Protokoll:
5180

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Metadaten
  • date_rangeWahlperiode: 5

  • date_rangeSitzungsnummer: 180

  • date_rangeDatum: 20. Juni 1968

  • access_timeStartuhrzeit der Sitzung: 09:02 Uhr

  • av_timerEnduhrzeit der Sitzung: 18:56 Uhr

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  • tocInhaltsverzeichnis
    Deutscher Bundestag 180. Sitzung Bonn, den 20. Juni 1968 Inhalt: Glückwünsche zu den Geburtstagen der Abg. Krammig und von Eckardt . . . . 9693 A Die Abg. Blachstein und Stingl legen ihr Mandat nieder , . 9693 A Abg. Dr. Arndt (Hamburg) tritt in den Bundestag ein 9693 A Überweisung des Jahresberichts 1967 des Wehrbeauftragten des Deutschen Bundestages an den Verteidigungsausschuß 9693 B Überweisung von Vorlagen der Bundesregierung an die zuständigen Ausschüsse 9693 B Amtliche Mitteilungen 9693 C Fragestunde (Drucksache V/3012) Frage des Abg. Moersch: Sonderbriefmarke „Bauhaus" Dr. Steinmetz, Staatssekretär . . 9725 D Moersch (FDP) 9726 A Frage des Abg. Strohmayr: Architektenwettbewerb für den deutschen Ausstellungspavillon in Osaka 1970 Dr. Langer, Staatssekretär . . . . 9726 B Strohmayr (SPD) . . . . . . . 9726 D Josten (CDU/CSU) . . . . . . . 9727 A Frage des Abg. Weigl: Schleuderpreisangebote von Betrieben der Bauwirtschaft Dr. Langer, Staatssekretär . . . . 9727 B Frage des Abg. Borm: Rückgang des innerdeutschen Handels Dr. Arndt, Parlamentarischer Staatssekretär 9727 C Dorn (FDP) 9727 D Fragen des Abg. Ziegler: Kartellrechtliche Untersuchung des Wirtschaftszweiges Margarine in der Europäischen Gemeinschaft — Verbraucherpreise — Preisbildung Dr. Arndt, Parlamentarischer Staatssekretär 9728 A Ziegler (CDU/CSU) 9728 C Fragen des Abg. Junghans: Strukturprogramme für Ruhr, Saar und Zonenrandgebiete Dr. Arndt, Parlamentarischer Staatssekretär . . . . . . . 9728 D Junghans (SPD) 9728 D Porsch (FDP) 9728 D Weigl (CDU/CSU) . . . . . . 9729 A Strohmayr (SPD) 9730 D II Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 180. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 20. Juni 1968 Fragen des Abg. Strohmayr: Weltausstellungen als Forum zur Werbung für die Bundesrepublik Dr. Arndt, Parlamentarischer Staatssekretär 9731 A Strohmayr (SPD) . . . . . . 9731 A Jung (FDP) 9731 B Schmidt (Braunschweig) (SPD) . . 9731 C Dorn (FDP) 9731 D Frage des Abg. Ollesch: Bau von Steinkohlekraftwerken und Einsatz von Steinkohle zur Stromerzeugung Dr. Arndt, Parlamentarischer Staatssekretär 9732 A Ramms (FDP) 9732 B Frage des Abg. Ollesch: Kohlestrom aus Großkraftwerken preiswerter als Atomstrom? Dr. Arndt, Parlamentarischer Staatssekretär . . . . . . . . 9732 B Fragen des Abg. Weiland: Folgen der geplanten Änderung der Kundensatzverordnung für den Spediteursammelgutverkehr Dr. Arndt, Parlamentarischer Staatssekretär 9732 C Weiland (CDU/CSU) 9732 D Ramms (FDP) 9733 B Frage des Abg. Moersch: Meinung des stellv. Sprechers der Bundesregierung über die Zusammenarbeit Bund-Länder und den Bedeutungsverlust des Bundestages Diehl, Staatssekretär . . . . . . 9733 D Moersch (FDP) . . . . . . . . 9733 D Frage des Abg. Dorn: Aufenthalt "des französischen Staatspräsidenten de Gaulle in Baden-Baden Diehl, Staatssekretär 9734 B Dorn (FDP) 9734 B Moersch (FDP) 9734 C Frage des Abg. Jung: Situation der freischaffenden Architekten Freiherr von und zu Guttenberg, Parlamentarischer Staatssekretär . 9735 A Frage des Abg. Jung: Wunsch der Architekten und Ingenieure nach einem zentralen Gesprächspartner — Frage einer Umorganisation des Bundesministeriums für wissenschaftliche Forschung Freiherr von und zu Guttenberg, Parlamentarischer Staatssekretär 9735 B Dorn (FDP) 9735 C Fragen des Abg. Walter: Niederländische Ausfuhrerstattung für Schlachtgeflügel Leicht, Parlamentarischer Staatssekretär . . . . . . . . 9736 A Wächter (FDP) . . . . . . . . 9736 B Dr. Ritz (CDU/CSU) 9736 D Reichmann (FDP) . . . . . . 9737 A Fragen des Abg. Dr. Stammberger: Erstattung einzeln nachgewiesener Kfz-Kosten des Arbeitnehmers . . . 9737 B Frage des Abg. Rollmann: Richtlinienvorschlag der Europäischen Kommission für eine Harmonisierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften über Freizonen . . . . . . . 9737 B Frage des Abg. Dröscher: Nachteilige Wirkung der Mehrwertsteuer für Gebrauchtwagen auch auf den Fiskus Leicht, Parlamentarischer Staatssekretär 9737 C Dröscher (SPD) . . . . . . . 9737 D Ott (CDU/CSU) 9738 A Müller (Worms) (SPD) 9738 C Entwurf eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Berlinhilfegesetzes (CDU/CSU, SPD, FDP) (Drucksache V/3019) — Erste Beratung — in Verbindung mit Beratung des Antrags der Abg. Burgemeister, Gewandt, Illerhaus Lampersbach, Müller (Berlin) u. Gen. betr. Lage und Erwartungen der Berliner Wirtschaft (Drucksache V/2970) Dr. h. c. Kiesinger, Bundeskanzler . 9694 C Franke (Hannover) (SPD) . . . . 9696 A Borm (FDP) 9696 D Schütz, Regierender Bürgermeister von Berlin 9698 B Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 180. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 20. Juni 1968 III Burgemeister (CDU/CSU) . . . . 9701 B D. Dr. Gerstenmaier, Präsident . . 9701 D, 9702 B Rasner (CDU/CSU) . . . . . . . 9702 A Große Anfrage der Abg. Majonica, Dr. Marx (Kaiserslautern), Kiep, Baron von Wrangel und Fraktion der CDU/CSU betr. Außenpolitik (Drucksachen V/2978, V/3016) Brandt, Bundesminister . 9702 C, 9764 C Dr. Gradl (CDU/CSU) 9706 B Dr. Eppler (SPD) . . . . . . 9709 A Mischnick (FDP) . . . . 9713 B, 9749 C Baron von Wrangel (CDU/CSU) . 9718 D Genscher (FDP) 9720 C Wehner, Bundesminister 9738 C Dr. Barzel (CDU/CSU) 9744 C Mattick (SPD) 9750 B Dr. Jaeger, Vizepräsident . 9753 D Petersen (CDU/CSU) 9753 D Schultz (Gau-Bischofsheim) (FDP) 9755 B, 9766 D Dr. Schulze-Vorberg (CDU/CSU) . . 9757 C Dr. Marx (Kaiserslautern) (CDU/CSU) 9758 D Freiherr von Gemmingen (FDP) . . 9761 A Dr. Birrenbach (CDU/CSU) . . . . 9761 D Prinz von Bayern (CDU/CSU) . . 9763 A Majonica (CDU/CSU) 9767 A Entwurf eines Gesetzes über die Entschädigung der Mitglieder des Richterwahlausschusses (Drucksache V/884) ; Schriftlicher Bericht des Vorstandes des Deutschen Bundestages (Drucksache V/2926) — Zweite und dritte Beratung — . . . 9767 B Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Zolltarifgesetzes (Drucksache V/2923) — Erste Beratung — 9767 C Entwurf eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 19. Mai 1967 mit der Republik Ghana über die Förderung und den gegenseitigen Schutz von Kapitalanlagen (Drucksache V/2924) — Erste Beratung — 9767 C Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Gasöl-Verwendungsgesetzes — Landwirtschaft (FDP) (Drucksache V/2814) — Erste Beratung — 9767 D Mündlicher Bericht des Haushaltsausschusses über den Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU, SPD zur dritten Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verwirklichung der mehrjährigen Finanzplanung des Bundes, II. Teil — Finanzänderungsgesetz 1967 (Umdruck 330, Drucksache V/2903) . . 9767 D Nächste Sitzung 9768 Berichtigungen 9768 Anlagen 9769 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 180. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 20. Juni 1968 9693 180. Sitzung Bonn, den 20. Juni 1968 Stenographischer Bericht Beginn: 9.02 Uhr
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    Berichtigungen Es ist zu lesen: 174. Sitzung, Seite 9367 C, Zeile 6 statt wollte: mußte 178. Sitzung, Seite 9603 D, Zeile 7 statt bedenklich: unbedenklich Anlage 1 Liste der beurlaubten Abgeordneten Abgeordnete(r) beurlaubt bis einschließlich a) Beurlaubungen Dr. Abelein 21. 6. Dr. Achenbach * 20. 6. Adorno 20. 6. Dr. Aigner * 20. 6. Frau Albertz 21. 6. Dr. Apel * 21.6. Arendt (Wattenscheid) * 20.6. Dr. Arndt (Berlin/Köln) 21. 6. Dr. Artzinger * 21. 6. Bading * 20. 6. Dr.-Ing. Dr. h. c. Balke 20.6. Bauer (Würzburg) ** 20. 6. Behrendt * 20.6. Bergmann * 20. 6. Dr. Burgbacher * 20.6. Corterier * 21. 6. Deringer * 21. 6. Dichgans * 20. 6. Diekmann 21. 6. Dr. Dittrich * 21. 6. Dröscher * 20. 6. Frau Dr. Elsner * 21. 6. Faller * 20. 6. Fellermaier * 20. 6. Dr. Frey 30. 6. Frieler 21.6. Dr. Furler * 20. 6. Frau Geisendörfer 21.6. Geldner 20. 6. Gerlach * 20. 6. Gscheidle 21. 6. Haar (Stuttgart) 21. 6. Haase (Kellinghusen) 21. 6. Hahn (Bielefeld) * 20. 6. Hamacher 1. 7. Frau Dr. Hubert 1. 7. Illerhaus * 20. 6. Dr. Imle 20. 6. Kiep 22. 6. Klinker * 20. 6. Kriedemann * 21. 6. Freiherr von Kühlmann-Stumm 20. 6. Kulawig * 21. 6. Kunze 1. 7. Kurlbaum 21. 6. Frau Kurlbaum-Beyer 22. 6. Lautenschlager * 21. 6. Lenz (Brühl) * 20. 6. Dr. Lindenberg 21. 6. Dr. Löhr * 20. 6. Lücker (München) * 20. 6. Mauk * 20. 6. * Für die Teilnahme an einer Tagung des Westeuropäischen Parlaments ** Für die Teilnahme an Ausschußsitzungen der Beratenden Versammlung des Europarats Anlagen zum Stenographischen Bericht Abgeordneter) beurlaubt bis einschließlich Memmel * 20. 6. Metzger * 20. 6. Dr. h. c. Dr.-Ing. E. h. Möller 20. 6. Dr. Müller-Hermann 21. 6. Riedel (Frankfurt) * 20. 6. Rösing 21.6. Dr. Rutschke ** 20. 6. Springorum* 20. 6. Dr. Starke (Franken) * 20. 6. Dr. Stecker 21.6. Steinhoff 1. 7. Stooß 21.6. Unertl 22. 6. Dr. Freiherr von Vittinghoff-Schell** 21. 6. Dr. Wahl ** 20. 6. Welke 21.6. Wienand 20. 6. Dr. Zimmermann 22. 6. b) Urlaubsanträge Frau Kleinert 28. 6. Koenen (Lippstadt) 30. 6. Dr. Sinn 30. 6. Anlage 2 Umdruck 496 Antrag der Fraktionen der CDU/CSU, SPD zur Großen Anfrage der Abgeordneten Majonica, Dr. Marx (Kaiserslautern), Kiep, Baron von Wrangel und der Fraktion der CDU/CSU betr. Außenpolitik - Drucksachen V/2978, V/3016 - Der Bundestag wolle beschließen: 1. Die Friedenspolitik der Bundesregierung ist undenkbar ohne die Unterstützung durch Freunde und Verbündete. Daher fordert der Bundestag die Bundesregierung auf, sich weiterhin um die Festigung der westlichen Zusammenschlüsse auf wirtschaftlichem und militärischem Gebiet zu bemühen. 2. Der Bundestag billigt die von der Bundesregierung auf der Grundlage ihrer Regierungserklärung vom 13. Dezember 1966 geführte Politik des Friedens und damit auch der Verständigung mit allen Mitgliedern des Warschauer Paktes. 3. Eine europäische Friedensordnung ist nur zu erreichen, wenn alle Beteiligten bereit sind, ihren Beitrag zu leisten. Der Bundestag bedauert daher, daß die Friedenspolitik der Bundesregierung in einigen Hauptstädten Mittel- und Osteuropas nach wie vor mißverstanden, verzerrt dargestellt oder durch provokatorische Gegenmaßnahmen gestört wird. Der Bundestag fordert die Bundesregierung auf, sich dadurch nicht beirren zu lassen. Bonn, den 19. Juni 1968 Dr. Barzel und Fraktion Schmidt (Hamburg) und Fraktion 9770 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 180. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 20. Juni 1968 Anlage 3 Schriftliche Erklärung der Abgeordneten Frau Dr. Wolf (CDU/CSU) zu Punkt 3 der Tagesordnung. Die Bundesregierung hat in ihrer Antwort auf die Frage, ob die Entwicklungshilfe fortgeführt oder sogar erweitert werden muß, erkennen lassen, daß sie der Entwicklungshilfe eine entscheidende Bedeutung für die Zukunft zuerkennt und ihr damit auch einen Vorrang in bezug auf finanzielle Fragen zuweist. Zur Begründung hat sie darauf hingewiesen, daß die Entwicklungshilfe ein Beitrag zur Sicherung des Weltfriedens sein soll, ein Mittel, um den großen Unterschied zwischen Armen und Reichen zu verringern, und ein Zeichen der Zusammenarbeit zwischen den Geberländern. Gleichzeitig wird die Entwicklungshilfe verstanden als Grundlage einer Partnerschaft zwischen Industrieland und Entwicklungsland, einer Partnerschaft, bei der in den Entwicklungsländern das Verständnis auch für unsere nationalen Probleme und Ziele geweckt und eine Unterstützung bei ihrer Durchsetzung vorbereitet wird. Diese Erklärung ist zu begrüßen, wenn sie auch auf die Gegenüberstellung der Notwendigkeit, Hilfe für die armen Länder zu geben und den dringenden Aufgaben im eigenen Land zu entsprechen, nicht eingeht. Dieser Gegensatz, den die Fragestellung andeutet und der in unserer Gesellschaft bis vor kurzem eine so große Rolle gespielt hat, besteht in Wirklichkeit nicht. Gerade das letzte Jahr hat gezeigt, daß eigene wirtschaftliche Schwierigkeiten in unserem Lande durch die Unterstützung an die Entwicklungsländer überwunden werden konnten. Aus dem Bericht der Bundesregierung über die deutsche Entwicklungshilfe im Jahre 1967, der der OECD für die Jahresprüfung in der vorigen Woche vorgelegt wurde, ergab sich, daß sich die deutschen Leistungen im Jahre 1967 so vermehrt hatten, daß sie das von der Welthandelskonferenz 1964 empfohlene Ziel, 1 % des Volkseinkommens jährlich für die Entwicklungshilfe zu verwenden, erheblich überschritten haben. Die öffentlichen Leistungen in Kapitalhilfe und technischer Hilfe haben zugenommen, aber die außerordentliche Steigerung liegt im Bereich der Privatwirtschaft, deren Nettoleistungen um 1,3 Milliarden DM zugenommen haben. Auf diesem Hintergrund ist es verständlich, daß bei der Prüfung in Paris in Gesprächen zu hören war, die Zeiten seien vorüber, in denen Notstandsarbeiten im eigenen Land über wirtschaftliche Krisen hinweghülfen, weil es jetzt Möglichkeiten eines weltweiten Ausgleichs gebe. Eine solche Verbindung zwischen eigenen Problemen und Bedürfnissen der Entwicklungsländer läßt sich vielleicht auch bei einer anderen dringenden Aufgabe in unserem Land herstellen. Ich denke an die Lage der Landwirtschaft, mit der wir uns in der nächsten Woche beschäftigen werden. In den letzten Monaten hat sich mehr und mehr die Ansicht durchgesetzt, daß die Hilfe für die Landwirtschaft heute Priorität in der Entwicklungshilfe hat. Diese Feststellung wird verständlich, wenn man daran denkt, daß in fast allen Entwicklungsländern mehr als 70 % der Bevölkerung in der Landwirtschaft tätig sind und die Entwicklung sicher auch bei ihnen ansetzen muß. Es besteht auch Übereinstimmung, daß unsere Unterstützung Hilfe zur Selbsthilfe sein muß. Die Menschen müssen lernen, wie sie ihre Landwirtschaft entwickeln und wie Fehler, die vor allem in der falschen Ernährung liegen, vermieden werden. Bisher hat man gemeint, daß eine unmittelbare Nahrungsmittelhilfe sich auf Katastrophenfälle beschränken sollte. Nach Gesprächen mit dem neuen Generaldirektor der FAO ist auch hier ein Umdenken notwendig. Die Nahrungsmittelhilfe muß darüber hinaus eingesetzt werden, um eine große Anzahl von Entwicklungshilfeprojekten überhaupt erst zu ermöglichen und die Menschen in den Stand zu setzen, die Neuerungen durchzuführen. Die Ansicht, daß diese Hilfe die Untätigkeit vermehren könnte, die jetzt weitgehend auf dem schlechten Gesundheitszustand beruht, ist wohl überholt. Es wird deshalb richtig sein, auch diese Frage im Blick auf die Interessen der Entwicklungsländer und unserer eigenen zu prüfen. In der Antwort der Regierung wird festgestellt, daß „unsere Entwicklungshilfe über unsere wirtschaftlichen und politischen Entfaltungsmöglichkeiten entscheidet" . Mir scheint, daß auch hier wieder die gesellschaftspolitischen Entfaltungsmöglichkeiten gleichwertig neben diesen anderen stehen. Wenn gesagt wird, „Entwicklungshilfe hat in den vergangenen Jahren das Bild entscheidend mitgeprägt, nach dem wir in der Welt beurteilt werden", so bedeutet das doch wohl an erster Stelle, daß dieses Bild abhängt von dem Verhalten der Menschen, die sich in den Entwicklungsländern oder auch bei uns begegnen. Das Geld oder auch die Produktionsmittel, die wir liefern, können nicht entscheidender sein als die Menschen, die nicht als Touristen, sondern als Berater, Gutachter und Entwicklungshelfer hinausgehen. Die Aufnahme des Fremden in unsere Gesellschaft wird das Bild prägen, das er später in seine Heimat zurücknimmt. Dieser menschlichen Begegnung, die sonderbarerweise unter dem Stichwort „technische Hilfe" in der Entwicklungshilfe erscheint, sollte von der Regierung weiter besondere Sorgfalt zugewandt werden, sie sollte mehr Aufmerksamkeit in unserer Gesellschaft finden; denn im Rahmen der Außenpolitik liegt hier ein besonderes Gewicht zwischen Industrieländern und Entwicklungsländern. Es genügt nicht, jungen deutschen Menschen die Möglichkeit zu eröffnen, in einem Entwicklungsland zu arbeiten, wie es in dem Entwicklungshelfergesetz vorgesehen ist, das Entwicklungsdienst an die Stelle von Wehrdienst setzt. Es ist notwendig, daß die Phasen, Vorbereitung, Aufenthalt und Rückkehr, so sorgfältig beachtet werden, daß eine echte Partnerschaft entstehen kann. Ich möchte hier anmerken, daß heute unter den jungen Menschen, die sich für die Entwicklungshilfe zur Verfügung stellen, besonders viele aus Vertriebenen- und Flüchtlingsfamilien sind. Während wir uns große Sorgen, um die Eingliederung der Vertriebenen und Flüchtlinge gerade im gesellschaftspolitischen Bereich machen, haben Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 180. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 20. Juni 1968 9771 diese jungen Menschen den Schritt in eine neue gemeinsame Zukunft gewagt. Entwicklungspolitik ist mehr als der Versuch eines Ausgleichs zwischen Reichen und Armen, auch wenn es manchmal bei uns so scheint, als ob sie auf diese wirtschaftlichen Fragen verengt werden sollte. Sie bedeutet auch sehr viel mehr, als Diskussionen unserer Studenten erscheinen lassen. Der Appell an die deutsche Jugend, von dem heute bereits gesprochen wurde, um ihr ein neues Ziel zu geben, ist in Wirklichkeit die Aufforderung zu einem Wettbewerb auf vielen Ebenen, einem Wettbewerb auch — im Sinne des Beginns dieser Diskussion — zwischen den Industrieländern mit unterschiedlichen Regierungs- und Wirtschaftsformen. Ich bin überzeugt, daß dieser Wettbewerb über unsere nationalen Aufgaben mitentscheiden wird. Anlage 4 Schriftliche Antwort des Staatssekretärs Dr. Neef vom 31. Mai 1968 auf die Mündlichen Anfragen des Abgeordneten Budde (Drucksache V/2936, Fragen 48, 49 und 50) : Wie beurteilt die Bundesregierung die Auswirkungen des von der EWG-Kommission ausgearbeiteten „Vorschlags einer Verordnung über die gemeinsame Marktorganisation für Verarbeitungserzeugnisse aus Obst und Gemüse" auf die Verbraucherpreise, namentlich bei Produkten, deren Nachfrage die EWG-Länder nur zu einem kleinen Teil aus eigener Produktion decken konnen? Trifft die Befürchtung zu, daß bei solchen in Frage 48 erwähnten Konserven — etwa Champignons, US-Pfirsische und Ananas — mit einer Preissteigerung von 50 % bis 100 % gerechnet werden muß? Ist der extreme Außanschulz, den der in Frage 48 erwähnte Vorschlag der EWG-Kommission gegenüber Drittländern vorsieht, nach Auflassung der Bundesregierung mit den Bestimmungen des EWG-Vertrages vereinbar, der sowohl die preisgünstige Versorgung der Verbraucher mit Nahrungsmitteln als auch die Pflege der traditionellen Handelsbeziehungen zu den bisherigen Lieferländern verlangt? Die Bundesregierung, wie übrigens auch die Regierungen anderer Mitgliedsländer, haben ihre Delegationen beauftragt, bei der Beratung in Brüssel für jedes einzelne Erzeugnis die Eigenerzeugung, die jährlichen Einfuhren und die Preisentwicklung feststellen zu lassen, weil sonst eine zuverlässige Beurteilung der Auswirkungen des Kommissionsvorschlages nicht möglich ist. Die positiven Erfahrungen mit der bereits am 1. 7. 1967 in Kraft getretenen Teilregelung für zukkerhaltige Zubereitungen aus Obst und Gemüse berechtigten zu der Annahme, daß mit einer Steigerung der Verbraucherpreise bei den übrigen Verarbeitungserzeugnissen, als Folge etwa einer umfassenden Handelsregelung, überhaupt nicht gerechnet zu werden braucht. Die Bestimmungen des vorliegenden Verordnungsentwurfes enthalten keinerlei Anhaltspunkte für die oft zu hörende Befürchtung, daß Preissteigerungen von 50 % oder gar 100 % eintreten könnten oder gar beabsichtigt seien. Im übrigen ist die Bundesregierung angesichts der unablässig sich ausweitenden Produktion von Obst- und Gemüsekonserven innerhalb und außerhalb der EWG-Gemeinschaft der Auffassung, daß der seit über 10 Jahren festzustellende Preisdruck auf diese Waren auch in Zukunft anhalten wird und daß daran auch irgendwelche Gemeinschaftsregelungen nichts ändern dürften. Immer wird das Angebot die Nachfrage bei weitem übertreffen. Außerdem enthält der Verordnungsentwurf der Kommission auch wesentliche liberale Bestimmungen, z. B. die Liberalisierung der Einfuhren aus Drittländern und den Verzicht auf jegliche Kontingentierung, so daß eine preisgünstige Versorgung der Verbraucher sowie die Pflege der traditionellen Handelsbeziehungen durchaus gesichert blieben. Preise für einige wichtige Obst- und GemüseKonservenarten 1/1-Dosen Durchschnittliche Durchschnittliche Einstandspreise Einzelhandelsverkaufs-Preise für Importware Champignons 2,80 / 4,20 DM 3,50 / 6,50 DM Pfirsiche 0,84 / 1,05 DM 1,18 / 1,85 DM Ananas 0,92 / 1,08 DM 1,30 / 1,80 DM Erbsen 0,72 / 1,28 DM 0,85 / 1,60 DM Bohnen 0,78 / 0,92 DM 0,95 / 1,30 DM Spargel 2,20 / 4,40 DM 3,75 / 7,25 DM Die Preisschwankungen beruhen auf unterschiedlichen Qualitäten, Art der Zubereitung (z. B. bei Ananas, Pfirsichen, Pilzen und Spargel: Scheiben, ganze / halbe Frucht, Stücke) und bei Erbsen auf der „Siebung", die von „extra fein" bis „Gemüseerbsen" reicht. Außerdem werden die Preise in den Einzelhandelsgeschäften maßgeblich von der Art des Geschäftes und seiner Lage bestimmt. Anlage 5 Schriftliche Antwort des Parlamentarischen Staatssekretärs Leicht vom 31. Mai 1968 auf die Mündlichen Anfragen des Abgeordneten Dr. Tamblé (Drucksache zu V/2936, Fragen 118 und 119) : Welche Auswirkungen für die Wirtschaft in Schleswig-Holstein erwartet die Bundesregierung, wenn die dänische Regierung den Zollfreibetrag bei der Einfuhr von Waren aus der Bundesrepublik Deutschland kürzt? Was gedenkt die Bundesregierung zu unternehmen, um die von der dänischen Regierung angekündigte Kürzung des Zollfreibetrages zu verhindern? Eine Kürzung des dänischen Zollfreibetrages würde sicherlich ungünstige Auswirkungen für die Wirtschaft Schleswig-Holsteins haben. Die dänischen Einkäufe im deutschen Grenzgebiet haben einen nicht geringen Umfang. Sie würden bei einer Kürzung des dänischen Zollfreibetrages sicherlich 9772 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 180. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 20. Juni 1968 zurückgehen, was zu Umsatzeinbußen insbesondere des grenznahen Einzelhandels führen würde. Dänemark ist vertraglich nicht verpflichtet, an seinen gegenwärtigen nationalen Zollregelungen für Reisende festzuhalten. Im Jahre 1966 ist aber abgesprochen worden, daß sich die deutsche und die dänische Regierung vor etwaigen Einschränkungen der Zollvergünstigungen für den Reiseverkehr konsultieren. Solche Konsultationen sind für Juni in Aussicht genommen. Ich bitte um Nachsicht, wenn ich mit Rücksicht auf diese Gespräche davon absehe, auf Einzelheiten einzugehen.
Gesamtes Protokol
Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0518000000
Die Sitzung ist eröffnet.
Vor Eintritt in die Tagesordnung spreche ich Glückwünsche zu Geburtstagen aus: dem Herrn Abgeordneten Krammig zum 60. Geburtstag am 14. Juni,

(Beifall)

und am 18. Juni hat der Herr Abgeordnete von Eckardt seinen 65. Geburtstag gefeiert.

(Beifall.)

Ich teile dem Hause weiter mit, daß der Herr Abgeordnete Blachstein am 31. Mai 1968 auf seine Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag verzichtet hat. Als sein Nachfolger ist der Herr Abgeordnete Dr. Arndt (Hamburg) am 4. Juni 1968 in den Bundestag eingetreten. Ich begrüße ihn in unserer Mitte und wünsche ihm eine gute Zusammenarbeit.

(Beifall.)

Meines Wissens ist es bei uns das erstemal, daß Vater und Sohn im selben Parlament sitzen.
Der Abgeordnete Stingl hat am 15. Juni 1968 auf seine Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag verzichtet.
Der Wehrbeauftragte des Deutschen Bundestages hat am 22. Mai 1968 seinen Jahresbericht 1967 vorgelegt; er ist als Drucksache verteilt. Das Haus ist damit einverstanden, daß dieser Bericht gemäß § 116 b Abs. 1 der Geschäftsordnung dem Verteidigungsausschuß überwiesen wird. — Kein Widerspruch; es ist so beschlossen.
Schließlich liegt Ihnen eine Liste von Vorlagen der Bundesregierung vor, die keiner Beschlußfassung bedürfen und die nach § 76 Abs. 2 der Geschäftsordnung den zuständigen Ausschüssen überwiesen werden sollen:
Vorlage des Bundesministers des Innern
Betr.: Fassung der Ermächtigung eines Bundesministers zum Erlaß von Rechtsverordnungen
Bezug: Beschluß des Bundestages vom 15. März 1967 — Drucksache V/2941 —zuständig: Innenausschuß
Vorlage des Bundesministers für Gesundheitswesen Betr.: Umweltradioaktivität
Bezug: Beschluß des Bundestages vom 22. Mai 1962 — Drucksache V/2983 —
zuständig: Ausschuß für Gesundheitswesen
Vorlage des Sprechers der Deutschen Delegation bei der Beratenden Versammlung des Europarates
Betr.: Bericht über die Tagung der Beratenden Versammlung des Europarates vom 6. bis 10. Mai 1968 in Straßburg — Drucksache V/2968 —
zuständig: Auswärtiger Ausschuß.
Erhebt sich gegen diese Überweisung Widerspruch? — Kein Widerspruch; es ist so beschlossen.
Die übrigen amtlichen Mitteilungen werden ohne Verlesung in den Stenographischen Bericht aufgenommen:
Der Bundesrat hat in seiner Sitzung am 31. Mai bzw. 14. Juni 1968 den nachstehenden Gesetzen zugestimmt bzw. einen Antrag gemäß Artikel 77 Abs. 2 GG nicht gestellt:
Sechzehntes Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes
Gesetz zur Wahrung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung der obersten Gerichtshöfe des Bundes
Zwanzigstes Gesetz zur Änderung des Lastenausgleichsgesetzes (20. ÄndG LAG)

Achtes Gesetz zur Änderung des Tabaksteuergesetzes
Gesetz zur Änderung des Gesetzes zur Förderung eines freiwilligen sozialen Jahres
Gesetz zur Änderung des Gesetzes zur Abwicklung der landwirtschaftlichen Entschuldung
Gesetz zur Änderung der Gewerbeordnung Siebzehntes Gesetz zur Ergänzung des Grundgesetzes
Gesetz zur Beschränkung des Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnisses (Gesetz zu Artikel 10 Grundgesetz) (G 10)
Gesetz zur Änderung des Gesetzes zur Sicherstellung des Verkehrs
Gesetz zur Änderung des Wirtschaftssicherstellungsgesetzes
Gesetz zur Änderung des ErnährungssichersteIlungsgesetzes
Gesetz zur Sicherstellung von Arbeitsleistungen für Zwecke der Verteidigung einschließlich des Schutzes der Zivilbevölkerung (Arbeitssicherstellungsgesetz)

Gesetz über die Erweiterung des Katastrophenschutzes Achtes Strafrechtsänderungsgesetz
Fünftes Gesetz zur Änderung beamtenrechtlicher und besoldungsrechtlicher Vorschriften.
Der Bundesrat hat in den gleichen Sitzungen beschlossen, hinsichtlich der nachstehenden Gesetze zu verlangen, daß der Vermittlungsausschuß gemäß Artikel 77 Abs. 2 des Grundgesetzes einberufen wird:
Gesetz zur Fortführung des sozialen Wohnungsbaues (Wohnungsbauänderungsgesetz 1968 — WoBauÄndG 1968)

Zweites Gesetz zur Änderung strafrechtlicher Vorschriften der Reichsabgabenordnung und anderer Gesetze (2. AOStrafÄndG)

Seine Schreiben sind als Drucksachen V/2982, V/3013 verteilt.
Der Bundesminister der Verteidigung hat am 4. Juni 1968 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Haase (Kellinghusen), Berkhan und der Fraktion der SPD betr. Personallage der Bundeswehr — Drucksache V/2922 — beantwortet. Sein Schreiben wird als Drucksache V/2986 verteilt.
Der Bundesminister für wissenschaftliche Forschung hat am 7. Juni 1968 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Frau Dr.



Präsident D. Dr. Gerstenmaier
Maxsein, Dr. Martin, Frau Geisendörfer, Dr. Schober, Dr. Wörner und Genossen betr. Europäische Integration auf dem Gebiete der Raumfahrt — Drucksache V/2950 - beantwortet. Sein Schreiben wird als Drucksache V/3004 verteilt.
Der Bundesminister für Vertriebene, Flüchtlinge und Kriegsgeschädigte hat am 12. Juni 1968 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Ahrens (Salzgitter), Rehs, Frau Korspeter und der Fraktion der SPD betr. Spätaussiedler und Familienzusammenführung — Drucksache V/2921 — beantwortet. Sein Schreiben wird als Drucksache V/3005 verteilt.
Der Bundesminister für Wirtschaft hat am 14. Juni 1968 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Weigl, Burgemeister, Dr. Jahn (Braunschweig), Schlager, Schlee und Genossen betr. Förderung des Zonenrandgebietes — Drucksache V/2920 — beantwortet. Sein Schreiben wird als Drucksache V/3015 verteilt.
Der Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten hat am 14. Juni 1968 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Logemann, Reichmann, Ertl, Sander und Genossen betr. rechtliche Auslegung der Bestimmungen über die gemeinsame Marktorganisation für Obst und Gemüse — Drucksache V/2961 — beantwortet. Sein Schreiben wird als Drucksache V/3020 verteilt.
Der Präsident des Bundestages hat entsprechend dem Beschluß des Bundestages vom 23. Februar 1962 die nachstehenden Vorlagen überwiesen:
Dreiundvierzigste Verordnung zur Änderung des Deutschen Zolltarifs 1967 (Zollkontingente für Rohblei und Rohzink) — Drucksache V/2956 —
an den Ausschuß für Wirtschaft und Mittelstandsfragen mit des Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor dem Plenum am 26. Juni 1968
Fünfundvierzigste Verordnung zur Änderung des Deutschen Zolltarifs 1967 (Zollkontingent für Melassen)

— Drucksache V/3000 -
an den Ausschuß für Wirtschaft und Mittelstandsfragen mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor dem Plenum am 2. Oktober 1968.
Der Präsident des Bundestages hat entsprechend dem Beschluß des Bundestages vom 25. Juni 1959 die nachtehenden Vorlagen überwiesen:
Verordnung des Rates über die Aufstellung von Übergangsregelungen hinsichtlich der Erhebung der Abschöpfungen auf dem Rindfleischsektor
— Drucksache V/2938 —
an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat, die voraussichtlich im Mai/Juni erfolgen wird
Verordnung des Rates über eine abweichende Festsetzung der Schwellenpreise für Zucker für die Zeit vom 1. Juli 1968 bis 31. Mai 1969
Drucksache V/2939 —
an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat, die voraussichtlich im Mai/Juni erfolgen wird.
Verordnung des Rates mit zusätzlichen Vorschriften für die Finanzierung der gemeinsamen Agrarpolitik im Zuckersektor — Drucksache V/2940 —
an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten — federführend — und an den Haushaltsausschuß mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat, die voraussichtlich im Mai/Juni erfolgen wird.
Damit, meine Damen und Herren, sind wir bei der Tagesordnung. Ich rufe die Fragestunde auf.

(Widerspruch.)

— Entschuldigung, heute ist wieder alles anders. Ich sehe Ihr Bedauern, Herr Kollege Rasner. Ich bedanke mich für dieses wohlwollende Mitleid. — Die Fragestunde wird später aufgerufen, und zwar um 14 Uhr.
Ich rufe Punkt 2 der Tagesordnung auf:
a) Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU, SPD, FDP eingebrachten Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Berlinhilfegesetzes
— Drucksache V/3019 —
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Burgemeister, Gewandt, Illerhaus, Lampersbach, Müller (Berlin) und Genossen betr. Lage und Erwartungen der Berliner Wirtschaft
— Drucksache V/2970 —
Zunächst gebe ich das Wort dem Herrn Bundeskanzler.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0518000100
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Unter dem Vorwand, die Verabschiedung der Vorsorgegesetze in der Bundesrepublik habe eine neue Lage geschaffen, hat Ost-Berlin am 11. Juni Maßnahmen verkündet, die es seit Jahren vorbereitet hatte. Es führt Paßzwang und gebührenpflichtige Sichtvermerke für Reisen in die Zone und für den Verkehr von und nach Berlin ein. Es belastet den Personen- und Güterverkehr zwischen Berlin und dem übrigen Bundesgebiet mit einer „Steuerausgleichsabgabe". Es ordnet an, daß Westberliner Reisende bei der Beantragung von Visen gezwungen werden, sich als Bürger der angeblich selbständigen politischen Einheit West-Berlin zu bezeichnen. Es verlangt auf den Warenbegleitscheinen eine ähnliche Formel.
Diese widerrechtlichen Maßnahmen erschweren und bedrohen den ungehinderten Zugang nach Berlin. Das SED-Regime hat sich damit erneut Rechte angemaßt, die im Widerspruch zu internationalen Vereinbarungen stehen. Zugleich versucht es mit dieser Aktion, die Bemühungen um Zusammenarbeit und Entspannung in Europa zu stören. Die Regierung der UdSSR billigt diese Maßnahmen, obwohl sie vorgibt, überall in der Welt für Frieden und Entspannung einzutreten.
Die Verantwortlichen im anderen Teil Deutschlands haben sich damit erneut über die auch von ihnen nicht wegzuleugnende Einheit der deutschen Nation brutal hinweggesetzt. In einer Zeit, in der überall in Europa Reisebeschränkungen beseitigt werden, richten sie mitten in Deutschland zusätzlich zur Mauer und zum Stacheldraht weitere künstliche Hindernisse auf. Der Anspruch des SED-Regimes auf Anerkennung als souveräner Staat wird durch Paß- und Visumzwang nicht glaubwürdiger. Durch rechtlich unerhebliche erzwungene Unterschriften im Reise- und Güterverkehr wird auch kein rechtswidriger Sonderstatus für West-Berlin geschaffen. Die Legitimation einer Regierung beruht nicht auf ihrer Fähigkeit, administrative Schikanen zu verordnen, sondern allein auf dem Willen des Volkes.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Was immer die Machthaber in Ostberlin erfinden mögen, um die Teilung unserer Nation mit fremder Hilfe zu vertiefen, kann den Willen des deutschen Volkes zur Einheit nicht schwächen.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Wir werden uns durch solche Störungen nicht davon abhalten lassen, uns mit aller Energie für den Zusammenhalt des deutschen Volkes einzusetzen. Solange die Teilung nicht überwunden ist, ist es der unbezweifelbare Wille aller Deutschen, daß wenigstens jenes Maß an Verständigung erreicht wird,



Bundeskanzler Dr. h. c. Kiesinger
das den Menschen ein erträgliches Miteinanderleben erlaubt.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Den Machthabern drüben geht es allein um ihre eigene Anerkennung. In Wahrheit ist das, was in Ost-Berlin Anerkennung der DDR genannt wird, die Forderung auf Kapitulation der Mehrheit der Deutschen vor dem Alleinherrschaftsanspruch einer Minderheit.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Die drei Westmächte haben unverzüglich in einer ersten gemeinsamen Antwort auf die rechtswidrigen Ostberliner Maßnahmen den Paß- und Visumzwang sowie die anderen Erschwernisse für den innerdeutschen Personen- und Güterverkehr verurteilt. Sie haben erklärt, daß diese Maßnahmen im Gegensatz zu seit langer Zeit bestehenden internationalen Abkommen und Übungen stehen und dem Ziel einer Entspannung in Europa widersprechen. Sie haben damit die Auffassung erneut bekräftigt, die sie in ausführlicher Form am 26. Juni 1964 dargelegt haben. Damals wiesen sie den Versuch der Sowjetunion zurück, eigene Verpflichtungen und Verantwortlichkeiten auf Ost-Berlin zu übertragen. Sie sagten damals:
Es ist klar, daß ein Abkommen, das die Sowjetunion mit der sogenannten DDR abschließt, die sowjetischen Verpflichtungen oder Verantwortlichkeiten aus Abkommen und Abmachungen mit den drei Mächten über Deutschland einschließlich Berlins und des Zugangs dorthin nicht berühren kann. Die drei Regierungen sind der Auffassung, daß die Sowjetunion durch diese Verpflichtungen gebunden bleibt, und sie werden weiterhin die sowjetische Regierung für die Erfüllung dieser Verpflichtungen verantwortlich halten.
Sie stellten weiter fest, Berlin sei keine „selbständige politische Einheit" und innerhalb Deutschlands und Berlins gebe es keine Staatsgrenzen, vielmehr nur eine „Demarkationslinie" und die „Sektorengrenzen".
Ich danke dem Präsidenten der Vereinigten Staaten für seine ermutigende Botschaft, in der er angesichts der neuen Bedrohung Berlins versichert, daß die amerikanische Unterstützung des freien Berlins und des Zieles eines in Frieden wiedervereinigten Deutschland so fest sei wie eh und je.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Die Bundesregierung steht mit den drei verbündeten Regierungen in engster Verbindung. Konsultationen in der NATO sind im Gange. Wir müssen gemeinsam auf die Rücknahme der rechtswidrigen Maßnahmen der SED hinwirken.

(Erneuter Beifall bei den Regierungsparteien.)

Die Sowjetunion, ohne deren Billigung Ost-Berlin nicht handeln kann, muß nachdrücklich auf die Gefahren hingewiesen werden, falls sie etwa den eingeschlagenen Weg fortsetzen sollte.

(Wiederholter Beifall bei den Regierungsparteien.)

Die Bundesregierung hat stets erklärt, daß sie den Status Berlins, die Rechte und Pflichten der vier Mächte respektiert und nicht daran denkt, ihn in Frage zu stellen. Solange die Deutschlandfrage nicht gelöst werden kann, bleibt die Aufrechterhaltung dieses Status ein wesentliches Element des Friedens in Europa.
In diesem Rahmen nimmt die Bundesregierung ihre eigene Verantwortung für Berlin und seine Bevölkerung wahr. Sie tut dies nicht, um zu provozieren oder um Rechte und Interessen anderer Mächte zu beeinträchtigen. Sie sucht im Gegenteil auch in Berlin Entspannung und Verständigung zu fördern. Sie hat deshalb in ihrer Mitteilung an die Regierung der Sowjetunion vom 1. März 1968 ausdrücklich ihre Bereitschaft erklärt, mit allen vier Mächten zusammenzuarbeiten, wenn dies den Gesamtbelangen Berlins förderlich ist. Der Wortlaut dieser Mitteilung, der die drei Westmächte zugestimmt haben, wird heute der Offentlichkeit bekanntgegeben,

(Abg. Dr. Barzel: Sehr gut!)

um die fortgesetzten Verleumdungen der Politik der Bundesregierung durch die Sowjetunion und Ost-Berlin zu widerlegen.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Innerhalb ihres eigenen Verantwortungsbereichs hat die Bundesregierung am 17. Juni, am Tage der deutschen Einheit, in einer Sondersitzung des Kabinetts Sofortmaßnahmen zur Stärkung der Lebensfähigkeit Berlins beschlossen. Die Bundesregierung ist dem Hohen Hause dankbar, daß die Fraktionen des Deutschen Bundestages den Entwurf des neuen Berlinhilfegesetzes als Initiativgesetz einbringen und noch vor der Sommerpause verabschieden wollen. Die Bundesregierung wird dafür sorgen, daß die finanziellen Lasten aufgefangen werden, die die neuen Maßnahmen des SED-Regimes den einzelnen Menschen und der Wirtschaft auferlegen.
Wir werden uns, meine Damen und Herren, durch die Maßnahmen Ost-Berlins nicht zu falschen — vielleicht erwarteten — Maßnahmen provozieren lassen. Unsere Politik der Entspannung und der Zusammenarbeit mit den osteuropäischen Staaten wird fortgesetzt.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Unser Verständigungsangebot schließt nach wie vor den anderen Teil Deutschlands ein. Die Bundesregierung erinnert erneut an ihre Vorschläge vom 12. April 1967, an meine beiden Briefe an den Vorsitzenden des Ministerrats, Herrn Stoph, und an ihre Bereitschaft, Regelungen über gegenseitigen Gewaltverzicht zu treffen. Diese Vorschläge bleiben aufrechterhalten, obwohl die Verantwortlichen in Ost-Berlin bisher nur in der Sprache und mit Maßnahmen des Kalten Krieges geantwortet haben.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Die Bundesregierung hält an den Grundlinien ihrer Deutschlandpolitik fest. Sie denkt nicht daran, ihrerseits zu einer Politik neuer Spannungen beizutragen. Sie ist vielmehr der Überzeugung, daß allein



Bundeskanzler Dr. h. c. Kiesinger
der Wille zu einer friedlichen Entwicklung auch in Deutschland den Weg zu einer glücklichen Zukunft Europas anbahnen kann. Die Bundesregierung hält aber bei aller Verständigungsbereitschaft ebenso unbeirrbar daran fest, für das ganze deutsche Volk das unbestreitbare Recht zu fordern, über seine staatliche Einheit und seine politische Lebensform in Freiheit selbst zu bestimmen.

(Lebhafter Beifall bei den Regierungsparteien.)


Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0518000200
Sie haben die Erklärung der Bundesregierung gehört. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Franke.

Egon Franke (SPD):
Rede ID: ID0518000300
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe für die Fraktionen der CDU/CSU und der SPD folgende gemeinsam getragene Erklärung abzugeben.
Zu einem Zeitpunkt, da in weiten Teilen Europas vor wenigen Jahren noch nicht mögliche Schritte auf dem Wege zu Entspannung, Verständigung und Festigung des Friedens unternommen werden, haben die Verantwortlichen im anderen Teil Deutschlands diesem Bemühen diametral entgegengesetzte Maßnahmen beschlossen. Die Maßnahmen zielen dahin, den Selbstbehauptungswillen der Berliner zu lähmen und die Wirtschaftskraft Berlins zu schmälern. Die Maßnahmen zielen dahin, jene schreckliche Folge des zweiten Weltkrieges zu verhärten, die in der Teilung Deutschlands und der Spaltung Berlins liegt. Die Maßnahmen zielen dahin, den Deutschen im geteilten Vaterland das Zueinanderkommen noch mehr zu erschweren. Die Maßnahmen richten sich auch gegen die Bemühungen aller gutgesinnten Europäer, die um Annäherung und um Überwindung der Gräben aus dem zweiten Weltkrieg ringen. Diese Maßnahmen stehen im krassen Gegensatz zu den Aussagen der Ostberliner Machthaber über das Weiterbestehen einer deutschen Nation. Während in Europa in Nord und Süd, in West und Ost Pässe und Visa abgeschafft werden, errichtet man in Deutschland neue Mauern.
Wir verurteilen mit äußerster Entschiedenheit diese Maßnahmen und Absichten und wissen uns darin mit allen Deutschen einig. Keiner, der Ulbrichts Reisepapiere und Warenbegleitscheine unterschreiben und annehmen muß, stimmt damit der Teilung Deutschlands und der Ostberliner Spaltungspolitik zu.

(Abg. Dr. Barzel: Sehr wahr!)

Das ganze deutsche Volk will Entspannung und Frieden mit sich und der Welt.

(Beifall bei den Regierungsparteien und bei Abgeordneten der FDP.)

Das ist und bleibt das erklärte Ziel des Deutschen Bundestages.
Wir bekunden unsere Solidarität mit der Bevölkerung Berlins. Wir begrüßen die Maßnahmen und die Absichten der Bundesregierung, den materiellen Schaden, der den Bürgern und der Wirtschaft Berlins entsteht, aufzufangen. Wir werden der unbefristeten
Verlängerung aller Teile des Berlinhilfegesetzes und den Verbesserungen zustimmen und wir werden für schnelle Gesetzgebung sorgen. Wir appellieren aber auch gleichzeitig an Unternehmer und Gewerkschaften, in dieser Situation Berlin als besondere Aufgabe und Verpflichtung zu sehen.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Die neuen Eingriffe des SED-Regimes sind eine massive Verletzung aller Vereinbarungen und Regelungen der vier Mächte über Deutschland als Ganzes und über Berlin, insbesondere auch der Vereinbarungen zwischen der Sowjetunion und den Westmächten zum Abschluß der Blockade Berlins.
Um so mehr sind die Freiheit, Sicherheit und Lebensfähigkeit Berlins eine gemeinsame Aufgabe der Bundesrepublik Deutschland und der drei westlichen Schutzmächte. Diese Aufgabe ist in besonderer Weise begründet in dem Bündnisvertrag, in dem die drei Mächte sich das Recht vorbehalten und damit die Pflicht übernommen haben, jene Maßnahmen zu treffen, „die zur Erhaltung des Status oder der Sicherheit Berlins, seiner Wirtschaft, seines Handels und seiner Verbindungslinien notwendig sind".
Ohne Zustimmung der Sowjetunion hätten die neuen Schritte Ost-Berlins gegen deutsche Befriedung und europäische Entspannung nicht getan werden können.

(Sehr wahr! bei der SPD.)

Diese Tatsache hat schwerwiegende Bedeutung, auch im größeren Zusammenhang der internationalen Politik.
Für uns bleibt es dabei: wir werden nicht an der politischen, wirtschaftlichen und rechtlichen Verbundenheit des freien Berlins mit der Bundesrepublik rütteln lassen.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)


Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0518000400
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Borm.

Dr. William Borm (FDP):
Rede ID: ID0518000500
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wieder einmal ist die deutsche Hauptstadt zu einem Brennpunkt der politischen Ereignisse in unserem Land geworden. Wir begrüßen jene jetzt von der Bundesregierung beabsichtigten Maßnahmen, um welche so lange gerungen wurde, und deren bisherige Verzögerung nicht immer den Beifall der Berliner gefunden hat. Wir begrüßen es, daß die Bundesregierung sich jetzt entschlossen hat, die finanziellen Auswirkungen der verhängnisvollen Maßnahmen, die der Herr Ulbricht ergriffen hat, zu paralysieren. Allerdings sollten wir uns darüber klar sein, daß es nicht gerade erfreulich ist, daß es erst dieses massiven Drucks des Herrn Ulbricht bedurft hat, damit die längst vorbereiteten Maßnahmen nun unter Dach und Fach gekommen sind.
Wichtig ist es aber, festzuhalten, daß die jetzt großzügig gewährte finanzielle Hilfe, nämlich der Ausgleich der Kosten und der Anreiz zu Investitionen, keineswegs geeignet sind, das brennende



Borm
Berlin-Problem vom Grunde her zu lösen. Die entscheidende politische Aktion steht noch aus.
Wir begrüßen es, daß aus den Worten des Herrn Bundeskanzlers ersichtlich ist, daß er nicht beabsichtigt, Gleiches mit Gleichem zu vergelten, daß er nicht beabsichtigt, nach Sanktionen zu rufen. Wir begrüßen dies, da wir den Weg, Gleiches mit Gleichem zu vergelten, nicht für richtig halten.
Wenn die künftigen Regelungen aber dauernden Wert haben sollen, müssen sie politischer Natur sein. Hierüber wird an anderer Stelle, nicht hier bei der Behandlung des Berlinhilfegesetzes, zu reden sein. Es handelt sich bei dieser Aktion — und darüber sind wir uns alle einig — keinesfalls um ein Almosen für die bedrängte . Stadt, die das Schicksal Deutschlands im wesentlichen vorwegnimmt, sondern es handelt sich um den teilweisen — ich betone: teilweisen, denn ganz sind die Dinge doch nicht auszugleichen — finanziellen Ausgleich . für diejenige Situation, die durch die politischen Maßnahmen der anderen Seite herbeigeführt wurde und die durch die geographische Lage dieser Stadt mitten im Einflußgebiet der DDR erschwert wird. Die Sonderbelastungen, die Berlin über die finanziellen Lasten hinaus zu tragen hat, können nicht abgenommen werden. Für den einzelnen Bürger sind dies psychologische Belastungen, die sich darin ausdrücken, daß die Überlegungen über Wegzug, über Zuzug und über Besuch wesentlich mit abhängig sind von der Ungestörtheit der Zugangswege nach Berlin.
Ich glaube, wir alle sind uns darüber einig, daß die Standhaftigkeit der Berliner, die nun nahezu 25 Jahre in dieser bedrängten Situation leben, die wesentliche Voraussetzung dafür ist, daß die Hilfe der Bundesregierung und aller derer, die sie uns angedeihen lassen, wirksam werden kann. Es ist nun einmal nicht leicht, 25 Jahre im Schatten zu leben. Dieses Hohe Haus hat dankenswerterweise seiner Anerkennung für die Haltung der Berliner ebenso Ausdruck gegeben wie unser ganzes Volk.
Wir sehen es allerdings — es sei gestattet, das anzumerken — bei der Entstehung bis zur Einbringung dieses Gesetzes nicht gerade als einen sehr erfreulichen Stil an, daß dieses Gesetz bereits fertig war und daß sich meine Fraktion, die Freien Demokraten, zur Mitunterzeichnung erst zu einem Zeitpunkt bereit erklären mußte, als sie nicht mehr mitarbeiten konnte. Die Freien Demokraten haben es wahrlich in der Vergangenheit niemals an brauchbaren Anregungen und an einer leidenschaftlichen Hingabe fehlen lassen, wenn es darum ging, die Spaltung unseres Vaterlandes zu überwinden

(Abg. Schmidt [Hamburg] : Sie mußten gar nicht!)

und Hilfestellung für die deutsche Hauptstadt zu leisten. — Ich habe Sie nicht verstanden, aber bitte, fragen Siel

(Abg. Schmidt [Hamburg] : Sie mußten gar nicht!)

— Wir mußten gar nicht, nein! Aber ich glaube, es
ist die Aufgabe jedes Deutschen, sich darum zu
kümmern, daß diese Spaltung und die Folgen überwunden werden. Darüber sind wir uns sicher einig, Herr Kollege Schmidt.

(Beifall bei der FDP. — Abg. Schmidt [Hamburg] : Und nicht nur insofern, Herr Borm, ist Ihre Fraktion in derselben Lage gewesen wie z. B. meine!)

— Wieso? Ich kann Sie jetzt nicht verstehen. Wenn Sie eine Frage haben, Herr Kollege, richten Sie sie doch an mich. Aber ich halte nicht dafür, daß bei dieser ernsten Situation — —

(Abg. Schmidt [Hamburg] : Das war keine Frage, das war ein Zwischenruf, Herr Borm; Zwischenrufe sind in diesem Hause gestattet!)

— Zwischenrufe können Sie sicher machen. Ich will keine Polemik treiben,

(Abg. Schmidt [Hamburg] : Das ist gut!)

aber es wäre gut, wenn die Parteien, die jetzt die Große Koalition bilden, sich dessen bewußt wären, daß in einer funktionsfähigen Demokratie die Rolle der verantwortlichen Opposition genauso wichtig ist wie die der Regierung. Das ist ein altes Thema. Wir glauben, daß es gut wäre, die geübte Praxis den Beteuerungen des guten Willens anzupassen.
Lassen Sie mich zur Vorlage kommen. An der Vorlage ist gut, daß es für die beabsichtigten Hilfsmaßnahmen keine Befristung mehr gibt. Das trägt unzweifelhaft zur Stärkung des Vertrauens in diese Stadt bei, die nun einmal auf die Hilfe der Bundesrepublik, des anderen Teils des freien Deutschlands und auch anderer Kräfte angewiesen ist. Es ist gut, daß jetzt auch der nichtsoziale Wohnungsbau gefördert wird. Dadurch wird es sicherlich möglich, daß Menschen in gehobenerer Position leichter zu einer Wohnung kommen, die zu angemessenen Preisen zur Verfügung gestellt werden kann. Zuzugsförderung, Anreiz zum Bleiben sind angesichts der Wohnungssituation in Berlin lebenswichtig. Wir sollten uns alle darüber klar sein, daß der Begriff des weißen Kreises in der bedrängten Insellage Berlins ein anderes Gesicht hat als im übrigen Teil unseres deutschen Landes. Es ist ebenfalls gut, daß die Einkommensgrenze angehoben worden ist, welche es gestattet, im sozialen Wohnungsbau mehr Menschen unterzubringen. Das gehört in den Komplex hinein, daß die Wohnungsfrage in Berlin nun einmal wesentlich anders zu beurteilen ist als hier.
Ich will nicht gerade sagen, daß es zu bemängeln ist, aber ich werte es als einen optimistischen Ausdruck des Vertrauens der Bundesregierung, daß sich die Entwicklung in Berlin günstig dadurch gestalten wird, daß die 10-, 25- und 30%ige Investitionsförderung auf zwei Jahre bei den 25% begrenzt ist. Ich glaube, erst die Erfahrung wird zeigen — und wir werden uns darüber zu unterhalten haben —, ob diese Begrenzung sinnvoll ist. Sie kann nur sinnvoll sein, wenn sie ihren Zweck in den zwei Jahren voll erfüllt.
Wir begrüßen auch sehr, daß endlich jene unbegreifliche Maßnahme, die Zuschüsse zum Luftver-



Borm
kehr von und nach Berlin, die mit 40 Millionen DM begrenzt waren und auch ausgeschöpft worden sind, auf 22 Millionen DM zu senken, angesichts der Lage, die sich jetzt ergeben hat, rückgängig gemacht worden ist, indem man sie wieder auf 40 Millionen DM erhöht hat.
Ich darf in diesem Zusammenhang Ihre Aufmerksamkeit darauf richten, daß es wesentlich darauf ankommt, zu günstigen Zeiten ständig ein großes Platzangebot im Lufttransport von und nach Berlin zu haben. Das ist eine Aufgabe, der wir uns noch zu widmen haben werden.
Alles in allem begrüßen wir es, daß sich die Bundesregierung entschlossen hat, nach Maßgabe ihrer Möglichkeiten und schnell diejenigen Maßnahmen zu ergreifen, die zur teilweisen Behebung der finanziellen Folgen notwendig sind. Wenn die Aussage einen Sinn haben soll, daß Deutschland zusammengehört, daß wir ebenfalls für diejenigen Deutschen handeln und denken, denen die Mitwirkung im freien politischen Leben versagt ist, wenn es einen Sinn haben soll, daß der Bund seine Aufgabe darin sieht, denjenigen Deutschen, die bedrängt sind, zu helfen, so sehen wir in diesem Gesetz einen Beweis dafür, daß der Wille echt ist. Niemand kann uns trennen. Die Aufgabe der Berliner ist es, ihre Standhaftigkeit zu beweisen. Die Aufgabe der Bundesregierung, die sie jetzt erfüllt, ist es, nach Kräften dazu beizutragen, daß die finanziellen Folgen nach Möglichkeit beseitigt werden.
Meine Fraktion stimmt diesem Gesetz zu. Sie bittet um möglichst baldige Verabschiedung in den dazu vorgesehenen Ausschüssen.

(Beifall bei der FDP.)


Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0518000600
Das Wort hat der Herr Regierende Bürgermeister von Berlin.
Schütz, Regierender Bürgermeister von Berlin: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Am 11. Juni haben die Machtträger im anderen Teil Deutschlands Anordnungen und Bestimmungen erlassen, die das Zusammenleben der Deutschen erschweren und die geeignet sind, den freien Zugang von und nach Berlin zu behindern. Insbesondere die „Fünfte Durchführungsbestimmung zum Paßgesetz der DDR" und die „Erhebung einer Steuerausgleichsabgabe für Beförderungsleistungen westdeutscher und Westberliner Unternehmen auf Straßen und Wasserstraßen der DDR" bedeuten einen schweren Eingriff in bestehende Vereinbarungen.
Als Vorwand für ihre Maßnahmen benutzte die Ostberliner Regierung die Gesetze zum Schutz der Demokratie in Notzeiten und die, wie sie sagt, „völkerrechtswidrige, aggressive Alleinvertretungsanmaßung" der Bundesregierung. Diese Vorwände sind herbeigezerrt worden, sind heuchlerisch und können deshalb völlig außerhalb unserer weiteren Überlegungen bleiben.
Dagegen darf in dieser unserer Diskussion keinesfalls das übergangen werden, was zu diesem Thema am 1. Dezember letzten Jahres vom Vorsitzenden des Staatsrates, Walter Ulbricht, ausgesprochen
wurde. In seiner damaligen Rede heißt es — ich darf
mit Genehmigung des Herrn Präsidenten zitieren —:
Für den Status West-Berlins, das auf dem Territorium der Deutschen Demokratischen Republik liegt und rechtlich zu ihr gehört, aber zur Zeit noch einem Besatzungsregime unterworfen ist, sowie für einige damit zusammenhängende Fragen, die Vereinbarungen zwischen den Vier Mächten betreffen, gilt bis auf weiteres
immer noch das Zitat —
die Regelung des Art. 6 des Vertrages über Freundschaft, gegenseitigen Beistand und Zusammenarbeit zwischen der Deutschen Demokratischen Republik und der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken vom 12. Juni 1964. Die Volkskammer und die Regierung der Deutschen Demokratischen Republik werden sich unablässig dafür einsetzen, daß Schritt um Schritt auch die letzten Überreste des zweiten Weltkrieges beseitigt werden, die von den imperialistischen Westmächten dazu benutzt werden, die Deutsche Demokratische Republik und ihre Bürger zu schädigen.
Meine Damen und Herren! Die Maßnahmen vom 11. Juni sind e i n Schritt in dieser Richtung und dürfen deshalb weder heruntergespielt oder verniedlicht noch isoliert betrachtet werden. Es ist eine ernste Lage entstanden, und in diesem Sinne war dieser Tag ein schwarzer Tag für alle Deutschen. Jetzt stellt sich uns allen, Alliierten, Bund, Bundestag und Senat von Berlin, die Aufgabe, mit der neuen Situation fertig zu werden und ihr entschlossen, nüchtern und verantwortungsbewußt gegenüber den Menschen im geteilten Land zu begegnen.
Die erste und sehr wichtige Antwort wurde von der Bundesregierung gegeben. Die beschlossenen Maßnahmen sind eine wertvolle finanzielle, wirtschaftliche, aber auch psychologische Hilfe für Berlin und für die Berliner. Wir sind dankbar für das Tempo, mit dem die Bundesregierung ihre erste Antwort gegeben hat, und haben die begründete Hoffnung, daß dieses Hohe Haus im gleichen Sinn wie die Bundesregierung handeln wird. Dafür unseren herzlichen Dank.
Ich will keinen Wermutstropfen in den Becher fallen lassen. Das wäre in der gegenwärtigen Lage nicht hilfreich, und es wäre vor allem ungerecht. Nur diese Anmerkung sei gestattet: Die neuen Maßnahmen des Bundes für Berlin wären im wesentlichen schon bei normaler Entwicklung in diesem Ausmaß notwendig gewesen. Es wird uns, wie wir alle hoffen, sicherlich gelingen, auch die neuen Belastungen damit voll abzufangen. Aber darüber gibt es natürlich heute noch keinen umfassenden Überblick, denn neben den meßbaren Mehrkosten für Steuerausgleichsabgabe und Visagebühren können zusätzliche Belastungen entstehen, die erst mit der Zeit sichtbar werden.
Dies ist also alles andere als Kritik, und es ist alles andere als die aufgehaltene Hand eines kleinmütigen Interessenvertreters. Ich wollte und muß nur auf die Möglichkeit längerfristig wirkender Ge-



Regierender Bürgermeister Schütz
fahren hinweisen, die in den neuen Maßnahmen OstBerlins verborgen sein können. Berlin war und ist in einer schwierigen Situation. Es gibt zwar keine Sorgen vor der unmittelbaren Zukunft. Heute herrscht bei uns Vollbeschäftigung, und das unmittelbare Morgen ist in den meisten Branchen unserer Wirtschaft durch Aufträge gesichert. Aber mit dieser kurzfristigen Sicherung ist es nicht getan, und mit ihr dürfen wir uns auch nicht zufriedengeben. Berlin hatte im letzten Jahr einen Wanderungsverlust von mehr als 5000 Erwerbspersonen. Die Altersstruktur ist besorgniserregend und wird nicht besser. Auch die Arbeitnehmerschaft unserer Stadt ist überaltert. Da ist es ein Trost, daß die Zahl der jungen Menschen seit 1959 von Jahr zu Jahr zugenommen hat. Aber es ist nur ein schwacher Trost, denn dieser Zuwachs hat nicht ausgereicht, Sterbeüberschuß und Wanderungsverlust auszugleichen. Aber Berlin ist trotz seiner wenig günstigen Altersstruktur und trotz Abnahme seiner Gesamtbevölkerung alles andere als eine sterbende Stadt. Hier leben, arbeiten und studieren mehr junge Menschen als in jedem anderen deutschen Gemeinwesen, selbst wenn man die großen Einzugsgebiete anderer deutscher Großstädte in Rechnung stellt.
Doch nicht nur Altersstruktur und Bevölkerungsentwicklung machen uns Sorgen. Wir haben die guten Worte des Bundesverbandes der Deutschen Industrie gehört, und es gibt viele Unternehmer, die in Berlin investieren. Aber daneben ist leider auch festzustellen, daß zahlreiche Unternehmen sich schwertun, in Berlin neu zu investieren. 1967 hat es beträchtlich weniger Investitionen gegeben als im Jahr zuvor, und nach einer neuen Untersuchung, die ich vor wenigen Tagen gesehen habe, wird es 1968 wiederum weniger neue Investitionen geben als 1967. Berlin gilt offenbar nach wie vor als ein Ort mit Risiko, in dem man zwar auch investiert, der aber nicht zu den Orten gehört, die sich ein Investor wünscht, wenn er sein Geld anlegt. Denn Berlin liegt nun einmal dort, wo es liegt: kein natürliches Hinterland, große Entfernungen zu den Märkten, völlig umschlossen von feindseliger Umgebung, umständliche Transportwege und vieles andere mehr. Niemand kann diese psychologischen Belastungen von Berlin fortnehmen; niemand kann feste Garantien dafür übernehmen, daß es auf den Zufahrtswegen nicht hin und wieder auch zu Störungen kommt. Daher müssen wir neue und außergewöhnliche Anstrengungen machen, um Menschen und Kapital neu in die Stadt zu bekommen und zu halten.
Meine Damen und Herren! Diese Anstrengungen werden Geld kosten, viel Geld. Aber mit Geld allein ist es nicht getan. Wir müssen uns allé zusammen etwas einfallen lassen und bereit sein, in Berlin Wege zu gehen, die bisher in unserem Lande noch nicht gegangen sind. Die Stadt muß noch attraktiver werden und noch stärker. Die wirtschaftlichen Förderungsmaßnahmen sind ein erster, ein wichtiger und ein guter Schritt. Der Berliner Senat wird Vorschläge erarbeiten, wie man noch zielbewußter das anstrebt, worum es uns allen geht: die Wirtschaft anzuspornen und mehr junge Menschen dazu zu bringen, ständig in Berlin zu bleiben,
dort ihre Familien zu gründen und dort ihre Zukunft zu planen. Ich appelliere deshalb auch vor diesem Hohen Hause an die jungen Menschen in unserem Lande, sich der Herausforderung zu stellen, die Berlin heißt. Diese Stadt lohnt den Einsatz. Hier kann sich eine junge Generation bewähren, eine große Stadt unter außergewöhnlichen Umständen nicht nur zu halten, sondern nach vorn zu bringen. Die Zufahrtswege von und nach Berlin sind der Punkt, auf den die Machtträger drüben ihre ganzen politischen Zuneigungen und Abneigungen konzentrieren. Die Zugangswege sind der einzige Punkt, an dem sie den Bürgern anderer Länder zeigen wollen und jetzt zum Teil auch zeigen dürfen, aus welchem Holz sie geschnitzt sind. Ihr kleinlicher Souveränitätsanspruch, den sie immer wieder erheben, der Glaube, daß man mit bürokratischen Formalismen Weltpolitik machen könne, hindert die Verantwortlichen in Ost-Berlin immer wieder an einem klaren Blick für das wirklich Erforderliche. Während überall in Europa ernsthaft versucht wird, das Reisen leichter zu machen, schiebt Ost-Berlin Riegel um Riegel vor seine Tür, nur um der Welt weiszumachen, daß es seine Türen sind und niemandes sonst.
Die neuen Bestimmungen erinnern in ihrer geistigen Anlage und ihrer organisatorischen Durchführung an die kleinbürgerliche Philosophie, so viel Statussymbole einzusammeln wie möglich und dann zu meinen, man stelle etwas dar und habe es doch herrlich weit gebracht. Alle Bürger unseres Landes müssen deshalb wissen: jeder, der den Visumsantrag oder was auch immer unterschreiben muß, hat nicht das Unrecht anerkannt, das dort drüben herrscht. Wenn einem Lastwagenfahrer oder einem Binnenschiffer, wie es gestern und vorgestern geschehen ist, die eigenartigsten Erklärungen abverlangt werden, so hat das für uns keine Bedeutung. Das neue Spiel mit Stempel und Papier sollte keinen unserer Bürger in einen Gewissenskonflikt bringen.
Die Antworten der drei Schutzmächte, der Bundesregierung und auch die Antworten aus Berlin dürfen nicht in die gleiche Richtung gehen wie die Maßnahmen der DDR-Regierung. Wir könnten zwar, in geringerem Umfang freilich, Schikanen der gleichen Art anwenden, wenn DDR- oder Ostblockinteressen in der Bundesrepublik berührt werden. Aber dies, meine Damen und Herren, scheinen mir keine angemessenen Mittel zu sein. Unsere Antwort sollte etwas anderes sein als rein bürokratische Erschwerungen des Austauschs von Personen und Gütern.
Die Politik der Friedenssicherung und Entspannung, die diese unsere Bundesregierung begonnen hat und die sie nach den Worten des Bundeskanzlers und des Bundesministers des Auswärtigen fortzusetzen gewillt ist, darf — dies ist die Auffassung Berlins — wegen der neuen Maßnahmen durch keine andere Politik ersetzt werden. Diese Politik der Friedenssicherung und Entspannung, wie sie in der Regierungserklärung dieser Regierung formuliert wurde, ist unserer Meinung nach keine Technik für Schönwetterzeiten oder für Tage, an



Regierender Bürgermeister Schütz
denen die Sterne günstig stehen. Wer jetzt diese Politik ändern will, muß sich die Frage gefallen lassen, ob er es überhaupt je mit einer konstruktiven und aktiven Friedenspolitik ernst gemeint hat. Wer jetzt nach einer grundsätzlichen Änderung der Politik ruft, läuft Gefahr, daß man ihn einen Heuchler nennt. Friedenssicherung und Entspannung waren und sind keine Taktik, sondern müssen weiter unser Programm sein.
Berlin hat zwar bisher nicht zählbar von den Entspannungsbemühungen unserer Bundesregierung profitiert, aber mit kurzfristigen Erfolgen hat hoffentlich auch niemand gerechnet; denn dies war von Anfang an keine Politik der Illusionen, sondern eine Politik der Orientierung an Realitäten.
Ich gehe einen Schritt weiter und sage in diesem Augenblick bewußt: Berlin und die Berliner sind bereit, ihren Teil der zeitweiligen Erschwerungen auf sich zu nehmen, wenn sie damit der Friedens-und Entspannungspolitik wirklich helfen könen.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Wir wollen also die Bundesregierung nicht hindern, sondern anspornen, jeden Schritt zu tun, den sie in dieser Richtung für notwendig hält. Berlin kann und will nicht von der Krise und mit der Krise leben, sondern will bei einem vernünftigen Verhältnis zu seiner Umwelt in Frieden seine Zukunft gestalten.
Die Zufahrtswege wurden und werden von den Siegermächten garantiert. Sie haben es übernommen, den tatsächlichen, den praktischen Zugang offenzuhalten.

(Abg. Dr. Barzel: Auch für Herrn Conrad?)

— Auch für den Präsidenten des Bundesrats übrigens. — Die Frage war und ist: Wann ist dieser praktische Zugang behindert? Ich glaube, daß wir jetzt an der viel besprochenen Entscheidungsschwelle stehen. Gerade deshalb darf man Visa-Pflicht und neue finanzielle Belastungen nicht leichtnehmen. Denn es kann sehr wohl der Tag kommen, an dem allein durch derartige Maßnahmen und allein durch hohe finanzielle Belastungen der freie oder vielmehr der ungehinderte Zugang nach Berlin tatsächlich nicht mehr existiert. Dies ist ein ernstes Problem, das Bundesregierung und Schutzmächte im Auge behalten müssen.
Es war gut, daß der Bundeskanzler sofort nach Berlin gekommen ist.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

So etwas hilft, und es hat geholfen. Wir waren dankbar, daß der Bundesminister des Auswärtigen mit dem Beispiel Belgrad direkt nach Berlin kam, weil mit der geplanten Aufhebung des Sichtvermerkzwangs dort besonders unterstrichen wurde, wie Menschen zusammenleben können, wenn sie guten Willens sind.

(Erneuter Beifall bei den Regierungsparteien.)

Dabei hat Ost-Berlin die erstrebte Paßhoheit doch
noch nicht voll, vielmehr nur zum Schein erreicht
und ausgeübt. Ein Blick auf den Personenverkehr
innerhalb Berlins beweist das anschaulich: WestBerliner dürfen auch jetzt noch nicht in den anderen Teil der Stadt zu ihren Verwandten und Freunden fahren. An der einzigen Stelle, wo die Machtträger drüben ein wenig Menschlichkeit auch mit diesen Maßnahmen hätten üben können, sind sie zurückgeschreckt.
Meine Damen und Herren, die Existenz Berlins selbst ist durch die neuen Maßnahmen nicht direkt bedroht. Daß dies so ist, liegt zu einem großen und einem guten Teil an der Entschlußkraft des freien Deutschlands. Aber die zusätzlichen psychologischen Belastungen sind nicht zu unterschätzen, die psychologischen Belastungen nicht nur in Berlin, aber vor allem die in Berlin.
Die Unvernunft vom 11. Juni trifft alle Deutschen, so wie ich überhaupt meine, daß es nur wenige spezifisch Berliner Probleme gibt. Die meisten Fragen, mit denen wir es zu tun haben, bleiben nicht auf unsere Stadt beschränkt und können dort auch nicht isoliert gelöst werden. Berlin gehört — und ich füge hinzu: muß gehören — zum größeren Teil des freien Deutschlands. Wir sind dabei nicht nur am Fortschritt, sondern auch an den Rückschlägen beteiligt. Aber weit bedeutender für uns alle sind die Chancen, die in einer engen Verzahnung und Zusammenarbeit zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Land Berlin liegen.
Was hilft in dieser Situation weiter? Hilft es, daß wir uns flach auf den Boden legen und erfüllen, was andere wollen? Hilft es, daß wir um „Vergünstigungen" betteln? Hilft es, daß wir nur an Gefühle appellieren und nach einer Politik der bloßen Vergeltung rufen? Dies alles hilft nicht. Dies würde nur noch weiter in die Irre führen.
Geholfen wird der Stadt und geholfen wird uns allen durch das positive Engagement für Berlin. Geholfen wird dadurch, daß wir unsere Position stark erhalten, nicht nur stark im klassisch-militärischen Sinn, obwohl es auch wichtig ist, militärisch gesichert zu sein, sondern innerlich gefestigt und selbstbewußt. Militärische Lösungen wollen wir nicht, und niemand hat nach ihnen gerufen. Geholfen wird durch eine konsequente Politik der Entspannung und der der Sicherung des Friedens in Europa.
Es ist in diesen Tagen nach Maßnahmen, nach Gegenmaßnahmen gerufen worden. Für diesen Ruf habe ich Verständnis. Vielleicht stehen wir schon morgen vor der Notwendigkeit, einschneidende Maßnahmen zu ergreifen. Aber ich sage das ganz bewußt hier, wie ich es immer in diesen Tagen in Berlin gesagt habe: der unreflektierte Ruf nach Vergeltung hilft uns heute kein Stück weiter. Dabei darf man nicht nur an die Wirkung der nächsten Tage denken, sondern muß sich vor Augen halten, was in einem halben Jahr, in einem Jahr oder in fünf Jahren sein würde, wenn man unsererseits diese oder jene Maßnahme ergreift. Man muß die Lage der Menschen in beiden Teilen Deutschlands, die Wirtschaft, die Sicherheit und vieles andere mehr berücksichtigen. Jeder, der andere zu Gegenmaßnahmen veranlassen will, muß genau prüfen, ob

Regierender Bürgermeister Schütz
diese vorgesehenen Maßnahmen in den Rahmen der Gesamtpolitik hineinpassen oder nicht. Wenn sie nicht hineinpassen, soll man gar nicht erst mit falschen Karten spielen. Bei der Diskussion um Gegenmaßnahmen sind ernstes Nachdenken und Bereitschaft zum Handeln besser als bloße Effekthascherei.
Sowenig uns die Politik des Alles oder Nichts bei den Fragen unserer inneren Ordnung weiterführen kann, so wenig wird uns diese Politik in den deutschen und in den internationalen Fragen weiterführen. Ich sage es ganz bewußt, radikale Formeln, wie wir sie immer wieder hören, sind hier so falsch wie überall. Wir müssen auch hier zwischen den Extremen hindurch unseren Weg suchen und ihn unbeirrt von Extremen gehen.
Berlin ist trotz allem in einer besonderen politischen, geographischen und auch psychologischen Lage. Man könnte sich sicherlich noch weitere Maßnahmen gegen diese Stadt ausdenken, und das „Neue Deutschland" — das sollten wir nicht vergessen — hat vor wenigen Tagen zynisch von weiteren Überraschungen gesprochen. Die Sinnlosigkeit dieser Schikanen allerdings wird den Machtträgern in der DDR um so schneller bewußt, je glaubwürdiger unser aller Engagement in dieser Stadt und für diese Stadt ist und je mehr wir diese Stadt in die Zukunft hinein planen und bauen.
Ich stehe trotz der neuen Maßnahmen weiter zu dem Angebot des Senats von Berlin, praktische Regelungen innerhalb Berlins zu vereinbaren; denn wir alle haben uns — wie ich hoffe — keine Illusionen gemacht über Ziele und Motive der Machtträger im anderen Teil des Landes. Unvernunft muß man mit Vernunft beantworten. Die Menschen in beiden Teilen Deutschlands und Berlins erwarten von uns Klarheit und Entschlossenheit. Die Aufgabe für uns ist die gleiche geblieben: es den Menschen im geteilten Land nicht schwerer zu machen, sondern leichter.
In diesem Sinne danke ich der Bundesregierung und dem Bundestag, daß sie schnell gehandelt haben und zügig handeln werden. In diesem Geiste werden wir in Berlin unsere Arbeit weiter tun.

(Beifall.)


Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0518000700
Meine Damen und Herren, ich frage, ob zu den beiden Vorlagen — Drucksache V/3019 und Drucksache V/2970 — noch das Wort gewünscht wird. — Herr Abgeordneter Burgemeister?

(Abg. Burgemeister: Zu V/2970!)

— Ja, das ist mit aufgerufen. — Das Wort hat der Herr Abgeordnete Burgemeister.

Alfred Burgemeister (CDU):
Rede ID: ID0518000800
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Aus den Ausführungen des Herrn Regierenden Bürgermeisters ist deutlich geworden, welche Sorgen sich der Berliner Senat um die Entwicklung der Wirtschaft in Berlin macht. Es ist deutlich geworden, daß es Wanderungsverluste gibt. Er hat gesagt, es sei notwendig, daß mehr Menschen — vor allen Dingen junge Menschen — und daß mehr Kapital den Weg nach Berlin fänden und daß risikofreudige Unternehmer bereit seien, in Berlin neue Existenzen zu gründen. Die Berliner Wirtschaft ist die Voraussetzung dafür — so meinen wir —, daß der Wunsch verwirklicht werden kann, daß mehr Menschen den Weg nach Berlin finden. Das Rückgrat der Berliner Wirtschaft ist, wie überhaupt, die mittelständische Wirtschaft, der Teil der Wirtschaft, der sich immer als besonders krisenfest erwiesen hat. Wenn man jungen Unternehmern deutlich machen will, daß in Berlin für sie Chancen bestehen, muß man ihnen auch sagen, welche Lage sie dort vorfinden, welche Entwicklungsmöglichkeiten ihnen in Berlin gegeben sind.
Aus diesem Grunde haben wir auf der Drucksache V/2970 den Antrag eingebracht, die Bundesregierung möge berichten, wie sie die Situation der Berliner Wirtschaft sieht, welche Chancen sie jungen mittelständischen Unternehmern einräumt, wenn sie bereit sind, in Berlin zu investieren. Wir wären also dankbar, wenn dieser Antrag bei der Bundesregierung entsprechende Berichte auslöste, die deutlich machen — vor allen Dingen den jungen Unternehmern —, daß es sich auch heute noch lohnt, in Berlin zu investieren, die deutlich machen, daß es notwendig ist, daß insbesondere junge Menschen sich bereit finden, bestehende ältere Betriebe in der mittelständischen Wirtschaft zu übernehmen oder neue Betriebe zu gründen.
Weil es sich bei diesem Antrag in erster Linie um wirtschaftspolitische Maßnahmen handelt, sollte nicht so verfahren werden, wie es der Ältestenrat beschlossen hat, nämlich diesen Antrag dem Ausschuß für gesamtdeutsche und Berliner Fragen — federführend — zu überweisen. Ich stelle vielmehr den Antrag, daß gerade wegen der wirtschaftspolitischen Auswirkungen, die aus diesem Antrag zu erwarten sind, der Antrag zur Federführung an den Ausschuß für Wirtschaft und Mittelstandsfragen überwiesen wird.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU.)


Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0518000900
Keine weiteren Wortmeldungen? — Dann mache ich zunächst auf die vorgedruckten Überweisungsvorschläge des Ältestenrates aufmerksam: das Dritte Gesetz zur Änderung des Berlinhilfegesetzes — Drucksache V/3019 — soll an vier Ausschüsse überwiesen werden, nämlich an den Finanzausschuß als federführenden Ausschuß, an den Ausschuß für gesamtdeutsche und Berliner Fragen sowie den Ausschuß für Wirtschaft und Mittelstandsfragen als mitberatende Ausschüsse, ferner an den Haushaltsausschuß gemäß § 96 der Geschäftsordnung. Wenn ich recht verstehe, ist hier die Überweisung nicht strittig. — Kein Widerspruch; es ist so beschlossen.
Bezüglich der Drucksache V/2970 — soeben von Herrn Abgeordneten Burgemeister begründet —ist im Gegensatz zu dem Überweisungsvorschlag des Ältestenrats beantragt: Ausschuß für Wirtschaft und Mittelstandsfragen (federführend). — Wer diesem Antrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Der Ausschuß für



Präsident D. Dr. Gerstenmaier
Wirtschaft und Mittelstandsfragen ist federführend, der Ausschuß für gesamtdeutsche und Berliner Fragen ist mitberatend.
Meine Damen und Herren, ich mache darauf aufmerksam, daß das Dritte Gesetz zur Änderung des Berlinhilfegesetzes in der nächsten Woche in zweiter und dritter Lesung verabschiedet werden soll. Das wird es erforderlich machen, daß die vier Ausschüsse, die mit der Vorlage befaßt sind, in dieser Woche zusammentreten. Ich bin im Ältestenrat angegangen worden, diesen vier Ausschüssen die Genehmigung zu erteilen, während des Plenums zu tagen. Ich erbitte das Verständnis des Hauses für meine Feststellung, daß eine solche Genehmigung über die Kompetenz des Präsidenten des Hauses hinausgeht. Meine Pflicht und Aufgabe ist es, unter allen Umständen die öffentliche Debatte des Plenums zu schützen. Wenn das Haus jedoch eine Genehmigung zu geben wünscht, ist es natürlich frei, einen entsprechenden Beschluß zu fassen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Rasner.

Will Rasner (CDU):
Rede ID: ID0518001000
Herr Präsident! Das Haus ist Ihnen zweifellos dankbar dafür, daß Sie das Plenum vor jeder Beeinträchtigung durch andere Sitzungen schützen. Aber in diesem speziellen Fall muß das Haus Sie bitten, eine Ausnahme zu gestatten. Wir können natürlich nicht während der heutigen außenpolitischen Debatte im Plenum drei Ausschüsse nebeneinander tagen lassen. Ich zweifle aber nicht daran, daß man einen Weg finden wird, wie die mitberatenden Ausschüsse heute hintereinander tagen, so daß der federführende Ausschuß dann am Freitag — wir hoffen ohnehin, daß wir Freitag gegen 11 Uhr fertig sind — in die abschließenden Beratungen eintreten kann.
Da Sie, Herr Präsident, von dieser Entscheidung freigestellt werden wollen, was wir verstehen, bitte ich das Haus, einem solchen Vorschlag zuzustimmen.

Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0518001100
Meine Damen und Herren, Sie haben den Vorschlag des Herrn Abgeordneten Rasner gehört. Ich unterstelle, daß auf jeden Fall die mit dieser Vorlage befaßten Ausschüsse am Freitagnachmittag zusammentreten. Aber unbeschadet dessen mag es sein, daß schon vorher Beratungen notwendig sind.
Falls das Haus dem Vorschlag des Herrn Abgeordneten Rasner zuzustimmen wünscht, bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der Vorschlag ist angenommen. Ich werde diesen vier Ausschüssen die Genehmigung erteilen, sofern sie es für notwendig halten, für diese Vorlage auch während des Plenums zu tagen. Ich danke Ihnen.
Ich rufe den Punkt 3 auf:
Große Anfrage der Abgeordneten Majonica, Dr. Marx (Kaiserslautern), Kiep, Baron von Wrangel und der Fraktion der CDU/CSU betr. Außenpolitik
— Drucksachen V/2978, V/3016 —
Die Große Anfrage wird nach dem neuen Verfahren behandelt. Die schriftliche Antwort der Bundesregierung liegt vor.
Ich gebe das Wort dem Herrn Bundesaußenminister.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0518001200
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die neun Fragen, die die Bundesregierung schriftlich beantwortet hat, berühren alle direkt oder indirekt das Verhältnis zwischen West und Ost. Die Entwicklung dieses Verhältnisses bleibt in der Tat für unsere Bundesrepublik und für unser deutsches Volk die Kernfrage der Existenz und einer guten Zukunft. Ich denke, das Haus wird nichts dagegen haben, wenn ich, vielleicht mit einer oder zwei Ausnahmen, nicht das wiederhole, was in der schriftlichen Beantwortung der neun Fragen steht, sondern wenn ich statt dessen den Versuch mache, zu dieser Debatte beizutragen mit einigen Bemerkungen zum — wenn man so will — historisch-langfristigen, zum mittelfristigen — und zu einem kurzfristigen Aspekt der auswärtigen Politik.
Der historisch-langfristige Aspekt stellt die Aufgabe der Aussöhnung mit den Nachbarn im Osten, den unmittelbaren und den mittelbaren. Aussöhnung — darüber sind wir uns sicher einig — ist mehr als friedliches Nebeneinander, mehr auch als Austausch und Zusammenarbeit. Aussöhnung mit den Nachbarn im Osten erfordert unsere zähen Bemühungen. Aber es ist doch mehr als eine deutsche Aufgabe. Dies ist in Wahrheit die Arbeit an einer Friedensordnung für Europa, die Ost und West zusammenführt.
Ich sage dies auch deshalb gleich zu Beginn, weil ich vor dem Hohen Haus noch einmal deutlich machen möchte, daß dies wirklich keine. Alternative ist und sein kann zu unserer westlichen Zusammenarbeit und zum Bemühen um den westeuropäischen Zusammenschluß. Zum soliden Ausgleich zwischen West und Ost wird es nur kommen, wenn die Freundschaft, wenn die Verbundenheit, wenn die zukunftweisende Kooperation mit den Völkern erhalten bleibt, die das Schicksal diesseits des Eisernen Vorhangs gestellt hat. Die Versöhnung mit dem Osten ist nur mit diesen Völkern zu erreichen, nicht als ein Alleingang der Bundesrepublik Deutschland. Jeder soll also wissen: die Versöhnung der europäischen Völker wollen wir, also auch den wahrhaftigen Frieden mit der Sowjetunion; den Zusammenschluß Europas wollen wir, also lassen wir uns durch zeitweilige Rückschläge nicht entmutigen; den europäischen und damit auch den deutschen Beitrag zum Frieden und Fortschritt in der Welt wollen wir, also müssen wir ihn möglich machen helfen. Dies gehört zum historisch-langfristigen Aspekt unserer Bemühungen, und dies ist gleichbedeutend mit unserem Ziel einer europäischen Friedensordnung.
Der mittelfristige Aspekt umfaßt das Programm dieser Bundesregierung. Dabei tritt das scheinbare Paradox auf, daß ihr Programm weiterreicht als die durch eine Legislaturperiode gesetzte Frist. Aber von solchen Fristen abgesehen, diese Politik heißt



Bundesminister Brandt
Entspannung unter Wahrnehmung unserer eigenen deutschen Interessen. Sie ist konkretisiert in einer Reihe politischer Aktionen. Ich nenne den Gewaltverzicht. Ich nenne auch hier noch einmal die innerdeutschen Angebote, auf die sich der Herr Bundeskanzler heute früh erneut bezogen hat. Ich nenne auch die Abrüstung.
Meine Damen und Herren, auf dem Gebiete der Rüstungskontrolle und Rüstungsbeschränkung, der Abrüstung, populär gesagt, auf dem Gebiet des Nachdenkens und vorausschauenden Planens mit Blick auf Abrüstungsmöglichkeiten hatte die Bundesregierung wie auf manchem anderen Gebiet wohl einen Nachholbedarf, und ich will nicht sagen, daß dieser bereits befriedigt sei. Immerhin wird es sich in der nächsten Woche in Reykjavik nicht um eine Routinesitzung der NATO handeln, sondern der NATO-Ministerrat wird in der nächsten Woche auf Island, zum Teil auf deutsche Anregung, jedenfalls unter aktiver deutscher Mitwirkung, konkrete Vorschläge zur Rüstungskontrolle und Rüstungsbegrenzung beraten. Ich bitte um Verständnis, daß ich heute diesen Beratungen nicht vorgreifen kann. Ich denke, das Hohe Haus wird die Bundesregierung im Herbst in der Lage sehen, in den Fragen der europäischen Sicherheit unter dem Gesichtspunkt einerseits der weiterbestehenden Notwendigkeiten, andererseits der Entspannung und des soeben historisch genannten Prozesses ihren Standpunkt zu präzisieren. und Vorschläge zu unterbreiten.
Zweierlei läßt sich heute wohl doch, ohne dem NATO-Ministerrat vorzugreifen, hinzufügen: Die Minister im NATO-Rat werden — das zeichnet sich ab — voraussichtlich bekräftigen, daß es die gemeinsame Aufgabe der NATO-Regierungen sei, einmal die militärische Stärke der Allianz zu erhalten und die gemeinsame Sicherheit zu gewährleisten, gleichzeitig aber und zum anderen eine aktive Friedenspolitik zu führen, eine gerechte und dauerhafte Friedensordnung in Europa auf der Grundlage eines europäischen Sicherheitssystems zu schaffen und Einvernehmen über die Elemente einer deutschen Friedensordnung herbeizuführen.
Die bisherigen Arbeiten des Ständigen NATO-Rats haben zu einem Zwischenergebnis geführt, von dem Kenntnis zu nehmen sein wird. Ich bin überzeugt, daß die Ständigen Vertreter beauftragt werden, ihre Untersuchungen beschleunigt zu Ende zu führen. Darüber hinaus würde es sicherlich nicht nur in Deutschland, sondern auch anderswo in der Allianz begrüßt werden, wenn die Alliierten die innere Geschlossenheit und Kraft spürten, sich an die Sowjetunion und deren Verbündete zu wenden, damit diese auf überzeugender Grundlage aufgefordert werden könnten, sich ihrerseits damit zu beschäftigen, wie die militärische Konfrontation durch eine ausgewogene Truppenverminderung diesseits und jenseits der Demarkationslinie in Europa abgebaut werden kann.
Meine Damen und Herren, das Thema einer europäischen Sicherheitskonferenz ist in einer Reihe der Gespräche berührt worden, die ich in der letzten Zeit mit Kollegen in anderen Ländern oder aus anderen Ländern zu führen hatte. Dabei habe ich mich
überwiegend, auch in Belgrad, in der Auffassung bestätigt gefühlt, daß die Zeit für eine solche Konferenz nicht reif sei, daß aber ganz gewiß größere Anstrengungen als bisher unternommen werden müssen, um über die sicherheitsmäßige Komponente einer europäischen Friedensordnung, auch über die Grenzen von Blöcken hinweg und auch mit bündnisfreien Staaten zusammen, nachzudenken und einer solchen Ordnung den Weg zu ebnen.
Gerade heute früh auf dem Wege hierher in den Bundestag sah ich einen ausführlicheren Bericht über das, was der jugoslawische Außenminister Nikezić gestern nachmittag seinem Parlament zur gegenwärtigen Lage gesagt hat. Darin ist ein Gedanke enthalten, den ich gern in die außenpolitischen Erörterungen des heutigen Tages mit eingeführt sehen möchte. Der jugoslawische Außenminister sagt sinngemäß: Indem man sich vom Kalten Krieg, oder wenn man will: vom Kalten Krieg alter Prägung, entferne, zeichne sich ab, daß sich Beziehungen zwischen den Blöcken entwickelten oder andeuteten und daß eines Tages etwas im Verhältnis zwischen den militärischen Bündnissen reguliert werden würde. Aber — so sagt der Außenminister des bündnisfreien Jugoslawiens — dort, wo es in diese Richtung gehen werde, müsse man beachten oder bemerken, daß diese nur auf Beziehungen zwischen den Blöcken bezogenen Anstrengungen im wesentlichen auf eine Fixierung des gegenwärtigen Zustandes der Teilung in Europa hinauslaufen würden. Er sagt — ich darf jetzt ein paar Sätze wörtlich zitieren —:
Wir sind überzeugt, daß kein einziges Sicherheitssystem von Dauer sein kann, das sich
nur auf das Gleichgewicht der Macht gründet.
Und er sagt weiter:
Ein wirkungsvolles System muß bei gleichberechtigter Teilnahme aller Völker die Achtung ihrer legitimen Interessen — der Unabhängigkeit und der freien Entwicklung — zur Grundlage haben.

(Zustimmung bei der SPD.)

Meine Damen und Herren, der Vertrag über die Nichtweiterverbreitung von Atomwaffen ist bekanntlich in der Generalversammlung der Vereinten Nationen mit großer Mehrheit zur Annahme empfohlen worden. Ich gehe davon aus, daß wir diesem Gegenstand nach den Sommerferien einige Aufmerksamkeit zuzuwenden haben werden, aus der Sicht des Hohen Hauses vielleicht schon davor; denn Ende August beginnt eine Konferenz der nicht- atomaren Staaten, und es liegt auf der Hand, daß die Bundesregierung, wenn auch nicht in erster Linie auf ,einen solchen Vertrag bezogen, aber zu der Gesamtproblematik der Stellung der Nichtnuklearen, ihrer Sicherheitsinteressen, ihrer anderen Interessen auch in einem solchen Zusammenhang wird Stellung nehmen wollen.
Unsere konstruktive Mitarbeit auf dem Gebiet, von dem ich spreche, wird keinem objektiven Betrachter entgangen sein, und wir wissen es gewiß auch zu würdigen, daß sich manches im Sinne der



Bundesminister Brandt
Erfordernisse hat beeinflussen lassen, von denen hier für die Bundesregierung im April vorigen Jahres gesprochen wurde.
Den Gewaltverzicht, meine Damen und Herren, sollte man auch nicht nur im jeweiligen bilateralen Verhältnis, sondern zugleich im Zusammenhang mit dem Streben nach Entspannung und Abrüstung und mehr Sicherheit in Europa sehen. Hier möchte ich nun doch ausdrücklich eine Feststellung unterstreichen, die in der schriftlichen Beantwortung der Großen Anfrage ich denke hier an die Beantwortung der Frage 3 — enthalten ist. Ich meine die Feststellung, daß die Bundesregierung der Überzeugung ist, daß Vereinbarungen über den Gewaltverzicht Schritte zur Abrüstung und Rüstungskontrolle fördern würden, und die im gleichen Zusamemnhang getroffene Feststellung, die praktisch inhaltlich mit dem übereinstimmt, was ich mit dem Blick auf die Erörterungen der NATO in der nächsten Woche gesagt habe: Wir sind uns mit den Verbündeten darin einig, daß eine ausreichende militärische Stärke und politische Solidarität innerhalb der NATO aufrechterhalten werden muß.
Das steht nicht im Widerspruch zu unseren Bemühungen, die militärische Konfrontation in Mitteleuropa abzubauen. Ausreichende militärische Stärke ist vielmehr die Voraussetzung für sinnvolle Abrüstungsmaßnahmen, einschließlich beiderseitig ausgewogener Truppenverminderungen.
Vor ein paar Tagen, meine Damen und Herren, hätte ich noch sagen können, daß die Sowjetunion die Tragweite unserer Vorschläge zum Thema Gewaltverzicht vielleicht nicht voll erkannt hat. Heute, nach einem etwas reichlich stark hochgespielten, aber offenen, freimütigen und über den Tag hinaus für mich aufschlußreichen Gespräch im anderen Teil unseres Landes, möchte ich hoffen, ich brauchte dies nicht mehr zu denken: daß nämlich die Sowjetunion die eigentliche Tragweite unserer Vorschläge nicht erkannt haben könnte. Allerdings kann wohl kein Zweifel daran sein, daß Moskau das Thema des Gewaltsverzichts nicht nur auf seine eigene Weise interpretiert, sondern es auch weiter faßt als den Austausch von Erklärungen, in denen das Selbstverständliche juristisch verbindlich niederzulegen sein würde.
Der Herr Bundeskanzler hat heute früh in der Erklärung zu Berlin auch die Feststellung getroffen, daß die Politik der Entspannung und der Zusammenarbeit mit den osteuropäischen Staaten fortgesetzt werde und daß unser Verständigungsangebot nach wie vor den anderen Teil Deutschlands einschließe.
Diese Politik dient den Interessen Deutschlands; sie ist angelegt auf eine längere Frist; sie hat konsequent zu Vorschlägen, Anregungen und Angeboten geführt, die von den Realitäten ausgehen. Sie hat zu einer politischen Zwischenbilanz ohne spektakuläre Erfolge geführt, auf die wir auch gar nicht aus sein konnten, aber mit guten Ansätzen für die Arbeit in den vor uns liegenden Jahren.
Mein Besuch in Jugoslawien in der vergangenen Woche hat mir gezeigt, was aktive Koexistenz — um einen Begriff aus dem politischen Denken jenes Landes aufzugreifen — bedeuten kann. Es besteht gute Aussicht, daß wir in den zwischenstaatlichen Beziehungen wesentliche Fortschritte machen werden. Diese Hoffnung haben wir ja mit der Wiederaufnahme der Beziehungen verbunden, die als diplomatische Beziehungen zehn Jahre lang unterbrochen waren.- In der Aussprache über europäische Fragen waren — ich sage das in aller Nüchternheit — mehr Berührungspunkte zu verzeichnen, als man vielleicht vermuten durfte.
Mir liegt daran, vor dem Hohen Hause Feststellungen zu zwei Gedanken zu treffen, die ich während dieses Aufenthalts in Jugoslawien und davor in Wien ausgesprochen hatte und die natürlich eine Rolle in den Unterhaltungen mit den führenden Persönlichkeiten jener beiden Länder gespielt haben. Es geht zunächst um folgende nüchterne Feststellung: So wie die Dinge in der Welt liegen, erklären wir denen gegenüber, die es hören wollen, in allem Freimut, daß wir beispielsweise für das Bedürfnis der CSSR, an ihren Bündnisbindungen festzuhalten, durchaus Verständnis haben. Über den Einzelfall hinausgedacht geht es darum, daß unsere Politik auch insoweit nicht darauf abzielt und abzielen kann, irgend jemanden zu isolieren. Unser grundsätzliches Interesse daran, die Konfrontation der Militärblöcke im Rahmen einer neuen Friedensordnung zu überwinden, bedeutet nicht, wie man zuweilen unterstellt, daß wir anstreben, solange die Blöcke bestehen, einzelne Staaten aus ihrem Sicherheitssystem herauszubrechen.
Eine zweite Erwägung und Feststellung: Wir sind loyale Bündnispartner in der westlichen Zusammenarbeit, in der atlantischen Allianz. Aber das bedeutet, wie jedermann weiß, nicht, daß wir uns jede Auffassung einer jeden verbündeten Regierung zu jeder Frage zu eigen machen. Das heißt, es ist auch nicht einzusehen, warum die Mitglieder des Warschauer Paktes, warum alle Mitglieder des Warschauer Paktes eine spezifische Haltung gegenüber der Bundesrepublik, gegen die Bundesrepublik, von ein oder zwei noch so wichtigen Partnern jenes Paktes übernehmen und sich dadurch an der Verbesserung ihrer Beziehungen zu uns hindern lassen sollten, wenn sie dies im übrigen als mit ihrem Interesse übereinstimmend betrachten.
Ich halte es in diesem Zusammenhang für nicht unerheblich; daß Herr Dubček am Freitag vergangener Woche bei seinem Besuch in Budapest wörtlich gesagt hat: „Wir sind interessiert an einer wirklichen Normalisierung unserer Beziehungen zur Bundesrepublik Deutschland." Das ist auch unser Interesse. Aber wir haben nicht gedrängt, wir werden auch weiter nicht drängen. Jeder muß sich die Zeit nehmen, die er braucht; und dort, wo es noch nicht abgerundet mit diplomatischen Beziehungen geht, da geht es auch anders, wie die Erfahrung zeigt. Mit „anders" meine ich: um den Interessen beider Seiten gerecht zu werden.
Unsere Absichten sind ehrlich; sie sind keine Eintagsfliegen. Schon deshalb können sie durch bloß aktuelle Störversuche nicht verhindert werden. Die Fortsetzung unserer Entspannungspolitik entspricht nicht nur unserer Überzeugung, nicht nur unserem



Bundesminister Brandt
Interesse, sondern auch unserer Glaubwürdigkeit in Ost und West.
Nun noch einige Bemerkungen zu aktuellen Aspekten. Einmal ist uns hier allen bewußt, schmerzlich bewußt, daß die Arbeit an den Europäischen Gemeinschaften, an ihrer inneren Festigung und ihrer Erweiterung, daß die Arbeit an Europa zusätzlich erschwert worden ist durch die innenpolitischen Entwicklungen einer Reihe unserer Partnerländer. Belgien hat wieder eine Regierung, Italien wird hoffentlich bald eine Regierung haben, Frankreich steht vor Neuwahlen. Aber, meine Damen und Herren, ich muß unabhängig davon, ob durch die inneren Entwicklungen in den einzelnen Ländern das eine und das andere etwas mehr Zeit braucht, als es einem lieb sein könnte, hier noch einmal eine Feststellung ganz stark unterstreichen dürfen, die in der schriftlichen Antwort schon enthalten ist, nämlich
in der Antwort zur Frage 6. Dort wird nüchtern festgestellt:
Sie
— die Bundesregierung —
wird nach Kräften bemüht sein, sowohl die Erweiterung der Gemeinschaften und ihre Außenbeziehungen zu fördern als auch ihren inneren Ausbau voranzutreiben.
Meine Damen und Herren, man muß sich völlig darüber im klaren sein, daß als Folge der stagnierenden Außenbeziehungen, nein, noch deutlicher: als Folge der Uneinigkeit über Außenbeziehungen und Erweiterung auch die Entwicklung der Gemeinschaft zur vollen Wirtschaftsunion gehemmt worden ist und weiter gehemmt wird. Das ist die Wirklichkeit.

(Sehr wahr! bei der SPD.)

Nun sind wir nicht untätig geblieben und bleiben es nicht. Der britische Außenminister war vor einigen Wochen bei uns. Ich habe mit dem damaligen französischen Außenminister noch Mitte Mai gesprochen, bevor sich dann das Interesse in Frankreich zunächst anderen Fragen zuwandte. Wir haben in der vorletzten Woche mit den holländischen Partnern im Haag gesprochen, so, wie der Meinungsaustausch mit den beiden anderen Benelux-Partnern und vor allem natürlich auch mit Italien weitergegangen ist. Der dänische Ministerpräsident war als Gast des Bundeskanzlers hier, der schwedische Außenminister noch am Montag dieser Woche als mein Gast. Wir haben mit den Österreichern und mit den Jugoslawen über die mit der EWG zusammenhängende Problematik gesprochen.
Meine Damen und Herren, es ist hier bekannt, daß wir in den vergangenen sechs Monaten unsere Bemühungen stark auf ein handelspolitisches Arrangement konzentriert haben, das aus unserer Sicht und in einer jedenfalls prinzipiellen Abstimmung mit dem französischen Partner dazu beitragen soll, wenigstens die Handelsschranken in Europa weiter abzubauen. Innerhalb der Gemeinschaft haben wir gewisse Fortschritte bei der Aussprache hierüber feststellen können. Wir waren und sind aber leider noch nicht in der Lage, den interessierten Staaten,
also denen außerhalb der Gemeinschaft, ein gemeinschaftliches Angebot — und nur ein solches kann sie interessieren — für eine handelspolitische Zwischenlösung zu unterbreiten. Daran haben wir weiter zu arbeiten.
Schließlich, meine Damen und Herren, ein an. derer aktueller Aspekt, von dem heute schon im ersten Teil dieser Bundestagssitzung die Rede war, weil er sich aus der Frage nach unserer Antwort auf die Anmaßung der DDR ergibt, die sich souverän genug fühlt, neue Formulare einzuführen und Gebühren zu erheben; die aber z. B. nicht souverän genug ist, den Drei Mächten streitig zu machen, daß sie unverändert für ihre Anwesenheit in Berlin, für den Zugang und die Lebensfähigkeit der Stadt einstehen. Moskau weiß das; Ostberlin muß sich damit abfinden. Außerhalb des harten Kerns der Garantien gefällt man sich in Ostberlin in einem Exzeß von Formalismus, Böswilligkeit und Schikanen. Es ist heute gesagt worden: Wir werden auf diesem Weg nicht folgen, weil es nicht im Interesse Deutschlands, nicht im Interesse der europäischen Völker, nicht im Interesse unserer längerfristigen und schon gar nicht im Interesse unserer historischen Aufgaben ist, nun auch kurzsichtig oder gar böswillig, schikanös und anachronistisch zu reagieren. Walter Ulbricht — dies gilt über die innerdeutschen Beziehungen hinaus, dies gilt für die deutsche Außenpolitik nach Ost und West — wird uns nicht das Gesetz des Handelns aufzwingen.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Dabei muß man wissen — und es soll auch hier gesagt werden —, auch in der sogenannten kommunistischen Welt, und zwar über Osteuropa hinaus, gibt es Kritik, Zweifel, um nicht zu sagen Verzweiflung wegen jener Ostberliner Maßnahmen, die die Zusammenarbeit in Europa schwer belasten. Die führende Gruppe in Ostberlin und diejenigen, die sie stützen, müssen sich, wenn ich es recht sehe, selbst aus dem kommunistischen Lager den Vorwurf machen lassen, daß sie die Lage in Deutschland und auch die Lage in der Bundesrepublik Deutschland falsch einschätzen. Walter Ulbricht und seine Gruppe können eine Politik der Entspannung, wenn sie nicht kurzatmig ist, in Wirklichkeit nicht stören. Sie können Spannungen schaffen; das ist wahr. Sie können die Bemühungen der Bundesregierung wie die Bemühungen anderer Regierungen hemmen. Sie können mit anderen Worten europäisch und international ein Störenfried sein. Wir können sie leider nicht davon abhalten, so wie die Dinge heute liegen. Aber sie werden nicht die Kraft haben, diese Position zu halten. Wir sind nicht in der Lage, Kurzsichtigkeit, Böswilligkeit und Schlimmeres aus dieser Welt zu verbannen, aber wir haben die Möglichkeit, sie in ihren Auswirkungen zu mildern. Und wir haben die Freiheit, den Standpunkt zu wählen, der diese Übel überwinden helfen kann. Das ist die Politik, historisch, längerfristig — auch kurzfristig —, der wir uns verschrieben haben: die Politik der Zusammenarbeit und Entspannung in Europa, des Ausgleichs zwischen Ost und West, einer Friedensordnung für diesen Kontinent, einer friedlichen Aufgabe für europäisches Wissen und Können und Schaffen in



Bundesminister Brandt
dieser noch immer und vermutlich noch lange von Krisen geschüttelten Welt.
Dies handelt alles nicht von verstaubter Diplomatie, dies ist kein Denken in ausgetretenen Bahnen, dies ist unsere Existenzsicherung über den Tag hinaus; übrigens auch in dem ganz einfachen Sinn, Arbeitsplätze zu sichern und unserer Wirtschaft neue Felder zu erschließen, nicht nur der Wirtschaft und der Technik, auch der Wissenschaft und der Kultur. Ich wäre sehr froh, wenn viele der Jungen in unserem Lande und wenn viele der wegen der Zukunft Unruhigen in unserem Volk die schwierigen, aber großen und so lohnenden Aufgaben sähen, wenn sie sie erkennen möchten, diese Aufgaben, die auf uns alle, also auch auf sie, warten. Sie anzupacken, ihnen unverdrossen, auch gegen viel Widerstand, nachzugehen, heißt heute, Deutschlands Rolle in Europa und Europas Rolle in der Welt zu erkennen und den Versuch zu machen, ihr gerecht zu werden.

(Beifall bei den Regierungsparteien und bei Abgeordneten der FDP.)


Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0518001300
Sie haben die Erklärung des Herrn Bundesaußenministers zu der Großen Anfrage gehört.
Ich eröffne die Beratung; ich unterstelle, daß die Beratung gewünscht wird. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Gradl.

Dr. Johann Baptist Gradl (CDU):
Rede ID: ID0518001400
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Thema Berlin ist in der außenpolitischen Anfrage meiner Fraktion in Punkt 9 angesprochen. Als wir diese Anfrage formulierten, gingen in und um Berlin auch schon ernste Dinge vor sich. Inzwischen hat sich das ereignet, was man nicht anders als eine neue Aggression gegen Berlin nennen kann.
So ist es dazu gekommen, daß man sich verständigt hat, diese Frage 9 und die Erörterung der Antwort der Bundesregierung an den Anfang dieser Aussprache zu setzen. Ich habe die Absicht, im Bereich dieser Frage ein Wort insbesondere zu den Vorgängen in und um Berlin zu sagen. Was weiterhin dazu zu bemerken ist, wird mein Freund Olaf von Wrangel nachher sagen.
Zunächst darf ich feststellen: Der Antwort, die die Bundesregierung auf diese Frage 9 gegeben hat, ist, glaube ich, nichts kritisch hinzuzufügen, wenn ich einmal davon absehe, daß in dieser Antwort von einem Paß- und Visumzwang für Reisen von Deutschen nach Deutschland und nach Berlin die Rede ist. Ich nehme an, das ist ein Lapsus linguae. Wir sind uns einig: Deutschland schließt ja wohl Berlin ein.
Aber ich glaube, man sollte in dieser Sache etwas anderes hinzufügen, wie ich hoffe, hilfreich hinzufügen, um zu erkennen, welche Bedeutung das Thema der Anerkennung auch in Verbindung mit der Wahrung der Position des freien Berlin hat. Wir sind uns darüber klar — und in der Antwort der Regierung ist das in anderen Worten, aber dem Sinn nach zum Ausdruck gebracht —: eine Anerkennung
würde im Grunde darauf hinauslaufen, daß wir sel: ber die Teilung Deutschlands völkerrechtlich besiegeln. Wenn wir das täten, füge ich hinzu, würden wir in besonderer Weise auch die völkerrechtliche und politische Existenz des freien Berlin gefährden.
Meine Damen und Herren, ich darf einen Hinweis auf Ausführungen, die Ulbricht vor gar nicht langer Zeit zu diesem Thema gemacht hat, geben. Man kann das im „Neuen Deutschland" vom 16. Februar dieses Jahres nachlesen. Dort sagt er:
Der Westberliner Senat erklärte erst kürzlich, es bestehe ein Vier-Mächte-Status für ganz Berlin. Aber das stimmt nicht.
So Ulbricht.
Dann holt er — und dies ist ganz interessant für seine Denkweise und für die Einschätzung dessen, was in ihm in Wirklichkeit vorgeht — eine Note der Sowjetregierung hervor, die diese am 3. Oktober 1948 an die Vereinigten Staaten gerichtet hat. Aus dieser sowjetischen Note zitiert er folgenden Satz:
Das Recht, Berlin, das sich im Zentrum der sowjetischen Zone befindet, durch die vier Regierungen zu verwalten, hat nur dann Sinn, wenn Deutschland als einheitlicher Staat und Berlin als seine Hauptstadt anerkannt wird.
Dies war eine Äußerung der Sowjetregierung schon 1948, von Herrn Ulbricht im Februar 1968 zur Charakterisierung seines eigenen Standpunktes hervorgeholt. Ich finde, darin kommt sehr deutlich die östliche Position zum Ausdruck: wenn Deutschland nämlich geteilt ist, wenn dies völkerrechtlich von uns durch Anerkennung bestätigt wird, dann ist — so die Überlegung von Herrn Ulbricht und so offenbar auch Überlegungen im sowjetischen Bereich — die Basis für die Anwesenheit der westlichen Mächte in Berlin hinfällig geworden. Dies also steht auch auf dem Spiele, wenn man darüber nachdenkt, welche Verbindung zwischen der Frage der Anerkennung und der Existenz des freien Berlin besteht.
Meine Damen und Herren, nun gibt es Leute, die sagen nicht einfach, man soll anerkennen, sondern sie umschreiben das. Ende der letzten Woche, also der Woche, in der sich diese besonderen Ereignisse um Berlin vollzogen haben, konnten Sie und konnten Millionen im Deutschen Fernsehen einen Fernsehkommentator hören, der sein Fazit aus den Berlin-Aktionen Ulbrichts am Schluß so zusammenfaßte: „Kein Weg geht an Pankow vorbei". Anders ausgedrückt besagt seine Meinung offenbar: Also nach Pankow gehen.
Ich weiß nicht, ob er sich gründlich überlegt hat, was das heißt, was er da meinte feststellen zu sollen. Ich möchte es hier jedenfalls in Kürze deutlich machen, was das in Wirklichkeit heißt. Das ist gar nicht so schwer, weil die andere Seite ihre Erwartungen und Bedingungen, die sie mit einem solchen — von ihr aus gesehen — Nach-Pankow-Kommen verbinden würde oder verbindet, sehr deutlich ausgesprochen hat, gerade auch in den letzten Wochen der sich zuspitzenden Auseinandersetzung um Berlin.



Dr. Gradl
Was sind denn die Bedingungen, abgelesen an den eigenen Aussagen und Handlungen der Gegenseite? Die eine ist: West-Berlin, das freie Berlin, soll sich der Ostberliner Zensur unterwerfen. Oder was bedeutet es anderes, wenn sich Herr Ulbricht anmaßt, darüber zu befinden, welches Schrifttum z. B. zwischen Berlin und Westdeutschland über die Verbindungswege transportiert werden darf? Oder was bedeutet es eigentlich, wenn, wie wir gestern erfahren haben, Korrespondenten westdeutscher Zeitungen in Berlin und Korrespondenten Westberliner Zeitungen die Reise auf dem Verbindungsweg zwischen Berlin und Westdeutschland verboten wird? Was anderes kann das eigentlich bedeuten als einen Versuch der Einschüchterung und des Druckes auf Pressefreiheit und freie Presse?

(Zustimmung in der Mitte.) Dies ist eine der Bedingungen.

Die zweite — auch aus den eigenen Worten abzulesen — ist: Ostberlin verlangt, daß West-Berlin auf sich selbst gestellt wird, sich selber auf sich selbst stellt. Nichts anderes bedeutet die Formel von der selbständigen politischen Einheit Westberlin.
Was würde dies heißen? Es würde bedeuten, daß die politische Verbundenheit zwischen der Bundesrepublik und Berlin aufgegeben wird. Und jedermann von uns weiß, daß, wenn die politische Verbundenheit aufgegeben würde, damit auf die Dauer auch die Basis für die rechtliche, die wirtschaftliche, die finanzielle, die währungsmäßige Verbundenheit zwischen Berlin, dem freien Berlin, und der Bundesrepublik unterhöhlt und untergraben wäre. Und ohne diese Verbundenheit läßt sich die Position Berlin natürlich nicht durchhalten. Aber dies ist eben eine Bedingung aus Ostberlin für den Fall, daß man nach Pankow gehen würde.
Die dritte und letzte Bedingung, die mir dabei wesentlich erscheint, ist diese — man kann es in allen Reden nachlesen —: Der Senat, so heißt es aus Ostberlin, solle, statt sich als Lakai Bonns zu verhalten, um gute Beziehungen zu Ostberlin bemüht sein; der Senat solle seine Position des revanchistischen Vorpostens aufgeben. Was besagt das denn eigentlich genau? Es ist in Wirklichkeit das Verlangen, daß Berlin, das freie Berlin, seine Politik in die Politik Ostberlins einfügen solle.
Dies sind die Bedingungen, dies sind die Erwartungen, mit denen der rechnen, die der wissen muß, der sagt, es führe kein Weg an Pankow vorbei, nach Pankow solle man also gehen.
Ich fasse zusammen. Die Bedingungen bedeuten, daß die andere Seite in Wahrheit die Unterwerfung des freien Berlin fordert, hoffend, wünschend, wissend, daß der Weg, wenn er gegangen würde, eben zum Ende des freien Berlin führen würde. Anders ausgedrückt, Berlin soll sich dem freien Willen Ulbrichts ausliefern. Meine Damen und Herren, ohne jedes Pathos will ich dazu ganz schlicht feststellen und weiß mich mit meinen engeren Freunden — und sicher nicht nur mit ihnen — in Übereinstimmung: Dieser Weg nach Pankow kommt überhaupt nicht in Frage.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Das ist unser Standpunkt, das sollen die Berliner wissen. Wir sehen diese Situation und wissen, in dieser Situation gibt es nur eins: dieser aggressiven Aktivität Ostberlins widerstehen, genauso widerstehen, wir wir ihr in den vergangenen 20 Jahren widerstanden haben. Ich habe keinen Zweifel, daß wir mit den Berlinern auch diese Herausforderung bestehen werden.
Die Aufgaben und auch Lasten, die uns damit aufgegeben sind, sind denn auch nicht das eigentliche Problem in dieser gegenwärtigen Auseinandersetzung um Berlin. Das eigentliche Problem ist, daß sich Ulbricht in seinem Machtbereich die Grundlage für weitere Verschärfungen der Situation geschaffen hat. Dies ist das eigentliche Problem: das, was sich da ankündigt, womit möglicherweise gerechnet werden muß.
Dies ist das Problem: daß sich Ostberlin ein Instrumentarium für permanente Spannungspolitik geschaffen hat, daß es sich in seinem eigenen Rechtssystem die Grundlagen geschaffen hat, die Paragraphen und damit die Werkzeuge geschaffen hat, um mit den Verbindungswegen nach Berlin und allem anderem beliebig manipulieren zu können, im Reiseverkehr, im Warenverkehr usw., und daß es sich die Möglichkeit geschaffen hat, an einer Spirale zu drehen und also zu eskalieren. Das ist das Problem. Das müssen wir sehen, und das muß abgewehrt werden.
Dabei ist es kein Trost, wenn uns gesagt wird, daß die Sowjets schon dafür sorgen werden — hoffentlich, kann ich nur sagen —, daß diese Spirale nicht überdreht wird. Ich muß sagen, daß ich mir in diesem Augenblick diese unbeschränkte Zuversicht, die ich lange geteilt habe — daß man sicher sein könne, die Sowjetunion werde eine Überdrehung nicht zulassen —, nicht zu eigen zu machen vermag. Ich bin nicht ganz sicher, ob eine Fehleinschätzung der westlichen Situation, der westlichen Abwehrbereitschaft, durch die östliche Seite so ganz und gar ausgeschlossen ist.
Ich bedauere es außerordentlich, daß es auf unserer Seite, in unserem Teil Deutschlands Stimmen gibt — gar nicht so wenige —, die meinen, an der Garantie der westlichen Mächte für Berlin zweifeln zu sollen.

(Zuruf rechts.)

Wer das tut — Herr .Kollege, um den Zwischenruf aufzufangen: ganz egal, wo er politisch steht —, der soll wissen, daß er damit etwas Gefährliches tut, daß er nämlich damit einen Beitrag zu der Gefahr leistet, daß die östliche Seite die Situation Berlins und das damit verbundene Risiko fehleinschätzen könnte.
Man darf sich auch nicht darüber täuschen, mit welchem Mann man es auf der anderen Seite zu tun hat. Ich bin weit davon entfernt, eine primitive Gleichstellung zwischen Hitler und Ulbricht vorzunehmen. Aber eines ist doch wohl richtig: totalitäre Machthaber sind immer in einer besonderen Gefahr,



Dr. Gradl
in der Gefahr, versucht zu sein durch die Schwäche ihrer Gegner, durch die wirkliche oder vermeintliche Schwäche ihrer Gegner. Das waren doch die Stationen des Unglücksganges von 1936 bis 1939. Man soll nicht zu gewiß sein, daß Herr Ulbricht und seine Hintermänner gegenüber solcher Versuchung gefeit seien. Er ist immerhin der Mann, der schon einmal offen ausgesprochen hat, daß er bereit ist, das Risiko eines Konflikts in Kauf zu nehmen. Auch das kann man nachlesen. Das war 1960 auf einem der Höhepunkte der damaligen Berlin-Krise im Zusammenhang mit dem Chruschtschow-Ultimatum. Als er sich für eine einseitige Lösung der Berlin-Frage einsetzte, sagte er wörtlich, eine Lösung der Berlin-Frage nach seinen Vorstellungen „kann die Entstehung eines Konflikts bedeuten. Aber dieser Konflikt bringt weniger Gefahren als das Weiterbestehen der Herde des Krieges".
Meine Damen und Herren, dies muß man auch wissen, um die jetzige Situation richtig einzuschätzen. Wenn man dies alles weiß, dann wird man auch verstehen, warum meine Freunde sehr Wert darauf legen, daß unsere Verbündeten in sehr klarer und deutlicher Weise in Moskau auf die Risiken hinweisen, die da offenbar ausgelöst werden können.
Wenn man die Vorgänge richtig beurteilen will, muß man doch wohl sehen, daß Ostberlin in seinen Gesetzen den alliierten Rechtsstatus behandelt, als ob es ihn gar nicht mehr gebe. Da ist keine Rede mehr von Viermächtestatus, von originären Rechten. Dies alles glaubt Ostberlin mit den Fünften Durchführungsbestimmungen zum Paßgesetz wegwischen zu können. Das soll man nicht verharmlosen dadurch, daß man meint, die alliierten Bewegungen seien ja nicht berührt durch das, was geschehen ist. Es ist wahr, real sind sie nicht berührt, aber politisch sind sie außerordentlich berührt. Dies, möchte ich hoffen, muß doch wohl seine Konsequenzen haben. Es kann uns nicht gleichgültig sein, was aus diesen Verabredungen, Vereinbarungen, Regelungen, von 1944, 1945, 1949 — um nur einige zu nennen — wird. Es kann uns nicht gleichgültig sein, denn einmal geht es um deutsche Dinge. Dann geht es auch um das Ansehen unserer Verbündeten, um das, was man ihnen zutraut — und ihr Ansehen ist auch unser Ansehen —. Und dann geht es natürlich auch um die Rechte und damit, meine ich, auch um die Pflichten, die sich die Alliierten, unsere Verbündeten, nicht gegenüber einem besetzten Land, sondern gegenüber dem Verbündeten Bundesrepublik 1954/ 55 z. B. in bezug auf den Schutz und die Sicherung der Verbindungslinien Berlins vorbehalten haben.
Meine Damen und Herren, noch einen letzten Gedankengang zu diesem Thema, einen Gedankengang, der sich in der Hauptsache mit Moskau beschäftigt. Von Regierungsseite ist heute morgen hier gesagt worden, daß die aggressive Aktivität Ostberlins nicht ohne oder gegen Moskau hätte entwickelt werden können. Ich meine, diese Tatsache gibt dem Ganzen eine besonders ernste Perspektive. Da ist nichts zu beschönigen. Weil es so ist, haben wir, meine Freunde und ich, in diesen Tagen, als wir überlegten, wie dieses Geschehen um Berlin zu bewerten ist, auch dies gedacht und gesagt: daß man nicht umhin kann, aus diesen Vorgängen, insbesondere auch aus dem Verhalten der Sowjetunion Rückschlüsse auch in den größeren Zusammenhängen der Politik zu ziehen.
Um falschen Deutungen vorzubeugen, spreche ich es hier offen aus: Wir haben bei dieser Gelegenheit auch auf das Thema „Atomsperrvertrag" hingewiesen. Ich möchte klarstellen: wenn jetzt jemand in Ostberlin oder in Moskau oder anderswo meint, daraus ablesen zu können, daß wir nichts anderes im Sinne haben, als einen billigen Vorwand zu suchen, um Abneigung und Widerwillen gegen den Atomsperrvertrag wirksam zu machen, so täuscht er sich sehr. Dies ist nicht unsere Überlegung. Wir sind heute wie gestern und wie morgen an diesen ernsten Bemühungen um die Nichtweiterverbreitung von Atomwaffen interessiert. Wir stehen heute wie gestern und morgen zu den Versicherungen, die wir unseren Alliierten in bezug auf die Nichtherstellung von Atomwaffen gegeben haben. Was uns bewegt, ist etwas ganz anderes: Ein solcher internationaler Vertrag hat außerordentliches Gewicht. In ihm muß den Großmächten ein besonderes Vertrauen durch die Nichtatommächte ausgesprochen werden, nämlich das Vertrauen, daß man davon ausgehen kann, daß die Atommächte die Macht, die ihnen bestätigt wird, nicht mißbrauchen. Diese grundlegende Voraussetzung ist eine wesentliche Bedingung für die endgültige Beurteilung eines solchen Vertragswerks. Da kann man nicht über die Tatsache hinwegsehen, daß allein die Sowjetunion mit ihrer vollen militärischen Präsenz es Herrn Ulbricht ermöglicht hat, seine aggressiven Aktionen gegen Deutsche jetzt durchzuführen. Dies ist die Situation, und über diese Situation werden wir nachzudenken haben. Wir werden sie. ernst in Rechnung zu stellen haben, und ich glaube, nicht nur wir werden das tun.
Der Herr Bundesaußenminister hat soeben davon gesprochen, daß wir nach wie vor bereit sind, auch den anderen Teil Deutschlands in den Gewaltverzicht einzubeziehen. Ich habe hier von dieser Stelle aus bei der Diskussion über den Bericht zur Lage der Nation gesagt: jawohl, dazu sind wir bereit, und ich sage heute: jawohl, dazu sind wir auch heute und morgen bereit. Aber wenn man sich dazu entschließt, Gewalt auszuschließen in den Beziehungen zwischen den beiden Teilen Deutschlands, im Umgang zwischen den beiden Teilen Deutschlands, dann muß man auch dafür sein, daß sich die andere Seite nun endlich dazu entschließt, von Gewalt abzulassen. Wenn Herr Ulbricht in der vergangenen Woche, zwei Tage nach seiner Aktion, auf einem Bauernkongreß — im Fernsehen übertragen — sagt, er sei dafür, daß ein Gewaltverzichtsvertrag zwischen den beiden deutschen Staaten, wie er sich ausdrückt, abgeschlossen werde, dann ist das Hohn, solange in bezug auf Berlin von ihm und unter seinem Antrieb Gewalt tatsächlich angewendet wird. Denn Gewalt ist nicht nur real praktizierte Gewalt, auch Drohung ist Gewalt. Gewalt ist eine Blockade nicht nur dann, wenn sie militärisch vollzogen wird, sondern auch dann, wenn sie administrativ vollzogen wird, und eine Blockade ist ein Gewaltakt nicht nur dann, wenn sie in einem Akt vollzogen



Dr. Gradl
wird, sondern auch dann, wenn diese Blockade in Raten versucht wird. Dies ist die Situation, und deshalb muß man diese Dinge so ernst sehen.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich schließen mit der Feststellung: zwischen Berlin und der Bundesrepublik ist in 20 Jahren eine feste, solide Verbundenheit gewachsen, politisch, rechtlich, wirtschaftlich, überhaupt. An dieser Verbundenheit halten wir fest, und ich sage ohne jede Lautstärke: an dieser Verbundenheit halten wir fest unter allen Umständen. Wir tun das aus vielen Gründen. Wir tun das insbesondere auch deshalb, weil wir wissen, daß mit Berlin die Hoffnung auf Überwindung der Spaltung Deutschlands lebt, steht und fällt — die Hoffnung aller Deutschen.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)


Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0518001500
Das Wort hat der Abgeordnete Eppler.

Dr. Erhard Eppler (SPD):
Rede ID: ID0518001600
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion bittet Sie um Verständnis dafür, daß wir diese Debatte heute methodisch etwas anders führen, als dies von der anderen großen Fraktion offenbar vorgesehen ist. Wir haben großes Verständnis dafür, daß dieses Parlament lebendiger wird durch viele kurze Reden zu bestimmten Einzelpunkten. Wir glauben aber, daß dies nicht die Stunde ist, hier Einzelbeiträge, und seien sie noch so klug, über Entwicklungshilfe, einzelne EWG-Fragen und ähnliches vorzutragen. Deshalb hat sich unsere Fraktion entschlossen, ihre Beiträge auf wenige Punkte und damit auch auf wenige Reden zu konzentrieren. Es ist meine Aufgabe, hier vor allem zu dem zu sprechen, was in den Punkten 1 bis 4 und 9 der Großen Anfrage der CDU/CSU angesprochen ist.
Meine Damen und Herren, Europa ist ein unruhiger Kontinent geworden, möglicherweise deshalb, weil das Bewußtsein der Menschen — vor allem der jungen Menschen, aber nicht nur der jungen — und die politischen Strukturen auf diesem Kontinent, und zwar innerhalb der Nationen genauso wie zwischen den Nationen, immer weiter auseinanderklaffen. Anders gesagt: Es scheint so zu sein, als ob sich die Menschen auf diesem Kontinent in Ost und West immer weniger dazu bereit finden könnten, eine starre Konfrontation zwischen den Teilen Europas hinzunehmen. Es könnte sein, daß die einzelnen Nationen Europas, in Ost vielleicht noch mehr als in West, auf dem Wege zu sich selbst und insgesamt auf dem Wege zueinander sind — zueinander, weil sie es ökonomisch nötig haben, wenn sie sich behaupten wollen, weil sie es kulturell wünschen und weil sie nicht einsehen, warum dies politisch nicht möglich sein soll.
Dieser Prozeß der Unruhe — ein sehr schmerzhafter Prozeß — scheint mir so elementar zu sein, daß man ihn zwar immer wieder bremsen, aber mit Sicherheit nicht aufhalten kann. Natürlich gibt es viele, die Anlaß haben zu bremsen, vielleicht auch die Supermächte und insbesondere die Sowjetunion, denn es war ja in der Tat durch diese Konfrontation
leichter, Einflußsphären zu erhalten. Noch viel mehr aber gilt dies für diejenigen Regimes in Europa, die ihre Existenz dieser Konfrontation verdanken, anders gesagt: die im Kalten Krieg, durch den Kalten Krieg, ja sogar für den Kalten Krieg geschaffen worden sind.
Nun hat man ja auch dieser Bundesrepublik vorgeworfen, sie sei, zumindest was ihre Verbündeten und den Willen ihrer Verbündeten angehe, auch im Kalten Krieg und durch den Kalten Krieg und sogar für den Kalten Krieg entstanden. Ich will jetzt darüber nicht philosophieren. Nur: von dieser Basis hat sich diese Republik gelöst, sie ist heute lebensfähig ohne den Kitt eines ideologischen Antikommunismus. Ausdruck dafür, daß sich diese Republik heute ohne dauernden Hinweis auf den bösen Mann auf der anderen Seite lebensfähig fühlt, ist das, was der Herr Bundesaußenminister heute als die Friedens-und damit auch die Ostpolitik dieser Regierung erläutert hat. Das Schlimme ist aber, daß dies auf der anderen Seite nicht so ist.

( unsere Versuche, gerade mit der DDR ins Gespräch zu kommen, mit zusätzlicher Polemik beantwortet wurden, die manchmal bis zur Hysterie gegangen ist. Das wird um so schlimmer, je mehr wir auf sie zugehen. Die DDR empfindet sich mindestens in den Köpfen der im Augenblick Führenden nach wie vor als Gegenwurf, als Gegenstaat zu dieser Republik. Aber wir hier verstehen uns nicht als Gegenwurf oder Gegenstaat zur DDR. Das ist der entscheidende Unterschied. Wir hier in diesem Lande können doch, ohne daß irgend jemand sich aufregt, ohne daß das an die Wurzeln dieses Staates geht, sagen: Nun ja, so schlimm ist die DDR auch nicht. Aber was würde geschehen, wenn einmal die DDR-Führung drüben sagen müßte: So schlimm ist die Bundesrepublik auch nicht. Das ginge an die Wurzeln dieses Staates, weil dann die Frage aufkäme: Wozu denn dann noch einen anderen Staat? Anders gesagt: Die DDR kann sich vorläufig noch nicht anders als vom Kalten Krieg her verstehen, und sie fühlt sich dadurch bedroht, daß der Kalte Krieg abflaut. Die DDR versteht sich nach wie vor von einer einzigen Ideologie her, und sie fühlt sich bedroht in einem Europa, wo die ideologischen Bindekräfte nachlassen und die nationalen Bindekräfte wieder zunehmen. Die DDR weiß, daß sie ihre Existenz nach wie vor dem Eisernen Vorhang verdankt, und sie fühlt sich bedroht in dem AugenDr. Eppler blick, wo dieser Eiserne Vorhang in Europa langsam durchrostet. Weil die DDR sich dadurch bedroht fühlt, daß das Klima in Europa umgeschlagen hat und daß die Völker in Europa auf dem Wege zueinander und zu sich selbst sind, hat sie in letzter Zeit auch ihre eigene Deutschlandpolitik entwickelt, vielleicht die konsequenteste, die es gibt, eine Politik, der man die Methode nicht absprechen kann. Sie läuft darauf hinaus, diese Republik immer mehr dem Bild anzupassen, das die DDR gern von uns malen möchte. Anders gesagt: man möchte gerne dadurch, daß man das, was diese Regierung nach Osten versucht, frustriert, hindert, blockiert, hier in diesem Teil Deutschlands den Radikalismus hochzüchten. Man möchte uns in eine Spirale hineintreiben, die ungefähr so aussieht: je mehr Frustration hier, desto mehr Radikalismus, der in diesem Lande ja zahlenmäßig immer mehr rechts als links auftritt, je mehr Radikalismus hier, desto mehr Isolierung nach außen, je mehr Isolierung nach außen, desto mehr Radikalismus hier. Das ist die Spirale, die man übrigens auch so ausdrücken könnte: je mehr Frustration hier, desto mehr NPD, je mehr NPD, desto mehr Isolierung und je mehr Isolierung, desto mehr NPD. Das scheint das Konzept zu sein, mit dem man drüben jetzt Deutschlandpolitik betreibt. Man betreibt diese Politik wiederum nicht aus Stärke, sondern aus der Schwäche heraus, weil man sich ja dauernd selbst legitimieren muß aus dem „Faschismus" in diesem Lande. Meine Damen und Herren, ein Aspekt dieser Politik ist auch das, was im Augenblick auf den Zugangswegen nach Berlin geschieht. Das ist für uns auf eine Weise bedrückend, es hat aber auch einen Vorteil, daß dadurch das Konzept, von dem ich im Augenblick spreche, klarer wird, keineswegs nur klarer in diesem Lande und keineswegs nur in Westeuropa, sondern auch in vielen Teilen Osteuropas: Man weiß, daß hier jemand mit dem Feuer spielt, um seine eigene Legitimation aufrechtzuerhalten. Deshalb gibt es im Augenblick in Osteuropa eine ausgeprägte harte Diskussion darüber, ob man denn nun. diesen Prozeß der Polarisierung und Radikalisierung hier in der Bundesrepublik fördern sollte oder nicht. Ich habe festgestellt, daß in allen Hauptstädten von Prag nach Süden und Südosten dieses Thema im Grunde schon ausgestanden ist. Man will es nicht, man will in Deutschland nicht mit dem Feuer spielen. Es gibt zwei andere Hauptstädte, wo die Diskussion ganz offenkundig noch im Gange ist, das ist Warschau, und das ist Moskau. Es gibt sogar gewisse Hinweise, wie die Fronten im Augenblick stehen. Vielleicht stehen sie in Warschau einigermaßen fifty-fifty. Ich will in diese Diskussion nicht eingreifen, ich möchte nur einen einzigen Gesichtspunkt beisteuern. Erstens: Ihrer immer mit außenpolitischen Mitteln mit der Radikalisierung und Polarisierung hier spielt, soll wissen, daß in diesem Lande die äußerste Rechte normalerweise zweibis dreimal so stark sein wird wie die äußerste Linke. Als Zweites muß er wissen: Sollte es hier wirklich einmal zu einer ernst zu nehmenden äußersten Linken kommen, die vielleicht sogar einmal über die 5 °/o-Klausel käme, dann mag es wahr sein, daß diese äußerste Linke kommunistisch wäre; ob sie prosowjetisch wäre, daran habe ich meine Zweifel. Es ist doch eigentümlich, daß die Extreme in diesem Lande beide eine Vorliebe für China haben, die einen mehr ideologisch, die anderen mehr realpolitisch — in fünf Anführungszeichen. Aber die Vorliebe ist dieselbe, und man sollte sich einmal überlegen, ob man das will. Deshalb, meine Damen und Herren, bin ich nicht dafür, daß wir jetzt das, was von der DDR her geschieht, als eine Art von umgekehrter Auflage einer Politik der Stärke ansehen. Meine Damen und Herren von der Mitte, ich habe immer meine Zweifel gehabt — so in den 50er Jahren —, ob denn das, was man Politik der Stärke genannt hat, nicht eher Angstlichkeit und Mangel an Selbstbewußtsein war. Wie das damals auch gewesen sein mag: jetzt ist es ganz offenkundig drüben so. Was sich als Stärke gibt, ist eine Politik, geboren r aus der verzweifelten Angst, die Basis des Kalten Krieges könne unter diesem Staat, der DDR, weggezogen werden. Es ist weiterhin der verzweifelte Versuch, uns nun im letzten Moment dazu zu provozieren, daß wir uns so verhalten, wie es dem Bild entspricht, das diese Leute gerne von uns malen möchten. Ob das gelingt, hängt von uns ab. Es hängt ab von unserem Selbstbewußtsein. Meine Damen und Herren, ich glaube nicht, daß wir es nötig haben, mit derselben Münze heimzuzahlen. Diese Republik hat es nicht nötig, nachzuweisen, daß sie auch wer sei, indem sie wahllos Leute der eigenen Nation schikaniert. Uns glaubt man unsere Souveränität auch so, sogar ohne Visa. Deshalb freuen wir uns, daß die Visa-Pflicht mit Jugoslawien nun zu Ende ist, daß sie vielleicht mit anderen Ländern auch bald zu Ende kommt, und wenn der Herr Bundesinnenminister hier wäre, würde ich noch deutlicher sagen — — — Herr Staatssekretär, das freut mich. Die Fraktion, für die ich hier spreche, ist der Meinung, daß wir den Abbau des Visum-Zwangs, wo er zweiseitig Schwierigkeiten macht, ruhig auch einseitig vollziehen sollten. Ich weiß, Herr Köppler, daß einige Beamte Ihres Ministeriums dagegen die Einwände vorbringen, die wir seit Jahrzehnten gewohnt sind und die übrigens, wenn man sie genau nimmt, für eine zweiseitige Abschaffung der Visa ebenso gelten wie für eine einseitige. Aber Sie, Herr Köppler, und Ihr Chef sind mir so sympathisch, daß ich ganz sicher bin, daß Sie darüber hinwegkommen werden, weil klargemacht werden muß, daß sich diese Republik das leisten kann. Wir können uns ja noch viel mehr leisten. Wir können es uns leisten, Zeitungen der DDR in dem Augenblick hereinzulassen, wo die drüben die einzige deutschsprachige Zeitung der kommunistischen Dr. Eppler Tschechoslowakei für ihr Staatsgebiet verbieten müssen. Wir können es uns hier leisten, Demonstrationen jeder Art laufen zu lassen. Das ist nicht ein Zeichen der Schwäche. Ein Zeichen der Schwäche ist es, wenn man sich das nicht leisten kann. Wir können es uns hier leisten, alle Arten von Opposition zu haben, von der parlamentarischen, Herr Mischnick, über die außerparlamentarische biss zur antiparlamentarischen. Wir haben es nicht nötig, wie etwa Herr von Schnitzler, im Rundfunk zu sagen, bei uns beschäftige man sich mit der Opposition nur im Gerichtssaal. Diese Republik kann sich einiges leisten, auch die Abschaffung der Visa, weil sie es nicht nötig hat, sich auf solch dürftige Weise ihre Souveränität bestätigen zu lassen. Etwas Zweites, Herr Gradl, was wir vielleicht auch nicht nötig haben. Herr Gradl, wir sind uns darüber einig, daß das, was die DDR jetzt getan hat, mit den Notstandsgesetzen so viel zu tun hat wie etwa ein Fußballer mit Boxhandschuhen. Wir sollten uns aber gerade deshalb nicht dazu verleiten lassen, nun selbst Dinge, die nicht zusammengehören, in einen Zusammenhang zu bringen. Damit meine ich das, was Sie über den Sperrvertrag gesagt haben. Herr Gradl, Sie wissen doch, daß wir, was die militärische Seite angeht — und das haben Sie selber ausgesprochen —, hier auf nichts verzichten, worauf wir nicht längst verzichtet hätten. Es ist übrigens interessant, daß es der amerikanische Außenminister gewesen ist, der einem sowjetischen Gesprächspartner gesagt hat: Könnte es denn nicht sein, daß die DDR mit dem, was sie hier tut, gerade einen Schuß gegen diesen Sperrvertrag im Auge hat, um nämlich die Bundesrepublik zu provozieren? Herr Gradl, wir sind uns darüber einig, daß die Sowjetunion einigen Wert auf unsere Unterschrift unter diesen Vertrag legt. Aber könnte es nicht so sein, daß gerade die härtesten Leute in Ostberlin und in Moskau es für die beste aller möglichen Welten hielten, wenn die Bundesrepublik möglichst spät und möglichst zähneknirschend diesen Vertrag unterschriebe? Wenn sich Ulbricht selbst isolieren will von all den Strömungen, die heute in Europa vor sich gehen, ist das sein Privatvergnügen. Ich glaube, wir sollten ihm auf diesem Weg nicht folgen. Die Politik dieser Republik wird hier gemacht. Ich habe — Herr Gradl, vielleicht erinnern Sie sich — im Oktober von diesem Platz aus gesagt, wir sollten es uns abgewöhnen, immer nur die Knochen abzunagen, die andere uns hinwerfen. Das galt damals für die Fragestellungen in der Deutschlandpolitik, es gilt aber auch jetzt für das, was in bezug auf Berlin geschehen ist. Die Weichen unserer Politik werden hier gestellt und nicht anderswo. Wir haben uns an den Interessen dieser Nation und an den Interessen dieses gesamten Kontinents zu orientieren. Dann wollen wir mal sehen, wer das länger aushält, diejenigen, die sich manchmal wie ein Sechzehnjähriger benehmen, der seine Erwachsenheit dadurch beweisen muß, daß er um Mitternacht auf seinem Moped mit ungeheurem Krach durch die Straßen braust, oder aber diejenigen, die beharrlich an einer Friedensordnung für dieses Land und diesen Kontinent arbeiten. Natürlich, Herr Gradl, hat das, was hier geschehen ist, auch noch einen anderen Aspekt. Natürlich will man uns, auf längere Sicht gesehen, von Berlin trennen; man will auf längere Sicht Berlin austrocknen lassen. Dazu wird mein Kollege Mattick noch einiges zu sagen haben. Lassen Sie mich aber als einer der Abgeordneten, deren Heimat von Berlin ungefähr so weit entfernt ist, wie sie in Deutschland nun eben entfernt sein kann, eines sagen: wer auch immer innerhalb oder außerhalb Deutschlands darauf spekulieren sollte, daß wir Berlin im Stich lassen, spekuliert darauf, daß wir unsere Selbstachtung aufgeben. Und ich weiß, daß es sehrwenige Menschen in Europa gibt, die das von uns letztlich erwarten, weder in Westnoch in Osteuropa, daß es auch wenige Nationen gibt, die das letztlich von uns erwarten, weil man nämlich weiß — wie immer man draußen die Rechtslage einschätzt —: politisch liegen die Dinge sehr einfach; politisch entscheidend ist der Wille der Berliner, ihr Leben in Formen zu führen, wie wir das hier tun. Und wenn wir auf diesen Willen nicht mehr mit der Solidarität antworten könnten und wollten, die diese Nation ausmacht, dann könnten wir nicht mehr in den Spiegel sehen, und auch die anderen Völker in West und Ost wollen nichts mit einer Nation zu tun haben, die nicht mehr in den Spiegel sehen kann. Vielleicht noch etwas anderes. Diese Bundesrepublik ist in der Tat keine Großmacht. Aber ökonomisch hat sie doch einiges zu bieten, und das soll man draußen auch wissen. Ich hätte jetzt beinahe Herrn Schiller ein Kompliment gemacht, aber wenn er nicht da ist, kriegt er auch keins. Die ökonomische Kraft dieser Republik reicht aus, nicht nur ein, sondern zwei und drei Berlin zu subventionieren, wenn es nötig ist. Und hier noch ein Wort an die Sowjetunion. Herr Gradl, Sie haben völlig recht: die Sowjetunion steht hinter dem, was hier geschehen ist. Wir haben Verständnis dafür, daß die Sowjetunion Sorgen hat, vielleicht im Augenblick mehr um ihren eigenen Bereich als um die Bundesrepublik, aber vielleicht auch um die Bundesrepublik. Wir haben sogar Verständnis dafür, daß die Sowjetunion etwa das Aufkommen des Rechtsradikalismus hier in diesem Lande mit anderen Augen ansieht als jemand, der mit dem Zweiten Weltkrieg nichts zu tun gehabt hat. Ich habe übrigens auch Verständnis dafür, daß eine Weltmacht ihre Außenpolitik nicht an unseren innenpolitischen Erfordernissen orientiert. Aber wofür ich kein Verständnis habe, ist, daß man uns auf der einen Seite unentwegt an dieser rechtsradikalen Gruppe mißt und auf der anderen Seite eine Politik führt, die gerade diese rechtsradikale Gruppe hochspielt. Dr. Eppler Anders gesagt: die Chancen der NPD — das sollte man doch auch draußen wissen — werden um so geringer, je rascher es zu einem vernünftigen Gespräch zwischen uns und der Sowjetunion kommt, und sie werden um so größer, je länger die Sowjetunion mit der Politik fortfährt, die sie im Augenblick für richtig hält. Das nimmt uns unsere Verantwortung natürlich nicht ab, aber wenn schon diese Verbindungslinie gezogen wird, wollen wir sie auch einmal auf diese Weise ziehen. In diesem Hause gibt es heute eine kompakte Mehrheit aus allen Fraktionen, die zu einem Ausgleich mit der Sowjetunion bereit ist. Wie weit diese Bereitschaft übrigens geht, wird man erst ganz sehen können, wenn die Sowjetunion durch eigene positive Gesten diese Bereitschaft auf die Probe stellt, was sie in den letzten drei Jahren nicht getan hat. Wie immer der nächste Bundestag aussieht, ob die Mehrheit, die zu einem solchen Ausgleich bereit ist, dann größer ist, wage ich zu bezweifeln. Deshalb fürchte ich, daß wir wieder einmal an einem Punkt stehen, wo man später von verpaßten Gelegenheiten spricht. Ich glaube, daß das Verhältnis dieses Landes zu seinen östlichen Nachbarn mindestens in den letzten 80 Jahren immer wieder durch verpaßte Gelegenheiten gekennzeichnet ist. Ich will das jetzt hier im einzelnen nicht ausführen. Aber der Tatbestand, daß auch deutsche Politiker — wann auch immer — Gelegenheiten verpaßt haben, ist ja noch keine Legitimation dafür, daß man nun von der anderen Seite Gelegenheiten verpaßt. Wir wollen das doch einmal von dieser Stelle aus sagen: wenn sie jetzt verpaßt werden, wir haben das vorher gesagt! Meine Herren von der Regierung, wir sind mit Ihnen einig, daß wir uns um so mehr um Berlin scharen werden, je mehr man es mit Nadelstichen und Schlimmerem traktiert. Ich bin auch mit dem Regierenden Bürgermeister von Berlin einig, daß wir darauf drängen müssen, daß — zusammen mit unseren Verbündeten — der Punkt noch klarer gemacht wird, wo wir alle in Berlin gefordert sind. Was aber das Übrige angeht, meine Damen und Herren, so möchte ich die Regierung auffordern, sich nicht dadurch nervös machen zu lassen, daß im Augenblick offenbar einige Leute auf der anderen Seite nervös geworden sind. Meine Damen und Herren in der Mitte, der Erfolg jener Politik, nach dem Sie in Ihrer Anfrage gefragt haben, zeigt sich nicht nur in den diplomatischen Beziehungen mit dem einen oder anderen Land, auch nicht nur in der besseren Verankerung unserer Politik bei unseren Freunden und Verbündeten, sondern — das sage ich als jemand, der gelegentlich auch in diese Länder kommt — er zeigt sich an der Hoffnung derer in Osteuropa, die Frieden und Verständigung wollen, und er zeigt sich an der Nervosität derer, die Frieden und Verständigung fürchten. Wenn man den Erfolg daran mißt, möchte ich meinen, ist er nicht gering. Deshalb glauben wir und hoffen wir, daß die Regierung diese Politik mit einem langen Atem und einiger Phantasie fortführt. Ich bin sehr dankbar dafür, daß der Herr Bundesaußenminister hier das Thema der Abrüstung angesprochen hat. Ich kann ihm nur wünschen, daß er in Reykjavik Erfolg hat. Vielleicht sollten wir unsere Phantasie noch auf einem anderen Gebiet walten lassen. In diesem Jahr jährt sich der Tag des Münchener Abkommens zum dreißigsten Male. Wäre es nicht denkbar, daß wir uns, möglicherweise gemeinsam, mit unseren tschechischen und slowakischen Nachbarn um eine Formel bemühen könnten, die den Weg in die Zukunft für beide Völker frei macht, ohne die Rechte unserer Vertriebenen einzuengen und ohne jene unselige Diskussion über Schuld und Nichtschuld und Gegenschuld, die das Verhältnis dieser beiden Völker bisher belastet hat, neu zu provozieren. Ich habe diese Formel hier nicht. Ich frage mich nur, ob wir nicht gut daran tun, nach einer solchen Formel zu suchen. Herr Dr. Gradl, zum Schluß noch etwas, was auch an die Adresse der Regierung gesagt ist, wozu Sie mich aber provoziert haben. Ich glaube, daß wir hier gut daran tun, unsere Position der DDR gegenüber deutlicher zu machen als bisher. Der Herr Bundeskanzler hat Briefe an Herrn Stoph geschrieben. Der Herr Bundeskanzler hat Verhandlungen angeboten, auch Verhandlungen über Gewaltverzicht. Wir alle in diesem Hause haben das begrüßt. Aber, Herr Gradl — ich rede jetzt Sie an, da der Herr Bundeskanzler nicht da ist — — — Ja, nun, ich wollte mit dem Bundeskanzler direkt reden. Aber er hat auch seinen Terminkalender. Na, schön, mit dem einige ich mich auf diesen Punkt vielleicht leichter als mit dem Herrn Bundeskanzler; darum will ich ihn jetzt nicht anreden. Wenn man mit jemandem über Gewaltverzicht spricht, setzt man doch voraus, daß er auf Gewalt verzichten kann. Gewalt ist schließlich ein staatliches Attribut. Was will ich damit sagen? Wenn der Herr Bundeskanzler bereit war, über Gewaltverzicht mit den Vertretern der dortigen Regierung zu sprechen, und gleichzeitig, wie wir alle dies für richtig hielten, sagte: „Aber damit darf unser Verhältnis zu denen drüben nicht das zwischen Völkerrechtssubjekten werden", dann würde ich daraus schließen, daß die Diskussion in diesem Lande nicht darum gehen sollte, ob und wie viele Attribute eines Staates die DDR hat. Es geht nicht um die Frage: Ist dies ein Staat? Es geht auch nicht einmal darum — da könnten wir viel sagen —, was für ein Staat dies ist, sondern es geht darum, ob er für uns Ausland, ausländisches Völkerrechtssubjekt ist, und darum, wie Sie sagten, Herr Gradl, ob wir durch bine völkerrechtliche Anerkennung die Teilung Deutschlands selbst völkerrechtlich legitimieren und fixieren. Darum geht es. Natürlich geht es auch darum, daß bei allem, was gemeinsam oder in Richtung auf die DDR getan wird, die Sicherheit Berlins nicht angetastet wird. Das sind die Punkte. Um das deutlich zu machen, hat der Vorsitzende meiner Fraktion einmal den Austausch von Generalbevollmächtigten vorgeschlagen. Ich glaube, dieser Vorschlag sollte weiter durchdacht werden, weil er klarmacht, wie wir dieses Verhältnis ansehen, eben nicht wie das Verhältnis, sagen wir einmal, zwiDr. Eppler schen Japan und Bolivien. Die Position der DDR-Regierung ist auf diesem Gebiet absolut unlogisch. Sie will auf der einen Seite eine völkerrechtliche Anerkennung — ich möchte hinzufügen: dann wäre es für sie Schluß, das wäre für sie nicht ein Anfang, sondern ein Ende —, aber auf der anderen Seite redet sie von einer deutschen Nation. Als Herr Norden damals kurz vor Weihnachten von dem Austausch diplomatischer Vertreter sprach, wurde er selbst im „Neuen Deutschland" zurückgepfiffen, und es hieß: Nein, das Verhältnis kann nicht das von Ausländern sein. Das heißt zu deutsch, was die DDR auf diesem Gebiet tut, ist absolut unlogisch. Das gibt aber gerade uns eine Chance, wenn wir logisch verfahren. Unsere Position müßte sein: Wir kennen das Erbe, das dieses Volk aus einem heißen und einem kalten Krieg zu übernehmen hatte, nämlich das Erbe, das hier zwei Ordnungen mit Staatscharakter entstanden sind, aber wir wissen auch, daß eine Nation übriggeblieben ist, die die Augen nicht davor verschließt, was ist, die aber nicht die Teilung selbst unterschreibt und die sich den Weg zueinander offenhalten will. Herr Gradl, glauben Sie mir, diese Position wird nicht nur in Westeuropa begriffen. Sie wird auch in vielen Hauptstädten Osteuropas begriffen und verstanden. Diese Position können wir nicht nur einige Monate, sondern viele Jahre durchhalten. Deshalb, meine Damen und Herren, haben wir, wenn wir die Politik des Friedens, von der der Herr Außenminister sprach, mit langem Atem und gelegentlich auch etwas Phantasie fortsetzen, eine Chance; denn wir hier schwimmen mit dem Strom der europäischen Geschichte. Wir können niemanden hindern, gegen diesen Strom zu schwimmen, aber wir können abwarten, bis ihm der Atem ausgeht. Und dann ist der Augenblick da, wo unter Deutschen wieder vernünftig über Deutschland zu reden ist. (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der CDU/CSU.)


(Sehr wahr! bei der CDU/CSU.)





(Beifall bei der SPD.)


(Abg. Dr. Marx [Kaiserslautern] : Der Parlamentarische Staatssekretär ist hier!)


(Beifall bei der SPD.)





(Beifall bei der SPD.)


(Beifall bei der SPD.)


(Beifall bei den Regierungsparteien.)


(Beifall bei den Regierungsparteien.)





(Zurufe.)


(Abg. Rasner: Der Vizekanzler ist da!)





Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0518001700
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Mischnick.

Wolfgang Mischnick (FDP):
Rede ID: ID0518001800
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die FDP-Fraktion wird den Weg wählen, jetzt zu den Fragen des deutsch-sowjetischen Verhältnisses und der Deutschlandpolitik Stellung zu nehmen, und dann werden meine Kollegen zu den Einzelfragen, die in dieser Großen Anfrage behandelt worden sind, ihrerseits noch ergänzend Stellung nehmen. Ich will das im voraus sagen, damit wir uns vielleicht über den Ablauf dieser Debatte einigen können.
Ich stelle mit Befriedigung fest, daß in der Beurteilung der Situation, die sich durch die Einführung von Visa ergeben hat, doch manche Übereinstimmung festzustellen ist, wenn ich auch nicht den Eindruck habe, daß in diesem Hause alle diesen Vorgang gleichermaßen werten. Es ist hochinteressant, daß der Bundeskanzler davon sprach, daß Ostberlin am 11. Juni Maßnahmen verkündet hat, — ich
zitiere wörtlich — die es seit Jahren vorbereitet hatte. Diese Feststellung macht deutlich, daß man mit diesen Aktionen rechnen mußte. Wenn man die Erklärungen, die in den vergangenen Wochen und Monaten, als schon einmal deutlich wurde, daß hier wieder Gefahren bestehen, abgegeben worden sind, damit vergleicht, muß man allerdings zu dem Ergebnis kommen, daß das, was an Reaktionen geschah und vielleicht auch möglich war, in keinem Verhältnis zu Ankündigungen steht, die noch in letzter Zeit gemacht worden sind.
Ich neige dazu, festzustellen, daß die Ankündigung von Maßnahmen falsch war, nicht, daß dann nicht etwa alles geschehen sei, was möglich ist. Das, was in unserer Hand liegt, ist leider nicht so umfangreich, wie es oft durch Erklärungen glauben gemacht wurde.
Der Herr Bundesaußenminister hat heute gesagt, Walter Ulbricht wird uns nicht das Gesetz des Handelns aufzwingen. Wir wollen gern mit Ihnen dieser Meinung sein. Das bedingt aber doch, daß wir selbst handeln und nicht immer nur reagieren, wenn die andere Seite agiert hat. Das bedeutet, daß über den Tag hinaus die grundsätzliche Frage weiter behandelt werden muß: wie soll es in Zukunft weitergehen? Denn niemand in diesem Hause nimmt an, daß das die letzte Schikanemaßnahme war, sondern wir müssen im Gegenteil Sorge vor neuen Maßnahmen haben.
Nachdem der Herr Bundeskanzler auf die Erklärung der Verbündeten, auf das Telegramm des amerikanischen Präsidenten verwiesen hat — und er hat auch aus der Stellungnahme der Westmächte von 1964 zitiert, die sich auf eine andere Erklärung von 1955 bezogen hat —, möchte ich mit Genehmigung des Herrn Präsidenten dieses Zitat aus der Erklärung vom 26. Juni 1964 ergängen. Die Westmächte haben damals gesagt:
Was die Bestimmungen über die Grenzen dieses sogenannten Staates anbetrifft, wiederholen die drei Regierungen, daß es innerhalb Deutschlands und Berlins keine Staatsgrenzen, vielmehr nur eine „Demarkationslinie" und die „Sektorengrenzen" gibt und daß auf Grund eben der Abkommen, auf welche in dem Abkommen vom 12. Juni Bezug genommen wird, die endgültige Festlegung der Staatsgrenzen Deutschlands einer Friedensregelung für Gesamtdeutschland vorbehalten bleibt.
Wenn ich diesen Text von 1964 mit dem vergleiche, was in den letzten Tagen tatsächlich geschehen ist, so scheint mir eine gewisse Diskrepanz sichtbar zu werden. Worauf es uns ankommen muß: das, was uns an Rechtsgarantien in der Vergangenheit gegeben worden ist, muß dann auch am konkreten Fall so praktiziert werden, wie es gegeben wurde. Geschieht das nicht, dann ist natürlich eine Basis für einen gewissen Vertrauensschwund auch in Berlin gegeben. Vielleicht sind die juristischen Auslegungen der zitierten Formulierungen unterschiedlich; aber dann muß es Aufgabe der Bundesregierung sein, das so — nicht nur jetzt und hier, sondern generell — auszulegen, wie es im Interesse der



Mischnick
Stellung und der Freiheit West-Berlins notwendig ist. Hier werden Sie unsere volle Unterstützung haben.
Allerdings sollten wir uns auch bei einer solchen Gelegenheit vor Augen halten, ob wir selbst alle Möglichkeiten, die wir in der Vergangenheit hatten, wahrgenommen haben, in Berlin so in Erscheinung zu treten, wie wir es für richtig hielten.

(Beifall bei der FDP.)

Zeigt sich nicht, daß manches von dem, was wir vor zehn oder zwölf Jahren in diesem Haus für selbstverständlich hielten, dann so allmählich, ich möchte sagen, zu einem negativen Gewohnheitsrecht wurde und damit selbstverständlich den Eindruck erwekken mußte, als wären wir selbst nicht bereit, all das an Positionen, was wir früher wahrnahmen, auch heute noch wahrzunehmen?
Wir Freien Demokraten haben oft darauf hingewiesen, daß wir es nicht für richtig hielten, nach der Bundestagssitzung vom 1./2. Oktober 1958 nur noch einmal eine Plenarsitzung Anfang 1965 in Berlin durchzuführen, in der Zwischenzeit und danach aber davon Abstand zu nehmen. Das sind natürlich alles Handlungen — oder, besser gesagt, Nicht-Handlungen —, die den Eindruck verstärken könnten, daß wir selbst die Verbindung lockern und nicht in der Form gefestigt halten wollten, wie es ursprünglich für uns selbstverständlich war.
Es ist sehr gut, daß angekündigt wurde, daß die Gespräche oder die Memoranden oder Noten über das Verhältnis Berlins zur Bundesrepublik, die zwischen dem sowjetischen Botschafter und der Bundesregierung ausgetauscht wurden, jetzt veröffentlicht werden. Ich bin mir bewußt, daß da zwischen der Sowjetunion und uns tatsächlich schwierige Fragen sind. Aber gerade in dem Punkt West-Berlin ist es notwendig, unseren Standpunkt immer mit aller Deutlichkeit so zu vertreten, wie er in der Vergangenheit gewesen ist, und hier keinen Schritt nachzugeben. Wir sind in anderen Bereichen eher in der Lage, miteinander über gemeinsame Formeln zu sprechen. Aber in West-Berlin — darüber besteht doch Einigkeit — darf es eben keinen Schritt zurück hinter das, was heute ist, geben.

(Beifall bei der FDP.)

Wenn man die Große Anfrage und die Begründung zu den verschiedenen Punkten dieser Großen Anfrage liest, die die CDU/CSU-Fraktion gestellt hat, und die Antwort der Bundesregierung und manches, was an Diskussionsbeiträgen hier geleistet worden ist, gegenüberstellt, dann komme ich doch zu dem Ergebnis, daß ein Unterschied in der Wertung festzustellen ist zwischen dem, was die Bundesregierung als ihre Absicht erklärt, und dem, was ein Teil der Kollegen der CDU/CSU offensichtlich von dieser Politik halten. Die Worte, die der Kollege Eppler gerade zum Schluß über die Notwendigkeit der Normalisierung des Verhältnisses zwischen den beiden Teilen Deutschlands gesprochen hat — ich werde dazu auch noch einige Bemerkungen machen —, sind doch in manchen Punkten unterschiedlich gegenüber dem, was Kollege Gradl gesagt hat.
Ich habe es sehr begrüßt, daß der Bundesaußenminister darauf hingewiesen hat und auch zitiert hat, was der jugoslawische Außenminister über die Möglichkeit einer Zusammenfassung von Bündnissystemen gesagt hat, daß es sich nämlich nicht nur um einen formalen Akt handeln kann, sondern daß ein solches Sicherheitssystem in der Zukunft entsprechende Bewegungsmöglichkeiten auch für die einzelnen Partner beinhalten muß. Das ist aber doch nur erreichbar — daß wir ein solches europäisches Sicherheitssystem gemeinsam wollen, ist mehrfach zum Ausdruck gebracht worden —, wenn ich an die möglichen Partner nicht nur mit Mißtrauen herangehe, sondern das Ziel habe, eine vertrauensvolle Zusammenarbeit mit allen Partnern trotz mancher schlechten Erfahrungen zu erreichen.

(Beifall bei der FDP.)

In der Begründung zu Frage 3, meine sehr verehrten Damen und Herren von der CDU/CSU, haben Sie Worte gewählt, die es auch dem wohlmeinendsten Beobachter kaum möglich machen, eine Bereitschaft zu erkennen, das deutsch-sowjetische Verhältnis sehr differenziert zu betrachten, weil wir hier offenbar doch noch nicht im ganzen Haus so weit sind, zwischen Spreu und Weizen sorgfältig zu unterscheiden. Ich bin mir bewußt, daß es gerade in diesen Tagen nicht sehr populär ist, Fragen des deutsch-sowjetischen Verhältnisses sehr nüchtern zu betrachten, und daß dabei sehr viel Emotionen hochkommen, verständlicherweise hochkommen, weil die Verärgerung und die Bitterkeit darüber, daß man im Miteinander der beiden Teile Deutschlands wieder Schwierigkeiten bereitet, mit Unterstützung der Sowjetunion bereitet, die natürlich die Gefahr in sich bergen, daß der Blick für die nüchterne Betrachtung der tatsächlichen Entwicklung getrübt wird.
Aber wenn wir die Entwicklung in den osteuropäischen und südosteuropäischen Staaten in den letzten Jahren aufmerksam verfolgt haben, ist doch sichtbar geworden, was Kollege Eppler anklingen ließ: daß bestimmte Thesen der sowjetischen Propaganda — was natürlich auch ein Teil ihrer Politik ist — heute in diesen Ländern nicht mehr die gleiche Wirkung haben, die sie noch vor 10, 15 Jahren hatten. Die Verbesserung der kulturellen, der wirtschaftlichen, der sportlichen Beziehungen und auch die Aufnahme der diplomatischen Beziehungen zwischen der Bundesrepublik und einzelnen dieser Länder haben unterstrichen, daß es hier möglich ist, das Klima entsprechend zu verbessern. Das beweist aber auch, wie wichtig es ist, wie wertvoll und wie wirkungsvoll es ist, daß Kontakte und Gesprächsbereitschaft nicht nur zum Absdruck gebracht, sondern auch praktiziert werden.
Bedauerlich ist nur, daß Sie, meine sehr verehrten Kollegen von der CDU/CSU, überhaupt so lange Zeit ins Land gehen ließen, weil Sie sich so lange dagegen gesperrt haben, das Gespräch auch mit den Warschauer-Pakt-Staaten in dieser konkreten Form zu führen, wie es heute in Gang gekommen ist.

(Beifall bei der FDP. — Abg. Stücklen: Sie waren ja lange genug in der Regierung!)




Mischnick
— Herr Kollege Stücklen, Sie weisen darauf hin, daß wir lange genug in der Koalition waren. Aber Sie wissen doch ganz genau, wie oft wir versucht haben und wie schwierig es für uns war, Sie in einem Koalitionsgespräch davon zu überzeugen, daß wir diese Politik und keine andere treiben sollten. Das lag doch nicht an uns, das lag an Ihnen.

(Beifall bei der FDP. — Abg. Stücklen: Aber Sie haben es lange ausgehalten!)

Ich möchte ausdrücklich begrüßen, daß der Bundesaußenminister die Gelegenheit wahrgenommen hat, das Gespräch mit dem sowjetischen Botschafter in Ostberlin zu führen. Es ist mir unbegreiflich, daß es jetzt schon wieder Stimmen gibt, die sagen — in einem Kommentar ist das zum Ausdruck gekommen —: Was soll diese Plauderei zu diesem Zeitpunkt? Wer immer noch nicht kapiert hat, daß wir nur weiterkommen können, wenn wir jede Möglichkeit des Gesprächs, der Information und der Darlegung des eigenen Standpunktes nutzen, dem ist leider nicht mehr zu helfen.

(Beifall bei der FDP.)

Ich bin sehr froh darüber, daß aus diesem Hause keine solchen kritischen Stimmen zu diesem Besuch gekommen sind. Wir hoffen, daß es gelingt, auch diejenigen Teile der öffentlichen Meinung, die das nur mit Skepsis sehen, zu überzeugen, daß das ein Weg sein kann, um weiterzukommen. Eine Erfolgsgarantie kann niemand geben. Wir müssen aber auch sehen: wenn die. Aufnahme von diplomatischen Beziehungen, konsularischen Beziehungen usw. Nutzen haben soll, insbesondere um den anomalen innerdeutschen Zustand zu überwinden, dann ist es notwendig, daß wir diese Beziehungen, diese Verbindungen, diese Kontakte mit dem entsprechenden Inhalt erfüllen und insbesondere dafür sorgen, daß das nötige Vertrauen geweckt wird. Herr Bundesaußenminister, ich habe manchmal das Gefühl, daß unsere Botschafter — ich denke jetzt gar nicht in erster Linie an diejenigen in unseren verbündeten Nachbarländern, sondern insgesamt gesehen — so etwas dem Gespräch mit den sowjetsichen Botschaftern aus dem Wege gehen, daß man es nur führt, wenn eine Weisung vorliegt. Wäre es nicht richtig, gerade dafür zu sorgen, daß unsere Diplomaten nicht nur jede Gelegenheit nutzen, sondern auch jede Gelegenheit suchen, mit densowjetischen Diplomaten über den Inhalt unserer Politik zu sprechen, um damit deutlich zu machen, daß wir eben eine friedliche Politik, eine Politik des Gewaltverzichts, eine Politik des Ausgleichs wollen und alles andere falsch ist. Die Vielzahl der Unterrichtungen über die 95 Missionen — oder wieviel es sind —• an die sowjetische Adresse kann doch nur unterstützend wirken. Es wäre gut, wenn Sie in dieser Richtung auf unsere Auslandsmissionen einwirkten und, sollte es geschehen sein, dann vielleicht überprüften, ob es auch in der Pra dis durchgeführt wird und nicht nur als eine Meinung des Auswärtigen Amts nach draußen geht.

(Beifall bei der FDP.)

Wenn man die Chance eines Erfolges haben will, muß man natürlich auch bereit sein, gewisse Klischees auszuräumen, und eines dieser Klischees ist doch immer wieder, daß behauptet wird, die Sowjetunion sei überhaupt nicht daran interessiert, zu einer Verständigung zu kommen, weil sie die Weltrevolution wolle. Nun kann man durchaus dieser Auffassung sein. Ich halte sie nicht für richtig. Wei aber dieser Auffassung ist, der müßte natürlich konsequenterweise zu dem Ergebnis kommen, daß es überhaupt keinen Sinn hat, hier in irgendeiner Weise zu versuchen, zur Entspannung auch mit der Sowjetunion zu kommen. Nach meiner Überzeugung beweist die Entwicklung der letzten Jahre, daß auch die Sowjetunion nicht nur den Frieden will, sondern ihn braucht, um ihre eigene innere Entwicklung, ihre wirtschaftliche Entwicklung, ihre technische Entwicklung usw. so vorantreiben zu können, wie es notwendig iist, um ihrem ideologischen Anspruch, das bessere Gesellschaftssystem zu haben, gerecht zu werden.
Wenn ich also davon ausgehen darf — und ich glaube, diese Überlegung ist richtig —, daß die friedliche Entwicklung auch im Interesse der Sowjetunion liegt, wobei, um hier jeder Falschdeutung vorzubeugen, selbstverständlich einkalkuliert werden muß, daß sie in erster Linie oder besser ausschließlich ihre und nicht unsere Interessen wahrnimmt, aber wenn ich von diesem Willen zum Frieden ausgehe, dann muß es doch möglich sein, auch begreiflich zu machen, welchen eigenen Willen wir hier haben.
Ein Weiteres kommt noch hinzu, nämlich das Klischee, daß die Vorstellung herrsche, auch die Sowjetunion und die Meinung in der Sowjetunion sei ein Einheitsblock. Auch das ist heute nicht mehr richtig. Die Gefahr, Kollektivurteile zu fällen, ist außerordentlich groß. Die gleichen Leute, die sich z. B. nach 1945 mit Recht dagegen verwahrt haben, daß man das ganze deutsche Volk kollektiv verurteilt, diese gleichen Leute sind heute leider oft sehr schnell geneigt, jeden Sowjetbürger als einen bösartigen unverbesserlichen Stalinisten zu verurteilen. Auch dieses Klischee muß aufhören.

(Abg. Dr. Marx [Kaiserslautern] : Wer praktiziert denn das? — Abg. Majonica: Sie kämpfen ja gegen Windmühlenflügel!)

— Lieber Kollege Majonica, ich wäre froh, wenn es gegen Windmühlenflügel wäre. Aber wenn ich an so manche Fragestunde hier denke — ich habe jetzt die Daten nicht im Kopf —, wo man das Gefühl gewinnen mußte: hier wird nach wie vor ein Klischee gesetzt, so muß ich sagen: das macht doch deutlich, daß hier noch nicht generell die Bereitschaft vorhanden ist, die Dinge genauso nüchtern zu sehen, wie sie nun einmal sind.
Meine Damen und Herren, wir sollten uns aber auch einen dritten Punkt vor Augen halten: Nicht alles, was von sowjetischer Seite gesagt wird, ist tatsächlich politische Zielsetzung. Es ist manches darunter, was verständlicherweise in der Auseinandersetzung aus der Hoffnung heraus benutzt wird, daß der andere auf diese Propagandaformeln so reagiert, wie man es sich im Interesse der eigenen Politik wünscht. Auch davor müssen wir uns hüten.



Mischnick
Ich bin sehr dankbar dafür, daß hier klargestellt worden ist, daß man z. B. nicht in die, wie ich meine, aufgestellte Falle hineinlaufen will, etwa den Atomsperrvertrag in einer Weise zu behandeln, die nur dazu führen könnte, daß die andere Seite, sei es die DDR, sei es die Sowjetunion, damit einen neuen Vorwand findet, uns Dinge zu unterstellen, die von der Sache her falsch sind. Das schließt nicht aus, daß wir den Inhalt, den Text sehr genau prüfen. Aber wir müssen uns davor hüten, auch nur den Anschein zu erwecken, als gebe es eine Möglichkeit, uns hier wieder in eine Ecke hineinzustellen, in die man uns gern gestellt hat, nämlich friedlichen Entwicklungen im Wege zu stehen.

Walter Scheel (FDP):
Rede ID: ID0518001900
Gestatten Sie eine Zwischenfrage, Herr Abgeordneter Mischnick?

Dr. Rainer Barzel (CDU):
Rede ID: ID0518002000
Herr Kollege Mischnick, stimmen wir darin überein, daß die neuen Maßnahmen das Recht verletzen?

Wolfgang Mischnick (FDP):
Rede ID: ID0518002100
Das habe ich zu Beginn gesagt. Ich glaube, Sie haben es nicht mitgehört.

Dr. Rainer Barzel (CDU):
Rede ID: ID0518002200
Stimmen wir darin überein, daß der Vertrag eine neue rechtliche Verpflichtung auch gegenüber der Sowjetunion begründen würde?

Wolfgang Mischnick (FDP):
Rede ID: ID0518002300
Selbstverständlich!

Dr. Rainer Barzel (CDU):
Rede ID: ID0518002400
Würden Sie dann glauben, daß dies die Landschaft wäre, die besondere Begeisterung —(Zurufe: Mikrophon!)

— in der aus rechtlichen und politischen Gründen eine besondere Eile etwa der deutschen Seite in dieser Frage begründet sein sollte?

Wolfgang Mischnick (FDP):
Rede ID: ID0518002500
Ich bin sehr dankbar, Herr Kollege Barzel, daß Sie nuanciert haben. Anfangs sprachen Sie von Begeisterung, dann sprachen Sie von Eile. Begeisterung, würde ich sagen, kann nie der Maßstab sein. Eile — man muß es natürlich unter dem Gesichtspunkt prüfen, ob der Zeitpunkt des Abschlusses oder des Hinauszögerns des Abschlusses unserer anderen Politik schadet oder nutzt. Das ist für mich der Maßstab, nichts anderes.

(Beifall bei der FDP.)


Walter Scheel (FDP):
Rede ID: ID0518002600
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Birrenbach?

Dr. Kurt Birrenbach (CDU):
Rede ID: ID0518002700
Herr Kollege Mischnick, sind Sie der Meinung, daß der Gesamtkomplex des Atomsperrvertrages übersehen werden kann, bevor die Ratifikationsdebatte im amerikanischen Senat stattgefunden hat, bei der die Interpretationen der amerikanischen Regierung erstmalig offengelegt werden, wobei man abwarten muß, ob und wie die sowjetische Regierung zu diesen Interpretationen Stellung nehmen wird?

(Beifall bei der CDU/CSU.)


Wolfgang Mischnick (FDP):
Rede ID: ID0518002800
Herr Kollege Birrenbach, Sie haben offensichtlich überhört, daß ich davon gesprochen habe, daß die sachliche Prüfung selbstverständlich erfolgen muß. Es ist aber doch ein Unterschied, ob ich das zu diesem Zeitpunkt als Wille, das zu prüfen, darstelle oder ob ich ein anderes Ereignis benutze, um dazu zu sagen: jetzt muß ich mir aber, ohne daß diese Prüfung erfolgt ist, überlegen, ob ich den Vertrag unterzeichnen kann.

(Beifall bei der FDP.)

Wenn man geschwiegen hätte, wäre es besser gewesen. Nur darum geht es doch. Wir werden uns alle darum bemühen müssen, sehr sorgfältig zu prüfen, was für Vorteile oder Nachteile dieser Vertrag uns bringt.

Walter Scheel (FDP):
Rede ID: ID0518002900
Gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage? — Ich mache darauf aufmerksam, Herr Kollege Merkatz, daß die Mikrophonanlage im Saal außer Funktion ist. Die Techniker sind dabei, die Fehlerquelle zu suchen. Hoffentlich finden Sie sie auch. Ich darf vielleicht die Zwischenfrager bitten, etwas lauter als sonst zu sprechen, was vielleicht für kurze Fragen ohne übermäßige Anstrengung möglich sein wird.

Dr. Hans-Joachim von Merkatz (CDU):
Rede ID: ID0518003000
Herr Kollege Mischnick, ist Ihnen deutlich geworden, daß ja nicht ein Junktim der Fragen, die hier vorliegen, mit dem Atomsperrvertrag hergestellt wurde, sondern daß gefragt wurde: Wie ist die Vertrauensgrundlage, wenn grundlegende Verpflichtungen verletzt werden? Das ist doch das Problem.

(Beifall bei der CDU/CSU.)


Wolfgang Mischnick (FDP):
Rede ID: ID0518003100
Herr Kollege von Merkatz, die Bestätigung, daß Sie kein Junktim herstellen wollen, ist für mich sehr gewichtig. Das freut mich, weil das Mißverständnisse ausschalten kann.

(Zuruf von der CDU/CSU: Das dürfte vorher klar gewesen sein!)

Trotzdem werden Sie mir doch zugeben müssen, daß es in dieser Situation, zu diesem Zeitpunkt besser gewesen wäre, dazu zu schweigen. Die Relativierung der Aussagen nachher unterstreicht ja, wie recht ich mit meiner Bemerkung habe.

(Beifall bei der FDP.)

Aber, meine sehr verehrten Damen und Herren, wir wollen uns nicht zu lange damit aufhalten.

(Zurufe von den Regierungsparteien.)

— Ich scheue mich nicht! Das ist kein Problem für mich. Es ist eher für Sie ein Problem, hierüber weiter zu sprechen.
Aufgabe der Politik der Bundesregierung muß es natürlich sein, in weitsichtiger und psychologisch geschickter Weise die sowjetische Führung, das
Deutscher Bundestag --- 5. Wahlperiode — 180. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 20. Juni 1968 9717
Mischnick
sowjetische Volk von dem Friedenswillen unseres Volkes zu überzeugen. Das ist aber nicht allein durch Noten und Erklärungen zu erreichen, sondern es muß durch praktisches Handeln in den verschiedensten Bereichen unterstrichen werden. Die Gewaltverzichtserklärung ist ein solches praktisches Handeln. Wir würden es begrüßen, wenn die Bundesregierung hier zu weiteren praktischen Schritten käme. Eine Anregung will ich in einem späteren Teil noch geben.
Wir müssen uns aber auch darüber im klaren sein — dieses Problem klingt in einer Ihrer Fragen ein bißchen an —, daß wir uns mit der Frage des Sicherheitsbedürfnisses der Sowjetunion zu befassen haben. Wir sind uns völlig einig darüber, daß man sehr sorgfältig beobachten muß, wie die militärische Rüstung innerhalb des Warschauer Pakts vorangeht. Gleichzeitig dürfen wir aber doch niemals aus dem Auge verlieren, daß es auch ein sowjetisches Sicherheitsbedürfnis gibt — genauso, wie wir ein Sicherheitsbedürfnis haben. Ich habe das Gefühl, daß darüber immer wieder etwas mit leichter Hand hinweggegangen wird,
Natürlich wissen wir — wir haben es betont und wir müssen es immer wieder betonen —, daß bei uns kein ernst zu nehmender Politiker irgendwelche Aggressionsabsichten hat. Aber wir sollten doch auch versuchen, uns in die Betrachtungsweise der Sowjetunion hineinzudenken, die nach wie vor — nach unserer Meinung zu Unrecht; aber als Tatbestand müssen wir es registrieren — Mißtrauen, vielleicht im Hintergrund auch eine gewisse Furcht im Hinblick auf das deutsche militärische Potential hat. Das darf nicht dazu führen — um auch hier jeglicher Mißdeutung vorzubeugen —, daß wir unsere eigenen militärischen Notwendigkeiten vernachlässigen. Es ist aber erforderlich, diesen Gedankengang der sowjetischen Politiker mit in unsere Überlegungen einzubeziehen und ihn nicht einfach als eine Propagandathese abzutun.
Das heißt aber, daß wir bei allen Bemühungen - und hierzu werden meine Kollegen noch Stellung nehmen — die Frage des europäischen Sicherheitssystems mit sehen und uns entsprechend auch mil: eigenen Vorschlägen, wie wir dieses Problem gelöst wissen willen, darum bemühen müssen.
Es gibt Äußerungen, so gerade jetzt in Kommentaren zu dem Besuch des Außenministers bei dem Botschafter Abrassimow, man könne diese Gespräche nur intensivieren, die Kontakte nur fördern, wenn dabei vorzeigbare Ergebnisse herauskämen, Ich glaube, das ist ein falsches Denken. Man kann einfach nicht erwarten, daß, wenn z. B. der Bundesaußenminister einen Besuch in Moskau abstattet - -müßten gleich sichtbare Ergebnisse haben, wie wir uns überhaupt davor hüten sollten — und das ist eine Bitte, die ich dabei ausspreche —, Fragen des deutschsowjetischen Verhältnisses innenpolitisch so oder so als Wahlkampfmunition zu betrachten, wie es in der Vergangenheit leider sehr oft der Fall gewesen ist.
das wäre gut; seit 1955 haben wir diplomatische Beziehungen, und bis zur Stunde hat noch kein deutscher Außenminister einen Besuch in Moskau durchgeführt —, er sofort mit konkreten Ergebnissen wiederkommt. Wer den ersten Besuch an solche Forderungen bindet, würde damit die Chance, überhaupt ins Gespräch zu kommen, nach meiner Überzeugung in einer unnötigen Weise beeinträchtigen. Wir sollten uns von der Idee frei machen, diese Kontakte, von welchen höchsten Stellen auch immer,

(Beifall bei der FDP.)

Dann werden wir in der Sache kaum weiterkommen; dann besteht natürlich die Gefahr, daß all das, was von uns gesagt wird, unter dem Gesichtspunkt gewertet wird: Offiziell sagt man zwar das, aber in der innenpolitischen Auseinandersetzung wird es so oder so verwertet, deshalb kann man nicht das volle Vertrauen zu dem haben, was offiziell gesagt wurde.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir wollen die Bundesregierung unterstützen und wir haben die Bundesregierung dabei unterstützt, daß die Beziehungen zu den Staaten Osteuropas und Südosteuropas verbessert, ausgebaut werden. Der Herr Bundesaußenminister hat davon gesprochen, daß man hier natürlich sehr sorgfältig abwägen muß, daß man die Entwicklung betrachten muß und daß man manchmal — ohne daß es zu diplomatischen -Beziehungen kommt — durchaus schon positive Ergebnisse erreichen kann. Völlig einverstanden damit! Es geht nicht um den formalen Akt, es geht darum, praktisch etwas zu erreichen, wenn das Ziel bleibt, die diplomatischen Beziehungen aufzunehmen, man aber Zwischenstadien aus der unterschiedlichen Situation der betreffenden Länder für richtig hält. Hier besteht durchaus Übereinstimmung mit uns. Daß das in einer Form geschehen muß, durch die deutlich wird: es geht hier nicht nur um Einzelpunkte, die wir herauspicken, sondern darum, die gesamte Landkarte zu vervollständigen, ist, so hoffe ich, Meinung aller dieses Hauses.
Alle diese Überlegungen, die das Verhältnis der Bundesrepublik zur Sowjetunion betreffen, sind natürlich aufs engste mit dem verknüpft, was wir die Deutschlandpolitik im engeren Sinne nennen. Ich werte den Hinweis des Herrn Bundeskanzlers, daß man sich nicht abbringen lassen will von dem, was durch den Brief an Stoph im April vergangenen Jahres geschehen ist, so, daß sich die Bundesregierung bemühen wird, hier weiterhin, auch wenn bis zur Stunde keine Antwort auf den letzten Brief des Herrn Bundeskanzlers vorliegt, am Mann zu bleiben. Wir sind allerdings der Auffassung, daß das in noch konkreterer Form geschehen sollte, als es in der Vergangenheit der Fall war.
Denken Sie bitte daran, daß in dem Brief von Stoph ein von uns allen dem Inhalt nach abgelehnter Vertragsentwurf enthalten war. Wäre es nicht an der Zeit, sich gerade jetzt Gedanken darüber zu machen, wie man hier die eigene Position in einer eigenen Formulierung gegenüberstellen kann? Ich weiß, daß da Bedenken bestehen, ob das nicht falsch ausgelegt werden könnte. Meine sehr verehrten Damen und Herren, machen wir uns doch nichts vor: all das, was wir an Eskalation im innerdeutschen Verkehr, im Verkehr zwischen der Bundesrepublik und Berlin erleben, wird natürlich weitergehen, solange es nicht gelingt, vertragliche Regelungen zwi-



Mischnick
schen den beiden Teilen Deutschlands zustande zu bringen. Das ist der nackte Tatbestand, vor dem wir stehen. Daß die Chance für vertragliche Regelungen über die Berufung auf Texte mit unseren Verbündeten nicht sehr groß ist — um es vorsichtig auszudrücken —, hat die letzte Zeit verdeutlicht. Deshalb sind wir der Meinung, daß man von uns aus, von unserer Position aus ganz konkrete Vorschläge machen sollte, diese dann an die andere Seite heranbringen muß, um sie zur Stellungnahme dazu zu bringen.

Walter Scheel (FDP):
Rede ID: ID0518003200
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Petersen?

Peter Petersen (CDU):
Rede ID: ID0518003300
Herr Kollege Mischnick, darf ich Sie fragen, woher Sie Ihren Optimismus nehmen, daß neu abzuschließende Verträge mit den Machthabern in Pankow besser und genauer eingehalten werden als die, die sie in der letzten Woche gerade gebrochen haben.

Wolfgang Mischnick (FDP):
Rede ID: ID0518003400
Verehrter Kollege, wenn ich die Dinge nicht ganz falsch sehe, haben wir über den Verkehr nach Berlin keinen Vertrag zwischen der Bundesrepublik und der DDR. Das ist doch der Tatbestand.

(Zuruf von der Mitte: Wollen Sie denn einen haben?)

— Genau da ist der Punkt, über den wir uns jetzt endlich unterhalten müssen. Wäre es nicht erstrebenswert, daß wir hier zu Vereinbarungen kommen, damit nicht die Mißdeutung erfolgt, vor der Sie — —

(Abg. Petersen: Wo bleiben dann die alliierten Vorbehaltsrechte?)

— Entschuldigen Sie, ich habe von generellen Fragen gesprochen; ich habe nicht nur von Berlin gesprochen. Wir wollen die alliierten Vorbehaltsrechte nicht abbauen. Wir wollen sie aber auch so durch Vereinbarungen unterstrichen wissen, daß ihre praktische Wirkung für die Deutschen in Deutschland genauso ist, wie wir sie haben wollen, und nicht nur so ist, wie sie zur Zeit leider ist.

(Beifall bei der FDP.)

Damit diese negative Wirkung, die Sie befürchten, vermieden wird, wäre es nach unserer Überzeugung doch sinnvoll, gerade das zu nutzen, was immer wieder — auch in den Diskussionsbeiträgen — angesprochen worden ist, nämlich den Hinweis der DDR auf die gemeinsame Nation. Das Zurückpfeifen des Sprechers der DDR — wie es Herr Kollege Eppler zitierte —, der sagte, man müsse diplomatische Beziehungen zwischen den beiden Teilen Deutschlands aufnehmen, wie von Ausland zu Ausland, unterstützt unsere Auffassung, daß hier für uns ein Anknüpfungspunkt ist. Wir sollten die DDR doch mit ihren eigenen Aussagen festnageln. Das kann man nach unserer Überzeugung unter dem Dach der gemeinsamen Nation mit dem Ziel tun, alle Maßnahmen darauf anzulegen, die Spaltung zu überwinden. Herr Kollege Genscher wird das näher ausführen. Ob das ein Erfolg werden wird, vermag niemand
vorauszusagen. Aber wenn ich handeln will und mir nicht das Gesetz des Handelns von anderen aufzwingen lassen will, muß ich auch bereit sein, auf diesem Weg entsprechend weiterzugehen.
Warum sollen wir denn nicht die eine Bestimmung, die in § 11 — dieser ist es wohl — der verschiedenen Verträge zwischen der DDR und Polen und der Tschechoslowakei enthalten ist, einbeziehen, in der es ausdrücklich heißt — ich darf wörtlich zitieren —: „Eine Überprüfung dieses Vertrages wird in dem Fall erfolgen, daß ein einheitlicher, friedliebender und demokratischer deutscher Staat entsteht." Nutzen wir doch diese vertraglichen Bindungen, die. die DDR mit Polen, der Tschechoslowakei usw. eingegangen ist, in unseren eigenen Vorschlägen für Vereinbarungen, um auf diesem Weg vielleicht einen Schritt weiterzukommen.
Meine Damen und Herren, der Prozeß des Umdenkens, der insbesondere gegenüber der Sowjetunion ja nicht nur bei uns, sondern insbesondere in der westlichen Welt vor sich gegangen ist, der bei unseren Verbündeten fast abgeschlossen ist, muß bei uns dazu führen, daß wir auch manches von dem neu überdenken, was in der Vergangenheit als selbstverständlich galt. Das bedeutet natürlich, daß man manches erkennen muß, was nicht sehr bequem ist.
Ich glaube, ich kann diese Betrachtung, die nur einen Teilaspekt der Gesamtdebatte darstellen kann, nicht besser abschließen, als daß ich an ein Wort von Walter Rathenau erinnere, der einmal gesagt hat: „Wer hilft unserem Land? Jeder, der die Wahrheit sucht, und jeder, der sie nicht verleugnet, wenn sie ihm begegnet."

(Beifall bei der FDP.)


Walter Scheel (FDP):
Rede ID: ID0518003500
Das Wort hat der Herr Abgeordnete von Wrangel.

Baron Olaf von Wrangel (CDU):
Rede ID: ID0518003600
Herr • Präsident! Meine Damen und Herren! Auch ich muß zunächst einige Bemerkungen zur Methodik machen. Ich werde mich mit der Ziffer 9 unserer Anfrage beschäftigen. Zu anderen Problemen, die auch soeben von Herrn Kollegen Mischnick und von Herrn Kollegen Eppler angesprochen worden sind, werden Freunde von mir noch Stellung nehmen.
Herr Kollege Mischnick, nur eines möchte ich gleich sagen. Natürlich sind wir alle auf der Suche nach der Wahrheit; in diesem Punkt stimme ich mit Ihnen überein. Ich meine aber, niemand in diesem Hause sollte so tun, als hätte er die Wahrheit für sich gepachtet. Sie haben es nicht gesagt; aber es kann leicht der Eindruck entstehen, daß die einen das von sich sagen und damit den anderen Unwahrhaftigkeit unterstellen.
Erlauben Sie gleich noch eine andere Bemerkung. Ich möchte mich hier nicht mit Kreml-Astrologie beschäftigen. Einige Freunde von mir werden noch zum Thema Atomsperrvertrag, zur Ostpolitik und zu unserem Verhältnis zur Sowjetunion im einzelnen Stellung nehmen. Aber, Herr Kollege Mischnick, so zu tun, als wäre die FDP in der Vergan-



Baron von Wrangel
genheit immer die dynamische Partei gewesen und als wären in der CDU/CSU immer die reaktionären Bremser gewesen oder wie immer dies ausgedrückt worden ist, das können wir so nicht hinnehmen. Ich möchte ganz allgemein, Herr Mischnick, sagen: gerade in der Deutschlandpolitik ist es ja nicht so, daß Dynamik unter allen Umständen eine Tugend und Bremsen unbedingt eine Untugend ist. Im Straßenverkehr ist es ja auch nicht so. Man könnte ja auch z. B. in die Fallen der anderen Seite hinein-rasen, und dann werden wir darauf achten, daß gebremst wird.

(Zustimmung und Beifall bei der CDU/CSU.)

Erlauben Sie mir, daß ich zum Atomsperrvertrag nur eines vorwegnehme. Ich vermute, das Mißverständnis ist mittlerweile ausgeräumt. Es geht uns wirklich darum, hier nicht Verträge mit einem Partner abzuschließen, der durch sein Verhalten in Berlin vertrauensunwürdig ist, und nicht, ein künstliches Junktim herzustellen. Dies ist doch die Frage.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Ich bin sicher, daß mein Freund Dr. Birrenbach
nachher noch darauf eingehen wird. — Bitte sehr!

Walter Scheel (FDP):
Rede ID: ID0518003700
Gestatten Sie eine Zwischenfrage von Herrn Dr. Mende?

Dr. Erich Mende (CDU):
Rede ID: ID0518003800
Herr Kollege von Wrangel, darf ich Ihr Beispiel vom Bremsen wie folgt näher von Ihnen erläutert haben: Halten Sie den seinerzeitigen Vorschlag des Präsidenten Kennedy vom Frühjahr 1962, die Berlin-Verbindungswege zu internationalisieren und sie unter die Kontrolle von elf Mächten — unter ihnen die Vier Mächte — zu stellen, für eine Falle?

Baron Olaf von Wrangel (CDU):
Rede ID: ID0518003900
Das letzte
habe ich nicht verstanden. Für eine Falle?

Dr. Erich Mende (CDU):
Rede ID: ID0518004000
Halten Sie den damaligen Vorschlag für eine Falle? Denn damals hat Ihre Fraktion ihn gebremst!

Baron Olaf von Wrangel (CDU):
Rede ID: ID0518004100
Herr Dr. Mende, ich wollte folgendes sagen. Soweit mir dieser Vorschlag bekannt ist, glaube ich, kann man ihn überhaupt nur in einem gesamten Konzept sehen, das damals vorhanden war. Sie, glaube ich, saßen damals noch nicht in der Regierung. Ich glaube, daß man alle diese Vorschläge überhaupt nur in den Friedensplan des früheren amerikanischen Außenministers Herter einordnen kann, bei dessen Zustandekommen das Problem der Verbindungswege nach Berlin eine Rolle gespielt hat. Isoliert betrachtet — das möchte ich deutlich sagen — halte ich eine Internationalisierung der Zufahrtswege nach Berlin für falsch.
Meine Damen und Herren, ich kann einiges, was der Kollege Eppler hier über die Situation Ostberlins gesagt hat, nur unterstreichen. Er hat hier eine sehr eingehende, sehr klare Analyse gegeben; ich komme nicht in allen Punkten zu denselben
Schlußfolgerungen. Ich möchte doch gerade im Hinblick auf die Anerkennung hier wieder einmal mit aller Deutlichkeit sagen, daß dieses Ostberliner Regime doch klare Funktionen hat, die in das gesamte Konzept der sowjetischen Politik einzuordnen sind. Es wäre falsch, immer so zu tun, als hätte dieses Regime einen großen Spielraum an Handlungsfreiheit. Wäre es so, wäre sicherlich die Situation anders.
Hier handelt es sich auch um ein Regime, das einen sicherlich im Auftrag sehr polemischen Entspannungsbegriff hat und ideologisch sehr aggressiv ist. Ich meine nicht aggressiv nur gegen die Bundesrepublik, sondern auch aggressiv, um Liberalisierungstendenzen in Osteuropa zu unterdrücken.
Ich möchte ausdrücklich im Namen der CDU/CSU-Fraktion dem Herrn Bundeskanzler und dem Herrn Bundesaußenminister für die klare Antwort gerade in bezug auf diesen ganzen Fragenkomplex danken. Ich glaube, daß wir hier eines feststellen können: Die Vorschläge, Herr Bundeskanzler, die Sie diesem Hohen Hause unterbreitet haben, stehen sozusagen im Stammbuch der Deutschlandpolitik. Ich frage mich nur, wenn ich die eine oder andere Rede höre, wenn man die Deutschland-Diskussion in der deutschen Öffentlichkeit verfolgt, ob wir nicht Gefahr laufen, daß eine Regierung nur noch gemessen wird an einer gesamtdeutschen Geschäftigkeit und nicht mehr an ihrer Leistung. Dies würde zu einer Frustration führen, und das würde ich sehr bedauern.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Sehen Sie, wir sind mit Ihnen der Meinung, Herr Kollege Eppler, daß Phantasie die Politik beflügeln sollte, und wir sperren uns nicht gegen neue Vorschläge.

(Abg. Dr. Eppler: Gelegentlich etwas!)

Aber ich meine nicht, daß man sehr weit über das hinausgehen kann, was der Bundeskanzler und der Bundesaußenminister hier vorgetragen haben, ohne in eine Situation zu geraten, in der dann doch eines Tages die Zwei- oder Drei-Staaten-Theorie übernommen werden könnte. Ich warne davor, sozusagen in einer Eskalation gesamtdeutscher Phrasendrescherei, Herr Kollege Mischnick, in einem innenpolitischen Kampf plötzlich zu glauben oder die Offentlichkeit glauben zu machen, daß blühende Phantasie ein Ersatz sein kann für realistische Politik.

(Abg. Dr. Martin: Exaktes Denken, würde ich sagen!)

Meine Damen und Herren! Es gibt doch sicherlich — Herr Kollege Eppler, ich glaube nicht, daß wir da verschiedener Meinung sind — auf deutschem Boden so etwas wie ein Wettbewerbsverhältnis zwischen der freiheitlichen Bundesrepublik und einem totalitären Staat. Wenn wir eine nationale Sorgepflicht — ich will hier nicht über den Begriff Alleinvertretungsanspruch polemisieren — für uns in Anspruch nehmen, und wir tun dies, dann haben wir eine Bürde übernommen, die wir gern tragen, und wir tragen sie auch, und wenn die andere Seite, wie der Herr Bundeskanzler heute morgen sagte, für sich einen Alleinherrschaftsanspruch anmeldet,



Baron von Wrangel
dann wird ja diese Wettbewerbssituation ganz klar sichtbar. Wenn man nun von Leistungen einer Regierung spricht, müssen wir doch vor allem auch neben den Vorschlägen des Bundeskanzlers versuchen, den Einfluß der freiheitlichen Bundesrepublik in der Welt auszudehnen. Auf eine vielleicht etwas einfachere Formel gebracht könnte man so weit gehen, zu sagen: wenn unsere Politik friedliebend ist — und sie ist es —, wenn sie offensiv die Entspannung will, wenn sie bereit ist, alles zu tun, um eine europäische Friedensordnung und die Diskussion über sie in Gang zu bringen, nützt alles, was dem Einfluß der Bundesrepublik nützt, auch der deutschen Sache, und alles, was dem Einfluß der Bundesrepublik Deutschland schadet, schadet auch der deutschen Sache.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Sie werden es mir als Mitglied der CDU/CSU-Fraktion nicht übelnehmen, daß ich zwei Sätze sage zu der gängigen, für meine Begriffe vordergründigen Verketzerung unserer Politik in der Vergangenheit. Man muß in den verschiedenen Phasen unterschiedlich reagieren. Die Antworten der fünfziger Jahre waren anders, als es die Antworten in den sechziger Jahren sein können, und in den siebziger Jahren werden wir neue Antworten geben müssen. Wer immer heute über Friedensordnung und Sicherheit redet, sollte sich darüber im klaren sein, daß die Voraussetzungen dafür eben durch diese unsere Politik geschaffen worden sind.
Meine Damen und Herren, ich glaube auch, daß eine Anerkennung Ostberlins die Position der anderen Seite, der Bundesrepublik im Wettbewerb zu schaden, verbessern würde und Energien gegen uns freimachen würde, ganz abgesehen von dem Argument, daß der kommunistische Teil Deutschlands dann Ausland wäre. Ich warne davor, in einer innenpolitischen Originalitätssucht hinsichtlich neuer Vorschläge immer so zu tun, als könnte man mit Institutionen Weltpolitik bewegen.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Man muß die politischen Voraussetzungen schaffen, wenn Institutionen überhaupt funktionieren sollen. Herr Kollege Mischnik, so gesehen, halte ich den Begriff „Normalisierung der Beziehungen" für unglücklich, weil die Verhältnisse und das Verhalten des einen Partners leider anormal sind.
Ein letztes. Ich glaube — auch hier möchte ich mich auf den Herrn Bundeskanzler und den Herrn Bundesaußenminister beziehen —, der Maßstab unserer Politik muß die Glaubwürdigkeit dieser Politik in der ganzen Welt sein. Die Schlacht für Deutschland und um Deutschland wird in der Weltpolitik geschlagen.

(Abg. Dr. Barzel: Sehr wahr!)

Wenn dies der Maßstab ist, können wir, glaube ich, gar nicht eine Politik der Anerkennung betreiben, denn die Nichtanerkennung ist dann ein Kernstück dieser nationalen Sorgepflicht.

(Beifall bei der CDU/CSU.)


Walter Scheel (FDP):
Rede ID: ID0518004200
Das Wort hat der Herr Abgeordneter Genscher.

Hans-Dietrich Genscher (FDP):
Rede ID: ID0518004300
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist verständlich, daß im Mittelpunkt dieser Debatte heute gar nicht mehr so sehr die Fragen der Fraktion der CDU/CSU an die Bundesregierung stehen als vielmehr das Problem Berlin, unsere innerdeutsche Situation und die Möglichkeiten, die wir in dieser Lage haben und in Anspruch nehmen können. Die Situation ist durch den Versuch gekennzeichnet, daß diejenigen, die sich bei jeder Gelegenheit gegen den Alleinvertretungsanspruch, wie sie es nennen, der Bundesregierung wehren, im innerdeutschen Bereich auf Grund von Ereignissen, die sich in der Bundesrepublik zugetragen haben, Einfluß nehmen. Man bedient sich des Vorwands, daß die jetzt notwendig gewordenen Maßnahmen, wie man sie drüben bezeichnet, durch die Verabschiedung einer deutschen Notstandsgesetzgebung ausgelöst worden seien.
Als Vertreter der Opposition möchte ich dazu sagen: wir haben keinen Zweifel, daß dieses Argument von der anderen Seite auch dann gebracht worden wäre, wenn der Deutsche Bundestag hier eine Notstandsgesetzgebung nach unseren Vorstellungen verabschiedet hätte. Allein diese Erkenntnis macht deutlich, daß es sich hier in Wahrheit eben nur um einen Vorwand handelt, um bestimmte Maßnahmen — hier stimme ich völlig mit den Vertretern der Regierung überein, die das gesagt haben —, die seit langem vorbereitet waren, einzuleiten.

Walter Scheel (FDP):
Rede ID: ID0518004400
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage von Herrn von Merkatz?

Hans-Dietrich Genscher (FDP):
Rede ID: ID0518004500
Bitte schön!

Dr. Hans-Joachim von Merkatz (CDU):
Rede ID: ID0518004600
Herr Kollege Genscher, stimmen Sie mir zu, daß der Begriff „Alleinvertretungsanspruch", der dann sehr schnell zu „Alleinvertretungsanmaßung" gesteigert wird, eine Erfindung der anderen Seite ist und nicht das Problem deckt, das unsere Politik in der Sorge um die Einheit unseres Landes beinhaltet?

Hans-Dietrich Genscher (FDP):
Rede ID: ID0518004700
Herr Kollege von Merkatz, wir können uns sicher sehr schnell darauf einigen, daß wir, gerade wir als Demokraten, also die Fraktionen dieses Hohen Hauses, immer nur für uns in Anspruch nehmen, diejenigen zu vertreten, von denen wir in freien Wahlen dazu Legitimation erhalten haben, d. h. also die Menschen 'in der Bundesrepublik Deutschland, und daß uns diese nicht durch uns, :sondern durch andere eingeschränkte Legitimation nicht daran hindert, uns über das Schicksal der ganzen Nation Gedanken zu machen und dafür etwas zu tun.
Meine Damen und Herren, von Herrn von Wrangel ist hier noch einmal der Begriff der Normalisierung aufgenommen worden. Herr Kollege Mischnick hat ihn sicher nicht in dem Sinne ge-



Genscher
braucht, wie ihn die andere Seite in dieser innerdeutschen Situation gebraucht und verstanden wissen will. Ich glaube, gerade die Maßnahmen der letzten Wochen zeigen, daß in Ostberlin ein bemerkenswertes Mißverständnis für das eingetreten ist, was die Völker Europas und ihre Regierungen im Reiseverkehr als normal betrachten. Sie betrachten als normal nämlich den Wegfall von Pässen. Sie be. trachten als normal den Wegfall von Sichtvermerken. Und die Machthaber in Ostberlin werden erkennen, daß sie sich mit dieser Politik zunehmend in Gegensatz zur Auffassung der anderen Staaten in Europa setzen.
Aber diese Erkenntnis allein hilft uns in dieser schwierigen Lage nicht weiter. Denn der Herr Regierende Bürgermeister von Berlin hat hier, wie ich finde, eindrucksvoll mit Fakten die wirkliche Situation in Berlin dargestellt, eine Situation, meine Damen und Herren, die in der Ausfüllung dessen, was wir als Lebensfähigkeit für und von Westberlin betrachten, zu großen Besorgnissen Anlaß gibt, schon vor diesen Maßnahmen, aber erst recht danach. Was er über die Bevölkerungsentwicklung in Westberlin, aber auch die wirtschaftlichen Probleme dieser Stadt gesagt hat, ist so besorgniserregend, daß wir ganz sicher in diesem Hause einer Meinung darüber sind, daß wirtschaftliche Hilfsmaßnahmen, wie wir sie heute hier gemeinsam beantragt haben, zwar notwendig, aber auf die Dauer keineswegs ausreichend sind. Wenn wir die Lebensfähigkeit Berlins für die Zeit der Anomalität der deutschen Situation garantieren wollen, ist mehr erforderlich. Es ist nämlich erforderlich, meine Damen und Herren, dieser Stadt langfristig ein Ziel zu geben und den Menschen, die in dieser Stadt leben und die bereit sind, in diese Stadt zu gehen, langfristig eine Chance aufzuzeigen.
Was wir in den letzten Tagen an Reaktionen der westlichen Verbündeten erlebt haben, ist eben nicht geeignet, diese langfristige Zielsetzung noch glaubwürdig erscheinen zu lassen.

(Beifall bei der FDP.)

Meine Damen und Herren, noch in der Verbalnote der Alliierten an die Bundesregierung im Zusammenhang mit der Ablösung der militärischen Vorbehaltsrechte ist auf die Vorbehaltsrechte im übrigen und auf die Verantwortung der westlichen Alliierten für Deutschland als Ganzes und für Berlin hingewiesen worden. Mit Recht fragt man heute in Deutschland, ob es bei dieser Berufung auf diese Rechte bleiben soll, ob die Alliierten bereit sind, diese Verantwortung auszuüben, oder ob eine Politik fortgesetzt wird, die dadurch gekennzeichnet ist, daß die westlichen Alliierten zunehmend zu einer Unterscheidung ihrer alliierten Rechte und der deutschen Berlinrechte kommen. Wir haben den Eindruck, daß die andere Seite diese sich anbahnende Unterscheidung in der Bewertung der westlichen Rechte und der deutschen Rechte durch die westlichen Verbündeten sich mehr und mehr zu eigen macht und dort versucht, in einen Hohlraum der Politik einzustoßen, wo die westlichen Alliierten diesen Raum zunehmend freigeben.
Hier liegt die Aufgabe deutscher Politik: zu prüfen, ob es sein Bewenden dabei haben kann, daß wir unverändert an die westlichen Alliierten appellieren, oder ob die deutsche Politik nach Wegen 'suchen muß, wie sie diesen freiwerdenden, von den westlichen Alliierten freigegebenen politischen Raum mit deutscher Politik im Interesse der Lebensfähigkeit Westberlins ausfüllt. Das ist die Frage, vor der wir auch bei dieser Debatte stehen.

(Beifall bei der FDP.)

Es kann kein Zweifel darüber bestehen, daß bei einem stärkeren Zusammenstehen der drei Verbündeten mit der Bundesrepublik in dieser Frage manche Maßnahmen unterblieben wären; denn überraschend sind diese Maßnahmen gewiß nicht gekommen, meine Damen und Herren. Sie wurden angekündigt, und im Ankündigungszeitraum ist eben jene Reaktion unterblieben, die man bei vergangenen Gelegenheiten erlebt hat. Ich glaube also, daß bei einem Zusammenstehen, wie der Herr Bundeskanzler es formuliert hat, das möglich gewesen wäre.
Bei einer sehr nüchternen Einschätzung der Lage in Europa und der Welt allerdings kann ich dem Herrn Bundeskanzler in einem Punkte nicht folgen. Er hat in seiner Ansprache an das deutsche Volk gesagt: „Wenn alle zusammenstehen, um Berlin zu helfen, wird Berlin, dessen bin ich sicher, aus dieser Situation gestärkt hervorgehen." Herr Bundeskanzler, ich frage mich, auf welche Realitäten unserer politischen Möglichkeiten eine solche Aussage des deutschen Regierungschefs in dieser Lage gegründet ist. Was wir heute von Ihnen gehört haben, was der Herr Außenminister heute gesagt hat, deckt das noch nicht ab. Es wäre gut, wenn wir eine solche Feststellung treffen könnten.
Meine Damen und Herren! Diese Debatte führt eben zurück auf die Kernfrage, welche Funktionen in Wahrheit die vier Siegermächte des zweiten Weltkrieges in Europa noch wahrnehmen wollen, wie die drei Westmächte ihre Verantwortlichkeiten aus dem Deutschlandvertrag noch ausfüllen wollen. Diese Debatte führt zurück auf die Probleme der europäischen Friedensordnung, und sie führt am Ende auch zurück auf das Verhältnis der deutschen Teilstaaten zueinander.
Bei der Aussprache über den Bundeshaushalt 1968 haben mein Kollege Scheel und ich den Versuch unternommen, die Bundesregierung auf Möglichkeiten, die in einer europäischen Sicherheitspolitik liegen können, hinzuweisen; wir haben die Bundesregierung — was das innerdeutsche Verhältnis angeht — auch gefragt, ob sie bereit sei, ihrer berechtigten Ablehnung des Inhaltes jenes Vertrages, den der Ministerpräsident Stoph dem Bundeskanzler übersandt hat, einen Vertragsentwurf unserer Seite über die Regelung der innerdeutschen Beziehungen für die Zeit der Trennung gegenüberzustellen. Der Herr Bundesminister für gesamtdeutsche Fragen hat damals in der dritten Lesung des Haushalts dazu Stellung genommen, und er hat gemeint, das sei kein Vertragsentwurf der anderen Seite gewesen.



Genscher
Er sagt hier — ich darf aus dem Protokoll vom 5. April 1968 zitieren —:
Das war ja kein Entwurf, sondern nichts anderes als eine Teilungsurkunde, die wir zu unterschreiben hätten, ehe es überhaupt zu einer Verhandlung, ehe es überhaupt zu einem Gespräch käme.
Herr Bundesminister, ich habe daraufhin noch einmal den damaligen Brief des Herrn Stoph geprüft, und ich darf hier die darauf sich beziehende Passage zitieren:
Ich übersende Ihnen daher beiliegend den Entwurf eines Vertrages über die Herstellung und Pflege normaler Beziehungen.
— Was die da drüben unter normal verstehen, habe ich soeben dargelegt. —
In diesem Zusammenhang schlage ich Ihnen vor, umgehend Verhandlungen hierüber und und über den Verzicht beider deutscher Staaten auf die Anwendung von Gewalt in den gegenseitigen Beziehungen aufzunehmen.
— Und dann kommt noch eine Reihe anderer Punkte.
Meine Damen und Herren, ich bin nicht bereit, Herrn Stoph mehr zu geben, als er verlangt; denn das, was er verlangt, ist für uns schon bei weitern zuviel. Also, wenn er sagt, daß er über diesen Entwurf verhandelt wissen will, wird niemand in der Welt der Regierung der Bundesrepublik Deutschland das Recht bestreiten können, der anderen Seite mit einem eigenen Entwurf für die Gestaltung unseres Verhältnisses für die Übergangszeit gegenüberzutreten und darüber Verhandlungen einzuleiten. ln einen solchen Entwurf hinein gehören unsere Vorstellungen von der Zukunft der Nation oder gehört das, was der Bundesminister für gesamtdeutsche Fragen in seiner jüngsten Rede wie folgt formuliert hat — er sagte —:
Das Angebot des Bundeskanzlers, mit der Regierung drüben über ,ein gemeinsam zu entwerfendes und gemeinsam zu verwirklichendes Programm zu verhandeln, das unserem Volk in der Zeit der Trennung doch wenigstens die Bürde der staatlichen Spaltung erleichtert, bleibt aufrechterhalten.
Meine Damen und Herren von der Regierungskoalition, genau das muß der Inhalt eines solchen Vertragsentwurfs unserer Seite sein. Das ist keine Formalisierung des Problems, sondern die Vorlage eines solchen Entwurfs, wie wir uns dieses Nebeneinander für die Zeit bis zum Miteinander und Zusammengehen vorstellen, ist doch die Plattform für die Darlegung unserer Vorstellungen, für den Weg und für die Verbesserung der Situation.
Es kann kein Zweifel bestehen, daß hier heute nicht der Ort ist, einen solchen Entwurf in Einzelheiten darzulegen. Aber vielleicht können wir uns darauf verständigen, daß wir, indem wir auch die andere Seite, die Machthaber in Ostberlin, beim Wort nehmen, einige Punkte in diesen Vertragsentwurf wohl aufnehmen könnten, z. B. den, daß es noch immer eine deutsche Nation gibt, und den anderen, daß die Bundesrepublik und die DDR im Verhältnis zueinander nicht Ausland sind, was in den letzten Tagen noch einmal zu erklären man sich beeilt hat. Schließlich das Dritte: daß alles, was diese beiden Teilstaaten auf deutschem Boden im Rahmen dieses Vertrages und in Ausführung dieses Vertrages tun wollen, nur dein einen Ziel dienen soll, die Zeit der Trennung zu erleichtern und die Spaltung selbst zu überwinden.
Unter diesem Dach gemeinsamer Erklärungen — quasi als Präambel des Vertrages — sind wir frei, das in dieser Lage Mögliche und Notwendige zu tun, ohne daß jemand in der Welt draußen um uns herum den Eindruck hätte, wir hätten hier etwas aufgegeben, was wir im Interesse des ganzen Volkes zu tun verpflichtet sind, nämlich die Spaltung dieses Landes mit allen ihren unerträglichen Folgen zu überwinden.
Wir fragen also: wird die Bundesregierung diesen Weg beschreiten, oder will sie zusehen, wie unterhalb der von den Alliierten in Anspruch genommenen Verantwortlichkeiten ein Stück nach dem anderen wegschwimmt von dem, was wir bisher als gesicherte Position im Interesse aller Deutschen be- trachtet haben. Wir haben doch alle gemeinsam das Ziel, über die Lebensfähigkeit Berlins hinaus noch das Tor für größere Lösungen in Deutschland offenzuhalten.
Deshalb kann es auch hier nicht in der Zielrichtung Auseinandersetzungen geben, sondern eigentlich nur ein Gespräch und eine Diskussion über die richtigen Methoden und den richtigen Weg. — Bitte schön!

Walter Scheel (FDP):
Rede ID: ID0518004800
Gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Hans-Dietrich Genscher (FDP):
Rede ID: ID0518004900
Bitte!

Freiherr Karl Theodor von und zu Guttenberg (CSU):
Rede ID: ID0518005000
Herr Kollege Genscher, man kann aus Ihren Ausführungen den Vorwurf herauslesen, daß die Bundesregierung es versäumt habe, einen möglichen Weg zu gehen und einen möglichen Vorschlag zu machen, um das Verhältnis der, wie Sie sagen, „beiden deutschen Teilstaaten" erträglicher zu machen. Darf ich Sie daran erinnern, daß der Inhalt dessen, was Sie als eine mögliche Formalisierung dieses Verhältnisses bezeichnen, in den Vorschlägen der Bundesregierung vom April vergangenen Jahres enthalten ist? Ihr Vorschlag muß also in der Sache — nach meiner Meinung — damit beantwortet werden, daß die Bundesregierung bereits derartige Vorschläge gemacht hat, diese Vorschläge aber von der anderen Seite zurückgewiesen wurden.

Hans-Dietrich Genscher (FDP):
Rede ID: ID0518005100
Herr Kollege von Guttenberg, ich habe nicht die Absicht, der Bundesregierung zu unterstellen, daß sie das nicht wolle oder daß sie es noch nicht getan habe. Es geht darum, daß wir mit der Vorlage dieses Vertragsentwurfs die Verhandlungsmöglichkeiten für unsere Seite erweitern und daß wir vor allem dazu kommen, unsere Position in



Genscher
diesem Gespräch um das ganze Deutschland näher zu definieren. Denn dahin gehört natürlich auch, welche Vorstellungen wir vom unbehinderten Verkehr von und nach Berlin für die Deutschen und in Berlin haben. Es kann überhaupt kein Zweifel bestehen, daß ein solcher Vertrag nur dann einen Sinn hat — ich möchte hier die Identität unserer Interessen mit denen des ganzen deutschen Volkes ausdrücklich betonen —, wenn er diese Vorstellungen mit niederlegt und am Ende bekräftigt.

Walter Scheel (FDP):
Rede ID: ID0518005200
Gestatten Sie eine weitere Frage?

Hans-Dietrich Genscher (FDP):
Rede ID: ID0518005300
Bitte schön!

Freiherr Karl Theodor von und zu Guttenberg (CSU):
Rede ID: ID0518005400
Herr Kollege Genscher, Sie haben vorhin dem Herrn Bundeskanzler den Vorwurf gemacht, daß seine Formulierung in der Fernsehansprache, wenn alle zusammenstünden, werde Berlin aus dieser Lage gestärkt hervorgehen, nicht der realen Lage entspreche. Darf ich Sie fragen, ob es nach Ihrer Meinung der realen Lage im geteilten Deutschland entspricht, zu sagen, wie Sie es soeben getan haben, daß ein solcher Vertragsvorschlag, wie Sie ihn hier formulierten, die Verhandlungsmöglichkeiten erweitere. Nach meiner Auffassung kann hiervon nach den Erfahrungen, die wir gemacht haben, leider nicht die Rede sein.

(Beifall bei der CDU/CSU.)


Hans-Dietrich Genscher (FDP):
Rede ID: ID0518005500
Herr Kollege von Guttenberg, ich stelle zunächst einmal fest, daß das Sich-Berufen auf die alliierten Rechte allein zunehmend zu Feldverlusten in diesem Bereich führt. Ich befinde mich in Übereinstimmung mit einer Reihe von Mitgliedern der Bundesregierung, die das öffentlich gesagt haben, und auch von Kollegen aus dem Regierungslager, die der Meinung sind, daß man nach Möglichkeiten deutscher Politik in diesem Bereich suchen muß. Es ist eine solche Möglichkeit, wenn dieser Vertragsentwurf unserer Seite alle die Elemente einer wirklichen Normalisierung — nicht im Sinne der anderen Seite verstanden — im innerdeutschen Bereich enthält. Ich glaube, das wäre die angemessene Antwort, und das wäre der Zeitpunkt, das darzulegen, weil das, was wir uns unter einer normalen Situation in Deutschland und für Berlin vorstellen, so vernünftig ist und so sehr der Interessenlage und der Auffassung auch der Völker um uns herum, nicht nur im westlichen, sondern auch im kommunistischen Lager, entspricht.
Wir ringen hier darum. diese Ziele unserer Deutschlandpolitik für alle um uns herum, deren Unterstützung wir bedürfen, so klar wie möglich zu definieren. Das war auch der Grund, warum wir die Bundesregierung immer wieder aufgefordert haben, ihre Sicherheitspolitik, ihre Entspannungspolitik, die wir in den vorhandenen Ansätzen unterstützen, noch näher zu definieren, indem sie ein Modell entwickelt, wie eine künftige europäische Sicherheitsordnung aussehen könnte, in der die militärischen Hinderungsgründe für die Überwindung der Spaltung dieses Kontinents beseitigt sind. Ich sage ausdrücklich: die militärischen Hinderungsgründe, weil ich sehr wohl mit Herrn Eppler der Meinung bin, daß das allein nicht ausreicht, sondern daß eine dauerhafte Friedensordnung in Europa auch erfordert, daß die Völker auf diesem Kontinent nach ihren Vorstellungen leben können und nach ihren Vorstellungen regiert werden. In diesem Bereich ist in Deutschland noch so unerhört viel zu tun.

Walter Scheel (FDP):
Rede ID: ID0518005600
Gestatten Sie eine Frage des Herrn Kollegen Wörner?
Dr. Wörner CDU/CSU) : Herr Kollege Genscher, ich bin gerne bereit, mich einmal versuchsweise auf Ihren Standpunkt einzulassen, wonach man an die Stelle alliierter Rechtspositionen deutsche Rechtspositionen zu setzen habe oder mindestens den Versuch dazu zu machen habe. Aber nun muß ich Sie doch einmal fragen: Wo sind denn nun Realitäten, auf die Sie sich bei dieser Suche stützen? Denn der soeben genannte Vertragsentwurf, dessen Aussichtslosigkeit Sie wohl selbst einsehen, ist eine solche Realität nicht. Das zeigt die Reaktion der anderen Seite.

Hans-Dietrich Genscher (FDP):
Rede ID: ID0518005700
Herr Kollege Wörner, zunächst einmal habe ich nicht davon gesprochen, alliierte Rechtspositionen durch deutsche zu ersetzen. Ich würde es für ganz falsch halten, jemanden aus Verantwortungen zu entlassen, die er völkerrechtlich uns gegenüber übernommen hat.

(Zurufe von der CDU/CSU.)

Aber es ist etwas ganz anderes — hier darf ich Sie an meine Worte noch einmal erinnern —, was ich gesagt habe. Ich habe gesagt: Den Raum, den die Alliierten freigeben, müssen wir mit deutscher Politik ausfüllen, damit nicht die Politik der Gegenseite diesen Raum in ihrem Sinne ausfüllt.

(Beifall bei der FDP. — Abg. Freiherr von und zu Guttenberg: Was heißt das konkret? — Abg. Dr. Müller-Hermann: Können Sie das nicht einmal konkretisieren? — Weitere Zurufe von der CDU/CSU. — Abg. Dorn: Das ist die Stelle, wo sich die Geister scheiden!)

Nun können Sie sagen, Herr Kollege Wörner: Jeder Vertragsentwurf, jeder Vorschlag, ob er nun in das Gewand eines Vertragsentwurfs oder in ein anderes Gewand gekleidet ist, ist aussichtslos, ist irreal. Wenn das so ist, müssen Sie das auch offen dem deutschen Volk sagen. Wenn Sie der Meinung sind, daß vertragliche Bemühungen von vornherein zur Aussichtslosigkeit verurteilt sind, sagen Sie das offen. Aber dann dürfen Sie nicht erst Hoffnungen erwecken, es seien Umstände denkbar, unter denen Berlin sogar gestärkt aus dieser Situation hervorgehe.

(Beifall bei der FDP.)


Walter Scheel (FDP):
Rede ID: ID0518005800
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Fellermaier




Hans-Dietrich Genscher (FDP):
Rede ID: ID0518005900
Bitte!

Ludwig Fellermaier (SPD):
Rede ID: ID0518006000
Herr Kollege Genscher, darf ich Sie bitten, dem Hause doch einmal zu interpretieren, was Sie genau unter „Ausfüllen der deutschen Politik" verstehen, ob Sie nicht glauben, daß das, was die Bundesregierung mit dem Angebot von Gewaltverzicht, und das, was sie mit ihrer Friedensnote getan hat, in der Tat eben das aktive Ausfüllen der Möglichkeiten war, wie wir sie jetzt in der Realität haben.

Hans-Dietrich Genscher (FDP):
Rede ID: ID0518006100
Herr Kollege Fellermaier, ich danke Ihnen, daß Sie die Friedensnote der früheren Bundesregierung erwähnen, weil damit deutlich wird, seit welchem Zeitpunkt Entspannungspolitik in der Bundesrepublik eingeleitet worden ist.

(Beifall bei der FDP.)

Auch wir, Herr Fellermaier, sagen ja zur Politik des Gewaltverzichts. Aber Sie werden mir zugeben, daß mit dieser Politik des Gewaltverzichts noch nicht alle Elemente einer Politik erfüllt sind, die z. B. für die Offenhaltung, und zwar die unbehinderte Offenhaltung des Zugangs von und nach Berlin erforderlich ist. Das ist ein wesentlicher Bestandteil; das ist eine Bemühung, bei der die Bundesregierung die volle Unterstützung der Opposition hat. Aber hier geht es doch um ein Teilproblem, das allerdings für uns im gesamtdeutschen Bereich essentiell ist, nämlich um die Frage, wie wir den ungehinderten Weg von und nach Berlin garantieren, wobei ich unter „ungehindert" auch einen psychologisch nicht mehr beeinflußten freien Zugang meine. Sie könnten heute sehr formal sagen, man könne hin und her fahren, wobei ich bestimmte Gruppen, die schon ausgeschlossen werden, hier einmal ausnehme. Aber die Tatsache, daß diese Maßnahmen, wie sie ergriffen worden sind, zunächst hingenommen werden müssen und daß andere .Überraschungen angekündigt sind, zeigt doch, daß hier weitere Feldverluste im Bereich des Möglichen liegen, die natürlich ihre psychologische Wirkung auch in Berlin nicht verfehlen werden. Auf der Suche, wie man eine solche Entwicklung aufhalten kann, haben wir gesagt: Vielleicht ist das jetzt der Zeitpunkt — wenn früher die Bundesregierung den Zeitpunkt nicht für geeignet hielt —, diesem Vertragsentwurf über die Regelung der Beziehungen der Teilstaaten auf deutschem Boden, der von der anderen Seite vorgelegt worden ist, einen eigenen gegenüberzustellen, in dem wir sagen, wie wir uns die deutschen Zugangsrechte von und nach Berlin vorstellen. Ich glaube, das kann doch niemand von vornherein ablehnen, ohne daß ich Ihnen heute hier den Garantieschein geben kann oder will, die andere Seite werde das genauso akzeptieren, wie wir es vorschlagen. Wir sind doch in diesem Bereich frei von Illusionen.

Walter Scheel (FDP):
Rede ID: ID0518006200
Wir haben zunächst einmal eine Zwischenfrage von Herrn Wörner, wenn Sie die gestatten, Herr Kollege Genscher.

Hans-Dietrich Genscher (FDP):
Rede ID: ID0518006300
Bitte schön!

Dr. Manfred Wörner (CDU):
Rede ID: ID0518006400
Herr Kollege Genscher, mir liegt wirklich nichts an Polemik. Ich stelle mich noch einmal auf Ihren Gedanken ein, wonach also ein Raum freigegeben werde, der durch deutsche Politik zu füllen sei. Aber wenn das nicht bloß ein Schlagwort bleiben soll — und das soll es ja nicht —, müssen Sie doch reale Anhaltspunkte, wenigstens Andeutungen für diesen Weg der deutschen Politik geben. Sonst nützt ja dieses Wort nichts.

Hans-Dietrich Genscher (FDP):
Rede ID: ID0518006500
Herr Kollege, habe ich das nicht getan, indem ich zunächst einmal die gemeinsamen Gedanken, unter denen für uns überhaupt ein solcher Vertragsschluß mit der anderen Seite möglich erscheint, dargelegt habe? Es könnte die Lage eintreten, wo wir vielleicht froh wären, wenn wir diese Gemeinsamkeit noch in einem Vertrag feststellen könnten. Sie wissen doch, daß in allen diesen Fragen, die Deutschland als Ganzes und damit Berlin angehen, leider die Zeit nicht für uns gearbeitet hat, und ich möchte gern auf etwas, was man heute noch für denkbar und möglich hält, auch die andere Seite festlegen, indem wir uns um eine solche vertragliche Regelung bemühen. Wenn ich sage „bemühen", so heißt das doch, daß ich so gut weiß wie Sie, daß ich Ihnen nicht einen Garantieschein dafür geben kann, daß die andere Seite das übernehmen wird, was wir ihr anbieten, sondern daß das am Ende erst vom Verhandlungsergebnis her beurteilt werden kann. Daß wir das wissen, wollen wir uns gegenseitig zugestehen. Aber Sie können natürlich sagen, es hat überhaupt keinen Zweck, über eine solche vertragliche Regelung der Beziehungen auf deutschem Boden mit der anderen Seite zu sprechen. Das ist ein Standpunkt. Ich glaube jedoch, dann müßten Sie dazusagen, daß dann auch keine Aussicht besteht, in anderer Weise solche Regelungen zu erreichen.

(Abg. Wörner: Das hat ja niemand gesagt! — Beifall bei der FDP.)


Walter Scheel (FDP):
Rede ID: ID0518006600
Herr Kollege Genscher, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten von Guttenberg? —

Freiherr Karl Theodor von und zu Guttenberg (CSU):
Rede ID: ID0518006700
Herr Kollege Genscher, habe ich Sie also recht verstanden, daß das, was Sie das Ausfüllen eines offen gewordenen Raumes der alliierten Rechte hinsichtlich der Zugänge nach Berlin durch deutsche Maßnahmen nennen, darin bestehen soll, daß hier deutsche Rechte zwischen Bonn und dem anderen Teil Deutschlands in einem Vertrag etabliert werden sollen? Wenn ich Sie so recht verstanden habe, frage ich Sie, ob Sie wirklich glauben, daß der Ersatz diesbezüglicher alliierter Rechte — die Sie nicht bestritten haben — durch deutsche Rechte eine Besserstellung der Berlin-Lage wäre. Ich bezweifle das.

Hans-Dietrich Genscher (FDP):
Rede ID: ID0518006800
Herr Kollege von Guttenberg, von einem Ersatz der alliierten Rechte kann — das betone ich noch einmal — keine Rede sein. Aber ich will einmal unterstellen, wir könnten zu



Genscher
einer vertraglichen Vereinbarung auch über den Berlin-Verkehr der Deutschen kommen. Würden Sie darin nicht einen Vorteil sehen und würden Sie nicht glauben, daß der Abschluß solcher Vereinbarungen auch den Menschen in Berlin mindestens auf eine Zeit mehr Hoffnung für das Schicksal ihrer Stadt geben würde?

(Abg. Dr. Becher [Pullach] : Aber unter welchen Bedingungen?!)

— Das wird ja Gegenstand der Verhandlungen sein, unter welchen Bedingungen das möglich sein wird.
Meine Damen und Herren, der Bundesminister für gesamtdeutsche Fragen, der doch einer Regierung angehört, die Sie mit tragen, hat gesagt — und wie ich meine, richtig gesagt —:
Das Angebot des Bundeskanzlers, mit der Regierung drüben über ein gemeinsam zu entwerfendes und gemeinsam zu verwirklichendes Programm zu verhandeln, das unserem Volk in der Zeit der Trennung doch wenigstens die Bürde der staatlichen Spaltung erleichtert, bleibt aufrechterhalten.

(Zuruf von der CDU/CSU: Das bestreitet ja niemand!)

Sind Sie der Meinung, daß die Bemühungen, durch Verhandlungen zu einem solchen Ergebnis zu kommen, aussichtslos sind, müssen Sie dieses Argument auch gegenüber dieser Erklärung ins Feld führen. Das allein will ich Ihnen an dieser Stelle sagen.

(Beifall bei der FDP.)

Worum es uns geht, ist, durch einen Vertragsentwurf für die Gestaltung unserer Beziehungen mit der anderen Seite und durch ein Modell für ein gesamteuropäisches Sicherheitsabkommen unsere gemeinsamen Vorstellungen für das innerdeutsche Verhältnis und für die Fragen der europäischen Sicherheit zu konkretisieren, sie der Welt um uns offenbar zu machen und für diese Vorstellungen um Verständnis zu werben. Denn hier ist, sicher zu Recht, gesagt worden: Auch die Machthaber in Ostberlin können ihre Politik nicht im freien Raum machen, auch sie sind angewiesen auf das Urteil der sie umgebenden kommunistischen Staaten. Ich glaube, daß eine Konkretisierung unserer Vorstellungen in der Form eines solchen Vertragsentwurfs wie eine Konkretisierung der Vorstellungen der Bundesrepublik Deutschland für Möglichkeiten einer europäischen Sicherheitsordnung ein geeignetes Instrument wäre, die Politik in Europa in einer Richtung zu bewegen, in der auch für unsere Teilung Erleichterungen und für ihre Überwindung Möglichkeiten aufgezeigt würden.

(Beifall bei der FDP.)

Wir wollen heute bei dieser Debatte nicht mehr, als mit der Regierung darüber ins Gespräch einzutreten, ob sie zu dieser Konkretisierung in der Fom der hier geforderten und genannten Alternativen bereit ist. Niemand kann erwarten, daß jemand heute den Entwurf eines Vertrages über ein europäisches Sicherheitsabkommen oder über die Gestaltung der Beziehungen auf deutschem Boden
vorlegt. Aber wir wollen Ihnen von der Regierungskoalition ankündigen,- daß Sie für den Fall, daß die Bundesregierung bereit ist, mit solchen Entwürfen der anderen Seite gegenüberzutreten, dafür die Mitarbeit und die Unterstützung der parlamentarischen Opposition haben. Wenn die Bundesregierung aus wohlerwogenen Gründen anderer Meinung ist, so werden Sie noch in dieser Legislaturperiode Gelegenheit haben, sich mit diesen unseren Vorstellungen hier auseinanderzusetzen.

(Beifall bei der FDP.)


Walter Scheel (FDP):
Rede ID: ID0518006900
Meine Damen und Herren, wir treten jetzt in eine Mittagspause ein. Damit Sie Gelegenheit haben, sich für die weitere Debatte zu stärken, wird sie nicht um 14 Uhr, sondern um 14.15 Uhr mit der Fragestunde wieder aufgenommen. Dadurch verschiebt sich der Beginn der Fortsetzung dieser Debatte auf 15.15 Uhr.
Die Sitzung ist unterbrochen.

(Unterbrechung der Sitzung von 13.22 bis 14.16 Uhr.)


Walter Scheel (FDP):
Rede ID: ID0518007000
Die Sitzung ist •wieder eröffnet. Ich rufe auf:
Fragestunde
— Drucksachen V/3012, zu V/3012 —
Die Dringlichen Mündlichen Anfragen zum Geschäftsbereich des Bundeskanzlers sind zurückgezogen worden.

(Hört! Hört! bei der FDP.)

Wir kommen daher zunächst zu der Frage 1 des Herrn Abgeordneten Moersch aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für das Post- und Fernmeldewesen:
Welche Gründe stehen der Herausgabe einer Sonderbriefmarke „Bauhaus" und ihrer grafischen Gestaltung durch Prof. Gropius entgegen?
Das Wort zur Beantwortung hat der Herr Staatssekretär Dr. Steinmetz.

Dr. Willy Steinmetz (CDU):
Rede ID: ID0518007100
Herr Präsident, ich darf die Frage des Herrn Abgeordneten wie folgt beantworten:
Das 50jährige Jubiläum des im Jahre 1919 durch Herrn Professor Gropius in Weimar gegründeten Bauhauses ist ohne Zweifel ein Anlaß, dem eine Gedenkbriefmarke gewidmet werden könnte. Von der Sache her gesehen bestehen weder gegen die Ausgabe einer Gedenkmarke durch die Deutsche Bundespost noch gegen die Gestaltung des Entwurfs durch Herrn Professor Gropius Bedenken.
Leider aber können aus betrieblichen Gründen dieses und viele ähnliche Jubiläen von vergleichbarer Bedeutung nicht berücksichtigt werden, da jede Neuausgabe die reibungslose Abwicklung des Dienstbetriebes erschwert. Bei der Vielzahl der aus allen Lebensbereichen an die Deutsche Bundespost herangetragenen Anliegen bezüglich der Herausgabe von Sonderpostwertzeichen müssen wir uns daher auf ein Mindestmaß beschränken. Der Herr Bundesminister für das Post- und Fernmelde-



Staatssekretär Dr. Steinmetz
wesen bedauert deshalb, von der Herausgabe einer Sondermarke „Bauhaus" Abstand nehmen zu müssen.

Walter Scheel (FDP):
Rede ID: ID0518007200
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Moersch.

Karl Moersch (FDP):
Rede ID: ID0518007300
Herr Staatssekretär, darf ich aus Ihrer Antwort schließen, daß die Bundesregierung das Jubiläum des Bauhauses für eine Sache zweitrangiger Art hält, nachdem die Bundesregierung ja zu Anlässen, die mir persönlich wesentlich unbedeutender erscheinen, Sonderbriefmarken herausbringen konnte?

Dr. Willy Steinmetz (CDU):
Rede ID: ID0518007400
Herr Abgeordneter, ich darf Ihnen antworten, daß dem nicht so ist. Wenn Sie Gelegenheit nehmen, das Bulletin, Nr. 64, auf Seite 550 durchzulesen, werden Sie feststellen, daß die Bundesregierung zur Eröffnung dieser Ausstellung ein Mitglied, nämlich Herrn Bundeswohnungsbauminister Dr. Lauritzen, entsandt hat, der dort auch den Wert, den die Bundesregierung diesem Jubiläum beimißt, in einer Rede ausdrücklich betont hat.

Karl Moersch (FDP):
Rede ID: ID0518007500
Herr Staatssekretär, hat die Bundesregierung oder das Bundespostministerium die politische Bedeutung dieses Jubiläums genügend gewürdigt, besonders im Hinblick darauf, daß es in der DDR in dieser Frage ja sehr viel an Öffentlichkeitsarbeit, wenn man das einmal so sagen darf, gegeben hat?

Dr. Willy Steinmetz (CDU):
Rede ID: ID0518007600
Ich habe vorhin schon betont, daß von der Sache her die Herausgabe in jeder Hinsicht bejaht wird, daß aber insbesondere aus betrieblichen Gründen zu unserem Bedauern davon hat abgesehen werden müssen.

Walter Scheel (FDP):
Rede ID: ID0518007700
Wir kommen, dann zur Beantwortung der Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesschatzministers. Ich rufe die Frage 2 des Herrn Abgeordneten Strohmayr auf:
Welche besonderen Gründe rechtfertigen den Verzicht auf einen allgemeinen Architektenwettbewerb far den deutschen Ausstellungspavillon in Osaka 1970?
Das Wort zur Beantwortung hat Herr Staatssekretär Dr. Langer.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0518007800
Herr Abgeordneter, bei der Bewältigung der durch die Ausstellung in Osaka gestellten Aufgaben ergeben sich große Schwierigkeiten. Wie Sie wissen, folgt die Osaka-Ausstellung in recht kurzem Zeitabstand auf die Weltausstellung in Montreal, die im letzten Jahr stattfand. Aus naheliegenden Gründen konnte im wesentlichen erst nach Abschluß der Montreal-Ausstellung, also erst im Herbst 1967, an die vorbereitenden Arbeiten für Osaka herangegangen werden. Da die Weltausstellung Osaka bereits ab Frühjahr 1970 stattfindet, ist es unerläßlich, mit den Bauarbeiten spätestens Anfang 1969 zu beginnen.
Andererseits konnten die Erfordernisse des Bauentwurfs erst konkretisiert werden, nachdem zum mindesten eine gewisse Klarheit über die Themenstellung der Ausstellung Osaka erreicht war. Das war aber erst vor wenigen Wochen der Fall. Wären wir den vom Bundesschatzministerium immer gewünschten Weg eines öffentlichen Architektenwettbewerbs gegangen, wären angesichts der hier notwendigen Vorarbeiten, der in einem öffentlichen Wettbewerb zuzubilligenden Zeit, der dann erforderlichen Prüfung einer gewiß sehr großen Anzahl von Arbeiten und des Zeitaufwandes für die weitere Ausarbeitung viele Monate notwendig gewesen. Wir hätten mit den Bauarbeiten kaum Anfang 1969 beginnen können.
Damit wären wir in allergrößte und nicht zu verantwortende Schwierigkeiten geraten. Deshalb mußten wir uns — das möchte ich betonen — schweren Herzens dazu entschließen, den Weg einer Gutachterausschreibung zu gehen. Für dieses Verfahren haben wir dankenswerterweise das Verständnis des Präsidenten des BDA gewinnen können, der im übrigen auch mit einer Anzahl von anderen namhaften Architekten Mitglied des Beurteilungsausschusses für die abgegebenen Gutachten ist. Für diese Gutachterausschreibung mußten sehr genaue Angaben hinsichtlich der Gestaltung des Pavillonbauwerks gemacht werden, so daß als Ergebnis Arbeiten erhofft werden können, die etwa dem Status eines Vorentwurfs entsprechen.

Walter Scheel (FDP):
Rede ID: ID0518007900
Zu einer Zusatzfrage Herr Stromayr.

Alois Strohmayr (SPD):
Rede ID: ID0518008000
Herr Staatssekretär, ist Ihnen bekannt, daß von kompetenten Stellen bereits im Jahre 1967 daurauf aufmerksam gemacht worden ist, daß die Ausschreibung eines Wettbewerbs für den Ausstellungspavillon möglich und notwendig sei?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0518008100
Ja, Herr Abgeordneter, das weiß ich. Wir waren uns auch des Dilemmas — ich habe ja vorhin gesagt: schweren Herzens mußten wir diesen Weg gehen —, in dem wir gestanden haben, voll bewußt. Gerade weil wir uns dessen bewußt waren und weil wir im Grundsatz genau der gleichen Meinung sind, die hinter Ihrer Frage steht, waren wir genötigt, den anderen Weg zu beschreiten.

Walter Scheel (FDP):
Rede ID: ID0518008200
Zu einer weiteren Zusatzfrage Herr Abgeordneter Strohmayr.

Alois Strohmayr (SPD):
Rede ID: ID0518008300
Herr Staatssekretär, ist Ihnen bekannt, daß innerhalb der Architektenschaft und gerade innerhalb des BDA diese Handlung überhaupt nicht verstanden worden ist?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0518008400
Herr Abgeordneter, ich glaube nicht, daß man es ganz so formulieren kann. Ich konnte



Staatssekretär Dr. Langer
in meiner Antwort bereits darauf hinweisen, daß wir für das Beurteilungsgremium die Mitwirkung des Präsidenten des BDA, von Professor Sage, erreichen konnten — worüber wir uns besonders freuen —, daß aber in diesem Beurteilungsgremium auch noch andere sehr namhafte Architekten tätig sind. Ich will hier nur den Namen von Herrn Professor Eiermann nennen. Sicherlich gab es Schwierigkeiten. Aber wir haben sie gesehen und wir haben sie erwartet. Wir mußten sie leider in Kauf nehmen.

Walter Scheel (FDP):
Rede ID: ID0518008500
Zu einer Zusatzfrage Herr Kollege Josten.

Johann Peter Josten (CDU):
Rede ID: ID0518008600
Herr Staatssekretär, kann der Bundestag auf Grund Ihrer Ausführungen annehmen, daß die Bundesregierung im Hinblick auf die guten Beziehungen zwischen dem japanischen und dem deutschen Volk dafür eintreten wird, daß der Ausstellungspavillon in Osaka in Form und Umfang eine Werbung für die Bundesrepublik bedeuten wird?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0518008700
Herr Abgeordneter, wir werden alles tun, damit dieses selbstverständliche Ziel erreicht wird. Wir haben große Hoffnung, daß die Ergebnisse der Gutachterausschreibung, die ich eben genannt habe und die in den allernächsten Tagen vorliegen werden, uns die Chance geben, dieses Ziel zu erreichen.

Johann Peter Josten (CDU):
Rede ID: ID0518008800
Herr Staatssekretär, sind von Ihrem Hause bereits Anforderungen bezüglich finanzieller Mittel für den Ausstellungspavillon gestellt worden?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0518008900
Herr Abgeordneter, es gibt bereits eine Finanzplanung, und es gibt bereits eine sehr konkrete Vorstellung von der Höhe der Mittel, die für das Bauwerk zur Verfügung gestellt werden.

Walter Scheel (FDP):
Rede ID: ID0518009000
Wir kommen zur Beantwortung der Frage 3 des Herrn Abgeordneten Weigl:
Besitzen die Vergabestellen der öffentlichen Hand eine ausreichende Handhabe, die sich in letzter Zeit häufenden Schleuderpreisangebote von Betrieben der Bauwirtschaft zu untersuchen und unseriöse Angebotsabgaben zurückzuweisen?
Bitte, Herr Staatssekretär!

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0518009100
Herr Präsident! Ich darf die Frage wie folgt beantworten.
Herr Abgeordneter, ich möchte Ihre Frage uneingeschränkt bejahen. Zusätzlich möchte ich ausdrücklich erklären, daß die Baudienststellen des Bundes und der Länder gehalten sind, im Rahmen ihrer gesetzlichen Verpflichtung nach § 26 RHO bei Vergabe von Aufträgen über Bauleistungen die Verdingungsordnung für Bauleistungen — VOB — zu beachten. Im Zusammenhang mit der von Ihnen gestellten Frage ist § 25 Teil A der VOB maßgebend, in dem unmißverständlich vorgeschrieben ist, daß — ich darf hier zitieren — „Angebote, deren Preise in offenbarem Mißverhältnis zur Leistung stehen, ausgeschieden werden, ferner in die engere Wahl nur solche Angebote, deren Preise unter Berücksichtigung rationeller Baubetriebs- und sparsamer Wirtschaftsführung bei einwandfreier Ausführung für den Bieter auskömmlich erscheinen, zu ziehen sind und drittens unter diesen Angeboten der Zuschlag auf das Angebot erteilt werden soll, das unter Berücksichtigung aller technischen und wirtschaftlichen Gesichtspunkte als das annehmbarste erscheint." Ausdrücklich wird abschließend festgestellt, daß der niedrigste Angebotspreis allein nicht entscheidend ist und nicht entscheidend sein darf.

Walter Scheel (FDP):
Rede ID: ID0518009200
Wir kommen zur Beantwortung der Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Wirtschaft, zunächst zur Frage 22 des Herrn Abgeordneten Borm:
Worauf ist .der Rückgang des innerdeutschen Handels von 731,6 Mio Verrechnungseinheiten im ersten Vierteljahr 1967 auf 636,5 Mio Verrechnungseinheiten im ersten Vierteljahr 1968 zurückzuführen?
Die Frage wird vom Abgeordneten Dorn übernommen. Das Wort zur Beantwortung hat der Herr Staatssekretär Dr. Arndt.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0518009300
Die mitteldeutschen Behörden streben seit einiger Zeit an, das Niveau ihrer Bezüge dem Niveau ihrer Lieferungen anzupassen; dies erklärt den starken Rückgang im Umfang des Interzonenhandels im ersten Quartal und auch noch im Monat April des Jahres 1968.

Walter Scheel (FDP):
Rede ID: ID0518009400
Eine Zusatzfrage, Herr Kollege Dorn.

Wolfram Dorn (FDP):
Rede ID: ID0518009500
Herr Staatssekretär, hat die Bundesregierung Überlegungen angestellt, wie ein weiterer Rückgang auf jeden Fall verhindert werden kann, um eine Ausweitung für die nächsten Monate dieses Jahres noch zu erreichen?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0518009600
Die Bundesregierung ist auf Grund der Regierungserklärung vom 13. Dezember 1966 zur Ausweitung des innerdeutschen Handels verpflichtet; sie hat im vorigen Jahr eine Reihe von Verbesserungen eingeführt, die sich auch in der Entwicklung des Jahres 1968 bereits abzuzeichnen beginnen. Die Regelung einiger finanzieller Fragen steht allerdings noch aus.

Walter Scheel (FDP):
Rede ID: ID0518009700
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Kollege Dorn.

Wolfram Dorn (FDP):
Rede ID: ID0518009800
Herr Staatssekretär, sieht die Bundesregierung die Möglichkeit, in absehbarer Zeit zu einer positiven Regelung der der Ausweitung entgegenstehenden Probleme zu kommen? Ich denke vor allem an die Telefongebührenerstattung und ähnliche Dinge. Besteht die Chance, daß hier etwas geschieht?




Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0518009900
Die Bundesregierung hat wiederholt ihre Bereitschaft zu derartigen Verhandlungen erklärt. Es muß allerdings gesagt werden, daß die jüngsten Ereignisse diese Bereitschaft zumindest vorübergehend beeinträchtigt haben.

Walter Scheel (FDP):
Rede ID: ID0518010000
Wir kommen zur Beantwortung der Frage 23 des Herrn Abgeordneten Ziegler:
Kann der Bundeswirtschaftsminister Auskunft darüber geben, warum die von der EWG-Kommission im Jahre 1965 begonnene kartellrechtliche Untersuchung des Wirtschaftszweiges Margarine in .der Europäischen Gemeinschaft bisher noch zu keinem abschließenden Ergebnis geführt hat?
Herr Staatssekretär, bitte!

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0518010100
Herr Präsident, darf ich die Fragen 23 bis 25 zusammenfassen.

Walter Scheel (FDP):
Rede ID: ID0518010200
Bitte sehr! Ich rufe auch die Fragen 24 und 25 des Herrn Abgeordneten Ziegler auf:
Hält es die Bundesregierung nicht für dringend notwendig, daß im Rahmen der in Frage 23 genannten Untersuchung festgestellt wird, aus welchem Grund in verschiedenen Mitgliedstaaten stark unterschiedliche Verbraucherpreise für Margarine gefordert werden und ein innergemeinschaftlicher Handelsaustausch praktisch nicht stattfindet, obwohl seit dem 1. Juli 1967 aile mengenmäßigen Hindernisse und Zollschranken beseitigt sind?
Welche Maßnahmen sind von den deutschen Kartellbehörden getroffen worden, um die Preisbildung fur Margarine und die Rolle der marktbeherrschenden Unternehmen ausreichend zu überwachen?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0518010300
Die Kommission der Europäischen Gemeinschaften hat im Juni 1967 dem Beratenden Ausschuß für Kartell- und Monopolfragen einen vorläufigen Bericht über den ersten Teil der von Ihnen erwähnten kartellrechtlichen Untersuchung über die Margarineindustrie vorgelegt. Nach Anhörung des Beratenden Ausschusses hat die Kommission im Oktober 1967 mit dem zweiten Teil ihrer Untersuchung bei den größten Margarineherstellern begonnen. Dieser Teil der Untersuchung ist noch im Gange.
Gegenstand dieser Untersuchung sind u. a. Fragen, die sich auf die unterschiedlichen Verbraucherpreise und auf den innergemeinschaftlichen Handel für Margarine beziehen. Bisher hat sich ergeben, daß die Unterschiede bei den Verbraucherpreisen darauf beruhen, daß die in ihrer Größenordnung sehr verschiedenen Hersteller in den Mitgliedstaaten mit sehr unterschiedlichen Selbstkosten arbeiten; des weiteren muß in diesem Zusammenhang berücksichtigt werden, daß unterschiedliche Steuersätze vorhanden sind und auch die Groß- und Einzelhandelsspannen in den Mitgliedstaaten sehr voneinander differieren.
Was die deutschen Kartellbehörden anlangt, so hat das Bundeskartellamt in den Jahren 1964 und 1965 wiederholt -geprüft, ob Preiserhöhungen für Margarine gerechtfertigt waren. Diese Prüfungen haben ergeben, daß die vorgenommenen Preiserhöhungen nicht zu beanstanden waren, weil sich auch die Rohstoffpreise inzwischen erhöht hatten.
Die Untersuchungen des Bundeskartellamtes haben zu dem Ergebnis geführt, daß in Deutschland die Margarine-Union eine Preisführerschaft hat. Allerdings ist auch dabei zu: beachten, daß die Preise auf dem deutschen Margarinemarkt bei gleichen Qualitäten sehr voneinander differieren.

Walter Scheel (FDP):
Rede ID: ID0518010400
Eine Zusatzfrage, Herr Kollege Ziegler.

Erich Ziegler (CSU):
Rede ID: ID0518010500
Herr Staatssekretär, darf ich im Zusammenhang mit den Untersuchungen der deutschen Kartellbehörden die Frage an Sie richten, ob bei diesen Untersuchungen wettbewerbsbeschränkende Praktiken festgestellt wurden.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0518010600
Das war nicht der Fall. Der Anteil der nichtpreisgebundenen Sorten von rund 30 % und die Preisabstände zu dem Preisführer oder zur Gruppe der Marken und Unternehmen, die dem Preisführer gehören, war groß genug, um ein Bild des Wettbewerbs zu ergeben.

Walter Scheel (FDP):
Rede ID: ID0518010700
Dann kommen wir zur Beantwortung der Frage 26 des Herrn Abgeordneten Junghans:
Ist die Bundesregierung der Auffassung, daß die Strukturprogramme für Ruhr, Saar und Zonenrandgebiete möglicherweise drohende Arbeitslosigkeit oder bereits vorhandene Arbeitslosigkeit abwenden bzw. beseitigen können?
Herr Staatssekretär, bitte!

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0518010800
Die Antwort kann nur ein uneingeschränktes Ja sein. Mit dem für drei Jahre vorgesehenen Investitionsprogramm für Ruhr, Saar, Zonenrandgebiet — im Rahmen des Strukturprogramms von 1,35 Milliarden DM — würden auf kurze Frist mindestens 10 000 Arbeitskräfte beschäftigt werden können. Auf lange Frist sind für diese Gebiete die Investitionen in der Infrastruktur eine Voraussetzung für ihre endgültige Gesundung. Sie sollen die Mobilität der Arbeitskräfte in diesen Gebieten erhöhen und neue Industrieansiedlungen ermöglichen.

Walter Scheel (FDP):
Rede ID: ID0518010900
Eine Zusatzfrage, Herr Kollege Junghans.

Hans-Jürgen Junghans (SPD):
Rede ID: ID0518011000
Herr Staatssekretär, es werden also kurzfristig und langfristig neue Arbeitsplätze geschaffen?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0518011100
Jawohl.

Walter Scheel (FDP):
Rede ID: ID0518011200
Eine Zusatzfrage des Kollegen Porsch.

Werner Porsch (FDP):
Rede ID: ID0518011300
Herr Staatssekretär, sind Sie also der Meinung, daß im kommenden Winter im Zonenrandgebiet und vor allem im bayerischen Grenzland



Porsch
die hohe Arbeitslosigkeit sich nicht wiederholen wird, die im vergangenen Jahr herrschte?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0518011400
Diese Meinung habe ich nicht vertreten. Sie würde darauf hinauslaufen, daß die Bundesregierung in der Lage ist, die Versäumnisse vieler Jahre auf einmal zu beseitigen. Das hat die neue Bundesregierung nie behauptet. Was wir jetzt zu tun in der Lage sind — wobei wir hoffen, auch weiterhin die Unterstützung des Hohen Hauses zu haben —, ist, in diesen Gebieten die Voraussetzungen für eine gute Infrastruktur sowie für eine industrielle Neuansiedlung zu schaffen.
In einem würde ich Ihnen freilich durchaus folgen können: die Arbeitslosigkeit des nächsten Winters wird — gleiche klimatische Verhältnisse vorausgesetzt — sicherlich unter der des letzten Winters liegen.

Walter Scheel (FDP):
Rede ID: ID0518011500
Eine Zusatzfrage, Herr Kollege Weigl.

Franz Weigl (CSU):
Rede ID: ID0518011600
Herr Staatssekretär, trifft es zu, daß die Bundesanstalt das Ersuchen der Bundesregierung, Mittel zur Verfügung zu stellen, vorläufig abgelehnt hat mit der Begründung, daß die Bundesregierung der Bundesanstalt keine ausgereiften Projekte vorgelegt hat?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0518011700
Diese Formulierung habe ich nur in einer Zeitung vor wenigen Tagen gesehen. Sie ist uns nicht so unterbreitet worden. Ich habe die Protokolle — das Bundesministerium für Arbeit war ja für die Verhandlungen zuständig — sorgfältig durchgesehen. Danach hat die Bundesanstalt in der Vorstandssitzung am 21. Mai 1968 zu erkennen gegeben, daß sie sich an einem gemeinsamen Programm nicht pauschal, sondern nur bei einzelnen Objekten beteiligen kann. Des weiteren hat sie ausgeführt, daß ihre Beteiligung auch von der Liquiditätslage abhängt. Beide Kriterien sind selbstverständlich.

Walter Scheel (FDP):
Rede ID: ID0518011800
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Kollege Weigl.

Franz Weigl (CSU):
Rede ID: ID0518011900
Darf ich voraussetzen, Herr Staatssekretär, daß Sie möglichst bald der Bundesanstalt ganz konkrete Vorschläge unterbreiten, damit diese Entscheidung nochmals geprüft werden kann?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0518012000
Herr Kollege Weigl, auch am 21. Mai lagen zwei Projekte aus diesem gemeinsamen Programm vor. Sie sind jedoch abgelehnt worden. Aber wir — damit meine ich das Bundesministerium für Arbeit, auf dessen Urteil die anderen Ressorts der Bundesregierung sich in erster Linie zu verlassen haben — haben gute Hoffnung, daß die Bundesanstalt für Arbeit sich in einem akzeptablen Ausmaß an diesem gemeinsamen Programm beteiligen wird.

Walter Scheel (FDP):
Rede ID: ID0518012100
Darf ich davon ausgehen Herr Staatssekretär, daß damit die drei Fragen des Herrn Abgeordneten Junghans behandelt sind? Wir haben nämlich zuletzt nur über die beiden Fragen 27 und 28 gesprochen. — Herr Kollege Junghans, Sie haben noch Zusatzfragen? —

(Abg. Junghans: Ich möchte zuerst die Antworten hören!)


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0518012200
Darf ich auf die Fragen 27 und 28 antworten?

Walter Scheel (FDP):
Rede ID: ID0518012300
Ich rufe die Fragen 27 und 28 des Abgeordneten Junghans auf:
Welche regionalwirtschaftlichen und arbeitsmarktpolitischen Folgen sind zu erwarten, wenn die Bundesanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung eine ausreichende finanzielle Beteiligung ablehnt?
Wie gedenkt die Bundesregierung eine fristgerechte Durchführung der in Frage 27 genannten Strukturprogramme zu gewährleisten?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0518012400
Wenn die Bundesanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung eine Beteiligung an der Finanzierung endgültig abgelehnt hätte, könnten entweder die vorgesehenen Projekte nur zum Teil durchgeführt oder die Zinszuschüsse des Bundes müßten entsprechend erhöht werden.
Das Programm wird in Kürze mit den beteiligten Ländern erörtert und unmittelbar danach soll es dem Kabinett vorgelegt werden. Nach dem Kabinettsbeschluß kann unverzüglich mit der Durchführung begonnen werden. Über die Finanzierung der Folgejahre muß dann sicherlich bei der mittelfristigen Finanzplanung gesprochen werden.

Walter Scheel (FDP):
Rede ID: ID0518012500
Zusatzfrage, Herr Kollege Junghans.

Hans-Jürgen Junghans (SPD):
Rede ID: ID0518012600
Herr Staatssekretär, ist die Bundesanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung nicht sogar gesetzlich verpflichtet, die Strukturpolitik bzw. auch die Arbeitsmarktpolitik der Bundesregierung zu unterstützen?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0518012700
Ja, Herr Kollege Junghans. Soweit ich unterrichtet bin, handelt es sich dabei um eine alte Vorschrift und um alte Regeln, die vornehmlich arbeitsintensive Beschäfgungen verlangen. Demnach wird die Arbeit, die in den Maschinen steckt und die bei einer modernen Tätigkeit in hohem Maße zu verwenden wäre, nicht gewertet.

Walter Scheel (FDP):
Rede ID: ID0518012800
Bitte sehr, Herr Kollege!




Hans-Jürgen Junghans (SPD):
Rede ID: ID0518012900
Herr Staatssekretär, halten Sie es nicht für richtig, bei der Strukturpolitik nicht nur auf arbeitsintensive, sondern auf eine gesunde Mischung von arbeitsintensiven und kapitalintensiven Neuansiedlungen zu dringen?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0518013000
Selbstverständlich. Strukturpolitische Investitionen müssen vor allem der Zukunft dienen. Bei ihnen stehen langfristige Aspekte im Vordergrund, nicht Aspekte der kurzfristigen Arbeitsbeschaffung, obwohl dieser Aspekt für dieses Gebiet sicherlich auch sehr wichtig ist.

Walter Scheel (FDP):
Rede ID: ID0518013100
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Kollege Junghans.

Hans-Jürgen Junghans (SPD):
Rede ID: ID0518013200
Halten Sie diesen alten Zopf in den gesetzlichen Bestimmungen, den Sie nannten, nicht insoweit für überholungsbedürftig, damit das Instrument der Bundesanstalt den Instrumenten der Bundesregierung angepaßt wird?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0518013300
Die Bundesregierung hat auf Vorschlag des Bundesministers für Arbeit ein Arbeitsmarktförderungsgesetz eingebracht, in dem in einer Vorschrift die Schwächen dieser Regelung beseitigt werden.

Walter Scheel (FDP):
Rede ID: ID0518013400
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Kollege Junghans.

Hans-Jürgen Junghans (SPD):
Rede ID: ID0518013500
Zur Projektbestimmung, die Herr Kollege. Weigl vorhin angeschnitten hat, eine Zusatzfrage: Ist es nicht so, Herr Staatssekretär, daß Sie als Bundesregierung bei der einzelnen Projektbestimmung auf die tätige Mithilfe der in Betracht kommenden Landesregierungen beinahe auf Gedeih und Verderb angewiesen sind?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0518013600
Ja, es sind eigentlich sogar Länderprogramme. Die Bundesregierung maßt sich nicht an, über die Geschehnisse und Notwendigkeiten an Ort und Stelle besser Bescheid zu wissen als die Gebietskörperschaften, Institutionen und Menschen an Ort und Stelle. Wir haben uns lediglich erlaubt, aus den Vorschlägen der Länder die Maßnahmen auszuwählen, die auch den Intentionen der Bundesregierung am besten entsprechen. Deswegen ist ja eine nochmalige Besprechung mit den Ländern erforderlich.

Walter Scheel (FDP):
Rede ID: ID0518013700
Eine Zusatzfrage, Kollege Weigl.

Franz Weigl (CSU):
Rede ID: ID0518013800
Herr Staatssekretär, darf ich also davon ausgehen, daß das Strukturprogramm, vor allem für die Zonenrandgebiete, so weitgehend ausgearbeitet ist, auch im Detail, daß bereits in nächster Zeit eine Entscheidung fallen kann?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0518013900
Herr Kollege Weigl, zunächst muß das Kabinett einen Beschluß über die Finanzierung fassen; des weiteren — das kann nicht vor Juli geschehen — muß auch der Vorstand der Nürnberger Anstalt Finanzierungsbeschlüsse fällen. Erst dann kann die Bundesregierung mit der Ausweitung des gegenwärtigen, ja nur für Ruhr und Saar beschlossenen Strukturprogramms auf Zonenrand- und Bundesausbaugebiete beginnen. Wenn die Termine aber eingehalten werden können — das heißt, daß noch vor den allgemeinen Sommerferien diese Finanzierungsbeschlüsse gefaßt werden —, ist noch in diesem Jahr mit einem schnellen Beginn der Bauarbeiten zu rechnen.

Walter Scheel (FDP):
Rede ID: ID0518014000
Eine Zusatzfrage, Kollege Porsch.

Werner Porsch (FDP):
Rede ID: ID0518014100
Herr Staatssekretär, ist der Bundesregierung bekannt, daß vor allem im Bereich des bayerischen Grenzlandes auf dem Gebiet des Wohnungsbaus sehr viel getan werden könnte, wenn genügend zinsverbilligte Mittel zur Verfügung stünden, vielleicht in Form von Sonderprogrammen?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0518014200
Herr Kollege, das ist im Zweiten konjunktur- und strukturpolitischen Programm in einem hohen Maße erfolgt. Es sind auch Sondermittel und Sondervergünstigungen C für das Zonenrandgebiet eingeräumt worden. Im übrigen würde ich Sie bitten, diese Frage in erster Linie an den Herrn Bundeswohnungsbauminister zu richten.

Walter Scheel (FDP):
Rede ID: ID0518014300
Eine Zusatzfrage, Kollege Strohmayr.

Alois Strohmayr (SPD):
Rede ID: ID0518014400
Herr Staatssekretär, ist Ihnen bekannt, welche konkreten Vorschläge der bayerischen Staatsregierung für dieses Programm vorliegen?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0518014500
Alle Vorschläge die an die Bundesregierung herangetragen werden, kommen über die jeweiligen Landesregierungen. Es handelt sich um eine Vielzahl von Projekten, die ich hier schlecht im einzelnen aufzählen kann. Aber ich glaube, in den zuständigen Ausschüssen wird Zeit und Gelegenheit sein, im einzelnen Rede und Antwort zu stehen.

Walter Scheel (FDP):
Rede ID: ID0518014600
Noch eine Zusatzfrage.

Alois Strohmayr (SPD):
Rede ID: ID0518014700
Herr Staatssekretär, ich glaube, Sie sind nicht ganz auf meine Frage eingegangen. Ich frage Sie nun konkret: Hat die bayerische Staatsregierung ein geschlossenes Programm vorgelegt?
Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 180. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den" 20. Juni 1968 9731

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0518014800
Das ist noch nicht der Fall.

Walter Scheel (FDP):
Rede ID: ID0518014900
Wir kommen dann zur Beantwortung der Frage 29 des Herrn Abgeordneten Strohmayr:
Teilt die Bundesregierung die Auffassung, daß Wellausstellungen ein besonders repräsentatives Forum sind, für die Bundesrepublik Deutschland zu werben?
Das Wort zur Beantwortung hat der Herr Staatssekretär.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0518015000
Die Bundesregierung ist der Auffassung, daß Weltausstellungen zumindest ein repräsentatives Forum sind, für die Bundesrepublik zu werben. Was die Ausstellung in Osaka 1970 anlangt — vorhin war davon schon die Rede —, so glaubt die Bundesregierung, daß sie wegen ihrer besonderen Ausstrahlungskraft in Ostasien eine gute Möglichkeit bietet, in diesem Teil der Welt die Bundesrepublik darzustellen.

Walter Scheel (FDP):
Rede ID: ID0518015100
Eine Zusatzfrage, Kollege Strohmayr.

Alois Strohmayr (SPD):
Rede ID: ID0518015200
Herr Staatssekretär, glauben Sie nicht, daß es dann um so unverständlicher ist, daß der vorher besprochene Ideenwettbewerb nicht durchgeführt worden ist?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0518015300
Herr Staatssekretär Langer ist schon auf dieses Problem eingegangen. Er hat ausgeführt, daß er es gern gesehen hätte, wenn sich das hätte machen lassen, wegen Zeitmangel sei jedoch diese Möglichkeit ausgeschlossen gewesen.

Walter Scheel (FDP):
Rede ID: ID0518015400
Eine weitere Zusatzfrage.

Alois Strohmayr (SPD):
Rede ID: ID0518015500
Herr Staatssekretär, man hat bei diesen großen Aufträgen manchmal den Eindruck, als ob nur einige wenige berücksichtigt werden sollen, und ich frage Sie, ob das der Fall ist.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0518015600
Das war nicht der Ausgangspunkt der Entscheidung.

Walter Scheel (FDP):
Rede ID: ID0518015700
Eine Zusatzfrage, Kollege Jung.

Kurt Jung (FDP):
Rede ID: ID0518015800
Herr Staatssekretär, habe ich Sie soeben richtig verstanden, daß Zeitmangel der Grund war? Ist nicht diese Weltausstellung schon seit längerer Zeit bekannt? Hat sich die Bundesregierung darauf nicht rechtzeitig eingestellt?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0518015900
Für das Bundesministerium für Wirtschaft existieren diese Probleme erst seit dem vorigen Jahr.

Walter Scheel (FDP):
Rede ID: ID0518016000
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Kollege Jung.

Kurt Jung (FDP):
Rede ID: ID0518016100
Herr Staatssekretär, genügt nicht der Zeitraum von einem Jahr, um einen entsprechenden Wettbewerb vorzubereiten, auszuschreiben und durchzuführen?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0518016200
Ich verweise noch einmal auf die Ausführungen von Herrn Staatssekretär Dr. Langer, der diese Frage verneint hat.

Walter Scheel (FDP):
Rede ID: ID0518016300
Eine Zusatzfrage, Kollege Schmidt (Braunschweig).

Walter Schmidt (SPD):
Rede ID: ID0518016400
Herr Staatssekretär, sind Sie mit mir der Auffassung, daß die Beteiligung der Bundesrepublik an der Weltausstellung im vorigen Jahr in Montreal für die Bundesrepublik ein. voller Erfolg war?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0518016500
Es kommt auf die Definition des „vollen Erfolges" an, Herr Kollege Schmidt. Sagen wir, es war ein geteilter Erfolg.

(Abg. Schmidt [Braunschweig]: Ich meine jetzt: unter werbendem Aspekt!)

— Ich kann mich nur auf Urteile anderer verlassen, Herr Kollege. Ich bin selbst nicht in Montreal gewesen.

Walter Scheel (FDP):
Rede ID: ID0518016600
Eine Zusatzfrage des Herrn Kollegen Dorn.

Wolfram Dorn (FDP):
Rede ID: ID0518016700
Herr Staatssekretär, nachdem Sie vorhin gesagt haben, die Zeitspanne von einem Jahr habe nicht ausgereicht, um die erforderlichen Ausschreibungen durchzuführen, frage ich Sie: Sind Sie nicht mit mir der Meinung, daß, wenn ein Jahr für Ausschreibung und Durchführung eines Wettbewerbs bis zum Abschluß nicht ausreichend ist, wenigstens 60 bis 70 % aller Bauvorhaben, die in der Bundesrepublik ausgeschrieben worden sind, niemals hätten durchgeführt werden können?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0518016800
Dieses eine Jahr hat ja nicht allein für die Ausführung zur Verfügung gestanden. In dem einen Jahr mußte überhaupt erst das ganze Konzept der Bundesregierung für Osaka erarbeitet werden: welche Akzente in der Thematik soll die Ausstellung haben, welche Mittel sind verfügbar? Sie wissen, daß vom Einsatz der Mittel natürlich in gewisser Weise auch der Erfolg der Ausstellung abhängt. Das mußte erst im Laufe des letzten Jahres geklärt werden, bevor man an die anderen Dinge herangehen konnte.




Walter Scheel (FDP):
Rede ID: ID0518016900
Wir kommen zur Beantwortung der Frage 30 des Abgeordneten Ollesch:
Ist die Bundesregierung der Auffassung, daß der Bau von Großkraftwerken auf der Basis von Kohle in Verbindung mit der Schaffung großräumiger Energieverteilungsorganisationen geeignete Maßnahmen sind, dem Steinkohlenbergbau in der Bundesrepublik Deutschland auf lange Sicht die Konkurrenzfähigkeit zu erhalten?
Die Frage wird von dem Abgeordneten Ramms übernommen.
Bitte, Herr Staatssekretär!

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0518017000
Die Bundesregierung fördert den Bau von Steinkohlekraftwerken und den Einsatz von Steinkohle zur Stromerzeugung, um die Absatzentwicklung der Steinkohle zu stabilisieren. In den Steinkohlerevieren bestehen schon heute Kraftwerke mit Leistungseinheiten bis zu 350 MW. Weitere Einheiten dieser Größenordnung sind im Bau oder sind für die weitere Zukunft geplant. Durch den Übergang zu noch größeren Kraftwerkblöcken lassen sich die Erzeugungskosten des Steinkohlestroms allerdings nicht wesentlich vermindern, da von da an spezielle Probleme auftreten.
Insofern kann für eine gewisse Zeit der Bau von Steinkohlekraftwerken durchaus dazu beitragen, den Steinkohleabsatz zu stabilisieren. Die Bundesregierung hat im Jahreswirtschaftsbericht eine energiewirtschaftliche Projektion bis zum Jahre 1971 vorgelegt. Man kann darüber hinaus auch noch bis 1975 verläßliche Schätzungen anstellen. Sollten Sie aber mit „auf lange Sicht" einen Zeitraum meinen, der wesentlich über das Jahr 1975 hinausgeht, dann bedaure ich, Ihre Frage nicht beantworten zu können.

Walter Scheel (FDP):
Rede ID: ID0518017100
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Ramms.

Egon Wilhelm Theodor Ramms (FDP):
Rede ID: ID0518017200
Ist auch das vom RWE neu geplante Kraftwerk mit einer Größenordnung von mehr als 1000 MW auf Kohiebasis ausgerichtet?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0518017300
Nein, bei dieser Maßnahme handelt es sich um ein Kernkraftwerk.

Walter Scheel (FDP):
Rede ID: ID0518017400
Dann kommen wir zur Beantwortung der Frage 31 des Abgeordneten Ollesch:
Hat die Bundesregierung Anhaltspunkte dafür, daß Kohlestrom aus Großkraftwerken, auch langfristig gesehen, preiswerter als Atomstrom ist?
Die Frage wird ebenfalls von Herrn Abgeordneten Ramms übernommen.
Bitte, Herr Staatssekretär!

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0518017500
Diese Frage ist zu verneinen. Bei den gegenwärtigen Verhältnissen kann Strom aus Steinkohle nicht billiger sein als Strom aus Kernenergie. Für den Zeitraum nach 1975,
also langfristig gesehen, kann hierüber kein Urteil abgegeben werden.

Walter Scheel (FDP):
Rede ID: ID0518017600
Wir kommen zur Beantwortung .der Frage 32 des Herrn Abgeordneten land:
Ist der Bundesregierung bekannt, daß die vom Bundeswirtschaftsministerium mit Zustimmung des Bundesverkehrsministeriums geplante Änderung der Kundensatzverordnung für den Spediteursammelgutverkehr eine grundlegende Veränderung der Situation herbeiführen würde, unter welcher der Verkehrsausschuß des Deutschen Bundestages seine Beratungen zu einem verkehrspolitischen Gesamtprogramm begonnen hat?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0518017700
Herr Präsident, ich bitte, die Fragen ides Herrn Abgeordneten Weiland zusammen beantworten zu dürfen.

Walter Scheel (FDP):
Rede ID: ID0518017800
Bitte sehr. Dann rufe ich auch die Fragen 33 und 34 des Herrn Abgeordneten Weiland auf:
Gibt es einen dringenden Grund, der es notwendig macht, daß diese Erschwerung der verkehrspolitischen Entscheidungen gerade jetzt ausgelöst wird und für zwei Jahre Geltung haben soll?
Bestehen ernste Bedenken dagegen, daß eine kurzfristige Verlängerung, etwa für ein Jahr, ohne Änderung des materiellen Inhaltes der geltenden Regelung erfolgt, damit der Bundestag die Entscheidung über diesen Komplex ohne Erschwerung der Sachlage treffen kann?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0518017900
Die Bundesregierung sieht zwischen der Kundensatzverordnung für den Spediteursammelgutverkehr und den Beratungen des Verkehrsausschusses des Bundestages über .das verkehrspolitische Gesamtprogramm keinen Zusammenhang. Die vorläufige Kundensatzverordnung ist bis zum 30. Juni 1968 befristet. Um den Beteiligten die Umstellung zu erleichtern, sollen der Auslauftermin erneut hinausgeschoben und gleichzeitig ,die staatliche Preisbindung wie folgt weiter gelockert werden: Auf die Einbeziehung des grenzüberschreitenden Verkehrs wird nunmehr ganz verzichtet. Außerdem wird die Marge für Vereinbarungen zwischen den Vertragsparteien nach oben und nach unten um 5 °/o erweitert.
Die Bundesregierung glaubt nicht, daß die neue Regelung die anstehenden verkehrspolitischen Entscheidungen erschwert. Der Zeitpunkt der Neuregelung ergibt sich aus dem Auslaufen der geltenden Regelung. Nach Auffassung der Bundesregierung bestehen gegen dieses Verfahren aus den vorher dargelegten Gründen auch keine Bedenken. Ihr ist auch nicht bekannt, daß der Bundestag beabsichtigt, über diesen Komplex demnächst eine materielle Entscheidung zu treffen.

Walter Scheel (FDP):
Rede ID: ID0518018000
Eine Zusatzfrage? — Ja.

Erich Weiland (CDU):
Rede ID: ID0518018100
Herr Staatssekretär, ist bei der gegebenen Marktlage nicht damit zu rechnen, daß alle Kundenabrechnungen für Spediteursammelgutverkehre auf der Basis dies Tarifs minus 5 % erfolgen werden?




Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0518018200
Die Bundesregierung rechnet nicht damit.

Walter Scheel (FDP):
Rede ID: ID0518018300
Eine weitere Zusatzfrage?

Erich Weiland (CDU):
Rede ID: ID0518018400
Ja. — Trifft es zu, daß die Deutsche Bundesbahn gegen diesen Plan schwere Bedenken geltend gemacht hat?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0518018500
Das ist mir nicht bekannt, Herr Kollege. Mir ist nur bekannt, daß die Ausdehnung der Margen auch das von der Deutschen Bundesbahn vorgesehene neue Rabattsystem berücksichtigt. Damit die Bundesbahn zusätzlichen Verkehr gewinnen kann, sollen die am Bahnsammelgutverkehr beteiligten Spediteure in die Lage versetzt werden, die mit dem neuen Ausnahmetarif verbundenen Frachtvorteile an ihre Auftraggeber weiterzugeben.

Walter Scheel (FDP):
Rede ID: ID0518018600
Eine weitere Zusatzfrage.

Erich Weiland (CDU):
Rede ID: ID0518018700
Herr Staatssekretär, können Sie sich vorstellen, daß diese Marge von minus 5% auch dazu führen würde, daß die Bundesbahn mit ihren inneren Tarifen für den Stückgutverkehr zurückgehen muß?
3)

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0518018800
Das muß erst geprüft werden, Herr Kollege Weiland.

Walter Scheel (FDP):
Rede ID: ID0518018900
Noch eine Zusatzfrage.

Erich Weiland (CDU):
Rede ID: ID0518019000
Herr Staatssekretär, wie hoch schätzen Sie, daß der Einnahmeverlust bei der Bundesbahn im Stückgutverkehr sein könnte, wenn die Bundesbahn gezwungen ist, diese Marge von Minus 5 % mit zu gewähren?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0518019100
Diese Frage bitte ich an den Herrn Bundesminister für Verkehr zu richten, da diese Frage in erster Linie die Bundesbahn betrifft.

Walter Scheel (FDP):
Rede ID: ID0518019200
Eine Zusatzfrage, Herr Kollege Ramms.

Egon Wilhelm Theodor Ramms (FDP):
Rede ID: ID0518019300
Herr Staatssekretär, hat die Bundesregierung aus den letzten sieben Jahren in der Verkehrspolitik nicht die Erfahrung gesammelt, daß sich alle Tarife im Verkehr immer auf der unteren Marge, d. h. in diesem Fall minus 5 %, einpendeln und man die obere Marge, plus 15 %, nie ausschöpfen kann?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0518019400
In den letzten
Jahren, nicht nur den letzten sieben Jahren, hat die Bundesregierung die Erfahrung gesammelt, daß erstens die Preise auch nach unten elastisch sein können, wenn man sie freigibt, zweitens die sich betroffen fühlenden Unternehmen dennoch weiter expandieren und florieren und drittens auf diese Weise in manchen Fällen auch eine ehrliche Preisgestaltung ermöglicht wird, d. h. daß das legalisiert wird, was vorher zum Teil unter Umgehung des Gesetzes gemacht wurde.

Walter Scheel (FDP):
Rede ID: ID0518019500
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Kollege Ramms.

Egon Wilhelm Theodor Ramms (FDP):
Rede ID: ID0518019600
Herr Staatssekretär, womit sind die Einnahmeverluste der Verkehrsträger eigentlich zu begründen, wenn Sie sagen, daß sie trotzdem weiter floriert haben? Ich denke an die Deutsche Bundesbahn und an die deutsche Binnenschiffahrt, bei denen diese Margentarife nicht nur bis auf minus eingependelt, sondern weit unter Wasser geschossen worden sind.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0518019700
Auch diese Frage, Herr Kollege Ramms, bitte ich an den Herrn Bundesminister für Verkehr zu richten.

Walter Scheel (FDP):
Rede ID: ID0518019800
Es sind keine Zusatzfragen mehr zulässig, Herr Kollege Ramms. Dieses bedeutende 'Recht, für jede Frage zwei Zusatzfragen zu haben, steht nur dem Fragesteller zu.
Wir kommen dann zur Beantwortung der Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundeskanzlers und des Bundeskanzleramtes, zunächst zur Frage 4 des Herrn Abgeordneten Moersch:
Welchen konkreten Zeitpunkt hat der stellvertretende Sprecher der Bundesregierung, Conrad Ahlers, gemeint, als er bei einer Betrachtung des Nürnberger Parteitages der SPD schrieb:
„...seitdem die Länder sich immer weniger zu einer sinnvollen Zusammenarbeit mit dem Bund bereit finden und seitdem das zentrale Verfassungsorgan des Bundes, der Bundestag, immer mehr an innerer Kraft und äußerer Bedeutung verliert."?
Das Wort zur Beantwortung hat der Herr Staatssekretär Diehl.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0518019900
Herr Abgeordneter, Herr Ahlers war von der Redaktion der „Neuen Gesellschaft" zusammen mit anderen Publizisten gebeten worden, eine Bilanz des SPD-Parteitages in Nürnberg zu ziehen. In seinem Artikel hat er u. a. die langfristige Entwicklung des demokratischen Prozesses behandelt und hat infolgedessen bei der von Ihnen angeführten Aussage keinen konkreten Zeitpunkt im Auge gehabt. Ich darf hinzufügen, daß sich Herr Ahlers erkennbar nicht in amtlicher Eigenschaft geäußert hat.

Walter Scheel (FDP):
Rede ID: ID0518020000
Eine Frage, Herr Kollege Moersch.

Karl Moersch (FDP):
Rede ID: ID0518020100
Herr Staatssekretär, teilen Sie die Meinung, daß es eine Gespaltenheit der Person in amtlich und privat bei den Dienstobliegenheiten des stellvertretenden Sprechers der Bundesregierung eigentlich gar nicht geben kann?




Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0518020200
Ich räume ein, daß ein solches Spannungsverhältnis entstehen kann. Die Meinungsfreiheit auch von Personen, die im Bundesdienst stehen, wird aber durch das Gesetz sehr stark geschützt. Ich darf Sie daran erinnern, daß schriftstellerische und Vortragstätigkeit ebenso wie künstlerische Tätigkeit nicht genehmigungspflichtig sind. Ich habe im Grunde selbst Bedenken, mich zu einem Artikel oder einem Vortrag hier amtlich als Chef des Hauses zu äußern. Ich müßte das tun, ich müßte auch eingreifen, wenn Mißbräuche vorlägen. Das ist aber nicht der Fall.

Walter Scheel (FDP):
Rede ID: ID0518020300
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Kollege Moersch.

Karl Moersch (FDP):
Rede ID: ID0518020400
Herr Staatssekretär, darf ich immerhin aus Ihrer Antwort schließen, daß Sie die in diesem Artikel festgestellte abnehmende äußere Bedeutung und den Verlust an innerer Kraft, die hier dem Bundestag bescheinigt werden, jedenfalls nicht als eine amtliche Äußerung ansehen, sondern als eine unverbindliche Äußerung betrachten?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0518020500
Es ist eine Äußerung von Herrn Conrad Ahlers; es ist keine amtliche Äußerung, das hatte ich bereits gesagt.

Walter Scheel (FDP):
Rede ID: ID0518020600
Wir kommen dann zur Beantwortung der Frage 5 des Herrn Abgeordneten Dorn:
Was hat die Bundesregierung veranlaßt, durch ihren Sprechei am 31. Mai einen Aufenthalt des französischen Staatspräsidenten de Gaulle in Baden-Baden bekanntgeben zu lassen und nach dem französischen Dementi ihre Mitteilung erneut zu bekräftigen?
Das Wort zur Beantwortung hat Herr Staatssekretär Diehl.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0518020700
Herr Abgeordneter, Sie haben nach der Veranlassung meiner Äußerung gefragt. In beiden Fällen haben Fragen von Journalisten den Sprecher der Bundesregierung veranlaßt, wahrheitsgemäß zu antworten.

Walter Scheel (FDP):
Rede ID: ID0518020800
Zusatzfrage, Kollege Dorn.

Wolfram Dorn (FDP):
Rede ID: ID0518020900
Herr Staatssekretär, wie beurteilt die Bundesregierung das Verhalten der französischen Botschaft in diesem konkreten Fall, die den Aufenthalt des französischen Staatspräsidenten auf deutschem Boden ausdrücklich dementiert hat?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0518021000
Herr Abgeordneter, die entstandene Lage hat einen Augenblick lang für einen Militärsprecher in Baden-Baden offenbar eine schwierige Situation geschaffen, nicht für die Bundesregierung und nicht für die französische Botschaft. Die Deutsche Presseagentur hat am Nachmittag desselben Tages gemeldet: „Ein Sprecher der französischen Botschaft in Bonn erklärte am Freitag nachmittag auf Anfrage, er habe
der Mitteilung von Diehl über den Aufenthalt de Gaulles in Baden-Baden nichts hinzuzufügen."

Walter Scheel (FDP):
Rede ID: ID0518021100
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Kollege Dorn.

Wolfram Dorn (FDP):
Rede ID: ID0518021200
Herr Staatssekretär, ist es dann auch auf die augenblickliche verwirrte Situation militärpolitischer Aussagen in Baden-Baden zurückzuführen, daß ein besonderer Hinweis auf die Präsenz auch von Kanadiern in Baden-Baden so zum Ausdruck gebracht werden mußte?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0518021300
Nein, ich glaube nicht. Ich nehme an, daß Sie darauf anspielen, daß gefragt wurde, wer auf dem in Frage stehenden Flugplatz eigentlich anwesend gewesen sei. Es stellte sich dann heraus, daß es ein Flugplatz ist, der nicht nur von französischer Seite benutzt wird.

Walter Scheel (FDP):
Rede ID: ID0518021400
Eine Zusatzfrage des Herrn Kollegen Moersch.

Karl Moersch (FDP):
Rede ID: ID0518021500
Herr Staatssekretär, war die Informationspolitik der Bundesregierung auch von der Überlegung bestimmt, daß damit gewisse Vertragssituationen zwischen Deutschland und Frankreich geklärt werden sollten?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0518021600
In erster Linie war der Grundsatz, der mich geleitet hat, wenn ich auf einer Pressekonferenz gefragt werde, wenn ich nicht gebunden bin, das zu sagen, was wahr ist.

(Lachen und Zurufe von der FDP: Das war ein Knüller!)

— Ich sehe, daß das als ungewöhnlich empfunden wird.

(Erneutes Lachen bei der FDP. — Abg. Mertes: Um den Grad der Wahrheit handelt es sich!)

— Herr Abgeordneter, Tatsache ist, daß ich eine Frage bekam, die dahin lautete, ob die Bundesregierung von diesem Besuch unterrichtet gewesen sei, und ich habe geantwortet: Ja, in der Tat, sie war unterrichtet.

Walter Scheel (FDP):
Rede ID: ID0518021700
Eine weitere Zusatzfrage.

Karl Moersch (FDP):
Rede ID: ID0518021800
War nach der Vertragslage die Unterrichtung ausreichend, oder mußte eine vorherige Frage, ob der Besuch genehm sei, an die Bundesregierung gerichtet werden?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0518021900
Herr Abgeordneter, ich habe auf der Pressekonferenz auch zu dieser Frage ziemlich ausführlich Stellung genommen. Es ist durchaus üblich — ich wiederhole.
es gern —, daß die Staatsoberhäupter anderer Staaten, deren Truppen in der Bundesrepublik stationiert sind, Besuche bei diesen Truppen machen, und es ist üblich, daß diese Besuche bei der Bundes-



Staatssekretär Diehl
regierung angemeldet werden. So ist es auch in diesem Fall, und zwar durch den französischen Botschafter selbst, geschehen.

Walter Scheel (FDP):
Rede ID: ID0518022000
Wir kommen dann zur Frage 6 des Herrn Abgeordneten Jung:
Ist der Bundesregierung bekannt, daß die Situation der freischaffenden Architekten gesellschaftspolitisch und wirtschaftlich keineswegs so rosig ist, wie dies in der Antwort des Bundeskanzleramtes vom 11. April 1968 an den Kontaktkreis Königshof (Zusammenschluß der Architekten-, Ingenieurverbände und der Bundesgemeinschaft der Architektenkammer) anklingt?
Sie wird übernommen vom Herrn Abgeordneten Dorn.
Zur Beantwortung Herr Staatssekretär Freiherr von Guttenberg.

Freiherr Karl Theodor von und zu Guttenberg (CSU):
Rede ID: ID0518022100
Herr Kollege, in der Frage des Herrn Abgeordneten Jung steckt eine Behauptung, die unzutreffend ist.

(Vorsitz : Vizepräsident Dr. Mommer.)

Im Antwortschreiben von Staatssekretär Carstens vom 11. April dieses Jahres auf das Schreiben des Kontaktkreises Königshof vom 28. Februar 1968 steht nicht ein Wort, daß sich auf die Lage der Architekten bezieht, so daß auch in keiner Weise anklingen kann, wie es in dieser Frage heißt, daß man im Bundeskanzleramt — ich zitiere — „die Situation der freischaffenden Architekten gesellschaftspolitisch und wirtschaftlich für rosig halte".

Dr. Karl Mommer (SPD):
Rede ID: ID0518022200
Wir kommen zu der Frage 7 des Herrn Abgeordneten Jung:
Könnte sich die Bundesregierung vorstellen, daß man dem Wunsch der Architekten und Ingenieure nach einem zentralen Gesprächspartner -- auch unter Berücksichtigung der von Bundesminister Dr. Stoltenberg befürworteten verstärkten Sorge für Naturwissenschaften und Technik — dadurch Rechnung tragen könnte, daß das Bundesministerium für wissenschaftliche Forschung als Bundesministerium für Wissenchaft, Forschung und Technik umorganisiert wird?

Freiherr Karl Theodor von und zu Guttenberg (CSU):
Rede ID: ID0518022300
Es ist nicht ersichtlich, inwiefern die ausdrückliche Zuständigkeit eines Ministeriums für die Technik innerhalb der Bundesregierung den vom Berufsverband der Architekten und Ingenieure offenbar gewünschten zentralen Gesprächspartner schaffen könnte. Wie das Schreiben des Kontaktkreises Königshof an den Herrn Bundeskanzler zeigt, sind die Anliegen der Architekten so mannigfaltig, daß sie auch dann noch in die Kompetenzen zahlreicher Ministerien fallen würden.
Würde das Bundesministerium für wissenschaftliche Forschung für die Technik zuständig, so wäre damit sicherlich keine Kompetenz für die vom Kontaktkreis angesprochenen Fragen der Berufsordnung, der Bauzuständigkeiten und für die Art der Beteiligung. von Architekten an der Vergabe öffentlicher Bauaufträge geschaffen. Diese Kompetenzen würden auch dann weiterhin beim Wirtschafts-, Arbeits- oder Schatzministerium liegen.

Dr. Karl Mommer (SPD):
Rede ID: ID0518022400
Herr Dorn, eine Zusatzfrage.

Wolfram Dorn (FDP):
Rede ID: ID0518022500
Herr Staatssekretär, können Sie mir sagen, warum der Bundeskanzler nicht bereit gewesen ist, dieser großen Organisation geistig und freischaffend tätiger Menschen in der Bundesrepublik ebenso Gehör entgegenzubringen, warum er nicht zu einem Gespräch wie mit anderen Organisationen bereit gewesen ist, deren Bedeutung weitaus geringer ist und die nach unserer Meinung vielleicht auch nicht ganz so wichtig sind?

Freiherr Karl Theodor von und zu Guttenberg (CSU):
Rede ID: ID0518022600
Herr Kollege Dorn, ich würde zunächst einmal unterscheiden zwischen „Gehör schenken" einerseits und „ein Gespräch führen" andererseits. Daß der Herr Bundeskanzler dieser Anfrage Gehör geschenkt hat, zeigt der Antwortbrief des Herrn Staatssekretär Carstens. Daß der Herr Bundeskanzler nicht in der Lage ist, all den an ihn herangetragenen, im Einzelfall höchst wichtigen Dingen, Wünschen, Forderungen, Interessen von Verbänden durch ein persönliches Gespräch Rechnung zu tragen, kann ich Ihnen aus der täglichen Erfahrung des Bundeskanzleramtes bestätigen. Lassen Sie mich hinzusetzen, daß es nach meinem Wissen niemand gibt, der dies mehr bedauert als der Herr Bundeskanzler selbst.

Dr. Karl Mommer (SPD):
Rede ID: ID0518022700
Noch eine Frage, Herr Dorn.

Wolfram Dorn (FDP):
Rede ID: ID0518022800
Herr Staatssekretär, sind Sie nicht mit mir der Meinung, daß gerade in dem angesprochenen Problemkreis dieser Berufsgruppen entscheidende Fragen, die für die Existenz dieser Berufsgruppen von großer Bedeutung sind, nicht nur in der Bundesrepublik, sondern auch in Brüssel anstehen und es doch durchaus auch im Sinne der Bundesregierung hätte sein können, hier endlich einmal solch ein Gespräch zu führen?

Freiherr Karl Theodor von und zu Guttenberg (CSU):
Rede ID: ID0518022900
Herr Staatssekretär Carstens hat im Auftrage des Herrn Bundeskanzlers den anfragenden Herren dieses Verbandes mitgeteilt, er schlage ihnen vor, sich mit den betreffenden Ministerien in Verbindung zu setzen, eine Sache, die auch der Herr Bundeskanzler selbst hätte machen müssen, wenn ihm diese Petita mündlich vorgetragen worden wären. Ich darf darauf hinweisen, daß die Frage, die hier von diesem Verband in den Vordergrund gestellt wird, nämlich, wie es dort heißt, die Schaffung eines zentralen Gesprächspartners, mit einer strukturellen Neuordnung der Bundesregierung in diesem Punkte verbunden wäre. Dies würde nämlich bedeuten, daß man bei den Kornpetenzen innerhalb der Bundesregierung eine Art ständische Ordnung einführt, während wir heute eine funktionale Ordnung haben, von der wir glauben — jedenfalls ist dies meine Meinung —, daß sie sich besser bewährt hat als das hier Vorgeschlagene.

(Abg. Dorn: Ich habe leider keine Zusatzfrage mehr!)





Dr. Karl Mommer (SPD):
Rede ID: ID0518023000
Vielen Dank, Herr Staatssekretär, für die Beantwortung dieser Fragen!
Wir kommen zu den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers der Finanzen. Zur Beantwortung ist der Herr Parlamentarische Staatssekretär Leicht hier. Ich rufe zunächst die Fragen 15 und 16 des Herrn Abgeordneten Walter auf:
Ist die niederländische Regierung nach Einführung der Mehrwertsteuer in der Bundesrepublik Deutschland noch berechtigt, eine Umsatzsteuererstattung bei der Ausfuhr von Schlachtgeflügel in Mitgliedstaaten zu gewähren?
Wie hoch ist zur Zeit diese in Frage 15 erwähnte niederländische Ausfuhrerstattung pro Stück oder kg Schlachtgeflügel?
Die Fragen werden von Herrn Abgeordneten Wächter übernommen. Ich glaube, die beiden Fragen können zusammen beantwortet werden.

Albert Leicht (CDU):
Rede ID: ID0518023100
Die Frage 15 beantworte ich mit Ja.
Zur Frage 16 darf ich folgendes sagen. Nach den der Bundesregierung zur Verfügung stehenden Unterlagen gewähren die Niederlande seit 1. Januar 1968 bei der Ausfuhr von Schlachtgeflügel Umsatzsteuervergütungen, und zwar für geschlachtete Puten in Höhe von 2,8 v. H., für geschlachtete Enten in Höhe von 2,9 v. H. und für geschlachtete Hühner in Höhe von 3 v. H., jeweils bezogen auf den Verkaufspreis. Die Bundesregierung hat die Kommission der Europäischen Gemeinschaften um Stellungnahme gebeten, ob Informationen zutreffen, nach denen die Niederlande bei der Ausfuhr von Schlachtgeflügel und Eiern eine zusätzliche Ausfuhrvergütung in Höhe von 20 v. H. der im letzten Vierteljahr 1967 bestehenden Vergütungssätze gewähren, die 1,8 v. H. bis 2 v. H. betrugen. Die Stellungnahme der Kommission liegt noch nicht vor.

Dr. Karl Mommer (SPD):
Rede ID: ID0518023200
Eine Zusatzfrage, Herr Wächter.

Gerold Wächter (FDP):
Rede ID: ID0518023300
Entspricht die Umsatzsteuervergütung den tatsächlich in den Niederlanden bei Geflügel bestehenden Belastungen, zumal in den Niederlanden weder auf Bruteier noch auf Küken und auf lebendes und geschlachtetes Geflügel Umsatzsteuer erhoben wird?

Albert Leicht (CDU):
Rede ID: ID0518023400
Herr Kollege Wächter, ich glaube, die Frage kann man so nicht beantworten. Man muß sagen, daß die Vergütungssätze, die in den Niederlanden z. B. seit dem 1. September 1967 gelten — dazu, welche Vergütungssätze die Niederlande damals hatten, habe ich in der Fragestunde schon öfter Stellung genommen —, nach unseren Feststellungen bis jetzt nicht zu beanstanden waren, also nicht gegen die Art. 96 und 97 des EWG-Vertrages verstoßen haben.

Dr. Karl Mommer (SPD):
Rede ID: ID0518023500
Noch eine Frage, bitte, Herr Wächter!
1 Wächter (FDP) : Herr Staatssekretär, darf ich 1
Ihrer Antwort entnehmen, daß die Erklärung der Kommission zu den Beschwerden der einzelnen Mitgliedsländer noch nicht vorliegt? Darf ich Sie darauf aufmerksam machen, daß nach meinen Informationen die Erklärung der niederländischen Regierung bei der Kommission seit März vorliegt.

Albert Leicht (CDU):
Rede ID: ID0518023600
Ich habe ja auch nicht gesagt, daß sie nicht vorliegt. Ich weiß, daß die Erklärung der niederländischen Regierung bei der Kommission liegt. Nur hat die Kommission uns über die Stellungnahme der niederländischen Regierung noch nicht informiert, und wir haben darauf gedrängt, daß diese Information so schnell wie möglich erfolgt. Sie liegt leider noch nicht vor.

Dr. Karl Mommer (SPD):
Rede ID: ID0518023700
Letzte Frage, Herr Wächter.

Gerold Wächter (FDP):
Rede ID: ID0518023800
Ist meine Ansicht nicht begründet, daß die seit dem 1. Januar 1968 eingeführte Erhöhung der Umsatzsteuervergütung eine verstärkte Exportsubvention ist, und wenn ja: was gedenkt denn in der letzten Konsequenz die Bundesregierung zu tun, um die deutsche Geflügelwirtschaft vor diesen zusätzlichen Exportvergünstigungen dér niederländischen Regierung zu schützen?

Albert Leicht (CDU):
Rede ID: ID0518023900
Herr Kollege Wächter, die Umsatzsteuerentlastungen bei der Ausfuhr von Waren entsprechen dem im internationalen Handelsverkehr allgemein angewandten Prinzip der Besteuerung im Bestimmungsland. Durch die Einführung der Mehrwertsteuer in der Bundesrepublik Deutschland wird dieses Recht, von dem auch die Bundesrepublik Gebrauch gemacht hat, nicht berührt. Deshalb meine Antwort auf Ihre erste Frage: ja.

Dr. Karl Mommer (SPD):
Rede ID: ID0518024000
Eine Zusatzfrage, Herr Dr. Ritz.

Dr. Burkhard Ritz (CDU):
Rede ID: ID0518024100
Herr Staatssekretär, ist Ihnen bekannt, daß ¡die niederländische Regierung dem Versuch, deutsches Schlachtgeflügel in die Niederlande auszuführen, nahezu unüberwindliche Hindernisse in den Weg stellt?

Albert Leicht (CDU):
Rede ID: ID0518024200
Ich habe davon Kenntnis, allerdings aus Quellen, die von uns noch nicht geprüft werden konnten.

Dr. Karl Mommer (SPD):
Rede ID: ID0518024300
Noch eine Frage, Herr Dr. Ritz.

Dr. Burkhard Ritz (CDU):
Rede ID: ID0518024400
Was gedenkt die Bundesregierung zu tun, um der deutschen Schlachtgeflügelwirtschaft gegen unerlaubte Ausfuhrmaßnahmen der Niederlande zu helfen?




Albert Leicht (CDU):
Rede ID: ID0518024500
Die Frage, Herr Kollege Ritz, ob die Niederlande bei der Ausfuhr von Schlachtgeflügel eine überhöhte Umsatzsteuervergütung und damit eine unzulässige Subvention gewähren, kann erst nach Kenntnis der niederländischen Stellungnahme beurteilt werden. Das muß ich vorausschicken. Die Bundesregierung geht allerdings davon aus, daß die Kommission im Geist der Verträge von Rom handelt, wenn sie die anderen Mitgliedstaaten — hoffentlich in aller Kürze —über die niederländische Antwort unterrichtet.

Dr. Karl Mommer (SPD):
Rede ID: ID0518024600
Eine Zusatzfrage, Herr Reichmann.

Martin Reichmann (FDP):
Rede ID: ID0518024700
Herr Staatssekretär, ist der Bundesregierung bekannt, daß die Niederlande durch diese Umsatzsteuerrückvergütung ihren Export um etwa 16 000 t steigern konnten?

Albert Leicht (CDU):
Rede ID: ID0518024800
Diese Zahl ist mir nicht bekannt. Ich bin aber gern bereit, sie überprüfen zu lassen.

Dr. Karl Mommer (SPD):
Rede ID: ID0518024900
Noch eine Frage, Herr Reichmann.

Martin Reichmann (FDP):
Rede ID: ID0518025000
Herr Staatssekretär, ist Ihnen bekannt, daß bereits andere EWG-Staaten diesem niederländischen Vorgehen folgen?

Albert Leicht (CDU):
Rede ID: ID0518025100
Es ist vielleicht die Vermutung auszusprechen, daß das so ist. Wir wissen es aber nicht. Wir wissen es auch bei den Niederlanden nicht. Ich muß das betonen. Darum geht es ja bei diesen Fragen. Wir sind im Augenblick noch nicht über die Stellungnahme der Kommission zu dem informiert, was die Niederlande selbst sagen. Erst wenn das der Fall ist, können wir weitere Maßnahmen ergreifen.

Dr. Karl Mommer (SPD):
Rede ID: ID0518025200
Ich rufe die Frage 17 des Herrn Abgeordneten Dr. Stammberger auf. Ist er im Saal?

(Zuruf von der SPD: Er wollte eine schriftliche Beantwortung, Herr Präsident!)

— Das ist hier nicht bekannt. Also schriftliche Beantwortung der Frage 17, ebenso seiner Frage 18.
Dann Frage 19 des Herrn Abgeordneten Rollmann. Ist er im Saal? — Er ist nicht im Saal; die Frage wird schriftlich beantwortet.
Frage 20 des Herrn Abgeordneten Dröscher:
Wie beurteilt die Bundesregierung die Behauptung des Kraftfahrzeuggewerbes, wonach durch die immer noch nicht aufgehobene Mehrwertsteuer für gebrauchte Kraftwagen neben der Benachteiligung der meist aus Arbeitnehmerkreisen kommenden Käufer auch dem Fiskus infolge Minderverkaufs von Neufahrzeugen und damit zusammenhängendem Steuerausfall eine Mindereinnahme von über 200 Millionen DM jährlich entstehen würde?
Bitte, Herr Staatssekretär!

Albert Leicht (CDU):
Rede ID: ID0518025300
Ich darf die Frage des Herrn Kollegen Dröscher wie folgt beantworten.
Die Bundesregierung teilt nicht die Auffassung, daß die Erhebung der vollen Umsatzsteuer für Gebrauchtwagen die meist aus Arbeitnehmerkreisen kommenden Käufer benachteiligt. Die neue Umsatzsteuer besteuert — entgegen der für sie üblichen Bezeichnung — nicht den Mehrwert. Es handelt sich vielmehr um eine Steuer auf den privaten und öffentlichen Verbrauch. Im Ergebnis gilt der Grundsatz, daß jeder private Aufwand der Besteuerung zu unterwerfen ist. Wenn Gebrauchtwagen durch die Mehrwertsteuer höher als bisher belastet werden, so ist zu berücksichtigen, daß solchen Mehrbelastungen umsatzsteuerliche Entlastungen bei anderen Gebrauchsgütern gegenüberstehen.
In den Fragestunden am 14. und 28. März 1968 habe ich bereits erklärt, daß die. Entwicklung auf dem Kraftfahrzeugmarkt sorgfältig beobachtet wird. Das haben wir bis in diese Tage getan.
Auf Grund der gegenwärtig vorliegenden Zahlen ist für eine Sonderregelung jedoch kein Anlaß gegeben. Die Neuzulassungen von Pkw und Kombiwagen waren in den Monaten Januar bis April 1968 — das sind die Zahlen, die wir haben — um etwa 3,2 v. H. höher als im entsprechenden Zeitraum des Jahres 1967. Ein Minderverkauf an Neufahrzeugen als Folge der Umsatzsteuerbelastung der Gebrauchtge ist nach dem bisher vorliegenden Zahlenmaterial nicht festzustellen. Von einem Steuerausfall durch einen geringeren Verkauf an Neufahrzeugen kann hiernach nicht gesprochen werden. Erhebliche Steuerausfälle würden sich allerdings bei einer Sonderregelung für den Gebrauchtwarenhandel ergeben. Die Gewährung des ermäßigten Steuersatzes, wenn ich diese Möglichkeit ins Auge nehme, für die Gebrauchtwagenverkäufe würde zu einem Steuerausfall von etwa 275 Millionen DM führen. Wenn man nur die Differenz — das ist eine andere Möglichkeit — zwischen Ein- und Verkaufspreis versteuern würde, so betrüge der Steuerausfall etwa 470 Millionen DM. Da sich Sonderregelungen dieser Art wahrscheinlich nicht auf gebrauchte Kraftfahrzeuge beschränken ließen, sondern auf andere Gebrauchtwaren ausgedehnt werden müßten, würde sich der Steuerausfall noch erheblich vergrößern.

Dr. Karl Mommer (SPD):
Rede ID: ID0518025400
Zusatzfrage, Herr Dröscher.

Wilhelm Dröscher (SPD):
Rede ID: ID0518025500
Herr Staatssekretär, sind Ihre Vergleichszahlen nur auf das Jahr 1967, das bekanntlich ein Rezessionsjahr war, bezogen, oder berücksichtigen Sie auch die höheren Werte der früheren Jahre?

Albert Leicht (CDU):
Rede ID: ID0518025600
Die Steigerungsquoten, die ich eben nannte, bezogen sich auf das Jahr 1967. Wenn ich aber eine Aufschlüsselung in



Parlamentarischer Staatssekretär Leicht
bezug auf die einzelnen Monate vornähme — das würde zu weit führen —, wäre noch deutlicher sichtbar, daß das Zahlenmaterial keinen Anlaß gibt, im Sinne des Begehrens zu entscheiden.

Dr. Karl Mommer (SPD):
Rede ID: ID0518025700
Noch eine Frage, Herr Dröscher.

Wilhelm Dröscher (SPD):
Rede ID: ID0518025800
Herr Staatssekretär, gibt es in dieser Frage eine unterschiedliche Auffassung zwischem Ihrem Hause und dem Wirtschaftsministerium?

Albert Leicht (CDU):
Rede ID: ID0518025900
. Das ist mir zwar im Augenblick nicht bekannt, aber das könnte schon möglich sein.

Dr. Karl Mommer (SPD):
Rede ID: ID0518026000
Eine Zusatzfrage, Herr Ott.

Anton Ott (CSU):
Rede ID: ID0518026100
Herr Staatssekretär, sind Sie mit mir der Meinung, daß die Frage des Absatzes oder Nichtabsatzes von Gebrauchtwagen nicht die entscheidende Rolle spielt, sondern vielmehr die Frage, ob hier eine Verletzung der Gleichmäßigkeit der Besteuerung vorliegt?
Darf ich weiter fragen, sind Sie mit mir der Meinung — —

Dr. Karl Mommer (SPD):
Rede ID: ID0518026200
Herr Abgeordneter, Sie dürfen nicht. Sie haben zunächst einmal nur eine Zusatzfrage.
Bitte, Herr Staatssekretär!

Albert Leicht (CDU):
Rede ID: ID0518026300
Herr Kollege, was Sie anschneiden, ist natürlich sehr wichtig. Ich meine aber, in der wirtschaftlichen Betrachtungsweise, die wir auch anstellen müssen, könnte unter Umständen die Frage, die hier gestellt worden ist, schon eine Rolle spielen. Die Bundesregierung hat deshalb ja zugesagt, daß sie diese Dinge laufend prüft, um unter Umständen dann, wenn Veranlassung wäre, zu entscheiden, ob etwas getan werden muß oder nicht.

Dr. Karl Mommer (SPD):
Rede ID: ID0518026400
Jetzt haben Sie noch eine Frage, Herr Ott.

Anton Ott (CSU):
Rede ID: ID0518026500
Herr Staatssekretär, sind Sie mit mir der Meinung, daß die von Ihnen genannten Ausfälle im Bundeshaushalt deshalb wesentlich größer sind, als sie sein müßten, weil dadurch, daß Gebrauchtwagen nicht über den Händlerkreis laufen, sondern von Privatpersonen an Privatpersonen veräußert werden, die Mehrwertschöpfung beim Händler zwischen Einkauf und Verkauf in der Umsatzbesteuerung für den Haushalt verlorengeht?

Albert Leicht (CDU):
Rede ID: ID0518026600
Das kann ich jetzt nicht so ohne weiteres sagen. Ich möchte Ihnen keine falsche Auskunft geben. Ich werde die Frage prüfen.

Dr. Karl Mommer (SPD):
Rede ID: ID0518026700
Eine Zusatzfrage, Herr Müller (Worms).

Willy Müller (SPD):
Rede ID: ID0518026800
Meine Frage hat sich durch die Frage des Kollegen bereits erledigt.

Dr. Karl Mommer (SPD):
Rede ID: ID0518026900
Dann sind wir damit auch am Ende der Fragestunde. Ich muß leider abbrechen; die 60 Minuten sind schon überschritten.
Wir kommen zurück zur Aussprache über Punkt 3 der Tagesordnung, die Große Anfrage der Abgeordneten Majonica und Genossen und der Fraktion der CDU/CSU betreffend Außenpolitik. Das Wort hat zunächst Herr Bundesminister Wehner.

Herbert Wehner (SPD):
Rede ID: ID0518027000
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Obwohl ich wohl davon ausgehen darf, daß der Bundesminister des Auswärtigen und der Bundeskanzler im Verlauf dieser Debatte noch zu einer ganzen Reihe jener Fragen und Bemerkungen selbst Stellung nehmen werden, muß ich jetzt doch einige Bemerkungen zu Ausführungen der Kollegen Mischnick, Genscher und ebenso von Wrangel und Gradl machen, nämlich soweit sie sich auf die Problematik der unbehinderten Zufahrtswege von und nach Berlin beziehen. Ich fürchte, das könnte im weiteren Verlauf der Debatte, die sich dann auffächern wird, unter Umständen zu kurz kommen, obwohl eigentlich diese Frage, um die es jetzt ging, durch das Vorzeichen, unter das diese Debatte gestellt ist — Ausgangspunkt war eine Große Anfrage, die offensichtlich erst einmal unter ganz anderen Gesichtspunkten entworfen werden konnte; dann hat sich aber die Debatte durch bestimmte Umstände, wie gesagt, weiterentwickelt —, eine erhebliche Rolle spielt.
Ich denke, Sie werden es mir nachsehen, wenn ich wenigstens sage, daß ich als Minister für gesamtdeutsche Fragen zu manchen dieser Dinge, die hier mit der Berlin-Problematik, mit dem Berlinhilfegesetz und mit dem, was dazu angemerkt worden ist, zusammenhängen, eigentlich einiges sagen möchte: Aber das muß man sich bei dieser Fülle von Fragen natürlich leider verkneifen.
Bei dem am 11. Juni dieses Jahres verkündeten und unverzüglich auch in Vollzug gebrachten Akt von Maßnahmen, die den Paß- und Visazwang und erhebliche Auflagen für den Personen- und Güterverkehr im getrennten Deutschland angehen, handelt es sich — ich möchte das noch einmal betonen, weil es in der Debatte ein wenig in Frage gestellt worden ist, wie sich das eine nun mit dem anderen reime — um die Verwirklichung einer lange gehegten Absicht.
Was immer Sie sonst, meine Damen und Herren, die Sie sich dazu geäußert haben, davon meinen mögen — ob nun unsere Seite, wenn es sich um eine lange gehegte Absicht handelte, genügend rasch ihre Reaktionen habe eintreten lassen oder nicht —: wenn es darüber Meinungsverschieden-



Bundesminister Wehner
heiten gibt — und es gibt sie natürlich, wie man hat hören können —, so sollte doch damit nicht die Tatsache abgeschwächt werden, daß es sich um einen lange vorbereiteten Akt handelt. Denn seit einigen Jahren ist von dieser Notwendigkeit, und zwar mit verschiedener Betonung, immer wieder gesprochen worden.
Hier haben wir einmal tatsächlich Schubladenverordnungen, die praktiziert werden, vor uns gehabt. Es ist pikant — aber das braucht man hier nur am Rande zu bemerken —, daß das von einer Seite geschieht, die umgekehrt versucht hat, mit dem Terminus „Schubladenverordnungen" sehr viel hier bei uns in Bewegung zu bringen.
Der Herr Dickel, der dort für die DDR-Regierung in der Volkskammer diese Maßnahmen begründet hat, hat am Schluß seiner Begründung sehr betont gesagt: „Die Maßnahmen werden die Autorität der Deutschen Demokratischen Republik erhöhen." Autorität soll in diesem Zusammenhang verstanden werden als die Zuständigkeit, darüber zu befinden, unter welchen Bedingungen und in welchen Formen Reisen und der Transport von Gütern nach und von Berlin und innerhalb des getrennten Deutschlands vor sich zu gehen haben. Die Regierung, für die Herr Dickel das gesagt hat, leitet diese Zuständigkeit aus Abkommen ab, die sie mit der Sowjetregierung im September 1955 und im Juni 1964 geschlossen hat. Sie betrachtet sich als zuständig für die Regelung des deutschen Verkehrs. Das ist also der Sachverhalt, mit dem wir es zu tun haben.
Ich hatte ja gesagt, welche Ausführungen mich veranlassen, von dieser Stelle aus einiges zu sagen. Man käme nicht weiter — und man käme den Dingen noch nicht einmal auf den Grund —, wenn man annähme, daß auf unserer Seite angekündigte oder vereinbarte Reaktionen unterblieben seien. Man käme auch nicht weiter, ich möchte nebenbei sagen: höchstens bestätigte man — und das würde dann in jedem Fall sicher ungewollt sein — die Tendenz der Propaganda der SED, wenn man die Frage, was eigentlich hätte getan werden sollen und nicht getan worden ist — wie es häufig gesagt wird —, zu einer Art Ausgangspunkt oder Schwerpunkt der Erörterungen machte.
Ich nehme etwa eine Presseagenturmeldung zum Anlaß, die in breiterer Ausführung darstellt, waswie es so häufig heißt — gutinformierte Kreise in einer der großen westlichen Hauptstädte zu diesem Ereignis meinen. Da gibt es also etwa einen solchen Satz: Da die neuen Verordnungen jedoch den deutschen Zivilverkehr berühren, und da dieser Verkehr — wenn auch mit Störungen — weitergeht, überwiegt die Auffassung, daß es Sache der Bundesregierung sei, bei den Überlegungen über Gegenmaßnahmen den Ton anzugeben. — Ich halte das für eine durchaus nicht im Einklang mit den rechtlichen Tatbeständen stehende Interpretation, und sie ist um so böser in der Wirkung und um so bitterer — wenn man sich das überlegt —, als sie eben von einer der maßgebenden Hauptstädte sozusagen lanciert wird. Ich halte das nicht für die Meinung der dortigen Regierung und des Präsidenten. Der
Herr Bundeskanzler hat ja hier die Botschaft des amerikanischen Präsidenten dankend erwähnt, und dazu besteht bei der Gesamtsituation zweifellos Anlaß. Aber Meinungen setzen sich ja häufig aus vielen Bestandteilen zusammen, und wenn man sich nicht rechtzeitig dazu äußert oder wenn man sich so äußert, wie ich es leider von vielen Kommentatoren hier gehört und gelesen habe, als sei dem so, dann, so muß ich sagen, wird die Sache sehr schwierig.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Denn dann leistet man etwas Vorschub, das so nicht gesehen werden muß und nicht gesehen zu werden braucht und auch nicht gesehen werden darf.
In dieser Darstellung gab es dann — und das ergibt sich natürlich daraus, wenn man so ansetzt -eine bestimmte Überlegung; aber es ist eine Überlegung, zu der ich mich hier nicht breit äußern will, denn das trifft genau in das Gebiet hinein, über das hier der Bundesminister des Auswärtigen gesprochen hat, und ich nehme an, daß er auch noch einmal auf die in der Debatte dazu zum Vorschein gekommenen Meinungen zu sprechen kommen wird. Da heißt es nämlich: Wenn also in dieser Hauptstadt bei den laufenden Beratungen Bonn der Vortritt gelassen werde, so spiele dabei die Überlegung eine Rolle, daß es letztlich Sache der Bundesregierung sein müsse, die auf lange Sicht wesentliche Entscheidung darüber zu treffen, inwieweit sie ihre ganze Entspannungspolitik in Osteuropa durch weitgehende Gegenmaßnahmen mit einer neuen Hypothek belasten könne und wolle. Hier wird plötzlich alles auf den Kopf gestellt,

(Zuruf von der CDU/CSU: Genau!)

so, als ob es unsere Sache sei, zu überlegen, ob wir Entspannungspolitik treiben oder nicht treiben wollen,

(Beifall bei den Regierungsparteien)

obwohl klar ist: wir müssen sie treiben, wir wollen sie demgemäß auch treiben. Das ist eine nationale Existenzfrage. Und so sehen wir unsere Pflicht, in Europa in diesem so schwierigen Prozeß doch allmählich einander näher zu kommen, so daß wir diese Politik machen müssen. Das ist vom Bundeskanzler heute deutlich gesagt worden, das ist vom Außenminister deutlich gesagt worden.
Hier plötzlich stehen die Dinge auf dem Kopf, so daß dann der Schluß einer solchen Darstellung — einer die Dinge völlig verzeichnenden Darstellung — darin bestehen kann: Die Hoffnungen, daß die geplanten alliierten Protestschritte in Moskau etwas Positives bewirken könnten, seien in jener Hauptstadt gering. Schluß. So sieht das dann aus.
Ohne hier den einen oder anderen Kollegen, der sich mit Recht mit diesen Fragen herumplagt, anzusprechen — das wollte ich ein wenig zur Illustration dessen gesagt haben, was ich ausdrücken wollte, indem ich bemerkte: man kommt nicht weiter und man kommt nicht einmal den Dingen auf den Grund, wenn man annimmt, hier seien Versäumnisse zu rügen.



Bundesminister Wehner
Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Problematik liegt einmal darin, daß Viermächteabkommen und Viermächteregelungen in der Auslegung im Laufe der Zeiten gewissen Entwicklungen unterworfen sind, auf die man immer scharf aufpassen muß und zu denen man sich melden muß, weil man ja auch sozusagen in diesen Entwicklungen selber steht, dazu gehört und sie mit in Richtungen zu bringen versuchen muß, die für alle Beteiligten gut sind.
Aber — da muß ich an etwas anknüpfen, was Herr Kollege Genscher sagte — es gibt einfach für uns kein Entweder-Oder, also nicht die. Möglichkeit, entweder an die Alliierten zu appellieren oder — ich habe es nur sinngemäß mitgeschrieben — den freiwerdenden, durch die drei oder durch die vier Mächte freigegebenen Raum mit deutscher Politik zu füllen. Ich sehe das nicht als eine mögliche Alternative des Entweder-Oder an.
Dazu möchte ich noch einiges sagen. Proteste gegen die Maßnahmen selbst und gegen die etwa durch gepfefferte Gebühren unterstrichene bürokratische Anmaßung beantwortet die DDR-Regierung teils mit der Bemerkung, dergleichen pflege sich an allen Grenzen abzuspielen — und dann wird in Klammern dazugesagt, es liege ja bei uns, die kulanteste Form der Grenzübergangsregulierungen durch entsprechende vertragliche Regelungen zu erwirken —, und teils wird das mit dem höhnischen Hinweis darauf abgetan, daß es sich ja nur um papierene Proteste handele.

(Sehr gut! bei der CDU/CSU.)

Jetzt komme ich wieder zu einer Bitte: auf unserer Seite dieses Schlagwort, das genau der Tendenz der Gegenseite entspricht, nicht in einer Weise zu strapazieren, daß sich die Gegenseite gewissermaßen bestätigt fühlt. Das hören Sie heute schon in den Sendungen von 904 — ich will dafür keine Schleichwerbung treiben, was Sie wohl verstehen werden.
Die andere Seite scheint sich darauf zu verlassen, daß ihre eigene Papieraktion — diese Formularkrönung von Mauer und entsprechenden Trenngräben —, nämlich die Verursachung zusätzlicher Unbequemlichkeiten und zusätzlichen Ärgers mit Formularen und Gebühren, lediglich Einwände auf dem Papier von Protestnoten auslösen werde.
Die Garantiemacht der DDR-Regierung, die Sowjetregierung selbst, zieht sich, wie man sieht, aus der Affäre, indem sie erklären läßt, die Verbindungswege nach und von Berlin seien ja nicht gesperrt, es handle sich lediglich darum, unter Beachtung welcher Bestimmungen und Formalitäten sie benutzbar seien; dafür aber sei eben die DDR-Regierung zuständig. Die Rechte der in Berlin residierenden und stationierten Truppen und Einrichtungen der drei Westmächte würden durch diese Maßnahmen im übrigen nicht berührt oder eingeschränkt. — Das etwa ist das, was die Sowjetregierung dazu sagt oder schreiben und sagen läßt.
Diese Arbeitsteilung zwischen DDR-Regierung und Sowjetregierung entspricht den Sprachregelungen, die beide in den Abkommen von September
1955 und von Juni 1964 getroffen haben, auf die man sich beruft. Der Streit darüber, ob die Sowjetregierung berechtigt sei, eigene Verpflichtungen in die Zuständigkeit der DDR-Regierung zu geben, wird wohl .und mag noch lange geführt werden. Die drei Westmächte haben sowohl 1955 als auch 1964 in bestimmter Form bestritten, daß die Sowjetregierung sich auf solche Weise Verantwortlichkeiten entziehen könne. Das haben sie auch jetzt neuerdings getan. Der Bundeskanzler hat mit Recht auf diese Erklärung zur Rechtslage von 1964 hingewiesen.
Nun, es scheint eine Art Ermessensfrage zu sein — so sieht es für Dritte aus —, wann und ob man unter solchen Umständen von einer Berlinkrise sprechen könne. Ich will mich hier jetzt nicht in Schlagzeilen verfitzen. Die einen sagen, aus, es gebe keine; die anderen sagen, es werde keine geben. Nun, solange die beiden tatsächlichen Partner, die drei Westmächte auf der einen Seite, die Sowjetregierung auf der anderen Seite, sich der Auffassung hingeben, es geschehe ja im Grunde genommen nichts Schlimmes, nichts Schlimmeres jedenfalls, als daß die beiden deutschen Seiten sich über die Bedingungen stritten, unter denen der deutsche Verkehr, der also für sich genommen wird, sich vollziehe, so lang kann offenbar formal behauptet werden, es gebe keine Berlinkrise. Aber ich halte das für eine schwere, schlimme Selbsttäuschung unter Umständen aller Beteiligten,

(Beifall bei den Regierungsparteien)

unter Umständen aller Beteiligten, bei den einen früher auf Grund dieser Erscheinung, bei den anderen später.
Herr Kollege Genscher — wenn ich das mal eingeklammert sagen darf —, mich hat es sehr getroffen, als Sie — das war nicht in diesem Haus geschehen — im April einmal öffentlich vor Presse-vertretern sagten, diese Bundesregierung verberge eine sich entwickelnde schwere Berlinkrise. Die Begründung, die Sie damals geben ließen, war die bevorstehende Wahl in Baden-Württemberg. Das ist eine Behauptung, die nicht ohne Zurückweisung bleiben durfte. Hier geht ,es nicht darum, etwas durch Beschönigung oder dadurch, daß man es nicht zu schnell beim Namen nennt, ein wenig leichter zu machen, als es ist. Nein, ich möchte hier ganz klar sagen — jetzt wieder zurück auf das, was ich allgemein meine in bezug auf dieses formale Erklären, es gebe keine Berlinkrise oder es werde keine geben, und zu meiner Feststellung, das sei Selbsttäuschung —: schließlich werden sich alle, die das tun, dabei selbst täuschen; denn der Anspruch der DDR-Regierung auf Autorität in diesem Falle kann ja, wenn er in dieser Form hingenommen wird, wenn .er nicht zum Anlaß wirklich ernster nicht nur Überlegungen, sondern auch politischer Schritte der Beteiligten gemacht wird, für sich drastischer geltend gemacht werden. Er enthält schon die Elemente einer Krise, die gradweise gesteigert wird, jedenfalls gesteigert werden kann. Denn wenn jemand sagt, er erteile Visen, so sagt er damit auch, er erteilt sie, wenn er will, auch nicht. Wenn er bestimmt, wer sie mit welchen Ge-



Bundesminister Wehner
bühren bekommt, dann sagt er auch, wer sie nicht bekommt ungeachtet dessen, daß er die Gebühren zahlen würde, wenn er sie bekäme.
In diesem Zusammenhang muß man die Rede sehen, auf die heute vormittag der Regierende Bürgermeister Schütz dankenswerterweise ausführlich zu sprechen gekommen ist, indem er sie hier sozusagen zu Protokoll gegeben hat, jene Rede des Staatsratsvorsitzenden Ulbricht vom 1. Dezember 1967 mit diesen eigentümlichen Definitionen, bezogen auf die Abkommen von 1955 und von 1964, aber mit dieser Zuspitzung. Diese Rede muß man in diesem Zusammenhang sehen.
Der Herr Kollege Gradl hat heute morgen gesagt, Ulbricht verhalte sich so, als ob der Rechtsstatus Berlins in diesem Falle gar nicht existiere oder nicht mehr existiere. Es ist nicht meine Sache, Sie hier zu korrigieren. Aber ich finde, es ist noch raffinierter, wie es gemacht wird. Denn es gibt wiederholte Äußerungen, die gerade auch in der letzten Zeit zitiert werden, die DDR-Regierung habe das „Zugeständnis" gemacht, daß sie, solange die Verhältnisse so seien, wie sie seien, entsprechend den Abkommen von 1955 und 1964 den freien Zugang nach Berlin-West und umgekehrt den freien Ausgang von Berlin-West gewährleiste. Aber wie — dafür sei sie eben zuständig. Hier wird von einem „Zugeständnis" gesprochen.
Nun, wenn man die Dinge nimmt, wie sie sind, muß man sagen: es sind nach keiner Richtung hin Wunder zu erwarten. Es ist unvermeidlich, daß sich alle Beteiligten darüber klar werden, wohin die Reise geht, wenn sich nicht alle Beteiligten aufraffen, für die Ordnung — ich meine: das Zueinander-Ordnen — zu sorgen, in der wenigstens vermieden werden kann, daß im Herzen Europas die Entwicklungen außer jeder Kontrolle geraten werden. Das ist das Entscheidende, auf das wir hinzuweisen haben und wofür wir, wenn es gut geht, die große, breite Mehrheit dieses unseres Volkes, gleichgültig, wo sie lebt oder leben muß, im Einvernehmen sich bewegen und auch äußern sehen möchten.
In diesem Zusammenhang möchte ich noch einmal sagen: Das wiederholt bekräftigte Angebot des Bundeskanzlers im Brief vom 28. September 1967 ist ein Ansatzpunkt. Herr Genscher, Sie haben heute einige Male darauf hingewiesen; was ich gesagt habe, ist ja eine Interpretation jenes Briefes, in der Sie sogar die entscheidenden Begriffe finden, nämlich „zu Verhandlungen über ein gemeinsam zu entwerfendes" — also nicht von uns allein oder von denen aufgemutztes — „und gemeinsam zu verwirklichendes Programm" zu kommen, das — und da wird man ganz nüchtern und realistisch — wenigstens, solange die staatliche Spaltung dauert, die Bürde dieser Spaltung für unsere Menschen in ganz Deutschland erleichtern kann. Das ist ein Programm, das bis jetzt die Gegenseite nur polemisch öffentlich abzuwerten versucht hat.
Der Bundeskanzler hat ja, wenn ich mich nicht irre, am 11. März in seinem Bericht über die Lage der Nation hier nicht nur die Sache noch einmal bekräftigt, sondern auch gesagt: Wenn es zu solchen Gesprächen und Verhandlungen kommt, dann würde dabei auch das Thema Gewaltverzicht seinen Platz haben und seine Rolle spielen können. Ich habe das neuerdings noch einmal weiterentwickelt gehört. Der Bundeskanzler hat bei seinem Besuch in Berlin offensichtlich eine Antwort darauf gegeben, wie es sich mit diesem Vorschlag vom vorigen Jahr weiter verhalte.
Wenn es aber so ist, daß sich die beiden tatsächlichen Partnergruppen — jetzt einmal auf den Status von Berlin und Deutschland als Ganzes bezogen —, nämlich die drei Westmächte einerseits und die Sowjetregierung andererseits, weiter so verhalten, als berühre es sie nicht, was „die Deutschen" allein offensichtlich nicht zuwege bringen — so wird ja räsoniert —, dann muß man argwöhnen; sie ließen mit dem Feuer spielen.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Das ist die einzige Konklusion, die ich ziehen kann, wobei es sehr unterschiedliche Motive gibt, sogar gegensätzliche Motive, natürlich; hier soll nichts auf einen Nenner gebracht werden. Aber das kann nicht ungesagt bleiben.
Der Herr Kollege Gradl hat heute morgen von einer Spirale gesprochen und er hat seiner Skepsis darüber Ausdruck gegeben, sich etwa darauf verlassen zu wollen oder zu können, daß das, was da im Vordergrund geschehe, schließlich nie ganz schlimm werden könne, weil im Hintergrund jemand stünde, der es schon verhindern werde. Diese Auffassung teile ich. Nur: Spirale! Hier haben wir es vielleicht mit einer Vorstellung zu tun, die einer alten Kampfregel aus dem ideologischen Arsenal dort entspricht. Sie besteht aus zwei Worten, dazwischen ist nur ein Strich und dahinter ein Fragezeichen: „wer — wen?" Der Herr Außenminister hat heute morgen einiges über „aktive Koexistenz" gesagt, und ich fand hochinteressant, was da im Zusammenhang mit den jugoslawischen Gesprächen gesagt worden ist. Hier haben wir aber eine andere Spielart, nämlich ein ganz hartes „Mal sehen, wer wen schließlich unter die Füße nimmt".

(Abg. Dr. Barzel: Sehr wahr!)

Darum geht es. Wenn man das aber so meint, dann kann sich niemand darüber wundern, daß wir um unserer Selbstbehauptung willen alles Erdenkliche friedlich in Bewegung setzen, damit sich niemand darüber täusche, daß hier mit Feuer gespielt wird und wer hier mit Feuer spielt.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

So ist die Situation, daran kann man nichts ändern. Ich wollte Sie mit dem, was ich bisher gesagt habe, nur darauf aufmerksam machen, daß das eine völlig andere Art des Sichäußerns und des Den-vielen-Anfängen-Wehrens ist, als wenn man meint, es läge in unserer Hand, hier völlig umzusteigen auf eine andere Politik oder auf eine Politik, die nun einmal — ich habe es kürzlich so gesagt -auf einen Schelm anderthalbe setzen darf. Ich muß sagen, wenn ich in dem vielleicht nicht als ganz glücklich, von manchen als beleidigend empfunde-



Bundesminister Wehner
nen Wortbild bleiben darf: darüber würden sich die „Schelme" auf der anderen Seite wahrscheinlich sehr freuen — ich meine diejenigen, die damit gemeint sind.
Ich muß nun auf Herrn Genschers Fragestellung zurückkommen, ob es sein Bewenden damit haben könne, entweder an die westlichen Alliierten zu appellieren oder den frei werdenden politischen Raum mit deutscher Politik zu füllen. Da muß man einmal das beachten, was die Gebildeteren und die Fachleute die Interdependenz von politischen Ereignissen nennen, und zum anderen muß man eines beachten: Ich teile nicht die Auffassung, Herr. Kollege Genscher, oder wer sonst immer sie noch haben mag, als sei da etwas, was vorher in Ordnung war, allmählich dünner geworden. Ich will kurz begründen, warum, Vielleicht kommen wir uns dann näher in der Frage, wie man nun operieren kann.
In den Jahren 1955 und 1964 hat die Regierung der UdSSR mit einem Partner DDR-Regierung Abkommen geschlossen. Seit damals ist für uns das Problem, zu versuchen, zu einem modus vivendi zu kommen, nicht, weil wir das schlucken, was die da zubereitet haben, sondern weil es klar ist, daß das Anlaß nicht nur zu immer neuen Reibungen, sondern zu Schlimmerem geben wird. Ich weiß, daß das Wort „modus vivendi", auch wenn es aus der Sprache unserer französischen Freunde entnommen ist, wo es ja häufiger angewandt wird, bei uns nicht sehr beliebt ist. Damit ist es so wie mit dem Wort „Kompromiß", das bei uns auch nicht sehr beliebt ist. Es liegt unserem Naturell weniger. Aber 1949 hat es einen solchen Versuch gegeben. Ich habe mir ihn noch einmal angesehen. Damals hat man nach dem Abschluß einer Viermächte-Außenministerkonferenz zwar festgestellt, man sei nicht zu dem Ergebnis gekommen, das man eigentlich gern wollte, — es war sehr ehrenwert gesagt, sie wollten die Spaltung Deutschlands überwinden —; aber man sei dann übereingekommen, doch eine ganze Reihe von innerdeutschen Erleichterungen, die den Zusammenhalt oder Zusammenhang in Deutschland verbessern, jedenfalls nicht weiterem Verschleiß ausgesetzt sein lassen sollten, anzuregen, zu ermöglichen usw. Das ist ein heute noch interessantes Dokument, das damals von jeder der vier beteiligten Regierungen in ihrer Sprache auf ihren besonderen Pressekonferenzen, aber im Wortlaut völlig übereinstimmend bekanntgegeben wurde. Bei uns in der Bundesrepublik ist das erst sieben Jahre später, damals durch Jacob Kaiser, in einer Debatte des Deutschen Bundestages, ausgelöst durch eine Große Anfrage aller Fraktionen über die Lage im gespaltenen Deutschland, aufgegriffen und bedauert worden, daß aus diesem Versuch leider nichts entwickelt worden ist. Aber das war ein solcher, wenn auch von den anderen gemachter Versuch. Ich komme darauf zurück. Bei der Sachlage, die 1955/1964 durch diese Abkommen geschaffen worden ist, zu denen heute noch — Beispiel: die Erklärung des Herrn Bundeskanzlers -brauchbare Erläuterungen bzw. Einsprüche der drei Westmächte vorliegen — ich will sie hier nicht wiederholen; die wesentlichsten Punkte sind hier genannt worden —, war es eigentlich deutsche
Sache, nun hinter diesen Verwahrungen und hinter diesen Richtigstellungen der Alliierten, in diesem Fall der drei westlichen Alliierten, weiterzumachen. Das holen wir nicht mehr auf. Ich wollte das nur als eine von Ihrer Meinung abweichende Meinung sagen, Herr Kollege Genscher, als sei das eigentlich vorher fast oder ganz geordnet gewesen.
Herr Mischnick hat auch ein so schönes Bild gebraucht von den Maßnahmen derer drüben, und wie es denn mit unseren stünde. Da habe ich mir notiert: „Deren Maßnahmen waren Schubladenverordnungen." Und bei uns? „Bei uns gab es auch Schubladenverordnungen, aber nicht, um etwas auszulösen, sondern um in schlimmen Fällen etwas abzuwehren, nämlich etwas weniger schädlich zu machen." Das war eine völlig andere Sache. Nur, die Verhältnisse sind nicht so. Da ist nichts versäumt, sondern hier hat sich offenbar in der Landschaft einiges geändert,

(Abg. Dr. Barzel: Hört! Hört!)

und das habe ich im ersten Teil meiner Ausführungen etwas darzulegen versucht.
Ich will und muß mich nämlich auch gegen eine Betrachtung wenden, als versäume die Bundesregierung etwas, und zwar gerade die Bundesregierung, die 1966 mit ihrer Regierungserklärung angetreten ist, in der sie gesagt hat: Wir wollen Gräben nicht vertiefen oder erweitern, sondern wollen sie überwinden helfen. Wir wollen die Menschen drüben im anderen Teil Deutschlands nicht bevormunden. Wir haben auch erklärt, daß unsere Rechtsauffassung, unsere eigene Rechtsauffassung kein Hindernis sein wird, wenn es erforderlich ist, Regelungen
zwischen Behörden im getrennten Deutschland zu treffen, wenn es sich dabei darum handelt, die Bürde der staatlichen Spaltung den Menschen zu erleichtern. Es ist nicht so, als ließen wir uns sozusagen etwas entwinden.
Ich habe gar nichts dagegen zu sagen, wenn man hier extemporiert: Warum kann man die andere Seite nicht festhalten — oder als Anhaltspunkt benutzen, festzuhalten — an dem auch von ihr nun wiederholt betonten Begriff, daß wir eine Nation seien? Es steht ja neuerdings sogar in deren Verfassung, die am 9. April in Kraft gesetzt worden ist. Dabei dürfen wir nur, ,wenn wir reale Politik machen wollen — und darum geht es ja —, nicht außer acht lassen, daß sie, die das schreiben und die das sagen, dieser Nation ihre Einheit erst gönnen wollen, wenn diese Nation völlig mit ihrem Parteivorzeichen versehen ist. Das haben sie nicht einmal verhehlt in dieser Beziehung. Wir haben es hier mit einem Gegner zu tun, der das ganz brutal sagt. Ob er es dann kann — da habe ich nicht Zweifel, sondern da bin ich überzeugt: er kann das nicht. Da sind heute morgen einige interessante Betrachtungen, auf die ich mich jetzt nicht einlassen kann, angestellt worden, z. B. von Herrn Eppler über Entwicklungen auch bei uns — nicht nur bei uns, aber eben auch bei uns — im Hinblick auf die Vertretung und die Wahrung von nationalen Interessen.
Nun, wir müßten bei der Gelegenheit noch manches machen. Ich habe mir z. B. Herrn Dickels Be-



Bundesminister Wehner
gründung angesehen. Hier ist heute morgen auf die Unwahrhaftigkeit jener Notstandsgesetz-Begründung eingegangen worden. Dazu brauche ich nicht noch ein Wort zu sagen. Aber da gibt es auch eine ganze Passage, die nicht nur Anstoß nimmt, sondern mit tierischem Ernst glaubhaft machen will, sie müßten das, was sie tun, machen, weil wir — —, und dann werden Gesetzblätter von uns und Bundestagsprotokolle zitiert, mit Seitenzahlen. Das ist auch etwas, was. uns verbindet; das ist sehr deutsch; bei den schlimmsten Sachen wird ganz genau zitiert: Zeile soundso, Unterziffer soundso. Da steht dann der „Inlandsbegriff". Der wird uns plötzlich um den Hals gehängt. Sachen, die hier gemacht werden, um Gräben nicht noch zu verbreitern, daß wir nämlich plötzlich Zollausland zueinander sind und daß plötzlich infolge von Entwicklungen der Eingliederung, der Integration in Wirtschaftsräume hier und in Wirtschaftsräume dort die staatliche und sonstige Trennung noch schlimmer wird, die werden uns plötzlich zum Vorwurf gemacht: das sei — wie nennen sie das? — „juristische Aggression". Nun gut, den Juristen kann man vieles anlasten.

(Heiterkeit.)

Hier wird ihnen also auch noch eine juristische Aggression angelastet. Wir müssen uns selbst die Mühe machen, ,da sich niemand diese Mühe macht. Ich habe nirgendwo im Fernsehen oder in der Presse oder sonst einmal gesehen, daß sich damit jemand eingehend und überzeugend befaßt. Es wäre so einfach. Ich scheue immer davor zurück, daß man das auch noch von der Regierung aus machen muß. Wo kommen wir denn eigentlich hin? Dassieht doch scheußlich aus, ist auch scheußlich, wenn die Auseinandersetzung, bei der es um die Selbstbehauptung unserer Nation auch im Zustande der Trennung geht, sozusagen immer nur ordiniert werden muß.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)


(der Inlandsbegriff weder aggressiv gemeint noch gar juristische Aggression ist, sondern 'daß er den Sinn hat, dies nicht auch noch zum Zollausland werden zu lassen. Es gibt einiges, was dazu zu sagen wäre; ich wollte es nur angedeutet haben. Bei der Auseinandersetzung heute hat sich einer der Kollegen, die hier diskutiert haben — sich glaube, es war Herr von Wrangel —, in einer Erörterung mit anderen schließlich so geäußert: Nichtanerkennung, das sei nationale Sorgepflicht. Wasdamit .gemeint ist, stelle ich überhaupt nicht in Frage und in Zweifel; nur ist die Frage, ob wir auf die Dauer gut fahren, wenn wir uns die Begriffe der anderen einfach so aufzwingen lassen und die deutsche Politik dann dauernd zwischen von denen gepflanzten Begriffen hin und her gestoßen wird: Anerkennung oder Nichtanerkennung. Das ist so stupide, daß wir überhaupt nicht mehr dazu kommen, das, worum es wirklich geht, ins Visier zu nehmen. Es geht darum — sinngemäß. habe ich es noch im Ohr, wie es der Bundeskanzler gesagt hat —, daß eben eine Minderheit ihren Alleinherrschaftsanspruch, den sie ideologisch begründet — sie hat eine phantastische Ideologie dafür: sie ist der „Vollstrecker der Geschichte" —, gegen die Mehrheit des Volkes durchtrumpfen will. Das ist der wirkliche Tatbestand. Dadurch wird es für uns nicht leichter, aber man sollte es doch um Himmels willen ab und zu einmal sagen. Statt dessen winden wir uns immer in Qual, um den schrecklichen Vorwurf von uns wegzudrücken, wir hätten eine „Alleinvertretungsanmaßung", oder wie das heißt. Ich meine, wir brauchen trotz allem und obwohl wir jetzt erst offenbar mittendrin in einer sehr schwierigen Drift sind — da zeichnen sich schon weitore Dinge ab — dennnoch nicht fatalistisch zu sein. Wir dürfen 'aber nicht daran vorbeisehen, was unsere eigentliche Stärke ausmacht, ausmachen kann, das ist, daß wir auf unseren Wert als politische Kraft setzen, die ihre gesamte Politik leinschließlich der nationalen Kernfrage unserer deutschen Politik unter die Vorzeichen Frieden und Verständigung setzt. Da liegt unsere eigentliche Stärke, da haben wir, wenn wir ,es durchhalten, den längeren Atem. Da werden wir auch viele finden, die da sagen: Ja, hier sind wirklich Unruhestifter, es sind aber nicht die, die man so bezeichnet, sondern das sind andere. Und das wird ja dann nicht dabei stehenbleiben. Hier ist angeregt worden, einiges näher zu definieren, z. B. Sicherheitspolitik, Entspannungspolitik. Ich hätte dazu auch gerne einiges gesagt; aber es ist nicht meine Sache, obwohl es wirklich dringend ist. Ich glaube, daß wir da eine schwache Stelle haben. Herr Kollege Genscher, ich kam damals, am 5., nicht dazu, das weiterzuspinnen, weil ich unglücklicherweise erst am Ende -der dritten Lesung zu einigen der Fragen, die Sie und andere hier angebracht und entwickelt hatten, Stellung nehmen konnte. In den letzten vierzehn Tagen ist wieder sehr in den Vordergrund geschoben worden, als hinge jetzt fast alles in Europa davon ab, daß man so schnell wie möglich eine europäische Sicherheitskonferenz macht. Ich hatte damals gesagt: Lassen wir uns nicht hineindrängen; plötzlich stehen wir da und rutschen auf einem Sicherheitskonferenzgefälle ab. Da werden wir wahrscheinlich nicht gegensätzlicher Meinung sein. Worauf es ankommt, ist, eine Vorbereitung unsererseits auf das, was in diesem Zusammenhang von uns einzubringen ist — so verstehe ich das, was Sie sagen —, zu definieren und zugleich ein Am-Mann-Bleiben in der Diskussion. Wir haben doch bei allem, was uns nicht gefällt — dem einen gefällt das, dem anderen jenes nicht —, seit jener Debatte über die März-Note 1966 immer wieder gesagt: Wir müssen uns darauf einrichten — es war gar nicht unsere eigene Entdeckung; aber damals hatte der sowjetische kommunistische Parteitag entsprechende harte Konturen gezeigt, Konturen von einer Sicherheitskonferenz, und wie da das deutsche Problem untergebuttert werden sollte —, wir müssen uns zur Diskussion melden. Seitdem haben wir uns zur Diskussion gemeldet und sind in der Diskussion. Jetzt kommt eine schwierige Etappe Bundesminister Wehner dieser Diskussion, daß man versuchen will, wieder zu sagen: Nichts da Friedensordnung oder deutsche Frage, sondern eben Sicherheitskonferenz. Nun müssen wir uns selbst dazu entschließen, ohne daß wir je verschweigen dürfen und verschweigen müssen, daß es unserer Meinung und Überzeugung nach für Europa am besten sein wird, wenn auch endlich den Deutschen das, was in der einen Erklärung der Drei Mächte von 1964 geschrieben ist, das Selbstbestimmungsprinzip, gewährt wird. Ungeachtet dessen müssen wir immer sehen: Es wird noch lange auf Teiloder Zwischenlösungen ankommen. So sind eben sowohl die Kräfteverhältnisse als auch die Landschaft, die politische Landschaft, und denen müssen wir Rechnung tragen, wenn wir bestehen wollen. Ich wollte nur ganz eindeutig antworten, daß ich der Meinung nicht bin, nach der Sie gefragt haben, nämlich ob man meine, daß vertragliche Bemühungen unwirksam seien, weil man zu ihnen gar nicht käme; dann müsse man das offen sagen. Ich teile diese Meinung nicht. Ich bin der Überzeugung, daß wir nicht locker lassen dürfen, sondern solche Dinge immer wieder mit konkreten und passablen und einleuchtenden und nichts irgendwie ins falsche Licht bringenden Argumenten vortragen sollten. Wir sollten uns darum bemühen, und zwar überall, und sollten es auch überall erklären. Nur in einem Punkte, glaube ich, darf man nicht fatalistisch werden. Sie sagten: In allen Fragen, die Deutschland als Ganzes angehen, arbeitet die Zeit nicht für uns. Das ist in mancher Hinsicht sicher unbestreitbar. (Abg. Mischnick: Sie hat nicht für uns gearbeitet!)




— Ja, ja. Wenn sie das nicht getan hat, wird sie es wahrscheinlich, so gesehen, auch in der nächsten Zeit nicht tun. Nur halte ich nicht sehr viel davon, daß man das zu seiner Erfahrungsregel macht. Allerdings - in dem Punkt würde ich Ihnen zustimmen —, man darf sich auf die Zeit nicht verlassen, so als glätte sich da etwas. In diesem Punkt also können wir sicher übereinstimmen.
Im übrigen meine ich jedenfalls, daß im Herzen Europas die Probleme, auch nachdem so viel Zeit vergangen ist, nicht verjähren, Probleme, die darin bestehen und sich daraus ergeben, daß die Menschen hier anders als nur unter schrecklichen Kuratel- und Kujonen-Methoden leben wollen. Das wird ein Interesse auch westlicher, nördlicher, südlicher, östlicher Nachbarn sein, daß man hier geordnetere Verhältnisse des Miteinander-Lebens haben sollte. Das werden auch die jüngeren Generationen, auch wenn sie zum Teil jetzt ganz andere Sorgen und Probleme — oder keine Sorgen, sondern Probleme — haben, als ihre Probleme erkennen.
Vielleicht, haben Sie gesagt, sei jetzt der Zeitpunkt, mit Vorschlägen für Verträge zu kommen. Ich halte das nicht für ausgeschlossen, daß es sich in diesen Entwicklungen jetzt als vorteilhaft und vielleicht notwendig erweist, zu sagen und auch zu
schreiben: Jetzt haben wir das und das und das erlebt; jetzt sagen wir: das und das sollte geschehen.
Meine Damen und Herren, das waren meine Bemerkungen; sie sind leider — ich bitte um Entschuldigung — breiter geworden, als ich es mir vorgenommen hatte. Aber ich dachte, sie sollten, bevor man sich nun wahrscheinlich anderen Themen zuwenden wird, doch gemacht worden sein.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)


Dr. Karl Mommer (SPD):
Rede ID: ID0518027100
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Barzel.

Dr. Rainer Barzel (CDU):
Rede ID: ID0518027200
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Gang dieser Debatte veranlaßt mich, entgegen der ursprünglichen Absicht, ein paar Sätze zu sagen, weil hier — vor allem in der vormittäglichen Debatte — einige Akzente, aber auch einige Mißverständnisse aufgekommen sind, die so nicht durch diese Debatte und die dann anschließende Sommerpause gehen können. Es wird außerdem deutlich — und dagegen ist gar nichts einzuwenden —, daß die Debatte, entgegen der formalen Tagesordnung und der vor einigen Wochen aus ganz anderer Landschaft und anderen Gründen eingebrachten Große Anfrage, immer wieder auf diesen Schwerpunkt unserer aktuellen Sorgen zurückkommt. Ich meine, daß das gut ist.
Ich bin glücklich über das, was der Herr Bundesminister für gesamtdeutsche Fragen hier soeben gesagt hat. Ich möchte erklären, daß wir dem zustimmen. Ich kann mich deshalb zu dem ersten Punkt, zu dem ich mich auf Grund des Ganges der Debatte äußern wollte, kürzer fassen, als ich das heute mittag dachte.
Der erste Punkt ist folgender, und er ist vielleicht heute vormittag doch ein bißchen untergegangen. Der 'Herr Bundeskanzler hat in seiner sehr guten Erklärung folgendes gesagt, und ich möchte das noch einmal zitieren:
Die Bundesregierung steht mit den drei verbündeten Regierungen in engster Verbindung; Konsultationen in der NATO sind im Gange. Wir müssen gemeinsam auf die Rücknahme der rechtswidrigen Maßnahmen der SED hinwirken. Die Sowjetunion, ohne deren Billigung Ostberlin nicht handeln kann, muß nachdrücklich auf die Gefahren einer Eskalation hingewiesen werden, falls sie den eingeschlagenen Weg fortsetzen sollte.
Wir halten es für richtig, das noch einmal zu zitieren und in aller Form zu erklären, daß wir diesem so vom Bundeskanzler für die Regierung mit unserer Zustimmung formulierten Ziel zustimmen und bereit sind, alle Schritte zu unterstützen, die zur Erreichung dieses Zieles notwendig sind.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Ich habe Verständnis dafür — und meine Fraktion hat dies auch vorher in internen Beratungen, die, gestützt auf alle Fraktionen, vorausgegangen sind, erklärt —, daß hier heute nicht jede Methode,



Dr. Barzel
jeder Schritt und jede Maßnahme öffentlich erörtert werden können. Ich hoffe, daß wir insoweit alle einig sind. Wenn ich das so betone, dann deshalb, weil manche Akzente heute morgen — sowohl hier im Hause, wie aber auch draußen — mich ein bißchen besorgt gemacht haben. Hier wird zu viel geredet von „nicht mit derselben Münze heimzahlen", von „keine Schikanen als Antwort geben", von „sich nicht provozieren lassen", von „nicht in die Falle laufen" usw. Ich finde das alles schön und gut. Nur hoffe ich nicht, daß man hinter lauter solchen Vorschlägen, Bedenken und Unterscheidungen dann plötzlich im Grunde eine ganz andere Politik treibt, nämlich nicht die: das muß weg, sondern die: dann nehmen wir das mal hin. Es muß ganz, ganz deutlich werden, daß das hier nicht die Absicht ist, sondern daß wir der Regierung hier helfen.
Ich glaube, daß Herr Kollege Wehner hier in der Frage: erst die Alliierten oder wir? einen guten Beitrag geleistet hat. Das kann man gar nicht auseinanderziehen. Man kann auch nicht sagen: Hannemann, geh du voran! Wir wissen, was wir aus eigener Kraft zu tun haben. Aber wir wissen auch, wie weit unsere praktische Möglichkeit reicht und wer wo angesprochen ist. Deshalb hoffen wir, daß diese Konsultationen — und wir haben ja einen gewissen Fahrplan heute morgen gehört — bald zum Ergebnis kommen. Wir werden das unterstützen, was daraus hervorgeht, und auch unseren Einfluß geltend machen, damit andere dem folgen.
Meine Damen und Herren, wir wünschen hier auch heute nichts besonders zu unterstreichen, aber auch nichts irgendwie herunterzuspielen, wie das Wort heute so schön heißt. Wir wollen sagen, was ist. Die Verantwortlichen in Ostberlin usurpieren ein Recht, usurpieren Rechte, nehmen sie in Anspruch, widerrechtlich in Anspruch, die ihnen gar nicht zustehen, sondern die den Alliierten zustehen. Wer das hinnehmen wollte der würde damit hinnehmen, daß diese Rechte erodieren, daß sie verrosten, daß sie weniger werden, daß sie im Laufe der Jahre abbröckeln. Wer das heute hinnimmt — das ist auch vom Kollegen Wehner sehr deutlich gesagt worden —, der muß sich eben darauf einrichten, daß dann hier vielleicht eine Eskalation eintritt. Wir haben das ja schon gesehen, daß wir zur vorigen Woche noch gesagt haben: Wer sich zumutet, ein Visum erteilen zu können, wird es auch verweigern, und da könnte man ja sortieren. Das ist ja schon passiert. Der Journalist Conrad und andere sind nicht durchgekommen, und das sind ja doch wohl keine freien Zugangswege. Das ist schon ein Schritt mehr. Das ist nicht nur die Befürchtung von der vergangenen Woche, sondern das sind Fakten acht Tage später. Ich fürchte, wenn hier nicht etwas passiert in der Richtung, wie die Bundesregierung es sagt, wird es eben eskalieren. Und wenn wir heute das Thema so auf die Tagesordnung bringen, dann nicht, weil wir die Eskalation wünschen, sondern weil wir wünschen, daß das gestoppt wird, damit hier nicht eine Eskalation passiert,- meine Damen und Herren.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Ich meine, man sollte auch noch — und dies allerdings ganz ruhig — sagen: Wer das jetzt hinnimmt — ich habe den Bundesminister für gesamtdeutsche Fragen eben auch so verstanden, daß er diese Besorgnis hat; er hat es sehr vorsichtig angedeutet, ich will es etwas deutlicher sagen —, der wird manche Folge in der innenpolitischen Landschaft in Deutschland erleben. Das muß man doch einfach sehen. Es fühlen sich nicht alle Deutschen so völlig umhegt und umpflegt von allen unseren Freunden in dieser Situation. George Ball hat ja am 17. Juni ein sehr deutliches Wort gesagt. Ich will es hier nicht zitieren. Man soll uns aber nicht zugleich vorwerfen, daß sich hier vielleicht etwas in eine Rechtsaußenrichtung entwickelt, wenn nicht genügend deutlich wird, daß das gar nicht nötig ist, weil man das eben mit Freunden auch und besser erledigen kann.
Ich möchte neben diesem ersten Abschnitt auch noch einen anderen Punkt aufgreifen. Meine Damen und Herren! In der Vordebatte hat, wie ich glaube, Herr Kollege Genscher, etwas sehr Kluges gesagt. Er hat gesagt, es gehe hier nicht nur um alliierte Rechte — das ist unstreitig —, sondern es gehe auch — und das finde ich eben sehr gut — um deutsche Rechte. Meine Damen und Herren, wir würden doch uns und unser Lebensrecht in Frage stellen, wenn wir den Ausgangspunkt verlören. Der Ausgangspunkt ist dies: Dies ist ein Land, dieses Deutschland. Nach dem Willen der Siegermächte besteht es fort als eine Einheit. Wir wünschen in diesem eigenen Lande, wo wir zu Hause sind, zu reisen und uns zu bewegen, wie es uns zukommt. Das ist unser Recht.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Das soll doch nicht irgendwie vergessen werden. Wenn wir das andere täten, würden wir uns ja auf den rechtsphilosophischen Standpunkt stellen, den die Sowjetunion, die Kommunisten haben, daß nur noch das erlaubt ist, was ausdrücklich fixiert ist. Ich glaube, freiheitliche Staaten und auch die Charta der UNO gehen von dem Gegenteil aus.
Meine Damen und Herren, ich sage als Letztes — und ich glaube, das sind wir unseren Freunden in Berlin schuldig —: Wenn der Regierende Bürgermeister von Berlin am freien Zugang von und in seine Stadt verhindert wird, dann ist dies kein verbaler Verstoß gegen den freien Zugang, sondern das ist ein realer Verstoß; er kann sich nicht bewegen, wie das an sich sein sollte. Und das ist dann nicht mehr nur eine Frage, ob hier Zugangsrechte verletzt sind, sondern hier sind sie dann verletzt, und zwar nicht verbal oder in der Befürchtung, sondern in den Realitäten. Das muß man, glaube ich, festhalten. Und wer nicht schlimmere Realitäten erleben will, wer nicht sehen will, daß dann vielleicht, wenn ich so sagen darf, unser Ende der Salami immer knapper wird, der muß, glaube ich, jetzt verstehen, daß wir in deutlicher Weise, wie dies auch die Regierung getan hat, wie dies vor allen Dingen die vorzügliche Erklärung des Herrn Bundeskanzlers heute morgen getan hat, wirklich



Dr. Barzel
kämpfen um ein Stück der Lebensrechte unserer Nation.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Das werden wir, glaube ich, durchzusetzen haben. Das war das erste.
Das zweite. In dieser Debatte ist unsere Haltung tin der Frage der Nichtverbreitung atomarer Waffen nicht ganz richtig in die Debatte von anderen eingefügt worden. Ich möchte deshalb, weil wir eine gewisse parlamentarische Pause vor uns haben und damit sich hier nichts in der Offentlichkeit entwickelt, etwa an falscher Meinung oder gar an Krisen, an Mißverständnissen oder an außenpolitischen Geschichten, für meine Freunde in aller Form unsere Position sehr deutlich machen. Ich hoffe, es gelingt, sie so deutlich zu machen, daß jeder, der sie dann immer noch anders darstellt, es eben bewußt, böswillig oder uniformiert tut.
Wenn ich mich recht erinnere, ist der Gedanke eines gewissen, mindestens politisch-geistigen gedanklichen Zusammenhangs zwischen Zugang nach Berlin und Nichtverbreitungsvertrag atomarer Waffen zum erstenmal von dem Herrn Bundeswirtschaftsminister für seine Person geäußert worden. Bitte, das ist ein interessanter Gedanke. Wir haben diese Fragen unter uns diskutiert, und ich kann für uns folgendes sagen: Wir sind gegen ein Junktim in dieser Frage. Wir sind gegen dieses Junktim aus einem ganz einfachen Grunde. Die Zugangsrechte braucht man nicht erst einzuhandeln oder bestätigen zu lassen; sie sind nämlich da, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der CDU/CSU und bei Abgeordneten der SPD.)

Hier kommt es auch nicht darauf an — ich sage gleich etwas dazu, Herr Mende —, eine neue Behörde zu schaffen. Das, worauf es ankommt, ist vielmehr, die vorhandenen Rechte alltagswirksam zu garantieren. Das ist das Problem, meine Damen und Herren.
Herr Kollege Mende hat heute vormittag meinem Freund Olaf von Wrangel eine Frage gestellt. Das führt dann dazu — ich will sehr höflich sein —, daß falsche Eindrücke über vergangene Etappen unserer gesamtdeutschen Entwicklung entstehen. Er hat Herrn Kollegen von Wrangel gefragt und so den Eindruck geweckt, als hätten wir, nämlich die CDU/CSU, im Jahre 1962 einen Vorschlag, eine internationale Zugangsbehörde zu schaffen, kaputtgemacht. Es ist ganz richtig, daß das bei uns keine große Begeisterung fand, zum Beispiel aus dem Grund, den ich Ihnen eben sagte, aber auch aus vielen anderen Gründen. Aber die Wahrheit ist, daß wir gar nicht vor die endgültige Frage gestellt wurden, weil nämlich vorher die Sowjetunion gesagt hat: Das kommt überhaupt nicht in Frage, denn diese Bundesrepublik Deutschland hat in Berlin und mit Berlin und mit den Zugangsrechten nichts zu tun. Ich bitte, die TASS-Erklärung vom 11. Mai nachzulesen, die wir über Mittag herausgesucht haben.

(Beifall in der Mitte. — Zuruf von der CDU/CSU: Das wußte Herr Mende nicht!)

Das ist das eine.
Nun zu der Sache, damit hier keine Mißverständnisse aufkommen. Der Herr Bundesaußenminister hat auch von dieser Frage gesprochen, und ich möchte ihm, da ja dieses Haus weggeht und die Fraktionen dann auch nicht so erreichbar sind, wie wir das brauchten, zunächst noch einmal bestätigen, daß wir hinsichtlich der Kriterien, nach denen wir unser endgültiges Votum zum Nichtverbreitungsvertrag abgeben werden; völlig übereinstimmen. Es sind die Kriterien, Herr Kollege Brandt, die Sie selbst für die Bundesregierung mit unserer Zustimmung am 27. April 1967 von dieser Stelle aus genannt haben. Ich möchte, damit dies ganz vollständig ist, diese Punkte eben noch einmal aus dem Protokoll über die damalige Regierungserklärung zitieren. Es heißt dort:
Wir haben Maßstäbe aufzustellen versucht, an denen wir selbst einen universellen Nichtverbreitungsvertrag zu messen haben. Dabei ging es im wesentlichen um vier Fragenkomplexe:
erstens die ungehinderte Nutzung der
Kernenergie zu friedlichen Zwecken,
zweitens eine deutliche Verbindung zu allgemeiner Abrüstung,
drittens Gewährleistung der Sicherheit und
viertens keine Beeinträchtigung regionaler — in unserem Fall: europäischer — Einigungsbestrebungen. .
Das sind die vier Kategorien; sie gelten für uns fort. An Hand dieser werden wir dann unser Urteil bilden.
Das Zweite, was zu sagen ist, ist heute morgen durch eine Zwischenfrage meines Freundes Birrenbach an Herrn Mischnick deutlich geworden. Ich will es noch einmal sagen, damit es hier im Zusammenhang steht und jeder weiß, was wir dazu meinen. Ich meine die Frage des Zeitpunkts, zu dem man hier vielleicht votieren muß.
Da ist erstens darauf hinzuweisen, daß es vor der Behandlung im Senat der USA und vor völliger Klarstellung und Offenlegung der Interpretationen natürlich gar nicht möglich ist, ein sachliches Urteil abzugeben.
Da ist zweitens natürlich — es wird für die Bundesregierung sicherlich förderlich sein, wenn ich dies heute erkläre — Rücksicht auf die verabredete Konferenz der nichtmilitärischen Atommächte zu nehmen, die, wenn ich richtig unterrichtet bin, etwa im September stattfinden soll.
Das bedeutet aus unserer Sicht, daß heute und für die ganze Periode der Sommerpause kein Anlaß für dieses Haus besteht, für seine Ausschüsse, für seine Fraktionen oder für die Bundesregierung, die Meinung in dieser Frage zu verdichten oder gar diese Verdichtung durch Entscheidungen zu publizieren.

(Abg. Rasner: Sehr richtig!)

Das ist unsere Meinung bezüglich des zeitlichen Ablaufs.
Nun, meine Damen und Herren, das Dritte, das mit dem, was wir die politische Landschaft nennen, zusammenhängt. Da ist es vielleicht ganz gut, Herr



Dr. Barzel
Kollege Mischnick, wenn ich einfach zitiere, was wir gesagt haben, damit das hier völlig unmißverständlich im Protokoll steht und niemand zu suchen braucht, sondern alles zusammen hat.
Am 14. Juni — vorigen Freitag —, als unser Fraktionsvorstand wegen der Berliner Dinge zu einer Sondersitzung zusammenkam, haben wir ein Kommuniqué verabschiedet; das tun wir nicht sehr häufig. In dem Kommuniqué heißt es — ich möchte mit Genehmigung des Herrn Präsidenten jetzt zitieren —:
Die Frage, welchen Einfluß die Rechtswidrigkeiten der Verantwortlichen in Ostberlin, die offensichtlich mit Zustimmung Moskaus gehandelt haben, auf die Haltung der CDU/CSU-Bundestagsfraktion zum Atomwaffensperrvertrag haben werden, wird weiter erörtert werden. Es wurde darauf hingewiesen, daß eine deutsche Unterschrift unter diesen Vertrag einen großen Vertrauensvorschuß für die atomaren Mächte beinhalten würde, von denen eine sich gerade in diesem Augenblick unter Mißbrauch ihrer Macht über alliierte Vereinbarungen und seit langem geltende Regelung hinwegsetzt.
Welcher Pariot würde diese Frage nicht aufwerfen?
Dann hat der Herr Bundeskanzler — der Bundeskanzler dieser Koalitionsregierung — am 17. Juni eine Fernsehansprache gehalten. Ich zitiere aus dieser Ansprache:
Ein Instrument der Politik des Friedens soll der Atomsperrvertrag sein. Um so wichtiger ist es, daß der Vertrag uns, die wir bereits früher auf atomare Waffen verzichtet haben, Schutz vor der möglichen Bedrohung und Erpressung durch atomare Mächte gewährt. Was am 11. Juni geschehen ist, ist aber gerade, daß die Sowjetunion einem nicht legitimierten, an Streit und Hader interessierten Regime ein Instrument der Drohung und Erpressung in die Hand gegeben hat.
Soweit das Zitat des Herrn Bundeskanzlers. Das ist ein Satz, den man dem eigenen Volk schuldig ist. Ich bin dankbar dafür, daß der Kanzler diesen Satz und gar nichts weiter, diesen Tatbestand dargestellt hat. Das, glaube ich, sollten wir hier gebührend würdigen, und ich tue dies in aller Form für unsere Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Nun kommt noch ein Zitat. Das kommt nur deshalb, weil Herr Kollege Eppler heute morgen dargetan hat, daß — das war soweit richtig — natürlich durch diesen Vertrag, was die militärische Seite angeht, für uns gar nichts Neues passiert. Das war, glaube ich, Ihre Einlassung. Das Neue ist nur, daß wir eine Verpflichtung auch der Sowjetunion gegenüber eingehen. Deshalb möchte ich, meine Damen und Herren, eben auch noch folgendes hier sagen. Dieser Vertrag würde bedeuten, daß eine freiwillig unseren Freunden gegenüber übernommene Verpflichtung nun auch dem potentiellen Gegner gegenüber übernommen wird. Das ist etwas Neues.
Wir wollen nicht vergessen, daß, als wir 1955 diese Erklärungen abgaben, sie in einem Gesamtzusammenhang mit einem Vertragswerk und einer Politik standen, die uns Souveränität und Partnerschaft gebracht haben. Daran darf man auch erinnern, wenn jetzt etwa eine Verpflichtung in einer anderen Richtung übernommen werden sollte.
Deshalb frage ich mich, ob es — so habe ich am 17. Juni in Berlin gesprochen, und das haben wir veröffentlicht; also auch das, Herr Kollege Mischnick, hätte jedermann zugänglich sein können — erstens verantwortbar ist, einer Macht gegenüber solche Verbindlichkeiten einzugehen, die sich über unsere Rechte hinwegsetzt; zweitens, ob es verantwortbar ist, einer Macht gegenüber solche Verbindlichkeiten einzugehen, die sich ,immer noch auf die uns diskriminierenden Art. 53 und 107 der UNO-Charta beruft; und drittens, ob dies die politische Landschaft ist, die den Vertrauensvorschuß, welcher ein solcher Vertrag der Großmacht Sowjetunion gegenüber darstellt, rechtfertigt.
Die Fragen zustellen, halte ich für richtig. Zu welchem Ergebnis wir unter Berücksichtigung der vier Kriterien und des Zeitplanes und der sonstigen Dinge kommen werden, kann zu dieser Stunde keiner sagen. Aber ich hoffe nicht, daß irgendeiner, nachdem nun völlig klar ist, wie unsere Position in dieser Frage ist, versuchen wird, durch irgendwelche publizistischen oderanderen Mittel die Meinungsbildung über Gebühr zu beschleunigen oder voranzutreiben, während wir hier nicht versammelt sind.
Der dritte Problemkreis, zu dem ich etwas sagen möchte — auf Grund mancher Erklärungen sowohl von Herrn Mischnick wie auch von Herrn Eppler, aber auch von anderen —, ist die Frage: „Entspannungspolitik fortsetzen?" . Nun, meine Damen und Herren, wir haben mit ,der sozialdemokratischen Fraktion zusammen einen Antrag in drei Punkten eingebracht, und es kann hier gar kein Zweifel sein, daß wir gemeinsam diese Politik fortsetzen, ob wir sie nun Entspannungspolitik oder Friedenspolitik nennen. Ich erinnere mich, Herr Eppler, daß Sie einmal von dieser Stelle aus gesagt haben, das sei eigentlich zu unnuanciert, Sie hätten eine viel bessere Sache; ich komme gleich darauf zurück, weil es eine Formel ist, die wir offensichtlich unabhängig voneinander gefunden haben.
Aber, meine Damen und Herren, es geht nicht nur um diese Frage. Es geht natürlich auch darum, die Voraussetzung dessen, was hier Entspannungspolitik genannt worden ist, zu pflegen, d. h.: unsere Lebensrechte als Volk und Nation und 'die der deutschen Hauptstadt und .aller Menschen zu wahren und zu verteidigen:

(Beifall bei ider CDU/CSU.)

Das gehört doch mit dazu, und das sollte eigentlich hier auch nicht strittig sein. Ich will aber auch gleich nicht nur sagen — damit nicht nachher in den nächsten Wochen hier wieder die Märchen anfangen, so mit „Bremsen" und ähnlichen Geschichten —, daß wir diesem Antrag heute abend die Zustimmung geben werden, und nicht nur leinfach sagen: wir werden diese Politik fortsetzen. Das ist mir im Hin-



Dr. Barzel
blick auf das, was öffentlich behauptet wird und was ja von manchem Pressedienst behauptet wird, nicht wahr, und sogar von manchem Pressedienst unserer Koalitionsfreunde behauptet wird, meine Damen und Herren, nicht genug. Deshalb will ich es ein bißchen konkretisieren.
Es hat mir imponiert, Herr Kollege Wehner, daß Sie hier sehr deutlich den Unterschied herausgearbeitet haben zwischen dem, was man in Belgrad die „aktive Koexistenzpolitik" nennt — und das ist eine gute Sache —, und der Tatsache, daß in Deutschland noch „wer wen" herrscht, nicht wahr, die Rivalität und der Versuch eben — wenn wir das sagen, heißt es, wir sind kalte Krieger —, doch das ganze Deutschland unter kommunistischen Vorzeichen wieder zusammenzubringen. Nicht wahr: das ist doch „wer wen?" auf deutsch. Das ist hier also eine andere Lage.
Wir erklären in aller Form — und jetzt komme ich auf Sie zurück, Herr Kollege Eppler —: Wir wünschen, in ganz Europa — und dies schließt Deutschland ein — von der Konfrontation zur Kooperation zu kommen. Ich glaube, meine Damen und Herren, und das sollte auch noch mit dem Blick auf das, was Ulbricht jetzt gemacht hat, eigentlich einmal gesagt werden, folgendes: Wer die Zeichen der Zeit sieht — vielleicht interpretiere ich sie falsch, doch ich glaube schon, wir interpretieren sie miteinander so und richtig — und wer genau zuhört, was junge Menschen im Westen und im Osten sagen, der wird wohl dem Satz zustimmen, daß dieses Europa dabei ist, sich zusammenzufinden, daß mindestens die Völker es leid sind, gegeneinander zu stehen oder gar gestellt zu werden und daß sie mehr mit einander leben wollen, daß sie eben — und das hat der Herr Außenminister heute morgen, wie ich glaube, in seinen Zitaten aus Belgrad sehr gut mitgeteilt —, nicht Hegemonie wollen, sondern gleichberechtigte Zusammenarbeit, daß sie Partnerschaft oder eben Frieden wollen. Ich glaube, diese Perspektive ist für Europe erkennbar. Wenn sie erkennbar ist, dann wollen wir uns darauf nicht nur einrichten, sondern dann wollen wir alles tun, was in unserer Kraft steht, um das zu beschleunigen, denn da haben wir vielleicht die Chance, eben auch unsere Probleme mit hereinzubringen.

(Zustimmung bei der CDU/CSU.)

Ich glaube, wenn wir heute an dieser Stelle im Anblick dieses Unrechts, das uns geschehen ist, diesen Willen betonen, dann hat das seinen Rang. Wir wollen uns hier nicht in eine falsche Ecke treiben lassen, weil Herr Ulbricht versucht, auch dadurch uns hier zu bremsen. Nein, nein, diesen europäischen Aspekt, zur Kooperation zu kommen, werden wir uns von den Leuten in Pankow nicht irgendwie kaputtmachen lassen, und wir werden auch keinen Wettlauf im Hause zulassen. Das Bremserhäuschen mag man uns andichten, aber es stimmt nicht! Wir sind hier — und ich werde das in einem Punkt noch sagen — nicht etwa in einer passiven, sondern seit langem in einer aktiven Rolle.
Ich meine — das gehört zwar heute nicht hierher, aber unser Anlaß für diese Große Anfrage war ja damals die Situation junger Menschen, und deshalb darf ich hier noch einen Satz dazu sagen —: junge Menschen, die diese Unruhe für das ganze Europa suchen und die sich da engagieren, die tun das, was für ihr eigenes Leben, für ihre eigene Zukunft und für uns alle miteinander das schlechthin Entscheidende ist. Ich glaube, das ist die Unruhe, die wir brauchen.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Damit es ganz konkret ist, will ich noch einmal fünf Punkte bezeichnen; es geht ganz schnell.
Erstens. Wir bleiben bereit, die Politik der Gewaltverzichte fortzusetzen, die Politik, die zum Ausdruck kam in der Friedensnote des früheren Bundeskanzlers Erhard, den ich aus anderem Anlaß hier jetzt ganz besonders herzlich begrüße: zwanzig Jahre Deutsche Mark gehören auch in dieses Kapitel.

(Anhaltender Beifall bei der CDU/CSU.)

Ich glaube, wir wären in mancher auch außenpolitischen und gesamtdeutschen Frage nicht so weit, wenn das Geld nicht so gut ware, das hinter unserer Politik steht. Wir sind bereit, diese Politik fortzusetzen. Wir sehen darin ein Fundament für eine mögliche europäische Friedensordnung. Ich bin dankbar, daß Kollege Wehner diese Unterschiede noch einmal klargemacht hat. Sicherheit ist nicht das alleinige Thema, sondern Unterkapitel des großen Kapitels „Europäische Friedensordnung", die nur dann zustande kommt, wenn unsere Probleme mit dabei sind. Ein Sicherheitssystem auf der Basis des Status quo, ja auf der Basis der Rechtsbrüche in Deutschland, das ist nicht das Ganze, das ist auch nicht das, was genügt. Was wir brauchen, ist eine Friedensordnung; ich werde dazu gleich noch ein Wort sagen. Wenn so ein Fundament entstünde, wäre natürlich eine Landschaft — aber sonst auch gar nicht, erst dann — für Rüstungsbeschränkungen und ähnliche Dinge vorhanden.
Das Zweite, was ich sagen möchte: wir sind bereit — und ich glaube, das sollte man heute sagen —, Freizügigkeit herzustellen für alle Europäer, für alle Ideen, für alle Waren. Wir haben — nicht für die Fraktion, aber in einer interessanten Debatte — vorgeschlagen, auch den Handels- und Zahlungsverkehr in ganz Europa von den bilateralen Grenzen zu befreien, ihn multilateral, d. h. europäisch, zu machen. Wir sind bereit, die Freizügigkeit in ganz Europa herzustellen. Ich habe den Eindruck, das ist das, was junge Menschen in Paris und in Prag und sonstwo und in Moskau wollen:' Freizügigkeit der Menschen, der Waren, der Ideen, Freizügigkeit in diesem ganzen Europa — und das kann Berlin und das kann Deutschland nicht ausschließen.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Das Dritte. Wir sind bereit — das hat der Bundeskanzler wirklich, ich möchte beinahe sagen, unendlich oft von dieser Stelle aus gesagt, und das haben auch seine Vorgänger gesagt —, mit unseren östlichen Nachbarn wie mit unseren westlichen auf friedlichem Wege und aus dem Geist der Verständigung endgültige Regelungen aller strittigen Fragen zu suchen und zu finden. Das geht nicht dadurch, daß man auf das geltende Recht und politisch wirk-



Dr. Barzel
same Rechtstitel verzichtet, sondern das geht nur dadurch, daß man neues Recht schafft. Das friedliche Zusammenleben von Menschen und von Völkern ist nur auf der Basis des Rechtes möglich. Und Recht entsteht für Demokraten nur auf eine einzige Weise, nämlich durch mehrheitliche Zustimmung der Beteiligten. Damit haben wir ein fundamentales Prinzip für eine Friedensordnung gefunden. Ich glaube, daß wir darin übereinstimmen.
Das Vierte, was ich sagen möchte, ist folgendes. Der Herr Bundesaußenminister hat es heute besonders unterstrichen, und wir stimmen ihm darin zu: auch wir wünschen nicht, daß sich die Bundesregierung beirren läßt, von dem Weg abzugehen, in den innerdeutschen Dingen weiterzukommen zu versuchen. Die Angebote des Herrn Bundeskanzlers, die bisher von denen drüben nicht nur ausgeschlagen, sondern in der Art und Weise beantwortet worden sind, wie wir das hier jetzt erleben, bleiben trotzdem auf dem Tisch. Wir sind bereit, die Not der Spaltung zu mildern. Der Katalog dessen, was hier möglich ist, ist von dem Bundeskanzler von dieser Stelle aus vorgetragen worden. Dieser Katalog hält sich im Rahmen der deutschen Kompetenzen. Die Zugangsrechte nach Berlin sind, soweit sie rechtlich fixiert sind, alliierte Rechte. Wir haben im Deutschland-Vertrag die Vorbehalte der Alliierten für Deutschland als Ganzes und Berlin förmlich akzeptiert. Das ist also nicht eine bilaterale innerdeutsche Sache. Ich glaube, das ist klar. Es gehörte an diese Stelle, diese Unterscheidung noch anzufügen.
Das Fünfte ist — auch das kann gar nicht streitig sein —, daß wir natürlich bereit sind, mit allen europäischen Nachbarn voll normale Beziehungen aufzunehmen.
An uns liegt es nicht — das sollte man noch einmal sagen; damit komme ich zurück, und auch gleich zum Schluß, auf das, was Herr Ulbricht hier versucht —, an uns liegt es nicht, wenn kein Frieden in Mitteleuropa und in ganz Europa ist. Wir haben unsere Hand ausgestreckt, und sehr viele in den mittel- und osteuropäischen Ländern haben sie schon angenommen, manche wollen und die meisten werden diese Hand ergreifen. Nur Herr Ulbricht versucht, das zu verhindern. Aber ich glaube, damit ist er ein Vorgestriger unserer Zeit. Ich habe das Gefühl, er kämpft eigentlich wie ein Ertrinkender gegen diese Perspektive eines neuen Europa, die da zustande kommt. Sicher ist nur eines: Die Zeichen der Zeit stehen auf Veränderung, und auch in Deutschland wird dieser Status quo der Verhärtung auf die Dauer nicht bleiben können.
Wir wollten diese drei Punkte klarstellen, damit auch in den kommenden Wochen nicht Mißverständnisse über unsere Haltung bleiben können.
Ich danke dem Präsidenten, daß er mich zwischendurch an die Reihe genommen hat.

(Beifall bei der CDU/CSU.)


Dr. Karl Mommer (SPD):
Rede ID: ID0518027300
Das Wort hat Herr Abgeordneter Mischnick.

Wolfgang Mischnick (FDP):
Rede ID: ID0518027400
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wie ich höre, ist das Mißverständnis über die Äußerung meines Freundes Genscher in einem direkten Gespräch mit dem Bundesminister für gesamtdeutsche Fragen geklärt worden, !so daß ich dazu nichts mehr zu sagen brauche.
Nur einige wenige Bemerkungen zu dem, was der Kollege Wehner und was der Kollege Barzel hier zum Ausdruck gebracht haben. Ich bin sehr erfreut darüber, daß eine Reihe von Klarstellungen erfolgt sind. Es zeigt sich doch, wie nützlich es ist, wenn die Opposition hier Fragen stellt und auf die Klarstellung mancher ungeklärter Dinge drängt. Besonders interessiert hat uns die Erklärung des Bundesministers für gesamtdeutsche Fragen auf die Frage des Kollegen Genscher, ob denn nicht der Zeitpunkt jetzt da sei, wo man vielleicht zu gewissen Regelungen kommen könne. Als der Minister dazu sagte, darüber müsse man reden, das müsse man jetzt prüfen, und Herr Kollege Barzel davon sprach, er sei glücklich über das, was der Bundesminister für gesamtdeutsche Fragen gesagt habe, schöpfte ich die Hoffnung, daß unsere Anregung, konkrete eigene Vorstellungen dem gegenüberzustellen, was von der DDR-Seite gebracht worden ist, jetzt auf fruchtbaren Boden fällt. Wir hoffen, in Bälde mehr davon zu hören. — Wenn der Zwischenruf „kaum" kommt, meine ich, -das wäre sehr bedenklich; denn das würde bedeuten, daß das hier nur Deklamationen sind, und das wollen wir doch alle gemeinsam nicht.
Weiter ist davon gesprochen worden, daß die politische Landschaft sich geändert habe gegenüber dem Zeitpunkt, als gewisse Maßnahmen vorbereitet waren. Genau da setzen unsere Befürchtungen ein. Wenn man vor einiger Zeit, das letztemal wohl 1967, mit unseren Verbündeten zu gemeinsamen Überlegungen kam, wie man im Falle eines Falles reagieren will, und die Reaktionen jetzt nicht in der Weise erfolgt sind, wie man gehofft hat, dann zwingt uns das doch, zu überlegen, wie durch eigene Handlungen Raum ausgefüllt werden kann, der vielleicht — wenn ich es vorsichtig sage — frei geworden ist. Sollten die Verbündeten doch noch manches von dem tun, was wir erwartet haben, um so besser. Daß die Bundesregierung sich bemühen wird, diese Reaktion, die man ursprünglich miteinander besprochen hat, zu erhalten, davon sind wir überzeugt. Daß man hier nicht im einzelnen darüber spricht, auch dafür haben wir Verständnis.
Nur muß eines immer im Einklang sein — darum geht es uns —, nämlich die Ankündigung, man müsse, man werde antworten, mit dem, was dann tatsächlich geschieht. Umgekehrt wäre es vielleicht manchmal sogar besser, daß die Ankündigung eher etwas gedämpfter ist als das, was dann als Reaktion wirklich kommen kann. Ich wiederhole, was ich vorhin sagte: kein Vorwurf, daß hier nicht genug geschehen sei, sondern eher der Vorwurf, daß der Eindruck entstehen mußte, man habe mehr Mittel in der Hand, als tatsächlich vorhanden seien. Darum geht es uns. Die Schlußfolgerung, die nach meiner Ansicht und nach Ansicht meiner Freunde



Mischnick
gezogen werden muß, weil sich eben gezeigt hat, daß schon eine geringfügige Veränderung der politischen Landschaft auch bei unseren Verbündeten neue Überlegungen sichtbar werden läßt, erzwingt geradezu von uns, daß wir selbst Möglichkeiten einer vertraglichen Regelung nicht nur ins Auge fassen, sondern daß wir auch bewußt diesen Weg gehen müssen. Genau das war es, was wir heute in der Debatte als Anregung gebracht haben und was von uns durch entsprechende Vorschläge konkretisiert werden wird, wenn es bis zum Ende der Sommerpause nicht zu entsprechenden Vorschlägen von der Bundesregierung kommt.
Die Klarstellung des Kollegen Barzel hinsichtlich des Atomsperrvertrages haben wir gern zur Kenntnis genommen. Ich bleibe allerdings dabei, daß es besser gewesen wäre, das eine oder andere dazu nicht zu sagen, um Mißverständnisse zu vermeiden. Wir hoffen nur, daß bei der endgültigen Prüfung die sachlichen Gesichtspunkte, so wie Sie sie hier dargestellt haben, von uns gemeinsam so rechtzeitig behandelt werden können, daß ein Urteil darüber in voller Kenntnis aller Umstände erfolgen kann und daß die Opposition möglichst zu dem gleichen Zeitpunkt herangezogen wird, zu dem die Regierung die Unterlagen erhält und die Einzelheiten erfährt. Wir würden uns sehr darüber freuen, wenn die heutige Debatte, die an sich unter anderen Gesichtspunkten angelegt war, dazu führt, daß die Einzelpunkte, die wir aus begreiflichen Gründen hier nicht behandelt haben, im Gesamtdeutschen Ausschuß und im Auswärtigen Ausschuß intensiv weiterberaten werden, damit wir bei zu befürchtenden nächsten Maßnahmen von Herrn Ulbricht wissen, wie wir gemeinsam reagieren sollen, und diese Reaktion auch von vornherein gemeinsam beschließen können. Das wäre meiner Ansicht nach im Interesse aller Angehörigen dieses Hauses gerechtfertigt.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten in der Mitte.)


Dr. Karl Mommer (SPD):
Rede ID: ID0518027500
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Mattick.

Kurt Mattick (SPD):
Rede ID: ID0518027600
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es gibt in Europa viele offene, ungelöste Probleme. Es gibt nach meiner Auffassung nur einen gefährlichen geographischen, politischen Punkt des Widerstreits in Europa. Das ist Berlin. Hier spielt sich seit 23 Jahren unmittelbar auf dem Rücken der Bevölkerung ein entscheidender Interessenkonflikt ab zwischen Moskau und Bonn, zwischen Bonn und Pankow, zwischen den westlichen Alliierten und der Sowjetunion und in taktischen Fragen auch noch zwischen Moskau und Pankow selbst.
Für die Sowjetunion wurde Berlin ein Trauma der Nachkriegszeit. Ich erinnere an die Auseinandersetzungen in den Jahren 1945 bis 1948, 1949 bis zu dem Punkt, wo die Sowjets die Auseinandersetzung um diese Stadt, die mit Zwangsvereinigung und Blockade zur unmittelbaren Eroberung geführt werden sollte, zunächst auf ein anderes Gleis schieben mußten. Das geschah mit der Vorstellung, eines Tages den Punkt zu erreichen, wo diese Stadt als reife Frucht in den Schoß fällt. Dazu gehört die Entwicklung von der Blockade über das ChruschtschowUltimatum und der Mauer bis zum heutigen Tage. Es hat eigentlich doch kaum Phasen gegeben, von denen man sagen kann: es gab keine echte Auseinandersetzung um Berlin. Wenn es irgendwo einen einseitigen Kalten Krieg bis zum heutigen Tage — immer einseitig bis zum heutigen Tage — gegeben hat, dann war das auf dem Rücken der Berliner Bevölkerung.
Nun, für die Sowjetunion bleibt Berlin in dieser Auseinandersetzung ein Trauma, für Deutschland eine Lebensfrage. Die Sowjetunion sieht in Berlin ihre Chance im Kampf um die mitteleuropäische Position. Die Bundesrepublik muß in Berlin die deutsche Hauptstadt sehen und darauf ihre Politik ausrichten. Berlin ist und bleibt für die Bundesrepublik, für alle Deutschen der Kristallisationspunkt der deutschen Frage.
Nun die Sicherheit Berlins! Die Bundesrepublik ist im Wort gegenüber Berlin und den Berlinern. Die Bundesrepublik ist im Wort gegenüber den 17 Millionen im Ringen um die Selbstbestimmung in Deutschland. Das ist eine entscheidende Frage der Berliner Politik. Und ich sage hier mit voller Überzeugung — ich werde auch meine Schlußfolgerung daraus ziehen —: die westlichen Alliierten sind im Wort gegenüber Berlin. Die Sowjetunion steht mit ihren eigenen Interessen und hat diese durch einen Zwanzigjahresvertrag mit der DDR noch einmal festgelegt.
Meine Damen und Herren, wenn man in solch einer Diskussion offene Worte aussprechen soll, dann fehlte mir ein Akzent in dieser Aussprache, zum Teil jedenfalls. Es ist doch nicht ein geographisch-politisch-wirtschaftlicher Konflikt um Gebiete, ähnlich dem Konflikt, um den es bei dem Saargebiet ging — weil dieses Beispiel ja so oft angeführt wird —, sondern in Berlin geht es doch um einen politisch-ideologischen Konflikt zwischen der Sowjetunion und der westlichen Position in Europa. Das macht doch die Sache in der weiteren Entwicklung ganz besonders schwer und schwierig. Ich bin überzeugt, in Berlin ist die mitteleuropäische Position der Sowjetunion in Fage gestellt, und so lange, wie die Sowjetunion diese Position glaubt halten zu müssen, bleibt Berlin in der Auseinandersetzung um Europa ein besonders schwerer Brocken für alle Beteiligten. Für mich ist eines logisch: die Politik der Bundesrepublik, die Friedenspolitik, das Bemühen um Auflockerung, das Bemühen um Kontakte und Verständnis für die Politik der Bundesrepublik, das in einigen Südostländern an Boden gewonnen hat, muß automatisch mindestens in der ersten Phase dieser Entwicklung zu einer Reaktion auf der Achse Moskau-Warschau-Pankow führen, nämlich zu einer Verhärtung dieser Achse. Denn in dem Ausmaß, wie es für die Sowjetunion deutlicher wird, daß — wahrscheinlich von der sowjetischen Position aus gesehen durch Versäumnisse in der Vergangenheit — die südosteuropäischen kommunistisch geführten Länder auf der Suche nach einem



Mattick
eigenen Weg sind und die Klammer der Sowjetunion nicht mehr ausreicht, sondern die Bewegungsfreiheit nicht mehr zu vermeiden ist, in dem Ausmaß muß sich zunächst die Sowjetunion bemühen, diese Achse Moskau-Warschau-Pankow zu verhärten und zu verstärken. Ich glaube, in diesem Zustand befinden wir uns im Augenblick, daß sich die Sowjetunion bemüht, im deutschen Raum ihr machtpolitisches Vorfeld in Europa zu verteidigen.
Das sollte man einfach nüchtern und logisch feststellen. Dann kommt man, glaube ich, zu der Feststellung, daß zwischen der Sowjetunion und ihren Interessen in Berlin — mit der DDR — und dem deutschen Interesse an Berlin als einem Teil Deutschlands zur Zeit unüberbrückbare Gegensätze bestehen, weil eine Annäherung der Standpunkte zwischen der Sowjetunion und dem, was für uns die deutsche Politik in dieser Frage ist, aus der internationalen Situation und aus dem heraus, was die Sowjetunion in Europa zur Zeit noch an Vorstellungen hat, einfach nicht möglich ist. Für mich ist das eine nüchterne Feststellung, die für mich zu folgenden Schlußfolgerungen führt. Wenn das richtig ist und wir davon ausgehen, dann ist der Status quo, d. h. das Nicht-Rühren an den Bedingungen, die beiderseits jetzt bestehen; zur Zeit die einzige Form des Nebeneinander-Lebens, die die Eskalation ausschaltet. Wer den Status quo in dieser Phase verletzt, der verhindert das friedliche NebeneinanderEntwickeln, um das wir und viele Teile Europas jetzt bemüht sind. Wir und die Sowjetunion müssen diesen nicht überbrückbaren Gegensatz in der Auseinandersetzung um Berlin und den Teil Deutschlands aus der gegenwärtigen Politik in dem Sinne ausklammern, daß wir beide den Status quo erhalten und von keiner Seite an ihm rütteln lassen, weil daraus Schwierigkeiten entstehen, die gar nicht zu übersehen sind.
Wir müssen uns bemühen, unsere Friedenspolitik, über die heute schon viel gesprochen worden ist, weiterzuführen und weiterzuentwickeln. Vielleicht kommt der Zeitpunkt — und das muß das Ziel dieser Friedenspolitik sein —, da die Sowjetunion erkennt, aus eigener Interessenlage erkennt, daß ein demokratisches Deutschland als Partner auch dann eine bessere Lösung in Europa und für den Frieden Europas ist, wenn es ganz Deutschland mit der Hauptstadt Berlin ist.
Der Schritt, den die SED, die DDR jetzt eingeleitet hat, kommt nicht von ungefähr. Ich möchte Herrn Barzel sagen: wir haben, wenn man es ganz ernst nimmt, einen vollen freien Zugang seit viel längerer Zeit nicht. Schon nach den letzten Verordnungen, wonach geschickt mit der Nichtzulassung der NPD-Mitglieder angefangen wurde, gab es Stockungen. Aber auch vorher gab es Kontrollen auf diesem Weg zwischen Berlin und dem westlichen Bundesgebiet, wo immer wieder mal einer zurückgeschickt wurde und wo jeder einzelne erst an Hand eines Fahndungsbuchs kontrolliert werden mußte, bevor er die Einreise und die Ausreise bekam. Wenn wir die Dinge nüchtern betrachten, müssen wir also zugeben, daß uns die westlichen Alliierten einen echten freien Zugang, wie wir ihn uns einmal vorgestellt
haben und wie er nach der Blockade eigentlich gedacht war, nicht verschafft haben und wir uns damit abgefunden haben, daß wir Bedingungen unterliegen, die eben keinen wirklich freien Zugang bedeuten.
Nun ist die Lage heute wesentlich verschärft. Die
Frage, die wir uns stellen und über die in Deutschland debattiert wird, ist: Ist das ein weiterer Schritt,
oder ist das ein Exempel, das mehr als ein weiterer
Schritt ist?
Ich möchte zunächst mir selbst die Frage beantworten: Warum gerade jetzt dieser Schritt? Mir stellt sich das so dar. Minister Wehner hat das hier festgestellt, und ich möche das hier für viele in diesem Hause bestätigen. Wir haben alle gewußt, daß es seit langem Schubladenvorlagen gab. Warum gerade jetzt?
Wer gezwungen war, in den letzten Monaten oder in den letzten anderthalb Jahren „Neues Deutschland" zu lesen und zu hören, was über Fernsehen und Rundfunk auf der anderen Seite gesagt worden ist, dem war klar, daß man drüben damit gerechnet hat, daß in Berlin ein Prozeß möglich wird, der innere Erschütterungen mit sich bringt, die viel weiter führen, als es nun gekommen ist. Wir haben terlebt, daß sich die SED in die Auseinandersetzungen eingeschoben hat, die von den Studenten entwickelt worden sind. Das ist beinahe unvermeidbar, und diejenigen, die das entwickelt haben, sind da gar nicht in unmittelbarer Schuld, wenn sie es nicht übersehen konnten. Aber das es so ist, das wissen wir alle, und ich glaube, daß dieser Vorstoß jetzt unternommen worden ist, hängt damit zusammen, daß die SED-Führung begriffen hat: diese innere Zersetzung setzt sich nicht fort, sondern ist abgestoppt, abgestoppt wie in allen Gebieten der Bundesrepublik so auch in Berlin. Und da ist jetzt mit dieser neuen Maßnahme nachgestoßen worden, die seit langem in der Schublade lag.
Meine Damen und Herren, ich glaube — und hier möchte ich an die Bemerkung anschließen, die der gesamtdeutsche Minister, Herr Wehner, gemacht hat —, dazu hat auch etwas beigetragen, was sich in der Bundesrepublik manchmal an Atmosphäre in der Publizistik und der sonstigen öffentlichen Auseinandersetzung entwickelt,

(Sehr richtig! in der Mitte)

daß im Zusammenhang mit den Komplikationen, die wir in Berlin und in anderen Teilen der Bundesrepublik gehabt haben, drüben auch die Auffassung entstand, hier vollziehe sich ein Prozeß, dem man nachhelfen müsse. Ich möchte zu der Klage von Herrn Minister Wehner, daß weder Rundfunk noch Presse sich die jetzigen Dinge richtig vorgenommen haben, sagen, das bedauere ich auch. Nach meinen Beobachtungen hat es aber der Deutschlandfunk getan, der Sender, der hier immer im finanziellen Streit liegt und jetzt wieder in diese schiefe Lage kommt. Ich wollte das bei dieser Gelegenheit nur einmal erwähnen.
Meine Damen und Herren, wenn diese Debatte, die hoffentlich draußen mindestens ebensoviel In-



Mattick
teresse — oder mehr — finden wird wie hier im eigenen Hause,

(Beifall bei den Regierungsparteien)

einen Sinn haben soll, müssen wir alle, die wir hier sitzen und hier an einem Strang ziehen, wie es sich doch ergibt, einmal überlegen, wie wir selber in Aktion treten und alle mit in Aktion ziehen können, die dazu bereit sind und greifbar sind, um dafür zu sorgen, daß in der Bundesrepublik die unhaltbaren Faseleien aufhören. Ich meine, wir alle wissen es doch; machen wir uns doch nichts vor. Es ist doch nicht Schwarzseherei, wenn ich sage, daß in der Bundesrepublik ganz besondere Strömungen gefördert werden, die dahin gehen: Nun macht doch Schluß! Die Debatte um die völkerrechtliche Anerkennung der DDR wird ganz breit geführt, und die Anerkennung wird uns als ein Schritt empfohlen, der zur Beruhigung führen kann. Jeder muß sich doch darüber im klaren sein — und ich möchte -das hier von mir aus noch einmal ganz klar wiederholen —, eine völkerrechtliche Anerkennung der DDR bringt zunächst einmal unvermeidbar die Aushöhlung der alliierten Rechte in Berlin.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Das ist ein Prozeß, der damit eingeleitet würde und wahrscheinlich sehr kurzfristigen Charakter hätte. Aushöhlung der Rechte der Alliierten in Berlin heißt auf die Dauer — was Herr Ulbricht gerne möchte —, Berlin an den Punkt zu bringen, wo es sich mit der anderen Seite arrangieren muß, weil es an den Punkt gebracht worden ist, wo der Schutz der Alliierten eines Tages zusammenbrechen würde.
Ich bleibe bei dem, was ich vorhin gesagt habe: die Bundesrepublik ist im Wort, die westlichen Alliierten sind im Wort. Eine Anerkennung der DDR als völkerrechtlich selbständiger Staat — darüber sollte man sich auch in der Bundesrepublik im klaren sein — würde doch folgendes bedeuten: Wenn ganz Berlin die Hauptstadt der DDR wird, mit völkerrechtlicher Anerkennung, dann — das sage ich hier denen in der Bundesrepublik — ist Berlin sehr bald die wirkliche Hauptstadt Deutschlands, und die Bundesrepublik würde in einer solchen Entwicklung in jeder Beziehung an einem sehr kurzen Hebel sitzen. Für die Deutschen, die heute jenseits der Mauer und des Stacheldrahtes leben, wäre das aber praktisch die Aufgabe ihrer Hoffnung, daß es noch einmal durch Selbstbestimmung eine Änderung der Verhältnisse geben könnte.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Ich möchte denen, die es auch in der Bundesrepublik gibt, die glauben, daß die Anerkennung und eine veränderte Politik — es gibt da ja verschiedene Philosophien zu einer Auseinandersetzung in der Bundesrepublik über die Gesellschaftspolitik führen könnten, sagen: eine moderne Gesellschaftspolitik in der Bundesrepublik, in Deutschland, wird am besten in einem wirklich einheitlichen, demokratischen Deutschland mit den Voraussetzungen möglich sein, die wir dafür mitbringen.
Meine Damen und Herren, ein paar Bemerkungen an -die Adresse der Führung der SED in diesem Zusammenhang. Es ist manchmal schön, wenn man ein paar Tage Pause macht und irgendwo in einer abgelegenen Gastwirtschaft in alten Illustrierten herumkramt. Ich fand da eine von 1963 mit einem Interview dieser Illustrierten mit Herrn Walter Ulbricht. Darf ich daraus drei Absätze zitieren und in ein Verhältnis zu dem bringen, was sich heute abspielt. Da sagte Walter Ulbricht:
Nach allem, was in der Vergangenheit von Deutschland ausgegangen ist, sollte heute kein deutscher Staat den Ehrgeiz haben, die Rolle des internationalen Störenfrieds zu spielen.

(Hört! Hört! in der Mitte.)

Ich weiß nicht, was das im Augenblick ist, was dort von der SED-Führung ausgeht. In dieser Phase, glaube ich, sehen schon viele mehr als noch vor einigen Jahren, daß das im Augenblick wirklich eine internationale Störungsrolle ist, die Ulbricht hier übernimmt.

(Beifall bei den Regierungsparteien.) Er sagte weiter:

Wenn die Regierung der westdeutschen Bundesrepublik wenigstens 'ein Minimum an gutem Willen aufbringt, sollten Schritte in Richtung auf die Überwindung der Spaltung nicht unmöglich sein.
Meine Damen und Herren, ich habe einmal darüber nachgedacht, was wir in den letzten zehn Jahren alles getan haben. Ich darf mit folgendem — einige kriegen jetzt wahrscheinlich einen Schock; ich bekomme ihn nicht — anfangen. 1959 hat die Sozialdemokratische Partei den Deutschland-Plan auf den Tisch gelegt. Die ersten, die ihn abgelehnt haben, waren Ulbricht und die SED-Führung; andere auch, auch bei uns selbst. Er ist begraben; aber das wollte ich doch noch einmal sagen.

(Abg. Dr. Marx [Kaiserslautern] : Das hat verschiedene Motive gehabt!)

Dann haben wir im Auswärtigen Ausschuß, in dem Jaksch-Ausschuß, den Jaksch-Bericht erarbeitet, der dann hier im Bundestag 1961 'einstimmig angenommen wurde und der ein großes Angebot und eine große Bereitschaft der Bundesrepublik darstellte, zu Gesprächen zu kommen, um das Klima zu verändern, um Beziehungen anzuknüpfen, mit dem Angebot der Bundesrepublik, alles von der Bundesrepublik aus zu tun, um das Klima zu verbessern und dazu auch wirklich sachliche und materielle Leistungen zu erbringen.
Es hat eine Reihe von anderen Dingen gegeben. Ich möchte noch das Bemühen der Sozialdemokratischen Partei um den Redneraustausch und die Tatsache hervorheben, wie dann die SED-Führung die Klappe fallenlassen mußte, als diese Dinge wirklich ins Gespräch kamen. Ferner darf ich noch feststellen, daß der Brief unseres Bundeskanzlers mit den Angeboten auf dem Tisch liegt, die heute hier eingehend diskutiert worden sind. Ich brauche sie



Mattick
nicht noch einmal zu zitieren. Wie sagte Ulbricht? - „Ein Minimum an gutem Willen"!
Er sagte in diesem Interview von 1963 weiter:
Es wäre an der Zeit, daß die Regierung in Bonn den von ihr errichteten Eisernen Vorhang abbaut und den Kalten Krieg gegen die DDR und ihre Bürger einstellt. Dann könnten manche Fragen leichter geregelt werden.
So Herr Ulbricht im Jahre 1963. — Ich glaube, meine Damen und Herren, es ist gut, einmal daran zu erinnern und darauf hinzuweisen: von uns sind die Bedingungen, die Herr Ulbricht hier gestellt hat, seit langem erfüllt. Es ist an ihn die Frage gestellt, wieweit er nun bereit ist, seine eigenen Bedingungen zu akzeptieren und wenigstens den ersten Kanzlerbrief beantworten zu lassen, um eventuell doch ins Gespräch zu kommen.
Die Frage ist nun; meine Damen und Herren: Können wir reagieren? Ich sage hier in aller Offenheit, für mich sind die Alliierten in dieser Frage die Partner, die im Wort sind. Ich möchte allerdings folgendes sagen. Natürlich sind wir ganz so arm nicht, wenn wir es nicht wollen. Erstens glaube ich, daß unsere Position heute, die Position der Bundesrepublik bei ihren Partnern, nicht die Position der einseitigen Abhängigkeit ist. Wir sind auf Gegenseitigkeit angewiesen. Da wird man dann doch einmal fragen können, ob die Partner bereit sind, bei eventuell notwendig werdenden Schritten mitzuhelfen.
Es gäbe eine Reihe von Dingen, mit denen wir antworten könnten, wenn wir das wollten. Ich denke daran, daß die DDR fast in allen Großstädten unserer Verbündeten Handelskontore unterhält. Ich denke an den Travel-Board. Ich denke daran, daß durch den Nord-Ostsee-Kanal im Schnitt jährlich 1500 Schiffe der DDR mit ungefähr 1,5 Millionen Nettoregistertonnen Ladung fahren. Ich will nur sagen, so arm sind wir nicht, wenn es darum ginge, auch Schikanen anzusetzen. Ich warne aber davor. Wir möchten das nicht, weil wir glauben, daß diese Revanchepolitik sich im Grunde genommen ähnlich auf die Bevölkerung drüben auswirken würde wie die ganze Politik Ulbrichts, die den kleinen Mann trifft, den kleinen Mann in Berlin und den kleinen Mann in der DDR.
Ich sagte vorhin schon: die Berliner Bevölkerung, gerade die Bevölkerung, die in Berlin ihren Arbeitsplatz, ihren soliden Arbeitsplatz fand und dort immer lebt, hat nie aufgehört, im Kalten Krieg zu leben. Für uns hier sieht sich das leicht an. Ich spreche von mir persönlich. Ich spreche — um mal den Namen eines Mannes zu nennen, der das meiner Ansicht nach immer so falsch sieht — von Günter Graß, der heute in Berlin ist, morgen in München und übermorgen in Amerika und der dann sagt: Es ist alles in bester Ordnung. Der Arbeiter, der im Jahr einmal seinen Urlaub mit der Familie macht und ,auf dieser einmaligen Urlaubsfahrt — auch schon vor der Einführung des Visazwanges — durch die Sperrzone fahren mußte und erlebt, wie er ida behandelt wird, der Arbeiter, der einen großen Teil !seiner Angehörigen im anderen Teil der
Stadt hat, der Arbeiter, der im Jahr nur einmal ausreisen kann und der an jedem Wochenende auf den Raum Berlin angewiesen ist, der spürt, was einseitiger Kalter Krieg ist. So möchte ich doch sagen: es ist eigentlich ein Trauerspiel, daß die Maßnahmen, die von seiten der SED-Führung angeblich gegen die Bundesrepublik gerichtet sind, im wesentlichen eine Belastung für den kleinen Mann in Berlin und natürlich auch für den kleinen Mann in der DDR sind, denn seine Reisemöglichkeiten werden auch verschlechtert. Uns wurde mal gesagt — ich glaube, von einer sowjetischen Zeitung —, wer auf einer Insel wohnt, muß sich mit dem Meer anfreunden. Meine Damen und Herren, das ist ein schönes Wort. Der Naturprozeß kann wohl viele Schwierigkeiten bringen, aber nie so böswillig sein wie die Politik. Daher ist das ein schlechtes Gleichnis.
Aus alledem, was wir heute in der Diskussion erlebt haben, sollten wir gemeinsam zwei Schlüsse ziehen. Wir sollten erstens diese Politik, die wir heute debattiert haben und über die wir, glaube ich, uns einig sind, fortsetzen. Wir sollten sie mit einer klaren Konsequenz fortsetzen: Friedenspolitik mit der Voraussetzung, daß wir in Beharrlichkeit an dem festhalten, was unsere deutsche Position in bezug auf Berlin und das Selbstbestimmungsrecht ist. Ich sage: Beharrlichkeit. Die Sowjets zeigen uns, was Beharrlichkeit ist. Sie müssen sehen und erleben, daß unsere Beharrlichkeit dem entgegensteht und wir uns irgendwann über das deutsche Problem verständigen müssen. Das müssen wir mit der Voraussetzung fortsetzen, daß der ganze Bundestag auf dieser Linie agiert und sich mehr bemüht, draußen dafür zu sorgen, daß die Menschen unsere Politik begreifen und daß das Durcheinander aufhört, das der SED immer wieder die Hoffnung macht, sie könnte uns durcheinanderbringen.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)


Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0518027700
Meine Damen und Herren! Bevor ich das Wort weitergebe, darf ich zu einer Bemerkung des Herrn Abgeordneten Mattick sagen: Im Hinblick auf die Dringlichkeit des Berlinhilfegesetzes hat das Hohe Haus heute morgen ausnahmsweise beschlossen, vier Ausschüssen zu gestatten, während der Plenarsitzung zu tagen. Das erklärt die relativ schüttere Besetzung des Hauses.
Das Wort hat der Abgeordnete Petersen.

Peter Petersen (CDU):
Rede ID: ID0518027800
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich meine, daß ein Sinn dieser Debatte, in der sehr viele, sehr gute und sehr wichtige Sachen gesagt worden sind, auch darin liegt, in der Welt Freunde zu gewinnen für den Standpunkt und die Lebensfragen unserer Nation.

(Abg. Dr. Barzel: Sehr gut!) Ich möchte darüber ein paar Worte sagen.

Ich war etwas erschrocken, und ich würde anregen, Herr Kollege Genscher, daß wir uns vielleicht einmal privat darüber unterhalten, ob es nicht wichtig wäre, daß wir in diesen Fragen zu einer überparteilichen Plattform kommen und daß nicht hier



Petersen
vor der Welt Gedanken geäußert werden — Viermächte-Status, Einfließenlassen von deutschen Rechten, wenn die Alliierten irgendwo zurückgehen usw. —, wie sie geäußert worden sind. Ich möchte zu überlegen geben, ob es nicht um der Sache willen wichtig wäre, daß wir zu einer gemeinsamen Basis kommen, die wir dann auch überzeugender nach außen hin darstellen können.

Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0518027900
Herr Abgeordneter Petersen, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Ertl?

Josef Ertl (FDP):
Rede ID: ID0518028000
Herr Kollege Petersen, würden Sie mir angesichts dieser Überlegung auch zustimmen, daß es notwendig wäre, daß gemeinsame Deutschland-Gespräche unter Vorsitz und Mitwirkung des Bundeskanzlers, wie sie früher üblich waren, geführt würden, und glauben Sie nicht, daß die Bundesregierung in dieser Hinsicht einiges versäumt hat?

Peter Petersen (CDU):
Rede ID: ID0518028100
Ich würde Ihnen uneingeschränkt zustimmen, Herr Ertl, wenn Sie sagen, daß wir gemeinsam diese Plattform erarbeiten müssen.
Ein zweiter Gesichtspunkt ist für mich folgender. Kein Volk der Welt, meine Damen und Herren, hat so viele Grenzen und so viele Nachbarn wie wir, und in keiner Frage wird so deutlich, daß wir nicht allein weiterkommen, wie gerade in der Frage, die wir heute diskutiert haben. Wir treiben eine anspruchsvolle Außenpolitik, denn wir wollen den Zustand, den der verlorene Krieg als Folge nach sich zog, verändern. Dazu brauchen wir die Hilfe unserer Freunde. Und wir leben im Ausland — Ost und West — mit der Hypothek jener 12 Jahre, an die wir eigentlich nur mit Scham zurückdenken können. Aber ich frage mich manchmal, ob wir nicht auch einiges aus diesen 12 Jahren benutzen können; denn es gibt Dinge, die wir besser wissen als irgendein anderes Volk der Welt, eben aus dieser Erfahrung.

(Sehr wahr! bei der CDU/CSU.)

Und ich glaube, eines haben wir aus dieser Zeit erfahren, wir haben nämlich gesehen, wie sehr unbeschränkte Macht korrumpiert. Mit Korruption meine ich jetzt nicht Bestechung oder so etwas,

(Zuruf des Abgeordneten Dr. Marx [Kaiserslautern])

— sehr richtig, Herr Dr. Marx —, sondern mit Korruption meine ich eine Korruption des Geistes in bezug auf die Werte und die Würde des Menschen an sich. Deshalb war es konsequent, daß Hitler Menschen vergaste, denn für ihn war der Wert des Menschen die Funktion der Nützlichkeit dem Staat gegenüber. Deshalb haben wir gelernt und und sind fest entschlossen, als gebrannte Kinder dafür zu sorgen, daß bei uns in Deutschland einer Regierung, daß den Mächtigen die Macht regelmäßig aus der Hand geschlagen wird und sie sich erneut bestätigen oder nicht bestätigen lassen müssen, daß sie, während sie regieren, von einem unabhängigen Gericht und von einem frei gewählten Parlament überwacht werden. Ich meine, daß wir bei aller Bereitschaft, mit den Machthabern auch im anderen Teil Deutschlands zu verhandeln, dieses Ziel und, wenn Sie so wollen, diesen Traum nicht aufgeben dürfen, dies Lehre aus unserer ganz speziell deutschen Geschichte in ganz Deutschland eines Tages angewendet zu sehen.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Meine Damen und Herren! Als der Herr Bundesminister für gesamtdeutsche Fragen hier diesen Slogan „wer-wen" erwähnte, wurde ich erinnert an eine Diskussion und an ein nachfolgendes langes Gespräch, das ich vor einiger Zeit in Genf mit dem Stellvertretenden Staatsratsvorsitzenden der DDR
so ist sein Titel — und fünf seiner Freunde, Mitgliedern der Volkskammer, hatte. Wer-wen? Die sagten z. B. ganz hart und ohne jede Zurückhaltung: Voraussetzung für die Wiederannäherung der beiden deutschen Staaten ist eine grundlegende gesellschaftliche Veränderung in der Bundesrepublik Deutschland. Als ich fragte: Was meint ihr damit?, kam zunächst eine Reihe wirtschaftlicher Argumente, die wir alle kennen, und dann sagte einer der Volkskammerabgeordneten: Im übrigen sind ja die drei im Bundestag vertretenen Parteien so vom Faschismus durchsetzt, daß sie erst einmal verboten gehören; dann können wir weitersehen.
Ich meine also, daß wir uns bei aller Bereitschaft, die heute von diesem Pult immer wieder zum Ausdruck gekommen ist, und bei der Bereitschaft, die der Herr Bundeskanzler in Briefen und Botschaften und von dieser Plattform immer wieder gezeigt hat, mit den Machthabern, die de facto heute auf jeder Ebene drüben Macht ausüben, zu verhandeln, darüber klar sein sollten, welche Motivation die Leute, die heute ohne Legitimation für ihr Volk sprechen, in gesamtdeutschen Fragen tatsächlich haben. Ich meine, es wäre falsch, wenn wir das nicht auch in der Welt klarmachen würden. Ich meine, wir hätten sogar eine Art Verpflichtung, die schmerzhaften Erfahrungen unserer Geschichte, die Gott sei Dank sehr wenig Völker dieser Welt gemacht haben, der Welt zur Verfügung zu stellen.
Meine Damen und Herren, drüben erscheint eine schrecklich langweilige Zeitung mit dem Titel „Das Neue Deutschland". Ich glaube, es ist unsere Aufgabe, unseren Freunden und der ganzen Welt klarzumachen, daß w i r das neue Deutschland sind. Ich glaube, daß wir das tun können, wenn wir zeigen, daß wir aus dem, was wir erlebt haben gelernt haben, und wenn wir bereit sind, diese Erfahrungen weiterzugeben.
Ich sagte vorhin — auch das ist heute schon deutlich geworden —, daß gerade an dieser Frage sichtbar wird, daß ohne Europa, ohne eine — auch politische — Vereinigung Europas die deutsche Spaltung nicht wird überwunden werden können. Ich möchte eine Frage in den Raum stellen: Haben wir in der europäischen Politik, die, wie Sie wissen, auch im Zusammenhang mit der Großen Anfrage eine Rolle spielt, in der Vergangenheit nicht manchmal zu stark die wirtschaftlichen Faktoren in den Vordergrund gestellt? Meine Damen und Herren, Käse-



Petersen
preise und Normen für Schrauben und was immer an sehr wichtigen technischen Entscheidungen in Brüssel gefällt wird, ist nichts, womit wir die jungen Menschen heute noch begeistern können. Ich meine, wir müssen uns neu überlegen, was Europa eigentlich heißt, um Europa vorwärtszubringen.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Die Schweizer — wenn ich daran erinnern darf — haben schließlich auch keine Käse-Union gegründet, bevor sie ihre Föderation schufen. Sie sind vielmehr von einer Idee ausgegangen, der sie sich verpflichtet fühlten, und die anderen Dinge waren dann die Folge davon.
Vielleicht darf ich mit einem unverschämten Zitat enden, das mir einmal ein Luxemburger Freund sagte. Er brachte zum Ausdruck, daß durch den imponierenden Wiederaufbau der Bundesrepublik nicht nur Respekt, sondern auch Angst inspiriert würde. Er hatte den Eindruck, daß, wenn die Deutschen voller Stolz von Jahr zu Jahr in dickerem Auto und mit zehn Pfund mehr Lebendgewicht in Luxemburg auftauchten, das nicht unbedingt die Grundlage des Vertrauens vertiefe.
Ich meine, daß wir in der Richtung weiterarbeiten müssen, daß wir uns klar darüber sind: Europa ist eine historische und kulturelle, Einheit, die immer bis an die jeweils östliche Grenze Polens ging. Es hat in der letzten Zeit im ostmitteleuropäischen Bereich dramatische Veränderungen gegeben. Wenn wir uns auf die eigentlichen Werte Europas besinnen, wenn wir uns auf die Lehren, die wir aus unserer Geschichte gezogen haben, besinnen, dann --davon bin ich allerdings überzeugt — ist die Zeit auf unserer Seite.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)


Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0518028200
Das Wort hat der Abgeordnete Schultz.
Schultz (Gau-Bischofsheim) (FDP) : Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Petersen, Sie haben den Appell gerichtet — ich nehme an, in erster Linie an die Opposition —, daß man sich hier zusammenfinde in dem, was zur Außenpolitik und zur Deutschlandpolitik gesagt wird. Dieser Appell ist sicher kein neuer; er ist früher auch immer erhoben worden. Wir haben uns in breitem Maße immer wieder zusammengefunden, insbesondere wenn es darum ging, die Ziele anzusprechen, die erreicht werden müssen. Nur über die Methoden ist man sich in diesem Hause nicht so ganz einig. Das, glaube ich, ist eben auch das Kennzeichen einer Demokratie und eines Parlaments, daß man darüber eben verschieden denkt und sich dann auch verschieden den Weg ausmalt. Ich muß sagen, wir sind kein Kuratorium für das unteilbare Deutschland hier in diesem Hause, wo also die Gemeinsamkeit gesucht wird, sondern wir müssen schon hier die verschiedenen Auffassungen ausdrücken können.
Wenn Sie allein schon den Anlaß zu dieser heutigen Debatte betrachten, nämlich die Große Anfrage der CDU/CSU-Frraktion und dann die darauf erfolgte gedruckt vorliegende Regierungserklärung oder Antwort der Bundesregierung, müssen Sie doch schon sehen, daß ohne Zweifel Unterschiede in der Diktion des einen und des anderen vorhanden sind. Die Diktion der Großen Anfrage scheint mir — zumindest verstehe ich sie so — in eine etwas andere Richtung zu weisen, als die Regierungserklärung sie bei ihrer Antwort auslegte in dem Versuch, sie wieder in die Politik der Bundesregierung umzudeuten. Mein Kollege Mischnick hat heute früh schon auf diese Dinge hingewiesen, und da wir uns bisher so friedlich unterhalten haben, möchte ich es bei dieser Bemerkung belassen.
Nun lassen Sie mich aber noch auf einige Dinge eingehen, die gerade in der Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage der einen Regierungspartei enthalten sind. Sie hat gesagt, daß sie Maßnahmen und Schritte unternommen habe, um die Friedenspolitik in der ganzen Welt glaubwürdig darzulegen — in Antwort auf die Frage 1. Sie verweist darauf, daß in vielen Verlautbarungen, Einzelgesprächen, Noten und Memoranden der Wille der Bundesregierung zur Politik der Entspannung verdeutlicht worden ist. Sie weist auf das konkrete und umfassende Angebot der Verständigung und des Ausgleichs, das sie eben, vor allem der Sowjetunion und auch den Verbündeten gemacht hat. Es ist nicht zu verkennen, daß erfreulicherweise in einigen osteuropäischen Staaten ein Abbau der einseitigen Propaganda gegenüber der Bundesrepublik zu verzeichnen ist und daß dort differenziertere Betrachtungsweisen gegenüber der Bundesrepublik Platz greifen. Man würde wünschen, daß diese Art der Betrachtung sich dort weiter verbreiten würde.
Ich glaube allerdings nicht, daß wir mit der Erklärung von Absichten allein weiterkommen. Erklärungen dessen, was ich tun will oder wie die Welt sich gestalten soll, bilden eine Phase. Aber diese Phase muß, wenn man aktive Politik betreiben will, ohne Zweifel dann durch konkrete Vorschläge, über die verhandelt werden kann, abgelöst werden.
Ich glaube, man vergißt allzu leicht, daß Worte allein in der Welt nicht viel gelten. Man muß durch eigene konkrete Vorschläge versuchen, den Verlauf der Politik im eigenen Sinne zu beeinflussen. Wenn die Bundesregierung so, wie es auch der Herr Bundesaußenminister heute früh erklärt hat, eine Entspannungspolitik, eine Abrüstungspolitik betreiben will, kommt sie, auch wenn wir in einem Bündnis sind und viele Freunde haben, wohl nicht darum herum, eigene Modelle und eigene Vertragsentwürfe zu dieser Friedenspolitik, zu dieser Sicherheitspolitik für alle vorzulegen. Sie wird nicht darum herumkommen, das Wort „gesamteuropäisches Sicherheitssystem" von sich aus mit Inhalt zu erfüllen.
Es wird nicht möglich sein, daß wir darauf warten, was auf uns von irgendeiner anderen Seite im allgemeinen zukommen könnte, sondern wir werden, wenn die politischen Probleme gelöst werden sollen, über die heute vormittag und heute nachmittag gesprochen worden ist, wohlselbst unser Teil dazu beitragen müssen. Wir werden dabei auch ein Trauma und eine Furcht überwinden müssen,



Schultz (Gau-Bischofsheim)

die wir haben, die man auch in der Bundesregierung hat, die man auch in einzelnen Fraktionen hier hat: daß durch solches Tun, das an Ostberlin nicht vorbeigehen kann — wie das schon öfter hier betont worden ist —, die DDR diplomatisch aufgewertet oder der Anerkennung nähergebracht werden könnte. Ich glaube also, daß es notwendig ist, daß z. B. über die erklärte Absicht, Gewaltverzichtserklärungen auszutauschen, hinaus dazu auch ein eigener Vertragsentwurf vorgelegt werden muß. Er wäre ein weiterer Schritt auf dem richtigen Wege.
Gleiches gilt auch, glaube ich, für die europäische Sicherheitspolitik. Wir, die FDP, haben verschiedentlich Vorschläge dazu gemacht und zum mindesten gesagt, was nach unserer Meinung in einem solchen europäischen Sicherheitssystem, in einem Modell dazu enthalten sein müßte. Ich möchte das hier doch noch einmal deutlich machen. Fünf Punkte müßten darin enthalten sein, wenn man in die Zukunft blickt und ein solches gesamteuropäisches Sicherheitssystem tatsächlich anstreben will, was ja geeignet sein soll, die Teilung Europas in Blöcke zu überwinden:
Es gehörte erstens dazu die Schaffung einer atomwaffenfreien Zone in Mitteleuropa, die über Deutschland hinausgeht. Es gehörte dazu zweitens die Schaffung eines Kontrollsystems multilateraler Art zur Überwachung des gesamten militärischen Potentials und etwaiger Abrüstungsmaßnahmen. Es gehörte drittens dazu der Abzug aller ausländischen Truppen aus allen europäischen Staaten. Es gehörten viertens dazu Vereinbarungen entweder zwischen NATO und Warschauer Pakt oder zwischen den einzelnen europäischen Staaten über Truppenverdünnungen bei Wahrung des militärischen Gleichgewichts. Und es gehörte fünftens und endlich dazu, daß ein solches Sicherheitssystem garantiert wird sowohl durch die Vereinigten Staaten als auch durch die Sowjetunion, mit der Versicherung, in Europa auf jeden militärischen Druck, insbesondere auf die Anwendung atomarer Waffen, zu verzichten. Diese Mächte müßten auch die Einhaltung aller durch das Sicherheitssystem getroffenen Abmachungen garantieren.
Das mag jetzt vielleicht illusionär und vielleicht nicht sehr real klingen. Aber, meine sehr verehrten Damen und Herren, wenn wir solche Ziele nicht anstreben, weiß ich nicht, wie wir mit den drängenden Fragen des Tages fertig werden wollen. Es finden sich doch Anknüpfungspunkte für eine solche Politik auch in der Politik der osteuropäischen Staaten. Polen und die Sowjetunion sprechen sich seit zehn Jahren für atomwaffenfreie Zonen in Mitteleuropa aus. Die Forderung nach Abzug aller ausländischen Truppen aus allen europäischen Staaten wird von mindestens einer osteuropäischen Regierung, nämlich der Rumäniens, ausdrücklich erhoben.. Die Konferenz der kommunistischen Parteien in Karlsbad, auf der Parteien Ost- und Westeuropas vertreten waren, hat sich für ein gesamteuropäisches Sicherheitssystem ausgesprochen. Insbesondere die Sowjetunion hat an einer derartigen Vereinbarung mehrfach ihr Interesse bekundet.
Nun ist es wohl doch an der Zeit, einmal festzustellen, wieweit solche Bekundungen ernst gemeint sind. Sicher sind solche Erkundungen erfolgversprechender, wenn die Bundesregierung selbst eigene konkrete Pläne vorlegt. Ich glaube nicht, daß darin — wie das oft gesagt wird — ein Risiko läge. Denn gelingt es, die Verantwortlichen, insbesondere in der Sowjetunion, zu gewinnen, so hat die Bundesregierung einen großen Erfolg errungen. Gelingt es nicht, so sind ohne Zweifel die Friedensliebe unseres Volkes und unserer Regierung und unser Verständigungswille noch sehr viel deutlicher geworden, als es bisher schon geschehen ist. Man wird dann in der Welt wohl nicht mehr sagen können, daß die Bundesrepublik ein Stein des Anstoßes für friedliches Zusammenleben der Völker sei.
Der Herr Bundesaußenminister hat heute früh gemeint, die Zeit sei noch nicht reif für ein solches Sicherheitssystem, und er gründet das auf die Gespräche, die er geführt hat. Hier ist doch die Frage zu stellen, ob wir nicht in der Tat etwas dazu tun können, daß die Zeit dafür reifer wird. Wir meinen also, daß wir doch baldmöglichst einen eigenen Vertragsentwurf für ein multilaterales Gewaltverzichtabkommen und ein eigenes Modell für ein gesamteuropäisches Sicherheitssystem vorlegen sollten.
Wir haben auch die Legitimation dazu von unseren Freunden in der NATO. Ich darf auf die HarmelStudie verweisen, wo in Art. 12 sehr weitgehender Spielraum für die einzelnen Bündnispartner gegeben wird. Mit Erlaubnis des Präsidenten darf ich das vielleicht einmal zitieren:
Die Bündnispartner werden laufend politische Maßnahmen prüfen, die darauf gerichtet sind, eine gerechte und dauerhafte Ordnung in Europa zu erreichen, die Teilung Deutschlands zu überwinden und die europäische Sicherheit zu fördern. Dies wird Bestandteil eines Prozesses der aktiven und fortlaufenden Vorbereitung für die Zeit sein, in der eine fruchtbare Erörterung dieser vielschichtigen Fragenkomplexe zwischen Staaten in Ost und West auf bilateraler oder multilateraler Grundlage möglich sein wird.
Ich hoffe sehr und wünsche dem Herrn Außenminister, daß er bei der vor uns stehenden Sitzung des Ministerrats der NATO in Reykjavik auf diesem Wege ermutigende Fortschritte machen kann und von seinen Kollegen dort unterstützt wird, so wie er das heute morgen angedeutet hat.
Zum Schluß lassen Sie mich — vielleicht unter dem Motto „ceterum censeo" — noch etwas über unsere militärische Rüstung sagen. Ich möchte nämlich heute bei dieser Gelegenheit wieder daran erinnern, daß das Festhalten an atomaren Trägerwaffen für die Bundeswehr nach wie vor leicht den Propagandavorwand für die Gegenseite gibt, zu behaupten, daß die Deutschen die Hoffnung auf nukleare Teilhabe immer noch nicht aufgegeben hätten. Sicher ist eine solche Behauptung falsch. Aber das ist verhältnismäßig belanglos. Entscheidend ist, daß die Bundesregierung hier ohne militärische Notwendigkeit einen Vorwand für derartige Vermutungen liefert.



Schultz (Gau-Bischofsheim)

Wir haben zu diesem Punkt hier im Hohen Haus Anträge gestellt. Sie liegen unerledigt in den Ausschüssen. Ich wäre dankbar, wenn die federführenden Ausschüsse diese Anträge doch noch in diesem Jahr beraten und hier wieder zur Diskussion stellen würden.

Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0518028300
Herr Abgeordneter Schultz, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Damm?
Schultz (Gau-Bischofsheim) (FDP): Bitte!

Carl Damm (CDU):
Rede ID: ID0518028400
Herr Kollege Schultz, würden Sie mir zustimmen, daß es keinerlei Vorwandes für die Leute drüben bedarf, wenn sie uns propagandistisch etwas anhängen wollen, wie wir an den Maßnahmen, die jetzt — mit der Begründung „Notstandsgesetze" — gegen Berlin gerichtet sind, sehen können?
Schultz (Gau-Bischofsheim) (FDP) : Sie haben ohne Zweifel recht, Herr Kollege Damm. Es ist nur die Frage, ob wir gerade diesen Fall vergleichen können mit der Notstandsgesetzgebung; ich glaube, hier ist doch eine gewisse Differenz vorhanden.

(Zurufe von der Mitte: Der Vorwand ist gemeint!)

— Vorwände selbstverständlich, da stimme ich Ihnen zu, kann man immer überall finden.
Aber lassen Sie mich in dem Zusammenhang doch noch etwas sagen, was hier in der Debatte, finde ich, unklar geblieben ist. Herr Kollege Barzel hat vorhin, wenn ich ihn recht verstanden habe, eine Äußerung des Herrn Bundeskanzlers im Fernsehen, glaube ich, zitiert, die praktisch darauf hinauslief, ein Junktim zwischen der Unterschrift unter dem Atomwaffensperrvertrag und dem Wegfall der Visamaßnahmen des SED-Regimes herzustellen. Herr Dr. Barzel hat praktisch den Herrn Bundeskanzler auf diese Feststellung festgelegt. Hier bleibt, finde ich, ein etwas unguter Bodensatz zurück mit der Frage, ob es dem Herrn Bundeskanzler recht gewesen ist, auf die vielleicht von ihm einmal getane Äußerung festgelegt zu werden. Ist es nicht so, daß durch eine solche Festlegung der Spielraum einer Regierung außerordentlich eingeengt wird? Es ist allerdings nicht meine Sache oder unsere Sache, darüber etwas zu sagen, ob es so oder so ist. Aber ich meine, dieser Punkt bedarf doch noch einmal der Klärung von seiten der Bundesregierung; denn er ist, wie ich meine, unklar geblieben. Besteht ein solches Junktim, soll ein solches Junktim angestrebt werden, oder soll es nicht so sein?
Lassen Sie mich zum Schluß kommen. Wir Freien Demokraten verkennen nicht den Sinneswandel, der sich in Teilen der Bundesregierung in letzter Zeit abgespielt hat. Wir müssen aber doch feststellen, daß noch eine Reihe unausgetragener Probleme innerhalb der Koalition verhindern, daß politische Fortschritte, die durchaus im Bereich des Möglichen liegen, wie wir meinen, tatsächlich erreicht werden. Wir hoffen, daß die Bundesregierung die Kraft finden wird, über die Bekundung von Absichten hinaus zu konkreten Punkten vorzustoßen. Einer der wesentlichen Punkte, die nach der Regierungserklärung vom Dezember 196-6 zur Bildung der Großen Koalition geführt haben, war, daß Probleme, die bisher nicht erledigt werden konnten — und das waren sehr viele außenpolitischer Art —, heute von einer solchen breiten Mehrheit im Sinne unseres Staates, unserer Bundesrepublik, gelöst werden können. Ich hoffe, daß das sich, auf die Dauer gesehen, auszahlt.

(Beifall bei der FDP.)


Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0518028500
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Schulze-Vorberg.

Dr. Max Schulze-Vorberg (CSU):
Rede ID: ID0518028600
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Hat die Bundesregierung wirklich alles getan, um ihre Politik, eine Politik, die dem Frieden in der Welt und der Sicherheit für Europa dienen will, deutlich zu machen? In der Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage der CDU/CSU zur Außenpolitik heißt es zur Frage 1:
Diese Polemik, der wir auch von seiten der Sowjetunion ausgesetzt sind, zielt darauf ab, die Bundesrepublik zu verdächtigen und zu isolieren.
Wir sind tatsächlich einer konzentrierten Propaganda — wie ich fürchte, nicht unbedingt nur aus des Osten — ausgesetzt. Wir müssen eine aktive Informationspolitik dagegensetzen, gerade weil wir hoffen — und in dem Ausmaß, wie wir wirklich hoffen dürfen —, daß es in Europa nicht mehr zu kriegerischen Verwicklungen kommt. Denn dann werden die Auseinandersetzungen natürlich bleiben und sich auf andere Felder verlagern, vor allem auf das der Propaganda. Ich fürchte, daß das Bild der Bundesrepublik in weiten Teilen der Welt, nicht nur im Osten, weit von der Wirklichkeit entfernt ist.
In der Antwort der Bundesregierung heißt es dann:
Die Große Koalition hat in ihrer grundlegenden Regierungserklärung vom 13. Dezember 1966 die Richtlinien für die deutsche Friedenspolitik festgelegt. Sie hat in den vergangenen anderthalb Jahren konsequent dargelegt, daß sie bereit ist, an einem friedlichen Ausgleich in Europa mitzuwirken.
Das ist richtig. Aber, meine Damen und Herren, was ich persönlich vermisse, ist, daß die Bemühungen der Regierungen Adenauer und Erhard um Friedenspolitik — die hat es gegeben und reichlich gegeben — überhaupt nicht erwähnt worden sind. Wir können nicht immer wieder die Geschichte neu anfangen, und die Geschichte dieser Bundesrepublik beginnt nun einmal nicht mit der Großen Koalition.
Wir verzichten auf Gewalt oder Drohung. Gewalt und Drohung waren keine Mittel der deutschen Politik, solange es diese Bundesrepublik gibt. Sie sind es nicht, und sie werden es nicht werden. Das geht vom Grundgesetz an: all die innen- und außenpolitischen Entwicklungsphasen der Bundes-



Dr. Schulze-Vorberg
republik Deutschland, insbesondere schon der völkerrechtlich verbindliche Gewaltverzicht von 1954, dann die Erklärungen zum Gewaltverzicht, die die deutschen Regierungen unter Führung der CDU/CSU in den Jahren 1953, 1956, 1957, 1959, 1966 und 1967 an unsere östlichen Nachbarn gerichtet haben. Wir sind also seit jeher dafür, daß allgemeine Gewaltverbot der Satzung der Vereinten Nationen durch den Austausch bilateraler Gewaltverzichtserklärungen zu befestigen.
Aufgabe eines Gewaltverzichts ist es naturgemäß nicht, strittige Fragen zu präjudizieren. Vielmehr soll der Gewaltverzicht die streitenden Parteien verpflichten, bei der Suche nach Lösungen ausschließlich friedliche Mittel anzuwenden. Die Bundesrepublik hat 1954 — daran hat vorhin Herr Dr. Barzel erinnert — auf die Herstellung atomarer Waffen verzichtet und damit einen richtungsweisenden Schritt getan. Leider ist uns niemand gefolgt. Wir fördern alle Bestrebungen, die dem Ziel der Nichtweiterverbreitung von Kernwaffen dienen. Von einem weltweiten Atomsperrvertrag erwarten wir, daß er die militärische Sonderstellung der verzichtenden Staaten nicht diskriminierend auf den friedlichen Bereich überträgt und auch den Kernwaffenmächten Kontrollen ihrer zivilen Nukleartätigkeit auferlegt, wie sie z. B. Frankreich in Euratom auf sich genommen hat. Es muß sichergestellt werden, daß der Vertrag weder die Ansätze eines vereinigten Europas beeinträchtigt noch künftige Stufen der europäischen Einigung ausschließt. Der Vertrag darf nicht zur Quelle neuer Spannungen und neuer Ängste werden.
In ,dem Zusammenhang möchte ich der Bundesregierung eine Frage stellen. Mir scheint in dem Vertrag, Herr Bundesaußenminister, die Formulierung „control over nuclear weapons" eine ganz entscheidende Formulierung zu sein. Die Frage ist: was verstehen wir darunter? Das Wort „control" ist vieldeutig. Wie heißt es im russischen Text? Was sagen die Amerikaner eigentlich dazu? Wie interpretieren sie das? Wie interpretieren es die Sowjets? Besteht da eine Gemeinsamkeit? Ich fürchte, daß hier im Bundestag selbst die Kollegen, die sich ganz besonders intensiv mit diesen Fragen befaßt haben, nicht insgesamt informiert sind. Wir können vielleicht noch nicht endgültig informiert sein, solange Debatten in den Parlamenten, z. B. in Amerika — daran ist vorhin durch Herrn Birrenbach erinnert worden — noch ausstehen.
Wir wünschen — das immer wieder festzustellen ist wichtig für uns, und es gehört zum Bild, das wir draußen in der Welt erwecken wollen, einem richtigen Bild von der Bundesrepublik — die Verbesserung der wirtschaftlichen, kulturellen und politischen Beziehungen zu den osteuropäischen Nationen. Das ist eine zentrale außenpolitische Aufgabe der kommenden Jahre. Die Entscheidung für die Freiheit des Westens war keine Entscheidung gegen die Völker des Ostens. Wir wünschen insbesondere den endgültigen Friedensschluß mit Polen und der Tschechoslowakei, deren Völker Jahrhunderte friedlich mit uns zusammenwirkten.
Lassen Sie mich hier ein Wort über unsere Heimatvertriebenen sagen, die aus diesen Gebieten, vor allem aus Polen und der Tschechoslowakei, zu uns hierhergekommen sind. Millionen Deutsche, die ihre Heimat verlassen mußten, haben wir aufgenommen. Die Heimatvertriebenen haben einen beispielhaften Gewaltverzicht ausgesprochen. Sie üben eine politische Disziplin, die für die innere Ordnung und die internationale Stellung der Bundesrepublik von entscheidender Bedeutung ist. Heimatliebe und Rechtsempfinden der Vertriebenen verdienen den Respekt von uns allen.
Ich darf zum Schluß kommen. Die Spaltung Deutschlands mit ihren unmenschlichen Konsequenzen ist der Kern einer unannehmbaren Realität, nämlich der 1945 mit Gewalt herbeigeführten Spaltung Europas. Die Wirklichkeit erfordert, Deutschlandpolitik, Entspannung und europäische Friedensregelung zusammenzusehen. Das deutsche Volk wünscht einen aufrichtigen Frieden mit der Sowjetunion. Wir arbeiten auf die Stunde hin, in der die Staatsmänner Rußlands erkennen, daß eine Friedensregelung nur dann dauerhaft sein kann, wenn der Sieger die elementaren Rechte des besiegten Volkes achtet. Es ist — das ist meine persönliche Überzeugung — die Aufgabe unserer Zeit, die Völker zu versöhnen, die Völker zu vereinen, und die Bundesrepublik wird, soll und muß immer in vorderster Linie derer stehen, die die Völker versöhnen, die Völker vereinen wollen. Wenn das richtig ist, meine Damen und Herren, dann ist es eine falsche Politik — lassen Sie mich das Wort sagen: eine reaktionäre Politik —, ein Volk, unser Volk gegen seinen Willen zu teilen.

(Beifall bei der CDU/CSU.)


Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0518028700
Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Marx.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0518028800
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bevor ich hier einige Bemerkungen zu den Fragen 2 und 5 der Großen Anfrage der CDU/CSU-Fraktion und auch einige Bemerkungen zur schriftlich vorliegenden Antwort der Bundesregierung vortrage, darf ich, Herr Kollege Eppler, zu Ihrer Rede von heute vormittag nur zwei Anmerkungen machen.
Die erste Bemerkung: Sie haben angesprochen, daß sich der 30. Jahrestag des Abschlusses des Münchener Abkommens nähere. Ich glaube, daß wir tatsächlich versuchen sollten — und es gibt darüber ja einige Überlegungen —, Gruppen von Experten aus dem tschechoslowakischen Bereich und aus der Bundesrepublik zusammenzubringen, die den Versuch machen, eine neue, tragfähige und in die Zukunft führende Formel zu finden, die es uns auf beiden Seiten leichter macht, dadurch die Erinnerungen an das Münchener Abkommen, an alles, was sich damit verbindet — was dazu geführt hat und was seine Konsequenzen waren — zu ersetzen.
Eine zweite Bemerkung zu Ihrem Hinweis — und da möchte ich Ihnen sehr zustimmen — auf gewisse Eskalierungstendenzen, wenn nämlich in der Bun-



Dr. Marx (Kaiserslautern)

desrepublik rechtsradikale Kräfte über ein gewisses Gewicht verfügen. Ich möchte so weit gehen zu sagen, daß man hin und wieder den Eindruck hat, vor allen Dingen dann, wenn man sowjetische Noten studiert, die an unsere westlichen Verbündeten und an die Bundesrepublik geschickt werden, daß es vielleicht sogar die Absicht der Kommunisten ist, ein möglichst starkes rechtsradikales Lager in der Bundesrepublik vorzufinden, weil sie gern ihr Gespensterspiel treiben möchten und dann sagen können: Völker der Welt, seht her, so sind eben die Deutschen, und ihr, die westlichen Alliierten der Bundesrepublik müßt euch mit uns, den Sowjets, aufs neue verbünden, um eine neue rechtsradikale, faschistische Entwicklung in Deutschland zurückzudrängen. Das polemische und propagandistische Bedürfnis, das wir dabei vor allen Dingen auf seiten der sowjetisch besetzten Zone finden, ist ganz offensichtlich.
Herr Kollege Mischnick — ich sehe ihn im Augenblick nicht, aber ich muß doch an seine Adresse zu zwei Bemerkungen, die er gemacht hat, noch etwas sagen — ging davon aus, daß er sich gegen die Klischees wandte, die es etwa in der Betrachtung der sowjetischen Politik oder in der Betrachtung des Ostblocks gebe, und er hat dabei die Formel verwendet, es gebe Leute, die in jedem Sowjetbürger einen Stalinisten sähen. Bei dieser erstaunlichen Darstellung von Herrn Mischnick gab es von uns einige Zwischenrufe. Denn man kann sich weit und breit umsehen und wird kaum einen ernst zu nehmenden Politiker finden, der auf dem Boden einer solchen Formel stünde. Ich weiß auch nicht, warum man hier immer wieder von Klischees spricht, die man doch eigentlich in der politischen Diskussion überhaupt nicht findet.
Ein Zweites: Herr Mischnick hat uns aufgefordert — und man muß natürlich, wenn man politisch denkt, generell dieser Aufforderung zustimmen; ich sage es jetzt mit meinen Worten —, man sollte einmal sozusagen mit dem Kopf der Sowjets denken, um sich in ihre Situation, in ihre Mentalität hineinzuversetzen. Aber, meine Damen und Herren, ich würde doch bitten — wir haben heute den größten Teil dieser Debatte um ein sehr wichtiges Problem miteinander diskutiert —, daß man in diesem Augenblick, in diesem Hause vor allen Dingen den Kopf der deutschen Politiker meint und von unserer eigenen Betrachtungsweise aus urteilt. Ich habe viel Verständnis dafür, wenn man sagt: Auch die Sowjetunion hat ein entsprechendes Sicherheitsbedürfnis. Gut, das muß man berücksichtigen. Aber man muß doch auch berücksichtigen, daß wir im Augenblick gerade von ihr und ihren Sendboten in Ostberlin in einer Weise gepiesackt werden, daß es uns in diesem Hause auch auf das deutsche, auch auf unser gemeinsames Sicherheitsbedürfnis ankommt, das Pate gestanden hat bei unserem Entschluß, Mitglied der NATO zu werden.
Lassen Sie mich noch einige Bemerkungen zu der Frage machen, die wir in der Großen Anfrage unter Punkt 2 gestellt haben. Es ist dort nach dem Gewicht der militärischen Stärke Warschauer-Pakt-Staaten und ihrer Beurteilung gefragt worden. Die Bundesregierung hat in ihrer schriftlichen Antwort gesagt, es gebe eine wesentliche Unterscheidung bei der Beurteilung der militärischen Stärke zwischen den Regierungen der westlichen Welt und der Offentlichkeit. Diese sehr deutliche und eindeutige Antwort gibt mir Gelegenheit, Herr Bundesaußenminister, zu sagen: Gerade darin sehe ich den Sinn und Zweck unserer Bitte, unserer Aufforderung und auch dieser unserer Fragestellung, die Bundesregierung und, wenn Sie wollen, die Regierungen der westlichen Welt aufzufordern, mehr an einer systematischen, konkreten und nachprüfbaren Aufklärungsarbeit zu tun, damit diese Divergenz zwischen den Erkenntnissen der Regierung und der Meinung der Öffentlichkeit überwunden wird, also, wenn Sie wollen, eine entsprechende Öffentlichkeits- und Aufklärungsarbeit zu leisten.
Es wird an einer anderen Stelle in der Antwort gesagt, daß die Regierung die potentielle — das ist mit Recht unterstrichen — Bedrohung durch die starken militärischen Machtmittel der Sowjetunion in den letzten Jahren stärker einschätzt als vorher. Wenn dieser Satz richtig ist — und ich glaube, er ist richtig —, dann — diese Kritik sei mir erlaubt — verstehe ich nicht ganz, daß es in der Antwort dann heißt, die Bundesregierung rechne auf das Verständnis dieses Hohen Hauses, daß eine solche Unterrichtung der Öffentlichkeit nur in allgemeinen Formen möglich sei. Ich glaube eben, meine Damen und Herren, daß die Unterrichtung nur in „allgemeinen Formen" durch eine konkrete Unterrichtung ergänzt werden muß. Wir merken es alle, wenn wir draußen diskutieren, vor allen Dingen mit jungen Menschen, daß sie konkretes, Material haben wollen und daß etwa nur unsere kursorische Mitteilung, die Situation drüben sei noch etwas stärker, etwas brisanter als bisher, nicht genügt.
Eine Reihe von Kollegen von mir in der CDU/ CSU-Fraktion haben vor geraumer Zeit eine Kleine Anfrage an die Bundesregierung gestellt. Sie haben dort nach verschiedenen Aufgaben, Methoden und Erkenntnissen der Dnjepr-Manöver gefragt, die in der Sowjetunion durchgeführt worden sind. Wir haben diese Frage nicht deshalb gestellt, weil wir über eine unstillbare Neugierde verfügten und es nicht Möglichkeiten gäbe, etwa in einer breiten Zeitschriften-Diskussion uns über dieses Thema eingehend zu unterrichten. Wir hätten . vielmehr damals — und das ist uns nur zu einem Teil zugestanden worden — von der Regierung gern eine etwas eingehendere Darstellung gehabt, weil wir glauben, daß diese Darstellung dann auch in der Öffentlichkeit eine entsprechende Wirkung hat.
Lassen Sie mich hinzufügen, daß die Frage nach den militärischen Stärken, die wir hier gestellt haben, natürlich heute in der öffentlichen Diskussion in unserem eigenen Land mehr und mehr zurücktritt, daß man aber nie vergessen darf, welche wichtige Stellung dieses Problem im Rahmen der gesamten Politik hat. Da wir dieser Frage in der Offentlichkeit immer weniger Beachtung zuwenden, da die Friedenshoffnung, die wir alle spüren, uns gern darüber hinwegsehen läßt, welche Entwicklung es auf diesem Sektor im Bereich der Warschauer-Pakt-



Dr. Marx (Kaiserslautern)

Staaten gibt, sollten wir hier im Deutschen Bundestag diese Frage stellen und entsprechende Antworten erhalten. Ich glaube, man kann, wenn Sie mir das zu sagen erlauben, ein wenig ergänzend zu der Antwort, die die Bundesregierung gegeben hat, doch darauf hinweisen, daß wir sowohl im Bereiche der Ausrüstung, des Aufbaus neuer Waffengattungen, des sehr eingehenden Trainings der Truppen, aber auch hinsichtlich der im letzten Wehrpflichtgesetz der Sowjetunion manifestierten vormilitärischen Ausbildung und bei den ständig steigenden Verteidigungsetats im Bereiche der Staaten des Warschauer Pakts all diesen Faktoren eine besondere Aufmerksamkeit zuwenden müssen, wobei ich noch dazusagen muß, daß wir natürlich wissen, es kommt nicht nur auf die festgestellten Fakten, Zahlen usw. an, sondern auch auf die Analyse, welcher politische Wille etwa diese vorhandenen Kräfte zu einer Aktion bringen könnte. Da haben wir wohl alle die Hoffnung und wohl alle die Auffassung, daß wir nicht davon ausgehen können, daß diese starke, man möchte fast sagen: überstarke militärische Potenz in Mittelosteuropa zu einem wirklichen Angriff verwendet werden soll. Wir weisen aber immerhin darauf hin — das ist ein alter Satz —: „Auch am Verhandlungstische klirren die Waffen." So etwas kann durchaus auch verwendet werden, um dort, wo man diplomatische und politische Aktionen macht, den entsprechenden Nachdruck hineinzubringen.
Erlauben Sie mir bitte eine zweite Bemerkung, und zwar zum Punkt 5, wo die Frage nach der Entwicklung im Mittelmeerraum gestellt ist. Ich tue das deshalb, weil vorhin unser Fraktionsvorsitzender, Dr. Barzel, darauf hingewiesen hat, wie sehr wir darauf angewiesen sind, .die Entwicklung in Europa in seinen verschiedenen Teilen zusammen zu sehen und weil wir, fasziniert und mit Beschlag belegt von den Ereignissen, die uns nahe vor der Tür sind, mitunter vergessen, was anderen Teilen des Kontinents, und zwar in einem wirtschaftlich, politisch, militärisch, ökonomisch und wenn Sie wollen, auch geschichtlich-psychologisch so wichtigen Teil vor sich geht. Die Bundesregierung sagt, sie verfolge die Ereignisse dort mit einiger Sorge. Dem kann man, wenn man sie wirklich verfolgt, nur zustimmen; denn was sich seit dem Juni-Feldzug des vergangenen Jahres .an Veränderungen, und zwar nicht nur im östlichen Mittelmeer, sondern in weiter Bereichen — und ich denke etwa bis in den allerwestlichsten Teil des Mittelmeers — zuträgt, ist in der Tat alarmierend.
Meine Damen und Herren, die sowjetische Mittelmeerpolitik, der Versuch einer stärkeren Penetration, der Versuch, Wirtschaftshilfe, Finanzhilfe, Ausrüstungs- und Ausbildungshilfe und Flottenpolitik zu einer breit gefächerten, strategisch gedachten Aktion zusammenzubinden, hat ja nicht nur einen militärischen und politischen, sondern, bei der labilen Situation in einer ganzen Reihe von Ländern im Mittelmeerraum, einen unerhört psychologischen Wert. Eine Machtdemonstration derart, wie wir sie im Augenblick durch die dritte sowjetische Eskadra erleben, hat ihre entsprechende Wirkung. Der sowjetische Parteichef Breschnew hat bei der Karlsbader Konferenz im April des vergangenen Jahres
mit einigen sehr dezidierten Worten, deren Inhalt man eigentlich erst jetzt recht versteht, darauf hingewiesen, daß es die Anstrengung der sozialistischen Staaten mit sich bringen müsse, die Sechste .amerikanische Flotte aus dem Mittelmeer zu entfernen. Wir beobachten seit jener Zeit, daß sehr viele der Aktivitäten diesem Ziele zugewendet werden und daß ein solcher sowjetischer Versuch durch die Verhältnisse, wie sie am Ostrand und am südlichen Rand .des Mittelmeeres oder auch durch die Stichworte Zypern und Griechenland verdeutlicht werden, eine entsprechende Stützung finden könnte.
Meine Damen und Herren, .die linken Parteien, die kommunistischen und linkssozialistischen Parteien einer ganzen Reihe von Ländern haben im September des letzten Jahres Mittelmeerkonferenzen, zunächst in Bologna, im Dezember in Belgrad und im Januar und im April dieses Jahres in Rom zusammengerufen. Wenn man die Papiere, die damals veröffentlicht worden sind, und die begleitenden Artikel, die eine Reihe der Akteure in Zeitschriften und Zeitungen dazu geschrieben haben, verfolgt, kann man den Eindruck haben, daß hier der Versuch gemacht wird, eine Entwicklung etwa unter der Überschrift darzustellen: Das Mittelmeer soll ein Meer werden, das nur den Anrainerstaaten gehört; das Mittelmeer soll herausgenommen werden aus den Ost-West-Konflikten. Obwohl es bei der dritten Konferenz zwischen den Jugoslawen und ihren anderen Partnern recht unterschiedliche Auffassungen gab, haben diese Überlegungen jetzt im April — das zeigen die begleitenden Texte im Mai — doch eine tiefe Wirkung gehabt.
Die sogenannte Konferenz der fortschrittlichen, antiimperialistischen Kräfte des Mittelmeers hat im April dieses Jahres den Versuch gemacht — und einige Einladungen, die man vorher an andere Parteien hat ergehen lassen, machten dies deutlich —, eine Entwicklung etwa zu einer Volksfrontbewegung im gesamten Mittelmeerraum in Gang zu setzen. Die Unterstützung nationalrevolutionärer Gruppen, die überall in den Randländern des Mittelmeers spürbar ist, hat dabei einen ganz besonderen Akzent gehabt.
Meine Damen und Herren, ich darf zum Schluß folgendes sagen. Die Große Anfrage der CDU/CSU-Fraktion, die von anderen Motiven ausging, Motiven, die in der Zwischenzeit durch die Entwicklung, was den freien Verkehr von und nach Berlin anlangt, überlagert worden sind, sollte uns, und zwar sowohl die Bundesregierung als auch die einzelnen Fraktionen, in die Lage versetzen, zu einer Reihe von Fragen und Problemen, die uns allabendlich draußen in den Diskussionen begegnen, noch einmal klare, zitierfähige Antworten zu erhalten. Man hat oft den Eindruck, daß manches, was von seiten des Bundestages und auch von seiten der Bundesregierung gesagt wird, draußen nicht mit jener Verständlichkeit ankommt, die dringend notwendig wäre.
Unsere Bitte, meine spezielle Bitte, wäre, daß die Bundesregierung überall dort, wo sie glaubt, daß ihre Informationsarbeit einen bedeutenden Beitrag dazu leisten könnte, differenzierte und von uns



Dr. Marx (Kaiserslautern)

nicht gedeckte Meinungen in der Öffentlichkeit durch Tatsachen korrigiert, daß sie sich dieser ihr durch ihre Informationspflicht zugewachsenen Aufgabe stellt. Ich glaube, das ist heute angesichts der Entwicklung, die wir im eigenen Land und in vielen uns verbündeten Ländern spüren, notwendiger denn je. Dies hier darzustellen und noch einmal die Bitte zu äußern, daß auch die Bundesregierung dieses Element mit in ihre Überlegungen aufnimmt, war Sinn und Zweck dieser Ausführungen.

(Beifall bei der CDU/CSU.)


Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0518028900
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Freiherr von Gemmingen.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0518029000
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Gestatten Sie mir, ganz kurz einige Bemerkungen im Namen meiner Fraktion zu Ziffer 8 der Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage der CDU/CSU zu machen. Die Bundesregierung unterstreicht hier ihre Bereitschaft, die Entwicklungshilfe auch weiterhin als sehr bedeutend für die Sicherung des Weltfriedens anzusehen. Ich glaube, gerade wir Freien Demokraten brauchen unsere Haltung zur Entwicklungshilfe nicht nochmals besonders zu erläutern. Ich darf daran erinnern, daß Walter Scheel es war, der in den fünf Jahren, in denen er Minister für Entwicklungshilfe war, die Entwicklungshilfe grundsatzlich reformiert hat. Er ist von dem Prinzip der Gießkanne abgegangen und hat dafür gesorgt, daß die
Entwicklungshilfe dadurch wesentlich sinnvoller gestaltet wurde, daß die Mittel projektgebunden verwendet wurden. Angesichts dieser Erfolge brauchen wir unsere positive Haltung eigentlich nicht noch einmal zu betonen.
Wir wollen aber auf einen Satz in der Antwort der Bundesregierung eingehen, den wir ganz besonders unterstreichen; dieser Satz lautet:
Die Grundlage einer positiven Entwicklungspolitik soll das gegenseitige Verständnis für die elementaren Probleme des Partners sein.
Das ist ein Satz, der völlig einleuchtend ist und der unbedingt unterstützt werden muß. Wir können aber wohl feststellen, daß die Bundesregierung den elementaren Problemen der Partner weit mehr Verständnis entgegengebracht hat, als dies umgekehrt der Fall war. Ich denke z. B. an einiges, was in Südkorea passiert ist. Ich muß hier feststellen, daß Südkorea unseren elementaren Problemen wesentlich weniger Verständnis entgegengebracht hat als umgekehrt. Es ist doch ganz klar, daß von Südkorea unter dem Bruch unserer Souveränität unsere Hoheitsrechte verletzt worden sind und daß auf unserem Gebiet hier in diesem Falle Verbrechen begangen worden sind, die im wahrsten Sinne des Wortes verwerflich sind. Sie werden mir jetzt sagen: es sind Urteile gemildert worden, es sind Entlassungen vorgenommen worden. Aber dennoch stehen hier noch Todesurteile und langjährige Freiheitsstrafen im Raum. Angesichts dieser Tatsache muß man feststellen, daß von einem Verständnis Südkoreas uns gegenüber wenig zu sehen ist. Das, was hier von
einem Partner geschehen ist, der noch sehr stark an unserer Entwicklungshilfe partizipiert, ist ein befremdendes Unternehmen. Ich glaube, wir sollten uns darüber nochmals sehr genau Gedanken machen.
Die Bundesregierung unterstreicht ihre Absicht, dem Ziel näherzukommen, ein Prozent des Bruttosozialproduktes der Entwicklungshilfe zuzuführen. Gut, meine Damen und Herren, auch das sollte von uns befürwortet werden, und es wird auch von den Freien Demokraten befürwortet. Aber ob es sich erreichen läßt, das außer aus privaten Quellen, die der Entwicklungshilfe dienen, auch noch vom Bund mehr Mittel aufgewendet werden, kann jetzt unmöglich beurteilt werden. Das hängt von der Haushaltslage ab, das hängt von den Aufgaben ab, die wir im Land zu erfüllen haben. Dennoch sollten wir uns das zu eigen machen, dennoch sollten wir das versuchen. Wir haben auch eine gewisse Verpflichtung in der Entwicklungshilfe.
Die Steigerung der Entwicklungshilfe wird um so leichter zu erreichen sein, je mehr wir dafür sorgen, daß die Gelder, die wir in Form von Krediten geben, schnell in unsere Volkswirtschaft zurückfließen. In dieser Beziehung liegt bei der multilateralen Entwicklungshilfe noch einiges im argen. Hier möchte ich die Bundesregierung auffordern, sich etwas mehr Gedanken darüber zu machen, wie dieses Ziel erreicht werden kann.
Lassen Sie mich mit folgender Bemerkung abschließen. Wir sind zur Entwicklungshilfe verpflichtet. Wir müssen Entwicklungshilfe leisten. Aber wir müssen auch dafür Sorge tragen, daß die Entwicklungshilfe endlich einmal von dem Odium der Mildtätigkeit befreit wird. Die Entwicklungshilfe hat keinen karitativen Charakter. Ich bin der Meinung, daß den unterentwickelten Ländern geholfen werden soll und geholfen werden muß, damit sie in absehbarer Zeit vollwertige Partner in einer hochentwickelten Weltwirtschaft sind.

(Beifall bei der FDP.)


Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0518029100
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Birrenbach.

Dr. Kurt Birrenbach (CDU):
Rede ID: ID0518029200
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Hohe Haus hat in vielen Stunden eindrucksvoll die deutsche Ostpolitik diskutiert. Alle Parteien dieses Hauses sind sich darüber einig, daß es für eine Friedens- und Entspannungspolitik keine Alternative gibt. Jedoch müssen wir uns darüber klar sein, daß eine Politik, die vor so großen Schwierigkeiten steht, die so langfristig angelegt sein muß wie diese, nur denkbar ist, wenn sie gleichzeitig verankert wird in einer konstruktiven europäischen und Bündnispolitik.
Die Spaltung Deutschlands bedeutet gleichzeitig die Teilung Europas. Eine Überwindung der Spaltung ist nur im Wege der Einigung Europas und eines Brückenschlages zu den osteuropäischen Nationen möglich. Nur ein in eine europäische politische und wirtschaftliche Ordnung integriertes Deutschland würde von den osteuropäischen Natio-



Dr. Birrenbach
nen nicht mehr als eine Gefahr angesehen werden. Der Stillstand in der politischen Einigung Europas und die weiterbestehende Spaltung Westeuropas beeinträchtigen auch die Chancen eines erfolgreichen Brückenschlages nach Osten. Gleichzeitig, meine Damen und Herren, würde ein politisch und wirtschaftlich in Freiheit vereinigtes Europa eine außerordentliche Anziehungskraft auf die osteuropäischen Nationen ausüben. Die Ereignisse des letzten Jahrzehnts zeigen, daß diese Nationen ihren europäischen Ursprung noch nicht vergessen haben. Um so wichtiger ist es daher, diese Politik der europäischen Einigung mit neuen Impulsen zu erfüllen.
Die Ereignisse in Berlin haben uns aber schmerzlich daran erinnert, daß ohne Sicherheit keine Entspannung denkbar ist. Damit ist die Frage unserer Beziehungen zu den Vereinigten Staaten gestellt. Die militärische Präsenz der USA in Europa auf der Grundlage des NATO-Vertrags ist das entscheidende Unterpfand der Sicherheit Europas, insbesondere der Bundesrepublik und Berlins. Die Verwicklung der Vereinigten Staaten in einen manchmal ausweglos erscheinenden Landkrieg auf dem asiatischen Festland hat die Aufmerksamkeit dieses Landes und seiner Führung in den letzten Jahren in beunruhigendem Umfang von Europa abgelenkt. Dennoch müssen wir erkennen, daß die USA nicht einen Augenblick den militärischen Schutz Europas aus dem Auge verloren haben. Niemandem aber kann verborgen bleiben, wie sehr Regierung und Öffentlichkeit in den Vereinigten Staaten beunruhigt sind über die Tatsache, daß ihre europäischen Bündnispartner nicht ausreichend dazu beigetragen haben, die von den Vereinigten Staaten übernommene Bürde des Schutzes der freien Welt zu erleichtern. Sie fühlen sich überall allein gelassen und nicht ausreichend unterstützt.
Keine westliche Nation hat nach dem letzten Weltkrieg einen so hohen Anteil ihrer nationalen Kraft der militärischen Sicherheit der freien Welt gewidmet, selbst wenn man von der Anspannung im Rahmen des Vietnamkrieges absieht. Dieses Gefühl der Isolierung und Frustrierung, verbunden mit den ungewöhnlich schwierigen inneren Problemen des Landes, kann dazu führen, daß sich die Vereinigten Staaten in der Zukunft mehr der Lösung ihrer inneren Probleme widmen und ihr militärisches Engagement in der Welt beschränken. Nur eine aktive atlantische Politik der euronäischen Staaten, die Verständnis für die Lacre Amerikas zeigt, kann eine solche Entwicklung verhindern.

(Abg. Dr. Barzel: Sehr gut!)

Die Regelung des Devisenausgleichs für das jetzt beginnende Jahr schafft eine neue Atempause. Wir müssen hoffen, daß die Verhandlungen in Paris früher oder später zur Einstelluna der Feindseligkeiten in Vietnam führen, trotz der düsteren Aussichten, wie sie heute noch bestehen.
Meine Damen und Herren! Die Vereinigten Staaten sind aber nicht nur für die Sicherheit Europas von entscheidender Bedeutung, sie sind es auch für die Entspannungspolitik in der Welt. Sie sind
und bleiben — darüber besteht kein Zweifel - der wichtigste Gesprächspartner der anderen großen Supermacht in der Welt, der Sowjetunion. Nur eine im europäischen und atlantischen Rahmen koordinierte Entspannungspolitik, wie sie im Harmel-Exercise vorgeschlagen und in den Empfehlungen des NATO-Rates vom 5. Dezember des vorigen Jahres beschlossen worden ist, kann den Erfolg einer solchen Politik verbürgen.
Ziel der Politik muß die Lösung der Fragen sein, die die Ursachen der heutigen Spannung sind, d. h. insbesondere die Lösung der deutschen Frage, ohne die eine echte Friedensordnung auf dem europäischen Kontinent nicht denkbar ist.
Zu diesem Ziel führen zwei Wege. Der erste zielt auf die Kontrolle und Beherrschung möglicher militärischer Konflikte und der zweite auf die endgültige Lösung dieser Spannungsursachen im Wege einer politischen Evolution. Konflikte lassen sich kontrollieren, wenn Maßnahmen auf militärischem Gebiet getroffen werden, die die Gefahr bewaffneter Auseinandersetzungen entweder beschränken oder sogar ausschließen. Die Senkung der Schwelle der Rüstungen auf der Grundlage der Reziprozität auf beiden Seiten der Demarkationslinie ohne Veränderung des militärischen Gleichgewichts wäre ein Weg. Rüstungskontrollmaßnahmen sind denkbar, die Überraschungsangriffe unmöglich machen oder jedenfalls erschweren. Der Austausch von Gewaltsverzichtserklärungen wäre ein wichtiges Element im Rahmen dieser Bestrebungen.
Die Grundlage der Sicherheit aber blieben die beiden Bündnissysteme, auf denen sich ein solches europäisches Sicherheitssystem aufbauen ließe. Ohne die Mitwirkung der Vereinigten Staaten ist die Sicherheit Europas nicht vorstellbar. Aus sich allein kann der europäische Kontinent ein solches Gleichgewicht nicht mehr finden. Das ist die historische Erkenntnis nach zwei Weltkriegen. Auf Grund solcher Maßnahmen gewänne man in einer verbesserten Atmosphäre einen besseren Ausgangspunkt für die Lösung der Konflikte selbst. Der Furchtkomplex im Osten würde vermindert, wenn nicht verschwinden. Ein bilaterales und multilaterales Netz von Verbindungen wirtschaftlicher, kultureller, wissenschaftlicher und menschlicher Art würde die Nationen auf beiden Seiten der Demarkationslinie einander näherbringen. Eine solche intensivierte Begegnung von West und Ost könnte auch auf die Politik auf die Dauer nicht ohne Wirkung bleiben.
Nur ein Vorbehalt ist notwendig. Die Nachkriegsentwicklung lehrt uns, daß ein solcher Prozeß ungleich längere Zeit in Anspruch nimmt, als manche ursprünglich angenommen haben. Die innere Entwicklung in der Sowjetunion ist das entscheidende Element in diesem Prozeß. Die sowjetische Führung wird sich nur dann veranlaßt sehen, ihren bisherigen Kurs zu ändern, wenn die innere Entwicklung in Osteuropa und eine veränderte Weltkonstellation ihr dazu Anlaß geben. Unsere Politik nach Westen und Osten kann nur erfolgreich sein, wenn sie von einem langen Atem getragen wird.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)





Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0518029300
Das Wort hat der
Abgeordnete Prinz von Bayern.

Prinz Konstantin von Bayern (CSU):
Rede ID: ID0518029400
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Erlauben Sie mir am Ende dieser ausführlichen Debatte eine konzentrierte und gekürzte Sprache. Wir haben in dieser Debatte klar die bestehende Notwendigkeit zum Zusammenschluß der Länder im freien Teil Europas herausgestellt. Aber das allein genügt nicht; auch das ist das Ergebnis dieser Debatte. Wir wissen deutlicher denn je, daß uns diese Notwendigkeit nicht der Aufgabe enthebt, in gesamteuropäischen Kategorien zu denken und danach zu handeln. Wir wissen heute auch, daß Handeln heißt, immer mehr Türen nach Osteuropa aufzustoßen, als die Gegner dieser unserer Politik Riegel einzuziehen vermögen.
Was meine Partei, die CSU, betrifft, so möchte ich sagen, daß wir aus bayerischem Selbstverständnis heraus der Auffassung sind, daß es unsere Aufgabe ist, den Deutschen auf diesem Weg nach Gesamteuropa voranzugehen.
Die Situation der Bundesregierung stellt sich meiner Ansicht nach folgendermaßen dar. Die Regierung streckt ihre Hand aus zu den Machthabern im anderen Teil Deutschlands. Diese Hand bleibt stehen. Sie wird nicht nur nicht ergriffen, sondern diese Bemühungen werden mit Hohn quittiert. Sie werden mit arroganten Belehrungen belegt. In einer solchen Situation kann tatsächlich der Eindruck eines Kräfteverzehrs entstehen, eines Kräfteverzehrs im Streben nach einer höchst unbefriedigenden, weil auf jeden Fall nur begrenzt denkbaren nationalen Restauration.
Meine Damen und Herren, dieser Eindruck muß verschwinden. Dann verschwindet auch, Herr Kollege Eppler, jene Epplersche Spirale, die ich auch sehe; sie führt dann sozusagen ad absurdum. Aber dazu muß man die Lage genau und sehr nüchtern beurteilen.
Diese Beurteilung stellt sich gedrängt zusammengefaßt meiner Ansicht nach so dar: Weil die Gemeinschaft der Deutschen nur noch in einer gesamteuropäischen Ordnung herstellbar ist, wenn das Mächtegleichgewicht in unserem Teil der Welt, auf dem der Friede der Welt beruht, erhalten bleiben soll, liegt es im wohlverstandenen nationalen Interesse, gesamteuropäische_ Entwicklungen zu fördern, nicht zu hindern.
Wir können uns aber nur in dem Maße nach Osten öffnen, wie wir uns im eigenen, im westlichen Bereich verankert wissen. Eine jede Politik — Herr Eppler, Sie verstehen jetzt vielleicht, warum diese kurze bayerische Betonung —, die nicht die Faktoren Geschichte und Geographie in die Rechnung einbezöge, wäre letzten Endes wahrscheinlich eine politische Fehlrechnung.
Es ist also unser Ziel, die Gemeinschaft des deutschen Volkes in einer gesamteuropäischen Ordnung herzustellen. Dieses Ziel sollte auf dem Wege der staatlichen Wiedervereinigung erreicht werden, es sollte, muß aber nicht auf diesem Wege erreicht werden. Um jetzt kein Mißverständnis aufkommen
zu lassen: das Selbstbestimmungsrecht eines jeden Volkes ist unabdingbar. Das ist das eine. Das andere aber ist die Durchsetzbarkeit dieses Rechts auf Selbstbestimmung.
Unsere Gewaltverzichtspolitik basiert — wenn ich Sie richtig verstanden habe — auf dem Grundsatz der Nichteinmischung in die Angelegenheiten anderer Staaten und Völker. Dieses Prinzip aber enthebt uns nicht der Mitverantwortung für jenen Teil des deutschen Volkes, der außerhalb unserer Staatsgrenzen über seine Eigenstaatlichkeit nicht frei bestimmen kann. Es ist sicher richtig, die Aussicht auf Verwirklichung freier Wahlen in beiden Teilen Deutschlands, also gesamtdeutscher Wahlen, wird im Osten und zum Teil auch im Westen durch die furchtbare Gleichgewichtsstörung in Europa behindert. Es stimmt auch, daß wir diesem Umstand Rechnung tragen müssen und trotzdem nicht auf unser Recht verzichten werden.
Steht damit unsere Politik vor einer unlösbaren Aufgabe, einer, wenn Sie so wollen, Quadratur des Kreises? Ich glaube, nein, wenn wir der bisherigen Regel, der wir gefolgt sind: „Freiheit kommt vor Einheit", die weitere Regel hinzufügen: „Volk kommt vor Staat". Aus dieser weiteren Regel ergibt sich ein weiterer möglicher Weg zur Einheit des deutschen Volkes in einer europäischen Ordnung, ein Weg auf zwei Etappen.
Die erste Etappe würde dann lauten: freie Willenskundgebung im anderen Teil Deutschlands. Ist dort eine legitime deutsche Regierung vorhanden, selbst wenn es eine kommunistische Regierung sein sollte, wäre für mich kein Grund mehr gegeben, die Existenz eines weiteren deutschen Staates zu verneinen.
Die zweite Etappe wäre die Abstimmung darüber, ob die Deutschen in diesem nur dann von uns anerkannten anderen deutschen Staat die Wiedervereinigung mit den Deutschen in unserem Staat, die wir anbieten, wollen oder nicht. Dieser zweite Akt auf dem Wege zur Verwirklichung der deutschen Selbstbestimmung könnte in einer freiwilligen Vereinbarung auf Zeit zurückgestellt werden, bis er sich im Rahmen einer gesamteuropäischen Ordnung vollziehen ließe. Also kein Nichtanschlußdidakt à la St. Germain — wie gehabt —, sondern der höchste Ausdruck der Selbstdisziplin eines Volkes, das sich seiner europäischen Aufgabe bewußt geworden ist.
Eine solche Entwicklung im europäischen Raum herbeizuführen, stößt in jedem Falle heute auf den Status quo der Teilung Europas von Jalta. Dieses unser Verlangen nach einer schrittweisen und kontrollierten Wiedervereinigung der hegemonialen Einflußsphäre über Europa entspricht nicht — auch das dürfte sich klar als unsere gemeinsame Aufgabe herausgestellt haben — dem heimlichen Verlangen, so möchte ich sagen, nach einer Veränderung der Grenzen in Europa. Denn nicht die Grenzverschiebungen sind das Entscheidende, sondern die Freizügigkeit über die Grenzen in Europa, wo immer diese Grenzen letztlich verlaufen werden.

(Beifall bei einem Abgeordneten der SPD.)




Prinz von Bayern
Natürlich wissen wir, daß unter den gegebenen Umständen eine Veränderung des Status quo in Europa gegen den Willen der Hegemonialmächte über Europa nicht herbeigeführt werden kann.
Was aber — und das ist die Frage — vermag die USA und die Sowjetunion zu bewegen, statt sich auf der Basis einer widernatürlichen Teilung Europas und damit Deutschlands zu arrangieren, den Weg einer schrittweisen und kontrollierten Zusammenführung der getrennten Hälften Europas zu beschreiten? Ich meine: wohl nur die Aussicht auf ein hemisphäres Sicherheitssystem, das die USA mit Europa und der Sowjetunion verbindet, um den größeren möglichen Gefahren von morgen vorzubeugen.
Damit, Herr Eppler, sind wir bei dem Thema, das Sie angesprochen haben: China. Ich bin ganz Ihrer Meinung, daß die sprichwörtliche Weisheit „Der Feind meines Feindes ist mein Freund", auf die deutsche Situation übertragen, unverantwortlicher Nonsens wäre.
Meine Damen und Herren, am Anfang einer jeden neuen europäischen Initiative hat die Erkenntnis und damit das Selbstbewußtsein zu stehen, daß es nirgends, ich möchte sagen: „in Ewigkeit, Amen" heißt, daß 300 Millionen Europäer — und wenn Sie die Osteuropäer hinzuzählen, 400 Millionen — des militärischen Schutzes der industriellen Managementmethoden, der technologischen Know-hows von 200 Millionen Amerikanern bedürfen, um sich gegen 200 Millionen Sowjetrussen behaupten zu können oder umgekehrt. Es geht auch nicht länger an, zu warten, was für ein Frankreich uns nach de Gaulle beschert wird. Es geht meiner Ansicht nach auch nicht länger an, zu warten, wie die NATO nach 1969, nach der Kündbarkeit der Verträge, aussehen wird. Es geht ja darum, endlich unsere eigene Sicherheitsdoktrin zu entwickeln und dafür die notwendigen Planungsvoraussetzungen zu schaffen; das um so mehr, als das . Sicherheitsbedürfnis unserer Schutzmacht, der USA, und das der Bundesrepublik nicht mehr unbedingt ein gleiches . sind. Den Ausgleich für dieses Minus an Sicherheit werden wir auf die Dauer nur in einem europäischen Verteidigungssystem auf der Basis der WEU im Rahmen einer gewandelten NATO finden können. Dieses westliche Verteidigungssystem hat dann Bestandteil des gesamteuropäischen Sicherheitssystems zu werden. Nur damit könnte meiner Ansicht nach den USA jene Entlastung in Europa geboten werden, die sie schon im Hinblick auf ihre Engagements in außereuropäischen Räumen von sich aus suchen werden.
Meine Damen und Herren, ich glaube, daß es nicht genügt, von einer Europäisierung der Deutschlandfrage zu sprechen. Wer das länger tut, muß auch bereit sein, die notwendigen Schritte mit uns zu gehen.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)


Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0518029500
Meine Damen und Herren, Frau Abgeordnete Dr. Wolf wünscht, ihre
Rede zu Protokoll *) zu geben. Das Haus ist damit einverstanden.
Das Wort hat der Herr Bundesminister des Auswärtigen.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0518029600
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich denke, ich sollte gerade nach der Rede von Prinz Konstantin sagen, daß auch die Politik der Regierung davon ausgeht — und wir haben das bei anderen Gelegenheiten vielleicht ausführlicher gesagt, als wir es heute sagen konnten —, daß wir uns eine Lösung der deutschen Frage — oder Fragen, auch das 'ist erlaubt zu sagen — nur im Rahmen weiterreichender grundlegender Veränderungen in Europa vorstellen können. Ich glaube, daß die Wahl zwischen den Möglichkeiten, die der Abgeordnete Prinz Konstantin sieht, heute nicht aktuell ist. Ich fürchte, sie ist auch morgen noch nicht aktuell. Ich möchte es vielmehr aus meiner Sicht eher so sagen: für uns gehört zur europäischen Friedensordnung die Regelung der Sicherheit, für uns gehört dazu die entwickelte ökonomische Zusammenarbeit — dann auch zwischen den Teilen Europas, wenn vielleicht auch nicht mit der gleichen Dichte wie in einzelnen Teilen —, und es gehört einiges mehr dazu. Es gehört dazu, daß sich auf deutschem Boden und für die Menschen dieses Volkes etwas ändert — das kann sehr wohl stufenweise vor sich gehen — im Verhältnis der Menschen zueinander in den beiden Teilen, insbesondere aber auch für ihre Situation in einem der Teile, nämlich bezogen auf die Frage der Erlangung demokratischer Legitimation für das, was ist und sein wird.
Aus meiner Sicht — da könnte es eine Meinungsverschiedenheit geben, die ich aber in diesem Moment nicht tragisch nähme, weil sie nicht ausgetragen zu werden braucht — muß zu diesem deutschen Teil einer beginnenden europäischen Friedensordnung gehören, daß der Weg offen ist, daß die Perspektive offengehalten wird dafür, daß die Deutschen, wenn sie es wollen und wenn es mit den legitimen Sicherheitsinteressen ihrer Nachbarn zu vereinbaren ist, ihr Leben staatlich anders organisieren können, d. h. daß sie, wenn sie es wollen, auch unter einem Dach, in einer staatlichen Organisation leben können.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Ich wollte diese Bemerkung eben gemacht haben und möchte hinzufügen, daß in diesem Hause gelegentlich vorsichtiger gesprochen wird, als wenn wir außerhalb dieses Hohen Hauses miteinander sprechen — oder gelegentlich auch aneinander vorbeisprechen. Das Miteinandersprechen im Hause führt zu einer gewissen Disziplinierung, die nützlich sein mag, die auch staatspolitischen Wert haben kann, gerade aus der Sicht der auswärtigen Politik.
Mir kommt es auf folgenden Punkt an. Ich hatte in einem kleinen Kreis dieser Tage schon einmal darauf hingewiesen und ich will es hier auch sagen. Ich habe in einem Organ, das einem Teil der Union
*) Siehe Anlage 3



Bundesminister Brandt
sehr nahe steht, gelesen, daß, wenn Brandt der Meinung sei, daß die Sicherung des Friedens in Europa oberstes Ziel sein müsse, es dies auch sein müsse einschließlich des Verhältnisses zur deutschen Frage. Und jetzt lese ich wörtlich vor:
Wenn Brandt meint, was er sagt, dann müßte er notfalls Westberlin opfern.
Nun, das kann natürlich nicht ernst gemeint gewesen sein, auch wenn es im „Bayern-Kurier" stand.

(Heiterkeit.)

Das kann natürlich nicht ernst gemeint sein. Es geht doch um folgendes. In der Regierungserklärung vom 13. Dezember 1966 — ich bin sehr froh darüber, wenn, nach dem Vorschlag der Koalitionsparteien, diese in ihren Grundbestandteilen noch einmal unterstrichen wird — hat der Herr Bundeskanzler nicht nur von unserem Interesse an der Bewahrung des Friedens, sondern auch von unseren Beiträgen zur Festigung des Friedens als dem ersten Wort und dem Grundanliegen der deutschen Politik gesprochen. Nebenbei gesagt: doch auch deswegen, weil die Vernunft uns allen sagt, daß nur im Rahmen einer solchen Politik auch unsere nationalen Ziele zu verwirklichen sind. Ich möchte also, daß nicht, auf diesen Punkt bezogen, unnötige Streitigkeiten ausgetragen werden.
Der Fraktionsvorsitzende der CDU/CSU, Herr Dr. Barzel, dem ich von dieser Stelle aus zu seinem Geburtstag gerne gratulieren möchte,

(Beifall)

weil ich nicht weiß, ob die Telegramme angekommen sind oder ob er sie an einem solchen arbeitsreichen Tag im Plenum schon hat lesen können, hat für seine Fraktion einige sehr präzise Feststellungen zur Frage der Nichtverbreitung getroffen. Er kann sicher sein, daß das genau aufgenommen worden ist und daß kein vernünftiger Außenminister dieser Regierung darüber hinwegsehen wird. Natürlich ist es so, daß im Wissen um das Abwägen der Positionen in dieser Frage die Regierung, ohne sich selbst und das Parlament festzulegen, inzwischen sich hier und da, wenn auch noch so vorsichtig, zu äußern hat. In der NATO wird man fragen, wie wir zu dieser und jener Frage stehen, in Euratom kommt das Thema wieder hoch. Ende August bereits beginnt die auch von Ihnen erwähnte Konferenz der Nichtnuklearen, wo es weiß Gott nicht nur um dieses Thema geht. Aber es wird eines der Themen sein, oder besser gesagt: der Zusammenhang zwischen der Nichtweiterverbreitung von Nuklearwaffen und weiteren möglichen Schritten auf dem Weg zur Abrüstung wird dort viele interessieren, wird uns übrigens auch interessieren, unabhängig davon, wie wir den Vertrag in seinen Einzelheiten beurteilen.
Ich hatte schon auf die Empfehlung in der Vollversammlung verwiesen. Für uns stellt es sich immer noch so dar wie im April 1967, daß wir von den vier Kriterien auszugehen haben — ich unterstreiche und mache mir erneut zu eigen, was Herr Dr. Barzel dazu gesagt hat —: ungehinderte Nutzung der Kernenergie zu friedlichen Zwecken, klare Verbindung zur allgemeinen Abrüstung, Gewährleistung unserer
Sicherheit und keine Beeinträchtigung europäischer Einigungsbestrebungen.
Für mich persönlich zeigt der Vergleich dessen, was jetzt vorliegt, mit den früheren Entwürfen, daß wesentliche Fortschritte erzielt worden sind, und auch, daß eine Fülle gerade auch deutscher Wünsche und Forderungen Eingang in dieses Vertragswerk gefunden haben. Aber selbstverständlich, wenn wir uns das alles miteinander genau angucken, wird es auch sehr auf etwas ankommen, was Herr Abgeordneter Schulze-Vorberg, auf einen Punkt bezogen, vorbrachte und was Herr Dr. Birrenbach vorher durch eine Zwischenfrage angedeutet hatte: es wird sehr auf die Interpretationen ankommen, die mit einem solchen Vertragswerk verbunden sind. Hier kann ich schon sagen, zu dem Begriff der „control" gibt es eine Interpretation, und sie wird zu gegebener Zeit nicht mehr eine vertrauliche Interpretation, sondern eine öffentlich zu machende sein und dann wie eine Fülle anderer Dinge mit einzubeziehen sein in das Abwägen des pro et contra. Es muß auch klar sein, daß es mehr als eine Regierung in Europa geben wird, die wenn sie zu einem positiven Votum kommen, sich eigene zusätzliche Interpretationen vorbehalten.
Ich darf in diesem Zusammenhang darauf hinweisen, daß die italienische Regierung inzwischen aus ihrer Sicht beantragt hat, daß die Prüfung der Vereinbarkeit des jetzt vorliegenden Vertragstextes mit dem Euratom-Vertrag eingeleitet wird. Eine solche Prüfung müßte wiederum für jeden Euratom-Partner eine Voraussetzung sein, bevor man sich das Ganze neu anguckt. Außerdem ist es ja nicht unbekannt, daß in mehr als einem Land in Europa die Regierungen, die sich mit dieser Materie befassen, deutlich unterscheiden zwischen der Aufgabe, vor der eine Regierung steht, ob sie unterzeichnen will oder nicht, und der Frage, ob und wann einem staatlichen Parlament eine Ratifizierung empfohlen werden kann. Diese aber vielleicht noch mehr in die Tiefe gehenden Fragen werden uns noch zu beschäftigen haben, und dabei wird — ich sage es noch einmal — das berücksichtigt werden, was heute gesagt worden ist.
Zu Berlin. Es soll hier keinen Zweifel daran geben: von der Regierung hat niemand irgendwo empfohlen — schon gar nicht der Bundesaußenminister —, innerdeutsche Regelungen -- auf den Berlin-Verkehr oder auf irgend etwas anderes bezogen — an Stelle von oder auf Kosten alliierter Rechte vorzusehen. Davon kann keine Rede sein.

(Beifall bei den Regierungsparteien.) Das wäre auch ein schlechter Weg.

Die Konsulationen in der NATO sind im Gange. Ich möchte hier doch noch ein Wort zu dem Begriff der Gegenmaßnahmen sagen, der immer wieder in solchen Zusammenhängen eine Rolle spielt, und ich möchte das Wort des „wer — wen?" jetzt einmal in einem ganz anderen Sinne anwenden. Wer — wen? Wenn es sich um internationale Vereinbarungen handelt — die wir übrigens nicht eingegangen sind, auch nicht eingehen konnten; sondern solche zwischen den Westmächten und der Sowjet-



Bundesminister Brandt
union —, dann muß, so meine ich — in aller Freundschaft sei dies gesagt gegenüber den westlichen Verbündeten —, die Sowjetunion in politischer Hinsicht und auf die Ost-West-Zusammenhänge bezogen in Anspruch genommen werden, und dann darf sich nicht ein Denken fortsetzen, als könnten Gegenmaßnahmen heißen, daß im Falle von Schwierigkeiten solcher Art .der eine jeweils die Deutschen des anderen ein bißchen sich .abstrampeln läßt. Wenn es sich um internationale Vereinbarungen handelt, ist es in politischer Hinsicht primär ein Problem zwischen den westlichen Mächten und der Sowietunion; wobei ich gar kein Hehl daraus mache. daß es auch von uns 'aus, bezogen auf die Sowjetunion, das Klarmachen eines eigenen deutschen Interesses an Berlin gibt; nicht von derselben Basis aus, aber wiederum nicht „an Stelle von", sondern zusätzlich dazu.
Man kann Berlin nicht ausklammern, so wie man Deutschland als Ganzes nicht ausklammern kann aus dem, was man Ost-West-Beziehungen nennt. aus dem, was man in der Welt und in Euroaa Entspannungsbemühugaen nennt. Das ist die Kernfrage, um die es geht. Ich hoffe, wir sind uns alle darüber einig, daß uns hier und unseren Freunden, meinen Mitbürgern in Berlin, mit Scheinaktivitäten überhaupt nicht geholfen ist, daß wir auch ihretwegen keine Illusionen verbreiten sollten, die nur Enttäuschungen nach sich ziehen. Ich habe die Selbstbeherrschung und die Abaewogenheit der Sprache sehr zu schätzen gewußt — ich weiß. der Herr Bundeskanzler tut es auch —, die der Regierende Bürgermeister hier heute bei der Präsentation seines Standnunktes gewählt hat, aus seiner gewiß nicht einfachen Verantwortung heraus. Wir müssen Wert darauf legen, daß ein bloßes Rufen nach Gegenmaßnahmen nicht dazu führt, daß in falscher Richtung gestoßen, mit falschen Größenordnungen operiert wird, so daß auf Grund ungünstiger aeogaraphischer Voraussetzungen eine Seite immer die sein muß. die dann. wenn man es zu begrenzt ansetzt, am kürzeren Hebel sitzt. Ich rede darüber nicht als Theoretiker. Ich habe mehr als eine Berlin-Krise umfassender Art selbst mitgemacht mid mit zu bestehen gehabt und ich muß leider sagen, in solchen Zusammenhängen wie denen, die wir jetzt erleben, merkt man ja ,deutlich, daß diese Geschichte eben nicht erst im Juni 1968 angefangen hat. Die Frage usurpierten Rechts beschäftigt uns seit Jahr und Tag. Daß es nicht möglich war. einen wirklich freien Zugang durchzusetzen, beschäftigt uns seit .lahr und Tag. Hier spricht einer, der Jahr und Tact gar nicht reisen durfte. weil er im Fahndungsbuch der anderen Seite stand, und auch danach zehn Jahre lang den Geßler-Hut arüßen mußte. Keine Alliierten und keine Bundesrepublik haben ihm das abnehmen können. nämlich die Kontrolle durch die UlbrichtLeute, die Laufzettel, die Gebühren für die Autos und das alles.
Diese Geschichte hat nicht im Juni 1968 angefangen. Aber es ist sehr wichtig, daß wir irgendwo mit unseren Freunden, den westlichen Verbündeten, und mit den Schutzmächten Berlins zu einer Klarheit darüber gelangen: Wo ist der Bereich grundsätzlicher Zuständigkeiten, wo ist der Bereich des
Einstehens für eigene Rechte, und was bleibt dann konkret übrig? Denn das Verweisen auf grundsätzliche Rechte und das Nur-mit-einem-Protest-sichdagegen-Verwahren hängt den Berlinern ebenso zum Halse heraus wie der großen Mehrheit unserer Mitbürger in der Bundesrepublik.

(Allgemeiner Beifall.)

Ich sage das nicht leichten Herzens, und diejenigen, an die es gerichtet ist, wissen, daß dies dem Wunsche und dem Willen entspringt, miteinander zu reden, wofür jeder von uns ehrlich einstehen kann — will und kann, und manchmal kann man nur das wollen, was man wirklich kann. Das muß man miteinander prüfen, darüber muß man ehrlich sprechen und in Berlin und anderswo sagen, was notwendig und was möglich ist. Die Existenzsicherung Berlins über den Tag hinaus muß eine gemeinsame Aufgabe bleiben. Sie muß — ich sage es noch einmal — in alle alliierten Ost-West-Überlegungen einbezogen sein und mehr als ein Merkposten sein, und sie muß auch für uns mehr als ein Merkposten sein in jenen Bemühungen um Regelungen auf deutschem Boden, zu denen wir vermutlich leider so rasch noch nicht kommen werden, um die wir aber weiter bemüht sein werden.
Ich bin sehr dankbar, daß zum Schluß der Debatte auch der Zusammenhang zwischen den europäischen West- und Ostfragen noch einmal ganz klargemacht worden ist, daß noch einmal angerissen worden ist, daß wir uns also erneut klarmachen mußten — ohne es jetzt weiter vertiefen zu können —, welche Rolle unser Verhältnis zu der großen amerikanischen Macht einerseits, zur sowjetischen andererseits und deren Verhältnis untereinander spielt, wie es auf uns und auf Europa einwirkt. Ich bitte um Verständnis dafür, daß dazu jetzt nicht noch etwas gesagt wird.
Ich möchte es mit diesen Bemerkungen auch der Gesundheit wegen genug sein lassen — nicht meiner Gesundheit, sondern weil ich den Eindruck habe, daß die Gesundheitspolitiker in diesem Hause eigentlich schon seit ein paar Stunden der Meinung waren, die Außenpolitiker sollten ihnen nun endlich das, Feld räumen. — Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!

(Beifall bei den Regierungsparteien und bei Abgeordneten der FDP.)


Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0518029700
Meine Damen und Herren, es liegen keine Wortmeldungen mehr vor. Ich schließe die Aussprache über die Große Anfrage der Fraktion der CDU/CSU betreffend Außenpolitik.
Ich komme zu dem Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD auf Umdruck 496 *) . Wird hierzu noch das Wort gewünscht? — Die Begründung ist bereits in der Aussprache erfolgt. — Herr Abgeordneter Schulz!
Schultz (Gau-Bischofsheim) (FDP): Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Fraktion der Freien Demokratischen Partei beantragt, diesen Ent-
*) Siehe Anlage 2



Schultz (Gau-Bischofsheim)

schließungsantrag an den Auswärtigen Ausschuß zu überweisen. Für den Fall, daß diesem unserem Antrag nicht stattgegeben wird, erkläre ich für meine Fraktion, daß wir uns der Stimme enthalten werden.

(Abg. Rasner: Ganz entschieden! — Abg. Dr. Barzel: Ein entschiedenes Vielleicht!)


Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0518029800
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Majonica.

Ernst Majonica (CDU):
Rede ID: ID0518029900
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die in diesem Entschließungsantrag niedergelegten Grundsätze sind so klar und eindeutig, daß sie keiner Beratung im Auswärtigen Ausschuß bedürfen. Ich bitte deshalb um Abstimmung im Plenum und um Annahme des Antrags.

Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0518030000
Das Wort wird nicht mehr gewünscht. Wir kommen zur Abstimmung, und zwar zuerst über den Geschäftsordnungsantrag auf Überweisung an den Auswärtigen Ausschuß, der vorgeht. Wer diesem Antrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Mit großer Mehrheit abgelehnt.
Ich lasse über den Antrag selbst abstimmen. Wer dem Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD auf Umdruck 496 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Bei Enthaltungen der Fraktion der Freien Demokraten mit großer Mehrheit angenommen.
Meine Damen und Herren, es ist interfraktionell vereinbart, Punkt 4 der Tagesordnung — das ist die Große Anfrage der Fraktion der SPD zur Gesundheitspolitik — von der Tagesordnung abzusetzen. — Widerspruch erfolgt nicht; es ist so beschlossen.
Sodann ist interfraktionell vereinbart, Punkt 5 —Änderung des Angestelltenversicherungsgesetzes usw. — morgen zu beraten, und zwar an dritter Stelle nach dem Besoldungsneuregelungsgesetz. — Widerspruch erfolgt nicht; es ist so beschlossen.
Ich rufe Punkt 6 der Tagesordnung auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Entschädigung der Mitglieder des Richterwahlausschusses
— Drucksache V/884 —
Schriftlicher Bericht des Vorstandes des Deutschen Bundestages
— Drucksache V/2926 —Berichterstatter: Abgeordneter Ruf (Erste Beratung: 55. Sitzung).
Ich danke dem Berichterstatter, dem Herrn Abgeordneten Ruf, für seinen Schriftlichen Bericht.
Ich rufe in zweiter Beratung auf § 1, — 2, — 3, — Einleitung und Überschrift. — Das Wort wird nicht gewünscht. Wer den aufgerufenen Bestimmungen zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das
Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe .— Es ist so beschlossen.
Ich komme zur
dritten Beratung.
Wird das Wort gewünscht in der allgemeinen Aussprache? — Das ist nicht der Fall.
Wer dem Gesetzentwurf in dritter Lesung zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Keine Gegenstimme. Enthaltungen? — Auch keine Enthaltungen; einstimmig angenommen.
Ich rufe auf Punkt 8 der Tagesordnung:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs .eines Gesetzes zur Änderung des Zolltarifgesetzes (Drucksache V/2923).
Auf Begründung und Aussprache wird verzichtet. Ich schlage Ihnen Überweisung an den Ausschuß für Wirtschaft und Mittelstandsfragen vor. — Widerspruch erfolgt nicht. Es ist so beschlossen.
Ich rufe auf Punkt 9 der Tagesordnung:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 19. Mai 1967 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Ghana über die Förderung und den gegenseitigen Schutz von Kapitalanlagen (Drucksache V/2924).
Auf Begründung und Aussprache wird verzichtet. Ich schlage Ihnen Überweisung an den Ausschuß für Wirtschaft und Mittelstandsfragen federführend und an den Auswärtigen Ausschuß mitberatend vor. — Widerspruch erfolgt nicht. Es ist so beschlossen.
Ich rufe auf Punkt 10 der Tagesordnung:
Erste Beratung des von der Fraktion der FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Casöl-Verwendungsgesetzes — Landwirtschaft
— Drucksache V/2814 —
Auf Begründung und Aussprache wird verzichtet. Ich schlage Ihnen Überweisung an den Finanzausschuß sowie an den Haushaltsausschuß gemäß § 96 der Geschäftsordnung vor. — Widerspruch erfolgt nicht. Es ist so beschlossen.
Ich rufe auf Punkt 11 der Tagesordnung:
Beratung des Mündlichen Berichts des Haushaltsausschusses (13. Ausschuß) über den Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU, SPD zur dritten Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verwirklichung der mehrjährigen Finanzplanung des Bundes, II. Teil
— Finanzänderungsgesetz 1967 -
- Umdruck 330, Drucksache V/2903 — Berichterstatter: Abgeordneter Brese



Vizepräsident Dr. Jaeger
Ich erteile dem Herrn Berichterstatter das Wort. — Ich nehme an, das Haus verzichtet auf den Bericht. Wird das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall.
Dann habe ich hier den Antrag des Ausschusses, den Entschließungsantrag Umdruck 330 unverändert anzunehmen. Wer dem zuzustimmen wünscht, bitte das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Keine Gegenstimmen. Enthaltungen? — Auch keine Enthaltungen; einstimmig angenommen.
Meine Damen und Herren, wir stehen am Ende der heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung auf morgen, Freitag, den 21. Juni, 9 Uhr.
Die Sitzung ist geschlossen.