Gesamtes Protokol
Die Sitzung ist eröffnet.
Ich habe die Freude, zunächst dem Herrn Kollegen Dr. Wahl zu seinem 60. Geburtstag die Wünsche des Hauses auszusprechen.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung soll die heutige Tagesordnung ergänzt werden, und zwar um die
Beratung des Schriftlichen Berichts des
Außenhandelsausschusses über die von der
Bundesregierung vorgelegten Vorschläge zur Verordnung des Rates der EWG , Berichterstatter Abgeordneter Unertl;
Beratung des Mündlichen Berichts des Vermittlungsausschusses über das Gesetz über die Allgemeine Statistik in der Elektrizitäts-
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Minister Lemmer;
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Minister Lemmer.
Ist das Haus mit diesen Ergänzungen einverstanden? — Ich höre keinen Widerspruch; es ist so beschlossen.
Die folgenden amtlichen Mitteilungen werden ohne Verlesung in den Stenographischen Bericht aufgenommen:
Der Herr Vorsitzende des Vermittlungsausschusses hat mit Schreiben vom 28. März 1963 mitgeteilt, daß der Gesetzesbeschluß des Bundestages vom 5. Dezember 1962 zur Änderung des Gesetzes zur Förderung der deutschen Eier- und Geflügelwirtschaft bestätigt wurde. Sein Schreiben wird als Drucksache IV/ 1160 verteilt.
Der Herr Bundesminister der Verteidigung hat unter dem 27. März 1963 die Kleine Anfrage der Fraktion der SPD betr. Behandlung des Falles Barth beantwortet. Sein Schreiben wird als Drucksache IV/ 1159 verteilt.
Der Herr Bundesminister für Verkehr hat unter dem 27. März 1963 gemäß § 4 des Gesetzes über eire Untersuchung von Malinahmen zur Verbesserung der Verkehrsverhältnisse der Gemeinden vom 1. August 1961 einen Zwischenbericht über den Stand der Arbeiten erstattet. Sein Bericht wird als Drucksache IV/ 1158 verteilt.
Der Herr Präsident des Bundestages hat entsprechend dem Beschluß des Bundestages •vom 25. Juni 1959 den Vorschlag der Kommission für eine
Verordnung des Rates über eine von Artikel 7 und 8 der Verordnung Nr. 20 des Rates abweichende Regelung betr. die Festsetzung der Einschleusungspreise und der Zusatzbeträge für einige Schweinefleischerzeugnisse
dem Außenhandelsausschuß — federführend — und dem Ausschuß fair Ernährung, LandwIrtschaft und Forsten — mitberatend — überwiesen mit der Bitte am Vorlage des Berichts rechtzeitig vor dem Plenum am 29. März 1963.
Wir treten in die Tagesordnung ein und kommen zum ersten Tagesordnungspunkt, der
Fragestunde .
Zunächst die Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesschatzministers! Frage XII/ 1 — des Abgeordneten Schmidt —:
In welcher Höhe sind Etatmittel seit 1949 für die baulichen Belange des Bundestages und der Bundesregierung, das heißt für Neu-, Um- und Ausbauten im Raume Groß-Bonn ausgegeben worden?
Der Fragesteller ist nicht im Hause. Werden die drei Fragen des Abgeordneten Schmidt übernommen?
— Dann darf ich zur Beantwortung der aufgerufenen Frage und der weiteren Fragen des Abgeordneten Schmidt XII/2:
Wie verteilen sich diese Summen auf die einzelnen Baumaßnahmen des Bundestages und der verschiedenen Ministerien im Raume Groß-Bonn?
und XII/3:
Welche Baumaßnahmen und welche dazu benötigten Etatmittel glaubt die Bundesregierung für die nächsten Jahre ansetzen zu müssen, um die Arbeitsbedingungen des Bundestages und der Bundesregierung so zu gewährleisten, daß der Charakter des Provisoriums Bonn dennoch erhalten bleibt?
Herrn Minister Niederalt bitten.
Ich darf für meinen Kollegen Dr. Dollinger, der noch in Urlaub ist, die Fragen beantworten.Zur ersten Frage: Für die baulichen Belange des Deutschen Bundestages sind seit 1949 an Haushaltsmitteln insgesamt 12 450 000 DM, für Zwecke der Bundesregierung 164 550 000 DM und für den Bun-
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3252 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 71. Sitzung. Bonn, Freitag, den 29. März 1963
Bundesminister Niederalt desbedienstetenwohnungsbau 276 000 000 DM aufgewendet worden.Die Beantwortung der Frage 2 erfordert so umfangreiches Zahlenmaterial, daß es leider in der zur Verfügung stehenden kurzen Zeit nicht zusammengestellt werden konnte. Ich glaube auch, daß eine mündliche Darstellung des Materials kein klares Bild vermitteln würde, und bitte Sie deshalb, Herr Abgeordneter, damit einverstanden zu sein, daß Ihre Frage schriftlich beantwortet wird.
Zu Frage 3: In welcher Weise und in welchem Umfang der Bundestag seine Arbeitsbedingungen für die nächste Zeit unter Berücksichtigung des Provisoriums Bonn zu verbessern gewillt ist, hängt von der Entscheidung des Hauses selbst ab. Die Bundesregierung kann dem Bundestag insoweit nur durch das Bundesschatzministerium die notwendige fachliche Hilfe für seine Überlegungen zur Deckung des Bedarfs zur Verfügung stellen.Der Fehlbedarf an Büroräumen der Bundesregierung beträgt insgesamt rund 40 000 qm. Es sind Überlegungen im Gange, ob und wie unter Berücksichtigung städtebaulicher Erfordernisse und verkehrsmäßiger Belange sowie unter besonderer Beachtung des Charakters der Stadt Bonn als vorläufiger Bundeshauptstadt eine wirtschaftlich vernünftige und organisatorisch zweckmäßige Bedarfsdeckung erreicht werden kann. Dabei ist auch die Frage von besonderer Bedeutung, inwieweit Baracken und die über den gesamten Raum Bonn verstreuten Mietobjekte mit insgesamt 34 000 qm Bürofläche beibehalten werden sollen. Alle diese Überlegungen sind aber noch nicht in einem Stadium, daß es möglich wäre, konkrete Angaben zu den von Ihnen, Herr Abgeordneter, gestellten Fragen zu machen.Eine letzte Bemerkung zu diesem Problem: Die Gedanken zur Verbesserung der Arbeitsfähigkeit des Parlaments und der Bundesregierung sind darüber hinaus gebunden an das Gesetz zur Einschränkung der Bautätigkeit - Baustoppgesetz —, dessen Verlängerung bis Ende 1964 in Aussicht genommen ist und das u. a. die Errichtung von Büro- und Verwaltungsgebäuden verbietet.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Kohut!
Wird bei diesen Überlegungen auch daran gedacht, daß das Reichstagsgebäude in Berlin weiterhin ausgebaut wird, so daß immerhin noch die Möglichkeit eines Umzuges des Deutschen Bundestags zu gegebener Zeit besteht?
Daran wird gedacht.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Rutschke.
Herr Minister, können Sie mir sagen, welche Kostenvoranschläge oder rohen Kostenvoranschläge für die letzte Frage bestehen?
Herr Kollege, Sie werden verstehen, daß ich als Vertreter meines in Urlaub befindlichen. Kollegen Dollinger nicht so hundertprozentig in der Materie drin bin; aber ich glaube, aus meiner Antwort auf die Fragen haben Sie schon ersehen, daß es ungeheuer schwer ist, überhaupt mit kostenmäßigen Vorausplanungen schon zu kommen, wenn man .gar nicht weiß, was eigentlich gewollt wird.
Eine weitere Zusatzfrage.
Hat man zumindest Vorstellungen von den Kosten, die entstehen werden?
Nach meiner Kenntnis nicht, und zwar einfach deshalb nicht, weil man den Umfang der möglichen Baumaßnahmen heute noch nicht kennt.
Keine weiteren Zusatzfragen? — Ich danke Ihnen, Herr Minister.
Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Gesundheitswesen! Die Frage XIII/1 — des Herrn Abgeordneten Glüsing — ist zurückgezogen.
Frage XIII/ 2 — des Herrn Abgeordneten Dr. Jungmann —:
Teilt die Bundesregierung die in der Ärzteschaft und in der Presse vertretene Auffassung, daß die Ausbildungsvorschriften für Ärzte reformbedürftig sind?
Auf die Frage von Herrn Dr. Jungmann darf ich vorweg bemerken, daß der Bund keine Kompetenz hat, Ausbildungsvorschriften für Ärzte zu ,erlassen oder bestehende Ausbildungsvorschriften abzuändern. Er kann lediglich insoweit auf die Ausbildung einwirken, als er die Zulassung zum ärztlichen Beruf und damit ,auch die Voraussetzungen für die einer Bestallung zugrunde liegenden Prüfungen zu regeln hat.Was nun die Erfahrungen mit der geltenden Bestallungsordnung für Ärzte aus dem Jahre 1953 angeht, so haben sie gezeigt, daß der Medizinstudent während seiner Ausbildung mehr ,als bisher an die praktische Arbeit eingeführt werden sollte. Auf welchem Weg dies geschehen kann, z. B. durch Verlängerung der Famulatur oder ;durch Vermehrung der praktischen Übungen und Kurse, wird noch geprüft. Es darf dabei nicht verkannt werden, ,daß gerade ,die große Zahl der Medizinstudenten und die beschränkte Kapazität der zur Ausbildung vorhandenen Krankenhäuser den Bemühungen um eine Vertiefung des praktischen Unterrichts zwangsläufig eine Grenze setzen müssen. Eine vertiefte
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Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 71. Sitzung. Bonn, Freitag, den 29. März 1963 3253
Bundesminister Frau Dr. Schwarzhauptpraktische Ausbildung wird in vollem Umfange erst möglich sein, wenn die Empfehlungen des Wissenschaftsrates hinsichtlich der Schaffung neuer medizinischer Fakultäten und medizinischer Akademien verwirklicht worden sind, da für eine weitergehende praktische Ausbildung die entsprechenden Ausbildungsplätze und Personal benötigt werden.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Jungmann?
Darf ich Sie fragen, Frau Ministerin, auf welchen Gebieten notwendige Änderungen der derzeitigen, nun darf ich doch einmal sagen: Ausbildungsvorschriften — weil sie sich ja doch praktisch aus der Bestallungsordnung ergeben — bereits erkennbar sind?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Was uns dabei vorschwebt, ist z. B., daß einige Fächer wie medizinische Strahlenkunde, Unterricht in Sozialhygiene, Arbeitsmedizin stärker mit einbezogen werden müßten. Wir, und zwar schon unter meinem Vorgänger, Herrn Dr. Schröder, haben uns bereits vor einiger Zeit an die Länder gewandt, um Änderungsvorschläge zu prüfen und dazu Stellung zu nehmen. Nach meinen Informationen dürften Vorschläge der Länder in absehbarer Zeit zu erwarten sein. Im Anschluß daran wird ein Referentenentwurf des Gesundheitsministeriums den Ländern, den interessierten Verbänden und der Öffentlichkeit vorgelegt werden. Ich hoffe, daß wir die Antworten der Länder bald haben und diesen Entwurf bald vorlegen können. Ich bitte aber um Verständnis dafür, daß im Augenblick, wo uns gerade diese Antworten noch nicht voll zur Verfügung stehen, kein abschließendes Urteil über das, was noch geplant ist, abgegeben werden kann.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Jungmann!
Darf ich Sie nur noch fragen, Frau Ministerin, ob Sie nicht mit mir der Auffassung sind, daß die Regelung dieser nun auch in der Öffentlichkeit sehr lebhaft diskutierten Frage, nachdem die Aufforderung an die Länder schon aus dem Jahre 1961 datiert, keinen weiteren Aufschub duldet?
Der Meinung bin ich auch, Herr Dr. Jungmann. Aber ich glaube, Sie sehen auch, daß wir gerade diese Materie wirklich nicht ohne einen engen Kontakt mit den Ländern weitertreiben können. Von unserer Seite aus geschieht alles, was möglich ist, um sobald wie möglich die Antworten zu erhalten und einen Entwurf, von dem wir schon bestimmte Vorstellungen haben, vorzulegen.
Ich rufe auf die Frage XIII/3 — des Abgeordneten Dr. Kohut —:
Handelt es sich bei den dem Bundesgesundheitsamt gemeldeten
zwölf Leprakranken der Bundesrepublik um Gastarbeiter?
Von den zwölf Leprakranken, über die Nachrichten durch die Presse gegangen sind, waren zwei als Gastarbeiter in der Bundesrepublik tätig.
Eine Zusatzfrage, Herr Dr. Kohut!
Wie kommt es, daß eine so schwere Krankheit jetzt auch auf Inländer übergegriffen hat, obowohl sie doch im Deutschen Reich, vom Memelgebiet abgesehen, jahrzehntelang nicht aufgetreten war?
Der Zusammenhang ist ähnlich wie bei anderen Krankheiten, die eingeschleppt worden sind. Unter diesen zwölf Leprakranken befinden sich sieben Deutsche, die sich bei einem Aufenthalt in außereuropäischen Ländern infiziert haben. Durch den viel stärkeren Austausch mit anderen Ländern und anderen Kontinenten ist natürlich eine Infektionsgefahr aufgetreten, die früher in dem Maße nicht bestand.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Dr. Kohut!
Ist die Vermutung, Frau Ministerin, daß die Einschleppung durch Gastarbeiter erfolgt ist, also nicht zutreffend?
Es handelt sich nur um zwei Gastarbeiter. Sieben der Erkrankten waren deutsche Staatsangehörige, die sich offensichtlich bei einer Auslandsreise oder einem längeren Aufenthalt im Ausland infiziert haben.
Wir kommen dann zu den dazugehörigen Fragen auf Drucksache IV/ 1099. Ich rufe auf die Frage VII/ 1, gestellt von Herrn Abgeordneten Dr. Dittrich:
Ist der Bundesregierung bekannt, daß die Apothekerpraktikanten, welche das pharmazeutische Vorexamen bestanden haben, erst nach längerer Wartezeit zum Pharmaziestudium zugelassen werden konnnen, da die vorhandenen Laborplätze der Pharmazeutischen Hochschulen nicht ausreichen?
Es ist der Bundesregierung bekannt, daß in den pharmazeutischen Instituten der Universitäten der Bundesrepublik die zur Verfügung stehenden Laborplätze nicht ausreichen, um allen Vorexaminierten sofort das Studium zu ermöglichen.
Eine Zusatzfrage dazu?
Frau Ministerin, haben Sie einen Überblick, wie viele zum Studium anstehen, aber infolge des Fehlens von Arbeitsplätzen ihr Studium nicht beginnen können?
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Es tut mir leid. Das sind ja Dinge, die in den Händen der Länder liegen. Ich will mich aber gerne um die Zahl bemühen und Ihnen sobald wie möglich schriftlich Auskunft geben.
Ich rufe auf die Frage VII/ 2 — des Abgeordneten Dr. Dittrich —.
Ist der Bundesregierung bekannt, daß es sich als besondere Benachteiligung erwiesen hat, daß die männlichen Praktikanten, welche entweder ihren Wehrdienst vor Eintritt in den Apothekerberuf oder nach der pharmazeutischen Vorprüfung abgeleistet haben, nicht sofort zum Studium zugelassen weiden und daher gegenüber den weiblichen Anwärterinnen, die einen Wehrdienst nicht abzuleisten haben, erheblich benachteiligt sind?
Zunächst einmal, Herr Dr. Dittrich, handelt es sich ja nicht nur um weibliche Studenten, die gegenüber denjenigen, die Wehrdienst geleistet haben, hier offenbar bevorzugt sind, sondern auch um alle diejenigen Männer, die aus irgendwelchen Gründen nicht zum Wehrdienst eingezogen worden sind, und das ist bekanntlich in den jetzt anstehenden Jahrgängen eine ganz erhebliche Zahl. Es wäre nicht ganz sachlich, wenn wir dies nur als eine Konkurrenz zwischen weiblichen und männlichen Studenten ansähen.
Was aber den Unterschied betrifft zwischen denen, die Wehrdienst geleistet haben, und denen, die nicht Wehrdienst geleistet haben, so haben meine Rückfragen bei den zuständigen Landesministerien ergeben, daß an den meisten Universitäten für die Auswahl der Studienanwärter für Pharmazie bestimmte Richtlinien bestehen, und die sehen eine Berücksichtigung der Wehrdienstzeiten bei sonst gleichen Qualitäten der Bewerber vor. Die Hochschulen haben für diese Zulassung verschiedene Systeme der Bewertung entwickelt. Im Einzelfall kann es natürlich vorkommen, daß ein Studienanwärter, der bereits Wehrdienst abgeleistet hat, gegenüber einem Studienanwärter, der keinen Wehrdienst abgeleistet hat, also unter Umständen auch gegenüber einem Mädchen mit besserer Nolte zurücktreten muß.
Frage VII/ 3 — des Herrn Abgeordneten Dr. Dittrich
Ist die Bundesregierung bereit, an die Ständige Konferenz der Kultusminister der Länder mit der Empfehlung heranzutreten, um eine bevorzugte Zulassung ¿um Pharmaziestudium männlicher Apothekerpraktikanten, welche ihren Wehrdienst abgeleistet haben, besorgt zu sein?
Die Ständige Konferenz der Kultusminister der Länder hat in Zusammenarbeit mit dem Bundesministerium für Verteidigung diese Frage bereits seit 1960 erörtert. Sie hat den Hochschulen gegenüber zum Ausdruck gebracht, daß Studienanwärter, die bereits den Wehrdienst abgeleistet haben, bei der Aufnahme des Studiums bei gleicher Eignung wohlwollend und bevorzugt behandelt werden sollen.
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Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 71. Sitzung. Bonn, Freitag, den 29. März 1963 3255
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Der Herr Minister hat das Wort.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege Mommer, Ihre Darlegungen treffen nicht zu. Alles, was die Bundesregierung in dieser Sache gesagt hat, ist nach wie vor richtig.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Kohut.
Herr Minister, ist die Anregung an die NATO, einen Beschluß zu einer solchen Empfehlung zu fassen, von der Deutschen Bundesregierung ausgegangen?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Hierauf kann ich nur offen sagen, daß ich es nicht weiß, Herr Kollege Kohut. Ich bin in die Vorgeschichte dieser Sache, von der ich jetzt sehe, daß sie in die Zeit vor meiner Amtszeit reicht, nicht so weit eingestiegen, daß ich das beantworten kann. Ich will das aber gern noch einmal bis zu den Quellen verfolgen.
Eine weitere Frage, Herr Dr. Kohut.
Herr Minister, würden Sie so freundlich sein, bei dieser Gelegenheit auch noch einmal nachzuprüfen, ob die deutschen Beteiligten oder Unterhändler auf die Vorbehalte aufmerksam gemacht haben, nämlich darauf, daß deutsche Kaufabschlüsse vorlagen, die eigentlich nach Treu und Glauben hätten erfüllt werden müssen?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege Kohut, jedermann, der sich ein bißchen mit dieser Frage beschäftigte, wußte, daß die deutsche Industrie seit einigen Jahren, nämlich seit 1959, dabei war, diverse hunderttausend Tonnen Rohre in die Sowjetunion zu liefern, und daß laufend Geschäfte dieser Art abgeschlossen wurden. Also die Tatsache, daß es laufende Geschäfte gab, war bekannt. Auf der anderen Seite war auch bekannt, daß diese NATO-Erwägungen schwebten.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Börner.
Herr Minister, ist es richtig, daß ein Mitglied der Bundesregierung einen Diplomaten einer NATO-Macht gebeten hat, bei der FDP-Fraktion vor der Sitzung des Bundestages am 8. März 1963 zu intervenieren?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Daß ein Mitglied der Bundesregierung ein — wie sagten Sie?
Ich hätte gern gewußt, ob es richtig ist, daß ein Mitglied der Bundesregierung einen Diplomaten einer NATO-Macht gebeten hat, vor der Sitzung des Bundestages am 8. März bei der FDP-Fraktion im Sinne der Vorstellungen der Bundesregierung zu intervenieren?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich kann das nicht bestätigen.
3256 Deutscher 'Bundestag — 4. Wahlperiode — 71. Sitzung. Bonn, Freitag, den 29. März 1963
Herr Abgeordneter Junghans zu einer Zusatzfrage.
Herr Bundesminister, warum hat die Bundesregierung bis heute die Meldung von Reuter und BBC London vom 27. März 1963, veröffentlicht im ,Nachrichtenspiegel" der Bundesregierung, nicht dementiert, in der es heißt, daß auf der Sitzung des NATO-Rates keine Abstimmung erfolgt sei, somit keine Rede von einem einstimmigen Beschluß sein könne, das Embargo zu verhängen? Warum haben Sie das bisher nicht dementiert?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege, wir können unmöglich alle Meldungen, die in dieser Sache ausgegeben werden, im einzelnen untersuchen und dementieren. Es ist in höchstem Grade unerwünscht, daß NATO-Beschlüsse, die bisher überall dargestellt worden sind, wie wir das getan haben, nun plötzlich in einer etwas kritischeren Situation negativ seziert werden. Es führt zu wenig erfreulichen Ergebnissen, wenn an sich geheime NATO-Diskussionen in kritischen Momenten hinterher doch publik gemacht werden. Das sage ich, um noch einmal zu unterstreichen: Wir bleiben bei unserer Darstellung, daß es sich hier um einen einstimmigen Beschluß — nicht etwa um eine Empfehlung — gehandelt hat.
— Das Wort „Empfehlung" kommt darin nicht vor. Das Wort „Empfehlung" ist nur hier eingeführt worden.
— Es tut mir leid, daß alle Beteiligten in dieser Sache jetzt anfangen, ein bißchen sehr diplomatisch zu werden.
Das ist in kritischen Lagen oft der Fall. In dem Beschluß heißt es — nun sagen Sie nicht gleich, daß ich die Geheimhaltung durchbreche: „agree". Das Wort „recommendation" ist dort nicht verwendet worden. Ich sage Ihnen nur, wie es im englischen Text des Beschlusses heißt. In diesem Zusammenhang war von einer „decision" - das heißt doch wohl: einer Entscheidung — die Rede. Ich würde darum bitten, nicht allzuviel Wert darauf zu legen, was es nun an Interpretationen hin und her geben mag. Der Tatbestand war, daß in jenem Augenblick, da bedeutende deutsche Röhrenlieferungen und Lieferungen anderer erfolgt waren und noch liefen, der NATO-Rat zu diesem Ergebnis gekommen ist, und zwar — ich sage es noch einmal — ohne Rücksicht auf die Rechtslage in den beteiligten Staaten.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Junghans.
Herr Bundesminister, ich frage jetzt ganz konkret: Sind Sie bereit, heute oder im Auswärtigen Ausschuß die Frage zu beantworten, ob im NATO-Rat abgestimmt worden ist? Ja oder nein?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Im NATO-Rat? Ich kann nicht sagen, ob im NATO- Rat abgestimmt worden ist. Jedenfalls ist im NATO- Rat in dieser Sache abschließend diese einmütige, nicht widersprochene Feststellung getroffen worden.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Professor Friedensburg.
Herr Bundesminister, ist die Bundesregierung nicht der Ansicht, daß Wünsche des NATO-Rats, mögen sie als „recommendation" oder ,als decision oder agreement, also ,als Empfehlung oder Übereinkommen oder Beschluß, bekanntwerden, von der Bundesregierung nach der ganzen Situation mit besonderer Sorgfalt und Strenge beachtet werden müssen?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Es ist eigentlich selbstverständlich, Herr Kollege Friedensburg, daß das so ist. Ich möchte Ihnen aber ausdrücklich darin zustimmen, daß das für unsere Haltung in dieser Sache gilt. Hier werden ein bißchen Nebengefechte geführt, die den Kern der Sache etwas in Vergessenheit geraten lassen.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Heinemann!
Herr Dr. Schröder, wäre es angesichts der Fülle der Unklarheiten in dieser Sache nicht gut, wenn einmal vor einem Untersuchungsausschuß dargelegt werden könnte, wie 'der Embargo-Beschluß zustande gekommen ist?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege Heinemann, in dieser Sache gibt es eine politische Entscheidung, und diese politische Entscheidung in der Sache ist hier gefallen. Wie sie gefallen ist, das ist bekannt. Die Bundesregierung setzt hier konsequent eine Haltung fort, die sie im NATO-Rat in dieser Sache eingenommen hat, und zwar ohne Rücksicht darauf — ich sage das zum wiederholten Male —, ob sich hinsichtlich der Rechtslage bei anderen Beteiligten Schwierigkeiten ergeben. Soweit es sich um solche Schwierigkeiten handelt, ist unser Standpunkt der, daß wir ,an die Einsicht aller Partner appellieren, das Äußerste zu tun, um zu vermeiden, daß hier praktisch Divergenzen entstehen und daß das Embargo in irgendeiner Weise durchlöchert wird. Dazu haben wir bestimmt sehr guten Anlaß gegenüber einem Partner, der zu jener Zeit mit Röhrenlieferungen nicht beteiligt war.
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Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 71. Sitzung. Bonn, Freitag, den 29. März 1963 3257
Einen Augenblick, Herr Kollege Heinemann. — Es besteht die grundsätzliche Regelung, daß wir in der Fragestunde von Beifalls- und Mißfallenskundgebungen absehen. Das ist ein Wunsch des Präsidenten dieses Hauses. Ich bitte ihn zu respektieren. — Bitte, Herr Heinemann.
Die andere Frage des Vorgangs ist doch, wie der Beschluß hier im Bundestag zustande gekommen ist. Das aufzuzeigen, wäre doch vielleicht auch für Sie 'hilfreich.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich verstehe den Zusammenhang nicht. Sind Sie der Meinung, daß der Beschluß im Bundestag auf einer falschen Basis zustande gekommen sei?
--- Dann gehen unsere Meinungen in diesem Punkt auseinander.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Sänger!
Herr Minister, würden Sie es nicht für sinnvoll und zweckmäßig halten, wenn Sie diese inzwischen erregende Sache zur Hilfe für alle noch einmal gründlich und ausführlich im Auswärtigen Ausschuß unter Mitteilung auch des Beschlusses oder der Entschließung oder Anregung des NATO- Rates behandeln würden?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Es tut mir leid, daß ich das nicht für nützlich halten kann. Nützlich wäre es nur dann, wenn wir nicht an der Auffassung festhielten, daß dieses Embargo durchgeführt werden soll.
Eine weitere Frage des Herrn Abgeordneten Sanger!
Wenn man respektiert, Herr Minister, daß Sie an Ihrer Auffassung festhalten, glauben Sie dann nicht, daß es zweckmäßig wäre, dieses Parlament, zumindest die Mitglieder des Auswärtigen Ausschusses, auch in die Einzelheiten einzuweihen, damit sie mit Ihnen gemeinsam von der Zweckmäßigkeit dieser Haltung überzeugt sein können?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege Sanger, alles, was für die Entscheidung in diesem Hause notwendig war, ist in großer Breite und Gründlichkeit dargelegt worden.
Ich danke Ihnen, Herr Minister. — Ich rufe die Frage des Herrn Abgeordneten Dr. Mommer an den Herrn Bundesminister der Justiz auf:
Sind Pressemeldungen richtig, nach denen die Bundesregierung einen Gesetzentwurf vorbereitet, durch den gewährleistet werden soll, daß Opfer von Verkehrsunfällen auch dann Schadenersatz bekommen, wenn wegen Fahrerflucht oder aus anderen Gründen keine Haftpflichtversicherung für den Schaden aufkommt?
Es trifft zu, daß im Bundesjustizministerium der Entwurf eines Gesetzes der Art vorbereitet wird, wie Sie es in Ihrer Frage ansprechen. Es soll ein Entschädigungsfonds für Opfer von Verkehrsunfällen, bei denen das andere beteiligte Fahrzeug wegen Fahrerflucht oder aus sonstigen Gründen nicht ermittelt werden kann, geschaffen werden.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Mommer.
Herr Minister, wann glauben Sie den gesetzgebenden Körperschaften diesen Entwurf zuleiten zu können, und wie ist die Finanzierung gedacht?
Der Entwurf hängt mit einem Entwurf zusammen, nach dem bereits vor kurzem, am 6. März, die Frau Kollegin Maxsein gefragt hat, nämlich mit der Ratifizierung des europäischen Übereinkommens über die obligatorische Haftpflichtversicherung. Ich habe damals auf die Frage von Frau Maxsein gesagt, ich hoffte, 'daß der erforderliche Gesetzentwurf noch in diesem Jahr vorgelegt werden könne. Das gilt also auch hier. Über die Finanzierung kann ich keine Einzelheiten sagen, nur so viel: der Entschädigungsfonds, der hier gegründet werden soll, muß nicht notwendig von der öffentlichen Hand errichtet und gespeist werden.
Danke sehr.
Ich danke Ihnen, Herr Minister.
Welche Maßnahmen erwägt die Bundesregierung, um den Export auf dem Gebiete der tierischen Zucht — unter Beachtung der wesentlich höheren Futtermittelpreise in der Bundesrepublik Deutschland im Vergleich zu den Nachbarländern — nach Ländern der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und Drittländern wirtschaftlich zu gestalten?
Grundsätzlich ist die Bundesregierung gegen die Gewährung von Exportsubventionen. Solange jedoch im EWG-Raum keine gleichen Wettbewerbsbedingungen herrschen, sind auch bei uns Stützungsmaßnahmen unumgänglich.Bisher wurde die Ausfuhr von Zuchttieren durch ein Anrechtsschein-Verfahren gefördert. Dieses Verfahren hat sich bewährt und wird bis zum Inkrafttreten der EWG-Rinder-Marktordnung beibehalten werden. Wie dem Außennandelsausschuß in der Sitzung am 21. März 1963 berichtet wurde, wird zur
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3258 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 71. Sitzung. Bonn, Freitag, den 29. März 1963
Bundesminister SchwarzI Zeit geprüft, in welcher Form der Zuchtviehexport auch nach Inkrafttreten der EWG-Marktordnung für Rinder aufrechterhalten bleiben kann.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Varelmann!
Herr Minister, treffen Ihre Ausführungen auch für die Geflügelzucht zu?
Herr Kollege Varelmann, ich bin überfragt. Ich gäbe Ihnen gerne Antwort darauf, ob sie auf Hühner zutreffen. Sie treffen aber generell auf Großtiere zu.
Eine weitere Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Varelmann!
Herr Minister, würde die gewerbliche Wirtschaft es nicht als eine große Vorbelastung ansehen, wenn die Rohstoffbasis beim Export sich in diesem Maße auswirkt, wie es zur Zeit in der Landwirtschaft bei den Futtermitteln der Fall ist?
Herr Kollege Varelmann, Sie sehen ja aus meiner Auskunft, daß wir alles tun, auf den verschiedenen Gebieten, um diesen
1) Unterschied in den Rohstoffen auszugleichen. Wir befinden uns in einem Übergangsstadium und werden, wenn die einzelnen Marktordnungen Gültigkeit haben, die heute noch nicht in voller Form in Kraft bzw. noch nicht ausgearbeitet sind, zu einem gemeinsamen Bild und zu einer Lösung kommen können.
Ich danke Ihnen, Herr Minister.
Wir kommen nun zu den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers der Verteidigung. Zunächst die erste Frage IV/1 — des Abgeordneten Merten —:
Wann ist mit der Errichtung eines Kreiswehrersatzamtes in Aschaffenburg zu rechnen?
Bitte, Herr Staatssekretär!
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident, ich bitte wegen des Sachzusammenhangs die drei Fragen zusammen beantworten zu dürfen.
Einverstanden; dann rufe ich die beiden anderen Fragen IV/2 und IV/3 — des Abgeordneten Merten — auf:
Wird das jetzige Kreiswehrersatzamt Aschaffenburg mit dem vorübergehenden Sitz in Gemünden bestehenbleiben, wenn in Aschaffenburg ein Kreiswehrersatzamt errichtet wird?
Besteht die Möglichkeit, den Angestellten des Kreiswehrersatzamtes, die jetzt noch von Aschaffenburg nach Gemünden fahren müssen, bei den dadurch entstehenden Mehrkosten zu helfen?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die Errichtung eines Kreiswehrersatzamtes in Aschaffenburg war bereits zum 1. August 1961 angeordnet worden; sie ist bisher daran gescheitert, daß in Aschaffenburg eine für die Unterbringung des Kreiswehrersatzamtes geeignete Unterkunft nicht angemietet werden konnte. Das Kreiswehrersatzamt wird in Aschaffenburg eingerichtet werden, sobald eine geeignete Unterkunft bezogen werden kann. Die Suche nach Diensträumen für dieses Amt wird mit Nachdruck betrieben. Wegen der Anmietung eines geeigneten Objektes findet Anfang April dieses Jahres an Ort und Stelle eine Besprechung statt.
Das in Gemünden befindliche. Amt wird dort verbleiben und in Kreiswehrersatzamt Gemünden umbenannt werden, sobald das Kreiswehrersatzamt in Aschaffenburg für sich errichtet ist.
Den Angestellten kann bei Vorliegen der Voraussetzungen Fahrtkostenersatz, Fahrtkostenzuschuß und Verpflegungszuschuß gewährt werden. Ob die Voraussetzungen im Einzelfall vorliegen, wird geprüft. Wir werden versuchen, im Rahmen der gesetzlichen Bestimmungen entgegenzukommen.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Merten.
Herr Staatssekretär, halten Sie es für sehr sinnvoll, nun schon seit über einem Jahr auf die Angestellten, die in Aschaffenburg wohnen und dort auch Hausbesitz haben, einzuwirken, sie mögen nach Gemünden verziehen, und ihnen, wenn sie das ablehnen — und sie taten es, wie ich glaube, mit Recht —, alles das zu entziehen, von dem Sie soeben sprachen, also Fahrkostenersatz, Verpflegungszuschuß und andere Vergünstigungen?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Wenn es so liegt, wie Sie sagen -ich kann im Augenblick nicht nachprüfen, ob diese Mitteilungen absolut zutreffen —, halte ich das nicht für sinnvoll.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Vogt.
Herr Staatssekretär, ist daran gedacht, in Aschaffenburg einen Neubau für die Unterbringung des Kreiswehrersatzamtes zu errichten, oder ist daran gedacht, in einem bestehenden Bau geeignete Räume zu finden, die den Amtsbetrieb aufnehmen können?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Verteidigungsressort bemüht sich seit seinem Bestehen — seitdem gibt es nämlich die übertriebene Baukonjunktur —, nach Möglichkeit in solchen Fällen Räume anzumieten und nicht zu bauen.
Eine weitere Frage des Herrn Abgeordneten Vogt.
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Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 71. Sitzung. Bonn, Freitag, den 29. März 1963 3259
Herr Staatssekretär, ist es richtig, daß Verhandlungen mit dem Stiftungsamt in Aschaffenburg wegen des Erwerbs eines Grundstücks stattgefunden haben, auf dem dann doch ein Gebäude für das Kreiswehrersatzamt errichtet werden soll?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das ist mir nicht bekannt. Ich werde das sofort feststellen lassen und Ihnen telefonisch oder mündlich berichten. Wenn es zutreffen sollte, dürfte es vielleicht daran liegen, daß die Behörden eben verzweifelt sind, weil sie seit zwei Jahren nichts Vernünftiges anmieten können. Das ist, wie Sie aus der Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Merten entnehmen konnten, für die beteiligten Angestellten, Arbeiter und Beamten wirklich eine sehr unerfreuliche Situation.
Vizepräsident Dr. Dehler: Ich danke Ihnen, Herr Staatssekretär.
Ich rufe nun die Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für das Post- und Fernmeldewesen auf, zunächst die Frage V/1 — des Herrn Abgeordneten Dürr —:
Gehören zu Sperrgütern im Sinne der Postordnung, von denen es im Amtsblatt vom 26. Januar 1963 heißt „Eine besondere betriebliche Behandlung erfordern Pakete, die wegen ihrer äußeren Form nicht über Förderbänder geleitet werden können oder sich nicht stapeln lassen. Dazu gehören vor allem Kannen, Eimer, Körbe und Säcke auch Spankörbe?
Nach den neuen Vorschriften der Postordnung gelten Pakete als sperrig, wenn sie bestimmte Ausmaße überschreiten oder eine besondere betriebliche Behandlung erfordern. Eine besondere betriebliche Behandlung erfordern Pakete dann, wenn sie wegen ihrer äußeren Form nicht über Förderbänder geleitet werden können oder sich nicht stapeln lassen.
Spankörbe sind aus dünnem Holzspan geflochten und häufig mit einem Tragegriff versehen. Wegen der geringen Festigkeit des Materials sind Spankörbe im allgemeinen sehr empfindlich gegen Druck und Stoß. Sie können aus diesem Grunde in der Regel mit der Masse der übrigen Pakete weder über Förderbänder geleitet noch gestapelt werden. Spankörbe müssen daher in der Regel aus dem Strom der normalen Pakete herausgenommen und betrieblich besonders behandelt werden. Sie gehören dann zu den sperrigen Paketen.
Die Frage, ob auch Spankörbe zu den sperrigen Paketen gehören, läßt sich also generell weder bejahen noch verneinen. Es liegt vielmehr in der Hand des Absenders, den Spankorb nach Größe, Form und Verpackung so aufzuliefern, daß er keiner besonderen Behandlung bedarf und daher nicht als sperrig gilt.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dürr.
Herr Staatssekretär, ergibt sich nicht aus der Beantwortung Ihrer Frage, daß es für die einzelnen Gewerbetreibenden, die Waren in Spankörben verschiedener Art versenden, sehr schwierig war, vor Inkrafttreten der Gebührenerhöhung festzustellen, ob die von ihnen verwendeten Spankörbe zu den sperrigen Gütern gehören oder nicht, und ist die Post bereit, in solchen Fällen Übergangsfristen zu gewähren, damit sich die Versender auf die Art von Spankörben umstellen können, die weniger Porto kosten?
Herr Abgeordneter, in den Fällen, in denen es für die Versender schwierig ist, festzustellen, ob die Körbe als sperrig angesehen werden müssen oder nicht, ist die Bundespost bereit, auf Antrag eine entsprechende Übergangsfrist bis zum 31. August 1963 einzuräumen.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dürr?
Herr Staatssekretär, wie lang war der Zeitraum zwischen der Bekanntmachung und dem Inkrafttreten der Gebührenerhöhung für Sperrgüter? Finden Sie nicht, daß Umstellungen in der Privatwirtschaft in einer nur kurzen Zeit kaum möglich waren?
Herr Abgeordneter Dürr, natürlich sind diese Zeiträume nicht sehr lang. Es ist ja in diesem Hohen Hause in den letzten Tagen wiederholt darüber gesprochen worden. Deshalb haben wir auch die Frist bis zum 31. August dieses Jahres vorgesehen.
Ich darf aber vielleicht noch folgendes bemerken. Die Vorschriften über sperrige Güter bestehen dem Grunde nach seit langem. Sie sind vielleicht, solange manuell noch umfassender gearbeitet werden konnte, nicht in jedem Fall so streng durchgeführt worden.
Ich rufe die nächste Frage auf.
Herr Präsident, nach dem Hinweis Ihres Büros sollen wir die Frage VI/2 übernehmen, und die Frage V/2 übernimmt der Herr Bundeswohnungsbauminister.
Einverstanden.Ich rufe auf Frage VI/2 — des Herrn Abgeordneten Dr. Gleissner —:Ist es richtig, daß jene Untersuchungen bzw. Gutachten, mit denen die Deutsche Bundespost die Errichtung einer SatellitenBodenstation, einer technischen Großanlage mit zunächst 4 etwa 30 bis 40 Meter hohen, kugelförmigen Plastikhüllen und den dazu gehörigen Gebäuden ausschließlich in Raisting erzwingen will, den bayerischen Behörden überhaupt nicht vorgelegen haben, als sie zur Stellungnahme aufgefordert wurden?
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3260 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 71. Sitzung. Bonn, Freitag, den 29. März 1963
Die vielfältigen technischen Voraussetzungen für die Errichtung einer Satelliten-Bodenstation sind nach dem Ergebnis sehr eingehender Untersuchungen, die das Fernmeldetechnische Zentralamt gemeinsam mit Experten der Fernmeldeindustrie durchgeführt hat, am besten in Raisting bei Weilheim in Oberbayern erfüllt. Dieses Ergebnis der Untersuchungen wurde den bayerischen Behörden mitgeteilt, die das Vorhaben der Errichtung einer Satelliten-Bodenstation nach den Gesichtspunkten der Raumordnung ebenfalls überprüft haben. Das umfangreiche Untersuchungsmaterial, das im wesentlichen in hochfrequenztechnischen Meßergebnissen besteht, konnte den bayerischen Behörden nicht vorgelegt werden, da eine Reproduktion dieser Meßwertsammlung mehrere Monate beansprucht hätte und eine weitere Verzögerung im Aufbau einer Satelliten-Bodenstation im Hinblick auf die internationalen Verpflichtungen der Bundesrepublik Deutschland nicht zu verantworten war. Darüber hinaus ist das Untersuchungsmaterial für die Beurteilung des Vorhabens nach Gesichtspunkten der Raumordnung auch nicht von Bedeutung.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Gleissner.
Herr Staatssekretär, können die Untersuchungen und Gutachten, auf die Sie sich stützen und auf Grund deren Sie erklären, Raisting sei der einzige geeignete Ort in der ganzen Bundesrepublik für den Bau dieser Großstation, als interessenunabhängig angesehen werden?
In jedem Fall können und müssen sie als interessenunabhängig angesehen werden. Die Sachverständigen der Fernmeldeindustrie und unseres technischen Zentralamtes hatten selbstverständlich nur die Aufgabe, nach objektiven Gesichtspunkten den geeignetsten Ort zu suchen.
Eine weitere Zusatzfrage? — Herr Abgeordneter Dr. Gleissner!
Herr Staatssekretär, waren für die bestellten Gutachter überhaupt die Voraussetzungen gegeben, den von bayerischer Seite erhobenen Forderungen gerecht zu werden, eine tragbare Ausweichlösung an anderer geeigneter Stelle in Bayern oder in der übrigen Bundesrepublik sorgfältig zu ermitteln und sich dafür auch Zeit zu nehmen?
Herr Abgeordneter, sie hatten den umfassenden Auftrag, nach Grundsätzen, die sie beherrschen — denn es sind ja Spezialwissenschaftler, die wir in unserem technischen Zentralamt beschäftigen —, die geeignetste Stelle auf dem Gebiete der gesamten Bundesrepublik zu finden.
Ich danke Ihnen, Herr Staatssekretär.
Wir kommen zu den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Wohnungswesen, Städtebau und Raumordnung. Ich rufe auf die Fragen V/2 und VI/1 — des Herrn Abgeordneten Dr. Gleissner —:
Ist das Bundeswohnungsbauministerium eingeschaltet gewesen, als die Deutsche Bundespost auf Grund von Untersuchungen von Großfirmen der Nachrichtentechnik in Zusammenarbeit mit dem Fernmeldetechnischen Zentralamt in Darmstadt ausschließlich den Raum Raisting südlich vom Ammersee als den allein in Frage kommenden Standort bezeichnete, an dem die Eirichtung einer Großbodenstation für Satelliten möglich sei?
Ist dem Bundeswohnungsbauministerium bekannt, daß nach den im Jahre 1962 ausgearbeiteten und veröffentlichten Landesplanungszielen der Bayerischen Staatsregierung Raisting im Bereich des besonders schützenswerten Nah-Erholungsraumes südlich von München und an der Grenze zu der von der Landesplanung festgelegten wichtigen Fremdenverkehrszone liegt, daß Raisting eine der schönsten, noch voll erhaltenen Landschaften des bayerischen Alpenvorlandes ist und daß sich neben den bayerischen Behörden die Gemeinde selbst, die Vertreter des Fremdenverkehrs, des Heimat- und Landschaftsschutzes energisch gegen die technische Verbauung und Zersiedlung auch dieses Gebietes ausgesprochen bzw. gewehrt haben?
Bitte, Herr Staatssekretär!
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die im Jahre 1962 ausgearbeiteten Landesplanungsziele der bayerischen Staatsregierung sind dem Ministerium bekannt. Sie wurden jedoch erst im Jahre 1963 veröffentlicht, also zu einem Zeitpunkt, als bezüglich der Satelliten-Bodenstation die Entscheidungen bereits gefallen waren. Da das Wohnungsbauministerium weder von den bayerischen Behörden, noch von anderer Seite auf dieses Bauvorhaben aufmerksam gemacht worden war, war auch nicht bekannt, daß sich die von Ihnen genannten Stellen gegen dieses Vorhaben ausgesprochen hatten.
Eine Zusatzfrage Herr Abgeordneter Dr. Gleissner.
Herr Staatssekretär! Welche Auffassung vertritt das Bundesministerium für Raumordnung im Hinblick auf die wiederholt publizierten Grundsätze für Raumbedarfsmaßnahmen des Bundes und für ihre Koordinierung, zumal sich die zuständigen bayerischen Behörden und vor allem die Landesplanungsbehörde Bayern aus einer Reihe von schwerwiegenden Gründen eindeutig gegen die übereilte Auswahl dieses Standorts ausgesprochen haben?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Soweit ich unterrichtet bin, hat die bayerische Landesplanungsbehörde schließlich gegen dieses Vorhaben keine Einwendungen mehr erhoben. Wenn Meinungsverschiedenheiten nicht ausgeräumt worden wären, dann hätten wir es als unsere Aufgabe betrachtet, uns vermittelnd einzuschalten.
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Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 71. Sitzung. Bonn, Freitag, den 29. März 1963 3261
1 Vizepräsident Dr. Dehler: Eine weitere Frage, Herr Dr. Gleissner.
Herr Staatssekretär! Ist Ihnen bekannt, daß diese Einwendungen erst dann zurückgestellt worden sind, als die Bundespost mit dem Enteignungsverfahren gedroht hat?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Eine Drohung mit dem Enteignungsverfahren in diesem Sinne ist, soweit mir bekannt, nicht ausgesprochen worden, sondern es ist nur darauf hingewiesen worden, daß dieses nach der Rechtslage möglich wäre. Ich glaube aber, daß, wenn die bayerische Landesplanungsbehörde sachliche Bedenken gehabt hätte, der Hinweis auf diese Rechtslage kein Grund gewesen wäre, von diesen Einwendungen abzulassen.
Ich danke Ihnen, Herr Staatssekretär.Damit ist die Fragestunde beendet. Ich rufe auf den Zusatzpunkt 1:Beratung des Schriftlichen Berichts des Außenhandelsausschusses über die von der Bundesregierung vorgelegten Vorschläge zur Verordnung des Rates der EWG .Es liegt vor der Schriftliche Bericht des Herrn Abgeordneten Unertl. Ich danke dem Herrn Berichterstatter. Er verweist auf diesen Bericht. — Das Wort wird nicht gewünscht.Es liegt vor der Antrag des Ausschusses auf Drucksache IV/ 1156, von den Verordnungsentwürfen Kenntnis zu nehmen, sowie ein Ersuchen an die Bundesregierung.Wer dem Antrag des Ausschusses auf Drucksache IV /1156 zustimmt, gebe bitte Zeichen. — Meine Damen und Herren, ich bitte, an der Verhandlung teilzunehmen; die körperliche Anwesenheit allein genügt nicht.
Wer dem Antrag des Ausschusses auf Drucksache IV/ 1156 zustimmt, gebe bitte Handzeichen. — Ich kann die einmütige Zustimmung feststellen.Ich rufe auf die Zusatzpunkte 2 und 3:Beratung des Mündlichen Berichts des Vermittlungsausschusses über das Gesetz über die Allgemeine Statistik in der Elektrizitäts- und Gaswirtschaft und die Durchführung des Europäischen Industriezensus in der Versorgungswirtschaft ;Beratung des Mündlichen Berichts des Vermittlungsausschusses über das Zweite Gesetz zur Ergänzung des Gesetzes über die Allgemeine Statistik in der Industrie und im Bauhauptgewerbe .Berichterstatter ist Herr Minister Lemmer. Ich gebe ihm das Wort.Lemmer, Minister des Landes Nordrhein-Westfalen: Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Als Berichterstatter des Vermittlungsausschusses habe ich die Ehre, Ihnen zu den Punkten 2 und 3 der Zusatztagesordnung heute zu berichten. Ich darf vorschlagen, Herr Präsident, beide Punkte zusammenzufassen, da sie in der Sache auf die gleichen rechtlichen Erwägungen zurückgehen.Nach den §§ 5 und 6 ,des Gesetzes über die Statistik in der Elektrizitäts-Wirtschaft und den §§ 3 a und 4 a des Gesetzes über die Statistik in der Indutrie sollen im Jahre 1963 bestimmte statistisch bedeutsame Tatbestände erfaßt werden, deren Einzelheiten hier nicht interessieren. In allen Fällen sah die Regierungsvorlage jeweils einen ,ergänzenden Absatz vor, indem bestimmt werden sollte, ,daß die genannten Erhebungen in drei- bis fünfjährigen Abständen zu wiederholen seien, und daß die Bundesregierung ermächtigt werde, .den Zeitpunkt der Erhebungen durch Rechtsverordnung ohne Zustimmung des Bundesrats zu bestimmen.Der Bundesrat schlug dann im ersten Durchgang vor, diese Absätze jeweils so zu fassen, daß die Wiederholungen der Erhebungen nicht im Gesetz selbst vorgesehen, sondern ,daß die Bundesregierung ermächtigt werden sollte, sie durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrats anzuordnen. Die Begründung des Bundesrats läßt sich dahin zusammenfassen, daß die Anordnung der Wiederholung durch Rechtsverordnung ein beweglicheres und der Sache angemesseneres Verfahren darstelle.Die Zustimmigkeitsbedürftigkeit ergab sich für den Bundesrat mehr oder weniger zwangsläufig daraus, daß die Rechtsverordnungen nach seinem Vorschlag einen bedeutsameren Inhalt haben sollten als nach der Regierungsvorlage, in der sie lediglich den Zeitpunkt .der Erhebungen zu beinhalten hätten.Die Bundesregierung widersprach dem Begehren des Bundesrates mit der Begründung, die Wiederholung der Statistiken sei vorauszusehen, und man sollte deshalb im Gesetz die Sache auf Dauer verankern.Bei der Beratung des Gesetzes im Bundestag schloß sich der mitberatende Innenausschuß dem Vorschlag des Bundesrats an. Der federführende Wirtschaftsausschuß beschloß zunächst — in seiner 34. Sitzung am 17. Januar 1963 — die Verabschiedung des Gesetzes in der Fassung der Regierungsvorlage. In einer späteren Sitzung änderte er seinen Beschluß und schlug die Fassung vor, die dann vom Plenum beschlossen wurde, nach der diese Rechtsverordnungen auch der Zustimmung des Bundestages bedürfen sollen.Gegen die Verabschiedung des Gesetzes in dieser Form hat der Bundesrat den Vermittlungsausschuß angerufen mit dem Begehren, das Erfordernis der Zustimmung des Bundestages aus dem Gesetz zu streichen.Zur Begründung des Antrages hat er darauf hingewiesen, daß die Bindung des Erlasses der Rechtsverordnung an die Zustimmung des Bundestages zu
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3262 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 71. Sitzung. Bonn, Freitag, den 29. März 1963
Minister Lemmereiner Vermischung des Prinzips der Teilung der Gewalten führe.Wenn der Gesetzgeber sich grundsätzlich dahin entschieden hat, daß die Wiederholung der Erhebungen durch Rechtsverordnung angeordnet wird, sollte er sich nicht ohne zwingenden Grund in die nunmehr der Exekutive obliegende Aufgabe einschalten. Die Beteiligung des Bundesrates widerspricht diesem Prinzip nicht, weil der Bundesrat hier nach Art. 50 des Grundgesetzes im Rahmen der Exekutive mitwirkt.Ein weiterer Gesichtspunkt war, daß das kumulative Zustimmungserfordernis zu großen praktischen Schwierigkeiten führen kann. Was soll z. B. geschehen, wenn das eine Haus zustimmt, das andere aber ablehnt oder modifiziert ablehnt? Der Bundestag müßte es gegebenenfalls hinnehmen, daß der Bundesrat Änderungen einer Verordnung verlangt oder die Zustimmung endgültig verweigert, obwohl der Bundestag bereits zugestimmt hat. Ein Vermittlungsverfahren ist für einen solchen Fall nicht vorgesehen.Meine sehr verehrten Damen und Herren! Aus allen diesen Gründen schlägt Ihnen der Vermittlungsausschuß einstimmig vor, im Gesetz über die allgemeine Statistik in der Elektrizitäts- und Gaswirtschaft folgendes zu ändern: Im § 5 Abs. 2 und im § 6 Abs. 2 werden jeweils die Worte und des Bundestages gestrichen.Ebenfalls einstimmig schlägt Ihnen der Vermittlungsausschuß zum Zweiten Gesetz zur Ergänzung1) des Gesetzes über die Allgemeine Statistik in der Industrie und im Bauhauptgewerbe vor, in den §§ 3 a, Abs. 3 und 4 a Abs. 2 jeweils die Worte „und des Bundestages" zu streichen.
Ich danke dem Herrn Minister.
Das Wort wird nicht gewünscht. Wir stimmen ab über den Antrag auf Drucksache 1132. Wer zustimmen will, gebe bitte das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Bei Enthaltung des Kollegen Dresbach angenommen.
— Herr Kollege Dresbach, Sie irren sich, es war eine ganz bedeutsame Frage, ob nämlich eine Verordnung der Regierung der Zustimmung des Bundestages bedarf oder nur der Zustimmung des Bundesrates. —
Der Antrag wurde also bei einer Enthaltung und gegen eine Stimme angenommen. Gott sei Dank haben wir noch Individualitäten in unserem Hause.
Ich rufe dann auf den Antrag auf Drucksache 1133; es handelt sich um das gleiche Problem. Wer zustimmen will, gebe bitte das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Mit dem gleichen Ergebnis angenommen.
Ich rufe dann auf den Tagesordnungspunkt 28:
a) Große Anfrage der Fraktion der SPD betr.
Energiepolitik , b) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Förderung der Rationalisierung im Steinkohlenbergbau (Drucksache IV/ 1080).
Das Wort zur Begründung der Großen Anfrage der Fraktion der SPD hat der Herr Abgeordnete Arendt.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Tatsache, daß in diesem Hohen Hause auf Veranlassung der sozialdemokratischen Fraktion zum zehntenmal eine Energiedebatte stattfindet, spricht nicht für die Regierung. Im Gegenteil, die Häufigkeit solcher Aussprachen zeigt, daß es trotz mannigfacher Krisenerscheinungen auf dem deutschen Energiemarkt in den letzten fünf Jahren und trotz zahlreicher sporadischer Eingriffe der Bundesregierung nicht gelungen ist und daß die Bundesregierung nicht willens war, ein energiepolitisches Konzept vorzulegen, um diesen nicht unwichtigen Zweig unseres Wirtschaftslebens in Ordnung zu bringen.Es hat in der Vergangenheit, wie ich sagte, an Eingriffen nicht gefehlt. Aber alles, was geschah, geschah sporadisch, geschah zu spät und war zu wenig durchgreifend und ohne klare Vorstellung über das anzustrebende Ziel. Aus diesem Grunde bleibt unsere Feststellung vom 16. Mai des vergangenen Jahres auch heute gültig: Was in der Bundesrepublik auf dem Gebiete der Energiewirtschaft geschah, das war alles mögliche, nur war es keine klare Energiepolitik.Bei den zehn Fragen, die wir in der Ihnen vorliegenden Drucksache IV/ 1029 erneut gestellt haben, hat uns tiefe Sorge um die zukünftige Entwicklung geleitet, eine Entwicklung, die nach ihrem gegenwärtigen Verlauf wichtige Grundsatzforderungen wie die auf Sicherheit der Versorgung, Sicherung deutscher Bodenschätze, Sicherung des Lebensstandards der im Bergbau Beschäftigten und Preisgünstigkeit für den Verbaucher nicht erfüllen kann. Wir fragen heute mit allem Nachdruck die Bundesregierung, ob sie endlich bereit ist, dem Parlament mitzuteilen, welches die Grundlagen ihrer Energiewirtschaftspolitik sind. Wir müssen deshalb so nachdrücklich fragen, weil in der Vergangenheit weder durch Taten noch durch Erklärungen sichtbar geworden ist, welches Ziel die Bundesregierung anstrebt. Wenn es uns heute der Herr Bundeswirtschaftsminister auch nicht sagt, müssen wir den Eindruck gewinnen, daß er es nicht sagt, nicht weil er es nicht will, sondern weil er es selbst nicht weiß.Lassen Sie mich das an einem Beispiel erläutern. Am 16. Mai 1962 erklärte Professor Erhard in diesem Haus: Wir werden unsere Wirtschaftspolitik so orientieren, daß der Kohle ein Absatz von 140 Millionen t erhalten bleibt. — Kurze Zeit später vertrat sein Fraktionskollege Blumenfeld die Meinung, man müsse mutig sein und dem Bergbau sagen, er müsse seine Förderung um 20 Millionen t reduzieren. Das allerdings war dem Bundeswirtschaftsministerium wohl doch ein wenig zu mutig, denn einige Zeit später hörte man wiederum, daß zwar nicht eine Reduzierung um 20 Millionen t an-
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gebracht sei, aber 19 Millionen t müßten es ganzsicher sein und seien dem Bergbau angemessen.Ich bin davon überzeugt, daß der Herr Bundeswirtschaftsminister in seiner Antwort gleich erneut das Bekenntnis zu einer Förderung von 140 Millionen t ablegen wird. Aber wir haben zu diesem Bekenntnis nicht viel Zutrauen; das darf ich in aller Offenheit sagen. Ich möchte in diesem Zusammenhang auf die Gegenäußerung der Bundesregierung zu den Änderungsvorschlägen des Bundesrates zum Heizölsteuergesetz verweisen. Da heißt es an einer Stelle:Dies gilt, wenn bis zum Jahre 1968 nur insgesamt 10 Millionen t Kohle stillgelegt werden. Der wirkliche Umfang der Stillegung obliegt jedoch der unternehmerischen Initiative und könnte die Menge von 10 Millionen t weit übersteigen.So weit die Stellungnahme der Bundesregierung.Sie werden angesichts dieser Äußerung sicher verstehen, daß wir, wenn die Stillegung von Schachtanlagen 'das erklärte Ziel !der Bundesregierung ist, den Versicherungen, es würden .auch in der Zukunft 140 Millionen t Kohle gefördert, nur schlecht Glauben schenken können.Herr Minister, ich wäre Ihnen sehr dankbar, wenn Sie mir in diesem Zusammenhang einmal die Frage beantworteten, ob es richtig ist, daß man in Ihrem Hause die Auffassung vertritt, man müsse von diesen zugesagten 140 Millionen t Kohle herunter, weil der Bergbau gar nicht in der Lage sei, diese Menge zu fördern. Diese Gefahr besteht in der Tat, wenn die Politik 'der planlosen Stillegungen so weiter betrieben wird wie bisher. Wenn 'es nicht gelingt, ein Konzept zu entwickeln, welches nicht nur der Bergbauindustrie, sondern auch den Beschäftigten die Zukunftsaussichten klar schildert, dann wird diese Gefahr nur um so größer werden.Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion ist mit Ihnen der Meinung — die Sie am 16. Mai 1962 geäußert haben —, daß dem Bergbau durchaus eine Fördermenge von 140 Millionen Tonnen im Jahr zukäme, weil die Entwicklung so aussehen wird, daß man sich in der nächsten Zeit über gewisse Engpässe wird unterhalten müssen. Sie sagen allerdings, man brauche dafür keine Absatzgarantie auszusprechen. Es würde uns interessieren, wenn man keine Maßnahmen ergreift, um diese Förderung abzusetzen, welchen Sinn die Beteuerungen über die Jahresförderung haben sollen. Aber selbst wenn man unterstellt, man könnte sich über die Förderhöhe unterhalten, so muß man, glaube ich, sagen, was man will und was man zu erreichen trachtet. Das ist bisher von der Bundesregierung nichtdeutlich erklärt worden. Diese Ungewißheit und Unsicherheit ist nicht zuletzt die Ursache für jene Entwicklungen, die wir insbesondere im Steinkohlenbergbau in d'en letzten fünf Jahren beobachten können und die in Stichworten ausgedrückt folgendes besagen: Wir haben 170 000 Bergleute weniger. Wir haben auf vielen Schachtanlagen Arbeitskräftemangel. Wir haben mehr als 6 'Millionen Tonnen Kohle und Koks trotz der arktischen Temperaturen auf der Halde, und wir haben trotz der Stillegung von 25 Schachtanlagen in der vergangenen Zeit keine grundsätzliche Änderung feststellen können. Darüber hinaus würde eine weitere Schließung von Schachtanlagen zweifellos für weite Bereiche unseres öffentlichen Lebens Gefahren auslösen.Meine Damen und Herren! Wenn wir von 140 Millionen Tonnen Kohle im Jahr ausgehen, dann ist das, glaube ich, um so gerechtfertigter, weil gerade in 'der letzten Zeit namhafte Gutachter und Experten nicht nur in 'der Bundesrepublik, sondern .auch aus dem Ausland 'zu dem Ergebnis gekommen sind, daß die Entwicklung 'etwas anders verlaufen wird und daß im Jahre 1970, spätestens aber im Jahre 1975 durch die Entwicklung in den Industrieländern, besondere aber 'in den Entwicklungsländern ein derartiger Zuwachs an Energieverbrauch eintreten wird, daß wahrscheinlich in der Kohle ein Engpaß auftreten wird, wenn man mit den Stillegungen weiter so verfährt wie bisher. Dieser Engpaß wird ganz sicher eintreten, wenn wir nicht heute schon Überlegungen anstellen, wie man die Substanz des deutschen Bergbaues erhalten kann.Es ist schon oft gesagt worden — ich darf es an dieser Stelle wiederholen, und der Herr Bundeswirtschaftsminister hat es erst am 16. Mai 1962 gesagt —: Die Grundstoffproduktion ist nicht mit der Produktion von Kautabak oder von Damenstrümpfen zu vergleichen, sondern ist grundsätzlich anders. Wenn man aber diese Erkenntnis besitzt, dann ist es, glaube ich, auch notwendig, daraus die erforderlichen Konsequenzen zu ziehen. Ganz sicher weiß die Bundesregierung, daß Entscheidungen auf dem Gebiete der Bergbauwirtschaft, die heute gefällt werden, sich erst in zehn bis fünfzehn Jahren auswirken.Der Herr Bundeswirtschaftsminister hat bei der neunten Debatte am 16. Mai 1962 gesagt — so konnte man es wenigstens in den Zeitungen lesen —, er werde ein ganzes Bündel von Maßnahmen zur Steuerung der Energiewirtschaftspolitik zur Anwendung bringen. Ich will darauf verzichten, hier im einzelnen die in diesem Bündel vorgesehenen Maßnahmen aufzuzählen. Ich gebe Ihnen zu, daß ein nicht mit der Sache Befaßter durchaus den Eindruck bekommen konnte, das seien wirklich umfassende Maßnahmen, das sei ein imponierendes Programm der Bundesregierung, um diese Entwicklung in den Griff zu bekommen.Heute sind zehn Monate vergangen, und wenn man sich umschaut, wird man vergeblich Ausschau halten nach auch nur einer wirksamen Maßnahme aus diesem Bündel. Das einzige, das etwas konkretere Formen angenommen hat, ist das Gesetz zur Förderung der Rationalisierung im Steinkohlenbergbau. Man kann über diese geplante Einrichtung sehr lange diskutieren. Man könnte sogar zugeben, daß der Versuch, über diese Einrichtung die Entwicklung in den Griff zu bekommen, die Grundlage abgeben könnte für eine Konzentration der Förderung auf die leistungsfähigsten Anlagen. Ich sage
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aber ausdrücklich:. könnte. Denn wenn der Bergbau wirklich gesund gemacht werden soll, muß man erstens das Gerede vom sogenannten „Gesundschrumpfen" einstellen, und zweitens muß man mehr Mut an den Tag legen und eine energiepolitische Vorstellung entwickeln.Herr Minister, Sie möchten mit diesem Entwurf zur Rationalisierung im Steinkohlenbergbau diese weiter vorantreiben. Aber Rationalisierung ist doch nicht nur Stillegung; das sollten Sie bedenken. Nach diesem Entwurf, das muß man sagen, ist aber beabsichtigt, Schachtanlagen dazu zu bringen, ihre Produktion einzustellen, also stillzulegen, und Sie wollen für diese Stillegungen sogar Prämien zahlen, die teilweise die Offentlichkeit und teilweise der Bergbau selbst aufzubringen hat. Mit diesem Verfahren werden Sie leistungsfähige Schachtanlagen, die ja Zwangsmitglied dieses Verbandes werden müssen und nicht einem größeren Konzern angehören und dadurch keine Stillegungsmöglichkeiten haben, durch Umlagebeträge belasten und unter Umständen in arge Bedrängnis bringen. Große Konzerne dagegen, die schon in der Vergangenheit diese Möglichkeiten ausgenützt und Rationalisierungsmaßnahmen über eine Zusammenlegung von Schachtanlagen durchgeführt haben, werden das auch in Zukunft tun; die erhalten nach dem Entwurf noch Prämien, um noch eine Verbesserung ihrer Lage zu erreichen. Sie werden, meine Damen und Herren, mit diesem Vorgehen nur die Starken stärker machen und bedenken dabei nicht, daß Leistungsfähigkeit nicht immer mit der Größe eines Unternehmensidentisch ist.Für den Zweck der Rationalisierung sollen erhebliche öffentliche Mittel zur Verfügung gestellt werden, ohne daß die Öffentlichkeit die Möglichkeit hätte, eine Entscheidung darüber zu fällen, wie und wo öffentliche Mittel eingesetzt werden. Die Bundesregierung, meine sehr verehrten Damen und Herren, will mit diesem Entwurf die Entscheidung über den einzuschlagenden Weg den privaten Unternehmungen im Bergbau überlassen.Mit diesem Entwurf werden Sie weder die nicht unwichtige Sortenfrage lösen, noch werden Sie erreichen, daß eine Verlagerung auf wirklich leistungsfähige Schachtanlagen erfolgt. Sie werden es deshalb nicht erreichen, weil Sie im Grunde genommen die Entscheidung darüber den Gesellschaften selbst überlassen. Ohne eine klare Auskunft über die energiepolitischen Ziele der Bundesregierung kann ja der Stienkohlenbergbau seine Rationalisierungsmaßnahmen nicht auf ein bestimmtes Ziel ausrichten, und zwangsläufig werden dadurch die unternehmerischen Entscheidungen im Rahmen dieses Rationalisierungsverbandes von dem Gesichtspunkt der kurzfristigen Gewinnmaximierung bestimmt. Der Rationalisierungsverband in der hier vorgesehenen Form wird dadurch zu einem Instrument, mit dessen Hilfe öffentliche Mittel nach privatwirtschaftlichen Gesichtspunkten an die einzelnen Unternehmungen verteilt werden.Der vorgelegte Entwurf schließt auch nicht aus, daß Bergwerksgesellschaften nur deshalb Zechen stillegen, weil sie die dadurch freiwerdenden Arbeitskräfte auf andere Anlagen verlegen wollen. Für solche Stillegungen sind keine leistungs- oder ertragsmäßigen Gesichtspunkte von Bedeutung, sondern das ist einfach eine Frage der Belegschaftsstruktur, und Sie werden es den Gesellschaften allein überlassen, mit diesem Problem des Arbeitskräftemangels auf diese Weise fertig zu werden.Ich habe schon darauf hingewiesen, daß in den vergangenen Jahren 25 Schachtanlagen stillgelegt und 42 Zechen zu 21 Großanlagen zusammengelegt wurden. Was jetzt an Rationalisierung noch kommen soll, ist — das geht eindeutig aus diesem Entwurf hervor — ausgesprochen und eindeutig die Stillegung von Kapazitäten.Meine Damen und Herren, Sie sollten aber bei dieser Frage daran denken, daß nicht alle Kohlenarten und Kohlensorten im Überfluß vorhanden sind. Während Hausbrandsorten, Magerkohle, Eß-kohle usw., sehr knapp auf dem Markt vertreten sind und die Belegschaften während des Winters erhebliche Überschichten verfahren mußten, um den Bedarf zu decken, ist während des gleichen Zeitraums auf den Anlagen, die andere Kohlensorten, beispielsweise Fettkohle, fördern, die Lage genau anders gewesen; denn dort wurden sogar trotz der extremen Kältegrade Kohlen auf die Halde geschüttet. Wenn wir nach diesem Gesetzentwurf die Fragen zu regeln versuchen, dann werden Sie erleben, daß nicht die Zechen, die Hausbrandsorten fördern und die zur Versorgung des Marktes notwendig wären, erhalten bleiben, sondern Sie werden erleben, daß gerade diese Schachtanlagen, die unter besonders ungünstigen geologischen Bedingungen arbeiten und dadurch auch ein schlechtes Kostenbild haben, stillgelegt werden. Damit wird die Versorgungssicherheit noch mehr in Frage gestellt. Ich glaube, die Folgen eines solchen Vorgehens wären insbesondere für die Verbraucher geradezu katastrophal.Aber nicht nur das. Zweifellos würde sich durch ein solches Vorgehen auch das Gefühl bei den Belegschaften, das heute schon vorhanden ist, Objekt zu sein, weiter verstärken. So wichtig Entscheidungen am grünen Tisch sind, so sollte man auf der anderen Seite doch die Praxis und die Auswirkung in der Praxis nicht übersehen. Ein solches Vorgehen würde für den Bergmann bedeuten, daß er in Zeiten der Kohlenknappheit in Form von Überschichten seinen Beitrag dazu leisten müßte, diese Versorgungsschwierigkeiten zu beheben, und in Zeiten des Kohlenüberflusses müßte er die Folgen dieser Politik in Form von Feierschichten und damit verbundenem Lohnausfall auf sich nehmen. Ich glaube, daß nicht nur die Gefahr der Feierschichten bestehen würde, sondern auch die Gefahr der Entlassungen, des Verlustes des Arbeitsplatzes und damit einfach eine erhebliche soziale Belastung. Solche Belastungen in den Überlegungen unberücksichtigt zu lassen, ist unserer so modernen Zeit wahrlich nicht angemessen.Wir können diese Auswirkungen auf die Menschen auch nicht durch beruhigende Erklärungen
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Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 71. Sitzung. Bonn, Freitag, den 29. März 1963 3265
Arendt
aus der Welt schaffen. Sie alle kennen die Beteuerungen maßgeblicher Stellen und Institutionen, die dem Bergmann den Dank ausgesprochen haben. Ich brauche hier sicherlich keine Zitate zu bringen, um das in die Erinnerung zurückzurufen. Aber bei den Belegschaften des Steinkohlenbergbaus ist das Gefühl vorhanden, daß die Taten einfach fehlen.Die Wirkung sehen Sie noch an einem anderen Vorgang. Ich sagte vorhin schon beiläufig: Es gibt heute schon eine Reihe von Schachtanlagen, die unter erheblichem Belegschaftsmangel leiden. Wenn der Bergbau eine gesunde und vernünftige Altersstruktur in seiner Belegschaft haben soll, dann benötigte er beispielsweise jetzt zu Ostern etwa 8000 Berglehrlinge und Bergjungleute. Wenn es gut geht, wird er jetzt zu Ostern vielleicht 2000 bekommen. Ich glaube, das hat Gründe und Ursachen, über die man schon einmal nachdenken sollte.Aber lassen Sie mich noch etwas über darüber hinausgehende Auswirkungen sagen. Für viele Städte und Gemeinden kann die Stillegung einer Schachtanlage der kommunalpolitische Ruin sein. Er wird es dann sein, wenn es nicht gelingt, andere Unternehmungen, die die frei werdenden Arbeitskräfte aufnehmen können, rechtzeitig im Ort anzusiedeln. Das läßt sich aber von heute auf morgen nicht machen. Weil das so ist, müssen rechtzeitig Überlegungen angestellt werden, um den Übergang, wo er erforderlich ist, so reibungslos und so sozial wie möglich für die Betroffenen zu gestalten.Wir leugnen nicht den Strukturwandel im Energieverbrauch. Wir leugnen auch nicht die Bedeutung anderer Energieträger. Wir wehren uns aber mit aller Entschiedenheit dagegen, daß mit der Kohle, die oft genug Initialzündung für staatliche und wirtschaftliche Gesundung sein konnte, heute Ausverkaufspolitik getrieben wird.Wir sind dafür, daß Kohle möglichst billig produziert wird. Das macht ohne Zweifel gewisse Verlagerungen erforderlich. Wir sind damit einverstanden.Schaffen Sie dann aber ein vernünftiges Instrument! Machen Sie aus diesem vorgesehenen Rationalisierungsverband eine wirkliche Körperschaft des öffentlichen Rechts mit dem entsprechenden Einfluß der Offentlichkeit! Geben Sie dieser Körperschaft den Auftrag, eine Vorstellung zu erarbeiten, auf welchen Schachtanlagen die dem Bergbau zuerkannte Förderungsmenge zutage gebracht werden soll! Wenn Sie ein solches echtes Programm der Rationalisierung vorlegten, wären wir bereit, über die Zurverfügungstellung öffentlicher Gelder für diesen Verband zu reden. Tun Sie es dagegen nicht, wird die Offentlichkeit wie in der Vergangenheit weitere Belastungen und weitere Opfer auf sich nehmen müssen, ohne daß sie den Sinn dieser Opfer erkennen könnte und ohne daß es gelänge, diese wichtigen Fragen zu lösen.Meine Damen und Herren, erlauben Sie mir dafür nur ein Beispiel. Das preußische Berggesetz von 1865 ist auch heute noch die rechtliche Grundlage für den Bergbau. In diesem Berggesetz gibt es Bestimmungen etwa über die Regelung von Schadenfällen, soweit sie über Tage ausgelöst werden durch den Abbau unter Tage. Alles aber, was unter der Erdoberfläche geschieht, ist in diesem Berggesetz nicht geregelt.Nun erinnern Sie sich daran, daß wir in der Vergangenheit eine Vielzahl von Stillegungen vorgehabt haben. Insbesondere in Bochum, am südlichen Rande des Ruhrreviers, wurde eine Reihe von Schachtanlagen stillgelegt. Hier bemühte man sich, eine Pumpgemeinschaft zu bilden, um auf diesem Wege der zufließenden Wasser Herr zu werden. Diese Pumpgemeinschaft kam nicht zustande — das wissen Sie —; sie ,scheiterte einfach an dem engen Feldergrenzendenken der Beteiligten. Die Folge davon ist, daß täglich das Wasser um 25 cm in den Gruben steigt, bis es eine ganz bestimmte Höhe unter Normalnull erreicht. Während dieses Vorgangs aber wird es durch Klüfte, durch Risse, durch Spalten in andere Bereiche übertreten und dadurch andere Schachtanlagen gefährden, die gar nicht für eine Stillegung vorgesehen waren. Da eine Zeche allein mit ,dem Wasserproblem nicht fertig werden kann, ebensowenig wie einer allein mit idem Energieproblem fertig werden könnte, wird diese Wasserhaltung zu einem gemeinsamen Anliegen. Und wenn Sie die Frage jetzt nicht regeln, so wird sie in einiger Zeit zur Lösung anstehen, und Sie werden dann erneut die Öffentlichkeit belasten müssen. Soll dann wieder die Öffentlichkeit Mittel zur Verfügung stellen, ohne daß sie die Möglichkeit der Entscheidung hätte?Meine Damen und Herren, diese zweifellos schwierigen Fragen lassen sich lösen, sie sind lösbar! Ich glaube, gerade jetzt in der Zeit des strukturellen Wandels böte sich eine gute Gelegenheit, mit einem mutigen Schritt nach vorn die Voraussetzungen zu 'schaffen für einen gesunden, leistungsfähigen Bergbau.Herr .Bundeswirtschaftsminister, Sie haben in Ihrer Erklärung am 16. Mai 1962 den geplanten Rationalisierungsverband als eine wunderbare Sache bezeichnet. Vielleicht ist er es nach Ihren Vorstellungen; nach meinen nicht, und Sie werden uns gestatten, darauf hinzuweisen, daß in diesem Entwurf zwar nicht nur eine finanzielle Entschädigung der Besitzer, der Aktionäre, vorgesehen ist, daß ,aber auf der anderen Seite nicht ein einziges Wort zu der Frage gesagt wird, wie man )das soziale Schicksal der Betroffenen regeln will.Nicht zuletzt aus diesem Grunde, meine Damen und Herren, sind wir der Meinung, daß dieser Rationalisierungsverband nicht die wunderbare Sache sein kann, für die sie der Herr Bundeswirtschaftsminister ausgibt. Wir schlagen Ihnen in allem Freimut und in aller Offenheit vor — wir müssen Ihnen das allerdings mit Nachdruck sagen —: lassen Sie uns miteinander reden, lassen Sie uns daraus ein wirkliches Instrument zur Steuerung unserer Energiepolitik machen!Ich darf aber noch ein paar andere Bemerkungen zu dem sogenannten Bündel von Maßnahmen machen, von dem der Herr Minister am 16. Mai 1962 sprach. Ein weiteres Kernstück seiner Maßnahmen sollte 'die sogenannte Abstimmung, die Konsultation
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zwischen dem Bergbau und der Mineralölindustrie über ,die in der Zukunft zu erstellenden Raffineriekapazitäten sein. Diese Konsultationen sind trotz mehrfacher Versuche ergebnislos geblieben. Es ist — mit anderen Worten — überhaupt nichts dabei herausgekommen, es sei denn, man wollte diese verlorene Zeit als einen Erfolg buchen.Was werden wir jetzt erleben? Der Bau von neuen Raffineriekapazitäten, soweit er schon in Angriff genommen worden ist, geht ja auf vollen Touren. Er wird auch verstärkt werden. Somit bietet das Zahlenbild — Sie erlauben mir, ein paar Zahlen zu nennen — sich folgendermaßen dar. Während Ende 1962, auf Steinkohleneinheiten umgerechnet, eine Raffineriekapazität von 44,9 Millionen t in der Bundesrepublik vorhanden war, werden es Ende 1966 71,2 Millionen t sein. Das bedeutet — mit anderen Worten —, wieder auf Steinkohleneinheiten umgerechnet, daß statt bisher 46,8 Millionen t 01 1966 85,5 Millionen t 01 zur Verfügung stehen. Der Anteil der Kohle wird dadurch zurückgehen, und das heißt — wieder mit anderen Worten —, daß die heute schon 5 Jahre währende Krise im Steinkohlenbergbau um weitere Jahre verlängert wird.Jetzt kommt es darauf an, die Konsequenzen aus diesem Scheitern der Abstimmungsgespräche zu ziehen. Ich muß Ihnen sagen: sie wurden nicht gezogen, obwohl die Mehrheit dieses Hauses, die Regierungsparteien, am 16. Mai des vergangenen Jahres mit der Anwendung des § 10 des Außenwirtschaftsgesetzes drohte. Was glauben Sie wohl, wie solche Drohungen in der Öffentlichkeit wirken, wenn sie zwar ausgestoßen werden, aber wenn keine Aktionen dahinterstehen und wenn nichts geschieht? Wir haben keine Aktionen auf Grund des Scheiterns der Konsultationen erlebt. Denn die Verkürzung der Kontraktfristen werden Sie schwerlich als eine solche Aktion bezeichnen wollen. Die drei großen Mineralölgesellschaften sind in ihrem Gehaben völlig frei und brauchen auf solche Dinge keine Rücksicht zu nehmen.Wir haben zwar keine Aktion, dafür aber gleich drei Vorschläge aus Ihren eigenen Reihen bekommen. Da ist zunächst einmal das Land Nordrhein-Westfalen vertreten. Es möchte eine Ergänzung und eine Neufassung des Energiewirtschaftsgesetzes, damit der Bau von Energieanlagen, die Investitionen in der Energiewirtschaft, der Bau von Rohrleitungen usw. überwacht und gesteuert werden können.Wir haben Bemühungen in Ihren Reihen, durch Unterschriftensammlungen dennoch die Voraussetzungen für eine Lizenzierung der Öleinfuhren zu schaffen. Schließlich ist auch noch Herr Kollege Blumenfeld mit einem Vorschlag an die Öffentlichkeit getreten, mit dem Vorschlag der „federnden Bremse, wie er es bezeichnet hat. Er möchte zwar Raffineriekapazitäten erstellen lassen, aber dann, wenn sie errichtet sind, möchte er den Rohölumsatz beschränken, um dadurch das Problem zu meistern. Ich kann dazu nur sagen, Herr Kollege Blumenfeld: schlimmer geht's nimmer! Denn abgesehen von den wirtschaftlichen Gründen, die dabei zu beachten wären, kämen wir dazu, daß man Produktionsauflagen machen müßte. Ich glaube, man könnte es auch anders sagen: man käme hart an die Grenze der glücklich überstandenen Bezugsscheinwirtschaft heran.Wir würden es für richtiger halten, wenn die Bundesregierung einmal überprüfte, ob es nicht besser wäre, eine Energieeinfuhrstelle einzurichten, damit die heute nebeneinander und hintereinander laufenden Maßnahmen auf diesem Sektor so koordiniert werden können, daß alle Energiefragen und Probleme künftiger Entwicklungen, auch im Hinblick auf den Gemeinsamen Markt, unter allgemeinen Gesichtspunkten rechtzeitig zu lösen sind. Das wäre ein weitaus wichtigerer Beitrag zur Energiepolitik als das, was so an Überlegungen bei Ihnen eine Rolle spielt.Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang nur einmal die Stellungnahme der Landesregierung Nordrhein-Westfalen erwähnen, die sicherlich nicht in dem Verdacht steht, der Sozialdemokratischen Partei die Bälle zuzuspielen. Ich darf mit Genehmigung des Herrn Präsidenten einige Sätze aus dieser Erklärung zitieren. Es heißt dort:Die Existenzgrundlage des deutschen Steinkohlenbergbaus kann nur im Rahmen einer langfristigen Energiewirtschaftspolitik, die außer der Kohle alle übrigen Energieträger, insbesondere das Heizöl einbezieht, gesichert werden. Für eine solche langfristige Energiepolitik ist in erster Linie die Bundesregierung verantwortlich und zuständig. Ihre Aufgabe würde es sein, für den Raum der Bundesrepublik beschleunigt die Grundsätze einer solchen, alle Energieträger l umfassenden Energiewirtschaftspolitik festzulegen.Es heißt dann weiter:Die Landesregierung ist der Meinung, daß eine wirksame Energiewirtschaftspolitik nur dann betrieben werden kann, wenn der Bundesregierung, dem zuständigen Wirtschaftsressort, ein Instrument zur Verfügung steht, mit dessen Hilfe die Energiewirtschaft beeinflußt und unerwünschte Entwicklungen verhindert werden können. Erforderlich erscheint vor allem der unverzügliche Erlaß eines neugefaßten und erweiterten Energiewirtschaftsgesetzes.Dieser Auffassung haben wir im Grunde genommen gar nicht viel hinzuzufügen.Lassen Sie mich aber noch ein paar Bemerkungen zu anderen in der Großen Anfrage enthaltenen Fragen machen. Die jetzt zu Ende gegangene Frostperiode hat sehr deutlich gezeigt, daß die Versorgung der Verbraucher erheblich ins Wanken geraten kann, wenn die Quecksilbersäule ein paar Wochen lang unter der Minusgrenze liegt. Da mußte nicht nur die Bundeswehr eingesetzt werden, um die Versorgung sicherzustellen. Die Verbraucher von Heizöl merkten auch an ihrer Geldbörse, daß sie den Versicherungen aus früherer Zeit zum Opfer gefallen waren. Ich will hier gar nicht mit Zahlen aufwarten. Jedenfalls hat die Entwicklung der Heizölpreise in der letzten Zeit ganz deutlich gezeigt, daß die oft gerühmte und zitierte Preisgünstigkeit
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für den Verbraucher wegen der Abhängigkeit von Energieeinfuhren nicht garantiert werden kann. Diese Energieimporte bieten keine Gewähr für niedrige Preise; sie bieten auch keine Gewähr für eine sichere und regelmäßige Versorgung.
Herr Kollege Mertes, bei der Begründung eines Antrags gibt es nicht die Möglichkeit der Zwischenfrage, sondern erst dann, wenn die Debatte eröffnet ist. — Fahren Sie bitte fort, Herr Abgeordneter.
Die Länder, die von Natur aus auf Energieeinfuhren angewiesen sind, mögen diesem Problem keine große Bedeutung beimessen. Die Bundesrepublik aber, die über ausreichende Bodenschätze verfügt, um die uns manches Land in der Welt beneidet, muß ein fundamentales Interesse daran haben, diese Bodenschätze in ihrer Substanz zu erhalten. In einigen Städten der Bundesrepublik waren Preiserhöhungen für Heizöl bis zu 100 % zu verzeichnen, ohne daß dafür auch nur ein einziger einleuchtender Grund hätte angegeben werden können. Einfach die Mangellage hat diese Belastungen dem Verbraucher aufgebürdet. Ich gebe zu, daß auch in den revierfernen Gebieten Kohlen zentnerweise abgegeben wurden. Aber erinnern Sie sich an das, was ich vorhin sagte: durch planlose Stillegungen in der Vergangenheit ist dieser Engpaß in der Hausbrandversorgung aufgetreten. Denn während die Hausbrandzechen mit 17 % an dem Gesamtaufkommen beteiligt sind, waren sie mit 57 % an den Stillegungen in der Vergangenheit beteiligt.Ich möchte Ihnen sagen, meine Damen und Herren, der Bergbau ist eine viel zu ernste Sache, als daß man ihn ein paar Leuten — auch nicht ein paar Assessoren — allein überlassen könnte.Aber lassen Sie mich noch ein Wort zu dem 01 sagen. Die Sicherheit der Versorgung, vor allen Dingen bei den Ölverbrauchern, besteht im Grunde nur dann, wenn von der Quelle bis zum Heizöltank ein kontinuierlicher Fluß gewährleistet ist. Wird dieser Fluß nur an irgendeiner Stelle und aus irgendeinem Grunde unterbrochen, dann ist nicht nur die Sicherheit der Versorgung in Frage gestellt, sondern dann wird auch der Verbraucher in Form von Preiserhöhungen die Belastungen auf sich nehmen müssen.Gründe für diese Unterbrechung gibt es genügend. Ich glaube, ich brauche gar nicht im einzelnen darauf einzugehen. Das muß nicht nur ein Winter mit ertremen Kältegraden sein. Das können auch politische Veränderungen in den Rohölländern sein, das können Probleme der Schiffahrt, das können auch Probleme der Devisenknappheit der Bundesrepublik sein. Das sollten wir sicherlich nicht außer acht lassen. Wir sollten bedenken, daß jeder Energieträger — ich nehme keinen davon aus — die Lage für sich ausnützen wird, wenn er eine Monopolstellung hat.Die Regierung spricht sehr oft von Maßhalten und tut so, als sei es ihr oberstes Ziel, einen möglichst niedrigen Preis für den Verbraucher zu garantieren. Wenn sie für den Energieverbraucher diesen Preis garantieren will, dann wäre die Überlegung notwendig, ob nicht Großverbraucher und Produzenten von 01 verpflichtet wären, eine ausreichende Vorratshaltung zu treiben, damit solche Erscheinungen sich nicht wiederholen, wie sie während des letzten Winters sichtbar geworden sind.Aber ich glaube, es wäre die höchste Zeit für die Bundesregierung, dafür zu sorgen, daß alle Energieträger unter gleichen Bedingungen arbeiten können. Als der Vertrag über die Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl abgeschlossen wurde, herrschte Kohlenmangel in Europa. Damals wurden Bestimmungen in den Vertrag aufgenommen, mit denen dem Bergbau besondere Auflagen gemacht wurden. Der Bergbau mußte beispielsweise — und muß es heute noch — Preislisten auflegen. Als der Vertrag über die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft abgeschlossen wurde, war eine ganz andere Situation. Heute muß man feststellen, daß ein Energieträger, nämlich die Mineralölindustrie, absolut frei in ihrem Gebaren ist und machen kann, was sie will. Beispielsweise kann sie einen punktuellen Preiswettbewerb treiben und feste Rohstoffe aus dem Markt verdrängen — das kann die Kohle nicht —, und das ist in der Vergangenheit oft genug praktiziert worden.Meine Damen und Herren, ich möchte zum Schluß der Begründung noch einige Worte zu der Luftreinhaltung sagen, von der wir in unserer Frage Nr. 10 gesprochen haben. Wir möchten erfahren, ob die Bundesregierung konkrete Maßnahmen gegen die Luftverunreinigung, insbesondere gegen jene, die durch den Verbrauch von flüssigen Brennstoffen infolge des hohen Schwefelgehalts eintritt, ergreifen will. Der Anteil des Schwefelgehalts, der eine besondere Quelle der Luftverunreinigung ist, ist sehr unterschiedlich. Aber er ist bei flüssigen Brennstoffen höher als bei festen, und je nach Herkunftsland beträgt der Schwefelanteil bei mittlerem und schwerem Heizöl zwischen 3,5 und 4,5 %. Da dieser Schwefelanteil nicht wie bei festen Brennstoffen in gebundener Form teilweise in die Asche geht, sondern in freier Form in die Atmosphäre, trägt er — insbesondere in den industriellen Ballungsgebieten — erheblich zur Luftverunreinigung bei und bildet eine Bedrohung der Gesundheit der Allgemeinheit. Unter dem Gesichtspunkt der Luftreinerhaltung würde auch die Frage des Baues von Kraftwerken auf Kohle- und Koksbasis eine besondere Bedeutung bekommen, weil dadurch eine Vielzahl von Kleinverbrauchern und kleinen Brennstellen abgeschafft würden, die entscheidend zu dieser Luftverunreinigung beitragen.Lassen Sie mich abschließend folgendes sagen. Wir haben diese zehnte Energiedebatte in diesem Hohen Hause durch unsere Große Anfrage nicht um des parlamentarischen Betriebs willen herbeigeführt. Wir wollen über diese wichtigen Fragen reden aus tiefer und echter Sorge um die Entwicklung unserer Wirtschaft und um jene Menschen, die in diesen
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Wirtschaftszweigen tätig sind. Wir wollen darüber reden, damit auch für jene Menschen, die in der Vergangenheit Opfer über Opfer gebracht haben, Klarheit über ihre Zukunft besteht.Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion ist bereit, aktiv an der Lösung dieser energiewirtschaftlichen und energiepolitischen Fragen mitzuarbeiten. Das kann aber nur geschehen, wenn Sie, meine Damen und Herren, zu einem echten, fairen Gespräch bereit sind. Wir erheben nicht den Anspruch und behaupten nicht, daß wir allein die Lage auf dem Energiemarkt richtig sehen. Diesen Anspruch können aber auch Sie nicht erheben. Ich möchte wünschen, daß Sie hinsichtlich der zukünftigen Energiepolitik das Wort des Herrn Bundeskanzlers beherzigen: Die Weisheit liegt nicht allein bei der Regierung; sie ist breit gestreut.
Das Wort zur Beantwortung der Großen Anfrage hat der Herr Bundesminister für Wirtschaft.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zu dem polemischen Teil der Begründung der Großen Anfrage möchte ich in dieser Phase nicht Stellung nehmen, sondern mich ganz nüchtern auf die Beantwortung der Fragen beschränken.3) Die Frage 1 lautet:Ist die Bundesregierung bereit, dem Bundestag die Grundlagen ihrer Energiewirtschaftspolitik mitzuteilen?Welche Ziele verfolgt die Bundesregierung auf lange Sicht, insbesondere im Steinkohlenbergbau und in der Mineralölwirtschaft?Ist die Bundesregierung der Auffassung, daß ihre bisherigen ständigen und kostspieligen Eingriffe in die Energiewirtschaft geeignet sind, diese Ziele zu erreichen?Die Energiepolitik ist Teil der Wirtschaftspolitik. Ihre Grundprinzipien sind der Wettbewerb als Ordnungsfaktor, die privatwirtschaftlich-unternehmerische Initiative, eine besondere soziale Verpflichtung. Die nach diesen Grundsätzen ausgerichtete Energiepolitik wird indessen keineswegs dogmatisch verstanden, sie verlangt nicht nur die Berücksichtigung von Sondertatbeständen, die den Wettbewerbsvorstellungen nicht entsprechen, sondern läßt auch Interventionen aus sozialen und politischen Gründen zu. Es besteht ein Spielraum für pragmatische Entscheidungen, wenn die Situation es erfordert. Diese Grundsätze schließen ein, daß der deutsche Steinkohlenbergbau im Wettbewerb selbstverständlich auch die eigene Entscheidung über seine Preisgestaltung zu treffen hat.Die wirtschaftspolitischen Probleme der einzelnen Energiewirtschaftszweige können und dürfen nicht mehr isoliert gesehen werden, sie ergeben sich vielmehr aus den Wechselbeziehungen der Energieträger und sind nur aus einer einheitlichen energiepolitischen Sicht zu lösen. Hierbei darf nicht vergessen werden, daß die Energiewirtschaft nicht einem Selbstzweck dient, sondern ihr in der Gesamtwirtschaft eine dienende Funktion zukommt. Wenn heute das Verhältnis der heimischen Steinkohle zum Öl die energiepolitische Szene weitgehend beherrscht, so kann dabei nicht übersehen werden — und das gilt auch für das energiepolitische Handeln —, daß die Kräfte der Technik und der Wissenschaft die Möglichkeiten der Energieversorgung in der Bundesrepublik wie in aller Welt ständig erweitern. Die Vielfalt der Energiequellen nimmt zu, heute durch das Raffineriegas, in naher Zukunft durch das Erdgas, in absehbarer Zeit durch die immer stärker sich ankündigende Atomenergie.Eine notwendigerweise auf den Fortschritt in den energiewirtschaftlichen Fragen bedachte Energiepolitik kann nicht ein Gegeneinander der einzelnen Energieträger bedeuten, sie kann nur darauf ausgerichtet sein, eine sinnvolle Ergänzung der heute vorhandenen und der in der Zukunft erschließbaren Energiequellen herbeizuführen. Das Ziel der Energiepolitik der Bundesregierung ist eine ausreichende Versorgung der gesamten Wirtschaft und der Bevölkerung mit billiger Energie. In diesem Rahmen wird eine möglichst ausgeglichene Beschäftigung der Energiewirtschaftszweige angestrebt.Im Kohlenhereich ist das Ziel der Energiepolitik auf die Anpassung des Steinkohlenbergbaus gerichtet. Seit Beginn der Krise im Jahre 1958 war die Bundesregierung bestrebt, 'die Bemühungen der betroffenen Unternehmen des Steinkohlenbergbaus um eine Anpassung .an die strukturell veränderte Situation des Energiemarktes zu unterstützen und insbesondere die Ertragskraft und die Wettbewerbsposition ides Bergbaus zu verstärken. Abgelehnt wurden von der Energiepolitik dagegen stets rein quantitative Schutzmaßnahmen, deren alleiniger Zweck ,es gewesen wäre, den Bestand des Fördervolumens ides deutschen Steinkohlenbergbaus um jeden Preis zu gewährleisten.
Eine andersgeartete Politik hätte auch dem Interesse der Verbraucher nicht gerecht werden können.
Die Bundesregierung steht voll zu den Maßnahmen, die sie auf dem Energiegebiet getroffen hat. Diese Maßnahmen waren einschneidend. Die Interventionen der Bundesregierung standen aber stets unter dem Ziel, das ich Ihnen dargelegt habe. Sie waren in 'diesem Sinn nicht punktuell ausgerichtet, sondern aufeinander abgestimmt. Sie mögen einzeln betrachtet auch mitunter als kostspielig angesehen werden, auf lange Sicht indessen und auch gemessen an dem erreichten Erfolg ist die Bundesregierung .der festen Auffassung, mit ihren Maßnahmen und Interventionen auf dem richtigen Wege zur Erreichung des Zieles einer möglichst billigen und die Nachfrage befriedigenden Energieversorgung geblieben zu sein. Da die Konkurrenzfähigkeit unserer Wirtschaft in dem immer schärfer werdenden internationalen Wettbewerb ein waches Kostenbewußt-
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Bundesminister Dr. Dr. h. c. Erhardsein erforderlich macht, wird die Bundesregierung künftig noch mehr darauf bedacht sein, den Verbraucher belastende Maßnahmen auf dem Energiegebiet zu vermeiden.In Anwendung der hier dargelegten Grundsätze hat die Bundesregierung in ihrer Sitzung vom 7. März 1963 eine Reihe von Beschlüssen zur Energiepolitik gefaßt, von denen ich an dieser Stelle fünf kurz mittedlen möchte. Im sachlichen Zusammenhang werde ich auf die einzelnen Punkte und die Erörterungen der Bundesregierung noch bei der Beantwortung der späteren Fragen zurückkommen.1. Die Fristen für den genehmigungsfreien Abschluß von Einfuhrverträgen im Mineralölbereich werden von bisher 24 Monaten 'auf 9 Monate herabgesetzt, um die Voraussetzungen zu schaffen, im Notfall schnell und wirksam eingreifen zu können.2. Auf Grund der Erfahrungen des vergangenen Winters wird die Bundesregierung über eine gesetzliche Regelung für eine dezentralisierte Bevorratung auf 'dem Energiesektor beraten.3. Wir werden weiter mit der Regierung des Landes Nordrhein-Westfallen nach Anhörung der beteiligten Wirtschaftsverbände überprüfen, ob und in welcher Form durch mittelbar wirkende finanzielle Anreize die Verwendung von Steinkohle zur Erzeugung von Elektrizität 'gefördert werden kann.4. Wir werden die Möglichkeiten untersuchen, die für eine Förderung des Baues von Blockheizwerken auf Kohlenbasis bestehen.5. Es soll im Rahmen der geplanten Änderung des Mineralölsteuergesetzes geprüft wenden, ob der Verbrauch von Heizbitumen und Raffineriegas zum unmittelbaren Verheizen einer Besteuerung unterworfen werden soll, die der Regelung der Heizölsteuer entspricht, da die jüngste Vergangenheit gezeigt hat, daß diese beiden Produkte in zunehmendem Maße zur Wärmeerzeugung verwandt werden.Frage 2: Ist die Bundesregierung sich bewußt, daß die Bereitschaft, weitere Opfer in Form von Preiserhöhungen und Steuern im Rahmen der Energiewirtschaft zu bringen, stetig sinkt, weil die Bundesregierung es bisher versäumt hat, Sinn und Zweck dieser Opfer ausreichend klarzumachen?Die Antwort lautet wie folgt. Die Bundesregierung ist sich eines Versäumnisses nicht bewußt. Es gibt kaum einen Bereich der Wirtschaftspolitik, der sowohl in diesem Hause als auch in der Öffentlichkeit eingehender erörtert worden ist als gerade die Energiepolitik. Ich brauche nur an die zahlreichen Debatten zu erinnern, die wir zu diesem Thema hatten. Die seit langem konsequent fortgesetzte energiepolitische Konzeption der Bundesregierung habe ich Ihnen soeben bei der Beantwortung der Frage 1 noch einmal erläutert.Es trifft sicherlich zu, daß ein erheblicher Teil der bisher für den Steinkohlenbergbau getroffenen Anpassungsmaßnahmen dazu geführt hat, daß der Verbraucher sich nicht zu den jeweils niedrigsten auf dem Weltmarkt notierten Preisen versorgen konnte. Eine solche Folgewirkung ihrer Politik hält die Bundesregierung angesichts ihrer Verantwortung gegenüber der Gesamtwirtschaft im Hinblick auf die von der Energiepolitik verfolgten Ziele indessen für zumutbar. Eines der wesentlichen Ziele war und ist, wie gesagt, die Anpassung des deutschen Steinkohlenbergbaus.Dazu haben wir durch den Kohlenzoll und durch die Entliberalisierung der Kohleneinfuhr die Wirksamkeit 'des einen wichtigen Konkurrenten der deutschen Kohle auf die traditionellen Absatzgebiete, vornehmlich auf die Küstenbereiche, beschränkt. Mit der Heizölsteuer haben wir Einfluß auf das Vordringen des anderen Konkurrenten genommen und gleichzeitig die finanziellen Mittel gewonnen, um die Rationalisierung des Steinkohlenbergbaus wirksam unterstützen zu können. Alle weiteren Maßnahmen der Bundesregierung waren und sind darauf ausgerichtet, die Voraussetzungen dafür zu schaffen, .daß die Unternehmen des Steinkohlenbergbaus in umfassender Weise die für eine Stärkung der Leistungsfähigkeit bestehenden Möglichkeiten ausschöpfen und die dafür erforderlichen Investitionen vornehmen. Neue Impulse in diesem Bereich erwartet die Bundesregierung von dem inzwischen vorgelegten Entwurf des Gesetzes über die Errichtung eines Rationalisierungsverbandes für den Steinkohlenbergbau.In der Energiedebatte am 16. Mai 1962 habe ich ausgeführt, daß die energiepolitischen Maßnahmen der Bundesregierung nicht punktueller Natur, sondern daß sie stets aufeinander abgestimmt waren in Verfolgung des Zieles, eine wirtschaftliche Energieversorgung insgesamt zu erreichen. Die Erfolge 'dieser Politik für das Wohl der Allgemeinheit sind nach meiner Meinung deutlich: Wir haben in den vergangenen Jahren eine stets gesicherte Energieversorgung bei insgesamt stabilem Preisniveau 'gehabt; der deutsche Steinkohlenbergbau konnte außerordentlich große Produktivitätssteigerungen erzielen; in den letzten fünf Jahren von 1600 kg auf 2500 kg pro Mann und Schicht. Der Anpassungsverlauf hat sich in geordneten Bahnen vollzogen, ohne daß ernsthafte soziale Schwierigkeiten auftraten. Dabei ist es uns auf diesem Wege qualitativer Hilfs- und Schutzmaßnahmen für den Bergbau gelungen, die freie Wahl des Verbrauchers auf dem Energiesektor zu erhalten. Ein wesentlicher Teil der dazu bisher ergriffenen Maßnahmen ist vorübergehender Natur, weil er nur dazu dienen soll, der Steinkohle die Anpassung zu erleichtern.Frage 3: Hält die Bundesregierung an ihrer am 16. Mai 1962 geäußerten Auffassung, „die Wirtschaftspolitik so zu orientieren, daß der Steinkohlenbergbau einen Absatz von 140 Mill. t Kohle behaupten kann", fest? Wenn nein, welche Kohlenförderung strebt. die Bundesregierung an? Welche Maßnahmen gedenkt sie einzuleiten, um das von ihr angestrebte Ziel zu erreichen?Die Antwort: Die Bundesregierung verbleibt bei der Auffassung, die sie am 16. Mai 1962 in diesem Hohen Hause vertreten hat. Sie sieht einen Absatz von 140 Millionen t als eine erwünschte Größenordnung an. Die Bundesregierung muß allerdings in
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Bundesminister Dr. Dr. h. c. Erharddiesem Zusammenhang darauf hinweisen, daß die Erreichung dieses Zieles von einem fruchtbaren Zusammenwirken mit allen Beteiligten abhängt. Ich habe am 16. Mai 1962 ausdrücklich auf die eigenen Anstrengungen der Kohle hingewiesen, die unerläßlich seien. Diese eigenen Anstrengungen sehe ich u. a. in einem entsprechenden Preisverhalten der Kohle, in dem Bemühen uni vollständige Ausschöpfung aller Rationalisierungsmöglichkeiten sowie in der vollen Ausnutzung der von der Bundesregierung hierfür gebotenen Hilfen. Indem ich diese Feststellungen treffe, mache ich zugleich deutlich, daß es sich bei der Erklärung der Regierung nicht etwa um eine Absatzgarantie in der genannten Höhe handelt, sondern um ein wünschenswertes Ziel, das zu erreichen sich alle Beteiligten bemühen müßten.Die Bundesregierung ist im Rahmen der bei Beantwortung der Frage 1 dargelegten Grundsätze bestrebt, das Ziel des Steinkohlenbergbaus zu unterstützen, sich auf einer möglichst gesunden und wirtschaftlichen Grundlage zu entwickeln. Die Maßnahmen der Bundesregierung haben dazu beigetragen, daß tatsächlich die Steinkohlenförderung seit mehr als vier Jahren in der Größenordnung von 140 Millionen t Absatz gefunden hat. Zusätzlich konnten in dieser Zeit bis heute über 12 Millionen t Kohle und Koks von den Zechenhalden verbraucht werden. Sie liegen heute bei 6,6 Millionen t, das entspricht einer Förderung von etwa 14 Tagen.Die Wirksamkeit der Maßnahmen der Bundesregierung zeigt sich auch darin, daß in anderen westeuropäischen Kohlenbergbauländern die Kohlenförderung seit 1957, dem letzten Jahr vor der Kohlenkrise, wesentlich stärker zurückgenommen wurde als in der Bundesrepublik. Die Förderung wurde seit diesem Zeitpunkt bis 1961 in Belgien um 27%, in Großbritannien um 16 %, in Frankreich um 8 % und in der Bundesrepublik um 6 % vermindert.Allgemein wird man zu der durch die Frage 3 der Großen Anfrage aufgeworfenen Problematik sagen müssen, daß unsere Wirtschaft sich laufend Strukturveränderungen gegenübersieht, die von ihr und der Wirtschaftspolitik bewältigt werden müssen. Wirtschaftspolitische Aussagen über die voraussichtliche Entwicklung eines bestimmten Wirtschaftszweiges müssen notwendigerweise immer unter dem Vorbehalt wesentlicher Verschiebungen in den zugrunde gelegten Voraussetzungen gesehen werden. Dies gilt insbesondere auch für die Energiewirtschaft. Die Entwicklung des Energiemarktes wird ebenso wie in der Vergangenheit auch künftig durch eine starke Dynamik, d. h. durch sich ständig verschiebende wirtschaftliche Grunddaten, gekennzeichnet sein.Frage 4:Will die Bundesregierung dem Beschluß des Bundestages vom 16. Mai 1962 nachkommen und von der Ermächtigung nach § 10 des Außenwirtschaftsgesetzes Gebrauch machen, nachdem die Verhandlungen zwischen den Vertretern der Mineralölwirtschaft und des Steinkohlenbergbaus unter Beteiligung des Bundeswirtschaftsministeriums zu keinem Ergebnis geführt haben?Die Bundesregierung hält nach sehr sorgfältiger Abwägung aller prüfbaren Umstände eine Anwendung des § 10 des Außenwirtschaftsgesetzes bei der gegenwärtigen energiewirtschaftlichen Situation nicht für geboten. Ein Eingriff, wie ihn die Entliberalisierung darstellt, muß seiner Schwere nach gewissermaßen die Ultima ratio sein. Durch einen solchen Eingriff, dessen Wirkung sich nicht auf die Bundesrepublik beschränken könnte, würde, wenn er erfolgreich sein sollte, die Freiheit des Konsumenten eingeschränkt werden. Er würde mit einem hohen Maß von Wahrscheinlichkeit, ja fast mit Sicherheit die Preise in Bewegung bringen und das Ziel, die deutsche Wirtschaft im Sinne der Erhaltung ihrer Wettbewerbsfähigkeit mit verhältnismäßig billiger Energie zu versorgen, in Frage stellen.Ich habe diese Umstände hier angeführt, um Ihnen, meine Damen und Herren Abgeordneten, darzulegen, daß schon ganz außergewöhnliche wirtschaftliche Tatbestände vorliegen müssen, um einen Schritt wie die Entliberalisierung nach innen und außen zu rechtfertigen. Solche außergewöhnlichen Tatbestände liegen aber nach der Überzeugung der Bundesregierung nicht vor.Die deutsche Steinkohlenförderung ist seit 1959 praktisch konstant geblieben. Sie lag stets etwas über 140 Millionen t. Nach den Vorausschätzungen des Steinkohlenbergbaus selbst wird sie sich im Jahre 1963 auf 139,6 Millionen t belaufen. Ich wiederhole, seit mehr als vier Jahren hat die deutsche Steinkohlenförderung in der Größenordnung von 140 Millionen t Absatz gefunden. Zusätzlich konnten in dieser Zeit — wie ich bereits ausführte — mehr als 12 Millionen t Steinkohle und Koks von den Zechenhalden verkauft werden.Das Jahr 1962 ist entgegen manchen zu Beginn des Jahres gemachten Vorhersagen für den Steinkohlenbergbau günstig verlaufen, was besonders auch auf die Witterungsverhältnisse zurückzuführen ist. Der Steinkohlenbergbau hatte einen Haldenzugang für 1962 in Höhe von 5 Millionen t vorhergesagt. Tatsächlich haben die Halden um rd. 2 Millionen t abgenommen. Der gesamte Energieverbauch ist um 6 % statt, wie ursprünglich angenommen, um 2 % gestiegen. Diese Tatsachen zeigen, welche Vorsicht gegenüber Prognosen angebracht ist, insbesondere dann, wenn diese zur Grundlage von schwerwiegenden wirtschaftspolitischen Entscheidungen gemacht werden sollen.Insgesamt gesehen bestätigt das Jahr 1962 noch einmal die Richtigkeit der bisherigen Energiepolitik der Bundesregierung. Während auf der einen Seite der Absatz der heimischen Kohle im wesentlichen erhalten geblieben ist, bewies der Energiemarkt auf der anderen Seite eine große Elastizität. Trotz der wegen der ungewöhnlich kalten Witterung im Jahre 1962 und auch 'in den ersten Monaten des Jahres 1963 unvorhersehbar aufgetretenen großen Mehranforderungen ist es zu keinen wesentlichen Versorgungsengpässen im Energiebereich gekommen. Ohne die erheblich gesteigerten Heizölzuliefe-Deutscher 'Bundestag — 4. Wahlperiode — 71. Sitzung. Bonn, Freitag, den 29. März 1963 3271Bundesminister Dr. Dr. h. c. Erhardrungen hätten wir die langdauernde Kälteperiode kaum ohne ernste Schwierigkeiten überstanden.
Die Zunahme des Heizölverbrauchs hat aber auch deutlich werden lassen, wie schwierig es ist, eine einigermaßen verläßliche Vorausberechnung der Zuwachsrate dieses außerordentlich elastischen Energieträgers vorzunehmen.Für das Jahr 1963 ist nach der Vorschau des Bundesministeriums für Wirtschaft mit einiger Sicherheit vorauszusagen, daß eine Erhöhung der Bestände an Steinkohle und Koks auf den Zechenhalden in wesentlichem Umfang nicht eintreten dürfte. Der anhaltend kalte Winter legt eher die Vermutung "nahe, daß der Energieverbrauch 1963 abermals die Zuwachsrate von 2 % übersteigen wird, so daß es zu einer Erhöhung der Halden überhaupt nicht kommen dürfte.Diese Vorausschau berechtigt uns zu der Hoffnung, daß es der Bundesregierung auch ohne die schwere Operation der Entliberalisierung mit den von ihr beabsichtigten Maßnahmen gelingen wird, den Anpassungsprozeß der deutschen Kohle im Sinne des gemeinsamen Zieles durchzuführen und die Bereitschaft der Mineralölindustrie zu verstärken, die Pläne für den Aufbau und den Ausbau von Raffinerien vorher mit ihr abzustimmen. Eine solche Bereitschaft würde weitere Maßnahmen auf Grund des Außenwirtschaftsgesetzes entbehrlich machen.Frage 5:Ist die Bundesregierung bereit, der Forderungdes Landes Nordrhein-Westfalen zu entsprechen, das Energiewirtschaftsgesetz so zu ändern, daß eine Einflußnahme auf sämtliche Investitionen in der Energiewirtschaft, insbesondere auf die Errichtung von Zechenanlagen, Kokereien, Erdölgewinnungsanlagen, Raffinerien, Gaserzeugungsanlagen, Kraftwerken, Gasleitungen, Ölleitungen und Stromleitungen ermöglicht wird?Der Vorschlag des Landes Nordrhein-Westfalen, das Energiewirtschaftsgesetz so zu ändern, daß eine umfassende Einflußnahme auf sämtliche Investitionen in der Energiewirtschaft ermöglicht wird, wirft zahlreiche wirtschaftspolitische, energiewirtschaftliche und rechtliche Probleme auf. Die Bundesregierung hat in ihrer Sitzung am 7. März 1963 beschlossen, eine Novellierung des Energiewirtschaftsgesetzes eingehend zu prüfen.Frage 6:Denkt die Bundesregierung daran, den Rohöldurchsatz bei den Raffinerien einzuschränken?Angesichts der gegenwärtigen energiewirtschaftlichen Lage, wie ich sie bei der Beantwortung der Frage 4 geschildert habe, beabsichtigt die Bundesregierung nicht, den Rohöldurchsatz bei den Raffinerien einzuschränken.Frage 7:Ist die Bundesregierung bereit, die Errichtungeiner zentralen Energieeinfuhrstelle zu erwägen, um alle in der Zukunft noch erforderlichen Maßnahmen zur Stabilisierung des Energiemarktes zu koordinieren?Diese Frage beantworte ich mit nein. Frage 8:Welche Maßnahmen gedenkt die Bundesregierung zu ergreifen, um bei Mangellage willkürliche Preiserhöhungen zu verhindern, wie sie in letzter Zeit für Heizöl vorgenommen wurden?In diesem Winter waren die klimatischen Verhältnisse außergewöhnlich. Sie führten allgemein zu einem höheren Brennstoffbedarf und zu besonderen Erschwernissen beim Transport. Das Ergebnis war sowohl eine fühlbare Kostenerhöhung als auch eine Anspannung des Marktes. Die Kostensteigerungen wurden weitgehend auf die Heizölpreise überwälzt. In einer Reihe von Einzelfällen — aber eben nur von Einzelfällen — ist ganz sicher die angespannte Versorgungslage zu Preiserhöhungen, die über die Kostensteigerungen hinausgingen, ausgenutzt worden.
Die Bundesregierung ist bestrebt, durch die gesetzliche Auferlegung einer Energiebevorratung Mangelerscheinungen, wie sie im letzten Winter zutage traten, vorzubeugen. Sie hofft, durch die Einführung einer verbrauchsnahen Lagerhaltung die Ursachen besonderer Preiserhöhungen einengen zu können.Frage 9:Welche Maßnahmen gedenkt die Bundesregierung einzuleiten, um die Erzeuger von Heizöl im Interesse der Versorgungssicherheit zu einer ausreichenden Lagerhaltung zu verpflichten?Wie ich bei der Beantwortung der Frage 8 bereits ausgeführt habe, beabsichtigt die Bundesregierung, im Interesse der Versorgungssicherheit auf dem Energiesektor eine gesetzlich angeordnete Pflicht zur dezentralen Bevorratung von Brennstoffen einzuführen.Frage 10:Ist die Bundesregierung bereit, im Interesse der Gesunderhaltung der Bevölkerung einen Gesetzentwurf vorzulegen, der eine Entschwefelung, insbesondere der flüssigen Brennstoffe, zwingend vorschreibt?Die Bundesregierung anerkennt die Notwendigkeit, im Interesse der Gesunderhaltung der Bevölkerung zur Entschwefelung, insbesondere der flüssigen Brennstoffe, zu treffen. Das Bundeskabinett hat daher das Gesundheitsministerium in seiner Sitzung am 7. März 1963 beauftragt, die Möglichkeiten für eine entsprechende gesetzliche Regelung zu prüfen, wobei dann allerdings auch die Kohleverwendung in dieser Hinsicht zu überprüfen wäre.Gestatten Sie, Herr Präsident, daß ichgleich zu dem Gesetz über den Rationalisierungsverband eine Einführung gebe.
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3272 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 71. Sitzung. Bonn, Freitag, den 29. März 1963
Bundesminister Dr. Dr. h. c. ErhardMeine Damen und Herren! Mit der Drucksache IV/ 1080 liegt Ihnen der Entwurfeines Gesetzes zur Förderung der Rationalisierung im Steinkohlenbergbau vor, dessen Vorlage bereits anläßlich der Beantwortung der Großen Anfrage der Fraktion der SPD am 16. Mai 1962 angekündigt und in einer Entschließung des Bundestages vom gleichen Tage auch gefordert worden ist. Ich brauche daher die Bedeutung, die die Bundesregierung dem Gesetzentwurf beimißt, nicht besonders zu unterstreichen. Sie wissen, daß die darin vorgesehenen Maßnahmen neben der Verlängerung des Kohlenzolls und der Heizölsteuer einen wesentlichen Teil derjenigen energiepolitischen Vorkehrungen darstellen, die die Bundesregierung zur Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit des Steinkohlenbergbaus ,insbesondere zur Verbesserung seiner Produktivität und seiner schwierigen Ertragslage, zu ergreifen gedenkt.Durch die notwendigerweise sehr eingehende und sorgfältige Vorbereitung des Gesetzentwurfs, aber auch durch längere Verhandlungen mit dem Lande Nordrhein-Westfalen hat sich 'die vom Deutschen Bundestag erwartete unverzügliche Vorlage verzögert.Eine Darstellung der Vorschriften im einzelnen darf ich mir unter Hinweis auf die ausführliche schriftliche Begründung des Gesetzentwurfs ersparen. Folgendes ist indessen hervorzuheben.Wie ich soeben im Zusammenhang mit der Großen Anfrage der Fraktion der SPD zur Energiepolitik ausgeführt habe, war und ist das Bestreben der Bundesregierung seit Beginn der Kohlenkrise im Jahre 1958 darauf ausgerichtet, den Bergbau bei seinen Bemühungen um ,eine Anpassung an die strukturell veränderte Situation des Energiemarktes zu fördern. Daß ein solches Vorhaben nur dann wirksam verfolgt werden kann, wenn es von den betroffenen Unternehmen selbst voll und ganz unterstützt wird, bedarf keiner weiteren Erläuterung.Die zur Bewältigung der anstehenden Probleme notwendige Zusammenarbeit zwischen Staat und Bergbau soll durch die im Gesetzentwurf vorgesehene Errichtung eines Selbstverwaltungsverbandes für den Steinkohlenbergbau in Form einer bundesunmittelbaren Körperschaft des öffentlich Rechts erreicht werden. Der Verband ist jedoch nicht als Dauereinrichtung gedacht; er stellt vielmehr nach Ablauf von fünf Jahren seine aktive Tätigkeit wieder ein. Innerhalb dieser Übergangszeit soll der Bergbau selbst Wege finden, um sich gegenüber konkurrierenden Energieträgern aus eigener Kraft behaupten zu können. Zu diesem Zweck sind dem Verband zwei Hauptaufgaben gestellt. Einmal soll er durch die Gewährung von Darlehen und Übernahme von Bürgschaften mit einem Gesamtvolumen von 1,5 Milliarden DM 'die Investitionen ermöglichen, die zur inner- und überbetrieblichen Rationalisierung sowie zur Durchführung sonstiger im Interesse einer Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit des Steinkohlenbergbaus förderungswürdigen Vorhaben unerläßlich sind. Die Verwirklichung dieser Aufgabe des Verbandes, die den erforderlichen Impuls für 'die Bereitschaft der sehr großen und langfristig wirkenden Investitionen geben soll, wollen wir durch ein Bürgschafts- und Rückbürgschaftsprogramm der öffentlichen Hand unterstützen.Die zweite 'wichtige Aufgabe des Verbandes sehen wir in der Gewährung einer Stillegungsprämie, mit der ein Anreiz für das Ausscheiden schlechter Schachtanlagen gesetzt werden soll. Der für die Prämie vorgesehene Betrag von 25 DM je Tonne verwertbare Förderung soll je zur Hälfte aus Mitteln des Bundes und aus Umlagemitteln des Verbandes aufgebracht werden. Mit dieser Hilfsmaßnahme wollen wir nicht in die unternehmerische Entscheidung über die Stillegung einer Anlage eingreifen; es bleibt vielmehr den Unternehmen selbst überlassen, ob sie die Vorteile der Prämie so hoch veranschlagen, daß sie auf den Weiterbetrieb einer Schachtanlage verzichten wollen.Ob mit der Stillegungsaktion auch ein Rückgang der tatsächlichen Förderung verbunden sein wird, läßt sich heute kaum übersehen. Es kann aber 'davon ausgegangen werden, daß der Bergbau bemüht sein wird, die Kohlenförderung auf die besten Anlagen zu konzentrieren und diese dann kapazitätsmäßig voll auszulasten. Der mit der Gewährung der Stilllegungsprämie verfolgte Zweck würde ohne eine befriedigende Regelung für die auch nach Stillegung einer Schachtanlage noch bis 1979 weiter zu zahlenden Lastenausgleichsabgaben vielfach nicht erreicht werden. Der Gesetzentwurf sieht daher eine Finanzierungshilfe aus Bundesmitteln für die Ablösung der Vermögens- und Kreditgewinnabgabe im Falle 'der Stillegung einer Schachtanlage vor.In einem weiteren Abschnitt des Gesetzentwurfs sind schließlich wichtige steuerliche Maßnahmen zur Rationalisierung vorgesehen. Dabei handelt es sich im wesentlichen um Regelungen für Veräußerungen, d. h. Buchgewinne, und für Umwandlungen. Mit dieser Maßnahme sollen vor allem die Voraussetzungen dafür geschaffen werden, daß die positive Rationalisierung im Bergbau auch über den Bereich eines einzelnen Unternehmens hinaus verstärkt durchgeführt werden kann. Mit der Beseitigung der steuerlichen Hindernisse, die 'derartigen Rationalisierungsvorhaben häufig entgegenstehen, erhofft sich die Bundesregierung eine erhebliche Verbesserung der Betriebs- und Unternehmensstruktur, die ihrerseits einen wesentlichen Beitrag zur Steigerung der Ertragskraft des Bergbaus leisten wird. Allen im Gesetz vorgesehenen Maßnahmen ist gemeinsam, daß durch sie in den Wirtschaftsablauf nicht unmittelbar eingegriffen wird. Sie sollen vielmehr als mittelbar wirkende Anreize die Bereitschaft zur unternehmerischen Eigeninitiative erhöhen.
Damit ist die Große Anfrage der sozialdemokratischen Fraktion beantwortet. Der Herr Bundesminister für Wirtschaft hat zugleich den Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Förderung der Rationalisierung im Steinkohlenbergbau begründet.Es ist wohl kaum daran zu zweifeln, daß im Anschluß an die Beantwortung der Großen Anfrage
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Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 71. Sitzung. Bonn, Freitag, den 29. März 1963 3273
Vizepräsident Schoettleder SPD eine Aussprache stattfindet. Die Wortmeldungen liegen bereits vor.Zunächst hat das Wort Frau Bundesministerin Dr. Schwarzhaupt.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In Punkt 10 der Großen Anfrage und auch in der Begründung, die der Kollege Arendt gegeben hat, sind auch gesundheitspolitische Gesichtspunkte angeführt worden. Der Herr Bundeswirtschaftsminister hat bereits gesagt, daß die Bundesregierung die Frage einer Entschwefelung — wie Sie sagen, insbesondere der flüssigen Brennstoffe
— prüfen wird, um die gesundheitlichen Schäden, die hier drohen oder bereits ständig eintreten, zu mindern.
Ich bin von meinem Ressort aus natürlich sehr zufrieden damit, daß diese Fragen aufgegriffen worden sind. Ich möchte allerdings davor warnen, daß gesundheitspolitische Gesichtspunkte n u r oder auch
— wie es in der Großen Anfrage heißt — insbesondere im Hinblick auf eine Energiequelle, nämlich auf die flüssigen Brennstoffe, angeführt werden und daß damit die Gesundheitspolitik in die Gefahr kommt, zu einem Mittel der Energiepolitik gemacht zu werden. Dagegen müssen wir uns verwahren. Wenn wir hier Bestimmungen zum Schutz der Gesundheit der Menschen anwenden — und wir müssen überall suchen, wo dies möglich und notwendig ist —, müssen sie immer da angewandt werden, wo
Schäden bestehen und eintreten. Es scheint mir, daß in bezug auf eine Minderung des Schwefelgehalts der Abgase, die allerdings eine sehr schwere Beeinträchtigung von Menschen und Pflanzen darstellen, die Zukunftslösung mehr in Richtung einer Vergasung sowohl der flüssigen wie der festen Brennstoffe liegt.
Einen weiteren gesundheitspolitischen Gesichtspunkt, den der Herr Kollege von der SPD noch nicht angeführt hat, möchte ich auch hier in das Gespräch werfen. Herr Kollege Arendt, Sie haben von den neun neuen Raffinerien gesprochen, die für die Zukunft vorgesehen sind, und Sie haben dabei sehr viel über die Kapazitäten, die da entstehen werden, gesagt. Vor mir steht aber auch das Bild, daß diese neuen Raffinerien. in Gegenden errichtet werden, in denen bisher die Luft nicht oder kaum verunreinigt war und in denen nun neue und bisher nicht vorhandene Abgasquellen, und zwar auch Quellen mit einem stark gesundheitsschädlichen Gehalt entstehen. Auf diesem Gebiet gibt die Gesetzgebung aus der vorigen Legislaturperiode des Bundestages Handhaben. Nach § 16 der Gewerbeordnung besteht jetzt die Möglichkeit, daß die örtlich zuständigen Stellen Auflagen machen, die gerade in gesundheitspolitischer Beziehung die entscheidenden Abhilfen ergeben könnten.
Daß diese bestehende Bundesgesetzgebung vom Gesichtspunkt der Gesunderhaltung der Bevölkerung in diesen Gebieten, in denen neue Quellen für SO-haltige Abgase geschaffen werden, streng angewandt werde, scheint mir allerdings ein wesentlicher gesundheitspolitischer Gesichtspunkt zu sein. Im Gesundheitsministerium werden technische Anleitungen zur Handhabung dieser Bestimmung erarbeitet, die eine Richtlinie dafür geben; der § 16 der Gewerbeordnung kann aber auch heute schon angewandt werden. Hier wird sich zeigen, ob die Bundesgesetze, die zum Schutz der Gesundheit der Bevölkerung erlassen sind, wirklich im Sinne des Gesetzgebers ausgeführt werden.
Hier wird sich auch zeigen, ob wir in unserer modernen Gesellschaft den technischen Fortschritt richtig verstehen, ob wir uns nicht kurzschlüssig und voreilig faszinieren lassen davon, daß hier Energiequellen geschaffen werden, die billiger sind, die arbeitssparend sind, die eine Fülle von technischen Vorteilen haben, die aber für die Gesundheit der Umwelt schädlich sind. Es ist kein technischer Fortschritt, wenn man durch Verwendung einer neuen technischen Möglichkeit zwar Arbeit spart, Geld spart, wenn man also technisch beinah „genial" ist, aber zugleich die Gesundheit der Bevölkerung schädigt; das ist ein technischer Rückschritt.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Deist.
Herr Präsident! Meine Damen und meine Herren! Wer das Unbehagen kennt, das in der gesamten deutschen Öffentlichkeit und weit darüber hinaus über die Lethargie herrscht, die die Bundesregierung in allen ihren energiepolitischen Überlegungen bestimmt, der wird nicht sagen können, daß diese Antwort des Herrn Bundeswirtschaftsministers auf unsere Große Anfrage Klarheit geschaffen habe und die Überzeugung in der Offentlichkeit habe stärken können, daß die Bundesregierung wirklich wisse, welche Ziele sie mit ihren zahlreichen Eingriffen in die Energiewirtschaft verfolgt.
Meine Damen und Herren, man muß sich den ersten Teil der Antwort einmal genau ansehen, wo es z. B. heißt: Energiewirtschaftspolitik ist ein Teil der Wirtschaftspolitik. Das ist nicht besonders neu und ist auch keine besondere energiepolitische Erkenntnis. Ein zweites: Der Wettbewerb werde als Ordnungsfaktor anerkannt, zwar nicht dogmatisch, er lasse auch Interventionen zu. In welchem Umfang eigentlich Wettbewerb herrscht, in welchem Umfang dem Machtstreben bestimmter starker Energiewirtschaftszweige entgegengetreten werden soll, wie das die Aufgabe eines demokratischen Staates ist, und in welcher Form Interventionen notwendig seien, dafür ist auch in diesem Exposé des Herrn Bundeswirtschaftsministers nicht viel zu finden. Dann: daß die Zweige der Energiewirtschaft nicht isoliert betrachtet werden dürften, nicht Selbstzweck seien, sondern eine dienende Funktion ausübten, ist sicherlich eine richtige Erkenntnis. Aber entscheidend ist doch: Welche Konsequenzen zieht die Bundesregierung aus den Tatbeständen, wie sie heute nun sind, um die Energiewirtschaft, und zwar jeden in seiner Weise, auf diese dienende
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Dr. DeistFunktion hinzuweisen und festzulegen? Darüber nichts, meine Damen und Herren.Und in der Kohle: die Anpassung für notwendig zu erklären, um die Ertragskraft und die Wettbewerbsposition zu stärken, das ist doch so allgemein, daß man es als wesentlichen Grundsatz einer konkreten, aktiven Energiewirtschaftspolitik nicht betrachten kann.Auch die Formel, meine Damen und Herren: wir müßten eine möglichst billige Energieversorgung haben, ist allzu billig, möchte ich sagen. Denn mit Heizölsteuer, mit Kohlekontingent und dergleichen mehr trägt man ja doch nicht zur Verbilligung der Brennstoffe bei. Es wäre schon eine etwas ernsthaftere Unterhaltung darüber erforderlich, wie man die Forderung nach einer möglichst billigen Kohle mit der Forderung nach einer möglichst sicheren Versorgung in Einklang bringt. So einfache, lapidare, mit den Tatsachen in Widerspruch stehende Feststellungen genügen hier nicht.Sehen wir uns 'einmal an, was in dem ganzen Konzept an Maßnahmen der Bundesregierung vorgesehen ist! Das erste — dazu hat mein Freund Arendt schon einiges 'gesagt, ich werde darauf zurückkommen — ist der Gesetzentwurf über den Rationalisierungsverband. Das zweite ist die Verkürzung der Kontraktfristen; darüber wird zu sprechen sein. Dann kommen 6 Punkte, bezüglich deren die Bundesregierung Überlegungen anstellt, Aufträge erteilt, Prüfungen veranlaßt hat. Das gilt für die Bevorratung, das gilt für die Verstromung bei Kraftwerken, das gilt für die Blockheizkraftwerke, das gilt für die Besteuerung von Raffineriegas und Bitumen, und das gilt für die Ergänzung des Energiewirtschaftsgesetzes, und ähnliche Überlegungen werden auch bezüglich der Entschwefelung angestellt.Niemand wird sagen können, daß das nach 5 Jahren kritischer Entwicklung der Energiewirtschaft ein positives Zeichen für die Aktivität der Bundesregierung sei. Diese Feststellung ist wichtig, weil in den letzten 5 Jahren und auch heute weittragende Entscheidungen über die Entwicklung der Energiewirtschaft für die nächsten 10 bis 15 Jahre gefällt wurden und werden; ob das die Bundesregierung tut oder andere, jedenfalls fallen die Entscheidungen in diesen Jahren.Die Zechenstillegungenentscheiden darüber, wieviel an Kohle in den nächsten 10 bis 15 Jahren zur Verfügung stehen wind. Wir haben einige Feststellungen darüber, ich glaube von der Landesregierung Nordrhein-Westfalen, in welchem Umfange Stillegungen erfolgen. Es sind inzwischen 25 Schachtanlagen, unter denen 3,3 Milliarden Vorräte lagerten, durch Stillegung ausgeschaltet worden. Vorbereitet ist die Stillegung von weiteren 5 Anlagen. Insgesamt kommen wir dann auf 4 Milliarden Vorräte, auf die für alle Zeiten durch Stillegungen verzichtet wird. Das ist ein Viertel 'aller ,abbauwürdigen Kohlenvorräte. Insgesamt sind bisher seit der Mitte des vergangenen Jahrhunderts 7,2 Milliarden t Kohle abgebaut worden. Die Vorräte, auf die wir verzichten, sind mehr als die Hälfte dessen, was überhaupt aus Idem Kohlenbergbau bisher gefördert worden ist. Und was vielleicht besonders tragisch ist: darunter befinden sich allein 15 Hausbrandzechen, die für die Hausbrandversorgung nicht ohne Bedeutung wären.Hier muß man doch die Frage aufwerfen, ob das alles volkswirtschaftlich sinnvoll ist und ob die Bundesregierung sich 'damit begnügen kann, die Entwicklung dem sagenhaften freien Wettbewerb zu überlassen, von dem die Bundesregierung weiß, daß er im Kohlenbergbau jedenfalls doch nur unter großen Einschränkungen als wirksam anerkannt werden kann. Es sind wichtige Entscheidungen, die hier gefällt werden. Die Bundesregierung entzieht sich der volkswirtschaftlichen Verantwortung, die sie zu tragen hat, zu sagen, ob sie diese Entwicklung wünscht oder was sie tun wind, um sicherzustellen, daß eine sinnvolle volkswirtschaftliche Entwicklung stattflindet.Zur Arbeitspolitik, meine Damen und Herren! Die Art der Stillegungen und ihre Auswirkungen auf die Arbeitnehmerschaft sind so, daß wir damit rechnen 'müssen, daß wir auf lange Sicht keine gesunde, leistungsfähige, selbstbewußte Bergarbeiterschaft haben wenden, so daß der Kohlenbergbau unter Umständen auf diesem merkwürdigen Wege zur Schrumpfung 'gebracht wird.Zur Mineralölpolitik! Die Investitionen in den Raffinerien, in den Pipelines gehen auch nicht auf den Bedarf von heute oder morgen, sondern sie bestimmen die Entwicklung der Energiewirtschaft in 10 bis 15 Jahren. Was von 'der Bedarfsseite kommt, von der Elektrifizierung, der Verdieselung der Eisenbahnen, wirkt sich in 10 bis 15 Jahren aus. Mit wettbewerbsfähiger Kernenergie müssen wir ebenfalls in 10 bis 15 Jahren — die Sachverständigen sind sich nicht ganz 'darüber einig — rechnen.In allen diesen Fragen fallen Entscheidungen. Aber die Frage ist, ob diese Entscheidungen letzten Endes durch die großen internationalen Konzerne der Mineralölwirtschaft bestimmt werden, die die Kraft haben, ihre Interessen durchzusetzen, aber keine wirtschaftspolitische Verantwortung tragen; oder ob die Bundesregierung sich zu ihrer Verantwortung bekennt, eine gesunde Energiewirtschaft als Grundlage 'für die zukünftige wirtschaftliche Entwicklung in Deutschland zu schaffen. Niemand wird behaupten können, daß man dies dem Wettbewerb zwischen Mineralölwirtschaft und Kohlenbergbau und 'den übrigen Energieträgern überlassen könne. Mineralölkonzerne haben internationale Macht. Sie verfügen über Rohölvorkommen, sie verfügen über Iden Seetransport, sie verfügen über die Pipelines von der Küste bis zu den Raffinerien, sie verfügen über die Raffinerien, und sie verfügen zum Teil noch über ein Verteilernetz bis zum letzten Verbraucher. Sie haben eine ungeheure Finanzmacht. Sie haben die Möglichkeit, mit den Erträgen zu jonglieren, die sie in der Erdölförderung haben, die sie bei besseren Zeiten aus dem Seetransport und die sie aus 'den Raffinerien haben. Darum haben sie die Expansionspolitik der letzten Jahre betreiben können. Darum haben sie eine Preispolitik verfolgt,
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Dr. Deistbei der wohl nun kein Zweifel darüber bestehen kann, daß es sich um eine Preispolitik unter marktstrategischen, unter machtpolitischen Gesichtspunkten handelt.Der WID hat unter dem 5. Dezember 1962 einmal die Preisentwicklung für schweres Heizöl frei Hamburg ohne Zoll und ohne Steuer dargelegt: 1956 101 DM, dann Sturz auf 45 DM, im April 1961 54 DM, im Dezember 1962 64 DM, bis Januar 1963 weiter angestiegen. Man braucht sich nur diese Kurve anzusehen, um zu wissen, daß hier Machtpolitik, daß hier Marktstrategie wirksam wird. Für das leichte Heizöl könnte ich entsprechende Zahlen geben.Hier fallen grundlegende Entscheidungen für die Zukunft. Der Kohlebergbau ist nun einmal dieser Situation hilflos ausgesetzt. Wer hier noch behauptet, man könne die Dinge dem Wettbewerb überlassen und gelegentlich einmal, wo es nötig sei, auch so ein bißchen — so daß man es nach Möglichkeit gar nicht merkt, auch die Betroffenen es nach Möglichkeit gar nicht merken — intervenieren, der ist falsch beraten; denn damit ist das Problem nun wirklich nicht gelöst. Hier haben Bundesregierung und Bundesparlament ihre politische Verantwortung zu erkennen; denn hier geht es um mehr als nur das Interesse des Kohlenbergbaus, um mehr als nur das Interesse der Mineralölwirtschaft, hier geht es um die Grundlagen einer gesunden wirtschaftlichen Entwicklung, die nur auf einer sicheren und möglichst preiswerten Energieversorgung beruhen kann.
Der Herr Bundeswirtschaftsminister hat dann auf unsere Frage nach dem Konzept der Energiewirtschaftspolitik geantwortet. Ich möchte dazu noch einige Bemerkungen machen. In der Öffentlichkeit wird die Auseinandersetzung über das, was man die Grundlagen der Energiewirtschaft nennen könnte, häufig in einer Form geführt, die mit den Realitäten nicht in Übereinstimmung steht. Natürlich verlangt keiner, daß die Bundesregierung mit Sicherheit prophezeit, wie im Jahren 1970 die Entwicklung der Mineralölwirtschaft oder des Kohlebergbaus aussehen wird. Prophetie ist nicht gerade die stärkste Gabe der Menschen. Jedenfalls im wirtschaftspolitischen Bereich sollte man sich von Prophezeiungen fernhalten. Es kommt darauf an, daß man vernünftige Vorausschätzungen hat und diese Vorausschätzungen den wirtschaftspolitischen Entscheidungen zugrunde legt, ohne die es nun einmal nicht geht. Kein Mensch wünscht einen Plan, der der Entwicklung Gewalt antut. Aber wir wünschen, daß die Regierung sagt, was sie will, und wir sind bereit, mit ihr zu gehen, wenn sie nach einem Ablauf von drei bis vier Jahren sagt: Verschiedene Dinge haben sich bei uns oder draußen anders entwickelt; infolgedessen müssen wir in unserer Wirtschaftspolitik, in unserer Energiepolitik andere Akzente setzen. Das ist das Normale und das Richtige für eine Regierung und für die politischen Führungskräfte, die sich zu ihrer Verantwortung bekennen.Deshalb möchte ich auch dem Herrn Bundeswirtschaftsminister in bezug auf eine Formel, die er gebraucht hat, deutlich sagen: Wir wünschen keine Absatzgarantie für den Bergbau, so daß unter Umständen sogar durch eine Reichsstelle oder Bundesstelle oder was weiß ich überschießende Beträge aus dem Kohlebergbau aufgenommen werden müßten. Niemand von uns verlangt das. Nur möchten wir, wenn Milliardenbeträge in den Kohlebergbau gesteckt und Milliardenbeträge den Steuerzahlern und den Verbrauchern aufgelastet werden, wissen: Wofür? — Der Bergbau muß das wissen; denn sonst kann er seine Investitionspolitik für die Zukunft nicht betreiben. Die Mineralölwirtschaft muß das wissen; denn wie kann man eigentlich sonst von ihr verlangen, daß sie sich einer gewollten Entwicklung anpaßt! Und die Arbeitnehmer an der Ruhr müssen das wissen; denn sie müssen wissen, ob sie auf lange Sicht gesicherte Arbeitsplätze haben oder nicht. Die Länder und Gemeinden müssen das wissen; denn hier handelt es sich um ein großes, umfassendes Programm der Strukturänderung an der Ruhr, das die Landesplanung und Wirtschaftsförderung in Ländern und Gemeinden wesentlich beeinflußt.Wir wollen gar nicht wissen, was der Kohlenbergbau und was die Mineralölwirtschaft machen. Wir möchten von der Bundesregierung wissen, was sie mit ihren eigenen Maßnahmen beabsichtigt, welches Ziel sie ansteuert oder ob sie mit Formeln wie freie Marktwirtschaft und gelegentlicher Intervention ziel- und hilflos in der Gegend herumoperiert.Meine Damen und Herren, darum müssen wir darauf bestehen, daß sie eindeutig Klarheit über die Ziele ihrer Energiewirtschaftspolitik entwickelt. Dafür gibt es mehrere Voraussetzungen. Zunächst einmal muß, glaube ich, der Vorstellung entgegengetreten werden, daß die heutigen Verhältnisse zwischen Kohlewirtschaft und Mineralölwirtschaft die Verhältnisse auf lange Sicht sein werden. Der Kohlenbergbau arbeitet heute unter Sonderbedingungen, er hat andere Wettbewerbsvorschriften, er trägt besondere Regressionskosten, und er steht anomalen marktstrategisch bestimmten niedrigen Preisen des Heizöls gegenüber.Ein zweites sollte man bei der Abtastung dessen, was als Ziel angestrebt wird, sagen. Alle Gutachten über die zukünftige Entwicklung der Energiewirtschaft kommen zu dem Ergebnis, daß die Auffassungen, das Zeitalter der Kohle sei im wesentlichen vorbei, wohl doch nicht zutreffen, sondern daß wir insbesondere in den Jahren 1970 bis 1975 im Hinblick auf die Lagerstätten der Mineralölwirtschaft und im Hinblick auf die Wirtschaftspolitik der Öl- länder mit einer verstärkten Nachfrage an Kohle rechnen müssen. Heute überwiegt bei allen Sachverständigen die Überzeugung, daß es gefährlich wäre, einen solchen irreversiblen Schrumpfungsprozeß, wie er heute an der Ruhr vor sich geht, einfach so weiterlaufen zu lassen.Vielleicht, Herr Bundeswirtschaftsminister, denken wir auch daran, daß wir im Jahre 1970 einen gemeinsamen Energiemarkt haben werden und daß wir bis zum Jahre 1970 wirklich alles tun müssen, um eine leistungsfähige Energiewirtschaft zu haben, d. h. eine moderne Mineralölwirtschaft, die dazugehört, und einen leistungsfähigen, gesunden Kohlenberg-
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3276 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 71. Sitzung. Bonn, Freitag, den 29. März 1963
Dr. Deistbau. Wer die Verhandlungen in Brüssel und Straßburg ein klein wenig verfolgt, der ist in Sorge; wenn er nämlich beobachtet, ein wie klares Konzept andere Staaten, insbesondere Frankreich und Italien, in diese Erörterung hineinbringen, wie unklar dagegen die Vorstellungen der Bundesregierung sind und wie wenig wirksam daher ihr Einfluß bei diesen internationalen Beratungen ist. Auch darum ist es notwendig, daß die Bundesregierung sich endlich zu Entscheidungen aufrafft.Ich möchte ein Viertes sagen, meine Damen und Herren, weil ich nicht möchte, daß darüber Zweifel bestehen. Mineralöl, Heizöl und ihre Entwicklung sind Zeichen .des technischen Fortschritts; und es wäre nicht nur unvernünftig, sondern auch auf lange Sicht sicherlich vergeblich, wenn man diesen Entwicklungsprozeß gewaltsam verhindern wollte. Darum sollten wir uns darüber klar sein: die Frage lautet nicht, ob wir uns zu Sprechern des Kohlenbergbaus machen, vielleicht gar zu Lasten jener revierfernen Gebiete, die in der Vergangenheit unter der Höhe der Energiekosten gelitten haben. Auf der anderen Seite kommt es nicht darauf an, uns zu Sprechern der Mineralölwirtschaft zu machen ohne Rücksicht darauf, was mit den vorhandenen Rohstoffvorräten an der Ruhr wird. Die Frage ist: Wie steuern wir eine Gesamtenergiewirtschaftspolitik an, die für alle Bereiche unserer Bundesrepublik eine möglichst billige und möglichst gesicherte Energieversorgung gewährleistet? Wie sorgen wir dafür, daß der gewaltige Strukturwandlungsprozeß, der damit verbunden sein wird, in eine gesunde organische Entwicklung übergeführt wird? Das ist das Problem. Da geht es nicht nur um die Ruhr, sondern da geht es mindestens ebenso um die Interessen der revierfernen Gebiete, die wir nicht gering achten sollten. Unter diesem Gesichtspunkt sollten wir die Fragen der Energiepolitik betrachten und eine Lösung anstreben.Ich darf hier zwei Bemerkungen vorwegschicken, um zu zeigen, daß das, was der Herr Bundeswirtschaftsminister sagt, einfach nicht genügt. Wir haben keinen funktionsfähigen Wettbewerb. Die Machtposition der Mineralölwirtschaft erfordert, daß die Wirtschaftspolitik ihre Position erkennt und mit den ihr gemäßen modernen Mitteln der freiheitlichen Wirtschaftspolitik den Entwicklungsprozeß beeinflußt und steuert. Diese Entscheidung hat die Bundesregierung längst getroffen; denn sie greift jeden Augenblick ein. Sie sollte sich auch dazu bekennen.Ein Zweites! Die Wettbewerbsfähigkeit der Kohle ist kein Maßstab für die zukünftig aufrechtzuerhaltende Produktion der Kohle; denn jedermann weiß, daß wirklich wettbewerbsfähig im internationalen Verkehr höchstens die Hälfte der heutigen Kohleförderung wäre. Die Bundesregierung hat auch nicht mit einem halben Wort angedeutet, daß sie etwa dieses Ziel anstrebe. Das heißt, es wird mit den Eingriffen der Bundesregierung ganz offensichtlich die Aufrechterhaltung einer Produktion angestrebt, die über dem Maß der internationalen Wettbewerbsfähigkeit liegt. Die Frage ist nur — und sie muß eben in einem solchen Falle beantwortet werden —: welche Größenordnung kommt hier in Frage, welches Ziel steuert die Bundesregierung an?Dabei muß auch die Frage der Sicherheit in einem ganz bestimmten Sinne angesprochen werden. Mit dem Argument der Sicherheit wird viel Unfug getrieben. Ich meine, daß bei einer solchen Erörterung große nationale Katastrophen — Kriege und dergleichen — außer Betracht bleiben sollten. Niemand weiß, ob dann die ausländischen und inländischen Vorräte erreichbar sind und ob die inländischen Transportmittel und die Förderung genügt. Diese Risiken sind unübersehbar. Wir sollten uns mit realeren Möglichkeiten befassen.Die Erdölvorkommen in der Welt sind auf verhältnismälkg begrenzte Bereiche beschränkt: Vorderasien, Venezuela, Indonesien. Wir haben eine — ich möchte sagen — Kartellorganisation dieser Erdölländer, die OPEC, die rund 85 bis 90 % der Welterdölvorräte kontrolliert. Dieses Kartell der Erdölländer arbeitet im stillen, nicht sehr laut, aber die Mineralölgesellschaften nehmen sein Wirken verhältnismäßig ernst. Die Mineralölländer sind sich darüber klar, daß das, was bisher betrieben wurde, Raubbau an ihren Vorräten war und eine frühzeitige Erschöpfung ihrer Vorräte bedeuten würde, die häufig die einzig reale Grundlage für die wirtschaftliche Entwicklung sind. Daraus erwächst die Gefahr, daß Konflikte zwischen diesen Erdölländern und der Mineralölwirtschaft auftreten. Im übrigen ist zu erwarten, daß die Steigerung der Erdölproduktion nicht mehr in dem bisherigen Umfang vorwärtsgetrieben werden kann. Es ist also auf lange Sicht nicht mehr so sehr mit Preisdumping als vielmehr. mit Preiserhöhungen für Mineralöl zu rechnen.Es handelt sich dabei immerhin um Länder, die die Absicht und das Recht haben, in der Weltpolitik mitzusprechen. Wir müssen damit rechnen, daß auf Grund politischer Überlegungen zu bestimmten Zeiten die Versorgung mengenmäßig nicht gesichert ist und daß wir unter Umständen, wenn wir nicht eine genügende eigene Rohstoffgrundlage haben, eines schönen Tages dem Preisdiktat eines solchen Oligopols ausgesetzt sind.Hier muß eben die Entscheidung getroffen werden, welche Kohleförderung wir auf lange Sicht ansteuern, um ein Mitspracherecht bei diesen Dingen zu sichern; d. h.: es muß eine Kohleförderung erhalten bleiben, die ins Gewicht fällt. Darum ist wiederholt die Frage zu stellen, die nicht beantwortet worden ist: wohin steuert die Bundesregierung mit ihrer Energiewirtschaftspolitik?Der Herr Bundeswirtschaftsminister hat bei der letzten Energiedebatte gesagt — ich zitiere wörtlich —:Wir wollen unsere Wirtschaftspolitik im ganzen so orientieren, daß sie bei eigenen Anstrengungen ihren Absatz mit 140 Millionen t wird behaupten können.Es war schon bezeichnend, daß dieser Satz sich nicht in der offiziellen Antwort der Bundesregierung auf unsere Große Anfrage befand — dort war die Antwort wesentlich weicher formuliert, Herr Bundeswirtschaftsminister —, sondern daß er erst in der Debatte provoziert und ausgesprochen wurde. Ich
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Dr. Deisthabe damals gleich gesagt: Daß das, was Sie heute sagten, eine verbindliche Erklärung sei, wird Ihnen, Herr Bundeswirtschaftsminister, und wird der Bundesregierung leider nicht abgenommen werden können.Was heute gesagt worden ist, ist beinahe noch weicher; denn die Erhaltung einer Förderung von 140 Millionen t wird abhängig gemacht von dem Wohlverhalten der übrigen, des Kohlenbergbaus, der Mineralölwirtschaft und dergl. mehr. Nun, dieses Wohlverhalten kennen wir in einer modernen Wirtschaft, wo ,es um Macht und Machtpositionen geht. Darum ist das eine allzu billige Entschuldigung, die hier für den Fall bereitsteht, daß es nicht möglich ist, diese so leise angedeutete Politik mit dem Ziel der Produktion von 140 Millionen t einzuhalten. Nach alledem, was zwischendurch geschehen ist, nach den vielen Erklärungen, die der Herr Bundeswirtschaftsminister abgegeben hat, und nach dem, was aus dem Wirtschaftsministerium verlautet und dann nicht dementiert wird — wenn es dementiert würde, ginge es noch —, besteht eine solche Unsicherheit über das, was die Bundesregierung will, daß wir eine klarere Formulierung verlangen müssen.Dafür spricht vielleicht auch noch ein anderer Grund, Herr Bundeswirtschaftsminister. Ich habe eine Rede des Herrn bayerischen Wirtschaftsministers Schedl gelesen, eine sehr interessante Rede, die wir alle, Herr Bundeswirtschaftsminister, lesen sollten, weil sich vielleicht doch die Möglichkeit ergibt, auf der Basis des jetzigen Standes der Erkenntnis und der Meinungsbildung zu einer gemeinsamen, wirklich aktiven Wirtschaftspolitik zu kommen. In dieser Rede ist unter Hinweis auf Ausführungen des Herrn Ministerpräsidenten Meyers gesagt, daß — das ist der Verdacht der Bayern — die Kohleförderung gar nicht auf 140 Millionen t, sondern auf 170 Millionen t gebracht werden soll. Auch um diesen Punkt klarzustellen, sollte die Bundesregierung sagen, wohin sie steuert. Wenn nämlich die Entwicklung so weit führt, daß dadurch eine moderne Energieversorgung in den süddeutschen, revierfernen Bereichen beeinträchtigt würde, so wäre das eine Energiewirtschaftspolitik, die auch wir nicht wünschen können und nicht wünschen. Darum, Herr Bundeswirtschaftsminister, muß das Ziel aufgezeigt werden: wohin steuert die Bundesregierung?Wir werden Sie nach sieben Jahren nicht daran festhalten und sagen: Aha, es sind 5 °/o weniger oder 5 % mehr! Wir wünschen von der Bundesregierung nur, daß sie, wenn sich die Verhältnisse ändern, darlegt, warum man zu andersartigen Akzenten in der Wirtschaftspolitik gezwungen ist. Das sollten Sie tun, und das ist, glaube ich, auch die Aufgabe einer guten Wirtschaftspolitik.Im übrigen, meine Damen und Herren, darf ich einmal folgendes deutlich sagen. Wenn wir 140 Millionen t als Ziel ansteuern und mit einem inländischen Bedarf von 120- bis 130 Millionen t rechnen, dann beträgt der Anteil der Kohle am gesamten Energiebedarf im Jahre 1960 etwa 60 °/o, im Jahre 1970 45% und er wird im Jahre 1975 nur noch 36 bis 37 % betragen. Das ist also eine gewaltige Strukturveränderung innerhalb der Energiewirtschaft. Ich halte es schon für eine wirtschaftlich vertretbare Lösung — vorbehaltlich aller jener Unterlagen, die sich die Bundesregierung beschaffen könnte und die uns als Opposition natürlich nicht zur Verfügung stehen —, ein solches Ziel der Förderung von 140 Millionen t Kohle anzusteuern. Die Bundesregierung muß aber sagen, was sie will. Und wenn sie meint, es müßten weniger als 140 Millionen t sein, dann sollte sie den Mut haben, das auch zu sagen.Die Konsequenz müßte dann sein, daß sie handelt. Die Entwicklung der Energiewirtschaft hängt, da wir alle sie nicht von oben dirigiert und gelenkt haben möchten, natürlich auch von dem Verhalten der Unternehmer ab. Darum müssen die Unternehmer wissen, wohin die Bundesregierung mit ihrer vielfältigen Wirtschaftspolitik steuert. Sie müssen sich darauf verlassen können, daß diese Politik auch wirklich verfolgt wird, damit sie in Freiheit vernünftige, verantwortungsvolle Entscheidungen treffen können. Meine Damen und Herren, dann muß die Regierung handeln, dann muß sie die notwendigen Maßnahmen sowohl auf dem Gebiete des Kohlebergbaues als auch auf dem Gebiete der Mineralölwirtschaft treffen.Damit komme ich zu den Bemerkungen, die der Herr Bundeswirtschaftsminister zum Rationalisierungsverband gemacht hat. Es ist schon merkwürdig: Die Lebensdauer des Verbandes soll fünf Jahre betragen. Ich bin auch für Übergangsmaßnahmen; denn es soll ja ein Anpassungsprozeß der Kohle herbeigeführt werden, der seiner Natur nach einmal endet. Wenn wir aber wissen, daß im Jahre 1970 die europäische Energiewirtschaft Tatsache sein wird und daß es bis dahin — ich stimme Herrn Burgbacher zu — pragmatischer Übergangslösungen bedarf, dann sehe ich nicht ein, warum dieser Rationalisierungsverband nicht zweckmäßigerweise für diese sieben Jahre geschaffen wird. Fünf sind völlig unmotiviert. Ich sage nicht, daß es ein schwerwiegender Fehler ist, sich auf fünf Jahre zu beschränken. Mir scheint aber, daß keine echten wirtschaftspolitischen Überlegungen dahintergestanden haben; denn dann würde sich anbieten, die Anpassungsperiode bis zum Beginn der europäischen Energiewirtschaftspolitik zu erstrecken.Herr Bundeswirtschaftsminister, Sie haben sich — im Mienenspiel, würde ich sagen — erregt, als mein Freund Arendt sagte, daß dieser Rationalisierungsverband im Grunde genommen gar keine Modernisierung und Rationalisierung des Kohlenbergbaus sicherstelle, sondern eine Art Beerdigungsinstitut sei. Nun, meine Damen und Herren, man muß sich darüber klar sein, daß das, was hier von der Kohle erwartet wird, im Rahmen des Strukturanpassungsprozesses keine Kleinigkeit ist. Es handelt sich dabei auch nicht nur um technische Rationalisierung, sondern es sind schon umfangreiche Zusammenlegungen von Unternehmen erforderlich, die über die Feldergrenzen hinausgehen. Wir haben heute eine Kapazität des Kohlenbergbaus von 170 Millionen t. Bei einer Förderung von etwa 140 Millionen t werden 83 % dieser Kapazität genutzt. Es besteht•
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Dr. DeistÜbereinstimmung darüber, daß eine optimale Ausnutzung des Kohlenbergbaus etwa bei 95 % liegt. Das würde bedeuten, daß allein um dieser optimalen Ausnutzung willen 15 bis 20 Millionen Jahrestonnen Kohle verlagert werden müssen auf leistungsfähigen Grubenanlagen. Meine Damen und Herren, das sollte man nicht bagatellisieren. Das ist eine Strukturwandlung gewaltigen Ausmaßes, und dafür muß man angemessene Voraussetzungen schaffen.Es gibt auch Folgelasten — mein Freund Arendt hat darauf hingewiesen — bezüglich der Wasserhaltung, bezüglich der Bergschäden. Man muß ein Instrumentarium schaffen, das sicherstellt, daß diese Folgelasten nicht plötzlich der Bevölkerung, den Gemeinden und anderen auf den Hals kommen. Wir brauchen die langfristige Vorbereitung von Maßnahmen zur Umschulung von Bergarbeitern, die von diesem Umgestaltungsprozeß betroffen werden; denn hier handelt es sich doch darum, daß die Menschen, wenn sie nicht wieder im Bergbau eine Tätigkeit finden, einen großen Teil ihrer Ausbildung, ihrer Erfahrung, ihrer Erkenntnisse in Zukunft nicht mehr verwerten können, insbesondere wenn sie ein bestimmtes Alter erreicht haben. Hier droht ein gefährlicher Prozeß einer sozialen Deklassierung, nicht nur für einzelne Menschen, sondern bei diesem Umwandlungsprozeß für eine ganze breite Schicht der Ruhrbevölkerung. Hinzu kommt, daß langfristige Vorkehrungen auf dem Gebiet der Landesplanung und Kommunalwirtschaft getroffen werden müssen. Das heißt, man kann diesen Prozeß nicht sich selbst überlassen. Dann wird er überlassen den Willkürentscheidungen der Mineralölwirtschaft. Damit wird er dem Zufall überlassen, und eine organische Anpassung ist, wie bereits die Vorgänge der Vergangenheit gezeigt haben, nicht möglich.Mein Freund Arendt hat bereits gesagt: wir sind durchaus damit einverstanden, wir halten es sogar für eine glückliche Idee, eine Selbstverwaltungskörperschaft zu schaffen, in der der Kohlenbergbau maßgeblich vertreten ist. Wir sind gar nicht der Auffassung, daß all dies der Staat machen sollte, sondern das sollten die Beteiligten in eigener Verantwortung tun. Aber es sollte eine echte Selbstverwaltungskörperschaft sein, die die Aufgabe hat, eine volkswirtschaftlich sinnvolle Rationalisierung zu sichern. Das muß die Aufgabenstellung sein. Dazu gehört, daß der Rationalisierungsverband im Zusammenwirken mit den Bergbaubetrieben selbst Vorschläge für eine Anpassung macht, die das gesamte Ruhrgebiet umfassen, dann wäre wirklich die Gewähr gegeben, daß nicht nur privatwirtschaftliche und Rentabilitätsüberlegungen, sondern auch die volkswirtschaftlichen Interessen angemessen berücksichtigt werden. Mein Freund Arendt hat bereits erklärt: wenn das gesichert würde, wären wir auch mit finanziellen Anreizen einverstanden. Wir sind aber nicht bereit, Milliardenbeträge in den Kohlenbergbau zu stecken ohne die Sicherheit, daß dabei eine volkswirtschaftlich vernünftige Lösung herauskommt.Ich habe von der Sicherung der öffentlichen Interessen, von den sozialen und anderen Problemen gesprochen. Wenn dem Rationalisierungsverband eine solch umfassende Aufgabe gestellt wird, müssen auch alle Interessen in seinen Organen vertreten sein, nicht nur die Bergbauunternehmer, auch die Arbeitnehmer und die Gemeinden, damit man wirklich den gesamten Strukturwandlungsprozeß in den Griff bekommt. Der Verband soll nicht diktieren, aber er hat gemeinsam mit den Bergbauunternehmungen Vorschläge auszuarbeiten, und er sollte öffentliche Mittel nur dann geben, wenn die Gewähr besteht, daß es sich um einen im Rahmen des Ganzen gesunden Rationalisierungsvorgang handelt.Meine Damen und Herren, von alledem ist in dem Gesetz über den Rationalisierungsverband nicht die Rede, außer in der Zweckbestimmung des § 2, der keine Verbindlichkeit hat. Der Herr Bundeswirtschaftsminister hat selbst sehr deutlich gesagt: Die Unternehmen haben selbst zu entscheiden, — und in der Begründung des Gesetzentwurfs heißt es: Die staatliche Aufsicht beschränkt sich grundsätzlich auf die Prüfung der Rechtmäßigkeit der Beschäftigung des Verbandes. Für die Prüfung der volkswirtschaftlichen Zweckmäßigkeit ist bei den Entscheidungen des Verbandes ebenso wie bei der Aufsicht der Bundesregierung kein Platz.Meine Damen und Herren, es handelt sich nicht darum, daß wir unmittelbare Eingriffe in die Wirtschaft fordern, wie der Herr Bundeswirtschaftsminister zu meinen scheint. Es kommt darauf an, ob der Staat sich nur als Zahlmeister beteiligt oder ob er auch ein Stück Kontrolle in Anspruch nimmt, wenn er Milliardenbeträge aus öffentlicher Hand dem Kohlenbergbau zur Verfügung stellt.
Dann komme ich zu den Punkten vier bis sechs bzw. sieben unserer Anfrage. Es handelt sich dabei um die sogenannten Interventionen in der Mineralölwirtschaft, die ja auch nach Auffassung des Herrn Bundeswirtschaftsministers eine Rolle zu spielen haben. Wir sind in der glücklichen Lage, uns mit drei Gruppen von Eingriffen, die der Herr Bundeswirtschaftsminister normalerweise wohl als dirigistisch bezeichnen würde, befassen zu können, die sämtlich aus der Mitte der CDU vorgeschlagen wurden. Das erleichtert die Diskussion. Ich möchte die Möglichkeit, über diese Dinge etwas unvoreingenommener zu sprechen, nutzen.Das erste ist die Investitionsabstimmung. Ich darf mit Genehmigung des Herrn Präsidenten darauf hinweisen, daß wir diesem Problem in der Vergangenheit unsere größte Aufmerksamkeit geschenkt haben. In der Sitzung vom 16. Mai 1962 habe ich mir erlaubt, folgendes auszuführen. Wenn der Herr Präsident gestattet, darf ich zitieren: Investitionsabstimmung. Durch Konsultationen mit den verschiedenen Industriezweigen soll eine Investitionsabstimmung herbeigeführt werden. Ich habe mir die Augen gerieben; denn seit 1957 -- das sind jetzt fünf Jahre — konsultiert der Herr Bundeswirtschaftsminister mit den verschiedenen Interessengruppen. Er hat im Jahre 1957 dem Bundestag die Drucksache 3665 vorgelegt, in der das Ergebnis dieser Gespräche und Konsul-
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Dr. Deisttationen niedergelegt ist. In diesem Dokument, wurde nach Konsultation mit den Mineralölkonzernen angegeben, daß für 1965 mit einer Durchsatzleistung der Raffinerien von 30 Millionen t zu rechnen sei. Das war im Jahre 1957. Im Jahre 1958 mußte der Herr Bundeswirtschaftsminister berichtigen. Inzwischen hatten ihm die Konsultierten mitgeteilt, das sei nicht mehr richtig; denn es würden. nach neueren Planungen 40 Millionen t werden. Jetzt— das heißt 1962 —gibt die Mineralölwirtschaft an, daß die Durchsatzkapazität im Jahre 1965 etwa 65 Millionen t sein werde. Wer rechnen kann, weiß, daß wir zur Zeit in etwa schon eine Kapazität von 40 bis 42 Millionen t haben und daß die Neubauprogramme und die Ergänzungsprogramme eine weitere Kapazität zwischen 30 und 35 Millionen t versprechen, so daß wir nunmehr mit 75 Millionen t rechnen können.Ich sagte damals:Das ist nicht die Methode, die verantwortliche Regierungen gegenüber so mächtigen wirtschaftlichen Gruppen anwenden sollten.Und was wird uns heute geboten? Die Bundesregierung werde prüfen, ob sich eine Ergänzung des Energiewirtschaftsgesetzes empfehle. Hier hat die Bundesregierung sehr viel Kapital verspielt, und sie nimmt sich auch für die Zukunft das Zutrauen der Öffentlichkeit, daß sie das, was zu tun ist, auch wirklich tut.Die Energiegespräche, die seit Mai 1962 stattgefunden haben, waren doch geradezu tragikomisch. Am 1. August 1962 fand das erste Gespräch statt. Darüber wurde mitgeteilt, die Mineralölwirtschaft habe dem Herrn Bundeswirtschaftsminister gegenüber eine feste Haltung eingenommen. In der zweiten Hälfte des Oktober fanden weitere Besprechungen statt. Am 31. Oktober teilte die Mineralölindustrie dem Bundeswirtschaftsminister mit, sie werde an ihren Ausbauplänen festhalten. Der Bundestagsbeschluß kümmerte sie offenbar nicht sonderlich. Am 13. November hat dann eine Besprechung zwischen Kohle und Mineralöl — es hieß so nett: im Beisein des Bundeswirtschaftsministers und des Präsidenten des Bundesverbandes der Industrie — stattgefunden, ohne daß es zu einem Ergebnis kam, und am 6. Dezember war noch einmal eine Besprechung zwischen Herrn Burckhardt und Herrn Berg, von der die Presse mitteilte, Einzelheiten könnten nicht bekanntgegeben werden.Da taucht schon die Frage auf: Wer ist hier eigentlich Koch und Kellner, wer betreibt hier eigentlich Wirtschaftspolitik, und wie wird hier eigentlich über wichtige Grundlagen unserer Energiewirtschaft verhandelt?!Der Herr Bundeswirtschaftsminister hat trotz des negativen Verlaufs dieser Verhandlungen kurz danach, am 15. Dezember, bei einer Schiffstaufe der Shell in Kiel gesagt — was ja nur als Ermunterung für die Mineralölwirtschaft angesehen werden kann —: „Sie werden mich immer auf Ihrer Seite finden, wenn es darum geht, die Freizügigkeit zu verteidigen." Das in einem Augenblick, wo der Bundeswirtschaftsminister gerade von diesen Gruppen bezüglich des von Ihnen mit gefaßten Beschlusses brüskiert worden war!Die Folge war dann, wie die „Frankfurter Allgemeine" am 20. Dezember melden konnte, daß zwei große Mineralölgesellschaften dem Bayernwerk für ein neues Kraftwerk im Ingolstädter Raum ihr Raffineriegas unter den Kohienpreisen anboten. Die Presse teilte darauf mit, in Bonn sei man verärgert. Ich habe nun das Gefühl, es entspricht nicht recht der Aufgabe und Position einer Bundesregierung und eines Bundeswirtschaftsministers, verärgert zu sein, sondern sie haben halt Politik zu treiben.
Offensichtlich ist überhaupt nicht ernsthaft verhandelt worden. Offensichtlich hat jedenfalls der Bundeswirtschaftsminister mit dieser fleet in being, mit der Möglichkeit der Lizenzierung überhaupt nicht gewirkt, weil er und jeder andere wußte, daß er zu einem solchen Mittel gar nicht greifen wolle. Und jetzt verzichtet die Bundesregierung ausdrücklich auf diese Möglichkeit. Ich will nicht darüber sprechen, ob man eine Lizenzierung einführen soll oder nicht; aber was hier betrieben wurde, ist eitel Schaumschlägerei. So kann man ernsthaft nicht mit der Mineralölwirtschaft verhandeln.Diese Untätigkeit hat inzwischen die Bundesregierung in eine beinahe unhaltbare und schwer revisible Position gebracht. Im Jahre 1964 kommen neue Raffineriekapazitäten in Höhe von 15 Millionen t auf uns zu, im Jahre 1966 weitere 10 Millionen t. Da ist es nun heute allerdings nicht mehr so leicht, nachdem man die Dinge hat laufen lassen, Entscheidungen zu treffen. Denn inzwischen sind die Mineralölraffinerien in Norddeutschland, in Westdeutschland, ausgebaut, und was jetzt kommt, ist der energiepolitisch bisher vernachlässigte Süden. Natürlich kann man sich jetzt in der Wirtschaftspolitik nicht einfach auf den Standpunkt stellen: Nun ist Schluß; im Norden und im Westen der Bundesrepublik ist die Sache in Ordnung; in Bayern hat man die ungünstige Energieversorgung so lange ertragen, da wird man es auch noch eine Weile länger aushalten!Das ist natürlich kein Weg. Darum ist das, was heute vor uns liegt, die Folge Ihrer Versäumnisse in den vergangenen Jahren. Denn wir sind seit fünf, sechs Jahren nicht müde geworden, auf diese Probleme hinzuweisen. Wir sind der Meinung, daß die Bundesregierung trotzdem von der Möglichkeit der Ergänzung des Energiewirtschaftsgesetzes Gebrauch machen sollte, d. h. ein Instrument zu schaffen, mit dem die Investitionen in der Mineralölwirtschaft ähnlich gesteuert werden können, wie dies bereits heute in der Gas- und Elektrizitätswirtschaft und im Kohlebergbau geschieht. Die Bundesregierung wird da aber sehr sorgsam prüfen müssen, wird nicht einfach sagen dürfen: „jetzt stopp", sondern wird dosieren müssen, wieviel von den Ausbauten in Norddeutschland, in Westdeutschland und in Süddeutschland gestreckt werden können und gestreckt werden sollen.
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3280 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 71. Sitzung. Bonn, Freitag, den 29. März 1963
Dr. Deist Meine Damen und Herren! Ich bedaure sehr, daß sich die Bundesregierung auch in ihrer heutigen Erklärung nicht zu einer klaren Stellungnahme auf diesem Gebiet hat durchdringen können, sondern auch wieder nur von einer Prüfung gesprochen und dabei die Schwierigkeiten — natürlich gibt es Schwierigkeiten — in einem Ausmaß dargelegt hat, daß man schon merkte, mit welchen Hemmungen die Bundesregierung auch wieder an dieses Problem herangehen wird.Eine der wenigen Maßnahmen, die Sie bringen — die einzige neben dem Rationalisierungsverband --, ist die Verkürzung der Kontraktfristen für Öleinfuhren von zwei Jahren auf neun Monate. Ich möchte hier ganz deutlich sagen: Wir halten diese Verkürzung der Kontraktfristen für ein absolut unbrauchbares Mittel. Die internationalen Großkonzerne werden davon nicht berührt; denn bei ihnen ist die Öllieferung an die Raffinerien quasi ein Bestandteil ihrer inneren behördlichen Disposition. Berührt werden die Selbständigen im Mineralölhandel, die durch diese Verkürzung der Fristen betroffen werden, und deren Wettbewerbsfähigkeit gegenüber den großen Mineralölgesellschaften dadurch über Gebühr benachteiligt wird.
Sie werden besonders stark benachteiligt, wenn — was auch wir wünschen — die Pflicht zur Vorratshaltung hinzukommt. Das erschwert die Situation dieser selbständigen Mineralölhändler zusätzlich, während es für die großen Mineralölgesellschaften keinerlei Problem ist.Bleibt das schwierige Problem der Lizenzierung. Ich möchte ganz deutlich sagen: Wir sind keine Freunde der Lizenzierung. Wir sind überhaupt keine Freunde von restriktiven Maßnahmen.
— Jawohl, wir sind überhaupt keine Freunde von restriktiven Maßnahmen. Der Baustopp als Musterbeispiel restriktiver Maßnahmen ist ja schließlich von Ihnen und nicht von uns beschlossen worden.
Sie sollten uns das abnehmen und nicht meinen, Sie könnten durch ein Lachen Argumente ersetzen. Wir werden uns beim Jahreswirtschaftsbericht noch darüber unterhalten müssen, wo die Restrikteure sitzen und wo sie nicht sitzen.Aber davon abgesehen: wir sind, wie ich schon sagte, keine Freunde der Lizenzierung. Eine Regierung aber, die die Dinge so hat schleifen lassen, muß sich ernsthaft überlegen, welche Maßnahmen sie heute ergreifen oder, sagen wir: vorbereiten will. Meine Damen und Herren, viel wichtiger, als mit rauher Hand global einzugreifen, ist doch, daß die Bundesregierung erstens weiß, was sie wirklich erreichen will, daß sie zweitens bereit ist, daraus Konsequenzen zu ziehen, und daß sie sich drittens die Instrumente schafft, um notfalls sofort handeln zu können. In der Regel ist es so: wenn eine Regierung so handelt, braucht sie weniger einzugreifen, als wenn sie die Dinge schleifen läßt und dann zu spät viel härter dirigistisch eingreifen muß.Darum meine ich, meine Damen und Herren, daß sich die Bundesregierung, nachdem die Dinge so liegen, ein flexibles System überlegen sollte. Es wäre zum Beispiel denkbar, wie es die Regierung von Nordrhein-Westfalen vorgeschlagen hat, daß sich die Bundesregierung durch eine Durchführungsverordnung zum § 10 des Außenwirtschaftsgesetzes die Möglichkeit zu schnellen Eingriffen schafft und diese Möglichkeit benutzt, um die Einfuhren zunächst einmal zu registrieren. Wir haben bisher doch nur globale Zahlen. Im Grunde genommen fuhrwerken wir doch auch da wie mit der Stange im Nebel herum. Ich möchte zum Beispiel gern einmal wissen, ob das leichte Heizöl wirklich eine echte Konkurrenz für die Hausbrandkohle ist. Mir ist das keineswegs völlig klar, zumal der Braunkohlenbergbau seit Jahren dabei ist, seine Brikettfabrikationeinzustellen, und der Steinkohlenbergbau in einem hohen Ausmaß ausgesprochen Hausbrandkohle stillegt. Wir haben auf diesem Sektor auch keine großen Schwierigkeiten gehabt. Hier müßte man sich doch einmal ein Instrument schaffen, mit dem man durch Beobachtung .der Einfuhren feststellen kann, was eigentlich los ist; damit man weiß, ob man mit der Mineralölsteuer auf Heizöl und mit Lizenzierungsmaßnahmen bezüglich des leichten Heizöls nicht überhaupt an der falschen Stelle agiert.Ichmeine, Herr Bundeswirtschaftsminister, eis war der Sache nicht angemessen, daß Sie in diesem Zusammenhang die Frage nach einer Einfuhrstelle einfach mit einem Nein beantwortet haben. Vielleicht haben Sie aus unserer Fragestellung entnommen, daß wir genau wissen, welche Probleme darin stecken, sowohl hinsichtlich der Funktionen dieser Stelle die wir nicht zu einer Vorrats- und Einfuhrstelle nach agrarischem Vorbild machen möchten — als auch in bezug auf die Zusammenarbeit im europäischen Markt. Das wissen wir. Aber man sollte sich doch überlegen, ob man nicht ein solches flexibles Instrument braucht, um den Fluß der Ein- und Ausfuhr, der Versorgung und alle diese Dinge ständig zu beobachten und danach sinnvolle und zweckmäßige gezielte Maßnahmen 'ergreifen zu können.
— Ja, -damit tun wir weniger, als Sie in der letzten Bundestagssitzung 'im Mai beschlossen haben. — Aber, meine Damen und Herren, man muß dazu bereit sein, Politik zu machen, man muß bereit sein, sich Instrumente zu schaffen; und man darf nicht einfach sagen: „Nein, aus! Kein Wort dazu!"Im übrigen — mein Freund Walter Arendt hat das schon 'gesagt —: Von Produktionsauflagen und amtlichen Verfügungen zur Drosselung der Tätigkeit der Mineralölraffinerien halten wir nicht sehr viel. Wir wissen allerdings nicht, Herr Bundeswirtschaftsminister, ob Sie nicht einmal gezwungen sein werden, solche Maßnahmen zu ergreifen, wenn Sie nicht frühzeitig leichtere Mittel der Beeinflussung anwenden.Damit komme ich mit einigen kurzen Bemerkungen zu den letzten Fragen.Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 71. Sitzung. Bonn, Freitag, ,den 29. März 1963 3281Dr. DeistZu Frage 8 bezüglich der Preisgestaltung: Der Herr Bundeswirtschaftsminister hat deutlich gesagt, daß hier während der Kälteperiode Überteuerungen unzulässigen Ausmaßes vorgekommen sind. Er will überlegen, ob dem mit einer gesetzlich festgelegten Vorratspflicht entgegengewirkt werden kann.Sie sollten sich auch überlegen, Herr Bundeswirtschaftsminister, ob nicht im Interesse der Wettbewerbsgleichheit ähnliche Vorschriften über Preisveröffentlichungen für die Mineralölwirtschaft getroffen werden sollten, wie sie für den Kohlenbergbau heute bereits bestehen. Ich meine, daß Sie auf diesem Gebiet auch bei der Mineralölwirtschaft auf Verständnis stoßen würden. Denn aus einem Artikel in der Zeitschrift „Die Mineralölwirtschaft" ist deutlich zu spüren, wie groß das Unbehagen bei dieser Mineralölwirtschaft selber ist, die immer so groß von billiger, sicherer Versorgung gesprochen hatte und dann auf einmal zeigte, daß es halt auch ganz anders geht und, wenn die Wettbewerbslage anders ist, man auch damit rechnen muß, daß von billig nicht mehr die Rede ist, sondern nur von sehr teuer.Ein Wort zur Frage der Lagerhaltung. Ich bin dankbar für die Auskunft, bedaure nur, daß auch hier die Bundesregierung sich bisher nur hat bereit finden lassen, zu beraten, was auf diesem Gebiet geschehe. Mir scheint, daß nach den Erfahrungen der Vergangenheit diese Beratung sehr schnell zu einem Ergebnis führen müßte, so daß solche unnötigen Versorgungsschwierigkeiten, wie sie in der letzten Kälteperiode aus Mangel an Brennstoffvorräten in den Verbrauchergebieten zu verzeichnen waren, nicht mehr eintreten können.Zur Frage 10: Entschwefelung. Frau Ministerin Schwarzhaupt hat mit Recht darauf hingewiesen, daß es sich hier nicht nur um eine Frage der Energiewirtschaft, sondern um eine Frage der allgemeinen Gesundheitspolitik handelt. Der Herr Bundeswirtschaftsminister hat allerdings die Notwendigkeit einer Regelung gerade unter Bezugnahme auf das Mineralöl anerkannt. Ich hoffe, daß die Vielschichtigkeit des Problems nicht als Entschuldigung dafür dient, daß einstweilen nichts geschieht. Nur eines möchte ich sagen, Frau Gesundheitsministerin. Ich habe nicht den Eindruck, daß die Gewerbeordnung dabei helfen kann; dazu sind die Unternehmen in der Mineralölwirtschaft viel zu weiträumig und vielschichtig, als daß die Gewerbeordnung und die Gewerbeaufsichtsbehörden, insbesondere mit ihren heutigen Zuständigkeiten und in ihrer heutigen Besetzung, in der Lage sein könnten, dieses Problem auch nur einigermaßen zulänglich zu lösen. Ich bin schon der Meinung, daß die Bundesregierung sich — wie das in anderen Ländern, z. B. in der Schweiz, geschehen ist — einige andere Gedanken machen sollte. Ich glaube auch Ihren Ausführungen entnehmen zu dürfen, Frau Ministerin, daß Sie das auch beabsichtigen. Sonst kämen wir vielleicht zu dem Vorschlag, den einmal ein Witzbold gemacht hat, die Leute sollten zu Hause bleiben, wenn der Smog droht. Das ist natürlich auch eine Lösung, aber nicht eine sehr wirtschaftliche. Ich habe nicht gesagt, Frau Ministerin, daß Sie diesen Vorschlag gemacht hätten.Meine Damen und Herren, wenn ich nunmehr insgesamt die Antwort des Herrn Bundeswirtschaftsministers überblicke, dann frage ich mich, ob er ein Recht hat, zu sagen, bei dem, was bisher geschehen sei, handle es sich nicht nur um punktuelle Einzelmaßnahmen, sondern um ein geschlossenes Konzept, das auch bereits seine Erfolge gezeitigt habe. Niemand wird bestreiten, daß durch die Abwanderung von mehreren hunderttausend Menschen — zum Teil auch durch Rationalisierungsmaßnahmen; ich will das nicht unterschlagen — die Leistung je Mann und Schicht im Bergbau stark gestiegen ist. Aber wenn ich dann das mit den Milliardenbeträgen, die uns der Bundeswirtschaftsminister in einer der letzten Sitzungen vorgeführt hat und die für den Kohlenbergbau aufgewandt worden sind, und mit einigen anderen Tatbeständen vergleiche, dann wird mir doch zweifelhaft, ob dieses positive Urteil wirklich berechtigt ist.In den Jahren 1958 bis 1962 haben rund 350 000 Mann den Bergbau verlassen. Dabei handelt es sich zum Teil um Bergarbeiter unter 55 Jahren, also etwa zwischen 40 und 55 Jahren, die sich in jedem Falle sozial deklassiert fühlen müssen. Das ist nicht mehr, wie ich bereits sagte, ein Einzelproblem, das ist soziale Deklassierung als Massenerscheinung. Wir wissen, daß die Abwanderung der jungen Menschen aus dem Kohlenbergbau und die mangelnde Neigung, in den Kohlenbergbau zu gehen, zu einem geradezu gefährlichen Altersaufbau geführt haben, der die Zukunft des Kohlenbergbaus außerordentlich bedroht. Das ist jedenfalls eine entscheidende negative Seite dieser Bilanz.25 Schachtanlagen sind stillgelegt worden, wie ich sagte, teilweise wahllos. Niemand ist recht überzeugt, daß das alles gesunde Rationalisierungsmaßnahmen gewesen sind. Das hat Unsicherheit für die Unternehmer und für die Arbeitnehmer gebracht, Gefahren für den Bergbau — mein Freund Walter Arendt hat das an dem Problem der Pumpgemeinschaft in Bochum dargelegt — und schwere Probleme für die Gemeinden. Der Herr Ministerpräsident des Landes Nordrhein-Westfalen hat uns ja einige Unterlagen über die Beeinträchtigung der wirtschaftlichen und finanziellen Grundlagen mancher Gemeinden im Kohlenbergbaugebiet zur Verfügung gestellt.Da muß man doch zu dem Schluß kommen, daß das Ergebnis dieser fünf Jahre insgesamt als negative Rationalisierung betrachtet werden muß. Die Schwierigkeiten für den Bergbau, für die Bergarbeiter und für die Gemeinden sind heute genau die gleichen, wie sie in den vergangenen fünf Jahren waren. Herr Bundeswirtschaftsminister, Ihr Parteifreund Herr Dr. Henle hat vor einiger Zeit dazu gesagt: Entweder lasse der Staat den Steinkohlenbergbau verrotten — dann solle er das offen sagen —, oder er müsse wirklich wirksame Maßnahmen ergreifen. Und dann heißt es, was bislang getan worden sei, sei lediglich geeignet, die Misere mit den wachsenden Verlusten zu erhalten, könne aber keine Wende bringen.So einfach ist es also nicht, die Entwicklung des Kohlenbergbaus als einen Erfolg der Bundesregierung
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3282 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 71. Sitzung. Bonn, Freitag, den 29. März 1963
Dr. Deistin Anspruch zu nehmen. Tatsache ist, daß die kritische Lage in der Energiewirtschaft in Deutschland genauso ungelöst ist, wie sie es vor fünf Jahren war. Bedauerlich ist, daß die heutige Erklärung der Bundesregierung uns keine Hoffnung gibt, daß sie wirklich zu ernsthaften, konkreten wirtschaftspolitischen Entscheidungen und auch zu entsprechendem Handeln kommen werde.Meine Damen und Herren, ich habe bereits auf die Reden des Herrn Ministerpräsidenten Meyers von Nordrhein-Westfalen und des Herrn bayerischen Wirtschaftsministers Schedl Bezug genommen. Ich möchte hier noch einmal zum Schluß sagen, ich habe mit Freude festgestellt, wie in den Ausführungen des Herrn Ministerpräsidenten von Nordrhein-Westfalen die Frage des Schutzes des Kohlenbergbaues, insbesondere die Frage der Lizenzierung, viel flexibler behandelt worden ist, als das früher der Fall war etwa in dem Sinne, wie ich es heute auch angedeutet habe. Und ich habe mit Freude festgestellt, und ich glaube, wie sollten uns alle darüber freuen, daß der Herr bayerische Wirtschaftsminister — ich bitte, mir das nicht als überheblich nachzutragen — mit einem hohen Maß von Objektivität die Konkurrenzlage zwischen der Mineralölwirtschaft und dem Kohlenbergbau dargelegt und die Bedeutung des Kohlenbergbaus für unsere Energieversorgung anerkannt hat.Meine Damen und Herren, das sind Grundlagen, auf denen wir weiterbauen könnten. Aber wenn diese Ansätze genutzt werden sollen, ist es notwendig, daß die Regierung auch den Mut hat, energiepolitische Entscheidungen zu treffen und entsprechend zu handeln. Herr Bundeswirtschaftsminister, Sie sind ein Freund klassischer Zitate. Vielleicht darf ich Sie auf den Geheimrat Goethe hinweisen, der einmal gesagt hat: Die rechte Zeit zum Handeln jedesmal verpassen, nennt ihr, die Dinge sich entwickeln lassen.
Das Wort hat der Abgeordnete Professor Dr. Burgbacher.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Inspiriert von dem klassischen Zitat des Herrn Kollegen Deist habe ich auch eins, und das heißt: „Die Ruhe ist die Außenseite der Kraft, und die Übereilung entsteht aus dem Bewußtsein der Schwäche."
Die Große Anfrage ist mit Recht als eine Frage zur Energiepolitik gestellt worden, und wir müssen uns bei der Debatte davor hüten, daß wir daraus nur eine Kohle-Öl-Diskussion machen, aus dem begreiflichen Grund heraus, weil dieses Problem jetzt besonders ansteht. Es ist auch klar, daß gewisse Unterschiede zwischen der Regierungskoalition und 'der Opposition bestehen, wobei ich aber auch erhebliche Ansatzpunkte für eine gemeinsameAuffassung in dieser Frage glaube feststellen zu können.Die Verschiedenheit besteht grundsätzlich darin, daß wir von der Regierungskoalition mit Rücksicht auf die Freiheit in der Marktwirtschaft etwas zögernder zu Interventionen kommen als die Opposition aus einer stärkeren Betonung einer geplanten Wirtschaft oder gar, was die Kohle betrifft, einer Verstaatlichung dieses Wirtschaftszweiges, die wir nach wie vor ablehnen.
— Ich spreche nicht von der Lizenzierung, sondern von der Verstaatlichung.Wir stellen uns hinter "die Antwort der Bundesregierung, die der Herr Bundeswirtschaftsminister vorgetragen hat. Wir glauben nicht, daß sie ein Beweis für Lethargie ist, sondern wir glauben, daß sie einen weiteren Schritt auf dem Gebiet der Entwicklung der Energiewirtschaftspolitik bedeutet.Wir können auch nicht der Meinung sein, daß gewisse Formulierungen weicher seien als die vom 16. Mai 1962. Ich möchte ganz besonders auf einen Satz auf der Seite 8 unten verweisen, in dem gesagt wird, daß es gelingen wird, den Anpassungsprozeß der deutschen Kohle im Sinne des gemeinsamen Ziels durchzuführen und die Bereitschaft der Mineralölindustrie zu verstärken, die Pläne für den Aufbau und den Ausbau von Raffinerien vorher mit ihr abzustimmen. Eine solche Bereitschaft würde weitere Maßnahmen auf Grund des Außenwirtschaftsgesetzes entbehrlich machen. D. h. auf deutsch gesagt: eine mangelnde Bereitschaft wird diese Maßnahmen notwendig machen.Zusammen damit ist auch die beabsichtigte Novellierung des Energiewirtschaftsgesetzes zu sehen, die vielleicht dann anders als das Außenwirtschaftsgesetz, aber mit ähnlichen Ergebnissen enden könnte.Vor allem aber möchte ich sagen, daß wir jede Einzelmaßnahme — und insofern ist das Programm der Regierung ein Programm, denn die Einzelmaßnahmen sind aufeinander abgestimmt —, daß wir diese Politik, z. B. des Kohlezolls, z. B. der Heizölsteuer, z. B. des Rationalisierungsverbandes und was es sonst noch auf diesem Gebiet zum Schutze der heimischen Kohle geben könnte, nur verantworten können, wenn wir uns der gesamten energiepolitischen Zielsetzung in der Bundesrepublik bewußt sind. Diese gesamte energiepolitische Zielsetzung in der Bundesrepublik muß tendenziell — das kann sie nicht von heute auf morgen — dahin gehen, daß die gängigen Energien in allen Regionen der Bundesrepublik zu annähernd gleichen Preisen zur Verfügung stehen.Ein Wort zur Anpassung anderer Standortvoraussetzungen — wie etwa der Löhne —, die noch nicht durchgeführt ist! Deshalb ist es auch falsch, den Energiepreis allein als entscheidend für eine Standortwahl anzusehen. Das wird er erst dann, wenn die anderen Kosten der Produktion einander angeglichen sind, z. B. Löhne und Lebenskosten in denDeutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 71. Sitzung. Bonn, Freitag, ,den 29. März 1963 3283Dr. Burgbacherverschiedenen Regionen. Aber das wird geschehen. In dem Maße, wie das geschieht, müssen wir eine Energiepolitik betreiben, die nicht nur, nennen wir es beim Namen, dem Ruhrgebiet oder dem Saargebiet zugute kommt, sondern die der energiepolitischen Situation in allen Regionen zugute kommt.Dazu gehört die Förderung des Ausbaues jeder Verbundwirtschaft. Auf dem Gebiet der leitungsgebundenen Energien sind wir schon auf dem Wege. Soweit es Ferngasverbundnetze, soweit es die noch weitergehenden Stromverbundnetze betrifft, sind wir schon relativ weit und hätten auch mehr Möglichkeiten, als genutzt werden, um bei diesen Energien schon zu einer Art Briefmarkenpreis in der Bundesrepublik, zumindest tendenziell, zu kommen. Wir sind auch der Meinung, daß die Pipelines das Verbundnetz der Ölindustrie sind und daß ihre Förderung auch notwendig ist. Für die Kohle gibt es kein Verbundnetz. Die Verflüssigung der Kohle — Transport durch Pipelines — ist wohl eine Utopie, aus wirtschaftlichen Gründen. Aber das Verbundnetz der Kohle könnten im übertragenen Sinne die Wasserstraßen und die Kanäle sein und die Frachtpolitik der Deutschen Bundesbahn und die aus dem Heizölsteueraufkommen abzuzweigenden Beträge an Frachtverbilligungen für Kohetransporte in revierferne Gebiete, um auf diese Weise auch tendenziell für Kohle zu etwa angenäherten Preisen in den verschiedenen Gebieten der Bundesrepublik zu kommen. Ich lege auf diese Feststellung, daß die Gesamtlinie der Energiepolitik dahin zielen muß, großen Wert.Ich lege aber auch auf eine weitere Feststellung großen Wert. Wer glaubt, eine etwa krisenhafte Zuspitzung an der Ruhr sei nur ein Ruhrproblem, der irrt.
Eine Krise an der Ruhr wäre eine Krise in der deutschen Volkswirtschaft. Wer Ohren hat zu hören, und Augen zu sehen, der überlege sich, welche Bedeutung die krisenhafte Zuspitzung im französischen Bergbau möglicherweise für die gesamte französische Volkswirtschaft haben wird.
Mit anderen Worten: eine Wirtschaftspolitik — und in diesem Fall Energiepolitik —, die in wichtigen Regionen der Bundesrepublik krisenhafte Zuspitzungen vermeidet, ist nicht eine Politik für die Menschen dort allein, sondern für alle Menschen in der Bundesrepublik.
Deshalb sollte man auch nicht von Interessengegensätzen sprechen, etwa von Interessengegensätzen zischen Süddeutschland und der Ruhr. Es besteht kein Interessengegensatz bei der Beseitigung einer Kreislaufstörung, wenn es dem Magen noch gut geht. Vielmehr ist alles, was wir tun, eine Art Kreislauftherapie volkswirtschaftlicher Art. Wir würden, wenn es eine solche Zuspitzung in anderen Regionen der Bundesrepublik gäbe, genauso entschlossen zu handeln haben.
Es ist darauf hingewiesen worden, daß wir auch an den Gemeinsamen Markt denken müssen. Die Übergangszeit geht 1970 zu Ende. Dann soll der Gemeinsame Markt vollendet sein, und dann ist vom Standpunkt der Bundesrepublik aus zu bedenken, daß nach menschlichem Ermessen von allen Kohlen in der Gemeinschaft die relativ günstigsten Voraussetzungen bei der deutschen Kohle liegen. Es wäre deshalb in Ansehung des Übergangs in den Gemeinsamen Markt wenig sinnvoll, wenn wir eine Politik machten oder zuließen, bei der Förderungen zum Erliegen kämen, die heute schon über dem Durchschnitt der Förderungen in den anderen Kohlerevieren der Gemeinschaft liegen. Wir können die Politik, die wir bis 1970 zu machen haben, nicht losgelöst von den 1970 kommenden Gesichtspunkten eines wirklichen Gemeinsamen Marktes treiben.Freilich werden dann auch andere Probleme auf uns zukommen. Wir haben in Frankreich eine voll verstaatlichte Energiewirtschaft. In Italien haben wir eine praktisch verstaatlichte Energiewirtschaft, und auch in Großbritannien — falls es dabei ist — haben wir eine verstaatlichte Energiewirtschaft. In Holland ist die Zusammenarbeit zwischen Kohle und 01 aus Gründen, die in den Gesellschaften liegen, ziemlich eng.Welche Auswirkungen das auf unsere Energiepolitik hat, wollen wir uns wie bisher, aber immer intensiver, je näher wir dem Jahre 1970 kommen, überlegen. Wir werden dann wahrscheinlich nicht mit klugen, reinen wissenschaftlich-dogmatischen Lösungen arbeiten können, sondern uns mit pragmatischen Lösungen befassen müssen, die die Nahtstelle zwischen der nicht verstaatlichten bundesrepublikanischen Energiewirtschaft und den verstaatlichten in anderen Ländern der Gemeinschaft zu bilden haben.Ich bin mit dem Herrn Bundeswirtschaftsminister der Meinung, daß die bisherige Politik richtig gewesen ist und keine gefährlichen Folgerungen gezeitigt hat. Das beweist die Aufrechterhaltung der Förderung und des Absatzes um die 140 Millionen t. Ich bin aber andererseits der Meinung, daß der kritische Punkt vielleicht erst in einigen Jahren eintreten wird, nämlich dann, wenn die Raffinerien voll zum Zuge kommen, und daß wir uns das rechtzeitig überlegen müssen. Das will ja der Bundeswirtschaftsminister, das will die Bundesregierung mit der Ankündigung der Novellierung des Energiewirtschaftsgesetzes, mit der Verkürzung der Fristen, die ich als ein Menetekel ansehe. Auch wenn die Verkürzung der Fristen bei einigen Großen nicht voll zur Wirkung kommt — wie ganz richtig ausgeführt worden ist —, so ist sie doch ein Zeichen für alle, daß Bundesregierung und Bundestag die Linie vom 16. Mai heute
konsequent weitergehen. Darüber wird unser Kollege Friedensburg, wenn nachher noch die Möglichkeit besteht, einiges zu sagen haben.Ob es über die Lizenzierung geht, wenn die Ölindustrie weiter so großzügig, sagen wir einmal:
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Dr. Burgbacherzukunftsträchtig Ölraffinerien bauen will, oder ob es über die Novelle des Energiewirtschaftsgesetzes geht, das wird wohl im Laufe dieses oder des nächsten Jahres durch die Beratung der Vorlagen der Bundesregierung in diesem Hause zu entscheiden sein.Die Maßnahmen, die wir hier überlegen und die alle unter dem Titel Kohle laufen, möchte ich nicht nur unter den Titel Kohle stellen, sondern mindestens auch unter den Titel heimische Energie. Ich gehöre zu denen, die sagen, daß man die Vorräte an heimischer Energie, wenn man sie unter zumutbaren Opfern erhalten und nutzbar machen kann, nicht in den Dreck werfen darf, weil man nie weiß, ob man nicht in Situationen kommt und ob es nicht Zeiten geben kann — wobei ich jetzt nicht in erster Linie Krieg meine, — ich bitte um Entschuldigung, wenn ich auch wieder etwas von Zahlungs- und Handelsbilanz spreche,
bei reichen Leuten ist das nicht mehr so Sitte, aber ich tue es trotzdem —, wo sie noch mal eine Rolle spielen könnten.Wenn sich dieses Hohe Haus auf Grund der Vorlage der Bundesregierung mit einer umfänglichen Notstandsgesetzgebung befaßt, nämlich mit den Maßnahmen, die notwendig sind, wenn der Notstand eintritt, dann meine ich, daß als ungeschriebenes Gesetz über allen legislativen Maßnahmen dieses Hauses auch zu stehen hat: sie müssen so sein, daß sie aus sich heraus, aus innen heraus eine Notstandsvorsorge in bestem Sinne bedeuten.
Ich kann nicht anerkennen, daß, wenn wir etwa im Jahre 1970 bei Aufrechterhaltung der Förderung an heimischer Energie in der Bundesrepublik und im gemeinsamen Markt mit 50 % importabhängig sind, es gleichgültig ist, ob wir dann mit 50 oder 70 % energieimportabhängig sind. Das ist gerade dann um so weniger gleichgültig, je höher der unvermeidbare Prozentsatz an Importenergie sein wird.Wir brauchen unvermeidlich Importenergie. Es ist unbestritten, daß nach menschlichem Ermessen der bedeutende Zuwachs an Energieverbrauch in den nächsten Jahrzehnten dem Öl gehört und daß wir das 01 brauchen. Das ist aber kein Argument dafür, daß wir, weil wir das Öl brauchen, die Kohle mehr, als das einer Volkswirtschaft zugemutet werden kann, zum Erliegen kommen lassen, mit der resignierenden These, ob 50 oder 70 % Importabhängigkeit, ist gleichgültig.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Friedensburg?
Bitte sehr!
Herr Kollege Burgbacher, da ich nicht sicher bin, ob ich nachher dazu komme, diese Frage zu stellen, möchte ich hier fragen: Ist denn Ihnen und dem Hause bekannt, daß 87 % — ich habe es gerade ausgerechnet — unserer gesamten Öleinfuhr aus Ländern kommen, die unter erhöhten politischen Risiken stehen?
Ich nehme an, daß allen, die sich in diesem Hause mit dieser Frage befassen, dieser Umstand geläufig ist. Der erhöht noch den Akzent.Da nun in dem Bukett der Bundesregierung auch von der Förderung der Stromgewinnung aus Kohle die Rede ist, möchte ich dazu zwei Dinge sagen. Zunächst möchte ich sagen, daß die Kohle dabei natürlich eine Preispolitik machen muß, die im Rahmen des Zumutbaren gegenüber den Preisen der Wettbewerbsträger liegt. Aber ich möchte vom Standpunkt der Nation, des Volkes der deutschen Bundesrepublik sagen: Ist es denn gleichgültig, ob im Falle — ich rede nicht vom Krieg — irgendeines kalten Krampfes im kalten Krieg die deutsche Stromversorgung allein auf heimischer Energie oder ob sie zu 50 % auf der dann nicht mehr fließenden Importenergie steht? Wir kennen doch die diffiziele Abhängigkeit unseres zivilen Lebens und des Wirtschaftslebens von der Stromversorgung, obwohl sie zur Zeit nur 15 % des Gesamtenergieverbrauchs ausmacht. Da kann man doch sagen, daß eine Politik, die der Kohle die Chance geben will, daß daraus Strom gemacht wird — mit „Kohle" meine ich hier sowohl die weiße Kohle, die Wasserkraft, braune Kohle und schwarze Kohle —, unter Umständen eine weit wirksamere „Notstandsgesetzgebung" darstellt als alle Notstandsgesetze, die erst dann, wenn die — entschuldigen Sie — Pannen da sind, wirksam werden.
Wir haben bei der Verabschiedung der Heizölsteuer, wo wir uns auf die vier Jahre und dann die zwei Jahre mit je 50 % geeinigt haben, großen Wert darauf gelegt, interfraktionell einen Entschließungsantrag zu verabschieden, der besagt, daß das Aufkommen aus der Heizölsteuer nicht nur für die Kohle, sondern auch für die Förderung der Energiewirtschaft in revierfernen Gebieten — wie bisher, aber in verstärktem Maße — eingesetzt werden soll. Wir sehen den Anregungen aus den revierfernen Gebieten entgegen.Ich möchte auch feststellen, daß sich die Regierung des Landes Nordrhein-Westfalen in einer Presseerklärung ausdrücklich zu dem gleichen Grundsatz bekannt und zum Ausdruck gebracht hat, daß die — und das ist eine wichtige Feststellung — etwaige Verteuerung, die z. B. infolge der Heizölsteuer bei 01 eintritt, zu einem Teil wieder von der gesamtwirtschaftlichen Belastung an Energiekosten dadurch weggenommen wird, daß andere Energien — in diesem Falle die Kohle — mit den durch die Heizölsteuer aufkommenden Mitteln in revierfernen Gebieten verbilligt werden können.Es ist auf jeden Fall — ich möchte alle bitten, uns das abzunehmen — der redliche Wille vorhanden, Energiepolitik in der Bundesrepublik zu betreiben.
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Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 71. Sitzung. Bonn, Freitag, den 29. März 1963 3285
Dr. BurgbacherSie kann nur dann einmal regional gesehen werden, wenn das unvermeidbar ist und wenn wir uns gleichzeitig der Verpflichtung gegenüber der Gesamtheit unserer Volkswirtschaft und aller Länder bewußt bleiben. Die Bevorratungspflicht ist sicher ebenfalls ein wichtiger Beitrag zu dem Begriff der Notstandsgesetzgebung im erweiterten Sinne.Ich möchte mir hier eine Einblendung erlauben. Die Notstandsgesetze befassen sich mit Maßnahmen, die bei eingetretenem Notstand zu ergreifen sind. Ich wiederhole noch einmal, daß wir uns auch bei wirtschaftspolitischen Maßnahmen an diese Fragen erinnern müssen. Die Verkürzung der Frist nach dem Außenwirtschaftsgesetz ist bekanntlich am 11. März verkündet worden. Bei dieser Verkündung ist in einer Fußnote vermerkt worden, daß die Vereinbarung längerer Lieferfristen der Genehmigung bedarf. Ich möchte nur feststellen, daß rein wirtschaftswissenschaftlich und juristisch ,gesehen durch die Auswirkung der Fristverkürzung de facto für die Verträge eine Genehmigungspflicht eingeführt ist.Obwohl es schon gesagt worden ist, möchte ich doch noch einmal darauf hinweisen, daß die Olindustrie am 17. November 1958 der Meinung war, daß die Kapazitäten im Jahre 1965 auf 40 Millionen t steigen würden. Nach den mir vorliegenden Zahlen werden sie im Jahre 1966 72,6 Millionen t betragen, wobei die Raffinerien Speyer, Heilbronn, und was sonst .so 'im Gespräch ist, noch nicht berücksichtigt ist.Ich erwähne die Zahlen nicht, um nur Negatives für 'das 01 zu folgern. Das wäre völliger Unsinn. Denn wenn der Markt das abnimmt, war es ja insoweit richtig. Es handelt sich vielmehr darum — und das ist die Gretchenfrage —, ob der Markt, der das bisher abgenommen hat, diese — wie wir meinen —Übersteigerungen auch noch abnimmt. Es geht um die Frage der Übersteigerung und des Überziehens der Entwicklung, um die ,Gefahr — wie der Herr Bundeswirtschaftsminister einmal gesagt hat — bruchartiger Entwicklung, die er ebenso wie vorzeitige Eingriffe vermeiden will. Dabei ist es sehr schwer, den richtigen Zeitpunkt abzutasten. Man geht natürlich sicher, wenn man sich rechtzeitig gesetzliche Ermächtigungen geben läßt, die man nicht zwingend sofort anwendet, die man aber im Bedarfsfall, ohne ,sechsmonatige Beratungen im Plenum und in den Ausschüssen notwendig zu haben, anwenden kann.Wenn nicht die Uhr, die bekanntlich das einzige ist, was mit Sicherheit weitergeht, schon mehr als 12 Uhr zeigte, würde ich jetzt einmal eine Zwischenvorlesung halten über die Mineralölpolitik in Frankreich, in Großbritannien, in Belgien, in den Niederlanden, in Italien, in den USA und in Japan. Wenn es erlaubt ist, möchte ich die Aufzeichnungen zu Protokoll geben, damit sie jeder einmal nachlesen kann unid sich, soweit .erforderlich, von der Illusion freimacht, daß ,die Länder 'der freuen Welt keine Energiepolitik im Sinne von Eingriffen trieben.
Damit Sie das in Ruhe lesen können, gebe ich es zu Protokoll'). Sie können dann für die einzelnen Länder nachprüfen, ob das stimmt oder nicht.Die bisherigen Rationalisierungen, Herr Kollege Deist, als negativ zu bezeichnen — entschuldigen Sie vielmals —, das paßt nicht zu Ihrem Stil.
Es ist in ,der Tat für die Energiepolitik unid vor allem für den Bergbau, für die Unternehmer im Bergbau und für die Bergarbeiterschaft ein Ruhmesblatt ihrer Geschichte, was in den letzten Jahren an Rationaliserungen positiv geleistet worden ist.
Wir wissen alle, daß Rationalisierung unter anderem auch heißt: mit weniger Menschenkraft mehr produzieren. Wer das bestreitet, der müßte behaupten, der Rhein fließe bergauf. Es ist ganz klar, daß deshalb eine Verminderung der Zahl der Bergarbeiter eintreten mußte. Gott sei Dank ist das mit Hilfe vieler Maßnahmen sozial ordentlich abgewikkelt worden. Ich glaube, daß das jetzt in der Hauptsache ausgestanden ist und daß die noch kommenden Rationalisierungsmaßnahmen den natürlichen Abgang nicht übersteigen, so daß — und hier stimme ich mit der Opposition überein — unsere Energiepolitik den Bergleuten, die noch in der Arbeit sind — von den natürlichen Abgängen abgesehen —, eine Art Sicherheitsgefühl an Stelle der Unsicherheit geben muß, die auch eine der Hauptquellen des französischen Bergarbeiterstreiks gewesen ist.
Ob man den Rationalisierungsverband für 5 oder 7 Jahre vorsehen sollte, darüber können wir in den Ausschüssen beraten. Ich sehe ein, daß es sehr viel für sich hat, die Rationalisierung mit der Übergangszeit des Gemeinsamen Marktes zeitlich zusammenzubinden. Ich bin auch nicht der Meinung, daß der Rationalisierungsverband — wie der harte Ausdruck heißt — ein Beerdigungsinstitut ist. Ich bitte um Entschuldigung, wenn ich sage: Wem es ernstlich darauf ankommt, das Sicherheitsgefühl der Bergarbeiter auf Grund unserer Energiepolitik zu fördern, der darf mit solchen Ausdrücken auch hier nicht arbeiten.
Man kann nicht sagen: Wir wollen das Sicherheitsgefühl der Bergarbeiter fördern, aber wir machen ein Beerdigungsinstitut. Das kann man nicht. Dann gefährdet man das Sicherheitsgefühl der Bergarbeiter. Das 'ist auch kein Beerdigungsinstitut, ebensowenig wie es ein Schrumpfungsverband sein muß.
Herr Professor, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Ja, gern.*) Siehe Anlage 2
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3286 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 71. Sitzung. Bonn, Freitag, den 29. März 1963
Herr Kollege Burgbacher, sind Sie nicht der Meinung, daß das Gefühl der Unsicherheit, wenn morgen eine Meldung in den Zeitungen des Ruhrgebiets erscheint, in der zu lesen steht, nach Vorstellung der Bundesregierung sollten 10 oder 15 Schachtanlagen stillgelegt werden, bei den Belegschaften sehr erheblich .verstärkt wird, weil niemand weiß, welche Anlagen stillgelegt werden?
Wo hat das denn gestanden?
Das erscheint im Grunde genommen in jeder Ausgabe einer Zeitung.
Der Herr Bundeswirtschaftsminister wird wahrscheinlich noch in der Debatte sprechen. Mir ist eine derartige Erklärung der Bundesregierung nicht bekannt.Ich wiederhole, der Verband soll kein Schrumpfungsverband sein, sondern in der Regel soll die stillgelegte Quote von einer anderen Zeche an einem wirtschaftlich besseren Platz übernommen werden. Ob das immer so geht, ob nicht auch einmal etwas stillgelegt wird, ohne daß ein Quotenersatz da ist, das ist natürlich die Frage des effektiven Ablaufs, wobei ich der Meinung bin, daß bei der Handhabung des Rationalisierungsverbands j a) wohl gewisse Verhandlungen notwendig sind, die der öffentlichen Hand die Möglichkeit geben, sich in diese Problematik einzuschalten. Im übrigen könnten wir ja in der Ausschußberatung darüber noch konkreter sprechen,
wie ich auch der Meinung bin, in der ich mich mit dem Herrn Bundeswirtschaftsminister einig weiß, daß die Stillegungsprämie mit in erster Linie für die Abwicklung der vorhandenen sozialen Verpflichtungen gedacht ist. Mir ist kein Fall bekannt, daß irgendwo diese sozialen Verpflichtungen nicht in gehöriger und großzügiger Form abgewickelt worden sind. Wenn es solche Fälle gibt, bitte auf den Tisch, dann werden sie behandelt.Der guten Ordnung halber möchte ich auch noch vorschlagen, daß wir unter Verzicht auf eine Debatte über Einzelheiten aus Zeit- und Sachgründen den Entwurf eines Gesetzes zur Förderung der Rationalisierung im Steinkohlenbergbau an den Wirtschaftsausschuß des Bundestages überweisen.Ich möchte zum Schluß folgendes sagen. Es ist mit Recht gesagt worden, daß man diesen harten Winter ohne 01 und ohne genügend 01 nicht hätte überstehen können. Ich möchte das aber nicht allein, wie man so schön sagt, im Raum stehenlassen, sondern ich möchte sagen, daß in diesem Winter auch die Kohle und insbesondere das Gas und ganz besonders die Elektrizität ihre Winterfestigkeit in vorbildlicher Weise bewiesen haben.
Diese Belastungsprobe des Winters war geradezu ein Test darauf, ob unsere derzeitige energiewirtschaftliche Situation im wesentlichen gesund, in Ordnung ist oder nicht, von den unvermeidbaren Preisveränderungen bei verstärkter Nachfrage und schwierigerer Beschaffung abgesehen. Das gehört auch zu den Gesetzen der Marktwirtschaft und ist einmal so und einmal so. Die Freiheit hat auch ihren Preis.
— Ich sagte, wir sind zwar weitgehend einer Meinung, aber manchmal haben wir auch unsere eigenen Auffassungen.
Ich wiederhole, daß sich die Winterfestigkeit der Energiewirtschaft 'in der Bundesrepublik bestätigt hat. Das ist aber kein Ruhekissen; denn ich wiederhole: die Tatsache, daß ein Mensch im Augenblick gesund ist, enthebt ihn nicht der Vorsorgeüberlegung, was in zwei, drei Jahren etwa auf ihn zukommt, damit er sich rechtzeitig darauf einstellt. Ich habe schon gesagt, daß nach meiner Ansicht die Zuwachsrate dem Öl gehört. Ich habe gesagt, daß wir alle heimische Energie pfleglich behandeln müssen. Was ich über die Kohle .gesagt habe, gilt auch für das heimische Öl und würde auch für heimisches Erdgas gelten. Wenn z. B. die Vermutung, daß im Osten unseres Landes Bayern sich erhebliche Erdgasvorkommen befinden sollen, sich realisieren würde, dann kann uns Bayern darauf ansprechen, weil es dann auch seine heimische Energie — hoffentlich für sich und für uns zum Besten — haben wird.Es ist kurz über Atomenergie gesprochen worden. Ich möchte dazu folgendes sagen: Die Wirtschaftlichkeit der Atomelektrizität wird nach Ansicht der Mehrheit der Sachverständigen in Europa und in den Vereinigten Staaten etwa 1970 eintreten, aber nur dann, wenn diese Reaktorkraftwerke in ein Verbundnetz eingespannt sind und mit günstigsten Benutzungsstunden arbeiten können. Von dann ab wird die Atomelektrizität wachsende Bedeutung haben.Es ist eine kühne Sache, über das nächste Jahrtausend zu sprechen, in dem wahrscheinlich die Atomenergie eine bedeutende Rolle spielen wird. Aber im Jahre 1970 wird vermutlich die Endverbrauchsbilanz wie folgt aussehen: Wir werden 35 % Kohle, wahrscheinlich 35 % Öl und je 15 % Gas und Strom haben. Das kann schwanken. Die Ölquote kann sich reduzieren, die Gasquote kann sich erhöhen, wenn Erdgas in wachsendem Maße kommt. Aber auch dann wird die Elektrizität vielleicht im Maximum 20 % der Gesamtenergiedarbietung haben. Wenn davon die Atomelektrizität 10 % übernehmen will, muß sie sehr viel investieren. Wenn sie das will, würde sie 2 % der Gesamtendenergienachfrage decken.Warum erzähle ich Ihnen das und warum nenne ich diese Zahlen? Weil ich manchmal den Verdacht habe, daß aus sehr verständlichen Gründen in Planungen innerhalb der Energiewirtschaft für Kohle,
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Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 71. Sitzung. Bonn, Freitag, den 29. März 1963 3281
Dr. BurgbacherÖl Erdgas, Gas und Strom gewisse zögernde Elemente hineinkommen: wollen wir das überhaupt noch machen?, jetzt kommt bald die Atomelektrizität! Ich möchte davor warnen, ich habe es schon einmal getan und wiederhole es: Wir müssen zwei Dinge tun, nämlich die Entwicklung der Kernenergie mit allen Mitteln fördern, aber nicht wegen der Kernenergie auf die möglichen und notwendigen Maßnahmen in der Energiepolitik unserer Jahre verzichten.
Es wird das Haus sehr interessieren, daß sich noch zehn Redner zum Wort gemeldet haben.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Atzenroth.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Kollegen Arendt und Dr. Deist haben in ihren Ausführungen die Dinge so dargestellt, als ob wir vor einer dramatischen Krise der Kohlewirtschaft stünden, der die Kohle hilflos gegenüberstehe. Einer der beiden Kollegen hat von dem Unbehagen über die Lethargie der Bundesregierung gesprochen, die das ganze Volk erfülle. Solche Formulierungen halte ich für falsch und schlecht. Es wird dadurch eine Stimmung erzeugt insbesondere in den Kreisen des Ruhrgebietes und der Saar, die wir für verhängnisvoll halten.
— Nein, sie wird erzeugt. Wir halten sie für verhängnisvoll. Wir müssen gerade von diesem Platz aus der Bevölkerung mit aller Deutlichkeit sagen, daß niemand in diesem Hause die Kohle zum Erliegen bringen will und niemand ihr Hilfe verweigert. Es handelt sich bei unserer Debatte doch nur darum, in welchem Umfang, zu welcher Zeit und in welcher Form wir der Kohle diese Hilfe gewähren werden. Die Antwort der Regierung auf Ihre Große Anfrage hat gezeigt, daß sehr viel zur Hilfestellung für die Kohle getan worden ist und daß noch viel versprochen worden ist, sogar vieles, was manchem schon als zuviel erscheint. Aber Hilfestellung für die Kohle wollen wir alle leisten. Das sollte mit aller Deutlichkeit vor der Öffentlichkeit ausgesprochen werden. Damit sollten auch diese Zeitungsmeldungen, von denen der Herr Kollege Arendt eben in seinen Ausführungen gesprochen hat, widerlegt werden.Meine Damen und Herren, der Herr Kollege Deist hat es als richtig bezeichnet, daß die Energiepolitik nicht für sich bestehen könne, sondern daß sie nur eine Form der Wirtschaftspolitik sei. Er sagte, das sei eine Binsenweisheit und nicht besonders neu, trotzdem müsse man es immer wieder aussprechen. Herr Deist, Sie haben Aktivität über das hinaus gefordert, was die Bundesregierung in ihrer Antwort verkündet hat. Aber Sie haben nicht gesagt, worin denn diese Aktivität bestehen soll. Das habe ich in Ihren Äußerungen immer wieder vermißt. Sie haben nur von einem „sagenhaften" Wettbewerb gesprochen. Daraus muß man schließen, daß Sie denWettbewerb auf diesem Gebiet nicht zum Zuge kommen lassen wollen.
— Ich sage ja: nicht zum Zuge kommen lassen wollen.Der Einwand, man könne in einem Land keine liberale Energiepolitik betreiben, wenn ringsum kontingentiert und subventioniert werde, ist nur zum Teil berechtigt. Wenn man diesen Einwand gelten lassen wollte, müßten wir in der Bundesrepublik überhaupt auf die Marktwirtschaft verzichten.Sie haben es als eine Selbstverständlichkeit bezeichnet, Herr Dr. Deist, daß es sich für uns in erster Linie darum handelt, die Versorgung der deutschen Wirtschaft mit billiger und regelmäßig zur Verfügung stehender Energie sicherzustellen. Sie haben aber sofort darauf hingewiesen, daß es ein Widerspruch sei, billige Energie zu versprechen und eine Heizölsteuer zu erlassen. Diese Ihre Bemerkung habe ich mir notiert. Wenn ich daraus die Folgerung ziehen darf, daß Sie die Heizölsteuer ablehnen, können wir uns schon in manchen Punkten näherkommen. Wir jedenfalls sind der Meinung, daß das oberste Prinzip bei den Beratungen über die Hilfen, die gegeben werden sollen, die Versorgung unserer Gesamtwirtschaft mit möglichst billiger und regelmäßig zur Verfügung stehender Energie sein muß.Man hat die Kohle häufig mit der Landwirtschaft verglichen und hat gleiche Maßnahmen gefordert, wie wir sie der Landwirtschaft gewähren. Diese Ähnlichkeit besteht nur ganz entfernt. Wir haben ja für die Kohle auch schon eine Reihe von Hilfen geschaffen und sind dabei, ihr weitere Hilfen angedeihen zu lassen. Sie müssen aber in anderer Form gewährt werden, als wir sie in der Landwirtschaft für richtig halten.Wenn auch eine Notlage der Steinkohle nicht zu bestreiten ist, so kann doch selbst bei rein betriebswirtschaftlicher Betrachtung keine Rede davon sein, daß die Kohlewirtschaft zugrunde gehen und verschwinden müsse. Auf Grund des Bedarfs für bestimmte Verwendungszwecke und für manche Wirtschaftsräume und aus vielerlei anderen Gründen hat sie ihre Existenzgrundlage und wird sie immer behalten. Sie wird sich aber mit gewissen Beschränkungen abfinden müssen, die sich aus der konjunkturellen und vor allem aus der technischen Entwicklung ergeben. Wir selbst wollen ihr ebenso wie wohl sämtliche Kollegen im Bundestag Hilfe geben, damit sie ihre Konkurrenzfähigkeit noch lange auch da erhält, wo der nüchterne Rechenstift vorläufig gegen sie spricht. Dabei leiten uns in erster Linie soziale Erwägungen.Hier ist eben das Wort von einer Deklassierung der Menschen gefallen, die aus dem Kohlenbergbau ausscheiden und einen anderen Beruf ergreifen müssen. Das halte ich für falsch. Das sollte man auch nicht sagen. Es bedeutet doch nicht eine Deklassierung, wenn ein Arbeiter, der sein Leben unter Tage gearbeitet hat, plötzlich in die Lage versetzt wird, eine Beschäftigung über Tage anzunehmen, die viel leichter für ihn ist und die seinem fortgeschrittenen
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3288 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 71. Sitzung. Bonn, Freitag, den 29. März 1963
Dr. AtzenrothAlter und vielleicht auch seinem Gesundheitszustand entspricht.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Bitte!
Herr Kollege, ist Ihnen bekannt, daß bei den Stillegungen und Zusammenlegungen von Schachtanlagen in der Vergangenheit Bergleute, die älter als fünfzig Jahre waren und eine bestimmte Zeitlang eine Tätigkeit unter Tage verrichtet hatten, gar nicht mehr zu einer anderen Schachtanlage mitverlegt wurden, daß sie praktisch ohne Arbeitsplatz blieben und daß sie durch Sozialeinrichtungen der Zechengesellschaften ein auskömmliches Einkommen gesichert bekommen mußten?
Mir ist das nicht bekannt; aber ich kann mir nicht vorstellen, daß bei unserer Arbeitsmarktlage, auch im Ruhrgebiet, für solche Arbeitnehmer keine geeignete Beschäftigung zu finden sein sollte, selbst wenn sie nicht wieder in einem Bergbauunternehmen ihre Arbeit aufnehmen konnten. Inder ganzen Bundesrepublik gibt es doch solche Möglichkeiten, und in Nordrhein-Westfalen sind die Chancen, wieder eine Beschäftigung zu
finden, besonders groß.
Wir möchten es gerade ,als ein erstrebenswertes Ziel hinstellen, daß im Bergbau unter Tage im wesentlichen nur jüngere Menschen tätig sind und ,daß man diese Menschen schon frühzeitig aus der schweren und gefahrvollen Arbeit befreit und ihnen Hilfen und Unterstützungen gibt, über Tage eine andere für sie geeignete Beschäftigung aufzunehmen. Ich ziehe da zum Vergleich den Soldaten heran, der auch, nachdem er seinen Dienst in der Bundeswehr eine gewisse Zeit verrichtet hat und für ,die körperliche Arbeit nicht mehr voll leistungsfähig ist, in eine andere Beschäftigung überwechselt, wofür ihm vom Staat, von der Gemeinschaft Hilfen gegeben werden. Das wäre doch auch im Bergbau ein erstrebenswertes Ziel gerade im Hinblick 'darauf, daß die Arbeit unter Tage so besonders schwer und gefahrvoll ist.
— Die sozialen Hilfen, die wir bisher dem Bergbau gewährt haben, haben bis auf die gestrige immer unsere Billigung gefunden. Aber sie sind unorganisch gewesen und ließen eine klare vorausschauende Linie vermissen. Pension und Rente dürfen nicht zu früh den rettenden Ausweg bilden. Deswegen haben wir gestern dem Gesetz zur Änderung des Reichsknappschaftsgesetzes unsere Zustimmung nicht gegeben. Nicht Pension und Rente, sondern eine neue Tätigkeit, die dem Wesen dieser Menschen angepaßt ist, soll das Ziel der Befreiung aus der schweren Arbeit sein, unter der sie bisher gelitten haben.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Ja, ich bin dazu bereit.
Herr Kollege, wissen Sie nicht, daß gerade bei 'der von Ihnen herangezogenen Analogie ides Soldatenberufs die frühe Pensionierung ein außerordentlich wichtiges Instrument ist?
Nein, eine frühe Pensionierung ist auch da nicht das Ziel, sondern das große, allgemein erstrebte Ziel ist, die Menschen wieder in eine für die gesamte Volkswirtschaft nutzbringende Tätigkeit zu bringen.Meine Damen und Herren, die immer wieder aufgestellte Behauptung, zur Erhaltung des deutschen Kohlenbergbaus sei nichts getan worden, ist unrichtig. Schon das, was wir vor Jahren an Schutzmaßnahmen beschlossen haben, also Zoll, Kontingentierung und Besteuerung des konkurrierenden Erzeugnisses, war aus liberaler Sicht schwer vertretbar. Aber inzwischen sind ja noch neue Hilfen dazugekommen. Ein Teil der Lasten in der Knappschaft ist von der übrigen Wirtschaft übernommen worden. Das Heizölsteuergesetz ist um sechs Jahre verlängert worden. Das ist doch schon ein großes Maß von Hilfen.Der größere Teil meiner Fraktion ist der Ansicht, daß wir damit die angemessenen Grenzen bereits überschritten haben. Die Tatsache, daß die Kohlenproduktion nur mit den bisherigen Hilfen vier Jahre lang auf der Höhe von 140 Millionen Tonnen gehalten werden konnte, sollte eigentlich ein Beweis dafür sein, daß zusätzliche Unterstützungen nur noch beschränkt notwendig sind. Diese Tatsache spricht auch gegen Ihre Forderung, Herr Dr. Deist, daß sich die Regierung auf irgendeine Größenordnung festlegen solle. Hätten Sie in der Zeit, als wir das Heizölsteuergesetz beschlossen, geglaubt, daß wir trotz der Einschränkungen, trotz der Stillegung von soundso viel Zechen die Erzeugung von 140 Millionen Tonnen beibehalten würden? Damals haben die Verfechter der Heizölsteuer die Befürchtung geäußert, daß die Produktion des Kohlenbergbaus mindestens um 20 Millionen Tonnen sinken würde. Das ist nicht eingetreten. Diese Hilfen haben demnach ausgereicht, um den Stand von damals voll und ganz zu halten. Wenn an uns heute die Forderung gestellt würde: Nun sagt voraus, es müssen diese 140 Millionen t bleiben, oder „Es muß auf 160 Millionen t gesteigert werden", dann wäre das doch nur ein leeres Wort und hätte gar keine echte Bedeutung.Es ist zuzugeben, daß dieser Erfolg des Bergbaues durch Rationalisierung, bessere Arbeitsleistung und teilweise auch Gewinnverzicht möglich geworden ist. Aber so etwas gibt es auch in vielen anderen Wirtschaftszweigen.Wir haben, ich sagte es schon, mit großen Bedenken der Verlängerung der Heizölsteuer zugestimmt. Heute hören wir auch von Ihnen, Herr Dr. Deist, daß Sie ähnliche Gedanken haben, und ich möchte Sie fragen, ob Sie bereit sind, einer Aufhebung der
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Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 71. Sitzung. Bonn, Freitag, den 29. März 1963 3289
Dr. AtzenrothSteuer für leichtes 01 zuzustimmen. Denn Sie haben hier doch sehr deutlich dargelegt, daß die Steuer auf leichtes Heizöl eigentlich der Kohle wenig nützt; darin bestehe die Konkurrenz nicht. Also sollten wir einmal die Frage aufwerfen, ob nicht auf diesen Teil der Steuer verzichtet werden kann.Heizölsteuer bedeutet doch auch eine Gefahr für andere Wirtschaftszweige. Ich erinnere daran, in welche Schwierigkeiten die Glasindustrie gekommen ist. Der gesamten revierfernen Wirtschaft sind Opfer auferlegt worden, die nicht überall leicht getragen werden können. Es ist ja überhaupt das Schicksal solcher staatlichen Eingriffe in das Wirtschaftsleben: man versucht an der einen Stelle ein Loch zu stopfen und reißt an der anderen Stelle Löcher auf.Darf ich 'auf die Verkürzung der Fristen für die Einfuhrverträge auf neun Monate zurückkommen. Hier gehe ich mit Ihnen einig, Herr Dr. Deist; auch ich halte das für eine zweischneidige Maßnahme. Sie trifft in erster Linde die kleinen und mittleren Importeure, gegen die sie ja eigentlich nicht gedacht ist, und sie wird von den Großunternehmen der Ölwirtschaft verhältnismäßig leicht verkraftet werden können.Wir-sehen dagegen in dem Gesetz über die Rationalisierung des Bergbaues doch eine wesentliche Hilfe zur Erreichung des Grundzieles, das wir alle verfolgen, ohne daß wir uns in allen Punkten mit dem vorgelegten Entwurf einverstanden erklären.Rationaliserung, sagten Sie, müßte das einzige Ziel sein. Dem würde ich nicht zustimmen. Auch zweckmäßige Stillegungen müßten durch diesen Rationalisierungsverband erreicht werden; denn dieses Ziel können wir doch letzten Endes nicht aus dem Auge lassen. Wir hoffen aber, daß das Land Nordrhein-Westfalen sich doch noch zu einer aktiven Mitwirkung an dieser Aufgabe bereitfinden wird.Sie haben von der Sicherheit gesprochen, die aus den Arbeiten eines solchen Verbandes entstehen könnte. Die kann niemand geben. Auch die veränderte Zusammensetzung, Herr Dr. Deist, die Sie vorgeschlagen haben, würde keine Sicherheit dafür 'bedeuten, ,daß die Ziele, die man sich gesteckt hat, auch wirklich erreicht werden. Hier müssen die zeitlichen Verhältnisse berücksichtigt werden, und die Initiative der Unternehmen, die ja eigentlich am meisten betroffen sind, hat hier die entscheidende Rolle zu spielen.Wir leisten entschiedenen Widerstand gegen die Pläne, die auf eine Entliberalisierung der Mineralöleinfuhr hinauslaufen. Diese würde leinen Rückschritt in unserer Wirtschaftspolitik bedeuten. Ich bin froh, daß in der heutigen Aussprache diese Forderung von keiner Seite aufgegriffen worden ist. Wir wollen nicht wieder zum Bezugschein zurückkehren, mit dem wir doch wahrscheinlich schlechte Erfahrungen gemacht haben.Etwas ,anders müssen wir die Frage ,der Kontrolle, der Einflußnahme auf Investitionen betrachten. Hier müssen ,die Bedenken, die Herr Dr. Deist vorgetragen hat, doch sehr berücksichtigt werden. Die Investitionen sind zum großen Teil von ,der Großölindustrie rücksichtslos durchgeführt worden gegen Ratschläge, die sie zu einer vernünftigen Haltung bewegen sollten. Wenn ein solches Verhalten bei diesen Kreisen fortgesetzt wird, dann müssen auch wir Maßnahmen zustimmen, die zu einer besseren Ordnung führen können.Aber welche Politik wollen Sie betreiben, Herr Dr. Deist? Sie haben, zum Bundeswirtschaftsminister gewendet, gesagt: Sie haben hier nicht nur Fakten aufzuzeigen, Sie haben Politik zu betreiben. Sollen wir jetzt schon 'ein Verbot für Investitionen erlassen? Das wäre doch ein zu starker Eingriff. Aber wie gesagt, wir sind mit Ihnen einig, daß dieses Problem weiter beobachtet werden muß und daß man, wenn ,das unvernünftige Verhalten der Großölwirtschaft anhält, doch zu irgendwelchen Maßnahmen kommen muß.Die Lagerhaltung, die von der Bundesregierung angekündigt und vielleicht auch gefordert worden ist, begrüßen wir. Aber sie müßte sich dann auf alle Energiezweige erstrecken. Sie dürfte sich nicht auf die Ölhaltung beschränken, sondern auch bei der Kohle müßten solche Maßnahmen getroffen werden. Die große Schwierigkeit liegt hier in der Finanzfrage. Eine Lagerhaltung von solchen Ausmaßen, daß sie jauch eine Wirkung hat, erfordert natürlich gewaltige Mittel. Wie sie aufzubringen sind, ist noch nicht klar.Ich wiederhole, daß wir auch die Mißstände auf dem Gebiet der Mineralölwirtschaft durchaus einsehen. Gerade hier hat sich eine Zusammenballung wirtschaftlicher Macht wie in kaum einem anderen Wirtschaftszweig 'ergeben. Wir bedauern mit Ihnen, daß der Herr Bundeswirtschaftsminister bis heute noch keine Vorschläge gemacht hat, wie diese Entwicklung gebremst werden kann. Auf das EnqueteErgebnis dürfen wir nicht warten, das wird uns in diesem Bundestag wahrscheinlich nicht mehr vorgelegt werden. Diese großen Firmen haben sich in vielen Fällen den Bitten und Wünschen der Regierung so wenig zugänglich gezeigt, daß wir uns, wie Herr Dr. Deist das hier gesagt hat, nicht damit begnügen dürfen, ihnen nur Ratschläge zu erteilen, sondern hier müssen auch von der Bundesregierung und vom Parlament Maßnahmen beschlossen werden, die einen Eingriff gegen unvernünftiges Verhalten möglich machen.Man hat uns noch vorgeschlagen, auch die heutigen Energiequellen in das alte Energiewirtschaftsgesetz einzubeziehen. Dem kann nicht scharf genug entgegengetreten werden. Dieses alte Gesetz paßt nicht mehr in unsere heutige Wirtschaftsordnung. Es muß so schnell wie möglich durch ein neues Gesetz mit liberalem Geist ersetzt werden. Auf diesem Gesetz beruhen übrigens auch zum großen Teil die Vorwürfe, die heute gegen unsere Elektrizitätswirtschaft erhoben werden. Die Behauptung, daß unsere Strompreise mit zu den höchsten in Westeuropa gehören und dadurch unsere Exportfähigkeit erheblich erschweren, konnte bisher noch nicht widerlegt werden. Hier muß ein größeres Maß von Wettbewerb geschaffen werden.
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3290 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 71. Sitzung. Bonn, Freitag, den 29. März 1963
Dr. Atzenroth.— Das werden Sie nicht gerne hören: das kann vor allem im Bereich des Wegerechts geschehen.
— Ja, selbstverständlich!
— Die Wege sind öffentliches Eigentum, und ich habe noch in keiner Weise davon gesprochen, daß dieses Eigentum weggenommen werden soll. Aber einer für die Allgemeinheit schlechten Ausnutzung dieses Eigentums kann entgegengetreten werden. Dazu ist der Gesetzgeber sogar verpflichtet, auch in einer freien und liberalen Wirtschaftsordnung.Zusammenfassend möchte ich noch einmal sagen: Auf dem Gebiet der Energiepolitik sehen wir als unser erstes und erstrebenswertes Ziel an, die Gesamtwirtschaft und die gesamte Bevölkerung mit einer billigen und regelmäßig zur Verfügung stehenden Energie zu versorgen. Das kann nur im Rahmen unserer Marktwirtschaftspolitik geschehen, der sich auch die Energiepolitik einzuordnen hat. Dabei wollen wir dem Bergbau alle Hilfen geben, die sich mit dieser Voraussetzung vereinbaren lassen. Wenn man aber darüber hinaus Maßnahmen fordert mit der Begründung, daß man im Jahre 1970 oder später einmal in Schwierigkeit kommen wird, dann werden wir die Interessen unserer heutigen Gesamtwirtschaft in den Vordergrund stellen und zunächst gegen eine Beschränkung ihrer Wettbewerbsfähigkeit eintreten.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Balke.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich weiß die Gefühle zu würdigen, die Sie jetzt beseelen. Ich will nur ausdrükken, daß die hier noch Anwesenden vielleicht doch an die Möglichkeit glauben, die Quantität durch die Qualität zu ersetzen.
Eine Debatte über die Energiepolitik verführt natürlich gern zu polemischen Äußerungen. Ich möchte mich dieser enthalten und versuchen, die Dinge von einem ganz nüchternen Standpunkt aus zu betrachten. Ich greife gern das Wort des Herrn Bundeswirtschaftsministers auf, wonach die einzelnen Energieträger nicht mehr isoliert betrachtet werden können, sondern daß der Ausgleich unter dem Prinzip der Substitutionskonkurrenz stehen wird und muß, also nicht einer Verdrängungskonkurrenz, die weder von der Bundesregierung noch von uns befürwortet wird.Die großen Themen der Energiedebatte bei uns sind die Zukunft des Steinkohlenbergbaues gegenüber dem allzu raschen Vordringen des Heizöls und dem unvermindert, wenn auch zeitweilig zurückgehaltenen Konkurrenzdruck der amerikanischen Importkohle, ferner der keineswegs unbestritteneVorzug der billigsten und der Wert und der angemessene Preis einer relativ ;sicheren Energieversorgung. Und schließlich noch die komplizierte und delikate Problematik der energiepolitischen Koordinierung im westlichen Europa, vor allem im Gemeinsamen Markt, was unausgesprochen über allem steht, was wir hier debattieren.Leider laufen energiepolitische Debatten fast stets -- und das wird bei uns ja mit besonderer Liebe gepflegt — auf den Konkurrenzgesichtspunkt Kohle gegen Öl hinaus. Ich halte das, und wahrscheinlich nicht ich allein, für grundsätzlich falsch. Denn das Problem der Energiepolitik ist die optimale Versorgung von Wirtschaftsräumen mit den zweckmäßigsten Energieformen, die in freier Konsumwahl zur Verfügung stehen müssen. Die unterschiedlichen Bedürfnisse an Energie beeinflussen heute bei einem gewissen Überangebot auf der Primärseite die Auswahl des Primärenergieträgers stärker als früher. Aber nicht jede Energieform und damit nicht jeder Energieträger ist für jeden Verwendungszweck gleich geeignet. Das gilt mindestens für die industrielle Produktion. Die Beispiele, die ich vorbringen wollte, überschlage ich aus Zeitgründen.Es ließen sich viele solcher Beispiele für den Einfluß des Marktes auf die Wahl des Primärenergieträgers anführen, wenn es auch manchem etwas merkwürdig vorkommt, daß man dem Markt einen Einfluß dieser Art überhaupt zumißt. Wir sollten daher genau unterscheiden, wann wir uns hier über Energiepolitik und wann über Schutzmaßnahmen für einzelne Primärenergieträger unterhalten. Ich halte es auch für falsch, sachliche Ansichten daraufhin zu untersuchen, ob ,sie für oder gegen die Kohle, das Mineralöl, die Kernenergie oder einen anderen Energieträger gerichtet sind.Meine Damen und Herren, wir wissen alle miteinander, daß der Steinkohlentiefbau in eine wirkliche Existenzkrise geraten ist. Das ist kein Problem von Schuld und Sühne, sondern einer langfristigen Energiepolitik. Deshalb erscheint es nicht sehr sinnvoll, die Energiepreise in unserem Lande an die hohen Gestehungskosten des deutschen Kohlenbergbaues zu binden, etwa durch steuerliche oder andere gesetzliche Maßnahmen, in einer Zeit, in der doch längst klar geworden ist, daß der deutsche Bergbau und seine Nebenproduktionen den zukünftigen Bedarf an Energie nur noch zum kleineren Teil werden decken können. Es wäre also gut, uns bei der alle berührenden Sorge um den Steinkohlentiefbau von Emotionen freizuhalten, obwohl das schwer ist angesichts der sozialen Folgen, die eine Anpassung der Fördermenge an den Markt haben muß. Da aber trotz aller technischen Rationalisierungsmaßnahmen die Untertagearbeit im Steinkohlenbergbau auf die Dauer die menschliche Arbeitskraft überfordert, wird das Schicksal der Kohle als eines Primärenenergieträgers unter den Gewinnungsverhältnissen in unserem Lande und in den meisten europäischen Staaten ein menschliches, soziales Problem bleiben und nicht nur ein technisches.Wir begrüßen daher die Gesetzesvorlage der Bundesregierung über .die Gründung eines Ratio-
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Dr.-Ing. Balkenalisierungsverbandes für den Steinkohlenbergbau, wodurch die Möglichkeit geschaffen wird, wenigstens das heute schon Erreichbare zu beginnen. Ich bin auch der Meinung, man sollte diesen Versuch, der ja nicht zu früh kommt, nicht abqualifizieren durch eine Terminologie, die der Sache doch nicht ganz gerecht wird. Wir dürfen uns jedenfalls doch nicht immer wieder bereitfinden, aus einer politischen Augenblickssituation heraus Flickarbeit zu leisten, womit die grundsätzlichen Schwierigkeiten nicht beseitigt werden. Eine solche Möglichkeit ist der Versuch, die Rationalisierung im Bergbau auf eine vernünftige Basis zu stellen.Besonders der süddeutsche Raum, vor allem Bayern, erschien in den Auseinandersetzungen mit dem Primärenergieträger Steinkohle oft als ein Gebiet, das von einem regionalen energiepolitischen Egoismus gekennzeichnet sei. Dabei wird vergessen, daß Bayern früher für seine industrielle Produktion, aber auch für den übrigen Energiebedarf, von Oberschlesien und von der mitteldeutschen Braunkohle aus versorgt wurde. Der Ausfall dieser transportgünstigen und preisgerechten Versorgungsmöglichkeit ist nie kompensiert worden. Durch die politischen Ereignisse war dieser Raum plötzlich auf die Ruhr und auf die Saar als Energielieferant angewiesen. Es ist sogar verständlich, daß dieser neue Markt, der in Notzeiten zusätzlich beliefert werden sollte, nicht gerade besonders gepflegt wurde unter Umständen, die den Anspruch der Ruhrkohle, als Monopolinhaber gewürdigt zu werden, zweifellos verstärkt haben.Aber aus dieser ganzen Situation und durch wirtschaftliche Einbußen und auch andere schmerzliche Erfahrungen ist in Süddeutschland, vor allem wiederum in Bayern, der durchaus legitime Wunsch entstanden, in der Energieversorgung ganz allgemein bessergestellt zu werden. Hierbei spielt also der wirtschaftliche Zwang zur optimalen Energieversorgung die Hauptrolle, nicht etwa eine aus Ressentiment geborene Abneigung gegen die Kohle. Ich bin auch überzeugt, daß meine politischen Freunde durchaus bereit wären, auf jede vielleicht übersteigert erscheinende Bevorzugung in der Lösung energiepolitischer Fragen zu verzichten, wenn die allgemeine Energiepolitik der Bundesrepublik und später im Gemeinsamen Markt die optimale preisgünstige Versorgung mit den benötigten Energieformen für den bayerischen und süddeutschen Wirtschaftsraum sicherstellte, und zwar nicht nur in Plänen oder auf dem Papier, sondern effektiv.
Man darf uns nicht verübeln, daß wir Ursachen und Folgen des Strukturwandels auf dem Energiemarkt erkannt haben und gewillt sind, eine vielleicht nie mehr wiederkehrende Chance wahrzunehmen, um die aus der Armut Bayerns an natürlichen Schätzen und der Verschlechterung seiner Wettbewerbslage in der Nachkriegszeit entstandenen Standortnachteile derbayerischen Wirtschaft möglichst auszugleichen. Einen Schlüssel hierzu sehe ich in der Senkung der Energiepreise.Hierüber ist etwas wenig gesprochen worden. Nun, Verbraucher gibt es natürlich auch in Nordrhein-Westfalen. Sie scheinen in der Argumentation um die Rolle der Energieerzeuger in diesem Lande sogar etwas zu kurz zu kommen. Jedenfalls haben sie in der nächsten Nachbarschaft die holländische billige Energiequelle, und das wird auch zu einigen wirtschaftspolitischen Überlegungen in Nordrhein-Westfalen führen.Hier ist vielleicht auch ein Hinweis auf die noch weit verbreitete irrige Ansicht angebracht, daß der Energiepreis für die industrielle Produktion in unserem Lande keine ausschlaggebende kalkulatorische Rolle spiele. Dieses Argument wird oft vorgebracht, wenn es sich um die Begründung von Hilfsmaßnahmen für notleidende Primärenergieträger handelt, in unserem Falle also meist für den Steinkohlentiefbau. Dabei wird meist übersehen, daß die Kumulation der Energiekosten in einer stark arbeitsteiligen Wirtschaft sich am Endprodukt immer stärker auswirken muß. Diese Entwicklung ist zeitweilig überdeckt worden durch die technische Rationalisierung bei den Energieverbrauchern, also in Form verbesserter Geräte und Maschinen. Die moderne technische Produktion benötigt aber immer mehr Nutzenergie in veredelter Form, und damit wächst auch der Anteil der Kosten für die Energie an den Gestehpreisen. Die Energieverbraucher, vorwiegend die produzierende Wirtschaft, benötigen aus Gründen der Wettbewerbsfähigkeit eine Senkung der Energiepreise. Wenn Hilfsmaßnahmen für den Energieträger Kohle nötig sind, etwa um wichtige nationalwirtschaftliche Aufgaben erfüllen zu können, dann dürfen sie nicht die Form einer Preiserhöhung für die Energieverbraucher annehmen, die die Hauptträger unseres Exports sind, der ja, was hier nicht bewiesen zu werden braucht, einem immer stärkeren Wettbewerbsdruck ausgesetzt ist.Wenn man die Wirkung solcher Energiepreissteigerungen — als solche wirken sich ja auch unterlassene Senkungen aus — auf die wirtschaftliche Situation eines Unternehmens oder einer Branche beurteilen will, kann man nicht von statistischen Durchschnittswerten in Beziehung zuni Gesamterlös eines Betriebes oder Wirtschaftszweiges ausgehen, sondern nur von der Kostenrechnung des einzelnen Produkts. Ich möchte hier darauf verzichten, das an Hand von Beispielen aus der Praxis zu belegen.Eine manchmal schmerzliche wirtschaftliche Erfahrung hat aber gelehrt, daß der Energiepreis ein sehr ernst zu nehmender Faktor der Kalkulation ist, nicht zuletzt wegen der Kumulation der Energiekosten in komplizierten Stufenprozessen. Ohnelige Energiekosten können wir nicht exportieren. Das ist ,sogar wichtiger als ,die Frage der Devisenbeschaffung für Importe. Wenn die einheimischen Energieträger zu teuer werden, nützen sie uns auch nichts.Mit Erlaubnis des Herrn Präsidenten möchte ich nur eine Schlußfolgerung aus einer Arbeit des Deut-
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Dr. -Ing. Balkeschen Instituts für Wirtschaftsforschung zitieren, in der es heißt:Die Konkurrenzfähigkeit der Bundesrepublik beruht, wie ein Blick in die Außenhandelsstatistik zeigt, besonders auf der Leistungsfähigkeit der Investitionsgüterindustrien, der Stahlindustrie und der chemischen Industrie. Die Investitionsgüterindustrien sind ihrerseits die wichtigsten Käufer von Stahl und NE-Metallen. Daraus ergibt sich, daß 'die Leistungsfähigkeit der westdeutschen Wirtschaft weitgehend von einigen Industrien abhängt, die zu mehr als 70 v. H. am gesamten Energieverbrauch der verarbeitenden Industrie beteiligt sind.Aus diesem Grunde sind Argumente, die auf den niedrigen Anteil der Energiekosten am Umsatz etwa der Investitionsgüterindustrien Bezug nehmen und die Höhe der westdeutschen Energiekosten als relativ unwichtig für ihre Konkurrenzfähigkeit darstellen, nicht zutreffend. Zumindest gehen sie an der Tatsache der hohen indirekten Energiekostenabhängigkeit der westdeutschen Investitionsgüterproduzenten vorbei.So weit das Zitat. Ich glaube nicht, daß man diesem Institut eine besonders negative Haltung gegenüber der Kohle nachsagen kann.Es wird Sie nach 'dem bisher Gesagten nicht überraschen, wenn ich schon hier den Widerstand gegen einen Punkt des Programms der Bundesregierung anmelden muß, nämlich gegen die Bestrebungen, etwa das Raffineriegas in die Heizölbesteuerung einzubeziehen. Über die Begründung dieses Widerstandes werden wir uns ja später noch zu unterhalten haben.
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4. Der nationale Bergbau kann zur Stabilisierung des Energiemarktes erheblich beitragen. Seine Kapazität sollte unter Beachtung der Wettbewerbsfähigkeit auf einem Stand gehalten werden, der die Erfüllung dieser Aufgabe ermöglicht. Unterstützungsmaßnahmen, die durch geologische Umstände bedingt sind, sollten als Beitrag zur wirtschaftlichen und sozialen Stabilisierung des Energiemarktes betrachtet und danach bemessen werden.5. Die Verstromung der Steinkohle ist nur insoweit ein Ausweg aus den Schwierigkeiten des Steinkohlenbergbaus, als dadurch nicht das Preisniveau der Elektrizitätserzeugung erhöht wird. Möglichkeiten für die Steinkohle bestehen noch in vielen Absatzbereichen, z. B. in der elektrischen Raumheizung, vorwiegend in Schwachlastzeiten, und einigen anderen technischen Maßnahmen, 'die ich hier nicht erläutern möchte.Die Ausführungen der Opposition lassen sich meiner Auffassung nach in zwei Forderungen zusammenfassen: Investitionskontrolle und Einfuhrkontrolle. Ohne das jetzt begründen zu können, möchte ich doch sagen, daß wir das gemeinsam mit der Bundesregierung ablehnen, genauso wie alle quantitativen Maßnahmen, die eine Energiewirtschaftspolitik hemmen.So können wir im ganzen die Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage der sozialdemokratischen Fraktion begrüßen. Die Bundesregierung kann bei dem Bestreben, eine wirklichkeitsnahe Energiepolitik zu treiben, immer auf unsere Unterstützung rechnen.
Meine Damen und Herren, es ist eine interfraktionelle Verständigung erzielt worden, daß zunächst noch Herr Professor Erhard kurz spricht und daß dann für die ,anfragende Fraktion Herr Abgeordneter Arendt das Schlußwort erhält. Es ist schmerzlich, daß jetzt so viel Weisheit im Dunkeln verbleiben muß.
Bitte, Herr Professor Erhard, Sie haben das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich hatte vor Beginn der Debatte gedacht, das würde heute eine erregende Diskussion werden. Denn nach alledem, was verlautbart wurde und in der Presse seinen Widerhall fand, mußte man annehmen, daß das deutsche Volk über die Energiepolitik der Bundesregierung aufs tiefste erregt ist. In der Besetzung dieses Hauses, der Vertretung 'des deutschen Volkes, wird von dieser Sorge und dieser Erregung nichts sichtbar. Mit Ausnahme einiger polemischer Töne ist in der Debatte 'sozusagen nichts Neues gesagt worden.Ich bin es allmählich gewöhnt, immer wieder zu hören, daß wir keine energiepolitische Konzeption hätten. Es haben sich einige Päpste zusammengetan, die von sich aus entscheiden, was energiepolitische Konzeption ist und was nicht. Wenn jemand eine andere Konzeption vertritt als diejenigen, die, wie sie glauben, die allgemeine und absolute Weisheit gefunden haben, dann erklären sie, er habe keine energiepolitische Konzeption.
Das ist jedenfalls der politische Tatbestand, soweit er sich in Deutschland abzeichnet.
— Ich habe den Herrn Bundeskanzler noch nie einen Vortrag über Energiepolitik halten hören.
Nun ist es eigentlich doch merkwürdig, daß man ausgerechnet 'd e m Land eine mangelnde oder fehlende energiepolitische Konzeption vorwirft, das es in den letzten fünf Jahren verstanden hat, leine stabile Energiedarbietung — sowohl was die Mengen, als auch was den Preis .anlangt — 'sicherzustellen. Ich denke z. B. daran, daß in der Zeit von 1951 bis 1958 die Kohlepreise um 70% gestiegen sind. Wir wissen alle, warum. Aber trotz unserer 'damaligen Sorgen wegen der unzureichenden Kohlenförderung haben wir es nicht erreicht, die Leistungen pro Mann und Schicht rin nennenswertem Umfang zu erhöhen.
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Bundesminister Dr. Dr. h. c. ErhardSeitdem wir „keine energiepolitische Konzeption haben", d. h. also, seitdem wir auch die Kohle in den Wettbewerb gestellt haben — mit allen Hilfen, die wir der Kohle angedeihen ließen, um eine höhere Wettbewerbsgleichheit mit dem neuen Energieträger 01 herzustellen —, seit dieser Zeit ist der Kohlepreis stabil geblieben. In diesem Jahre 1963 gehen wir in das fünfte Jahr, in dem eine konstante Förderung von 140 Millionen t Kohle gewährleistet werden konnte. Das ist die Menge, von der der Kohlebergbau — sowohl Unternehmer wie Gewerkschaften — gesagt hat: Wenn wir das erreichen, sind wir ja zufrieden. In den Gesprächen wurde sogar angedeutet -- jedenfalls wurde dem nicht widersprochen —, daß auch die Menge von 140 Millionen t Kohle noch gewissen Schwankungen in Höhe von etwa 5% unterworfen sein könne.Hier wurden als leuchtendes Beispiel Italien und Frankreich hingestellt; diese Länder hätten eine klare energiepolitische Konzeption. Es liegt mir ganz bestimmt fern, hier in eine Polemik einzutreten. Aber das ist sicher nicht die energiepolitische Konzeption, die die Bundesregierung hat.Die energiepolitische Konzeption in Italien sieht so aus: Wir kaufen, wenn die Kohle im Überfluß vorhanden ist, amerikanische Kohle; wenn sie knapp ist, werden wir von Deutschland aus versorgt, und im übrigen kaufen wir noch bevorzugt und besonders gern russisches Öl. — Ob das eine klare energiepolitische Konzeption ist, die der Nachahmung wert wäre, gerade im Zeichen der engen Verbundenheit der Volkswirtschaften und im Zeichen gemeinsamer Aufgaben, wage ich zu bezweifeln.Die französische Haltung ist auch klar und, wenn Sie wollen, konsequent. Das ist auch eine energiepolitische Linie, aber eben nicht die unsrige; die nämlich einer autarken Energieversorgung. Eine Volkswirtschaft wie die deutsche, die auf Gedeih und Verderb im Wettbewerb mit der ganzen Welt — und nicht nur in der EWG — bestehen muß, kann sich den Luxus einer teuren Energie unter gar keinen Umständen leisten.Es sind in der Öffentlichkeit falsche Zahlen in Umlauf gekommen. Ich kann mich dabei auf das beziehen, was Kollege Balke sagte: Wenn Sie die kumulative Wirkung der Energiepreise bzw. ,der -kosten in Rechnung stellen, dann schwankt die Belastung zwischen etwa 5% bei der Landwirtschaft und 25% bei einer ganzen Reihe für unsere Handelsbilanz besonders wichtiger Industriezweige. Das glaube ich mit aller Deutlichkeit richtigstellen zu müssen.Natürlich bedeutet eine höhere Einfuhr von Rohöl eine gewisse Belastung unserer Handels- und unserer Zahlungsbilanz. Aber viel wichtiger ist — und das wurde auch gesagt — die Erhaltung der Wettbewerbsfähigkeit unserer deutschen Industrie. Damit gewinnen wir in bezug auf die Handels- und Zahlungsbilanz sehr viel mehr als das, was wir durch Einfuhr von etwas mehr 01 verlieren würden. Wenn Sie eine Öleinfuhr in Betracht ziehen, die etwa 10 Millionen t Steinkohle ersetzen müßte, dann ergibt sich, daß das eine Belastung unserer Zahlungsbilanz um rund 500 Millionen DM ausmacht. Das ist ungefähr 1 % unserer Einfuhr. Daraus wird deutlich, daß von dieser Seite her eine Erschütterung unserer Zahlungsbilanz bestimmt nicht droht. Ich wäre glücklich, wenn das Gerede von dem Sterben des deutschen Bergbaus einmal zu Ende käme. Von mir kommt es nicht. Ich habe weder den Begriff des Gesundschrumpfens geprägt noch gar von einem Beerdigungsinstitut gesprochen. Ich habe vielmehr umgekehrt immer wieder betont, daß die Kohle, wenn sie mit unserer Hilfe und mit den Maßnahmen z. B. des Rationalisierungsverbandes selbst alles unternimmt, was notwendig ist, um in einem von uns doch wirklich noch gesteuerten Wettbewerb lebensfähig zu bleiben, eine Zukunft hat. Wenn Leute aus dem Bergbau abgewandert sind, wenn junge Leute nicht mehr den Mut haben, ihr Schicksal mit der Kohle zu verbinden, dann nicht wegen der Energiepolitik der Bundesregierung, sondern wegen des dauernden Geredes von seiten des Bergbaues, seitens der Unternehmer oder seitens der Gewerkschaften.
Meine Damen und Herren! Dann auch die Frage: Wird uns denn das 01 zur Verfügung stehen? Na, ich will hier keine Bilanz aufmachen und sagen, wieviel Kohle in Deutschland lagert. Da lassen die schon erschlossenen und die nichterschlossenen Mengen nie eine vage Aussage zu. Gewiß, _Kohle ist in Deutschland noch vorhanden; tatsächlich ist sie ein Reservoir an Energie. Aber wenn wir die schlechten, die dauernd unwirtschaftlichen Zechen stillegen bzw. zusammenlegen wollen, dann können Sie nicht von einem Verlust sprechen, von einem Volksvermögen, das wir etwa leichtfertig preisgeben, bzw. sogar verschleudern. Im Meerwasser ist bekanntlich Gold, aber es ist nichts wert, und so ist es eben auch in der modernen Wirtschaft auch mit Kohle, Erzen und anderen Bodenschätzen. Irgendein Gut, dessen Förderung zu teuer wird, um wirtschaftlich verwertet zu werden, bedeutet eben keinen echten volkswirtschaftlichen Wert mehr. Ich glaube, wir sollten nüchtern genug sein, das zu erkennen.Im übrigen: es trifft zu, daß ,die großen Erdölvorkommen, soweit sie heute bekannt sind — es kommen ja täglich neue hinzu —, zu 83 % in politischen Spannungsgebieten liegen. Aber das Schicksal dieser Länder in nationaler, wirtschaftlicher und in sozialer Hinsicht ist davon unabhängig, daß sie ihr Öl verkaufen. Nach Rußland werden sie es angesichts der russischen Kohlen- und Energiestrategie nicht verkaufen können. Diese Länder sind auf uns angewiesen. Darum, glaube ich, brauchen wir nicht besorgt zu sein, daß jemals eine Zeit kommen könnte — solange wir überhaupt Verantwortung tragen —, }die uns in die Lage versetzen würde, mit dem Problem einer Energienot fertig werden zu müssen. Ich finde es eine gute Sache, daß wir, obwohl bisher eine Kapazität von 10 Millionen t stillgelegt wurde, obwohl auch die Zahl der im Bergbau Beschäftigten seit dem Jahre 1958 um 31 % zurückgegangen ist, praktisch die Förderung erhalten haben. Ich glaube, damit ist eine Linie der Energie-
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Bundesminister Dr. Dr. h. c. Erhardpolitik aufgezeigt, die nicht zuletzt auch der Kohle selbst dient. Wir treiben also keine „Ausverkaufspolitik", sondern wir tun das in unserer Energiepolitik, was für die Kohle selbst und im Interesse der Kohle notwendig ist, aber vor allen Dingen auch das, was der deutschen Volkswirtschaft im ganzen dient.Wenn Sie also zu der Aussage kommen, Herr Kollege Deist, daß das, was wir heute erleben, die Widerspiegelung der Versäumnisse unserer Politik und insbesondere unserer Energiepolitik wäre, dann frage ich Sie, was wir denn heute erleben. Wir sind besser über diesen Winter hinweggekommen als alle anderen europäischen Länder.
Wir haben das höchste Maß an Stabilität in der Förderung erzielt, und wir haben die stabilsten Energiepreise. Ich glaube, da kann man nicht sagen: Was wir heute erleben ! Ich bin der Meinung, wenn wir das was wir heute erleben, durch die nächsten fünf Jahre erhalten können, können wir froh sein. Wir wollen aber umgekehrt die Leistungen noch steigern und wollen da, wo es möglich ist, noch zu einer billigeren Energieversorgung kommen.Wir haben uns so oft über „Wirtschaftspolitik" unterhalten. Wir haben uns manchmal in den Auffassungen etwas angenähert, Herr Kollege Deist, dann haben wir uns wieder etwats entfernt. Heute haben wir uns — der Meinung bin ich — wieder etwas entfernt. Was Sie an energiepolitischer Konzeption vorbrachten — wenn es überhaupt ein Programm gewesen ist —, ist jedenfalls nicht die, die ich meine. Die Wirtschaftspolitik, die ich meine, ist die, die den Menschen, ganz gleich, an welcher Stelle sie wirken, ein Höchstmaß an Freiheit gibt und zugleich an Verantwortung aufbürdet.
Das Schlußwort hat Herr Abgeordneter Arendt.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Herr Bundeswirtschaftsminister hat in seiner Antwort auf unsere Große Anfrage und auch in seinem jetzigen Beitrag zur Diskussion den Eindruck zu erwecken versucht, als hätte er ein volles, wohlabgewogenes und wohlabgerundetes Programm zur Lösung der energiewirtschaftlichen Fragen. Diesen Eindruck hat auch der Herr Kollege Burgbacher in seinen Ausführungen unterstützt. Ich möchte Sie nur an einen Punkt erinnern. Im Jahre 1959, als 60 000 Bergleute im Anmarsch auf die Bundeshauptstadt waren, wurde von der Regierung das Kohlenzollgesetz vorgelegt. Es ist gar nicht so, daß diese Maßnahmen sich wunderbar einpassen in ein wunderbares Programm zur Steuerung dieser Fragen.Wenn man sich die Antwort der Bundesregierung auf unsere Große Anfrage ansieht, wird man feststellen, daß im ersten Teil sehr breite Antworten gegeben worden sind, aber je konkreter wir gefragt haben, ob die Bundesregierung das oder jenes zu tun gedenkt, um so lapidar kürzer wurden die Antworten. Wenn hier gesagt wurde: Es ist das Bestreben der Bundesregierung, dafür zu sorgen, daß die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft erhalten bleibt, so muß ich dazu sagen: man kann doch nicht so tun, als ob wir gegen diese Wettbewerbsfähigkeit seien. Aber eines müssen Sie auch wissen: diese Preisfragen — und das weiß auch der Herr Minister — kann man nicht vom Tage her beurteilen, sondern die muß man schon über einen längeren Zeitraum sehen. Gerade in den letzten Wochen der Winterzeit wurde sehr deutlich bewiesen, daß sich eine Abhängigkeit von Energieeinfuhren auch preislich zum Schaden der deutschen Wirtschaft auswirken wird, und eines Tages werden wir die Zeche bezahlen müssen.Zum Rationalisierungsverband! Meine Damen und Herren! Wenn Sie die Vorlage lesen, werden Sie sehen, daß die Bundesregierung sagt: Es sollen Schachtanlagen stillgelegt werden. — Deshalb ist es unverständlich für uns, daß man so tut, als wären wir diejenigen, die von Stillegungen und von schlechten Auswirkungen auf die Beschäftigten reden und damit eine Art panische Stimmung erzeugen. Hier in der Bundesregierungsvorlage steht es, daß stillgelegt werden soll, und in der Bundesregierungsvorlage zur Heizölsteuerverordnung steht, daß die Zahl der Stillegungen noch größer sein solle.Meine Damen und Herren! Bei den Maßnahmen, die hier die Bundesregierung vorsieht — das hat mein Kollege Deist schon gesagt —, ist die Rede von Überprüfen, von Beraten, Kontrollieren, ob wir das oder jenes machen können. — Ich sage noch einmal, es gibt nur zwei Punkte, über die man wirklich reden könnte als Maßnahme. Da ist zunächst der Rationalisierungsverband, aber nicht so, wie sich die Bundesregierung ihn vorstellt, sondern es müssen auch andere Gesichtspunkte Beachtung finden. Darüber werden wir sicher in den Ausschüssen reden können.Die zweite Frage betrifft die Bevorratung von Brennstoffen bei Produzenten und Großverbrauchern. Darüber müßte man reden.Alles andere aber ist keine Antwort auf unsere Fragen und hat nur erneut gezeigt — und das muß ich hier noch einmal mit Nachdruck sagen —, daß die Bundesregierung kein Programm zur Lösung der energiepolitischen Frage hat und daß sie nicht bereit ist, ein grundlegendes und umfassendes Konzept zu entwickeln. Wir bedauern diese Haltung. Ich will kein Prophet sein, ich sage Ihnen aber jetzt schon, daß diese Frage der Energiepolitik von der Tagesordnung nicht verschwinden wird, weil sich demnächst wieder neue Auswirkungen dieses Desinteresses, möchte ich fast sagen, zeigen werden. Die Öffentlichkeit und die unmittelbar Beteiligten werden ebenso wie wir von dem Ausgang dieser Debatte und von der Antwort der Bundesregierung nicht befriedigt sein.
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3296 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 71. Sitzung. Bonn, Freitag, den 29. März 1963
Ich schließe die Beratung über die Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage der SPD. Anträge sind nicht gestellt.
Wir haben dann zu entscheiden über die Überweisung des Entwurfs eines Gesetzes zur Förderung der Rationalisierung im Steinkohlenbergbau. Vorgeschlagen ist: Wirtschaftsausschuß federführend, Haushaltsausschuß, Finanzausschuß und Rechtsauschuß mitberatend. Kein Widerspruch? — Es ist so beschlossen.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung soll die heutige Tagesordnung um folgenden Punkt erweitert werden, den ich hiermit aufrufe:
Beratung des Mündlichen Berichts des Außenhandelsausschusses über den von der Bundesregierung vorgelegten Vorschlag der Kommission für eine Verordnung des Rates über eine von Artikel 7 und 8 der Verordnung Nr. 20 des Rates abweichende Regelung betreffend die Festsetzung der Einschleusungspreise und der Zusatzbeträge für einige Schweinefleischerzeugnisse (Drucksache IV/ 1163).
Ich nehme an, der Herr Bundeswirtschaftsminister hat seine helle Freude an einer solchen Verordnung, die ja wohl seiner marktwirtschaftlichen Überzeugung entspricht. — Er hat nicht zugehört.
Das Wort hat der Berichterstatter, Herr Abgeordneter Bading.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es handelt sich um eine ernste Angelegenheit, weniger wegen der Materie als im Hinblick auf die Glaubwürdigkeit unserer Arbeit in den Ausschüssen, die sich mit den Verordnungsentwürfen der Brüsseler Kommission befassen müssen.
Die Vorlage ist gestern nachmittag vom Herrn Präsidenten an den Ausschuß überwiesen worden, und zwar mit ,der Maßgabe, 'bereits heute dem Plenun gegenüber eine endgültige Stellungnahme abzugeben. Der Ausschuß hat sich heute morgen mit der
Angelegenheit befaßt. Er ist aber nicht in eine Sachberatung eingetreten, weil ,er sich nicht in der Lage sah, in so kurzer Zeit eine endgültige Stellungnahme zudem Verordnungsentwurfabzugeben, da es an der Zeit fehlt, die angesichts der Kompliziertheit der Materie für eine Überprüfung der wirtschaftlichen Auswirkung dieser Verordnung notwendig ist.
Wir halten es für falsch, 'den Eindruck zu erwekken, ,daß der Ausschuß auf exakter Prüfung beruhende Entscheidungen getroffen habe, während in Wirklichkeit weder eine ausreichende Unterrichtung über den Sachverhalt gegeben ist noch genügend Zeit .zur eigenen Information und zur Beratung zur Verfügung steht. Ich darf Sie daher bitten, von idem folgenden auf Drucksache IV/ 1163 stehenden Antrag des Ausschusses Kenntnis zu nehmen:
Der Bundestag wolle beschließen: Die Bundesregierung wird ersucht,
1. bei der kommenden Ratstagung ,am 1./2. April in Brüssel für ¡eine Aussetzung der Beschlußfassung über den Verordnungsentwurf Sorge zu tragen;
2. für künftige Fälle bim Rat und der Kommission der EWG darauf hinzuwirken, daß ausreichende Fristen zur parlamentarischen Behandlung von Verordnungsentwürfen gewährt werden.
Ich danke dem Herrn Berichterstatter.
Darf ich das Einverständnis .des Hauses mit diesem Antrag feststellen? — Es erhebt sich kein Widerspruch; er ist angenommen.
Damit sind wir am Ende der Sitzung. Ich berufe die nächste Sitzung auf Mittwoch, den 24. April, 9 Uhr.
Die Sitzung ist geschlossen.