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    Deutscher Bundestag 106. Sitzung Bonn, den 27. April 1967 Inhalt: Glückwünsche zum Geburtstag des Abg. Paul 4917 A Fragestunde (Drucksachen V/1634, zu V/1634) Frage des Abg. Ertl: Grundgesetzänderungen zur Neugestaltung der Beziehungen zwischen Bund und Ländern Benda, Parlamentarischer Staatssekretär . . . . . . . . 4917 B Ertl (FDP) . . . . . . . . . . 4917 B Frage des Abg. Sanger: Abgrenzung zwischen Anzeigeblättern und Zeitungen bzw. Zeitschriften Benda, Parlamentarischer Staatssekretär . . . . . . . . 4917 D Sänger (SPD) . . . . . . . . 4918 B Frage des Abg. Porten: Übergangszeit für einen gemeinsamen Mehlmarkt Höcherl, Bundesminister 4918 C Porten (CDU/CSU) 4918 DFragen des Abg. Ertl: Finanzierung kostenloser Getreidelieferungen an Entwicklungsländer Höcherl, Bundesminister . . . . 4919 B Ertl (FDP) 4919 C Fragen des Abg. Bading: Einbeziehung von Bananen und Ananas in die EWG-Marktordnung für Obst und Gemüse Höcherl, Bundesminister . . . . . 4919 D Urban (SPD) . . . . . . . . . 4920 A Fragen des Abg. Budde: Milchwirtschaft in der Bundesrepublik 4920 B Fragen des Abg. Jung: Ausrüstung der Seenotrettungsstaffel Adorno, Parlamentarischer Staatssekretär . . . . . . . 4920 C Ollesch (FDP) 4920 D van Delden (CDU/CSU) 4921 A II Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 106. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. April 1967 Fragen des Abg. Burger: Sommeruniform für Heeresstreitkräfte der Bundeswehr . . . . . . . . 4921 B Fragen des Abg. Hübner: Einsatz- und Nutzungsmöglichkeiten von elektrischen Großrechenanlagen 4921 C Fragen des Abg. Lemper: Reduzierung der Wehrdienstzeit und der Gesamtzahl der Soldaten sowie dadurch mögliche Einsparungen Adorno, Parlamentarischer Staatssekretär . . . . . .. . 4921 D Mertes (FDP) 4922 A Schultz (Gau-Bischofsheim) (FDP) 4922 B Frage des Abg. Ollesch: Notwendigkeit der Anwesenheit des Bundesarbeitsimnisters im Ausschuß für mittelfristige Finanzplanung Leicht, Parlamentarischer Staatssekretär 4922 D Frage des Abg. Geldner: Vergabe von Aufträgen für Investitionsmaßnahmen nach Bayern Leicht, Parlamentarischer Staatssekretär 4923 A Geldner (FDP) 4923 C Fritsch (Deggendorf) (FDP) . . . 4923 D Ertl (FDP) 4924 B Frage des Abg. Logemann: Änderung des Verkehrsfinanzgesetzes Leicht, Parlamentarischer Staatssekretär 4924 D Logemann (FDP) 4924 D Fragen des Abg. Logemann: Dieselölpreis für Landwirte Leicht, Parlamentarischer Staatssekretär . . . . . . . . 4925 A Logemann (FDP) 4925 C Ertl (FDP) . . . . . . . . . . 4926 B Wächter (FDP) . . . . . . . . 4926 D Schultz (Gau-Bischofsheim) (FDP) . 4927 A Reichmann (FDP) . . . . . . . 4927 B Fragen des Abg. Hellenbrock: Militärisch genutztes Gelände der Gemeinde Bracht im Lkr. Kempen/Krefeld Leicht, Parlamentarischer Staatssekretär . . . . . . . . 4927 C Dr. Hammans (CDU/CSU) . . . . 4927 D Frage des Abg. Lemmrich: Einnahmen aus der Mineralölsteuer Leicht, Parlamentarischer Staatssekretär . . . . . . . . 4928 A Fragen des Abg. Flämig: Exerzierplatz Großauheim am Main 4928 B Fragen des Abg. Baier: Baustopp für alle staatlich geförderten Hochbauten in Baden-Württemberg Leicht, Parlamentarischer Staatssekretär 4928 C Baier (CDU/CSU) 4928 D Fragen des Abg. Wächter: Bewerber um Aufträge des Bundes Dr. Arndt, Parlamentarischer Staatssekretär 4929 C Wächter (FDP) . . . . . . . 4929 C Fragen des Abg. Porten: Praktiken des Quotenhandels in der Mühlenwirtschaft Dr. Arndt, Parlamentarischer Staatssekretär 4930 A Porten (CDU/CSU) 4930 A Große Anfrage der Fraktionen der CDU/ CSU, SPD betr. Atomwaffensperrvertrag (Drucksache V/1650) in Verbindung mit Beratung des Antrags der Fraktion der FDP betr. atomare Rüstung und friedliche Nutzung von Kernenergie (Drucksache V/ 1494) Schultz (Gau-Bischofsheim) (FDP) . 4930 D Dr. Eppler (SPD) . . . . . . . . 4935 B Brandt, Bundesminister . 4939 D, 4972 D Dr. Birrenbach (CDU/CSU) . . . . 4946 D Schoettle, Vizepräsident . . . . . 4952 B Schmidt (Hamburg) (SPD) . . . . 4952 C Borm (FDP) . . . . . . . : . 4955 C Dr. Stoltenberg, Bundesminister . . 4959 B Dr. Zimmermann (CDU/CSU) . . . 4961 B Berkhan (SPD) . . . . . . . . 4965 A Flämig (SPD) . . . . . . . . . 4966 A Genscher (FDP) 4967 D Dr. Barzel (CDU/CSU) 4969 D Ollesch (FDP) 4972 A Mischnick (FDP) . . . . . . . . 4975 C Dr. h. c. Kiesinger, Bundeskanzler . 4976 B Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 106. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. April 1967 III Beratung des Dritten Jahresgutachtens des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung der Stellungnahme der Bundesregierung zum Jahresgutachten 1966 des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung sowie des Sondergutachtens über die Wirtschaftslage im Frühjahr 1967 (Drucksachen V/1160, V/1313, V/1588) Dr. Schiller, Bundesminister . . . 4976 C Dr. Haas (FDP) . . . . . . . . 4985 B Dr. Burgbacher (CDU/CSU) . . . . 4992 C Porzner (SPD) . . . . . . . 4997 A Nächste Sitzung 5000 B Anlagen 5001 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 106. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. April 1967 4917 106. Sitzung Bonn, den 27. April 1967 Stenographischer Bericht Beginn: 9.00 Uhr
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    Anlage 1 Liste der beurlaubten Abgeordneten Anlagen zum Stenographischen Bericht Beurlaubungen Abgeordnete(r) beurlaubt bis einschließlich Dr. Aigner ** 27. 4. Arendt (Wattenscheid) 27. 4. Dr. Arndt (Berlin/Köln) 28. 4. Bading** 27. 4. Dr.-Ing. Dr. h. c. Balke 28. 4. Bauer (Würzburg) * 28. 4. Prinz von Bayern 1. 6. Berkhan * 28. 4. Berlin 28. 4. Blumenfeld * 28. 4. Frau Brauksiepe 28. 4. Buchstaller 27. 4. Corterier * 28. 4. Dr. Dittrich** 28. 4. Draeger * 28. 4. Dröscher ** 27. 4. von Eckardt 27. 4. Eisenmann 28. 4. Flämig* 28. 4. Frau Freyh 12. 5. Frau Geisendörfer 28. 4. Gerlach ** 28. 4. Gewandt 28. 4. Graaff 28. 4. Dr. Gradl 28. 4. Hahn (Bielefeld) ** 28. 4. Dr. Hellige * 28. 4. Frau Herklotz * 28. 4. Herold* 28.. 4. Hilbert * 28. 4. Höhne 15. 6. Hösl * 28. 4. Jacobi (Köln) 15. 5. Kahn-Ackermann * 28. 4. Dr. Kempfler * 28. 4. Kiep 12. 5. Frau Klee * 28. 4. Dr. Kliesing (Honnef) * 28. 4. Klinker * 28. 4. Dr. Kopf * 28. 4. Kunze 6. 5. Lemmer 28. 4. Lemmrich * 28. 4. Lenz (Brühl) 30. 4. Lenz (Trossingen) 23. 5. Lenze (Attendorn) * 28. 4. Lücker (München) ** 28. 4. Matthes 28. 4. Mauk ** 28. 4. Frau Dr. Maxsein " 28. 4. Mengelkamp 15. 5. Merten** 28. 4. Metzger ** 28. 4. Michels 28. 4. Müller (Aachen-Land) ** 28. 4. Paul 28. 4. Abgeordnete(r) beurlaubt bis einschließlich Peters (Norden) 30. 6. Frau Pitz-Savelsberg 2. 6. Pöhler * 28. 4. Frau Dr. Probst 12. 5. Raffert 28. 4. Richarts ** 28. 4. Richter * 28. 4. Dr. Rinderspacher * 28. 4. Rösing 28. 4. Ross 28. 4. Dr. Rutschke * 28. 4. Scheel 28. 4. Schmidt (Würgendorf) * 28. 4. Dr. Schulz (Berlin) * 28. 4. Dr. Serres * 28. 4. Dr. Starke (Franken) ** 27. 4. Struve 31. 5. Dr. Süsterhenn 27. 4. Dr. Freiherr von Vittinghoff-Schell* 28. 4. Dr. Wahl * 28. 4. Wellmann 30. 4. Wienand * 28. 4. Dr. Wuermeling 27. 4. Zerbe 28. 4. * Für die Teilnahme an einer Tagung der Beratenden Versammlung des Europarats ** Für die Teilnahme an Ausschußsitzungen des Europäischen Parlaments Anlage 2 Schriftliche Erklärung des Abgeordneten Dr. Luda (CDU/CSU) zu Punkt 4 der Tagesordnung. Der Sachverständigenrat verfährt nach der Methode von Professor Heller, USA, des früheren Vorsitzenden des Konjunkturrates: er versucht, den Umfang der Unterauslastung der Wirtschaft zu ermitteln, um dann vorzuschlagen, wie die fehlende Nachfrage zu erzeugen ist. Das ist eine rein liquiditätsorientierte Betrachtungsweise. Um die Wirtschaft wieder anzukurbeln, bedarf es zunächst einer Ermittlung der Ursachen der Konjunkturabflachung. Abgesehen von der politischen Krise des vorigen Jahres liegt diese Ursache in den öffentlichen Defiziten, in der Kostenentwicklung und, inzwischen weitgehend überwunden, in der Preisauftriebstendenz. Also müssen zuerst die öffentlichen Finanzen saniert werden, die Haushalte müssen umstrukturiert werden. Darüber sagt das Gutachten leider nichts. Der Etat ist nicht zuerst ein Instrument der Konjunkturpolitik, sondern in erster Linie Prüfstein für die Ordnung im Staat, also politische Vertrauensgrundlage. Bedenklich ist es meines Erachtens auch, daß das Gutachten sich ausschließlich an Globalzahlen orien- 5002 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 106. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. April 1967 tiert. An Stelle einer Ahalyse der derzeitigen relativen Arbeitslosigkeit wird lediglich von „allenthalben brachliegenden Kapazitäten" gesprochen. Das gibt ein falsches Bild. So liegt die Arbeitslosigkeit im Raum Rhein-Neckar und Rhein-Main unter 1 %, dagegen im Ruhrgebiet, an der Saar, in Teilgebieten von Niedersachsen und im Bayerischen Wald weit über dem Durchschnitt. Die heutige Konjunkturpolitik kann nicht isoliert von den Strukturproblemen betrachtet werden. Sie beziehen sich nicht nur auf die Eisen schaffende Industrie und den Bergbau, sondern auch auf Teile der Eisen und Metall verarbeitenden Industrie, der Holz- und der Textilindustrie. Durch Gewährung globaler Kreditspritzen ist hier keine Hilfe zu erwarten, das würde die notwendige Strukturbereinigung nur hinausschieben. Es wäre auch zu begrüßen gewesen, wenn das Sondergutachten die bisherige Investitionstätigkeit näher untersucht hätte. In der EWG-Investitionsstatistik ist die Bundesrepublik Deutschland nämlich eindeutig führend. Die Brutto-Anlage-Investitionen der Industrie hatten 1964 eine Zuwachsrate von 18 %, 1965 von 15 % und sind sogar im Jahresdurchschnitt 1966 noch leicht gestiegen. Läßt das nicht den Schluß zu, daß die nachlassende Investitionsneigung eine insoweit natürliche Reaktion auf sehr hohe Investitionsraten der vergangenen Jahre mit dem Zwang der einzelnen Unternehmen, nunmehr zu konsolidieren, ist? Zum Vorschlag des Sondergutachtens! Er bedeutet einen klaren Stellungswechsel des Rates im Vergleich zu dem vor vier Monaten veröffentlichten Dritten Jahresgutachten. Damals hatte der Rat drei Alternativprojektionen dargelegt (I „Stabilität um jeden Preis", II „ungezügelte Expansion", III „kontrollierte Expansion"). Im Dritten Jahresgutachten hatte der Rat eindeutig das Konzept der „kontrollierten Expansion" propagiert. Der Vorschlag im Sondergutachten deckt sich demgegenüber weitgehend mit der seinerzeitigen Alternativprojektion II. Natürlich kann in der Wirtschaftspolitik kurzfristig ein Stellungswechsel nötig werden. Was aber bedenklich erscheint, ist die Tatsache, daß die Öffentlichkeit sich inzwischen auf die amtlich übernommene „kontrollierte Expansion" eingestellt hat, die durch die neue Politik weitgehend sinnentleert ist, und daß, genaugenommen, der jetzige Vorschlag des Sachverständigen-Rates „ungezügelte Expansion" lauten müßte, zumal von vornherein feststeht, daß die Bundesregierung die vorgeschlagene „Kontrolle" der außenwirtschaftlichen Absicherung (Wechselkurspolitik) nicht praktizieren will — mit Recht — und daß sie die zweite „Kontroll"-Maßnahme der lohnpolitischen Absicherung in dem vom Dritten Jahresgutachten vorgeschlagenen Sinne der „Richtzahlen" und „Lohnleitlinien", also der Datensetzung von oben nicht praktizieren kann und nicht praktizieren will. Also: Vor Schlagworten wird gewarnt! Zur Frage des zweiten Eventualhaushaltes! Die Liquiditätsversorgung entwickelt sich zufriedenstellend. Die Zinssenkungstendenz ist zu begrüßen. Leider ist jedoch die Freigabe der Haben-Zinsen ohne Wirkung geblieben. Ganz offensichtlich ist das auf die Tatsache zurückzuführen, daß trotz Zinsfreigabe die Steuerprivilegien der Sparkassen unangetastet geblieben sind. Diese Privilegien werden auch weiterhin zu einem verzerrten, unnötig hohen Zinsniveau führen, wenn man sie nicht unverzüglich abbaut. Die Entwicklung der Liquiditätsnachfrage ist zur Zeit noch gehemmt. Da der Bundeshaushalt 1967 noch nicht verabschiedet ist, macht sich zum Nachteil der Wirtschaft ein Ausgabestau nach wie vor hemmend bemerkbar. Nach Verabschiedung des Bundeshaushalts im Juni wird sich das schlagartig ändern. Zur gleichen Zeit geht auch die Anlaufzeit des ersten Eventualhaushalts zu Ende. Also: In der zweiten Jahreshälfte ist mit einer spürbaren Massierung der öffentlichen Ausgaben zu rechnen, zumal dann auch das Defizit der Sozialversicherungsträger mit etwa 1,5 Milliarden DM stark expansiv wirken wird. Für alles das ist offenbar genug Liquidität vorhanden. Funktioniert die beabsichtigte Initialzündung gleichfalls in der zweiten Jahreshälfte, womit wohl zu rechnen ist, dann ergäbe sich wahrscheinlich die Gefahr einer Überforderung des Kapitalmarktes, falls man gleichzeitig einen zweiten Eventualhaushalt praktizieren wollte. Es geht also nicht an, heute schon über die Frage eines zweiten Eventualhaushaltes — der nach Ansicht des Berliner Instituts ein Volumen von 4 Milliarden DM haben sollte — zu entscheiden. Eventuelle Liquiditätsreserven sollte der Bund lieber den Ländern und Gemeinden für Infrastrukturmaßnahmen überlassen. Im Dritten Jahresgutachten war in der Alternativprojektion II („ungezügelte Expansion") auf die Gefahr eines kumulativen Prozesses im Jahre 1968 hingewiesen worden. Dieser Hintergrund muß auch heute noch beachtet werden,desgleichen der Hintergrund eines Haushaltsdefizits des Bundes für 1968 in Höhe von 6,8 Milliarden DM. Ein zweiter Eventualhaushalt würde also eine Vervielfachung späterer Konsolidierungsschwierigkeiten bedeuten. Auch aus diesem Grunde darf man sich nicht vorzeitig und nicht ohne Not für ihn entscheiden. Anlage 3 Schriftliche Erklärung des Abgeordneten Schmidhuber (CDU/CSU) zu Punkt 4 der Tagesordnung. Heute ist schon mehrmals von der psychologischen Komponente der Konjunkturpolitik gesprochen worden. Meiner Meinung nach kann man diesem Fragenkomplex nicht genügend Aufmerksamkeit widmen. Steht doch hinter den Summengrößen der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung eine unübersehbare Zahl von Einzelentscheidungen, die von den Marktteilnehmern, von den Konsumenten und Produzenten, Tag für Tag gefällt werden müssen. Kollektivurteile über die Entwicklung der Konjunk- Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 106. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. April 1967 5003 tur, wie etwa die sogenannte Krisenfurcht, können — selbst wenn sie unbegründet sind — den weiteren konjunkturellen Ablauf unter Umständen stärker beeinflussen als wirtschaftspolitische Maßnahmen; ja, sie können Wirkungen auslösen, deren Größe und Mächtigkeit in keinem Verhältnis steht zu den relativ bescheidenen Einflußmöglichkeiten der öffentlichen Hand. Dafür gibt es in der Wirtschaftsgeschichte der zwanziger und dreißiger Jahre genügend Beispiele. Die Marktteilnehmer können sich aber nicht allein an ihren unmittelbaren wirtschaftlichen Erfahrungen, die sich meistens nur auf einen schmalen Sektor beziehen, orientieren, sondern sie sind auch darauf angewiesen, wie die öffentliche Meinung und die für die Wirtschaftspolitik Verantwortlichen die Lage beurteilen. Insofern setzt auch der Sachverständigenrat selbst durch seine gutachtlichen Äußerungen ein konjunkturelles Datum. Er ist also in der Lage des Arztes, der bei der Mitteilung der Diagnose an den Patienten die Wirkungen bedenken muß, die diese Mitteilung auf den Kranken haben könnte. Überspitzt könnte man hierbei von dem „prozyklischen Effekt von Gutachten" sprechen, wobei ich insbesondere die möglichen Wirkungen auf das Konsumentenverhalten im Auge habe. Dies ist die Folge davon, daß die Erörterung konjunkturpolitischer Fragen, der durch das Gesetz institutionalisierte Dialog zwischen Sachverständigenrat und Bundesregierung sich im vollen Licht der Öffentlichkeit vollzieht. Dabei kann der Sachverständigenrat möglicherweise in eine ähnliche Situation geraten wie die Demoskopen bei der letzten Bundestagswahl, nämlich daß man ihnen später den Vorwurf macht, sie hätten durch ihre Prognose das Ergebnis beeinflußt. Man sieht, die „informierte Gesellschaft" hat auch ihre Gefahren. Man sollte daraus keinesfalls die Konsequenz ziehen, einer öffentlichen Erörterung konjunkturpolitischer Fragen aus dem Wege zu gehen. Allerdings sollte man diese unerwünschten Nebeneffekte bei der Formulierung und unter Umständen bei der Wahl des Zeitpunktes der Äußerung zu vermeiden suchen. Die zweite Bemerkung betrifft das Problem der außenwirtschaftlichen Absicherung der Währungsstabilität, den Schutz vor der sogenannten importierten Inflation. Niemand wird sich der in mehreren Stellungnahmen vorgetragenen Sorge des Sachverständigenrates zu verschließen vermögen, die binnenwirtschaftliche Stabilität werde durch außenwirtschaftliche Einflüsse gefährdet. Die vom Sachverständigenrat vorgeschlagenen autonomen Lösungsmöglichkeiten bergen — abgesehen von juristischen Hindernissen — jedoch schwer überschaubare Risiken in sich. An erster Stelle steht dabei die heute schon einmal ausgesprochene Befürchtung, die Exporterfolge der deutschen Wirtschaft könnten darunter leiden. Die Abneigung gegenüber einer Verminderung der Währungsparitäten resultiert letztlich aus der Tatsache, daß derartige Operationen die Handelsströme oft auf lange Zeit erheblich beeinträchtigen, ja sogar auf die Dauer umlenken können. Aus diesem Grund hat der Wirtschaftsausschuß die im Entwurf des Stabilitätsgesetzes vorgesehene Möglichkeit einer Senkung der Sätze der Umsatzausgleichsteuer und der Ausfuhrvergütung — ein Instrument, das man als partiell und zeitlich begrenzten Aufwertungsersatz ansehen könnte — gestrichen. Die importierte Inflation ist im übrigen nicht das wirtschaftspolitische Problem des Jahres 1967. Auf längere Sicht — vielleicht schon im nächsten Jahr — wird uns allerdings diese Frage immer wieder beschäftigen. Die Wechselbeziehungen zwischen den Wirkungen des internationalen Preiszusammenhangs und den monetären Folgen eines strukurellen Zahlungsbilanzüberschusses einerseits und dem Auslastungsgrad der binnenwirtschaftlichen Produktionskapazitäten andererseits bedürfen im übrigen noch weiterer quantitativer Untersuchungen. Vorerst bleibt nur ein Ausweg, um den Gleichschritt der westlichen Industriestaaten in die Inflation zu bremsen bzw. zu stoppen, nämlich sich verstärkt um eine internationale Koordinierung der nationalen Wirtschafts- und Finanzpolitik der einzelnen Staaten zu bemühen. Gewisse Möglichkeiten bietet dazu das Europäische Währungsabkommen sowie Art. 107 des EWG-Vertrages und last not least die ökonomische Vernunft und das wohlverstandene gemeinsame Interesse an einer gesunden internationalen Finanzordnung. Anlage 4 Schriftliche Erklärung des Abgeordneten Stein (Honrath) (CDU/CSU) zu Punkt 4 'der Tagesordnung. Ich möchte mich nicht mit dem Inhalt des Dritten Jahresgutachtens und des Sondergutachtens unseres Sachverständigenrates befassen. Kritik und Zustimmung sind zu diesem Inhalt geäußert worden, zu dem Sondergutachten fast nur Kritik, in der Öffentlichkeit noch mehr als hier. Ich habe das bewußt anderen überlassen und will mich mit einer anderen, wie mir scheint, ebenfalls sehr wichtigen Frage beschäftigen, einer Frage, die die Gutachten aufwerfen und von anderen schon kurz gestreift wurden. Dieses Hauptgutachten, das wir diskutieren, ist das dritte, das Sondergutachten das erste seiner Art. Im August 1963 wurde durch das Gesetz, das dem ganzen Vorgang zugrunde liegt, der Auftrag gegeben, Untersuchungen über die Ausgewogenheit unserer wirtschaftlichen Entwicklung mit Hilfe eines unabhängigen Sachverständigengremiums vorzunehmen. Die beiden heutigen Gutachten sollten meines Erachtens Anlaß sein, uns unsererseits zu prüfen, ob wir mit dieser Art und Form der Gutachten, an die wir uns sozusagen schon gewähnt haben, auf dem richtigen Wege sind. Ist es das, was wir wollen und erhofft haben? Mit anderen Worten: Haben sich das Gesetz und seine Absicht 5004 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 106. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. April 1967 mit diesem Gutachten bewährt, oder sollten wir etwas andere Wege beschreiten? Wenn ja, welche? Ich denke, daß man diese Frage in aller Ruhe aufwerfen und daß man allmählich mit dieser Diskussion beginnen kann. Diese Diskussion müßten zunächst wir in diesem Hause führen. Denn wir sind zunächst die Empfänger der Gutachten, wie wir auch die Initiatoren des Gesetzes gewesen sind. Die Bundesregierung gibt zwar eine Stellungnahme dazu ab, sie ist aber vielleicht nicht so frei in ihrer Äußerung zur Frage des Gelingens des gesetzlichen Auftrages und zu den Verfahrensfragen der Gutachten. Die Regierung könnte in den Verdacht kommen, sich mit grundsätzlichen Änderungen oder Ausgestaltungsvorschlägen einen unbequemen Aufpasser oder Kritiker vom Halse schaffen oder ihn an die Kette legen zu wollen. Vielleicht auch umgekehrt. Deshalb sollte ,der Bundestag, sollte das Parlament diesen ersten Saldo der Betrachtung der bisher gewählten Form !der Untersuchungsmethode ziehen und die Frage der Verbesserungserfordernisse und Verbesserungsmöglichkeiten sich selbst stellen. Eine kleine Vorbemerkung! In Deutschland, aber auch anderwärts, gerät man leicht in den Geruch, geistig etwas minderbemittelt zu sein, wenn man den Spruch von Weisen nicht sozusagen auf den Knien entgegennimmt. Wird diese Ergebenheit, so frage ich, als Preis dargebracht für die Unabhängigkeit, also dafür, daß die Männer im Elfenbeinturm den Kampf gegen Interessen und unsachliche Einflüsse gewagt oder sich um weisungsfreie Beurteilung bemüht haben? Es lohnt sich, über diese Frage, deren Beantwortung über unsere Gesellschaft viel aussagen würde, nachzudenken. Der allgemeine Gutachter ist in Deutschland leider stark abgewertet. Im Volksmund, jedenfalls im qualifizierteren, sagt man, nicht ganz zu Unrecht, daß man für alles und jedes, für alle nur denkbaren Ansichten zu einer Sache einen Gutachter haben kann. Wir kennen ja alle die Prozesse, deren Akten mit vielen einander widersprechenden Gutachten angefüllt sind. Wenn ich das sage, so will ich damit unterstreichen, daß die Unabhängigkeit eines Gutachters in der Tat nach der Überzeugung vieler mit besonderen Kautelen hergestellt werden muß. Es muß eine staubfreie Atmosphäre gesichert sein. Ich bekenne mich jedenfalls ganz grundsätzlich zu der Auffassung, daß das unabhängige Gutachten in Deutschland einen hohen Rang anstreben und erhalten muß und daß die Gutachter ihre Ehre in die völlig unabhängige Begutachtung setzen müssen. Weisungsfrei und unabhängig heißt aber nicht, daß ein Gutachten sozusagen im luftleeren Raum gestaltet werden müsse. Je elfenbeinerner ein Gutachten ist, um so luftleerer ist es aber. Nun garantiert in unserem Falle des gesamtwirtschaftlichen Sachverständigenrates die Persönlichkeit der Gutachter, die sich in ihren Kreisen und gegenüber der Öffentlichkeit ja auch wieder über ihre Thesen auseinanderzusetzen haben, für die lebensvolle Komprimierung des Stoffes und für eine gewisse Bodennähe der Betrachtung. Aber dieser Status, den wir den Gutachtern zugewiesen haben, reicht nach meiner Ansicht nicht aus, blut- und lebensvolle Gutachten sozusagen von der Methode her sicherzustellen. Wir befinden uns mit unserem Untersuchungsauftrag nicht in der Justiz oder einem sonstigen Bereich, bei dem es um die abstrakte und theoretische Frage des Falsch oder Richtig geht, sondern in der Wirtschaft, einem Bereich also, bei dem letzten Endes nur das konkrete Ergebnis interessiert, die Frage, ob diese konkrete Vorstellung mit Hilfe der vorausgeschickten Daten auch wirklich überzeugt. Ich habe oft die Meinung gehört, daß der Auftrag an den Sachverständigenrat an sich utopisch sei, weil dieser Auftrag sich in einem theoretischen Idealbild, nämlich der Stabilität des Preisniveaus, einem hohen Beschäftigungsstand, dem außenwirtschaftlichen Gleichgewicht bei stetigem und angemessenem Wachstum zu vollziehen habe und die Einzeluntersuchungen dieser Zielsetzung zu dienen hätten. Nun gut, Gesetze können sich ideale und vielleicht unerreichbare Ziele setzen. Aber wir hier sind leider auf die Realitäten der vier Ideale angewiesen. Wir können zwar anordnen, daß die Vorstellungen der Sachverständigen keine Empfehlungen sein sollen. Aber alle Welt faßt sie als solche auf, besonders wenn sie — wie z. B. dieses unglückliche Ergänzungsgutachten — wenig Alternativen haben und wenn die Presse von den Gutachten als dem volkswirtschaftlichen Gewissen der Nation spricht. Die Vorstellungen der Sachverständigen, hoch in den Raum gestellt, sind dann natürlich die Basis für politische Attacken und Alibis, obwohl irgendeine Bewährung dieser Vorstellungen im politischen Raum nicht stattgefunden hat, die Regierung vielmehr sofort in der Rolle des Angeklagten ist. Ja, das Gutachten selbst kann sofort Angreiferin sein. Wer will das für die Vergangenheit der 31/2 Gutachten bestreiten? Es kann aktiv in eine ganz bestimmte Richtung wirken, statt nur Möglichkeiten für die eine oder andere Handhabung aufzuzeigen. Die Gefahr dieser unabhängigen, also wertfreien und unpolitischen, aber politisch höchst wirksamen, eindeutig als Empfehlung wirkenden Nichtempfehlung ist groß, sehr groß. Wir haben sie bisher gebändigt, aber das muß nicht immer so sein. Ich habe 'sogar den Eindruck, daß das von Jahr zu Jahr schwieriger wird. Die Wirtschaft darf nach meiner Auffassung nicht in dieser Weise nur den Sachverständigen zu einem so hohen und unmittelbaren Einfluß überlassen werden. Der Sachverständigenrat soll in diesem Gutachten darstellen, die Situation darstellen, aber nicht an Hand eines Bildes, das sich an Idealen und nicht ganz realistischen Generalklauseln orientiert. Nur eine einzige der vier von mir vorhin genannten Komponenten braucht, aus welchen Gründen auch immer, nicht realistisch zu sein, dann ist das ganze Bild schief. Hier scheint mir ein wesentlicher Mangel unseres Gesetzes zu liegen. Ein zweiter Mangel hängt damit zusammen und scheint mir darin zu liegen, daß der Sachverständigenrat personell ergänzt oder etwas anders zusammengesetzt werden muß. Meines Erachtens müßte mindestens ein von Berufs wegen sicherer Kenner der politischen Zusammenhänge in das Gremium herein. Außerdem müßten die Mitglieder des Sachverständigenrates einen Status haben, der es ihnen zur Pflicht macht, die Valuta ihres Gut- Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 106. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. April 1967 5005 achtens mit einer voll funktionierenden Methode zu erreichen. Was verstehe ich hierunter? Betrachten wir einmal mit einem kurzen Streiflicht die bisherigen 31/2 Gutachten. Leider ist ja unsere Gegenwart so schrecklich vergeßlich. Was wäre geschehen, wenn wir den Vorstellungen der zurückliegenden Gutachten gefolgt wären? Was würde geschehen, wenn wir das vorliegende dritte und das Sondergutachten unter Hinnahme der Korrekturen zur Grundlage unserer Entscheidung machen würden? Sicher gibt es überzeugte, positive Beurteiler. Auf diese Frage des Falsch oder Richtig kommt es mir aber — wie gesagt — in diesem Zusammenhang gar nicht an, sondern darauf, daß in der Beurteilung und in den Vorschlägen des Sachverständigenrates zu wichtigen Problemen nach der Ansicht einer sehr großen Zahl von anderen Sachverständigen deutlich Fehlbetrachtungen vorliegen und einzelne vorgeschlagene Ziele auf den erörterten Wegen nicht erreicht werden können. Anders gesagt, daß die etwa in der Richtung des Gutachtens eingeleiteten Maßnahmen weder auf einer zuverlässigen sachlichen noch politischen Basis aufgebaut und realisiert werden können. Ich meine, daß die Gutachten und die Gutachter durch diese Situation in die Gefahr einer allmählichen und längst aktuellen Entwertung geraten. Die freundlichen Bemerkungen der Bundesregierung in der Einleitung ihrer Stellungnahme zum dritten Gutachten können darüber nicht hinwegtäuschen. Mein heutiges Thema ist, wie es dazu kommt und wie wir diese Devaluierung vermeiden, einer weiteren Abwertung vorbeugen können. In dieser ersten Diskussion hierüber ist das Ganze mit wenigen Sätzen darzustellen. Wir brauchen nur einmal die Gutachten ganz klar ins Auge zu fassen. Sie bestehen aus zugrunde gelegten Daten, allgemeinen oder speziellen Prämissen und Aspekten sowie einer Analyse, das Sondergutachten ferner aus Korrekturen. Die Gutachter setzen sich vor den Gutachten in freier Weise mit diesen oder jenen Stellen, sicherlich allen sachlich zu einem Beitrag berufenen, in Verbindung und informieren sich. Wir alle sind gehalten, sie in ihrer Arbeit zu unterstützen, und tun das gern. Welche Ansichten die Gutachter mitbringen, sei es zur Diagnose oder zur Therapie, erfahren wir nicht oder nicht unbedingt, jedenfalls nicht in einer verbindlich geregelten Form. Oft oder wohl meist spricht auch nur einer der Gutachter mit diesem oder jenem Bedarfsträger oder verantwortlichem Gremium. Soweit nicht das Statistische Bundesamt eingeschaltet ist, werden die Daten wohl auch nicht verbindlich abgestimmt, die Prämissen und Aspekte bleiben auf beiden Seiten, also sowohl bei den befragten Gebern als den nehmenden Sachverständigen, etwas im angenehmen Dunkel; es wird ja auch aus Gründen, die man menschlich verstehen kann, mit allerlei Vorsicht gearbeitet. Die nachfolgende Analyse — das haben wir ja nun schon mehrfach und mit steigender Intensität erlebt — hebt sich dann leicht wie von selbst etwas vom Boden und kann in dieser oder jener Einzelfrage, wie wir gehört haben, sogar in eine bedenkliche Höhe geraten, eine Erscheinung, an die wir uns im Bereich der theoretischen Wirtschaftspolitik beinahe schon gewöhnt haben, die aber wegen der Neigung des deutschen Charakters, den Politikern zu mißtrauen, den Gutachtern zu vertrauen, auch nicht völlig ungefährlich ist. Nach meiner Ansicht muß sich das Gutachtergremium, müssen sich die grundlegenden Ausgangspunkte und die entwickelten Vorstellungen zunächst dem politischen Raum im weitesten Sinn stellen, bevor sie mit dieser Feierlichkeit verkündet, der Regierung übermittelt und von dieser an uns weitergegeben werden. Wir wollen, daß gutachtliche Meinungen nicht nur richtig und von den sonstigen Qualitätsgutachten in Deutschland, soweit wie möglich, gleich mitgetragen werden, sondern daß diese Gedankengänge auch politisch und praktisch realisierungsfähig erscheinen. Ich kann diesen Punkt nicht deutlich genug unterstreichen. Er bedeutet nicht, daß die Gutachter nur erörtern sollen, was auch Aussicht hat, vollzogen zu werden. Welcher Irrtum wäre das! Er bedeutet vielmehr, daß der Sachverständigenrat unter Einsatz seiner eigenen, wenn auch zunächst nur vorläufigen Ansicht mit allen in Betracht kommenden Stellen in einem nicht allzu streng, aber in diesem Punkt klar geregelten Verfahren sprechen muß und daß er seine Prämissen, Aspekte und Analysen in voller Kenntnis der sachlichen und politischen Auffassungen und Pläne, die zu seinem Aufgabenbereich gehören, darzulegen hat. Das Material dieser Vorauseinandersetzung könnte in übersichtlicher Form dem Jahresgutachten beigefügt werden. Zur Veranschaulichung dieses Änderungsbedürfnisses unseres Gesetzes kann man natürlich mehrere sehr aktuelle Beispiele wählen. Das Sondergutachten allein rechtfertigt die ganze Skala der Kritik an der jetzigen Praxis der Gutachtenerstattung: Der gesetzliche Auftrag ist nichtvoll eingehalten, wenig Alternativen sind aufgezeigt, die Vorschläge wirken klar als Empfehlung, über die Stellungnahme wichtiger Partner, z. B. des Außenhandelsbeirats, ist man hinweggegangen, der Vollzug des Eventualhaushaltes ist nicht ganz zutreffend beurteilt, und zu manchen Einzelfragen fehlt eben die Mitteilung der Stellungnahme der Hauptbeteiligten und anderes mehr. Diese Gesprächspartner sind nämlich die Träger unser marktwirtschaftlichen Ordnung. Diese Träger und ihre Ansichten hat das Gutachten neben den sonstigen Begebenheiten und Bindungen nationaler und internationaler Art mit einzubeziehen und zu würdigen. Wenn z. B. ein wesentlicher Teil dieser Partner, selbstverständlich mit guten Gründen, die Erwägung des Sachverständigenrates ablehnt oder als politisch undurchführbar bezeichnet, ist das ein Faktum im Bewußtsein dessen, daß die Vorschläge des Gutachtens lebensvoll und politisch durchblutet sein müssen; sonst haben sie nur wissenschaftlichen Wert. Ich meine, daß wir nur bei Beachtung dieses Grundsatzes den Gutachtern den Status sichern können, der unserer Hoffnung auf die Nützlichkeit und den nationalen und gesamtwirtschaftlichen Wert ihrer Gutachten entspricht. 5006 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 106. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. April 1967 Unser Gesetz muß ergänzt werden. Das dritte Gutachten und das Sondergutachten zeigen dies mit einer mehr als ausreichenden Deutlichkeit. Das ist meine Ansicht und die vieler meiner Freunde. Die Änderung kann mit einigen wenigen Pinselstrichen geschehen, die die Geborgenheit des Gutachtens im gesamten politischen Raum, die Anlehnung an die tragenden Kräfte unserer Gesellschaft garantieren, und wird uns schnell zu der gewünschten Form der Gutachten weitrhelfen. Ich verrate wohl auch kein Geheimnis, wenn ich sage, daß die wissenschaftlichen Gutachter selber im In- und Ausland sich über wesentliche Grundlagen solcher gutachtlicher wirtschafts-wissenschaftlicher Aussagen im Streit oder nicht in Übereinstimmung befinden. Einzelne meinen z. B., daß zwischen Analysen und Empfehlungen sowie zwischen Gutachten und politischen Entscheidungen nicht getrennt werden könne. Andere meinen, daß die Gutachter auch über Mittel zur wirksamen Durchführung ihrer Gedanken verfügen müßten usw. Jedes Land kann das natürlich halten, wie es will. Was wir wollen, ist jedenfalls, daß die Gutachter die anstehenden Probleme herausstellen und begutachten, wobei es natürlich in erster Linie und gerade auf diejenigen Erscheinungen ankommt, die außerhalb des normalen oder vermuteten Konjunkturablaufes liegen. Die Gutachter müssen dabei auf wissenschaftlich verläßlichem Boden bleiben und allzu kontroverse Theorien vermeiden. Sie sollen aber ihr Votum vertreten, und zwar so, daß die Regierung, die die Richtigkeit und Zweckmäßigkeit des Gutachtens zu prüfen und die anschließend nach ihrem politischen Auftrag zu handeln hat, die in dem Gutachten geäußersten Auffassungen nach ihrer Durchführbarkeit beurteilen kann. Was diese Auffassungen nun angeht, so hat ein sehr angesehenes Mitglied dieses Hauses in diesen Tagen höchst lapidar festgestellt, es sei reiner Aberglaube, daß Wissenschaftler allgemein bessere Ideen hätten als Politiker. Wir wollten diese Frage schon aus Höflichkeit gegenüber der Wissenschaft offenlassen, jedenfalls aber nicht vom Gegenteil ausgehen. Die Devise müßte lauten: noch lebensvoller, noch realistischer, noch praxisgerechter. Die Wissenschaft braucht dabei insbesondere in den Präliminarien nicht zu kurz zu kommen. Ich breite diese Gedanken hier einmal aus in voller Sorge, daß eine Sache, die ich persönlich zwar für politisch unzweckmäßig gehalten habe, die wir aber so gut wie möglich zu gestalten haben, an Überzeugungsfähigkeit und Bodennähe noch mehr verliert, wenn wir ihr nicht zu Hilfe kommen. Letzten Endes sind Sachverständigengutachten soviel wert, wie sie sich mit ihren Hauptgedanken als durchsetzbar erweisen. Mein Vorschlag ist, in Zusammenarbeit mit dem Herrn Bundeswirtschaftsminister im Wirtschaftsausschuß dieses Hauses die Frage der künftigen Methode der kommenden Gutachten grundsätzlich zu diskutieren. Wir sind ja in der glücklichen Lage, daß die jetzige Koalition eine solche Diskussion ohne politische Hektik und die Gefahr allzu kurzsichtiger Betrachtungsweise ermöglicht. Anlage 5 Schriftliche Antwort des Parlamentarischen Staatssekretärs Adorno vom 27. April 1967 auf die Mündlichen Anfragen des Abgeordneten Hübner (Drucksache V/1634 Fragen 69, 70 und 71) : Ist daran gedacht, die durch den Einsatz von einer elektronischen Großrechenanlage beim Übersetzerdienst der Bundeswehr erzielten Arbeitsvereinfachungen auch der interessierten Öffentlichkeit in der Weise nutzbar zu machen, daß sie gegen eine Gebühr die damit gegebenen Möglichkeiten nutzen kann? Bestehen Pläne, die beim Übersetzerdienst der Bundeswehr durch den Einsatz einer elektronischen Großrechenanlage möglichen Arbeitsvereinfachungen auch für die fremdsprachliche Arbeit anderer Ressorts zu nutzen? Bestehen Pläne zur Gründung eines zentralen Bundessprachenamtes zur Koordinierung und zentralen Finanzierung der Arbeit an wichtigen sprachlichen Problemen, zum Beispiel der Einsatzmöglichkeiten von Großrechenanlagen oder der Koordinierung terminologischer Vorhaben, um so Doppelarbeit zu vermeiden? Es ist in der Tat daran gedacht, die beim Übersetzerdienst der Bundeswehr erarbeiteten Verfahren der maschinellen Übersetzungshilfe und Lexikographie unter Verwendung einer elektronischen Datenverarbeitungsanlage für interessierte Kreise von Wirtschaft, Wissenschaft und Forschung nutzbar zu machen. Ein Erlaß . an den Übersetzerdienst, in dem die Modalitäten der Überlassung von Arbeitsergebnissen dieser Art an Stellen außerhalb der Bundeswehr geregelt werden, steht vor der Herausgabe. Was für die interessierten Stellen von Wirtschaft, Wissenschaft und Forschung gilt, gilt erst recht für die übrigen Bundesverwaltungen. Die anderen Bundesressorts können sich bereits heute für ihre fremdsprachliche Arbeit im Wege der Amtshilfe der Möglichkeiten bedienen, die im Sprachendienst der Bundeswehr und speziell beim Übersetzerdienst der Bundeswehr durch den Einsatz einer elektronischen Großrechenanlage für linguistische Zwecke zur Verfügung stehen. Es ist beabsichtigt, die interministerielle Zusammenarbeit auf diesem Gebiet durch Vereinheitlichung der Verfahren der Terminologiearbeit und durch Einspeisung möglichst aller terminologisch-lexikographischen Arbeitsergebnisse in den Zentralspeicher zum Nutzen sämtlicher Beteiligten zu rationalisieren und zu intensivieren. Es ist vorgesehen, die Sprachenschule der Bundeswehr, den Übersetzerdienst der Bundeswehr und einige Arbeitsgebiete des Sprachenreferats des Verteidigungsministeriums zu einem Sprachenamt zusammenzufassen. Da die linguistischen Disziplinen Übersetzen, Sprachunterricht und sprachwissenschaftliche Arbeit wechselseitig eng verzahnt sind, garantiert erst eine organisatorische und räumliche Zusammenfassung den größtmöglichen Arbeitserfolg. Erst nach dieser Zusammenfassung werden alle Möglichkeiten ausgeschöpft werden können, die in Gestalt moderner technischer Hilfsmittel und moderner Verfahren der angewandten Linguistik heute zu Gebote stehen. Das Sprachenamt soll als Bundesoberbehörde im Geschäftsbereich des Verteidigungsressorts konstituiert werden. Es soll zu etwa 20-25 % seiner Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 106. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. April 1967 5007 Kapazität den übrigen Bundesverwaltungen zur Verfügung stehen. Es wird gem. einer Vereinbarung mit dem federführenden Bundesministerium des Innern die Bezeichnung „Bundessprachenamt" führen. Ein Grundstück für das Bundessprachenamt steht in Hürth bei Köln zur Verfügung. Die Bauplanung ist in etwa abgeschlossen. Angesichts der absolut unzureichenden derzeitigen Unterbringung der Sprachenschule der Bundeswehr kann der Baubeginn nicht mehr länger hinausgeschoben werden. Die Lösung dieser Frage steht aber unter dem Zwang, den ein eingeschränkter Haushalt auferlegt. Die Vorstellungen über die Finanzierung bestimmter, über den Verteidigungsbereich hinausgreifender Aufgabenkomplexe des Amtes bedürfen noch der weiteren interministeriellen Abstimmung.
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Helmut Schmidt


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Um auf die Verkehrsverhältnisse zurückzukommen: Das ist ja ein Ausdruck, der durchaus im übertragenen Sinne verwendet werden kann. Ich hoffe, daß das Parlament der Bundesregierung durch die Weigerung, in ihrer Abwesenheit zu verhandeln, keine zu großen Schwierigkeiten eingebrockt hat. Aber bei einer Großen Koalition, die über eine so große Mehrheit in diesem Hause verfügt, findet der Dialog ja nicht so sehr zwischen den Fraktionen, sondern vielmehr zwischen diesem Haus und der Bundesregierung statt. Das ist eine etwas andere Situation als früher, und das müssen wir alle — auf den Bänken der Fraktionen wie auf den Bänken der Regierung — wahrscheinlich erst noch lernen.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Wir haben ja kein Interesse daran, unter uns Selbstbefriedigung zu treiben.

    (Heiterkeit.)

    — Ich habe eben Gelächter auf der Regierungsbank gehört. Ich werde jetzt ernst: Es ist nicht unsere Sache, daß wir uns hier „steril aufgeregt" miteinander unterhalten, während die Regierung durch ihre Ministerialdirigenten vertreten ist.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Ich habe nur wenige Bemerkungen zu machen, und es tut mir deshalb leid, daß ich der Anlaß für diese Unterbrechung war. Ich möchte sie damit einleiten, für meine Fraktion zu sagen, daß uns die Beantwortung der Großen Anfrage durch die Bundesregierung durchaus zufriedengestellt hat. Das vorweggeschickt, nun zwei oder drei kleine Bemerkungen.
    In der Frage 4 der beiden Regierungsfraktionen war die Sorge angesprochen worden, ob die Versorgung der Bundesrepublik mit Brennstoff und Spaltstoff für friedliche Zwecke auch in Zukunft sichergestellt werden kann. Der Herr Bundesaußenminister hat dazu eine relativ optimistische Auskunft gegeben. Aber er hat sich in dem Punkte doch ebenso relativ lapidar gefaßt. Ich wünsche sehr, daß an dem gleichen Tag, an dem die deutsche Unterschrift unter den Nonproliferationsvertrag gesetzt wird, auch die Unterschriften des amerikanischen und des deutschen Partners unter einen langfristigen Liefervertrag für Brennstoff und Spaltstoff gesetzt werden. Dies Problem mag im Augenblick manchem als sehr weit in die Zukunft gegriffen erscheinen. Ich bin überzeugt, daß es im Laufe von weniger als einem Jahrzehnt nicht nur ein erhebliches wirtschaftliches, sondern dann, wenn etwa die Versorgung nicht sichergestellt werden könnte, auch politisches Gewicht bekommen würde. Ich



    Schmidt (Hamburg)

    möchte in dem Punkt noch etwas weitergehen und anheimgeben, ob nicht die Bundesregierung im Schoße das dafür zuständigen Ministeriums — das wäre wohl Herr Stoltenberg — Pläne machen sollte, wie und auf welche Weise die Bundesrepublik selbst notfalls eine Art von Pilot-Plant, einen ersten Vorläufer einer eigenen deutschen Isotopentrennanlage, vorbereiten kann. Wir müssen damit zeigen, daß wir uns für unsere friedlichen Zwecke auch selber mit Kernstoffen und Spaltstoffen versorgen könnten und notfalls auch wollen. Ich habe den Eindruck, daß dieser Aspekt im Gesamtzusammenhang der noch zu führenden Gespräche über den Nonproliferationsvertrag von uns hervorgehoben werden müßte.
    In einer Antwort auf die Frage Nr. 6 hat Herr Brandt gesagt, daß der ins Auge gefaßte Vertrag, von dem endgültige Texte noch nicht ausgehandelt sind, keine internen Regelungen des nordatlantischen Bündnisses erschwere. Mir ist das durchaus plausibel vorgekommen. Ich habe die Antwort nicht zu kritisieren. Aber sie hat in mir die Frage ausgelöst, die ich hier artikulieren möchte und von der ich annehme, daß ich sie für alle drei Fraktionen des Hauses artikulieren kann: Was sind eigentlich die gegenwärtig geltenden internen Regelungen des Bündnisses auf diesem Felde? Wir haben relativ lange Zeit — ich meine, seit dem vorigen Sommer oder Frühherbst — nichts von den Entwicklungen auf diesem Felde gehört. Wir wissen, daß der Verteidigungsminister jüngst zu Besprechungen mit seinen übrigen Kollegen in dem sogenannten McNamara-Komitee oder der nuklearen Planungsgruppe der Allianz bei Herrn McNamara gewesen ist. Wir wissen, daß Anfang Mai eine NATO-RatTagung bevorsteht. Nach den Zeitungsnachrichten zu urteilen sollen dort vier alternative Strategien zur Debatte stehen. Mir kommt das reichlich abenteuerlich vor. Ich wäre froh, wenn wir eine hätten. Aber immerhin ist das ein Thema, das unter den Regierungen im Fluß ist. Zu diesem Thema möchten wir nicht nur wissen, was die Auffassung unserer eigenen Regierung ist, sondern auch selber Gelegenheit haben, uns rechtzeitig Gedanken zu machen, uns rechtzeitig zu äußern, damit wir nicht nur im nachhinein Kenntnis nehmen können. Das ist keine Kritik an der Antwort der Regierung, wohl aber eine ernstgemeinte Randbemerkung.
    Nun möchte +ich auf die öffentliche Debatte zurückkommen, die in den letzten Monaten in der Bundesrepublik zu dem Nonproliferationsthema stattgefunden hat und die ja noch andauert. Ich habe diese öffentliche Debatte zum Teil als nützlich, nämlich den deutschen Interessen förderlich, empfunden. Aber 'ich will ebenso deutlich sagen, daß ich manche öffentliche Äußerung aus dem Munde von Politikern wie auch in Zeitungen aus den Federn von frei tätigen Kommentatoren als den deutschen Interessen schädlich empfunden habe. Es hat unserem Ansehen weder im Westen noch im Osten noch in den neutralen Staaten der dritten Welt genützt, wenn wir durch die Benutzung außerordentlicher Vokabeln wie „Verewigung von Jalta" oder „Super-Versailles" den Eindruck hervorgerufen haben, als ob es uns möglicherweise um weit größere Probleme gehe, als in den offiziellen Demarchen und Vorstellungen unserer eigenen Regierung erkennbar.
    Der Herr Bundeskanzler, der ja für seine Kunst des Formulierens bekannt ist, wird es mir nachsehen, wenn ich mit allen Respekt sage, daß ich seine Formulierung von der „Komplicenschaft" der beiden großen Mächte auch nicht gerade für ein diplomatisches Meisterstück gehalten habe.

    (Zustimmung bei der SPD.)

    Der Außenminister hat, ich glaube, heute morgen — oder ist es in den letzten Wochen in seinen anderen öffentlichen Äußerungen der Fall gewesen? — davon gesprochen, daß die Bundesrepublik Deutschland keine Führungsrolle für die Nichtkernwaffenstaaten erstrebt habe oder erstrebe, die natürlich sehr weitgehend gleiche Interessen verfolgen und durchsetzen müssen, ehe sie etwa einem Vertrag dieser Art ihre Zustimmung geben. Ich halte das für eine richtige Einschätzung der Rolle, die die Bundesrepublik Deutschland bei der Vorbereitung dieses Vertrages spielen muß. Es ist nicht gut, sich so zu gerieren, daß, wenn der Vertrag, aus welchen Gründen auch immer, schließlich nicht zustande kommt, wir Deutschen vorher so viel Geräusch gemacht haben, daß wir mit großem Erfolg auch von denen, die froh sind, daß der Vertrag nicht zustande kommt, als diejenigen hingestellt werden, auf die man mit dem Finger zeigt, weil sie die Schuld am Nichtzustandekommen haben. Das wäre eine sehr unerwünschte Position für die deustche Bundesrepublik und wäre im übrigen auch vis-à-vis Ost für unsere Interessen nicht förderlich.
    Umgekehrt teile ich manche Gedanken derjenigen, die große Sorgen im Zusammenhang mit dem Vertrag haben, wie Herr Birrenbach sie vor der Mittagspause hier Vorgetragen hat. Die Regierung hat sie seit Wochen und Monaten längst zu den ihren gemacht und gegenüber unseren Partnern vertreten. Denjenigen aber, die diese Sorgen in der Öffentlichkeit zum Teil außerordentlich ausdrucksstark vorgebracht haben, möchte ich doch einmal die Lage vorhalten, die für sie entsteht, wenn schließlich der Vertrag zustande kommt, weil alle diejenigen, die gegenüber den Problemen des Vertrages in einer der Bundesrepublik Deutschland vergleichbaren Situation stehen, zugestimmt haben. Und wenn dann auch .die Bundesrepublik, weil nicht diskriminiert, zustimmen wird, dann frage ich mich, in welcher Lage sich mancher derjenigen befinden wird, die im Laufe der letzten drei Monate so überaus starke Reden geführt haben. Hier hat sich für mein persönliches Empfinden die alte, in der deutschen Außenpolitik durch Generationen hin und wieder zum Vorschein kommende Attitüde im Gegensatz zu dem, was wir in der Schule von unserem Latein- oder Geschichtslehrer gelernt haben, wieder hervorgekehrt: „fortiter in modo"; wie es dann „in re" sein wird, bleibt abzuwarten.
    Jetzt kommt der Teil der Bemerkungen, den ich wirklich an die Adresse der Bundesregierung richten möchte. Ich meine — und ich habe das Gefühl, daß es auf mehreren Seiten dieses Hauses Kollegen gibt, die der gleichen Meinung sind —, daß es angesichts dieser reichlich hochgepusteten öffentlichen



    Schmidt (Hamburg)

    Debatte seit Februar unserem „standing" in der Welt wohl angestanden haben würde, wenn die Bundesregierung früher als heute, früher als am 27. April öffentlich ihre Haltung dargetan hätte.

    (Zustimmung bei der FDP.)

    Im übrigen — auch das muß ich hier anfügen — habe ich es nicht für einen Ersatz der Klärung der Position der Bundesregierung gehalten, daß zwei ihrer Botschafter über diese Themen öffentliche Vorträge gehalten haben.

    (Beifall bei der SPD und der FDP.)

    Ich nehme an, daß mehrere Kollegen in diesem Hause sehr gerne im Laufe des Frühjahrs an der Klärung der deutschen Position in diesen Fragen teilgenommen hätten, daß sie sich aber, genau wie es mir gegangen ist, natürlich — wenn auch schweren Herzens — in ihrer eigenen Stellungnahme gegenüber Beamten der Bundesregierung zurückgehalten haben, da die sich ja nicht wehren können, wenn sie von einem Abgeordneten kritisiert oder zur Ordnunng gerufen werden. Ich meine, wenn sich die Bundesregierung bei einem so heißen Thema öffentlich äußert, kann das nicht durch Botschafter oder Beamte geschehen, es muß durch Minister geschehen, es muß in diesem Hause oder in seinen Ausschüssen geschehen.

    (Zustimmung bei der SPD.)

    Ein paar Bemerkungen zu den Kollegen von der FDP und 211 Herrn Schultz. Herr Schultz, Sie haben hier wieder lein paar alte Hüte hervorgeholt. Sie haben z. B. im Zusammenhang mit dem Thema „Mitbesitz" — da ist die Stellungnahme der sozialdemokratischen Fraktion völlig klar, wir haben das in der Debatte über die Regierungserklärung vom 13. Dezember zwei Tage danach, am 15. Dezember, ganz klargemacht — —

    (Zuruf von der FDP.)

    — Nein, Herr Schultz hat in diesem Punkt nicht zur Regierung gesprochen, sondern er hat gesagt — das war an die Adresse der CDU/CSU- und der SPD-Fraktion gerichtet —, vielleicht würde dieses Thema hinter den verschlossenen Türen der Großen Koalition ausgehandelt. Ich habe mir das notiert. Das fand ich nicht nett, Herr Schultz. Denn es gibt für Sie — so hoffe ich — keinen Zweifel, da wir uns ja alle gegenseitig kennen, und Sie wissen, was Sie von dem halten müssen, was wir sagen. Wir sagen das seit langer Zeit und haben in dem Punkt unsere Meinung nicht geändert.

    (Zuruf von der FDP: Von der Regierung haben wir nichts gehört!)

    — Herr Schultz hat von der 'Großen Koalition gesprochen und davon, daß sie hinter verschlossenen Türen etwas aushandeln könnte. Jetzt müssen Sie auch die Geduld aufbringen, eine Retourkutsche in aller Ruhe anzuhören, meine Herren von der FDP.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Da finde ich es einfach nicht nett — bei allem Respekt, lieber Herr Schultz —, daß Sie meinen, wir könnten hinter verschlossenen Türen etwas anderes aushandeln, als wir hier in diesem Parlament gesagt
    haben und heute wiederholen. Wir Sozialdemokraten sind dagegen, daß diese Forderung auf Mitbesitz erhoben wird. Wir sind dafür, daß sie abgeschrieben wird, weil wir ohnehin wissen, daß das Ganze völlig irreal ist.

    (Beifall bei der SPD und der FDP.)

    Deswegen wird es zwischen Herrn Barzel und seiner Fraktion und uns keinen Streit geben; denn er weiß seit vielen Monaten — und er hat auch nicht solche Vorstellungen —, daß er hinter verschlossenen Türen über diesen Punkt mit uns nicht etwas anderes aushandeln könnte. Man sollte von allen Seiten vermeiden, so zu tun, als ob die Große Koalition eine Angelegenheit sei, die die Sauberkeit in der deutschen Politik gefährden könnte.

    (Beifall bei den 'Regierungsparteien.)

    Dann haben Sie zwei alte sozialdemokratische Forderungen hier vorgetragen. Sie haben sie inzwischen zu den Ihren gemacht; ich danke Ihnen dafür. Es handelt sich um das Vetorecht. Ich weiß aber, daß sich die Bundesregierung längst für diese Vorstellung einsetzt. Der Bundesverteidigungsminister hat das — wenn ich es richtig beobachtet habe — bereits im Dezember vorigen Jahres im NATO-Rat getan. Wenn ich es richtig beobachtet habe, dann hat es auch die Bundesregierung in den letzten Wochen und Monaten gegenüber dem amerikanischen Vertragspartner erneut getan. Das gleiche gilt für das crisis management. Aber darüber werden Sie wahrscheinlich dann etwas hören, wenn der Bundesverteidigungsminister zum erstenmal vor diesem Hause die nach außen gerichtete verteidigungspolitische Konzeption der Regierung der Großen Koalition vorgetragen wird.
    Dann hat Herr Schultz auch von der MLF gesprochen. Das ist allerdings ein ganz alter Hut, Herr Schultz. Was soll er eigentlich hier unter uns? Der gehört doch nun wirklich nicht einmal mehr aufs Pfandhaus. Der gehört also wirklich in die Raritätenkammer. Das ist vorbei. Das ist längst gewesen. Sie wissen das auch. Sie haben hier Überlegungen angestellt, wie es wohl gewesen wäre, wenn Sie noch in der alten Koalition geblieben wären und dann die MLF zur Abstimmung in diesem Hause gestanden hätte. Was hätten Sie dann wohl tun müssen? Das wäre dann die nächste Koalitionskrise gewesen. Ganz sicher haben Sie recht, Herr Schultz.

    (Beifall bei den Regierungsparteien. — Heiterkeit.)

    Aber das ist eben so. Es hat gar keinen Zweck über das zu reden, „was gewesen wäre, wenn".
    Eine letzte Bemerkung in allem Ernst. Ich möchte, Herr Brandt, an Ihre Adresse eine im Privatgespräch schon einmal gemachte Erwägung hier ganz öffentlich wiederholen. Sie haben heute dargetan — andere Redner haben es dargetan, und wir alle wissen es —, daß, wenn dieser Vertrag zustande kommt und wenn wir ihn unterschreiben, weil er unsere Interessen nicht in irgendeinem vitalen Punkte berührt und im übrigen unseren Interessen dient, wir dann in diesem Vertrag Partner nicht nur der Vereinigten Staaten und nicht nur des Vereinigten



    Schmidt (Hamburg)

    Königreichs und vieler anderer Länder sein werden,
    sondern auch ein Vertragspartner der Sowjetunion.
    Ich bin nicht ganz sicher, ob wirklich der Versuch, auf die weitere Gestaltung des beabsichtigten Vertragswerkes Einfluß zu nehmen, oder der Versuch, auf die Interpretation der bereits verabredeten Sätze Einfluß zu nehmen, sie zu festigen oder sie eindeutig machen zu lassen, nur gegenüber dem einen Vertragspartner, den Vereinigten Staaten von Amerika, betrieben werden soll, oder ob er nicht möglicherweise auch gegenüber anderen zukünftiten Partnern dieses Vertrages unternommen werden muß. Immerhin suchen wir, glaube ich, nach Anknüpfungspunkten für die Beförderung der politischen Beziehungen gegenüber der Sowjetunion.
    Zum anderen kann ich in mir selbst die Befürchtung nicht ganz unterdrücken, daß eine authentische Interpretation durch den einen Vertragspartner, beispielsweise Amerika, vielleicht im Verein mit manchen anderen — und ehe sie die Interpretation geben, haben sie sie vielleicht auch noch Dritten oder Vierten gezeigt —, möglicherweise doch nicht ausschließt, daß später, nach Vertragsschluß andere Vertragspartner andere Interpretationen vorbringen und wir dann nachträglich zur Erkenntnis kommen, daß von Anfang an ein den Beteiligten bewußt gewesener Dissens vorgelegen hat. Ich habe erhebliche Sorgen in der Richtung. Ich würde daher — ohne daß ich eine abschließende Meinung in dem Punkte habe und ohne daß ich den gegenwärtigen Stand der diplomatischen Beziehungen zwischen Bonn und Moskau zu übersehen vermag — nur anregen, daß noch einmal überlegt werde, ob es wirklich gut ist, daß wir uns nur mit einem der zukünftigen Partner des Vertragswerkes, an dem wir beteiligt sein sollen, unterhalten.

    (Beifall bei der SPD.)

    Damit alle diese Bemerkungen in ihrem Gewicht richtig verstanden werden — und ich will ihnen wirklich nicht sehr viel Gewicht geben —, möchte ich nochmals wiederholen, daß die sozialdemokratische Bundestagsfraktion mit der Antwort, die wir gehört haben, sehr einverstanden ist. Wir halten es für verfrüht, da doch ein verbindlicher Vertragstext noch gar nicht vorliegt, sondern man sich immer noch im Stadium des Aushandelns befindet und dabei, wie Herr Brandt vorgetragen hat, bei der Verfolgung der deutschen Interessen in den letzten Wochen und Monaten erhebliche Fortschritte und Erfolge erzielt hat, in diesem Stadium zur Frage der Unterzeichnung irgendwelche Vorwegstellungnahmen abzugeben.
    Mir scheint, eine solche Debatte wie die heutige und die Auskünfte, die wir bekommen haben, dienen dazu, die Position der Bundesregierung bei dem Versuch zu festigen, auch das, was bei unseren Wünschen noch offen ist, zu fördern. Die Bundesregierung hat die uns verbündeten Staaten, die an diesen Vorarbeiten beteiligt sind, mit Erfolg gebeten, unsere vitalen Interessen zu vertreten. Sie tut das weiterhin. Vor Abschluß dieser Arbeiten am Entwurf, vor Abschluß dieser Gespräche mit den Verbündeten und, ich sage es noch einmal, möglicherweise auch mit anderen zukünftigen Vertragspartnern sollten, meine ich, in unserer Öffentlichkeit — und das gilt auch für uns selbst, die wir nicht nur in diesem Hause, sondern auch bei anderer Gelegenheit zu diesem Thema sprechen — die großen Aufzählungen der theoretisch möglichen maximalen Gefährdungen, die darin liegen könnten, etwas entdramatisiert und etwas sachlicher und realistischer vorgetragen werden. Sie sollten um Gottes willen nicht unterdrückt werden. Hier liegen in mancherlei Beziehung große Besorgnisse vor, die artikuliert werden müssen. Ich wäre aber dankbar, wenn das immer in der sehr sachlichen und völlig emotionslosen Weise geschähe, wie es z. B. heute Kollege Birrenbach hier vor dem Essen getan hat.
    Ich danke Ihnen sehr für Ihre Aufmerksamkeit.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)



Rede von Erwin Schoettle
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Das Wort hat der Abgeordnete Borm.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dr. William Borm


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich begrüße es, daß die Politik, wie der Kollege Schmidt gesagt hat, hier im Plenum stattfindet und nicht hinter verschlossenen Türen. Was aber den „alten Hut" betrifft, so sind wir leider nicht im Besitz der Produktionsziffern der neuen Hüte, und deswegen müssen Sie uns schon gestatten, wenn wir ab und an, um nicht bloß dazustehen, auch mal einen alten Hut aufsetzen.
    Immerhin begrüße ich es, daß die heutige Debatte in einer solchen Breite geführt wird, mit einer solchen Aufmerksamkeit verfolgt wird, wie sie der Bedeutung dieses Problems entspricht. Es geht nämlich um ein Problem, das von weltweiter Bedeutung ist; es geht um die Frage, wie ein Konflikt vermieden werden kann, wie der Friede gesichert werden kann, und es geht um den Versuch, die Menschheit zunächst nicht weiter der drohenden Anwendung von Atomwaffen auszusetzen, und es geht in der Endzielsetzung um den Versuch, durch Vernichtung des Waffensystems die Bedrohung völlig auszuschalten.
    Zwei Verträge sind vorhergegangen: einer über den Atomstopp vom 5. August 1963 und neuerdings am 14. Februar 1967 die regional begrenzte Übereinkunft, mindestens in Lateinamerika keine Atomwaffen einzusetzen. Wir wären glücklich, wenn diese Dinge weltweit zum Tragen kämen. Europa — und in ihm das getrennte deutsche Volk in seinen beiden Teilgebieten — hat in diesem Bestreben, den Frieden zu sichern und die Gefahren durch die Atombombe auszuschalten, eine bedeutende Funktion zu erfüllen. Meine Fraktion will durch den Antrag zur atomaren Rüstung und zur friedlichen Nutzung der Atomenergie mehrere Ziele, die uns wichtig zu sein scheinen, deutlich machen. Sie will auch an dieser Stelle noch einmal eindeutig die Erklärung der Bundesregierung herbeiführen, daß wir weder den Besitz noch den Mitbesitz von atomaren Waffen anstreben, und es soll deutlich gemacht werden, daß gerade dieses Nichtstreben nach atomarem Besitz auch in Zukunft die Grundlage



    Borm
    der politischen Entscheidung der Bundesregierung sein wird.
    Meine Fraktion will ferner erreichen, daß sich die Bundesregierung zum Fürsprecher der weltweiten Bestrebungen macht, zunächst einmal ein Herstellungsverbot weiterer Atomwaffen zu erreichen und danach schrittweise das bestehende Atomwaffenpotential zu vernichten. Meine Fraktion erkennt sehr genau, daß mit dem Fortgang der technischen Entwicklung die Gefahr und die Möglichkeit wachsen, daß die Atomenergie, die friedlichen Zwecken zu dienen hat, zu militärischen Zwecken mißbraucht werden kann. Trotz dieser Gefahr — das ist ein Problem und vielleicht d a s Problem — muß die Teilhabe aller nicht Atomwaffen besitzenden Mächte an der friedlichen, den Fortschritt der Menschheit fördernden Nutzung der Atomenergie gewährleistet bleiben.
    Meine Fraktion will, daß die Bundesregierung für eine Übergangszeit in Erfüllung ihrer Verantwortung, die Substanz des ganzen deutschen Volkes zu erhalten — das ist wohl die Aufgabe der Bundesregierung in erster Linie —, ein Vetorecht innerhalb des NATO-Bündnisses gegen den Einsatz von Atombomben von deutschem Boden aus und gegen deutschen Boden erreicht. Diese Zielsetzung scheint meiner Fraktion unter den gegebenen Umständen real erreichbar zu sein. Wir wären deshalb dankbar, wenn die Bundesregierung unsere Anregungen aufgreifen würde und in der Frage der atomaren Rüstung ihre Politik entsprechend gestalten könnte.
    Ich spreche, meine Damen und Herren, von der Zielsetzung. Der von den USA und der Sowjetunion gemeinsam angestrebte Vertrag über die Nichtweitergabe von Atomwaffen kann nach unserer Ansicht nur dann sinnvoll sein, wenn er folgendes beinhaltet:
    a) Der Vertrag muß ein erster Schritt auf dem Wege zur weltweiten und völligen atomaren Abrüstung sein, auch bei denjenigen Staaten, die heute noch im Besitz von Atomwaffen sind.
    b) Der Vertrag kann zunächst nichts weiter sicherstellen, als daß der Kreis der Atomwaffen besitzenden Mächte sich nicht vergrößert, weder durch eigene Entwicklung von Atomwaffen noch durch deren Bezug. Um einen Mißbrauch der Kernenergie auszuschalten, scheint auch uns ein geeignetes Kontrollsystem notwendig zu sein, wobei Art und Umfang der Kontrolle ausschließen müssen, daß mit dieser notwendigen Kontrolle Mißbrauch getrieben wird.
    Die praktische Durchführung setzt eine Reihe von Maßnahmen voraus, zu deren Durchsetzung die Bundesrepublik ihren vollwertigen Beitrag leisten sollte. Gerade die Bundesrepublik, aber auch der unfreie Teil des deutschen Volkes befinden sich gegenüber den anderen Nationen immer noch in einer Sonderlage. Die Welt hat das Fehlverhalten Deutschlands in der jüngsten Vergangenheit noch nicht vergessen. Wir müssen zugestehen, daß die Furcht vor einer Wiederholung eines derartigen Fehlverhaltens bei manchen Völkern durchaus legitim ist, wenn wir uns auch völlig darüber klar sind, daß diese Furcht oftmals nur ein willkommener Vorwand und ein stets bereites Mittel ist, das deutsche Volk unter moralischen Druck zu setzen und durch diesen Druck fragwürdige eigene politische Vorteile zu erlangen. Wir mögen dies bedauern und wir mögen dies für unbegründet halten, ein politischer Faktor ist und bleibt es dennoch.
    Unter diesen Umständen fragen wir uns, ob es denn nötig war, daß gerade die Bundesrepublik sich zum Wortführer aller jener aufgeworfen hat, mit denen uns das gleiche Interesse verbindet. Zurückhaltung wäre hier sicherlich am Platz gewesen und hätte unseren politischen Widersachern, wo immer sie beheimatet sein mögen, nicht einen weiteren billigen Vorwand gegen uns bieten können.
    Wir begrüßen es, daß die Fraktionen der Koalition durch ihre Große Anfrage ihren Beitrag zur notwendigen Diskussion über den Atomwaffensperrvertrag leisten wollen. Das sollte Gelegenheit bieten, darzutun, daß alle drei Fraktionen des Deutschen Bundestages sich gemeinsam verpflichtet fühlen, an Stelle des labilen und etwas makabren Patt stabile Verhältnisse in der Welt anzustreben. Sicherlich sind wir alle der Meinung, daß das im Endzustand nur dann erreichbar ist, wenn die völlige Abrüstung auf atomarem Gebiet Wirklichket geworden ist. Bis dahin ist es aber noch ein weiter Weg. Wir müssen uns eben damit abfinden, daß dieser Weg nur schrittweise zurückgelegt werden kann. Sicherlich wird es auch sehr viele Auffassungsunterschiede über die Dinge geben. Es dürfte notwendig sein, gerade in dieser lebenswichtigen Frage zu einer tragbaren und geeigneten Übereinstimmung zu gelangen.
    Nun hat es die Bundesregierung für richtig gehalten, ihren Beauftragten, den Botschafter Schnippenkötter, zu eingehenden Konsultationen nur in die USA zu entsenden. Wir wissen nicht, mit welchen Ergebnissen er zurückgekehrt ist. Aber wir können nicht umhin, unser Bedauern darüber auszudrücken, daß die Bundesregierung ihre Konsultationen nur mit den USA geführt hat. Die USA sind nur eine der beiden atombesitzenden Weltmächte. Wenn die Bundesrepublik einen wirklichen Beitrag zur Friedenssicherung leisten will, so wird sie nicht umhin können, im Einvernehmen mit unseren Verbündeten Konsultationen auch mit Moskau durchzuführen. Durch derartige Besprechungen wird nicht nur das Bestreben Moskaus stark behindert, die Bundesrepublik zum Prügelknaben für alle Zukunft zu machen und zu diffamieren. Es wird vielmehr das Gespräch versachlicht, und die Position, welche die Bundesrepublik als Förderer der atomaren Abrüstung einnehmen sollte, wird hinsichtlich ihrer Möglichkeiten und Methoden dadurch leichter überschaubar.
    Nun gibt es eine Fülle von Unsicherheiten, die heute in ihren Auswirkungen durchaus noch nicht übersehbar sind. Diese Unsicherheiten bestehen derzeit darin, daß zwei Atommächte, nämlich Frankreich und China, bisher noch jede Beteiligung an dem angestrebten Vertragswerk ablehnen. Dieses Vertragswerk kann aber nur dann wirksam wer-



    Borm
    den, wenn ausnahmslos alle Staaten der Welt ohne Vorbehalte und ohne Hintergedanken an seiner Verwirklichung mitarbeiten.
    Eine weitere Unsicherheit besteht darin, daß die technische Entwicklung nicht im voraus überschaubar ist. Die angestrebten Kontrollen basieren auf den heutigen technischen Gegebenheiten. Wir wissen, daß diese Gegebenheiten wandelbar sind und daß andere Voraussetzungen eintreten können. Dadurch müßten zwangsläufig Art und Umfang der Kontrollen geändert werden, und das führt zu Auseinandersetzungen über die Auslegung des erstrebten Vertragswerks, löst endlose Streitigkeiten aus, und die Wirksamkeit des Vertrages könnte dadurch hinfällig gemacht werden.
    Ferner wissen wir nicht, ob das jetzige Verhältnis der beiden atomaren Weltmächte zueinander für alle Zukunft gleichbleiben wird. Es kann sehr wohl der Zustand eintreten, daß sich eine der beiden Weltmächte einseitige Vorteile unter gegebenen Umständen für sich ausrechnet, so daß der heutige Gleichklang der Interessen nicht mehr besteht, der darauf beruht, daß die beiden Mächte einen atomaren Konflikt aus Selbsterhaltungsgründen vorrangig zu vermeiden wünschen.
    Endlich darf nicht übersehen werden, daß die über hundert Staaten, die als mögliche Mitunterzeichner in Frage kommen, ebensoviel eigene Interessen vertreten, so daß es unmöglich ist, in dem abzuschließenden Vertragswerk all diesen verschiedenen Ansichten voll gerecht zu werden.
    Unter den gegebenen Umständen erscheint es unmöglich, alle Eventualitäten auch nur zu registrieren, geschweige denn, sie perfektionistisch und vorausschauend zu regeln. Das Vertragswerk muß seiner Natur nach pragmatisch sein. Seine Bestimmungen müssen flexibel sein. Sie dürfen niemandem einseitige Verpflichtungen auf die Dauer auferlegen, und dieses Vertragswerk muß unter gewissen Bedingungen revisibel sein.
    So sehr wir bereit sind, jeden Verdacht auszuräumen, wir würden irgendwie durch die Hintertür atomaren Besitz oder Mitbesitz anstreben, so wenig können wir auf die Dauer hinnehmen, daß die Welt in atomare Habenichtse und atombesitzende Nationen eingeteilt bleibt. Da ein allseitiger Besitz von Atomwaffen schlechterdings indiskutabel ist, bleibt nur übrig, daß im Endziel die Atomwaffen überhaupt verschwinden. Die Aufgabe der Bundesrepublik sollte es sein, dieses Endziel nie aus den Augen zu verlieren und es im Einvernehmen mit den atomaren Habenichtsen — lassen Sie mich das so sagen — ständig anzusteuern.
    Die Lage unserer geteilten Nation legt es uns nahe, in diese Bestrebungen der Bundesrepublik auch den unfreien Teil unseres Volkes mit einzubeziehen. Hier wäre geradezu eine klassische Gelegenheit gegeben, in der praktischen Politik abseits jeder ideologischen Differenzen den gemeinsamen Willen aller Deutschen zur Sicherheit des Friedens auf der Welt zu dokumentieren. Es würde sich die Möglichkeit bieten, durch praktische Politik zu testen, ob und inwieweit es den Machthabern in der DDR ernst mit ihrer plakatierten Aussage ist, sie wollten stets und immer und überall nur den Frieden sichern.
    Nun stimmen beide Teile Deutschlands wenigstens in ihren Verlautbarungen darin überein, daß sie atomaren Besitz oder Mitbesitz nicht anstreben. Wenn dem aber 'so ist, so ist nicht einzusehen, warum dann auf deutschem Boden in beiden Teilen unseres geteilten Landes die jeweiligen Verbündeten atomare Waffendepots unterhalten. Ich glaube, daß es der Bundesrepublik nicht schlecht anstehen würde, wenn sie ihre Bestrebungen darauf richtete, daß auf ihrem Gebiet diese Depots so bald wie möglich verschwinden. Der DDR wiederum sollte daran gelegen sein, das gleiche bei ihrem Verbündeten, bei der Sowjetunion, zu erreichen. Die Sicherheit beider getrennten Teile würde dadurch keineswegs beeinträchtigt werden, schon deswegen nicht, weil beide atomaren Weltmächte daran interessiert sind, die Schwelle zum Einsatz der atomaren Waffen im Konfliktsfall möglichst hochzusetzen. Nicht nur in der politischen Optik würde Deutschland bei diesem vorgeschlagenen Bestreben eine gute Figur abgeben.
    Mir scheint hier ein Wort der Erwiderung zu den Ausführungen des Kollegen Dr. Birrenbach nötig zu sein. Er fragte uns, wie wir uns die Verteidigung der Bundesrepublik in Abwesenheit atomarer Waffen vorstellen. Er hält die Anwesenheit und die Einsatzmöglichkeit atomarer taktischer Waffen im Rahmen der NATO im Konfliktsfall geradezu für erforderlich. Er erblickt darin einen hohen Abschreckungseffekt. Dieser Meinung, Herr Kollege Dr. Birrenbach, sind wir allerdings ganz und gar nicht. Das beweist schon unser Vorschlag, Atomwaffen jeder Stärke aus ganz Deutschland abzuziehen. Uns scheint auch 'so etwas wie ein Mißtrauen gegen unsere amerikanischen Freunde daraus zu sprechen, wenn wir den Einsatz atomarer Waffen unter unserer Beteiligung verlangen.
    Wir glauben, daß die NATO eine Gemeinschaft von Staaten ist, die ihre gleichgelagerten Interessen gemeinsam verteidigen und gemeinsam wahren wollen. Entweder bleibt diese Prämisse gegeben — alle NATO-Partner sollten eine darauf gerichtete Politik betreiben —, dann wird jeder an seinem Platz gewissermaßen in einer Arbeitsteilung mit seinen Mitteln im notwendigen Umfang in Aktion treten; oder die Prämisse besteht nicht mehr, dann werden wir ohnehin den Einsatz atomarer Waffen mangels Eigenbesitzes nicht erreichen können. Diese nüchterne Überlegung lag auch den Ausführungen meines Kollegen Schultz zugrunde, als er sich Gedanken machte über eine eventuell notwendige Umgestaltung des deutschen Beitrages zur Verteidigung.
    Atomwaffen sind eben nicht nur ein militärisches Potential, sie sind in erster Linie — mindestens vor ihrem Einsatz — ein politisches Requisit. Ich betone, daß meine Fraktion eine deutsche Beteiligung am atomaren politischen Spiel ausgeschaltet wissen möchte, und dies beiderseits der Demarkationslinie.
    Ich weiß nicht, ob ich den Kollegen Dr. Birrenbach richtig verstanden habe, aber es schien uns



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    immer so, als ob die Skepsis das Beherrschende war. Ich will nicht direkt sagen, daß wir im wesentlichen das Nein heraushörten, aber wenn dies einhellig die Meinung der Kollegen in der CDU/CSU sein sollte, dann dürften die entsprechenden negativen Reaktionen aus dem Ausland sicherlich nicht ausbleiben.
    Meine Damen und Herren, noch ein Wort zu der beabsichtigten Praxis in der Kontrolle des Atomsperrvertrages. Sie wissen, daß die Ansichten darüber auseinandergehen, über welche Institutionen die Kontrolle durchzuführen sei, über die Internationale Atombehörde in Wien oder über das Instrument der sechs EWG-Staaten, Euratom. Unzweifelhaft ist Euratom nur für die EWG-Staaten zuständig, während die Wiener Behörde international umfassendere Aufgaben durchführen soll. Wir sollten auf die Mitbeteiligung der Euratom nicht verzichten. In der Erkenntnis aber, daß die Wirksamkeit von Euratom regional begrenzt ist, muß nach Wegen gesucht werden, die einen Ausgleich der Interessen anstreben. Wir sind von der Notwendigkeit der Kontrollen überzeugt. Über die Kontrollnotwendigkeit hinaus aber müssen wir uns dagegen verwahren, daß unsere technischen Erkenntnisse unter dem Vorwand, sie müßten kontrolliert werden, etwa ausgeforscht werden können.
    Meine Damen und Herren, die Schwierigkeiten, die der Lösung der atomaren Frage entgegenstehen, sind kaum überzubewerten. Wir sind hoffentlich alle darüber einig, daß ein Vertragswerk entstehen muß und daß dieses Vertragswerk nicht bereits durch seinen Inhalt den Todeskeim in sich tragen darf. Das Vertragswerk muß daher pragmatisch und nicht perfektionistisch sein.
    Die Welt ist nun einmal nicht statisch, sondern in stetem Wandel begriffen. Das heißt, in einer so schwierigen Materie kann am Anfang der Bemühungen nicht erwartet werden, daß durch ein wie immer geartetes Vertragswerk alle Fragen befriedigend gelöst werden können. Ich entsinne mich da eines russischen Sprichworts, das mir immer besonders beherzigenswert erschien; es heißt: „Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser." Danach sollten auch wir handeln. Wir sind bereit, unseren Freunden jedes Vertrauen entgegenzubringen. Aber ich möchte betonen, daß wir auch bei unseren Widersachern den guten Willen, ohne den Gegenbeweis geführt zu sehen, unterstellen wollen und sollten.
    Wir sollten aber nicht an ein unbefristetes Vertragswerk herangehen, das uns für alle Zeiten Fesseln auferlegen könnte. Wir sollten uns die Möglichkeit offenhalten, bei einer offenbar allseits negativen Entwicklung wieder freie Hände zu bekommen. Wir sind bereit, für eine bestimmte Zeit allen Maßnahmen, die erforderlich zu sein scheinen, zuzustimmen. Wir werden aber aufmerksam beobachten, was unsere Freunde und unsere Widersacher im letzten mit dem Vertragswerk anstreben. Wir wollen nicht, daß die Welt geteilt bleibt. Um diese Teilung zu überwinden, sind wir bereit, jeden geeigneten Weg mitzugehen, allerdings nicht bedingungslos für alle Zukunft.
    Wir glauben, daß die Bundesregierung angesichts der vielen Unsicherheitsfaktoren und angesichts der nicht überschaubaren künftigen Entwicklung es zur Bedingung machen sollte, nach einer Frist von etwa fünf Jahren eine Überprüfung des Vertrages verlangen zu dürfen. Je nach den gemachten Erfahrungen wird sich dann zeigen, ob das Vertragswerk dem zu erklärenden Willen der Unterzeichner gerecht wird, ob es geeignet ist, den Frieden zu sichern, oder ob es einseitige Vorteile zu Lasten anderer Vertragschließender ermöglicht.
    Deswegen glauben wir, daß die Bundesrepublik zu dem angestrebten Vertragswerk ja sagen sollte, daß sie aber ebenso darauf dringen sollte, dieses Vertragswerk revisibel zu machen.
    Nun haben wir heute die Antwort der Bundesregierung gehört. Auch wir sind der Meinung, daß es gut gewesen wäre, wenn die Regierung nicht nur durch den Antrag meiner Fraktion und durch die Fragen der beiden anderen Fraktionen genötigt worden wäre, aus ihrer Reserve herauszutreten; wir hätten es begrüßt, wenn uns die Bundesregierung bereits früher aus eigener Initiative über ihre Ansichten und über die Möglichkeiten ins Bild gesetzt hätte. Aber immerhin, wir haben trotzdem aufmerksam die Antwort der Bundesregierung gehört, die durch den Herrn Bundesaußenminister vorgetragen wurde. Wir begrüßen es, daß in wesentlichen Fragen eine Übereinstimmung mit uns festzustellen ist und daß die Grundlage, von der aus die Bundesregierung ihre Politik betreiben will, als Endziel auch ihrerseits die Abschaffung aller Atomwaffen vorsieht. Wir haben auch aufmerksam studiert, wo der Herr Bundesaußenminister etwas mehr in das Konkrete und in die Einzelheiten gegangen ist, und wir wünschen ihm in dem, was er vorgetragen hat, und in seiner Zielsetzung jeden Erfolg. Wir begrüßen das Bekenntnis zur Notwendigkeit, Rüstung — nicht nur atomarer Art, sondern jeder Art — zu begrenzen und zu kontrollieren, und wir teilen die Ansicht der Bundesregierung, daß durch den Atomsperrvertrag die Zukunft Deutschlands stark beeinflußt werden wird. Das macht äußerste Aufmerksamkeit und die Zusammenfassung aller Kräfte nötig.
    Zu begrüßen ist auch, daß die Bundesregierung sich der Bedeutung bewußt ist, die der Geltungsdauer des Vertrages zukommt. Es mag sein, daß die Bundesregierung manche Dinge in der Schwebe gelassen hat, weil sie glaubte, sich heute noch nicht abschließend äußern zu können. Ich möchte aber noch einmal darauf hinweisen, und zwar gerade im Hinblick auf die Äußerung der Bundesregierung, daß nach unserer Meinung ein wesentlicher Beitrag der Bundesrepublik geleistet werden kann, wenn sie sich nicht auf die Konsultation mit unseren Freunden und anderen Nationen, mit denen uns gleiche Interessen verbinden, beschränkt, sondern wenn auch das andere Lager mit konsultiert wird.
    Nicht ohne Bedenken allerdings verzeichnen wir, daß die Bundesregierung es zur Zeit nicht für zweckmäßig hält, ein besonderes Abkommen über die Produktion von Kernwaffen und die etappenweise Vernichtung des bestehenden Atompotentials vorzuschlagen. Die Bundesregierung hat uns für



    Borm
    diese ihre Haltung keine Begründung gegeben. Wir glauben aber unsererseits nach wie vor, daß auch jetzt bereits der Zeitpunkt gekommen ist, an dem die Bundesregierung zu erkennen geben sollte, daß die Vernichtung der Atomwaffen auch für sie der entscheidende Beitrag zur Friedenssicherung ist. Der Herr Bundesaußenminister sagte wörtlich: „Die Herstellung der Bombe ist heute weniger eine Frage des Wissens als des politischen Willens." Dem stimmen wir voll zu. Es genügt aber nicht, derartige Erkenntnisse zu gewinnen; es ist vielmehr erforderlich, auch danach zu handeln, und zwar nicht nur im Teilaspekt der Atomabrüstung, sondern generell in der täglichen politischen Praxis. Ich führte bereits aus, daß wir Deutsche eine schwere Hypothek abzutragen haben, und dies wird um so eher möglich sein, je weniger wir in unserer politischen Tagesarbeit im Zwielicht erscheinen.
    Neben der Sicherung des Friedens steht selbstverständlich für uns Deutsche gleichbedeutend auch die Frage unserer Sicherheit. Da diese militärisch unter den gegebenen Umständen nicht zu sichern ist, bedarf es einer glaubwürdigen, konsequenten Politik. In der Erklärung der Bundesregierung sehen wir ermutigende Ansätze. Wir werden aufmerksam beobachten, ob und inwieweit sich diese Erklärung in der politischen Praxis niederschlägt. Wir werden auch in diesem Falle — und die Opposition gibt uns nicht nur das Recht, sondern die Pflicht dazu — nach dem bewährten Grundsatz handeln: Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser.

    (Beifall bei der FDP.)