Gesamtes Protokol
Die Sitzung ist eröffnet.
Heute feiert unser Kollege Ernst Paul seinen 70. Geburtstag. Ich spreche ihm die Glückwünsche des Hauses aus.
Wir fahren fort in der
Fragestunde
— Drucksachen V/1634, zu V/1634 —.
Wir waren beim Geschäftsbereich des Bundesministers des Innern. Auch heute antwortet der Herr Parlamentarische Staatssekretär Benda. Frage 19 des Herrn Abgeordneten Ertl:
Teilt die Bundesregierung Befürchtungen der bayerischen Staatsregierung, wonach durch die vorgesehenen Grundgesetzänderungen zur Neugestaltung der Beziehungen zwischen Bund und Ländern ein tiefer Einschnitt in die Eigenstaatlichkeit der Länder entstehen würde?
Bitte, Herr Staatssekretär!
Herr Kollege Ertl, die Bundesregierung teilt die von Ihnen erwähnten Befürchtungen der Bayerischen Staatsregierung nicht. Die Finanzreform soll zwar die Aufgaben und die Finanzverantwortung von Bund und Ländern neu abgrenzen. Dabei sollen Zweifelsfragen beseitigt und die bundesstaatliche Ordnung den Anforderungen der Zeit angepaßt werden. Dabei wird aber die Eigenstaatlichkeit der Länder voll gewahrt werden. Wie Sie wissen, Herr Kollege, ist dies auch aus verfassungsrechtlichen Gründen notwendig, weil Art. 79 Abs. 3 des Grundgesetzes insoweit auch Grundgesetzänderungen eine klare Grenze zieht.
Herr Staatssekretär, gilt Ihre Antwort auch für die zitierten 30 Gesetzesänderungen, die seitens der Bundesregierung vorgesehen sind und die maßgebliche Mitglieder der Bayerischen Staatsregierung, vom Ministerpräsidenten angefangen, wiederholt veranlaßt haben, im Hinblick auf den wachsenden Zentralismus zu warnen und sogar eigene Parteifreunde aufzufordern, sie mögen doch endlich wachsam werden?
Diese Antwort gilt für alle von der Bundesregierung beabsichtigten Grundgesetzänderungen.
Noch eine Zusatzfrage. -
Herr Staatssekretär, werden Sie in dieser Frage mit der Bayerischen Staatsregierung in Verhandlung eintreten oder stehen Sie schon diesbezüglich in Verhandlungen?
Herr Kollege Ertl, Verhandlungen sind sicherlich nicht notwendig; denn, wie Sie wissen, wirkt die Bayerische Staatsregierung wie jedes Bundesland über den Bundesrat auf die Gesetzgebung, insbesondere auf Verfassungsänderungen, ein und wirkt dabei mit. Grundgesetzänderungen sind bekanntlich nur mit der qualifizierten Mehrheit der Mitglieder des Bundesrates möglich, zu denen selbstverständlich auch die Vertreter des Freistaates Bayern gehören.
Keine weitere Zusatzfrage.
Ich rufe die Frage 20 des Herrn Abgeordneten Sänger auf:
Ist die Bundesregierung bereit, die sogenannten „AnzeigenBlätter" in allen Maßnahmen der Verwaltung deutlich von Zeitungen und Zeitschriften zu unterscheiden, da sie weder Informationen noch Meinungen verbreiten und in ihrem Wesen Werbedrucksachen sind?
Bitte, Herr Staatssekretär!
Herr Kollege Sänger, die Bundesregierung folgt durchaus der Ihrer Anfrage wahrscheinlich unterliegenden Tendenz. Ich darf allerdings darauf aufmerksam machen, daß die Abgrenzung zwischen den von Ihnen gemeinten Anzeigenblättern gegenüber den Zeitungen und Zeitschriften eine recht schwierige Frage ist. Ich glaube nicht, daß man es auf die kostenlose Verteilung der Anzeigenblätter abstellen kann, da es ja auch manche Zeitungen und Zeitschriften, wie etwa die sogenannten Kundenzeitschriften, gibt, die unentgeltlich abgegeben werden. Auch kann der Unterschied nicht, wie ich glaube, darin gesehen werden, daß nur Zeitungen und Zeitschriften Informationen und Meinungsäußerungen verbreiten; denn
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4918 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 106. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. April 1967
Parlamentarischer Staatssekretär Bendawie Sie wissen, enthalten die Anzeigenblätter zum Teil auch kurze Nachrichten oder Berichte, wenn auch meistens nur über lokale Ereignisse, gelegentlich auch Meinungsäußerungen. Nach Auffassung meines Hauses würde die richtige Abgrenzung zwischen den Zeitungen und Zeitschriften und diesen sogenannten Anzeigenblättern darin liegen, daß man auf den Zweck des Druckwerkes abzustellen hat. Zeitungen und Zeitschriften dienen der umfassenden Berichterstattung über Tagesereignisse und der Erörterung bestimmter Fragen. Sie erfüllen nach den Landespressegesetzen eine öffentliche Aufgabe. Auch wenn sie keine Anzeigen enthielten, würden sie dennoch Zeitungen oder Zeitschriften bleiben. Dagegen besteht der Zweck der Anzeigenblätter eindeutig darin, daß sie Werbung vermitteln; sie haben also einen kommerziellen Zweck.Diese Abgrenzung ist sehr allgemein, und sie läßt in Einzelfällen sicherlich Zweifel und Abgrenzungsschwierigkeiten offen. Wenn man aber diese zugegebenermaßen grobe Abgrenzung zugrunde legt, können Maßnahmen der Bundesverwaltung, die sich ausdrücklich und ausschließlich auf Zeitungen oder Zeitschriften beziehen, nicht auf Anzeigenblätter angewendet werden. In dieser Zielsetzung, Herr Kollege Sänger, sind wir uns sicherlich einig.
Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Sänger.
Herr Staatssekretär, würden Sie bei dieser Zielsetzung den Grundsatz anerkennen, daß der Leser und nur der Leser durch die Möglichkeit, ja oder nein zum Bezug einer Zeitung zu sagen, die Aufgabe erfüllt, die Presse selbst, die ja kontrolliert, zu kontrollieren?
Dies ist mit eines der möglichen Abgrenzungskriterien. Wie ich aber ausgeführt habe, ist es im Einzelfall nicht immer ganz einfach zu entscheiden, zu welcher der beiden Kategorien ein Druckerzeugnis gehört.
Noch eine Frage des Herrn Abgeordneten Sänger.
Wären Sie bereit, Herr Staatssekretär, und wäre die Bundesregierung bereit, angesichts der jetzigen schwierigen Situation der deutschen Zeitungen, die ja nach unserem Grundgesetz eine Institution in unserem demokratischen Staat sind, zu überlegen, ob die Belastung der etwa 7 bis 8 Millionen Auflage der Anzeigenblätter nicht eine beträchtliche wirtschaftliche Schädigung eines wichtigen Bestandteils der demokratischen Wirklichkeit darstellt?
Wie Sie wissen, Herr Kollege Sänger, sind alle diese Fragen Gegenstand von Beratungen innerhalb der Bundesregierung. Es werden Kommissionen eingesetzt oder sind schon tätig. Sicherlich wird dieser von Ihnen erwähnte Gesichtspunkt mit überprüft und mit berücksichtigt werden.
Wir kommen nun zum Geschäftsbereich des Bundesministers für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten. Zur Beantwortung ist Herr Bundesminister Höcherl hier. Ich rufe die Frage 48 des Herrn Abgeordneten Porten auf:
Welche Auffassung hat die Bundesregierung zu den verschiedentlich geäußerten Forderungen — s. im Ernährungsdienst vom 7. Februar 1967 „Beschränkung der Vermahlungskapazität" —die Übergangszeit für einen gemeinsamen Mehlmarkt evtl. sogar bis 1972 zu verlängern?
Ist Herr Porten im Saal? — Er kommt. Bitte, Herr Bundesminister!
Die Bundesregierung ist der Auffassung, daß ein nahtloser Übergang zu einem gemeinsamen Mehlmarkt angesichts der zahlreichen strukturellen Unterschiede zwischen den Mitgliedstaaten der EWG nicht möglich ist. Sie hat deshalb eine Übergangsregelung für Mehl gefordert. Dieser Forderung hat der Ministerrat im wesentlichen entsprochen. In seiner Sitzung am 17. und 18. April dieses Jahres beschloß er die Beibehaltung der JuniAbschöpfung, vermindert um 25 DM je Tonne, für die Monate Juli und August sowie die Hälfte des so errechneten Betrages für den Monat September im innergemeinschaftlichen Handel.
Darüber hinaus hat die deutsche Delegation in Brüssel eine Mühlensanierung in der EWG gefordert. In der Ministerratssitzung vom 22. März 1967 hat die Kommission zugesagt, entsprechende Vorschläge dem Ministerrat im Monat Mai vorzulegen. Es bleibt abzuwarten, ob diese Vorschläge auch eine besondere befristete Regelung für den innergemeinschaftlichen Mehlhandel enthalten, die sich an die befristete Übergangsregelung anschließen könnte. Die Bundesregierung kann erst dann Stellung nehmen, wenn sie die Vorschläge der Kommission kennt.
Eine Zusatzfrage, Herr Porten.
Herr Minister, die Übergangsregelung soll doch, soweit es bekanntgeworden ist, bereits am 1. Juli in Kraft treten. Sind Sie nicht mit mir der Meinung, daß es, da wir bereits Ende April haben, nachher unter Zeitdruck vielleicht zu Entscheidungen kommt, die nicht nur den deutschen Mehlmarkt, sondern auch den deutschen Brotmarkt beeinträchtigen, und daß dabei möglicherweise Rückwirkungen eintreten, die gegenüber dem Mittelstand und den Verbrauchern nicht zu verantworten sind?
Herr Kollege, die Daten, die ich für die Übergangsregelung mitgeteilt habe, sind bereits beschlossen. Ich teile Ihre Auffassung,
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Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 106. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. April 1967 4919
Bundesminister Höcherldaß es wünschenswert gewesen wäre, diese Daten früher festzusetzen. Aber wir sitzen zu Sechs an einem Tisch und müssen zu Sechs eine Einigung herbeiführen. Es ist leider nicht so, daß ich die Wünsche allein durchsetzen könnte.
Noch eine Frage.
Wenn das Tatsache wird, Herr Minister, sind Sie dann nicht der Meinung, daß auch für Brot eine entsprechende Regelung getroffen werden muß, damit keine Wettbewerbsverzerrung eintritt, bis die Übergangsregelung ausgelaufen ist?
Ich bin von der Tüchtigkeit und Leistungsfähigkeit unserer Bäcker so überzeugt, daß ich hier keine nachteiligen Folgen fürchte.
Keine Zusatzfrage mehr.
Ich rufe die Frage 49 des Herrn Abgeordneten Ertl auf:
Wird die Bundesregierung die bei den Verhandlungen zur Kennedy-Runde gestellte amerikanische Forderung unterstützen, daß die EWG einen Kostenanteil von 65 Millionen Dollar an einer Finanzierung kostenloser Getreidelieferungen aus Produktionsüberschüssen an Entwicklungsländer übernimmt?
Ich bitte um die Erlaubnis, die beiden Fragen wegen des Sachzusammenhangs gemeinsam zu beantworten.
Dann rufe ich auch die Frage 50 des Herrn Abgeordneten Ertl auf:
Ist die Bundesregierung mit einer Übernahme von 30 % der in Frage 49 erwähnten 65 Millionen Dollar durch die Bundesrepublik einverstanden?
Die Forderung der Vereinigten Staaten auf Beteiligung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft an einem Ernährungshilfsprogramm in einem Weltgetreideabkommen wirft sehr schwierige finanzielle und entwicklungspolitische Fragen auf. Die Position der Bundesregierung könnte im derzeitigen Verhandlungsstadium beeinträchtigt werden, wenn zu unrechter Zeit unsere Überlegungen mitgeteilt würden. Die deutsche Delegation wird bei der Prüfung der Einbeziehung eines Ernährungshilfsprogramms in ein Weltgetreideabkommen bemüht sein, den finanziellen und entwicklungspolitischen Anliegen gerecht zu werden. Die Bundesregierung legt aber entscheidenden Wert darauf, daß im Rahmen dieser Diskussion über zusätzliche Hilfsabkommen die großen und durchaus im Weltmaßstab zu bewertenden Leistungen ihrer Entwicklungspolitik nicht beeinträchtigt werden.
Zusatzfrage, Herr Ertl.
Herr Minister, darf ich aus Ihrer Antwort entnehmen, daß die Bundesregierung grundsätzlich für eine weltweite Lösung des Hungerproblems ist und auch bereit ist, ihren Beitrag zu leisten?
Die Bundesregierung ist nicht nur heute, sondern schon immer, solange es eine gemeinsame Aktion auf diesem Sektor gibt, nicht nur platonisch, sondern sehr, sehr praktisch in dieser Aufgabe tätig.
Noch eine Frage, Herr Ertl.
Darf ich Sie in diesem Zusammenhang weiter fragen, ob Sie meine Auffassung teilen, daß im Hinblick auf den weltweiten Hunger das Problem der Agrarüberschüsse in den Industriestaaten ganz anders betrachtet werden muß, als es hier häufig geschieht, daß wir nämlich unsere Produktion eher einschränken sollten, als sie auf dem bisherigen Standard zu halten.
Herr Kollege, wir stehen in sehr schwierigen Verhandlungen. Ich würde Ihnen diese Frage gern vertraulich beantworten, aber nicht öffentlich.
Keine Zusatzfrage.
Ich rufe die Frage 51 des Herrn Abgeordneten Bading auf:
Welche Stellungnahme gedenkt die Bundesregierung zu dem französischen Vorhaben einzunehmen, Bananen und Ananas in die EWG-Marktordnung für Obst und Gemüse einzubeziehen oder für diese Erzeugnisse eine eigene Marktordnung zu schaffen, um damit eine Erhöhung des EWG-Außenzolls zu erwirken und außerdem das bisherige zollfreie Einfuhrkontingent von Bananen für die Bundesrepublik abzuschaffen, die mit 610 000 t das größte Einfuhrland neben den USA für diese Südfrüchte ist?
Sie wird von Herrn Urban übernommen. Bitte, Herr Minister!
Frankreich hat bisher offiziell in Brüssel nicht beantragt, Bananen und Ananas in die gemeinsame Marktorganisation für Obst und Gemüse einzubeziehen oder für diese Erzeugnisse dine eigene Marktordnung zu schaffen. Ein solcher Antrag würde die Änderung oder Beseitigung des sogenannten Bananenprotokolls zur Folge haben, das Bestandteil des EWG-Vertrages ist. Nach diesem Protokoll steht der Bundesrepublik ein Kontingent für die zollfreie Einfuhr von Bananen aus dritten Ländern zu, das sich in seiner Höhe nach dem deutschen Bedarf und den Liefermöglichkeiten der überseeischen französischen Gebiete und der mit der Gemeinschaft assoziierten Staaten richtet.Im Falle eines solchen französischen Antrags gedenkt die Bundesregierung an der Regelung festzuhalten, die sich aus dem Vertrag und dem Bananenprotokoll ergibt.
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4920 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 106. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. April 1967
Keine Zusatzfrage.
Ich rufe die Frage 52 des Herrn Abgeordneten Bading auf:
Ist der Bundesregierung bekannt, daß durch das in Frage 51 erwähnte Vorhaben die Bananen in der Bundesrepublik erheblich verteuert werden, ohne daß hierdurch den Produzenten von Bananen innerhalb des Gebiets der EWG oder der ihr assoziierten afrikanischen Länder Vorteile erwachsen, da diese für die Versorgung des deutschen Marktes ohne jeden Belang sind, daß aber dafür die Ausfuhrbeziehungen der Bundesrepublik zu mittel- und südamerikanischen Ländern erheblich gestört werden?
Herr Kollege, ich teile Ihre Befürchtungen hinsichtlich ,der Folgen einer Einbeziehung von Bananen in die gemeinsame Marktorganisation für Obst und Gemüse. Das gilt insbesondere für die zu erwartende Verteuerung wie auch für die Beeinträchtigung der Handelsbeziehungen zu mittel- und südamerikanischen Ländern.
Eine Zusatzfrage, Herr Urban.
Wenn Sie selbst, Herr Minister, diese Gefahr sehen, welche Wege würden Sie erschließen, um. den bisherigen Zustand zu erhalten?
Ich möchte mich bei dieser Frage des Wortes „nein" bedienen.
Nun rufe ich noch die Fragen 102 und 103 des Herrn Abgeordneten Budde auf:
Stimmt die Bundesregierung der Auffassung zu, daß sich die Bundesrepublik vor allem bei Milchprodukten zu einem Hochpreis-Land mit extremem Außenschutz entwickelt?
Verfügt die Bundesregierung über eine aktuelle, auf den beginnenden EWG-Markt abgestellte Analyse der Betriebs- und Kostenstruktur unter besonderer Berücksichtigung der Milchwirtschaft?
Der Fragesteller hat sich mit Schriftlicher Beantwortung einverstanden erklärt. Die Antwort des Bundesministers Höcherl vom 27. April 1967 lautet:
Ab 1. 4. 1968 gibt es im gesamten EWG-Bereich einen gemeinsamen Milchpreis. Zwischen den einzelnen Mitgliedsstaaten bestehen von diesem Zeitpunkt an keine preislichen Unterschiede mehr. Ebenso ist der Außenschutz für alle EWG-Mitgliedsländer einheitlich.
Die Bundesrepublik ist bekanntlich an die EWG-Beschlüsse gebunden und damit in Fragen der Preise und des Außenschutzes nicht mehr autonom.
Im Gegensatz zu einigen EFTA-Ländern mit höherem Milchpreis und mit einem entsprechend höherem Außenschutz hat sich die EWG maßvoll verhalten.
Im alljährlich vorgelegten Grünen Bericht der Bundesregierung über die Lage der Landwirtschaft werden ausführliche, aktuelle Analysen der Betriebs- und Kostenstruktur vorgelegt.
Angesichts der außergewöhnlichen Differenzierung der Betriebs- und Bodenstruktur in der Bundesrepublik ist es nicht möglich, allgemeingültige Zahlen für die Kosten der Milcherzeugung zu erstellen. Derart globale Zahlen hätten keinen echten Aussagewert.
Aufgrund der Verordnung 13/64 EWG über die Einführung einer gemeinsamen Milchmarktorganisation ist die Bundesregierung in der Gewährung von Beihilfen für Milch nicht mehr frei. Diese Grundverordnung hat dem Hohen Hause im Jahre 1964 vorgelegen. Von den Durchführungsverordnungen, die auf Grund der Brüsseler Beschlüsse erforderlich sind, wird das Hohe Haus selbstverständlich laufend unterrichtet.
Damit sind wir am Ende der Fragen aus ,dem Geschäftsbereich des
Bundesministers für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministers der Verteidigung. Zur Beantwortung ist auf der Regierungsbank erstmals der neu ernannte Parlamentarische Staatssekretär Adorno. Ich begrüße ihn und beglückwünsche ihn in seinem neuen Amt.
Ich rufe die Frage 65 des Abgeordneten Jung auf:
Ist die Bundesregierung bereit, die Seenotrettungsstaffel des Marinefliegergeschwaders 5 mit sichereren und leistungsfähigeren zweimotorigen Hubschraubern beschleunigt auszurüsten?
Die Frage wird übernommen. Bitte sehr, Herr Staatssekretär.
Es ist nicht beabsichtigt, die Planung umzustellen und in absehbarer Zeit Hubschrauber mit einem Triebwerk durch solche mit zwei Triebwerken zu ersetzen, und zwar aus folgenden Gründen.
Erstens. Die Marine fliegt jetzt im zehnten Jahr mit Hubschraubern mit einem Triebwerk über See. Der Unfall am 16. März 1967 bei Amrum ist der einzige dieser Art. Der dort abgestürzte Typ S 58 wird in anderen Marinen — in großer Zahl in den USA — über See geflogen und gilt als besonders betriebssicher. Der Unfall bei Amrum sollte deshalb nicht zum Anlaß genommen werden, die Zuverlässigkeit von Hubschraubern mit einem Triebwerk über See im Grundsatz anzuzweifeln.
Zweitens. Der Möglichkeit, daß die Betriebssicherheit der S 58 im Verlaufe ihrer inzwischen fünfjährigen Verwendung durch Verschleiß abgesunken sein könnte — normale Lebensdauer 10 Jahre —, ist dadurch Rechnung getragen, daß bereits 1965 entschieden wurde, die S 58 ab 1968 durch die Bell UH-1D zu ersetzen.
Drittens. Auch die Bell UH-1D hat nur ein Triebwerk. Da dieses ein Strahltriebwerk ist, ist von der Bell UH-1D eine noch größere Zuverlässigkeit zu erwarten als von der S 58. Sie wird in der italienischen Marine im Seenotdienst geflogen.
Viertens. Die jetzt laufende Beschaffung der Bell UH-1D kann nicht mehr angehalten werden.
Fünftens. Die Marine wird in Bälde den Seenotdienst auch von Flugsicherheitsschiffen aus versehen. Für diesen Dienst kommen aus Gewichtsgründen nur leichte Hubschrauber in Frage. Solche sind nur mit einem Triebwerk verfügbar.
Eine Zusatzfrage, Herr Ollesch.
Herr Staatssekretär, darf ich bei dieser Gelegenheit fragen, ob die Pläne zur Ausrüstung des deutschen Seenotdienstes mit der Do 324 schon feste Gestalt angenommen haben.
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Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 106. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. April 1967 4921
Meines Wissens haben diese Pläne noch nicht feste Gestalt angenommen.
Noch eine Frage, Herr Ollesch.
Würden Sie — aus der Erfahrung der Vergangenheit schöpfend — mit mir der Meinung sein, daß die Do 324 ein ausgezeichnetes Hilfsmittel im Seenotdienst wäre?
Die Untersuchungen und Überprüfungen in dieser Frage sind noch nicht abgeschlossen. Ich möchte mich solange einer Stellungnahme enthalten.
Eine Zusatzfrage, Herr van Delden.
Herr Staatssekretär, im Zusammenhang mit der Feststellung des Verteidigungsausschusses, wonach die Seenot- bzw. Rettungsausbildung der Waffenausbildung gleichzustellen ist, frage ich, ob Sie bereit sind, dem Verteidigungsausschuß in absehbarer Zeit eine ausführliche Auskunft über den Stand dieser Dinge zu geben.
Herr Abgeordneter, ich darf zunächst darauf hinweisen, daß unter dem 30. März dieses Jahres ein Bericht über den Such- und Rettungsdienst an den Herrn Vorsitzenden des Verteidigungsausschusses ergangen ist. Dieser Bericht enthält den Zustand des militärischen Such- und Rettungsdienstes im Nordbereich bis zum 28. Februar 1967 und die Planung für das Jahr 1967. Ich bin aber gern bereit, diese Frage weiter prüfen zu lassen.
Die Frage 66 wurde zusammen mit Frage 65 beantwortet. Sie lautet:
Bis wann könnten die ersten in Frage 65 erwähnten zweimotorigen Seenothubschrauber beschafft werden?
Dann rufe ich die Frage 67 und 68 des Abgeordneten Burger auf:
Ist die Einführung einer Sommeruniform bei den Heeresstreitkräften der Bundeswehr vorgesehen?
Bei Bejahung der Frage 67, bis wann können die Soldaten für die Sommermonate mit einer ansprechenden Dienstkleidung rechnen, wie sie auch von den Angehörigen der Streitkräfte anderer NATO-Staaten getragen wird?
Der Fragesteller hat sich mit schriftlicher Beantwortung einverstanden erklärt. Die Antwort des Staatssekretärs Dr. Carstens vom 18. April 1967 lautet:
Die Frage der Einführung einer Sommeruniform für Heer und Luftwaffe ist im vergangenen Jahre eingehend geprüft worden. Dabei wurde folgendes festgestellt:
— Die derzeitigen Uniformtuche sind zweifellos an außergewöhnlich heißen Sommertagen zu warm;
— bei Berücksichtigung des hohen Aufwandes rechtfertigen diese verhältnismäßig seltenen extrem heißen Tage jedoch nicht
eine nur während des kurzen Zeitraumes verwendbare zusätzliche Uniform.
Im Jahre 1966 wurde die weitere Gewichtsminderung der Uniformtuche künftiger Fertigungen angeordnet. Material mit einem Gewicht von ca. 270 g/m2 ist zur Zeit mit mehreren tausend Garnituren in einer Mitte 1968 endenden Erprobung.
Die Beschaffung dieser leichteren Uniformen kann aus wirtschaftlichen Erwägungen und im Hinblick auf die vorhandenen Bestände an schwereren Modellen nur im Zuge des laufenden Ersatzbedarfs erfolgen. Die Vollausstattung der Truppe ist deshalb vor 1970 nicht möglich.
Dann rufe ich die Fragen 69 bis 71 des Abgeordneten Hübner auf:
Ist daran gedacht, die durch den Einsatz von einer elektronischen Großrechenanlage beim Übersetzerdienst der Bundeswehr erzielten Arbeitsvereinfachungen auch der interessierten Öffentlichkeit in der Weise nutzbar zu machen, daß sie gegen eine Gebühr die damit gegebenen Möglichkeiten nutzen kann?
Bestehen Pläne, die beim Übersetzerdienst der Bundeswehr durch den Einsatz einer elektronischen Großrechenanlage möglichen Arbeitsvereinfachungen auch für die fremdsprachliche Arbeit anderer Ressorts zu nutzen?
Bestehen Pläne zur Gründung eines zentralen Bundessprachenamtes zur Koordinierung und zentralen Finanzierung der Arbeit an wichtigen sprachlichen Problemen, zum Beispiel der Einsatzmöglichkeiten von Großrechenanlagen oder der Koordinierung terminologischer Vorhaben, um so Doppelarbeit zu vermeiden?
Der Herr Abgeordnete Hübner ist nicht im Saal, die Fragen werden nicht übernommen. Dann werden sie schriftlich beantwortet.
Wir nehmen von der Drucksache zu V/1634 zwei Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers der Verteidigung hinzu:
Beabsichtigt die Bundesregierung, im Rahmen einer neuen Wehrkonzeption für die Bundesrepublik Deutschland die Wehrdienstzeit von 18 auf 12 Monate zu reduzieren und gleichzeitig die Gesamtzahl der Soldaten auf etwa 300 000 entsprechend herabzusetzen?
Wieviel Milliarden DM können bei Durchführung der in Frage 108 erwähnten Maßnahmen jährlich eingespart werden?
Herr Präsident, ich möchte gern die beiden Fragen im Zusammenhang beantworten.
Herr Lemper ist einverstanden. Bitte, Herr Staatssekretär!
Eine auch nur annähernd erschöpfende Antwort auf Ihre beiden Fragen, Herr Abgeordneter, würde grundsätzliche Ausführungen erforderlich machen, die den Rahmen einer Fragestunde sprengen würden. Ich möchte hier nur einige der wichtigsten Fragen nennen, die beachtet werden müßten:Welches ist die militärische Stärke der Mitgliedstaaten des Warschauer Paktes? Welches ist der Stand der Ausbildung und Ausrüstung dieser Streitkräfte? Welches ist das strategische Konzept der NATO für die Verteidigung in Europa? Welche Verpflichtungen haben daraus die einzelnen Partnerstaaten der NATO zur gemeinsamen Verteidigung übernommen? Welche insbesondere die Bundesrepublik Deutschland? Welchen Zweck erfüllt der Grundwehrdienst? Ist insbesondere außer der Ausbildung Zweck des Grundwehrdienstes, voll einsatzbereite und voll kampffähige Verbände in der erforderlichen Stärke zu erhalten? Welche Zeit benötigt ein Soldat, um mit den komplizierten Waffen und Geräten moderner Streitkräfte ausreichend
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4922 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 106. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. April 1967
Parlamentarischer Staatssekretär Adornovertraut zu werden? Welches ist das Aufkommen an Wehrpflichtigen während der nächsten Jahre, in denen noch geburtenschwache Jahrgänge einberufen werden? Welches ist die Kostenrelation zwischen Streitkräften, die überwiegend aus Wehrpflichtigen, und Streitkräften, die überwiegend aus Berufssoldaten bestehen?Alle diese Fragen und eine Reihe weiterer einschlägiger Fragen werden im Bundesministerium der Verteidigung zusammen mit den zuständigen politischen und militärischen Gremien der NATO untersucht. Ich bitte Sie, zu verstehen, daß der Umfang dieser Untersuchungen eine gewisse Zeit erfordert. Sobald die Untersuchungen abgeschlossen sind, wird ihr Ergebnis dein Hohen Hause, insbesondere dem Verteidigungsausschuß, zugänglich gemacht werden. Es findet eine ständige Überprüfung aller dieser Fragen statt, also auch im jetzigen Zeitpunkt. Soweit ich es allerdings im Augenblick übersehen kann, sprechen die überwiegenden Gründe im gegenwärtigen Zeitpunkt gegen eine Verkürzung des Grundwehrdienstes.
Eine Zusatzfrage, Herr Mertes.
Herr Staatssekretär, habe ich Sie richtig verstanden, daß die Frage des Kollegen Lemper erst beantwortet werden kann, wenn die Bundesregierung eine den neuen Verhältnissen angepaßte Wehrkonzeption entwickelt hat?
Ich habe zum Ausdruck gebracht, daß zu den Fragen nach Abschluß der Überprüfung die Bundesregierung eingehend Stellung nimmt.
Noch eine Frage, Herr Mertes.
Herr Staatssekretär, können Sie annähernd sagen, wann die Bundesregierung mit der Überprüfung zu Ende kommen wird? Die Frage ist ja von ausschlaggebender Bedeutung auch für die Aufstellung des Verteidigungsetats.
Einen genauen Zeitpunkt kann ich noch nicht nennen.
Zusatzfrage, Herr Schultz .
Schultz (FDP) : Herr Staatssekretär, halten Sie die Bundeswehr mit einem Anteil von 45 % Wehrpflichtiger, die einen Grundwehrdienst von 18 Monaten ableisten, in der Tat für voll kampfkräftig?
Unter den gegenwärtigen Voraussetzungen halte ich sie mit einem
Wehrpflichtigenanteil von 46,2 % für voll kampffähig.
Zweite Zusatzfrage.
Schultz (FDP) : Herr Staatssekretär, sind Sie nicht mit mir der Meinung, daß die volle Kampfkraft dieser Verbände darunter leidet, daß den 18 Monate dienenden Wehrpflichtigen, weil die Ausbilder fehlen, gar nicht das beigebracht werden kann, was sie eigentlich zur Erfüllung ihres Auftrages nötig hätten, und meinen Sie nicht, daß man alle Anstrengungen unternehmen sollte, das endlich einmal in Ordnung zu bringen?
Herr Abgeordneter, die Schlagkraft und die Einsatzbereitschaft einer Truppe hängt im wesentlichen davon ab, daß sie von Soldaten getragen wird, die die Grundausbildung und die erste Phase der Vollausbildung abgeschlossen haben, und ich bin der Auffassung, daß gerade im Hinblick auf die noch fehlenden Unteroffiziere für die Ausbildung die längere Ausbildungszeit einen Ausgleich schafft.
Keine weiteren Zusatzfragen.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministers der Finanzen. Die Fragen werden beantwortet von dem Herrn Parlamentarischen Staatssekretär Leicht, der auch zum erstenmal in dieser neuen Aufgabe unter uns ist. Ich begrüße ihn und beglückwünsche ihn zu seiner Aufgabe.
Frage 21 des Herrn Abgeordneten Ollesch:
Warum ist ausgerechnet der Bundesarbeitsminister im Ausschuß für mittelfristige Finanzplanung nicht vertreten, wo doch nach Angaben des Bundesfinanzministers rigorose Kürzungen in erster Linie beim Sozialaufwand des Bundes vorgenommen werden sollen?
Bitte, Herr Staatssekretär!
Angesichts der für die Zukunft zu erwartenden hohen Deckungslücken werden einschneidende Eingriffe in einer Vielzahl von Bereichen unausweichlich sein. Bei Aufnahme sämtlicher Minister in den Ausschuß, deren Ressorts möglicherweise schwerpunktmäßig betroffen werden — und das sind, Herr Kollege Ollesch, wie Sie wissen, sehr viele —, wäre die Arbeitsfähigkeit des Ausschusses in Frage gestellt gewesen. Im Interesse der notwendigen zügigen Beratung und Lösung der anstehenden Probleme mußte deshalb der Ausschuß personell so klein wie möglich gehalten werden. Um auch nur den Anschein einer Benachteiligung einzelner Ressorts, die von Kürzungen betroffen werden, zu vermeiden, war die Bundesregierung bestrebt, keinen Minister mit ausgeprägten haushaltsmäßigen Ressortinteressen als Mitglied in 'den Kabinettausschuß aufzunehmen.
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Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 106. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. April 1967 4923
Parlamentarischer Staatssekretär LeichtDamit aber alle Minister über den jeweiligen Stand der Beratungen im Kabinettausschuß unterrichtet sind, hat die Bundesregierung beschlossen, daß die Ausschußprotokolle allen Kabinettmitgliedern übersandt werden.
Zusatzfrage? — Keine Zusatzfrage.
Frage 22 des Abgeordneten Geldner:
In welchem Umfang beabsichtigt die Bundesregierung sofort Aufträge für Investitionsmaßnahmen zur schnellen Behebung der Arbeitslosigkeit besonders nach Nord- und Südbayern zu vergeben?
Bitte, Herr Staatssekretär!
Herr Kollege Geldner, ich darf auf die Fragestunde vom 17. März verweis sen, in .der Herr Staatssekretär Grund auf eine Anfrage unseres Kollegen Wagner bereits ausgeführt hat, daß die Bundesregierung entsprechend dem Kreditfinanzierungsgesetz veranlaßt hat, bei der Auswahl der Investitionsobjekte und der regionalen Verteilung der Mittel im Rahmen der Auftragsvergabe neben den bestehenden Präferenzgebieten auch solche Gebiete bevorzugt zu berücksichtigen, ,die von der Abschwächung der Konjunktur stärker betroffen sind und in denen eine überdurchschnittliche Arbeitslosigkeit oder Kurzarbell gegeben ist.
Voraussetzung für die Berücksichtigung regionalwirtschaftlicher Belange und der Gebiete mit überdurchschnittlicher Arbeitslosigkeit ist allerdings, daß durch die zusätzlichen Investitionsmaßnahmen in diesen Gebieten "die mit dem Investitionshaushalt bezweckten konjunkturellen Anstoßwirkungen in keinem Falle beeinträchtigt werden. Insoweit kann das Investitionsprogramm nicht ausschließlich als Arbeitsbeschaffungsprogramm angesehen werden. Die Bundesregierung befindet sich hierbei im übrigen mit der Meinung des Hohen Hauses in Einklang, die anläßlich der Lesung des Kreditfinanzierungsgesetzes zum Ausdruck gebracht worden ist.
In welchem Umfange sich die Maßnahmen des Investitionsprogramms auf die Länder oder auf Länderteile wie Nord- und Südbayern verteilen bzw. auswirken, läßt sich, wie Sie sicherlich selber wissen, Herr Kollege, zur Zeit noch nicht sagen. Eine erste vorläufige Übersicht — und nur das ist für die Bundesregierung im Augenblick möglich — über eine regionale Aufteilung des Investitionsprogramms, die nach den Angaben der Fachressorts im Bundesministerium der Finanzen erstellt wurde und auch dem Haushaltsausschuß vorgelegen hat, ergab,. daß das Land Bayern mit etwas weniger als einem Fünftel am gesamten Investitionsprogramm beteiligt ist. Damit dürfte das Land Bayern im Rahmen der Zielsetzung des Investitionshaushaltes unter Abwägung aller Umstände in angemessenem Umfange berücksichtigt worden sein.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Geldner.
Herr Staatssekretär, können Sie mir sagen, für welche Zwecke jeweils welche Mittel vorgesehen sind?
Sie haben sicherlich Verständnis dafür, Herr Kollege, daß ich Ihnen Einzelzahlen nicht nennen kann. Im übrigen ergibt sich aus dem Kreditfinanzierungsgesetz selbst, für welche Zwecke die Mittel des Investitionshaushalts vorgesehen sind. Ich nenne nur die Bereiche Bundesbahn, Bundespost, Bundesfernstraßenbau, Maßnahmen landeskultureller Art usw.
Noch eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Geldner.
Herr Staatssekretär, bis wann ist mit der Zuteilung bzw. Bereitstellung der Gelder bei den jeweiligen Vorhaben zu rechnen?
Das geschieht im Augenblick laufend, Herr Kollege. Sie wissen vielleicht, daß z. B. der Haushaltsausschuß dieses Parlaments sich erst in den letzten Tagen erneut mit dieser Frage befaßt hat. Wenn ich die Zahl recht im Kopfe habe, hatten wir am 18. April etwa 550 Millionen DM des Investitionsprogramms bereits zugeteilt, also mit Aufträgen belegt. Die Bundesregierung hat erneut darauf gedrängt, daß nach der Zustimmung des Haushaltsausschusses auch zu den letzten 850 Millionen DM des Investitionshaushalts nunmehr mit allem Nachdruck dafür gesorgt wird, Aufträge nach den Richtlinien und Vorstellungen der Bundesregierung auszuschreiben und diese Gelder so schnell wie möglich — weil es ja nur dann Zweck hat — auch dem zuzuführen, wofür sie vorgesehen sind.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Fritsch .
Herr Staatssekretär, ist Ihnen bekannt, daß es im Zonenrand- und Grenzgebiet Bayerns derzeit an baureifen Projekten insbesondere auf dem Gebiet des Bundesfernstraßenbaus fehlt, um die Mittel des Investitionshaushalts sofort und nachhaltig und mit der Wirkung, die dort in hoher Zahl vorhandenen Arbeitslosen zu beschäftigen, einzusetzen, und daß insoweit die Wirkungen des Investitionshaushalts an den Gebieten mit überdurchschnittlicher und zum Teil im Bayerischen Wald erschreckender Arbeitslosigkeit vorbeigehen?
Herr Kollege, ich habe bereits in meiner Antwort auf die Frage von Herrn Kollegen Geldner gesagt, daß natürlich die Mittel des Investitionshaushalts, wie das auch im Bundestag anläßlich der Lesung des Kreditfinanzierungsgesetzes zum Ausdruck gekommen ist, nicht ausschließlich als Arbeitsbeschaffungsprogramme angesehen werden können. Wenn Sie sagen, in dem Raum, den
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4924 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 106. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. April 1967
Parlamentarischer Staatssekretär LeichtSie ansprechen, gebe es z. B. für den Bundesfernstraßenbau keine Vorhaben, tut es mir leid, Ihnen sagen zu müssen, daß für solche Zwecke dann auch keine Mittel aufgebracht werden können; denn wir sind ja verpflichtet, wie Sie wissen — und das hat das Parlament verlangt —, dafür zu sorgen, daß solche Mittel auch sinnvoll angewendet werden.
Noch eine Zusatzfrage, Herr Fritsch.
Herr Staatssekretär, würden Sie, unter Umständen im Benehmen mit dem Lande Bayern, -prüfen wollen, inwieweit im Rahmen der weiteren Vergabe der Mittel des Investitionshaushalts in diesem Zonenrand- und Grenzgebiet Mittel mit dem Ziele verwendet werden können, die Arbeitslosigkeit zu vermindern, da die Bevölkerung dieses Gebietes wenig Verständnis dafür hat, daß die Ausgabe der Mittel des Investitionshaushalts die Folge hat, daß ein Sog für die Arbeitskräfte in andere Teile der Bundesrepublik einsetzt, womit der Zustand, daß viele Arbeitskräfte pendeln müssen, nach wie vor bestehenbleibt?
Herr Kollege, wir werden diese Fragen selbstverständlich gerne prüfen. Wir sind selbst daran interessiert, daß diese Schwierigkeiten insbesondere in den Räumen, die Sie ansprechen, möglichst bald behoben werden.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Ertl.
Herr Staatssekretär, können Sie in diesem Hause eine Erklärung abgeben, was die Ursache der Verzögerung ist, und können Sie sagen, wie die Bundesregierung versuchen will, für diese Gebiete mit überstarker Arbeitslosigkeit auf die Dauer doch eine Lösung zu finden, nachdem man bisher zwar immer hört, daß etwas getan wird, tatsächlich aber nichts geschieht?
Herr Kollege Ertl, wenn Sie sagen, es geschehe nichts, dann trifft das einfach nicht zu. Ich habe schon gesagt, daß von den im Investitionshaushalt zur Verfügung gestellten Mitteln etwa 550 Millionen DM bis zum 18. April mit Aufträgen belegt waren. Es gibt eine ganze Menge von Gründen für Verzögerungen. Ich erwähne nur die Ausschreibungen. Sie wissen genauso wie ich, daß es da oft Wochen dauert, bis alles endgültig erledigt ist. Wir sind der Meinung, daß diese Ausschreibungen, insbesondere auch in den Bereichen Bundesbahn, Bundespost und Fernstraßenbau, in der letzten Woche doch so weit gediehen sind, daß wir dem Haushaltsausschuß des Deutschen Bundestages, der für diese Sache ja praktisch die Kontrolle des Parlaments mit übernommen hat, schon demnächst Zahlen vorlegen können, die ein erfreulicheres Bild zeigen als noch vor etlichen Tagen.
Zweite Zusatzfrage, Herr Ertl.
Pressemeldungen und Erklärungen zufolge hat die Bayerische Staatsregierung von sich aus ein Programm für das Gebiet des Bayerischen Waldes und der Zonenrandgebiete vorgesehen. Ist dieses Programm mit der Bundesregierung abgestimmt, und sehen Sie Möglichkeiten, in Zusammenarbeit beispielsweise mit der bayerischen Regierung nicht nur durch Schwerpunktbildung, sondern vor allem durch Raumordnung endgültig zu einer tragbaren Lösung zu kommen?
Herr Kollege Ertl, Sie haben sicherlich Verständnis dafür, daß ich nicht alle Programme, die von Landesregierungen zusammen mit dem Bund durchgeführt werden sollen und die unter Umständen einmal in der Presse genannt werden, jetzt im Gedächtnis habe. Ich bin gerne bereit, die Frage prüfen zu lassen und Ihnen eine schriftliche Antwort zu geben.
Frage 23 des Abgeordneten Logemann:
Wird die Bundesregierung dem Bundestag betreffend die künftige Gewährung von Betriebsbeihilfen beim Bezug von Dieselöl für die Landwirtschaft eine Änderung des Verkehrsfinanzgesetzes vorlegen?
Bitte, Herr Staatssekretär!
Ich darf auf die Frage des Herrn Kollegen Logemann folgendes antworten.
Die Bundesregierung arbeitet zur Zeit an dem Entwurf eines Gesetzes über die Verbilligung von Gasöl für die Landwirtschaft, durch das das Verkehrsfinanzgesetz geändert und vor allem eine Umstellung des Verfahrens von der nachträglichen Zahlung einer Betriebsbeihilfe für Dieselöl für die Landwirtschaft auf eine sofort wirksame Verbilligung beim Bezug herbeigeführt werden soll.
Zusatzfrage, Herr Logemann.
Herr Staatssekretär, können Sie sagen, zu welchem Zeitpunkt nach Auffassung der Bundesregierung die Änderung des Verkehrsfinanzgesetzes in Kraft treten und damit der Bezug von Dieselöl in der von Ihnen genannten Form umgestellt werden soll?
Herr Kollege Logemann, auch hier bitte ich um Verständnis dafür, daß ich Ihnen keinen genauen Zeitpunkt sagen kann. Ich sage noch einmal, die Bundesregierung versucht, den Entwurf dieses Gesetzes so schnell wie möglich vorzulegen. Sie wissen, daß es dann auch darauf ankommt, wie hier dieses Hohe Haus verfährt. Ich meine aber, daß der Zeitpunkt nicht mehr allzu weit entfernt sein kann, wenn, wie Sie ja wissen,
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Parlamentarischer Staatssekretär Leichtzum 1. November diese sofortige Verbilligung eintreten soll.
Noch eine Frage, Herr Logemann.
Darf ich dann fragen, Herr Staatssekretär, ob die Bundesregierung bereit ist, dafür Sorge zu tragen, daß, wenn eine Neuumstellung der Gasölbetriebsbeihilfe im System erfolgt, dann bis dahin die alte Regelung bleibt.
Das kann ich nicht zusagen, Herr Kollege Logemann. Ich werde bei der Beantwortung Ihrer zweiten und dritten Frage ja noch etwas dazu sagen müssen, wie das Verfahren nach den augenblicklichen Vorstellungen der Bundesregierung gedacht ist.
Ich rufe dann die Frage 24 des Herrn Logemann auf:
Welchen Preis für Dieselöl hat der landwirtschaftliche Bezieher
nach Abzug der Rückvergütungen im Jahre 1966 zu zahlen?
Hier darf ich folgendes antworten. Der Landwirt zahlt bei Faßbezug für den Verbrauch des Jahres 1966 unter Einbeziehung der im Jahre 1963 geleisteten Vorauszahlungen rund 27 Pf je Liter.
Herr Präsident, da ein Sachzusammenhang besteht, ist, glaube ich, der Herr Kollege damit einverstanden, daß ich die dritte Frage gleich mitbeantworte.
Ich rufe dann die Frage 25 des Abgeordneten Logemann auf:
Mit welchem Nettopreis sollen die in Frage 24 genannten Bezieher nach Auffassung der Bundesregierung im Jahre 1967 belastet werden?
Die Bundesregierung hat keine feste Vorstellung für einen Gasölpreis für die Landwirtschaft für 1967 entwickelt. Nach der geplanten gesetzlichen Regelung würden sich bei dem derzeitigen Preisstand etwa folgende Preise ergeben: für den Verbrauch in der Zeit vom 1. Januar bis zum 30. Juni 1967 rund 27 bis 30 Pf je Liter; für die Zeit vom 1. Juli bis 31. Oktober wäre ein höherer Preis zu zahlen; ab 1. November 1967 würde sich durch die Preisverbilligung um 32,15 Pf ein Preis von rund 18 Pf je Liter ergeben.
Es tut mir leid, daß ich aus dieser Aufschlüsselung der drei Zahlen und nach Abwägung und Abrechnung der einzelnen Monate keinen Durchschnittssatz nennen kann. Aber er liegt sicherlich nicht wesentlich höher, wahrscheinlich sogar niedriger als die bisherigen 27 bis 30 Pf.
Eine Zusatzfrage, Herr Logemann.
Herr Staatssekretär, wären wir einig, wenn ich damit feststellen darf, daß der Preis für Dieselkraftstoff für die deutsche Landwirtschaft mit den eben genannten Angaben weit über dem unserer Nachbarländer in der EWG — z. B. in Frankreich beträgt er ja um 16 Pf, in Italien um 13 Pf, in den Niederlanden um 18 Pf und in Belgien um 22 Pf — liegt?
Herr Kollege Logemann, ich weiß, daß der Preis nach der vorgesehenen Regelung ab 1. November mit 18 Pf — ich habe diesen Preis genannt — im Augenblick noch etwas höher liegt als bei der von Ihnen genannten Regelung in Frankreich.
Eine Zusatzfrage, Herr Logemann.
Herr Staatssekretär, ist es demnach richtig, daß der Wegfall der Erstattungen nach ,dem Grünen Plan für den Verbrauch im Jahre 1966 und in den ersten 10 Monaten 1967 rund 237 Millionen DM ausmacht, während der Wegfall der Beihilfe in der Zeit vom 1. Juli bis 31. Oktober dieses Jahres 80 Millionen DM und unter Einschluß der sogenannten Vorauszahlungen von 1963 einen Gesamtbetrag von 467 Millionen DM ergibt?
Herr Kollege Logemann, die finanzielle Grundlage für die Umstellung stellt sich für die Bundesregierung wie folgt dar. Die Gewährung der Beihilfe nach dem Verkehrsfinanzgesetz für den Verbrauch 1966 in Höhe von 234,5 Millionen DM abzüglich der von Ihnen genannten Vorauszahlung 'für 1963 mit 150 Millionen DM ergibt einen Betrag von 84,5 Millionen DM; die Gewährung der Beihilfe nach dem Verkehrsfinanzgesetz für das erste Halbjahr 1967 bis zum 30. Juni beträgt 119,5 Millionen DM, und schließlich kommt noch die Gewährung einer sofort wirksamen Verbilligung durch Gutscheine ab 1. November 1967 in Höhe von 40,5 Millionen DM hinzu. Das ergibt einen Betrag von insgesamt 244,5 Millionen DM.
Ich darf ergänzend dazu sagen, daß sich der Haushaltsausschuß ides Deutschen Bundestages vor kurzem bei der 'Beratung des Einzelplans 10 mit dieser Frage befaßt hat. Sie wissen, daß es darum geht, ob aus dem Grünen Plan noch Mittel zur Verfügung gestellt werden müssen. Der Haushaltsausschuß hat durch seine Beschlußfassung zunächst noch die alte Regelung insofern ermöglicht, als er das, was im Entwurf des Haushalts vorgesehen war, beibehalten hat und damit das, was ich als Vorstellung der Regierung dargelegt habe, noch nicht berücksichtigt hat.
Noch eine Frage, Herr Logemann.
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4926 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 106. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. April 1967
Herr Staatssekretär, ich weiß, daß Sie ,als Mitglied des Haushaltsausschusses auch im Jahre 1963 an den Beratungen teilgenommen haben, als es um die Verteilung von Förderungsmitteln für die Landwirtschaft ging. Ich habe gestern nachgelesen, daß man sich damals darüber einig war, daß die zur Verteilung anstehenden Restmittel, die in anderen Titeln nicht verausgabt worden waren, allgemein als Förderungsmittel für die Landwirtschaft eingesetzt werden sollten und daß man dabei die Dieselkraftstoffverbilligung eigentlich nur als Verteilungsschlüssel gewählt hatte. Ist es also nicht berechtigt, nun dafür Sorge zu tragen, daß die Landwirtschaft trotz allem noch in den Genuß dieser Förderungsmittel kommt?
Herr Kollege Logemann, Sie haben sicherlich Verständnis dafür, daß ich mich bei den Milliardenbeträgen, die wir in den letzten Jahren im Haushaltsausschuß zu behandeln hatten, an die Beratungen im Jahre 1963 im einzelnen nicht mehr erinnern kann. Die Bundesregierung ist bemüht, keine allzu großen Härten eintreten zu lassen. Sie wissen, daß das Anliegen, das die Bundesregierung hier vertritt, auch das Anliegen des Hauses ist, nämlich die Sofortzahlung zu ermöglichen. Das soll durch ein Gutscheinverfahren — Sie wissen, es gab hier auch andere Vorstellungen — erfolgen.
Eine letzte Zusatzfrage, Herr Logemann.
Herr Staatssekretär, sind wir darin einig, daß der Landwirtschaft in einer Situation, in der wir innerhalb der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft mit einer Senkung der Erzeugerpreise zu rechnen haben, eine sehr große Durststrecke bevorsteht?
Ich bin nicht ganz davon überzeugt, daß das so sein wird, Herr Kollege Logemann.
Eine Zusatzfrage, Herr Ertl.
Herr Staatssekretär, darf ich Sie fragen, ob Sie von einer Erklärung des Bundesministers für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten abgerückt sind, als Sie erklärten, vom 1. Juli an sei mit höheren Preisen zu rechnen? Auf meine Frage in der Grünen Debatte am 16. März 1967, was zwischen dem 1. Juli und dem 1. November sein werde, wurde in diesem Hohen Hause erklärt: Zwischen dem 1. Juli und dem 1. November wird nicht bezahlt. Aber was Sie am 1. Juli haben und bis zum 1. November erreichen, wird doch auch bezahlt!
Ich habe gar keine Veranlassung, von dieser Erklärung des Herrn Bundesernährungsministers abzuweichen; denn ich habe nichts gesagt, was dem widerspricht.
Noch eine Frage, Herr Ertl.
Dann darf ich darum bitten, zu sagen, wie Sie Ihre Erklärung mit Ihrer Feststellung vereinbaren können, es sei vom 1. Juli an mit einer höheren Belastung zu rechnen.
Herr Kollege Ertl, ich habe hier Vorstellungen der Bundesregierung vorgetragen. Nach diesen Vorstellungen soll das Verkehrsfinanzgesetz bis zum 30. Juni 1967 in Kraft bleiben. Alle bis dahin entstehenden Ansprüche auf Betriebsbeihilfen auf Grund dieses Gesetzes sollen noch im Jahre 1967 befriedigt werden. Das führt zu einer Beihilfezahlung in der Sommermonaten, und vom 1. November 1967 an tritt dann das Gutscheinverfahren ein. Ich glaube, diese Aussage sagt nichts anderes als das, was der Herr Bundesernährungsminister wahrscheinlich — ich habe es selber nicht gehört — in der von Ihnen genannten Debatte gesagt hat.
Eine Zusatzfrage von Herrn Wächter.
Habe ich Sie richtig verstanden, Herr Staatssekretär, daß die angeblichen Vorauszahlungen in Höhe von 150 Millionen DM bei den Mitteln gekürzt worden sind, die aus dem Verkehrsfinanzgesetz zur Verfügung gestellt werden?
Herr Kollege, die Vorauszahlungen 1963 in Höhe von 150 Millionen DM müssen, wenn es zur Umstellung kommt, in irgendeiner Form mit verwendet werden. Sie haben, als ich die Aufschlüsselung brachte, was vorgesehen ist, richtig gehört die Zahl von 234 Millionen DM für den Verbrauch 1966 abzüglich der Vorauszahlung für 1963 mit 150 Millionen DM, die Gewährung der Beihilfe für das erste Halbjahr 1967 und schließlich die Verbilligung ab 1. November. Daraus resultiert die von mir genannte Zahl von rund 244 Millionen DM.
Noch eine Frage, Herr Wächter.
Herr Staatssekretär, halten Sie es rechtlich für zulässig, die Mittel in Höhe von 150 Millionen DM bei dem Verkehrsfinanzgesetz zu kürzen, solange das Verkehrsfinanzgesetz noch seine Gültigkeit hat?
Herr Kollege, es ist ja auch vom Ernährungsminister, wenn ich mich recht entsinne, darauf hingewiesen worden — zu-
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Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 106. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. April 1967 4927
Parlamentarischer Staatssekretär Leichtmindest bei den Beratungen im Haushaltsausschuß—, daß er, solange das neue Gesetz nicht vorliegt; das dem Finanzausschuß wahrscheinlich zur Beratung zugewiesen wird, zu den Vorstellungen, die ich hier vorgetragen habe, selber noch nicht abschließend Stellung nehmen könne. Sie werden Verständnis dafür haben, daß ich die rechtliche Frage nicht prüfen konnte, die Sie angesprochen haben. Aber ich vertraue darauf, daß die Bundesregierung, wenn sie solche Vorstellungen entwickelt, natürlich auch die Rechtsfrage geprüft und sicherlich in Ordnung befunden hat.
Eine Zusatzfrage von Herrn Schultz .
Schultz (FDP) : Herr Staatssekretär, wären Sie bereit, im Zusammenhang mit der Rückzahlung bzw. ,der Verrechnung der Vorauszahlung von 1963 zu prüfen, ob nicht in den Fällen, in denen die Betriebe inzwischen aufgegeben worden sind, eine Rückzahlung entfallen kann? Das trifft nämlich meistens ältere Leute, die die Rückzahlung praktisch von ihrer Rente leisten sollen, und das gibt viel Ärger bei den Landratsämtern draußen.
Selbstverständlich, Herr Kollege Schultz, wird diese Frage geprüft werden.
Eine Zusatzfrage von Herrn Reichmann.
Herr Staatssekretär, darf ich fragen: beabsichtigt die Bundesregierung, die endgültige Regelung mit Hilfe des Gutscheinverfahrens oder durch Färbung des Treibstoffs, was eine einfachere Lösung wäre, durchzuführen?
Ich habe das Gutscheinverfahren genannt, Herr Kollege Reichmann, weil das andere von Ihnen genannte Verfahren, das, wie Sie wissen, schon oft hier angesprochen worden ist, .gewisse Schwierigkeiten bietet. Die Bundesregierung — um Ihre Frage konkret zu beantworten — glaubt, daß das Gutscheinverfahren das richtigere ist.
Keine Zusatzfrage.
Ich rufe die Fragen 26, 27 und 28 des Abgeordneten Hellenbrock auf:
Hält die Bundesregierung es für vertretbar, daß ein von ihr militärisch genutztes Gelände an den Eigentümer, die Gemeinde Bracht im Landkreis Kempen/Krefeld, nur unter der Bedingung freigegeben wird, daß die Gemeinde sich bereit erklärt, die entstehenden Kosten für die Beseitigung der oberirdischen militärischen Anlagen in Höhe von 200 000 DM zu tragen?
Ist der Bundesregierung bekannt, daß es sich bei dem in Frage 26 erwähnten Gelände um tonhaltiges Gelände handelt, welches die Gemeinde bzw. die einheimische Dachziegelindustrie dringend zur Aufrechterhaltung der Produktion und zur Erhaltung der Arbeitsplätze benötigt?
Ist der Bundesregierung bekannt, daß der Gemeinde Bracht vom Bundesfinanzministerium der Bescheid erteilt wurde, daß' der Bund mit der in Frage 26 erwähnten Sache nichts zu tun habe und nach Meinung der Oberfinanzdirektion Düsseldorf das Veranlasserprinzip Geltung habe?
Bitte, Herr Staatssekretär!
Herr Kollege Hellenbrock, ich darf Ihre erste Frage wie folgt beantworten. Die von Ihnen angesprochene Geländefläche wird ausschließlich von 'den britischen Stationierungsstreitkräften genutzt. Diese sind mit der Freigabe einverstanden, wenn auf Kosten der deutschen Seite einige Munitionslagerstätten verlegt werden und ein neuer Grenzzaun gezogen wird. Da weder die Streitkräfte noch die Bundesrepublik rechtlich zur Kostentragung verpflichtet sind, kommt hierfür — wie in allen anderen Bleichgelagerten Fällen — nach dem Veranlasserprinzip die Gemeinde bzw. die Tonindustrie in Betracht. Das Bundesministerium der Finanzen ist bereit, auf Grund eines entsprechenden Antrags der Gemeinde zu prüfen, ob ihr eine Bundesfinanzhilfe gewährt werden kann.
Die zweite Frage beantworte ich mit einem Ja. Weil die Bundesregierung weiß, daß es sich um ein Gelände handelt, in dem wertvolle Tonvorkommen sind, hat die Bundesregierung auch das Freigabeersuchen der Gemeinde Bracht unterstützt.
Schließlich darf ich die dritte Frage wie folgt beantworten. Den Vertretern der Gemeinde Bracht ist in einer mündlichen Besprechung im Bundesministerium der Finanzen lediglich 'dargelegt worden, daß weder die Stationierungsstreitkräfte noch die Bundesrepublik rechtlich verpflichtet sind, die Verlegungskosten zu tragen. Ungeachtet dessen wurde der Gemeinde aber anheimgestellt, einen Antrag auf Bundesfinanzhilfe zu stellen. Dieser Antrag liegt bis zum Augenblick nach meiner Information noch nicht vor. Im übrigen ist eine Mitteilung .des Gemeindedirektors vorhanden, .daß Lösungsmöglichkeiten sich abzeichneten und daß die Gemeinde gewillt sei, auch ihren Teil dazu beizutragen.
Eine Zusatzfrage? — Bitte Herr Abgeordneter!
Herr Staatssekretär, sind Sie nicht mit mir der Meinung, daß alle Fragen, die Verteidigungsanlagen in der Bundesrepublik Deutschland betreffen, möglichst nicht in der öffentlichen Fragestunde des Bundestages behandelt, sondern durch Verhandlungen in den Ministerien geklärt werden .sollten, wie es auch bisher geschehen ist?
Ich bin dankbar, Herr Kollege, daß Sie mich gefragt haben, ob ich der Meinung sei. Denn hier kann ich nicht im Namen der Bundesregierung antworten. Ich würde meinen: ja.
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4928 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 106. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. April 1967
Ich rufe die Frage 29 des Abgeordneten Lemmrich auf:
Wie groß sind die Einnahmen, die durch die am 1. Januar 1967 in Kraft getretene Erhöhung der Mineralölsteuer um 3 Pfennig bis zum 31. März 1967 eingegangen sind?
Ist Herr Lemmrich im Saal? — Das ist nicht der Fall. Die Frage wird von Herrn Wagner übernommen. Bitte, Herr Staatssekretär!
Ich darf die Frage des Kollegen Lemmrich wie folgt beantworten.
Die Kassen der Finanzverwaltung können die Mineralölsteuerzahlungen nicht getrennt nach Steuern alten und neuen Rechts erfassen. Der Einnahmeanteil, der im ersten Vierteljahr 1967 auf die am 1. Januar 1967 in Kraft getretene Erhöhung der Mineralölsteuer um 3 Pf entfällt, kann jedoch im Schätzungswege mit großer Wahrscheinlichkeit ermittelt werden. Danach sind im ersten Vierteljahr 1967 in den Einnahmen aus der Mineralölsteuer von insgesamt 2116 Millionen DM enthalten: 1. aus der Nachversteuerung der am 1. Januar 1967 vorhandenen Bestände rund 46 Millionen DM, 2. aus dem höher versteuerten Verbrauch seit dem 1. Januar 1967 rund 73 Millionen DM, also insgesamt 119 Millionen DM.
Ergänzend muß ich allerdings darauf hinweisen, daß im Januar und Februar 1967 die Steuern für den Verbrauch der letzten Monate des Jahres 1966 vereinnahmt wurden, da das Mineralölsteueraufkommen dem Mineralölverbrauch mit etwa zweimonatiger Verzögerung folgt.
Keine Zusatzfrage.
Die Fragen 30 bis 32 des Abgeordneten Flämig:
Trifft es zu, daß auf dem Exerzierplatz, den die Bundesrepublik der US-Army, Standort Hanau am Main, in der Gemarkung Großauheim am Main zur Verfügung gestellt hat und der von drei Seiten mit Wohngebieten eingesäumt ist, im Abstand von wenig mehr als 200 Metern von Wohnhäusern Munition und Sprengstoffe gelagert werden?
Welche Vorschriften bezüglich des Sicherheitsabstandes sind für die Anlage von Munitions- und Sprengstofflagerstätten für die Stationierungsstreitkräfte verbindlich?
Besteht die Möglichkeit, angesichts der Tatsache, daß unmittelbar am Exerzierplatz Großauheim ein Friedhof liegt und daß das militärische Gelände von drei Seiten durch Wohngebiete eingerahmt wird, den Exerzierplatz zu verlegen oder zumindest seine Benutzung so einzuschränken, daß Gefahren und Belästigungen für die Bevölkerung und die Schulkinder der naheliegenden Schule vermieden werden?
werden im Einverständnis mit dem Fragesteller schriftlich beantwortet. Die Antwort liegt noch nicht vor. Sie wird nach Eingang im Sitzungsbericht abgedruckt.
Herr Präsident, wenn Sie gestatten, würde ich gern die Fragen 100 und 101, deren Beantwortung an sich für Freitag vorgesehen ist, jetzt beantworten.
Ich bin einverstanden. Ich rufe die Fragen 100 und 101 des Herrn Abgeordneten Baier auf:
Wie beurteilt die Bundesregierung die Tatsache, daß einerseits der Bund auf dem Kreditwege erhebliche zusätzliche finanzielle Mittel zur Verstärkung der konjunkturwirksamen Bautätigkeit bereitstellt, und andererseits der Finanzminister des Landes Baden-Württemberg gleichzeitig einen totalen Baustop für alle staatlich geförderten Hochbauten in Baden-Württemberg verfügt?
Wird die Bundesregierung darauf hinwirken und gegebenenfalls durch geeignete Maßnahmen behilflich sein, daß es bei den Bemühungen um Konjunkturbelebung auch zu einer „konzertierten Aktion" zwischen Bonn und Stuttgart kommt?
Bitte, Herr Staatssekretär!
Ich darf die Fragen des Kollegen Baier wie folgt beantworten — sicherlich gestatten Sie, Herr Kollege Baier, daß ich die beiden Fragen zusammen beantworte, da hier der sachliche Zusammenhang ganz deutlich gegeben ist —.
Nach den Erkundungen, die im Finanzministerium des Landes Baden-Württemberg eingeholt worden sind — wir sind darauf angewiesen —, ist ein totaler Baustopp in Baden-Württemberg für Hochbauten durch den Finanzminister des Landes nicht verfügt worden. Richtig ist, daß zur Zeit keine neuen Bauprojekte in Angriff genommen werden. Die begonnenen Bauten werden im wesentlichen zügig weitergeführt. Dabei werden— das scheint mir besonders wichtig zu sein — die begonnenen Hochschulbauten planmäßig durchgeführt. Im übrigen werden die vom Bund in seinem Investitionshaushalt bereitgestellten Mittel auch in Baden-Württemberg wirksam werden.
Zur Frage 2 speziell kann ich darauf hinweisen, daß die Bundesregierung mit Beschluß vom 12. April 1967 an die Länder ebenso wie an die Gemeinden appelliert hat, ihre Investitionsausgaben keinesfalls zu kürzen, sondern ebenso wie beim Bund zu erhöhen und die Auftragsvergabe zu beschleunigen. In der Länderfinanzministerkonferenz am 19. April sind im gleichen Sinne Besprechungen über eine gemeinsame, aufeinander abgestimmte konjunkturgerechte Haushaltspolitik von Bund und Ländern geführt worden. Diese Besprechungen werden in nächster Zeit fortgesetzt werden.
Zu einer Zusatzfrage Herr Baier.
Herr Staatssekretär, Sie sind aber doch sicher der Meinung, daß es quasi einem Baustopp gleichkommt, 'wenn durch Erlaß des Finanzministers verfügt wurde, daß, wie auch aus den Tageszeitungen und aus anderen Berichten hervorging, keine neuen öffentlichen Hochbauten begonnen werden?
Ich würde das nicht unbedingt sagen, Herr Kollege Baier. Solange die Hochbauten oder die Bauten insgesamt, die bisher begonnen worden sind, zügig weitergeführt werden, ist immerhin etwas erreicht.
Noch eine Frage, Herr Baier.
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Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 106. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. April 1967 4929
Herr Staatssekretär, glauben Sie, daß bei dem Schuldenstand des Landes BadenWüttemberg es vertretbar wäre und halten Sie es auch für möglich, daß durch weitere Kreditaufnahmen zusätzliche Hilfen für Investitionen bereitgestellt werden könnten, um so diesen konjunkturwirksamen Beitrag im Rahmen der berühmten „konzertierten Aktion" auch im Lande Baden-Württemberg zu leisten?
Herr Kollege Baier, Sie verlangen viel von mir, nämlich die Würdigung des Verhaltens eines Bundeslandes. Trotzdem will ich meine Meinung dazu sagen. 1967 hat das Land Kreditmarktmittel in Höhe von rund 287 Millionen DM veranschlagt, gegenüber rund 435 Millionen DM im Jahre 1966. Bei Realisierung zumindest eines Teils der noch vorhandenen Kreditermächtigung aus früheren Jahren in Höhe von rund 800 Millionen DM dürfte dem Land eine Ausweitung der Investitionen möglich sein. Zur Zeit dürfte auch der Kreditmarkt eher die Möglichkeit bieten, das eine oder andere hier noch zu tun.
Noch eine Frage, Herr Abgeordneter Baier.
Herr Staatssekretär, können Sie eine Auskunft geben über den Schuldenstand des Landes Baden-Württemberg im Vergleich zu anderen Bundesländern?
Ich verweise hier, Herr Kollege Baier, auf das Bulletin der Bundesregierung vom 18. April 1967, in dem auf der letzten Seite der Schuldenstand des Bundes und der einzelnen Länder zum 31. Dezember 1966 zusammengefaßt dargestellt ist. Daraus ergibt sich - ich nenne nur die eine Zahl —, daß die fundierten Schulden in Baden-Württemberg pro Einwohner bei einem Betrag von 604 DM liegen. Wenn ich den Schnitt der fundierten Schulden der Länder pro Einwohner nehme, dann liegt er bei 681 DM. Daraus ist schon ersichtlich, daß Ihre Frage, glaube ich, nicht so beantwortet werden kann, daß die Verschuldung besonderen Anlaß zur Besorgnis gebe.
Wir haben noch drei Minuten Fragestunde. Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministers für Wirtschaft. Wir haben auf der Regierungsbank heute zum erstenmal auch den Parlamentarischen Staatssekretär Dr. Arndt. Auch ihm wünschen wir Glück und Erfolg bei seiner neuen Aufgabe.
Ich rufe die Fragen 33 und 34 des Abgeordneten Wächter auf:
Billigt es die Bundesregierung, daß Bundesbehörden der Vergabe von Aufträgen deswegen ablehnend gegenüberstehen, weil sich Bundestagsabgeordnete im Interesse der Belebung der einheimischen Wirtschaft für Firmen ihres Wahlkreises eingesetzt haben?
Wie beurteilt die Bundesregierung Äußerungen von Bundesbehörden, daß Bemühungen von Abgeordneten über den Ressortminister sogar zu einer Nichtberücksichtigung der Auftragsbewerber bei der Vergabe von Aufträgen führen können?
Bitte, Herr Staatssekretär!
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Nein, die Bundesregierung würde nicht billigen, daß Bewerber um öffentliche Aufträge des Bundes deshalb nicht zum Zuge kommen, weil sich Bundestagsabgeordnete für diese Bewerber eingesetzt haben.
Zur Frage 2: Der Bundesregierung ist bis jetzt keine Äußerung dieser Art bekanntgeworden. Jedenfalls hat eine Nachfrage bei den in Frage kommenden Bundesbehörden keine Bestätigung der in Ihrer Frage liegenden Vermutung ergeben. Selbstverständlich ist die Bundesregierung gern bereit, eine entsprechende Beschwerde zu prüfen.
Zusatzfrage Herr Wächter.
Sieht die Bundesregierung nicht in der Verhaltensweise der Vertreter der in Frage kommenden Bundesbehörden eine Entwicklung zur Beamtenhierarchie?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, wenn Sie das etwas konkreter in Form von Beschwerden bringen, dann werden wir diesen Dingen selbstverständlich gern nachgehen.
Noch eine Frage, Herr Wächter.
Haben Sie, Herr Staatssekretär, Verständnis dafür, daß ich die Namen der in Frage kommenden Firmen nicht nenne, weil die Firmen auf Grund ihrer bisherigen Erfahrungen nach meiner Überzeugung mit Recht für die Zukunft befürchten, noch weitere Erschwernisse in Kauf nehmen zu müssen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich bedaure Ihre pessimistische Einschätzung dieses Sachverhalts, aber vielleicht ist es möglich, die Namen der betreffenden Behörden zu erfahren.
Das werde ich Ihnen, Herr Staatssekretär, gern in einem privaten Gespräch mitteilen.
Frage 35 von Herrn Porten:Ist die Bundesregierung der Meinung, daß die in der Mühlenwirtschaft unter dem Schutz des Mühlenkartells geübten Praktiken des Quotenhandels — s. Veröffentlichung in der Zeitschrift „Capital" Nr. 1 Januar 1967 „Kartelle — Müllers Mühlen" — mit der sich daraus ergebenden Stillegung von vorwiegend Klein- und Mittelmühlen im volkswirtschaftlichen Interesse liegen, zumal durch die getroffenen gesetzgeberischen Maßnahmen nicht unerhebliche Mittel für die Mühlenwirtschaft bereitgestellt worden sind?Bitte; Herr Staatssekretär!
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4930 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 106. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. April 1967
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich kann die Frage mit einem grundsätzlichen Ja beantworten. Die innerhalb der Mühlenkonventionen vorkommenden Quotenkäufe ergänzen faktisch die Rationalisierungsabsichten des Mühlengesetzes vom 27. Juni 1957. Dieses Gesetz sieht ja Stillegungsentschädigungen aus Kreditaufnahmen des Kartells mit Bundesbürgschaften vor. Zur Tilgung dieser Kredite werden auch jetzt von den einzelnen Mühlenbetrieben Abgaben gezahlt. Zusätzlich fördern die Mühlenkonventionen die Bereitschaft zur Stilllegung, indem sie — und darauf läuft Ihre Frage hinaus — den Mitgliedern die Möglichkeit eröffnen, ihre Kartellquote an Kartellmitglieder zu verkaufen und dadurch neben der Stillegungsentschädigung einen weiteren Erlös für die Stillegung ihrer Betriebe zu erzielen. Die Käufer dieser Quoten haben infolge des Erwerbs der Quoten ihrerseits die Möglichkeit, die eigene Kapazität besser auszunutzen. In der Regel werden in Quotenkartellen leistungsfähige Betriebe die Quoten von weniger leistungsfähigen Betrieben erwerben. Die Bundesregierung ist daher der Meinung, daß das Ergebnis der Stilllegungsmaßnahmen in der Mühlenwirtschaft dem Gesamtinteresse nicht zuwiderläuft.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Porten.
Porten ; Herr Staatssekretär, sind Sie mit mir der Meinung, daß die in der Zeitschrift „Capital" dargestellten Praktiken mit dem Sinn und Geist des Gesetzes übereinstimmen, da die aufgewendeten Beträge Bestandteil der Kalkulation sind und daher vom Verbraucher bezahlt werden müssen?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die beiden in der Zeitschrift „Capital" genannten Fälle haben sich in den Jahren 1959 und 1960 zugetragen, also zu einer Zeit, in der die Mißbrauchsaufsicht über das Mühlenkartell noch nicht beim Bundesminister für Wirtschaft lag. Ich würde generell den Sachverhalt bei diesen beiden Fällen bedauern.
Ich rufe die Frage 36 des Herrn Abgeordneten Porten auf:
Wäre es nicht sinnvoller, wenn schon vom Bundeswirtschaftsminister aus den in Frage 35 genannten Gründen über den Kartellantrag der Mühlen eine Entscheidung nicht erfolgt, entsprechende Aufsicht über mühlenkonventionsinterne Regelungen auszuüben?
Bitte, Herr Staatssekretär!
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Stillegungsentschädigungen werden nach dem 31. März 1962 nicht mehr gewährt. Die beiden Fälle lagen weit vor diesem Termin, nämlich in den Jahren 1959 und 1960, und sie können sich daher seit dem 31. März 1962 nicht mehr wiederholen. Der Bundesminister für Wirtschaft hat im gegenwärtigen Zeitpunkt keine Veranlassung, im Wege der Mißbrauchsaufsicht, die ja jetzt bei ihm und nicht mehr beim Bundeskartellamt liegt, gegen den Quotenhandel in den Mühlenkonventionen vorzugehen oder einzelne Quotenkäufe aufzugreifen. Soweit Beschwerden über Mißbräuche anderer Art vorgebracht wurden, sind die für die Aufsicht zuständigen Stellen diesen Beschwerden nachgegangen.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Porten.
Herr Staatssekretär, darf ich Ihre Antwort so verstehen, daß das Verfahren so verfeinert ist, daß die von Ihnen bedauerten Praktiken nicht mehr eintreten können?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ja, es hängt an dem Tatbestand der Stillegungsentschädigung, die seit einigen Jahren nicht mehr gewährt wird.
Damit ist die Fragestunde beendet.Ich rufe den Punkt 3 der Tagesordnung auf:a) Große Anfrage ,der Fraktionen der CDU/CSU, SPD betr. Atomwaffensperrvertrag— Drucksache V/1650 —b) Beratung des Antrags der Fraktion der FDP betr. atomare Rüstung und friedliche Nutzung von Kernenergie— Drucksache V/1494 —Die Fraktionen haben sich verständigt, daß wir mit der Beratung des Antrags der Fraktion der FDP beginnen, zunächst die Begründung dieses Antrags hören, danach die Begründung der Großen Anfrage der beiden anderen Fraktionen, danach die Beantwortung der Großen Anfrage durch die Bundesregierung. — Das Haus ist einverstanden.Das Wort zur Begründung des Antrags der Fraktion der FDP hat der Abgeordnete Schultz .Schultz (FDP) : Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Antrag der FDP-Bundestagsfraktion Drucksache V/1494, den zu begründen ich die Ehre habe, umfaßt drei Probleme: erstens die Haltung, die die Bundesregierung zu den atomaren Waffen einnehmen sollte, und ,die Frage, welche Folgerungen daraus für die Mitarbeit im NATO-Bündnis und für die Ausrüstung der Bundeswehr zu ziehen sind; zweitens die Aufforderung an die Bundesregierung zu einer konzertierten Aktion ihrer Außen-, Verteidigungs- und Deutschlandpolitik — ich glaube, ,daß gerade hier noch mehr Zusammenspiel des Orchesters notwendig ist —; drittens die Einstellung, die wir gegenüber dem Atomwaffensperrvertrag einnehmen sollten. Zu dieser Frage, die ja auch die Grundlage .der Großen Anfrage der Koalitionsfraktionen ist, wird sich insbesondere mein Kollege Borm später in der Aussprache zur Großen Anfrage äußern.
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Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 106. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. April 1967
. 4931
Schultz
Meine sehr verehrten Damen und Herren, unser Antrag liegt dem Bundestag schon seit geraumer Zeit vor, genauer gesagt, seit dem 27. Februar 1967, also seit genau zwei Monaten. Es wäre sicher zweckmäßig gewesen, die Debatte über diesen Antrag und insbesondere über den Punkt 1, mit dem ich mich beschäftigen werde, früher zu führen, um zu einer Klärung ,der in diesem Haus widersprüchlichen und insbesondere auch zwischen 'den Regierungsfraktionen gegensätzlichen Standpunkte zu kommen. Denn letzten Endes müssen wir ja unsere Verteidigungskonzeption gemeinsam gegenüber unseren Bündnispartnern vertreten. Wenn nun unser Antrag erreicht hat, daß die Regierungsfraktionen aufgewacht sind, dann ist schon etwas erreicht, auch dann, wenn wir dazu kommen, daß wir über diese uns doch sehr bewegenden. Fragen hier im Plenum diskutieren statt draußen in Zeitungen, Presse und Rundfunk.Am Ende der heutigen Debatte sollte, meine ich, von der Bundesregierung und auch von den Regierungsfraktionen eine klare Antwort gegeben werden, ob ein Atomwaffensperrvertrag uns ein atomares Cannae von kosmischen Ausmaßen, wie es oft blumenreich ausgedrückt wird, beschert oder ob er zu einem wirksamen Instrument der Entspannung und Rüstungsbegrenzung gemacht werden kann und vor allem auch gemacht werden soll.Aus der Regierungserklärung im Dezember vorigen Jahres konnte für dieses Feld internationaler Politik nicht viel geschlossen werden. Die Feststellung, daß die Bundesrepublik den nationalen Besitz atomarer Waffen nicht will, ist so alt wie der Beitritt zu den Brüsseler Verträgen und weder für unsere westlichen Verbündeten noch für unsere östlichen Gegenspieler etwas Neues. Die Wiederholung dieses Verzichts wird nicht als etwas Besonderes empfunden. Die Welt weiß, daß ohne diese Aussage ein Beitritt der Bundesrepublik zur NATO und damit das Heraustreten aus der Enge der Niederlage in eine freiere, offenere Landschaft unmöglich gewesen wären.Nun gibt es Leute, die meinen, wir Deutschen hätten schon die Vorleistung erbracht, die es zu honorieren gelte und die man erst einmal nachmachen solle. Erst gestern war das wieder in Rundfunkkommentaren zu hören. Das Argument mag an sich richtig sein, doch kann man leider daraus keine Münze mehr schlagen.Wenn West und Ost in vielem uneins sind, in einem treffen sich die Völker beider Seiten — es ist eine Art von Ceterum censeo —: Die Deutschen, rechnen diese dem westlichen oder dem östlichen Bündnis zu, sind von atomaren, biologischen oder chemischen Waffen fernzuhalten. Man muß das ganz nüchtern, ohne trotzige Gefühlsregung, feststellen und daraus die praktische Nutzanwendung für die Politik ziehen.Als die Debatte über die Ausrüstung der Bundes: wehr mit atomaren Trägerwaffen Anfang des Jahres 1958 geführt wurde — es ist nötig, sich diese Zeit einmal wieder ins Gedächtnis zurückzurufen —, haben wir Freien Demokraten gegen eine solche Rüstung Stellung genommen. Denn wir sahen in ihr eine politische Entwertung dieses Verzichts, von dem ich vorhin gesprochen habe, und hielten sie darüber hinaus militärisch für falsch. Die damalige Bundesregierung und mit ihr die CDU/CSU-Fraktion in diesem Hohen Hause gingen einen anderen Weg; aus welchen Gründen, soll hier nicht weiter untersucht werden. Es empfiehlt sich vielleicht, einmal die Debatten nachzulesen. Ich habe das getan. Es ist wirklich sehr interessant, die Zeit damals mit der heutigen zu vergleichen.Wir müssen jedenfalls feststellen, daß die Folgen dieses Beschlusses damals durchweg negativ waren. Die Ausrüstung mit Atomträgern hat sich militärisch nicht ausgezahlt, da unsere westlichen Verbündeten selbstverständlich nicht daran dachten, uns die entsprechenden Sprengsätze zu geben. Wir befinden uns daher in der Situation eines Menschen, der sich mit einer ungeladenen Pistole verteidigen muß. Das mag ein bißchen überspitzt klingen. Aber es gibt tatsächlich den Zustand wieder.Darüber hinaus hat die Entscheidung von 1958 auch unseren außenpolitischen Spielraum eingeengt. Die sowjetische Deutschlandpolitik hat sich seitdem erheblich verhärtet. Sprach man damals noch — Sie erinnern sich vielleicht an das Aide-mémoire, das in dieser Debatte 1958 auch eine große Rolle gespielt hat — von seiten der Sowjets von einem Friedensvertrag mit einem deutschen Staat, so wissen wir alle, daß heute versucht wird, den Status quo zu legalisieren und den Abschluß mit zwei deutschen Staaten zu erreichen.Wir müssen uns in diesem Zusammenhang die Frage beantworten, wieviel Geld wir in eine falsche Rüstung gesteckt haben und wieviel wir brauchen, um uns der heutigen Lage in der Welt anzupassen und auf die möglichen und wahrscheinlichen Gefahren die rechten Gegenmaßnahmen zu wissen. Wir müssen wissen, daß man das natürlich nicht von heute auf morgen in Ordnung bringen kann, sondern daß das eine längere Zeit erfordert.Ich darf Ihnen dazu ein Zitat aus einem Aufsatz im „Rheinischen Merkur" bringen, der sich mit der Verteidigungskonzeption der Bundesrepublik befaßt und der noch jungen Datums ist, nämlich vom 14. April 1967. Sinnigerweise ist dieser Artikel — im Bundesverteidigungsministerium wird man ihn wahrscheinlich gelesen haben — überschrieben: „Schröder auf dem Prüfstand".
Man sieht, wie der Herr Minister auf diesem Prüfstand geschüttelt, gerüttelt, gezerrt wird, eingefroren wird und wieder aufgetaut wird. Wir fühlen mit dem Minister, wenn er nun auf dem Prüfstand steht.Wir sind der Meinung, daß dieser Artikel im „Rheinischen Merkur" kurz und knapp zusammenfassend die Situation eigentlich recht gut schildert. Das einzige, was einen verwundert, ist, daß die Schilderungen früher kurz und knapp genau in die andere Richtung gegangen sind. Aber man sieht daraus, daß alle in der Lage sind, aus der Vergangenheit für die Zukunft zu lernen.
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4932 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 106. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. April 1967
Schultz Ich darf jetzt zitieren:Nachdem nur Bonn das NATO-Soll erfüllt hatte, ließ es sich in der Ara der MLF zu der Meinung verführen, es könne eine Art von atomarem Mitkommando bekommen. In Wirklichkeit haben wir dadurch nur eine Belastung unserer Ostpolitik und ein grausames Etat-Defizit erhalten. Heute steht jeder deutsche Verteidigungsminister vor der peinlich ernüchternden Tatsache, daß jede amerikanische „Mitspracheformel" auch weiterhin die absolute Verfügungsgewalt des amerikanischen Präsidenten über alle atomaren Waffen, auch die sogenannten taktischen Atomwassen und Atom-Minen, bedeutet. Das europäische „Mitspracherecht" aber hat sich in die -Sorge vor einem vorher nicht abgesprochenen Einsatz der in Europa gelagerten amerikanischen Sprengköpfe verkehrt.Ich kann dem, was hier gesagt worden ist, nur zustimmen und darf darauf auch meine weitere Argumentation aufbauen.Ein Versuch der FDP vor fast genau drei Jahren, nämlich im April 1964, die Weichen in dem, was hier angedeutet worden ist, neu zu stellen, war leider zum Scheitern verurteilt. Der damalige Verteidigungsminister, Herr von Hassel, entgegnete auf unseren Antrag, die Beschaffung von Atomwaffenträgern auf dem erreichten Stand einzufrieren, vor diesem Hohen Hause am 15. April 1964 in der 122. Sitzung — ich darf auch hier wieder mit Erlaubnis des Herrn Präsidenten kurz zitieren —:Sie sagen, es sollen keine neuen Träger beschafft oder eingeführt werden. Auch hier gehtes um den Bestand der Verteidigungskonzeption— ich füge ein, wir hatten noch andere Punkte gebracht —der NATO; aus diesem Grunde werden. wir Ihrem Vorbringen unter gar keinen Umständen folgen können.Wenn das auch damals eine „abgewogene" Stellungnahme gewesen ist, so wäre es schön gewesen, wenn zumindest die Überlegungen im Ministerium darüber weitergegangen wären, ob diese Stellungnahme für die Zukunft aufrechterhalten werden kann. Wenn ich nun heute höre, daß man sich immer noch in der Prüfung der Lage befindet, dann mag ich das dem erst kurz im Amt befindlichen Verteidigungsminister und seinem Staatssekretär zurechnen, meine aber, daß ein solches Ministerium kontinuierlich arbeiten und die Lage immer neu überprüfen muß. Daran scheint es mir manchmal ein bißchen zu fehlen.
Nun zielte unser Antrag damals, von dem ich gerade gesprochen habe, auf diese weitere Variante der nuklearen Mitbestimmung, auf das Projekt der MLF. Obwohl es sich fast nicht mehr lohnt, auf dieses Projekt einzugehen, möchte ich doch ein paar Worte darüber verlieren. Ich meine, wir können froh sein, daß die Regierungsverhandlungen nie über ein vorbereitendes Stadium hinaus gediehen sind. Anderenfalls wären die Freien Demokraten gezwungen gewesen, ihre ablehnende Stellungnahme zu diesem Projekt, wie sie in allen Debatten zum Ausdruck kam, durch Handaufheben hier in diesem Saal zu akzentuieren. Damit wäre natürlich wieder die nächste Koalitionskrise fällig gewesen.Wie sich das nun heute gerade bezüglich des Verzichts auf atomaren Mitbesitz oder des Anstrebens atomaren Mitbesitzes zwischen den Regierungsfraktionen verhält — ob das hinter verschloassenen Türen ausgehandelt -werden kann oder ob die Öffentlichkeit von den Auseinandersetzungen auch etwas erfährt —, werden wir erst in der Zukunft sehen.Aber wichtiger als das scheint mir zu sein, daß dem deutschen Steuerzahler dadurch, daß dieses Projekt nicht realisiert wurde, mehrere Milliarden Mark sinnloser Ausgaben erspart worden sind. Vom Tisch verschwunden ist das Problem damit allerdings noch nicht, so daß der Punkt 1 unseres Antrages seinen Sinn leider noch nicht verloren hat. Es fehlt eben immer noch eine eindeutige Erklärung der Bundesregierung, daß sie auch keinen atomaren Mitbesitz anstrebt. Das fehlte seinerzeit in der Regierungserklärung. Dabei wären unserer Auffassung nach die Folgen einer solchen Erklärung nur positiv zu werten. Da sowieso niemand daran denkt, uns einen Mitbesitz einzuräumen, würden wir auch nichts aufgeben.
Unsere Ostpolitik wäre allerdings von einer schweren Hypothek befreit, und niemand könnte uns mehr nachsagen, wir strebten nach Atomwaffen.Nukleare Mitbestimmung im Bündnis kann nämlich über das Instrument der nuklearen Planungsgruppe erreicht werden. Wir sind heute auf diesen Weg verwiesen, und glücklicherweise hat die Bundesregierung — schon die vorherige — diesen Weg eingeschlagen, und ich hoffe, daß die neue Bundesregierung auf diesem Weg genauso weitergehen wird. Die Entwicklung im Bündnis rechtfertigt diese unsere Auffassung. Erste Ansätze für diesen Weg gab es nämlich schon 1962 auf der Athener NATO-Ministerratstagung. 1963 wurden dann in Ottawa Beschlüsse gefaßt, die die Entsendung von europäischen Offizieren, auch deutschen, zum Strategischen Luftkommando nach Omaha möglich machten. Das war der politische Ansatz für eine solche Entwicklung, wie wir sie heute haben. Man ließ sich dann aber leider gefallen — auch die damalige Bundesregierung —, daß die Offiziere, die entsandt worden waren, integriert wurden und ihren Regierungen nicht berichten konnten, so daß ein Einblick in das nukleare Geschehen nicht ausreichend möglich war. Sicherlich wäre es damals richtiger gewesen, politisch Einfluß zu nehmen, um dieses Instrument auszubauen, anstatt das aussichtslose Unterfangen MLF zu betreiben.Nukleare Mitbestimmung im Bündnis über nuklearen Mitbesitz zu erreichen, lehnen wir aus allgemein politischen und militärpolitischen Überlegungen ab. Jeder, der in der Welt herumkommt, verspürt die besondere Lage des geteilten Deutschland. Wir sind zwar gleichberechtigtes Mitglied in der NATO, aber die anderen sind doch irgendwie
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Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 106. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. April 1967 4933
Schultz
gleicher. Sie werden eben nicht durch besondere nationale Probleme bedrängt, wie sie die Spaltung unseres Landes mit sich bringt.Wir können uns nicht beklagen, daß man uns kein Verständnis entgegenbringe. Manche Maßnahmen gegenüber ,der östlichen Welt, von denen sich unsere Verbündeten einen Vorteil versprechen, unterblieben aus Rücksicht auf ,die Bundesrepublik. Man muß auch das einmal sagen und würdigen. Das Konto „Verständnis für unsere Lage" bei unseren Freunden würde aber zweifellos überzogen, wenn man den Eindruck gewönne, die Bundesrepublik wolle an den atomaren Abzugshahn. Sie will es sicher nicht; aber durch Äußerungen vieler Politiker entsteht draußen immer wieder dieser Eindruck, und das ist das, was zu bedauern ist. Gegenteilige Versicherungen unserer westlichen Freunde, natürlich müßten alle NATO-Mitglieder gleich ausgerüstet sein, empfinden wir Freien Demokraten als nicht mehr als höfliche diplomatische Floskeln ohne inneren Gehalt.Auf der anderen Seite des Eisernen Vorhangs liefert schon ,der Anschein eines ,Strebens nach Mitbesitz billige Propagandamöglichkeit, von der „militaristischen und revanchistischen Bundesrepublik" zu sprechen. Wie es einmal so ist: falsche Argumente, immer wiederholt, erreichen schließlich bei weniger Informierten und bei denen, die sich auch weniger informieren lassen wollen, das Ohr. Und jede Aktivität unsererseits in Richtung auf Entspannung und Sicherung des Friedens wird entwertet. Auch Gewaltverzichtserklärungen wie z. B. der Vertriebenen haben dann nicht mehr das Gewicht, das ihnen zukommt.Nun konnte man immer wieder hören, die Zurückhaltung der Bundesrepublik in der atomaren Frage im Bündnis diskriminiere erstens die Bundesrepublik, und zweitens begebe man sich eines Tauschobjektes, wenn es zum Gespräch über die Wiedervereinigung komme. Zum ersten meine ich, daß derjenige irrt, der glaubt, Atomwaffen seien ein besonderes Statussymbol für Souveränität.
Zum Zweiten: das zweite Argument hätte nur dann einen Sinn, wenn völlige Interessengleichheit im Bündnis bestände, und gerade das bezweifle ich; ich habe das vorhin ja schon ausgeführt. Mit anderen Worten, unsere Freunde wollen gar nicht, daß wir das Tauschobjekt in die Hand bekommen, und diejenigen, mit denen getauscht werden soll, wissen das.Wir halten es daher für sehr viel vernünftiger, sich auf diese Sachlage einzustellen und sie dazu zu benutzen, einen Beitrag zur Rüstungsbegrenzung zu leisten, der, auf die Dauer gesehen, sich politisch für uns auszahlen wird, und in diesem Beitrag nicht zu sagen: „Wir machen alles mit, was die anderen vormachen", sondern selber auf diesem Gebiet voranzugehen.Dabei wollen wir ruhig ganz deutlich sagen, daß wir eine etappenweise Vernichtung des Atomwaffenarsenals, wie wir sie in Punkt 2 unseres Antrages fordern, uns am ehesten so vorstellen können, daß in ganz Deutschland und möglichst in ganz Mitteleuropa ein Anfang gemacht wird. Wir glauben, daß wir alle wesentlich ruhiger schlafen würden, wenn wir in Mitteleuropa überhaupt keine Atomwaffen hätten. Es wird Aufgabe der Bundesregierung sein, zu sondieren, auf welche Weise eine derartige, vorerst auf Atomwaffen beschränkte militärische Verdünnung erreicht werden kann. Die Regierung wird sich dabei allerdings darüber klar sein müssen, daß sie vom Osten einen Abzug der Atomwaffen aus dem Gebiet jenseits der Zonengrenze nur dann verlangen kann, wenn sie ihrerseits bereit ist, im Einvernehmen mit den zuständigen NATO-Stellen einer entsprechenden Abrüstung bei uns zuzustimmen.Wir kennen den Einwand, daß eine solche weitere angebliche Vorleistung — von der ersten habe ich schon gesprochen — die Abschreckungskraft des Bündnisses und damit mittelbar die Sicherheit der Bundesrepublik bedrohe. Dieser Einwand ist so alt wie die Bundeswehr und hat, wie ich vorhin schon ausführte, uns in falsche Investitionen für unsere Streitkräfte geführt. Wann einmal, so möchte ich fragen, wird man begreifen, daß atomare und konventionelle Kampfmittel zwei Paar Stiefel sind und daß das amerikanische Bestreben, die atomare Schwelle so hoch wie möglich zu setzen, keine Flucht aus der Verantwortung darstellt und kein Desinteresse an Europa bedeutet?
Atomare Waffen sind wegen der Unverhältnismäßigkeit ihrer Wirkung und der sich zwangsläufig ergebenden Eskalation Kampfmittel eigener Art, und sie haben wegen des atomaren Patts ihre Glaubwürdigkeit als alleinige Abschreckungsdrohung verloren. Henry Kissinger, der Ihnen allen, meine Damen und Herren, sicher als ein sehr bedeutender Militärtheoretiker bekannt ist, hat schon 1959 — dieses Datum ist ganz interessant — in einem Aufsatz in „Foreign Affairs", der dann von der Zeitschrift „Politische Meinung" übernommen wurde, erklärt — ich darf hier vielleicht mit Erlaubnis des Herrn Präsidenten kurz zitieren —:In der Ara der nuklearen Supermacht kann die Verteidigung Europas nicht länger auf der Drohung mit einem lokalen Atomkrieg allein beruhen. Wenn jedes Anwachsen der Vernichtungskraft zugleich die Hemmung, sie anzuwenden, verstärkt, können wir nicht fortfahren, zu erklären, daß eine lokale Verteidigung in Europa unmöglich sei. Es ist nicht einzusehen, warum Westeuropa und die Vereinigten Staaten, deren Menschen- und Industriepotential das der Sowjetunion weit übertrifft, nicht in der Lage sein sollten, sich angestrengter und erfolgreicher zu bemühen, die Möglichkeiten der lokalen Verteidigung, insbesondere auf dem Gebiet der konventionellen Waffen, zu verbessern.Diese Feststellung aus dem Jahre 1959 ist durch die Entwicklung der letzten Jahre bestätigt worden; nur hat man bei uns immer noch nicht die notwendigen Folgerungen daraus gezogen.
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4934 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 106. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. April 1967
Schultz
Welche „Hemmungen" in der Anwendung atomarer Waffen liegen, geht daraus hervor, daß sich der politisch Verantwortliche den Einsatz vorbehält und ihn nicht dem militärischen Befehlshaber, welchen Rang und welche Ebene auch immer er haben möge, überläßt. Und da der Politiker weiß, daß die Eskalation unvermeidlich ist, wird er den ersten Einsatz nur dann wagen, wenn das Endziel des gegnerischen Angriffs zu erkennen ist. Dann allerdings kann es zu spät sein, und vorher ist der Salamitaktik — ein Begriff, den wir aus früheren Debatten kennen und den ich wohl nicht näher zu erläutern brauche — Tür und Tor geöffnet.Wenn wir nun sagen, wir wollen keinen atomaren Mitbesitz anstreben und auch die atomaren Waffen bei denen belassen, denen sie eigentlich gehören, weil nämlich sie allein sie in Besitz haben, dann verzichten wir nicht auf ein Mittel der Abschrekkung; wie ziehen nur aus der Erkenntnis die Folgerungen, daß von Waffen ohne die entsprechende Munition naturgemäß keine abschreckende Wirkung ausgeht, oder anders . ausgedrückt: daß es völlig gleichgültig ist, ob wir diese atomaren taktischen Waffen hier in Besitz haben oder nicht, denn die letzte Entscheidung hat immer der Amerikaner im Bündnis.Die von uns jüngst vorgeschlagene Verteidigungskonzeption beruht daher auf modern gerüsteten konventionellen Verteidigungskräften. Nur diese konventionellen Kräfte sind in der Lage, die heutzutage allein nicht auszuschließenden begrenzten Angriffe des möglichen Gegners wirksam abzuwehren. Nur Phantasten können davon ausgehen, daß Berlin, Lübeck oder Braunschweig im Ernstfall etwa durch den Einsatz Von Atomwaffen befreit werden könnte. Atomwaffen sind in dicht besiedelten Gegenden wie in Mitteleuropa einfach kein taugliches Verteidigungsmittel, ,da sie die eigene Bevölkerung am stärksten treffen würden. Diese Erkenntnis hat schon vor fast zehn Jahren den damaligen amerikanischen Präsidenten Eisenhower bewogen, die Frage eines Journalisten, ob Berlin auch gegebenenfalls atomar verteidigt werden könne, ärgerlich zu verneinen. Es ist wirklich nur dringend zu wünschen, daß sich diese Erkenntnis nun endlich auch bei der deutschen Regierung, bei unserer Bundesregierung, durchsetzt.Ich habe allerdings keine große Hoffnung, daß wir da schon sehr weit gekommen sind, wenn ich mir etwa das heutige Bulletin ansehe, in dem der sehr verehrte Herr Bundesverteidigungsminister zum Auftrag der Bundeswehr geschrieben und dabei gesagt hat, daß an der bisherigen Ausrüstung der Bundeswehr nichts geändert werden kann, und daraus folgert, daß man sich, wenn man hier etwas ändere und auf diese Atomwaffenträger verzichte bzw. sie den eigentlichen Besitzern zurückgebe, ausschließlich auf befreundete Mächte verlassen müsse. Ja, meine Damen und Herren, ,das ist doch schon die ganze Zeit der Fall. Wir müssen uns auf diesem atomaren Gebiet doch in der Tat auf die befreundeten Mächte verlassen. Nur, was das gegenseitige Zusammenspiel so erschwert, 'ist die Tatsache, daß Viele auch in diesem Hohen Hause sich nicht so recht auf den Bündnispartner verlassen wollen und daß in der Tat keine Zusammenarbeit in dem Sinne, daß sich einer auf ,den anderen verläßt, erfolgt. Dadurch sind wir in viele Krisen dieses Bündnisses hineingekommen. Wir sind deswegen der Meinung — und das 'ist eben noch nicht die Auffassung der Bundesregierung und des Bundesverteidigungsministers —, daß die Lösung der Schwierigkeiten im Bündnis und in der Zusammenarbeit durch eine Arbeitsteilung erfolgen kann. Dabei muß, so meine ich, die atomare Abschreckung eindeutig dem Potential der Amerikaner überlassen bleiben.
Es ist meiner Auffassung nach schlichter Unfug, annehmen zu wollen, daß von einer mehr oder weniger großen Anzahl von Atomträgern in der Bundesrepublik eine abschreckende Wirkung auf den möglichen Gegner ausgehen würde. Das einzige, was die Sowjetunion — unterstellt, sie spielt mit der Möglichkeit eines Angriffs — wirklich abschreckt, 'ist das Bewußtsein, daß sie damit einen atomaren Weltbrand riskiert. Die Sowjetunion weiß sicher besser als mancher Zweifler in der Bundesrepublik und auch in diesem Hause, daß eine Macht wie die Vereinigten Staaten, die schon mit solcher Verbissenheit um Urwaldregionen in Asien kämpft, sicherlich nicht tatenlos zusehen würde, wie der westeuropäische Halbkontinent überrannt wird.Aufgabe der Bundeswehr im Rahmen dieser Arbeitsteilung kann es einzig und allein sein, den konventionellen Part zu spielen und damit — im engen Zusammenwirken mit unseren verbündeten Freunden — die atomare Abschreckung der Amerikaner auch auf der konventionellen Ebene sinnvoll zu ergänzen.Zusammenfassend läßt sich also sagen, daß ein Verzicht der Bundesrepublik auf atomaren Mitbesitz keine Vorleistung gegenüber dem Osten darstellt, sondern im Gegenteil -sogar zu einer erhöhten Sicherheit für die Bundesrepublik führt. Das wird natürlich nur dann der Fall sein, wenn die Bundesregierung auch bereit ist, die gesamte Verteidigungskonzeption zu überprüfen und im Sinne einer Verlagerung des Schwerpunktes auf die konventionelle Rüstung alsbald zu ändern. Wir werden keine Gelegenheit auslassen, die Bundesregierung immer wieder zur Erfüllung dieser Aufgabe zu zwingen und sie zu veranlassen, zu einer politisch und militärisch sinnvollen Rüstungskonzeption zu finden.Es ist in diesem Zusammenhang vielleicht noch ein Wort darüber zu verlieren, wie man die Mitwirkung einer, sagen wir, atomar nicht ausgerüsteten, mit Trägerwaffen nicht versehenen Bundesrepublik im Bündnis sicherstellen will. Meine Damen und Herren, wir Freien Demokraten sind der Auffassung, daß der konventionelle Beitrag, den wir bisher schon geleistet haben und auch weiter leisten werden, gerade uns berechtigt und befähigt, an der Planung der nuklearen Ziele und an der Beratung nuklearer Fragen innerhalb des Bündnisses teilzunehmen. Wir bringen hier etwas Gleichwertiges ein, weil wir im Bündnis etwas ersetzen, was von der anderen Seite nicht gegeben werden kann.
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Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 106. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. April 1967 4935
Schultz
Meine Damen und Herren, ich komme zum Schluß. Die Problematik eines Atomwaffensperrvertrages, um den es ja heute möchte ich sagen — im wesentlichen in der Debatte gehen wird, hat mit der Frage einer realistischen Rüstungskonzeption nur bedingt zu tun. Die Diskussion darüber leidet immer noch unter dem Handikap, daß ein Vertragsentwurf bisher noch nicht veröffentlicht worden ist oder werden konnte, weil er noch gar nicht vorliegt. Obwohl es eigentlich selbstverständlich sein sollte, daß man nur einen Vertrag ablehnt, desen Inhalt man kennt,ist es verschiedenen maßgeblichen Politikern in der Bundesrepublik gelungen, durch ihre scharfe ablehnende Stellungnahme erneut im Ausland den Eindruck hervorzurufen, als strebe die Bundesrepublik letztlich nur nach Atomwaffen. Bundesminister Strauß und andere, die in diesem Zusammenhang von einem neuen Morgenthau-Plan und einem Super-Versailles sprachen, seien nur als Beispiele für eine ausgesprochen unangemessene Reaktion erwähnt.
Dabei kann angesichts des gegenwärtigen Standes der internationalen Diskussion doch eigentlich zur Zeit nur eine Forderung erhoben werden: ein Atomwaffensperrvertrag, den wir als einen ersten Schritt zu einem allgemeinen Verbot der Produktion von Atomwaffen und zum darauffolgenden Abbau des bestehenden Atomwaffenarsenals in der Welt ansehen, darf auf keinen Fall die nicht atomar gerüsteten Staaten in der friedlichen wissenschaftlichen und wirtschaftlichen Nutzung der Kernenergie und in der technologischen Entwicklung beeinträchtigen. Das, was bisher aus Äußerungen maßgeblicher Wissenschaftler bekanntgeworden ist, deutet darauf hin, daß eine solche Lösung zu erreichen ist.Unser Freund Kollege Borm wird unsere Auffassung nachher in der Aussprache dazu noch im einzelnen darlegen. Ich möchte nur soviel sagen: ist die friedliche Nutzung der Kernenergie gesichert und wird sichergestellt, daß nicht nuklear gerüstete Staaten eine Sicherung ihrer Existenz durch die Nuklearen erhalten, halte ich einen weltweiten Vertrag für ein Instrument des Friedens, dem man seine ganze Aufmerksamkeit schenken und für dessen Abschluß man eintreten sollte.
Das Wort zur Begründung der Großen Anfrage der Fraktionen der CDU/CSU und SPD hat der Abgeordnete Dr. Eppler.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Frage, wie sich die Menschheit vor der Vernichtungskraft atomarer Waffen schützen soll, ist so alt wie diese Waffen selbst. Daher wird seit Jahren darüber nachgedacht, wie der uferlosen Ausbreitung dieser Waffen Einhalt geboten werden kann. Es wird darüber nachgedacht in der UNO, in Parlamenten, Regierungen, Kirchen und vor allem in dem 18-Mächte-Abrüstungsausschuß.Seit einigen Monaten nun konzentriert sich diese Diskussion auf Entwürfe zu einem Atomwaffensperrvertrag, dessen Inhalt sich vor allem in zwei Punkten konzentriert, nämlich, daß sich die Kernwaffenstaaten verpflichten, an niemanden Kernwaffen weiterzugeben und auch niemandem bei der Produktion solcher Waffen zu helfen, und daß sich umgekehrt die Nichtkernwaffenstaaten verpflichten, keine solchen Waffen zu erwerben oder herzustellen.Meine Damen und Herren, die Entwürfe zu diesem Vertrag waren Thema der Diskussion nicht nur in der Bundesrepublik, aber auch in diesem Lande, und die Diskussion war geprägt von Befürchtungen, von Hoffnungen, sehr häufig auch von Vermutungen und Spekulationen. Sie war hilfreich dadurch, daß immer wieder Sachverständige aus dem Bereich der Atomphysik ihren Beitrag geleistet und dadurch die Problematik durchsichtiger gemacht haben.Aber das Unbefriedigende an dieser Diskussion gerade auch in unserem Lande war der Mangel an präzisen Texten und präzisen Informationen. Wir haben Verständnis dafür, daß so diffizile Verhandlungen, wie sie die Bundesregierung geführt hat, nicht auf offenem Markte ausgetragen werden. Wir haben Verständnis dafür, daß sich die Bundesregierung hier an Vertraulichkeit gebunden fühlte, wie sie in solchen Dingen üblich ist. Die Regierungsfraktionen, deren Große Anfrage zu begründen ich die Ehre habe, haben darauf lange, wie einige unserer Kollegen glauben, sogar zu lange, Rücksicht genommen. Wir glauben, daß jetzt, nachdem die Entscheidung im NATO-Rat gefallen ist und man sich auf die nächste Runde in Genf vorbereitet, der Zeitpunkt gekommen ist, in dem die Regierung das Wort nehmen sollte. Das ist der Anlaß dieser Großen Anfrage. Der Anlaß dieser Anfrage, verehrter Herr Kollege Schultz, ist übrigens nicht Ihr Antrag gewesen, der uns aufgeweckt hätte. Wir waren wach, wir waren hellwach, Herr Kollege!
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4936 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 106. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. April 1967
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Rede von: Unbekanntinfo_outline
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4942 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 106. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. April 1967
Die Bundesrepublik Deutschland ist bereit, alles zu unterstützen, was den Mißbrauch verhindert. Die Bundesrepublik Deutschland ist nicht bereit, irgend etwas zu akzeptieren, was die friedliche Nutzung hindert.
Die Zukunft der Bundesrepublik Deutschland als moderner Industriestaat hängt mit davon ab. Von der Durchsetzung dieses Prinzips hängt auch ab, was Deutschland für den friedlichen Fortschritt der Menschheit wird leisten können.Bekanntlich arbeiten deutsche Wissenschaftler aussichtsreich an der Entwicklung der zweiten Reaktorengeneration, den sogenannten schnellen Brütern. Unsere Industrie hat gute Aussicht, auf diesem Gebiet einen hohen Leistungsstand zu erreichen. Wir haben einen optimalen Schutz der friedlichen Nutzung der Kernenergie durch bindende Vertragsverpflichtungen angestrebt und die langfristige Sicherstellung der Versorgung mit Kernbrennstoff in diesen Komplex einbezogen.Vorbehaltlich der vorhin gemachten Einschränkungen darüber, was in der nächsten Runde überhaupt als Text auf den Tisch kommen kann oder wird, kann ich heute sagen: Die Bundesregierung kann im Sinne der zu 3 gestellten Frage erklären, daß die zivile Nutzung nicht behindert werden wird, wenn der Vertrag eine Form erhält, wie sie durch unsere Mitwirkung in Aussicht genommen ist. Die Nichtbehinderung muß selbstverständlich auch gelten für den Austausch von Kernmaterial und nuklearen Ausrüstungsgegenständen, von wissenschaftlichen Informationen und die bilaterale und multilaterale Zusammenarbeit der Staaten untereinander oder mit internationalen Organisationen im zivilen Bereich. Sie muß gelten für die Forschung, die industrielle Tätigkeit und damit auch den Export. Wir sind der Auffassung, daß der Vertrag als Zielsetzung die zivile Nutzung sogar ausdrücklich fördern soll.Was nun die Kernwaffenstaaten angeht, so haben sie für die militärische Nutzung der Kernenergie gewaltige finanzielle Mittel aufgewendet. Sie ziehen allerdings auch für den friedlichen Bereich erheblichen Nutzen aus den militärischen Erfahrungen. Die zivilen „Abfallprodukte" der militärischen Forschung — das, was der Kollege Eppler in seiner Begründung „spin off" nannte — werden zwar, wie einem die Fachleute sagen, immer geringer, soweit es sich um einzelne Erfindungen handelt. Aber immerhin ergibt sich aus militärisch bestimmten Betriebsgrößen eine Monopolstellung -der Kernwaffenstaaten für besonderes spaltbares Material bzw. eine Monopolstellung durch niedrigere Gestehungskosten. Wir können nach den vielen Beratungen und Gesprächen, die in diesen letzten Monaten hinter 'uns liegen, davon ausgehen — und ich wähle jetzt bewußt eine diplomatische Formulierung, die hoffentlich trotzdem verstanden wird —, daß die Nichtnuklearen an den Ergebnissen der militärischen Nutzung der Kernenergie durch die Kernwaffenstaaten — einschließlich der Informationen und Erfindungen —, jedenfalls was den westlichen Teil der
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Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 106. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. April 1967 4943
Bundesminister BrandtWelt angeht, teilhaben können. Dies ist eine wichtige Sache.Dann gibt es einen anderen Punkt, der mit der friedlichen Nutzung zu tun hat: durch den in Aussicht genommenen Vertrag würden „Atomwaffen und andere nukleare Sprengkörper" verboten werden. Das wird zutreffend damit begründet, daß zwischen militärischen und zivilen nuklearen Explosivkörpern bis heute nicht unterschieden werden kann. Das Problem 'der Anwendung nuklearer Sprengkörper für zivile Zwecke — Kanalbauten und was sonst in den Kreis des Vorstellbaren einzubeziehen ist — wird für uns in Deutschland für absehbare Zeit kaum von wirklicher Bedeutung sein. Wir begrüßen es jedoch grundsätzlich, daß sich die Vereinigten Staaten, deren Forschungsarbeiten insoweit noch nicht abgeschlossen sind, zur Einrichtung eines Kernsprengdienstes unter Einschaltung einer internationalen Behörde und ohne Berechnung der Forschungs- und Entwicklungskosten bereit erklärt haben.Große Bedeutung hat die Frage der Kontrollen. Abrüstung mit Kontrollen ist eine traditionelle westliche Forderung, wenn man sich die Diskussion der Nachkriegszeit noch einmal Vergegenwärtigt. Eine solche Forderung ist für die Bundesrepublik nicht neu. Die Bundesrepublik hat sich, woran ich schon erinnern durfte, bereits internationalen Sicherheitskontrollen unterworfen. Der Vertrag würde zur Folge haben, daß solche Kontrollen auch auf andere Staaten ausgedehnt werden.Wir gehen davon aus, daß die Anwendung der Kontrollen wirtschaftliche Betriebsabläufe nicht stört, industrielle Fertigungsgeheimnisse nicht verletzt, sondern Gefahren des Mißbrauchs begegnet. Dazu gehört die Kontrolle des Ausgangs- und des spaltbaren Materials, die Kontrolle des Brennstoffflusses an bestimmten strategischen Punkten und eine Kontrolle, die möglichst durch automatisierte Instrumente vorgenommen wird. Diese Instrumente, von denen in der öffentlichen Debatte schon viel die Rede war, gibt es noch nicht. Die Bundesrepublik Deutschland wird in Zusammenarbeit mit Verbündeten und in internationalen Organisationen alle Anstrengungen unternehmen, moderne Kontrollinstrumente zu entwickeln und einführen zu helfen. Durch eine solche automatisierte Kontrolle könnten auch die Kosten für ein Sicherheitskontrollsystem niedrig gehalten werden.Zu diesem Thema muß allerdings darauf aufmerksam gemacht werden, daß in den letzten Monaten auf der Grundlage eines Vertragsentwurfs diskutiert worden ist, der für die Kernwaffenstaaten keine Kontrollen vorsah. Bis jetzt hat sich die Sowjetunion solchen Kontrollen auf eigenem Boden widersetzt. Um so wichtiger ist es, daß sich nicht auch im Westen unnötige und ungerechtfertigte Unterschiedlichkeiten fortsetzen. Deshalb ist jener Möglichkeit große Bedeutung beizumessen, daß auch die Vereinigten Staaten und Großbritannien ihre zivilen Sektoren unter internationale Kontrolle stellen.Zusammenfassend darf ich sagen und damit auch zum dritten Punkt des FDP-Antrages Stellung nehmen: Die Befürchtungen einer Behinderung der Nutzung der Kernenergie für friedliche Zwecke ergaben sich vorwiegend aus Vorentwürfen eines Atomsperrvertrages. In dem jetzt erwogenen Vertragsentwurf ist sichergestellt, daß die friedliche Nutzung der Kernenergie für Forschung, Industrie und Wirtschaft bei vertragsgemäßem Verhalten nicht beeinträchtigt werden kann. Die Bundesregierung ist darüber hinaus bemüht, sicherzustellen, daß durch den Vertrag die friedliche Nutzung der Nuklearenergie nicht nur nicht behindert, sondern nach Möglichkeit gefördert wird.Die vierte Frage lautet:Läßt sich bei Beitritt zu einem Atomwaffensperrvertrag die Versorgung der Bundesrepublik Deutschland mit Brenn- und Spaltstoff für friedliche Zwecke sicherstellen?Die Antwort !darauf lautet: Die Versorgung der Bundesrepublik Deutschland mit Ausgangsmaterial und Kernbrennstoffen ist durch bilaterale Abkommen mit den USA und Kanada und durch das langfristige Abkommen zwischen den Vereinigten Staaten und Euratom geregelt. Das bilaterale deutschamerikanische Abkommen läuft Mitte dieses Jahres aus. Deshalb ist die Versorgung mit amerikanischem Material ausschließlich über Euratom vorgesehen. Nach schriftlichen Zusicherungen der amerikanischen Regierung wird der Vertrag zwischen Euratom und den Vereinigten Staaten durch den Sperrvertrag nicht berührt, und es sind zusätzliche Vereinbarungen über ausreichende Versorgung möglich. Die Bundesregierung ist überzeugt, daß durch die Zusicherungen und Vereinbarungen im Zusammenhang mit dem Nichtverbreitungsvertrag die langfristige ausreichende Versorgung mit Ausgangsmaterial und Kernbrennstoffen sichergestellt werden kann.Die fünfte Frage lautet:Hält die Bundesregierung eine Zusammenarbeit von Euratom und IAEO, besonders auf dem Gebiet der Kontrollen, für wünschenswert und möglich?Die Bundesregierung hält eine Zusammenarbeit von Euratom und IAEO — was man auch die Wiener Behörde nennt — für wünschenswert, notwendig und möglich. Schon bevor der NV-Vertrag in das akute Stadium der Verhandlungen trat, wurden von deutscher Seite Schritte unternommen, um ein entsprechendes Abkommen zustande zu bringen. Im übrigen sieht das Kontrollstatut der IAEO ausdrücklich die Annahme anderer Kontrollsysteme vor.Die Bundesregierung geht davon aus, daß die IAEO und andere internationale Kontrollsysteme die Überwachung der Bestimmungen des Sperrvertrages bezüglich der Verwendung spaltbaren Materials übernehmen. Die IAEO soll sich dabei von der Wirksamkeit der anderen Kontrollsysteme überzeugen können. Hierüber wäre im gegebenen Fall ein Verifikationsabkommen zwischen der Wiener Behörde und der betreffenden anderen Kontrollorganisation zu schließen. Die Bundesregierung hält den Abschluß eines solchen Verifikationsabkommens auch für möglich, wenn die Mitglieder der be-
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4944 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 106. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. April 1967
Bundesminister Brandtteiligten Organisationen sein Zustandekommen fördern.Die sechste Frage lautet:Wird ein Atomwaffensperrvertrag wichtige interne Regelungen des Atlantischen Bündnisses auf nuklearem Gebiet unmöglich machen oder erschweren?Der Vertrag — wie er erwogen wird — formuliert das, was verboten ist; alles andere ist und bleibt erlaubt. Fragen des westlichen Verteidigungsbündnisses werden nicht im Vertragstext behandelt. Trotzdem bestehen Zusammenhänge. Die Interpretation wird also eine wichtige Rolle spielen. Wir erstreben nach Inhalt und Form ein Höchstmaß an Gewißheit. Nach dem, was uns und den übrigen Bündnispartnern von amerikanischer Seit darüber versichert worden ist, kann ich beide Teile der Frage nach dem gegenwärtigen Stand der Dinge mit Nein beantworten. Die Schwierigkeit der hier angesprochenen Materie liegt im Offenhalten künftiger Verteidigungsmöglichkeiten im atlantischen wie im europäischen Rahmen, also auch einer Frage, die die Bündnispartner insgesamt angeht. Den Verzicht Deutschlands auf eigene Verfügungsgewalt über Kernwaffen, der ein fester Bestandteil unserer Politik ist, verstehen wir als deutschen Beitrag zur Entspannung in Europa und nicht als Diskriminierung.Zum vierten Punkt des FDP-Antrags darf ich folgendes feststellen: Am 14. 12. 1966 wurde bekanntlich innerhalb der NATO ein ständiger „Ausschuß für nukleare Verteidigungsangelegenheiten" und, diesem nachgeordnet, eine „Nukleare Planungsgruppe" (NPG) geschaffen. Die Bundesrepublik Deutschland ist in beiden Gremien und im Militärausschuß der NATO vertreten und hat damit die Möglichkeit, durch ihre politischen und militärischen Führungsorgane Einfluß auf die nukleare Planung im Bündnis auszuüben.Bei den Beratungen in den neuen Gremien sieht die Bundesregierung ihre besondere Aufgabe darin, im Rahmen der gemeinsamen Verteidigungsplanung die Interessen unseres Volkes zu vertreten. Bei der ersten Sitzung der Nuklearen Planungsgruppe in Washington am 6. und 7. April 1967 hat sie die Rolle der Aufnahmestaaten bei alliierten Vereinbarungen über Planung und Einsatz von Kernwaffen bereits in diesem Sinne zur Diskussion gestellt.Die siebente Frage lautet:Sieht die Bundesregierung im gegenwärtig diskutierten Entwurf eines Atomsperrvertrages oder einer Präambel zu einem solchen Vertrag Ansatzpunkte, welche den nuklearen Rüstungswettlauf bremsen und zu einer gleichwertigen Rüstungsverminderung auf atomaren Gebiet führen könnten?Ohne Zweifel müssen sich Ansatzpunkte für ein Bremsen des nuklearen Rüstungswettlaufs durch den Vertrag ergeben. In welcher Form das geschehen wird, kann ich im Augenblick nicht oder noch nicht beantworten.An dieser Stelle sei aber folgendes festgestellt. Die Ausbreitung des Wissens über die Anwendung der Atomkraft kann durch keinerlei Bindungen verhindert werden. Die Herstellung der Bombe ist heute weniger eine Frage des Wissens als des politischen Willens — oder Könnens, wenn man will. Die zivilen Nuklearmächte leisten ohne jeden Zweifel einen wirklichen Dienst, wenn sie dem geplanten Atomsperrvertrag beitreten; denn es geht im wesentlichen um ihren Beitritt.Sie sind im Prinzip — das wissen wir aus unseren Konsultationen — dazu bereit aus der Einsicht, daß eine Vergrößerung der Zahl der Staaten, die unabhängig über Kernwaffen verfügen, eine Vergrößerung der Gefahr für die Menschheit bedeutet. Man befürchtet bei Entstehen auch nur einer weiteren Nuklearmacht eine Kettenreaktion, die schwer kontrollierbar wird. Aus diesen Gründen ergibt sich die Bereitschaft zu einer Leistung der zivilen Nuklearmächte.Aber diese Leistung — so meinen wir — darf nicht ohne Gegenleistung bleiben. Die Gegenleistung können nur die Atomwaffenmächte erbringen, denn es gibt nicht nur die Gefahr einer horizontalen, es gibt auch die Gefahr einer vertikalen Ausbreitung der Atomrüstung.Wenn nur die horizontale Verbreitung von Atomwaffen verhindert wird, so ist das zwar ein wichtider Schritt, aber es löst noch nicht das Problem, den Frieden sicherer zu machen, sondern es kann zu einem Moment der Sonderstellung aller anderen gegenüber den Atomgiganten werden. Die Welt muß daher erwarten — so meinen wir —, daß auch die Atomwaffenmächte im Interesse ausgewogener Verpflichtungen des Vertrages sich dazu bereit finden, ihn als einen Schritt zu umfassenderen Lösungen zu akzeptieren. Das heißt: Die Welt kann bei einem beschränkten Atomsperrvertrag nicht stehenbleiben. Den Kernwaffenmächten obliegt es, die weitere Entwicklung immer gefährlicherer Waffen einzustellen; die vorhandenen Bestände einschließlich der Träger nicht weiter zu vermehren; ihren Abbau einzuleiten; mit der Produktion spaltbaren Materials für militärische Zwecke aufzuhören und einen vollständigen Testbann zu erzielen.Wenn die Kernwaffenmächte ihre Bereitschaft zu solchen Schritten konkret bekunden, wäre der Nichtverbreitungsvertrag der Beginn internationaler Zusammenarbeit für die Friedenssicherung im nuklearen Zeitalter. Es sollte geklärt werden, wie dieses Ziel gesichert werden kann, und zwar im Sinne der eingangs erwähnten, fast einstimmig angenommenen Resolution Nr. 2028 der Vollversammlung der Vereinten Nationen. Diese Erwägungen und Erwartungen sind heute die Hoffnung der Völker in aller Welt. Absichtserklärungen in der angedeuteten Richtung sind in der Präambel des Vertrages vorgesehen. Die Bundesregierung legt Wert darauf, daß sie nicht nur platonischen Charakter erhalten.An dieser Stelle möchte ich betonen, daß die Vereinigten Staaten im Prinzip die Notwendigkeit bejahen, Nichtverbreitung und konkrete Maßnahmen des Rüstungsstopps und der Abrüstung miteinander
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Bundesminister Brandtzu verbinden. Ob und wieweit die Nuklearmächte tatsächlich verbindliche Zusicherungen geben, ist allerdings noch nicht zu übersehen. Wenn es zur Vorlage eines gemeinsamen sowjetisch-amerikanischen Vertragstextes in Genf kommt, wird diese Frage sicher ein Hauptgegenstand der Verhandlungen in Genf werden.Meine Damen und Herren, wie ernst die Bundesregierung gerade diesen Bereich nimmt, zeigt die Tatsache, daß sie diesem Thema und damit zusammenhängenden Fragen eine Denkschrift unter dem Datum des 7. April gewidmet hat, auf die ich in Verbindung mit dem zweiten Punkt des FDP-Antrags besonders hinweisen möchte.Im Hinblick auf die Verhandlungen der Genfer Abrüstungskonferenz hat die Bundesregierung diese Denkschrift an die Teilnehmer dieser Konferenz und an Frankreich gerichtet. Sie befaßt sich im Zusammenhang mit den Erörterungen über einen Nichtverbreitungsvertrag auch mit dem allgemeinen Thema der Abrüstung. Wir haben die Denkschrift außer den Genfer Mächten auch mehreren anderen interessierten Regierungen, dem Vatikan, dem Generalsekretär der Vereinten Nationen und allen Missionen bei den Vereinten Nationen zur Kenntnis gebracht. In dieser Denkschrift heißt es wörtlich:Die verheerende Wirkung der Kernwaffen verpflichtet die Regierungen der Welt nicht nur, das nukleare Wettrüsten zu beenden; das Interesse der Menschheit fordert es, mit nuklearer Abrüstung zu beginnen. Nur auf diesem Wege kann eine internationale Friedensordnung geschaffen werden, die allen Nationen, großen und kleinen gleichermaßen, eine gedeihliche Entwicklung in Freiheit, Unabhängigkeit und Würde verbürgt. Deutschland ist weiterhin entschlossen, gemeinsam mit anderen Ländern für dieses Ziel zu wirken. Die Abrüstungsverhandlungen der großen Kernwaffenmächte haben zwar Teilerfolge in der Rüstungskontrolle erbracht, das nukleare Wettrüsten jedoch keineswegs beendet. Um so dringender bleibt die Notwendigkeit echter Abrüstung. Eine internationale Regelung der Nichtverbreitung von Kernwaffen könnte sich als Vorstufe wirksamer Friedenssicherung erweisen, wenn ihr Schritte der Abrüstung folgten.Soweit die Bezugnahme auf unsere Denkschrift.Die Bundesregierung hält es — das ist ein Gedanke, der in dem Punkt 2 des FDP-Antrags eine Rolle spielt — zur Zeit nicht für zweckmäßig, ein besonderes Abkommen über ein generelles Verbot der Produktion von Kernwaffen und die etappenweise Vernichtung des bestehenden Atomwaffenarsenals vorzuschlagen, sondern sie hält es für zweckmäßiger, die Ziele des Rüstungsstopps und der Abrüstung in Übereinstimmung mit zahlreichen anderen Staaten in den Rahmen ihrer Wünsche zum derzeit diskutierten Vertrag über die Nichtverbreitung von Kernwaffen zu stellen. Die Bundesregierung konzentriert also ihre Abrüstungsbemühungen auf eine Verbindung dieser ihrer Ziele mit dem gegenwärtig diskutierten Atomsperrvertrag. Positive Reaktionen auf die Denkschrift ermutigen die Bundesregierung, der Verbindung von Nichtverbreitung und Abrüstung weiterhin größte Bedeutung beizumessen.Zusätzlich zur Antwort auf die gestellten Fragen, meine Damen und Herren, möchte ich nur noch folgendes bemerken. Der Vertrag wird, falls die Vereinigten Staaten und" die Sowjetunion einen gemeinsamen Entwurf vorlegen, in aller Gründlichkeit geprüft werden. Wir werden nach-Einsicht und Gewissen entscheiden, wenn die Entscheidungsgrundlagen klar sind. Die weitere Entwicklung auf dem Wege zur Entspannung, zur Sicherung des Friedens und zum Fortschritt der Menschheit zu fördern, wird für die Beurteilung des Nichtverbreitungsvertrages, für unsere Mitarbeit daran und für unsere Entscheidung ausschlaggebend sein.Ich darf nun zusätzlich zu dem, was ich namens der Bundesregierung zu antworten hatte, noch ein paar der in den Begründungen gestellten Fragen gleich mit beantworten.Herr Kollege Eppler hat die Frage gestellt, wie es mit den Inspekteuren sei. Das ist so, daß nach den Regeln für die internationale Behörde in Wien ein zu inspizierender Staat über die Person des Inspekteurs konsultiert wird, und er kann dann jedenfalls theoretisch — vielleicht nicht nur theoretisch — auch nein sagen. Es ist rechtlich umstritten, wie weit die Ablehnung getrieben werden kann. Die Engländer, mit denen wir neben anderen hierüber gesprochen haben, haben sich in der Praxis auf den Standpunkt der Reziprozität gestellt und würden sowjetische Inspekteure deswegen ablehnen, solange die Sowjetunion keine Inspektionen auf ihrem Boden zuläßt. Es ist zu bezweifeln, ob wir auf diesem Wege regelmäßige sowjetische Inspekteure ablehnen könnten oder sollten, weil uns das erneut Fehldeutungen aussetzen würde.Immerhin, die Frage wird sich so vielleicht nicht stellen. Denn es kommt darauf an, was zwischen Euratom und der Wiener Behörde ausgehandelt werden wird. Aber entscheidend bleibt, daß wir aus diesem und auch aus anderen Gründen die Position bezogen haben, daß im zivilen Bereich keine Diskriminierung zwischen Kernwaffenstaaten und Nichtkernwaffenstaaten gerechtfertigt ist. Diese Haltung wird von fast allen Nichtnuklearen geteilt.Zum Thema der Ausfuhr von Reaktoren hat Herr Dr. Eppler eine Frage gestellt, die über das hinausgeht, was in der schriftlich formulierten Großen Anfrage enthalten ist. Meine Antwort für den uns bekannten Vertragstext, wie er jetzt erwogen wird und weiter beraten wird, würde, wie ich es allgemein für die friedliche Erforschung, Nutzung und Auswertung gesagt habe, positiv sein, auch was die Ausfuhr von Reaktoren angeht. Es trifft zu, Herr Abgeordneter Dr. Eppler, daß sich in der hinter uns liegenden Zeit deutsche Firmen im Wettbewerb mit recht hemdsärmeligen Methoden von Konkurrenten anderer Staaten und insbesondere eines anderen Staates auseinanderzusetzen hatten,
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Bundesminister Brandtwobei sich diese Vertreter von Firmen fälschlich darauf beriefen, der in Aussicht stehende Nichtverbreitungsvertrag würde die Bundesrepublik Deutschland bzw. ihre Wirtschaft nicht in die Lage versetzen, anderen draußen zu versichern, daß auch der Brennstoff würde geliefert werden können, ohne den die Reaktoren nichts wert sind. Es ist verständlich, daß diese — ich nenne es noch einmal — hemdsärmeligen Methoden im Wettbewerb nicht nur bei :der Bundesregierung, sondern auch anderswo sauer aufgestoßen sind und uns mit ermuntert haben, auch auf diesem Gebiet deutlich zu sprechen.An die Adresse des Herrn Abgeordneten Schultz gerichtet möchte ich noch sagen — im Nachtrag zu dem, was für :die Regierung schon zu erklären war —, ich wäre dankbar, wenn die Fraktion der Freien Demokraten bei :dem Problem der Atomwaffen in Europa davon ausginge, daß sich diese Bundesregierung das zu :eigen macht, was in der Friedensnote der vorigen Bundesregierung, die von der FDP mitgetragen wurde, gesagt worden ist.In jener Friedensnote der vorigen Bundesregierung vom 25. März 1966 heißt es unter V Ziffer 2:Niemand wird behaupten können, .daß das Wettrüsten mit atomaren Vernichtungswaffen die Sicherheit in Europa und der Welt erhöht. Die Bundesregierung erklärt sich daher bereit, einem Abkommen zuzustimmen, in dem die in Frage kommenden Staaten sich verpflichten, die Zahl der Atomwaffen in Europa nicht weiter zu erhöhen, sondern sie stufenweise zu verringern. Ein solches Abkommen müßte sich auf ganz Europa erstrecken, das Kräfteverhältnis insgesamt wahren, eine wirksame Kontrolle vorsehen und mit entscheidenden Fortschritten bei der Lösung der politischen Probleme in Mitteleuropa verbunden werden.Hier ist eine Grundlage, von der aus auch die jetzige Bundesregierung weiter arbeiten und weiter überlegen kann.Nun zu der Frage des Herrn Abgeordneten Dr. Eppler, die sich auf die europäische Einigung bezieht: In den Konsultationen mit den Vereinigten Staaten, in den Gesprächen mit unseren englischen und italienischen Verbündeten — aber auch mit anderen — hat sich als gemeinsame Rechtsauffassung ergeben, daß ein einiges Europa, ein Europa, das jedenfalls auf den Gebieten der Außenpolitik und der Sicherheit einheitlich entscheiden und vorgehen würde, im Sinne eines erwogenen Atomwaffensperrvertrages nicht das Thema der verbotenen Übertragung aufwerfen würde, sondern das der Sukzession. Es 'gibt bei der Überlegung zu diesem Thema natürlich auch den anderen Punkt, daß viele — sicherlich auch in diesem Hause — die Entwicklung zu den Vereinigten Staaten von Europa nicht behindert sehen möchten. Dieses Argument wird von unseren Freunden draußen manchmal mißverstanden, weil unsere Freunde draußen manchmal meinen — das war ein Punkt, zu dem ich mich hier im Dezember schon einmal äußern durfte —, es ginge dabei um Vorstufen einer gemeinsamen Atommacht, und dabei finden wir, auch wenn wir es selbst als unsere Meinung entwickelten, eigentlich keine Aufnahmebereitschaft. Nein, es geht dabei — bei der Entwicklung hin zu Europa — auch darum, ob durch das Festschreiben bestimmter Positionen in Europa die Hemmungen einzelner Staaten bei Schritten hin zu einer einheitlichen Lösung leichter überwunden oder verstärkt werden können.Schließlich hat der Kollege Eppler zum Schluß gesagt, er würde sich sehr über ein ermutigendes Wort taus östlicher Richtung freuen, und hat dann gesagt — wenn ich es richtig verstanden habe —, da er das heute vermutlich nicht bekommen könne, würde er auch mit einem solchen des Bundesaußenministers zufrieden sein. Wenn sich das auf den Osten bezieht, Herr Kollege Eppler, dann kann ich hier ganz nüchtern feststellen: Es gehört mit zu unseren Erfahrungen dieser Monate, ,daß wir auch bei mehr als einer Regierung im anderen Teil Europas ein sachliches Interesse an unseren Erwägungen haben notieren können. Es ist weiter nüchtern festzustellen, daß die Sowjetunion sich nicht nur durch ihre notifizierte Erklärung vom 28. Januar in eine fast nur polemische, häufig übersteigert polemische Haltung begeben hat. Ich möchte meinen: wenn der Sowjetunion an der Sache selbstgelegen ist, dann müßte sie zu würdigen wissen, was die Bundesregierung heute durch den Bundesminister des Auswärtigen hier erklärt hat erstens über unsere Haltung zum Thema Friedenssicherung, zweitens über unsere Überzeugung, daß wir die Kernenergie für den Wohlstand der Menschen und für die Zusammenarbeit in der Welt brauchen. Ich glaube, der Tag wind kommen, an .dem auch zwischen dem großen Staat .der Sowjetunion und dem sehr viel kleineren Deutschland auch auf diesen Gebieten sachlich, technisch, wissenschaftlich Zusammenarbeit größer geschrieben werden wind als Polemik.
Ich unterstelle, daß das Haus die Beratung der Beantwortung der Bundesregierung .verlangt. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Birrenbach.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die CDU/CSU-Fraktion begrüßt es, daß die Bundesregierung in ihrer heutigen Regierungserklärung sich 'grundsätzlich bereit erklärt hat, den Abschluß eines Atomsperrvertrages als Teil ihrer Politik der Friedenssicherung und Entspannung zu fördern. Diese Politik liegt in der Linie der Bestrebungen der vergangenen Bundesregierungen. Wir sind uns dabei bewußt, daß die neue Bundesregierung der Friedensförderung und Entspannung in ihrem Regierungsprogramm eine besonders hohe Priorität gegeben hat. Die Schaffung einer echten Friedensordnung, in der das Prinzip der Selbstbestimmung anerkannt ist, ist und bleibt das Ziel aller Parteien dieses Hauses.Die Bundesrepublik hat, wie der Herr Bundesaußenminister betont hat, im Vertrauen auf die Schutzgarantie der NATO, insbesondere der Ver-
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Dr. Birrenbacheinigten Staaten, in den Pariser Verträgen als erste Nation der Erde auf die Produktion atomarer Waffen verzichtet. Sie hat im Jahre 1963 das AtomstoppAbkommen unterzeichnet und ratifiziert. Sie hat in ihrer Friedensnote vom 25. März 1966 auch den Verzicht auf den Erwerb von Kernwaffen in Aussicht gestellt, um ihrerseits einen Beitrag zur Entspannung in der Welt, insbesondere in Europa, und damit einen Beitrag zum Frieden zu leisten. Die Bundesrepublik hat schließlich mit dem Abschluß der Römischen Verträge ihre Forschung und Entwicklung der friedlichen Verwendung nuklearer Energie einer internationalen Kontrolle, der Euratom, übertragen. Damit hat die Bundesrepublik eine Vorleistung erbracht, die auf diesem Gebiet bisher ohne Nachahmung geblieben ist.Der Herr Kollege Schultz wertet, glaube ich, die Bedeutung dieser Schritte nicht ausreichend.
Aber gerade darum ist auch die Bundesrepublik fundamental daran interessiert, daß allgemein eine unkontrollierte Weitergabe nuklearer Waffen in nationale Verfügungsgewalt unterbleibt.Die Frage, ob die Bundesrepublik dem jetzt zur Behandlung vorliegenden Vertragsentwurf zustimmen kann, hängt davon ab, inwieweit dieser mit den vitalen Interessen der Bundesrepublik zu vereinigen ist. Mit dieser Frage hat sich das Hohe Haus um so ernster und dringender zu beschäftigen, als ,die Regierung der Vereinigten Staaten die Absicht hat, schon am 9. Mai einen mit der Sowjetunion abgestimmten Entwurf der Abrüstungsgruppe der Siebzehn in Genf vorzulegen. Niemand kann sich darüber im unklaren sein, daß, wenn einmal ein gemeinsamer amerikanisch-sowjetischer Entwurf vorliegt, die zukünftige Entwicklung eine Präjudizierung erfahren wird. Der vorliegende Vertrag ist daher unter diesem Gesichtspunkt zu prüfen. Da ein endgültiger Text noch nicht vorliegt, Änderungen, Zusätze und Interpretationen seinen Inhalt noch wesentlich ändern können, falls diese von allen Seiten angenommen werden, müssen wir uns heute mit dem Vertragstext auseinandersetzen, wie er bisher bekanntgeworden ist.Bei Prüfung des Vertrages drängt sich der Gedanke auf, ob für diesen Zweck ein universaler Vertrag das geeignete Mittel ist. So werden auf diese Weise ohne jede Gegenleistung Mächte zu Garanten einer strukturellen Ordnung im europäischen und atlantischen Bereich gemacht, deren gesamte Politik auf die Unterminierung gerade dieser Friedensordnung und die Verhinderung der Ausübung des Rechtes der Selbstbestimmung im Herzen Europas gerichtet ist. Da die Zahl der Mächte, die an der Schwelle der zivilen nuklearen Entwicklung stehen, gering ist — es sind kaum mehr als zehn —, ist das Aufgebot von mehr als 110 Nationen, die zum großen Teil nur geringes Verständnis für die regionalen Probleme Europas haben, doppelt bedenklich, wenn man an spätere Änderungen des Vertragstextes denkt.Worum geht es nun bei diesem Atomsperrvertrag? Der Atomsperrvertrag beschränkt den Besitz der Kernwaffen für alle Zeiten auf einige wenige Nationen, die schon heute über solche Waffen verfügen. Diese Beschränkung soll in einem Augenblick vertraglich verewigt werden, da die Welt noch unter der Drohung des Ost-West-Konflikts steht, der zwar seit der Kubakrise seinen virulenten Charakter eingebüßt hat, bei dem sich aber die konkreten militärischen Gegebenheiten noch in keiner Weise geändert haben.Der ebenso unbeschränkte wie unbegrenzte Verzicht, den die Nuklearwaffenstaaten von den Nichtnuklearstaaten, darunter der Bundesrepublik, heute verlangen, kann durch konventionelle Bewaffnung nicht ausgeglichen werden. Es ist in diesem Zusammenhang nicht klar, mit welchen Waffen die FDP die Bundesrepublik zu verteidigen gedenkt. Gestatten Sie mir zu dem Exkurs des Kollegen Schultz in die Verteidigungspolitik, die heute ja nicht zur Diskussion steht, einige wenige Bemerkungen. Da der Ostblock über überlegene konventionelle Kräfte verfügt, ist insbesondere zur Abschreckung eines Angriffs — auf diesen Punkt möchte ich ganz entscheidend Wert legen — ein ganzes Spektrum von Waffen, angefangen von den konventionellen über die taktischen atomaren zu den strategischen Waffen, notwendig. Das ist in Wahrheit der Sinn der Strategie der flexible response, die von allen NATO-Staaten anerkannt worden ist. Strategische Waffen, die auf dem amerikanischen Kontinent stationiert sind, erscheinen ungeeignet für die Abwehr einer reinen probing action auf dem europäischen Kontinent. Wenn die taktischen atomaren Waffen vom deutschen Boden entfernt würden, bliebe als Antwort auf einen Angriff nur die Alternative, diesen mit konventionellen Waffen auszukämpfen oder zu den Megatonnenwaffen zu greifen, die das atomare Chaos auslösen würden.Bei der Eskalation der Abschreckung sind die taktischen Waffen nicht zu entbehren. Sie sind, da die Sprengsätze sich in amerikanischer Obhut befinden, in Wahrheit nicht deutsche Waffen, was Herr Kollege Schultz zu übersehen scheint. Es bleibt doch dabei — und das ist die Auffassung der großen Mehrheit dieses Hauses —, daß die Entspannungspolitik effektive Sicherheit voraussetzt.
Meine Damen und Herren, die Nichtnuklearstaaten haben angesichts eines solchen Verzichts die Wahl, den Schutz der Neutralität zu suchen, den Weg der kollektiven nuklearen Selbstverteidigung zu gehen oder eine Schutzgarantie durch eine verbündete Nuklearmacht anzunehmen.Der erste Weg bietet einem Staat wie der Bundesrepublik nur eine Scheinsicherheit — wenn überhaupt. Der zweite Weg ist auf Grund der Entwicklung der letzten Jahre praktisch nicht mehr gangbar. Der letzte Weg, die Anlehnung an eine nukleare Schutzmacht, ist, seitdem die Vereinigten Staaten unmittelbar nuklear verwundbar geworden sind, nicht mehr so sicher und unbestritten wie noch in den fünfziger Jahren. Die Differenzen über die nukleare Strategie in Europa zwischen den Vereinigten Staaten und den europäischen Nationen sind noch nicht überwunden. Das heißt mit anderen Worten, der Verzicht auf nukleare Waffen sowie auf das
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Dr. BirrenbachRecht zur nuklearen kollektiven Selbstverteidigung bürdet den nichtnuklearen Staaten einen ebenso bedeutsamen wie permanenten Verlust an eigenständiger Sicherheit auf.
Herr Abgeordneter Schultz möchte eine Zwischenfrage stellen. Gestatten Sie das?
Jawohl.
Schultz (FDP) : Herr Kollege Birrenbach, muß ich Sie, nachdem Sie die drei Wege aufgezeigt haben, von denen auch der letzte, nämlich die Anlehnung an eine nukleare Schutzmacht, nicht mehr sicher ist, so verstehen, daß Sie die Verpflichtung, die wir 1954 übernommen haben, nun praktisch aufgeben und zur Herstellung eigener Atomwaffen übergehen wollen, oder was sollen Ihre Ausführungen bedeuten?
Herr Kollege Schultz, ich weiß nicht, was ich Ihnen auf diese Frage antworten soll. Daß sich eine Verschiebung der Machtsituation in der Welt ergeben hat, ist für jeden selbstverständlich und sollte auch für Sie erkennbar sein. Daß der Schutz des deutschen Territoriums nicht mehr in gleicher Form gesichert ist wie zu Beginn der fünfziger Jahre, wo die Vereinigten Staaten praktisch allein über das Atomwaffenmonopol verfügten, das ist doch für jeden verständlich. Wenn aber die Situation heute nicht mehr so sicher ist wie früher, so heißt das nicht, daß sie unsicher ist. Es heißt nur, daß in die Abwägung der Strategie Gesichtspunkte aufgenommen werden müssen wie das Problem der unmittelbaren Gefährdung des amerikanischen Territoriums, das zu Beginn der fünfziger Jahre keine Rolle spielte. Daß das wichtig und bedeutsam ist, werden auch Sie sicher nicht leugnen.In der gleichen Lage wie die Bundesrepublik befinden sich Staaten wie Japan und Indien, nur mit dem Unterschied, daß ihre geostrategische Lage besser ist als die unsrige. Der Nichtverbreitungsvertrag bietet darüber hinaus einen Ansatzpunkt für parallele Interessen von Mächtegruppen über die Bündnisse hinweg. Im nuklearen Bereich nimmt die immer noch bestehende gegnerische Bipolarität in der Welt, wenn auch nur in einem ganz beschränkten, aber bedeutsamen Sektor, kooperativen Charakter an. Hier stellt sich das ständige Problem der Priorität von Allianz und Koexistenz, wie William Foster, der Abrüstungsbeauftragte der Vereinigten Staaten, es einmal in der Juli-Ausgabe von „Foreign Affairs" ausgeführt hat.Angesichts dieser Situation und der Einseitigkeit des Verzichts, der den Nichtnuklearstaaten auferlegt werden soll, und der Gefahren, die sich aus der Existenz der Massenvernichtungswaffen schlechthin ergeben, ist es nur eine Forderung elementarer Gerechtigkeit, wenn die Nichtnuklearstaaten von den Nuklearwaffenstaaten fordern, ihrerseits Schritte zu unternehmen, um — jedenfalls in Etappen — die Produktion spaltbaren Materials für militärischeZwecke und von Trägern und Trägerwaffen einzustellen und die bedeutenden Bestände zu reduzieren. Die Erfüllung dieser Forderung müßte Teil eines allgemeinen Abrüstungsprogramms sein. Alle Parteien dieses Hauses, glaube ich, sehen in dieser Forderung ein notwendiges Komplement zu dem Nuklearverzicht der Nichtnuklearstaaten. Ich verweise in diesem Zusammenhang auf die Ziffer 7 der Großen Anfrage der Koalitionsparteien und die Ziffer 2 des Antrages der FDP.Wie es scheint, soll nun die Präambel des hier zur Debatte stehenden Vertragsentwurfs eine entsprechende Absichtserklärung enthalten, ohne daß aber auf Grund des Vertrages aus der Nichterfüllung solcher Absichtserklärungen Konsequenzen gezogen werden können. Eine solche Regelung als Gegenleistung für den Nuklearverzicht der Nichtnuklearstaaten, wie der Herr Bundesaußenminister es vorhin dargetan hat, wäre denkbar, wenn die im Vertragsentwurf vorgesehene Durchführungskonferenz in periodischen Abständen die Durchführung dieses Vertrages überprüfte und dabei gleichzeitig das Recht hätte, festzustellen, daß die von den Vertragspartnern übernommenen Verpflichtungen zur Abrüstung nicht oder nicht in angemessener Weise erfüllt worden sind. Diese Feststellung müßte für die Nichtnuklearstaaten unmittelbare Konsequenzen haben, deren Charakter im einzelnen noch zu definieren wäre. Die Erreichung einer derartigen Regelung ist Gegenstand des Punktes 3 der hier debattierten Großen Anfrage der Koalitionsparteien.Darüber hinaus wünscht die Bundesrepublik in ihrer ganz spezifischen Lage gegenüber der Sowjetunion, die die Bundesrepublik zum Objekt ständiger Diffamierungen macht, die Möglichkeit zu erhalten, sich auf den Entspannungscharakter unseres Verzichts zu berufen. Dies ist um so wichtiger, als frühere Verzichte der Bundesrepublik auf atomarem Gebiet von der Sowjetunion nie honoriert worden sind.Noch zentraler ist aber das Interesse der Bundesrepublik und anderer Staaten in entsprechender Lage in Europa wie auch in Asien daran, daß die Schutzgarantie, die für die europäischen Mächte im NATO-Vertrag, für Japan im japanisch-amerikanischen Bündnisvertrag verankert ist, die Bundesrepublik und ihre NATO-Partner in Europa gegen jede nukleare Drohung seitens eines Nuklearwaffenstaates schützt. Auch diese Garantie müßte in unzweideutiger Form in der Präambel enthalten sein. Sie gewänne für die Bundesrepublik erst dann ihre volle Bedeutung, wenn es gelänge, die derzeitigen Differenzen über die nukleare Strategie in Europa auszugleichen. Dieses Schutzbedürfnis ist Gegenstand der Ziffer 6 der Großen Anfrage der beiden Regierungsparteien. Es hat den Anschein, daß die Vereinigten Staaten für dieses Anliegen der Bundesrepublik und anderer vergleichbarer Staaten Verständnis haben. Wir geben der Hoffnung Ausdruck, daß der künftige definitive Vertragstext diesen Wünschen Rechnung trägt.Meine Damen und Herren, der hier zur Erörterung stehende Nichtverbreitungsvertrag trifft in seinen operativen Bestimmungen die Interessen der
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Dr. BirrenbachBundesrepublik in dreifacher Hinsicht, und zwar erstens im Bereich der Sicherheit als Verbündete der Vereinigten Staaten und unserer übrigen NATO-Partner, zweitens im Bereich der politischen Integration als einen Staat, der an der Einigung des europäischen Kontinents zusammen mit anderen europäischen Staaten interessiert ist, und drittens im zivilen Bereich als bedeutenden Industriestaat, der an der friedlichen Nutzung der Kernenergie wie andere an der Schwelle der zivilen Kernentwicklung stehende Staaten interessiert ist.Angesichts des vagen Charakters der Art. I und II des Vertragsentwurfs müssen wir darauf bedacht sein — und darauf zielt Ziffer 6 der Großen Anfrage der Koalitionsparteien —, daß wichtige Regelungen des atlantischen Bündnisses auf nuklearem Gebiet nicht nachteilig beeinflußt oder sogar in Zukunft unmöglich gemacht werden. Das bedeutet erstens, daß eine Denuklearisierung des Kontinents auf Grund einer entsprechenden Interpretation des Begriffs „nukleare Waffen" vermieden wird, die eine nicht zu verantwortende Schwächung sowohl der Abschreckung als auch einer möglichen defensiven Abwehr von Aggressionen zur Folge hätte; zweitens, daß das Mitspracherecht in der nuklearen Planungsgruppe der NATO nicht beeinträchtigt wird, d. h., daß die geplante Planung und Konsultation auf nuklearem Gebiet nicht als indirekte Kontrolle im Sinnne des Vertrages angesehen wird; drittens, daß einer grundlegenden Änderung auf technologischem Gebiet im Sinne der Erfindung rein defensiver Antiraketenwaffen Rechnung getragen wird; viertens, daß nukleare Regelungen innerhalb des Bündnisses, wie sie gegenwärtig bestehen und künftig in ähnlichem Rahmen vereinbart werden, durch den Vertrag nicht berührt werden. Hier decken sich die Schutzinteressen der Bundesrepublik mit denen aller europäischen NATO-Partner. Wenn die Vereinigten Staaten bereit sein sollten — das entnehme ich den Worten des Herrn Bundesaußenministers —, den Vertragsentwurf im Sinne dieser Forderung authentisch zu interpretieren, dann wäre die Gefährdung wichtiger europäischer Sicherheitsinteressen durch diesen Vertrag vermieden.Was den zweiten Bereich der zukünftigen politischen Integration anbelangt, so ergeben sich Probleme in doppelter Hinsicht. Einmal fragt es sich, ob auf Grund der. Vorentwürfe die Aussichten einer zukünftigen politischen Einigung Europas beeinträchtigt werden. Hier liegt primär unsere Sorge, weniger in dem Wunsch eines „nuclear sharing" selbst. Ich möchte insoweit die Worte des Herrn Bundesaußenministers noch unterstreichen. Die politische Einigung Europas kann auf die Dauer an der Lösung der Aufgabe einer gemeinsamen Verteidigung nicht vorbeigehen. Nicht von ungefähr haben die europäischen Nationen in den fünfziger Jahren in der Schaffung einer Europäischen Verteidigungsgemeinschaft eine Etappe auf dem Wege zur politischen Einigung Europas gesehen.Der Nichtverbreitungsvertrag enthält in den Art. I und II eine einschneidende Bestimmung insofern, als die Nuklearwaffenstaaten sich verpflichten, nukleare Waffen bzw. die Kontrolle an solchen an keinen irgendwie gearteten Empfänger zu übertragen. Dieser Wortlaut schließt auf den ersten Blick die Übertragung an Nuklearwaffenstaaten, nichtnukleare Staaten, Allianzen und Staatenverbindungen aus. Damit wäre die europäische Option über den Text des Vertrages unmittelbar berührt.In diesem Zusammenhang — darauf hat der Herr Bundesaußenminister hingewiesen — wird die Auffassung vertreten, der Vertrag finde in seiner jetzigen Form keine Anwendung auf die Rechtsnachfolge eines künftigen europäischen Bundesstaates in den nuklearen Status früherer Gliedstaaten, d. h. der bisherigen europäischen Nationalstaaten. Diese Rechtsauffassung scheint völkerrechtlich zutreffend zu sein. Dieser Fall scheint uns aber praktisch höchst hypothetischer Natur zu sein. Alle Wahrscheinlichkeit spricht dagegen, daß die Einigung Europas in der Form eines originären Rechtsakts auf der Grundlage der Doktrin der Staatensukzession zustande kommt. Alle Zwischenformen aber scheinen nach dem Wortlaut des Vertrages kaum denkbar zu sein. Mit dieser Tatsache muß sich die Bundesregierung und müssen sich die Parteien dieses Hohen Hauses auseinandersetzen. Die Bundesregierung sollte sich bemühen, in den kommenden Verhandlungen eine praktikable Interpretation sicherzustellen; die einer europäischen Einheit von morgen nicht den Weg versperrt.Wir müssen uns darüber hinaus aber noch über ein zweites Problem im klaren sein. Der Vertrag macht eine zukünftige amerikanisch-europäische Partnerschaft auf nuklearem Gebiet unmöglich. Der Begriff „any recipient" ist so umfassend, daß er eine solche Partnerschaft ausschließt. Kommt also eines Tages ein geeintes Europa in der erwähnten Form als neues Völkerrechtssubjekt zustande, so könnte es seinen nuklearen Status nur aus eigenen Mitteln entwickeln. Ob diese ausreichen, mag dahingestellt sein.So bedeutet die jetzige Fassung des Nichtverbreitungsvertrages einen tiefen Einschnitt in die Grundkonzeption der Einigung des Westens, wie sie in den letzten Jahren Gemeingut des Westens gewesen zu sein schien. Wenn diese Fragen heute auch nicht akut sind, so müssen wir uns doch mit ihnen auseinandersetzen, weil es sich um einen Vertrag handelt, der auf unbeschränkte Dauer geschlossen werden soll.
Herr Kollege Ertl möchte eine Zwischenfrage stellen.
Herr Kollege Birrenbach, Sie sprechen dauernd von dem „vorliegenden" Vertrag. Sind Sie besser informiert als beispielsweise der Kanzler und der Außenminister, und sind Sie in der Lage, die Interpretation bzw. Stellungnahme zu dem bestehenden Vertrag hier abzugeben?
Ich habe überhaupt keine Interpretation des Vertrages vorgenommen,
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Dr. Birrenbachabgesehen von Art. I und Art. II, die Sie in der internationalen Presse jederzeit nachlesen konnten.
Darf ich zu Punkt 3 kommen. Der dritte Bereich, in dem der Atomsperrvertrag die Interessen der Bundesrepublik, und zwar vital, berührt, ist der der friedlichen Nutzung der Kernenergie. Hier liegt der entscheidende Teil des Vertrages. Diese Frage ist Gegenstand der Ziffern 3, 4 und 5 der Großen Anfrage der CDU/CSU und der SPD sowie der Ziffer 3 des Antrags der FDP. Im Gegensatz zu den früheren Entwürfen sah der Art. III, wie er zu Beginn des Jahres bekanntgeworden ist — in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung nachzulesen —, einen tiefgreifenden Eingriff in die Sphäre der friedlichen Nutzung der Kernenergie durch die zivilen Nuklearmächte vor. Die Verhandlungen der letzten Wochen und Monate scheinen, wie sich aus der Regierungserklärung zu unserer großen Genugtuung ergibt, eine wesentliche Verbesserung des Entwurfs möglich gemacht zu haben.
In diesem Zusammenhang ergeben sich folgende Probleme. Erstens. Art. III des Vertrages in der bisher bekannten Fassung sieht eine Diskriminierung aller Nichtnuklearstaaten auch für den Fall der friedlichen Forschung und Nutzung der Kernenergie vor. Alle Nichtnuklearstaaten sollen ihre friedliche Verwendung der Kernenergie der Kontrolle der IAEO in Wien oder einem anderen Kontrollsystem unterwerfen, das von dieser auf Grund eines Verifikationsabkommens überprüft werden würde. Dazu ist zu sagen: es ist nicht einzusehen, warum auch außerhalb des militärischen Bereichs die Nichtnuklearstaaten auf dem zivilen Sektor eine permanente Diskriminierung hinnehmen sollen. Die indische Ministerpräsidentin Indira Gandhi hat in ihrer Rede vor den Präsidenten der indischen Unionsstaaten am 8. April und der japanische Ministerpräsident Sato hat in seiner Rede vor dem Reichstag am 16. März dieses Jahres diese Diskriminierung als unannehmbar zurückgewiesen. Es ist richtig, daß die Sowjetunion sich weigert, ihre friedliche Entwicklung der Kernenergie einer internationalen Kontrolle zu unterwerfen, während sie gleichzeitig im Board der Wiener Organisation vertreten ist und Inspektoren ihrer Nationalität andere Vertragsstaaten auf deren Territorium prüfen.Nach den Erklärungen des Bundesaußenministers scheinen aber die Vereinigten Staaten und Großbritannien für den Standpunkt der Nichtdiskriminierung, den praktisch alle zivilen nuklearen Schwellenstaaten vertreten, Verständnis zu haben. Jedenfalls wäre es ein bedeutender Schritt in der Richtung, das Abkommen universal akzeptabel zu machen, wenn diese grundsätzliche Diskriminierung der zivilen Nichtnuklearstaaten ausgeschaltet würde.Ein weiteres Problem ergibt sich zweitens aus der Tatsache, daß die Bundesrepublik Mitglied der Euratom-Gemeinschaft ist. Die Euratom kontrolliert die friedliche Verwendung eingeführter Kernbrennstoffe und solcher, die mit Hilfe dieser erzeugt werden. Hier liegt eine entscheidende Funktion der Europäischen Atomgemeinschaft. Eine Abänderung des Kontrollsystems oder seine Ersetzung durch ein anderes fällt in die Zuständigkeit der Euratom und ist nicht allein Angelegenheit der Souveränität der Mitgliedstaaten.Nach Art. III des neuen Vertrages wird die Wirksamkeit der Euratom-Kontrollen nur für einen Übergangszeitraum anerkannt. Der Vertrag macht jedoch, wenn man der internationalen Presse Glauben schenken soll, eine wichtige Ausnahme. Falls nämlich innerhalb dieser Zwischenzeit ein Abkommen über die Verifikation dieser Kontrollen zustande kommt, werden diese als den Kontrollen der IAEO äquivalent angesehen.Das Nebeneinander zweier Kontrollsysteme wirft sicherlich Probleme auf. Darauf hat der Präsident der Euratom, Chatenet, in der März-Debatte des Europäischen Parlaments mit Nachdruck hingewiesen. Darüber hinaus bedarf es der Anpassung der weitergehenden IAEO-Kontrollen an den künftigen Nichtverbreitungsvertrag und der Änderung des Euratom-Vertrages. Die Änderung dieser Verträge einschließlich der Ratifikation wird eine geraume Zeit in Anspruch nehmen, die bei der Fristsetzung berücksichtigt werden muß. Der Vertrag in seiner endgültigen Fassung sollte alle Vertragsstaaten verpflichten, den Abschluß eines solchen Abkommens zu fördern. Die negativen Konsequenzen einer Ausschlußfrist müßten auf alle Fälle vermieden werden.Die Nichtanerkennung der Kontrollen der Euratom einerseits und die Notwendigkeit eines Verifikationsabkommens andererseits wirft im Rahmen der Euratom noch ein spezifisches Problem auf. Da sich bisher Frankreich als Nuklearwaffenstaat weigert, seine zivilen Reaktoren einer anderen Kontrolle als der der Euratom zu unterwerfen, besteht die Gefahr der Aufhebung des Gemeinsamen Marktes für spaltbares Material und der Einführung von Grenzen innerhalb der Gemeinschaft. Damit würde das Prinzip der zivilen nuklearen Gleichheit aufgehoben und eine bilaterale deutsch-französische Zusammenarbeit auf diesem Gebiet in Frage gestellt. Wir können nur der Hoffnung Ausdruck geben, daß es die künftige Lösung des Kontrollproblems Frankreich möglich macht, sich in bezug auf die friedliche Verwendung nuklearer Energie den gleichen Kontrollen wie die übrigen Partner der Euratom zu unterwerfen.Drittens. Die künftige Kontrolle muß sich, wenn sie akzeptabel sein soll, nur auf den Vertragszweck beschränken, d. h. auf die Verhinderung des Mißbrauchs der Kernenergie zu militärischen Zwekken. Dieses Prinzip sollte sowohl in der Präambel als auch in den operativen Bestimmungen des Vertrages verankert werden.Viertens. Im Sinne dieser Beschränkung dürfen wir nach den Worten der Regierungserklärung erwarten, daß sich die zukünftige Kontrolle, wer sie auch immer ausübt, auf den Ein- und Ausgang spaltbaren Materials in den verschiedenen Phasen des Brennstoffzyklus beschränkt und sich nicht auf die Technologie des Reaktors erstreckt. In diesem Zu-Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 106. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. April- 1967 4951Dr. Birrenbachsammenhang kommt der Forderung einer automatisierten Kontrolle besondere Bedeutung zu.Fünftens. Wir haben Verständnis für das Verbot der Übertragung explosiver nuklearer Vorrichtungen, soweit diese von militärischen Sprengsätzen nicht unterschieden werden können. Das gilt aber nur für diesen Fall. Im übrigen sollten die Nuklearwaffenstaaten Vorrichtungen dieser Art im Service-Wege zu akzeptablen Preisen zur Verfügung stellen.Sechstens. Von ganz kardinaler Bedeutung für die Bundesrepublik — darauf weist die Regierungserklärung hin — ist die Frage der Sicherstellung der künftigen Versorgung mit Brennstoff, und zwar Uran 235 für die Leichtwasserreaktoren und Plutonium für die zweite Generation der Reaktoren, die schnellen Brüter. Das gilt sowohl für den Eigenbedarf von in der Zukunft zu bauenden Reaktoren und Kraftwerken der Bundesrepublik als auch für den Export solcher Kraftwerke an Drittempfängerstaaten. Ohne die Sicherstellung der Brennstoffversorgung ist ein solcher Export praktisch nicht möglich. Diese Garantie sollte sowohl für die Euratom als multilaterale Organisation als auch für die Bundesrepublik im bilateralen Austausch gelten. Er muß außerdem zu preislichen Bedingungen möglich sein, die nicht von dem Monopolcharakter eines Landes bestimmt werden. Ohne die Sicherstellung der Brennstoffversorgung ist die Wettbewerbsfähigkeit der Bundesrepublik in der Zukunft nicht gewährleistet. Davon müssen wir ausgehen.Siebtens. Zu dieser Wettbewerbsfähigkeit gehört aber auch die Sicherstellung einer Teilhabe an den Erträgnissen der militärischen Forschung, soweit diese für die friedliche Nutzung der Kernenergie von Interesse sind, und der allgemeine Austausch wissenschaftlicher Erkenntnisse. Wenn die Vereinigten Staaten dieses Problem im Geiste des Eisenhower-Programms „Atoms for Peace" des Jahres 1955 bewältigen, so ist in einer weiteren wichtigen Frage die Diskriminierung der Nichtnuklearstaaten erträglicher gestaltet.Zusammenfassend ist zur Frage der friedlichen Verwendung nuklearer Energie zu sagen, daß die Verhandlungen der Bundesregierung ,der letzten Monate mit den Vereinigten Staaten große Fortschritte gemacht zu haben scheinen. Sollte sich diese Erwartung erfüllen, so würde der Ziffer 3 des Antrages der FDP und den Ziffern 3, 4 und 5 der Großen Anfrage der CDU/CSU Rechnung getragen werden.
Herr Abgeordneter Moersch möchte eine Zwischenfrage stellen.
Herr Dr. Birrenbach, darf ich Ihre vorherigen Ausführungen und den Hinweis auf die Eisenhower-Deklaration von 1955 „Atome für den Frieden" so deuten, daß Sie offensichlich daran zweifeln, daß die Vereinigten Staaten in der Praxis jetzt noch zu diesem Punkt stehen? Haben Sie Beweise dafür?
Herr Kollege, genau das Gegenteil ist ,der Fall. Die deutsche Entwicklung beruht auf dem Atoms-for-Peace-Programm der Vereinigten Staaten. Das ist zunächst anzuerkennen. Wenn also in bezug auf die Zukunft der Vertrag daran nichts ändert, haben wir nicht die geringste Sorge für unsere zukünftige Entwicklung.Eine vollständige Beurteilung des Vertrages ist aber nicht möglich, wenn man von der Erörterung der Prozedurbestimmungen Abstand nimmt. Es ist einfach nicht einzusehen, warum man bei Änderung des Vertrages jedem einzelnen Nuklearwaffenstaat ein Veto zugestehen sollte. Das Erfordernis der Mehrheit aller Vertragspartner ist schon ein nahezu unüberwindliches Hindernis für jede Änderung. Der Formulierung der Kündigungsklausel kommt daher besondere Bedeutung zu. Die Durchführungskonferenz, 'die der Vertrag vorsieht, sollte nicht nur einmal, sondern in regelmäßigen Abständen zusammentreten. Sie sollte die Zuständigkeit erhalten, die Erfüllung aller aus ,dem Vertrag und der Präambel sich ergebenden Verpflichtungen der Nichtnuklearstaaten ebenso wie der Nuklearwaffenstaaten zu überprüfen. Wird von ihr die Nichterfüllung, sei es ,der Abrüstungsbestimmungen, sei es der Nichtbehinderung der friedlichen Entwicklung, festgestellt, so müßte diese Konferenz ermächtigt sein, daraus die notwendigen Konsequenzen zu ziehen.Meine Damen und Herren, die Tatsache, daß dieser Vertrag so einschneidende Veränderungen des Verhältnisses der europäischen Nationen untereinander, der europäischen Nationen zu den Vereinigten Staaten, des gesamten Westens zur Sowjetunion und zum Ostblock im ganzen gesehen zum Ergebnis hat, ist ein außerordentlich gravierendes Moment. Fehleinschätzungen der zukünftigen politischen, militärischen, wirtschaftlichen und technologischen Entwicklung können unübersehbare Konsequenzen haben, wenn der Vertrag für unbestimmte Zeit geschlossen ist. Wenn die Verpflichtung, die dieser Vertrag stipuliert, lediglich im Rahmen der Allianz übernommen werden müßte, so könnte man sicher sein, daß jeder fundamentale Wechsel in einem der dargelegten Bereiche im freundschaftlichen Einverständnis seine Korrektur finden könnte. Im Rahmen eines universalen Vertrages ist das nicht möglich. Regionale Probleme können im weltweiten Rahmen kaum gelöst werden. Es gibt keine Mehrheit für spezifisch europäische Probleme. Ferner ist eine Revision in einem universalen Vertrag zusätzlich schwierig, weil die Sowjetunion die Spaltung des Bündnissystems auch über diesen Vertrag bewußt und gewollt anstrebt. Die Londoner Erklärung des sowjetischen Ministerpräsidenten spricht eine deutliche Sprache.Um aber eine Entwicklung, die durch den Zeitablauf überholt ist, zu korrigieren, erhält die Idee der Beschränkung der Geltungsdauer des Vertrages ihre besondere Bedeutung. Sie ist keine deutsche Idee. Die Italiener haben sie vorgeschlagen, Japan und andere neutrale Staaten haben sie unterstützt. Kanada hat sie lange Zeit für wichtig gehalten. Für eine solche Beschränkung der Geltungsdauer des
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4952 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 106. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. April 1967
Dr. BirrenbachVertrages sind vielerlei rechtliche Formen denkbar. Es ist nicht der Zeitpunkt, jetzt diese Möglichkeiten im einzelnen darzulegen. Wir vermögen auch nicht zu beurteilen, ob eine solche Bestimmung Aussicht auf Annahme hat. Die Tatsache aber, daß eine Reihe der wichtigsten Schwellenmächte sie aus unterschiedlichen Gründen unterstützt, beweist nur, wie tiefgehend die Erkenntnis der Problematik eines unbefristeten Vertrages auf einem so vitalen Gebiet wie dem nuklearen ist.Lassen Sie mich damit schließen: Das Ziel der Bundesrepublik nach Auffassung 'der CDU/CSU Ist es und muß es sein, in Konsultationen mit den Vereinigten Staaten, Großbritannien und den übrigen Mitgliedern der Abrüstungsgruppe in Genf zu erreichen, daß dieser Vertrag universal akzeptabel wird. Der Grundgedanke der Nichtverbreitung wird in Deutschland uneingeschränkt akzeptiert, nur darf er nicht überzogen werden. Wird diese Gefahr aber vermieden und den Erwägungen Rechnung getragen, die von der Bundesregierung und den Regierungsparteien in diesem Hohen Hause vorgetragen worden sind, so könnte der Vertrag eine wichtige Etappe auf dem Felde einer konstruktiven Entspannungspolitik werden, aber auch nur dann.
Wir treten in die Mittagspause ein.
Nach der Pause werden sprechen Herr Abgeordneter Schmidt und Herr Abgeordneter Borm.
Ich unterbreche die Sitzung bis 14.30 Uhr.
Die Sitzung ist wieder eröffnet. Wir fahren fort in der Aussprache zu Punkt 3 a und b der Tagesordnung. Das Wort hat der Abgeordnete Schmidt .
Herr Präsident! Ich bitte, meine Wortmeldung zurückzustellen, biss die Bundesregierung vertreten ist.
Nun bin ich in einiger Verlegenheit. Ich kann auch dem nächsten Redner nicht das Wort erteilen, denn er ist nicht im Saal. Ich muß den Beginn der Sitzung um eine halbe Stunde verschieben.
Die Sitzung ist wieder eröffnet. Ich bedaure die kleine Panne, die zum Teil auch auf die Verkehrsverhältnisse in Bonn zurückzuführen ist,
was ich nicht auf die Zahl der anwesenden Abgeordneten in jenem Zeitpunkt, in dem ich die Sitzung aufhob, beziehen möchte.
Meine Damen und Herren, wir fahren in der Aussprache zu den Punkten 3 a und b der Tagesordnung fort. Das Wort hat der Abgeordnete Schmidt .
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Um auf die Verkehrsverhältnisse zurückzukommen: Das ist ja ein Ausdruck, der durchaus im übertragenen Sinne verwendet werden kann. Ich hoffe, daß das Parlament der Bundesregierung durch die Weigerung, in ihrer Abwesenheit zu verhandeln, keine zu großen Schwierigkeiten eingebrockt hat. Aber bei einer Großen Koalition, die über eine so große Mehrheit in diesem Hause verfügt, findet der Dialog ja nicht so sehr zwischen den Fraktionen, sondern vielmehr zwischen diesem Haus und der Bundesregierung statt. Das ist eine etwas andere Situation als früher, und das müssen wir alle — auf den Bänken der Fraktionen wie auf den Bänken der Regierung — wahrscheinlich erst noch lernen.
Wir haben ja kein Interesse daran, unter uns Selbstbefriedigung zu treiben.
— Ich habe eben Gelächter auf der Regierungsbank gehört. Ich werde jetzt ernst: Es ist nicht unsere Sache, daß wir uns hier „steril aufgeregt" miteinander unterhalten, während die Regierung durch ihre Ministerialdirigenten vertreten ist.
Ich habe nur wenige Bemerkungen zu machen, und es tut mir deshalb leid, daß ich der Anlaß für diese Unterbrechung war. Ich möchte sie damit einleiten, für meine Fraktion zu sagen, daß uns die Beantwortung der Großen Anfrage durch die Bundesregierung durchaus zufriedengestellt hat. Das vorweggeschickt, nun zwei oder drei kleine Bemerkungen.In der Frage 4 der beiden Regierungsfraktionen war die Sorge angesprochen worden, ob die Versorgung der Bundesrepublik mit Brennstoff und Spaltstoff für friedliche Zwecke auch in Zukunft sichergestellt werden kann. Der Herr Bundesaußenminister hat dazu eine relativ optimistische Auskunft gegeben. Aber er hat sich in dem Punkte doch ebenso relativ lapidar gefaßt. Ich wünsche sehr, daß an dem gleichen Tag, an dem die deutsche Unterschrift unter den Nonproliferationsvertrag gesetzt wird, auch die Unterschriften des amerikanischen und des deutschen Partners unter einen langfristigen Liefervertrag für Brennstoff und Spaltstoff gesetzt werden. Dies Problem mag im Augenblick manchem als sehr weit in die Zukunft gegriffen erscheinen. Ich bin überzeugt, daß es im Laufe von weniger als einem Jahrzehnt nicht nur ein erhebliches wirtschaftliches, sondern dann, wenn etwa die Versorgung nicht sichergestellt werden könnte, auch politisches Gewicht bekommen würde. Ich
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Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 106. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. April 1967 4953
Schmidt
möchte in dem Punkt noch etwas weitergehen und anheimgeben, ob nicht die Bundesregierung im Schoße das dafür zuständigen Ministeriums — das wäre wohl Herr Stoltenberg — Pläne machen sollte, wie und auf welche Weise die Bundesrepublik selbst notfalls eine Art von Pilot-Plant, einen ersten Vorläufer einer eigenen deutschen Isotopentrennanlage, vorbereiten kann. Wir müssen damit zeigen, daß wir uns für unsere friedlichen Zwecke auch selber mit Kernstoffen und Spaltstoffen versorgen könnten und notfalls auch wollen. Ich habe den Eindruck, daß dieser Aspekt im Gesamtzusammenhang der noch zu führenden Gespräche über den Nonproliferationsvertrag von uns hervorgehoben werden müßte.In einer Antwort auf die Frage Nr. 6 hat Herr Brandt gesagt, daß der ins Auge gefaßte Vertrag, von dem endgültige Texte noch nicht ausgehandelt sind, keine internen Regelungen des nordatlantischen Bündnisses erschwere. Mir ist das durchaus plausibel vorgekommen. Ich habe die Antwort nicht zu kritisieren. Aber sie hat in mir die Frage ausgelöst, die ich hier artikulieren möchte und von der ich annehme, daß ich sie für alle drei Fraktionen des Hauses artikulieren kann: Was sind eigentlich die gegenwärtig geltenden internen Regelungen des Bündnisses auf diesem Felde? Wir haben relativ lange Zeit — ich meine, seit dem vorigen Sommer oder Frühherbst — nichts von den Entwicklungen auf diesem Felde gehört. Wir wissen, daß der Verteidigungsminister jüngst zu Besprechungen mit seinen übrigen Kollegen in dem sogenannten McNamara-Komitee oder der nuklearen Planungsgruppe der Allianz bei Herrn McNamara gewesen ist. Wir wissen, daß Anfang Mai eine NATO-RatTagung bevorsteht. Nach den Zeitungsnachrichten zu urteilen sollen dort vier alternative Strategien zur Debatte stehen. Mir kommt das reichlich abenteuerlich vor. Ich wäre froh, wenn wir eine hätten. Aber immerhin ist das ein Thema, das unter den Regierungen im Fluß ist. Zu diesem Thema möchten wir nicht nur wissen, was die Auffassung unserer eigenen Regierung ist, sondern auch selber Gelegenheit haben, uns rechtzeitig Gedanken zu machen, uns rechtzeitig zu äußern, damit wir nicht nur im nachhinein Kenntnis nehmen können. Das ist keine Kritik an der Antwort der Regierung, wohl aber eine ernstgemeinte Randbemerkung.Nun möchte +ich auf die öffentliche Debatte zurückkommen, die in den letzten Monaten in der Bundesrepublik zu dem Nonproliferationsthema stattgefunden hat und die ja noch andauert. Ich habe diese öffentliche Debatte zum Teil als nützlich, nämlich den deutschen Interessen förderlich, empfunden. Aber 'ich will ebenso deutlich sagen, daß ich manche öffentliche Äußerung aus dem Munde von Politikern wie auch in Zeitungen aus den Federn von frei tätigen Kommentatoren als den deutschen Interessen schädlich empfunden habe. Es hat unserem Ansehen weder im Westen noch im Osten noch in den neutralen Staaten der dritten Welt genützt, wenn wir durch die Benutzung außerordentlicher Vokabeln wie „Verewigung von Jalta" oder „Super-Versailles" den Eindruck hervorgerufen haben, als ob es uns möglicherweise um weit größere Probleme gehe, als in den offiziellen Demarchen und Vorstellungen unserer eigenen Regierung erkennbar.Der Herr Bundeskanzler, der ja für seine Kunst des Formulierens bekannt ist, wird es mir nachsehen, wenn ich mit allen Respekt sage, daß ich seine Formulierung von der „Komplicenschaft" der beiden großen Mächte auch nicht gerade für ein diplomatisches Meisterstück gehalten habe.
Der Außenminister hat, ich glaube, heute morgen — oder ist es in den letzten Wochen in seinen anderen öffentlichen Äußerungen der Fall gewesen? — davon gesprochen, daß die Bundesrepublik Deutschland keine Führungsrolle für die Nichtkernwaffenstaaten erstrebt habe oder erstrebe, die natürlich sehr weitgehend gleiche Interessen verfolgen und durchsetzen müssen, ehe sie etwa einem Vertrag dieser Art ihre Zustimmung geben. Ich halte das für eine richtige Einschätzung der Rolle, die die Bundesrepublik Deutschland bei der Vorbereitung dieses Vertrages spielen muß. Es ist nicht gut, sich so zu gerieren, daß, wenn der Vertrag, aus welchen Gründen auch immer, schließlich nicht zustande kommt, wir Deutschen vorher so viel Geräusch gemacht haben, daß wir mit großem Erfolg auch von denen, die froh sind, daß der Vertrag nicht zustande kommt, als diejenigen hingestellt werden, auf die man mit dem Finger zeigt, weil sie die Schuld am Nichtzustandekommen haben. Das wäre eine sehr unerwünschte Position für die deustche Bundesrepublik und wäre im übrigen auch vis-à-vis Ost für unsere Interessen nicht förderlich.Umgekehrt teile ich manche Gedanken derjenigen, die große Sorgen im Zusammenhang mit dem Vertrag haben, wie Herr Birrenbach sie vor der Mittagspause hier Vorgetragen hat. Die Regierung hat sie seit Wochen und Monaten längst zu den ihren gemacht und gegenüber unseren Partnern vertreten. Denjenigen aber, die diese Sorgen in der Öffentlichkeit zum Teil außerordentlich ausdrucksstark vorgebracht haben, möchte ich doch einmal die Lage vorhalten, die für sie entsteht, wenn schließlich der Vertrag zustande kommt, weil alle diejenigen, die gegenüber den Problemen des Vertrages in einer der Bundesrepublik Deutschland vergleichbaren Situation stehen, zugestimmt haben. Und wenn dann auch .die Bundesrepublik, weil nicht diskriminiert, zustimmen wird, dann frage ich mich, in welcher Lage sich mancher derjenigen befinden wird, die im Laufe der letzten drei Monate so überaus starke Reden geführt haben. Hier hat sich für mein persönliches Empfinden die alte, in der deutschen Außenpolitik durch Generationen hin und wieder zum Vorschein kommende Attitüde im Gegensatz zu dem, was wir in der Schule von unserem Latein- oder Geschichtslehrer gelernt haben, wieder hervorgekehrt: „fortiter in modo"; wie es dann „in re" sein wird, bleibt abzuwarten.Jetzt kommt der Teil der Bemerkungen, den ich wirklich an die Adresse der Bundesregierung richten möchte. Ich meine — und ich habe das Gefühl, daß es auf mehreren Seiten dieses Hauses Kollegen gibt, die der gleichen Meinung sind —, daß es angesichts dieser reichlich hochgepusteten öffentlichen
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4954 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 106. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. April 1967
Schmidt
Debatte seit Februar unserem „standing" in der Welt wohl angestanden haben würde, wenn die Bundesregierung früher als heute, früher als am 27. April öffentlich ihre Haltung dargetan hätte.
Im übrigen — auch das muß ich hier anfügen — habe ich es nicht für einen Ersatz der Klärung der Position der Bundesregierung gehalten, daß zwei ihrer Botschafter über diese Themen öffentliche Vorträge gehalten haben.
Ich nehme an, daß mehrere Kollegen in diesem Hause sehr gerne im Laufe des Frühjahrs an der Klärung der deutschen Position in diesen Fragen teilgenommen hätten, daß sie sich aber, genau wie es mir gegangen ist, natürlich — wenn auch schweren Herzens — in ihrer eigenen Stellungnahme gegenüber Beamten der Bundesregierung zurückgehalten haben, da die sich ja nicht wehren können, wenn sie von einem Abgeordneten kritisiert oder zur Ordnunng gerufen werden. Ich meine, wenn sich die Bundesregierung bei einem so heißen Thema öffentlich äußert, kann das nicht durch Botschafter oder Beamte geschehen, es muß durch Minister geschehen, es muß in diesem Hause oder in seinen Ausschüssen geschehen.
Ein paar Bemerkungen zu den Kollegen von der FDP und 211 Herrn Schultz. Herr Schultz, Sie haben hier wieder lein paar alte Hüte hervorgeholt. Sie haben z. B. im Zusammenhang mit dem Thema „Mitbesitz" — da ist die Stellungnahme der sozialdemokratischen Fraktion völlig klar, wir haben das in der Debatte über die Regierungserklärung vom 13. Dezember zwei Tage danach, am 15. Dezember, ganz klargemacht — —
— Nein, Herr Schultz hat in diesem Punkt nicht zur Regierung gesprochen, sondern er hat gesagt — das war an die Adresse der CDU/CSU- und der SPD-Fraktion gerichtet —, vielleicht würde dieses Thema hinter den verschlossenen Türen der Großen Koalition ausgehandelt. Ich habe mir das notiert. Das fand ich nicht nett, Herr Schultz. Denn es gibt für Sie — so hoffe ich — keinen Zweifel, da wir uns ja alle gegenseitig kennen, und Sie wissen, was Sie von dem halten müssen, was wir sagen. Wir sagen das seit langer Zeit und haben in dem Punkt unsere Meinung nicht geändert.
— Herr Schultz hat von der 'Großen Koalition gesprochen und davon, daß sie hinter verschlossenen Türen etwas aushandeln könnte. Jetzt müssen Sie auch die Geduld aufbringen, eine Retourkutsche in aller Ruhe anzuhören, meine Herren von der FDP.
Da finde ich es einfach nicht nett — bei allem Respekt, lieber Herr Schultz —, daß Sie meinen, wir könnten hinter verschlossenen Türen etwas anderes aushandeln, als wir hier in diesem Parlament gesagthaben und heute wiederholen. Wir Sozialdemokraten sind dagegen, daß diese Forderung auf Mitbesitz erhoben wird. Wir sind dafür, daß sie abgeschrieben wird, weil wir ohnehin wissen, daß das Ganze völlig irreal ist.
Deswegen wird es zwischen Herrn Barzel und seiner Fraktion und uns keinen Streit geben; denn er weiß seit vielen Monaten — und er hat auch nicht solche Vorstellungen —, daß er hinter verschlossenen Türen über diesen Punkt mit uns nicht etwas anderes aushandeln könnte. Man sollte von allen Seiten vermeiden, so zu tun, als ob die Große Koalition eine Angelegenheit sei, die die Sauberkeit in der deutschen Politik gefährden könnte.
Dann haben Sie zwei alte sozialdemokratische Forderungen hier vorgetragen. Sie haben sie inzwischen zu den Ihren gemacht; ich danke Ihnen dafür. Es handelt sich um das Vetorecht. Ich weiß aber, daß sich die Bundesregierung längst für diese Vorstellung einsetzt. Der Bundesverteidigungsminister hat das — wenn ich es richtig beobachtet habe — bereits im Dezember vorigen Jahres im NATO-Rat getan. Wenn ich es richtig beobachtet habe, dann hat es auch die Bundesregierung in den letzten Wochen und Monaten gegenüber dem amerikanischen Vertragspartner erneut getan. Das gleiche gilt für das crisis management. Aber darüber werden Sie wahrscheinlich dann etwas hören, wenn der Bundesverteidigungsminister zum erstenmal vor diesem Hause die nach außen gerichtete verteidigungspolitische Konzeption der Regierung der Großen Koalition vorgetragen wird.Dann hat Herr Schultz auch von der MLF gesprochen. Das ist allerdings ein ganz alter Hut, Herr Schultz. Was soll er eigentlich hier unter uns? Der gehört doch nun wirklich nicht einmal mehr aufs Pfandhaus. Der gehört also wirklich in die Raritätenkammer. Das ist vorbei. Das ist längst gewesen. Sie wissen das auch. Sie haben hier Überlegungen angestellt, wie es wohl gewesen wäre, wenn Sie noch in der alten Koalition geblieben wären und dann die MLF zur Abstimmung in diesem Hause gestanden hätte. Was hätten Sie dann wohl tun müssen? Das wäre dann die nächste Koalitionskrise gewesen. Ganz sicher haben Sie recht, Herr Schultz.
Aber das ist eben so. Es hat gar keinen Zweck über das zu reden, „was gewesen wäre, wenn".Eine letzte Bemerkung in allem Ernst. Ich möchte, Herr Brandt, an Ihre Adresse eine im Privatgespräch schon einmal gemachte Erwägung hier ganz öffentlich wiederholen. Sie haben heute dargetan — andere Redner haben es dargetan, und wir alle wissen es —, daß, wenn dieser Vertrag zustande kommt und wenn wir ihn unterschreiben, weil er unsere Interessen nicht in irgendeinem vitalen Punkte berührt und im übrigen unseren Interessen dient, wir dann in diesem Vertrag Partner nicht nur der Vereinigten Staaten und nicht nur des Vereinigten
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Schmidt
Königreichs und vieler anderer Länder sein werden,sondern auch ein Vertragspartner der Sowjetunion.Ich bin nicht ganz sicher, ob wirklich der Versuch, auf die weitere Gestaltung des beabsichtigten Vertragswerkes Einfluß zu nehmen, oder der Versuch, auf die Interpretation der bereits verabredeten Sätze Einfluß zu nehmen, sie zu festigen oder sie eindeutig machen zu lassen, nur gegenüber dem einen Vertragspartner, den Vereinigten Staaten von Amerika, betrieben werden soll, oder ob er nicht möglicherweise auch gegenüber anderen zukünftiten Partnern dieses Vertrages unternommen werden muß. Immerhin suchen wir, glaube ich, nach Anknüpfungspunkten für die Beförderung der politischen Beziehungen gegenüber der Sowjetunion.Zum anderen kann ich in mir selbst die Befürchtung nicht ganz unterdrücken, daß eine authentische Interpretation durch den einen Vertragspartner, beispielsweise Amerika, vielleicht im Verein mit manchen anderen — und ehe sie die Interpretation geben, haben sie sie vielleicht auch noch Dritten oder Vierten gezeigt —, möglicherweise doch nicht ausschließt, daß später, nach Vertragsschluß andere Vertragspartner andere Interpretationen vorbringen und wir dann nachträglich zur Erkenntnis kommen, daß von Anfang an ein den Beteiligten bewußt gewesener Dissens vorgelegen hat. Ich habe erhebliche Sorgen in der Richtung. Ich würde daher — ohne daß ich eine abschließende Meinung in dem Punkte habe und ohne daß ich den gegenwärtigen Stand der diplomatischen Beziehungen zwischen Bonn und Moskau zu übersehen vermag — nur anregen, daß noch einmal überlegt werde, ob es wirklich gut ist, daß wir uns nur mit einem der zukünftigen Partner des Vertragswerkes, an dem wir beteiligt sein sollen, unterhalten.
Damit alle diese Bemerkungen in ihrem Gewicht richtig verstanden werden — und ich will ihnen wirklich nicht sehr viel Gewicht geben —, möchte ich nochmals wiederholen, daß die sozialdemokratische Bundestagsfraktion mit der Antwort, die wir gehört haben, sehr einverstanden ist. Wir halten es für verfrüht, da doch ein verbindlicher Vertragstext noch gar nicht vorliegt, sondern man sich immer noch im Stadium des Aushandelns befindet und dabei, wie Herr Brandt vorgetragen hat, bei der Verfolgung der deutschen Interessen in den letzten Wochen und Monaten erhebliche Fortschritte und Erfolge erzielt hat, in diesem Stadium zur Frage der Unterzeichnung irgendwelche Vorwegstellungnahmen abzugeben.Mir scheint, eine solche Debatte wie die heutige und die Auskünfte, die wir bekommen haben, dienen dazu, die Position der Bundesregierung bei dem Versuch zu festigen, auch das, was bei unseren Wünschen noch offen ist, zu fördern. Die Bundesregierung hat die uns verbündeten Staaten, die an diesen Vorarbeiten beteiligt sind, mit Erfolg gebeten, unsere vitalen Interessen zu vertreten. Sie tut das weiterhin. Vor Abschluß dieser Arbeiten am Entwurf, vor Abschluß dieser Gespräche mit den Verbündeten und, ich sage es noch einmal, möglicherweise auch mit anderen zukünftigen Vertragspartnern sollten, meine ich, in unserer Öffentlichkeit — und das gilt auch für uns selbst, die wir nicht nur in diesem Hause, sondern auch bei anderer Gelegenheit zu diesem Thema sprechen — die großen Aufzählungen der theoretisch möglichen maximalen Gefährdungen, die darin liegen könnten, etwas entdramatisiert und etwas sachlicher und realistischer vorgetragen werden. Sie sollten um Gottes willen nicht unterdrückt werden. Hier liegen in mancherlei Beziehung große Besorgnisse vor, die artikuliert werden müssen. Ich wäre aber dankbar, wenn das immer in der sehr sachlichen und völlig emotionslosen Weise geschähe, wie es z. B. heute Kollege Birrenbach hier vor dem Essen getan hat.Ich danke Ihnen sehr für Ihre Aufmerksamkeit.
Das Wort hat der Abgeordnete Borm.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich begrüße es, daß die Politik, wie der Kollege Schmidt gesagt hat, hier im Plenum stattfindet und nicht hinter verschlossenen Türen. Was aber den „alten Hut" betrifft, so sind wir leider nicht im Besitz der Produktionsziffern der neuen Hüte, und deswegen müssen Sie uns schon gestatten, wenn wir ab und an, um nicht bloß dazustehen, auch mal einen alten Hut aufsetzen.Immerhin begrüße ich es, daß die heutige Debatte in einer solchen Breite geführt wird, mit einer solchen Aufmerksamkeit verfolgt wird, wie sie der Bedeutung dieses Problems entspricht. Es geht nämlich um ein Problem, das von weltweiter Bedeutung ist; es geht um die Frage, wie ein Konflikt vermieden werden kann, wie der Friede gesichert werden kann, und es geht um den Versuch, die Menschheit zunächst nicht weiter der drohenden Anwendung von Atomwaffen auszusetzen, und es geht in der Endzielsetzung um den Versuch, durch Vernichtung des Waffensystems die Bedrohung völlig auszuschalten.Zwei Verträge sind vorhergegangen: einer über den Atomstopp vom 5. August 1963 und neuerdings am 14. Februar 1967 die regional begrenzte Übereinkunft, mindestens in Lateinamerika keine Atomwaffen einzusetzen. Wir wären glücklich, wenn diese Dinge weltweit zum Tragen kämen. Europa — und in ihm das getrennte deutsche Volk in seinen beiden Teilgebieten — hat in diesem Bestreben, den Frieden zu sichern und die Gefahren durch die Atombombe auszuschalten, eine bedeutende Funktion zu erfüllen. Meine Fraktion will durch den Antrag zur atomaren Rüstung und zur friedlichen Nutzung der Atomenergie mehrere Ziele, die uns wichtig zu sein scheinen, deutlich machen. Sie will auch an dieser Stelle noch einmal eindeutig die Erklärung der Bundesregierung herbeiführen, daß wir weder den Besitz noch den Mitbesitz von atomaren Waffen anstreben, und es soll deutlich gemacht werden, daß gerade dieses Nichtstreben nach atomarem Besitz auch in Zukunft die Grundlage
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4956 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 106. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. April 1967
Bormder politischen Entscheidung der Bundesregierung sein wird.Meine Fraktion will ferner erreichen, daß sich die Bundesregierung zum Fürsprecher der weltweiten Bestrebungen macht, zunächst einmal ein Herstellungsverbot weiterer Atomwaffen zu erreichen und danach schrittweise das bestehende Atomwaffenpotential zu vernichten. Meine Fraktion erkennt sehr genau, daß mit dem Fortgang der technischen Entwicklung die Gefahr und die Möglichkeit wachsen, daß die Atomenergie, die friedlichen Zwecken zu dienen hat, zu militärischen Zwecken mißbraucht werden kann. Trotz dieser Gefahr — das ist ein Problem und vielleicht d a s Problem — muß die Teilhabe aller nicht Atomwaffen besitzenden Mächte an der friedlichen, den Fortschritt der Menschheit fördernden Nutzung der Atomenergie gewährleistet bleiben.Meine Fraktion will, daß die Bundesregierung für eine Übergangszeit in Erfüllung ihrer Verantwortung, die Substanz des ganzen deutschen Volkes zu erhalten — das ist wohl die Aufgabe der Bundesregierung in erster Linie —, ein Vetorecht innerhalb des NATO-Bündnisses gegen den Einsatz von Atombomben von deutschem Boden aus und gegen deutschen Boden erreicht. Diese Zielsetzung scheint meiner Fraktion unter den gegebenen Umständen real erreichbar zu sein. Wir wären deshalb dankbar, wenn die Bundesregierung unsere Anregungen aufgreifen würde und in der Frage der atomaren Rüstung ihre Politik entsprechend gestalten könnte.Ich spreche, meine Damen und Herren, von der Zielsetzung. Der von den USA und der Sowjetunion gemeinsam angestrebte Vertrag über die Nichtweitergabe von Atomwaffen kann nach unserer Ansicht nur dann sinnvoll sein, wenn er folgendes beinhaltet:a) Der Vertrag muß ein erster Schritt auf dem Wege zur weltweiten und völligen atomaren Abrüstung sein, auch bei denjenigen Staaten, die heute noch im Besitz von Atomwaffen sind.b) Der Vertrag kann zunächst nichts weiter sicherstellen, als daß der Kreis der Atomwaffen besitzenden Mächte sich nicht vergrößert, weder durch eigene Entwicklung von Atomwaffen noch durch deren Bezug. Um einen Mißbrauch der Kernenergie auszuschalten, scheint auch uns ein geeignetes Kontrollsystem notwendig zu sein, wobei Art und Umfang der Kontrolle ausschließen müssen, daß mit dieser notwendigen Kontrolle Mißbrauch getrieben wird.Die praktische Durchführung setzt eine Reihe von Maßnahmen voraus, zu deren Durchsetzung die Bundesrepublik ihren vollwertigen Beitrag leisten sollte. Gerade die Bundesrepublik, aber auch der unfreie Teil des deutschen Volkes befinden sich gegenüber den anderen Nationen immer noch in einer Sonderlage. Die Welt hat das Fehlverhalten Deutschlands in der jüngsten Vergangenheit noch nicht vergessen. Wir müssen zugestehen, daß die Furcht vor einer Wiederholung eines derartigen Fehlverhaltens bei manchen Völkern durchaus legitim ist, wenn wir uns auch völlig darüber klar sind, daß diese Furcht oftmals nur ein willkommener Vorwand und ein stets bereites Mittel ist, das deutsche Volk unter moralischen Druck zu setzen und durch diesen Druck fragwürdige eigene politische Vorteile zu erlangen. Wir mögen dies bedauern und wir mögen dies für unbegründet halten, ein politischer Faktor ist und bleibt es dennoch.Unter diesen Umständen fragen wir uns, ob es denn nötig war, daß gerade die Bundesrepublik sich zum Wortführer aller jener aufgeworfen hat, mit denen uns das gleiche Interesse verbindet. Zurückhaltung wäre hier sicherlich am Platz gewesen und hätte unseren politischen Widersachern, wo immer sie beheimatet sein mögen, nicht einen weiteren billigen Vorwand gegen uns bieten können.Wir begrüßen es, daß die Fraktionen der Koalition durch ihre Große Anfrage ihren Beitrag zur notwendigen Diskussion über den Atomwaffensperrvertrag leisten wollen. Das sollte Gelegenheit bieten, darzutun, daß alle drei Fraktionen des Deutschen Bundestages sich gemeinsam verpflichtet fühlen, an Stelle des labilen und etwas makabren Patt stabile Verhältnisse in der Welt anzustreben. Sicherlich sind wir alle der Meinung, daß das im Endzustand nur dann erreichbar ist, wenn die völlige Abrüstung auf atomarem Gebiet Wirklichket geworden ist. Bis dahin ist es aber noch ein weiter Weg. Wir müssen uns eben damit abfinden, daß dieser Weg nur schrittweise zurückgelegt werden kann. Sicherlich wird es auch sehr viele Auffassungsunterschiede über die Dinge geben. Es dürfte notwendig sein, gerade in dieser lebenswichtigen Frage zu einer tragbaren und geeigneten Übereinstimmung zu gelangen.Nun hat es die Bundesregierung für richtig gehalten, ihren Beauftragten, den Botschafter Schnippenkötter, zu eingehenden Konsultationen nur in die USA zu entsenden. Wir wissen nicht, mit welchen Ergebnissen er zurückgekehrt ist. Aber wir können nicht umhin, unser Bedauern darüber auszudrücken, daß die Bundesregierung ihre Konsultationen nur mit den USA geführt hat. Die USA sind nur eine der beiden atombesitzenden Weltmächte. Wenn die Bundesrepublik einen wirklichen Beitrag zur Friedenssicherung leisten will, so wird sie nicht umhin können, im Einvernehmen mit unseren Verbündeten Konsultationen auch mit Moskau durchzuführen. Durch derartige Besprechungen wird nicht nur das Bestreben Moskaus stark behindert, die Bundesrepublik zum Prügelknaben für alle Zukunft zu machen und zu diffamieren. Es wird vielmehr das Gespräch versachlicht, und die Position, welche die Bundesrepublik als Förderer der atomaren Abrüstung einnehmen sollte, wird hinsichtlich ihrer Möglichkeiten und Methoden dadurch leichter überschaubar.Nun gibt es eine Fülle von Unsicherheiten, die heute in ihren Auswirkungen durchaus noch nicht übersehbar sind. Diese Unsicherheiten bestehen derzeit darin, daß zwei Atommächte, nämlich Frankreich und China, bisher noch jede Beteiligung an dem angestrebten Vertragswerk ablehnen. Dieses Vertragswerk kann aber nur dann wirksam wer-
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Bormden, wenn ausnahmslos alle Staaten der Welt ohne Vorbehalte und ohne Hintergedanken an seiner Verwirklichung mitarbeiten.Eine weitere Unsicherheit besteht darin, daß die technische Entwicklung nicht im voraus überschaubar ist. Die angestrebten Kontrollen basieren auf den heutigen technischen Gegebenheiten. Wir wissen, daß diese Gegebenheiten wandelbar sind und daß andere Voraussetzungen eintreten können. Dadurch müßten zwangsläufig Art und Umfang der Kontrollen geändert werden, und das führt zu Auseinandersetzungen über die Auslegung des erstrebten Vertragswerks, löst endlose Streitigkeiten aus, und die Wirksamkeit des Vertrages könnte dadurch hinfällig gemacht werden.Ferner wissen wir nicht, ob das jetzige Verhältnis der beiden atomaren Weltmächte zueinander für alle Zukunft gleichbleiben wird. Es kann sehr wohl der Zustand eintreten, daß sich eine der beiden Weltmächte einseitige Vorteile unter gegebenen Umständen für sich ausrechnet, so daß der heutige Gleichklang der Interessen nicht mehr besteht, der darauf beruht, daß die beiden Mächte einen atomaren Konflikt aus Selbsterhaltungsgründen vorrangig zu vermeiden wünschen.Endlich darf nicht übersehen werden, daß die über hundert Staaten, die als mögliche Mitunterzeichner in Frage kommen, ebensoviel eigene Interessen vertreten, so daß es unmöglich ist, in dem abzuschließenden Vertragswerk all diesen verschiedenen Ansichten voll gerecht zu werden.Unter den gegebenen Umständen erscheint es unmöglich, alle Eventualitäten auch nur zu registrieren, geschweige denn, sie perfektionistisch und vorausschauend zu regeln. Das Vertragswerk muß seiner Natur nach pragmatisch sein. Seine Bestimmungen müssen flexibel sein. Sie dürfen niemandem einseitige Verpflichtungen auf die Dauer auferlegen, und dieses Vertragswerk muß unter gewissen Bedingungen revisibel sein.So sehr wir bereit sind, jeden Verdacht auszuräumen, wir würden irgendwie durch die Hintertür atomaren Besitz oder Mitbesitz anstreben, so wenig können wir auf die Dauer hinnehmen, daß die Welt in atomare Habenichtse und atombesitzende Nationen eingeteilt bleibt. Da ein allseitiger Besitz von Atomwaffen schlechterdings indiskutabel ist, bleibt nur übrig, daß im Endziel die Atomwaffen überhaupt verschwinden. Die Aufgabe der Bundesrepublik sollte es sein, dieses Endziel nie aus den Augen zu verlieren und es im Einvernehmen mit den atomaren Habenichtsen — lassen Sie mich das so sagen — ständig anzusteuern.Die Lage unserer geteilten Nation legt es uns nahe, in diese Bestrebungen der Bundesrepublik auch den unfreien Teil unseres Volkes mit einzubeziehen. Hier wäre geradezu eine klassische Gelegenheit gegeben, in der praktischen Politik abseits jeder ideologischen Differenzen den gemeinsamen Willen aller Deutschen zur Sicherheit des Friedens auf der Welt zu dokumentieren. Es würde sich die Möglichkeit bieten, durch praktische Politik zu testen, ob und inwieweit es den Machthabern in der DDR ernst mit ihrer plakatierten Aussage ist, sie wollten stets und immer und überall nur den Frieden sichern.Nun stimmen beide Teile Deutschlands wenigstens in ihren Verlautbarungen darin überein, daß sie atomaren Besitz oder Mitbesitz nicht anstreben. Wenn dem aber 'so ist, so ist nicht einzusehen, warum dann auf deutschem Boden in beiden Teilen unseres geteilten Landes die jeweiligen Verbündeten atomare Waffendepots unterhalten. Ich glaube, daß es der Bundesrepublik nicht schlecht anstehen würde, wenn sie ihre Bestrebungen darauf richtete, daß auf ihrem Gebiet diese Depots so bald wie möglich verschwinden. Der DDR wiederum sollte daran gelegen sein, das gleiche bei ihrem Verbündeten, bei der Sowjetunion, zu erreichen. Die Sicherheit beider getrennten Teile würde dadurch keineswegs beeinträchtigt werden, schon deswegen nicht, weil beide atomaren Weltmächte daran interessiert sind, die Schwelle zum Einsatz der atomaren Waffen im Konfliktsfall möglichst hochzusetzen. Nicht nur in der politischen Optik würde Deutschland bei diesem vorgeschlagenen Bestreben eine gute Figur abgeben.Mir scheint hier ein Wort der Erwiderung zu den Ausführungen des Kollegen Dr. Birrenbach nötig zu sein. Er fragte uns, wie wir uns die Verteidigung der Bundesrepublik in Abwesenheit atomarer Waffen vorstellen. Er hält die Anwesenheit und die Einsatzmöglichkeit atomarer taktischer Waffen im Rahmen der NATO im Konfliktsfall geradezu für erforderlich. Er erblickt darin einen hohen Abschreckungseffekt. Dieser Meinung, Herr Kollege Dr. Birrenbach, sind wir allerdings ganz und gar nicht. Das beweist schon unser Vorschlag, Atomwaffen jeder Stärke aus ganz Deutschland abzuziehen. Uns scheint auch 'so etwas wie ein Mißtrauen gegen unsere amerikanischen Freunde daraus zu sprechen, wenn wir den Einsatz atomarer Waffen unter unserer Beteiligung verlangen.Wir glauben, daß die NATO eine Gemeinschaft von Staaten ist, die ihre gleichgelagerten Interessen gemeinsam verteidigen und gemeinsam wahren wollen. Entweder bleibt diese Prämisse gegeben — alle NATO-Partner sollten eine darauf gerichtete Politik betreiben —, dann wird jeder an seinem Platz gewissermaßen in einer Arbeitsteilung mit seinen Mitteln im notwendigen Umfang in Aktion treten; oder die Prämisse besteht nicht mehr, dann werden wir ohnehin den Einsatz atomarer Waffen mangels Eigenbesitzes nicht erreichen können. Diese nüchterne Überlegung lag auch den Ausführungen meines Kollegen Schultz zugrunde, als er sich Gedanken machte über eine eventuell notwendige Umgestaltung des deutschen Beitrages zur Verteidigung.Atomwaffen sind eben nicht nur ein militärisches Potential, sie sind in erster Linie — mindestens vor ihrem Einsatz — ein politisches Requisit. Ich betone, daß meine Fraktion eine deutsche Beteiligung am atomaren politischen Spiel ausgeschaltet wissen möchte, und dies beiderseits der Demarkationslinie.Ich weiß nicht, ob ich den Kollegen Dr. Birrenbach richtig verstanden habe, aber es schien uns
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4958 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 106. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. April 1967
Bormimmer so, als ob die Skepsis das Beherrschende war. Ich will nicht direkt sagen, daß wir im wesentlichen das Nein heraushörten, aber wenn dies einhellig die Meinung der Kollegen in der CDU/CSU sein sollte, dann dürften die entsprechenden negativen Reaktionen aus dem Ausland sicherlich nicht ausbleiben.Meine Damen und Herren, noch ein Wort zu der beabsichtigten Praxis in der Kontrolle des Atomsperrvertrages. Sie wissen, daß die Ansichten darüber auseinandergehen, über welche Institutionen die Kontrolle durchzuführen sei, über die Internationale Atombehörde in Wien oder über das Instrument der sechs EWG-Staaten, Euratom. Unzweifelhaft ist Euratom nur für die EWG-Staaten zuständig, während die Wiener Behörde international umfassendere Aufgaben durchführen soll. Wir sollten auf die Mitbeteiligung der Euratom nicht verzichten. In der Erkenntnis aber, daß die Wirksamkeit von Euratom regional begrenzt ist, muß nach Wegen gesucht werden, die einen Ausgleich der Interessen anstreben. Wir sind von der Notwendigkeit der Kontrollen überzeugt. Über die Kontrollnotwendigkeit hinaus aber müssen wir uns dagegen verwahren, daß unsere technischen Erkenntnisse unter dem Vorwand, sie müßten kontrolliert werden, etwa ausgeforscht werden können.Meine Damen und Herren, die Schwierigkeiten, die der Lösung der atomaren Frage entgegenstehen, sind kaum überzubewerten. Wir sind hoffentlich alle darüber einig, daß ein Vertragswerk entstehen muß und daß dieses Vertragswerk nicht bereits durch seinen Inhalt den Todeskeim in sich tragen darf. Das Vertragswerk muß daher pragmatisch und nicht perfektionistisch sein.Die Welt ist nun einmal nicht statisch, sondern in stetem Wandel begriffen. Das heißt, in einer so schwierigen Materie kann am Anfang der Bemühungen nicht erwartet werden, daß durch ein wie immer geartetes Vertragswerk alle Fragen befriedigend gelöst werden können. Ich entsinne mich da eines russischen Sprichworts, das mir immer besonders beherzigenswert erschien; es heißt: „Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser." Danach sollten auch wir handeln. Wir sind bereit, unseren Freunden jedes Vertrauen entgegenzubringen. Aber ich möchte betonen, daß wir auch bei unseren Widersachern den guten Willen, ohne den Gegenbeweis geführt zu sehen, unterstellen wollen und sollten.Wir sollten aber nicht an ein unbefristetes Vertragswerk herangehen, das uns für alle Zeiten Fesseln auferlegen könnte. Wir sollten uns die Möglichkeit offenhalten, bei einer offenbar allseits negativen Entwicklung wieder freie Hände zu bekommen. Wir sind bereit, für eine bestimmte Zeit allen Maßnahmen, die erforderlich zu sein scheinen, zuzustimmen. Wir werden aber aufmerksam beobachten, was unsere Freunde und unsere Widersacher im letzten mit dem Vertragswerk anstreben. Wir wollen nicht, daß die Welt geteilt bleibt. Um diese Teilung zu überwinden, sind wir bereit, jeden geeigneten Weg mitzugehen, allerdings nicht bedingungslos für alle Zukunft.Wir glauben, daß die Bundesregierung angesichts der vielen Unsicherheitsfaktoren und angesichts der nicht überschaubaren künftigen Entwicklung es zur Bedingung machen sollte, nach einer Frist von etwa fünf Jahren eine Überprüfung des Vertrages verlangen zu dürfen. Je nach den gemachten Erfahrungen wird sich dann zeigen, ob das Vertragswerk dem zu erklärenden Willen der Unterzeichner gerecht wird, ob es geeignet ist, den Frieden zu sichern, oder ob es einseitige Vorteile zu Lasten anderer Vertragschließender ermöglicht.Deswegen glauben wir, daß die Bundesrepublik zu dem angestrebten Vertragswerk ja sagen sollte, daß sie aber ebenso darauf dringen sollte, dieses Vertragswerk revisibel zu machen.Nun haben wir heute die Antwort der Bundesregierung gehört. Auch wir sind der Meinung, daß es gut gewesen wäre, wenn die Regierung nicht nur durch den Antrag meiner Fraktion und durch die Fragen der beiden anderen Fraktionen genötigt worden wäre, aus ihrer Reserve herauszutreten; wir hätten es begrüßt, wenn uns die Bundesregierung bereits früher aus eigener Initiative über ihre Ansichten und über die Möglichkeiten ins Bild gesetzt hätte. Aber immerhin, wir haben trotzdem aufmerksam die Antwort der Bundesregierung gehört, die durch den Herrn Bundesaußenminister vorgetragen wurde. Wir begrüßen es, daß in wesentlichen Fragen eine Übereinstimmung mit uns festzustellen ist und daß die Grundlage, von der aus die Bundesregierung ihre Politik betreiben will, als Endziel auch ihrerseits die Abschaffung aller Atomwaffen vorsieht. Wir haben auch aufmerksam studiert, wo der Herr Bundesaußenminister etwas mehr in das Konkrete und in die Einzelheiten gegangen ist, und wir wünschen ihm in dem, was er vorgetragen hat, und in seiner Zielsetzung jeden Erfolg. Wir begrüßen das Bekenntnis zur Notwendigkeit, Rüstung — nicht nur atomarer Art, sondern jeder Art — zu begrenzen und zu kontrollieren, und wir teilen die Ansicht der Bundesregierung, daß durch den Atomsperrvertrag die Zukunft Deutschlands stark beeinflußt werden wird. Das macht äußerste Aufmerksamkeit und die Zusammenfassung aller Kräfte nötig.Zu begrüßen ist auch, daß die Bundesregierung sich der Bedeutung bewußt ist, die der Geltungsdauer des Vertrages zukommt. Es mag sein, daß die Bundesregierung manche Dinge in der Schwebe gelassen hat, weil sie glaubte, sich heute noch nicht abschließend äußern zu können. Ich möchte aber noch einmal darauf hinweisen, und zwar gerade im Hinblick auf die Äußerung der Bundesregierung, daß nach unserer Meinung ein wesentlicher Beitrag der Bundesrepublik geleistet werden kann, wenn sie sich nicht auf die Konsultation mit unseren Freunden und anderen Nationen, mit denen uns gleiche Interessen verbinden, beschränkt, sondern wenn auch das andere Lager mit konsultiert wird.Nicht ohne Bedenken allerdings verzeichnen wir, daß die Bundesregierung es zur Zeit nicht für zweckmäßig hält, ein besonderes Abkommen über die Produktion von Kernwaffen und die etappenweise Vernichtung des bestehenden Atompotentials vorzuschlagen. Die Bundesregierung hat uns für
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Bormdiese ihre Haltung keine Begründung gegeben. Wir glauben aber unsererseits nach wie vor, daß auch jetzt bereits der Zeitpunkt gekommen ist, an dem die Bundesregierung zu erkennen geben sollte, daß die Vernichtung der Atomwaffen auch für sie der entscheidende Beitrag zur Friedenssicherung ist. Der Herr Bundesaußenminister sagte wörtlich: „Die Herstellung der Bombe ist heute weniger eine Frage des Wissens als des politischen Willens." Dem stimmen wir voll zu. Es genügt aber nicht, derartige Erkenntnisse zu gewinnen; es ist vielmehr erforderlich, auch danach zu handeln, und zwar nicht nur im Teilaspekt der Atomabrüstung, sondern generell in der täglichen politischen Praxis. Ich führte bereits aus, daß wir Deutsche eine schwere Hypothek abzutragen haben, und dies wird um so eher möglich sein, je weniger wir in unserer politischen Tagesarbeit im Zwielicht erscheinen.Neben der Sicherung des Friedens steht selbstverständlich für uns Deutsche gleichbedeutend auch die Frage unserer Sicherheit. Da diese militärisch unter den gegebenen Umständen nicht zu sichern ist, bedarf es einer glaubwürdigen, konsequenten Politik. In der Erklärung der Bundesregierung sehen wir ermutigende Ansätze. Wir werden aufmerksam beobachten, ob und inwieweit sich diese Erklärung in der politischen Praxis niederschlägt. Wir werden auch in diesem Falle — und die Opposition gibt uns nicht nur das Recht, sondern die Pflicht dazu — nach dem bewährten Grundsatz handeln: Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser.
Das Wort hat der Herr Bundesminister für wissenschaftliche Forschung.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Auch in dieser Debatte sind, wie in den Erörterungen der letzten Monate, die Fragen der wirtschaftlichen Nutzung der Kernenergie und der Sicherung des wissenschaftlichen und technologischen Fortschritts von besonderer Bedeutung gewesen. Die Haltung der Bundesregierung und den Stand der Überlegungen und der Gespräche hat in großen Zügen die Regierungserklärung des Bundesaußenministers hier deutlich gemacht. Gerade hier haben, wie klar wurde, intensive Gespräche mit unseren Verbündeten und anderen Staaten doch ein wachsendes Verständnis für die Probleme und Sorgen erbracht, das Bemühen um sachgerechte Lösungen, die sich in diesem Bereich jetzt in den wesentlichen Fragen abzeichnen oder erreichbar erscheinen.In diesem Zusammenhang war eine entschiedene öffentliche Debatte in der Bundesrepublik notwendig; in diesem Zusammenhang konnten wir auf qualifizierte Beiträge der Wissenschaft, der Politik und der Publizistik nicht verzichten, um zunächst bei uns und dann auch bei den anderen deutlich zu machen, worum es wirklich ging. Ich sage das im Hinblick auch auf einige kritische Bemerkungen, die hier zu dieser Debatte gemacht wurden. Sicher, die Sorgen, die im Januar auf Grund neuerer Überlegungen anderer erstanden, mögen hier und da im einzelnen zu zugespitzten Äußerungen geführt haben, die auch den noch nicht klaren Stand der Information widerspiegelten. Sie haben aber auch zu Verharmlosungen geführt, und ich glaube, daß es richtiger ist, jetzt das erreichte Maß an Einvernehmen und Fortschritt zu betonen, als allzusehr hier einzelne Äußerungen der einen oder der anderen Seite in den Mittelpunkt der jetzigen Betrachtung zu stellen.
In diesem Ringen um tragbare Lösungen haben gerade die qualifizierte Diskussion in der Bundesrepublik und das Bemühen der Bundesrepublik selbst sichtbare Fortschritte für die gesamte Diskussion erbracht. Wir können heute sagen — und das ist in der Erklärung des Außenministers deutlich geworden —, daß sich doch einige wichtige Entwicklungen in diesen Erwägungen abzeichnen, in jenen Erwägungen, die bestimmt waren von dem Problem, daß zunächst unter Umstännden eine Sonderstellung für die nichtnuklearen Staaten drohte, die ,die Fragen der Kontrolle, ihrer Auswirkungen, der Zukunft von Gemeinschaftseinrichtungen und politischen Institutionen wie Euratom überschattete. Herr Kollege Borm hat hier zweimal ein russisches Sprichwort zitiert: Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser. Es wäre gut, wenn alle Teilnehmer an den Genfer Verhandlungen dieses Sprichwort nicht nur gegenüber den anderen, sondern auch gegenüber sich selbst, gegenüber ihrem eigenen Verhalten anwenden würden.
Heute, meine Damen und Herren, besteht in dem Bereich — ich möchte das im jetzigen Stande der Debatte dankbar vermerken — der Probleme des wirtschaftlichen, technischen und wissenschaftlichen Fortschritts und seiner Sicherung in diesem Hause ein wesentliches Einvernehmen in den Beiträgen aller Fraktionen, die sich hier allenfalls nur noch um Nuancen unterscheiden. Ich möchte auch noch einmal mit allem Nachdruck sagen, daß dies nicht nur eine Frage der Prinzipien ist, sondern daß wir die Bedeutung der friedlichen Nutzung der Atomenergie für Deutschland und die Entwicklung der Welt kaum hoch genug veranschlagen können.Wir stehen hier am Anfang eines revolutionären Prozesses, und es ist bei solchen großen, tiefgreifenden Wandlungen so, daß das allgemeine Bewußtsein der Entwicklung in einem gewissen zeitlichen Abstand folgt. Wir haben nach sehr vorsichtigen Schätzungen in den nächsten zehn Jahren eine Verdoppelung .des Verbrauchs an elektrischer Energie in Westeuropa und in Deutschland zu erwarten, in wichtigen Entwicklungsländern, mit deren wirtschaftlicher und sozialer Zukunft sich ja auch das Bild der Welt entscheidet, sogar eine Verdreifachung und eine Vervierfachung. Wir haben 1964 nach einer vorherigen Entwicklung von etwa 20 Jahren mit dem Bau ides Oyster-Creek-Reaktors in Amerika den Durchbruch der Kernenergie zur vollen Wettbewerbsfähigkeit erreicht. In den seitdem vergangenen drei Jahren hat sich in Amerika eine Entwicklung
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4960 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 106. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. April 1967
Bundesminister Dr. Stoltenbergvollzogen, nach der jetzt, im Jahre 1967, 70 % der neuen Kraftwerke auf der Basis der Kernenergie gebaut werden, und zwar unter Bedingungen des Wettbewerbs, die völlig anders sind als bei uns, und bei Energiepreisen, die erheblich unter dem liegen, den wir in Westeuropa und in 'Deutschland haben.In der Bundesrepublik sind wir noch nicht so weit; aber auch wir hatten Ende 1966 neun Kernkraftwerke oder Versuchsreaktoren im Bauoder im Betrieb mit einem Investitionsvolumen von insgesamt mehr als 1,7 Milliarden DM, und wir erwarten in diesem Jahr die .Bauentscheidung großer Energieversorgungsunternehmungen, die ohne staatliche Hilfe durchgeführt werden sollen und die entscheidend sind für die weitere Fortsetzung unseres Atomprogramms und für die Entwicklung der schnellen Brüter, die uns dann den Durchbruch zu Energiepreisen bringen sollen, die um etwa 30 bis 40 % unter dem heutigen Stand liegen. Die Sicherung dieser Entwicklung in Iden außenpolitischen Verhandlungen über den Atomsperrvertrag, ihre Sicherung aber auch in der innerdeutschen Diskussion, in der Wirtschaftsdiskussion im eigenen Hause, ist für die industrielle Zukunft unseres Volkes unentbehrlich.
Herr Kollege Schmidt hat im Zusammenhang mit der Brennstoffversorgung einige wichtige Einzelfragen angeschnitten, zu denen ich wenige Sätze sagen möchte. Wir müssen hier verschiedene Phasen der vorausschaubaren Entwicklung deutlich unterscheiden. Für das, was bisher gebaut wurde oder jetzt unmittelbar vor der Bauentscheidung steht, reichen nach unserer Überzeugung die bestehenden langfristigen Lieferverträge Euratoms und der Vereinigten Staaten von Amerika aus. Ich möchte auch mit Nachdruck sagen, daß die Kraftwerke, die jetzt gebaut werden oder demnächst gebaut werden sollen, in ihrer Brennstoffversorgung als gesichert gelten können. Wir werden allerdings für die sprunghafte Steigerung des Volumens unserer Kernkraftwerke in den 70er Jahren schon jetzt zusätzliche und, wie wir erwarten, festere Verpflichtungen langfristiger Art ergänzend zu den bestehenden erreichen müssen, und zwar sowohl für die Investitionsentscheidungen im eigenen Lande wie auch für die Möglichkeit, im Export von Kernkraftwerken die langfristigen Liefergarantien zu übernehmen, die unentbehrlich sind, wenn wir auf 'diesem Markt, in dem es in Zukunft um hohe Milliardenbeträge gehen wird, auch außerhalb Deutschlands Fuß fassen wollen.Deshalb spielt diese Frage, wie der Bundesaußenminister deutlich gemacht hat, auch im Gesamtzusammenhang der gegenwärtigen Erörterungen eine besondere Rolle. Ich kann das, was Sie hierzu gesagt haben, durchaus begrüßen und unterstreichen. Aber hiermit verbinden sich noch weitere Probleme, die man etwa mit dem 'Stichwort „Sicherung des Brennstoffkreislaufs" bezeichnen kann. Wir bemühen uns für die 70er Jahre neben den bestehenden oder neu anzustrebenden Verhandlungen mit den Vereinigten Staaten durch die Initiative deutscherFirmen auch um die Erschließung von Uranreserven in anderen Ländern durch Beteiligung oder langfristige Verträge. Wir bemühen uns, im eigenen Lande .die Voraussetzungen für ein wichtiges Glied im Brennstoffkreislauf zu schaffen, etwa jetzt im Bau der Wiederaufarbeitungsanlage Karlsruhe, der soeben begonnen hat.Eine nationale Lösung auf dem Gebiete der Isotopentrennanlagen ist allerdings entgegen Ihrer Annahme nicht möglich. Der Bau einer solchen Anlage würde nach dem gegenwärtigen Verfahrenstechniken in ,der Größenordnung von 800 Millionen bis 1 Milliarde DM zu veranschlagen sein. Selbst bei der ungewöhnlich starken Steigerung des Brennstoffbedarfs, den wir für die 70er Jahre voraussehen, sind das Größenordnungen, bei denen wir einen Wettbewerb mit den vorhandenen und weiter ausgebauten Großanlagen etwa der Vereinigten Staaten nicht zu einem wirtschaftlichen Preis führen können. Deshalb müssen wir bei der Sicherung einer ausreichenden Kapazität an angereichertem Uran und Anreicherungsmöglichkeiten den Weg internationaler Gespräche gehen. Es ist allerdings nicht für alle Zukunft auszuschließen, meine Damen und Herren, daß, weil wir auch hier am Anfang einer völlig neuen Entwicklung stehen, durch neue wissenschaftliche Ergebnisse in der Verfahrenstechnikeines Tages vielleicht Isotopentrennanlagen zu einem Teil des hier genannten Preises gebaut werden können. Insofern ist es wichtig, daß wir uns in den vertraglichen Regelungen, um die es jetzt geht, die Möglichkeit dafür nicht verbauen.Gerade dieses Brennstoffproblem macht es notwendig, daß wir in unserer Reaktorstrategie überlegt vorgehen, da neben dem Uran das Thorium, um dessen Entwicklung wir uns in Nordrhein-Westfalen im Kernforschungszentrum Jülich bemühen, an Bedeutung gewinnt. Vielleicht werden wir dann schließlich mit der Entwicklung der schnellen Brüter eine Situation erreichen, in der das ganze Problem der Brennstoffversorgung durch die optimale Nutzung des Brennstoffes im Grunde seiner Problematik entkleidet wird.Meine Damen und Herren, es geht hier um die volkswirtschaftlichen und industriellen Belange unseres Volkes, um Hunderttausende von Arbeitsplätzen der Zukunft. Aber — lassen Sie mich das zum Schluß sagen — billige Energie ist auch eine schicksalhafte Frage für die Zukunft der dritten Welt der Entwicklungsländer.
Hier geht es wirklich um Investitionen für den Frieden. Ich nenne Stichworte wie Meerwasserentsalzung, die Bewässerung großer Gebiete, die Schaffung neuer gewerblicher und industrieller Zentren in Asien, Afrika und Lateinamerika mit der billigen Energie, die wir hier in wenigen Jahren zu erreichen hoffen, unabhängig dann von geographischen und geologischen Voraussetzungen. Das ist eine Aufgabe für alle Industrienationen, für Deutschland ein Ziel — wie ich hoffe — großer gemeinsamer Bemühungen der Zukunft, an denen wir auch ungehindert durch Vereinbarungen und Verträge
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Bundesminister Dr. Stoltenbergunseren vollen Anteil leisten wollen. Es ist ein neues Thema, in gewisser Weise ein dramatisches Thema, das uns hier beschäftigt, wenn wir es in seiner ganzen Weite und Vielfalt begreifen. Noch nie sind wissenschaftliche Fragen so stark in das Zentrum der Außenpolitik gerückt — ein Phänomen im Grunde, das auch in der Arbeit unserer Regierung und der Behörden, in der viel stärkeren Heranziehung und Beteiligung hervorragender wissenschaftlicher Sachverständiger, als es im allgemeinen im diplomatischen Bereich notwendig ist, seinen Niederschlag findet. Ich möchte in Unterstreichung dessen, was der Außenminister schon sagte, noch einmal betonen, daß wir ohne die hervorragende Mitwirkung unserer Wissenschaftler auf diesem Gebiet die Konzeptionen und .die Verhandlungsergebnisse, die sich abzeichnen, nicht erreicht hätten.Es geht um entscheidende Dinge, wenn wir die Zukunft Deutschlands, die Zukunft Europas und die Zukunft ,der Welt betrachten. Ich glaube deshalb, daß das intensive Bemühen aller notwendig war, und ich hoffe, daß es zu dem Ergebnis führt, das wir alle bejahen können.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Zimmermann.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte zuerst eine Bemerkung zu den Ausführungen des Kollegen Schultz machen. Er hat eine ganze Reihe von Fragen aus dem unmittelbar verteidigungspolitischen Bereich angesprochen, die nach meiner Meinung weder durch die Fragen seiner Fraktion zum heutigen Tage noch etwa durch die Große Anfrage der Koalitionsfraktionen gerechtfertigt waren, sondern die eine eigene Debatte in diesem Hause verdienen und erhalten werden. Herr Kollege Schultz, Sie wissen so gut wie ich, daß wir heute im Verteidigungsausschuß über diese Fragen debattiert hätten, wenn nicht die Ereignisse der letzten Woche und dieser Woche eine Ausschußsitzung am heutigen Tage unmöglich gemacht hätten. Wir haben statt dessen eine Plenarsitzung. Es wäre ganz sicher unzweckmäßig, den Rahmen dieser mit Recht auf einen ganz bestimmten Vertragsentwurf begrenzten Debatte auszuweiten zu einer generellen Debatte über die Verteidigung der Bundesrepublik Deutschland.
Das Hohe Haus beschäftigt sich heute mit einem Vertragsentwurf, der von der allergrößten außen- und sicherheitspolitischen Bedeutung ist. Nach jahrelangen Vorgesprächen, nach einem immer wiederkehrenden Abtasten der Vereinigten Staaten und der Sowjetunion im Rahmen der UNO und anders-. wo kam es vor nunmehr über eineinhalb Jahren zu einem ersten Entwurf, und heute liegt ein dritter Vorschlag vor uns. Was wir bedauern müssen und nicht verschweigen können, ist, daß wir lange, sehr lange Zeit nicht über die Absichten unseres wichtigsten Bündnispartners informiert worden sind. Erst spät — im letzten Herbst — kam die Information, und dann erst kam die Konsultation. Im Januar dieses Jahres begann eine Reihe namhafter Kollegen aus diesem Hause, sich öffentlich mit den bisher bekanntgewordenen Teilen des Vertragsentwurfs zu befassen. Eine rege öffentliche Diskussion und eine publizistische Kampagne begannen. In der deutschen Politik und Öffentlichkeit wurden gewichtige und begründete Vorbehalte gegen die bis dahin bekanntgewordene Fassung des Vertragsentwurfs geltend gemacht. Namhafte Wissenschaftler traten in die Debatte ein, und auch die deutsche Industrie meldete sich mit ihren Bedenken und Sorgen zum Wort. Im Gegensatz zu dem Kollegen Helmut Schmidt meine ich, daß es so eine nützliche Sache war, daß so breit und auch so . scharf argumentiert wurde. Auch öffentliche Reaktionen, wie sie stattgefunden haben, sind ein Stück Politik. Der Kollege Schmidt meinte, wenn der Vertrag unterschrieben sei, würden manche ihre Ausführungen der letzten Monate bedauern. Ich möchte sagen: Um möglicher Änderungen des Vertrages willen, aus der Sorge, aus dem Gewissen heraus ist so argumentiert worden. Und wenn der Vertrag unterschrieben werden sollte, dann wird er jedenfalls nicht so unterschrieben werden, wie er vor einigen Monaten aussah. Das kann man nach den Gesprächen und Konsultationen der Bundesregierung heute schon feststellen.
Ich würde auch gern ein Wort über die Botschafter Grewe und Schnippenkötter sagen. Auch ich habe ihre öffentlichen Erklärungen und Aufsätze mit großem politischem und wissenschaftlichem Interesse zur Kenntnis genommen. Sie haben sich sicherlich nicht dezidierter geäußert als etwa Mr. Foster oder Lord Chalfont. Ich glaube, sie sind nicht über das hinausgegangen, was in einer Diskussion über diese Frage auch von den zuständigen verhandelnden Beamten in einer, wie ich meine, durchaus wissenschaftlichen Art und Weise in bedeutenden publizistischen Organen gesagt werden darf und gesagt worden ist.
— Ich bin gern bereit, mich von Ihnen fragen zu lassen, Herr Kollege Moersch, aber der Herr Präsident hat Sie offenbar noch nicht gesehen.
Ich hatte gerade eine andere Beschäftigung, Herr Kollege. Gestatten Sie die Frage?
Bitte sehr!
Herr Abgeordneter Dr. Zimmermann, können Sie uns vielleicht klarstellen, ob die beiden von Ihnen genannten Botschafter im Auftrag und mit Wissen der Bundesregierung gesprochen haben und ob die Parallele mit Lord Chalfont und Mr. Foster eventuell doch nicht zu Recht besteht?
Sie wissen so gut wie ich, Herr Kollege Moersch, daß ich hier nicht die Bundesregierung vertrete. Aber ich glaube doch ein wenig zu ahnen, wie die faktischen
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4962 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 106. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. April 1967
Dr. ZimmermannPositionen der von mir genannten vier Herren sind. Und da sehe ich keinen großen Unterschied im Erlaubtsein oder im Verbotensein von öffentlichen Äußerungen.
Gestatten Sie noch eine Frage? — Herr Abgeordneter Möller!
Herr Kollege Zimmermann, ist Ihnen bekannt, daß die Informationen, die wir zu dieser Sache im Auswärtigen Ausschuß erhalten haben, unter „Streng Vertraulich" liefen, und welche Situation für Abgeordnete entsteht, wenn sie sich auf Grund einer solchen Vertraulicherklärung zu diesem Themenkreis nicht äußern können?
Herr Kollege Möller, es ist ganz klar, daß eine ganze Reihe von Papieren und vor allem die Gesprächs- und Verhandlungsnotizen über diesen Vertragsentwurf vertraulich sein müssen.
— Nein, das kann man in Sitzungen auch nicht teilen, wie ich aus zehnjähriger Tätigkeit im Verteidigungsausschuß sehr wohl weiß. Man kann nicht sagen: Der und jener Satz ist vertraulich, und der andere ist wieder offen. Deswegen muß natürlich bei solchen Sitzungen die Vertraulichkeit im ganzen gelten.
— Auch für alle, natürlich. Aber nachdem die Diskussion über den Vertragstext so öffentlich geworden ist, wie sie nun einmal geworden ist, und seit normale Tageszeitungen auch die Texte des Art. III in der damals bekanntgewordenen Fassung veröffentlicht haben, wird man wohl ja öffentlich diskutieren können, ja, man wird sich der Diskussion gar nicht entziehen dürfen. Aber damit, glaube ich, darf es über dieses Thema genug sein.
Lassen Sie mich, weil es in der Debatte vorher angeklungen ist, auch sagen: der Zeitpunkt dieser Debatte scheint mir nicht zu spät. Sie findet nach der NATO-Rat-Sitzung und vor der Fortsetzung der Konferenz in Genf statt. Ich glaube, das ist ein durchaus richtiger Zeitpunkt, in dem wir hier diskutieren.
Die Serie von Gesprächen und Konsultationen auf allen Ebenen, die die Bundesregierung mit unseren Bündnispartnern, aber auch mit anderen interessierten zivilen Nuklearmächten begonnen hat, hat erste Ergebnisse gezeitigt. Es hat sich auch gezeigt, daß der deutsche Standpunkt keineswegs aus einem Sonderinteresse resultierte, sondern daß eine ganze Reihe anderer wichtiger Nationen wesentliche Bedenken von uns teilen. Die Bundesregierung vermied es — wie ich meine, mit Recht —, für die Bundesrepublik in den Gesprächen um den Vertragsentwurf irgendeine Sonder- oder Führerrolle spielen zu wollen. Herr Kollege Borm, es ist keineswegs so gewesen, wie Sie es darzustellen versucht haben, daß wir hier irgendeine „leadership" für uns in Anspruch genommen hätten. Wir haben es in in der Tat nicht getan. Es ist aber auch optisch keineswegs so zum Ausdruck gekommen.
Überhaupt haben Sie in dieser Frage, wie ich finde, eine recht extreme Position bezogen, von der ich hoffen möchte, daß sie nicht der Standpunkt der gesamten FDP-Fraktion ist.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Frage des Abgeordneten Moersch?
Herr Abgeordneter Zimmermann, wollen Sie bestreiten, daß durch Äußerungen von Kabinettsmitgliedern, die auch Ihrer Partei angehören, gerade dieser Eindruck entstanden ist, daß wir uns eine „leadership" zuschanzen wollten?
Das will ich absolut bestreiten. Ein solcher Eindruck ist in der Öffentlichkeit nirgendwo entstanden. Sie werden keinen derartigen Niederschlag in irgendwelchen bedeutsamen Presseerzeugnissen haben feststellen können.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, vor uns steht eine ungewöhnlich bedeutsame und folgenschwere Vertragsabsicht. Noch niemals in der Geschichte ist einer großen Zahl souveräner Nationen zugemutet worden, einen freiwilligen Verzicht auf die heute allein wirksamen Verteidigungsmittel zu erklären. Denn nicht in der Humanisierung des Krieges oder im Sieg auf dem Schlachtfeld mit konventionellen Waffen liegt der Sinn der Verteidigung, sondern in der Verhinderung des Krieges. Korea und Vietnam sind abschreckende Beispiele. Die einzige Art einer global wirksamen Selbstverteidigung soll also aufgegeben werden.Auch meine politischen Freunde — ,das sei hier gesagt — bejahen den humanitären Sinn des Vertrages. Auch wir sind der Meinung, daß eine ungehinderte und ungehemmte Ausbreitung von Atomwaffen über die Welt nichts Gutes bringen kann. Aber wir sagen deutlich, daß wir die Gleichbehandlung vermissen. Leistungen, Verzicht und Opfer werden nur einer Gruppe von großen und bedeutenden Staaten zugemutet und abgefordert. Die militärischen Atommächte nehmen demgegenüber fast nichts auf sich. Das alles soll geschehen, ohne daß eine wirklich volle und uneingeschränkte Garantie — vielleicht ist sie gar nicht möglich — gegen nukleare Erpressung für alle diese souveränen Nationen vorhanden ist.Es ist kein Wunder, daß sich bei dieser Sachlage eine heftige Diskussion entzünden mußte. Vor diesem Hintergrund bitte ich auch die Kritik verstehen zu wollen, die meine Freunde und mich einfach zwingt, daß wir uns in einem Stadium äußern, wo unser Einfluß maßvoll, aber noch klar sichtbar gemacht werden kann.
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Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 106. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. April 1967 4963
Dr. ZimmermannWas sind die Motive, die die beiden großen Supermächte zu einem solchen Vertrag bewogen haben? Die Vereinigten Staaten wollen ohne Frage das legitime Ziel erreichen, eine weitere Verbreitung der Atomwaffen über die Welt zu verhindern. Sie tun das durch das Verbot der Weitergabe und das Verbot der Annahme oder Entwicklung solcher Waffen. Aber schon bisher dachte keiner der Atomwaffen besitzenden Nationen an eine Weitergabe, und deswegen war ein etwa vorhandener Wille zur Annahme bei nicht Atomwaffen besitzenden Nationen unbeheiflich.Eine ganze Reihe von Staaten, zu denen auch wir gehören, verzichtete faktisch trotz bestehender technischer und wissenschaftlicher Möglichkeiten auf die Herstellung solcher Waffen. Wir waren die einzigen, die schon 1954 diesen Verzicht in eine feierliche und unbezweifelbare Form gebracht haben.Die Sowjetunion hat, wie wir vermuten müssen, andere Motive als die USA. Der sowjetische Ministerpräsident Kossygin hat in Moskau zu Ministerpräsident Krag sinngemäß gesagt, daß die Sowjetunion lediglich an der deutschen Unterschrift interessiert sei und den Vertrag nicht unterzeichnen würde, wenn wir nicht unterschrieben.Wir leben seit über 20 Jahren unter einer unerbittlichen politischen Offensive der Sowjetunion, die sich in den wechselnden Formen des Kalten Krieges, der Drohung, der Pression, der Diffamierung geäußert hat — und das bis in die letzten Tage hinein, wenn man die Rede Breschnews beim Parteitag der SED verfolgt hat. Diese Sowjetunion verlangt von uns unbefristete vertragliche Verzichtleistungen, ohne selbst irgendeine Gegenleistung zu erbringen.Dieses ganze Haus, meine Damen und Herren, hat immer und immer wieder seinen Willen bekundet, Europa zusammenschließen zu helfen und dieses Europa zu einem starken Partner dier Vereinigten Staaten von Amerika zu machen. Geht man fehl in der Annahme, daß dieser Vertragsentwurf nicht etwa den europäischen Zusammenschluß begünstigt, sondern im Gegenteil ein Rückschritt zu nationalstaatlichen Prinzipien sein kann? Daß die Sowjetunion nicht das mindeste Interesse daran haben kann, Europa geeint vor sich zu sehen, liegt auf der Hand. Schon liegen 'sowjetische Äußerungen. vor, die auch eine politische Union in Europa von Atomwaffen entkleidet sehen möchten und die die Nachfolge, das völkerrechtliche Problem der Sukzession, bestreiten wollen. Die Frage ist, ob die Vereinigten Staaten von Amerika auch dieses in Kauf nehmen wollen, nur um auf diesem wichtigen Gebiet zu einem Agrément mit den Sowjets zu kommen. Wenn es .so wäre — und ich hoffe, daß es nicht so sein wird —, dann hätten sie diesem d'accord den Vorrang vor den Interessen ihrer Bündnispartner gegeben.Wir haben eine Politik der Verständigung und Entspannung gegenüber den osteuropäischen Völkern begonnen. Wir wünschen, um unserer Sicherheit willen, die NATO zu erhalten und zu festigen. Aber Mr. Foster hat im August 1965 in „Foreign Affairs" erklärt, daß selbst die Gefahr einer Erosion des Bündnisses zugunsten dieses Vertrages in Kauf genommen werden müsse.Nach meinen Informationen haben die von der Bundesregierung mit großem Nachdruck geführten Gespräche erreicht, daß in wesentlichen und wichtigen 'Fragen Übereinkommen erzielt werden konnten. Aber manchmal können wir uns des Eindrucks nicht erwehren, daß unsere Wünsche und Interessen bei unseren Freunden vielfach als berechtigt angesehen, wegen voraussehbarer sowjetischer Ablehnung übler gleichzeitig als nicht weiter verfolgbar betrachtet werden.
Wir möchten um jeden Preis verhindern, daß die Sowjetunion in einem solchen Vertrag ein neues Instrument für eine Politik der Verdächtigung und der Herabsetzung der Bundesrepublik sehen könnte. Unsere Unterschrift unter den Atomteststoppvertrag hat die UdSSR leider nicht gehindert, in ihrem Feldzug gegen uns fortzufahren.Ich glaube, meine verehrten Damen und Herren, sagen zu dürfen, daß diejenigen in der Bundesrepublik Deutschland, die sich um diesen Vertrag die schwersten Sorgen machen, gleichzeitig die festesten und überzeugtesten Anhänger des deutsch-amerikanischen Bündnisses sind. Das sollte unseren amerikanischen Freunden zu denken geben.18 Nationen sitzen in Genf an einem Tisch. Wir als Hauptbetroffene eines solchen Vertrages sind nicht mit dabei. Es bleibt uns also gar nichts anderes übrig, als vorher schon alles zu tun, um unsere berechtigten Wünsche mit Nachdruck zu vertreten. Denn es ist unmöglich, daß wir uns in einer Reihe von Fragen — mögen auch andere wie wir betroffen sein — in jedem Fall durch Dritte vertreten lassen können.Es würde den Rahmen einer Plenardebatte sprengen, wollte man hier auf die Einzelheiten des Vertrages eingehen. Gestatten Sie mir aber, einige Forderungen zu dem Art. III, zur Kontrolle, und zur Sicherstellung künftiger Lieferungen spaltbaren Materials anzubringen. Die Kontrollen sollten sich nur auf die Bewegungen spaltbaren Materials erstrecken. Eine Offenlegung von Konstruktionsdetails und Betriebsgeheimnissen gegenüber der zuständigen Behörde ist abzulehnen; ein Genehmigungsrecht für technische Verfahren darf der Behörde nicht zugestanden werden; automatische Registriergeräte, die in der Entwicklung sind, dürfen erst akzeptiert werden, wenn sie fertig entwickelt vorliegen und von der betreffenden Regierung gutgeheißen werden; Statutenänderungen der IAEO durch Mehrheitsbeschluß ihrer Mitglieder müssen gegenstandslos bleiben in bezug auf die Kontrollbefugnisse des Sperrvertrages; und schließlich: Euratom sollte als .die zuständige Kontrollbehörde belassen werden. Es muß möglich sein, daß es zwischen Euratom und der Wiener Behörde zu einem Vertrag kommen kann, den beide fördern sollten. Warnen möchte ich nochmals vor einer etwaigen Automatik, daß nämlich beim Nichtzustandekommen eines Vertrages zwischen den beiden genannten Institutionen nach einem bestimmten Zeitablauf automatisch die
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4964 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 106. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. April 1967
Dr. ZimmermannWiener Behörde Kontrollfunktionen bekommt; das dürfen wir nach meiner Meinung nicht wollen.Schon jetzt gehen die Lieferungen spaltbaren Materials nicht ohne Schwierigkeiten vor sich. Wie der Minister für Wissenschaft und Forschung gesagt hat und wie unsere Wissenschaftler immer wieder betonen, wird unser Bedarf an spaltbarem Material zum eigenen Verbrauch, verbunden mit dem Export von Kernreaktoren, in der Zukunft sprunghaft ansteigen. Eine etwa verzögerte Lieferung des Plutoniums, 'das wir z. B. für das Schnellbrüterprogramm brauchen, könnte uns im wirtschaftlichen Wettbewerb entscheidend zurückwerfen. Die Vereinigten Staaten von Amerika sollten alles vermeiden, ihre starke Stellung als Lieferant von Kernmaterial zu benutzen, um etwa zu einer Kontrolle ,der europäischen Kernindustrie zu gelangen, die deren Wettbewerbsfähigkeit beeinträchtigen kann. Das ist ein Punkt, ,der keineswegs für eine deutsche Sonderstellung bedeutsam ist, sondern gleichermaßen alle in Euratom vereinigten Nationen betrifft.Die Vereinigten Staaten sollten sich daher verpflichten, weiterhin die benötigten Mengen spaltbaren Materials, also angereichertes Uran und Plutonium, zu keinen schlechteren Bedingungen als zu denen des zur Zeit geltenden US-EuratomCooperation-Act zu liefern und diesen Vertrag über 1980 hinaus zu verlängern. Auch die chemische Brennstoffaufbereitung sowie die Extraktion und Lagerung von Plutonium müssen auf diesem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland stattfinden dürfen. Besonders bedeutsam ist der Wiederverkauf spaltbaren Materials zusammen mit deutschen Exportreaktoren, selbstverständlich gegen entsprechende Sicherheitsgarantien. Diese Möglichkeit muß erhalten bleiben und darf keiner besonderen Genehmigungspflicht außerhalb der Sicherheitsgarantien unterliegen.Endlich müßte der Austausch von Informationen über Verfahren zur Urananreicherung und zur Plutoniumgewinnung zwischen den Vereinigten Staaten und Euratom-Ländern ohne Beschränkung möglich sein.
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Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 106. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. April 1967 4965
— Da Sie nur „mindestens" sagen können, kann ich auch nur die Antwort geben: Dann muß mindestens die CSU prüfen, ob die Tonart, die die CSU in der öffentlichen Debatte damals angeschlagen hat, wirklich eine für die deutsche Politik nützliche Tonart gewesen ist.
Das bedeutet nicht, Herr Dr. Zimmermann — daß wir uns ganz klar sind —, daß Sozialdemokraten in diesem Hause etwas gegen eine öffentliche Debatte hätten. Das bedeutet nur, daß wir erwarten, daß verantwortliche Politiker — ich rede jetzt aus Erfahrung, weil ich an der Sitzung des außenpolitischen Ausschusses teilgenommen habe; ich bin in diesem Ausschuß Stellvertreter und darf da hingehen — die gleiche Tonart in der bayerischen Heimat, in der schönen bayerischen Heimat vor der Kulisse der Alpen anschlagen wie hier im außenpolitischen Ausschuß.
Im außenpolitischen Ausschuß sind die Herren sehr zurückhaltend gewesen, und dort habe ich Vokabeln wie „Super-Versailles" und dergleichen nicht gehört.
— In Bayern ist man nicht so zart? Wenn ich Sie so betrachte, Herr Kollege, dann meine ich, wir hätten e i n Format. Sie sehen, bei uns ist man auch nicht so zart. Sie meinen zurückhaltend, und die Bayern sind nicht so empfindlich; gut, einverstanden. Aber Deutschland ist nicht Bayern,
und die deutsche Politik wird nicht nur in Bayern gemacht, und die Verantwortung für die deutsche Politik ist weiter zu tragen als in Bayern, ganz abgesehen davon, daß ich schon sehr zurückhaltende, sehr wohlformulierende Bayern getroffen habe. Ich kenne dieses Land auch etwas.Ich darf mich jetzt noch einmal mit der Gruppe von Einwänden beschäftigen, die allgemeiner politischer Natur sind und die Herr Dr. Zimmermann hier hat anklingen lassen. Da klang so an — er verteidigte den Hauptsprecher dieser Denkungsart —, daß Nationen ohne eigene Kernwaffen in der Zukunft zweitklassige Nationen sein würden.
— Nein, ich weiß, aber Sie haben sich hier sehr warm eingesetzt für Herrn Grewe — ich wollte ihn nicht zitieren, jetzt muß ich ihn zitieren —, der gesagt oder geschrieben hat, Nationen ohne eigene Kernwaffenproduktion werden in ihrer wissenschaftlich-technischen Entwicklung nicht mit jenen
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BerkhanSchritt halten, die selber Kernwaffen entwickeln oder herstellen.
Sehen Sie, wenn Sie so einen Satz lesen, Herr Dr. Zimmermann, dann ist immer die Gefahr in der Welt, daß andere Leute daraus die Schlußfolgerung ziehen:. Die Deutschen meinen es nicht so ernst mit den Verträgen, die sie weiland 1954 unterschrieben haben.
Lassen Sie mich die Debatte hier nicht verlängern. Ich weiß, daß auch noch andere zu Wort kommen wollen. Ich will also abschließen. Ich will Ihnen sagen — vielleicht macht das unsere Zusammenarbeit in alter Form wieder möglich; sie war ja in den Fragen, in denen wir zusammengearbeitet haben, immer recht gut —, daß ich in sachlichen Fragen mit Ihnen in vielen Punkten übereinstimme. Allein diese bayerischen Untertöne waren mir unheimlich.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Flämig.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Verlauf der Debatte an diesem Nachmittag hat wohl gezeigt, vor welch eine schwierige Aufgabe ein Parlament gestellt ist, das nicht nur eine Fülle hochpolitischer Probleme, sondern auch eine Fülle von technischen Fragen zu beraten hat, die mit den politischen eng verknüpft sind. Wir wären gewiß überfordert, würden wir uns nunmehr in dieser späten Stunde der Debatte in technische Details einlassen. Aber ich glaube, daß wir diese Debatte nicht abschließen sollten, ohne noch einmal deutlich zum Ausdruck ,gebracht zu haben, welcher Art die Sorgen sind, von denen hier mehrere Kollegen mehr oder minder deutlich sprachen. Wir haben in der Beratung des Atomsperrvertrages jetzt einen Punkt erreicht, der — wie ein Januskopf — zum Teil auf das zurückschaut, was gewesen ist und was sich in der Vergangenheit verändert hat, der andererseits aber auch den Blick in die Zukunft richtet.Was gilt es bei den weiteren Verhandlungen für unsere deutschen, aber auch für die Euratom-Interessen und darüber hinaus für die Interessen der zivilen Atommächte zu erreichen? Zunächst eine Feststellung, die heute immer wieder zum Ausdruck kam: Die Notwendigkeit der Kontrolle ist unbestritten. Nicht das Ob wird hoch diskutiert, sondern das Wie. Die zweite Feststellung: Die Gefahren, die mit diesem so oft zitierten Art. III des Atomsperrvertrages gebannt werden sollen, erwachsen nicht aus der Tätigkeit in den kerntechnischen Anlagen der Bundesrepublik, in den Fabriken zur Verarbeitung von Kernbrennstoffen und zur Herstellung von Brennelementen, in Reaktoren oder Wiederaufarbeitungsanlagen; die Gefahren, die die Kontrolle bannen will, drohen aus einer mißbräuchlichen Verwendung spaltbaren Materials außerhalb dieser Anlagen.
— In aller Deutlichkeit, Herr Memmel: zur Zeit außerhalb Deutschlands! Es ist natürlich möglich, daß die Technik fortschreitet. Wir wollen nicht bestreiten, daß die Möglichkeit besteht — ich erinnere an den schnellen Brüter —, auch bei uns Plutonium für militärische Zwecke herzustellen. Aber Sie haben völlig recht, im Augenblick brauchten wir uns gar nicht angesprochen zu fühlen.Wenn deshalb die Betreiber kerntechnischer Anlagen bereit sind, sich freiwillig einer strengen Sicherheitsüberwachung zu unterwerfen, so ist es verständlich, daß sie daran interessiert sind, daß diese Kontrollen auf den vorhandenen betriebsinternen Sicherheitsüberwachungsmaßnahmen aufbauen und so weit wie möglich auf zusätzliche, den Betrieb störende Maßnahmen verzichtet wird. Die Fachleute stimmen darin überein, daß Kontrollen, die in jeder kerntechnischen Anlage zum Zwecke der betrieblichen Sicherheit und Wirtschaftlichkeit regelmäßig auch heute schon ohne Atomsperrvertrag vorgenommen werden, sehr gut geeignet sind, verläßliche Daten für die Sicherheitsüberwachung im Sinne des Art. III zu liefern. Die Betriebe sind aus finanziellen Gründen gar nicht daran interessiert, mit ,spaltbarem Material leichtfertig umzugehen. Der Wert des spaltbaren Materials übersteigt z. B. den Wert von Edelmetallen. Industrie und Institute haben zuverlässige Methoden zur Mengen- und Qualitätsbestimmung entwickelt; im. eigenen Interesse, denn .das radioaktive und giftige Material, um das es sich hier handelt, darf ja auf keinen Fall mit dem menschlichen Körper in Berührung kommen. Wir haben in der Bundesrepublik ein strenges Atomgesetz und eine Strahlenschutzverordnung. Weil unser aller Sicherheit auf dem Spiel steht, muß durch strikte Beachtung strenger Sicherheitsmaßnahmen gewährleistet sein, daß auch nicht versehentlich eine gewisse kritische Ansammlung spaltbaren Materials entstehen kann.Die Betroffenen und die Fachleute sind sich einig, daß sie ihre Kontrollmethoden offenlegen und die erhaltenen Ergebnisse für die Sicherheitsüberwachung zur Verfügung stellen wollen. Sie halten das für selbstverständlich, sie sind dazu bereit. Was aber — und nun komme ich zu den Sorgen, die hier angesprochen worden sind — den Betroffenen erhebliche Sorge bereitet, ist die Frage, welche Form der Sicherheitsüberwachung gewählt wird. Sie darf ihrem Wesen nach nicht auf das betriebliche Geschehen zielen, sondern auf Qualität und Quantität des verwendeten Materials und seinen Verbleib. Sie sollte nur der Feststellung und der Berichterstattung dienen, aber nicht befugt sein, in das betriebliche Geschehen einzugreifen.Herr Dr. Zimmermann hat gesagt: „Was wir nicht wollen dürfen, ist, daß die IAEO die Kontrolle ausübt."
— Ja; wir müssen hier aber auch deutlich sagen, warum wir das nicht wollen dürfen.
Das „Dürfen" bezieht sich meiner Meinung nach vorallen Dingen darauf, daß wir einen Vertrag unter-
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Flämigzeichnet haben, den Euratom-Vertrag, und uns dadurch eines Teiles unserer Souveränität begeben haben. Es ist hier wiederholt zitiert worden: „Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser." Was spricht denn sonst dagegen? Man könnte ja sagen: Dann laßt sie doch alle kontrollieren, laßt die IAEO und die Euratom kontrollieren; doppelt hält besser. Aber gerade das ist auch eine solche Sorge, meine Damen und Herren, die unsere Industrie hat. Ich möchte das an einem Beispiel verdeutlichen, das nicht von mir stammt, sondern das einer der Industriellen mir kürzlich einmal darlegte: Wenn Sie mit einem Lkw von Köln nach Frankfurt fahren und unterwegs von der Polizei angehalten und kontrolliert werden, sagen Sie sich: „Na schön, was sein muß, muß sein"; wenn Sie aber zum zweiten oder zum dritten Male oder gar viermal auf der Strecke Köln—Frankfurt angehalten werden, dann sagen Sie: „Was zu viel ist, ist zu viel, das behindert ja man ganzes Geschäftsleben; ich komme ja nicht mehr voran." So ähnlich sind auch die Besorgnisse unserer Techniker und Atomwissenschaftler.Ich möchte deshalb nur noch folgendes sagen — denn ich will die Debatte nicht wesentlich verlängern —: Es gibt keine wirksamere Kontrolle als die der Euratom. Sie ist wesentlich weitergehend als die Kontrolle der IAEO. An Hand der detaillierten Angaben, die unsere Industrie — überhaupt die Euratom-Industrie — auf Grund der Verträge erbringen muß, ist es einer mit der Sicherheitsüberwachung betrauten Behörde wie der Euratom möglich, den Mengenfluß an spaltbarem Material vollständig zu erfassen. Unbegründete Verluste und Differenzen können kurzfristig erkannt und die Stelle, an der Unregelmäßigkeiten aufgetreten sind, ausfindig gemacht werden, weil bei der Euratom sämtliche Bewegungen in einem geschlossenen Gebiet erfaßt werden. Gerade die mit dem Anwachsen der Kerntechnik immer stärker werdende Interdependenzen der Materialbilanzen verschiedener Anlagen gibt der Sicherheitsüberwachung auf Grund von Buchführung und Buchprüfung größte Zuverlässigkeit.Nun ist hier ganz kurz die Sache mit den „black boxes", mit den schwarzen Kästen, mit der technischen Überwachung angeklungen. Das wäre zweifellos eine ideale Sache. Allerdings müssen wir uns darüber im klaren sein, daß die beste Gasuhr, auch die beste Wasseruhr von Zeit zu Zeit abgelesen werden muß. Man wird sich also mit gelegentlichen Kontrolleuren abfinden müssen.Ich komme zu einigen Schlußfolgerungen.Erstens. Die Frage ist, ob in der Zukunft die Möglichkeit geschaffen werden kann, die Euratom-Kontrolle mit der IAEO-Kontrolle zu koordinieren. Das ist selbstverständlich keine spezifisch deutsche Frage, kann aber für einen wichtigen und zukunftsträchtigen Teil der deutschen Industrie eine lebenswichtige Frage werden. Wir müssen uns darüber klar sein, daß wir, wenn wir von einer Koordinierung dieser beiden Kontrollen sprechen — und das ist in dieser Debatte noch nicht so deutlich gesagt worden —, dann auch mit derartigen Kontrollinstanzen außerhalb des Euratom-Bereichs einverstanden sein müssen. Es genügt aber, dafür zu sorgen, daß die regionale Kontrolle, sei sie hier bei uns im Westen, sei sie im Warschauer Pakt oder anderswo, voll den Zweck im Sinne des Nichtweiterverbreitungsvertrages erfüllt.Die zweite Schlußfolgerung: Für uns stellt sich nicht die Frage, wie der Primat ist, ob die wirtschaftlichen Fragen vor der Friedenssicherung stehen oder umgekehrt. Der Frieden ist die Voraussetzung jeglicher wirtschaftlicher Entwicklung in der Zukunft.
Herr Bundesaußenminister Brandt, ich möchte Ihnen dafür danken, daß Sie heute namens der Bundesregierung durch Ihre Darlegungen dazu beigetragen haben, einen gewissen Teil von Besorgnissen im Ausland abzubauen. Ich war gestern im Europarat in Straßburg. Wir hatten dort eine ähnliche Debatte, und man spürte, daß diese Besorgnisse nicht nur auf die Sowjetunion beschränkt sind. Auch in anderen Staaten wird die Frage gestellt: Wie werden sich die Deutschen verhalten? Ihre Erklärung, Herr Bundesaußenminister, die Sie hier namens der Bundesregierung abgegeben haben, war eindeutig und klar. Sie haben damit gleichzeitig, weil Sie speziell auf die Fragen 3 bis 5 eingingen, dazu beigetragen, auch im Innern Besorgnisse abzubauen, die verständlich sind. Denn unsere Industrie hat — ich sagte es schon — hier einen wichtigen, zukunftsträchtigen Zweig, und hier handelt es sich nicht nur um Betriebe, nicht nur um Unternehmer, hier handelt es sich auch um Tausende, heute vielleicht sogar schon Zehntausende von Arbeitnehmern, deren Zukunft mit dem Atomsperrvertrag auf dem Spiel steht.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Genscher.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Kollege Schmidt hat es heute verstanden, der sonst mit Beifall kargenden Opposition wenigstens an einer Stelle Beifall zu entlocken, nämlich als es darum ging, ob dieses Parlament ein Zwiegespräch unter sich führt oder als Parlament im ganzen mit der Bundesregierung. Wir können den Standpunkt, den er hier vertreten hat, nur unterstreichen. Aber unser Beifall galt der Fortentwicklung der Auffassung der SPD-Fraktion in dieser Frage. Denn alle diejenigen, die vor vierzehn Tagen hier im Hausse waren, werden sich erinnern, daß damals dier Kollege Hirsch, als es um die Anwesenheit bzw. Abwesenheit des Bundesministers der Justiz ging, eine extrem andere Auffassung vertreten hat.
Meine sehr geehrten Damen 'und Herren, die Frage, ob diese Debatte zu spät kommt, ob sie früher hätte sein sollen, möchte ich dahin beantworten, daß wir bei einer früheren Aussprache hier im Deutschen Bundestag gewiß nicht die Verhandlungsposition 'der Bundesregierung geschwächt, sondern
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4968 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 106. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. April 1967
Genscherdurch eine Klarstellung der Ziele der Bundesrepublik in bezug auf den Sperrvertrag sogar hätten stärken können. Die Zielvorstellungen, die heute deutlich geworden sind und die der Herr Außenminister noch .einmal dahin umschrieben hat, daß die Bundesregierung gegen Verbreitung von Kernwaffen und für weitere Maßnahmen der Rüstungsbegrenzung und der Rüstungskontrolle sei, können unserer außenpolitischen Position nur dienen — je früher, desto besser.
Indessen ist diese Klarheit der Zielvorstellungen, wie 'sie hier in der Erklärung vor dem Deutschen Bundestag zutage getreten ist, etwas gemildert durch eine Veröffentlichung vom gleichen Tage im Veröffentlichungsblatt der Bundesregierung. Der Herr Bundesminister der Verteidigung hat dort geschrieben:Dies aber— damit meint er die lückenlose Abschreckung —setzt eine nukleare Komponente unserer Streitkräfte in der bekannten Form voraus.
Ohne sie wäre die Abschreckung unwirksam. Vorschläge, die z. B. durch „Arbeitsteilung" im Bündnis die militärische Aufgabe der Bundeswehr auf den konventionellen Bereich einengen wollen, sind unter den gegebenen Umständen mit unserem Sicherheitsinteresse und den sich daraus ergebenden Verpflichtungen nicht vereinbar.Meine sehr geehrten Damen und Herren, Sie werden mir zugeben, .daß eine solche Formulierung mindestens mißverständlich sein kann. Ich wäre deshalb dankbar, wenn der Herr Bundesminister des Auswärtigen hier noch einmal den Begriff der nuklearen Komponente in unserer Verteidigungspolitik interpretieren und darlegen würde, daß es sich in dieser entscheidenden Frage tatsächlich um eine Politik aus einem Guß handelt.In der Frage der zivilen Nutzung der Kernenergie hat die Bundesregierung heute erkennen lassen, daß sie von den Fortschritten in den Verhandlungen über die Gestaltung des Vertrages befriedigt ist und glaubt, daß die friedliche Nutzung der Kernenergie für Forschung, Industrie und Wirtschaft bei vertragsmäßigem Verhalten nicht beeinträchtigt werden kann, daß sie aber auch die Überzeugung hat, daß die langfristige, ausreichende Versorgung mit Kernbrennstoffen sichergestellt sei. Wir glauben, daß der Herr Bundesminister des Auswärtigen hier etwas deutlicher werden sollte, vor allem zu dem letzten Punkt. Er sollte uns sagen, worauf er diese Gewißheit gründet und ob er wie der Vorsitzende der SPD-Fraktion der Meinung ist, daß man mindestens gleichzeitig mit der Unterzeichnung des Sperrvertrages noch eine eindeutige vertragliche Regelung treffen sollte. Wir halten eine solche eindeutige vertragliche Regelung für unbedingt notwendig.
Meine Damen und Herren, Herr Kollege Schmidt hat gegen meinen Fraktionskollegen Schultz den Vorwurf erhoben, daß er die Frage der atomaren Teilhabe, der atomaren Mitverfügung sozusagen verzerrt dargelegt und nicht herausgestellt habe, daß die sozialdemokratische Fraktion in dieser Frage eine eindeutige Meinung vertrete. Herr Kollege Schultz hat das in seinen Ausführungen nicht bestritten. Uns ging es darum, von der von Sozialdemokraten und der CDU gemeinsam getragenen Bundesregierung zu erfahren, wie sie das Problem der atomaren Mitverfügung für die Bundesrepublik sieht. Wir glauben, daß eine eindeutige Klärung des Standpunktes auch hier die Durchsetzung unserer Interessen in bezug auf den Sperrvertrag wesentlich erleichtern wird. Wir dürfen in diesen Fragen nichts im Zwielicht lassen, und wir halten es für falsch, daß die Klärung dieses Problems schon in der nach Bildung dieser Regierung abgegebenen Regierungserklärung ausgespart wurde. Wir hätten gewünscht, daß heute nicht nur jener unzureichende Passus aus der Regierungserklärung zitiert, sondern fortentwickelt worden wäre im Sinne einer eindeutigen Klarstellung.
Bei aller Befriedigung über die Zielsetzung, die in den Ausführungen des Herrn Außenministers deutlich geworden ist, kann ich nicht verschweigen, daß wir eine Antwort der Bundesregierung auf die Frage, die ja die ganze deutsche Öffentlichkeit bewegt, erwartet hätten, nämlich auf die Frage: Wie sieht die Bundesregierung das Bild Europas und das Bild der Welt nach Abschluß dieses Vertrages? Wie wird die verteidigungspolitische Situation in Europa und in der Welt nach Abschluß eines solchen Vertrages sein, nach dem es ja dann drei verschiedene Gruppen in der Welt gibt, nämlich die Länder, die sich verpflichtet haben, atomare Waffen nicht zu erwerben, die Länder, die diese vertragliche Verpflichtung entgegengenommen haben, aber selber weiterhin über diese Waffen verfügen, und schließlich jene nicht unbedeutende Gruppe von Ländern, die weder darauf verzichtet haben, atomare Waffen zu erwerben, noch sich an diesem Vertrag beteiligen, die also offensichtlich auch nicht bereit sind, sich an weitergehenden Maßnahmen zu beteiligen. Eines ist doch klar: Es ist ein vitales Interesse aller Unterzeichnerstaaten, daß der Abschluß dieses Vertrages nicht das Ende einer Entspannungsperiode darstellt, sondern eine Periode der Entspannung einleitet, daß also andere Maßnahmen in anderen Bereichen folgen sollten. Dieser Vertrag kann doch am Ende nur wirkungsvoll sein, wenn er zu einer Initialzündung wird für weitere Vereinbarungen auf anderen Gebieten und auch in anderen Regionen.
Wir würden es begrüßen, wenn uns die Regierung bei dieser Debatte darlegte, wie sie sich die Position der Bundesrepublik für die Zeit nach Abschluß des Vertrages denkt. Wie soll das Europa aussehen, wie soll die europäische Sicherheitspolitik vorangebracht werden? Diese europäische Sicherheitspolitik muß doch wesentlicher Bestandteil der Friedenspolitik der Bundesrepublik sein.
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GenscherEs wird sich dabei nicht vermeiden lassen, daß die Bundesregierung hier auch etwas zu den Problemen sagt, die sich für das Bündnis aus dem Abschluß dieses Atomsperrvertrages ergeben. Deshalb war es durchaus nicht abwegig, Herr Kollege Dr. Zimmermann, daß der Kollege Schultz hier ganz spezifisch verteidigungspolitische Fragen angeschnitten hat. Sie können die Lage in Europa im verteidigungspolitischen Bereich nach Abschluß dieses Sperrvertrages nicht beurteilen, wenn Sie nicht zuvor die Antwort auf die Frage gegeben haben, welche Position im Verteidigungssystem die Bundesregierung nach Abschluß des Vertrages einnehmen will und wie sie die europäischen Sicherheitsbelange auch mit dem Ziel fortentwickeln will, die deutsche Frage lösbarer zu machen.Meine Damen und Herren, die Bundesrepublik als geteiltes Land nimmt natürlich in der Diskussion über diesen Atomsperrvertrag eine besondere Position ein. Ich stimme dem Herrn Kollegen Eppler voll zu, wenn er sagt, daß wir mit einer Reihe von anderen Staaten übereinstimmende Interessen haben. Ich kann auch dem Herrn Kollegen Birrenbach zustimmen, wenn er die Punkte aufzählt, in denen wir durch diesen Vertrag in unserer Position als Teilnehmer des NATO-Vertrages, im Bereich der zivilen Nutzung und auch als ein Land, das die Einigung Europas will, betroffen sind. Aber ich habe vermißt, daß er als vierten und wesentlichsten Punkt die spezifische Position Deutschlands als geteiltes Land darlegt;
denn aus dieser spezifischen deutschen Position ergibt sich für uns zwar nicht eine Führungsrolle, aber doch eine besondere Verpflichtung zum Vordenken über alle Fragen, die mit dem Problem der europäischen Sicherheit in irgendeinem Zusammenhang stehen.Meine Damen und Herren, wir haben das elementarste Interesse daran, daß aus dem Abschluß dieses Atomsperrvertrages auch Fortschritte in den übrigen Fragen der europäischen Sicherheit entstehen, wenn wir der Lösung der deutschen Frage näherkommen wollen.Ich habe aus Agenturmeldungen entnommen, daß der Herr Bundesminister des Auswärtigen in einem Artikel zum 1. Mai dargelegt hat, man könne heute nicht mehr erwarten, daß mit diesem Abschluß des Sperrvertrages in Genf Fortschritte in der deutschen Frage verknüpft sind. Wir alle wissen, daß die Bereitschaft für ein solches Junktim, das noch vor wenigen Jahren zu den unverzichtbaren Bestandteilen unserer deutschen Außenpolitik gehörte, sehr schwer zu erreichen ist. Aber wir können erwarten, daß erstens die Bundesregierung in dem Zeitpunkt, in dem diese Vertragsunterschrift zur Diskussion steht, ihre Vorstellungen von möglichen Sicherheitslösungen in Europa darlegt und daß zweitens unsere verbündeten Mächte zur gleichen Zeit, in der wir diese Unterschrift leisten, auch bereit sind, gegenüber den anderen Vertragspartnern Verständnis für diese deutschen Sicherheitsvorstellungen zu wecken.Meine Damen und Herren, wenn wir diese Unterschrift nur isoliert leisten und unsere Vorstellungen für ein gesamteuropäisches Sicherheitssystem später entwickeln, werden wir eine günstige Stunde für eine von deutschen Akzenten bestimmte Sicherheitspolitik versäumen. Ich glaube, es wäre nützlicher, wenn wir die Schlußberatungen über den Sperrvertrag, wenn wir auch die deutsche Unterschrift in ein Paket deutscher Sicherheitsvorstellungen für die Sicherheitspolitik im übrigen einbetteten. Es kann nicht das Ziel sein, zunächst einmal diese Unterschrift, zu der wir stehen, für die wir eintreten, zu erbringen und später sozusagen im nachhinein mit den Wünschen zu kommen, die wir mit Entspannung und Sicherheit in Europa verbinden.Wir glauben, daß jede Diskussion über Außenpolitik und über Verteidigungspolitik in diesem Hause, wenn die deutschen Belange genannt werden, wenn die Punkte genannt werden, in denen wir betroffen sind, niemals in Vergessenheit geraten lassen sollte, daß an der Spitze deutscher Politik in jedem Falle das nationale Interesse unseres Volkes an der Überwindung seiner Teilung steht. Dies hier darzulegen, war mein Hauptanliegen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Barzel.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich hatte ursprünglich nicht die Absicht, mich an dieser Debatte zu beteiligen. Aber einige Ausführungen des Herrn Kollegen Berkhan und der eine oder andere Vorgang in der Debatte insgesamt veranlassen mich doch, ein paar Worte hier zu sagen.Herr Kollege Berkhan, im Gegensatz zu Ihnen finde ich „bayerische Untertöne" nicht unsympathisch. Aber Ihre Rede war mir zuwenig hamburgisch. Sie hätten nämlich korrekt wiedergeben müssen, was ich gesagt habe. Sie haben dargetan, ich hätte in meiner Rede vor dem Überseeklub in Hamburg für uns ein „glattes Nein" zu diesem Vertrag angekündigt. Ich bin in der glücklichen Lage — mein Büro ist so schnell gewesen —, das Manuskript vom 20. Februar hier zu haben. Ich darf Ihnen vorlesen, was ich gesagt habe. Ich habe unter dem Rubrum „Engagement in den Fragen der zivilen und der atomaren Zukunftsentwicklung" davon gesprochen, daß wir Fortschritte gemacht haben, die ich bezeichnet habe. Dann geht es wörtlich weiter:Dies darf durch nichts gestoppt, gefährdet, zurückgeworfen werden, auch nicht durch die besonderen Bedürfnisse militärischer Nuklearmächte.— Ich hatte vorher zwischen den militärischen und den zivilen Nuklearmächten unterschieden. —Unsere Besorgnis, der Nonproliferationsvertrag, dessen Kontrollmechanismus und potentielle wissenschaftliche und ökonomische Interventionsmöglichkeiten, könnten unsere zivile, friedliche wissenschaftliche Forschung und wirt-
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4970 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 106. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. April 1967
Dr. Barzelschaftliche Nutzung des Atom stören, wurde nicht von uns erfunden, sondern von den Sowjets geboren. In der Moskauer Note vom 28. Januar 1967 heißt es:Unter dem Deckmantel des Geredes von der Notwendigkeit, des _technischen Fortschritts teilhaftig zu werden, und unter Ausnutzung der engen Verflechtung der Möglichkeiten für die friedliche und militärische Benutzung der neuesten Errungenschaften, der Atomraketen, der Raumtechnik, betreiben die militärischen Kreise der Bundesrepublik Deutschland umfassende Arbeiten militärischen Charakters auf diesem Gebiet.So weit die Verleumdung aus der Note. Dann kommt wieder mein Text:Jeder weiß,- Sie, Herr Berkhan, wissen es als Mitglied des Verteidigungsausschusses —daß dies nicht stimmt. Sollte irgendwer unsere friedliche Tätigkeit behindern wollen, so gäbe es nur eines: Nein! Zugleich: Wir haben keine spezifisch deutschen Probleme, sondern nur solche aller vergleichbaren Nationen. Ich habe das Vertrauen, daß es der Bundesregierung gelingen wird, unser vitales Interesse insoweit durchzusetzen.Ich finde, der Satz ist heute noch besser, als er sich damals anhörte, Herr Berkhan!
— Ist in Ordnung, Herr Berkhan. Sie sehen, wie es manchmal geht!Da ich nun einmal das Wort genommen habe, möchte ich noch ein paar Worte sagen. — Ja, Herr Moersch?
— Leider nicht! Ich hätte so gern einen Zwischenruf von Ihnen gehabt, da wir beide immer noch den „Meßdiener" ausstehen haben!Ich möchte zur Form der Debatte etwas sagen, weil es hier einige Ereignisse gab, und dann noch einiges zur Sache und zur Landschaft. Zur Form erlauben Sie mir bitte nochmals zu sagen — ich habe das schon einmal nach einer Debatte gesagt —, daß ich, ehrlich gesagt, nicht ganz zufrieden bin. In der Sache bin ich sehr zufrieden; ich glaube, es war förderlich für die Regierung. Aber parlamentarisch bin ich nicht zufrieden. Ich bin nicht nur unzufrieden, wenn ich dieses Haus jetzt sehe und wenn ich daran denke, was wir heute mittag erlebt haben. Wir sollten vielleicht ernsthaft überlegen, ob wir nicht alle miteinander noch einmal den Vorsatz fassen, kürzer zu reden.
Ich habe zu Beginn dieses Parlaments einmal gesagt— Herr Mommer wird sich deswegen daran erinnern, weil er gesagt hat, er wolle mich darauf festnageln —: Ich werde in diesem Bundestag nie länger als 30 Minuten reden. Ich habe mich daran gehalten, und der Kollege Schmidt hat sich auch daran gehalten; er hat besonders kurz gesprochen. Ich finde, je kleiner die Fraktion, um so länger die Rede!
— Es wird also wenigstens lebendiger! Ich kann nicht über mangelnde Lebendigkeit klagen. — Diesen Vorsatz sollten wir fassen.Das andere: Ich glaube, auch die Beurteilung des Zeitpunktes der Debatte war ein bißchen kontrovers. Ich halte ihn, in dieser Form der Debatte, mit der Großen Anfrage und der Regierungserklärung heute, nach der NATO-Ratssitzung und vor den Genfer Verhandlungen, für richtig. Allerdings hätten wir vielleicht — ich sage es für mich persönlich — doch schon im Februar eine Aktuelle Stunde haben können. Ich glaube, wenn es hier so leer ist, liegt das auch daran, daß es eben so lange dauert, bis solche Debatten kommen können. Wir sollten uns vielleicht doch gelegentlich leichter und schneller zu einer Aktuellen Stunde durchringen.Über den Rang der Debatte möchte ich noch eines sagen. Wir haben als Parlament, glaube ich, uns zur rechten Zeit geäußert, bevor hier ein Text vorliegt. Damit haben wir dargetan, daß dieses Haus in laufender Außenpolitik mitwirkt, daß dieses Haus nicht erst ja oder nein zu sagen wünscht, wenn nichts mehr zu ändern ist wegen der Ratifikation, sondern daß es sich rechtzeitig einzuschalten wünscht. Die Bundesregierung und die Öffentlichkeit wissen nun, was hier im Hause zu den Problemen gedacht wird. Es wird der Regierung leichter sein — wenn es überhaupt zu einem Vertrag kommt; und wer weiß, ob es dazu kommt —, uns eine Vorlage zuzuleiten, von der sie erwarten kann, daß diese hier eine Mehrheit findet. Ich glaube, die heutige Debatte war — das muß man einmal in der Zeit der Leitartikel über „Große Koalition und Parlamentarismus" sagen — ein sinnvolles Mitwirken dieses Hauses, während Außenpolitik in der Entwicklung ist. Das sollte man einmal sagen.
— Sie sehen, Herr Blachstein, wir lernen aneinander und miteinander.Nun noch einiges zur Sache und auch zur Landschaft, in der diese Sache aus unserer Sicht zu sehen ist. Erstens. Sie wissen, wir hatten Professor Weizsäcker in unserer Fraktion. Er hat gesagt, es gehe darum, die technisch sich wandelnde Welt politisch zu stabilisieren, und er hat dann hinzugefügt, es gebe „Elemente ständig neu auftauchender Instabilitäten" ; man könne gar nicht wissen, was noch alles passieren könne. Auch die Regierungserklärung hat, wenn ich den Kollegen Brandt recht verstanden habe, von „nicht ausrechenbaren Elementen" gesprochen. Das muß das erste sein, was man hier festhält. Dies ist das Problem: Weil keiner es ganz ausrechnen kann, kann es doch nicht im Aufgalopp, so aus dem Handgelenk, mit Ja oder Nein erledigt werden. Da muß man sich Zeit lassen, sich Mühe geben, wie das hier geschehen ist, um
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Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 106. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. April 1967 4971
Dr. Barzelalles dies subtil prüfen zu können. Und wir Deutschen wünschen dies subtil zu prüfen, weil wir, falls es zu einem Vertrag kommt, eine vertragstreue Unterschrift — im vollen Bewußtsein dessen, was sie bedeutet — zu geben wünschen, weil wir nichts von einem dynamischen Prozeß — „Es wird sich doch alles wandeln" — halten, nein, wir wünschen diese Sache so genau, wie es heute möglich ist, technisch kennenzulernen. Deshalb machen wir es uns so schwer. Das sollten auch diejenigen in der Welt verstehen, die glauben, uns wegen unserer Haltung verdächtigen zu sollen.Das Zweite, was hier zu sagen ist, ist dankenswerterweise auch in der Regierungserklärung zumindest angeklungen. Ich will es etwas deutlicher sagen. Das, was gegenwärtig diskutiert wird, ist nicht nur weniger, als die Deutschen durch Vorleistungen — Herr Birrenbach und die Regierung haben davon gesprochen — schon erbracht halben. Es ist auch weniger, als wir im vorigen Jahr in der Friedensnote vorgeschlagen haben. Es ist nur eine Teillösung. Es betrifft nur die nichtmilitärischen Nuklearmächte. Es ist deshalb gut, ganz klar zu sagen: was hier zur Debatte steht, ist nur eine begrenzte Nichtverbreitung und ist nicht etwa das Problem im ganzen.Ich möchte einen Satz aus einem Papier der Bundesregierung aufnehmen und ihn auch für uns in aller Form in die Debatte werfen, einen Satz, in dem es heißt:Den Kernwaffenmächten obliegt es, die weitere Entwicklung immer gefährlicherer Waffen einzustellen, die vorhandenen Bestände einschließlich der Träger nicht weiter zu vermehren, ihren Abbau einzuleiten, mit der Produktion spaltbaren Materials für militärische Zwecke aufzuhören und einen vollständigen testban zu erzielen.Ich glaube, daran darf man erinnern.Meine Damen und Herren, Teillösungen werfen natürlich das Problem, ob man das bejahen oder verneinen soll, besonders auf, weil man nicht genau weiß, wie die Reise weitergeht oder ob sie überhaupt weitergeht. Auch Herr Genscher hat eben davon gesprochen. Ich glaube deshalb, daß sich hier das Abwägen stellt.Wir wisen, daß wir zugleich eine Politik der Sicherheit durch Abschreckung — Herr Birrenbach hat die Voraussetzungen noch einmal kurz genannt — und eine Politik der Entspannung mit dem potentiellen Gegner machen müssen, aber doch nicht auf Kosten unserer vitalen Interessen.Ich bin froh, daß die Regierung die vier Punkte noch einmal bezeichnet hat. Ich meine, auch das, was Herr Minister Stoltenberg hinsichtlich der friedlichen Verwendung der Kernenergie und der Zukunft der Welt und des Hungerproblems vortrug, meine Damen und Herren, kann man nur unterstreichen. Wer die Enzyklika „Populorum Progressio" lauthals begrüßt, meine Damen, meine Herren, muß für friedliche Nutzung der Atomkernenergie in Deutschland sein, weil wir sonst unseren moralischen Pflichten in der Welt von morgen gar nicht entsprechen können.
Dies, glaube ich, muß man einfach sehen.
Jetzt ist nicht der Tag und nicht die Stunde zu einem endgültigen Urteil, aber zu einer Meinungsverdichtung. Diese ist heute hier erfolgt, und wir begrüßen sie.Lassen Sie mich dazu ein drittes und letztes sagen. Ich sprach von der Landschaft, in der dies zu sehen ist. Ich meine, die Welt sollte verstehen, daß wir die Frage stellen: Wo eigentlich ist der Ort und wann ist der Zeitpunkt für das Einfädeln der deutschen Frage in all diese Dinge? Handelt es sich etwa um eine Straße, auf der das Auto fährt, ohne eine Haltestelle für das Einsteigen der deutschen Frage? Das ist die Frage, das ist die Besorgnis, die der eine oder andere hat. Sprechen wir es doch offen aus!Warum ist diese Besorgnis zu betonen, meine Damen und Herren? In der Sache passiert für uns nichts Neues. Wir haben kein Bedürfnis nach eigenen Atomwaffen. Wir haben darauf verzichtet, sie herzustellen. Das ist nicht neu. Neu ist doch politisch — außer dem zivilen Bezug — die Tatsache, daß wir eine Unterschrift auch gegenüber einer Macht geben sollen, wegen deren Bedrohung es unsere Sicherheitsvorkehrungen allein gibt. Wir sollen eine Unterschrift gegenüber einer Großmacht leisten, die uns nicht nur zu Unrecht Revanchisten nennt, sondern die den Deutschen die Menschenrechte vorenthält; die nicht nur auf uns schimpft, sondern in Berlin auf Deutsche schießen läßt. Dies ist ein Problem, freilich ein speziell deutsches Problem. Das muß jedermann in der Welt sehen.So fragen wir uns: Wo ist der Ort? Vielleicht ist er nicht zu bezeichnen. Man kann nicht jede Frage der Entspannung mit dem ganzen Gewicht der deutschen Frage belasten. Das wissen wir alle. Aber irgendwo muß dieser Ort doch erkundbar sein zunächst und zumindest doch für das Gespräch hinsichtlich der menschlichen Dinge, von denen wir vor 14 Tagen hier im Hause gesprochen haben.Jeder muß sehen, daß die Sowjetunion uns in drei Punkten öffentlich angeht; diese sind die atomare Frage, die Grenzfrage und die Anerkennung der SBZ als DDR. Wenn nun die eine Frage ohne Gegenleistung vom Tisch wäre, auch gegenüber der Sowjetunion vom Tisch wäre — objektiv ist sie ja vom Tisch —, was dann, meine Damen und Herren? Diese Frage muß man stellen, ich glaube, auch zu diesem Zeitpunkt.So finde ich, daß die Debatte in der Sache für die Position der Regierung nützlich war, aber daß sie parlamentarisch vielleicht etwas besser hätte sein können.Lassen Sie mich zum Schluß nur noch dieses sagen: Die Frage, ob wir, falls es zu einem Text kommt, der uns angeht, ja oder nein sagen werden, beantworten wir nicht nach in Ultimaten und Beleidigungen gekleideten Befehlen von Moskauer Führern,
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4972 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 106. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. April 1967
Dr. Barzelsondern wir werden sie so beantworten, wie es unser Bundeskanzler gesagt hat, nämlich nach eigener Einsicht und nach eigenem Gewissen. Nur wer den ganzen Weg dieser Frage bis heute kennt, wird, glaube ich, zustimmen müssen, daß es gut war, in eine so subtile und gründliche Beratung einer Frage mit Zeit einzutreten. Bei dieser Frage geht es heute nicht nur um vitale Interessen, sondern um eine entscheidende Weichenstellung für die Zukunft.Ich danke Ihnen, Herr Berkhan, Ihre Bemerkungen haben mir Gelegenheit gegeben, unseren Standpunkt zu präzisieren.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Ollesch.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Dr. Barzel hat es eingangs seiner Rede für notwendig gehalten, bei der Kritik des parlamentarischen Ablaufs der Debatte einen besonderen Tadel an die Adresse der Freien Demokraten zu richten. Wir weisen diesen Tadel nachdrücklich zurück. Herr Dr. Barzel, wenn Sie einmal die Protokolle verfolgen, dann werden Sie feststellen, daß die Freien Demokraten, was den zeitlichen Ablauf der Debatten anlangt, die Geduld der Abgeordneten und des deutschen Volkes nicht übermäßig in Anspruch genommen haben.
Sie werden es uns als Opposition nicht verdenken, daß wir Gelegenheit nehmen, hier informiert zu werden, wo die Information angebracht ist, und daß wir darauf verzichten, unsere Informationen aus der Presse zu holen.
— Meine Damen und Herren, Sie brauchen uns nicht zur Kürze zu ermuntern. Die längsten Reden werden nicht von uns gehalten. Wir pflegen normalerweise frei zu sprechen und keine vorbereiteten Reden abzulesen.
Meine Damen und Herren, die Wichtigkeit des Themas verlangt eine ausgedehnte Behandlung und eine Klärung der Fragen, die strittig sind. Wir haben einen Antrag zu dem Thema gestellt, und der Antrag war Anlaß zu dieser heutigen Debatte. Daß Sie dem Antrag eine Große Anfrage beigefügt haben, nun, das entspricht der Gepflogenheit, die auch schon in der Vergangenheit geübt wurde. Man pflegt in diesem Hause einen Antrag mit einer Großen Anfrage zu unterlaufen, vor allen Dingen dann, wenn der Antrag einem nicht sehr gelegen kommt.
Der Antrag, den wir gestellt haben, ist nicht in Gänze zu unserer Zufriedenheit beantwortet worden. Daher dürfen Sie es uns nicht verübeln, wenn wir hier immer wieder Antwort erheischen.
Das hier behandelte Thema berührt unsere Lebensinteressen. Ich meine nicht so sehr, daß unsere Sicherheit stark beeinträchtigt werden würde, wenn wir den Vertrag unterzeichnen. Wir sind sicherlich alle der Meinung, daß das Vorhandensein des atomaren Patts uns Jahre des Friedens beschert hat. Aber Sie müssen sich einmal auch die Gedankengänge der Initiatoren des Nichtweitergabevertrages zu eigen machen: Das Gleichgewicht wird durch jede hinzukommende Atommacht gestört. Die industrielle Entwicklung und die friedliche Verwendung der Atomenergie läßt in den kommenden Jahren das Atomwaffenpotential zwangsläufig anwachsen. Bei der friedlichen Ausnutzung der Kernenergie werden bis zum Jahre 1975 35 000 kg Plutonium anfallen, aus denen 3500 Atombomben hergestellt werden können. Das müssen wir sehen.
Ich meine, daß die Äußerungen zum geplanten Nichtweitergabevertrag, die in jüngster Zeit aus den verschiedensten Richtungen, und besonders aus einer Richtung, in diesem Hause gemacht wurden, in der Welt zum Teil Mißtrauen erwecken konnten. Denn vergessen wir nicht, meine Damen und Herren: Wir wünschen als einziges Volk in Europa eine Veränderung unserer Grenzen, eine Veränderung der derzeitigen Grenzen — mit Recht — im Gegensatz zu allen Völkern um uns herum. Wir selbst betonen immer wieder, daß wir die Veränderung auf friedlichem Wege erreichen wollen. Wir .erwarten, daß man es uns abnimmt, daß es uns mit diesem Wunsch ernst ist. Dennoch wird man uns immer wieder wegen dieses Wunsches der Veränderung mit Mißtrauen begegnen. Wir sollten allen Anlaß haben, nicht ein Mißtrauen zu erwecken, das uns die Erreichung unseres Zieles, die Wiedervereinigung herbeizuführen, so unendlich schwer machen wird.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Schultz.
— Verzichtet.
Das Wort hat der Herr Bundesaußenminister.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte zunächst sagen, daß mir die Tatsache, daß nicht wieder pünktlich um 14.30 Uhr begonnen werden konnte, sehr leid tut. Ich habe mich beim amtierenden Präsidenten entschuldigt. Die wenigen hundert Meter von der Adenauerallee hierher sollten wirklich — insofern war das mit dem Verkehr gar kein Witz — in zehn Minuten zurückzulegen sein, selbst wenn man die Fahrt im Paternoster von der Kantine 'im Auswärtigen Amt hinunter in die zehn Minuten mit einbezieht.Ich darf noch eine Vorbemerkung machen. Der Abgeordnete Borm hat sich auf das bezogen, was er ein russisches Sprichwort nennt. Das ist auch von einem anderen Mitglied des Hohen Hauses aufgegriffen worden, nämlich das Wort: Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser. Das ist nicht eigentlich ein
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Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 106. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. April 1967 4973
Bundesminister Brandtrussisches Sprichwort, das ist ein Lenin-Zitat. Aber warum soll nicht ein Lenin-Zitat von rechts kommen?
Es ist ein Lenin-Zitat und handelt in seinem Ursprung und in seiner praktischen Anwendung ganz eindeutig von der straffen Kontrolle in Partei und Staat.
Der Vorsitzende der SPD-Fraktion hat die Frage gestellt, ab sich die Regierung nicht offiziell und öffentlich früher hätte äußern sollen. Der Vorsitzende der CDU/CSU-Fraktion hat gesagt, man hätte dies vielleicht immerhin in Form einer Fragestunde tun sollen. Ich glaube, es ist wirklich eine Ermessensfrage. Jedenfalls müssen Sie es richtig verstehen, wenn ich sage: Für den Außenminister war es leichter, heute zu sprechen als vor zwei Monaten. Aber das Parlament ist natürlich nicht dazu da, es den Mitgliedern der Regierung unnötig leicht zu machen. Es war heute deshalb leichter, weil wir, worauf schon hingewiesen worden ist, mit einem wesentlichen Teil der Konsultationen durch sind, weil eine neue Runde begonnen hat, und weil wir heute einen abgerundeteren Bericht, auch wenn er noch nicht vollständig sein konnte, haben geben können, als wir ihn vor zwei Monaten hätten geben können. Im übrigen darf ich sagen, daß ich in den ersten Monaten .des Jahres zwei- oder dreimal vor dem Auswärtigen Ausschuß berichtet habe, was natürlich keine Erörterung vor dem Plenum ersetzen kann, sondern seine Bedeutung nur im Vorfeld solcher Erörterungen hat.Auf die Angehörigen des auswärtigen Dienstes, die hohen Beamten, auf die Bezug genommen worden ist, möchte ich nicht weiter eingehen, denn darüber ist schon einmal in einer Fragestunde des Bundestages gesprochen worden.Herr Kollege Schmidt hat zur Sache die sehr ernste Frage aufgeworfen, ob die Bundesregierung richtig gehandelt habe, wenn sie bisher über diesen Gegenstand in erster Linie mit einem der Atomgiganten und nicht auch mit dem anderen verhandelt habe. Der Abgeordnete Borm hat den Gedanken weitergeführt — ich bin sicher, weit über das hinaus, woran Herrn Schmidt in seiner Fragestellung lag — und den Eindruck vermittelt, als hätten sich unsere Konsultationen auf die Vereinigten Staaten beschränkt. Das ist nun effektiv nicht so. Daß wir von zwei Atomgiganten in erster Linie mit dem sprechen, der in dem Sicherheitssystem, zu dem wir gehören, die führende Kraft ist, und mit dem Faktor sprechen, ohne den es in dem Sinne, wie es heute existiert, keine deutsche Atomwirtschaft gäbe — das wollen wir auch einmal festhalten —, das, glaube ich, ergibt sich von selbst, ohne daß eine von vornherein negative Haltung gegenüber einem Gedankenaustausch mit anderen darin liegt. Wir haben uns außerdem mit Frankreich, mit Großbritannien, mit Italien, mit allen Partnern im westlichen Bündnis und mit vielen nicht Gebundenen nicht nur mal an der Straßenecke getroffen, sondern haben eingehend über die Dinge gesprochen. Das wird weiter gemacht werden.Die Regierung der Sowjetunion hat selbstverständlich auch jene Denkschrift in der gehörigen Form übermittelt bekommen, in der die Bundesregierung am 7. April ihre Auffassung dargelegt hat. Selbstverständlich sind, was die Sowjetunion angeht, auch diplomatische Kanäle dazu da, daß über Dinge, die anstehen, gesprochen wird. Daß das auf diesen Kanälen nicht immer gut genug klappt, davon hat sich sicher auch mancher schon überzeugt, der in den letzten Wochen Gespräche geführt hat. Das ist ein bißchen schwierig. Aber wir geben deshalb nicht auf. Wir dürfen das ja gar nicht. Die Schwierigkeit ist außerdem die, daß in der großen Kampagne, die im Januar zusätzlich gegen uns begonnen hat, die Behauptung eine so zentrale Rolle spielt: Das, was heute an Forschung, Entwicklung, Nutzung der Kernenergie friedlich geschehe, sei aus sowjetischer Sicht die Vorbereitung für unser Sichhineinsetzen-Wollen in die Rolle einer militärischen Atommacht. Wir werden natürlich nicht aufgeben dürfen, das zurechtzurücken. Ich habe ja heute früh von der Hoffnung gesprochen, daß wir über diese Zeit, in der es so schwierig ist, einander Dinge zu erklären, hinwegkommen werden. Aber auf dem Hintergrund dieser extremen Position, die die Führer der Sowjetunion in diesen Monaten bezogen haben, und ohne bisherige Reaktion auf die erwähnte Denkschrift war nicht sehr viel mehr möglich. Ich sage das nicht, weil ich mich darüber freue, sondern weil das so ist.Was Herrn Borm angeht, darf ich doch noch einmal ein Mißverständnis auszuräumen versuchen. Er hat sinngemäß gesagt, wir hätten uns überflüssigerweise zum Wortführer derer gemacht, die Sorgen hätten, und mehr Zurückhaltung wäre besser gewesen. Das kann ich so nicht gelten lassen.Das mit dem Wortführer — oder wie es im Angelsächsischen mal genannt wurde, mit dem „gang leader" — haben uns teils andere andichten wollen, teils haben es bei uns zu Hause einige aus Wichtigtuerei so interpretiert. Dies ist aber nicht die deutsche Politik.
Mehr Zurückhaltung in der Sache, verehrter Herr Borm, von nichts kommt nichts. Wenn wir uns in diesen Monaten nicht gerührt hätten, dann hätten wir die Dinge nicht beeinflussen können.
Daß es bei diesem Sich-Rühren auch mal falsche Bewegungen gibt, will ich von vornherein zugeben. Es kam darauf an, daß wir nicht allein stehenblieben — denn dahin wollten es gewisse Leute in der Welt bringen —, es kam darauf an, unsere Interessen anständig, ohne taktische Nebenabsichten, in eine Interessensolidarität gemeinsam mit anderen einzubetten. Und auf diesem Wege sind wir ein gutes Stück vorangekommen.
Herr Abgeordneter Borm hat noch einmal die Frage aufgeworfen — ich hatte heute früh schon versucht, darauf einzugehen —, warum man nicht doch von deutscher Seite ein Abkommen über die Abschaffung atomarer Waffen vorschlagen sollte. Hier
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4974 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 106. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. April 1967
Bundesminister Brandtgreife ich jetzt das Wort von der Zurückhaltung auf. Die nukleare Rüstungsbeschränkung derer, die die Kernwaffen haben, ist nun einmal, von den guten Ratschlägen und den Forderungen abgesehen, erst einmal eine Sache der Nuklearmächte. Zweitens gibt es nicht nur die Resolution der Vereinten Nationen, die ich heute früh zweimal zitiert habe, sondern es gibt auch bereits konkrete amerikanische Vorschläge für ein „cut-off", d. h. für die Einstellung der Produktion spaltbaren Materials für militärische Zwecke und für ein „freeze", d. h. keine Vermehrung der Trägermittel für nukleare Waffen. Aber die durch diese beiden Begriffe, „cut-off" und „freeze", charakterisierte Politik stagniert gegenwärtig. Ich sage auch dies nicht, weil es mir Spaß macht, sondern weil es so ist, nicht, weil die Regierung — das hatte ich heute früh zu sagen versucht — etwas gegen den Gedanken dieses Teils des FDP-Antrags hat, sondern weil es nach unserer Auffassung jetzt zweckmäßig ist, die horizontale Nichtverbreitung mit der vertikalen Nichtweiterverbreitung in einem Vertragswerk zu verbinden. Das war der Gedanke, den ich zu entwickeln suchte.Herr Abgeordneter Genscher hat die Frage der Sicherheitspolitik noch einmal aufgegriffen und strategische Fragen, die auch von anderer Seite angeschnitten worden waren, noch einmal in die Debatte hineingestellt. Er hat dabei auch an mich die Frage gerichtet, was denn nun wirklich mit der nuklearen Komponente gemeint sei. Nun bin ich nicht dazu da, die Artikel meines Kollegen, des Bundesverteidigungsministers, zu interpretieren, zumal ich den Artikel noch nicht gelesen habe.
Aber, meine Damen und Herren, wir haben heute früh und in anderen Zusammenhängen doch wohl deutlich genug gesagt, daß die Sicherheitsfragen, die für die ganze Allianz und damit für uns mit stehen, mit dem, was man die konventionelle, und dem, was man die nukleare Komponente nennt, daß diese Gesamtproblematik der Allianz für uns nicht eine Frage unseres Wunsches nach Besitz darstellt; wir haben heute morgen, glaube ich, gesagt: nicht von uns zum Anlaß genommen wird, die Frage der Verfügungsgewalt aufzuwerfen.Im übrigen glaube ich aber wirklich, es ist nicht nur die Geschäftslage des Hohen Hause heute, sondern es gäbe auch andere gute Gründe, die sehr schwergewichtigen und bedeutsamen verteidigungspolitischen Fragen bei einer anderen Gelegenheit zu erörtern und sich jetzt nicht noch im einzelnen darüber auszulassen.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage, Herr Minister?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Bitte!
Bitte sehr!
Herr Minister, da es Ihnen offensichtlich nicht möglich ist, die Frage meines Kollegen Genscher nach der „nuklearen Komponente" in diesem Aufsatz im Bulletin jetzt zu klären, wäre es denn nicht geradezu die Aufgabe der Bundesregierung und vielleicht des Bundeskanzlers, nun einmal verbindlich zu interpretieren, was eigentlich hiermit gemeint sein sollte?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Es ist .doch völlig klar, daß für die Bundesrepublik Deutschland als Nichtnuklearmacht die Frage von entscheidender Bedeutung ist, was im Bündnis insgesamt die nukleare Komponente bedeutet und wie die Bündnispartner konsulativ und planend daran mitwirken. Das ist das Problem der beiden Einrichtungen, von denen ich gesprochen habe, die der NATO-Rat Mitte Dezember eingesetzt hat, und jener Nuclear Planning Group, an deren Sitzung der Bundesverteidigungsminister Anfang dieses Monats in Washington teilgenommen hat.
Eine Zwischenfrage.
Herr Bundesminister, es handelt sich um die Formulierung: „Dies aber setzt eine nukleare Komponente unserer Streitkräfte ... voraus".
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Unsere Streitkräfte sind integriert in den Gesamtzusammenhang der Allianz!
Im übrigen, Herr Kollege Genscher, würde ich Ihnen nicht folgen können, wenn Sie meinten, daß ein solcher Vertrag wie der, über den wir heute gesprochen haben, die Gelegenheit sei, die Unterschrift dann mit dem zu koppeln, was wir hier die deutsche Frage nennen. Ich glaube, das ist etwas schematisch gedacht. Es wird statt eines Junktims hier wie auf anderen Gebieten in der vor uns liegenden Zeit vielmehr darauf ankommen, Voraussetzungen zu schaffen, mit deren Hilfe wir weiterkommen können, was die deutschen Dinge angeht.
Ich möchte noch zu dem, was der Kollege Dr. Zimmermann über Euratom und über die vertragliche Regelung der Brennstofflieferungen ausgeführt hat, folgendes nachtragen. Erstens: Die Bundesregierung hat Grund, anzunehmen, daß der Brennstoff, den wir brauchen, geliefert wird in der Zeit, die vor uns liegt, und daß dies spätestens im Zusammenhang mit einem solchen Vertrag befriedigend zusätzlich vertraglich geregelt wird. Herr Dr. Zimmermann hat zweitens die Frage nach der Verifikation gestellt; auch Herr Flämig hat dieses Thema aufgegriffen. Lassen Sie mich dazu nachtragen: Das Problem in dem jetzt erwogenen Vertrag ist folgendes. So wie bisher Nichtkontrollierte binnen drei Jahren die IAEO-Kontrolle übernehmen sollen, so sollen . die Staaten der Euratom-Gruppe,
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Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 106. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. April 1967 4975
Bundesminister Brandtder Europäischen Atomgemeinschaft, innerhalb der gleichen Zeit von drei Jahren mit der IAEO ein Verifikationsabkommen schließen. Dabei ist bei ergebnislosem Verlauf keine Sanktion vorgesehen, sondern das Weitergelten der Euratom-Kontrolle und — wenn man sich nicht einigt, was schade wäre — die Erörterung auf .der ersten Vertragsdurchführungskonferenz, wie bei anderen etwa nicht erreichten Vertragszielen. Das Abkommen soll eine Verifikation der Atomgemeinschaft auch durch die IAEO einführen, eine solche Verifikation aber, die weder eine Doppelkontrolle ist, die unrationell wäre, noch eine bloße papierne Kontrolle, die in der Welt nicht glaubhaft wirken würde.Außerdem möchte ich noch folgendes sagen, weil in der Debatte gesagt worden ist, draußen in der Welt empfinde man die Euratom-Kontrollen als bloße Selbstkontrollen. Das ist so nicht richtig, finde ich. Natürlich würde — und darum sind wir dafür mit den anderen Euratompartnern — die Verifikation durch die Wiener Behörde dieses Argument beseitigen, selbst wenn es zutreffend wäre; aber ich glaube, es ist nicht zutreffend. Denn für diejenigen, die Mitglieder der Euratom-Gemeinschaft sind, sind die Euratom-Kontrollen Fremdkontrollen und nicht Eigenkontrollen, und zweitens ist in Wirklichkeit wohl keine Kontrolle so wirksam wie die durch nahe Nachbarn.Aber davon abgesehen wollte ich gern sagen, daß ich dankbar bin für die Aussprache hier, die der Regierung jedenfalls in wichtigen Bereichen geholfen hat: sie weiß, wie dieses Hohe Haus denkt. Ich sehe einige Fragen und auch einige weltpolitische Entwicklungen, von denen im zweiten Teil der Debatte etwa durch Herrn Dr. Zimmermann noch die Rede war, etwas anders — inhaltlich und zum Verfahren —; das wird man jetzt sicherlich nicht mehr austragen können. Ich sehe es darum etwas anders, weil bei den Amerikanern nicht erst seit Johnson, sondern seit Kennedy und bei den Franzosen jedenfalls seit de Gaulle die Fragestellung immer mehr Gewicht gewinnt: Was kann auch in einer gespaltenen Welt und in einem noch geteilten Europa an Möglichkeiten der Kooperation geschaffen werden? Das wird ein widerspruchsvoller Prozeß sein. Herr Weizsäcker, den Herr Barzel zitiert hat, ist neulich von Herrn Helmut Schmidt in einem anderen Zusammenhang in Anspruch genommen worden — wenn ich es richtig nachgelesen habe —, nämlich durch das interessante Weizsäckersche Bild von der zugleich gegnerischen und kooperativen Bipolarität der beiden eigentlichen Weltmächte. Da haben wir dann das eigentliche Problem, widerspruchsvoll wie es ist. Ich bin für mein Teil davon überzeugt: wie schwierig es sein wird, wie schwierig es immer sein wird, Gebiete gemeinsamen Interesses in dieser Welt zu entwickeln — keine Macht, selbst nicht die Sowjetunion und die USA, wird sich in dieser widerspruchsvollen Entwicklung eine Isolierung leisten können, die Bundesrepublik Deuschland schon gar nicht, und ich bin froh, daß das auch durch diese Debatte sehr deutlich geworden ist.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Mischnick.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Bundesaußenminister, ich möchte zunächst feststellen, daß der Kollege Genscher kein Junktim zwischen der Unterzeichnung des Vertrages und neuen Sicherheitsvorstellungen hier verkündet hat, sondern davon gesprochen hat, daß beides parallel nebeneinander laufen soll. Es ist also nicht von einem Junktim gesprochen worden. Ich will das nur klarstellen.Nun aber zu der anderen Frage. Ich habe volles Verständnis dafür, Herr Außenminister, daß Sie Ihren Kollegen Schröder so zu interpretieren versucht haben, wie es der kollegialen Pflicht des Kabinetts entspricht. Aber ich verweise auf den Text im Bulletin. Da handelt es sich ja nicht um irgendeinen Aufsatz. Wenn im offiziellen Organ der Bundesregierung ein Aufsatz unter der Überschrift „Der Auftrag der Bundeswehr" erscheint, und zwar ausgerechnet an dem Tage, an dem wir hier über diese Fragen sprechen, dann muß man natürlich auf die, wie ich meine, nicht abwegige Idee kommen, daß programmatische Aussagen gemacht werden. Und da heißt es wörtlich — ich darf mit Genehmigung des Herrn Präsidenten zitieren —:Dies aber setzt eine nukleare Komponente unserer Streitkräfte in der bekannten Form voraus. Ohne sie wäre die Abschreckung unwirksam. Vorschläge, die z. B. durch „Arbeitsteilung" im Bündnis die militärische Aufgabe der Bundeswehr auf den konventionellen Bereich einengen wollen, sind unter den gegebenen Umständen mit unserem Sicherheitsinteresse und den sich ,daraus ergebenden Verpflichtungen nicht vereinbar.
Sie sind auch von der Sache her nicht zu verantworten. Denn damit würde das deutsche Schicksal ausschließlich anderen, wenn auch befreundeten Mächten überantwortet, deren Reaktion aber vorrangig von den eigenen Sicherheitsinteressen bestimmt wird. Keine Regierung kann sich darauf beschränken, auf Sicherheitsvorkehrungen zu verweisen, die andere für sie getroffen haben.Daraus wird ganz eindeutig klar, meine sehr geehrten Damen und Herren, daß hier doch offensichtlich von der nuklearen Komponente der Bundeswehr gesprochen ist und nicht von der nuklearen Komponente des Bündnisses, und da wir wissen, daß Herr Kollege Schröder sehr lange die MLF positiv beurteilt hat, ist die Frage berechtigt, ob und inwieweit diese Ausführungen mit dem, was der Herr Bundesaußenninister hier .gesagt hat, in Einklang zu bringen sind, was nun wirklich die Regierungsmeinung ist. Das zu klären ist doch ein legitimes Anliegen der Opposition. Ich habe volles Verständnis, daß Sie wahrscheinlich im Augenblick nicht in der Lage sein werden, diesen Unterschied aufzuklären. Sie müssen aber uns verstehen und nicht nur uns, sondern meiner Ansicht nach muß das ganze Haus Wert
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4976 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 106. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. April 1967
Mischnickdarauf legen, daß klargestellt wird, ob das, was in dem Artikel des Bundesverteidigungsministers zum Ausdruck gebracht worden ist, oder das, was hier gesagt worden ist, die Grundlage der Politik der Bundesregierung ist.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage 'des Abgeordneten Dr. Barzel? — Bitte sehr!
Darf ich Sie fragen, Herr Kollege Mischnick, ob Sie aus der Regierungserklärung von heute morgen folgendes im Ohr haben. Die Regierung, die Sie gerade interpellieren, um Zwischenfragen zu stellen, hat gesagt:
Wir streben keine nationale Verfügungsgewalt über Atomwaffen und keinen nationalen Besitz an solchen Waffen an.
Dies steht schon in der Regierungserklärung vom 13. Dezember 1966, und die Regierung hat es heute wiederholt. Wenn also Ihre Frage in der Tat die Position der Bundesregierung betrifft, wie Sie sagen: hier ist sie doch eben verzeichnet worden. Was soll dies jetzt?
Wenn diese Feststellung, Herr Kollege Barzel, die ich gern aufgreife, in der Form, wie es heute früh gesagt worden ist, die Politik der Regierung ist, dann muß ich den Herrn Bundeskanzler bitten, zu klären, welche Grundlage oder Richtlinie der Politik dann der Herr Verteidigungsminister für seine Äußerung gehabt hat, etwa außerhalb der Regierung, oder welche Meinung da maßgeblich gewesen ist. Diese Frage geklärt zu wissen, ist unser legitimes Anliegen.
Das Wort hat der Herr Bundeskanzler
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich kann hier keine Philologiearbeit, keine Interpretation der Sprache des Herrn Verteidigungsministers vornehmen. Es ist aber, wenn Sie seinen gesamten Artikel durchlesen, ganz klar, daß er gar nichts anderes gemeint hat — darauf weist ja auch der Ausdruck „in der bekannten Form" hin — als das, was bisher war und was erhalten werden soll, und daß von einer nuklearen Beteiligung der Bundeswehr isoliert als solche gar nicht die Rede sein kann. Der Standpunkt der Bundesregierung in dieser Frage ist völlig unverändert.
Keine weiteren Wortmeldungen; die Aussprache ist geschlossen.
Der Antrag der Fraktion der FDP Drucksache V/1494 soll nach einer Übereinkunft im Ältestenrat an den Auswärtigen Ausschuß — federführend — sowie an den Verteidigungsausschuß und den Ausschuß für Wissenschaft, Kulturpolitik und Publizistik ,zur Mitberatung überwiesen werden. — Kein Widerspruch; es ist so beschlossen.
Wir kommen zu Punkt 4 der Tagesordnung:
1. Beratung des Dritten Jahresgutachtens des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung
der Stellungnahme der Bundesregierung zum Jahresgutachten 1966 des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung
sowie des Sondergutachtens über die Wirtschaftslage im Frühjahr 1967
— Drucksachen V/1160, V/1313, V/1588 —
Das Wort hat der Herr Bundesminister für Wirtschaft.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Heute sind genau 160 Tage vergangen, seitdem der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung — oder, wie er in der Öffentlichkeit oft genannt wird, der „Rat der fünf Weisen" — sein Drittes Jahresgutachten, das Jahresgutachten 1966/67, der damaligen Bundesregierung übergeben hat. Seit jenem 18. November, an 'dem also jenes Gutachten in Bonn eintraf, hat sich in der deutschen Politik und in der deutschen Wirtschaft bekanntlich einiges geändert.Es lohnt sich wohl, die wichtigsten Stationen auf jenem Wege seit ,dem 18. November hier darzulegen. Der Rückblick — mag er auch nur einige Monate umfassen — hat ja in öffentlichen Reden nicht nur Tradition, sondern auch einen sehr realen Sinn, nämlich den, die Gegenwart zu sehen und zu verstehen als eine Stufe in dem ständigen Prozeß der gesellschaftlichen Wandlung, und auch Konjunkturpolitik ist ein Beitrag zu dem Prozeß ständiger gesellschaftlicher Wandlung.Als die Sachverständigen Mitte November vorigen Jahres ihr Gutachten abschlossen, befand sich die Wirtschaft der Bundesrepublik Deutschland nach den Worten der Gutachter — jetzt wörtlich zitiert — „in der Abschwungphase des vierten Wachstumszyklus in der Nachkriegszeit". Die Sachverständigen deuteten dabei bereits — wörtlich - „die Gefahr einer Rezession" an für den Fall, daß die Tendenzen zum Rückgang der Nachfrage längere Zeit anhalten oder sich gar verstärken würden. Ausgehend von der Analyse der damaligen Konjunkturlage und den damals vorliegenden Daten glaubte der Sachverständigenrat jedoch, daß eine solche negative Entwicklung noch verhindert werden könne. Unter ausdrücklichem Hinweis auf die Problematik jeder Voraussage und insbesondere einer Voraussage in einer derart labilen politischen und wirtschaftlichen Ausgangslage — damals, im November — legte er für das Jahr 1967 dennoch eine Prognose vor. Der Rat ergänzte sie jedoch durch drei Alternativprojektionen mit jeweils anderen Werten für das zweite Halbjahr 1967.
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Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 106. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. April 1967 4977
Bundesminister Dr. SchillerIch zähle die drei alternativen Projektionen kurz auf. In der Projektion I mit der Annahme einer „Stabilisierungspolitik um jeden Preis" — so der Ausdruck des Rates — ergab sich ein Absinken der Wachstumsrate des realen Bruttosozialprodukts auf 3 % und eine deutliche Zunahme der Arbeitslosigkeit. Die Projektion II, die von einer „Politik der unkontrollierten Expansion" ausging — so das zweite Modell —, sah dagegen eine reale Wachstumsrate von 4,5 % vor, dafür aber auch eine Preissteigerungsrate für das Jahr 1967 von rund 3 %. Die Projektion III schließlich, deren Grundlage — wie der Rat es nannte — eine „Politik der kontrollierten Expansion" war, enthielt eine reale Zuwachsrate des Bruttosozialprodukts von 4% bei einem weitgehend ausgeglichenen Arbeitsmarkt und einer deutlich sinkenden Preisentwicklung.Meine Damen und Herren, Sie alle wissen, daß sich die neue Bundesregierung damals grundsätzlich für diese dritte Alternative des Rates entschieden hat, also für eine Politik, die zu einem Aufschwung ohne spätere Überhitzungserscheinungen, also zu einem Aufschwung nach Maß, führen soll. Da aber im Dezember für uns in der neuen Regierung inzwischen neue statistische Daten vorlagen, konnte die neue Bundesregierung die Konjunkturlage und ihre Entwicklung von Anfang an realistischer einschätzen als der Sachverständigenrat. In der Regierungserklärung vom 13. Dezember vorigen Jahres hat die Regierung mit Nachdruck auf die drohende Gefahr eines gesamtwirtschaftlichen Rückschlags und den Ernst der Wirtschaftslagehingewiesen. Meine Damen und Herren, der Herr Bundeskanzler und wir alle im Kabinett sahen uns verpflichtet, ehrlicherweise schon damals, am 13. Dezember, auf die vor uns liegende Talsohle ausdrücklich hinzuweisen. Die Bundesregierung hat dabei deutlich herausgestellt, daß eine expansive und stabilitätsorientierte Politik das Gebot der Stunde sei.Wie notwendig und wie richtig jene Einschätzung vom 13. Dezember und wie wichtig diese damals angekündigte Politik der konjunkturpolitischen Gegensteuerung war, das hat sich in der Zwischenzeit wohl auch bei dem letzten Zweifler und Skeptiker deutlich gezeigt. Wenn damals — wir wollen ruhig daran erinnern — nicht hier in diesem Hause, aber in der öffentlichen Debatte nach der Regierungserklärung einige lauthals davon faselten, nun beginne eine Politik der Inflation, so sind alle jene Zweifler inzwischen wohl eines Besseren belehrt worden. Alles, was jene Zweifler, die von Inflationspolitik redeten, damals von sich gegeben haben, haben sie inzwischen stillschweigend wiederaufgegessen. Das ist für die Betroffenen sicherlich nicht sehr angenehm. Aber mit demselben Freimut kann ich für die Bundesregierung bekennen, daß es auch nicht immer angenehm ist, recht gehabt zu haben.Nun auf jeden Fall ist es nicht verwunderlich, daß die Notwendigkeit einer expansiven Politik bald von niemandem mehr bestritten wurde. Es blieb auch nicht lange bei der bloßen Ankündigung dieser Regierungspolitik durch die Regierungserklärung. Schon am 19. Januar dieses Jahres haben wir einen wesentlichen Teil der damals angekündigten Maßnahmen durch Beschlüsse in die Tat umgesetzt. Zusammen -mit den Beschlüssen zum Haushaltsausgleich 1967 hat die Bundesregierung damals, am 19. Januar, die Vorlage des Eventualhaushalts mit zusätzlichen Investitionsausgaben von 2,5 Milliarden DM und die auf neun Monate befristeten Sonderabschreibungen beschlossen.Und nun die Bundesbank! Nachdem bereits die alte Bundesregierung — ich wiederhole es immer wieder — am 18. November 1966 einen ersten und vergeblichen Vorstoß bei der Bundesbank zur Lokkerung der Kreditrestriktionen unternommen hatte und die Regierungserklärung vom 13. Dezember eine entscheidende Lockerung der Kreditrestriktionen sachlich für geboten hielt — eine Formulierung, ich wiederhole auch das, die vorher mit dem Präsidenten der Bundesbank abgestimmt war —, gab auch die Bundesbank langsam ihr anfängliches Zögern auf. Mit der ersten Diskontsenkung um 1/2 % tat sie am 5. Januar den ersten Schritt in vernünftiger Richtung. Weitere Schritte der Deutschen Bundesbank sind erfreulicherweise gefolgt. Meine Damen und Herren, ich darf noch einmal sagen, wir danken für diese Kooperation, und wir werden auch in Zukunft alles tun, um diese Kooperation mit der Bundesbank stetig und unbeirrt fortzusetzen, unbeirrt auch von jenen, die in ihren Reden einen Konflikt suchen möchten. Wir sind auch dankbar für die heutige Entscheidung des Zentralbankrats zur 5%igen Senkung der Mindestreserven und damit zur Freigabe von weiteren 850 Millionen DM Liquidität.Meine Damen und Herren! Trotz alledem und trotz unserer intensiven und auch in Zukunft fortgesetzten Kooperation sei an dieser Stelle — Herr Kollege Barzel, hamburgisch mit Pietät und Takt —
auch ein mahnendes Wort an die Bundesbank gestattet. Mit dem anfänglichen Zögern vom 18. November — damals gegenüber der alten Bundesregierung — bis zum 5. Januar und der dann beginnenden Politik der halbprozentigen Trippelschritte hat unser Frankfurter Areopag leider einen Beitrag zum Attentismus in der deutschen Wirtschaft geleistet.
Das sind, seitdem die alte Regierung es zum erstenmal versucht hatte, wieder genau 160 Tage, also mehr als fünf Monate des Wartens der Wirtschaft auf weitere fällige kreditpolitische Erleichterungen. Das darf ich wohl feststellen. Viele geldpolitische, staatliche und andere Faktoren haben dazu geführt, daß die konjunkturelle Talfahrt weiterging. Der Prozeß der konjunkturellen Abschwächung war schon zu weit fortgeschritten, als daß er noch kurzfristig hätte abgebremst werden können.In realistischer Einschätzung der Lage hat die Bundesregierung deshalb bereits in ihrer schriftlichen Stellungnahme vom 14. Januar zum Jahresgutachten 1966/67 darauf hingewiesen, daß sich
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4978 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 106. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. April 1967
Bundesminister Dr. Schillerdie Wirtschaftstätigkeit im ersten Halbjahr 1967 voraussichtlich erheblich stärker abschwächen wird, als der Sachverständigenrat es noch Mitte November vermutete. Mit der Zielprojektion des Bundeswirtschaftsministers, die am 2. März zusammen mit dem erfreulichen Kommuniqué über den erfolgreichen Abschluß des ersten Abschnitts der konzertierten Aktion veröffentlicht wurde, haben wir schon zu diesem Zeitpunkt der veränderten Situation Rechnung getragen. Die Wachstumsrate von real 4 % in der Projektion III des Sachverständigenrats wurde von uns auf real 2 % revidiert. Wir haben also frühzeitig nach unten korrigiert. Von Wachstumsfanatismus kann — wenn man die Wahrheit sagen will — da wohl keine Rede sein. Dabei haben wir niemals verschweigen, daß es sich um ein anzustrebendes Ziel handelt. Zielprojektionen sind für uns wichtige Orientierungsgrößen; aber wir machen uns nicht zu Gefangenen dieser Zahlen und jagen ihnen nicht unter Aufgabe des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts nach.Etwa drei Wochen nach der Veröffentlichung unserer neuen Zielprojektion, also in der zweiten Märzhälfte, hat auch der Sachverständigenrat selbst seine Vorausschätzungen vom Herbst 1966 revidiert. Er hat sowohl aus eigener Initiative als auch auf meine Bitte hin von der gesetzlichen Möglichkeit Gebrauch gemacht, sich in einem Sondergutachten zum Wort zu melden. Dieses Sondergutachten, das heute sicherlich besonders zur Debatte steht und das deutlich erkennbar von der Sorge um die Beschäftigungslage, die beträchtlichen Wachstumsverluste und die zunehmende Störung des außenwirtschaftlichen Gleichgewichts diktiert ist, hat die kritische Lage unserer Wirtschaft im ersten Quartal dieses Jahres und die möglichen Fehlentwicklungen schonungslos aufgedeckt. Anders als das Herbstgutachten, das für das erste Halbjahr 1967 noch mit einem realen Wachstum von 2 % rechnete, erwartet das Sondergutachten für den gleichen Zeitraum dieses ersten halben Jahres 1967 einen Rückgang des realen Bruttosozialprodukts von 1 bis 2 % unter Vorjahresniveau.Nun, mit einer Diagnose und einer Prognose muß man in der gegenwärtigen Situation sicherlich besonders vorsichtig sein. Das hat die jüngste Entwicklung deutlich gezeigt. Wir von der Bundesregierung können und wollen uns deswegen auch nicht etwa an jede neue Einzelzahl im einzelnen binden. Aber bei realistischer Betrachtung — und nur die kann sich eine verantwortungsvolle Politik leisten — bleibt doch nichts anderes übrig, als die Diagnose des Sachverständigenrates zur Kenntnis zu nehmen. Hier hilft kein Verniedlichen und kein Wunschdenken. In dieser Situation kann uns nur eine vorurteilsfreie Analyse helfen.Mit Rücksicht auf das große Hallo, das in der deutschen Öffentlichkeit von einigen über das Sondergutachten angestimmt wurde, möchte ich jetzt in aller Ruhe auf folgende drei Tatbestände hinweisen:Erstens: Zugestimmt hat sowohl der Analyse wie den Schlußfolgerungen des Sondergutachtens der Deutsche Gewerkschaftsbund. Zweitens: Zugestimmt hat der Analyse des Gutachtens der Bundesverband der Deutschen Industrie in seiner Stellungnahme vom 18. April, ohne dabei allerdings dieselben Schlußfolgerungen wie die Sachverständigen zu ziehen. Drittens: Die Analyse des Sachverständigenrates in dem Sondergutachten ist jetzt in den letzten Tagen durch die Gemeinschaftsdiagnose der wissenschaftlichen Institute nahezu vollständig bestätigt worden.
Gestatten Sie, Herr Bundesminister, eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Menne?
Bitte!
Glauben Sie, Herr Minister, daß der Bundesverband der Deutschen Industrie Ihnen zugestimmt hat, daß die Diagnose der Sachverständigen richtig ist? Mir ist diese Tatsache, obwohl ich immerhin Vizepräsident bin, unbekannt.
Vielleicht können Sie mir das erklären.
Darf ich gleich antworten? — Herr Kollege Menne, ich kann Ihnen gleich, wenn Sie wollen, durch meinen Staatssekretär die offizielle Stellungnahme des Bundesverbandes der Deutschen Industrie, in der ausdrücklich die Analyse bejaht wird — nicht die Schlußfolgerung —, übereichen lassen.
Herr Minister, ich kenne das Gutachten. Es ist hier nicht der Platz, es auszudiskutieren. Aber ich stimme Ihnen nicht zu!
Einen Augenblick — —
Es tut mir leid. Wir werden nachher in der Debatte durchaus noch Gelegenheit haben, aus der Stellungnahme zu zitieren.
Vielleicht haben die Vorschläge des Sachverständigenrats für weitere konjunkturpolitische Aktionen manchen Gutgläubigen, so auch Herrn Menne, erschreckt. Aber das sollte doch kein Grund sein, die Augen vor der harten Wirklichkeit zu verschließen. Das Echo auf dieses Sondergutachten hat leider manche voreilige Reaktion hervorgebracht. Dabei sind die Vorschläge des Sachverständigenrats oft sehr einseitig und ohne Hinweis auf die vom Rat genannten Bedingungen, z. B. auf die vorherige lohn- und preispolitische Absicherung, dargestellt
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Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 106. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. April 1967 4979
Bundesminister Dr. Schillerworden. Gerade an diesem Echo hat sich gezeigt und erneut bestätigt, was ich beim ersten Jahresgutachten von Berlin aus einmal gesagt habe: Viele haben im Umgang mit einer, wie man in Hamburg sagt, Royal Commission, mit einer unabhängigen Kommission noch zu lernen. Gewiß ist es nicht Aufgabe des Sachverständigenrats, Politik zu machen. Das hat er auch keineswegs getan. Seine Aufgabe ist es, seine Sachmeinung unverhohlen und ohne alle taktischen Überlegungen unumwunden auszusprechen. Genau das haben die Sachverständigen in diesem Gutachten mit allem Freimut und mit großem Sachverstand getan, ohne damit natürlich in allen Einzelheiten unfehlbar zu sein.Ich darf jetzt, weil mir eben freundlicherweise die Stellungnahme ,des BDI gegeben wurde, zitieren. Da heißt es: „Dem analytischen Teil des Sondergutachtens kann die Industrie weitgehend zustimmen." Das war ein Zitat, Herr Menne.Die Verantwortlichen in Politik und Wirtschaft müssen aber auch ihrerseits nun den Mut aufbringen, solche freimütigen und klaren Aussagen ohne Allergie zur Kenntnis zu nehmen. Nachdem die Sachverständigen und andere gesprochen haben, liegt die Entscheidung bei der Politik. Dieser Entscheidung kann man nicht ausweichen durch ein Schimpfen etwa auf die von ökonomischem Sachzwang bestimmte Analyse der Experten. Ich habe den Eindruck, daß die Verdammungsurteile, die von manchen in den letzten Wochen so eilfertig ausgesprochen wurden, vielfach nur der Ausdruck der Nervosität der Wirtschaft auf der Talsohle — was ich verstehen kann — und bei manchen auch Ausdruck des schlechten Gewissens sind, womit ich niemanden in diesem Hause meine.
In einer kritischen Phase der Wirtschaftsentwicklung helfen nicht hektische Reaktionen. Da helfen nur kühles Blut und zielbewußtes Handeln. Das allein ist das Leitmotiv und die Devise der Wirtschaftspolitik dieser Bundesregierung.Im Unterschied zu aufgeregten anderen Außerungen hat sich z. B. der Bundeswirtschaftsminister deswegen jeglicher Äußerungen zu dem Sondergutachten enthalten, bis sich das Bundeskabinett am 12. April mit der aktuellen Konjunkturlage und den konjunkturpolitischen Konsequenzen befaßt und seine Entschlüsse gefaßt hatte. Es war nicht förderlich, daß die autonome Frankfurter Stelle, die eine hohe öffentliche Verantwortung trägt, schon ihr „Nein" sagte, bevor die Bundesregierung selber zu dem Sondergutachten Stellung nehmen konnte.
Die Bundesregierung hat daher — vielleicht haben Sie das nicht zur Kenntnis genommen, Herr Mertes — am 6. April ganz kühl festgestellt, es sei allein Sache der Bundesregierung, einen möglichen zweiten Eventualhaushalt beim Parlament zu beantragen, oder natürlich auch Sache des Parlaments, eis aus eigenem Antrieb zu tun. Diese kühle Feststellung war die Antwort auf ein vorschnelles und eilfertiges Nein.
In der Sitzung des Bundeskabinetts vom 12. April mußten wir feststellen, daß die bisherigen Maßnahmen der Gegensteuerung noch keine konjunkturelle Wende erreicht haben. Der kontraktive Prozeß war zu weit fortgeschritten, und bei der Realisierung des Eventualhaushalts mußten, wie wir feststellten, zu viele bürokratische und andere Hürden genommen werden. Der Stand der Auftragsvergaben aus dem Sofortprogramm war am 31. März — und damit Grundlage unserer Beratungen im April — 307 Millionen DM. Ich kann Ihnen heute die Mitteilung machen, daß die Summe der inzwischen vergebenen Aufträge aus dem Eventualhaushalt und aus dem Sofortprogramm auf 742 Millionen DM gestiegen ist. Sicherlich haben die damalige Vorlage des Wirtschaftsministers und die vier Beschlüsse des Kabinetts auf die Ressorts und auch auf jene großen Unternehmen wie Bundesbahn und Bundespost beschleunigend gewirkt. Das merken wir jetzt an dem Emporklettern der Auftragszahlen.Die Lage in der Wirtschaft selber ist dadurch gekennzeichnet, daß die Stimmungskurve der Unternehmererwartungen sich zwar leicht verbessert hat, daß aber die bis jetzt bekannten Daten über die effektive Entwicklung im Februar und März noch kein Ende der konjunkturellen Talfahrt erkennen lassen. Wir leben jetzt von den Zahlen des Monats März. So hat die Nachfrageschwäche auch im März wieder Produktionseinschränkungen erzwungen. Die industrielle Erzeugung ging im März weiter zurück und lag um 7,5 % unter dem Vorjahresniveau.Das Zentrum der Konjunkturschwäche liegt nach wie vor bei den Investitionen. Der Produktionsindex in der Investitionsgüterindustrie lag im März dieses Jahres 14 °/o unter Vorjahresstand. Dabei — das betone ich auch mit allem Freimut — haben die Investitionsaufträge der öffentlichen Hand bis zum April, also bis zu dein Beschlüssen, nicht nur kein Gegengewicht gebildet, sondern sie haben die Abwärtsentwicklung der Auftragseingänge bei der Investitionsgüterindustrie und auch bei der Bauwirtschaft durch die bekannten Ressortsperrungen noch verschärft.Da auch die inländischen Ordereingänge bei der Verbrauchsgüterindustrie mit minus 8,6 % im Januar und minus 10 % im Februar eine erheblich gehemmte Konsumentwicklung zeigen, konnte auch die insgesamt noch immer lebhaft sich entwickelnde Auslandsnachfrage in den letzten Monaten ein erneutes Schrumpfen der Auftragsbestände nicht verhindern, soweit die Zahlen uns zugänglich waren.Dabei müssen wir — nicht ohne eigene Besorgnis und nicht ohne die Sorge unserer außenwirtschaftlichen Partner — feststellen, daß dier Exportüberschuß — nicht der Export als solcher, den brauchen wir, aber der Exportsaldo — für das internationale Zahlungsbilanzgleichgewicht schon ein recht problematisches Ausmaß erreicht hat. Meine Mitarbeiter
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4980 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 106. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. April 1967
Bundesminister Dr. Schillernennen das die Entwicklung zum Einfuhrdefizit. Die Einfuhr geht ständig zurück.
— In der gesamten Haushaltsstatistik ist alles drin.— Wenn diese Entwicklung unverändert anhält — wir hoffen es nicht —, steht die Bundesrepublik Deutschland in der Gefahr, erneut zum Störenfried für die internationalen Wirtschaftsbeziehungen, was die Zahlungsbilanzgleichgewichte betrifft, gestempelt zu werden.Die Abschwächung der Gesamtnachfrage hat in der Industrie und in .der Bauwirtschaft, wie ich sagte, weitere Produktionseinschränkungen erzwungen. Die gefährliche Spirale dieser Entwicklung liegt auf der Hand: geringere Kapazitätsauslastung, verbunden mit einem Anstieg der Stückkosten unid einem Druck auf die Gewinne infolge tendenziell rückläufiger Erzeugerpreise. Die industriellen Erzeugerpreise haben seit acht Jahren noch nicht so tief unter Vorjahresniveau gelegen wie jetzt. Die Folgen für das Wachstum und den Arbeitsmarkt bei einer solchen Entwicklung sind völlig klar.Angesichts dieser Analyse und dieser Situation hat die Bundesregierung am 12. April folgendes beschlossen. Es sind vier große Beschlüsse, die ich mit ihren Ausführungen im einzelnen darstellen möchte.Erstens. Der Eventualhaushalt muß in vollem Umfang unid mit höchster Dringlichkeit verwirklicht werden. Alle hierzu erforderlichen administrativen, parlamentarischen unid kreditpolitischen Beschlüsse sollten sofort vollzogen werden.Ich darf an dieser Stelle für die Bundesregierung den Dank aussprechen, daß der Haushaltsausschuß seinerseits ganz schnell unmittelbar nach den Beschlüssen der Bundesregierung die letzte und dritte Tranche des Eventualhaushalts freigegeben hat.In Konsequenz der Beschlüsse der Bundesregierung hat der Kabinettsausschuß für Wirtschaft, das sogenannte Wirtschaftskabinett, am 24. April folgende harte Beschlüsse gefaßt:1. Für alle Ressorts, die als Ausgaberessorts am Eventualhaushalt beteiligt sind, ist der letzte Vergabetermin für normale Investitionsaufträge aus dem Eventualhaushalt der 31. Mai, für Hochbauten der 15. Juni 1967. Nur in ganz besonderen Ausnahmefällen ist eine Terminüberschreitung möglich, ansonsten soll — der Ausdruck ist gefallen — „mit dem Fallbeil" gearbeitet werden; das heißt die Mittel werden dann wieder frei, und wir werden mit neuen Anträgen im Rahmen der 2,5 Milliarden DM, wenn sie nicht genutzt sind, wieder an den Haushaltsausschuß herantreten, um die nicht genutzten Mittel gegebenenfalls neuen Sachverwendungen zuzuführen.2. Beschlossen wurde die Einsetzung einer Arbeitsgruppe zur Änderung und Erleichterung der Vergaberichtlinien. Auch diese Kommission hat ihren Termin bekommen; es ist ebenfalls der 31. Mai.Zweitens. Die Bundesregierung hat am 12. April beschlossen: Beim Vollzug des Kernhaushalts soll die antizyklische Wirkung, insbesondere auf die Investitionen, verstärkt werden, wozu vor allem ein zeitliches Vorziehen von Ausgaben beitragen soll. Die Sperrungen auf den Ressortwegen — so lautete der Beschluß, ich habe sie vorhin erwähnt — sollen sofort rückwirkend aufgehoben werden.In Konsequenz davon hat der Herr Bundesfinanzminister mit Schnellbrief vom 15. April die Mittel für Investitionen bis zu 100 % der vom Haushaltsausschuß gebilligten Ansätze für 1967 freigegeben. Das alles betrifft den normalen, den Kernhaushalt. Darüber hinaus sind weitere Erleichterungen vorgesehen und auch schon in der Durchführung befindlich, z. B. großzügige Handhabung der Zustimmung des Bundesfinanzministers zum Beginn von Hochbaumaßnahmen und Investitionsvorhaben, die zu Vorausbelastungen führen, und die Ausgabereste für Investitionsmaßnahmen aus dem Haushalt 1966, dem unglückseligen Haushalt, der unter Sperrung gesetzt wurde. Diese Ausgabereste in Milliardenhöhe sollen nun zur Konjunkturbelebung freigegeben werden, allerdings mit Deckung aus dem Gesamthaushalt. Schließlich haben wir gemeinsam im Wirtschaftskabinett mit dem Bundesfinanzminister den Antrag auf eine Erhöhung des Ermächtigungsrahmens für Betriebsmittelkredite im Haushaltsgesetz 1967 beschlossen. Die Einbringung ist, wenn möglich, um die Sache zu beschleunigen, als Initiativgesetz geplant.Drittens hat das Kabinett am 12. April beschlossen: Eine vorsorgliche Absicherung der Wachstums- und Stabilitätspolitik für die zweite Hälfte des Jahres 1967 erfordert weitere Überlegungen.
Der Bundeswirtschaftsminister und der Bundesfinanzminister sind deshalb beauftragt worden, im Hinblick auf § 7 in Verbindung mit § 3 Abs. 2 und 3 des Entwurfs eines Gesetzes zur Förderung der Stabilität und des Wachstums der Wirtschaft rechtzeitig alle geeigneten Vorbereitungen, insbesondere in bezug auf Sachobjekte der Ressorts, zu treffen.Für diesen Zweck haben wir wieder, wie bei der Vorbereitung des ersten Eventualhaushalts, eine Arbeitsgruppe des Wirtschaftskabinetts eingesetzt, die in diesem Falle, da es sich um eine vorsorgliche Etatisierung handelt, wie damals ab Januar, der Federführung meines Kollegen Strauß untersteht. Diese Arbeitsgruppe ist beauftragt, bis zum 31. Mai wiederum die notwendigen reifen Schubladenprojekte vorzubereiten. Dabei soll auch auf verabschiedungsreife Projekte zurückgegriffen werden, die beim ersten Eventualhaushalt bei jener magischen Zahl der Anmeldungen von 4,3 Milliarden DM, wobei wir nur 2,5 Milliarden DM verteilen konnten, nicht berücksichtigt werden konnten. Wir nehmen an, daß die Ressorts damals bei den 4,3 Milliarden DM wenigstens weithin verabschiedungsreife Projekte vorgelegt haben. Schließlich denken wir bei diesen Schubladenvorbereitungen auch an Projekte aus dem gekürzten ERP-Haushalt.
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Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 106. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. April 1967 4981
Bundesminister Dr. SchillerViertens — so lautet der weitere Beschluß der Bundesregierung: Länder und Gemeinden sollen ihre Investitionsausgaben keinesfalls kürzen, sondern ebenfalls erhöhen und die Auftragsvergabe beschleunigen. Wenn es in der zweiten Hälfte dieses Jahres zu einem neuen Investitionshaushalt kommen sollte, was noch völlig offen ist, dann wollen wir versuchen, daß die Länder mehr mitmachen. Deswegen werden der Bundeswirtschaftsminister und der Bundesfinanzminister sehr bald zu einer gemeinsamen Sitzung mit den Finanzministern und den Wirtschaftsministers der Länder einladen. Auch das ist beschlossen.Meine Damen und Herren, mit diesen Entscheidungen der Bundesregierung, des Wirtschaftskabinetts und der beiden unmittelbar besonders beteiligten Ressorts, Finanzen und Wirtschaft, hat die Regierung als ganzes wichtige Vorschläge des Sachverständigenrates aus seinem Sondergutachten aufgegriffen. Sie hat aber kein Ja gesagt zu weitergehenden Anregungen des Sondergutachtens wie etwa Gewährung weiterer Sonderabschreibungen jetzt oder die sofortige Verwirklichung eines zweiten Eventualhaushalts oder eine befristete sofortige lineare Senkung der Einkommen- und Körperschaftsteuersätze. Zu diesen drei Anregungen haben wir in diesem Zeitpunkt nicht ja gesagt.Eine solche Steuersenkung — um den dritten Vorschlag zu nehmen —, so sehr sie grundsätzlich auch als kurzfristig wirksame Maßnahme der Nachfragebelebung gelten muß — denken wir an das große Beispiel, das Anfang der 60er Jahre durch die Kennedy-Administration in den USA gegeben wurde —, würde in der gegenwärtigen Lage aller Voraussicht nach weniger die Investitionsgüternachfrage als vielmehr die Konsumgüternachfrage erhöhen. Denn die Unternehmer würden die frei werdenden Mittel voraussichtlich — und das ist vom Standpunkt des Unternehmens ganz vernünftig — zum erheblichen Teil für die Konsolidierung ihrer Bilanzen, ihres Unternehmens und nicht für die dringend notwendige zusätzliche Investitionsnachfrage verwenden.Um aber den eigentlichen Konjunkturmotor, die unternehmerische Investitionstätigkeit, wieder rascher in Gang zu bringen, sind nach unserer Meinung direkte Impulse durch staatliche Aufträge erfolgversprechender. Bevor wir das Zündungsaggregat des ersten zusätzlichen Investitionshaushaltes durch ein zweites, womöglich gar stärkeres ergänzen, sollten wir erst einmal die jetzt beschleunigte Zündungswirkung des ersten Eventualhaushalts abwarten.
Dieses Abwarten, meine Damen und Herren, bedeutet aber nicht, daß wir auf den Händen sitzen. Es ist nicht gleichbedeutend mit einem Verzicht auf notwendige Vorsorge, im Gegenteil. Auch der Minimax-Feuerlöcher muß bekanntlich wieder aufgefüllt werden, wenn er ständig einsatzbereit sein soll.Mit ihren Entscheidungen vom 12. April und mit den Entscheidungen des Wirtschaftskabinett vom 24. April hat die Bundesregierung ihre Position, so möchte ich sagen, dezent in der Mitte weiter eingehalten. Ihre Wirtschaftspolitik ist nach wie vor eine Politik von Maß und Mitte, auch eine Politik des Augenmaßes, eine Politik, die sich nicht zu einem fatalen und fatalistischen konjunkturpolitischen Laisser-faire provozieren läßt, die sich aber auf der anderen Seite auch stets der Grenzen des „Machbaren" bewußt ist.Diese Politik der Bundesregierung, meine Damen und Herren, wendet sich gegen die Ideologie der Null-Linie des Wachstums, die von einem Verbandspräsidenten, den ich sehr schätze, noch jüngst vertreten worden ist. Wer sich für längere Zeit auf der Null-Linie ansiedeln will, muß bedenken — das ist eine einfache statistische Rechnung —: eine Zuwachsrate des Bruttosozialprodukts von Null bedeutet positive Zuwachsraten für den Dienstleistungsbereich und für drei bis vier Wachstumsindustrien, aber die gesamte übrige Industrie befindet sich dann in der Schrumpfung. Zu dieser Zielvorstellung der Null-Linie sage ich nein.Unsere Politik steht aber auch konträr zur Ideologie der naturgesetzlich notwendigen Baisse. Sie akzeptiert auch nicht die Perspektive des Vizepräsidenten eines anderen Verbandes, eines Vizepräsidenten, der Brillen herstellt und aus dem schönen Bundesland stammt, das vorhin erwähnt wurde, mit dessen Vertretern ich, wie Sie wissen, seit dem 1. Dezember ein besonders herzliches Einvernehmen pflege, sowohl in meinem Haus wie im Kabinett.
Wir akzeptieren nicht die Perspektive jenes Vizepräsidenten, der die konzertierte Aktion in das Reich .der Fata morgana versetzt sehen möchte. Wer durch die Brille jenes Vizepräsidenten aus Bayern sieht und von der konzertierten Aktion wörtlich behauptet, sie habe noch „keinerlei Harmonie" nach sich gezogen, der hat einen noch nicht korrigierten Sehfehler; denn die schlichte Wahrheit lautet: alle Lohnabschlüsse dieses Jahres liegen bewiesenermaßen im Rahmen der gemeinsam in der konzertierten Aktion erarbeiteten Orientierungsdaten. Sollten mir einige von Ihnen nicht glauben, dann könnte ich meinen Kollegen Katzer bitten, das hier zu bestätigen, denn er ist derselben Meinung wie ich.
Wer im Gegensatz zur lohnpolitischen und tarifpolitischen Wirklichkeit dieses Jahres 1967 die konzertierte Aktion vermiesen will oder gar eine de-konzertierte Aktion möchte, der tröstet sich persönlich vielleicht ganz schön; denn Brillen werden auch in der dicksten Krise abgesetzt, weil sie nämlich von der AOK finanziert werden.
Wer so redet, stemmt sich gegen eine Tatsache: Die konzertierte Aktion bedeutet einen wichtigen Wandel in unserer gesellschaftlichen Landschaft, einen wichtigen gesellschaftlichen Fortschritt. Wir werden bald in die zweite Phase der konzertierten
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4982 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 106. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. April 1967
Bundesminister Dr. SchillerAktion eintreten, und es ist gar kein Zweifel, daß durch diese konkreten Unterhaltungen und durch die konkrete Erarbeitung gemeinsamer Orientierungsdaten das Verhältnis zwischen Unternehmerverbänden, Gewerkschaften und staatlicher Repräsentanz anders geworden ist 'und daß sich unsere gesellschaftliche Wirklichkeit in diesem Verhältnis positiv verändert hat.Eine moderne Politik der Konjunkturanregung bedarf unverzichtbar ,der Abstimmung und des Zusammenklangs mit den Entscheidungen ,der großen wirtschaftlichen und sozialen Gruppen. Der Staat kann es nicht allein machen. Daher auch konzertierte Aktion.Meine Damen und Herren, nur — das ist deutlich einmal gesagt worden in einer Runde —: Wer die Preis-Lohn-Preis-Spirale, wie gehabt in drei bis vier Booms der Vergangenheit, weiter und wieder haben will, der allerdings kann nein sagen zur konzertierten Aktion.Ich sage es noch härter und mit aller Deutlichkeit, weil draußen manche Stimmen in dieser Richtung lautwerden: diejenigen, die heute noch unentwegt für Schrumpfung und à la baisse reden, das sind die Inflationisten des nächsten Booms!
Aber vielleicht sollten wir so manches öffentliche Störmanöver der letzten Wochen nicht so ernst nehmen. Die unmittelbar an der konzertierten Aktion Beteiligten haben ein bewußtes und klares Ja gesagt zur konzertierten Aktion, und sie haben dieses Ja, wie ich geschildert habe, durch ihre Entscheidungen bisher bestätigt. Das allein ist wesentlich und nicht das Ritual des Kampfgetöses da draußen. John Robinson hat einmal gesagt: In einer modernen fortschrittlichen Gesellschaft hat sich der Klassenkampf verwandelt; er hat sich verwandelt in eine sportliche Betätigung, die für die Erhaltung der Gesundheit der Gesellschaft notwendig ist. Wir machen es hier anders mit unserer konzertierten Aktion; aber es ist auch eine sportliche Betätigung, die für die Gesundheit unserer Gesellschaft ganz förderlich ist.Hinter den homerischen Schlachtgesängen, die wir draußen jetzt hören und bei denen mancher Held der Ilias noch hätte lernen können, steht doch in Wirklichkeit, und zwar bei den Unternehmern, gerade beim BdI, und bei den Gewerkschaften, das Wissen, daß man in dieser Lage einfach zusammenarbeiten muß.
Das ist doch die Realität. Die Bedingungen unserer heutigen Gesellschaft sind nicht mehr die gleichen wie früher. Das wissen wir alle. Dabei hinkt der Stil der Auseinandersetzungen noch oft hinter diesem Bewußtsein her. Nur so sind auch vielleicht manche Reden und Veröffentlichungen der letzten Zeit zu verstehen: als Spätprodukte, als Spätzünder der Überhitzungsphase. Ich möchte ein Wort dazu sagen. Die Maßhalteappelle jenes meiner Amtsvorgänger, der 14 Jahre mein Ministerium führte — ichwill über sie heute gar nicht rechten —, waren auf jeden Fall auf die damalige Gegenwart abgestimmt; ob richtig oder falsch, das ist eine zweite Frage.
Wenn aber ein anderer heute, nämlich aus Frankfurt wieder, von Hagen — am Tage der Regierungserklärung — bis hin zum Anlaß der Preisverleihung durch einen wichtigen Verband
- nun, der Verband der Steuerzahler, Herr Kollege Möller, ist doch ein ganz wichtiger Verband —
ständig Anti-dolce-vita-Reden führt — das Wort kommt da vor, das ist keine Erfindung von Schillern, das, bitte, nehmen Sie so —, so muß der sich zweierlei sagen lassen: Erstens, teurer Freund: politisch schlagen Sie dauernd auf die Bundesregierung der Jahre 1965/66 ein, und zweitens: konjunkturpolitisch sind Ihre Reden in dieser Hinsicht überholt; diese Ihre Reden wirken da nicht antizyklisch, sondern prozyklisch. Die time-lags sind bei manchen Rednern halt. sehr groß.Wie gesagt, ich überbewerte das Vordergrundtheater der homerischen Schlachtgesänge keineswegs. Nach dem Grundsatz der freien Konsumwahl konnte sich auch jeder von den am 21. April im Gürzenich auf der Hauptversammlung des BDI gehaltenen Reden aussuchen, was denn nun von jenen Reden für oder was gegen die amtliche Bundeswirtschaftspolitik gerichtet war. Ich selbst war einer der Zuhörer, und diese Auswahl steht ja wohl jedem Zuhörer zu. Ich halte es mit folgenden Sätzen, die am 21. April, also erst vor kurzem, im Gürzenich gesprochen wurden: Erstens halte ich es mit den Sätzen von Präsident Berg, die die rezessive Lage unserer Industrie schonungslos geschildert haben, zweitens halte ich es mit den Sätzen, die der Bundeskanzler ausgesprochen hat, die die Haltung der Gewerkschaften zur konzertierten Aktion fair gewürdigt haben,
und drittens halte ich es mit den Sätzen, in denen der Bundeskanzler ex cathedra — so darf ich wohl sagen — die Wirtschaftspolitik als eine vom ganzen Kabinett getragene „Politik aus einem Guß" dargestellt hat.Ich darf mir aber erlauben, etwas hinzuzufügen.
— Warten Sie ab, jetzt kommt noch ein kleiner Nachschub. — Ich darf zu den Gürzenich-Reden, wo sich ja jeder auswählen konnte, was nun eigentlich für oder was gegen die Wirtschaftspolitik gerichtet war, hinzufügen: Kleine, temperamentvolle Ausrutscher in freier Rede, wo man dann nachher sagt: „Sie nehmen die kleine Frozzelei wohl nicht übel", so etwas kann immer passieren, das ist alles erledigt unter Kavalieren. Aber ich füge mit aller Offenheit hinzu — und man nehme mir das bitte nicht übel —: Solche kleinen Schlenker können wir
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Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 106. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. April 1967 4983
Bundesminister Dr. SchillerSozialdemokraten auch machen, obgleich wir es sehr ernst mit der Disziplin und der Zucht halten.
— Wir können es ja nachher noch klären.
Noch ein kurzes Wort zu der anderen notwendigen Absicherung, die der Sachverständigenrat vor allem in seinem Jahresgutachten eingehend behandelt hat: der Absicherung gegenüber außenwirtschaftlichen Gefährdungen. Dieses Problem ist ohne Zweifel eine zentrale Frage jeder langfristigen Stabilitätspolitik, und es kann nicht einfach durch Schweigen aus der Welt geschafft werden. Es gibt zwar, ich wiederhole das, keinen Anlaß für eine aktuelle Sorge in diesem Bereich — die gegenwärtige Überschußentwicklung unserer Zahlungsbilanz ist ja vor allem auf der Einfuhrseite der Reflex der Binnenkonjunktur —; aber wir müssen für künftige Möglichkeiten gerüstet sein.Die Bundesregierung wird die Frage, wie sich ein einzelnes Land ohne Verzicht auf Konvertibilität gegen stabilitätsgefährdende Einflüsse von außen schützen kann, mit großem Ernst und mit allem Nachdruck in den internationalen Gremien zur Diskussion stellen. So ist es damals in der Erklärung des Herrn Bundeskanzlers gesagt worden, und so ist es auch inzwischen bei einigen Gelegenheiten geschehen. Die Bundesregierung hält dabei eine internationale Stabilitätspolitik, d. h. eine internationale Koordinierung der Wirtschaftspolitik in Richtung auf einen „gehärteten" Devisenstandard, oder, wenn Sie wollen, in Richtung auf eine Stabilitätsgemeinschaft oder einen Hartwährungsblock für die beste Lösung.Wir sollten nicht verkennen, daß es auf diesem dornenvollen Feld einige Fortschritte gegeben hat. Das Stabilitätsziel hat in vielen Ländern eine höhere Einschätzung gewonnen als bisher; und die EWG-Finanz- und Wirtschaftsministerkonferenz in der vergangenen Woche in der schönen Stadt München hat deutlich gemacht, daß es auch in der aktuellen internationalen Diskussion um die Kernfrage geht: Expansion ohne Inflation.In Deutschland beträgt die Preissteigerungsrate nach den Zahlen vom März dieses Jahres für den Verbraucher gegenüber dem Vorjahresstand 2 % Wir rechnen damit, daß diese Preissteigerungsrate für den Jahresdurchschnitt 1967 sogar noch unterschritten wird. Der Preisanstieg in diesem Jahre 1967 wird mithin erheblich schwächer sein als im Jahre 1966, wo er 3,5 % betrug.Ich darf Ihnen aufzählen, was wir in mühevoller Klein- und Kärrnerarbeit innerhalb des Bundeswirtschaftsministeriums getan haben, um in diesen vier Monaten administrative Preiserhöhungen zu verhindern. Das ist ein kleiner Einblick, der zeigt, daß wir nicht nur Globalsteuerung machen, sondern uns auch mit den mikroökonomischen Einzelproblemen befassen und hier unaufhörlich versuchen, etwas zur Stabilität beizutragen. Die Beispiele werden manchen nicht sehr freuen; es sind Beispiele der Aktionen konkreter Art für Stabilität; sie werden sicherlich, wie mir einer meiner Staatssekretäre gesagt hat, in Bälde aus diesem Hause eine Fülle von zusätzlichen Anfragen hervorrufen.Zunächst der Bereich der gewerblichen Wirtschaft.Erstens. Das Bundeswirtschaftsministerium hat den Antrag der Vereinigten Thomasphosphatfabriken GmbH — das ist das Syndikat — auf Erhöhung der Höchstpreise für Thomasphosphat abgelehnt.Zweitens. Das Bundeswirtschaftsministerium lehnt den Antrag der Zündwaren-Monopolgesellschaft auf Erhöhung der Preise für Zündwaren ab.Drittens. Das Bundeswirtschaftsministerium — das sind alles Beispiele aus den letzten vier Monaten — hat für fünf stickstoffhaltige Düngemittel die Aufhebung der Preisvorschriften vorgesehen; für Kalkammonsalpeter wird in Übereinstimmung mit der Düngemittelindustrie eine Senkung des Höchstpreises vorgenommen.Viertens. Der Bundeswirtschaftsminister hat — dieses Beispiel wird einen Kollegen von der FDP nicht sehr freuen, aber er kennt das, er war dabei — Anträge bestimmter Zweige der Textilwirtschaft auf schärfere Reduzierung gewisser Einfuhren abgelehnt. Das Argument, daß es doch eigentlich nicht schön sei, wenn jede zweite deutsche Frau oder jedes zweite deutsche Mädchen einen ausländischen Pullover trage, hat den Bundeswirtschaftsminister nicht überzeugt. Er hat sich für eine liberalere Form der Einfuhrpolitik eingesetzt und sie im Sinne des Verbraucherschutzes erreicht.Nun Beispiele aus dem Bereich der Ernährungswirtschaft.Erstens. Das Bundeswirtschaftsministerium hat sein Einvernehmen zur Einfuhrsperre für Masthühner verweigert und damit diese Maßnahme verhindert.Zweitens. Das Bundeswirtschaftsministerium hat mäßigend bei der Festsetzung des Rinderorientierungspreises eingewirkt.Drittens. Das Bundeswirtschaftsministerium hat eine Begrenzung des Exportprämienbetrages für Magermilchpulver durchgesetzt.Viertens. Das Bundeswirtschaftsministerium lehnt den Antrag der Hefeindustrie auf Festsetzung von Mindestpreisen für Backhefe ab.Fünftens. Das Bundeswirtschaftsministerium hat — ich bitte um Verzeihung, daß ich alle diese kleinen Beispiele anführe, aber sie gehören zum Alltag — seine Zustimmung zur Einbeziehung von TapiokaWurzeln — das ist ein wichtiger Rohstoff für Futtermittel — in eine EWG-Marktordnung versagt.Ferner aus dem Bereich des Verkehrs:Erstens. Das Bundeswirtschaftsministerium hat einen Antrag auf Erhöhung der bahnamtlichen Rollgebühren abgelehnt.Zweitens. Bei verschiedenen Erhöhungsanträgen im gewerblichen Güterfernverkehr und in der gewerblichen Binnenschiffahrt hat das Bundeswirt-
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4984 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 106. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. April 1967
Bundesminister Dr. Schillerschaftsministerium sein Einvernehmen verweigert oder mäßigend auf die Antragsteller eingewirkt.Drittens. Eine schon länger von der Deutschen Bundesbahn beantragte Erhöhung der Kohlen- und Erztarife ist infolge der Bedenken des Bundeswirtschaftsministers nicht durchgeführt worden.Schließlich aus dem Bereich der Dienstleistungen, damit sie alle drankommen. Das Bundeswirtschaftsministerium hat die von der Versicherungswirtschaft beantragte Prämienerhöhung in der Kraftfahrtversicherung um zirka 15 % auf die Hälfte reduziert.Das sind alles Preise, bei denen wir durch die bestehenden Gesetze engagiert sind. Ich habe Ihnen diese Beispiele genannt, um Ihnen zu zeigen: so halten wir es mit der Stabilität in der Praxis!Meine Damen und Herren, die Bundesregierung hat mit ihren Entscheidungen vom 19. Januar und 12. April neue Daten für einen Aufschwung nach Maß gesetzt. Damit sind neue Zeichen für ein baldiges Verlassen der Talsohle gegeben worden. Unsere gemeinsame Aufgabe ist es jetzt, bald die Phase der Expansion in Stabilität zu erreichen, und zwar ohne den Unterschwung einer echten Rezession und ohne eine Wiederholung der Preis-Lohn-Preis-Schaukel. Wir sehen auch das als eine Gemeinschaftsaufgabe aller Verantwortlichen an.Wie Sie alle wissen, haben wir, wie es dem freiheitlichen Rechtsstaat und der mündigen Gesellschaft geziemt, die Verantwortung für diese Dinge auf viele Schultern gelegt. Autonomien gibt es viele in unserer Gesellschaft. Aber Autonomie heißt nicht Partikularismus oder Separatismus, sondern eigenverantwortliches Handeln in dem gemeinsamen Sachzwang der ökonomischen und gesellschaftlichen Zusammenhänge.Die soziale Symmetrie, meine Damen und Herren, ist kein bloßes soziales Versprechen, kein soziales Termingeschäft, sondern die soziale Symmetrie ist auch der Ausdruck dafür, daß alle Autonomien letztlich gesamtwirtschaftlich gebunden sind. Ich könnte auch sagen, soziale Symmetrie ist der Grundsatz einer Politik, die der zweiten Phase der sozialen Marktwirtschaft entspricht. Wenn jemand gegen die soziale Symmetrie ist, dann möge er aufstehen und sagen, daß er damit das Prinzip der sozialen Marktwirtschaft abkündige.Für das autonome, in der Sache aber gemeinsame Handeln aller Beteiligten haben die beiden Gutachten des Sachverständigenrates eine wichtige und willkommene Informationshilfe geleistet. Unabhängige und sachverständige Analysen sind heute eine unentbehrliche Voraussetzung für die Entfaltung jeglicher rationalen Wirtschaftspolitik. Die gegenwärtige intensive wirtschaftspoltische Diskussion in Deutschland und auch in weiten Teilen des westlichen Auslandes ist aber auch ein Indiz dafür, daß eben die Entscheidungen nicht mehr allein der Intuition oder dem vielzitierten Charisma der Politiker überlassen bleiben dürfen. Politik und insbesondere Wirtschafts- und Finanzpolitik ist heute eine Aufgabe, die eine Kombination von permanenter Information, detailliertem Sachverstand mit intellektueller Redlichkeit und der politischen Kraft zu klaren Entscheidungen fordert. Das brauchen wir, und diese Kombination streben wir an. Um vor dieser ständigen Herausforderung bestehen zu können, brauchen wir in der Politik die Hilfe der Sachverständigen.Das bringt natürlich auch in die moderne Wirtschafts- und Finanzpolitik neue Stilelemente. Zu diesem Stilwandel der modernen Wirtschafts- und Finanzpolitik habe ich in den letzten Tagen ein sehr interessantes Zitat gefunden, das ich Ihnen nicht vorenthalten möchte. Es lautet folgendermaßen — ich zitiere mit Erlaubnis des Herrn Präsidenten —:Das— gemeint sind die neuen Stilelemente —äußert sich zunächst einmal in der Sprache, die sich zur Verständlichmachung .der Absichten plastischer Begriffe aus anderen Bereichen bedient. Dahinter 'steht das Streben geschulter Nationalökonomen, die Dynamik der ökonomischen Zusammenhänge geistig in einen festen Griff zu bekommen. Diese Denkrichtung der offiziellen Wirtschaftspolitik erfordert auch von den Vertretern wirtschaftspolitischer Interessen eine Anpassung und das unablässige Bemühen, in die theoretisch und geistig so geschlossen wirkende Vorstellungswelt auch die Dynamik der praktischen Wirtschaftserfahrung einzubringen.Das Zitat geht dann wie folgt weiter:Hier entsteht eine wichtige Aufgabe für die Verbände und ganz allgemein für das industrielle Unternehmertum, auf diesen neuen Stil der Sprache und der Methode einzugehen und mit ihm zu argumentieren.Ich kann dazu nur sagen: So sei es! Geschrieben steht das Zitat im neuen Jahresbericht des Bundesverbandes der Deutschen Industrie auf Seite 23, Herr Menne!
Meine Damen und Herren! Ich darf Ihnen ein weiteres, sehr erfreuliches Zitat .aus der Unternehmerwelt geben. Der Präsident der Bundesarbeitsgemeinschaft der Mittel- und Großbetriebe des Einzelhandels, Dr. Coenen, hat anläßlich der Mitgliederversammlung der Arbeitsgemeinschaft in Berlin am 21. April dieses Jahres folgendes gesagt ich darf wieder mit Erlaubnis des Herrn Präsidenten zitieren —:Die wirtschaftspolitischen Zielsetzungen der neuen Bundesregierung sind in der breiten Öffentlichkeit in den letzten Wochen und Monaten sehr eingehend erörtert worden. Sie werden durch die Schlagworte eines „Konjunkturaufschwungs nach Maß" sowie einer ,,kontrollierten Expansion" charakterisiert. Nüchtern betrachtet stellt sich dies als die Weiterentwicklung der bisherigen Ad-hoc-Konjunktur- und -Wachstumspolitik zu einer längerfristigen Wirtschafts- und Finanzpolitik dar. Dabei spielen die Mittel der modernen volkswirtschaft-
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Bundesminister Dr. Schillerlichen Globalsteuerung und der sogenannten Niveauplanung eine besondere Rolle.Es besteht kein Zweifel, — sagt Dr. Coenen —daß eine derartige Modernisierung der Wirtschaftspolitik in unseren Tagen nicht nur zwingend notwendig, sondern auch dem System der marktwirtschaftlichen Ordnung durchaus angepaßt ist. Die neuen wirtschaftspolitischen Vorstellungen der Bundesregierung können daher bei konsequenter Verwirklichung Anerkennung finden. Sie bieten die Voraussetzungen einer weitgehend störungsfreien wirtschaftlichen Entwicklung. Auf sie, auf diese Politik, ist jedwede zukunftsbezogene und erfolgversprechende Unternehmenspolitik angewiesen.So weit das Zitat von Dr. Coenen.
Ich kann nur sagen: richten wir also .allesamt und alle miteinander im Geiste dieser beiden positiven Zitate unsere Blicke auf .die Realitäten der Gegenwart und Zukunft. Unsere Aufgabe besteht konjunkturpolitisch seit dem 1. Dezember in dreierlei: Aufklären, Überzeugen, Handeln.
— Nun, seitdem bin ich erst Bundeswirtschaftsminister.
Dieses Hohe Haus hat uns in allen drei Angelegenheiten — es wird auch Sie [zur FDP] freuen, das zu hören — großzügig geholfen. Helfen Sie uns alle in Zukunft weiter bei diesen Anliegen, z. B. durch die baldige Verabschiedung des Gesetzes zur Förderung der Stabilität und des Wachstums der Wirtschaft. Mit dieser Ihrer Hilfe wird das Jahr 1967 trotz allem ein Jahr der konjunkturpolitischen Wende werden.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Haas.
Herr Präsident! Meine verehrten Damen und Herren! Ich muß Sie zunächst einladen, von der großartigen Höhenwanderung, die Sie soeben mit Anspannung all ihrer Verstandeskräfte mitgemacht haben, herabzusteigen zu der kleinen, aber steinigen Fußwanderung, die ich Ihnen nur bieten kann.
Das Sachverständigengutachten fordert eine kontrollierte Expansion, die sowohl eine weitere Stabilisierung des Geldwertes als auch ein verstärktes Wirtschaftswachstum sichern soll. Um das und urn ein stabiles Kostenniveau zu erreichen, fordert das Gutachten eine Lohnpolitik mit Tariflohnerhöhungen im laufenden Jahr 1967 von durchschnittlich höchstens 4 %. Die Steuerung der nominellen Gesamtnachfrage wird als Mittel betrachtet, das eherim Dienste der Wachstumspolitik als der Stabilitätspolitik zu stehen hat.Auch im Titel des Gutachtens wird Wachstum vor Stabilität genannt, genauso wie die Bundesregierung in ihrer Regierungserklärung vom Dezember 1966 die beiden Begriffe in dieser Reihenfolge gebracht hat. Zur Zeit der Regierung Erhard, ein halbes Jahr früher, bei Vorlage des Regierungsentwurfs zum Stabilitätsgesetz — das heute noch nicht verabschiedet ist — war die Reihenfolge noch eindeutig „Stabilität und Wachstum". Daher ja auch der Name „Stabilitätsgesetz". Auch hier wird man sagen müssen: nomen est omen. Die Prioritäten sind also zwischenzeitlich sichtlich vertauscht worden. Wenn aber schon, wie die Sachverständigen glauben, ein Zielkonflikt zwischen Stabilität und Wachstum besteht, sind wir der Meinung, daß dann der Geldwertstabilität die Priorität zukommen muß. Die Geldwertstabilität ist langfristig die beste Basis zur Erreichung von Vollbeschäftigung und Wirtschaftswachstum. „Wachstum durch Stabilität" muß es wohl richtig heißen und nicht „Stabilität durch Wachstum".
Strebt man nämlich ein möglichst hohes Wachstum durch eine möglichst hohe expansive Nachfrageentwicklung an, wird man die Stabilität aller Voraussicht nach nicht erreichen. Nur in der umgekehrten Reihenfolge sind Stabilität und ein stetiges angemessenes Wachstum bei Vollbeschäftigung zu sichern. Dabei räumen wir ein, daß dieses angemessene Wachstum für die nächsten Monate, vielleicht noch für das ganze laufende Jahr 1967, bescheiden zu werden verspricht.Was die Investitionen der öffentlichen Hand anlangt, so sind die Injektionen des Eventualhaushalts nur in Raten und bürokratisch verlangsamt erfolgt. Das wurde sogar zugegeben. Die Entschuldigungen mit bürokratischen Hemmnissen können wir grundsätzlich nicht entgegennehmen. Denn die Spitze der Verwaltung ist dazu da, den Sand aus dem Getriebe der Bürokratie zu beseitigen. Was immerhin erstaunen muß, ist, daß diese Hemmnisse da waren. Meine Damen, meine Herren, es ist beachtlich, daß sich die Bundesbank von Anfang an bereit erklärt hatte, die 21/2 Milliarden DM Neuverschuldung durch mittelfristige Obligationen und Schatzanweisungen zu übernehmen. Was Wunder, wenn man bis heute noch keine belebenden Reaktionen feststellen kann!Noch weniger kann man sich wundern, daß beim privaten Unternehmer nicht sofort nach Bekanntgabe der Möglichkeit zu Sonderabschreibungen ein Investitions-Boom ausgebrochen ist. Schließlich investiert der private Unternehmer doch nur bei klaren Gewinnchancen. Bei der sorgfältigen Abwägung des Pro und des Kontra einer Investition ist die vom Gesetzgeber dekretierte Möglichkeit zu Sonderabschreibungen doch nur eine von vielen Überlegungen gewesen, die er zu berücksichtigen hat. Vergessen wir doch nicht, daß die Gewinnspannen auch in der, äußerlich gesehen, noch gut
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Dr. Haasflorierenden Exportindustrie gegenüber dem Vorjahr sehr viel kleiner geworden sind! Der ausländische Besteller drückt heute den Preis. Er kann ihn drücken, weil er den Zwang des deutschen Unternehmers zum Exportieren kennt.Der Lohndruck hat zwar erheblich nachgelassen. Aber er muß gleichwohl erwähnt werden; denn auch er vermindert die Gewinnspanne. 2 % Lohnerhöhungen in einer Anzahl von Industriezweigen und eine Arbeitszeitverkürzung in denselben oder in anderen Zweigen, die einer Lohnerhöhung in etwa demselben Umfang, also von 2 %, gleichkommt, müssen immerhin beachtet werden.Damit sich ein Unternehmer eine Gewinnchance errechnet, muß er vor allem Vertrauen in die Volkswirtschaft haben. Allzuviel Gesundbeten, allzuviel Krankenhausatmosphäre und allzuviele Ärzte am „Krankenbett" schaden mehr, als sie nützen.
Oder glauben Sie etwa, Herr Wirtschaftsminister, daß die merkwürdige Rede Ihres Staatssekretärs kürzlich in Schweinfurt, in der er die Abwärtsbewegung in ,der deutschen Wirtschaft als einen „Sturzflug" bezeichnet hat, die psychologische Situation in der deutschen Unternehmerschaft gebessert hat?
Wenn Sie dreimal soviel Sonderabschreibungen gäben, wie Sie tatsächlich geben — das würde Ihnen der Herr Finanzminister niemals zugestehen —, hätten Sie noch nicht den Schaden beseitigt, der durch ein einziges unverantwortliches Wort dieser Art in der deutschen Wirtschaft entstanden ist.
Mehr denn je sind wir alle darauf angewiesen, daß der Unternehmer selbst genügend Vertrauen in die marktwirtschaftliche Ordnung setzt. Aber auch hier ist das Vertrauen eine zarte Pflanze. Ihre Zartheit setzt auch bei uns voraus, daß wir der Pflanze Zeit zum Wachsen geben. Wer nicht auf die selbstheilenden Kräfte in der deutschen Wirtschaft vertraut, der ist im Grunde kein Marktwirtschaftler, sondern ein wirklichkeitsfremder Theoretiker.
Es wäre ausreichend, Herr Wirtschaftsminister, wenn Sie der deutschen Wirtschaft nicht mehrmals täglich, sondern vielleicht nur einmal wöchentlich den Puls fühlten und Herz und Lunge abhorchten. Die laufende Bereicherung der deutschen Sprache, die wir seit Ihrem Amtsantritt in den wirtschaftspolitischen Disziplinen feststellen können und von der Sie uns auch heute wieder genügend Proben offeriert haben — konzertierte Aktion, soziale Symmetrie — —
— Das haben Sie nicht gehört?
— Ich habe „konzertierte Aktion" mindestens zehnmal und „soziale Symmetrie" mindestens zweimal gehört.
— Ich habe es soeben gehört und Sie haben ja auch wohl aufgepaßt! Es soll Ihnen von der Opposition sowieso nicht bestritten werden. Jeder drückt sich eben so aus, wie ihm der Schnabel gewachsen ist, und Ihnen, Herr Wirtschaftsminister, scheint er eben ein bißchen theoretisch gewachsen zu sein.
Meine Damen und Herren, einen erheblichen logischen Bruch glauben wir in diesem Nachtragsgutachten feststellen zu können. In Ziffer 6 dieses Gutachtens heißt es:Die gegenwärtige Konjunkturlage ist durch eine besonders große Labilität im Verhalten nicht nur der Investoren, sondern auch der Konsumenten gekennzeichnet. Deshalb erscheint uns eine einigermaßen verläßliche Projektion über ein halbes Jahr hinaus nicht möglich. Selbst für das erste Halbjahr 1967 ist der Unsicherheitsbereich noch sehr groß. Für das zweite Halbjahr und damit für das ganze Jahr 1967 kann man eigentlich nur normative Prognosen aufstellen.Dennoch bringen uns diese fünf Sachverständigen drei Seiten weiter sehr konkrete Empfehlungen, drei Forderungen, die sie an die deutsche Regierung richten. Diese Forderungen lauten bekanntlich: 1. eine befristete lineare Senkung der Einkommen-und Körperschaftsteuer, 2. noch weitergehende Sonderabschreibungen, 3. die Vorbereitung und Vorlage eines weiteren Eventualhaushalts.Ich habe mich zunächst bemüht, die Haltung der Bundesregierung zu diesen Forderungen klar festzustellen. Ich muß sagen, daß ich damit nicht sehr weit gekommen bin. Während der Herr Bundeskanzler und offenbar auch der Herr Bundesfinanzminister die Meinung vertreten, daß die Vorlage eines neuen Eventualhaushalts in diesem Jahr, im Herbst oder im Spätherbst, völlig auszuscheiden hat, kommen offenbar aus Ihrem Hause und von Ihnen selbst, Herr Bundeswirtschaftsminister, andere Meldungen.Ich lese in der „Süddeutschen Zeitung" vom 13. April, daß rechtzeitig alle geeigneten Vorbereitungen, insbesondere in bezug auf Sachobjekte der Ressorts — es geht also sehr ins Detail —, mit einem solchen zweiten Eventualhaushalt getroffen werden müßten.
Es handle sich um eine Politik der Vorsorge. Der Kabinettsbeschluß bedeute nicht, daß man auf jeden Fall einen zweiten Investitions-Sonderhaushalt bilden werde. Wir müßten so weit sein, heißt es,
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Dr. Haasdaß wir am Sommerausgang 1967 handeln könnten, wenn es sich dann als notwendig erweisen sollte.
Das ist die Auffassung Ihres Ministers und seines Hauses.
— Fragen Sie doch bitte! Der Finanzminister ist nicht da, aber sein Staatssekretär. Fragen Sie ihn doch, ob er damit einiggeht. Wir gehen damit jedenfalls nicht einig.
Meine Fraktion hat sich hart gegen jede Steuererhöhung gewandt, und sie wird dies auch weiterhin tun. Ebensosehr wenden wir uns aber auch in der jetzigen finanzpolitischen Situation gegen eine Steuersenkung. Wir halten sie für schlechthin un-diskutabel. Sie wäre im übrigen noch nicht einmal praktikabel, denn eine solche Maßnahme müßte lange vorher geplant und von sorgfältig erarbeiteten Richtlinien und Tabellen begleitet sein. Das alles kann auch nicht von heute auf morgen in Kraft gesetzt werden. Das ist für jeden selbstverständlich, der nur ein bißchen die relative Schwerfälligkeit unserer Finanzbürokratie kennt. Daß ein zweiter Investitionshaushalt, noch dazu in diesem Jahre, eine weitere, schlechthin unerträgliche Volumenausweitung unseres Haushalts 1967 über 11 % hinaus bringen würde, muß ebenfalls beachtet werden. Es ist zumindest völlig unmöglich, solche Entschlüsse zu fassen, bevor die 2,5 Milliarden Investitionsgelder voll in die deutsche Wirtschaft injiziert und dort wirksam geworden sind. Solche Vorschläge bergen die Gefahr einer zu starken Ankurbelung unserer Volkswirtschaft in sich, sie müßten gefährlichste Konsequenzen bringen.Die seit Monaten andauernde schwierige Gratwanderung zwischen Deflation und Inflation haben wir verhältnismäßig gut hinter uns gebracht. Wir sind zu einer relativen Stabilisierung der Preise und zu Fortschritten in der Stabilisierung der Löhne gekommen. Schließlich ist auch das Geld erheblich billiger geworden. Das hat aber die deutsche Wirtschaft im wesentlichen allein geschafft, Herr Wirtschaftsminister.
— Mit einiger Steuerungshilfe durch die Bundesbank und mit einigem guten Zureden an die Sozialpartner, — Verzeihung, ich habe mich altmodisch ausgedrückt; ich hätte sagen müssen: mit einer „konzertierten Aktion".Ihrer Theorie der quantitativen Festlegung fallender Inflationsraten, Herr Wirtschaftsminister, die Sie noch im letzten Jahr aufgestellt haben, hat es dazu jedenfalls nicht bedurft. Das wird auch in Zukunft so sein. Am Ende müßten wir ja jetzt, wo dieInflationsraten so gering geworden sind, ein bißchen künstlich in Inflation machen, damit wir Ihr Soll erfüllen.
Maßnahmen im Sinne der Forderungen der Sachverständigen im Sondergutachten würden alles gefährden. Sie würden eine Politik des leichten Geldes manifestieren und in der Inflation enden. Sprechen wir die Dinge doch offen aus. Niemand in diesem Saale will, daß der oben von mir erwähnte Gratwanderer auf die deflatorische Seite hinabfällt; aber mit einem für den Wanderer zunächst gefahrlosen Abstieg nach der inflatorischen Seite hin liebäugeln doch manche, eingestandenermaßen, uneingestandenermaßen. Ein bißchen Inflation, die man natürlich im Grif behalten müsse, sei für unsere Wirtschaft doch wohl nicht das Schlechteste, so heißt es. Das sei eben der weltweite Preis, den man für die Vollbeschäftigung zahlen müsse. Das erinnert an den „dosierten autoritären Staat", den manche als Fortentwicklung einer manchmal, zugegeben, funktionsschwachen oder funktionsuntüchtigen Demokratie haben wollten. Aber das deutsche Volk weiß wohl aus seiner jüngsten Vergangenheit, wieweit wir mit einer angeblich dosierten Änderung unserer Staats- oder Wirtschaftsform gekommen sind. Am Ende stand der totalitäre Staat und die totale Geldentwertung. Da wollen wir uns doch lieber an den alten, bewährten CDU-Grundsatz halten: Keine Experimente!
— Alles zu seiner Zeit, sehr richtig.Herr Bundeswirtschaftsminister, Sie haben außerordentlich starke Kritik an dem Herrn Präsidenten der Deutschen Bundesbank geübt. Wir sind der Meinung, daß wir die Verleihung des Preises der Steuerzahler keiner Kritik unterziehen sollten. Wir gönnen ihm jedenfalls diesen Preis. Wir sind aber auch .der Meinung, daß keine große Achtung vor der Unabhängigkeit dieses Präsidenten bzw. seiner Institution, die ja gesetzlich verbürgt ist, aus Ihren Worten gesprochen hat. Am Ende ist ja eine Bundesbank nicht ein Dampfschiff, das einmal mit voller Kraft voraus und dann plötzlich wieder mit voller Kraft rückwärts zu fahren hätte. Schließlich ist die Hinaufsetzung der Diskontsätze im letzten Jahr, von einer Ausnahme abgesehen, in kleinen Raten erfolgt. Also wird wohl auch die Herabsetzung dieser Sätze in diesem Jahr in kleinen Raten zu erfolgen haben. Das kann nicht Wunder nehmen. Eine andere Art der Tempogestaltung der Diskontsatzänderung in der Deutschen Bundesbank ist wohl undenkbar, wenn wir, wie gesagt, die vorsichtige Diskontpolitik, die diese Bank machen muß, ins Auge fassen.Meine Damen, meine Herren, Wirtschaftspolitik einerseits, Finanz- und Haushaltspolitik andererseits erscheinen uns heute mehr denn je als die Einbanddecken ein und .desselben Buches, so eng sind ihre inneren Zusammenhänge. Unsere Haushaltslage ist — gestatten Sie mir ein starkes, nach unserer Meinung aber nicht übertriebenes Wort —
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Dr. Haasschlechthin verzweifelt. 1 Milliarde DM Fehlbetrag 1966, zirka 7 Milliarden DM zu erwartender Fehlbetrag 1967, von denen der Herr Bundesfinanzminister mehrfach gesprochen hat! Dabei sind die 2,3 Milliarden DM Offset-Zahlungen an die USA für 1967 ebensowenig inbegriffen wie das sicher zu erwartende Anwachsen der Bundeszuschüsse für die Sozialversicherungen. Aus der kürzlichen Veröffentlichung der Steuereingänge für den Monat März 1967 konnten Sie auch die Tatsache entnehmen, daß diese Steuereingänge im Schnitt bei den Bundessteuern um 5,4 % unter den Steuereingängen des März 1966 liegen. Sie haben weiter entnehmen können, daß die Differenz bei der Einkommen- und Körperschaftsteuer sogar 51/2 % beträgt.Machen Sie es sich bitte auch nicht zu einfach mit Ihrem Glauben an die Abwicklung des Defizits 1967 durch die Bundesbank! Eine Zusage, das Defizit mit mittelfristigen Papieren zu finanzieren, ist von Herrn Blessing zunächst doch wohl nur bis zu einer Höhe von 41/2 Milliarden DM gegeben worden. Aber selbst wenn die Bundesbank noch weiterginge, 25 % der mittelfristigen Neuverschuldung stehen in den Jahren 1968 bis 1971 Jahr um Jahr als neuer Belastungsposten im Bundeshaushalt.Nun, ich habe mich weiterhin in der CDU und in der Koalition nach Stellungnahmen zu diesen Tatsachen umgesehen. Ich bin auch hier nicht zu einhelligen Meinungsäußerungen gekommen. Vor mir liegt ein Presseauszug aus ,der „Frankfurter Allgemeinen" vom 13. Februar 1967 mit der Überschrift: Sozialausschüsse protestieren.Die Sozialausschüsse der CDU/CSU haben sich am Wochenende gegen neue Einzelheiten der Kürzungen im Sozialhaushalt ausgesprochen. Nachdem Herr Bundesfinanzminister Strauß am Abend in Berlin schmerzhafte und einschneidende Maßnahmen im Bereich der Sozialpolitik angekündigt hatte, erklärte der Hauptgeschäftsführer Hoffmann in Königswinter, daß bereits anderhalb Milliarden DM in der Sozialpolitik gestrichen worden seien. Hoffmann meinte dazu, mit den Sparmaßnahmen werde ein nur schlecht verhüllter Angriff auf Prinzipien der Sozialpolitik verbunden.Ich las weiter, daß die Sozialausschüsse der CDU vom Geist antiquierter liberal-kapitalistischer Gesinnung gesprochen haben, der bekämpft werden müsse.Auf der anderen Seite hat sich der CDU-Wirtschaftstag klar für den Weiterbestand der marktwirtschaftlichen Ordnung ausgesprochen. Ich darf mit einigem Vergnügen und mit Genehmigung des Herrn Präsidenten aus dem Deutschland-UnionDienst der CDU vom 18. April 1967 aus einem vorzüglichen Aufsatz ides früheren Bundesfinanzministers Etzel folgendes zitieren:Der Haushaltsausgleich muß ,deshalb im wesentlichen durch Ausgabekürzungen herbeigeführt werden. Die Kürzung von Ausgaben stößt jedoch sehr bald an Grenzen. Ausgaben sind die finanziellen Konsequenzen einer bestimmten Politik. Man kann nicht die Ausgaben kürzen,ohne gleichzeitig die ihnen zugrunde liegendePolitik zu ändern. Der bloße Aufschub vonAusgaben bringt keine dauerhafte Entlastung.
Sehr wahr und sehr richtig, und ich habe — —
— Ja, der Herr Dahlgrün — weil Sie ihn nennen — hat immerhin die weiß Gott nicht so verzweifelte Haushaltslage wie heute, aber die weiß Gott nicht schöne Haushaltslage .des Frühsommers 1965 in zwei Briefen vom 16. Juni und vom 20. August 1965, die an den Herrn Bundeskanzler, mit Durchschrift an jedes Kabinettsmitglied gerichtet waren, dagestellt.
Damals war man 14 Tage vor idem Nachhausegehen in die Ferien und in den Wahlkampf.
— Dann stand man vor der Frage — um Ihnen auch das deutlich zu sagen, weil Sie den Namen Dahlgrün schon anführen —, an sich vernünftig angelegte Gesetzentwürfe mit noch tragbaren Ausgaben, die aber hier durch die Veränderungen in diesem Hause, nicht zuletzt durch Ihre Anträge, meine Herren, ins Ungemessene gesteigert worden sind,
entweder ganz zu vollziehen oder gar nicht zu vollziehen. Das war doch die Situation des Sommers 1965.
Das war die Situation, und deshalb hat die Bundesregierung von damals — —. Bitte sehr, Herr Möller.
Gestatten Sie eine Frage des Herrn Abgeordneten Dr. Möller?
Herr Kollege Haas, gestatten Sie mir, Herrn Dahlgrün insoweit in Schutz zu nehmen, als ich Sie darauf aufmerksam mache, daß Herr Dahlgrün im Sommer vorigen Jahres nach seinem Brief zurücktreten wollte, davon aber von Herrn Menne und seinem Parteivorstand im Hinblick auf die bevorstehenden Wahlen abgehalten worden ist?
Sie sind vorzüglich informiert. Ich bedauere nur, daß Kollege Dahlgrün nicht im Saal ist, denn er könnte Ihnen hierauf selbst am besten und sofort antworten.
— Beruhigen Sie sich, Herr Möller. Es stimmt einfach nicht, was Sie sagen.
Gestatten Sie noch eine Zwischenfrage, Herr Dr. Haas?
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Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 106. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. April 1967 4989
Herr Kollege Haas, ist Ihnen nicht bekannt, daß Ihr Parteivorsitzender Menne
— Sie haben sich hier so oft betätigt, daß ich diese Verwechslung zu entschuldigen bitte; ich stelle Sie natürlich in diesem Zusammenhang nicht mit Herrn Mende auf eine Stufe —, daß also Ihr Herr Parteivorsitzender Mende auf ausdrückliche Fragen von Sozialdemokraten in den im November geführten Koalitionsgesprächen eine solche Erklärung abgegeben hat, die wir natürlich akzeptieren und glauben mußten?
Ich gestehe, daß mir das nicht bekannt ist, aber ich will es nicht bestreiten. Es kann sein, denn ein Finanzminister schwebt wohl sehr häufig zwischen der Entscheidung, ob er weitermachen soll oder nicht, denn unsere Bundesfinanzen sind nicht gerade angenehm.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage von Herrn Genscher?
Herr Dr. Haas, da wir schon über die Koalitionsverhandlungen vom letzten Herbst sprechen, darf ich Sie fragen: Ist Ihnen bekannt, daß maßgebliche Mitglieder der Verhandlungsdelegation der Sozialdemokraten bei diesen Koalitionsverhandlungen eingestehen mußten, daß sie den Finanzbericht der Bundesregierung — veröffentlicht im Februar 1966 — mit den Vorausschätzungen des Defizits nicht kannten?
Gestatten Sie noch eine Frage?
Bitte.
Herr Dr. Haas, können Sie sich erklären, wie es möglich ist, daß ein maßgeblicher Haushaltspolitiker der sozialdemokratischen Fraktion, nämlich der Vorsitzende des Haushaltsausschusses, in einem Presseinterview mit der NRZ davon gesprochen hat, die ständig wechselnden Defizitangaben des Finanzministers glichen TatarenMeldungen?
Das ist mir durchaus bekannt! Meine Damen und Herren, ich möchte nun doch versuchen, wieder fortzufahren.Ich freue mich über diese Äußerung des Bundesausschusses für Wirtschaftspolitik, dem Herr Etzel vorsteht. Ich habe mich aber auch über andere Äußerungen gefreut, insbesondere über Äußerungen des inzwischen nicht mehr anwesenden Herrn Bundeskanzlers, die er am letzten Wochenende auf der Tagung des BDI gemacht hat. Dort war es so, daß zwei Referate vorausgegangen waren, das eine von Herrn Berg und das zweite von Herrn Blessing. Man hat ziemlich unisono diese drei genannten Forderungen der fünf Weisen abgelehnt. Man hat gesagt: keine Steuererhöhungen. Man war sich darüber einig: keinen neuen Investitionshaushalt. Der Herr Bundeskanzler war der dritte Redner im Bunde. Er hatte es ein bißchen schwierig. Er konnte sich von seinen Vorrednern kaum absetzen, und er hat das auch nicht getan. Am Ende war das eine schöne einmütige Familienszene, und am Ende sagte der Herr Bundeskanzler, daß diese Regierung keine Steuererhöhungen vornehmen wolle, daß sie, nötigenfalls aber auch bereit sei, harte Maßnahmen zu ergreifen, um das Haushaltsdefizit auszugleichen. Nun, dieses kleine Türchen, das er sich offengelassen hatte — „nötigenfalls" —, diese Ausdrucksweise im Irrationalis hätte er sich nach unserer Meinung schenken können. Denn heute muß Farbe bekannt werden; heute muß man im Indikativ sprechen, denn die Notlage des deutschen Haushalts liegt offen zutage.Wir freuen uns weiter, daß derselbe Herr Bundeskanzler in derselben Versammlung noch ausgeführt hat: Diese Politik mit diesen harten Eingriffen ist im Grund die populärste Politik, die man überhaupt machen kann. Von dieser Notwendigkeit sei die ganze deutsche Bevölkerung überzeugt. Es muß dieser Bevölkerung nur klargemacht werden, daß diese Politik der harten und schweren Eingriffe gemacht werden muß. Nur so läßt sich — so sagte er — das Vertrauen in die Finanzpolitik des Staates wieder herstellen.Nun, das Wort „nötigenfalls" können wir, wie gesagt, streichen, und es ist ja auch vom Herrn Finanzminister seinerseits nicht gebraucht worden. Er spricht ja sehr im Indikativ. Er liebt, wie wir wissen, sehr die direkte Rede. Und so hat er auch damals in Berlin und kürzlich wieder — es war am 5. April 1967 hier in Bonn — klar gesagt: Keine Steuererhöhungen, solange die gegenwärtige schwache Konjunkturlage anhält. Wir sagten das allerdings sechs Monate früher. Aber wir sind ja erfreut, daß Herr Strauß in diesen ersten sechs Monaten seiner Regierungstätigkeit wenigstens dahin gekommen ist, auch diese Einsicht zu haben, die wir ihm vor sechs Monaten schon offeriert hatten. Da hat er sie aber nicht anerkannt; da hat er erklärt: Es geht nicht ohne Steuererhöhungen. Und diese Steuererhöhungen hat er dann wenigstens zum Teil auch durchgeführt.Aber der Herr Bundesfinanzminister kam zu einer weiteren erfreulichen Einsicht. Er sagte wörtlich:Um so tiefere und schmerzhaftere Einschnitte sind auf der Ausgabenseite, vor allem im Bereich der konsumwirksamen Ausgaben der öffentlichen Haushalte, notwendig.Auch beachtlich! Nur: die FDP hat auch dies sechsMonate früher gesagt, und sie hat damals, imOktober 1966, als wir ja vor der unausweichlichen
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4990 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 106. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. April 1967
Dr. HaasFrage standen, das Defizit im Haushalt abzudecken, Vorschläge gemacht, angefangen mit der von uns empfohlenen Streichung der Pauschalen — Arbeitnehmerpauschale, Agrarierpauschale, Freiberuflerpauschale —, Dinge, die uns teilweise sehr schwer gefallen sind, die wir aber alle vorgelegt haben. Dieser Vorschlag und viele andere Vorschläge sind nicht angenommen worden. Es ist damals gesagt worden — ich glaube, der lauteste Rufer im Streit war wohl Ihr Fraktionsvorsitzender Barzel —, das alles sei soziale Demontage,
und „wir "lassen uns nicht gefallen, von dieser kleinen Partei zu sozialen Demontagen gezwungen zu werden, wir tun das nicht, wir machen das nicht mit."
Schön; ich nehme an, daß das die Meinung des Herrn Barzel noch heute ist,
und wenn der Herr Bundeskanzler, Herr Kollege, und der Herr Bundesfinanzminister die Auffassung, die er hat, in der Praxis durchsetzen will, dann muß er, nehme ich an, den Herrn Barzel hier irgendwie wegschließen, wie vielleicht sonst noch eine Anzahl von Ihnen, in Klausur nehmen oder sonstwie.
Denn wenn dann dieses Geschrei wieder kommt: „Keine soziale Demontage!", dann sind Sie doch sofort am Ende.
Wir wollen doch die Dinge einmal klar aussprechen. Wir sind ja meistens nicht Politiker von gestern oder von vorgestern.
'Wir haben unsere Erfahrungen.
Ich habe mir vorgenommen, dem Herrn Bundeskanzler zunächst ein Beispiel ins Gedächtnis zurückzurufen, das hier sehr aufschlußreich wirken kann. Denn es ist ein großer Unterschied, meine Freunde, ob Sie so obenhin mal sagen — das ist im Grunde genommen eine sehr populäre Politik —, tiefe Einschnitte zu machen, vor allem bei den konsumwirksamen Ausgaben usw., oder ob Sie konkret werden. Ich erinnere an ein Beispiel, das nicht der jetzige Herr Bundeskanzler, sondern schon sein Amtsvorgänger — aber er weiß es dennoch sehr genau — im baden-württembergischen Landtag mitgemacht hat. Es war Herr Gebhard Müller, der mir die Dinge erzählt hat. Im Lande Baden-Württemberg war man einmal der Auffassung, die Verwaltung sei zu aufwendig, und man müsse hier drastische Einsparungen, Zusammenlegungen von Behörden usw., vornehmen. Rauschender Beifall in der damaligen Allparteienkoalition in diesem Lande. Nur, der Beifall verstummte auffällig schnell in dem Augenblick, wo konkrete Pläne vorgelegt wurden, welche Behörden aufzulösen wären usw. Am Ende ist in dieser Allparteienkoalition nichts mehr an Zustimmung übriggeblieben, was relevant gewesen wäre. Am Ende blieben nur noch zwei Landratsämter übrig, und auch deren Auflösung wurde schließlich gestrichen. Warum? Weil sich sofort die Querverbindungen unter den Abgeordneten, die von ihren örtlichen Gremien usw. angegangen werden, bilden und weil diese Abgeordneten dann nicht mehr dafür zu haben sind, eine scheinbar unpopuläre Politik zu machen.Wir können die Dinge abwarten. Herr Strauß soll nun einmal konkret werden. Herr Strauß weiß, daß eine lange Liste von den unsichtbaren und den sichtbaren Finanzhilfen des Bundes vorliegt, und er soll einmal sagen: das und das muß abgestrichen werden. Dann werden wir sehr wohl sehen, wo die Befürworter dieser an sich populären, aber scheinbar unpopulären Politik in Ihren Reihen sein werden.
Das gilt für Sie , und das gilt für Sie (zur CDU/CSU).Ich will Ihnen, meine Freunde, noch ein weiteres Beispiel nennen, und da habe ich gesehen, daß die braven Sozialdemokraten wirklich brave Menschen sind.
Das hat sich vor einer Woche zwei Stockwerke höher im Sitzungssaal des Haushaltsausschusses abgespielt. Sie wissen, daß beim Etat des Landwirtschaftsministeriums im Zeichen eines Notetats einige Abstriche gemacht wurden, und ich kann Ihnen sagen, wie die Dinge verlaufen sind. Unter dem wohlgefälligen Lächeln des Herrn Bundeslandwirtschaftsministers, der dabeisaß, aber natürlich schwieg — er war ja an Ministerratsbeschlüsse gebunden —, hat es da ohne Frage Abgeordnete der CDU/CSU gegeben, die eine ganze Reihe von Anträgen, gekürzte Positionen wiederherzustellen oder zum mindesten zu erhöhen, unterstützt haben. Sie werden vielleicht fragen: wo gibt es denn in diesem Haushaltsausschuß eine Mehrheit der CDU/CSU? Sicher, sie gibt es nicht. Aber ich kann Ihnen sagen, daß Ihre Abgeordneten nur sehr teilweise anwesend waren, und soweit sie anwesend waren, waren sie so mit dem Studium des vielen Papiers beschäftigt, — -
— Herr Kollege, Sie wissen, daß einer unserer drei Leute beurlaubt gewesen ist. Mit zwei Mann waren wir immerhin vertreten, und Sie haben vielleicht — nein, Sie waren ja wohl nicht mehr da — —
— Dann haben Sie ja vielleicht auch gesehen, wie wir abgestimmt haben. Aber ich räume Ihnen ein, es war eine Reihe von Positionen dabei, deren Änderung auch für uns sehr schmerzlich gewesen ist und wo auch unsere Parteifreunde der Meinung gewesen sind, daß man hier gewisse Revisionen durchführen müsse.Ich sage Ihnen ja nur, Herr Kollege Leicht, wie die Dinge 'in Wirklichkeit liegen, wie die Dinge dann, wenn man konkret wird, sofort ein ganz ande-Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — .106. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. April 1967 4991Dr. Haasres Gesicht haben. Ich sage Ihnen voraus — und dazu brauche ich wohl nicht ein großer Prophet zu sein —: Sobald Ihr Kabinett konkret werden wird mit den Vorschlägen zur Verminderung dieser Ausgaben, mit den schmerzhaften Eingriffen, von denen der Herr Finanzminister gesprochen hat, wollen wir einmal sehen, wie diese Koalition abstimmt. Ich sage Ihnen voraus — und wie gesagt: viel Prophetie gehört nicht dazu —, daß dabei nichts herausspringen wird. Das ist völlig klar. Ich würde also nicht so große Reden führen; denn wenn am Ende ja doch der Mißerfolg steht, dann lohnt es sich nicht, darüber so viel zu reden.Meine Damen, meine Herren, der Herr Finanzminister ist nach unserer Überzeugung in einer ausweglosen Situation. Wir haben neulich in der Fraktion trotz unserer sehr leeren Parteikassen darüber nachgedacht, ob wir ihn nicht mit einem kleinen Geschenk erfreuen können. Denn kleine Geschenke, nicht wahr, erhalten ja immer die Freundschaft. Wir sind übereingekommen, ihm nun nicht ein stolzes Wappentier, vielleicht als Federzeichnung, zu dedizieren, etwa einen Bundesadler oder einen bayerischen Löwen, sondern eine Federzeichnung — selbstverständlich künstlerisch wertvoll —, die eine sich in ihren Schwanz beißende Katze darstellt. Sehen Sie, das ist die Situation, in der er sich befindet.
— Ja, er muß erst konkret werden. Wir werden ganz genau aufpassen. Wir werden ihn nicht aus seiner Aussage entlassen. Er muß uns den Offenbarungseid leisten, Herr Kollege.
— Herr Kollege Leicht, d e n Beweis hat uns doch bisher Ihre Partei nicht geführt, daß Sie bereit sind, eine scheinbar unpopuläre Politik zu machen. Er ist nicht geführt worden, vor uns nicht und auch nicht vor dem deutschen Volke. Da haben Sie bisher immer zurückgestanden.
Und ich sage Ihnen: er wird auch in Zukunft nicht geführt werden.
Herr Dr. Haas, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Stiller?
Glauben Sie nicht, Herr Dr. Haas, daß der Bundesfinanzminister ein so kräftiges Gebiß hat, daß er diesen Schwanz abbeißen wird?
Das ist leider nicht nur eine Sache des Gebisses,
sondern auch eine Sache des Magens, und wir fürchten, Herr Kollege, daß es hier nicht mehr klappen wird.
— Auf alle Fälle: Diese Darstellung des wohl kleinsten, aber auch aussichtslosen Circulus vitiosus, den ich Ihnen geschildert habe, ist genau die Situation, in der sich der Herr Bundesfinanzminister befindet. Ich sehe für ihn keine Möglichkeit weiterzukommen, sobald er konkret werden wird.
Eine Zwischenfrage des Herrn Dr. Möller. — Bitte, Herr Dr. Möller!
Herr Kollege Haas, ist Ihnen bekannt, daß dieser Bundestag mit seiner Mehrheit in diesem Jahr eine Verbesserung der Bundesfinanzen um 8,4 Milliarden DM beschlossen hat, und ist Ihnen bekannt, daß die Mehrheit dieses Hauses bei den Beratungen der Mehrwertsteuer den Mut gehabt hat,
das Richtige und nicht das Populäre zu beschließen?
In dem einen oder anderen Fall, z. B. bei der Steuerbegünstigung der Altvorräte, halten wir die Beschlüsse, die dieses Haus gefaßt hat, für ausgesprochen schädlich. Der Beschluß wird Sie am Ende in seinem Volumen mehr kosten als ein Eventualhaushalt, Herr Kollege Möller.
Ich will Ihnen nur sagen: wir werden niemanden aus seiner Verantwortung entlassen. Der Herr Bundesfinanzminister hat sich ja genau auf diesen Stuhl setzen wollen, auf dem er sitzt. Der Herr Bundesfinanzminister ist zu richtigen Erkenntnissen gekommen.
— Tut mir leid, Herr Kollege Leicht.
— Ja, ja, er hat ja schon sechs Monate Zeit gehabt, und ich frage Sie: was hat er in diesen sechs Monaten getan außer der Vorlage eines Ergänzungshaushalts usw.?
— Das wollen wir sehen. Damit, daß er allgemeine Redensarten führt,
4992 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 106. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27: April 1967
Dr. Haas
sich wie der Arzt am Krankenbett des deutschen Volkes, des deutschen Wirtschaftskörpers gebärdet und sagt, jetzt müßten schmerzhafte Eingriffe gemacht werden, damit ist es doch nicht getan,
sondern hier müssen konkrete Mitteilungen gemacht werden.
Dann wollen wir sehen, wie sich Ihre Fraktion dazu verhält.
— Sie schreien mich nicht tot. Herr Kollege Leicht, es wird sehr Zeit für den Herrn Bundesfinanzminister. Ich habe Veranlassung anzunehmen,
daß man jetzt mit dieser mittelfristigen Finanzplanung wieder eine gewisse Beschäftigungstherapie verbinden Will. Wissen Sie, mittelfristige Finanzplanung ist eine notwendige und richtige Sache, und die Erkenntnisse, die hierher kommen werden, sind vor allem notwendig für die Lösung der Frage, wie und wo eine antizyklische Politik betrieben werden muß. Das ist alles richtig, das unterstreichen wir. Aber wir wissen auch, was in einer Zeit, die sich so schlecht übersehen läßt wie die vor uns liegenden Jahre, am Ende bei dieser Mittelfristigen Finanzvorausschau an wirklich zuverlässigen Ergebnissen herauskommen wird.
Das alles werden Koeffizienten mit sehr erheblichen Plus- und Minusfaktoren sein, und sie werden sich von Jahr zu Jahr kumulieren. Aber eines wissen wir beide doch schon heute, daß die Finanzsituation der Jahre 1968 und 1969 in jedem Falle viel schwieriger sein wird als die des Jahres 1967.
— Für 1930 können Sie sich vielleicht einen Silberstreifen am Horizont einbilden, weil das Jahr noch ein bißchen zu fern ist; aber die Situation der beiden nächsten Jahre wird in jedem Fall sehr viel schwieriger sein.
Was hilft Ihnen denn die mittelfristige Finanzvorausschau? Sie wird am Ende nur zu depressiven Zuständen bei Ihnen führen müssen,
jedenfalls aber nicht zu erfreulichen Gefühlen. — Die haben Sie bereits? Dann führt sie eben zu noch depressiveren Zuständen, Herr Kollege,
aber jedenfalls nicht zu Entlastungsvorstellungen.
So liegen doch die Dinge. Hier darf ich Ihnen in
jedem Falle eines mitgeben: Wir werden genau
darauf achten, ob der Herr Bundeskanzler, ob der Herr Bundesfinanzminister nun konkret werden wird und wie dann seine konkreten Vorschläge lauten und
von Ihnen in diesem Hause verabschiedet werden.
Das Wort hat Professor Burgbacher.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bitte das Hohe Haus um Entschuldigung, wenn ich zum Thema zurückkehre.
Das dritte Jahresgutachten der Sachverständigen ist eine wissenschaftliche Arbeit von hohem Rang. Was man an ihm beanstanden muß, ist der unmögliche Versuch, in einer übersehbaren Zeit exakte Zahlen bis zur Dezimale hinter dem Komma vorauszuschauen. Hätte sich das Sachverständigengutachten auf Maximal- und Minimalpositionen beschränkt, dann wäre das peinliche Nachtragsgutachten nicht notwendig gewesen — peinlich deshalb, weil es die Zuversicht in Prognosen nicht gerade fördert, wenn nach einem halben Jahr so etwas notwendig ist.Ich weiß nicht, wieweit das Haus noch aufnahmefähig ist für an sich dazugehörende Betrachtungen z. B. über die Problematik des Durchschnittsveränderungsfaktors des Bruttosozialprodukts. In dem Sachverständigengutachten ist ausgeführt, daß dieser Faktor ein Produkt ist aus Zuwachsraten in Branchen mit plus 10 und minus 11. Ich spreche im Telegrammstil und will damit sagen, daß der Durchschnittsfaktor überhaupt keine Beweiskraft hat. Die Beweiskraft des ,Durchschnittsfaktors wächst, je mehr der Fächer der äußersten Plus- und der äußersten Minusposition zusammengeht, und sie fällt, je breiter der Fächer sich spannt. Ich bitte um Entschuldigung, wenn ,das wie eine Binsenweisheit klingt. Aber es ist notwendig, sich bei der Beurteilung eines Bruttosozialprodukts die Analyse deis Fächers — nämlich die Plusposition und die Minusposition — anzusehen.Die Steigerung der privaten Einkommen ist dargelegt. Wenn Sie diese Kurve genau vergleichen, dann können Sie feststellen, daß von der Steigerung der privaten Einkommen in den letzten Jahren gegenüber den Vorjahren zwar ein guter Teil gespart wurde; proportional wurde aber weniger gespart. Wenn Sie das ausrechnen, dann kommen Sie zu einem Betrag, der, wenn er weiter gespart worden wäre, die Kapitalmarktsituation wesentlich erleichtert hätte.Bei dem Lebenshaltungskostenindex — einer anderen Krücke des menschlichen Geistes neben dem Durchschnittsfaktor des Bruttosozialproduktes — ist festzustellen, daß der Hauptfaktor seiner Steige-
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Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 106. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. April 1967 4993
Dr. Burgbacherrung in der letzten Zeit die Erhöhung der Mieten ist. Anders formuliert: wären die gesetzlich festgelegten Zwangsmieten noch niedriger gewesen, dann wäre der Lebenshaltungskostenindex noch höher gestiegen. Was heißt das? Es- ist ein gewaltiger Unterschied, ob die Steigerung des Lebenshaltungskostenfaktors auf die normale Steigerung freier Preise oder auf die Beseitigung der Zwangswirtschaft zurückzuführen ist. Auch deshalb sage ich: verwenden wir doch nicht nur den letzten Begriff wie einen Fetisch, sondern analysieren wir jeden letzten Begriff, damit wir ihn nicht nur sehen, sondern auch gewichten können.Ich wiederhole den Vorschlag, die öffentlichen Haushalte in drei Positionen aufzuteilen: den Verwaltungshaushalt, den Sozialhaushalt und den Investitionshaushalt. Ich würde ganz besonderen Wert darauf legen, den Investitionshaushalt von den anderen getrennt zu sehen.In dem Sachverständigengutachten ist festgestellt, daß die Investitionen der öffentlichen Hände, die vorwiegend aus laufenden Einnahmen finanziert sind, in den letzten drei Jahren pro Jahr rund 20 Milliarden DM betragen haben; im Jahre 1966 haben sie 21,5 Milliarden DM betragen. Auch hier der Zeit wegen eine Bemerkung im Telegrammstil. Wenn ein Haushalt im Jahre 1966 mit 7 oder 8 Milliarden DM Defizit abschließt — oder sagen wir besser: mit einer Finanzierungslücke — und diese Finanzierungslücke nicht auf Konsumausgaben, sondern auf Investitionsausgaben zurückzuführen ist, dann habe ich das Recht und, wenn Sie wollen, je nach der Konjunkturlage sogar die Pflicht, eine solche Finanzierungslücke ganz anders zu betrachten, als wenn sie durch Konsumausgaben verschuldet ist. Was durch Konsumausgaben verschuldet ist, muß gedeckt werden, und wenn das nicht möglich ist, muß die Ausgabe gesenkt werden. Was durch Investitionen verschuldet ist, kann, wenn es in einem angemessenen Verhältnis zu den Gesamtinvestitionen steht, auch anders als über den laufenden Haushalt finanziert werden. Auf diesem Wege befinden wir uns.Wir alle sind an der Entwicklung nicht ganz unschuldig. Ich erinnere an das im vorigen Jahr für meine Begriffe oft leichtfertig gebrauchte Wort der „Inflation", an die pauschale Verurteilung aller öffentlichen Haushalte und aller öffentlichen Investitionen. Nichts, was war, ist nur gewesen. Dieses Trommelfeuer klingt noch in den Ohren nach. Ich möchte den Herrn Bundeswirtschaftsminister, dem wir als Wirtschaftsminister unserer Koalitionsregierung natürlich vollen Erfolg wünschen und den wir auch in allen Dingen, die wir vertreten können, aktiv unterstützen werden, auf diese psychologische Seite der Dinge mit besonderem Nachdruck hinweisen. Die Situation ist nicht in erster Linie durch institutionelle Maßnahmen, durch neue Begriffe oder durch Spritzen zu heilen, sondern sie ist nur zu heilen, wenn das Gefühl der Unsicherheit vor der näheren Zukunft verschwunden und das Vertrauen Allgemeingut geworden ist.Der Herr Vorredner hat soeben von den nächsten Haushalten gesprochen. Ich stimme mit ihm darin überein, daß es, nachdem die öffentliche Kritik dieser Haushalte auch heute hier wieder stattgefunden hat, im Interesse der Konjunkturpolitik ein dringendes Erfordernis ist, daß so bald wie möglich in der Öffentlichkeit über diese Haushalte und über die Vorschläge zur Behebung der Schwierigkeiten zahlenmäßige Klarheit besteht. Denn wenn wir vor die Wirtschaft treten und sagen: „Hier hast du Sonderabschreibungen, hier hast du Steuererleichterungen, hier hast du dies, und hier hast du jenes, aber in zwei oder drei Jahren stehst du vor harten Tatsachen", dann droht das eine das andere aufzuheben. Nachdem man sich nun in fast selbstquälerischer Weise darin gefallen hat, in den Finanzierungslücken dieser Haushalte beinahe wollüstig zu baden, kann ich nur sagen: Nun bringt doch so bald wie möglich die Butter zum Fisch auf den Tisch! Und sagt: Die Haushalte haben voraussichtlich diese — ich warne vor dem Wort „Defizit" — Finanzierungslücke. „Defizit" ist in einem Haushalt nur das, was durch Konsum verschuldet ist; „Finanzierungslücke" ist ein Fehlbetrag, der durch Investitionen verschuldet ist.
— Schüttelt ruhig alle den Kopf! Ich bleibe dabei, .daß ein gewaltiger Unterschied zwischen einem Fehlbetrag durch Konsumausgaben und einem Fehlbetrag durch Investitionsausgaben besteht.
Ich komme noch ganz kurz auf die Schuldenfrage. Interessant ist im Sachverständigengutachten eine einseitige Tabelle, in der die Entwicklung des Lebenshaltungskostenindex fast aller westlichen Länder mit der in der Bundesrepublik verglichen wird. Die Identität ist so groß, daß sie fast zur Kongruenz wird. Was heißt das? Das heißt, daß die Indexentwicklung in der gesamten westlichen Welt in den letzten Jahren gleichmäßig verlaufen ist. Solange diese Gle"ichmäßigkeit besteht, ist das Problem der außenwirtschaftlichen Absicherung theoretisch vorhanden, aber praktisch nicht notwendig. Bitte, das ist eine wichtige Feststellung. Der Vorschlag der Sachverständigen, die 2 bis 3 %, die vom Rat der Sachverständigen als Steigerungsquote jährlich angenommen werden, durch einen flexiblen Wechselkurs aufzufangen, lehnen wir, glaube ich, alle ab. Wir lehnen nicht die Richtigkeit der Überlegung ab. Es kann nicht bestritten werden, daß auf die Dauer, vor allem wenn die Entwicklungskurven der Indizes der westlichen Welt etwa auseinanderlaufen würden, während sie jetzt identisch verlaufen, das Problem der außenwirtschaftlichen Absicherung vorhanden ist.Jetzt sind wir gegen jeden flexiblen Wechselkurs, auch gegen die periodische Erhöhung, auch gegen die Veränderung der Interventionspunkte von ±1 % auf ± 4 % oder 5 %; das wäre eine Spanne von 8 bis 10 %. Das würde die internationalen Handelsbeziehungen und unsere gesamten Export- und Importbeziehungen durcheinanderbringen. Aber ich
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Dr. Burgbachermache ausdrücklich darauf aufmerksam, daß nach meiner Meinung auf die außenwirtschaftliche Absicherung nur so lange verzichtet werden kann — ich wiederhole es —, wie die Indexentwicklung in den wichtigsten Ländern der freien Welt mit der unsrigen identisch oder fast identisch verläuft.
Von all den Vorschlägen des Rates ist — das hat auch der Herr Bundeswirtschaftsminister in seinem Referat gesagt — derjenige der sogenannten Devisenhärtung sehr ernst zu nehmen. Das heißt, daß sich die wichtigsten Länder der freien Welt — ob im Rahmen des Bretton-Woods-Abkommens oder des GATT — zusammensetzen und sich sozusagen im privatrechtlichen Sinne verpflichten, keinerlei Abwertung vorzunehmen. Denn man muß sich darüber klar sein, daß die übrige Welt, wenn wir aus unserer Sicht eine Änderung der Wechselkurse vornehmen, nicht mit den Händen in der Tasche zusieht, sondern darauf reagiert. Diese Reaktionen entziehen sich dann der Kontrolle. Deshalb ist der Vorschlag der Devisenhärtung von einem besonderen Gewicht. Wie wir vom Bundeswirtschaftsminister gehört haben, wird dieser Weg, der ein harter Weg ist, weitergeführt.Wenn in diesem Jahr die Wachstumsquote ± 0 wäre, wäre das zwar nicht schön; aber ich würde jedermann warnen, das als eine Katastrophe zu bezeichnen.
Natürlich sind 2 % plus viel besser als ± 0. Der Wirtschaftsminister hat ganz richtig gesagt: ± 0 ist auch wieder .ein Durchschnitt. Das ist ja die berühmte Sache: ± 0 ist nur dann da, wenn so viel im Minus ist, wie im Plus ist. Darin liegt die Gefahr. Wenn der Fächer da weit aufgeht, ist zu ± 0 als Durchschnittszahl genau dasselbe Kritische zu sagen wie zu +4 %: +4 % sind auch ein Durchschnitt zwischen —10 und +11 %. Wenn sich dann vor allem die Lohn- und Gehaltspolitik auf die +4 % uniform ausrichtet, dann ist das für denjenigen, der sich auf der Wachstumsseite befindet, ein warmer Regen, und er kommt billig dabei weg, und wer auf der Schattenseite steht, muß mehr tragen, als er tragen kann. Deshalb ist in der Frage — ich komme noch darauf, aber ich halte mich an unsere Absprache bezüglich der Einteilung der Zeit, Herr Kollege — —
Ja, das machen wir so in der Koalition, .wir teilen den Rest der Zeit auf, wir teilen Freude und Leid; so haben wir es uns vorgenommen.
Eine andere gern gebrauchte Modebehauptung ist °die, alle öffentlichen Haushalte dürften sich nur im Ausmaß der Steigerung des Bruttosozialprodukts verändern. Das ist immer ein Märchen gewesen. Aber es ist weit verbreitet und auch von hohen Regierungsstellen vertreten worden. Damit räumt der Rat auf. Er stellt fest — was richtig ist —:Nicht auf die Höhe der Steigerung des Haushalts, sondern auf seine konjunkturgerechte Deckung kommt es an.
Es ist also überhaupt nicht zu verstehen, wie man meinen kann, in einer aktiv lebenden Volkswirtschaft könnte und dürfte der Anteil der öffentlichen Haushalte aller Art für alle Zwecke des öffentlichen Lebens immer nur den gleichen Prozentsatz vom Bruttosozialprodukt haben. Das ist ja eine Blockierung eines Teils des Lebens, das bei uns immerhin 40 % vom Bruttosozialprodukt ausmacht.Ich lege deshalb Wert auf die Feststellung, daß es nicht auf die Höhe der Steigerung, sondern auf die ordnungsgemäße Deckung ankommt, und wiederhole noch einmal, daß ein bedeutsamer volkswirtschaftlicher Unterschied zwischen Konsum- und Investitionsausgaben besteht und beachtet werden muß.Der Rat schrieb einen massiven Satz: „Preisstabilität ist nicht erreichbar, ohne daß die Bundesrepublik das Prinzip eines konstanten Wechselkurses der D-Mark zugunsten des Prinzips einer konstanten Kaufkraft der D-Mark aufgibt." Dazu habe ich schon gesagt: wissenschaftlich stimmt dieser Satz. Daraus folgt aber so lange keine Pflicht zur Praktizierung, solange — entschuldigen Sie, wenn ich es noch einmal sage — die Indexentwicklung der Wettbewerbswelt, der freien Welt, mit der unseren nicht identisch ist. Aus dieser Gleichartigkeit ergibt sich übrigens auch die Abhängigkeit unseres volkswirtschaftlichen Ablaufs von dem der übrigen Welt. Die Interdependenz unserer Volkswirtschaft ist enorm: durch festgelegte Wechselkurse, durch freie Konvertibilität, durch Freizügigkeit, durch GATT-Abkommen, durch Bretton Woods und vor allem durch den Gemeinsamen Markt im EWG-Gebiet. Wir sind nicht mehr im klassischen Sinne der souveräne Herr unserer Volkswirtschaft! Bei allen Maßnahmen, die wir treffen, auch konjunktureller Art, müssen wir die Interdependenz bedenken.Wir haben schon vom Bundeswirtschaftsminister gehört, daß es zwar sehr erfreulich ist, daß unser Export so hoch ist, daß uns die Sache in den internationalen Finanzbeziehungen aber in den Verdacht zu bringen beginnt, wir störten das Gleichgewicht. Für uns selbst ist es von Interesse, und wir dürfen das, was wir einmal gelernt haben, nicht wieder vergessen: daß bei einem übergroßen Export der Gegenwert in die Bundesrepublik kommt, hier in D-Mark umgewechselt wird und diese D-Mark als Kaufkraft am Markt auftritt, also — entschuldigen Sie die groteske Formulierung — ein Gastarbeiter, der Geld nach Hause schickt, wirkt stabilisierend; jeder von uns, der seinen Urlaub im Ausland verbringt, wirkt stabilisierend, weil er etwas von dem Devisenüberhang wieder herausbringt und damit preisneutral wirkt.Eine Frage, die sicherlich an das Bundeswirtschaftsministerium herankommen wird, ist: Was kann man tun, um den Überhang aus dem erfreulich hohen Export — den wollen wir uns so lange als möglich erhalten, um auch den Import so weit wie
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Dr. Burgbachermöglich zu beleben — in investive Ausgaben zu bringen und damit zu vermeiden, daß er in Konsumausgaben geht, weil von daher wieder eine Gefährdung ausgehen könnte?Entschuldigen Sie, Herr Minister, wenn ich die Formulierung wage: Mit den Mitteln eines noch so hohen Intellekts sind Investitionen nicht zu schaffen, wenn der Investor nicht will. Und jetzt komme ich zu einer Formulierung, von der ich selbst sage, daß sie zu sehr zugespitzt ist. Sie lautet: Je mehr ich tue, um Investitionen anzuregen, um so mißtrauischer werden viele Investoren. Ruhe, Sicherheit und vor allem das Vertrauen — entschuldigen Sie diese etwas privatwirtschaftliche Formulierung — in den bleibenden Ertrag der neuen Investitionen ist eine ganz entscheidende Frage. Deshalb ist es auch so wichtig, daß über die Haushalte, über die mittelfristige Finanzvorschau baldigst zahlenmäßig Klarheit geschaffen wird.Ich mache jetzt eine persönliche Bemerkung, spreche nicht für meine Fraktion; für die Bemerkung, die jetzt kommt, trage ich allein die Verantwortung.
— Doch, das muß ich nach der Abstimmung von gestern. Zu den wenigen Punkten, in denen ich mit dem Herrn Vorredner übereinstimme, gehört seine Kritik an der Behandlung der Altvorräte im Mehrwertsteuergesetz und — das füge ich noch hinzu — die Kritik am Stufenplan. Man kann nicht auf der einen Seite Investitionen fördern und sie auf der anderen Seite mit einem anderen Gesetz, im gleichen Gesetzblatt, hemmen. Das kann auf die Dauer nicht zu einem Erfolg führen, den wir doch haben wollen.Eines der heißen Eisen ist die Lohn- und Gehaltspolitik, die auch die Unternehmerschaft sehr beschäftigt. Der Herr Minister hat mit Recht auf die bisher erzielten Erfolge hingewiesen. Sie sind unstreitig, wie es auch unstreitig ist, daß diese Erfolge ohne die Gewerkschaften nicht möglich gewesen wären. Ebenso richtig ist natürlich — im Sinne der sozialen Marktwirtschaft —, daß jeder seinen Anteil hat, wenn sich das Bruttosozialprodukt wieder erhöht. Ist es nicht möglich, unsere Lohn- und Gehaltspolitik, die sich an kurzfristigen, einjährigen Prognosen orientiert — wir haben ja gerade gesehen, daß die Prognose vom vorigen Jahr im Frühjahr schon nicht mehr gestimmt hat —, statt auf die Faktoren einer kurzfristigen Jahresprognose auf einen mehrjährigen Durchschnitt zu beziehen? Damit würde im Interesse beider Teile eine wesentliche Stabilität in die Lohn- und Gehaltspolitik kommen. Über dieses System könnte man ein Semester lang reden; ich kann es hier nur andeuten. Ich möchte aber doch allen Verantwortlichen ans Herz legen, daß sich hier vielleicht eine Lösung abzeichnet, um diesen sich aus kurzfristigen Bewegungen ergebenden problematischen Durchschnitt auf eine längere Zeit umzulegen.Über die Projektion will ich nicht mehr sprechen, das hat der Herr Wirtschaftsminister getan. Ich meine das Problem der kostenniveauneutralenLohnpolitik, das im Ratsgutachten angesprochen wird, wenn ich von der Abkehr von der Jahresprognose zugunsten eines mehrjährigen Durchschnitts spreche.Sieht man sich die Eigentumsbildung an, so kann man feststellen, daß sie zugunsten der privaten Haushalte gestiegen ist, zugunsten der Wirtschaft gefallen und zugunsten der öffentlichen Hände unverändert hoch geblieben ist. Warum? Nun, unser Geldmarkt ist jetzt sehr flüssig, unser Kapitalmarkt ist, gemessen an der bestehenden Nachfrage, ausreichend. Wenn aber die Nachfrage kommt, die wir für langfristige Investitionen haben wollen, dann ist er knapp. Man muß also wiederholen, so komisch das in einer Konjunkturdebatte klingen mag, daß wir auf die Sparkapitalbildung nach wie vor großen Wert legen müssen, denn wir werden aus diesen Rezessionsgefahren nie ohne organische Gesundung des Kapitalmarkts herauskommen. Wir werden vom Kapitalmarkt her Zyklen haben, und wir wollen ja möglichst keine Zyklen mehr haben. Deshalb müssen wir diese Gratwanderung versuchen, die zwischen dem konjunkturellen Wunsch nach Konsum und dem ebenso konjunkturellen Wunsch nach Kapitalbildung liegt.Wir müssen unser Volk bitten, nun nicht etwa zum radikalen Käuferstreik überzugehen, den wir zur Zeit zum Teil haben. Das ist natürlich falsch. Aber wenn wir zum Konsum anregen wollen, dürfen wir nie versäumen, auch auf die notwendige Kapitalbildung aufmerksam zu machen. Denn sie ist die Voraussetzung dafür, daß die Investitionen, die bisher über die Haushalte aller öffentlichen Hände aus den laufenden Steuern finanziert wurden, teilweise auf dem Kapitalmarkt finanziert werden können. Ich kann mir nicht verkneifen, einen Satz aus dem Gutachten, Ziffer 320, vorzulesen:Eine großzügigere Sparförderung der öffentlichen Hand erscheint daher, unbeschadet der Zweckmäßigkeit einer Reform, geldwertpolitisch völlig unbedenklich.Wörtlich aus dem Gutachten des Rats! Dieses Zitat möchte ich an die Adresse all derer richten, die sich demnächst mit der Reform der Sparprämien und ähnlicher Einrichtungen befassen.Die Bundesregierung hat sich in einer Stellungnahme mit dem Gutachten befaßt. Ich bitte unsere Bundesregierung um Nachsicht, wenn ich sage, daß diese Stellungnahme, sagen wir einmal, nach dem vereinfachten Verfahren vorgenommen wurde. Darin steht: Nicht durch Steuerung der Nachfrage, sondern auch durch Produktivitätsförderung muß alles erreicht werden. Wenn wir die Investitionsförderung mit Erfolg durchziehen, ohne daß eine Steigerung der allgemeinen Nachfrage eintritt, dann ist die Sache wieder halb. Wir müssen also bei allen Maßnahmen die Steigerung der Nachfrage genauso äquivalent sehen wie die natürlich vorrangige Steigerung der Investition.Was der Herr Wirtschaftsminister gesagt hat — daß die öffentlichen Hände ihre nicht verbrauchten Mittel in Aufträge geben sollen und daß überhaupt ein bedeutendes Auftragsvolumen, nicht schlag-
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Dr. Burgbacherartig, aber im Laufe dieses Jahres, von allen öffentlichen Händen in die Wirtschaft gehen muß —, ist wichtiger als der nun auch von der Bundesregierung zurückgestellte zweite Eventualhaushalt, von dem meine Freunde nichts wissen wollen. Wir sind nicht der Meinung, daß der Zeitpunkt für einen zweiten Eventualhaushalt gegeben ist.
— Ein guter General hat immer mehrere Feldzugspläne in der Schublade, sonst ist er kein guter. Man soll sie aber nicht vorher auf der Straße besprechen. Sonst bleibt von keinem etwas übrig.
Ich meine also, die öffentlichen Hände müssen diese Aufträge geben, und zwar dosiert, wie ich überhaupt dazu neige, den westfälischen Lebensgrundsatz zu befolgen: Man gehe Schritt vor Schritt. Ich bin von Westfalen unterrichtet worden, das sei ein westfälischer Lebensgrundsatz, und ich meine, den könnten wir gut vertreten.
Nun wird mancher vor allem von unserer hochgeschätzten Opposition wahrscheinlich gedacht haben, als ich über die Investitionen in den öffentlichen Haushalten sprach: Wie sollen sie denn finanziert werden? Nun sage ich Ihnen hart und klar ein Wort, das Sie wahrscheinlich zum Entsetzen bringt: durch Verschuldung. Das muß ich verantworten. Die Schuldenlasten sind in den einzelnen Ländern verschieden. Ich nenne jetzt für vier Länder jeweils drei Zahlen, alles auf D-Mark umgerechnet. Die erste Zahl ist die Gesamtverschuldung der öffentlichen Hände dieses Landes, die zweite Zahl ist die Verschuldung je Einwohner, und die dritte Zahl ist die Spareinlage je Einwohner. Frankreich: 78,5 Milliarden DM Gesamtverschuldung, 1605 DM Verschuldung pro Kopf und 1320 DM Spareinlage je Einwohner; Großbritannien: 439,4 Milliarden DM Gesamtverschuldung, 8072 DM Verschuldung pro Kopf, 2680 DM Spareinlage je Einwohner; Vereinigte Staaten: 1646 Milliarden DM öffentliche Verschuldung, 8500 DM Verschuldung je Einwohner, 6200 DM Spareinlage je Einwohner; Bundesrepublik mit West-Berlin: 83,9 Milliarden DM öffentliche Schuld, 1421 DM Verschuldung pro Kopf und 2000 DM Spareinlage je Einwohner.
Wer bei solchen Zahlen im Falle einer Rezession nicht den Weg findet, durch Verschuldung die in erster Linie notwendigen Investitionen teilweise langfristig zu finanzieren, dem ist einfach nicht zu helfen.
Auch hier ist wieder einzublenden: Voraussetzung ist, daß der Kapitalmarkt es hergibt. Deshalb diese berühmte Gratwanderung zwischen Konsum und Investitionen.Das Sondergutachten will ich mir schenken. Damit wird sich, wenn die Debatte morgen weitergeht, unser Kollege Luda besonders auseinandersetzen.Auf jeden Fall möchte ich aber sagen: Wir sind in keiner Krise, sondern wir sind in einer Phase normaler Reaktion auf lange Jahre stürmischer Konjunktur. Die Tatsache, daß wir eine stürmische Konjunktur hatten, veranlaßt vielleicht manchen von uns, teilweise leider von der Presse unterstützt, von Krise zu sprechen, so wie ein Mann, der sein ganzes Leben lang nie krank war, wenn er einen Schnupfen kriegt, schon meint, er müsse übermorgen sterben.
Es ist im deutschen Volk keine gesunde Reaktionsempfindung mehr für leichte Störungen und Krisen, weil wir bisher immer nur gewohnt waren: mehr, mehr, mehr. Jetzt geht es auf einmal auf einer Ebene weiter, auf einer hochliegenden Ebene, oder, hoffentlich, langsam bergauf, find schon sind die Nerven strapaziert. Das halte ich für eine ganz falsche Einstellung zu den Problemen.In einem Punkt, sehr verehrter Herr Wirtschaftsminister, muß ich mein Veto einlegen. Sie haben dreimal — zwar haben Sie es einmal mit Hamburger Charme gesagt; aber der Götz von Berlichingen hatte einen Samthandschuh, und darunter war eine eiserne Hand; Sie haben also einen Samthandschuh darübergezogen — den Bundesbankpräsidenten kritisiert. Ich halte das — ich bitte um Entschuldigung — nicht für richtig.
Die Bundesbank ist eine unabhängige Einrichtung, und unser Volk vertraut auch auf diese unabhängige Einrichtung.
Es muß auf uns und auf unsere Regierung vertrauen, und es muß auf die Bundesbank vertrauen. Die Addition des Vertrauens wird aber nicht größer, wenn der eine den anderen angreift.
— Das ist keine geheiligte Institution. Aber Vertrauen ist ein diffiziles Gefäß; auch wenn man es flicken kann, ist es niemals mehr das alte.
— Ich bitte um Verständnis. Ich sage das in guter Meinung und in keiner anderen.Natürlich kann man darüber reden, ob man 160 Tage auf die erste Diskontsenkung warten mußte. Es besteht auch ein natürliches Spannungsverhältnis zwischen Bundeswirtschaftsminister unid Bundesbankpräsident, und das ist gut. Spannungen sind ja nicht unproduktiv, sondern meistens sind Spannungen überhaupt die Voraussetzung für Produktivität. Wenn wir nicht die Spannung zwischen Mann und Frau hätten, wären wir gar nicht da.
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Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 106. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. April 1967 4997
Dr. BurgbacherIch habe meinem Kollegen gesagt, wir wollen uns die Zeit bis 21 Uhr teilen. Deshalb will ich Schluß machen, damit wir Sie nicht über 21 Uhr hinaus festhalten müssen. Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Porzner.
Herr Präsident! Meine verehrten Damen und Herren! Ich will mich bemühen, Ihre Geduld nicht allzu sehr zu strapazieren, und will versuchen, es sogar noch kürzer zu machen als Herr Professor Burgbacher.Es ist nicht die Erklärung einer Regierung, die aus einem glänzenden Wahlsieg, sondern aus einer von unserem Volk mit tiefer Sorge verfolgten Krise hervorging.Dieses Zitat aus der Regierungserklärung vom 13. Dezember 1966 bezog sich nicht nur auf den desolaten Zustand der vorhergehenden Koalition und nicht nur auf die Außenpolitik, sondern damit war, wie wir jetzt wissen, auch die Wirtschaft gemeint. Noch in der ersten Lesung des Entwurfs des Stabilisierungsgesetzes — damals hieß er noch so — war die Regierung Erhard von dem Gedanken geleitet, die Nachfrage zu bremsen. Man sprach von Übernachfrage, die zu beseitigen wäre, und von Überbeschäftigung. Der damalige Bundeskanzler — Sie erinnern sich; Herr Wirtschaftsminister Schiller hat es damals schon zitiert — meinte vor der Einbringung des Stabilisierungsgesetzes: „Wenn das deutsche Volk nicht hören will, dann muß es eben fühlen."Die Anregung des jetzigen Parlamentarischen Staatssekretärs im Wirtschaftsministerium, Herrn Dr. Klaus Dieter Arndt, daß es höchste Zeit sei, eine halbe Milliarde Mark für den Straßenbau oder für den Ausbau der Fernmeldeanlagen zur Verfügung zu stellen, wurde damals — schon im September — leider nicht aufgenommen. Während sich die Regierung befriedigt über den Rückgang der Nachfrage und über den Rückgang der Aufträge äußerte, fragte Herr Arndt, wann die Regierung denn endlich etwas dagegen tun wolle; wohl erst, wenn die Binnennachfrage völlig im Keller sei. Heute ist sie im Keller, mit minus 13 % bei der Industrie — das sind die Februar-Daten — und mit minus 20 % bei den Investitionsgüterindustrien.Daran ändert alle Kritik nichts, die jetzt an dem Sondergutachten des Sachverständigenrats geübt wird. An diesen Zahlen ist nicht zu rütteln und nicht zu deuteln. Ich möchte. mich jetzt nicht mit dieser Kritik auseinandersetzen, ich möchte nur sagen, daß der Sachverständigenrat keine Wetterstation ist, die sich nur dann zu melden hat, wenn die Konjunktursonne scheint. Der Sachverständigenrat hat die Pflicht, die Daten und Tatsachen so darzustellen, wie sie sind. Er" würde seine Aufgabe und seine Pflicht verfehlen, wenn er auch nur das Geringste beschönigen und vertuschen wollte.Die Lage, die in dem Sondergutachten dargestellt wird, ist ernst genug. Herr Kollege Haas, ich gehöre nicht zu denen, die glauben, man dürfe nicht über eine schlechte Situation reden, weil man sie dann noch schlechter mache. Wir brauchen niemandem in der Wirtschaft hier etwas vorzumachen; die wissen alle selbst Bescheid, die brauchen nur in ihre Auftragsbücher zu schauen. Die Tendenz hat sich auch noch verschlechtert. Die industrielle Produktion ging im Februar gegenüber dem gleichen Vorjahresmonat um 4,7 % und im März um 7,5 % zurück. Bei der Investitionsgüterindustrie ging die Produktion in den gleichen Monaten gegenüber den gleichen Vorjahresmonaten um 11 % bzw. 14 % zurück. Das sind März-Daten; neuere haben. wir noch nicht. Jedenfalls läßt sich daraus lesen und daraus schließen — ebenso wie aus der Arbeitslosenzahl, die konjunkturell nicht günstiger geworden ist, die nur saisonal sich verbessert hat —, daß insgesamt die rezessiven Faktoren noch überwiegen und ,daß es länger dauern wird, einen neuen Aufschwung zu erreichen, als allgemein angenommen wurde.Wenn Sie meinen, Herr Dr. Haas, daß es nicht Aufgabe der öffentlichen Hand sei, einzuspringen, daß man es der Wirtschaft selber überlassen müsse, sich wieder zu fangen, dann verstehen Sie den Begriff der sozialen Marktwirtschaft falsch.
— Vielleicht habe ich Sie falsch verstanden; ich will Sie jetzt gar nicht mehr provozieren. — Soziale Marktwirtschaft heißt nicht, daß die öffentliche Hand nirgends eingreifen oder helfen soll. Durch den Investitionshaushalt, den wir beschlossen haben, wird ja im Grunde nicht anderes getan als eine Lücke gefüllt, die durch die mangelnde Nachfrage der privaten Wirtschaft entstanden ist. Deswegen begrüßten wir ja diesen Eventualhaushalt.Ich muß allerdings bedauern und schon kritisieren, daß es bei der Vorbereitung und bei der Abwicklung doch Schwierigkeiten gegeben hat, die unserer Ansicht nach schneller hätten überwunden werden können, und zwar ohne daß deswegen bei der. Vergabe der Aufträge nicht ordnungsgemäß verfahren wird. Auch in diesem Falle darf nicht unterlassen werden, für Wettbewerb zu sorgen, wenn es um öffentliche Aufträge geht. Die Deutsche Bundesbank hat durch die Lockerung ihrer Kreditbremsen auch die Voraussetzungen dafür geschaffen, daß der Kapitalmarkt sich wieder normalisiert, daß die Expansion der Inlandsnachfrage sich nun vollziehen kann. Aber — da möchte ich Herrn Wirtschaftsminister Schiller zustimmen — diese allmähliche und nur stufenweise Herabsetzung des Diskontsatzes war der Lage nicht angemessen. Ich zitiere — mit Erlaubnis des Herrn Präsidenten — aus dem Sondergutachten des Sachverständigenrates:Hätte die Bundesbank die Zinsen rascher auf jenes Niveau gebracht, bei dem das Publikum keinen weiteren Zinsrückgang mehr erwartet hätte, dann wäre die Verschuldungsbereitschaft der privaten Investoren eher gestiegen, und Spekulationen mit niedrigeren Zinssätzen wären dann ausgeblieben.
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4998 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 106. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. April 1967
PorznerNun, unabhängig davon, ob noch weitere Beschlüsse zu erwarten sind: die Zinsen sind jedenfalls weit entfernt von jenen exotischen Sätzen des vergangenen Jahres, die Kapitalkosten sind wieder erträglich, und der Kapitalmarkt ist wieder ergiebig. Vom Kapitalmarkt und von den Kosten her gesehen können die Unternehmer jedenfalls wieder investieren. Daß sie selbstverständlich bei ihren Überlegungen auch anderes berücksichtigen müssen, wird hier gar nicht bestritten.Wir erwarten wegen dieser doch sehr deutlichen Stagnation, daß die Bundesregierung die Fristen, die sie sich bei dem Vollzug des Eventualhaushalts selbst gesetzt hat, ernst nimmt. Uns wäre es lieber gewesen, man hätte sich die Fristen von Anfang an gesetzt. Aber wir müssen alle — das muß man hierbei feststellen — mit diesem ersten Investitionshaushalt unsere Erfahrungen machen. Wir hoffen, daß man bei späteren Maßnahmen, die eventuell erfolgen müssen, aus diesen Erfahrungen gelernt haben wird.Wir stimmen dem Sachverständigenrat zu, wenn gefordert wird, daß die Bundesregierung sich für eine beschleunigte Verwirklichung all der Investitionsmaßnahmen einsetzt, die in den öffentlichen Haushalten, vor allem im Bundeshaushalt, des Jahres 1967 vorgesehen sind. Wir wünschen nur, daß auch die Länder und die Gemeinden das tun. Denn je mehr öffentliche Aufgaben in den nächsten Monaten vorgezogen werden, desto größer ist die Chance, daß gefährdete Arbeitsplätze noch rechtzeitig gesichert und unwiederbringliche Produktionsausfälle vermieden werden.Die Erfahrungen, die wir mit diesem ersten Investitionshaushalt gemacht haben, zwingen uns alle dazu, dafür zu sorgen, daß jetzt schon neue Projekte vorbereitet werden, damit sie, wie Herr Wirtschaftsminister Schiller gesagt hat, sehr schnell in Angriff genommen werden könnnen, wenn es nötig sein wird.Herr Haas, jetzt muß ich mich doch noch kurz mit Ihnen auseinandersetzen. Wenn Sie meinen, daß die Regierung damit unter Umständen sogar inflationistische Politik treiben würde, und wenn Sie der Regierung bei dieser Gelegenheit vorwerfen, daß sie da nicht vorsichtig genug sei, und sich auf einen Zeitungsartikel berufen, dann würde ich zuerst einmal empfehlen, sich nicht an Zeitungsartikel zu halten, die vor vierzehn oder zehn Tagen geschrieben wurden, sondern an die Rede, die Herr Minister Schiller hier gehalten hat, und er hat hier ganz offen von den Dingen gesprochen. Zum anderen: Die Regierung hat ausdrücklich wegen ihrer Sorge um die Stabilität der Wirtschaft — auf Seite 13 der Regierungserklärung ist das zu lesen — nein gesagt zur Gewährung weiterer Sonderabschreibungen, sie hat nein gesagt zur sofortigen Verwirklichung eines zweiten Eventualhaushalts, und sie hat auch befristete lineare Senkungen der Einkommen- und Körperschaftsteuer abgelehnt. Die Gründe hierfür akzeptieren wir und halten wir für richtig. Wir hoffen auch, daß mit dem Beschluß des Gesetzes zur Förderung der Stabilität und des Wachstums — worauf ich jetzt mehr Wert legen möchte — der Wirtschaft, mit der abschließenden Beratung dieses Gesetzes in der nächsten Sitzungswoche die Regierung von uns ein Instrument in die Hand bekommt, das sie befähigt, allen Möglichkeiten wirksam zu begegnen und dann auch ausdrücklich die Kreditermächtigung in Höhe von 5 Milliarden DM in Anspruch zu nehmen.Wir sind der Ansicht, daß, wenn der Bund allein diese antizyklische Haushaltspolitik betreibt, dies alles nicht ausreichen wird. Die Sachverständigen befürchten, daß es bei den Ländern und Gemeinden zu einem gefährlichen Wettlauf zwischen nach unten revidierten Einnahmeschätzungen und Ausgabekürzungen kommt. Der Anteil der Investitionen der Länder und Gemeinden an den öffentlichen Investitionen ist sehr groß; beide zusammen investieren doppelt soviel wie der Bund. Konjunkturpolitisch wäre eine solche Spirale nach unten in den Haushalten, auf die wir unmittelbar keinen Einfluß haben, sehr bedenklich, und es würde die Anstrengungen des Bundes sehr beeinträchtigen. Deswegen ist den Ländern und den Gemeinden zu empfehlen, sich ebenfalls antizyklisch zu verhalten. Die Länder sollten Kredite aufnehmen und damit zusätzliche Ausgaben finanzieren und auch die Finanzierung von Aufgaben, die die Gemeinden erfüllen, damit unterstützen. Die Gemeinden, die ja zum Teil Rücklagen haben, die Rücklagen jedoch nicht auflösen können, weil ihnen die Zuschüsse von den Länderhaushalten fehlen, warten darauf. Es wäre auch zu empfehlen — es ist nach Ländern sehr verschieden —, daß sich die Länderregierungen Gedanken über die Verschuldungsgrenzen der Gemeinden machen, die man unter Umständen anheben muß, damit die Gemeinden weitere Kredite aufnehmen können.Ich muß mich sehr kurz fassen, selbst auf die Gefahr hin, daß es mißverständlich ist. Es handelt sich bei allem ja immer nur um ein Vorziehen von Aufgaben, von Investitionen, die sinnvoll sind und die später sowieso erfolgen würden, z. B. beim Straßenbau, beim Bau von Schulen, Universitäten, Sportstätten, Krankenhäusern und vielem anderen mehr, kurz alles, was zur Verbesserung der Infrastruktur beiträgt. Wenn dies mit einer höheren öffentlichen Verschuldung verbunden ist, dann ist das keine Katastrophe, sondern dann ist das etwas, was man in dieser Situation tun muß.Ich will nur zitieren, was ,die Forschungsinstitute gemeinsam in dieser Woche erarbeitet haben.Es heißt da auf Seite 18:Bei der Vorstellung, weitere konjunkturpolitisch erforderliche Ausgaben wären fiskalpolitisch nicht tragbar, weil der Bundeshaushalt für längere Zeit hohe Defizite aufweise, wird übersehen, daß durch eine Verweigerung solcher Ausgaben die Vergrößerung des Defizits ungeplant entsteht. Eine rezessive Konjunkturentwicklung würde, wie die letzte Vergangenheit gezeigt hat, die Entwicklung der öffentlichen Einnahmen beeinträchtigen und die Finanzwirt-Porznerschaft zwingen, das ungeplante Defizit in Kauf zu nehmen.Das ungeplante Defizit aber. hätte für die Konjunkturentwicklung eine viel geringere Wirksamkeit als ein geplantes. Bei einem geplanten Defizit können die Mittel nämlich gezielt eingesetzt werden und genau dort Nachfrage schaffen, wo es gewünscht ist.Selbstverständlich kommt es auf die konjunkturelle Deckung an, wie Sie, Herr Professor Burgbacher, das vorhin richtig sagten. Aber im Konjunkturrückgang wird eben die Deckung der Investitionen mehr durch Kredite erfolgen als in einem Konjunkturaufschwung, wo man den Versuch machen muß, die öffentliche Verschuldung wieder abzubauen.Die Sorge, daß die Anregungen für das Wirtschaftswachstum die Stabilität des Geldwerts gefährdeten, teile ich nicht. Produktionsanregungen wirken bei der bestehenden geringen Auslastung der Kapazität nicht inflationär. Der Geldwert ist derzeit nicht gefährdet. Im übrigen stehen wir, selbst wenn sich in einem Jahr oder später zeigen sollte, daß wieder Spannungen auf den Märkten eintreten, einer solchen Entwicklung doch nicht hilflos gegenüber. Erstens kann die Bundesregierung und können die Länderregierungen ihre Ausgaben dosieren und ihre Pläne rechtzeitig ändern. Zweitens wird der Bundesregierung durch das Stabilisierungsgesetz ein Instrument in die Hand gegeben, das sie sehr differenziert anwenden kann. Drittens besteht doch die Möglichkeit, in der Wettbewerbspolitik aktiv zu werden und dafür zu sorgen, daß der Wettbewerb in der Wirtschaft größer wird.Ich habe kein Verständnis dafür, daß man jetzt, wie das z. B. in einer Pressemitteilung heute zu lesen ist, den Vorschlag macht, Steuervergünstigungen für den Kauf von Autos zu gewähren. Wozu denn? Warum senken denn diese Großunternehmungen, die dazu durchaus in der Lage sind, nicht ihre Preise? Warum ist man denn nicht bereit, auf diese Weise in einem Wettbewerb einzutreten und dafür zu sorgen, daß die Absätze steigen?Zur außenwirtschaftlichen Absicherung nur ein Satz. Die Bundesregierung hat in ihrer Stellungnahme dazu gesagt, daß sie zur rechten Zeit, falls es notwendig werden sollte, die entsprechenden Mittel einsetzten werden. Wir haben im Augenblick nicht die Sorge, daß die Bundesrepublik Inflation importiert, sie exportiert vielmehr Deflation und Arbeitslosigkeit in andere Länder.Herr Dr. Haas, Sie meinten — Sie haben das hier ausdrücklich gesagt; draußen ist das ständig zu hören —, daß man jetzt wegen der Sorge um den stabilen Geldwert sehr vorsichtig mit zusätzlicher Nachfrage sein müsse, weil es sonst später Schwierigkeiten geben würde. Das ist kein Argument, jetzt nichts zu tun, weil man später Schwierigkeiten erwartet. Das ist doch die Aufgabe der Verantwortung, die man für die Wirtschaftspolitik hat. Regierungskunst ist immer verlangt, und zur Zeit ist das Ziel der Vollbeschäftigung am meisten gefährdet. Deswegen muß jetzt etwas getan werden, um dieses Ziel zu erreichen.Herr Haas, Sie geben der Stabilität immer noch Vorrang, immer noch, obwohl wir zu geringe Aufträge haben, obwohl die Nachfrage zu gering ist, obwohl die Investitionen so sehr abnehmen. Wer jetzt noch empfiehlt, abzuwarten, der findet sich mit der Arbeitslosigkeit, die wir haben, nicht nur ab, sondern der riskiert und kalkuliert größere Arbeitslosigkeit ein; denn wer sich mit einem Wachstum des Sozialprodukts von Null zufriedengibt und weiß, daß auch jetzt die Produktivität steigt, der kann errechnen, daß dann die Arbeitslosigkeit zunehmen muß.
Das Gesundschrumpfen ist kein Mittel und kein Ziel — ich gehe nachher darauf ein; ich meine Sie mit allem gar nicht wörtlich —, das man der Regierung empfehlen kann. Die Gemeinschaft zum Schutz der deutschen Sparer drückt aus, was gemeint ist.
— Die Gemeinschaft zum Schutze der deutschen Sparer. Von der rede ich jetzt.
Sie hält den gegenwärtigen Umstellungs- und Regenerationsprozeß für unerläßlich, so schmerzhaft er für die Betroffenen auch ist.Wer sind denn die Betroffenen? Das sind die Arbeiter, die Angestellten und auch die kleinen Gewerbetreibenden. Sie sollen. Opfer eines solchen Regenerationsprozesses sein. Gerade diejenigen, denen man noch vor kurzem empfohlen hat, eine Stunde mehr zu arbeiten, sollen jetzt durch Arbeitslosigkeit die Voraussetzungen für den neuen Aufschwung schaffen. Arbeitslosigkeit der einen als Mittel für Zwecke anderer: das ist die Weisheit konservativer Ökonomen.Arbeitslosigkeit, meine Damen und Herren, ist nicht nur eine Sache der Wirtschaftsstatistik. Dahinter steht doch viel mehr. Hinter einer Arbeitslosenquote von 3 oder 21/2'0/o muß man doch einige Hunderttausend Beschäftigte' und deren Familien sehen. Für sie sinkt das Nettoeinkommen um etwa ein Drittel oder mehr, ohne daß die Kosten für die Lebenshaltung zurückgehen; sie müssen die gleiche Miete bezahlen, sie müssen die gleichen Preise für die Nahrungsmittel bezahlen. Man muß also, wenn man schon sehr nüchtern und kalt Arbeitslosigkeit einkalkuliert, auch wissen, was das für Hunderttausende bedeutet.Man sagt, in vielen anderen Staaten sei die Arbeitslosenquote größer als in der Bundesrepublik. 3 % würden international schon als Vollbeschäftigung betrachtet. Mag sich jeder um diese Prozentzahlen streiten, soviel er will; für uns ist Vollbeschäftigung nur dann gegeben, wenn jeder arbeiten kann, der arbeiten will, und es ist keine Frage von Prezentzahlen.
Auch ein Blick auf bestimmte Branchen unserer Wirtschaft zeigt doch, daß die Schwierigkeiten um so größer werden, je länger die Stagnation anhält und je länger der Aufschwung auf sich warten läßt.
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5000 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 106. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. April 1967
PorznerOhne eine baldige Erholung, ohne einen baldigen Aufschwung lassen sich doch die eminenten Schwierigkeiten im Kohlebergbau nicht beseitigen. Wie will man z. B. denn Unternehmrungen dazu bringen, im Ruhrgebiet zu investieren, Fabriken zu bauen, wenn die jetzigen Kapazitäten nicht ausgelastet sind? Das gleiche gilt für die anderen Branchen und auch für andere Regionen.In diesem Zusammenhang möchte ich nur stichwortartig darauf hinweisen, welche Bedeutung die Mobilität der Arbeitskräfte in Zukunft für die Überwindung der strukturellen Schwierigkeiten und für die Sicherung eines stetigen Wachstums haben wird. Ich möchte weiter anführen, welche Bedeutung die Qualität der Berufsausbildung haben wird und wie wichtig es sein wird, daß wir ein leistungsfähiges Bildungswesen haben. Die Beratungen des Arbeitsmarktanpassungsgesetzes und des Berufsausbildungsgesetzes — beide Gesetze liegen dem Bundestag vor — bitte ich unter diesem Aspekt zu führen.In der Regierungserklärung vom 13. Dezember des vergangenen Jahres — und damit möchte ich abschließen — stehen folgende Sätze:Die Bundesregierung bekennt sich daher ausdrücklich zu den wirtschaftspolitischen Zielsetzungen, die der Deutsche Bundestag im Gesetz über die Bildung des Sachverständigenrates niedergelegt hat: im Rahmen der marktwirtschaftlichen Ordnung gleichzeitig Stabilität des Preisniveaus, hohen Beschäftigungsstand und außenwirtschaftliches Gleichgewicht bei stetigem und angemessenem Wachstum anzustreben.Diese Aufgabenkombination verlangt von derWirtschaftspolitik, daß sie sich jeweils auf dieEinzelziele konzentriert, die am meisten gefährdet sind. Dies sind nach Auffassung der Bundesregierung zur Zeit das optimale Wirtschaftswachstum und die Sicherung eines hohen Beschäftigungsstandes. ...Bei dieser Ausgangslage ist daher eine expansive und stabilitätsorientierte Wirtschaftspolitik das Gebot der Stunde.Dies gilt heute noch mehr als damals.
Meine Damen und Herren! Die Abgeordneten Professor Stein und Schmidhuber haben die Ausführungen, die sie machen wollten, zu Protokoll gegeben. — Inzwischen kommt noch ein Manuskript von Herrn Dr.
Luda.
Unter den Fraktionen ist vereinbart worden, daß wir jetzt die Debatte abschließen, morgen die bisher nicht behandelten Tagesordnungspunkte erledigen und uns vorbehalten, diese Debatte wieder aufzugreifen.
— Das liegt 'in der Hand des Hauses, ob es morgen mittag — sicher zu späterer Stunde — die Debatte aufgreifen will oder nicht.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Freitag, den 28. April, 9.00 Uhr ein.
Die Sitzung 'ist geschlossen.