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    Deutscher Bundestag 106. Sitzung Bonn, den 27. April 1967 Inhalt: Glückwünsche zum Geburtstag des Abg. Paul 4917 A Fragestunde (Drucksachen V/1634, zu V/1634) Frage des Abg. Ertl: Grundgesetzänderungen zur Neugestaltung der Beziehungen zwischen Bund und Ländern Benda, Parlamentarischer Staatssekretär . . . . . . . . 4917 B Ertl (FDP) . . . . . . . . . . 4917 B Frage des Abg. Sanger: Abgrenzung zwischen Anzeigeblättern und Zeitungen bzw. Zeitschriften Benda, Parlamentarischer Staatssekretär . . . . . . . . 4917 D Sänger (SPD) . . . . . . . . 4918 B Frage des Abg. Porten: Übergangszeit für einen gemeinsamen Mehlmarkt Höcherl, Bundesminister 4918 C Porten (CDU/CSU) 4918 DFragen des Abg. Ertl: Finanzierung kostenloser Getreidelieferungen an Entwicklungsländer Höcherl, Bundesminister . . . . 4919 B Ertl (FDP) 4919 C Fragen des Abg. Bading: Einbeziehung von Bananen und Ananas in die EWG-Marktordnung für Obst und Gemüse Höcherl, Bundesminister . . . . . 4919 D Urban (SPD) . . . . . . . . . 4920 A Fragen des Abg. Budde: Milchwirtschaft in der Bundesrepublik 4920 B Fragen des Abg. Jung: Ausrüstung der Seenotrettungsstaffel Adorno, Parlamentarischer Staatssekretär . . . . . . . 4920 C Ollesch (FDP) 4920 D van Delden (CDU/CSU) 4921 A II Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 106. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. April 1967 Fragen des Abg. Burger: Sommeruniform für Heeresstreitkräfte der Bundeswehr . . . . . . . . 4921 B Fragen des Abg. Hübner: Einsatz- und Nutzungsmöglichkeiten von elektrischen Großrechenanlagen 4921 C Fragen des Abg. Lemper: Reduzierung der Wehrdienstzeit und der Gesamtzahl der Soldaten sowie dadurch mögliche Einsparungen Adorno, Parlamentarischer Staatssekretär . . . . . .. . 4921 D Mertes (FDP) 4922 A Schultz (Gau-Bischofsheim) (FDP) 4922 B Frage des Abg. Ollesch: Notwendigkeit der Anwesenheit des Bundesarbeitsimnisters im Ausschuß für mittelfristige Finanzplanung Leicht, Parlamentarischer Staatssekretär 4922 D Frage des Abg. Geldner: Vergabe von Aufträgen für Investitionsmaßnahmen nach Bayern Leicht, Parlamentarischer Staatssekretär 4923 A Geldner (FDP) 4923 C Fritsch (Deggendorf) (FDP) . . . 4923 D Ertl (FDP) 4924 B Frage des Abg. Logemann: Änderung des Verkehrsfinanzgesetzes Leicht, Parlamentarischer Staatssekretär 4924 D Logemann (FDP) 4924 D Fragen des Abg. Logemann: Dieselölpreis für Landwirte Leicht, Parlamentarischer Staatssekretär . . . . . . . . 4925 A Logemann (FDP) 4925 C Ertl (FDP) . . . . . . . . . . 4926 B Wächter (FDP) . . . . . . . . 4926 D Schultz (Gau-Bischofsheim) (FDP) . 4927 A Reichmann (FDP) . . . . . . . 4927 B Fragen des Abg. Hellenbrock: Militärisch genutztes Gelände der Gemeinde Bracht im Lkr. Kempen/Krefeld Leicht, Parlamentarischer Staatssekretär . . . . . . . . 4927 C Dr. Hammans (CDU/CSU) . . . . 4927 D Frage des Abg. Lemmrich: Einnahmen aus der Mineralölsteuer Leicht, Parlamentarischer Staatssekretär . . . . . . . . 4928 A Fragen des Abg. Flämig: Exerzierplatz Großauheim am Main 4928 B Fragen des Abg. Baier: Baustopp für alle staatlich geförderten Hochbauten in Baden-Württemberg Leicht, Parlamentarischer Staatssekretär 4928 C Baier (CDU/CSU) 4928 D Fragen des Abg. Wächter: Bewerber um Aufträge des Bundes Dr. Arndt, Parlamentarischer Staatssekretär 4929 C Wächter (FDP) . . . . . . . 4929 C Fragen des Abg. Porten: Praktiken des Quotenhandels in der Mühlenwirtschaft Dr. Arndt, Parlamentarischer Staatssekretär 4930 A Porten (CDU/CSU) 4930 A Große Anfrage der Fraktionen der CDU/ CSU, SPD betr. Atomwaffensperrvertrag (Drucksache V/1650) in Verbindung mit Beratung des Antrags der Fraktion der FDP betr. atomare Rüstung und friedliche Nutzung von Kernenergie (Drucksache V/ 1494) Schultz (Gau-Bischofsheim) (FDP) . 4930 D Dr. Eppler (SPD) . . . . . . . . 4935 B Brandt, Bundesminister . 4939 D, 4972 D Dr. Birrenbach (CDU/CSU) . . . . 4946 D Schoettle, Vizepräsident . . . . . 4952 B Schmidt (Hamburg) (SPD) . . . . 4952 C Borm (FDP) . . . . . . . : . 4955 C Dr. Stoltenberg, Bundesminister . . 4959 B Dr. Zimmermann (CDU/CSU) . . . 4961 B Berkhan (SPD) . . . . . . . . 4965 A Flämig (SPD) . . . . . . . . . 4966 A Genscher (FDP) 4967 D Dr. Barzel (CDU/CSU) 4969 D Ollesch (FDP) 4972 A Mischnick (FDP) . . . . . . . . 4975 C Dr. h. c. Kiesinger, Bundeskanzler . 4976 B Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 106. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. April 1967 III Beratung des Dritten Jahresgutachtens des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung der Stellungnahme der Bundesregierung zum Jahresgutachten 1966 des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung sowie des Sondergutachtens über die Wirtschaftslage im Frühjahr 1967 (Drucksachen V/1160, V/1313, V/1588) Dr. Schiller, Bundesminister . . . 4976 C Dr. Haas (FDP) . . . . . . . . 4985 B Dr. Burgbacher (CDU/CSU) . . . . 4992 C Porzner (SPD) . . . . . . . 4997 A Nächste Sitzung 5000 B Anlagen 5001 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 106. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. April 1967 4917 106. Sitzung Bonn, den 27. April 1967 Stenographischer Bericht Beginn: 9.00 Uhr
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    Anlage 1 Liste der beurlaubten Abgeordneten Anlagen zum Stenographischen Bericht Beurlaubungen Abgeordnete(r) beurlaubt bis einschließlich Dr. Aigner ** 27. 4. Arendt (Wattenscheid) 27. 4. Dr. Arndt (Berlin/Köln) 28. 4. Bading** 27. 4. Dr.-Ing. Dr. h. c. Balke 28. 4. Bauer (Würzburg) * 28. 4. Prinz von Bayern 1. 6. Berkhan * 28. 4. Berlin 28. 4. Blumenfeld * 28. 4. Frau Brauksiepe 28. 4. Buchstaller 27. 4. Corterier * 28. 4. Dr. Dittrich** 28. 4. Draeger * 28. 4. Dröscher ** 27. 4. von Eckardt 27. 4. Eisenmann 28. 4. Flämig* 28. 4. Frau Freyh 12. 5. Frau Geisendörfer 28. 4. Gerlach ** 28. 4. Gewandt 28. 4. Graaff 28. 4. Dr. Gradl 28. 4. Hahn (Bielefeld) ** 28. 4. Dr. Hellige * 28. 4. Frau Herklotz * 28. 4. Herold* 28.. 4. Hilbert * 28. 4. Höhne 15. 6. Hösl * 28. 4. Jacobi (Köln) 15. 5. Kahn-Ackermann * 28. 4. Dr. Kempfler * 28. 4. Kiep 12. 5. Frau Klee * 28. 4. Dr. Kliesing (Honnef) * 28. 4. Klinker * 28. 4. Dr. Kopf * 28. 4. Kunze 6. 5. Lemmer 28. 4. Lemmrich * 28. 4. Lenz (Brühl) 30. 4. Lenz (Trossingen) 23. 5. Lenze (Attendorn) * 28. 4. Lücker (München) ** 28. 4. Matthes 28. 4. Mauk ** 28. 4. Frau Dr. Maxsein " 28. 4. Mengelkamp 15. 5. Merten** 28. 4. Metzger ** 28. 4. Michels 28. 4. Müller (Aachen-Land) ** 28. 4. Paul 28. 4. Abgeordnete(r) beurlaubt bis einschließlich Peters (Norden) 30. 6. Frau Pitz-Savelsberg 2. 6. Pöhler * 28. 4. Frau Dr. Probst 12. 5. Raffert 28. 4. Richarts ** 28. 4. Richter * 28. 4. Dr. Rinderspacher * 28. 4. Rösing 28. 4. Ross 28. 4. Dr. Rutschke * 28. 4. Scheel 28. 4. Schmidt (Würgendorf) * 28. 4. Dr. Schulz (Berlin) * 28. 4. Dr. Serres * 28. 4. Dr. Starke (Franken) ** 27. 4. Struve 31. 5. Dr. Süsterhenn 27. 4. Dr. Freiherr von Vittinghoff-Schell* 28. 4. Dr. Wahl * 28. 4. Wellmann 30. 4. Wienand * 28. 4. Dr. Wuermeling 27. 4. Zerbe 28. 4. * Für die Teilnahme an einer Tagung der Beratenden Versammlung des Europarats ** Für die Teilnahme an Ausschußsitzungen des Europäischen Parlaments Anlage 2 Schriftliche Erklärung des Abgeordneten Dr. Luda (CDU/CSU) zu Punkt 4 der Tagesordnung. Der Sachverständigenrat verfährt nach der Methode von Professor Heller, USA, des früheren Vorsitzenden des Konjunkturrates: er versucht, den Umfang der Unterauslastung der Wirtschaft zu ermitteln, um dann vorzuschlagen, wie die fehlende Nachfrage zu erzeugen ist. Das ist eine rein liquiditätsorientierte Betrachtungsweise. Um die Wirtschaft wieder anzukurbeln, bedarf es zunächst einer Ermittlung der Ursachen der Konjunkturabflachung. Abgesehen von der politischen Krise des vorigen Jahres liegt diese Ursache in den öffentlichen Defiziten, in der Kostenentwicklung und, inzwischen weitgehend überwunden, in der Preisauftriebstendenz. Also müssen zuerst die öffentlichen Finanzen saniert werden, die Haushalte müssen umstrukturiert werden. Darüber sagt das Gutachten leider nichts. Der Etat ist nicht zuerst ein Instrument der Konjunkturpolitik, sondern in erster Linie Prüfstein für die Ordnung im Staat, also politische Vertrauensgrundlage. Bedenklich ist es meines Erachtens auch, daß das Gutachten sich ausschließlich an Globalzahlen orien- 5002 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 106. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. April 1967 tiert. An Stelle einer Ahalyse der derzeitigen relativen Arbeitslosigkeit wird lediglich von „allenthalben brachliegenden Kapazitäten" gesprochen. Das gibt ein falsches Bild. So liegt die Arbeitslosigkeit im Raum Rhein-Neckar und Rhein-Main unter 1 %, dagegen im Ruhrgebiet, an der Saar, in Teilgebieten von Niedersachsen und im Bayerischen Wald weit über dem Durchschnitt. Die heutige Konjunkturpolitik kann nicht isoliert von den Strukturproblemen betrachtet werden. Sie beziehen sich nicht nur auf die Eisen schaffende Industrie und den Bergbau, sondern auch auf Teile der Eisen und Metall verarbeitenden Industrie, der Holz- und der Textilindustrie. Durch Gewährung globaler Kreditspritzen ist hier keine Hilfe zu erwarten, das würde die notwendige Strukturbereinigung nur hinausschieben. Es wäre auch zu begrüßen gewesen, wenn das Sondergutachten die bisherige Investitionstätigkeit näher untersucht hätte. In der EWG-Investitionsstatistik ist die Bundesrepublik Deutschland nämlich eindeutig führend. Die Brutto-Anlage-Investitionen der Industrie hatten 1964 eine Zuwachsrate von 18 %, 1965 von 15 % und sind sogar im Jahresdurchschnitt 1966 noch leicht gestiegen. Läßt das nicht den Schluß zu, daß die nachlassende Investitionsneigung eine insoweit natürliche Reaktion auf sehr hohe Investitionsraten der vergangenen Jahre mit dem Zwang der einzelnen Unternehmen, nunmehr zu konsolidieren, ist? Zum Vorschlag des Sondergutachtens! Er bedeutet einen klaren Stellungswechsel des Rates im Vergleich zu dem vor vier Monaten veröffentlichten Dritten Jahresgutachten. Damals hatte der Rat drei Alternativprojektionen dargelegt (I „Stabilität um jeden Preis", II „ungezügelte Expansion", III „kontrollierte Expansion"). Im Dritten Jahresgutachten hatte der Rat eindeutig das Konzept der „kontrollierten Expansion" propagiert. Der Vorschlag im Sondergutachten deckt sich demgegenüber weitgehend mit der seinerzeitigen Alternativprojektion II. Natürlich kann in der Wirtschaftspolitik kurzfristig ein Stellungswechsel nötig werden. Was aber bedenklich erscheint, ist die Tatsache, daß die Öffentlichkeit sich inzwischen auf die amtlich übernommene „kontrollierte Expansion" eingestellt hat, die durch die neue Politik weitgehend sinnentleert ist, und daß, genaugenommen, der jetzige Vorschlag des Sachverständigen-Rates „ungezügelte Expansion" lauten müßte, zumal von vornherein feststeht, daß die Bundesregierung die vorgeschlagene „Kontrolle" der außenwirtschaftlichen Absicherung (Wechselkurspolitik) nicht praktizieren will — mit Recht — und daß sie die zweite „Kontroll"-Maßnahme der lohnpolitischen Absicherung in dem vom Dritten Jahresgutachten vorgeschlagenen Sinne der „Richtzahlen" und „Lohnleitlinien", also der Datensetzung von oben nicht praktizieren kann und nicht praktizieren will. Also: Vor Schlagworten wird gewarnt! Zur Frage des zweiten Eventualhaushaltes! Die Liquiditätsversorgung entwickelt sich zufriedenstellend. Die Zinssenkungstendenz ist zu begrüßen. Leider ist jedoch die Freigabe der Haben-Zinsen ohne Wirkung geblieben. Ganz offensichtlich ist das auf die Tatsache zurückzuführen, daß trotz Zinsfreigabe die Steuerprivilegien der Sparkassen unangetastet geblieben sind. Diese Privilegien werden auch weiterhin zu einem verzerrten, unnötig hohen Zinsniveau führen, wenn man sie nicht unverzüglich abbaut. Die Entwicklung der Liquiditätsnachfrage ist zur Zeit noch gehemmt. Da der Bundeshaushalt 1967 noch nicht verabschiedet ist, macht sich zum Nachteil der Wirtschaft ein Ausgabestau nach wie vor hemmend bemerkbar. Nach Verabschiedung des Bundeshaushalts im Juni wird sich das schlagartig ändern. Zur gleichen Zeit geht auch die Anlaufzeit des ersten Eventualhaushalts zu Ende. Also: In der zweiten Jahreshälfte ist mit einer spürbaren Massierung der öffentlichen Ausgaben zu rechnen, zumal dann auch das Defizit der Sozialversicherungsträger mit etwa 1,5 Milliarden DM stark expansiv wirken wird. Für alles das ist offenbar genug Liquidität vorhanden. Funktioniert die beabsichtigte Initialzündung gleichfalls in der zweiten Jahreshälfte, womit wohl zu rechnen ist, dann ergäbe sich wahrscheinlich die Gefahr einer Überforderung des Kapitalmarktes, falls man gleichzeitig einen zweiten Eventualhaushalt praktizieren wollte. Es geht also nicht an, heute schon über die Frage eines zweiten Eventualhaushaltes — der nach Ansicht des Berliner Instituts ein Volumen von 4 Milliarden DM haben sollte — zu entscheiden. Eventuelle Liquiditätsreserven sollte der Bund lieber den Ländern und Gemeinden für Infrastrukturmaßnahmen überlassen. Im Dritten Jahresgutachten war in der Alternativprojektion II („ungezügelte Expansion") auf die Gefahr eines kumulativen Prozesses im Jahre 1968 hingewiesen worden. Dieser Hintergrund muß auch heute noch beachtet werden,desgleichen der Hintergrund eines Haushaltsdefizits des Bundes für 1968 in Höhe von 6,8 Milliarden DM. Ein zweiter Eventualhaushalt würde also eine Vervielfachung späterer Konsolidierungsschwierigkeiten bedeuten. Auch aus diesem Grunde darf man sich nicht vorzeitig und nicht ohne Not für ihn entscheiden. Anlage 3 Schriftliche Erklärung des Abgeordneten Schmidhuber (CDU/CSU) zu Punkt 4 der Tagesordnung. Heute ist schon mehrmals von der psychologischen Komponente der Konjunkturpolitik gesprochen worden. Meiner Meinung nach kann man diesem Fragenkomplex nicht genügend Aufmerksamkeit widmen. Steht doch hinter den Summengrößen der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung eine unübersehbare Zahl von Einzelentscheidungen, die von den Marktteilnehmern, von den Konsumenten und Produzenten, Tag für Tag gefällt werden müssen. Kollektivurteile über die Entwicklung der Konjunk- Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 106. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. April 1967 5003 tur, wie etwa die sogenannte Krisenfurcht, können — selbst wenn sie unbegründet sind — den weiteren konjunkturellen Ablauf unter Umständen stärker beeinflussen als wirtschaftspolitische Maßnahmen; ja, sie können Wirkungen auslösen, deren Größe und Mächtigkeit in keinem Verhältnis steht zu den relativ bescheidenen Einflußmöglichkeiten der öffentlichen Hand. Dafür gibt es in der Wirtschaftsgeschichte der zwanziger und dreißiger Jahre genügend Beispiele. Die Marktteilnehmer können sich aber nicht allein an ihren unmittelbaren wirtschaftlichen Erfahrungen, die sich meistens nur auf einen schmalen Sektor beziehen, orientieren, sondern sie sind auch darauf angewiesen, wie die öffentliche Meinung und die für die Wirtschaftspolitik Verantwortlichen die Lage beurteilen. Insofern setzt auch der Sachverständigenrat selbst durch seine gutachtlichen Äußerungen ein konjunkturelles Datum. Er ist also in der Lage des Arztes, der bei der Mitteilung der Diagnose an den Patienten die Wirkungen bedenken muß, die diese Mitteilung auf den Kranken haben könnte. Überspitzt könnte man hierbei von dem „prozyklischen Effekt von Gutachten" sprechen, wobei ich insbesondere die möglichen Wirkungen auf das Konsumentenverhalten im Auge habe. Dies ist die Folge davon, daß die Erörterung konjunkturpolitischer Fragen, der durch das Gesetz institutionalisierte Dialog zwischen Sachverständigenrat und Bundesregierung sich im vollen Licht der Öffentlichkeit vollzieht. Dabei kann der Sachverständigenrat möglicherweise in eine ähnliche Situation geraten wie die Demoskopen bei der letzten Bundestagswahl, nämlich daß man ihnen später den Vorwurf macht, sie hätten durch ihre Prognose das Ergebnis beeinflußt. Man sieht, die „informierte Gesellschaft" hat auch ihre Gefahren. Man sollte daraus keinesfalls die Konsequenz ziehen, einer öffentlichen Erörterung konjunkturpolitischer Fragen aus dem Wege zu gehen. Allerdings sollte man diese unerwünschten Nebeneffekte bei der Formulierung und unter Umständen bei der Wahl des Zeitpunktes der Äußerung zu vermeiden suchen. Die zweite Bemerkung betrifft das Problem der außenwirtschaftlichen Absicherung der Währungsstabilität, den Schutz vor der sogenannten importierten Inflation. Niemand wird sich der in mehreren Stellungnahmen vorgetragenen Sorge des Sachverständigenrates zu verschließen vermögen, die binnenwirtschaftliche Stabilität werde durch außenwirtschaftliche Einflüsse gefährdet. Die vom Sachverständigenrat vorgeschlagenen autonomen Lösungsmöglichkeiten bergen — abgesehen von juristischen Hindernissen — jedoch schwer überschaubare Risiken in sich. An erster Stelle steht dabei die heute schon einmal ausgesprochene Befürchtung, die Exporterfolge der deutschen Wirtschaft könnten darunter leiden. Die Abneigung gegenüber einer Verminderung der Währungsparitäten resultiert letztlich aus der Tatsache, daß derartige Operationen die Handelsströme oft auf lange Zeit erheblich beeinträchtigen, ja sogar auf die Dauer umlenken können. Aus diesem Grund hat der Wirtschaftsausschuß die im Entwurf des Stabilitätsgesetzes vorgesehene Möglichkeit einer Senkung der Sätze der Umsatzausgleichsteuer und der Ausfuhrvergütung — ein Instrument, das man als partiell und zeitlich begrenzten Aufwertungsersatz ansehen könnte — gestrichen. Die importierte Inflation ist im übrigen nicht das wirtschaftspolitische Problem des Jahres 1967. Auf längere Sicht — vielleicht schon im nächsten Jahr — wird uns allerdings diese Frage immer wieder beschäftigen. Die Wechselbeziehungen zwischen den Wirkungen des internationalen Preiszusammenhangs und den monetären Folgen eines strukurellen Zahlungsbilanzüberschusses einerseits und dem Auslastungsgrad der binnenwirtschaftlichen Produktionskapazitäten andererseits bedürfen im übrigen noch weiterer quantitativer Untersuchungen. Vorerst bleibt nur ein Ausweg, um den Gleichschritt der westlichen Industriestaaten in die Inflation zu bremsen bzw. zu stoppen, nämlich sich verstärkt um eine internationale Koordinierung der nationalen Wirtschafts- und Finanzpolitik der einzelnen Staaten zu bemühen. Gewisse Möglichkeiten bietet dazu das Europäische Währungsabkommen sowie Art. 107 des EWG-Vertrages und last not least die ökonomische Vernunft und das wohlverstandene gemeinsame Interesse an einer gesunden internationalen Finanzordnung. Anlage 4 Schriftliche Erklärung des Abgeordneten Stein (Honrath) (CDU/CSU) zu Punkt 4 'der Tagesordnung. Ich möchte mich nicht mit dem Inhalt des Dritten Jahresgutachtens und des Sondergutachtens unseres Sachverständigenrates befassen. Kritik und Zustimmung sind zu diesem Inhalt geäußert worden, zu dem Sondergutachten fast nur Kritik, in der Öffentlichkeit noch mehr als hier. Ich habe das bewußt anderen überlassen und will mich mit einer anderen, wie mir scheint, ebenfalls sehr wichtigen Frage beschäftigen, einer Frage, die die Gutachten aufwerfen und von anderen schon kurz gestreift wurden. Dieses Hauptgutachten, das wir diskutieren, ist das dritte, das Sondergutachten das erste seiner Art. Im August 1963 wurde durch das Gesetz, das dem ganzen Vorgang zugrunde liegt, der Auftrag gegeben, Untersuchungen über die Ausgewogenheit unserer wirtschaftlichen Entwicklung mit Hilfe eines unabhängigen Sachverständigengremiums vorzunehmen. Die beiden heutigen Gutachten sollten meines Erachtens Anlaß sein, uns unsererseits zu prüfen, ob wir mit dieser Art und Form der Gutachten, an die wir uns sozusagen schon gewähnt haben, auf dem richtigen Wege sind. Ist es das, was wir wollen und erhofft haben? Mit anderen Worten: Haben sich das Gesetz und seine Absicht 5004 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 106. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. April 1967 mit diesem Gutachten bewährt, oder sollten wir etwas andere Wege beschreiten? Wenn ja, welche? Ich denke, daß man diese Frage in aller Ruhe aufwerfen und daß man allmählich mit dieser Diskussion beginnen kann. Diese Diskussion müßten zunächst wir in diesem Hause führen. Denn wir sind zunächst die Empfänger der Gutachten, wie wir auch die Initiatoren des Gesetzes gewesen sind. Die Bundesregierung gibt zwar eine Stellungnahme dazu ab, sie ist aber vielleicht nicht so frei in ihrer Äußerung zur Frage des Gelingens des gesetzlichen Auftrages und zu den Verfahrensfragen der Gutachten. Die Regierung könnte in den Verdacht kommen, sich mit grundsätzlichen Änderungen oder Ausgestaltungsvorschlägen einen unbequemen Aufpasser oder Kritiker vom Halse schaffen oder ihn an die Kette legen zu wollen. Vielleicht auch umgekehrt. Deshalb sollte ,der Bundestag, sollte das Parlament diesen ersten Saldo der Betrachtung der bisher gewählten Form !der Untersuchungsmethode ziehen und die Frage der Verbesserungserfordernisse und Verbesserungsmöglichkeiten sich selbst stellen. Eine kleine Vorbemerkung! In Deutschland, aber auch anderwärts, gerät man leicht in den Geruch, geistig etwas minderbemittelt zu sein, wenn man den Spruch von Weisen nicht sozusagen auf den Knien entgegennimmt. Wird diese Ergebenheit, so frage ich, als Preis dargebracht für die Unabhängigkeit, also dafür, daß die Männer im Elfenbeinturm den Kampf gegen Interessen und unsachliche Einflüsse gewagt oder sich um weisungsfreie Beurteilung bemüht haben? Es lohnt sich, über diese Frage, deren Beantwortung über unsere Gesellschaft viel aussagen würde, nachzudenken. Der allgemeine Gutachter ist in Deutschland leider stark abgewertet. Im Volksmund, jedenfalls im qualifizierteren, sagt man, nicht ganz zu Unrecht, daß man für alles und jedes, für alle nur denkbaren Ansichten zu einer Sache einen Gutachter haben kann. Wir kennen ja alle die Prozesse, deren Akten mit vielen einander widersprechenden Gutachten angefüllt sind. Wenn ich das sage, so will ich damit unterstreichen, daß die Unabhängigkeit eines Gutachters in der Tat nach der Überzeugung vieler mit besonderen Kautelen hergestellt werden muß. Es muß eine staubfreie Atmosphäre gesichert sein. Ich bekenne mich jedenfalls ganz grundsätzlich zu der Auffassung, daß das unabhängige Gutachten in Deutschland einen hohen Rang anstreben und erhalten muß und daß die Gutachter ihre Ehre in die völlig unabhängige Begutachtung setzen müssen. Weisungsfrei und unabhängig heißt aber nicht, daß ein Gutachten sozusagen im luftleeren Raum gestaltet werden müsse. Je elfenbeinerner ein Gutachten ist, um so luftleerer ist es aber. Nun garantiert in unserem Falle des gesamtwirtschaftlichen Sachverständigenrates die Persönlichkeit der Gutachter, die sich in ihren Kreisen und gegenüber der Öffentlichkeit ja auch wieder über ihre Thesen auseinanderzusetzen haben, für die lebensvolle Komprimierung des Stoffes und für eine gewisse Bodennähe der Betrachtung. Aber dieser Status, den wir den Gutachtern zugewiesen haben, reicht nach meiner Ansicht nicht aus, blut- und lebensvolle Gutachten sozusagen von der Methode her sicherzustellen. Wir befinden uns mit unserem Untersuchungsauftrag nicht in der Justiz oder einem sonstigen Bereich, bei dem es um die abstrakte und theoretische Frage des Falsch oder Richtig geht, sondern in der Wirtschaft, einem Bereich also, bei dem letzten Endes nur das konkrete Ergebnis interessiert, die Frage, ob diese konkrete Vorstellung mit Hilfe der vorausgeschickten Daten auch wirklich überzeugt. Ich habe oft die Meinung gehört, daß der Auftrag an den Sachverständigenrat an sich utopisch sei, weil dieser Auftrag sich in einem theoretischen Idealbild, nämlich der Stabilität des Preisniveaus, einem hohen Beschäftigungsstand, dem außenwirtschaftlichen Gleichgewicht bei stetigem und angemessenem Wachstum zu vollziehen habe und die Einzeluntersuchungen dieser Zielsetzung zu dienen hätten. Nun gut, Gesetze können sich ideale und vielleicht unerreichbare Ziele setzen. Aber wir hier sind leider auf die Realitäten der vier Ideale angewiesen. Wir können zwar anordnen, daß die Vorstellungen der Sachverständigen keine Empfehlungen sein sollen. Aber alle Welt faßt sie als solche auf, besonders wenn sie — wie z. B. dieses unglückliche Ergänzungsgutachten — wenig Alternativen haben und wenn die Presse von den Gutachten als dem volkswirtschaftlichen Gewissen der Nation spricht. Die Vorstellungen der Sachverständigen, hoch in den Raum gestellt, sind dann natürlich die Basis für politische Attacken und Alibis, obwohl irgendeine Bewährung dieser Vorstellungen im politischen Raum nicht stattgefunden hat, die Regierung vielmehr sofort in der Rolle des Angeklagten ist. Ja, das Gutachten selbst kann sofort Angreiferin sein. Wer will das für die Vergangenheit der 31/2 Gutachten bestreiten? Es kann aktiv in eine ganz bestimmte Richtung wirken, statt nur Möglichkeiten für die eine oder andere Handhabung aufzuzeigen. Die Gefahr dieser unabhängigen, also wertfreien und unpolitischen, aber politisch höchst wirksamen, eindeutig als Empfehlung wirkenden Nichtempfehlung ist groß, sehr groß. Wir haben sie bisher gebändigt, aber das muß nicht immer so sein. Ich habe 'sogar den Eindruck, daß das von Jahr zu Jahr schwieriger wird. Die Wirtschaft darf nach meiner Auffassung nicht in dieser Weise nur den Sachverständigen zu einem so hohen und unmittelbaren Einfluß überlassen werden. Der Sachverständigenrat soll in diesem Gutachten darstellen, die Situation darstellen, aber nicht an Hand eines Bildes, das sich an Idealen und nicht ganz realistischen Generalklauseln orientiert. Nur eine einzige der vier von mir vorhin genannten Komponenten braucht, aus welchen Gründen auch immer, nicht realistisch zu sein, dann ist das ganze Bild schief. Hier scheint mir ein wesentlicher Mangel unseres Gesetzes zu liegen. Ein zweiter Mangel hängt damit zusammen und scheint mir darin zu liegen, daß der Sachverständigenrat personell ergänzt oder etwas anders zusammengesetzt werden muß. Meines Erachtens müßte mindestens ein von Berufs wegen sicherer Kenner der politischen Zusammenhänge in das Gremium herein. Außerdem müßten die Mitglieder des Sachverständigenrates einen Status haben, der es ihnen zur Pflicht macht, die Valuta ihres Gut- Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 106. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. April 1967 5005 achtens mit einer voll funktionierenden Methode zu erreichen. Was verstehe ich hierunter? Betrachten wir einmal mit einem kurzen Streiflicht die bisherigen 31/2 Gutachten. Leider ist ja unsere Gegenwart so schrecklich vergeßlich. Was wäre geschehen, wenn wir den Vorstellungen der zurückliegenden Gutachten gefolgt wären? Was würde geschehen, wenn wir das vorliegende dritte und das Sondergutachten unter Hinnahme der Korrekturen zur Grundlage unserer Entscheidung machen würden? Sicher gibt es überzeugte, positive Beurteiler. Auf diese Frage des Falsch oder Richtig kommt es mir aber — wie gesagt — in diesem Zusammenhang gar nicht an, sondern darauf, daß in der Beurteilung und in den Vorschlägen des Sachverständigenrates zu wichtigen Problemen nach der Ansicht einer sehr großen Zahl von anderen Sachverständigen deutlich Fehlbetrachtungen vorliegen und einzelne vorgeschlagene Ziele auf den erörterten Wegen nicht erreicht werden können. Anders gesagt, daß die etwa in der Richtung des Gutachtens eingeleiteten Maßnahmen weder auf einer zuverlässigen sachlichen noch politischen Basis aufgebaut und realisiert werden können. Ich meine, daß die Gutachten und die Gutachter durch diese Situation in die Gefahr einer allmählichen und längst aktuellen Entwertung geraten. Die freundlichen Bemerkungen der Bundesregierung in der Einleitung ihrer Stellungnahme zum dritten Gutachten können darüber nicht hinwegtäuschen. Mein heutiges Thema ist, wie es dazu kommt und wie wir diese Devaluierung vermeiden, einer weiteren Abwertung vorbeugen können. In dieser ersten Diskussion hierüber ist das Ganze mit wenigen Sätzen darzustellen. Wir brauchen nur einmal die Gutachten ganz klar ins Auge zu fassen. Sie bestehen aus zugrunde gelegten Daten, allgemeinen oder speziellen Prämissen und Aspekten sowie einer Analyse, das Sondergutachten ferner aus Korrekturen. Die Gutachter setzen sich vor den Gutachten in freier Weise mit diesen oder jenen Stellen, sicherlich allen sachlich zu einem Beitrag berufenen, in Verbindung und informieren sich. Wir alle sind gehalten, sie in ihrer Arbeit zu unterstützen, und tun das gern. Welche Ansichten die Gutachter mitbringen, sei es zur Diagnose oder zur Therapie, erfahren wir nicht oder nicht unbedingt, jedenfalls nicht in einer verbindlich geregelten Form. Oft oder wohl meist spricht auch nur einer der Gutachter mit diesem oder jenem Bedarfsträger oder verantwortlichem Gremium. Soweit nicht das Statistische Bundesamt eingeschaltet ist, werden die Daten wohl auch nicht verbindlich abgestimmt, die Prämissen und Aspekte bleiben auf beiden Seiten, also sowohl bei den befragten Gebern als den nehmenden Sachverständigen, etwas im angenehmen Dunkel; es wird ja auch aus Gründen, die man menschlich verstehen kann, mit allerlei Vorsicht gearbeitet. Die nachfolgende Analyse — das haben wir ja nun schon mehrfach und mit steigender Intensität erlebt — hebt sich dann leicht wie von selbst etwas vom Boden und kann in dieser oder jener Einzelfrage, wie wir gehört haben, sogar in eine bedenkliche Höhe geraten, eine Erscheinung, an die wir uns im Bereich der theoretischen Wirtschaftspolitik beinahe schon gewöhnt haben, die aber wegen der Neigung des deutschen Charakters, den Politikern zu mißtrauen, den Gutachtern zu vertrauen, auch nicht völlig ungefährlich ist. Nach meiner Ansicht muß sich das Gutachtergremium, müssen sich die grundlegenden Ausgangspunkte und die entwickelten Vorstellungen zunächst dem politischen Raum im weitesten Sinn stellen, bevor sie mit dieser Feierlichkeit verkündet, der Regierung übermittelt und von dieser an uns weitergegeben werden. Wir wollen, daß gutachtliche Meinungen nicht nur richtig und von den sonstigen Qualitätsgutachten in Deutschland, soweit wie möglich, gleich mitgetragen werden, sondern daß diese Gedankengänge auch politisch und praktisch realisierungsfähig erscheinen. Ich kann diesen Punkt nicht deutlich genug unterstreichen. Er bedeutet nicht, daß die Gutachter nur erörtern sollen, was auch Aussicht hat, vollzogen zu werden. Welcher Irrtum wäre das! Er bedeutet vielmehr, daß der Sachverständigenrat unter Einsatz seiner eigenen, wenn auch zunächst nur vorläufigen Ansicht mit allen in Betracht kommenden Stellen in einem nicht allzu streng, aber in diesem Punkt klar geregelten Verfahren sprechen muß und daß er seine Prämissen, Aspekte und Analysen in voller Kenntnis der sachlichen und politischen Auffassungen und Pläne, die zu seinem Aufgabenbereich gehören, darzulegen hat. Das Material dieser Vorauseinandersetzung könnte in übersichtlicher Form dem Jahresgutachten beigefügt werden. Zur Veranschaulichung dieses Änderungsbedürfnisses unseres Gesetzes kann man natürlich mehrere sehr aktuelle Beispiele wählen. Das Sondergutachten allein rechtfertigt die ganze Skala der Kritik an der jetzigen Praxis der Gutachtenerstattung: Der gesetzliche Auftrag ist nichtvoll eingehalten, wenig Alternativen sind aufgezeigt, die Vorschläge wirken klar als Empfehlung, über die Stellungnahme wichtiger Partner, z. B. des Außenhandelsbeirats, ist man hinweggegangen, der Vollzug des Eventualhaushaltes ist nicht ganz zutreffend beurteilt, und zu manchen Einzelfragen fehlt eben die Mitteilung der Stellungnahme der Hauptbeteiligten und anderes mehr. Diese Gesprächspartner sind nämlich die Träger unser marktwirtschaftlichen Ordnung. Diese Träger und ihre Ansichten hat das Gutachten neben den sonstigen Begebenheiten und Bindungen nationaler und internationaler Art mit einzubeziehen und zu würdigen. Wenn z. B. ein wesentlicher Teil dieser Partner, selbstverständlich mit guten Gründen, die Erwägung des Sachverständigenrates ablehnt oder als politisch undurchführbar bezeichnet, ist das ein Faktum im Bewußtsein dessen, daß die Vorschläge des Gutachtens lebensvoll und politisch durchblutet sein müssen; sonst haben sie nur wissenschaftlichen Wert. Ich meine, daß wir nur bei Beachtung dieses Grundsatzes den Gutachtern den Status sichern können, der unserer Hoffnung auf die Nützlichkeit und den nationalen und gesamtwirtschaftlichen Wert ihrer Gutachten entspricht. 5006 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 106. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. April 1967 Unser Gesetz muß ergänzt werden. Das dritte Gutachten und das Sondergutachten zeigen dies mit einer mehr als ausreichenden Deutlichkeit. Das ist meine Ansicht und die vieler meiner Freunde. Die Änderung kann mit einigen wenigen Pinselstrichen geschehen, die die Geborgenheit des Gutachtens im gesamten politischen Raum, die Anlehnung an die tragenden Kräfte unserer Gesellschaft garantieren, und wird uns schnell zu der gewünschten Form der Gutachten weitrhelfen. Ich verrate wohl auch kein Geheimnis, wenn ich sage, daß die wissenschaftlichen Gutachter selber im In- und Ausland sich über wesentliche Grundlagen solcher gutachtlicher wirtschafts-wissenschaftlicher Aussagen im Streit oder nicht in Übereinstimmung befinden. Einzelne meinen z. B., daß zwischen Analysen und Empfehlungen sowie zwischen Gutachten und politischen Entscheidungen nicht getrennt werden könne. Andere meinen, daß die Gutachter auch über Mittel zur wirksamen Durchführung ihrer Gedanken verfügen müßten usw. Jedes Land kann das natürlich halten, wie es will. Was wir wollen, ist jedenfalls, daß die Gutachter die anstehenden Probleme herausstellen und begutachten, wobei es natürlich in erster Linie und gerade auf diejenigen Erscheinungen ankommt, die außerhalb des normalen oder vermuteten Konjunkturablaufes liegen. Die Gutachter müssen dabei auf wissenschaftlich verläßlichem Boden bleiben und allzu kontroverse Theorien vermeiden. Sie sollen aber ihr Votum vertreten, und zwar so, daß die Regierung, die die Richtigkeit und Zweckmäßigkeit des Gutachtens zu prüfen und die anschließend nach ihrem politischen Auftrag zu handeln hat, die in dem Gutachten geäußersten Auffassungen nach ihrer Durchführbarkeit beurteilen kann. Was diese Auffassungen nun angeht, so hat ein sehr angesehenes Mitglied dieses Hauses in diesen Tagen höchst lapidar festgestellt, es sei reiner Aberglaube, daß Wissenschaftler allgemein bessere Ideen hätten als Politiker. Wir wollten diese Frage schon aus Höflichkeit gegenüber der Wissenschaft offenlassen, jedenfalls aber nicht vom Gegenteil ausgehen. Die Devise müßte lauten: noch lebensvoller, noch realistischer, noch praxisgerechter. Die Wissenschaft braucht dabei insbesondere in den Präliminarien nicht zu kurz zu kommen. Ich breite diese Gedanken hier einmal aus in voller Sorge, daß eine Sache, die ich persönlich zwar für politisch unzweckmäßig gehalten habe, die wir aber so gut wie möglich zu gestalten haben, an Überzeugungsfähigkeit und Bodennähe noch mehr verliert, wenn wir ihr nicht zu Hilfe kommen. Letzten Endes sind Sachverständigengutachten soviel wert, wie sie sich mit ihren Hauptgedanken als durchsetzbar erweisen. Mein Vorschlag ist, in Zusammenarbeit mit dem Herrn Bundeswirtschaftsminister im Wirtschaftsausschuß dieses Hauses die Frage der künftigen Methode der kommenden Gutachten grundsätzlich zu diskutieren. Wir sind ja in der glücklichen Lage, daß die jetzige Koalition eine solche Diskussion ohne politische Hektik und die Gefahr allzu kurzsichtiger Betrachtungsweise ermöglicht. Anlage 5 Schriftliche Antwort des Parlamentarischen Staatssekretärs Adorno vom 27. April 1967 auf die Mündlichen Anfragen des Abgeordneten Hübner (Drucksache V/1634 Fragen 69, 70 und 71) : Ist daran gedacht, die durch den Einsatz von einer elektronischen Großrechenanlage beim Übersetzerdienst der Bundeswehr erzielten Arbeitsvereinfachungen auch der interessierten Öffentlichkeit in der Weise nutzbar zu machen, daß sie gegen eine Gebühr die damit gegebenen Möglichkeiten nutzen kann? Bestehen Pläne, die beim Übersetzerdienst der Bundeswehr durch den Einsatz einer elektronischen Großrechenanlage möglichen Arbeitsvereinfachungen auch für die fremdsprachliche Arbeit anderer Ressorts zu nutzen? Bestehen Pläne zur Gründung eines zentralen Bundessprachenamtes zur Koordinierung und zentralen Finanzierung der Arbeit an wichtigen sprachlichen Problemen, zum Beispiel der Einsatzmöglichkeiten von Großrechenanlagen oder der Koordinierung terminologischer Vorhaben, um so Doppelarbeit zu vermeiden? Es ist in der Tat daran gedacht, die beim Übersetzerdienst der Bundeswehr erarbeiteten Verfahren der maschinellen Übersetzungshilfe und Lexikographie unter Verwendung einer elektronischen Datenverarbeitungsanlage für interessierte Kreise von Wirtschaft, Wissenschaft und Forschung nutzbar zu machen. Ein Erlaß . an den Übersetzerdienst, in dem die Modalitäten der Überlassung von Arbeitsergebnissen dieser Art an Stellen außerhalb der Bundeswehr geregelt werden, steht vor der Herausgabe. Was für die interessierten Stellen von Wirtschaft, Wissenschaft und Forschung gilt, gilt erst recht für die übrigen Bundesverwaltungen. Die anderen Bundesressorts können sich bereits heute für ihre fremdsprachliche Arbeit im Wege der Amtshilfe der Möglichkeiten bedienen, die im Sprachendienst der Bundeswehr und speziell beim Übersetzerdienst der Bundeswehr durch den Einsatz einer elektronischen Großrechenanlage für linguistische Zwecke zur Verfügung stehen. Es ist beabsichtigt, die interministerielle Zusammenarbeit auf diesem Gebiet durch Vereinheitlichung der Verfahren der Terminologiearbeit und durch Einspeisung möglichst aller terminologisch-lexikographischen Arbeitsergebnisse in den Zentralspeicher zum Nutzen sämtlicher Beteiligten zu rationalisieren und zu intensivieren. Es ist vorgesehen, die Sprachenschule der Bundeswehr, den Übersetzerdienst der Bundeswehr und einige Arbeitsgebiete des Sprachenreferats des Verteidigungsministeriums zu einem Sprachenamt zusammenzufassen. Da die linguistischen Disziplinen Übersetzen, Sprachunterricht und sprachwissenschaftliche Arbeit wechselseitig eng verzahnt sind, garantiert erst eine organisatorische und räumliche Zusammenfassung den größtmöglichen Arbeitserfolg. Erst nach dieser Zusammenfassung werden alle Möglichkeiten ausgeschöpft werden können, die in Gestalt moderner technischer Hilfsmittel und moderner Verfahren der angewandten Linguistik heute zu Gebote stehen. Das Sprachenamt soll als Bundesoberbehörde im Geschäftsbereich des Verteidigungsressorts konstituiert werden. Es soll zu etwa 20-25 % seiner Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 106. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. April 1967 5007 Kapazität den übrigen Bundesverwaltungen zur Verfügung stehen. Es wird gem. einer Vereinbarung mit dem federführenden Bundesministerium des Innern die Bezeichnung „Bundessprachenamt" führen. Ein Grundstück für das Bundessprachenamt steht in Hürth bei Köln zur Verfügung. Die Bauplanung ist in etwa abgeschlossen. Angesichts der absolut unzureichenden derzeitigen Unterbringung der Sprachenschule der Bundeswehr kann der Baubeginn nicht mehr länger hinausgeschoben werden. Die Lösung dieser Frage steht aber unter dem Zwang, den ein eingeschränkter Haushalt auferlegt. Die Vorstellungen über die Finanzierung bestimmter, über den Verteidigungsbereich hinausgreifender Aufgabenkomplexe des Amtes bedürfen noch der weiteren interministeriellen Abstimmung.
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Dr. William Borm


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich begrüße es, daß die Politik, wie der Kollege Schmidt gesagt hat, hier im Plenum stattfindet und nicht hinter verschlossenen Türen. Was aber den „alten Hut" betrifft, so sind wir leider nicht im Besitz der Produktionsziffern der neuen Hüte, und deswegen müssen Sie uns schon gestatten, wenn wir ab und an, um nicht bloß dazustehen, auch mal einen alten Hut aufsetzen.
    Immerhin begrüße ich es, daß die heutige Debatte in einer solchen Breite geführt wird, mit einer solchen Aufmerksamkeit verfolgt wird, wie sie der Bedeutung dieses Problems entspricht. Es geht nämlich um ein Problem, das von weltweiter Bedeutung ist; es geht um die Frage, wie ein Konflikt vermieden werden kann, wie der Friede gesichert werden kann, und es geht um den Versuch, die Menschheit zunächst nicht weiter der drohenden Anwendung von Atomwaffen auszusetzen, und es geht in der Endzielsetzung um den Versuch, durch Vernichtung des Waffensystems die Bedrohung völlig auszuschalten.
    Zwei Verträge sind vorhergegangen: einer über den Atomstopp vom 5. August 1963 und neuerdings am 14. Februar 1967 die regional begrenzte Übereinkunft, mindestens in Lateinamerika keine Atomwaffen einzusetzen. Wir wären glücklich, wenn diese Dinge weltweit zum Tragen kämen. Europa — und in ihm das getrennte deutsche Volk in seinen beiden Teilgebieten — hat in diesem Bestreben, den Frieden zu sichern und die Gefahren durch die Atombombe auszuschalten, eine bedeutende Funktion zu erfüllen. Meine Fraktion will durch den Antrag zur atomaren Rüstung und zur friedlichen Nutzung der Atomenergie mehrere Ziele, die uns wichtig zu sein scheinen, deutlich machen. Sie will auch an dieser Stelle noch einmal eindeutig die Erklärung der Bundesregierung herbeiführen, daß wir weder den Besitz noch den Mitbesitz von atomaren Waffen anstreben, und es soll deutlich gemacht werden, daß gerade dieses Nichtstreben nach atomarem Besitz auch in Zukunft die Grundlage



    Borm
    der politischen Entscheidung der Bundesregierung sein wird.
    Meine Fraktion will ferner erreichen, daß sich die Bundesregierung zum Fürsprecher der weltweiten Bestrebungen macht, zunächst einmal ein Herstellungsverbot weiterer Atomwaffen zu erreichen und danach schrittweise das bestehende Atomwaffenpotential zu vernichten. Meine Fraktion erkennt sehr genau, daß mit dem Fortgang der technischen Entwicklung die Gefahr und die Möglichkeit wachsen, daß die Atomenergie, die friedlichen Zwecken zu dienen hat, zu militärischen Zwecken mißbraucht werden kann. Trotz dieser Gefahr — das ist ein Problem und vielleicht d a s Problem — muß die Teilhabe aller nicht Atomwaffen besitzenden Mächte an der friedlichen, den Fortschritt der Menschheit fördernden Nutzung der Atomenergie gewährleistet bleiben.
    Meine Fraktion will, daß die Bundesregierung für eine Übergangszeit in Erfüllung ihrer Verantwortung, die Substanz des ganzen deutschen Volkes zu erhalten — das ist wohl die Aufgabe der Bundesregierung in erster Linie —, ein Vetorecht innerhalb des NATO-Bündnisses gegen den Einsatz von Atombomben von deutschem Boden aus und gegen deutschen Boden erreicht. Diese Zielsetzung scheint meiner Fraktion unter den gegebenen Umständen real erreichbar zu sein. Wir wären deshalb dankbar, wenn die Bundesregierung unsere Anregungen aufgreifen würde und in der Frage der atomaren Rüstung ihre Politik entsprechend gestalten könnte.
    Ich spreche, meine Damen und Herren, von der Zielsetzung. Der von den USA und der Sowjetunion gemeinsam angestrebte Vertrag über die Nichtweitergabe von Atomwaffen kann nach unserer Ansicht nur dann sinnvoll sein, wenn er folgendes beinhaltet:
    a) Der Vertrag muß ein erster Schritt auf dem Wege zur weltweiten und völligen atomaren Abrüstung sein, auch bei denjenigen Staaten, die heute noch im Besitz von Atomwaffen sind.
    b) Der Vertrag kann zunächst nichts weiter sicherstellen, als daß der Kreis der Atomwaffen besitzenden Mächte sich nicht vergrößert, weder durch eigene Entwicklung von Atomwaffen noch durch deren Bezug. Um einen Mißbrauch der Kernenergie auszuschalten, scheint auch uns ein geeignetes Kontrollsystem notwendig zu sein, wobei Art und Umfang der Kontrolle ausschließen müssen, daß mit dieser notwendigen Kontrolle Mißbrauch getrieben wird.
    Die praktische Durchführung setzt eine Reihe von Maßnahmen voraus, zu deren Durchsetzung die Bundesrepublik ihren vollwertigen Beitrag leisten sollte. Gerade die Bundesrepublik, aber auch der unfreie Teil des deutschen Volkes befinden sich gegenüber den anderen Nationen immer noch in einer Sonderlage. Die Welt hat das Fehlverhalten Deutschlands in der jüngsten Vergangenheit noch nicht vergessen. Wir müssen zugestehen, daß die Furcht vor einer Wiederholung eines derartigen Fehlverhaltens bei manchen Völkern durchaus legitim ist, wenn wir uns auch völlig darüber klar sind, daß diese Furcht oftmals nur ein willkommener Vorwand und ein stets bereites Mittel ist, das deutsche Volk unter moralischen Druck zu setzen und durch diesen Druck fragwürdige eigene politische Vorteile zu erlangen. Wir mögen dies bedauern und wir mögen dies für unbegründet halten, ein politischer Faktor ist und bleibt es dennoch.
    Unter diesen Umständen fragen wir uns, ob es denn nötig war, daß gerade die Bundesrepublik sich zum Wortführer aller jener aufgeworfen hat, mit denen uns das gleiche Interesse verbindet. Zurückhaltung wäre hier sicherlich am Platz gewesen und hätte unseren politischen Widersachern, wo immer sie beheimatet sein mögen, nicht einen weiteren billigen Vorwand gegen uns bieten können.
    Wir begrüßen es, daß die Fraktionen der Koalition durch ihre Große Anfrage ihren Beitrag zur notwendigen Diskussion über den Atomwaffensperrvertrag leisten wollen. Das sollte Gelegenheit bieten, darzutun, daß alle drei Fraktionen des Deutschen Bundestages sich gemeinsam verpflichtet fühlen, an Stelle des labilen und etwas makabren Patt stabile Verhältnisse in der Welt anzustreben. Sicherlich sind wir alle der Meinung, daß das im Endzustand nur dann erreichbar ist, wenn die völlige Abrüstung auf atomarem Gebiet Wirklichket geworden ist. Bis dahin ist es aber noch ein weiter Weg. Wir müssen uns eben damit abfinden, daß dieser Weg nur schrittweise zurückgelegt werden kann. Sicherlich wird es auch sehr viele Auffassungsunterschiede über die Dinge geben. Es dürfte notwendig sein, gerade in dieser lebenswichtigen Frage zu einer tragbaren und geeigneten Übereinstimmung zu gelangen.
    Nun hat es die Bundesregierung für richtig gehalten, ihren Beauftragten, den Botschafter Schnippenkötter, zu eingehenden Konsultationen nur in die USA zu entsenden. Wir wissen nicht, mit welchen Ergebnissen er zurückgekehrt ist. Aber wir können nicht umhin, unser Bedauern darüber auszudrücken, daß die Bundesregierung ihre Konsultationen nur mit den USA geführt hat. Die USA sind nur eine der beiden atombesitzenden Weltmächte. Wenn die Bundesrepublik einen wirklichen Beitrag zur Friedenssicherung leisten will, so wird sie nicht umhin können, im Einvernehmen mit unseren Verbündeten Konsultationen auch mit Moskau durchzuführen. Durch derartige Besprechungen wird nicht nur das Bestreben Moskaus stark behindert, die Bundesrepublik zum Prügelknaben für alle Zukunft zu machen und zu diffamieren. Es wird vielmehr das Gespräch versachlicht, und die Position, welche die Bundesrepublik als Förderer der atomaren Abrüstung einnehmen sollte, wird hinsichtlich ihrer Möglichkeiten und Methoden dadurch leichter überschaubar.
    Nun gibt es eine Fülle von Unsicherheiten, die heute in ihren Auswirkungen durchaus noch nicht übersehbar sind. Diese Unsicherheiten bestehen derzeit darin, daß zwei Atommächte, nämlich Frankreich und China, bisher noch jede Beteiligung an dem angestrebten Vertragswerk ablehnen. Dieses Vertragswerk kann aber nur dann wirksam wer-



    Borm
    den, wenn ausnahmslos alle Staaten der Welt ohne Vorbehalte und ohne Hintergedanken an seiner Verwirklichung mitarbeiten.
    Eine weitere Unsicherheit besteht darin, daß die technische Entwicklung nicht im voraus überschaubar ist. Die angestrebten Kontrollen basieren auf den heutigen technischen Gegebenheiten. Wir wissen, daß diese Gegebenheiten wandelbar sind und daß andere Voraussetzungen eintreten können. Dadurch müßten zwangsläufig Art und Umfang der Kontrollen geändert werden, und das führt zu Auseinandersetzungen über die Auslegung des erstrebten Vertragswerks, löst endlose Streitigkeiten aus, und die Wirksamkeit des Vertrages könnte dadurch hinfällig gemacht werden.
    Ferner wissen wir nicht, ob das jetzige Verhältnis der beiden atomaren Weltmächte zueinander für alle Zukunft gleichbleiben wird. Es kann sehr wohl der Zustand eintreten, daß sich eine der beiden Weltmächte einseitige Vorteile unter gegebenen Umständen für sich ausrechnet, so daß der heutige Gleichklang der Interessen nicht mehr besteht, der darauf beruht, daß die beiden Mächte einen atomaren Konflikt aus Selbsterhaltungsgründen vorrangig zu vermeiden wünschen.
    Endlich darf nicht übersehen werden, daß die über hundert Staaten, die als mögliche Mitunterzeichner in Frage kommen, ebensoviel eigene Interessen vertreten, so daß es unmöglich ist, in dem abzuschließenden Vertragswerk all diesen verschiedenen Ansichten voll gerecht zu werden.
    Unter den gegebenen Umständen erscheint es unmöglich, alle Eventualitäten auch nur zu registrieren, geschweige denn, sie perfektionistisch und vorausschauend zu regeln. Das Vertragswerk muß seiner Natur nach pragmatisch sein. Seine Bestimmungen müssen flexibel sein. Sie dürfen niemandem einseitige Verpflichtungen auf die Dauer auferlegen, und dieses Vertragswerk muß unter gewissen Bedingungen revisibel sein.
    So sehr wir bereit sind, jeden Verdacht auszuräumen, wir würden irgendwie durch die Hintertür atomaren Besitz oder Mitbesitz anstreben, so wenig können wir auf die Dauer hinnehmen, daß die Welt in atomare Habenichtse und atombesitzende Nationen eingeteilt bleibt. Da ein allseitiger Besitz von Atomwaffen schlechterdings indiskutabel ist, bleibt nur übrig, daß im Endziel die Atomwaffen überhaupt verschwinden. Die Aufgabe der Bundesrepublik sollte es sein, dieses Endziel nie aus den Augen zu verlieren und es im Einvernehmen mit den atomaren Habenichtsen — lassen Sie mich das so sagen — ständig anzusteuern.
    Die Lage unserer geteilten Nation legt es uns nahe, in diese Bestrebungen der Bundesrepublik auch den unfreien Teil unseres Volkes mit einzubeziehen. Hier wäre geradezu eine klassische Gelegenheit gegeben, in der praktischen Politik abseits jeder ideologischen Differenzen den gemeinsamen Willen aller Deutschen zur Sicherheit des Friedens auf der Welt zu dokumentieren. Es würde sich die Möglichkeit bieten, durch praktische Politik zu testen, ob und inwieweit es den Machthabern in der DDR ernst mit ihrer plakatierten Aussage ist, sie wollten stets und immer und überall nur den Frieden sichern.
    Nun stimmen beide Teile Deutschlands wenigstens in ihren Verlautbarungen darin überein, daß sie atomaren Besitz oder Mitbesitz nicht anstreben. Wenn dem aber 'so ist, so ist nicht einzusehen, warum dann auf deutschem Boden in beiden Teilen unseres geteilten Landes die jeweiligen Verbündeten atomare Waffendepots unterhalten. Ich glaube, daß es der Bundesrepublik nicht schlecht anstehen würde, wenn sie ihre Bestrebungen darauf richtete, daß auf ihrem Gebiet diese Depots so bald wie möglich verschwinden. Der DDR wiederum sollte daran gelegen sein, das gleiche bei ihrem Verbündeten, bei der Sowjetunion, zu erreichen. Die Sicherheit beider getrennten Teile würde dadurch keineswegs beeinträchtigt werden, schon deswegen nicht, weil beide atomaren Weltmächte daran interessiert sind, die Schwelle zum Einsatz der atomaren Waffen im Konfliktsfall möglichst hochzusetzen. Nicht nur in der politischen Optik würde Deutschland bei diesem vorgeschlagenen Bestreben eine gute Figur abgeben.
    Mir scheint hier ein Wort der Erwiderung zu den Ausführungen des Kollegen Dr. Birrenbach nötig zu sein. Er fragte uns, wie wir uns die Verteidigung der Bundesrepublik in Abwesenheit atomarer Waffen vorstellen. Er hält die Anwesenheit und die Einsatzmöglichkeit atomarer taktischer Waffen im Rahmen der NATO im Konfliktsfall geradezu für erforderlich. Er erblickt darin einen hohen Abschreckungseffekt. Dieser Meinung, Herr Kollege Dr. Birrenbach, sind wir allerdings ganz und gar nicht. Das beweist schon unser Vorschlag, Atomwaffen jeder Stärke aus ganz Deutschland abzuziehen. Uns scheint auch 'so etwas wie ein Mißtrauen gegen unsere amerikanischen Freunde daraus zu sprechen, wenn wir den Einsatz atomarer Waffen unter unserer Beteiligung verlangen.
    Wir glauben, daß die NATO eine Gemeinschaft von Staaten ist, die ihre gleichgelagerten Interessen gemeinsam verteidigen und gemeinsam wahren wollen. Entweder bleibt diese Prämisse gegeben — alle NATO-Partner sollten eine darauf gerichtete Politik betreiben —, dann wird jeder an seinem Platz gewissermaßen in einer Arbeitsteilung mit seinen Mitteln im notwendigen Umfang in Aktion treten; oder die Prämisse besteht nicht mehr, dann werden wir ohnehin den Einsatz atomarer Waffen mangels Eigenbesitzes nicht erreichen können. Diese nüchterne Überlegung lag auch den Ausführungen meines Kollegen Schultz zugrunde, als er sich Gedanken machte über eine eventuell notwendige Umgestaltung des deutschen Beitrages zur Verteidigung.
    Atomwaffen sind eben nicht nur ein militärisches Potential, sie sind in erster Linie — mindestens vor ihrem Einsatz — ein politisches Requisit. Ich betone, daß meine Fraktion eine deutsche Beteiligung am atomaren politischen Spiel ausgeschaltet wissen möchte, und dies beiderseits der Demarkationslinie.
    Ich weiß nicht, ob ich den Kollegen Dr. Birrenbach richtig verstanden habe, aber es schien uns



    Borm
    immer so, als ob die Skepsis das Beherrschende war. Ich will nicht direkt sagen, daß wir im wesentlichen das Nein heraushörten, aber wenn dies einhellig die Meinung der Kollegen in der CDU/CSU sein sollte, dann dürften die entsprechenden negativen Reaktionen aus dem Ausland sicherlich nicht ausbleiben.
    Meine Damen und Herren, noch ein Wort zu der beabsichtigten Praxis in der Kontrolle des Atomsperrvertrages. Sie wissen, daß die Ansichten darüber auseinandergehen, über welche Institutionen die Kontrolle durchzuführen sei, über die Internationale Atombehörde in Wien oder über das Instrument der sechs EWG-Staaten, Euratom. Unzweifelhaft ist Euratom nur für die EWG-Staaten zuständig, während die Wiener Behörde international umfassendere Aufgaben durchführen soll. Wir sollten auf die Mitbeteiligung der Euratom nicht verzichten. In der Erkenntnis aber, daß die Wirksamkeit von Euratom regional begrenzt ist, muß nach Wegen gesucht werden, die einen Ausgleich der Interessen anstreben. Wir sind von der Notwendigkeit der Kontrollen überzeugt. Über die Kontrollnotwendigkeit hinaus aber müssen wir uns dagegen verwahren, daß unsere technischen Erkenntnisse unter dem Vorwand, sie müßten kontrolliert werden, etwa ausgeforscht werden können.
    Meine Damen und Herren, die Schwierigkeiten, die der Lösung der atomaren Frage entgegenstehen, sind kaum überzubewerten. Wir sind hoffentlich alle darüber einig, daß ein Vertragswerk entstehen muß und daß dieses Vertragswerk nicht bereits durch seinen Inhalt den Todeskeim in sich tragen darf. Das Vertragswerk muß daher pragmatisch und nicht perfektionistisch sein.
    Die Welt ist nun einmal nicht statisch, sondern in stetem Wandel begriffen. Das heißt, in einer so schwierigen Materie kann am Anfang der Bemühungen nicht erwartet werden, daß durch ein wie immer geartetes Vertragswerk alle Fragen befriedigend gelöst werden können. Ich entsinne mich da eines russischen Sprichworts, das mir immer besonders beherzigenswert erschien; es heißt: „Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser." Danach sollten auch wir handeln. Wir sind bereit, unseren Freunden jedes Vertrauen entgegenzubringen. Aber ich möchte betonen, daß wir auch bei unseren Widersachern den guten Willen, ohne den Gegenbeweis geführt zu sehen, unterstellen wollen und sollten.
    Wir sollten aber nicht an ein unbefristetes Vertragswerk herangehen, das uns für alle Zeiten Fesseln auferlegen könnte. Wir sollten uns die Möglichkeit offenhalten, bei einer offenbar allseits negativen Entwicklung wieder freie Hände zu bekommen. Wir sind bereit, für eine bestimmte Zeit allen Maßnahmen, die erforderlich zu sein scheinen, zuzustimmen. Wir werden aber aufmerksam beobachten, was unsere Freunde und unsere Widersacher im letzten mit dem Vertragswerk anstreben. Wir wollen nicht, daß die Welt geteilt bleibt. Um diese Teilung zu überwinden, sind wir bereit, jeden geeigneten Weg mitzugehen, allerdings nicht bedingungslos für alle Zukunft.
    Wir glauben, daß die Bundesregierung angesichts der vielen Unsicherheitsfaktoren und angesichts der nicht überschaubaren künftigen Entwicklung es zur Bedingung machen sollte, nach einer Frist von etwa fünf Jahren eine Überprüfung des Vertrages verlangen zu dürfen. Je nach den gemachten Erfahrungen wird sich dann zeigen, ob das Vertragswerk dem zu erklärenden Willen der Unterzeichner gerecht wird, ob es geeignet ist, den Frieden zu sichern, oder ob es einseitige Vorteile zu Lasten anderer Vertragschließender ermöglicht.
    Deswegen glauben wir, daß die Bundesrepublik zu dem angestrebten Vertragswerk ja sagen sollte, daß sie aber ebenso darauf dringen sollte, dieses Vertragswerk revisibel zu machen.
    Nun haben wir heute die Antwort der Bundesregierung gehört. Auch wir sind der Meinung, daß es gut gewesen wäre, wenn die Regierung nicht nur durch den Antrag meiner Fraktion und durch die Fragen der beiden anderen Fraktionen genötigt worden wäre, aus ihrer Reserve herauszutreten; wir hätten es begrüßt, wenn uns die Bundesregierung bereits früher aus eigener Initiative über ihre Ansichten und über die Möglichkeiten ins Bild gesetzt hätte. Aber immerhin, wir haben trotzdem aufmerksam die Antwort der Bundesregierung gehört, die durch den Herrn Bundesaußenminister vorgetragen wurde. Wir begrüßen es, daß in wesentlichen Fragen eine Übereinstimmung mit uns festzustellen ist und daß die Grundlage, von der aus die Bundesregierung ihre Politik betreiben will, als Endziel auch ihrerseits die Abschaffung aller Atomwaffen vorsieht. Wir haben auch aufmerksam studiert, wo der Herr Bundesaußenminister etwas mehr in das Konkrete und in die Einzelheiten gegangen ist, und wir wünschen ihm in dem, was er vorgetragen hat, und in seiner Zielsetzung jeden Erfolg. Wir begrüßen das Bekenntnis zur Notwendigkeit, Rüstung — nicht nur atomarer Art, sondern jeder Art — zu begrenzen und zu kontrollieren, und wir teilen die Ansicht der Bundesregierung, daß durch den Atomsperrvertrag die Zukunft Deutschlands stark beeinflußt werden wird. Das macht äußerste Aufmerksamkeit und die Zusammenfassung aller Kräfte nötig.
    Zu begrüßen ist auch, daß die Bundesregierung sich der Bedeutung bewußt ist, die der Geltungsdauer des Vertrages zukommt. Es mag sein, daß die Bundesregierung manche Dinge in der Schwebe gelassen hat, weil sie glaubte, sich heute noch nicht abschließend äußern zu können. Ich möchte aber noch einmal darauf hinweisen, und zwar gerade im Hinblick auf die Äußerung der Bundesregierung, daß nach unserer Meinung ein wesentlicher Beitrag der Bundesrepublik geleistet werden kann, wenn sie sich nicht auf die Konsultation mit unseren Freunden und anderen Nationen, mit denen uns gleiche Interessen verbinden, beschränkt, sondern wenn auch das andere Lager mit konsultiert wird.
    Nicht ohne Bedenken allerdings verzeichnen wir, daß die Bundesregierung es zur Zeit nicht für zweckmäßig hält, ein besonderes Abkommen über die Produktion von Kernwaffen und die etappenweise Vernichtung des bestehenden Atompotentials vorzuschlagen. Die Bundesregierung hat uns für



    Borm
    diese ihre Haltung keine Begründung gegeben. Wir glauben aber unsererseits nach wie vor, daß auch jetzt bereits der Zeitpunkt gekommen ist, an dem die Bundesregierung zu erkennen geben sollte, daß die Vernichtung der Atomwaffen auch für sie der entscheidende Beitrag zur Friedenssicherung ist. Der Herr Bundesaußenminister sagte wörtlich: „Die Herstellung der Bombe ist heute weniger eine Frage des Wissens als des politischen Willens." Dem stimmen wir voll zu. Es genügt aber nicht, derartige Erkenntnisse zu gewinnen; es ist vielmehr erforderlich, auch danach zu handeln, und zwar nicht nur im Teilaspekt der Atomabrüstung, sondern generell in der täglichen politischen Praxis. Ich führte bereits aus, daß wir Deutsche eine schwere Hypothek abzutragen haben, und dies wird um so eher möglich sein, je weniger wir in unserer politischen Tagesarbeit im Zwielicht erscheinen.
    Neben der Sicherung des Friedens steht selbstverständlich für uns Deutsche gleichbedeutend auch die Frage unserer Sicherheit. Da diese militärisch unter den gegebenen Umständen nicht zu sichern ist, bedarf es einer glaubwürdigen, konsequenten Politik. In der Erklärung der Bundesregierung sehen wir ermutigende Ansätze. Wir werden aufmerksam beobachten, ob und inwieweit sich diese Erklärung in der politischen Praxis niederschlägt. Wir werden auch in diesem Falle — und die Opposition gibt uns nicht nur das Recht, sondern die Pflicht dazu — nach dem bewährten Grundsatz handeln: Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser.

    (Beifall bei der FDP.)



Rede von Erwin Schoettle
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Das Wort hat der Herr Bundesminister für wissenschaftliche Forschung.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dr. Gerhard Stoltenberg


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (None)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Auch in dieser Debatte sind, wie in den Erörterungen der letzten Monate, die Fragen der wirtschaftlichen Nutzung der Kernenergie und der Sicherung des wissenschaftlichen und technologischen Fortschritts von besonderer Bedeutung gewesen. Die Haltung der Bundesregierung und den Stand der Überlegungen und der Gespräche hat in großen Zügen die Regierungserklärung des Bundesaußenministers hier deutlich gemacht. Gerade hier haben, wie klar wurde, intensive Gespräche mit unseren Verbündeten und anderen Staaten doch ein wachsendes Verständnis für die Probleme und Sorgen erbracht, das Bemühen um sachgerechte Lösungen, die sich in diesem Bereich jetzt in den wesentlichen Fragen abzeichnen oder erreichbar erscheinen.
    In diesem Zusammenhang war eine entschiedene öffentliche Debatte in der Bundesrepublik notwendig; in diesem Zusammenhang konnten wir auf qualifizierte Beiträge der Wissenschaft, der Politik und der Publizistik nicht verzichten, um zunächst bei uns und dann auch bei den anderen deutlich zu machen, worum es wirklich ging. Ich sage das im Hinblick auch auf einige kritische Bemerkungen, die hier zu dieser Debatte gemacht wurden. Sicher, die Sorgen, die im Januar auf Grund neuerer Überlegungen anderer erstanden, mögen hier und da im einzelnen zu zugespitzten Äußerungen geführt haben, die auch den noch nicht klaren Stand der Information widerspiegelten. Sie haben aber auch zu Verharmlosungen geführt, und ich glaube, daß es richtiger ist, jetzt das erreichte Maß an Einvernehmen und Fortschritt zu betonen, als allzusehr hier einzelne Äußerungen der einen oder der anderen Seite in den Mittelpunkt der jetzigen Betrachtung zu stellen.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    In diesem Ringen um tragbare Lösungen haben gerade die qualifizierte Diskussion in der Bundesrepublik und das Bemühen der Bundesrepublik selbst sichtbare Fortschritte für die gesamte Diskussion erbracht. Wir können heute sagen — und das ist in der Erklärung des Außenministers deutlich geworden —, daß sich doch einige wichtige Entwicklungen in diesen Erwägungen abzeichnen, in jenen Erwägungen, die bestimmt waren von dem Problem, daß zunächst unter Umstännden eine Sonderstellung für die nichtnuklearen Staaten drohte, die ,die Fragen der Kontrolle, ihrer Auswirkungen, der Zukunft von Gemeinschaftseinrichtungen und politischen Institutionen wie Euratom überschattete. Herr Kollege Borm hat hier zweimal ein russisches Sprichwort zitiert: Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser. Es wäre gut, wenn alle Teilnehmer an den Genfer Verhandlungen dieses Sprichwort nicht nur gegenüber den anderen, sondern auch gegenüber sich selbst, gegenüber ihrem eigenen Verhalten anwenden würden.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Heute, meine Damen und Herren, besteht in dem Bereich — ich möchte das im jetzigen Stande der Debatte dankbar vermerken — der Probleme des wirtschaftlichen, technischen und wissenschaftlichen Fortschritts und seiner Sicherung in diesem Hause ein wesentliches Einvernehmen in den Beiträgen aller Fraktionen, die sich hier allenfalls nur noch um Nuancen unterscheiden. Ich möchte auch noch einmal mit allem Nachdruck sagen, daß dies nicht nur eine Frage der Prinzipien ist, sondern daß wir die Bedeutung der friedlichen Nutzung der Atomenergie für Deutschland und die Entwicklung der Welt kaum hoch genug veranschlagen können.
    Wir stehen hier am Anfang eines revolutionären Prozesses, und es ist bei solchen großen, tiefgreifenden Wandlungen so, daß das allgemeine Bewußtsein der Entwicklung in einem gewissen zeitlichen Abstand folgt. Wir haben nach sehr vorsichtigen Schätzungen in den nächsten zehn Jahren eine Verdoppelung .des Verbrauchs an elektrischer Energie in Westeuropa und in Deutschland zu erwarten, in wichtigen Entwicklungsländern, mit deren wirtschaftlicher und sozialer Zukunft sich ja auch das Bild der Welt entscheidet, sogar eine Verdreifachung und eine Vervierfachung. Wir haben 1964 nach einer vorherigen Entwicklung von etwa 20 Jahren mit dem Bau ides Oyster-Creek-Reaktors in Amerika den Durchbruch der Kernenergie zur vollen Wettbewerbsfähigkeit erreicht. In den seitdem vergangenen drei Jahren hat sich in Amerika eine Entwicklung



    Bundesminister Dr. Stoltenberg
    vollzogen, nach der jetzt, im Jahre 1967, 70 % der neuen Kraftwerke auf der Basis der Kernenergie gebaut werden, und zwar unter Bedingungen des Wettbewerbs, die völlig anders sind als bei uns, und bei Energiepreisen, die erheblich unter dem liegen, den wir in Westeuropa und in 'Deutschland haben.
    In der Bundesrepublik sind wir noch nicht so weit; aber auch wir hatten Ende 1966 neun Kernkraftwerke oder Versuchsreaktoren im Bauoder im Betrieb mit einem Investitionsvolumen von insgesamt mehr als 1,7 Milliarden DM, und wir erwarten in diesem Jahr die .Bauentscheidung großer Energieversorgungsunternehmungen, die ohne staatliche Hilfe durchgeführt werden sollen und die entscheidend sind für die weitere Fortsetzung unseres Atomprogramms und für die Entwicklung der schnellen Brüter, die uns dann den Durchbruch zu Energiepreisen bringen sollen, die um etwa 30 bis 40 % unter dem heutigen Stand liegen. Die Sicherung dieser Entwicklung in Iden außenpolitischen Verhandlungen über den Atomsperrvertrag, ihre Sicherung aber auch in der innerdeutschen Diskussion, in der Wirtschaftsdiskussion im eigenen Hause, ist für die industrielle Zukunft unseres Volkes unentbehrlich.

    (Beifall bei den Regierungsparteien und bei Abgeordneten der FDP.)

    Herr Kollege Schmidt hat im Zusammenhang mit der Brennstoffversorgung einige wichtige Einzelfragen angeschnitten, zu denen ich wenige Sätze sagen möchte. Wir müssen hier verschiedene Phasen der vorausschaubaren Entwicklung deutlich unterscheiden. Für das, was bisher gebaut wurde oder jetzt unmittelbar vor der Bauentscheidung steht, reichen nach unserer Überzeugung die bestehenden langfristigen Lieferverträge Euratoms und der Vereinigten Staaten von Amerika aus. Ich möchte auch mit Nachdruck sagen, daß die Kraftwerke, die jetzt gebaut werden oder demnächst gebaut werden sollen, in ihrer Brennstoffversorgung als gesichert gelten können. Wir werden allerdings für die sprunghafte Steigerung des Volumens unserer Kernkraftwerke in den 70er Jahren schon jetzt zusätzliche und, wie wir erwarten, festere Verpflichtungen langfristiger Art ergänzend zu den bestehenden erreichen müssen, und zwar sowohl für die Investitionsentscheidungen im eigenen Lande wie auch für die Möglichkeit, im Export von Kernkraftwerken die langfristigen Liefergarantien zu übernehmen, die unentbehrlich sind, wenn wir auf 'diesem Markt, in dem es in Zukunft um hohe Milliardenbeträge gehen wird, auch außerhalb Deutschlands Fuß fassen wollen.
    Deshalb spielt diese Frage, wie der Bundesaußenminister deutlich gemacht hat, auch im Gesamtzusammenhang der gegenwärtigen Erörterungen eine besondere Rolle. Ich kann das, was Sie hierzu gesagt haben, durchaus begrüßen und unterstreichen. Aber hiermit verbinden sich noch weitere Probleme, die man etwa mit dem 'Stichwort „Sicherung des Brennstoffkreislaufs" bezeichnen kann. Wir bemühen uns für die 70er Jahre neben den bestehenden oder neu anzustrebenden Verhandlungen mit den Vereinigten Staaten durch die Initiative deutscher
    Firmen auch um die Erschließung von Uranreserven in anderen Ländern durch Beteiligung oder langfristige Verträge. Wir bemühen uns, im eigenen Lande .die Voraussetzungen für ein wichtiges Glied im Brennstoffkreislauf zu schaffen, etwa jetzt im Bau der Wiederaufarbeitungsanlage Karlsruhe, der soeben begonnen hat.
    Eine nationale Lösung auf dem Gebiete der Isotopentrennanlagen ist allerdings entgegen Ihrer Annahme nicht möglich. Der Bau einer solchen Anlage würde nach dem gegenwärtigen Verfahrenstechniken in ,der Größenordnung von 800 Millionen bis 1 Milliarde DM zu veranschlagen sein. Selbst bei der ungewöhnlich starken Steigerung des Brennstoffbedarfs, den wir für die 70er Jahre voraussehen, sind das Größenordnungen, bei denen wir einen Wettbewerb mit den vorhandenen und weiter ausgebauten Großanlagen etwa der Vereinigten Staaten nicht zu einem wirtschaftlichen Preis führen können. Deshalb müssen wir bei der Sicherung einer ausreichenden Kapazität an angereichertem Uran und Anreicherungsmöglichkeiten den Weg internationaler Gespräche gehen. Es ist allerdings nicht für alle Zukunft auszuschließen, meine Damen und Herren, daß, weil wir auch hier am Anfang einer völlig neuen Entwicklung stehen, durch neue wissenschaftliche Ergebnisse in der Verfahrenstechnik
    eines Tages vielleicht Isotopentrennanlagen zu einem Teil des hier genannten Preises gebaut werden können. Insofern ist es wichtig, daß wir uns in den vertraglichen Regelungen, um die es jetzt geht, die Möglichkeit dafür nicht verbauen.
    Gerade dieses Brennstoffproblem macht es notwendig, daß wir in unserer Reaktorstrategie überlegt vorgehen, da neben dem Uran das Thorium, um dessen Entwicklung wir uns in Nordrhein-Westfalen im Kernforschungszentrum Jülich bemühen, an Bedeutung gewinnt. Vielleicht werden wir dann schließlich mit der Entwicklung der schnellen Brüter eine Situation erreichen, in der das ganze Problem der Brennstoffversorgung durch die optimale Nutzung des Brennstoffes im Grunde seiner Problematik entkleidet wird.
    Meine Damen und Herren, es geht hier um die volkswirtschaftlichen und industriellen Belange unseres Volkes, um Hunderttausende von Arbeitsplätzen der Zukunft. Aber — lassen Sie mich das zum Schluß sagen — billige Energie ist auch eine schicksalhafte Frage für die Zukunft der dritten Welt der Entwicklungsländer.

    (Abg. Dr. Barzel: Sehr wahr!)

    Hier geht es wirklich um Investitionen für den Frieden. Ich nenne Stichworte wie Meerwasserentsalzung, die Bewässerung großer Gebiete, die Schaffung neuer gewerblicher und industrieller Zentren in Asien, Afrika und Lateinamerika mit der billigen Energie, die wir hier in wenigen Jahren zu erreichen hoffen, unabhängig dann von geographischen und geologischen Voraussetzungen. Das ist eine Aufgabe für alle Industrienationen, für Deutschland ein Ziel — wie ich hoffe — großer gemeinsamer Bemühungen der Zukunft, an denen wir auch ungehindert durch Vereinbarungen und Verträge



    Bundesminister Dr. Stoltenberg
    unseren vollen Anteil leisten wollen. Es ist ein neues Thema, in gewisser Weise ein dramatisches Thema, das uns hier beschäftigt, wenn wir es in seiner ganzen Weite und Vielfalt begreifen. Noch nie sind wissenschaftliche Fragen so stark in das Zentrum der Außenpolitik gerückt — ein Phänomen im Grunde, das auch in der Arbeit unserer Regierung und der Behörden, in der viel stärkeren Heranziehung und Beteiligung hervorragender wissenschaftlicher Sachverständiger, als es im allgemeinen im diplomatischen Bereich notwendig ist, seinen Niederschlag findet. Ich möchte in Unterstreichung dessen, was der Außenminister schon sagte, noch einmal betonen, daß wir ohne die hervorragende Mitwirkung unserer Wissenschaftler auf diesem Gebiet die Konzeptionen und .die Verhandlungsergebnisse, die sich abzeichnen, nicht erreicht hätten.
    Es geht um entscheidende Dinge, wenn wir die Zukunft Deutschlands, die Zukunft Europas und die Zukunft ,der Welt betrachten. Ich glaube deshalb, daß das intensive Bemühen aller notwendig war, und ich hoffe, daß es zu dem Ergebnis führt, das wir alle bejahen können.

    (Beifall.)