Protokoll:
2191

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Metadaten
  • date_rangeWahlperiode: 2

  • date_rangeSitzungsnummer: 191

  • date_rangeDatum: 7. Februar 1957

  • access_timeStartuhrzeit der Sitzung: 17:03 Uhr

  • av_timerEnduhrzeit der Sitzung: 21:08 Uhr

  • account_circleMdBs dieser Rede
  • tocInhaltsverzeichnis
    2. Deutscher Bundestag — 191. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. Februar 1957 10873 191. Sitzung Bonn, Donnerstag, den 7. Februar 1957. Glückwünsche zum Geburtstag des Abg. Dr. Hammer 10875 A Mitteilung über Aufnahme des Abg. Stegner als Mitglied der Fraktion des GB/ BHE 10875 A Zur Tagesordnung . . 10875 A, 10892 A, 10907 B, 10920 C Fragestunde (Drucksache 3154): 1. Frage des Abg. Dr. Menzel (SPD) betr. Abhördienst der Westalliierten für Fernsprechleitungen in der Bundesrepublik: Dr. Dr. Gladenbeck, Staatssekretär im Bundesministerium für das Post- und Fernmeldewesen . . . 10875 B 2. Frage des Abg. Ritzel (SPD) betr. Recht auf Entschädigung für auf Grund der nationalsozialistischen Gesetzgebung sterilisierte Personen: Hartmann, Staatssekretär des Bundesministeriums der Finanzen . 10875 D, 10876 C, D Ritzel (SPD) 10876 C, D 3. Frage des Abg. Spies (Emmenhausen) (CDU/CSU) betr. Auswirkungen des Streiks der Metallarbeiter in Schleswig-Holstein: Dr. Dr. h. c. Erhard, Bundesminister für Wirtschaft 10877 A 4. Frage zurückgezogen 10877 B 5. Frage des Abg. Dr. Arndt (SPD) betr Benachteiligung der unehelichen Kinder im Wiedergutmachungsrecht: Hartmann, Staatssekretär des Bundesministeriums der Finanzen . . 10877 C, 10878 D Dr. Arndt (SPD) 10878 C, D Vizepräsident Dr. Jaeger 10879 A Frage des Abg. Schneider (Bremerhaven) (DP) betr. Beanstandungen der Qualität der Lieferungen bei Beschaffungen für die Bundeswehr: Strauß, Bundesminister für Verteidigung 10879 A 6. Frage zurückgezogen 10879 C 8. Frage zurückgestellt 10879 C 9. Frage des Abg. Ritzel (SPD) betr. Gebrauch von Mikrofilmen: Ritter von Lex, Staatssekretär im Bundesministerium des Innern . . 10879 C 10. Frage zurückgestellt 10879 D 11. Frage zurückgezogen 10879 D 12. Frage des Abg. Kahn-Ackermann (SPD) betr. Interministerieller Ausschuß der Bundesregierung zur Koordinierung der Förderungsmaßnahmen für die wissenschaftliche Forschung: Ritter von Lex, Staatssekretär im Bundesministerium des Innern . 10879 D, 10880 B, C Kahn-Ackermann (SPD) 10880 B, C 13. und 14. Frage zurückgestellt 10880 C 15. Frage des Abg. Seuffert (SPD) betr Frage des Vorrangs militärischer Dienstgespräche im Fernmeldeverkehr: Dr. Dr. Gladenbeck, Staatssekretär im Bundesministerium für das Post- und Fernmeldewesen . . . 10880 D, 10881 A Seuffert (SPD) 10880 D 16. Frage des Abg. Dr. Arndt (SPD) betr Wiedergutmachungsansprüche früherer Gerichtsreferendare auf Grund des Bundesgesetzes zur Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts im öffentlichen Dienst: Dr. von Merkatz, Bundesminister der Justiz 10875 C, D Dr. Arndt (SPD) 10875 D 17. Frage des Abg. Dr. Bürkel (CDU/CSU) betr. einheitliche Regelung der Entschädigung für beschlagnahmte Betriebe: Hartmann, Staatssekretär des Bundesministeriums der Finanzen . 10881 A Nächste Fragestunde 10881 C Erste Beratung des von den Fraktionen des GB/BHE und der DP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Bundeswahlgesetzes (Drucksache 3027) in Verbindung mit der Ersten Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Bundeswahlgesetzes (Drucksache 3097) 10881 C Schneider (Bremerhaven) (DP), Antragsteller 10881 C Rehs (SPD), Antragsteller . . . . 10884 A, 10889 B, C Mattick (SPD), Antragsteller . . . 10886 A, 10887 A, D Vizepräsident Dr. Jaeger 10887 A Dr. Friedensburg (CDU/CSU) . . 10887 C Dr. Schröder, Bundesminister des Innern 10887 D Scharnberg (CDU/CSU) 10888 A Majonica (CDU/CSU) 10889 D Dr. Bucher (FDP) 10890 A Petersen (GB/BHE) . . . . 10890 B, 10891 D Rasner (CDU/CSU) 10891 C Ausschußüberweisungen abgelehnt . 10891 D Zweite Beratung des Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung und Ergänzung des Personenstandsgesetzes (Drucksache 348, zu 848) Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Angelegenheiten der inneren Verwaltung (Drucksache 2987, Umdrucke 929, 933, 934) . . . 10892 A, B Rasner (CDTT/CST') (zur Geschäftsordnung) 10892 A Unterbrechung der Sitzung . 10892 A Schmitt (Vockenhausen) (SPD): als Berichterstatter 10892 B Schriftlicher Bericht 10922 C als Abgeordneter 10892 C, 10906 C, 10907 B Dr. Kihn (Würzburg) (CDU/CSU) . 10893 B, 10907 A Frau Dr. Ilk (FDP) 10894 C Frau Dr. Schwarzhaupt (CDU/CSU) 10895 A, 10897 B Dr. Arndt (SPD) 10897 A, B, 10898 C, 10904 B Dr. Kliesing (CDU/CSU) 10898 C Dr. Kopf (CDU/CSU) . . . 10900 D, 10905 B Dr. Schröder, Bundesminister des Innern 10904 D Dr. Bucher (FDP) 10904 D Abstimmungen . . . . 10893 C, 10906 A, 10907 A Dritte Beratung vertagt 10907 B Beratung des Mündlichen Berichts des Vermittlungsausschusses zu dem Ersten Gesetz zur Änderung und Ergänzung des Gesetzes über Hilfsmaßnahmen für Personen, die aus politischen Gründen in Gebieten außerhalb der Bundesrepublik Deutschland und Berlins (West) in Gewahrsam genommen wurden (Drucksachen 3172, 2637, 2888, 3047) 10907 B Kuntscher (CDU/CSU), Berichterstatter 10907 C Beschlußfassung 10907 D Beratung des Mündlichen Berichts des Vermittlungsausschusses zu dem Gesetz zum Protokoll vom 7. Juni 1955 über die Bedingungen für den Beitritt Japans zum Allgemeinen Zoll- und Handelsabkommen (Drucksachen 3173, 2756, 2980, 3133) 10907 D Seidl (Dorfen) (CDU/CSU), Berichterstatter 10907 D Beschlußfassung 10908 A Beratung des Mündlichen Berichts des Vermittlungsausschusses zu dem Gesetz über die Landbeschaffung für Aufgaben der Verteidigung (Landbeschaffungsgesetz) (Drucksachen 3174, 1977, 2909, zu 2909, 3050) 10908 A Dr. Arndt (SPD), Berichterstatter 10908 A Beschlußfassung 10908 C Fortsetzung der ersten Beratung des Entwurfs eines Vierten Strafrechtsänderungsgesetzes (Drucksache 3039) in Verbindung mit der Ersten Beratung des von der Fraktion der CDU/CSU eingebrachten Entwurfs eines Fünften Strafrechtsänderungsgesetzes (Drucksache 3067) 10908 D Dr. Bucher (FDP) 10908 D Dr. Arndt (SPD) 10910 D Vizepräsident Dr. Schneider . . 10920 C, D Dr. von Merkatz, Bundesminister der Justiz 10920 C, D, 10921 A Weiterberatung vertagt 10920 C Persönliche Bemerkungen nach § 36 der Geschäftsordnung: Kraft (CDU/CSU) 10921 A Petersen (GB/BHE) 10921 C Nächste Sitzung 10921 D Anlage 1: Liste der beurlaubten Abgeordneten 10922 A Anlage 2: Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Angelegenheiten der inneren Verwaltung über den Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Änderung und Ergänzung des Personenstandsgesetzes (Drucksache 2987) 10922 C Anlage 3: Änderungsantrag der Fraktion der FDP zum Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Änderung und Ergänzung des Personenstandsgesetzes (Umdruck 929) 10924 D Anlage 4: Änderungsantrag der Fraktion der SPD zum Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Änderung und Ergänzung des Personenstandsgesetzes (Umdruck 933) 10925 A Anlage 5: Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU zum Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Änderung und Ergänzung des Personenstandsgesetzes (Umdruck 934) 10925 D Die Sitzung wird um 14 Uhr 1 Minute durch den Vizepräsidenten Dr. Jaeger eröffnet.
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    Anlage 1 Liste der beurlaubten Abgeordneten Abgeordnete(r) beurlaubt bis einschließlich Frau Ackermann 16. 2. Arnholz 15. 2. Dr. Atzenroth 7. 2. Baier (Buchen) 7. 2. Bals 4. 3. Dr. Bärsch 8. 2. Bauknecht 7. 2. Dr. Blank (Oberhausen) 8. 2. Böhm (Düsseldorf) 9. 2. Frau Brauksiepe 16. 2. Dr. Brühler 8. 2. Cillien 2. 3. Dr. Czaja 7. 2. Dr. Dehler 28. 2. Diedrichsen 9. 2. Eberhard 28. 2. Freidhoff 8. 2. Dr. Furler 7. 2. Gibbert 9. 2. Gockeln 2. 3. Dr. Gülich 9. 2. Held 8. 2. Dr. Hellwig 7. 2. Dr. Hoffmann 8. 2. Höfler 28. 2. Kemmer (Bamberg) 8. 2. Keuning 7. 2. Dr. Köhler 2. 3. Frau Korspeter 2. 3. Dr. Kreyssig 8. 2. Kühlthau 7. 2. Kühn (Bonn) 11. 2. Leibing 8. 2. Dr. Lindenberg 8. 2. Mauk 8. 2. Menke 8. 2. Metzger 7. 2. Meyer-Ronnenberg 23. 2. Dr. Miessner 13. 2. Dr. Mommer 8. 2. Neumann 7. 2. Neumayer 16. 3. Odenthal 15. 2. Dr. Oesterle 8. 2. Paul 8. 2. Dr. Pohle (Düsseldorf) 7. 2. Dr. Preller 8. 2. Dr. Reif 8. 2. Reitzner 8. 2. Dr. Rinke 1. 3. Dr. Röder 8. 2. Dr. Schild 7. 2. Dr. Schmid (Frankfurt) 2. 3. Schmücker 7. 2. Dr. Schäne 7. 2. Frau Schroeder (Berlin) 31. 5. Spörl 8. 2. Dr. Starke 8. 2. Struve 8. 2. Teriete 7. 2. Varelmann 7. 2. Wacher (Hof) 7. 2. Dr. Wahl 8. 2. Dr. Weber (Koblenz) 23. 2. Dr. Welskop 7. 2. Wiedeck 7. 2. Dr. Willeke 9. 2. Wittrock 7. 2. Anlage 2 Drucksache 2987 (Vgl. S. 10892 B) Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Angelegenheiten der inneren Verwaltung (8. Ausschuß) über den Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Änderung und Ergänzung des Personenstandsgesetzes (Drucksachen 848, zu 848). Berichterstatter: Abgeordneter Schmitt (Vockenhausen) I. Allgemeines Der Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Änderung und Ergänzung des Personenstandsgesetzes ist vom Ausschuß für Angelegenheiten der inneren Verwaltung in 6 Sitzungen eingehend beraten worden. Die abschließende Beratung hat sich dadurch verzögert, daß der Ausschuß in jedem Falle die Stellungnahme des Rechtsausschusses zu der Strafvorschrift des § 67, der Frage der Verfassungsmäßigkeit der Eintragung des religiösen Bekenntnisses in die Personenstandsbücher und zu der Frage der Bestimmungen über die Kirchenbücher aus der Zeit vor dem Inkrafttreten des Personenstandsgesetzes vom 6. Februar 1875, abwarten wollte. Der Ausschuß hat das grundsätzliche Anliegen des Entwurfs bejaht, nämlich a) die Vertriebenen wieder mit beweiskräftigen Personenurkunden auszustatten und b) im Geltungsbereich des Gesetzes die Führung der Personenstandsbücher wieder nach einheitlichen Gesichtspunkten vornehmen zu lassen. Zu a: Der Ausschuß hat die verschiedenen Möglichkeiten, die sich aus der bisherigen Gesetzgebung ergeben, geprüft und ist übereinstimmend zu der Auffassung gekommen, daß der Vorschlag der Bundesregierung der einfachste und zweckmäßigste Weg ist und daß er sich vor allem auch im Rahmen der Gesetzgebung am besten verwirklichen läßt. Zu b: Die Vereinheitlichung der Bestimmungen war erforderlich, weil seit dem Erlaß des Personenstandsgesetzes von 1937 zahlreiche Änderungsvorschriften eine Unübersichtlichkeit herbeigeführt hatten und weil z. T. auch nach 1945 in den verschiedenen Ländern abweichende Bestimmungen getroffen worden waren. Mit dem Inkrafttreten des neuen Gesetzes wird das Personenstandsrecht, soweit es durch das Personenstandsgesetz geregelt wird, ausschließlich in diesem Gesetz zusammengefaßt sein. Schließlich ist noch von besonderer Bedeutung, daß auch das Standesamt I in Berlin (West) wieder im Sinne gesamtdeutscher Bemühungen die Aufgaben eines Zentralstandesamtes übernimmt. Das Gesetz bringt - abgesehen von der Einführung des Familienbuchs - z. T. auch eine wesentliche Vereinfachung der bisherigen Vorschriften, um soweit wie möglich den Arbeits- und Kostenaufwand zu verringern, nicht zuletzt im Hinblick auf die Tatsache, daß der größte Teil der Standesbeamten ehrenamtliche Beamte (Bürgermeister) sind. Besonders ausführlich hat sich der Ausschuß mit der Einführung des Familienbuchs beschäftigt. Die in der ersten Lesung vorgetragenen Bedenken konnten in den sehr ausführlichen Beratungen zer- (Schmitt [Vockenhausen]) streut werden. Der Ausschuß hat auch durch eine Neufassung der grundsätzlichen Bestimmungen über das Familienbuch klar zum Ausdruck gebracht, daß das Familienbuch ausschließlich dazu dient, den jeweiligen Personenstand der Familienangehörigen ersichtlich zu machen und keine darüber hinausgehenden Aufgaben hat. Die Bundesregierung wird bei der Neuherausgabe der Ausführungsvorschriften und der Dienstanweisung für die Standesbeamten die im Ausschuß geäußerten Anregungen und Wünsche berücksichtigen und auch in diesen Fragen den Grundgedanken der Beratung entsprechen. Auch die Formblätter sollen in diesem Sinne gestaltet werden. Infolge der langen Dauer der Beratungen ergab sich die Notwendigkeit, sämtliche im Gesetz vorgesehenen Termine über das Inkrafttreten neu festzulegen (§§ 15a Abs. 1, 70 Nrn. 1, 7, 16, Artikel VI). II. Im einzelnen ZU ARTIKEL I Zu Nr. 2 (§ 2 Abs. 1) Die vorgesehene Fassung gab zu Mißverständnissen über die Gründe der Einführung des Familienbuchs Anlaß. Die Neufassung des Ausschusses stellt klar, daß das Familienbuch nur dazu bestimmt ist, den jeweiligen Personenstand der Familienangehörigen ersichtlich zu machen. Zu Nr. 4 (§ 5) Abs. 1: Zur Erleichterung des Aufgebots genügen auch alternativ die Vorlage beglaubigter Abschriften des Familienbuchs oder Auszüge aus diesem. Abs. 2 und 3: Die Änderungen sind im wesentlichen redaktioneller Art. Zu Nr. 5 und 6 (§§ 5 a, 6) Die Änderungen sind redaktioneller Art. Zu Nr. '7 (§ 7 a) Die Bestimmungen des § 7 a, die die Befreiung vom Ehehindernis der Wartezeit bei Auslandsehen betreffen, wurden in die Vorschriften eines neu eingefügten § 69 b übernommen. Zu Nr. 7 a (§ 8) Von einer Änderung der bisherigen Bestimmung über die Form der Eheschließung wurde abgesehen. Zu Nr. 11 und 13 (§§ 11, 12, 14, 15, 15 c, 15 a, 15 b) Der Ausschuß war in seiner Mehrheit der Auffassung, daß es richtig sei, die rechtliche Zugehörigkeit oder die Nichtzugehörigkeit zu einer Kirche, Religionsgesellschaft oder Weltanschauungsgemeinschaft in die entsprechenden Personenstandsbücher einzutragen. Die Minderheit hatte gegen diese Eintragung verfassungsrechtliche Bedenken. Die jetzt gewählte Fassung bringt zum Ausdruck, daß die Eintragung des religiösen Bekenntnisses auf dem freien Willen des Berechtigten beruht. Die vom Ausschuß vorgenommenen Änderungen in den §§ 15 und 15 c sollen verhindern, daß nichtbeteiligte Personen unnötig die Möglichkeit haben, Kenntnis vom Vorhandensein vorehelicher Kinder zu nehmen. Die vorgenommene Änderung in § 15 a ist redaktioneller Art. Vgl. wegen des Nachweises des religiösen Bekenntnisses den Vermerk zu § 11; die weitere Änderung im § 15 b erfolgte aus Gründen der Verwaltungsvereinfachung. Zu Nr. 13 a (§ 18 Abs. 1) Die Streichung erfolgte im Interesse einer einheitlichen Registrierung von Personenstandsfällen. Zu Nr. 13b (§ 19 Satz 1) Die Änderungen erfolgten aus Gründen der Verwaltungsvereinfachung. Zu Nr. 15 (§ 21) Vgl. Vermerk zu § 11. Zu Nr. 16 b (§ 25) Vgl. Vermerk zu § 19 Satz 1. Zu Nr. 18 (§ 28 Abs. 1) Diese Bestimmung wurde aus Gründen der Verwaltungsvereinfachung geändert. Zu Nr. 19 (§ 29) Auch für die Änderung dieser Bestimmung gelten die Ausführungen zu Änderungen im § 15. Zu Nr. 20 (§ 29 a) Die Neufassung berücksichtigt stärker als die bisherigen gesetzlichen Bestimmungen das bestehende internationale Privatrecht und gibt deutschen Müttern einen stärkeren Schutz. Der Ausschuß hat bei dieser Gelegenheit Veranlassung genommen, das Justizministerium zu bitten, dem Bundestag in absehbarer Zeit Aufklärung darüber zu geben, ob und in welchen Ländern ein Anerkenntnis der Mutterschaft erforderlich ist. Zu Nr. 22 a (§ 34) Vgl. Vermerk zu § 18. Zu Nr. 24 (§ 37) Vgl. Vermerk zu § 11. Zu Nr. 25 a (§ 39) Verwaltungsvereinfachung. Zu Nr. 28 (§ 41) Redaktionelle Änderungen. Zu Nr. 31 (§ 43 e) Redaktionelle Änderungen. Zu Nr. 33 (§ 44) Verwaltungsvereinfachung und redaktionelle Änderungen. Zu Nr. 34 und 37 (§§ 44 a, 44 b, 46 a) Verwaltungsvereinfachung und redaktionelle Änderungen. Zu Nr. 42 (§ 50) Die Änderung zu § 50 entspricht einer Empfehlung des Bundesrates, der die Bundesregierung zu- (Schmitt [Vockenhausen]) gestimmt hat. Der Ausschuß hielt den Wunsch für begründet und hat eine entsprechende Änderung der Bestimmung vorgenommen. Zu Nr. 43 bis 47 (§§ 52 bis 59) Der Ausschuß hat die Einwendungen des Bundesrates gegen die Regierungsvorlage sehr eingehend geprüft. Er glaubt nicht, daß die vorgesehenen Änderungen über die Zuständigkeit des Bundes hinausgehen und sieht darin keinen Eingriff in die Organisationsgewalt und die Gesetzgebungszuständigkeit der Länder auf dem Gebiete des Gemeindeverfassungsrechts. Es handelt sich bei den vorgesehenen Regelungen nicht um Eingriffe in das Gemeindeverfassungsrecht, sondern um Bestimmungen über das Verfahrensrecht, soweit die Länder durch die Gemeinden das Personenstandsgesetz zu vollziehen haben. Im übrigen nimmt der Berichterstatter auf das ausführliche Protokoll Bezug. Die Änderungen dienen der Verwaltungsvereinfachung. Zu Nr. 49 (§ 61) Der Ausschuß hielt eine einengende Vorschrift über die Einsicht in die Personenstandsbücher für erforderlich, um unbefugten Dritten nicht die Möglichkeit zu Nachforschungen zu geben. Die jetzige Fassung verlangt, abgesehen von den Angehörigen, die Glaubhaftmachung eines rechtlichen Interesses, auch von Behörden. Zu Nr. 50 (§§ 61 a, 61 b, 61c) Der Ausschuß war zu § 61 a der Auffassung, daß in immer stärkerem Umfang sich Behörden usw. mit der Vorlage eines Geburtsscheins begnügen sollen. Eine derartige Regelung diene der Verwaltungsvereinfachung vor allem auch im Sinne des Schutzes des vorehelichen und unehelichen Kindes. Die Bestimmungen des § 61 b wurden redaktionell an den § 61 angepaßt. In § 61 c sind anstelle des § 65 b die entsprechenden Bestimmungen über den Geburtsschein festgelegt. Es wird dazu auf die Ausführungen zu § 61 a verwiesen. Zu Nr. 51 (§§ 62 bis 64) Vgl. Vermerk zu § 11: Zu Nr. 56 (§ 67) Die Bundesregierung hatte ursprünglich vorgeschlagen, die Strafbestimmung des § 67 wegfallen zu lassen. Sie hat sich dann den vom Bundesrat vorgetragenen Bedenken gegen eine völlige Streichung der Strafvorschrift nicht ganz verschlossen und ist der vom Bundesrat vorgeschlagenen Strafvorschrift zum Teil beigetreten, und zwar in dem Umfange, daß lediglich eine Geldstrafe bis 500 DM angedroht wird. Die Auffassungen im Ausschuß über die Beibehaltung der Strafvorschrift waren geteilt. Der Rechtsausschuß hatte mit 13 : 12 Stimmen die Streichung der Strafvorschrift empfohlen. Nachdem ein Antrag auf völlige Streichung der Strafvorschrift bei Stimmengleichheit abgelehnt worden war, verfielen Anträge auf Übernahme der vom Bundesrat und zuletzt der von der Bundesregierung vorgeschlagenen Fassungen der Ablehnung, so daß die Strafvorschrift in der Fassung des Gesetzes von 1937 geblieben ist. Zu Nr. 60 (§§ 69 a, 69 b, 69 d) Vgl. zu § 69 a Abs. 2 den Vermerk zu § 11. Der Ausschuß hat in § 69 a Abs. 3 die Bestimmungen über die Auswertung der Eintragungen über das religiöse Bekenntnis erweitert, um auch durch die Fassung des Gesetzes klarzustellen, daß diese Eintragungen in jedem Falle nur für Zwecke der Bevölkerungsstatistik verwertet werden dürfen. Die Frage nach der Religionszugehörigkeit ist in dem Gesetz jetzt festgelegt. Darüber hinaus ist die Auskunftspflicht genau geregelt und noch einmal zum Ausdruck gebracht, daß in diesem Falle eine Auskunftspflicht abweichend von den Bestimmungen der §§ 11, 12, 14, 21 und 37 besteht, weil diese Auskünfte, wie oben erwähnt, nur für statistische Zwecke ausgewertet werden dürfen. Die Änderung im § 69 b Abs. 2 ergibt sich aus der Übernahme von § 7 a Abs. 1 Satz 2 (Befreiung vom Ehehindernis der Wartezeit). § 69 d geht auf einen Vorschlag des Bundesrates zurück, dem der Ausschuß zugestimmt hat. Die Vorschrift regelt Personenstandsfälle aus der Nachkriegszeit, bei denen bisher Unklarheit über die Beurkundung bestand. Zu Nr. 63 (§ 70 a) Die Mehrheit des Ausschusses hat sich zu § .70 a Abs. 1 Nr. 2 der Regierungsvorlage angeschlossen, während die Minderheit der Auffassung des Bundesrates, die in Drucksache 848 festgelegt ist, beigetreten ist. Darüber hinaus hatte die Minderheit verfassungsrechtliche Bedenken, den Erlaß einer Rechtsverordnung von dem Einvernehmen mit einer außerstaatlichen Stelle abhängig zu machen. Diese Auffassung hat auch der Rechtsausschuß geteilt, der, um allen Schwierigkeiten zu begegnen, die Streichung der Vorschrift angeregt hatte, zumal die Auskunftspflicht nach dem BGB ohnehin nach seiner Auffassung gesichert war. Die Mehrheit des Ausschusses ist, wie gesagt, dieser Auffassung nicht beigetreten und hat der Regierungsvorlage zugestimmt. Bonn, den 5. Dezember 1956 Schmitt (Vockenhausen) Berichterstatter Anlage 3 Umdruck 929 (Vgl. S. 10894 C) Änderungsantrag der Fraktion der FDP zur zweiten Beratung des Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung und Ergänzung des Personenstandsgesetzes (Drucksachen 2987, 848, zu 848). Der Bundestag wolle beschließen: In Artikel I erhält Nr. 56 folgende Fassung: 56. In § 67 Abs. 1 werden nach den Worten „mit Geldstrafe" die Worte „bis zu 300 Deutsche Mark" und nach den Worten „mit Gefängnis" die Worte „bis zu drei Monaten" eingefügt. Bonn, den 31. Januar 1957 Dr. Becker (Hersfeld) und Fraktion Anlage 4 Umdruck 933 (Vgl. 10892 C, 10893 C, 10906 B, 10907 A) Änderungsantrag der Fraktion der SPD zur zweiten Beratung des Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung und Ergänzung des Personenstandsgesetzes (Drucksachen 2987, 848, zu 848). Der Bundestag wolle beschließen: Zu Artikel I: 1. In Nr. 11 werden in § 11 Abs. 1 die Worte „sowie im Falle ihres Einverständnisses ihre rechtliche Zugehörigkeit oder ihre Nichtzugehörigkeit zu einer Kirche, Religionsgesellschaft oder Weltanschauungsgemeinschaft" gestrichen. Für den Fall der Ablehnung des Antrags unter Nr. 1: 2. In Nr. 11 werden in § 11 Abs. 1 die Worte „sowie im Falle ihres Einverständnisses" ersetzt durch die Worte „sowie auf Wunsch". 3. In Nr. 13 werden in § 12 Abs. 2 Nr. 1 die Worte „sowie im Falle ihres Einverständnisses ihre rechtliche Zugehörigkeit oder ihre Nichtzugehörigkeit zu einer Kirche, Religionsgesellschaft oder Weltanschauungsgemeinschaft" gestrichen. Für den Fall der Ablehnung des Antrags unter Nr. 3: 4. In Nr. 13 werden in § 12 Abs. 2 Nr. 1 die Worte „sowie im Falle ihres Einverständnisses" ersetzt durch die Worte „sowie auf Wunsch". 5. In Nr. 13 wird in § 14 die Nr. 8 gestrichen. 6. In Nr. 13 werden in § 15 b die Worte „, die rechtliche Zugehörigkeit oder die Nichtzugehörigkeit zu einer Kirche, Religionsgesellschaft oder Weltanschauungsgemeinschaft" gestrichen. 7. In Nr. 15 werden in § 21 Abs. 1 Nr. 1 die Worte „sowie im Falle ihres Einverständnisses ihre rechtliche Zugehörigkeit oder ihre Nichtzugehörigkeit zu einer Kirche, Religionsgesellschaft oder Weltanschauungsgemeinschaft" gestrichen. Für den Fall der Ablehnung des Antrags unter Nr. 7: 8. In Nr. 15 werden in § 21 Abs. 1 Nr. 1 die Worte „sowie im Falle ihres Einverständnisses" ersetzt durch die Worte „sowie auf Wunsch". 9. In Nr. 24 Buchstabe a werden in § 37 Abs. 1 Nr. 1 die Worte „sowie im Falle des Einverständnisses des Anzeigenden seine rechtliche Zugehörigkeit oder seine Nichtzugehörigkeit zu einer Kirche, Religionsgesellschaft oder Weltanschauungsgemeinschaft" gestrichen. Für den Fall der Ablehnung des Antrags unter Nr. 9: 10. In Nr. 24 Buchstabe a werden in § 37 Abs. 1 Nr. 1 die Worte „sowie im Falle des Einverständnisses" ersetzt durch die Worte „sowie auf Wunsch". 11. In Nr. 51 werden in § 62 Nr. 3 die Worte „sowie ihre rechtliche Zugehörigkeit oder ihre Nichtzugehörigkeit zu einer Kirche, Religionsgesellschaft oder Weltanschauungsgemeinschaft, wenn die rechtliche Zugehörigkeit oder die Nichtzugehörigkeit im Geburtenbuch eingetragen ist" gestrichen. Im Falle der Ablehnung des Antrags unter Nr. 11: 12. In Nr. 51 werden in § 62 Nr. 3 nach dem Wort „sowie" eingefügt die Worte „auf Wunsch" und die Worte „wenn die rechtliche Zugehörigkeit oder die Nichtzugehörigkeit im Geburtenbuch eingetragen ist" gestrichen. 13. In Nr. 51 werden in § 63 Nr. 1 die Worte „sowie ihre rechtliche Zugehörigkeit oder ihre Nichtzugehörigkeit zu einer Kirche, Religionsgesellschaft oder Weltanschauungsgemeinschaft, wenn die rechtliche Zugehörigkeit oder die Nichtzugehörigkeit im Heiratsbuch eingetragen ist" gestrichen. Für den Fall der Ablehnung des Antrags unter Nr. 13: 14. In Nr. 51 werden in § 63 Nr. 1 nach dem Wort „sowie" eingefügt die Worte „auf Wunsch" und die Worte „wenn die rechtliche Zugehörigkeit oder die Nichtzugehörigkeit im Heiratsbuch eingetragen ist" gestrichen. 15. In Nr. 51 werden in § 64 Nr. 1 die Worte „sowie seine rechtliche Zugehörigkeit oder Nichtzugehörigkeit zu einer Kirche, Religionsgesellschaft oder Weltanschauungsgemeinschaft, wenn die rechtliche Zugehörigkeit oder die Nichtzugehörigkeit im Sterbebuch eingetragen ist" gestrichen. Für den Fall der Ablehnung des Antrags unter Nr. 15: 16. In Nr. 51 werden in § 64 Nr. 1 hinter dem Wort „sowie" eingefügt die Worte „auf Wunsch" und die Worte „wenn die rechtliche Zugehörigkeit oder die Nichtzugehörigkeit im Sterbebuch eingetragen ist" gestrichen. 17. In Nr. 60 wird in § 69 a a) Absatz 2 gestrichen, b) in Absatz 3 Satz 1 gestrichen, und Satz 3 erhält folgende Fassung: Die Anzeigenden oder die Eheschließenden sind auskunftspflichtig. 18. In Nr. 63 werden in § 70 a Abs. 1 Nr. 2 die Worte „im Einvernehmen mit den Kirchen und Religionsgemeinschaften" gestrichen. Für den Fall der Ablehnung des Antrags unter Nr. 18: 19. In Nr. 63 werden in § 70 a Abs. 1 Nr. 2 die Worte „im Einvernehmen mit den Kirchen und Religionsgemeinschaften" ersetzt durch die Worte „nach Anhörung der Kirchen und Religionsgemeinschaften". Bonn, den 5. Februar 1957 Ollenhauer und Fraktion Anlage 5 Umdruck 934 (Vgl. S. 10895 A, 10906 A) Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU zur zweiten Beratung des Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung und Ergänzung des Personenstandsgesetzes (Drucksachen 2987, 848, zu 848). Der Bundestag wolle beschließen: In Artikel I Nr. 56 wird die Fassung der Regierungsvorlage wiederhergestellt. Bonn, den 5. Februar 1957 Kunze (Bethel) und Fraktion
Gesamtes Protokol
Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0219100000
Die Sitzung ist eröffnet.
Meine Damen und Herren, bevor wir in die Tagesordnung eintreten, darf ich mitteilen, daß Herr Abgeordneter Dr. Hammer am 7. Februar seinen 60. Geburtstag feiert. Ich darf ihm hierzu meine herzlichen Glückwünsche und die Glückwünsche des Hauses aussprechen.

(Beifall.)

Die Fraktion des GB/BHE teilt mit Schreiben vom 6. Februar 1957 mit, daß sie den Abgeordneten Stegner als Mitglied in ihre Fraktion aufgenommen hat.
Zur Tagesordnug ist interfraktionell vereinbart, mit der Fragestunde zu beginnen, dann die Wahlgesetzänderung — Punkt 8 der gedruckten Tagesordnung — und anschließend das Personenstandsgesetz — Punkt 13 der gedruckten Tagesordnung — zu behandeln. Inzwischen werden, wie ich höre, noch interfraktionelle Absprachen wegen der weiteren Abwicklung der Tagesordnung gepflogen.
Wir kommen damit zur Fragestunde (Drucksache 3154).
Ich rufe auf die Frage 1 — des Herrn Abgeordneten Dr. Menzel — betreffend Überwachung von Fernsprechleitungen in der Bundesrepublik durch westalliierte Stellen:
Wie viele Fernsprechteilnehmer und Fernsprechleitungen werden in der Bundesrepublik noch von westalliierten Stellen überwacht, und wie viele Dienststellen der Westalliierten gibt es in der Bundesrepublik, die sich mit einem derartigen Abhördienst befassen?
Das Wort hat Herr Staatssekretär Dr. Gladenbeck.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0219100100
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Im Einvernehmen mit dem Herrn Bundesminister des Auswärtigen beantworte ich die Frage wie folgt.
Wie von dieser Stelle aus wiederholt erklärt worden ist, üben die Drei Mächte zum Schutze der Sicherheit ihrer in der Bundesrepublik stationierten Truppen nur noch in bestimmten Fällen und in sehr begrenztem Umfang eine Überwachung des Fernsprechverkehrs aus. Im Durchschnitt entfällt auf 10 000 amtsberechtigte Sprechstellen weniger als eine, die der Überwachung unterliegt. Überwachungsstellen befinden sich nur in wenigen Orten. Zur Angabe näherer Einzelheiten sehe ich mich aus Sicherheitsgründen zu meinem Bedauern nicht in der Lage.

Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0219100200
Eine Zusatzfrage? — Entfällt.
Herr Bundesminister Dr. von Merkatz bittet, die Frage 16 des Abgeordneten Dr. Arndt vorzuziehen. Ich nehme an, daß kein Widerspruch dagegen erfolgt.
Ich rufe also auf die Frage 16 — des Herrn Abgeordneten Dr. Arndt — betreffend Ruhegehaltsansprüche früherer Gerichtsreferendare auf Grund des Wiedergutmachungsgesetzes:
Wie vielen früheren Gerichtsreferendaren ist in Anerkennung ihrer Wiedergutmachungsansprüche auf Grund des Bundesgesetzes zur Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts im öffentlichen Dienst (BWGöD) durch Bescheid des Bundesministeriums der Justiz ein Ruhegehalt bewilligt worden? Wie vielen früheren Gerichtsreferendaren wurde durch einen Bescheid des Bundesministeriums der Justiz ein Ruhegehaltsanspruch abgelehnt?
Aus welchen Jahren datieren die erfolgreichen, aus welchen die abgelehnten Anträge?
Wie viele der früheren Gerichtsreferendare, deren Anträge Erfolg hatten, und wie viele der früheren Gerichtsreferendare, deren Anträge abgelehnt wurden, bestanden die Staatsprüfung besser als „ausreichend"?
Der Herr Bundesminister der Justiz!

Dr. Hans-Joachim von Merkatz (CDU):
Rede ID: ID0219100300
Die Frage des Herrn Abgeordneten Arndt darf ich wie folgt beantworten.
Erstens. Das Bundesjustizministerium hat insgesamt 439 geschädigten früheren Referendaren auf Grund des BWGÖD ein Ruhegehalt bewilligt. In 96 Fällen wurde der Anspruch auf Zahlung von Ruhegehalt abgelehnt.
Zweitens. Die weiteren Fragen, aus welchen Jahren die erfolgreichen und aus welchen die abgelehnten Anträge datieren und wie viele der Antragsteller die Staatsprüfung besser als „ausreichend" bestanden hatten, lassen sich nur beantworten, wenn sämtliche in den Jahren 1952 bis 1957 bearbeiteten Wiedergutmachungsakten einer Durchsicht unterzogen werden. Dies war in der Kürze der zur Verfügung stehenden Zeit nicht möglich, zumal ein Teil der Akten zur Zeit nicht verfügbar ist.
Die Anforderung und Durcharbeitung dieser Akten erfordert eine ganz erhebliche Verwaltungsarbeit und eine nicht unbeträchtliche Zeit. Falls allerdings der Herr Fragesteller es wünscht, bin ich gern bereit, die erforderlichen Ermittlungen zu veranlassen, und werde mir erlauben, das Ergebnis vielleicht schriftlich mitzuteilen. Das ist exakter.

Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0219100400
Wird das Wort zu einer Zusatzfrage gewünscht?

Dr. Adolf Arndt (SPD):
Rede ID: ID0219100500
Herr Bundesminister, sind Sie bereit, die Sache zunächst außerhalb des Bundestages gesprächsweise noch weiter zwischen Ihnen und mir zu behandeln?

Dr. Hans-Joachim von Merkatz (CDU):
Rede ID: ID0219100600
Dazu bin ich gern bereit, Herr Abgeordneter.

Dr. Adolf Arndt (SPD):
Rede ID: ID0219100700
Danke schön.

Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0219100800
Die Frage ist erledigt. Wir kommen zur Frage 2 — des Abgeordneten Ritzel — betreffend Vorlage eines Gesetzentwurfs über die Entschädigung von auf Grund des nationalsozialistischen Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses sterilisierten Personen:
Ist die Bundesregierung bereit, einen Gesetzentwurf vorzulegen, nach dem den gegen ihren Willen auf Grund des nationalsozialistischen Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses vom 14. Juli 1933 sterilisierten Personen ein Recht auf Entschädigung gewährt wird?
Dar Wort hat der Herr Staatssekretär Hartmann vom Bundesministerium der Finanzen.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0219100900
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bei den Sterilisierten sind drei Personengruppen zu unterscheiden:
1. Personen, die aus den Verfolgungsgründen des § 1 des Bundesentschädigungsgesetzes sterilisiert


(Staatssekretär Hartmann)

worden sind. Diesen wird eine Entschädigung auf Grund dieses Gesetzes gewährt, sofern sie einen im Sinne des Entschädigungsrechts entschädigungspflichtigen Schaden an Körper oder Gesundheit erlitten haben.
2. Personen, die ohne voraufgegangenes Verfahren auf Grund des Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses vom 14. Juli 1933 sterilisiert worden sind. Diesen kann auf Grund der Vorschrift des § 171 Abs. 3 des Bundesentschädigungsgesetzes ein Härteausgleich gewährt werden.
3. Personen, die auf Grund eines rechtskräftig abgeschlossenen Verfahrens nach dem Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses sterilisiert worden sind.
Ihre Frage, Herr Abgeordneter, bezieht sich offenbar auf den von mir unter Ziffer 3 genannten Personenkreis.
Während der Beratungen über die Neufassung des Bundesentschädigungsgesetzes ist im Ausschuß des Bundestages für Wiedergutmachungsfragen in der Sitzung vom 7. Februar 1956 die Frage eingehend erörtert worden, ob die unter Ziffer 3 genannten Personen auch in das Entschädigungsrecht des Bundesentschädigungsgesetzes einbezogen werden sollen. Der Ausschuß hat diese Frage verneint. Das Bundesentschädigungsgesetz in seiner am 29. Juni 1956 verkündeten Fassung sieht daher keine Entschädigung für diesen Personenkreis vor. Maßgebend für den Entschluß des Ausschusses waren folgende Überlegungen:
a) Das Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses vom 14. Juli 1933 ist kein typisch nationalsozialistisches Gesetz, denn auch in demokratisch regierten Ländern — z. B. Schweden, Däne-märk, Finnland und in einigen Staaten der USA — bestehen ähnliche Gesetze; das Bundesentschädigungsgesetz gewährt aber grundsätzlich Entschädigungsleistungen nur an Verfolgte des NS-Regimes und in wenigen Ausnahmefällen an Geschädigte, die durch besonders schwere Verstöße gegen rechtsstaatliche Grundsätze Schaden erlitten haben.
b) Nach wissenschaftlich-medizinischen Erkenntnissen führt eine ordnungsmäßig durchgeführte Sterilisation zu keinen organischen Schäden, was nicht ausschließt, daß psychische Schäden, und zwar im wesentlichen bei ohnedies seelisch labilen Personen, auftreten können.
c) Der durch eine Sterilisation entstandene Schaden ist daher vorwiegend immaterieller Art. Für immaterielle Schäden gewährt aber das Bundesentschädigungsgesetz — abgesehen von Schäden wegen Entziehung oder Beschränkung der Freiheit — keine Entschädigung.
d) Um einen Ausgleich für einen etwaigen Schaden zu erhalten, besteht die Möglichkeit, Ansprüche auf Grund allgemeinen Rechts, z. B. als Aufopferungsanspruch oder — bei unsachgemäßer Durchführung der Operation — als Schadenersatzanspruch geltend zu machen.
So weit die Gründe, die den Wiedergutmachungsausschuß des Hohen Hauses zu seiner Stellungnahme bewogen haben.
Ich darf nunmehr hinzufügen: Diese Erwägungen des Ausschusses, die zu einer Ablehnung eines Entschädigungsanspruches des Bundesentschädigungsgesetzes für diesen Personenkreis geführt haben, haben auch die Bundesregierung veranlaßt, von der Vorbereitung eines Gesetzes Abstand zu nehmen, durch das den Sterilisierten, die auf Grund des Erbgesundheitsgesetzes sterilisiert worden sind, eine Entschädigung gewährt wird.

Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0219101000
Das Wort zu einer Zusatzfrage hat der Abgeordnete Ritzel.

Heinrich Georg Ritzel (SPD):
Rede ID: ID0219101100
Ist der Bundesregierung bekannt, daß die Sterilisierungen, die in anderen Ländern, sowohl in Europa als auch in Übersee, vorgenommen worden sind und werden, in keinen Vergleich gesetzt werden können mit den Massenmethoden, die auf Grund dieses Gesetzes vom 14. Juli 1933 im Hitlerstaat durchgeführt wurden?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0219101200
Herr Abgeordneter, ich habe eben ausdrücklich betont — und das noch unterstrichen
daß ich die Erwägungen des Wiedergutmachungsausschusses des Hohen Hauses wiedergegeben habe. Was diesem Ausschuß bekannt ist, kann ich nicht beurteilen.

Heinrich Georg Ritzel (SPD):
Rede ID: ID0219101300
Ich darf sagen, Herr Staatssekretär, daß ich nicht nach dem gefragt habe, was der Ausschuß gemeint hat, sondern gefragt habe, was der Bundesregierung bekannt ist.
Ich habe eine weitere Zusatzfrage, Herr Präsident! Ist der Bundesregierung bekannt, daß das Präsidium des Deutschen Ärztetages und die Arbeitsgemeinschaft der westdeutschen Ärztekammern in Köln am 1. August 1955 erklärt haben, daß die Arbeitsgemeinschaft der westdeutschen Ärztekammern als Standesvertretung der deutschen Ärzteschaft die Auffassung vertritt, daß alle Menschen, die in Verfolg der nationalsozialistischen Gesetzgebung zur Verhütung erbkranken Nachwuchses durch einen zu Unrecht durch den Staat und seine Organe veranlaßten Eingriff in ihre Gesundheit einen Schaden erlitten haben, entschädigt werden sollen?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0219101400
Herr Abgeordneter, ich nehme ohne weiteres an, daß Eingaben dieser Verbände vom Jahre 1955 der Bundesregierung bekannt geworden sind. Sie werden auch bei der Beratung des Gesetzes in diesem Hohen Hause gewürdigt worden sein.

Heinrich Georg Ritzel (SPD):
Rede ID: ID0219101500
Ist daraus zu entnehmen, daß die Bundesregierung keine weiteren Entschließungen zu fassen wünscht?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0219101600
Das habe ich, glaube ich, gesagt. Ich will es hiermit wiederholen.

Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0219101700
Ich rufe Frage 3 — des Abgeordneten Spies (Emmenhausen) — auf betreffend Produktionsausfall durch den Metallarbeiterstreik in Schleswig-Holstein:
Wie hoch ist der Produktionsausfall und der Verlust an Aufträgen, die durch den Streik der Metallarbeiter in Schleswig-Holstein verursacht wurden?
Wird sich dieser Ausfall auf das Preisniveau in den betreffenden Produktionssparten auswirken?
Glaubt die Bundesregierung, daß es mögilch ist, die in diesem sogenannten „Musterstreik" aufgestellten Forderungen in unserer gesamten Volkswirtschaft zu verwirklichen, ohne das allgemeine Preisniveau zu gefährden?
Das Wort hat der Herr Bundesminister für Wirtschaft.


Dr. Ludwig Erhard (CDU):
Rede ID: ID0219101800
Herr Präsident! Meine Damen und Herren!
1. Der Produktionsausfall bei den vom Streik betroffenen Betrieben der Metallverarbeitung dürfte bisher mit etwa 200 Millionen DM zu beziffern sein, wobei allein auf den Schiffbau fast 150 Millionen DM entfallen. Von diesen 200 Millionen DM müssen allerdings zur Feststellung des Nettoproduktionswertes 80 bis 100 Millionen DM abgesetzt werden.
2. Der Verlust an Aufträgen läßt sich schwer abschätzen. Auf dem Neubausektor der Werften sind auch weiterhin neue Abschlüsse getätigt worden. Lediglich bei Reparaturen, die kurzfristig durchgeführt werden müssen, sind Aufträge an die bestreikten Werften nicht erfolgt. Der Anteil des Wertes der Reparaturen am Gesamtbruttoproduktionswert der schleswig-holsteinischen Werften beträgt etwa 25 %. In den übrigen Zweigen der Metallverarbeitung war bis einschließlich Dezember 1956 ebenfalls kein spürbarer Rückgang des Auftragseingangs festzustellen.
3. Die vom Streik betroffenen Unternehmen bestreiten im Durchschnitt etwa 1 bis 2 % der Produktion ihrer Branchen im Bundesgebiet. Im einzelnen ist dieser Anteil jedoch sehr unterschiedlich. Beim Schiffbau z. B. werden durch den Streik etwa 25 % der Gesamtproduktion des Bundesgebiets betroffen. Ein Produktionsausfall von bis zu 2 % dürfte noch keine unmittelbaren preislichen Auswirkungen haben. Er wird allerdings in den Bereichen, in denen ein Nachfrageüberhang besteht, die Preiserhöhungstendenzen noch verstärken. Beim Schiffbau trifft der unverändert anhaltende Auftragsdruck auf eine durch den Streik fühlbar reduzierte Kapazität bei den Werften, so daß preissteigernde Tendenzen als gegeben angenommen werden können.
4. Die Hauptforderungen der IG Metall, die Anlaß zum Streikbeginn wurden, nämlich die Gleichstellung der Arbeiter mit den Angestellten im Krankheitsfall durch Lohnfortzahlung für 6 Wochen, die Zahlung eines zusätzlichen Urlaubsgeldes und die Verlängerung des Jahresurlaubs bei verbesserter Vergütung, dürften allein eine Belastung der Betriebe von fast 8 % der Lohnsumme ausmachen. Da das Ausmaß der gegenwärtig laufenden Welle von Lohnerhöhungen und Arbeitszeitverkürzungen schon jetzt größer ist als der Anstieg der Produktivität, würde die kurzfristige Durchsetzung aller genannten Forderungen im gesamten Bundesgebiet zweifellos einen zusätzlichen Preisauftrieb bewirken.

(Abg. Dr. Horlacher: Sehr gut!)


Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0219101900
Wird eine Zusatzfrage gestellt? — Erledigt!
Frage 4 ist zurückgezogen.
Ich rufe auf Frage 5 — des Abgeordneten Dr. Arndt — betreffend Benachteiligung der unehelichen Kinder im Wiedergutmachungsrecht:
Wie läßt sich die offenkundige Benachteiligung der unehelichen Kinder im Wiedergutmachungsrecht, z. B. durch § 6 der Ersten Durchführungsverordnung zum Bundesentschädigungsgesetz, mit den zwingenden Vorschriften in Artikel 6 Abs. 5 GG vereinbaren, daß den unehelichen Kindern die gleichen Bedingungen für ihre leibliche Entwicklung und ihre Stellung in der Gesellschaft wie den ehelichen Kindern durch die Gesetzgebung zu schaffen sind?
Wenn sich der Staat, der treuhänderisch wegen seines eigenen Versagens an die Stelle eines ermordeten Verfolgten getreten ist, darauf berufen will, daß auch der Verfolgte sich rechtswidrig seiner gesetzlichen Unterhaltspflicht entzogen haben würde, verstößt er dann nicht rechtswidrig und sittenwidrig gegen den allgemeinen anerkannten Rechtsgrundsatz, daß niemand sich auf das eigene Unrecht berufen darf?
Das Wort hat Herr Staatssekretär Hartmann.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0219102000
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich darf die Frage des Herrn Abgeordneten Dr. Arndt wie folgt beantworten. Ich bitte, mir zu erlauben, Herr Abgeordneter, daß ich bei der Bedeutung der Sache ein wenig ausführlicher antworte.
1. Das Bundesentschädigungsgesetz behandelt in einer Reihe von Vorschriften die Ansprüche von Kindern eines Verfolgten. Die wichtigste dieser Vorschriften enthält § 17, der die anspruchsberechtigten Hinterbliebenen eines durch nationalsozialistische Gewaltmaßnahmen getöteten Verfolgten aufführt. Nach Abs. 1 Nr. 3 dieser Vorschrift steht den Kindern eines Verfolgten für die Zeit, in der für sie nach Beamtenrecht Kinderzuschläge gewährt werden können, eine Rente zu. Wann Kindern nach Beamtenrecht Kinderzuschläge gewährt werden können, ergibt sich aus § 14 des Besoldungsgesetzes in der Fassung des Gesetzes vom 27. März 1953. Nach Abs. 2 dieser Vorschrift sind dabei den ehelichen Kindern die unehelichen Kinder eines Beamten gleichgestellt, sofern die Vaterschaft des Beamten festgestellt ist und dieser das Kind in seinen Hausstand aufgenommen hat oder auf andere Weise nachweislich für seinen vollen Unterhalt aufkommt.
In Ergänzung dieser Vorschrift ist in § 67 Abs. 5 der Besoldungsvorschriften ausgeführt, daß der Kinderzuschlag nur für den Zeitraum gezahlt wird, für den der Beamte nachweislich dem Kind den vollen Unterhalt, d. h. mindestens die festgesetzte Unterhaltsrente gewährt hat.
Diese Regelung ist in § 6 Abs. 1 der Ersten Durchführungsverordnung zum Bundesentschädigungsgesetz vom 23. November 1956 übernommen worden. Sie entspricht übrigens wörtlich der Regelung des § 9 Abs. 1 der früheren Ersten Durchführungsverordnung zum Bundesentschädigungsgesetz alter Fassung. Dort ist bestimmt, daß den unehelichen Kindern eines Verfolgten die Ansprüche nach den §§ 15 bis 26 BEG zustehen, wenn die Vaterschaft des Verfolgten festgestellt ist und er das Kind in seinen Hausstand aufgenommen hatte oder auf andere Weise für seinen vollen Unterhalt aufgekommen ist oder aufgekommen wäre, wenn ihn die Verfolgung nicht daran gehindert hätte.
Ebensowenig wie einem Beamten für sein uneheliches Kind ein Kinderzuschlag gezahlt werden kann, wenn der Beamte, also der uneheliche Vater, sich rechtswidrig seiner gesetzlichen Unterhaltspflicht entzieht, kann deshalb dem unehelichen Kind eines getöteten Verfolgten eine Hinterbliebenenrente nach dem Bundesentschädigungsgesetz gewährt werden, wenn der uneheliche Vater vor seinem Tode aus Gründen, die mit der Verfolgung in keinem Zusammenhang stehen, für das Kind keinen Unterhalt geleistet hat. Die Regelung des § 6 der Ersten Durchführungsverordnung hält sich demnach in den Grenzen der gesetzlichen Vorschrift des § 17 BEG und auch im Rahmen der Ermächtigung zum Erlaß dieser Rechtsverordnung nach § 27 BEG.
Sie verstößt meines Erachtens auch nicht gegen Art. 6 Abs. 5 des Grundgesetzes, wonach den un-


(Staatssekretär Hartmann)

ehelichen Kindern durch die Gesetzgebung die gleichen Bedingungen für ihre leibliche und seelische Entwicklung und ihre Stellung in der Gesellschaft zu schaffen sind wie den ehelichen Kindern. Zunächst wird durch Art. 6 Abs. 5 des Grundgesetzes keine absolute, insbesondere auch keine rechtliche Gleichstellung des unehelichen mit dem ehelichen Kind normiert. Das war schon nach der fast gleichlautenden Vorschrift des Art. 121 der Weimarer Verfassung herrschende Auffassung und ist auch bei den Beratungen zum Grundgesetz mehrfach zum Ausdruck gebracht worden. Diese Vorschrift zielt im wesentlichen auf die soziale Gleichstellung des unehelichen Kindes ab. Eine Gleichstellung in vermögensrechtlicher Hinsicht kommt schon deshalb nicht in Betracht, weil die familienrechtlichen Voraussetzungen bei dem ehelichen und dem unehelichen Kind verschieden sind. So kann z. B. dem unehelichen Kind, das mit seinem Erzeuger im Sinne des BGB nicht verwandt ist, ja auch kein Erbrecht gegenüber seinem unehelichen Vater eingeräumt werden.
Schließlich enthält Art. 6 Abs. 5 des Grundgesetzes nach einhelliger Auffassung auch nur ein Programm und kein zwingendes Recht. Aus diesen Gründen halten auch die zur Zeit in den zuständigen Ausschüssen des Bundestages behandelten Gesetzentwürfe eines neuen Besoldungsgesetzes und eines Unterhaltssicherungsgesetzes hinsichtlich der Frage der Gewährung von Kinderzuschlägen und Unterhaltsbeiträgen grundsätzlich an der bisherigen einschränkenden Regelung für uneheliche Kinder fest.
2. Das Bundesentschädigungsgesetz geht grundsätzlich vom Schadensprinzip aus. Es ersetzt — und das regelmäßig auch nicht in vollem Umfang — nur einen tatsächlich entstandenen Schaden, soweit dieser nicht auch ohne die Verfolgung entstanden wäre. Es ist daher nicht zutreffend, daß der Staat bei Schäden an Leben treuhänderisch an die Stelle des getöteten Verfolgten tritt. Der verlorengegangene Unterhaltsanspruch bildet nicht die gesetzgeberische Grundlage für die Regelung des Anspruchs auf Entschädigung wegen Schadens an Leben nach den §§ 15 ff. BEG. Die Unterhaltsregelung des BEG stellt vielmehr für die Hinterbliebenen eines getöteten Verfolgten auf eine Versorgung nach beamtenrechtlichen Grundsätzen ab und verfolgt dabei den Zweck, den Unterhalt der Hinterbliebenen insoweit sicherzustellen, als der Verfolgte vor der Tötung deren Unterhalt tatsächlich bestritten hat und ohne die Verfolgung auch weiterhin bestritten haben würde. Das ergibt sich eindeutig aus der Regelung in § 17 Abs. 1 Nummern 2, 4, 5 und 6 BEG. Lediglich bei der Ehefrau und den unehelichen Kindern gilt — ebenso wie im Beamtenrecht — die nicht besonders nachzuweisende Vermutung, daß der Unterhalt von dem Ehemann bzw. dem Vater in jedem Falle geleistet worden wäre. Insoweit besteht daher auch grundsätzlich ein Anspruch auf Hinterbliebenenrente nach dem BEG. Daß jedoch auch hiervon Ausnahmen möglich sind, zeigt die Bestimmung in Nr. 65 Abs. 2 der Besoldungsvorschriften zum Besoldungsgesetz, wonach auch bei ehelichen Kindern die Zahlung des Kinderzuschlags an den Vater entfallen kann, sofern offenkundig ist, daß der Beamte dem Kind keinen Unterhalt leistet. Der Verlust des Unterhaltsanspruchs als solchen stellt demnach keinen nach dem BEG zu entschädigenden vermögensrechtlichen Schadenstatbestand dar. Bei der allgemeinen Begrenzung der Entschädigungsansprüche nach dem BEG wäre es auch nicht vertretbar, einem unehelichen Kind beim Tod seines Erzeugers auch dann eine Rente zu gewähren, wenn das Kind durch den Tod gar keinen unmittelbaren materiellen Schaden erlitten hat, weil sich der Erzeuger vor der Verfolgung seiner Unterhaltspflicht bereits rechtswidrig entzogen hatte.
Auch wenn man die Bundesrepublik Deutschland als Rechtsnachfolger des früheren Deutschen Reiches ansieht, hat sich die Bundesregierung niemals mit dem Unrecht identifiziert, das von den nationalsozialistischen Machthabern des Deutschen Reiches gegen die Opfer der Verfolgung begangen wurde. In der Versagung einer Entschädigung für Schäden, die ihre erste Ursache in einem rechtswidrigen Verhalten des Verfolgten hatten, kann daher auch keine Berufung auf eigenes Unrecht liegen.

Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0219102100
Das Wort zu einer Zusatzfrage hat Herr Abgeordneter Dr. Arndt.

Dr. Adolf Arndt (SPD):
Rede ID: ID0219102200
Herr Staatssekretär, besteht zwischen dem mir durchaus bekannten Beamtenrecht einerseits und dem in seinen Motiven und Zielsetzungen von mir allerdings ganz anders als von Ihnen beurteilten Wiedergutmachungsrecht andererseits der entscheidende Unterschied nicht darin, daß nach Beamtenrecht der Anspruch auf Kindergeld in der Person des Beamten entsteht, während nach Wiedergutmachungsrecht der Wiedergutmachungsanspruch in der Person des Kindes, sei es des ehelichen, sei es des unehelichen Kindes, entsteht, so daß bei einer analogen Anwendung der Grundsätze des Beamtenrechts — und eine andere kommt ja wegen dieses entscheidenden Unterschiedes nicht in Frage — eine soziale Gleichstellung, wie sie der nach Art. 1 Abs. 3 auch die Gesetzgebung bindende Art. 6 des Grundgesetzes vorschreibt, nicht erreicht ist, wenn uneheliche Kinder nicht unter denselben Voraussetzungen wie eheliche Kinder Wiedergutmachung bekommen? Das ist eine etwas schwierige Frage; aber ich mußte alles in einen Satz bringen.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0219102300
Herr Abgeordneter, die ganze Materie ist schwierig. Ich glaube, meine Antwort war auch nicht ganz einfach. Ich bin aber der Ansicht, daß wir hier nach wie vor zwei Rechtsansprüche auseinanderhalten müssen, den zivilrechtlichen Anspruch eines unehelichen Kindes gegenüber seinem Erzeuger und den öffentlich-rechtlichen Anspruch, den ein Beamter, der hier der uneheliche Vater ist, gegen den Staat auf Zahlung von Dienstbezügen und eventuell von Kindergeld hat. Er kann nach Beamtenrecht nur dann Kindergeld bekommen, wenn er seinen Pflichten aus dem Alimentenanspruch nachkommt. Das ist auch die Grundlage für die Regelung des Entschädigungsanspruchs, und ich glaube, daß der Wiedergutmachungsausschuß des Bundestages in voller Kenntnis der Schwierigkeit dieser Materie den Anspruch so geregelt hat, wie ich es eben dargelegt habe. Ich bin aber gerne bereit dazu, wenn Sie den Wunsch haben, daß wir uns einmal zusammensetzen und uns über diese schwierige Materie persönlich aussprechen.

Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0219102400
Noch eine Zusatzfrage?

Dr. Adolf Arndt (SPD):
Rede ID: ID0219102500
Ja. Herr Staatssekretär sind wir uns wenigstens darin einig, daß Ihre Auskunft mich nicht befriedigen kann?


Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0219102600
Ich glaube, das unterliegt allein Ihrer Beurteilung.
Ich rufe Frage 6 — des Abgeordneten Schneider (Bremerhaven) — betreffend Beanstandung bei Beschaffungen für die Bundeswehr auf:
Ist der Herr Bundesverteidigungsminister bereit, mitzuteilen, ob im Rahmen der Beschaffungen für die Bundeswehr in den verflossenen Monaten ernsthafte Beanstandungen hinsichtlich der Qualität der Lieferungen aufgetreten sind und welche Schritte gegen solche Firmen unternommen werden, die bei den Lieferungen an die Bundeswehr gegen anständige kaufmännische Grundsätze verstoßen?
Das Wort hat der Herr Bundesminister für Verteidigung.

Dr. Franz Josef Strauß (CSU):
Rede ID: ID0219102700
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich darf die Frage 6 folgendermaßen beantworten.
Die vom Bundesministerium für Verteidigung beanstandeten Qualitätsmängel beziehen sich im wesentlichen auf Lieferungen aus dem Anlauf-Beschaffungsprogramm des Jahres 1956 für Bekleidung und Ausrüstung.
Daß dieses Programm unter den besonderen Schwierigkeiten der gänzlich unzureichenden personellen Ausstattung der Beschaffungs- und Abnahmeverwaltung des Bundesverteidigungsministeriums durchgeführt werden mußte, darf ich als bekannt voraussetzen. Insbesondere muß ich hierbei darauf hinweisen, ,daß mit der Schaffung von 6000 Planstellen für Soldaten nicht gleichzeitig die Schaffung der erforderlichen Zahl von Stellen für Beamte, Angestellte und Arbeiter, um die für den Vorlauf notwendigen Arbeiten durchführen zu können, verbunden war.
Ich muß in ,diesem Zusammenhang auch betonen, daß das vom Deutschen Bundestag, jedenfalls in seiner Mehrheit, gewünschte Beschaffungsverfahren der unbeschränkten öffentlichen Ausschreibung sich nicht in allen Fällen als zweckmäßig erwiesen hat, sondern daß die aufgetretenen Schwierigkeiten und Mängel damit eher vermehrt als vermindert worden sind.
Der festgestellte Minderwert der gelieferten Bekleidungs- und Ausrüstungsgegenstände des Anlaufprogramms ist mit 0,6 % des Gesamtauftragswertes zu veranschlagen.
Es ist zweitens folgendes zu sagen. Die vom Bundesministerium für Verteidigung getroffenen Maßnahmen gegen nicht vertragsmäßige Lieferungen umfassen: Heranziehung der Lieferanten zur Nachbesserung, zu Ersatzlieferungen oder zum Schadensersatz, ferner Minderung, sodann Geltendmachung von Vertragsstrafen und schließlich unnachsichtiges Vorgehen gegen unlauteres Geschäftsgebaren unter Einschaltung aller geeigneten staatlichen und sonstigen Stellen, insbesondere Abgabe der Vorgänge an die Staatsanwaltschaft bei Vorliegen von Straftatbeständen.
Drittens. Ich habe darüber hinaus zur Vermeidung künftiger nicht vertragsgemäßer Lieferungen angeordnet, daß auf die Zuverlässigkeitsprüfung der für Lieferungen in Betracht kommenden Firmen besondere Sorgfalt zu verwenden ist, daß die technischen Lieferbedingungen, wo notwendig, zu verschärfen sind und daß der Güteprüf- bzw. Abnahmedienst unter Ausnutzung aller dem Ministerium zu Gebote stehenden Möglichkeiten zu verstärken ist, insbesondere durch die Ausnutzung der durch den Fünften Nachtragshaushalt zu schaffenden Stellen.

Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0219102800
Eine Zusatzfrage? — Die Frage ist erledigt.
Frage 7 ist zurückgezogen.
Ich rufe auf Frage 8 — des Abgeordneten Schneider (Bremerhaven) — betreffend finanzielle Sicherung des sozialen Wohnungsbaus im Jahre 1957.

(Abg. Schneider [Bremerhaven] : Zur Geschäftsordnung! Diese Frage ist von mir zurückgestellt worden!)

— Das ist hier leider nicht vermerkt. Die Frage ist also zurückgestellt.
Ich rufe auf Frage 9 — des Abgeordneten Ritzel
— betreffend Gebrauch von Mikrofilmen durch Dienststellen der Bundesregierung:
In welchem Umfang macht die Bundesregierung von der Mikrokopie Gebrauch?
Ist sie im Interesse der Sparsamkeit bereit, alle unterstellten Dienststellen anzuweisen, weitgehenden Gebrauch von Mikrofilmen zu machen?
Das Wort hat Herr Staatssekretär Ritter von Lex vom Bundesministerium des Innern.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0219102900
Vom Mikrofilm, Herr Abgeordneter, machen neben dem Bundesministerium des Innern und einer Anzahl seiner nachgeordneten Behörden, darunter vor allem das Statistische Bundesamt, auch bereits eine Reihe anderer Dienststellen der Bundesverwaltung Gebrauch. Vor der Einführung steht das Verfahren im Auswärtigen Amt. Die obersten Bundesbehörden wurden vom Bundesinnenminister durch ein Rundschreiben vom 2. Oktober 1956 auf die Bedeutung des Mikrofilms als eines neuzeitlichen Organisationsmittels besonders aufmerksam gemacht. Das Ergebnis unserer Umfrage werden wir allen obersten Bundesbehörden bekanntgeben, um einen Erfahrungsaustausch anzubahnen, der den Zweck haben soll, überall dort, wo die Verwaltungsarbeit durch den Mikrofilm wirtschaftlich gestaltet werden kann, dessen Verwendung anzuregen.

Heinrich Georg Ritzel (SPD):
Rede ID: ID0219103000
Danke!

Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0219103100
Frage 10 wird bis morgen zurückgestellt, Frage 11 ist zurückgezogen.
Ich rufe auf Frage 12 — des Abgeordneten KahnAckermann — betreffend Tagung des Interministeriellen Ausschusses der Bundesregierung zur Koordinierung der Förderungsmaßnahmen für die wissenschaftliche Forschung:
Wie oft tagte der Interministerielle Ausschuß der Bundesregierung zur Koordinierung der Förderungsmaßnahmen für die wissenschaftliche Forschung im Jahre 1956?
Welche Koordinationsmaßnahmen wurden durch die Tätigkeit des Ausschusses veranlaßt?
Das Wort hat auch hier Herr Staatssekretär Ritter von Lex.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0219103200
Der in Ihrer Frage, Herr Abgeordneter, erwähnte Interministerielle Ausschuß zur Koordinierung der Förderungsmaßnahmen für die wissenschaftliche Forschung ist im Jahre 1953 beim Bundeskanzleramt gebildet worden. Zuständig für die Beantwortung der Frage wäre daher der Herr Staatssekretär des Bundeskanzleramts. Da er erkrankt ist, bin ich ersucht worden, die Beantwortung zu übernehmen.


(Staatssekretär Ritter von Lex)

Ich darf folgendes ausführen. Die Bildung dieses Interministeriellen Ausschusses beim Bundeskanzleramt ist seinerzeit von den beteiligten Bundesressorts beschlossen worden. Der Ausschuß sollte sich in erster Linie mit den allgemeinen Problemen der Förderung der wissenschaftlichen Forschung auf Bundesebene befassen. Einzelne Forschungsvorhaben sollten in dem Ausschuß nicht behandelt werden.
Der Ausschuß ist nur einmal, im Jahre 1954, zusammengetreten. In dieser Sitzung sind nach einem 'Vortrag des damaligen Prasidenten der Deutschen Forschungsgemeinschaft Professor Baiser die allgemeinen Probleme eingehend erörtert worden. Die Koordinierung der einzelnen Forschungsaufgaben auf Bundesebene war, wie ich bereits erwähnt habe, nicht Aufgabe dieses Interministeriellen Ausschusses. Diese Aufgabe ist vielmehr laufend unmittelbar zwischen den beteiligten Ressorts, vor allem bei den Haushaltsberatungen im Bundesministerium der Finanzen und auch im Zusammenwirken mit dem Bundesrechnungshof wahrgenommen worden.
Als das Hauptproblem erwies sich aber die Frage der Koordinierung zwischen Bund und Ländern auf dem Gebiete der Forderung der wissenschaftlichen Forschung. Dieser Fragenkomplex ist durch die Vorschläge, die im vergangenen Jahr von verschiedenen Seiten hierzu vorgetragen worden sind, in ein neues Stadium getreten. Auf Grund dieser Vorschläge, insbesondere nachdem inzwischen die Länder gewisse verfassungsrechtliche Bedenken zurückgestellt haben, wurden die in dem Interministeriellen Ausschuß begonnenen Arbeiten im vergangenen Jahre wiederaufgenommen. In zwei Besprechungen im Bundeskanzleramt wurde eine Stellungnahme zu den organisatorischen und finanzpolitischen Vorschlägen für eine engere Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern eingehend erörtert, um die für die nächste Zeit vom Herrn Bundeskanzler geplanten Besprechungen dadurch vorzubereiten. Von dem Ergebnis dieser Besprechungen wird es abhängen, ob und in welcher Form die interministeriellen Beratungen zwischen den Bundesressorts über Fragen der Forderung der Forschung fortgesetzt werden.
Zu ,der Frage, welche Koordinierungsmaßnahmen — gemeint ist wohl die Koordinierung von einzelnen Forschungsvorhaben — durch die Tätigkeit des Ausschusses veranlaßt worden sind, darf ich noch einmal darauf hinweisen, daß es nicht Aufgabe des Ausschusses war, die einzelnen Forschungsaufgaben aufeinander abzustimmen.

Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0219103300
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Kahn-Ackermann?

Georg Kahn-Ackermann (SPD):
Rede ID: ID0219103400
Ist die Bundesregierung nicht der Auffassung, daß es nach dem Ergebnis der bisherigen Haushaltsberatung und nach dem Studium der Drucksache 2900, beginnend auf Seite 47, notwendig wäre, daß dieser Interministerielle Ausschuß seine Tätigkeit auch auf die Koordination von Einzelvorhaben der verschiedenen Bundesressorts ausdehnt?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0219103500
Herr Abgeordneter, ich darf vielleicht diese Frage mit dem Bundeskanzleramt erörtern und Ihnen dann außerhalb des Hohen Hauses Auskunft erteilen.

Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0219103600
Eine zweite Zusatzfrage?

Georg Kahn-Ackermann (SPD):
Rede ID: ID0219103700
Ja. Welche Maßnahmen hat die Bundesregierung ergriffen, um zu erreichen, daß einzelne Maßnahmen auf dem Gebiet der Forschungsförderung, z. B. die Teilnahme an Kongressen oder die Finanzierung von Kongressen, einheitlich geregelt werden, und um zu verhindern, daß aus verschiedenen Ressorts die gleichen Anliegen unterstützt werden?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0219103800
Die Unterstützung gleicher Anliegen aus verschiedenen Ressorts wird schon dadurch verhindert, daß diese Ansätze beim Bundesfinanzministerium angeregt werden müssen und daß unter den einzelnen Ressorts ein stärkerer Meinungsaustausch als früher über die Verausgabung der Posten aus den einzelnen Titeln stattfindet.

Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0219103900
Die Frage ist erledigt.
Die Fragen 13 und 14 werden auf morgen zurückgestellt.
Frage 15 — des Abgeordneten Seuffert — betreffend Vorrang militärischer Dienstgespräche vor dem übrigen Fernmeldeverkehr:
Treffen die Zeitungsmeldungen zu, wonach gewisse militärische Dienstgespräche mit absolutem Vorrang vor dem übrigen Fernmeldeverkehr, dessen Abfertigung dabei zurückgestellt wird, durchgeführt werden? Welche Notwendigkeit hat sich im jetzigen Zeitpunkt für solche Gespräche ergeben? Wie oft ist davon Gebrauch gemacht worden, und welche Kosten sind dadurch entstanden?
Das Wort hat Herr Staatssekretär Gladenbeck vom Bundespostministerium.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0219104000
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die von Ihnen, Herr Abgeordneter, erwähnten Zeitungsmeldungen treffen nur insoweit zu, als die sogenannten Militärgespräche mit absolutem Vorrang in die Gruppe der Notgespräche und der Staatsgespräche mit absolutem Vorrang eingereiht worden sind. Innerhalb dieser Gruppe werden die Gesprächsverbindungen nach der Zeitfolge ihrer Anmeldung ausgeführt. Diese Regelung besteht bei den Fernmeldeverwaltungen aller NATO-Staaten und wird auch im internationalen Dienst angewendet.
Militärgespräche mit absolutem Vorrang sind bisher noch nicht aufgekommen. Ich darf in diesem Zusammenhang darauf hinweisen, daß die Militärgespräche nur in Ausnahmefällen über das öffentliche Netz geführt werden und daß die Rangfolge beim Selbstwählferndiest und beim handvermittelten Sofortverkehr überhaupt ohne Bedeutung ist.

Walter Seuffert (SPD):
Rede ID: ID0219104100
Habe ich Sie richtig verstanden, daß Militärgespräche als Notgespräche bisher noch nicht geführt worden sind?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0219104200
Jawohl, Herr Abgeordneter, noch nicht geführt worden.

Walter Seuffert (SPD):
Rede ID: ID0219104300
Wie erklären Sie sich dann diese Pressemeldungen?


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0219104400
Diese Pressemeldungen kann ich mir nicht erklären.

Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0219104500
Die Frage ist erledigt. Frage 16 wurde vorhin schon beantwortet.
Ich rufe auf Frage 17 — des Abgeordneten Dr. Bürkel — betreffend Entschädigung für beschlagnahmte Betriebe:
Trifft es zu, daß die Bundesregierung das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 20. Juni 1956 (BVerwG V C 42. 54), durch das die Entschädigungsbestimmungen der 1. GREAO für ungültig erklärt werden und festgestellt wird, daß den beschlagnahmten Betrieben eine angemessene Entschädigung durch den Bund zu zahlen ist, nicht anerkennen will, sondern eine neue Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes anstrebt?
Was gedenkt die Bundesregierung zu tun, um die Entschädigung für die beschlagnahmten Betriebe endgültig und einheitlich zu regeln?
Das Wort hat Herr Staatssekretär Hartmann vom Bundesministerium der Finanzen.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0219104600
Herr Abgeordneter, wie Ihnen bereits gelegentlich Ihrer Rücksprache in meinem Hause mitgeteilt worden ist, wirft das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 20. Juni 1956 zur Entschädigungsfrage einer Liegenschaftsrequisition aus dem Jahre 1949 in der ehemaligen britischen Zone eine Reihe von Problemen auf, die geklärt werden müssen. Zunächst kann ich mich der in der Frage zum Ausdruck gekommenen Auffassung, das Gericht habe festgestellt, daß den beschlagnahmten Betrieben eine Entschädigung durch den Bund zu zahlen sei, nicht anschließen. Eine Begrün) dung hierfür im Rahmen der Beantwortung einer mündlichen Anfrage zu geben, würde vielleicht zu weit führen, denn es wären umfangreiche rechtliche Erörterungen erforderlich. Wenn ich hier das Ergebnis der Untersuchungen im Bundesfinanzministerium mitteilen darf, so kann ich sagen, daß das Bundesverwaltungsgericht in dem zu entscheidenden Rechtsstreit eine Zahlungspflicht des Bundes nicht festgestellt hat. Wenn es diese doch hätte feststellen wollen, dann hat es jedenfalls eine solche Zahlungsverpflichtung des Bundes nicht mit der Klarheit ausgesprochen und begründet, wie es bei der Bedeutung dieser Frage zweifellos erforderlich gewesen wäre. Nicht nur in dieser Frage, sondern auch wegen weiterer Probleme, die das Urteil aufwirft, wird es nicht zu umgehen sein, daß sich das Bundesverwaltungsgericht erneut mit dem Fragenkomplex auseinandersetzt.
Solange alle diese Fragen keine gerichtliche Klärung gefunden haben, besteht für die Bundesregierung kein Anlaß, sich mit der Frage der Regelung der Entschädigung etwa in dem vom Bundesverwaltungsgericht vorgesehenen Umfang zu befassen. Unabhängig davon wird das Bundesministerium der Finanzen in Verhandlungen mit den britischen Streitkräften wegen einer Bereinigung der noch offenen Fälle der Nutzungsvergütung für requirierte gewerbliche Betriebe eintreten, sobald die von den Ländern hierfür angeforderten Unterlagen eingegangen sind.

Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0219104700
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Bürkel?

(Abg. Dr. Bürkel: Danke schön!) Damit stehen wir am Ende der Fragestunde.

Die nächste Fragestunde ist am Mittwoch, dem 27. Februar. Sperrfrist für einzureichende Fragen ist Freitag, der 22. Februar, 12 Uhr.
Ich komme zum nächsten Punkt der Tagesordnung und rufe auf Punkt 8 der gedruckten Tagesordnung:
a) Erste Beratung des von den Fraktionen des GB, BHE und der DP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Bundeswahlgesetzes (Drucksache 3027);
b) Erste Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Bundeswahlgesetzes (Drucksache 3097).
Wer begründet den ersten Antrag? — Herr Abgeordneter Schneider (Bremerhaven) zur Begründung des Antrags Drucksache 3027.
Schneider (Bremerhaven) (DP), Antragsteller: Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Namens der Fraktionen der Deutschen Partei und des Gesamtdeutschen Blocks/BHE erlaube ich mir, unseren Standpunkt zu den vorliegenden Anträgen vorzutragen.
Ich möchte eingangs betonen, daß es keineswegs etwa Wahlangst ist, die die Deutsche Partei und den BHE dazu bewogen haben, diesen Antrag zu stellen.
,(Zuruf des Abg. Pelster. — Unruhe.)

— Ich werde diese Behauptung auch aufrechterhalten, wenn sich ob dieser Feststellung hier im Hause Unruhe erhebt, denn ich bin der Meinung, daß wir über diese Frage in aller Ruhe und Sachlichkeit diskutieren sollten.
Die Deutsche Partei hat, wie Sie alle wissen, meine sehr geehrten Damen und Herren, in Norddeutschland eine sehr fundierte Stellung, die ihr bisher — das ist aus der Presse und auch aus den Wahlergebnissen bekannt — nicht streitig gemacht werden konnte. Außerdem hat die Presse in der Erörterung des Wahlgesetzes und unserer Änderungsanträge uns ausdrücklich bescheinigt — das erkenne ich besonders dankbar an —, daß speziell die DP durch ihre Direktmandate in Niedersachsen, die sie zweifellos wieder erlangen wird, sowieso auch in den nächsten Bundestag einziehen wird.
Die Gründe, die uns bewogen haben, diesen Antrag einzubringen, sind rein staatspolitischer Art. Dieser Antrag ist nicht aus eigensüchtigen Gründen gestellt worden. Ich möchte dabei auch ausdrücklich betonen, daß wir bei der Einbringung dieses Antrags die Erfahrungen von Weimar keineswegs außer acht gelassen haben. Auch wir wünschen keine Zerplitterung, die etwa dieses Parlament verhandlungsunfähig machen könnte. Wir wünschen auch nicht, daß einem politischen Kuhhandel in diesem Hause Tür und Tor geöffnet werden können. Die Einwände, die von den Kritikern dieser Anträge mit Bezug auf die Weimarer Erfahrungen vorgebracht wurden, sind von meiner Fraktion und ebenfalls vom BHE sehr ernsthaft geprüft worden.
Die praktischen Fragen sind nun folgende. Ist der vorliegende Antrag der Deutschen Partei und des Blocks dazu geeignet, einer Zerplitterung und damit einer Gefährdung unserer Demokratie Vorschub zu leisten? Entspricht das derzeitige Wahl-


(Schneider [Bremerhaven])

Besetz den Erfordernissen der Demokratie unter den heutigen Verhältnissen?
Die Gegner unserer Anträge haben in der Auseinandersetzung über diese Anträge natürlich keinen Zweifel darüber gelassen, daß das jetzt bestehende Wahlrecht der beste Weg zur Sicherung des Zweiparteiensystems für die Zukunft sei. Gerade hier aber setzt die Kritik der beiden antragstellenden Fraktionen ein, die sie — ich betone es noch einmal: aus staatspolitischen Gründen — bewogen hat, diesen Antrag zu stellen.
Ich darf außerdem einflechten, daß die Deutsche Partei das Wahlgesetz in der vorliegenden Form damals abgelehnt hatte.
Darüber hinaus sind wir der Auffassung — und ich vertrete das ausdrücklich und im vollen Bewußtsein unserer Verantwortung, wenn wir das sagen —, daß das Zweiparteiensystem jedenfalls unter den gegenwärtigen Verhältnissen und zum gegenwärtigen Zeitpunkt unserer Demokratie in Deutschland nicht gemäß ist,

(Sehr richtig! beim GB/BHE)

und zwar aus folgenden Gründen. Einmal, meine sehr geehrten Damen und Herren, wird das Zweiparteiensystem dazu führen, daß bestehende Machtverhältnisse zementiert werden können. Zum anderen kann es dazu führen, daß einseitige politische Konstellationen ebenfalls zementiert werden, was der Demokratie auch nicht förderlich ist.
Aber was vielleicht noch viel gewichtiger ist, ist der Einwand, daß durch ein Zweiparteiensystem eine Abtötung der Vielfalt des politischen Lebens erfolgen würde, einer Vielfalt, wie sie für eine Demokratie gerade nützlich und richtig ist. Es würde unter Umständen ein öder Konformismus im politischen Leben eintreten, der den Fundamenten unseres Staates nicht zuträglich wäre.
Ich glaube auch, daß Sie, meine Damen und Herren, wenn Sie gerecht urteilen, mit mir der Überzeugung sein werden, daß sowohl die Deutsche Partei einerseits wie der Block andererseits in den vergangenen Jahren seit dem Zusammenbruch eine durchaus staatspolitische Aufgabe erfüllt haben, insofern, als meine Partei für sich in Anspruch nehmen kann, daß sie eine wirksame Abwehr gegen jeden Rechtsradikalismus geleistet hat und der Block beispielsweise die Vertriebenen an unseren Staat herangeführt hat. Ich glaube, die Erfüllung dieser staatspolitischen Aufagben darf man nicht zu gering einschätzen.
Natürlich gibt es auch ein gutes Funktionieren mit einem Zweiparteiensystem. Ich denke dabei an England. Aber Sie alle werden mir zugeben, daß dort die politischen Verhältnisse völlig anders gelagert sind, und niemand wünscht sehnlicher als meine politischen Freunde und ich, daß wir zu jenen großen politischen Einsichten gelangen mögen — gerade in den großen Fragen der Politik —, wie man sie jenseits des Kanals in solchen Fällen zu haben pflegt.
Ich darf aber darauf hinweisen, daß wir auch deswegen starke Bedenken gegen das Zweiparteiensystem haben, weil die geistesgeschichtlichen Strömungen in Deutschland nicht hinwegzudiskutieren sind, die es gar nicht gestatten, ein solches System aufzurichten, weil es praktisch eine Vergewaltigung eines großen Teiles der deutschen
Wählerschaft wäre, und weil darüber hinaus zur Zeit, wenn es zu einem Zweiparteiensystem käme, es sich um ideologisch gebundene Gruppen handeln würde.

(Sehr richtig! beim GB/BHE.)

Solange keine Gewähr dafür gegeben ist — ich bitte Sie, meine sehr geehrten Damen und Herren, das nicht falsch zu verstehen —, daß ein Zweiparteiensystem nicht im Wechsel von jeweils vier Jahren etwa zu einem politischen Zickzackkurs, eben auf Grund der ideologischen Gebundenheit, führen würde, so lange ist meine Fraktion der festen Überzeugung, daß die Mehrheit einer Partei, die sich der Opposition gegenübersieht, schädlich für unseren Staat ist und daß es besser ist, eine Mehrheitskoalition zu bilden.
Ich habe auch guten Grund, hierauf hinzuweisen, wenn ich Sie an die Kräfteverhältnisse in verschiedenen Ländern erinnere, wo abwechselnd Sozialdemokraten oder Christliche Demokraten die Mehrheit haben und wo sie nicht alleine die Regierung tragen, sondern in klarer Erkenntnis dessen, was ich eben gesagt habe, die Mehrheitskoalition gesucht und auch gefunden haben. Es gibt natürlich auch noch andere Spielarten des Zweiparteiensystems. Ich erinnere Sie z. B. an Österreich und an den „österreichischen Proporz". Ich glaube, daß auch diese Spielart auf unseren Staat nicht passen würde und daß eine unerwünschte Entwicklung die Folge sein müßte. Die Deutsche Partei will also mit ihrem Antrag gemeinsam mit dem Block gerade diese von mir aufgezeigten Dinge im Interesse der Demokratie verhindern.
Die zweite Frage ist die: Führt der von uns eingebrachte Antrag zu einer Zersplitterung, vor der
— das sage ich ehrlich und betone es noch einmal
— mit Recht gewarnt wird? Ich glaube, daß man dies in Ansehung der tatsächlichen Verhältnisse mit gutem Gewissen verneinen kann. Der Antrag ist aber geeignet, die Eigenständigkeit jener politischen Gruppen zu gewährleisten, die in den vergangenen Jahren, wie ich vorhin schon ausgeführt habe, eine staatspolitische Aufgabe im Raum dieser Demokratie, in der wir leben, ausgefüllt haben. Und vergessen Sie bitte nicht, daß es zwar relativ wenige, aber immerhin ein paar Millionen Wähler sind, die insgesamt von diesen Gruppen vertreten werden, und diese Wähler haben das Recht, auch in Zukunft durch diese ihre eigenständigen Gruppen vertreten zu werden. Auch dies vermögen meine Freunde nicht als einen Schaden für die Demokratie und für dieses Parlament zu sehen, sondern eher als einen Nutzen. Hinzu kommt, daß die letzte Entscheidung ja dem Wähler selbst überlassen bleiben muß und daß der Wähler entscheiden wird, welcher Gruppe er seine Stimme gibt, daß man aber diese Entscheidung des Wählers nicht durch ein Wahlgesetz der jetzt bestehenden Art einfach vorwegnehmen sollte.
Meine Damen und Herren, erlauben Sie mir nun bitte noch ein Wort zum Spruch des Bundesverfassungsgerichts, der natürlich auch von den Fraktionen der DP und des Blocks mit großem Ernst betrachtet wird. Die verfassungsrechtliche Entscheidung, die in Karlsruhe getroffen worden ist, wird von uns allen selbstverständlich gebührend respektiert. Diese Entscheidung besagt aber lediglich, daß das jetzt vorliegende Wahlgesetz nicht gegen das Grundgesetz verstößt. Sie besagt nicht, daß dieses Hohe Haus nicht in der Lage wäre, aus


(Schneider [Bremerhaven])

den von mir vorgetragenen Gründen auch ein anderes Wahlgesetz zu schaffen, das nach den Erfordernissen unserer jetzigen Demokratie den Belangen dieser Demokratie besser entsprechen würde. Ich darf Sie, nachdem in verschiedenen Besprechungen auch in der Koalition die Frage der Karlsruher Entscheidung eine Rolle gespielt hat, daran erinnern, daß hier eine politische Entscheidung wieder einmal auf eine juristische Ebene geschoben worden ist, wie es in der Vergangenheit in diesem Hause ja auch in einigen Fällen exerziert worden ist. Ich hatte bereits in der Debatte über die Wehrpflichtverträge den Beifall dieses Hauses, als ich an jene unglückselige Entscheidung erinnerte, eine sehr gravierende politische Frage nicht hier im Hause zu entscheiden, sondern dem Verfassungsgericht vorzulegen.
Nun, meine Damen und Herren, kehren wir zur politischen Wirklichkeit zurück, wie sie sich in unseren Tagen darstellt. Da meine ich, daß wir zwar ein gewisses Verständnis aufzubringen vermögen, wenn man sich auf Karlsruhe beruft und mit dieser Berufung unsere Anträge abzulehnen versucht. Aber es fehlt meinen Freunden und den Angehörigen der Blockfraktion das Verständnis für die Argumente, die in diesem Zusammenhang von der größten Fraktion dieses Hauses vorgetragen werden. Wenn man meint, auf der einen Seite aus staatspolitischen Gründen einer Änderung des bestehenden Wahlgesetzes nicht zustimmen zu können, müßten die gleichen staatspolitischen Gründe selbstverständlich auch gegen jenes System von Wahlhilfen und Wahlabsprachen ins Feld geführt werden,

(Sehr richtig! beim GB/BHE)

das im gleichen Atemzuge den kleineren politischen Gruppen in Aussicht gestellt wird.

(Beifall bei der DP und beim GB/BHE.)

Ich darf auch dies sine ira et studio in aller Sachlichkeit feststellen. Meine Freunde von der Deutschen Partei und die Kollegen von der Blockfraktion glauben, daß schon der Vorschlag solcher Wahlabsprachen einen gewissen Zwang für die kleineren Gruppen bedeutet, und den können wir uns im Interesse der Demokratie ebenfalls nicht leisten. Meine Damen und Herren, die beiden größten Parteien dieses Hauses können es sich aus staatspolitischen Gründen auch nicht leisten, nach der Wahl etwa nur Satelliten statt Partner zu haben.

(Beifall bei der DP, dem GB/BHE und der SPD.)

Ich glaube, daß eine Konzentration der Kräfte in den wesentlichen Zielen, wie sie von meiner Fraktion und von der Block-Fraktion in vollem Umfang bejaht werden und in den vergangenen Jahren sichtbar verfolgt worden sind, nur auf dem Wege künftiger Gleichberechtigung, d. h. wahrer Partnerschaft, in Zukunft verwirklicht werden kann. Das ist der Sinn des Antrags, den die Deutsche Partei und der Block eingebracht haben. Wir wünschen Klarheit und wirkliche Eigenständigkeit für alle legitimen politischen Kräfte, nicht aber Taktik, die im staatspolitischen Gewande einhergeht, in der politischen Praxis aber unter Umständen zu anderen Zielen führt, was einer guten demokratischen Fortentwicklung nicht dienlich sein kann.
Zum Schluß lassen Sie mich bitte noch einmal — mit Genehmigung des Herrn Präsidenten — dem Hohen Hause die Verlautbarung zur Kenntnis geben, die die Fraktion der Deutschen Partei im Anschluß an die Einbringung des gemeinsamen Antrages mit der Block-Fraktion herausgegeben hat und in der die von mir vorgebrachten Punkte zusammengefaßt und nachdrücklich dargestellt sind.
In einem Leitartikel der „Welt" vom 20. Dezember 1956 wurde in ungewöhnlich scharfer Form gegen den von den Fraktionen des GB/BHE und der Deutschen Partei gemeinsam eingebrachten Antrag zur Änderung des Bundeswahlgesetzes Stellung genommen. Dazu traf die Deutsche Partei folgende Feststellungen, die auch in diesem Augenblick noch ihre volle Berechtigung haben:
1. Der Sinn der Sperrklausel kann nur sein, eine die Demokratie gefährdende Parteienzersplitterung zu verhindern. Sie darf aber nicht dazu führen, den Willen von Millionen Wählern zu vergewaltigen, die nicht gewillt sind, sich für eine der beiden großen Parteien zu entscheiden. Eine echte Demokratie muß daher auch den politischen Kräften außerhalb der Sozialdemokratie und der Christlich-Demokratischen Union eine parlamentarische Vertretung ermöglichen.
2. Dies kann nur geschehen, wenn die kleineren Parteien, soweit sie wie die Deutsche Partei über besonders ausgeprägte regionale Schwerpunkte mit politischem Eigengewicht verfügen und durch ihre staatspolitische Mitarbeit ihre Existenzberechtigung erwiesen haben, nicht in ihrer weiteren selbständigen Entwicklung durch eine Sperrklausel gehindert werden, die sie nötigen könnte, Wahlabsprachen mit größeren Parteien vornehmen zu müssen und dadurch ihre Entscheidungsfreiheit und Unabhängigkeit etwa zu gefährden.
3. Der Antrag der Deutschen Partei und des Blocks, bei der Verteilung der Sitze auf Landeslisten alle Parteien zu berücksichtigen, die mindestens in zwei Bundesländern je 5 % der gültigen Zweitstimmen erhalten oder in mindestens drei Wahlkreisen ein Direktmandat errungen haben, würde den kleinen Parteien die Selbständigkeit ihrer politischen Vertretung sichern, zugleich aber eine unvertretbare Parteienzersplitterung unmöglich machen. Die Behauptung, durch den Antrag des BHE und der DP würde den Splittergruppen Tür und Tor in den Bundestag geöffnet werden, muß als eine
— verzeihen Sie, ich zitiere das harte Wortunfreundliche Unterstellung bezeichnet werden. Die vom BHE und der DP vorgeschlagene Wahlgesetzänderung sollte auch von den beiden großen Parteien, der Sozialdemokratischen Partei und insbesondere der Christlich-Demokratischen Union, unterstützt werden, da sie daran interessiert sein müssen, in jedem Fall echte Koalitionspartner mit eigener politischer Linie und keine Satellitenparteien zu gewinnen.
Ich beantrage, den Antrag der beiden Fraktionen an den Wahlrechtsausschuß zu überweisen.

(Beifall bei der DP, der SPD und dem GB/BHE.)



Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0219104800
Das Wort zur Begründung des Gesetzentwurfs Drucksache 3097 hat der Abgeordnete Rehs.

Reinhold Rehs (SPD):
Rede ID: ID0219104900
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Als der Bundestag vor etwa Jahresfrist das Bundeswahlgesetz — mit einer Sperrklausel von 50/o auf Bundesebene — verabschiedete, war mit ziemlicher Sicherheit vorauszusehen, daß damit noch nicht das letzte Wort gesprochen sein würde.

(Lachen in der Mitte. — Zuruf von der Mitte: Warum?)

Durch sein Verhalten in der Vergangenheit den kleineren Partnern in der Koalition gegenüber hatte der große christliche Bruder deutlich genug gezeigt, was er mit dieser Klausel beabsichtigte. Es war klar, daß eines Tages der Strick, der damit um den Hals der kleineren Fraktionen gelegt wurde, angezogen werden sollte, nicht, um sie gleich vollends zu erdrosseln — das wäre nicht immer wirtschaftlich gewesen —, sondern um sie so in Atemnot zu bringen, bis sie sich allen Wünschen gefügig zeigen würden.

(Beifall bei der SPD. — Abg. MüllerHermann: Warum haben Sie dem Gesetz zugestimmt?)

Die Vorgänge der letzten Wochen und Tage haben hierfür erneut ein trübes, aber äußerst lehrreiches Anschauungsmaterial geliefert. Da wird mit Hilfe einer bestimmten, für solche Dinge immer bereiten Presse die Parteienvielzahl des Weimarer Staates und ihre außer Zweifel verhängnisvolle Rolle beschworen und in besorgten und bewegten Worten die Gefahr einer Wiederkehr dieser Zustände an die Wand gemalt. Das ist die treuherzige Fassade für den Bundesbürger.
Aber im gleichen Atemzug wird das ganze bewährte Arsenal der Zermürbungstaktik gegen die kleineren Parteien in Bewegung gesetzt. Da rollen wieder die goldenen Kugeln, da wird ein Ministerpräsident um Bericht ersucht und in einer Weise unter Druck gesetzt, daß seine Freunde sich nicht anders zu helfen wissen, als die Flucht in die Öffentlichkeit anzutreten und mehr oder minder deutlich von Nötigung zu sprechen. Da ist man bereit, alles zu tun, um die kleinen Parteien auch auf Bundesebene am Leben zu erhalten, wenn, ja wenn sie nur ihrerseits bereit sind, sich schon jetzt auch für die Zeit nach der Bundestagswahl auf Bundesebene und insbesondere auch auf gewisser Länderebene an die Kette legen zu lassen.

(Abg. Müller-Hermann: Meinen Sie das SPD-Angebot an die Bayernpartei?)

— Herr Kollege, der Unterschied dürfte Ihnen klar sein. Er besteht nämlich darin, daß Sie Bedingungen stellen und wir keine,

(Lachen und Zurufe von der Mitte)

daß wir in die Öffentlichkeit gehen und durchaus mit Ihnen gemeinsam das Problem entgiften wollten. Aber Sie wollten Ihre Suppe allein kochen. Das ist der große Unterschied.

(Erneute Zurufe und Lachen in der Mitte.)

Wir sind in dieser Hinsicht von der Kanzlerpartei aus den vergangenen Jahren vieles gewohnt. Aber die Skrupellosigkeit, mit der man jetzt wieder in der Praxis genau das Gegenteil von dem tut, was man in der Theorie dem Bürger als Staatsnotwendigkeit hinzustellen versucht, ist doch erstaunlich. Warum überlassen Sie, meine Damen und Herren von der CDU/CSU, wenn Sie wirklich reinen Herzens sind und wenn Ihre Sorge um eine Parteizersplitterung echt wäre, nicht die kleinen Parteien sich selbst? Warum überlassen Sie die Frage nicht einer sauberen Entscheidung durch die Wähler, denen Sie doch sonst die Neigung zu einem Zweiparteiensystem so gern bescheinigen? Und warum insbesondere sind Ihnen die Verhandlungen der kleineren Parteien um einen Wahlzusammenschluß und gegenseitige Wahlstützung so unangenehm?
Ich möchte ausdrücklich feststellen, daß der Anstoß zu der jetzigen erneuten Diskussion um den Umfang der Sperrklausel durch den Antrag der Fraktionen des BHE und der DP erfolgt und damit aus dem Schoß der Koalition selbst gekommen ist. Das ist bezeichnend; denn es zeigt, wie unheimlich selbst Ihrem bisher treuesten Paladin die Situation in Ihren Armen geworden ist.

(Lachen und Zurufe von der Mitte.)

Wir haben Verständnis dafür, daß auch er sich aus dieser Umklammerung zu befreien versucht und vielleicht wirklich einmal zu einem gewissen politischen Eigenleben kommen möchte.

(Abg. Dr. Dittrich: Aber fangen Sie nicht zu weinen an, Herr Rehs!)

— Zum Weinen ist das höchstens für Sie, Herr Kollege Dittrich.
Aber in dem Antrag der GB/BHE-Fraktion und der DP-Fraktion wird — und das müssen wir herausstellen — nur das Problem der eigenen Existenz dieser Parteien gesehen, und die darin vorgeschlagene Lösung ist auschließlich auf den eigenen Zweck dieser Parteien abgestellt. Die Annahme dieses Antrags würde eine gewisse Einseitigkeit und Ungerechtigkeit anderen, in ähnlicher Weise betroffenen kleineren Parteien gegenüber bedeuten.
Die sozialdemokratische Fraktion ist daher der Auffassung: Da infolge dieses Antrags die Frage der Sperrklausel erneut aufgeworfen ist, sollte die prinzipielle Regelung mit einer fairen und gleichen Chance für alle kleinen Parteien erfolgen. Deshalb haben wir den Antrag eingebracht, die Bundessperrklausel in eine Landessperrklausel zu ändern, und wünschen, daß in § 6 Abs. 4 das Wort „Wahlgebiet" — das die Bundesebene bedeutet — durch das Wort „Land" und die Worte „drei Wahlkreise" durch „ein Wahlkreis" ersetzt werden.

(Abg. Dr. Dittrich: Aber reichlich spät!)

— Herr Kollege Dittrich, das ist kein neuer Standpunkt meiner Fraktion. Diese Regelung hat bereits nach dem ersten Bundeswahlgesetz gegolten, und wir haben diesen Standpunkt auch bei den Beratungen zu dem jetzigen Gesetz vertreten. Wir wollen also durchaus keine ad-hoc-Lösungen.

(Abg. Dr. Dittrich: Aber jetzt!)

— Nein, das Problem ist aufgeworfen, und selbstverständlich wollen wir entsprechend unserem früheren Standpunkt, den wir konsequent vertreten haben, eine klare, grundsätzliche Regelung in der von mir dargelegten Weise.
Meine Damen und Herren, es ist überflüssig, zu betonen: Auch wir unterschätzen die Gefahr, die der Demokratie aus einer Parteienzersplitterung erwachsen kann, keineswegs.

(Abg. Pelster: Dann ziehen Sie die Konsequenzen!)



(Rehs)

Wir brauchen hierüber keine Belehrungen und brauchen keine durchsichtigen Ermahnungen. Wir wenden uns aber dagegen, daß dieser Weimarer Tatbestand immer wieder an falscher Stelle und mit falschem Zungenschlag dazu benutzt wird, um ganz andere und höchst eigensüchtige Motive und Absichten dahinter zu verstecken.

(Abg. Müller-Hermann: Unterstellen Sie das auch dem Bundesverfassungsgericht?)

Wir sind der Auffassung, daß die von uns vorgeschlagene Sperrklausel auf Landesebene sich bereits bei dem Wahlgesetz des Jahres 1949 bewährt und in Verbindung mit den im Grundgesetz verankerten Garantien für eine Stabilität der Regierung — ich brauche darauf heute nicht mehr näher einzugehen; das ist in erschöpfender Weise bei den Beratungen des Bundeswahlgesetzes geschehen — auch als ausreichend erwiesen hat, als ausreichend, um eine Wiederkehr der Weimarer Parteienvielfalt zu verhindern.
Meine Damen und Herren, wie sehr diese Klausel ausreicht, hat ja kein anderer als der Bundeskanzler selber zu Beginn dieser Legislaturperiode festgestellt. In der Regierungserklärung vom 20. Oktober 1953 hat er nämlich festgestellt:
Auch 1949 gab es eine Sperrklausel, die zwar geringere Anforderungen als die 1953 gültige Klausel stellte. Aber auch diese frühere Sperrklausel würde von keiner der erfolglos gebliebenen Parteien übersprungen worden sein.
An dieser Feststellung Ihres eigenen Parteichefs sehen Sie, wie Ihre jetzigen Vorstellungen zu kennzeichnen sind. Gewiß muß in diesem Punkte die Entwicklung aufmerksam im Auge behalten werden. Aber es besteht nach unserer Überzeugung kein Zweifel — das hat die Entwicklung bei all den letzten Wahlen ergeben —, daß sich die Parteiensituation bei uns ganz von selbst stabilisiert.
Lassen Sie mich aber gegenüber allen denen, die auch in dieser Frage gern mit Angstkomplexen operieren und die von den Schwierigkeiten bei der Regierungsbildung usw. sprechen, noch einmal auf den gedruckten Bericht der Wahlrechtskommission des Innenministers verweisen. Ich empfehle Ihnen, die betreffenden Ausführungen noch einmal nachzulesen. Er enthält zu diesem Problem einige sehr bemerkenswerte Feststellungen. Ich darf mit Erlaubnis des Präsidenten nur eine zitieren. Da heißt es:
Die oft vorgetragene Behauptung, daß das Vorhandensein vieler Parteien die Regierungsbildung erschwere, wird nicht uneingeschränkt anerkannt werden können. Die Existenz einer Anzahl sehr kleiner Parteien braucht die Regierungsbildung nicht notwendig zu beeinträchtigen ... . Ob sich die Regierungsbildung leicht vollzieht und ob sie eine stabile Staatsführung erzeugt, hängt nicht nur von der Zahl, sondern noch mehr von dem Verhältnis der Parteien untereinander ab.
Ich möchte hinzufügen: und von ihrem Verhalten! Es würde sich lohnen, meine Damen und Herren von der CDU, über diese Feststellungen in dem Bericht der Wahlrechtskommission etwas eingehender nachzudenken. Die Geschichte wiederholt sich nicht — oder nur selten — in den gleichen Formen.

(Zuruf des Abg. Stücklen.)

— Jedenfalls nicht in sehr kurzen Zeiträumen,
Herr Kollege Stücklen! Auch die Gefahren ändern
ihr Gesicht. Die Demokratie kann auch auf andere Weise und mehr bedroht und gefährdet werden als durch die Existenz einiger kleiner Parteien.

(Abg. Dr. Dittrich: Lesen Sie das Urteil des Bundesverfassungsgerichts!)

Dazu gehört das ganze Kapitel des Mißbrauchs der Macht bei der Wahlgesetzgebung, der Strangulierung der kleinen Parteien

(Oho!-Rufe bei der CDU/CSU)

und der Korrumpierung des Wahlgedankens durch die Methoden aller möglichen und unmöglichen Wahlmanipulationen, Blockabsprachen und Kuhhandeleien, mit denen der Wille der Wähler schon vor der Wahl retuschiert und bis zur Unkenntlichkeit entstellt wird. Ich kann mich in dieser Hinsicht den Ausführungen meines Vorredners in vollem Umfange anschließen. Sie selber, meine Damen und Herren, wissen über Ihre Praktiken in dieser Hinsicht ja noch besser Bescheid als wir. Wir haben Sie immer wieder vor diesen Methoden und ihren Folgen gewarnt. In jeder Wahlgesetzdebatte — schon im 1. Bundestag und auch bei dem jetzigen Gesetz
— haben wir Sie aufgefordert, endlich den Wähler zu respektieren und seinen Willen unverfälscht sprechen zu lassen. Sie haben unsere Anträge auf Verbot von Wahlabsprachen, Listenverbindungen usw. immer wieder abgelehnt. Selbst als wir Ihnen
— Herr Kollege Stücklen! — bei Beratung des Antrags zum Mehrheitswahlrecht die Frage vorlegten, ob Sie gegebenenfalls bereit seien, auf alle diese Dinge zu verzichten, sind Sie die positive Antwort schuldig geblieben.
Dann wollten Sie uns, meine Damen und Herren von den Christlichen Demokraten, Ihren Standpunkt — wie Sie es ja auch jetzt wieder in der Presse tun und wahrscheinlich hier ebenfalls in Ihrer Erklärung nachher tun werden — noch mit den bösen Erfahrungen aus dem Weimarer Staat und mit „staatspolitischen Notwendigkeiten" plausibel machen. Sie sagen „Weimar", aber Sie denken ja nur an das Palais Schaumburg!

(Zurufe und Lachen bei der CDU/CSU.)

Mit solchen schönen Redensarten und mit ein paar billigen Phrasen machen Sie sich nach all dem, was Sie in der Vergangenheit in dieser Hinsicht auf sich geladen und gesündigt haben, nicht wieder glaubwürdig. Sie haben die Geduld des Bundesbürgers in dieser Beziehung viel zu sehr strapaziert.

(Beifall bei der SPD.)

Wie war es denn mit der jahrelangen Verschleppung des Wahlgesetzes, das ja eine so bequeme Kandare für aufbegehrende Koalitionspartner war? Wie war es denn mit dem finsteren Anschlag mit dem Grabensystem? Wie haben Sie landauf, landab manipuliert mit Blockbündnissen etc.. bei denen auch der letzte Rest von politischen Grundsätzen und politischem Anstand über Bord geworfen wurde! In Kiel haben Sie sich in einer Kommunalwahl sogar mit der DRP von Herrn Hedler verbündet; in Büdelsdorf bei Rendsburg haben Sie sich mit dem Dänischen Wählerverband verbündet, gegen den Sie dann 60 km nordwärts eine ,,patriotische" Einheitsliste aufgestellt haben. — Natürlich, Herr Rasner, Sie wissen genau Bescheid!
Sie reden von staatspolitischen Notwendigkeiten und davon, daß Sie die kleinen Parteien nicht im Bundestag haben wollen. Wer anders als Sie hat denn 1953 die Deutsche Partei, die ja nur 3.2 % der Stimmen auf Bundesebene hatte, in den Bundestag


(Rehs)

gebracht, Sie durch Ihre Wahlabsprachen?! Wie war die Geschichte mit dem Zentrum, und wie war die Geschichte Ihrer damaligen Verhandlungen mit der Bayernpartei, die Sie schon damals bloß reingelegt haben?!

(Abg. Stücklen: Wer hat wen reingelegt?)

— Herr Stücklen, das können Sie sich selber sehr genau beantworten!
Also, meine Damen und Herrn, die Entscheidung über diese Frage sollte Ihnen verhältnismäßig einfach sein. Sie haben die Möglichkeit, Ihre Beteuerungen, daß es sich hier um staatspolitische Notwendigkeiten handelt, dadurch glaubwürdig zu machen, .daß Sie sich bereit erklären, die kleinen Parteien ,aus dem Würgegriff dieser Klausel freizugeben und den Wählerwillen unverfälscht und unmanipuliert bei dieser Wahl zum Ausdruck kommen zu lassen. Nehmen Sie unseren Antrag an, und wir werden bereit sein, Ihren Erklärungen auch in diesem Punkt einen neuen Vertrauenskredit einzuräumen.

(Beifall bei der SPD. — Abg. Rasner: Sie haben schon für bessere Sachen gefochten, Herr Rehs! — Weiterer Zuruf von der CDU/CSU: Das war sehr schwach!)


Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0219105000
Das Wort zur weiteren Begründung hat der Abgeordnete Mattick.

Kurt Mattick (SPD):
Rede ID: ID0219105100
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Sie werden verstehen, wenn ich sage, daß es mir schwerfällt, nach der gestrigen Debatte um Berlin Ihre Aufmerksamkeit nochmals auf Berliner Fragen zu lenken. Ich bin mir dabei klar, daß die heutige volle Besetzung des Hauses nicht diesem Antrag gilt, sondern der Vorbereitung ,auf ,die zu erwartende Abstimmung. Ich darf Sie dennoch bitten, mir noch einmal kurze Zeit Gehör für unseren Antrag zu schenken. Wir haben ein Anliegen, das Sie doch noch einmal ernstlich überprüfen sollten.
Der von uns allen sehr geschätzte USA-Botschafter Conant hat gestern in einer Ihnen sicher schon bekannten Rede erklärt, daß die Berlin-Garantie der Amerikaner bis zur Wiedervereinigung Deutschlands ihre uneingeschränkte Gültigkeit hat. Diese Erklärung eines Mannes, dessen Wort uns als sehr überlegt bekannt ist, hat große Bedeutung auch bei .der heutigen Auseinandersetzung, die wir noch zu führen haben. Ich glaube nämlich, meine Damen und Herren, daß wir uns über die Frage, ob die Beteiligung der Berliner an der Bundestagswahl eine Belastung dieser Garantie bedeuten würde oder nicht, durchaus mit den Besatzungsmächten in Berlin unterhalten können und hier nicht eine Vorentscheidung zu treffen brauchen, die uns diese Auseinandersetzung effektiv versperrt. Um ,diese Frage geht es.
Ich weiß nicht, ob Sie — ich darf das bei dieser Gelegenheit einmal sagen — auch gelesen haben, daß der Herr Conant, der Botschafter der USA, in den vier Jahren, in denen er in Deutschland tätig war, hundertmal in der Bundeshauptstadt Berlin war.

(Bravo-Rufe von der SPD.)

Ich brauche nicht zu sagen, welche Vergleiche uns in ‘diesem Augenblick einfallen. Ich kann mir aber denken, daß der Botschafter der Amerikaner vielleicht aus diesem Grunde mehr Verständnis für die
Forderung der Berliner hat, an diesen Bundestagswahlen direkt teilnehmen zu können, als einige Herren, die hier im Bundestag darüber mit entscheiden.

(Beifall bei der SPD und beim GB/BHE.)

Meine Damen und Herren, wenn Sie den Antrag richtig prüfen, dann werden Sie feststellen, daß Sie hier ja nicht beschließen sollen: Berlin wählt, sondern Sie sollen die letzte Entscheidung darüber Berlin und den Kommandanten Berlins übertragen. Ich glaube, das ist kein allzu unbilliges Verlangen.
Sehen Sie, meine Damen und Herren — ich darf mit einem Satz noch einmal auf die gestrige Debatte zurückkommen —, die Berliner Bevölkerung hat ihre Entscheidung getroffen, wo sie steht. Diese Entscheidung — ich ,darf das Herrn D r. Friedensburg besonders in Erinnerung rufen — fiel, als sich Berlin als zum Währungsgebiet der Bundesrepublik gehörig entschied. Darf ich daran erinnern, daß uns damals Herr Dr. Friedensburg in Berlin in wohlmeinender Überlegung den Rat gab, doch eventuell eine Bärenmark einzuführen, um nicht in die Gefahr zu kommen, daß die Sowjetunion angesichts der Einschließung Berlins in das Währungsgebiet des Bundes jenseits der Elbe zu bitteren Konsequenzen kommen kann. Herr Dr. Friedensburg wird sich seiner Gedanken damals nicht gern erinnern. Aber er wird sich erinnern. Sehen Sie, Berlin hat damals anders entschieden. Aber ich glaube, die Verwirklichung des Vorschlages von Herrn Dr. Friedensburg wäre nicht gut gewesen; denn wo würde Berlin heute stehen, wenn es die Bärenmark eingeführt hätte,

(Beifall bei der SPD) anstatt sich dem Bund anzuschließen?


Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0219105200
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Frage?

Kurt Mattick (SPD):
Rede ID: ID0219105300
Bitte am Schluß, Herr Dr. Friedensburg. Wir haben uns ja ,angewöhnt, Begründungen im Zusammenhang zu geben. Ich bin gern bereit, auf eine Frage von Ihnen einzugehen. Aber ich möchte erst meine Ausführungen zu Ende bringen.
Meine Damen und Herren, wir glauben also, daß mit dieser Entwicklung auch der letzte Schritt für Berlin von diesem Bundestag getan werden muß. Ich darf in Erinnerung rufen und mit der Genehmigung des Herrn Präsidenten verlesen, was die sozialdemokratische Fraktion vor elf Monaten in ihrer Schlußerklärung zur dritten Lesung hierzu gesagt hat. Wir haben damals erklärt:
Aber nach wie vor bleibt für die sozialdemokratische Fraktion die Ausklammerung von Berlin die nationalpolitische Belastung und größte Enttäuschung.
Die Sozialdemokratische Partei — so heißt es dann weiter — erkennt ,die Notwendigkeit, das Wahlgesetz so kurz vor der Wahl zu verabschieden. Wir sagten in unserer Erklärung aber zum Schluß:
Sie wird daher in der dritten Lesung dem Gesetz ihre Zustimmung geben, allerdings nicht ohne hier noch einmal ausdrücklich zu erklären, daß sie die Entscheidung über Berlin nicht akzeptiert und auch in Zukunft alle Möglichkeiten ausschöpfen wird, um ,der Berliner Bevölkerung das direkte Wahlrecht zu geben.


(Mattick)


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0219105400
Die Bundesregierung sieht verfassungsmäßige Bedenken gegen die Einführung des Stimmrechts für die Berliner Abgeordneten, da sie nichtdirekt gewählt sind.

(Bundesinnenminister Dr. Schröder: Ich habe kein Wort davon gesagt!)

— Aber sicher, Herr Minister, haben Sie das gesagt.

(Bundesinnenminister Dr. Schröder: Nichts, kein Wort!)

— „Verfassungsrechtliche Bedenken" haben Sie gesagt.

(Bandeninnenminister Dr. Schröder: Nicht ein Wort!)

- Bitte, dann müssen wir das im Protokoll nachlesen.

Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0219105500
Meine Damen und Herren, wir wollen an dem Brauch festhalten, daß von der Regierungsbank aus keine Zwischenrufe gemacht werden.

(Beifall links und bei der FDP.)


Kurt Mattick (SPD):
Rede ID: ID0219105600
Meine Damen und Herren, dazu verweise ich auf einen Artikel der „Zeit" von heute mit der Überschrift „Vorsicht — Arrangeure!". Darin heißt es: Die SPD bringt einen Antrag ein, wonach die Vertreter aus Berlin, die nicht direkt gewählt sind, Stimmrecht haben sollen. Und dann polemisiert die Zeitung gegen den Antrag der SPD auf Gewährung des Stimmrechts mit folgender Begründung: Damit will die SPD über vier Jahre den elf Vertretern der SPD von Berlin das Stimmrecht geben, ohne daß die Vertreter Berlins in den Bundestag direkt gewählt sind.
Sie sehen also, in welche Verleumdungskampagne unser Berlin-Antrag kommt. Berlin wollte von Anfang an direkt wählen. Sie hätten jetzt eine Gelegenheit, den Weg dazu freizugeben.
Ich darf einige Bemerkungen zu unserem Gesetzentwurf machen. Ich hoffe, Sie haben ihn angesehen. Was wir mit dem Antrag anstreben, ist keine Änderung, sondern nur eine Ergänzung des Wahlgesetzes, um Berlin und den Stadtkommandanten die Möglichkeit zu geben, die Berliner zu den Wahlen zuzulassen, ohne daß der Bundestag noch einmal dazu sprechen muß. Ich darf auf folgendes aufmerksam machen. Wenn Sie den Sperriegel belassen, dann wird der jetzige Zustand weitere vier Jahre konserviert, und die Berliner Abgeordneten können wegen derselben verfassungsrechtlichen Bedenken in den nächsten vier Jahren auch nicht zum Stimmrecht kommen.
Ich darf in diesem Zusammenhang auf den gestrigen Antrag verweisen. Unser heutiger Gesetzentwurf geht von dem gleichen Gedanken aus wie unser gestriger Antrag auf Zuerkennung uneingeschränkten Stimmrechts, was Sie in der Drucksache 3125 nachlesen können, daß nämlich die Stellung der westlichen Alliierten in Berlin damit nicht angetastet wird und auch gar nicht angetastet werden muß. Ich bin überzeugt: wenn der Bundestag den Weg dazu freigibt, daß sich die Berliner an der Bundestagswahl beteiligen können, wird eine Verständigung zwischen Berlin und den drei
Kommandanten zustande kommen. Wir sollten es auf die Willensentscheidung der Alliierten ankommen lassen und diese nicht durch die Ablehnung des Gesetzentwurfes vorwegnehmen.
Noch einmal möchte ich betonen, daß es sich nicht um eine Änderung, sondern nur um eine Ergänzung des Wahlgesetzes handelt. Ich möchte Sie ganz dringend bitten, in aller Sachlichkeit und Ruhe unseren Antrag zu prüfen. Machen Sie den Weg dafür frei, daß die Berliner sechs Wochen vor der Wahl mit den Kommandanten darüber entscheiden können, ob sie wählen oder nicht wählen. Nichts weiter fordern wir von Ihnen.
Ich beantrage, unseren Antrag dem Wahlrechtsausschuß zu überweisen.
Jetzt, Herr Dr. Friedensburg, bin ich bereit, Ihre Frage zu beantworten. Entschuldigen Sie bitte, daß ich Sie so lange warten ließ.

Dr. Ferdinand Friedensburg (CDU):
Rede ID: ID0219105700
Herr Kollege Mattick, ist Ihnen nicht bekannt, daß der Vorschlag, die Währungsspaltung von Berlin durch eine gemeinsame Währung zu überwinden, nicht von mir, sondern von einem Angehörigen des von mir geleiteten Instituts ausgearbeitet worden ist und daß ich als verantwortlicher Präsident eines auch von der Stadt Berlin subventionierten Instituts pflichtgemäß diesen Vorschlag dem Herrn Oberbürgermeister zugeleitet habe mit der ausdrücklichen Bemerkung, daß ich mir den Vorschlag nicht zu eigen mache und daß er geheim zu halten sei, und ist Ihnen nicht bekannt, daß dieser Vorschlag dann von Ihren Freunden zu durchsichtigen politischen Zwecken im Wege einer politischen Hetze gegen mich benutzt worden ist?

(Hört! Hört! in der Mitte.)


Kurt Mattick (SPD):
Rede ID: ID0219105800
Meine Damen und Herren, ich bin leider nicht in der Lage, die Reden, die dazu gehalten wurden, auf den Tisch zu legen. Herr Dr. Friedensburg, wir werden das nachholen müssen.

(Zurufe von der CDU/CSU.)

— Bitte, lassen Sie mich doch antworten! Nach meiner Erinnerung, Herr Dr. Friedensburg, haben Sie diesen Vorschlag gestützt. So liegt es, glaube ich, auch in Berlin fest. Aber darüber werden wir reden müssen.

(Beifall bei der SPD.)


Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0219105900
Das Wort hat der Herr Bundesminister des Innern.

Dr. Gerhard Schröder (CDU):
Rede ID: ID0219106000
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es tut mir leid, daß Herr Kollege Ma t tick in einer so wichtigen Frage wie der, die wir gestern debattiert haben und die heute hier einen gewissen Nachklang findet, nicht nur so ungenau zitiert, sondern etwas völlig falsch anführt.

(Hört! Hört! in der Mitte.)

Ein Blick in das Protokoll von gestern wird zeigen, daß ich die Ausführungen, die er mir unterstellt hat, nicht gemacht habe.
Ich habe gestern zweimal des längeren auseinandergesetzt, welche Bedenken wir gehabt haben, die Regelung zu treffen, wie sie sich in dem Eingliederungsgesetz über die Saar findet. Ich habe dabei ausgeführt, daß wir nur mit großen Be-


(Bundesminister Dr. Schröder)

denken und nur deswegen, weil wir in demselben Gesetz sowohl das Übergangsstadium wie das endgültige Stadium ab September regeln konnten, davon haben absehen können, die Bestimmung des Art. 38 des Grundgesetzes zu beachten, und uns dabei stützen auf Art. 23 des Grundgesetzes und die durch ihn gegebenen Übergangsmöglichkeiten.
Ich wäre dankbar, wenn in einer so wichtigen Frage keine falschen Zitate verbreitet würden.

(Beifall bei der CDU/CSU.)


Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0219106100
Das Wort hat der Abgeordnete Scharnberg.

Hugo Scharnberg (CDU):
Rede ID: ID0219106200
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Namens der Fraktion der CDU/CSU gebe ich zu den Änderungsanträgen zum Bundeswahlgesetz auf den Drucksachen 3027 und 3097 folgende Erklärung ab.
Die Fraktion der CDU/CSU lehnt die Überweisung der Gesetzentwürfe an die Ausschüsse ab.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Sie begründet diese ihre Haltung wie folgt:
Zunächst zur Sache. Erstens. Die Fraktion der CDU/CSU konnte ihre Vorstellungen über ein den Staatsnotwendigkeiten entsprechendes, die Erfahrungen der Weimarer Demokratie berücksichtigendes Mehrheitswahlrecht weder im 1. noch im 2. Bundestag verwirklichen. Sie strebte dieses Wahlrecht an wegen seiner integrierenden Wirkung.

(Bravo! in der Mitte.)

Dieser Zielsetzung dienen das Zweitstimmensystem und in Verbindung damit die jetzige Fassung der Sperrklausel. Die Fraktion der CDU/CSU ist nicht bereit, diese Bestimmungen, die seinerzeit von der SPD als ein fairer Kompromiß bezeichnet wurden,

(Hört! Hört! bei der CDU/CSU) aufzugeben.

Zweitens. Die SPD hat vor Jahresfrist immer wieder und mit Recht darauf hingewiesen, daß es untunlich, ja, dem Gedanken einer sauberen parlamentarischen Demokratie abträglich ist,

(Abg. Dr. Reichstein: Korruptionsklauseln einzuführen!)

kurz vor dem Ende der Legislaturperiode des Bundestages und in Zeiten des beginnenden Wahlkampfes Änderungen am Wahlgesetz vorzunehmen.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Drittens. Um so verwunderlicher ist es, daß die gleiche SPD jetzt eine Novelle zu diesem Bundeswahlgesetz einbringt, und zwar offensichtlich aus rein parteipolitischen Zweckmäßigkeitserwägungen.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Auch ihre eigenen Mitglieder sind offensichtlich über diese Haltung der SPD in Sorge,

(Oh-Rufe von der SPD)

wie die ablehnende Stellungnahme der SPD-Landtagsfraktion in Hessen zur Wahlgesetznovelle der SPD-Bundestagsfraktion deutlich zeigt.

(Hört! Hört! bei der CDU/CSU.)

In den Änderungsanträgen zum Wahlgesetz ist
kein Vorschlag enthalten, der nicht schon vor Jahresfrist gründlich diskutiert worden ist. Es widerspricht jeder gesunden Vorstellung vom Stil unseres parlamentarischen Lebens, wenn Anträge, über die dieses Hohe Haus schon einmal eindeutig entschieden hat, erneut vom gleichen Haus in der gleichen Legislaturperiode behandelt werden.

(Sehr gut! rechts.)

Wir haben gemeinsam die Verpflichtung, dafür Sorge zu tragen, daß die Entscheidungen des Hauses in der deutschen Öffentlichkeit ernst genommen werden und daß an ihnen nicht gedeutelt wird.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Viertens. Das vom Bundestag verabschiedete Wahlgesetz ist Gegenstand einer Klage vor dem Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe gewesen. Das Bundesverfassungsgericht hat in einem juristisch wie staatspolitisch bedeutsamen Urteil die Verfassungsmäßigkeit dieses Wahlgesetzes ausdrücklich bestätigt. Der Bundestag als eines unserer Verfassungsorgane hat die selbstverständliche Pflicht, die Entscheidung eines anderen Verfassungsorgans zu respektieren, wenn immer wir von einer gut funktionierenden Demokratie reden wollen.

(Beifall bei der CDU/CSU. — Zurufe von der SPD.)

Der Bundestag hätte nach unserer Auffassung darüber hinaus sogar die Pflicht, die iii zum Teil unqualifizierbaren Äußerungen erhobene Kritik an der Entscheidung unseres Bundesverfassungsgerichts mit Schärfe zurückzuweisen.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Fünftens. Wie schon gesagt, hat das Zweitstimmensystem in Verbindung mit der jetzigen Form der Sperrklausel das Ziel der Integration unseres parteipolitischen Lebens. Wenn infolgedessen Parteien vor der Wahl, während der Wahl oder nach der Wahl zur Zusammenarbeit bereit sind und sich öffentlich dazu bekennen, so geben ihnen diese auf Integration abzielenden Bestimmungen des Bundeswahlgesetzes die verfassungsmäßig als legal anerkannte Möglichkeit dazu.

(Sehr richtig! in der Mitte.)

Sechstens. Die Fraktion der CDU/CSU weiß sich mit der großen Mehrheit der Bevölkerung wie auch der Presse einig, wenn sie aus allen diesen Gründen ihre Mithilfe dazu versagt, daß die Diskussion über das Wahlrecht jetzt vor der Wahl in der Legislative neu eröffnet wird.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Sie beabsichtigt nicht, vor der Wahl des nächsten Bundestages noch einmal den Versuch zu erneuern, das von ihr als staatspolitisch zweckmäßig erachtete Mehrheitswahlrecht herbeizuführen, einen Versuch, mit dem die Debatte über das Wahlrecht zweifellos in vollem Umfang und von Grund auf neu eröffnet werden würde. Die Fraktion ist allerdings der Meinung, daß dieser ihr Verzicht zur notwendigen Konsequenz hat, daß von jeder Neueröffnung der parlamentarischen Diskussion über das Wahlrecht Abstand genommen werden muß.
Siebentens. Die Fraktion der CDU/CSU verkennt nicht. daß der Wahlrechtsänderungsantrag der Fraktionen der Deutschen Partei und des GB/BHE in wesentlich geringerem Umfang als der Antrag der SPD eine Aushöhlung der jetzigen Sperrklausel zum Ziele hat. Da der Grundsatz „keine Ändederung des Wahlgesetzes kurz vor der Wahl" je-


(Scharnberg)

doch nicht teilbar und nicht modifizierbar ist, lehnt die Fraktion auch die Überweisung dieses Antrages an die Ausschüsse ab.
Und nun noch zu dem geschäftsordnungsmäßigen Verfahren!
Erstens. Die Ablehnung der Ausschußüberweisung stellt noch keine Entscheidung in der Sache dar. Sie gibt vielmehr der Fraktion lediglich die Gelegenheit, im Plenum des Bundestages schon bei der ersten Beratung ihre grundsätzliche Haltung unmißverständlich darzutun. Die Sachentscheidung fällt, falls die Ausschußüberweisung mit Mehrheit abgelehnt wird, erst in der zweiten Lesung bei Aufruf der einzelnen Paragraphen. Nach der Geschäftsordnung und nach dem Terminkalender des Bundestages ist das frühestmögliche Datum für diese Sachentscheidung Donnerstag, der 21. Februar.
Zweitens. Der Änderungsantrag der Fraktion der SPD, Drucksache 3097, bezweckt nicht nur die Änderung der Sperrklausel, sondern auch, das Land Berlin in elf Bundestagswahlkreise einzuteilen.
Die Fraktion der CDU/CSU hat im Ältestenrat die SPD-Fraktion mehrfach gebeten, ihren Wahlrechtsänderungsantrag zu teilen. Sie hat dabei zum Ausdruck gebracht, daß sie den Berlin betreffenden Abschnitt selbstverständlich dem Ausschuß überwiesen und dort gründlich diskutiert sehen möchte. Die SPD-Fraktion hat dieser mehrfachen Bitte nicht entsprochen. Es geht ihr offensichtlich darum, durch ein Junktim zwischen dem Antrag auf Änderung der Sperrklausel und dem Berlin betreffenden Passus die Fraktion der CDU/CSU zur Ausschußüberweisung zu veranlassen. Hierdurch ist jedoch weder ihrem Berlin-Antrag noch der hier zur Entscheidung stehenden Frage gedient.
Die Fraktion der CDU/CSU erklärt ausdrücklich, daß sie einer Ausschußüberweisung des Berlin betreffenden Passus im Wahlgesetzänderungsantrag der SPD zustimmen wird, falls die SPD-Fraktion diesen Antrag neu und separat von ihrem Antrag zur Sperrklausel stellt. In der jetzigen Fassung sieht sie sich dagegen gezwungen, dem Antrag Drucksache 3097 in seiner Gesamtheit die Ausschußüberweisung zu verweigern.

(Beifall bei der CDU/CSU. — Abg. Dr. Menzel: Furcht vor den Berliner Wählern!)


Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0219106300
Das Wort hat der Abgeordnete Rehs.

Reinhold Rehs (SPD):
Rede ID: ID0219106400
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte feststellen, daß die Erklärung der CDU/CSU das Muster einer Vernebelung und Verschleierung des Sachverhalts darstellt,

(Sehr gut! bei der SPD. — Lachen bei der CDU/CSU)

das nur durch Ihre Begründung, durch Ihre scheinheilige Begründung zu dem Grabensystem — —

(Lebhafte Pfui-Rufe und Zurufe von der CDU/CSU: Unverschämtheit!)


Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0219106500
Herr Abgeordneter Rehs, der Ausdruck „scheinheilig" entspricht nicht den parlamentarischen Sitten.

(Zustimmung bei der CDU/CSU.)


Reinhold Rehs (SPD):
Rede ID: ID0219106600
Aber er entspricht der Sache!

(Erneut lebhafte Pfui-Rufe von der CDU/CSU.)


Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0219106700
Herr Abgeordneter Rehs, in diesem Wort muß ich eine Kritik am amtierenden Präsidenten erblicken. Ich rufe Sie zur Ordnung.

(Sehr richtig! bei der CDU/CSU. — Abg. Dr. Kliesing: Das ist der Stil! — Abg. Rasner [zum Abg. Rehs] : Sie haben schon bessere Sachen vertreten als diese!)


Reinhold Rehs (SPD):
Rede ID: ID0219106800
Ja, Herr Kollege Rasner, bessere Sachen, als Sie sie jetzt hier mit Ihrer Begründung uns soeben vorgetragen haben! Da haben Sie allerdings recht!
Meine Damen und Herren, die Wurzel dieser ganzen Diskussion und die Quelle alles Übels ist die Tatsache und nur die Tatsache, daß Sie Macht manipulieren wollen,

(Zuruf von der CDU/CSU: S i e wollen doch manipulieren!)

daß Sie nie im ehrlichen und sauberen Wahlkampf die Entscheidung des Wählers haben wollen, sondern daß Sie auf dem Wege über Wahlabsprachen, Blockbündnisse usw. nach wie vor die Dinge retuschieren wollen.

(Beifall bei der SPD.)

Sie haben ja nicht umsonst — das ist ja Ihr Kanzler gewesen — sich die 13 Mandate im Wege dieser Wahlabsprachen für den jetzigen Bundestag gesichert. Das ist natürlich das, was Sie reizt.

Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0219106900
Herr Abgeordneter Rehs, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Majonica?

Reinhold Rehs (SPD):
Rede ID: ID0219107000
Bitte sehr!

Ernst Majonica (CDU):
Rede ID: ID0219107100
Herr Kollege Rehs, wenn dieses Wahlgesetz so schlecht war, warum haben Sie ihm dann erst zugestimmt?

(Beifall bei der CDU/CSU.)


Reinhold Rehs (SPD):
Rede ID: ID0219107200
Herr Kollege Majonica, weil es immer noch besser ist als das, das Sie verabschieden wollten!

(Beifall bei der SPD. — Lachen bei der CDU/CSU.)

Meine Damen und Herren, weshalb sträuben Sie sich gegen die Ausschußüberweisung? Weshalb haben Sie Angst, daß die Dinge im Ausschuß beraten werden?

(Abg. Kunze [Bethel]: Wir haben keine Angst! Wir haben nur Grundsätze!)

Anscheinend trauen Sie sich und Ihren eigenen Mitgliedern doch nicht, weil Sie der Meinung sind, daß in diesen Beratungen unter Umständen dann doch einige der sachlichen Argumentation folgen würden!

(Oh-Rufe von der CDU/CSU.)

Meine Damen und Herren, ich wiederhole: Solange Sie nicht bereit sind, auf alle Wahlmanipulationen, Verbindungen, Blockabsprachen etc. etc. zu verzichten, werden Sie nicht den Anspruch erheben können, daß Sie es mit Ihrer jetzigen Argu-


(Rehs)

mentation ehrlich meinen. Solange Sie diese Erklärung nicht abgeben — auch Herr Kollege Scharnberg hat jedes Wort nach dieser Richtung peinlich vermieden —, wird Ihnen auch die Bevölkerung nicht glauben, daß Sie es nur aus „staatspolitischen Notwendigkeiten" tun, sondern sie wird das Wort „Parteipolitik", das hier von Herrn Scharnberg ausgesprochen worden ist, als das einzige und wahre Motiv für Ihr Verhalten erkennen.

(Beifall bei der SPD.)


Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0219107300
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Bucher.

Dr. Ewald Bucher (FDP):
Rede ID: ID0219107400
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Namens der Fraktion der FDP habe ich folgende Erklärung abzugeben.
Die Fraktion der FDP hält es für nicht unbedenklich, kurz vor der Wahl das Wahlgesetz zu ändern.

(Sehr gut! bei der CDU/CSU.)

Sie sieht das jetzige, nach schweren Auseinandersetzungen zustande gekommene Wahlgesetz als endgültig an.

(Sehr gut! bei der CDU/CSU.)

Nachdem nun aber von drei Fraktionen des Hohen Hauses ohne unser Zutun Änderungsanträge vorliegen, darunter vor allem einer, der sich auf das Wahlrecht in Berlin bezieht, halten wir es für angebracht, daß diese Anträge im Ausschuß behandelt werden, und stimmen deshalb der Ausschußüberweisung zu.

(Beifall bei der FDP und der DP.)


Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0219107500
Das Wort hat der Abgeordnete Petersen.

Helmut Petersen (GB/BHE):
Rede ID: ID0219107600
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Sie werden nicht leugnen können, daß es kein guter parlamentarischer Stil ist, wenn man Gesetzesanträge von drei Fraktionen ohne eine sachliche Diskussion in den Ausschüssen

(Zuruf von der CDU/CSU: Die haben wir ja gehabt!)

einfach durch die Stimmengewalt einer Fraktion untergehen lassen will. Warum kommen wir denn zu Änderungsanträgen zum Wahlgesetz? — Weil das Wahlgesetz in der Form, wie wir es im März vergangenen Jahres verabschiedet haben, keine gute Lösung darstellt

(Abg. Kunze [Bethel] : Sie haben doch zugestimmt!)

und weil dieses Wahlgesetz auch in der Form, in der es verabschiedet wurde, leider nicht in fairer Weise gehandhabt werden soll,

(Zuruf von der CDU/CSU: Warum haben Sie denn zugestimmt?)

weil es dazu benutzt werden soll,

(Abg. Sabel: Sie haben doch zugestimmt!)

im Wege von Wahlabsprachen die Wahl zu manipulieren.

(Sehr richtig! beim GB/BHE.)

Es ist hier in der Erklärung von Herrn Scharnberg gesagt worden, daß Sie leider nicht in der Lage gewesen seien, das Mehrheitswahlrecht einzuführen.
Ich erlaube mir die Frage: Warum? Sie haben doch die Mehrheit in diesem Hause, und wenn Sie nur gewollt hätten, hätten Sie es genauso erreichen können — mit der Mehrheitsgewalt, die Sie haben —, wie Sie andere Gesetze in diesem Hause durchgesetzt haben.
Sie haben sich auf den Spruch des Bundesverfassungsgerichts berufen. Was hat Karlsruhe festgestellt? Doch nur, daß das Wahlgesetz den Verfassungsgrundsätzen entspricht, daß die politische Entscheidung aber in diesem Parlament zu fällen ist. Eine bessere politische Erkenntnis mit einer anderen Entscheidung würde also durchaus nicht gegen den Urteilsspruch von Karlsruhe verstoßen.

(Sehr richtig! beim GB/BHE.)

Das Karlsruher Gericht hat sich sehr eingehend mit der Frage befaßt, ob es beispielsweise vertretbar sei, eine 5%-Sperrklausel durch drei Direktmandate auszugleichen, — einer der schwerwiegenden Fehler, den dieses Wahlgesetz enthält, weil es auf der einen Seite einer Partei zumutet, eineinhalb Millionen Wählerstimmen aufzubringen, andererseits aber einer anderen Partei die Möglichkeit läßt, durch drei Direktmandate diese Notwendigkeit auszugleichen; aber nicht durch drei Direktmandate, die sie selbst aus eigener Kraft erringt — das wäre ja immer noch eine echte Schwerpunktbildung —,

(Zuruf vom GB/BHE: Das ist es!)

sondern durch drei Mandate, die sie auf anderen politischen Stelzen erreicht.

(Zuruf vom GB/BHE: Korruptionsklausel!) Das ist das Entscheidende.

Verkennen wir doch nicht, daß sehr ernsthafte Wissenschaftler wie der Staatsrechtslehrer Nawiasky bei Betrachtung dieser Ersatzklausel von einer korrumpierenden Bestimmung gesprochen haben. Man kann an diesem kritischen Punkte des Wahlgesetzes nicht vorbeigehen. Die politischen Ereignisse der letzten Wochen und Monate haben uns ja gezeigt — wir wollen es doch mal ehrlich gestehen —, daß die großen Parteien durchaus bemüht sind — insonderheit auch die CDU —, die 5-%-Sperrklausel durch Wahlabsprachen, durch Zurverfügungstellung von Mandaten an kleinere Parteien zu umgehen.

(Zuruf von der CDU/CSU: Wo denn?)

— Sie schütteln den Kopf, Herr Kollege Scharnberg. Ihr Fraktionsvorsitzender, Herr Dr. Krone, hat in Hannover nach Pressemeldungen unter Bezugnahme auf die Verhandlungen der Deutschen Partei mit der Bayernpartei, die er so sehr mißbilligt, erklärt: „Wir werden einen Weg finden, um die Kräfte wieder an der Verantwortung zu beteiligen, die sie acht Jahre mit uns getragen haben". Das ist doch auf jeden Fall eine Einladung, sich ihrer politischen Unterstützung zu bedienen, meine Damen und Herren, und eben nicht das ehrliche Ringen um die Notwendigkeiten, die das Wahlgesetz festgelegt hat. Die Deutsche Partei legt darauf keinen Wert; denn sonst hätte sie ja den Antrag nicht eingebracht. Es ist in der letzten Konsequenz — und das beachten Sie bitte — das Bestreben der kleineren Fraktionen dieses Hauses, politisch frei zu sein und zu bleiben oder zu werden.

(Beifall beim GB/BHE.)



(Petersen)

Meine Damen und Herren, wir können doch nicht übersehen, daß alle Parteien, die in der Koalition dieses Hauses einmal begonnen haben, einen schweren politischen Weg gegangen sind.

(Abg. Dr. Horlacher: Was?!)

— Einen schweren politischen Weg gegangen sind, schwer insofern, als wir auf die Großzügigkeit des starken Koalitionspartners vertrauten, aber in dieser Hinsicht schwer enttäuscht wurden.

(Beifall beim GB/BHE und bei der SPD.)

Das ist nicht nur unserer Fraktion passiert. Wir haben einige schwache, wankelmütige Politiker verloren, aber wir haben die innere Einheit gewonnen.

(Erneuter Beifall beim GB/BHE und bei der SPD. — Lachen und Zurufe bei der CDU/CSU.)

Dasselbe Schicksal hat die Freie Demokratische Partei beklagen müssen, und jetzt wehrt sich die Deutsche Partei mit ihrem Antrag gegen ein auf der gleichen Basis sich vielleicht einmal anbahnendes Schicksal.
Es ist also die klare Erkenntnis, daß wir ein Wahlgesetz für den nächsten Bundestag wünschen, das die kommende Regierungskoalition nicht schon vor der Wählerentscheidung vorwegnimmt, und zwar in dem Sinne, wie Sie es auf Grund Ihrer Mehrheitsmöglichkeiten in diesem Bundestag bestimmen. Mehr wird nicht verlangt. Sie können nicht sagen, daß sich die antragstellenden Parteien etwa scheuen, Sperrbestimmungen zuzustimmen, die die Bildung von Kleinstparteien in diesem Raum erschweren; aber gerecht und gleichwertig müssen sie sein. Meine Damen und Herren, wir vom Gesamtdeutschen Block/BHE haben erklärt, daß wir Wahlhilfen von großen Parteien nicht in Anspruch nehmen werden. Sie sind uns auch von Ihnen, meine sehr verehrten Damen und Herren von der CDU, als Möglichkeiten hingestellt worden.

(Zurufe von der CDU/CSU.)

Wir werden sie nicht nehmen, weil wir die unbeeinflußte Wählerentscheidung im September dieses Jahres haben wollen. Aber wir wollen eine Wählerentscheidung haben, die allen Parteien gleiche Fairneß und gleiche Rechte gibt.

(Erneute Zurufe von der CDU/CSU.)

Wenn wir dann wieder im Bundestag sein werden, wollen wir die freien politischen Möglichkeiten für unsere politische Entscheidung haben. Es ist also nichts mehr und nichts weniger als ein Appell an die politische Fairneß, einem anständigen und fairen Wahlgesetz,

(wiederholte Zurufe von der CDU/CSU) wie es beantragt wurde, Raum zu geben.

Ich bitte das Haus, dem Antrag der antragstellenden Fraktionen, der Deutschen Partei, des Gesamtdeutschen Blocks/BHE und der Sozialdemokratischen Partei, stattzugeben, diese Gesetzesvorlagen in einer aufgeschlossenen Aussprache erst einmal im Ausschuß zu beraten, ehe wir uns hier zur zweiten Beratung zusammenfinden.

(Beifall bei dem GB/BHE, der SPD und der DP.)


Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0219107700
Das Wort hat der Abgeordnete Rasner.

Will Rasner (CDU):
Rede ID: ID0219107800
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zunächst zur Erklärung der FDP: Mein Kollege Scharnberg hat bereits gesagt, daß die Sachentscheidung nicht heute, sondern erst in der zweiten Lesung des Gesetzentwurfs fällt, wenn alle einzelnen Paragraphen aufgerufen werden. Herr Kollege Mende, Ihnen möchte ich im Sinne der Erklärung des Kollegen Scharnberg sagen: Der Ausschußüberweisung in zweiter Lesung des Berlin betreffenden Passus im SPD-Antrag werden wir zustimmen. Wir haben mit großem Interesse zur Kenntnis genommen, was Sie zu dem ersten Punkt, zur 5%-Klausel, gesagt haben.
Herr Kollege Petersen, Sie haben moniert, daß man in erster Lesung die Ausschußüberweisung ablehnt. Ich darf darauf hinweisen, daß das ein nach der Geschäftsordnung dieses Hauses ganz präzise vorgesehener legaler Weg ist,

(Zurufe vom GB/BHE)

seine Meinung zu manifestieren. Es ist das etwas ganz anderes, als wenn eine Fraktion die Aufnahme eines Beratungspunktes in die Tagesordnung verweigert. Das ist etwas, was wir in diesem Hause häufig erlebt und oft als sehr ungut empfunden haben. Der Aufnahme dieses Punktes in die Tagesordnung haben wir, obwohl es sich um eine so politische Materie handelt, nicht widersprochen, was Sie bitte anerkennen wollen. Die sozialdemokratische Fraktion tut das bei Wehrvorlagen beispielsweise besonders gern. Was wir hier tun, ist absolut im Rahmen der Geschäftsordnung und hat mit unfreundlichen Akten usw. nichts zu tun, sondern dient der Manifestation unseres politischen Willens in dieser Frage.

(Beifall bei der CDU/CSU.)


Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0219107900
Das Wort hat der Abgeordnete Petersen.

Helmut Petersen (GB/BHE):
Rede ID: ID0219108000
Herr Kollege Rasner, ich habe nicht den Zweifel äußern wollen, daß Sie etwa nicht geschäftsordnungsmäßig verfahren sind. Das Verfahren ist selbstverständlich möglich. Aber wo kämen wir denn hin, wenn wir die Geschäftsordnung immer so praktizierten!

(Zurufe von der CDU/CSU.)

Das würde doch im Endeffekt bedeuten, daß Sie auf diesem Wege jede Gesetzesinitiative anderer Parteien mit Ihren Mehrheitsverhältnissen von vornherein abtöten können.

(Widerspruch bei der CDU/CSU.)


Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0219108100
Meine Damen und Herren, Wortmeldungen liegen nicht mehr vor. Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung. Es liegt der Antrag der Fraktionen des GB/BHE und der DP auf Drucksache 3027 vor. Es ist beantragt, ihn dem Wahlrechtsausschuß zu überweisen. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Das letzte war die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt.
Es liegt ferner vor der Antrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 3097. Es ist Überweisung an den Wahlrechtsausschuß beantragt. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Das letzte war die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt. Damit ist dieser Punkt der Tagesordnung für heute erledigt.


(Vizepräsident Dr. Jaeger)

Wir kommen nunmehr zu Punkt 13 der Tagesordnung:
Zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung und Ergänzung des Personenstandsgesetzes.

(Zuruf.)

— Zur Geschäftsordnung Herr Abgeordneter Rasner!

Will Rasner (CDU):
Rede ID: ID0219108200
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist eine interfraktionelle Vereinbarung darüber erzielt und vorhin bekanntgegeben worden, daß das Plenum jetzt für eine Sitzung der sozialdemokratischen Fraktion für die Dauer einer Stunde unterbrochen werden soll.

Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0219108300
Das ist hier nicht bekanntgegeben worden.

Will Rasner (CDU):
Rede ID: ID0219108400
Ich dachte, es wäre dem Präsidium bekannt gewesen. — Wir stimmen dem gern zu und bitten, so zu verfahren.

Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0219108500
Die Fraktion der Sozialdemokratischen Partei hat Unterbrechung für eine Stunde beantragt. — Die Sitzung ist bis 17 Uhr unterbrochen.

(Unterbrechung der Sitzung: 15 Uhr 59 Minuten.)

Die Sitzung wird um 17 Uhr 3 Minuten durch den Präsidenten D. Dr. Gerstenmaier wieder eröffnet.
) Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Meine Damen und Herren, wir fahren in der unterbrochenen Sitzung fort. Ich rufe den Punkt 13 der Tagesordnung auf:
Zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung und Ergänzung des Personenstandsgesetzes (Drucksachen 848, zu 848);
Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Angelegenheiten der inneren Verwaltung (8. Ausschuß) (Drucksache 2987, Umdrucke 929, 933, 934).

(Erste Beratung: 52. Sitzung.)

Das Wort als Berichterstatter hat der Herr Abgeordnete Schmitt (Vockenhausen).

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0219108600
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Im Hinblick auf die Geschäftslage möchte ich auf einen ausführlichen mündlichen Bericht verzichten. Ich darf auf den Schriftlichen Bericht*), der Ihnen vorliegt, verweisen.
Ich möchte nur noch einmal sagen, daß der Ausschuß das grundsätzliche Anliegen des Entwurfs bejaht hat, die Vertriebenen wieder mit beweiskräftigen Personenurkunden auszustatten und im Geltungsbereich des Gesetzes die Führung der Personenstandsbücher wieder nach einheitlichen Gesichtspunkten vornehmen zu lassen.

Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0219108700
Ich danke dem Herrn Berichterstatter.
') Siehe Anlage 2.
Ich rufe zunächst den Artikel I Nrn. 1 bis 10 auf. Hierzu liegen keine Änderungsanträge vor. Wird zu den aufgerufenen Nrn. 1 bis 10 des Artikels I das Wort gewünscht? — Das Wort wird nicht gewünscht. Ich schließe die Aussprache. Wer den aufgerufenen Nrn. 1 bis 10 des Artikels I zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Es ist so beschlossen.
Ich rufe die Nr. 11 auf Seite 9 auf. Hier liegt der Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Umdruck 933**) Ziffer 1 vor. Wird er begründet? — Bitte sehr, Herr Abgeordneter Schmitt (Vockenhausen).

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0219108800
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir bitten in unserem Antrag auf Umdruck 933, den Rechtszustand im Personenstandsrecht wiederherzustellen, wie er in der Weimarer Republik geschaffen worden ist, und die Änderungen, die in dem Personenstandsgesetz von 1937 in bezug auf die Eintragung des religiösen Bekenntnisses eingeführt wurden, wieder aufzuheben. Man hatte in Weimar gute Gründe für die Schaffung des Art. 136 der Weimarer Reichsverfassung gehabt, dessen Abs. 3 lautet:
Niemand ist verpflichtet, seine religiöse Überzeugung zu offenbaren. Die Behörden haben nur so weit das Recht, nach der Zugehörigkeit zu einer Religionsgesellschaft zu fragen, als davon Rechte und Pflichten abhängen oder eine gesetzlich angeordnete statistische Erhebung dies erfordert.
Die Weitergeltung dieser Bestimmung ist in Art. 140 unseres Grundgesetzes ausdrücklich festgelegt.
Nun wird immer wieder in die Diskussion geworfen, die Vorschrift sei nicht so wichtig, weil sich ohnehin der größte Teil der Bevölkerung zu einer der beiden großen Konfessionen bekenne. Aber gerade weil unser Volk in mehrere Konfessionen gespalten ist und weil es nicht zuletzt auch noch Mitbürger mosaischen Glaubens und Dissidenten gibt, ist eine solche wirklich tolerante Vorschrift von besonderer Wichtigkeit. Wenn man darüber hinaus bedenkt, daß bei Bewerbungen und in zahlreichen anderen Fällen im öffentlichen Leben die Urkunden eine besondere Bedeutung haben und auch haben sollen, dann müssen wir, nachdem das Grundgesetz die Vorschrift des Art. 136 übernommen hat, dafür sorgen, daß das Grundgesetz in dem Geist und nach dem Wortlaut seiner Vorschriften gehandhabt wird, und nicht wie die Ausschußvorlage Kompromisse suchen, um einer klaren Entscheidung entsprechend der verfassungsrechtlichen Lage nach der Weimarer Verfassung aus dem Wege zu gehen und die Grundgedanken der Weimarer Verfassung zu verwässern. Mit statistischen Gründen lassen sich ohnehin die Vorschriften in den von uns eingeführten Bestimmungen nicht halten, und die Regierungsvorlage hat das auch ausdrücklich bestätigt.
Alle anderen Begründungen — wie sie auf Seite 32 der Regierungsvorlage gegeben sind — schlagen nicht durch. Das Familienbuch kann und wird in vielen Fällen überholt sein, wenn Angaben nach den dort zitierten Gesetzen gemacht werden müssen, und in jedem Falle bestehen ja in den entsprechenden Gesetzen, die hier zitiert sind, entsprechende Auskunftspflichten gegenüber den zuständigen Behörden.
**) Siehe Anlage 4.


(Schmitt [Vockenhausen])

Wie man das Personenstandsgesetz mit den Kirchensteuern in Verbindung bringen kann — obwohl jedermann weiß, daß hierfür ganz andere Unterlagen benötigt werden —, ist mir unerfindlich. Das bleibt der Regierungsvorlage vorbehalten.
Nach der Regierungsvorlage sind Personenstandsurkunden eine Art von Allround-Urkunden. Tatsächlich ist es aber so, wie ich schon gesagt habe, daß in all den hier in Frage kommenden Gesetzen besondere Auskunftspflichten ausdrücklich festgelegt worden sind.
Die Regierung hat zwar recht selbstsicher im Bulletin vom 23. Oktober 1954 die Behauptung aufgestellt, verfassungsrechtliche Bedenken gegen die Vorlage der Bundesregierung beständen — wie es ausdrücklich heißt — in keinerlei Hinsicht. Diese Formulierung wird zwar in ihrer Selbstsicherheit der üblichen Art, in der im Bulletin geschrieben wird, gerecht; aber sie wird dem Sachverhalt, wie er tatsächlich in den vergangenen Jahren vorgekommen ist und wie die Frage rechtlich erörtert worden ist, in keiner Weise gerecht. Der Bundesregierung mußte bei der Abfassung dieses Aufsatzes doch die Vorgeschichte dieses Gesetzes in Erinnerung sein, so daß wirklich mehr Vorsicht geboten gewesen wäre, wenn so etwas im Bulletin der Bundesregierung geschrieben wird.
Ich will nicht noch einmal die gesamten Vorverhandlungen, insbesondere den Bericht über die 87. Sitzung des Rechtsausschusses des Bundesrates im März 1932, und all die anderen Sitzungen nach Wiedereinbringung der Vorlage im einzelnen in Erinnerung bringen, aber der Bundesregierung sind in jedem Fall die gewichtigen Bedenken des Bundesrates bekanntgewesen. Tatsächlich hat auch die Ausschußmehrheit bereits in einer wesentlich gemilderten Form nunmehr dem Hause einen Vorschlag gemacht. Aber diese Vorschläge werden weder dem Geist noch dem Wortlaut des Art. 136 gerecht, denn praktisch stellen sie natürlich eine Art Zwang dar. 1920 ist in Ausführung des Art. 136 das Gesetz geändert worden, und die von der Frau Kollegin Weber und anderen Damen und Herren des Rechtsausschusses vielfach zitierten Verhandlungen im 23. Ausschuß des Deutschen Reichstages haben nichts daran geändert, daß das Personenstandsgesetz in der Weimarer Republik in der 1920 geänderten Fassung immer in Kraft geblieben ist. Die nationalsozialistische Regierung hat meines Erachtens aus sehr durchsichtigen politischen Gründen die Offenbarung des religiösen Bekenntnisses angeordnet. Um so mehr haben wir jetzt allen Grund, die Bestimmungen aus der Zeit des Dritten Reiches wieder verschwinden zu lassen und zu dem bewährten Zustand aus der Weimarer Zeit zurückzukehren, um durch eine Vorschrift wirklicher Toleranz auch hier weiter den Weg zu weisen. In diesem Sinne, Herr Präsident, meine Damen und Herrn, darf ich im Namen der sozialdemokratischen Fraktion um Annahme unserer Anträge bitten.

(Beifall bei der SPD und beim GB/BHE.)


Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0219108900
Wird dazu das Wort gewünscht? — Bitte sehr, Herr Abgeordneter Dr. Kihn!

Dr. Karl Alfred Kihn (CSU):
Rede ID: ID0219109000
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Ausschuß für Rechtswesen und Verfassungsrecht hat sich eingehend über die verfassungsrechtliche Frage unterhalten und ist zu dem Ergebnis gekommen, daß die Angabe der Zugehörigkeit oder der Nichtzugehörigkeit zu einer Religionsgemeinschaft keinen verfassungsrechtlichen Bedenken begegnet. Wir haben dann eine Fassung gewählt, die allen Erwägungen der Toleranz entspricht. Ich bitte, die Formulierung des 8. Ausschusses anzunehmen und den Antrag der sozialdemokratischen Fraktion abzulehnen.

Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0219109100
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.
Wir kommen zur Abstimmung über den Änderungsantrag Umdruck 933*) Ziffer 1. Wer ihm zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Das ist die Mehrheit; der Änderungsantrag ist abgelehnt.
Eventualantrag Umdruck 933 Ziffer 2! Wer ihm zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen.
— Gegenprobe! — Das ist die gleiche Mehrheit; abgelehnt.

(Abg. Schmitt [Vockenhausen]: Herr Präsident, damit sind alle Anträge bis einschließlich Ziffer 16 erledigt, weil sie gleichlautend sind; erst Ziffer 17 braucht wieder aufgerufen zu werden!)

— Sie sind gleichlautend und entsprechen dem jetzt abgelehnten Antrag; dann können alle diese Anträge auf Umdruck 933 gestrichen werden.
Ich lasse über Ziffer 11 in der Ausschußvorlage abstimmen. Wer zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen?
— Bei zahlreichen Enthaltungen angenommen.
Ich rufe die Ziffer 12 auf, sie ist unverändert. Wer zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Angenommen.
Ich rufe § 12 in Ziffer 13 auf. Die Änderungsanträge sind zurückgezogen. Wird dazu das Wort gewünscht? - Das Wort wird nicht gewünscht. Wer dem § 12 in der Ausschußfassung zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Angenommen.
Ich rufe auf die §§ 13, — 14, — 15, — 15a, — 15 b, — 15 c, — 15 d. —

(Abg. Schmitt [Vockenhausen] : Herr Präsident, darf ich bitten, die Paragraphen, zu denen unsere Anträge jetzt erledigt sind, gesondert aufzurufen, damit wir unser Votum abgeben können!)

— Zu den Paragraphen, zu denen Sie Änderungsanträge gestellt hatten, möchten Sie ein Votum abgeben?

(Abg. Schmitt [Vockenhausen]: Dazu möchten wir durch Abstimmung ein Votum geben!)

Dann rufe ich § 13 auf; hierzu liegt ein Änderungsantrag von Ihnen nicht vor. Wer § 13 in der Ausschußfassung zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Angenommen.
§ 14! — Zu einem Votum Herr Abgeordneter Schmitt (Vockenhausen)!

(Abg. Schmitt [Vockenhausen]: Wir möchten nur dagegen stimmen! — Heiterkeit.)

— Gut, die SPD wird dagegen stimmen. *) Siehe Anlage 4.


(Präsident D. Dr. Gerstenmaier)

Wer der Ausschußfassung zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — § 14 ist mit Mehrheit angenommen.
§ 15, — § 15 a! — Hierzu liegen Änderungsanträge sowieso nicht vor. Wird das Wort gewünscht? — Das Wort wird nicht gewünscht.
Wer den §§ 15 und 15 a zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Angenommen.
§ 15 b, — § 15 c, — § 15 d! — Wird das Wort gewünscht? — Das Wort wird nicht gewünscht.
Wer den aufgerufenen Paragraphen bis § 15 d zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen.
— Gegenprobe! — Enthaltungen? — Angenommen.
Nun kommen die Ziffern 13 a, — 13 b, — 14 und 15. — Hierzu lagen ursprünglich Änderungsanträge vor, die aber hinfällig geworden sind. Auf das Wort wird verzichtet?

(Abg. Schmitt [Vockenhausen]: Ja!)

Wer diesen Ziffern, den Ziffern 16, 16 a und 16 b zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen.

(Abg. Schmitt [Vockenhausen] : Herr Präsident, muß nicht noch über 15 abgestimmt werden?)

— Haben wir! Die Vorlage ist nicht besonders übersichtlich. Wir müssen deshalb teilweise über Paragraphen, teilweise über Ziffern abstimmen. — Die Ziffern 13 a bis 15 bleiben unverändert.
Die Änderungsanträge zu 15 bis 21 sind hinfällig?

(Abg. Schmitt [Vockenhausen]: Ich verzichte auf das Wort!)

— Sie verzichten.
Wer den aufgerufenen Ziffern bis 16 b zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Angenommen.
Ziffern 17 — unverändert —, — 17 a, — 18, —19, — 20, — 21 — unverändert —, — 22, — 22 a, — 23. — Wird dazu das Wort gewünscht? — Änderungsanträge liegen dazu nicht vor.
Wer den aufgerufenen Ziffern zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Angenommen.
Ziffer 24! — Die hierzu ursprünglich vorliegenden Änderungsanträge sind zurückgezogen. Wird zu § 24 das Wort gewünscht? — Das Wort wird nicht gewünscht.
Wer Ziffer 24 zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen?
— Bei zahlreichen Gegenstimmen angenommen.
Ich rufe auf die Ziffern 25 — unverändert —,
— 25 a, — 26, — 27 — unverändert —, — 28, —29 — unverändert —, — 30, — 31, — 32 — unverändert —, — 33, — 34, — 35 — unverändert —, —36, — 37, — 38 — unverändert —, — 39 — unverändert —, — 40 — unverändert —, — 41 — unverändert —, — 42, — 43, — 44, — 45, — 45 a, — 46, — 47, — 48 — unverändert —, — 49, — 50. — Wird zu den aufgerufenen Ziffern ,das Wort gewünscht? — Das Wort wird nicht gewünscht.
Wer den aufgerufenen Ziffern bis 50 einschließlich zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Angenommen.
Ziffer 51, § 62! - Auch der hierzu an sich vorliegende Änderungsantrag ist erledigt. Wird zu Ziffer 51, § 62 das Wort gewünscht? — Auf das Wort wird verzichtet.
Wer Ziffer 51, § 62 zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Bei einer Reihe von Gegenstimmen angenommen.
Ziffer 51, § 63! Auch hier liegen erledigte Änderungsanträge vor. Umdruck 933 Ziffern 15 und 16 sind ebenfalls erledigt. Wird zu § 64 das Wort gewünscht? — Das Wort wird nicht gewünscht. Wer § 63 in Ziffer 51 und dem § 64 zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Bei einer Reihe von Nein-Stimmen und Enthaltungen angenommen.
Nun kommen wir zu den Ziffern 52, 53, 54 und 55. Sie sind meist unverändert. Wird dazu das Wort gewünscht? — Das Wort wird nicht gewünscht. Wer den aufgerufenen Ziffern — bis Ziffer 55 — zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Angenommen.
Nun kommt die Ziffer 56. Hierzu liegen ein Änderungsantrag auf Umdruck 934 und ein Änderungsantrag auf Umdruck 929 vor. Zunächst zum Änderungsantrag der Fraktion der FDP auf Umdruck 929*). Wird zur Begründung das Wort gewünscht? — Frau Abgeordnete Dr. Ilk.

Dr. Herta Ilk (FDP):
Rede ID: ID0219109200
Herr Präsident! Meine Damen und Herren ! In dem Personenstandsgesetz ist festgelegt, daß die kirchliche Trauung nicht vor der zivilrechtlichen Trauung vorgenommen werden darf. In diesem Paragraphen ist ursprünglich, d. h. in der alten Fassung vor 1937, vorgesehen gewesen, daß ein Geistlicher, wenn er entgegen dieser Bestimmung die kirchliche Trauung vor der zivilrechtlichen vollzog, mit einer Geldstrafe bis zu 300 Mark oder mit Gefängnis bis zu drei Monaten bestraft wurde. Im nationalsozialistischen Staat hat man diese Strafe wesentlich verschärft. Bei den Beratungen im Ausschuß ist zum Schluß durch den Abstimmungsmodus der CDU die Fassung durchgekommen, wonach für diese Tat eines Geistlichen der Strafrahmen des nationalsozialistischen Rechts gelten soll. Wir lehnen es ab, diesem Gedanken zu folgen, und meine Fraktion beabsichtigt mit dem Änderungsantrag, die ursprüngliche Fassung, wie sie im Personenstandsgesetz von 1875 gestanden hat, wiederherzustellen.
Ich persönlich stehe nicht an, zu sagen, daß ich dem Strafrahmen, der von der Regierung auf Grund der Interpellation des Bundesrates vorgeschlagen wurde, zugestimmt hätte. Auch im Ausschuß für Angelegenheiten der inneren Verwaltung habe ich eine entsprechende Erklärung abgegeben. Meine Fraktion war aber im Augenblick der Antragstellung der Meinung, wir sollten das alte Gesetz, so wie es vor der Zeit des Nationalsozialismus bestand, wiederherstellen.
Nun ist inzwischen insofern eine Änderung der Sachlage eingetreten, als vom Heiligen Stuhl eine Erklärung abgegeben worden ist, nach der die Geistlichen ausdrücklich angehalten werden, diesem Gesetz Folge zu leisten. Aus diesem Grunde wird auch meine Fraktion den Antrag dahin ändern, daß es bei ,einer Geldstrafe bleibt. Wir glauben, daß
*) Siehe Anlage 3.


(Frau Dr. Ilk)

dies eine ausreichende Sühne für einen Verstoß gegen das Personenstandsgesetz durch Vornahme der kirchlichen Trauung vor der standesamtlichen ist. Wir möchten aber bei dieser Gelegenheit ausdrücklich betonen, daß wir keinesfalls dem Gedanken zustimmen können, eine solche Handlung straffrei zu lassen. Denn schließlich muß auch ein Geistlicher die weltliche Ordnung achten. Es geht nicht an, daß wir in einem Gesetz den Geistlichen, die ja auch Staatsbürger sind, eine Sonderstellung einräumen, während wir in allen anderen Fällen, wo ein Staatsbürger das Gesetz übertritt, eine Strafandrohung haben.
Ich meine also, wir sollten bei der Formulierung bleiben, wie sie jetzt vorgesehen ist, sollten aber nur eine Geldstrafe vorsehen.

Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0219109300
Sie haben die Begründung dieses Änderungsantrags gehört.
Ich gebe zur Begründung des Änderungsantrags auf Umdruck 934*) das Wort der Abgeordneten Frau Dr. Schwarzhaupt.

Dr. Elisabeth Schwarzhaupt (CDU):
Rede ID: ID0219109400
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Änderungsantrag der CDU/CSU-Fraktion läuft darauf hinaus, ,daß keine Strafbestimmung in das Gesetz aufgenommen, daß also der § 67 in der alten Fassung, wie ihn Frau Dr. Ilk dargestellt hat, ganz gestrichen wird. Dieser Paragraph hat im Verlaufe der 21/2 Jahre, seit der Entwurf dem Bundestag und seinen Ausschüssen vorliegt, ein ziemlich wechselvolles Schicksal gehabt. Der Regierungsentwurf von 1954, der unter dem Ministerium Dehler entstanden ist, hat eine vollkommene Streichung der Vorschrift vorgesehen. Der Bundesrat hat die Aufrechterhaltung einer Strafbestimmung vorgeschlagen, jedoch in gemilderter Form. Es sollte bis zu 500 Mark Geldstrafe und drei Monaten Gefängnis gegangen werden können. Die Bundesregierung schloß sich diesem Antrag an, soweit es sich um die 500 Mark Geldstrafe handelte, konnte sich aber mit der Androhung einer Gefängnisstrafe nicht einverstanden erklären.
In den Ausschüssen hatte der Entwurf folgendes Schicksal. Der Rechtsausschuß entschied sich mit einer ganz knappen Mehrheit für eine Streichung jeder Strafvorschrift. Der Ausschuß für die innere Verwaltung lehnte — mit verschieden zusammengesetzten Mehrheiten — sowohl den Antrag auf Streichung als auch den auf eine mildere Strafvorschrift ab.

(Abg. Schmitt [Vockenhausen] : Den Antrag auf eine mildere Strafvorschrift gegen die Stimmen der CDU!)

Auf diese Weise liegt Ihnen der Gesetzentwurf nunmehr mit der Bestimmung in der alten Fassung des Jahres 1937 vor. Wenn sich der Bundestag nicht zur Annahme eines Änderungsantrages entschließt, bleibt die Bestimmung des Jahres 1937 bestehen, wonach derjenige, der eine kirchliche Trauung vor der standesamtlichen Eheschließung vornimmt, mit Geldstrafe oder Gefängnis, d. h. bis zu fünf Jahren, bestraft wird.
Unser Antrag geht auf eine Wiederherstellung des Regierungsentwurfs vom Jahre 1954, d. h. auf eine Streichung jeder Strafbestimmung. Die Strafbestimmung des Personenstandsgesetzes mit der Androhung einer Kriminalstrafe von Gefängnis bis zu fünf Jahren ist im Grunde genommen ein
*) Siehe Anlage 5. Fremdkörper in einem Gesetz, das in seinen übrigen 70 Paragraphen Verwaltungsvorschriften mit Erzwingungsstrafen mit geringen Geldstrafen enthält. Diese Strafbestimmung, die aus dem Rahmen der übrigen Erzwingungsbestimmungen fällt, stammt aus dem Jahre 1875, und zwar aus einer ganz bestimmten Situation. Man schuf damals zur Sicherung der neu eingeführten und umstrittenen obligatorischen Zivilehe eine Sanktion. Grundsätzlich ist es aber nicht unsere Meinung, daß jede Verpflichtung, deren Erfüllung der Staat von einem Bürger, sei dieser Bürger nun ein Geistlicher oder ein Nichtgeistlicher, erwartet, durch Strafbestimmungen gesichert werden muß. Im Gegenteil, wir sehen in der Demokratie die wünschenswertere Ordnung da, wo sie aus sich heraus, auf Grund ihrer Vernünftigkeit und Rechtlichkeit überzeugend und zwingend wirkt. Das gilt im allgemeinen insbesondere für Verpflichtungen der öffentlich-rechtlichen Körperschaften.
Die Auseinandersetzung, die sich jetzt um diese Bestimmung entwickelt hat, geht um die Frage, ob aus besonderen Gründen heute noch eine strafrechtliche Sicherung der obligatorischen Zivilehe nötig und sinnvoll ist. Die rechtliche und tatsächliche Situation in bezug auf diese Frage ist folgende. § 13 des Ehegesetzes lautet:
Die Ehe wird dadurch geschlossen, daß die Verlobten vor dem Standesbeamten persönlich und bei gleichzeitiger Anwesenheit erklären, die Ehe miteinander eingehen zu wollen.
Hier ist die Rechtsgrundlage für die zivile Eheschließung. Diese Bestimmung ist und bleibt geltendes Recht. Sie wird von einer Streichung des § 67, von einer Änderung der Strafbestimmungen nicht berührt. Sie bleibt geltendes Recht, es sei denn, daß dieser Bundestag oder ein späterer Bundestag sich zu einer Änderung entschließt.
Diese Regelung bedeutet, daß, auch wenn wir den § 67 streichen, nach wie vor nur die aus einer vor dem Standesbeamten geschlossenen Ehe hervorgegangenen Kinder die Rechte ehelicher Kinder haben, daß nur durch diese Eheschließung Unterhaltsansprüche der Ehegatten, insbesondere der Ehefrau, entstehen, daß das Erbrecht, insbesondere von Ehefrau und Kindern, von dieser zivilen Eheschließung abhängig ist. Das bedeutet also, daß ein Pfarrer, der seine Gemeindeglieder vor Unordnung, Konflikten und Enttäuschungen bewahren will, schon deshalb gehalten ist, auf der standesamtlichen Eheschließung zu bestehen.
Daß es trotzdem überhaupt eine Strafdrohung gab, ist aus den Zeitverhältnissen, unter denen dieser Paragraph entstanden ist, zu erklären. Damais haben sich ja beide Kirchen, insbesondere die katholische, gegen die Einführung der obligatorischen Zivilehe gewandt. Dieser Protest galt damals nicht nur der Strafbestimmung des § 67, sondern auch der Einführung der zivilen Eheschließung überhaupt, und um dieses Protestes willen wurde die Strafandrohung eingeführt. Von dieser Bestimmung wurde nach der allerersten Anfangszeit jahrzehntelang kaum Gebrauch gemacht, da nach einer kurzen Übergangszeit die obligatorische Zivilehe sich in der Praxis einführte. Die katholischen Pfarrer nahmen die staatliche Ordnung an; das Interesse der Verlobten, ihre Ehe in einer Form zu schließen, die ihre bürgerlich-rechtliche Wirksamkeit garantierte, entschied im praktischen Leben, und jahrzehntelang gab es in der Praxis keinen Verstoß gegen die staatliche Ordnung.


(Frau Dr. Schwarzhaupt)

Konflikte entstanden erst wieder im „Dritten Reich", als Rassenmischehen nicht standesamtlich getraut werden durften. Damals gewährten Geistliche beider Kirchen in Einzelfällen nichtarischen Christen den geistlichen Zuspruch, den für diese Menschen in dieser Situation die kirchliche Eheschließung bedeutete. Für die katholischen Nichtarier hatte sie darüber hinaus die kirchliche und kirchenrechtliche Bedeutung des Sakraments. Damars wurde von den Auffassungen des „Dritten Reichs" her die Strafvorschrift durch eine Novelle auf fünf Jahre Gefängnis verschärft, und diese Fassung liegt Ihnen heute vor.
Die Gründe, die im Jahre 1937, und auch die Gründe, die im Jahre 1875 für eine strafrechtliche Sicherung der Zivilehe maßgebend waren, bestehen heute zweifellos nicht mehr. Allerdings erschien es vielen von uns, auch Mitgliedern der CDU/CSU-Fraktion, eine Zeitlang zweifelhaft, ob man jetzt auf jede Sanktion der bisherigen Eheschließungspraxis verzichten könne. Denn wir wissen alle, daß in den Jahren 1953 und 1954 eine Reihe von Trauungen der sogenannten Onkelehen vorgenommen wurden, bei denen keine standesamtliche Eheschließung beabsichtigt war. Diese kirchlichen Trauungen verstießen gegen die bestehende Ordnung, gegen den § 67 des Personenstandsgesetzes. Sie verstießen auch gegen das Konkordat zwischen der Katholischen Kirche und dem deutschen Staat, in dem die Ausnahmen, die zu einer kirchlichen Trauung ohne vorangegangene zivile Eheschließung berechtigen, einzeln aufgezählt sind.
Im Laufe der Auseinandersetzungen über diese Frage, insbesondere über die Haltung der Katholischen Kirche zu dieser Frage, gab Prälat Böhler, der Vertreter der Katholischen Kirche bei der Bundesregierung, ein Interview. Er wurde gefragt:
Würde die Kirche die Streichung des § 67 zum
Anlaß nehmen, um eine Änderung ihrer Eheschließungspraxis herbeizuführen?
Er antwortete:
Ich kann erklären, daß die Katholische Kirche das nicht beabsichtigt. Sie will ja keine Unordnung, sondern Ordnung, und für die besonderen Gewissenfälle reichen die Bestimmungen des Konkordats aus.
In dem gleichen Zusammenhang wurde zu der Frage, wie diese Gewissensfälle aussehen können und wie sie nicht aussehen können, ein Schriftwechsel zwischen dem Auswärtigen Amt und dem Vatikan geführt, der zu folgender Erklärung des Vatikans führte, die nunmehr aller Öffentlichkeit vorgelegt worden ist. Zunächst einmal wird gesagt, daß ein sittlicher Notstand nicht vorliegt, wenn für die Nupturienten mit dem Vollzug der Ziviltrauung ausschließlich wirtschaftliche Nachteile verbunden wären. Das ist aber der Typ der Onkelehe. Es wird weiter gesagt, daß ein derartiger Gewissensfall niemals dann vorliegt, wenn die in dem Ansuchen der Nupturienten um Vornahme der kirchlichen Trauung vorgebrachten Gründe den Vollzug der Ziviltrauung nach der kirchlichen Einsegnung der Ehe ausschließen.
Auch diese von der höchsten autoritativen Stelle der Katholischen Kirche abgegebene Erklärung stellt klar, daß der in unseren Tagen kurze Zeit aktuell gewordene Sonderfall der Onkelehen keinen Grund gibt, von der gegebenen Ordnung abzuweichen. Es wird eine Zusage der Katholischen Kirche gegeben, daß nur in den bisher schon bestimmten Ausnahmefällen vor der standesamtlichen Eheschließung kirchlich getraut werden kann. Insbesondere ist klargestellt, daß die einzigen in der Praxis wirklich aktuellen Streitfälle, die Onkelehen, kein Anlaß mehr für eine Abweichung von der ordnungsmäßigen Reihenfolge von kirchlicher und standesamtlicher Trauung sind.
Ohne Zweifel gibt es innerhalb des Katholizismus Stimmen, die für die Zukunft eine Änderung des Eheschließungsrechts wollen. Sie wollen eine fakultative kirchliche Eheschließung einführen. Die Evangelische Kirche und, wie ich annehme, der weitaus größte Teil der evangelischen Bevölkerung wollen an der obligatorischen Zivilehe festhalten. Ob der Gesetzgeber jemals, frühestens in einem späteren Bundestag, zu einer Änderung des Rechts kommt, ist eine Frage der Zukunft. Für uns handelt es sich heute darum, ob die heutige Rechtslage, d. h. die obligatorische Zivilehe in ihrer jetzigen Fassung und die bisherige Reihenfolge von kirchlicher und standesamtlicher Trauung auch ohne eine Strafvorschrift gesichert ist. Die Katholische Kirche hat ihre Erklärungen abgegeben. Die Evangelische Kirche und die Freikirchen sind, abgesehen von Einzelfällen während des „Dritten Reichs", von dieser Praxis nie abgewichen.
Ich glaube, daß die Strafbestimmung zur Zeit nicht mehr zur Aufrechterhaltung der geltenden Ordnung erforderlich ist. Wir glauben allerdings, daß ein Strafgesetz da nicht am Platz ist, wo eine Ordnung von selbst wirksam ist.
Bei dieser Strafbestimmung, dem § 67 des Personenstandsgesetzes, kommt noch eines hinzu, nämlich daß sie auf Grund ihrer ganzen Geschichte für unsere katholischen Mitbürger eine innere Belastung bedeutet. Sie ist für sie mit der Erinnerung an die bitteren Zeiten des Kulturkampfes verbunden, und sie bringt ein Mißtrauen gegen den katholischen Pfarrer zum Ausdruck, der seit nunmehr fast 80 Jahren die vom Staat eingeführte Eheschließungspraxis befolgt hat — von den ganz geringen Abweichungsfällen abgesehen — und der jetzt nochmals durch eine klare Anweisung des Vatikans gebunden worden ist. Schließlich ist es für den Katholiken schwer tragbar, daß der Staat eine geistliche Handlung eines katholischen Pfarrers, ein Sakrament, überhaupt unter Strafe stellt.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Aus seinem Verständnis der Kirche, des Sakraments und der Aufgaben und Rechte des Staates ist dies — das müssen wir evangelischen Christen verstehen — schwer zu ertragen. In der Bundesrepublik leben fast gleichviel evangelische und katholische Mitbürger in einem Staat zusammen. Es gibt Gegenden, in denen die evangelischen, es gibt andere, in denen die katholischen Christen in der Minderheit sind. Wir müssen und wir wollen überall tolerant miteinander zusammenleben.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Wir evangelischen Christen fordern für unsere Art zu leben, für unsere Überzeugung und auch für unsere Gefühle Achtung. Aber wir wollen auch die Gefühle, die dem Protest unserer katholischen Mitbürger gegen diese alte Strafbestimmung zugrunde liegen, achten.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Wir können diese Gefühle achten, nachdem die
Katholische Kirche durch autoritative Erklärungen


(Frau Dr. Schwarzhaupt)

ihre Bereitschaft zur Wahrung der Ordnung der obligatorischen Zivilehe und des zeitlichen Vorrangs der standesamtlichen Eheschließung erklärt hat. Wir sollten darauf vertrauen, daß in diesen Erklärungen der Wille zum Ausdruck kommt, die zur Zeit geltende Ordnung zu wahren, und wir sollten die Sicherung dieser Verpflichtung durch eine Strafbestimmung als nicht mehr notwendig und deshalb unrichtig streichen.

(Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU.)


Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0219109500
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Arndt.

Dr. Adolf Arndt (SPD):
Rede ID: ID0219109600
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn ich die Ausführungen der Frau Kollegin Schwarzhaupt richtig verstanden habe — aber ich weiß es nicht und bitte, mich notfalls zu berichtigen —, dann habe ich zu meinem schmerzlichen Bedauern darin eines vermißt, nämlich das Bekenntnis zu dem Toleranzgehalt und dem Frieden stiftenden Rechtsgedanken der obligatorischen Zivilehe als einem staatserhaltenden Prinzip in einem konfessionell gespaltenen Volk. Wenn ich Sie recht verstanden habe, haben Sie sich darauf beschränkt, zu sagen, die obligatorische Zivilehe sei geltendes Recht, sie stehe im Ehegesetz, aber was später einmal werde, das liege im Schoße der Zukunft. Es ist etwas anderes, ob ich mich zu einem Gedanken bekenne als zu einem berechtigten und moralisch und staatspolitisch legitimierten Gedanken, oder ob ich mich lediglich auf den Gehorsam gegenüber einem Gesetz berufe, das auch wieder geändert werden kann. Ich wäre sehr dankbar, wenn Sie mich da noch berichtigen könnten, weil mir dieser Punkt sehr wichtig ist. Ich komme noch darauf zurück.

(Abg. Frau Dr. Schwarzhaupt: Darf ich eine Frage stellen?)


Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0219109700
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Frage?

Dr. Adolf Arndt (SPD):
Rede ID: ID0219109800
Aber bitte schön!

Dr. Elisabeth Schwarzhaupt (CDU):
Rede ID: ID0219109900
Haben Sie nicht gehört, daß ich gesagt habe, daß die Evangelische Kirche zu der obligatorischen Zivilehe steht und daß meines Wissens der größte Teil der evangelischen Bevölkerung dies auch tut; und Sie wissen, daß ich evangelisch bin.
Zweitens. Halten Sie es für nötig, daß ich in einer Auseinandersetzung über die Strafbestimmung zu der im Augenblick nicht aktuellen Frage der obligatorischen Zivilehe meine persönliche Meinung hier verbreite, die meiner Meinung nach niemanden interessieren kann?

(Beifall bei der CDU/CSU.)


Dr. Adolf Arndt (SPD):
Rede ID: ID0219110000
Frau Kollegin, ich habe nicht die Absicht, in dieser sehr delikaten und sehr ernsten Frage mit Ihnen zu polemisieren. Ich habe in aller Offenheit gefragt, wie Ihre Ausführungen — die ich ja nur mit dem Ohr schnell gehört habe — zu verstehen sind.
Ich will Ihnen auch den Grund sagen, warum ich das gefragt habe: weil das Vertrauen auf eine Regelung ja in seinem Grade jeweils danach verschieden ist, ob eine Ordnung nur hingenommen wird, weil sie gegenwärtig legal ist, oder ob diese Ordnung — ich will ein sehr kühnes Wort sagen — geliebt wird, weil sie legitim ist. Das ist ein ganz beträchtlicher Unterschied, und das Vertrauen in die Zukunft in dieser für den konfessionellen Frieden in unserem Volke so wichtigen Frage wird namentlich auch evangelischerseits anders sein, wenn man glaubt sich darauf verlassen zu können, daß das Prinzip der obligatorischen Zivilehe als ein den konfessionellen Frieden wahrendes gutes Prinzip anerkannt wird. Deshalb wären manche hier im Saale, glaube ich, erleichtert gewesen, wenn eine solche Erklärung — nicht Ihre private Meinung, Frau Kollegin, sondern eine Erklärung namens der Unionspartei — hätte abgegeben werden können. Und das hätte deshalb auch eigentlich nicht schwierig zu sein brauchen, weil der Herr Bundesminister des Innern ja erst noch im vorvergangenen Jahre, in der 111. Sitzung am 10. November 1955, eine formulierte Regierungserklärung abgegeben hat, die sich im Prinzip — sogar mit Folgen, die heute wohl auch von der Bundesregierung nicht mehr gewünscht werden — zur obligatorischen Zivilehe bekannte.
In einem Punkte bin ich nun mit der Frau Vorrednerin nicht einig, nämlich, daß auch bei einem ersatzlosen Fortfall des § 67 des Personenstandsgesetzes der Grundsatz der obligatorischen Zivilehe gesichert sei, und zwar deshalb gesichert sei, weil er im Ehegesetz stehe und weil die bürgerlichen Folgen sich nur an die Zivilehe knüpften. Man kann manche mindestens dieser bürgerlichen Folgen auch durch Unterhaltsverträge, Erbverträge und Adoptionen herbeiführen, und man könnte — ich komme noch darauf zu sprechen — einen für den konfessionellen Frieden immerhin schwierigen und bedrohlichen Zustand bekommen, wenn es zu einem Auseinanderklaffen zwischen konfessioneller, religiöser Ehe und staatlicher Ehe käme. Ich stehe aber nicht an — und ich tue das gern —, es als dankenswert zu begrüßen, daß in der Frage der sogenannten Onkelehen zwischen der Bundesregierung und dem Heiligen Stuhl eine befriedigende Übereinkunft erzielt worden ist, Einverständnis darüber herrscht, daß diese Onkelehen nicht als ein sittlicher Notstand anerkannt werden können, so daß von jenem Mißstand her keine Gefahr mehr droht.
Ich darf jedoch darauf hinweisen, daß hier eben doch noch Grundsatzfragen unausgetragen sind. Ohne daß ich bei dieser Gelegenheit die jetzt nicht zur Debatte stehende Frage zu erörtern wünsche, ob das Reichskonkordat gültig zustande gekommen und noch wirksam ist, enthält gerade jener Art. 26 des Reichskonkordats, auf den im Notenwechsel zwischen der Bundesregierung und dem Heiligen Stuhl Bezug genommen wird, die ausdrückliche Klausel, daß die Übereinkunft unter Vorbehalt einer umfassenden späteren Regelung der eherechtlichen Fragen getroffen wird. Man kann nicht verkennen — und wenn wir die Pflicht haben, miteinander ehrlich zu sein, dann muß man auch darüber sprechen —, daß es nach wie vor eine starke Bewegung gegen die obligatorische Zivilehe gibt und daß aus dieser Bewegung eine gewisse oder teilweise starke Beunruhigung erwächst.
Ich darf da eine Zwischenbemerkung machen, auch um die Dinge in das richtige Verhältnis zu bringen. Es geht ja nicht nur um eine mögliche Meinungsverschiedenheit oder Auseinandersetzung


(Dr. Arndt)

zwischen der Katholischen und der Evangelischen Kirche, sondern wir haben außer diesen beiden großen Kirchen noch eine ganze Reihe weiterer Denominationen, die ebenfalls mit öffentlich-rechtlichen Befugnissen ausgestattet sind, und wir haben auch — das hat in mancher Hinsicht eine erhebliche Rolle im Rechtsleben gespielt — Eheschließungen nach mosaischem Recht. Das wollen Sie nicht außer acht lassen. Aber davon abgesehen, wenn ich mich jetzt wie Frau Kollegin Schwarzhaupt auf die Beziehungen zur Katholischen Kirche oder auf die Frage beschränke, ob das Prinzip der obligatorischen Zivilehe in rechtspolitischer Hinsicht für die Zukunft nicht unbedroht erscheint, dann darf ich an den bekannten Ausspruch erinnern, den der jetzige Vizepräsident des Bundestages, Herr Dr. Jaeger, 1953 getan hat. Ich darf an eine wissenschaftliche Polemik erinnern, die von den Professoren Bosch, Dürig und anderen geführt wird, die eine eigene Zeitschrift mit zu dem Zweck gegründet haben, die Frage der obligatorischen Zivilehe aufzurollen. Ich darf Sie an Vorgänge in unserem Nachbarlande Österreich erinnern und schließlich daran, daß die Übereinkunft, die jetzt zwischen der Bunderegierung und dem Heiligen Stuhl getroffen worden ist, wiederum zu ganz erheblichen Pressepolemiken geführt hat, Pressepolemiken, die ich als unbegründet und für Teile der nichtkatholischen Bevölkerung als kränkend ansehe. So hat das „Fränkische Volksblatt" am 4. Februar dieses Jahres im Anschluß an die Veröffentlichung des Notenwechsels mit dem Heiligen Stuhl folgendes geschrieben:
Zwei andere Probleme, noch schwerwiegender als das des bürgerlichen Rechtsschutzes für den eine religiöse Handlung vornehmenden Geistlichen, bleiben indes durch diese Klärung zwischen dem Heiligen Stuhl und Bonn unberührt und ungelöst. Nr. 1, die zivile Zwangsehe, ein fragwürdiges Kind der Französischen Revolution, das im Kulturkampf durch Bismarck für Deutschland adoptiert wurde, bleibt eine nach unserer Ansicht nicht zu rechtfertigende Institution. Es bleibt die Frage, wann unser Gesetzgeber sich endlich entschließt, dem Beispiel anderer Kulturstaaten zu folgen und die fakultative Zivilehe einzuführen, die es den Eheschließenden überläßt, entweder zum Altar oder zum Standesamt zu gehen.
Meine Damen und Herren, die Bezeichnung der nach dem Recht des Staates geschlossenen Ehe als eine „zivile Zwangsehe", als ein „fragwürdiges Kind der französischen Revolution" und Ähnliches mehr ist recht bedenklich. Ich darf daran erinnern, daß diese auch nach weltlich-staatlichem Recht mit Würde, der Würde einer Institution, geschlossene Ehe unter dem ausdrücklichen Grundrechtsschutz des Art. 6 des Bonner Grundgesetzes steht; denn zu der Ehe, die durch Art. 6 des Bonner Grundgesetzes grundrechtlich verbürgt wird, gehört auch, sogar in erster Linie, die nach staatlich-weltlichem Recht geschlossene Ehe, worüber keinerlei Zweifel sein kann. — Ich freue mich, Herr Kollege Pelster, daß Sie mir da zustimmen.
Dann liegt hier ein Irrtum vor, der auch Frau Kollegin Schwarzhaupt unterlaufen ist. Wir müssen hier einmal gewisse Legenden aus der Welt bringen, um in den Dingen klarer zu sehen als bisher. Ich meine die Auffassung, daß es sich hier um Vorschriften handle, die im Kulturkampf entstanden seien und nur aus der vergifteten Atmosphäre des Kulturkampfes erklärt werden könnten. Ich habe hier das Bundesgesetzblatt des Norddeutschen Bundes vom Jahre 1870. Dort finden Sie das Strafgesetzbuch für den Norddeutschen Bund vom 31. Mai 1870, dessen § 337 lautet:
Ein Geistlicher oder anderer Religionsdiener, welcher zu den religiösen Feierlichkeiten einer Eheschließung schreitet, bevor ihm nachgewiesen worden ist, daß eine Heiratsurkunde von dem Personenstandsbeamten aufgenommen sei, wird, wenn zur bürgerlichen Gültigkeit der Ehe die Aufnahme einer Heiratsurkunde erforderlich ist, mit Geldstrafe bis zu 100 Talern oder mit Gefängnis bis zu drei Monaten bestraft.
Mit dem Kulturkampf hat das also absolut nichts zu tun; denn niemand wird guten Gewissens behaupten können, daß im Mai 1870 in Deutschland Kulturkampf gewesen sei. Man soll doch endlich solche der historischen Nachprüfung nicht standhaltende Behauptungen aus der Welt bringen. — Herr Kollege Kliesing, bitte sehr.

Dr. Georg Kliesing (CDU):
Rede ID: ID0219110100
Herr Dr. Arndt, halten Sie es für zulässig, den historischen Begriff des Kulturkampfes so einzuschränken? Sind Ihnen die Vorgänge etwa 1837 im Kölner Kirchenstreit und die langjährige Festungshaft des Bischofs DrosteVischering und ähnliche Vorkommnisse sowie die damit verbundene kulturkämpferische Haltung der damaligen Zeit unbekannt?

Dr. Adolf Arndt (SPD):
Rede ID: ID0219110200
Herr Kollege Kliesing, es hat zu allen Zeiten kulturkämpferische Ansätze gegeben, und zwar auf beiden Seiten, und die werden sich auch in Zukunft nicht ganz ausschließen lassen. Ich hoffe durch meine Ausführungen und meine Anträge heute ,dazu beizutragen, daß wir auch in dieser Frage es jetzt nicht etwa erneut erleben. Aber wenn man vom Bismarckschen Kulturkampf spricht, dann hat man eine ganz bestimmte geschichtliche Epoche im Auge,

(Zustimmung bei der SPD)

und dazu gehört die obligatorische Zivilehe und
ihr strafrechtlicher Schutz nicht. Das sollte man endlich einmal klar sehen.

(Zuruf von der Mitte.)

— Aber, Herr Kollege, das ist nun doch wirklich eine Frage objektiver Geschichtsbetrachtung. Der Bismarcksche Kulturkampf beschränkte sich auf ganz bestimmte Jahre und ganz bestimmte Anliegen. Aber wie dem auch sei, wenn Sie anderer Meinung darin sind, so liegt mir daran, zum Ausdruck zu bringen, daß in dem Grundsatz der obligatorischen Zivilehe für ein konfessionsgespaltenes Volk ein Toleranzprinzip und ein Friedensprinzip zu sehen ist, das Gewissenszwang und Gewissensnot ausschließen soll. Aus diesem Grunde ist es auch nicht nur so, daß etwa in der Evangelischen Kirche eine, sagen wir, überwiegende Meinung für die obligatorische Zivilehe vorhanden ist, sondern der Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland als das der Verfassung dieser Kirche nach höchste Organ dieser Kirche — —

(Abg. Kunze [Bethel] : Die Synode ist das höchste Organ!)

- Sie haben recht, Herr Kollege Kunze; das war ein Lapsus linguae. Die Synode ist das höchste Organ, aber die Synode hat es auch nicht gesagt. Der Rat hat erst heute morgen noch einmal seine


(Dr. Arndt)

Übereinstimmung mit der Generalsynode bekräftigt rund gesagt:
Der Rat der EKD tritt nach wie voir, wie die Synode in Spandau 1954 erneut festgestellt hat, für die obligatorische Zivilehe ein. Die Evangelische Kirche wind wie bisher ihre Geistlichen auf die Innehaltung ,dies Grundsatzes verpflichten. Die Durchsetzung des Vorranges der standesamtlichen Eheschließung vor der kirchlichen Trauung ist nach dem Urteil des Rates allein in die Zuständigkeit der für die Gesetzgebung verantwortlichen Organe des Staates gelegt.
Sie kennen auch die Begründung: weil die Generalsynode und der Rat Gewissensnot und Gewissenszwang in einem konfessionsgespaltenen Volk fürchten, wenn von dem friedenstiftenden Prinzip der obligatorischen Zivilehe abgegangen Wird.

(Abg. Müller-Hermann: Aber 'auch der Rat der Evangelischen Kirche fordert keine Straf bestimmung ! )

— Das kann er auch gar nicht, Herr Kollege. Außerdem, auch ich fordere keine Strafe, wie Sie hören werden. Es wäre ein nicht ganz tunliches Verhalten, wenn eine Strafe gefordert würde.
Dias Problem, das man in seiner Tiefe und Tragweite sehen soll, ist doch das, daß die Ehe sowohl eine weltlich-staatliche als auch bei den christlichen Konfessionen und bei der mosaischen Kultusgemeinde eine kirchliche oder religiöse Einrichtung ist. Daraus ergibt sich das einfach pragmatisch gar nicht vermeidbare Erfordernis, daß Ehevoraussetzungen und Ehehindernisse nach weltlich-staatlichem Recht möglich sein müssen. Denn niemand wird etwa die Auffassung vertreten, daß ein und dieselbe Person mit je einer anderen Person einmal kirchlich und einmal staatlich-weltlich verheiratet sein könne. Also müssen staatlich-weltliche Voraussetzungen für die Eheschließung mindestens hingenommen werden.
Die Bundestage haben auch sonst keine Bedenken getragen, in einem ähnlichen Fall z. B. ein staatliches Ehehindernis für die Eheschließung in ganz anderer Weise zu statuieren, und zwar haben Sie das selber getan. Ich weiß nicht, warum Sie sich im Augenblick nicht daran erinnern. Wir haben nämlich ein Bundesgesetz für den Bundesgrenzschutz, und die Länder haben Gesetze für die kasernierte Bereitschaftspolizei geschaffen. Darin sind staatliche Ehehindernisse für die kasernierten Polizeibeamten enthalten mit der Maßgabe, daß ein kasernierter Polizist, wenn er ohne Genehmigung seines Vorgesetzten heiratet, so schwere soziale Einbußen erdulden muß, daß er sein Amt verlieren kann. Das haben wir in einem Bundesgesetz beschlossen, und das haben das Land Rheinland-Pfalz sowie andere Länder des Bundesgebietes auch beschlossen.
Ich habe hier — damit Sie sehen, wie sich das in der Wirklichkeit dann auswirkt — das Urteil des Oberverwaltungsgerichts Koblenz vom 19. April 1955, nach welchem ein Polizeibeamter der Bereitschaftspolizei unter Verlust aller Rechte dienstentlassen worden ist, weil er seine Verlobte im Zeitpunkt ihrer Niederkunft noch schnell geheiratet hat, ohne die nach dem Gesetz erforderliche Eheerlaubnis einzuholen. Angenommen, der Mann war Katholik — was aus dem Tatbestand des Urteils nicht hervorgeht —, so hat er diese schwere dienstliche und berufliche Einbuße erlitten ungeachtet
der religiösen Auffassung, daß die Ehe, die er schloß, eine sakramentale gewiesen ist. — So geschehen im Lande Rheinland-Pfalz nach rheinlandpfälzischem Gesetz, durch rheinland-pfälzische. Verwaltung und nach rheinland-pfälzischer Rechtsprechung des. Oberverwaltungsgerichts.
Wenn Sie also das Problem in seiner ganzen Breite sehen, so erkennen Sie, daß Sie auch nach Ihrer eigenen Gesetzgebung, die Sie selber gemacht haben, um staatliche Voraussetzungen und Hindernisse bei der Eheschließung schlechterdings nicht herumkommen, und zwar vor allen Dingen aus dem Grunde, weil es unierträglich wäre, daß jemand nach zweierlei Recht mit zweierlei Personen gleichzeitig verheiratet wäre.
Die Frage ist: Wie sollen wir dieses Problem lösen? Meine Damen und Herren, erlauben Sie mir dazu ein vielleicht sehr persönliches Wort. Ich bin der Meinung, daß ein Abgeordneter seinem Mandat nicht gerecht werden würde, wollte er nicht mit äußerster Kraft darum ringen, wie der Glaubensfriede in unserem Land und für unser Volk gewahrt werden kann. Deshalb muß diese Frage unter diesem Gesichtspunkt gesehen werden. Ein Sozialdemokrat insbesondere liefe Gefahr, sich selber untreu zu werden, wollte er auch nur in irgendeinem Bereiche von dem Grundsatz der Gewissensfreiheit abweichen.

(Abg. Frau Dr. h. c. Weber [Aachen]: Darauf legen wir großen Wert!)

— Ja, das ist gut, daß Sie großes Gewicht darauf legen, Frau Kollegin Weber, aber wir legen auch großes Gewicht darauf, daß auch ihre politischen Freunde in ihren Entscheidungen nicht von diesem Grundsatz abweichen.

(Abg. Frau Dr. h. c. Weber [Aachen] : Dais tun sie auch nicht!)

— Doch, nach meiner Überzeugung haben sie es bei § 25 des Wehrpflichtgesetzes getan. Aber darüber wollen wir uns jetzt nicht streiten.
Daraus ergeben sich zwei Gesichtspunkte, die für meine Fraktion in ihrer Entscheidung maßgebend gewesen sind. Erstens: Dias Strafrecht ist in der Regel kein geeignetes Mittel der weltanschaulichen aller religiösen Auseinandersetzung. Wir sind glühende Anhänger einer Entpönalisierung des öffentlichen Lebens, und ich werde vielleicht heute noch Gelegenheit haben, das auch gelegentlich der Beratung des Vierten und Fünften Strafrechtsänderungsgesetzes auszuführen. Dieselbe Haltung haben wir schon bei der Beseitigung des .Kanzelparagraphen eingenommen, wo ich auch die Ehre hatte, für meine Fraktion zu sprechen.
Zweitens: Der unentbehrliche Rechtsschutz für dais als Friedensgedanke in unserem konfessionsgespaltenen Volk notwendige Prinzip der obligatorischen Zivilehe muß so gestaltet werden, daß er dais Grundrecht auf Gewissensfreiheit nicht verletzt und nicht als diskriminierend empfunden
wird.
Aber, meine Damen und Herren, das läßt sich erreichen, auch ohne daß man dieses Prinzip so schutzlos läßt, wie es der von Frau Kollegin Schwarzhaupt begründete Antrag tut; denn es gibt ja Verhaltensweisen, über deren Mißbilligung man sich - wenn ich jetzt den Gesichtspunkt auf die Beziehungen zwischen Katholischer Kirche und dem Staat beschränke beiderseits einig ist. Das eine mögliche Verhalten ist das, daß der Geistliche


(Dr. Arndt)

— wie es ja in Bayern vorgekommen ist —, Ehen kirchlich traut, ohne dabei den Begriff des sittlichen Notstandes hinreichend zu beachten oder ohne die Bestätigung der kirchlichen Obrigkeit zu haben.

(Abg. Frau Dr. h. c. Weber [Aachen] : Das 1st ja nur selten vorgekommen!)

— Ja sicherlich, dann wird es mißbilligenswert sein, und das wird sicherlich dann doch auch ohne Gewissensnot für irgendeinen n en geahndet werden können. — Das andere ist das, daß ein Geistlicher, wie es ebenfalls in Bayern und wie es in Hiessen geschah, nach der kirchlichen Trauung die pflichtmäßige Anzeige beim Standesamt unterließ, zu der er, wenn das Reichskonkordat gültig ist, sogar nach dem Reichskonkordat ausdrücklich verpflichtet ist. Auch da werden Sie mir zugeben, daß das eine von beiden Gesichtspunkten her, ob Staat oder Kirche, mißbilligenswerte Unrechtshandlung ist, die nicht hingenommen werden kann.

(Abg. Frau Dr. h. c. Weber [Aachen] : Das war ja nur ein Fall!)

Das dritte ist das, daß die, die als Verlobte nun aus irgendwelchen unüberwindlichen Gründen die kirchliche Trauung vor die standesamtliche legen, es dann aber unterlassen, dem gesetzlichen Gebot, daß die Ehe vor dem Standesbeamten zu schließen ist, zu genügen, dadurch eine Unordnung im Staate verursachen.
Infolgedessen beantragt die sozialdemokratische Bundestagsfraktion, den § 67 des Personenstandsgesetzes durch folgende neue Vorschrift zu ersetzen
— ich kann sie Ihnen leider nur erst einmal aus dem Manuskript vorlesen —:

(1) Wer die religiösen Feierlichkeiten einer Eheschließung vornimmt, ohne daß zuvor eine Ehe vor dem Standesbeamten geschlossen ist, begeht eine Ordnungswidrigkeit, es sei denn, daß einer der Verlobten lebensgefährlich erkrankt und ein Aufschub nicht möglich ist oder daß ein auf andere Weise nicht zu behebender schwerer sittlicher Notstand vorliegt, dessen Vorhandensein durch die zuständige Stelle der Religionsgemeinschaft bestätigt ist.


(2) Wer die religiösen Feierlichkeiten einer Eheschließung vorgenommen hat; ohne daß zuvor eine Ehe vor dem Standesbeamten geschlossen ist, begeht eine Ordnung Widrigkeit, wenn er dem Standesamt nicht unverzüglich Anzeige erstattet.


(3) Wer es unterläßt, die Ehe vor dem Standesbeamten zu schließen, nachdem durch eine religiöse Feierlichkeit die Ehe eingegangen ist, begeht eine Ordnungswidrigkeit.

Keiner dieser drei Tatbestände steht in einem Widerspruch zu dem, was bisher von der Katholischen Kirche gefordert wurde und was auch im Reichskonkordat ihr Anliegen war. Ganz im Gegenteil! Ich glaube, daß die Verstänidigung, die jetzt über die Onkelehen stattgefunden hat, und eine Verständigung, die hier über stattfinden könnte, auch kirchenpolitisch im Sinne der Kirche liegen müßten, denn sie kann kein Interesse daran haben, daß ein Geistlicher das tut, was hier auch aus staatlicher Sicht als Ordnungswidrigkeit bezeichnet worden ist. Aber nur auf diese Weise haben wir überhaupt die Möglichkeit, vom Staate her in einem geordneten Verfahren nachzuprüfen, ob — wie es in Bayern war, wie eis in Hessen war — etwas geschicht, was um des religiösen Friedens willen so nicht hingenommen werden kann und was die Beziehungen zwischen Staat und Kirche außerordentlich trüben müßte.
Würde, Frau Kollegin Schwarzhaupt, dem von Ihnen begründeten Antrag gefolgt, dann hätten wir keinerlei geordnetes staatliches Verfahren mehr, um Mißstände aufzudecken, die aus der beiderseitigen Sicht, sowohl der Kirche als auch des Staates, Mißstände bei uns sein würden. Ich glaube deshalb, wir tun ohne diese Regelung — daß wirr diese drei Ordnungswidrigkeiten anerkennen — der Sache keinen guten Dienst. Durch die Prüfung dieses Antrags werden Sie mit uns dem Bestreben dienen, in dieser Hinsicht, sagen wir ruhig: eine neue Epoche des konfessionellen Zusammenlebens und der Beziehungen zwischen Staat und Kirche in Deutschland zu beginnen.
Ich möchte zum Schluß nicht verschweigen, daß der dritte Tatbestand, nämlich die Ordnungswidrigkeit der Verlobten oder der kirchlich Verheirateten., die noch nicht standesamtlich geheiratet haben und es unterlassen, standesamtlich zu heiraten, sehr reiflich geprüft werden sollte. Das müßte möglicherweise noch einmal im Ausschuß geschehen. Aber ich glaube, man wird um Bedenken deshalb herumkommen, weil nach dem Ordnungswidrigkeitengesetz das Einschreiten gegen eine Ordnungswidrigkeit im pflichtgemäßen Ermessen steht und weil auch die Spannweite der Geldbußen sehr groß ist und die Buße infolgedessen bei sehr geringen Beträgen anfängt.
Das ist, was ich Ihnen zu diesem schwierigen Problem vorzutragen habe und was sich aus den Grundsätzen der Sozialdemokratischen Partei hierzu ergibt.

(Beifall bei der SPD.)


Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0219110300
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Kopf.

Dr. Hermann Kopf (CDU):
Rede ID: ID0219110400
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Den Gegenstand unserer Debatte bildet die Frage, ob die Strafbarkeit des Geistlichen, der ohne vorherigen Vollzug der standesamtlichen Eheschließung eine kirchliche Trauung vornimmt, im Personenstandsgesetz aufrechterhalten werden soll oder nicht.
Was ist der Zweck dieser Bestimmung des § 67 des Personenstandsgesetzes? Es soll hierdurch eine strafrechtliche Sicherung des staatlichen Prioritätsanspruchs — ich komme auf diesen Begriff gleich zurück — hinsichtlich der standesamtlichen Eheschließung erfolgen. Es soll, wie von anderer Seite ausgeführt worden ist, die obligatorische Zivilehe durchgesetzt und die Anerkennung der Wirksamkeit der staatlichen Eheschließung gesichert werden. Es soll, wie ich bei einem anderen Autor gelesen habe, eine repressive Maßnahme mögliche oder denkbare kirchliche Übergriffe abwehren.
Wir haben einiges über die geschichtliche Entwicklung dieser Bestimmung gehört. Frau Schwarzhaupt hat vorhin in ihrer Begründung gesagt — ich habe den Text hier —, daß diese Einrichtung des § 67 mit der Erinnerung an die bitteren. Zeiten des Kulturkampfes verbunden ist und ein Mißtrauen gegenüber dem katholischen Pfarrer zum Ausdruck bringt, der nunmehr seit fast 80 Jahren die vom Staat eingeführte Eheschließungspraxis befolgt. Herr Dr. Arndt hat darauf hingewiesen,


(Dr. Kopf)

daß die Einführung der Strafbestimmung, die dem heutigen § 67 des Personenstandsgesetzes entspricht, nicht erst in der eigentlichen Kulturkampfzeit erfolgt sei, sondern daß bereits das Strafgesetzbuch des Norddeutschen Bundes aus dem Jahre 1870 eine ähnliche Bestimmung vorgesehen habe.
Man muß sich aber eins vergegenwärtigen. Die Einführung der obligatorischen Zivilehe durch den Norddeutschen Bund ist im Gegensatz zu den Wünschen beider Kirchen, auch den Wünschen der evangelischen Kirche erfolgt. Diese obligatorische Zivilehe mußte sich erst langsam durchsetzen und konnte erst allmählich in den Gewohnheiten und in den Vorstellungen der davon Betroffenen Platz greifen. Daraus erklärt sich, daß sich schon damals, im Zeitpunkt der Einführung, lebhafte Widerstände auf seiten der Angehörigen beider Konfessionen gegen die obligatorische Zivilehe bemerkbar gemacht haben. Um diese Widerstände zu überwinden, hat man diese repressive Strafbestimmung eingesetzt. Es ist selbstverständlich, daß sich die Einstellung, die der Kulturkampfzeit eigen war, bei der Neufassung der gesetzlichen Bestimmungen im Jahre 1875, also in der Hochblüte der Kulturkampfzeit, dadurch ausdrückte, daß diese Bestimmungen beibehalten worden sind. Wir wissen auch, daß in der nationalsozialistischen Zeit der Strafrahmen verstärkt worden ist.
Wir haben vorhin von der Zwecksetzung gesprochen, den staatlichen Prioritätsanspruch durch die standesamtliche Eheschließung zu sichern. Dieses Wort von der Priorität bedarf einer Erläuterung. Ich bin dem Herrn Kollegen Arndt dankbar, daß er in der Sitzung des Rechtsausschusses vom 11. November 1954 eine wesentliche Einsicht zum Ausdruck gebracht hat. Herr Dr. Arndt hat in dieser Sitzung gesagt:
Der Staat ist völlig außerstande, seiner staatlichen Einrichtung einen Vorrang vor kirchlichen Einrichtungen zu geben. . . . Der Sinn ist vielmehr stets die zeitliche Reihenfolge, ...
Die Frage scheint daher zu sein, ob das rein zeitliche Vorangehen in der Tat einer strafrechtlichen Sicherung bedürfe. Wenn es aber so ist, wie Herr Arndt es gesagt hat, daß dieser Vorrang der staatlichen Eheschließung vor der kirchlichen Trauung lediglich den Sinn hat, eine zeitliche Reihenfolge der beiden Akte festzusetzen, und wenn durch diese Regelung nichts über ,den Wert der beiden Akte und ihre Einordnung in das kirchliche und das bürgerliche Wertsystem ausgesagt wird, dann erhebt sich tatsächlich die Frage, ob die Verletzung einer bloßen Ordnungsvorschrift, einer Vorschrift, die sich auf die Ordnung der rein zeitlichen Reihenfolge erstreckt, eine kriminelle Strafe rechtfertigt.
Die Strafe, die heute im Gesetz noch vorgesehen ist und die der Ausschuß dem Plenum zur Annahme empfohlen hat, ist keineswegs die Buße, die für eine Ordnungswidrigkeit festgesetzt zu werden pflegt, sondern sie ist eine kriminelle Strafe. Ich erkenne an, daß der Antrag, den Herr Dr. Arndt heute verlesen hat, in einem inneren und logischen Zusammenhang mit den Ausführungen steht, die er damals im Rechtsausschuß gemacht hat. Wenn darauf hingewiesen worden ist, daß die vorzeitige Vornahme einer kirchlichen Trauung lediglich die Reihenfolge der beiden Akte störe, daß eine Verletzung der Ordnung hinsichtlich der Reihenfolge vorliege, dann ist es durchaus logisch,
daß, wenn überhaupt eine Bestrafung stattfindet, sie nicht wegen einer kriminellen Handlungsweise, sondern nur wegen einer Ordnungswidrigkeit stattfinden könnte.
Die Frage ist die: Soll die Verletzung dieser Reihenfolge, die das bürgerliche Recht vorsieht, tatsächlich unter Strafe gestellt werden? Ist es wirklich so, daß ein Rechtsvakuum vorliegt und daß es notwendig ist, dieses Rechtsvakuum durch eine Strafdrohung auszufüllen, sei es, daß man eine kriminelle Strafe, sei es, daß man eine Ordnungswidrigkeitsstrafe vorsieht? Ich glaube nicht, daß dem so ist.
Zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Katholischen Kirche besteht das Konkordat. Es sieht vor, daß die kirchliche Einsegnung der Ehe vor der Ziviltrauung nur in zwei Fällen vorgenommen werden darf, einmal im Falle einer lebensgefährlichen, einen Aufschub nicht gestattenden Erkrankung — gerade dieser Fall ist auch in der jetzt geltenden und in der vom Ausschuß vorgeschlagenen Fassung des § 67 des Personenstandsgesetzes ausdrücklich aufgenommenen — und zweitens im Falle eines schweren sittlichen Notstandes, dessen Vorhandensein von der bischöflichen Behörde bestätigt sein muß.
Ich möchte anerkennen, daß in dem Änderungsantrag, den Herr Dr. Arndt soeben begründet hat, dieser Text des Konkordats mit aufgenommen ist.
Das Konkordat schafft Recht für die Kirche und für den Staat, und es ist nicht nur für den Staat selbst verbindlich, sondern auch für die einzelnen, selbstverständlich auch für den Träger der geistlichen Gewalt. Der bloße Umkehrschluß aus dieser Fassung des Art. 26 des Konkordats besagt, daß, wenn die beiden fest umgrenzten Ausnahmetatbestände nicht gegeben sind, der Geistliche auf Grund des Konkordats, durch das kanonische Recht und durch sein Gewissen gehalten ist, die zeitliche Priorität der staatlichen Eheschließung zu berücksichtigen.
Der Notenwechsel, der unlängst zwischen dem Vatikan und der Bundesregierung stattgefunden hat und in dem auch Ihnen bekannten Bulletin vom 2. Februar 1957 auf Seite 203 abgedruckt und von Frau Dr. Schwarzhaupt verlesen worden ist, hat nun die Anwendungsmöglichkeiten dieses Art. 26 des Konkordats klargestellt. Er handelt über die Auslegung dieser Bestimmung und bringt nach dem übereinstimmenden Willen der beiden Vertragschließenden zum Ausdruck, daß ein schwerer sittlicher Notstand nicht gegeben sein soll, „wenn mit dem Vollzug der Ziviltrauung für die Nupturienten ausschließlich wirtschaftliche Nachteile verbunden wären". Er spricht ferner aus, daß nach Art. 26 des Konkordats beim Vorliegen der dort vorgesehenen Umstände die kirchliche Einsegnung der Ehe vor der Ziviltrauung vorgenommen werden darf, daß aber hierbei immer vorausgesetzt wird, daß die Ziviltrauung der kirchlichen Einsegnung der Ehe folgen soll und daß die Bestimmung nicht anwendbar ist, „wenn die in den Ansuchen der Nupturienten um Vornahme der kirchlichen Trauung vorgebrachten Gründe den Vollzug der Ziviltrauung nach der kirchlichen Einsegnung der Ehe ausschließen."
Das bedeutet, daß ein ganz wesentlicher Fall, der einzige Fall, der Anlaß zur Kritik gegeben hat, nicht mehr unter die Anwendungsmöglichkeiten dieses Art. 26 fallen soll, der Fall der sogenannten


(Dr. Kopf)

Onkelehe oder des sogenannten Rentenkonkubinats.
Ich glaube, daß die gemeinsam vereinbarte Auslegung der maßgebenden Organe der Bundesrepublik ,und des Heiligen Stuhls dazu beitragen wird, etwaige Unklarheiten zu beseitigen und vor allem den Fall, der die Kritik in erster Linie ausgelöst hat, für die Zukunft unmöglich zu machen. Nachdem aber nunmehr diese Klarstellung erfolgt ist, besteht nach meiner Meinung kein Vakuum mehr; es ist vielmehr im Bereiche des bürgerlichen Rechts die obligatorische Zivilehe als solche nach wie vor anerkannt und unangefochten. Auf der anderen Seite ist klargestellt, unter dem Vorliegen welcher Voraussetzungen die Ausnahmebestimmungen des Art. 26 Anwendung finden dürfen. Der Geistliche, der die kirchliche Trauung vollzieht, ist an diese Anwendungsbestimmungen gebunden.
Aber noch ein Irrtum bedarf einer Berichtigung. Weit verbreitet ist die Meinung, die bürgerlichrechtlichen Bestimmungen der nationalen Gesetzgebungen seien für die Katholische Kirche wenig interessant, ja vielleicht sogar nicht einmal beachtlich. Das ist ein vollkommener Irrtum, und ich darf Ihnen die maßgebende Bestimmung des Kirchlichen Gesetzbuchs zitieren. Es handelt sich um den Kanon 1016 des Codex Iuris Canonici. Ich zitiere ihn der Vereinfachung wegen deutsch; ich habe den lateinischen Text vorsorglich mitgebracht. Er lautet:
Die Ehe der Gläubigen untersteht nicht nur dem göttlichen, sondern auch dem kanonischen Recht,
— und nun kommt ein entscheidender Zusatz — vorbehaltlich der Zuständigkeit der staatlichen Gewalt bezüglich der rein bürgerlichen Wirkungen der Ehe.
Aus diesem Zusatz ergibt sich, daß die Kirche den Inhalt eines solchen Vorbehaltes respektiert und daß die Respektierung derartiger bürgerlich-rechtlicher Regelungen keineswegs im Gegensatz zu den von der Kirche in ihrem Gesetzgebungswerk niedergelegten Grundsätzen steht. Es trifft also nicht zu, daß die Respektierung der obligatorischen Zivilehe durch die grundlegenden kirchlichen Bestimmungen in ihrer Anwendung in Frage gestellt würde.
Der § 67 des Personenstandsgesetzes enthält eine Diskriminierung der Geistlichen. Diese Behauptung ist allerdings bestritten worden. In den Ausführungen im Rechtsausschuß ist mitunter darauf hingewiesen worden, daß es nicht nur den Stand des Geistlichen gebe, sondern auch andere Berufsstände, z. B. den Stand des Beamten und den Stand des Rechtsanwalts, die auch einem besonderen Berufsstrafrecht unterworfen seien. Mir scheint jedoch ein ganz wesentlicher Unterschied zwischen den Handlungen, die die Mitglieder solcher weltlichen Berufsstände vornehmen können, auf der einen Seite und den Akten vorzuliegen, wegen derer der Geistliche in § 67 mit Strafe bedroht wird. Denn wenn eine Bestrafung des Geistlichen wegen dieser im § 67 genannten Handlungen erfolgt, so erfolgt sie wegen eines Aktes, den der Geistliche als Inhaber der geistlichen Gewalt, als Verwalter der Gnadenmittel ausübt.
Die Aufrechterhaltung des § 67 würde in zwei Punkten eine wesentliche Diskriminierung des Geistlichen bedeuten. Der Geistliche würde anders behandelt werden als die beiden eheschließenden
Personen. Sie sind nach dem jetzigen Stand des Rechtes straffrei, obwohl es nach katholischer Auffassung die Ehepartner sind, die sich unter Mitwirkung des Geistlichen das Sakrament selber spenden. Die Aufrechterhaltung dieser Bestimmung bedeutet somit einen Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz unseres Rechts.
Zweitens liegt aber auch eine Diskriminierung des Geistlichen im Verhältnis zum Standesbeamten vor. Ich bin auf eine interessante Tatsache gestoßen, die in der bisherigen Diskussion noch nicht hervorgehoben worden ist. Auch der Standesbeamte unterlag ursprünglich nach dem Gesetz von 1875 einer Bestrafung.
Das alte Personenstandsgesetz hatte
— ich zitiere hier mit Erlaubnis das Werk von Stölzel, Personenstandsgesetz —
noch eine weitere Sicherung der Ehe, indem es dem Standesbeamten eine kriminelle Geldstrafe von 300 bis 600 Mark, seit 1924 von 3000 bis 10 000 Mark androhte, wenn er bei Vollziehung, d. h. Entgegennahme einer Eheschließung irgendeine gesetzliche Vorschrift außer acht ließ. Das Personenstandsgesetz neuer Fassung hat das fallenlassen.
Und nun kommt eine sehr interessante Erläuterung:
Zwar wird die Bedeutung der Ehe und die Wichtigkeit der genauen Einhaltung des Eherechts jetzt nicht geringer geschätzt als ehedem, im Gegenteil; aber man vertraut nach den gemachten Erfahrungen dem Standesbeamten, daß er auch ohne kriminelle Strafandrohung das Eherecht genauestens beachtet.
Ich stelle die Frage: Wenn der Gesetzgeber, wie es hier heißt, dem Standesbeamten dahin vertraut, daß er auch ohne Androhung einer kriminellen Strafe das Eherecht genauestens beachtet, warum sollten wir nicht auch dem Geistlichen Vertrauen schenken, daß er die für ihn bindenden Vorschriften des bürgerlichen Rechts, des kanonischen Rechts, auch des Konkordats, auch beachtet?

(Sehr richtig! bei der CDU/CSU.)

Und wenn wir glauben sollten, daß die Gefahr einer Nichtbeachtung durch den Geistlichen gegeben sei, während die Annahme der Gefahr einer Nichtbeachtung durch den Standesbeamten einen Verstoß gegen unsere Vertrauensleistung bedeuten würde, würden wir dann nicht eine Diskriminierung vornehmen, und ist es uns nicht untersagt, derartige Diskriminierungen vorzunehmen?

(Sehr richtig! bei der CDU/CSU.)

Die Aufrechterhaltung des § 67 würde den Geist des Mißtrauens atmen. Eine solche Strafbestimmung ist aber auch gar nicht nötig, weil die Kirche die zeitliche Reihenfolge respektiert und der Geistliche zur Einhaltung der Konkordatsbestimmungen kirchenrechtlich und in seinem Gewissen verpflichtet ist.
Es besteht aber auch nicht die Gefahr einer Nichtbeachtung bei den kleinen Religionsgesellschaften. Es ist einmal im Ausschuß bemerkt worden, bei den großen Religionsgesellschaften könne man dieses Vertrauen den Geistlichen ja wohl entgegenbringen, aber bei den kleinen Religionsgesellschaften, da müsse man doch zweifeln. Ein Teil dieser Religionsgemeinschaften erkennt den sakramentalen Charakter der Ehe nicht an. Ich glaube,


(Dr. Kopf)

daß sich die eigentliche Konfliktlage in der Hauptsache im allgemeinen doch erst dann ergibt, wenn eine Kollision zwischen der sakramentalen und der bürgerlich-rechtlichen Eheauffassung Platz greift. Bei den anderen Religionsgemeinschaften ist — man könnte das im einzelnen nachweisen — keineswegs damit zu rechnen, daß sie eine Durchbrechung der staatlichen Normen über die Ehe beabsichtigen.
Die Strafbestimmung entspricht aber auch nicht unserer heutigen Auffassung über das Verhältnis von Staat und Kirche. Ich möchte vielmehr sagen, daß ich in dieser Strafbestimmung noch ein Relikt aus einer längst vergangenen Zeit des Staatskirchentums erblicke. Wenn auch die Weimarer Verfassung nicht mehr diese Einrichtung des Staatskirchentums kennt — sie hat es ausdrücklich ausgeschlossen —, ist merkwürdigerweise dieses Relikt wie ein Fossil bis in unsere heutige Zeit hinein aufrechterhalten worden. Unsere Zeit geht aber davon aus, daß zwischen Staat und Kirche der beiderseitige gute Wille zur Koordination und zur Verständigung bestehen sollte. Ich zitiere ein Wort, das Herr von Brentano am Abschluß der Arbeiten des Parlamentarischen Rates gebraucht hat, als er von den kirchenpolitischen Lösungen des Grundgesetzes sprach. Er sagte damals, es sei hier versucht worden und erfolgt „eine Überwindung eines ausschließlich staatsbezogenen Denkens, die Abkehr von einer etatistischen Grundauffassung und dem Gedanken einer jeden Staatsomnipotenz."
Schließlich erhebt sich aber auch die Frage, inwieweit die Bestimmung des § 67 des Personenstandsgesetzes jetziger Fassung mit den Normen unseres Grundgesetzes vereinbar ist. Wir haben den Art. 4 Abs. 2, der eine ungestörte Religionsausübung gewährleistet. Wir haben die Freiheit des Glaubens, des Gewissens, und die Freiheit des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses, die unverletzlich sind. Wir haben die Vorschrift, daß jede Religionsgesellschaft ihre Angelegenheiten selbständig innerhalb der Schranken des für alle geltenden Gesetzes ordnet und verwaltet.
Ich kann nicht unerwähnt lassen eine Entscheidung des österreichischen Bundesverfassungsgerichts vom November letzten Jahres. Ich habe sie mit Aufmerksamkeit gelesen, und es fiel mir auf, daß die gesetzlichen Normen, die zum Gegenstand der Rechtsfindung dieses höchsten österreichischen Gerichts gemacht worden sind, auffällig mit den rechtlichen Normen in der Gesetzgebung der Bundesrepublik übereinstimmen. Der § 67 des österreichischen Personenstandsgesetzes, um dessen Rechtsgültigkeit es sich handelte, hat denselben Wortlaut wie unser § 67. Die Verfassungsgrundsätze der österreichischen Verfassung und die Gesetze, die zur Anwendung gekommen sind, haben zwar nicht denselben Wortlaut, aber wohl denselben Sinn und dieselbe Tragweite wie die Bestimmungen unseres Grundgesetzes, die ich soeben zitiert habe. Das österreichische Oberste Verfassungsgericht hat die Bestimmung des § 67 aufgehoben, weil sie in Widerspruch zur Verfassung stehe.
Ich möchte diese verfassungsrechtliche Betrachtung nicht vertiefen. Es ist nicht ausgeschlossen, daß der durch das Landgericht Passau entschiedene Fall, der zur Zeit dem Bundesgerichtshof zur Entscheidung vorliegt auch noch einmal dem deutschen Bundesverfassungsgericht vorgelegt werden könnte. Ich möchte daher keineswegs hier irgendwelchen Argumenten vorgreifen. Aber allein schon die Möglichkeit, daß die Aufrechterhaltung des § 67 uns in Widerspruch mit bestehenden Verfassungsbestimmungen bringen könnte, sollte uns davon abhalten, diese Bestimmung in der vom Ausschuß vorgeschlagenen Fassung aufrechtzuerhalten.
Schließlich möchte ich einen Gedanken ausdrücken, den ich seinerzeit in einer Sitzung des Rechtsausschusses entwickelt habe. Ich habe damals von einem gewissen Automatismus der bürgerlichen Rechtsordnung gesprochen, und ich habe darunter den Tatbestand verstanden, daß die Existenz der obligatorischen Zivilehe die Tendenz in sich trägt, sich selbst durchzusetzen, ohne daß es einer strafrechtlichen Sanktion bedarf. Denn alle diejenigen, die diesen Rechtstatbestand nicht einhalten sollten, die an ihm vorübergehen sollten, vielleicht unter Berufung auf die falsch verstandenen Ausnahmebestimmungen des Konkordats, werden der Rechtsvorteile, werden der Privilegien, werden der Rechtspositionen verlustig gehen, die die Bestimmungen des bürgerlichen Rechts eröffnen. Die Kinder aus einer solchen Ehe würden uneheliche Kinder sein, und es würden Unterhaltsansprüche nicht entstehen in Fällen, in denen sie nach dem bürgerlichen Recht entstehen würden. So wirkt die Aufrechterhaltung unserer obligatorischen Zivilehe in dem Sinne, daß sie die Beteiligten zwingt, selbst wenn sie anderer Auffassung sein sollten, dieses Institut und die Vorschriften des bürgerlichen Rechts zu respektieren. So setzt sich durch sein bloßes Vorhandensein und durch den Automatismus der Gesetzgebung des Familienrechts dieser Grundgedanke der obligatorischen Zivilehe in der Praxis durch.
Es ist seitens des Herrn Dr. Arndt ein Änderungsantrag gestellt worden. Er sieht vor, daß § 67 in der jetzigen Form, wie sie vom Ausschuß vorgeschlagen worden ist, zwar nicht aufrechterhalten werden soll, daß die Bestrafung wegen einer angeblich kriminellen Handlungsweise in Fortfall kommen soll, daß aber die Bestrafung wegen dreier Tatbestände von Ordnungswidrigkeiten normiert werden soll.
Ich möchte bei einer gerechten Würdigung dieses Vorschlags die positiven Seiten anerkennen, auch wenn ich selber zur Ablehnung dieses Vorschlages kommen muß.
Ich erblicke eine der positiven Seiten darin, daß in dem ersten Tatbestand, wenn ich recht verstanden habe — ich habe den Text nicht vor mir liegen — die Ausnahmebestimmungen des Konkordats mit eingeführt worden sind, und zwar beide Ausnahmetatbestände, während die jetzige Fassung des § 67 des Personenstandsgesetzes nur den einen Ausnahmetatbestand einer schweren Krankheit in den Inhalt aufgenommen hat. Insofern läge ein Fortschritt vor.
Ich begrüße auch. daß der Antrag der Erkenntnis Rechnung trägt, daß eine kriminelle Strafe ganz bestimmt nicht am Platze ist; weil nur die Reihenfolge in der Ordnung der Ereignisse verletzt worden ist und weil hier keineswegs ein krimineller Tatbestand, sondern nur eine Nichtbeachtung der vom Staat gewünschten Ordnung vorliegt.
Trotzdem bin ich der Meinung, daß man diesem Antrage nicht stattgeben sollte und daß er auch nicht notwendig ist. Ich glaube hier ausgeführt zu haben, daß unsere Rechtsordnung, wie wir sie


(Dr. Kopf)

heute nach Streichung des § 67 vorfinden, keineswegs das angebliche Rechtsvakuum aufreißt, daß vielmehr gerade die handelnden Personen, die heute noch im § 67 unter bestimmten Umständen für strafbar erklärt worden sind, keineswegs nach ihrer Willkür zu handeln vermögen, sondern gebunden sind durch die staatsrechtlich und kirchenrechtlich bedeutsamen Normen des Konkordats, durch die Bestimmungen des Kirchenrechts und durch die Auslegungsbestimmungen, die neuerdings durch den von mir zitierten Notenwechsel klargelegt worden sind. Es liegt hier keineswegs die Möglichkeit einer Willkür und damit auch nicht die Möglichkeit eines Mißbrauchs vor. Gerade der Geistliche wird zu denjenigen Berufsständen zu rechnen sein, die sich in ganz besonderem Maße der Verpflichtung zu einer sorgfältigen Prüfung in allen Gewissensfällen bewußt sind.
Weil wir die Notwendigkeit dieser Bestimmung nicht einzusehen vermögen, weil wir in dieser Bestimmung ein Relikt aus einer vergangenen Zeit des Staatskirchentums erblicken, weil diese Bestimmung nicht dem geläuterten Verhältnis, einer guten Harmonie und dem wechselseitigen Verständnis zwischen Staat und Kirche Rechnung trägt, weil die Bestimmung überflüssig ist und weil hinsichtlich ihrer verfassungsrechtlichen Geltung wesentliche Zweifel bestehen, halten wir ihre Streichung für notwendig und haben sie beantragt. Wir möchten durch die Streichung dieser Bestimmung jedem der beteiligten Teile das Seinige geben, nämlich dem Staate das Recht, die Form der Eheschließung und ihre rechtlichen Wirkungen im Rahmen des bürgerlichen Rechts zu bestimmen, der Kirche das Recht, bei Respektierung der staatlichen Ordnungsvorschriften den Gläubigen die kirchlichen Gnadenmittel zu vermitteln, und schließlich dem Gewissen des Geistlichen das Recht, jene Freiheit der Gewissensentscheidung walten zu lassen, die durch das Grundgesetz verbürgt ist und die von dieser Stelle des Hauses aus vor wenigen Wochen so warmherzige und eifrige, so überzeugte und unbedingte Verteidiger gefunden hat.

(Beifall bei der CDU/CSU.)


Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0219110500
Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Arndt.

Dr. Adolf Arndt (SPD):
Rede ID: ID0219110600
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Kopf hat Ausführungen von mir aus dem Rechtsausschuß zitiert und dazu einen Kommentar gegeben. Die zitierten Ausführungen erkenne ich gern und vollständig an, aber Ihren Kommentar in gar keiner Weise. Ich habe gesagt — und dazu stehe ich auch —, daß der zeitliche Vorrang der bürgerlichen Ehe vor der kirchlichen Ehe keinen Wertvorrang bedeutet, weil der Staat gar nicht von sich aus autorisiert ist, ein solches Werturteil zu fällen; er ist auch gar nicht daran interessiert. Aber mitnichten habe ich gesagt, daß es sich bei dem zeitlichen Vorrang nur um ein formales Ordnungsprinzip handle. Ich habe im Gegenteil ganze Ausschußsitzungen gebraucht und verbraucht, um Ihnen immer wieder nahezulegen, daß dieser zeitliche Vorrang einen Wertgehalt habe und einer Friedens- und Toleranzidee dienen solle. Das ist in Ihrem Kommentar überhaupt nicht zum Ausdruck gekommen.
Im übrigen ist es ja auch so — und das haben wir auch besprochen —, daß auf andere Weise als durch den zeitlichen Vorrang überhaupt nicht gesichert werden kann, daß, wer kirchlich verheiratet ist, auch staatlich verheiratet sein muß. Wie wichtig es ist, dies zu sichern, können Sie drüben in Österreich sehen; denn in Österreich ist durch eine Entscheidung des höchsten Gerichtshofes auf Grund einer anderen Verfassungslage und mit einer Begründung, über die man immerhin streiten könnte, der § 67 ,des Personenstandsgesetzes ersatzlos fortgefallen mit dem Ergebnis, daß wir heute in Österreich eine unbekannt große Zahl kirchlicher Ehen haben — keineswegs eine kleine Zahl —, denen staatliche Ehen nicht entsprechen, ein sehr schweres innenpolitisches und konfessionspolitisches Problem für die Bundesrepublik Österreich. Wir haben gar keine Veranlassung, daß wir uns etwas Ähnliches auch noch nach Deutschland hereinholen.

(Abg. Dr. Menzel: Sehr wahr! — Zurufe von der CDU/CSU.)

Hier ist doch für uns ein entscheidender Friedensgedanke dabei, daß wir das unterlassen. Da müssen wir vom heutigen Standpunkt ausgehen und sollten auch nicht immer historische Reminiszenzen bringen, wie Herr Kollege Kopf sie etwa gebracht hat, indem er behauptete — ich kann es nicht nachprüfen; ich weiß es nicht —, daß die Evangelische Kirche in den 70er Jahren auch nicht für die obligatorische Zivilehe gewesen sei. Herr Kollege Kopf, ich nehme an, daß das stimmt, wenn Sie es sagen. Aber solche geschichtlichen Erinnerungen haben doch für die gegenwärtige Stunde keinen Beweiswert, ebensowenig Beweiswert, als wenn ich sagen wollte, es habe tausend Jahre Christenheit ohne kirchliche Ehe gegeben; denn die kirchliche Hilfe bei der Ehe kommt im 11. Jahrhundert zum ersten Male auf.

(Beifall bei der SPD.)


Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0219110700
Das Wort hat der Herr Bundesminister des Innern.

Dr. Gerhard Schröder (CDU):
Rede ID: ID0219110800
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Arndt hat eine Erklärung zitiert, die ich in der 111. Sitzung für die Bundesregierung abgegeben habe. Ich möchte dazu folgendes sagen. Das darin enthaltene Bekenntnis zur obligatorischen Zivilehe gilt völlig unverändert. In dieser Erklärung war aber mehr enthalten, nämlich der Ausdruck der Meinung der Bundesregierung, daß nach dem Verlauf des Gesetzgebungsverfahrens für die Vorlage, die auch heute zur Debatte steht, eine gemilderte Strafvorschrift — eine im Gegensatz zu dem Vorschlag des Bundesrates mildere Strafvorschrift — richtig sei.
Die Bundesregierung steht heute auf dem Standpunkt, daß, nachdem eine in diesem Punkte befriedigende Regelung mit dem Heiligen Stuhl getroffen worden ist, die die richtige Behandlung der damals vor unser aller Augen stehenden Fälle gewährleistet, es durchaus vertretbar ist, zu ihrer ursprünglichen Vorlage zurückzukehren, die, wie Sie sich erinnern werden, den Wegfall des § 67 beinhaltet hat. Deswegen erklärt die Bundesregierung, daß der Vorschlag, der jetzt von der CDU-CSU-Fraktion gemacht wird, sich mit ihren Auffassungen deckt.

Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0219110900
Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Bucher.

Dr. Ewald Bucher (FDP):
Rede ID: ID0219111000
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wie bereits Frau Dr. Ilk mitgeteilt


(Dr. Bucher)

hat, haben wir unseren Antrag dahin geändert, daß wir nur eine Geldstrafe vorsehen wollen. Wir waren zunächst von der Strafbestimmung ausgegangen, wie sie vor dem Nationalsozialismus und vor dem Kulturkampf bestanden hat, sind aber, nachdem nunmehr die befriedigenden Erklärungen des Heiligen Stuhls vorliegen, gern bereit, auch darüber hinaus auf Gefängnisstrafdrohung zu verzichten. Wir sehen uns dagegen nicht in der Lage, hier, entsprechend dem Antrag der SPD, wie er von Herrn Dr. Arndt vorgetragen worden ist, nur eine Ordnungswidrigkeit anzunehmen. Herr Dr. Arndt sprach selbst von einem zeitlichen Vorrang mit Wertgehalt, um den es sich drehe, und das scheint mir auch das richtige Stichwort zu sein für die Beurteilung der Frage, ob man hier nur von einer Ordnungswidrigkeit reden kann. Denn dieser Wertgehalt beruht doch darauf, daß sowohl die staatliche Trauung als auch die kirchliche Trauung sehr bedeutende Akte sind. Es ist nun wirklich beiden Akten gegenüber, also auch der kirchlichen Trauung gegenüber, nicht angemessen, von einer Ordnungswidrigkeit zu sprechen und einen Verstoß gegen diesen zeitlichen Vorrang etwa ebenso zu behandeln — verzeihen Sie das Beispiel — wie einen Verstoß gegen das Ladenschlußgesetz. Man darf hier nicht am Wort „Ordnung" festkleben. Freilich ist es ein Verstoß gegen eine Ordnungsvorschrift, aber es gibt z. B. im Siebenten Abschnitt des besonderen Teiles des Strafgesetzbuchs Vergehen wider die öffentliche Ordnung, Landfriedensbruch usw., und zu dieser öffentlichen Ordnung zählen wir auch das Problem, um das es hier geht, die öffentliche Ordnung im Sinne der staatlichen Ordnung, während die Ordnungswidrigkeiten doch nur Übertretungen der Verwaltungsordnung oder der wirtschaftlichen Ordnung betreffen.
Es geht uns wirklich nicht darum, hier ein Plus an Strafdrohungen zu schaffen; Das sehen Sie nebenbei daran, daß unser Antrag bis zu 300 DM geht, während die Geldbuße bei Ordnungswidrigkeiten bis 1000 DM geht. Uns liegt vielmehr daran, ein aliud, etwas anderes als eine Ordnungswidrigkeit, festzulegen, das eben der Bedeutung dieser Sache entspricht. Das ist nicht eine in irgendwelcher Weise schikanöse Haltung gegenüber der Geistlichkeit. Auch wir vertrauen darauf, daß die Strafdrohung oder die Androhung einer Buße, gleich, was man nun macht, den Zweck erfüllen wird, nämlich überhaupt einen Verstoß gegen dieses Gesetz zu verhindern.
Ich darf Ihnen noch unseren Antrag vorlesen. Er lautet nunmehr:
In § 67 Abs. 1 werden nach den Worten „mit Geldstrafe" die Worte „bis zu 300 Deutsche Mark" eingefügt und die Worte „oder mit Gefängnis" gestrichen.

Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0219111100
Herr Abgeordneter Kopf!

Dr. Hermann Kopf (CDU):
Rede ID: ID0219111200
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte zu den Ausführungen von Herrn Dr. Arndt drei kurze Bemerkungen machen. Die Ausführungen, die Herr Dr. Arndt in der Sitzung des Rechtsausschusses gemacht hat, hatten folgenden Wortlaut:
Ich bedaure, daß dauernd von einem Vorrang der Zivilehe gesprochen wird. Es handelt sich nicht um einen Vorrang. Der Staat ist völlig außerstande, seiner staatlichen Einrichtung einen Vorrang vor kirchlichen Einrichtungen
zu geben. Er ist es um so weniger der katholischen Kirche gegenüber, für die die Ehe ein Sakrament ist, was bei den Protestanten nicht der Fall ist.
Der Staat kann niemals sagen, daß seine Institution wertmäßig oder in irgendeiner anderen Hinsicht einen Vorrang vor einem Sakrament hat. Der Staat kann sich auch nicht unterfangen, seinerseits Voraussetzungen für die Erteilung eines Sakraments aufzustellen. Der Sinn ist vielmehr stets die zeitliche Reihenfolge, die keinerlei Rang oder Wertfolge bedeutet. Das Prinzip der obligatorischen Zivilehe heißt lediglich, daß die standesamtliche Eheschließung zeitlich der kirchlichen vorangehen soll.
Ich kann mich mit diesen Ausführungen vollkommen einverstanden erklären.
Zweitens. Es ist Bezug genommen worden auf die Rechtsprechung in Österreich. Ich habe darauf hingewiesen, daß die Bestimmungen des österreichischen Personenstandsgesetzes, die das Bundesverfassungsgericht als nichtig erklärt hat, genau denselben Inhalt und sogar den Wortlaut haben wie der § 67 des deutschen Personenstandsgesetzes. Es ist ferner beachtlich, daß die beiden Verfassungsbestimmungen, mit denen dieser § 67 nach der Auffassung des österreichischen Gerichtes unvereinbar sein soll, zwei Bestimmungen unseres deutschen Grundgesetzes entsprechen, die im Wortlaut ein klein wenig, aber im Sinne in gar keiner Weise abweichen, nämlich dem Artikel 4 Abs. 2 des Grundgesetzes und — wenn ich mich nicht irre — dem Artikel 137 Abs. 3 der alten Weimarer Verfassung, die in das Grundgesetz aufgenommen worden ist.
Es besteht aber ein großer Unterschied zwischen Österreich und uns. Für uns gilt das Konkordat, und das Konkordat regelt, in welchen Fällen Ausnahmen von der Regelung des Bürgerlichen Rechtes gemacht werden dürfen. Diese Ausnahmen sind durch die neuerliche Auslegung des Notenwechsels erneut ganz erheblich und wesentlich eingeengt worden. Für Österreich gilt aber kein Konkordat. Nur das Nichtvorhandensein eines Konkordats hat in Österreich zu den Erscheinungen geführt, die Herr Dr. Arndt vorhin zweifellos zutreffend erwähnt hat.
Eine letzte, dritte Bemerkung. Es ist die Frage erhoben worden, ob denn nicht die Bezugnahme auf die Ereignisse des Jahres 1870 und des Jahres 1875 recht überflüssig ist, ob sie nicht einen sehr. entbehrlichen Historismus darstelle. Ich glaube nicht, meine Damen und Herren. Und warum nicht? Es ist notwendig, eines einzusehen und zu erkennen. Die geschichtliche Entwicklung zeigt uns, daß die Einführung der obligatorischen Zivilehe zunächst in der Gesetzgebung des Norddeutschen Bundes und dann in der des Deutschen Reiches nicht ohne schwere Auseinandersetzungen mit den damals vorhandenen beiden Kirchen erfolgt ist, daß sie sich mühsam durchsetzen mußte und daß zur Erleichterung dieser Durchsetzung des bürgerlichen Rechtes gegenüber den in beiden Konfessionen damals geltenden Auffassungen diese Strafdrohung eingeführt worden ist. Diese Strafdrohung sollte also nichts anderes ausüben als eine Art von Erziehungsfunktion. Auch unsere Klassiker Lessing und Herder haben von der Erziehung des Menschengeschlechts gesprochen. Ich verwende diesen Ausdruck sehr ungern, nachdem das deutsche Volk in den Jahren nach dem letzten Weltkrieg von


(Dr. Kopf)

den Alliierten umerzogen worden ist. Ich möchte viel lieber sagen, die rechtspolitische Bedeutung dieser Bestimmungen lag in der Umgewöhnung und in der Angewöhnung des deutschen Volkes, in der inneren Anpassung des deutschen Volkes an die nunmehr eingeführte obligatorische Zivilehe. Dieser Anpassungszweck, diese Umgewöhnungs- und Angewöhnungsfunktion sind aber heute erfüllt; sie sind schon längst erfüllt. Es ist nicht mehr notwendig, um dieser Umgewöhnungsfunktion willen heute eine Bestimmung aufrechtzuerhalten, die obsolet geworden ist, die nicht notwendig ist und deren Streichung daher von uns beantragt worden ist.

(Beifall bei der CDU/CSU.)


Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0219111300
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Wir kommen zur Abstimmung.
Die Situation ist folgendermaßen. Der weitestgehende Antrag ist zweifellos der Antrag auf Umdruck 934*), weil er sich am weitesten von der auf der rechten Seite stehenden Vorlage des Ausschusses entfernt. Dann kommt als nächster Antrag der Antrag des Herrn Abgeordneten Dr. Arndt und dann als am wenigsten von der Ausschußvorlage abweichender Antrag der Antrag der FDP. Wir stimmen also in dieser Reihenfolge ab.
Zunächst: Wer dem Antrag der Fraktion der CDU/CSU auf Umdruck 934 zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Das erste ist die Mehrheit. Damit ist der Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU angenommen, und damit sind die beiden Änderungsanträge erledigt.
Wer nun der Ziffer 56 in der so veränderten Fassung — die also der Fassung der Regierungsvorlage entspricht — zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Angenommen.
Nun rufe ich die Ziffern 57, — 58, — 59 auf. — Wird dazu das Wort gewünscht? — Das Wort wird nicht gewünscht. Wer den aufgerufenen Ziffern zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Angenommen.
Ich rufe Ziffer 60 auf. Hierzu liegt der Änderungsantrag unter Ziffer 17 des Umdrucks 933**) vor. Der Herr Abgeordnete Schmitt (Vockenhausen) verzichtet auf Begründung? — Ja. Wird zu diesem Änderungsantrag Umdruck 933 Ziffer 17 das Wort gewünscht? — Das Wort wird nicht gewünscht. Wer diesem Änderungsantrag zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Der Änderungsantrag ist abgelehnt.
Ich rufe Ziffer 60 in der Fassung des Ausschusses auf. Wer der Ausschußfassung zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Gegen zahlreiche Nein-Stimmen angenommen.
Ich rufe die Ziffern 61 und 62 auf. Wird dazu das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall. Wer den Ziffern 61 und 62 zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Angenommen.
Nun kommt Ziffer 63, dazu Änderungsantrag Umdruck 933 Ziffer 18 und Eventualantrag unter Ziffer 19. Zur Begründung Herr Abgeordneter Schmitt (Vockenhausen).
*) Siehe Anlage 5. **) Siehe Anlage 4.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0219111400
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Unser Antrag beschäftigt sich mit einer Materie, die in den beteiligten Ausschüssen recht unterschiedlich behandelt worden ist. So ist der Rechtsausschuß in seiner Mehrheit zu der Auffassung gekommen, daß der gesamte Absatz 1 gestrichen werden sollte, während der Innenausschuß seine Verfassungsmäßigkeit bejaht hat. Wir haben heute diesen Antrag wieder aufgenommen, und gestatten Sie, daß ich ihn noch einmal kurz begründe.
Art. 80 Abs. 1 des Grundgesetzes ermächtigt die dort genannten Stellen zum Erlaß von Rechtsverordnungen. Eine Vorschrift, wie sie jetzt die Bundesregierung vorschlägt, würde aber nach unserer Auffassung die Ermessensfreiheit dieser Stellen dadurch einengen, daß sie nur noch im Einvernehmen mit anderen Steilen handeln können. Der Bundesrat hat deshalb auch schon gegen die hier vorgeschlagene Fassung Bedenken gehabt und hat sie in einem Beschluß zum Ausdruck gebracht.
Nun ist in den Ausschüssen — vor allem im Rechtsausschuß — die Frage erörtert worden, ob nicht die Fassung in der Form, wie sie von uns vorgeschlagen wird und wie sie auch vom Bundesrat vorgeschlagen worden ist, die Bestimmungen der Art. 136 bis 139 und 141 der Weimarer Verfassung, die ja durch Art. 140 des Bonner Grundgesetzes übernommen worden sind und geltendes Recht sind, verletze. — Wir sind der Auffassung, daß dieses Argument nicht durchschlägt; denn das Eigentum der Kirchen wird ja auch weiterhin gewährleistet.
Es geht doch hier nur darum, allen interessierten Personen die Möglichkeit zu verschaffen, sich die notwendigen Beweisurkunden über ihre Vorfahren aus den Kirchenbüchern zu beschaffen. Das ist lediglich eine Einschränkung des Eigentums, die im allgemeinen Interesse liegt, die auch durchaus durch das Grundgesetz gedeckt wird und wie sie auch bei anderen Eigentümern durch Gesetz von diesem Hohen Hause in Einschränkung des Art. 14 des Grundgesetzes vorgenommen wird. Da die Kirchen ja ohnehin die Kirchenbücher aufbewahren, werden sich auch in der Sache keine Schwierigkeiten ergeben. Es kommt noch hinzu, daß keine Landesregierung ohne Abstimmung mit den zuständigen kirchlichen Behörden eine derartige Rechtsverordnung erlassen wird.
Wir bitten daher, unserem Antrag zuzustimmen, und wir glauben, daß er auch in jeder Weise berechtigt ist. Ich darf in diesem Zusammenhang darauf hinweisen — der Herr Kollege Kopf hat ja die Protokolle des Rechtsausschusses hier —, daß auch der Herr Kollege Hoogen und andere Kollegen in der Sitzung des Rechtsausschusses vom 22. Oktober Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit der jetzt von der Regierung und vom Ausschuß für Angelegenheiten der inneren Verwaltung vorgeschlagenen Bestimmung haben.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, sollten Sie sich wirklich nicht zu der Annahme der jetzt von uns vorgeschlagenen Fassung entschließen können, würden wir Sie doch in jedem Falle bitten, die Worte „im Einvernehmen mit den Kirchen und Religionsgemeinschaften" durch die Worte „nach Anhörung der Kirchen und Religionsgemeinschaften" zu ersetzen. In diesem Fall ist Ihrem Wunsche, wenn vielleicht eine Landesregierung diese Anhörung nicht durchführen sollte, Rechnung getragen und die Anhörung durch Gesetz gewährleistet.


Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0219111500
Herr Abgeordneter Dr. Kihn!

Dr. Karl Alfred Kihn (CSU):
Rede ID: ID0219111600
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Herr Kollege Schmitt hat selber zugestanden, daß es sich hier um eine Einschränkung der Verfügungsgewalt der Religionsgesellschaften handelt. Sie widerspricht der Selbstverwaltung der Religionsgesellschaften, denn diese kann nur durch ein für alle geltendes Gesetz eingeschränkt werden. Hier handelt es sich aber um ein Sondergesetz g e g en die Religionsgesellschaften. Wir halten die Bestimmung für verfassungswidrig. Es besteht auch kein Bedürfnis; denn erstens erfolgt die Aufbewahrung schon vielfach in staatlichen Archiven, wo sie in Kirchenräumen nicht entsprechend vorgenommen werden kann, und zweitens sind bei Ausstellung der Urkunden keine Schwierigkeiten aufgetreten. Mir sind keine Fälle bekannt, in denen bei Erteilung von beglaubigten Abschriften von solchen Urkunden irgendwie Schwierigkeiten gemacht worden wären. Ich bitte, den Antrag der SPD abzulehnen.

Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0219111700
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.
Wir kommen zur Abstimmung. Wer dem Änderungsantrag auf Umdruck 933*) Ziffer 18 zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Das ist die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt.
Eventualantrag Umdruck 933 Ziffer 19! Wer ihm zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen.
— Gegenprobe! — Der Eventualantrag Ziffer 19 ist auch abgelehnt.
Damit kommen wir zu Nr. 63 in der Ausschußfassung. Wer zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Angenommen.
Nr. 64 — keine Änderungsanträge —, Artikel II,
— III, — IV, — V, — VI, — Einleitung und Überschrift. — Wird das Wort gewünscht? — Das Wort wird nicht gewünscht. Wer zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Angenommen.
Meine Damen und Herren, damit ist die zweite Lesung abgeschlossen. — Herr Abgeordneter Schmitt (Vockenhausen)!

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0219111800
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Im Auftrage meiner Fraktion widerspreche ich der dritten Lesung des Gesetzentwurfs.

Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0219111900
Dieser Antrag ist ausreichend unterstützt. Damit unterbleibt heute die dritte Lesung des Gesetzentwurfs.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung rufe ich zunächst die Vorlagen des Vermittlungsausschusses auf.
Wir treten ein in die
Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes (Vermittlungsausschuß) zu dem Ersten Gesetz zur Änderung und Ergänzung des Gesetzes über Hilfsmaßnahmen für Personen, die aus politischen Gründen in Gebieten außerhalb der Bundesrepublik Deutschland
*) Siehe Anlage 4.
und Berlins (West) in Gewahrsam genommen
wurden (Drucksachen 3172, 2637, 2888, 3047).
Ich frage, ob der Herr Berichterstatter das Wort wünscht? — Herr Abgeordneter Kuntscher als Berichterstatter!

Ernst Kuntscher (CDU):
Rede ID: ID0219112000
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In Angelegenheit des Ersten Gesetzes zur Änderung und Ergänzung des Gesetzes über Hilfsmaßnahmen für Personen, die aus politischen Gründen in Gebieten außerhalb der Bundesrepublik Deutschland und Berlins (West) in Gewahrsam genommen wurden, hat der Bundesrat in drei Punkten den Vermittlungsausschuß angerufen. Die Punkte 1 und 2 betreffen Verfahrensfragen, und der Vermittlungsausschuß hat den Anträgen des Bundesrates zugestimmt. Der dritte Punkt betrifft die Zuständigkeitsregelung bei Härtefällen, und hier wurde die Befürchtung des Bundesrates geäußert, daß durch die Bestimmungen der Beschlüsse des Bundestages ein Präjudiz für eine Mischverwaltung geschaffen werde. Nach Klarstellung dieses Falles und nachdem Erklärungen des Bundesinnenministeriums und des Bundesfinanzministeriums des Inhalts abgegeben wurden, daß durch diese Fassung kein Präjudiz für eine Mischverwaltung geschaffen sei, wurde der Beschluß des Bundestages vom Vermittlungsausschuß mit Mehrheit angenommen. Ferner wurde die Saar-Klausel eingefügt.
Ich bitte Sie im Namen des Vermittlungsausschusses, diesen Anträgen zuzustimmen.

Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0219112100
Werden Erklärungen abgegeben? — Erklärungen werden nicht abgegeben.
Ich komme zur Abstimmung. Wer dem Antrag des Vermittlungsausschusses auf Drucksache 3172 zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Bei einer Enthaltung angenommen.
Ich rufe auf:
Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes (Vermittlungsausschuß) zu dem Gesetz zum Protokoll vom 7. Juni 1955 über die Bedingungen für den Beitritt Japans zum Allgemeinen Zoll- und Handelsabkommen (Drucksachen 3173, 2756, 2980, 3133).
Das Wort hat der Herr Berichterstatter, Abgeordneter Seidl (Dorfen).

Franz Seidl (CSU):
Rede ID: ID0219112200
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In dem Gesetz zum Protokoll vom 7. Juni 1955 über die Bedingungen für den Beitritt Japans zum Allgemeinen Zoll- und Handelsabkommen war eine Bestimmung über die Nichtgeltung dieses Gesetzes im Saarland nicht vorgesehen. Im zweiten Durchgang hat der Bundesrat, um diesen Mangel zu beheben, den Vermittlungsausschuß angerufen mit dem Begehren, eine derartige Klausel einzufügen. In diesem Protokoll werden in der Tat Zollfragen behandelt, die in bezug auf das Saarland der derzeitigen Zuständigkeit unserer Bundesrepublik entzogen sind und deren Regelung durch dieses Gesetz deshalb gegen den Saar-Vertrag verstoßen würde. Für die sogenannte Übergangszeit muß also eine Regelung geschaffen werden. Der Bundesrat hatte vorgeschlagen, sofort nach Inkrafttreten dieser


(Seidl [Dorfen])

Übergangszeit das Gesetz im Saarland ebenfalls in Kraft zu setzen. Das Saarland, vertreten durch seinen Ministerpräsidenten, hatte gebeten, die andere Klausel, die bezüglich des Saarlandes in den Gesetzen zur Zeit üblich ist, zu wählen, nämlich: „Dieses Gesetz gilt nicht im Saarland." Der Vermittlungsausschuß stimmte dem zu. Es wird also einer späteren Gesetzgebung vorbehalten, dieses Gesetz im Saarland einzuführen.
Nachdem dieser Antrag des Vermittlungsausschusses tatsächlich einen Mangel des Gesetzes behebt, darf ich Sie im Namen des Vermittlungsausschusses bitten, ihm zuzustimmen.

Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0219112300
Werden Erklärungen abgegeben? — Keine Erklärungen.
Wer dem Antrag des Vermittlungsauschusses Drucksache 3173 zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Angenommen.
Ich rufe auf:
Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes (Vermittlungsausschuß) zu dem Gesetz über die Landbeschaffung für Aufgaben der Verteidigung (Landbeschaffungsgesetz) (Drucksachen 1977, 2909, zu 2909, 3050).
Das Wort zur Berichterstattung hat der Herr Abgeordnete Dr. Arndt.

Dr. Adolf Arndt (SPD):
Rede ID: ID0219112400
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der § 2 Satz 1 des Landbeschaffungsgesetzes soll nach den Beschlüssen des Bundestages lauten:
Die für Zwecke des § 1 Absatz 1 benötigten Grundstücke sollen nach Möglichkeit freihändig erworben werden.
Der Bundesrat hatte das Anliegen, in einem zweiten Satz noch eine weitere Möglichkeit einzufügen:
Kann ,der beabsichtigte Zweck auch durch Begründung eines Nutzungsverhältnisses erreicht werden, so ist einem hierauf gerichteten Verlangen des Eigentümers zu entsprechen.
Der Vermittlungsausschuß hat diese Anregung des Bundesrats einstimmig gebilligt.
Der Bundesrat hatte dann zweitens den Antrag gestellt, den bisherigen Satz 2 ganz zu streichen, nämlich:
Das Entgelt kann abweichend von den bisherigen Preisvorschriften bemessen werden.
Dieser Streichungstanrag des Bundesrats fand im Vermittlungsausschuß keine Mehrheit. Vielmehr hat sich der Vermittlungsausschuß mit zahlreichen Stimmen auch dies Bundesrats für die Bundestagsfassung entschieden, so daß eine Änderung nicht eintritt und auch die damit zusammenhängenden Änderungswünsche des Bundesrats entfallen. Dagegen ergibt sich bei § 12 Abs. 2 von selbst, daß auch dort eingefügt werden muß, daß ein Nutzungsverhältnis begründet werden kann.
Das dritte Anliegen des Bundesrats ging dahin, den § 22 grundlegend zu ändern. § 22 sieht vor, daß in einer Reihe von Fällen, die besonders normiert sind, auch des indirekten Schadens dadurch gedacht werden soll, daß in diesen besonderen Fällen der bisherige Eigentümer anstatt einer Geldentschädigung eine Entschädigung in Land fordern kann. Dieser Antrag des Bundesrats hat nach eingehender Diskussion keine Mehrheit gefunden. Im Gegenteil, er ist mit dem bemerkenswerten Stimmenverhältnis von 13 : 1 bei einer Enthaltung abgelehnt worden. Damit entfallen auch die übrigen damit zusammenhängenden Änderungsvorschläge des Bundesrats.
Schließlich hat ,der Bundesrat bei dieser Gelegenheit auf den besonderen Wunsch des Herrn Ministerpräsidenten Dr. Ney aus Saarbrücken die negative Saarklausel eingefügt, weil sich einstweilen nicht übersehen läßt, ob sich dieses Landbeschaffungsgesetz schon so ohne weiteres im Saargebiet einführen läßt.
Der Vermittlungsausschuß hat beschlossen, daß über diesen Vermittlungsvorschlag nur einheitlich abgestimmt werden kann.
Ich habe die Ehre, Sie namens des Vermittlungsausschusses um die Zustimmung zu diesem Vermittlungsvorschlag zu bitten.

Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0219112500
Ich danke dem Herrn Berichterstatter. Werden Erklärungen abgegeben? — Keine Erklärungen.
Wir kommen zur Abstimmung. Wer dem Vorschlag des Vermittlungsausschusses auf Drucksache 3174 zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der Vorschlag des Vermittlungsausschusses ist angenommen.
Damit, meine Damen und Herren, kehren wir zurück zu unserer ursprünglichen Tagesordnung. Wir sind gestern bei Punkt 4 b und c stehengeblieben.
b) Erste Beratung des Entwurfs eines Vierten Strafrechtsänderungsgesetzes (Drucksache 3039);
c) Erste Beratung des von der Fraktion der CDU/CSU eingebrachten Entwurfs eines Fünften Strafrechtsänderungsgesetzes (Drucksache 3067).
Begründungen sind gestern gegeben worden.
Die Aussprache ist eröffnet. — Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Bucher.

(Vizepräsident Dr. Schneider übernimmt den Vorsitz.)


Dr. Ewald Bucher (FDP):
Rede ID: ID0219112600
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Als neulich der Abgeordnete Dr. Heinrich Schneider (Saarbrücken) hier sprach, bekam er den Zwischenruf: „SA marschiert!". Ich fragte den damaligen Zwischenrufer, der ja sonst nicht durch taktlose, sondern durch geistreiche Zwischenrufe aufzufallen pflegt, was ihn dazu veranlaßt habe. Seine Antwort war, der Kollege Dr. Schneider habe von dem „schaffenden Volk" an der Saar gesprochen, und dieser „Jargon" habe an vergangene Zeiten erinnert.
Nun, wenn man schon so feinfühlig ist, dann, glaube ich, wäre diese Feinfühligkeit besonders bei diesem Gesetz angebracht. Denn wir lesen hier von „gröblich entstellten Behauptungen", von der „Untergrabung der pflichtmäßigen Bereitschaft", von der „Gefährdung der Schlagkraft der Truppe" usw., — alles Redewendungen, die doch ein Unlustgefühl bei uns hervorrufen. Der jetzige und der frühere Herr Bundesjustizminister haben versichert, daß man hier keineswegs, wie es teilweise


(Dr. Bucher)

behauptet wurde, etwa aus dem Heimtückegesetz oder aus dem Gesetz gegen die Wehrkraftzersetzung unseligen Angedenkens abgeschrieben habe. Das glaube ich gern. Das fehlte uns auch gerade noch, daß man davon abschreibt. Aber es scheint mir fast noch bedenklicher zu sein, wenn sich beinahe im Unterbewußtsein bei der Redigierung solcher Gesetze derartige Formulierungen einschleichen. Ich will nicht sagen, daß damit eine politisch bedenkliche Absicht verbunden wäre. Aber diese ganze Art der Terminologie ist uns nun einmal widerwärtig geworden, und sie gefährdet vor allem die Entwicklung und das System unseres Strafrechts. Denn diese Entwicklung wurde ja durch die nationalsozialistische Zeit unterbrochen, und zwar dadurch, daß immer mehr die Tendenz aufkam, die klaren Tatbestände aufzuweichen, und daß schließlich auch der Satz nulla poena sine lege
— keine Strafe ohne vorheriges Gesetz — abgeschafft wurde. Dieser Satz darf aber nun nicht rein formal aufgefaßt werden; denn wenn man ihn rein formal auffaßt, dann entspricht schließlich auch die Verfassung und Gesetzgebung der DDR diesem Satz. Dort sagt der Art. 6 der Verfassung
— ich kenne den genauen Wortlaut nicht — praktisch, daß eben alle Handlungen strafbar sind, die gegen die DDR gerichtet sind. Einen ähnlichen Satz gibt es im sowjetischen Strafgesetzbuch. Und leider Gottes haben uns auch die Besatzungsmächte — das muß hier gesagt werden —, vor allen Dingen die amerikanische Besatzungsmacht, ähnliche Strafbestimmungen beschert. Ich erinnere mich noch daran, wie nach dem Krieg ein Kodex strafbarer Handlungen veröffentlicht wurde, der zunächst ordentliche Tatbestände im Sinne unseres Strafrechts, am Schluß aber eine Generalklausel enthielt, in der einfach gesagt wurde, daß sich jeder strafbar mache, der etwas gegen die amerikanischen Streitkräfte unternehme.
Von dieser Knochenerweichung des Strafrechts sollten wir wieder abkommen und uns an den Satz „keine Strafe ohne Gesetz", nicht nur in formellem Sinne, sondern auch in dem materiellen Sinne halten, daß wir klare Straftatbestände schaffen, so wie es früher der Fall war.
Ich gebe zu, daß dieser Gesetzentwurf nicht etwa der erste Schritt auf dem Wege zu einer solchen Knochenerweichung seit 1945 ist, sondern leider Gottes haben wir auf diesem Wege schon einige Schritte zurückgelegt; aber ich nehme einmal die Gelegenheit wahr, darauf hinzuweisen und zur Umkehr zu mahnen, solange es noch Zeit ist. Es fängt schon bei § 109 an. Selbstverständlich ist eine Bestimmung notwendig, daß bestraft wird, wer zur Befehlsverweigerung auffordert. Aber nun kommt in § 109 hinzu: und dadurch die Schlagkraft der Truppe gefährdet. Das ist freilich im Sinne einer Einschränkung, also durchaus in gutem Sinne gedacht. Aber ich möchte schon jetzt darauf hinweisen, daß das zu allgemein gehalten ist. Ich tue das, um zu zeigen, daß ich mich nicht in erster Linie gegen besonders scharfe Strafbestimmungen wende, sondern daß es mir darum geht, daß unklare Strafbestimmungen vermieden werden. Wie soll ein Richter im einzelnen Fall beurteilen können, ob die Schlagkraft der Truppe gefährdet wird! Im Krieg geht das wohl an; da läßt sich das vielleicht immer feststellen. Aber man stelle sich folgendes vor: Jemand fordert bei einem Manöver dazu auf, einen Befehl nicht zu befolgen, etwa eine bestimmte Geschützstellung nicht zu beziehen, weil dort sein Acker ist, auf dem er keinen Schaden haben möchte. Wo beginnt nun da die Gefährdung der Schlagkraft der Truppe?
Besonders starken Angriffen in der Öffentlichkeit, in der Presse, war der § 109 b ausgesetzt. Der Herr Bundesjustizminister hat gesagt, es sei doch gar nicht so schlimm mit diesem Paragraphen, es werde ja nur bestraft, wer unwahre Behauptungen aufstellt, und der verdiene doch auch wirklich keinen Schutz. Aber es heißt in der Bestimmung leider „unwahre oder gröblich entstellte Behauptungen", und diese Wendung entstammt nun tatsächlich dem Heimtückegesetz. Ich weiß nicht, ob sie dort zum erstenmal auftaucht; aber sie ruft auf jeden Fall unangenehme Erinnerungen wach. Sie ist auch sachlich nicht berechtigt. Entweder ist eine Behauptung wahr oder sie ist unwahr. Was soll dazwischen heißen „gröblich entstellt"? Wir sollten bei der klaren Abgrenzung von wahr und unwahr bleiben und nicht den Begriff der gröblichen Entstellung dazwischen stellen, unter dem man ja nun schließlich jede mißliebige Äußerung, vor allem auch jede mißliebige Äußerung in der Presse, verstehen kann.
Zum § 109 c ist nicht besonders viel zu sagen. Hier wird die Sabotage unter Strafe gestellt. Bedenklich ist lediglich, daß, wie es in der Begründung heißt, als Einrichtung oder Anlage auch ein Gewerbebetrieb zu verstehen ist. Das scheint mir doch reichlich weit zu gehen. Und dann fällt — wenn ich das sagen darf — auf, daß in der Ziffer 2 des Abs. 1 nicht auch die fehlerhafte Beschaffung solcher Gegenstände, die für die Landesverteidigung wesentlich sind, unter Strafe gestellt ist. Ich glaube, daß wir dann manche Überraschung erlebt hätten — wenn wir uns etwa das ursprüngliche Beschaffungsprogramm für unsere Panzer ansehen. Man könnte hier vielleicht sogar an Abs. 3 denken, wo von besonders schweren Fällen die Rede ist.
Nicht ganz verständlich ist mir auch, wie man dadurch, daß man Nachrichten nur sammelt, und vor allem dadurch, daß man Abbildungen nur anfertigt — § 109 d und § 109 e —, schon die Sicherheit der Bundesrepublik oder die erwähnte Schlagkraft der Truppe gefährden kann. Das kann doch eigentlich wohl erst geschehen, wenn man die Abbildungen — für diese gilt das vor allem — an einen anderen gelangen läßt. Aber das sind ja nun Einzelheiten.
Im § 91 soll die Einwirkung auf Angehörige der Bundeswehr in der Absicht, die pflichtmäßige Bereitschaft zum Dienst zu untergraben, unter Strafe gestellt werden. Mit Recht ist bemerkt worden, daß man dadurch mit dem Art. 4 des Grundgesetzes in Konflikt kommen kann. Ich glaube gern, daß diese Absicht nicht bestand. Aber es muß jedenfalls dafür gesorgt werden, daß der Wortlaut der Bestimmung — anders, als er jetzt lautet — klar zum Ausdruck bringt, daß das grundgesetzliche Recht zur Kriegsdienstverweigerung hierdurch in keiner Weise eingeschränkt wird.
Keinesfalls zustimmen können wir dem Vorhaben, in § 96 des Strafgesetzbuchs die Bundeswehr neben die Bundesrepublik, die Länder und die verfassungsmäßige Ordnung zu stellen und ihr denselben Schutz zuteil werden zu lassen. Wir meinen zwar nicht, daß es sein müsse wie in dem alten Kinderlied, das da aufhört: „Edelmann, Bettler, Bauer, Soldat", daß der Soldat also im öffentlichen Leben am Schluß stehen müsse. Aber es ist doch


(Dr. Bucher)

völlig unangebracht und verschiebt doch die Perspektiven ganz, wenn man einen Teil der Exekutive — wohl, zugegebenermaßen, einen besonderen und wichtigen Teil, aber doch nur einen Teil der Exekutive — mit der Bundesrepublik selber und ihrer verfassungsmäßigen Ordnung gleichstellt.
Es ist auch darauf verwiesen worden, daß es ähnliche Bestimmungen in ausländischen Rechten gibt. Das stimmt. Es gibt solche Bestimmungen, soviel ich weiß, in der Schweiz, in den USA, in England, Italien und Schweden. Aber einmal gelten sie dort nur für den Kriegsfall, und zum anderen sollte man dabei doch sagen: „Quod licet Iovi, non licet bovi"; und zwar sage ich „bovi" von uns in dem Falle deshalb, weil wir eben doch keine so gefestigte Tradition wie diese Staaten haben und deshalb mit solchen tatbestandlichen Experimenten doppelt vorsichtig sein sollten.
Außerdem muß man es natürlich verstehen, daß in der Bundesrepublik ein Mißtrauen laut wird, wenn ein solcher Gesetzentwurf vorgelegt wird. Man erinnert sich daran, was uns in dieser Art und Weise alles schon von der Bundesregierung vorgelegt worden ist. Ich darf nur an die Versuche erinnern, den Wahlmodus für die Wahl der Richter des Bundesverfassungsgerichtes zu manipulieren, oder an die immer wieder auftauchenden Gerüchte, daß eine Art Informationsministerium geschaffen werden solle. Nun, sie sind gerade gestern oder heute letztmals dementiert worden. Es hieß ja, hier solle eine Regelung geschaffen werden, die den einzelnen Ministerien keine selbständigen Presseveröffentlichungen mehr gestatte. Wir sind nun froh, daß wir — wenn man in Verbindung mit Ministern überhaupt von einem Maulkorb sprechen darf — die Herren Minister also nicht mit einem Maulkorb auf dieser Bank sehen werden. Aber noch weniger wollen wir jemals jemanden dort oben auf der Pressetribüne mit einem Maulkorb sehen.
Soviel zu dem Vierten Strafrechtsänderungsgesetz.
Nun liegt uns gleichzeitig noch der Initiativgesetzentwurf der CDU/CSU, das Fünfte Strafrechtsänderungsgesetz, vor. Es ist keine sehr gute Zusammenstellung. Man könnte auf den Gedanken kommen, daß damit demonstriert werden soll: Seht ihr, wir können auch anders. Wenn man nämlich den Vorwurf mache, in dem Vierten Strafrechtsänderungsgesetz stecken immerhin in der Terminologie Erinnerungen an das Dritte Reich, so wolle man hier zeigen, daß man im Gegenteil geneigt sei, Personengruppen, die eindeutig gegen jegliche nationalsozialistische Tendenz sind, zu schützen. Ich bezweifle nicht, daß die Antragsteller diese Novelle in der besten Meinung eingebracht haben. Aber es ist doch ein Gesetzesperfektionismus, der hier versucht wird und der bis jetzt nur einen Vorläufer hat, nämlich in dem Strafrechtsentwurf vom Jahre 1936, wo ein Paragraph vorgesehen war, der lautete:
Auch Gemeinschaften, die wegen ihrer Aufgaben im deutschen Volk nach gesundem Volksempfinden
— ohne das hat man es damals nicht getan — eine eigene Ehre besitzen, werden in ihrer Ehre geschützt.
Hier soll also die bisher bewußt bestehende Lücke im Strafgesetz ausgefüllt werden, die darin besteht, daß nur bestimmt umrissene Personengemeinschaften geschützt werden, aber nicht ein unbestimmter Kreis. Hier soll auch ein unbestimmter Kreis von Personen geschützt werden, die durch gemeinsamen Glauben usw. verbunden sind. Aber wenn man das schon macht, dann müßte man nach meiner Ansicht auch Personengruppen schützen, die durch eine bestimmte politische Haltung verbunden sind. Der gute Wilhelm Busch hätte sich also zweifellos schon strafbar gemacht, als er von den bösen Liberalen gesprochen hat, wo man den Heiligen Vater haßt. Derartige Verleumdungen wären danach schon übel anzukreiden.
Ich halte es für einen Irrtum, wenn wir glauben, daß uns Paragraphen etwa vor Antisemitismus, um dieses Hauptbeispiel zu nennen, schützen. Ich halte es hier mit Schopenhauer, der gesagt hat, Antisemitismus sei eine Barberei, und mit Leuten, die davon redeten, solle man sich erst gar nicht einlassen. Wir dürfen uns doch nicht der Hoffnung hingeben, daß wir eine solche Barbarei durch Paragraphen verhindern könnten, wenn sie wieder aufkäme. Wir hätten sie dadurch auch vor 1933 nicht verhindern können. Nicht Paragraphen schützen eine Demokratie, sondern diese Demokratie muß zunächst einmal im Geiste lebendig sein. Solche Gesetze tragen eher dazu bei, im Bundesbürger den Gedanken zu wecken, auf Paragraphen lasse es sich doch ruhig schlafen, und ihn glauben zu machen, nun sei ja alles in Ordnung, und so etwas könne gar nicht wieder aufkommen, denn der Kadi wache darüber.
Sosehr wir also den Willen anerkennen, der diesem Gesetz zugrunde liegt, werden wir ihm nicht zustimmen können. Wir stimmen allerdings der Ausschußüberweisung der beiden Strafrechtsänderungsgesetze zu.

(Beifall bei der FDP.)


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0219112700
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Arndt.

Dr. Adolf Arndt (SPD):
Rede ID: ID0219112800
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nicht ohne inneres Zögern kann ich an die Aufgabe herantreten, mich mit dem Grundsätzlichen dieser Vorlagen, des Vierten und des Fünften Strafrechtsänderungsgesetzes, zu beschäftigen. Es könnte auch sein, daß in meinen Ausführungen manches ist, was vielleicht den einen oder den anderen erregt. Aber das Erregende liegt nach meiner Überzeugung in den Vorlagen und nicht in dem, was dazu gesagt werden muß. Auch wenn der eine oder andere Ausdruck hart erscheinen sollte, so bitte ich, von vornherein zu berücksichtigen, daß diese Härte in der Sache liegt.
Vorweg möchte ich außerdem meinem Bedauern Ausdruck geben, daß der Herr Bundesminister für Verteidigung es nicht für nötig hält, bei der Lesung dieser Gesetze im Bundestag anwesend zu sein.

(Abg. Dr. Menzel: Sehr wahr!)

Meine Damen und Herren! In einer ersten Lesung steht das Grundsätzliche zur Debatte. Das Grundsätzliche bei diesen beiden Gesetzentwürfen ist die Frage nach den rechtsstaatlichen Grenzen des Strafrechts. Auf diese Grenzfrage — wo das Strafrecht aufhört, rechtsstaatlich zu sein — werde ich im Verlauf meiner Ausführungen immer wieder zurückkommen müssen.
Das Gemeinsame beider Gesetzesvorlagen ist, daß sie auf eine Ausweitung des politischen Strafrechts abzielen. In einem allgemeinen Sinn ist jede


(Dr. Arndt)

Strafbestimmung politisch, weil sie der Verwirklichung eines staatspolitischen und kriminalpolitischen Gedankens dient. Im engeren Sinn — und um den allein handelt es sich hierbei — enthält eine Vorschrift politisches Strafrecht, wenn sie den Bereich der politischen Auseinandersetzung mit strafrechtlichen Mitteln ordnen oder einschränken soll.
Wir müssen uns deshalb die Frage stellen, ob wir nicht seit dem Ersten Strafrechtsänderungsgesetz 1951 bereits zuviel politisches Strafrecht haben und ob nicht die Gerichte in einer bedenklichen Weise, die von den gesetzgebenden Körperschaften zu verantworten ist, schon überfordert werden.

(Abg. Rehs: Sehr richtig!)

Seit einiger Zeit wird das Wort „Staatsautorität" von manchen wieder sehr groß geschrieben. Ich habe den Eindruck, daß einzelne Minister sich in Gedanken vor sich selber von ihren Plätzen erheben, wenn sie das Wort „Staatsautorität" aussprechen.

(Heiterkeit und Beifall bei der SPD.)

Niemand wird bezweifeln, daß die auctoritas eines Staates zum Wesen seiner Würde gehört. Aber es wäre ein arger Irrtum, anzunehmen, ein Staat gewinne an auctoritas, je heftiger er von seiner potestas Gebrauch mache. Die Autorität des Staates ist nicht eine Ausgeburt der Angst und eines seiner selbst unsicheren Schutzbedürfnisses, das fälschlich als die Staatsräson ausgegeben wird, sondern die wahre Autorität eines freiheitlichen Staatswesens ist die Frucht des eigenwilligen Staatsbewußtseins seiner Bürger. Ihr Gemeinsinn läßt sich nicht mit der Zuchtrute der Strafandrohung einexerzieren.
Wir sollten uns deshalb reiflicher als bisher überlegen, wieviel oder — richtiger — wie wenig wir mit einer fortwuchernden Pönalisierung des politischen Raumes erreichen, wieviel mehr wir aber dadurch verlieren und verderben können. Hierbei stehen wir an dem Scheidewege zwischen verständlichen Wünschen nach Vollmacht und einem rechtsstaatlichen Denken, dessen Räson das Maßhalten um der Freiheit und ihrer ordnenden Kraft willen ist.
15m ein Wort aus der Rede des Herrn Oberbundesanwalts im Johnprozeß aufzugreifen: Ich glaube, daß ein freiheitlicher Rechtsstaat mit einer politischen Justiz keinen Fußbreit weitergeht und keinen Fußbreit weitergehen darf, als für ein Mindestmaß an Sicherheit seiner gesetzlichen Ordnung unerläßlich ist,

(Abg. Haasler: Jawohl!)

aber daß der freiheitliche Rechtsstaat gut und weise daran tut, die Verletzung seiner gloria als solche nicht zu verfolgen.

(Sehr gut! bei der SPD.)

Wann wir nüchtern prüfen, was uns denn seit 1951 die politische Justiz der letzten Jahre einbrachte und ob unsere innere Sicherheit auch nur um Haaresbreite geschmälert worden wäre, falls zahlreiche Urteile wegen politischer Handlungen unterblieben wären, so werden uns der Sinn und die Notwendigkeit mancher Strafverfahren mindestens zweifelhaft erscheinen müssen, weil unsere Abwehrkraft nicht auf jenen Strafmaßnahmen beruht, die wir den Gerichten aufbürdeten und mit denen wir die Gerichte — das sage ich mit allem
Ernst — an den Rand einer Krise führten; denn die Ohnmacht der Feinde der Freiheit wurzelt darin und dauert nur dadurch an, daß die Freiheit ein Sieg der Überzeugungskraft des freien Geistes ist.

(Beifall bei der SPD.)

Unnötige Strafprozesse sind schädliche, weil dem Recht abträgliche Prozesse. Das Gebot der Stunde und der Zukunft ist Revision und Verminderung des politischen Strafrechts, nicht sein weiteres Anwachsen.
Auch wenn ich aus meiner Kenntnis der Entstehungsgeschichte und aus eigener Mitwirkung, die heute mein Gewissen drückt — ich bekenne das offen —, in vieler Hinsicht die Auslegungen nicht zu billigen vermag, die die Rechtsprechung dem Ersten Strafrechtsänderungsgesetz von 1951 zuteil werden läßt, stehe ich doch nicht an, zu sagen, daß jenes Gesetz keine gesetzgeberische Meisterleistung ist und sich wegen seiner Unklarheiten und der Unbestimmtheit mancher Begriffe, ja sogar wegen seiner Unüberlegtheit nicht so bewährte, wie es für ein rechtsstaatliches Strafgesetz unerläßlich ist.
In dieser ohnehin unerfreulichen Lage, die eine Nachlaßschuld aus dem Kalten Krieg ist, werden wir nun vor die Entscheidung gestellt, ob wir hinter dem Vorspann selbstverständlicher Schutzgesetze, die jede Wehrmacht gegen Spionage, Sabotage und ähnliche Angriffe braucht — darüber kann es gar keinen Streit geben —, auch das trojanische Sturmgeschütz eines politischen Wehrkraftstrafrechts in das heilige Ilion unserer freiheitlichen Grundordnung einlassen sollen.
Hierbei nun zunächst ein Wort zu den amtlichen Begründungsversuchen. Die Bundesregierung trägt eine Miene der Unschuld zur Schau und will so tun, als sei dies alles leicht und harmlos, indem sie kühn behauptet, andere Demokratien des Westens sicherten sich in entsprechender Weise strafrechtlich gegen die Zersetzung ihrer Streitkräfte, und besonders wird auf das Beispiel in den §§ 277 und 278 des Schweizerischen Strafgesetzbuches hingewiesen.
Ich habe mir aus der Bibliothek des Bundestages das Schweizerische Strafgesetzbuch beschafft. Meine Damen und Herren, ich war erst der Meinung, man habe sich in der Bibliothek geirrt und mir ein falsches Buch geschickt, oder ich hätte eine veraltete Ausgabe. Ich habe dann nachgesehen: es ist: Zürich 1956 und herausgegeben von einem Professor an der Universität Basel. Ich finde in den §§ 277 und 278 nichts, was auch nur irgendwie ähnlich wäre dem, was hier in dem Vierten Strafrechtsänderungsgesetz steht. Ich bitte Sie, Herr Bundesminister der Justiz, dem Hause doch darüber Aufschluß zu geben, wie man sich auf das Schweizerische Strafgesetzbuch berufen kann. Das sind völlig rechtsstaatliche Tatbestände ganz anderer Art, als sie hier in dem Vierten Strafrechtsänderungsgesetz sich finden.
Auch die Stellungnahme der Bundesregierung zu den durchgreifenden Grundsatzbedenken des Bundesrates geht doch auf die Erwägungen des Bundesrates nicht ernstlich ein — obwohl die Bundesregierung sich immerhin volle sechs Monate Zeit ließ —, geschweige denn setzt sich die Bundesregierung mit den stichhaltigen Einwendungen der öffentlichen Meinung auseinander. Ich werde im Verlaufe meiner Rede auch noch auf das kommen,


(Dr. Arndt)


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0219112900
das wirft kein gutes Licht auf die Einschätzung, die die Bundesregierung den gesetzgebenden Körperschaften und der öffentlichen Meinung zuteil werden läßt.
In diesem Zusammenhang habe ich eine dringliche Bitte an Sie, Herr Bundesminister der Justiz. In anderen Bundesministerien ist die Unsitte eingerissen, daß manche Beamte ihre Aufgabe darin sehen, sich — nicht als Person oder Bürger, das steht ihnen frei, sondern kraft ihrer dienstlichen Stellung und ihres Ranges — in der Öffentlichkeit als Propagandisten politisch umstrittener Gesetzesvorlagen der Mehrheit oder der parteipolitisch von ihr getragenen Regierung zu betätigen. Ich bin der Ansicht, daß dieser Unfug dem Gedanken des Berufsbeamtentums schwerer schadet, als ein Reklameprozeß des unparteilichen CDU-Vorsitzenden des Beamtenbundes, des Herrn Kollegen Kramel, den Beamteninteressen finanziell zu nützen in der Lage ist. Jedenfalls wäre ich dankbar, wenn wenigstens Beamte des Bundesministeriums der Justiz in dienstlicher Eigenschaft nicht mehr zu Vorkämpfern für die von ihnen amtlich zu bearbeitenden Vorlagen in die Arena gingen.

(Beifall bei der SPD.)

Das eigentliche Problem der Vorlage für ein Viertes Strafrechtsänderungsgesetz besteht darin, ob die Stellung der Bundeswehr im Staate, insbesondere ob der Grundsatz einer gesetzlichen Wehrpflicht und ob das Ansehen der Bundeswehr und ihre innere Wehrkraft geeignet sind, als selbständige Rechtsgüter unmittelbar Gegenstand eines besonderen Schutzes gerade durch das Strafrecht zu werden. Dieses Problem ist eine Frage der freiheitlich-demokratischen Grundordnung; denn es geht dabei um eine Abwägung zwischen den bundeswehreigenen Interessen und dem Staatsinteresse an seiner Bundeswehr einerseits und dem fundamentalen Rechtsgut der öffentlichen Meinungsfreiheit, insbesondere der Pressefreiheit, andererseits. Wie man sich in diesem Widerstreit entscheidet, ist darum grundsätzlich unabhängig davon, ob man das Bestehen einer Bundeswehr, ob man eine allgemeine Wehrpflicht gegenwärtig aus politischen Gründen für zweckmäßig hält oder nicht. Ich sage: es ist unabhängig davon. Die Freiheitlichkeit unserer Grundordnung und als eine wesentliche Einrichtung dieser Freiheitlichkeit die Meinungs- und Pressefreiheit sind staatspolitische Strukturprinzipien von dauernder Gültigkeit, die dem Wechsel der politischen Lage nicht unterworfen sein dürfen, während die jeweilige Entscheidung darüber, ob man rüstet, wann man rüstet, wie man rüstet, zweckbedingt abhängig ist vom Wandel der außenpolitischen Situation.
In einem wiedervereinten Deutschland wird diese uns jetzt so bewegende Streitfrage aller Voraussicht nach entweder völlig gegenstandslos werden oder jedenfalls erheblich an Schärfe und Gehalt verlieren. Aber da leider in unserem wenig guten politischen Klima auch das Selbstverständliche sich nicht von selbst versteht, erscheint es mir empfehlenswert, ein allgemeines Wort über die Stellung der Sozialdemokratie zur Bundeswehr vorauszuschicken.
Allen Verfälschungsversuchen zum Trotz hat in der Grundfrage, daß ein Staat Sicherheit braucht und unser Staat in seiner besonderen Lage besondere Sicherheit braucht, niemals eine Meinungsverschiedenheit bestanden. Der tragische Konflikt, der uns entzweit, setzt vielmehr erst bei der situationsbedingten aktuellen Frage ein, ob es in unserer besonderen Lage der Spaltung Deutschlands eine von der Wiedervereinigung loslösbare isolierte Sicherheit allein Westdeutschlands geben kann und dieser Sicherheit mit eigenen militärischen Maßnahmen augenblicklich gedient werden könnte, ober ob nicht, wie wir Sozialdemokraten überzeugt sind, unsere Sicherheit und die Einheit eines freien Deutschland ein und dasselbe Problem sind, also ware Sicherheit unmittelbar auf dem politischen Wege der Wiedervereinigung angestrebt werden muß. Aus unserer Sicht erscheint es ,deshalb irrig, die Sicherheitsfrage ,auf eine westdeutsche Verteidigungsfrage zu verengen, und halten wir es für einen Trugschluß, daß man westdeutsche Rüstungsmaßnahmen mit einer Vermehrung der Sicherheit gleichsetzt; im Gegenteil, wir hegen die Sorge, die Sie ja kennen, daß solche Rüstungsmaßnahmen die Gefahr in sich bergen, als ein politisch irriges Mittel unsere ohnehin fragwürdige Sicherheit noch zu beeinträchtigen.
Aber dieser Streit, der — hoffentlich bald — eines Tages durch die Wiedervereinigung gegenstandslos wird, dauert an, entscheidet jedoch nicht die Stellung zur Bundeswehr. Denn worauf es hier heute ankommt, ist die Feststellung, daß unsere Position in dem politischen Wehrstreit ja nicht aus einer Gegnerschaft gegen die Bundeswehr kommt und mit einer solchen Gegnerschaft gar nichts zu tun hat. Unsere politischen Bedenken, daß die Pariser Verträge sich erschwerend für die Wiedervereinigung und dadurch auch ungünstig für unsere Sicherheit auswirken könnten, schließen nicht aus, daß wir unbeschadet unseres Revisionswunsches die völkerrechtliche Verbindlichkeit der Verträge anerkennen. Als in der 93. Sitzung des Bundestages am 28. Juni 1955 das allererste Mal hier über ein Militärgesetz verhandelt wurde, stellte ich als Sprecher meiner Fraktion, nicht nur in meinem eigenen Namen, ausdrücklich an die Spitze meiner Ausführungen den Satz: „Die Pariser Verträge sind völkerrechtlich verbindlich." Wäre in diesem Hause die Tugend des Zuhöreras besser entwickelt, so hätte niemand angeblich überrascht zu sein brauchen, als mein Fraktionskollege Erler erneut in der 176. Sitzung am 5. November vergangenen Jahres wiederholte, daß wir die vertragsgesetzliche Rechtspflicht zur Aufstellung einer Bundeswehr anerkennen und daß für uns die demokratisch beschlossenen Wehrgesetze gültig sind, die ,auf der gegen unsere Stimmen 1954 beschlossenen Grundgesetzänderung beruhen.
Ein ernstes Wort. Wer sich im Widerstreit zwischen seiner politischen Ansicht, daß sich im gegenwärtig gespaltenen Deutschland Rüstungsmaßnahmen ungünstig auf die Aussichten für die Wiedervereinigung und somit auch ungünstig für unser natürliches Verlangen nach Sicherheit auszuwirken drohen, und seiner ebenso rechtlichen wie politischen Oberzeugung, daß die Vertragstreue ein unverzichtbarer Grundwert ist, also internationale Abkommen bis zu ihrer fair und nur im Einverständnis mit den Partnern auf völkerrechtlich sauberem Wege erwirkten Revision loyal zu erfüllen sind, auch dann, wenn man diese Verträge in ihrer Auswirkung für nachteilig hält, wer sich in diesem Widerstreit dafür entscheidet und sich aus seinem Rechtsgewissen und aus seiner Einsicht in den politischen Wert der Vertragstreue als


(Dr. Arndt)

rechtlich denkender Demokrat entscheiden muß, der erbringt, glaube ich, mit dieser Entscheidung einen Beweis staatspolitischer Haltung. Wer aber diese Haltung als angeblich doppelgleisig verdächtigt, der offenbart bestenfalls seine Unreife. Wenn ich sage: ich bleibe bei meiner politischen Meinung, daß ein von mir nicht gutgeheißener, aber mich jetzt bindender Vertrag sich ungünstig für unser Volk und unseren Staat auszuwirken droht, aber unbeschadet dieser Meinung erkenne ich den Vertrag an und stehe zu ihm, dann billige und wünsche ich doch nicht plötzlich von mir aus etwas, was ich ohne die Vertragsbindung auch jetzt nicht wollen würde, sondern dann bekenne ich mich zu einer Vertragspflicht, nicht, weil ich sie für günstig, sondern weil ich sie für gültig und für bindend halte.
So ist die Bundeswehr, weil uns völkerrechtlich gültige Verträge und eine demokratisch beschlossene Gesetzgebung dazu verpflichten, eine Tatsache geworden. Die Bundeswehr ist somit für uns eine gesetzliche Einrichtung unseres gemeinsamen Staates. Daraus folgt mit schlichter Selbstverständlichkeit, daß es uns fern liegt, die Bundeswehr zum Prügelknaben für eine von uns bedauerte Politik zu machen. Unsere Stellung zur Bundeswehr kann vielmehr nach demokratischem, rechtsstaatlichem Denken keine andere sein als die zum Staate überhaupt und zu allen seiner Ordnung entsprechenden Einrichtungen. Wir wissen uns deshalb insbesondere mit den Menschen in der Bundeswehr als Mitbürger unseres Staates verbunden, Bürger, die auf ihre Weise und nach ihrer Überzeugung eine schwere Pflicht erfüllen. Keine Bundeswehr kann bestehen, ohne aus der Gesamtheit des Volkes, aus jedem seiner Teile zu kommen. Alle Angehörigen der Bundeswehr, in welchem Rang auch immer, müssen sich das Bewußtsein erhalten, woher sie kommen und wo sie mitten im Volke stehen. Die deutsche Sozialdemokratie hegt den Wunsch und betrachtet es als ihre Pflicht, dieses Bewußtsein in der Bundeswehr zu wecken, wachzuhalten und ihr dabei zu helfen.
Ich darf noch einmal darauf verweisen, was ich als Sprecher meiner Fraktion beim allerersten Anfang der Wehrgesetzgebung in der 93. Sitzung am 28. Juni 1955 über den sittlichen Gehalt des Soldatischen als einer gewissen Selbstaufgabe sagte, und daß ich unsere Einigkeit mit den Ausführungen des damaligen Herrn Bundesministers für Verteidigung erklärte, der Soldat als Person dürfe nicht als ein Übel, auch nicht als ein notwendiges Übel im Staate angesehen werden. Allerdings gibt es leider auch Anlaß zu der besorgten Bemerkung, daß man ebenso in Kreisen der Bundeswehr auch die Opposition, insbesondere die Sozialdemokratie, nicht als ein Übel, auch nicht als ein notwendiges Übel im Staate ansehen darf. Die Verantwortung dafür, wenn solche Stimmungen oder Atmosphären aufkommen, trifft die Bundesregierung, insbesondere das Bundesministerium für Verteidigung, zumal trotz aller Versicherungen, die Bundeswehr aus dem politischen Parteistreit herauszuhalten, wir eben doch allerlei Anzeichen beobachten, und die Verantwortung dafür trifft auch die Mehrheit, die sich dieser Verantwortung durch die letzte so beklagenswerte Rede des Herrn Abgeordneten Dr. Jaeger kaum gewachsen gezeigt hat.
Diese grundsätzlichen Bemerkungen über die Stellung der Sozialdemokratie zur Bundeswehr sind nicht nur erforderlich für das Verständnis, von welchem Standpunkte aus wir auch im eigenen
Interesse der Bundeswehr gegen einige der hier geplanten Strafbestimmungen prinzipielle Bedenken zu erheben haben, sondern diese Bemerkungen führen uns auch schon mitten in die Sache hinein, weil sich die Erörterung dessen, was als ein die pflichtgemäße Bereitschaft zur Verteidigung antastendes Einwirken ausgelegt werden könnte, sowohl vor dem Hintergrund des Meinungsstreits um die bessere Sicherheitspolitik abspielt als auch an der Frage nicht vorbeigehen kann, ob die Bundeswehr wirklich bereits in der wünschenswerten Weise dem parteipolitischen Streit entzogen ist. Denn eine der entscheidenden Gefahren für die Rechtsgleichheit und die Freiheit kann durch die geplante Neufassung des § 91 Abs. 1 des Strafgesetzbuchs dadurch heraufbeschworen werden, daß die Mehrheit durch die von ihr getragene Regierung im Sinne ihrer politischen Meinung auf die Bundeswehr einwirkt und darin von Amts wegen eine Förderung der pflichtgemäßen Bereitschaft zur Verteidigung sieht. Aber bereits die Kritik, daß diese Beeinflussung parteilich geschehe — auch wenn die Kritik in gutem Glauben und aus guten Gründen vorgebracht wird —, wird als unzulässiges Einwirken diskriminiert, ja zum kriminellen Delikt gestempelt.
Auch ich muß deshalb in Ergänzung der Ausführungen meines Freundes Helmut Schmidt nochmals auf das vierte Heft der vom Bundesministerium für Verteidigung herausgegebenen „Information für die Truppe" zu sprechen kommen. Ich unterstelle dabei, daß dieses Heft in bester Absicht verfaßt wurde. Allerdings möchte ich das eine sagen. Es ist unerheblich, ob der eine oder andere namhafte und verdiente Offizier daran mitwirkte; denn die politische Verantwortung vor dem Bundestag und vor der Öffentlichkeit trägt ausschließlich der Minister selbst, und er soll uns hier nicht sagen: Ja, meine Damen und Herren, das hat ja dieser oder jener in der Öffentlichkeit bekannte Oberst in meinem Hause gemacht.
Ich erwähne dieses Heft als ein Beispiel dafür, welche außerordentlichen und letzten Probleme heutzutage auch das redlichste Bemühen um eine Einflußnahme auf den Geist der Bundeswehr aufwirft und wie wenig erkannt und wie wenig überlegt die Gefahren sind, in die freie Diskussion um ein solches Bemühen nun mit den Mitteln des Strafrechts einzugreifen. Da wird z. B. auf Seite 111 auf die Frage nach dem Bruderkrieg die als ethische Antwort bezeichnete lapidare Auskunft erteilt, jeder Krieg sei ein Bruderkrieg, wobei aber nicht im Sinne der Organisation meines guten Freundes Wenzel gemeint ist, jeder Krieg sei deshalb überhaupt ein unzulässiger Krieg, sondern womit gemeint ist, man könne auf jeden Bruder schießen. Sofort zeigt sich das Grundproblem, ob es angeht, von Staats wegen den Soldaten der Bundeswehr Unterricht in Ethik zu erteilen, und ob sich nach dem geplanten § 91 Abs. 1 nicht schon der strafbar macht, der diese Ethik für irrig hält und einen Soldaten vor ihr warnt.

(Sehr gut! bei der SPD.)

Hierbei handelt es sich nicht darum, daß eine Truppe nicht ohne Ethos leben kann. Keine durch Gemeinsamkeit des Dienstes oder des Berufes miteinander verbundene Gruppe kann ohne Ethos bestehen, die Soldaten sowenig wie die Bergarbeiterschaft oder die Kaufleute oder die Ärzteschaft oder wer immer es sei. Aber die Gedanken darüber und das Ringen darum, welches Ethos eine durch ihren Dienst zusammengeschlossene Gruppe haben muß, sind ,anderer Art als das, was hier geschieht. Was


(Dr. Arndt)

hier geschieht, das sind Ansätze zu einer bundeswehreigenen Ethik, das ist Unterricht in einer bundesamtlichen Moral in der unverkennbaren Absicht, die pflichtgemäße Dienstbereitschaft zu fördern.
Gewiß wird die Bundeswehr auf ein sittliches Verhalten ihrer Soldaten bedacht sein müssen, also auf die Pflege der bürgerlichen und militärischen Tugenden Kameradschaftlichkeit, Wahrheitsliebe, Pflichttreue, Opferbereitschaft und alles das mehr, was Sie wissen. Aber das Sittengesetz zu entwikkeln und zu lehren, dazu ist die Bundeswehr und ist das Bundesministerium für Verteidigung nicht berufen. Die Bundeswehr ist keine seelsorgerische Instanz und darf es in einem konfessionsgespaltenen und freiheitlich toleranten Staatswesen nicht sein. Denn so einfach, wie man es sich hier macht, ist die Frage nach dem Bruderkrieg leider nicht, und die theologischen sowie die philosophischethischen Lehrmeinungen gehen in unserer Zeit und in unserem Volk weit auseinander. Die notwendige Pflege bürgerlicher und militärischer Tugenden um des Ethos in der Bundeswehr willen wird nicht gefördert, sondern durch das Unternehmen einer bundeswehreigenen Metaphysik tödlich verletzt.
Oder zwei andere, rein politische Beispiele! Auf Seite 115 wird unter der Überschrift „Das Unterrichtsbeispiel" die Sicherheitskonzeption des gegenwärtigen Herrn Bundesministers für Verteidigung fast mit den gleichen Worten wie in seiner damals letzten Versammlungsrede oder neulich in der Bundestagsdebatte abgedruckt. Kann aber diese Regierungsmeinung zur amtlichen Staatsphilosophie erhoben werden? Und wo beginnt die Grenze der Strafbarkeit für den, der anderer Ansicht ist und das kritisiert?
Auf Seite 113 finden Sie über den ersten Reichspräsidenten und über den ersten Reichskanzler nach 1918 — er hieß damals noch Ministerpräsident — die folgenden äußerst bedenklichen und geschichtsklitternden Sätze. Es heißt da von Friedrich Ebert:
Keiner dieser Männer war eine so überragende Persönlichkeit, daß er durch Überzeugungskraft und revolutionäre Dynamik die Massen mit sich fortgerissen hätte. Eine klare außenpolitische Zielsetzung wie ein durchführbarer innerpolitischer Aufbauplan fehlten.
Nun, meine Damen und Herren, was soll sich ein zwanzigjähriger Offizier unter dem ersten Reichspräsidenten vorstellen, wenn er solchen Quatsch liest, der hier bundeswehramtlich verzapft wird?

(Beifall bei der SPD.)

Ich erwähne dieses Beispiel auch deshalb, weil es einen Probefall für die geplanten §§ 91 Abs. 1 und 109 b bildet. Angenommen, auf Grund dieser so fehlerhaften Publikation des Bundesministeriums für Verteidigung würde einer sagen, die Bundeswehr werde zur parteipolitischen oder geistigen Gleichschaltung mißbraucht, — ist das schon nach § 91 Abs. 1 ein Einwirken zum Untergraben der pflichtgemäßen Bereitschaft? — Der Herr Bundesminister für Justiz hat in seiner Begründungsrede gesagt, wir müßten daran denken, daß es sich ja auch hier bei dem Paragraphen, der sich mit der böswilligen Entstellung befasse, nur um Tatsachen handeln dürfte. Aber vergessen Sie doch nicht: es gibt fast nichts, was nicht als innere Tatsache auch zur Tatsache werden kann! Die Existenz eines Planes, das Vorhandensein eines Gedankens, das Bestehen einer Absicht, die Zielsetzung einer Dienststelle, einer politischen Partei, — alles das können bereits im Strafrecht als innere Tatsachen auch Tatsachen sein. Wenn einer also sagt, es bestehe bei der Bundeswehr in amtlichen Kreisen die Absicht oder der Wille oder der Gedanke, Gleichschaltungsmaßnahmen parteilicher oder geistiger Art durchzuführen, so ist das nicht nur ein Werturteil, sondern auch eine Tatsachenbehauptung, und dann kann sie schon unter das angebliche Verbreiten böswilliger Entstellungen fallen, und sie kann jedenfalls darunter fallen, daß man sagt: Wer das kritisiert, der wirkt schon ein, um die pflichtmäßige Bereitschaft zur Verteidigung zu untergraben.
Oder — angenommen — ein ehrlich besorgter Kritiker äußert die Befürchtung, die Befehlshaber der Bundeswehr ließen sich von dem Gedanken leiten, die Soldaten durch derartige Schriften parteipolitisch zu impfen. Ist das — weil ja auch die Existenz eines Gedankens oder einer Absicht eine innere Tatsache sein kann — die Behauptung einer unwahren oder gröblich entstellten Tatsache, um andere vom Wehrdienst abzuhalten?
Keiner von uns sollte sich im unklaren darüber sein, welche geschichtliche Gefahr in der bitteren Tragik lauert, daß der Aufbau der Bundeswehr im Vollzuge einer Politikgeschehen muß, die von der sozialdemokratischen Opposition nach bestem Wissen und Gewissen als ein die Wiedervereinigung erschwerendes Experiment nicht gebilligt werden kann, aber ,als demokratische Entscheidung und aus dem übergeordneten Gesichtspunkt des Wertes völkerrechtlicher Vertragstreue hingenommen werden muß.
Denken wir an das Unglück, wie beklagenswert es zur inneren Schwäche der Weimarer Republik mit beitrug, daß ,die Reichswehr eine Fehlentwicklung zum Staat im Staate nahm, ja sogar sich für den Staat hielt! Es waren manchmal nicht die schlechtesten Kräfte. Lesen Sie die erschütternden Briefe des späteren Generals Stieff aus seiner Frühzeit, eines der bedeutungsvollsten Männer des 20. Juli! In seiner Frühzeit äußerte er sich in seinen Briefen ganz eindeutig dahin, daß für ihn die Reichswehr der Staat sei und alles andere eigentlich dem Staat abträglich, was sich sonst ereignete. Wenn man sich das ins Gedächtnis ruft und dann dieses Unglück bedenkt, das daraus wurde, und sich vor Augen hält, daß es sogar vielleicht in Weimar unter Voraussetzungen geschah, die in mancher Hinsicht weniger schwierig als das Verhängnis der deutschen Spaltung waren, dann wird es jedenfalls unser entscheidendes Bemühen als Sozialdemokraten sein, keinen Graben zwischen der Sozialdemokratie und dem hinter ihr stehenden großen Teil des deutschen Volkes und der Bundeswehr entstehen zu lassen.
Die unerhört bedeutsame, aber ebenso heikle Aufgabe einer Eingliederung der Bundeswehr in die freiheitliche Demokratie stellt daher an alle Parteien, aber in besonderem Maße an die Verständigungsbereitschaft der Mehrheit ganz außerordentliche und ungewöhnliche Anforderungen. Bei der Meisterung dieser Aufgabe könnte nichts verderblicher sein, als die Bundeswehr wie eine Treibhauspflanze hinter Paragraphengittern zu behandeln. Was ohnehin sonst not täte, ist im Gegenteil, den Dschungel der Pönalisierung des öffentlichen Lebens zu lichten und das Überwuchern politischer Strafgesetze einzudämmen.
In Übereinstimmung mit den besonnenen Ratschlägen des Bundesrates halten wir es für einen


(Dr. Arndt)

Bärendienst an der Bundeswehr, sie künstlich dadurch zu einem Staat im Staate zu machen, daß man sie — mit der geplanten Neufassung des § 96 Abs. 1 - neben die Bundesrepublik Deutschland stellt. Das Privileg eines herausgehobenen Ehrenschutzes wird in der Regel zu einem Privilegium odiosum.
Dabei eine Zwischenbemerkung! Ich glaube nicht, daß jenes Hamburger Gericht dem Rechtsgedanken, dem die Bundeswehr verpflichtet ist, und darum auch der Bundeswehr selber einen Dienst erwies, als es für die — ich brauche nicht darüber zu reden — ebenso politisch wie moralisch ,als auch rechtlich verwerfliche und strafwürdige Körperverletzung einiger Soldaten bei einem Verprügeln eine Gefängnisstrafe von drei Jahren verhängte.

(Sehr richtig! bei der SPD.)

Denn .der Rechtswert der körperlichen Unversehrtheit ist für alle Menschen gleich.

(Beifall bei der SPD.)

Deshalb könnte es zu Zweifeln an unserem Staatsgedanken führen, der doch auch der Staatsgedanke der Bundeswehr ist, wenn sich Vergleiche aufdrängen: daß dort drei Jahre Gefängnis ausgesprochen wurden, aber für die Beteiligung an der Erschießung zahlreicher Juden in mehreren Fällen nur zwei Jahre, im Falle des früheren SS-Bataillonskommandeurs Heinz Müller (Saarbrücken) für die willkürliche Erschießung des Bürgermeisters von Burgthann vier Jahre Gefängnis und für die Genickschüsse, mit denen der frühere Major Bronsegg drei Soldaten ermordete, überhaupt keine Strafe. Ich könnte die Liste noch fortsetzen. Die Bundeswehr selber sollte deshalb einen sie nach meiner Meinung nur diskriminierenden Sonder-Ehrenschutz ebenso ablehnen, wie unsere Richterschaft davor warnt, ihr das Danaergeschenk eines britischen contempt of court zu bescheren. Ein Hineinwachsen der Bundeswehr in die Freiheitlichkeit, die unsere Grundordnung verspricht — wenn auch bis zur Selbstverständlichkeit dieser Freiheit leider noch viel Wasser den Rhein herabströmen muß —, wird nur gelingen, wenn der heilkräftige Wind der öffentlichen Meinung ihr um die Ohren weht.

(Beifall bei der SPD.)

Eine spanische Wand, hinter der eine Strafvorschrift wie der geplante § 109 b die Bundeswehr verschwinden lassen will, würde ihr selber den gefährlichsten Schaden zufügen, weil jede fachwissenschaftliche Kritik dadurch, wenn auch vielleicht nicht ganz unterdrückt, so doch erheblich beeinträchtigt rund erschwert werden könnte.
Ich begrüße es sehr, daß der Herr Bundesminister für Verteidigung seit längerer Zeit schon im Raum anwesend ist, weil mir gerade daran liegt, diese Gedankengänge meiner Fraktion auch Ihnen, Herr Bundesminister für Verteidigung, nahezubringen.
Es geschieht der Bundeswehr kein Dienst mit solchen Gesetzen. Man sage uns doch nicht — das hatte ich in meinen Notizen stehen, lange ehe der Herr Bundesminister für Justiz sprach —, bloß Lügen sollten strafbar sein. Ich werde auch insoweit noch auf die freiheitlichen Grenzen eines rechtsstaatlichen Strafrechts kommen. In Wirklichkeit bedroht der § 109 b keineswegs allein den Lügner, sondern jeden, der eine Behauptung in Kenntnis
ihrer Unrichtigkeit verbreitet, sobald man ihm dabei schlechte Gedanken unterstellt. Wenn also irgendeine Zeitung, auch des Westens, oder wenn irgendein Politiker — es braucht nicht Bulganin zu sein, das kann auch irgendein westlicher Politiker oder Kritiker sein — irgendeine Ente aufbringt — und sie braucht sich nicht einmal auf die Bundeswehr zu beziehen; denn es ist irrig, was der Herr Bundesminister der Justiz gestern gesagt hat: „Lügen über die Bundeswehr"; es kann eine Behauptung irgendeiner Art sein, z. B. die Behauptung, die Sozialdemokraten hätten für den Fall, daß sie zur Regierung kommen, schon Pläne in der Tasche, dies oder jenes auf die Bundeswehr loszulassen —, so ist der Tatbestand bereits erfüllt, sofern eine solche Ente auf die Bundeswehr einwirkt. Sie können noch Herrn Jaeger dazunehmen, der gesagt hat, ein Soldat, der sich zur Sozialdemokratie bekenne, begehe Selbstmord. Es genügt also irgendeine Behauptung irgendwo in der Welt, auch von einem westlichen Politiker oder Kritiker. Dann darf nach dieser einzigartigen Vorschrift keine deutsche Zeitung uns darüber auch nur unterrichten, sobald sie argwöhnen muß, man könne ihr unterstellen, sie führe damit im Schilde, andere vom Wehrdienst abzuhalten oder die Bundeswehr im Dienst zu behindern.

(Abg. Haasler: Das stimmt nicht!)

— Herr Kollege Haasler, dann lesen Sie das Gesetz und sehen Sie, was man damit anfangen kann! Wenn es die „Kölnische Rundschau" ist, dann werden ihr vielleicht keine bösen Absichten unterstellt. Ist es vielleicht ein Blatt des BHE oder einer noch schlimmeren Partei, dann muß es damit rechnen, daß man sagt: Das verbreitest du ja bloß deshalb, weil du andere vom Wehrdienst abhalten willst oder die Bundeswehr zu behindern gedenkst. Denn es gibt hierbei, weil es ja kein Beleidigungsdelikt ist, keine Wahrnehmung öffentlicher Interessen, sondern jedes Verbreiten in Kenntnis oder in vermeintlicher Kenntnis der Unrichtigkeit ist schon dann und allein deswegen strafbar, wenn unterstellt wird, ,das Verbreiten sei geschehen, um die Bundeswehr zu behindern oder um andere vom Wehrdienst abzuhalten. Das Wichtigste ist jedoch nicht dieses Monströse im einzelnen, was man ja für einen zufälligen Mißgriff oder gesetzgeberischen Unglücksfall halten könnte. Das Wichtigste ist vielmehr die Besinnung auf das Grundsätzliche. Die beiden Entwürfe zwingen dazu.
Ich bedaure, Ihre Geduld in Anspruch nehmen zu müssen, aber es ist wirklich von Bedeutung, uns mit aller Klarheit darauf zu besinnen, worin die Rechtsstaatlichkeit eines Strafgesetzes beruht und wodurch sich die Rechtsstaatlichkeit der Strafgesetze innerhalb einer freiheitlichen Verfassungsordnung gegenüber dem totalitären Mißbrauch der Strafgewalt auszeichnet. E in rechtsstaatliches Strafrecht ist unabdingbar dem Wahrheitsprinzip und den objektiv und allgemeingültig feststellbaren Merkmalen verpflichtet. Nicht nur das Verfahren muß besonders durch die Unabhängigkeit und Unbefangenheit der Richter, aber auch durch die Öffentlichkeit und durch die Gewähr rechtlichen Gehörs der Wahrheitsfindung dienen, sondern auch das materielle Strafrecht selber muß sich auf genau bestimmte Sachverhalte beschränken, die einer im Rahmen des Menschenmöglichen sicheren, d. h. objektiv evidenten Erforschung der Wahrheit zugänglich sind. Daher kann rechtsstaatlich allein eine solche Handlung mit Strafe bedroht werden, die mit den gesetzlich rechtsstaatlichen Be-


(Dr. Arndt)

weismitteln als wahr erweisbar oder als unwahr zu widerlegen ist. Die rechtsstaatlichen Grenzen für die Strafbarkeit eines Verhaltens stehen somit in einem inneren und unlösbaren Zusammenhang mit den rechtsstaatlich zulässigen Beweismitteln.
Die rechtsstaatlichen Beweismittel sind Zeugen und Urkunden sowie das sehr umfassende Beweismittel des Augenscheins. Der Sachverständige ist kein eigentliches Beweismittel, sondern bloß Gehilfe des Richters für einen Gebrauch der anderen Beweismittel oder bei der Feststellung dessen, was offenkundig ist. Alles nun, was durch Zeugen, Urkunden und Augenschein als allgemeingültig wahr, soweit das im Vermögen eines Menschen liegt, erwiesen werden kann, ist einer rechtsstaatlichen Strafvorschrift zugänglich. Aber was mit Beweismitteln nicht so erwiesen werden kann, ist auch einer rechtsstaatlichen Strafvorschrift nicht zugänglich. Denn jenseits der Möglichkeiten dieser Beweismittel gibt es keine Wahrheit, die ein Richter objektiv und allgemeingültig feststellen könnte. Wird aber dem Richter zugemutet, auf andere Weise die Wahrheit zu finden, eine angebliche Wahrheit, so überfordert man ihn durch das Ansinnen, seine subjektiven Meinungen, seine individuellen Werturteile als Wahrheit auszugeben. Die Folge müßten Willkür, Rechtsunsicherheit und für uns alle ein Verlust der Freiheit sein. Aber die Verantwortung dafür trüge weit weniger der mißbrauchte Strafrichter als der unbesonnene Gesetzgeber.
Diese beiden Gesetzentwürfe sind klassische Beispiele für Tatbestände, die einer strafgesetzlichen Regelung in einem freiheitlichen Rechtsstaat unzugänglich sind.

(Zustimmung bei der SPD.)

Da soll z. B. durch die neuen §§ 130 und 130 a — um das einzuflechten — im Strafgesetzbuch nach der CDU-Vorlage für ein Fünftes Strafrechtsänderungsgesetz die den inneren Frieden gefährdende Weise zu einem Tatbestandsmerkmal des Strafrechts gemacht werden, einem Tatbestandsmerkmal, dessen objektive Wahrheit festzustellen dem Richter aufgegeben wird.
Meine Damen und Herren, stellen Sie sich doch bitte einmal vor: Wie und mit welchen Beweismitteln soll das Schöffengericht in Siegburg oder der Amtsrichter in Regensburg oder die Strafkammer in Schleswig in einer allgemeingültigen und objektiv feststellbaren Weise darüber urteilen, ob der innere Friede gefährdet ist? Das ist restlos unmöglich. Das ist ein rein subjektives Werturteil, das der eine Mann in Siegburg völlig anders fällen wird als der andere in Regensburg oder in Schleswig. Ob man bestraft wird, hängt also ausschließlich vom Zufall ab, nämlich davon, wie der Richter in Schleswig oder der in Siegburg darüber denkt. Ob der innere Friede gefährdet ist, läßt sich eben, wie jedermann einsieht, mit rechtsstaatlichen Beweismitteln nicht mit einer an Gewißheit grenzenden Wahrscheinlichkeit ermitteln.
An die Stelle der Wahrheit, die in einem freiheitlichen Rechtsstaat allein die Grundlage für eine Strafe bilden kann, tritt hier das reine Werturteil; der eine glaubt, daß eine Handlung den inneren Frieden gefährde, und der andere hält sie für unbedeutend und belanglos.
Bei diesen Begriffen — und wir werden sehen, daß sie auch im Vierten Strafrechtsänderungsgesetz die entscheidende Rolle spielen — fehlt der in
einem Rechtsstaat einzig mögliche Maßstab, nämlich die Feststellbarkeit im Wege des gerichtlichen Beweises und die Objektivität der Merkmale. Nehmen Sie z. B. den neuen § 109 b des Strafgesetzbuchs! Durch die Regierungsvorlage eines Vierten Strafrechtsänderungsgesetzes soll da die gröbliche Entstellung zum strafrechtlichen Tatbestandsmerkmal gemacht werden. Wenn ich nicht irre, taucht dieser Begriff der gröblichen Entstellung zum ersten Mal 1934 im Heimtückegesetz auf.
Meine Damen und Herren, ich sage das nicht, um damit die Bundesregierung zu diskriminieren, sondern weil ich meine: wenn die Ereignisse der Jahre 1933 — man kann eigentlich oft schon mit 1930 oder mit 1931 anfangen — bis 1945 einen Sinn gehabt haben sollen, dann doch den, daß wir etwas daraus gelernt haben müssen.

(Beifall links und Zustimmung bei der FDP.)

Es ist — das gebe ich offen zu — für uns beschämend — ich jedenfalls schäme mich deshalb und bekenne das hier öffentlich —, daß sich in das Erste Strafrechtsänderungsgesetz vom 30. August 1951 schon eine solche Formulierung eingeschlichen hat. Aber das bestätigt doch nun nicht etwa ihre Rechtsstaatlichkeit, sondern nur eine gesetzgeberische Unbesonnenheit und sollte uns nicht veranlassen, auf diesem falschen Wege fortzufahren, sondern müßte uns daran erinnern, daß der Bundesrat damals schon — 1951 — durch eine Entschließung zum Ausdruck brachte, diese Gesetzgebung bedürfe alsbald der nochmaligen Überprüfung. Auch wir Sozialdemokraten vertraten schon seinerzeit die Auffassung, man solle diese ohnehin bedenklichen Bestimmungen noch nicht gleich in das Strafgesetzbuch aufnehmen, sondern wegen ihrer Unreife erst ihre Erprobung abwarten und sie in einem besonderen Gesetz belassen. Denn es gibt keinen auch nur halbwegs objektiven Maßstab dafür, ob eine Äußerung eine gröbliche Entstellung der Tatsachen bedeutet, weil diese Bewertung nicht durch gerichtliche Beweismittel oder an objektiven Merkmalen feststellbar ist. Ein allgemeingültiges Einverständnis darüber, in welchen sachlichen Zusammenhang eine Tatsache gestellt werden muß, wann also eine Tatsachenbehauptung vollständig ist und wie man sie ausdrücken muß, wird sich nicht erzielen lassen, weil schlechterdings jede Tatsachenbehauptung notwendigerweise zugleich eine Wertung bedeutet durch die Art der Auswahl, den Akzent der Redeweise, die Verknüpfung mit anderen Sachverhalten, kurz, durch all das, was man in der Presse die Aufmachung nennt.
Erinnern Sie sich an das Beispiel neulich? Da hat Herr Kollege Mende öffentlich gesagt, die Bundeswehr habe Jeeps angeschafft, durch die die Fahrer wegen der Abgase Vergiftungserscheinungen erlitten. Was ist da eine gröblich entstellte Tatsache? Jetzt kommt der Bundesminister für Verteidigung und sagt: Nicht d i e Fahrer haben Vergiftungen erlitten, sondern unter 167 Fahrern haben nur soundso viel Vergiftungserscheinungen erlitten, und das sind soundso viel Prozent, und außerdem kam das andere noch hinzu, und im übrigen war es auch keine Vergiftung, sondern der Professor Sowieso hat festgestellt, das sei nur eine leichte Reizung der Schleimhäute in der Nase I und der Lungen gewesen, — und schon hat der Herr Kollege Mende die Tatsache gröblich entstellt. Bitte, Sie müssen sich das überlegen, damit


(Dr. Arndt)

Sie sehen, daß es einen solchen Begriff im Strafrecht nicht geben kann und daß infolgedessen die Erklärung des Herrn Bundesministers der Justiz, es handle sich ja hier nur um die Bestrafung von lügnerischen Angriffen auf die Bundeswehr, absolut mit dem Gesetzeswortlaut nicht übereinstimmt. Also in einem rechtsstaatlichen Strafgesetz kann der Begriff einer gröblichen Entstellung keinen Platz haben, weil er die Strafbarkeit von einem unvermeidlich subjektiven Werturteil des Richters abhängig machen würde.
Mit diesem ersten Prinzip eines rechtsstaatlichen Strafrechts, daß nur ein solches Verhalten mit Strafe bedroht werden darf, dessen Wirklichkeit als objektiv wahr oder richtig mit gerichtlichen Beweismitteln feststellbar und am sicheren Maßstab allgemeingültiger Urteile prüfbar ist, steht ein zweites Prinzip in innerem Zusammenhang, nämlich das Prinzip, daß die Strafandrohung in der Regel einen vom Denken und Wollen des Täters unabhängigen objektiven Rechtsbruch voraussetzt, also das, was man früher den äußeren Tatbestand genannt hat. Ich kann es auch mit Worten von Gustav Radbruch sagen, der äußerte, eine Tat werde nicht dadurch Unrecht, weil sie bestraft werde, sondern sie werde bestraft, weil sie Unrecht sei. Zunächst einmal muß sich also der Unrechtsgehalt objektiv feststellen und mit gerichtlichen Beweismitteln ermitteln lassen, ehe man überhaupt zu den Besonderheiten der Person des Täters, seiner Schuld und seiner Strafwürdigkeit kommt. Gewiß kann ein Unrecht sich erst dadurch zum kriminellen Unrecht steigern, daß ein rechtlich verwerflicher Wille hinzukommt. Aber den Kern 'muß in der Regel eine durch sich selber rechtswidrige Handlung bilden, beispielsweise die Tötung, die Körperverletzung, die Vermögensschädigung, das Wegnehmen einer Sache, der Bruch fremden Gewahrsams und ähnliches mehr. Ein Vorgang, der als solcher rechtlich indifferent ist, der für sich alleine genommen noch kein Unrecht darstellt, darf in einem Rechtsstaat nicht ausschließlich wegen der mit ihm verbundenen Gedanken als kriminelles Unrecht gebrandmarkt werden.

(Beifall bei der SPD. — Abg. Haasler meldet sich zu einer Zwischenfrage.)

— Herr Kollege Haasler, ich stehe Ihnen am Schluß zur Verfügung. Aber lassen Sie mich bitte diese Gedanken in ihrem Zusammenhang entwickeln.
Das typische Beispiel einer totalitären Perversion des Rechts ist wiederum das Heimtückegesetz, das sogar die Wahrheit für strafbar erklärte, wenn sie nur aus dem Gedanken einer Gegnerschaft gegen den Nationalsozialismus ausgesprochen oder verbreitet würde. Diese Destruktur weist der in der Regierungsvorlage für das künftige Strafgesetzbuch gewünschte § 109 b auf. So moralisch verwerflich eine Lüge im allgemeinen sein wird — und jetzt komme ich auf das, wo Sie, Herr Bundesminister, sagten, es würden ja eben bloß Lügner bestraft; selbst wenn das wahr wäre —, ist doch die bloße Unwahrheit als solche noch nicht rechtswidrig — und es gibt gute rechtspolitische Gründe dafür, daß sie auch nicht rechtswidrig sein kann — und kann in keinem freiheitlichen Staatswesen für rechtswidrig erklärt werden. Nach dieser Vorlage soll deshalb nicht nur der kriminelle Charakter, sondern überhaupt das Unrechtmäßige einer Unwahrheit einzig und allein durch
den damit verbundenen Gedanken, nämlich die daran geknüpfte Absicht, begründet werden, also durch einen rein inneren, in dieser Allgemeinheit rechtsstaatlich mit Beweismitteln überhaupt nicht feststellbaren Sachverhalt. Das müßte zur Folge haben, daß es nicht das gleiche ist, wenn zwei das gleiche tun, eben weil man sie bloß nach ihren Gedanken unterschiede. Wenn eine und dieselbe bewußt falsche Meldung in zwei Zeitungen erscheinen würde, dann wäre das bei der einen strafbar, wenn man ihr den Gedanken unterstellt oder glaubt beweisen zu können, sie habe mit ihm irgendeine Absicht verfolgt, während es bei der anderen Zeitung, die ganz genau dasselbe getan hat, nicht strafbar wäre, weil sie solche Gedanken damit nicht verbunden hat. Der Unterschied liegt ausschließlich in den Gedanken. Meine Damen und Herren, das ist so unheimlich, daß es an Orwells „Gedankenpolizei" seines utopischen Zukunftsstaates erinnert, und man fragt sich, was das noch für Menschen sein würden, die in einem Staate, der die Gedanken strafbar macht, leben sollten, ob sie so aussehen, wie es der spanische Dichter Lorca einmal gesagt hat: ihre Köpfe sind aus Blei, ihre Seelen sind aus Lack.
Was hier in Wirklichkeit bestraft würde, ist also deshalb gar nicht das Verbreiten einer als unwahr erkannten oder vielleicht sogar als unwahr gewollten Behauptung, sondern bestraft würden die Gedanken, die einer dabei angeblich hat. Ich will an dieser Stelle auch noch gar nicht darlegen, zu welcher Unterdrückung der jeweiligen Opposition und zu welcher Knebelung der öffentlichen Meinung dieser Spezialfall einer Verletzung rechtsstaatlicher Strafrechtsgrundsätze führen müßte, sondern im allgemeinen steht hier zunächst das Prinzipielle einer solchen Methode, einer solchen Destruktur gesetzgeberischer Arbeitsweise zur Erörterung. Es geht nicht nur darum, einen vielleicht in seinen Einzelheiten mißglückten Entwurf zu kritisieren und aufzuzeigen, wie man ihn durch ein anderes Wort oder einen neuen Halbsatz verbessern könnte, sondern was hier zu demonstrieren ist, das ist der klinische Befund einer geistigen Tuberkulose, einer Schwindsucht im rechtsstaatlichen Bewußtsein,

(Beifall bei der SPD und der FDP)

weil schlechthin die Denkweise, der solche Entwürfe entstammen, in ihrem Ansatz verfehlt ist und diese Denkweise uns vor die bestürzende Notwendigkeit stellt, Elementarlehren der Rechtsstaatlichkeit für unsere Strafgesetzgebung zu entwickeln und ihr — entschuldigen Sie — Abc wieder buchstabieren zu lernen.

(Erneuter Beifall bei der SPD.)

Rechtsstaatlich und rechtsgrundsätzlich ist ferner darauf aufmerksam zu machen, daß es Rechtsgüter gibt — und keineswegs wenige, sondern sogar die bedeutsamsten —, die sich einer Absicherung unmittelbar durch Strafvorschriften entziehen. Dazu gehört die pflichtgemäße Bereitschaft als ein innerer Zustand, die pflichtgemäße Bereitschaft, einem Gesetz zu gehorchen. Welchen bösen Verstoß gegen rechtsstaatliches Denken wir — ich mit — 1951 durch § 91 des Strafgesetzbuches begingen, wird jetzt erst offenbar. Denn der rechtsstaatliche Fehler, der uns damals unterlief, gewinnt einen ganz anderen Grad, wenn es sich jetzt nicht mehr nur darum handeln soll, die Bereitschaft zur Erfüllung freiwillig übernommener


(Dr. Arndt)

Pflichten mit den dazu untauglichen Mitteln des Strafrechts abzuschirmen, sondern wenn es sich um gesetzlich auferlegte Pflichten, wie z. B. die Wehrpflicht, handelt.
Herr Bundesminister der Justiz, es trifft nicht zu, daß es sich um keine sachliche Änderung und Erweiterung bei dem handelt, was hier jetzt geschehen soll, zumal es ein großer qualitativer Unterschied ist, ob ich eine gesetzliche Pflicht oder ob ich eine freiwillig übernommene Pflicht in der Weise schütze, daß ich die Bereitschaft zum Gegenstand des Strafrechts mache. Ich kann es nicht einmal bei der freiwillig übernommenen, ich kann es unter gar keinen Umständen bei der gesetzlichen.
Meine Damen und Herren, unter dieser Sonne ist doch schon viel dagewesen. Es gab einmal den Entwurf einer Reichsregierung zu einer Strafvorschrift, durch die eine allgemeine Aufforderung in der Presse zum Ungehorsam gegen Gesetze mit Gefängnis bedroht werden sollte. Der erklärte Sinn auch jener Regierungsvorlage war es, die innere Bereitschaft zur Erfüllung gesetzlicher Pflichten strafrechtlich in staatliche Obhut zu nehmen — genau wie heute, nur daß damals der Tatbestand sogar wesentlich enger und präziser war. Bestraft werden sollte nur die öffentliche Aufforderung durch die Presse zum Ungehorsam gegen Gesetze. Ich darf Ihnen einige Bemerkungen aus der amtlichen Begründung jener Regierungsvorlage hier zur Kenntnis geben.
Es heißt zunächst in den alten Reichstagsdrucksachen, daß es jetzt Angriffe gebe, welche von sehr verschiedenen Standpunkten aus mit steigender Heftigkeit gegen die Grundlage der staatlichen Ordnung gerichtet werden. Dann wird davon gesprochen, daß die bestehende Strafandrohung unzulänglich sei, da hier die Agitation in einer für die Justiz unerreichbaren Weise leicht und gern hinter theoretisch gehaltenen Erörterungen, welche darauf ausgehen, das politische und religiöse Gewissen mit der Pflicht gegen das Gesetz in Konflikt zu setzen, und hinter allgemeinen Besprechungen sich versteckt, durch welche gesetzwidrige Handlungen als erlaubt und nachahmenswert dargestellt oder Personen wegen der gleichen Handlung glorifiziert werden.
Als ein besonderes gesetzgeberisches Motiv wurde seinerzeit angegeben: „Mit dieser Bestimmung zu treffen beabsichtigt ist das Predigen des Ungehorsams gegen das Gesetz."
Das könnte alles heute wunderbar aus dem Munde der gegenwärtigen Bundesregierung kommen, ohne daß ich sie deshalb in anderer Hinsicht mit — Bismarck vergleichen würde.

(Heiterkeit bei der SPD.)

In der denkwürdigen Sitzung des Deutschen Reichstages vom 20. Februar 1874 erhob sich der Abgeordnete Reichensperger aus Olpe und wies nach, daß der § 20 in der Bismarckschen Regierungsvorlage für ein Reichspressegesetz — denn um das handelte es sich — bedeute, daß ein Staat unbedingten Gehorsam verlange, sobald er die Erörterung verbiete, ob man innerlich bereit sein wolle und bereit sein könne, einem Gesetz zu gehorchen.
Reichensperger sagte, daß ein solches Verbot unsere gesamte Staatsrechts- und Moralliteratur zum Einstampfen verurteilt, und er schlug vor, mit Bluntschli und Stahl anzufangen.
Im ganzen Reichstag hat sich damals nach dieser Rede des Abgeordneten Reichensperger aus Olpe — die bei uns im Rechtsausschuß verlesen werden sollte, sie ist für das Plenum doch etwas zu lang — nicht eine Stimme erhoben, um eine Strafvorschrift zu verteidigen, durch die eine allgemeine Aufforderung zum Ungehorsam gegen Gesetze untersagt und mit Strafe bedroht werden sollte. Jener § 20 wurde in der Kommission sang- und klanglos gestrichen, ohne in der zweiten und dritten Beratung überhaupt nur noch erwähnt zu werden.
Welche rechtsstaatliche Grenze hatte der Abgeordnete Reichensperger entdeckt? Die Grenze zwischen Gesetzesbruch und Gesetzeskritik, die Grenze zwischen dem Gehorsam, den ein Staat erzwingen kann, und der geistigen Freiheit des Denkens, die zu opfern ein Mensch keinem Staate schuldet. Gewiß würde ein Staat sich selber aufgeben, wenn er die bestimmte Verweigerung einer gesetzlichen Pflicht, den konkreten Bruch eines Gesetzes untätig und ohne Folgen hinnehmen wollte. Aber die Gesetzeskritik, die freie Erörterung, ob ein Gesetz gut oder böse, ob es zweckdienlich oder verfehlt, ob es politisch sinnvoll oder verderblich ist, diese Kritik kann kein Staat verwehren, ohne daß er aufhört, ein menschenwürdiger Rechtsstaat zu sein.

(Beifall bei der SPD.)

Das nun, was hier mit verschwommenen Worten als ein Einwirken beschrieben wird — mit viel verschwommeneren Worten, als Bismarck sie in seinem § 20 gebrauchte —, als ein Einwirken, um die innere Bereitschaft zum pflichtmäßigen Gesetzesgehorsam zu untergraben, das ist in ihrer ganzen Fülle, Breite und Tiefe diese Diskussion darüber, ob ein Gesetz aus eigenem, freien Willen zu bejahen ist oder nicht. Hierbei steht also unendlich mehr zur Debatte als der rechtsstaatswidrige, angstbleiche und letzten Endes törichte Versuch, durch eine Wiederbelebung von Begriffen aus den Vorstellungen der Wehrkraftzersetzung — ich muß das sagen, Herr Bundesminister der Justiz — eine geistige Haltung, eine seelische Hingabe zu kasernieren und sie durch die Mauern des Strafrechts vor dem Zweifler in Sicherungsverwahrung zu nehmen. Hier geht es um das Fundamentale, ob ein freiheitlicher Rechtsstaat irgendeines seiner Gesetze durch ein Schweigegebot dem Gespräch entziehen und beanspruchen darf, daß dieses Gesetz nicht nur befolgt, sondern von jedermann auch in seinem Sinnen und Denken, auch in seinem Herzen gutgeheißen wird. Ich glaube, wer diese Grundfrage in ihrem Kern erkennt, der muß mit Entsetzen und Grauen gewahr werden, vor welchem Abgrund wir hier stehen.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0219113000
„Sie brauchen zur Musterung nicht zu erscheinen, Sie sind freigestellt, geben Sie nichts auf andere Verfügungen, falls Sie sie noch erhalten", das ist doch gar kein Beispiel für diese Vorschrift des Einwirkens, weil auf das Versenden solcher Papiere heute schon Zuchthausstrafe bis zu 15 Jahren steht, eine Strafe, die unendlich viel höher ist als die hier des Entwurfs. Denn es handelt sich einwandfrei um das fälschliche Anfertigen einer Urkunde, weil ja der Irrtum erweckt wird, ein anderer habe diese Urkunde ausgestellt. Und daß solche unrichtigen Wehrbescheide ebenso zum Beweise von Recht und Rechts-


(Dr. Arndt)

verhältnissen erheblich sind wie eine Speisekarte im Lokal, bei der es die Rechtsprechung annimmt, das, glaube ich, wird man auch nicht bestreiten können.
Die freiheitliche und soziale Rechtsstaatlichkeit erschöpft sich nicht darin, daß ein Gesetz formal auf demokratisch-parlamentarische Weise zustande kommt, sondern man wird der freiheitlichen Grundstruktur in ihrer Substanz nur gerecht, wenn man sich der inneren Begrenztheit ganz besonders des Strafrechts als des letzten und des äußersten Machtmittels bewußt wird und sich der Unteilbarkeit von Sicherheit, Freiheitlichkeit und Gerechtigkeit der Gesetze wieder erinnert. Will man der in jeder Ausweitung des Strafrechts, namentlich des in engerem Sinne politischen Strafrechts lauernden Gefahr einer Pönalisierung des öffentlichen Lebens begegnen, dann muß man im Strafrecht maßhalten und wachsam einsehen, daß das Strafrecht kein Allheilmittel ist, sondern eine Überdosis vergiftend, ja tödlich wirkt und gerade die Grundwerte einer Rechtskultur, wie z. B. die pflichtmäßige Bereitschaft zur Gesetzestreue oder, was dasselbe ist in mancher Hinsicht, das Staatsbewußtsein und der Gemeinsinn, aber auch die Menschenwürde und, ihr zugehörig, der Glaube — darauf komme ich noch —, keinesfalls ein Gegenstand unmittelbaren Strafschutzes sein können.
Dies ist der entscheidende Einwand auch gegen den Versuch des sicherlich gutgemeinten Entwurfs für ein Fünftes Strafrechtsänderungsgesetz, eine durch Abstammung, Herkunft oder Glauben bestimmte Volksgruppe strafrechtlich unmittelbar zu sichern. Auch hier wiederum ist ,es kein Zufall — das ist symptomatisch; ich habe es gar nicht gewußt —, daß man, wie Herr Kollege Bucher uns heute sagen konnte, 1936 ,aus den totalitären Vorstellungen heraus an eine solche Strafvorschrift gedacht hat. Es ist schlimm genug — ich will damit niemanden kränken, auch Sie nicht, Frau Kollegin Schwarzhaupt —, wie tief die totalitäre Zerstörrung des Rechtsgedankens und Rechtsbewußtseins allen, ob bewußt oder unbewußt, noch in den Knochen steckt und wieviel Grund wir haben zum Aufpassen.

(Beifall bei der SPD, dem GB/BHE und der FDP.)

Denn die Grundwerte menschlicher Gesittung sind einer Regelung von Staats wegen entrückt und können wesensgemäß allein als Motiv, als Rechtfertigung, als Legitimitätsgrundlage für ein punktuelles Eingreifen in das äußere Zusammenleben zur Geltung kommen. So hat der § 166 des Strafgesetzbuchs, der die Gotteslästerung mit Strafe bedroht, weise weder Gott selber noch auch nur das religiöse Empfinden direkt als ein Gut angesehen, vor das sich der Staat unmittelbar mit dem Schwert seiner Strafgewalt stellen dürfte. Man hat sich nicht durch den Befehl übernommen, bestraft werde, wer Gott lästere, etwa indem er Gottes Existenz leugne, oder bestraft werde, wer das religiöse Empfinden verletze oder untergrabe, sondern um dieser jenseits staatlicher Macht wirkenden Grundwerte wie der Gottesverehrung willen hat man im einzelnen bestimmte äußere und beweisbare Verhaltensweisen für das menschliche Zusammenleben strafrechtlich umfriedet.
Aus derselben Einsicht in die Aufgabe staatlichen Strafrechts und in seine innere Begrenzung geht es nicht an, die Abstammung, die Herkunft oder den Glauben gewisser Bevölkerungsgruppen
direkt mit der Waffe des Strafrechts zu rüsten, abgesehen davon übrigens, daß solche Privilegien auch mit dem Grundsatz der Gleichheit vor dem Gesetz meines Erachtens nicht vereinbar wären. Es ist kein Zufall, daß sich die Fragwürdigkeit eines derartigen Versuchs schon darin zeigt, daß sich der Entwurf im Ausdruck vergreift, weil Redewendungen wie „hetzen" und „Volksverhetzung" als Gesetzesbegriffe sich nur in das unbestimmte und daher parteilich willkürliche Strafunrecht einer totalitären Macht einfügen lassen.

(Beifall bei der SPD.)

Da ist „Boykotthetze", „subversive Tendenzen" oder ähnliches einstrafrechtlicher Begriff. Bei uns ist das rechtsstaatlich nicht möglich.
Wenn das Bedürfnis besteht — es kann sein; das werden wir prüfen müssen —, ganz bestimmte antisemitische Ausschreitungen oder ganz bestimmte Verherrlichungen der nationalsozialistischen kriminellen Verbrechen strafrechtlich abzuwehren, so werden wir solche Vorschriften, wenn auch nicht ohne Schwierigkeit, 'anders zu gestalten versuchen müssen. Das mag vorbehalten bleiben. Mir ist auch vor einem solchen Unterfangen recht bange. Aber dieser Versuch hier, bei dem ich durchaus annehme, daß er aus gutgemeinten Motiven kommt, zeigt ein erstaunliches Unverständnis für die Möglichkeiten eines rechtsstaatlichen Strafrechts.
Erhebt man es zum Tatbestandsmerkmal, daß der durch Strafgesetz gegen Schmähungen gesicherte Widerstand ,aus Überzeugung geleistet sein muß, was ist dann, meine Damen und Herren, die praktische Folge? Die praktische Folge ist doch die, daß auf Grund einer solchen Strafvorschrift vor Gericht nicht der Angeklagte, sondern zunächst der Tote sich zu rechtfertigen hat, von dem man erst einmal den Nachweis verlangt, daß er überhaupt eine Überzeugung besaß, weil diese doch zum Tatbestand gehört. Dann bekommen Sie vor Gericht diese ganze widerwärtige Erörterung darüber, ob der oder jener, der zu den gefallenen Widerstandsmännern gehört, wirklich eine Überzeugung hatte. Aber auch wenn diese peinliche Gehirnwäsche vorbei ist, ob der Gefallene überhaupt eine Überzeugung besaß, und wenn man diese Überzeugung festgestellt hat — und nun kommt ein Weiteres —, dann wird auch dem, der geschimpft hat und der deswegen angeklagt ist, nachzuweisen sein, daß er diese Überzeugung des Widerstandskämpfers kannte; denn sie ist nicht etwa nur Strafbarkeitsbedingung objektiver Art; sie ist nach dem Entwurf Tatbestandsmerkmal. Der Täter muß also gewußt haben, daß der gefallene Widerstandskämpfer aus Überzeugung Widerstand geleistet hat. Dieser Tatbestand ist also — entschuldigen Sie! — wirklich so ahnungslos aufgebaut, daß gerade der unbelehrbare Hasser, der nicht einmal einsieht, daß der andere, den er beschimpft hat, eine Überzeugung besaß, nicht bestraft werden kann, weil ihm der Vorsatz gefehlt hat, einen aus Überzeugung gefallenen Widerstandskämpfer zu schmähen.
Ja, meine Damen und Herren, so kann man keine Strafgesetze machen. Das ist völlig unmöglich, weil ,alles, was man hier angestrebt hat, jenseits des strafrechtlich Greifbaren überhaupt liegt. Sollte man sich aber entschließen, in einer vielleicht — ich weiß es nicht — möglichen Weise einen stärkeren Ehrenschutz für die Verfolgten des Nationalsozialismus zu gewähren, warum in aller Welt beschränkt man dann den Schutz auf die


(Dr. Arndt)

Widerstandskämpfer, schließt aber alle die davon aus, die nichts als Schlachtopfer waren? Ich denke z. B. — um stellvertretend für Tausende und Abertausende einen Namen zu nennen — an dieses armselige kleine Judenmädchen Anne Frank aus Amsterdam, deren Schicksal für ums alle eine so unauslöschliche, aber auch so unvergleichliche Schande ist. Was geschieht mit demjenigen, der die Anne Frank beschimpft, die nichts ist als Schlachtopfer in reinster Form? Ich sage das nicht deshalb, weil ich nun noch eine Ausweitung dieser Strafvorschriften haben möchte, sondern ich sage es, um die Grenzen zu ziehen, auch die Grenzen der Gleichheit vor dem Gesetz. Wenn ich den einen das Privileg gebe, ihre Ehre besonders zu schützen, warum dann nicht all den Tausenden und Abertausenden der Opfer? Kann man ,denn dann daran noch vorbeigehen? Aber ist es nicht letzten Endes ein für uns selbst erniedrigendes Mittel, wenn wir das nötig hätten? Denn es wäre doch wesentlich besser, wenn es uns gelänge, auf andere Weise, in positiver Weise, den Sinn für Recht und Unrecht wiederzuerwecken

(Abg. Dr. Strosche: Sehr richtig!)

und die Scham wachzurufen, an der .es manchmal oder leider allzu oft fehlt.

(Zustimmung rechts.)

Aber ein für allemal unmöglich bleibt es, die Toleranz intolerant durch das Strafgesetz zu erzwingen, wie es hier geschehen soll. Damit komme ich zu dem heikelsten Kapitel meiner Ausführungen. Ich brauche nicht zu sagen, wie verwerflich die Intoleranz ist, die sich darin zeigt, daß man Menschen um ihres Glaubens, um ihrer Abweichung im Glauben oder auch um ihrer Skepsis gegenüber dem Glauben willen abwertet. Ich behaupte auch nicht, daß wir gegenwärtig in Westdeutschland nicht unter Intoleranz zu leiden hätten. Zuweilen könnte man sich fürchten, daß wir in einem Brutofen für d'e Aufzucht von Intoleranzbakterien leben. Aber unter allen Mitteln, der Intoleranz zu begegnen und die hohe geistige Leistung der Toleranz zu fördern, ist das Strafrecht nicht nur ein schlechtes, sondern das schlechthin mörderische Mittel. Mit strafrechtlichen Mitteln kann man den religiösen und konfessionellen Frieden nicht erringen, sondern allenfalls in die Luft sprengen.

(Beifall bei der SPD.)

Ich will gar nicht davon sprechen, daß bei den Mißbräuchen, die ein solches Gesetz geradezu herausfordern oder heraufbeschwören müßte, Voltaire wind Nietzsche aus dem Gefängnis überhaupt nicht mehr herausgekommen wären.

(Zustimmung bei der SPD.)

Auch die Glaubensstreiter untereinander würden in ,die Versuchung geraten, nach dieser Waffe des Strafrechts zu greifen; denn )es gehört zum Glaubensstreiter und zum Glaubenseiferer, daß er um seines Gewissens willen auch Worte sagen muß, die einen anderen verletzen können. Wie würde man Martin Luther damit zuleibe gehen können oder auf der anderen Seite Cochläus, oder einerseits Kirkegaard und im Gegenlager wieder Heinrich Denifle oder Georg Moebus oder Janssen? Ein Eiferer, der dieses Schwert in die Hand bekommt — ich sehe den Tag, an dem in unserer Gegenwart ein solcher Eiferer wieder Martin Niemöller hinter Schloß und Riegel bringt. Ein solches 'unbesonnenes Gesetz beschert uns jenen Frieden, von dem in Schillers „Don Carlos" Herzog Alba unter Gewehrsalven und Geschützdonner sagt, daß er gehe, Madrid den Freden zu bringen: die Grabesstille des Friedhofs. Ich warne Sie vor einem solchen Gesetz.
Bei diesen Erwägungen geht es nicht um Silben, Punkte oder Kommata, sondern um die grundsätzliche Erkenntnis der Grenzen rechtsstaatlichen Strafrechts, die sowohl im Vierten wie im Fünften Strafrechtsänderungsgesetz auf der ganzen Linie überschritten sind.
Ich schließe deshalb mit einem Wort des schweizerischen Theologen Emil Brunner aus seinem Werke über die Gerechtigkeit: „Die Grenzen aber sind nicht nur in der Politik und im Kriege, sondern auch in der Geschichte des Geistes die Orte, wo die wichtigsten Entscheidungen fallen."

(Lebhafter Beifall bei der SPD, dem GB/BHE und der FDP.)


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0219113100
Meine Damen und Herren, ich unterstelle, daß wir gemäß der interfraktionellen Vereinbarung jetzt die Beratung unterbrechen und daß wir morgen, wie vereinbart, mit der Behandlung dieser Materie weiterfahren. — Ist das Haus damit einverstanden?

(Zustimmung. — Bundesjustizminister Dr. von Merkatz meldet sich zum Wort.)

— Ja, Herr Minister, wenn ich Ihnen jetzt das Wort gebe, — —

(Lebhafte Zurufe von der SPD.) Ich meine, Herr Minister, — —


Dr. Hans-Joachim von Merkatz (CDU):
Rede ID: ID0219113200
Ich halte den Vorschlag des Herrn Präsidenten für durchaus praktisch und bin gern bereit, morgen das Wort zu nehmen. Aber ich möchte doch sagen — das halte ich um der Praxis dieses Hauses willen für notwendig —, daß, wenn die Regierung das Wort erbittet, ihr dieses Wort über alle Vereinbarungen hinweg gegeben werden muß.

(Lebhafter Widerspruch bei der SPD. — Abg. Mellies: Das wäre noch schöner!)


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0219113300
Nein!

Dr. Hans-Joachim von Merkatz (CDU):
Rede ID: ID0219113400
Nach unserer Geschäftsordnung — —

(Lebhafte Zurufe von der SPD.)

— Aber meine Damen und Herren, es handelt sich hier um ein Verfahren, — —

(Abg. Mellies: Das ist ja unglaublich, dem Haus hier diktieren! Das ist das Allerneueste! — Zuruf von der SPD: Das ist ja unmöglich! — Weitere Zurufe von der SPD.)

Verzeihen Sie, Herr Präsident, — —

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0219113500
Herr Minister, darf ich ein Wort vorausschicken. Die Regierung hat nach unserer Geschäftsordnung selbstverständlich das Recht, sowohl innerhalb wie außerhalb der Tagesordnung das Wort zu erbitten. Das setzt aber immer voraus, daß das Haus tagt.

(Sehr richtig! bei der SPD.)


Dr. Hans-Joachim von Merkatz (CDU):
Rede ID: ID0219113600
Herr Präsident, mir ist nicht bekannt, daß die Tagung des Hauses bereits beendet ist. Sie hatten die Sitzung noch nicht geschlossen.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0219113700
Ich wollte sie gerade beenden.

Dr. Hans-Joachim von Merkatz (CDU):
Rede ID: ID0219113800
Ich möchte deshalb nur dieses Präjudiz nicht aufkommen lassen.

(Fortgesetzte Zurufe von der SPD.)

— Meine sehr verehrten Damen und Herren, erregen Sie sich nicht wegen eines rein formalen geschäftsordnungsmäßigen Vorbehaltes, den ich hier machen wollte. In der Sache bin ich mit Ihnen völlig einig.

(Abg. Mellies: Die Blamage hätte sich der Justizminister ersparen können! — Weitere Zurufe von der SPD.)


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0219113900
Meine Damen und Herren, ,ich darf Sie noch einen Augenblick um Gehör bitten. Herr Abgeordneter Kraft hat gebeten, ihm Gelegenheit zu geben, gemäß § 36 der Geschäftsordnung außerhalb ,der Tagesordnung eine persönliche Erklärung abzugeben. — Das Haus ist damit einverstanden. Ich bitte, Herr Abgeordneter.

Waldemar Kraft (CDU):
Rede ID: ID0219114000
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Herr Abgeordnete Petersen vorn Gesamtdeutschen Block/BHE hat im Verlaufe der Debatte über die Anträge zur Änderung des Bundeswahlgesetzes ohne sachlichen Zusammenhang mit diesem Thema bemerkt, es hätten seinerzeit einige wankelmütige Abgeordnete seine Partei verlassen.

(Lebhafter Beifall beim GB/BHE und bei der SPD.)

Im Namen der neun Abgeordneten, die in dieser Weise durch den Herrn Abgeordneten Petersen politischen Wankelmuts bezichtigt wurden, habe ich zu erklären:

(Anhaltende Zurufe vom GB/BHE und von der SPD.)

Meine Freunde und ich haben den BHE verlassen, weil die Mehrheit seiner Bundestagsfraktion und die Partei selbst ihre Haltung zu grundlegenden politischen, insbesondere den außen- und wehrpolitischen Fragen geändert haben.

(Erneute Zurufe von der SPD.)

— Sie sind ja doch immer bei Ihrer Meinung geblieben, meine Herren von der SPD, vor und nach den Wahlen, Sie können sich doch nicht getroffen fühlen! —(Anhaltende Unruhe.)

Sie haben damit eine Haltung aufgegeben, zu der sie sich im Wahlkampf 1953 den Wählern gegenüber verpflichtet hatten.

(Sehr gut! in der Mitte.)

Angesichts dieses Tatbestandes ist es offensichtlich,
daß, wenn schon von politischem Wankelmut gesprochen wird, ein solcher Vorwurf nicht diejenigen treffen kann, die zu ihrem Wort ;gegenüber den Wählern stehen.

(Beifall in der Mitte. — Erneute Zurufe links.)

Der Vorwurf von Wankelmut aus einem solchen Anlaß entbehrt übrigens nicht der Pikanterie aus dem Munde des Herrn Kollegen Petersen, der zuvor selbst, allerdings ohne einen für die Öffentlichkeit erkennbaren politischen Grund, seine Partei gewechselt hatte.

(Lebhafter Beifall in der Mitte. — Anhaltende Zurufe links. — Abg. Mellies: Großartig, was sich ehemalige Minister heute abend leisten! — Zuruf von der SPD: Furchtbar! — Abg. Petersen meldet sich zum Wort.)


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0219114100
Ja, aber nur zu einer persönlichen Erklärung!

(Abg. Petersen: Eine Erklärung zu dieser Erklärung!)

— Bitte!

Helmut Petersen (GB/BHE):
Rede ID: ID0219114200
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe keinesfalls die Absicht gehabt, mit meinen Ausführungen den einen oder anderen Kollegen persönlich zu treffen, sondern ich habe nur einen politischen Tatbestand gewürdigt, der zu würdigen notwendig war. Wenn Herr Abgeordneter Kraft

(Abg. Schröter [Wilmersdorf] : Minister außer Dienst!)

in seiner jetzigen Erklärung dem Hohen Hause mitteilt, daß er deshalb aus dem Gesamtdeutschen Block/BHE ausgeschieden sei, weil wir nicht mehr unseren Grundsätzen treugeblieben seien, so überlasse ich das Urteil darüber der breiten Öffentlichkeit.

(Sehr richtig! beim GB/BHE.)

Meine Damen und Herren, Herr Kraft hat vor nicht allzu langer Zeit seiner früheren Partei als Weisung auf den Weg gegeben: „Die Saar ist weg!" Auf diesem Weg wollten wir nicht folgen. Nun: Die Saar ist da; aber Herr Kraft ist weg.

(Lebhafter Beifall beim GB/BHE, bei der SPD und bei der FDP. — Zurufe von der Mitte.)


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0219114300
Meine Damen und Herren, ich darf bitten, die Unterlagen morgen wieder mitzubringen, weil sie nicht noch einmal verteilt werden können.
Ich berufe die nächste, die 192. Sitzung des Deutschen Bundestages auf Freitag, den 8. Februar, 9 Uhr, und schließe die heutige Sitzung.