Waisenrente für einen der Zeit dieses Dienstes entsprechenden Zeitraum über das 25. Lebensjahr hinaus gewährt. Damit ist sichergestellt, daß durch die Wehrdienstleistung der Waise kein Nachteil entsteht. Der Gesetzgeber hat nicht vorgesehen, daß Waisenrenten auch während des Wehroder Ersatzdienstes zu zahlen sind. Er ist dabei von der Überlegung ausgegangen, daß während dieser Zeiten der Unterhalt durch die für den Wehroder Ersatzdienst allgemein geltenden Vorschriften geregelt ist. Ich kann gewiß auch mit Ihrer Zustimmung rechnen, Herr Kollege, wenn ich sage: entscheidend ist, daß — wie ich ausführte — die Zeit, in der die Parlamentarischer Staatssekretär Rohde Waisenrente im Hinblick auf eine Schuloder Berufsausbildung des Jugendlichen weiterzuzahlen ist, durch die Ableistung des Wehroder Ersatzdienstes nicht verkürzt wird. Eine Zusatzfrage, der Abgeordnete Peiter? — Keine Zusatzfrage. Ich rufe die Frage 33 des Abgeordneten Dr. Hauff auf: Welche Möglichkeiten sieht die Bundesregierung, bei der Festsetzung der Termine für die Gewährung eines Schlechtwettergeldes im Baugewerbe die örtlichen Klimaverhältnisse zu berücksichtigen? Zur Beantwortung Herr Parlamentarischer Staatssekretär. Herr Kollege Hauff, eine allseits als befriedigend angesehene Differenzierung der Schlechtwetterzeit nach Klimazonen ist in der Praxis schwer möglich. Der Gesetzgeber hat im Arbeitsförderungsgesetz die Schlechtwetterzeit für den gesamten Bereich der Bundesrepublik einheitlich auf die Zeit vom 1. November bis 31. März festgesetzt und — darauf darf ich hinweisen im Gegensatz zum früheren Recht dem Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung auch keine Möglichkeit mehr eingeräumt, die Schlechtwetterzeit durch Rechtsverordnung festzusetzen und dabei für einzelne Bezirke unterschiedliche Zeiträume zu bestimmen. Eine Zusatzfrage, der Abgeordnete Dr. Hauff. Herr Staatssekretär, sind Sie nicht der Meinung, daß es, dadurch bedingt, zu volkswirtschaftlich außerordentlich kostspieligen Regelungen kommt, die bei einer anderen Fassung des Gesetzes durchaus vermeidbar wären? Herr Kollege, die Frage ist unter sozialund auch wirtschaftspolitischen Gesichtspunkten seinerzeit bei der Beratung des Arbeitsförderungsgesetzes eingehend erörtert worden. In diesem Zusammenhang darf ich im übrigen darauf hinweisen, daß bei witterungsbedingtem Arbeitsausfall außerhalb der gesetzlichen Schlechtwetterzeit auch ein Lohnausgleich entweder auf Grund tariflicher Bestimmungen oder gegebenenfalls durch Kurzarbeitergeld erfolgen kann. Eine zweite Zusatzfrage, der Abgeordnete Dr. Hauff. Herr Staatssekretär, ist Ihnen bekannt, daß die derzeitige Regelung dazu führt, daß es zum Teil nach Ablauf der Schlechtwetterzeit dazu kommt, daß Beschäftigte als Arbeitslose umgemeldet werden? Herr Kollege, die Fragen der Schlechtwettergeldregelung — das darf ich in diesem Zusammenhang noch anfügen — werden auch im Hinblick auf die Förderung des Winterbaus zur Zeit in verschiedenen Gremien, beispielsweise der Selbstverwaltung der Bundesanstalt für Arbeit, erörtert. Dabei werden auch Aspekte, wie Sie sie genannt haben, in die Erörterungen einbezogen. Keine Zusatzfragen. Die Fragen 34 und 35 des Abgeordneten Pieroth werden auf seinen Wunsch schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlage abgedruckt. Ich rufe die Frage 36 des Abgeordneten Härzschel auf: Wie viele Erwachsene und Kinder sind im Privatbereich in Haushalt und Garten in den letzten 2 Jahren tödlich verunglückt, und welches waren die Hauptursachen? Zur Beantwortung der Herr Parlamentarische Staatssekretär Rohde. Ich darf bitten, die Fragen 36 und 37 gemeinsam beantworten zu dürfen. Keine Bedenken. Ich rufe also noch die Frage 37 des Abgeordneten Härzschel auf: Was hat die Bundesregierung bisher getan, und was beabsichtigt sie zu tun, um die Aufklärungsund Unfallverhütungsmaßnahmen auch im privaten Bereich zu verstärken? Bitte schön! Ihre Kollegen haben im Rahmen der Fragestunde im August 1970 ähnliche Fragen gestellt, auf die ich ausführlich schriftlich geantwortet habe. Sie werden Verständnis dafür haben, daß ich auf diese Antwort, die in die Bundestagsdrucksachen aufgenommen worden ist, Bezug nehme. Ich bin in dieser Antwort auch auf Fragen nach den Unfallzahlen eingegangen. Eine amtliche Statistik über Unfälle bei der Hausarbeit und während der Freizeitgestaltung in und außer Haus — den Verkehrsbereich ausgenommen — liegt nicht vor, weil die Unfälle im einzelnen nicht gemeldet werden. Es gibt eine Untersuchung für das Jahr 1968 von der Aktion „Das sichere Haus e. V., München", in der die Zahl tödlicher Unfäle mit rund 11 500 angegeben wurde; die Zahl ist jedoch — darauf darf ich hinweisen — in Fachkreisen nicht unumstritten. Aus einer anderen Untersuchung geht hervor, daß von den tödlichen Unfällen etwa 100 % auf Kinder und Jugendliche bis zu 15 Jahren entfallen. Als wesentlichste Unfallursache werden Stürze, gefolgt von Erstickungsfällen, Verbrennungen, Vergiftungen, elektrischer Strom und Ertrinken, angegeben. In der Antwort an Ihre Kollegen habe ich unterstrichen, daß von der Bundesregierung die Unfallforschung auch für den häuslichen Bereich intensiviert werden soll, um über Umfang und Art der Unfälle gesichertere Aussagen zu erhalten und daParlamentarischer Staatssekretär Rohde mit die Voraussetzungen für Unfallverhütungsmaßnahmen zu verbessern. Die Unfallforschung soll eine wesentliche Aufgabe der neuen Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Unfallforschung mit Sitz in Dortmund darstellen. Wie Sie wissen, Herr Kollege, sind die Mittel für den Ausbau dieses Instituts bereitgestellt. In diesem Jahr sind überdies im Haushalt zum erstenmal überhaupt Mittel für Unfallforschung ausgewiesen, von denen etwa 25 % zweckgebunden für den häuslichen Bereich vorgesehen sind. Außerdem habe ich in der Antwort an die Kollegen — auf die ich eingangs Bezug genommen habe — darauf hingewiesen, daß die allgemeine Verwaltungsvorschrift zum Maschinenschutzgesetz gegenwärtig dem Bundesrat zur Zustimmung vorliegt. Sie soll dazu beitragen, daß nur sichere und als sicher erkennbare Geräte im häuslichen Bereich verwendet werden. Mit dem Erlaß der Verwaltungsvorschrift wird eine erste Zusammenstellung von Sicherheitsregeln für Arbeits-, Haushalts-, Sportund Bastelgeräte sowie Spielzeug im Bundesarbeitsblatt veröffentlicht werden. Verstärkt wird auch die Aufklärungsarbeit über Möglichkeiten der Unfallverhütung im häuslichen Bereich, wie ich das im einzelnen in der erwähnten schriftlichen Antwort erläutert habe. Im übrigen — das darf ich zum Schluß noch hinzufügen — wird im Herbst auf Veranlassung unseres Hauses eine Besprechung mit Vertretern der Unfallverhütungsarbeit aus allen Bereichen mit dem Ziel stattfinden, auch für die Unfallverhütung im Haushalt verstärkte Anstrengungen zu unternehmen. Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Härzschel. Herr Staatssekretär, Ihren Ausführungen entnehme ich, daß keine genaue Statistik vorhanden ist. In der Öffentlichkeit wird dargelegt, daß die Zahl der Toten im Haushalt die Zahl der Verkehrstoten übersteigt. Halten Sie es da nicht für notwendig, daß umgehend eine Statistik über diese Unfälle erstellt wird, damit man die Ursachen dieser Unfälle einmal richtig erfassen kann? Das habe ich in meiner Antwort ausgeführt, Herr Kollege. Wir fanden bisher auf diesem Felde unzulängliche Erhebungen vor. Es gibt die Untersuchungen, die ich zitiert habe. Eine der Aufgaben der neuen Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Unfallforschung wird es sein, die Materialien über Art und Umfang von Unfällen auch im häuslichen Bereich besser als bisher aufzuarbeiten. Zu einer weiteren Zusatzfrage Herr Abgeordneter Härzschel. Herr Staatssekretär, von verschiedenen Zeitschriften, die für Unfallverhütung werben, wird Klage geführt, daß die Bundesregierung diese Aktionen nicht genügend unterstütze. Mit dem Blick auf die Vergangenheit trifft das auch zu, Herr Kollege. Wir arbeiten auf dem Feld der Unfallverhütung jetzt auf, und zwar vor allem auf drei Feldern: soweit es den Bereich der Arbeit angeht, werden dafür entsprechende gesetzliche Vorbereitungen getroffen, soweit es den Unfallversicherungsschutz der Schüler betrifft, hat dafür die Bundesregierung auch mit dem Blick auf die Unfallverhütung eine Vorlage eingebracht, und hinzu kommen Anstrengungen für die Unfallverhütung im häuslichen Bereich. Ich darf Ihnen sagen, daß wir auf diesem Felde, als wir unser Amt übernahmen, in unserem Haus keine Vorarbeit vorfanden. Hier müssen wir jetzt initiativ werden. Es ist allein in den Protokollen dieses Hauses aktenkundig, daß sich die früheren Bundesregierungen auf dem Gebiet der Unfallverhütung nicht mit Initiative und Phantasie übernommen haben. Bevor ich das Wort weitergebe es liegen noch drei Zusatzfragen vor —, darf ich das Hohe Haus auf folgendes aufmerksam machen. In den Richtlinien zur Fragestunde steht verzeichnet, daß der Fragesteller weder bei der eigentlichen Frage noch bei der Zusatzfrage Wertungen vornehmen darf. Im Präsidium haben wir darüber gesprochen, daß Wertungen seitens der Bundesregierung dann ebenfalls nicht erfolgen dürfen. Ich bitte, daß hier die Gegenseitigkeit beachtet wird. Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Burger. Herr Staatssekretär, wenn ich recht gehört habe, nannten Sie so eben die Zahl der häuslichen Unfälle im Jahre 1968 mit rund 1100. Ich habe zufällig eine Ausgabe von „Das sichere Haus" in Händen, das von der Arbeitsgemeinschaft in München herausgegeben wird. Dort wird die Zahl der tödlichen Haushaltsunfälle nach einer Statistik aus dem Jahre 1968 im Bundesgebiet mit 11 300 angegeben. Welche Zahl stimmt nun? Herr Kollege, das muß auf einem Hörfehler beruhen. Ich habe die Zahl von 11 500 genannt und mich dabei auf die Untersuchung der Arbeitsgemeinschaft „Das sichere Haus" bezogen, aber hinzugefügt, daß diese Zahl unter den Fachleuten umstritten ist. Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Geiger. Herr Staatssekretär, sieht das Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung, nachdem zum erstenmal Mittel für die Aufklärung Geiger im Bundeshaushalt eingesetzt sind, jetzt eine Möglichkeit, durch Zusammenarbeit mit Organisationen, mit dem Fernsehen und mit der Presse stärkere Aufklärung zu betreiben? Herr Kollege, das wird ein wichtiger Punkt sein, der in der von mir zitierten Besprechung im Herbst mit den Fachleuten der Unfallverhütung erörtert wird. Dabei soll insbesondere auch die Frage besprochen werden, wie in Zusammenarbeit mit den Massenkommunikationsmitteln die Aufklärung für diesen Bereich verstärkt werden kann. Zu einer weiteren Zusatzfrage Herr Abgeordneter Härzschel. Herr Staatssekretär, ist Ihnen nicht bekannt, daß die Klagen von verschiedenen Zeitschriften jüngsten Datums sind und nicht von früher stammen? Und ist Ihnen weiterhin bekannt, daß z. B. „Das sichere Haus" schon bisher unterstützt worden ist? Herr Kollege, natürlich sind die Zeitschriftenartikel jüngeren Datums. Aber wenn Sie sie gelesen haben, dann wissen Sie auch, daß darin insbesondere auf die Entwicklung der vergangenen Jahre und auf Erklärungen früherer Arbeitsminister der Bundesregierung Bezug genommen wird. Was ich hier ausgeführt habe, ist die Perspektive, nämlich das, was jetzt initiativ eingeleitet worden ist, um in dem Bereich der häuslichen Unfälle mehr Unfallsicherheit zu erreichen. Verzeihung, Herr Kollege Burger! Die Regel im Hause ist, daß jeder Fragesteller pro Frage zwei Zusatzfragen stellen darf. — Jawohl, die hat er! Er darf im Grunde genommen vier Zusatzfragen stellen, alle übrigen Abgeordneten dürfen eine Zusatzfrage stellen. Sie meinen, daß Sie noch eine zweite Zusatzfrage zu der zweiten Frage stellen dürften. Das ist Auslegungssache. Bitte schön, Herr Burger! Herr Staatssekretär, können Sie angeben, welche Haushaltsmittel die Aktion „Das sichere Haus" bisher erhalten hat, und können Sie sagen, ob Sie diese Haushaltsmittel wesentlich erhöhen wollen? Wieviel wird die derzeitige Bundesregierung zur Verfügung stellen? Die Haushaltsmittel des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung für diesen Zweck der Aufklärung, wie sie unter anderem auch von der Aktion „Das sichere Haus" betrieben wird, sind im Jahre 1970 erstmals mit 120 000 DM in einem besonderen Titel des Bundeshaushaltsplans ausgewiesen worden, während in den Vorjahren ,nur ein Bruchteil dieser Summe aus einem anderen Haushaltstitel zur Verfügung gestanden hat. Eine Zusatzfrage, Frau Abgeordnete Kalinke. Herr Staatssekretär, steht Ihr Haus noch zu der Feststellung in der Sozialenquete und in der Frauenenquete über den Unfallversicherungsschutz, insbesondere zu der Feststellung, daß es ihn gibt und daß der Unfallversicherungsschutz durch private Unfallversicherungsunternehmen und Abschlüsse für die Hausfrauen billiger, günstiger und individueller möglich ist als durch einen staatlichen Unfallversicherungsschutz? Zweitens. Sind Sie bereit, — — Verzeihung, Frau Kollegin! Sie sind normalerweise in der Lage, sich kurz zu fassen. Die Frage gehört zu demselben Komplex. Die Fragen müssen kurz sein. Ja, aber das gehört zu demselben Komplex. Aber ich habe den Eindruck, Sie stellen bereits zwei Zusatzfragen. Herr Präsident, wenn Sie mir gestatten Wenn Sie sich vielleicht verständigen können, runden Sie es ab und kürzen Sie! Herr Präsident, die Auskunft des Staatssekretärs war so, daß derjenige, der sie liest, sie mißverstehen könnte. Darum mußte ich in meine Frage eine andere Erläuterung hineinlegen. In unserem Haus ist ja vorher schon sehr viel geschehen, Herr Präsident. Es ist ja nicht so, als finge das alles erst heute an. Frau Kollegin, ich darf Sie bitten, zur Frage zu kommen. Ich werde mich bemühen, Herr Präsident. Herr Staatssekretär, können wir von Ihnen schon erfahren, welche Mehrkosten auf Länder und Gemeinden zukommen werden, wenn der bisherige Unfallversicherungsschutz abgelöst und der Staat ihn übernehmen wird? Frau Kollegin, ich darf auch im Hinblick auf die Intervention des Herrn Präsidenten darauf aufmerksam machen, daß Sie jetzt noch ein völlig anderes Problem aufgreifen, nämlich neben der Unfallverhütung den gesamten Unfallversicherungsschutz der Hausfrauen. Angesichts Ihrer Frage frage ich mich nur, ob Sie mit dem Hinweis auf den privaten Bereich meinten, daß der Staat auf diesem Felde überhaupt nichts zu tun oder sich wesentlich zurückhalten sollte. Das würde allerdings mit dem Blick auf die Notwendigkeiten einer verbesserten Unfallverhütung im häuslichen Bereich nicht unsere Auffassung sein. (Beifall bei der SPD. — Zuruf der Abg. Frau Kalinke.)








(Nr. 11/70 - Zollkontingente für Rohblei und Rohzink)




Karl Herold (SPD):
Rede ID: ID0606400100
Kai-Uwe von Hassel (CDU):
Rede ID: ID0606400200
Dr. Dieter Haack (SPD):
Rede ID: ID0606400300
Karl Herold (SPD):
Rede ID: ID0606400400
Kai-Uwe von Hassel (CDU):
Rede ID: ID0606400500
Prof. Philip Rosenthal (SPD):
Rede ID: ID0606400600
Kai-Uwe von Hassel (CDU):
Rede ID: ID0606400700
Wolfgang Vogt (CDU):
Rede ID: ID0606400800
Prof. Philip Rosenthal (SPD):
Rede ID: ID0606400900
Kai-Uwe von Hassel (CDU):
Rede ID: ID0606401000
Prof. Philip Rosenthal (SPD):
Rede ID: ID0606401100
Kai-Uwe von Hassel (CDU):
Rede ID: ID0606401200
Prof. Philip Rosenthal (SPD):
Rede ID: ID0606401300
Kai-Uwe von Hassel (CDU):
Rede ID: ID0606401400



Prof. Philip Rosenthal (SPD):
Rede ID: ID0606401500
Kai-Uwe von Hassel (CDU):
Rede ID: ID0606401600
Günther Eckerland (SPD):
Rede ID: ID0606401700
Prof. Philip Rosenthal (SPD):
Rede ID: ID0606401800
Kai-Uwe von Hassel (CDU):
Rede ID: ID0606401900
Prof. Philip Rosenthal (SPD):
Rede ID: ID0606402000
Kai-Uwe von Hassel (CDU):
Rede ID: ID0606402100
Dr. Oscar Schneider (CSU):
Rede ID: ID0606402200
Prof. Philip Rosenthal (SPD):
Rede ID: ID0606402300
Kai-Uwe von Hassel (CDU):
Rede ID: ID0606402400
Wolfram Dorn (FDP):
Rede ID: ID0606402500
Kai-Uwe von Hassel (CDU):
Rede ID: ID0606402600
Dr. Egon Alfred Klepsch (CDU):
Rede ID: ID0606402700
Wolfram Dorn (FDP):
Rede ID: ID0606402800



Kai-Uwe von Hassel (CDU):
Rede ID: ID0606402900
Dr. Egon Alfred Klepsch (CDU):
Rede ID: ID0606403000
Wolfram Dorn (FDP):
Rede ID: ID0606403100
Kai-Uwe von Hassel (CDU):
Rede ID: ID0606403200
Wolfram Dorn (FDP):
Rede ID: ID0606403300
Kai-Uwe von Hassel (CDU):
Rede ID: ID0606403400
Hermann Barche (SPD):
Rede ID: ID0606403500
Wolfram Dorn (FDP):
Rede ID: ID0606403600
Kai-Uwe von Hassel (CDU):
Rede ID: ID0606403700
Valentin Brück (CDU):
Rede ID: ID0606403800
Wolfram Dorn (FDP):
Rede ID: ID0606403900
Kai-Uwe von Hassel (CDU):
Rede ID: ID0606404000
Helmuth Möhring (SPD):
Rede ID: ID0606404100
Wolfram Dorn (FDP):
Rede ID: ID0606404200



Kai-Uwe von Hassel (CDU):
Rede ID: ID0606404300
Wolfram Dorn (FDP):
Rede ID: ID0606404400
Kai-Uwe von Hassel (CDU):
Rede ID: ID0606404500
Hermann Barche (SPD):
Rede ID: ID0606404600
Wolfram Dorn (FDP):
Rede ID: ID0606404700
Kai-Uwe von Hassel (CDU):
Rede ID: ID0606404800
Helmuth Möhring (SPD):
Rede ID: ID0606404900
Wolfram Dorn (FDP):
Rede ID: ID0606405000
Kai-Uwe von Hassel (CDU):
Rede ID: ID0606405100
Valentin Brück (CDU):
Rede ID: ID0606405200
Wolfram Dorn (FDP):
Rede ID: ID0606405300
Kai-Uwe von Hassel (CDU):
Rede ID: ID0606405400
Helmuth Becker (SPD):
Rede ID: ID0606405500
Wolfram Dorn (FDP):
Rede ID: ID0606405600
Kai-Uwe von Hassel (CDU):
Rede ID: ID0606405700
Wolfram Dorn (FDP):
Rede ID: ID0606405800
Kai-Uwe von Hassel (CDU):
Rede ID: ID0606405900
Dr. Hans-Ulrich Brand (SPD):
Rede ID: ID0606406000
Wolfram Dorn (FDP):
Rede ID: ID0606406100
Kai-Uwe von Hassel (CDU):
Rede ID: ID0606406200
Helmut Rohde (SPD):
Rede ID: ID0606406300



Kai-Uwe von Hassel (CDU):
Rede ID: ID0606406400
Helmut Rohde (SPD):
Rede ID: ID0606406500
Kai-Uwe von Hassel (CDU):
Rede ID: ID0606406600
Dr. Volker Hauff (SPD):
Rede ID: ID0606406700
Helmut Rohde (SPD):
Rede ID: ID0606406800
Kai-Uwe von Hassel (CDU):
Rede ID: ID0606406900
Dr. Volker Hauff (SPD):
Rede ID: ID0606407000
Helmut Rohde (SPD):
Rede ID: ID0606407100
Kai-Uwe von Hassel (CDU):
Rede ID: ID0606407200
Helmut Rohde (SPD):
Rede ID: ID0606407300
Kai-Uwe von Hassel (CDU):
Rede ID: ID0606407400
Helmut Rohde (SPD):
Rede ID: ID0606407500



Kai-Uwe von Hassel (CDU):
Rede ID: ID0606407600
Kurt Härzschel (CDU):
Rede ID: ID0606407700
Helmut Rohde (SPD):
Rede ID: ID0606407800
Kai-Uwe von Hassel (CDU):
Rede ID: ID0606407900
Kurt Härzschel (CDU):
Rede ID: ID0606408000
Helmut Rohde (SPD):
Rede ID: ID0606408100

(Heiterkeit bei der SPD.)


(Beifall bei der SPD.)


(Erneuter Beifall bei der SPD.)

Kai-Uwe von Hassel (CDU):
Rede ID: ID0606408200
Albert Burger (CDU):
Rede ID: ID0606408300
Helmut Rohde (SPD):
Rede ID: ID0606408400
Kai-Uwe von Hassel (CDU):
Rede ID: ID0606408500
Hans Geiger (SPD):
Rede ID: ID0606408600



Helmut Rohde (SPD):
Rede ID: ID0606408700
Kai-Uwe von Hassel (CDU):
Rede ID: ID0606408800
Kurt Härzschel (CDU):
Rede ID: ID0606408900
Helmut Rohde (SPD):
Rede ID: ID0606409000
Kai-Uwe von Hassel (CDU):
Rede ID: ID0606409100

(Zuruf.)

Albert Burger (CDU):
Rede ID: ID0606409200
Helmut Rohde (SPD):
Rede ID: ID0606409300
Kai-Uwe von Hassel (CDU):
Rede ID: ID0606409400
Margot Kalinke (CDU):
Rede ID: ID0606409500
Kai-Uwe von Hassel (CDU):
Rede ID: ID0606409600
Margot Kalinke (CDU):
Rede ID: ID0606409700
Kai-Uwe von Hassel (CDU):
Rede ID: ID0606409800
Margot Kalinke (CDU):
Rede ID: ID0606409900
Kai-Uwe von Hassel (CDU):
Rede ID: ID0606410000
Margot Kalinke (CDU):
Rede ID: ID0606410100
Kai-Uwe von Hassel (CDU):
Rede ID: ID0606410200
Margot Kalinke (CDU):
Rede ID: ID0606410300
Kai-Uwe von Hassel (CDU):
Rede ID: ID0606410400
Margot Kalinke (CDU):
Rede ID: ID0606410500



Helmut Rohde (SPD):
Rede ID: ID0606410600

Kai-Uwe von Hassel (CDU):
Rede ID: ID0606410700
Damit sind wir am Ende der Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung. Ich danke Ihnen, Herr Staatssekretär.
Wir kommen zu den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers der Verteidigung. Ich rufe die Frage 38 des Abgeordneten Dr. Beermann auf:
Stimmt die Bundesregierung mit mir überein, daß die im äußeren Erscheinungsbild der Soldaten der Bundeswehr immer mehr feststellbare Fettleibigkeit die Funktionsfähigkeit unserer militärischen Einrichtung zu beeinträchtigen droht, und ist die Bundesregierung bereit, eine Erhebung durchzuführen, um festzustellen, wieviel Soldaten aller Dienstgrade an Übergewicht leiden?
Ist der Abgeordnete im Saal? — Ich darf zur Beantwortung dem Herrn Parlamentarischen Staatssekretär Berkhan das Wort geben.

Karl Wilhelm Berkhan (SPD):
Rede ID: ID0606410800
Herr Präsident, wenn Sie gestatten, möchte ich die Fragen 38 und 39 im Zusammenhang beantworten.

Kai-Uwe von Hassel (CDU):
Rede ID: ID0606410900
Der Fragesteller hat keine Bedenken. Ich rufe dann auch die Frage 39 des Abbgeordneten Dr. Beermann auf:
Ist sie bereit, Maßnahmen gegen die Verfettung der Bundeswehr zu ergreifen, wie sie die US-Armee z. B. 1959/60 auf dem Commandand Generalstaffcollege unter dem Namen „Operation Blubber" durchgeführt hat, um träge fettleibige Armeeangehörige wieder in leistungsfähige Soldaten zu verwandeln?

Karl Wilhelm Berkhan (SPD):
Rede ID: ID0606411000
Herr Kollege Dr. Beermann, bei der Beschäftigung mit Ihren zwei Fragen wurde ich an den vergangenen Schlager erinnert: „Nimm sie dir, ich mag sie nicht; sie ist zu fett für mich."

(Heiterkeit.)

Ich hatte die Sorge, daß ich Ihnen hier sagen müßte: ich biete Ihnen nun diese liebenswerte Bundeswehr an, wie es in idem Schlager anklingt. Aber gottlob habe ich mich bei der Beschäftigung mit dieser Frage davon überzeugt, daß die Sache nicht so schlimm ist, wie sie dem Fragesteller erschienen ist. Ihre Vermutung, daß die Funktionsfähigkeit der Bundeswehr unter einer immer mehr feststellbaren Fettleibigkeit der Soldaten leide, wird nämlich von
den bisher durchgeführten Untersuchungen nicht bestätigt. Erste statistische Erhebungen an 300 000 Wehrpflichtigen, die 1963 abgeschlossen wurden, zeigten sogar, daß sich die Gewichtchsverhältnisse im Verlauf des Wehrdienstes im allgemeinen normalisieren. Das heißt, durch körperliche Tätigkeit entstehender Muskelzuwachs führt beim Übergewichtigen zur Abnahme, beim Untergewichtigen zur Zunahme des Körpergewichts.
Weitere Stichprobenuntersuchungen — die letzten sind vom Geburtsjahrgang 1946 — haben dieses Ergebnis bestätigt. Eine repräsentative Vorsorgeuntersuchung, die zur Zeit noch läuft, ergab bisher bei etwa 300 Berufssoldaten aller Dienstgrade von 40 Jahren an und älter auch kein bedenkliches Ergebnis, 65 % von diesen untersuchten Soldaten hatten nämlich ein normales Körpergewicht. Lediglich bei 14 % der Überprüften fand sich ein Übergewicht, das als eine Gefährdung der Gesundheit angesehen werden kann.
Allen Soldaten wird eine ausgewogene Verpflegung angeboten. Als Grundlage dafür dienen die „Richtlinien und Leitsätze für die bedarfsgerechte Ernährung der Soldaten", die es mit Hilfe von Formblättern und einfach anzuwendenden Richtzahlen ermöglichen, den biologischen Wert von Kostkombinationen exakt zu beurteilen.
Es kann jedoch nicht verhindert werden, daß einzelne Soldaten der Truppenverpflegung überreichlich zusprechen

(Heiterkeit)

und sich außerdem mit kalorienreicher Zusatzkost selbst versorgen. Ich habe mir sagen lassen, daß Schokolade und Bonbons bei unseren Soldaten genauso beliebt sind wie Zigaretten.
Die Berufssoldaten allerdings nehmen in der Regel nicht nur an der Truppenverpflegung teil, wie Sie wohl aus Ihrer beruflichen Vergangenheit wissen.

(Erneute Heiterkeit.)

Außer mit guten Ratschlägen kann die Bundeswehr leider auf die häuslichen Essensgewohnheiten keinen Einfluß nehmen. Alle Soldaten werden jährlich einmal gewogen und auf ein eventuelles Übergewicht hingewiesen. Die bisher getroffenen Maßnahmen werden als ausreichend angesehen. Eindeutig übergewichtige Soldaten werden in ärztliche Überwachung und Betreuung genommen. Zusätzliche erzieherische Maßnahmen werden nicht in Erwägung gezogen.

(Heiterkeit und Beifall.)


Kai-Uwe von Hassel (CDU):
Rede ID: ID0606411100
Herr Parlamentarischer Staatssekretär, vielleicht sind Sie bereit, Ihre Empfehlungen zur Gesunderhaltung von Fettleibigen auch allen Abgeordneten des Hauses einschließlich des Präsidenten zuzuleiten,

(erneute Heiterkeit und Beifall)

ausgenommen nur Ihre erzieherischen Maßnahmen.

Karl Wilhelm Berkhan (SPD):
Rede ID: ID0606411200
Herr Präsident, ich weiß nicht, ob es mir zusteht, darauf zu antwor-



Parlamentarischer Staatssekretär Berkhan
ten. Ich will Ihnen aber sagen: Ich war bei der Bearbeitung dieser Frage etwas gekränkt, weil ich selber unter Übergewicht leide.

(Heiterkeit.)


Kai-Uwe von Hassel (CDU):
Rede ID: ID0606411300
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Beermann.

Dr. Friedrich Beermann (SPD):
Rede ID: ID0606411400
Herr Staatssekretär, werden wir damit rechnen können, daß der Bedarf an überlangen Leibriemen in Zukunft auf ein normales Maß herabgesetzt wird, nachdem Sie sich so eingehend mit der Ernährungs- und Verpflegungslage der Bundeswehr befaßt haben?

Karl Wilhelm Berkhan (SPD):
Rede ID: ID0606411500
Herr Kollege, die Frage nach den Leibriemen beantworte ich folgendermaßen. Wir haben Rücksicht darauf zu nehmen, daß wir Wehrpflichtige und Berufssoldaten, aber auch Reservesoldaten haben. Unter den Reservisten befinden sich zeitweise welche, die einen etwas längeren Leibriemen benötigen. Wenn Sie den Blick etwas im Saale schweifen lassen, werden Sie unter den jüngeren männlichen Kollegen Reservisten der Bundeswehr sehen, die durchaus Anspruch auf einen angemessenen Leibriemen im Dienst hätten.

(Heiterkeit.)


Kai-Uwe von Hassel (CDU):
Rede ID: ID0606411600
Keine Zusatzfragen.
Ich rufe die Frage 40 des Abgeordneten Jung auf. — Ist der Abgeodrnete im Saal? — Er ist nicht anwesend. Die Frage wird schriftlich beantwortet; die Antwort wird als Anlage abgedruckt. Ich danke Ihnen für die Beantwortung, Herr Parlamentarischer Staatssekretär Berkhan.
Ich rufe die Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Jugend, Familie und Gesundheit auf, zunächst die Frage 41.
Der Fragesteller hat um schriftliche Beantwortung gebeten. Die Antwort liegt noch nicht vor. Sie wird nach Eingang als Anlage abgedruckt.
Ich rufe die Frage 42 des Abgeordneten Dr. Schäfer (Tübingen) auf:
Sind der Bundesregierung die Berichte über die Gefährlichkeit der sog. „biologisch aktiven" Waschmittel bekannt (vgl. „Die Zeit" Nr. 35 vom 28. August 1970, S. 45) ?
Zur Beantwortung Herr Staatssekretär Professor von Manger-Koenig.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0606411700
Herr Abgeordneter, die Berichte britischer Wissenschaftler über biologische Waschmittel sind der Bundesregierung bekannt, ebenso aber auch eine große Anzahl weiterer wissenschaftlicher Publikationen aus verschiedenen Ländern.

Kai-Uwe von Hassel (CDU):
Rede ID: ID0606411800
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Schäfer (Tübingen) !

Dr. Friedrich Schäfer (SPD):
Rede ID: ID0606411900
Herr Staatssekretär, gibt es auch Untersuchungen innerhalb der Bundesrepublik? Gibt es insbesondere Untersuchungen, die von Ihrem Hause veranlaßt wurden?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0606412000
Es gibt eine Untersuchung in der Bundesrepublik, und zwar von einem Kölner Arbeitskreis. Gerade mit diesem Arbeitskreis stehen wir in Verbindung, um die Forschungen, die dort begonnen worden sind, weiterzuführen und zu intensivieren.

Kai-Uwe von Hassel (CDU):
Rede ID: ID0606412100
Keine Zusatzfrage.
Ich rufe die Frage 43 des Abgeordneten Dr. Schäfer (Tübingen) auf:
Welche Initiativen hat sie ergriffen, um diese Gefahr zu erfassen und ihr zu begegnen?
Zur Beantwortung Herr Staatssekretär Professor von Manger-Koenig.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0606412200
Der Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit hat sich hinsichtlich der gesundheitlichen Beurteilung von proteolytischen Enzymen in Waschmitteln bereits im August 1969, als die genannten Ergebnisse von wissenschaftlichen Untersuchungen in Großbritannien noch nicht bekannt waren, mit einem namhaften deutschen Waschmittelhersteller in Verbindung gesetzt. Wir haben von dort nicht nur eine umfassende Literaturinformation zur Verfügung gestellt bekommen, sondern es wurde auch mitgeteilt, daß auf Grund systematischer wissenschaftlicher Untersuchungen und sorgfältiger Beobachtungen des Marktes bis dahin keinerlei Schädigungen des Verbrauchers festzustellen waren.
Ungeachtet dieser Auskunft wurde das Bundesgesundheitsamt zur gleichen Zeit beauftragt, eigene Untersuchungen über die physiologische Wirkung enzymhaltiger Waschmittel anzustellen. Die inzwischen abgeschlossenen Tierversuche haben allerdings zu brauchbaren Ergebnissen nicht geführt. Das Bundesgesundheitsamt hat daher Umfragen an deutschen Universitätshautkliniken durchgeführt, nach deren Ergebnis, Herr Abgeordneter, die Mehrzahl der befragten Institute bisher keine Anhaltspunkte für eine Schädigung der menschlichen Gesundheit infolge der Verwendung biologisch aktiver Waschmittel festgestellt hat.
Einige Wissenschaftler, darunter auch der Kölner Arbeitskreis, schließen die Möglichkeit — ich betone: die Möglichkeit — einer Schädigung allerdings nicht aus, sehen sich zu einer endgültigen Stellungnahme jedoch erst in der Lage, wenn wissenschaftlich gesicherte Untersuchungsergebnisse vorliegen. Um möglichst rasch in den Besitz solcher Untersuchungsunterlagen zu kommen, haben wir einen entsprechenden Forschungsauftragt erteilt. Sofern sich dabei Anhaltspunkte ergeben sollten, daß enzymhaltige Waschmittel geeignet sind, die menschliche Gesundheit zu schädigen, wird die Bundesregierung geeignete Maßnahmen zum Schutz des Verbrauchers treffen.




Kai-Uwe von Hassel (CDU):
Rede ID: ID0606412300
Keine Zusatzfrage.
Ich rufe die Frage 44 des Abgeordneten Dr. Enders auf:
Wie beurteilt die Bundesregierung die gegenwärtige Gesetzgebung, wonach das Ausbildungsförderungsgesetz vom Antragsteller keine besondere Eignung für die Gewährung der Förderungshilfe verlangt, während für Schüler unter der Klasse 11 die Ausbildungsbeihilfe nach dem Bundessozialhilfegesetz nur bei überdurchschnittlichen Leistungen gezahlt wird?
Zur Beantwortung, Herr Staatssekretär!

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0606412400
Gestatten Sie, daß ich beide Fragen wegen des engen Sachzusammenhangs gemeinsam beantworte?

Kai-Uwe von Hassel (CDU):
Rede ID: ID0606412500
Keine Bedenken. Dann rufe ich zusätzlich Frage 45 des Abgeordneten Dr. Enders auf:
Ist die Bundesregierung bereit, im Hinblick auf die Gleichheit aller Schüler die unterschiedlichen Voraussetzungen für die Gewährung der Ausbildungsförderung zu beseitigen und auf die überdurchschnittlichen Leistungsbedingungen zu verzichten?
Bitte schön!

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0606412600
Die Bundesregierung ist mit dem Problem vertraut. Sie wird im Rahmen der weiteren Gesetzgebungsarbeit prüfen, auf welchem Wege die zur Zeit bestehenden, in der Tat unterschiedlichen Voraussetzungen für die Gewährung der Förderungshilfe nach dem Ausbildungsförderungsgesetz und der Ausbildungshilfe nach dem Bundessozialhilfegesetz aufeinander abgestimmt werden können. Es läßt sich aber im Augenblick, Herr Abgeordneter, noch nicht übersehen, ob dies im Zuge der Weiterentwicklung der Ausbildungsförderung oder durch eine Änderung der sozialhilferechtlichen Bestimmungen geschehen kann.

Kai-Uwe von Hassel (CDU):
Rede ID: ID0606412700
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Enders.

Dr. Wendelin Enders (SPD):
Rede ID: ID0606412800
Herr Staatssekretär, werden danach die Ergebnisse jüngster Veröffentlichungen berücksichtigt, wonach die Schulnoten jeweils nur den Leistungsstand innerhalb einer Klasse angeben, während sie von Fach zu Fach und von Schule zu Schule variieren und keinen echten Maßstab für überdurchschnittliche Leistungen abgeben?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0606412900
Dieses Problem, das wir ja auch in anderen Bereichen — etwa bei den Zulassungsvoraussetzungen zu Universitäten — haben, wird im Einvernehmen mit dem Ministerium für Bildung und Wissenschaft berücksichtigt werden.

Kai-Uwe von Hassel (CDU):
Rede ID: ID0606413000
Keine Zusatzfrage.
Ich rufe die Frage 46 des Abgeordneten Dr. Geßner auf:
Ist die Bundesregierung bereit, eine generelle Meldepflicht für Behinderte einzuführen, um deren Ergebnisse beim Aufbau und bei der Planung von Rehabilitationseinrichtungen berücksichtigen zu können?
Zur Beantwortung, Herr Staatssekretär!

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0606413100
Das in der Frage angeschnittene Problem ist durch das zweite Änderungsgesetz zum Bundessozialhilfegesetz vom 14. August 1969 bereits einer Neuregelung zugeführt worden. Ihr Zweck ist es, den Behinderten die im Einzelfall notwendige Hilfe so frühzeitig wie möglich zu sichern und eine umfassende Planung der erforderlichen Rehabilitationseinrichtungen zu ermöglichen. Zu diesem Zweck, Herr Abgeordneter, wird insbesondere bestimmt, daß Eltern und Vormünder die ihrer Personensorge anvertrauten Behinderten dem Gesundheitsamt oder einem Arzt zur Beratung vorzustellen haben. Die Ärzte haben alle ihnen bekanntwerdenden erheblichen Behinderungen dem Gesundheitsamt mitzuteilen. Das Gesundheitsamt hat nach ausdrücklicher Vorschrift dieses Gesetzes die Aufgabe, die durch die Mitteilungen der Ärzte oder durch die eigene Beratung der Behinderten anfallenden Unterlagen auszuwerten und sie zur Planung der erforderlichen Einrichtungen und auch zur weiteren wissenschaftlichen Auswertung nach näherer Bestimmung den zuständigen obersten Landesbehörden weiterzuleiten.
Diese Neuregelung ist mit Zustimmung aller Fraktionen dieses Hohen Hauses getroffen worden. Mit ihr ist nach Meinung der Bundesregierung dem in der Frage zum Ausdruck gebrachten Anliegen bereits Rechnung getragen worden.

Kai-Uwe von Hassel (CDU):
Rede ID: ID0606413200
Keine Zusatzfrage.
Ich rufe die Fragen 47 und 48 des Abgeordneten Susset auf:
Ist die Bundesregierung bereit, die Verordnung zur Durchführung des § 88 Abs. 2 Nr. 8 des Bundessozialhilfegesetzes vom 20. Juli 1962 neuzufassen, damit die für heutige Verhältnisse unzulänglichen Geldwertrichtsätze, die in § 1 festgelegt sind, den durch die Preissteigerungen hervorgerufenen Teuerungen gerecht werden?
Ist der Bundesminister des Innern bereit zu prüfen, ob in Zukunft Durchführungsverordnungen dieser Art, insbesondere jedoch die VO des Bundesministers des Innern zur Durchführung des § 88 Abs. 2 Nr. 8 des Bundessozialhilfegesetzes, laufend überprüft und die darin enthaltenen Richtsätze in gewissen Zeiträumen der allgemeinen gesellschaftlichen Entwicklung angepaßt werden können?
Zur Beantwortung, Herr Staatssekretär!

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0606413300
Der Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit hat dem Bundesrat im Juni dieses Jahres eine Rechtsverordnung zur Zustimmung vorgelegt, durch welche die in der Verordnung vom 20. Juli 1962 festgesetzten kleineren Barbeträge und sonstigen Geldwerte nach § 88 Abs. 2 Nr. 8 des Bundessozialhilfegesetzes erhöht und damit der allgemein wirtschaftlichen Entwicklung angepaßt werden sollen. Diese Verordnung, die vor allem Sozialhilfeempfängern mit kleineren Sparguthaben zugute kommen soll, wird voraussichtlich im Oktober 1970 in Kraft treten können.




Kai-Uwe von Hassel (CDU):
Rede ID: ID0606413400
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Susset.

Egon Susset (CDU):
Rede ID: ID0606413500
Herr Staatssekretär, Sie sprachen davon, daß dem Bundesrat die Verordnung zugeleitet wurde, und Sie sprachen auch von einer Erhöhung, die im Oktober in Kraft treten soll. Wie hoch ist die vorgeschlagene Erhöhung?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0606413600
Herr Abgeordneter, ich darf Ihnen anschließend den Text der Rechtsverordnung mit den einzelnen Daten übergeben. Es würde zu weit führen, hier den Text der Verordnung vorzutragen.

Kai-Uwe von Hassel (CDU):
Rede ID: ID0606413700
Eine weitere Zusatzfrage des Abgeordneten Susset.

Egon Susset (CDU):
Rede ID: ID0606413800
Ist bei dieser Erhöhung auch sichergestellt, daß in Zukunft in zeitlichen Abständen damit zu rechnen ist, daß eine gewisse Dynamisierung bezüglich dieser Erhöhung eintreten kann?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0606413900
Herr Abgeordneter, auf diese Frage, die den Inhalt Ihrer Frage 48 darstellt, antworte ich mit Ja.

Kai-Uwe von Hassel (CDU):
Rede ID: ID0606414000
Ich rufe die Frage 49 des Abgeordneten Strohmayr auf:
Welche gesetzlichen Maßnahmen bieten sich, gegen üble Geschäftemacher mit privaten Alters- und Pflegeheimen vorzugehen, die sich von den Insassen meist durch Verpfändung der Rente auf Lebenszeit einen sehr hohen Preis zahlen lassen, deren Leistungen und Betreuungen aber sehr zu wünschen übriglassen?
Zur Beantwortung, Herr Staatssekretär.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0606414100
Herr Präsident, erlauben Sie, daß ich wegen des inhaltlichen Zusammenhangs die Fragen 49 und 50 zusammen beantworte?

Kai-Uwe von Hassel (CDU):
Rede ID: ID0606414200
Keine Bedenken. Ich rufe dann auch die Frage 50 des Abgeordneten Strohmayr auf:
Könnte sich die Bundesregierung zum Schutz dieser alten, oft hilfsbedürftigen Menschen entschließen, die Führung von privaten Alters- und Pflegeheimen an eine Zulassungsprüfung zu binden, die neben der verwaltungs- und wirtschaftlichen Eignung auch eine sozialpädagogische und fürsorgerische Eignung sichert?
Bitte schön, Herr Staatssekretär!

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0606414300
Nach geltendem Recht bietet, wenn ich von gewissen zivilrechtlichen und strafrechtlichen Möglichkeiten absehe, § 38 Nr. 10 der Gewerbeordnung in Verbindung mit den Rechtsverordnungen der Länder eine Handhabe, um die älteren Heiminsassen vor Übervorteilung und Ausnutzung zu schützen. Diese Landesvorschriften sind Ihnen, Herr Abgeordneter, zweifellos bekannt. Ich darf jedoch darauf hinweisen, daß nach dieser Rechtslage die Landesbehörden auch die Möglichkeit haben, die Betriebe daraufhin zu überprüfen, ob idie Bedingungen der Aufnahmeverträge angemessen sind.
Im übrigen hat die Bundesregierung im Jahre 1969 geprüft, ob diese Vorschriften ausreichen oder ob nicht das Bedürfnis besteht, den Schutz der alten Menschen, die in Heimen leben, zu verstärken. Bei dieser Prüfung war die Bundesregierung auf Erfahrungsberichte der Länder angewiesen. Diese haben das Bedürfnis für weitere gesetzliche Maßnahmen nicht bejaht. Ich darf insoweit auf die Bundestagsdrucksache V/4122 verweisen.
Dessenungeachtet werden immer wieder Klagen über Mißstände laut. Man hört sie beim Deutschen Fürsorgetag, beim Fachausschuß „Altenhilfe" des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge; wir kennen sie aus zahlreichen Zuschriften an Zeitungen, Rundffunkanstalten, auch aus Eingaben, Herr Abgeordneter, die wir erhalten.
Wir sind deshalb der Meinung, daß wir ungeachtet der bisherigen vorliegenden offiziellen Stellungnahmen der Länder weitere Maßnahmen ergreifen müssen, und zwar nicht nur gesetzliche, die wahrscheinlich allein nicht helfen, sondern vor allem Maßnahmen praktischer Art. Dazu bedarf es zunächst einer umfassenden Materialsammlung und Analyse über die Ursachen. Wir haben diese in Angriff genommen.

Kai-Uwe von Hassel (CDU):
Rede ID: ID0606414400
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Strohmayr.

Alois Strohmayr (SPD):
Rede ID: ID0606414500
Herr Staatssekretär, ich frage Sie: Ist Ihnen bekannt, daß die alten Menschen ihr Leid in der Öffentlichkeit oft deswegen nicht bekanntgeben, weil sie Angst haben, in einem anderen oder in demselben Heim weiterhin keine Aufnahme zu finden.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0606414600
Herr Abgeordneter, es ist bekannt, ,daß bei Beschwerden, die nach außen gegeben werden, Nachteile zu gewärtigen sind.

Kai-Uwe von Hassel (CDU):
Rede ID: ID0606414700
Eine zweite Zusatzfrage des Abgeordneten Strohmayr.

Alois Strohmayr (SPD):
Rede ID: ID0606414800
Herr Staatssekretär, sind Sie nicht mit mir der Auffassung, daß es wichtig und wesentlich wäre — wie in meiner zweiten Frage angegeben —, daß die Leiter von Altersheimen unter allen Umständen einer Prüfung unterzogen werden sollten, da sie eine wesentlich größere und schwerere Aufgabe haben als mancher Handwerker oder auch mancher Geschäftsmann?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0606414900
Die von Ihnen angeschnittenen Fragen hinsichtlich der Qualifikation von Heimleitern wären Gegenstand einer solchen umfassenden gesetzlichen Regelung, auf die ich hinwies und die wir prüfen.




Kai-Uwe von Hassel (CDU):
Rede ID: ID0606415000
Keine weiteren Zusatzfragen.
Die Frage 51 des Abgeordneten Bay ist im Bereich des Bundesministeriums des Innern behandelt worden.
Ich danke Ihnen, Herr Staatssekretär, für die Beantwortung der Fragen aus Ihrem Geschäftsbereich.
Ich rufe die Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen auf, zuerst die Frage 52 des Abgeordneten Schmidt (Kempten). — Der Abgeordnete ist nicht im Saal. Die Antworten auf die Fragen 52 und 53 werden als Anlagen abgedruckt.
Ich rufe die Frage 54 des Abgeordneten Dr. Pohle auf. — Der Abgeordnete ist im Saal nicht zu sehen. Auch hier werden die Antworten auf die Fragen 54 und 55 als Anlagen abgedruckt.
Ich rufe die Frage 56 des Abgeordneten Seefeld auf. — Der Abgeordnete ist nicht im Saal. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Ich rufe die Frage 57 des Abgeordneten Schröder (Wilhelminenhof) auf:
Ist die Bundesregierung von ihrem Plan abgerückt, den Bau der Nord-Süd-Autobahn, die von Ostfriesland ausgehen soll, mit Vorrang zu behandeln, nachdem Meldungen vorliegen, wonach die vier norddeutschen Länder Einigkeit über die Priorität der Ost-West-Autobahn im Küstenbereich erzielt haben sollen?
Zur Beantwortung Herr Bundesminister Leber.

Georg Leber (SPD):
Rede ID: ID0606415100
Herr Präsident, die Dringlichkeiten der Bauvorhaben an Bundesfernstraßen im gesamten Bundesgebiet sind bei der Vorbereitung des Ausbauplanes für die Jahre 1971 bis 1985 in sehr umfangreichen Untersuchungen nach einheitlichen Kriterien und nach Abstimmung mit den Ländern neu festgelegt worden. Dabei haben sich für die überregionalen Fernverbindungen abschnittsweise verschiedene Dringlichkeiten ergeben. Die Einzelheiten sind im sogenannten Bedarfsplan enthalten, der wesentlicher Bestandteil des demnächst dem Deutschen Bundestag zugehenden. Entwurfs für ein Gesetz zum Ausbau der Bundesfernstraßen in den Jahren 1971 bis 1985 ist. In diesem Bedarfsplan stehen die Bundesautobahn Ruhrgebiet—Ostfriesland mit gut 50 % und die sogenannte Küstenautobahn Niederländische Grenze—Ostholstein mit knapp 30 % der jeweiligen Gesamtlänge in der 1. Dringlichkeitsstufe. Die obengenannte Dringlichkeitseinstufung wird durch die meinem Hause bisher nur aus Pressemeldungen bekanntgewordenen Bestrebungen der für die Wirtschaft und den Verkehr zuständigen Minister und Senatoren der vier Küstenländer nicht beeinflußt.

Kai-Uwe von Hassel (CDU):
Rede ID: ID0606415200
Keine Zusatzfrage: Ich rufe die Frage 58 des Abgeordneten Schröder (Wilhelminenhof) auf:
Wann kann mit dem Bau und der Fertigstellung der Ostfriesland-Autobahn, d. h. der Nord-Süd-Verbindung, gerechnet werden?

Georg Leber (SPD):
Rede ID: ID0606415300
Der zur Zeit in Aufstellung befindliche 1. Fünfjahresplan für den Ausbau der Bundesfernstraßen sieht vor, mit dem Bau der Nord-Süd-Verbindung Ruhrgebiet—Ostfriesland auf einzelnen Streckenabschnitten, die in die 1. Dringlichkeitsstufe eingestuft sind — nämlich zwischen Papenburg und Leer sowie zwischen Wermerlskirchen und Dorsten —, gegen Ende des 1. Fünfjahresplanes zu beginnen. Die Arbeiten auf diesen Strekkenabschnitten sollen in den folgenden Jahren so gefördert werden, daß mit ihrer Fertigstellung im 2. Fünfjahresplan, also in der Zeit von 1975 bis 1980, gerechnet werden kann.
Über die Streckenabschnitte, die außerhalb der 1. Dringlichkeit liegen, kann weder hinsichtlich des Baubeginns noch der Fertigstellung zur Zeit ein konkretes Datum angegeben werden.

Kai-Uwe von Hassel (CDU):
Rede ID: ID0606415400
Keine Zusatzfrage. Ich rufe die Frage 59 des Abgeordneten Dr. Riedl (München) auf:
Ist der Bundesregierung die Feststellung des Verbandes Deutscher Flugleiter e. V. in der Zeitschrift „Der Flugleiter" Nr. 3/1970 bekannt, wonach es „trotz intensiver Nachforschungen" bisher nicht gelungen sei festzustellen, ob für die Abwicklung des Luftverkehrs aus Anlaß der Olympischen Spiele 1972 in München „eine annehmbare Konzeption entwickelt wurde und auch von allen beteiligten bzw. interessierten Stellen zügig einer Realisation zugeführt wird", und ist die Bundesregierung in der Lage, dazu Stellung zu nehmen?
Zur Beantwortung ,der Herr Bundesminister.

Georg Leber (SPD):
Rede ID: ID0606415500
Der Bundesregierung ist die in der Zeitschrift „Der Flugleiter" enthaltene Feststellung zur Konzeption für die Abwicklung des Luftverkehrs aus Anlaß der Olympischen Spiele 1972 in München-Riem bekannt. Es muß sich dabei aber um eine Feststellung handeln, von der sich die Zeitschrift selbst abgrenzt; denn der Artikel ist namentlich gezeichnet, und im Impressum heißt es, daß die Zeitschrift für namentlich gezeichnete Artikel nicht geradesteht.
Zu der in dem Artikel dargelegten Konzeption ist zu sagen: Der Flughafen München-Riem wird mit Rücksicht auf seine beschränkte Startbahnkapazität den aus Anlaß der Olympischen Spiele erwarteten Flugverkehr nicht allein bewältigen können. Es ist daher vorgesehen, nur den Linienverkehr und außerhalb der Spitzenstunden einen Teil des Charterverkehrs in München-Riem abzuwickeln. Der überfließende Charterverkehr wird nach dem Militärflugplatz Fürstenfeldbruck geleitet werden. Der Bundesminister für Verteidigung ist grundsätzlich bereit, diesen Platz für eine zivile Mitbenutzung während der Olympischen Spiele zur Verfügung zu stellen. Der Verkehr der allgemeinen Luftfahrt wird, soweit es sich um Instrumentenflugverkehr handelt, nach Neubiberg, der Sichtflugverkehr wird nach Landshut und Augsburg verlegt. Der Flugplatz Oberpfaffenhofen kommt für den olympischen Verkehr nicht in Betracht, da er sich in privatem Besitz befindet und von den olympischen Kampfstätten auch sehr schlecht zu erreichen ist.

Kai-Uwe von Hassel (CDU):
Rede ID: ID0606415600
Keine Zusatzfrage. Ich rufe als letzte Frage in dieser Fragestunde die



Präsident von Hassel
Frage 60 des Abgeordneten Dr. Schneider (Nürnberg) auf:
Welche Forschungsvorhaben deutscher Hochschulen und privater Unternehmen befassen sich mit der Konstruktion abgasfreier Motoren, und welcher finanzieller Aufwand ist zur Zeit für diese Projekte jährlich aufzubringen?
Zur Beantwortung der Herr Bundesminister.

Georg Leber (SPD):
Rede ID: ID0606415700
Forschungsvorhaben deutscher Hochschulen und industrieller Unternehmen befassen sich im Zusammenhang mit dem Problem des Umweltschutzes sowohl mit der Entwicklung abgasfreier Antriebe als auch mit Maßnahmen zur Verminderung der .Lärm- und Abgasbelästigung durch Verbrennungsmotoren. Hierbei werden insbesondere abgasfreie Antriebsysteme angestrebt, die auf der Anwendung elektrischer Speicherenergie oder auf der Brennstoffzelle als Energiequelle in Verbindung mit Elektromotoren beruhen. Wesentliche Anregungen hierzu hat die Deutsche Forschungsgemeinschaft mit ihrer Denkschrift „Elektrospeicherfahrzeuge" geliefert. Die Vorhaben sind Gegenstand spezieller Forschungsvorhaben des Bundesministers für Verkehr und des Bundesministers für Bildung und Wissenschaft. Maßnahmen zur optimalen Verbrennung des Kraftstoffs in Verbrennungsmotoren führen zu einer. Verminderung der Abgasbelästigung und werden bei der Neukonstruktion von Kraftfahrzeugen derzeit vielfach schon durchgeführt. Im übrigen arbeiten zahlreiche Hochschul- und Industrieinstitute an diesem komplexen Fragenkreis. Im Rahmen ausgedehnter Ideenkonkurrenz wird mit technisch und wirtschaftlich verwertbaren Vorschlägen auf den Gebieten Hybrid-Motor — dieselelektrisch —, Stirling-Motor — thermischer Speicher — und Gasturbine gearbeitet, welche durch ausreichende Förderung dann zur Verwendungsreife führen können.

Kai-Uwe von Hassel (CDU):
Rede ID: ID0606415800
Keine Zusatzfrage. — Wir sind am Ende unserer Fragestunde nach dem Ablauf von 60 Minuten angelangt.

(Die Abgeordneten erheben sich.)

Meine Damen und Herren! In der Nacht zum 18. August ist unser Kollege Ernst Lemmer im Alter von 72 Jahren in Berlin nach einer schweren Krankheit gestorben.
Geboren am 28. April 1898 in Remscheid, wurde Ernst Lemmer 1924 im Alter von 26 Jahren als jüngster Abgeordneter in den Deutschen Reichstag gewählt. Er war der letzte Kollege unter uns, der noch dem Parlament der Republik von Weimar angehört und dort gewirkt hat. Nach 1933 wurde ihm verboten, als Journalist für deutsche Zeitungen zu schreiben. Fortan arbeitete er als Berliner Korrespondent namhafter ausländischer Zeitungen.
1945 wurde Ernst Lemmer Mitbegründer der Christlich Demokratischen Union in der sowjetischen Besatzungszone, deren zweiter Vorsitzender er bis 1948 war. Unserem Parlament, dem Deutschen Bundestag, gehörte er seit Februar 1952 als Abgeordneter Berlins an, der Stadt, der seine Leidenschaft und seine Sorge gehörte.
Im November 1956 übernahm Ernst Lemmer das Amt des Bundesministers für das Post- und Fernmeldewesen. Von 1957 bis 1962 war er Bundesminister für Gesamtdeutsche Fragen, von Februar 1964 bis Oktober 1965 Bundesminister für Vertriebene, Flüchtlinge und Kriegsgeschädigte. Im Dezember 1965 übernahm Ernst Lemmer das Amt des Sonderbeauftragten des Bundeskanzlers für Berlin. Er blieb es bis zum Oktober 1969.
Ernst Lemmer ist nun nicht mehr unter uns. Wir haben einen Kollegen verloren, der nicht müde wurde, mahnend seine Stimme zu erheben, zugleich daran verzweifelnd, daß Worte nichts ausrichten können gegen die schmerzliche Teilung seines Vaterlandes. Uns bleibt die Erinnerung an den Menschen Ernst Lemmer, an einen großen Deutschen und leidenschaftlichen Parlamentarier, an einen aufrechten Demokraten, der als Patriot ein Menschenalter lang — oft ohne Rücksicht auf sein Leben und seine Freiheit — um das Beste in Deutschland und für Deutschland gerungen hat.
Im Namen des ganzen Hauses habe ich den Angehörigen und der Bundestagsfraktion der CDU/CSU unsere aufrichtige und herzliche Anteilnahme ausgesprochen.
Am Sarge Ernst Lemmers habe ich in Berlin gesagt und wiederhole es hier:
Der Deutsche Bundestag bekundet in ehrendem Respekt: Ernst Lemmer hat sich um Einigkeit und Recht und Freiheit für alle Deutschen verdient gemacht.
Meine Damen und Herren, Sie haben sich von Ihren Plätzen erhoben. Ich danke Ihnen.
Wir fahren in der Tagesordnung fort. Ich rufe Punkt 2 der Tagesordnung auf:
Beratung der Sammelübersicht 7 des Petitionsausschusses (2. Ausschuß) über Anträge von Ausschüssen des Deutschen Bundestages zu Petitionen
— Drucksache VI/1050 -
Ich danke der Vorsitzenden des Ausschusses, Frau Jacobi, für ihre Vorlage und frage, ob das Wort zur mündlichen Ergänzung gewünscht wird. — Das ist nicht der Fall. — Das Wort wird auch nicht weiter gewünscht.
Dann haben wir darüber abzustimmen. Wer dieser Sammelübersicht und dem Antrage des Ausschusses seine Zustimmung gibt, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Es ist so beschlossen.
Ich rufe Punkt 3 der Tagesordnung auf:
Erste Beratung des von den Abgeordneten Ott, Stücklen, Gewandt, Dr. Kreile, Dr. Warnke, Niegel, Höcherl, von Bockelberg und Genossen eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur .nderung des Einkommensteuergesetzes
— Drucksache VI/704 —
Das Wort wird nicht gewünscht.



Präsident von Hassel
Der Ältestenrat schlägt vor, den Gesetzentwurf dem Finanzausschuß als federführendem Ausschuß, dem Ausschuß für Wirtschaft zur Mitberatung und dem Haushaltsausschuß gemäß § 96 der Geschäftsordnung zu überweisen. — Es ist so beschlossen.
Ich rufe Punkt 4 der Tagesordnung auf:
Erste Beratung des von den Abgeordneten Strauß, Dr. Pohle, Engelsberger, Dr. Kreile, Kiechle, Dr. Althammer, Schlee, Weigl und Genossen eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Umsatzsteuergesetzes (Mehrwertsteuer)

Drucksache VI/766 —
Das Wort wird nicht gewünscht.
Der Überweisungsvorschlag des Ältestenrates geht dahin, den Gesetzentwurf dem Finanzausschuß als federführendem Ausschuß, dem Ausschuß für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen als mitberatendem Ausschuß und dem Haushaltsausschuß gemäß § 96 der Geschäftsordnung zu überweisen. — Es ist so beschlossen.
Ich rufe Punkt 5 der Tagesordnung auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über den Finanzausgleich zwischen Bund und Ländern
— Drucksache VI/1098 —
Das Wort wird nicht gewünscht.
Nach dem Vorschlag des Ältestenrates soll der Gesetzentwurf dem Finanzausschuß sowie dem Haushaltsausschuß gemäß § 96 der Geschäftsordnung überwiesen werden. — Es ist so beschlossen.
Ich rufe Punkt 6 der Tagesordnung auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Europäischen Übereinkommen vom 7. Juni 1968 zur Befreiung der von diplomatischen oder konsularischen Vertretern errichteten Urkunden von der Legalisation
— Drucksache VI/943 —
Das Wort wird nicht gewünscht.
Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung an den Rechtsausschuß. — Es ist so beschlossen.
Ich rufe Punkt 7 der Tagesordnung auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Haager Übereinkommen vom 5. Oktober 1961 über die Zuständigkeit der Behörden und das anzuwendende Recht auf dem Gebiet des Schutzes von Minderjährigen
— Drucksache VI/947 —
Das Wort wird nicht gewünscht.
Der Ältestenrat schlägt vor, den Gesetzentwurf dem Rechtsausschuß als federführendem Ausschuß und dem Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit als mitberatendem Ausschuß zu überweisen. — Es ist so beschlossen.
Ich rufe Punkt 8 der Tagesordnung auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Durchführungsgesetzes EWG-Richtlinie Frisches Fleisch
— Drucksache VI/984 —
Das Wort wird nicht gewünscht.
Der Überweisungsvorschlag des Ältestenrates lautet, den Gesetzentwurf dem Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit zur Federführung und dem Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten zur Mitberatung zu überweisen. — Es ist so beschlossen.
Ich rufe Punkt 9 der Tagesordnung auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gestzes zu dem Abkommen vom 9. Dezember 1969 zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung des Großherzogtums Luxemburg über den Verzicht auf die in Artikel 14 Abs. 2 EWG-Verordnung Nr. 36/63 vorgesehene Erstattung von Aufwendungen für Sachleistungen, welche bei Krankheit an Rentenberechtigte, die ehemalige Grenzgänger oder Hinterbliebene eines Grenzgängers sind, sowie deren Familienangehörige gewährt wurden
— Drucksache VI/1001 —
Das Wort wird nicht gewünscht.
Der Ältestenrat schlägt Überweisung an den Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung vor. — Es ist so beschlossen.
Ich rufe Punkt 10 der Tagesordnung auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über die Statistik der Bevölkerungsbewegung und die Fortschreibung des Bevölkerungsstandes
— Drucksache VI/1008 —
Das Wort wird nicht gewünscht.
Der Ältestenrat empfiehlt, den Gesetzentwurf dem Innenausschuß zu überweisen. — Es ist so beschlossen.
Ich rufe Punkt 11 der Tagesordung auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Sechsten Gesetzes zur Änderung des Wehrsoldgesetzes
— Drucksache VI/ 1011 —
Das Wort wird nicht gewünscht.
Nach dem Überweisungsvorschlag des Ältestenrates soll der Gesetzentwurf dem Verteidigungsausschuß als federführendem Ausschuß, dem Innenausschuß zur Mitberatung und dem Haushaltsausschuß gemäß § 96 der Geschäftsordnung überwiesen werden. — Es ist so beschlossen.



Präsident von Hassel
Ich rufe Punkt 12 der Tagesordnung auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Europäischen Konvention vom 11. Dezember 1953 über die Gleichwertigkeit der Reifezeugnisse und zum Zusatzprotokoll vom 3. Juni 1964
— Drucksache VI/1012 —
Das Wort wird nicht gewünscht.
Der Überweisungsvorschlag des Ältestenrates geht dahin, den Gesetzentwurf dem Ausschuß für Bildung und Wissenschaft als federführendem Ausschuß und dem Auswärtigen Ausschuß als mitberatenden Ausschuß zu überweisen. — Es ist so beschlossen.
Ich rufe Punkt 13 der Tagesordnung auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über das Fahrpersonal im Straßenverkehr (FahrpersGSt)

— Drucksache VI/1060 —
Das Wort wird nicht gewünscht.
Der Ältestenrat schlägt vor, den Gesetzentwurf dem Ausschuß für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen als federführendem Ausschuß sowie dem Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung als mitberatendem Ausschuß zu überweisen. — Es ist so beschlossen.
Ich rufe Punkt 14 der Tagesordnung auf:
Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über die Aufgaben des Bundes auf dem Gebiet der Binnenschiffahrt
— Drucksache VI/1137 —
Das Wort wird nicht gewünscht.
Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung an den Ausschuß für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen als federführenden Ausschuß sowie an den Innenausschuß zur Mitberatung. — Es ist so beschlossen.
Ich rufe Punkt 15 der Tagesordnung auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über eine Zählung in der Land- und Forstwirtschaft (Landwirtschaftszählungsgesetz 1971)

— Drucksache VI/1133 —
Das Wort wird nicht gewünscht.
Der Überweisungsvorschlag des Ältestenrates geht dahin, den Gesetzentwurf dem Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten als federführendem Ausschuß, dem Innenausschuß als mitberatendem Ausschuß und dem Haushaltsausschuß gemäß § 96 der Geschäftsordnung zu überweisen. — Es ist so beschlossen.
Ich rufe Punkt 16 der Tagesordnung auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über Bodennutzungs-
und Ernteerhebung
— Drucksache VI/ 1134 —
Das Wort wird nicht gewünscht.
Der Ältestenrat schlägt vor, den Gesetzentwurf dem Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten als federführendem Ausschuß und dem Innenausschuß als mitberatendem Ausschuß zu überweisen. — Es ist so beschlossen.
Ich rufe Punkt 17 der Tagesordnung auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Handelsklassengesetzes
— Drucksache VI/ 1135 —
Das Wort wird nicht gewünscht.
Nach dem Vorschlag des Ältestenrates soll der Gesetzentwurf dem Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten als federführendem Ausschuß und dem Ausschuß für Wirtschaft als mitberatendem Ausschuß überwiesen werden. — Es ist so beschlossen.
Ich rufe nunmehr den Punkt 18 der Tagesordnung auf:
Große Anfrage der Abgeordneten Burger, Maucher, Härzschel, Rösing und der Fraktion der CDU/CSU
betr. Wiedereingliederung körperlich, geistig und seelisch Behinderter in Arbeit, Beruf und Gesellschaft (Rehabilitation)

— Drucksachen VI/655, VI/896 —
Für die Fragesteller hat das Wort der Abgeordnete Burger.

Albert Burger (CDU):
Rede ID: ID0606415900
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Das Schrifttum der letzten Jahre über Fragen der Rehabilitation ist nicht mehr zu überblicken. Der Diskussion zu diesem Thema kann selbst der Spezialist kaum noch folgen. Rehabilitation ist zum selbsbtverständlich gebrauchten Begriff geworden. Dennoch ergibt sich bei näherem Hinsehen, daß dieses Selbstverständnis der Rehabilitation noch lange nicht verwirklicht ist. Nach Dr. Paslack findet im Rehabilitationsgedanken das Bemühen seinen Niederschlag, einen durch Krankheit, äußere Einwirkungen oder angeborene Behinderung geschädigten Menschen nicht nur aktuell zu behandeln oder symptomfrei zu machen, sondern darüber hinaus ihn durch umfassende Maßnahmen auf medizinischem, schulisch-beruflichem und allgemein sozialem Gebiet in die Lage zu versetzen, eine Position, die seiner würdig ist, im privaten Leben, im Beruf und in der menschlichen Gesellschaft zu finden bzw. wieder zu erlangen.
Es handelt sich, meine Damen und Herren, um die Lösung einer der bedeutsamsten Gegenwarts- und Zukunftsaufgaben. Nicht nur 1,3 Millionen Kriegs-



Burger
beschädigte und jährlich mehr als 60 000 Neugeborene sind behindert, sondern jedermann kann morgen schon betroffen sein; denn wir alle sind großen Gefährdungen ausgesetzt. 250 000 Menschen werden in jedem Jahr von einem Herzinfarkt überrascht. Die Hausfrau lebt gefährlich; 38 häusliche Unfälle passieren jede Minute. Die Straße ist zum Schlachtfeld geworden; wer in seinen Wagen steigt, ist gefährdet. Das Arbeitstempo wird ständig gesteigert; Männer und Frauen verunglücken bei der Arbeit und auf dem Wege zur Arbeit.
Die Folgen dieser Schicksalsschläge sind für die Betroffenen und deren Familien hart. Bleibende Schäden hinterlassen Funktionsverluste, die frühe Erwerbsunfähigkeit, sozialen Abstieg und ein Leben in Verbitterung und Einsamkeit, bedeuten: Menschen im Schatten. Was diese Behinderten brauchen, ist nicht Mitleid, sondern Verständnis und echte Hilfe.
Wie sieht nun die Wirklichkeit der Rehabilitation bei uns aus? Es gibt nicht nur längere Verfassungssätze oder Deklarationen, nein, es gibt gute gesetzliche Regelungen. Hilfen auf vielen Gebieten und vor allem auch zunehmendes Verständnis für die Notwendigkeit dieses Kernbereichs produktiver Sozialpolitik zeigen beachtliche Erfolge.
Auch der Deutsche Bundestag hat die sozialpolitische Bedeutung der Rehabilitation erkannt. In den Rentengesetzen des Jahres 1957, im Bundesversorgungsgesetz, im Sozialhilfegesetz, in der Unfallversicherung im Jahre 1963 und im Arbeitsförderungsgesetz aus dem Jahre 1969 werden fortschrittliche Regelungen angeboten. Obwohl gerade in den letzten zehn Jahren Vorbildliches geschaffen wurde, gibt es noch viele rechtliche, organisatorische und institutionelle Unzulänglichkeiten.
Die Gesetze, die sich mit Rehabilitation befassen, gelten immer nur für einen bestimmten Personenkreis. Begriffe und Leistungen sind unterschiedlich; sie richten sich nach der Ursache, der Kausalität, und nicht nach der Art der Behinderung. Es gibt Gruppen, die nur begrenzte oder überhaupt keine Ansprüche haben, wie Hausfrauen und Jugendliche. Die Koordinierung ist bei dem gegliederten System eine Daueraufgabe.
Auch die Bundesregierung sieht in ihrer schriftlichen Antwort mit Sorge, daß fehlende Einrichtungen, Vorurteile, Unkenntnis und Gleichgültigkeit, fehlende Fachkräfte, nicht genügend informierte Ärzte, Mängel in Gesetzgebung und Verwaltung dazu führen, daß mögliche Hilfen nicht oder nicht rechtzeitig gewährt werden.
Die Große Anfrage will nicht anklagen, sondern verbessern. Die CDU/CSU kennt die Anstrengungen und Erfolge der Träger der Rehabilitation. Kriegsopferversorgung, Unfallversicherung, Rentenversicherung, Sozialhilfe, freie Träger und die Arbeitsverwaltung haben Vorbildliches geleistet. Doch das Bessere ist der Feind des Guten. Wir stehen mitten in einer Entwicklung. Das Ziel ist weit gesteckt, nämlich: jedem Behinderten — ob durch Kriegsverletzung, Krankheit, Unfall oder Geburt — die gleichen Chancen zur Eingliederung zu geben.
Wir wissen, daß zur Erreichung dieses Zieles noch vieles notwendig ist. Die CDU/CSU will ihren Beitrag dazu leisten. Fortschreitende und weitreichende Wandlungen in Wirtschaft und Technik veränderten in starkem Maße das Arbeits- und Berufsleben, die Medizin erschloß neue Möglichkeiten. Dieser Wandel wirkt sich auch auf die Voraussetzungen und Formen der Eingliederung von Behinderten in Arbeit, Beruf und Gesellschaft aus. Manches, was einmal Gültigkeit hatte, ist überholt. Der herkömmliche Sozial- und Behindertenarbeitsplatz wie Fahrstuhlführer, Telefonist und ähnliches ist heute nicht mehr gefragt. Es wird nur der Fachmann mit zeitgerechten Kenntnissen und Fertigkeiten zum Zuge kommen. Aber die Kompensationsfähigkeit der Behinderten ist weit größer, als zunächst angenommen. Viele von ihnen können nach medizinischer Versorgung und beruflicher Ausbildung voll in den Wettbewerb gestellt werden. Man weiß heute, daß dieses Ziel der vollen Wettbewerbsfähigkeit von 75 % der Behinderten aller Schweregrade erreicht wird, wenn man gewillt ist, alle Möglichkeiten der Förderung bereitzustellen. Um der Würde des Menschen willen, aber auch aus ökonomischen Gründen, muß dieses anspruchsvolle Ziel mit allen geeigneten Mitteln angegangen werden.
Hierzu hält die CDU/CSU insbesondere einige Veränderungen in den Gesetzen für erforderlich. Die Träger von Rehabilitationsmaßnahmen arbeiten nach verschiedenen gesetzlichen Bestimmungen, die auch unterschiedliche Begriffe enthalten. Allerdings liegt den verschiedenen Vorschriften eine weitgehend einheitliche Konzeption hinsichtlich der Zielsetzung der Rehabilitation zugrunde. Die Träger sollen den von ihnen Betreuten Hilfe zu einer möglichst weitgehenden und dauerhaften Eingliederung in das Erwerbsleben und das Leben der Gemeinschaft gewähren. Dieses Ziel kann bisher jedoch leider — je nach Ursache der Behinderung — nur mit recht unterschiedlichen Chancen erreicht werden.
Der Arbeiter z. B., der vom Gerüst stürzt und querschnittsgelähmt darniederliegt, wird von der gesetzlichen Unfallversicherung seiner Berufsgenossenschaft mit allen geeigneten Mitteln versorgt; ein Facharzt weist eine besondere Behandlung an, Spezialkrankenhäuser stehen bereit. Wenn notwendig, wird eine Umschulung eingeleitet. Schwieriger wird es, wenn derselbe Arbeiter am Sonntag auf dem Heimweg verunglückt. Die Krankenkasse wird Kostenträger. Droht Erwerbsunfähigkeit, wird die Rentenversicherung helfen. Auch hier bestehen noch klare Ansprüche. Das Verfahren wird sich aber oft schleppend hinziehen. Es gibt Wartezeiten, manchmal Ärger. Wenn nun aber eine Hausfrau von der Leiter fällt und ein schwerer Schaden zurückbleibt, wird vielleicht überhaupt kein Kostenträger da sein, da die Sozialhilfe nur im Rahmen der Einkommensgrenzen subsidiär helfen kann.
Auf diese unterschiedlichen Gegebenheiten hat insbesondere auch Professor Dr. Jochheim auf der Tagung der Bundesarbeitsgemeinschaft für Rehabilitation hingewiesen, indem er sehr drastisch formulierte:
Nur im Bereich der gesetzlichen Unfallversicherung ist bisher über die Sicherung der Kosten-



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deckung hinaus auch für den Einzelfall, zumindest bei Verletzung der Gliedmaßen und der Wirbelsäule, eine rasche und sachgemäße institutionelle Hilfe gewährleistet.
Meine Damen und Herren, die Bundesregierung verspricht in ihrem Aktionsprogramm aber allen Behinderten die gebotenen Hilfen, unabhängig davon, ob die Behinderung angeboren ist oder durch Krieg oder Unfall verursacht wurde. Auch das CDU-Programm fordert umfassende Rehabilitationsmaßnahmen; diese müßten, so wird geschrieben, ohne Rücksicht auf Grund und Ursache der Behinderung auch der Hausfrau gewährt werden. Dies bedeutet: Weg von dem historisch gewachsenen Prinzip der Kausalität und hin zum Grundsatz der Finalität. Deshalb ist ,die Angleichung der Vorschriften über Art und Umfang der Leistungen der Rehabilitation mit dem Ziele der Harmonisierung erforderlich. Es ist jedoch nicht nur eine Angleichung der gesetzlichen Vorschriften notwendig, sondern auch eine Entscheidung über Rechtsansprüche bisher nicht rehabilitationsberechtigter Personen. Nach einer Aufstellung im Bundesarbeitsblatt Nr. 5 aus dem Jahre 1969 haben 51 % der Bevölkerung keinen Rechtsanspruch auf Rehabilitation. Darunter fallen 5,5 Millionen Hausfrauen, Jugendliche, verwitwete und geschiedene Frauen, ältere Personen, Selbständige und mithelfende Familienangehörige. Diese Personen haben grundsätzlich nach dem Bundessozialhilfegesetz nur einen Anspruch im Rahmen der Einkommensgrenzen. Vor allem die Zunahme häuslicher Unfälle verlangt dringend eine gesetzliche Klärung. Wie aber soll dies geschehen? Erwägt die Bundesregierung, Rechtsansprüche — ähnlich der Tbc-Hilfe — für Frauen und Kinder auf Rehabilitationsleistungen an die Rentenversicherung zu begründen, oder plant sie Verbesserungen der Eingliederungshilfe nach dem Sozialhilfegesetz? Will sie für die behinderten Kinder die Inanspruchnahme der Leistungen des Arbeitsförderungsgesetzes ermöglichen? Gerade auch für die behinderten Kinder ist eine Klärung hochaktuell. Durch den Gesetzentwurf der Bundesregierung für die Contergan-Kinder erhalten diese einen echten Rechtsanspruch an die Stiftung. Grundsätzlich bejahen wir diese Lösung. Wir lassen aber keinen Zweifel daran, daß sich hinsichtlich der gleichwertigen Versorgung der übrigen behinderten Kinder erhebliche Probleme zeigen. Es können Fälle eintreten, in denen ein Contergan-geschädigtes Kind finanziell entschädigt wird und eine kleine Rente erhält; vielleicht ist der Vater zufällig bemittelt. Ein anderes Kind, ähnlich behindert, dessen Vater z. B. Facharbeiter ist, kann nicht einmal Pflegegeld erhalten, weil das Einkommen des Vaters nach den Bestimmungen des BSHG zu hoch ist. Hier stehen wir in einer Verpflichtung. Gewiß gibt das Sozialhilfegesetz für einen großen Teil wertvolle Hilfen. Doch schon Familien mit einem mittleren Einkommen können durch ein behindertes Kind in oft unlösbare, schwierige Probleme hineingestellt werden. Dieses Leistungsgefälle muß—wenn nicht mit einemmal, so doch Schritt um Schritt — abgebaut werden.
Schließlich muß auch auf das Fehlen gesetzlicher Vorschriften zur Schaffung von Rehabilitationseinrichtungen hingewiesen werden. Ein Anspruch, daß die zur Durchführung der angebotenen Hilfsmaßnahmen erforderlichen Einrichtungen auch zur Verfügung stehen, besteht nicht. Lediglich für den Bereich der Unfallversicherung liegt eine gesetzliche Verpflichtung für den Kostenträger vor. Das Fehlen einer ausdrücklichen Verpflichtung, sich auf der institutionellen Seite zu betätigen, führt dazu, daß manche Kostenträger Investitionen vermeiden und sich auf die individuellen Hilfen beschränken. Andererseits können auch Doppelinvestitionen vorkommen.
Das Zusammenwirken von Bund, Ländern und Trägern hat in den letzten Jahren Erfolge gezeigt, doch es gibt noch Mängel. So fehlen Plätze für Querschnittsgelähmte und andere Spezialanstalten. Schließlich fehlen noch Plätze für berufliche Rehabilitation. Es wäre nicht zuletzt auch sinnvoll, Vorschriften oder Vereinbarungen darüber zu treffen, ,an größeren Krankenhäusern Abteilungen zu bilden, in denen Maßnahmen der Beschäftigungs- und Arbeitstherapie, Arbeitserprobung, Berufsfindung und -qualifizierung durchgeführt werden können. Gerade diese Einrichtungen werden im Vorfeld der Rehabilitation nach der Akutbehandlung ihre Bedeutung haben. Außer dem jetzt im Bau befindlichen Modell in Bad Krotzingen kenne ich kein weiteres Vorhaben.
Erwägt nun die Bundesregierung eine gesetzliche Regelung oder hofft sie, die Ziele der Rehabilitation im institutionellen Bereich nach der bisherigen Praxis erreichen zu können? Regelungen über die Fördermöglichkeiten des Arbeitsförderungsgesetzes hinaus sind meines Erachtens auch für den Status der Beschützenden Werkstätten erforderlich. Die intensive Arbeit der Lebenshilfe und die Entwicklung der Sonderschulen haben eine große Zahl geistig behinderter Kinder vorbereitet, so daß sie nunmehr in Anlernwerkstätten und Beschützenden Werkstätten aufgenommen werden können. Mehrere tausend Plätze müssen neu geschaffen werden. Vor der Realisierung dieser neuen Aufgabe, die zwangsläufig rasch angepackt werden muß, sollten die Beschützenden Werkstätten in ein ordnendes System in den noch unterschiedlich gehandhabten Problemen und offenen Fragen gebracht werden.
Die wichtigsten Fragen sind hierbei Berechnung der Vergütung an die Behinderten, die soziale Sicherung der Beschäftigten und die Anerkennung des Arbeitsplatzes im Sinne des Arbeitsrechtes. Auch Größe und Standort der Werkstätten bedürfen einer abgestimmten Planung. Sie müssen eine sinnvolle Größe haben, und der Standort muß mit Unternehmen abgesprochen, aber auch für die betroffenen Behinderten zumutbar erreichbar sein.
Erneut, meine Damen und Herren, erhebt die CDU/CSU die Forderung nach einem „Goldenen Plan" zur Errichtung von notwendigen Einrichtungen zur Habilitation behinderter Kinder. Neben den großen Bildungsplänen müssen auch diese Kinder mit einem adäquaten Programm in den Zukunftsplanungen berücksichtigt werden.



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Schließlich sollte auch der Grundsatz „Rehabilitation vor Rente" wörtlich in die Gesetze aufgenommen werden.
Dies, meine Damen und Herren, ist ein Katalog von zum Teil gesetzlichen Maßnahmen, die notwendig und erforderlich sind, wenn für alle Behinderten gleiche Chancen geschaffen werden sollen.
Nun einige Ausführungen zum Problem der Koordination. Die Koordination ist das entscheidende Problem innerhalb des gegliederten Systems der Rehabilitation. Immerhin gibt es rund 1500 verschiedene Kostenträger, die allein oder gemeinsam tätig werden können. Die Bundesregierung spricht sich für das bestehende System aus. Die transzendente Entwicklung der Sozialgesetze im letzten Jahrzehnt findet darin eine wünschenswerte Anerkennung. Auch die CDU fordert keine Änderung des Systems, drängt aber darauf, alle Maßnahmen der Koordinierung voll auszuschöpfen.
Daß es mit der Koordinierung hapert, beweisen einige Stellungnahmen aus der Praxis. Ich darf Herrn Dr. Lemberg zitieren, der in einem Artikel in der „Ärztlichen Praxis" Nr. 6 vom 20. Januar 1970 folgendes ausgeführt hat — ich zitiere auszugsweise —:
Bei den Rentenversicherungsträgern handelt die Angestelltenversicherung praktisch bundeseinheitlich. Die Landesversicherungsanstalten als Selbstverwaltungsorgane unterscheiden sich in Richtlinien und Verhalten deutlich. Das Ergebnis häufiger und wesentlicher Schwierigkeiten ist zum Teil auf diese Uneinheitlichkeit zurückzuführen. Das BSHG ist ein Bundesrahmengesetz. Die Durchführung liegt bei den Ländern. Die handelnden Träger sind z. B. in Bayern die Bezirke, deren Richtlinien und Verhaltensweisen außerordentlich verschieden sind.
Er führt weiter aus:
Unsere Regelung zeigt eine solche Vielzahl von Möglichkeiten, daß sie sich bei einem überregional zusammengesetzten Patientengut selbst für den Fachmann verwirrend und lähmend auswirkt.
Dies eine Stimme aus der Praxis.
Meine Damen und Herren, es fehlte in der Vergangenheit nicht an großen Anstrengungen, diese Mängel zu bekämpfen. So wurde am 27. Mai 1960 nach eingehenden Beratungen mit allen an der Rehabilitation beteiligten Stellen und Organisationen der Deutsche Ausschuß für die Eingliederung Behinderter gegründet. Das Ziel des Ausschusses war, durch Zusammenarbeit aller Partner die umfassende Rehabilitation zu erreichen. Im Jahre 1965 wurde der Unterausschuß „Koordinierung der Rehabilitationsmaßnahmen" eingesetzt, und zwar mit dem Auftrag, Empfehlungen für eine bessere Koordinierung der Verwaltungsaufgaben zu geben und die Zusammenarbeit enger zu gestalten. Trotz aller Bemühungen kritisierte noch am 19. Februar dieses Jahres Ministerialdirigent Nelles aus Düsseldorf vor der Ruhr-Universität die Koordination und meinte, die Vielzahl der Vereinbarungen, Ausschüsse und
Arbeitsgemeinschaften mache fast schon eine Koordination der Koordination der Rehabilitationsmaßnahmen erforderlich.
Inzwischen wurde die Bundesarbeitsgemeinschaft für Rehabilitation gegründet. Auch wir begrüßen die Gründung der Bundesarbeitsgemeinschaft und sind überzeugt, daß dieser Zusammenschluß sich für die Koordinierung günstig auswirken wird. Wir sind jedoch skeptisch, wenn das Element der Zusammenarbeit allein die Hoffnung der Regierung auf eine Lösung des Problems darstellt.
In Empfehlungen und Entschließungen des Europarates zur Rehabilitation der Behinderten hält es der Gemeinsame Ausschuß für wünschenswert, daß jedes Land zur Förderung der Zusammenarbeit der Partner über eine zentrale Koordinierungsstelle verfüge. Diese Stelle könnte nach den Bestimmungen des Arbeitsförderungsgesetzes von der Bundesregierung beim Bundesarbeitsminister geschaffen werden. Zwar dürfte die Koordinierungsstelle oder der Bundesbeauftragte nur beratend tätig werden, doch kann auch diese Funktion sehr erfolgreich wahrgenommen werden. Durch die Möglichkeit der freien Meinungsäußerung würde die beratende Funktion wirksam zur Koordinierung beitragen. Wir halten die Schaffung einer Koordinierungsstelle für nützlich; ob in der Form eines Bundesbeauftragten oder nur allgemein, sei dahingestellt.
Eine wichtige Aufgabe liegt auch in einer einheitlichen, sinnvollen Beratung der Betroffenen. Eine bessere Koordinierung wäre auch hier denkbar. Der Behinderte hat eine Fülle von Möglichkeiten der Beratung.
Sinnvolle Kooperation in der Beratung fordert auch die „Lebenshilfe". Sie führt wörtlich aus: „Es gibt in Wirklichkeit eine Vielzahl von Kompetenzen, von Vorstellungen und Meinungen, die sich nicht selten überschneiden, ein Nebeneinander und nur selten ein Miteinander."
Meine Damen und Herren, das gegliederte System enthält den Zwang zur Partnerschaft. Vereinbarungen müssen die Kooperation herbeiführen. Der Bundesbeauftragte beim Arbeitsministerium könnte als ständiger Mahner wesentliche Hilfen geben.
Ganz Weniges zur Aus- und Fortbildung der Fachkräfte: Eine Anzahl neuer Rehabilitationseinrichtungen ist im Entstehen, eine noch größere Zahl in der Planung. Sie werden nur dann wirksame Instrumente des Geschehens werden können, wenn die fachlich ausgebildeten Mitarbeiter zur Verfügung stehen.
Nach den neuen Richtlinien können Einrichtungen finanziell gefördert werden, die das für die Rehabilitation erforderliche Personal heranbilden. Meines Wissens hat sich leider zur Übernahme dieser Aufgabe noch kein Träger gefunden. Kann unter diesen Umständen mit genügend Personal gerechnet werden? Wir sind voller Anerkennung für die Bemühungen des Berufsförderungswerkes Heidelberg um die Fortbildung des Fachpersonals. Wieder einmal ist Heidelberg vorbildlich und Modell.
Für wichtig halte ich allerdings auch die Schaffung der notwendigen Berufsbilder oder Laufbah-



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nen für )das Fachpersonal der verschiedenen Sparten; denn mit der Qualität der Mitarbeiter steigt die Effektivität der Rehabilitation.
Untrennbar mit der Rehabilitation verbunden sind präventiv-sozialpolitische Maßnahmen. Modellvoruntersuchungen von 40 000 Sozialversicherten in Baden-Württemberg hatten ein alarmierendes Zwischenresultat. Von 1000 Untersuchten waren 790 nicht gesund, 15 mußten ins Krankenhaus, 240 zum Facharzt, 400 in hausärztliche Behandlung, 135 mußten eine Kur antreten.
Die CDU/CSU hat beantragt, Maßnahmen zur Früherkennung von Krankheiten in den Leistungskatalog der sozialen Krankenversicherung aufzunehmen. Es müssen aber auch Ursachen künftiger Gefährdung der Gesundheit erforscht werden; denn allzu viele Kinder sind schon krank vor der Geburt. Bei der Früherkennung einer drohenden Invalidität hat der Arzt eine Schlüsselstellung. Ärzte schreiben nicht gern. Sie seien nicht Fachärzte für Schriftverkehr, meinen sie. Aber hier kommt es darauf an, daß .der behandelnde Arzt, der eine derartige Gefährdung feststellt, unverzüglich den Kostenträger gutachtlich informiert.
Unter Berücksichtigung bisheriger Erfahrungen möchte ich anregen, den Ärzten zu diesem Einleitungsgutachten einen gesetzlichen oder satzungsmäßigen Auftrag zu erteilen, verbunden mit einem Anspruch auf ein angemessenes Honorar. Diese Ausgaben scheinen mir gut angelegt, wenn 'dadurch sichergestellt würde, daß drohende Erwerbsunfähigkeit rechtzeitig bekannt und nicht erst durch einen Rentenantrag aktuell würde. Immerhin werden ein Drittel aller Arbeiter und 28 °/o der Angestellten vorzeitig invalide.
In diesem Zusammenhang möchte ich auf eine Fehlentwicklung hinweisen und sie an einem Beispiel erläutern.
Ich erhielt kürzlich einen Brief einer Patientin, in dem diese schrieb: „Bitte, helfen Sie uns! Vor genau zwei Jahren wurde mein Mann 'Rentenbewerber. Die LVA lehnte ab. Da übernahm das Sozialgericht die Sache." Was war hier geschehen? Die Krankenkasse hatte den seit mehreren Monaten kranken Arbeiter aufgefordert, Rente zu beantragen. Der Antrag wurde abgelehnt, und dann wurde zwei Jahre prozessiert. Inzwischen ist gutachtlich geklärt, daß durch eine Heilbehandlung und spätere berufliche Maßnahmen geholfen werden kann.
Diese Fälle kommen in der Praxis oft vor. Viel zu spät werden Rehabilitationsmaßnahmen erwogen oder eingeleitet. Kostbare Monate gehen verloren. Meist kennt der Patient die Möglichkeiten überhaupt nicht. Er klammert sich an die Rente. Angst und Unsicherheit sind dabei starke Triebkräfte, wie mir ein Gutachter einer Universitätsklinik mitteilte.
Eine weitere Verbesserung der Bestimmungen der RVO scheint mir bei dem Begriff der Arbeitsfähigkeit notwendig zu sein. Diese totale Entscheidung erscheint mir überholt. Man denke an die Behinderten, die eingegliedert werden müssen. Nehmen wir beispielsweise einen Infarktkranken. Seine Belastungsfähigkeit wird systematisch erprobt und entwickelt. Die Aufnahme der vollen Beschäftigung ist zu abrupt und schädlich. Hier erfordert die Praxis Übergänge, z. B. eine gewisse Zeit Halbtagsarbeit oder ähnliche Lösungen.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Meine Damen und Herren, wir sind darüber befriedigt, daß ,die Bundesregierung beabsichtigt, die Beratungsstelle für Rehabilitationseinrichtungen in Heidelberg fortzuführen. Das Wagnis des Modells Heidelberg hat sich voll ausgezahlt. Herrn Minister Seifriz aus Baden-Württemberg ist hohe Anerkennung auszusprechen; er ist ja der Mann, der diese Konzeption entwickelte.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Inzwischen gibt es weitere Berufsförderungswerke, und neue sind im Entstehen. Direktor Boll aus Heidelberg hat sich große Verdienste in der Weiterentwicklung der Berufsförderungswerke erworben. Heidelberg beweist, welche Entwicklung in den letzten Jahren stattgefunden hat und daß es darauf ankommt, sie mit Kraft und Energie weiter voranzutreiben.
Zum Schluß noch wenige Sätze zu den Problemen Teilnahme der Behinderten am Leben der Gemeinschaft, Abbau von Vorurteilen und Öffentlichkeitsarbeit.
Ist unsere Gesellschaft bereit und gewillt, den „Angeschlagenen", den Behinderten, den Platz einzuräumen, der ihnen auf Grund ihrer personalen Würde zukommt? Wie ist die Stellung der Behinderten in der auf Leistung ausgerichteten Wohlstandsgesellschaft? Das sind ernste Fragen, die beantwortet werden müssen.
Sicher besteht die Gefahr einer Entwicklung, in der der natürliche Zusammenhang und die Gemeinschaftsbindung der Menschen Not leiden, je mehr die Gesellschaft ihre ursprüngliche Struktur verliert und sich in eine Massengesellschaft auflöst. Das Verständnis für die Not des Einzelschicksals wird schwächer. Je mehr gesetzliche Regelungen, desto geringer die Bereitschaft der Nichtbetroffenen, persönlich etwas beizutragen.
Mehr noch, als es Einzelerfahrungen deutlich machen können, sagt das Resultat einer Umfrage der Kölner Forschungsgemeinschaft „Das körperbehinderte Kind" aus: 90 % der Befragten wissen nicht, wie sie sich einem Behinderten gegenüber verhalten sollen; 70 % ekeln sich bei ihrem Anblick; 63 % möchten die Behinderten in Heime verbannen; 56 % lehnen eine Hausgemeinschaft ab.
Aus diesem außerordentlich bedrückenden Ergebnis ist die Folgerung zu ziehen, daß eine Aufklärung der Öffentlichkeit noch sehr im argen liegt. Muß man wirklich die Meinung eines Großteils der Bevölkerung so definieren: „Spenden für Behinderte ja, Kontakt mit ihnen nein?"
Ein weiteres bedrückendes Ereignis! BüchnerPreisträger 1970 Thomas Bernhard, 39 Jahre, aus Osterreich, hat ein Theaterstück geschrieben: „Ein Fest für Boris". Es wurde im Deutschen Schauspielhaus in Hamburg aufgeführt. Die Besucher sollen dem lähmenden Stück zugejubelt haben. Der Inhalt:



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15 Doppelbeinamputierte in Rollstühlen feiern ein Fest. Eine reiche Frau, Sadistin, bietet ein Bild des Abscheus, wie die Kritik berichtet. Ein Ekeldrama. Alles reduziert auf das Primitiv-Animalische. Mit dem Leidenden wird auch das Leid verhöhnt. Böse und zynisch ist dieses Stück, erbarmungslos gibt es die Leidenden der Verachtung preis. Es fällt schwer, meine Damen und Herren, derartige Geschmacklosigkeiten hinzunehmen. Es ist nach den Bemühungen der Massenmedien, insbesondere des Deutschen Fernsehens, unbegreiflich, daß sich Menschen finden, die einem solchen Machwerk Beifall spenden.
Vielleicht ist der Durchbruch zum echten mitmenschlichen Verständnis noch nicht gelungen; sicherlich müssen noch größere Anstrengungen unternommen werden.
So sind besonders die Eltern behinderter Kinder außerordentlich schweren Belastungen unterworfen. Das Ausmaß an Belastung, Leid und Not kann kaum nachempfunden werden. Mit billigen Ratschlägen ist hier allerdings nicht zu helfen. Wer helfen will, muß bereit sein, in regelmäßigen Abständen die Betreuung der Kinder zu übernehmen, damit die Mutter auch einmal für Stunden entlastet wird.

(Beifall bei der CDU/CSU und bei der SPD.)

Leider wird gerade diese mitmenschliche Hilfsbereitschaft vermißt. Ein Vater berichtete mir, daß er neben der Berufsausübung sein geistig behindertes Kind allein versorgen mußte, weil die Mutter im Krankenhaus lag.
Niemals kann staatliche Sozialpolitik diese persönlichen Hilfen ersetzen. Nicht allein durch Verwaltungsakte und die Gewährung fachlicher Hilfen können die Behinderten in die Gemeinschaft aufgenommen werden.
Die heutige Jugend ist kritisch. Sie greift dort ein, wo sich Mängel zeigen. Die Notwendigkeit der vollen Hineinnahme der Behinderten in unsere Gesellschaft muß stärker als bisher der Gemeinschaft bewußt gemacht werden. Sind junge Menschen bereit, hier zu helfen, nicht nur in Worten, sondern auch durch die Tat einer regelmäßigen Beschäftigung mit einem Sorgenkind?
Ich komme zum Schluß. Viele Grundsätze, Gesetze und Programme zur Förderung der Rehabilitation sind formuliert, erlassen und beschlossen. Sie sind nur ein äußerer Rahmen, der mit Leben ausgefüllt werden muß, wenn sich die Dinge draußen im Lande im Interesse der Behinderten entscheidend ändern sollen.
Ich danke der Bundesregierung für die sachliche Beantwortung der Großen Anfrage. Die CDU/CSU sieht in der Rehabilitation ein Kernstück aktiver Gesellschaftspolitik.

(Sehr richtig! bei der CDU/CSU.)

Sie wird auch als Oppositionspartei die Bemühungen ihres Arbeitsministers Hans Katzer und seiner Vorgänger fortsetzen

(Beifall bei der CDU/CSU — Zurufe von der SPD)

und alle Möglichkeiten und Verbesserungen zur Verwirklichung einer umfassenden Rehabilitation für alle Behinderten ergreifen und unterstützen.

(Beifall bei der CDU/CSU.)


Kai-Uwe von Hassel (CDU):
Rede ID: ID0606416000
Das Wort hat der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung, Herr Arendt.

Walter Arendt (SPD):
Rede ID: ID0606416100
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Gestatten Sie mir aus der Sicht der Bundesregierung einige Bemerkungen über die schriftliche Antwort hinaus zur Großen Anfrage über die Eingliederung der Behinderten in Arbeit, Beruf und Gesellschaft.
Es wäre schwer verständlich, wenn sich die Opposition ausgerechnet die Rehabilitation für einen Angriff auf die Politik der Bundesregierung ausgesucht hätte.

(Sehr richtig! bei der SPD.)

Denn in kaum einem anderen Bereich der Sozial- und Gesellschaftspolitik sind die Versäumnisse der letzten 20 Jahre so deutlich hervorgetreten wie gerade bei der Eingliederung der Behinderten.

(Beifall bei der SPD.)

Keine Kritik an dem Aktionsprogramm der Bundesregierung wird die Tatsache aus der Welt schaffen, daß in den Regierungsprogrammen sämtlicher von der CDU geführten Regierungen der Begriff „Rehabilitation", die politische und humane Aufgabe der Eingliederung von Behinderten in Beruf und Gesellschaft, mit keinem Wort auch nur erwähnt ist.

(Abg. Liehr: Haben sie in der Eile vergessen! — Weitere Zurufe von der SPD.)

Wir sind für Kritik und Anregungen dankbar. Aber man kann nicht so tun, als seien die Jahre von 1949 bis 1969 nie gewesen; man kann sie auch nicht aus dem Bewußtsein und aus dem Gedächtnis der Behinderten einfach auslöschen.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich Ihnen die Einzelheiten schildern. Ich möchte Ihnen einerseits die Lage und die Probleme der Rehabilitation in der Bundesrepublik verständlich machen und andererseits zeigen, welche Bedeutung diese Bundesregierung ihrer Initiative zugunsten der Behinderten beimißt.
Die Bundesregierung hat in ihrer Antwort auf die Große Anfrage der CDU/CSU das gegliederte System der deutschen Rehabilitation erläutert. Es umfaßt fünf Gruppen von Leistungsträgern: 1. die gesetzliche Rentenversicherung, 2. die gesetzliche Unfallversicherung, 3. die Kriegsopferfürsorge, 4. die Bundesanstalt für Arbeit und 5. die Sozialhilfe.
Diese fünf Trägergruppen sind aber nur die eine Ebene der Rehabilitation, nämlich die Leistungsgewährung zur medizinischen oder beruflichen Rehabilitation. Daneben gibt es eine andere Ebene: die Zuständigkeiten bei Bund und Ländern, in zahlreichen Ministerien, die sich mit Einzelaufgaben der Rehabilitation zu befassen haben.



Bundesminister Arendt
Es gibt noch eine dritte Ebene: die Einrichtungen der Rehabilitation bei den unterschiedlichsten Trägern, beispielsweise bei den Organisationen der freien Wohlfahrtspflege, den Kirchen, den Behindertenorganisationen und den Elternverbänden.
Dieser organisatorischen Vielfalt stehen Millionen Behinderte gegenüber, Behinderte in allen Altersgruppen, vom Kleinkind bis zum Rentner, Behinderte mit den unterschiedlichsten Schäden und unterschiedlichsten Bedürfnissen. Sie alle müssen die für sie zuständige Stelle finden, damit ihnen geholfen werden kann.
An dieser Ausgangssituation, meine Damen und Herren, zeigt sich, daß die Koordinierung das Kernproblem der Rehabilitation in der Bundesrepublik darstellt. Und dieses Kernproblem, meine Damen und Herren von der Opposition, haben Sie in 20 Jahren nicht gelöst. Sie haben es nicht verstanden, die zahlreichen Initiativen und Aktivitäten, die von der Vielfalt des gegliederten Systems ausgehen, auf einen gemeinsamen Nenner zu bringen und auf ein gemeinsames Ziel auszurichten. Sie haben es nicht verstanden, Bundesregierung und Träger der Rehabilitation in vertrauensvoller Zusammenarbeit zu verbinden. Im Gegenteil! 'Die Pläne des Bundesministeriums für Arbeit und Sozialordnung zur Gründung einer Rehabilitations-GmbH haben das Verhältnis zu den Trägern der Rehabilitation belastet. Die Pläne zur Lenkung von Geldströmen haben die Verwaltung und die Selbstverwaltung der Rehabilitationsträger erschreckt. Es entstand eine Atmosphäre ,des Mißtrauens.
Es wurde auch nicht erreicht, Zuständigkeitsschranken innerhalb des gegliederten Systems im Interesse der Behinderten zu überwinden. Nach wie vor muß der Behinderte sich den zuständigen Leistungsträger oft selbst suchen.
Der Mangel an Einrichtungen in der Rehabilitation wurde nicht. überwunden. Allein für die berufliche Umschulung erwachsener Behinderter fehlen 6000 moderne Ausbildungsplätze. Es müssen lange Wartezeiten in Kauf genommen werden. Ähnlich liegen die Verhältnisse bei den Werkstätten für Behinderte und bei den Einrichtungen für die jugendlichen Behinderten.
Gleichwohl, meine Damen und Herren — ich muß darauf hinweisen —, sind im Bundesarbeitsministerium bis zum Jahre 1968 Haushaltsmittel in Höhe von 20 Millionen DM verfallen, Haushaltsmittel, die vom Deutschen Bundestag für die Förderung der Rehabilitationseinrichtungen bereitgestellt waren, Haushaltsmittel, mit denen viele der dringend benötigten Einrichtungen hätten finanziert werden können.
Sie haben es auch hingenommen, daß die Leistungen für die Rehabilitation sich in den einzelnen Leistungsgesetzen auseinanderentwickelt haben. Dies hat zur Folge, daß bei gleichen Tatbeständen heute unterschiedliche Leistungen gewährt werden. Dafür haben die Behinderten kein Verständnis. Es ist auch unverständlich, daß ein Umschüler höhere Unterhaltsleistungen nur deswegen bezieht, weil er auf Kosten der Unfallversicherung umgeschult wird, während ein anderer, dessen Kostenträger die gesetzliche Rentenversicherung ist, sich mit weniger bescheiden muß. Sie haben die Schranken, die das Schwerbeschädigtengesetz für die zahlreichen Zivilbeschädigten setzt, nicht überwunden. Die Zugehörigkeit zum Kreis der Schwerbeschädigten richtet sich immer noch nach der Ursache der Behinderung und nicht nach der Tatsache.

(Zuruf der Abg. Frau Kalinke.)

Es ist auch versäumt worden, im Bereich der Rehabilitation für exakte statistische Unterlagen zu sorgen; denn eine umfassende Rehabilitationsstatistik gibt es nicht. In weiten Teilen der Rehabilitation wird nach wie vor mit vagen Schätzungen gearbeitet. Das, meine Damen und Herren, erschwert Planung und Vorsorge.
Es ist auch nicht gelungen, einen Anfang zu machen, um die baulichen und technischen Hindernisse, die sich den Behinderten im Alltag in den Weg stellen, wenigstens nicht größer und zahlreicher werden zu lassen. Und es wurde schließlich nicht erreicht, in der breiten Öffentlichkeit Verständnis für die Behinderten zu wecken. Sonst könnte eine Repräsentativumfrage, wie sie kürzlich die Forschungsgemeinschaft „Das behinderte Kind" durchgeführt hat, nicht so erschreckende Ergebnisse gehabt haben.

(Abg. Wehner: Sehr wahr!)

Diese Versäumnisse der Vergangenheit, meine Damen und Herren, prägen auch heute noch den Alltag des Behinderten. Das zeigen tagtäglich eingehende Briefe. Ich will es mir versagen, aus diesen Briefen zu zitieren.
Meine Damen und Herren, ich höre schon Ihre Frage nach der Finanzierung. Ich höre Ihren Einwand, daß nicht genügend Geld vorhanden gewesen sei, um alle Mängel und Unzulänglichkeiten der Rehabilitation zu beseitigen. Ich muß Ihnen dazu sagen, daß es am Geld allein nicht gelegen haben kann. Es gibt in der Sozialpolitik Bereiche, in denen begrenzte Summen große Erfolge bewirken können, auch in der Rehabilitation.
Hier wäre es in erster Linie darauf angekommen, eine gemeinsame Basis für alle Beteiligten zu finden und die sozialpolitische Bedeutung der Rehabilitation gebührend zu unterstreichen. Das hat die Bundesregierung in ihrer Regierungserklärung und mit dem Aktionsprogramm zur Förderung der Rehabilitation getan.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich kann es mir ersparen, auf die einzelnen Punkte des Aktionsprogramms näher einzugehen. Ihnen liegt das Programm als Anlage zur Antwort der Bundesregierung vor. Vergleichen Sie bitte den Katalog der Versäumnisse mit den Punkten des Aktionsprogramms, und Sie werden sehen, daß der Versuch unternommen wird, mit diesem Aktionsprogramm Versäumnisse wiedergutzumachen.
Über diesem Programm der Bundesregierung steht der feste Wille, die Situation der Behinderten entscheidend zu bessern. Hierzu ist folgendes notwendig:



Bundesminister Arendt
Erstens. Auf dem Boden des gegliederten Systems der Rehabilitation sind alle beteiligten Stellen, Organisationen und Verbände zu einem Höchstmaß an Kooperation zusammenzuführen.
Zweitens. Die erkennbaren Nachteile des gegliederten Systems müssen so schnell wie möglich überwunden werden.
Drittens. In allen Bereichen der Rehabilitation sind die erforderlichen Einrichtungen alsbald zu schaffen.
Viertens. Allen Behinderten müssen die erforderlichen Hilfen schnell und unbürokratisch zuteil werden.
Wir alle, meine sehr verehrten Damen und Herren, sollten froh sein, daß es gelungen ist, ein so umfassendes Aktionsprogramm — über alle Zuständigkeitsgrenzen hinweg — vorzulegen. Das ist bisher niemals versucht worden.
Ich freue mich, daß wir bei allen beteiligten Stellen in Bund, Ländern und Gemeinden, bei den gesetzlichen Trägern der Rehabilitation, den Sozialpartnern, bei den Freien Wohlfahrtsverbänden und den Organisationen der Behinderten eine große Bereitschaft zur Zusammenarbeit gefunden haben. Es sieht so aus, als hätten alle schon lange auf einen Anstoß gewartet. Die Initiative der Bundesregierung hat die Bereitschaft zur Zusammenarbeit geweckt, und sie trägt schon die ersten Früchte.
Lassen Sie mich darstellen, was inzwischen geschehen ist:
Erstens. Die Bundesregierung hat zur Bundesarbeitsgemeinschaft für Rehabilitation und den in ihr zusammengeschlossenen Trägern ein neues, vertrauensvolles Verhältnis gefunden. Am 14. April dieses Jahres sind Bundesregierung und Bundesarbeitsgemeinschaft in Wiesbaden gemeinsam mit neuen Vorstellungen zur Rehabilitation vor die Öffentlichkeit getreten. Die Bundesarbeitsgemeinschaft unterstützt die Koordinierungsbemühungen der Bundesregierung. Sie übernimmt in ihrem Bereich die Durchführung des Aktionsprogramms.
Zweitens. Im instutionellen Bereich der Rehabilitation sind die Weichen gestellt worden, um die notwendigen Einrichtungen bauen zu können. In drei Koordinierungsgesprächen in Hamburg, Koblenz und Nürnberg sind erstmals auf Bundesebene allgemeine Zielvorstellungen entwickelt worden. Wir haben den Bedarf an Ausbildungsplätzen für erwachsene Behinderte ermittelt und über Standort und Finanzierungsfragen neuer Einrichtungen Einvernehmen erzielt. In etwa fünf Jahren werden wir über eine ausreichende Zahl moderner Ausbildungsplätze verfügen. Neue Berufsförderungswerke werden so geplant, daß die Behinderten möglichst kurze Anreisewege haben und übers Wochenende zu ihren Familien nach Hause fahren können.

(Abg. Liehr: Sehr gut!)

Für den Bereich der Werkstätten für Behinderte haben ähnliche Gespräche stattgefunden. Auch hier gilt das Ziel eines bundesweiten Netzes von Werkstätten mit einem Arbeitsplatz für jeden Behinderten, der sonst nicht mehr arbeiten könnte.
Drittens. Für den individuellen Bereich der Rehabilitation hat die Bundesarbeitsgemeinschaft am 14. April dieses Jahres „Grundsätze für die Durchführung der Rehabilitation als gemeinsame Aufgabe ihrer Träger" verabschiedet. Es ist das Ziel dieser Grundsätze, Schranken zwischen den einzelnen Trägern abzubauen und dem Behinderten die Orientierung im gegliederten System zu erleichtern.
Viertens. Die Anordnung über die Arbeits- und Berufsförderung Behinderter ist am 2. Juli 1970 vom Verwaltungsrat der Bundesanstalt für Arbeit verabschiedet worden. Die Bundesregierung hat diese Anordnung genehmigt. Die Arbeitsämter sind jetzt in der Lage, die fortschrittlichen Rehabilitationsvorschriften des Arbeitsförderungsgesetzes anzuwenden und allen Behinderten vielfältige berufliche Hilfen zukommen zu lassen.
Fünftens. Die Regelung über die Förderung der Berufsausbildung behinderter Jugendlicher bedeutet einen Meilenstein in der deutschen Rehabilitation: Beihilfen zur Berufsausbildung behinderter Jugendlicher werden künftig ohne Prüfung der Bedürftigkeit gewährt; die Einkommens- und Vermögensverhältnisse der Eltern spielen für die Gewährung der Ausbildungsbeihilfe praktisch keine Rolle mehr. Durch die beabsichtigte Änderung des Rechts der gesetzlichen Unfallversicherung werden auch Schüler und Studenten in den Kreis der Rehabilitationsberechtigten einbezogen.
Sechstens. Die innerhalb des gegliederten Systems der Rehabilitation unterschiedlichen Leistungen werden einander angeglichen. Die Vorbereitungen für einen entsprechenden Gesetzentwurf sind angelaufen. Es ist beabsichtigt, die Leistungen der einzelnen Trägergruppen vollständig einander anzugleichen. Jeder Träger wird in seinem Bereich alle Leistungen erbringen, die für den Rehabilitationserfolg notwendig sind. Ein Wechsel in der Kostenträgerschaft und die damit häufig verbundene Unterbrechung des Rehabilitationsgeschehens werden dadurch vermieden.
Siebtens. Ebenfalls angelaufen sind die Vorbereitungen für die umfassende Novellierung des Schwerbeschädigtengesetzes. In den Schutz dieses Gesetzes sollen künftig alle Behinderten unabhängig von der Ursache der Behinderung einbezogen werden. Zugleich wird eine Vereinheitlichung des Verfahrens, insbesondere mit der Ausgleichsabgabe, angestrebt.
Achtens. Bei der Vorbereitung eines einheitlichen Sozialgesetzbuches überlegen wir, sämtliche Vorschriften über die Rehabilitation in einem besonderen Buch des Sozialgesetzbuches zusammenzufassen. Zur Prüfung dieser Frage hat die Sachverständigenkommission für das Sozialgesetzbuch eine besondere Arbeitsgruppe eingesetzt.
Neuntens. Allgemeine Appelle zur Beseitigung baulicher und technischer Erschwernisse für Behinderte haben in der Vergangenheit nicht weitergeführt. Auf meinen Vorschlag hin ist innerhalb der Bundesregierung ein interministerieller Ausschuß mit allen beteiligten Ressorts eingerichtet worden. Wir wollen die praktischen Möglichkeiten zur Ver-



Bundesminister Arendt
meidung oder Beseitigung baulicher Hindernisse an sichtbaren Beispielen demonstrieren. Wir erwarten davon wirksame Anregungen.
Zehntens. In der Öffentlichkeit muß mehr Verständnis für die Behinderten geweckt werden. Das ist das Anliegen eines „Wettbewerbs des guten Willens", zu dem ich vor dem Berufsgenossenschaftstag in Düsseldorf aufgerufen habe. Dieser Wettbewerb wendet sich an jedermann, der einen Beitrag zur Verbesserung der Hilfen für die Behinderten leisten kann. Ich freue mich sehr, daß mir für den Wettbewerb zahlreiche hohe Preise zur Verfügung gestellt worden sind.
Das, meine sehr verehrten Damen und Herren, waren in zehn Punkten zusammengefaßt die Vorstellungen der Bundesregierung für die nächsten Schritte zur Verbesserung der Hilfen für die Behinderten.
Geben Sie mir aber vor diesem Hintergrund noch die Zeit zu zwei Bemerkungen.
Wir hoffen, durch die Eingliederung beschädigter oder behinderter Menschen in den Arbeitsprozeß ihrem Dasein einen Inhalt zu geben und dadurch menschlich zu handeln. Damit beantworten wir zugleich die Frage nach dem Sinn der Arbeit in einer ganz bestimmten Weise.
Ich bin mir bewußt, daß man eine Rechnung aufmachen kann zwischen dem Aufwand für die Rehabilitation einerseits und dem öffentlichen Aufwand für Renten und ähnliche Sozialleistungen andererseits. Diese Rechnung geht zugunsten der Rehabilitation auf. Ich versichere Ihnen, daß ich das wirtschaftliche Kalkül dieser Überlegungen nicht unterschätze. Aber das ist nicht meine Auffassung von Aufgabe und Ziel der Rehabilitation. Das Ziel unserer Rehabilitationsbemühungen ist die Eingliederung des behinderten Menschen in die Gesellschaft; dort soll er als vollwertiger Mitbürger seinen Platz einnehmen.

(Vorsitz: Vizepräsident Dr. Schmid)

Meine Damen und Herren, die Bundesregierung hat sich umfassende innere Reformen mit dem Ziel der größeren sozialen Sicherheit und mehr sozialer Gerechtigkeit zur Aufgabe gemacht. Verstärkte Hilfen für die Behinderten, verbesserte Chancen für sie in Beruf und Gesellschaft sind ein Schritt zur Verwirklichung dieser Ziele. Auch das ist ein Stück innerer Reform.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)


Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0606416200
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Glombig. Seine Fraktion hat für ihn eine Redezeit von 30 Minuten beantragt.

Eugen Glombig (SPD):
Rede ID: ID0606416300
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich werde diese Redezeit nicht in Anspruch nehmen. Aber ich möchte mich nicht von vornherein auf 15 oder 17 Minuten festlegen, weil es auch 20 Minuten werden können.
Meine Damen und Herren, Bundeskanzler Brandt selbst hat in seiner Regierungserklärung vor dem Deutschen Bundestag am 28. Oktober 1969 zur Rehabilitation in programmatischer Weise wie folgt Stellung genommen:
Die Bundesregierung wird um verstärkte Maßnahmen bemüht sein, die den Benachteiligten und Behinderten in Beruf und Gesellschaft, wo immer dies möglich ist, Chancen eröffnen.
In Ausführung der Regierungserklärung von Bundeskanzler Brandt hat Bundesarbeitsminister Walter Arendt am 14. April 1970 in Wiesbaden das Aktionsprogramm der Bundesregierung zur Förderung der Rehabilitation der Behinderten verkündet. Seine Anwesenheit bei der ersten Mitgliederversammlung der Bundesarbeitsgemeinschaft für Rehabilitation benutzte der Minister einmal dazu, den guten Willen und die Bereitschaft der Bundesregierung zu einer vertrauensvollen Zusammenarbeit nicht nur mit der Bundesarbeitsgemeinschaft für Rehabilitation, sondern mit allen Verantwortlichen in der Rehabilitation zum Ausdruck zu bringen, und zum anderen dazu, die Vorstellungen der Bundesregierung zur Rehabilitation darzulegen.
Lassen Sie mich auf einige mir wichtig erscheinende Grundgedanken des Aktionsprogramms noch einmal besonders hinweisen, weil dieses Aktionsprogramm der Ausgangspunkt der Großen Anfrage der CDU/CSU ist.
Erstens. Das Aktionsprogramm geht von dem gegliederten System der Rehabilitation und der Selbstverwaltung seiner Träger aus. Es will nicht eingreifen in bestehende Zuständigkeiten, sondern den Weg sichtbar machen, der ,gemeinsam zu gehen ist.
Zweitens. Das Aktionsprogramm erfaßt den Gesamtbereich der Rehabilitation, die medizinische, die erzieherisch-schulische, für die vor allem die Länder und Gemeinden zuständig sind, und die soziale oder gesellschaftliche 'Seite der Rehabilitation. Es geht damit über den Zuständigkeitsbereich des Bundesarbeitsministers und der Bundesregierung weit hinaus.
Das Aktionsprogramm erfaßt den individuellen und den institutionellen Bereich der Rehabilitation. Im individuellen Bereich hat danach zweierlei Vorrang. Das Verwaltungsverfahren muß nahtlos und ohne Unterbrechung ablaufen. Der Behinderte muß frühzeitig beraten und in die Rehabilitation einbezogen werden. Es darf nicht Sache des Behinderten sein, sich den zuständigen Kostenträger selbst suchen zu müssen, so wie es heute leider zum Teil noch geschieht. Im Bereich der Sozialversicherung wird sich die Bundesarbeitsgemeinschaft für Rehabilitation insbesondere auf diesem Feld zu bewähren haben, meine Damen und Herren.
Weiter sind die unterschiedlichen Rehabilitationsleistungen einander unter Überwindung des Kausalitätsprinzips möglichst schnell anzugleichen. Das ist im Aktionsprogramm vorgesehen, und hier sind auch bestimmte Vorstellungen entwickelt worden. Das gilt insbesondere für die Leistungen zum Lebensunterhalt während der beruflichen Rehabilita-



Glombig
tion. Es gilt aber auch — oder besser gesagt: es muß auch gelten — für die Leistungen, die der sozialen und gesellschaftlichen Eingliederung der Behinderten vor allem im Bereich der Sozialhilfe dienen.
Im institutionellen Bereich geht es um die Schaffung eines möglichst geschlossenen Systems von Rehabilitationseinrichtungen, angefangen von den Kliniken und Krankenhäusern über die Spezialeinrichtungen für bestimmte Behinderungsarten und die Ausbildungs- und Umschulungsstätten bis hin zu den Sonderkindergärten, Sonderschulen und den Werkstätten sowie sonstigen Stätten der Beschäftigung für Behinderte.
Das Aktionsprogramm der Bundesregierung bedarf der Mitarbeit aller an der Rehabilitation beteiligten Stellen in Bund, Ländern und Gemeinden, der gesetzlichen Träger der 'Rehabilitation, der Sozialpartner, der Kirchen, der Wohlfahrtsverbände und der Organisationen der Beschädigten und Behinderten und natürlich ihrer Familien. Vor allem aber bedarf es der Mitarbeit jedes einzelnen Behinderten selbst, seines Willens, auf den es besonders ankommt, und seiner Bereitschaft, die Behinderung zu überwinden. Ihm dabei Hilfestellung zu leisten, ist das Ziel des Aktionsprogramms der Bundesregierung,. Es liegt aber auch in unserer gemeinsamen Verantwortung, meine Damen und Herren, und damit in der besonderen Verantwortung dieses Parlaments. Damit wird erstmals — ich betone: erstmals —, nachdem 20 Jahre hinter uns liegen, in denen die Bundesregierung von der CDU/CSU geführt worden ist, der Versuch unternommen, ein umfassendes Programm der Rehabilitation zu entwickeln. Dafür danken wir der Bundesregierung von diesem Platz aus.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

An ,der Spannweite dieses Programms ist zu erkennen, daß die Rehabilitation behinderter Kinder von der Rehabilitation erwachsener Behinderter nicht zu trennen ist. Die Rehabilitationsbemühungen während ,der Kindheit stellen eine Komponente der Rehabilitationsbemühungen während des gesamten Lebens eines Behinderten dar. Dabei will ich nicht verkennen, daß die Effektivität der Rehabilitationsbemühungen während der Zeit der Kindheit von entscheidender Bedeutung im Hinblick auf die Möglichkeit der weiteren Entwicklung des Behinderten im späteren Leben ist.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Das gilt vor allem auch für eine ausreichende Schul- und, wenn irgend möglich, wenn irgendwie prädestiniert, Hochschulausbildung, die, wie gesagt, in der Zuständigkeit der Länder liegt. Ich möchte heute von dieser Stelle aus der Bund-Länder-Kommission, die sich mit der Bildungsplanung beschäftigt, dieses brennende Problem zur vordringlichen Behandlung besonders nahelegen. Es geht auch um die Jugendlichen, die behindert sind und deren Interessen Berücksichtigung finden müssen.
Im großen und ganzen kann gesagt werden, daß die Rehabilitation des behinderten Kindes und Jugendlichen in der Bundesrepublik Deutschland trotz großer Mängel, die in den letzten 20 Jahren, obwohl wir immer auf ihre Beseitigung gedrängt haben, nicht behoben worden sind, besser funktioniert als die Rehabilitation des erwachsenen Behinderten, der auf die Leistungen z. B. des Bundessozialhilfegesetzes angewiesen ist.
Neben dem Aktionsprogramm hat diese Bundesregierung dem Bundestag in kürzester Frist einen Gesetzentwurf über die Errichtung einer Nationalen Stiftung „Hilfswerk für das behinderte Kind" vorgelegt. Sie hat im Gegensatz zu ihren Vorgängerinnen sehr schnell erkannt, daß es weiterer Maßnahmen bedarf, um die Eingliederung der behinderten Kinder in die Gesellschaft zu fördern. Sie hat insbesondere eine schnelle und wirksame Hilfe für die Kinder für erforderlich gehalten, deren körperliche Fehlbildungen mit der Einnahme des Präparates Contergan in Verbindung gebracht werden. Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion läßt keinen Zweifel daran, daß es darüber hinaus einer Weiterentwicklung des Bundessozialhilfegesetzes für alle behinderten Kinder bedarf.
Aber wir werden auch unsere Bemühungen für die erwachsenen Behinderten erfolgreich fortsetzen; denn, so merkwürdig das klingen mag, bei den erwachsenen Behinderten setzt das wirkliche Dilemma der Rehabilitation des behinderten Kindes von heute ein, das ja morgen ebenfalls erwachsen sein wird. Der erwachsene Behinderte, vor allem der Schwerstbehinderte, bedarf weiterhin der Rehabilitationsbemühungen, unter Umständen sogar in verstärktem Umfang, nämlich dann, wenn der Schutz und die Hilfe der Familie nicht mehr zur Verfügung stehen. Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion ist deshalb der Auffassung, daß die Hilfen für die Schwer- und Schwerstbehinderten nach dem Bundessozialhilfegesetz, was Art und Umfang dieser Hilfen angeht, mehr als bisher in die Nähe der Hilfen für Blinde gerückt werden müssen.
Es gibt also, so meine ich, nicht das gesonderte Problem der Rehabilitation des behinderten Kindes oder des behinderten Erwachsenen, sondern es gibt nur das Problem der Rehabilitation des Behinderten. Mir scheint, daß das eine notwendige Erkenntnis sein sollte für alle, die sich der dankenswerten Aufgabe der Rehabilitation widmen. Das sind viele Menschen, das sind viele Organisationen. Sie tun das nicht erst, seitdem es eine gesetzliche Grundlage dafür in der Bundesrepublik Deutschland gibt. Sie tun es seit Jahrzehnten mit großem Erfolg. Wir sollten ihnen an dieser Stelle dafür danken; denn ihre Bemühungen sind auch in der Zeit, als es keine staatliche Unterstützung gab — es ist noch gar nicht so lange her, daß sie überhaupt erst einsetzte —, sehr erfolgreich gewesen.

(Beifall bei der SPD.)

Rehabilitation ist nach Meinung der Sozialdemokraten die Gewinnung bzw. Rückgewinnung gesundheitlicher und beruflicher Leistungsfähigkeit. Sie ist aber gleichzeitig und darüber hinaus auch Eingliederung bzw. Wiedereingliederung in die Gesellschaft. Sie ist, medizinisch gesehen, die Herstellung bzw. Wiederherstellung der Gesundheit, schulisch und



Glombig
beruflich betrachtet, die Eingliederung bzw. Wiedereingliederung in den Arbeitsprozeß und, sozial gesehen, die Eingliederung bzw. Wiedereingliederung der Gesamtpersönlichkeit des Rehabilitanten und seiner Familie in die Gesellschaft. Die Übernahme des Wortes „Rehabilitation" aus dem Englischen bedeutet nicht nur die Aufnahme eines Fremdwortes, sondern die Verpflichtung unseres gesamten Volkes — nicht nur die Verpflichtung der Fernsehzuschauer der „Aktion Sorgenkind" und anderer Spender — gegenüber allen behinderten Menschen in unserem Lande. Rehabilitation bedeutet Anerkennung des leib-seelischen Zusammenhanges auch für Behinderte. Rehabilitation ist mehr als soziale Leistung. Rehabilitation ist kulturelle Leistung im wahrsten Sinne des Wortes, weil sie allein dem Grundgedanken der Humanität entspringen kann.

(Beifall bei der SPD.)

Die von mir zum Begriff der Rehabilitation gemachten Ausführungen beinhalten bereits weitgehend die eigentliche Zielsetzung der Rehabilitationsmaßnahmen. Sie müssen ausgehen von der Schaffung der Möglichkeit zur Entfaltung der Gesamtpersönlichkeit des Behinderten. Sie müssen die Erhaltung, Besserung und Wiederherstellung der Gesundheit und Erwerbsfähigkeit zum Ziel haben. Sie dürfen nicht die Funktion der „Rentenquetsche" haben, selbst dann nicht, wenn die Rehabilitationsmaßnahmen vor der Rentengewährung zu kommen haben.
Bei den Rehabilitationsmaßnahmen ist die Anwendung der medizinischen und technischen Erkenntnisse nach neuestem Stand ebenso notwendig wie die Berücksichtigung berechtigter Berufswünsche und sonstiger persönlicher Interessen des Behinderten.
200 000 Männer und Frauen müssen Jahr für Jahr infolge von Verkehrs- und Arbeitsunfällen, Krankheit oder Verschleißerscheinungen vorzeitig aus dem Erwerbsleben ausscheiden, wie aus dem Aktionsprogramm der Bundesregierung hervorgeht.
In diesem Zusammenhang begrüßt die sozialdemokratische Bundestagsfraktion insbesondere die Vorlage des Gesetzentwurfs der Bundesregierung über die Einführung der Unfallversicherung für Schüler und Studenten zum 1. Januar 1971. Dieses Gesetz wird eine Gleichstellung der Schüler und Studenten im Bereich der Rehabilitation mit den Arbeitnehmern nach den Bestimmungen der gesetzlichen Unfallversicherung bringen und beantwortet Ihre Frage, Herr Kollege Burger, zumindest in einem Teilbereich.
Was Ihre Frage nach den Hausfrauen angeht, so sollten Sie sich innerhalb Ihrer eigenen Fraktion erst einmal untereinander verständigen. Denn wenn ich die Frage der Kollegin Kalinke in der Fragestunde heute morgen richtig aufgefaßt habe, ist sie grundsätzlich dagegen, daß diese Aufgabe von seiten des Staates übernommen wird.

(Zurufe von der CDU/CSU.)

Aber ich kann mich hier natürlich geirrt haben. Ich meine, daß wir diese Fragen weiterhin prüfen sollten.

Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0606416400
Gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Eugen Glombig (SPD):
Rede ID: ID0606416500
Bitte!

Margot Kalinke (CDU):
Rede ID: ID0606416600
Herr Kollege, würden Sie mir wohl bestätigen und zustimmen, daß es unter Ihrer Würde sein sollte, gerade m i r das zu unterstellen? Ich habe gefragt, nach den Kosten der Unfallversicherung und den Lösungen, wie sie die Sozialenquête und wie sie die Frauenenquête festgestellt und empfohlen haben. Und Sie können sich im Bundesrat — darf ich Sie fragen, ob Sie das tun wollen — davon überzeugen, was die Länderfinanzminister jetzt dazu sagen — Ihre eigenen Minister: —, nämlich über die Kostenvermehrung bis zu 50 %, wenn eine Sache, die individuell gut gelöst werden kann, nun durch den Staat gelöst werden soll. Sind Sie bereit, sich mal zu informieren, Herr Kollege, und in Zukunft anderen Kollegen nicht etwas Unsoziales zu unterstellen, weder hier noch im Wahlkampf draußen? Dieser Stil sollte hier nicht permanent geübt werden.

(Beifall bei der CDU/CSU. — Oho-Rufe von der SPD.)


Eugen Glombig (SPD):
Rede ID: ID0606416700
Frau Kollegin Kalinke, ich danke Ihnen für diese „Klarstellung". Die war ja wohl im Hinblick auf Ihre Fragestellung heute morgen sehr wichtig. Ich darf also daraus entnehmen, daß Sie sich einer gesetzlichen Regelung nicht entgegenstellen wollen, sondern daß Sie auch meinen, daß eine gesetzliche Regelung praktikabel und richtig ist.
Ich kann dann fortfahren. Im Jahre 1966 wurden die Erhebungen über die Behinderten auf Auskünfte über die Berufsausbildung und die Umschulung der Behinderten erweitert. Eine Zusatzbefragung über Erkranken und Unfälle sieht die Dritte Verordnung über das Zusatzprogramm zum Mikrozensus vom 24. 9. 1969, Oktober 1970 vor. Ich darf Sie darauf hinweisen, daß auch die einschlägigen Sozialstatistiken wertvolle Aussagen über einzelne Behindertengruppen enthalten. Neue Möglichkeiten zur Auswertung von Unterlagen über Behinderte gibt das im Jahr 1969 neu gefaßte Bundessozialhilfegesetz, das im § 126 den Gesundheitsämtern konkrete Verpflichtungen auferlegt. Die Bundesregierung wird hierüber dem Deutschen Bundestag zum 1. Oktober 1972 berichten. Das geht auf eine Initiative der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion in der vorigen Legislaturperiode zurück. Zur Frage der Rehabilitation Behinderter und der in diesem Zusammenhang notwendigen einheitlichen Rehabilitationsstatistiken sowie über die dazu eingeleiteten Maßnahmen hat sich die Bundesregierung in der Bundestagsdrucksache V1/896 geäußert. Der Herr Bundesarbeitsminister hat dazu hier soeben auch noch einmal Stellung genommen.
Nach der Neufassung des Bundessozialhilfegesetzes ist die Bevölkerung über die Möglichkeiten der Eingliederung von Behinderten und über die nach dem Bundessozialhilfegesetz und nach anderen Gesetzen bestehenden Verpflichtungen in geeigneter



Glombig
Weise regelmäßig zu unterrichten. Ich habe den Eindruck, daß diese von seiten des Gesetzgebers für die Rehabilitationsträger ausgesprochene Verpflichtung noch nicht in ausreichender Weise wahrgenommen worden ist.
Bei dieser Gelegenheit muß ich jedoch der Bundesregierung ein besonderes Lob zollen, die die ihr gegebenen Möglichkeiten zur Aufklärung der Bevölkerung immer wieder in überzeugender Weise genutzt hat.

(Beifall bei der SPD.)

Meine Damen und Herren, das gilt nicht zuletzt für die Presse- und Aufklärungsarbeit des Herrn Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung. Das allein aber genügt selbstverständlich nicht. Hier bedarf es der Zusammenarbeit mit den Massenmedien, die in erster Linie auch dazu berufen sind, Aufklärung zu bringen und nicht nur Sensationslust zu erzeugen. Das gilt insbesondere für das ernste Problem der Rehabilitation.
Das im Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland verankerte Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit, auf die unverletzliche Freiheit der Person und auf die Freiheit der Berufswahl muß zur Folge haben, daß alle behinderten Menschen ohne Rücksicht auf die Ursache und Art ihrer Behinderung in gleicher Weise einen Anspruch auf alle Maßnahmen und Leistungen der Rehabilitation haben. Dieser Grundsatz hat seinen Niederschlag auch gefunden in Empfehlungen der Internationalen Arbeitsorganisation, der Westeuropäischen Union, des Weltfrontkämpferverbandes und der Internationalen Föderation der Arbeitsunfallverletzten und -Behinderten, an denen auch Vertreter der Bundesrepublik Deutschland mitgewirkt und denen sie ihre Zustimmung gegeben haben. Wir sind glücklich, daß diese Bundesregierung nach 20 Jahren heftigster Auseinandersetzungen der bisherigen Linie der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion gefolgt ist und diesen Grundsatz nun ebenfalls in ihrem Aktionsprogramm anerkannt hat. Die Sozialdemokratische Bundestagsfraktion ist zusammen mit der Bundesregierung der Auffassung, daß die unterschiedliche Regelung der Rechtsnatur des Anspruches auf Rehabilitation in der Gesetzgebung der Bundesrepublik Deutschland bald überwunden und daß die Regelung nach finalen und nicht nach kausalen Gesichtspunkten ausgerichtet werden muß. Der erste Schritt auf diesem Wege wird die Harmonisierung der Unterhaltsleistungen während der beruflichen Rehabilitation sein.
Die Vielgestaltigkeit der gesetzlichen Grundlagen, Kostenträger und Einrichtungen für Rehabilitationsmaßnahmen erfordert eine weitgehende Vereinfachung und Koordinierung. Dieses Ziel ist mit dem Arbeitsförderungsgesetz und mit dem Zweiten Gesetz zur Änderung des Bundessozialhilfegesetzes noch nicht in vollem Umfang erreicht worden. Wir begrüßen daher die Feststellung der Bundesregierung, daß das gegliederte System der Rehabilitation der Koordinierung bedarf. Sie hat den Weg dafür gewiesen. Wir werden ihr für die Erreichung dieses Zieles die notwendige Unterstützung geben und diese Entwicklung aufmerksam beobachten. Wir werden in dieser Legislaturperiode des Deutschen Bundestages noch wiederholt Gelegenheit haben, unsere Erfahrungen auszutauschen, wenn die Bundesregierung über diesen Sachverhalt weiter berichtet.

Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0606416800
Gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Albert Burger (CDU):
Rede ID: ID0606416900
Herr Kollege Glombig, Sie haben sich soeben auch wieder zum gegliederten System bekannt. Können Sie mich über den Widerspruch aufklären, der zwischen Ihren Ausführungen und den Ausführungen Ihres Ministers besteht? Sie werfen uns Untätigkeit in 20 Jahren vor, bekennen sich aber gleichzeitig zu dem gegliederten System, das wir in den letzten 20 Jahren aufgebaut haben und das doch effektiv sein muß, wenn Sie es weiter ausbauen und vervollkommnen wollen.

Eugen Glombig (SPD):
Rede ID: ID0606417000
Ich will Ihnen darauf gleich eine Antwort geben. Der Deutsche Bundestag hat sich bei der Beratung des Arbeitsförderungsgesetzes im vergangenen Jahr für die Beibehaltung des gegliederten Systems der Rehabilitation entschieden. Er hat es damals — Sie werden sich daran erinnern, Herr Kollege Burger — gegen meine Überzeugung und die Überzeugung vieler meiner Freunde nicht für empfehlenswert gehalten, ein umfassendes Rehabilitationsgesetz sowie eine Bundesanstalt oder ein Bundesamt für Rehabilitation zu schaffen. Nun müssen wir doch, Herr Kollege Burger, diesen damals für richtig gehaltenen Weg bis zum Beweis des Gegenteils auch gehen und unsere Erfahrungen sammeln. Es geht nicht an, Herr Kollege Burger, daß diejenigen, die diese Entscheidung in erster Linie zu verantworten haben, nun, da sie sich in der Opposition befinden, durch diese Große Anfrage z. B. den Eindruck erwecken wollen — ich hoffe, es ist nicht so, aber ich habe jedenfalls diesen Eindruck —, als sei ,der erst im vorigen Jahr eingeschlagene Weg nicht mehr gangbar.

(Abg. Burger meldet sich zu einer weiteren Zwischenfrage.)

— Ich möchte jetzt zu meinen Schlußfolgerungen kommen, Herr Kollege Burger. Ich habe eine begrenzte Redezeit und ich möchte mich daran halten. Wir haben uns jahrelang über dieses Problem unterhalten. Ich meine, mit diesen Ausführungen gezeigt zu haben, daß es keinen Widerspruch gibt.
Ich komme also zu folgenden Schlußfolgerungen, meine Damen und Herren.
Erstens. Die gesetzlichen Vorschriften über die Rehabilitation müssen einander — ohne Beachtung der Kausalität — angeglichen und modernisiert werden. Als erster Schritt dazu werden in absehbarer Zeit die Unterhaltsleistungen für die berufliche Rehabilitation harmonisiert.
Zweitens. Die Versuche zur Koordinierung aller Maßnahmen und Einrichtungen der Rehabilitation über eine Bundesanstalt oder ein Bundesamt für Rehabilitation oder eine Rehabilitations-GmbH sind



Glombig
vorerst — zum Teil aus institutionsegoistischen Gründen gescheitert. Wir haben zur Zeit keinen Anlaß, uns gegen die Entscheidung für das gegliederte System mit Selbstverwaltung und Selbstverantwortung seiner Träger zu wenden. Wir werden die Entwicklung aufmerksam beobachten und zu gegebener Zeit, wenn notwendig, daraus entsprechende Schlüsse ziehen. Zur Zeit jedenfalls gibt es keinen Grund, an der Auffassung der Bundesregierung zu zweifeln, daß eine engere Zusammenarbeit aller beteiligten Stellen zu einer vernünftigen Koordinierung ,des gesamten Rehabilitationsgeschehens führen kann. Die gesetzliche Aufgabe nach § 62 Abs. 1 des Arbeitsförderungsgesetzes, wonach der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung darauf hinzuwirken hat, daß die Maßnahmen der Arbeits- und Berufsförderung Behinderter aufeinander abgestimmt werden, wird von ihm selbst in vollem Umfange wahrgenommen. Der Bundesbeauftragte, der im April dieses Jahres von mir gefordert worden ist, kann nur ein Bundesbeauftragter für die gesamte Rehabilitation sein und nicht nur für den Einzelbereich ,der beruflichen Rehabilitation; dafür genügt § 62 AFG.
Drittens. Forschung und Dokumentation sollen ebenfalls koordiniert werden.
Viertens. Das Schwerbeschädigtengesetz soll novelliert werden, damit alle Behinderten — unabhängig von Art und Ursache ihrer Behinderung — den Schutz des Gesetzes haben, soweit sie nicht nur vorübergehend um wenigstens 50 v. H. in ihrer Erwerbsfähigkeit gemindert sind.
Fünftens. Die Einkommensgrenzen für die Hilfe in besonderen Lebenslagen nach dem Bundessozialhilfegesetz müssen in großzügiger Weise erweitert werden, um das Los der Eltern schwerbehinderter Kinder und das Los der Schwerbehinderten selbst zu erleichtern. Außerdem müssen die Bestimmungen über die Hilfe zur Pflege für Schwerkörperbehinderte nach dem Bundessozialhilfegesetz denen für Zivilblinde angepaßt werden. Wir sind überzeugt, daß sich die Bundesregierung auch dieser Aufgaben in absehbarer Zeit annehmen wird.
Sechstens. Ein System von Rehabilitationseinrichtungen wird neu errichtet bzw. das vorhandene System wird ausgebaut.
Siebtens. Es sind nach Möglichkeit geeignete gesetzliche Maßnahmen zu treffen, um die baulichen und technischen Hindernisse für Behinderte zu beseitigen, wenn die gutgemeinten Absichtserklärungen nicht zum Ziele führen. Im Rahmen der Förderung des sozialen Wohnungsbaus muß eine ausreichende Zahl behindertengerechter Wohnungen sichergestellt werden.
Ich möchte bei dieser Gelegenheit nicht nur die Bundesregierung, sondern z. B. auch den Präsidenten des Deutschen Bundestages bitten, sich einmal Gedanken darüber zu machen, wie es mit der Überwindung architektonischer Hindernisse in diesem Hause und im Neuen Hochhaus aussieht. Da hat sich ein wohlverdienter Architekt ein Denkmal gesetzt, aber an Behinderte, die es ja nicht nur unter den Mitgliedern des Hohen Hauses gibt, sondern die dort auch zu Besuch kommen, Alte und Gebrechliche, kann nicht gedacht worden sein, weil es da Geländer gibt, die man nicht anfassen kann, und weil es da Drehtüren gibt, die den Behinderten erschlagen, wenn nicht zwei Beamte kommen und ihn dort durchschleusen.
Diese Beanstandung gilt nicht nur für den Bund, sondern auch für die Länder und Gemeinden. Das ist in fast allen öffentlichen Gebäuden und bei fast allen Verkehrsbauten festzustellen. Da genügen 38 Zentimeter Erhöhung der Bahnsteigkanten z. B. nicht. Da müssen wir uns wirklich überlegen, ob es genügt, Rolltreppen einzubauen, die die Behinderten ja doch nicht benutzen können.
Meine Damen und Herren, nur der Staat ist ein Kulturstaat, der sich seiner Alten, Behinderten, Kranken und Schwachen in ausreichender Weise annimmt.

(Beifall bei der SPD.)

Wir als sozialdemokratische Bundestagsfraktion werden uns bei der Bemühung, eine Sozialpolitik zu machen, die nicht nur nach volkswirtschaftlichen Erwägungen ausgerichtet ist, sondern auch nach Erwägungen der Humanität, von niemanden übertreffen lassen. Diese Hoffnung haben die Menschen draußen im Lande. Sie werden sich auch in diesem Punkte auf uns verlassen können.

(Lebhafter Beifall bei der SPD.)


Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0606417100
Das Wort hat der Abgeordnete Schmidt (Kempten). Er wird eine Redezeit von 15 Minuten beanspruchen.

Hansheinrich Schmidt (FDP):
Rede ID: ID0606417200
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Herr Kollege Burger hat am Anfang seiner mündlichen Begründung der Großen Anfrage der CDU/CSU davon gesprochen, daß die Rehabilitation eine der bedeutendsten Aufgaben unserer Gesellschaft ist, und er hat geendet mit der Feststellung: Rehabilitation ist ein Kernstück aktiver Gesellschaftspolitik. Beides möchte ich für die Freien Demokraten vollinhaltlich unterschreiben.
Ich begrüße es, daß der CDU/CSU in der Opposition offenbar die Erkenntnis erwachsen ist, daß hier mehr geschehen muß, als in der Vergangenheit geschehen ist, daß hier der Gesetzgeber zu mehr aufgefordert ist, daß sich hier die Bundesregierungen aktiver betätigen müssen. - Bitte, Herr Kollege Burger.

Albert Burger (CDU):
Rede ID: ID0606417300
Herr Kollege Schmidt, konnten Sie zwischen meinen Ausführungen und Meinungsäußerungen — wir kennen uns ja schon in der zweiten Legislaturperiode; in der ersten war ich Mitglied einer Regierungspartei — von damals und heute einen Unterschied feststellen?

Hansheinrich Schmidt (FDP):
Rede ID: ID0606417400
Herr Kollege Burger, das konnte ich nicht.

(Abg. Burger: Danke schön!)




Schmidt (Kempten)

— Das betrifft aber Sie persönlich. Sie haben an dieser Stelle aber für die Fraktion der CDU/CSU begründet und nicht im Rahmen dessen, was wir im vorigen Jahr im Unterausschuß besprochen haben — mit Ihrem sehr persönlichen Einsatz in dieser Frage.

(Abg. Dr. Hauser [Sasbach]: Das ist ja billig!)

— Moment, ob das billig ist, ist die Frage. Sie können ja dann eine Frage stellen, wenn Sie meinen, daß das billig ist.
Ich darf noch einmal feststellen, daß wir es sehr begrüßen und sehr unterstreichen, daß diese Erkenntnisse gewachsen sind, und daß wir sehr glücklich sind, daß die jetzige Bundesregierung, an der wir beteiligt sind, diese Frage in ihrer Regierungserklärung als erste expressis verbis angesprochen hat. Das hat vorhin bereits der Herr Bundesminister deutlich gemacht, aber ich möchte das noch einmal unterstreichen, weil sich eben die Bundesregierungen vorher, bei denen wir zum Teil beteiligt, aber leider nicht in der Lage waren, den Inhalt der Regierungserklärung allein zu bestimmen oder deutlich mitzubestimmen

(Abg. Katzer: Und das können Sie jetzt?)

und Sie praktisch das zuständige Ressort in der Hand hatten, in diesen Fragen zurückgehalten, zumindest in den Regierungserklärungen dazu nichts gesagt haben. Ich begrüße diese Erkenntnisse, und ich bin auch sicher, daß wir auf Grund dieser Erkenntnisse zu einer ganzen Reihe von Lösungen — notwendigen Lösungen - kommen werden, wie sie zum Teil in der Antwort der Bundesregierung, zum Teil in den Ausführungen des Herrn Bundesarbeitsministers, bereits zum Ausdruck gekommen sind. Ich bin auch sicher, daß wir in Zukunft in diesen Fragen sehr wenig Kontroversen finden werden.
Ich kann mir aber die Feststellung nicht ganz ersparen, daß ich beim Durchlesen der Anfrage und auch der schriftlichen Begründung und auch in Ihren Ausführungen, Herr Kollege Burger, bei allem, was Sie da aus Ihrem Herzen mit hineingetragen haben, keine erheblich neuen Vorschläge, keine neuen Gesichtspunkte, keine konkreten Vorstellungen gefunden habe, so daß eigentlich, nachdem Sie das Aktionsprogramm der Bundesregierung doch bereits kannten, das ja nicht erst heute Ihnen zugestellt worden ist, die Anfrage nicht mehr notwendig gewesen wäre, es sei denn, Sie brächten dazu zusätzliche Erkenntnisse, zusätzliche Vorstellungen. Vielleicht kommt das noch in den Ausschüssen.

(Abg. Dr. Schellenberg: Nein, nein, man wollte ein bißchen nachkleckern! — Abg. Burger meldet sich zu einer Zwischenfrage.)

— Herr Kollege Burger, ich darf auf meine fünfzehn Minuten aufmerksam machen; ich will mich in diesem Rahmen halten.

Albert Burger (CDU):
Rede ID: ID0606417500
Trotzdem muß ich Ihren brutalen Charme etwas stören, lieber Kollege Schmidt. Ich darf z. B. an meinen Vorschlag erinnern, einen Goldenen Plan für die Behinderten zu erstellen. Diese Frage wurde vom Bundesarbeitsminister überhaupt nicht beantwortet. Ich hatte ähnliche Vorschläge gemacht; sie sind nicht beantwortet worden.

(Zuruf von der SPD: Sie sind doch nicht die CDU!)


Hansheinrich Schmidt (FDP):
Rede ID: ID0606417600
Herr Kollege Burger, ich will nicht noch einmal den Unterschied zwischen Ihrer Aktivität in den Fragen der Rehabilitation und der bisherigen Mehrheitsmeinung in der CDU/CSU und auch der Arbeit dazu in dem von Ihrem Parteifreund verwalteten Ressort deutlich machen. Ich wollte das nur als Eingangsbemerkung bringen, weil ich es für richtig halte, hier darzustellen, daß man doch Anfragen eigentlich dort stellen sollte, wo man noch etwas Neues zu ihnen sagen will. Wenn man aber bereits weiß, was diese Bundesregierung will, was sie an Vorstellungen hat, und wenn man diese Vorstellungen praktisch teilt, was ist dann der Sinn der Anfrage in Wirklichkeit? Aber die Antwort darauf können Sie selber geben.
Ich will nun einiges überschlagen, um mit den fünfzehn Minuten klarzukommen. Ich will gleich zu den beiden Seiten, wie wir Freien Demokraten sie sehen, etwas sagen. Zunächst zu der technischen Seite — so will ich sie einmal nennen, die den gesamten medizinischen, den gesamten institutionellen und auch materiellen Bereich dieser Rehabilitation betrifft, dann den zweiten Teil, den ich für sehr bedeutsam halte — auch er ist schon mehrmals angesprochen worden —, den psychologischen Teil, der zur Erreichung des Ziels oftmals noch bedeutsamer ist als alles, was wir materiell, technisch usw. einsetzen können, wenn wir nicht die Schranken in unserer Bevölkerung, in der Gesellschaft überwinden.
Wir Freien Demokraten bejahen grundsätzlich das vorhandene gegliederte System, wie wir es im vorigen Jahr im Arbeitsförderungsgesetz auch wieder als eine richtige Konstruktion angesehen haben. Wir sind uns allerdings auch darüber im klaren — ich glaube, hier wird eine große Aufgabe auch noch bei der Durchführung der Gedanken der Bundesregierung auf uns alle zukommen —, daß bei der jetzigen Situation die Gefahr einer Verzettelung nicht ausgeschlossen werden kann.
Wir haben nach meinen Nachrechnungen etwa 13 Gesetze, die sich mit dieser Frage befassen, und wir haben etwa 1000 Institutionen für die Rehabilitation. Das macht schon deutlich, wie bedeutsam die in der Antwort der Bundesregierung, vom Kollegen Glombig und auch von Ihnen angesprochene Frage der Koordinierung und engen Kooperation bei allen Maßnahmen der Rehabilitation ist. Das muß institutionell und organisatorisch geschehen; der Erfahrungsaustausch muß in noch wesentlich größerer Breite stattfinden als bisher; es muß die Möglichkeit verstärkter gemeinsamer Forschungen geschaffen werden; und es muß die Gefahr abgebaut werden, daß auf Grund der Vielfalt der Institutionen hierbei eventuell sogar Konkurrenz oder Konkurrenzgedanken auftauchen, denn sie würden dem Ziel und der Sache schaden und außerdem die notwendigen und nach unserer Auffassung in der Zukunft zweifellos noch wesentlich stärker zur Verfügung



Schmidt (Kempten)

zu stellenden Mittel nicht wirklich in optimaler Weise auch den Behinderten zugute kommen lassen. Wir sind sehr froh, daß in der Antwort der Bundesregierung diese Probleme bereits sehr deutlich angesprochen worden sind und daß der Bundesarbeitsminister in seinen Ausführungen auch dazu rasche Weiterentwicklungen und klare Vorarbeiten angekündigt hat.
Jedoch möchte ich hier einmal eines dazwischenschalten. Wir sprechen immer — das ist mir vorhin aufgefallen — von „Rehabilitation = Wiedereingliederung". Sollten wir uns nicht überhaupt überlegen, ob wir nicht einen zweiten Begriff brauchen. Ich nenne ihn einmal „Neueingliederung". Denn das Wort „Rehabilitation" bedeutet ja von vornherein nur, daß jemand, der gesund war und behindert wurde, in sein Arbeitsleben, in seine Möglichkeiten in der Gesellschaft wieder hineingeführt werden soll. Wir müßten, glaube ich, „Wieder- und Neueingliederung" sagen oder „Rehabilitation und . . .". Mir fällt im Moment kein Wort dafür ein, aber so ist es vielleicht deutlicher zu verstehen. In der Öffentlichkeit versteht man unter dem Begriff wegen der Vorsilbe „Re-" immer wieder nur die später Behinderten — Herr Kollege Glombig, Sie haben davon gesprochen —, aber nicht auch diejenigen, die von Anfang an behindert waren.
Lassen Sie mich abschließend zu dem zweiten Teil, der mir besonders Sorge macht, etwas sagen, zu der psychologischen Seite.
Alles, was technisch, medizinisch, organisatorisch gemacht und finanziert werden kann, kann das optimale Ziel noch nicht erreichen, wenn wir die Schranken in unserer Gesellschaft nicht abbauen, wenn wir nicht in der Lage sind, die bei einem Behinderten nun einmal von vornherein vorhandene seelische Belastung weitestgehend von ihm zu nehmen — ganz wird das nie gelingen —, und wenn wir nicht in der Lage sind, die von der Umwelt her auf ihn immer wieder einwirkenden und ihn seelisch negativ belastenden Kräfte, Stimmungen usw. abzubauen. Es ist praktisch die Frage, wie wir die Respektierung des Behinderten als Mensch in der Gesellschaft lösen; wie wir das Problem technisch lösen, ist dagegen keine Frage.
Es sollte nicht mehr vorkommen — ich will nur einige Beispiele bringen —, daß der Begriff „Sonderschule" immer noch mit einem abwertenden Schlenker bedacht wird, obwohl die Sonderschule eine ganz notwendige Einrichtung gerade im Neueingliederungsbere ich Behinderter ist. Diese Abwertung muß aus dem Sprachgebrauch herauskommen. Dabei sollte auch verhindert werden, daß im Rahmen der Rehabilitationsmaßnahmen eine Abkapselung der Behinderten erfolgt. Während der Wiedereingliederung muß der Kontakt zur Gesellschaft bleiben, damit bei dem Wiedereingegliederten in seinem Arbeitsbereich oder dann, wenn er in einen neuen Wirkungsbereich hineinkommt, nicht plötzlich eine Schranke fällt.
Dazu gehört verstärkte Aufklärung nach außen, und dazu sind nicht nur der Gesetzgeber und nicht nur die Regierungen in Bund und Ländern aufgerufen. Ich möchte hier auch idie Eltern und Erzieher aufrufen, von Anfang an wesentlich mehr dazu beizutragen, die Schranken in ,der Gesellschaft zu überwinden. Denn ,das Gefühl, von hinten oder von der Seite schief angesehen zu werden, unbedachte oder abfällige Bemerkungen wie auch ein falsches Mitleid sind Dinge, die ,dem Betroffenen das Leben oftmals sehr viel schwerer machen und sein Dasein viel, viel mehr beeinträchtigen als die eigentliche Behinderung selbst.
Als Gesetzgeber können, müssen und wollen wir die Rahmenbedingungen schaffen und die finanziellen Mittel zur Verfügung stellen, um eine optimale Wiedereingliederung oder Neueingliederung Behinderter zu erreichen. Ob dieses so wünschenswerte Ziel einer möglichst vollen gesellschaftlichen Integration erreicht wird, wird auch mit von dem Verhalten eines jeden einzelnen von uns, eines jeden einzelnen Gesunden, wenn ich so sagen darf, in unserer Gesellschaft abhängen.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)


Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0606417700
Das Wort hat der Abgeordnete Härzschel. Seine Redezeit beträgt 15 Minuten.

Kurt Härzschel (CDU):
Rede ID: ID0606417800
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Leider muß ich zu Beginn auf einige Ausführungen des Herrn Arbeitsministers eingehen. Ich bedaure sehr, Herr Minister, daß Sie nicht in der Lage waren, nach den sachlichen Ausführungen des Kollegen Burger auf Ihre polemischen Passagen zu verzichten.

(Beifall bei der CDU/CSU. — Zurufe von der SPD.)

Uns ging es nicht darum, bei unserer Großen Anfrage polemisch zu werden oder die Regierung zu kritisieren. Uns ging es lediglich darum, gemeinsam einen Weg zu suchen, wie den Behinderten am besten geholfen werden kann. Allein das war Zweck und Ziel unserer Großen Anfrage, nicht aber hier irgendwelche Polemiken vom Zaun zu brechen.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Ich bedaure auch, daß Sie sich sehr unfair gegenüber Ihrem Vorgänger verhalten haben. Sie wissen, mit welcher Leidenschaft der Kollege Katzer für die Rehabilitation eingetreten ist. Wenn heute in Berlin, in München oder in Essen neue Zentren gebaut werden, so ist das nicht zuletzt auf seine Initiative, auf sein Drängen hin geschehen. Auch die Bundesarbeitsgemeinschaft ist letzten Endes daraus entstanden, daß Hans Katzer immer wieder diese Probleme angesprochen hat. Ich halte es für unfair, wenn man diese Tatsachen ganz einfach unter den Tisch fallen läßt.
Sie haben gesagt, in den letzten 20 Jahren sei nichts geschehen. Sind Ihnen denn die Milliardenbeträge, die für die Rehabilitation von den einzelnen Trägern ausgegeben worden sind, nicht geläufig? Auch das ist doch Rehabilitation. Ich möchte ferner darauf hinweisen, daß über den Weg der Rehabilitation vor 10, 15 Jahren andere Vorstellungen geherrscht haben und andere Erkenntnisse vorhanden waren, als sie heute gegeben sind.




Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0606417900
Gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Kurt Härzschel (CDU):
Rede ID: ID0606418000
Ja.

Eugen Glombig (SPD):
Rede ID: ID0606418100
Herr Kollege Härzschel, haben Sie feststellen können, daß der Herr Kollege Burger in seiner Rede ein Wort des Dankes an den Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung für das Aktionsprogramm ausgesprochen hat?

(Zurufe von der CDU/CSU.)


Kurt Härzschel (CDU):
Rede ID: ID0606418200
Herr Kollege Glombig, Ihnen ist sicher entgangen, daß der Kollege Burger am Schluß ausdrücklich darauf hingewiesen hat, daß er die Vorschläge für gut halte und daß wir durchaus bereit seien, auf diesem Wege mitzuarbeiten. Wenn Sie den Dank darin nicht erkannt haben, tut es mir leid.

(Zuruf von der CDU/CSU: Ausdrücklich gesagt!)

Wenn Sie schon so fragen, muß ich darauf hinweisen — der Kollege Burger hat es schon getan —, daß es ein CDU-Landesminister war, der das Rehabilitationszentrum in Heidelberg initiiert hat, das vom Bund immer wieder mit unterstützt worden ist. Ich frage Sie einmal, wo Sie doch so fortschrittlich sind: Wo sind denn Ihre Landesminister gewesen,

(Beifall bei der CDU/CSU) die solche Initiative gestartet haben?


(Abg. Geiger: Herr Kollege Härzschel, es war der Präsident des Landesarbeitsamtes und kein Minister!)

— Er war immerhin ein Mann der CDU, und von ihm kam die Initiative. Sie sitzen von Anfang an in Hessen und haben so etwas nicht fertiggebracht. Das muß man auch einmal feststellen, wenn Sie schon polemisieren.

(Beifall bei der CDU/CSU. — Zuruf von der SPD: Was gar nicht stimmt! — Weitere Zurufe von der SPD.)

Meine Damen und Herren, gestatten Sie mir aber noch einige Ausführungen und Ergänzungen zu dem, was der Kollege Burger gesagt hat. Mir geht es dabei in erster Linie um die Probleme der Rentenversicherung, weil die Rentenversicherung zwei Drittel aller Heilmaßnahmen und Berufsförderungsmaßnahmen durchführt und deshalb dieser Bereich von besonderer Bedeutung ist.
Wir haben gemeinsame Grundsätze entwickelt, und auch die Vorschläge der Bundesregierung weisen einen Weg. Ich meine aber, daß von den Vorschlägen bis zu ihrer Verwirklichung — das gibt die Bundesregierung selber zu — noch eine ganze Reihe von Vorbedingungen zu erfüllen sind. Mir scheint vor allem eine Koordinierung der verschiedenen Maßnahmen notwendig zu sein, nicht nur der Träger untereinander, sondern auch der ablaufenden Vorgänge, wenn ich an die medizinische, berufliche und gesellschaftliche Eingliederung denke. Hier muß eine lückenlose Erfassung erfolgen, weil jede Spanne, die dazwischenliegt, den Vorgang erschwert.
Dazu ist es notwendig, daß wir statistische Unterlagen bekommen, die bisher jedenfalls sehr lückenhaft sind. Bei allen Maßnahmen, die bisher durchgeführt wurden, ist die Statistik leider etwas zu kurz gekommen. Ich meine, in der Zukunft müssen alle diese Maßnahmen erfaßt und auf ihre Wirksamkeit hin untersucht und weiterverfolgt werden. Man muß auf jeden Fall die Effektivität der Rehabilitationsbemühungen erfassen, damit wir nicht Gelder in Millionenhöhe ausgeben, die nicht jenen Erfolg zeitigen, den wir alle wünschen.
Ich möchte weiter darauf hinweisen, daß wir auch in der Zukunft noch mehr Zentren werden bauen müssen. Auch bitte ich die Bundesregierung darum, noch einmal zu überprüfen, inwieweit der Bedarfsplan der Arbeitsgemeinschaft richtig ist. Darin sind für den Bereich der Rentenversicherung 10 500 Plätze vorgesehen. Ich möchte in diesem Zusammenhang auf ein paar andere Zahlen verweisen. Wir haben jährlich einen Zugang von etwa 40 000 Berufsunfähigen und von 75 000 Erwerbsunfähigen vor dem 60. Lebensjahr zu verzeichnen. Nach dem 60. Lebensjahr kommt noch einmal die doppelte Zahl hinzu. Die Fachleute erklären — das haben Untersuchungen in Heidelberg ergeben —, daß ca. 75 % eingliederungsfähig und umschulbar sind, so daß wir von daher, glaube ich, eine größere Zahl von Menschen als vorgesehen in einen neuen Beruf eingliedern könnten. Was aber besonders wichtig ist: die Rentengewährung darf auf keinen Fall mehr automatisch erfolgen. Zuvor muß geprüft werden, ob eine Rehabilitationsmaßnahme notwendig und möglich ist.
In diesem Zusammenhang möchte ich auch ein kritisches Wort zum Verhältnis Krankengeld — Rente sagen. Wir erleben es heute vielfach, daß die Krankenkassen versuchen, die Lasten möglichst abzuwälzen. Wenn schwerere Erkrankungen vorliegen, veranlassen Sie die Betroffenen sofort, einen Rentenantrag zu stellen. Das hat eine psychologische Wirkung für die Betroffenen, die wir nicht unterschätzen sollten. Es müßte deshalb in der Zukunft, bevor Rentenantrag gestellt wird, geprüft und geklärt werden, ob der Betroffene nicht rehabilitationsfähig ist, um ihm nicht vorzeitig die Vorstellung zu vermitteln, er müsse nun als Rentner sein Leben fristen.
Ich möchte ein Weiteres ansprechen, nämlich die Frage der Berufsfindung. Wir erleben es immer wieder, daß die Berufsberatung auch heute noch sehr lückenhaft ist. Es genügt eben nicht, jemandem nur einmal am Schreibtisch die verschiedenen beruflichen Möglichkeiten darzulegen, sondern in der Zukunft sollte es in jedem Fall möglich sein, seine Fähigkeiten und seine Chancen in einer stationären Behandlung zu testen und ihm danach entsprechende Berufsvorschläge zu machen. Das muß meiner Meinung nach in der Zukunft obligatorisch werden.
Auch die Ausbildung von Fachkräften erscheint mir als eine sehr dringende Aufgabe. Es genügt eben nicht, Herr Minister, wenn, wie in der Statistik dargelegt wird, Drei- bis Fünf-Tage-Kurse durchgeführt werden. Das ist zwar sehr wünschens-



Härzschel
wert und erfreulich, aber ich glaube, mir müssen für die Rehabilitation Berufsbilder neu formen, für die auch eine entsprechende wissenschaftliche Ausbildung sichergestellt sein muß. Denn gerade in diesem Bereich bedürfen wir einer großen Zahl von Psychologen, Pädagogen sowie Sozial- und Arbeitsberatern, die den Menschen überhaupt erst richtig beraten und beurteilen können. Darauf kommt es entscheidend an. Jede Maßnahme ist zum Scheitern verurteilt, wenn sie dem Menschen nicht seinen Fähigkeiten und seinen Möglichkeiten entsprechende Aufgaben zuweist.
Die Zusammenarbeit mit der Bundesanstalt für Arbeit scheint mir ebenfalls eine wesentliche Voraussetzung für die Effektivität der Maßnahmen zu sein.
Auch die Frage des Baus von Sanatorien, der durch das Dritte Rentenversicherungs-Änderungsgesetz in der Arbeiterrentenversicherung ja sehr beschränkt worden ist, neu überprüft werden sollte. Es zeigt sich immer wieder, daß die Maßnahmen, die in eigenen Sanatorien durchgeführt werden, besser kontrolliert und beurteilt werden können. Das sind heute nur ein Drittel aller Maßnahmen. Hier gibt es große Erschwernisse, und es liegt im Bereich der Zuständigkeit der Bundesregierung, Änderungen durchzuführen.
Eine entscheidende Rolle fällt auch den Ärzten zu. Ich glaube, Prävention und Rehabilitation sind ohne die Mitarbeit aller Ärzte einfach nicht denkbar. Bisher ist es so, daß die praktischen Ärzte weitgehend überfordert sind, weil sie nicht in der Lage sind, alle Momente, die für die Rehabilitation entscheidend sind, zu beachten. Viele könnten schon im Sprechzimmer des Arztes aufgegriffen und rechtzeitig einer Rehabilitation zugeführt werden.
Dies gilt ebenfalls für die Krankenhäuser, für die Kliniken. Der Europarat hat darauf hingewiesen, daß 25% aller aus Krankenhäusern entlassenen Patienten mit Schäden entlassen werden. Ich glaube, wir müssen auch hier verstärkt darauf drängen, daß diese Notwendigkeiten der Rehabilitation in den Krankenhäusern, in Kliniken und Kuranstalten beachtet werden.
Auch wird es notwendig sein, daß wir uns, nachdem das Lohnfortzahlungsgesetz ja Wirklichkeit ist, über den vertrauensärztlichen Dienst neu unterhalten. Denn ich sehe eine sehr gute Chance für den vertrauensärztlichen Dienst, in der Zukunft in diesem Bereich seine Hauptaufgabe zu erblicken.
Ebenfalls wird es notwendig sein, daß wir den Ausbau der werks- und betriebsärztlichen Dienste fördern, und zwar auch für Klein- und Mittelbetriebe, weil es zu einer Beurteilung auch notwendig ist, daß der Arzt ,den Arbeitsplatz kennt und von daher seine Entscheidung besser treffen kann.
Ich möchte noch ein Wort für die Prävention einlegen. Wir alle werden bemüht sein müssen, die Prävention viel stärker zu beachten, damit wir überhaupt nicht erst zur Rehabilitation schrei, ten müssen. Hier sind wir auch im Bereich der Frühheilverfahren noch ein wenig rückständig. Ich meine, daß wir da sehr viel mehr tun müssen. Und,
Herr Minister, hier liegt es wieder an Ihnen, daß Sie die entsprechenden Möglichkeiten schaffen. Das Dritte Rentenversicherungs-Änderungsgesetz hat auch hier zu Beschränkungen geführt, die aus der damaligen Finanzsituation zu erklären sind, die aber heute nicht mehr haltbar sind. Ich bedaure deshalb, daß Sie in Ihrer zweiten Bemessungsverordnung nur eine Steigerung von sechs Prozent zugestanden haben, obwohl Sie wissen, daß dadurch die medizinische Rehabilitation eingeschränkt werden muß, weil die Kostensteigerungen in diesem Bereich stärker sind. Hier lassen sich einmal Worte und Taten miteinander messen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU).

Lassen Sie mich zum Schluß noch folgende Bemerkung machen. Die 70er Jahre sollten in der Sozialpolitik meiner Meinung nach ein Jahrzehnt der Rehabilitation sein. Wir sollten uns denen zuwenden, die immer noch im Schatten leben. Hier haben wir, glaube ich, gemeinsam eine Aufgabe zu bewältigen, die nicht mit Polemik, sondern nur mit konstruktiven Vorschlägen zu lösen ist. Deshalb muß auch alles das, was wir heute miteinander beraten, verstärkten Niederschlag in der Gesetzgebung finden, und es kommt darauf an, welche Rangordnung die Bundesregierung diesen Maßnahmen in ihrer Gesetzgebung beimißt. Worte allein werden nicht genügen. Wir werden jedenfalls die Bundesregierung in der Zukunft danach fragen, was an Taten gefolgt ist.

(Beifall bei der CDU/CSU.)


Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0606418300
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Schmidt (Krefeld). Er wird 15 Minuten sprechen.

Dr. Ferdinand Schmidt (SPD):
Rede ID: ID0606418400
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Lassen Sie mich aus einer anderen Sicht einige Betrachtungen über die Drucksache VI/655 und deren Beantwortung in der Drucksache VI/896 anstellen. Ich werde hier aus ärztlicher und medizinischer Sicht sprechen.
Präventivmedizinische Maßnahmen sind in der Tat auch im Aktionsprogramm der Bundesregierung zur Förderung der Rehabilitation angesprochen worden, da gezielte Maßnahmen rein medizinischer oder berufsfördernder Art sowohl vorbeugende als auch wiederherstellende Auswirkungen haben können. Wenn durch die Rentenversicherung z. B. sogenannte Maßnahmen zur Erhaltung, Besserung und Wiederherstellung der Erwerbsfähigkeit durchgeführt werden und ein Heilverfahren erfolgt, dann versucht man ja nicht nur, den derzeitigen Gesundheitszustand zu halten, sondern man strebt eine Besserung an, die die Erwerbsfähigkeit auf längere Zeit garantieren soll. Außerdem können Maßnahmen zur Arbeits- und Berufsförderung Behinderter, wie bekannt, schon dann erfolgen, wenn eine Behinderung droht.
Hier heißt es also für den Arzt, sich rechtzeitig einzuschalten und sofortige Heilmaßnahmen durchzuführen und in die Wege zu leiten. Auch die Tätigkeit am alten Arbeitsplatz kann, wie bekannt, häu-



Dr. Schmidt (Krefeld)

fig trotz frühzeitig eingeleiteter Maßnahmen nicht mehr beibehalten werden. Der Versuch des Behandelten, das vorher gewohnte Arbeitsprogramm doch noch weiter am vertrauten Arbeitsplatz zu bewältigen, kann den Grad der Behinderung oft nur noch verschlimmern. Der Betriebsarzt, der mit der Eigenart der einzelnen Arbeitsplätze bestens vertraut und dem Behinderten seit langem bekannt, kann hier ein guter Berater sein. Auch er kann berufsfördernde Maßnahmen im Sinne der Rehabilitation in die Wege leiten und das Verfahren anstreben. Hinzu kommt, daß eine laufende Verbesserung des Arbeitsschutzes, die selbstverständlich mit dem technischen Fortschritt Schritt halten muß, und eine dauernde Verbesserung der Arbeitsbedingungen einfach dringende Notwendigkeit sind.
Wenn auch schon etliche Zahlen genannt worden sind, so darf ich doch in diesem Zusammenhang noch einige in Erinnerung rufen, die das eben Gesagte nur noch verdeutlichen werden. Augenblicklich rechnet man in der Bundesrepublik mit der Zahl von rund 4 Millionen Behinderten. Durch Straßenverkehrsunfälle wurden rund 460 000 Personen verletzt — und das in den letzten drei Jahren! Etwa 200 000 Frauen und Männer scheiden jedes Jahr infolge von Verkehrs- und Arbeitsunfällen, durch Verschleißerscheinungen und Krankheiten aus dem Berufsleben aus. Die Zahl der jährlich geborenen Kinder, die wegen körperlicher, geistiger oder seelischer Schäden einer besonderen Betreuung bedürfen, schätzt man auf 60 000, und von den volksschulpflichtigen Kindern sind etwa eine halbe Million erheblich behindert. Die jährlich in der Bundesrepublik Geborenen, die zeit ihres Lebens hilfsbedürftig bleiben, schätzt man auf etwa 10 000 Kinder. Das medizinische Organ „Ärztliche Praxis" hat im September 1968 von einer Zahl von 6,9 % körperlich oder geistig Behinderter der Wohnbevölkerung des Bundesgebietes gesprochen, und das Statistische Bundesamt ermittelt im Rahmen einer Zusatzbefragung zum Mikrozensus 1966 die Zahl von rund 4,1 Millionen für das gesamte Bundesgebiet.
Zweifellos läßt sich die Frühinvalidität durch Rehabilitationsmaßnahmen vermindern. Jedoch ist dem Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung beizupflichten, wenn er den Erfolg derartiger Maßnahmen gerade bei älteren Menschen für weniger erfolgversprechend ansieht. Es haben dann Prävention und Rehabilitation früh, häufig sehr früh, zu beginnen. Viele Verbrauchs- und Abnutzungserscheinungen treffen relativ junge Menschen, die bei Nichtbehandlung ihren Arbeitsplatz verlieren, Frühinvalide werden und somit mit ihren Familien einen sozialen Abstieg erleiden.
Will man wirkungsvoll helfen — das wurde mehrfach herausgestellt , müssen nachfolgende Voraussetzungen erfüllt sein. Es müssen genügend Rehabilitationsreinrichtungen vorhanden sein. Es müssen aber auch genügend ausgebildete Fachkräfte da sein. Die Ärzte müssen ein umfassendes Wissen aufweisen und bestens informiert sein. Viele Vorurteile müssen abgebaut werden. In den Verwaltungsstellen muß das Verfahren für die behinderten Menschen erleichtert werden. Es muß eine ausbildungsbegleitende Heilbehandlung mit psychologischer und sozialer Betreuung und sportlicher Betätigung der Rehabilitanden möglich sein.
Lassen Sie mich einige Worte über die Rehabilitationseinrichtungen sagen, die den Charakter von Spezialzentren tragen; auch hierüber wurde schon einiges gesagt. Behandelt werden hier Patienten — um es zu verdeutlichen — mit bestimmten Behinderungs- bzw. Krankheitsarten wie Querschnittslähmungen, Schädel- und Hirnverletzungen und Herz-Kreislauf-Erkrankungen, die das Akutkrankenhaus nach Intensivbehandlung bereits verlassen haben, jedoch noch nicht an ihren Arbeitsplatz oder zur Umschulung gelangen können. In den neuen Einrichtungen kann dann das Hinlenken zum Beruf begonnen werden, wobei Beschäftigungs- und Arbeitstherapie, Belastungstests mit Eignungstests und Berufsanlernung eingeschaltet sein sollen. Sie haben bereits gehört, daß in Bad Krozingen im Sommer 1969 mit dem Bau einer Modelleinrichtung dieser Art für Herz- und Kreislaufkranke begonnen wurde.
Für die Fachkräfte wurde in Heidelberg eine neuartige Lehrgangsform, das sogenannte Grundseminar, entwickelt. Später soll in sogenannten Aufbauseminaren über umfassende Rehabilitationsmaßnahmen berichtet werden. Es sollen Ärzte, Berufsausbilder, Psychologen und Sozialarbeiter besonders angesprochen werden.
In der neuen Approbationsordnung für Ärzte finden die Aufgaben der Rehabilitation bei der ärztlichen Ausbildung einen noch breiteren Raum als in der bisherigen Bestallungsordnung. Auch in der Weiterbildungsordnung zum Facharzt haben viele Disziplinen die Rehabilitation im Ausbildungsgang bereits übernommen. Die Krankengymnasten haben seit 1960 Prophylaxe und Rehabilitation als Lehrfächer. Es wäre ratsam, wenn auch Berufe wie Beschäftigungstherapeutinnen, Heilpädagogen und Logopäden hierin unterrichtet würden.
Verständnis durch Aufklärung bietet die Förderung von Kontakten Behinderter mit Nichtbehinderten in hierfür geeigneten Bildungseinrichtungen, die zum Teil von den Behinderten selbst geschaffen werden können, in sogenannten Klubs und Heimen. Eine wesentliche Hilfe bietet der Behindertensport, der durch Ausnutzung der Sportmöglichkeiten am Wohnort intensiviert werden kann und muß.
Abschließend sei noch auf folgendes hingewiesen. All diese Hilfen für die Rehabilitation von Behinderten werden selbstverständlich nur dann voll wirksam, wenn der Grundsatz besteht: Rehabilitationsmaßnahmen sind einer Rente vorzuziehen. Das setzt beim Beschädigten die Einstellung voraus, daß die Sicherung des eigenen Wohls und der Familie zwar eine primär eigene Lebensaufgabe ist, die jedoch in den meisten Fällen nur unter Mithilfe der Gesellschaft gelöst werden kann. Der Behinderte selbst will kein zur Schau getragenes Mitleid von irgendeiner Seite, er will Verständnis für seine Situation und in seiner schweren Situation. Es ist nicht nur unsere Aufgabe, ihm dabei zu helfen, sondern er hat auch ein Recht darauf, sein Arbeits- und gesellschaftliches Leben so zu gestalten, wie es jedem Bundesbürger durch das Grundgesetz garantiert ist.

(Beifall.)





Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0606418500
Das Wort hat der Abgeordnete Riedl (München). Er wird 15 Minuten sprechen.

(Abg. Wehner: Ist das ein Soll, das man dann erfüllen muß, weil Sie das immer ankündigen?)

— Nein, es ist nur eine Warnung.

(Abg. Wehner: Sie wissen, was man darf, tut man dann auch!)

— Es ist eine Warnung.

Dr. Erich Riedl (CSU):
Rede ID: ID0606418600
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Wehner, das soll für die Redezeit eines Redners der CDU/CSU setzen wir und ohnehin nicht Sie.

(Sehr richtig! bei der CDU/CSU.)

Meine Damen und Herren, ich darf noch einmal ganz kurz auf die Rede des Bundesarbeitsministers eingehen, die mich als eines der jüngsten Mitglieder dieses Hohen Hauses und einen, der selbst körperbehindert ist, recht unangenehm berührt hat. Herr Bundesminister, Ihr polemischer Auftakt war, wie man bei uns in Bayern sagt, so überflüssig wie ein Kopf, und ich sehe darin nur einen Versuch, Ihr ramponiertes Image, das Sie sich aber selbst zuzuschreiben haben, hier bei diesem Problem etwas aufzubessern.

(Zurufe von der SPD.)

Wenn Sie unsere Große Anfrage mit der Feststellung abqualifizieren, sie sei ein Angriff der Opposition auf die Bundesregierung, so ist, wenn Sie Frage und Begründung lesen, dieser Vorwurf einfach lächerlich. Und die Rede des Kollegen Burger — um sie auch noch einzubeziehen fällt ebenfalls unter diese Kritik an Ihnen. Herr Minister, ich habe den Eindruck, daß Sie von der Sachlichkeit der Ausführungen des Kollegen Burger so überrachst waren, daß Sie vergaßen, Ihr vorbereitetes Manuskript in letzter Minute doch noch zu ändern.

(Abg. Glombig: Davon verstehen Sie doch überhaupt nichts!)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Bericht und diese Aussprache geben einer breiten Öffentlichkeit gewiß einen guten Überblick über die Leistungen des Staates und der einzelnen Träger zugunsten unserer körperlich, geistig und seelisch Behinderten.

Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0606418700
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Hansheinrich Schmidt (FDP):
Rede ID: ID0606418800
Herr Kollege, zunächst muß ich mich entschuldigen, daß ich so spät drankomme. Die Frage richtet sich auf das, was Sie vorher sagten. -- Herr Kollege Riedl, stimmen Sie nicht mit mir überein, daß die Große Anfrage eigentlich ebenso unnötig wie ein Kropf war, nachdem im „Bulletin" vom 15. April des Aktionsprogramm der Bundesregierung zur Rehabilitation bereits vorgelegen hat?

(Beifall bei den Regierungsparteien.)


Dr. Erich Riedl (CSU):
Rede ID: ID0606418900
Herr Kollege Schmidt, wenn Sie die Notwendigkeit dieser Aussprache nicht erkannt haben, dann hätten Sie ja Gelegenheit gehabt, dies in Ihrer Rede zu sagen oder zu diesem Thema ganz zu schweigen.

(Beifall bei der CDU/CSU. — Abg. Liehr: Das kann er ja auch machen, wie er will!)

Die Antwort der Bundesregierung und diese Aussprache machen deutlich, wo der Schuh auf diesem wichtigen Gebiet noch drückt und wo Gesetzgeber und Bundesregierung weiter initiativ bleiben müssen. Leider hat die Bundesregierung aber eine Reihe von Fragen nur recht unvollständig und so unverbindlich beantwortet, daß es notwendig ist, sie hier zu wiederholen. bzw. neu zu stellen.
Erstens lassen Sie mich das vielleicht heißeste Eisen der Rehabilitation ansprechen, nämlich die Notwendigkeit zur Koordination und Vereinheitlichung der Trägerschaft im System der deutschen Rehabilitation. Es gibt bekanntlich fünf Trägergruppen; dazu kommen Zuständigkeiten des Bundes und der Länder. Zum Zwecke der Koordination besteht in der 1969 gegründeten Bundesarbeitsgemeinschaft für Rehabilitation ein Koordinationsgremium, das bisher offensichtlich sehr fruchtbar und sehr gut gearbeitet hat. Die Bundesregierung bezeichnet die Verwirklichung des begrüßenswerten Grundsatzes von der Einheitlichkeit der Trägerschaft auch als eine Verwaltungsaufgabe. Soweit gesetzliche Vorschriften der Verwirklichung dieser Bemühungen entgegenstehen, werde die Bundesregierung entsprechende Änderungsvorschläge unverzüglich vorlegen. Herr Bundesminister, ich begrüße diese Absicht der unverzüglichen Vorlage dieser Änderungsvorschläge. Wir hätten nur erwartet, daß Sie bereits jetzt in Ihrer Antwort darauf eingegangen wären.
Die Koordinierung ist das Kernproblem der Rehabilitation. Ich weiß, daß der letzte Bundestag — und, Herr Kollege Glombig, das haben Sie ja ganz deutlich angesprochen — für die Beibehaltung des derzeitigen Systems und gegen eine Bundesanstalt für Rehabilitation votiert hat.

(Abg. Glombig: Aber unter anderen Gesichtspunkten! Die kommen doch nicht aus Bayern!)

— Herr Kollege Glombig, mit einer Begründung, die ich persönlich sehr ernst nehme; das darf ich Ihnen hier sagen. Sie wissen genauso gut wie ich, daß diese Begründung nicht primär von der CDU/CSU und damals auch nicht von der SPD in der Großen Koalition gegeben worden war, sondern primär von den Trägern der Rehabilitation, sprich von den Rentenversicherungsträgern. Diese Schwierigkeiten zu überwinden, Herr Kollege Glombig, ist Ihre und unsere gemeinsame Aufgabe.
Zweitens. Die Frage 4 unserer Großen Anfrage wurde von der Bundesregierung nur in ihrem ersten Teil beantwortet. Die zweite Frage, Herr Bundesminister, welche leistungsgerechte Besoldung für die Fachkräfte der Rehabilitation vorgesehen ist, blieb leider unbeantwortet. Gerade dies ist aber eine wichtige Voraussetzung, um den verheerenden Ar-



Dr. Riedl (München)

beitskräftemangel einigermaßen in den Griff zu bekommen. Es gibt heute viele Einrichtungen der Rehabilitation, die bei zufriedenstellender Kapazität und zufriedenstellender Ausrüstung auf Grund des Personalmangels nicht in der Lage sind, den Anforderungen einer modernen Rehabilitation zu entsprechen. Um hier Abhilfe zu schaffen, wären wir dankbar gewesen, wenn Sie die von uns konkret gestellte Unterfrage zu Frage 4 ebenfalls beantwortet hätten.
Drittens. In der Antwort der Bundesregierung zu Frage 5 erwähnt sie den Tatbestand, der einer detaillierteren Aufschlüsselung bedurft hätte, weil damit zugleich Aufschluß über Möglichkeiten der Vereinheitlichung hätte gegeben werden können. Nach einer im Auftrag der Konferenz der Arbeitsminister der Länder durchgeführten Erhebung bestehen in der Bundesrepublik regionale Unterschiede in der Höhe der Leistungen innerhalb ein und derselben Trägergruppe, wobei durch die Dynamisierung des Unterhaltsgeldes nach dem AFG und die von den einzelnen Länder gewährten Zulagen und Sonderzahlungen diese Unterschiede noch vergrößert worden sind. Wir bejahen mit Ihnen die dringende Forderung nach Abschaffung dieses Unterschiedes. Es wäre aber notwendig gewesen, Herr Bundesminister, darzulegen, wo diese Unterschiede bestehen, in welcher Höhe sie festgestellt wurden und ob bzw. in welchem Maße die Mobilität der Behinderten davon beeinflußt ist.
Viertens. Die Frage 9 befaßt sich mit den Umweltbedingungen für den behinderten Menschen. Heute vormittag ist hier schon angeklungen, daß wir in der Bundesrepublik Deutschland erfreuliche Fortschritte im Wohnungsbau in dieser Hinsicht zu verzeichnen haben, wenn hier auch noch sehr viel zu tun sein wird. Eine sehr lobenswerte Einstellung zeigt auch die Deutsche Bundesbahn, die eine solche Fülle von Maßnahmen zugunsten einer erleichterten Beförderung der Behinderten geschaffen hat, daß wir diese Einstellung des größten deutschen Verkehrsträgers nur nachhaltig unterstützen können.
Außerordentlich mangelhaft dagegen sind immer noch die Maßnahmen im Straßenbau, meine Damen und Herren. Gestatten Sie mir als Bayern, einmal auf Ludwig I zurückzukommen, der vor dem Bau der ersten Blindenanstalt in München gesagt hat: Die ärmsten Kinder meines Landes sollen den schönsten Platz in München bekommen. Er hat dafür die Ludwigstraße in München zur Verfügung gestellt. Wenn man sich daran erinnert, dann mutet es einen im Jahre 1970 etwas komisch an, wenn in der nur wenigen Meter davon entfernten Maximilianstraße und anderen Straßen mit Millioneninvestitionen Fußgängerunterführungen und Übergänge gebaut werden, ohne daß man in einem einzigen Fall daran gedacht hat, daß über diese Straße auch Behinderte mit ihren Fahrzeugen fahren sollen. Diese Beispiele sind aber nicht auf München beschränkt, sondern gelten für das ganze Bundesgebiet.

(Abg. Killat von Coreth: Hat Ihr König so auch beim Bau der Luxusschlösser gedacht?)

— Von Luxusschlössern weiß ich nur, daß sie in
Bayern zur Zeit Ludwigs II. gebaut worden sind
und daß die Preußen, zu denen Sie gehören, diese Luxusschlösser im Urlaub außerordentlich gerne besuchen.

(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU.)

Meine Damen und Herren, ich möchte nicht davon reden, daß wir in Deutschland vielleicht sogar so weit kommen sollten, Straßennebenwege zu bauen wie sie beispielsweise in Holland gebaut werden, Nebenwege, die den Behinderten die Möglichkeit geben, mit ihren Krankenfahrzeugen neben den verkehrsreichen Fernstraßen zu fahren. Dies möchte ich eigentlich nur als Wunschtraum anfügen, ohne schon eine konkrete Forderung danach vor diesem Hohen Hause zu stellen.
Fünftens. Die Frage 10 unserer Großen Anfrage betrifft die Maßnahmen, die den Behinderten die Teilnahme am täglichen Leben außerhalb von Arbeit und Beruf erleichtern sollen. Dies ist, wenn man so will, die Nahtstelle zum Lebensbereich des gesunden Menschen, die Nahtstelle dorhin, wohin die Sehnsucht eines jeden Behinderten geht, nämlich zum Anschluß an das normale Leben. Die Bundesregierung hebt eine Reihe von Maßnahmen besonders hervor, die zwar in ihrer Aufzählung gewiß überzeugen, Herr Minister, die aber nicht in einem Falle so konkretisiert sind, daß ihre Verwirklichung auch realistisch erscheint. Was soll denn das konkret heißen? Ich darf mit Genehmigung des Herrn Präsidenten hier vielleicht einmal zitieren:
Die Bundesregierung ist für die Förderung von Gaststätten, die durch ihre Ausstattung die Aufnahme von Behinderten ermöglichen und durch entsprechenden Service dem Behinderten zu einer individuellen Gestaltung des Urlaubs verhelfen.
Oder:
Die Bundesregierung ist für die Erleichterung für Behinderte bei der Auswahl geeigneter Erholungseinrichtungen, z. B. Reiseführer für Behinderte, Veröffentlichung von Anschriften geeigneter Hotels, Motels, Autobahnraststätten und Feriendörfer.
Oder:
Die Bundesregierung ist für die Förderung des Behindertensports, insbesondere die stärkere Einbeziehung der vorhandenen Sportmöglichkeiten am Wohnort des Behinderten.
Herr Bundesminister, Sie wissen gerade zu diesem letzten Punkt wahrscheinlich ganz genau, daß es sogar einem Nichtbehinderten außerordentlich schwierig ist, im Falle einer Nichtmitgliedschaft in einem Sportverein in einer Großstadt einen Sportplatz zu benutzen. Hier hätten wir von Ihnen konkrete Angaben der Realisierung dieser Fragen gewußt. Vielleicht sind sie in der Lage, im Anschluß daran selbst noch irgendeine Vorlage zu machen und uns nähere Auskunft zu geben.
Ich komme zum Schluß und habe nur noch eine sprachliche Bitte an die Bundesregierung zu richten. Ich finde — und das stellen Sie ja in Ihrer Eingangsbemerkung zu dieser Drucksache selber fest —, daß der Begriff „Rehabilitation",

(Sehr wahr! bei der CDU/CSU)




Dr. Riedl (München)

der schon für einen Politiker sehr schwer auszusprechen ist, mit Sicherheit auf Grund seiner schwierigen Buchstabenzusammensetzung in das Bewußtsein der Bevölkerung nicht eingehen wird. Ich habe die Bitte, daß man einmal in Ihrem Hause darüber nachdenkt, wie man diesen Begriff „Rehabilitation" neu fassen kann. Vielleicht setzen Sie zwei, drei Beamte Ihres Hauses in Klausur — bei guter Verpflegung natürlich und lassen sie erst wieder heraus, wenn sie einen guten Begriff gefunden haben.
Ich bin damit am Schluß. Wir von der CDU/CSU wollten diese Fragen, diese Zusatzfragen noch gestellt haben, weil wir der Auffassung sind, daß in der Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage der CDU/CSU zwar eine Fülle positiver Vorschläge gemacht sind, eine ganze Reihe von Fragen aber unbeantwortet oder zumindest unklar beantwortet sind.

(Beifall bei der CDU/CSU.)


Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0606419000
Das Wort hat der Herr Abgeordnete von Thadden.

Franz-Lorenz von Thadden (CDU):
Rede ID: ID0606419100
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Am Anfang dieser Aussprache, die noch immer eine große Chance ist, stand ein Satz, für den ich dem Bundesarbeitsminister durchaus zu danken bereit bin, das Wort von dem „Wettbewerb des guten Willens". Ich schlage dem Hohen Hause, soweit es hier noch anwesend ist, vor, sich für den letzten Teil der Debatte auf eine Haltung zu einigen, die ich zunächst — ich darf, Herr Präsident, mit Ihrer Genehmigung zitieren mit einem Satz des Herrn Bundesarbeitsministers vom 14. April in Wiesbaden umreiße; ich werde dann etwas dazufügen. Dort hat der Herr Bundesarbeitsminister gesagt:
Ich weiß sehr wohl, daß wir mit dem Aktionsprogramm kein Neuland betreten, daß wir mit der Rehabilitation in der Bundesrepublik Deutschland nicht erst am Anfang stehen, sondern mit Stolz zurückschauen können auf ausgezeichnete Erfolge und vorbildliche Einrichtungen in fast allen Bereichen der Rehabilitation.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Damit ist ausgesagt, daß wir nicht am Anfang stehen. Aber, Herr Bundesarbeitsminister, wir von der Opposition wollen Ihnen hier nicht nur diese Sätze hinlegen, sondern ganz konkret unseren Beitrag dafür leisten, daß diese Debatte eine Hilfe wird zur Bewußtseinsänderung in der Bevölkerung. Wir erkennen an, daß auch diese Bundesregierung sich Mühe gibt, in dem großen Problem, das Millionen von Menschen bedrückt, zu helfen. Dafür sagen wir unsere Unterstützung zu.
Und nun konkret! Ich hatte gesagt, wir stehen vor dem Problem einer Änderung des Bewußtseins. Unter uns — das können wir nicht übersehen — stehen wieder antihumanitäre Kräfte auf, die das Recht auf Leben grundsätzlich bezweifeln. Wir haben noch nicht das teuflische Denken nationalsozialistischer Rechenbücher überwunden, in denen man damals aufforderte, nachzurechnen, wieviel ein krankes Kind koste und was man besser mit dem Geld anderswo anfangen könne. Selbst im Bereich der Theologie wird heute ja schon wieder die Frage gestellt, ob man nicht grundsätzlich am Leben rütteln könne, Leben verkürzen, gewaltsam beenden könne. Meine sehr verehrten Damen und Herren, dieses Hohe Haus hat die Aufgabe, in einer solchen Situation deutlich zu machen, daß wir zum Leben auch dann ja sagen, wenn dieses Leben mit Leid und Last verbunden ist.

(Beifall.)

Wenn ich mich jetzt mit Leidenschaft zu Wort melde — Herr Präsident, ich weiß, daß es im allgemeinen nicht üblich ist, das zu erklären , so deswegen, weil zu diesem Zeitpunkt für mich selber, für meine eigene Familie, in der es ein mehrfach behindertes Kind gibt, eine Entscheidung fällt. Eines von den vielen behinderten Kindern — es sind Zehntausende, Hunderttausende — steht heute in Saarbrükken vor einer Kommission, die darüber entscheiden soll, ob dieses Kind gefördert werden soll, ob es eine Chance für eine berufsfindende Maßnahme bekommt oder nicht. Das ist nun gewiß meine Privatangelegenheit. Aber nicht meine Privatangelegenheit ist die Erfahrung, die Eltern noch heute machen: Ein Antrag wird im April eingereicht, und die erste Antwort bekommt man im September; man hat auf der Suche nach Institutionen und Menschen, die helfen können, das Gefühl, durch eine Mühle gedreht zu werden. Herr Bundesarbeitsminister, hier geht es heute mittag doch gar nicht darum, ob ein Sozialdemokrat oder ein Christlicher Demokrat hilft, auch nicht darum, wer wo mehr geholfen hat. Den Stumpfsinn von Beamten mit und ohne Parteibuch

(Beifall bei der CDU/CSU)

finden Sie, Herr Bundesarbeitsminister, überall und unter allen Regierungen. Ich wünsche Ihnen — das ist jetzt nicht nur eine Redensart —, daß dieser Stumpfsinn dort, wo Sie wirken können, abgebaut wird.
Noch eine andere Realität: Ich freue mich darüber, wenn man jetzt beispielsweise Merkblätter herausgibt. Aber ich habe es beim Kampf um die Errichtung einer Schule für körperlich und geistig behinderte Kinder selber erlebt, wie unzuverlässig die Unterlagen sind, die auf Grund von früher vorliegenden Akten und Merkblättern erstellt wurden. Ich möchte ganz schnell einmal schildern, wie es in der Praxis ausgesehen hat. Man kommt und sagt: Die Schule ist notwendig. Die Behörde — es mag Sie trösten, sie wurde weder von einem CDU-Mann noch von einem SPD-Mann geleitet - antwortet: Wir würden ja gerne helfen, aber nach den Unterlagen sind in dieser Stadt nur 4 oder 5 Kinder betroffen. — Ich habe sie damals beschworen und gesagt: Es gibt keinen Anlaß, zu glauben, daß es ausgerechnet in der Stadt Saarbrücken weniger behinderte Kinder als anderswo gibt; machen wir einmal eine öffentliche Umfrage. — Das Ergebnis war: Die Schule wird heute von 35 Kindern besucht. Es müßten eigentlich 150 sein, aber für 100 fehlen uns noch die Plätze.



von Thadden
Hier stoßen wir noch einmal auf das Problem der notwendigen Änderung der Bewußtseinshaltung.

(Abg. Geiger: Haben Sie auch schon einmal darüber nachgedacht, daß Sie es nicht haben wollen, daß amtlicherseits festgestellt wird, was für ein Bedarf vorhanden ist?)

Darauf will ich Ihnen antworten, daß in meiner Fraktion, solange ich im Bundestag bin — ich gehöre dem Bundestag allerdings erst seit einem Jahr an —, eine lebhafte Diskussion über diese Frage im Gange ist. Es gibt Befürworter und Gegner in diesem Punkt.

(Zustimmung der Abg. Frau Brauksiepe.)

Das ist keine Frage, die uns trennt. Wir können diese Frage miteinander ausdiskutieren.
Aber noch einmal zurück zu dem geschilderten Fall. Auf Grund des Aufrufes in der Öffentlichkeit gab es eine Reihe von Meldungen. Es wurde wieder einmal offenbar, wie viele Eltern scheu durch die Gegend schleichen, weil sie nicht wagen, etwas zuzugeben, was keine Schande ist, daß sie nämlich ein behindertes Kind haben. Wer seit Jahren in der Arbeit auf diesem Gebiet steht, weiß, daß diese Haltung bei sehr vielen zu finden ist.
Deshalb möchte ich von dieser Stelle aus noch einmal etwas unterstreichen, was ein sozialdemokratischer Kollege schon positiv hat anklingen lassen. Wir dürfen uns in diesem Hohen Hause nicht damit zufriedengeben, daß eine achtenswerte Institution, das Zweite Deutsche Fernsehen, mit seinem Programm „Aktion Sorgenkind" Aufgaben übernimmt, die im Grunde genommen in erster Linie Aufgaben der gesamten Gemeinschaft, Aufgaben von uns allen sind.

(Beifall.)

Ich komme zum Schluß. Änderung der Bewußtseinshaltung, das ist das, worum es entscheidend geht, Mut haben, zuzugeben, daß Leid immer unter uns sein wird, und gleichzeitig entschlossen sein, soweit es an uns liegt, gegen dieses Leid anzukämpfen.
Darum lege ich Ihnen hier einen Vorschlag auf den Tisch, einen Vorschlag, der nicht darauf hinausläuft, Sie, meine Damen und Herren, von der Regierung zu weiteren Berichten zu zwingen. Das ändert das Bewußtsein. nicht, daß weitere Statistiken aufgestellt werden. Der Vorschlag soll allen helfen, diesen entscheidenden Durchbruch in unserem Denken gegenüber den Benachteiligten zu erzielen. Wir sollten uns gemeinsam vornehmen — ich würde mich freuen, wenn nachher der Bundesarbeitsminister dazu ein Ja sagt , einmal im Jahr Zeit zu haben für alle benachteiligten Gruppen unserer Gesellschaft. Deren gibt es, wie wir alle wissen, viele.
Da meine ich jetzt nicht nur die Kriegsbeschädigten, da meine ich nicht nur die Kinder, die mit frühkindlichen Hirnschäden geboren werden, da denke ich auch an die — das ist nicht Thema der Aussprache heute, aber es wird hier gleich eingeführt
Gruppen, die aus einem schlechten Sozialprestige heraus benachteiligt werden, bis hin zu den Gastarbeitern. Meine Damen und Herren, sollten wir
nicht einmal im Jahr Gelegenheit haben — einmal! —, darüber zu sprechen, Initiativen zu sammeln und damit deutlich zu machen, daß diese Frage, von der wir heute hier nur einen Ausschnitt behandelt haben, uns alle angeht.
Noch einmal die Bitte: in dieser Frage keine parteipolitische Polemik, sondern zusammenhalten und Aktivität!

(Beifall bei der CDU)


Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0606419200
Meine Damen und Herren, ich glaube in Ihrer aller Sinn zu sprechen, wenn ich dem Abgeordneten von Thadden wünsche, daß seinem Kind geholfen werden möge.

(Beifall.)

Das Wort hat der Bundesarbeitsminister.

Walter Arendt (SPD):
Rede ID: ID0606419300
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Erlauben Sie mir zum Ende dieser Debatte einige wenige Bemerkungen. Ich bin sehr dankbar für diese Debatte und ich habe mich sehr gefreut, daß von den Rednern aller Fraktionen der Gedanke des Vorantreibens in der Rehabilitation so unterstrichen worden. ist. Ich finde, daß der Gedanke einer Verstärkung der Wiedereingliederung der Behinderten heute durch diese Debatte ein Stück nach vorn gekommen ist.

(Beifall.)

Ich habe zweitens den Eindruck, meine Damen und Herren, in dieser Debatte gewonnen, daß das Aktionsprogramm der Bundesregierung vom Hohen Haus unterstützt wird.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD.)

Ich glaube, wir alle wissen, wenn wir uns mit diesen Fragen beschäftigen, daß wir für diese Vielfalt der Fragen keine Patentlösung zur Verfügung haben, sondern daß es darauf ankommt, daß wir das, was wir an Gedanken zur Förderung der Wiedereingliederung in. diesem Aktionsprogramm zusammengetragen haben, jetzt gemeinsam in die Praxis umsetzen. Da wird es sicherlich noch viele Überlegungen geben, und es wird eine Reihe von Diskussionen geben müssen. Wir sollten wirklich die Möglichkeit des Gesprächs und des Meinungsaustausches immer wieder nutzen und sollten versuchen, auf diese Weise zu dieser Wiedereingliederung einen wirklich guten Beitrag zu leisten.
Meine Damen und Herren, es sind in dieser Debatte viele Anregungen gegeben und Vorschläge gemacht worden, und ich bin davon überzeugt, daß wir bei der Realisierung des Aktionsprogramms der Bundesregierung die Möglichkeit haben, in der Einzelbehandlung -diese Anregungen und diese Vorschläge aufzugreifen.
Erlauben Sie mir ein letztes Wort. Wenn die Sprecher der Opposition meine einleitenden Bemerkungen als zu polemisch empfunden haben, dann möchte ich die Antragsteller nur auf die Einleitung ihrer Großen Anfrage hinweisen. Ich bin sicher, daß dann die Bilder wieder ein wenig geradegerückt sind.

(Zuruf des Abg. Katzer.)




Bundesminister Arendt
— Und wenn es bedauert wurde.
Ich weiß, daß sich mein Vorgänger sehr für die Rehabilitation eingesetzt hat. Das weiß er auch, daß ich das weiß. Er weiß aber auch, und ich weiß es, daß es in einer bestimmten Zeit Bestrebungen gab, die diesem Gedanken der Rehabilitation nicht dienlich waren.

(Abg. Katzer: Nein, das stimmt nicht!)

— Kollege Katzer, das wissen Sie. Ich will das nicht vertiefen. Ich habe es heute morgen in meinen Ausführungen gesagt. Der Gedanke der RehabilitationsGmbH beispielsweise war nicht ein Beitrag, der die Zusammenarbeit mit den verschiedenen Trägern der Rehabilitation verbessert hat. Aber solche Gedankengänge gab es.

(Abg. Katzer: Das ist eine ganz andere Frage!)

— Herr Kollege Katzer, wenn ich hier heute morgen eine Darstellung der Ausgangslage gegeben habe, dann habe ich ja nicht nur von Ihrer Amtszeit gesprochen — sie betrug nur vier Jahre —, sondern ich habe von der Zeit von 1949 bis 1969 gesprochen, und in dieser Zeit ist sicherlich vieles geschehen, aber es ist auch eine ganze Reihe von Versäumnissen und Benachteiligungen festzustellen.

(Beifall bei der SPD. — Abg. Katzer: Das werden Sie nach vier Jahren auch noch feststellen!)

— Natürlich. Deshalb meine Bitte — lassen Sie mich das zum Abschluß sagen; ich wiederhole das —: es sollte sich dieses Hohe Haus in seiner Gesamtheit und es sollten sich alle, die aufgerufen sind, um die Lösung dieser Frage bemühen.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)


Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0606419400
Meine Damen und Herren, es besteht eine interfraktionelle Vereinigung, wonach wir jetzt die Mittagspause eintreten lassen. Wir fahren um 14.30 Uhr fort mit den Punkten 19 a und 19 b. Dann wird Punkt 25 — Novelle zur Zivilprozeßordnung — aufgerufen werden. Weiterhin haben sich die Fraktionen darüber geeinigt, daß die Punkte 26 a und 26 b auf die Tagesordnung von Freitag gesetzt werden sollen. — Das Haus ist einverständen.
Ich unterbreche die Sitzung bis 14.30 Uhr.

(Unterbrechung von 12.32 bis 14.30 Uhr.)


Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0606419500
Die unterbrochene Sitzung ist wieder eröffnet.
Meine Damen und Herren, ich rufe die Punkte
19 a und b der heutigen Tagesordnung auf:
a) Erste Beratung des von der Fraktion der CDU/CSU eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Fortführung der Krankenversicherungsreform
- Drucksache VI/726 —
b) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Rechts der gesetzlichen Krankenversicherung (Zweites Krankenversicherungsänderungsgesetz — 2. KVÄG)

— Drucksache VI/1130 —
Mir liegt seit der Vormittagssitzung zu Punkt 19 a die Wortmeldung des Kollegen Franke von der CDU/CSU-Fraktion vor. Die Fraktion hat für den Redner 30 Minuten angemeldet.

Heinrich Franke (CDU):
Rede ID: ID0606419600
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Namens der Fraktion der CDU/CSU begründe ich den Entwurf eines Gesetzes zur Fortführung der Krankenversicherungsreform. Wir haben diesen Entwurf am
4. Mai 1970 dem Hohen Hause vorgelegt. Der
5. Deutsche Bundestag hat mit dem Krankenversicherungsänderungsgesetz im Rahmen der Diskussion und der Entscheidung über das Lohnfortzahlungsgesetz einen Einstieg in die Reform der gesetzlichen Krankenversicherung unternommen. Diese Reform soll jetzt fortgeführt werden.
Ich darf hier mit der Genehmigung des Herrn Präsidenten aus der Begründung unseres Gesetzentwurfs zitieren, weil dort eine sehr umfassende Darstellung gegeben worden ist:
Aufgabe dieser Reform ist es vor allem, die Folgerungen aus dem medizinischen Fortschritt, der Verlängerung der Lebensdauer, dem Wandel der für die Gesundheit unserer Bevölkerung maßgebenden Faktoren und den tiefgreifenden Veränderungen unseres Gesellschaftsgefüges zu ziehen. Die Reform wird nur auf längere Sicht zu verwirklichen sein, im Grunde sogar als fortdauernder Prozeß verstanden werden müssen. Denn nichts deutet etwa darauf hin, daß es in der Entwicklung der Medizin zu einem Stillstand kommt; im Gegenteil ist ihr zunehmend schnelleres Wachstum zu erwarten und von uns gewünscht. Auch das soziologische Gefüge unseres Volkes wird weiteren Veränderungen unterworfen sein. Aus diesen Gründen kann die Reform der gesetzlichen Krankenversicherung nur in Teilstücken vollzogen werden.
Ein Kernstück unserer Reformvorhaben — in unserem Gesetzentwurf, der, wie ich schon sagte, am 4. Mai vorgelegt wurde — sind die Aufhebung bzw. Anhebung der Versicherungspflichtgrenze und ihre Dynamisierung für Angestellte. Hier wird ein altes Anliegen der rund 7 Millionen Angestellten aufgegriffen. Die Beitragsbemessungsgrenze wird in unserem Entwurf auf 75 % der in der Rentenversicherung gültigen Beitragsbemessungsgrenze festgestellt. Daß die Beitragsbemessungsgrenze hier gleichzeitig eine Leistungsbemessungsgrenze ist, sei erwähnt. Dynamisiert ist — ich sagte es schon — wie in der Rentenversicherung auch hier die Beitragsbemessungsgrenze, die auf 75 % der Rentenversicherungsbemessungsgrenze von 1900 DM festgestellt ist, und zwar ab 1. Januar 1971.
Mit dieser Anhebung der Versicherungspflichtgrenze auf 1425 DM wird die Zahl der versicherungspflichtigen Angestellten von zur Zeit rund 3,6 Millionen auf 4,6 Millionen erhöht. Das sind zirka 65 % aller Angestellten.



Franke (Osnabrück)

Durch die Änderung des § 381 der Rentenversichecherungsordnung werden die Arbeitgeber verpflichtet, auch für die nichtversicherungspflichtigen Angestellten die Beiträge zur Hälfte zu übernehmen.
Meine Damen und Herren, diese Diskussion kann man nicht führen, ohne die wirtschaftlichen und finanziellen Auswirkungen zu beachten. Ich darf Sie daran erinnern, daß die gesamtwirtschaftlichen Belastungen z. B. auch bei der Einführung des Lohnfortzahlungsgesetzes und der Lohnfortzahlung für kranke Arbeiter in der Diskussion eine nicht unwesentliche Rolle gespielt haben. Das Arbeitsministerium hatte schon am Beginn dieser Diskussion errechnet — uns wurden diese Zahlen dankenswerterweise zur Verfügung gestellt —, daß sich die Mehrbelastung der Wirtschaft nach Abzug der Körperschaftsteuer, der Gewerbesteuer und der möglichen Beitragssenkungen auf zirka 1,2 Milliarden DM netto beläuft. Unter Einschluß aller Leistungen wird sich die soziale Leistungsquote — also der Prozentsatz, der, gemessen am Bruttosozialprodukt, insgesamt für das Sozialbudget in der Volkswirtschaft ausgegeben wird — 1971 auf 18,2 %, 1972 auf 18,5 % und 1973 auf 18,9 % erhöhen. 1967 — eine interessante Vergleichszahl betrug die Soziallastquote, wie sie damals im Sozialbudget genannt worden ist, 19,4 N. Das lag aber, wie man ehrlicherweise gestehen muß, an der damaligen Lage. Wir hatten einen sehr hohen Grad von Arbeitslosigkeit und ein stagnierendes Bruttosozialprodukt zu verzeichnen.
Neben diesem Kernprodukt, der Anhebung der Versicherungspflichtgrenze und damit der Hereinnahme aller Angestellten in die 50%ige Beitragszahlung durch die Arbeitgeber ist unserem Entwurf noch ein weiterer Kernpunkt angefügt. Wir haben den seit dem 23. August 1923 inhaltlich gestrichenen § 181 der Reichsversicherungsordnung ausgefüllt — wenn Sie mir den Ausdruck gestatten — mit notwendigen Maßnahmen, die der Früherkennung von Krankheiten und der Krankheitsvorsorge dienen. Wenn es wahr ist, daß Herz- und Kreislauferkrankungen die häufigste Todesursache sind, dann ist es fürwahr geboten, hier auch mit der Hilfe des Zwanges des Gesetzes und der gesetzlichen Regelung die bislang zum Teil freiwillig erbrachten Leistungen der Kassen zu festigen. Neben Kreislauf- und Herzerkrankungen stellt der Krebs die zweithäufigste Todesursache dar. 1900 starb jeder 30. Bürger an Krebs. Heute stirbt bereits jeder 5. Bürger an Krebs. Von den 60 Millionen Bürgern der Bundesrepublik werden 18 Millionen in ihrem Leben an Krebs erkranken. Rund zwei Drittel davon werden bei der augenblicklichen Todesrate — ich bitte, dieses schreckliche Wort zu entschuldigen — an Krebs sterben, also 12 Millionen Menschen. Allein 9000 Frauen sterben in der Bundesrepublik an Unterleibskrebs. An Lungen- und Bronchialkrebs sterben jährlich zirka 21 000 Menschen.
Es ist klar, daß wir mit der bisherigen freiwilligen Vorsorgeuntersuchung und den eventuellen Vorsorgemaßnahmen, die die Krankenversicherungsträger bislang dankenswerterweise schon durchgeführt haben, nicht mehr auskommen. Wir müssen uns schon jetzt überlegen, wie wir dieser hohen Zahl von Erkrankungen und dieser Todesquote — wenn ich dieses Wort noch einmal gebrauchen darf — mit den Leistungen, die wir jetzt zu erbringen in der Lage sind, begegnen können.
Die §§ 187 und 363 der Reichsversicherungsordnung, die den Kassen bisher erlaubten, Mittel zur besonderen und allgemeinen Krankheitsverhütung zu verwenden, werden nicht ausreichend genutzt, um der oben aufgezeichneten Gefahr zu begegnen. Unser Entwurf führt den Katalog der Früherkennungs- und der Vorsorgemaßnahmen in die Pflichtleistungen der gesetzlichen Krankenversicherung ein. Die Versicherten werden damit einen Rechtsanspruch auf derartige Maßnahmen erhalten, wenn, wie wir hoffen, im Ausschuß und hier im Plenum unseren Vorstellungen zugestimmt wird.
Für uns ist klar, daß Früherkennung und Vorsorgehilfe durch die freien Ärzte und bisherigen Krankenhausträger bewältigt werden sollen, jedenfalls soweit es sich um Einzelmaßnahmen und nicht um große, geschlossene Maßnahmen, die einer ganz besonderen Aktion entsprungen sind, handelt. Unser Entwurf, meine Damen und Herren, wendet sich schon in seiner Anlage gegen die Möglichkeit, einen öffentlichen Gesundheitsdienst nach englischem Muster sozusagen durch die Hintertür, um unseren Entwurf zu zitieren, zu dekretieren. Unsere Fraktion tritt mit Entschiedenheit dafür ein, daß der Grundsatz der freien Arztwahl auch im Bereich der präventiven Medizin aufrechterhalten wird.

(Abg. Dr. Schellenberg: Das ist doch die allgemeine Auffassung des Hauses, Herr Kollege Franke!)

Ich darf erwähnen, daß mein Kollege Dr. Jungmann, der hier sehr viel sachverständiger ist, zu diesen Fragen gleich noch Ausführungen machen wird.
Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang auf eine Sache eingehen, die in letzter Zeit in der Öffentlichkeit, jedenfalls in der Fachöffentlichkeit, heftigst diskutiert worden ist. Wir haben uns in unseren Reihen über diese Fragen, z. B. über die Gliederung der Krankenkassen, unterhalten. Wir sind der Meinung, meine Damen und Herren, daß wir selbstverständlich bei der vielschichtigen Gliederung der Klassen bleiben sollten. — Verzeihung: Gliederung der Kassen. Ich habe Sie, Herr Liehr, angesehen, und schon kam mir das Wort „Klassen" in den Sinn.

(Zuruf des Abg. Liehr.)

Das ist ein Versprecher, der sich automatisch ergibt, wenn ich nach links hinübersehe. Ich bitte, das zu entschuldigen.

(Weitere Zurufe von der SPD.)

Meine Damen und Herren, diese Diskussion würde den Rahmen der ersten Lesung bei weitem überschreiten. Wir müßten sie zunächst noch im Ausschuß führen. Sie geht jedoch sicherlich nicht an der Frage vorbei, ob wir jetzt mit dieser Organisationsform die optimale Leistung erreicht haben. Ich darf, um nur einmal ein Wort aus der Diskussion der jüngsten Zeit herauszunehmen, sagen, daß



Franke (Osnabrück)

wir uns z. B. in der Frage der Regionalkassen von denjenigen unterscheiden, die diesen Vorschlag in letzter Zeit gemacht haben.

(Abg. Killat-von Coreth: Aus Ihren Reihen!)

— Ich bestreite gar nicht, lieber Arthur Killat, daß aus unseren Reihen z. B. ein Vorschlag der KAB, der ich selbst angehöre, gekommen ist. Ich würde allerdings nicht zu den Mitteln und zu der Tonart der Versicherungswirtschaft greifen. Ich darf auf eine Zeitung der Versicherungswirtschaft aus der letzten Zeit verweisen, in der sich jemand mit dieser Frage auseinandergesetzt hat. Es bleibt uns nicht erspart, uns darüber im Rahmen entweder dieser Entwürfe oder im Rahmen eines anderen Entwurfs zu unterhalten. Ich sage noch einmal: Wir sind weiterhin für die Gliederung der Kassen. Ob wir damit allerdings die optimale Leistung erreicht haben werden, wird dann noch zu prüfen sein.
Meine Damen und Herren, weitere Verbesserungen der Leistungen, die den Versicherten nach unserem Entwurf zugute kommen sollen, sind erstens die Erhöhung des Hausgeldes auf das Niveau des Krankengeldes sowie zweitens die Behandlung von besonderen Erkrankungen im Ausland und die verpflichtende Leistungszahlung durch die Krankenkassenträger. Ich höre schon, daß Leute, die sich mit dieser Frage auseinandergesetzt haben — ich könnte mir vorstellen, daß der Redner der SPD-Fraktion gleich darauf eingehen wird —, sagen werden, das sei natürlich ein unkontrolliertes Anwachsen der Kosten für Krankenhausaufenthalte im Ausland. Aber, meine Damen und Herren — darüber kann man eine Menge Literatur nachlesen —, die Mediziner sind der Meinung, daß hier eine sehr große Transparenz hergestellt werden müsse. Ich denke z. B. an den Fall, daß insbesondere dann, wenn in Deutschland — das gilt natürlich auch für alle anderen Länder in Europa; wir haben jedoch nicht deren gesetzliche Bestimmungen zu formulieren — ein Heilerfolg nicht gewährleistet werden kann, über die Grenzen hinaus Krankenversicherungsschutz gewährt werden muß. Ich denke z. B. an das Ausnutzen großer Herzoperationen in den Vereinigten Staaten.

(Abg. Killat: Das machen wir ebenso!)

Meine Damen und Herren, nun zur Frage der Errichtung eines Gemeinschaftsfonds für die gesetzlichen Krankenkassen. Die gesetzlichen Krankenkassen werden dann in solchen Fällen eine nicht unerhebliche Menge von Ausgaben haben, und es ist sicherlich einer einzelnen Kasse in der Regel nicht zuzumuten, dann alleiniger Träger dieser enormen Kosten zu sein. Wir regen in unserem Entwurf hier die Errichtung eines Gemeinschaftsfonds, sozusagen einer Ausgleichskasse für die gesetzlichen Krankenkassen an.
Weiter enthält unser Entwurf die Erweiterung des Kreises der nach § 166 der RVO versicherungspflichtigen Selbständigen und der nach § 176 versicherungsberechtigten Personen.
Schließlich, meine Damen und Herren — und das ist ein sehr wichtiger Punkt —, enthält unser Entwurf die Möglichkeit, Berufsanfängern, soweit sie Angestellte sind, ohne Rücksicht auf die Höhe ihres
Einkommens den freiwilligen Beitritt zur gesetzlichen Krankenversicherung zu gestatten.
Ich verkenne auch nicht - und darüber ist in
unseren Reihen heftigst diskutiert worden —, daß es zu überlegen ist, ob man diese Beitrittsmöglichkeit eröffnen sollte, weil man unter Umständen beispielsweise die gesetzlichen Krankenkassen eines Tages zu Einsammlern von negativen Risiken stempeln könnte. Aber wir haben uns hier eindeutig dafür entschieden, diese Öffnung für die höherverdienenden Angestellten zu ermöglichen und ihnen den Beitritt zu gestatten. Allerdings wollen wir, um eine hohe Vermeidung des negativen Risikos eben doch zu erreichen, dieses Beitrittsrecht auf ein halbes Jahr beschränkt wissen.
Ich bin mir bewußt, meine Damen und Herren, daß in unserem Entwurf — wenn ich einmal die notwendigen Gelder für die Vorsorgeuntersuchungen und Behandlungen ausklammere — das Problem der Umschichtung der Kosten in der Krankenversicherung noch nicht endgültig angesprochen worden ist. Ich erwähne nur, daß die Gesamtausgaben in der Krankenversicherung 1970 ca. 23,5 Milliarden DM und 1973 32 Milliarden DM ausmachen werden. Davon sind — nur um Ihnen eine Erläuterung zu geben — 1970 Barleistungen in Höhe von ca. 2,7 Milliarden DM, während für Sachleistungen 19 Milliarden DM ausgegeben werden müssen. Die Vergleichszahlen für das Jahr 1973 sind 3,2 Milliarden DM für Barleistungen und 26 Milliarden DM für Sachleistungen.
Wir müssen uns auch mit einem wichtigen anderen Problem beschäftigen, um die Steigerung der Kosten beim Verbrauch der Arzneimittel in den Griff zu bekommen. 1964 stiegen die Ausgaben für Arzneimittel um eine Größenordnung von 12,4 %, 1965 stiegen sie auf eine Größenordnung von 15,7 % und 1968 auf eine Größenordnung von 17 %. Das Sozialbudget rechnet mit einer mittelfristigen Steigerrungsrate von 14 % pro Jahr, in den Jahren von 1969 bis 1973.
Meine Damen und Herren! Auch die Krankenhauskosten sind ein Problem. Ich darf daran erinnern, daß die Bezuschussung durch die öffentliche Hand in den Bundesländern unterschiedlich gehandhabt wird. Wir wissen, daß hier die Frage des Engagements des Bundes noch nicht endgültig gelöst ist. Wir werden uns aber auch mit dieser Frage auseinandersetzen müssen. Wenn wir 1963 98,5 Millionen Krankentage hatten und 1968 111,8 Millionen, wenn wir verzeichnen, daß wir 1963 als sogenannte Verweildauer, d. h. Behandlungstage je Fall, 23,4 Tage und 1968 allerdings eine geringere Dauer, nämlich 22,1 Tage, zu verzeichnen hatten — mit dieser Verweildauer liegen wir im Durchschnitt höher als die meisten europäischen Länder , dann ist uns klar, daß wir bei der Fortführung der Krankenversicherungsreform unter anderem auch bei diesen Punkten mit der Reform ansetzen müssen.
Wir werden 1973 für Arztkosten etwa 8 Milliarden DM, für Krankenhauspflege 8,5 Milliarden DM und für Arzneimittel die enorme Summe von ca. 7,5 Milliarden DM ausgeben. Hier wird sichtbar, daß mit der Beratung der vorliegenden Gesetzentwürfe die



Franke (Osnabrück)

Krankenversicherungsreform noch nicht vom Tisch, sondern, wie schon in der Begründung unseres Entwurfes gesagt, ein fortdauernder Prozeß ist, und dem haben wir uns zu stellen.
Dabei enthält unser Entwurf weit mehr Reformvorhaben als der Entwurf der Bundesregierung, die doch mit dem hohen Anspruch angetreten ist, eine Regierung der inneren Reformen zu sein. In dem Entwurf der Bundesregierung wird z. B. der Umweltverschmutzung und den sich daraus ergebenden Belästigungen und Erkrankungen der Menschen keinerlei Rechnung getragen, und es werden keinerlei Konsequenzen gezogen.
Ich höre schon, wie der Herr Bundesarbeitsminister gleich sagen wird: Jawohl, das werden wir einer weiteren künftigen, einer nächsten Stufe der Reformvorhaben vorbehalten, nachdem sich alle unsere Sachverständigen zu dieser Frage geäußert haben! — Wir aber meinen, daß diese Fragen keinerlei Aufschub mehr vertragen können. Ich werde mich nicht damit beschäftigen, Herr Minister, was in dem Gesetzentwurf der Bundesregierung steht — da gibt es eine gewisse Deckungsgleichheit mit dem, was wir in unserem Entwurf vorgelegt haben —, sondern ich werde mich ganz kurz mit dem beschäftigen, was nicht in Ihrem Entwurf steht. Wir haben die Sorge, daß die sozialdemokratische Mehrheit in dieser Koalition ihre endgültigen Vorhaben verschiebt, bis sich eine für sie günstige Situation ergibt, um eine aus ihren gesellschaftspolitischen und politischen Vorstellungen geprägte Gestaltung durchsetzen zu können.

(Zuruf des Abg. Dr. Schellenberg.)

— Verehrter Herr Professor Schellenberg, ich habe mir einmal die Mühe gemacht, alle Ihre Reden von der ersten Wahlperiode bis jetzt durchzulesen.

(Zurufe von der SPD.)

Das ist ein unheimlicher Berg, durch den man sich hindurchlesen muß, verehrter Herr Frehsee. Wenn man versucht, alles Nachgelesene in einer Graphik aufzutragen, wird immer deutlicher, daß Sie Ihre alten Volksversicherungsvorstellungen selbstverständlich nicht aufgegeben haben. Wenn der Wähler es Ihnen gestattete und uns nicht beauftragte, eine ganz andere Konzeption durchzusetzen, würden Sie Ihre alten Volksversicherungsvorstellungen nach sozialistischem Muster in die Tat umzusetzen versuchen.
Diesem kollektivistischen Vorhaben werden wir unsere ganze politische Aktivität entgegensetzen und versuchen, unsere eigenen Vorstellungen, die sich von Ihren Vorstellungen grundsätzlich unterscheiden, in die Tat umzusetzen.

(Abg. Liehr: Da bauen Sie doch einen Pappkameraden auf! Abg. Dr. Schellenberg: Bisher waren Sie in der Krankenversicherung für Begrenzung auf Schutzbedürftige; das geben Sie heute zum ersten Male auf!)

— Herr Professor Schellenberg, wir beiden unterlaufen etwas illegal die Geschäftsordnung. Es ist bei der Begründung eines Gesetzentwurfes nicht gestattet, Zwischenfragen zu stellen. Ich habe extra
- sicherlich mit der stillen Duldung des Herrn Präsidenten - eine Pause gemacht, um Ihre Frage akustisch verstehen zu können. Wir sind nicht schutzbedürftig, verehrter Herr Professor Schellenberg, sondern die Schutzbedürftigkeit wird sich wahrscheinlich eines Tages bei demjenigen ergeben, der vielleicht als Erfüllungsgehilfe Ihrer eigenen gesellschaftspolitischen und sozialpolitischen Vorstellungen auftreten soll. Das aber, meine Damen und Herren, wird unseren entschiedenen Widerstand finden.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Was auf der einen Seite die kollektivistische Lösung ist, ist bei uns die subsidiäre.

(Zuruf des Abg. Dr. Schellenberg.)

— Ich habe eigentlich immer Ihr Geschick bewundert, Herr Schellenberg, wie Sie es bei alle der sonstigen Freundlichkeit, die Sie an den Tag legen, in der Regel nicht zulassen, daß Zwischenfragen gestellt werden. Wenn Sie ein Mikrophon vor sich haben, wollen Sie sich nicht aus dem Tritt bringen lassen. Ich versuche jedenfalls, Ihre Fragen zu beantworten, während Sie solche Diskussionsmöglichkeiten hier überhaupt nicht zulassen.

(Widerspruch bei der SPD.)

Lassen Sie mich noch einmal sagen: Was auf der einen Seite die kollektivistische Lösung ist, ist bei uns die aus dem Prinzip der Subsidiarität und Solidarität geprägte Vorstellung, auch die Eigenvorsorge sich auswirken zu lassen. Wir glauben nach den Erfahrungen, die wir in vielen anderen Bereichen gemacht haben, daß sich das Auswirken der Subsidiarität als optimale Lösung anbietet. Diese Lösung werden wir bei der Beratung dieser Gesetze und bei der Weiterführung der Reform der gesetzlichen Krankenversicherung zu beachten haben. Sie steht im Gegensatz zu Ihren Vorstellungen, die wir natürlich heftig bekämpfen werden.

(Beifall bei der CDU/CSU.)


Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0606419700
Zur Begründung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Krankenversicherungsänderungsgesetzes hat der Herr Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung das Wort.

Walter Arendt (SPD):
Rede ID: ID0606419800
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der von der Bundesregierung eingebrachte Entwurf eines Zweiten Krankenversicherungsänderungsgesetzes ist ein weiterer Teil der inneren Reformen, die die Bundesregierung in dieser Legislaturperiode verwirklichen will. In der vergangenen Legislaturperiode ist mit der Einführung der Lohnfortzahlung für Arbeiter im Krankheitsfalle die gesellschaftspolitische Gleichstellung der Arbeiter mit den Angestellten erreicht worden. Jetzt ist es an der Zeit — so meinen wir —, die Gleichstellung der Angestellten mit den Arbeitern in der gesetzlichen Krankenversicherung zu verwirklichen. Ich meine, darauf haben die Angestellten einen Anspruch.
Nur mit einem Rückgriff in die Geschichte ist es zu verstehen, daß im Leistungsrecht der gesetzlichen



Bundesminister Arendt
Krankenversicherung noch heute zwischen Arbeitern und Angestellten unterschieden wird.
So haben die Arbeitgeber für alle Arbeiter einen Anteil zum Krankenversicherungsbeitrag zu leisten. Dagegen haben Angestellte keinen Anspruch auf den Arbeitgeberanteil, soweit die Jahresarbeitsverdienstgrenze überschritten wird, und müssen ihre Beiträge zur Krankenversicherung selbst tragen.
Eine weitere Ungleichheit besteht darin, daß Arbeiter ohne Rücksicht auf die Höhe ihres Arbeitsverdienstes den Versicherungsschutz gegen die wirtschaftlichen Risiken der Krankheit in der gesetzlichen Krankenversicherung erhalten. Die Angestellten dagegen haben nur dann Zugang zur gesetzlichen Krankenversicherung, wenn ihr Gehalt unterhalb der Jahresarbeitsverdienstgrenze liegt oder wenn sie sich nach Überschreiten der Versicherungspflichtgrenze bei Erfüllung der gesetzlichen Voraussetzungen freiwillig weiterversichern.
Diese Differenzierungen, die sich zum Nachteil der Angestellten auswirken, sind in einer demokratischen Gesellschaft schwer zu vertreten.
Der von der Bundesregierung eingebrachte Gesetzentwurf beseitigt Nachteile, die sich aus der gegenwärtigen Regelung für die Angestellten ergeben. Dies wird durch folgende Regelungen erreicht.
Erstens. Der nicht versicherungspflichtige Angestellte erhält einen Arbeitgeberzuschuß zu den Krankenversicherungsbeiträgen, gleichgültig, ob er gesetzlich oder privat versichert ist.
Zweitens. Dem nicht versicherungspflichtigen Berufsanfänger wird das Recht zum freiwilligen Beitritt zur gesetzlichen Krankenversicherung eingeräumt.
Drittens. Alle Angestellten, die bisher der gesetzlichen Krankenversicherung nicht beitreten konnten oder nicht beitraten, erhalten ein Beitrittsrecht.
Diese drei Punkte machen deutlich, daß mit der Benachteiligung eines Teils unserer Gesellschaft Schluß gemacht werden soll.
Lassen Sie mich zu den einzelnen Punkten noch folgendes sagen.
Alle Angestellten, die nur wegen Überschreitens der. Jahresarbeitsverdienstgrenze nicht versicherungspflichtig sind, sollen einen unabdingbaren Anspruch gegen ihren Arbeitgeber auf einen Zuschuß zu ihrem Krankenversicherungsbeitrag erhalten.
Der Anspruch wird davon abhängig gemacht, daß der Angestellte entweder in der gesetzlichen Krankenversicherung freiwillig oder daß er bei der privaten Krankenversicherung versichert ist. Er muß für sich und für seine Familienangehörigen einen vergleichbaren Versicherungsschutz nachweisen. Der Zuschuß richtet sich nach dem Betrag, der als Arbeitgeberanteil bei Vorliegen der Versicherungspflicht zu zahlen wäre. Er ist jedoch begrenzt auf die Hälfte des Betrags, den der Angestellte tatsächlich aufzuwenden hat. Der Zuschuß soll steuerfrei und beitragsfrei in der Sozialversicherung sein. Mit dieser Regelung würde erreicht, daß alle versicherten Arbeitnehmer beitragsrechtlich und damit hinsichtlich ihrer Nettobezüge gleich behandelt werden.
Ich komme zum zweiten Punkt. Um auch Personen, die erstmals eine Beschäftigung als Angestellte aufnehmen und wegen Überschreitens der Versicherungspflichtgrenze nicht versicherungspflichtig sind, den Zugang zur gesetzlichen Krankenversicherung zu eröffnen, sollen sich diese Berufsanfänger innerhalb der ersten drei Monate nach Aufnahme der Beschäftigung freiwillig in der gesetzlichen Krankenversicherung versichern können. Wir haben bewußt darauf verzichtet, das Recht zum freiwilligen Beitritt vom Alter und Gesundheitszustand abhängig zu machen.
Diese Maßnahmen werden natürlich nur in der Zukunft wirksam werden können. Um aber der bisherigen Benachteiligung großer Gruppen von Angestellten jetzt abzuhelfen, haben wir schließlich drittens vorgesehen, allen Angestellten das einmalige Recht auf Beitritt einzuräumen. In einer Übergangsvorschrift des vorliegenden Gesetzentwurfes ist hierfür eine Frist von drei Monaten nach Inkrafttreten des Gesetzes vorgesehen.
In dem von der Opposition eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Änderung der Krankenversicherung habe ich eine derartige Übergangsregelung vermißt. Ich halte es nicht für gerecht, diesen Angestellten, die in früheren Jahren keine Möglichkeit zum Beitritt zur gesetzlichen Krankenversicherung hatten, die Gleichstellung zu versagen. Wir wollen soziale Gerechtigkeit für alle, und wir haben daher diese Übergangsregelung vorgesehen. Ich halte es aus sozialen Gründen für erforderlich, das Beitrittsrecht ohne Rücksicht auf Alter und Gesundheit zu ermöglichen.
Ein weiterer bedeutsamer Punkt des Regierungsentwurfs ist die Versicherungspflichtgrenze. Wie der Herr Bundeskanzler in der Regierungserklärung vom 28. Oktober 1969 ausgeführt hat, haben wir die Versicherungspflichtgrenze für Angestellte in der gesetzlichen Krankenversicherung überprüft. Sie liegt zur Zeit bei 14 400 DM jährlich oder 1200 DM monatlich. Diese Einkommensgrenze hat zur Folge, daß nahezu die Hälfte der 6,9 Millionen Angestellten nicht versicherungspflichtig sind. Sie hat weiter zur Folge, daß bei allen Angestellten und Arbeitern mit Einkommen oberhalb dieser Grenze bei einer Arbeitsunfähigkeit von länger als sechs Wochen ein Krankengeld oder Hausgeld von höchstens 1200 DM monatlich errechnet wird. Das zeigt, daß die wirtschaftliche Sicherung bei lang andauernder Krankheit unzureichend ist. Und aus der Vergangenheit wissen wir schließlich, daß Einkommensgrenzen, die nur durch die Gesetzgebung verändert werden können, stets der Einkommensentwicklung nachhinken.
Um diese Mängel zu beseitigen, schlägt die Bundesregierung vor:
1. Die Einkommensgrenzen in der gesetzlichen Krankenversicherung werden auf 1425 DM Monatsentgelt erhöht. Das sind 75 v. H. der geltenden Beitragsbemessungsgrenze in der Rentenversicherung.



Bundesminister Arndt
2. Die Einkommensgrenzen werden dynamisiert. Durch die Verbindung der Einkommensgrenzen in der gesetzlichen Krankenversicherung mit der Beitragsbemessungsgrenze in der Rentenversicherung wird sichergestellt, daß sie künftig jährlich der Lohn- und Gehaltsentwicklung aller Arbeitnehmer folgen.
Dieser Vorschlag verhindert, daß durch Gehaltserhöhungen oder durch den Leistungsaufstieg der Angestellten der Anteil der Versicherungspflichtigen immer wieder schrumpft. Darüber hinaus wird für Arbeiter und Angestellte bei längerer Krankheit die wirtschaftliche Sicherung in angemessenem Umfang sichergestellt.
Bedeutsam ist schließlich, daß diese Regelung zu einem besseren solidarischen Ausgleich bei der Beitragsbelastung führt. Wir wissen, daß die Ausgaben in der gesetzlichen Krankenversicherung überproportinal zu der Lohn- und Gehaltsentwicklung steigen. Daher mußten zur Deckung des Mehraufwandes die Beitragssätze ständig angehoben werden. Die Folge davon war, daß die Bezieher niedriger Einkommen relativ stärker belastet werden als die Bezieher höherer Einkommen.. Durch die Dynamisierung der Einkommensgrenzen sollen künftig höher verdienende Arbeitnehmer an der Deckung des Mehraufwandes angemessen beteiligt werden.
Ich weiß, daß die finanziellen und wirtschaftlichen Auswirkungen dieses Gesetzentwurfs von erheblicher Bedeutung sind. Über diese Auswirkungen sind mit den beteiligten Gruppen intensive Abstimmungsgespräche geführt worden. Auf der Grundlage der im Frühjahr dieses Jahres abgestimmtem Ergebnisse ergibt sich, daß bei einer Erhöhung der Versicherungspflichtgrenze von 1200 DM auf 1425 DM die Zahl der versicherungspflichtigen Angestellten von 3,5 Millionen auf 4,5 Millionen steigen wird. Damit erhöht sich der Anteil der versicherungspflichtigen Angestellten auf rund 65 % aller Angestellten.
Angesichts dieser Größenordnung sind die wieder einmal laut gewordenen Besorgnisse der privaten Krankenversicherung unbegründet. Es besteht die Möglichkeit für alle Angestellten, die heute bei der privaten Krankenversicherung versichert sind, sich von der Versicherungspflicht zu befreien. Die abgestimmten Schätzungen haben gezeigt, daß nicht mehr als rund 5 % aller Vollversicherten der privaten Krankenversicherung in die gesetzliche Krankenversicherung eintreten werden.
Durch die Erhöhung der Einkommensgrenze entsteht bei der sozialen Krankenversicherung ein Finanzierungsüberschuß in Höhe von rund 1 Mrd. DM. Das sind, in Beitragsprozenten ausgedrückt, rund 0,4 Prozentpunkte. Dieser Finanzierungsüberschuß soll vor allem dazu verwendet werden, daß die Beitragssätze in der gesetzlichen Krankenversicherung nicht in dem sonst erforderlichen Maß ansteigen.
Niemand von uns — das können Sie voraussetzen — hat bei dieser Berechnung den Kopf in den Sand gesteckt. Deshalb haben wir auch die Mehraufwendungen der Arbeitgeber errechnet; sie betragen rund 1,13 Milliarden DM netto. Bei diesem Betrag sind die freiwilligen Arbeitgeberleistungen, die Steuermehrbelastung der Unternehmer und die finanziellen Auswirkungen der Beitragssenkung in der sozialen Krankenversicherung bereits berücksichtigt. Die Angestellten hingegen werden durch die Einführung des Arbeitgeberbeitrages trotz Erhöhung der Beitragsbemessungsgrenze entlastet, und zwar um etwa 1,6 Milliarden DM.
Diese Aussagen über die finanziellen Auswirkungen beruhen auf den abgesicherten Erkenntnissen im Frühjahr dieses Jahres. Wir alle wissen, daß sich seitdem die wirtschaftlichen Verhältnisse, insbesondere die Einkommensentwicklung, erheblich geändert haben. Ich werde Ihnen für Ihre Beratungen im Ausschuß die aktuellen Werte vorlegen. Zu dieser Zusage bin ich in der Lage, da es in meinem Ministerium gelungen ist, die finanziellen Auswirkungen. dieses Gesetzes mit Hilfe der elektronischen Datenverarbeitung zu berechnen. Damit besteht die Möglichkeit, selbst während der Ausschußsitzungen schnell, überschaubar und zuverlässig die finanziellen Auswirkungen darzustellen. Das ist ein Verfahren, das erstmals seit Bestehen der Bundesregierung im Rahmen eines Gesetzgebungsverfahrens praktiziert werden kann.

(Beifall bei der SPD.)

Meine Damen und Herren, noch ein Wort zur Vorsorge. Die Bundesregierung mißt den Vorsorgeleistungen außerordentliche Bedeutung bei. Die Versicherten und ihre Familienangehörigen sollen darauf einen Rechtsanspruch erhalten. Ich habe die Sachverständigenkommission zur Weiterentwicklung der sozialen Krankenversicherung unter anderem auch deshalb berufen, um praktikable Vorschläge hierfür zu erarbeiten, die auch die organisatorischen und die finanziellen Fragen und Auswirkungen mit einbeziehen. Im Hinblick auf die Dringlichkeit dieser Frage habe ich die Sachverständigenkommission ausdrücklich gebeten, diese Fragen beschleunigt zu behandeln. Der hierfür vorgesehene Ausschuß der Sachverständigenkommission hat bereits mehrfach getagt, und ich hoffe, daß er in Kürze seine Arbeit abschließen wird. Wir werden Ihnen dann unverzüglich unsere Vorschläge zuleiten, um damit die fachliche Arbeit dieses Sachverständigengremiums für die gesetzgeberische Tätigkeit dieses Hohen Hauses nutzbar zu machen.

(Beifall bei der SPD.)

Die Bundesregierung hat mit dem Enwurf zum Zweiten Krankenversicherungs-Änderungsgesetz einen Vorschlag gemacht, um die gesetzliche Krankenversicherung unter sozial fortschrittlichen Vorzeichen weiterzuentwickeln. Wir wollen damit ein weiteres Stück sozialer Gerechtigkeit in unser System der sozialen Sicherheit einfügen. Ich bin davon überzeugt, daß der Ihnen vorliegende Gesetzentwurf hierfür eine gute Grundlage abgibt.

(Beifall bei der SPD.)


Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0606419900
Meine Damen und Herren, damit sind die beiden eingebrachten Vorlagen begründet.




Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0606420000

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Jungmann.

Dr. Gerhard Jungmann (CDU):
Rede ID: ID0606420100
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Mein Freund Heinz Franke hat schon angekündigt, daß ich ein paar Worte zu den im Gesetzentwurf der CDU/CSU enthaltenen Bestimmungen über die gesundheitliche Vorsorge sagen möchte. Es geht dabei um Vorsorgeuntersuchungen zum Zwecke der Früherkennung von Krankheitsanlagen, besonders bei Neugeborenen und Kleinkindern. Ferner geht es um die Früherkennung von Krankheiten — hier sind ausdrücklich die Krebserkrankungen genannt —, und schließlich geht es um Maßnahmen zur Verhütung von Krankheiten.
Es geht also nicht um eine mehr oder weniger nebulöse allgemeine Gesundheitsvorsorge von der auch in der breiten Öffentlichkeit viel gesprochen worden ist, bis sich dann im Laufe der Zeit herausgestellt hat, daß es sich dabei in der Tat mehr um unrealistische Wunschvorstellungen als um praktikable Möglichkeiten der präventiven Medizin gehandelt hat. Es geht vielmehr um ganz bestimmte und auf ihre Praktikabilität geprüfte Vorsorgeuntersuchungen bei, ich sagte es schon, Neugeborenen und Kleinkindern zur rechtzeitigen Früherkennung von folgenschweren Krankheitsanlagen, um Untersuchungen zur Früherkennung von Krebserkrankungen, wobei dieser Plural von Bedeutung ist. Damit soll gesagt sein, daß dies ein Programm ist, das nicht ohne weiteres sofort realisiert werden kann. Ferner geht es um Untersuchungen zur Früherkennung sonstiger Krankheiten. Hier ist besonders an die sogenannten Volkskrankheiten gedacht, wenn und soweit das praktisch durchführbar und erfolgversprechend sein wird.
Weiterhin geht es um Maßnahmen zur Verhütung von individuellen Krankheiten; ich nenne als Beispiele nur den Wundstarrkrampf, den Keuchhusten und die Rachitis und betone ausdrücklich, daß die Verhütung von Seuchen und gemeingefährlichen Krankheiten selbstverständlich nach wie vor Aufgabe der Gesundheitsbehörden bzw. der öffentlichen Hand bleiben muß. Ich sage das mit besonderer Deutlichkeit, um klarzustellen, daß hier keine Verwischung der Grenzen zwischen dem öffentlichen Gesundheitsdienst und der gesetzlichen Krankenversicherung beabsichtigt ist und tatsächlich auch nicht eintreten kann. Vielmehr geht es darum, daß endbeiden gesundheitspolitisch gleich wichtigen Instilich die große Lücke zwischen den Aufgaben dieser beiden gesundheitspolitisch gleich wichtigen Institutionen geschlossen werden kann.
Wenn man auf die inzwischen mindestens zwölfjährige Vorgeschichte der parlamentarischen Behandlung dieser Frage zurückblickt, so muß man sich fragen, ob und warum diese lange Zeit notwendig gewesen ist, ehe es nun endlich zu einer, wie ich hoffe, befriedigenden Lösung dieser für die überwiegende Mehrzahl der Bevölkerung so überaus wichtigen Frage kommen kann.
Viele Jahre lang hat es viele Bedenken gegeben, ob diese Ausdehung des Aufgabenkataloges der gesetzlichen Krankenversicherung über die Krankenhilfe hinaus überhaupt richtig ist und ob die dafür aufgewendeten Kosten in einem vertretbaren Verhältnis zu den zu erwartenden Ergebnissen stehen. Ich brauche nicht besonders zu betonen, daß die Fragen nach den Kosten und dem Erfolg bis zum heutigen Tage ein starkes Hemmnis auf diesem Wege gebildet haben. Alle Hemmnisse haben aber nicht verhindern können, daß die gezielte gesundheitliche Vorsorge — ich betone noch einmal: nicht die allgemeine oder ungezielte Gesundheitsvorsorge und auch nicht die Abwehr von Krankheiten und Seuchen, insbesondere von gemeingefährlichen Krankheiten, sondern ganz bestimmte erprobte, praktikable und erfolgversprechende Untersuchungen und Maßnahmen zur Früherkennung und Verhütung bestimmter Krankheiten — inzwischen von allen Sachverständigen akzeptiert wird.
Es ist zweifellos gut und nützlich, daß der Gesetzgeber jetzt nur noch nachzuvollziehen und zu legalisieren braucht, was von den Krankenkassen in weiten Bereichen inzwischen aus eigenem Antrieb erprobt und realisiert worden ist. Der Gesetzgeber braucht die Krankenkassen jetzt nicht mehr vor eine neue Aufgabe zu stellen und sie vielleicht sogar in gewissem Umfang zur Erfüllung derartiger Aufgaben zu zwingen. Die Krankenkassen wollen diese Aufgaben jetzt selbst erfüllen. Insofern hat die Verzögerung also mehr genützt als geschadet.
Wenn diese Bestimmungen über die Vorsorgehilfe, wie ich hoffe, demnächst verabschiedet werden, braucht auch niemand eine Welle oder sogar eine Lawine von Vorsorgemaßnahmen und den damit verbundenen Mehrkosten zu befürchten. Denn ein Teil dieser Maßnahmen ist längst eingeführt worden, und die Bereitschaft der Bevölkerung, sich diese Möglichkeiten zunutze zu machen, ist aber leider längst nicht so groß, wie sie eigentlich sein sollte. Sogar von der Schwangerenvorsorge wissen wir, daß sich die Frauen nur langsam an den Gedanken gewöhnen, daß sie durch Vorsorge schwere Schäden und Leiden für sich und ihre Kinder vermeiden können. Bei den Krebserkrankungen müssen erfahrungsgemäß sogar noch größere psychologische Hemmnisse überwunden werden. Auf keinen Fall aber kann und darf das ein Grund sein, auf die Vorsorge zu verzichten. Ich brauche das hier im einzelnen wohl nicht zu begründen.
Eine Welle oder Lawine von Vorsorgeuntersuchungen und anderen Maßnahmen ist aber auch deshalb nicht zu befürchten, weil alle Vorkehrungen gegenüber einer unsachgemäßen Ausuferung derartiger Möglichkeiten getroffen worden sind. Art und Umfang der Vorsorgehilfe sollen vom Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung mit Zustimmung des Bundesrates nach Anhörung aller Beteiligten — der Ärzte ebenso wie der Krankenkassen — durch Rechtsverordnung bestimmt werden. Dabei soll der nach dem Stande der medizinischen Wissenschaft zu erwartende Erfolg ebenso berücksichtigt werden wie die persönlichen und sachlichen Voraussetzungen für die Verwirklichung der einzelnen Maßnahmen.
Meine Damen und Herren, diese vielleicht etwas engherzig klingenden Einschränkungen sind weni-



Dr. Jungmann
ger die Folge der vielen Bedenken, die in den letzten Jahren gegen die Einführung der Vorsorge in den Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung vorgebracht worden sind. Sie sind vielmehr von der Absicht getragen, Fehlentwicklungen soweit wie möglich zu vermeiden, und nach meiner Überzeugung sind sie sogar eher geeignet, die im Interesse der Versicherten notwendige Entwicklung zu fördern, als sie etwa zu verhindern.
Mit besonderer Befriedigung kann ich an dieser Stelle feststellen, daß die in diesem Gesetzentwurf vorgesehenen Bestimmungen über die Vorsorgehilfe in der gesetzlichen Krankenversicherung in enger Zusammenarbeit mit vielen Krankenkassensachverständigen und ihren Verbänden entstanden sind, und daß deren Zustimmung uns in unserem Vorhaben noch bestärkt hat. Es wäre nicht zu verantworten, wenn die Verwirklichung dieser Absichten nun wieder auf die schon allzu lange Bank geschoben würde. Es ist an der Zeit, daß diese Maßnahmen ebenso wie andere lebenswichtige Fragen der gesetzlichen Krankenversicherung — jetzt die Zustimmung dieses Hohen Hauses finden.

(Beifall bei der CDU/CSU.)


Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0606420200
Meine Damen und Herren, das Wort hat der Herr Abgeordnete Professor Dr. Schellenberg.

Dr. Ernst Schellenberg (SPD):
Rede ID: ID0606420300
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zu Beginn der Aussprache über die nächsten Gesetzentwürfe möchte ich ganz wenige grundsätzliche Bemerkungen machen, aber Herr Kollege Franke nötigt mich, noch eine Vorbemerkung zu machen.
Herr Kollege Franke, mit der Phrase vom sozialistischen Kollektivismus, die Sie hier heute gebraucht haben, hat die CDU/CSU bis jetzt verhindert, daß alle Angestellten genauso wie die Arbeiter einen Beitragszuschuß des Arbeitgebers erhalten. Das ist eine geschichtliche Tatsache.

(Beifall bei der SPD. — Zurufe von der CDU/CSU.)

Erst nachdem die Bundesregierung in ihrer Regierungserklärung den Arbeitgeberzuschuß angekündigt hat, haben Sie Ihre antiquierten Vorstellungen über Bord geworfen und haben den Regierungsentwurf bezüglich der Konzeption des Arbeitgeberzuschusses für alle Angestellten abgeschrieben. Das ist ein weiterer Tatbestand.

(Beifall bei der SPD. — Widerspruch und Lachen bei der CDU/CSU.)


Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0606420400
Herr Abgeordneter Professor Dr. Schellenberg, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Franke?

Dr. Ernst Schellenberg (SPD):
Rede ID: ID0606420500
Ja.

Heinrich Franke (CDU):
Rede ID: ID0606420600
Herr Kollege Schellenberg, ist Ihnen entgangen, daß wir unseren Entwurf vor der Ankündigung der Regierung am 4. Mai — die Ankündigung der Regierung erfolgte am 7. Mai — auf den Tisch gelegt haben?

Dr. Ernst Schellenberg (SPD):
Rede ID: ID0606420700
Herr- Kollege Franke, ich entnehme der Begründung Ihres Entwurfs, daß Sie die Zahlen über die finanziellen Auswirkungen von der Bundesregierung übernommen haben, und ich weiß, daß der Referentenentwurf des Ministeriums bereits im März fertiggestellt war. Ihr Gesetzentwurf stammt vom Mai.

(Zurufe von der SPD.)

Aber noch etwas anderes möchte ich Ihnen sagen. Im sozialpolitischen Schwerpunktprogramm der CDU/CSU-Bundestagsfraktion für diese 6. Legislaturperiode vom 20. August 1969, also vor den Bundestagswahlen, haben Sie sich zu diesem Thema geäußert. Das möchte ich Ihnen vorlesen: „1. Die endgültige Einkommensgrenzenregelung sollte gleichermaßen für Arbeiter und für Angestellte gelten." Das heißt auf deutsch: Einführung einer Versicherungspflichtgrenze auch für Arbeiter.
Zweiter Grundsatz des Schwerpunktprogrammes Ihrer Fraktion in dieser Hinsicht!

(Abg. Ruf: Warum denn nicht? Wenn der Arbeiterger Zuschüsse gewähren will!)

— Augenblick mal! — „Die CDU/CSU-Fraktion wird sich dafür einsetzen", so heißt es dort, „daß zu einem möglichst frühen Zeitpunkt freiwillige Zuschüsse des Arbeitgebers zum Krankenversicherungspflichtbeitrag . gewährt werden." Nun, das war ja ein „historischer" Fortschritt, denn das gibt es schon, seitdem es Angestellte gibt. Was jetzt wirklich fundamental Neues von der Koalition geschaffen werden soll — ich darf sagen, unter wesentlicher Beteiligung unsers Koalitionspartners —, ist, den Arbeitgeberzuschuß für alle Angestellten mit einem Rechtsanspruch zu gewähren.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)


Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0606420800
Herr Abgeordneter Professor Schellenberg, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Katzer?

Dr. Ernst Schellenberg (SPD):
Rede ID: ID0606420900
Natürlich.

Hans Katzer (CDU):
Rede ID: ID0606421000
Herr Kollege Schellenberg, meinen Sie nicht, daß es sinnvoll wäre, wenn wir uns jetzt mit unserem vorliegenden Entwurf mit dem Blick nach vorn auseinandersetzen würden und nicht in die Geschichten der Vergangenheit zurückgraben würden? Im übrigen sollten Sie sich doch freuen und auf den Boden der Tatsachen stellen. Darf ich Sie fragen, ob Sie nicht mit mir der Meinung sind, daß es ein wesentlicher Fortschritt ist, daß wir diese Union zu einer modernen, fortschrittlichen Partei machen, nachdem wir diesen Punkt so geändert haben. Das finde ich doch großartig. Würden Sie das zugeben?

(Lachen bei der SPD.)





Dr. Ernst Schellenberg (SPD):
Rede ID: ID0606421100
: Herr Kollege Katzer, ich freue mich riesig, daß Sie in die Opposition gekommen sind; denn als Regierungspartei haben Sie uns doch die größten Schwierigkeiten gemacht, die Versicherungspflichtgrenze auf nur 1200 DM zu erhöhen.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Noch 1969 haben Sie einen Gesetzentwurf eingebracht, der für den 1. Juli dieses Jahres die „bedeutsame" Versicherungspflichtgrenze von 990 DM vorsieht. Sie haben also erst, seitdem Sie in der Opposition sind, sozialpolitisch umzudenken gelernt. Das finde ich einen großen Fortschritt; darüber freue ich mich außerordentlich.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)


Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0606421200
Herr Abgeordneter Schellenberg, erlauben Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten Frau Kalinke?

Dr. Ernst Schellenberg (SPD):
Rede ID: ID0606421300
Ja, bitte schön!

Margot Kalinke (CDU):
Rede ID: ID0606421400
Herr Kollege Schellenberg, ist Ihnen entgangen, daß der Antrag der Freien Demokraten schon in der vorigen Legislaturperiode hier gestellt wurde und daß Ihre Fraktion damals, in weitgehender Übereinstimmung mit der unseren, der Meinung war, daß wir den Tarifpartnern, der Selbstverwaltung und der Initiative der Arbeitgeber und Arbeitnehmer die Möglichkeit geben wollten, diese Frage vorab zu lösen? Ist Ihnen ferner entgangen, daß Sie auch in der Großen Koalition nein gesagt haben? Sie haben doch nein gesagt!

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0606421500
Frau Kollegin Kalinke, ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie Zwischenfragen entsprechend der Geschäftsordnung kurz und präzis stellen würden.

Margot Kalinke (CDU):
Rede ID: ID0606421600
Ich habe mich bemüht.

(Heiterkeit.)


Dr. Ernst Schellenberg (SPD):
Rede ID: ID0606421700
Frau Kollegin Kalinke, es ist Ihnen offenbar entgangen, daß ich soeben den besonderen Anteil der Freien Demokraten an der Einführung des Arbeitgeberzuschusses unterstrichen habe. Daß diese Dinge eine geschichtliche Entwicklung haben, ist selbstverständlich.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0606421800
Herr Kollege Schellenberg, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Härzschel?

Dr. Ernst Schellenberg (SPD):
Rede ID: ID0606421900
Ich wollte nur ganz kurz reden. Aber bitte ja!

Kurt Härzschel (CDU):
Rede ID: ID0606422000
Herr Kollege Schellenberg, darf ich Sie fragen, warum Sie eigentlich nicht Ihren Entwurf, den Sie früher einmal hatten, verwirklichen, wonach Sie die Beitragsbemessungsgrenze in der Rentenversicherung als die Richtgrenze auch für die Krankenversicherung nehmen wollten.

Dr. Ernst Schellenberg (SPD):
Rede ID: ID0606422100
Weil wir nicht die absolute Mehrheit in diesem Hause erreicht haben, Herr Kollege Härzschel. Das ist der erste Grund.
Zweitens — und das finde ich sehr bedeutsam — haben wir in der sozial-liberalen Koalition

(Zuruf von der CDU/CSU: Was ist das?)

eine gemeinsame Linie gefunden, die den Angestellten mehr dient als eine Anhebung der Versicherungspflichtgrenze auf den Betrag X. Wir haben nämlich eine Regelung gefunden, die jedem Angestellten den Arbeitgeberzuschuß bringt. Das finde ich eine großartige Angelegenheit und einen wesentlichen gesellschaftspolitischen Fortschritt. Diesen haben beide Koalitionsparteien, FDP und SPD, gemeinsam erarbeitet.

(Abg. Franke/Osnabrück: Aber erst hinter uns, Herr Schellenberg!)

— Aber, lieber Herr Franke, haben Sie die Regierungserklärung nicht gehört? Ich kann sie Ihnen überreichen. Die sollten Sie lesen. Dann wissen Sie nämlich, was sozialpolitisch noch kommt, und können sich darauf vorbereiten.

(Abg. Franke/Osnabrück: Soll ich sie Ihnen vorlesen?)

— Ich kann Ihnen den betreffenden Punkt vorlesen, aus der Regierungserklärung vom 28. Oktober:
Oberhalb der Versicherungspflichtgrenze wird auch für alle Angestellten der Arbeitgeberbeitrag eingeführt werden.
Das steht in der Regierungserklärung, das wird
jetzt verwirklicht, und das ist eine bedeutsame Tat.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0606422200
Herr Abgeordneter Schellenberg, gestatten Sie noch eine Frage des Abgeordneten Franke (Osnabrück)?

Heinrich Franke (CDU):
Rede ID: ID0606422300
Herr Kollege Schellenberg, da Sie soeben ein Papier der CDU zitiert haben, darf ich Sie fragen, ob Ihnen die Stelle aus dem Regierungsprogramm der Sozialdemokratischen Partei bekannt ist, beschlossen auf dem außerordentlichen Parteitag am 17. April 1969 in Godesberg, wo Sie unter „Sicherung der Gesundheit" schreiben:
Vorbeugende Gesundheitspflege und die Frühdiagnose von Krankheiten werden wird durch gezielten Vorsorgeuntersuchungen intensiv weiterzuentwickeln suchen.
Darf ich Sie fragen, warum Sie als Sozialdemokratische Partei nicht darauf gedrängt haben, daß diese Bundesregierung auch diesen Beschluß Ihres Parteitages durch Gesetzesvorlage vollzog.

Dr. Ernst Schellenberg (SPD):
Rede ID: ID0606422400
Herr Kollege Franke, Sie haben, als Sie das Zitat heraussuchten, offenbar die Ausführungen des Herrn Bundesarbeitsministers nicht sorgfältig gehört. Der Herr Bundesarbeitsminister hat nämlich ausführlich dargelegt, welche Vorbereitungen er in Zusammenarbeit mit Sachverständigen getroffen hat, um die Vorsorge zu ent-



Dr. Schellenberg
wickeln. Er hat dabei erklärt — und das finde ich auch eine sehr wichtige Feststellung —, daß er die Sachverständigen bitten wird, ihre Beratungen so frühzeitig abzuschließen, daß ihre Ergebnisse noch in diesem Gesetzgebungsverfahren berücksichtigt werden können. Das ist viel mehr wert als das, was im CDU/CSU-Gesetzentwurf steht. Was Sie in Ihrem Entwurf schreiben, hört sich wundervoll an. § 181 — Vorsorgehilfe — umfaßt alles. Dann kommt der nächste Paragraph, § 181 a: „Art und Umfang der Vorsorgehilfe nach § 181 bestimmt der Bundesarbeitsminister durch Rechtsverordnung." Im ersten erwähnten Paragraphen ist wundervoll von der Vorsorgehilfe die Rede, im zweiten Paragraphen sagen Sie, was als Vorsorgehilfe zu leisten ist, und welche Voraussetzungen für diese Maßnahmen gesetzt werden, wird vom Bundesarbeitsminister durch Rechtsverordnung bestimmt. Das halte ich nicht für „Nägel mit Köpfen". Wir wollen ein Gesetz schaffen, in den nach Beratung mit den Sachverständigen die Vorsorge sinnvoll eingebaut wird.
Nun zu den grundsätzlichen Vorbemerkungen. Den bedeutsamen gesellschaftspolitischen Fortschritt, den dieses Gesetz bringt, wird mein Kollege Arthur Killat nachher noch im einzelnen darlegen.
Ich muß in diese Vorbemerkungen einen weiteren Bereich einbeziehen. Herr Kollege Franke, Sie werden, wenn Sie mir folgen, gleich verstehen, weshalb ich diese Fragen hier anreiße. Der nächste Punkt auf der Tagesordnung wird die Beratung des Gesetzentwurfs zur Änderung des Kindergeldgesetzes sein. Nach diesem Entwurf wird die Einkommensgrenze für Zweitkinder angehoben und das Kindergeld für Drittkinder verbessert. Diese Verbesserungen können nur im Zusammenhang mit dem Inkrafttreten des Ausbildungsförderungsgesetzes am 1. Juli dieses Jahres — einer Leistung des letzten Bundestages — betrachtet werden, weil sie nämlich im Zusammenhang mit der Familienpolitik stehen.
Nun ein weiterer wichtiger Gesichtspunkt. Die gesellschaftspolitischen Fortschritte, die wir jetzt in der Krankenversicherung und nachher beim Kindergeld behandeln, fordern vom Staat und von der Wirtschaft ihren Preis. Der Arbeitgeberzuschuß zur Krankenversicherung und die Erhöhung der Versicherungspflichtgrenze bedingen, rund gerechnet, wenn man auch Steuerausfälle usw. berücksichtigt, insgesamt einen Mehraufwand von fast 2 Milliarden DM jährlich. Die Aufwendungen für die Erhöhung des Kindergeldes nach dem Regierungsentwurf belaufen sich auf 420 Millionen DM jährlich. Der gesamte Mehraufwand für beide sozialpolitisch wichtigen Gesetze, die wir heute behandeln, von 2,4 Milliarden DM ist — und das ist finanzwirtschaftlich sehr wesentlich — entweder in die mittelfristige Finanzplanung bereits eingebaut, oder die Wirtschaft konnte sich, soweit es sich um Mehrausgaben handelt, die sie belasten, seit dem Lohnfortzahlungsgesetz und spätestens seit der Regierungserklärung darauf einstellen.

(Abg. Ruf: Hoffentlich auch die Gewerkschaften!)

Das ist ein finanzwirtschaftlich wichtiger Tatbestand.
Jetzt komme ich zum vierten Punkt. Unseres Erachtens ist es sehr bedenklich, daß die heute ebenfalls zur Beratung anstehenden Gesetzentwürfe der CDU/CSU den nicht unerheblichen Finanzaufwand der Regierungsentwürfe übertreffen. Für die Krankenversicherung fordern Sie, ganz rund gerechnet, nach Ihren Berechnungen über die rund 2 Milliarden DM Arbeitgeberzuschuß und Erhöhung der Versicherungspflichtgrenze hinaus — nach Ihren sehr bescheidenen Berechnungen — 280 Millionen DM mehr.

(Abg. Franke [Osnabrück] : Herr Schellenberg, die 2 Milliarden DM sind allerdings ohne Abzug der Körperschaftsteuer und Gewerbesteuer!)

— Ja, aber wir müssen die gesamtwirtschaftliche Belastung sehen, Herr Franke.

(Abg. Franke [Osnabrück]:: Das ist ja keine Belastung, das sind 800 Millionen DM Entlastungen! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU.)

— Aber lieber Kollege Franke, das wollen wir im Ausschuß im einzelnen nachrechnen. Ich habe gesagt, was als Bruttoaufwand von der Regierung berechnet wurde, und ich glaube, es ist gut, wenn ich hier in der ersten Lesung eine Größenordnung nenne,

(Abg. Katzer: Sie muß aber richtig sein!)

die vielleicht eine Maximalgrößenordnung ist. Das ist besser, als wenn ich die Größenordnung runterspiele.

(Weiterer Zuruf des Abg. Katzer.)

— Ach, wissen Sie, ich könnte das im einzelnen genau vorrechnen. Ich mache aber nur eine Vorbemerkung.

(Abg. Katzer: Das muß aber richtig sein!)

— Sie bekommen es von mir schriftlich, sowohl nach Ihrem Entwurf als auch nach der Regierungsvorlage, damit Sie es genau sehen.
Der Aufwand Ihres Entwurfs stellt sich also auf rund 2 Milliarden und 280 Millionen DM.

(Abg. Franke [Osnabrück] : Das stimmt nicht!)

— 280 Millionen mehr als der Regierungsentwurf.

(Abg. Franke [Osnabrück]:: 2 Milliarden weniger 800 Millionen!)

— Steuerausfall und Erhöhung der Einkommensgrenze dazu.
Jetzt kommt der Punkt, den ich schon kurz andeutete. Der Gesetzentwurf der CDU/CSU zur Verbesserung des Kindergeldes, so wie er heute vorliegt, erfordert nach Ihren eigenen Berechnungen einen Aufwand von 1560 Millionen DM jährlich. Dieser Gesetzentwurf der CDU/CSU wurde vor dem 19. Juni erstellt, also dem Tage, an dem das Steueränderungsgesetz 1970 zurückgezogen wurde. Nach diesem Vorgang ist für Ihren Entwurf keine Deckung für die Leistungen vorhanden, die Sie heute dem Hause unterbreiten. Es wäre logisch gewesen, daß Sie nach Zurücknahme des Steueränderungsgesetzes



Dr. Schellenberg
1970 auch Ihren Entwurf mit dem Aufwand von 1560 Millionen DM zurückgenommen hätten. Das haben Sie nicht getan. Er steht vielmehr heute auf der Tagesordnung.

(Abg. Ruf: Darauf werden wir antworten!) — Er steht zur Beratung an.


(Zuruf von der CDU/CSU: Und zwar zu Recht!)

Sie bringen also heute Gesetzentwürfe ein, die für Staat und Wirtschaft eine finanzielle Beanspruchung von insgesamt 3,8 Milliarden DM bedeuten.

(Abg. Liehr: Leichtfertig!)

Sie überschreiten damit das Finanzvolumen der Regierungsvorlagen um 1,4 Milliarden DM.

(Abg. Wehner: Hört! Hört!)

Ich komme zur Schlußvorstellung.

(Lachen bei der CDU/CSU.) — Schlußfeststellung.


(Zuruf von der CDU/CSU: Das ist eine Vorstellung!)

Namens der SPD-Fraktion stelle ich fest: Die weitergehenden finanziell nicht gesicherten Gesetzentwürfe der CDU/CSU sind mit einer Politik der Stabilität unvereinbar. Das Vorgehen der CDU, die sich in der Öffentlichkeit so gern als Hüterin geordneter Finanzen und stabiler Preise aufspielt, kann nicht anders denn als unsolide und, ich muß sagen, doppelzüngig bezeichnet werden.

(Beifall bei der SPD. — Abg. Katzer: Das stimmt nicht! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU.)


Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0606422500
Das Wort hat der Abgeordnete Schmidt (Kempten).

Hansheinrich Schmidt (FDP):
Rede ID: ID0606422600
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Kollege Katzer, ich stimme Ihnen darin zu, daß wir gerade in den sozialpolitischen Bereichen immer an die Zukunft und weniger an die Vergangenheit denken sollten.

(Abg. Katzer: Das tun wir auch! Überall!)

Ich stelle mit Befriedigung fest, daß es doch eine Tatsache ist, daß man eine ganze Menge dazulernen und auch neue Gedanken, die vielleicht mit guten Argumenten von anderer Seite gekommen sind, verarbeiten kann. Aber die erste Lesung dieser beiden Entwürfe kann, wie ich glaube, nicht vorgenommen werden, ohne die Urheberfrage zu erörtern — die Fragen des Urheberrechts stehen ja sowieso auf der Tagesordnung, sind allerdings auf Freitag verschoben worden —, allein schon um der politischen und auch chronologischen Situation willen. Insoweit geben Sie mir wohl recht, daß wir auch Dinge der Vergangenheit ein bißchen mit beleuchten müssen.
Hier ist nun ein schöner Streit entstanden. War es der 4. Mai — Vorlage der Opposition —, oder war es der 6. Mai — Kabinettsitzung — bzw. der 7. Mai — Veröffentlichung des Kabinettsbeschlusses —? Meine sehr verehrten Herren von der Opposition, der Referentenentwurf des Ministeriums trägt das Datum 10. April. Herr Kollege Katzer, ich glaube, Sie werden mir zugeben, daß der Referentenentwurf des Ministeriums weitgehend — mit Ausnahme des Bereichs der Vorsorge, zu dem ich noch kommen werde — Pate gestanden hat, nachdem innerhalb Ihrer Fraktion, meine Damen und Herren — ich komme auch noch auf das, was die Frau Kollegin Kalinke vorhin in einer Zwischenfrage sagte —, über die beiden Grundfragen, nämlich die Frage der Dynamisierung der Versicherungspflichtgrenze und die Frage des Arbeitgeberbeitrags für alle Angestellten, und auch bei unserem Koalitionspartner — das sage ich ganz offen — früher andere Vorstellungen bestanden hatten. Denn wenn wir schon vom Urheberrecht reden — Gott sei Dank kann man im Deutschen Bundestag alles durch Protokolle und dergleichen belegen —, müssen wir feststellen, daß das Urheberdatum zumindest der 3. Juni 1969 oder, wenn Sie so wollen, der 10. Juni 1969 ist. Der 3. Juni 1969 war der Tag, an dem im zuständigen Ausschuß in Berlin die Dynamisierung der Versicherungspflichtgrenze und der Arbeitgeberbeitrag für alle Angestellten von den Freien Demokraten gefordert und damals von der Mehrheit des Ausschusses abgelehnt wurden. Am 10. Juni hatte ich selbst die Ehre, diese Anträge hier im Hause noch einmal zu begründen. Sie wurden damals wiederum abgelehnt.
Deshalb freuen wir Freien Demokraten uns um so mehr, daß inzwischen im ganzen Hause die Einsicht eingekehrt ist, daß die Dynamisierung eine vernünftige Lösung ist und darüber hinaus der Arbeitgeberbeitrag für alle Angestellten nun endlich gesetzlich verankert werden muß. Allerdings muß ich feststellen, wenn ich auch hier wieder chronologisch richtig vorgehen soll, daß die Einsicht bei der Opposition sehr, sehr spät kam, nämlich erst als der Referentenentwurf der Bundesregierung vorlag.

(Abg. Ruf: Das hat doch mit Einsicht nichts zu tun!)

In bezug auf die Zusammenarbeit der Regierungsfraktionen war diese Tatsache allerdings seit der Regierungserklärung vom 28. Oktober bekannt. So liegen also die Urheberrechtsverhältnisse bezüglich der Fraktionen, und das möchte ich an dieser Stelle für die Freien Demokraten doch einmal klar gesagt haben.

(Beifall bei den Regierungsparteien. — Abg. Geiger: Es wird Zeit, daß wir das Gesetz verabschieden! — Abg. Ruf: Sie waren damals gegen die Lohnfortzahlung! — Gegenrufe von der SPD. — Abg. Ruf: Natürlich waren Sie dagegen! Wir mußten beides machen! — Weitere Gegenrufe von der SPD: Wir wollen nicht von der Historie reden! — Abg. Ruf: Natürlich! Wenn man von der Historie redet, dann von der ganzen!)

— Herr Kollege Ruf, daß wir gegen die Lohnfortzahlung waren, ist kein Geheimnis, und wir sind
auch heute noch kein großer Freund dieser Sache.



Schmidt (Kempten)

Wir wollen erst einmal sehen, wie sich diese Dinge entwickeln.

(Abg. Ruf: Na also!)

Wir haben uns damit noch nicht sehr befreunden können. Aber ich stelle zu dem Problem, das hier zur Diskussion steht, fest, daß das Gedanken sind, die die FDP in die politische Diskussion gebracht hat und die erfreulicherweise und dankenswerterweise — das möchte ich den beiden anderen Fraktionen sagen — von den anderen Fraktionen aufgenommen worden sind, von der Regierungsfraktion bereits im Rahmen der Regierungserklärung und von Ihnen, meine Damen und Herren von der Opposition, jetzt in Ihrem Entwurf. Dafür sind wir dankbar, und damit gehen wir in die Zukunft, Herr Katzer; so weit sind wir uns darüber im klaren.

(Abg. Katzer: Sie müssen nur sagen, welche FDP! Es gibt so viele!)


Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0606422700
Herr Kollege Schmidt, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Ruf?

Hansheinrich Schmidt (FDP):
Rede ID: ID0606422800
Bitte!

Thomas Ruf (CDU):
Rede ID: ID0606422900
Herr Kollege Schmidt, sind Sie bereit zuzugeben, daß es damals, zur Zeit der Großen Koalition, für die Wirtschaft unzumutbar war, mindestens 4,5 % zusätzlicher Belastung durch die Lohnfortzahlung hinzunehmen und gleichzeitig, Zug um Zug die zusätzliche Belastung im Zusammenhang 1 mit dem Arbeitgeberzuschuß für die freiwillig versicherten Angestellten zu übernehmen? Keine Partei kann doch alles auf einmal machen.

(Zurufe von der SPD.)


Hansheinrich Schmidt (FDP):
Rede ID: ID0606423000
Herr Kollege Ruf, können Sie sich vielleicht noch daran erinnern, daß unser Antrag auf Dynamisierung mit einem Prozentsatz von 65 % damals ziemlich in der Nähe dessen lag, was mit 1200 DM für den 1. Januar beschlossen wurde, daß wir aber dafür waren, zu dynamisieren, um eine gerechte Anpassung auf die Dauer zu erreichen? Da gab es keinen sehr großen Unterschied.

(Abg. Katzer: Aber ohne Lohnfortzahlung! — Abg. Ruf: Man muß doch immer den Zusammenhang sehen! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU.)

— Wir können uns ja im Ausschuß noch länger darüber unterhalten. Wir können auch hier eine Fragestunde einführen. Ich habe schon zu oft zu diesen Dingen Stellung genommen.

(Zuruf von der CDU/CSU: Dazu wäre es gar nicht gekommen, wenn Sie alles gesagt hätten!)

Jedenfalls wollte ich diese Fakten feststellen, und ich möchte mich noch einmal dafür bedanken, daß wir heute den Weg in die Zukunft in dieser Frage gemeinsam gehen. Daß wir hier das Erstgeburtsrecht anmelden, ist wohl durchaus legitim. Lesen Sie unsere Parteiprogramme, in denen schon vor
vielen, vielen Jahren beispielsweise der Arbeitgeberbeitrag für alle Angestellten immer als Forderung gestanden hat.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0606423100
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Franke?

Hansheinrich Schmidt (FDP):
Rede ID: ID0606423200
Dann muß ich aber um Verlängerung der Redezeit bitten.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0606423300
Das hätte ich ohnehin in Betracht gezogen, Herr Kollege.

Heinrich Franke (CDU):
Rede ID: ID0606423400
Herr Kollege Schmidt, um der historischen Wahrheit und Klarheit willen darf ich sagen, daß Sie damals in einem Stufenplan die 65 % hier einführen wollten, daß Sie aber gleichzeitig — darf ich Sie fragen, ob Sie dem zustimmen — die arbeitsrechtliche Lösung bei der Lohnfortzahlung abgelehnt haben.

Hansheinrich Schmidt (FDP):
Rede ID: ID0606423500
Natürlich haben wir sie abgelehnt! Ich habe sie auch hier in diesem Hause abgelehnt. Das können Sie ebenfalls nachlesen; das habe ich nie bestritten.

(Abg. Katzer: Das wollen wir einmal festhalten! — Abg. Ruf: Das ist die FDP!)

Nun aber, meine Damen und Herren, wollen wir in die Zukunft schauen; hier bin ich mit dem Herrn Kollegen Katzer einig. Wenden wir uns den Entwürfen zu, die nach unserem Dafürhalten mit solchen Weichenstellungen wirklich Zukunftslösungen zeigen. Wir begrüßen es sehr, daß es nunmehr möglich ist — das Haus ist sich praktisch darüber einig —, die Versicherungspflichtgrenze für Angestellte in der Krankenversicherung dynamisch an die Beitragsbemessungsgrenze in der Rentenversicherung zu binden, damit die Einkommensentwicklung in feste Relationen zu bringen und hier nicht Jahr für Jahr und oftmals in sehr vielen hitzigen Debatten die Dinge immer wieder korrigieren zu müssen.
Wir begrüßen es auch sehr, daß eine Prozentzahl für die Dynamisierung gefunden wurde, nämlich 75 %, eine Zahl, die jetzt auch im Oppositionsvorschlag auftaucht und die etwa einem Drittel der Angestellten weiterhin die Möglichkeit der freien Wahl läßt, nunmehr jedoch unter materieller Beteiligung der Arbeitgeber, was bisher nicht der Fall war. Damit wird man dem Prinzip des mündigen Staatsbürgers, den wir uns alle in irgendeiner Form als Zielfigur vorstellen, gerecht. Indem wir einem Drittel die freie Wahl lassen, obwohl wir ihn natürlich mehr oder weniger zu einer Selbstvorsorge verpflichten und ihn dabei materiell unterstützen, ist, glaube ich, eine gute Lösung gefunden worden, und wir werden auch bei dem Satz von 75 % bleiben.

(Abg. Ruf: Warum soll eigentlich nur der Angestellte und nicht auch der Arbeiter mündig gemacht werden?)




Schmidt (Kempten)

Die FDP ist nicht der Meinung, daß die Vorstellungen oder die Empfehlungen, die der Bundesrat dazu gegeben hat, im Ausschuß eine Rolle spielen sollten. Wir sind weiterhin für diesen Satz von 75 %, der in den Anträgen aller Fraktionen seinen Niederschlag gefunden hat.

(Abg. Ruf: Bleiben Sie dabei!)

— Wir bleiben dabei. Ich habe es eben hier gesagt, Herr Kollege Ruf. Sie können mir selten nachweisen, daß ich bei etwas nicht geblieben wäre, ob ich nun zufälligerweise als Abgeordneter der Regierungsparteien mit Ihnen im Ausschuß saß oder als einer der Opposition. Aber Sie können es gerne versuchen.

(Abg. Ruf: Sie vielleicht, aber nicht die FDP!)

— Zufälligerweise spreche ich hier für die Fraktion. Ich habe in den letzten Jahren — mindestens seit einem Jahr und oftmals schon vorher — zu diesen Fragen schon sehr oft für die Fraktion sprechen dürfen und nicht nur für mich allein.
Entscheidend für uns Freie Demokraten ist aber der zweite Punkt. Entscheidend ist die Tatsache, daß nunmehr alle Angestellten über der Versicherungspflichtgrenze endlich materiell gleichgestellt werden und daß damit der im vergangenen Jahr gegen unsere Vorstellungen vollzogenen Gleichstellung in der Lohnfortzahlung eine Gleichstellung in der Krankenversicherung vom Materiellen her endlich folgt und nicht mehr eine gewisse Diskriminierung oder eine verstärkte finanzielle Belastung der Angestellten über der Versicherungspflichtgrenze vorhanden ist.
Es war ein langer, einsamer Weg, den die FDP in dieser Frage gegangen ist. Ich freue mich, daß nun von zwei Seiten her — oder, mit uns zusammen, von drei Seiten her — die Wege auf ein gemeinsames Ziel führen und daß damit von der Verabschiedung dieses Gesetzes an — ich hoffe, daß es mit Wirkung vom 1. Januar 1971 in Kraft treten kann — 3,4 Millionen Angestellte ebenfalls den Arbeitgeberbeitrag in der Krankenversicherung erhalten.
Lassen Sie mich noch wenige Sätze zum Problem der dreifachen Wahlfreiheit sagen, weil sie zweifellos auch zur Diskussion steht. Wir sind der Auffassung, daß mit der Dynamisierung eine gewisse Systemveränderung verbunden ist; denn früher hat man mit Markbeträgen angepaßt. Mit dem Satz von 75 % ist für die künftigen Entwicklungen ein für allemal eine Marge gesetzt. Wir sind weiterhin der Meinung, daß im Hinblick auf diesen Systemwechsel in der Festlegung der Grenze eine solche Wahlfreiheit in dreifacher Form und mit einer beschränkten Frist von drei Monaten als richtig anzusehen ist.
Ich teile auch nicht die diesbezügliche Sorge, die da von mancher Seite kommt; denn ich bin sicher, daß sich alle diejenigen, die ein Interesse an der Versicherung der über der Pflichtgrenze Liegenden haben, eine ganze Menge einfallen lassen werden, damit sich da nicht allzuviel verändert. Das wird ein edler Wettstreit um diejenigen sein, die eine Wahlfreiheit haben. Das soll ja auch sein; lassen wir die Konkurrenz!
Ein Letztes zur Vorsorge. Herr Kollege Schellenberg und Herr Minister Arendt in seiner Begründung des Gesetzentwurfs haben schon darauf hingewiesen, daß zur Zeit im Arbeitsministerium eine Kommission an entsprechenden Vorstellungen arbeitet. Sie haben in Ihrem Entwurf bereits gewisse Vorstellungen entwickelt. Ich glaube, daß wir im Ausschuß Gelegenheit haben werden, über die Frage einer Verankerung gewisser Vorsorgemaßnahmen zu sprechen. Ich glaube auch, daß wir dazu sogar notwendigerweise verpflichtet sind, weil wir in diesen Fragen nicht mehr lange warten können und die ersten Weichen stellen müssen — allerdings nicht, meine Damen und Herren von der Opposition, mit Ihrer Weichenstellung, mit Rechtsverordnungen und ähnlichem und mehr oder weniger nach außen mit der Haltung: Wir machen das, dann machen es andere, und wir sind nicht mehr verantwortlich!
Wir wollen dort, wo es möglich ist und wo es uns die materiellen Überlegungen, die Zahlen, die uns noch vorliegen müssen, erlauben, eine klare Verankerung im Gesetz. Wir wollen uns dafür verantwortlich zeigen und nicht jemandem die Verantwortung dafür zuschieben.

(Abg. Dr. Schellenberg: Sehr gut!)

Dafür sind wir dann in diesem Hause verantwortlich. In dieser Weise, so glaube ich, werden wir sicher bei den Beratungen zu gemeinsamen Überlegungen kommen; denn ich glaube nicht, daß Sie an Ihrer Methode, es müsse unbedingt eine Rechtsverordnung geben, festhalten. Es geht um die Sache, es geht um die Vorsorge. Hier wird der Ausschuß sicher zu vernünftigen Ergebnissen kommen. Das ist jedenfalls die Meinung der FDP.

(Abg. Franke [Osnabrück] : Wir sind nach allen Seiten offen!)

— Sehr schön! Dann haben Sie wieder etwas dazugelernt. Das ist wunderbar.
Lassen Sie mich abschließend feststellen, daß wir Freien Demokraten über diesen Regierungsentwurf sehr froh sind und daß wir dem Bundesarbeitsminister und seinen Herren dafür danken, daß er die in der Regierungserklärung festgelegten Vorstellungen so rasch in einem Entwurf verwirklicht hat.
Ich darf auch Ihnen, meine Damen und Herren von der Opposition, noch einmal dafür danken, daß Sie so viele Gedanken von uns in Ihren Entwurf aufgenommen haben. Ich kann eigentlich nur wünschen, daß wir im Ausschuß zügig fertig werden, damit der vorgesehene Termin — der 1. Januar 1971 — mit Sicherheit eingehalten werden kann und dann endlich die materielle Gleichstellung der Angestellten in dieser Frage erreicht und auch die Dynamisierungsfrage in einem Sinn gelöst wird, wie wir ihn immer wollten.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)


Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0606423600
Das Wort hat der Abgeordnete Vogt.




Wolfgang Vogt (CDU):
Rede ID: ID0606423700
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Kollege Dr. Schellenberg hat am Schluß seiner Ausführungen einige Bemerkungen zu den Auswirkungen der vorliegenden Gesetzentwürfe auf den Bundeshaushalt gemacht und dabei auch unseren Antrag zur Änderung des Bundeskindergeldgesetzes aufgegriffen. Diese Ausführungen bedürfen einiger Korrekturen.
Ich darf feststellen, daß die Auswirkungen des Antrags der CDU/CSU zur Änderung des Krankenversicherungsrechts und die Auswirkungen des Regierungsentwurfs zur Krankenversicherungsreform auf den Bundeshaushalt im Prinzip gleich sind. Der Regierungsentwurf selbst spricht von 400 Millionen DM; hier bestehen keine Unterschiede.
Bezüglich der zweiten Frage, Herr Professor Schellenberg, können Sie sich sicher daran erinnern, daß wir bei dem Rückzieher der Regierung, nämlich bei dem Beschluß, das Steueränderungsgesetz 1970 nicht vorzulegen, davon ausgegangen sind, daß dieses Geld nicht ausgegeben wird, daß damit vielmehr aktive Konjunkturpolitik betrieben wird. Wenn ich mir heute den Haushaltsentwurf für 1971 ansehe, muß ich feststellen, daß Sie genau dieses Geld, das aus konjunkturellen Gründen zurückgehalten werden sollte, im neuen Haushalt 1971 — ich will mich fein ausdrücken — mit verarbeitet haben. Deshalb ist Ihre Forderung nicht berechtigt, daß wir unseren Bundeskindergeldgesetzentwurf hätten zurückziehen müssen, weil Sie Ihr Steueränderungsgesetz zurückgezogen haben.

(Abg. Dr. Schellenberg: Herr Kollege Vogt, Sie werden ja dann bei der Haushaltsberatung darlegen müssen, woher Sie die Mittel von über einer Milliarde nehmen wollen!)

— Wir werden dazu noch Stellung nehmen. Herr Professor Schellenberg, Sie wissen aus der langen Erfahrung in diesem Hause, daß die CDU/CSU-Bundestagsfraktion immer genau den sachlichen Zusammenhang zwischen Finanzpolitik, Wirtschaftspolitik und Sozialpolitik gesehen hat,

(Abg. Dr. Schellenberg: Das hat sich neuerdings sehr geändert!)

und den sehen wir auch hier. Dazu wird der Kollege Windelen noch eine Erklärung abgeben. Ihre Aufforderung war fehl am Platze. Sie sollten sich aufgefordert fühlen, den Haushalt 1971 konjunkturgerecht zu gestalten.

(Beifall bei der CDU/CSU.)


Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0606423800
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Killat.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0606423900
Herr Präsident! Meine sehr geschätzten Damen! Meine Herren! Ich möchte zu Beginn meiner Stellungnahme zu den beiden Gesetzentwürfen noch einmal den Kollegen Franke ansprechen und ihm verdeutlichen, was wir unter Volksversicherung verstehen. Es ist nicht so, Kollege Franke, daß die Gefahr besteht, daß wir eines Tages, wenn die Mehrheit dazu gegeben ist, eine Volksversicherung durchsetzen werden. Ich glaube vielmehr sagen zu können, wir sind schon auf dem Wege und haben einen Teil dessen durchgesetzt, was wir unter Volksversicherung verstehen. Wir verstehen darunter nämlich nicht — und das nehmen Sie doch bitte einmal zur Kenntnis! — eine Institution, wie es hier und da durchklingt, vielleicht aus vergangenen Tagen, einen Gesundheitsdienst oder eine Einheitsversicherung. Sie können alle unsere Parteitagsprotokolle der letzten 10 Jahre nachlesen. Da werden Sie in dieser Richtung keine Beschlüsse und auch keine Vorstellungen finden. Was wir unter Volksversicherung verstehen — —

(Abg. Vogt: Nehmen Sie nur die romantischen Vorstellungen der Jungsozialisten!)

— Nun ja, die Jungsozialisten allein sind nicht die Sozialdemokratische Partei. Das, was eine Partei beschließt oder was eine Partei nachher im Parlament vertritt, das können Sie als das nehmen, was aussagekräftig ist, und nicht tausenderlei Wunschvorstellungen. Dann könnte ich die Beschlüsse Ihrer Sozialausschüsse in Köln auch als solche Einheitsversicherungsbestrebungen ansehen, und Sie wissen, daß sie draußen im Blätterwald auch so gedeutet werden.
Aber was mir tatsächlich am Herzen liegt, ist, Ihnen deutlich zu machen, was wir unter Volksversicherung verstehen: allen Menschen in diesem Land Chancengleichheit zu geben, nicht nur in Bildung und Beruf, unabhängig vom Herkommen und von der Vermögenslage der Eltern, sondern für alle Menschen gleiches Recht auf soziale Sicherheit und auf Gesundheitsfürsorge und Behandlung entsprechend dem Erkenntnisstand der medizinischen Wissenschaft und der höchsten ärztlichen Kunst zu schaffen. Das ist grundsätzlich gemeint, im Leistungsrecht, im Sozialrecht, und nicht institutionell.
Deshalb sage ich: Wir haben uns zumindest schon seit der Großen Koalition so weit durchgesetzt, daß Wesentliches unserer Vorstellungen in dieser Richtung verwirklicht worden sind. Dazu gehört beispielsweise auch, daß in der vergangenen Legislaturperiode mit unserer Hilfe oder auf unseren Druck hin die Versicherungspflicht für alle Angestellten in der Rentenversicherung durch Gesetz beschlossen worden ist. Wo war das bei Ihnen die Jahre davor überhaupt denkbar, geschweige denn wann wurde darüber einmal gesprochen? Auch das Lohnfortzahlungsgesetz ist doch nur unter sozialdemokratischer Mitwirkung — ich kann sogar sagen: Führung — denkbar; denn sonst wäre das in Ihren Reihen nicht möglich gewesen.

(Zurufe von der CDU/CSU.)

— Verehrter Herr Kollege Katzer, Sie waren ja noch nicht einmal in der Lage, einen Gesetzentwurf auf den Tisch zu legen, als es darum ging, in der vergangenen Legislaturperiode eine Entscheidung zu fällen.

(Beifall bei der SPD. — Abg. Katzer: Sie sprechen doch wider besseres Wissen! Sie haben doch meinen abgeschrieben! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU.)




Killat-von Coreth
— Herr Kollege Katzer, auch das, was wir beispielsweise heute hier praktizieren, ist ein weiterer Schritt, und das ist das, was wir unter dem Begriff der inneren Reformen in diesem Lande verstehen. Wenn von Ihrer Seite — nicht von Ihnen persönlich, aber von Ihrer Seite — da und dort hämisch die Frage gestellt wird: Wo bleiben diese inneren Reformen?, dann darf ich doch mit Fug und Recht auf die Vorlagen allein aus diesem Regierungsjahr 1970 verweisen, die wir bis zum Frühsommer beschlossen haben.

(Abg. Niegel: Das waren doch keine inneren Reformen!)

— Natürlich, für uns sind das Reformen.

(Abg. Katzer: Sehr bescheiden! Das ist doch Fortschreibung, das sind keine Reformen!)

— Sie wissen doch, daß wir zu Beginn dieses Jahres nicht nur die materielle Verbesserung der Kriegsopferleistungen durchgesetzt haben, sondern daß wir mit der Dynamisierung und Anpassung dieser Leistungen an die jährliche Entwicklung der Einkommen der Beschäftigten endlich einen Weg beschritten haben, durch- den der unwürdige Zustand beseitigt werden soll, daß nur unter der Drohung dieser Kriegsopfer und der Demonstrationen hier im Hause Entscheidungen gefällt werden.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0606424000
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Franke?

Heinrich Franke (CDU):
Rede ID: ID0606424100
Verehrter Arthur Killat, ist ihnen aus dem Gedächtnis entschwunden, daß in dem Dritten NOG, dem Dritten Neuordnungsgesetz zur Kriegsopferversorgung, der § 56 unter der Federführung von Hans Katzer mit der Dynamisierung eingesetzt worden war und lediglich wegen der 66er und 67er Jahre ausgesetzt worden ist?

(Zuruf des Abg. Dr. Schellenberg.)


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0606424200
Herr Kollege, ich will Sie ja nicht der sachlichen Unkenntnis bezichtigen, aber Sie wissen genauso wie ich — oder, bitte, lesen Sie es nach —, daß der § 56 niemals die Wirkung einer absoluten Dynamisierung hatte, sondern es waren Richtdaten gesetzt, und dann konnte alle zwei Jahre beschlossen werden. Der alte Zustand wäre erhalten geblieben, und dieses Haus hätte Fall zu Fall beschließen müssen.

(Abg. Liehr: Unverbindlich! — Abg. Franke [Osnabrück] : Einverstanden, stimmt!)

— Sehen Sie; ein ungeheurer Fortschritt für die davon betroffenen Menschen.
Meine Damen und Herren, für uns ist die Streichung des 2%igen Rentnerbeitrags nicht allein von dem Volumen der 800 Millionen DM her, die diese Rentner nun eingespart haben, wichtig, sondern besonders dadurch, daß die Grundlagen der bruttolohnbezogenen Rente wiederhergestellt wurden. Ein entscheidender Schritt für innere Reformen!
Zum dritten. Das Vermögensbildungsgesetz, das noch ausgeweitet werden wird — —

(Abg. Katzer: Das ist doch alles Fortschreibung, das ist doch keine Reform!)

— Aber, Herr Kollege Katzer, als damals verantwortlicher Minister wissen Sie, daß die Umstellung auf das Zulagensystem den Weg für die Sozialpartner frei gemacht hat, weil auch die Benachteiligung in der Sozialversicherung aufgehoben wurde. In kürzester Frist sind von bis dahin 1 oder 2 Millionen jetzt schon 7 Millionen Beschäftigte in den Genuß dieser Vermögensentwicklung gekommen.

(Abg. Katzer: Keine Reform sondern eine Fortschreibung! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU.)

— Herr Kollege Katzer, lassen Sie uns auf diesem Wege fortfahren,

(Abg. Katzer: Alles nicht eure Erfindung!)

und wir werden uns am Ende dieser Legislaturperiode sprechen,

(Abg. Katzer: Vielleicht schon vorher!)

welchen Durchbruch wir gesellschaftspolitisch erzielt haben. Ich muß Ihnen sagen, auch dieser 50%ige Arbeitgeberzuschuß, den wir jetzt hier für die Angestellten beschließen, ist durch die Herbeiführung des gleichen Sozialrechts für die Angestellten eine Reform, weil es das doch bisher nicht gab. Und daß 3,5 Millionen Angestellte ab 1. Januar 1971 Mehreinkünfte von 1,6 Milliarden DM für das Jahr 1971 haben werden, ist doch eine für die Angestellten außerordentlich günstige und begrüßenswerte Entwicklung.
Auch zu der Höhe der Versicherungspflichtgrenze hat Herr Kollege Härzschel darauf hingewiesen, daß wir ja eigentlich einmal mehr wollten. Herr Kollege Härzschel, natürlich kann man sich darüber streiten, ob das die letzte Grenze ist. Sie können von mir persönlich und auch allgemein entgegennehmen, daß das nicht der Fall sein wird. Aber wir müssen folgendes bedenken. Im Herbst 1969 betrug die Versicherungspflichtgrenze 900 DM. Sie ist, wozu wir Sie gezwungen haben — dies hat mein Kollege Schellenberg hier schon dargestellt —, am 1. Januar 1970 auf 1200 DM erhöht worden und kommt ab 1. Januar 1971 auf 1425 DM. Das ist in eineinviertel Jahren eine Erhöhung von 525 DM oder mehr als 50 %. Sie werden doch zugeben, daß das auch volkswirtschaftlich von Bedeutung ist und daß wir die Dinge nicht so leichtfertig handhaben können, wie Sie es uns vielleicht unterstellen.

(Abg. Katzer: Wieso leichtfertig? Das schlagen wir doch selbst vor, und zwar schon vor Ihnen!)

— Dazu will ich nachher noch etwas sagen. Sie wissen genau, daß Sie in diesem Bereich der Entwicklung bisher immer nur im Bremserhaus gesessen haben.

(Abg. Katzer: Das möchten Sie!)

— Sie wissen doch, Herr Kollege Katzer, daß die Anhebung und Dynamisierung der Versicherungspflichtgrenze für die Angestellten hier durchgebracht



Killat-von Coreth
werden, und nachdem auch Sie einen solchen Vorschlag gemacht haben, kann man wohl sagen, daß die Opposition Ihnen gut bekommen ist.

(Abg. Katzer: Vielen Dank! Wird noch besser werden!)

— Sehen wir uns doch einmal den Widerspruch zwischen dem, was Sie gestern vertraten, und dem, was Sie heute vertreten, an. Sie schlagen mit diesem Gesetzentwurf weiter vor, bei der Krankenhauspflege an Stelle von Hausgeld ein Krankengeld, also eine höhere Leistung, und, unbegrenzte Krankenhauspflege zu gewähren, was an sich ein Fortschritt auf Kosten der Krankenversicherungsträger ist. Das alles sind Entwicklungen, die sehr interessant sind, die aber jetzt erst auf den Tisch kommen. Vor einem Jahr oder anderthalb Jahren, im März 1969, haben Sie in Ihrer Vorlage zum Lohnfortzahlungsgesetz und zur Änderung des Krankenversicherungsgesetzes aber noch vorschlagen, daß die versicherten Arbeiter und Angestellten bei der Krankenhauspflege mit 3 DM täglich beteiligt werden sollten. Wenn Ihre jetzige Einstellung nicht nur einem propagandistischen Bedürfnis genügen soll, sondern inzwischen vielleicht aus Erkenntnissen und Einsichten auf den harten Bänken der Opposition entsprungen ist, dann kann man zur Intensivierung dieses Lernprozesses nur wünschen, daß Sie noch recht lange auf diesen Bänken verweilen.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0606424300
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Müller (Berlin)?

Johannes Müller (CDU):
Rede ID: ID0606424400
Herr Kollege Killat ich kann mir nicht vorstellen, daß Sie folgendes übersehen haben. Ursprünglich wurde eine Beteiligung von 3 DM pro Tag für die Zeit vorgeschlagen, in der der Versicherte ein ungekürztes Einkommen aus seinem Arbeitsverhältnis hat. Nachdem diese Zeit abgelaufen ist, soll jetzt das Hausgeld erhöht werden, damit der Versicherte keine Einbuße an seinem Lebensstandard hat. Ich kann mir nicht vorstellen, daß Sie das übersehen haben.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0606424500
Herr Kollege Müller, ich glaube, die Frage, die Sie stellen wollten, ist ausgeblieben. Deshalb kann ich darauf überhaupt nicht eingehen.

(Abg. Müller [Berlin] : Haben Sie das übersehen? — Abg. Katzer: Sie wissen genau, was er gemeint hat!)


Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0606424600
Herr Kollege Müller, Sie haben nicht mehr das Wort.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0606424700
Meine Damen und Herren von der CDU/CSU, Sie müssen sich doch eines ernsthaft gesagt sein lassen. Wenn Sie allein in der Verantwortung ständen, wären Sie zu solchen Zugeständnissen und Entscheidungen, wie Sie sie jetzt beispielsweise hinsichtlich der Versicherungspflichtgrenze getroffen haben, weder in der Lage noch bereit gewesen.

(Abg. Härzschel: Woher wissen Sie das?)

— Ach, „woher wissen Sie das"? Ihr Bestreben war in der Vergangenheit immer darauf gerichtet, den versicherungspflichtigen Personenkreis der Angestellten so klein wie möglich zu halten.

(Beifall bei der SPD.)

In dem sogenannten Sozialpaket haben Sie länger als acht Jahre in diesem Hause den Versuch unternommen, die Versicherungspflichtgrenze niedrig zu halten; sie ist acht Jahre lang nicht erhöht worden. Sie haben darüber hinaus in Ihrem Paket auch niedergelegt, daß schon Angestellte mit mittlerem Einkommen aus der Versicherungsberechtigung der sozialen Krankenversicherung ausgeschlossen werden sollen, einen Zwangsausschluß per Gesetz. Das ist der Beweis.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0606424800
Herr Abgeordneter Killat, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Härzschel?

Kurt Härzschel (CDU):
Rede ID: ID0606424900
Herr Kollege Killat, würden Sie mir zugeben, daß Sie in den Reformen nicht alles auf einmal erreichen können und daß die Lohnfortzahlung erhebliche finanzielle Mittel gefordert hat, die Reform also ein permanenter Vorgang ist und Sie nicht von einem Tag auf den anderen alles machen können?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0606425000
Natürlich, Kollege Härzschel, kann ich das zugeben. Nur war es in der Vergangenheit doch so — wir sind ja hier unter Fachleuten, darf ich sagen —, daß alle drei, vier oder fünf Jahre diese Grenze starr erhöht worden ist. Dann ist von der CDU/CSU seit 1957 jede Erhöhung abrupt abgelehnt worden. 1965 haben wir dann gemeinsam mit der FDP in der letzten Woche vor Abschluß der Legislaturperiode noch eine Erhöhung durchbekommen. Sonst haben Sie immer den Versuch unternommen und würden ihn auch weiter unternehmen, die Erhöhung zu verhindern, wenn Sie nicht jetzt auf der Oppositionsbank des Hauses säßen und sehen müßten, wie Sie unter Umständen andere ansprechen können, die Ihnen vielleicht später einmal Wahlhilfe leisten sollen. Aber die Angestellten werden es Ihnen nicht vergessen, wie Sie sie bisher zurückgehalten haben und sozialrechtlich hinter den Arbeitern haben zurückstehen lassen.

(Beifall bei der SPD. — Widerspruch bei der CDU/CSU. — Abg. Franke [Osnabrück]:: Das haben wir am 14. Juni gesehen. — Zuruf von der CDU/CSU: Das ist doch nicht wahr!)

— Na, daß das wahr ist, merken Sie ja daran, daß Sie jetzt eigene Vorschläge zur Veränderung und Verbesserung machen müssen.
Ich möchte noch eine Bemerkung zu der Möglichkeit machen, die Versicherung auch Angestellten zu eröffnen, die über der Versicherungspflichtgrenze liegen. Sie folgen dem Regierungsvorschlag nur bedingt. Ihr Vorschlag geht dahin, daß in Zukunft, d. h. nach dem 1. Januar 1971, beispielsweise Berufsanfänger — Angestellte, die heute über 1200 DM, im Januar 1971 über 1425 DM verdie-



Killat-von Coreth
nen — die Möglichkeit erhalten sollen, sich beim Berufseintritt innerhalb von sechs Monaten zu entscheiden, ob sie ihren Krankenschutz in einer gesetzlichen Kasse oder in einer Privatkasse suchen wollen. Allen bisher unter die gleichen Bedingungen fallenden Angestellten wollen Sie diese Wahlfreiheit nicht mehr geben. Das sollten Sie einmal bedenken. Der Angestellte, der bis zum Ende des Jahres mit einem Einkommen von 1250 DM monatlich in das Arbeitsleben eintritt, kann nach Ihrem Vorschlag nicht mehr von dem Wahlrecht Gebrauch machen. Aber dem Angestellten — und solche gibt es; Sie können die Anzeigen nachlesen, wo man Diplomingenieure und andere qualifizierte Kräfte sucht —, der nach dem 1. Januar 1971 1500 oder 1600 DM Monatseinkommen hat — ich will den Namen einer Firma nicht nennen, die mit 1600 DM auslost und Studenten werben will —, wollen Sie die Möglichkeit der Entscheidung zur gesetzlichen Krankenversicherung geben. Ich glaube, diese unterschiedliche Behandlung der Angestelltengruppen werden Sie nicht durchhalten. Jedenfalls werden wir Sie im Ausschuß und auch hier im Plenum vor diese Hürde stellen.
Nun möchte ich noch den Punkt „Vorsorgehilfe" kurz behandeln. Wer den § 181 Ihres Gesetzentwurfs liest, kann in der Tat den Eindruck gewinnen, daß Sie für die verschiedenartigsten Tatbestände großzügig Vorsorgemaßnahmen, Vorsorgeuntersuchungen, Vorsorgehilfe gewähren wollen — es ist ein stolzer Katalog —, aber wenn man der Sache auf den Grund geht, hat das Ganze nur deklaratorischen Wert. Denn in dem folgenden § 181 a — der Herr Kollege Schmidt hat schon darauf hingewiesen -wollen Sie dem Arbeitsminister völlig allein überlassen, durch Rechtsverordnung die Art, den Umfang, das Ausmaß der Leistungen, in welchem Lebensalter, wie oft usw. zu regeln.

(Abg. Ruf: Mit Zustimmung des Bundesrates!) — Das steht noch nicht einmal drin.


(Abg. Ruf: Ist denn das etwas Neues? Das ist selbstverständlich!)

Meine Damen und Herren, ich glaube, die Versicherten werden spätestens, wenn sie am Schalter der Krankenkassen stehen, erkennen, daß das nur ein Wunschkatalog, aber nicht ein Rechtsanspruch und ein Rechtstitel ist, den Sie jetzt mit diesem Vorschlag in das Gesetz hineinbringen wollen.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0606425100
Herr Kollege, ich hatte Ihnen wegen der an Sie gerichteten Zwischenfragen einige Minuten zu Ihrer Redezeit zugegeben. Ich wäre Ihnen aber dankbar, wenn Sie jetzt zu Ende kämen.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0606425200
Es wäre sehr interessant, dem nachzugehen —, warum Sie die Einzelheiten im Hinblick auf diese Maßnahmen jetzt nicht in das Gesetz hineinschreiben können. Hier liegen auch wesentliche Versäumnisse aus der Vergangenheit vor. Ich denke z. B. an das, was von Wissenschaftlern im Zusammenhang mit der Sozialenquete von der Regierung — vor Durchleuchtung dieser
Probleme und Fragen — gefordert worden ist, was nicht aufgenommen und auch nicht durch Forschungsaufträge oder entsprechende Maßnahmen geklärt worden ist.

(Abg. Ruf: Warum machen Sie es nicht?)

Deshalb sind Sie dazu nicht in der Lage, und deshalb wollen Sie sich hinter dem Rücken der Bundesregierung verstecken, aber den propagandistischen Erfolg für sich verbuchen. Im übrigen halte ich es für etwas unfair, jetzt zu einem Zeitpunkt, da eine Sachverständigenkommission speziell diese Punkte bearbeitet, einen Vorschlag zu machen. Entweder wollen Sie das Gesetz später in Kraft treten lassen, oder Sie meinen, daß man mit einem solchen Vorgehen, wie Sie es hier vorschlagen, irgendwie durchkommt.
Ich will gar nicht auf den großen Katalog sonstiger wahlloser Vorschläge eingehen. Ich glaube, dazu haben wir im Ausschuß Gelegenheit.
Ich möchte abschließend nur noch einmal feststellen: Die Sozialdemokraten begrüßen die Vorschläge der Regierung, weil die sozialrechtliche Gleichstellung von Angestellten und Arbeitern nunmehr auch den Angestellten den Arbeitgeberzuschuß bringt und diese in Zukunft unabhängig von der Höhe ihres Einkommens die Möglichkeit haben, ihren Krankenversicherungsschutz in der gesetzlichen Krankenversicherung zu finden.

(Abg. Ruf: Auch der Generaldirektor?)

— Natürlich, wenn der Herr Generaldirektor sich dem unterwerfen will, ist das seine Angelegenheit. Aber ich glaube, das ist ein alter Hut, Herr Ruf. Sie sollten ihn gar nicht mehr aufsetzen; er kleidet sie nicht.
Meine Damen und Herren, im übrigen wird es unsere gemeinsame Aufgabe sein, unsere Arbeit im Ausschuß und im Plenum zwar gründlich, aber zeitlich disponiert so zu erledigen, daß wir den Angestellten mit Wirkung vom 1. Januar 1971 die Rechtsvorteile dieser Gesetzesvorlage verschaffen.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)


Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0606425300
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Windelen.

Heinrich Windelen (CDU):
Rede ID: ID0606425400
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Kollege Schellenberg hat die Frage gestellt, wie wir unsere Vorlagen zur Fortführung der Krankenversicherungsreform und unsere Änderungsvorlage zum Bundeskindergeldgesetz denn mit einer verantwortungsbewußten Finanz- und Haushaltspolitik vereinbaren wollten. Meine Damen und Herren, diese Frage gilt, glaube ich, für alle Vorlagen, mit denen wir uns hier heute zu beschäftigen haben, sowohl für die Vorlagen der Regierung der Koalition als auch für die Vorlagen der CDU/CSU. Die CDU/CSU legt Wert auf die Feststellung, daß diese Initiativen selbstverständlich nur im Rahmen solider öffentlicher Finanzen und unter Berücksichtigung der konjunkturellen Notwendigkeiten verwirklicht werden können. Das gilt auch für die von unserer Fraktion eingebrachten Initiativen.



Windelen
Für die Verbesserung des Kindergeldes — sie würde die größten finanziellen Auswirkungen haben
— haben wir seinerzeit erst nach Ausarbeitung eines Deckungsvorschlages unsere Gesetzentwürfe vorgelegt. Wir hatten damals vorgeschlagen, zum finanziellen Ausgleich die von der Regierung vorgesehene Verdoppelung des Arbeitnehmerfreibetrages und den Abbau der Ergänzungsabgabe hinauszuschieben, weil für uns eine fühlbare Verbesserung des Familienlastenausgleiches eindeutig die Priorität vor diesen steuerlichen Verbesserungen hatte.

(Sehr richtig! bei der CDU/CSU.)

Die Bundesregierung hat inzwischen aus konjunkturellen Gründen und zur Deckung anderer Ausgaben bis auf weiteres die steuerlichen Maßnahmen zurückgestellt.

(Zuruf des Abg. Dr. Schellenberg.)

— Natürlich, wir haben hier noch Hilfestellung leisten müssen, weil Sie dazu nicht bereit und nicht in der Lage waren.

(Widerspruch bei Abgeordneten der SPD.)

— Ja, das ist ja wohl den Protokollen zu entnehmen. Sie hätten lieber nicht daran erinnern sollen. Das war nicht gerade ein Ruhmesblatt für Sie.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Wir werden deswegen im Laufe der Beratungen nach anderen Lösungsmöglichkeiten suchen müssen. Das kann aus gesamtwirtschaftlichen Überlegungen notfalls auch zu einer Änderung oder zu einer zeitlichen Streckung unserer Vorstellungen führen.

(Abg. Dr. Schellenberg: Also nicht Inkrafttreten am 1. September dieses Jahres!)

— Ich habe gesagt, wir werden nach Lösungsmöglichkeiten suchen! Wir werden uns unter die Gesamtverantwortung stellen, und wir erklären, daß das im Extremfall auch bedeuten kann, daß wir Änderungen oder Streckungen mit in Betracht ziehen. Wir werden nach Möglichkeit unsere Vorstellungen realisieren und sie in die finanziellen und haushaltsmäßigen Möglichkeiten einordnen.
Der von der Regierung vorgelegte Finanzplan gibt sicherlich auch dem Parlament wertvolle Anhaltspunkte für die Prüfung der hier zu entscheidenden Fragen, aber wir müssen gleichwohl darauf hinweisen, daß der Finanzplan der Regierung nicht ohne weiteres als Grundlage für die Beurteilung der Anträge auch der Opposition angesehen werden kann. Der Finanzplan ist ein Programm der Regierung und vielleicht der die Regierung tragenden Koalitionsfraktionen, nicht aber ein Programm der Opposition. Die Opposition hat durchaus ihre eigenen Vorstellungen von den Prioritäten und von den Schwerpunkten im öffentlichen Haushalt. Unter allen Umständen lehnt die CDU/CSU-Fraktion aber eine bloße Gefälligkeitspolitik ab, weil eine solche, wenn überhaupt, allenfalls auf kurze Sicht Vorteile bringt, sich auf lange Sicht aber nicht auszahlt.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU.)

Die CDU/CSU wird deswegen bei der Verwirklichung ihrer Prioritätsentscheidungen sorgfältig
darauf achten, daß die Möglichkeiten des Haushaltes
nicht überschritten werden. Die von uns vorgelegten Initiativen sollen keineswegs mehr Kosten als die von der Regierung insgesamt vorgesehenen Maßnahmen bringen, sie sind alternativ zu den Vorstellungen der Regierung zu verstehen.

(Beifall bei der CDU/CSU. — Abg. Dr. Schellenberg: Da sind wir sehr gespannt, was Sie bringen, Herr Windelen!)


Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0606425500
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Kalinke.

Margot Kalinke (CDU):
Rede ID: ID0606425600
Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Wer ein Jahrzehnt die Debatte um Probleme der Krankenversicherung in diesem Hause verfolgt hat, müßte tieftraurig sein über das Niveau, das heute die Regierungspartei, die große Sozialdemokratische Partei, hier deutlich gezeigt hat. Und wenn der Herr Arbeitsminister
— die Herren Kollegen Killat und Schellenberg haben ihn noch unterstützt — vom Begriff der „inneren Reformen" gesprochen hat, so kann ich für meine Freunde nur sagen, daß wir von inneren Reformen, von Plänen in die Zukunft, von gestaltenden Vorschlägen in einer Gesellschaft, die in einer veränderten Welt lebt, nichts gehört haben.

(Abg. Dr. Schäfer — Nichts gehört haben, Herr Kollege! Ich sprach ganz klar. Statt einer wirklichen Reformdiskussion kam es mir so vor, als wollten Sie jetzt schon für kommende Landtagswahlkämpfe plakatieren: „Wenn am Rhein die Sonne lacht, hat das die SPD gemacht." (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU. — Zurufe von der SPD: Sehr richtig! — — Bravo!)

— Sie sehen, ich liefere Ihnen die Plakattitel ehrenamtlich. Sie dürfen sicher sein, wir werden darauf antworten und Ihnen keine Antwort schuldig bleiben.

(Zurufe von der SPD.)

Herr Minister, die Sache ist viel zu ernst, als daß wir sie mit billigen Scherzen abtun sollten.

(Abg. Dr. Schellenberg: Ach so!)

— Dies war für mich kein Scherz, Herr Schellenberg, und keine Schauspielkunst!

(Zurufe von der SPD.)


Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0606425700
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Schmidt?

(Weitere Zurufe von der SPD.)


Margot Kalinke (CDU):
Rede ID: ID0606425800
Es war für mich kein Scherz und keine Schauspielkunst, sondern eine ganz ernste Frage an die Regierungsparteien, wie der weitere Teil der inneren Reformen aussieht. wie sich die Regierung die Gesellschaftspolitik der 80er Jahre vorstellt und was sie zu der brennenden Frage



Frau Kalinke
der Reform der Krankenversicherung anzukündigen hat.

(Abg. Dr. Schäfer „erfolgreich" angepackt haben!)

Ich stimme dem Kollegen Schmidt und dem Kollegen Katzer zu, daß es wichtiger ist und daß unser deutsches Volk ein Recht darauf hat, zu hören, was wir in die Zukunft hinein nun endlich tun wollen, nachdem die Krankenversicherungsreform an so viel Widerstand — der nicht aus unseren Reihen kam — gescheitert ist.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0606425900
Frau Abgeordnete Kalinke, Herr Abgeordneter Schmidt hatte um eine Zwischenfrage gebeten.

Margot Kalinke (CDU):
Rede ID: ID0606426000
Aber bitte schön, selbstverständlich.

Hansheinrich Schmidt (FDP):
Rede ID: ID0606426100
Die Stelle ist jetzt schon etwas vorüber, Frau Kollegin. Ich wollte nur fragen, ob Sie wissen, daß Sie mit Ihrem vorhin gebrachten Slogan in Richtung SPD eine Anleihe in Bayern gemacht haben, weil dieser Spruch dort schon lange lautet: Wenn morgen früh die Sonne lacht, dann hat's die CSU gemacht.

(Heiterkeit.)


Margot Kalinke (CDU):
Rede ID: ID0606426200
Ach so! Sie sehen: Für das, was die Parteien trennt, gibt es klare Formen des Ausdrucks. Für das, was die Parteien einen könnte, gibt es viele Möglichkeiten; und einige haben wir ja heute besprochen. Ich bestätige Ihnen gern, Herr Kollege Schmidt — und warum sollten wir es auch nicht dem hier leider so kleinen Kreis Ihrer Freunde bestätigen —, daß Sie einen Erfolg erzielt haben mit einem Antrag, gegen den wir nicht deshalb waren, weil wir nicht den Arbeitgeberanteil für die Angestellten wollten, sondern weil es ein lange diskutiertes Problem war, ob der Arbeitgeberanteil als Teil des Lohnes nicht in die Tarifpolitik gehöre statt in die RVO. Daß wir nun, nachdem die Tarifpartner die Probleme nur unvollkommen, nur zum Teil und nur zu langsam lösen konnten und nachdem leider auch ein Teil der Gewerkschaften sich lange dagegen gewehrt hat, dieses wichtige Problem im Zuge der Tarifpolitik zu lösen, heute hier einer Meinung sind, sollten wir gemeinsam als positiv betrachten.
Herr Kollege Schmidt, es ist erfreulich, daß Sie nur von 1969 bis 1970 zu warten brauchten, um Ihren Antrag durchzusetzen. Ich habe schon im Jahre 1957 von der Dynamisierung gesprochen, nachzulesen im Protokoll. Das wissen Sie. Ich habe gesagt: „Wenn, dann für alle, auch für die Kriegsopfer!" Lesen Sie es bitte nach, und Sie werden es mir bestätigen. Aber Sie sehen, ich habe etwas länger warten müssen als Sie. Vielleicht mag Ihnen das ein Trost sein, daß auch eine kleine Gruppe erfolgreich sein kann.
Positiv sollten wir auch in die Zukunft hinein sehen, daß durch das gemeinsame Bekenntnis aller Fraktionen dieses Hauses zur möglichen Dynamisierung der Versicherungspflichtgrenze der leidige
Streit um ihre Anpassung hoffentlich, Herr Killat, nun endlich zu Ende ist.

(Abg. Killat-von Coreth: Der Streit um die Anpassung ja!)

Die Zukunft, Herr Minister und meine Kollegen, wird Reformen erzwingen. Wir sollten diese Reformen nicht verbauen.
Sie haben hier das Programm der CDU zitiert. Ich stelle hier eine Übereinstimmung in allen Aussagen meiner Freunde fest, die dahin geht, daß ohne Kostenklarheit und ohne Kostenwahrheit soziale Versprechungen nicht gemacht werden dürfen! Ich hoffe, daß wir diese Übereinstimmung eines Tages auch in diesem Hause haben werden. Wir müssen und sollten darin einig sein, daß in Zukunft Gesundsein und Gesundbleiben ohne Vorsorge und ohne geänderte Verhaltensweisen genausowenig durchsetzbar sind wie Gesundwerden ohne Mehrengagement in den Kosten und ohne mutige Reformen, auf die viele seit der Verabschiedung des Lohnfortzahlungsgesetzes warten.
Wir haben in allen 3 Fraktionen gemeinsam eine Entwicklung begrüßt, von der ich meine, daß sie nun eine andere Debatte auslösen wird: hoffentlich nicht mehr die der Versicherungspflichtgrenze, sondern die einer gerechteren Festsetzung der Beitragsbemessungsgrenze. Meine Fraktion begrüßt es, daß die Beitragsbemessungsgrenze mit der Versicherungspflichtgrenze gleichgesetzt wird und daß damit auch die Beitragsgestaltung auf dem Wege zur sozialen Gerechtigkeit angesichts der immer höher verdienenden Arbeitnehmer eine gerechtere wird. Damit sollte aber auch über dieses Thema der politische Streit beendet sein.
Herr Kollege Schellenberg hat meinem Kollegen Franke vorgeworfen, hier „eine politische Phrase" zitiert zu haben. Dagegen muß ich mich verwahren. Wir in der Christlich-Demokratischen Union sind der Meinung, daß es bei der Gestaltung der Gesellschaftspolitik auch morgen nicht ohne ethische Prinzipien gehen wird. Zu diesen Prinzipien der Subsidiarität im Sinne katholischen Verständnisses und der Sozialethik im gleichen Sinne evangelischen Verständnisses bekennen wir uns auch in diesem Jahrzehnt. Wir meinen, daß soziale Gerechtigkeit ohne Anwendung solcher Prinzipien auch morgen nicht zu verwirklichen sein wird.
Wenn wir uns klarmachen, wie hoch die Einkommen im Jahrzehnt der Diskussionen über dieses Thema gestiegen sind, dann sind, glaube ich, alle diejenigen schlecht beraten, die von einem höheren Schutzbedürfnis sprechen. Wir wissen, daß das Sicherungsbedürfnis vorhanden ist, daß aber seine Befriedigung auf sehr verschiedenem Wege möglich ist, wobei im Bereich der sozialen Sicherung der Freiwilligkeit und der Selbstverantwortung weit mehr Raum gegeben werden sollte, als es bisher der Fall war.

(Abg. Ruf: Sehr gut!)

Ich habe von dem Herrn Minister leider kein Wort darüber gehört, daß die künftigen inneren und äußeren Reformen, die ja wohl nicht zu trennen sind, eingebettet sein werden in die großen Zusammen-
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 64. Sitzung, Bonn, Mittwoch, den 16. September 1970 3563
Frau Kalinke
hänge der Wirtschafts- und Sozialpolitik, der Leistungsfähigkeit der Wirtschaft, der Möglichkeiten, daß unsere mittelständische Wirtschaft gesund bleibt, der Möglichkeiten, daß sie die wachsenden Beitragslasten aufbringen kann. Ich vermisse den Hinweis auf die Zusammenhänge mit all denen, die sich als Ärzte und Zahnärzte gegen die geplante Meinung von der Reform der gesetzlichen Krankenversicherung in bezug auf den angestrebten Weg wehren, und ich vermisse die Rücksichtnahme auf diejenigen, die sich als Arbeitnehmer zu Recht Sorgen und Gedanken um das Problem der Krankenhausfinanzierung machen und die in dieser Frage in einem Boot sitzen. Deshalb, Herr Minister, wäre es gut, wenn wir uns verständigen könnten, daß wir, wenn Sie von Benachteiligung sprechen, immer daß Ganze sehen, zu dem wir als Abgeordnete verpflichtet sind. Eine falsch verstandene soziale Gerechtigkeit für alle — das hat Herr Kollege Franke richtig gesagt — kann sogar höchst ungerecht werden, wenn wir uns nicht sehr deutlich machen, wo die Grenzen der staatlichen Verantwortung und unserer Verantwortung in diesem Hause sind. Eine Gesellschaft, die bei den Reformproblemen von morgen auch im Zusammenhang mit der Krankenversicherung nicht an das denkt, was an finanziellen Lasten auf uns zukommt, würde sehr unverantwortlich handeln.
Der soziale Ausgleich gehört zum Wesen der gesetzlichen Krankenversicherung. Aber niemand wird mir bestreiten, daß dieser Solidarausgleich längst gestört ist und daß er noch mehr gestört werden würde, wenn die Grenzen der Solidarhaftung weiter in die Richtung, wie sie Herr Killat hier angedeutet hat, in eine ungerechte und nicht soziale Richtung verschoben würden, wobei der Arme für den Wohlhabenden zahlt und Gerechtigkeit in der Beitragsgestaltung nicht mehr vorhanden wäre. Man kann nicht von sozialer Gerechtigkeit sprechen, wenn man der armen Witwe und der geschiedenen Frau oder dem kinderreichen Familienvater 9 % Krankenkassenbeitrag abnimmt und dem Arbeitgeber, der dann freiwillig weiterversichert ist — wobei ich nicht nur an den Generaldirektor, sondern auch an den Staatssekretär und alle anderen freiwillig Versicherten denke —, nur 2 oder 3 % seines Einkommens für die gleichen Leistungen abnimmt.
Mit diesem kleinen Hinweis möchte ich Ihnen ein Problem zum Prüfen und Nachdenken über „Solidarität" geben, zum Nachdenken auch über die Grenzen staatlicher Sozialpolitik und über die Grenzen der Auffassung von der Egalität, von der Gleichbehandlung aller. Bei steigenden Einkommen und einer wachsenden Wohlstandsvermehrung, die Sie der CDU heute ja wohl nicht als Ergebnis ihrer 20 Jahre gut geführten Wirtschaftspolitik vorwerfen wollen,

(Beifall bei der CDU/CSU)

als Ergebnis einer fast vollendeten sozialen Sicherung, die kein anderes Land in gleichem Maße anzubieten hat, haben wir uns Gedanken zu machen, wie wir demjenigen mehr helfen könen, der heute noch durch die Maschen der Sozialgesetzgebung
fällt, und wie wir denjenigen zu mehr Verantwortung heranziehen können, der sich heute auch in Sozialversichertengemeinschaften hineinschleichen möchte, für die er keinen solidarischen Beitrag geleistet hat. Ich habe den Mut, das ganz offen auszusprechen.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Herr Killat, Sie haben an dieser Stelle gesagt, was Sie unter Volksversicherung verstehen. Ich bin für diese Aussage sehr dankbar, muß Ihnen aber antworten, daß Sie, der Sie ja wie der Kollege Schellenberg die Entwicklung und auch die großen Auseinandersetzungen von der Versicherungsanstalt Berlin bis zur Einheitskasse in der französischen Besatzungszone erlebt haben, eigentlich wissen sollten, daß diejenigen, die den umfassenden Versicherungszwang für alle fordern, die das ganze Volk in eine staatliche Versicherung einbeziehen wollen, genau den Weg vorbereiten, den sie angeblich verhindern wollen, nämlich die Beseitigung der gegliederten Krankenversicherung, nämlich die Beseitigung der Vielfalt mit dem Ziel einer Einheitseinrichtung, die dann keinem mehr das Notwendige, sondern jedem nur zuwenig geben kann. Sie sollten aus den Modellen und der Geschichte lernen. Wir alle sollten aus der Geschichte der Sozialpolitik lernen, daß wir nicht allen Menschen das gleiche geben können, sondern daß wir, wenn wir jedem ein hohes Maß sozialer Sicherheit geben wollen, auch von jedem einen gerechten Anteil des Preises dafür fordern müssen.
Der Herr Minister war der Meinung, daß es ja nur um die Angestellten ginge. Auch mir geht es ganz besonders um die Angestellten, weil das eine Gruppe ist, in der ich besonders beheimatet bin. Aber ich meine, daß nicht alle Angestellten Sozialversicherte sind und daß wir als Abgeordnete genauso an die Beamten in der privaten Krankenversicherung, an die Selbständigen und an die Angehörigen der freien Berufe denken müssen. Wenn Sie meinen, daß die Ausweitung des Versicherungszwangs und der Versicherungsberechtigung diese Versichertengemeinschaften nicht betrifft, wenn Sie meinen, daß wir nur um die Beitragsentwicklung in der gesetzlichen Krankenversicherung besorgt sein müßten, dann bitte ich Sie, zu bedenken, daß wir auch sehr besorgt sein müssen um die Risikogemeinschaften der Versichertengemeinschaften, der privaten Krankenversicherungen, die unter der gleichen staatlichen Aufsicht, unter dem gleichen staatlichen Schutz stehen und die nicht notleidend werden dürfen.

(Abg. Ruf: Sehr richtig!)

Sie sprechen zu oft von gleichen Chancen und von Wahlfreiheit. Es wird in der weiteren Diskussion zu klären sein, was Sie, Herr Killat, und Ihre Kollegen und was wir unter Wahlfreiheit verstehen. Wer Wahlfreiheit nur einmal will, der will nicht die wirkliche Freiheit und Entscheidung des Staatsbürgers.

(Lachen bei der SPD.)

Wer aber — wie Sie, Herr Killat, und ihre Freunde
— sagt: „Öffnung für alle zum Schutz aller" und
dabei nicht an die Vertragspartner denkt, der will



Frau Kalinke
nicht das Maß an Freiheit, auch nicht das Maß an Freiheit, das Sie hier gegenüber Ärzten, Zahnärzten und Heilberufen ausgedrückt haben. Das ist dann eine halbe Wahrheit, und hieran werden wir auch die Entscheidung im Ausschuß messen.
Wer die Krankenhausprobleme lösen will, darf nicht übersehen, daß die Privatpatienten heute mithelfen, das Defizit in manchem Krankenhaus abzubauen.

(Sehr richtig! bei der CDU/CSU. — Abg. Geiger: Umgekehrt, Frau Kollegin!)

— Das ist nicht umgekehrt, sondern Sie haben, wenn Sie das sagen, wirklich ganz wenig Ahnung von den Dingen. Lassen Sie sich einmal von Ihren sachverständigen Leuten in den Ländern sagen, wie das wirklich ist!

(Beifall bei der CDU/CSU. — Zurufe von der SPD.)

Aber Sie können ja Mögliches heute hinzulernen; ich wünsche es Ihnen.
Meine sehr verehrten Kollegen, die Reform der Krankenversicherung, wie sie hier im Zusammenhang mit der Lohnfortzahlung wieder angesprochen worden ist, muß erfolgen, und sie darf nicht unvollendet bleiben. Sie wird nur dann gelingen, wenn die Selbstverantwortung, die Mitwirkung und die Mitverantwortung der Versicherten nicht nur in den Selbstverwaltungsorganen, sondern hier im Parlament mehr Möglichkeiten bekommen, die wir alle im Interesse der Erhaltung der Freiheit und der Sicherheit wünschen und durchsetzen sollten.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0606426300
Frau Kollegin, ich darf Sie auf den Zeitablauf aufmerksam machen.

Margot Kalinke (CDU):
Rede ID: ID0606426400
Ja, ich kann gleich aufhören; ich kann mich ja notfalls nochmals melden.

(Lachen und Zurufe von der SPD.)

— Ja, natürlich.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0606426500
Frau Kollegin, diese Freude können Sie natürlich dem Haus jederzeit bereiten.

(Heiterkeit und Beifall.)


Margot Kalinke (CDU):
Rede ID: ID0606426600
Lassen Sie mich aber an dieser Stelle als Antwort auf Diskussionsbeiträge
— und nur das war mein Beitrag — noch dies eine sagen: Lassen Sie uns gemeinsam daran arbeiten, daß wir die Chancen für notwendige Reformen nicht verpassen.

(Abg. Killat: Wir sind ja dabei!)

Das heutige System ist weder fortschrittlich noch wirtschaftlich. Wer nur die Organisation oder nur die Versicherungspflichtgrenzen sieht, wer nicht die Fragen der Freiheit mit in sein Kalkül einbezieht, der sollte in diesem Hause spätestens heute bedenken, wo die Grenzen des sozialstaatlichen Prinzips, wo die Rechte und Pflichten, die uns die Verfassung vorschreibt, überhaupt zu finden sind.
An dem Ausgleich sozialer Spannungen im Sinne von Gerechtigkeitsvorstellungen haben wir zwei Jahrzehnte in diesem Hause vorbildlich gearbeitet, und Sie sollten es sich nicht so billig machen, Männer und Frauen der CDU anzugreifen, deren Leistung und Mitverantwortung für das hohe Maß der sozialen Sicherheit und Entspannung, das Jahre hindurch bestanden hat, gesorgt haben,

(Abg. Schulte [Unna] : Jetzt reicht es langsam!)

Ich meine jene Entspannung, die die großen und unvermeidbaren Spannungen ohne Streiks, ohne Schwierigkeiten gelöst hat, vor allem ohne Sorge, was man für die Rente von morgen wird kaufen können, und ohne Sorge um eine Entwicklung, wie wir sie heute zu verzeichnen haben.

(Abg. Dr. Schellenberg: Sie waren gegen die dynamische Rente, Frau Kalinke!)

— Ach, lesen Sie doch nach, was ich dazu gesagt habe!

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0606426700
Frau Kollegin, ich habe Ihnen schon etwas zusätzliche Zeit zugebilligt. Ich wäre Ihnen dankbar — der Ablauf der Tagesordnung verlangt die Einhaltung der Geschäftsordnung —, wenn Sie jetzt zum Schluß kämen.

Margot Kalinke (CDU):
Rede ID: ID0606426800
Herr Präsident, ich möchte diesen Diskussionsbeitrag mit der Warnung eines Philosophen schließen, von dem Sie, Herr Schellenberg, auch noch lernen könnten, und das ist Herr Lichtenberg aus Göttingen.

(Abg. Dr. Schellenberg: Sie haben gegen die Rentenreform gestimmt! — Weitere lebhafte Zurufe von der SPD.)

— Laut kann ich auch sein!

(Zurufe von der SPD: Noch ein bißchen lauter!)

Sie sollten von ihm lernen, daß die Klugheit daran gemessen werden wird, wie Sie an das Morgen und wie Sie an die Zukunft denken, und darauf allein kommt es an!

(Beifall bei der CDU/CSU. — Weitere Zurufe von der SPD.)


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0606426900
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Geiger.

Hans Geiger (SPD):
Rede ID: ID0606427000
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es fällt mir ein bißchen schwer

(Zuruf von der CDU/CSU: Das glaube ich! — Heiterkeit bei der CDU/CSU)

bei meiner angeborenen Höflichkeit, jetzt das Wort zu ergreifen, nachdem Frau Kollegin Kalinke so fundamentale Dinge ausgesprochen hat. Es fällt mir auch deswegen schwer, weil ich keine so laute und vol._ allem keine so durchdringende Stimme habe wie sie.

(Zuruf von der CDU/CSU: Viel zu laut!)




Geiger
Meine Damen und Herren, selbstverständlich bin ich gerne bereit, hinzuzulernen, und dieser Empfehlung versuche ich nachzukommen. Ich wäre Ihnen aber dankbar gewesen, Frau Kollegin Kalinke, wenn Sie diese Empfehlung nicht nur an mich, sondern heute an die Kolleginnen und Kollegen ganz besonders in Ihrer Fraktion weitergegeben hätten. Denn ein Prozeß des Umlernens — wenn ich es ganz vorsichtig ausdrücken will — ist ganz sicher im Gange. Und deswegen, Frau Kollegin Kalinke, könnte man wirklich traurig sein, daß dieses Umlernen und Umdenken in Ihren eigenen Reihen nicht schon früher begonnen hat.
Wenn Sie, meine sehr verehrten Damen und Herren, so nett davon sprechen — ich will über die Urheberschaft in dem Falle nicht streiten, Herr Kollege Schmidt; Sie haben ja festgestellt, morgen wird übers Urheberrecht gesprochen —,

(Zuruf von der CDU/CSU: Übermorgen!)

wenn ,Sie also so nett davon sprechen: „Wenn über dem Rhein die Sonne lacht, dann hat's die CDU gemacht", dann ist das ein sehr falscher Slogan. Sie sagten es umgekehrt, Sie meinten es aber ganz bestimmt so. Aber darf ich Sie daran erinnern, meine sehr verehrte Frau Kollegin Kalinke, und Sie, meine sehr verehrten Damen und Herren von der CDU/ CSU: es gab schon einmal einen solchen Ausspruch, über den Sie gelacht haben, obwohl man ein wirkliches Übel festgestellt hat. Es war der heutige Bundeskanzler, der die Forderung aufgestellt hat, über dem Ruhrgebiet müsse der Himmel wieder blau werden. Erst heute kann man damit beginnen und es hoffentlich auch bald erreichen, daß über dem Ruhrgebiet einmal wieder der blaue Himmel lacht.
Dort haben Sie genauso, wie Sie es heute tun, diese Notwendigkeit negiert und versucht, über die Dinge hinwegzukommen, wie Sie das im übrigen immer tun.
Frau Kollegin Kalinke geht auch davon aus, daß sie schon 1957 von der Dynamisierung gesprochen habe. Sehen Sie, meine Damen und Herren, das unterscheidet uns nicht nur von der Kollegin Kalinke, sondern von der CDU/CSU: daß Sie davon gesprochen haben, während wir die Dinge verwirklichen wollen und zu einem großen Teil verwirklicht haben.

(Zuruf des Abg. Katzer.)

— Ich komme zu Ihnen noch, Herr Kollege Katzer. — Frau Kollegin Kalinke, Sie sagen, daß die Reform der Krankenversicherung nicht durch das Verschulden der CDU so lange hinausgeschleppt und verhindert worden sei.

(Zuruf von der CDU/CSU: So ist es!)

Ich nehme an, Sie meinen auch die CSU dabei. Aber Sie sprachen doch davon und wissen, daß Sie 1957 die absolute Mehrheit hatten und daß damals in Ihrer Regierungserklärung die Absicht festgehalten worden ist, die Reform der Krankenversicherung durchzuführen. Wer hat Sie denn damals daran gehindert? Und wo blieb denn da die mutige Reform? Ist dieser Mut zur Reform, den Sie ansprechen, darin begründet, daß der Kollege Blank das ganze
Sozialpaket fast zehn Jahre lang immer wieder vorgelegt hat? Hat denn dieses Sozialpaket einen mutigen Ansatz zur Reform gehabt, und ist denn das, was Sie heute darlegen, nicht gerade das Gegenteil von dem, was Sie zehn Jahre lang wollten?
Sie legen heute in Ihrem Gesetzentwurf, meine sehr verehrten Damen und Herren, die Vorsorgeleistungen fest. Sie wissen doch noch, daß Sie die Belastung beim Krankenhausaufenthalt und eine ganze Reihe anderer Dinge für den versicherten Kranken einführen wollten, und zwar nicht nur für denjenigen, Herr Kollege Müller, der den vollen Lohn weiter erhalten hat, sondern grundsätzlich für jeden in den ersten sechs Wochen.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0606427100
Herr Kollege Geiger, erlauben Sie eine Zwischenfrage der Frau Abgeordneten Kalinke?

Hans Geiger (SPD):
Rede ID: ID0606427200
Bitte!

Margot Kalinke (CDU):
Rede ID: ID0606427300
Herr Kollege Geiger, ist Ihnen bei Ihrem historischen Rückblick entgangen, daß damals der Deutsche Gewerkschaftsbund wegen 1,50 DM Selbstbeteiligungsbeitrag auf die Barrikaden ging und Sie ihm wohl applaudiert haben? Und ist Ihnen weiter entgangen, Herr Kollege Geiger, daß Sie bei den neuen Plänen der Krankenhausfinanzierung die Sozialversicherten und die Träger der gesetzlichen Krankenversicherung zur Kasse bitten müssen und daß das mehr sein wird als die Selbstbeteiligung, die wir damals überlegt haben?

Hans Geiger (SPD):
Rede ID: ID0606427400
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Frau Kollegin Kalinke! Natürlich wird der Deutsche Gewerkschaftsbund immer seine eigenen Vorstellungen haben. Er braucht heute aber nicht mehr auf die Barrikaden zu gehen, weil wir seinen Forderungen weitgehend entgegengekommen sind, während Sie umgekehrt gerade die Versicherten und die Arbeitnehmer im Falle der Inanspruchnahme der Versicherung im Falle der Krankheit zusätzlich belasten wollten. Das ist doch eine Veränderung. Im übrigen hätte es ja auch dem Kollegen Franke gut getan, wenn er ein bißchen einen solchen Rückblick getan und daran gedacht hätte, was für eine leidvolle Geschichte die Krankenversicherungsreform in diesen letzten zwölf Jahren erlebt hat.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich es ein bißchen spitzfindig sagen: Man hört ja fast das Aufschnaufen derjenigen Kolleginnen und Kollegen, die Mitglied der Sozialausschüsse der CDU/CSU sind, daß sie jetzt endlich einmal auch ihre Gedanken losbringen können, die sie seither immer nur im eigenen Schoß ausgebrütet haben, die aber nie zur Verwirklichung gekommen sind. Jetzt versuchen sie, das nachzuholen, was sie selbst durchzuführen nicht imstande waren. Und warum denn? Weil jetzt die Chance, daß das auch durchgesetzt wird, wesentlich größer ist als zu der Zeit, als Sie noch die absolute Mehrheit hatten.



Geiger
Herr Kollege Katzer, es ist bereits festgestellt worden, daß auch Sie in Ihrer Regierungszeit keine wesentlichen Reformen durchführen konnten. Was geleistet worden ist, ist nicht zuletzt in der Großen Koalition noch einmal verbessert worden. Aber die leidvolle Geschichte der Kranken-Versicherungspflichtgrenze kennen Sie selbst.

(Abg. Katzer: Ich kenne auch das Ringen um die Lohnfortzahlung!)

Die Fraktionen mußten Anträge einbringen, die sozialdemokratische Fraktion voran. Sie konnten weder in Ihrer Fraktion noch im Kabinett Ihre eigenen Vorstellungen durchsetzen. Erst heute ist Ihnen das möglich, nachdem Sie die Verantwortung für die Dinge nicht mehr selbst tragen. Das, so meine ich, meine sehr verehrten Damen und Herren, muß auch an einem solchen Tag einmal dargelegt werden.
Und wenn Sie, Frau Kollegin Kalinke, davon ausgehen, daß bei einer Reform im sozialen Bereich auch ethische Vorstellungen zu werten sind, ist das voll zu unterstreichen. Wir meinen aber nicht die von Ihnen geprägten ethischen Vorstellungen, die wir gar nicht unter diesen Begriff fassen. Wir meinen, daß auch die Solidarität eine solche ethische Vorstellung ist und daß es Rechtens ist, wenn mehr Menschen das gemeinsame Schicksal solidarisch miteinander tragen und nicht zuletzt die Kriegsfolgen und die Kriegslasten miteinander zu tragen haben.

(Beifall bei der SPD.)


(V o r sitz : Vizepräsident Frau Funcke.)

Natürlich hätten Sie es gern, wenn Sie Wahlfreiheit hätten, so daß derjenige, der heute in die Versicherung hineinkommt, morgen, wenn ihm dieses Risiko zu hoch erscheint, austreten und übermorgen wieder eintreten könnte. Das aber meinen wir nicht, sondern wir meinen die wirkliche Solidarität, bei der jeder in der Gemeinschaft steht und seinen Beitrag dazu leisten muß. Das ist unsere Festlegung.
Wenn Herr Kollege Windelen — damit auch das nicht vergessen wird — als Mann des Haushalts, der diese Dinge lange Zeit betrieben hat, davon sprach, daß Sie keine Gefälligkeitspolitik betreiben wollen, so dürfen wir das voll unterstreichen. Aber wir erinnern Sie auch an folgendes: was war es denn anderes als Gefälligkeitspolitik, was ganz bestimmte Kreise in den Jahren getan haben, als Sie die Krankenversicherungsreform verhinderten und unseren Vorstellungen nicht zustimmten.
Geehrte Frau Kalinke, ich will den Irrtum aufklären, als ob Privatpatienten die Krankenhäuser im wesentlichen tragen würden und ihre Finanzkatastrophe damit verbessert würde. Das Umgekehrte ist der Fall: es ist nachgewiesen, daß die kostenlose Inanspruchnahme vieler Räume und von Personal keinen Vorteil, sondern eine Benachteiligung und einen wirtschaftlichen Schaden für die Krankenhäuser bringt.

Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0606427500
Gestatten Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten Frau Kalinke?

(Zurufe von der SPD.)


Margot Kalinke (CDU):
Rede ID: ID0606427600
Sind Sie bereit, Herr Kollege, hier vor dem Hause die Behauptung zu beweisen, daß Privatversicherte die Defizite verursachen und nicht mit zu ihrer Deckung beitragen? Bisher tragen die Privatversicherten, nämlich die Privatpatienten, immer noch erheblich zur Deckung der Defizite der Krankenhäuser bei. Sie dürfen das Gegenteil nicht behaupten, und ich fordere Sie auf, hier zu sagen, ob Sie in der Lage sind, zu beweisen, daß das anders ist.

Hans Geiger (SPD):
Rede ID: ID0606427700
Sind Sie bereit, Frau Kollegin Kalinke, anzuerkennen, daß die kostenlose Zurverfügungstellung von Einrichtungen und Personal für die Chefärzte für die Behandlung von Privatpatienten in den Krankenhäusern keine finanzielle Bereicherung, sondern eine Last darstellt?

(Zurufe von der CDU/CSU: Das ist doch eine andere Frage!)

Darüber brauchen wir nicht zu streiten; das läßt sich auch nachweisen.

Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0606427800
Herr Kollege, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage der Frau Kollegin Kalinke?

Hans Geiger (SPD):
Rede ID: ID0606427900
Bitte sehr, Frau Präsident!

Margot Kalinke (CDU):
Rede ID: ID0606428000
Haben Sie schon einmal etwas davon gehört, daß die Privatpatienten — ich nehme an, Sie sind auch einer, wenn Sie ins Krankenhaus gehen —, wenn Sie in der zweiten oder ersten Klasse liegen, nicht nur die Differenz zwischen den verschiedenen Pflegekosten der II. oder III. Klasse, sondern auch noch die Arztkosten, und in den meisten Fällen die Benutzungskosten für die Operationsräume mit bezahlen müssen? Lassen Sie sich in dieser Frage doch einmal von Kommunalpolitikern und Sachverständigen nachhelfen!

Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0606428100
Frau Kollegin Kalinke, wir wollen nur fragen!

Hans Geiger (SPD):
Rede ID: ID0606428200
Frau Kollegin Kalinke, ich habe natürlich davon gehört. Sie allein sind gar nicht so hellhörig. Aber schon Ihre Einschränkung „in den meisten Fällen" zeigt, daß Sie sich auf unsicheren Beinen bewegen. Das trifft nicht zu.

(Zuruf von der CDU/CSU: Diese Beine stehen! Weitere Zurufe von der CDU/CSU.)

Frau Kollegin Kalinke, es ist etwas anderes, ob ich zusätzlich Arztkosten bezahlen muß oder ob ich die Kosten, die für die Errichtung und Unterhaltung des Krankenhauses entstehen, anteilmäßig mittrage, und das ist nicht der Fall.



Geiger
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir wollen mit der Vorlage dieses Gesetzes — Veränderung der Krankenversicherungspflichtgrenze — einen Schritt vorwärts tun auf dem Wege weiterer sozialer Reformen. Wir stimmen ihm deshalb zu und sind dem Arbeitsministerium dafür dankbar, daß das, was in der Regierungserklärung angekündigt wurde, jetzt verwirklicht wird.

(Beifall bei den Regierungsparteien. — Zuruf der Abg. Frau Kalinke.)


Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0606428300
Das Wort hat der Abgeordnete HärzscheL

Kurt Härzschel (CDU):
Rede ID: ID0606428400
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lassen Sie mich ein paar Bemerkungen zu dem machen, was der Kollege Schellenberg gesagt hat, und auch zu dem, was der Kollege Geiger jetzt noch ausgeführt hat.
Herr Kollege Schellenberg, ich habe mir überlegt, wie man eigentlich einmal eine Politik machen könnte, die Ihnen gefällt.

(Abg. Dr. Schellenberg: Die macht die Regierung gerade!)

Wenn wir Ihren Forderungen nicht entgegenkommen, dann sind wir unsozial; wenn wir fortschrittlicher als Sie sind, dann gefährden wir den Haushalt! Ihnen kann man es eigentlich nie recht machen.

(Abg. Dr. Schellenberg: Weil Sie haushaltspolitisch und konjunkturpolitisch sowie bei der Stellung von Anträgen mit zwei Zungen reden!)

— Nein, nein! Ich glaube, der Kollege Vogt hat Ihnen sehr deutlich gemacht, daß wir nicht mit zwei Zungen reden.
Im übrigen, Herr Kollege Schellenberg, wenn ich mir vergegenwärtige, daß einmal alle Anträge, die Sie in der Opposition gestellt haben, auf den Tisch gelegt würden, so meine ich, daß Sie dann nicht mehr mit so erhobenem Haupte sagen könnten, wir würden eine unsolide Politik betreiben.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Ich glaube, daß wir jedenfalls mit unseren Anträgen sehr bescheiden und verantwortungsbewußt auch im Hinblick auf den Haushalt sind.

(Abg. Liehr: Es geht ja auch nur um ein paar lausige Millionen!)

Eines möchte ich auch zum Kollegen Geiger sagen. Wir haben bei der Gleichstellung der Arbeiter mit den Angestellten in erster Linie dieses große Ziel verfolgt, und das haben wir als Reform bezeichnet, nicht all die kleinen Dinge, die Sie jetzt als Reformen bezeichnen. Man muß bald glauben, wir seien im Reformhaus; alles, was Sie tun, sind „Reformen". Reformen waren in der vergangenen Legislaturperiode das Arbeitsförderungsgesetz und die Gleichstellung der Arbeiter mit den Angestellten. Unter Reformen verstehe ich, daß Gesetzeswerke etwas völlig Neues bringen.

(Abg. Dr. Schellenberg: Die Gleichstellung der Angestellten mit den Arbeitern ist auch Reform! — Abg. Killat-von Coreth: Fragen Sie mal die Angestellten, was die davon halten! Abg. Katzer: Eine Weiterführung!)

Bei dieser Gleichstellung mußten wir auch die Belastung der Wirtschaft sehen. Das können Sie doch nicht leugnen. Wir waren uns bewußt, daß wir die Reform weiterführen müssen, und wir haben jetzt die Konsequenzen gezogen.
Sie behaupten, wir hätten abgeschrieben. Ich muß Ihnen klipp und klar sagen: Das ist einfach unwahr. Sie sollten nicht solche Behauptungen aufstellen. Wir sind in einer Klausurtagung gewesen, da haben wir von Ihrem Entwurf überhaupt noch nichts gewußt.

(Abg. Killat-von Coreth: Sie haben sogar die Fehler abgeschrieben!Heiterkeit bei der SPD.)

Wir haben mit unseren Vorschlägen jedenfalls ein Stück des Weges in die Zukunft gewiesen und nicht bloß die Probleme gelöst, die sowieso anstanden. Wir sind uns dessen bewußt, daß wir den Angestellten jetzt die Gleichstellung in bezug auf die Bezahlung des Arbeitgeberanteils gewähren müssen. Das war für uns selbstverständlich.
Uns kam es aber bei unseren Reformvorschlägen entscheidend auch auf die Vorsorgehilfe an. Das möchte ich noch einmal kurz ansprechen, weil Sie so tun, als sei das gar nichts. Herr Kollege Schellenberg, wir haben hier heute morgen über die Rehabilitation diskutiert. Dabei wurde sehr deutlich, daß die Prävention mit dazugehört. Das ist ein Schritt auf diesem Wege, den wir gehen wollen. Wir sind der Meinung, daß wir nunmehr genug Erfahrungen haben und daß diese ersten Anfänge so schnell wie möglich gesetzlich verwirklicht werden sollten.
Daß wir die Rechtsverordnung mit eingebaut haben, ist einfach aus dem Grunde geschehen, weil wir glauben, daß wir im Hinblick auf die Kapazität der Ärzte und die Möglichkeiten, die wir jetzt haben, jene Fälle vorwegnehmen sollten, bei denen wir wissenschaftlich gesicherte Ergebnisse haben und wo wir sagen können: Das ist jetzt reif, da ist es effektiv, wenn wir eine Vorsorgeuntersuchung durchführen. Darum ging es uns einzig und allein. Sie haben offenbar wenig Vertrauen zu Ihrer Regierung, wenn Sie sich allein an der Rechtsverordnung stoßen.

(Abg. Ruf: Sehr gut! — Abg. Dr. Schellenberg: Herr Kollege Härzschel, das Problem ist viel umfassender, als Sie heute ahnen!)

Wir sind der Meinung, daß diese Vorsorge von entscheidender Bedeutung für die Zukunft ist, Herr Kollege Schellenberg. Hier sollten wir nicht parteipolitisch streiten. Es geht um Menschen, die betroffen sind. Wir müssen alles daransetzen, damit diese Vorsorgeuntersuchungen so schnell wie möglich verwirklicht werden. Sie wissen, daß uns die Fachleute immer wieder sagen: Früherkennung ist für die Heilung von entscheidender Bedeutung. Das wollen wir jetzt gesetzlich verankern.

(Beifall bei der CDU/CSU. — Abg. Dr. Schellenberg: Das müssen Sie uns sagen, Herr Kollege Härzschel! — Zuruf von der SPD: Spät kommt Ihr, doch Ihr kommt!)





Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0606428500
Meine Herren und Damen, wir sind am Ende der ersten Beratung. Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung beider Entwürfe an den Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung als federführenden Ausschuß und zur Mitberatung an den Wirtschaftsausschuß sowie an den Haushaltsausschuß gemäß § 96 der Geschäftsordnung. Wer diesem Überweisungsvorschlag zustimmen will, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Es ist so beschlossen.
Der Ältestenrat hat vereinbart, daß nunmehr der Tagesordnungspunkt 25 an die Reihe kommt:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Änderung der Zivilprozeßordnung
— Drucksache VI/790 —
Wird das Wort zur Begründung gewünscht? —Bitte schön, Herr Minister Jahn!

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0606428600
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! In der Regierungserklärung des Bundeskanzlers vom 28. Oktober 1969 heißt es zur Reform des Rechts:
Zunächst wollen wir unsere zersplitterte Rechtspflege für den rechtsuchenden Bürger durchschaubarer machen.... Dem Bürger soll außerdem nicht nur ein gutes, sondern auch ein schnelleres Gerichtsverfahren zur Verfügung gestellt werden.
Für einen besonders wichtigen Bereich, nämlich für den Zivilprozeß, soll diese Forderung durch den Entwurf eines Gesetzes zur Änderung der Zivilprozeßordnung, den ich Ihnen für die Bundesregierung vorlege, erfüllt werden.
Der Gesetzentwurf hat im Kreis der Fachleute die Kurzbezeichnung „Beschleunigungsnovelle" erhalten. Damit ist bereits seine wesentliche Zielsetzung umrissen. Durch die Straffung der Beschleunigung des Verfahrens soll den wichtigsten Mängeln der gegenwärtigen Verfahrenspraxis begegnet werden. Darüber hinaus ist der Gesetzentwurf der erste Schritt zu einer Gesamtreform der Zivilprozeßordnung. Diese stammt in ihren Hauptteilen aus dem Jahre 1877. Sie hat sich in ihren Grundzügen zwar bewährt, in vielen Einzelpunkten ist sie jedoch reformbedürftig. Eine Reform dieser Art ist nur schrittweise zu verwirklichen. Dazu zwingen allein die erforderlichen umfassenden Vorarbeiten. Aber auch die begrenzten zeitlichen Möglichkeiten einer Wahlperiode bestimmen das Vorgehen.
Die in der Novelle vorgesehenen Maßnahmen überschneiden sich mit den Entscheidungen, die im Zuge der weiteren Justizreform, insbesondere mit der Einführung eines dreigliedrigen Gerichtsaufbaues, erforderlich werden. Es besteht zudem ein praktisches Bedürfnis, die vorgesehenen Regelungen dem rechtsuchenden Bürger sobald wie möglich zur Verfügung zu stellen. Der Schwerpunkt des Entwurfs liegt auf den dringend erforderlichen Maßnahmen zur Straffung und Beschleunigung des Verfahrens. Die durchschnittliche Dauer eines Rechtsstreites vor den Zivilgerichten hat ein Ausmaß erlangt, das ein
Eingreifen des Gesetzgebers unumgänglich macht, wenn nicht die Schutzfunktion, die der Zivilprozeß für den Bürger erfüllen muß, gefährdet werden soll. Wer in jüngerer Zeit in irgendeiner Form an einem Zivilprozeß beteiligt war, sei es als Partei, Richter, Rechtsanwalt oder auch nur als Zeuge, weiß, daß sich das Verfahren schon in der ersten Instanz häufig über eine Vielzahl weiträumig anberaumter Verhandlungstermine hinzieht, ohne daß von einem Termin zwischendurch ein sichtbarer Fortschritt erzielt zu werden braucht.
In Zahlen ausgedrückt bedeutet dies, daß in einem Prozeß des täglichen Lebens wie etwa über eine Kaufpreisforderung die Parteien im Jahre 1969 schon im Verfahren erster Instanz vor den Amtsgerichten in rund 40 % und vor den Landgerichten in rund 63 % der Fälle über sechs Monate auf die Entscheidung warten mußten, wobei eine Prozeßdauer bis zu zwei Jahren durchaus nicht die Ausnahme war. Diese Zahlen geben den Stand der durch streitiges Urteil erledigten gewöhnlichen Prozesse wieder. Nicht dazu gehören insbesondere Ehe- und Kindschaftssachen. Der Verlauf dieser Verfahren — ich darf für Ehesachen nur auf den hohen Prozentsatz häufig schon im ersten Termin erledigter sogenannter Konventionalentscheidungen hinweisen — ist für den allgemeinen Zivilprozeß nicht repräsentativ. Wir können uns auch nicht damit beruhigen, daß die Verfahren, die nicht durch streitiges Urteil, sondern etwa durch Vesäumnisurteil oder Vergleich beendet werden, weniger Zeit in Anspruch nehmen, so daß im Ergebnis eine geringere Durchschnittsdauer aller erledigten Verfahren errechnet werden kann. Solche Berechnungen haben nur theoretischen Wert.
Entscheidend bleibt, ob für den rechtsuchenden Bürger der durch den Zivilprozeß eröffnete Weg zum streitigen Urteil sinnvoll in Anspruch genommen werden kann. Die Zeit, die dieser Weg in Anspruch nimmt, hat in den letzten Jahren nahezu ständig zugenommen. Dabei ist jedenfalls im allgemeinen eine deutliche Tendenz zu einem Ansteigen der Prozeßdauer unverkennbar. Diese Entwicklung ist für den Rechtsuchenden unzumutbar. Eine zu spät erlangte Entscheidung ist praktisch wertlos, wenn der Rechtsuchende das ihm schließlich zugesprochene Recht wegen der inzwischen verstrichenen Zeit nicht oder nicht mehr sinnvoll verwirklichen kann. Darüber hinaus liegt in einer zu langen Prozeßdauer eine unnötige und volkswirtschaftlich nicht vertretbare Belastung aller an dem Verfahren Beteiligten.
Der vorliegende Gesetzentwurf will diesen Mißständen begegnen, indem er sich unter Wahrung des herkömmlichen Rahmens des Zivilprozesses um die angestrebte wirksamere Gestaltung des Verfahrens in diesem vordringlichen Teilbereich bemüht. Dem Rechtsuchenden soll eine erschöpfende Behandlung des Streitstoffes in angemessener Zeit und damit eine sowohl richtige als auch zeitgerechte Entscheidung gewährleistet werden. Ein solches Ziel läßt sich nicht durch Teilverbesserungen erreichen, die hie und da einen einzelnen Mangel beseitigen. Vielmehr muß der gesamte Verfahrensablauf gestrafft werden.



Bundesminister Jahn
Die Novelle beschränkt sich daher nicht auf Maßnahmen zur Beschleunigung des erstinstanzlichen Verfahrens, sondern erfaßt das Rechtsmittelverfahren und die Regelungen über die vorläufige Vollstreckbarkeit. Dabei werden Reformvorschläge der Praxis, wie das sogenannte Stuttgarter Verfahren, in der ersten Instanz berücksichtigt.
Zunächst zu den Vorschlägen der Novelle zur Neugestaltung des erstinstanzlichen Verfahrens. Seine Straffung und Beschleunigung soll durch eine Konzentration der mündlichen Verhandlung auf möglichst einen Verhandlungstermin erreicht werden, der gleichzeitig eine umfassende Behandlung des Streitstoffes gewährleistet. Damit wird eine Art Hauptverhandlung in Zivilsachen angestrebt, die mit der im Strafprozeß bewährten zeitlich gerafften Hauptverhandlung verglichen werden mag und die die für die gegenwärtige Verfahrenspraxis häufig typische Vielzahl von unnötigen Verhandlungsterminen vermeidet.
Eine solche Ausgestaltung des Verfahrens erfordert dreierlei Maßnahmen. Wenn die auf möglichst einen Haupttermin konzentrierte mündliche Verhandlung die Bedeutung einer erschöpfenden mündlichen Verhandlung erhalten soll, muß sie zunächst so vorbereitet werden, daß der entscheidungserhebliche Streitstoff bereits zu Beginn des Verfahrens möglichst vollständig vorliegt. Dafür ist in dem Entwurf Sorge getragen. Die Art der Vorbereitung der mündlichen Verhandlung wird in Ergänzung der wenigen vorhandenen Bestimmungen eingehend geregelt. Danach kann ,das Gericht entweder ein schriftliches Vorverfahren zur Sammlung ,des entscheidungserheblichen Streitstoffes durchführen. Das entspricht dem Grundgedanken bei dem Verfahren nach dem sogenannten Stuttgarter Modell. Dort haben seit einiger Zeit Gerichte und Anwälte wegen der bestehenden Mängel ein beschleunigtes Verfahren vereinbart, das sich gut bewährt und mittlerweile vielfältige Nachahmung erfahren hat. Nach dem Entwurf kann das Gericht auch einen anderen Weg wählen und einen frühen ersten Verhandlungstermin abhalten, der in der Art eines Vortermins Gelegenheit bietet, den entscheidungserheblichen Streitstoff in einer mündlichen Erörterung mit den Parteien einzugrenzen und ,auf erforderliche Ergänzungen hinzuwirken, um auf diese Weise eine umfassende Verhandlung in einem Haupttermin vorzubereiten. Hier kann übrigens, wenn es sich nach einer solchen ersten Erörterung ergibt, unter Umständen auch bereits ein streitiges Urteil ergehen.
Für welche der beiden Wege sich das Gericht entscheidet, ist seiner Wahl überlassen. Außer den Besonderheiten des jeweiligen Streitfalles, der sich für eine Behandlung in dem einen oder anderen Verfahren besser eignen mag, wird damit dem unterschiedlichen persönlichen Arbeitsstil des einzelnen Richters Rechnung getragen. Eine wesentliche weitere Funktion erfüllt das geschilderte Vorverfahren dadurch, daß es ein frühzeitiges Ausscheiden der nicht echt streitigen Sachen im Interesse einer Entlastung der eigentlichen mündlichen Verhandlung ermöglicht.
Ferner muß ,die Durchführung der mündlichen Verhandlung selbst gestrafft werden. Auch dafür ist Vorsorge getroffen. So werden unberechtigte Vertagungen erschwert und das Beweisverfahren rationeller gestaltet. Beweisbeschlüsse sollen schon vor der mündlichen Verhandlung erlassen und einzelne Beweise auch schon vor der mündlichen Verhandlung erhoben werden können. Die häufig zeitraubenden Vorschußzahlungen für die Ladungen von Zeugen werden durch eine Lockerung der Vorschußpflicht eingeengt. Die im Bundesministerium der Justiz anstehende Überarbeitung des Beweisverfahrens wird Gelegenheit geben, diese Regelungen zu vervollständigen.
Die Maßnahmen, die das Gericht zur Vorbereitung und Straffung der mündlichen Verhandlung ergreifen muß, gingen weitgehend ins Leere, wenn sich die Parteien einer Mitwirkung entziehen könnten. Um ihre notwendige Mitarbeit sicherzustellen, wird schließlich der Grundsatz der Prozeßförderungspflicht stärker betont. Danach sollen die Parteien in jedem Stadium des Verfahrens gehalten sein, ihr Vorbringen so rechtzeitig und vollständig in den Prozeß einzuführen, wie es nach der Sachlage angezeigt und zur zügigen Abwicklung des Verfahrens erforderlich ist. Damit die Parteien ihrer Pflicht zur Förderung des Verfahrens tatsächlich genügen, wird ihnen für den Fall eines Verstoßes hiergegen unter bestimmten Voraussetzungen angedroht, daß verspätet vorgebrachte Tatsachen nicht mehr berücksichtigt werden. Das Zusammenwirken der zur Vorbereitung und Durchführung der mündlichen Verhandlung vorgesehenen Maßnahmen einschließlich der stärkeren Betonung der Prozeßförderungspflicht wird die Voraussetzungen für die angestrebte wirkungsvollere Gestaltung des Verfahrens in der ersten Instanz schaffen.
Die Ausgestaltung des Berufungsverfahrens ist aus zweifacher Sicht von Bedeutung. Einmal muß das Berufungsverfahren ebenso wie das erstinstanzliche Verfahren gestrafft werden, damit ein in erster Instanz erzielter Beschleunigungseffekt nicht verlorengeht und damit auch das Rechtsmittelverfahren in angemessener Zeit zum Abschluß gebracht werden kann. In Anlehnung an die für das erstinstanzliche Verfahren vorgesehenen Regelungen wird daher auch das Berufungsverfahren wirkungswoller gestaltet. Ferner muß dem Charakter des Berufungsverfahrens als eines zweitinstanzlichen Verfahrens Rechnung getragen werden. Das geltende, im Verhältnis zu den Regelungen anderer Länder vergleichsweise aufwendige Rechtsmittelsystem, das grundsätzlich zwei Tatsacheninstanzen vorsieht, ist nur dann sinnvoll und vermag auch nur dann seine Rechtsschutzaufgabe für die Parteien zu erfüllen, wenn anders, als es gegenwärtig vielfach geschieht, schon die erste Instanz von den Parteien voll ausgeschöpft wird. Durch eine Beschränkung der Möglichkeit, neue Angriffs- und Verteidigungsmittel erst in der Berufungsinstanz nachzuschieben — das sogenannte Novenrecht —, will der Entwurf die Parteien ,daher veranlassen, ihr Vorbringen möglichst schon im ersten Rechtszug in den Prozeß einzuführen. Mit diesen strengeren Anforderungen an das Rechtsmittelverfahren wird gleichzeitig die Be-



Bundesminister Jahn
deutung der ersten Instanz als einer vollwertigen Tatsacheninstanz ,gehoben.
Gegen die Beschränkung des sogenannten Novenrechts ist ebenso wie gegen den als Sanktion für eine Nichtbeachtung der Prozeßförderungspflicht vorgesehenen Ausschluß von verspätetem Vorbringen eingewandt worden, ,daß sie den Richter zwinge, sehenden Auges eine falsche Entscheidung zu erlassen. Diese vielfach in den Mittelpunkt aller Kritik gestellte Betrachtung wird der Konzeption des Entwurfs nicht gerecht. Der Entwurf will eine sowohl richtige als auch zeitgerechte Entscheidung. Darauf sind die einzelnen Reformmaßnahmen, die ich Ihnen dargelegt habe, zugeschnitten. Aufgabe der Neuregelung ist es lediglich, die angestrebte sinnvolle Verfahrensgestaltung sicherzustellen. Als reine .Sanktionsmittel haben beide Maßnahmen somit in erster Linie vorbeugenden Charakter.
Wie 'wenig akut ,sie zu werden brauchen, ergeben übrigens die Erfahrungen mit dem Stuttgarter Modell. Auf Grund einer intensiven Mitarbeit der Parteien und Anwaltschaft ermöglicht es, eine Entscheidung zügig zu finden und dennoch den gesamten Prozeßstoff auszuschöpfen. Das Gelingen des Stuttgarter Verfahrens beruht bisher auf der freiwilligen Mitarbeit der Beteiligten. Nur diese Mitarbeit, zu der eine Bereitschaft nicht für alle Fälle und für alle Zeiten unterstellt werden kann, soll durch die Sanktionsmittel der Novelle gewährleistet werden. Die Prozeßführung fordert damit zukünftig von den Parteien und ihren Anwälten ein gewisses Umdenken. Zugunsten einer schnellen und zugleich gründlichen Entscheidungsfindung, die in erster Linie in ihrem Interesse liegt, wird von ihnen eine gründliche Vorbereitung und konzentrierte Führung ,des Verfahrens verlangt. Bei dieser Verfahrensgestaltung erlangen die Präklusions- und die Novenregelung der Novelle nur dann Bedeutung, wenn das Verfahren anders verläuft, als es erwartet werden muß, weil eine Partei ihre erforderliche Mitarbeit versagt. Sollte die Anwendung der Sanktionsmittel in einem solchen Falle — was nicht notwendig und auch nicht einmal regelmäßig der Fall zu sein braucht — tatsächlich entscheidungserhebliches Vorbringen treffen, so halte ich das im Interesse einer zügigen Abwicklung des Verfahrens für gerechtfertigt. Eine Partei, die ihre Pflicht zur Förderung des Verfahrens verletzt, muß sich auch Nachteile gefallen lassen. Für das Prozeßrecht kann insoweit nichts anderes gelten als für das materielle Recht, das im Interesse der Rechtssicherheit nicht ohne eine zeitliche Befristung der einzelnen Berechtigung auskommt. Eine unverhältnismäßige Beschränkung der materiellen Wahrheit der Entscheidungsfindung liegt hierin nicht.
Ein Wort noch zu dem letzten Komplex von vorgeschlagenen Maßnahmen, die für die angestrebte sinnvollere Gestaltung des Gesamtverfahrens unmittelbar von Bedeutung sind. Aufgabe der Regelungen über die vorläufige Vollstreckbarkeit nicht rechtskräftiger Urteile ist es, einen angemessenen Ausgleich zwischen den Interessen der zunächst siegreichen Partei und ihres unterlegenen Gegners zu finden. Darüber hinaus ist die vorläufige Vollstreckbarkeit von Urteilen ein Mittel, um lediglich auf Zeitgewinn angelegte Rechtsmittel einzudämmen. Die Novelle erleichtert die Vollstreckung aus nicht rechtskräftigen Urteilen unter Wahrung der schutzwürdigen Interessen der unterlegenen Partei, um der siegreichen Partei zu einer schnelleren und damit wirksameren Durchsetzung ihres Titels zu verhelfen. Gleichzeitig wird auch von hier aus über die Eindämmung unberechtigter Rechtsmittel die Bedeutung der ersten Instanz als einer vollwertigen Tatsacheninstanz gehoben.
Bei den übrigen Regelungen der Novelle handelt es sich außer den im Rahmen einer Gesamtreform unumgänglichen Korrekturen vorwiegend um Maßnahmen, die sich zumindest mittelbar beschleunigend auf das Verfahren auswirken. Ich möchte hiervon nur zwei Gruppen herausgreifen.
Die Vorschriften über die Protokollführung werden unter Berücksichtigung der modernen Tonaufnahmetechnik überarbeitet, um auch technische Neuerungen für die zügige Abwicklung des Verfahrens dienstbar zu machen.
Eine Überarbeitung der Vorschriften über die Beschwerde soll dieses Rechtsmittel gegen Nebenentscheidungen im Interesse einer Entlastung der Rechtsmittelgerichte und einer Beschleunigung des Hauptverfahrens so weit einschränken, wie es ohne wesentliche Beeinträchtigung des Rechtsschutzes möglich erscheint.
Schließlich wird mit einer letzten Gruppe von Änderungen im Interesse einer Vereinheitlichung der Verfahrensordnungen, die zu den wesentlichen Zielen der Justizreform gehört, darauf Bedacht genommen, daß die Zivilprozeßordnung und andere Verfahrensordnungen im Rahmen des in dieser Novelle bereits Möglichen aufeinander abgestimmt werden.
Mit diesen Maßnahmen, die das gesamte Verfahren einschließlich möglicher Nebenverfahren umfassen, wird eine entscheidende Voraussetzung für die angestrebte Straffung und Beschleunigung des Verfahrens geschaffen und ein ebenso wesentlicher Schritt auf das Ziel einer Gesamtreform des Zivilprozeßrechts hin getan werden können. Ich bin mir dabei bewußt, daß es neben den mit der vorliegenden Novelle bekämpften Mängeln der heutigen Verfahrenspraxis Ursachen der Verfahrensverzögerung gibt, denen der Entwurf nicht begegnet, weil sie sich — wie etwa menschliche Schwächen der verschiedensten Art oder auch technische Mängel in der Organisation der Justiz — einem Einfluß des Gesetzgebers überhaupt entziehen oder aber von anderer Seite als von einer Reform des Zivilprozeßrechts her in Angriff genommen werden müßten.
Nicht zuletzt muß das Richteramt mehr Anziehungskraft erhalten, damit qualifizierter Nachwuchs gewonnen werden kann. Diese Einsicht entbindet aber nicht von der Notwendigkeit, das auf dem Gebiete des Zivilprozeßrechtes Mögliche zu einer Verbesserung der gegenwärtigen Verfahrenspraxis zu tun. Das soll durch dieses erste Änderungsgesetz zur Zivilprozeßordnung geschehen. Ich bitte das Hohe Haus, diese Zielsetzung zu unterstützen.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)



Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0606428700
Ich danke ,für die Begründung und eröffne die Aussprache. Das Wort hat Herr Dr. Hauser (Sasbach) für die CDU/ CSU-Fraktion.

Dr. Hugo Hauser (CDU):
Rede ID: ID0606428800
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Klage über die allzulange Dauer des Zivilprozesses ist schon seit langen Jahrzehnten immer wieder zu hören. Bereits vor der Jahrhundertwende wurde die ZPO als reformbedürftig empfunden. Alle größeren ZPO-Novellen, insbesondere die der Jahre 1909 und 1924, haben die Herrschaft der Parteien eingegrenzt und die Verantwortung des Richters gestärkt, um dadurch gerade eine stärkere Konzentration und Beschleunigung der zivilen Rechtsstreite zu erreichen. Sie, Herr Minister, nehmen also mit dieser Vorlage, die heute zur Debatte steht, ein immer wieder laut gewordenes Anliegen auf. Auch die Novelle des Jahres 1933 hatte eine neuerliche Straffung des Prozeßverfahrens angestrebt, gleichzeitig aber auch mit der Einführung der Wahrheitspflicht, wie sie den Parteien damals ausdrücklich in § 138 aufgegeben wurde, eine stärkere Verbürgung der Richtigkeit der zu treffenden Entscheidung erreichen wollen. In dieser Novelle des Jahres 1933 waren also beide Aspekte angesprochen, um die es auch bei der jetzigen Reformdiskussion gehen muß, nämlich die Frage der zügigeren Abwicklung der Verfahren, gleichzeitig aber auch die Frage einer guten Rechtsfindung. Dazu, Herr Minister, haben Sie sich eben in der Tat recht wenig ausgelassen; denn der Zivilprozeß hat ja in erster Linie zum Ziel, die wahre Rechtslage festzustellen, den Rechtsfrieden an Stelle der Rechtsunsicherheit zu schaffen und Sicherheit an Stelle von Ungewißheit zu setzen. Das Verfahrensrecht hat damit eine dienende Aufgabe, es setzt die gerechte Ordnung des Lebens als vorweggenommen voraus und hat insofern eine bloße Ergänzungsfunktion, eine Ordnungsfunktion. Der Zivilprozeß soll also dazu verhelfen, daß der einzelne in seinen Rechten geschützt wird. Er soll darüber hinaus aber auch die Rechtsordnung als Ganzes verwirklichen und zu ihrer Bewährung beitragen. Der Prozeß ist ein wesentliches Mittel, um die Rechtsordnung und den Frieden in unserem Volke insgesamt zu wahren; denn die Überzeugung, daß einem jeden sein Recht wird, daß die materielle Rechtsordnung nicht allein nur auf dem Papier steht, sondern Wirklichkeit ist, dies bleibt eine der ganz entscheidenden Grundlagen des friedlichen Zusammenlebens unseres Volkes und damit auch unseres Staates.
Wenn man daher, meine Damen und Herren, ar eine weitere Reform unseres Prozeßrechts geht gilt es, auch die Garantien für die Richtigkeit dei Entscheidung zu verstärken und das Hauptgewicht nicht auf die Frage einer zügigeren Abwicklung und einer Konzentration des Verfahrens zu legen.
Gerade die erste Forderung nach einer guten und richtigen Rechtsfindung ist aber in der vor uns lieoenden Regierungsvorlage in der Tat zu kurz ge kommen. Es ist daher sehr wohl verständlich, wenn die Kritik, mit der Sie nur mit der linken Hand umgegangen sind, Herr Minister, gerade an diesem
Punkt ansetzt, eine Kritik, die genauso wie der Gesetzgeber ernsthaft bestrebt ist, ein gutes und ausgewogenes Gesetz zu schaffen. Insoweit muß also all denen, die sich hier zu Wort gemeldet haben, auch ein Wort der Anerkennung ausgesprochen werden.
Sie wissen, Herr Minister, daß gerade in meiner engeren Heimat, in Heidelberg und in Freiburg, aber nicht nur dort, sehr gewichtige und begründete Vorbehalte gegen diese Vorlage angemeldet wurden. Es wurde in erster Linie eingewandt, daß die Grundlagenforschung des Ministeriums, die ja wegweisend für den Gesetzgebungsakt sein soll, nicht richtig angelegt worden sei. So liegen z. B. die aufgetretenen und beklagten Schwierigkeiten für die zu lange dauernden Streitverfahren keineswegs in der Häufigkeit erfolgreicher Prozeßverschleppungen durch eine Partei, wie dies in der Begründung der Vorlage als erster Ansatzpunkt für die Notwendigkeit dieses Gesetzgebungsaktes ausgeführt wurde. Das Hinausziehen der Prozesse falle als Ursache der durchschnittlichen Prozeßdauer, wie sie vom Justizministerium festgestellt worden sei, wirklich nicht entscheidend ins Gewicht, so merkt etwa die Entschließung an, die meine Freiburger Richterkollegen und Anwälte am 10. Juli dieses Jahres gefaßt haben.
In der Tat, Herr Minister, nehmen nur sehr wenige Prozesse einen Verlauf wie z. B. der, den gegenwärtig die CDU, vertreten durch ihren Vorsitzenden und ihren Generalsekretär, gegen den Herrn Bundeskanzler vor dem Landgericht Bonn auf Widerruf und Unterlassung führen muß. Herr Minister, die Prozeßführung des Herrn Bundeskanzlers in diesem Fall ist nämlich in der Tat ein klassisches Beispiel dafür, wie unzulänglich der Beklagte seiner Pflicht zur konkreten Substantiierung seiner Bielefelder Wahlkampfbehauptung vom 3. Juni nachgekommen ist.

(Beifall bei der CDU/CSU — Abg. Dr. Schäfer [Tübingen]:: Nicht in ein Verfahren eingreifen!)

Werden doch auf dreizehn Seiten nur lange rechtliche Ausführungen gemacht, und heißt es dann lediglich in den sechs letzten Zeilen: Falls das Gericht in seiner rechtlichen Würdigung und bezüglich der Beweislastverteilung anderer Auffassung sei, werde für die Wahrheit der Behauptung Beweis angeboten durch das Zeugnis N. N., deren Anschrift noch nachgereicht werden könnte.

(Abg. Dr. Schäfer [Tübingen]: Sind wir hier vor der Kammer?)

Angesichts dieses Prozeßverhaltens, Herr Schäfer, liegt es wirklich nahe — wie dies in mancher Zeitungsglosse kommentiert wurde —, daß das „N. N." des Schriftsatzes mit „nomen nescio" zu erläutern ist.

Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0606428900
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dürr?




Dr. Hugo Hauser (CDU):
Rede ID: ID0606429000
Bitte schön, Herr Dürr.

Hermann Dürr (SPD):
Rede ID: ID0606429100
Herr Kollege Hauser, ist Ihnen denn entgangen, daß bei Zivilprozessen um den Widerruf einer Behauptung die Beweislast nicht beim Beklagten, sondern beim Kläger liegt?

Dr. Hugo Hauser (CDU):
Rede ID: ID0606429200
Nein, Herr Dürr, das ist mir nicht entgangen. Aber in dem Augenblick, wo sich der Beklagte nicht substantiiert einläßt, ist die Beweislast, wie Sie sie eben begründen wollen, in der Tat nicht gegeben.

(Zustimmung bei der CDU/CSU. — Abg. Dr. Schäfer [Tübingen]:: Herr Hauser, Sie können es doch viel seriöser und viel besser!)

— Herr Schäfer, es mutet schon reichlich grotesk an, daß diese Regierung ihre Vorlage mit Prozeßverschleppung begründet, um dann selber in der Person des Herrn Bundeskanzlers hierfür ein schlagendes Beispiel zu geben. Ja, es geschehen merkwürdige Dinge in dieser Welt.

(Beifall bei der CDU/CSU. — Zurufe von der SPD: O, si tacuisses!)


Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0606429300
Gestatten Sie eine zweite Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dürr? — Bitte schön, Herr Kollege!

Hermann Dürr (SPD):
Rede ID: ID0606429400
Herr Kollege Dr. Hauser, täusche ich mich in der Annahme, daß dann, wenn ein Sozialdemokrat über einen solch aktuellen Prozeß Meinungen in diesem Hause geäußert hätte, die CDU sicherlich laut gerufen hätte, das sei ein unzulässiger Eingriff in ein schwebendes Gerichtsverfahren?

(Zustimmung bei der SPD.)


Dr. Hugo Hauser (CDU):
Rede ID: ID0606429500
Es ist nur von dem Verhalten einer Prozeßpartei die Rede gewesen, keineswegs davon, daß man in das Gerichtsverfahren als solches eingreifen möchte.

(Abg. Dr. Schäfer [Tübingen]:: Sie verwechseln das Forum!)

— Nein, Herr Schäfer, dieses Beispiel ist Gott sei Dank wirklich nicht typisch für unsere Anwaltschaft in der Bundesrepublik.

(Beifall bei der CDU/CSU. — Abg. Hirsch: Sie werten wie ein Richter!)

Auch der andere Gesichtspunkt, der in der Begründung zur Vorlage angeführt worden ist, schlägt nicht durch, nämlich der Vorwurf der Säumigkeit unserer Richter, die nicht früh genug den Prozeßstoff durcharbeiteten. Die Überlastung vieler Richter und Anwälte, der häufige Richterwechsel, insbesondere aber die unzulängliche Ausstattung mit sachlichen und persönlichen Hilfen — wie es gleichfalls in der Freiburger Stellungnahme heißt — bedingen vielmehr eine recht wesentliche Verlängerung der Prozesse. In der Tat sind hier die für die beklagte lange Verfahrensdauer entscheidenden Ursachen zu suchen. Hier, Herr Minister, muß in erster Linie abgeholfen werden.
Ging doch erst jüngst der Hilferuf des Frankfurter Landgerichtspräsidenten durch die Presse, daß aus Mangel an Hilfskräften eine ordentliche Rechtspflege dort nicht mehr gewährleistet sei. In wievielen Fällen kommt es — über das so reformfreudige Frankfurt hinaus — vor, daß abgesetzte Urteile nicht ausgefertigt werden können, weil die notwendigen Schreibkräfte fehlen?!

(Abg. Dr. Stark [Nürtingen] : Oder Beschlüsse nach zwanzig Tagen!)

— Auch das, Kollege Stark.
Eine unbedingt erforderliche Maßnahme wäre es darüber hinaus, unseren Richtern die notwendige Fachliteratur an die Hand zu geben. Dies würde sich ohne Zweifel in einem schnelleren Verfahrensablauf und gleichzeitig auch in einer gesunden Rechtsprechung auswirken.

(Abg. Dr. de With: Wollen Sie dafür einen Bundestitel schaffen?)

Gerade hier liegt die Schuld bei der notorischen Sparsamkeit unserer Justizverwaltung insgesamt. Baden-Württemberg ist das erste Land, das der ungenügenden Ausstattung der Gerichtsbücherei zu Leibe rückt und den entsprechenden Haushaltstitel in diesem Jahr beträchtlich aufstockt. Ich hoffe, daß andere Länder diesem guten Beispiel bald folgen werden.

(Abg. Dr. Arndt [Hamburg] : Der Justizminister ist ein Sozialdemokrat!)

Sie sprechen, Herr Minister, in der Begründung der Vorlage auch davon, daß die zunehmende Komplizierung der Tatbestände, wie des materiellen Rechts ebenfalls zur Verlängerung der Prozeßdauer beitrage. Mit Recht erwähnen Sie dies in der Vorlage. Wenn ich dann aber immer wieder die Forderung höre, wir brauchten nicht so viele Richter, dann frage ich mich, ob wir angesichts dessen, daß der Bürger in zunehmendem Maße auch gerichtlichen Schutz in Anspruch nimmt, uns nicht auch mit dem Gedanken vertraut machen müssen, in der Gerichtsbarkeit eine Stellenvermehrung vorzunehmen. Die Zahl der Richter ist doch seit der Jahrhundertwende nicht nennenswert erhöht worden. Denken wir z. B. nur an den Contergan-Prozeß in Alsdorf. Seit vielen Monaten sind in diesem Verfahren mehrere Richter, die aber im Stellenplan des Landgerichts Aachen mitzählen, blockiert und fallen damit für die Abwicklung der übrigen, dort anhängigen Verfahren zwangsläufig aus. Dieser Fall ist wirklich nicht einmalig. Denken wir nur an die sich oft über Monate hinziehenden Prozesse über Verbrechen in Konzentrationslagern, wie sie an vielen Gerichten der Bundesrepublik stattfinden. Auch hier fallen stets mehrere Richter für längere Zeit aus.

(Abg. Hirsch: Wie wollen Sie das durch Bundesgesetz ändern?)

All diese Mißstände, Herr Hirsch, gilt es zu beheben. Mit meinen Richterkollegen in Freiburg und den Anwälten dort bin ich einer Meinung: daß viele



Dr. Hauser
Klagen über eine zu lange Prozeßdauer verstummen
werden, sobald derartige Mißstände beseitigt sind.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Angesichts der geschilderten Schwierigkeiten stellt slich nun die Frage, ob die Vorschläge, wie sie mit dieser Vorlage gemacht werden, den erstrebten Erfolg bringen werden und ob die Einführung der Präklusionsklausel, daß neues Vorbringen nur zugelassen wird, wenn die Verspätung zuerst genügend entschuldigt ist, wie auch das Verbot neuen Vorbringens in der Berufungsinstanz, selbst wenn dadurch keine Verzögerung eintritt, die schnellere Erledigung der Verfahren garantiert. Vor allem dann, wenn eine Verfahrensbeschleunigung die Suche nach der richtigen Entscheidung nicht überlagern soll, werden so schwerwiegende Eingriffe in das Prozeßverfahren, wie sie hier vorgesehen sind, bald neue Kritik auslösen.
Erinnern Sie sich doch daran, daß die 1942 eingeführte gleiche Beschränkung neuen Vorbringens unter Thomas Dehler als Justizminister 1950 wieder aufgehoben wurde mit dem ausdrücklichen Hinweis, daß mit diesem Verbot der Konzentrationsgrundsatz überspannt worden sei und deshalb im Interesse der Rechtssuchenden und der materiellen Gerechtigkeit der frühere Rechtszustand wiederhergestellt werden müsse. Haben sich denn in den letzten zwei Jahrzehnten die Verhältnisse bei uns so grundlegend geändert, daß man — fast wörtlich — wieder auf Kriegsmaßnahmen zurückgreifen muß und, wie mir dieser Tage ein Anwalt sehr scharf entgegenhielt, ) statt einer Zivilprozeßordnung nunmehr ein preußisches Reglement statuieren will?
Die mehrfach geäußerte Befürchtung, Herr Minister, daß die Ausschließung neuen Vorbringens im Rechtsstreit die Rechtsfindung durch unfruchtbare verfahrensrechtliche Erörterungen belaste, wenn zunächst über die Gründe einer genügenden Entschuldigung und ihre Berechtigung gestritten werden müsse, weshalb der Vortrag erst nachträglich erfolgt, ist wirklich nicht von der Hand zu weisen. Lehrt doch die Erfahrung, daß dort, wo ein Gesetz offenkundig zu hohe Anforderungen stellt, die Gerichte bestrebt sind, nach Mitteln und Wegen zu suchen, um abzumildern und so zu einer richtigen Entscheidung zu finden. Am Anwaltstag hat Ihnen, Herr Minister, Herr Rechtsanwalt Dr. Nick aus der tagtäglichen Praxis beim Bundesgerichtshof bereits entgegengehalten, wie die Revisionsinstanz heute immer wieder mit sogenannten fiktiven Tatbeständen zu tun hat, weil dort ja neue Tatsachen nicht mehr vorgebracht werden dürfen, andererseits aber doch über einen mit der Wirklichkeit nicht mehr in Einklang stehenden Sachverhalt befunden werden soll. So verfällt man beim Bundesgerichtshof auf den Ausweg, die Sache an die Berufungsinstanz zurückzuverweisen, um so in der Vorinstanz doch noch neue Tatsachen einführen zu können. Der Hinweis, daß bei einem strikten Novenverbot, selbst wenn dadurch eine Verzögerung nicht eintritt, zu dem nämlichen Ausweg gegriffen werde und so dann eben eine Verlängerung der Prozeßdauer eintrete, ist wirklich nicht von der Hand zu weisen, weil man doch nicht leichtfertig, Herr Minister, ein falsches Urteil bestätigt.
Die vielen Einwendungen, die gegen die Vorlage erhoben wurden, sind sehr ernst zu nehmen. Man kann sie nicht einfach nur mit einer Handbewegung abtun. Müssen wir uns doch davor hüten, mit einer weiteren Formalisierung der Rechtsfindung, wie sie die Beschleunigungsnovelle befürchten läßt, Mißtrauen gegen die Justiz in unserem Volk heraufzubeschwören und nicht noch Unmut gegen die „spitzfindigen" Juristen zu wecken. Wissen wir doch, daß gerade die Juristen nicht immer im besten Ansehen
beim Volk stehen.

(Abg. Dr. Schäfer [Tübingen): Warum

wohl?)
Das Grundanliegen, das auch Ihnen, Herr Minister, vorschwebt, ist doch, daß die mündliche Verhandlung im Prozeß effizienter werden soll, daß These und Gegenthese im Sachverhaltsbereich wie bei der Rechtsanwendung gerade in der mündlichen Erörterung mit dem Richter die Findung des Rechtes entscheidend erleichtern soll. Gerade die Wiederbelebung des dialektischen Prinzips wird nicht nur der Beschleunigung, sondern auch der Qualität der Entscheidung dienlich sein, wie Professor Baumann zu Recht in seiner jüngst erschienenen Stellungnahme ausgeführt hat. Es gibt ja hier — und Sie erwähnten es selbst — recht gute Beispiele in unserem Gerichtswesen, wie selbst mit den derzeitigen Verfahrensbestimmungen der Zivilprozeßordnung eine zügige Erledigung der Verfahren erreicht werden kann, ohne dadurch die materielle, richtige Entscheidung in Frage zu stellen. Ich denke etwa an die Erfahrung, die Herr Bender in Stuttgart mit der von ihm geübten Praxis machen konnte. Dieses Beispiel gewinnt ja immer mehr an Boden. Es wird jetzt z. B. auch in Düsseldorf angewandt. Hieran gilt es bei den kommenden Beratungen im Rechtsausschuß anzusetzen, und ich hoffe, daß, wenn wir so all die kritischen Erörterungen in unsere Überlegungen einbeziehen, wirklich ein ausgewogenes Gesetzeswerk erreicht wird und daß dies dann auch, Herr Minister, die allgemeine Zustimmung findet. Diese allgemeine Zustimmung für ein Gesetz zu finden, muß doch auch Ihr Bestreben sein, nachdem Sie in der letzten Zeit mit all Ihren Vorschlägen bis zu den Vorschlägen zur Reform der Ehescheidungsverfahren wirklich nicht viel Fortune gehabt haben.

(Beifall bei der CDU/CSU.)


Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0606429600
Das Wort hat der Bundesminister Jahn.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0606429700
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Über meine Fortune, Herr Kollege Hauser, reden wir zu gegebener Zeit gern noch einmal. Dem sehe ich gelassen entgegen. Ich will den Brauch der ersten Lesung hier nicht durchbrechen und zu dem, was Sie in der Sache gesagt haben, an dieser Stelle nicht Stellung nehmen. Zu einem Teil Ihrer Ausführungen muß ich aber einige Bemerkungen machen. Das, was Sie zum Prozeß der CDU gegen den Vorsitzenden der SPD



Bundesminister Jahn
gesagt haben, weise ich zurück. Diese Ausführungen gehören nicht zur Sache und entbehren darüber hinaus jeder Grundlage.

(Abg. Dr. Hauser [Sasbach] : Sie sind aber beispielhaft gewesen! Es war ein aktuelles Beispiel!)

— Sie wissen genau, Herr Kollege Hauser, daß die von Ihnen aufgestellten Behauptungen über die Gründe für die Dauer des Verfahrens unrichtig sind. Sollten Sie die Gründe wirklich nicht kennen, empfehle ich, daß Sie sich einmal bei dem Geschäftsführer der CDU, Herrn Heck, sachkundig machen lassen.

(Beifall bei der SPD. — Abg. Dr. Schäfer [Tübingen]:: Herr Hauser, diese Bemerkung hätten. Sie sich sparen können! Abg. Dr. Hauser [Sasbach] : Ihre liegt 'daneben!)


Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0606429800
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Weber (Köln), SPD-Fraktion.

Dr. Hubert Weber (SPD):
Rede ID: ID0606429900
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Hauser beklagt die zahlreichen Mängel, die in unserer heutigen Prozeßordnung gang und gäbe seien. Er nennt aber kein einziges Rezept dafür, wie diesen Mängeln nach seiner Vorstellung abgeholfen werden könnte. Er beschwört einen von der CDU angezettelten Prozeß herauf,

(Lachen bei der CDU/CSU)

um dann zu sagen: Wie schlecht ist dieses Prozeßrecht, daß ein anderer von seinen prozessualen Möglichkeiten Gebrauch machen kann, um eine Vertagung zu erreichen.

(Abg. Dr. Hauser [Sasbach] : Nein, wie damit ein schlechtes Beispiel gegeben wird!)

Dabei sei nur daran erinnert, daß gerade dieser Entwurf in erster Linie darauf abzielt, das alles zu verhindern, nämlich in erster Linie zunächst einmal den Kläger zu zwingen, dem Gericht eine schlüssige Klageschrift einzureichen. Dann würde er in manchen Fällen eine Vertagung schon nicht mehr für notwendig halten.

Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0606430000
Herr Kollege Dr. Weber, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Pinger?

Dr. Hubert Weber (SPD):
Rede ID: ID0606430100
Ich gestatte keine Zwischenfragen. Wir beraten ein Gesetz über eine Beschleunigungsnovelle, und ich bemühe mich deshalb, meinen Vortrag hier auch beschleunigt abzuwickeln.

(Buh-Rufe von der CDU/CSU.)

Ich möchte hier nur in aller Deutlichkeit einmal darauf hinweisen, daß es unfair und für einen ehemaligen Richter nicht der geeignete Maßstab ist, in ein Verfahren in einem solchen Umfang öffentlich einzugreifen, in ein Verfahren, das, während sich andere über eine außergerichtliche Beilegung unterhalten, coram publico als Beweis dafür angeführt
werden soll, daß eine Prozeßordnung versagt habe.

(Abg. Vogel: Das war doch gar nicht der Fall! — Abg. Dr. Hauser [Sasbach]: Der Vorwurf geht daneben!)

Dann wurde angeführt, daß das Hauptgewicht in einem Prozeß nicht auf eine zügigere Abwicklung, sondern vielmehr auf die Garantie für die Richtigkeit zu legen sei. Auch dazu kann man nur sagen: Wo bleiben Ihre Vorschläge, Herr Hauser? Das erinnert an die Methode, die Sie hier auch in anderen Verfahren praktizieren, nämlich immer etwas als schlecht hinzustellen, ohne einen einzigen Vorschlag vorzulegen, wie es besser gemacht werden könnte.
Das gleiche gilt für Ihre Ausführungen über die sachliche, räumliche und personelle Ausstattung der Gerichte. Hier haben Sie am falschen Platz gesprochen, kann man dazu nur sagen. Vielleicht sagen Sie das Ihren Kollegen in Ihrem Heimatort, die im Landtag sind. Ich werde nachher Beispiele dafür anführen, in welchen sozialdemokratisch geführten Ländern es anders ist.
Die Zivilprozeßordnung darf wie jedes andere Gesetz sicherlich keinen Selbstzweck erfüllen; darin stimmen wir überein. Sie ist vielmehr vom Gesetzgeber auf ihre Funktionsbereitschaft, ihre gesellschaftspolitische Tauglichkeit, ihre Durchschaubarkeit und ihre Verständlichkeit Tag für Tag zu überprüfen. Insbesondere ist dabei auch zu überprüfen, ob sie die Chancengleichheit und die Rechtssicherheit gewährleistet. Deshalb unternimmt die Bundesregierung mit der Vorlage dieses Gesetzentwurfs zur Änderung der Zivilprozeßordnung zu Recht den Versuch, den Aufgaben der Gegenwart und der überschaubaren Zukunft gerecht zu werden. Mit dieser Novelle geht es also nicht darum, vorgefaßte Meinungen unter Fachleuten zu diskutieren, sondern es geht in erster Linie darum, den Bürgern unseres Landes das Vertrauen in die Justiz zu geben, das ihr als Dritter Gewalt zukommt, und den Bürgern gleichzeitig die Angst davor zu nehmen, daß die Rechtsprechung nur der verlängerte Arm staatlicher Macht sei.

(Abg. Vogel: Deshalb muß man Daumenschrauben ansetzen?!)

Dazu gehört, wie es in der Regierungserklärung vom 28. Oktober 1969 heißt, daß die Rechtsprechung durchschaubar, aber auch schnell ist.
Die Sozialdemokraten setzen mit der Verteidigung dieses Gesetzentwurfes nur einen seit langem eingeschlagenen Weg fort, den sie schon mit ihrer Konferenz der sozialdemokratischen Juristen im Januar 1969 und mit der Vorlage eines ähnlichen Gesetzentwurfes vom Mai 1969 beschritten haben.
Sie selbst, Herr Kollege Hauser, haben das Bedürfnis, daß Zivilprozesse beschleunigt werden müssen, nicht ernsthaft bestreiten können. Dies ist allgemein bekannt, und an Versuchen, Abhilfe zu schaffen, hat es in der Vergangenheit auch niemals gefehlt. Aber in der jüngsten Entwicklung sind uns doch erschreckende Zahlen offenkundig geworden,



Dr. Weber
weil die Rechtsstreitigkeiten einen ständigen Trend zur Verlängerung aufweisen.
Eine vorläufige Auswertung der Ergebnisse für die Jahre 1968 und 1969 zeigt eine Zunahme der Verfahren, die länger als sechs Monate dauern, um mehr als 10 % gegenüber dem Jahre 1967. Bei den Amtsgerichten wurden die Verfahren 1968/69 wie folgt erledigt: nur 30 % der Verfahren konnten innerhalb von drei Monaten abgeschlossen werden. 30 % benötigten drei bis sechs Monate, 27 % sechs bis zwölf Monate, 9,7 % 12 bis 24 Monate und fast 2 % noch mehr als 24 Monate.
Bei den Landgerichten ergeben sich fast die gleichen Vergleichszahlen. Innerhalb von drei Monaten wurden dort nur 13,7 %, innerhalb von sechs Monaten nur insgesamt 23,2 % der Verfahren erledigt. Über 32 % benötigten sechs bis zwölf Monate und fast 23 % 12 bis 24 Monate.
Hier muß doch Abhilfe geschaffen werden, und das haben ja die Gerichte selbst und andere Organe der Rechtspflege und der rechtsuchende Bürger erkannt. Es ist auch gar nicht bei theoretischen Diskussionen geblieben, sondern viele Richter haben, mehr oder weniger erfolgreich, nach Abhilfen gesucht. Das bekannteste ist — Sie haben es zitiert — das sogenannte Stuttgarter Verfahren, das zu beachtlichen Verbesserungen gekommen ist.
In der Zählkartenstatistik, die nach Ländern aufgegliedert ist, weisen insbesondere die Bremer Gerichte und hier insbesondere das Oberlandgericht Bremen hervorragende Ergebnisse auf. Dort sind immerhin 86,0 % aller Verfahren innerhalb von sechs Monaten erledigt worden. Der Senator für Justiz und Verfassung des Landes Bremen hat das wörtlich — wenn ich zitieren darf, Frau Präsidentin — wie folgt begründet:
Beim Oberlandesgericht wird überwiegend mit dem Senatssystem gearbeitet. Der Vorsitzende verfügt mit der Terminanberaumung nach § 2726 ZPO bereits die Ladung der etwa erforderlich erscheinenden Zeugen oder Sachverständigen. Das persönliche Erscheinen der Parteien wird in der Regel angeordnet. Auf Anregung des Berichterstatters wird die vorbereitende Verfügung vor dem Termin ergänzt. Auf diese Weise ist es möglich, daß der weitaus größte Teil der Sachen im ersten Termin erledigt werden kann.
So das Zitat.

(Abg. Dr. Pinger: Herr Kollege, hat man in Bremen aine andere ZPO?)

— Man hat in Bremen keine andere ZPO, aber man verfährt dort stillschweigend contra legem.
Bei allen Überlegungen ist die Überzeugung festzustellen, daß der Zivilprozeß seine Aufgabe nur erfüllen kann, wenn er in angemessener Zeit den Rechtsfrieden wiederherstellt und dem Rechtsuchenden das ihm zustehende Recht schnell und damit wirksam gewährt. Deshalb begrüßen wir diese Vorlage ganz allgemein.
Ein Gesetz erfüllt aber seinen Zweck nur dann, wenn mit ihm — und darin stimmen wir überein, Herr Kollege Hauser — gleichzeitig die Symptome des von ihm zu regelnden Stoffes erfaßt werden. Dabei darf aber nicht nur auf die drei vordergründig am Verfahren beteiligten Organe, nämlich Gericht, Partei und Anwaltschaft, abgestellt werden, sondern es muß auch berücksichtigt werden, daß sich der Prozeßstoff selbst und die Zahl der Verfahren geändert haben. Denn dieser Gesetzentwurf geht ja weiter, als nur neue Fristen aufzustellen, Parteien, Gericht oder Anwälte in neue Schablonen zu pressen. Er ordnet auch zu Recht die mündliche Verhandlung den Zielen der Verfahrenskonzentration und der Verfahrensbeschleunigung unter.
Die mündliche Verhandlung darf also — und das ist doch ein echtes Anliegen dieses Gesetzentwurfes — nicht nur eine Formalie sein, sondern sie muß, wie das Kaufmann auch ausgeführt hat, das beste Erkenntnis- und Aufklärungsmittel überhaupt sein. Deshalb machen es sich meines Erachtens die Gegner einer Beschleunigungsnovelle zu einfach, wenn sie darauf verweisen, daß trotz der Verschärfung der Bestimmungen in der Beschleunigungsnovelle vom 27. Oktober 1933 eine weitere Verzögerung von Rechtsstreitigkeiten eingetreten sei. Wir müssen doch vielmehr erkennen, daß die Lebens- und Sozialverhältnisse in hohem Maße differenzierter gewordenn sind, so daß alle Beteiligten unter dem Zwang einer stärkeren Sachaufklärung auch mit Hilfe von Sachverständigen, deren Begutachtung ja erfahrungsgemäß

(Abg. Vogel: Das „fördert" alles die Schnelligkeit!)

zu einer nicht mehr tragbaren Verzögerung führt, stehen, daß eine Flut von Entscheidungen von den Beteiligten erwartet wird und daß die dadurch gegebene Abhängigkeit von Kanzlei- und Richterleistung zu einer Bürokratisierung der Justiz und zu deren Leerlauf führen kann.
Wir müssen auch erkennen, daß Ordnungsvorstellungen und damit auch Termine und Fristen, die auch das Gericht setzt, ganz allgemein weniger ernst genommen werden. Deswegen meinen wir, daß es in diesem Entwurf gut ist, daß durch eine auf einen Verhandlungszug konzentrierte mündliche Verhandlung mit ausführlicher Vorbereitung, für die der Gesetzentwurf ja zwei Wege eröffnet, diese Gefahren zumindest eingeschränkt werden können und die Arbeitskraft aller Prozeßbeteiligten ökonomischer verwertet werden kann.
Wir sollten auch berücksichtigen, daß mit diesem Entwurf ein Einbruch in obrigkeitsstaatliche Denkweisen, die weiten Bereichen der Justiz ja noch anhaften sollen, eröffnet wird; der Bürger wird dem Rechtsgang nicht mehr entfremdet, sondern er vertritt sein Petitum mit, und zwar auch gegenüber dem Gericht. So verstanden, meine ich, wird der Beschleunigungsnovelle auch der unglückliche Beigeschmack genommen, sie wolle Richter und Anwälte wie unmündige Kinder behandeln, denen durch Notfristen eine angeborene Faulheit auszutreiben sei. Dieser Vorwurf trifft nicht zu, und man sollte diese Personengruppe vor diesem Verdacht ganz energisch schützen.

(Zuruf von der CDU/CSU: Sehr freundlich!)




Dr. Weber
Eine befruchtende Wirkung kann und muß weiter davon ausgehen, daß damit auch gleichzeitig eine vorbeugende Wirkung gegen die Tendenz einhergeht, durch Inanspruchnahme des Gerichts erheblichen Zeitgewinn zu erwirtschaften, um von vornherein durch die Inaussichtstellung eines langjährigen Rechtsstreits ungerechte Ausgangspositionen zu erreichen. Dabei erwarten wir selbstverständlich —in diesem Punkt stimmen wir mit Ihnen überein, Herr Hauser , daß die Länderverwaltungen durch flankierende Maßnahmen, insbesondere auch durch eine bessere Ausstattung der Gerichte, die mit dem Gesetzentwurf gegebenen Verbesserungen realisieren helfen. Wir sind sicher, daß das seine Auswirkungen auch auf die personelle Attraktivität der in der Rechtsprechung tätigen Personen ausüben wird.
Die gesetzestechnischen Maßnahmen müssen durch organisationstechnische Maßnahmen ergänzt werden, den juristischen Überlegungen müssen organisatorische, soziologische und sozialpsychologische Begleiterscheinungen folgen. Wenn der „Ausschuß für die Zivilprozeßordnung" des Deutschen Anwaltvereins deshalb diesen Entwurf insoweit begrüßt hat, als er Vorschriften enthält, die den Zivilprozeß moderner und elastischer gestalten und dessen Vorschriften an moderne andere Verfahrensordnungen anpassen, kann dieser Stellungnahme des Anwaltvereins nur beigetreten werden. Ich möchte in diesem Zusammenhang nur hervorheben die Erleichterung der Wiedereinsetzung, das schriftliche Versäumnisurteil, die Änderung und alternative Ausgestaltung der mündlichen Verhandlung, die Beseitigung von unnützen Formvorschriften.
Im Mittelpunkt der Kritik standen und stehen die sogenannte Präklusion und das Novenverbot. Durch die Präklusion soll das gesamte Vorbringen, das bis zu einem bestimmten Zeitpunkt des Verfahrens noch nicht erfolgt ist, zurückgewiesen werden. Dabei möchte ich besonders darauf hinweisen, daß der Bundesrat in seiner Sitzung vom 20. März 1970 noch eine Verschärfung dieser im Regierungsentwurf enthaltenen Bestimmungen gefordert hat. Zwar erfährt die Wirkung der Präklusion durch die andere Ausgestaltung der mündlichen Verhandlung auch eine andere Bedeutung. Gleichwohl wird die Vorschrift in ihrer Auswirkung, daß sie nunmehr dem Prozeßgegner auch einen materiellen Rechtsanspruch auf Zurückweisung dieses Vorbringens einräumt, sehr genau und unter Anhörung aller Beteiligten in den Beratungen des Ausschusses zu überprüfen sein. Das gleiche gilt für das Novenverbot.
Die sozialdemokratische Fraktion sieht es als eine selbstverständliche demokratische Pflicht an — wie wir das auch in anderen Fällen in diesem Hause schon getan haben —, über Novenverbot und Präklusion erst dann zu entscheiden, wenn alle Organe der Rechtspflege ausgiebig Gelegenheit zum Vortrag und zum Gehör hatten. Daher werden wir auch die Zahlen, die auf Grund der Vorstellungen der Kommission zur Vorbereitung einer Reform der Zivilgerichtsbarkeit eingebaut wurden und erkennbar darauf zurückzuführen sind, daß im Durchschnitt bei etwa 25 O/o der erfolgreichen Berufungen die Entscheidung auf neuem Vorbringen oder neuen Beweismitteln beruht, überprüfen. Hier wird in den
Beratungen insbesondere zu prüfen sein, inwieweit die zeitliche Begrenzung des Rechtsstreits und der Anspruch auf eine ökonomische Ausgestaltung des Zivilprozesses mit den übergeordneten Grundsätzen materieller Gerechtigkeit in Einklang zu bringen sind.
Ein letztes Wort hierzu: Dabei wird uns das seit dem Beginn der Arbeiten an diesem Gesetzentwurf gesammelte Tatsachenmaterial sicherlich wertvolle Hilfe leisten. Die Tatsachenforschung ist erfreulicherweise ein ganzes Stück weiter.
Wir werden letztlich in den Beratungen zu überprüfen haben, ob der Gesetzentwurf auch einer Erweiterung durch Einbeziehung weiterer reformbedürftiger Vorschriften oder einer Ausklammerung einzelner Bestimmungen mit Rücksicht auf weitere Reformvorhaben bedarf. Ich denke z. B. an die sachlich meines Erachtens nicht begründeten Unterschiede zwischen der einfachen und der sofortigen Beschwerde.
Die sozialdemokratische Fraktion hat die Reform des Rechtswesens zügig angefaßt. Sie ist sich durchaus darüber im klaren, daß die Reform der Justiz nicht von heute auf morgen erfolgen kann, sondern daß es eine langfristige Aufgabe ist, die in jeweils lösbaren Etappen in Angriff genommen und zu Ende geführt werden muß.

(Beifall bei der SPD.)


Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0606430200
Das Wort hat der Abgeordnete Kleinert, FDP-Fraktion.

Detlef Kleinert (FDP):
Rede ID: ID0606430300
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! In die Nürnberger Wahlkampfplattform haben wir Freien Demokraten ausdrücklich eine Ziffer betreffend Beschleunigung des Zivilprozesses aufgenommen, weil uns dieses Thema tatsächlich von außerordentlich großer Bedeutung zu sein scheint, was auch hier einmütig betont worden ist. Deshalb danken wir dem Herrn Bundesjustizminister ganz besonders, daß schon so kurze Zeit nach der Bildung dieser Koalitionsregierung dieser Entwurf vorgelegt werden konnte, was bei dem Umfang auch des jetzt vorliegenden Entwurfs durchaus nicht als Selbstverständlichkeit betrachtet werden darf.
Wir begrüßen ausdrücklich eine Fülle von einzelnen Veränderungen, die im Laufe der Jahre überständig geworden sind und die sicherlich, jede auf ihre Art, nicht nur zur Beschleunigung des Verfahrens, sondern auch zu billigeren Ergebnissen oder, was mit Recht als wichtig herausgestellt worden ist, zu rascheren Erfolgen im Wege der Zwangsvollstreckung führen sollen. Diese Dinge können hier vor dem Hause nicht in aller Breite erörtert werden. Das ist nicht Sinn dieser Lesung.
Deshalb fassen Sie es nicht falsch auf, wenn ich sofort zu dem Punkt komme, der in der öffentlichen Diskussion, jedenfalls in der öffentlichen Fachdiskussion, breiteste Aufmerksamkeit gefunden hat, dem Nachschiebeverbot in der ersten und dem Neuerungsverbot in der zweiten Instanz. Insofern glaube ich allerdings — das ist auch von Herrn



Kleinert
Weber hier eben schon angedeutet worden —, daß der Ausschuß bei seinen Beratungen an dem Material, das hier zusammengekommen ist, nicht wird vorbeigehen können. Ich kann Herrn Hauser nicht zustimmen, wenn er vorhin gesagt hat, es käme in erster Linie auf die materielle Gerechtigkeit in jedem Falle und um des Prinzips willen an — vielleicht sage ich es jetzt noch etwas spitzer formuliert, als Sie es getan haben —

(Abg. Hauser [Sasbach] : Es ist zu spitz!)

und danach, aber doch mit Abstand, auf die Beschleunigung. Da existiert doch der alte Spruch, daß spätes Recht halbes Recht ist. Ich glaube, dieser Spruch untertreibt noch wesentlich; denn in einer Vielzahl von Fällen haben wir das Ergebnis, daß ein wunderbar richtiges Urteil nicht mehr vollstreckt werden kann, weil der Schuldner inzwischen absolut vermögenslos geworden ist.
Deshalb, so meine ich, muß es die Aufgabe aller hier Beteiligten sein, zwischen der Forderung nach der Beschleunigung, die meiner Meinung nach aus den eben genannten Gründen als mit der Forderung nach materieller Gerechtigkeit gleichgewichtig. betrachtet werden muß, und dieser zweiten Forderung zu einem ausgewogenen Ergebnis zu kommen. Außerdem ist doch die Gefahr nicht völlig auszuschließen — das wird genauerer Betrachtung bedürfen , daß wir in die unangenehme Lage kommen, die materielle Gerechtigkeit zwar etwas niedriger zu hängen — in einigen Fällen zu riskieren, daß sie in Gefahr ist, etwas mehr zu kurz zu kommen als bisher —, daß wir dann aber den davon erhofften Zeitgewinn, die Beschleunigung, gar nicht erreichen; dann tritt nämlich an Stelle des schwierigen Suchens nach der materiellen Gerechtigkeit bei der jetzt geltenden gesetzlichen Regelung eine erbitterte und unter Umständen genauso langwierige Auseinandersetzung darüber, ob nun aus formalen Gründen das verspätete oder angeblich verspätete Vorbringen oder das neue Vorbringen in der Berufungsinstanz zugelassen werden kann oder nicht. Ich sehe die Gefahr dieses Formalismus, der uns dann
— wie das hier schon angesprochen worden ist — selbstverständlich auch in der Öffentlichkeit sehr negativ vermerkt werden wird, in dieser Regelung mit beschlossen.
Ich glaube deshalb, das wesentliche Ergebnis
— auch in diesem zunächst noch sehr umstrittenen Punkt — ist, daß durch die Vorlage des Entwurfs, durch seine Bekanntgabe vor den wesentlichen, besonders interessierten Körperschaften und die daraufhin einsetzende öffentliche — jedenfalls fachöffentliche — Diskussion der Rechtsausschuß eine sehr gute Basis für seinen Versuch hat, im Sinne dessen, was hier in der Zielvorstellung im wesentlichen von allen gleich dargestellt worden ist, schließlich zu dem Ergebnis zu kommen, das wir alle wollen. Schon deshalb — aber nicht nur deshalb, sondern auch, wie ich eingangs sagte, wegen einer Fülle weiterer Regelungen, die im wesentlichen unstreitig sein dürften — kommt diesem Gesetzentwurf durch die Tatsache seiner Vorlage an sich besondere Bedeutung zu. Ich glaube, daß wir alle bemüht sein werden, mit Hilfe dieses Entwurfs zu
einer alle Seiten befriedigenden Regelung, soweit es im ersten Ansatz möglich ist, zu kommen.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)


Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0606430400
Wortmeldungen liegen nicht mehr vor. Ich schließe die Beratung.
Der Ältestenrat empfiehlt Überweisung an den Rechtsausschuß. Wer diesem Überweisungsvorschlag zustimmen will, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Es ist so beschlossen.
Wir kommen jetzt zum Tagesordnungspunkt 20:
a) Erste Beratung des von der Fraktion der CDU/ CSU eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Bundeskindergeldgesetzes
— Drucksache VI/903 —
b) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung und Ergänzung des Bundeskindergeldgesetzes
— Drucksache VI/939 —
Wird das Wort zur Begründung begehrt? — Für den Entwurf der CDU/CSU Herr Abgeordneter Köster, bitte.

Gottfried Köster (CDU):
Rede ID: ID0606430500
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit, Frau Strobel, hat vor kurzem im „Vorwärts" einen Artikel veröffentlicht, der manchen guten Satz enthält, auch wenn sich die Regierung in ihrem eigenen Vorschlag für die Novellierung des Kindergeldgesetzes nicht danach richten will. Der Artikel ist im Grunde erfreulich, weil sich seine Grundsätze und Absichtserklärungen hervorragend zur Begründung unseres eigenen Gesetzentwurfs zur Novellierung des Kindergeldgesetzes anbieten.
Darüber hinaus hat das in uns die Hoffnung wachsen lassen, daß es bezüglich der Familienpolitik hier im Bundestag zu gleichen Zielprojektionen kommen kann. Meinungen wie „Familienpolitik ist nur als Politik für alle Familien zu verstehen" oder „Richtige Familienpolitik muß vorrangig vom Kind her gedacht und konzipiert werden" stimmen wir zu. Auch ich empfinde das Wort „Familienlastenausgleich" heute als einseitig, als eine familienpolitische Sackgasse. Der Begriff „Familienbeitrag" für alle Leistungen, die im Hinblick auf die Kinder geleistet werden, ist besser, weil er nüchterner ist. Selbstverständlich muß das Kindergeld an den Kosten orientiert sein, die durch die Kinder entstehen. Eine große Reform in der Familienpolitik in der Bundesrepublik braucht diese und weitere gemeinsame Grundsätze und Ziele, um überhaupt eine Chance zu haben, durchgeführt zu werden. An unserem Willen zur Zusammenarbeit soll es nicht fehlen.
Sie nennen Ihre Familienpolitik rational und setzen sie von sogenannten romantischen und revolutionären Modellen ab. Wenn Sie das Wort „romantisch" gewählt haben sollten, Frau Minister, weil Sie insgeheim unterstellen, die CDU/CSU vertrete



Köster
solche Meinungen, möchte ich das an dieser Stelle ganz entschieden als falsch zurückweisen.

(Abg. Dr. Becker [Mönchengladbach] : Sehr gut!)

Familienpolitik, wie wir sie verstehen, ist auf das Kind hin gerichtet, wie die Familie selbst. Jedes Kind hat einen unbestreitbaren Anspruch an seine Eltern auf Entfaltung seiner eigenen Entwicklungsmöglichkeit. Wenn seine Eltern ihm diese Hilfen zur Wahrnehmung seiner Lebenschancen nicht bieten können oder wollen, richtet sich dieser Anspruch subsidiär an die Gesellschaft. Das Grundrecht auf Wahrung seiner ureigensten Lebenschancen hat das einzelne Kind unabhängig von seiner Geschwisterzahl und der finanziellen oder gesellschaftlichen Situation seiner Eltern. Weil aber die Entwicklungsmöglichkeiten der Kinder wie unsere eigene Umwelt einem stetigen Wandel unterworfen sind, kann man keine Familienpolitik für die Ewigkeit entwerfen. Das steht auch heute hier nicht zur Debatte.
Mit dem Gesetzentwurf der CDU/CSU-Fraktion zur Novellierung des Kindergeldgesetzes, der heute dem Bundestag vorliegt, wird das konkret beantragt, was der Minister für Jugend, Familie und Gesundheit fordern müßte, wenn es ihm mit der Chancengleichheit der Kinder ernst wäre.

(Sehr richtig! bei der CDU/CSU.)

Schon in seiner Entschließung vom 28. März 1969 forderte der Bundestag dringend vor einer umfassenden Reform des Familienlastenausgleichs als Sofortmaßnahme eine Anpassung der Leistungen für kinderreiche Familien schon an die damalige wirtschaftliche Entwicklung. Die CDU/CSU-Fraktion hat diese Anpassung in sachlich genauer Auslegung des Entschließungsantrags am 25. November 1969 beantragt, indem sie eine Erhöhung des Kindergeldes um 10 DM für das dritte und jedes weitere Kind forderte. Nach Einbringung dieses Antrags hat die CDU/CSU in Anerkennung ihrer Mitverantwortung für die Gesamtsituation unserer Wirtschaft angeboten, ausgabewirksame Anträge nur im Rahmen des Haushalts 1970 einzubringen und zu beraten. Hätten wir damals gewußt, wie rapide die Lebenshaltungskosten gerade für Familien mit mehreren Kindern steigen würden, ich glaube, die Erhöhung des Kindergeldes wäre unsererseits ebenfalls in die Ausnahmen miteinbezogen worden.
Ich meine, bei der jetzigen Situation müßte auch die Regierung davon ausgehen, daß eine neue Situation vorliegt. Zwar hat die Regierung gesagt, auf gar keinen Fall würden die Lebenshaltungskosten um mehr als 4 % steigen. Nach den neuesten Informationen haben wir heute für den August dieses Jahres eine Steigerungsrate von 4,1 %.

(Hört! Hört! bei der CDU/CSU.)

Familien mit drei und mehr Kindern zahlen im Durchschnitt noch mehr als diese 4,1 %.

(Sehr wahr! bei der CDU/CSU.)

Wenn die Preise für die Lebenshaltungskosten fortlaufen, kann nur ein Heuchler sagen, daß eine Erhöhung des Familienbeitrags zur Deckung der Mehrkosten für das Lebensnotwendige ein Konsumstoß sei, der nicht in die Konjunkturlandschaft passe.
Wir leben in einer Zeit, in der in Freiheit verantwortete Elternschaft im Positiven und natürlich auch im Negativen größere Chancen einer Verwirklichung hat als früher. Daher können die Entscheidungen der Eltern heute eher als echtes Zeichen dafür gewertet werden, ob die Gesellschaft die Familie wirtschaftlich und pädagogisch ungebührlich belastet oder nicht.
Wenn es stimmt, daß ein Geburtenüberschuß von 3 ‰ pro Jahr unseren Bevölkerungsstand gerade noch hält, sind ein Geburtenrückgang seit 1965 um 20 %

(Hört! Hört! bei der CDU/CSU)

und der Rückgang des Geburtenüberschusses auf nur 1,3 ‰ für das erste Halbjahr 1970 ein nicht zu übersehendes Alarmzeichen, ein stummer Protest gegen eine den Familien mit Kindern gegenüber ungerechte Gesellschaft.
Der Gesetzentwurf der CDU-Fraktion über die Verbesserung des Kindergeldes geht einen ersten großen Schritt auf eine Reform der Leistungen des Staates an die Familie zu, die den Namen Reform verdient. Es ist heute nach der Entschließung des Bundestages vom März 1969 und in dieser wirtschaftlichen Situation nicht mehr einzusehen, daß zweite Kinder unterschiedlich behandelt werden je nach dem, ob sie in kinderreichen oder einkommensschwachen oder in anderen Familien groß werden. Es kann keinen gerechten Familienbeitrag geben, der in Zukunft die Zweitkinder noch ungleich behandelt. Daher fordern wir den Fortfall der Einkommensgrenze für das Zweitkindergeld ab 1. Januar kommenden Jahres.

(Abg. Dr. Schellenberg: Eine Erkenntnis, die mindestens ein Jahr noch nicht vorgedrungen ist! Eine ganz neue Erkenntnis!)

— Diese neue Erkenntnis, Herr Kollege Schellenberg, haben wir längst.
Demgegenüber ist der Gesetzentwurf der Bundesregierung völlig unzulänglich, ein fauler Kompromiß,

(Sehr richtig! bei der CDU/CSU)

ein Kompromiß, der nach zwei Seiten hinkt, der einmal versucht, im Auftrag des Bundestages die Leistungen anzupassen, und zum anderen, ein gerechteres System des Kindergeldes zu schaffen. Hier ein Tropfen Kindergeld, dort die neue Einkommensgrenze mit neuen Härten, von hohen Kosten des Verwaltungsaufwandes ganz zu schweigen. Nur das dritte Kind wird mit einer Kindergelderhöhung von 10 DM monatlich bedacht. In der Bundesrepublik gibt es aber auch heute noch 300 000 zweite Kinder in Zweikinderfamilien, denen auf der Grundlage des geltenden Rechts auch im Jahre 1970 deswegen noch Kindergeld zusteht, weil das Familieneinkommen weniger als 650 DM pro Monat beträgt. Dieses Zweitkindergeld in Höhe von 25 DM monatlich, das diese Familien beziehen, ist seit 1961 nicht mehr erhöht worden.

(Abg. Dr. Schäfer [Tübingen] : In der Amtszeit des Herrn Heck und der Frau Brauksiepe!)




Köster
Die Bundesregierung hat auch dieser Gruppe von wirklich Bedürftigen einfach nicht helfen wollen; Sie tun es auch heute noch nicht.

(Zuruf des Abg. Dr. Schellenberg.)

— Wer weiß, Herr Professor, vielleicht bringen diese 300 000 zuwenig Wählerstimmen. Mir scheint, die Frage der Gerechtigkeit ist keine Frage der Anzahl, sondern eine Frage der Qualität.

(Abg. Dr. Schäfer [Tübingen] : Sehr schön! Das sagen Sie mal Ihren Wählern!)

Kinder unter fünf bis sechs Jahren sind im wesentlichen zur Wahrnehmung ihrer Lebenschancen auf die Hilfe ihrer Eltern angewiesen. Unwiderbringlich gehen diese Chancen verloren, wenn sie nicht in der vorschulischen Lebenszeit genutzt werden. Unbefriedigende Statistiken über die Berufe der Eltern von Studierenden an Hochschulen haben hier ihre Wurzel. Das Sprichwort: „Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr" hat in seinem Wahrheitsgehalt durch die Ergebnisse neuer Begabungsforschungen eine neue Dimension hinzugewonnen.
Wenn Herr Dr. Nölling glaubte, uns vor einiger Zeit den Vorwurf machen zu müssen, wir gingen mit den Lebenschancen der Kinder fahrlässig um, wird er sicher mit seinen Freunden bereit sein, Familienpolitik im Hinblick auf das Kind mit Energie und Ausdauer zu betreiben, und dann ebenfalls bereit sein, den Regierungsentwurf einer kritischen Beurteilung zu unterziehen.
Der Gesetzentwurf der CDU/CSU verliert auch I die Forderung nach Vereinheitlichung der Kindergeldzahlung nicht aus den Augen. Wir haben auch deshalb auf die Anhebung des Kindergeldes für das vierte Kind und die weiteren Kinder nicht verzichtet, weil wenigstens das Kindergeld für diese Kinder eine Höhe erreichen soll, die mit der der Familienzuschläge und Kindergelder im öffentlichen Dienst vergleichbar ist. Angeblich will das ja auch die Frau Minister erreichen.
Im öffentlichen Dienst ist die Lage zur Zeit so — ich glaube, im Land Nordrhein-Westfalen ist es genauso wie beim Bund —: Das erste Kind erhält 90 DM im Monat, das zweite bis fünfte Kind 97 DM, das sechste und jedes weitere Kind 108 DM an Kindergeld und Ortszuschlägen. Dies sind praktisch Nettobeträge, weil der Zuwachs an Steuerfreibeträgen für jedes Kind das jeweilige Kindergeld und die Steigerung des Ortszuschlages übersteigt. Aber auch im Vergleich zur Höhe von Unterhaltszuschüssen für Kinder nach dem Bundessozialhilfegesetz ist die von uns geforderte Erhöhung des Kindergeldes für das vierte Kind auf 70 DM, für das fünfte und jedes weitere Kind auf 80 DM notwendig, und zwar im strengen Sinne des Wortes. Die Kinderzuschläge zum Familienunterhalt betragen nach den Richtlinien in meinem Wahlkreis mindestens 80 DM monatlich pro Kind und steigen je nach Alter bis zu 144 DM monatlich an. Wenn ein Unterhaltsberechtigter nach dem Bundessozialhilfegesetz für fünf Kinder im entsprechenden Alter einen Zuschlag von über 500 DM und zusätzlich noch den anteiligen Mietzuschuß sowie Zuschüsse für Heizung und Kleidung erhält und sein Nachbar als aktiver Arbeitnehmer für seine fünf Kinder nur 205 DM Kindergeld im Monat bekommt, so kann man diese unterschiedliche Behandlung der Kinder im Gespräch mit den Betroffenen nur als Unrecht an den Kindern der Eltern bezeichnen, die versuchen, den Lebensunterhalt für sie mit ihrer Hände Arbeit zu verdienen.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Der CDU/CSU-Entwurf bleibt mit der Erhöhung des Kindergeldes um 10 DM pro berechtigtem Kind im Rahmen des Haushaltsansatzes 1970 — Position 681 01 — des Familienministers. Im Haushalt 1970 sind zirka 200 Millionen DM mehr erforderlich, und diese stehen auch zur Verfügung. Zwar hat die Bundesregierung für die Verbesserung des Kindergeldes ab 1. Oktober im ersten Entwurf des Haushaltsplanes nur 95 Millionen DM ausgebracht, doch haben die CDU/CSU-Abgeordneten die Bundesregierung in den Vorbesprechungen zum Haushalt und im Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit wiederholt darauf aufmerksam gemacht, daß im Gegensatz zu den Berechnungen des Finanzministers nach ihrer Meinung für die Verbesserung des Kindergeldes im Etat 1970 etwa 200 Millionen DM bereitstehen müßten. Die Vertreter der Bundesregierung haben das zunächst entschieden verneint, bis sie sich von der Richtigkeit unserer Behauptung überzeugen mußten. Trotzdem ist die Bundesregierung offensichtlich nicht bereit, über die 139 Millionen DM hinaus die in diesem Haushaltstitel noch zur Verfügung stehenden zirka 60 Millionen DM für eine weitere Verbesserung des Kindergeldes auszugeben. Dafür haben wir absolut kein Verständnis.
Wenn das Finanzänderungsgesetz 1970 zur Beratung gekommen wäre, hätten wir deutlich gemacht, daß der vorzeitige Abbau der Ergänzungsabgabe und die Verdoppelung des Arbeitnehmerfreibetrages uns keinen Schritt auf dem Wege zu einer gerechten Verteilung von Lebenschancen in unserem Volk weiterbringen. Wir alle wissen, daß eine umfassende Reform des Familienbeitrages zusammen mit einer kommenden Steuerreform verwirklicht werden kann und muß. Diese Reform muß berücksichtigen, daß die Bemessung der materiellen und ideellen Hilfe sich an dem tatsächlichen Bedarf eines Kindes orientieren muß. Grundsätzlich ist dieser Normalbedarf, gestaffelt nach dem Alter, für alle Kinder gleich. Jedenfalls ist er unabhängig von der Geschwisterzahl. Höhere Leistungen für Mehrkinderfamilien sind jedoch so lange noch notwendig, bis die Leistungen des Staates für die Kinder einen angemessenen Prozentsatz des Normbedarfes erreichen.
Wir müssen die Erziehungskraft der Familie in Zukunft noch mehr stärken und die Gesellschaft auffordern, dafür zu sorgen, daß jedes Kind, das ihr anvertraut ist, seine Lebenschance erhält. Die Familie wird immer unentbehrlich bleiben, weil die tatsächlichen Lebenschancen des Kindes zum größten Teil vor dem schulpflichtigen Alter eröffnet werden oder unwiederbringlich verlorengehen. Versagen Familie und Gesellschaft bei der Bereitstellung von

Köster
Hilfen zur Entfaltung der Lebenschancen eines Kindes — in welche Familie hinein es auch geboren sein mag —, so haben wir eine Schlacht auf dem Wege zu einer freieren und gerechteren Gesellschaft verloren.

(Beifall bei der CDU/CSU.)


Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0606430600
Zur Begründung des Regierungsentwurfs hat Frau Minister Strobel das Wort.

Käte Strobel (SPD):
Rede ID: ID0606430700
Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Zunächst möchte ich mich bei Ihnen, Herr Köster, herzlich dafür bedanken, daß Sie meinen Artikel im „Vorwärts" genau gelesen haben, was ich angesichts der Veröffentlichungen Ihres Kollegen Heck im „DUD-Dienst" nicht von ihm annehmen kann, und daß Sie auch sehr objektiv dazu Stellung genommen haben. Wenn Sie meinen, daß ich dabei insgeheim an die CDU gedacht hätte, muß ich sagen, in dem Falle können Sie nicht gut Gedanken lesen. Herr Heck hat jedenfalls so reagiert, daß man meinen könnte, die CDU würde den Standpunkt einnehmen, der darin als romantisch bezeichnet wurde. Lesen Sie einmal seinen Artikel im „DUD" vom 10. September!
Als ich Sie eben ihren Gesetzentwurf begründen hörte und Ihre Ausführungen zur Kindergeldgesetzgebung, habe ich mir gedacht, es ist schade, daß Herr Köster nicht schon länger im Bundestag ist, auch schon zu der Zeit, zu der die CDU/CSU die Regierung gestellt hat; denn ich erinnere mich sehr genau, wie sehr die sozialdemokratische Bundestagsfraktion damals die unzulänglichen Gesetzentwürfe kritisiert hat.

(Abg. Frau Stommel: Sie haben uns nie geholfen!)

Was wir heute mit dem Regierungsentwurf vorlegen, ist im Grunde genommen der Versuch einer Korrektur von Fehlentscheidungen früherer Bundesregierungen im Rahmen des jetzt Möglichen. Auf einmal können wir es nicht schaffen.

Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0606430800
Frau Minister Strobel, Sie hatten das Wort zur Begründung des Regierungsentwurfs; ich gebe Ihnen nachher gerne das Wort zur Diskussion.

Käte Strobel (SPD):
Rede ID: ID0606430900
Ich habe auf Polemiken geantwortet, die der Kollege vorher zur Begründung vorgebracht hatte.
Darf ich zum Regierungsentwurf kommen. Diese Regierung legt im ersten Jahr ihrer Tätigkeit einen Gesetzentwurf zur Verbesserung des Kindergeldgesetzes am 1. September 1970 vor. Das von der Bundesregierung vorgelegte Gesetz zur Verbesserung des Kindergeldgesetzes bringt eine Erhöhung des Kindergeldes für die Drittkinder von 50 auf 60 DM monatlich, Erhöhung der Einkommensgrenze für die Bezieher des Zweitkindergeldes in Höhe von 25 DM monatlich von 650 DM heute auf 1100 DM.
Damit kommen 670 000 Familien mit zwei Kindern neu in den Genuß des Kindergeldes; es sind ohne Zweifel die, die es am nötigsten haben.
Mit der Erhöhung des Kindergeldes für das dritte Kind um 10 DM werden die Sätze für die Drittkinder an die Leistungen für vierte und weitere Kinder herangeführt. Auch das ist, gemessen an den zur Verfügung stehenden Mitteln, vom Standpunkt der sozialen Gerechtigkeit geboten. Wenn nicht schon mit dem ersten Kind, so wird oftmals mit dem zweiten Kind die Berufstätigkeit von den Frauen aufgegeben. Mit ziemlicher Sicherheit kann man annehmen, daß es sich bei den 670 000 Familien, die nach unserem Entwurf dann zusätzlich Zweitkindergeld bekommen, um Familien mit nur einem Verdienst handelt.
Mit dem dritten Kind — um auch hier die besondere Begründung zu haben — wird oft der Wechsel in größere Wohnungen dringend, und damit steigen gerade beim dritten Kind die Kosten besonders. Es wäre natürlich auch den Familien mit mehr als drei Kindern eine Erhöhung des Kindergeldes für das vierte und jedes weitere Kind zu wünschen. Warum nun diese Beschränkung? Die Grundlagen für diese Entscheidung sind die im Bundeshaushalt zur Verfügung stehenden Mittel. Es stehen für 1970 noch 130 Millionen DM zur Verfügung, die wir voll dafür verwendet haben. Ein anderer Teil ist bekanntlich — wir haben hier schon einmal darüber gesprochen — in die Stiftung für das behinderte Kind gegangen. Im Jahre 1971 sind es 410 Millionen DM, in der mittelfristigen Finanzplanung ebenfalls. Die Bundesregierung hat damit gemäß ihrer Ankündigung in der Regierungserklärung eine Verbesserung des Kindergeldes ab viertes Quartal 1970 und die entsprechenden Mittel ab 1971 vorgesehen.
Das bedeutet immerhin, daß erstmals im Jahre 1971 410 Millionen DM in die mittelfristige Finanzplanung eingeplant sind, daß erstmalig eine Erhöhung der früher in der mittelfristigen Finanzplanung erst für 1972 vorgesehenen 200 Millionen DM erfolgt. Man vergißt immer, daß es ja notwendig ist, die Mittel in der mittelfristigen Finanzplanung zu erhöhen, und daß eben derartige Mittel in der früheren mittelfristigen Finanzplanung der Regierung der Großen Koalition erst ab 1972 — und da nur 200 Millionen DM — vorgesehen waren.

(Abg. Ott: Mit besserer Kaufkraft!) — Das ist eine recht bequeme Ausrede.


(Abg. Ott: Das sind Tatsachen! Ihre Mark ist auch weniger wert als vor zwei oder fünf Jahren!)

— Entschuldigen Sie einmal, das steht in keinem Verhältnis zur Verdoppelung des Betrages, der von der damaligen Regierung eingesetzt war. Dieser Betrag ist jetzt von dieser Regierung verdoppelt worden.

(Abg. Ott: Warten Sie nur ab, wenn das so weitergeht, was Sie dann noch kaufen können!)

— Wenn Sie, verehrte Herren Kollegen von der Opposition, jetzt andere Prioritäten setzen wollen,

Bundesminister Frau Strobel
ist das Ihre Sache. Man kann nur nicht beides wollen: auf der einen Seite Sparsamkeit beim Haushalt verlangen und auf der anderen Seite erhebliche Ausgabeerhöhungen.

(Beifall bei der SPD.)

Denn Ihr Gesetzentwurf kostet immerhin 1,5 Milliarden DM, wie Sie ja selber in Ihrem Gesetzentwurf angeben. Aber bitte, es ist sicher gut für alle Arbeitnehmer, zu wissen, daß Sie weitere Erhöhungen des Kindergeldes, vor allem für die vierten und weiteren Kinder, der Verdoppelung des Arbeitnehmerfreibetrages bei der Steuer vorziehen.

(Abg. Dr. Lenz [Bergstraße]: Das hat Herr Windelen eben eindeutig erklärt!)

Aber auch dieser Betrag steht zunächst gar nicht
zur Verfügung; das haben Sie eben selber gesagt.

(Abg. Ott: Aber in der Regierungserklärung stand er zur Verfügung!)

Ich muß Ihnen sagen: Die Bundesregierung ist nicht bereit, Ihnen bei dieser Überlegung zu folgen.
Wenn aber nur 410 Millionen DM mehr zur Verfügung stehen, kann eben nur die Erhöhung der Einkommensgrenze beim Zweitkindergeld und die Erhöhung des Drittkindergeldes als Akt der Gerechtigkeit erfolgen. Aus Ihrer Begründung glaube ich entnommen zu haben, daß Sie im Rahmen der zur Verfügung stehenden 400 Millionen DM diese Erhöhungen auch für vordringlicher halten würden. Wenn man darüber hinausgeht, ist das natürlich etwas anderes.
Ich will es mir versagen, mich näher mit der Tatsache auseinanderzusetzen, daß die CDU/CSU nunmehr eigentlich innerhalb von wenigen Monaten mit zwei Entwürfen zur Kindergeldgesetzgebung hervortritt,

(Zuruf von der CDU/CSU: Da sehen Sie, wie ernst wir das nehmen!)

während Sie es in der Regierungsverantwortung seit April 1965 — nahezu fünf Jahre lang — an derartigen Initiativen haben fehlen lassen.
Eines aber muß ich doch ganz deutlich sagen: Die Bundesregierung hält es nicht für angemessen, die von der CDU/CSU angeregten weitergehenden Kindergeldverbesserungen mit einem Verzicht auf die Verdoppelung des Arbeitnehmerfreibetrages möglich zu machen.
Meine Damen und Herren! Im Rahmen dieser Reform wird auch immer wieder über das Problem einer systemgerechten Anpassung an die allgemeine wirtschaftliche Entwicklung gesprochen. Insbesondere hat ja der Bundesrat auch einen solchen Vorschlag zum Regierungsentwurf gemacht. Ich möchte darauf aufmerksam machen, daß wir diese Möglichkeit erst bei der Gesamtreform des Familienlastenausgleichs sehen.
Im Zusammenhang mit der gesamten Kindergeldgesetzgebung spielt ohne Zweifel die Betrachtung der Entwicklung der Geburtenzahlen eine nicht unerhebliche Rolle. Herr Köster hat bei der Begründung soeben auch darauf hingewiesen. Lassen Sie mich bitte dazu sagen: In allen Industriestaaten ist in den letzten Jahren ein Absinken der Geburtenzahlen zu sehen, unabhängig vom Kindergeld und sehr unterschiedlich. Ich meine, es besteht keine Veranlassung, deswegen die Alarmglocke zu läuten, wenn man sich etwas mit der Entwicklung auch in den nächsten Jahren beschäftigt. Selbst wenn die Prognosen, daß bis 1975 ein Rückgang des Geburtenüberschusses eintritt, zutreffen und sich die Sterblichkeitsziffer auf Grund unserer Altersstruktur weiter erhöht, bliebe als Tiefstand 1975 ein Geburtenüberschuß von etwa 100 000. Ab 1976 nehmen die geburtenstarken Jahrgänge im Heiratsalter wieder zu. Man kann auch damit rechnen, daß ab 1976 die Geburtenzahlen wieder hinaufgehen. Aber ich glaube, meine Damen und Herren, für das Sozialprodukt ist es in diesem Zusammenhang auch nicht unwichtig, daß man annehmen kann, daß sich die Steigerung der Arbeitsproduktivität stärker auswirkt als die Bevölkerungszunahme; denn der Hinweis auf die Bevölkerungsentwicklung wird sehr oft damit begründet, daß dadurch die Zunahme der Zahl der Beitragleistenden bei der Sozialversicherung und damit die Abdeckung der Risiken gefährdet sei.
Ich hoffe, daß mir die Frau Präsidentin gestattet, kurz generell etwas zur Familienpolitik zu sagen. Auch mein Vorredner hat das getan. Weil ich den Eindruck hatte, daß Herr Kollege Heck es in diesem Artikel eben nicht gelesen hat, möchte ich hier noch einmal betonen, daß ich die Familienpolitik als eine Politik verstehe, die sich an allen Familien orientiert und für junge, werdende und wachsende Familien genauso dasein muß, wie für die großen, die kinderreichen. Schon das erste und das zweite Kind sind ein fühlbarer materieller Einschnitt für die Familie.
Wir wollen uns sehr bemühen, den Stellenwert der Familie und ihr Image zu heben und damit der Familienpolitik auch zu einem besseren Erfolg zu verhelfen, weil wir sie eben schon vom Ansatz her als Politik für alle Familien verstehen und betreiben. Für diese Regierung ist und bleibt die Familie ein wesentlicher Orientierungspunkt politischen Handelns. Dies drückt sich auch in dem Bemühen aus, die Familienpolitik in das Gefüge aller sozialen Politik zu integrieren.
Nach Feststellung des von der Bundesregierung kürzlich vorgelegten Sozialbudgets sind 45 % aller Sozialleistungen direkt oder indirekt Leistungen an und für die Familie. Diese Bundesregierung und die sie tragenden beiden Bundestagsfraktionen haben auch und gerade durch Gesetze und Maßnahmen der letzten Zeit ihre familienfreundliche Politik ganz besonders unterstrichen.
Ich erinnere an das Gesetz — zu dem nachher mein Kollege Lauritzen sprechen wird —, das eine wesentliche Verbesserung des Wohngeldes ab 1. Januar 1971 bringen wird. Ich erinnere an das Vermögensbildungsgesetz; ab Januar 1971 wird bekanntlich an Stelle der Steuerfreibeträge, von denen gerade die Familien mit mehreren Kindern kaum Gebrauch machen konnten, eine Sparzulage von 30 % und den Arbeitnehmern mit drei und mehr Kindern eine solche von 40 °/o gegeben. Ich erinnere an die Unfallversicherung für alle Schulkinder und Studen-

Bundesminister Frau Strobel
ten. Ich erinnere an unseren Gesetzentwurf, der die Verheiratetenklausel in allen Gesetzen beseitigt. Auch die Bildungspolitik und das noch in der letzten Legislaturperiode vom Bundestag angenommene Ausbildungsförderungsgesetz gehen in diese Richtung. Die erhebliche Verstärkung der Mittel des sozialen Wohnungsbaues, die Investitionen zur Verbesserung der Infrakstruktur, das alles trägt dazu bei, die Lebensbedingungen für alle und damit auch für die Familien in unserem Lande zu verbessern. Nicht zuletzt kommt auch die Politik der Vollbeschäftigung allen Familien der Bundesrepublik zugute.
Das muß man alles in diesem Zusammenhang sehen. Das habe ich mit meinem Artikel gemeint. Ich freue mich, daß wir wenigstens da übereinstimmen.

(Beifall bei der SPD.)


Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0606431000
Das Wort hat der Abgeordnete Vogt von der CDU/CSU.

Wolfgang Vogt (CDU):
Rede ID: ID0606431100
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Frau Minister Strobel, die sozialdemokratische Bundestagsfraktion hat sicherlich seit 1966 die Familienpolitik hier in diesem Hause mit zu verantworten. Sie sollten sich immer daran erinnern, wann Sie Verantwortung übernommen haben.
Sie haben das Steueränderungsgesetz 1970 erwähnt. Heute nachmittag waren wir, Herr Kollege Schellenberg, schon einmal so weit. Dazu kann ich jetzt nur feststellen, daß heute dank einer erfolglosen Wirtschafts- und Konjunkturpolitik weder der Arbeitnehmerfreibetrag verdoppelt worden ist noch die Ergänzungsabgabe abgebaut werden konnte noch das Kindergeld nicht so entscheidend verbessert werden soll, wie das nach unseren Vorstellungen möglich wäre.

(Zuruf des Abg. Dr. Schellenberg.)

— Das ist eine schöne Aufrechnerei, wenn dann im Endergebnis für niemanden etwas übrigbleibt. Wir haben uns dazu durchgerungen, den Arbeitnehmerfreibetrag nicht zu verdoppeln und dem Abbau der Ergänzungsabgabe nicht zuzustimmen. Das war selbstverständlich schwer;

(Abg. Katzer: Das war sehr schwer!)

denn die Verdoppelung des Arbeitnehmerfreibetrages, Herr Professor Schellenberg, hätte dem einzelnen Arbeitnehmer 3,80 DM im Monat mehr gebracht. Das ist schon etwas. Aber die Summe konnten wir strukturpolitisch in der Familienpolitik eben besser verwenden, und deshalb haben wir uns damals zu diesem Vorschlag durchgerungen.
In der bisherigen Debatte ist sicherlich sehr viel Kluges über die grundlegende Reform eines Familienlastenausgleichs gesagt worden. Frau Minister Strobel, Sie haben die Familienpolitik in den weiteren Rahmen gesteckt. Darüber werden wir im Laufe dieser Legislaturperiode noch zu beraten haben, wenn die Reformgesetze anstehen werden. Ich will jetzt auf das zu sprechen kommen, worum es meines Erachtens heute geht.
Es geht doch darum, daß die Familie auf Grund der rapiden Preisentwicklung doppelt getroffen ist. Der Kollege Köster hat auf den Anstieg der Lebenshaltungskosten hingewiesen. Ich könnte darauf hinweisen, daß es natürlich auf dem Wohnungsmarkt und bei den Mieten nicht besser aussieht, und da haben wir ja schon seit 1966 einen sozialdemokratischen Wohnungsbauminister.

(Sehr wahr! bei der CDU/CSU.)

Die Erhöhung der Lebenshaltungskosten wirkt sich nun bei den Familien besonders negativ aus. Das Kindergeld hat andererseits eine starke Wertminderung hinnehmen müssen. Deshalb müssen wir die heute vorliegenden Gesetzentwürfe unter dem Gesichtspunkt der Anpassung betrachten.
Unter diesem Gesichtspunkt ist der Regierungsentwurf völlig ungenügend, weil er nicht einmal dahin zielt, den Status von 1965 wiederherzustellen. Das aber scheint uns notwendig zu sein.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Ein Zweites. Es ist schon auf die Entschließung des Deutschen Bundestages vom 28. März 1969 hingewiesen worden. In dieser Entschließung, der damals die beiden Regierungsfraktionen zugestimmt haben, steht das Wort „Anpassung". Wie steht dieses Haus heute mit dem vorliegenden Regierungsentwurf vor den Familien da, denen diese Anpassung versprochen worden ist? Das ist keine Erfüllung des Versprechens, das das Hohe Haus vor anderthalb Jahren abgegeben hat.
Sie haben einen Etat für 1971 mit einer Steigerungsrate von mehr als 12 % vorgelegt. Über die konjunkturpolitische Bedenklichkeit dieser Steigerungsrate wird in diesem Haus noch zu sprechen sein. Für uns ist interessant, daß, obwohl Sie diese Ausweitung vorgenommen haben, Sie sich nicht entschließen konnten, für die Familienpolitik einen deutlichen Akzent zu setzen.

(Abg. Katzer: Genau das ist es!)

Das ist das politisch Entscheidende, das hier in dieser Debatte festgestellt werden muß. Oder: wenn Sie doch einen Akzent setzen wollten, könnte ich nur feststellen, daß das politische Gewicht derjenigen in der SPD, die für die Familie eintreten, etwas unterentwickelt ist.

(Zurufe von der SPD: Na, na! — Abg. Katzer: Ja, so ist es!)

Durch den konjunkturpolitischen Schlendrian ist hierzulande die Familie zum Stiefkind der Politik geworden. Ich habe schon darauf hingewiesen, daß sie die Last der Preissteigerung zu tragen hat. Gleichzeitig sagen Sie: Wegen der Dämpfung der Konjunktur dürfen wir die Ausgaben für die Familien nicht erhöhen. So behandeln Sie dieses schwierige Problem. So wie Sie hier vorgehen, sind die Familien immer die Dummen.
Ich glaube, es wäre vor allem auch im Interesse der Familien notwendig, daß sich die Regierungsfraktionen in der nächsten Zeit verstärkt der Aufgabe zuwenden, den Preisauftrieb in diesem Land zu brechen. Ich weiß nicht, ob die Regierungsfraktionen



Vogt
dazu überhaupt willens und in der Lage sind. Wenn ich Pressemeldungen Glauben schenken darf, hat Ihr Kollege Dr. Arndt dieser Tage erklärt, die Bundesbank solle als Ziel ihrer Konjunkturpolitik offen die relative Preisstabilität verkünden. Im Augenblick ist sie zur Preisstabilität verpflichtet. Dennoch akzeptieren Sie einen Anstieg der Lebenshaltungskosten um 4 %, Sie akzeptieren einen Anstieg der Baupreise um über 20 %. Wenn Sie künftig die Bundesbank nur zu einer Politik der relativen Stabilität verpflichten, können wir uns ausrechnen, bei welchem Anstieg der Lebenshaltungskosten Sie dann immer noch zufrieden sind.

(Abg. Dr. Schäfer [Tübingen]: Wenn Sie es so gut wissen, werden wir Sie fragen!)

Es ist meines Erachtens wichtig, daß im Interesse der Familien eine auf Stabilität gerichtete Konjunkturpolitik betrieben wird. Dann brauchten wir die Mittel, die für den Familienlastenausgleich eingesetzt werden, nicht nur dazu zu verwenden, Kaufkraftverluste auszugleichen; dann könnten wir die Familien etwas voranbringen.

(Abg. Dr. Schäfer [Tübingen]: Sagen Sie das einmal dem Herrn Heck, damit er es nachträglich noch begreift!)

Meine Damen und Herren, ich wünschte, daß diese Debatte dazu führt, daß wenigstens im Ausschuß noch einmal etwas intensiver über dieses Problem geredet wird. Ich hoffe, daß die sozialdemokratischen Kollegen, die sich der Familienpolitik widmen, den Regierungsentwurf nicht einfach nur stur im Ausschuß durchziehen.

(Beifall bei der CDU/CSU.)


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0606431200
Das Wort hat der Abgeordnete Hauck, SPD-Fraktion.

Rudolf Hauck (SPD):
Rede ID: ID0606431300
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Nach einer zum Teil lebhaften öffentlichen Diskussion stehen wir nun heute in diesem Hause vor dem Endstadium der Auseinandersetzung um die Verbesserung des Bundeskindergeldgesetzes. Das sollten wir besonders herausstellen. Es liegen dem Hohen Hause heute zwei Entwürfe vor, die von der Opposition und von der Regierung eingehend begründet worden sind, wobei von beiden Sprechern auch Zukunftsvorstellungen über den Familienlastenausgleich mitentwickelt wurden.
Wir haben — das hat der letzte Redner besonders zum Ausdruck gebracht — die Frage zu klären, ob der Regierungsentwurf, der die Erhöhung des Drittkindergeldes um 10 DM und eine Anhebung der Einkommensgrenze für das Zweitkindergeld von 650 auf 1100 DM vorsieht, von diesem Hause beschlossen werden soll, oder ob die von der Opposition geforderte generelle Erhöhung des Kindergeldes ab 1. September 1970 um 10 DM und die Beseitigung der Einkommensgrenze für das Zweitkindergeld ab 1. Januar 1971 vorrangig sind.
Es hört sich zunächst ganz schön an, wenn man diese weitgehende Forderung der Opposition zur
Diskussion stellt. Man finder überall Beifall. Denn wer freut sich nicht darüber, daß er Mehrleistungen bekommt, besonders wenn man bedenkt, daß zumindest in den letzten fünf Jahren auf diesem Gebiet nichts getan wurde? Die Opposition sonnt sich in diesem Beifall, der ihr nicht ungelegen kommt, da manche Kreise krampfhaft versuchen, nachzuweisen, wie schlecht, gemessen an der Kindergeldregelung, die Familienpolitik der Bundesregierung dasteht.

(Abg. Franke [Osnabrück] : Das stimmt!)

Es ist ja so, daß man in der Öffentlichkeit das, was die Regierung tun will, an dem mißt, was die Opposition fordert, und viele glauben eben, daß derjenige Entwurf der bessere sei, der materiell am meisten verspricht. Aber hier muß man wie überall der Sache auf den Grund gehen. Dann kommt man zu der Erkenntnis, daß von der Opposition insgesamt ein schlechter politischer Stil praktiziert wird. Man muß nämlich wissen, daß zum Bundeskindergeldgesetz heute eigentlich drei Entwürfe vorliegen.
Die CDU/CSU hört es gar nicht so gern, daß sie bereits am 25. November 1969 in aller Eile einen Entwurf einbrachte, der eine Erhöhung des Kindergeldes für das dritte und jedes weitere Kind um 10 DM vorsah. Kein Wort, kein Gedanke zur Erhöhung des Zweitkindergeldes und zur Beseitigung bzw. Erhöhung der Einkommensgrenze!
Herr Kollege Köster, in einer sachlich geführten Diskussion im Ausschuß ist es dann durch unsere gemeinsame Initiative gelungen, die Aufmerksamkeit des gesamten Hauses auf den Problemkreis des Zweitkindergeldes zu lenken.
Nun hat die Union einen zweiten Gesetzentwurf vorgelegt; der erste ist allerdings noch gar nicht zurückgenommen. Und man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, daß man den ersten, unausgegorenen Entwurf nur so schnell eingebracht hat, um in der Öffentlichkeit zu dokumentieren, daß man in der sechsten Legislaturperiode zuerst familienpolitisch aktiv geworden ist.

Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0606431400
Herr Kollege Hauck, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Ott?

Anton Ott (CSU):
Rede ID: ID0606431500
Herr Kollege, ist Ihnen bekannt, daß unser Entwurf vom 25. November vorigen Jahres die Antwort darauf war, daß Sie am gleichen Tage beschlossen hatten, die Verdoppelung des Arbeitnehmerfreibetrages durchzuführen, und daß bei der Verdoppelung des Arbeitnehmerfreibetrages 5 Millionen Arbeitnehmer nichts bekommen hätten und daß die hochverdienenden Arbeitnehmer im Gegensatz zu den Familien, denen Sie damals nichts geben wollten, eine Steuerermäßigung bekommen hätten?

Rudolf Hauck (SPD):
Rede ID: ID0606431600
Am 25. November haben Sie, glaube ich, den Deckungsvorschlag für das Zweitkindergeld noch gar nicht im Auge gehabt. Sonst



Hauck (Sasbach)

hätten Sie nämlich damals das Zweitkindergeld in Ihrem Entwurf mit berücksichtigt.

(Beifall bei der SPD.)

Das muß man doch sehen!
Ich möchte auch sagen, daß die Union, .die Opposition, auch bei dem neuen Entwurf — und Sie hören auch das nicht gerne — über ihre eigenen finanz- und konjunkturpolitischen Forderungen hinausgeht und daß ihre Vorschläge gar nicht in die Landschaft hineinpassen.
Der vorliegende Gesetzentwurf bringt nach Ihren eigenen Berechnungen rund 1,6 Milliarden DM Mehrkosten für den Bund im letzten Quartal 1970 und im Jahre 1971. Und Sie schlagen als Deckung vor: die Haushaltsansätze der Bundesregierung, die sogenannten Haushaltsreste und außerdem die fiktiven Mindereinnahmen aus dem Wegfall des Arbeitnehmerfreibetrages und der Ergänzungsabgabe.

(Zuruf von der CDU/CSU: Wer hat das denn vorgeschlagen?)

Es ist wirklich erstaunlich, wie Sie z. B. — das kommt immer wieder vor — mit den sogenannten Haushaltsresten umgehen und diese immer wieder mit zur Diskussion stellen.

(Zuruf von der SPD: Das ist alles wenig seriös!)

Aber man muß fragen: Wie paßt das eigentlich in die von Ihnen so düster und grau dargestellte konjunkturpolitische Landschaft? Einerseits spielen Sie sich ständig als Partei der absoluten Stabilität auf, andererseits wollen Sie aber beim Kindergeld erheblich über das, was die Regierung vorschlägt, hinausgehen.

(Zuruf von der SPD: Nicht nur da!)

Einerseits wirft die Opposition der Regierung vor, sie gebe zuviel Geld aus —

(Abg. Katzer: Priorität!)

Ihr Antrag vom Juli und die Äußerung des Herrn Stoltenberg —; andererseits geht sie dann hinsichtlich des Finanzvolumens ihres eigenen Antrags noch um mehr als 200 % über das, was im Haushaltsplan vorgesehen ist, hinaus.

Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0606431700
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dasch?

Rudolf Hauck (SPD):
Rede ID: ID0606431800
Ja, bitte!

Valentin Dasch (CSU):
Rede ID: ID0606431900
Herr Kollege Hauck, ist Ihnen denn entgangen, daß die Konjunktur bzw. die Preissteigerungen auch höhere Steuereinnahmen bringen und daß eben eine Pflicht dieses Hohen Hauses besteht, das zu überprüfen, und es die Pflicht der Regierung gewesen wäre, die Priorität „Familie" zu setzen und dementsprechend die kinderreichen Familien wenigstens zu einem Teil für das zu entschädigen, was sie auf Grund der Inflationspolitik der SPD bisher verloren haben?

(Beifall bei der CDU/CSU.)


Rudolf Hauck (SPD):
Rede ID: ID0606432000
Das letzte mit der Inflationspolitik ist eines Ihrer Schlagworte. Aber gerade wenn diese Ausgaben so steigen, muß man ja Maßnahmen einleiten, die Sie immer wieder mit „Stabilität", „weniger Bundesausgaben" usw. erneut begründen.

(Zuruf von der CDU/CSU: Eine Frage der Priorität!)


Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0606432100
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Köster?

Gottfried Köster (CDU):
Rede ID: ID0606432200
Herr Hauck, ist Ihnen entgangen, daß im Etat des Jahres 1970 noch 60 Millionen DM unter der Widmung „Kindergeld" zur Verfügung stehen, die die Bundesregierung nicht für die Kinder auszugeben bereit ist?

Rudolf Hauck (SPD):
Rede ID: ID0606432300
Die halben wir ja für die Stiftung — —

Gottfried Köster (CDU):
Rede ID: ID0606432400
Es steht zur Zeit für die Kinder zur Verfügung!

Rudolf Hauck (SPD):
Rede ID: ID0606432500
Wir haben sie doch durch die Vorverlegung des Termins vom 1. 10. auf den 1. 9. und durch die Bereitstellung eines Betrages für die Stiftung „Behindertes Kind" in der Haushaltsdebatte genügend erläutert und immer wieder dargestellt, Herr Kollege Köster.

Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0606432600
Gestatten Sie noch eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Ott?

Anton Ott (CSU):
Rede ID: ID0606432700
Herr Kollege Hauck, ist Ihnen entgangen, daß Ihre Regierung bereit war, bis zu 2 Milliarden DM Steuersenkungen auszuschütten, und daß wir lediglich bereit waren, einen Teil dieser Geschenke für die Aufstockung des Kindergeldes in Anspruch zu nehmen?

Rudolf Hauck (SPD):
Rede ID: ID0606432800
Sie wollten die gesamte Deckung haben, Sie wollten den gesamten Etat gestrichen haben. Ich möchte Ihnen folgendes sagen: Es ist doch etwas Komisches, daß Sie beim Steueränderungsgesetz 1970 fordern, daß es aus Stabilitätsgründen nicht praktiziert wird, daß Sie aber gleichzeitig dieses Geld beim Kindergeld wieder konsumtiv ausgeben wollen.

(Zuruf von der CDU/CSU: Das ist völlig falsch! — Abg. Franke [Osnabrück]: Das ist nur die Deckung für ein anderes Vorhaben!)

— Es ist doch zurückgestellt worden; das ist heute schon in der Diskussion besprochen worden.

Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0606432900
Gestatten Sie noch eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Vogt?

Wolfgang Vogt (CDU):
Rede ID: ID0606433000
Herr Kollege Hauck, ist Ihnen bekannt, daß wir im Finanzausschuß des Deutschen Bundestages gesagt haben, wir seien aus konjunk-



Vogt
turpolitischen Gründen der Meinung, das Steueränderungsgesetz solle nicht verabschiedet werden — Sie wissen, daß es zwei unterschiedliche Abstimmungsgänge waren —, daß wir aber, wenn die Regierung der Auffassung sei, sie könne auf dieses Geld verzichten, den Akzent in der Familienpolitik setzen wollten?
Darf ich noch fragen, ob Sie heute nachmittag die Debatte und die Stellungnahme des Kollegen Windelen zu dem Komplex verfolgt haben, den wir gerade besprochen haben? Wenn Sie das getan haben, wundere ich mich über Ihre Ausführungen.

Rudolf Hauck (SPD):
Rede ID: ID0606433100
Sie stellen die Angelegenheit aus Ihrer Sicht dar. Sie werden es mir doch nicht verübeln, daß ich versuche, unseren Standpunkt hier ebenfalls hineinzubringen. Zur Zeit ist das Steueränderungsgesetz 1970 nicht in Kraft.

(Abg. Windelen: Das haben wir doch erklärt!)


Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0606433200
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dorn?

Wolfram Dorn (FDP):
Rede ID: ID0606433300
Herr Kollege Hauck, ist Ihnen bekannt, daß der CDU-Bundestagsabgeordnete Wuermeling einer Regierung, in der die CDU den zuständigen Ressortminister gestellt hat, vorgeworfen hat, daß sie die schlechteste Familienpolitik betrieben habe, die hier je in diesem Hause betrieben worden sei?

Rudolf Hauck (SPD):
Rede ID: ID0606433400
Herr Kollege Dorn, ich kann das nur bestätigen; ich komme noch einmal darauf zurück. Wenn man über konjunkturpolitische Akzente spricht, läßt einen die Union nicht weitersprechen. Sie versucht dann immer, sich herauszureden.
Ich möchte jetzt zu der Schlußfolgerung kommen und folgendes sagen. Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, daß die Union mit diesem Gesetzentwurf, Herr Kollege Dorn, vertuschen will, was sie jahrzehntelang in der Familienpolitik versäumt hat.

(Beifall bei der SPD. — Zuruf von der CDU/CSU: Was sie gegen Ihren Willen durchgesetzt hat!)

Sie will darüber hinwegtäuschen. Mit einem Schlag will man das aufholen, was CDU-Familienminister jahrelang versäumt haben. Es sind doch Tatsachen, daß das Zweitkindergeld seit 1961 nicht erhöht worden ist.

(Abg. Köster: Sie tun es ja auch nicht!) — Wir sind doch dabei!


(Abg. Köster: Das Zweitkindergeld erhöhen Sie um keine Mark!)

-- Herr Kollege Köster, wir bringen aber 670 000 Kinder in diese Förderung hinein. Daß es nicht ausreichend ist, wissen wir auch.

(Abg. Köster: Sie erhöhen um keine Mark!)

Ich sage: Sie wollen darüber hinwegtäuschen, daß Sie zehn Jahre lang auch eine Familienpolitik betrieben haben, die nicht den fortschrittlichen Gesichtspunkten entspricht.

(Beifall bei der SPD.)

Der CDU-Familienminister wurde in der 5. Legislaturperiode zwanzigmal aufgefordert, Initiativen zu ergreifen; denn auch unter der Regierung Erhard hat es Preissteigerungen gegeben, die mit denen vergleichbar sind, die Sie uns ständig unter die Weste jubeln wollen.

(Zurufe von der CDU/CSU: Nein! Nie! — Abg. Frau Kalinke: Schreien Sie doch nicht so! Wir können alle gut hören!)

— Sie haben genauso eine Aussprache wie ich. Das ist Ihr Temperament, und das ist jetzt mein Temperament. Für diese Belehrung sind Sie, Frau Kollegin Kalinke, nicht gerade geeignet.

(Abg. Wehner: Sie hat Ihnen die Erfahrung voraus, was das Temperament betrifft!)

Hier sind zwanzigmal Initiativen gefordert worden — nichts ist geschehen. Ich muß sagen: praktisch hat das Parlament 1967 in einem Akt, der fast einer Selbstaufgabe gleichkam, und mit Unterstützung des Herrn Wuermeling Verschlechterungen im gesamten Kindergeldsystem abgewendet, z. B. Einkommensgrenzen für das ganze Kindergeld. Ich könnte Ihnen weitere Beispiele aufzählen. Es war eine leidvolle Geschichte, die wir damals mitgemacht haben.
Daß es mit den Leistungen der Union in der Familienpolitik nicht weit her ist, behaupten nicht nur wir Sozialdemokraten, sondern auch andere Stellen. Da ist z. B. in der Juli-Ausgabe der „Stimme der Familie", des Mitteilungsdienstes des Familienbundes Deutscher Katholiken, zu lesen — hören Sie einmal genau zu —:
Wir müssen zugeben, daß wir bisher mit der familienpolitischen Rolle der Opposition zumal in den letzten Jahren nicht zufrieden sein konnten,

(Hört! Hört! bei der SPD)

hat sie doch, solange sie noch an der Regierung war — und zwar schon nach 1964 —, die Familien und die Familienpolitik kläglich vernachlässigt. Die Nachwirkungen dieses Versagens machten bisher ihre Kritik an der Regierung zu einem nur hohlen Donnergetöse.
So die „Stimme der Familie". Ich glaube, man braucht nichts hinzufügen.

(Abg. Dasch: Sie müssen auf Seite 2 weiterlesen!)

Nach dieser kläglichen Vernachlässigung will man nun die Bundesregierung übertrumpfen. — Sie zitieren, was Ihnen paßt;

(Lachen bei der CDU/CSU)

Sie sollen hören, was hier geschrieben steht. — Man fordert also heute mit der Übertrumpfung das Dreifache der Haushaltsansätze für das Kindergeld und macht Deckungsvorschläge, welche die Arbeitnehmer insgesamt benachteiligen.




Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0606433500
Herr Kollege Hauck, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dasch?

Valentin Dasch (CSU):
Rede ID: ID0606433600
Herr Kollege Hauck, darf ich Sie ernstlich fragen: Sehen Sie in unserem Vorschlag, das Kindergeld um 10 DM zu erhöhen und die Grenze zu beseitigen, nur ein billiges Übertrumpfen und nicht eine Forderung, die im Interesse der Familien sachlich durchaus gerechtfertigt ist?

Rudolf Hauck (SPD):
Rede ID: ID0606433700
In der derzeitigen Haushaltslage — wir haben darüber gesprochen — ist es ein Übertrumpfen. Die Wertung als solche, Herr Kollege, geben Sie und geben wir. Das kann ich nur feststellen.

(Abg. Dasch: Herr Kollege, ich habe Sie nicht gefragt, ob Sie die Forderung erfüllen können, sondern — und ich bitte Sie, meine Frage zu beantworten — ob Sie diese Forderung als gerechtfertigt ansehen!)

— Nein. Wir Sozialdemokraten wissen — hören Sie bitte einmal zu! —, daß es sich bei unserem Gesetzentwurf nur um eine Übergangslösung handelt. Sie befriedigt uns nicht voll. Auch uns ist die Einkommensgrenze nicht gerade angenehm. Auch wir kennen die Situation der kinderreichen Familien.

Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0606433800
Gestatten Sie noch eine weitere Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dasch?

(Abg. Liehr: Kann er nicht wenigstens mal einen Satz zu Ende sprechen?)

— Sie können ablehnen, Herr Kollege Hauck.

Valentin Dasch (CSU):
Rede ID: ID0606433900
'Herr Kollege, ist Ihnen die neueste mittelfristige Finanzplanung bekannt, aus der hervorgeht, daß die von Ihnen getragene Regierung bis 1973 weiter nichts mehr vorhat als die von Ihnen nun gerühmte Übergangslösung?

(Abg. Wehner: Lassen Sie das mal unsere Sorge sein!)


Rudolf Hauck (SPD):
Rede ID: ID0606434000
Wir haben hier schon ganz andere Lösungen getroffen, und die mittelfristige Finanzplanung ist auch schon verschiedenlich geändert worden. Wir beschließen aber im Gegensatz zu Ihnen nichts, was wir nicht verantworten können und was nicht in den gesamten politischen Rahmen hineinpaßt.
Wir sind der Überzeugung, daß sich unser Entwurf trotz mancher Enttäuschung, die er bei kinderreichen Familien ausgelöst hat, sehen lassen kann. Er geht erstens in seinem Finanzvolumen für die Leistungsverbesserungen weit über das hinaus, was der letzte Deutsche Bundestag in seiner mittelfristigen Finanzplanung gefordert hat. In der mittelfristigen Finanzplanung waren bekanntlich — das muß man doch sagen — erst für 1972 200 Millionen DM vorgesehen.

(Zuruf des Abg. Dasch.)

In der mittelfristigen Finanzplanung der neuen Bundesregierung sind jährlich rund 400 Millionen DM
eingesetzt. Auch das muß man sagen: Wir haben damit die Forderung des 5. Deutschen Bundestages zu über 100 % erfüllt, und in der mittelfristigen Finanzplanung steigen die Ansätze für das Kindergeld von 12,2 auf 13,4 Milliarden DM, was immerhin Verbesserungen von 1,2 Milliarden DM sind.
Außerdem erachten wir es für einen wesentlichen Fortschritt, daß in größerem Umfang einkommensschwache Kleinfamilien berücksichtigt werden; das ist die Hineinnahme der 670 000 Kinder.
In der Familienpolitik — da stimmen wir Ihnen zu — müssen wir der Kleinfamilie mehr Augenmerk widmen, als es bislang getan worden ist. Ich denke hier z. B. auch an eine ausgezeichnete Resolution der deutschen Kolpingfamilie, die auf ihrem Niederrheintag zum Familienlastenausgleich und zur Familienpolitik nichts von Forderungen in Ihrem Sinne gesagt hat. Sie hat gesagt, wir müssen beim Familienlastenausgleich der 1- und 2-Kinder-Familie mehr Bedeutung beimessen und sie stärker einbinden; eine ausgezeichnete Formulierung, die wir, möchte ich sagen, beherzigen wollen, und da sind ja beide Entwürfe sogar konform.
Ich bin auch erfreut darüber oder — man muß es richtig sagen — ich verstehe den Deutschen Familienverband, daß er stolz auf eine Umfrage hinweist, in der sich junge Menschen fast ausschließlich für die Familie aussprechen, zur Familiengründung, zur Kindererziehung bekennen. Aber man muß dabei auch die Schlußfolgerung ziehen, daß die erträumte Familie dieser jungen Menschen eben die Kleinfamilie, die Familie mit ein, zwei, drei Kindern ist, und das zwingt uns, für diese Familie stärkere Förderungsmaßnahmen einzuleiten.

(Abg. Vogt: Das ist doch nicht das Thema!)

— Und da sind wir schon bei der Diskussion, Herr Kollege Vogt, die zur Zeit mit Leidenschaft und Engagement geführt wird, ich meine die Diskussion über die rückläufige Geburtenzahl. Dies ist zweifellos ein Problem, über das man sich sachlich und ernst unterhalten muß. Ich wehre mich aber mit Nachdruck dagegen, daß jetzt immer wieder die Formel gebraucht wird, die Verzögerung bzw. unzureichende Verbesserung des Kindergeldes oder die unzureichende Regelung des Familienlastenausgleichs in der Bundesrepublik sei an dieser Entwicklung schuld. Sie haben es auch anklingen lassen, Herr Kollege Köster.
Es wäre reizvoll — und Sie haben dieselben Unterlagen wie ich —, hier einmal Einzelheiten zu behandeln; denn es liegt ausgezeichnetes Material von Herrn Diplomvolkswirt Oehlert vor. Lassen Sie mich bitte zu der bei uns seit 1967/68 absinkenden Geburtenziffer bemerken, daß dieselbe Tendenz auch bei anderen europäischen Industrienationen festzustellen ist. Daß es nicht möglich ist, mit materiellen Familienförderungsmaßnahmen die Geburtenzahlen wesentlich zu erhöhen, ist mittlerweile unbestritten, Herr Kollege Köster.

(Abg. Köster: Nein!)

— Das ist unbestritten. Man kann es am besten am Beispiel Frankreichs sehen, wo der Geburtenüber-



Hauck (Sasbach)

schuß, auf tausend Einwohner gemessen, von 7,8 1950 über 7 1958, 6 1967 auf 5,8 1968 gesunken ist, wobei Frankreich wegen der Förderungsmaßnahmen immer als das Familienidyll hingestellt wird. Aber auch hier ist eine rückläufige Entwicklung festzustellen. Bei uns in der Bundesrepublik lag der Geburtenüberschuß 1968 bei 4; Sie haben eine noch niedrigere Zahl genannt.
Auffallend ist — ich sage es einmal — der starke Rückgang z. B. in der Sowjetunion, wo die Ziffer innerhalb von zehn Jahren von 18,1 auf 9,6 zurückgegangen ist. In der DDR war es 1968 ± O.

Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0606434100
Herr Kollege Hauck, ich möchte das interessante Thema ungern. unterbrechen. Nur habe ich Ihnen schon längere Zeit wegen der Zwischenfragen gegeben. Bitte kommen Sie in Ihren Ausführungen zum Ende.

Rudolf Hauck (SPD):
Rede ID: ID0606434200
Ja, ich komme zum Ende.

(Abg. Franke [Osnabrück] : Herr Kollege Hauck, wir müssen einmal den Strom ein bißchen abschalten!)

— Das müssen wir bei Ihnen genauso machen.

(Abg. Franke [Osnabrück]:: Nein, Sie haben mich mißverstanden!)

Ich glaube, man sollte die wissenschaftlichen Schlußfolgerungen akzeptieren, die zwar noch nicht schlüssig sagen können, ob es sich bei dem Geburtenrückgang nur um eine vorübergehende oder um eine dauernde Erscheinung handelt. Aber wir sind uns doch darüber im klaren, daß die weitere Verbreitung einer praktizierten Familienplanung sowohl das Geburtsdatum der Kinder in ein späteres Alter der Ehegatten verschiebt als auch das Ziel hat, daß weniger Kinder in die Familie hineinkommen. Das sollte man, Herr Kollege Köster, bei diesen Erörterungen auch mit berücksichtigen.
Ziel meiner Fraktion — ich glaube, des ganzen Hauses — bleibt daher die Verwirklichung der Reform des Familienlastenausgleichs noch in dieser Legislaturperiode. Auch hier halten wir uns an den Beschluß des Deutschen Bundestages der letzten Legislaturperiode, und auch in der Regierungserklärung ist das zu lesen.

(Zuruf des Abg. Vogt.)

— Alle Berichte, Herr Kollege Vogt, sagen ja, daß es hier Ungereimtheiten gibt, sowohl bei den Freibeträgen als auch beim Ehegattensplitting. Hier möchte ich sagen, weil gelegentlich andere Meinungen aufkommen: es muß zu einer Harmonisierung der steuerlichen Freibeträge und der direkten Leistungen, also des Kindergeldes, kommen. Ich glaube, da sollten wir uns einig sein, wobei aber neue Überlegungsgrundsätze und Denkmodelle angesetzt werden müssen. Man sollte auch hier nicht schematisch vorgehen, sondern auf diesem Gebiet auch neue Wege öffnen. Wir sind uns wohl darüber im klaren, daß wir unbestritten fordern können: Kindergeld vom ersten Kind an, Einbeziehung des öffentlichen Dienstes und Dynamisierung des so harmonisierten Kindergeldes.

(Vorsitz: Vizepräsident Dr. Jaeger.)

Ich glaube, damit hätten wir die Grundlage, und im Anschluß daran müssen wir uns dann über den Erziehungsanspruch des Kindes und die Verankerung dieses Anspruchs in einem solchen System noch besonders unterhalten.
Auf die sonstigen Leistungen der Familienpolitik hat schon die Frau Minister hingewiesen. Ich möchte nur sagen, diese Regierung können Sie nicht nur an dem messen, was in dem Gesetzentwurf steht, sondern Sie müssen sie an ihrer gesamten Einstellung zur Familie messen. Da sind wir nicht unterentwickelt, sondern da ringen wir genauso wie Sie um die beste Lösung.

(Beifall bei der SPD.)


Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0606434300
Das Wort hat der Abgeordnete Schmidt (Kempten).

Hansheinrich Schmidt (FDP):
Rede ID: ID0606434400
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Meine Vorredner haben schon sehr viele warme und auch manche bittere Worte über die Familienpolitik der Vergangenheit und der Zukunft gesprochen. Aber bei allen ist zum Ausdruck gekommen, daß nach unser aller Meinung in diesem Hause der Familienlastenausgleich noch nicht in dem Bett ist, in das er einmal hineinkommen soll. Man kann noch so unterschiedlicher Auffassung sein und unterschiedliche Anträge vorlegen. Aber wir dienen zweifellos nicht der Aufgabe, der wir uns alle verpflichtet fühlen, gegenüber der Familie, wenn hier in einer Debatte über den Familienlastenausgleich Redner der Opposition
— Herr Kollege Vogt, ich möchte Sie da besonders ansprechen, auch Herrn Dasch mit seiner Zwischenfrage — wieder das Stimmungsbarometer höherklettern lassen und Stimmungshetze machen, indem sie von Inflationstrend und dergleichen in diesem Hause reden. Das ist nicht angebracht, wenn wir für den Familienlastenausgleich etwas Positives erreichen wollen.

(Abg. Katzer: Das sind doch Tatsachen! 4,1 % sind eine Tatsache!)

— Herr Kollege Katzer, Sie wissen sehr genau, daß wir alle, die Bundesregierung, die Regierungsfraktionen und Sie, uns noch große Sorgen über die konjunkturpolitische Entwicklung machen. Wir haben darüber sehr viele Debatten in diesem Hause gehabt, und wir werden wahrscheinlich auch noch in der nächsten oder übernächsten Woche im Rahmen des Haushalts wieder darüber zu sprechen haben.

(Abg. Vogt meldet sich zu einer Zwischenfrage.)

— Einen Moment, vielleicht können Sie das in Ihre Frage einbeziehen. Aber wir wissen auch — auch das muß festgestellt werden, wenn hier so etwas behauptet wird —, daß wir selbst mit unserer nicht erfreulichen Rate von rund 4 % Gott sei Dank noch wesentlich besser liegen als die meisten Länder um uns herum.

(Abg. Katzer: Aber wesentlich schlechter, als Sie versprochen haben!)




Schmidt (Kempten)

Das ist eine bedauerliche Entwicklung, aber Gott sei Dank ist es so, wie ich gesagt habe, und wir müssen versuchen, das zu halten. Mir kam es darauf an — einen Moment noch, Herr Kollege Vogt —, von einer Regierungsfraktion her klar und eindeutig zurückzuweisen, daß immer wieder der Vorwurf der Inflation und das Gerede von der Inflation erhoben werden. Das ist nicht der Fall. Herr Kollege Katzer, das wissen Sie ganz genau.

(Beifall bei den Regierungsparteien. — Abg. Katzer: 4,1 °/o, das sind doch Tatsachen!)


Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0606434500
Zu einer Zwischenfrage Herr Abgeordneter Vogt.

Wolfgang Vogt (CDU):
Rede ID: ID0606434600
Herr Kollege, wissen Sie noch daß hier im Hause zu Beginn dieses Jahres gesagt worden ist, daß diese Bundesregierung einen Anstieg der Lebenshaltungskosten über 4 % hinaus nicht zulassen werde? Zweitens: Seit wann ist die Feststellung einer Tatsache Hetze?

Hansheinrich Schmidt (FDP):
Rede ID: ID0606434700
Herr Kollege Vogt, die Feststellung der Tatsache, daß es im August 4,1 % waren — ich habe es noch nicht gelesen, aber ich nehme an, daß diese Tatsache, die Sie hier angeführt haben, stimmt —, bedeutet erstens noch nicht, daß es am Ende dieses Jahres noch eine Durchschnittsquote von 4 % sein muß. Das wollen wir ja zu verhindern versuchen. Wir müssen ja den Durchschnitt des Jahres nehmen. Zum zweiten ist das nicht das, was ich mit Hetze gemeint habe. Ich meinte das daraus sich ergebende Inflationsgerede. Das können Sie auf Versammlungen machen, aber nicht in diesem Hause, wo wir gemeinsam die Verantwortung tragen.

(Beifall bei den Regierungsparteien. — Zurufe von der CDU/CSU.)


Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0606434800
Herr Abgeordneter Schmidt, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dasch?

Hansheinrich Schmidt (FDP):
Rede ID: ID0606434900
Bitte schön!

Valentin Dasch (CSU):
Rede ID: ID0606435000
Herr Kollege Schmidt, sind Sie nicht in der Lage, zuzugestehen, daß der Zuschlag von 10 DM für Mehrkinderfamilien auch nicht annähernd die Kaufkraft ersetzt, die durch die inflationäre Politik dieser Bundesregierung seit einem Jahr den Mehrkinderfamilien aus der Hand geschlagen wurde?

Hansheinrich Schmidt (FDP):
Rede ID: ID0606435100
Herr Kollege Dasch, ich habe zu dem Problem noch gar nicht Stellung genommen, sondern zunächst einmal zurückgewiesen, was aus Ihren Reihen zur Frage der Inflation usw. gesagt wurde.
Es gibt noch ein Zweites dazu zu sagen. Meine Damen und Herren, was gibt Ihnen das Recht, heute zu sagen: Man muß deutliche Akzente für die Familienpolitik setzen, wenn Sie, als Sie die Bundesregierung mit stellten, als Sie die mittelfristige Finanzplanung mit machten, als Sie den Finanzminister stellten, erst für 1972 200 Millionen DM im Haushalt hatten, während jetzt 400 Millionen DM für 1971 darin sind? Was gibt Ihnen das Recht, dann sich hier so hinzustellen?

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Wo waren dann die Akzente, als Sie den Familienminister gestellt haben? Ich will das nicht wiederholen, was der Kollege Dorn als Aussage des früheren Kollegen Wuermeling fast wörtlich zitiert hat. Aber: wo waren denn die Akzente, als Sie dafür verantwortlich waren? Wie waren denn die Dinge in der mittelfristigen Finanzplanung? Wie wurden sie denn in Richtung der Entwicklung des Familienlastenausgleichs festgelegt? Das wissen Ihre Haushaltsexperten sehr genau. Da sollte man also etwas vorsichtiger sein. Wenn man zu polemisieren versucht, dann muß man auch die Gründe und die Beweise besser haben.
Aber eines, meine Damen und Herren, und deswegen habe ich mich auch vielleicht etwas echauffiert — —(Abg. Lemmrich: Echauffiert?)

— Doch ich habe es. Es schadet mal nicht, Herr Kollege Lemmrich. — Was mir dabei die größte Sorge macht, ist, daß wir uns ja einig sind, daß es einen Nachholbedarf im Familienbereich gibt, daß wir uns aber bezüglich der Wege, der Möglichkeiten und auch der Voraussetzungen vom Finanziellen her hineinpendeln müssen, möchte ich beinahe sagen. Wenn wir jetzt immerhin schon einmal für 1971 die 400 Millionen haben, die voriges Jahr, als noch eine andere Bundesregierung mit einem Finanzminster von Ihnen im Amt war, noch nicht für 1971 darinstanden, dann ist zweifellos hier schon ein Akzent der jetzigen Bundesregierung in familienpolitischer Richtung gesetzt.
Nun lassen Sie mich etwas zum Problem selbst sagen. Ich glaube, wir alle sind uns darüber im klaren — jedenfalls für meine Fraktion darf ich das sagen, und ich glaube, das gilt auch für Sie —, daß das, was hier in den zwei Vorlagen vor uns liegt, als eine Übergangsregelung anzusehen ist, um den Weg für einen gerechten Familienlastenausgleich zeitlich zu ermöglichen und die Dinge auch nicht in irgendeiner Form zu verbauen. Aus dieser Sicht und im Rahmen der möglichen vorhandenen Mittel sehen wir allerdings den Vorschlag, den die Bundesregierung gemacht hat, als den besten und praktikabelsten an. Denn er verbaut nicht das, was wir als Endziel wollen, nämlich das gleiche Kindergeld vom ersten Kind an für alle Kinder, nicht die gestaffelten Beträge; das ist eine alte Forderung der FDP. Und er verbaut auch nicht den Weg dahin, daß wir im Rahmen der Steuerreform und der Überlegungen, ob nun über die Steuer, die Negativsteuer oder über einen Gesamtbetrag, der in bar ausgezahlt wird, ob versteuert oder nicht, zum Ziele kommen. Das sind alles noch Dinge, die zu diskutieren sind. Aber wir sehen einen Familienlastenausgleich in dieser Richtung als das Ziel an.
Der Entwurf der Regierung verbaut hier gar nichts, weil er nicht in der Spitze weiter erhöht; denn wir müssen ja dann einmal einen Plafond bringen. Er



Schmidt (Kempten)

gibt darüber hinaus immerhin 670 000 Familien zum erstenmal ein Kindergeld. Wenn Sie nur an die junge Familie denken, bei der das zweite Kind kommt, werden Sie sich alle klar sein, daß dort eine besondere Belastung bevorsteht und daß die Einkommensgrenzen einfach nicht mehr vertretbar waren. Wenn sie heute um 40 % erhöht werden und damit 670 000 Familien hineinkommen, dann wird hier, glaube ich, ein gewisser Übergangsausgleich geschaffen, bis wir das Endziel mit dem gesamten Familienlastenausgleich erreichen.
In diesem Sinne — damit möchte ich schon schließen, denn die Stunde ist ja auch spät — möchte ich noch inmal feststellen, daß ich — ich bin, glaube ich, der letzte Redner zu diesem Thema — den Eindruck habe, daß wir alle in diesem Hause uns Sorge machen um den weiteren Familienlastenausgleich, daß wir alle die Verantwortung sehen, daß wir aber im Rahmen dieser Auseinandersetzung, im Rahmen dieser Dinge nicht in die Polemik und nicht in die Überhetzung fallen sollten. Denn diese Aufgabe, den Familien einen gerechteren Ausgleich zu geben, bedeutet sehr viel Verantwortung für uns. Bitte, bleiben wir dabei sachlich!

(Beifall bei den Regierungsparteien.)


Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0606435200
Wird weiter noch das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall. Dann schlage ich Ihnen vor, die beiden Entwürfe an die vom Ältestenrat vorgeschlagenen Ausschüsse zu überweisen;" es sind in beiden Fällen der Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit — federführend —, der Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung und der Haushaltsausschuß gemäß § 96 der Geschäftsordnung. Erhebt sich kein Widerspruch? — Dann ist so beschlossen.
Ich rufe Punkt 21 auf:
Erste Beratung des von der Fraktion der CDU/CSU eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Krankenversicherung der Landwirte
— Drucksache VI/970 —
Ich erteile das Wort zur Begründung dem Herrn Abgeordneten Horstmeier.

Martin Horstmeier (CDU):
Rede ID: ID0606435300
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zur weiteren Verbesserung der sozialen Lage der Menschen in der Landwirtschaft hat die CDU/CSU-Fraktion den Entwurf eines Gesetzes zur Krankenversicherung der Landwirte eingebracht, der dem Hohen Hause in der Drucksache VI/970 vorliegt. Ich möchte den Entwurf jetzt im Namen meiner Fraktion begründen.
Die politischen Parteien, aber auch die Landwirtschaft selbst sind sich schon seit langem im Grundsatz darüber einig, daß eine ausreichende Krankenversicherung in der Landwirtschaft geschaffen werden muß. Diese Notwendigkeit wurde in dem Arbeitsprogramm der Bundesregierung der Großen Koalition im Jahre 1968 herausgestellt. Es wurde dann in dem Bericht der Bundesregierung über die Lage der Landwirtschaft am 6. Februar dieses Jahres wieder davon gesprochen. Die CDU/ CSU hat jetzt nach reiflichen Überlegungen als erste die notwendige Initiative ergriffen und einen entsprechenden Gesetzentwurf unterbreitet, der nach unserer Ansicht richtig und praktikabel ist, um der besonderen Situation unserer Landwirtschaft gerecht zu werden.
Zunächst einmal ist festzustellen, daß der größte Teil der in der Praxis stehenden Landwirte und ihrer Familienangehörigen heute bereits gegen Krankheit versichert ist. Die Angaben über die Zahl der Versicherten schwanken regional. Es gibt ganz verschiedene Angaben. Es liegen Zahlen von Organisationen und Institutionen vor, die ich hier aber außer Betracht lassen möchte. Ich will nur einmal die Tatsachen aufzeigen.
Nach den geltenden rechtlichen Bestimmungen kann sich heute schon ein Teil der Landwirte freiwillig in der gesetzlichen Krankenversicherung versichern. Das ist dann der Fall, wenn das jährliche Einkommen 14 400 DM nicht übersteigt. Der Krankenversicherungsschutz bei den Altenteilern ist dagegen völlig unzureichend. Sie müssen vielfach ihren Lebensunterhalt aus der Altershilfe in Höhe von monatlich 175 DM für Verheiratete bzw. 115 DM für Alleinstehende und aus den vom Hof gelieferten Naturalien bestreiten. In dieser Situation — ich glaube, das ist offensichtlich — ist es in den allermeisten Fällen nicht möglich, eine vernünftige Risikodeckung in den Krankenkassen zu erlangen. Das ist in kurzen Zügen die Situation in der Landwirtschaft im Hinblick auf die Krankenversicherung.
Vordringlich ist daher vor allem die Verbesserung des Krankenversicherungsschutzes der Altenteiler. Unser Gesetzentwurf zur Krankenversicherung der Landwirte fügt sich in den Gesetzentwurf der CDU/ CSU-Fraktion betreffend die Fortführung der Krankenversicherungsreform — Drucksache VI/726 —, der heute hier von meinem Kollegen Heinz Franke begründet wurde, ein. Danach soll die Versicherungsgrenze ab 1. Januar 1971 auf jährlich 17 100 DM erhöht und gleichzeitig dynamisiert werden. Die überwiegende Mehrheit der Landwirte dürfte damit, vom Einkommen her gesehen, die Möglichkeit haben, einer gesetzlichen Krankenversicherung beizutreten. Aber bei der augenblicklichen Rechtslage gibt es noch satzungsmäßige Beschränkungen, besonders auf Grund des § 176 der Reichsversicherungsordnung. Hierbei haben die Altersgrenze und vor allem das Gesundheitszeugnis wohl als größte Hemmnisse zu gelten.
Unser Gesetzentwurf soll daher die rechtlichen Voraussetzungen für einen dem finanziellen Leistungsvermögen der Altersgeldbezieher entsprechenden Krankenversicherungsschutz schaffen. Die Bezieher von Altersgeld erhalten damit automatisch einen Gesetzesanspruch auf die Mitgliedschaft in einer gesetzlichen Krankenversicherung. Die Beitragslast, die für die Altenteiler schwer aufzubringen ist, wie ich vorhin sagte, soll über die landwirtschaftlichen Alterskassen, die ja dafür bekannt sind, daß sie sehr zügig und schnell arbeiten, vom Bund erstattet werden. Diese Krankenversicherungsrege-



Horstmeier
lung hat sich bei allen übrigen Rentnern bewährt, so daß meines Erachtens kein Grund ersichtlich ist, die einkommensschwachen landwirtschaftlichen Alters-geldberechtigten von einer solchen Regelung auszuschließen. Altersgeldempfänger, die bereits freiwillig in einer gesetzlichen Krankenversicherung versichert sind, werden ebenfalls von der Beitragslast befreit. Das gleiche soll auch für diejenigen gelten, die sich bei einem Privatunternehmen versichert haben. Die aktiven Landwirte nun, die ebenfalls durch unseren Gesetzentwurf eine Anspruchsberechtigung auf Mitgliedschaft in einer gesetzlichen Krankenversicherung erlangen würden, müßten natürlich wie üblich die notwendigen Beiträge selbst zahlen.
Ausschlaggebend für diese Form der Vervollständigung der Krankenversicherung für die Landwirte waren für die CDU/CSU-Fraktion eine ganze Reihe von sozialen, strukturpolitischen und wirtschaftspolitischen Gründen:
Erstens. Einmal gilt es, möglichst schnell und ohne großen Verwaltungsaufwand den Krankheitsschutz in der Landwirtschaft zu vervollständigen. Das ist die erste Forderung, die wir stellen.
Zweitens. Die CDU/CSU-Fraktion lehnt eine eigenständige berufsständische Krankenversicherung ab, weil der Anteil der Erwerbspersonen in der Landwirtschaft zurückgeht, so daß diese sich verkleinernde Gruppe eine ständig größer werdende — wenn man so will — „alte Last" tragen müßte.
Die Modellrechnungen in dem von Bundesernährungsminister Ertl unterbreiteten Grünen Bericht 1 gehen unter bestimmten Voraussetzungen davon aus, daß in zehn Jahren, also im Jahre 1980, die geschätzte Wertschöpfung der Landwirtschaft nur noch für die gestiegenen Einkommensansprüche von rund einer Million Erwerbstätigen oder bei einer anderen Rechnung bei günstigen Verhältnissen von etwa 1,4 Millionen Erwerbstätigen ausreichen wird, d. h. es müßten im Laufe der nächsten zehn Jahre theoretisch 1,3 Millionen Menschen oder — nach der zweiten Rechnung — 1 Million Menschen aus der Landwirtschaft ausscheiden.
Auch im jüngsten Grünen Bericht hat Herr Professor Heidhues eine Berechnung angestellt und ist zu dem Schluß gekommen, daß bis 1980 allein aus Altersgründen rund 700 000 Arbeitskräfte die Landwirtschaft verlassen werden.
Meine Damen und Herren, diese Aussagen von Wissenschaftlern werden in der heutigen Ausgabe des Bulletins der Bundesregierung erneut erhärtet. In diesem Bulletin ist ein sehr beachtenswerter Artikel von Herrn Minister Ertl unter der Überschrift zu lesen: Entwicklung und Struktur der Arbeitskräfte in der Landwirtschaft. Ich darf mit Genehmigung des Herrn Präsidenten einmal zitieren:
Von den insgesamt 534 000 Voll- und Zuerwerbslandwirten mit 0,5 bis 20 ha LN waren 233 000 55 Jahre alt oder älter, 119 000 zwischen 45 und 55 Jahre alt und 182 000 jünger als 45 Jahre. Bis 1980 haben also 43 Prozent dieser Landwirte die Altersgrenze überschritten.
Ich glaube, daß diese Zahlen für sich sprechen. Eine
Versicherung, meine Damen und Herren — das muß
ich hier auch einmal sagen —, der es am entsprechenden Nachwuchs, an jungen Versicherten mangelt, ist von vornherein zum Scheitern verurteilt. Die älteren Landwirte werden naturgemäß. häufiger und oft auch schwerer krank als die jüngeren. Wenn sich der Strukturwandel so fortsetzt, würden dann die älteren Menschen auf die Dauer fast unter sich bleiben. Die unausbleibliche Folge wäre ein Ansteigen der Beiträge, und das, meine Damen und Herren, wollen wir nicht. Höhere Beiträge sind nicht tragbar.
Drittens. Statt der von uns allen gewünschten Integration der Landwirtschaft in unsere Wirtschaft und Gesellschaft würde die Landwirtschaft durch die Abkapselung in eine rein berufsständische Krankenversicherung sozialpolitisch — das muß man auch sehen — weiter isoliert.
Viertens. Durch die Einbeziehung der Landwirtschaft in die allgemeine gesetzliche Krankenversicherung wird ein zusätzlicher Verwaltungsaufwand vermieden. Der Ausbau einer leistungsfähigen Organisation verursacht bekanntlich hohe Kosten.
Und schließlich fünftens. Eine Zwangsversicherung auf berufsständischer Ebene würde viele Landwirte zwingen, ihre durch langwierige Mitgliedschaft bei einer Krankenkasse erworbenen Rechte aufzugeben. Dies wäre unseres Erachtens ein Eingriff in die Freiheit und, wenn man so will, auch in den Besitzstand.

(Zuruf von der SPD: Ja, was denn nun?)

Wenn man großzügige Befreiungsmöglichkeiten vorsähe — nach einem anderen Entwurf —, würde das, glaube ich, diese Lage nicht verbessern.
Ich darf ,daher abschließend zusammenfassend sagen: Unser Gesetzentwurf zur Verbesserung des Krankenversicherungsschutzes der Landwirte wirkt schnell, ist praktikabel, verleiht ein Höchstmaß an Sicherheit, vermeidet Zwang, ist für die Bauern die billigste von allen möglichen Alternativen und führt die Landwirtschaft aus ihrer sozialpolitischen Isolation heraus. Im Interesse der Landwirtschaft bitte ich um eine zügige Behandlung unseres Gesetzentwurfs und — so möchte ich sagen — um eine Verabschiedung — bei diesem Gesetzentwurf ist das zeitlich drin — bis zum 1. Januar 1971, damit endlich diese sozialpolitische Lücke, die auf dem Lande heute noch vorhanden ist, geschlossen wird.

(Beifall bei der CDU/CSU.)


Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0606435400
Das Wort hat der Herr Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung.

Walter Arendt (SPD):
Rede ID: ID0606435500
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Gestatten Sie mir, zur Frage der landwirtschaftlichen Krankenversicherung folgendes zu sagen.
Dieses Hohe Haus hat die Bundesregierung auf Antrag der Fraktionen der SPD und FDP vom 17. Februar aufgefordert, das System der sozialen Sicherung für die selbständigen Landwirte und ihre mithelfenden Familienangehörigen zu verbessern. Die Bundesregierung hat bereits im Sozialbericht



Bundesminister Arendt
1970 angekündigt, daß sie als eine weitere Maßnahme der landwirtschaftlichen Sozialpolitik den Krankenversicherungsschutz ausbauen werde.
Hierzu hat uns ein Arbeitskreis, dem Wissenschaftler, Krankenkassen, ein Vertreter der Ärzte und die Sozialpartner angehörten, einen umfassenden Bericht vorgelegt. Dieser Ausschuß, der noch von meinem Vorgänger eingesetzt wurde, empfiehlt im Gegensatz zum vorliegenden CDU/CSU-Entwurf mit großer Mehrheit eine selbständige Pflichtversicherung der landwirtschaftlichen Bevölkerung. Nach allgemeiner Auffassung des Arbeitskreises reicht eine Versicherungsberechtigung nicht aus, um einen Versicherungsschutz für die landwirtschaftlichen Familien aller Alters- und Betriebsgrößenklassen sicherzustellen. Wir haben mit dieser Frage die Sachverständigenkommission zur Weiterentwicklung der Krankenversicherung befaßt, deren Auffassung uns in Kürze vorliegen wird.
Wir werden dem Hohen Hause unverzüglich einen Gesetzentwurf vorlegen, der einen umfassenden Krankenversicherungsschutz der selbständigen Landwirte, der mitarbeitenden Familienangehörigen und der Altenteiler sowie ihrer Familienangehörigen zum Ziele hat. Es handelt sich hierbei um einen Personenkreis, der rund 1,2 Millionen Krankenkassenmitglieder und die gleiche Zahl von unterhaltsberechtigten Familienangehörigen umfassen wird.
In unsere Überlegung ist einbezogen, den Aufwand der Krankenversicherung der Altenteiler durch Bundesmittel zu decken, während die Krankenversicherung der selbständigen Landwirte und der mitarbeitenden Familienangehörigen ausschließlich durch Beiträge finanziert werden soll. Mit den Beteiligten sind hierüber bereits umfangreiche Berechnungen durchgeführt worden, die unserem Gesetzentwurf beigefügt werden.
Meine Damen und Herren, es ist unsere Absicht, durch einen umfassenden Versicherungsschutz die soziale Lage der bäuerlichen Familie zu verbessern und damit Konsequenzen aus dem Strukturwandel in der Landwirtschaft zu ziehen.

(Beifall bei der SPD.)


Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0606435600
Das Wort hat der Abgeordnete Peters.

Walter Peters (FDP):
Rede ID: ID0606435700
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In diesem Hause besteht wohl Einmütigkeit darüber, daß der Krankenversicherungsschutz für die bäuerlichen Familien, für die Altenteiler heute ungenügend ist und deshalb ein erweiterter Krankenversicherungsschutz gesetzlicher Art geschaffen werden muß.
Wie der Herr Minister soeben dargelegt hat, hat die Koalition die Bundesregierung im Februar aufgefordert, einen Gesetzentwurf vorzulegen. Inzwischen hat ein Ausschuß dafür Unterlagen erarbeitet. Es fragt sich jetzt, ob der Entwurf der CDU/CSU-Fraktion zur Krankenversicherung für Landwirte den Anforderungen genügt, die wir an einen vollen Krankenversicherungsschutz stellen. Wir sind der Meinung, daß die Regelung des Entwurfs, der die
Öffnung für alle aktiven Landwirte bei den RVO-Kassen herbeiführen und die weitere Möglichkeit schaffen soll, daß der Landwirt, der in einer privaten Krankenversicherung ist und dort genügenden Schutz genießt, eben privat versichert bleiben kann und für Altenteiler die RVO-Kassen automatisch den Krankenversicherungsschutz übernehmen sollen, nicht vollkommen ist.
Nach der Vorlage der CDU/CSU-Fraktion können die Altenteiler ja wohl nur den gleichen Zuschuß über die RVO-Kassen erhalten wie die Rentner der Arbeiterrenten- und der Angestelltenversicherung. Daß diese Zuschüsse die Kosten nur zu etwa zwei Dritteln decken, ist bekannt. Damit würden die Aktiven dieser Kassen die sogenannte alte Last mittragen müssen. Wir halten das rechtlich und auch für die Landwirtschaft für eine schlechte Lösung. Nur so können wir es auch verstehen, wenn die Gesamtkosten von der antragstellenden Fraktion mit 210 Millionen DM angegeben werden. Sonst wären die Kosten wohl erheblich höher und würden bei 260 bis 270 Millionen DM liegen.

(Abg. Franke [Osnabrück]: Nach dem Gesetz sollen sie voll ersetzt werden!)

- Meine Damen und Herren, ich habe ja in Ihrer
Fraktion nachgefragt. Ich habe mir den Wortlaut in der Begründung noch einmal angesehen. Danach muß man annehmen, daß die gleichen Sätze wie für die Rentner aus der Arbeiterrenten- und der Angestelltenversicherung — —(Abg. Struve: Das ist falsch!)

— Das sei falsch, sagen Sie, Herr Struve. Ich bin der Meinung, dann hätten Sie sich etwas klarer ausdrücken müssen. Wenn Sie es so wollen, dann stimmt es mit den 210 Millionen DM nicht. Wenn Sie es so wollen, dann schaffen Sie eine unterschiedliche Regelung zwischen den Rentnern der Arbeiter. renten- und der Angestelltenversicherung einerseits und den Altershilfeempfängern der Landwirtschaft andererseits.
Wir sind der Meinung, daß die sogenannte knappschaftliche Regelung der Krankenversicherung absolut auch für die Landwirtschaft gegeben ist und daß der volle Zuschuß gegeben werden sollte. Wir glauben, daß die Vorschläge des Ausschusses, von dem der Herr Minister gesprochen hat, daß die berufsständische Regelung der Krankenversicherung für die Landwirtschaft die günstigste Regelung ist. Selbstverständlich werden wir in den Ausschüssen darüber im einzelnen zu reden haben. Wir wollen ja beide die günstigste Regelung für die Landwirtschaft.
Ihren Einwand, daß die von Ihnen vorgeschlagene Regelung die billigste sei, kann ich nicht akzeptieren.

(Zurufe von der CDU/CSU.)

— „Die billigste Lösung für die Landwirte", ist vorhin gesagt worden; so habe ich das aufgefaßt. Ich kann dieser Ansicht nicht beipflichten. Auch Ihrem Argument, daß die Landwirtschaft ja zunehmend weniger aktive Mitglieder haben würde und daß das eine Belastung für die berufsständische



Peters (Poppenbüll)

Krankenkasse wäre, kann ich nicht folgen. Daß die Zahl der Altershilfeempfänger im Verhältnis zu den Aktiven größer wird, ist ein völlig klarer Fall. Aber die sollen ja nach Ihrem und nach unserem Wollen durch Bundeszuschüsse übernommen werden.
Wir werden also zwei Entwürfe haben, und unseres Erachtens wird sich in der Ausschußarbeit unsere Meinung durch Argumente durchsetzen. Wir haben ja bei dem Wertungsausgleich ebenfalls darum gerungen, ob es besser sei über die Länder oder über die Alterskasse. Jetzt liegt das Ergebnis vor. Das Verfahren, das wir vorgeschlagen haben, hat hundertprozentig funktioniert, und wir sind der Meinung, daß sich auch in diesem Punkt unsere Argumente durchsetzen werden.

(Beifall bei den Regierungsparteien. — Zurufe von der CDU/CSU.)


Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0606435800
Das Wort hat der Abgeordnete Schonhofen.

Friedrich Schonhofen (SPD):
Rede ID: ID0606435900
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte noch in wenigen Strichen zu dem vorliegenden Entwurf Stellung nehmen und zunächst einmal sagen, daß es die Vielfalt der Probleme, die spezifischen Bedürfnisse der landwirtschaftlichen Bevölkerung, die einen ausreichenden Krankenversicherungsschutz erfordern, und die sicher nicht leichten Finanzierungsfragen sind, an denen sich jeder Lösungsvorschlag, der dieses Haus beschäftigen wird, messen lassen muß. Deswegen darf ich zunächst der Bundesregierung dafür danken, daß sie ihre Untersuchungen mit aller Sorgfalt angestellt hat und nunmehr auch den Bericht der Sachverständigenkommission mit einbeziehen kann.
Wir sind uns sicherlich darüber einig, daß es uns bei der Lösung dieser Frage nicht auf Augenblickserfolge, sondern auf eine solide Dauerlösung ankommt.

(Zurufe von der SPD: Genau!'— Zurufe von der CDU/CSU.)

Weshalb fühlen Sie sich schon angesprochen?

(Abg. Dr. Ritz: Wir sind uns gar nicht einig! — Abg. Struve: Über die solide Dauerlösung!)

Ja, eben. Ich gehe davon aus, daß der uns inzwischen vorliegende Ergebnisbericht des unabhängigen Arbeitskreises eine gute Ausgangsbasis für unsere Beratungen abgeben wird. Aber wer den vorliegenden Entwurf auf seine politischen Grundlinien und darüber hinaus auf die angebotenen Lösungen hin untersucht und wer hierbei die tatsächlichen Gegebenheiten in der landwirtschaftlichen Bevölkerung und nicht zuletzt die Konsequenzen im Auge behält, die sich aus den Lösungsvorschlägen ergeben, der wird nicht umhinkönnen, doch erhebliche Bedenken grundsätzlicher Art gegen diesen Entwurf vorzubringen.
Meine Bedenken beziehen sich nicht auf jene, von denen die verehrte Frau Kalinke heute nachmittag im Zusammenhang mit der Debatte um die
Krankenversicherung sagte, daß sie sich in eine Versichertengemeinschaft hineinschleichen wollen, für die sie bislang keinen Beitrag geleistet haben. Darauf beziehen sich meine Bedenken nicht so sehr. Ich möchte vielmehr auf jene aufmerksam machen, die sich davonschleichen möchten, nachdem sie die alte Last der landwirtschaftlichen Bevölkerung bei anderen abgeladen haben.

(Oh-Rufe bei CDU/CSU. — Abg. Struve: Oh, das ist interessant, das ist neu!)

— Das ist neu? Dann muß ich sagen, Herr Kollege Struve, daß Sie Ihren Entwurf selber noch nicht richtig unter die Lupe genommen haben. Denn welche Lösungen bieten Sie an? Sie sagen erstens: Pflichtversicherung für die Altersgeldempfänger — dazu sagen wir ja —, und zwar mit Übernahme der Beiträge durch den Bund. Auch das entspricht unserer Konzeption, wie hier bereits von dem Herrn Minister und dem Herrn Kollegen Peters ausgeführt wurde. Sie sagen allerdings auch: Pflichtversicherung für Altersgeldempfänger in den gesetzlichen Krankenkassen. Dieser Punkt gewinnt besondere Bedeutung, wenn man ihn zu dem zweiten Vorschlag in Beziehung setzt, der in Ihrem Gesetzentwurf enthalten ist, nämlich für die aktiven landwirtschaftlichen Unternehmer lediglich eine Erweiterung der Versicherungsberechtigung in den gesetzlichen Krankenkassen vorzusehen. Sie wollen zu diesem Zweck die Beschränkungen beseitigen, die in den Satzungen der gesetzlichen Krankenkassen enthalten sind.

(Abg. Franke [Osnabrück]:: Wir wollen erst einmal den § 176 ändern!)

— Eben! Mit der Änderung des § 176 wollen Sie die satzungsmäßigen Beschränkungen beseitigen.

Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0606436000
Gestatten Sie eine Zwischenfrage der Frau Abgeordneten Kalinke?

Friedrich Schonhofen (SPD):
Rede ID: ID0606436100
Bitte schön, Frau Kalinke!

Margot Kalinke (CDU):
Rede ID: ID0606436200
Herr Kollege, darf ich Sie fragen, ob Sie den 5 % nichtversicherten Landwirten, die zur Zeit keinen Versicherungsschutz haben, und dem vielleicht geringen Prozentsatz — ich weiß nicht, ob es 1 oder 2 % sind —, der sich nicht für einen ausreichenden Schutz entschieden hat, nicht zutrauen, selbst dafür zu sorgen, und deshalb das Instrument des Zwangs für alle brauchen.

Friedrich Schonhofen (SPD):
Rede ID: ID0606436300
Verehrte Frau Kollegin, ich möchte mich hier an dieser Stelle und zu dieser Stunde nicht mehr in einen Streit darüber einlassen, ob es auf der einen Seite 5 % und auf der anderen Seite nur 2 % sind. Ich gehe davon aus, daß es höhere Zahlen sind, daß also bei den Aktiven etwa ein Drittel aller Betriebsleiter und bei den Altenteilern etwa die Hälfte nicht oder unzureichend versichert sind.

(Zuruf der Abg. Frau Kalinke.)

— Es lohnt sich nicht, sich zu dieser Stunde darüber
noch in ein Streitgespräch einzulassen. Wir werden
in den Ausschußberatungen Gelegenheit haben, dazu



Schonhofen
sehr sorgfältige Untersuchungen anzustellen. Wenn Sie gestatten, möchte ich erst einmal meine Ausführungen fortsetzen.

(Abg. Frau Kalinke: Ich habe gefragt!)

— Entschuldigung, Frau Kollegin! Ich wollte mich auf diesen nutzlosen Streit heute abend nicht mehr einlassen, wenn Sie gestatten.

(Abg. Frau Kalinke: Das ist aber eine Grundsatzfrage!)


Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0606436400
Frau Abgeordnete Kalinke, der Redner hat nun mal das Recht, eine Zwischenfrage abzulehnen.

(Abg. Frau Kalinke: Aber ich darf doch einen Zuruf machen!)


Friedrich Schonhofen (SPD):
Rede ID: ID0606436500
Das können Sie durchaus; das würde mich auch nicht weiter stören. Wenn die Lautstärke angemessen bleibt, ist das nicht weiter wichtig.
Das Dritte, das in dem Gesetzentwurf zwar nicht ausdrücklich drinsteht, was man aber doch wohl daraus schlußfolgern muß, ist folgendes: Wenn Sie lediglich die satzungsmäßigen Beschränkungen beseitigen wollten, würde das doch wohl bedeuten, daß die gesetzlichen Beschränkungen bestehenbleiben, so daß von der erweiterten Versicherungsberechtigung ein bestimmter Teil der Betriebsleiter auch zukünftig ausgeschlossen bleibt.
Aus diesen von Ihnen vorgeschlagenen Lösungen ergeben sich natürlich eine Reihe von Fragen. Die erste Frage wäre, warum nicht für die gesamte landwirtschaftliche Bevölkerung eine umfassende Solidargemeinschaft gegründet werden soll. In der Begründung hat der Kollege Horstmeier gesagt, daß Sie das ablehnten. Aber die Begründung dafür halte ich für unbefriedigend, denn — ein Argument ist schon vom Kollegen Peters genannt worden — die alte Last wäre einer solchen Versichertengemeinschaft abgenommen, so daß das Argument mit dem sich ständig weitervollziehenden Strukturwandel nicht durchschlägt. Ich darf Sie darauf aufmerksam machen, daß es eine Reihe von Krankenkassen gibt, die mit weit weniger Mitgliedern auskommen, auskommen müssen und auch durchaus auskommen können. Dies würde nach meiner Überzeugung auch keine Abkapselung der Landwirtschaft bedeuten. Denn es gibt ja eine Reihe von Einrichtungen, in denen die Landwirte unter sich sind. Ich brauche nur auf die gesetzliche Unfallversicherung und auf die landwirtschaftlichen Alterskassen hinzuweisen.

(Abg. Struve: Kennen Sie denn auch die Schwierigkeiten, die durch den Strukturwandel in der Unfallversicherung schon aufgetreten sind?)

— Natürlich, aber hier geht es doch wohl darum, daß wir für zwei Gruppen der landwirtschaftlichen Bevölkerung das Problem ihres ausreichenden Krankenversicherungsschutzes zu lösen haben, nämlich für die Altenteiler einerseits und für die Aktiven mit ihren Familien andererseits. Wir sind uns hier einig, daß wir für die Altenteiler eine hervorragende
Lösung parat haben, so daß die Argumente, die hier gegen eine Solidargemeinschaft der gesamten landwirtschaftlichen Bevölkerung vorgetragen worden sind, eben nach unserer Überzeugung nicht durchschlagen.
Das Zweite ist: Wenn wir schon, wie Sie es vorgeschlagen haben, für die aktiven Landwirte nur eine Ausweitung der Versicherungsberechtigung haben, muß man eben die Frage wiederholen, ob es wirklich ausreicht, hier nur die satzungsmäßigen Beschränkungen beseitigen zu wollen.

Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0606436600
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Niegel?

Friedrich Schonhofen (SPD):
Rede ID: ID0606436700
Bitte sehr!

Lorenz Niegel (CSU):
Rede ID: ID0606436800
Herr Kollege, ist Ihnen klar, daß Ihr Eintreten für ein allgemeines Sozialwerk der Landwirtschaft nur dann einen Sinn hat, wenn öffentliche Zuschüsse, d. h. Zuschüsse des Bundes, gegeben werden? Treten Sie für solche öffentlichen Zuschüsse ein?

Friedrich Schonhofen (SPD):
Rede ID: ID0606436900
Herr Kollege, ich glaube, es ist hier deutlich genug von uns vorgetragen worden: wir treten dafür ein, daß die Krankenversicherungsbeiträge für die Pflichtversicherung der Altenteiler aus Bundesmitteln getragen werden. Wenn sie sich im übrigen mit diesem Problem genauer befaßt haben, bzw. in den Ausschußsitzungen dazu noch kommen werden, werden Sie einsehen, daß das, was Sie als eine unüberwindliche Mauer hier aufzubauen versuchen, gar nicht vorhanden ist.

Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0606437000
Gestatten Sie eine zweite Zwischenfrage des Abgeordneten Niegel?

Friedrich Schonhofen (SPD):
Rede ID: ID0606437100
Bitte schön!

Lorenz Niegel (CSU):
Rede ID: ID0606437200
Herr Kollege, ich habe nicht die Altenteiler angesprochen. Ich meinte, ob Sie bei denjenigen allgemein aktiven Landwirten, die ihre Höfe bewirtschaften, für einen öffentlichen Zuschuß eintreten.

Friedrich Schonhofen (SPD):
Rede ID: ID0606437300
Dafür trete ich im Augenblick nicht ein, denn ich sehe die Notwendigkeit nicht ein. Ich würde es schon als eine wesentliche Entlastung der Lage der Landwirtschaft betrachten, wenn wir der Landwirtschaft die „alte Last" abnehmen könnten.

(Zuruf von der CDU/CSU: Das tun Sie ja eben nicht!)


Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0606437400
Gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage?

Lorenz Niegel (CSU):
Rede ID: ID0606437500
Ist Ihnen bekannt, daß eine allgemeine Pflichtversicherung der Landwirtschaft in einer eigenen Kasse, wenn man es ausrechnet, teurer kommt als jetzt die Versicherung in einer Ortskrankenkasse oder in einer Landkrankenkasse?




Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0606437600
Diese Rechnung können Sie nur dann aufmachen, Herr Kollege, wenn Sie jene mit einbeziehen, die heute keinen oder nur einen unzureichenden Krankenversicherungsschutz haben.
Meine Damen und Herren! Hinsichtlich der Lösungsvorschläge, die Sie vorgetragen und die Sie in Ihrem Gesetzentwurf vorgesehen haben, müssen meines Erachtens bei den späteren Beratungen eine Reihe weiterer Fragen sehr sorgfältig untersucht werden. Sie nehmen also die Teilung vor. Sie sagen: Pflichtversicherung für die Altenteiler in den gesetzlichen Rentenversicherungen und lediglich Ausweitung der Versicherungsberechtigung der Aktiven. Ich glaube, es ist nicht allzu weit hergeholt, wenn ich die Auffassung vertrete, daß damit auf die gesetzlichen Krankenkassen doch ein ausgesprochen schlechtes Risiko zukommt.

(Glocke des Präsidenten.)

— Nein, schönen Dank, Herr Präsident. Ich möchte jetzt keine Zwischenfragen mehr zulassen.

Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0606437700
Sie wollen keine Zwischenfragen mehr zulassen? — Bitte!

(Abg. Frau Kalinke: Schade!)


Friedrich Schonhofen (SPD):
Rede ID: ID0606437800
Ja, ich bedaure es auch, Frau Kollegin Kalinke, daß wir nicht des öfteren die Gelegenheit haben, unsere Schnäbel zu wetzen,

(Zuruf von der CDU/CSU: Aber das können Sie doch anders machen!)

aber ich möchte im Augenblick darauf verzichten.
Ich sagte, daß auch dies ein ausgesprochen schlechtes Risiko ist und daß es notwendig ist, bei den Einzelberatungen darüber nachzudenken, ob hier nicht die heute schon prekäre finanzielle Lage der gesetzlichen Krankenkassen unverantwortlich weiter verschlechtert wird.
Ein zweiter Gesichtspunkt ist vielleicht noch viel bedeutungsvoller.

(Zuruf der Abg. Frau Kalinke.)

— Frau Kollegin, ich würde empfehlen, auch hier einmal zuzuhören. Vielleicht haben Sie die Gelegenheit, heute abend dazu noch Stellung zu nehmen. — Es ist doch sehr die Frage, ob diese Ausnahmeregelung, die hier für die landwirtschaftliche Bevölkerung vorgesehen ist, nämlich Beseitigung der Beschränkungen in den Satzungen und Aufnahme der Altenteiler in die gesetzlichen Krankenkassen, nicht aus Gleichheitsgründen auf die gesamte Bevölkerung ausgedehnt werden müßte. Ich werfe diese Frage auf, damit wir zumindest Gelegenheit nehmen, sie bei den weiteren Beratungen genau zu untersuchen. Ich glaube, wenn das der Fall sein sollte, sind wir uns darüber einig, daß hierdurch finanzielle Mehrbelastungen entstehen, die nicht nur unvorhersehbar, sondern zugleich auch nicht mehr zu verantworten sind.
Ein letzter Punkt zu diesem Lösungsvorschlag: Können wir denn überhaupt sicher sein, daß die Landwirte zukünftig von diesem Angebot Gebrauch machen, freiwilliges Mitglied der gesetzlichen Rentenversicherung zu werden? Nach den Feststellungen, die man getroffen hat, sind es bislang nur etwa 36 %, die hiervon Gebrauch gemacht haben.

(Abg. Frau Kalinke: 95 %!)

— Entschuldigung, Frau Kalinke, ich sprach von denen, die von der Versicherungsmöglichkeit in der gesetzlichen Rentenversicherung Gebrauch gemacht haben.
Ich will mich heute auch nicht mit den die Leistungen betreffenden Fragen auseinandersetzen, aber eines sei schon gesagt: Im Gegensatz zu den Geldleistungen der gesetzlichen Krankenkassen gibt es im Zusammenhang mit der landwirtschaftlichen Bevölkerung doch wohl spezielle Verhältnisse, die Leistungen notwendig machen, die auf diese speziellen Verhältnisse besonders zugeschnitten sind.
Wenn ich alles zusammenfasse, stelle ich fest, daß der vorliegende Entwurf keine umfassende Regelung bringt, die geeignet wäre, die bestehenden Probleme zu lösen. Das rührt daher, daß Sie eine Pflichtversicherung eben nur für Altenteiler einführen und es im übrigen bei dem doch für die aktiven landwirtschaftlichen Unternehmer mehr oder weniger unbefriedigenden Zustand belassen wollen.
Zum zweiten wird damit die alte Last den gesetzlichen Krankenkassen aufgebürdet, ohne die gesamte bäuerliche Bevölkerung in einer Solidargemeinschaft zusammenzufassen. Auch das müßte noch im einzelnen untersucht werden.
Das Dritte ist, daß dieser Entwurf nicht einmal das Problem der alten Last abschließend, für immer und endgültig löst, weil immer wieder neu Empfänger von Altershilfe oder Landabgabenrente nachwachsen, und zwar — nach Ihren Vorstellungen — als Pflichtmitglieder der RVO-Kassen, die bis dahin weder Beiträge an die RVO-Kassen geleistet haben, weil sie von der Versicherungsberechtigung keinen Gebrauch gemacht haben, noch einen sonstigen Versicherungsschutz genossen haben.
Deswegen komme ich zu der Überzeugung, daß der vorliegende Entwurf eine Reihe von Ungereimtheiten enthält und Regelungen anbietet, die unzulänglich sind. Ich bin der Meinung, daß es deswegen eingehender Einzelberatungen und gründlicher Untersuchungen bedarf, um zu akzeptablen Lösungen zu kommen. Wir sind davon überzeugt, daß uns der angekündigte Regierungsentwurf hierbei sehr hilfreich zur Seite stehen wird.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)


Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0606437900
Das Wort hat der Abgeordnete Franke.

Heinrich Franke (CDU):
Rede ID: ID0606438000
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich will hier nur einen Irrtum aufklären, der bei Herrn Peters (Poppenbüll) entstanden ist. Sie sagen, Sie hätten bei uns eine Erkundigung eingezogen und die Auskunft erhalten, die Kosten würden nur zu zwei Dritteln oder zu 75 % durch die 210 Millionen DM ersetzt.
Ich darf Ihnen dazu folgendes sagen. Der Irrtum mag bei Ihnen oder bei dem Auskunftgeber dadurch



Franke (Osnabrück)

entstanden sein, daß man im Allgemeinen Teil der Begründung gesagt hat:
Der Gesetzentwurf sieht vor, Bezieher von Altersgeld im Sinne des Gesetzes über eine Altershilfe für Landwirte kraft Gesetzes nach den Grundsätzen, die für die Krankenversicherung der Rentner gelten, gegen Krankheit zu versichern.
Ich darf Sie, Herr Kollege Peters, darauf hinweisen, daß das in bezug auf die Bezahlung der Beiträge natürlich nicht dieselben Grundsätze sind wie bei der Rentenversicherung der Krankenversicherung. In diesem Zusammenhang darf ich mit Genehmigung des Herrn Präsidenten § 381 Abs. 2 a, wie er in unserem Entwurf formuliert ist, vorlesen:
Die Beiträge für die in § 165 Abs. 2 Nr. 4 bezeichneten Versicherten werden von den landwirtschaftlichen Alterskassen getragen.
Im Sinne der Wortlautbedeutung heißt das: die Beiträge werden zu 100 % von den landwirtschaftlichen Alterskassen getragen.

Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0606438100
Das Wort hat Frau Abgeordnete Kalinke.

Margot Kalinke (CDU):
Rede ID: ID0606438200
Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Ich habe nicht die Absicht, zu so später Stunde eine Grundsatzdebatte über Pflichtversicherung in der Landwirtschaft oder über den Plan der Agrarsozialen Gesellschaft oder die Vorstellung der Gründung einer neuen Institution der sozialen Sicherheit für die Landwirtschaft mit all ihren Problemen zu eröffnen. Ich möchte nur ein paar nüchterne Zahlen nennen und etwas richtigstellen.
Es ist einfach nicht richtig, daß, abgesehen von dem sozialen Problem der Altenteiler, die nicht versichert und nicht versorgt sind, das wir gemeinsam, wie ich höre, nach gleichen Grundsätzen lösen wollen, etwa für die gesamte Landwirtschaft, für die Aktiven wie für die Nebenberuflichen oder diejenigen, die in bestimmten Landesteilen sowohl sozialversichert als auch privatversichert sind, ein nicht ausreichender Versicherungsschutz besteht. Es ist genauso falsch, wie wenn davon die Rede ist, daß die Menschen auf dem Lande kranker sind oder schlechtere Risiken sind als anderswo. Die Situation der Landkrankenkassen zeigt genau das Gegenteil.
Ich möchte Ihnen hiermit Zahlen aus einer neuen repräsentativen Untersuchung, im MARPLAN-Bericht, bekanntgeben — und ich werde sie den Herren Rednern dieses Abends zur Verfügung stellen -, die genau bestätigen, was im Jahre 1966 der Bericht der Forschungsgesellschaft für Agrarpolitik und Agrarsoziologie in Bonn sehr deutlich dargestellt hat. Nach dieser Befragung sind 4 % der landwirtschaftlichen Unternehmer insgesamt unversichert, 5,8 % der hauptberuflichen und 0,5 % der nebenberuflichen unter 65 Jahren. Von den Altenteilern haben 21,1 % angegeben, keinen Versicherungsschutz zu haben. Es ist Tatsache, daß die jungen Landwirte in zunehmendem Maße selbstverantwortlich gehandelt haben, indem sie sich entweder in der Sozialversicherung freiwillig weiterversichert oder von der Versicherungsberechtigung in der gesetzlichen Krankenversicherung Gebrauch gemacht oder sich privat versichert haben. Es ist Tatsache, daß die Landwirte in zunehmendem Maße einsehen, daß sie auch für ihre Familienangehörigen Schutz brauchen, wobei die Ansicht über das, was notwendig ist, bei einem Angehörigen eines freien Berufs und bei einem Selbständigen — ich unterstelle, daß auch Sie das wissen — wahrscheinlich eine andere ist als bei Arbeitnehmern.
Auch hierfür gilt, was für die gesamten Probleme der Krankenversicherung gilt: Es ist einfach falsch, so zu tun, als wäre das Problem mit einer „Zwangsversicherung für alle" zu lösen, bei der Sie, wenn Sie noch die Freiheitsgrundsätze unserer Verfassung achten, natürlich auch auf diejenigen Rücksicht zu nehmen haben, die schon selbstverantwortlich gehandelt haben.
Wenn sich also ein gewisser Personenkreis befreien lassen wird — und das werden Sie ihm nicht versagen wollen —, wird in der gesetzlichen Krankenversicherung das eintreten, was hier einige Redner angekündigt haben. Darüber sollten wir uns sehr sorgfältige Gedanken machen. Ein eigenes Sozialversicherungswerk aber würde weit schlimmer noch, als wir es mit der Knappschaft erlebt haben, in ganz kurzer Zeit notleidend werden, und dann würden alle diejenigen, die heute nicht für die Selbsthilfe der Landwirtschaft sind, wieder die Landwirtschaft beschimpfen, weil sie nach neuen Subventionen für ihre Krankenversicherung rufen müßte. Das kann keine liberale Auffassung sein, wie es auch nicht richtig sein kann, daß ein Landarbeiter für den Landwirt, der seinen Hof verpachtet hat oder der ausgeschieden ist, in Zukunft in der Landkrankenkasse oder in der Ortskrankenkasse das Risiko mittragen soll. Auch hierüber sollte man sehr offen miteinander reden.
Sie haben versäumt, hier zu sagen, meine Herren, was mit den Landkrankenkassen werden soll. Wer diese Selbsthilfeeinrichtungen der Landwirtschaft erhalten will, hat nicht das Recht, einfach so zu tun, als gäbe es sie nicht. Sie haben weiter versäumt, hier darüber zu reden — oder einzusehen —, daß der Strukturwandel in weiten Bereichen gerade dazu führt, daß sich berufsständische Versicherungen mit sehr eingeengtem Personenkreis darum bemühen, den Personenkreis zu erweitern und daß sie immer mehr verschwinden. Das gilt für die gesetzlichen wie für die privaten Krankenversicherungen. Sie können das, was Sie im weiten Bereich der Sozialversicherung anderen Gruppierungen zugestehen, der Landwirtschaft nicht einfach absprechen.
Ich hoffe, daß sich der Bundesminister durch das Material, das er in den weiteren Beratungen — in der Ausschußberatung und in der Peters-Kommission — bekommen wird, davon wird überzeugen lassen, daß unser Vorschlag eine mögliche Lösung bietet, nämlich das sozialpolitische Problem, in dem wir einig sind, das Problem der Altersgeldempfänger mit demselben Recht zu lösen, wie wir das der Krankenversicherung der Rentner gelöst haben. Vielleicht gibt es sogar einen Aufhänger, das Pro-



Frau Kalinke
blem der Krankenversicherung der Rentner insgesamt sozial gerechter und richtiger zu lösen, wenn die Bedenken, die ich hier gehört habe, richtig waren. Ich hoffe aber, Herr Minister, daß, wenn wir eine Vorlage von Ihnen bekommen, diese Vorlage den freiheitlichen und liberalen Geist atmen wird, der in dieser sozialliberalen Koalition nicht vermißt werden darf.

(Beifall bei der CDU/CSU.)


Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0606438300
Wird weiter das Wort gewünscht? Das ist nicht der Fall. Der Überweisungsvorschlag des Ältestenrates sieht den Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung als federführenden Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten als mitberatenden und außerdem den Haushaltsausschuß gemäß § 96 der Geschäftsordnung vor. — Widerspruch erfolgt nicht; dann ist die Überweisung in diesem Sinne beschlossen.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung wird nunmehr Punkt 28 aufgerufen:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Wohngeldgesetzes
— Drucksache VI/1116 —Wird der Entwurf begründet? — Der Herr Bundesminister für Städtebau und Wohnungswesen!

Dr. Lauritz Lauritzen (SPD):
Rede ID: ID0606438400
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Dem Entwurf eines Zweiten Wohngeldgesetzes, den ich heute dem Hohen Hause vorzulegen und zu erläutern die Ehre habe, mißt die Bundesregierung im Rahmen ihres Programms innerer Reformen eine ganz zentrale Bedeutung bei; eine zentrale Bedeutung deshalb, weil mit der Vorlage dieses Gesetzentwurfs ein ganz entscheidender Beitrag geleistet werden soll, das vornehmste Ziel einer gesellschaftspolitisch verantwortungsbewußten Wohnungspolitik zu erreichen, nämlich eine Situation am Wohnungsmarkt zu erzielen, die es jedem Bürger und jeder Familie unseres Staates erlaubt, eine angemessene Wohnung zu tragbaren Bedingungen frei wählen zu können.
Mit dem langfristigen Wohnungsbauprogramm, das die Bundesregierung beschlossen und im Haushaltsentwurf 1971 sowie in der mittelfristigen Finanzplanung abgesichert hat, sollen neue Wege beschritten werden, um die Lücke im Wohnungsangebot zu schließen. Jedoch dürfen wir uns, meine Damen und Herren, mit dieser objektbezogenen Förderung des Wohnungsbaus nicht begnügen. Sicherlich ist schon vieles erreicht, wenn wir die finanziellen Grundlagen schaffen, Wohnungen zu bauen. Es kommt aber darüber hinaus auch darauf an, die Wohnungen des Bestands und die neu zu bauenden Wohnungen zu tragbaren Mieten und Belastungen zur Verfügung zu stellen. Und gerade darin manifestiert sich der eigentliche sozialpolitische Wert des Wohngelds. Rechtliche und wirtschaftliche Sicherung des Wohnungsinhabers müssen die Förderung des Wohnungsbaues sinnvoll ergänzen.
Die wirtschaftliche Sicherung angemessenen und familiengerechten Wohnens wird deshalb in § 1 ausdrücklich als Zweck dieses Gesetzes bezeichnet. Weiter weist der § 1 darauf hin, daß Wohngeld eben keine Leistung der Sozialhilfe ist. Auch in der Öffentlichkeit wird das Wohngeld zunehmend als Teil der öffentlichen Wohnbaufinanzierung verstanden.
Meine Damen und Herren, als eine nach dem Individualprinzip gewährte, subjektbezogene Leistung hat sich das Wohngeld in der Praxis grundsätzlich bewährt. Die Anfänge des Wohngeldrechtes sind weitgehend bekannt. Aus zunächst nur punktuellen und regionalen Maßnahmen hat sich ein Instrument entwickelt, das aus unserer Wohnungs- und Sozialpolitik nicht mehr wegzudenken ist. Dabei wird die besondere gesellschafts- und sozialpolitische Bedeutung des Wohngelds besonders deutlich, wenn man berücksichtigt, daß inzwischen mehr als 1 Million Haushalte, unter ihnen vor allem Rentner, Pensionäre, Familien mit geringen Einkommen und kinderreiche Familien, auf die gesetzlich garantierten Wohngeldleistungen vertrauen.
Nunmehr liegen fünf Jahre Erfahrungen mit dem Wohngeldgesetz hinter uns. Alle Fraktionen dieses Hohen Hauses waren sich immer darüber im klaren, daß dem ersten Schritt in ein noch fast unbekanntes Gebiet ein zweiter folgen muß, daß sich die praktischen Erfahrungen mit dem Wohngeldrecht zu neuen gesetzgeberischen Konsequenzen verdichten müssen. Wenngleich sich das Wohngeldgesetz in der Fassung vom 1. April 1965 in seiner sozialen Zielsetzung bewährt hat, so haben sich in den vergangenen fünf Jahren aber auch einige Schwierigkeiten und Unzulänglichkeiten gezeigt, die es nun zu beseitigen gilt. So wurde vor allem beanstandet, daß einzelne Vorschriften der Zielsetzung des Gesetzes nicht gerecht würden und unbillige Härten mit sich brächten. Darüber hinaus wurde mit Recht gerügt, daß die Vorschriften des Wohngeldgesetzes zu kompliziert und deshalb zu schwerfällig seien.
Der vorliegende Entwurf eines neuen Wohngeldgesetzes wird über die Beseitigung dieser Schwächen hinaus eine ganze Reihe von wesentlichen Verbesserungen mit sich bringen. Dabei sind die Erfahrungen berücksichtigt worden, wie sie in den Wohngeldberichten der Bundesregierung und in den Erfahrungsberichten der Länder mitgeteilt worden sind. Berücksichtigt worden sind außerdem die Beratungsergebnisse einer Fachkommission der Arbeitsgemeinschaft der für das Bau- und Siedlungswesen zuständigen Minister und Senatoren der Länder, Stellungnahmen von Verbänden, die im Bundestag und in Länderparlamenten vorgetragene Kritik und schließlich viele Eingaben einzelner Burger. Alle, die an der Vorbereitung dieses Entwurfs beteiligt waren, waren sich darin einig, daß tragende Vorschriften des geltenden Wohngeldgesetzes verbessert und vereinfacht werden können, aber auch müssen. Ich darf wohl davon ausgehen, meine Damen und Herren, daß diese einmütige Meinung auch von den in diesem Hohen Hause vertretenen Fraktionen



Bundesminister Dr. Lauritzen
geteilt wird. Es hätte deshalb auch nicht genügt, eine Novelle zum Wohngeldgesetz vorzulegen. Der Bedeutung, aber auch dem Umfang der beabsichtigten Änderungen und Ergänzungen kann nur mit einem neuen Gesetz Rechnung getragen werden.
Als Ziel einer Politik der sozialen Sicherheit kommt es dabei darauf an, ein ausgeglichenes Verhältnis zwischen dem Einkommen und den Wohnkosten herzustellen. So ist es die Hauptfunktion des Wohngeldes, die Miete oder die Belastung für die Wohnung im Sinne unserer sozialpolitischen Vorstellungen tragbar zu machen. Dabei ist es dann gleichgültig, ob die Wohnkosten auf Grund der Marktsituation, der Kostenentwicklung, durch unvermeidbare administrative Maßnahmen oder etwa durch Einkommensminderung die Grenze des im Einzelfall Zumutbaren überschritten haben.
Meine Damen und Herren, die notwendigen Änderungen des Gesetzes betreffen folgende Bereiche:
1. die Berechnung des Wohngeldes im Einzelfall,
2. die Anpassung an die veränderten wirtschaftlichen Gegebenheiten und 3. die Vereinfachung und Verbilligung des Verfahrens.
Der erreichbare Grad an Gerechtigkeit bei der Berechnung des Wohngeldes im Einzelfall findet seine Grenze dort, wo er sich mit der berechtigten Forderung nach Verwaltungsvereinfachung schneidet. Und die Anpassung an die veränderten wirtschaftlichen Gegebenheiten wiederum muß sich nach den finanziellen Möglichkeiten im Rahmen der mittelfristigen Finanzplanung von Bund und Ländern halten. Bei den Höchstbeträgen für die zu berücksichtigenden Mieten und Belastungen müssen darüber hinaus die Sekundärwirkungen bei den Mieten des Wohnungsstandes berücksichtigt werden, d. h. ihre unmittelbare Einwirkung auf die Mietentwicklung selbst.
Nun hat die Einbeziehung der Sozialhilfeempfänger in die Wohngeldgewährung seit Beginn dieses Jahres den finanziellen Spielraum der öffentlichen Haushalte sicherlich vorbelastet. Mit den vorgesehenen materiellen Verbesserungen werden aber nicht nur vorhandene Härten beseitigt und inzwischen erkannte Lücken geschlossen, sondern die Leistungen nach dem Wohngeldgesetz ganz entscheidend verbessert.
Der Entwurf dieses Zweiten Wohngeldgesetzes enthält folgende wesentliche Verbesserungen und Vereinfachungen.
Erstens. Die Einkommensgrenze für Alleinstehende wird von 750 auf 800 DM, der Steigerungsbetrag für jedes weitere zum Haushalt gehörende Familienmitglied von 150 auf 200 DM erhöht. Nun darf man in diesem Zusammenhang aber nicht übersehen, daß diese Einkommensgrenze sich nicht auf Bruttoeinnahmen bezieht, sondern auf ein bereits bereinigtes Familieneinkommen. Dieses Familieneinkommen wird in der Regel so ermittelt, daß von den Bruttoeinnahmen abgezogen werden a) Werbungskosten und Betriebsausgaben, b) Kinderfreibeträge und c) ein allgemein durch dieses Gesetz vorgesehener Freibetrag, der von 15 auf 20% erhöht werden soll.
Berücksichtigt man diese Abzüge, so ergeben sich führ Lohn-, Gehalts- oder Rentenempfänger folgende Bruttoeinnahmen, bis zu denen nach dem neuen Entwurf in Zukunft Wohngeld gewährt werden soll: für alleinstehende Rentner 1000 DM monatlich — dieser Betrag kann sich bei dem alleinstehenden Erwerbstätigen noch erhöhen, weil dieser Werbungskosten absetzen kann —, für ein Ehepaar ohne Kinder 1297 DM, für ein Ehepaar mit zwei Kindern 1822 DM, für ein Ehepaar mit vier Kindern 2432 DM, für ein Ehepaar mit sechs Kindern 3072 DM. Das zeigt an, wie weit wir bei dem neuen Gesetz jetzt mit den Einkommensobergrenzen gehen.
Zweitens. Darüber hinaus wird die Einkommensermittlung ganz wesentlich erleichtert, unbillige Auswirkungen werden beseitigt, z. B. durch die Harmonisierung der Kappungsvorschriften, die uns ja bisher immer große Schwierigkeiten bei der Wohngeldermittlung bereitet haben, durch die Harmonisierung der Tragbarkeitssätze, und hier besonders durch eine sehr weitgehende Verfeinerung der Staffelung.
Die außer Betracht bleibenden Beträge werden stärker konkretisiert und pauschaliert. Der besonderen Lage der Schwerbehinderten, Tuberkulosekranken, Spätheimkehrer, Opfer der nationalsozialistischen Verfolgung, Vertriebenen und Flüchtlinge wird angemessen Rechnung getragen. Dagegen wird die ungerechtfertigte Häufung absetzbarer Beträge bei ein und derselben Person abgeschafft und damit eine ungerechtfertigte Differenzierung bereinigt.
Drittens. Die Regelungen über die zuschußfähige Miete und Belastung werden verbessert. Anstelle der häufig unbilligen bisherigen Beschränkung der anrechenbaren Wohnkosten durch Wohnflächen- und Mietobergrenzen treten absolute Höchstbeträge. Diese Höchstbeträge sind jedoch unter Zugrundelegung angemessener Wohnflächen und Wohnkosten entwickelt worden. Sie tragen dem Trend zur größeren Wohnung und besseren Wohnungsausstattung bewußt Rechnung, aber auch der Kostenentwicklung bei den neuesten Wohnungen. Die Ergebnisse der Wohnungsstatistik sind dabei berücksichtigt worden.
Die neuen Höchstbeträge erleichtern auch die Wahl einer Wohnung, indem sie Härten vermeiden, die nach dem geltenden Recht vornehmlich dann entstehen, wenn Wohngeldberechtigte nicht die Wohnung beziehen können, die nach Größe und Miethöhe wohngeldfähig ist; das gilt in erster Linie für Alleinstehende und für Kleinfamilien.
Viertens. Eine entscheidende Verbesserung sehe ich schließlich in dem Tabellenwerk, das dem Gesetz beigefügt ist. Die Höhe des Wohngeldes wird künftig nicht mehr mühsam und für den Bürger unverständlich ausgerechnet. Jeder kann jetzt seinen Anspruch aus diesen Tabellen ablesen. Der Entwurf geht dabei von dem Gedanken aus, daß gerade dieses Gesetz wie kaum ein anderes für jeden Bürger, für jeden Berechtigten verständlich und durchschaubar sein muß. Aus zahlreichen Briefen aus der Bevölkerung weiß ich, daß in der Vergangenheit viele potentielle Berechtigte ihren Anspruch einfach des-



Bundesminister Dr. Lauritzen
wegen nicht geltend gemacht haben, weil sie mit den komplizierten Vorschriften nichts anzufangen wußten. Ich habe daher immer wieder versucht, durch die Verteilung von Erläuterungsbroschüren zu helfen.
Die Tabellen, von denen ich gesprochen habe, sind nach der Größe der Familie, der Höhe des Familieneinkommens und der Höhe der zu berücksichtigenden Miete bzw. Belastung gestaffelt. Besondere Vorschriften über die tragbare Miete oder Belastung, über eine eventuelle Interessenquote, über Freibeträge für Empfänger niederer Einkommen oder über eine Aufrundung des Wohngeldes sind durch diese neuen Tabellen entbehrlich geworden. Die einzelnen Wohngeldbeträge selbst sind in ihrem Verhältnis zueinander harmonisiert worden, wobei geringe Korrekturen nach oben und unten erforderlich geworden sind. Die gezielten Verbesserungen vermeiden aber jene sprunghaften Veränderungen des Wohngeldes zum Nachteil der Empfänger, wie sie sich bislang bei Einkommensverbesserungen — insbesondere bei Rentenerhöhungen z. B. — ergeben haben.
Meine Damen und Herren, eine weitere wesentliche Verbesserung materieller Art besteht darin, daß das Wohngeld ganz allgemein in seinen Leistungen erhöht wird. Lassen Sie mich, weil ich darin einen ganz entscheidenden Punkt sehe, dafür einige wenige Beispiele angeben, die ich aus den Wohnungsberechnungen einer größeren Stadt entnommen habe. Ein alleinstehender Rentner mit einer monatlichen Rente von beispielsweise 350 DM, der eine Miete von 120 DM zu bezahlen hat und bisher 60,50 DM Wohngeld erhielt, erhält in Zukunft 68 DM. Bei einer dreiköpfigen Familie ergibt sich eine Steigerung von 85,50 DM auf 105 DM, bei einer fünfköpfigen Familie eine Steigerung von 121,50 DM auf 144 DM. Diese Beispiele sollen zeigen, wie sich die wesentlichen Verbesserungen im Einzelfall auswirken.
Der Kreis der Berechtigten ist im Prinzip gleichgeblieben. Eine Unklarheit, die bisher bestand, ist in dem neuen Entwurf jedoch ausgeräumt worden: Auch Vollerwerbslandwirte können in Zukunft voll das Wohngeld in Anspruch nehmen.
Was nun die auswärtige Unterbringung im Rahmen der Ausbildung angeht, so kann Wohngeld über den bisherigen Rahmen hinaus nicht gewährt werden. Wir sind der Meinung, daß es sich hier um eine Frage handelt, die in das Gebiet der Ausbildungsförderung gehört. Es geht hier ja nicht nur um das Wohngeld für Studenten, sondern um das Wohngeld für Jugendliche überhaupt. Wir möchten das im Rahmen der Ausbildungsförderung geregelt sehen.
Die bisherige völlige Versagung des Wohngeldzuschusses wegen besonders hoher Belastung bei einem Eigenheim oder einer Eigentumswohnung soll in Zukunft völlig entfallen.
In dem Gesetz ist auch nicht mehr der bisherige § 29 enthalten. Es ist bekannt, daß das Bundesverfassungsgericht diesen Paragraphen im November 1969 insoweit für verfassungswidrig erklärt hat, als
er die Empfänger von Sozialhilfe vom Wohngeldbezug ausgeschlossen hat. Das muß nach unserer Meinung auch für die Empfänger von Kriegsopferrenten gelten, wenn der Beschluß des Bundesverfassungsgerichtes das auch nicht ausdrücklich sagt. Wir haben deshalb eine Streichung des § 29 vorgesehen. Dieser Paragraph erscheint in dem neuen Entwurf nicht mehr.
Das ganze Gesetz ist gestrafft worden. An Stelle von bisher 53 haben wir nur noch 40 Paragraphen. Das macht schon deutlich, daß wir auch zu einer Straffung der Fassung des Gesetzes gekommen sind. Zeitraubende Ermittlungen und zahlreiche Rechenvorgänge können dadurch erspart werden. Die Fehlerquellen werden verringert. Das ganze Gesetz wird insgesamt verständlicher, seine Anwendung einfacher, die Beratung der Wohngeldberechtigten selbst leichter und die Auszahlung des Wohngeldes an die Empfänger beschleunigt. Auch die Erfordernisse der elektronischen Datenverarbeitung sind angemessen berücksichtigt worden.
Meine Damen und Herren, zum Schluß noch eine Bemerkung zu den Kosten des Gesetzes. Die Ausgaben für Wohngeld werden vom Bund und den Ländern je zur Hälfte getragen. Diese Ausgaben betrugen im Jahre 1969 rund 580 Millionen DM. Sie werden im Jahre 1970 auf 960 Millionen DM steigen. Für diese Steigerung ist im wesentlichen die Einbeziehung der Sozialhilfeempfänger maßgebend. Auf Grund der vorgesehenen Verbesserungen wird das neue Gesetz im Jahre 1971 für Bund und Länder eine Mehrbelastung in Höhe von 360 Millionen DM mit sich bringen. Der auf den Bund entfallende Teil von 180 Millionen DM ist im Haushaltsentwurf des Jahres 1971 und für die nächsten Jahre auch in der mittelfristigen Finanzplanung berücksichtigt. Damit, meine Damen und Herren, werden die Leistungen nach dem Wohngeldgesetz im Jahre 1971 auf mehr als 1,3 Milliarden DM ansteigen und mehr als einer Million Haushalten in der Bundesrepublik zugute kommen. Ich glaube, kaum eindrucksvoller als durch diese Zahlen kann unterstrichen werden, wie groß die gesellschaftspolitische und damit auch die politische Bedeutung dieses Gesetzes ist. Die Bundesregierung ist der Überzeugung, daß wir mit diesem Gesetz einen ganz entscheidenden Fortschritt erzielen werden. Ich darf das Hohe Haus im Namen der Regierung bitten, diesem Gesetzentwurf zuzustimmen.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)


Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0606438500
Der Gesetzentwurf der Bundesregierung ist begründet. Ich eröffne die Aussprache. Bevor ich das Wort erteile, möchte ich Sie davon unterrichten, daß sich bereits vier Redner gemeldet haben und daß zwei Redner 30 Minuten Redezeit angekündigt haben. Ich möchte die Redner doch bitten, auf die Uhr zu blicken und ihre Vorhaben nach Möglichkeit zu verkürzen.
Das Wort hat der Abgeordnete Geisenhofer, für den 30 Minuten Redezeit angemeldet sind.

Franz Xaver Geisenhofer (CSU):
Rede ID: ID0606438600
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Bundes-



Geisenhofer
minister, Sie haben soeben von den vielen Bemühungen und von den vielen Vorbereitungen, die dieser Gesetzentwurf benötigt hat, gesprochen, und ich anerkenne diese großen Bemühungen. In der Politik wird man aber nicht nur nach den Bemühungen beurteilt, sondern nach den Taten, und ich darf nach den Taten fragen.
Es ist eine Tatsache, meine sehr verehrten Damen und Herren, daß sich die Bundesregierung mit der Vorlage des seit langer Zeit angekündigten Wohngeldgesetzes trotz brennender Mietprobleme viel Zeit gelassen hat, ich möchte sagen: zu viel Zeit gelassen hat. Eine Regierung aber, die trotz ständigen Drängens und Mahnens der Opposition zuschaut, wie die Mieten den einkommensschwachen Bevölkerungskreisen davonlaufen, wie sie ihnen über den Kopf wachsen, hat das Recht verwirkt, sich als Regierung der sozialen Reformen zu bezeichnen.
Jeder von uns in diesem Hohen Hause weiß, daß das Wohngeldgesetz seit 1965, also seit 5 Jahren, in seinen Leistungen nicht mehr verbessert worden ist, obwohl die Mieten für einkommensschwache Bevölkerungskreise wesentlich höher gestiegen sind als die Einkommen.
Hinzu kommt die verfehlte Wirtschaftspolitik der Bundesregierung, die auf dem Bau- und Wohnungsmarkt in unseren Tagen skandalöse Auswirkungen zeigt. Die Baupreise sind in einem Jahr dieser Regierung höher gestiegen als in zehn Jahren CDU/CSU-Regierung insgesamt.

(Zuruf von der SPD: Was hat das mit dem Wohngeld zu tun?)

Ich will jetzt hier keine Konjunkturdebatte führen, aber, meine sehr verehrten Damen und Herren, die CDU/CSU wird Anlaß nehmen, in den nächsten Tagen dazu das Wort zu ergreifen. Im Rahmen der Debatte über das Wohngeldgesetz muß aber doch gesagt werden, daß die einkommensschwächsten Mieter, die Rentner, die Pensionäre, die kinderreichen Familien, die Kriegsopfer, von dieser Preissteigerung zutiefst belastet worden sind. Hinzu kommt noch die Gefahr, daß der Soziale Wohnungsbau nicht nur teurer wird, sondern auch zum Erliegen kommt.
Wenn schon die Bundesregierung nicht in der Lage ist, recht bald die Ursache für diese Entwicklung in den Griff zu bekommen, so meine ich doch, daß sie dann wenigstens den negativen Auswirkungen für die betroffenen einkommensschwachen Mieter entgegenwirken müßte, und zwar durch eine wesentliche Erhöhung des Wohngeldes. — Herr Minister, Sie haben gesagt, 1972 werden Leistungen bis zur Höhe von 1,3 Milliarden DM gegeben. Es kommt entscheidend darauf an, wie diese Leistungen auf die einkommensschwachen Bevölkerungskreise verteilt werden.
Anscheinend — und das muß ich mit starker Betonung zur SPD-Seite sagen — haben Sie, meine Herren von der SPD, wenig Beziehung zum Wohngeld.

(Zurufe von der SPD: Wozu?)

— Wenig Beziehung zum Wohngeld, keine innere Beziehung zu diesem Anliegen. Ich will Ihnen das jetzt beweisen.

(Abg. Schulte [Unna] : Aber zu den Beziehern!)

Ich bin tief bedrückt, daß Sie den ersten CDU/CSU-Gruppenantrag zur Erhöhung des Wohngeldes — das muß hier gesagt werden, wenn es auch in später Stunde ist — im November 1968 im Ausschuß durch Ihre Mitglieder zu Fall gebracht haben. Sie sind damit schuldig daran geworden, daß das Wohngeld, das wir im Jahre 1968 erhöhen wollten, nicht erhöht worden ist.

Manfred Schulte (SPD):
Rede ID: ID0606438700
Herr Kollege, haben Sie schon einmal etwas von Herrn Lücke gehört? Ist Ihnen der Name bekannt? Und die Folgen?

Franz Xaver Geisenhofer (CSU):
Rede ID: ID0606438800
Mein lieber Kollege, wenn Sie damit anfangen,

(Abg. Schulte [Unna] : Damit fängt es an!)

müßte ich jetzt tiefer greifen. Ich will mich damit aber jetzt wegen der Kürze der Zeit nicht beschäftigen.
Der zweite Gesetzentwurf zur Erhöhung des Wohngeldes — Drucksache VI/2 — wurde von der CDU/CSU-Fraktion bereits vor elf Monaten, am 20. Oktober 1969, in diesem Hohen Hause eingebracht. Der Antrag wurde im November 1969 im Ausschuß zu Beginn auch zügig beraten und einem Anhörverfahren unterzogen. Sie, Herr Bundesminister Lauritzen, haben anläßlich der ersten Lesung hier in diesem Hohen Hause und Herr Staatssekretär Ravens hat im Wohnungsausschuß im November 1969 erklärt, ,daß der Dritte Wohngeldbericht, auf den Sie ja immer gewartet haben, noch im Dezember 1969 fertiggestellt und im Dezember dann das Wohngeldgesetz folgen werde. Der Wohngeldbericht kam nicht im Dezember, sondern erst im Februar, und der Wohngeldgesetzentwurf kam erst vor wenigen Wochen — eine Verzögerung, die wir zutiefst bedauern. Wir haben im Ausschuß, aber auch hier im Plenum, immer wieder gemahnt und mit Sorge darauf hingewiesen, daß das Wohngeldgesetz vorgezogen werden müsse. Sie aber haben nicht gehandelt. Am 28. Januar 1970 wurde anläßlich der wohnungspolitischen Debatte in diesem Hohen Hause diese Verzögerung heftig kritisiert.
Da nichts geschah, hat der Sprecher der CDU/CSU, Herr Erpenbeck, bei der wohnungspolitischen Debatte am 26. Mai erneut Kritik geübt. Gleichzeitig machte Herr Erpenbeck den Vorschlag, durch Rechtsverordnung die Mietobergrenzen anzuheben.
Nachdem wieder nichts geschehen war, richtete ich im August eine Schriftliche Anfrage an die Bundesregierung. Ich bat wegen der schwierigen Mietsituation, durch eine Rechtsverordnung die Mietobergrenzen vorweg anzuheben, damit den einkommensschwachen Mietern die Mietlast abgenommen werden könne. Das wurde von Ihnen abgelehnt.
Erst nach fast einem Jahr — elf Monate verspätet — kam der Gesetzentwurf der Bundesregierung,



Geisenhofer
mit dem wir uns in dieser Stunde auseinandersetzen. Eine Regierung ich sage das mit vollem Ernst —, die in einer für den kleinen Mann so bedeutenden 'Frage längst nötige Reformen verzögert, macht sich schuldig und kann sich nicht als sozial bezeichnen.
Lassen Sie mich einige Ausführungen zum Gesetz selbst machen.
Herr Minister, Sie haben die Vorzüge dieses Gesetzes aufgeführt. Ich darf dazu kurz Stellung nehmen. Die Bundesregierung bezeichnet laut § 1 die wirtschaftliche Sicherung angemessenen und familiengerechten Wohnens als Hauptzweck des Gesetzes. Ferner ist es das Ziel der Bundesregierung, die Verwaltungsarbeiten wesentlich zu vereinfachen. Das ist auch unser Wunsch und unser Ziel.
Sind diese Ziele aber mit der Vorlage dieses Gesetzentwurfs erreichbar? Es kann nicht als verwaltungsvereinfachend angesehen werden, wenn sich zwar die Gesamtparagraphenzahl um zirka 15 verringert, dann aber in § 14, in dem die außer Betracht bleibenden Einkommen aufgeführt sind, die Zahl der Ziffern von 13 auf 29 erhöht wird. Wir bezweifeln auch sehr, daß die Berechnung des Wohngeldes bei den Bewilligungsstellen einfacher und billiger werden wird, zumal bei diesen Ermittlungsverfahren 61 Gesetze tangiert sind. Ja, wir fürchten sogar, daß das Gegenteil der Fall sein wird.
Wir schlagen, um eine Vereinfachung der Verwaltung zu ermöglichen, vor, daß der Bewilligungszeitraum von jetzt einem auf zwei Jahre erweitert wird.
Die Frage, ob das Wohngeldgesetz familiengerechter geworden sei, muß ich strikt verneinen. Zwar werden Ein-, Zwei- und Drei-Personen-Haushalte bessergestellt — das stelle ich anerkennend fest —, aber einer Anzahl Mieter, die bisher bereits Wohngeld beziehen, wird das Wohngeld gekürzt, oder sie werden aus der Wohngeldgewährung entlassen. Der Gesetzentwurf berücksichtigt die Familie mit mehreren Kindern, Herr Minister, ungenügend. Teilweise werden die Leistungen an die Familien mit Kindern erheblich vermindert. Dies gilt insbesondere, wenn deren Einkommen unter der jeweils zulässigen Höchstgrenze liegen. Das bedeutet, daß die sozial schwächeren Familien mit Kindern sogar schlechter gestellt werden als nach dem zur Zeit geltenden Recht.
Ich darf zwei Beispiele anführen. Auch Sie haben ein Beispiel, das für eine kinderreiche Familie gravierend ist, genannt. Ihr Beispiel lautet so: Für eine fünfköpfige Familie, die nach altem Recht 120 DM Wohngeld erhalten hat, gibt es nach neuem Recht 124 DM; das ist eine Erhöhung um 4 DM.

(Bundesminister Dr. Lauritzen: 144 DM!)

— Dann habe ich das falsch verstanden. Gut, Herr Minister, ich lasse es gelten. Dann ist das ein Beispiel, das ganz hoch gegriffen ist.
Ich habe Beispiele durchgerechnet und gebe Ihnen jetzt meine Berechnungen bekannt: Eine fünfköpfige Familie bezieht in einer Großstadt, ich nenne München, für eine angemessene Wohnung — das sind für fünf Personen 90 qm nach geltendem Recht bei monatlich 1000 DM bereinigtem Einkommen Wohngeld in Höhe von 117 DM. Sehen Sie in Ihrer Tabelle nach! Nach der Tabelle im neuen Gesetzentwurf erhält diese Familie im Monat nur noch 107 DM. Das sind im Monat 10 DM weniger. Nach dem Gesetzentwurf der CDU/CSU wird diese Familie aber 100 DM mehr bekommen. Wir begünstigen auch aber nicht so stark die Einzelpersonen, sondern mehr die kinderreichen Familien, weil diese der Hilfe der Gemeinschaft — vor allem bei der jetzigen Teuerung — am meisten bedürfen.
Ein neues Beispiel: Eine sechsköpfige Familie bezieht nach geltendem Recht bei 1500 DM anrechenbarem Einkommen 85 DM Wohngeld, nach dem Regierungsentwurf aber nur noch 61 DM. Das sind also 24 DM weniger als bisher. Das muß doch gesagt werden! Nach unserem Gesetzentwurf würde diese sechsköpfige Familie 150 DM mehr gegenüber dem jetzigen Recht bekommen.
Warum haben Sie, Herr Minister, nicht die Empfehlungen des dritten Berichts zum Wohngeldgesetz eingehalten? Dort heißt es: Das Vertrauen zum Wohngeld darf nicht erschüttert werden. — Ich frage: Ist das eine innere Reform, ist das mehr soziale Sicherheit, wenn in der Zeit der großen Teuerung kinderreiche Familien weniger Wohngeld bekommen? Man stelle sich, Herr Minister, einmal vor, welche Enttäuschung jene Familien erfahren werden, die im Glauben, daß die Wohngeldleistungen erhöht oder zumindest die bisherigen beibehalten werden, eine entsprechend große Wohnung gemietet haben und die jetzt erfahren, daß die Leistungen verkürzt werden. Beispiele mit Verkürzung sind nachzuweisen. Das bedeutet, daß diese Familien, wenn sie ihre Wohnungen bei dieser Teuerung, bei den steigenden Mieten und dem fallenden Wohngeld nicht weiter bezahlen können, sich nach einer anderen Wohnung umsehen müssen. Frage an die Bundesregierung: Verstößt das nicht gegen Treu und Glauben? Ist das noch gerecht?

Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0606438900
Herr Abgeordneter Geisenhofer, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Ravens?

Karl Ravens (SPD):
Rede ID: ID0606439000
Herr Kollege Geisenhofer, liege ich richtig in der Annahme, daß Sie ungeprüft einfach eine Berechnung übernommen haben, die ein Herr des norddeutschen Mieterbundes aufgemacht hat? Sonst müßte Ihnen bei der Durchsicht des Gesetzes doch aufgegangen sein, daß Sie Einkommen von heute nicht mehr mit Einkommen nach dem neuen Gesetz vergleichen können.

Franz Xaver Geisenhofer (CSU):
Rede ID: ID0606439100
Herr Staatssekretär. Wir können jetzt im einzelnen keine Berechnungen durchführen. Aber ich kann Ihnen sagen: ich habe das geprüft, und ich werde Ihnen Beispiele nachweisen, wo bei Fünf-, Sechs- und mehr Personen-Haushalten das Wohngeld nicht nur nicht gehalten, sondern gekürzt wird. — Ich wäre glücklich, wenn das anders wäre.

(Abg. Schulte [Unna] : Waren das Vermutungen von Ihnen?)




Geisenhofer
— Nein, das sind keine Vermutungen, das sind leider traurige Feststellungen.

Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0606439200
Gestatten Sie eine Zwischenfrage? — Bitte!

Hedwig Meermann (SPD):
Rede ID: ID0606439300
Herr Kollege Geisenhofer, haben Sie bei der Einkommensermittlung berücksichtigt, daß die Freibeträge nach dem neuen Gesetz 20 % und beim alten 15 % betragen? Wenn Sie nämlich nur auf die Tabellen der anrechenbaren Einkommen schauen, können Sie das nicht sehen. Wir sind bei unseren Berechnungen zu anderen Ergebnissen gekommen.

Franz Xaver Geisenhofer (CSU):
Rede ID: ID0606439400
Ich habe das getan. Ich werde jetzt noch erklären, woher das kommt. Sie können mich berichtigen. Vor allem werden wir im Ausschuß die Dinge zurechtrücken müssen. Aber ich sage Ihnen offen und ehrlich: was hier dieses Wohngeldgesetz offenbart, ist kein Zufall. Ich habe heute die Debatte über das Kindergeldgesetz mit verfolgt. Auch dort gibt es einen Trend zur Einzelperson, zur Klein-Familie. Die kinderreichen Familien werden benachteiligt. Heute konnten wir die Feststellung treffen, daß der CDU/CSU-Entwurf die Anhebung der Kindergeldsätze für das zweite und alle weiteren Kinder um je 10 DM vorsieht, während der SPD-FDP-Gesetzentwurf die Einkommensgrenze beim Zweitkindergeld erweitert, aber nicht die Leistung von 25 DM erhöht, beim Drittkindergeld 10 DM mehr gibt, für das vierte Kind und weiteren Kindern aber nichts tut, obwohl die kinderreiche Familie der Hilfe am meisten bedarf.
Ich darf Sie einmal fragen, ob Sie darüber nachgedacht haben — sicher denken auch Sie scharf nach —, wer eigentlich die Arbeitskräfte für die Wirtschaft und die Beitragszahler in der Rentenversicherung stellt. Das sind doch jene Familien, die mehrere Kinder haben und Nachfolger im Arbeitsprozeß und Beitragszahler in der Rentenversicherung hinterlassen, die an die Stelle der Ausscheidenden treten. Ich habe den Eindruck, daß die Bundesregierung die Kinderreichen zum Stiefkind der Nation stempelt.

(Lachen bei der SPD.)

— Ein hartes Wort, aber nach meiner Feststellung geht Ihr Bundeskindergeldgesetz und gehen die Formulierungen im Wohngeldgesetz in diese Richtung. Beweis: Der Gesetzentwurf der Bundesregierung berücksichtigt nicht, daß junge Ehepaare bei der Entwicklung zur Familie einen größeren Bedarf an Wohnflächen haben. Dies ist in unserem Gesetzentwurf ausdrücklich beachtet worden.
Wir bedauern ferner, daß in Ihrem Gesetzentwurf die Freibeträge für Bezieher niedriger Einkommen und die bisherigen Freibeträge für Kinder mit Einkommen bis zu 100 DM monatlich nicht beibehalten wurden. Es muß sehr bezweifelt werden — und jetzt komme ich, Frau Kollegin Meermann, auf Ihre Frage —, ob die pauschale Abgeltung durch Erhöhung des allgemeinen Freibetrages von 15 auf 20 % einen Ausgleich schafft. Ich fürchte nein, ich fürchte, daß auch hier die Ärmsten der Armen, diejenigen, die unter den Einkommensgrenzen liegen, benachteiligt werden.
Völlig pietätlos — das sage ich mit Unterstreichung — ist die Neuregelung der Schutzfrist bei Todesfällen. Sie können mich auch jetzt wieder berichtigen. Während nach bisherigem Recht der anrechenbare Wohnraum sich erst nach zwei Jahren verringert, wenn jemand in der Familie stirbt, und während sich nach dem CDU/CSU-Gesetzentwurf diese Schutzfrist auf drei Jahre erhöhen soll, ist nach Ihrem Gesetzentwurf die Schutzfrist auf 12 Monate nach dem Sterbejahr vermindert.
Schwerwiegend ist die Tatsache, daß die Bundesregierung die Vergünstigung für Mieter von Sozialwohnungen beseitigt hat. Für diese Mieter gab es bisher keine Obergrenzen. Diese Vergünstigung ist nun beseitigt worden. Im Hinblick auf die rapide Kostenentwicklung kann schon jetzt vorausgesagt werden, daß das Wohngeld der Mieter im sozialen Wohnungsbau gekürzt werden wird.
Ganz besonders hart betroffen werden die Heimatvertriebenen, die Sowjetzonenflüchtlinge und insbesondere die Spätaussiedler, weil bei ihnen, wenn sie Empfänger niedriger Einkommen sind, die Freibeträge wegfallen.
Die Einkommensgrenzen, Herr Minister, haben Sie erläutert. Sie sind von 1000 DM bis 2000 und 3000 DM hinaufgegangen. Das schaut rosig aus; aber bei der Durchrechnung kommt das heraus, was ich hier gesagt habe.
Sie haben in Ihrem Gesetzentwurf die Einkommensgrenzen von 750 um 50 DM auf 800 DM und für Familienangehörige von jetzt 150 DM um 50 DM auf 200 DM erhöht. Unser CDU/CSU-Vorschlag sieht eine Erhöhung von 750 DM um 150 DM auf 900 DM
vor.
Wir begrüßen es, daß die Bundesregierung die in unserem Gesetzentwurf bereits geforderte Hereinnahme der landwirtschaftlichen Vollerwerbsstellen übernommen sowie unserer Forderung, Städte mit 1 Million Einwohnern und mehr im Gesetz besonders auszuweisen, gefolgt ist. Die in den Tabellen ermittelten Höchstbeträge für Mieten und Belastungen müssen jedoch neu überdacht, verbessert und ständig an die sich ändernden Verhältnisse angepaßt werden. Die Staffelung der Einwohnerzahl von 100 000 bis zu 1 Million ist zu grob und benachteiligt insbesondere die Bewohner von Mittel- und Großstädten. Auch die Zusammenlegung der Ortsklassen A und S stellt eine Verschlechterung dar.
Wir bedauern sehr, daß nunmehr die Grundrenten als Einnahmen angerechnet werden. Bei Leichtbeschädigten unter 50 % ist ein Freibetrag gemäß § 16 nicht mehr vorgesehen. Blindengeld, Pflegegeld und Schwerstbeschädigtenzulage haben bisher die Höhe des Wohngeldes nicht nachteilig beeinflußt. Dagegen werden sie nach dem neuen Gesetz eine Benachteiligung erfahren.

Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0606439500
Herr Abgeordneter Geisenhofer, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Franz Xaver Geisenhofer (CSU):
Rede ID: ID0606439600
Ich bin gleich fertig.




Manfred Schulte (SPD):
Rede ID: ID0606439700
Herr Kollege, ich wollte Sie fragen: Haben Sie schon einmal daran gedacht, daß wir uns hier nicht in der zweiten Lesung befinden und daß auch noch andere Kollegen sprechen möchten?

Franz Xaver Geisenhofer (CSU):
Rede ID: ID0606439800
Jawohl. Ich komme jetzt mit drei, vier Sätzen zum Schluß.

(Abg. Mick: Was ist denn das für eine Methode hier?!)

Aber das Problem ist so ernst, Kollege, daß es gerade von der Opposition hart angesprochen werden muß, damit wir wenigstens im Ausschuß die Probleme, die noch offen sind, bereinigen können.

(Abg. Mick: Bestimmen Sie die Redezeit? — Unerhört, so etwas! Darüber bestimmt doch wohl der Präsident! Die Redezeit ist angemeldet! — Abg. Ott: Das ist „mehr Demokratie"! — Gegenruf des Abg. Schulte [Unna] .)

— Ich wäre jetzt fertig, wenn Sie mich nicht unterbrochen hätten. Es ist zwar Ihr gutes Recht, Fragen zu stellen; aber mein gutes Recht ist es, diese Probleme ernst zu behandeln.
Die CDU/CSU fordert, daß auch genesende Krebskranke — heute in der Aussprache sind die Krebskranken und ihr Schicksal in diesem Hohen Hause besonders angesprochen worden — einen Freibetrag von 1200 DM analog zu den Tbc-Kranken erhalten.
Das Problem des Wohngeldes für Studenten, Herr Bundesminister — wir haben ja in einem Hearing die Studenten angehört —, ist in Ihrem Gesetzentwurf nicht angesprochen worden. Der Begriff „vorübergehend vom Haushalt abwesend" muß überprüft werden, um Härten auszugleichen.
Abschließend: Die CDU/CSU stellt mit Enttäuschung fest, daß es der Bundesregierung nicht gelungen ist, die dringende Reform des Wohngeldgesetzes rechtzeitig durchzuführen. Die Verzögerung geht ebensosehr zu Ihren Lasten wie die bedauerliche Tatsache, daß jene Menschen, die der Hilfe der Gemeinschaft am meisten bedürfen — das sind wieder die Mehrkinderfamilien —, viel zu wenig berücksichtigt wurden. Wenn dieser Gesetzentwurf im Ausschuß für Städtebau und Wohnungswesen nicht wesentlich verbessert werden kann, steht er in krassem Widerspruch zur Regierungserklärung des Bundeskanzlers vom 28. Oktober letzten Jahres.

(Beifall bei der CDU/CSU.)


Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0606439900
Das Wort hat die Frau Abgeordnete Meermann. Für sie sind ebenfalls 30 Minuten angemeldet.

Hedwig Meermann (SPD):
Rede ID: ID0606440000
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir wissen alle, daß dem Sprecher der Opposition, dem Herrn Kollegen Geisenhofer, das Wohngeldgesetz sehr am Herzen liegt, und ich kann auch verstehen, daß er als Sprecher der Opposition in seiner Rede zunächst einmal nach dem Motto „Öfter mal dasselbe" den gleichen Dampf zum wiederholten Male abgelassen hat.

(Abg. Orgaß: Für Sie ist das Problem, daß Sie den Dampf jetzt nicht mehr ablassen können! Sie müssen es vertreten! — Heiterkeit bei der CDU/CSU.)

— Gern, ausgesprochen gern, Herr Kollege!

(Abg. Schulte [Unna]: „Dampf" ist noch ein ganz feines Wort dafür! — Abg. Orgaß: Also, Ihre Schwierigkeiten werden ja immer größer, Frau Meermann! Wir verstehen es! Zuruf von der SPD: Das ist doch Ihre Sache! Sie wissen es doch! — Weiterer Zuruf: Frau Meermann ist doch höflich, nicht?)


Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0606440100
Meine Damen und Herren, halten Sie den Fluß der Rede doch nicht auf! Es ist spät genug.

(Heiterkeit!)


Hedwig Meermann (SPD):
Rede ID: ID0606440200
Es tut mir sowieso leid genug, Herr Geisenhofer, daß ich nicht noch sehr viel ausführlicher auf Ihre Rede eingehen kann, aber ich möchte doch einiges dazu sagen.
Selbstverständlich geht es bei der Reform des Wohngeldgesetzes um das Verhältnis von Lasten, Mieten und Einkommen. Aber wir reformieren jetzt ein Leistungsgesetz aus dem Jahre 1965, und wir haben infolge dessen die ganze Spanne bis zum heutigen Tage zu bedenken. Es schmeichelt uns natürlich, Herr Kollege Geisenhofer, wenn Sie und Ihre Partei Ihre Zeitrechnung immer mit der Regierungsübernahme von SPD und FDP beginnen. Sie werden sicher schon festgestellt haben, daß wir mit der Spanne zwischen allgemeiner Einkommensentwicklung und allgemeiner Mietenentwicklung in unserer Regierungszeit sehr gut dastehen. Erlauben Sie mir, daß ich doch ein paar Beispiele dafür angebe. Ich nehme jetzt die Durchschnittszuwachsrate des Einkommens und setze sie der Durchschnittszuwachsrate der Mieten gegenüber.
1966: Durchschnittszuwachsrate der Einkommen der Arbeitnehmer 5,8 %; Mietzuwachs 7,9 %. 1967: Einkommenszuwachs 2,8 %, Mietzuwachs 6,8 %. 1968: Einkommenszuwachs 4,6 %, Mieten 7,6 %. Und so sieht es seit der Bildung der SPD/FDP-Regierung aus: 1970 Einkommenszuwachs wenigstens 10 %, Mietsteigerung bisher 4,1 %. Die dicken Mietensteigerungen lagen in den Jahren, in denen Sie den Bundeskanzler gestellt haben.

Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0606440300
Frau Abgeordnete Meermann, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Hedwig Meermann (SPD):
Rede ID: ID0606440400
Ja.

Gerhard Orgaß (CDU):
Rede ID: ID0606440500
Verehrte Frau Kollegin Meermann, sind Sie nicht der Auffassung, daß solch ungewichtete Durchschnittszahlen, die sowohl die Ballungszentren als auch Landräume in einen Topf werfen, eine genauso große Aussagekraft haben,



Orgaß
wie wenn ich beispielsweise Ihnen vorrechne, daß Sie heute zwei Koteletts gegessen haben, ich habe keines gegessen; statistisch haben wir jeder eines gegessen, ergo sind wir beide satt?

(Zuruf von der SPD: Wir wollten das doch mit Ernst behandeln!)

Das ist doch keine Aussage!

Hedwig Meermann (SPD):
Rede ID: ID0606440600
Herr Orgaß, wir müssen bei diesem Gesetz von Durchschnittswerten ausgehen. Es fragt sich, woher man sie nimmt.

(Abg. Orgaß: Wo sie für Sie am günstigsten sind!)

— Nein, gar nicht! Wenn ich die kleinen Einkommen in Beziehung zu den gestiegenen Mieten gesetzt hätte, dann hätte Ihre Regierungszeit sehr viel schlechter ausgesehen als so, wo ich den normalen Einkommenszuwachs der Arbeitnehmer zugrunde gelegt habe. Da sieht das nämlich für Sie besser aus.

Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0606440700
Frau Kollegin Meermann, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Ott?

Hedwig Meermann (SPD):
Rede ID: ID0606440800
Bitte, Herr Ott!

Anton Ott (CSU):
Rede ID: ID0606440900
Frau Kollegin Meermann, können Sie mir sagen, wer in den von Ihnen vorhin erwähnten Jahren Wohnungsbauminister gewesen ist und welche Arbeit der Wohnungsbauminister dann hätte, wenn der Bundeskanzler für das Wohnungsbaureferat zuständig wäre?

Hedwig Meermann (SPD):
Rede ID: ID0606441000
Einen Moment! Ich habe von Einkommen und ich habe von Mieten gesprochen. Ich glaube, für 1966 ist das auf alle Fälle geklärt, nicht wahr?

(Zuruf von der CDU/CSU: Ja, wer war es denn? Ich kann es Ihnen wohl sagen, wenn Sie es nicht wissen: Herr Bucher! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU.)

— Ich möchte jetzt wirklich einen Gedankengang zu Ende führen können. Ich antworte nachher gern auf Zwischenfragen.
Was Ihren Einwand, Herr Orgaß, anbelangt: Selbstverständlich sind die Mietentwicklungen sehr unterschiedlich, und selbstverständlich machen wir uns über die Baupreise und über die Mieten, die sich daraus entwickeln können, Sorgen. Aber bei dem Gesetz, das wir heute behandeln, müssen wir die Preisentwicklungen berücksichtigen, die sich bisher in den Mieten und Belastungen niedergeschlagen haben. Wenn sich das ändert, werden wir das Gesetz zu überprüfen haben,
Bei den jetzt bestehenden Wohnungen machen uns in der Tat nicht die allgemeinen Mietentwicklungen Kopfschmerzen. Dazu liegt in diesem Jahr in bezug auf die allgemeine Entwicklung weniger Veranlassung vor als je zuvor. Was uns aber wirklich Sorgen macht, sind die Mietentwicklungen in ganz bestimmten Städten und ganz bestimmten
Wohnungen, die sich so vollziehen konnten auf einer Gesetzesgrundlage, die Sie zu verantworten haben. Dazu wird die Bundesregierung ihr Maßnahmengesetz einbringen, und sie wird auch ihre gezielten Förderungen des langfristigen Wohnungsbauprogramms hier vorsehen. Dann wird es sich zeigen, ob Sie bereit sind, wirklich etwas zu tun, oder ob Sie nur jede Woche eine konjunkturpolitische Arie singen wollen. Das werden wir dann bei dieser Gelegenheit sehen.

(Zuruf von der SPD: Sehr gut!)

Daß wir uns jetzt mit dem neuen Wohngeldgesetz beschäftigen, das im System vereinfacht, von Ungereimtheiten befreit und in den Leistungen den veränderten Verhältnissen angepaßt ist, hat mit der jetzigen konjunkturellen Situation überhaupt nichts zu tun. Auch der Sprecher der Opposition hat darauf hingewiesen, daß sich nach den Erfahrungen, die in den Ländern mit dem Wohngeldgesetz gesammelt und im Wohngeldbericht der Bundesregierung ausgewertet wurden, die Fraktionen in diesem Hause seit längerer Zeit darüber einig sind, daß das Wohngeldgesetz grundlegend reformiert werden muß, d. h. Sie wollten das alte Gesetz novellieren, aber Sie waren ebenfalls der Auffassung, daß in einigen Punkten entscheidende Änderungen angebracht werden mußten.
Wir hätten in jeder wirtschaftlichen Situation, zumal bei noch nicht gedecktem Wohnungsbedarf, ganz genau abwägen müssen, wie groß das Maß an persönlicher Hilfe sein muß, das ein Mieter oder der Bewohner eines Eigenheimes oder einer Eigentumswohnung erhält, und wie groß es noch sein kann, ohne daß davon ein genereller Anreiz zur Erhöhung der Mieten ausgeht. Es liegt auch in der Natur der Sache, daß über das Maß unterschiedliche Vorstellungen zwischen Opposition und Regierung bestehen.
Herr Geisenhofer orientiert seine Vorstellungen über das Maß am Entwurf der CDU/CSU, den er vor einigen Monaten hier eingebracht hat.

(Abg. Geisenhofer: Vor elf Monaten!)

— Vor elf Monaten. Aber stellen Sie sich einmal vor, wir hätten ihn angenommen, die Landesregierungen hätten sich auf Ihre Gesetzesänderung umgestellt, und jetzt hätten wir anschließend doch wieder gründlich reformieren müssen. So schnell kommt die Verwaltung nicht mit.
Dieser Entwurf, Herr Geisenhofer, hält so ziemlich alle Ungereimtheiten des alten Gesetzes bei: er gleicht Ungerechtigkeiten nicht aus und geht dabei finanziell wesentlich über den uns jetzt vorliegenden Regierungsentwurf hinaus. Für die Ausschußberatungen wäre es allerdings sehr hilfreich, wenn Sie sich in Ihrer Fraktion vorher darüber verständigen könnten, welche Politik Sie eigentlich verfolgen wollen. Wollen Sie im Bundeshaushalt sparen, wie Sie immer verkünden,

(Abg. Geisenhofer: Nicht bei den Kleinsten!)

oder wollen Sie den Bundeshaushalt ausweiten, wie Sie das in zahlreichen Einzelanträgen immer wieder dartun?



Frau Meermann
Ich verstehe auch gut, daß dem Sprecher der Opposition der Regierungsentwurf nicht gefällt, wenn ich auch freilich die Gründe, die Sie angeführt haben, nicht anerkenne. Darüber werden wir in den Ausschußberatungen noch sprechen. Daß er Ihnen nicht gefällt, ist Ihr gutes Recht. Anderer Leute Kinder gefallen einem nie so gut wie die eigenen.

(Abg. Orgaß: Mitunter sogar besser! — Heiterkeit. — Zuruf von der SPD: Das kann nicht so generell gesagt werden!)

— Ich werde hier zu klaren Aussagen über die Familienpolitik aufgefordert; das möchte ich lieber nicht tun.
Uns hat Ihr Entwurf aus dem Jahre 1962 auch nicht gefallen, aber aus triftigerem Grund: weil er dem Mieter, dem Sie in den weißen Kreisen nur einen völlig unzureichenden Rechtsschutz angedeihen ließen, keine auch nur annähernd ausreichende Sicherung der Wohnung bot. Ihr Gesetzentwurf aus dem Jahre 1964 konnte uns auch nicht gefallen. Trotzdem haben wir intensiv daran gearbeitet, und ich bin sicher, daß Sie sich in dieser Hinsicht an das gute sozialdemokratische Vorbild halten werden.
Mit der Vorlage des Entwurfs eines Zweiten Wohngeldgesetzes erfüllt die Bundesregierung ein Versprechen, das sie in ihrer Regierungserklärung gegeben hat, ja, sie geht sogar darüber hinaus; denn nach diesem Entwurf wird das Wohngeld nicht nur in den Leistungen verbessert, sondern von Grund auf reformiert. Das gehört auch zu den inneren Reformen, die sich diese Bundesregierung vorgenommen hat. Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion begrüßt die Vorlage als eine bedeutende und notwendige Fortentwicklung staatlicher Wohnungspolitik.
Zeitlich gesehen ist es kein langer Weg vom Gesetz über Wohnbeihilfen des Jahres 1963 über das Wohngeldgesetz 1965 bis zu dem uns heute vorliegenden Entwurf. Aber die Erfahrungen, die auf diesem Wege gesammelt wurden, führten zu einem beachtlichen Wandel der diesem Gesetz zugrunde liegenden Zielsetzung:
1963 und 1965 war das erklärte Ziel, zur Vermeidung sozialer Härten ein Mindestmaß an Wohnraum wirtschaftlich zu sichern — § 1, Herr Kollege —, ein Ziel, das wir Sozialdemokraten immer als zu dürftig angesehen haben, wobei ich aber zugebe, daß es zu Beginn schwierig war, die finanziellen Auswirkungen zu übersehen.
Heute ist das erklärte Ziel des Entwurfs der Bundesregierung die wirtschaftliche Sicherung angemessenen und familiengerechten Wohnens. Hier ist also eine gesellschaftspolitische Aufgabe formuliert, mit deren Übernahme der Gesetzgeber eine Verpflichtung auf lange Sicht eingeht. Durch eine Solidarleistung der Gemeinschaft wird 'die familiengerechte Wohnung für denjenigen gesichert, der das aus eigenem Einkommen nicht schaffen kann. Darüber hinaus geht es um das angemessene Wohnen überhaupt.
Damit wird gleichzeitig eine Entwicklung, die sich in den letzten Jahren vollzogen hat, ausgesprochen.
Das Wohngeld gewährt nicht nur dem 'einzelnen soziale Leistungen, sondern es ist überdies ein ergänzendes Instrument zur Förderung des öffentlichen Wohnungsbaus für die leistungsschwächere Bevölkerung geworden, nicht nur für den Bau von eigengenutztem Eigentum, sondern mittelbar auch für den Mietwohnungsbau.
Ich möchte bei dieser Gelegenheit aus gutem Grund noch einmal betonen — was wir schon oft in diesem Hause getan haben —, daß auf das Wohngeld ein Rechtsanspruch besteht. Zwar ist das Vertrauen der Bürger in das Wohngeld deutlich gestiegen.

(Zuruf von der CDU/CSU: Jetzt wird es erschüttert!)

Fast 5 % aller Haushalte sind Wohngeldempfänger, 90 % davon Mieter. Aber es gibt immer noch anspruchsberechtigte Einzelpersonen oder Familien, die sich scheuen, diesen Anspruch auch geltend zu machen. Daß mancher Bürger mit dem Wohngeld immer noch unangenehme Vorstellungen von Wohlfahrt und Fürsorge verbindet, liegt neben anderen Gründen auch an der Kompliziertheit des Gesetzes. Wer sich bei noch so intensiver Lektüre kein Bild davon machen kann, ob er einen Wohngeldanspruch hat und wie hoch der Wohngeldanspruch sein wird, der muß sich der Verwaltung gegenüber hilflos und auf ihr Wohlwollen angewiesen vorkommen.
Hier will der neue Gesetzentwurf Wandel schaffen. Von den sechs großen Hürden — die kleinen lasse ich beiseite —, von denen der Vorschlag der Opposition keine einzige beseitigt hat — doch, ich glaube, die Kappungsvorschrift —, die zur Zeit zu nehmen sind, bevor überhaupt an die Berechnung des Wohngelds gegangen werden kann — Feststellung von Einkommen, von Miete oder Belastung, angemessene Wohnfläche, Miet- oder Belastungsobergrenze, Tragbarkeitsgrenze und schließlich noch die Kappungsvorschrift —, bleiben noch zwei, nämlich die Berechnung des Einkommens und die Feststellung der Miete oder Belastung. Nach einem Blick auf die Obergrenzentabelle kann der Bürger dann mit einem zweiten Blick auf eine zweite Tabelle in Mark und Pfennig ablesen, wie hoch sein Wohngeld sein wird. Dieses Zweite Wohngeldgesetz hat also die Chance, ein sehr bürgernahes Gesetz zu werden. Auch das meinen wir mit „mehr Demokratie" : Gesetze, die der Bürger versteht.
Von den vorgesehenen Verbesserungen findet die Einkommensgrenzenerhöhung in der öffentlichen Diskussion die meiste Beachtung. Natürlich mag auf den ersten Blick die Erhöhung von 750 auf 800 DM für den Haushaltsvorstand und von 150 auf 200 DM für jedes weitere Haushaltsmitglied nicht sonderlich beeindrucken. Wenn man aber neben den sonstigen Möglichkeiten der Absetzung vom Einkommen die Erhöhung des allgemeinen Freibetrags von 15 auf 20% hinzurechnet, so ergeben sich doch Bruttoeinkommenssätze — der Herr Minister hat sie eben genannt —, die eine durchaus angemessene Anpassung an die heutigen Verhältnisse darstellen.
Für die übrigen Leistungsverbesserungen erlauben Sie mir bitte ein Beispiel in der Einkommens- und Mietenentwicklung darzustellen, wobei ich,



Frau Meermann
Herr Orgaß, natürlich nur Durchschnittswerte nehmen kann; wir wollen ja ein Gesetz machen, dessen Rahmen für viele paßt, kein Gesetz für jeden Sonderfall besonders. Ein Rentner, der im Jahre 1965 eine Rente von 400 DM hatte und für seine Wohnung von 50 qm damals eine Miete von 90 DM bezahlte, erhielt ein Wohngeld von 11 DM. Dieser Rentner würde nach den normalen Rentenerhöhungen und den Durchschnittsmietenerhöhungen im Jahre 1971 ein Einkommen von 615 DM haben und eine Miete von 135 DM bezahlen. Nach dem Wohngeldgesetz 1965 würde er kein Wohngeld mehr bekommen; nach dem Entwurf des Zweiten Wohngeldgesetzes der Bundesregierung erhält er 30 DM.
Die Abkehr von der bisherigen Berechnungsmethode — Grundfläche mal Obergrenze — wirkt sich besonders günstig auf die kleinen Haushalte aus, und am deutlichsten zeigt sich das bei den Einpersonen-Haushalten. Und, Herr Geisenhofer, wenn hier höhere Verbesserungen vorliegen als bei den größeren Familien, so deshalb, weil die EinpersonenHaushalte, die zur Zeit fast 50 % unter den Wohngeldempfängern stellen und die mit dem hohen Rentneranteil eine sozial besonders schwache und bedürftige Gruppe darstellen, nach den alten Berechnungsvorschriften offensichtlich benachteiligt waren. Sie haben sicher im Wohngeldbericht gesehen, daß 43 % dieser Einpersonen-Haushalte in Wohnungen lebten, die größer waren als die Wohnfläche, die ihnen das Gesetz zubilligte. Andere hatten kleinere Wohnungen, mußten aber höhere Quadratmetermieten und Belastungen zahlen, die über den im Gesetz festgelegten Grenzen lagen. Beide Tatbestände, die ja vom Bewohner nicht beeinflußt werden können, da es nicht genügend nach dem Wohngeldgesetz maßgeschneiderte Wohnungen gibt, wirken zur Zeit wohngeldverringernd, und mit diesen Ungereimtheiten und Ungerechtigkeiten räumt der neue Gesetzentwurf auf.
Auch künftig soll nicht jede gezahlte Miete oder Belastung voll anrechnungsfähig sein. Es sind Grenzen in Gestalt von Höchstbeträgen gesetzt. Das hält auch die SPD-Bundestagsfraktion für erforderlich; denn — ich muß es noch einmal sagen — vom Wohngeldgesetz her sollen nicht Anreize zur Mietsteigerung gegeben werden.
Ich möchte aber auch auf einen Punkt eingehen, über den wir im Ausschuß sicher noch diskutieren werden. Die Höchstbeträge gelten nach diesem Entwurf für alle Wohnungen, auch für die öffentlich geförderten, und die Sonderregelung, wonach die Kostenmiete im sozialen Wohnungsbau bzw. die preisrechtlich zulässige Miete stets voll wohngeldfähig ist, würde danach entfallen. Miete wird gleich Miete gesetzt, unabhängig davon, wie sie entstanden ist. Damit wird dem Gleichheitsgrundsatz Rechnung getragen. Andererseits müssen wir selbstverständlich darauf achten, daß sich die Wohngeldempfänger in Sozialwohnungen keine Sorgen zu machen brauchen. Nach unseren Berechnungen sind die jetzigen Kostenmieten im sozialen Wohnungsbau durch die im Gesetz vorgesehenen Höchstbeträge gedeckt. Auch der Bundesrat, der ja die Verhältnisse in den Ländern kennt, hat keinen Änderungsantrag gestellt. Sollten sich aber diese
Höchstgrenzen für gewisse Sozialwohnungen in Großstädten als zu knapp kalkuliert erweisen,

(Abg. Geisenhofer: Ab 1971 auf jeden Fall!)

so werden wir das bei den Ausschußberatungen berücksichtigen.
Insgesamt gesehen wird das neue Wohngeldgesetz zu beträchtlichen materiellen Verbesserungen führen, freilich nicht bei allen Wohngeldbeziehern in gleichem Maße, bei einigen gar nicht; dabei denke ich besonders an die Haushalte, die durch die Kumulation mehrerer begünstigender Tatbestände zur Zeit unverhältnismäßig höhere Wohngelder bekommen als andere mit gleichem Einkommen, gleicher Miete und gleicher Personenzahl. Ich habe mir nach der neuesten Statistik einmal herausgesucht, wie viele der Einpersonen-Haushalte - ich möchte bei dem Beispiel der Einpersonen-Haushalte bleiben —, die nach dem Wohngeldgesetz auf ein anrechenbares Einkommen von 200 DM monatlich kommen, vorher Beträge von 400, 600, 900, 1200 DM und mehr absetzen konnten, um auf ein anrechenbares Familieneinkommen von 200 DM zu kommen. Es sind erstaunlich viele. Das sind Auswirkungen von sehr gewissenhaften Ausschußberatungen im Jahr 1965, bei denen wir alle Sondertatbestände berücksichtigen wollten, aber nicht überblickten, wie sich die Kumulation mehrerer Sondervergünstigungen auswirken konnte. Hier einen gewissen Ausgleich zu schaffen, sieht der Gesetzentwurf vor. Ich meine, das sollten wir im Sinne wirklicher sozialer Gerechtigkeit auch im Ausschuß einmal genau durchprüfen.
Die Bundesregierung ist andererseits nicht so weit gegangen — so weit möchte auch die sozialdemokratische Bundestagsfraktion nicht gehen —, analog dem Grundsatz „Miete gleich Miete" auch etwa Einkommen gleich Einkommen zu setzen ohne Rücksicht auf die Quelle des Einkommens. Sicher wäre das Zweite Wohngeldgesetz leichter zu handhaben, wenn soziale Tatbestände nur insofern berücksichtigt würden, als sie sich auf den Wohnungsbedarf auswirken, z. B. eine Tuberkuloseerkrankung oder eine schwere Körperbehinderung. Dann müßten aber zum Ausgleich für die hier wegfallenden Leistungen wahrscheinlich zahlreiche andere Gesetze geändert und verbessert werden.
Uns scheint daher der von der Bundesregierung eingeschlagene Weg gangbar zu sein, eine Vereinfachung dadurch zu erreichen, daß durch pauschale Verbesserungen eine Reihe von Einzelregelungen überflüssig werden, daß nicht die gleichen Leute eine Vielzahl von Vergünstigungen erhalten, daß aber gewisse Sondertatbestände und Härtefälle auch weiterhin gesondert berücksichtigt bleiben.
Herr Geisenhofer, ich glaube, Sie haben auch die Kriegsopfer erwähnt.

(Abg. Geisenhofer: Die Grundrenten!)

Soweit ich den Gesetzentwurf verstehe, zählen Grundrenten und die Pflegezulagen nicht zur Dekkung des Lebensunterhalts, und sie sind auch nicht steuerpflichtig. Insofern würden sie auch nach dem neuen Gesetzentwurf beim Einkommen nicht an-



Frau Meermann
gerechnet werden. Jedenfalls habe ich das daraus gelesen, und ich möchte auch, daß es so bleibt. Wir werden uns über diese Frage im Ausschuß sicherlich unterhalten können. Ich beschränke meine Aussage aber ausdrücklich auf die Grundrenten und auf die Pflegezulagen für die Schwerstbeschädigten.
Herr Minister. Lauritzen hat bereits darauf hingewiesen, daß der Gesetzentwurf der Bundesregierung keine Sonderregelung für die Wohnungskosten der in Berufsausbildung oder im Studium Befindlichen ohne eigenes Einkommen vorsieht. Es wäre zwar nicht unmöglich, aber in der Tat schwierig, das in diesem Gesetz zu regeln. Verschiedene Gruppen von jungen in Ausbildung befindlichen Menschen haben uns den Wunsch vorgetragen, im Wohngeldgesetz berücksichtigt zu werden. Die SPD-Bundestagsfraktion nimmt diesen Wunsch jetzt an dieser Stelle deswegen nicht auf, weil die Bundesregierung beschlossen hat, diese Frage im Ausbildungsförderungsgesetz zu regeln, und weil dort eine Lösung gefunden werden kann, die der besonderen Situation der in Ausbildung Befindlichen, aber auch ihrer Familien besser gerecht wird, als das im Wohngeldgesetz möglich wäre. Wir halten eine solche Regelung aber für dringend, zumal die meisten jungen Menschen, die während ihrer Ausbildung nicht bei ihrer Familie wohnen, im Verhältnis zu ihrem Einkommen außerordentlich hohe Mieten zu zahlen haben. Ich darf daher heute schon ankündigen, daß wir sozialdemokratischen Bundestagsabgeordneten ganz sicher den für das Ausbildungsförderungsgesetz zuständigen Minister bitten werden, uns noch während der Ausschußberatungen zum Wohngeldgesetz über seine Vorstellungen und über den voraussichtlichen Zeitplan zu unterrichten.
Eine Bemerkung zum Schluß: Die Bundesregierung hat darauf verzichtet, in ihrem Gesetzentwurf eine Ermächtigung zur Änderung der Höchstbeträge für Mieten und Belastungen vorzusehen. Aus Respekt vor dem Gesetzgeber, denke ich, Herr Minister?

(Abg. Geisenhofer: Zum Nachteil der Mieter!)

In der Tat hat die Diskussion der letzten Jahre gezeigt, daß die Frage, ob Obergrenzen erhöht werden sollen, eine eminent politische Frage ist, deren Entscheidung sich das Parlament vorbehalten sollte. Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion kündigt heute schon an, daß sie die Bestimmungen dieses Gesetzes in regelmäßigen Abständen an der Entwicklung der Einkommen, Mieten und Belastungen messen wird.
Wir stimmen der Ausschußüberweisung zu.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)


Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0606441100
Das Wort hat der Abgeordnete Wurbs.

Richard Wurbs (FDP):
Rede ID: ID0606441200
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Bundesregierung legt den Entwurf eines Zweiten Wohngeldgesetzes vor. Wir Freien Demokraten begrüßen die Gesetzesinitiative der Bundesregierung nachdrücklich. Wir weisen den Vorwurf, der hier wiederholt erhoben wurde, zurück, das Gesetz sei zu spät eingebracht worden. Ich glaube, es ist nicht mehr als recht und billig, daß man den Dritten Wohngeldbericht noch abgewartet hat, um die Erfahrungen, die aus dem Wohngeldbericht gezogen wurden, noch mit verwenden zu können. Bei der Einbringung des Gesetzentwurfs handelt es sich um die erste Lesung; daher werde ich mich auf ein paar kurze Bemerkungen beschränken und hier die Auffassungen der Freien Demokraten darlegen.
Es ist nicht bestritten, daß das Wohngeldgesetz in der Fassung von 1965 durchaus funktioniert und sich bewährt hat und daß dieses Gesetz eine logische Fortentwicklung des Gesetzes über Wohnungsbeihilfen von 1963 darstellte. Ziel des Wohngeldgesetzes ist es, Wohnungsinhabern und ihren Familien zur Vermeidung sozialer Härten ein Mindestmaß an Wohnraum wirtschaftlich zu sichern. Das Wohngeld soll die Antragsberechtigten finanziell in die Lage versetzen, die Aufwendungen für eine ihrer Familie und ihrem Einkommen angemessene Wohnung zu bestreiten. Es soll besonders dort helfen, wo die Miete oder die Zinsen oder die Darlehensrückzahlung für ein Eigenheim oder eine Eigentumswohnung unzumutbar hoch wären.
Im Laufe der fünf Jahre hat sich jedoch herausgestellt, daß das Gesetz materiell und verfahrensmäßig geändert werden muß, da sich eine Reihe von Unzulänglichkeiten ergeben hat. So wurde u. a. in dem Dritten Wohngeldbericht festgestellt, daß die Handhabung des Gesetzes viel zu schwerfällig sei und daß beispielsweise die Bearbeitung eines Antrages sechs bis acht Wochen dauere. Für die Berechtigten war das Gesetz zu undurchsichtig. Sie konnten selbst nicht berechnen, welche Leistungen ihnen zustanden. Hinzu kam noch der sehr hohe Verwaltungskostenanteil, der sich bei einem Wohngeld von etwa 50 DM auf 36,70 DM belief. Das ist allerdings ein Mittelwert; die Werte sind in den Ländern unterschiedlich. Aber insgesamt zeigt sich doch eine erschreckende Relation. Vor allem bestand aber die Notwendigkeit, das Gesetz an die sich ändernden Verhältnisse anzupassen.
Ich erspare mir hier weitere Begründungen, weil diese bereits von dem Herrn Bundesminister vorgetragen worden sind. Ich darf nur die wesentlichsten Punkte kurz aufzählen. 1. Die Erhöhung der Einkommensgrenzen wurde durchgeführt. 2. Das Verfahren wurde wesentlich vereinfacht. 3. Der Berechtigtenkreis wurde erweitert; erstmals wurden nämlich auch Sozialhilfeempfänger in diesen Kreis miteinbezogen. 4. Die Erhöhung des Freibetrages von 15 auf 20 % wurde vorgenommen.
Das Gesetz wird nicht allen Forderungen gerecht. Leider konnten wir dem Anliegen der sich in Ausbildung Befindlichen nicht Rechnung tragen, sie mit in den Berechtigtenkreis einzubeziehen. Diese Forderung der Studenten wird durch das Zweite Ausbildungsförderungsgesetz abgedeckt werden müssen. Der Ausschuß muß mit dem zuständigen Ministerium für Familie, Jugend und Gesundheit verhandeln, um hier fühlbare Entlastung zu bringen.
Bei dem Hearing im Ausschuß wurde seinerzeit vom Ministerium angekündigt, die Mittel für den



Wurbs
Bau von Studentenwohnheimen sollten wesentlich erhöht werden, um auch hier eine fühlbare Entlastung zu bringen. Es ist erfreulich, daß im Haushaltsjahr 1971 für diese Vorhaben 32 Millionen DM — im Jahre 1970 waren es nur 12 Millionen DM — angesetzt worden sind.
Ein weiterer Punkt, der im Gesetz noch nicht hinlänglich geklärt worden ist, betrifft die Soldaten der Bundeswehr. In dieser Hinsicht ist nur ein teilweises Einvernehmen erzielt worden. Ich glaube, wir sollten uns diesen Problemen im Ausschuß noch einmal zuwenden und versuchen, zu einer befriedigenden Lösung zu kommen.
Meine Damen und Herren, ich glaube, wir sind uns alle hier in diesem Hause klar darüber, daß das Gesetz einer generellen Überarbeitung bedurfte und daß eine Verabschiedung unabhängig von der konjunkturellen Situation zu erfolgen hat. Vor allem wohnungspolitische und soziale Gesichtspunkte spielen ja bei der Beratung bzw. bei der Verabschiedung des Gesetzes eine besondere Rolle. Es ist unbestritten, daß auf Grund der Erhöhungen der Leistungen nach dem Wohngeldgesetz entsprechende Konsumsteigerungen eintreten, und daß damit eine Konjunkturbelebung herbeigeführt wird. Das darf uns aber nicht daran hindern, das Gesetz zügig zu beraten und zu verabschieden.
Darüber hinaus stellt das Wohngeldgesetz ein wichtiges Instrument der Wohnungspolitik dar, und gerade angesichts der heutigen Preisentwicklung kommt diesem Gesetz eine besondere Bedeutung zu. Es kann wesentlich zur Entspannung der gesamten Mietsituation beitragen.

(Zustimmung bei der CDU/CSU.)

Ich bitte den Herrn Bundesminister und die Bundesregierung, einmal zu prüfen, ob nicht künftig einer subjektbezogenen Förderung, d. h. einer Förderung durch Wohngeld, der Vorrang gegenüber einer objektbezogenen Förderung durch Baudarlehen gegeben werden sollte. Die Kommission hatte damals schon vorgeschlagen, Wohngeld an die Stelle der Objektförderung treten zu lassen. Damals wurden im zweiten Wohngeldbericht dagegen noch sehr starke Einwendungen erhoben, während im Dritten Wohngeldbericht der Subjektförderung, also der Förderung durch Wohngeld, eine wesentlich höhere Bedeutung beigemessen wurde.
Es erscheint mir ferner wichtig, die Öffentlichkeitsarbeit zu verstärken, um erstens klarzustellen, daß jeder Bürger bei Erfüllung der Voraussetzungen einen Rechtsanspruch auf Wohngeld hat und daß die Gewährung von Wohngeld zweitens keinen Akt der Wohlfahrt darstellt.
Meine Damen und Herren, in den Ausschußberatungen werden wir noch Gelegenheit haben, Einwände und Vorschläge der verschiedenen Stellen und Seiten zu prüfen. Meines Erachtens muß vor allem aber noch die Frage eingehend geprüft werden, ob die Obergrenze des Wohngeldes einer Erhöhung bedarf. Ob die derzeitige Obergrenze noch den gegebenen Verhältnissen gerecht wird, ist sehr fraglich. Wir werden im Ausschuß hierüber noch zu befinden haben. Die FDP-Fraktion stimmt dem Überweisungsvorschlag zu.

(Beifall.)


Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0606441300
Meine Damen und Herren, nachdem die erste Rednerrunde beendet ist, wiederhole ich meinen Appell und meine Bitte, sich kurz zu fassen.
Das Wort hat der Abgeordnete Erpenbeck.

Ferdinand Erpenbeck (CDU):
Rede ID: ID0606441400
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich bin mir der späten Stunde und der Strapazierung der Geduld der Kollegen hier im Hause durchaus bewußt. So werde ich in verkürzter Form auch nur das sagen, was man von einem Redner der Opposition erwartet, nämlich die Aufdeckung der Schwächen dieses Entwurfes als Anhaltspunkt für die Beratung im Ausschuß. Wenn diese verkürzte Form dann vielleicht die eine oder andere bittere Wahrheit wegen der fehlenden rhetorischen Verpackung nicht versüßen kann, dann fällt das eben der Zeit zum Opfer, meine Damen und Herren. Wenn ich trotzdem das Wort genommen habe, dann nicht zuletzt auch deswegen, weil am 8. Mai 1968 die Redner aller Fraktionen dieses Hauses dem Staatsbürger versprochen haben, daß es in Sachen Wohngeldleistung keine Verschlechterung geben solle. Gerade dann ist es notwendig, bei diesem Regierungsentwurf die kritische Sonde anzulegen.
Herr Minister Lauritzen, ich kann nicht die hohen Erwartungen decken, die Sie an Ihren Entwurf, wenn er so Gesetz wird, knüpfen. Aber in Erwartungen und Ankündigungen ist diese Regierung sicherlich die beste, die wir je hatten. Meine Damen und Herren, nur die Realitäten halten dem nicht stand, und insofern stelle ich zu dem Entwurf fest — bedenken Sie, was ich vorweg gesagt haben —:
Erstens. Der Gesetzentwurf kommt spät, sehr spät. Inzwischen haben die Bürger einen Großteil der Zeche einer verfehlten Wirtschafts-, Konjunktur- und Preispolitik zahlen müssen, desgleichen die Auswirkungen der Baukostenexpansion, des exorbitant hohen Zinssatzes und auch der Verteuerung der allgemeinen Lebenshaltung.
Zweitens. Der Gesetzentwurf ist unzulänglich, sowohl hinsichtlich einer Verwaltungsvereinfachung und Verfahrenserleichterung als auch der erforderlichen Anpassung an die tatsächliche Einkommens-, Preis- und Mietensituation.
Drittens. In diesem Entwurf sind die besonderen Vergünstigungen — und da muß ich an das erinnern, was Frau Kollegin Meermann gesagt hat; ich möchte das sehr stark unterstreichen — für Mieter von Sozialwohnungen, für die es bisher keine Mietobergrenzen gab, beseitigt. Damit ist vorauszusehen, daß bei rapider Kostensteigerung nach der vorgesehenen Neuregelung zahlreiche Inhaber von Sozialwohnungen nicht mehr voll wohngeldfähig sein werden.
Viertens. Mit der vorgeschlagenen Pauschalabgeltung eines Freibetrages von 20;% der Einkünfte,



Erpenbeck
auf den Sie ja auch eben zu sprechen kamen, Frau Kollegin Meermann — bzw. im Zwischenruf bei Herrn Geisenhofer —, werden die bisherigen gewährten Freibeträge für Empfänger niedriger Einkommen und die Freibeträge der im Haushalt mitverdienenden Kinder nicht aufgewogen: also auch hier Verschlechterung und gerade für die Schwächsten und auch die jungen Menschen, die sich durch eigene Arbeit etwas für den späteren Hausstand ersparen wollen.
Fünftens. Die Regelungen für Vertriebene, Flüchtlinge und Spätaussiedler führen zwangsläufig zu einer erheblichen Verminderung bis hin zum gänzlichen Wegfall des Wohngeldes für große Teile dieses Personenkreises durch die vorgesehene Streichung der besonderen Freibeträge und die Anrechnung der Unterhaltshilfe.
Sechstens. Die Erhöhung der Einkommensgrenze ist unzureichend, und ich kann nicht unterstützen, was hier regierungsseitig dazu gesagt' worden ist, und auch nicht das, was Sie, Frau Meermann, dazu gesagt haben, wenn auch der Herr Staatssekretär, der vorher die Bank des Abgeordneten eingenommen hatte, meinte, daß hier wohl falsche Zahlen im Raume seien, als Herr Kollege Geisenhofer einige Beispiele aufführte. Ich möchte doch einmal darauf hinweisen, daß die Eingabe des Mietervereins Bremen vom 31. August mit einer sehr ausgedehnten Tabelle für verschiedene Familienstandssituationen ein ganz anderes Bild ergibt. Ich glaube, es ist durchaus nachprüfbar, wieweit das jetzt auch mit dem Gesetzestext identisch ist.

Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0606441500
Eine Zwischenfrage, Frau Abgeordnete Meermann.

Ferdinand Erpenbeck (CDU):
Rede ID: ID0606441600
Bitte schön!

Hedwig Meermann (SPD):
Rede ID: ID0606441700
Würden Sie sich der Mühe unterziehen, gerade da die Einkommenstabelle anzusehen? Da ist nämlich nach altem und neuem Gesetz Einkommen gleich Einkommen gesetzt. Die Erhöhung der Pauschale ist in keiner Weise berücksichtigt. Dadurch geben diese Berechnungen ein völlig falsches Bild, auf dem wir nicht aufbauen können.

Ferdinand Erpenbeck (CDU):
Rede ID: ID0606441800
Frau Kollegin Meermann, ich unterziehe mich noch einmal der Mühe, obwohl ich es schon getan habe, und ich darf Ihnen sagen, daß wir im Ausschuß feststellen werden, daß es, wenn diese Tabelle auch nicht auf Mark und Pfennig stimmt, hier doch auch Verschlechterungen gibt.

(Abg. Buschfort: Erst einmal sagen, hinterher prüfen!)

— Ich glaube, daß dieser Brief auch Ihnen bekannt sein muß. Es ist eine ganze Reihe Feststellungen von Verschlechterungen in ihm enthalten, die mit dieser Tabelle gar nichts zu tun haben, und die wollen Sie hier doch wohl nicht in Abrede stellen.
Siebtens. Das Problem der in Heimen untergebrachten Personen beim Überwechseln in eine
Pflegestation. - Ich höre hinter mir, daß ich genau dasselbe rede wie Herr Geisenhofer. Wenn Sie das hier schon so feststellen können, möchte ich Ihnen sagen, daß gerade dieses Problem der in Heimen untergebrachten Personen beim Überwechseln in eine Pflegestation in diesem Entwurf nicht aufgegriffen ist, obwohl gerade hier eine Verbesserung gegenüber der geltenden Wohngeldregelung dringend notwendig ist.
Achtens. Die im Regierungsentwurf vorgesehene Verfahrenfregelung — auch das ist hier noch nicht gesagt worden — bei gleichzeitiger Berechtigung zum Empfang von Sozialhilfe und Wohngeld ist unpraktisch und wenig durchdacht. Eine verwaltungsmäßige Verzahnung ist nicht vorgesehen.
Neuntens. Von Herrn Wurbs ist dankenswerterweise auch einmal auf das Problem hingewiesen worden, daß über die Wohngeldregelung für Studenten — darüber ist auch von Frau Abgeordneter Meermann gesprochen worden —, aber auch über die Wohngeldregelung für Soldaten hier nicht gesagt ist. Zumindest muß im Ausschuß darüber doch sehr ernst gesprochen werden.
Meine Damen und Herren, ich habe hier jetzt nur neun Punkte aufgezählt. Sie wären leicht auf 14 oder 15 zu erweitern. Das kann man im Ausschuß nachholen, und es wird Sache des Ausschusses sein, eine nach unserer Meinung ungenügende Arbeit mit Nachhilfe zu versehen. Sie dürfen versichert sein, daß wir im Ausschuß diese Nachhilfe leisten werden.
Eben wurde von einem Kollegen hier im Hause gefragt, ob Herr Geisenhofer schon einmal etwas von Herrn Lücke gehört habe. Meine Damen und Herren, dazu kann ich nur sagen, daß wir von Herrn Lücke nicht nur gehört haben, sondern daß Herr Lücke das Wohngeldgesetz eingebracht und daß er in seinem sozialen Miet- und Wohnrecht das Anrecht des Staatsbürgers auf angemessenes Wohnen verankert hat

(Beifall bei der CDU/CSU)

und es hier nicht nur um die Abdeckung sozialer Härten geht, sondern um das Anrecht des Bürgers auf angemessenes Wohnen. Dafür sind ihm nicht nur wir von unserer Fraktion, sondern unzählige Familien im Lande dankbar.

(Beifall bei der CDU/CSU. — Abg. Buschfort: Glauben Sie wirklich, was Sie da sagen?)


Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0606441900
Das Wort hat der Abgeordnete Schachtschabel.

Dr. Hans Georg Schachtschabel (SPD):
Rede ID: ID0606442000
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich glaube, trotz der vorgerückten Stunde ist es doch ratsam, auf diesen oder jenen von der Opposition vorgebrachten Punkt einzugehen, wobei ich vor allem aus der Sicht spreche, daß mehrfach apostrophiert worden ist, es handle sich hier um eine verfehlte Wirtschaftspolitik, die ihre Wirkungen auch auf dem Wohnungsmarkt



Dr. Schachtschabel
zeige. Das ist der eigentliche Anlaß, warum ich das Wort ergreifen muß.

(Abg. Rösing: Wollen Sie eine wirtschaftspolitische Debatte haben?)

Das wollen wir nicht. Aber auf eines darf ich vielleicht aufmerksam machen. Sie haben vorhin selber betont, daß wir hier Redefreiheit haben, —

(Abg. Rösing: Das haben Sie doch provoziert!)


Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0606442100
Meine Damen und Herren, wir stehen jetzt nun einmal in der zweiten Runde. Ich kann es nicht ändern.

Dr. Hans Georg Schachtschabel (SPD):
Rede ID: ID0606442200
Ich mache darauf aufmerksam, daß ich dazu das Recht und nach der üblichen Art und Weise sowie den Gepflogenheiten dieses Hohen Hauses auch die Zustimmung habe. Wenn Sie das nicht wünschen, dann sagen Sie mir das.

(Abg. Mick: Wir freuen uns über jeden neuen Mitarbeiter!)

— Ich möchte mir eine Antwort darauf ersparen, weil es schon spät ist.
Vergessen Sie bei der ganzen Wohngelddiskussion doch bitte nicht, meine Herren von der Opposition — ich sage das voller Gelassenheit —, daß die CDU/CSU die Mieten freigegeben hat in einer Situation, wo die Sozialdemokratie aus ihrer weitsichtigen Art und in Erkenntnis der Entwicklung der Dinge strengstens davor gewarnt hat, zu der damaligen Zeit, als es geschehen ist, eine solche Maßnahme zu treffen.
Die Folge davon ist, daß wir, wie wir es jetzt haben, nicht nur eine sehr merkliche und, ich möchte schon sagen, des näheren zu analysierende Mietpreisentwicklung feststellen, sondern daß wir uns zugleich um diese sowohl von Ihnen wie auch von uns durchaus zu sehenden Härtefälle zu bemühen haben. Wenn von dieser Seite aus — und von Ihnen wurde es immer wieder akzentuiert — gesagt worden ist, es handle sich hierbei um einen Vorgang, den wir mit Aufmerksamkeit und auch mit Strenge zu beobachten haben, dann, meine Herren, dürfen wir Ihnen sagen, daß wir die Entwicklung, die sich auf dem Wohnungsmarkt dartut und die uns in der heutigen Situation zu den Diskussionen veranlaßt und sogar zwingt, mit noch sehr viel größerer Aufmerksamkeit beobachten und immer wieder zur Diskussion stellen.
Wenn wir in diesem Bereich - damit hängt das
zusammen, was wir zu besprechen haben — Preissteigerungen zu verzeichnen haben, so zeigt es sich, was an dieser Stelle heute klar und deutlich gesagt werden muß, daß es sich hierbei einerseits um eine
Anpassung der Wohnungsvermieter an das typische Anbieterverhalten in Zeiten der Hochkonjunktur handelt. Zum anderen ist auch diese Preisentwicklung, mit der wir es immer wieder zu tun haben und die im Hintergrund — aber auch vordergründig — bei all unseren Überlegungen mitwirkt, eine Folge der Wohnungslücke, die ihrerseits ein Ergebnis der verfehlten Wohnungsbaupolitik früherer Regierungen darstellt. Das können Sie ganz gewiß nicht leugnen.
Lassen Sie uns das wegen der vorgerückten Zeit in einer Feststellung zusammenfassen; und damit will ich mich begnügen. Sie selbst haben darauf abgehoben, weshalb darauf eine Antwort gegeben werden muß. Die aus der Vergangenheit resultierenden regierungspolitischen Fehlleistungen werden von unserem zuständigen Ministerium gegenwärtig dadurch behoben, und zwar zügig, daß eine Verbesserung des Wohngeldes in der vorgelegten Form, wie wir es heute diskutieren, angestrebt wird, ferner aber auch und das sei hierbei vermerkt — ein Wohnungsbauprogramm entwickelt wird, das dazu dienen soll, die aufgetretenen Schwierigkeiten in Zukunft zu vermeiden. Das letzte Ziel soll und muß bleiben — und daraus sehe ich auch die Einstellung von uns Sozialdemokraten zu dieser Vorlage —, mit Hilfe eines langfristigen Wohnungsbauprogramms ein ausreichendes Angebot auf dem Wohnungsmarkt herzustellen. Auch das Wohngeldgesetz, mit dem wir es hier zu tun haben, ist ein Teil dieser Maßnahmen. Ich glaube, daß dazu aus berufenem Munde — Sie haben es vorhin gehört — vieles gesagt worden ist. Ich wollte es nur abwehren, daß Sie so tun können, meine Herren von der Opposition, als ob hier ein Vorgang stattfände, der auf den wirtschaftlichen und konjukturellen Verhältnissen der unmittelbaren Gegenwart beruht. Nein, hier ist es so, daß eine Fehlleistung, ich möchte fast sagen: eine Erbschaft aus den vergangenen Jahren bereinigt werden muß. Wir haben etwas in Ordnung zu bringen, was durch Fehlleistungen aus der Vergangenheit herübergeschwungen ist.

(Beifall bei der SPD.)


Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0606442300
Meine Damen und Herren, nun liegen keine Wortmeldungen mehr vor. Vorgeschlagen wird die Überweisung an den Ausschuß für Städtebau und Wohnungswesen sowie gemäß § 96 der Geschäftsordnung an den Haushaltsausschuß. — Widerspruch erfolgt nicht; es ist so beschlossen.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Donnerstag, den 17. September, 14 Uhr.
Die Sitzung ist geschlossen.