Rede von
Dr.
Adolf
Arndt
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Kollege Kliesing, es hat zu allen Zeiten kulturkämpferische Ansätze gegeben, und zwar auf beiden Seiten, und die werden sich auch in Zukunft nicht ganz ausschließen lassen. Ich hoffe durch meine Ausführungen und meine Anträge heute ,dazu beizutragen, daß wir auch in dieser Frage es jetzt nicht etwa erneut erleben. Aber wenn man vom Bismarckschen Kulturkampf spricht, dann hat man eine ganz bestimmte geschichtliche Epoche im Auge,
und dazu gehört die obligatorische Zivilehe und
ihr strafrechtlicher Schutz nicht. Das sollte man endlich einmal klar sehen.
— Aber, Herr Kollege, das ist nun doch wirklich eine Frage objektiver Geschichtsbetrachtung. Der Bismarcksche Kulturkampf beschränkte sich auf ganz bestimmte Jahre und ganz bestimmte Anliegen. Aber wie dem auch sei, wenn Sie anderer Meinung darin sind, so liegt mir daran, zum Ausdruck zu bringen, daß in dem Grundsatz der obligatorischen Zivilehe für ein konfessionsgespaltenes Volk ein Toleranzprinzip und ein Friedensprinzip zu sehen ist, das Gewissenszwang und Gewissensnot ausschließen soll. Aus diesem Grunde ist es auch nicht nur so, daß etwa in der Evangelischen Kirche eine, sagen wir, überwiegende Meinung für die obligatorische Zivilehe vorhanden ist, sondern der Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland als das der Verfassung dieser Kirche nach höchste Organ dieser Kirche — —
- Sie haben recht, Herr Kollege Kunze; das war ein Lapsus linguae. Die Synode ist das höchste Organ, aber die Synode hat es auch nicht gesagt. Der Rat hat erst heute morgen noch einmal seine
Übereinstimmung mit der Generalsynode bekräftigt rund gesagt:
Der Rat der EKD tritt nach wie voir, wie die Synode in Spandau 1954 erneut festgestellt hat, für die obligatorische Zivilehe ein. Die Evangelische Kirche wind wie bisher ihre Geistlichen auf die Innehaltung ,dies Grundsatzes verpflichten. Die Durchsetzung des Vorranges der standesamtlichen Eheschließung vor der kirchlichen Trauung ist nach dem Urteil des Rates allein in die Zuständigkeit der für die Gesetzgebung verantwortlichen Organe des Staates gelegt.
Sie kennen auch die Begründung: weil die Generalsynode und der Rat Gewissensnot und Gewissenszwang in einem konfessionsgespaltenen Volk fürchten, wenn von dem friedenstiftenden Prinzip der obligatorischen Zivilehe abgegangen Wird.
— Das kann er auch gar nicht, Herr Kollege. Außerdem, auch ich fordere keine Strafe, wie Sie hören werden. Es wäre ein nicht ganz tunliches Verhalten, wenn eine Strafe gefordert würde.
Dias Problem, das man in seiner Tiefe und Tragweite sehen soll, ist doch das, daß die Ehe sowohl eine weltlich-staatliche als auch bei den christlichen Konfessionen und bei der mosaischen Kultusgemeinde eine kirchliche oder religiöse Einrichtung ist. Daraus ergibt sich das einfach pragmatisch gar nicht vermeidbare Erfordernis, daß Ehevoraussetzungen und Ehehindernisse nach weltlich-staatlichem Recht möglich sein müssen. Denn niemand wird etwa die Auffassung vertreten, daß ein und dieselbe Person mit je einer anderen Person einmal kirchlich und einmal staatlich-weltlich verheiratet sein könne. Also müssen staatlich-weltliche Voraussetzungen für die Eheschließung mindestens hingenommen werden.
Die Bundestage haben auch sonst keine Bedenken getragen, in einem ähnlichen Fall z. B. ein staatliches Ehehindernis für die Eheschließung in ganz anderer Weise zu statuieren, und zwar haben Sie das selber getan. Ich weiß nicht, warum Sie sich im Augenblick nicht daran erinnern. Wir haben nämlich ein Bundesgesetz für den Bundesgrenzschutz, und die Länder haben Gesetze für die kasernierte Bereitschaftspolizei geschaffen. Darin sind staatliche Ehehindernisse für die kasernierten Polizeibeamten enthalten mit der Maßgabe, daß ein kasernierter Polizist, wenn er ohne Genehmigung seines Vorgesetzten heiratet, so schwere soziale Einbußen erdulden muß, daß er sein Amt verlieren kann. Das haben wir in einem Bundesgesetz beschlossen, und das haben das Land Rheinland-Pfalz sowie andere Länder des Bundesgebietes auch beschlossen.
Ich habe hier — damit Sie sehen, wie sich das in der Wirklichkeit dann auswirkt — das Urteil des Oberverwaltungsgerichts Koblenz vom 19. April 1955, nach welchem ein Polizeibeamter der Bereitschaftspolizei unter Verlust aller Rechte dienstentlassen worden ist, weil er seine Verlobte im Zeitpunkt ihrer Niederkunft noch schnell geheiratet hat, ohne die nach dem Gesetz erforderliche Eheerlaubnis einzuholen. Angenommen, der Mann war Katholik — was aus dem Tatbestand des Urteils nicht hervorgeht —, so hat er diese schwere dienstliche und berufliche Einbuße erlitten ungeachtet
der religiösen Auffassung, daß die Ehe, die er schloß, eine sakramentale gewiesen ist. — So geschehen im Lande Rheinland-Pfalz nach rheinlandpfälzischem Gesetz, durch rheinland-pfälzische. Verwaltung und nach rheinland-pfälzischer Rechtsprechung des. Oberverwaltungsgerichts.
Wenn Sie also das Problem in seiner ganzen Breite sehen, so erkennen Sie, daß Sie auch nach Ihrer eigenen Gesetzgebung, die Sie selber gemacht haben, um staatliche Voraussetzungen und Hindernisse bei der Eheschließung schlechterdings nicht herumkommen, und zwar vor allen Dingen aus dem Grunde, weil es unierträglich wäre, daß jemand nach zweierlei Recht mit zweierlei Personen gleichzeitig verheiratet wäre.
Die Frage ist: Wie sollen wir dieses Problem lösen? Meine Damen und Herren, erlauben Sie mir dazu ein vielleicht sehr persönliches Wort. Ich bin der Meinung, daß ein Abgeordneter seinem Mandat nicht gerecht werden würde, wollte er nicht mit äußerster Kraft darum ringen, wie der Glaubensfriede in unserem Land und für unser Volk gewahrt werden kann. Deshalb muß diese Frage unter diesem Gesichtspunkt gesehen werden. Ein Sozialdemokrat insbesondere liefe Gefahr, sich selber untreu zu werden, wollte er auch nur in irgendeinem Bereiche von dem Grundsatz der Gewissensfreiheit abweichen.
— Ja, das ist gut, daß Sie großes Gewicht darauf legen, Frau Kollegin Weber, aber wir legen auch großes Gewicht darauf, daß auch ihre politischen Freunde in ihren Entscheidungen nicht von diesem Grundsatz abweichen.
— Doch, nach meiner Überzeugung haben sie es bei § 25 des Wehrpflichtgesetzes getan. Aber darüber wollen wir uns jetzt nicht streiten.
Daraus ergeben sich zwei Gesichtspunkte, die für meine Fraktion in ihrer Entscheidung maßgebend gewesen sind. Erstens: Dias Strafrecht ist in der Regel kein geeignetes Mittel der weltanschaulichen aller religiösen Auseinandersetzung. Wir sind glühende Anhänger einer Entpönalisierung des öffentlichen Lebens, und ich werde vielleicht heute noch Gelegenheit haben, das auch gelegentlich der Beratung des Vierten und Fünften Strafrechtsänderungsgesetzes auszuführen. Dieselbe Haltung haben wir schon bei der Beseitigung des .Kanzelparagraphen eingenommen, wo ich auch die Ehre hatte, für meine Fraktion zu sprechen.
Zweitens: Der unentbehrliche Rechtsschutz für dais als Friedensgedanke in unserem konfessionsgespaltenen Volk notwendige Prinzip der obligatorischen Zivilehe muß so gestaltet werden, daß er dais Grundrecht auf Gewissensfreiheit nicht verletzt und nicht als diskriminierend empfunden
wird.
Aber, meine Damen und Herren, das läßt sich erreichen, auch ohne daß man dieses Prinzip so schutzlos läßt, wie es der von Frau Kollegin Schwarzhaupt begründete Antrag tut; denn es gibt ja Verhaltensweisen, über deren Mißbilligung man sich - wenn ich jetzt den Gesichtspunkt auf die Beziehungen zwischen Katholischer Kirche und dem Staat beschränke beiderseits einig ist. Das eine mögliche Verhalten ist das, daß der Geistliche
— wie es ja in Bayern vorgekommen ist —, Ehen kirchlich traut, ohne dabei den Begriff des sittlichen Notstandes hinreichend zu beachten oder ohne die Bestätigung der kirchlichen Obrigkeit zu haben.
— Ja sicherlich, dann wird es mißbilligenswert sein, und das wird sicherlich dann doch auch ohne Gewissensnot für irgendeinen n en geahndet werden können. — Das andere ist das, daß ein Geistlicher, wie es ebenfalls in Bayern und wie es in Hiessen geschah, nach der kirchlichen Trauung die pflichtmäßige Anzeige beim Standesamt unterließ, zu der er, wenn das Reichskonkordat gültig ist, sogar nach dem Reichskonkordat ausdrücklich verpflichtet ist. Auch da werden Sie mir zugeben, daß das eine von beiden Gesichtspunkten her, ob Staat oder Kirche, mißbilligenswerte Unrechtshandlung ist, die nicht hingenommen werden kann.
Das dritte ist das, daß die, die als Verlobte nun aus irgendwelchen unüberwindlichen Gründen die kirchliche Trauung vor die standesamtliche legen, es dann aber unterlassen, dem gesetzlichen Gebot, daß die Ehe vor dem Standesbeamten zu schließen ist, zu genügen, dadurch eine Unordnung im Staate verursachen.
Infolgedessen beantragt die sozialdemokratische Bundestagsfraktion, den § 67 des Personenstandsgesetzes durch folgende neue Vorschrift zu ersetzen
— ich kann sie Ihnen leider nur erst einmal aus dem Manuskript vorlesen —:
Wer die religiösen Feierlichkeiten einer Eheschließung vornimmt, ohne daß zuvor eine Ehe vor dem Standesbeamten geschlossen ist, begeht eine Ordnungswidrigkeit, es sei denn, daß einer der Verlobten lebensgefährlich erkrankt und ein Aufschub nicht möglich ist oder daß ein auf andere Weise nicht zu behebender schwerer sittlicher Notstand vorliegt, dessen Vorhandensein durch die zuständige Stelle der Religionsgemeinschaft bestätigt ist.
Wer die religiösen Feierlichkeiten einer Eheschließung vorgenommen hat; ohne daß zuvor eine Ehe vor dem Standesbeamten geschlossen ist, begeht eine Ordnung Widrigkeit, wenn er dem Standesamt nicht unverzüglich Anzeige erstattet.
Wer es unterläßt, die Ehe vor dem Standesbeamten zu schließen, nachdem durch eine religiöse Feierlichkeit die Ehe eingegangen ist, begeht eine Ordnungswidrigkeit.
Keiner dieser drei Tatbestände steht in einem Widerspruch zu dem, was bisher von der Katholischen Kirche gefordert wurde und was auch im Reichskonkordat ihr Anliegen war. Ganz im Gegenteil! Ich glaube, daß die Verstänidigung, die jetzt über die Onkelehen stattgefunden hat, und eine Verständigung, die hier über stattfinden könnte, auch kirchenpolitisch im Sinne der Kirche liegen müßten, denn sie kann kein Interesse daran haben, daß ein Geistlicher das tut, was hier auch aus staatlicher Sicht als Ordnungswidrigkeit bezeichnet worden ist. Aber nur auf diese Weise haben wir überhaupt die Möglichkeit, vom Staate her in einem geordneten Verfahren nachzuprüfen, ob — wie es in Bayern war, wie eis in Hessen war — etwas geschicht, was um des religiösen Friedens willen so nicht hingenommen werden kann und was die Beziehungen zwischen Staat und Kirche außerordentlich trüben müßte.
Würde, Frau Kollegin Schwarzhaupt, dem von Ihnen begründeten Antrag gefolgt, dann hätten wir keinerlei geordnetes staatliches Verfahren mehr, um Mißstände aufzudecken, die aus der beiderseitigen Sicht, sowohl der Kirche als auch des Staates, Mißstände bei uns sein würden. Ich glaube deshalb, wir tun ohne diese Regelung — daß wirr diese drei Ordnungswidrigkeiten anerkennen — der Sache keinen guten Dienst. Durch die Prüfung dieses Antrags werden Sie mit uns dem Bestreben dienen, in dieser Hinsicht, sagen wir ruhig: eine neue Epoche des konfessionellen Zusammenlebens und der Beziehungen zwischen Staat und Kirche in Deutschland zu beginnen.
Ich möchte zum Schluß nicht verschweigen, daß der dritte Tatbestand, nämlich die Ordnungswidrigkeit der Verlobten oder der kirchlich Verheirateten., die noch nicht standesamtlich geheiratet haben und es unterlassen, standesamtlich zu heiraten, sehr reiflich geprüft werden sollte. Das müßte möglicherweise noch einmal im Ausschuß geschehen. Aber ich glaube, man wird um Bedenken deshalb herumkommen, weil nach dem Ordnungswidrigkeitengesetz das Einschreiten gegen eine Ordnungswidrigkeit im pflichtgemäßen Ermessen steht und weil auch die Spannweite der Geldbußen sehr groß ist und die Buße infolgedessen bei sehr geringen Beträgen anfängt.
Das ist, was ich Ihnen zu diesem schwierigen Problem vorzutragen habe und was sich aus den Grundsätzen der Sozialdemokratischen Partei hierzu ergibt.