Gesamtes Protokol
Meine Damen und Herren, die Sitzung ist eröffnet.
Ich habe zunächts folgende Mitteilung zu machen. In der gestrigen Sitzung ist der Abgeordnete Wittrock von dem amtierenden Präsidenten mit einer Ordnungsstrafe, nämlich mit dem Ausschluß von der Sitzung abgerügt worden. Der Abgeordnete Wittrock und der Herr Präsident haben Briefe gewechselt, die Sie heute in den Zeitungen lesen können. Herr Abgeordneter Wittrock hat wegen „des etwas schiefen Presseechos" geglaubt, Widerspruch einlegen zu sollen.
Damit habe ich ex officio nach § 43 der Geschäftsordnung die Behandlung des Einspruchs auf die Tagesordnung zu setzen. Ich lese Ihnen § 43 vor — glücklicherweise haben wir ihn noch nicht oft zu lesen brauchen —:
Das Mitglied kann bis zum nächsten Sitzungstag gegen den Ordnungsruf oder Ausschluß schriftlich begründeten Einspruch einlegen. Der Einspruch ist auf die Tagesordnung der betreffenden Sitzung zu setzen.
— Das habe ich getan. —
Der Bundestag entscheidet ohne Beratung. Der Einspruch hat keine aufschiebende Wirkung.
Es ist die Frage, ob wir jetzt darüber abstimmen sollen.
— Aber es muß heute entschieden werden.
Der Punkt steht auf der Tagesordnung. Die Behandlung erfolgt im Laufe des Tages.
Ich rufe Punkt 1 der Tagesordnung auf:
Fragestunde .
Ich gebe zunächst bekannt, daß mittels Schnellbriefs heute morgen die Mitteilung gemacht worden ist, daß die Frage des Abgeordneten Mommer — die Frage I — von Herrn Staatssekretär von Eckardt
heute nicht beantwortet werden kann, da er vom 15. bis 17. März nicht in Bonn ist. „Es wird Sorge getragen" — heißt es —, „daß die Frage von Herrn Dr. Mommer" — die Frage des Herrn Dr. Mommer ist wohl gemeint — „in der Fragestunde am 17. März 1961 beantwortet wird." — Einverstanden?
Frage II/1 — des Abgeordneten Schneider —:
Kann die Bundesregierung Auskunft darüber geben, wie es mit der Regelung der Schadensersatzansprüche derjenigen Reedereien steht, deren Schiffe durch französische Seestreitkräfte widerrechtlich aufgebracht wurden?
Ist der Fragesteller anwesend? — Die Frage wird übernommen. Gut.
Herr Staatssekretär des Auswärtigen Amts!
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Bundesregierung hat die ihr vorgelegten Schadensaufstellungen der Reedereien, deren Schiffe von französischen Seestreitkräften im Mittelmeer widerrechtlich aufgebracht wurden, an die französische Regierung weitergeleitet. Sie hat sich mit Nachdruck bemüht, eine zufriedenstellende Regelung zu erreichen, und sie wird diese Bemühungen bis zu einer endgültigen Lösung der Frage fortsetzen.
Es sind bisher in vier Fällen Schadensersatzansprüche angemeldet worden. In einem Fall, nämlich im Falle „Helga Böge" — Reederei M. K. Blumenthal —, hat die französische Regierung am 10. Oktober 1959 die als Schadensersatz geforderte Summe gezahlt.
Keine Zusatzfrage? — Die Frage ist beanwortet.
Ich rufe auf die Frage II/2 — des Abgeordneten Dr. Zimmer —:
Hat der Herr Bundesaußenminister anläßlich des Besuchs des luxemburgischen Außenministers Schaus am 9. März 1961 u. a. auch die Frage derjenigen luxemburgischen Staatsbürger, die während der Besetzung ihres Landes zwangsweise zur deutschen Wehrmacht eingezogen wurden, im Zusammenhang mit dem deutsch-luxemburgischen Ausgleichsvertrag besprochen?
Zur Beantwortung der Herr Staatssekretär!
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich kann die Frage mit Ja beantworten. Art. 2 des deutsch-luxemburgischen Vertrages vom
Metadaten/Kopzeile:
8578 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 151. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. März 1961
Staatssekretär Dr. van Scherpenberg11. Juli 1959 sieht vor, daß unter Anwendung des § 8 des Bundesversorgungsgesetzes solchen luxemburgischen Staatsangehörigen Versorgung gewährt wird, die zwangsweise militärischen oder militärähnlichen Dienst geleistet haben oder die sich zwangsweise in Deutschland oder in einem von der Deutschen Wehrmacht besetzten Gebiet aufhalten mußten und hierbei gesundheitliche Schädigungen erlitten haben.Durch die Bezugnahme auf die Bestimmung des § 8 des Bundesversorgungsgesetzes in Art. 2 des deutsch-luxemburgischen Vertrages sollte in keiner Weise zum Ausdruck gebracht werden, daß für die zwangsrekrutierten luxemburgischen Staatsangehörigen etwa die gleichen Voraussetzungen vorliegen wie für die deutschen Kriegsopfer. Es lag selbstverständlich keineswegs in der Absicht der Bundesregierung, sich mit dieser Regelung für die Rechtmäßigkeit der Einführung der Wehrpflicht und ähnlicher Zwangsmaßnahmen der Besatzungsbehörden auszusprechen, wie in verschiedenen Kreisen der luxemburgischen Öffentlichkeit behauptet wird. Ganz im Gegenteil ging die Bundesregierung, wie sie es für die in Art. 1 des Vertrages genannten Tatbestände getan hat, davon aus, daß auch die in Art. 2 bezeichneten Personen Opfer illegaler Maßnahmen des nationalsozialistischen Regimes geworden sind. Dies geht eindeutig auch aus dem Gebrauch des Wortes „zwangsweise" hervor, das in den angeführten Bestimmungen enthalten ist. Gerade aus diesem Grunde hat die Bundesregierung sich in den Grenzen der gegebenen Möglichkeitenzu der getroffenen Regelung bereitgefunden, um eben diese Kreise nicht von einer Entschädigung auszuschließen.Dies ist Herrn Außenminister Schaus kürzlich bei seiner Anwesenheit in Bonn nochmals ausdrücklich in einem ihm übergebenen Schreiben des Herrn Bundesministers des Auswärtigen vom 9. März 1961 bestätigt worden.
Eine Zusatzfrage?
Glauben Sie, Herr Staatssekretär, daß nunmehr Aussicht besteht, daß das Abkommen, welches zwischen den beiden Regierungen geschlossen ist, bald von der luxemburgischen Seite ratifiziert werden wird?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich möchte in diesem Augenblick den Entscheidungen des luxemburgischen Parlaments nicht vorgreifen. Aber ich kann sagen, daß Herr Außenminister Schaus die Erklärung mit Befriedigung entgegengenommen hat.
Die Frage list beantwortet.
Die Frage III soll durch den Herrn Bundesverteidigungsminister beantwortet werden. Er scheint noch nicht hier zu sein. Ich stelle sie zurück, bis er eingetroffen ist. Die ihn betreffenden Fragen stehen ja ziemlich am Ende unserer Liste.
Ich rufe die Frage IV/1 — des Abgeordneten Dr. Atzenroth — auf:
Hat die Bundesregierung ihre erklärte. Absicht restlos verwirklicht, Bauaufträge nur dann zu vergeben, wenn keine höheren Preise als im vergangenen Jahr gefordert werden?
Bitte, Herr Staatssekretär Westrick!
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Bundeskabinett hat im März 1960 im Zuge seiner Bestrebungen zur Sicherung einer stabilen Wirtschaftsentwicklung unter anderem beschlossen, daß bei öffentlichen Baumaßnahmen möglichst nur dann Aufträge vergeben werden sollen, wenn keine höheren Preise als im vergangenen Jahr gefordert werden. Die bauauftragvergebenden Dienststellen des Bundes sind im Sinne dieses Beschlusses angewiesen worden. Die Länderregierungen und die kommunalen Spitzenorganisationen wurden gebeten, entsprechend zu verfahren. Nach den Ergebnismeldungen der öffentlichen Auftraggeber konnten die Preise im Tiefbau durch weitere Mechanisierung der Arbeiten konstant gehalten, teilweise sogar gesenkt werden. Dagegen ergaben sich im Hochbau nach den Ermittlungen des Statistischen Bundesamtes Preiserhöhungen von 7 bis 8 %. In vielen Fällen wurden öffentliche Bauaufträge bzw. Ausschreibungen zurückgezogen, da überhöhte Preise verlangt wurden. Bei derartigen Verhandlungen wurden auch Herabsetzungen der ursprünglich verlangten Preise erzielt. In den Fällen, in denen ein Verzicht auf die Bauausführung oder ihre langfristige Zurückstellung nicht zu vertreten war, konnte der Beschluß der Bundesregierung leider nicht restlos durchgeführt werden.
Eine Zusatzfrage?
Herr Staatssekretär, erwarten Sie, daß sich aus den vereinbarten starken Lohnerhöhungen und aus den Arbeitszeitherabsetzungen, die zwischen den beiden Tarifpartnern in einem Tarifvertrag festgelegt worden sind, nunmehr im Laufe dieses Jahres eine weitere größere Erhöhung der Kosten auf dem Bausektor ergeben wird?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die Gefahr einer weiteren Erhöhung der Baupreise ist bei den Lohnerhöhungen nach unserer Meinung angesichts der gesamten Konjunkturlage und angesichts der großen Zahl der Bauaufträge unbedingt vorhanden. Es ist abzuwarten, und es müßte ein allseitiges Zusammenwirken erreicht werden, um diese Konjunktur so zu dämpfen, daß der Baupreisanstieg nicht eintritt.
Eine letzte Frage?
Beabsichtigt die Bundesregierung nunmehr auf Grund dieser möglichen Befürchtungen, wieder auf ihren ursprünglichen Beschluß zurückzukommen und ihn vielleicht im nächsten Jahr in verstärktem Maße durchzuführen?
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 151. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. März 1961 8579
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die Bundesregierung wird alles unternehmen, um die Baupreise nicht weiter ansteigen zu lassen.
Hatten Sie eine andere Antwort erwartet, Herr Abgeordneter Atzenroth? — Herr Abgeordneter Dahlgrün zu einer Zusatzfrage!
Können Sie, Herr Staatssekretär, etwas über den Erfolg der gestrigen Besprechungen mit der Bauindustrie sagen?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich bitte Sie, zu gestatten, daß ich diese Antwort heute nicht gebe, um die Verhandlungen und die Entwicklung nicht zu belasten.
Ich glaube, Herr Abgeordneter Dr. Dahlgrün, daß das keine Zusatzfrage im Sinne der Geschäftsordnung war.
Ich rufe die Frage IV/2 — des Herrn Abgeordneten Dr. Friedensburg — auf:
Treffen die Pressemeldungen zu, wonach die Bundesregierung es abgelehnt hat, sich an dein Zinnabkommen zu beteiligen, und welche Gründe bestimmen die Bundesregierung, die im Interesse einer wirksamen Enlwicklunghilfe geforderten Bemühungen um Preisstabilität für die von diesen Ländern zu liefernden Rohstoffe abzulehnen?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
In der von Herrn Abgeordneten Dr. Friedensburg zitierten Formulierung treffen die Pressemeldungen nicht zu. Die Bundesegierung hat über den Beitritt zum Zinnabkommen noch keinen Beschluß gefaßt. Zinn ist bekanntlich ein Metall, dessen Verwendung gegenüber der Vorkriegszeit kaum zugenommen hat. Ohne künstliche internationale Eingriffe wäre sein Preis gesunken. Nur die durch das Abkommen eingeführten Produktions-und Exportbeschränkungen haben den Zinnpreis überhaupt so hoch gehalten, jedoch mit der Wirkung einer geringeren Beschäftigung in den Erzeugungsgebieten und eines verstärkten Übergangs der Verbraucher zu anderen Stoffen. Eine entscheidende Hilfe hat ,das Zinnabkommen also den Erzeugerländern effektiv nicht gebracht. Die Sanierungserfordernisse des Zinnerzbergbaus Boliviens, das seine Deviseneinnahmen überwiegend aus Zinnexporten erzielt, zeigen, wie nachteilig sich die bisherige Zinnpreisstützung in der Praxis auswirkt. Die produzierenden Länder allerdings beurteilen das Rohstoffabkommen anders. Sie messen dem Abschluß eines Abkommens auch eine politische Bedeutung bei. Unsere fünf EWG-Partner, die dem Abkommen angehören, befürworten einen Beitritt aller EWG-Länder. Die Bundesregierung ist noch mit der Prüfung dieser Frage befaßt.
Zusatzfrage?
Wird die Bundesregierung bei ihrer endgültigen Entscheidung den Umstand berücksichtigen, daß von
allen Seiten, auch von der Wissenschaft, eine Stabilisierung der Rohstoffpreise geradezu als eine Lebensbedingung für einen Erfolg der Entwicklungshilfe angesehen wird? Dieser Umstand gilt natürlich auch für das Zinn, das außer in Bolivien ja in einer Reihe von anderen wichtigen Entwicklungsländern — Malaya, Indonesien, Nigeria usw. - gefördert wird.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, die Bundesregierung hat nicht nur Verständnis für die Argumente, die von den Entwicklungsländern und den Produktionsländern vorgebracht werden, sondern sie empfindet es als ihre selbstverständliche Pflicht, diesen Argumenten, die Sie soeben erwähnt haben und die von der Wissenschaft nachdrücklich vorgetragen werden, die gebührende Aufmerksamzu schenken. Auf der anderen Seite glauben wir auf Verständnis rechnen zu dürfen, wenn auch die wirtschaftspolitischen Überlegungen zum Tragen kommen, die dahin führen, daß mit einer künstlichen Hochhaltung des Preises wahrscheinlich die Wirkung verbunden ist, daß die Menge, die abgenommen wird, weiter absinkt und noch mehr absinkt, als sie sonst absinken würde. Infolgedessen wäre es zumindest möglich, daß diese beiden Elemente kompensatorische Wirkungen ausüben, und es wäre zu überlegen — wir werden da ganz gewiß die Erfahrungen und den Rat aller Kreise zuziehen —, in welchem Sinn man den Entwicklungsländern am besten helfen könnte.
Zweite Zusatzfrage!
Will sich die Bundesregierung dabei auch klar machen, daß es sich nicht um ein Hochhalten der Preise, sondern um eine Stabilisierung der Preise handelt und daß das internationale Zinnabkommen mit allen Schwächen, die ihm doch anhaften mögen, geradezu ein Schulbeispiel für eine gute internationale Regelung wichtiger weltwirtschaftlicher Probleme darstellt, so daß schon aus diesem Grunde eine Beteiligung unseres doch wirtschaftlich nun groß gewordenen Landes an einer so wichtigen Regelung auch aus prinzipiellen Erwägungen notwendig erscheint?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Wir erkennen durchaus die Bedeutung dieser Argumente an, aber ich hoffe, daß Sie auch die wirtschaftlichen Überlegungen und ihr Gewicht anerkennen werden, die dahin gehen, daß natürlich der Preis bei der Verwendung eine entscheidende Rolle mit spielt.
Die Frage ist beantwortet. Es folgt Frage IV/3 — des Abgeordneten Schneider —:
Teilt die Bundesregierung die Auffassung, daß die deutsche Seeschiffahrt und die Werftindustrie als Folge der Aufwertung der D-Mark in entscheidender Weise in ihrer Konkurrenzfähigkeit gegenüber dein Ausland geschwächt werden, und ist sie bejahendenfalls deshalb bereit, für diese beiden Wirtschaftszweige unterstützende Maßnahmen einzuleiten?
Die Frage wird übernommen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich bitte den Herrn Bundestagspräsidenten, mir zu gestatten, daß ich die Fragen 3, 6 und 7, die innerlich einen engen Zusammenhang haben, zusammen beantworte.
Herr Abgeordneter Dr. Imle, sind Sie mit der gemeinsamen Beantwortung einverstanden? — Sie stimmen zu. Dann rufe ich noch die Fragen IV/6 und IV/7 auf:
Welch Maßnahmen will die Bundesregieirung ergreifen um
der im Hinblick auf die angespannte Wettbewerbslage auf dem Weltmarkt durch die D-Mark-Aufwertung drohenden weiteren Minderung des Auftragsbestands der deutschen Werftindustrie entgegenzuwirken?
Welche Maßnahmen will die Bundesregierung ergreifen, um der durch die Aufwertung zu erwartenden Verschlechterung der Lage der deutschen Reedereien gegenüber der ausländischen Konkurrenz entgegenzuwirken?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich danke für die Genehmigung. — Im allgemeinen würde es dem Sinn der Aufwertung widersprechen, wenn ihre Auswirkungen durch besondere Unterstützungen und Hilfeleistungen neutralisiert würden. Die Bundesregierung war sich bewußt, daß die Aufwertung der D-Mark in den verschiedenen Wirtschaftszweigen unterschiedliche Auswirkungen haben wird. Sie beschäftigt sich seit Jahr und Tag mit der Lage der deutschen Werften. Ihr ist auch die Situation in diesem Wirtschaftszweig genau bekannt. Das gleiche gilt für die deutsche Seeschiffahrt. Selbstverständlich wird das von den Verbänden angekündigte Material über die Veränderung der WettbewerbsLage dieser Wirtschaftszweige von der Bundesregierung zusammen mit den Küstenländern sorgfältig unter Berücksichtigung eventueller Veränderungen der Kostensituation geprüft werden.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Atzenroth!
Herr Staatssekretär, sind Sie nicht auch der Meinung, daß es eine Reihe von anderen Wirtschaftszweigen geben wird, die mit den gleichen Forderungen und den gleichen Wünschen kommen und mit der gleichen Begründung und mit der gleichen Berechtigung ihre Forderungen erheben werden?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Gerade weil wir dieser Meinung sind, Herr Bundestagsabgeordneter, habe ich mir erlaubt, zu Beginn meiner Antwort auszuführen, im allgemeinen würde es dem Sinn der Aufwertung zuwiderlaufen, wenn ihre Auswirkungen durch besondere Unterstützungen und Hilfestellungen neutralisiert würden. Das ist eine unserer wichtigen und wesentlichen Überlegungen für das Ergebnis dieser vor uns liegenden Prüfungen.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Müller-Hermann!
Sehr verehrter Herr Staatssekretär, darf ich aus der Erklärung des
Herrn Bundesverkehrsministers bei der gestrigen Haushaltsdebatte, daß die Aufwertungsverluste der deutschen Seeschiffahrt bei ihrer jetzigen Ertragslage nicht aufgefangen werden könnten, da die Seefrachten kaum noch kostendeckend seien, herauslesen, daß die Bundesregierung den Wünschen, die von diesen Kreisen an die Bundesregierung herangebracht werden, positiv und wohlwollend gegenübersteht?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, ich bitte mir nicht abzuverlangen, daß ich Ihnen eine Interpretation für Worte gebe, die der Herr Bundesverkehrsminister vor diesem Hohen Hause gefunden hat. Ich persönlich bin für das Bundeswirtschaftsministerium nur imstande, Ihnen zu sagen, daß wir dieses Material mit aller Sorgfalt prüfen werden.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Dr. h. c. Friedensburg.
Herr Staatssekretär, hält es die Bundesregierung bei aller Würdigung der von Ihnen angeführten Gesichtspunkte nicht für ihre Pflicht, denjenigen Wirtschaftszweigen, die durch eine Maßnahme der Bundesregierung getroffen werden, nun auch zu helfen, die dadurch entstandenen Folgen zu überwinden?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Professor Friedensburg, die Pflicht der Bundesregierung richtet sich in erster Linie auf die Wahrung des Allgemeinwohls.
Es ist wohl unerläßlich, daß sich einzelne Zweige dem Allgemeinwohl unterordnen müssen. Das allein ist der Sinn der Aufwertung der D-Mark.
Zweite Zusatzfrage!
Herr Staatssekretär, das Allgemeinwohl setzt sich nun einmal aus dem Wohl einer Summe von einzelnen zusammen. Bisher und soweit ich, der ich sehr lange in der Staatsverwaltung gestanden habe, es kenne, pflegt eine Staatsregierung auch die einzelnen Bestandteile des Gesamtwohls in Rücksicht zu ziehen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Es ist die schwerwiegende und nicht leicht zu lösende Aufgabe und die große Verantwortung der Bundesregierung, Herr Abgeordneter, ein wohlabgewogenes Maß in der Beurteilung der einzelnen Elemente des Allgemeinwohls zu finden. Ich bitte nicht zu vergessen, daß die ungeheure Zahl der Sparer im Vordergrund der Überlegungen gestanden hat, als man zur D-Mark-Aufwertung schritt.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 151. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. März 1961 8581
Meine Damen und Herren, darf ich den Vorschlag machen, sehr schwierige Fragen der Staatsphilosophie nicht in der Fragestunde zu behandeln?
Über die Problematik des Gemeinwohls haben seit 3000 Jahren große Denker Bibliotheken vollgeschrieben.
Keine Zusatzfrage.
Dann rufe ich auf Frage IV/4:
Hat das Bundesamt fur gewerbliche wirtschaft schon die Untersuchungen über die Konzentration in der Wirtschaft aufgenommen, mit denen es durch das vom Deutschen Bundestag am 9. November 1960 verabschiedete Gesetz über eine Untersuchung der Konzentration in der Wirtschaft beauftragt wurde?
Die Frage des Herrn Abgeordneten Dr. Imle wird von dem Herrn Abgeordneten Dr. Atzenroth übernommen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das von dem Bundestag am 9. November 1960 verabschiedete Gesetz tritt erst am 1. Mai 1961 in Kraft. Daher ist das Bundesamt für gewerbliche Wirtschaft erst vom 1. Mai dieses Jahres an befugt, die Untersuchungen über die Konzentration in der Wirtschaft aufzunehmen.
Selbstverständlich aber leitet die Bundesverwaltung trotzdem gegenwärtig schon alle zulässigen organisatorischen und personellen vorbereitenden Maßnahmen ein, die geeignet sind, das Bundesamt für gewerbliche Wirtschaft in die Lage zu versetzen, unverzüglich nach dem 1. Mai mit der Durchführung der Untersuchungen über die Konzentration in der Wirtschaft zu beginnen.
Seien Sie bitte überzeugt, Herr Abgeordneter, daß hier nichts unterlassen wird, was getan werden kann. Wir haben das grüßte Interesse daran, die Arbeiten am 1. Mai so intensiv, expeditiv und so umfassend wie möglich anlaufen zu lassen.
Eine Zusatzfrage!
Ist der im Gesetz vorgesehene Ausschuß schon gebildet, oder sind Maßnahmen getroffen worden, die zu einer so rechtzeitigen Bildung führen, daß er auch wirklich schon am 1. Mai in Tätigkeit treten kann?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die Vorbereitungen für die Bildung des Ausschusses sind im Gange. Ich möchte sagen, sie sind weit vorgeschritten, so daß ich hoffe annehmen zu können, daß der Ausschuß ab 1. Mai wird arbeiten können.
Die Frage ist beantwortet.
Ich rufe auf die Frage IV/5 — des Abgeordneten Jahn —:
Auf welcher Rechtsgrundlage beruht der Beschluß der Bundesregierung über die Aufwertung der D-Mark?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Im Anschluß an den vom Deutschen Bundestag gebilligten Beitritt der Bundesrepublik Deutschland zu dem Abkommen über den Internationalen Währungsfonds hat die Bundesregierung im Jahre 1952 mit Zustimmung des Internationalen Währungsfonds den Wechselkurs auf 4,20 DM für einen US-Dollar festgesetzt. Diese von ihr festgesetzte Parität hat sie nunmehr im Rahmen ihrer allgemeinen Wirtschaftspolitik und ihrer Verantwortung gegenüber der Allgemeinheit unter Beachtung der Vorschriften jenes Abkommens über den Internationalen Währungsfonds geändert.
Die rechtliche Befugnis hierzu hat auch der Ausschuß für Geld und Kredit dieses Hohen Hauses bei der Beratung des Gesetzes über die Deutsche Bundesbank im Jahre 1957 anerkannt und in seinem Schriftlichen Bericht bestätigt. In diesem Bericht heißt es wörtlich:
Die Festsetzung des Wechselkurses ist durch das Ratifikationsgesetz zu dem Abkommen über den Internationalen Währungsfonds geregelt. Die Kompetenz hierzu liegt bei der Bundesregierung.
Eine Zusatzfrage!
Herr Staatssekretär, sind Sie nicht der Meinung, daß die Rechtsgrundlage im Gesetz über die Deutsche Bundesbank ausdrücklich enthalten sein sollte? Halten Sie den gegenwärtigen Zustand für ausreichend?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Bundestagsabgeordneter, ich bin in der Tat nicht dieser Meinung. Ich halte den Zustand für ausreichend. Ich gebe Ihnen aber zu, daß es eine außerordentlich komplexe juristische Frage ist.
Eine zweite und letzte Zusatzfrage!
Beabsichtigt die Bundesregierung, dem Hohen Hause eine Vorlage für eine entsprechende innerdeutsche Rechtsgrundlage, etwa durch Ergänzung des Bundesbankgesetzes, zu machen?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Zur Zeit besteht diese Absicht angesichts der Tatsache, daß die Bundesregierung die vorhandene Rechtslage für ausreichend und gesichert hält, meines Wissens nicht.
Ich rufe auf die Frage IV/8 — des Abgeordneten Bühler —:Ist die Bundesregierung bereit, Grenzgänger, welche in der Schweiz arbeiten, durch geeignete Maßnahmen zu entschädigen für Kursverluste, die ihnen durch die Aufwertung der D-Mark entstehen, zumal diese Arbeitnehmer schon immer auch den Arbeitgeberanteil an der Arbeitslosenversicherung selbst tragen mußten?
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8582 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 151. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. März 1961
Vizepräsident Dr. SchmidDer Fragesteller hat sich mit schriftlicher Beantwortung einverstanden erklärt. Die Antwort des Herrn Bundesministers Dr. Dr. h. c. Erhard vom 15. 3. 1961 lautet:Es trifft zu, daß die deutschen Grenzgänger, die in der Schweiz arbeiten, durch die Aufwertung eine Einkommensminderung erleiden, soweit sic ihre Einkommen in DM umtauschen.Diese Arbeitnehmer haben im allgemeinen in freier Entscheidung, oft wegen der höheren schweizer Löhne, ihren Arbeitsplatz in der Schweiz gewählt. Die Besserstellung im Arbeitsverdienst gegenüber den im Inland beschäftigten Arbeitnehmern wurde dadurch, daß sie den Arbeitgeberanteil zur Arbeitslosenversicherung selbst tragen mußten, nicht wesentlich beeinträchtigt. Diese Beitragspflicht ist darauf zurückzuführen, daß sieder Srhweiz nicht gegen Arbeitslosigkeit versichert sind. im Falle der Arbeitslosigkeit aber den Unterstützungseinrichtungen im Inland zur Last fallen würden.Die Grenzgänger waren im allgemeinen begünstigt, weil sie das höhere schweizer Nominallohnniveau mit dem niedrigeren deutschen Verbraucherpreisniveau verbinden konnten. Um so mehr ist ihnen das Währungsrisiko zuzumuten, das jeder zu tragen hat, der im Ausland eine Beschäftigung aufnimmt. Bei der heute gegebenen Freizügigkeit und Beschäftigungslage im Inland ist es ihnen in der Regel leicht möglich, einen Arbeitsplatz in der Bundesrepublik zu finden, falls sie die Einkommensminderung durch die Aufwertung nicht hinnehmen wollen. Im übrigen ist darauf hinzuweisen, daß ohne Aufwertung der DM eine entsprechende Erhöhung des Verbraucherpreisniveaus im Inland wahrscheinlich gewesen wäre, die ebenfalls zu einer Minderung des Realeinkommens der Grenzgänger geführt hätte.Die Bundesregierung sieht daher keine Veranlassung, eine Entschädigung für den eintretenden Einkommensverlust vorzusehen.Ich rufe auf die Frage IV/9 — des Abgeordneten Wilhelm —:Was gedenkt die Bundesregierung zugunsten der Grenzgänger und Empfänger von Pensionen und Renten aus dem Währungsausland zu tun, die infolge der Aufwertung der D-Mark eine Minderung ihrer Bezüge erlitten haben?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Es trifft zu, daß Arbeitseinkommen deutscher 'Grenzgänger, soweit sie in D-Mark umgetauscht werden, durch die Aufwertung eine Kaufkraftminderung erlitten haben. Das gleiche gilt für Pensionen und Renten aus dem Währungsausland. Bei der heute gegebenen Freizügigkeit und der Arbeitsmarktlage ist es den Grenzgängern im allgemeinen möglich, an Stelle einer Beschäftigung im Ausland eine solche im Inland aufzunehmen, wenn sie den ihnen aus der Aufwertung entstehenden Nachteil nicht hinnehmen wollen.
Die Bezieher von Auslandsrenten und -pensionen haben sich in der Regel freiwillig für einen Aufenthalt im Inland entschieden, wobei in vielen Fällen die niedrigeren deutschen Lebenshaltungskosten eine Rolle gespielt haben dürften.
Die Bundesregierung ist daher der Auffassung, daß ein solches Währungsrisiko, das bei dem Ausmaß der Aufwertung in engen Grenzen bleibt, zu dem persönlich zu tragenden Wagnis eines jeden gehört, der im Ausland tätig wird oder als Bezieher von ausländischem Einkommen seinen Wohnsitz im Inland hat.
Im übrigen ist darauf hinzuweisen, daß ohne die Aufwertung der D-Mark eine Erhöhung des Verbraucherpreisniveaus im Inland wahrscheinlich gewesen wäre, die ebenfalls zu einer Minderung der Realeinkommen der Grenzgänger und der Empfänger von Pensionen und Renten geführt hätte. Ich glaube daher nicht, daß es vertretbar wäre, den genannten Beziehern von Einkommen aus dem Ausland einen Ausgleich für die erlittenen Einkommensminderungen in Aussicht zu stellen.
Eine Zusatzfrage? — Die Frage ist beantwortet.
Ich rufe auf die Fragen zum Geschäftsbereich des Bundesministers für Verteidigung, zunächst die Frage III — des Herrn Abgeordneten Diel —:
Was gedenkt die Bundesregierung zum Schutz der Ehre dedeutschen Soldaten gegen die am 13. Januar 1961 im „Vorwärts" erschienene Behauptung zu tun, in den ersten Tagen des Juli 1941 seien nach dem deutschen Einmarsch in Lemberg 34 000 Personen ermordet worden.
Herr Minister, bitte!
Die Bundesregierung kennt den genannten Artikel im „Vorwärts" vom 13. Januar 1961. Der Bundesregierung ist nicht bekannt, aus welchen Quellen der „Vorwärts" die Zahl von 34 000 Menschen, die in den ersten Julitagen im Jahre 1941 — ohne Angabe, von wem — ermordet worden sein sollen, genommen hat. Soweit diese Behauptung so zu verstehen wäre, daß die deutsche Wehrmacht mit diesen Vorgängen zusammenhänge, kann sie nur als bedauerlich zurückgewiesen werden, weil sie in ihrem Wahrheitsgehalt nicht nachprüfbar ist und geeignet ist, einer bestimmten Propaganda Auftrieb zu geben, die ganz bestimmte, nur zu bekannte Tendenzen verfolgt. Es gibt aber für die Vorgänge in Lemberg eine umfangreiche Literatur, aus der die auf beiden Seiten geschehenen Dinge entnommen werden können.
Eine Zusatzfrage?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Darf ich fragen, Herr Minister, ob nach den vorliegenden Ermittlungen festgestellt worden ist, daß diese Mordtaten in Lemberg bereits mehrere Tage früher erfolgt waren, bevor die deutschen Truppen einmarschierten?
Es gibt über diese Vorgänge, Herr Abgeordneter, keine Ermittlungen des Verteidigungsministeriums, weil uns dafür nicht die Möglichkeiten zur Verfügung stehen.
Wenn Sie mit einer persönlichen Auskunft des Verteidigungsministers vorliebnehmen wollen, dann kann er aus eigener Beobachtung bestätigen, daß einmal vor dem Einmarsch der deutschen Wehrmacht Massenermordungen in beträchtlichem Umfange sich zugetragen haben, deren Opfer ich mit eigenen Augen gesehen habe, daß aber auch nach dem Einmarsch der deutschen Wehrmacht, aber nicht von der Wehrmacht, bestimmte sehr bedauerliche Exzesse vorgekommen sind.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Kann man danach annehmen, Herr Minister, daß es sich in dem Fall Lemberg um einen Parallelfall zu dem Drama von Katyn handelt?
Ich bin nicht ein Ersatz für das Institut für Zeitgeschichte, Herr Abgeordneter, das die Dinge genauer kennt. Ich kann nur nochmals wiederholen, was ich mit eigenen Augen gesehen habe, auch gesehen hätte, wenn ich heute nicht Verteidigungsminister wäre, nämlich die Tatsache, daß die abziehenden Sowjets ich vermag nicht zu sagen, ob Rote Ar-
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Deutscher Bundestag -- 3. Wahlperiode — 151. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. März 1961 8583
Bundesverteidigungsminister Straußmee oder ob NKWD — bestimmte Teile der Bevölkerung von Lemberg vor ihrem Abzug ermordet haben. Das hängt angeblich damit zusammen, daß kurz vor dem Einmarsch der deutschen Wehrmacht, der durch bestimmte militärische Aktionen verzögert worden ist, ein Aufstand in Lemberg begonnen hat. Als Folge dieses Aufstandes ist eine beträchtliche Zahl von Menschen ums Leben gekommen.Nach dem Einmarsch der deutschen Wehrmacht haben sich ebenfalls bedauerliche Dinge zugetragen. Ich habe aber weder einen Grund, der aus der Literatur zu entnehmen ist, noch aus eigener Beobachtung einen Grund zur Annahme, daß das durch die deutsche Wehrmacht geschehen ist. Es gab ja hinter der Fronttruppe Organe, die leider bestimmte Dinge gemacht haben, die in keiner Weise zu rechtfertigen sind.
Die Frage ist beantwortet.
Sie haben Ihr Fragerecht voll ausgeübt, Herr Abgeordneter Diel.
Herr Abgeordneter Wittrock zu einer Zusatzfrage!
Herr Bundesminister, würden Sie im Zusammenhang mit Ihren Hinweisen auf die vorhandene Literatur mit berücksichtigen, daß es einen sehr ausführlichen Vermerk des Oberstaatsanwalts in Bonn gibt, welcher dem Rechtsausschuß des Bundestages im Zusammenhang mit einem Bericht über die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses zugänglich gemacht worden ist und der ins einzelne gehende Angaben über den damaligen grausamen Geschehensablauf enthält?
Ich bin bestimmt dankbar für jeden Hinweis, der geeignet ist, meine sicherlich unzulängliche Literaturkenntnis zu erweitern. Aber da diese Vorgänge nicht zu meinem Amtsbereich gehören, ist mir diese Notiz oder dieses Memorandum des Bonner Oberstaatsanwalts nicht zugänglich oder bisher nicht übermittelt worden.
Zweite Zusatzfrage.
Herr Bundesverteidigungsminister, würden Sie es als angemessen ansehen, in aller Form dem Bundestagsabgeordneten Diel die Bundestagsdrucksache mit dem damaligen Bericht des Rechtsausschusses in Sachen Bundesminister a. D. Oberländer — ich meine: Einsetzung eines Untersuchungsausschusses — zugänglich zu machen, damit er sich wenigstens auf diese Weise unterrichten kann?
Wenn es sich um eine offizielle Bundestagsdrucksache handelt, ist es nicht die Aufgabe eines Ministeriums, sie einem Abgeordneten noch eigens zugänglich zu machen.
Ich glaube, daß man der Antwort des Herrn Bundesministers nur zustimmen kann. — Herr Abgeordneter Jahn! Ich wiederhole und ergänze meine eben geäußerte Meinung: wir haben in der Fragestunde weder philosophische noch historische Forschungen anzustellen.
Ich beabsichtige auch keine philosophischen Forschungen anzustellen.
Aber vielleicht historische?
Ich möchte den Herrn Bundesminister für Verteidigung fragen, ob ihm aus den damaligen Erörterungen hier im Hause und den im Zusammenhang damit getroffenen Feststellungen des Hauses nicht bekannt ist, daß nach dem Einmarsch deutscher Truppen in Lemberg von Menschen ukrainischer Volkszugehörigkeit in deutscher Uniform in Lemberg beispiellose Grausamkeiten und vielfältiger Mord geschehen sind?
Ich vermag nur zu wiederholen, Herr Abgeordneter, daß die Behandlung dieser Vorgänge nicht in den Dienstbereich des Bundesministeriums für Verteidigung gehört. Ich habe mich allerdings veranlaßt gesehen, a auf Grund der Frage des Abgeordneten Diel und auf Grund der unbestimmten Formulierung des Artikels im „Neuen Vorwärts" das anzugeben, was ich mit eigenen Augen gesehen habe. Und hier kann man die Dinge nur im Zusammenhang sehen. Wer die beträchtliche Zahl — es geht in die vielen Tausende — von Leichen gesehen hat, von scheußlich ermordeten und verstümmelten Menschen, die wir beim Einmarsch vorgefunden haben, der nur kann den Zusammenhang der Ereignisse verstehen, in deren Ablauf dann scheußliche, durch nichts zu entschuldigende Exzesse, allerdings nach meiner Überzeugung und nach meinen eigenen Beobachtungen nicht durch Soldaten der deutschen Wehrmacht, geschehen sind.
Die Frage ist beantwortet. Meine Damen und Herren, ich möchte wieder eine Bemerkung machen. Wir dürfen die Fragestunde nicht überziehen
mit Fragen, die man, so wie sie gestellt werden, nur
in einem Seminar beantworten könnte, dem viele
Schriftstücke und Dokumente zur Verfügung stehen.
Das liegt doch auch oft an der Art der gestellten Fragen, Herr Präsident!
Gewiß, gewiß, Herr Abgeordneter Wittrock. Aber ich glaube nicht, daß die Fragestunde der Ort ist, die persönlichen
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8584 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 151. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. März 1961
Vizepräsident Dr. SchmidMeinungen einzelner Mitglieder der Regierung zu erfragen, sondern Stellungnahmen der Bundesregierung. Ich halte mich um der Ergiebigkeit der Fragestunde willen für verpflichtet, diese Feststellung zu treffen.Frage V/1 — des Herrn Abgeordneten Kliesing —:In der Annahme, daß der Bundesregierung bekannt ist, daß in einzelnen römischen Tageszeitungen von „allerdings noch zu überprüfenden Gerüchten" gesprochen wird, wonach die Bundeswehr über 300 Südtiroler als Freiwillige aufgenommen habe, von denen zu befürchten sei, daß sie nach ihrer Ausbildung in der Bundeswehr und Rückkehr nach Südtirol einen Kleinkrieg führen würden, frage ich die Bundesregierung, was sie zu Lao gedenkt, um diesen offensichtlich haltlosen Gerüchten entgegenzutreten?
Nach § 37 Abs. 1 des Soldatengesetzes darf in das Dienstverhältnis eines Berufssoldaten oder eines Soldaten auf Zeit nur berufen werden, wer Deutscher im Sinne des Art. 116 des Grundgesetzes ist. §37 Abs. 2 des Soldatengesetzes gibt dem Bundesminister für Verteidigung die Möglichkeit, bei Vorliegen eines dienstlichen Bedürfnisses in Einzelfällen Ausnahmen zuzulassen. Derartige Ausnahmegenehmigungen sind bisher für einen Südtiroler italienischer Staatsangehörigkeit weder beantragt noch erteilt worden. Auch sind keine Südtiroler in die Bundeswehr eingestellt worden, die vorher die deutsche Staatsangehörigkeit zu diesem Zweck erworben haben. Dies ergibt sich daraus, daß in allen Fällen, in denen Ausländer die deutsche Staatsangehörigkeit beantragen mit der Begründung, sie wollten freiwillig in die Bundeswehr eintreten, die zuständigen Einbürgerungsbehörden vorher Rückfrage beim Bundesministerium für Verteidigung halten. Bisher ist aber eine solche Rückfrage wegen eines Südtiroler Antragstellers noch nicht in einem einzigen Fall erfolgt.
Die in dem Artikel in der italienischen Zeitung „il tempo" vom 8. Ferbaur 1961 aufgestellten Behauptungen entbehren jeder Grundlage. Die möglichen Schlußfolgerungen, die aus diesem falschen Artikel gezogen werden konnten, werden von der Bundesregierung außerordentlich bedauert, weil sie geeignet wären, das deutsch-italienische Verhältnis zu belasten, wofür in diesem Zusammenhang auch nicht der geringste Anlaß vorhanden, ist. Die Bundesregierung hält diese Klarstellung für ausreichend und ist nicht der Auffassung, daß in dieser Angelegenheit jetzt noch weitere Schritte unternommen werden sollten.
Frage V/2 — des Herrn Abgeordneten Wittrock —:
Wann endlich wird die Bundesregierung die nach § 5 Abs. 5 des Arbeitsplatzschutzgesetzes vom 30. März 1957 vorgesehene Rechtsverordnung, welche die Erstattung von Beiträgen zur zusätzlichen Alters- und Hinterbliebenenversorgung der zum Wehrdienst einberufenen Arbeitnehmer regeln soll, erlassen, die der Bundesverteidigungsminister nach seiner Mitteilung in der Fragestunde vom 11. November 1959 schon in etwa drei Monaten dem Kabinett vorzulegen hoffte?
Die Bundesregierung hat, wie ich schon in der Fragestunde des Deutschen Bundestages am 7. Dezember 1960 auf die Fragen der Abgeordneten Mischnick und Rimmelspacher ausgeführt habe, die Verordnung zur Durchführung des § 5 des Arbeitsplatzschutzgesetzes Anfang Dezember 1960 beschlossen. Die Verordnung bedarf gemäß Art. 80 Abs. 2 des Grundgesetzes der Zustimmung des Bundesrates. Der Bundesrat hat der Verordnung am 10. Februar 1961 mit der Maßgabe zugestimmt, daß drei Änderungen vorgenommen werden. Ich bin nach eingehender Prüfung der Auffassung, daß die Änderungswünsche des Bundesrates von der Bundesregierung berücksichtigt werden sollten. Ein entsprechender Beschluß der Bundesregierung ist von mir beantragt und wird in diesen Tagen herbeigeführt.
Zusatzfrage?
Herr Bundesminister, sind Sie im Hinblick darauf, daß schon einmal eine sehr erhebliche Verzögerung eingetreten ist, bereit, auch Vorschußleistungen zu veranlassen, damit diejenigen, die zunächst einmal Leistungsträger sind — ich entnehme beispielsweise einem Schreiben der Stadtwerke in Wiesbaden, daß sie 5000 DM gezahlt haben —, im Wege einer Vorschußgewährung einen Ausgleich erhalten?
Wenn die gesetzlichen Bestimmungen es erlauben, habe ich nichts gegen Vorschußzahlungen einzuwenden. Ich bitte aber, mir die Bemerkung nicht übelzunehmen, daß bei den Stadtwerken in Wiesbaden die Frage des Zahlungstermins für einen Betrag von 5000 DM mit der Liquidität oder der Belastungsfähigkeit des Unternehmens wohl nicht in einem besonderen Zusammenhang steht.
Die Frage ist beantwortet. Frage VI/1 — des Herrn Abgeordneten Seuffert — aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Verkehr:
Hält es die Bundesregierung mit den Grundsätzen, die für die Führung von Bahnhofsbuchhandlungen als Nebenbetrieben der Deutschen Bundesbahn gelten müssen, für vereinbar, wenn der Vertrieb von Verlagserzeugnissen in Bahnhofsbuchhandlungen davon abhängig gemacht wird, daß der Grosso-Vertrieb dieser Schriften ausschließlich einer dem Bahnhofsbuchhändler gehörenden Buch- oder Zeitschriftengroßhandlung übertragen wird?
Abhängigkeiten der von Ihnen geschilderten Art, Herr Kollege, finden sich weder im Bundesbahngesetz noch in den Verwaltungsvorschriften der Bundesregierung oder in den Verwaltungsvorschriften der Deutschen Bundesbahn. Die Bahnhofsbuchhändler sind im Rahmen ihrer Pachtverträge mit der Deutschen Bundesbahn selbständige und freie Unternehmer. Welche geschäftlichen Bindungen für den Bezug ihrer Erzeugnisse einzelne oder mehrere Bahnhofsbuchhändler unter sich oder mit anderen Buchhändlern oder Verlegern eingegangen sind, ist nicht bekannt. Die Deutsche Bundesbahn als Verpächterin würde allerdings gegen solche freiwillig eingegangenen Bindungen nur einschreiten können, wenn diese Bindungen gegen gesetzliche Bestimmungen — z. B. das Kartellgesetz — verstoßen oder wenn infolge solcher Bindungen die Versorgung der Reisenden mit Zeitungen, Zeitschriften oder sonstigen Druckerzeugnissen nicht mehr gewährleistet ist.
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Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 151. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. März 1961 8585
Zusatzfrage!
Halten Sie es vom Standpunkt der Deutschen Bundesbahn aus für erträglich, daß die Versorgung des Bundesbahnpublikums mit Büchern und Zeitschriften davon abhängig gemacht wird, welche Bücher und Zeitschriften einer bestimmten, dem Bahnhofsbuchhändler selbst gehörigen Zeitschriftengroßhandlung im übrigen Gebiet zum Grossovertrieb gegeben werden?
Herr Kollege, das ist eine Angelegenheit, die im Rahmen der selbständigen und freien Betätigung der Bahnhofsbuchhändler liegt. Wenn durch derartige Bindungen eine nicht genügende Versorgung der Reisenden mit Zeitungen, Zeitschriften und sonstigen Druckerzeugnissen eintreten sollte, werden sich die Reisenden schon beschweren, und dann wird man in Verhandlungen eintreten. Aber es können von einem freien Unternehmer, dem eine Pacht übertragen ist, nicht Bindungen in der Hinsicht eingegangen werden, woher er sich beliefern läßt. Ich kann auch dem Obsthändler auf dem Bahnhof nicht vorschreiben, woher er sein Obst bezieht.
Eine zweite Zusatzfrage.
Herr Minister, halten Sie es -
ich möchte mich noch einmal verständlich machen —für tragbar, daß die Auswahl der Zeitschriften und Bücher, die in einer Bahnhofsbuchhandlung angeboten werden, davon abhängig gemacht wird — was meines Erachtens ein ganz unsachlicher Gesichtspunkt wäre —, daß der Vertrieb dieser Zeitschriften außerhalb der Bahnhofsbuchhandlung einer bestimmten Großhandlung gegeben wird, ganz abgesehen von den Fragen des Kartellrechts und des unlauteren Wettbewerbs, die das aufwirft?
Wenn es Probleme des Kartellrechts und des unlauteren Wettbewerbs aufwirft, dürfte wahrscheinlich schon die Konkurrenz dafür sorgen, daß sich die zuständigen Bundesbahndienststellen damit beschäftigen. Im übrigen bin ich der Meinung, daß man in der freien Wirtschaft derartige Vorschriften nur dann erlassen und auch durchsetzen kann, wenn gesetzliche Bestimmungen berührt werden und wenn dadurch eine entsprechende Beeinflussung des eigentlichen Zwecks, nämlich der Versorgung der Fahrgäste der Bundesbahn mit entsprechenden Druckerzeugnissen, eintritt. Ich kann mir nicht denken, daß eine Bahnhofsbuchhandlung etwa deswegen Erzeugnisse nicht bringt, weil ein Grossist sie ihr nicht liefert; denn sie kriegt sie ja überall.
Ich würde empfehlen, diese Sache bei der Bundesbahn, die solche Angelegenheiten in eigener Zuständigkeit zu betreiben hat, vorzubringen. Das sind Dinge, die sich der Zuständigkeit des Bundesverkehrsministers entziehen.
Die Frage ist beantwortet.
Frage VI/2 — des Abgeordneten Dr. Bechert —:
Gedenkt die Bundesregierung bei der Straßenführung der Autobahn von Kassel nach Hamm die Interessen des Landkreises Hofgeismar zu berücksichtigen in der Weise, daß die Straße nordöstlich von Breuna herumgeführt und eine Auffahrt im Gebiet von Breuna von Nordosten her geschaffen wird?
Die Bundesregierung wird bei der Linienführung der Bundesautobahn Hamm—Kassel die Interessen des Landkreises Hofgeismar berücksichtigen. Allerdings kann die Trasse nicht, wie ursprünglich beabsichtigt, nordöstlich von Breuna verlaufen, sondern muß infolge der dort sehr ungünstigen geologischen Verhältnisse — es liegen dort kavernöse Schichten vor - in etwa 1 km Abstand südwestlich an Breuna vorbeigeführt werden.
Für die Erschließung des Hofgeismarer Raumes ist diese geringfügige Verschiebung der Linie jedoch nicht ausschlaggebend. Die Landstraße II. Ordnung Nr. 2 wird zwischen Niederelsungen und Breuna einen Anschluß an die Autobahn erhalten und als Zubringer ausgebaut werden. Damit ist eine gute Verbindung des Landkreises Hofgeismar zur Autobahn gewährleistet.
Zusatzfrage?
Herr Minister, darf ich Ihrer Antwort entnehmen, daß auch der von der Bundesstraße 83 Hameln—Kassel kommende Verkehr nach G Frankfurt auf diese Weise schon nördlich Frankfurt die Autobahn erreichen kann, so daß er nicht mehr wie bisher durch Kassel durchgeschleust werden muß?
Selbstverständlich kann dieser Verkehr dann an Hofgeismar vorbei die Autobahn erreichen; denn es wird noch verschiedene Auffahrten geben. Ich nehme allerdings an, daß, wer diesen Weg gehen will, über Zierenberg auffahren wird.
Die Frage ist beantwortet.
Frage VI/3 — des Abgeordneten Dr. Bechert —:
Was gedenkt die Bundesregierung zu tun, um die Bahnverbindung aus dem Raum von Nordrhein-Westfalen nach Bad Wildungen zu verbessern?
Ich habe mich davon überzeugt, sehr geehrter Herr Kollege, daß in den Verkehrsbeziehungen von Nordrhein-Westfalen nach Bad Wildungen, die dem öffentlichen Verkehrsbedürfnis und der Bedeutung des Bades entsprechen, genügend durchgehende und Umsteige-Zugverbindungen vorhanden sind. Ich sehe nach dieser Prüfung keine zwingende Notwendigkeit, an die Deutsche Bundesbahn mit entsprechenden Vorschlägen heranzutreten, zumal ich ihr nach dem Gesetz Weisungen in solchen speziellen Fahrplanfragen nicht geben kann.
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8586 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 151. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. März 1961
Eine weitere Zusatzfrage?
Darf ich darauf hinweisen, Herr Minister, daß es von Köln nach Bad Wildungen nur zwei Bahnverbindungen am Tage gibt, bei denen man nicht sehr lange auf Umsteigebahnhöfen warten oder nur mit Personenzügen fahren muß, was für Kranke doch eine Belastung ist, nämlich von Köln ab in der Frühe etwa um 8 Uhr — mit viermaligem Umsteigen kommt man dann nach 63/4 Stunden in Wildungen an —, oder von Köln ab etwa um 11 Uhr, dann kommt man mit zweimaligem Umsteigen nach 51/4 Stunden an.
Herr Kollege, Sie haben von Köln eine Verbindung mit einem durchgehenden Kurswagen nach Wildungen. Sie können ja diesen durchgehenden Kurswagen benutzen.
Ich glaube, wir sind alle für diese Auskunft dankbar.
Wir kommen zur Frage VI/4 — des Herrn Abgeordneten Seuffert —:
Ist der Herr Bundesverkehrsminister bereit, auf die Deutsche Bundesbahn einzuwirken, daß sie dem Grundsatz, bei der Vergebung von Nebenbetrieben der Bundesbahn möglichst viel mittelständische Existenzen zu berücksichtigen, insbesondere bei Bahnhofsbuchhandlungen dadurch Rechnung trägt, daß Konzentrationen von Bahnhofsbuchhandlungen eines größeren Gebiets in einer Hand aufgelöst werden?
Zur Beantwortung der Herr Bundesminister für Verkehr!
Die Vergabe von Nebenbetrieben, insbesondere von Bahnhofsbuchhandlungen, durch die Deutsche Bundesbahn ist nach dem Bundesbahngesetz nicht an die Genehmigung des Bundesministers für Verkehr gebunden, sondern gehört zu den umfangreichen Aufgaben, zu deren Erledigung die Bundesbahn in eigener Entscheidung berufen ist. Sie soll unter Bevorzugung mittelständischer Betriebe erfolgen.
Zur Zeit gibt es unter den insgesamt rund 220 Fachbetrieben des Bahnhofsbuchhandels drei größere Filialbetriebe. Diese sind in einer Entwicklung über viele Jahrzehnte, nämlich seit 1857, 1878 und 1888, langsam gewachsen und haben teilweise nach 1945 ihren früheren Besitzstand im Wege der Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts zurückerlangt. In den übrigen europäischen Ländern ist der Bahnhofsbuchhandel fast ausnahmslos in den Händen einiger weniger monopolartiger Großbetriebe.
Bei der Vergabe von Bahnhofsbuchhandlungen ist auch der besondere Umstand zu berücksichtigen, daß den Reisenden auf kleineren Bahnhöfen Zeitungen und Zeitschriften angeboten werden sollen. Dies ist nur möglich, wenn die Pächter größerer Bahnhofsbuchhandlungen die entsprechenden Verkaufsstellen auf den kleineren Bahnhöfen mitbedienen. Diese kleineren Zweigbetriebe lassen sich nur zusammengefaßt oder in Verbindung mit größeren
Bahnhofsbuchhandlungen wirtschaftlich betreiben. Bei Ausschreibungen dieser Kleinbetriebe findet die Bundesbahn, wie zu erwarten, keine Bewerber.
Die Deutsche Bundesbahn ist von der Bundesregierung immer wieder darauf hingewiesen worden, daß sie bei ihren Nebenbetrieben, insbesondere auch bei den Bahnhofsbuchhandlungen, eine mittelstandsfreundliche Vergabepolitik betreiben soll.
Ich bin jedoch darüber hinaus bereit, der Bundesbahn zu empfehlen, in eine Prüfung der Frage einzutreten, ob und in welcher Weise die von ihr befolgte mittelstandsfreundliche Politik bei der Vergabe ihrer Nebenbetriebe noch weiter gefördert werden kann. Natürlich muß die Bundesbahn bei der Bewirtschaftung ihrer Nebenbetriebe sich stets als Wirtschaftsunternehmen betrachten und auch so handeln.
Eine Zusatzfrage!
Halten Sie es nicht für notwendig, Herr Minister, daß besonders darüber gewacht wird, daß die von Ihnen erwähnten größeren Filialbetriebe, die auf diese Art doch wenigstens eine gebietsweise Monopolstellung erreicht haben, diese Stellung nicht zuungunsten des freien Handels und im Widerspruch zu den geltenden Gesetzen ausnützen?
Es ist Aufgabe der Bundesbahndienststellen, diese Überwachung vorzunehmen. Irgendwelche Klagen sind mir in konkreten Angaben bisher nicht zugegangen.
— Das obliegt — wenn ich auf den Zwischenruf eingehen darf, Herr Präsident — ja diesen Dienststellen. Es ist doch nicht so, daß ich Vorgesetzter dieser Dienststellen bin. Ich habe nach dem Bundesbahngesetz nur sehr begrenzte Aufsichtsbefugnisse.
Herr Minister, Sie haben es nicht nötig, in der Fragestunde auf Zwischenrufe zu antworten; denn eine Fragestunde ist keine Diskussionsstunde.
Ich rufe auf die Frage VII — des Herrn Abgeordneten Dr. Dahlgrün —:
Aus welchem Grunde hat die Deutsche Bundespost trotz mancher, allerdings nur „halber" Zusagen in den vergangenen Jahren his heute noch keine Briefmarkenserie herausgebracht, die im Interesse der Heimatnatur und des Naturschutzes guie Markenbilder aus der vielfältigen deutschen Tier- und Pflanzenwelt zeigen?
Zur Beantwortung der Herr Staatssekretär!
Der Ausgabe neuer Postwertzeichen sind aus technischen Gründen und vor allem wegen der mit Neuausgaben verbundenen Erschwerung des Betriebsdienstes enge Grenzen gesetzt. Die zahlreichen für den Post-
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Deutscher Bundestag -- 3. Wahlperiode — 151. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. März 1961 8587
Staatssekretär Dr. Steinmetzwertzeichendruck geeigneten Themen können deshalb nur nach und nach berücksichtigt werden. Dabei müssen kulturelle wichtige Jubiläen den Vorrang haben. Andere Themen werden im Rahmen des Möglichen aufgegriffen.Im übrigen sind bereits in den vergangenen Jahren Naturschutz und die Heimatnatur durch die Herausgabe von Markenbildern aus der deutschen Tier- und Pflanzenwelt berücksichtigt worden. Im Jahre 1957 ist eine Sonderpostwertzeichenserie „Schützt unsere Heimatlandschaft und ihre Geschöpfe" mit zwei Werten erschienen. Der 10-Pfennig-Wert mit der Beschriftung „Schützt die Pflanzen" zeigte Seerosen, auf dem 20-Pfennig-Wert mit der Beschriftung „Schützt die Tiere" war ein Rotkehlchen dargestellt.Der Herausgabe von weiteren Marken mit Tier-und Pflanzenmotiven steht der Herr Bundespostminister wohlwollend gegenüber. Einen Termin hierfür kann ich jedoch aus den eingangs erwähnten Gründen leider noch nicht angeben.
Keine Zusatzfrage?
Ich rufe auf die Fragen VIII/1, 2 und 3 — des Herrn Abgeordneten Müller-Hermann —:
Kann der Herr Wohnungsbauminister Auskunft darüber geben, in welcher Größenordnung sich die Vermögen bewegen, die sich die großen Wohnungsbaugesellschaften in den letzten 12 Jahren geschaffen haben?
Inwieweit gehen die Vermögen der großen Wohnungsbaugesellschaften auf Zuschüsse der öffentlichen Hand zurück?
Werden bei der Bundesregierung Überlegungen angestellt, wie der Zusammenballung von Hausbesitz in den Handen der großen Gesellschaften entgegengewirkt und eine Privatisierung der großen Vermögen durch die Schaffung von Wohnungseigentum gefördert werden kann?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die Größenordnung, in der die Wohnungsunternehmen im letzten Jahrzehnt ihren Besitz vermehren konnten, ist nur annähernd zu bestimmen, und zwar lediglich für die gemeinnützigen Wohnungsunternehmen. Zu dieser Unternehmensgruppe gehören aber — mit Ausschluß der Genossenschaften — die meisten großen Wohnungsunternehmen.
Der Bauwert der von den gemeinnützigen Wohnungsunternehmen in eigener Bauherrschaft errichteten Wohnungen, so wie er sich aus den Finanzierungsaufwendungen der jeweiligen Jahre ergibt, beläuft sich für die Zeit von 1950 bis 1960 nach den eigenen Angaben dieser Unternehmensgruppe auf insgesamt 20 Milliarden DM ohne Berlin. Hierbei sind die Genossenschaften nicht berücksichtigt, also nur die Gesellschaften vorwiegend in der Rechtsform der Aktiengesellschaft oder der GmbH und unabhängig von ihrer Größe. Von den gemeinnützigen Wohnungsunternehmen — ohne Genossenschaften — konnten von 1950 bis 1960 rund 1 Million Wohnungen in eigener Bauherrschaft errichtet werden.
Zu Frage 2. Nach den Schätzungen des Wohnungsbauministeriums sind von 1950 bis 1960 rund 32 Milliarden DM, im wesentlichen Darlehnsmittel von Bund, Ländern und Gemeinden und aus dem Lastenausgleich für den sozialen Wohnungsbau aufgewendet worden. Davon haben die gemeinnützigen Wohnungsunternehmen — ohne Genossenschaften —
rund 8 Milliarden DM in Anspruch genommen. Das sind 25 %.
Zu Frage 3. Die Bundesregierung bereitet ein Wohnungswirtschaftsgesetz vor, das unter anderem die notwendige Reform des Gemeinnützigkeitsrechtes enthalten soll. Dabei soll auch sichergestellt werden, daß die mit hohen staatlichen Subventionen errichteten Sozialwohnungen den Personenkreisen, für die sie gebaut worden sind, zugeführt und erhalten werden und daß diese Wohnungen überall dort, wo es möglich ist und von den Mietern gewünscht wird, in Privateigentum übergeführt werden. Die von der Bundesregierung seit langem nachdrücklich und mit steigendem Erfolg geförderte Bildung von Einzeleigentum in der Form des Familienheimes ist das beste Mittel, einer weiteren Zusammenballung von Wohnungsbesitz in Händen anonymer Kapitalgesellschaften entgegenzuwirken. Die Bundesregierung beabsichtigt, diesen Gesetzentwurf in der nächsten Legislaturperiode einzubringen.
Zusatzfrage? — Bitte!
Herr Minister, darf ich Sie einmal folgendes fragen: Wird für die Zukunft sichergestellt, daß die Wohnungen des sozialen Wohnungsbaues durch die gemeinnützigen Wohnungsunternehmen nur für einkommensschwache Bevölkerungskreise bereitgehalten werden? Kann man das machen?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Eine gesetzliche Möglichkeit besteht leider nicht. Wohnungen, die mit öffentlichen Mitteln gefördert worden sind, werden heute häufig von Mietern blockiert, die einkommensmäßig längst diesem Kreise, für den die Wohnungen nach dem Wohnungsbaugesetz gebaut worden sind, entwachsen sind. Seit Jahren appelliere ich an die Wohnungsunternehmen und an die Mieter, diese Wohnungen den anspruchsberechtigten Kreisen bereitzustellen und vor allem sicherzustellen, daß kinderreiche und junge Familien endlich zum Zuge kommen.
Zusatzfrage? —Herr Abgeordneter Atzenroth!
Herr Minister, wie hoch schätzen Sie den Wertzuwachs, der innerhalb dieser zehn Jahre bei den Zahlen, die Sie uns angegeben haben, eingetreten ist?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich kann darauf keine Antwort geben. Ich schätze ihn sehr hoch.
Zusatzfrage? — Herr Abgeordneter Brecht.
Herr Minister, halten Sie es nicht für erforderlich, bei den Antworten auf die ausdrücklichen Fragen nach dem Vermögenszu-
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8588 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 151. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. März 1961
Dr. Brechtwachs nicht nur anzugeben, wie groß die Bauwerte sind, sondern wie groß das tatsächliche Vermögen ist, weil ja zwischen Bauwert und Vermögen unter Berücksichtigung der in enormem Umfang aufgenommenen Schulden und Darlehen für diese Bauwerte ein erheblicher Unterschied besteht?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich sagte bereits, daß ich zu gegebener Zeit bereit bin, nach sorgfältiger Prüfung diese Frage zu beantworten.
Zu einer Zusatzfrage Abgeordneter Brecht!
Würden Sie nicht auch, Herr Minister, dem Hohen Hause bei Gelegenheit einmal mitteilen, auf wen sich das Vermögen dieser sogenannten Wohnungsunternehmen verteilt, und halten Sie es im Sinne eines Rechtsstaats und der gegenwärtigen marktwirtschaftlichen Ordnung für berechtigt, daß das den Industriewerken, den Städten, den Gewerkschaften, den Kirchen, den Versicherungsanstalten gehörige Vermögen zwangsweise weggenommen wird?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich bin der Auffassung, daß die Gemeinnützigkeit nur dann zu rechtfertigen ist, wenn so gebaut wird und die Wohnungen so verwandt werden, wie es in den Wohnungsbau-Gesetzen festgelegt worden ist. Nur so kann die Hergabe der staatlichen Gelder gerechtfertigt werden.
Letzte Zusatzfrage des Abgeordneten Brecht!
Sind Sie sich nicht darüber klar, Herr Minister, daß die Antwort, die Sie mir jetzt gegeben haben, zwar eine allgemeine Äußerung ist, aber keine Antwort auf meine Frage?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich habe Ihnen gesagt, daß dem Bundestag demnächst ein Entwurf zur Reform des Gemeinnützigkeitsgesetzes, ein Wohnungswirtschaftsgesetz, vorgelegt wird, in dem sichergestellt wird, daß der Wohnungsbestand so verwandt wird, wie es die Mieter wünschen und nicht die Wohnungsunternehmen.
Zu einer Zusatzfrage Abgeordneter Erler!
Herr Minister! Ist die Beschränkung in der Vergabe von Wohnungen, die aus öffentlichen Mitteln gefördert worden sind, auf diejenigen Personenkreise, die auf den sozialen Wohnungsbau angewiesen sind, künftig nur für gemeinnützige Wohnungsbauunternehmen oder für jeden Bauträger vorgesehen, der Mittel des sozialen Wohnungsbaus in Anspruch nimmt?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Für jeden Bauträger, der Mittel des sozialen Wohnungsbaus in Anspruch nimmt. Dabei unterstelle ich, daß die gemeinnützigen Wohnungsunternehmen beispielhaft vorangehen in dem Bemühen, eigentumsbereiten Mietern geeignete Wohnungen zum Kauf anzubieten.
Gibt es irgendwelche Anhaltspunkte dafür, daß die gemeinnützigen Wohnungsbauunternehmen in größerem Umfang als andere Wnhnungsbauträger bisher die Wohnungen ihres Wohnungsbestandes nicht den in erster Linie in Frage kommenden sozial schwachen Bevölkerungsschichten zur Verfügung gestellt haben?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Zum Kauf nicht angeboten haben. Die gemeinnützigen Wohnungsunternehmen sind in der Bereitschaft
Nein! Vorhin war von Mieten die Rede. Ich spreche jetzt von den Mieten, nicht vom Kauf. Das ist ein völlig anderes Problem, ob es Anhaltspunkte dafür gibt, daß die Wohnungen bei den gemeinnützigen Wohnungsbaugesellschaften in stärkerem Ausmaß durch Mieter blockiert sind, die ein höheres Einkommen haben, als bei anderen Bauträgern, denen ebenfalls öffentliche Zuschüsse gegeben worden sind. Gibt es Anhaltspunkte dafür, daß die gereinnützigen Wohnungsbauunternehmen auf diesem Gebiet die Wohnungen in stärkerem Ausmaß den Schichten mit höherem Einkommen vorbehalten?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Es gibt keinen verläßlichen Anhaltspunkt hierfür. Es gibt auch keinen Anhaltspunkt dafür, daß die gemeinnützigen Wohnungsunternehmen in dem Bemühen, die Wohnungen nur den Kreisen vorzubehalten, für die sie gebaut worden sind, beispielhaft vorangegangen sind; denn sie sind hierzu in besonderer Weise verpflichtet, weil sie das Prädikat „gemeinnützig" tragen.
Eine letzte Zusatz- frage!
Herr Minister, können Sie sich vorstellen, daß wir die Wohnungsbauleistungen auf dem Gebiet des sozialen Wohnungsbaus in den Jahren nach der Gründung der Bundesrepublik auch nur annähernd in dem erreichten Ausmaß hätten zustande bringen können, wenn es keine gemeinnützigen Wohnungsbaugesellschaften und -genossenschaften gegeben hätte?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ohne das Erste und Zweite Wohnungsbaugesetz, ohne den Einsatz von 32 Milliarden DM Steuergeldern in verschiedener Form wäre die Wohnungsbauleistung nicht möglich gewesen.
Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode 151. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. März 1961 8589
Zu einer Zusatzfrage Abgeordneter Schmidt.
Herr Minister, haben Sie einmal geprüft, ob sich nicht durch Gesetz ein Kündigungsrecht einführen ließe, um die Wohnungen frei zu machen, die heute im Besitz solcher Personen sind, für die sie nicht gedacht waren?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, wir haben diese Frage geprüft. Daran wird seit Jahren gearbeitet. Dieses Problem ist außerordentlich schwierig. Wir werden diese Frage insbesondere im Zusammenhang mit dem demnächst vorzulegenden Wohnungswirtschaftsgesetz zu prüfen haben. Gegebenenfalls muß eine Verfassungsänderung vorgenommen werden.
Die Fragestunde ist beendet.
Ich rufe auf Punkt 2 a der Tagesordnung:
Fortsetzung der zweiten Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Rechnungsjahr 1961 (Drucksachen 2050, 2300) .
Berichte des Haushaltsausschusses
Einzelplan 14 — Geschäftsbereich des Bundesministers für Verteidigung .
Berichterstatter sind die Abgeordneten Leicht und Lenz . — Sie verzichten auf die Erstattung eines mündlichen Berichts. Ist das Haus damit einverstanden? — Das ist der Fall. Die Schriftlichen Berichte liegen Ihnen vor.
Nach einer Vereinbarung der Fraktionen soll zunächst eine allgemeine Aussprache über den Einzelplan 14 stattfinden. Das Wort hat der Abgeordnete Schäfer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Bundestag hat sich zuletzt am 23. April 1958 mit den Fragen der finanziellen Auswirkungen der Verteidigung befaßt. Damals lag eine Große Anfrage der SPD zugrunde. Die Regierung hat dazu durch den Herrn Bundesfinanzminister und durch den Herrn Bundesverteidigungsminister die erforderlichen Antworten gegeben. Die ganze Diskussion bezog sich auf den Zeitraum bis zum 31. März 1961. Dieser Zeitpunkt steht unmittelbar bevor. Wir haben also Anlaß, uns heute wiederum mit der Frage zu befassen, wie hoch die Aufwendungen für die Verteidigung sind, wie hoch sie waren, wie hoch sie in Zukunft sein werden. Wir haben uns ferner mit der Frage zu befassen, wo die Grenze dessen liegt, was von uns verkraftet werden kann.Seit der genannten Debatte wurden bewilligt: im Jahre 1958 8,82 Milliarden DM, im Jahre 1959 9,4 Milliarden DM, 1960 — auf das gekürzte Haushaltsjahr umgerechnet — 8 Milliarden DM, und für 1961 sind 11,74 Milliarden DM vorgesehen. Insgesamt handelt es sich also seit dem Jahre 1958 um eine Summe von 58,97 Milliarden DM für den Aufbau der Bundeswehr.Der Herr Bundesfinanzminister hatte seinerzeit bei Behandlung der Großen Anfrage vorgetragen, daß voraussichtlich insgesamt 52 Milliarden DM benötigt werden. Der Herr Bundesverteidigungsminister hatte ergänzend erklärt, daß der Aufbau der Bundeswehr bis zum 31. März 1961 im großen und ganzen abgeschlossen sein werde und daß bis dahin 12 Divisionen mit 350 000 Soldaten aufgestellt sein würden. Mein Freund Helmut Schmidt hat damals die Dinge etwas vorsichtiger beurteilt. Er sagte, an den Herrn Verteidigungsminister und den Herrn Finanzminister gewandt, vielleicht würden es bis dahin nur 250 000 Soldaten sein. Herr Verteidigungsminister, wenn Sie den heutigen Stand betrachten, werden Sie zu der Feststellung kommen, daß mein Freund Schmidt sich damals ebenso gewissenhaft mit dieser Frage befaßt hat wie Ihr Haus; die tatsächliche Zahl liegt nämlich in der Mitte. Der Haushaltsplan sieht 354 400 Soldaten vor, tatsächlich vorhanden sind derzeit rund 270 000 Soldaten. 8 Divisionen sind der NATO unterstellt, die neunte wird Ende dieses Jahres unterstellt sein. Die weiteren 3 Divisionen sind in Aufstellung.Der Objektivität halber darf ich gleich auch berichten, daß damals der Verteidigungsminister gesagt hat, es werde bis zum Jahre 1962 oder 1963 dauern, bis die Marine und die Luftwaffe aufgebaut seien. Das hat sich in der Zwischenzeit bestätigt.Von den genannten nahezu 59 Milliarden DM muß man 5,5 Milliarden DM Haushaltsreste abziehen, für deren kassenmäßige Deckung in die Haushaltspläne entsprechende Deckungssummen neu eingesetzt wurden. Wir haben also tatsächlich eine Summe von 53,5 Milliarden DM bewilligt. Aber darüber hinaus ist in diesem Haushalt 1961 eine Gesamtsumme von rund 30 Milliarden DM noch vorbehalten für die Durchführung der langfristigen Programme. Das ist durchaus in Ordnung. Man hat jetzt eine andere Regelung gefunden. Auch das wird meinerseits nicht beanstandet. Man wählt nicht mehr das System der Bindungsermächtigungen, man braucht es gar nicht unbedingt, sondern man nimmt in den Haushalt ein Gesamtprogramm auf in Höhe von 2 oder 3 Milliarden und genehmigt damit im ganzen das Gesamtprogramm, und die Jahresansätze werden jedes Jahr ausgewiesen. Das ist bei langfristigen Programmen gar nicht anders durchführbar. Mit den einschlägigen Bestimmungen der Reichshaushaltsordnung kann man auch darüber hinweghelfen, so daß man das System der Bindungsermächtigungen, das zu vielen, sehr verschiedenartigen Auslegungen Anlaß gab, gar nicht in diesem Maße in Anspruch zu nehmen braucht.Es ist auch erfreulich — ich darf das ausdrücklich feststellen —, daß der Herr Bundesfinanzminister und der Herr Bundesverteidigungsminister sich bemüht haben, die Ausgabenreste abzubauen. Wir haben wiederholt sehr nachdrücklich vor der Entstehung einer Art Schattenhaushalt gewarnt. Es waren
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8590 Deutscher Bundestag - 3. Wahlperiode — 151. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. März 1961
Dr. Schäferbeinahe 8 Milliarden DM, die sich angesammelt hatten und die dem Verteidigungsministerium einen Spielraum gaben, der ihm nicht zusteht. An und für sich hätte man § 75 der Reichshaushaltsordnung anwenden müssen. Wir haben uns geeinigt. Herr Finanzminister, Sie haben einen anderen Weg vorgeschlagen. Ich nehme an, daß in einem Jahr ungefähr, vielleicht auch erst in eineinhalb Jahren dieser andere Weg, der nicht ganz gesetzlich ist, aber jeweils durch das Haushaltsgesetz sanktioniert wird, zu dem gleichen Ergebnis führt.Ich darf feststellen, daß wir Ende des Haushaltsjahres 1958 noch etwas über 7 Milliarden Reste hatten. Sie wurden abgebaut bis 1959 auf 4,8 Milliarden, bis Ende 1960 auf 3,3 Milliarden, und wir werden am Ende dieses Haushaltsjahres voraussichtlich 1,9 Milliarden oder 2 Milliarden DM Haushaltsreste haben. Das ist durchaus eine Größe, die sich im Rahmen hält, - bei einem Haushaltsplan, der über 10 Milliarden DM liegt und der langfristige Verpflichtungen in sich schließt. Ich darf also feststellen, daß man sich bemüht hat — der ganze Haushaltsausschuß hat daran mitgewirkt —, in ein Normalfahrwasser zu kommen, die Bindungsermächtigungen nicht mehr in der bisherigen Größenordnung beizubehalten und die Ausgabenreste auf ein Normalmaß zurückzuführen.Ich will gleich noch zu einem anderen Punkt kommen. Der Aufbau der Bundeswehr sieht bis Ende dieses Jahres 354 400 Soldaten vor, dazu im zivilen Bereich 14 619 Beamte, 43 892 Angestellte und über 76 000 Arbeiter, im ganzen rund 134 500 Zivilbedienstete. Auch das wurde vom Haushaltsausschuß und vom Verteidigungsausschuß gutgeheißen. Denn wir sind durchaus der Auffassung, daß jede Arbeit, die nicht ein Soldat tun muß, auch von einem Zivilisten getan werden kann. Im Endergebnis kommen, wenn man alles zusammenrechnet, Zivilisten bekanntlich billiger als Soldaten.Ich sagte vorhin: es sind rund 30 Milliarden vorbehalten. Zu diesen 30 Milliarden bedarf es eines Wortes des Verteidigungsministers oder des Finanzministers. Denn wir müssen immerhin zu der Feststellung kommen, daß damit die 1958 genannte Summe von 52 Mililarden DM für die Gesamtausstattung sich auf über 80 Milliarden — auf 83,5 Milliarden DM ausgewachsen hat, daß wir also praktisch mit dem, was seinerzeit vorgesehen war, nicht durchkommen.Auf einem besonderen Sektor, der uns Sorge machte, hat das Bundesverteidigungsministerium —und das Finanzministerium ebenfalls — für eine Konsolidierung gesorgt, auf dem Gebiet der Bauwirtschaft. Dort waren ja die größten Sünden begangen worden. Globalgenehmigungen waren in einem Ausmaß erteilt worden, daß wir sehr hohe Reste, Milliardenreste bekommen hatten. Die Genehmigungen waren so global, daß nicht einmal das einzelne Objekt untersucht wurde. Wir sind jetzt immerhin in ein Normalfahrwasser gekommen, dahin gekommen, daß die Baupläne vorgelegt werden, daß § 14 der Reichshaushaltsordnung eingehalten wird, daß die Vorlagen so sind, daß sie der Haushaltsausschuß im einzelnen prüfen kann. Das Bauvolumen im Jahre1958: 1,2 Milliarden, 1959: 1,5 Milliarden, 1960 die gleiche Quote und 1961 ebenfalls wieder ungefähr 1,5 Milliarden DM.Natürlich gab es Stimmen, die davon sprachen, daß diese hohen Bausummen nicht antizyklisch wirken würden. Selbstverständlich wirken sie nicht antizyklisch. Das ist gar nicht zu bestreiten. Aber auf der anderen Seite kann man natürlich den Aufbau einer Bundeswehr nicht durchführen, ohne daß die entsprechenden Baumaßnahmen getroffen werden. Der Haushaltsausschuß hat Besichtigungen durchgeführt. Das, was zu bemängeln ist, ist an und für sich der außerordentlich schwierige Behördengang. Sechs Stellen sind mit diesen Baumaßnahmen beschäftigt. Ich weiß, der Herr Bundesverteidigungsminister wird mir dann gleich sagen: Gebt mir eine eigene Bauverwaltung, und die Sache wird besser werden! Herr Verteidigungsminister, ich glaube, der Zeitpunkt hierfür ist vorbei. In der Zwischenzeit hat es sich eingespielt. Die Besichtigung, die wir durchgeführt haben, hat einige Anhaltspunkte dafür gegeben, wie es in Zukunft sein soll.Ende des Haushaltsjahres 1958/59 war eine besondere Situation eingetreten, die zu Bemerkungen Anlaß gibt. Der Verteidigungsminister hat sich damals bemüht, sein Haushaltsvolumen vollkommen auszuschöpfen. Er hat es in einer Art und Weise getan, die wir damals schon kritisiert haben, indem die bekannte MC 70 nun dadurch bedient wurde, daß Aufträge in Höhe von nahezu vier Milliarden ausgegeben wurden. Man muß bei diesen Großaufträgen unterscheiden: soweit sie hier ins Land gehen, wirken diese Vorauszahlungen konjunktursteigernd, auch dann konjunktursteigernd, wenn sie verzinst werden. Es ist erfreulich, daß unsere damalige Kritik dazu Anlaß gab, daß das Verteidigungsministerium diese Methode nicht fortgesetzt hat, obwohl angekündigt war, man werde es tun. Anders ist es mit Aufträgen, die an das Ausland gehen. Dort haben wir ein gewisses Interesse an Vorauszahlungen und dort ist durch aus die Methode begründet, daß man auch mit Vorauszahlungen arbeitet, sofern eine zuverlässige Garantie vorhanden ist, daß die Zahlung verzinst wird und daß sie für die Leistungen eingesetzt wird, die wir erwarten. Rüstungsvorfinanzierungen sind an die Vereinigten Staaten von Amerika nahezu für 5 Milliarden — 4,819 Milliarden DM — erfolgt. Abgewickelt sind 2,678 Milliarden DM, so daß heute noch mehr als 2 Milliarden — 2,14 Milliarden DM — abzuwickeln sind. Ich wäre dankbar, wenn sich die Bundesregierung zu Fragen der globalen Vorauszahlung, zur Vorauszahlung an die Staaten, an die Vertragspartner oder an den zivilen Vertragspartner äußerte, wobei das System, das gegenüber den Vereinigten Staaten angewendet wird, heute als gemischtes System bezeichnet werden kann.1959 erfolgten auch die Zahlungen an England in Höhe von über 500 Millionen DM; über die Abwicklung der damaligen Rüstungsvorfinanzierung müßte hier nun einiges gesagt werden. Der Herr Bundesverteidigungsminister und der Herr Bundesfinanzminister haben in offiziellen Verlautbarungen außerdem vorgetragen, daß von 1955 bis 1960 15 Milliarden DM an Besatzungskosten für die Sta-
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Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 151. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. März 1961 8591
Dr. Schäfertionierung ausländischer Streitkräfte in Deutschland und für Besatzungsfolgelasten geleistet wurden. Das bedeutet, daß wir von 1955 bis 1961 insgesamt 100 Milliarden DM an Rüstungslast übernommen haben, wovon bereits 70 Milliarden DM geleistet sind, während die Zahlung von 30 Milliarden DM durch die langfristigen Programme noch auf uns zukommen wird.Die Aufstellung der Bundeswehr ist mit Ende dieses Haushaltsjahres nicht abgeschlossen, kostet uns also nicht 52 Milliarden DM, sondern genau das Doppelte, rund 100 Milliarden DM. Hinzu kommen weitere Lasten, die im Zusammenhang mit der Verteidigung stehen, die bis jetzt nicht angerechnet werden, z. B. die Kosten des Bundesgrenzschutzes, die in diesem Haushaltsjahr mit 207 Millionen DM ausgewiesen sind, die Kosten für den zivilen Bevölkerungsschutz mit 137 Millionen DM, für den zivilen Notstand — Einzelplan 36 — mit 580 Millionen DM, dann die Verteidigungslasten im Zusammenhang mit dem Aufenthalt ausländischer Streitkräfte mit über 500 Millionen DM, was zusammen gerade 1,5 Milliarden DM ausmacht. Wir müssen also feststellen, ,daß zu der Last, die für das Bundesverteidigungsministerium ausgewiesen ist — 11,7 Milliarden DM in diesem Jahr —, de facto weitere 1,5 Milliarden DM hinzu kommen, so daß wir über 13 Milliarden DM reine unmittelbare Verteidigungslast haben.In den einzelnen Haushalten der Ministerien sind noch eine ganze Anzahl Posten enthalten, die durchaus auch auf den Verteidigungshaushalt übernommen werden könnten, mindestens umgebucht werden sollten. Mein Freund Ritzel hat während der Haushaltsberatungen wiederholt darauf hingewiesen. Es handelt sich immerhin um eine Summe von mehr als 21 Millionen DM, die eigentlich umgebucht gehörte. Wir müßten daran interessiert sein, sie auch nach außen in Erscheinung treten zu lassen, damit erkennbar wird, was wir tatsächlich für die Verteidigung ausgeben.Das Bundesfinanzministerium hat, was sehr anerkennenswert ist, im Bulletin vom 3. Februar 1961 eine sehr eingehende Darstellung über die Leistungen der Bundesrepublik für die ausländischen Streitkräfte veröffentlicht. Der Herr Bundesverteidigungsminister hat am 16. Januar 1961 vor dem Economic Club in New York eine Rede gehalten, in der er zu der Feststellung kam, daß wir in der Zeit von 1950 bis 1960 91 Milliarden DM für Verteidigungsleistungen einschließlich der Leistungen für ausländische Streitkräfte ausgegeben hätten. Es heißt in der Rede ausdrücklich — ich darf zitieren —:Die Bundesrepublik hat in den Jahren 1950 bis 1960 insgesamt 19,223 Mrd. Dollar für Verteidigungslasten — einschließlich Stationierungskosten — ausgegeben. Wenn Sie die Hilfeleistungen für Berlin hinzurechnen, die angesichts der Lage dieser Stadt ebenfalls als Verteidigungslasten im Kalten Krieg angesehen werden müssen, erhöht sich diese Ziffer auf 21,823 Mrd. Dollar.Das sind 91 Milliarden DM. Wenn man den Haushalt dieses Jahres mit rund 13 Milliarden DM hinzunimmt, dann kommt der Herr Bundesverteidigungsminister genauso wie ich auf den Betrag von etwas über 100 Milliarden DM, den wir ausgegeben haben.Zu diesen reinen Verteidigungsausgaben kommen in Deutschland zusätzliche Ausgaben. Ich bin sehr froh, daß sich der Herr Verteidigungsminister bei dieser Rede einmal recht deutlich über die Frage des deutschen Wirtschaftswunders geäußert und klargestellt hat — wir schließen uns diesen Feststellungen an, machen sie uns seit jeher zu eigen; ich freue mich, daß hier Einmütigkeit in diesem Hause besteht —, daß die Abwehrkraft auf nichtmilitärischem Sektor genauso notwendig ist und daß die Leistungen auf dem nichtmilitärischen Sektor einen genau so entscheidenden Beitrag für die Abwehrkraft bei den Auseinandersetzungen leisten. Ich bin sehr froh, daß darüber und auch über die enormen Zahlen, die hier eine Rolle spielen, Einigkeit besteht.Wir geben für indirekte Verteidigungsaufgaben ungefähr noch einmal so viel aus wie für die direkten. Ich darf sie im einzelnen aufführen: es ist für Berlin jährlich ungefähr 1 Milliarde DM, es sind für die Kriegsopfer jährlich rund 4 Milliarden DM, es sind für den Lastenausgleich jährlich rund 4 Milliarden DM, es sind für die unter Artikel 131 des Grundgesetzes fallenden Personen, also für die ehemaligen Soldaten, 600 Millionen DM, es sind für die verdrängten Beamten 1,3 Milliarden DM, und es sind für die Leistungen, die im Einzelplan 40 ausdrücklich als Kriegsfolgelasten bezeichnet sind, wiederum über 3 Milliarden DM. Das sind zusammen rund 14 Milliarden DM, die wir jedes Jahr für diese indirekten, aber doch entscheidenden Leistungen für die Verteidigungsbereitschaft zur Verfügung stellen.Daraus erklärt sich, daß der unmittelbar errechnete deutsche Verteidigungsbeitrag, der immer verhältnismäßig niedrig angegeben wird, wesentlich anders aussieht, als er im allgemeinen dargestellt wird. Wir müssen bei diesen Summen beachten, daß die Sicherung der gesellschaftlichen Ordnung genauso wichtig ist wie die rein militärische Verteidigung. Wenn man die rein militärische Verteidigung zugrunde legt und ihren prozentualen Anteil am Sozialprodukt mißt, kommt man zu einer vollkommen falschen Relation. Das zeigt sich auch daran, daß wir, wenn man so rechnet, weit hinten, wenn man aber die Steuerbelastung zugrunde legt, sehr weit vorne stehen. Mit anderen Worten: wir leisten für die gesamte Verteidigungsbereitschaft unseres Volkes genauso viel wie die anderen Völker; wir können es aber nicht in eine rein militärische Verteidigung stecken.Ich bin sehr froh, daß der Haushaltsdirektor im Bundesfinanzministerium in seiner sehr beachteten Darstellung „Streiflichter auf den Bundeshaushalt 1961" auch dazu sehr klar Stellung genommen hat. Ich darf wörtlich aus dem Bulletin vom 20. Dezember 1960 zitieren. Es heißt dort:Leider wird damit die beunruhigende Tatsache nicht ausgeräumt, daß das befreundete Ausland über die deutsche Leistungsfähigkeit weit übertriebene Vorstellungen hat und offensichtlichDr. Schäfernicht erkennt, daß die innenpolitischen Leistungen des Bundeshaushalts kein Optimum darstellen, sondern als Minimum erforderlich sind, um die innere und äußere Ordnung zu gewährleisten. Überforderungen von außen wären nur geeignet, das innere Gefüge der Bundesrepublik zu erschüttern und damit ihren Wert als Bündnispartner zu schwächen.Meine sehr geehrten Damen und Herren von der CDU/CSU, ich darf Ihnen dazu nur sagen: ich wäre dankbar, wenn das Gerede von der Grenze des Sozialstaats verschwände, das auf Ihrem Parteitag aufgekommen ist. Denn genau um das geht es. Wenn wir selber der Auffassung sind, daß wir die Grenzen des sozialen Rechtsstaats erreicht haben, ist es selbstverständlich, daß man uns diese Leistungen für die Zukunft nicht mehr als Verteidigungsleistungen anrechnen will. Aber es ist durchaus so, wie es hier in der Verlautbarung des Finanzministeriums steht: es handelt sich nicht um ein Optimum, sondern um ein Minimum an innenpolitischen Leistungen, die notwendig sind, um die Verteidigungsbereitschaft überhaupt von vornherein zu garantieren.Nun darf ich zum Zukünftigen kommen. Bis jetzt habe ich mich nur damit befaßt, wie sich die Dinge bisher entwickelt haben. Es wird Ihnen aufgefallen sein, daß ich nicht gewertet, sondern nur festgestellt habe: So haben sich die Dinge entwickelt. Da wir eine Planung bis zum 31. März 1961 haben, dürfen wir wohl davon ausgehen, daß sich die Bundesregierung in der Zwischenzeit Gedanken darüber gemacht hat, wie der Ausbau nun weitergehen soll. Es sind so viele Dinge in der Diskussion. Ich halte es für notwendig, daß sich die Bundesregierung heute und hier erklärt, wie sie den endgültigen Ausbau — die 12 Divisionen; ich nehme an, daß es dabei bleibt —, wie sie die Austattung, wie sie die Ausrüstung der Bundeswehr zu Ende führen will und in welchen finanziellen Größenordnungen sich das in Zukunft entwickeln soll.Es wird auch gut sein, dabei ein Wort zu den Programmen zu sagen, die in den letzten Jahren in Angriff genommen wurden. Die zeitliche Abwicklung ist nicht bei allen Programmen gleich. Das gilt insbesondere auch für die in der letzten Zeit in der Öffentlichkeit wiederholt diskutierten Fragen, ob die Ausstattung der Marine so bleibt, wie in den Schiffbauprogrammen vorgesehen, was die Regierung zur Frage der Zerstörer und der U-Boote denkt, welche Vorstellungen auf dem Gebiete der Ausstattung ,der Luftwaffe vorhanden sind, wie die Zusammenarbeit mit anderen Nationen in der Frage der Produktion insbesondere bei der Luftwaffe gedacht ist, lauter Fragen, die für die Zukunft auch große finanzielle Auswirkungen haben und bei denen man erwarten darf, daß der Bundesverteidigungsminister oder der Bundesfinanzminister — wahrscheinlich der Verteidigungsminister — hier einige Ausführungen macht.Wir haben in der letzten Zeit das Bemühen der Bundesregierung verfolgt, die auf sie zukommenden Mehranforderungen in erträglichen Grenzen zu halten. Auch darüber sollten wir hier einiges hören.Meine Herren von der Bundesregierung, wenn man mit Wünschen auf uns zukommt, eine Rüstungsfinanzierung für andere Nationen zu übernehmen, dann sollte man über multilaterale Möglichkeiten eine finanzielle Unterstützung suchen. Ich halte es nicht für gut, in dieser Hinsicht bilaterale Verpflichtungen zu übernehmen. Ich halte es wegen der besonderen politischen Situation der Bundesrepublik nicht für zweckmäßig und nicht für gut, auf Grund von bilateralen Verträgen unmittelbare Rüstungsfinanzierungen zu übernehmen.Eine weitere Frage ist die Änderung des NATO-Schlüssels für die Infrastruktur. Das sieht zunächst ganz harmlos aus: Er wird von 13 % auf 20 % gehoben. In diesem Haushalt sind es nur 50 Millionen DM, die dafür in Frage kommen. Aber die Infrastruktur wird sich ja noch wesentlich ausweiten. Es sind insbesondere auch nationale Belastungen, die damit auf uns zukommen. Man spricht von Größenordnungen von 700 Millionen DM, die zur Debatte stehen. 20 % davon wären nicht mehr 50 Millionen DM, sondern schon 140 Millionen DM. Ich meine, die Bundesregierung müßte hier einige Ausführungen über die Verpflichtungen machen, die sie damit übernommen hat.Dabei möchte ich etwas ganz Allgemeines sagen. Wir leisten in verhältnismäßig vielerlei Töpfe der NATO Zahlungen. Eine Kontrolle, wie diese Gelder verwendet werden, ist durch das Parlament praktisch nicht möglich. Ich würde es begrüßen, wenn man einen Weg fände, daß mindestens intern bei uns nicht nur ein nachträglicher Überblick gegeben würde, sondern — ich bin sehr vorsichtig — ein gewisses Maß von Mitwirkung möglich wäre. Denn daß die NATO ihre Finanzgeschäfte ganz unabhängig von parlamentarischer Kontrolle führt, das sollte von niemandem angestrebt werden.Ein weiteres Problem, das uns in den nächsten Jahren sicherlich sehr beschäftigen wird und das auch sehr viel Geld kosten wird, ist das Depotwesen. Im letzten Jahr gab es darüber sehr verschiedenartige Verlautbarungen, auch nach der Größenordnung, auch nach der Planung. Auch hier erwarten wir, daß die Bundesregierung ihre Pläne mit ihren finanziellen Auswirkungen einigermaßen darstellt.Ein Problem, das schon in der Debatte von 1958 eine Rolle spielte und das von meinem Freund Schmidt damals sehr nachdrücklich hervorgehoben wurde, ist die Frage der Kriegsbevorratung. Nach dem Haushaltsplan, den ich einigermaßen kenne, zu schließen, ist dieses Problem bis jetzt praktisch kaum in Angriff genommen worden. Mit Ausnahme von einigen verhältnismäßig kleinen Depots ist diese Frage bis heute, von uns aus gesehen, nicht geregelt; eine finanzielle Größenordnung, die uns wahrscheinlich zu denken geben wird; wir können aber nicht umhin, uns mit ihr zu beschäftigen.Zum Schluß darf ich nochmals sagen: wir erwarten von der Bundesregierung, daß sie uns ihre Planungen darlegt, daß sie ihrer Verpflichtung nachkommt, das Parlament im vorhinein zu informieren, wie die Planung aussieht und wie sie sich finanziell auswirkt.
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Deutscher Bundestag - 3. Wahlperiode — 151. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. März 1961 8593
Dr. SchäferEs gab in den letzten Monaten eine sehr heftige Debatte hin und her, und man ist ja gespannt, was die Sozialdemokratie heute macht. Ich darf Ihnen sagen: eine Verteidigung kostet Geld, das wissen wir auch. Eine Verteidigung ist notwendig. Man kann sich darüber streiten, welche Art der Verteidigung die wirksamste ist. Aber unsere gemeinsame Sorge über diese Frage hinweg muß die sein, daß wir nicht Verpflichtungen übernehmen, unter deren Last wir zusammenbrechen; daß wir nur Verpflichtungen übernehmen, die wir auch tatsächlich einhalten können; daß nicht die Währung, daß nicht das ganze Sozial- und Wirtschaftsgefüge bei uns ins Wanken kommt.Das sind die Sorgen, die wir in diesem Zusammenhang haben. Ich darf mir vorbehalten, nachher noch auf die eventuelle Antwort der Regierung zurückzukommen.
Das Wort hat der Abgeordnete Leicht.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Dr. Schäfer, Sie haben damit geschlossen, daß Sie die Sorge in den Vordergrund stellten. Ich glaube, ich darf auch von der Regierung und von meiner Fraktion sagen, daß wir nicht nur jetzt oder in den letzten Monaten oder in den letzten anderthalb Jahren, sondern seit Beginn diese Sorge hatten: Wie können wir unserer Verteidigungspflicht genügen, wie können wir andererseits aber vermeiden, daß unter der Last der Verteidigung das Soziale im Innern leidet?Sie haben in einer objektiven Darstellung einmal gesagt, was wir in den letzten Jahren an Verteidigungsausgaben geleistet haben. Ich habe es begrüßt, daß gerade Sie es getan haben, wenn es auch — was nicht von Ihnen beabsichtigt war — unter Umständen im Hinblick auf die hohen Milliardenbeträge psychologisch gar nicht allzu gut in unserer Bevölkerung wirken könnte.Sie sind vom Verteidigungsbeitrag ausgegangen; das war das große erste Kapitel, das Sie behandelt haben. Sie haben auch die Große Anfrage der Sozialdemokraten aus dem Jahre 1958 erwähnt. Damals ist zur Rüstungsfinanzierung ausgiebig Stellung genommen worden. Damals wurden von Ihnen der Gesamtansatz für die Rüstungsausgaben als zu hoch bezeichnet, und deshalb auch damals die Kritik.Sie sagten, die Rüstungslast werde in den einzelnen Jahren, besonders in den damals bevorstehenden Jahren 1960-1961, die haushaltsmäßigen und die volkswirtschaftlichen Möglichkeiten übersteigen, die übrigen Staatszwecke — Sie nannten Verkehr, Wissenschaftsförderung, Wohnungsbau usw. — müßten demzufolge vernachlässigt werden. Ich glaube, man kann heute feststellen, daß diese Prognose, Herr Kollege Dr. Schäfer, die damals von Ihnen — nicht von Ihnen persönlich, sondern von Ihrer Fraktion — gestellt worden ist, sich nicht bestätigt hat.Auf der anderen Seite aber ist es wohl erforderlich, daß wir nun auch einmal den gegenteiligen Standpunkt, der von draußen an uns herangetragen wird, darlegen. Gerade in den letzten Wochen und Monaten haben vor allen Dingen die Amerikaner und Engländer Forderungen an uns gestellt. Von dorther wird eine stärkere Heranziehung des deutschen Nationaleinkommens für Verteidigungszwecke gefordert. Bei der Verabschiedung der NATO-Jahreserhebung 1960 ist von der NATO festgestellt worden, daß für einen Zeitraum von drei Jahren die Verteidigungsaufwendungen der Bundesrepublik Deutschland von Jahr zu Jahr um etwa 21 % des Ansatzes von 1960 — das waren 10 Milliarden DM — gesteigert werden müßten, wenn die Rüstungsziele der Bundeswehr erreicht werden sollten. Als sich bei den Prüfungen herausgestellt hatte, daß das bei den gegebenen Verhältnissen nicht möglich sei, hat man die Forderung auf eine jährliche 13%ige Steigerung — für drei Jahre — reduziert. Zur Begründung ihrer Auffassung ist von den Amerikanern und insbesondere von den Engländern darauf hingewiesen worden, der Verteidigungsbeitrag der Bundesrepublik Deutschland sei dem Sozialprodukt nicht adäquat. Dieses Argument, das uns in den letzten Wochen immer wieder vorgehalten worden ist, kennen wir ja.Die tatsächliche Entwicklung ist jedoch wie folgt verlaufen. Ich darf einmal die Zahlen nennen — der Herr Kollege Dr. Schäfer hat dankenswerterweise auf diese Momente hingewiesen —, die der Herr Bundesverteidigungsminister bei seinen Vorträgen in den USA in den Vordergrund gestellt hat. Die Steuerbelastung beträgt — gemessen am Sozialprodukt — in den USA 23,1 %, in Großbritannien 23,4 %, in Frankreich 24,08 % und in der Bundesrepublik 24,12 %. Wir haben also die höchste Steuerbelastung. Oder vergleichen wir einmal den Privatverbrauch; in Dollar beträgt er 1736 in Amerika, 845 in England, 753 in Frankreich und 652 in Deutschland.
— Auch Sie haben ja dankenswerterweise auf diese Momente hingewiesen.Nehmen wir dann noch den Anteil der Verteidigungsausgaben am Bruttosozialprodukt; in den Zahlen, die mir vorliegen, ist die zivile Verteidigung nicht berücksichtigt. Im Jahre 1950 betrug der Anteil der Verteidigungsausgaben 4,78 %, im Jahre 1951 6,67 %; dann sank er laufend bis zum Jahre 1960 auf 2,98 %. In der politischen Auseinandersetzung wird oft darauf hingewiesen, daß das Bruttosozialprodukt nicht der Maßstab für die Bemessung des Verteidigungsbeitrages eines Volkes sein könne; man sagt, man müsse — gerade bei uns in der Bundesrepublik — auch die Steuerbelastung pro Kopf der Bevölkerung, den Pro-Kopf-Verbrauch und die Vermögensbildung berücksichtigen. Zahlen über die Vermögensbildung liegen mir nicht vor. Der Herr Bundeswirtschaftsminister hat aber darüber vor kurzem ausführlich berichtet.
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8594 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 151. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. März 1961
LeichtWenn man mit solchen Zahlen aufwartet, wird aber auch folgendes deutlich gemacht werden müssen. Gemessen an internationalen Maßstäben ist eine Steigerung des Verteidigungsbeitrages des Bundes notwendig, wenn nicht schwerer außenpolitischer Schaden eintreten soll. Wir kennen dieses Problem aus den Verhandlungen der letzten Monate. Die hier zu ziehenden Schlußfolgerungen werden unterstrichen, wenn man als Vergleich die Verteidigungsaufwendungen neutraler Länder wie Schweden und Schweiz heranzieht; ich nehme an, daß Sie die enisprechenden Zahlen. kennen.Es wäre aber nach meiner Übrzeugung auch abwegig, die Steigerung des Gesamtansatzes für die Verteidigung — was auch schon passiert ist, mit der Steigerungsquote des Sozialhaushalts in Vergleich zu setzen. Der Bundesminister der Finanzen hat bereits bei den Beratungen im Haushaltsausschuß solchen Darlegungen die neuen Begriffe vom direkten und vom indirekten Sozialhaushalt entgegengehalten, also auf der einen Seite die Leistungen aus dem Einzelplan des Arbeitsministers, auf der anderen Seite die indirekten Sozialleistungen, also Einzelplan des Arbeitsministers plus soziale Kriegsfolgelasten plus Tuberkulosehilfe plus Zuschüsse für soziale Hilfsmaßnahmen plus Wohnungsbau usw. Wir kommen dann auf eine Summe von insgesamt etwa 17,7 Milliarden DM, wie auch Sie, Herr Kollege Dr. Schäfer, gesagt haben.Die sozialen Bemühungen der Bundesrepublik wurden — und das darf man, glaube ich, bei einer Gesamtbetrachtung nicht außer acht lassen — seit 1949 — und damit komme ich auch auf ein Argument, das Sie gebraucht haben, Herr Kollege Dr. Schäfer — planmäßig gesteigert und haben inzwischen eine Höhe erreicht, auf die wir doch alle recht stolz sein können. Es ist Tatsache, daß alle Ressorts, also sowohl diejenigen Ressorts, die sich mit sozialen Fragen befassen mußten, als auch alle anderen Ressorts, seit 1949 ihre Aufgaben systematisch entwickeln konnten, während der Aufbau der Bundeswehr praktisch erst seit dem Jahre 1956 läuft, und, wie uns allen bekannt ist, von vielen Anfangsschwierigkeiten immer wieder gehindert wurde.Mitten im Aufbau der Bundeswehr kann man mithin die Steigerungsquote des Verteidigungshaushalts nicht in Vergleich zu den Steigerungsquoten irgendwelcher anderer Ausgaben innerhalb der Bundesrepublik setzen. Man kann also nicht damit argumentieren, daß die Steigerungsquote im Verteidigungshaushalt in diesen Jahren größer war als zum Beispiel die Steigerungsquote innerhalb des Sozialhaushalts oder anderer Haushalte, die wir vor uns liegen haben.
— Sie hatten eine kleine Andeutung dahin gemacht, Herr Kollege Dr. Schäfer.Es ist sicher begründet, wenn zu den Verteidigungsaufwendungen im engeren Sinne für den Vergleich der Verteidigungsleistung des Bundes auch die Aufwendungen für die Verteidigung im weiteren Sinn hinzugenommen werden, zum Beispiel die fürden Bundesgrenzschutz, den Sie erwähnt haben, für die zivile Notstandsplanung usw. Es ist aber abwegig, anzunehmen, wie dies bei Ihrer Fraktion, Herr Kollege Dr. Schäfer, heute schon passiert ist, daß eine wesentliche Veränderung des optischen Bildes der Verteidigungslasten dadurch erreicht werden könnte, daß verhältnismäßig unbedeutende Ausgaben der übrigen Ressorts, die in den früheren Jahren aus dem Tit. 14 02 222 — wir haben uns im Haushaltsausschuß in den letzten zwei Jahren immer wieder darüber unterhalten müssen — erstattetwurden, in Zukunft im Verteidigungshaushalt selbsterscheinen. Allein die Größenordnung von etwa 30 bis 50 Millionen DM
— dann ist es noch weniger — läßt dies erkennen.Es kommt aber hinzu — und das ist, glaube ich, wichtig, Herr Kollege Dr. Schäfer, wenn wir uns objektiv über diese Dinge unterhalten wollen —, daß gerade in Zukunft der Grundsatz gesichert sein muß, daß alle Ressorts die Vorbereitung für einen eventuellen Verteidigungsfall in ihrem Bereich als eigene Aufgabe ansehen und infolgedessen auch die hierfür erforderlichen Mittel selbst anfordern.Nun, die Einlassungen von Ihrer Seite waren in den letzten Jahren oft wechselnd. Einmal war Ihnen, meine Herren Sozialdemokraten, der Verteidigungsbeitrag zu hoch, wie das in der Auseinandersetzung im Jahre 1958 hervorgetreten ist, auf der anderen Seite war Ihnen dann dieser Verteidigungsbeitrag oft auch nicht genügend effektiv. Diesen Auffassungen muß man folgende finanzpolitische Grundsätze entgegenhalten, nach denen in den letzten Jahren die Bundesregierung, vor allem auch der Bundesverteidigungsminister, und .das Parlament in seiner Mehrheit gearbeitet haben.Erstens. Die Verteidigungsleistung muß das Sicherheitsbedürfnis der Bundesrepublik erfüllen. Das ist Voraussetzung für alles. Dieses Bedürfnis ist bei uns wegen unserer geographischen und politischen Lage — ich brauche nicht an die großen politischen Themen Wiedervereinigung, mangelnder Friedensvertrag usw. zu erinnern — ein besonderes, das mit den Bedürfnissen der übrigen europäischen Nationen einfach nicht vergleichbar ist.Zweitens. Der Bund muß den Anforderungen innerhalb des Gesamtbündnisses entsprechen. Er muß mit allen Kräften sichern, daß die militärischen Forderungen, die das Bündnis an uns stellt, innerhalb der vorgesehenen Fristen erfüllt werden.Drittens. Dabei findet die hieraus folgende Belastung ihre Grenze an der Notwendigkeit — das ist eine Selbstverständlichkeit und immer wieder betont worden -, die innere Sicherheit zu erhalten.Mit Rechenkunststücken oder sonstigen Manipulationen können wir nicht helfen. Allein die Erfüllung solcher Grundforderungen wird uns dazu verhelfen, die Schwierigkeiten zu meistern. Soweit die Frage des Verteidigungsbeitrags in der Vergangenheit bis heute.
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Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 151. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. März 1961 8595
LeichtDer zweite Fragenkreis, den Sie, Herr KollegeDr. Schäfer, angeschnitten haben, betrifft den Verteidigungsbeitrag in der Zukunft. Ich bin Ihnen dankbar, daß Sie hier Ihre Sorge zum Ausdruck gebracht und auch versucht haben, die Argumentation der Bundesregierung — so habe ich Sie verstandenund unserer Parlamentskollegen in den letzten Wochen und Monaten, vor allen Dingen in den Verhandlungen mit den Amerikanern, etwas mit zu unterstützen.Sie haben in etwa gesagt: Wir brauchen für die Zukunft so etwas wie einen Gesamtplan für die Verteidigung. Herr Kollege Dr. Schäfer, man hat sich über diese Frage schon vor längerer Zeit in diesem Hause unterhalten und damals mit sehr gewichtigen Gründen die Aufstellung eines Gesamtplans für die Rüstung abgelehnt. Ich kann es mir ersparen, auf die seinerzeit vorgetragenen Gründe einzugehen. Aber das eine lassen Sie mich feststellen: die finanziellen Erfordernisse der Rüstung werden unter Zugrundelegung der genannten allgemeinen Grundsätze von Jahr zu Jahr mit denjenigen in den übrigen Bereichen des Staates abgestimmt werden müssen. Daß die Rüstungsausgaben eine steigende Tendenz aufweisen, folgt schon allein daraus, daß die fortdauernden Ausgaben in Zukunft noch so lange anwachsen werden — wir erleben es in diesem Jahr, daß die fortdauernden Ausgaben praktisch um 1 Milliarde gegenüber dem Vorjahr steigen —, bis der Aufbau der Bundeswehr endgültig abgeschlossen werden kann. Es muß auch darauf hingewiesen werden, daß die Haushaltssummen, die wir ja kennen, in Beziehung gesetzt werden, und dabei werden selbstverständlich die Vorbehaltsbeträge, die Sie erwähnt haben, ihre Berücksichtigung finden müssen. Wenn man einfach die Vorbehaltsbeträge, die Sie in der Größenordnung von 30 Milliarden richtig angegeben haben. als Grundlage nimmt und die laufend steigenden fortdauernden Ausgaben hinzuzieht, könnte ein sehr falsches Bild entstehen. Dann könnte man auf Zahlen kommen, die für uns alle erschreckend wären. Was wir in Zukunft Jahr für Jahr an Verteidigungsbeitrag effektiv leisten müssen, läßt sich heute nicht bestimmen.
— Ja, es gibt feste Beträge; aber die 30 Milliarden sind keine festen Beträge. Dazu möchte ich Ihnen, Herr Kollege Dr. Schäfer, ja jetzt etwas sagen.Die Vorbehaltsbeträge beruhen — das wissen Sie genauso gut wie ich — auf sogenannten Einzelprogrammen, die in den Haushaltsjahren seit 1956 jeweils zu verschiedenen Zeitpunkten aufgestellt worden sind. Ihre Bereinigung ist notwendig; das wissen Sie auch, darüber haben wir uns sogar im Haushaltsausschuß ausführlich unterhalten. Sie wird erfolgen, und sie ist, wie wir erfahren haben, in den nächsten Haushaltsplänen vorgesehen.Zweitens: alle Rüstungsprogramme unterliegen der ständigen Änderung entsprechend den Forderungen der NATO; auch das ist uns allen bekannt. In dieser Hinsicht sind die Rüstungsprogramme, also auch die Vorbehaltsbeträge, Herr Kollege Dr.Schäfer, einer ständigen Wandlung unterworfen. Schließlich erstrecken sich diese Programme auf verschiedene Zeiträume. Sie sind daher nicht miteinander vergleichbar. Außerdem ist die Abwicklung der Vorbehaltsbeträge entscheidend von den Realisierungsmöglichkeiten her bestimmt. Sie wissen auch, daß die Realisierungsmöglichkeiten der Abwicklung nicht ohne weiteres heute schon vorhergesehen werden können. Hier sind — und darüber haben wir uns auch schon ausführlich unterhalten — die Zeiten für die Entwicklung und die Erprobung zu nennen.
Wir kennen alle die Schwierigkeiten bei der Modellauswahl, wir kennen auch die Schwierigkeiten in der Fertigungskapazität der Industrie, undI wir kennen schließlich die personellen Schwierigkeiten, die wir heute im Bereich des Verteidigungssektors haben. Bei der Dynamik der Verhältnisse, glaube ich, ist eine weitreichende Prognose und Planung, Herr Kollege Dr. Schäfer, wie Sie sie verlangt haben, daher nicht möglich. Ihr käme nach meiner persönlichen Meinung nur eine theoretische Bedeutung zu. Die auf die Vorbehaltsbeträge gestützte Argumentation muß deshalb, meine ich, ins Leere stoßen. Ähnliche Argumentationen haben sich schon im Jahre 1958, als wir uns damals unterhielten, den tatsächlichen Verhältnissen gegenüber als nicht ganz stichhaltig erwiesen.Lassen Sie mich noch ein Wort zu dem sagen, was des öfteren von seiten der Opposition über die Mängel bei der Materialauswahl, über die schlechte Materialverwaltung und über das Instandsetzungswesen usw. draußen und auch hier schon angeführt worden ist. Die Kritik mag berechtigt sein, aber wir müssen auch die Schwierigkeiten sehen, mit denen es die noch im Aufbau begriffene Bundeswehr zu tun hat. Dazu darf ich vor allem folgendes sagen. Außer auf die Vollbeschäftigung sind die personellen Schwierigkeiten der Bundeswehr wesentlich auf die mangelnde politische Unterstützung in der Öffentlichkeit, meine Herren von der Opposition, während ihres Aufbaues und vor allen Dingen auch auf die vielfachen Angriffe, die von Ihrer Seite gegen die Bundeswehr in der Vergangenheit unternommen wurden, zurückzuführen. Außerdem ist der Aufbau der Bundeswehr auch durch politische Forderungen belastet worden, und zwar durch politische Forderungen, die man schon vor ihrer Aufstellung erhoben hatte und die sich dann in den verschiedensten Gesetzen niedergeschlagen haben.Beanstandungen wird auch mit folgendem Gedankengang begegnet werden müssen. Eine moderne Armee weist — das haben wir gerade bei den Beratungen über die großen Materialkapitel immer wieder feststellen können — Züge eines technischen Großbetriebs auf. Für den Aufbau werden die Grundsätze der Wirtschaftlichkeit oft nicht im fiskalischen, sondern in dem in der Wirtschaft gebräuchlichen Sinne Geltung haben müssen. Deshalb werden auch oft größere Investitionen erforderlich sein, die der Rationalisierung eine solchen Betriebes, wie ihn die Bundeswehr darstellt, dienen.
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8596 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 151. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. März 1961
LeichtAber auch für die Personalführung und die Personalbetreuung müssen wir ähnliche Maßstäbe anlegen, wie sie sich bei vergleichbaren Betrieben anderer Art entwickelt haben. Wir kennen ja gerade die Sorge im Bereich der Personalwirtschaft im Verteidigungsministerium. Wir kennen vor allen Dingen die große Sorge, die das Verteidigungsressort mit den technischen Berufen hat, die es in sehr hohem Maße für die Erledigung seiner Aufgabe heranziehen muß. Wir kennen auch alle die Frage — wir haben das oft diskutiert, auch schon im Haushaltsausschuß —: wie können wir bei der angespannten Lage, die wir im Augenblick auf dem Arbeitsmarkt haben, in Zukunft dafür sorgen, daß wir gerade auch Spezialisten, Techniker bekommen können?Ich glaube, wenn wir auch diese Seite betrachten, Herr Kollege Dr. Schäfer, und wenn wir alles miteinander abwägen, dann ist die Sorge, die wir gemeinsam haben, in Zukunft zu tragen und die Aufgabe zu meistern.
Meine Damen und Herren, es liegen keine Wortmeldungen mehr vor. — Doch! Herr Abgeordneter Schmidt, von so weit rechts hatte ich Sie nicht erwartet.
Bitte sehr!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Gestatten Sie zunächst, daß ich diesen Zwischenruf beantworte.
— Eine Einleitung. Ich nehme sie als Aufhänger, Herr Kollege, und erwidere Ihnen, daß natürlich kaum zu erwarten war, daß der Finanzminister oder der Verteidigungsminister auf die sehr substantiierten Fragen meines Kollegen Dr. Schäfer zu antworten geruhen würden.Meine Damen und Herren, lassen Sie mich mit der Feststellung beginnen, daß eine Fülle militärpolitischer Äußerungen, die der Herr Bundesverteidigungsminister in letzter Zeit außerhalb dieses Hauses gemacht hat, uns zu einer Prüfung, sagen wir, zu einer Bilanz, zwingen müssen: Wo stehen wir heute nach sechs Jahren Aufbaus der Bundeswehr? Wo stehen wir vor allem nach über zwölf Jahren der NATO? Was lehren uns diese Erfahrungen? Wo stehen wir, wenn wir die zukünftigen Entwicklungen und Probleme des neuen Jahrzehnts überschauen? Welche neuen Fragen stellen sich? Welche Alternativen sind denkbar oder sind verfügbar?Ich möchte zunächst zu diesen Fragen etwas sagen und verweise insofern gleichzeitig auf den von der sozialdemokratischen Fraktion vorgelegten Entschließungsantrag Umdruck 808 und dort insbesondere auf Ziffer 1. Wenn ich es richtig sehe, scheintsich auch der Bundesverteidigungsminister solche Fragen zu stellen, wenngleich er — ich wiederhole das — in diesem Hause darüber bisher nicht gesprochen hat. Ich entnehme folgendes einem sehr ausführlichen Interview, das der Verteidigungsminister vor einigen Wochen der amerikanischen Zeitschrift „US News and World Report" gegeben hat, das uns sehr viel besser über seine Vorstellungen unterrichtet als alles, was er im letzten halben Jahr etwa im Verteidigungsausschuß gesagt hat. Dort wurde ihm u. a. die Frage gestellt: Welches sind im Hinblick auf die Zukunft die großen militärischen Probleme, denen sich der Westen gegenübergestellt sieht? Herr Strauß antwortete der amerikanischen Zeitschrift:An erster Stelle gilt es, die richtige Formel für die westliche Strategie zu finden, mit der den Problemen des atomaren Patts begegnet werden kann.Es gilt also nach den Worten des Verteidigungsministers, eine richtige Formel zu finden, oder, wenn ich das in das gängige Bonner Deutsch transponieren darf, es gilt, ein neues, zureichendes strategisches Konzept des Westens angesichts seiner veränderten Lage zu finden.Nun glaube ich nicht, daß gewisse öffentliche Äußerungen und Rundfunkreden jenes Hauspropagandisten des Herrn Bundesverteidigungsministers, der zuweilen und vorübergehend auch als Oberst verkleidet auftritt
— heute ist das nicht der Fall, wie ich gesehen habe —, als zureichende Antwort auf jene Frage angesehen werden — auch vom Verteidigungsminister selber nicht —, die er der amerikanischen Zeitschrift „US News and World Report" als zu lösendes Problem gekennzeichnet hat. Ich glaube kaum, daß der Verteidigungsminister behaupten wird, wir Deutschen hätten diese neue Formel schon gefunden und es gehe eigentlich nur noch darum, den Amerikanern klarzumachen, worin diese Formel bestehe.Jeder, der sich im Verlaufe der letzten zwölf Monate in Amerika, in England und anderen Ländern der Allianz umgesehen hat, weiß, daß an allen Stellen um diese neue strategische Vorstellung gerungen wird. Ich hatte noch vor zwei Tagen Gelegenheit, aus dem Munde des Generals Norstad in Paris zu hören, daß — wörtlich — eine neue Bewertung der Lage notwendig sei. Insofern stimmen wir wohl alle miteinander überein, und ich glaube, daß auch der Verteidigungsminister mit uns darin übereinstimmt.Ebenso deutlich ist aber auch, daß im Gegensatz zu mancherlei neuen Denkansätzen in den Vereinigten Staaten, in England und auch in Frankreich — ich will sie zunächst einmal gar nicht bewerten — in den außerhalb dieses Hauses vom Verteidigungsminister und vom Verteidigungsministerium getanen Äußerungen solche neuen Denkansätze auf deutscher Seite kaum zu erkennen sind. Ich will davon absehen, daß das
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Schmidt
Regierungsbulletin zur Ausfüllung dieser Lücke vor einigen Tagen ein Interview des Generals Heusinger abgedruckt hat, das in Wahrheit schon viele Wochen alt war und das ihm sicherlich kein besonders günstiges Entrée für seine neue Tätigkeit in Washington verschaffen würde, wenn es dort abgedruckt würde. Dieses Interview hat nicht die Absicht gehabt, auf die neue Lage einzugehen, und auch durch eine entsprechende Überschrift, die die Redaktion des Bulletin dem Interview gegeben hat, wird der Sinn der Bemerkungen des Generals Heu-singer nicht verändert.Ich halte mich stattdessen lieber an den Verteidigungsminister, der hier unter uns weilt und der in einem der vielen Dienste, die der Herr Staatssekretär des Bundespresse- und Informationsamtes bezahlt, am 8. Februar einen Leitartikel geschrieben hat, der überschrieben ist „Die entscheidende Phase". Herr Strauß setzt sich in diesem Leitartikel ausdrücklich mit den zukünftigen Fragen auseinander. Ich darf ein paar Worte zitieren, Herr Präsident. Er schreibt dort, nach wie vor sei die Aufgabe gestellt, einen Krieg zu verhindern, d. h. eine Strategie der Abschreckung zu betreiben; jedoch habe die Geschichte der atomaren Abschreckung drei Phasen: die erste Phase, in der die Amerikaner allein die nuklearen Sprengkörper und die Trägerwaffen dafür gehabt hätten, die zweite Phase, in der die Sowjets zwar auch nukleare Sprengkörper, aber noch keine Trägerwaffen dafür gehabt hätten, und die dritte Phase, wo beide über beides verfügten. Herr Strauß sagt dann:Diese dritte Phase steht kurz bevor; sie ist zum Teil schon eingetreten.Und etwas später heißt es in diesem Aufsatz:Es ist bezeichnend, daß sich selbst in der Terminologie eine Umkehrung andeutet. Bisher verstand man unter „Schild" die konventionelle Streitkraft der Amerikaner und der europäischen Verbündeten entlang der Grenzlinie des Eisernen Vorhanges, und unter „Schwert" verstand man bisher die großen strategischen Vergeltungswaffen der USA und Großbritanniens.In Diskussionen, so schrieb Herr Strauß, tauche jetzt bereits für die Träger der strategischen Waffen der Ausdruck „Schild" auf und für die konventionellen Streitkräfte, insbesondere für das Heer, die Bezeichnung „Schwert". Hier sei eine gefährliche Grenze erreicht, schrieb Herr Strauß, denn es gehe nicht darum, in Zukunft das Kämpfen mit nichtatomaren Waffen zu ermöglichen, sondern — und nun kommt ein Satz, den ich unterstreichen möchte, weil ich ihn für richtig halte — im ganzen Bereich aller Varianten der militärischen Aggressionsmöglichkeiten komme es darauf an, eine abschreckende Wirkung aufrechtzuerhalten. Im ganzen Bereich der möglichen Varianten! Es gibt eine ganze Skala verschiedener Aggressionsmöglichkeiten, auf die wir vorbereitet sein müssen.Der Leser vermutet, daß jetzt im einzelnen dargestellt werde, welche Möglichkeiten das sind und welcher Art unsere Vorbereitungen sein sollten.Diese Vermutung stellt sich leider als irrig heraus; denn der Aufsatz schließt nunmehr mit der üblichen Schlußapotheose auf die Atlantische Gemeinschaft. Ich will dieser Apotheose keineswegs widersprechen; aber die Frage nach den strategischen Konsequenzen, Herr Strauß, ist damit allein nicht beantwortet.Die Sicherheit vor den verschiedenen Aggressionsmöglichkeiten, von denen Sie geschrieben haben, kann man theoretisch auf dreierlei Weise erreichen: entweder im Grundsatz durch Aufrüstung oder im Grundsatz durch gegenseitige Rüstungskontrolle oder drittens durch eine geeignete Mischung von beiderlei Maßnahmen und Systemen. In allen Fällen wird es das Ziel sein — ich nehme an, daß wir auch darin übereinstimmen —, „die gegenseitige Abschreckung zuverlässiger, stabiler und sicherer zu machen". Dieser Satz stammt nicht von mir, sondern er stammt von dem gegenwärtigen stellvertretenden amerikanischen Verteidigungsminister Paul Nitze. Und ein anderer Mann dieser amerikanischen Regierung, ein Mann, den wir alle gut kennen und schätzen, John McCloy, der jetzt an der Spitze einer neu errichteten großen Behörde steht, die nichts anderes zu tun hat, als über Abrüstungsstrategie nachzudenken, hat vor ein paar Tagen gesagt: „Wir müssen die Gefahr einer atomaren Katastrophe verringern, bei der es doch nur eine Frage gäbe, ob nämlich genug Menschen überlebten, um die Toten zu begraben."Diese beiden amerikanischen Äußerungen passen gut zueinander. Denn in der Tat sind Verteidigungsstrategie und Abrüstungstrategie nur verschiedene Aspekte ein und derselben Sache. Ich möchte sagen: es sind die beiden Seiten ein und derselben Münze, die jedoch nur in einem einzigen Arbeitsgang geprägt werden kann.
Verteidigungsstrategie und Abrüstungsstrategie hängen unlösbar ineinander und hängen voneinander ab, wenn sie Sinn haben sollen, wenn sie effektiv werden sollen.Dies ist einer der Punkte, an denen sich unser politischer Vertrauensmangel gegenüber dem amtierenden Verteidigungsminister und gegenüber der Militärpolitik der amtierenden Bundesregierung begründet. Der Verteidigungsminister hat vor einiger Zeit in dürren Worten erklärt, daß er für Fragen der Rüstungskontrolle nicht zuständig sei. Das mag nach der Geschäftsordnung der Bundesregierung so sein. Wer aber ist in der Bonner Bundesregierung für diese Frage zuständig? Ich kann mir nicht gut vorstellen, daß jemand sagt, das Bundeskanzleramt sei dafür zuständig. Denn, entschuldigen Sie, über den militärischen Dilettantismus des Bundeskanzlers sind wir ja bei ausreichenden Gelegenheiten hier dokumentarisch belehrt worden.
— Herr Dr. Dresbach, ich bin gern bereit, auf diesenZwischenruf einzugehen und Ihnen einen Beleg zu
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liefern. Sie werden sich erinnern, wie viele von uns in diesem Hause — —
— Herr Dr. Dresbach, Sie haben mir die Hälfte der Antwort abgenommen. Aber ich kann es nun doch nicht unterdrücken, Ihnen die andere Hälfte meiner Antwort noch nachzuliefern. Wir alle haben am Rundfunk zum 84. Geburtstag des verehrten Herrn Bundeskanzlers — nein, es war der 85. Geburtstag, es war dieses Jahr —, wir alle haben sicherlich gehört — —(Zuruf von CDU/CSU: Da war es eigentlichder 86.! — Heiterkeit.)— Ich bitte um Entschuldigung, es war der 86.
Jedenfalls war es in diesem Frühjahr, als der Bundeskanzler in der Form eines Interviews eine Art Selbstbiographie über den Rundfunk sprach. Dabei kamen auch seine Erlebnisse bei Kriegsende zur Sprache. Der Herr Bundeskanzler befand sich an einem Tage bei Kriegsende in seinem Garten in Rhöndorf, die amerikanische Artillerie schoß von dieser Seite des Rheins, und er sah eine Artilleriekugel auf sich zufliegen.
— Ja wissen Sie, da hat nun der Herr Dresbach recht: so etwas kann nur der sagen, der nie gedient hat.
Ich war neun Jahre Soldat, aber ich habe noch niemals eine Artilleriekugel auf mich zufliegen sehen. Es gibt auch in ganz Deutschland keinen Obergefreiten, der das gesehen hätte.
— Da wird „Münchhausen" gerufen. Ich will das Beispiel des Bundeskanzlers nicht noch bis zum Baron Münchhausen fortsetzen, da hätte der Herr Bundeskanzler noch viel vor sich; denn der Münchhausen ist von der einen Kanonenkugel im Fluge auf die andere umgestiegen.
— Herr Majonica, ich nehme an, daß Sie, Herr Dresbach und ich, daß wir alle uns einig sind, daß es mancherlei Anhaltspunkte dafür gibt, daß weder der militärische noch der abrüstungspolitische Sachverstand sich ausgerechnet im Bundeskanzleramt konzentriert habe.
Es bleibt also noch die dritte Möglichkeit, daß das Auswärtige Amt für Abrüstungsfragen zuständig wäre, und ich nehme an, daß das in der Tat so ist. Ich habe festgestellt, daß im Auswärtigen Amt ein vortragender Rat — ein Rat ! — die Abrüstungsfragen bearbeitet und daß ihm zwei wissenschaftliche Hilfsarbeiter zur Verfügung stehen. Ein so großer Apparat, meine Damen und Herren, reicht sicherlich gerade eben aus, die Weltpresse auf diesem Gebiet einigermaßen vollständig zu verfolgen. Er reicht zweifellos nicht dazu aus, eigene Vorschläge zu entwickeln. Das schlägt sich ja nun allerdings auch in den Äußerungen nieder, die unser Bundeskanzler, unser Verteidigungsminister oder unser Außenminister im Lauf der Jahre zum Thema Abrüstung immer wieder machen. Seit Jahr und Tag hören wir immer nur diesen einen mageren Satz, wir Deutschen seien für eine allgemeine kontrollierte Abrüstung. Bisweilen wird sogar noch ein zweiter Satz hinzugefügt: Wir seien bereit, einem Abkommen beizutreten, das die Großmächte ausgehandelt haben. Das hat jetzt auch der Bundeskanzler in der vorigen Woche in seiner Pressekonferenz so lapidar wiederholt.Beide Sätze sind richtig. Niemand wird diesen Sätzen widersprechen wollen. Die Frage ist nur, ob das ausreicht, meine Damen und Herren.
Ich erinnere z. B. an die Tagung der Interparlamentarischen Union in Tokio, wo wir Deutschen drei Tage lang in wütenden kommunistischen Attacken aus soundsovielen kommunistischen Ländern angegriffen wurden, wo die Bundesregierung als der Prototyp des kapitalistischen Aggressors hingestellt wurde, und was dergleichen Beschimpfungen alles mehr sind. Ich darf für mich und für einige andere Freunde in Anspruch nehmen; daß wir dort die Bundesregierung gegen diese Angriffe verteidigt haben und daß wir erklärt haben: Wir halten diese beiden Prinzipien der Abrüstungspolitik dieser Regierung für richtig und wir vertrauen darauf, daß die Bundesregierung das so meint, wie sie es sagt. Es waren eine Reihe von Kollegen dort anwesend — ich sehe sie hier vor mir sitzen —, die das miterlebt haben, und sie werden bestätigen können, daß es so war. Sie werden aber auch bestätigen können, daß wir alle doch wohl das Gefühl hatten, wir wären in jener Auseinandersetzung etwas besser daran gewesen, wenn wir noch etwas mehr als nur diese beiden nackten Sätze hätten sagen können, meine Damen und Herren.Ich darf mir heute die Frage erlauben — ich nehme an, daß der Bundesverteidigungsminister noch das Wort nehmen wird —: Was ist denn eigentlich die abrüstungspolitische Vorstellung dieser Bundesregierung? Lassen wir Revue passieren, was an allgemeinen Haltungen, an allgemeinen Neigungen zur Frage der Abrüstung von dieser Bundesregierung im Laufe der letzten zehn Jahre oder, sagen wir, im Laufe der letzten sechs Jahre gesagt worden ist. Zeitweilig hat es geheißen, Abrüstung sei unmöglich, solange die deutsche Spaltung noch andaure. Das läßt sich in einer Reihe von Erklärungen der Bundesregierung nachlesen. Zeitweilig hat es geheißen, im Gegenteil, eine allgemeine kontrollierte Abrüstung sei die notwendige Voraussetzung für die Lösung der deutschen Frage. Wiederum hat es zeitweilig geheißen, jeder Abrüstungsschritt müsse mit einem Schritt zur politischen Lösung der
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Deutschlandfrage verkoppelt sein. Ich muß gestehen, daß ich im Augenblick nicht übersehe, welche dieser drei verschiedenen Haltungen, ,die sich gegenseitig ausschließen, die gegenwärtig gültige ist.Wenn aber schon in diesen Generalia in bezug auf die Abrüstung so wenig Konsistenz vorhanden ist, kann es nicht wunder nehmen, daß die Bundesregierung bezüglich ihres Beitrags zur materiellen Abrüstungsdiskussion bisher völlig steril geblieben ist. Man fragt sich, auf welche Weise sich eigentlich die Bundesrepublik Deutschland an jenen umfassenden Abrüstungsberatungen beteiligen will, die nunmehr, neu angetrieben, neu angefacht durch eine neue amerikanische Regierung, innerhalb des Westbündnisses beginnen. Man fragt sich, mit welchen geistigen und instrumentalen Vorbereitungen eigentlich die Bundesregierung solchen Männern wie McCloy, Kissinger, Wiesner, und wie alle diese Fachleute heißen, die in Amerika mit diesem Problem ringen, entgegentreten will, was wir eigentlich zur Konzipierung einer gemeinsamen Diplomatie der Abrüstungsstrategie des Westens beitragen wollen. Ich glaube, niemand von uns kann der Meinung sein, wir hätten kein Interesse daran, wie die Abrüstungsstrategie des Westens letzten Endes aussehen wird. Im Gegenteil, wir haben ein vitales Interesse, daran beteiligt zu sein.Ich sagte vorhin, meine Damen und Herren, Abrüstungs- und Verteidigungsstrategie seien zwei Seiten ein und derselben Münze. Sie hängen voneinander ab. Eine Vorstellung von der Rüstungskontrolle kann man nicht entwickeln, wenn man nicht gleichzeitig klar weiß, welche Verteidigungsstrategie man entwickeln wird, und eine Verteidigungsstrategie kann man nicht ohne Rücksicht auf die beabsichtigte Rüstungskontrollpolitik konzipieren.Da wir es heute mit dem Einzelplan 14 zu tun haben, will ich Herrn Strauß zuliebe für heute — nur für heute — einmal von der Annahme ausgehen, daß die Verteidigungsstrategie in ihrem Wechselverhältnis zur Abrüstungspolitik die determinierende Funktion hätte. Ich tue das nur, damit wir in der Diskussion von der Verteidigungsstrategie ausgehen können. Was aber ist ,die Vorstellung der Bundesregierung von der Verteidigungsstrategie des Westens für die 60er Jahre? Oder vielmehr richtiger und besser gesagt: Was sollte nach Meinung der Bundesregierung die zukünftige Strategie des Westbündnisses sein? Ich knüpfe noch einmal an das eingangs zitierte Interview an, in dem Herr Strauß u. a. sagte:In der dritten Phase, in die wir jetzt eintreten, haben beide Weltmächte sowohl nukleare Sprengkörper als auch weitreichende Trägerwaffen. Die dritte Phase ist zum Teil schon eingetreten. Das erfordert eine Anpassung unserer Strategie.Soweit Herr Strauß.Anpassung in welcher Richtung?, so fragen wir. Sehen wir einmal von den Rundfunkreden und den sonstigen Äußerungen Ihres Herrn Presseoffiziers in der Öffentlichkeit ab, die in letzter Zeit wohlvornehmlich mit dem bevorstehenden Besuch eines auswärtigen Diplomaten eines von uns verbündeten Landes zu tun hatten. Der Verteidigungsminister selber hat bisher nur ein einziges Mal sehr deutlich gesagt, in welche Richtung seiner Meinung nach eine der verschiedenen Anpassungen gehen soll. Das war auf der Dezember-Sitzung des NATO-Rates im letzten Jahr in Paris, wo der damalige amerikanische Außenminister den mindestens zu jener Zeit noch völlig unzureichend durchdachten Vorschlag vorlegte, die NATO in Europa mit eigenen nuklear-strategischen Vergeltungswaffen auszustatten. Sie wissen, weswegen ich sage: damals noch völlig unzureichend durchdacht. Auch heute ist das Problem ja keineswegs vollständig durchdacht. Wir alle erinnern uns der Karikatur in der Zeitung mit den 15 Fingern an dem Abzugshahn dieser gemeinsam nuklear-strategischen Waffen. Das ist das Problem, um das es geht, um das sich viele Leute viele Gedanken gemacht haben, für das sich aber bisher kaum zureichende Lösungen abzeichnen.Der Verteidigungsminister war in Paris im NATO-Rat derjenige, der sich am enthusiastischsten für diesen Plan aussprach. Weder England noch erst recht Frankreich waren sonderlich begeistert. Nun wird natürlich dieses Alleinbleiben in jener Sitzung noch kein Argument für den Wert oder Unwert der Auffassungen darstellen, die Herr Strauß dort geäußert hat. Keineswegs! Herr Strauß muß sich aber jedenfalls, wenn er von sich aus öffentlich dies bisher als die einzige Anpassung genannt hat, die er für nötig hält, zu einer Reihe von Fragen und Argumenten äußern.Erstens. Ein der NATO unterstelltes, zusätzlich zu dem vorhandenen amerikanischen nuklear-strategischen Waffensystem errichtetes System solcher Art, ein der NATO unterstelltes Vergeltungssystem oder, wie man in der internationalen Diskussion sagt, ein „Second-strike-Waffensystem", kann selbst bei unerhörten finanziellen Anstrengungen auf Jahre hinaus nicht entfernt die gleiche militärische Kraft, nicht einmal die Größenordnung jener Abschreckungskraft entwickeln, welche die Vereinigten Staaten mit ihren Streitkräften heute längst besitzen. Im übrigen läuft aber eine solche Anstrengung finanzwirtschaftlich auf eine schwere Beeinträchtigung der konventionellen Rüstung Europas hinaus.Zweitens. Ein in Europa installiertes oder, sagen wir besser, zu installierendes kollektives oder integriertes nuklearstrategisches Vergeltungswaffensystem ist gegenüber einem möglichen Angreifer von viel geringerer Glaubwürdigkeit als das bisher schon vorhandene amerikanische Vergeltungswaffensystem. Denn es ist bisher noch niemandem gelungen, wenigstens auch nur theoretisch jene politische Führungs- und Kontrollapparatur zu ersinnen, die es sicherstellt, daß die 15 Länder der NATO im Ernstfall nicht nur schnell und gemeinsam, sondern auch übereinstimmend reagieren. Und wer dieser Schwierigkeit etwa dadurch entgehen wollte, daß er die Befugnis zur Auslösung dieses Waffensystems quasi im voraus, katalogartig, dem militärischen Oberbefehlshaber der NATO in Europa zuschöbe, müßte sich zweierlei sagen lassen: einmal, daß in
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einer Demokratie kein Politiker die höchste Verantwortung auf einen Soldaten abschieben kann und darf
— und Norstad selber will sie ja auch gar nicht haben, wie er zu diesem Punkt ausdrücklich erklärt —, und zum anderen, daß jeder Katalog von im voraus erdachten Situationen die Gefahr impliziert, daß sich der Gegner das laut Katalog geringste Risiko in der Schaffung von Situationen aussucht, die durch seine Aktion erst herbeigeführt werden.Drittens. Die Errichtung einer gemeinsamen nuklearstrategischen Streitmacht der NATO in Europa würde zwangsläufig die psychologischen Tendenzen im Denken der Amerikaner fördern, die Risiken für ihre eigenen amerikanischen Großstädte und Industriezentren — Risiken, die die USA heute Europas wegen auf sich nehmen müssen — in Zukunft nach Möglichkeit abzubauen, weil sich ja Europa selber, mindestens dem Anschein nach, ein ähnliches Vergeltungswaffensystem zulegt. Die dadurch eintretende Gefährdung der Interdependenz des Westbündnisses wird besonders durch einige unverblümte Stellungnahmen hervorragender Franzosen unterstrichen. In aller Öffentlichkeit, vor der französischen Nationalversammlung, in der Presse, wird frank und frei erklärt, nuklear-strategische Waffensysteme, die notfalls von Europa aus in unabhängigem Entschluß ausgelöst werden könnten, hätten ja gerade den großen Vorteil, durch diese Möglichkeit die Vereinigten Staaten von Amerika eventuell auch in solchen Fällen in einen nuklearen Konflikt zu engagieren, in denen sie selbst und originär es möglicherweise nicht wünschen sollten.Wenn solches Denken sich im Bereich des Bündnisses durchsetzt, läßt sich im Laufe der nächsten Dekade der Zeitpunkt voraussehen, wo schwerste Spannungen eintreten müssen. Man kann das noch etwas mehr im einzelnen auffächern, als ich es hier heute tun kann. Aber ich meine, daß Herr Strauß auf diese drei Argumente muß antworten können, wenn er sich schon für die gemeinsame kollektive Vergeltungswaffe in Paris einsetzte. Er wird sich insbesondere darauf vorbereiten müssen, diese Frage auch mit unseren Verbündeten, nicht nur in Amerika, auch in England und in Frankreich, zu handeln.Hier gibt es auch bei anderen schwere Bedenken. Die Kollegen, die bei dem deutsch-amerikanischen Gespräch in Washington dabei waren, werden sich sehr genau an die kühle Distanz erinnern, mit der alle amerikanischen Teilnehmer gerade diesen Vorschlag dort behandelt haben. Sie werden sich sehr genau erinnern, daß der einzige deutsche Teilnehmer, der sich für diese Sache aussprach, in eine bemerkenswerte Isolierung auf jener Konferenz geriet.An dieser Stelle müßte eigentlich ein Exkurs über eine andere Lösung stattfinden, die zum Teil unter der sich so harmlos lesenden Überschrift „Wir Deutschen müssen dieselben Waffen haben wie die Sowjetunion" im Verborgenen sich schon zu entwickeln beginnt, eine Alternative, die in Frankreich sehr viel weiter fortgeschritten ist, nämlich der Wunsch nach einer eigenen, nationalen, unabhängigen Vergeltungswaffe, einer „force de frappe nationale", wie man das in Frankreich nennt.Lassen Sie mich in wenigen Sätzen nur sagen: Was unsere französischen Bündnispartner hier planen, ist militärisch absolut wertlos im Verhältnis zu derjenigen Weltmacht, auf die das Ding angeblich gezielt ist. Frankreich plant, im Jahre 1965 ganze 50 einmotorige Düsenbomber zu haben, die jeder eine nukleare Bombe tragen sollen. Diese Flugzeuge werden zweifellos nicht bis zur sowjetischen Grenze vordringen, geschweige denn im gezielten Wurf ihre Bomben abladen können, ganz abgesehen davon, daß, selbst wenn man 50 Flugzeuge auf 50 verschiedene Flugplätze in Frankreich verteilte, es nur höchstens 150 Mittelstreckenraketen bedürfte, um alle diese 50 Flugplätze unbenutzbar zu machen. Militärisch ist das Ganze völlig wertlos, wenn man es mit den heute, sechs, sieben Jahre früher, schon vorhandenen unendlichen Möglichkeiten dieser Art vergleicht, die die Sowjetunion besitzt.Aber auch politisch ist die Sache höchst bedenklich; denn sie gefährdet das Vertrauen innerhalb der Allianz insbesondere wegen der Gefahr, daß sich im französischen Vorgehen ein Präzedenzexempel entwickelt, dem andere möglicherweise nacheifern könnten.Wirtschaftlich kann man überhaupt nicht sehen, wie das bezahlt werden soll. Die Franzosen wollen für dieses Projekt offiziell 6 Milliarden NF bis 1965 ausgeben. Ich persönlich würde glauben, daß es bis dahin das Doppelte kosten wird. 10 Milliarden DM etwa. Selbst wenn dieses Geld aufgebracht wird, müßte man es doch woanders wegnehmen. In diesem Falle nimmt man es bei den konventionellen Truppen weg, die Frankreich der NATO zu stellen sich verpflichtet hatte. Aber selbst wenn man es dort wegnimmt, so haben wir nachher militärisch eine Apparatur, die nur nutzlos ist und Illusionen erweckt. Nationale unabhängige strategische Vergeltungssysteme sind zwangsläufig dazu verurteilt, ganz gleich, um welches Land es sich handelt, technisch weit hinter denjenigen der beiden Weltmächte hinterherzuhinken, qualitativ unvergleichbar zu bleiben, ebenso quantitativ unvergleichbar zu bleiben. Sie sind deshalb als Vergeltungsdrohung gegenüber einer Weltmacht absolut unglaubwürdig. Sie gehen aber — ich sage das noch einmal — zu Lasten ,der konventionellen Rüstung. Sie implizieren die Gefahr der Vereinzelung im Konflikt zwischen einer Weltmacht und einer kleinen Macht. Sie lösen die Zusammenhangskraft des Bündnisses und die psychologische Kohäsion innerhalb der Völker dieses Bündnisses auf.Nun, meine Damen und Herren, eigentlich müßte an dieser Stelle geklärt werden: Was ist denn eigentlich eine taktische Nuklearwaffe, was ist eigentlich eine strategische Nuklearwaffe? Ich habe gestern auf eine Frage, die bei uns in der Fraktion gestellt wurde, mit dem Beispiel geantwortet, das
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General Norstad gebracht hat, der auf diese Frage gesagt hat, er könne das auch nicht genau definieren, die Grenzen seien sicher fließend; aber im Zweifelsfalle sei es wohl so, daß jemand, der einen Milcheimer umstoße, damit ein taktisches Ereignis auslöse, während jemand, der die Kuh schlachte, ein strategisches Ereignis vollziehe. Insofern, glaube ich, ist die Terminologie immer noch brauchbar. Wenn wir hier von strategischen Nuklearwaffen sprechen, meinen wir jedenfalls solche Waffen, mit denen man Großstädte in einem einzigen Schlage vernichten kann. Wenn wir von taktischen Waffen sprechen, dann meinen wir jedenfalls solche Waffen, wie sie auf dem Gefechtsfelde gegen eine Handvoll Panzer oder vielleicht auch nur gegen einen einzigen Panzer eingesetzt werden sollen. Dazwischen gibt es ein weites Feld, in dem man nicht genau abgrenzen kann. Vor allem aber gibt es dazwischen die große Gefahr dessen, was die Amerikaner „escalation" nennen oder was wir die „nukleare Spirale" nennen können. Nehmen wir an, es schießt jemand mit einer ganz kleinen taktischen Atombombe auf einige Panzer. Der so Beschossene verfügt aber nicht über eine genau so kleine Waffe, sondern nur über die nächst größere. Er wird damit antworten. Jetzt kann der andere wieder eine Etage höher antworten. Und so kann man sich vorstellen — und viele sehr ernsthafte Strategen auf der Welt stellen sich das sehr ernsthaft vor —, daß eine solche Spirale innerhalb weniger Tage, möglicherweise innerhalb weniger Stunden bis zur Wasserstoffbombe führen kann.
— Ja, sicherlich. Bis vor einiger Zeit waren die kleinsten taktischen Atomwaffen etwa von der Zerstörungskraft der Hiroshima-Bombe. Inzwischen ist man noch etwas unter dieses Niveau gekommen.Lassen Sie mich an dieser Stelle die persönliche Bemerkung machen, meine Damen und Herren, daß ich nur dann einen Sinn in der Unterstützung finden könnte, die Herr Strauß in Paris diesem gemeinsamen integrierten europäischen Vergeltungswaffensystem hat angedeihen lassen, wenn damit sichergestellt werden könnte, daß alle nationalen unabhängigen Aspekte und Aspirationen und Anstrengungen dieser Art unterbunden würden.
Es wäre dann das kleinere Übel. Dabei werden die Bedenken im übrigen natürlich nicht ausgeräumt.Das ist, wie gesagt, der einzige Punkt, zu dem sich Herr Strauß bisher geäußert hat, was die Anpassungen angeht. Was sind die anderen Vorstellungen, Herr Strauß? Ich unterschätze Sie gewiß nicht und nehme nicht an, daß dies der einzige und entscheidende Punkt in Ihren Vorstellungen von den Anpassungen ist, die notwendig werden.In dem Artikel des Herrn Generals Heusinger hieß es vor ein paar Tagen im Bulletin: „Abschrekken heißt verteidigen." Ein richtiger Grundsatz, wie mir scheint. Er bedeutet, den Friedenszustand dadurch aufrechterhalten, daß man demjenigen, der eventuell den Frieden brechen könnte, so starke Waffenwirkungen androht, daß diese Androhung ihn von einer aggressiven Initiative abschreckt; genauer gesagt: daß diese Androhung ihm das Schadensrisiko größer erscheinen läßt als seinem eventuellen Aggressionsgewinn. Das ist ein theoretisch einwandfreier Grundsatz, der im übrigen auch völlig unabhängig vom nuklearen Zeitalter gilt. Schwierig jedoch ist es, ihn in praktische Strategie und in praktische, effektive Rüstung umzumünzen, zumal sich die Lage schnell ändert und die Phasen schnell wechseln. Es gab einmal ein Generalrezept und eine kleine Zeit, in der ein Patentrezept für diese Abschreckung möglich war. Das war die kurze Spanne von 1945 bis in die 50er Jahre hinein, wo die Vereinigten Staaten von Amerika praktisch das Monopol der Anwendung von strategisch-nuklearen Waffen besaßen. In jener Phase war es theoretisch möglich, die Abschreckung mit der bloßen Androhung der massiven Vergeltung zu vollziehen, wie Dulles es damals gesagt hat: „Massive retaliation at places and times of our choosing"; in jedem Falle, was auch immer passiert, wir werden nuklear vergelten.Immerhin hatten schon zu jener Zeit sehr ernst zu nehmende moralische, psychologische und politische Gründe verhindert, diese Waffen etwa im koreanischen Feldzug einzusetzen. Es gab schon in jener Zeit in Amerika große Zweifel, ob diese absolute nukleare Abschreckungsstrategie wirklich geeignet sei, für alle Fälle von Aggressionen wirksam zu werden.Inzwischen ist völlig klar, daß dieses Generalrezept keine Gültigkeit mehr hat. Jeder Amerikaner, den Sie darüber befragen und der von den Dingen weiß, wird Ihnen antworten, daß eine massive strategisch-nukleare Vergeltung für eine Aggression einer Weltmacht zwangsläufig entweder die Gegenvergeltung dieser Weltmacht oder — genauso schlimm — den vorwegnehmenden ersten Schritt, den Präventivschritt, wenn ich mich so pauschal ausdrücken darf, dieser Weltmacht auslösen wird. Jeder Amerikaner — mit Ausnahme, wie ich zugebe, gewisser Leute innerhalb der Luftwaffe — wird Ihnen antworten, daß es heute in Amerika keinen Zweifel mehr darüber gibt, daß die strategisch nuklearen Waffensysteme in Zukunft nur noch dann eingesetzt werden können, wenn es sich um einen Angriff auf vitale, lebensentscheidende Interessen des Westens handelt, und nicht in anderen minder schweren Fällen.Mit Recht heißt es deshalb in einer vom amerikanischen Senat veröffentlichten Denkschrift: Wenn die Vereinigten Staaten und die Alliierten die Wahrscheinlichkeit und sogar die Wünschbarkeit eines nuklearen Gleichstandes mit der Sowjetunion anerkennen, weil damit — mit dem Gleichstand — die Gefahr eines totalen Krieges herabgesetzt wird, dann müssen sie für eine Alternative an Stelle der Androhung nuklear-strategischer Intervention sorgen, damit auch nicht-nukleare Aggressionen abgeschreckt werden können. Es handelt sich um eine Kongreßdrucksache, die auf 100 Seiten amerikanische Strategie analysiert. Man
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kann eine große Anzahl anderer Quellen zitieren: Maxwell D. Taylor, Kennedy, Kissinger. Es ist ein „established fact", wie die Amerikaner sagen, daß das alte Patentrezept heute nicht mehr gültig ist.Wir brauchen also nicht nur für den allerunwahrscheinlichsten Fall, daß eine Weltmacht überlegter-weise einen totalen Weltkrieg herbeiführt, sondern für die anderen, viel eher denkbaren Fälle geringerer Aggressionen unsererseits eine brauchbare Abschreckung, d. h. eine Verteidigungsstrategie. Es gibt keine Möglichkeit, eine Strategie Iheoretisch anzudrohen, eine vernichtende Strategie in der Theorie und in der Publizistik kundzumachen und sie dann im Ernstfall nicht zu benutzen. Solches Handeln setzte uns der tödlichen Gefahr der Erpressung aus. Wir werden uns daran gewöhnen müssen, daß Abschreckungsstrategie und effektive Verteidigung im Falle, daß wirklich etwas passiert, ein und dasselbe sein müssen.Dann ergeben sich allerdings für uns — genau wie für die Amerikaner auf dem Felde der nuklearstrategischen Überlegungen — gewisse Überlegungen auf dem Felde der sogenannten taktischnuklearen Waffen. In jener amerikanischen Denkschrift, die ich zitiert habe, heißt es, daß die etwaige Auslösung taktischer nuklearer Waffen durch Schlachtfeldländer — und wir in der Bundesrepublik sind ja in solchem Falle ein mögliches Schlachtfeldland — als Antwort auf eine konventionelle Agression den Willen unterstellt, sich selbst der Vernichtung anheimzugeben. Das ist völlig richtig. Das entspricht, auf Deutschland bezogen, derselben Logik, die die Amerikaner vorher in bezug auf ihr eigenes Land für die strategisch-nukleare Vergeltung entwickelt haben.Aus alledem ergibt sich die Konsequenz, daß der Westen in der Lage sein muß, auf all e n denkbaren qualitativen Agressionsebenen durch Androhung solcher Risiken abzuschrecken, die dem Gegner glaubwürdig sind, weil er mit ihrer effektiven Durchführung rechnen muß. Anders gesagt, wer eine Strategie androht, die er im Ernstfall nicht anwenden kann, es sei denn, er nähme die Selbstvernichtung seines eigenen Volkes in Kauf, der ist ein Hasardeur. Denn was will er tun, falls die Abschrekkung versagt und die effektive Verteidigung Platz greifen muß?Daraus ergibt sich für die 60er Jahre, daß wir auf verschiedenen Stufen abschrecken müssen. Herr Strauß selbst hat vor einem halben Jahr schon das Wort der „abgestuften Abschreckung" in den Mund genommen, sogar bei SHAPE wird es neuerdings schon benutzt, und selbst in der sogenannten Generalsdenkschrift ist es benutzt worden, wenn auch dort keineswegs logisch ausgedeutet. Diese Vorstellung führt dazu, daß wir in Mitteleuropa in der Lage sein müssen, uns bei konventionellen Agressionen auch rein konventionell zu verteidigen, daß wir taktisch-nukleare Waffen quasi als vorletzte Zuflucht für den Fall haben müssen, daß auch der andere solche benutzen sollte, und daß strategischnukleare Waffen nichts sind als die allerletzte Zuflucht, die der Westen hat.Dazu ist nun allerdings zu sagen, daß unsere konventionellen Truppen hier in Europa wegen des überwiegend nuklearen Denkens, das eine ganze Epoche ausgefüllt hat, 10 Jahre lang vernachlässigt worden sind.
— Lieber Herr Rösing, ich kann Ihnen antworten, daß ich selber und viele meiner Freunde schon vor 5 Jahren hier an derselben Stelle dafür gekämpft haben, unsere Truppen mit anständigen Panzern auszurüsten und nicht mit den Dingern, die da heute fahren.
Sie können in den Protokollen nachlesen, daß wir für anständige Panzer gekämpft haben, für anständige Schützenpanzer, für anständige Artillerie und für anständige Fahrzeuge.
— Ich komme auf diese im Sprechchor vorgebrachten Zwischenrufe gleich zurück, meine Damen und Herren; einen Augenblick. Ich möchte meinen Gedanken zu Ende führen.Es ist nicht nur in der Bundeswehr so, daß die konventionelle Ausrüstung nicht ausreicht. Das gilt leider auch für die neben uns stehenden englischen Verbände, das gilt für die französischen Verbände, die eigentlich nur auf dem Papier stehen.
— Eben.
Damit berühre ich gleichzeitig ein anderes Problem. Angeblich haben wir hier in Mitteleuropa 21 Divisionen stehen. Jeder weiß, daß, gemessen an Quantität und Qualität der sowjetischen Divisionen, die in der DDR stehen, die Kampfkraft dieser 21 höchstens mit der von 14 bis 15 Divisionen bewertet werden kann. Die Deutschen haben sich verpflichtet, 12 Divisionen aufzustellen, und sie werden das tun. Wie ist es aber mit der Erfüllung der Verpflichtung unserer Bündnispartner auf diesem Gebiet? Überall in der Welt erkennt man heute, daß die konventionelle Rüstung wichtiger und wichtiger wird. Aber es wäre ein schrecklicher Irrtum, zu meinen, daß dieses Mehr an konventionellen Truppen, das hier in Mitteleuropa erforderlich wird, etwa ausschließlich aus der Bundesrepublik gestellt werden sollte. Wir haben heute zweieinhalb englische Divisionen, eine kanadische Brigade und, wenn es hoch kommt, anderthalb französische Divisionen auf dem mitteleuropäischen Theater bereitstehen. Was für eine Situation würde es sein, wenn gegenüber diesen minimalen Truppen unserer Nachbarn, wie einige es vorzuhaben scheinen, etwa 15 deutsche Divisionen ständen! Was wäre das, allein psychologisch gesehen, für ein Mißverhältnis, ganz abgesehen von den Machtfaktoren, die hier impliziert sind! Ich glaube, daß wir alle im Interesse der Aufrechterhaltung des Bündnisses und der
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Kohäsion dieses Bündnisses auch in die 60er Jahre hinein und über das ganze Jahrzehnt darum bitten müssen, mit unseren Verbündeteten darum ringen müssen, daß sie ihrerseits ihre Verpflichtungen gegenüber dem Bündnis genauso erfüllen, wie es die Bundesrepublik tut.
In dem Zusammenhang noch ein wichtiger Gedanke. Abgestufte Abschreckung auf der Ebene der konventionellen Waffen, auf der Ebene der taktisch-nuklearen Waffen und auf der strategischen Ebene erfordert, daß man das sauber voneinander trennt. Man darf sich nicht einen Rüstungsanzug anziehen, der es praktisch unmöglich macht, bloß konventionell zu kämpfen.
- Herr Bucerius, ich wiederhole: Man darf sichnicht einen Rüstungsanzug anziehen, der es praktisch unmöglich macht, nur konventionell zu kämpfen. Es kann sein, daß man auch gezwungen wird, zusätzlich andere Waffen einzusetzen, und dafür muß sie der Westen haben, aber man darf sich nicht selber seine Rüstungsstruktur so ineinander verzahnen und verschränken, daß das erste nicht ohne das zweite möglich ist.Ich will hier meine Zeit nicht überschreiten. Ich möchte nur auf das hinweisen, was der schon zitierte Presse-Oberst des Verteidigungsministeriums dazu gesagt hat. Er meinte, es dürfe keinen Unterschied geben zwischen den Fronttruppen, die man „verheizen" könne, und den „Atomtruppen, mit denen man später siegen" wolle. Mit einer solchen billigen Polemik ist diesem Problem weiß Gott nicht gerecht zu werden, Herr Verteidigungsminister.
Ich habe über dieses Problem, über das wir im Augenblick sprechen und über das sich dieser Herr so leichtfertig ausgelassen hat, vor wenigen Tagen mit dem europäischen Oberbefehlshaber der NATO sprechen können. Er hat mir vor einem größeren Kreise in einer öffentlichen Diskussion gesagt, man müsse es physisch unmöglich machen — physisch unmöglich machen! —, daß Kampfeinheiten ohne höheren Befehl von ihren taktisch-nuklearen Waffen Gebrauch machen.
Das heißt, daß der General Norstad das Problem jedenfalls wesentlich ernster nimmt als die Pressestelle des Verteidigungsministeriums. Ich habe eine große Hemmung davor, strategische Konzepte sich in Pressestellen entwickeln zu sehen.
Ich darf das Haus, insbesondere die Mitglieder, die in der WEU-Versammlung mitarbeiten — Herr Kliesing sitzt vor mir —, daran erinnern, daß sich die WEU sehr sorgfältig mit diesem Problem beschäftigt und eine Lösung erarbeitet hat. Herr Heye hat daran mitgewirkt, und sicherlich werden sichdie Herren Heye, Kliesing und andere nicht sagen lassen wollen, sie hätten an einer Lösung mitgewirkt, die das „Verheizen der Fronttruppen" zum Inhalt hat.
Ich möchte jetzt auf die Zwischenrufe eingehen, die mir vorhin gemacht worden sind. Ich höre auch schon die unsachlichen Reden, die bestimmte — bestimmte — Kollegen hier anknüpfen werden. Ich denke z. B. an eine Rede, wie sie der Herr Abgeordnete Dr. Jaeger zu diesem Punkte landauf, landab halten wird.
Herr Dr. Jaeger hat eine bemerkenswerte polemische Begabung.
— Ich fühle mich geschmeichelt.
— Er kann sich nicht wehren? Er kann ja hinterher hier heraufgehen. Ich möchte ihn dann bitten, zu dem Stellung zu nehmen, was er im Rundfunk gesagt hat. Er hat erklärt:Wenn die Mehrheitspartei den Forderungen der Opposition nachgekommen wäre, dann gäbe es heute keinen deutschen Idaten und keine einzige Patrone.
— Mögen Sie das nicht hören? Das ist von Ihrem eigenen Kollegen! —
Denn jeder Verteidigungshaushalt ist bis zum heutigen Tag von der SPD im ganzen wie im einzelnen abgelehnt worden. Schutzlos wäre die Bundesrepublik längst ein Opfer des Kremls gegeworden.
Hätte sich der Deutsche Bundestag die Politik der Sozialdemokraten zu eigen gemacht, dann wären die Panzer der Roten Armee längst in Bayern eingerollt,
und auf dem Marienplatz in München würde die rote Fahne wehen.
Meine Damen und Herren, die vom Herrn Bundeskanzler — wie wir aus seiner im Rundfunk veröffentlichten Biographie wissen — zum Frühstück immer als erste gelesene „Neue Zürcher Zeitung" hat kürzlich in einem Leitartikel davon gesprochen,
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gewisse CDU-Politiker beschwören die Gefahr herauf, daß die Wahlkampagne in Deutschland allmählich — ich zitiere wörtlich - „faschistoide Charakterzüge" annimmt. Ich erspare mir die Vermutung, an welchen Kollegen aus diesem Hohen Hause die „Neue Zürcher Zeitung" dabei wohl gedacht haben mag.
Sie können doch durch solche lächerliche polemische Mätzchen die Tatsache nicht aus der Welt bringen, daß die Sozialdemokratische Partei wieder und wieder erklärt hat, sie stehe zu diesen Verträgen, daß sie wieder und wieder
— haben Sie keine Angst, ich komme auf alle Zwischenrufe zurück; aber erlauben Sie mir, meinen Satz zu Ende zu sprechen —, daß sie wieder und wieder wehrpolitische Vorschläge gemacht hat, zuletzt ganz offiziell und programmatisch auf ihren Parteitagen 1958 in Stuttgart, 1959 in Godesberg, 1960 in Hannover.
Herr Abgeordneter Schmidt, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Memmel?
Ja, bitte!
Herr Abgeordneter Memmel!
Ich frage wirklich etwas Ernsthaftes. Ich muß das tun, weil Sie von „unqualifizierten Zwischenrufen" sprachen. — Kennen Sie, Herr Kollege Schmidt, den Rundbrief, den der Herr Kollege Ollenhauer im Jahre 1957 an sämtliche Haushaltungen der Bundesrepublik verteilt hat? Kennen Sie den?
Ich muß Ihnen gestehen, daß er mir im Augenblick nicht geläufig ist, aber ich nehme an, daß wir im Laufe der Debatte Gelegenheit haben werden, darauf zurückzukommen. Aus dem Handgelenk heraus ist er mir nicht in Erinnerung.
Herr Abgeordneter Memmel, Sie müssen sida auf eine Frage beschränken.
Ich habe darauf hingewiesen, daß wir im Laufe der Jahre bestimmte Vorstellungen angeführt und Vorschläge gemacht haben. Die haben Ihnen nicht gepaßt. Es ist Ihr gutes Recht, daß Sie andere Vorstellungen gehabt ha-ben. Sie mögen auch kritisieren, daß unsere Vorstellungen sich im Laufe der Zeit gewandelt hätten.
Jede Wandlung in der Politik, so hoffe ich, ist der selbstverständliche Reflex auf allgemeine Änderungen der tatsächlichen außenpolitischen und strategischen Lage, meine Damen und Herren.
Ich hoffe jedenfalls, daß Ihre wehrpolitische Meinungsänderungen im Laufe der letzten zehn Jahre auch nichts anderes gewesen sind als der Reflex auf Änderungen der außenpolitischen und strategischen Lage. Sie haben Ihre Meinungen im Laufe von zehn Jahren ganz erheblich geändert.
Muß ich Sie erst daran erinnern! Ich will gar nicht zurückgreifen auf das — es ist ja Ihre Spezialität, immer in die Mottenkiste der Jahre 1945 und 1946 zu greifen —, was der Bundeskanzler 1946 gesagt hat, ich will gar nicht zitieren, was er 1950 gesagt hat, ich will aber einmal zitieren, was 1955 gesagt wurde. Da haben Sie gesagt: Wenn nicht zwei Jahre Wehrpflicht, dann sind wir nicht in der Lage, die Bundesrepublik zu verteidigen. Dann haben Sie jedoch die einjährige Wehrpflicht eingeführt. Sie besteht nun schon sechs Jahre. Sind wir jetzt in der Lage, die Bundesrepublik zu verteidigen, oder sind wir es nicht?
Ein anderes Beispiel. Sie waren bis 1957 ausgesprochene Gegner der atomaren Bewaffnung der Bundesrepublik. Sie haben das überall verkündet, Sie haben das sogar geschrieben. Ein halbes Jahr später war es anders. Ich hoffe, daß das nur der Reflex auf eine Änderung der tatsächlichen außenpolitischen und strategischen Lage war und nichts anderes, meine Damen und Herren.
Heute spricht Herr Strauß davon, wir seien in eine dritte Phase eingetreten und es seien Anpassungen an die neue Phase notwendig. Jede Politik ist doch — oder sollte es sein — die Anwendung konstanter ethischer Grundsätze und konstanter politischer Grundüberzeugungen auf wechselnde Lagen. Insoweit wird jede Politik von der Situation mitbestimmt und muß sich beim Wandel der Daten darauf einstellen.Kein Mißverständnis! Wir haben im Laufe der letzten Jahre allerhand Änderungsanträge zum Einzelplan 14 gestellt. Sie sind von Ihnen ausnahmslos abgelehnt worden. Wir haben heute darauf verzichtet, Änderungsanträge zu stellen. Wir kennen Ihre Haltung in dieser Frage. Sie sind grundsätzlich dagegen, einen sozialdemokratischen Antrag zum Einzelplan 14 anzunehmen.
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Aber selbst wenn Sie unsere Änderungsanträge annähmen, meine Damen und Herren, hätten wir zu der wehrpolitischen Führung dieser Bundesregierung einstweilen kein politisches Vertrauen und würden diesen Haushalt ablehnen.
Jetzt komme ich auf die klugen Zwischenrufer zu sprechen. Da sagen manche, daß derjenige, der den Wehrhaushalt ablehne, in Wirklichkeit die Soldaten ablehne. Wissen Sie, ich habe mich in meiner Vaterstadt ein bißchen nach der parlamentarischen Tätigkeit der dortigen Kollegen des Herrn Dr. Richard Jaeger umgeschaut. Dort hat die in Hamburg in Opposition befindliche CDU jedes Jahr zum Beispiel den Haushalt für die hamburgische Polizei abgelehnt. Ich unterstelle nicht, daß die hamburgische CDU so dämlich war, keine Polizisten zu wollen.
Die Hamburger CDU in der Opposition hat denSchulhaushalt der Hansestadt Hamburg abgelehnt.
In unterstelle nicht, daß ihr so dämlich seid, ein Volk von Analphabeten zu wollen.
Die CDU hat Jahr für Jahr den Haushalt der Sozialbehörde abgelehnt. Ich unterstelle nicht, daß ihr die Sozialfürsorge für überflüssig haltet.
Sie lehnten ebenso den Haushalt der Arbeitsbehörde, der Jugendbehörde, sie lehnen den Haushalt der Krankenhäuser ab. Ich unterstelle nicht, daß Sie das deutsche Volk für völlig gesund halten.
Was will ich mit diesen Beispielen zeigen? Ich will damit doch nur zeigen, was für ein grenzenlos niedriges Niveau es ist, auf dem der Abgeordnete Dr. Jaeger polemisiert.
Ich füge noch eines hinzu. Für uns Sozialdemokraten ist Gesetz Gesetz. Auch der Bundeshaushalt ist ein Gesetz. Gesetze sind zu befolgen, ob man dafür gestimmt hat oder ob man dagegen gestimmt hat. Ich hoffe, das Haus ist sich einig darin, allen Teilen des Hauses diese Gesetzesgesinnung zuzuerkennen und zuzutrauen.Im übrigen wissen Sie ganz genau, meine Damen und Herren, daß weder in England noch in Frankreich, noch in Amerika irgend jemand daran zweifelt, daß eine sozialdemokratische Regierung alles Notwendige für die Verteidigung tun würde. Der Zweifel, ,den Sie säen wollen, hat ausschließlich wahlpsychologische Motive für den Hausgebrauch.
Herr Abgeordneter Schmidt, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Vogel?
Wenn Herr Abgeordneter Dr. Vogel so gut ist, drei Minuten zu warten, dann gerne!Ihre Polemik hat im übrigen den gefährlichen Effekt, das Ansehen der zweiten deutschen Demokratie — es ist das zweite Mal, daß wir in Deutschland eine Demokratie errichten — und das Ansehen der Bundesrepublik im Ausland herabzusetzen. Es gibt Anzeichen genug in der Welt draußen, die uns die Tatsache bewußt machen sollten, daß viele Menschen in den uns verbündeten Ländern noch kein volles oder kein endgültig etabliertes Vertrauen in uns Deutsche setzen. Wer sich damit aufspielen wollte, nur er allein, nur seine Partei, nur seine Regierung repräsentiere die Zuverlässigkeit in Deutschland und nur er allein verdiene daher Vertrauen, der mag damit gleichzeitig sehr leicht das Vertrauen in ,die Zuverlässigkeit Deutschlands überhaupt gefährden.
Im internationalen Zusammenleben erwirbt man Vertrauen durch Leistungen zugunsten des gemeinsamen Wohls. Die Bundesrepublik hat auf manchen Gebieten beachtliche und, ich stehe nicht an hinzuzufügen, erstaunliche Leistungen bewirkt, vor allen Dingen auch materielle Leistungen, zum gemeinsamen Wohl innerhalb der westlichen Gemeinschaft. Aber niemand darf sich auf solchen Leistungen ausruhen. Solcher Lorbeer welkt in dieser Welt sehr schnell. Leistungen sind auch auf ,dem Gebiet der Konzipierung der gemeinsamen Politik und Strategie des Westens stets von neuem nötig, insbesondere auch zur Konzipierung einer gemeinsamen Strategie der Abrüstung, der Rüstungskontrolle, der Rüstungsinspektion.Damit komme ich zum Schluß auf das Beispiel mit den beiden Seiten der Münze zurück. Was auch immer im einzelnen aus den Abrüstungsuntersuchungen, aus den Überlegungen hin und her, aus dem Prüfen, dem Durchdenken, dem Verwerfen, dem Neudenken das jetzt in Amerika zum Thema der Abrüstung stattfindet — am Ende herauskommen mag, eines ist sicher: Jene amerikanische Regierung will eine ernsthafte, wohldurchdachte Anstrengung des Westens, um vielleicht doch noch zu einer Abrüstungsvereinbarung mit der anderen Seite zu kommen. Unsere Sympathie, unsere Hoffnung begleiten diesen Versuch. Aber wir sehen auch die Schwierigkeiten. Heute, wo der Westen konventionell zu schwach ist, weil er sich zu lange und zu ausschließlich nuklear engagiert hat, ist eine nukleare Abrüstung für den Westen ein riskantes Geschäft. Denn Abrüstung und Rüstungskontrolle sind nur möglich innerhalb eines ausgewogenen Gleichgewichtssystems über den ganzen Erdball. Dieses Gleichgewichtssystem besteht aus Teilgleichgewichten, regional wie global, strategisch wie taktisch, nuklear wie konventionell. Auch aus diesem Grunde müssen die zukünftige Strategie und die zukünftige
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Rüstung des Westens so beschaffen sein, daß sie uns, dem Westen, durch ausgewogene konventionelle Kräfte ein ernsthaftes Ansteuern von Abrüstungsvereinbarungen erlauben und ermöglichen. Wenn jedoch jemand, wie es den Anschein hat, konventionelle und nukleare Waffensysteme unlösbar miteinander verzahnen will, dann setzt er damit zusätzliche Abrüstungshindernisse.Es gibt zwei denkbare Schritte, den Weg zu umfassenden Abrüstungsvereinbarungen zu ebnen. Dereine denkbare Schritt ist der Teststopp, die Vereinbarung der Beendigung aller nuklearen Versuchsexplosionen. Wir wünschen, daß sich die Bundesregierung im Benehmen mit unseren Verbündeten, die an diesem Gespräch direkt beteiligt sind, dafür einsetzt. — Der zweite denkbare Schritt auf dem Wege zu einer umfassenden Abrüstungsvereinbarung ist die Errichtung einer regional begrenzten Teilkontrolle, quasi als internationaler Versuch einer Rüstungskontrolle. Wir wünschen, daß sich die Bundesregierung dafür einsetzt. In all den letzten Jahren hat die Bundesregierung allerdings gerade bei diesem zweiten Punkt immer nur Schwierigkeiten gesehen und Schwierigkeiten gemacht, wenn unsere Verbündeten auf diesem Gebiet neue Vorschläge hatten.Der Kanzler hat in seiner letzten Pressekonferenz, ehe er nach Cadenabbia in den Urlaub fuhr, auf die Frage eines Journalisten nach einer möglichen deutschen Abrüstungsinitiative nur wieder die alte Antwort wiederholt: Wir werden jede Abrüstungsvereinbarung akzeptieren. Er hat keine weiteren Andeutungen gemacht, kein Engagement hat stattgefunden, kein eigener Gedanke wurde geäußert.Dise sache der Nicht-Antwort des deutschen Bundeskanzlers auf die Frage nach der Abrüstungsstrategie in einem Zeitpunkt, in dem man in Washington, in dem man in London dabei ist, mit Unvoreingenommenheit und mit Energie nach brauchbaren Lösungen für diese kritischen Fragen zu suchen, diese Tatsache der Nicht-Antwort des deutschen Bundeskanzlers, der Nicht-Beteiligung an diesem Gespräch rechtfertigt es abermals, auszusprechen, daß wir kein politisches Vertrauen haben können in die Gesamtheit der verteidigungs- und abrüstungsstrategischen Konzeptionen, von denen die Regierung sich leiten läßt.Bei der Formung und Formulierung von Verteidigungs- wie Abrüstungsstrategie stehen lebensentscheidende Risiken der westlichen Welt auf dem Spiel, lebensentscheidende Risiken für Deutschland und für unser Volk, zumal es unmittelbar in der Front der Verteidigung liegt. Unser Deutschland wäre im Verteidigungsfalle das Schlachtfeld. Wir haben deshalb ein großes, ein vitales Interesse am Zustandekommen international vereinbarter Rüstungskontrolle, und wir Deutschen sollten etwas dazu beitragen. Wir haben ein vitales Interesse daran, daß der Atomklub sich nicht ausweitet und nicht dergestalt eine Entwicklung der Weltsituation eingeleitet wird, die auch das gespaltene Deutschland eines Tages in den Strudel eines nuklearen Wettrüstens einbeziehen könnte. Ein vereinbarter Stopp für atomare Versuchsexplosionen kann zu einer wirksamen Barriere gegen solche Entwicklungen gemacht werden. Wir sollten dazu beitragen, meine Damen und Herren.Ein letztes! Wir haben ein lebensentscheidendes Interesse daran, Berlin und die Bundesrepublik und den freien Westen überhaupt verteidigt zu wissen. Aber das muß auf eine Art geschehen, die nicht jeglichen Konfliktfall automatisch zur Vernichtung unseres Vaterlandes werden läßt.
Der Westen sucht deshalb mit Recht, und, wie mir scheint, auch der Verteidigungsminister sucht mit Recht nach einer neuen Verteidigungsstruktur und -strategie. Ich meine, wir alle in der Bundesrepublik müssen zur Lösung dieser Probleme beitragen. Wir tun das nicht, indem wir auf eine Art miteinander polemisieren, wie das vorhin aus Zitaten deutlich geworden ist. Gleichwohl bedanke ich mich für Ihre Aufmerksamkeit auch gegenüber den Zitaten, meine Damen und Herren.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Kliesing.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben hier soeben eine „bemerkenswerte polemische Begabung" gehört.
Ob die strategische Begabung dem entspricht, bleibt zu überprüfen. Zunächst aber möchte ich mich mit der Methode meines Vorredners etwas auseinandersetzen und möchte dazu folgendes sagen: wenn wir die heutige Rede des Kollegen Schmidt mit seinen früheren Reden, beispielsweise in der Atom-Debatte, vergleichen, so werden wir festzustellen haben, daß die Methode zwar verfeinert ist, daß sie aber im Grunde genommen dieselbe geblieben ist. Der Kern dieser Methode ist der: es geht darum, den Bundesverteidigungsminister zu isolieren, ihn anzuschießen, ihn zu diffamieren, um dann einen Aufhänger zu haben, womit man die Ablehnung des Verteidigungshaushalts begründen kann.
— Herr Eschmann, Ihr Freund Schmidt hat uns eben das Kompliment gemacht, daß wir ihm zugehört haben. Ich würde mich freuen, wenn ich Ihnen am Schluß meiner Ausführungen das gleiche Kompliment machen könnte.
Niemand von uns ist der Auffassung, daß es nicht das legale Recht einer Opposition sei, den Verteidigungshaushalt abzulehnen. Darum geht es gar nicht. Sie können sogar auch dem Verteidigungsminister Ihr persönliches Mißtrauensvotum aussprechen und damit Ihre Ablehnung begründen. Aber ich glaube, die ganze Angelegenheit würde
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Dr. Kliesing
weitaus glaubwürdiger, wenn Sie auf den sachlichen Inhalt des Etats Bezug nähmen und uns etwa eine Alternativlösung zeigten, wie Sie sich denn den sachlichen Inhalt eines solchen Verteidigungshaushaltes vorstellen. Das ist bisher nicht geschehen.
Dazu möchte ich folgendes sagen. Ich bitte Sie, Herr Schmidt, nun endlich zur Kenntnis zu nehmen, daß es nur eine von der Bundesregierung und der Fraktion der CDU/CSU gemeinsam getragene Verteidigungspolitik gibt, gemeinsam getragen von uns bis in die letzte Konsequenz hinein und im vollen Bewußtsein der Verantwortung vor dem ganzen Deutschen Volk diesseits und jenseits der Zonengrenze. Wir vertreten diese Verteidigungspolitik um so nachdrücklicher, als nach unserer Überzeugung der Ablauf der Historie der letzten zehn Jahre erwiesen hat, daß diese Verteidigungspolitik richtig ist.
Ich brauche nur daran zu erinnern, wie jeder einzelne Schritt, der zur Realisierung eines deutschen Verteidigungsbeitrags führte, auf den heftigsten Widerstand der sozialdemokratischen Opposition innerhalb und außerhalb des Hauses unter Einsatz aller nur vorstellbaren Mittel gestoßen ist.
Wenn man heute den Herrn Kollegen Schmidt hier hört, dann wäre man beinahe versucht, nach all dem, was die Vergangenheit uns gebracht hat, die Eingangsworte der Piccolomini zu zitieren: „Spat kommt ihr, — doch ihr kommt!"
Wenn ich mich dennoch in diesem Augenblick nicht zu diesem Zitat bekenne, so hat das seine besonderen Gründe. Aber es muß doch als historische Wahrheit festgehalten werden, daß Sie eben nicht immer dabeigewesen sind, daß Sie beispielsweise, als Sie dem Personalgutachterausschußgesetz hier zustimmten, peinlichst bestrebt waren, nicht irgendwelche Mißdeutungen aufkommen zu lassen, und daß Sie eine offizielle Erklärung abgegeben haben, in der es hieß:Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion hält nach wie vor die außen- und innenpolitischen Voraussetzungen für den Aufbau von Streitkräften der Bundesrepublik für nicht gegeben. Sie lehnt daher alle Gesetze ab, die unter den augenblicklich gegebenen Voraussetzungen Streitkräfte zu schaffen bestimmt sind.
Sie haben damals — und das war Ihr gutes Recht — unterschieden zwischen solchen Gesetzen, die bestimmt sind, Streitkräfte zu schaffen, und Wehrgesetzen, die nicht dazu bestimmt sind, Streitkräfte zu schaffen. Ihr Versprechen das muß ich Ihnen gestehen — haben Sie vom Freiwilligengesetz bis zur Wehrpflichtnovelle treulich gehalten. Sie haben bisheute jedes Gesetz in diesem flohen Hause abgelehnt, das nach Ihren eigenen Worten Streitkräfte zu schaffen bestimmt war.Herr Kollege Schmidt fordert heute eine stärkere Berücksichtigung der konventionellen Rüstung. Er setzt sich damit in ganz klaren Widerspruch zu seinem Parteivorsitzenden, der bei der ersten Lesung des Freiwilligengesetzes hier erklärt hat — ich zitiere —:Jedermann weiß, daß im Zeitalter des Atomkrieges weder diese 6000 Freiwilligen noch die 12 Divisionen, die wir nach den Pariser Verträgen aufstellen sollen, irgendeinen nennenswerten Beitrag für die Sicherheit der Menschen in der Bundesrepublik darstellen werden oder können.Von dieser Seite wird uns heute der Vorwurf gemacht, wir täten zuwenig für die konventionelle Rüstung!
Herr Abgeordneter Dr. Kliesing, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Schmidt?
Bitte sehr!
Bitte schön, Herr Abgeordneter Schmidt.
Herr Dr. Kliesing, übersehen Sie bei dem Zitat aus einer Rede des Herrn Kollegen Ollenhauer vielleicht die Tatsache, daß sie zu einem Zeitpunkt gehalten wurde, den Herr Verteidigungsminister Strauß als die erste Phase bezeichnete, in der also die massive Vergeltungsdrohung der Amerikaner tatsächlich ein Rezept war?
Ich übersehe das keineswegs. Aber vielleicht gestatten Sie mir, Herr Schmidt, daß ich nachher darauf noch näher eingehe, wenn ich mich mit dem Problem der konventionellen Rüstung befasse.
Die SPD greift unsere Verteidigungspolitik an und versucht darüber hinaus, den Bundesverteidigungsminister zu diffamieren. Das halte ich nicht für eine gute Sache. Ich will es Ihnen belegen. Die SPD versucht in letzter Zeit, was ihr legales Recht ist, um die Gunst der damals gegen den Willen der SPD zustandegekommenen Bundeswehr zu werben. Sie bedient sich dazu vom Bundesparteivorstand aus der sogenannten „Briefe an die Freunde und Genossen in der Bundeswehr". Ich persönlich — man mag über den Wert dieser Methode streiten — habe nichts dagegen einzuwenden. Aber ich muß doch Einspruch erheben, wenn dort bedenkliche und fragwürdige Methoden praktiziert werden. In der Beilage zu einem solchen Briefe heißt es, nachdem zuerst die Haltung der CDU damit abgetan wurde, daß sie nur, wie üblich, verleumdet habe, weiter:
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Dr. Kliesing
Wenn das Parlament nicht so tanzt, wie ich, Franz-Josef Strauß, pfeife, dann mache ich eben, was ich will. Auch die von Strauß vertretene Auffassung, daß die Verwaltungsgerichtsbarkeit bei der Uk-Stellung im öffentlichen Interesse ausgeschaltet werden müsse, zeigt die erstaunliche Reserviertheit des Bundesverteidigungsministers gegenüber Grundsätzen der rechtsstaatlichen demokratischen Ordnung, die unbestritten und unangreifbar sein sollten.
Das heißt auf gut Deutsch, hier schreibt man den Soldaten: Euer Verteidigungsminister, der der oberste Inhaber der Befehls- und Kommandogewalt ist, ist kein guter Demokrat, ist unzuverlässig und steht nicht auf dem Boden des Rechtsstaates.
Ich weiß nicht, meine Herren von der SPD, ob das eine Methode ist, die man hinnehmen kann. Ich halte diesen Versuch, den Inhaber der Befehls- und Kommandogewalt, gleich wie er heißen möge, in den Augen der ihm unterstellten Truppe zu diffamieren, zu beleidigen, für eine höchst seltsame Art, eine positive Einstellung zum Verteidigungsbeitrag der Bundesrepublik Deutschland zu demonstrieren.
Ein anderes ist mir an der Methode aufgefallen. Es hat in dem Hohen Hause eine Zeit gegeben, da wurde uns von der Opposition immer wieder vorgeworfen, wir hätten keinen eigenen politischen Willen und richteten uns in allem und jedem in unserer Verteidigungspolitik nach den Amerikanern. Sie wissen, daß das vor ungefähr zehn Jahren zu einer der peinlichsten Situationen in diesem Hohen Hause auf Grund eines Zwischenrufes geführt hat. Um so grotesker mutet es uns heute an, daß man von der gleichen Seite versucht, mit der Lupe Nuancen der unterschiedlichen Auffassung zwischen unserer und der amerikanischen Meinung zu entdecken, um daran die Kritik an der Verteidigungspolitik der Bundesrepublik aufzuhängen.
Wenn man solche Differenzen nicht nachweisen kann, versucht man — wie es übrigens eben hier geschehen ist —, sie zu konstruieren. Ich werde gleich noch darauf eingehen.
Herr Kollege Schmidt, Sie haben gesagt, es gehe darum, eine richtige Formel für die strategische Konzeption zu finden, und Sie haben in diesem Zusammenhang von „neuen Denkansätzen" gesprochen. Das ist zweifellos richtig; denn Verteidigungspolitik — das ist eine Binsenwahrheit ist nichts Statisches, sondern etwas Dynamisches und muß sich immer wieder verändern. Die Frage der NATO-Reform ist bereits seit längerer Zeit im Gespräch. Es hätte gar nicht des Wechsels in der amerikanischen Regierung und Administration bedurft, um die Frage neuer Denkansätze im strategischen Bereich zur Diskussion zu stellen. Im übrigen ist ja auch darüber schon länger gesprochen worden.
Ich habe nun die Überzeugung gewonnen, Herr Kollege Schmidt, daß Ihnen hier eine Verwechslung der Überlegungen mit den Resultaten von Überlegungen unterlaufen ist. Ich selbst habe mir auch große Mühe gemacht, diese Dinge zu studieren. Ich habe eine ganze Menge von Äußerungen amerikanischer Politiker durchgesehen und bin eigentlich auf Grund aller dieser Äußerungen zu der Auffassung gekommen, daß eben genau wie in der BerlinFrage und in anderen außenpolitischen Bereichen so auch in dieser Frage die amerikanische Regierung, wie es einmal ausgedrückt wurden ist, vom Nullpunkt anfangen will. Sie will sich ihr eigenes verteidigungspolitisches, strategisches Konzept erarbeiten, und das braucht seine Zeit. Deshalb ist es, glaube ich, sehr voreilig, ,daß man aus Äußerungen, die im Zuge dieser Überlegungen einmal getan werden, Resultate herauszulesen versucht, die in diese eigene Konzeption genau hineinpassen würden. Das gilt meines Erachtens für beide Seiten. Wir sollten uns damit, glaube ich, nicht länger aufhalten.
Aber ich muß schon sagen, daß mir einige große Bedenken wegen der Art kommen, wie Sie das hier tun. Herr Schmidt, Sie haben z. B. als Quelle für Ihre Ausführungen einen Bericht benutzt, der dem Außenpolitischen Senatsausschuß vorgelegen hat. Sie haben daraus zitiert, um nachzuweisen, daß eine Ausstattung der Bundeswehr mit Mehrzweckwaffen unsinnig wäre. Sie haben folgende Stelle vorgelesen — ich darf vielleicht wiederholen, wie sie im Wortlaut heißt —:
Eine starke Abstützung auf taktische Nuklearwaffen kann nicht die zahlenmäßige Unterlegenheit lokaler Kräfte gegenüber sowjetischen Armeen ausgleichen. Zudem unterstellt die Auslösung eines taktischen Atomkrieges durch Schlachtfeldländer als Antwort auf einen nichtatomaren Angriff deren Bereitwilligkeit, ihre eigene Verwüstung herbeizuführen.
So haben Sie zitiert, Herr Schmidt, um damit Ihr Nein zur nuklearen Bewaffnung der Bundeswehr zu begründen. Das wäre statthaft, wenn damit das Zitat zu Ende wäre. Es verstößt aber gegen die Forderung nach Wahrhaftigkeit, daß Sie den nächsten Satz unterschlagen, der nämlich genau das Gegenteil beweist. Diesen Satz möchte ich Ihrem Zitat hinzufügen. Er lautet:
Trotzdem sollten die lokalen Kräfte mit diesen Waffen ausgerüstet und an ihnen ausgebildet sein, um die Sowjets davon abzuschrecken, mit dem Einsatz ihrer Waffen zu beginnen.
Ich muß sagen, Herr Schmidt, daß es doch außerordentlich bedenklich stimmt, wenn Sie hier mit diesen Methoden operieren.
Herr Abgeordneter Dr. Kliesing, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Schmidt ?
Bitte!
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Herr Abgeordneter Schmidt !
Herr Kliesing, darf ich Sie daran erinnern, daß ich auf Zwischenrufe Ihres Kollegen Dr. Bucerius hin sogar ausdrücklich klargemacht habe, daß auch nach meiner Überzeugung der Westen natürlich die sogenannten taktischen Nuklearwaffen haben müsse? Ich glaube, Herr Dr. Bucerius wird mir das bestätigen. Ich habe das auf seine Zwischenrufe hin ausdrücklich klargemacht.
Es besteht kein Zweifel darüber. Ich habe auch nicht gesagt, daß Sie gegen die Ausstattung des Westens mit nuklearen Waffen gesprochen haben, sondern: gegen die Ausstattung der Bundeswehr. Ich spreche jetzt nicht vom Westen.
Eine zweite Zwischenfrage, Herr Abgeordneter Schmidt .
Sollten Sie vielleicht übersehen, Herr Dr. Kliesing, daß die Denkschrift, die der amerikanische Senat veröffentlicht hat, gleichfalls nicht von der Bundeswehr, sondern vom Westen allgemein gesprochen hat?
Herr Kollege Schmidt, das übersehe ich keineswegs, und ich werde gleich auf das Problem auch noch einzugehen haben. Ich wende mich zunächst nur gegen die Methode, mit einem Zitat das Gegenteil dessen begründen zu wollen, was in dem Zitat enthalten ist, dadurch, daß man einen Satz aus dem Zitat wegläßt.
— Aber Herr Kollege Eschmann, das müssen doch auch Sie verstehen. Den Satz „Trotzdem sollten die lokalen Kräfte mit diesen Waffen ausgerüstet und an ihnen ausgebildet sein" können Sie doch nicht dahin verstehen, das sei ein Argument für die Auslassung der nuklearen Waffen.
Nun aber zu dieser Frage der nuklearen Bewaffnung! Herr Kollege Schmidt hat ja dazu sehr eingehend Stellung genommen. Ich möchte zunächst sagen, daß mich eines allerdings überrascht hat. Das war Ihre reservierte, um nicht zu sagen: negative Einstellung zu der Idee einer eigenen NATO-Atomstreitmacht. Ich muß sagen, das ist allerdings ein im Zeitmaß sehr schneller Wechsel der Auffassungen. Ich weiß natürlich nicht, inwieweit Sie in dieser Frage für Ihre Fraktion oder für sich persönlich gesprochen haben.
Jedenfalls möchte ich Ihnen empfehlen, doch einmal die Rede Ihres Freundes Erler in der letzten Versammlung der Westeuropäischen Union in Paris vor noch nicht drei Monaten nachzulesen, in der Herr Erler eine positive Einstellung zu dieser Idee eingenommen hat mit der Begründung, dadurch, daß die nationalen atomaren Streitkräfte zusammengefaßt würden, werde eine weitere Ausdehnung des Atomclubs vermieden. So war es doch wohl, Herr Erler.
— Ich weiß, Herr Schmidt, jetzt werden Sie fragen, ob ich nicht gehört hätte, daß Sie der Auffassung gewesen seien, das könne Sie noch am ehesten mit der Sache versöhnen. Aber Sie sind doch darüber hinausgegangen und haben die anderen Staaten — —
Herr Abgeordneter Schmidt zu einer Zwischenfrage!
Ich wollte eine andere Frage stellen, als Sie vorausgesehen haben, Herr Dr. Kliesing. Ich wollte fragen, ob es Ihnen entgangen sein könnte, daß die WEU-Versammlung, von der Sie sprachen und in der sich Herr Erler zustimmend zu der dort verabschiedeten Resolution geäußert hat, sich ausschließlich mit den bereits in Europa vorhandenen sogenannten taktischen Nuklearwaffen beschäftigt hat, während ich heute von dem Vorschlag des amerikanischen Außenministers Herter und der Idee von Herrn Strauß gesprochen habe, die der europäischen NATO ein nuklear- strategisches Vergeltungswaffensystem geben wollen. Das ist doch ein deutlicher Unterschied, Herr Dr. Kliesing.
Wir wollen uns an der Form dieser Auseinandersetzung nicht stören.
Herr Kollege Schmidt, das ist mir keineswegs entgangen. Ich will sogar hinzufügen, daß der Kollege Erler damals einen Versuch gemacht hat, von sich aus einen Vorschlag zu machen, um zur Lösung dieses Fünfzehn-Finger-Problems zu kommen, indem er erklärte, in der gegenwärtigen Situation könne er sich keine andere Lösung vorstellen als die — Herr Kollege Erler, Sie erinnern sich —, daß der jeweilige Präsident der Vereinigten Staaten qua NATO-Vertrauensmann die Macht in die Hand bekäme. Ich will hier auf diese Idee nicht weiter eingehen. Herr Kollege Erler, wir müssen überhaupt einmal erst sehen, ob dieser Plan politisch durchführbar wäre. Außerdem ist er wohl in den ersten Wochen und Monaten noch nicht so aktuell, daß ich dazu Stellung nehmen müßte.
— Bitte!
Eine Zwischenfrage, Herr Abgeordneter Erler!
Sie werden aber doch nun hoffentlich einsehen, daß Sie mich nicht für den Nordstad-schen und zum Teil von anderen gemachten Vorschlag beschlagnahmen und behaupten können, ich hätte mich etwa für die Ausstattung der NATO mit
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Erlereiner gemeinsamen Polarisflotte ausgesprochen. Darum ging es in Paris nicht. Auf diese Feststellung lege ich ausdrücklich Wert.
Nein, Herr Kollege Erler, Sie sind keineswegs der Erfinder des Norstad-Plans. Das will ich gar nicht behaupten. Ich betone nur, daß Sie damals eine positive Stellung — —
— Entschuldigung, das ist kein Unfug.
— Sie können das alles in Ihrer eigenen Rede haargenau nachlesen, Herr Kollege Erler. Ich habe Verständnis dafür, daß es Ihnen heute nicht mehr angenehm ist, daß der Kollege Schmidt hier nun dieser Idee gegenüber, wie sie damals in der WEU vorlag, eine Auffassung vertritt, die sich von Ihrer Auffassung doch sehr weitgehend unterscheidet.Nun aber zu der anderen Frage. Sie haben hier immer noch diesen Unterschied zwischen taktischen und strategischen Waffen gemacht. Herr Kollege Schmidt, wir werden uns dieses Terminus technicus weiter bedienen müssen. Aber wir sollten uns doch darüber einig sein, daß es eine sehr unglückliche Terminologie ist; denn man kann ja im Grunde genommen diesen Unterschied gar nicht so genau fassen. Was taktisch und was strategisch ist, hängt nicht von der Beschaffenheit der Waffe, sondern von der Art und Zweckbestimmung ihres jeweiligen Einsatzes ab.
Wenn ich unsere Stellung zur Frage der nuklearen Ausrüstung hier noch einmal kurz darstellen darf, so möchte ich sagen, daß wir nach wie vor trotz aller Versuche, uns etwas anderes zu unterstellen, auf dem Boden unserer freiwillig abgegebenen Verzichterklärung zur Produktion atomarer Waffen stehen, daß wir weiterhin auch bereit sind, uns jeder nationalen Verfügungsgewalt über atomare Sprengköpfe zu enthalten.Wir sind allerdings wie bisher der Auffassung, daß die Bundeswehr mit Mehrzweckwaffen ausgestattet sein sollte, und zwar weil eine derartige Ausstattung in jedem Falle eine Erhöhung des Risikos für den pontentiellen Angreifer darstellt. Und darüber hinaus: Wäre die Bundeswehr nur mit konventionellen Waffen ausgerüstet, so bliebe im Falle eines Angriffs mit Kernwaffen zu dessen Abwehr nur die Möglichkeit des letzten Griffes zum Schwert, gerade das, was Sie — darüber, Herr Kollege Schmidt sind wir uns einig — vermeiden wollen. Das wäre also die vorletzte oder letzte Abschreckungsstufe, die dann schon kommen würde. Gerade das, wie gesagt, wollen wir vermeiden.Die Bundeswehr hat im übrigen nach unserer Auffassung einen legitimen Anspruch, daß ihr die Waffen gegeben werden, die auch die an der Front einzusetzenden Kampfverbände des Gegners haben. Nur dies stärkt das für jede Truppe unentbehrliche Vertrauen.Schließlich wollen wir uns darüber im klaren sein, daß die Ausstattung der Bundeswehr nichts anderes darstellt als die Erfüllung der im NATO-Rat einstimmig beschlossenen Verpflichtungen der Bundesrepublik, so wie sie in der vieldiskutierten MC 70 ihren Niederschlag gefunden haben.Herr Kollege Schmidt, Sie haben gesagt, wir hätten unsere Auffassung in diesen Dingen sehr oft verändert. Ich glaube, das ist nicht der Fall. Es ist eine Auffassung, die wörtlich so schon vor Jahren hier hätte vorgetragen werden können und die bis heute unverändert ist.Demgegenüber möchte ich feststellen, daß wir leider von Äußerungen Ihrer Freunde nicht das gleiche sagen können. Ich möchte auch zu Ihren heutigen Ausführungen sagen, daß doch zweierlei offengeblieben ist: erstens, wie hoch und in welchem Maße die Fraktion der SPD geschlossen hinter diesen Ihren Ausführungen steht; und zweitens könnte ich mir vorstellen, daß man bei einer Interpretation Ihrer heutigen Rede sowohl ein absolutes Nein zur Ausstattung der Bundeswehr mit Mehrzweckwaffen herauslesen könnte wie auch ein:„Es kommt auf die Situation an". Das war vielleicht auch der Sinn Ihrer diesbezüglichen Methode, und das entspricht auch im Grunde genommen dem, was Herr Kollege Ollenhauer gesagt hat. Wir haben die klare, eindeutige und unmißverständliche Erklärung in seiner Rede in Hannover, wo es heißt: „Wir lehnen die atomare Bewaffnung der Bundeswehr ab", eine Äußerung, die mit starkem und langanhaltendem Beifall — wie das Protokoll vermerkt — aufgenommen wurde. Das ist eine klare, unmißverständliche Sprache. — Wir haben dann, wenn ich dem Bericht der „Süddeutschen Zeitung" vom 27. Januar über den London-Besuch Herrn Ollenhauers folgen darf, die andere Aussage, wo es heißt:Ollenhauer sagte, die SPD sei gegen Atomwaffen für deutsche Truppen unter der Kontrolle und Souveränität der Bundesrepublik.— Da stimmen wir, glaube ich, überein.Eine andere Frage sei es aber, ob deutsche Truppen als Teil der NATO-Streitkräfte und im Rahmen eines NATO-Kontrollsystems Atomwaffen erhalten würden.Ich muß die SPD darauf aufmerksam machen, daß ein diesbezüglicher, die Bundesrepublik verpflichtender NATO-Beschluß seit drei Jahren vorliegt. Wenn wir von loyaler Erfüllung unserer Verpflichtungen der NATO gegenüber sprechen, müssen wir auch das im Auge haben.Zusammenfassend möchte ich sagen, daß für uns die Bewaffnung der Bundeswehr mit Mehrzweckwaffen eine militärische Notwendigkeit ist, solange nicht in der NATO andere Beschlüsse gefaßt werden— was ich sehr bezweifle —, und daß es sich unter der gegebenen Situation bei diesem Problem um eine Frage der Vertragstreue handelt.Lassen Sie mich an dieser Stelle einmal auf eine interessante Darlegung von sowjetischer Seite eingehen, die leider im Westen nicht die Aufmerksam-
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Dr. Kliesing
keit gefunden hat, die man ihr schenken sollte. Ich meine den Aufsatz, den der sowjetische Generalmajor und Akademieprofessor Taljenskij im Oktober in der „Internationalen Welt" in Moskau veröffentlicht hat. In diesem Aufsatz beschäftigt er sich mit dem Problem des atomaren Krieges. Taljenskij kommt interessanterweise zu Schlüssen, wie sie im Westen seit .Jahren vertreten werden. Er sagt u. a.: Es gibt praktisch noch keine Verteidigung gegen ballistische Raketen. Kein Staat, der in einen solchen Krieg eintritt, entgeht zerstörenden vernichtenden Schlägen. Er kommt zu dem Ergebnis: Der Einsatz von Atomwaffen zur Lösung politischer Fragen ist unmöglich; der Krieg scheidet in militärisch technischer Hinsicht als Mittel der Politik aus.Nun soll man natürlich auf Äußerungen von Militärschriftstellern nicht allzu viel bauen, weil auch sie ihre Meinung manchmal ändern. Man wird auch die Frage stellen müssen, warum diese Dinge gerade zu diesem Zeitpunkt veröffentlicht wurden. Wir sollten jedoch festhalten, daß hier eine anerkannte sowjetische Autorität zu dem Ergebnis kommt, der Atomkrieg bedeute Selbstmord und scheide daher als Mittel der Politik aus.Wir sollten daraus zwei Konsequenzen ziehen, und damit komme ich zu dem Gedanken der Abrüstung; Herr Kollege Schmidt, Sie haben gesagt, wir hätten auf diesem Gebiet keine Ideen.Erstens sollten wir uns darüber klar sein, daß eine kontrollierte Abrüstung allgemein sein muß und sich nicht auf das atomare Gebiet beschränken darf. Täte sie das, würde sie den Krieg aus der unmittelbaren Nähe des Selbstmordes wegholen und ihn wieder in den Bereich des politisch Möglichen hineinbringen. Damit würde der Krieg in den Augen eines mit Skrupel nicht geplagten Aggressors wieder zu einem Mittel der Politik werden.Die zweite Konsequenz, die wir daraus zu ziehen haben, ist folgende: Eine solche Situation würde es einem Aggressor nahelegen, das politische Prinzip der sogenannten Salamitaktik auf das militärische Gebiet zu projizieren. Daraus ergeben sich für uns weitere Konsequenzen.Herr Schmidt, Sie haben vor einer unlösbaren Verzahnung zwischen taktischen Atomwaffen und konventionellen Kräften gewarnt. Es ist nicht einzusehen, warum eine Ausstattung der Bundeswehr mit solchen Waffen unbedingt zu einer unlösbaren Verzahnung führen muß. Selbstverständlich müssen wir zuerst an unsere konventionelle Rüstung denken, damit wir dem Gegner, wenn er mit konventionellen Waffen angreift, mit solchen antworten können. Weil aber auch der Gegner in seinen Divisionen über Mehrzweckwaffen verfügt, müssen wir dieselben haben, um, falls er sie einsetzt, damit entgegnen zu können. Diese Frage muß militärtechnisch und organisatorisch so gelöst sein, daß man diese Waffen im zweiten Fall einsetzen kann, während man sie im ersten Fall aussparen kann. Das ist doch schließlich der Kern des Problems. Wie man daraus zu einer Ablehnung der nuklearen Waffen für die Bundeswehr kommen kann, ist mir rätselhaft. — Bitte schön, Herr Schmidt!
Herr Abgeordneter Schmidt zu einer Zwischenfrage.
Herr Dr. Kliesing, ist Ihnen entgangen, daß ich zu all diesen Problemen überhaupt nicht von der Bundeswehr gesprochen habe, sondern von den Bodenstreitkräften des Westens in Mitteleuropa überhaupt? Ich habe — wenn ich das in Erinnerung bringen darf — das ganze Problem in keiner Weise als ein nationales Problem behandelt.
Herr Kollege Schmidt, das ist es ja gerade, daß Sie bewußt diese Formulierung gewählt haben, um damit die Antwort auf die Frage: Wie steht ihr zu den Mehrzweckwaffen in der Bundeswehr? weiterhin offenzulassen.
Das ist doch gerade das, was ich zu hemängeln habe.Nun das andere. Wir haben hier etwas erlebt, was man vor wenigen Jahren für unmöglich gehalten hätte. Der Kollege Schmidt hat uns gescholten, weil wir die konventionelle Verteidigung infolge des Vorherrschens nuklearen Denkens vernachlässigt hätten. Nun, ich muß sagen, das ist von erstaunlicher Kühnheit. Ich darf den Herrn Kollegen Schmidt daran erinnern, daß er am 8. November 1956, d. h. vor wenig mehr als 4 Jahren, von dieser Stelle einen meiner Zwischenrufe — da ging es um die Wehrpflicht und die konventionelle Verteidigung — mit folgenden Worten beantwortete:Es gibt gar keinen Zweifel, Herr Kliesing, daß es nach unserem Willen sehr langsam gehen soll, jedenfalls so langsam, daß Sie keinen Wehrpflichtigen vor dem Wahltag des nächsten Sommers einziehen.Ich muß schon sagen, Herr Schmidt, daß Sie, der Sie vor 4 Jahren das hier gesagt haben, uns heute schelten, wir täten zuwenig für die konventionelle Verteidigung, das ist — mir fällt kein anderer Ausdruck ein — ein tolles Stück.
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8612 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 151. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. März 1961
Ich darf noch einmal auf Ihr Zitat zurückkommen. Wie gesagt, es war Ende 1956. Sie brachten damals — das geht aus dem Zitat eindeutig hervor — Ihre Stellung in unmittelbarem Zusammenhang mit der Frage der Bundestagswahlen. Wenn Sie heute alles offenlassen und in der Weise sprechen, wie Sie es getan haben, so ist wohl, auch nach unseren damaligen Erfahrungen, die bescheidene Frage erlaubt, ob auch Ihre jetzige, heutige Haltung vom Opportunismus der Stunde bestimmt ist.Ein weiteres Wort zur Frage der konventionellen Rüstung. Ich glaube, wir brauchen uns hier nicht lange gegen die Vorwürfe des Herrn Schmidt zu verteidigen; denn wir haben uns darum schon zu einer Zeit bemüht, als er das mit seiner Fraktion noch alles ablehnte. Nichts wäre einfacher, als aus den Protokollen über die Sitzungen des Hohen Hauses den Nachweis dafür zu erbringen, daß die SPD diesen unseren Bemühungen immer wieder entgegengetreten ist. Unsere Einstellung zur konventionellen Bewaffnung ist immer klar und eindeutig gewesen. Es zieht sich eine lange Linie von der Denkschrift der Bundesregierung im Jahre 1956 bis zur Erklärung des Ministers Strauß im vorigen Jahr vor der Versammlung der WEU. Es hieße Eulen nach Athen tragen, wollte man sich hiermit noch näher befassen.So komme ich in der Auseinandersetzung mit dem Kollegen Schmidt zu dem Endergebnis, daß seine Vorwürfe gegen unsere Verteidigungspolitik unberechtigt sind und daß er sich andererseits in den entscheidenden Fragen — wie er selber jetzt noch zugibt — hinter dem Westen versteckt hat. Keineswegs hat er hier im Namen seiner Partei die klare Stellungnahme abgegeben, auf die das deutsche Volk wenige Monate vor der Bundestagswahl einen Anspruch erheben dürfte. Wir sind uns wohl sehr schnell einig, wenn ich sage: das ist in bezug auf die Schwierigkeiten der SPD auch durchaus begründet. Ich denke nur daran, daß Kollege Erler in der kritischsten Stunde des Hannoverschen Parteitages das diesbezügliche Wort gefunden hat, als er sagte: „Binden Sie einer künftigen sozialdemokratischenBundesregierung doch nicht jetzt und im Wahlkampf bereits Klötze ans Bein; denn es kommt ja nicht nur darauf an, unsere Mitglieder zu überzeugen, sondern auch jene anderen."Gestatten Sie mir nun noch ein paar kurze Bemerkungen zu dem vorliegenden Verteidigungshaushalt. Zunächst ist festzustellen, daß ein gesundes Verhältnis zwischen den beiden großen Blöcken des Haushalts besteht. Die Investitionsausgaben von etwa rund 6 Milliarden DM stehen in einem nahezu ausgeglichenen Verhältnis zu den 5 Milliarden DM laufende Ausgaben. Wir haben nur angesichts der auf uns zukommenden Aufgaben den Wunsch, daß dieses Verhältnis auch in den kommenden Jahren gewährleistet bleibt.Wir sind der Auffassung, daß - ich sagte es schon — unter diesen Umständen, gerade vom Etat der Personalausgaben, der laufenden Ausgaben her gesehen, die Wehrpflicht aufrechterhalten werden muß. Ein warnendes Beispiel sollte uns u. a. die Entwicklung des britischen Verteidigungshaushalts sein. Obwohl der britische Verteidigungshaushalt mit einem Betrag von umgerechnet etwa 18 bis 20 Milliarden DM ein wesentlich höheres Volumen aufweist als der unsere und obwohl die britischen Streitkräfte während des laufenden Haushaltsjahres immer noch über einen ansehnlichen Restbestand von Wehrpflichtigen verfügen, nehmen die laufenden Ausgaben im britischen Haushalt — in diesem Riesenhaushalt, anderthalbmal so groß wie unser Haushalt — schon etwa 75 % ein und machen damit ein Volumen aus, das bereits größer ist als unser gesamtes Verteidigungsbudget. Allein für Personalausgaben müssen heute rund 50 % des gesamten britischen Verteidigungshaushalts aufgebracht werden. Da, wie gesagt, die Wehrpflicht in Großbritannien erst im nächsten Jahr ausläuft, ist also künftig noch mit einer weiteren Verschlechterung dieses Zustandes zu rechnen. Unter diesen Umständen ist es nicht verwunderlich, daß die parlamentarische Opposition in Großbritannien bezweifelt, ob die britische Regierung ihr Planziel bis Ende 1962 erreicht, und daß einige konservative Abgeordnete bereits die Wiedereinführung einer begrenzten Wehrpflicht vorgeschlagen haben. Das sind zwar nicht direkt unsere Sorgen, sollte uns aber doch eine Warnung sein.Indirekt sind es auch unsere Sorgen; denn es wäre doch sehr interessant, einmal zu erfahren, welche Auswirkungen diese Situation der britischen Verteidigungspolitik bereits heute auf den Mannschaftsbestand der britischen Rheinarmee hat. Wir sollten aus dieser Sachlage auch gewisse Konsequenzen hinsichtlich unseres eigenen verteidigungspolitischen Verhaltens ziehen.Der uns vorliegende Haushalt ist unter Berücksichtigung der vorhandenen Aufbauschwierigkeiten der Bundeswehr und unter besonderer Berücksichtigung der Anliegen der Inneren Führung, die uns nach wie vor sehr am Herzen liegen, im wesentlichen ein Spiegelbild der Verpflichtung, die wir gegenüber der NATO übernommen haben. Mit anderen Worten ausgedrückt: Über 90 % o der Aus-
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Dr. Kliesing
gaben dieses Haushalts ergeben sich zwangsläufig aus unserer Mitgliedschaft bei der NATO und aus den einstimmig gefaßten Beschlüssen des NATO-Rates. Das bedeutet, daß der Verteidigungshaushalt eines Landes, dessen Streitkräfte Teile eines integrierten Bündnissystems sind, sich hinsichtlich seines Inhalts und seiner Beweglichkeit grundsätzlich von dem Haushalt anderer Ressorts unterscheidet. Loyale Haltung gegenüber der NATO und ehrliche Bereitschaft zur Erfüllung der übernommenen Verpflichtungen werden daher erst durch den Verteidigungshaushalt und durch die Stellungnahme zum Verteidigungshaushalt glaubwürdig.
Man sollte sich genau überlegen, wie es sich vereinbaren läßt, von der loyalen Einstellung gegenüber den NATO-Verpflichtungen zu sprechen und gleichzeitig zum Etat, aus welchen Gründen auch immer, nein zu sagen. Es ist unsere Absicht — jedenfalls ist das unsere positive Einstellung zur NATO und unser ehrlicher Wille —, die dort übernommenen Verpflichtungen loyal zu erfüllen, was die Zustimmung zu dem vorliegenden Haushalt als konsequent erscheinen läßt und notwendig macht. Wenn wir diesem Haushalt zustimmen, so werden wir es zugleich aus der Überzeugung tun, daß die Erfüllung unserer NATO-Verpflichtungen unbedingte Voraussetzung für die Erhaltung der Freiheit und Sicherheit der Menschen in der Bundesrepublik ist, und wir werden es tun, weil wir die Richtigkeit unserer Verteidigungspolitik als bewiesen ansehen und dieser Politik daher weiter 1 unser Vertrauen schenken. Wir tun das — das darf ich nach der Rede des Kollegen Schmidt sagen —insbesondere angesichts des Umstandes, daß uns die SPD keine tragbare Alternativlösung angeboten hat.Ich möchte meine Ausführungen jedoch nicht abschließen, ohne allen, die, sei es in der Truppe, sei es bei den Zivilbediensteten, am Aufbau unserer Bundeswehr gearbeitet haben und weiter arbeiten, unseren aufrichtigen Dank auszusprechen.
Wir kennen die Schwierigkeiten gerade der Aufbaujahre, und wir wissen, daß so mancher Beamter, Angestellte und Arbeiter, so mancher Soldat, Unteroffizier und Offizier bis an den Rand der Erschöpfung, ja tatsächlich bis zum physischen Zusammenbruch, gearbeitet hat und arbeitet.Wir sind daher der Meinung, daß die Bundesregierung von sich aus alles tun sollte, um die Situation etwas zu erleichtern. Ich nenne zunächst einmal ein einziges Stichwort: Papierkrieg. Ich bin der Auffassung, daß man bestrebt sein sollte, durch Überprüfungen und durch bürokratische Rationalisierungsmaßnahmen festzustellen, inwieweit dieser Papierkrieg eingeschränkt werden kann. Vielleicht, Herr Minister, gibt es die Möglichkeit — wenn auch nicht sofort, so doch später —, sagen wir einmal, ein Gremium von Leuten mit großer praktischer Erfahrung zusammenzustellen, die monatelang herumreisen und sich einmal alles im einzelnen ansehen, um dann ihrerseits konkrete Verwaltungsreformvorschläge — um ein modernes Wort zu gebrauchen —, Vorschläge zur Vereinfachung zu machen.Zwei andere Probleme seien nur ganz kurz am Rande gestreift. Sie liegen uns sehr am Herzen. Das eine ist das Problem des Wohnungsbaus. Das andere das der Fluktuation.Wir können in diesem Jahre Gott sei Dank sagen, daß das Wohnungsbauproblem der Bundeswehr, wenn auch noch längst nicht gelöst, so doch gegenüber früheren Jahren sehr weit entspannt ist. Ich möchte nicht versäumen, von dieser Stelle aus insbesondere dem Herrn Bundeswohnungsbauminister unseren herzlichen Dank dafür auszusprechen, daß er für die Nöte der Truppe ein so großes Verständnis gezeigt hat.
Das Problem der Fluktuation, der vielen, der allzu vielen Versetzungen! Versetzungen werden immer notwendig sein, in der Aufbauzeit in einem übernormalen Maß. Aber manchmal hatten wir den Eindruck, daß des Guten doch zuviel geschehe. So begrüßen wir durchaus den jüngsten Erlaß des Inspekteurs des Heeres, alle irgendwie vermeidbaren Versetzungen auch tatsächlich zu vermeiden.Wir werden als Fraktion bemüht bleiben, bei der Lösung dieser Probleme mitzuhelfen. Ich möchte den Dank an die Bundeswehr und an die Bundeswehrverwaltung, den ich im Namen der CDU/CSU-Fraktion ausspreche, mit der Feststellung verbinden, daß wir der Bundeswehr, deren Aufbau ja auf unserer verantwortlichen politischen Entscheidung beruht, vertrauen und daß wir ihre wohlverstandenen Interessen fördern werden.
Wir treten in die Mittagspause ein. Ich unterbreche die Sitzung bis 15 Uhr.
Die unterbrochene Sitzung ist wiedereröffnet.Ehe wir fortfahren, gebe ich bekannt, daß ich von Amts wegen eine Erklärung des Herrn Abgeordneten Wittrock den Mitgliedern des Hauses zur Kenntnis bringen werde *). Der Herr Abgeordnete Wittrock hat gegen meine Ordnungsmaßnahme von gestern Einspruch eingelegt. Er hat sich aber freundlicherweise bereit erklärt, auf die Abstimmung zu verzichten. Ich begrüße diesen Entschluß des Herrn Abgeordneten Wittrock. Ihm ist die Problematik des § 43 unserer Geschäftsordnung wohl bewußt. Ich halte es für einen Reifegrad des Parlaments in Deutschland, daß von einer so problematischen Möglichkeit, wie sie der § 43 unserer Geschäftsordnung darstellt, seitdem ich Präsident dieses Hauses zu sein die Ehre habe, jedenfalls niemals Gebrauch gemacht worden ist. Ich bedanke*) Siehe Anlage 2
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8614 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 151. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. März 1961
Präsident D. Dr. Gerstenmaiermich insofern auch bei dem Herrn Abgeordneten Wittrock.Meine Damen und Herren, wir fahren in der allgemeinen Aussprache zu Einzelplan 14 fort. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Kreitmeyer.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte vom Standpunkt der Freien Demokraten einige grundsätzliche Bemerkungen zum Verteidigungshaushalt machen. Ich muß bitten, daß meine Worte, die natürlich eingangs sich an den Herrn Minister unmittelbar wenden, ihm dann noch zur Kenntnis gebracht werden. Das, was ich jetzt nur abkürzend bemerken möchte, ist, daß im Gegensatz zu den „Wehrpolitischen Informationen", mit denen wir Mitglieder des Verteidigungsausschusses sehr reichhaltig ausgestattet werden, es leider nicht so ist, daß wir im Ausschuß in eben der gleichen Weise ebensogut informiert sein werden. Ich muß schon sagen, daß die letzte der „Wehrpolitischen Informationen" vom 2. März 1961 beinahe den Ausdruck „alarmierend" verdient, alarmierend insofern — ich glaube, das wird auch eine gewisse Überraschung fur die Damen und Herren dieses Hauses sein —, als man darin erstmalig erfährt, daß der Minister unlängst offen erklärt hat, daß er um die termingerechte Aufstellung, vor allem des Heeres, fürchten müsse, wenn es nicht gelinge, mehr Interessenten für die Laufbahn der Unteroffiziere und Offiziere zu gewinnen als bisher. So deutlich hat er es nicht einmal im Haushaltsausschuß in vertraulicher Sitzung gesagt.Ich glaube, es ist wohl gut und recht, wenn wir die Frage stellen: wie konnte es eigentlich dazu kommen? Das allerdings zu verantworten, ist Sache des Ministers. Auf der anderen Seite bin ich aber in der außerordentlich glücklichen Lage, als Mitglied ,der Bundestagsfraktion der Freien Demokratischen Partei dieses Hauses feststellen zu können, daß wir in den abgelaufenen dreieinhalb Jahren sämtliche Anträge gestellt haben — mehrmals wiederholt gestellt haben; sie wurden sogar als Jubiläumsanträge apostrophiert —, um genau den Zustand zu vermeiden, der hier eingetreten ist. Ich bin sicher, daß die Problematik der einjährigen Dienstzeit mit einem vierteljährlichen Einstellungstermin sicherlich nicht so genau vor den Augen derer stand, die ihn beschlossen haben, als nachher vor den Augen derer, die ihn durchführen und damit fertigwerden sollten.Wir haben bereits 1958 den Herrn Minister darauf aufmerksam gemacht, daß es durchaus im Interesse der eingegangenen Verpflichtungen, nämlich einer sechsstündigen NATO-Bereitschaft, sinngemäß richtig wäre, hei der ohnehin sehr geringen Zahl von Wehrpflichtigen, die wir aus den verschiedensten Gründen überhaupt nur aufnehmen konnten, wenigstens sogleich die Endstärke der Einheiten zu erreichen und nicht noch eine Differenz von 12 % entstehen zu lassen. Das wurde uns leider abgelehnt mit der Bemerkung, ein solches Mehr von 12 % lasse sich mit den vorhandenen Unterführern nicht bewältigen.Das zweite aber, was nach meinem Dafürhalten und nach dem meiner Fraktion noch entscheidender war, war der Umstand, daß dann, wenn man schon mit einem Turnus von einem Vierteljahr und mit einer laufenden Veränderung jeder Einheit rechnen muß, man aber zumindest das Personal, das für Ausbildung und Erziehung dieser Einheiten verantwortlich ist, mit einem ganz bestimmten Prozentsatz — etwa 30 %— verstärken müßte. Auch dieser Antrag ist uns abgelehnt worden, obgleich noch im 2. Bundestag die Fraktion der Freien Demokraten ausdrücklich gefordert hatte, vorweg das Freiwilligengesetz zu verabschieden, mim so jenen Stamm an Offizieren und Unteroffizieren heranzuziehen und heranbilden zu können, der dann in der Lage ist, die gestellte Aufgabe auch bei einjähriger Dienstzeit mit vierteljährlichem Einstellungstermin überhaupt meistern zu können. Auch da hat sich unsere vorausschauende Politik als richtig erwiesen.Nun zu der Frage: Können wir unsere NATO-Verpflichtung einhalten oder nicht? Man kann versuchen, das um jeden Preis zu verwirklichen. Dieser Preis kann aber so aussehen, daß hinterher die so erstellte Einheit einen nur geringfügigen Bruchteil von dem darstellt, was zu fordern ist, und auf der anderen Seite, daß eine geringere Anzahl von Einheiten in ihrem Gesamtwert viel besser, überzeugender und auch im Sinne der allgemeinen Wehrauffassung viel abschreckender auf den mutmaßlichen Gegner wirkt.Ich möchte bei dieser Gelegenheit wiederum auf den Antrag der Freien Demokraten hinweisen, die schon unter den damals sich abzeichnenden Engpässen der mangelnden Freiwilligenmeldungen, vor allem in bezug auf längerdienende technische Mannschaften, Unteroffiziere wie Offiziere, vorschlugen, lieber einen Stopp für die NATO-Einheiten einzulegen und die Territorialeinheiten vorzuziehen. Von der Notwendigkeit, so vorzugehen, wurden wir nicht zuletzt dadurch überzeugt, daß jeder Erfahrungsbericht aus den NATO-verbundenen Übungen uns immer wieder auf die dringliche und vordringliche Aufgabe hinwies, daß nur eine gut organisierte Territorialverteidigung überhaupt in der Lage ist, die hochwertigen und sehr wertvollen Einheiten der NATO-Kontingente zu einem sinnvollen Einsatz kommen zu lassen. Auch hier stießen wir auf taube Ohren.Ich möchte das zwar sehr interessante, aber vielleicht nicht unbedingt für den Plenarsaal geeignete Thema der Bewertung der atomaren Bewaffnung, auch der kleinstatomaren Bewaffnung, und der konventionellen Waffen, hier nicht in extenso abhandeln. Aber ich bin der Überzeugung, daß das, was anscheinend an gewissem Stilwandel von der amerikanischen Fachwissenschaft und auch, was auch jetzt in der U.S.A.-Regierung Niederschlag findet, auf uns zukommt, absolut nichts Neues ist, sondern bereits vor mehr als zwei .Jahren, als dieses Haus den klassischen Beschluß zur „modernsten Bewaffnung" faßte, bereits beinahe überholt war. Ich darf darauf hinweisen, daß es auch für die Mitglieder dieses Hohen Hauses wie für die breiteste Öffentlichkeit außerordentlich interessant wäre, daß die Bundes-
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Kreitmeyerzentrale für Heimatdienst endlich an die Übersetzung jenes Buches mit der vielsagenden Überschrift „Die unsichere Trompete" ginge, verfaßt von dem letzten Generalstabschef des amerikanischen Heeres, nach seiner Entlassung geschrieben, und es uns zur Kenntnis käme. Wir könnten dann unvoreingenommener, objektiver, leidenschaftsloser, sicherlich aber auch im Interesse der Soldaten, auf die es ja ankommt, über diese Frage diskutieren und vielleicht zu einer besseren Einigung kommen als zu dem, was auch hier in den Bundeswehrinformationen versucht wird uns nahezubringen und in Wirklichkeit doch schon vor zweieinhalb Jahren überholt war. Es muß nicht unbedingt das, was mit dem Prädikat „modern" ausgestattet wird, das wirklich Gute und Beste sein. Auch hier möchte ich jener wehrpolitischen Information rückhaltlos zustimmen, die besagt, es wäre sicherlich besser, an Stelle hochkomplizierter, weniger supermoderner Waffen lieber einige mittlere zu haben, aber dafür eine zahlenmäßig starke und gut ausgebildete Truppe. Ich glaube, das wäre ein Maßstab, der es uns erlauben würde, in Zukunft jedenfalls eine bessere wehrpolitische Situation zu schaffen, als dies jetzt der Fall ist.Nun, Herr Minister, lassen Sie mich noch einen besonderen Punkt erwähnen. Wir sind auch in der Vergangenheit nicht müde geworden, Sie auf das immer noch vorhandene brachliegende Wehrpotential hinzuweisen. Und wenn Sie sich jetzt in einem bedauerlichen Engpaß personeller Art befinden, so war es stets unserer der Zahl nach sehr bescheidene Meinung, daß man mindestens 10 % der Übergangsgehaltsempfänger immer noch in Form von Lehraufgaben besonderer Art sowohl an den Schulen wie bei der aktiven Truppe zur Entlastung der wenigen aktiven Offiziere einsetzen könnte. Wir sind auch hier nach wie vor der Meinung, daß es noch nicht zu spät ist, diesen Weg unter den jetzt aufgetretenen Schwierigkeiten einzuschlagen, um die gesamte Situation zu bessern.Ich erinnere Sie ebenfalls daran, daß wir es vor zwei Jahren waren, die Sie baten, die Laufbahnrichtlinien für langdienende Unteroffiziere zu überprüfen und sich die kritische Frage zu stellen, ob es nicht zweckmäßig sei, bei dem uns schon damals bekannten Wettbewerb nicht allein aus der freien Wirtschaft, sondern auch aus den übrigen großen Organisationen wie Bundesbahn, Bundespost usw., an eine gute alte und bewährte Einrichtung wieder anzuknüpfen, nämlich an den Militäranwärter. Das heißt: wenn alle anderen großen Organisationen den Beruf auf Lebenszeit garantieren, befindet sich der Soldat, der nur Unteroffizier auf Zeit wird, eben in einer ausgesprochen ungünstigen Situation im Wettbewerb mit den anderen. Man darf es ihm nicht verwehren, daß er auch an seine Zukunft, seine Familie und seine Kinder denkt.Ich möchte bei dieser Bemerkung besonders an die „Wehrkorrespondenz" vom 24. Februar 1961 anknüpfen, wo sehr richtig ausgeführt wird, daß es ja gerade darauf ankomme, nicht ein forderndes, sondern wieder ein entsagendes Soldatentum zu haben. Für ein entsagendes Soldatentum gilt der Grundsatz — das ist gute deutsche Tradition gewesen —, nicht danach zu fragen: Wie hoch ist das, was ich geldlich dafür bekomme?, sondern: Ist auch das Alter, sind auch meine Angehörigen im Falle meines Ausfalls — und das ist selbst im Frieden schon sehr leicht möglich — gesichert? Hier haben wir es meiner Ansicht nach durchaus an manchem fehlen lassen.Weil es nicht direkt mit der Materie zusammenhängt, möchte ich nur kurz darauf verweisen, daß das mit eine Frucht der unzulänglichen Gesetzgebung zum Art. 131 des Grundgesetzes ist. Nicht daß die alten Soldaten etwa an ihren Grundsätzen irre geworden wären! Aber es gelingt dem Vater, ganz gleich, ob er Offizier oder Unteroffizier war, beim besten Willen nicht mehr, den Sohn für die gleiche Berufslaufbahn zu engagieren und zu interessieren. Hier ist zuviel gesündigt worden; so darf ich es einmal sehr milde ausdrücken. Es ist sicherlich nicht zu spät, aber es ist schon reichlich spät, in dieser Richtung von heute auf morgen durch Verbesserungen etwas Grundsätzliches zu erreichen.Und nun noch ein Wort, besonders für die Truppe! Es ist bereits von einem meiner Vorredner — ich glaube, es war der Kollege Schäfer — genau aufgezeigt worden, wie sich das zahlenmäßige Verhältnis des Verwaltungspersonals — Beamte, Angestellte und Arbeiter — zur kämpfenden Truppe, zum Soldaten als solchem, entwickelt. Hier möchte ich doch dem Hohen Haus eine außerordentlich interessante Stellungnahme — wenn Sie es mir erlauben, Herr Präsident, im Wortlaut — nicht vorenthalten. Da schreibt ein außerordentlich befähigter, mir gut bekannter Offizier folgendes:Der Gefahr einer geistigen Unselbständigkeit, die sich aus dem Anwachsen der Verwaltungsbürokratie ergibt, kann— nach Ansicht des Betreffenden —nur durch brutale, mit allen Mitteln anzustrebende Vereinfachungen begegnet werden. Was im Zivilleben noch gehen mag, im militärischen Bereich tötet es den Geist, der auf schnelle Entscheidung, Improvisation und Einfachheit angelegt ist.Ich glaube, Herr Minister, diese Sätze sollten Sie sich besonders zu eigen machen. Sie sollten versuchen, diese Grundsätze beim gesamten Aufbau mit Ihren zweifellos außerordentlich befähigten Mitarbeitern zu verwirklichen. Ich kann mich persönlich nicht des Eindrucks erwehren, daß wir zu sehr kopieren und vergessen haben, daß es eigene, gute deutsche Erfahrungen gibt, die auch heute, in abgewandelter Form, noch ausgewertet werden können. Es ist mit dem Erziehungsideal unvereinbar — und zwar herunter bis zum Führer der kleinsten Einheit —, diese Reglementierung in der Verwaltung gelten zu lassen, wie sie jetzt besteht, und auf der anderen Seite den Einsatz von Menschen und Material, den persönlichen Entschluß, die Initiative usw. in der Form zu verantworten, wie es nun einmal im modernen Gefecht nicht anders möglich ist. Hier ist eine entscheidende Dissonanz vor-
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Kreitmeyerhanden, und es wird höchste Zeit, zur Umkehr zu kommen.Lassen Sie mich zum Abschluß noch zwei Bemerkungen machen. Es würde mich sehr interessieren, Herr Minister, wenn Sie noch einmal auf die ausgezeichneten Ausführungen des deutschen Generals Speidel eingingen — wiedergegeben im Bulletin am 11. August 1960 —, der zugleich der Oberbefehlshaber der Landstreitkräfte in Europa-Mitte ist, wenn Sie noch einmal eingingen auf seine sehr genau festgelegten Auffassungen über die Möglichkeiten des Kriegsbildes, auf seine Stellungnahme zum Einsatz atomarer Waffen überhaupt unter besonderer Berücksichtigung unserer lokalen Situation, die ja für uns als unmittelbaren Anrainer des Bolschewismus besonders gesehen werden muß. Ich bin der Überzeugung, wenn Sie zu irgendwelchen Korrekturen und Abänderungen unseren NATO-Partnern gegenüber gezwungen sind, sind sie am besten dadurch zu verantworten, daß Sie sich nicht scheuen, das noch brachliegende Potential besonders in der Frage der Reservebildung mehr in Anspruch zu nehmen, als das bisher geschehen ist.Unter diesen Umständen sei mir noch eine abschließende Bemerkung zur Frage von Abrüstung und Kontrolle erlaubt. Was man auch alles über Vereinbarungen durchsetzen kann wobei es völlig belanglos ist, ob man mit dem oder einem anderen beginnt, ob man mit der atomaren Großabschrekkung oder mit dem Mittleren oder dem Kleineren beginnt, viel entscheidender ist — und hier sind wohl gewisse Aufklärungsflüge bis zu einem gewissen Grade für uns Deutsche eine wohltuende Beruhigung gewesen —, daß die Kontrolle von selber mehr bewerkstelligen kann als jede noch so schwierige paragraphenmäßig festzulegende Abrüstungskonvention. Wir Freien Demokraten geben der Kontrolle deshalb ein solches Gewicht, weil durch sie das Geld, das man in die Bewaffnung überhaupt hineinstecken muß, um auf eine mögliche Überraschung vorbereitet zu sein, entwertet wird. Ich glaube, daß die Haushaltsexperten selbst in totalitären Staaten, sofern es solche Experten dort gibt — aber auch dort macht sich ja jemand Gedanken über das Haushaltswesen —, die treibenden Kräfte sein werden, nicht etwa aus Gründen einer plötzlich hereingebrochenen Friedensabsicht, sondern aus Gründen der Verlagerung des Schwerpunktes der Auseinandersetzung überhaupt.Es würde zu weit führen, die von dem Kollegen Kliesing zitierte Stimme aus Sowjetrußland jetzt analysieren zu wollen. Aber eines ist sicher: daß die atomare Waffe in ihrer absoluten Gestalt den alten Clausewitz hundertprozentig gerechtfertigt hat, daß nämlich der Krieg als politisches Instrument sich nicht mehr auszahlt, weil der Zustand, der hinterher zu erwarten ist, in keinem Falle besser sein kann, als er es vorher war. Aber ich meine, daß unser Gegner seine Kräfte auf Gebiete verlagern wird, wo dieses Risiko nicht mehr vorhanden ist, wo aber das andere, viel Gefährlichere uns genauso zum Nachteil sein kann, wenn wir nicht rechtzeitig zu unterscheiden wissen. Es gibt den Begriff der militärischen Sicherheit, und es gibt dender politischen. Der der militärischen ist verhältnismäßig einfach. Er gleicht beinahe einer mathematischen Aufgabe, mit wie vielen Menschen, Waffen, Reserven, Depots usw. ich unter den gegebenen Umständen einen bestimmten Abschnitt schützen kann.Der verehrte Kollege Windelen hat in seinen Ausführungen zur zivilen Notstandsplanung absolut recht: Man kann sich auf beiden Ebenen einfach zu Tode rüsten, weil das militärische Sicherheitspotential immer hundertprozentig, um nicht zu sagen: hundertfünfzigprozentig ist. Den Weg zu finden und den Maßstab, der anzulegen ist, dafür gibt es aber ebenso eine nicht von der Hand zu weisende Beurteilung. Sie heißt nicht: Was ist möglich?, sondern: Was ist wahrscheinlich unter der Voraussetzung, daß es gleichzeitig politisch sinnvoll erscheint?Hier ist der NATO-Befehlshaber Europa-Mitte, der deutsche General Speidel, nach dem Dafürhalten der Freien Demokraten auf einem viel, viel besseren und überzeugenderen Weg, als es die Publikationen des Verteidigungsministeriums bisher wiedergeben. Ich wäre sehr gespannt, Herr Minister, wenn Sie in dieser Richtung einige Worte der Aufklärung sagten, ob Herr Schmückle oder General Speidel auf dem besseren Wege ist.
Das Wort hat der Herr Bundesfinanzminister.
Meine Damen und Herren! Herr Kollege Schmidt, Sie haben heute morgen die beiden Minister — auch mich — angegriffen, weil wir dem Kollegen Schäfer nicht geantwortet hätten. Ich bin nicht so unhöflich, wie Sie gemeint haben. Daß Sie es gemeint haben, beruht wohl darauf, daß Sie bei der Haushaltsdiskussion bisher nicht da waren und nicht wußten, daß die Minister im allgemeinen am Ende der Diskussion .der Abgeordneten reden und antworten. Das ist die Ursache dafür, daß ich dem Kollegen Schäfer erst jetzt antworte, soweit es mich angeht. Die Grundantwort wird mein Kollege Strauß gleich noch geben.Herr Kollege Schäfer, ich habe heute morgen zunächst nicht verstanden, was Sie vorgetragen haben. Ihr Vorwurf gipfelte wohl in folgendem: „Sie, Etzel, haben im Jahre 1952 die Kosten des Aufbaues der Bundeswehr mit 52 Milliarden DM beziffert. Inzwischen entstehen 100 Milliarden DM Kosten. Der Aufbau kostet also das Doppelte." Es sind ja in der Pause einige klärende Gespräche gewesen — ich weiß, wie solide Sie denken —, und wir haben festgestellt, daß da offenbar einige Irrtümer vorgekommen sind. Ihre Erklärung, daß in den Jahren 1958 bis 1961 53 Milliarden ausgegeben wurden, beruhte ja ohnehin auf einem Additionsfehler. Sie haben aber in Ihre Rechnung entgegen der mündlichen Erklärung das Jahr 1955 einbezogen. Aber auch da haben Ihrer Berechnung offenbar andere Vorstellungen zugrunde gelegen, als sie für die entscheidende Frage wichtig sind: Was kostete denn der
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Bundesfinanzminister EtzelAufbau der Bundeswehr? — Das ist ja das Entscheidende.Wenn ich im Jahre 1958 von diesem Aufbau der Bundeswehr gesprochen und seine Kosten mit 52 Milliarden DM beziffert habe, dann habe ich natürlich gemeint — anders konnte es auch nicht verstanden werden —: Was kostet die Bundeswehr an Investitionen, also an Bauten, was kostet sie an Waffen, was kostet sie an Geräten, was kostet sie an Bekleidung und ähnlichem? Der laufende Betrieb war natürlich ausgeschlossen. Unter dieser Voraussetzung habe ich gesagt: Sie wird bis zur ersten Aufstellung etwa 52 Milliarden DM kosten.Ich glaube, damals waren noch nicht eingeschlossen gewisse zusätzliche Kosten, die durch MC 70 zwangsläufig entstehen mußten. Ich möchte hier aber dartun, ich möchte darauf bestehen, daß die damalige Vorausschätzung auf 52 Milliarden DM in der Praxis im großen und ganzen jedenfalls gestimmt hat und die Kosten nicht, wie Sie heute morgen glaubten dartun zu können, sogar das Doppelte betragen.
— Ich darf den Gedankengang zu Ende führen, HerrKollege Schäfer, dann will ich Ihnen gern antworten.Das Wichtigste ist doch folgendes: Was hat die Bundeswehr bisher für Kosten verursacht? Ich habe damals, ich wiederhole es, die Investitionsausgaben bis etwa zum 31. März 1961, also einschließlich des nach damaliger Auffassung bis 31. 3. 1961 laufenden Haushaltsjahres 1960, auf 52MilliardenDM beziffert. Die Istausgaben des Einzelplans 14 betragen von 1955 bis 1960 inzwischen genau 33,2 Milliarden DM. Ich könnte Ihnen das hier im einzelnen, Jahr für Jahr nachweisen; wenn es Sie interessiert, will ich die Zahlen verlesen. — Also 1955 bis 1960 33,2 Milliarden DM. In dieser Summe sind enthalten laufende Betriebskosten für die Truppe — ich meine Löhne, Ernährung usw. —, die man ja bei Berechnung der Investitionskosten nicht einbeziehen darf; das sind rund 12 Milliarden DM, so daß bis zum 31. Dezember 1960 für Investitionen in die Bundeswehr 21,2 Milliarden DM ausgegeben worden sind.Wenn ich das ganze Jahr 1961 nun noch ruhig einbeziehen will, also im zeitlichen Rahmen über die damalige Vorausschau hinausgehe bis auf das Ende dieses Jahres, also bis Ende 1961, dann kämen noch einmal 6 Milliarden DM hinzu. Das sind 27,2 Milliarden DM. Rechnet man nun die in den Vorausbemerkungen für den Haushaltsplan 1961 erwähnten Vorbehaltsbeträge — die noch gar nicht ausgegeben und nicht bewilligt sind, auch noch gar nicht in diesem Jahr ausgegeben werden können, sondern sich auf mehrere Jahre erstrecken —, mit 30 Milliarden hinzu, wären das 57,2 Milliarden DM. Diese Summe greift aber weit über den damals vorgesehenen Zeitraum hinaus.
— Nein, nein! Die habe ich drin! Ist das denn soschwer? Ich wiederhole: Wir haben bisher an Investitionen, wenn ich die Vorausschätzung für dieInvestitionen für das ganze Jahr 1961 dazurechne, 27,2 Milliarden DM ausgegeben. Nun muß man noch die im Haushaltsplan 1961 erwähnten Vorbehaltsbeträge für Investitionen hinzurechnen. Diese 30 Milliarden sind auch als zukünftige Bedürfnisse angeführt; ich habe ja diese 30 Milliarden für 1961 nicht im Haushalt beantragt. Hier handelt es sich um Bedürfnisse, die erst einmal kommen werden. Mit den 30 Milliarden komme ich — über das Jahr 1961 auf eine unabsehbare Zeit weit hinaus gerechnet — auf 57,2 Milliarden DM. Wenn ich also im Geiste nur 5 Milliarden DM abziehe, komme ich auf die damals geschätzte Summe von 52 Milliarden DM. Wir sind also ganz genau im Rahmen dessen geblieben, was wir uns damals vorgestellt haben.Sie haben heute morgen andere Ziffern genannt. Darin sind natürlich eine ganze Menge anderer Ausgaben enthalten: Besatzungskosten, Stationierungskosten, außerordentliche Ausgaben für alle diese Dinge, Bundesgrenzschutz usw. In der Diskussion des Jahres 1958 war auch nicht gesagt worden, daß diese Kosten in die Investitionen für den Aufbau der Bundeswehr einzubeziehen seien. Daß auch für diese Aufgaben Aufwendungen gemacht werden müssen, habe ich seinerzeit im Bulletin — Sie haben dankenswerterweise darauf hingewiesen — dargetan.Ich glaube also, Herr Kollege Schäfer, daß die Schätzung des Jahres 1958, was der Aufbau der Bundeswehr kosten werde — 52 Milliarden DM — ziemlich genau hingehauen hat. Ich nehme an, daß die de-facto-Aufwendungen sogar etwas geringer sein werden, als wir damals geschätzt haben. Das wollte ich sagen, bevor mein Kollege Strauß hier das Wort ergreift.Vielleicht eine ganz kurze Bemerkung zu den Verteidigungsaufgaben und der Frage der Anerkennung in der NATO. Die internationale Anerkennung bestimmter Lasten als Verteidigungsausgaben der Bundesrepublik Deutschland im Rahmen der NATO-Jahreserhebung setzt überhaupt nicht voraus — das haben Sie, glaube ich, aber unterstellt —, daß diese Ausgaben — sei es unmittelbar, sei es über Erstattungsansätze — im Einzelplan 14 veranschlagt werden. Das ist gar nicht richtig. Ich weise darauf hin, daß im Rahmen der NATO-Jahreserhebung auch solche Ausgaben, die in den Haushaltsplänen ziviler Ressorts enthalten sind, aber eindeutig der Landesverteidigung im weiteren Sinne dienen, als NATO-fähige Verteidigungslasten anerkannt werden. Das gilt nicht nur für den Einzelplan 35 — Verteidigungslasten im Zusammenhang mit dem Aufenthalt ausländischer Streitkräfte — sondern auch für den Einzelplan 33, Kap. 33 08 — Versorgung der Berufssoldaten der früheren Wehrmacht — und auch für den Einzelplan 06, Kap. 06 25, Bundesgrenzschutz, mit einem Betrag von insgesamt 1,4 Milliarden DM.Aber alle diese Beträge, Herr Kollege Schäfer, müssen Sie abziehen, wenn Sie errechnen, was der Aufbau der Bundeswehr kostet. Er kostet, wie da-
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Bundesfinanzminister Etzelmals geschätzt, im großen und ganzen die Summe von stark 50 Milliarden DM.
Eine Zwischenfrage?
— Sie wollen gleich sprechen? Das kann ich deshalb nicht zulassen — —
- Das kann ich nur tun, wenn der Herr Bundesminister für Verteidigung zurücktritt. Nach § 47 der Geschäftsordnung hat er Anspruch auf jederzeitiges Gehör. Können Sie noch einen Augenblick warten, Herr Bundesverteidigungsminister? Herr Abgeordneter Schäfer!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nach den mir offiziell vorliegenden Unterlagen stellt sich die Berechnung anders dar. Ich gehe von den Haushaltsansätzen aus, die in den Haushalten bewilligt wurden: 1955 6,11 Milliarden DM, 1956 7,35 Milliarden DM, 1957 7,55 Milliarden DM, 1958 8,82 Milliarden DM, 1959 9,4 Mil-harden DM, 1960 — gekürzt auf drei Vierteljahre —8 Milliarden DM, 1961 11,74 Milliarden DM; das gibt im ganzen 58,97 Milliarden oder rund 59 Mil-harden DM. In dieser Summe sind Neubewilligungen für Reste in Höhe von 5,5 Milliarden DM enthalten. Tatsächlich stehen also 53,5 Milliarden DM nur für den Aufbau der Bundeswehr zur Verfügung. Bei diesen Bewilligungen von 53,5 Milliarden DM steht noch die Durchführung eines Programms von 30 Milliarden DM bevor, so daß die Kosten insgesamt — Herr Minister, so einfach ist das wirklich zu rechnen — auf etwa 83 Milliarden DM kommen. Das habe ich heute morgen einwandfrei und deutlich dargelegt.
Ich habe davon unterschieden, daß seit dem Abschluß der Verträge, seit 1955, nach den offiziellen Unterlagen an Besatzungskosten und Besatzungsfolgekosten noch 15 Milliarden DM dazugekommen sind. Der Verteidigungsbeitrag ist also um diesen Betrag zu erhöhen.
Das deckt sich auch ganz genau mit dem, was der Herr Bundesverteidigungsminister Strauß in New York in seinem Vortrag vor dem Economic Club ausgeführt hat, als er von 91 Milliarden DM sprach. Hinzu kommen noch die 12 Milliarden DM aus dem Haushaltsplan dieses Jahres, und das gibt insgesamt wiederum 103 Milliarden DM. Das heißt, die Kosten der Verteidigung in diesen sechs Jahren sind doppelt so hoch, wie Sie damals vorgetragen haben. Der Aufbau der Bundeswehr kostet nicht 52 Milliarden DM, sondern 83 Milliarden DM.
Herr Bundesfinanzminister.
Meine Damen und Herren, ich habe mich nur deswegen zum Wort gemeldet, damit diese Behauptungen von Herrn Kollegen Schäfer nicht im Raume stehenbleiben; denn sie sind falsch, sie sind schlechthin falsch. Sie haben aus dem Finanzbericht auf Seite 284 einfach etwas Falsches abgelesen. Die Ausgaben unter B, die Sie vorgelesen haben, enthalten noch etwas ganz anderes als die Investitionen für den Aufbau der Bundeswehr. Diese Investitionen sind genau so, wie ich es vorgetragen habe, die Investitionen, die wir bisher hatten, plus diese 30 Milliarden DM, die noch folgen werden. Das sind insgesamt 57 Milliarden DM, die aber weit über das Jahr 1961 hinausreichen.
Das Wort hat der Herr Bundesverteidigungsminister.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Offensichtlich verteilt sich das Thema dieses Tages, Einzelplan 14 — ein großer Komplex —, in seiner Gesamtheit auf zwei Komponenten. Die eine Komponente ist von dem Kollegen Schäfer behandelt worden und wird wohl in der Fortsetzung der Debatte noch von dem Kollegen Merten behandelt werden; das ist der Einzelplan 14 im engeren Sinne des Wortes. Das sind die Niederungen der Alltagsüberlegungen und auch die langfristigen finanziellen, teils richtigen, teils falschen Ausblicke, die uns gegeben worden sind. Es sind alles Fragen, die sich mit dem Einzelplan 14 im engeren Sinne des Wortes befassen. Ich bitte deshalb um Nachsicht, wenn ich zu diesen Fragen abschließend eine Gesamtantwort geben und dabei auch auf die Fragen eingehen will, die Kollege Schäfer vorhin gestellt hat und die sicherlich noch ihre Fortsetzung in den Ausführungen des Kollegen Merten finden werden.Die andere Komponente im Gesamtkomplex ist von dem Kollegen Helmut Schmidt angeschnitten worden. Er ist ein bescheidener Mann;
denn er hat es heute unterlassen, darzulegen, daß seine von mir mit sorgfältiger Aufmerksamkeit verfolgten Ausführungen eine Konzentration aus einem umfangreichen Werke sind, das er, sicher in langer und mühsamer Arbeit geschrieben und mit zahlreichen Literaturhinweisen versehen, jüngst auf den Markt gebracht hat: Verteidigung oder Vergeltung.
Es ist auch ganz natürlich, Herr Kollege Schmidt, daß Sie darauf nicht Bezug nehmen. Denn Sie können natürlich nicht für Ihr Buch hier sozusagen eine Buchbörsenreklame machen.
Sie werden es mir aber nicht übelnehmen, wenn ich,sei es in Zustimmung, sei es in Widerspruch — wiees mir auch in anderen Fragen schon geschehen
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Bundesverteidigungsminister Straußist —, den Kurswert der von mir behandelten Gegenstände damit künstlich erhöhe, ohne deshalb Anspruch auf Prozente zu erheben.
Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Es hat wenig Sinn, denn ich habe längere zusammenhängende Ausführungen zu machen.
Es handelt sich ja urn unsere gemeinsame Zeit. Nicht daß ich Ihnen eine Antwort schuldig bleiben möchte, Herr Kollege Schmidt, oder den Stil, den wir bisher immer gemeinsam in Rede und Antwort gepflegt haben, etwa abschneiden möchte, aber vielleicht ist es doch im Interesse der Fortführung der Diskussion zweckmäßiger, daß ich noch keine Einzelfragen beantworte. Außerdem quält mich die Überlegung: Wenn das schon eine Zwischenfrage auslöst, wieviel muß ich erst erwarten angesichts dessen, was ich noch sagen will!
— Ich nehme an, daß das, was ich sagen will, noch mehr Anlaß bieten wird, Zwischenfragen zu stellen, als nur die Ersetzung eines Buchprospektes für Ihr strategisches Werk durch meine einleitenden Bemerkungen.Der Herr Kollege Schmidt hat sich mit zwei Komponenten befaßt. Er ist in die große Welt der Strategie eingedrungen. Die von uns geleistete Alltagsarbeit hat er nur am Rande gestreift, neutral, freundlich, meistens weniger wohlwollend. Ich habe mich bemüht, seine Ausführungen zu verfolgen und zu verstehen. Jede Komponente für sich allein genommen war durchaus ein logischer Einzelbestandteil. Aber bei dem Versuch, die Komponenten, die heute von Ihnen erwähnt und in Ihrem Werke ausführlicher dargestellt worden sind, aneinander gereiht in eine Systematik hineinzustellen, ergibt sich kein Bild mehr. Wenn ich dann noch versuche, das, was hier gesagt worden ist, mit der wehrpolitischen Diskussion der letzten acht oder neun Jahre in diesem Hause in eine Beziehung zu bringen, dann reichen auch die mir zur Verfügung stehenden Winkelmaße der Sicht nicht mehr aus, um hier noch den roten Faden einer halbwegs konsequenten politischen, technischen oder militärischen Auffassung zu erblicken.
Kollege Schmidt hat mit Recht von einem neuen Konzept gesprochen. Wir sollten aber vorsichtig sein mit dem Wort „neues Konzept". Die Frage der Verteidigung unseres Landes, die Frage der Verteidigung Europas, die Frage der Verteidigung der freien Welt in ihrer westlichen Hemisphäre besteht nicht aus einer Aneinanderreihung von jeweilsneuen Konzepten, wobei das vorausgehende mit jähem Bruch zu Ende geht und sich daran eine sensationelle neue Planung anschließt, sondern der gesamte Bereich der Verteidigung, insbesondere seit wir in diesem Bereiche durch Diskussion und aktiven Beitrag mitgewirkt haben, besteht doch in einer ständigen Überprüfung der Situation und in dem ständigen Bemühen, kontinuierlich die Anpassungen vorzunehmen, die sich aus der Veränderung der Situation ergeben.
Es hat sich vieles — darin gebe ich den Herren der Opposition recht — im Laufe der letzten zehn Jahre verändert. Man kann aber nicht, an die Adresse der Regierung, an die Adresse der Regierungsmehrheit gerichtet, sagen: Ihr habt ja auch eure Meinungen geändert! Warum sollen wir sie nicht geändert haben? Das wäre sicherlich eine billige Einseitigkeit, eine Schwarz-Weiß-Technik, die wir hier hei wehrtechnischen Debatten schon seit langer Zeit abgelegt haben.Ich möchte aber doch den Unterschied aufzeigen. Der Unterschied zwischen Ihnen und uns besteht darin, daß wir hinsichtlich des historischen Ausgangspunktes, hinsichtlich politischer Zielsetzung von einer sich gleichbleibenden Grundauffassung ausgegangen sind und uns laufend bemühen, die Richtigkeit unserer Auffassung in voller Treue gegenüber den Bündnisverpflichtungen, aber an Hand der jeweils sich entwickelnden und neu sich stellenden Gegebenheiten zu überprüfen,
während bei Ihnen — ich möchte hier wirklich kein unfaires Wort sagen — in der Diskussion dieser Jahre, was die verbalen Äußerungen Ihrer Auffassungen anlangt, doch ein Knick festzustellen ist, bei dem man eine systematische Linie der Weiterentwicklung, einen roten Faden, auch wenn er sich in geschlängelten Bahnen erstreckt, einfach nicht mehr feststellen kann.
General Norstad hat vor einigen Tagen zum Kollegen Schmidt offensichtlich gesagt, eine neue Bewertung der Lage sei notwendig. Das ist das Reappraisal. General Norstad hat völlig recht, denn es handelt sich um die Konsequenzen, die aus der atomaren Parität zu ziehen sind. Das sind nicht nur militärische — sei es technische, sei es organisatorische — Konsequenzen, das sind auch politische Konsequenzen, und das sind insbesondere für unseren amerikanischen Bündnispartner auch psychologische Konsequenzen. Denn es muß ein Einschnitt sein, wenn eine Weltmacht, die den ersten Weltkrieg entschieden hat, von der man auch ruhig sagen kann, daß sie den zweiten Weltkrieg eigentlich entschieden hat, sich zum ersten Mal in ihrer Geschichte mit der Tatsache abfinden muß, daß ihr Heimatboden, ihre Heimatbevölkerung, kurzum die ganze Struktur dessen, was die Vereinigten Staaten von Amerika materiell und menschlich ausmacht, von einem bestimmten Zeitpunkt an der Gefahr einer weitgehenden, vielleicht sogar vernichtenden
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Bundesverteidigungsminister StraußVerwüstung ausgesetzt sind. Für uns in den historischen Schicksalslanden Europas, besonders für uns in Deutschland, ist die Vorstellung, einer feindlichen Waffeneinwirkung ausgesetzt zu sein, zwar nicht angenehm und in keiner Weise liebenswert, aber sie ist nicht im Sinne einer inneren Umstellung auf veränderte Gegebenheiten so neu, wie sie naturgemäß für die Vereinigten Staaten von Amerika sein muß, die mit der veränderten Lage zurecht kommen müssen und die nach allen Anzeichen den besten Willen und die Entschlossenheit haben, das Risiko, das damit auch auf sie fällt, ehrlich zu tragen und mit ihren Bündnispartnern zu teilen.Ich darf aber hier den Blick auf eines richten, nämlich auf den Unterschied — der heute morgen bei den Darlegungen des Kollegen Helmut Schmidt verwischt worden ist —, den Unterschied zwischen dem, was gültig ist, und dem, was für die Bundesregierung, für das Verteidigungsministerium, für die politische und militärische Führung der Bundeswehr auch heute noch als Planungsgrundlage, als Aufstellungsziel und für die Erfüllung der Bündnispflichten unverändert verbindlich ist. Es hat keinen Sinn, an der Bundesregierung, am Verteidigungsministerium — ich rede gar nicht von der Person — und an den Planungen der Bundeswehr Kritik zu üben und diese Planungen angesichts des Neuen, was im Heraufziehen begriffen ist, was auf uns zukommt, wie man so schön sagt, und was nunmehr zur Grundlage der Betrachtungen gemacht werden muß, bereits als veraltet, als überholt oder als falsch hinzustellen. Das mögen Leute im Bereich der militär-I politischen Theorie machen, das ist deren Aufgabe. Unsere Aufgabe ist es, das, was wir auf uns genommen haben, was die Bündnisgemeinschaft der 15 Nationen gemeinsam als Beitrag der Bundesrepublik zur NATO vorgesehen hat, getreulich zu erfüllen, allerdings selbstverständlich mit der Maßgabe: wenn sich die Planung der NATO wieder ändern sollte, wie sie sich einmal geändert hat das wird noch einige Zeit dauern, aber sie wird sich ändern —, dann den Aufbau der veränderten Situation anzupassen. Es hat keinen Sinn, diese beiden Dinge miteinander zu vermengen.Wir müssen uns einmal über zweierlei unterhalten. Erstens: War das, was wir bisher getan haben, richtig? Und zweitens: Was kommt in der Zukunft an neuen Aufgaben, an Änderungen, an Umstellungen, an Anpassungsvorgängen auf uns zu?Es hat auch gar keinen Sinn, Kritik an dem zu üben, was wir tun, und gleichzeitig zu erklären, man stehe ohne Vorbehalte zur vollen Erfüllung der Bündnispflichten. In dem Bereich, über den wir heute reden — das ist die Frage des militärischen Beitrages —, ist die volle Erfüllung der Bündnispflichten festgelegt. Sie ist festgelegt in einer politischen Direktive, sie ist festgelegt in einem strategischen Konzept, und sie ist festgelegt in Schlußfolgerungen über die Maßnahmen, die zur Erfüllung des strategischen Konzepts von den Bündnispartnern in Form ihrer einzelnen Beiträge zur Gesamtleistung zu treffen sind.Wir können uns vielleicht, Herr Kollege Schmidt, auf die Formel einigen: Wenn Sie sich zur vollenErfüllung der Bündnispflichten als einer politischen Selbstverständlichkeit bekennen, dann bleibt Ihnen gar nichts anderes übrig, als die Maßnahmen, die wir zur Erfüllung der Bündnispflichten getroffen haben, zu billigen oder uns zu zeigen, wie man die aufgestellten und vereinbarten Planziele hätte besser erreichen können, als wir es in menschlicher Schwachheit fertiggebracht haben.
Etwas ganz anderes ist die Frage: was kommt auf uns zu? Hier bitte ich, es nicht als eine Ausflucht oder gar als eine Ausrede zu verstehen, wenn ich mit Prognosen vorsichtiger bin als der durch solcherlei Rücksichten naturgemäß nicht gehinderte Sprecher der Opposition, dessen gutes Recht es ist, seine Meinung über künftige Entwicklungen zu sagen. Er kann von mir nicht verlangen, daß ich mich festlege.Wenn nämlich verlangt wird — auch in diesem einen Umdruck geschieht das —, wir sollten — zwar nicht hier, aber im Verteidigungsausschuß — über die kommende Planung der NATO berichten und die Einstellung der Bundesregierung dazu bekanntgeben, dann darf ich noch einmal auf den Ablauf der Ereignisse hinweisen.Es ist nicht so, daß bei den Amerikanern etwa große Unsicherheit oder kühle Reserve oder gar feindliche Distanz zu gewissen Plänen herrsche. Es ist viel einfacher: die neue amerikanische Regierung hat von den Bündnispartnern verlangt, daß man ihr die Zeit gebe, um sich einzuarbeiten, sich mit den Problemen vertraut zu machen — ich sehe gerade vor mir das Stichwort „Raketenlücke?", das bereits in den letzten Wochen wieder eine gewisse Rolle gespielt hat —, ihr Konzept zu erarbeiten, gleichgültig, wieweit es auf den alten Vorstellungen beruht oder wieweit es zu neuen Schlußfolgerungen gelangt. Sodann hat es die amerikanische Regierung wohl als selbstverständlich betrachtet, daß das Ergebnis ihrer Überlegungen mit den Bündnispartnern besprochen wird; denn sonst gäbe es ja keine Interdependenz.Niemand wird bestreiten, daß die Vereinigten Staaten von Amerika die stärkste und größte Macht innerhalb des Bündnisses der nordatlantischen Gemeinschaft sind. Niemand wird bestreiten, daß sie ihr strategischer Rückhalt sind. Niemand wird bestreiten, daß sie ihre politische Vormacht ist. Aber wenn das Bündnis im Sinne der Interdependenz einen Sinn haben soll — und das unterscheidet die NATO vom Warschauer Pakt, wo einer diktiert und die anderen zu folgen haben —, dann werden die Amerikaner, wie es auch bisher das amerikanische Verfahren war, das Ergebnis ihrer Überlegungen mit ihren Bündnispartnern, so auch mit der Bundesrepublik und ihren legitimierten Vertretern, besprechen. Dabei ist kein Zweifel, daß die Amerikaner hinsichtlich des Gewichts, das sie in politischen und militärischen Fragen haben, wenn es Meinungsverschiedenheiten gibt, am längeren Hebel sitzen. Aber die Frage, was die neue Planungsphase der NATO ist, kann von uns erst beantwortet werden, wenn die amerikanische Regierung ihre Überprüfungen
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Bundesverteidigungsminister Straußabgeschlossen, ihre Schlußfolgerungen für sich gezogen und wenn sie uns die Motive, die Überlegungen, die Argumente, die Gedankengänge, die Begründungen für ihre Schlußfolgerungen dargelegt und uns — ich meine nicht speziell den Deutschen allein, sondern den Bündnispartnern — die Möglichkeit gegeben hat, das Ergebnis einschließlich der gedanklichen Vorgeschichte mit ihnen durchzusprechen. Das verstehen wir unter Interdependenz; sonst hätte eine Bündnisgemeinschaft, die immerhin eine Allianz demokratischer Staaten ist, ihren inneren Sinn verloren und würde die Struktur des Warschauer Pakts annehmen, was von keinem der Beteiligten, am allerletzten von den USA, aber auch nicht von den Bundesgenossen, gewünscht wird.Darum gilt für uns unverändert auch heute noch das Konzept der MC 70. Es hat für uns keinen Sinn, über die Änderung der MC 70 zu sprechen, bevor die Voraussetzungen dafür gegeben sind.Wir kennen die wehrpolitische Diskussion der letzten Jahre. Ich versuche sie jetzt nur einmal in einem großen Zusammenhang zu überblicken. Wenn ich die Äußerungen des Kollegen Helmut Schmidt von heute morgen dazustelle, so gelingt es mir beim besten Willen nicht, hier noch ein systematisches Gebäude von politischen Gedanken, Schlußfolgerungen und Überlegungen zu sehen, selbst wenn ich berücksichtige, daß eine Weiterentwicklung vorliegen könnte.
Sie sprechen von Bestandsaufnahme. Bevor man sich darüber ernsthaft auseinandersetzt, müßte doch für uns erst einmal das Profil Ihrer Wehrpolitik sichtbar werden.
Ich darf vielleicht, da heute morgen die Unterhaltungen auch etwas humorvoll waren und zeitweise abgewichen sind, ein Wort zum „militärischen Dilettantismus" des Bundeskanzlers sagen, der hier ja in einer von vornherein gehandicapten Position gegenüber den neun Jahren militärischer Erfahrung ist, über die Sie verfügen.
Nach dieser Rechnung liege ich auch schlecht: ich habe es nur auf knapp sechs Jahre gebracht; also werde ich Sie als größere Autorität betrachten müssen. Wenn wir aber diese Rechnung generell anwenden, dann müßten Sie die Autorität der uralten Generale als unumstößlich ansehen, denn mit denen können wir beide nicht konkurrieren.
Ich habe aber nicht den Eindruck gehabt, daß hinsichtlich der Zuerkennung militärischer Autorität für Sie dieser Schlüssel eine wesentliche Rolle gespielt hat.
Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Darf ich mir die Frage erlauben, Herr Minister Strauß, ob Sie übersehen haben, daß dieser besondere Maßstab für militärischen Sachverstand von Ihrem weiteren Parteifreund Dr. Dr, h. c. Dresbach stammt und nicht von mir.
Ich danke für die Gedankenstütze. Aber Sie kommen gerade auf das zu sprechen, was ich eben anschließen wollte. Sie haben das ja verbunden mit einer — da ich mich im Felde immer bemüht habe, rechtzeitig in Deckung zu gehen, nicht für mich persönlich geltenden — Erinnerung, daß eine Kanonenkugel geflogen kommen kann, die man sieht. Sie waren bei der Flak. Die Flak hat eine hohe V-Null - wir dürfen uns als Techniker unterhalten —, so daß man Flak-Geschosse nicht sieht. Aber wenn man sich in der Schußbahn des Geschosses eines Minenwerfers, eines Granatwerfers — heute würde man sagen, eines Mörsers — befindet, — Sie werden es nicht glauben: wenn man sich nicht hinlegt, sieht man das Geschoß tatsächlich kommen.
Ob man dann allerdings später noch die Möglichkeit hat, davon zu erzählen, ist eine andere Frage.
Ich weiß, daß der Kollege Dresbach — —(Abg. Dr. Dr. h. c. Dresbach: Der verstehtnichts von der Flak, der hat nur mit demModell 98 zu tun gehabt!)Bei dem Kollegen Dresbach schlagen natürlich so alte Erinnerungen, um nicht zu sagen alte Instinkte durch.Nachdem heute vormittag im Zusammenhang mit dem Herrn Bundeskanzler das Bild gebraucht worden ist, er sei sozusagen von einer Kanonenkugel auf die andere umgestiegen, möchte ich das Bild zurückgeben. Herr Kollege Schmidt, bei Ihnen hatte ich heute den Eindruck, daß Sie von einem Luftballon in den anderen umgestiegen sind.
Auch ich möchte den Herrn Bundeskanzler oder Leute seiner Art, — reich an Erfahrung und Erinnerungsfähigkeit — nicht als militärtechnische Kapazitäten in dem Sinne verstehen, wie Kollege Schmidt es gemeint hat. Wir beide haben uns in den letzten Jahren, fußend auf unseren gemeinsamen Kriegserinnerungen — wir waren allerdings nicht in derselben Einheit —, die militärtechnische Diktion unserer angelsächsischen Verbündeten zu eigen gemacht; wir haben ja heute eine Kostprobe bekommen. Trotzdem ist Ihnen neulich einmal der Irrtum unterlaufen, daß Sie geglaubt haben, das reentryProblem hänge mit der Rückkehr der Sowjets zusammen. Inzwischen wissen Sie, daß das reentryProblem die Frage der Rückkehr einer Weltraumkapsel oder eines Geschosses zur Erdoberfläche betrifft. Vielleicht erinnern Sie sich an die Auseinandersetzung neulich, als ein neuer Disengagement-
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Bundesverteidigungsminister StraußPlan vorgetragen worden ist. Aber ich glaube nicht, daß die Frage der Länge der eigenen Militärdienstzeit dafür entscheidend ist, wer in den großen und letzten Endes ja politischen Sicherheitsfragen unseres Volkes den besseren Instinkt gehabt hat. Den Vergleich kann der Herr Bundeskanzler mit Ihnen ruhig aushalten.
Denn Sie haben ihm damals sein Memorandum vom August 1950 an die drei alliierten Hochkommissare — zur Weiterleitung an die Regierungen der damaligen drei Besatzungsmächte — außerordentlich übelgenommen. Es war das Memorandum, in dem der Bundeskanzler mit dem ihm eigenen Instinkt für große Entscheidungen und Entwicklungen vorausgesehen und vorausgesagt hat, daß das Problem der europäischen Verteidigung, das Problem der Friedenssicherung ohne einen deutschen Beitrag in Europa auf die Dauer nicht gelöst werden könne.
Er mag in einzelnen Fragen — Weiterentwicklung der Artillerie in Gestalt taktischer Atomwaffen; Frage, oh Beitritt zur NATO Schlachtfeld bedeutet oder nicht; das ist ja auch eine Frage, die in Ihren Darlegungen, nicht den heutigen, aber in Ihren schriftlichen Darlegungen berührt worden ist — in vereinfachender Darstellung etwas gesagt haben, was vielleicht im einzelnen erst kommentiert werden müßte, um klarzulegen, was gemeint ist. Aber hinsichtlich der Nase für große Entwicklungen und hinsichtlich dessen, was im rechten Zeitpunkt zu tun ist, um keine irreparablen Versäumnisse zu begehen, hat der Bundeskanzler Ihnen gegenüber einen Vorsprung, der sich mit menschlichen Maßen kaum noch ausdrücken läßt.
„Mit menschlichen Maßen" heißt nicht: im Bereich des Humanen, sondern mit diesen Worten meine ich: mit den normalerweise gebräuchlichen arithmetischmathematischen Definitionen.
Sie haben heute vormittag die Äußerung getan, Sie könnten mit der Wehrpolitik der Bundesregierung — Aufrüstung, Abrüstung — nicht einverstanden sein. Sie haben damit gesagt, Sie hätten nun einmal nicht das Vertrauen. Gut, das müssen wir, auch wenn man daraus verschiedene Schlußfolgerungen ziehen kann, nun einmal als eine Feststellung nehmen, die getroffen worden ist. Wenn Sie aber zu uns kein Vertrauen haben — ich meine jetzt nicht im rein menschlichen Sinne, ich meine auch nicht, daß man von der Opposition erwarten sollte, daß sie ein dezidiertes Vertrauensbekenntnis zur Regierung ablegt —, und wenn Sie in Anspielung auf gewisse Dinge der Vergangenheit sagen: „Ihr verdient nicht unser Vertrauen!",dann allerdings, Herr Kollege Schmidt, ist es nicht eine billige Replik, sondern dann ist es nur der Ausdruck unserer Überzeugung, wenn wir erklären, daß die Änderungen in Ihren verbalen Darlegungen zum Problem der Sicherheit und zum Problem der Verteidigung bei uns erst dann Vertrauen finden werden, wenn sie durch das Ja Ihrer Entscheidungen und durch den Mut, diese Entscheidungen in der Öffentlichkeit und vor Ihren eigenen Wählern zu vertreten, gerechtfertigt worden sind.
— Da Sie nur einen Parteihaushalt haben, ist die Frage so nicht zu stellen. Aber wir unterhalten uns ja hier als politische Diskussionspartner. Wenn Sie sagen, Sie haben kein Vertrauen zu uns — nicht im engen Sinne bezüglich des Haushalts allein, sondern pauschal hinsichtlich der ganzen Verhältnisse —, dann können Sie es uns nicht übelnehmen, wenn wir sagen, daß die Änderung Ihrer Ausdrücke bei uns die Frage erweckt: ist es Taktik oder ist es Einsicht?
Gleichgütig wo parteipolitische Vorteile liegen oder ausgenutzt werden können, niemand hat ein größeres Interesse daran als die Bundesregierung, insbesondere der Minister, der im engeren mit der Frage der militärischen Verteidigung betraut ist, sich in den wirklichen Grundsatzfragen der Sicherung unseres Volkes und Europas auf die Gemeinsamkeit aller politischen Kräfte stützen zu können.
Sie haben selbstverständlich den Anspruch, das moralische Recht darauf, zu sagen: Ihr müßt uns unser Ja so abnehmen, wie es gesprochen wird. — Gut! Aber dann dürfen Sie sich doch auch sicherlich nicht der Einsicht verschließen, daß die Vorgeschichte zu diesem Ja derartig unübersichtlich und zweifelhaft oder, um nicht gar zu sagen, unerfreulich gewesen ist, daß die Maßstäbe, nach denen dieses Ja gemessen wird, erst gegeben werden können durch die Praxis, die Sie in Wirklichkeit einschlagen.
Man kann an der Verteidigung, an dem, was das Ministerium, an dem, was die Kommandostellen, die technischen Stellen und die Verwaltungsstellen der Bundeswehr tun, selbstverständlich Kritik üben. Das ist notwendig und dient der Kontrolle, außerdem dazu, gute Anregungen zu geben; aber wenn diese ganze Kritik auf dem makabren Hintergrund eines jahrelangen Nein steht, dann sollte dieses Nein glaubhaft aus der Welt geschafft werden, damit die Kritik im einzelnen auch wirklich fruchtbringend sein kann.
Es geht mir, Herr Kollege Erler, wenn ich ein Wort aus unseren ja schon über Jahre verlaufenden, meist von diesem Podium ausgetragenen Auseinandersetzungen aufgreifen darf, hier nicht um Reminiszenzen, um historische Erinnerungen oder um die Frage, wer den Patentschutz dafür, daß der richtige
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Bundesverteidigungsminister StraußWeg gegangen worden ist, in Anspruch nehmen darf. Darum geht es wirklich nicht. Bitte, glauben Sie mir! Es geht um etwas anderes. Man darf von dieser Stelle aus ja wohl, wo eine freie Diskussion — auch mit Meinung der Hintergründe, an die man denkt — führen; sonst hätte die Auseinandersetzung keinen Sinn.Im letzten Jahr — ich glaube, daß es noch nicht einmal 12 Monate her ist — hat der Herr Bundeskanzler bei irgendeinem Anlaß — vielleicht war es der Haushalt — an die Opposition die Frage gerichtet: Sie sagen doch nein oder Sie haben doch den Eintritt in die NATO für falsch gehalten? — Damals haben Sie, Herr Kollege Erler, gesagt: Jawohl diese Politik war falsch; es war ein Fehler, im Jahre 1955 in die NATO einzutreten.Das veranlaßt mich heute zu folgenden Überlegungen, die gemeinsam geprüft werden müssen. Wenn Sie ja sagen zur Landesverteidigung im Sinne auch des Aufbaues der Bundeswehr, im Sinne der Mitarbeit in der NATO, gegen die Sie sich lange gesträubt haben, so frage ich: Heißt dieses Ja, daß Sie sich auf den Boden der von der Regierung wider Ihre eigene politische Überzeugung geschaffenen Tatsachen stellen, weil sie leider nun einmal so zustande gekommen sind, oder heißt das, daß Sie heute einsehen, daß ein anderer politischer Weg damals nicht gegangen werden konnte, um die Ziele, die uns heute vorschweben, sei es nur die Wahrung des Bestehenden, um eine Plattform für das Künftige zu erhalten, auch wirklich zu erreichen?Von dieser Frage kommen wir bei unserer Auseinandersetzung nicht los. Sie stellt sich einem immer wieder, wenn man den Wert des Ja zur Bundeswehr und zur Mitarbeit in der NATO bemißt. Wenn Sie sich nämlich auf den Standpunkt stellen, die Regierung habe leider Fakten geschaffen und Sie müßten jetzt diese Fakten übernehmen und sich auf den Boden dieser geschaffenen Fakten stellen, so ehrt das zwar Ihre Haltung, zeugt aber nicht davon, daß sich Ihre grundsätzliche politische Einsicht geändert hätte.
Niemand würde Ihnen zutrauen — ich habe das von diesem Platz aus schon mehrfach gesagt, daß die SPD Verträge, die von einer anderen Regierung eingegangen worden sind, mißachten, aufheben, mit Füßen treten oder wie einen Fetzen Papier zerreißen würde. Sollte es jemals so verstanden worden sein, so möchte ich ausdrücklich sagen, daß ich in vollem Umfang immer gegenteiliger Meinung war, bin und sein werde, weil es der ganzen nationalen und internationalen Tradition des demokratischen Sozialismus widersprechen würde, völkerrechtlich gültige und sittlich verbindliche Verträge zu brechen, aufzuheben und einseitig aufzukündigen.
Ich darf das ausdrücklich sagen, um die Diskussion nicht in einen Dschungel von Verdächtigungen abgleiten zu lassen. Aber mir geht es darum, in dieser Auseinandersetzung herauszufinden — ich darf es vielleicht in Form einer Frage sagen —, ob Sie mit der Erkenntnis, die Sie heute haben, zurückprojiziert in die Jahre 1954 bis 1958, ebenfalls noch mit Nein stimmen würden gegen den Eintritt in die Westeuropäische Union, in die NATO, ob Sie mit Nein stimmen würden gegen die Wehrpflicht, ob Sie mit Nein stimmen würden gegen den Aufbau der Bundeswehr überhaupt und ob Sie mit Nein stimmen würden gegen die Einführung der von der NATO für uns vorgesehenen Waffen?
Jeder Ihrer Sprecher kann ja heute dieses Bild korrigieren, wenn unser Eindruck falsch ist. Sind Sie heute bereit, das Noin vom März 1958 zu einem bestimmten Komplex aufzugeben, bei dem Sie damals ja viel an rednerischen Effekten aufgeboten haben, um Ihren Standpunkt zur Geltung zu bringen? Es war eine weite Palette, die uns vom Kollegen Helmut Schmidt bis zu den Kollegen Bechert und Heinemann hinüber geboten worden ist. Halten Sie heute noch an dem Nein von 1958 fest? Sind Sie heute noch der Meinung, daß es falsch war, zu der NATO-Planung, die für uns die Erfüllung verbindlicher Bündnispflichten geworden war, ja gesagt zu haben? Und was veranlaßt Sie, heute zu sagen: Die NATO-Pflichten müssen erfüllt werden, weil wir die bestehenden Verträge anerkennen!? Diese Verträge haben ja auch schon 1958 bestanden; und da haben Sie mit Nein gestimmt.Mir geht es bloß darum herauszufinden: Sehen Sie heute ein, sehen Sie es wenigstens unter sich ein, wenn es auch nach außen hin für eine politische Partei sehr schwer ist, das zuzugeben, daß das Nein zum Eintritt in die NATO, das Nein vom März 1958 — abgesehen von den Haushalten — der Ausfluß einer falschen historisch-politischen Bewertung der Gesamtlage war, und sind Sie bereit, das zu revidieren?
Wenn Sie die Erklärung abgeben, daß Sie dieses historisch-politische Konzept zu revidieren bereit sind, dann ist auch meinerseits — ich glaube, daß das für die meisten meiner Freunde gelten wird — der Zweifel, ob es eine taktische Änderung oder ob es ein Wandel in der Substanz war, endgültig zu Ihren Gunsten im Sinne einer gemeinsamen Auffassung gelöst.
Ich bin hier nicht in der Lage, in all diese Einzelheiten einzutreten, aber bei einem Versuch, mir den Ablauf der ganzen Diskussion noch einmal zu rekonstruieren, und zwar ohne bis in die graue Vorgeschichte zurückzugehen, in die Jahre 1945 oder 1950, sondern nur etwa in die Zeit ab 1954/55 oder auch 1958/59, stoße ich und stößt jedermann, der die Dokumente nachliest, auf eine Fülle widerspruchsvoller und in der Aneinanderreihung nicht mehr verständlicher Erklärungen. Deshalb dürfen Sie es uns nicht übelnehmen, wenn wir die Dinge nur mal wenigstens um 2 oder 3 Jahre zurückverfolgen und festzustellen versuchen: Was steckt dahinter, wo ist der Einschnitt, von wann an ist diese Änderung erfolgt, warum ist sie erfolgt, was sind die Motive dafür? Das darf doch im Rahmen einer fairen politischen Auseinandersetzung in Form
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8624 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 151. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. März 1961
Bundesverteidigungsminister Straußvon Frage und Antwort von Ihrer Seite an unsere Seite und von unserer Seite an Ihre Seite auch noch gesagt, gefragt und behandelt werden. Sonst wäre es ja das Ende einer politischen Diskussion überhaupt.Es ist doch noch nicht lange her, daß maßgebende Sprecher der Opposition alle Formen der Disengagements-Ideen, alle Pläne des Disengagement nachhaltig vertreten haben. Die Vorstellung geht bis tief in das Jahr 1960 hinein: Die Bundesrepublik raus aus der NATO, die sogenannte DDR raus aus dem Warschauer Pakt, das allein ergibt dann schon die Voraussetzungen für eine politische Lösung; dazu kommt der Abzug der Atomwaffen auf unserer Seite — Rapacki-Plan — dazu kommt der Abzug der fremden Truppen und die Einigung über den militärpolitischen Status des wiedervereinigten Deutschlands, von dem wir reden, von dem aber in der sowjetischen Diskussion im Zusammenhang mit solchen Maßnahmen überhaupt nicht die Rede gewesen ist.Darf ich die Herren, die das vertreten haben, fragen: Haben Sie diese Überlegungen heute auf Grund der Einsicht aufgegeben, oder sind Sie der Meinung, daß Sie sie deshalb haben aufgeben müssen — jedenfalls in der Gegenwart —, weil die von der Regierung betriebene Politik die Voraussetzungen, diesen politischen Weg zu gehen, den Sie damals vorgeschlagen haben, unmöglich gemacht hat? Das ist eine sachlich gestellte Frage, der man die Antwort nicht verweigern kann.Ich möchte nicht viele Einzelheiten bringen. Aber Kollege Erler hat noch am 7. Januar dieses Jahres in einem Artikel geschrieben, heute sei es wenig sinnvoll, über die verpaßten Chancen jener Jahre zu klagen. Heute komme es darauf an, von den jetzt gegebenen Tatsachen her die Aufgaben der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik erfolgreich anzupacken.
Wenn Sie selber uns vorwerfen, daß durch unsere Politik Chancen verpaßt worden seien, dürfen Sie es uns wirklich nicht übelnehmen, wenn wir fragen: Glauben Sie auch heute noch, daß diese Chancen gegeben waren, daß Ihr Nein damals berechtigt war und Sie nur durch die von uns geschaffenen Tatsachen heute zu einem Ja gebracht worden sind?
Ist es so?
Daran schließt sich für jeden, der nur versucht, die Dinge logisch und konsequent durchzudenken, automatisch eine weitere Frage an. Gut, wir haben Fakten geschaffen. Wir haben begonnen, und zwar der Herr Bundeskanzler im Jahre 1950 mit seinem einsamen Entschluß, dieses Memorandum zu schicken. Wir haben selbst nichts davon gewußt. Herr Kollege Heinemann ist damals als Reaktion darauf aus dem Kabinett ausgeschieden. Wir haben im Jahre 1952 — ich glaube, im Februar ist es gewesen — die große wehrpolitische Debatte im Bundestag gehabt. Dann schlossen sich an der Vertrag über die Europäische Verteidigungsgemeinschaft, der Deutschland-Vertrag, die Westeuropäische Union, dieNATO mit einer Reihe von grundsätzlichen wehrpolitischen Diskussionen. Dann folgten die wehrpolitischen Diskussionen über konkrete Fragen, wie Wehrpflicht, Soldatengesetz, Einführung der Mehrzweckwaffen usw.Wenn Sie heute sagen, daß die von uns geschaffenen Tatsachen Ihr Nein von damals nicht entkräften, Ihr Ja von heute aber verständlich machen, ergibt sich daraus auch die Schlußfolgerung, daß Sie ohne die von uns geschaffenen Tatsachen auch heute noch nicht zu dem Ja gekommen wären, das Sie jetzt wegen der von uns geschaffenen Tatsachen nicht mehr zu verweigern vorgeben.
Es gibt eine ganze Fülle von Warnungen, die von Ihrer Seite gegen die Einschmelzung auch einer bereits in Aufstellung befindlichen Bundeswehr in das westliche Verteidigungssystem erhoben worden sind. Wären wir damals Ihrem Rate gefolgt, dann wäre die Frage, wie man innerhalb der NATO eine Arbeitsteilung durchführen kann, heute praktisch gegenstandslos,
und die Vorstellung, wir könnten mit unseren Alliierten zu einem System der abgestuften Abschrekkung kommen, hätte dann praktisch überhaupt keinen Sinn, überhaupt keine Grundlage und überhaupt keine Voraussetzungen mehr. Man müßte doch erwarten, daß das, was Sie uns damals empfohlen haben — wenn Sie ernst genommen werden wollen —, auch heute noch Grundlage für eine realistische Militärpolitik wäre. Heute aber sagen Sie selber, daß unsere Integrationsbemühungen, unsere Bemühungen um Zusammenarbeit der Bundeswehr mit unseren westlichen Verbündeten verstärkt werden müssen. Sie sprechen von der möglichst raschen Herstellung standardisierter gemeinsamer Kampffahrzeuge — wenn ich nur einen Punkt Ihres Antrages herausgreifen darf. Auch hier ist einfach ein Knick drin, und man sieht nicht, wohin die Reise gehen soll.Ich darf Herrn Kollegen Erler zitieren. Er schrieb am 23. Juli 1959:Die Sozialdemokratie hat seit Jahren Bedenkengegen die immer unauflöslicher werdende Einschmelzung der westdeutschen militärischen Verbände in die europäische NATO-Struktur vorgetragen.
Das ist zu lesen im SPD-Pressedienst vom 23. Juli 1959.Daher die Frage: Was hat Sie bewogen? Auf diese Frage dürfen wir doch um eine Antwort bitten. Sie dürfen doch in der Frage noch keine Unterstellung sehen. Was im Laufe dieser Jahre und nicht zuletzt, seit ich die undankbare Aufgabe hatte, die Durchführung der MC 70 zu vertreten, alles an persönlicher Diffamierung, Hexenverfolgung, Herabset-
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Bundesverteidigungsminister Straußzung, Beschimpfung und Verleumdung über mich ergangen ist, das findet an keinem Beispiel der Gegenwart auch nur annähernd ein Parallele.
Ich darf Sie an einen weiteren Zusammenhang erinnern, nur damit Sie verstehen, warum es bei uns Zweifel gibt und warum auch wir Auskunft über bestimmte Fragen erbitten, die sich aus dem Ablauf der ganzen Diskussion ergeben.
- Wenn Sie mir zur Antwort an Sie und Herrn Kollegen Merten die Zeit geben — ich bestehe nicht darauf, Antwort zu bekommen.
— Herr Kollege Schäfer, ich glaube nicht, daß die Regierung etwa ein höheres Wesen darstellt. Ich glaube aber auch nicht, daß sie wie ein Rekrut von einem Feldwebel, und zwar alten Stiles, behandelt werden sollte.
Ich gebe Ihnen schon die Anwort. Aber in welcher Reihenfolge ich Ihnen die Antwort gebe und warum ich den Ausflug des Kollegen Helmut Schmidt in die Bereiche der Strategie für wichtiger halte als die Beantwortung der Einzelfragen, das müssen Sie meiner politischen Unzulänglichkeit überlassen, wenn es um die Reihenfolge geht.
Wir stimmen sehr der Vorstellung zu, daß innerhalb der NATO in stärkerem Umfang eine Arbeitsteilung durchgeführt werden muß, als es bisher der Fall war. Wir sind gestern auch nicht darauf gekommen — Herr Kollege Schmidt, ich meine jetzt nicht Sie oder irgendein Mitglied Ihrer Fraktion —, daß wir stärkere oder zum mindesten einigermaßen ausreichende konventionelle Streitkräfte brauchen.Hier muß ich einfach um der historischen Wahrheit willen etwas sagen, soweit man das Wort ,,historisch" im Zusammenhang mit fünf Jahren gebrauchen darf. Das ironische Lächeln auf dem Gesicht des Kollegen Schmidt kann ich voll würdigen. Ich bitte, das Wort auch nur im eingeschränkten Sinne zu verstehen.Im Sommer 1956, als die ersten Entscheidungen gefallen waren — Eintritt in die NATO und in die Westeuropäische Union —, als das erste Freiwilligengesetz verabschiedet war — wenn Sie sich an dieses Vorschaltgesetz erinnern —, da kam eine alarmierende Nachricht. Sie war weniger dem Inhalt nach alarmierend als der Art und Weise nach in der sie aufgemacht worden war. Es war die Nachricht von der nuklearen Totalstrategie, verbunden mit dem Wort Radford-Plan. Was dahintersteckte, war wesentlich weniger, als die Schlagzeilen nach außen vermuten ließen. Aber auch das, was damals dahintersteckte — da hat Herr KollegeSchmidt völlig recht —, gilt heute nicht mehr in dem damaligen Umfang, und daß es sich in der Zukunft eine ständige Überprüfung gefallen lassen muß, darüber sind wir uns völlig einig.Ich erinnere daran, daß damals der Herr Bundeskanzler, besorgt über die Auswirkungen — das war im Juli, August, September 1956 —, trotz seines „militärische Dilettantismus" die drei deutschen Botschafter aus Washington, London und Paris —ich glaube, sogar den aus Rom — kommen ließ, um mit ihnen die Lage zu besprechen, die sich aus der Umstellung auf die nukleare Totalstrategie für den Aufbau der Bundeswehr ergab. Damals kam die Frage hoch: Hat denn das, was die Dienststelle Blank geplant hat, überhaupt einen Sinn?
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— Ich kann Ihnen das wörtliche Zitat der Entschließung geben. Dort heißt es:In Übereinstimmung mit den Erfordernissendieses Verteidigungssystems und angesichts derAufrüstung des möglichen Gegners müssen dieStreitkräfte der Bundesrepublik mit den modernsten Waffen so ausgestattet werden, daß sie den von der Bundesrepublik übernommenen Verpflichtungen in der NATO zu genügen vermögen und den notwendigen Beitrag zur Sicherung des Friedens leisten können.Das war der Text der Entschließung, die damals gefaßt worden ist. Darauf bezog sich die Frage von Schulze-Vorberg. Die Frage lautete:Würden Sie sie auch heute noch so scharf bekämpfen, nach Hannover, oder würden Sie dieser Entschließung heute zustimmen?Darauf haben Sie gesagt:Die SPD kann auch heute nicht dem Entschließungsantrag der CDU/CSU vom 25. März 1958 zustimmen.In demselben Gespräch sagte Kollege Ollenhauer:Die Sozialdemokraten erkennen alle vertraglichen Verpflichtungen für die Verteidigung uneingeschränkt und ohne Abschwächung an.Diese Rechnung geht doch nicht auf! Ich möchte mit diesem traurigen Spiel nicht fortfahren. Aber das, was ein Teilnehmer des Gesprächs am Schluß gesagt hat — es war der Mann vom Bayerischen Rundfunk, Herr Schulze-Vorberg —: „Nun kann ich mir nicht mehr helfen", — das kann ich meinerseits nur wiederholen. Wenn ich die Aussprüche über diese und die damit zusammenhängenden Fragen, die in den letzten drei Jahren von Ihnen getan worden sind, einmal im Zusammenhang lese, kann ich mir einfach nicht mehr helfen.
Sie haben immer betont, daß es sich bei der Frage der Einführung der Atomwaffen, dieser gefährlichen Waffen — ich möchte kein Wort davon wegnehmen —, um eine Lebens- und Schicksalsfrage für die Welt und unser Volk handle. Wenn es so ist — und ich kann nur unterstreichen, daß es so ist —, dann müssen Sie uns zugeben, daß wir in dieser Frage nicht aufhören können, auf volle Klärung Ihrer Position zu dringen und Sie immer und immer wieder danach zu fragen, bis Sie endlich Farbe bekennen, auch in den Konsequenzen und einzelnen Ausgestaltungen.
Nun komme ich zu den Schlußfolgerungen, die zu ziehen sind. Kollege Helmut Schmidt hat sie angedeutet, hat einige Fragen in diesem Zusammenhang gestellt. Wir sind der Meinung, daß ausreichende — und die Frage: wer entscheidet darüber —, daß starke konventionelle Streitkräfte aufgestellt und unterhalten werden sollen, damit örtliche Grenzstörungen, bewaffnete Provokationen und ähnliche Aktionen beschränkter Art ohne Rückgriff auf die Atomwaffen aus der Welt geschafft werden können. Ich glaube, das ist eine Formel, mit der auch Sie -ein erster Schritt — einverstanden sind.Aber ich komme jetzt zu einer zweiten Formel: Wir können nicht damit einverstanden sein, daß die taktischen Atomwaffen — unterstellen Sie einmal, daß ich dabei nur die Mittel der Verwendung meine,
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Bundesverteidigungsminister Straußnicht die Sprengköpfe — irgendwo in das Hinterland der NATO gestellt werden, um im Bedarfsfalle wieder nach vorn gezogen zu werden. Sie verlangen eine technische Klärung im einzelnen; dann muß ich Sie leider um Geduld bitten, diese technische Erklärung auch anzuhören. Es wird ja soviel in allgemeinen Erläuterungen gemacht!
Die Atomwaffen, wie wir sie haben oder einzuführen gedenken — ich kann über das Maß der Durchführung im einzelnen keine Auskunft geben —, haben nur eine sehr begrenzte Reichweite. Den Herren Kollegen ist die Reichweite der Artillerie, die Reichweite der Kurzstreckenraketen und die Reichweite unserer taktischen Bomber bekannt. Wenn wir die Boden-Boden-Abschußmittel in das atlantische Hinterland stellen — — erst einmal die Frage: wohin? nach Frankreich? Das ist nicht möglich.
- Lassen Sie mich das doch zu Ende führen!
- Das ist einer der Vorschläge, die in der Diskussion der letzten Monate gemacht worden sind.
-- So können Sie nicht diskutieren. Ich habe mich bemüht und bemühe mich nach wie vor, Klarheit in diesen Komplex zu bringen. Ich habe nicht gesagt, daß Sie die Verlagerung in das atlantische Hinterland verlangt haben. Ich habe gute Gründe, einmal die Quellen nicht zu nennen — die haben mit Ihnen persönlich nichts zu tun —, die von dieser Vorstellung eventuell erfüllt sein können.
Ich bin ja zur Ausführung jedes Befehls bereit, wenn er Sinn hat. Wir sehen darin keinen Sinn, diese Waffen in das Hinterland zu stellen, denn wir können sie nicht mehr nach vorne bringen, wenn sie benötigt werden.Jetzt komme ich aber zu Ihrem Vorschlag, Herr Kollege Schmidt, der Ausklammerung dieser Waffen und der Schaffung eines Sonderkommandos. Erstens die Frage: soll die Bundeswehr an der Zusammensetzung dieses Sonderkommandos beteiligt sein oder nicht? Oder sind Sie der Meinung, daß das, was die übrigen NATO-Streitkräfte tun sollen und auch zu tun verpflichtet sind, für die Bundeswehr aus politischen oder anderen Gesichtspunkten nicht gelten darf? Wenn Sie das meinen, würde ich von vornherein nein sagen. Denn es handelt sich um die Verteidigung unseres Bodens, und es handelt sich nicht darum. unseren Soldaten nicht mehr Mißtrauen als den anderen entgegenzubringen, die dann über diese Waffen verfügen würden.
Ich glaube nicht, daß Sie das meinen.
Aber welchen Sinn sollte es denn haben? Welche Waffen? Ich kann sie nennen: eine bestimmte Sorte Artillerie, eine bestimmte Sorte Raketenwaffen, es kommen noch weitere hinzu; sie sind ja im Zulauf — wie man so schön sagt —, und zwar auf Grund der Bündnisverpflichtungen. Die sind nicht gestoppt worden auf Grund von Plänen, die in der Welt heute kursieren. Das sind Kurzstreckenraketen, und dazu kommen noch Flugzeuge. Das ist ja alles bekannt. Sind Sie der Meinung, daß diese Waffen — Kanonen, Raketen und Flugzeuge — unter ein atomares Sonderkommando zusammengefaßt und aus der Truppenstruktur herausgenommen werden sollten? Dann sage ich Ihnen, daß das sowohl politisch als auch militärorganisatorisch wie auch militärtechnisch von allen Fachleuten als unmöglich und als unerwünscht bezeichnet wird.Ich bin sehr wohl der Meinung, daß nicht der taktische Kommandeur das Recht haben soll, diese Waffen einzusetzen, wenn er auf seiner militärischen Ebene in Schwierigkeiten gerät und unter Umständen zu einer Panikreaktion, zu einer Kurzschlußreaktion gedrängt wird. Aber stellen Sie sich das moderne Kriegsbild vor, wie man es sich vorstellen müßte: da gibt es ein konventionelles Oberkommando auf den verschiedenen Etagen und daneben ein atomares Oberkommando auf den verschiedenen Etagen. Wenn Sie dann auf Koordinierung oder Zusammenarbeit angewiesen wären, ich glaube, die Sowjets brauchten gar nicht mehr. einzumarschieren, die würden sich an der Grenze totlachen, wenn sie diesen Zustand sähen.
Das ist eine Vorstellung, die heute in der Literatur erscheint, die aber auch von der amerikanischen Armee — es ist General Maxwell-Taylor heute genannt worden — und von seinem Nachfolger ohne jeden Zweifel als irreal abgelehnt wird. Wir sind allerdings der Meinung, daß der politische Beschluß, diese Atomwaffen freizugeben, auf einer sehr hohen Ebene erfolgen muß und nicht in das Ermessen auch nur einer einzelnen Nation — mit Ausnahme der Vereinigten Staaten, das ist ein Sonderfall — gestellt werden kann.Ich gehe noch weiter! Wir sind auch der Meinung. daß der militärische Befehl zum Einsatz, wenn die politische Freigabe erfolgt ist, nur von einer Stelle aus erfolgen kann, die den Überblick über den Gesamtablauf der Operationen hat und nicht von einem begrenzten Abschnitt aus, wo unter Umständen örtlich eine Katastrophe eintritt, die aber in keiner Weise das gesamte Kriegsgeschehen — auf dem gesamten Theater, haben Sie heute gesagt; es gibt das englische Wort „theater" dafür - ernsthaft beeinflußt. Das sind die Vorstellungen, die wir dazu haben.Aber bauen wir - das ist leider von dem HerrnKollegen Schmidt überhaupt nicht gesagt worden -bei diesen ganzen Überlegungen nicht auf Sand, weil wir alles nur bei uns ablaufen lassen und Vorstellungen wälzen, was wir tun könnten? Ich muß doch einmal sagen, wie es drüben aussieht. Auf der anderen Seite sind die taktischen Atom-
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Bundesverteidigungsminister Straußwaffen vorhanden. Die gelegentlich aufgestellte Behauptung, daß sie in einem atomaren Raketensonderkommando zusammengefaßt seien, ist ja nicht wahr. Es gibt dort drüben einen neuen — lassen Sie mich sagen — „Wehrmachtteil", ein atomares Raketensonderkommando. Das betrifft aber die interkontinentalen Raketen und die Mittelstreckenraketen mit großer Reichweite; sie sind drüben zwischen der Luftwaffe und dem Heer als ein besonderer Waffenteil eingeführt worden. Die übrigen Atomwaffen aber — das ist der Bereich, der uns hier, die Schildstreitkräfte in der Grenzverteidigung, interessiert — sind dort in die normale Truppenstruktur eingegliedert. Das gilt für die Artillerie und die Flugkörper und bei der Luftwaffe auch für die taktischen Bomber.
Herr Minister, gestatten Sie eine Frage des Herrn Abg. Schmidt?
Bitte schön!
Wenn es so ist, wie Sie sagen, Herr Minister, wie erklärt es sich dann, daß an der Ihnen unterstehenden Führungsakademie der Bundeswehr bei der Ausbildung der Generalstabsoffiziere ein ganz anderes Bild in bezug auf die Dislozierung und Organisation der taktisch-nuklearen Waffen der Bodenstreitkräfte der sowjetischen Wehrmacht entwickelt und den Generalstabsschülern beigebracht wird?
Ich vermag nicht zu behaupten, daß Sie recht haben; denn ich habe meine Informationen vom Chef Fü B II — das ist der Leiter der Abwehr innerhalb der Bundeswehr — bekommen, in dessen Händen sämtliche Informationen zusammenlaufen, die die Bundeswehr überhaupt darüber hat, einschließlich der Informationen der Verbündeten. Es ist gar nicht möglich, daß die Führungsakademie davon abweichende Informationen besitzt.Ich kann es auch aus einem zweiten Grund nicht glauben. In meinen Händen befindet sich der Entwurf der „Truppenführung 1960". Das ist der Entwurf — um diesen Begriff zu gebrauchen — „für alle Fälle". Dieser Entwurf ist an der Führungsakademie Hamburg von einer bestimmten Studiengruppe im Zusammenwirken mit dem Lehrkörper erarbeitet worden. Er besagt in seinen Konsequenzen genau das Gegenteil von dem, was Sie dieser Führungsakademie unterstellen. Aber sagen Sie mir doch Ihre Quellen, sagen Sie mir, von wem Sie es haben! Ich bin gerne bereit, das nachzuprüfen. — Auch wieder der geheimnisvolle Unbekannte!
— Sie verwechseln den Chef des Ministeriums mit einem anderen. der es vielleicht werden könnte. Bei mir kommt so etwas nicht vor.
Bei mir kommt es nicht vor, daß jemand wegen einer abweichenden Meinung einer disziplinaren Untersuchung unterworfen wird. Nennen Sie mir einen einzigen Fall, in dem eine Disziplinaruntersuchung mit dem Zweck, den Betreffenden zu bestrafen, stattgefunden hat!Daß ein Offizier, der falsche oder geheime Informationen gibt, sich eine Überprüfung gefallen lassen muß, ist eine Selbstverständlichkeit, über die man überhaupt nicht zu sprechen braucht.
Das ist unsere Auffassung, was die Lage auf seiten der NATO betrifft. Aber ich muß wieder und ernsthaft darauf hinweissen: Das ist ja alles nur Phantasie; das ist ja alles nur Konstruktion; das ist ja alles auf Sand gebaut, solange nicht drüben gleiche Folgerungen gezogen werden. Was hätte es für einen Sinn, die Atomwaffen — lassen Sie mich noch bei diesem Ausdruck bleiben, obwohl er im Wandel begriffen ist! — aus den Schildstreitkräften bei uns zu eliminieren, wenn drüben nicht das gleiche geschieht! Was hätte es für einen Sinn, sie nach hinten zu verlegen, wenn drüben nicht das gleiche geschieht! Bis eine demokratische Allianz unter der Überwachung der Öffentlichkeit diese Waffen wieder an die Grenze bringen kann und bis eine Diktatur sie unter dem totalen Geheimhaltungsvorgang nach vorn schieben kann, — das sind zwei leider ganz verschiedene Voraussetzungen. Ich glaube, daß die Sowjets viel leichter in der Lage wären, diese Waffen nachzuschieben, als der Westen, wenn er sie aufgegeben hätte.Dazu eine abschließende Bemerkung! Herr Kollege Helmut Schmidt, Sie haben in Ihrem Buch einen Satz geschrieben, der mir gut gefallen hat, auf den aber auch Sie keine Antwort geben können. Sie sagen, wir wüßten wissen, auf welche Weise zukünftige Kriege entstehen können. Wie sind denn bisher in Europa Kriege entstanden? Es geht nicht um Laos, um den Kongo und um Kuba. Da bin auch ich der Meinung, daß starke Expeditions-Interventionsstreitkräfte, lufttransportabel mit nicht-atomaren Waffen — die atomaren Waffen mit Flugzeugträgern im Hintergrund — zur Verfügung stehen müssen, um Buschfeuer austreten zu können, die in diesen Gegenden angesichts der Unstabilität der politischen Verhältnisse und der Intervention der Großmächte nun leider immer wieder ausbrechen können, nicht zuletzt dank der raffinierten, subversiven Taktik des Weltkommunismus. Denn gerade am Kongo und anderswo sehen wir ja, was Kalter Krieg heißt und daß die Grenzen zwischen Kaltem und Heißem Krieg fließend sind. Noch einiges mehr wäre dazu zu sagen.Aber wie brechen denn in Europa Kriege aus? Ich warne wirklich beschwörend vor der Vorstellung, daß in Europa ein Krieg so per Zufall durch Schuld
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Bundesverteidigungsminister Straußkeines Beteiligten ausbrechen könnte. Daß in Europa der erste Weltkrieg ausgebrochen ist, war Schuld vieler, nicht einer einzigen Nation. Daß der zweite Weltkrieg ausgebrochen ist, hatte eine lange historische Vorgeschichte. Daß das Schießen begonnen hatte, ist Herrn Adolf Hitler und seinem verbrecherischen Entschluß zuzuschreiben. Denn nichts, aber auch nichts hat dazu gezwungen, von der Waffe Gebrauch zu machen, um irgendeine Frage zur regeln.Ich frage mich, wo kann heute in Europa das Schießen beginnen, ohne daß einer den Wunsch und den Willen hat, zur Waffe zu greifen, und den Entschluß faßt? Kriege in Europa brechen doch nicht per Zufall aus wie ,ein Erdbeben oder eine Feuersbrunst oder eine Lawine. Dahinter steckt doch eine politische Intention, von der Waffe Gebrauch zu machen. Und hier kann ich nur eine Warnung wiederholen: Wenn wir die Intention, von der Waffe Gebrauch zu machen, durch Schwächung der Abwehrreaktion und der Abwehrfeuerkraft ermutigen, dann werden wir zwar für einige Zeit den atomaren Krieg hinausschieben, aber wir würden dann wieder das Schießen in Europa zur politischen Methode von Diktatoren und ähnlichen Elementen erheben.
Sicherlich, wenn irgendwo an der Grenze ein Irrtum passiert, wenn irgendwo ein örtlicher Kommandeur die Nerven verliert — in der südafrikanischen Geschichte gibt es den Johnson-Raid, wenn ich mich erinnere — —
— Ich bedanke mich für die Nachhilfe; das ist Waffenhilfe in Not. — Wenn es zu so etwas kommt, sind dafür die konventionellen Waffen da. Deshalb haben wir die Divisionen in Brigaden aufgeteilt; deshalb haben wir den Brigaden die atomaren Waffenträger vorenthalten; deshalb haben wir in den Brigaden die modernst-möglichen konventionellen Waffen untergebracht; deshalb haben wir die Feuerkraft der Brigaden vergrößert, damit diese vorgeschobenen, an der Grenze liegenden Infanterie- und Panzerbrigaden mit Störungen dieser Art fertig werden.Aber mir wird es himmelangst, wenn ich davon höre, einen konventionellen Angriff nur mit konventionellen Waffen zu erwidern, gleichgültig, wie groß er ist, gleichgültig, wie lange er dauert und gleichgültig, was seine politische Zielsetzung ist. In Europa darf' das Schießen nicht wieder risikolos gemacht werden. Ich kann mir vorstellen, daß manch einer eine verlockende Möglichkeit darin sieht, nun zu sagen: Bis jetzt ist der Krieg immer gefährlicher geworden; endlich haben die Politiker wieder einen Weg gefunden, daß der Krieg nicht mehr so gefährlich ist; dann können wir es uns endlich wieder leisten — hurrah! — zu schießen. — Das ist nicht Ihre Meinung, Herr Kollege Schmidt. Aber das steckt hinter manchen Überlegungen, auch bei solchen, die die letzte Tragweite Ihrer Vorschläge nicht kennen.Ich verkenne nicht die Gefährlichkeit dieser Waffen. Ich verkenne auch nicht die Konsequenzen für unser Land, wenn sie angewandt werden sollten. Sie wissen Bescheid darüber, ich weiß Bescheid darüber, und es gibt manche, die darüber Bescheid wissen. Aber nun darf man niemals daraus die Konsequenz ziehen: Weil die Anwendung dieser Abwehrwaffen große Zerstörungen verursacht, dürften wir mit ihnen nur drohen, aber niemals mit ihnen schießen, und deshalb müßten wir einen Angriff, der mit konventionellen Waffen vorgetragen wird, mit konventionellen Waffen beantworten. Ich warne vor einer solchen Denkweise; denn das könnte sehr wohl dazu führen — da wir nie die angreifende Seite, sondern immer die verteidigende Seite sein werden —, daß ein Angreifer, der die freie Wahl des Ortes, der Zeit und der Mittel hat, in der ersten Phase eines Angriffs einen Überraschungserfolg erzielt. Er hat vielleicht gar keine weitgesteckten Ziele; er macht auf dem Boden des Zieles, das er sich gesteckt hat, aber Halt. Begründungen für sein Vorgehen gibt es genug in der Sprache der Totalitären — die brauchen wir hier nicht zu wiederholen —, und er bietet dann den Frieden an. Glaubt jemand, daß in jedem Falle, wenn hier zwischen konventionellen und atomaren Waffen ein Einschnitt gelassen wird, die Demokratien dann sagen werden: Wenn du nicht gehst und diese Beute freigibst, beginnt morgen um sechs Uhr der totale Atomkrieg, mit dem wir dich vertreiben werden? Da gibt es eine andere Konsequenz: Man läßt es ihm, um das zu vermeiden, was man ja von vornherein und mit Recht ebenfalls vermeiden wollte. Wenn man es ihm läßt, werden die letzten Dinge schlimmer sein als die ersten. Denn die erste Provokation, die ihr Ziel erreicht, löst eine Fülle weiterer Provokationen und eine Kettenreaktion an seelischer Zermürbung im Westen aus, der sich eine ganze Reihe von konventionellen Konflikten — weniger materiell als psychologisch — nicht leisten kann, ohne auseinanderzubrechen.Aus diesen Gründen — man könnte noch mehr hinzufügen — warnen wir dringend davor, die Bewaffnung der Schildstreitkräfte so umzubauen, daß sich irgendein Aggressor in eine so gefährliche Spekulation hineinmanöverieren könnte, man könnte es einmal versuchen, der Versuch werde ja nicht allzu gefährlich werden. Wenn wir hier den ersten Schritt getan haben, sind wir die Gefangenen einer Entwicklung, an deren Ende weder Einheit noch Freiheit noch Frieden stehen werden.
Das Wort hat der Abgeordnete Erler.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Nach dem jetzigen Stande der Debatte haben wir es u. a. mit einer sicher sehr wichtigen Frage zu tun, von der ich allerdings nicht überzeugt bin, daß sie durch erhitzte Debatten
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8634 Deutscher Bundestag - 3. Wahlperiode — 151. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. März 1961
Erlerin diesem Hause oder sonstwo auf offenem Markte in geeigneter Weise geklärt werden kann.
Es ist die sehr einfache Frage, ob es aus Gründen, die dem Herrn Verteidigungsminister sehr geläufig sind, richtig ist, wie er es vorgesehen hat, jene atomaren Abschußvorrichtungen oder Waffen, oder wie er sie nennen will — gelegentlich spricht er der Einfachheit halber von atomaren Waffen, so daß man im In- und Ausland nicht genau weiß, was eigentlich gemeint ist —, nur der Brigade vorzuenthalten, oder ob man sie der Division unterstellen soll oder ob eine andere Art der Unterstellung bei noch höheren Einheiten mit einem bestimmten Befehlsstrang anderer Art zweckmäßiger wäre. Das ist ein wichtiges Problem, und wir sind uns in einer Vorstellung völlig einig: daß es bei allem, was da jetzt organisatorisch geschieht, darauf ankommt, den Abschreckungsfaktor zu erhalten.Wir unterhalten uns doch hier nicht darüber, welche Art von Kriegsführung die angenehmere ist, sondern wir unterhalten uns doch darüber, welche Militär- und welche Sicherheitspolitik — zu der allerdings auch die andere Seite der Medaille gehört, über die der Verteidigungsminister hier geschwiegen hat, nämlich die Abrüstungspolitik —, welche einheitliche Politik dieser Art einschließlich der technischen Details auf dem Verteidigungsgebiete getrieben werden muß, um nach menschlichem Ermessen den Ausbruch eines Konflikts gar nicht erst zu gestatten. Das ist der Punkt, um den es geht. Um ein altes Wort aufzugreifen: Nicht den Krieg zu gewinnen, sondern den Krieg zu verhindern, das ist die wirkliche Aufgabe, um die es heute geht.
— Sicher, der Verteidigungsminister sagt in vielen Fällen durchaus richtige Sachen, und ich werde hier auch noch auf manches zu sprechen kommen. So ist das gar nicht, daß man immer nur schwarzweiß malen darf. Er bescheinigt ja auch uns gelegentlich, daß wir mitunter ganz richtige Sachen sagen.
Wollen wir das also noch einmal etwas prüfen. —Nein, den Grundsatz z. B., daß Sicherheitspolitik aus Verteidigungsbemühungen plus Abrüstungsbemühungen besteht, haben Sie bisher nicht akzeptiert. In dieser Frage unterscheiden wir uns.
Davon war auf Ihren Bänken bisher nicht die Rede. Ich halte diesen Punkt zunächst einmal fest.Aber kommen wir jetzt auf jene Frage zurück, mit der der Verteidigungsminister schloß. Er schloß mit der Vorstellung, daß hier in Europa entgegen den Möglichkeiten anderwärts in der Welt die einzige denkbare westliche Verhaltensweise die sei, daß auf jeden möglichen Konflikt, welchen Umfanges auch immer, geantwortet werden müsse mit der Drohung des Einsatzes atomarer Waffen, wohl wissend — die Spirale ist in ihrer Wirkung nichtbestritten worden —, daß der erste atomare Schuß in Wahrheit die Einleitung des Atomkonfliktes überhaupt bedeutet.Hier ist doch nun wohl die Frage erlaubt, wieweit diese Auffassung des Verteidigungsministers in Übereinstimmung steht mit dem, was er vor wenigen Wochen selber der amerikanischen Zeitschrift „US News and World Report" gesagt hat. Da wird der richtige Satz ausgesprochen: Niemand will Selbstmord begehen, wenn es sich darum handelt, ein auf der Nase sitzendes Insekt loszuwerden. Das ist für uns ein wichtiger Punkt, ob wir nicht durch eine unter Umständen übermäßige Drohung die Drohung bei einem denkbaren Gegner unglaubwürdig machen. Dann wirkt sie nicht mehr. Das ist der Punkt, auf den es bei der Abschreckung ganz entscheidend ankommt. Abschreckung muß glaubhaft sein.Es ist ganz klar, daß sowohl die Vereinigten Staaten als auch die Sowjetunion — und das ist sicher auch die übereinstimmende Meinung von Regierung und Opposition — sich darüber Rechenschaft abgelegt haben, daß man für den Fall eines von der Sowjetunion gegen lebenswichtige Interessen des Westens in Europa geführten und gewollten großen Angriffs der Gefahr eines Atomkrieges unausweichbar ins Auge sehen muß. Das ist unbestritten, und niemand in diesem Saale hat etwa behauptet, wie es der Verteidigungsminister darstellte, daß der Westen sich heute darauf einrichten könne, auf jeden denkbaren Angriff, auch auf den größten, nur konventionell zu antworten. So sieht die Welt — beinahe hätte ich gesagt: leider— nicht aus.Meine Damen und Herren, nachdem ich also dafür plädiert habe, daß wir uns auch jene Fähigkeit zulegen, die es uns ermöglicht, in glaubhafter Weise anderen Drohungen als dem großen Angriff auf Europa entgegenzutreten, ohne mit dem Selbstmord drohen zu müssen, weil man uns unter Umständen den Selbstmord nicht glaubt, meine ich, daß ein Interesse zum Nachdenken, zum Bedenken dieser Frage auf beiden Seiten des Hauses vorhanden sein sollte und daß man das nicht mit den gängigen Formeln „Atomwaffen in der vordersten Linie oder nicht?" abtun kann.
— Dann werden Sie mir doch wohl erlauben, daß ich dem Minister ein paar Minuten antworte, oder ist das nicht erlaubt?
— Ich habe dazu soeben meine klare Meinung gesagt, daß wir über diese Probleme der Organisation und der Befehlsgewalt reden müssen. Warum? Weil derzeit die Truppenorganisation, die Manöveranlage und die Truppenerziehung so sind, daß unsere Truppe darauf gedrillt ist — die Manöveranlage zeigt das —, sich nahezu in jedem Falle nur atomar ihrer Haut zu wehren. Wenn eine solche
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ErlerTruppe, die glaubt, sich nur atomar helfen zu können, in eine Situation hineingerät, wo das aus globalen Gründen, aus Gründen der gesamten Lage noch gar nicht erforderlich und auch nicht wünschenswert ist, ist sie daher praktisch kampfunfähig. Das gilt es zu vermeiden.
Doch nun, meine Damen und Herren, zu einigen anderen Punkten, die in dieser Debatte aufgetaucht sind. Es ist sehr viel Geschichte getrieben worden. Wir Deutsche haben eine gewisse Neigung, ähnlich wie seinerzeit nach der Beendigung der Schlacht auf den Katalaunischen Feldern die Geisterschlacht später immer noch einmal fortzusetzen, ähnlich wie etwa in Frankreich heute noch in völlig anderer Situation die Europäer und die Nichteuropäer danach sortiert werden, wie sie sich seinerzeit zu dem Vertrag über die Europäische Verteidigungsgemeinschaft gestellt haben, wobei dann also viele der Freunde des Generals de Gaulle zu ihrer Verwunderung sich plötzlich auf den Bänken der Nichteuropäer sehen. Ich halte von dieser Art der Geschichtsbetrachtung nicht viel, weil sie von dem Entscheidenden ablenkt, das hier und heute und in den nächsten Monaten und Jahren für die Lösung unserer gegenwärtigen Probleme, und zwar möglichst nicht im Geiste des Zerstrittenseins, sondern im Geiste der Zusammenarbeit, geleistet werden muß.
Bitte, meine Damen und Herren — wenn wir nun schon nach fast weltanschaulichen Glaubensbekenntnissen fragen -: würde denn die CSU, die seinerzeit das Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland abgelehnt hat, heute die Frage, ob sie, wenn sie nochmals vor dieser Frage stünde, nun dem Grundgesetz zustimmen würde, eindeutig mit Ja beantworten?
Ich halte es geradezu für kindisch — für kindisch! —, derartige Fragen in die Geschichte hineinzuprojizieren, wie Sie sie uns hier heute vorgebracht haben; denn dann kämen wir auch zu der seltsamen Schlußfolgerung, daß man die Verfassungstreue der CSU bezweifeln müsse, weil sie sich lediglich den Tatsachen, die von anderen einschließlich der Sozialdemokraten geschaffen worden sind, inzwischen gebeugt habe.
Nein, meine Damen und Herren, geschichtliche Tatsachen werden von Ihnen respektiert; Sie respektieren sogar die Bundesrepublik Deutschland mit ihrem Grundgesetz neuerdings, nicht wahr;
und ich finde, so haben auch wir uns dazu durchringen müssen, geschichtliche Tatsachen zu respektieren, auch wenn seinerzeit Abstimmungen aus guten Gründen — ich hoffe, Sie hatten Ihre guten Gründe, das Grundgesetz abzulehnen — anders gelaufen sind.Es wäre schlimm, meine Damen und Herren, wenn wir heute alle in diesem Hause genauso redeten, als wären eine Reihe von Dingen in der Welt inzwischen nicht geschehen. Ich hielte das für schiere Rechthaberei. Ich will ein paar solcher Dinge aufzählen.Ich meine, nicht nur für die Regierung, sondern auch für die Opposition, und umgekehrt, ist es ein entscheidender Tatbestand, daß im Unterschied zum Jahre 1956 die Sowjetunion heute in einem Konflikt großer Art den Vereinigten Staaten von Amerika mindestens ebenbürtig ist, während damals, vor dem Sputnik und vor der sowjetischen Wasserstoffbombe, im Falle eines großen Konflikts die Sowjetunion zwar Europa hätte zerstören können, aber in einem Konflikt mit den Vereinigten Staaten tödliche Schläge hätte entgegennehmen müssen, und in den Vereinigten Staaten hätte man nicht einmal zu verdunkeln brauchen. Wer den Unterschied dieser Lage nicht sieht, dem ist nicht zu helfen; und wer dann meint, man kann noch dieselben Reden auf beiden Seiten halten wie im Jahre 1956, der führt eine Gespensterschlacht auf, meine Damen und Herren.
Das sollten wir nicht tun.Zu dieser Gespensterschlacht gehört es auch, wenn heute wieder jene Auseinandersetzungen der Jahre 1952 bis 1955 heraufbeschworen werden, deren ich mich bei aller Härte nicht schäme. Nur: was soll es? Meine Damen und Herren, wir haben uns damals dagegen gewehrt, daß man vollendete Tatsachen schuf, ohne einen letzten Versuch zu machen — vielleicht wäre auch er gescheitert —, durch die Diskussion des militärpolitischen Status ganz Deutschlands einen Durchbruch zu Deutschland-Verhandlungen hin zu erzielen.
Die Geschichte ist über unsere Wünsche hinweggegangen; aber, meine Damen und Herren, nicht nur über unsere. Sie haben damals diesem Haus und dem Volk versichert, daß Ihr Weg derjenige sei, der die Sowjetunion an den Verhandlungstisch und damit zur Wiedervereinigung Deutschlands zwingen werde. Ist das nicht auch ein Kapitel der Gespensterschlacht, wenn man das heute heraufbeschwört?
Gehört nicht in die direkte Fortsetzung dessen, was ich eben sagte, hinein, daß wir es inzwischen nicht mit neuer Bereitschaft, mit der von Ihnen angeblich erzwingbaren neuen Bereitschaft der Sowjetunion zu tun haben, in Deutschlandverhandlungen auch die Wiedervereinigung zur Debatte zu stellen, und zwar die Wiedervereinigung in gesicherter Freiheit, sondern daß wir es als Antwort auf die Veränderungen der Weltlage und auf die neuen Tatsachen auf allen Seiten mit einer sowjetischen Offensive gegen unsere gemeinsame Hauptstadt Berlin und einer Offensive zu tun haben, die darauf hinzielt, in der Welt draußen das Klima zu unserem Nachteil so zu verändern, daß Neigungen entstehen mögen,
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Erlersich auf jene sowjetischen Vorschläge für Verträge einzulassen, die praktisch auf eine Besiegelung der Spaltung unseres Landes und damit auf eine Opferung der Freiheit unserer 17 Millionen Landsleute in der Zone für immer hinauslaufen?Meinen Sie nicht, daß die Liste lang genug ist, um ohne irgendwelche Verdrehungskünste zu erklären, warum wir Sozialdemokraten neuen Tatsachen mit neuen Konzepten uns zu stellen gezwungen sind? Mir wäre es wohler, wenn diese Finsicht auf allen Bänken des Hauses vorhanden wäre.
Und dann zu sagen, wir machten nur Taktik, obwohl wir es uns schwer gemacht haben, obwohl wir monate- und jahrelang in unserer Partei, die eine Ihnen vielleicht etwas fremde Art, demokratische Diskussionen bis in die letzten Grundeinheiten hinein — —
— Das will ich Ihnen gern sagen: Weil Sie sehr gern aus diesen Diskussionen in unserer Partei zitieren und Diskussionen ähnlichen Tiefgangs aus Ihren Grundeinheiten entweder bisher verschwiegen haben oder diese uns nicht bekannt geworden sind.
Herr Abgeordneter Erler, Herr Abgeordneter Vogel möchte eine Frage stellen.
Bitte sehr!
Herr Kollege Erler, wollen Sie ernsthaft behaupten, daß die SPD das Monopol für demokratische Diskussion gepachtet habe?
Nein, das behaupte ich gar nicht. Ich meine nur, daß der Vergleich von Parteitagen eindeutig zeigt, wo die sehr lebendige geistige Auseinandersetzung herrscht und wo man hart die Nähe der Kundgebung streift.
Das ist doch keine Schande, das zuzugeben.
Sie werfen uns gelegentlich das Alter der Sozialdemokratischen Partei vor. Nun gut, das hat Nachteile, aber auch Vorteile. Zu den Vorteilen gehört die unbezweifelbare innere demokratische Tradition dieser Partei, von der ich wünschte, daß ihre Strahlungskraft in sehr große Teile unseres Volkes hineinwirken möge; warum auch nicht?
Wenn ein Faktor sich in diesen Auseinandersetzungen so bewährt hat, dann sollte ihn auch die Regierung nutzen und sich nicht darüber ärgern.Machen Sie möglichst viel davon nach; wir nehmen Ihnen das gar nicht übel.
Damit ganz klar wird, was Sie wollen, nur rasch ein Beispiel! Wir haben auch in die Archive und in die Zettelkästen greifen können. Der Herr Bundeskanzler hat 1957 vor dei Bundestagswahl gesagt: „Wir wollen keine atomaren Waffen, wir können sie gar nicht bezahlen, wir lehnen eine atomare Aufrüstung der Bundeswehr ganz bewußt ab." Im amtlichen Wahlmaterial der CDU vom Jahre 1957 „Außenpolitik im Wahlkampf, ein Leitfaden für den Gebrauch im Bundestagswahlkampf” heißt es:Die Bundesregierung beabsichtigt keine Bewaffnung der Bundeswehr mit atomaren Waffen. Das ist in der Regierungserklärung vom 10. Mai 1957 im Bundestag deutlich gesagt worden. England stellt seine Armee von der herkömmlichen auf die Atombewaffnung um. Die Bundeswehr dagegen wird ohne Atomwaffen aufgerüstet.Sehen Sie, das war 1957. Wir wollen uns also gar nicht gegenseitig vorrechnen, daß in anderen Lagen auf allen Seiten auch anders gesprochen worden ist. Aber, meine Damen und Herren, dann dürfen Sie das nicht nur der einen Seite vorhalten, sondern dann müssen Sie sich auch einmal mit den Reden im eigenen Hause zu diesen Zeiten befassen.
Ich möchte noch auf einen Punkt aufmerksam machen, den der Kollege Kliesing vorhin behandelt hat. Er hat gefragt, ob das, was der Kollege Helmut Schmidt heute hier dargetan habe, seine Privatauffassung gewesen sei oder die Meinung der Sozialdemokratischen Partei. Ich kann Ihre Neugier stillen. Das, was der Kollege Helmut Schmidt hier heute ausgeführt hat, hat er uns in allen wesentlichen Gedanken gestern in der Bundestagsfraktion vorgetragen. Wir haben uns darüber ausführlich ausgesprochen, und dann haben wir ihn einmütig beauftragt, im Namen der Fraktion diese Rede hier zu halten. Das, was er da gesagt hat, deckt sich außerdem völlig mit dem, was wir auf unserem Parteitag in Hannover beschlossen haben. Daher nehmen Sie bitte zur Kenntnis: das sind keine Privatgedanken gewesen, sondern Stellungnahmen mit Billigung und im Auftrage der Sozialdemokratischen Partei.
Wir haben nun einmal die Tradition, daß wir, wenn wir nach mitunter harten Debatten zu Entscheidungen gekommen sind, — die nicht immer einstimmig sind; wie in diesem Hause entscheidet dann die Mehrheit —, dann zu diesen Auffassungen auch stehen. Da genügen humorvolle Einlagen des Verteidigungsministers nicht, um eine ernsthafte Auseinandersetzung mit der sozialdemokratischen Verteidigungskonzeption, wie sie sich in den Hannoveraner Beschlüssen niedergelegt hat, zu ersetzen.Damit wir überhaupt wissen — mancher weiß das vielleicht nicht —, was da drin steht, bitte ich, mit
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ErlerErlaubnis des Herrn Präsidenten, die entscheidenden Teile des Sicherheitsbeschlusses von Hannover verlesen zu dürfen. Nach einem kurzen geschichtlichen Rückblick heißt es:Nur eine allgemeine und wirksame kontrollierte Abrüstung sowie die Stärkung der UNO in ihrer Aufgabe, den Frieden zu sichern, sind imstande, die Menschheit von dem Alpdruck des Wettrüstens zu erlösen und die Gefahr ihres Unterganges zu bannen. Deshalb muß zäh und beharrlich um jeden Schritt zu diesen Zielen hin gerungen werden. Wirksame Abkommen zur kontrollierten Begrenzung der Rüstungen und bessere Formen internationaler Sicherheit müssen erreicht werden.Die Bundesrepublik Deutschland bedarf des Schutzes durch das NATO-Bündnis, zu dem sie in loyaler Erfüllung ihrer Verpflichtungen ihren Beitrag leistet. Das westliche Bündnis darf nicht einseitig geschwächt werden. Abrüstung muß gleichwertig auf beiden Seiten sein und kontrolliert werden.Sinnvolle Aufgabenteilung verstärkt die Wirkung des Bündnisses und ermöglicht es, die Zahl der mit Atomwaffen ausgerüsteten Armeen nicht zu vergrößern. Die Bundeswehr muß wirksam ausgestattet und ausgerüstet werden. Auf eine Vermehrung der Zahl der Atommächte und deshalb auf die atomare Bewaffnung der Bundeswehr soll die Bundesrepublik nicht hinwirken.Die Verteidigung der freiheitlich-demokratischen Grundordnung bedarf der Mitwirkung aller Staatsbürger.Meine Damen und Herren, es läßt sich sicher über viele Einzelheiten dieses Konzeptes streiten. Aber ich finde, niemand kann leugnen, daß es sich hier um eine kurze und präzis zusammengefaßte Darstellung der wesentlichen Vorstellungen der Sozialdemokratischen Partei handelt. Hier liegt das Dokument, darüber können wir fechten.
Herr Abgeordneter Erler, eine Zwischenfrage des Abgeordneten Kliesing.
Bitte schön.
Herr Kollege Erler, würden Sie so freundlich sein, mir den Widerspruch in Ihrer Hannoveraner Erklärung zu erläutern, den ich darin, daß es an einer Stelle heißt, die Bundesregierung solle nicht auf die Ausrüstung der Bundeswehr mit atomaren Waffen drängen, und an einer anderen Stelle, daß die Verpflichtungen loyal zu erfüllen seien, angesichts der Tatsache sehe, daß die bereits übernommenen wirksamen Verpflichtungen die Ausstattung der Bundeswehr mit atomaren Waffen beinhalten?
Nun, reden wir gleich einmal über dieses Thema. Was ist eigentlich nach den Verträgen Verpflichtung und was ist mehr oder minder eine von der Bundesregierung freiwillig den anderen Partnern gegenüber abgegebene Erklärung ihrer Absichten? Das ist ein erheblicher Unterschied.
— Das ist völkerrechtlich völlig eindeutig. Verpflichtend ist zunächst einmal der Vertrag.
-- Die MC 70?
— Die ist niemals in einem einstimmigen Beschluß als für alle beteiligten Staaten bindend festgelegt worden.
— Natürlich weiß ich das.
Aber wir wollen doch den Redner seine Gedanken entwickeln lassen. Bitte hören Sie zunächst einmal dem Redner zu.
Bitte schön, Herr Minister.
Herr Kollege Erler, es tut mir leid, auf diesem Wege eine Frage stellen zu müssen, aber ich möchte fragen: Woraus schöpfen Sie Ihre Kenntnis, daß die MC 70 nicht einstimmig angenommen worden ist? Sind Sie bereit, mir als Teilnehmer an den beiden Ministerkonferenzen zu glauben, daß die MC 70 von allen Mitgliedstaaten, einschließlich Dänemark, Norwegen und Island, als verbindliche Planungsgrundlage und Leistungsgrundlage für die einzelnen NATO-Länder akzeptiert worden ist?
Können Sie mir die Reserven hinsichtlich der finanziellen Auswirkungen und hinsichtlich der Art der Bewaffnung von einigen Staaten im Zusammenhang mit der Verabschiedung — diese Reserven wurden dann Bestandteil der gemeinsamen Empfehlung — vielleicht auch darlegen?
Ich wäre in der Lage dazu, aber ich vermag es nicht als Fragesteller zu tun.
Sehen Sie, und um diese Reserven geht es!
— Entschuldigen Sie einmal, wenn hier ein Dokument als ein nahezu vom Parlament ratifizierter Vertrag hingestellt wird, das niemand im Verteidi-
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Erlergungsausschuß gesehen hat, dessen Grundzüge der Minister lediglich erklärt hat — —
— Nein, ich habe es nicht gesehen. Wer sonst, weiß ich nicht. Im Verteidigungsausschuß sind einige Grundzüge erläutert worden.
Wenn dieses Dokument, an dem auch in den letzten Jahren ständig herumdiskutiert worden ist, das eine Art Planungsrichtlinie, aber kein völkerrechtlicher Vertrag ist, jetzt plötzlich als Planungsrichtlinie heilig gesprochen werden soll, dann befinden wir uns aber auf einem Holzwege, Herr Minister. Denn es kommt darauf an, daß wir, solange dieses Dokument besteht, selbstverständlich im Rahmen der dort abgegebenen Erklärungen
— jawohl, das leugne ich gar nicht — unsere gemachten Zusagen halten. Es kommt weiter darauf an, in welchem Sinne die Bundesregierung nunmehr ihren Einfluß geltend macht, wenn es um die Ergänzung und Folgen eben dieses Dokumentes geht, ob sie dann ihren ganzen Einfluß in die Waagschale wirft, um so, wie wir es jetzt hier Gehört haben, dafür zu sorgen, daß auf alle Fälle die einseitige Abstellung auch der vordersten Truppen auf die atomare Bewaffnung verstärkt wird, oder ob, worüber zur Zeit eine Diskussion unter sehr vielen sachverständigen Militärs in allen westlichen Ländern im Gante ist, man sich ernsthaft im Einvernehmen mit der Bundesregierung darüber unterhält, wieweit unsere Sicherheit dadurch gefördert wird, daß das unentbehrliche atomare Potential so zusammengefaßt, so gegliedert und in seiner Befehlsgebung so gestaltet wird, daß man nicht bei jedem kleineren Zwischenfall automatisch gezwungen ist, den Weltbrand auszulösen. Das ist die Diskussion, um die es geht, und bei dieser Diskussion hoffe ich, daß sich hier die Bundesregierung trotz der wackeren Worte dem Einfluß von ernsthaften Argumenten anderer nicht verschließt.Einfach weil ich als Parlamentarier es mit Parlamentariern in anderen Ländern halte, bin ich der Meinung, daß es zu einer unmöglichen Praxis wird, wenn das Parlament künftig als völkerrechtlich verbindliche Verträge Belastungen auf sich zu nehmen gezwungen ist, die weder dem Parlament noch seinen Ausschüssen in allen Einzelheiten bekanntgegeben worden sind.
Das geht nicht. Hier handelt es sich vielmehr um Regierungsabkommen, die zwar auch loyal erfüllt werden müssen, die aber nicht den Rang des völkerrechtlichen Vertrages selber haben können. Das ist ausgeschlossen.Meine Damen und Herren, ich möchte noch zu einem Punkte Stellung nehmen, den der Herr Minister angesprochen hat. Ich hoffe, daß das im Anschluß an meine Ausführungen über die Motive unserer neuen Beschlüsse eindeutig klargestellt sein wird. Er hat wieder gefragt, ob die Sozialdemokraten nicht in Wahrheit damit wieder einmal nur Taktik betrieben. Nun, er hat in einer Rede in Bochum diese Behauptung kürzlich wieder aufgestellt und gesagt, die SPD wolle damit zuerst die Mehrheit erreichen, um dann doch die alten politischen Ziele weiterhin verfolgen zu können. Damit, meine Damen und Herren, soll also Mißtrauen gesät werden gegen die Loyalität einer großen Partei völkerrechtlich verbindlichen Verpflichtungen gegenüber. Ich halte das nicht für im Interesse unseres Staates und unseres Volkes gelegen, zumal dann nicht, wenn das bei dpa mit der Überschrift versehen wird: „Strauß gegen Parteienwettstreit um Amerikas Gunst", während gleichzeitig Herr Strauß gesagt hat: Wir wollen uns nicht im Parteienwettstreit um Amerikas Gunst betätigen, den Amerikanern dagegen gesagt wird: Aber wir, die Regierung, sind die einzigen, die es ehrlich meinen, die anderen machen damit nur Taktik. Das ist auch eine Form des Parteienwettstreits um Amerikas Gunst.
Es ist hier nach der Wehrpflicht gefragt worden, Herr Kollege Kliesing hat behauptet, daß sein Studium der Protokolle des Parteitages von Hannover ihn nicht über die Haltung der Sozialdemokratischen Partei aufgeklärt habe. Ich muß Ihnen hier ganz klar vorlesen, was Willy Brandt, der Kanzlerkandidat
— ja sicher —, zu diesem Thema vor dem hannoverschen Parteitag in aller Eindeutigkeit festgestellt hat:Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang auch die Frage beantworten, ob eine sozialdemokratisch geführte Regierung die Wehrpflicht abschaffen würde. Falls ich die Frage zu beantworten hätte,— als Bundeskanzler, wie wir alle hoffen,
— bei dem Wort „alle" würde ich Sie nicht einschließen; so weit geht das also doch nicht, da haben Sie vollkommen recht —müßte ich sie verneinen. Die Sozialdemokraten haben seinerzeit eine andere Wehrorganisation vorgeschlagen. So wie sich die Dinge entwickelt haben, müssen wir davon ausgehen, was ist. Das schließt nicht aus, daß wir in der weiteren Entwicklung offen sein werden für jede ernsthafte Prüfung, ob und wie wir mit abgewandelten Methoden bessere Ergebnisse erzielen können.
— Aber, meine Damen und Herren, zu dieser Prüfung ist auch der Verteidigungsminister bereit! Wogegen ich mich lediglich wehre, ist, daß eine solche Frage: „Wie müssen wir unter den jetzigen Bedingungen der Vollbeschäftigung dafür sorgen,
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Erlerdaß in Erfüllung unserer Verpflichtungen trotzdem eine brauchbare Bundeswehr zustande kommt?", verquickt wird mit den geradezu weltanschaulichen Problemen, ob in einer arbeitsteiligen Gesellschaft auch in der Zukunft unter vielleicht einmal abgewandelten Umständen nicht alle Staatsbürger auch in anderer Weise als in der klassischen Form der allgemeinen Wehrpflicht ihren Beitrag zur Verteidigung zu leisten imstande wären.
Heute ist die Frage nicht aktuell. Unter den Bedingungen, die der Minister zutreffend geschildert hat— und mit denen haben wir es zu tun —, kann die Wehrpflicht in der Bundesrepublik Deutschland nicht abgeschafft werden.
— Na sicher! Aber entschuldigen Sie, Sie wollen also unter allen Bedingungen, selbst unter denen der allgemeinen Abrüstung, die Wehrpflicht aufrechterhalten. Da sehen Sie doch, zu welchen Konsequenzen Sie dabei kommen.
Erheben Sie doch dieses Problem nicht immer gleich in weltanschauliche Dimensionen!Nun noch ein paar Dinge, die hier technisch eine Rolle gespielt haben. Zunächst die Frage der Mehrzweckwaffen. Danach hat sowohl der Verteidigungsminister als auch ,der Kollege Kliesing gefragt. Meine Damen und Herren, es gibt eine ganz einfache Mehrzweckwaffe, die außer jedem Streit ist, die niemand abschaffen kann. Das sind nämlich die Flugzeuge. Jedes moderne Flugzeug ist imstande, sowohl herkömmliche Waffen als auch atomare Geschosse an Bord zu haben. Es wäre geradezu vermessen, wenn wir Sozialdemokraten sagten: Nur weil das Flugzeug auch eine Atombombe tragen kann, wird es abgeschafft. Das wäre eine Verschrottung der gesamten Luftwaffe. Das ist völlig ausgeschlossen.Dann gibt es noch jene andere Waffe, die in Wahrheit keine Mehrzweckwaffe, sondern eine Einzweckwaffe ist, etwa die Mace mit Reichweiten von 1000 km und mehr, in Wahrheit eine Waffe von strategischer Bedeutung. Da ist eine Diskussion darüber durchaus erlaubt, ob es zweckmäßig ist, sie in der Bundesrepublik so exponiert zu stationieren, Wie es zur Zeit in der Planung und in der Durchführung begriffen ist. Über dieses Thema und, damit verbunden, die Verringerung der Abschrekkungswirkung — weil Abschreckungswaffen dieser Art, dem man ,dem Gegner zu nahe vor die Haustür legt, viel schneller ausgeschaltet werden können und infolgedessen in ihrer Wirkung nachher nicht mehr zählen —, darüber, ob es zweckmäßig ist, den Abschreckungsfaktor so frontnahe unterzubringen, wird man sich doch noch unterhalten dürfen.Ich warne überhaupt davor, diese Dinge auf das Niveau von Glaubensbekenntnissen zu bringen. Hier handelt es sich um die militärisch und politisch zweckmäßigste Form unserer Verteidigungsorganisation und um gar nichts anderes. Darüber gilt es möglichst sachkundig miteinander zu reden.Es ist auch von den Schlachtfeldwaffen die Rede gewesen. Zunächst möchte ich hier vor der etwas fälschlichen Reklame warnen, die in manchen Zeitschriften mit dem in Amerika in der Einführung befindlichen Davy Crockett gemacht wird. Dieser Davy Crockett verfügt heute noch gar nicht über den dazugehörigen atomaren Sprengkörper. Er soll die ideale Panzerabwehrwaffe sein, mit der man mit einem Atomgeschoß einen Panzer erledigen kann. So weit ist er aber noch gar nicht.Soweit man mit herkömmlichem Sprengstoff operiert, bleiben Erfahrungen noch zu sammeln, Aber das andere ist vorläufig Reklame und keine Tatsache, Reklame, die darüber hinwegtäuschen soll, daß sich auch die Wirkung der Schlachtfeldatomwaffen im kleinsten Fall heute immerhin noch in den Größenordnungen von etwa einem Zehntel bis zu einem Viertel der Wirkung der Hiroshima-Bombe bewegt und daß die Wirkung der Regelwaffe — der Durchschnitt — etwa die Hälfte der Hiroshima-Bombe ausmacht. Ich sage das nur, damit wir wenigstens wissen, wovon wir dabei reden.Allerdings meine ich, daß es darauf ankommt, sich über den Befehlsstrang zu diesen Abschußeinrichtungen und Sprengköpfen sehr sorgfältig Gedanken zu machen, damit eben nicht vorzeitig und ohne daß es die Lage zwingend gebietet, der letzte Notbehelf, der praktisch zum Selbstmord des Volkes führen kann, entfesselt wird, solange noch andere wirksame Möglichkeiten der Abwehr bestehen. Das ist der Punkt, um den es dabei geht.Daß die Abschußmittel ohne den Sprengkopf nicht recht sinnvoll sind, ist wohl auch eine richtige Feststellung. Wenn sie nur mit amerikanischer Erlaubnis verschossen werden dürfen, wie es die Bundesregierung ohne weiteres aus guten Gründen hinnimmt, dann ist der Zustand, in dem die Bundeswehr die gleichen Waffen wie die Verbündeten und wie die Sowjets hätte, eben auch nicht ganz erreicht. Hier geht es eben doch auch heute schon um den Befehlsstrang zu denen, die nicht nur die Abschußvorrichtung, sondern auch den Sprengkörper in ihrer Hand haben und darüber verfügen. Hier erinnere ich nur an die Forderung von General Norstad, die er mit Recht gestellt hat, daß man es dem vordersten Truppenkommandeur zur physischen Unmöglichkeit machen müsse, vorzeitig über eine Waffe, die er in seiner Reichweite habe, zu verfügen, weil er glaube, seine Lage gebiete es, während er nicht den Überblick hat und nicht sieht, daß er damit einen Weltbrand zu entfesseln im Begriff wäre.Damit sind wir genau bei dem Problem der Aufgabenteilung, das sowohl vom Herrn Verteidigungsminister als auch von der Opposition in den letzten Monaten verschiedentlich besprochen worden ist. In dem bereits genannten Interview hat der Herr Verteidigungsminister gesagt, wir Deutschen seien davon überzeugt, daß die militärische Integration in höherem Maße Platz greifen müsse. Dies bedeute eine vernünftige Arbeitsteilung in kollektiv ausbalancierten Streitkräften, in der Forschung und8640 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 151. Sitzung, Bonn, Mittwoch, den 15. März 1961ErlerEntwicklung sowie in der Erprobung und Produktion von Material.Es ist seltsam, der Minister sprach — mit Recht — von der Arbeitsteilung in ausbalancierten Streitkräften, während sein Pressereferent ihn vorher berichtigt und gesagt hatte, diese Arbeitsteilung beziehe sich nur auf die Produktion von Waffen. Ein nicht ganz unwichtiger Unterschied! Ich möchte hier den Minister gegen seinen Pressereferenten in Schutz nehmen. Ich bin der Meinung, der Minister hat ruht; es handelt sich um die Aufgabenteilung innerhalb von ausbalancierten Streitkräften und nicht nur bei der Produktion. — Wenn es also um eine solche Aufgabenteilung geht, dann sollten wir Deutsche ganz nüchtern prüfen, was angesichts der Lage unseres Landes und der Notwendigkeit des Zusammenspiels konventioneller und atomarer Kapazitäten für die Bundesrepublik Deutschland und ihre Bundeswehr der sinnvollste Beitrag in den gemeinsamen Verbänden wäre.Hier ist meine Rede, die ich in Paris gehalten habe, zitiert worden, und zwar haben der Herr Kollege Kliesing und Minister Strauß es so dargestellt, als sei diese Rede ein Bekenntnis zu den Plänen, aus der NATO eine vierte Atommacht zu machen. Der Minister stützte sich dabei auf offenbar seltsame Auszüge in der Zeitschrift der Atlantischen Gesellschaft. Ich möchte Ihnen, damit das klargestellt wird, einfach ein Stück aus dem amtlichen Protokoll verlesen; das macht die Sache viel einfacher. Darin heißt es:Abrüstung — darüber sind wir uns einig — muß auf Gegenseitigkeit beruhen, muß gleichwertig beide Seiten einbeziehen und unter Kontrolle stattfinden. Wir hoffen alle, daß das Jahr 1961 neue Impulse für das Abrüstungsgespräch bringt. Aber bis Ergebnisse erzielt sind, sind wir verpflichtet, das Nötige für die Bewahrung des Gleichgewichts zu tun, die Verteidigung auch für den Notfall zu organisieren. Das muß aber so gescheken, daß nicht durch die Organisation unserer Verteidigung zusätzlich neue Gefahren entstehen.Darum geht es heute. So sieht die Empfehlung der Kommission aus. Sie ist kein Blanko-Scheck für die Vorschläge oder Gedanken irgendwelcher anderer Persönlichkeiten oder Einrichtungen.Wer in der Versammlung war, der wußte genau, daß sich das auf General Norstad bezog.Zum Teil kennen wir die Gedanken gar nicht, etwa den Bowie-Plan.Das waren die Grundlagen. Dann heißt es weiter:Es handelt sich ... um Gedanken der Kommission und . . . um einen Beschluß der Versammlung und nicht um einen Blankoscheck für Gedanken oder Vorschläge anderer. . . .Ich liebe deshalb auch nicht die Formel von derNATO als sogenannter vierter Atommacht.Diese Formel trifft den Sachverhalt gar nicht ..Deswegen bitte ich, daß wir in die Resolution nicht mehr hineinlesen als drinsteht und sie wirklich meint. Die Resolution will keine zusätzliche NATO-Atommacht außer dem bisherigen NATO-Potential und den vorhandenen oder entstehenden nationalen Kapazitäten. Dies wäre ein Beitrag zu einer weiteren allgemeinen Verbreitung von Atomwaffen. Das wollen wir nicht. Das müßten wir ablehnen. Die Resolution will vielmehr, daß an Stelle der bisher auf dem europäischen Kontinent vorhandenen getrennten Potentiale dieser Art künftig alles in einer einheitlichen Kapazität in der Verfügungsgewalt der atlantischen Verteidigungsorganisation auf dem europäischen Kontinent zusammengefaßt wird, um nationale Sonderentwicklungen überflüssig zu machen, ja sogar auszuschließen.Unberührt bleibt dabei nach der Meinung der Kommission, was auch andere draußen für Pläne haben mögen, das strategische Abschreckungspotential, wobei wir sowieso darüber einig sind, daß das in dem vordersten Schützengraben, also in den europäischen Ländern, die dem Eisernen Vorhang am nächsten liegen, einfach um der Wirksamkeit der Abschreckung willen sowieso nichts zu tun hätte. Denn wenn ein denkbarer Gegner mit einem Prankenhieb die Abschrekkung ausschaltet, dann nützt sie nichts mehr.Damit ist klar, daß es sich in Paris um etwas anderes als um den Norstad-Plan, nämlich um die Frage gehandelt hat: wie muß das Atompotential auf dem Kontinent gegliedert und organisiert werden, um erstens zu erreichen, daß es glaubwürdig bleibt, daß schnelle Entschlüsse möglich sind, und um zweitens zu erreichen, daß es nicht an einer Stelle außer Kontrolle gerät und voreilig der atomare Konflikt entfesselt wird.Was mich heute ein bißchen bedrückt, ist genau die Gefahr, vor der wir in Hannover gewarnt haben. In den Vereinigten Staaten von Amerika hat unser Botschafter neulich wieder versichert, die Bundesrepublik Deutschland wolle gar keine Atomwaffen; lediglich wenn die NATO sie auffordere, welche zu nehmen, werde sie es natürlich tun. Jetzt, wo die Diskussion innerhalb der NATO im Gange ist, ob das die beste Lösung sei, gibt es hier plötzlich Tendenzen: wir verlangen das aber auf jeden Fall. Das ist das Neue und etwas Beängstigende in der Situation. Ich finde, was die NATO zwangsläufig beinhaltet, ist, daß sie schon angesichts des sowjetischen Potentials über ein atomares Potential verfügen muß; aber was nicht zwangsläufig damit verbunden ist, ist, wie man dieses Potential auf die vernünftigste Weise gliedert und organisiert.Ich möchte zum Abschluß meiner Ausführungen lediglich noch auf eines aufmerksam machen, das in den Reden des heutigen Tages von der Bundesregierung unterbewertet worden ist. Das ist die Frage: welche Vorschläge und Gedanken will eigentlich die Bundesregierung dazu beisteuern, damit das im Westen im Gange befindliche Gespräch über die Ausarbeitung einer westlichen Verhandlungsposition auf dem Gebiet der Abrüstung mit deut-
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Erlerschen Vorschlägen und Anregungen und vielleicht auch Sorgen angereichert wird?
Es genügt nicht, daß wir uns hinstellen und sagen: Wir schließen uns jedem Abrüstungsabkommen an, das andere ausgehandelt haben. Es genügt auch nicht, daß wir uns hinstellen und lediglich zu jedem Gedanken, den andere dann im einzelnen haben, unsere Bedenken und Einwendungen und unser Nein vortragen. Vielmehr wäre erforderlich, daß sich auch die Bundesregierung an dem Gespräch über die Schritte beteiligt. Ich vermisse immer noch eine Antwort auf die Frage meines Kollegen Helmut Schmidt, welche organisatorischen Vorkehrungen eigentlich im Verteidigungsministerium oder an anderer Stelle der Bundesregierung getroffen werden, damit wir imstande sind, ernsthaft über diese Frage überhaupt mitzureden; das ist bisher jedenfalls nicht der Fall.
Oder soll das Mitreden so aussehen, wie es die vom Bundesverteidigungsminister meines Wissens nicht unerheblich subventionierte Zeitschrift „Wehr und Wirtschaft" tut, die in einem Kommentar über einen Aufsatz in der Zeitschrift „Survival" im Dezember schreibt:Der Gedanke an Abrüstung oder auch nur an eine Teilabrüstung ist verlockend wie die Musik des Pfeifers von Hameln. Praktisch bleibt er aber eine Fata Morgana, wie es auch der Traum vom ewigen Völkerfrieden leider ist.Meine Damen und Herren, mit dieser Haltung ist das Problem nicht zu meistern. Das ist völlig ausgeschlossen in der nuklearen Welt unserer Zeit.
Darum beschwören wir die Regierung, daß sie sich auf diesem Gebiet auch etwas einfallen lasse. Solange die Bundesregierung nicht imstande ist, hier ernsthafte, wohldurchdachte Beiträge zu leisten, kann sie nicht damit rechnen, daß wir eine Verteidigungspolitik, die nur auf einem Bein steht, nämlich auf dem militärischen Bein, die aber die andere Seite der Medaille gar nicht zur Kenntnis nimmt, etwa durch Zustimmung zum Verteidigungshaushalt unterstützen.
Es werden noch Erklärungen zur Abstimmung abgegeben. Zunächst hat Herr Abgeordneter Rasner das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Angesichts des absolut undurchdringlichen Nebels, der immer noch über der verteidigungspolitischen Konzeption der sozialdemokratischen Fraktion liegt, beantragen wir namentliche Abstimmung zum Einzelplan 14.
Herr Abgeordneter Schmidt hat das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zur Abstimmung darf ich für die sozialdemokratische Fraktion erklären, daß wir den Verteidigungshaushalt ablehnen, weil wir die dahinterstehende verteidigungspolitische Vorstellung nicht für angemessen halten, weil wir die dahinterstehende abrüstungspolitische Vorstellung nicht für zureichend halten und weil wir insgesamt kein politisches Vertrauen in das Sicherheitskonzept haben können, das heute hier in unzulänglicher Form entwickelt worden ist.
Wir bedauern die Versuche, die in dieser Debatte gemacht worden sind und die durch die eben beantragte namentliche Abstimmung offenbar fortgesetzt werden sollen, diese politisch motivierte Ablehnung des Haushalts
umzufälschen in eine Ablehnung der Landesverteidigung schlechthin.
— Herr Majonica, ich darf an einige Beispiele erinnern, die ich heute morgen aus der Praxis der hamburgischen CDU erwähnt habe. Ich hätte sie auch auf die CDU Hessens, Bayerns, Baden-Württembergs und, was weiß ich, fast aller deutschen Bundesländer ausdehnen können, um darzutun, daß selbstverständliche Praxis auch innerhalb der CDU' CSU ist, dort, wo sie in Opposition arbeitet, ihr mangelndes politisches Vertrauen einer amtierenden Regierung gegenüber auf diese Weise zum Ausdruck zu bringen.
Kein Sozialdemokrat — im Gegensatz zu Ihnen, Herr Rasner! — denkt daran, der CDU in Bremen, Hamburg oder anderen Ländern zu unterstellen, sie wolle weder Polizisten noch Krankenhäuser, und niemand von uns denkt daran, zu unterstellen, sie sei ein Gegner der allgemeinen Schulpflicht.
Wir stellen fest, daß diese parlamentarische Übung die gemeinsame Praxis der CDU/CSU in den Ländern und der Sozialdemokratie in den Ländern und im Bund darstellt. Wir haben keine Veranlassung, in diesem Jahr von der traditionellen Form abzugehen,
in der wir unseren politischen Vertrauensmangel zum Ausdruck bringen.
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8642 Deutscher Bundestag - 3. Wahlperiode — 151. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. März 1961
Schmidt
Wir hallen Ihre Versuche, Herr Rasner, aber nicht nur für unanständig, sondern auch für ziemlich aussichtslos.
Wir vertrauen nämlich auf die politische Urteilsfähigkeit des Volkes,
eines Volkes, das nirgendwo stärker als im bedrohten Berlin selber weiß, daß Sozialdemokraten zut Sicherheit ihres Volkes und zu ihrem eigenen Worte stehen.
Die Beratung des Einzelplans 14 ist geschlossen.Wir kommen zur Abstimmung. Es ist namentliche Abstimmung beantragt. Wir stimmen also über den Antrag des Ausschusses auf Drucksache 2513 in namentlicher Abstimmung ab. —Meine Damen und Herren, ich verkünde das Ergebnis der namentlichen Abstimmung über den Einzelplan 14 in der zweiten Beratung. Es sind abgegeben worden 233 Ja-Stimmen, 133 Nein-Stimmen, zusamen 366 Stimmen. Von den Berliner Abgeordneten haben 4 mit Ja und 11 mit Nein gestimmt. Damit ist der Einzelplan 14 mit Mehrheit gebilligt.JaI CDU/CSUFrau Ackermann Graf AdelmannDr. Aigner ArndgenBaier BaldaufBalkenhol Dr. Bartels Dr. BarzelBauer Bauereisen BauknechtBauschBecker BerberichDr. BesoldFrau Dr. Bleyler BlöckerFrau Blohm Dr. Böhm BrandBreseFrau Dr. Brökelschen BrückDr. Bucerius BühlerDr. Burgbacher BurgemeisterDr. Conring Diebäcker DielDr. Dittrich Dr. DollingerDraegerDr. Dr. h. c. Dresbach EhrenEichelbaum Frau EngländerEtzelEtzenbach Dr. Even
Even
FinckhFranzenDr. FreyDr. Fritz Fritz (Welzheim)Fuchs FunkFrau Dr. Gantenberg GaßmannGedat GehringFrau GeisendörferD. Dr. Gerstenmaier GewandtGibbertGienckeGlüsing
Dr. GörgenDr. GötzDr. GosselGotteslebenGüntherHackethalDr. HahneDr. von Haniel-Niethammer HarnischfegerDr. HauserDr. Heck
HeixDr. Graf HenckelDr. HesbergHesemannHeye HöcherlHöflerHolla HoogenHorn Huth Dr. JaegerJahn
JostenDr. KankaKemmerDr. KempflerKirchhoffKistersDr. Kliesing KnoblochKochDr. KopfKraftKramel KrollKrüger
Krüger
KrugFrau Dr. KuchtnerKunst KuntscherLang
LeichtDr. LeiskeLenz
Lenze LeonhardLermer Leukertvon Lindeiner-Wildau Maier MajonicaDr. Baron Manteuffel-Szoege MaucherMeisMemmelMengelkampMenkeDr. von MerkatzMeyer
MickMuckermannMühlenberg Müller-HermannMüser NeuburgerNieberg NiederaltFrau NiggemeyerDr. Dr. OberländerOetzel Pelster Dr. PflaumbaumDr. PhilippFrau Pitz-SavelsbergDr. PreißProbst
RasnerDr. ReinhardDr. ReithRiedel
Dr. RinkenFrau RöschRösing RollmannRommerskirchenDr. Rüdel
RufRuland ScharnbergSchlee SchlickDr. Schmidt Frau Schmitt (Fulda) SchmückerSchneider SchüttlerSchütz Schulze-PellengahrSchwarzFrau Dr. SchwarzhauptDr. SchwörerDr. SerresSiebelDr. Siemer SimpfendörferSolkeSpies
Spies StauchDr. SteckerFrau Dr. SteinbißDr. SteinmetzStillerDr. StoltenbergDr. Storm
Storm StraußStruveSühlerTerieteUnertlFrau Vietje Dr. Vogel VogtWacherDr. WahlFrau Dr. h. c. Weber Dr. Weber (Koblenz) WeinkammWendelborn WernerWieninger Dr. Wilhelmi Windelen Winkelheide Dr. Winter WittmannWittmer-EigenbrodtWormsDr. ZimmerDr. ZimmermannBerliner AbgeordneteDr. Gradl HübnerDr. KroneFDPDr. Bucher Dr. Dahlgrün Dr. DehlerFrau Dr. Diemer-Nicolaus DürrEberhard Eisenmann Frau Friese-KornDr. Hoven KellerDr. Kohut Kreitmeyer Kühn
Lenz MarguliesMaukMischnickFreiherr von MühlenMurrDr. Rutschke SanderSpitzmüller StahlDr. StammbergerDr. Starke WalterWeber
Berliner AbgeordneteDr. Will DPLogemannDr. Schneider Tobaben
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Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 151. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. März 1961 8643
NeinSPDAltvater Dr. Arndt AugeDr. Baade BachBadingBäumerBalsBauer
Baur
Dr. Bechert BehrendtFrau Bennemann Bergmann BerkhanFrau Beyer BirkelbachDr. Bleiß BörnerDr. Brecht BruseBüttnerCorterier CramerDewaldDiekmannFrau Döhring DröscherFrau Eilers ErlerEschmann FallerFelderFolgerFrankeFrehseeGeiger GeritzmannDr. GreveHaageHamacher Hansing Dr. Harm HeideHellenbrock Frau Herklotz Hermsdorf HeroldHöckerHöhmann HöhneIven
JacobiJacobsJahn Jürgensen Junghans JungherzFrau KeilhackFrau Kettig Kinat
Frau Kipp-KauleKönen KrausDr. Kreyssig KriedemannKühn
Kurlbaum Lange Lantermann LautenschlagerLudwigIch rufe auf:Lücke LünenstraßMarxMatzner MeitmannMerten MetterDr. Meyer Meyer (Wanne-Eickel) Frau Meyer-LauleDr. MommerMüller Müller (Ravensburg) Müller (Worms)Frau NadigPaulPetersPöhlerPohlePriebePützPuschRegling RehsReitzReitzner Frau RengerRimmelspacherRitzelRohdeRodiekFrau RudollDr. SchäferFrau Schanzenbach ScheurenDr. Schmid Dr. Schmidt (Gellersen) Schmidt (Hamburg) Schmitt-Vockenhausen SchoettleSchröder Seidel (Fürth)Seither Frau SeppiSeuffert Stenger Sträter Striebeck Dr. TambléTheis WagnerWegener Wehner WelslauWeltner
Frau WesselWienand Wilhelm WischnewskiWittrock ZühlkeBerliner AbgeordneteFrau Berger-HeiseFrau Krappe MattickNeubauerNeumannScharnowskiDr. Schellenberg Schröter
Schütz Dr. SeumeFrau Wolff
Einzelplan 10 — Geschäftsbereich des Bundesministers für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten .Es liegt der Schriftliche Bericht des Herrn Abgeordneten Brese vor. Wird der Bericht ergänzt? — Das Wort hat der Mitberichterstatter, der Abgeordnete Müller .
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Stellvertretend für den Kollegen Brese habe ich die Berichterstattung im Haushaltsausschuß übernommen. Das Ergebnis der Beratungen findet sich in Drucksache 2509. Hinzugefügt ist ein Bericht, der die Beratungen des Haushaltsausschusses noch erläutert. Diesen Bericht möchte ich nicht ergänzen.
Ich möchte nur darum bitten, daß Sie den Empfehlungen des Haushaltsausschusses folgen und den Antrag Drucksache 2509 annehmen.
Ich danke dem Herr Berichterstatter. Ich eröffne die allgemeine Aussprache und erteile das Wort dem Herrn Abgeordneten Weber.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Ich bin einigermaßen erstaunt, daß die FDP als erste das Wort zu der allgemeinen Aussprache hat. An und für sich war vereinbart, daß die Anträge gleich begründet werden. Nun werde ich mich auch an das, was das letzte Mal vereinbart war, halten.Im Verlauf der ganzen Haushaltsdebatten ist meiner Fraktion, und zwar in einer unsachlichen Weise, gerade von der Mehrheitspartei mehrfach der Vorwurf gemacht worden, wir stellten nur Anträge. Es ist deshalb meine Aufgabe, die Anträge, die wir zu diesem Einzelplan gestellt haben, in das richtige Licht zu stellen, aufzuzeigen, was wir damit wollen.Sehr verehrter Herr Bundesminister, bei der Grünen Debatte hatten Sie den Wunsch geäußert, Vorschläge und Anregungen zu bekommen, wie die Agrarpolitik im Rahmen der Aufgabenstellung des Landwirtschaftsgesetzes durch den Grünen Plan und die Gestaltung Ihres Haushaltes, des Einzelplans 10, weiterentwickelt werden und welche Richtung eingeschlagen werden soll,Meine Fraktion hat dem Hohen Hause Anträge vorgelegt, über deren Inhalt man zugegebenermaßen verschiedener Meinung sein kann. Uns geht es in erster Linie darum, aufzuzeigen, wo die einzelnen Schwerpunkte hingelegt gehören, aber auch darum, wo bei den einzelnen Landwirtschaftszweigen kritische Punkte sind, wo der einzelne Wirtschaftszweig und noch mehr der Einzelbetrieb bei dem schwereren Start in den EWG-Raum überfordert sind und wo bei den heutigen Kampfpreisen auf den Agrarmärkten, die mit staatlichen Hilfen der anderen Partnerstaaten gebildet werden, für die späteren Handelsströme und ihre Richtungen die Grundlage gelegt wird. Wir möchten deshalb die in unseren Anträgen geforderten Hilfen als „Hilfen zur Selbsthilfe" verstanden wissen. Nur so sind die beiden Anträge zu verstehen, die wir zur Förderung des Absatzes und der Qualität beim Gartenbau ebenso wie beim Weinbau und der Kellerwirtschaft
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Weber
gestellt haben, und zwar beide in Hinsicht auf den Eintritt in die EWG.Zu dem anderen Antrag, dem dickeren Brocken, den 142 Millionen DM Milchpfennig werde ich nachher noch kommen.Meine Damen und Herren, Sie selber haben und die Bundesregierung hat mit der Bereitstellung der Mittel im bisherigen Grünen Plan anerkannt, wie berechtigt diese Dinge in Hinsicht auf das zurückliegende Jahr sind. Unsere Forderung ist deshalb nichts Unbilliges. Die Frage ist nur Hatte man die Dinge nicht anders und besser erreichen können?Ich habe deshalb in diesem Zusammenhang gleich auch noch einige besondere Bemerkungen zu unserem Antrag Umdruck 821 zu machen, einem Antrag zur Förderung der Pferdezucht, einem Antrag, der leider im Ernährungsausschuß nicht das notwendige Verständnis gefunden hat; und nachdem das im Ernährungsausschuß, sozusagen am grünen Holz, geschah, was sollte man dann von dem realen, nüchternen, kahlen Holz des Haushaltsausschusses erwarten! Ich darf deshalb zu diesem Antrag einige grundsätzliche Bemerkungen zur Lage unserer Pferdezucht überhaupt machen.Wir haben heute im Bundesgebiet noch einen Pferdebestand von rund 700 000 Stück. Von dem Höchststand — einem überhöhten Stand — der Nachkriegszeit von rund 1,6 Millionen ist der Bestand also auf weniger als die Hälfte zurückgegangen. Er wird noch weiter sinken; auf wieviel, ist das große Fragezeichen. Ich selber gehöre zu denen, die glauben, daß sich der Bestand an Pferden etwa bei 200 000 bis 300 000 Stück einpendeln wird, also, wenn man das Mittel aus diesen beiden Zahlen annimmt, bei 250 000 Stück. Das würde bedeuten, daß der Bestand auf ein gutes Drittel des heutigen zurückgehen wird, daß wir in Zukunft statt auf 20 Hektar nur noch auf etwa 50 Hektar ein Pferd hätten. Ein solcher Bestand wird bei unseren landwirtschaftlichen Verhältnissen mit unseren Mittelgebirgslagen und unserer Waldwirtschaft absolut notwendig sein.Gehen wir von einem Bestand von 250 000 Pferden aus, dann benötigen wir bei einem 7 %igen Nachwuchsbedarf eine jährliche Fohlenzahl von 17 500 Stück. Die letztjährige Fohlenzahl betrug 21 000 Stück, und die letztjährigen Deckziffern gingen um rund 30 % zurück. Deshalb werden wir in diesem Frühjahr einen Fohlenanfall von knapp 15 000 Stück haben. Damit sind wir aber unter das Minimum des Nachwuchses heruntergesunken, den wir für einen Bestand von 250 000 Pferden haben müssen.Man kann mir jetzt entgegenhalten, warum dann noch Fohlen geschlachtet werden. Dazu ist folgendes zu sagen. Bis der in der Nachkriegszeit vorhandene Überbestand an Pferden überwunden ist, werden wir noch eine Durststrecke zu überwinden haben. Wenn dies geschehen sein wird, werden die Pferdepreise wieder anziehen und sich auf einer normalen Höhe einpendeln. Heute ist es ja so, daß sich die Aufzucht eines Pferdes nicht mehr lohnt. Es gehört schon ein Stück Idealismus dazu, Fohlen aufzuziehen. Die Preise, die man für die Fohlen erhält, decken nicht mehr die Unkosten. Leider ist der Schlachtpreis noch der stärkste Preisregulator.Wir können davon ausgehen, daß von dem diesjährigen Fohlenanfall von 15 000 Stück etwa die Hälfte weibliche Fohlen sein werden. Im günstigsten Falle werden von diesen 80 % zuchttaugliche Tiere sein. Aus einem Fohlenjahrgang werden also etwa 5- bis 6000 Stuten zur Verfügung stehen. Das bedeutet, daß in zehn Jahren ein Stutenbestand von 50- bis 60 000 Stück zur Zucht zur Verfügung stehen wird. Was das heißt, kann jeder Züchter und jeder Kenner der Pferdezucht ermessen. Wir brauchen also unbedingt eine Vermehrung der Zahl unserer Fohlen.
— Herr Kollege, ich werde nachher noch darauf zurückkommen. Das ist eben die Frage, ob das nur eine Sache der Länder ist. Fabriken, Werkstätten, Bergwerke kann man stillegen; auch den Acker kann man brach liegen lassen und später wieder bebauen. Stillgelegte Produktionsstätten kann man später wieder in Gang bringen. Aber Blutströme jahrhundertealter Zucht, die versiegt sind, kann man nie wieder zum Leben erwecken. Vielen Pferdezuchten ergeht es heute schon so.ln unserem ganzen Volk können wir doch eine Liebe zum Pferd feststellen. Wir müssen uns fragen, was wir zu tun haben, damit wir nicht eines Tages vor dem Nichts stehen, als ein Volk von Pferdefreunden und Reitsportbegeisterten ohne Pferde.In diesem Zusammenhang muß ich etwas zu einem Vorgang sagen, mit dem sich die Öffentlichkeit sehr stark beschäftigt. Bei aller Bejahung des Tierschutzes wäre es falsch, wenn man aus Liebe zum Pferd nur auf die Tränendrüse drückte und Mitleid zu erwecken versuchte, wenn unsere überständigen Schlachtpferde zum Schlachthof kommen. Meine politischen Freunde und ich sind der Auffassung, daß die Beförderung der Pferde zum Schlachthof so gut und human wie nur irgend möglich vor sich gehen muß. Wo hier etwas nicht in Ordnung ist, muß eine Änderung eintreten.Unserem Antrag liegt nun der Gedanke zugrunde, daß wir heute in allererster Linie Fohlen brauchen. Aus diesen Fohlen sollen dann die Zuchtstuten herangezogen werden. Die heranwachsenden Zuchtstuten müssen dann wieder zur Zucht gebracht werden. Das ist also die Aufgabe, und das ist auch der Sinn der geforderten Hilfe.Nun hat es hier geheißen, das sei eine Sache der Länder. Ich möchte ganz deutlich zum Ausdruck bringen: Es ist wohl eine Sache der Länder, und die Länder, insbesondere das Land Bayern, haben auch zum Teil Vorbildliches geleistet. Aber das allein genügt nicht. Gerade weil es in den Ländern verschieden ist, muß vom Bund noch eine Hilfe gegeben werden, damit alle Zuchten die gleiche Chance zum Start und zur Existenzerhaltung haben.Deshalb haben wir auf Umdruck 821 beantragt, für jedes Fohlen einer eingetragenen Zuchtstute eine Fohlenprämie von 100 DM zu geben. Bei den weiten
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Weber
Entfernungen der Hengststationen kostet es heute meistens mehr als diese 100 DM, allein die Stute zum Hengst zu bringen. Wir haben weiter vorgeschlagen, für jede eingetragene drei- bis vierjährige Zuchtstute mit vierjähriger Zuchtverpflichtung eine Fesselungsprämie von 400 DM zu geben. Wir haben ferner beantragt, für jedes gekaufte eingetragene Stutfohlen eine Ankaufsbeihilfe von 200 DM zu geben. Wenn man weiß, daß bei der Aufzucht eines Pferdes heute mehr als 1000 DM zugelegt werden müssen, erkennt mann, wie beschränkt diese Mittel eigentlich sind, wenn man die Erhaltung der Pferdezucht im Auge hat. Es gehört noch viel Idealismus dazu. Diese Hilfe hier kann nur ein Anreiz sein.Schließlich haben wir beantragt, aus dem neu einzustellenden Tit. 613 Zuschüsse zur Förderung der Zucht des Warmblutpferdes Trakehner Abstammung zu gewähren. Wir wissen, daß das eine selbständige Forderung ist.Das ist der Inhalt dieses unseres Antrages. Ich glaube, man kann die Alarmzeichen in unserer Pferdezucht nicht überhören und nicht übersehen. Leider Gottes werden diese Dinge, wie die Beratungen im Ernährungsausschuß bewiesen haben, auch in den Kreisen der Landwirtschaft nicht mit der notwendigen Nüchternheit und Realität gesehen.Nun möchte ich auf unsere agrarpolitische Richtung für die Zukunft zurückkommen. Sehr verehrter Herr Bundesminister Schwarz, wenn Sie den Kredit der deutschen Landwirtschaft in der Öffentlichkeit, der schon reichlich überstrapaziert wurde, nicht noch weiter absinken lassen wollen, dann tun Sie das, was wir Ihnen und Ihrer Mehrheitsfraktion mit unseren Anträgen auf den Umdrucken 817 und 818 — den Antrag Umdruck 817 habe ich gestern begründet — vorschlagen, nämlich ,die 70 Millionen DM für die Altershilfe aus dem Grünen Plan herauszunehmen und in den Sozialhaushalt einzusetzen.
— Ich möchte ja nur im Zusammenhang aufzeigen, welche politische Richtung wir damit verfolgen, Herr Kollege Dr. Conring, und das wird hier in der Grundsatzaussprache auch noch gestattet sein. — Im Sinne der Haushaltswahrheit und der Haushaltsklarheit sollte man diese Dinge im Grünen Plan bereinigen und den Landwirtschaftshaushalt richtigstellen. Ich könnte sehr vieles dazu sagen, habe aber schon gestern das Wesentliche zu der Frage der Altershilfe gesagt. Es ist in erster Linie eine sozialpolitische Angelegenheit. Die CDU kann so lange behaupten, wie sie will, daß das nebenbei agrarstrukturelle Wirkung hat — Gott sei Dank, daß es das noch hat —; der Zweck dieser Maßnahme ist rein sozialpolitischer Art. Ich kann Ihnen jederzeit belegen, daß es falsch ist — und die Erkenntnis wächst auch in Ihrer Fraktion, meine Herren von der CDU/CSU —, diese Dinge so festzunageln, wie Sie es heute tun. Gerade wenn ich an die Behandlung durch Ihre Fraktion im Sozialpolitischen Ausschuß — auch bei der Gestaltung der Novelle — denke, muß ich fragen: Welche Konzeption liegt eigentlich Ihrer Handlungsweise zugrunde?
Ich möchte in diesem Zusammenhang auch darauf verweisen, daß im Rahmen der EWG für die Landwirtschaften der übrigen Partnerstaaten soziale Leistungen vollbracht werden, Sozialleistungen in einem Ausmaß, die niemals auf der agrarpolitischen Seite in Rechnung gestellt werden. Herr Minister, es wird Ihre Aufgabe sein, einmal eine Entflechtung dieser Wettbewerbsverzerrungen mit vorzunehmen und die Fehler zu berichtigen, damit die Mittel für einwandfrei sozialpolitische Vorhaben dort eingesetzt werden, wo sie ihrem Wesen nach hingehören und agrarpolitisch als solche deklariert werden.Genauso verhält es sich mit unserem Änderungsantrag zu Kap. 10 02 — Umdruck 819 —, den Ansatz in Tit. 620 um 176 Millionen DM zu kürzen, und zwar a) Berliner Reserve 73 Millionen, b) Notstandsbevorratung 103 Millionen. Wir schlagen vor, daß sie aus dem Einzelplan 10 herausgenommen und in den Einzelplan 36 — Zivile Notstandsplanung — eingesetzt werden.Bitte, Herr Kollege Dr. Conring, allein dieser Posten, 176 Millionen DM und die 70 Millionen DM zur Altershilfe für Landwirte, machen schon annähernd 1/4 Milliarde aus. Und dann heißt es draußen: Die Landwirtschaft bekommt Milliarden. Das wird uns Landwirten vorgeworfen. Warum nimmt man hier keine Bereinigung vor, sondern verfälscht das ganze Bild in der Öffentlichkeit? Und dann heißt es: Die Landwirtschaft lebt nur noch auf Staatskosten!
Diese Dinge müssen bereinigt werden. Sie von der CDU rechneten uns gestern im Verlauf der Debatte vor: 246 Millionen DM werden hier und 246 Millionen DM werden dort eingestellt, rund 1/2 Milliarde. So kommen die Milliardenanträge der FDP zustande! In Wirklichkeit steckt haushaltsmäßig gar nichts anderes dahinter als eine Umstellung nach dem Grundsatz der Haushaltswahrheit und Haushaltsklarheit.In diesem Zusammenhang fordern wir genauso, die Mittel für die ländliche Siedlung für Vertriebene —eine Aufgabe, die zu lösen absolut notwendig ist und deren Erfüllung wir in jeder Hinsicht unterstützen — aus dem Landwirtschaftshaushalt herauszunehmen und in den Haushalt des Vertriebenenministeriums zu übertragen. In Ihrem Antrag Umdruck 822 wollen Sie dem Bundesminister der Finanzen erforderlichenfalls eine weitere Bindungsermächtigung bis zu 50 Millionen DM erteilen. Wir können dem nur zustimmen, bitten aber, die Bereinigung eben in der genannten Weise vorzunehmen. Es ist zu prüfen, ob der Forderung der Vertriebenen, den Betrag doch wieder auf die alte Höhe von 100 Millionen DM anzuheben, Rechnung getragen werden soll. Diese Frage haben Sie in Ihrer Mehrheit eben zu entscheiden. Unser Ja haben Sie auf jeden Fall dazu.Der eigentliche Sinn unserer Anträge ist, die agrarpolitischen Schwerpunkte aufzuzeigen und klarzustellen. Im übrigen darf ich Ihnen eines versichern: für uns gilt agrarpolitisch noch immer der Grundsatz
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Weber
der FDP, bei der Gestaltung der Agrarpolitik und der Preisbildung so weit wie möglich vom kostendeckenden Preis auszugehen.Sehr geehrter Herr Minister, mein leider verstorbener Kollege Otto Köhler hat Ihnen vor etwa anderthalb Jahren von dieser Stelle aus zugerufen: Landgraf, werde hart! Das war zu der Zeit, als im Herbst 1959 die Trockenperiode die künstlich gesteigerte Preisdebatte hervorrief. Rein sachlich ist dazu festzustellen, daß sich damals die Agrarpreise insgesamt schon vor dem durch die Dürre hervorgerufenen Nervenschock langsam, aber sicher und stetig gefestigt hatten. Als dann der naturbedingte Fingerzeig noch dazukam, hatte man nicht nur in der Öffentlichkeit, sondern auch bei der agrarpolitisch so konzeptionslosen Bundesregierung das Konzept und die Nerven vollends verloren.
— Die FDP hatte damals die Nerven nicht verloren, Herr Kollege Dr. Conring.
— Herr Kollege Köhler hat damals die Dinge sehr deutlich gesagt.
— Ich werde die Dinge nachher anschneiden und die Frage beantworten. Es ist nicht allein mit dieser Frage getan.Wir alle glaubten und hofften damals, daß ein praktischer Landwirt im Ministeramt anders handeln werde, daß er eher sein Amt zur Verfügung stellen werde, als von der gerechten Sache abzuweichen. Herr Minister, das war unsere Hoffnung, aber sie war trügerisch. Hätten Sie doch damals, sehr verehrter Herr Minister, beim Bundeskabinett einfach die Kalkulation vorgelegt — unser Partnerstaat Holland garantierte z. B. damals seiner Landwirtschaft einen Milchpreis von 32 Pf —: Man braucht zu einem Kilo Butter 22 Liter Milch; das gibt einen Butterpreis aus dem Milchfett von 7,04 DM, und das war damals die Spitze. Das rief die Katastrophe und die Nervosität hervor.Wenn die Molkereiwirtschaft, die Milchwirtschaft sämtliche Kosten um den Wert der Magermilch, also die ganze Erfassung und Verarbeitung trägt, gilt die praktische Erfahrung in der Milchwirtschaft, daß der Betrieb, der die Magermilch für 7 Pf an die Erzeuger zurückgeben kann, besser steht als alle Betriebe, die sie in Verarbeitung nehmen. Die besondere Ausnahme bei der Käsewirtschaft zählt hier nicht mit.Wenn im letzten Jahr Holland einen Milchpreis von 31 Pf garantiert hat, dann lautet die Kalkulation eben: 31 Pf mal 22 6,82 DM je Kilo Butter, also rund 1 DM mehr als der heutige Börsenpreis. In der Schweiz kostet das Kilo Butter 8 DM. Nun ist die Frage, wieviel Subventionen und Bundesmittel erspart geblieben wären, wenn man diese 1 DM mehr auf dem Markt erzielt hätte. Das sind bei 22 Litern 4 1/2, also fast 5 Pf je Liter Milch. Die ganzeMilchsubvention hätten Sie sparen können, wenn Sie die Preispolitik, die Handelspolitik so gehandhabt hätten, daß sich der Butterpreis tatsächlich auf dieser Höhe eingespielt hätte.Es gibt eben nur zwei Möglichkeiten. Entweder kann man das bezahlen, was ein Produkt bei kostengerechter Preisbildung kostet, bzw. am Markt erlösen, oder wenn man den Markt zusammenbrechen läßt, dann muß man eben nach dem Landwirtschaftsgesetz Subventionen aufwenden. Eines steht fest: Bei einigermaßen klarer Handhabung der politischen Möglichkeiten, welche die Bundesregierung hatte in der Situation der steigenden Löhne und der Höchstbeschäftigung, wo man der Landwirtschaft vorwirft, sie bekomme Millionen und Milliarden, hätte man diese Beträge bei richtiger Preispolitik leicht einsparen können.
— Herr Kollege Dr. Conring, ich will Ihnen eines sagen: Mit der Aufhebung des Zolls ist es allein nicht getan.
— Nein, damit ist es allein nicht getan. Da gibt es andere Möglichkeiten. Wir haben noch die Möglichkeit eines Mindestpreissystems. Holland hat auch nicht den Butterzoll, die haben ganz andere Hilfen entwickelt.
— Das streiten wir auch gar nicht ab. Das haben wir doch gesehen; das ist eine Sache der Regierung, die die Nerven verloren hatte. Hier wäre es Aufgabe des Landwirtschaftsministers gewesen, dem Kabinett, dem Haus und der deutschen Öffentlichkeit zu sagen, wie die Dinge liegen. Darf man denn die Dinge immer so weitertreiben lassen? Es ist doch eine Tatsache — und ich möchte das sehr deutlich sagen —, daß man die Lasten am liebsten dem auflädt, der sie, obwohl er es am schwersten hat, immer noch mit Anstand hinnimmt.Sehr verehrter Herr Minister, meine Damen und Herren von der CDU-Fraktion, wenn diese Dinge damals in der Art gehandhabt worden wären, wie ich es eben dargelegt habe, hätten wir keinen Anlaß gehabt, den Antrag zu stellen, die Milchsubventionen um 142 Millionen zu erhöhen. Wir haben diesen Antrag deshalb gestellt, um Ihnen und der Öffentlichkeit mit aller Deutlichkeit klarzumachen, daß man in der Agrarpolitik nicht einen schwankenden Kurs einschlagen kann, daß man nicht in der Konzeptionslosigkeit verharren kann, sondern daß man Alternativen stellen und Schlußfolgerungen ziehen muß.
— Ich habe es Ihnen ja gesagt, Herr Dr. Conring: die hätte man gar nicht gebraucht. Daß unser Vor-
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Weber
schlag abgelehnt wird, wissen wir sowieso. Wir wollen Ihnen nur deutlich die Lage vor Augen führen. Einen Vorschlag für die Deckung der 142 Millionen kann ich Ihnen machen. Die Bundesregierung und die Mehrheit des Hauses haben es ja in der Hand, die Preis- und Zollpolitik entsprechend zu gestalten. Die Preisentwicklung bei den Agrarprodukten und bei den Veredelungsprodukten hat in den anderen Staaten nicht diese Kurve nach unten gezeigt wie bei uns, vielmehr ist gerade auch bei Butter mit kurzer Ausnahme eine ständig steigende Linie beibehalten warden, und sie steigt noch immer weiter.
— Herr Kollege Dr. Conring, es wird nicht die Aufgabe einer kleinen Fraktion sein, die Deckungsvorschläge bis in alle Einzelheiten auszuarbeiten.
Uns geht es in erster Linie um folgendes, und ich möchte diese Worte besonders an die Adresse Ihres Herrn Ministers richten. Wenn die Regierung und insbesondere der Herr Minister die notwendige Härte hätten, die erforderliche Korrektur in der Preisbildung vorzunehmen, würde ich den Vorschlag machen — ich bitte aber, diesen Vorschlag als meinen persönlichen aufzufassen —, die Kunstdüngersubvention zu streichen,
allerdings unter der Voraussetzung, daß Sie die gesamten Mittel auf die Endprodukte schlagen. Die FDP hätte schon längst diesen Vorschlag gemacht; aber wir wissen ja doch: auf der einen Seite wird es gestrichen und auf der andern wird nichts gemacht, die Landwirtschaft sinkt immer weiter ab und die eingeschlagene Entwicklung setzt sich immer weiter fort.
— Bitte, Herr Kollege Pelster, was hat uns der Grüne Bericht hierüber gesagt? Er hat die Lage der Landwirtschaft nicht anders dargestellt, als wie wir sie heute leider sehen müssen, wenn wir ganz ehrlich sein wollen; es herrscht ein sozialer Notstand. Sie müssen Verständnis dafür haben, daß wir unsere Auffassung darüber, welche Richtung man in Zukunft einschlagen sollte, durch unsere Anträge zum Ausdruck bringen. Damit können wir am deutlichsten zeigen, wohin wir die Schwergewichte verlagert haben wollen.Ich möchte Ihnen, meine Herren — und gerade auch Ihnen, Herr Minister — folgendes in Erinnerung rufen. Es liegt seit beinahe drei Jahren ein Gesetzesantrag der FDP über unveränderte Rohmilch vor. Ich weiß, welches Schicksal dieser Antrag erfahren hat: er ist im Kühlschrank des Ausschusses liegen geblieben wie so viele andere. Wir wollten mit unserem Antrag erreichen, daß eine neue Milchsorte auf den Markt gebracht wird,
eine Milchsorte in Form einer guten, gesunden, unerhitzten und unveränderten Vollmilch, und dies insbesondere in Anbetracht der Milliardenaufwendungen für Tbc- und Brucellosebekämpfung.Warum wurde dieser Antrag abgeschmiert? Weil er von den eigenen Fachkreisen in der CDU-Fraktion mißverstanden wurde! Man hat geglaubt, die FPD wolle damit die Milchmarktordnung zerstören. So langsam wächst nun auch in den Kreisen der Fachleute draußen die Erkenntnis, daß das nicht der Fall ist und daß der Vorschlag gar nicht so schlecht war.Der Vorschlag sah vor, eine Milch mit vollkalkuliertem Preis — keinem überhöhten Preis; das ist nach unserer Auffassung nicht möglich, wenn man den Trinkmilchverbrauch steigern will —, ohne einen Pfennig Stützung dem Verbraucher zur Verfügung zu stellen. Es sollte also keine Preisverfälschung erfolgen. Wenn man wirklich mit Ernst daranginge, dann brauchte man bald nicht mehr von Millionen und Milliarden zu reden, die uns vor die Nase gehalten werden.
Meine Fraktion hat wie im vergangenen Jahr so auch diesmal wieder den Antrag eingebracht, die Bundesregierung zu ersuchen, sie möge Untersuchungen anstellen, ob und in welcher Form bei uns eine Agrarpolitik analog der englischen angewandt werden könne. Herr Minister, wir haben umsonst auf eine Antwort von Ihnen gewartet. Die paar Worte, das gehe nicht, stellen eine sehr dürftige Antwort dar.Für eine echte agrarpolitische Lösung bleiben uns nur zwei Möglichkeiten. Die eine Möglichkeit ist, eine Regelung über den Preis vorzunehmen. Dabei wären die Kostenentstehungen zu berücksichtigen und die Grundsätze anzuwenden, die im Landwirtschaftsgesetz und übrigens auch in den entsprechenden englischen Gesetzen enthalten sind. Das heißt, die Aufwands- und Ertragsrechnung gut geführter, strukturell gesunder Betriebe müßte die Grundlage einer echten, gerechten Kostenkalkulation sein.Vizepräsident Dr. Dehler Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Reinhard?
Bitte!
Herr Kollege Weber, Sie haben eben wieder einmal von dem kostendeckenden Preis gesprochen. Wie können Sie diese Forderung — die ich an sich für richtig halte — in Einklang bringen mit der Haltung Ihrer Freunde bei der Debatte über den Weizenpreis im Europäischen Parlament in Straßburg?
Ich glaube, Herr Dr. Reinhard, Sie unterliegen einem Irrtum. Ich bitte Sie, erst einmal die Quellen beizubringen und anzugeben, wer was gesagt haben soll. Im übrigen sage ich Ihnen dazu folgendes. Bisher waren es — insbesondere bei der Debatte über den Malzzoll, die
Weber
wir vor Weihnachten hatten - gerade die Sprecher unserer Fraktion, auch die Kollegen Dr. Starke und Margulies vom Europäischen Parlament, die in dieser Frage einen eindeutigen Standpunkt vertreten haben. Diese Kollegen werden sich nachher selber noch ihrer Haut wehren. Jedenfalls scheinen Sie einer Falschmeldung zum Opfer gefallen zu sein.
Haben Ihre Parteifreunde der Auffassung meines Parteifreundes Lükker, den deutschen Weizenpreis der Orientierung des künftigen gemeinsamen Weizenpreises zugrunde zu legen, zugestimmt oder nicht?
Herr Dr. Reinhard, nach meiner Orientierung — Sie sind ja auch nur von Ihren Parteifreunden orientiert worden — ist es eher umgekehrt: daß unsere Parteifreunde die Linie klar gestalten haben und daß Herr Lücker nicht in allen seinen Äußerungen immer so eindeutig Stellung genommen hat.
Es ist ganz gut, daß Sie die Dinge ansprechen. Aber es ist wohl nicht der Sinn dieser Diskussion, darauf näher einzugehen. Ich möchte auf die eigentlichen Probleme zurückkommen, die hier zur Aussprache stehen.Die Frage ist: Wie können diese Dinge bereinigt werden? Entweder man hat den Mut, soweit es möglich ist, nach unseren Grundsätzen der sozialen Marktwirtschaft und nach den Grundsätzen und den Verpflichtungen, die man den anderen Partnern — auch Vertragspartnern — gegenüber übernommen hat, einen kostendeckenden Preis in unserem Gebiet zu schaffen — damit spart man Millionen und Milliarden an Subventionen —, oder man muß, wo das nicht geht — so lautet auch das Landwirtschaftsgesetz seinem Sinn und Inhalt nach —, mit direkten Subventionen einsetzen.Wie kann man das erreichen? Der eine Weg liegt in dem Versuch, der jetzt unternommen wird, mit Marktordnungen, mit festen Preisen bzw. Mindestpreisen; alles Dinge, die wir angesprochen haben, wo wir endlich mal wissen wollen: welche Linie will die Bundesregierung, insbesondere das Bundesernährungsministerium, in Zukunft einhalten?Den zweiten Weg, den ich aufzeigen möchte, um zu einer Alternative zu kommen, haben uns die Engländer gezeigt: ein System, das sich im Grundsatz auf dem Weltmarkt einspielt, wo dieselben Aufwands- und Ertragsberechnungen zugrunde liegen und wo die Differenz zwischen Marktpreis und kalkuliertem Preis der Landwirtschaft nicht voll, aber annähernd vergütet wird. Mit dieser Spanne verhaftet der Engländer den Einzelbetrieb dem Marktgeschehen. Das ist ,der kluge liberale Zug, den die Engländer in ihrem System entwickelt haben.Wir sehen in einem solchen System eine Möglichkeit — wenn man den Mut hat, die Konsequenz daraus zu ziehen —, die 80jährige Feindschaft zwischen Verbraucher und Erzeuger zu beenden. Seil Bismarcks Schutzzollpolitik ist unser Volk in zwei Teile zerrissen, in die eine Seite der Verbraucher und der Industrie, des produzierenden Gewerbes —diese Seite sagt: Grenzen auf und Zölle herunter, dann können wir billig leben und billig produzieren; ich will es einmal einfach sagen -- und in die andere Seite der Agrarpolitiker, welche meinen, die einzige Möglichkeit — von ihrer Seite gesehen — bestehe darin: Grenzen zu und Zölle herauf, dann können wir noch halbwegs existieren. So sind wir seit 80 .Jahren in zwei Lager gespalten und bekämpfen uns. Die Öffentlichkeit ist, weiß der Herr, lange genug und stark genug vergiftet und gestört worden.Hier liegen die Ansatzpunkte. Wir fragen: was wäre es uns wert, das aus der Welt zu schaffen? Das englische System hat auch sonst, und zwar gerade von der Seite des Herrn Ernährungsministers aus gesehen, einen absoluten Pluspunkt zu verzeichnen. Wenn dort durch Maßnahmen von innen oder von außen, das sei dahingestellt, der Marktpreis innerpolitisch zusammenbricht, dann braucht sich nicht der Herr Landwirtschaftsminister zu wehren, sondern der erste der sich wehrt, ist der Herr Finanzminister, denn er muß bezahlen. Auch das ist ein Gesichtspunkt, der, mindestens aus der Sicht des Ernährungsministers, gar nicht so von ,der Hand zu weisen ist.
Dabei ist folgende Frage zu klären; ich möchte diese Dinge nur ganz kurz anschneiden. Daß die Übernahme des englischen Systems Schwierigkeiten bereitet, verkennen wir nicht. Aber beim englischen System ist weiterhin festzustellen, daß die Agrarprodukte, die auf dem Weltmarkt sozusagen heruntersubventioniert sind, bei einem Überschuß, bei einer Marktüberfüllung auch wieder leichter abfließen können.Bei diesem System, von dem uns immer vorgehalten wird, es sei bei uns nicht anwendbar, weil es zuviel kosten würde, meine Damen und Herren, steht eines fest: Es bleibt sich volkswirtschaftlich immer gleich. Alle, die sagen, das englische System wäre bei uns zu teuer, sind in letzter Konsequenz nicht bereit, der Landwirtschaft die gleichen Chancen wie den übrigen Zweigen der Volkswirtschaft zuzugestehen.Ein weiteres Argument, das gegen das englische System vorgebracht wird und das eine gewisse Berechtigung hat, ist der Einwand, er erfordere einen höheren Verwaltungsaufwand, und wir seien nicht in der Lage, diesen Verwaltungsaufwand zu tragen.Dazu, Herr Minister, gestatte ich mir, Ihnen einen praktischen Vorschlag zu machen,
einen ganz praktischen Vorschlag; einen habe ich schon vor vier Jahren im Ernährungsausschuß gemacht. Wenn wir die Dieselkraftstoffverbilligung anders handhabten, wenn wir die alte Zollkarte
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Weber
wieder einführten, fiele der Verwaltungsaufwand dafür weg.Ich hätte einen zwefiten Vorschlag für den Fall, daß erwogen werden sollte, das englische System anzuwenden. Unsere Landwirtschaftsschulen haben heute einen viel größeren Stab an Arbeitern, Mitarbeitern und Beamten als früher.
Eines steht fest: Der Korpsgeist der Schulen 'ist gegenüber der früheren Zeit, wo es noch einen Ökonomierat gab, nicht größer geworden. Ich erhebe keinen Vorwurf; es liegt in der Entwicklung der Zeit. Vielleicht wäre es aber eine sinnvolle Ergänzung, wenn sich die Beamten des Landwirtschaftsamtes im Winter vorwiegend als Pädagogen betätigten und durch Zusammenfassung der Betriebsleistungen und der Betriebsergebnisse — sozusagen als Grundlage für das englische System — wirklich die Möglichkeit hätten, eine volksnahe und — im Sommerhalbjahr — eine wirklich gültige und ausgezeichnete Betriebsberatung zu betreiben, und dies dann im Zusammenhang mit einer sehr praktischen Erfahrung. Bei gutem Willen könnte man das mit den heutigen Kräften absolut schaffen.Nun, meine Damen und Herren, zugegeben, man kann hier verschiedener Auffassung sein; aber, Herr Minister, was wir bis heute vermißt haben, ist eine klare, eindeutige Antwort von seiten der Bundesregierung und vor allen Dingen von Ihrer Seite. Wir haben versucht, Ihnen mit unseren An- trägen in der vorjährigen Debatte um den Grünen Plan und ebenso in der diesjährigen Debatte Wege aufzuzeigen. Wir haben eine Bitte: Damit solche Dinge durchgesprochen werden können, sollten Debatten nicht wieder auf einen halben Sitzungstag verlegt, sondern so angesetzt werden, daß auch zeitmäßig eine gründliche Aussprache möglich ist.Zum Abschluß glaube ich sagen zu dürfen, daß die Freien Demokraten hier sehr deutlich ihre agrarpolitische Konzeption dargelegt und gezeigt haben, wohin sie wollen, wohin sie die Schwerpunkte verlagert haben wollen. Wir haben die Bitte, Herr Minister, daß diese Dinge künftig besser behandelt werden, auch unsere Anträge, auch die Gesichtspunkte, die wir hier darlegen, damit wir uns künftig eher in der Lage sehen — was in diesem Jahr leider nicht möglich ist —, Ihrem Haushalt, Ihrer Agrarpolitik, Ihrer Landwirtschaftspolitik die Zustimmung zu geben. Wir sehen uns leider genötigt, die Zustimmung zu versagen.
Weitere Wortmeldungen? — Herr Abgeordneter Schmücker!
Herr Kollege Weber, ich habe Ihre Rede mit Interesse gehört und möchte gar nicht bestreiten, ohne daß es mir möglich ist, die Richtigkeit oder Zweckmäßigkeit Ihrer Einzelvorschläge zu prüfen, daß Sie in der Tendenz die Absicht haben, der Landwirtschaft zu helfen. AberSie sind doch ein Liberaler, und ich verfolge in den Beratungen des Wirtschaftsausschusses immer mit großem Interesse, wie die Kollegen aus Ihrer Fraktion aufrecht und mannhaft den Standpunkt des Liberalismus verteidigen. In einem komme ich nun nicht klar: Wie schafft Ihre Fraktion das eigentlich. daß Ihre Ausführungen unter der Firma Liberalismus hier vertreten werden können?
Dann darf ich vielleicht um Entschuldigung bitten, daß ich mit einem frommen Brauch dieses Hauses breche und zu einem Etat das Wort ergreife, ohne Experte zu sein. Aber ich glaube, die Expertenpolitik leidet in allen Branchen an gewissen Isolierungskrankheiten. Es würde auch der Landwirtschaftspolitik sehr gut tun, wenn sich mehr Kolleginnen und Kollegen, die nicht aus der Landwirtschaft stammen, um sie kümmern. Die schlechte Besetzung des Saales heute dürfen wir nicht als schlechthin typisch bezeichnen. Denn nach der anstrengenden Verteidigungsdebatte
— ich verteidige ja mehr Damen und Herren von Ihrer als von unserer Seite — müssen wir einiges Verständnis dafür haben, daß die Fehlenden sich jetzt von den schweren Kämpfen ein wenig ausruhen müssen.Meine Damen und Herren. In der deutschen Öffentlichkeit wird die Landwirtschaftspolitik nach meiner Meinung häufig unberechtigt kritisiert. Das bezieht sich nicht nur auf die Landwirtschaftspolitik des Ministers und dieses Hauses; das gilt auch für den Teil der Forderungen landwirtschaftlicher Interessenvertretungen, den ich für berechtigt halten würde. Ich meine, daß auch hier der Grund nicht zuletzt darin liegt, daß die Agrarwirtschaft zuwenig Kontakt mit der übrigen Wirtschaft hat.Nun möchte ich nicht in den Stil alter romantischer Gedichte verfallen und das Loblied des Bauern, vor allen Dingen der Bauersfrau, anstimmen, sondern möchte nüchtern als Gewerbetreibender sagen dürfen: Wer die Arbeit auf dem Lande mit der gewerblichen Arbeit vergleicht, der kann den Bauern die Anerkennung nicht versagen; der muß auch zugeben, daß die Bauern in vielen Lebensbereichen den Anschluß an die allgemein verbesserten Lebensverhältnisse noch nicht gefunden haben, ganz abgesehen davon, daß es die Provinz insgesamt schwieriger hat als die meisten Städte.Meine Damen und Herren, ich möchte jetzt einen Punkt herausgreifen — und ich kann hier an Ihre Ausführungen, Herr Kollege Weber, anknüpfen —, der nach meiner Meinung in der Untersuchung der Schwierigkeiten der Landwirtschaft in der öffentlichen Diskussion zuwenig beachtet wird. Jeder Staat bemüht sich, der Landwirtschaft auf seine Art und Weise zu helfen. Es ist eine Vielzahl von Methoden entwickelt worden, und diese Vielzahl der Methoden hat am Ende dazu geführt, daß, international gesehen, die Lage fast unentwirrbar, zumindest maßlos kompliziert geworden ist. Der eine Staat arbeitet mit Verbilligungsmaßnahmen, mit
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8650 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 151. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. März 1961
SchmückerPreisgarantien, andere mit Abschöpfungsbeträgen; dann gibt es Kontingentsgarantien. Einige prämiieren die Produktion, einige das brachliegende Land, und es gibt sogar Staaten, die sowohl das brachliegende Land als auch die Produktion prämiieren.Bei einer solchen unterschiedlichen und gegensätzlichen Agrarpolitik in Ländern, die miteinander im Handelsverkehr stehen, kann ein marktachter Preis überhaupt nicht entstehen. Ich weiß, daß wir uns im EWG-Raum bemühen, eine Angleichung vorzunehmen. Aber ich glaube, wir müssen auch über den EWG-Raum hinaus die Lage untersuchen.Wir müssen noch ein weiteres bedenken. Wir sollten versuchen, den Konfliktstoff — und damit komme ich auf Ihre Ausführungen zurück, Herr Weber — zu beseitigen, der in dem alten Gegensatz zwischen der Förderung der Landwirtschaft und der bewußten Niedrighaltung der Lebensmittelkosten liegt.Angesichts des gestiegenen Lebensstandards haben viele Argumente, die vor zehn Jahren noch hohe Gültigkeit gehabt haben, heute erheblich an Wert eingebüßt. Das sollten wir auch einmal vor dem deutschen Volke offen eingestehen.In der Bundesrepublik selbst haben sich auch im letzten Jahr einige Dinge herausgestellt, die - umeinen gelinden Ausdruck zu gebrauchen zu erheblichen Unzuträglichkeiten geführt haben. Wir haben diese Dinge in einem Entschließungsantrag, der Ihnen zur dritten Lesung vorgelegt wird, im einzelnen angesprochen.Ich meine hier in erster Linie das Gesetz zur Förderung der Eierwirtschaft. Jedem von uns ist bekannt, daß das gegenwärtige System der sogenannten Eier-Prämie sich nicht bewährt. Die Kontrollen sind unzureichend. Möglicherweise gibt es überhaupt kein Kontrollsystem, das bei dieser Art der Prämiierung auch nur annähernd funktionieren kann. Wir kennen Gerichtsurteile. Ich glaube, viele von uns haben schon einmal Unterlagen gesehen. Es muß leider gesagt werden, daß ein beträchtlicher Teil dieser Subventionen in falsche Kanäle fließt, um nicht zu sagen, in betrügerische.Ich habe Unterlagen darüber gesehen, daß Eier, die zu einem Preis von 19 Pf gehandelt werden, im Großhandel nachher nur noch 16 Pf kosten. Meine Damen und Herren, es gibt keinen Kaufmann, der monatelang mit derartigen Verlusten arbeitet. Da muß etwas anderes dahinterstecken. Es hat gar keinen Sinn, jetzt ein Klagelied darüber anzustimmen, daß dieser oder jener unehrlich gehandelt hat oder daß da etwas falsch gemacht warden ist. Ich meine, ein Gesetz, das — so hat es sich herausgestellt — so zum Mißbrauch anreizt wie dieses, muß geändert werden, und in unserer Entschließung fordern wir die Regierung auf, das schnellstmöglich zu tun. Unter „schnellstmöglich" verstehen wir: noch in dieser Legislaturperiode. Dabei muß die Förderung der Geflügelwirtschaft nicht nur erhalten bleiben, sondern noch gestärkt werden.Ein zweites Problem, das mir in bäuerlichen Versammlungen immer wieder genannt wird, ist folgendes. Die Landwirtschaft ist nach meiner Meinung mit Recht darüber beunruhigt, daß sowohl in die Geflügelhaltung, in die Eierwirtschaft, als auch in die Schweinefleischproduktion Großbetriebe eindringen, die mit industriellen Methoden arbeiten.Gerade zu diesem Punkt möchte ich als Gewerbetreibender etwas sagen. Wäre ich der Meinung, daß die industrielle Agrarproduktion auf die Dauer billiger ist als die bäuerliche, so hätte ich nicht den Mut, hier zu sprechen. Ich bin jedoch der festen Überzeugung, daß es ähnlich wie in der gewerblichen Wirtschaft nicht betriebswirtschaftliche Gründe, sondern Vorteile des Steuerrechts, des Gesellschaftsrechts, des Kapitaleinsatzes sind, die diesen Einbruch ermöglichen.Es ist doch das erklärte Ziel des Grünen Planes, unsere bäuerlichen Familienbetriebe zu fördern. Der Grüne Plan ist also — ich will mich einmal meiner Ausdrucksweise bedienen — ein Stück echter Mittelstandspolitik. Wie aber soll eine arbeitsteilige Arbeitsweise — und das ist doch die betriebstechnische Seite der Mittelstandspolitik — mit der Konzentration konkurrieren, wenn sie steuerlich schlechten gestellt wird oder aber, wenn man der Konzentration die gleiche Förderung zuteil werden läßt wie eben der bäuerlichen Familienbetriebsform? Wir kennen Beispiele dafür, daß einzelne Großbetriebe vom Import über die Produktion bis zum letzten Verkauf alles in eine Hand genommen haben. In einem anderen Typ werden die Bauern nur noch als Lohnarbeiter eingeschaltet. Sie sind Lohnarbeiter mit dem Risiko eines selbständigen Unternehmers, aber ohne soziale Sicherung.Zwar ist das Ausmaß der industriellen Agrarproduktion noch nicht sehr groß. Es ist nicht so groß, wie es in ,den Versammlungen vielfach behauptet wird. Aber wir möchten die Regierung bitten, jetzt einzugreifen, bevor es zu spät ist, nach dem bewährten Grundsatz: Wehret den Anfängen! Wir wissen, daß der Ernährungsminister unsere Sorgen teilt. Wir kennen seine Bemühungen, mit den wirklich komplizierten Fragen fertig zu werden. Ich meine, es lohnt sich, über diese Frage in aller Ruhe und Sachlichkeit zu diskutieren. Wenn man in die Polemik ausschweift, gerät man aufs Glatteis. Aber wir möchten hier im Plenum auch als Fraktion deutlich machen, daß wir mit Nachdruck darauf bestehen, daß unsere Landwirtschaftspolitik vorrangig ,die bäuerlichen Familienbetriebe fördert. Wir werden der Regierung bei allen Maßnahmen, die diesem Ziel dienen, zur Seite stehen. Niemand kann bei einer Maßnahme voll und ganz voraussehen, wie sie sich auswirkt. Darum ist es auch in keiner Weise eine Schande, in Einzelfragen Änderungsvorschläge zu machen, sondern ich meine, ein solches Verhalten beweist nur, daß es einem um das Anliegen ernst ist und daß es einem nicht um den Erfolg im jeweiligen Stand der Debatte geht.Ich würde darum bitten, einmal in Überlegungen einzutreten, ob nicht auch z. B. die generelle Umsatzsteuerbefreiung für die Landwirtschaft gestaffelt werden könnte. Ich will mich nicht auf Zahlen festlegen. Meine Damen und Herren, ich bitte Sie wirklich herzlich, mir zu glauben, daß es mir nur auf ein Beispiel ankommt; denn ich bin nicht Fach-
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Schmückermann genug, um Ihnen im einzelnen sagen zu können, wo die Grenzen liegen müssen. Aber ich könnte mir vorstellen, daß beispielsweise ein Umsatz bis zu 500 000 DM unter die Freigrenze fiele, daß der überschießende Betrag bis zur Höhe von 1 Million DM zum halben Satz versteuert würde und darüber hinaus der volle Satz zur Anwendung käme.Man sagt uns, das könne verfassungsrechtlich bedenklich sein. Das ist nach meiner Meinung falsch. Diese Regelung haben wir doch auch in der gewerblichen Wirtschaft. Auch dort arbeiten wir mit Freibeträgen. Warum sollte das nicht in der Landwirtschaft möglich sein?Ich sage noch einmal: Ich möchte mich mit diesen Zahlen nicht festlegen, sondern ein mögliches System andeuten. Man muß nach meiner Meinung mit Freibeträgen arbeiten, wenn man die Förderung des bäuerlichen Familienbetriebes will. Das unliebsame Kapitel der übertriebenen — ich sage ausdrücklich: der übertriebenen — Zupachtungen könnte auf diese Weise elegant gelöst werden.Entsprechende Maßnahmen könnte man sich auch bei der Einkommen- und der Gewerbesteuer überlegen.
— Bitte schön!
Eine Zwischenfrage, Herr Abgeordneter Mauk!
B)
Herr Kollege Schmücker, meinen Sie damit, daß für die Landwirtschaft die Umsatzsteuer, die ja bereits gestrichen worden ist, neu eingeführt werden soll?
Herr Kollege, wenn wir ein Eindringen des Großkapitals, ein Vordringen der industriellen Agrarproduktion verhindern wollen, dann dürfen wir die Vorteile, die wir zugunsten der bäuerlichen Familienbetriebe geschaffen haben, diesen anderen Kreisen nicht zugute kommen lassen.
Das ist mein Anliegen, und das möchte ich auch als Gewerbetreibender hier mit Nachdruck vertreten. Wir haben ein Interesse daran, daß die landwirtschaftliche Produktion auf bäuerlicher Basis erhalten bleibt.
—Ich freue mich, daß Sie mich gefragt haben und daß ich daher in der Lage war, das noch einmal deutlich zu machen. Ähnlich könnte man auch bei den Subventionen oder bei den Prämien verfahren; denn wenn man hier Höchstgrenzen vorsieht — sie sollen gar nicht kleinlich sein —, bekommen doch auch diese Maßnahmen ein stärkeres strukturpolitisches Element.Meine Damen und Herren, ich kenne sehr wohl den Streit innerhalb der Landwirtschaft — ich komme ja aus einem solchen Wahlkreis — über dieNotwendigkeit der Verbindung der Veredlungswirtschaft mit der Bodenproduktion. Ich denke gar nicht daran, diese Frage zu bagatellisieren. Aber ich möchte sie nicht formal betrachtet wissen. Vorrangig — das möchte ich feststellen — ist immer die Möglichkeit der Existenz einer bäuerlichen Familie, die sich dem bäuerlichen Berufsstand zugehörig fühlt. Da darf man formale Dinge nicht überbetonen. Andererseits darf man die Vorschriften auch nicht so ausweiten, daß wiederum ,das Anliegen ins Gegenteil verfälscht werden könnte. Wo der Boden qualitätsmäßig oder mengenmäßig nicht ausreicht, muß die Chance gegeben werden, zumindest den Teil, der zur Erhaltung des bäuerlichen Familienbetriebes — ich sage es noch einmal: des bäuerlichen Familienbetriebes — notwendig ist, durch die Veredlungswirtschaft hinzuzunehmen. Gewerblich oder industriell wird diese Veredlungswirtschaft nach meiner Meinung erst dann, wenn sie über diesen Rahmen hinausgeht.Auch als Nichtlandwirt, meine ich, ist man in der Lage, eine Reihe weiterer Anregungen zu geben, wenn man sich bemüht, einmal über unsere Agrarpolitik nachzudenken. Ich möchte mich aber auf die genannten Punkte beschränken und abschließend nur noch einmal betonen: die Landwirtschaft — das sollte sie selber und das sollte die Öffentlichkeit nicht vergessen — ist ein Teil der gesamten Wirtschaft. Wir sollten die Fragen der Agrarpolitik in breiterer Form als bisher diskutieren. Es kann eine Vielzahl von Erfahrungen der gesamten Wirtschaft, besonders der mittelständischen Wirtschaft, herangezogen werden. Ich bestreite gar nicht, daß die Verhältnisse bei der gewerblichen und bei der agrarischen Wirtschaft recht unterschiedlich sind. Aber es bleibt doch eine Vielfalt von Möglichkeiten, sich gegenseitig Anregungen zu geben. Darum meine ich, mit lauten Deklamationen, mit massiven Forderungen, aber auch mit ironisch-abfälligen Bemerkungen ist nichts getan.Die Größe der Aufgabe wird in einer einzigen ganz schlichten Tatsache deutlich. Die Ernährung gehört nun einmal zu den wichtigsten Dingen. Solange die Ernährung in der Welt so unzureichend ist, wie wir mit Erschrecken bei unseren Besuchen in den Entwicklungsländern feststellen, muß irgend etwas schief liegen, wenn man sich in den hochentwickelten Staaten die Köpfe über die Erhaltung der Landwirtschaft zerbrechen muß. Diesen Widerspruch, meine Damen und Herren, müssen wir auch bei uns in Deutschland lösen. Solange die Lebensmittelversorgung nicht einmal annähernd garantiert ist, kann es nicht richtig sein, den Produzenten dieser Lebensmittel schlechte wirtschaftliche Chancen zu prophezeien. Da die Verhältnisse gegenwärtig unzulänglich sind, sollten wir für die in dieser Lebensmittelproduktion tätigen Menschen — das sind unsere Bauern — das notwendige tun. Wir sollten es tun zur Besserung der Versorgung. Besserung der Versorgung ist doch nichts anderes als der Kampf gegen den Hunger! Wir müssen für eine starke Landwirtschaft — präziser: für eine starke bäuerliche Landwirtschaft — weiterhin die größtmöglichen Anstrengungen machen.
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8652 Deutscher Bundestag - 3. Wahlperiode — 151. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. März 1961
SchmückerMeine Damen und Herren, das im Auftrage meiner Fraktion gerade als Nichtlandwirt — als Wirtschaftspolitiker — hier zu sagen, war meine Aufgabe, und ich hoffe, daß wir in Übereinstimmung mit dem Ernährungsminister weiterhin mit ihm die großen Aufgaben der Agrarpolitik erfolgreich erfüllen können.
Das Wort hat der
Afbgeordnete Dr. Starke.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es ist wohl ein Zufall, daß noch ein zweiter, der auf diesem Gebiet kein Experte ist, heute das Wort ergreift; obwohl ich mich, wie wir festgestellt hatten, schon vor dem Kollegen Schmücker gemeldet hatte, ist das ein rein zufälliges Zusammentreffen.Nun muß ich zu Beginn, obwohl ich etwas ganz anderes vortragen wollte — darauf komme ich dann im zweiten Teil — zunächst einmal auf das, was Sie, Herr Kollege Schmücker, gesagt haben, mit einigen Sätzen eingehen, und zwar bezüglich der Frage, wie ein Liberaler das mit seinem Gewissen vereinbare, was wir in Agrarfragen sagen. Ich möchte Ihnen darauf erwidern: Das sollten Sie doch ein wenig unsere Sache sein lassen. Sie erinnern sich, es gab zwar vielleicht nicht gerade in Ihrem engsten, aber in Ihrem weiteren Heimatbereich seit über einem halben Jahrhundert eine große liberale Bauernschaft. Das sollten Sie wissen.
Ich weiß nicht, warum sich das Sicheinsetzen für eine gute bäuerliche Agrarpolitik nicht mit liberaler Haltung vereinbaren lassen sollte. Das kann ich nicht verstehen.
Nun aber muß ich Ihnen ehrlich gestehen: eigentlich hatten wir erwartet, Sie würden darauf hinweisen, daß sich vielleicht auch bei uns hier und da Unstimmigkeiten ergeben, daß nicht jeder das vertritt, was die Fraktion sagt. Dazu, wissen Sie, sollten wir nicht aus dem Auge verlieren, daß der Unterschied, der sich bei Ihnen etwa zwischen dem Kollegen Bauknecht und dem Kollegen Katzer ergibt, doch sehr viel größer ist.
Das ist auch ein Stück Frage der Landwirtschaft und der Agrarpolitik.
— Darauf komme ich dann noch zurück; darauf können Sie noch ein wenig warten; damit wir nicht aneinander vorbeireden. Auf diese Frage, die hier vorhin angeschnitten worden ist, komme ich dann noch einmal zurück. Aber das gehört bereits in den Bereich der europäischen Landwirtschaftsfragen. Ichbleibe jetzt noch wenige Minuten bei den Bemerkungen des Herrn Kollegen Schmücker.Herr Kollege Schmücker, weder meinen bäuerlichen Kollegen noch mir ist es während Ihrer Rede gelungen, zu verstehen, was Sie sagen wollten.
— Wir haben insbesondere das nicht verstanden, was Sie von der Umsatzsteuerneuregelung gesagt haben; Sie haben von einer Umsatzsteuerstaffelung gesprochen. Auf die Frage von Herrn Mauk haben Sie geantwortet, Sie wollen keine Neueinführung der Umsatzsteuer für die Landwirtschaft. Aber was Sie eigentlich wollen, haben wir nicht verstanden.
Vielleicht werden wir es, wenn wir es gelesen haben, besser verstehen; dann werden wir noch einmal darauf zurückkommen.
Nun noch etwas anderes! Wir stehen auf dem Standpunkt — soviel verstehe ich auch von der Landwirtschaft und ihrer Förderung —, daß sich die Veredelung auf eigener Futterbasis und auf den Bodenprodukten des eigenen Betriebes aufbauen sollte. Ob Sie das bestätigt haben oder ob Sie das als nicht ganz gültig hingestellt haben, ist uns gleichfalls nicht klargeworden; jedenfalls ist meinen bäuerlichen Kollegen aus der FDP-Fraktion und mir das nicht klargeworden. Aber vielleicht können wir uns darüber einmal auseinandersetzen, wenn wir gelesen haben, was Sie gesagt haben.
Sie haben dann von engen Kontakten zwischen Wirtschafts- und Agrarfragen gesprochen. Diese engen Kontakte bestehen aber ebenso wie im Inland auch im europäischen Bereich. Darauf sind Sie nicht eingegangen; aber darauf muß ich jetzt zu sprechen kommen. Ich muß das deshalb tun, weil am 24. Februar bei der Debatte über den Grünen Plan laut Protokoll der Herr Kollege Lücker von der CDU eine Äußerung getan hat, die nicht unwidersprochen bleiben darf, sondern die wir richtigstellen müssen. Ich selber bin bei dieser Debatte nicht anwesend gewesen, weil sie am 22. Februar stattfinden sollte und weil sie auf den 24. Februar verschoben wurde, ein Tag, an dem ich zu einer Sitzung nach Brüssel mußte. Leider bin ich auch erst zu spät auf das Protokoll gestoßen. Ich bin auf die Ausführungen durch einen Agrarbrief der CDU aufmerksam gemacht geworden — er stammt vom 3. März 1961 —, in dem die Ausführungen von Herrn Lücker wiedergegeben sind. Außerdem steht in diesem Agrarbrief etwas, was ich mit Genehmigung des Herrn Präsidenten verlesen darf:
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Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 151. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. März 1961 8653
Dr. StarkeAber auch die Forderung nach einem kostendeckenden Preis für die Landwirtschaft, den die FDP aufstellt, steht in einem eklatanten Gegensatz zu dem von ihren liberalen Fraktionskollegen im Europäischen Parlament nachdrücklich verfochtenen Grundsatz, das deutsche Getreidepreisniveau auf ein europäisches Mittel zu senken.Diese Feststellung beruht auf der Erklärung von Herrn Lücker, die er am 24. Februar 1961 im Plenum des Bundestages abgegeben hat. Laut Protokoll hat er gesagt:In ähnlicher Weise sind auch von den Kollegen Sander und Mauk hier Mahnungen ausgesprochen worden. Ich will das jetzt nicht vertiefen. Ich wäre Ihnen sehr dankbar, Herr Kollege Sander, wenn Sie Ihren Kollegen aus der FDP-Fraktion, die im Europäischen Parlament sitzen,— also allen dreien —folgendes mit auf den Weg gäben:Wenn wir im Europäischen Parlament in Zukunft über die künftigen landwirtschaftlichen Preise innerhalb der EWG sprechen, sollten sie den Mut haben, dort mit dafür einzutreten, daß die Agrarpreise auf einem Niveau stabilisiert werden, das auch der deutschen Landwirtschaft für die Zukunft eine Existenzmöglichkeit beläßt. Leider haben das Ihre Kollegen im Europäischen Parlament bisher nicht getan.Meine sehr geehrten Damen und Herren, diese Ausführungen von Herrn Lücker stehen — ich darf selbstverständlich unterstellen: ganz bewußt — im Gegensatz zu dem, was sich im Europäischen Parlament in den Ausschüssen, aber auch im Plenum abgespielt hat.
Ich kann für meinen Kollegen Margulies hier die Frage an Sie stellen — Herr Lücker ist ja leider nicht da, aber er wird sie uns beantworten müssen —: Wann hat denn Herr Lücker einmal dort die Forderung, daß es nicht zu dieser Getreidepreissenkung kommen sollte, zu einer Zeit vertreten, als es um die Vorschläge der Kommission ging? Diese Frage wird uns Herr Lücker beantworten müssen. Es ist nicht gut, wenn man sich in dieser Situation befindet und dann einen Agrarbrief herausgibt, auf dem oben steht: „Doppelter Zungenschlag der Opposition",
und das ist hier die FDP.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, worauf beruht denn das alles? Hier spricht ein ganz schlechtes Gewissen aus Herrn Lücker. Das sage ich, und wir werden das vor der ganzen Landwirtschaft wiederholen. Wenn man in einer unangenehmen und peinlichen Situation ist, dann passieren einem solche Übersteigerungen.
— Ich kann natürlich nichts dafür, sehr geehrter Herr Kollege, daß, wenn wir heute den Haushalt des Bundesernährungsministeriums beraten und dabei grundsätzliche agrarpolitische Fragen behandeln, Herr Lücker nicht hier ist. Ich kann Ihnen jedenfalls sagen, daß ich am 24. Februar deshalb nicht hier war, weil die Debatte verschoben worden war. Wenn aber Herr Lücker heute nicht hier ist, ist das für uns kein Grund, diese propagandistische Auswertung der Rede von Herrn Lücker draußen bei den Bauern weiter unwidersprochen zu lassen.
— Das wird er tun.Herr Lücker hat in dieser Rede am 24. Februar zu dem entscheidenden Problem, vor dem wir stehen, der Frage der Getreidepreise und des gemeinsamen europäischen Marktes sowie der Frage, wie die deutsche Landwirtschaft in diesem europäischen Bereich aussehen wird, die sozialdemokratische Partei wegen ihrer Haltung zum Getreidepreis in Europa angegriffen. Er hat dann — die Haltung der sozialdemokratischen Fraktion war und ist ja bekannt —, diese Ausführungen über die FDP-Abgeordneten im Europäischen Parlament gemacht. Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich erkläre Ihnen hiermit: Diese Behauptungen von Herrn Lücker sind falsch.
— Nein, von Abgeordneten aus der deutschen FDP-Fraktion hat er gesprochen; ich habe Ihnen das eben vorgelesen.
— Dann darf ich Ihnen das mit Erlaubnis des Herrn Präsidenten noch einmal vorlesen: „ ... wenn Sie Ihren Kollegen aus der FDP-Fraktion, die im Europäischen Parlament sitzen, ... ". Es ist dort also jeder von den dreien angesprochen, und jeder von uns, insbesondere der Kollege Margulies und ich, hat sich dieser Fragen aus einer ganz echten und großen Sorge für die Landwirtschaft angenommen, nicht in Übereinstimmung mit Herrn Lücker.
Wir haben auf die Illusion einer Annäherung der Getreidepreise im europäischen Bereich in einer so kurzen Zeit, wie es die Kommission vorgesehen hatte — und was Herr Lücker erst viel zu spät als falsch bezeichnete —, hingewiesen. Sie können das weiter verfolgen in einer Rede von Herrn Margulies im Europäischen Parlament, wo er das der Kommission in öffentlicher Rede vorgehalten hat. Wir haben auf die Illusion dieser Preisangleichung hingewiesen.Wir haben aber noch ein Weiteres getan. Wir haben auf die Gefahr, die in einem solchen blinden Hineinlaufen in einen gemeinsamen Agrarmarkt liegt, und auf die Wettbewerbsverzerrungen, über die Herr Lücker erst jetzt spricht — warum nicht schon damals? — hingewiesen.
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8654 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 151. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. März 1961
Dr. Starke— Nein, das hat er eben nicht getan.
Wir haben auf diese Gefahren hingewiesen. Ich habe im März 1960 zu der Frage des Beschleunigungsverfahrens der EWG gesprochen. Ich habe dabei darauf aufmerksam gemacht, daß die deutsche Landwirtschaft ihrer ganzen Struktur nach in gar keiner Weise auf die Beschleunigungsmaßnahmen vorbereitet ist. Herr Lücker hat das nicht getan. Das können wir doch nicht einfach hinterher fallenlassen und vertuschen.Ich habe dann hier im Hause im Mai in der europäischen Debatte, in .der wir auf Grund der Großen Anfrage der FDP wieder über die Beschleunigung gesprochen haben — vielleicht können Sie sich daran besser erinnern —, darauf hingewiesen, daß in den Agrarfragen überhaupt keine Konzeption besteht, die es erlauben würde, die Beschleunigung durchzuführen. Und da ist Herr Lücker aufs Podium gegangen — Sie können ,das im Protokoll nachlesen — und hat gesagt: Herr Starke, darüber brauchen Sie sich gar keine Sorgen zu machen; wir werden da schon Mittel und Wege finden. Dann ist Herr Deist von der sozialdemokratischen Fraktion ebenfalls auf dieses Podium gekommen und hat gesagt: Herr Lücker, wenn Sie die Mittel und Wege heute, Anfang Mai, wo Sie einen Beschleunigungsbeschluß fassen wollen, noch nicht wissen, dann ist es zu spät.
Das ist Herr Lücker, der uns diese Unterstellungen macht! Wir haben von Herrn Lücker niemals gehört, daß er sich gegen die Angleichung der Getreidepreise, auf deren Unmöglichkeit aus dem System heraus in Frankreich wie bei uns Herr Margulies und ich aufmerksam gemacht haben, gewehrt hat.Die Freien Demokraten haben sich nach langen Debatten einheitlich und geschlossen dafür eingesetzt, daß die Preise für landwirtschaftliche Produkte in Deutschland im Zusammenhang mit der Bildung des Gemeinsamen Marktes nicht auf ein Niveau kommen, bei dem man dann zu den von der Sozialdemokratischen Partei im Europäischen Parlament vorgeschlagenen Subventionen schreiten muß. Das haben wir getan. Solche Fragen wären überhaupt nur im Rahmen eines völligen Umbaues, etwa auf das englische System oder dergleichen, zu erörtern.Herr Lücker hat dann in seiner Rede gegenüber der Sozialdemokratischen Partei bemängelt, daß sie ihn nicht genügend in der Frage eines Schutzes der Landwirtschaft in der Sechser-Gemeinschaft an der Außengrenze unterstützt habe. Hier geht es eben gerade um etwas anderes. Hier geht es darum, daß wir Freien Demokraten früher, vorher und berechtigt auf die Probleme hingewiesen haben, die sich innerhalb der Gemeinschaft ergeben werden, und zwar gerade — das weiß doch jeder von Ihnen; heute sagt es ja auch das Ernährungsministerium laut und deutlich — für die deutsche Landwirtschaft. Die Freien Demokraten haben sich also der Fragen des inneren Marktes der EWG und der Bildung desgemeinsamen Agrarmarktes innerhalb der sechs Länder besonders angenommen. Wir haben damals wie heute, und zwar rechtzeitig, insbesondere vor dem Beschleunigungsbeschluß, die Notwendigkeit klar herausgestellt, eine Wettbewerbsgleichheit zu schaffen, die es allein erlauben würde, einen solchen gemeinsamen Agrarmarkt herzustellen.Heute sieht das alles anders aus. Heute geht man neue Wege. Heute sucht man über Abschöpfungen und über Ausgleichsbeträge die Fragen zu lösen. Wer hat das rechtzeitig, zu einer Zeit, als wir darüber gesprochen haben, von Herrn Lücker gehört? Lassen Sie sich das einmal von ihm sagen. Wir werden verlangen, daß er das öffentlich dort sagt, wo er uns angegriffen hat. Ich glaube, die Haltung der FDP hat sehr wesentlich dazu beigetragen, daß die Regierung von August bis zum Dezember des Jahres 1960 dann eine Haltung eingenommen hat, die es allein noch erlaubt, eine glücklichere Politik hinsichtlich 'der deutschen Landwirtschaft und ihrer Situation in der EWG zu betreiben.
— Das ist eine Behauptung, die man später immer aufstellen kann, Herr Kollege. Fest steht jedenfalls nur, daß wir es vorher gesagt haben.
Ich glaube, ich muß es Ihnen noch einmal sagen: Daß man jemandem so falsche Dingle unterstellt, und zwar erwiesenermaßen zum Zwecke der Propaganda, halte ich für nicht sehr fair.Vielleicht hätten wir mehr darüber sprechen sollen, daß wir den Eindruck hatten, daß Herr Lücker in Agrarfragen seit langem ein europäisches und ein deutsches „Gesicht" hatte. Heute wollen wir das einmal anklingen lassen, nachdem er sich in dieser Form in dem Brief gegen uns gewandt hat. Ich bin der Meinung, daß eine solche Handlungsweise nicht fair war. Denn Herr Lücker ist natürlich dabei gewesen, als sowohl der Kollege Margulies als auch ich im Europäischen Parlament zu diesen Fragen gesprochen haben, wobei wir auf diese Schwierigkeiten hingewiesen haben, die man zunächst einmal nicht recht wahrhaben wollte.Es war eine Notwendigkeit, das heute hier vorzutragen angesichts der Behauptungen von Herrn Lücker, angesichts der Tatsache, daß damit Propaganda gemacht wird, und auch angesichts der Tatsache, daß auch heute wieder dasselbe Problem in der Zwischenfrage angeschnitten worden ist. Darüber hinaus kam es darauf an, auch zum Ausdruck zu bringen, daß diese Dinge, wie wir sie hier, insbesondere aber, wie wir sie im Europäischen Parlament vertreten haben, von der ganzen FDP-Fraktion geschlossen vertreten werden. Trotzdem fühlen wir uns alle, Herr Kollege Schmücker, in dieser Fraktion als Liberale.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Conring.
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Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 151. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. März 1961 8655
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich darf eine allgemeine Bemerkung betreffend den Haushalt und unsere Geschäftslage vorausschicken. Ich halte es nicht für glücklich, daß hier von unserem Kollegen Weber zwei Anträge erneut — expressis verbis — begründet wurden, die am gestrigen Tage bereits abgelehnt worden sind und die auch heute mit Sicherheit der Ablehnung verfallen werden, weil ja der korrespondierende Etat bereits verabschiedet ist. Ich glaube, unsere Geschäftslage — jetzt ist es bald 20 Uhr — zwingt uns doch eigentlich zu möglichst kurzer Behandlung all der Fragen, die uns bewegen.
Die Debatte auf Grund des von der Regierung vorgelegten Grünen Berichts hat doch eigentlich schon Gelegenheit gegeben, all diese Fragen in großer Breite zu erörtern. Das ist vor ganz kurzer Zeit geschehen. Es ist etwa drei Wochen her, wenn mich meine Erinnerung nicht trügt. Wir hatten jedenfalls die Gelegenheit, unsere verschiedenen agrarpolitischen Auffassungen, Wünsche und Anregungen der Regierung vorzutragen. Wir sollten uns daher schon aus zeitökonomischen Gründen heute die Frage stellen — und ich bitte, meinen Vorschlag freundlich aufzunehmen —, ob es zweckmäßig ist, das, was wir vor drei Wochen hier in aller Breite erörtert haben, nun noch einmal aufzurollen. Ich habe den Eindruck, man könnte sich das wirklich sparen. Vielleicht trägt dieser kurze Hinweis dazu bei, daß wir uns etwas einschränken, damit wir mit dem Etat 10 vielleicht doch noch bis 21 Uhr fertig werden.
Ich darf dann noch kurz zu den beiden Anträgen der FDP sprechen.
— Herr Schmücker hat zu allgemeinen agrarpolitischen Fragen gesprochen.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Kriedemann?
Bitte sehr!
Herr Kollege Dr. Conring, glauben Sie nicht, daß es vernünftiger wäre, erst die Anträge begründen zu lassen, ehe man sie ablehnt?
Ich habe bis jetzt noch gar keine Anträge abgelehnt. Ich schicke mich eben an, zu dem Antrag Stellung zu nehmen, den der Herr Kollege Weber hier vertreten hat. Es ist doch wohl unser gutes Recht, zu dem Antrag Stellung zu nehmen, den Herr Kollege Weber hier begründet hat.
— Ich habe mir gerade erlaubt zu sagen, daß mir eine allgemeine Aussprache nach den Debatten über den Grünen Plan überflüssig erschien.
— Sicher nicht. Ich habe nur einen Vorschlag zur Güte gemacht.Ich darf jetzt auf die beiden Anträge zurückkommen, die hier zunächst begründet wurden.Es handelt sich erstens um den Antrag Umdruck 821 zur Pferdezucht. Meine verehrten Damen und Herren, die Pferdezucht ist eine ausgesprochene Angelegenheit der Länder; das wird keiner bestreiten können. Ob sich der Bund auf diesem Gebiet weiter betätigen soll, nachdem einige Entscheidungen gefallen sind, die es dem Bund verbieten, auf Gebieten tätig zu werden, die zur Zuständigkeit der Länder gehören, ob man jetzt in neue Förderungsgebiete, die zur Urzuständigkeit der Länder gehören, hineingehen soll, kann zweifelhaft sein.Aber Sie wissen ja auch, daß im Grünen Plan 400 000 DM, wenn ich mich recht erinnere, für die Pferdezucht vorgesehen sind und daß das sogenannte „Bundespferd" — Trakehner — nach allgemeiner Auffassung einen Zuschuß bis 100 000 DM erhalten soll.Von dieser Grundlage ausgehend, wäre vom Bund schon einiges geschehen. Ich meine, wir sollten dabei nicht so weit gehen, wie es die FDP tut, die den Antrag stellt, 1,5 Millionen DM für die Pferdezucht auszugeben, weil wir damit in Zuständigkeiten hineingehen, die offensichlich Länderzuständigkeiten sind und in denen wir uns Zurückhaltung auferlegen müssen.Es fällt mir im übrigen auf, daß ein solcher Antrag im Haushaltsausschuß, wo er zunächst einmal hätte geprüft werden können, nicht gestellt wurde, als der Zuschuß von 400 000 DM für die Pferdezucht dort behandelt wurde. Es kommt mir eigentümlich vor, daß dieser Antrag nur im Plenum und nicht im Haushaltsausschuß erscheint, in den er eigentlich doch zunächst hineingehört hätte.
— Er war im Haushaltsausschuß? Hier sind genügend Vertreter des Haushaltsausschusses zugegen, die mir bestätigen werden, daß er im Haushaltsausschuß nicht gestellt wurde.Meine Damen und Herren, ich komme zu dem anderen Antrag, etwa 142 Millionen DM für die Qualitätsmilch und je 2 Millionen DM für die Kellerwirtschaft und den Gartenbau zusätzlich auszugeben. Ich nehme an, daß Herr Mauk diese beiden Punkte noch begründen wird. Deshalb will ich zum Gartenbau und zur Kellerwirtschaft jetzt nichts sagen. Aber zur Milchwirtschaft will ich einiges sagen. Ich wundere mich darüber, daß Sie diese Anträge hier stellen, Im Haushaltsausschuß ist ein solcher Antrag nicht gestellt worden. Es ist anzunehmen, daß hinter der Einbringung so weitgehender Anträge im Plenum ein Wille steckt, ein bestimmtes Ziel zu erreichen.
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8656 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 151. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. März 1961
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Mauk?
Bitte sehr!
Herr Kollege, wir haben diesen Antrag allerdings nicht mit dem Betrag, sondern im Hinblick auf die Tatsache, daß wir die Milchprämie wieder auf 4 Pfennig erhöhen wollten, wie es früher war, bereits bei der Debatte zum Landwirtschaftsbericht gestellt. Dieser Antrag ist auch dem Haushaltsausschuß überwiesen worden. Das wird Ihnen sicherlich nicht entgangen sein. Es wäre also Ihre Sache gewesen, entsprechende Konsequenzen zu ziehen.
Das ist mir nicht entgangen. Gerade die Anträge, die zum Einzelplan 10 gestellt werden, die mich persönlich lebhaft interessieren, sehe ich mir genau an. Sie werden in diesem Saal kein einziges Mitglied des Haushaltsausschusses antreffen, welches Ihnen bestätigen könnte, daß uns diese Anträge bei der Beratung des Einzelplans 10 vorgelegt worden wären.
Aber ich hatte schon Herrn Kollegen Weber gefragt, wie er sich eigentlich die Deckung dieser 142 Millionen DM denkt. Darüber hat er eine präzise Auskunft nicht gegeben. Ich muß schon sagen: wenn er eine solche Summe neu anfordert, die auch ich der Milchwirtschaft gern zukommen lassen würde — das werden Sie verstehen —, dann muß zumindest ein vernünftiger Deckungsvorschlag gemacht werden. Ich habe aber außer allgemeinen Ausführungen zur Agrarpolitik einen solchen Deckungsvorschlag nicht gehört. Sie werden wohl kaum erwarten, daß wir unter diesen Umständen gesonnen sind, Ihren Antrag anzunehmen. Ich bitte daher, den Antrag Umdruck 820 Ziffer 3 und den Antrag Umdruck 821 abzulehnen.
Im übrigen möchte ich dem verehrten Herrn Vorredner folgendes sagen. Ich finde es wenig glücklich, Herr Dr. Starke, daß Sie hier einen so massiven Angriff auf Herrn Kollegen Lücker vortragen.
—Wer angefangen hat, das ist beim Streit sicherlich immer ein wichtiger Punkt. Aber ebenso wichtig ist nach meinem Dafürhalten, daß man einen Angriff nicht erwidert, wenn derjenige, gegen den die Erwiderung gerichtet ist, nicht zugegen ist und dazu Stellung nehmen kann.
Es gibt andere Möglichkeiten, die Äußerungen, die Herr Lücker im Agrarbrief der CDU gemacht hat, zu kritisieren. Ich will damit in keiner Weise sagen, daß Sie das nicht auch von dieser Stelle aus tun könnten und sollten — das halte ich für selbstverständlich —: aber ich betone, daß ich es für wesentlich glücklicher empfunden hätte, wenn Sie in dieser Breite in Anwesenheit des Herrn Lücker darüber gesprochen hätten.
Das Wort hat der Abgeordnete Kriedemann.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bin sehr glücklich darüber, daß keiner meiner Freunde die Verantwortung dafür trägt, daß es hier mit der allgemeinen Aussprache und der Begründung von Anträgen so merkwürdig durcheinandergeht.
— Dabei ist gar nichts zu 'adieu. Es ist höchst merkwürdig, und es tut mir leid, daß ich den verehrten Kollegen Weber — —
Herr Abgeordneter Kriedemann, ich darf Ihnen sagen, daß dieses Verfahren im Ältestenrat vereinbart worden ist.
Das bedrückt mich noch viel mehr.
Ich dachte, der Kollege Weber habe im Drange der Geschäfte dieses Verfahren eingeführt.
Wir haben kürzlich eine „grüne Debatte" gehabt; das ist richtig. Das enthebt uns aber nicht der Notwendigkeit, jetzt Anträge zu stellen und sie zu begründen. Im Rahmen der Aussprache über den sogenannten Grünen Bericht und den noch sogenannteren Grünen Plan werden ja keine Anträge gestellt. Da werden Meinungen ausgetauscht, allenfalls irgendwelche Ankündigungen gemacht. Hier, bei der Haushaltsberatung zu Einzelplan 10, entscheidet es sich daher.
Herr Präsident, darf ich mir einen Vorschlag erlauben. Ich glaube, daß es mit der allgemeinen Aussprache nun genug ist. Wir sollten in die Beratung der Anträge eintreten.
Bei der Fülle von Anträgen ist es wohl am besten, wenn wir sie der Reihenfolge der Titel nach behandeln und jeweils nach der Begründung und Diskussion über die einzelnen Anträge abstimmen. Sonst findet man nachher kaum noch durch.
Meine Damen und Herren, es war von der Fülle der Anträge die Rede. Ich kann diese Fülle präzisieren: es liegen 21 Anträge vor.
Sie können alle begründet werden. Sie wissen, daß die Geschäftsordnung jedem Redner eine bestimmte Zeit, eine Stunde, gibt.
In der allgemeinen Aussprache sind noch zwei Wortmeldungen. Herr Abgeordneter Mauk, Sie haben das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Eigentlich wollte ich mich nur zur Begründung der Anträge auf Umdruck 820 melden.
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Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 151. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. März 1961 8657
Herr Abgeordneter wollen Sie nicht dabei bleiben?
Aber ich muß zunächst auf einiges eingehen, was die Herren Vorredner gesagt haben.
Herr Conring, es ist nicht so, daß Herr Dr. Starke auf die Angriffe im CDU-Agrarbrief eingegangen ist. Es handelt sich vielmehr um Ausführungen, die Herr Lücker hier im Plenum gemacht hat. Unsere Kollegen konnten sich das ja nicht gefallen lassen. Denn sie sind hier vor dem Plenum des Deutschen Bundestages geradezu verleumdet worden. Es ist nicht so, wie es hier dargestellt worden ist. Dieser Tage hat der Präsident des Deutschen Bauernverbandes — ich glaube, in Ansbach — festgestellt, daß gerade die Agrarpolitiker der Freien Demokraten im Europäischen Parlament diejenigen gewesen sind, die ihn in seiner Politik unterstützt haben. Ich habe den Wortlaut noch nicht hier, das ist mir aber von einem Versammlungsteilnehmer mitgeteilt worden.
Herr Schmücker, Sie haben die Agrarpolitik der FDP bezweifelt.
- Sie haben bezweifelt, ob unsere Forderungen,
die wir auf agrarpolitischem Gebiet immer wieder gestellt haben, mit unseren liberalen Auffassungen vereinbar seien. Das haben Sie hier angezweifelt. Die ganze letzte Zeit will man unsere Agrarpolitik anzweifeln. Lesen Sie einmal den CDU-Agrarbrief — ich muß ihn leider wiederum zitieren -, da ist eine große Überschrift: „FDP auf Bauernfang".
— Das stimmt eben gerade nicht. Ich habe kürzlich vor einem Kreisbauernverband gesprochen.
- Passen Sie auf, ich muß Ihnen das erzählen, wer
auf Bauernfang ausgeht. In einem Kreisbauernverband, und zwar in Bonn am Rhein — soviel ich weiß, ist es der Bundestagswahlkreis unseres Herrn Bundeskanzlers —, habe ich in meiner Eigenschaft als Vorsitzender eines agrarpolitischen Gremiums über Agrarpolitik sprechen müssen. Da habe ich anscheinend so objektiv gesprochen — über eine Stunde lang — daß die mehreren hundert Bauern, die im Saale waren, noch nicht einmal gemerkt haben, daß ich der FDP angehöre.
- Ist das noch nichts, Herr Schmücker?
Und jetzt kommt der Clou: ich wurde dann als
CDU-Mann gebrandmarkt für die falsche Agrarpolitik der CDU, und es wurde von Bauernfang gesprochen.
Die Versammlung mußte erst aufgeklärt werden darüber, daß ich nicht der CDU angehöre und daß ich das, was ich dort gefordert habe, auch hier im Bundestag vertrete.
Herr Schmücker, Sie haben vorhin die Umsatzsteuer erwähnt. Ich darf Ihnen folgendes sagen. Es gibt schon heute auch in der Landwirtschaft gewerbliche Betriebe, die als gewerbliche Betriebe keine Vorteile wie die übrigen landwirtschaftlichen Betriebe genießen und die sowohl Umsatzsteuer in voller Höhe als auch Gewerbesteuer in voller Höhe zahlen. Es gibt genügend — —
Herr Kollege Schmücker, wollen Sie hier eine Rede halten? Die Tribüne steht zu Ihrer Verfügung — nachher!
Herr Schmücker, Sie haben weiter gesagt, die Ernährung gehöre zu den wichtigsten Dingen; so ungefähr habe ich Sie verstanden.
Wenn man das erkannt hat, muß man auch als Liberaler eine positive und aktive Agrarpolitik für richtig halten. Ich weiß nicht, ob Sie sich damit befaßt haben. Sie werden sicherlich nicht bezweifeln, daß die beiden großen Parteien in den Vereinigten Staaten liberale Parteien sind, sowohl die Republikaner als auch die Demokraten. So wurde mir jedenfalls gesagt, als ich drüben war. Die haben sich beide mit mir als Liberalen geistig verwandt gefühlt. Beide haben gemeinsam ein ausgezeichnetes Landwirtschaftsgesetz geschaffen, um das wir deutschen Bauern sie nur beneiden können.
Sie werden auch nicht behaupten können, daß die Engländer schlechte liberale Wirtschaftspolitiker sind. Trotzdem haben sie ein ausgezeichnetes Landwirtschaftsgesetz geschaffen. Es gibt auch bei der CDU einige Liberale. Das wird zur Zeit deutlich herausgestellt: man braucht ja angeblich deshalb die FDP nicht mehr, weil angeblich bei Ihnen in der CDU auch Liberale vorhanden seien.
Wir haben damals, als es dem Kohlenbergbau schlecht gegangen ist, alle gemeinsam kurzfristig die notwendigen Konsequenzen zum Schutze des deutschen Kohlenbergbaues gezogen. Die Erhaltung der Urproduktion auf diesem Gebiete ist nicht mehr und nicht minder notwendig als die Erhaltung der Urproduktion auf dem Gebiet der Nahrungsmittelerzeugung.
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8658 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 151. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. März 1961
Herr Kollege Mauk, es hat mich vorhin schon gereizt, Ihren Kollegen zu befragen. Jetzt tue ich es bei Ihnen, weil Sie die englische Agrarpolitik ansprachen. Wissen Sie, daß ausgerechnet heute draußen in Godesberg eine Tagung auf dem Gebiet der Agrarpolitik stattgefunden hat, wo ein englischer Professor seinen Vortrag damit einleitete, daß er sagte: „Wir Engländer haben auf dem Gebiet der Agrarpolitik bisher alle Fehler gemacht, die man überhaupt machen kann.
Herr Kollege Bauer, ich habe heute früh leider keine Zeit gehabt, dort zu sein. Man kann sich ja nicht teilen. Das kann die Ansicht eines einzelnen Engländers sein. Aber die Masse des englischen Volkes wird sagen, sie zahle gern den Preis, den sie eine gesunde Landwirtschaft koste. Es gibt dort keine großen Debatten über Milliarden, die dort jedes Jahr für die Landwirtschaft gezahlt werden. Das ist vielleicht eine einzelne Stimme in der Wüste und noch lange kein Beweis dafür, wie die Mehrheit dort denkt.
Zur allgemeinen Aussprache hat Herr Abgeordneter Ritzel noch ums Wort gebeten.
- Nicht?
Dann, meine Damen und Herren schlage ich vor, die allgemeine Aussprache zu beenden und die einzelnen Anträge zu begründen.
Das ist schon vorgesehen. Es beginnt mit Tit. 571 des Kap. 10 02. Sie finden den Antrag auf Umdruck 822. Die Fundstelle ist Drucksache 2050 Anlage Seite 29. Wer begründet diesen Antrag? — Herr Dr. Krüger, Sie haben das Wort. — Er wird nicht begründet. Also ohne Begründung! Ich stelle keine Wortmeldungen fest. — Doch, Herr Abgeordneter Rehs hat sich zum Wort gemeldet; ich erteile es ihm.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bedaure, Ihre Geduld und Aufmerksamkeit trotz der vorgerückten Stunde in Anspruch nehmen zu müssen.
Aber das Kapitel, um das es bei dem von der CDU/CSU vorgelegten Antrag geht, hat doch eine so ernste Bedeutung, daß ich es nicht ohne Erörterung in einigen Punkten vorbeigehen lassen kann.Ich möchte ausdrücklich betonen, daß es anzuerkennen ist, daß Herr Kollege Krüger mit diesem Antrag, auf dessen Begründung er soeben verzichtet hat, den Versuch gemacht hat, zu retten, was noch zu retten ist. Er hat hierbei in seiner Fraktion zweifellos einen schwierigen Stand gehabt, zumal die anderen Vertriebenenkollegen in der CDU/CSUbis auf eine, zwei weitere Ausnahmen in ihrer Fraktion für diese Sache ja nicht kämpfen. Für die CDU/ CSU-Fraktion ist es meines Erachtens beschämend, daß bei diesem Versuch nicht mehr als eben der jetzige Antrag herausgekommen ist; denn daß man mit einem Beschluß, wie ihn der Antrag vorsieht, der wirklichen Situation der bäuerlichen Eingliederung in keiner Weise gerecht werden kann, darüber kann es hier eine ernstliche Diskussion nicht geben.Ich habe bei früheren Haushaltslesungen und anläßlich der Beratung des Grünen Plans auf diese Situation wiederholt eingehend hingewiesen und habe schon im Februar 1958 anläßlich der Behandlung des Grünen Berichts ausdrücklich daran erinnert, daß nach § 46 des Bundesvertriebenengesetzes die Bundesregierung und nicht die Länder —die Mittel, und nicht nur Mittel, für die Siedlung und Eingliederung der vertriebenen Bauern, bereitzustellen hat.Wiederholt haben meine Freunde, zuletzt im vergangenen Jahr, zu diesem Titel des Einzelplans 10 notwendige Mehrleistungen beantragt. Unsere Anträge wurden von der Regierungsmehrheit regelmäßig abgelehnt. Deshalb glaubten meine Freunde und ich, diesmal vielleicht auf dem Weg über einen interfraktionellen Antrag weiterzukommen. Mit ihm wollten wir die vom Bauernverband der Vertriebenen auf seiner Tagung am 24. Februar dieses Jahres erhobenen und uns berechtigt erscheinenden Wünsche durchzusetzen versuchen. Sie haben, meine Damen und Herren, diesen interfraktionellen Antrag und damit die Forderungen des Bauernverbandes abgelehnt. Sie tragen damit für die weitere Abwärtsentwicklung in dieser Frage allein die Verantwortung. Die großen Worte, die der Bundeskanzler auf dem Ostdeutschen Bauerntag in Godesberg im Herbst 1958 gesprochen hat, die Hoffnungen, die das vertriebene Landvolk hieran geknüpft hatte - man sprach damals von einem neuen Start in der Vertriebenensiedlung —, sind damit praktisch in Nichts zerronnen. Man sollte eben keine Versprechungen geben, wenn man nicht bereit ist, sie zu halten.
Ich habe anläßlich der Behandlung des sogenannten Fünfjahresplans von dieser Stelle aus am 25. Februar 1959 eindringlich vor falschen Illusionen gewarnt und festgestellt, daß die in Godesberg gemachten Zusicherungen mit diesem Plan niemals realisiert werden können, daß die Eingliederungszahlen hei dem vorgesehenen Mittelvolumen weiter sinken werden. Und ich halbe die Befürchtung ausgesprochen, wenn sich der erste Enthusiasmus gelegt haben werde, würde die Enttäuschung bei den Betroffenen groß sein. Meine damaligen Voraussagen hat Kollege Leukert von dieser Stelle aus zu beschönigen, zu beschwichtigen und vom Tisch zu bringen versucht; sie sind jedoch Wort für Wort eingetroffen. Die Ergebniszahlen auf diesem Gebiet sind weiter gesunken. In der Entschließung vom 24. Februar dieses Jahres stellt jetzt auch der Bauernverband der Vertriebenen fest, daß die seit 1958 eingetretenen Preissteigerungen dazu geführt haben, daß die im Fünfjahresplan für 1961 festgelegten Mittel nicht dazu ausreichen, die für dieses Jahr
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Rehsvorgesehenen Stellen zu finanzieren. Nach Mitteilungen aus verschiedenen Ländern befürchtet der Bauernverband der Vertriebenen, daß die Eingliederung 1961 auf ihren bisher tiefsten Stand sinken werde. Ich erinnere auch an die Entschließung, die der Agrarausschuß der Arbeitsgemeinschaft der Landesflüchtlingsverwaltungen am 9110. Februar dieses Jahres ebenfalls in Godesberg hierzu gefaßt hat. Darin heißt es, daß der Siedlungsplan 1961 mangels ausreichender Mittel und wegen weiterer Preissteigerungen höchstens mit 70 %, wahrscheinlich aber noch mit einem niedrigeren Prozentsatz erfüllt werden könne und daß man mit höchstens 8000 Siedlerstellen werde rechnen dürfen. Die zur Gesamtfinanzierung des Siedlungsprogramms 1961 fehlenden 90 Millionen DM Bundesmittel dürften etwa im Sommer dieses Jahres die Einstellung der Eingliederung der vertriebenen und geflüchteten Bauern erzwingen.In jedem Falle ist es klar, daß das Siedlungsprogramm bei der bisher vorgesehenen Finanzierung zu einem erheblichen Teil nur auf dem Papier steht, da selbst mit den Mitteln des .Jahres 1959 nur 11 995 Stellen erzielt werden konnten und die Bau-und Bodenpreise seitdem bekanntlich nicht gefallen, sondern laufend gestiegen sind.Betrachten Sie bitte unter diesem Gesichtspunkt den Antrag auf Umdruck 822. Abgesehen von der unzulänglichen Summe — 50 Millionen DM — ein Vorbehalt nach dem anderen. Nur in den Erläuterungen ist eine weitere Ermächtigung vorgesehen; denn es heißt dort:erforderlichenfalls ... wenn das zur kontinuierlichen Durchführung des Fünfjahresplansnotwendig ist und die Länder sich angemessen daran beteiligen.Diese Form ist das typische Produkt der gespaltenen Politik der Bundesregierung in dieser Frage. Im Vertriebenenministerium sind praktisch nur ein, zwei Personen, die wacker und aufrecht für die Sache eintreten. Im Ernährungsministerium tut die bürokratische Spitze — nicht die Referenten — nur so, als ob, und ist im Grunde dagegen. Das Finanzministerium fragt begreiflicherweise überhaupt nur nach den Kosten. Dabei sollte gerade das Ernährungsministerium nicht nur größtes Interesse daran haben, die positiven Impulse zu stärken, sondern es sollte auch dankbar für diese positiven Impulse sein, die von den eingesiedelten vertriebenen Bauern auf die westdeutsche Landwirtschaft ausgeströmt sind. Ich verweise auf die Untersuchungen im neuesten Band der Schriftenreihe für ländliche Sozialfragen von Schilke und Riemann, die eindeutig zeigen, daß gerade mit der Eingliederung der heimatvertriebenen Bauern u. a. eine wesentliche Verbesserung der landwirtschaftlichen Betriebsgrößenstruktur erfolgt ist.Ich kann im Rahmen dieser Aussprache nicht auf alle möglichen anderen Mängel in diesem ganzen Komplex eingehen, z. B. die nach wie vor zu lange Dauer der Verfahren, diese vielfache Töpfchenwirtschaft usw. Ich möchte nur noch auf zwei Punktehinweisen, die mit diesem Antrag in Zusammenhang stehen.Da ist erstens die Frage der Einhaltung des Verteilungsschlüssels nach § 26 des Bundesvertriebenengesetzes. Unter dem 2. März haben wir endlich vom Ernährungsministerium eine angeblich vollständige Statistik über die Berücksichtigung von Vertriebenen und Einheimischen bei der Siedlung und der Eingliederung erhalten. Ich kann hier nicht im einzelnen darauf eingehen. Aber nach dem, was wir hierzu noch Ende vorigen Jahres im Bundesvertriebenenausschuß von derselben Seite gehört haben, daß das Ernährungsministerium eben keine echte, genaue Siedlungsstatistik geführt habe, nach dem, was u. a. im „Agrardienst" vom 9. Dezember 1960 über die vom Landesverband Oder/Neisse der CDU; CSU auf Grund des dort gehaltenen Referats von Regierungslandwirtschaftsrat Ruhenstroth getroffenen Feststellungen hierzu zu lesen war —viele sind ihm ja wegen seines Eifers in der Sache gram —, trifft gerade das hier zu, was der Vorsitzende des Rechtsausschusses des Bundestages nach einem Bericht der „Deutschen Bauernzeitung" zum Landwirtschaftsgesetz festgestellt hat, daß es nämlich eben einen Gesetzesbefehl enthalte, dem von seiten der Bundesregierung nicht entsprochen worden sei.So beträgt z. B. nach den in Ihrem Arbeitskreis getroffenen Feststellungen bei der Neusiedlung 1959 das vorgeschriebene Verhältnis nicht 1 : 2, sondern umgekehrt rund 2 : 1 zum Nachteil der heimatvertriebenen und geflüchteten Bauern. Es wird also über die jetzt vorgelegte Zusammenstellung des Ernährungsministeriums — sie ist zu schön, um wahr zu sein — noch eingehend zu reden sein.
— Aber meine sehr geehrten Damen und Herren, einmal muß das ja ausgesprochen werden!
— Ich verstehe, daß Ihnen das unbequem ist.
— Aber diese Feststellungen müssen nun einmal getroffen werden. Die Menschen draußen, die unter dieser unzulänglichen Regelung leiden, werden es Ihnen anrechnen.
Also lassen Sie mich zum Ende kommen. Ich habe dazu nur noch einige Sätze zu sagen. Im Grünen Plan heißt es hierzu, daß diese Hilfsmaßnahmen im wesentlichen Ende Dezember 1960 durchgeführt seinsollen und daß die Abwicklung der bis dahin ein-
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Rehsgeleiteten Konsolidierungsverfahren Anfang 1961 möglich sein soll.
Dementsprechend ist auch in den Erläuterungen zu Tit. 571 nur noch von Abwicklung der hier in Frage kommenden Verahren die Rede. Das bedeutet, wie es die vertriebenen Bauern in ihrem Schreiben vom 2. März - Herr Minister, das ist ja auch Ihnen bekannt, und es ist auch an die Abgeordneten gerichtet worden — zum Ausdruck gebracht haben, daß alle nicht bis zum 31. Dezember 1960 von den obersten Siedlungsbehörden namentlich gemeldeten Betriebe nicht mehr in die Aktion aufgenommen werden können.Herr Minister Schwarz, ich möchte in diesem Zusammenhang an Sie appellieren. Ich glaube, wir alle haben in dieser Frage nicht nur ein politisches Gesicht zu verlieren; wir haben auch einen menschlichen Ruf zu verlieren.Ich bitte Sie, bevor Sie über diesen Antrag, den der Kollege Krüger zu meinem Bedauern nicht begründet hat, abstimmen, Ihre Haltung noch einmal zu überprüfen. Lassen Sie es nicht dazu kommen, daß sich die heute schon große Erbitterung unter den Betroffenen weiter in der Richtung breit macht, in der sie am 24. Februar dieses Jahres in Bonn zum Ausdruck gekommen ist, nämlich so, daß die Betroffenen sich weiter — wie sie es zum Ausdruck gebracht haben — als Deklassierte fühlen und daß es mit der Siedlung und Eingliederung auf Grund des mit dieser Regelung unweigerlich verbundenen Abbaus schließlich Feierabend sein muß.
Das Wort hat der Abgeordnete Krüger.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Auf die Ausführungen unseres Kollegen Rehs muß ich nun doch noch eingehen, weil einige Gesichtspunkte einer Erwiderung bedürfen. Ich habe mich tatsächlich um diesen Antrag besonders bemüht. Aber sowohl in der Arbeitsgemeinschaft in der Fraktion wie in der Gesamtfraktion, darüber hinaus aber auch bei allen Ressorts habe ich ohne Schwierigkeiten die Zustimmung zu diesem Antrag erhalten. Das heißt, daß das Verständnis für die sich aus dem Siedlungsplan ergebenden Schwierigkeiten bei allen maßgebenden Persönlichkeiten in der Regierung vorhanden und daß deshalb diese Frage ohne weiteres so entschieden ist.
Was die Durchführung des Fünfjahresplans angeht, so war uns vor zwei Jahren nicht ganz klar, daß die Preisentwicklung ungünstig sein würde. Angesichts der Entwicklung der Baupreise und der Entwicklung der Landpreise haben wir es für notwendig gehalten, höhere Beträge zur Verfügung zu stellen, zumal vor allen Dingen auch höhere Anforderungen von seiten der Länder auf Grund der Anträge vorlagen,
Das hat dazu geführt, daß das Landwirtschaftsministerium schon vorher Ermittlungen anstellte, in
welchem Umfang Mittel zur Verfügung gestellt werden müßten. Sehr sorgfältige Untersuchungen haben ergeben, daß mit Einschluß der Mittel, die die Länder zur Verfügung zu stellen haben, rund 70 Millionen DM erforderlich sind und daß mit dem Betrag von 50 Millionen DM, der jetzt in ,der Bindungsermächtigung für den Finanzminister freigegeben werden soll, dem Bedarf dieses Jahres Genüge getan wird.
Bei dem Antrag haben wir es für erforderlich gehalten, am Schluß die Beteiligung der Länder mit hineinzubringen. Das war deshalb notwendig, weil ein großer Teil der Länder sich in der Vergangenheit nicht so beteiligt hat, wie es erforderlich war. Deswegen erschien es notwendig, diese Bedingung hineinzusetzen, um von dieser Stelle aus vor allen Dingen den Ressorts die Möglichkeit zu geben, dafür zu sorgen, daß die Länder ihren Verpflichtungen nachkommen. Damit ist die Möglichkeit, daß der Betrag von 50 Millionen DM in diesem Jahr ganz ausgeschöpft wird, in keiner Weise beeinträchtigt.
Ich darf nun noch etwas zur Frage der Betriebsfestigung sagen. Nach den bisherigen Feststellungen können die Anträge, die vorliegen, erledigt werden. Bei den neuen Anträgen, die eventuell noch herauskommen, sind neue Entscheidungen ohne weiteres möglich. Bei der bisherigen Lage war es so, daß die vorhandenen Anträge nach der bisherigen Regelung voll und ganz befriedigt werden konnten.
Ich bitte, dem Antrag zuzustimmen.
Weitere Wortmeldungen zum Antrag Umdruck 822? — Das ist nicht der Fall.
Dann kommen wir zur Abstimmung. Wer dem Antrag zustimmen will, der gebe das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Ich stelle einstimmige Annahme fest.
Ich rufe den Änderungsantrag Umdruck 805 Ziffer 1 - zu Tit. 572 b) — auf. Wer begründet ihn? — Das Wort hat der Abgeordnete Bading.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Gestatten Sie mir, daß ich gleich auch die Änderungsanträge unter den Ziffern 2 und 3 — zu Tit. 572 und 573 — begründe; die drei Anträge gehören inhaltlich zusammen.
Sie begründen nunmehr die Anträge Umdruck 805 Ziffern 1, 2 und 3.
Ja, ganz recht, Herr Präsident.Meine Damen und Herren, da wir am 24. Februar eine große Debatte über die Agrarpolitik geführt haben, glaube ich, im Einverständnis mit dem gesamten Hause zu handeln, wenn ich mich relativ kurz tasse.
– Ich danke vielmals für den Beifall.
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Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 151. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. März 1961 8661
BadingIch habe mich über die Ausführungen von Herrn Kollegen Dr. Conring gefreut. Nur sind sie ein bißchen spät gekommen. Eine halbe Stunde früher wären sie noch passender gewesen. Immerhin ist uns ja hier erfreulicherweise in der allgemeinen .Aussprache von Herrn Schmücker die Ansicht der Fraktion der CDU vorgetragen worden, und ich freue mich, feststellen zu können, daß er nicht nur so ein warmes Herz für die Landwirtschaft bekundet hat, sondern insbesondere auch betont hat, daß es auf eine gezielte Agrarpolitik ankommt. Er sagte, man sollte eine abgestufte Förderungspolitik im Interesse der bäuerlichen Familienbetriebe betreiben. Das ist wirklich ein außerordentlicher Fortschritt, den wir hier wahrnehmen und zur Kenntnis nehmen können. Denn ich nehme ja an, daß Herr Schmücker im Auftrage der Gesamtfraktion gesprochen hat.Die Anträge zur Agrarstrukturverbesserung haben wir schon im Ernährungsausschuß gestellt. Dort sind sie mit 11 gegen 10 Stimmen bzw. mit Stimmengleichheit abgelehnt worden. Hätte es nur noch eine Stimme mehr für unsere Anträge gegeben, hätten wir uns hier gar nicht damit zu beschäftigen brauchen. Immerhin, dieses relativ günstige Abstimmungsergebnis für eine Verbesserung der Agrarstrukturmaßnahmen ist ein Silberstreifen am Horizont der CDU-Erkenntnis.
Die Einsicht wächst zweifelsohne, und nicht etwa nur bei der Regierungspartei, sondern auch bei der Regierung. Die Mittel für die Agrarstrukturverbesserung, für Flurbereinigung, Aufstockung, Aussiedlung sind von 80 Millionen DM im Jahre 1956 auf 405 Millionen DM im Jahre 1961 erhöht worden. Nur reicht das leider Gottes nicht ganz aus. Die Kosten für die Flurbereinigung wie auch für die Aussiedlung sind bekannterweise infolge der allgemeinen Preissteigerung gestiegen. Deshalb beantragen wir, den Ansatz von 175 Millionen DM um 15 Millionen DM zu erhöhen.Im vorigen Jahr ist erstmalig eine Fläche von 256 000 ha flurbereinigt worden. Das ist ein Ergebnis, das man noch vor einigen Jahren für eine absolute Phantasie gehalten hätte. Es ist außerordentlich erfreulich, daß das Tempo jetzt etwas beschleunigt wird. Wir können aber diese Fläche in diesem Etatjahr nicht flurbereinigen, wenn der Ansatz nicht erhöht wird; denn die angesetzten Mittel reichen nicht für die gleiche Fläche aus.Im übrigen muß ich noch etwas sagen. Wir haben beantragt, einen neuen Untertitel „Vorfinanzierung der Flurbereinigung" mit einem Ansatz von 70 Millionen DM einzusetzen. Die Vorfinanzierung hat sich in Hessen und Nordrhein-Westfalen sehr gut bewährt. Es soll der Teil der Kosten, der von den Beteiligten zu tragen ist, vorgeschossen werden. Dadurch wird erstens die Bereitschaft zur Flurbereinigung erhöht, zweitens wird der Verwaltungsgang sehr stark vereinfacht. Deswegen ist es notwendig, daß wir hier einen besonderen Betrag einsetzen.Bei den Mitteln für die Aussiedlung und Aufstockung — sie wurden von 288 Millionen DM auf310 Millionen DM erhöht - ist ein Schönheitsfehler enthalten. In dem Betrag stecken nämlich 70 Millionen DM für die Alterssicherung. Gestern wurde bei der Beratung des Sozialetats von der Mehrheit dieses Hauses der Antrag abgelehnt, im Sozialhaushalt einen entsprechenden Posten einzusetzen. Damit die Aussiedlung und Aufstockung weitergehen können, sehen wir uns jetzt gezwungen, eine Erhöhung des Postens um 70 Millionen DM vorzuschlagen.In den Jahren 1956 bis 1959 — die Zahlen für 1960 liegen mir noch nicht vor — sind insgesamt 6145 Aussiedlungen vorgenommen worden. Auch hier hatte die Steigerung der Baukosten zur Folge, daß die vorgeschriebenen Kredithöchstsätze nicht mehr ausreichen. Wir brauchen also diese 70 Millionen DM unbedingt, damit die Aussiedlung und die Aufstockung fortgesetzt werden können.Wir müssen uns darüber klar sein, daß es gilt, eine möglichst große Zahl von Familienbetrieben so zu gestalten, daß sie auf Grund ihrer Produktivität und ihres Arbeitseinkommens eine echte Ackernahrung darstellen. Der Begriff der Ackernahrung ist ja nicht etwas Festliegendes, sondern er wandelt sich mit der Entwicklung des allgemeinen Wohlstandes; außerdem ist er von dem Intensitätsgrad abhängig, in dem diese Betriebe wirtschaften. Man kann feststellen, daß in den letzten zehn Jahren mit der Steigerung des Wohlstandes in der Bundesrepublik auch eine starke Anhebung der untersten Grenze der Ackernahrung zu verzeichnen war. Deswegen stellen die Aufstockung und die Aussiedlung wichtige agrarpolitische Maßnahmen dar. Ich möchte davon absehen, auf die einzelnen Methoden einzugehen — das hatte ich eigentlich vor —, weil die Zeit zu weit fortgeschritten ist; wir sollten das im Ausschuß tun.Ich bitte Sie, unsere Anträge unter den Ziffern 1, 2 und 3 des Umdrucks 805 anzunehmen.
Wird das Wort dazu gewünscht? — Das ist nicht der Fall. Dann kommen wir zur Abstimmung.Wir stimmen zunächst über den Änderungsantrag Umdruck 805 Ziffer 1 ab. Wer zustimmen will, gebe das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen?— Das zweite war die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt.Nunmehr stimmen wir über den Änderungsantrag Umdruck 805 Ziffer 2 ab. Wer zustimmen will, gebe das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen?— Mit großer Mehrheit bei wenigen Enthaltungen abgelehnt.Änderungsantrag Umdruck 805 Ziffer 3. Wer zustimmen will, gebe das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Mit großer Mehrheit bei einigen Enthaltungen abgelehnt.Nunmehr rufe ich den Änderungsantrag auf Umdruck 818 auf. Dieser Antrag ist durch die Ablehnung des Änderungsantrags zu Einzelplan 11 auf
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8662 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 151. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. März 1961
Vizepräsident Dr. SchmidUmdruck 817 erledigt. Ziehen die Antragsteller den Antrag zurück?
— Der Antrag wird zurückgezogen; dann ist auch das erledigt.Ich rufe den Änderungsantrag zu Tit. 574 auf Umdruck 805 Ziffer 4 auf.Das Wort hat der Abgeordnete Welslau.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Meine Fraktion beantragt, den Tit. 574 — Ausbau der Wirtschaftswege — um 20 Millionen DM von 70 Millionen auf 90 Millionen DM zu erhöhen. Wegen der ständig zunehmenden Technisierung und Motorisierung in der Landwirtschaft ist ein fest ausgebautes Wegenetz erforderlich. Die schlechten Witterungsverhältnisse im Herbst vergangenen Jahres haben bewiesen, daß die Motorfahrzeuge in solch einer Zeit nicht eingesetzt werden können, wenn schlechte Wegeverhältnisse vorhanden sind. Der Einsatz der Schlepperfahrzeuge ist für den Landwirt überhaupt nur dann rentabel, wenn er größere Lasten mitführen und eine erhöhte Geschwindigkeit auf den Wegen erreichen kann.
Die Kosten für den Ausbau von Wirtschaftswegen sind natürlich sehr unterschiedlich. In der Marsch, im Küstengebiet und im Moor sind die Kosten wegen der Untergrundverhältnisse bedeutend höher als bei normalen Bodenverhältnissen, ebenso in den Höhenlagen. Dort haben wir vielfach eine Hanglage zu verzeichnen. Dann sind ,die Gemeinden bzw. auch die Landwirte gezwungen, nicht nur Straßen mit wassergebundenen Decken, sondern auch Straßen mit sogenannten Schwarzdecken zu bauen. Diese verursachen ganz enorme Kosten. Die Gemeinden sind durch die ständig zunehmende Motorisierung praktisch schon gezwungen, überall Schwarzdecken zu bauen. Denn das allgemeine Reifenprofil reißt die wassergebundenen Decken immer wieder auf.
Die Wirtschaftswege befinden sich aber zum größten Teil in Landgemeinden, die praktisch nur ein Steueraufkommen aus der Grundsteuer A haben. Diese Einnahme ist, wie Sie wissen, seit 25 Jahren konstant geblieben. Diese Landgemeinden können sich nicht auf die Gewerbesteuer stützen, wie das vielfach anklingt, wenn man über Gemeinden und Finanzkraft spricht. Bei der Berechnung der Finanzzulagen für die Gemeinden wird bisher nur die Kinderzahl, der Flüchtlingsanteil und dergleichen zugrunde gelegt, nicht aber die Struktur. Folglich kommen gerade die Landgemeinden mit Streusiedlungen immer wieder in Nachteil.
Da ist es einfach erforderlich, die Finanzkraft dieser Gemeinden durch eine echte Beihilfe für den Ausbau von Wirtschaftswegen zu stärken. Wir sollten uns bemühen, gerade diesen sogenannten A-Gemeinden höhere Beihilfen für den Ausbau von Wirtschaftswegen zu geben. Es hat sich gezeigt, daß die vorliegenden Anträge bei den zur Verfügung stehenden Kreditmitteln und Beihilfen nicht berücksichtigt werden konnten. So sind viele Landgemeinden schon von vornherein davon abgegangen, Anträge zu stellen. Diesen Papierkrieg, der in Gang gesetzt werden muß und bei dem vielleicht nach einem Vierteljahr die Mitteilung kommt: „Ihr Antrag konnte leider nicht berücksichtigt werden, da die Mittel nicht ausreichen", kann man der Landwirtschaft nicht zumuten. Wenn auf der einen Seite die Technisierung und die Motorisierung hohe Investitionen erfordern, dann muß man auch die Voraussetzungen für solche Investitionen im Wegebau schaffen. Denn die Reparaturkosten kann der Bauer
einfach nicht bezahlen. Er hat die Maschinen noch nicht völlig bezahlt, und schon fallen auf Grund schlechter Wegeverhältnisse irgendwelche Reparaturkosten an, die ihn dann enorm belasten.
Ich möchte Sie daher bitten, meine Damen und Herren, im Interesse unserer Landwirte und auch gerade dieser Landgemeinden, der sogenannten A-Gemeinden, unserem Antrag Ihre Zustimmung zu geben.
Herr Präsident, ich möchte darum bitten, daß ich auch gleich den Antrag unter Ziffer 5 begründen darf.
Begründen Sie gleich den Antrag Umdruck 805 Ziffer 5!
Meine Damen und Herren, bei Tit. 576 — Ländliche Wasserversorgung, Kanalisation, Abwasserbeseitigung und -verwertung — beantragt meine Fraktion ebenfalls eine Erhöhung, und zwar um 10 Millionen DM von bisher 30 Millionen DM auf 40 Millionen DM. Den Mitgliedern des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten ist eine Drucksache von dem Herrn Minister zugegangen, in der eine Aufstellung über die Situation der Wasserversorgung auf dem Land gegeben wird. Es wird darauf hingewiesen, daß am 1. April 1960 31 000 Ortschaften mit zusammen 5,8 Millionen Einwohnern und 3,6 Millionen Stück Großvieh nicht aus einer zentralen Wasserversorgungsanlage versorgt wurden. Hier handelt es sich um rund 6400 Gemeinden mit rein ländlichem Charakter. In den Ländern Schleswig-Holstein und Niedersachsen sind mehr als die Hälfte der Bewohner auf dem Lande ohne ordnungsgemäße Wasserversorgung.Der Ausbau einer zentralen Wasserversorgung und Abwasserbeseitigung verursacht natürlich, insbesondere in den Landgemeinden mit ihren Streusiedlungen, erhebliche Kosten. Selbst dadurch, daß die Gemeinden hohe Anschlußgebühren von den einzelnen Grundstücksanliegern erheben, wird kein tragbarer Wasserpreis erzielt werden können. In den Richtlinien geht man davon aus, daß ein Wasserpreis von 55 Pf je cbm und bei der Abwasserbeseitigung eine Kanalgebühr von 12 DM je Person zumutbar sei. Das bedeutet, daß man dem Landvolk viel höhere Kosten zumutet als der städtischen Bevölkerung. Da nun einmal die Landwirtschaft, insbesondere durch das Großvieh, enorme Wassermengen beansprucht, ist es dringend notwendig, die Beihilfen, insbesondere auch die zinsverbilligten Dar-
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Welslaulehen für die kleinen Landgemeinden zu erhöhen; denn ohne ausreichende Beihilfen und zinsverbilligte Darlehen für die kleinen Gemeinden können die Maßnahmen einfach nicht getroffen werden.In der letzten Zeit ist viel von der Notwendigkeit gesprochen worden, die Bäuerin zu entlasten. In vielen kleinbäuerlichen Betrieben ist gerade die Bauersfrau verpflichtet, irgendeinen Viehstall, sei es der Schweinestall, sei es der Kuhstall, mitzuversorgen. In den Ställen werden große Mengen von Wasser verbraucht. Dabei erleben wir vielfach, daß die Bäuerin das Wasser eimerweise in die Ställe tragen muß. Wir können also gerade unserer Bäuerin eine wirksame Hilfe leisten, wenn wir den kleinen Landgemeinden mit überwiegend bäuerlichen Betrieben die Möglichkeit geben, eine zentrale Wasserversorgung einzurichten, ganz abgesehen von der Bedeutung, die die Wasserversorgungsanlagen und Abwässereinrichtungen wegen der gesundheitlichen Erfordernisse haben. Hierüber ist bereits in der Debatte über die Finanzlage der Gemeinden einiges gesagt worden.Ich möchte Sie daher bitten, unseren Antrag anzunehmen. Er liegt gerade im Interesse unserer Bauersfrauen. Es ist dringend notwendig, daß alle Landgemeinden, insbesondere die sogenannten A-Gemeinden mit bäuerlichen Betrieben, die Möglichkeit erhalten, eine zentrale Wasserversorgungs- und Abwässeranlage zu erstellen.
Wird dazu das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall.
Wir kommen zur Abstimmung. Zunächst stimmen wir ab über den Änderungsantrag Umdruck 805 Ziffer 4. Wer zustimmen will, gebe bitte das Handzeichen. — Ich befürchte, es wird einen Hammelsprung geben. — Bei dieser Besetzung kann eine Hand, die sich noch erhebt, die Mehrheit bedeuten. — Wir müssen die Abstimmung wiederholen. Wer zustimmen will, den bitte ich, sich zu erheben. — Gegenprobe! — Das zweite ist die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt.
Wir stimmen nunmehr über den Änderungsantrag Umdruck 805 Ziffer 5 ab. Wer zustimmen will, gebe bitte das Handzeichen. — Gegenprobe! —Das zweite ist die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt.
Ich rufe nunmehr den Änderungsantrag Umdruck 805 Ziffer 6 auf. Wer begründet? — Das Wort hat der Abgeordnete Bading.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Für die Förderung des Einsatzes von Maschinen und technischen Anlagen, insbesondere für die gemeinschaftliche Anwendung von Maschinen, ist ja schon bei den zusätzlichen 300 Millionen DM ein kleiner Betrag eingesetzt worden. Wir halten aber die einmalige Einsetzung eines solchen Zusatzbetrages für völlig unzureichend, außerdem halten wir es insgesamt für notwendig, daß für diese Sache 30 Millionen DM im Etat vorgesehen werden. Für die nichtlandwirtschaftlichen Abgeordneten unter
Ihnen sei lediglich bemerkt, daß es sich um eine der wichtigsten Aufgaben für die Förderung der kleineren bäuerlichen Betriebe handelt.
Der Kapitalbesatz an Maschinen steigt in den kleineren Betrieben — pro ha gerechnet — außerordentlich hoch an. Es ist das einzige Mittel, das die kleineren Betriebe gegenüber den größeren konkurrenzfähig macht. Deswegen ist es unbedingt notwendig, daß die überbetriebliche Maschinenverwendung gefördert und weiter ausgedehnt wird.
Es sei bemerkt, daß sich auch die Gemeinschaftsmaschinen, die also nicht von Lohnunternehmern der Landwirtschaft zur Verfügung gestellt werden,
' sondern im Besitz von bäuerlichen Gemeinschaften sind, betriebswirtschaftlich bedeutend besser auswirken. Aus den angestellten Kalkulationen hat sich ergeben, daß z. B. bei einem betriebseigenen Mähdrescher — ohne Strohbergung und Kornabfuhr — der Satz pro ha 80 DM beträgt, beim Lohnunternehmer dagegen 110 bis 120 DM. Auch hier ist wiederum erwiesen, daß die bäuerlichen Maschinengemeinschaften für den Bauern wertvoller sind als die Lohnunternehmungen.
Ich kann auch den Kollegen vom Haushaltsausschuß sagen, daß gerade diese Mittel besonders gut angewendet werden. Ich habe hier einige Zahlen aus Hessen. Dort sind in den Jahren 1956 bis 1960 für 74 Millionen DM Maschinen angeschafft worden, und zwar mit einem Eigenkapital von 30 Millionen DM und mit Zuschüssen von 618 000 DM. Das bedeutet, daß mit Hilfe dieser Zinszuschüsse in Höhe von 618 000 DM ein Fremdkapital von 34 Millionen DM bewegt und angelegt worden ist und daß die Bauern 30 Millionen DM aus eigener Tasche hinzugezahlt haben.
Gerade aus diesem Grunde möchte ich Sie bitten, diesem Antrag, weil er eine besonders gute Verwendung öffentlicher Mittel zum Inhalt hat, zuzustimmen. Im übrigen darf ich noch folgendes sagen. Wenn Sie diesem Antrag nicht zustimmen sollten, würden Sie sich in einen direkten Gegensatz zu den Ausführungen Ihres Kollegen Schmücker setzen.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Conring.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Einzelanträge, die von der SPD hier zusammengestellt sind, basieren darauf, daß 185 Millionen DM, nämlich die Düngemittelsubvention gestrichen werden soll und daß die dadurch frei werdenden Beträge für allerhand nützliche Zwecke, wie ich gern einräumen will, eingesetzt werden sollen.
— Nützliche Zwecke. Dabei gehen Sie noch etwas über die 185 Millionen DM hinaus. Sie beantragen nämlich, wenn ich das richtig überschlagen habe, insgesamt 208 Millionen DM.
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Dr. ConringMeine Damen und Herren, sicher sind die Dinge, die Sie dort erwähnen, wie eben der letzte Herr Vorredner gesagt hat, nützliche Dinge. Das ist ja auch dadurch anerkannt worden, daß in den einmaligen Zuwendungen, dem 300-Millionen-DM-Fonds, z. B. der Ansatz für Maschinen verdoppelt worden ist.
Auch das andere ist nützlich. Aber, meine Damen und Herren, es handelt sich hier um eine grundsätzliche Frage, die ich zu sehen bitte. Wer die Streichung der Düngersubvention vornehmen will — und das wollen wir nicht —, der könnte Ihren Anträgen mehr oder weniger zustimmen. Wenn Sie Deckungsvorschläge bringen würden, die auch wir akzeptieren könnten, würden wir sicher nicht gegen Ihre Einzelanträge polemisieren. Aber solange Sie allen Ihren noch so nützlichen Anträgen damit glauben zum Erfolg verhelfen zu können, daß Sie die Düngersubvention streichen, werden Sie unsere Zustimmung nicht finden können.Das sind politische Ansichtssachen. Das braucht nicht immer so zu sein. Im Augenblick ist das die Auffassung der CDU zu der Frage der Düngersubvention, über die der Herr Minister früher schon einige Worte verloren hat. Deshalb bitte ich Sie, zu begreifen, daß wir Ihre Anträge nicht etwa aus irgendwelchen anderen Gründen ablehnen; das tun wir nicht. Wenn wir diese Anträge ablehnen, so tun wir es aus dieser politischen Einstellung, ohne daß wir Ihnen selbstverständlich irgendwie die Möglichkeit beschneiden möchten, die guten Gründe, die vielleicht für Ihre Einzelanträge sprechen, hier vorzutragen. Das möchte ich hervorgehoben haben.Es soll nicht der Zweck meiner Ausführungen sein, Ihnen Ausführungen vorwegzunehmen oder sie vorweg abzulehnen. Das liegt mir völlig fern. Ich wollte nur dazu beitragen, etwas Aufklärung darüber zu schaffen, warum wir diese Anträge ablehnen müssen.
Keine weiteren Wortmeldungen.
Wir stimmen ab über den Antrag Umdruck 805 Ziff. 6. Wer zustimmen will, hebe die Hand. — Gegenprobe! — Das ist die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt.
Ich rufe nunmehr den Änderungsantrag Umdruck 820 Ziffer 1 zu Tit. 580 b auf. Wer begründet? — Abgeordneter Mauk!
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Gartenbau ist in einer besonderen Not durch die Entwicklung in der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und muß, um konkurrenzfähig zu bleiben, seine Glasflächen, die bisher zu einem großen Teil aus Niederglasanlagen, Kastenglasanlagen bestehen, so schnell wie möglich auf Hochglas umstellen. Nach den bisherigen Erhebungen wären für dieses Haushaltsjahr mindestens 8 Millionen DM notwendig. Ich habe mich aber sehr beschränkt, weil ich weiß, daß es vielleicht nicht mehr möglich ist, die Maßnahme auf einmal durchzuführen. Ich bitte jedoch, den bisherigen Ansatz von 2 Millionen DM um weitere 2 Millionen DM auf 4 Millionen DM zu verdoppeln. Das entspricht nur der Hälfte dessen, was unbedingt notwendig wäre.
Ich bitte Sie, dem Antrag zuzustimmen.
Wird das Wort gewünscht? – Das ist nicht der Fall. Dann stimmen wir ab. Wer dem Antrag Umdruck 820 Ziffer 1 zustimmen will, gebe das Handzeichen. — Gegenprobe! — Das ist die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt.
Ich rufe den Antrag Umdruck 805 Ziffer 7 zu Tit. 601 und anschließend den Antrag Umdruck 803 Ziffer 1 auf.
Zur Begründung des Antrags Umdruck 805 Ziffer 7 Abgeordneter Bading.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich darf in der Begründung der Reihe unserer Anträge fortfahren.
Es handelt sich hier um ein bestimmtes Institut, das mit Hilfe der Bundesregierung in Berlin an der Technischen Universität errichtet worden ist, und zwar um das im Jahre 1959 gegründete Institut für ausländische Landwirtschaft. Bei den Anfangsbesprechungen war man sich von vornherein darüber klar, daß eine ganze Reihe von Assistenten an diesem Institut arbeiten muß, wenn es überhaupt seinen Zweck erfüllen soll. Der Sinn dieses Instituts ist nicht nur — was auch eine sehr wichtige Aufgabe ist —, die Kenntnis der ausländischen Landwirtschaft zu vermitteln, die im Rahmen des Zusammenwachsens Europas notwendig ist, sondern ganz besonders auch, Sachverständige für die sogenannten Entwicklungsländer auszubilden. Es ist völlig sinnlos, ein solches Institut zu gründen, wenn man es nicht mit genügend Mitteln ausstattet.
Bei den Vorverhandlungen ist die Bemerkung gefallen, daß die Länder reich seien und der Bund so schrecklich arm sei; daher sollte, wenn eine Erhöhung notwendig sei, das Land die Mittel aufbringen. Dieser Hinweis ist beim Land Berlin völlig fehl am Platze. Man kann natürlich darüber streiten, ob der Sitz dieses Instituts in Berlin richtig gewählt ist oder ob man es nicht an einem anderen Universitätsort hätte unterbringen sollen. Aber das ist eine cura posterior. Erst einmal gilt es, das Institut tatsächlich arbeitsfähig zu machen.
Wir bitten Sie deshalb, unserem Antrag, den Bundeszuschuß auf 200 000 DM zu erhöhen, zuzustimmen.
Das Wort wird weiter nicht gewünscht.Wer dem Antrag Umdruck 805 Ziffer 7 zustimmen will, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! Das ist die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt.
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Vizepräsident Dr. SchmidDas Wort zur Begründung des Antrags Umdruck 803 Ziffer 1 hat der Abgeordnete Ritzel.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bin begierig, zu erleben, ob das Fallbeil der CDU stärker ist als der Geist des heiligen Franz von Assisi.
— Lachen Sie! — Es handelt sich um einen Antrag zugunsten des Tierschutzes. Wir haben einen 48-
Milliarden-Haushalt. Dieser Antrag bezweckt die Mehrbewilligung von 32 000 DM. Ich kann mir gut vorstellen, daß sich angesichts der Tierfreundlichkeit, die zumindest bei der augenblicklichen Besetzung des Hohen Hauses bei einigen seiner Mitglieder vorhanden ist, eine Mehrheit für den Antrag ergibt.
Wir beantragen, in Tit. 601 den Ansatz um 18 000 DM zu kürzen und dafür einen neuen Tit. 610 mit einem Ansatz von 50 000 DM und der Zweckbestimmung „Förderung von Maßnahmen und Bestrebungen zugunsten des Tierschutzes" einzufügen. Das ist wirklich kein unbilliges Verlangen. Die Tierquälereien in der Bundesrepublik füllen die Spalten der Tageszeitungen. Es wäre sehr wertvoll, wenn auch in der CDU die Bereitschaft bestünde, für Zwecke des Tierschutzes 32 000 DM mehr zu bewilligen.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Conring.
Dr. Conring : Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es gibt wohl keinen hier im Hause, der nicht mit Ihnen, Herr Ritzel, Ehrfurcht vor dem Leben auch der Tiere empfindet.
Es ist für jeden naturliebenden Menschen, aber auch für jeden anderen einigermaßen empfindsamen Menschen eine Selbstverständlichkeit, Ehrfurcht vor jeder Art des Lebens zu haben.
Der vorliegende Antrag wurde im Haushaltsausschuß zur Sprache gebracht und dort abgelehnt. Die Förderung dieser Angelegenheiten ist ganz sicher nicht in dem Umfang, wie Herr Kollege Ritzel sich das vorstellt, eine Angelegenheit des Bundes. Der Bund hat seit vielen Jahren dein Zentralen Tierschutzverein in Frankfurt eine Beihilfe gegeben. Auch in diesem Jahre sind wieder 18 000 DM vorgesehen. Daß der Bund einen solchen nützlichen Zweck erfüllt, dem Zentralverein eine Beihilfe für seine Arbeit zu geben, das sieht jeder ein. Aber Sie, Herr Ritzel, wollen darüber hinausgehen. Sie wollen, daß der Bund sich jetzt auch mit Tierschutzheimen beschäftigt. Ich glaube, die Tierschutzheime zu errichten und zu unterhalten, ist doch wirklich eine Angelegenheit der Gemeinden und Gemeindeverbände und, wenn Sie allenfalls wollen, der Länder, die diese Vereinigungen ihrerseits unterstützen.
Wir können uns bei noch so guter Erinnerung an Franz von Assisi doch nicht davon überzeugen lassen, daß der Bund alle diese Angelegenheiten mehr oder weniger in seine Förderung einbeziehen soll. Aus diesem Grunde hatten wir Sie, Herr Ritzel, schon seinerzeit im Haushaltsausschuß gebeten, Ihre Anträge zurückzustellen. Aber Sie hatten sich nicht überzeugen lassen, obwohl auch einige Kollegen Ihrer Fraktion unsere Bedenken dagegen, Bundesmittel einzusetzen, mit uns teilten.
Ich bitte Sie aus diesen Gründen, die Anträge, die Herr Ritzel auf Umdruck 803 gestellt hat, abzulehnen.
Wird das Wort weiter gewünscht? — Das ist nicht der Fall.
Dann stimmen wir ab. Wer dem Antrag Umdruck 803 Ziffer 1 zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Das ist die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt.
Meine Damen und Herren, an und für sich müßte jetzt vertagt werden, es ist 9 Uhr; aber die Herren über unser aller Geschick, die Herren Fraktionsführer, haben vereinbart, daß wir noch eine halbe Stunde weitertagen werden.
Wir fahren fort. Ich rufe den Antrag Umdruck 805 Ziffer 8 auf. Das Wort hat der Abgeordnete Schoettle.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich will nicht an die Damen und Herren der Mehrheitsfraktion appellieren, wenn ich jetzt zu dem Tit. 604 und zu dem Antrag meiner Fraktion spreche, die dort veranschlagten Mittel von 2 Millionen DM um 1 Million DM auf 3 Millionen DM zu erhöhen. Dieser Antrag ist auch im Haushaltsausschuß gestellt worden, aber die Beschlüsse des Haushaltsausschusses sind schließlich nicht Evangelium, und die zweite Beratung im Plenum dieses Hauses ist ja schließlich dazu da, nach Möglichkeit auch noch den Willen des ganzen Hauses zum Durchbruch zu bringen.Wir haben im Ausschuß den Antrag gestellt, die Mittel für die Schaffung von Naturparken zu erhöhen. Wie Sie wissen, ist die Schaffung von Naturparken Gegenstand der Tätigkeit einer privaten Organisation, des Vereins Naturparke e. V. in Stuttgart. Stuttgart ist aber nicht der Grund, warum ich zu diesem Titel spreche. Ich habe den Antrag nicht gestellt, weil ich zufällig aus Stuttgart komme, sondern weil ich wirklich für die Sache selber werbe. Sicher ist auch Ihnen bekannt, daß die aus privater Initiative entstandene Organisation unter der Führung von Herrn Alfred Tüpfer in Hamburg einen sehr nützlichen und für die Volksgesundheit wichtigen Zweck verfolgt. Angesichts der zunehmenden Verstädterung und der wachsenden Ausdehnung der Industrie, auch auf das flache Land hinaus, scheint es unerläßlich zu sein, diese Bestrebungen zu fördern und die Schaffung von Oasen der Ruhe und der ungestörten Landschaft zu ermöglichen.Ich will nicht auf die Problematik eingehen, die zweifellos auch in einer solchen Entwicklung, in einer solchen Tätigkeit liegt. Wir wissen das alle.
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SchoettleAber diese Probleme muß man auf eine andere Weise meistern. Die Aufgabe wird neben den Mitteln, die der Bund gibt, auch von anderer Stelle unterstützt, z. B. von den Ländern, Städten usw. Aber sie ist auch zentral zu sehen. Es ist eine, ich will nicht sagen, Ehrensache — das wäre vielleicht ein falscher moralischer Begriff, den ich in die Diskussion hineinbrächte —, aber es ist eine dem Bund zufallende Aufgabe, diese Dinge zu unterstützen. Er muß nach unserer Auffassung mehr tun, als er bisher getan hat. Ich bitte Sie, einmal nicht daran zu denken, daß etwa die Subventionen um 1 Million gekürzt werden können, sondern daran, welcher Zweck damit verfolgt wird. Ich bitte, diesem Antrag zuzustimmen.
Das Wort hat der Abgeordnete Schmidt .
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Nichts läge näher, als daß ich, der ich Mitglied des Kuratoriums für Naturparke bin, nun hier mit ausgesprochener Wärme Sie auffordern würde, diesem Antrag zuzustimmen.
— Das hatte ich Ihnen sagen lassen, Herr Schoettle; deshalb wußten Sie es.
Ich bedaure, das heute nicht tun zu können. Ich bin ein leidenschaftlicher Naturfreund und ein leidenschaftlicher Anhänger dieser Bewegung und Sache; aber es wäre nun völlig falsch, zu meinen —ehe ich überhaupt auf die Zuständigkeitsfrage komme —, der Verein für Naturparke, der vor wenigen Jahren gegründet wurde, sei in Deutschland etwas Neues. Wir haben Naturparke seit mehr als 50 und 60 Jahren. Ich darf nur hier an das Siebengebirge erinnern oder an das große Gebiet der Verschönerungsvereine Wuppertal, Remscheid, Solingen, also meiner Heimat, wo ein gewaltiges Naturschutzgebiet — und jetzt kommt das Entscheidende — schon vor 50 und 60 Jahren durch rein private Initiative, durch die Selbstverantwortung der Bürger, geschaffen worden ist.
Was hier an Ausuferung und Ausdehnung der Projekte — in den letzten zwei Jahren auf jetzt über 20 Projekte in Deutschland! —, geschieht, erfolgt, ohne daß unten eine wirklich entscheidende Initiative der Bürger zu bemerken wäre, mit Ausnahme einiger weniger Fälle; ich denke jetzt an die Lüneburger Heide und einen anderen Fall. Es geschieht tatsächlich ohne eine wirklich entscheidende Initiative unten, und auch ohne daß ein Verständnis der Länder vorhanden ist. Dabei handelt es sich in allererster Linie, vielleicht sogar ausschließlich, um eine Zuständigkeit der Länder; denn es geht um die Natur- und Landschaftspflege und letzten Endes um örtliche bzw. überörtliche Erholungsgebiete, ebenfalls Aufgaben, die den Ländern zufallen.
Was haben die Länder nun geleistet? Auf die vom Bund bereitgestellten Mittel für Naturparke in
Höhe von 840 000 DM im Jahre 1958 ist von den Ländern ein Betrag von 141 500 DM geleistet worden. Das ist keinerlei Verhältnis von Landes- und Bundesleistungen angesichts der ganz sicher vorrangigen Zuständigkeit der Länder. Im Jahre 1959 ist es nicht viel besser gewesen. Auf Mittel des Bundes in Höhe von 1 228 000 DM kommen 239 000 DM an Leistungen der Länder. Ich habe gerade in diesen Tagen den Voranschlag für 1961 bekommen. In der Gesamtrechnung ist das veranschlagte Verhältnis besser; aber darunter befinden sich einzelne Projekte, bei denen man nur staunen kann, daß uns so etwas vorgelegt wird. Wenn ich beispielsweise sehe, daß für die Südeifel das Land 8000 DM gibt, der Bund aber 80 000 DM zahlen soll, ist das einfach nicht in Ordnung, dies um so weniger nach den jüngsten Erklärungen der Herren Ministerpräsidenten Ehard, Minister Maunz und Ministerpräsident Dr. Meyers in Mainz. In einem Artikel in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung" vom heutigen Tage von Günther Gillessen heißt es:
Nach den Erklärungen Ehards, Maunz und Meyers geht es vor allem um den Anspruch der Länder, ihre eigenen Angelegenheiten auch dann in eigener Regie zu betreiben, wenn sie überregionale Bedeutung haben.
Und weiter:
Auch die indirekten Eingriffsmöglichkeiten des Bundes durch Finanzzuschüsse werden aufs Korn genommen.
Meine Damen und Herren, wenn irgendwo und irgendwann, dann ist es in dieser Sache notwendig, von diesem Platze aus den Ländern zu sagen, daß sie ihre eigenen Angelegenheiten mit Schwergewicht zu betreiben haben. Das ist für mich der entscheidende Grund, zu sagen: zunächst einmal die Selbstverantwortung der Bürger in Bewegung setzen und dann die Initiative der Länder! Dann mag der Bund aus allgemeinen Gesichtspunkten eine Spitzenfinanzierung leisten, damit ein großes Projekt würdig im Sinne unserer Nation verwirklicht werden kann, aber darüber hinaus nicht mehr.
Deshalb bitte ich, den Antrag der SPD abzulehnen.
Keine weiteren Wortmeldungen. Dann kommen wir zur Abstimmung.
Wer dem Antrag auf Umdruck 805 Ziffer 8 stattgeben will, den bitte ich, die Hand zu erheben. — Gegenprobe! — Das ist die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt.
Ich rufe auf den Antrag auf Umdruck 820 Ziffer 2. Er ist zu Titel 607 gestellt. Das Wort zur Begründung hat Abgeordneter Mauk.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Was ich vorhin für den Obst-, Gemüse- und Gartenbau ausgeführt habe, trifft auch auf den Weinbau zu. Er kommt in die größten Schwierigkeiten durch die Überführung in
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Maukdie EWG, und wir beraten zur Zeit ein Weinbaugesetz bzw. ein Überleitungsgesetz. Wir müssen aber im voraus den Winzern die Möglichkeit geben, sich mit Selbsthilfeeinrichtungen möglichst selbst zu helfen. Deshalb unser Antrag, die angesetzten Beträge um 2 Millionen DM zu erhöhen. Ich bitte, diesem Antrag zuzustimmen.
Wird das Wort dazu gewünscht? — Das ist nicht der Fall. Wer dem Antrag auf Umdruck 820 Ziffer 2 zustimmen will, der möge die Hand erheben. — Gegenprobe! — Das ist die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt.
Der Antrag auf Umdruck 803 Ziffer 2 zu Titel 610 ist erledigt durch Ziffer 1. Einverstanden?
Dann die Anträge auf den Umdrucken 809 und 821 zu Titel 613. Der Antrag auf Umdruck 821 geht weiter als der auf Umdruck 809. Der Umdruck 821 ist schon begründet.
Dann kommen wir zur Abstimmung über den Antrag Umdruck 821, wenn das Wort zu dem Antrag nicht gewünscht wird. — Das scheint nicht der Fall zu sein. Wer zustimmen will, der gebe das Handzeichen. — Das sind die Fohlen, Zuchtstuten usw. — Gegenprobe! — Das ist die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt.
Der Antrag Umdruck 809 ist der weniger weitgehende. Wer begründet? — Abgeordneter Rehs!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In der Hoffnung, daß ich Ihr Wohlwollen für meinen Antrag erhalte, werde ich auf eine eingehende Begründung verzichten und mich auf drei kurze Hinweise beschränken. Erstens. Der Bunderat und sogar der Ernährungsausschuß hatten die Wiederherstellung des Titels 613 befürwortet. Zweitens. Der Oberlandstallmeister Heling hat in seinem Gutachten vom 1. September 1960, das Ihnen und auch dem Ernährungsministerium ja bekannt ist, festgestellt, daß alle bisherigen Aufwendungen für diese Zuchteinrichtungen praktisch vergeblich sind, wenn jetzt die Unternehmungen eingestellt und die Gestüte aufgelöst werden müssen. Drittens — das geht insbesondere an die Haushaltspolitiker, die Finanzpolitiker —: es handelt sich nicht nur um Starthilfen, sondern vordringlich auch um eine Frage von erheblicher politischer Bedeutung. Denken Sie daran, daß es das einzige vorhandene Tierzuchtdenkmal des deutschen Ostens ist. Seine Sicherung wird mit dem Antrag, den der Kollege Storm auf Umdruck 810 gestellt hat, nicht erreicht. Dort handelt es sich um eine einmalige Maßnahme. Der Dauercharakter, der in der bisherigen Regelung in Titel 613 vorgesehen war, wird damit praktisch verneint. Deshalb bitte ich Sie, dem interfraktionellen Antrag, an dessen Spitze zu stehen ich die Ehre habe, Ihre Zustimmung zu geben.
Wird das Wort gewünscht? — Herr Abgeordneter Dr. Conring, bitte!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nur wenige Sätze! Wir haben uns über diesen Fall wirklich sehr ausgiebig unterhalten. Der Ansatz stand, soweit ich mich erinnere, mit 18 000 DM im Haushaltsplan. Durch den Antrag der CDU/CSU auf Umdruck 810 soll er auf 100 000 DM erweitert werden. Sie haben recht, Herr Kollege Rehs, es handelt sich um eine einmalige Leistung. Wir sind aber wohl alle der Meinung, daß sich unser Bundespferd erfreulicherweise gut weiterentwickelt hat und daß eines Tages auch der Zeitpunkt kommt, wo es aus eigener Kraft gut weiterbestehen kann. Wir wollen ihm dazu verhelfen. Wir wollen nicht dauernd für das Bundespferd allein etwas tun, so reizvoll das wäre. Von Oberlandstallmeister Heling aus dem Gestüt Braunsberg, den ich persönlich sehr gut kenne, habe ich gar nichts anderes erwartet, als daß er sich sehr positiv zu dem Trakehner-Gestüt äußert. Aber ich glaube, wir gehen mit unserem Antrag bis an die Grenze des auch gegenüber der heimischen Pferdezucht Vertretbaren. Ich bitte Sie deshalb, unserem Antrag auf Umdruck 810 zuzustimmen und in diesem Falle den Antrag der SPD abzulehnen.
Beide Redner haben durch Kürze ihrer Rede das Wohlwollen des Hauses zu gewinnen versucht. Diese Bestechungsversuche von beiden Seiten heben sich auf. Also können die Damen und Herren so abstimmen, wie sie es für richtig halten.
Der Antrag auf Umdruck 809 ist ein interfraktioneller Antrag — das stelle ich ausdrücklich fest —, allerdings kein interfraktioneller Antrag im technischen Sinne des Wortes. Es ist kein Antrag der Fraktionen, sondern ein Antrag, der die Unterschrift von Abgeordneten aus allen Fraktionen trägt.Wer diesem Antrag auf Umdruck 809 zustimmen will, der gebe das Handzeichen. — Gegenprobe! —Das ist die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt.Nunmehr komme ich zu dem Antrag auf Umdruck 819. Dieser Antrag bezieht sich auf Tit. 620. Er ist durch die Ablehnung des Antrags auf Umdruck 815 zu Einzelplan 36 gegenstandslos geworden. Ziehen die Antragsteller ihn zurück?
— Der Antrag ist zurückgezogen.
Ich rufe auf den Antrag zu Tit. 629 auf Umdruck 805 Ziffer 9.
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8668 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 151. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. März 1961
Vizepräsident Dr. Schmid— Umdruck 810 kommt am Ende dran.
— Meine Damen und Herren, es ist für mich nicht ganz leicht, in diesen 21 Anträgen eine Ordnung zu halten, die es auch Ihnen erleichtert, zu wissen, worüber Sie abstimmen.Bitte, Herr Abgeordneter Kriedemann, begründen Sie Ihren Antrag.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Regierungspartei will der Regierung den Auftrag geben, einmal nachzusehen, ob in der Fischwirtschaft alles in Ordnung und dort das Nötige geschehen ist. Es ist an sich bemerkenswert, wenn der Regierung ein solcher Auftrag von der Regierungspartei erteilt wird. Trotzdem ist es ein bißchen komisch. Denn mindestens einige von uns wissen, daß es in der Fischwirtschaft im Augenblick sehr ernste Probleme gibt. Auch sie befindet sich in einer echten Strukturkrise, und die Folgen davon sind leicht zu erkennen.
Wir haben z. B. in diesem Jahre die Freude, daß eine sehr große Anzahl von modernen Schiffen in Fahrt gesetzt werden, die ein Produkt anlanden, das es bisher aus deutscher Erzeugung nur in einem sehr beschränkten Umfang gegeben hat. Ich meine die sogenannten tiefgefrosteten Fische. Ich glaube, es muß einiges geschehen, um der Fischwirtschaft zu helfen, mit den Anlaufschwierigkeiten bei dieser Umstellung fertig zu werden. Deswegen haben wir Ihnen vorgeschlagen, den Ansatz bei Tit. 629, der die Förderung von Absatz und Qualität landwirtschaftlicher Erzeugnisse betrifft, um 3 Millionen DM erhöhen. Damit soll auch diesem Produkt der Bemühungen, die Menschen ausreichend und zeitgemäß zu ernähren, Rechnung getragen werden.
Ich bitte Sie also, diesem Antrag zuzustimmen.
Wird das Wort dazu gewünscht? — Das ist nicht der Fall.
Dann kommen wir zur Abstimmung. Wer dem Antrag Umdruck 805 Ziffer 9 zustimmen will, der gebe das Handzeichen. — Gegenprobe! — Das ist die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt.
Ich rufe auf den Änderungsantrag Umdruck 805 Ziffer 10 zu Tit. 673. •Das Wort hat Herr Abgeordneter Kriedemann.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich kann es sehr kurz machen. Aus dem gleichen Grunde: Strukturwandel in der Fischwirtschaft — Sie brauchen nicht erst zu warten, bis die Regierung Ihnen berichtet; mindestens einige von Ihnen sind mit den Schwierigkeiten vertraut, die sich aus der Verlagerung der Fischereigrenzen usw. ergeben —, ist die Fischwirtschaft gezwungen, sehr erhebliche Investitionen vorzunehmen. Die dafür zur Verfügung stehenden Zinsverbilligungsmittel reichen nicht aus. Deswegen schlagen wir Ihnen vor, den Ansatz in Tit. 673 um 130 000 DM zu diesem Zweck zu erhöhen.
Wird das Wort zu diesem Punkt gewünscht? — Das ist nicht der Fall.
Dann stimmen wir ab. Wer zustimmen will, ,der gebe das Handzeichen. — Gegenprobe! — Das ist die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt.
Nun rufe ich auf den Änderungsantrag Umdruck 820 Ziffer 3 zu Tit. 961. Dazu liegt ein weiterer Änderungsantrag der Fraktion der SPD vor. In welchem Verhältnis stehen diese Anträge? —
— Es ist sehr schwer festzustellen, welcher Antrag weitergeht. In dem Antrag Umdruck 820 wird eine Erhöhung um 142 Millionen DM, in dem anderen Antrag eine Erhöhung um 185 Millionen DM gefordert. Außerdem wollen Sie noch einen Zusatz haben, wie die Milchsubvention an die Empfänger verteilt werden soll. Ihr Antrag geht also weiter.
Herr Abgeordneter Dröscher hat das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist bedauerlich, daß dieser Antrag jetzt in letzter Minute noch behandelt werden muß. Den Damen und Herren des Hauses liegt der Antrag noch nicht vor. Ich darf ihn deshalb zunächst einmal vorlesen. Es ist gestellt zu Kap. 10 02 Tit. 961.
Darf ich Sie kurz unterbrechen. Damit keine Verwirrung entsteht: Meine Damen und Herren, Sie haben diesen Antrag nicht vorliegen. Ich habe ihn soeben vor einer Minute bekommen.
Ich möchte ihn kurz vorlesen. Es ist ein ganz einfacher Antrag, er ist leicht zu verstehen:Der Bundestag wolle beschließen:Zu Kap. 10 02 — Allgemeine Bewilligungen —. In Tit. 961 — Zuschüsse zur Erhöhung des Auszahlungspreises für Qualitätsmilch — wird der Ansatz von 425 000 000 DM um 185 000 000 DM auf 610 000 000 DM erhöht.
— Meine Damen und Herren, der Ausgleich ist ja dadurch gegeben, daß wir anschließend noch über den Antrag betreffend die Düngemittelsubvention abzustimmen haben. Ich möchte das in meiner Begründung nachweisen.Der Antrag lautet weiter:In den Erläuterungen zu Tit. 961 wird folgender Absatz eingefügt:„Die Milchsubvention wird an die Empfängerwie folgt verteilt: 0,05 DM je kg für die ersten
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Dröscher20 000 kg abgelieferte Milch, für Futterbaubetriebe entsprechend 0,06 DM pro kg."Sie werden mir recht geben: Das ist einmal etwas Neues gegenüber den vielen anderen Anträgen, die zum Grünen Plan und zum Landwirtschaftshaushalt immer wieder gestellt werden.Ich möchte mich bei der Begründung ganz kurz fassen und Ihnen folgendes sagen: Dieser Antrag resultiert aus dem Bedürfnis, in der kritischen und schwierigen Situation unserer klein- und mittelbäuerlichen Betriebe einen wesentlichen Teil der Mittel, die im Grünen Plan gegeben werden, gezielt zu geben, so daß sie tatsächlich den Bedürftigsten zugute kommen. Wenn Sie überlegen, daß von allen vorhandenen Betrieben etwa 920 000 mit einer Ablieferung von 5,2 Milliarden kg ein Drittel der Milchsubvention kassieren, die mittleren Betriebe mit 5 bis 10 Kühen ein weiteres Drittel bei einer Ablieferung von 4,6 Milliarden kg erhalten und schließlich 77 000 Betriebe mit mehr als 10 Kühen allein ein weiteres Drittel kassieren, dann wird Ihnen klar, daß selbst diejenige Subvention, die allgemein als die gerechteste empfunden wird, noch sehr ungleich ankommt. Um da eine Änderung vorzunehmen, haben wir vielerlei Rechnungen angestellt und sind zu dem Ergebnis gekommen, daß die große Zahl der klein- und mittelbäuerlichen Betriebe die beste Unterstützung erführe, wenn für die ersten 20 000 kg statt — wie bisher — 3 Pf nunmehr 5 Pf und bei den Futterbaubetrieben — die ja nach den Feststellungen des Grünen Berichts besonders schlecht stehen — für die ersten 20 000 kg 6 Pf gewährt würden.Wir wissen, daß das kein Allheilmittel ist, sondern nur ein einziger Versuch, ein einziger Vorstoß in einer bestimmten Richtung, endlich einmal etwas gezielt zu tun. Heute hat, glaube ich, Herr Schmükker in der allgemeinen Aussprache ja darauf hingewiesen, daß man bei den Subventionen Grenzen setzen müsse. Nun, hier liegt ein solcher Versuch vor.Wir haben doch hier allerhand anzubieten. Wir brauchen nicht mehr Geld; die Globalsubventionen werden lediglich umgewandelt in echte gezielte Subventionen. Insgesamt stehen die 610 Millionen DM zur Verfügung. Es ist also kein Antrag ins Blaue hinein. Wir helfen damit den Kleinen. Das wollen doch auch Sie, wie Sie immer sagen. Und schließlich schaffen wir — das scheint uns agrarpolitisch sehr wichtig zu sein — keinen Anreiz zur erhöhten Produktion. Das ist doch ein wichtiger Gesichtspunkt bei der ganzen Diskussion.Bei den Gesprächen im Landwirtschaftsausschuß ist immer davon die Rede gewesen, daß man einmal zu einer gezielten Milchsubvention übergehen wolle. Es ist aber nie damit Ernst gemacht worden. Mit unserem Antrag, den ich heute hier zu vertreten die Ehre habe, möchten wir nun damit Ernst machen und Ihnen einen konkreten Vorschlag vorlegen, den Sie nach unserer Meinung bei dieser klaren Konzeption annehmen können.Daß sich für uns aus unserem eigenen Antrag die Ablehnung des FDP-Antrages ergibt, ist klar. Denn nach dem FDP-Antrag kämen auf die 920 000 Betriebe, die ich vorhin als Kleinbetriebe mit 1 bis 5 Kühen aufgeführt habe, pro Betrieb durchschnittlich 6 DM zusätzlich im Jahr, für die nächste Gruppe, die Betriebe mit 5 bis 10 Kühen, 184 DM im Jahr und schließlich auf die 77 000 Betriebe mit mehr als 10 Kühen 500 DM. Das wäre eine weitere Verschärfung der falschen Relation bei der Verteilung der Mittel des Grünen Plans.Deswegen möchten wir Sie bitten, unserem unserer Meinung nach so berechtigten und endlich einmal neue Wege zeigenden Antrag zuzustimmen.
Wird dazu das Wort gewünscht? Das ist nicht der Fall. Wir kommen zur Abstimmung. Wer diesem Antrage seine Zustimmung geben will, der gebe das Handzeichen.
— Gegenprobe! — Das ist die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt.
Nunmehr Antrag Umdruck 820 Ziffer 3. Das Wort hat der Abgeordnete Mauk.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir haben kürzlich bei der Debatte zum Landwirtschaftsbericht gerade über dieses Problem, über die Benachteiligung der Grünlandbetriebe und insbesondere der Milchkuhhalter, so viel gesprochen, daß ich mir, glaube ich, heute eine große Begründung ersparen kann. Die Ausfälle bei der Verarbeitung der Milch zu Butter und Käse sind im letzten Jahr so groß gewesen, daß die Auszahlungspreise für Milch ganz erheblich unter dem Durchschnitt der letzten Jahre geblieben sind. Es ist nicht mehr als recht und billig, daß man den Erzeugern von Milch hier eine kleine Nachzahlung in der Form gibt, daß man in diesem Jahr, im neuen Haushaltsjahr wiederum auf die frühere Höhe der Subvention geht, und zwar auf 4 Pf je Liter Milch, wie es noch vor zwei Jahren gewesen ist. Dazu ist der Betrag von 142 Millionen DM notwendig.
Ich bitte Sie, diesem Antrag zuzustimmen. Bezüglich der Deckung darf ich Ihnen sagen, daß wir genügend Haushaltsüberschüsse und Reste zur Verfügung haben. Eine Deckung ist also gegeben. Es handelt sich hier darum, ob wir wahrmachen wollen, was im Landwirtschaftsgesetz steht oder nicht.
Keine weiteren Wortmeldungen. Dann stimmen wir ab. Wer dem Antrag zustimmen will, der gebe das Handzeichen.
— Gegenprobe! — Das ist die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt.
Nunmehr rufe ich den Änderungsantrag Umdruck 805 Ziffer 11 auf. Wird der Antrag begründet?
— Herr Abgeordneter Bading!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe keine Veranlassung, Sie aufzufordern, diesem Antrag zuzustimmen. Ich möchte le-
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Badingdiglich feststellen, daß Sie, obwohl in Ihren grundsätzlichen Ausführungen zum Ausdruck kam, daßSie den kleinbäuerlichen Betrieben helfen wollten,
in Ihren ganzen Abstimmungen zu unseren Anträgen ein klares Njet zum Ausdruck gebracht haben.
Zu den Ausführungen von Herrn Dr. Conring, der zu unserem Vorschlag gesprochen hat, die Düngcmittelsubvention abzulehnen, möchte ich bemerken, daß er an den tatsächlichen Verhältnissen völlig vorbeigeht. Es geht hier darum, ob wir eine Subvention aufrechterhalten wollen, die völlig ungleich und ungerecht auf die Landwirtschaft verteilt wird. Aus dem Grünen Plan geht klar und deutlich hervor, daß diese Subventionen in einem 8 ha großen Hackfruchtbaubetrieb 571 DM je Arbeitskraft ausmachen, in einem größeren Betrieb von 89 ha dagegen — ich habe hier einen aus dem Grünen Plan genommen — 1213 DM je Arbeitskraft. Daraus sehen Sie doch, daß das eine völlig ungerechte Verteilung der Subventionsmittel ist.
Keine weiteren Wortmeldungen? — Dann kommen wir zur Abstimmung. Wer diesem Antrag zustimmen will, der gebe das Handzeichen. — Gegenprobe! — Das ist die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt.
Ich rufe auf Antrag Umdruck 810 zu Tit. 980. Dieser Antrag ist durch die vorherigen Abstimmungen gegenstandslos geworden. Wird er zurückgezogen?
— Ich bitte um Entschuldigung, ich habe mich hier geirrt. Dieser Antrag betrifft dasselbe Anliegen wie vorher, ist aber nicht behandelt worden. Wird der Antrag begründet? — Das ist nicht der Fall. Das Wort wird nicht gewünscht. Dann kommen wir zur Abstimmung. Wer zustimmen will, gebe das Handzeichen. — Gegenprobe! — Der Antrag ist einstimmig angenommen.
Hier ist noch ein Entschließungsantrag; über den stimmen wir nicht heute ab, sondern erst in der dritten Beratung.
Wir kommen nunmehr zur Abstimmung über den Einzelplan, den wir beraten haben. Wer zustimmen will, der gebe das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Gegen einige wenige Gegenstimmen angenommen.
Eine kurze Mitteilung, ehe ich vertage. Morgen beginnen wir mit dem Haushalt des Vertriebenenministers. Außerdem beraten wir das an den Ausschuß zurückverwiesene Gesetz über Kreditwesen.
Damit unterbreche ich die Sitzung und berufe den Bundestag ein auf morgen, den 16. März, vormittags 9 Uhr, zur Fortsetzung der Beratung der Tagesordnung.