Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Bürkel?
Damit stehen wir am Ende der Fragestunde.
Die nächste Fragestunde ist am Mittwoch, dem 27. Februar. Sperrfrist für einzureichende Fragen ist Freitag, der 22. Februar, 12 Uhr.
Ich komme zum nächsten Punkt der Tagesordnung und rufe auf Punkt 8 der gedruckten Tagesordnung:
a) Erste Beratung des von den Fraktionen des GB, BHE und der DP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Bundeswahlgesetzes ;
b) Erste Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Bundeswahlgesetzes .
Wer begründet den ersten Antrag? — Herr Abgeordneter Schneider zur Begründung des Antrags Drucksache 3027.
Schneider (DP), Antragsteller: Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Namens der Fraktionen der Deutschen Partei und des Gesamtdeutschen Blocks/BHE erlaube ich mir, unseren Standpunkt zu den vorliegenden Anträgen vorzutragen.
Ich möchte eingangs betonen, daß es keineswegs etwa Wahlangst ist, die die Deutsche Partei und den BHE dazu bewogen haben, diesen Antrag zu stellen.
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— Ich werde diese Behauptung auch aufrechterhalten, wenn sich ob dieser Feststellung hier im Hause Unruhe erhebt, denn ich bin der Meinung, daß wir über diese Frage in aller Ruhe und Sachlichkeit diskutieren sollten.
Die Deutsche Partei hat, wie Sie alle wissen, meine sehr geehrten Damen und Herren, in Norddeutschland eine sehr fundierte Stellung, die ihr bisher — das ist aus der Presse und auch aus den Wahlergebnissen bekannt — nicht streitig gemacht werden konnte. Außerdem hat die Presse in der Erörterung des Wahlgesetzes und unserer Änderungsanträge uns ausdrücklich bescheinigt — das erkenne ich besonders dankbar an —, daß speziell die DP durch ihre Direktmandate in Niedersachsen, die sie zweifellos wieder erlangen wird, sowieso auch in den nächsten Bundestag einziehen wird.
Die Gründe, die uns bewogen haben, diesen Antrag einzubringen, sind rein staatspolitischer Art. Dieser Antrag ist nicht aus eigensüchtigen Gründen gestellt worden. Ich möchte dabei auch ausdrücklich betonen, daß wir bei der Einbringung dieses Antrags die Erfahrungen von Weimar keineswegs außer acht gelassen haben. Auch wir wünschen keine Zerplitterung, die etwa dieses Parlament verhandlungsunfähig machen könnte. Wir wünschen auch nicht, daß einem politischen Kuhhandel in diesem Hause Tür und Tor geöffnet werden können. Die Einwände, die von den Kritikern dieser Anträge mit Bezug auf die Weimarer Erfahrungen vorgebracht wurden, sind von meiner Fraktion und ebenfalls vom BHE sehr ernsthaft geprüft worden.
Die praktischen Fragen sind nun folgende. Ist der vorliegende Antrag der Deutschen Partei und des Blocks dazu geeignet, einer Zerplitterung und damit einer Gefährdung unserer Demokratie Vorschub zu leisten? Entspricht das derzeitige Wahl-
Besetz den Erfordernissen der Demokratie unter den heutigen Verhältnissen?
Die Gegner unserer Anträge haben in der Auseinandersetzung über diese Anträge natürlich keinen Zweifel darüber gelassen, daß das jetzt bestehende Wahlrecht der beste Weg zur Sicherung des Zweiparteiensystems für die Zukunft sei. Gerade hier aber setzt die Kritik der beiden antragstellenden Fraktionen ein, die sie — ich betone es noch einmal: aus staatspolitischen Gründen — bewogen hat, diesen Antrag zu stellen.
Ich darf außerdem einflechten, daß die Deutsche Partei das Wahlgesetz in der vorliegenden Form damals abgelehnt hatte.
Darüber hinaus sind wir der Auffassung — und ich vertrete das ausdrücklich und im vollen Bewußtsein unserer Verantwortung, wenn wir das sagen —, daß das Zweiparteiensystem jedenfalls unter den gegenwärtigen Verhältnissen und zum gegenwärtigen Zeitpunkt unserer Demokratie in Deutschland nicht gemäß ist,
und zwar aus folgenden Gründen. Einmal, meine sehr geehrten Damen und Herren, wird das Zweiparteiensystem dazu führen, daß bestehende Machtverhältnisse zementiert werden können. Zum anderen kann es dazu führen, daß einseitige politische Konstellationen ebenfalls zementiert werden, was der Demokratie auch nicht förderlich ist.
Aber was vielleicht noch viel gewichtiger ist, ist der Einwand, daß durch ein Zweiparteiensystem eine Abtötung der Vielfalt des politischen Lebens erfolgen würde, einer Vielfalt, wie sie für eine Demokratie gerade nützlich und richtig ist. Es würde unter Umständen ein öder Konformismus im politischen Leben eintreten, der den Fundamenten unseres Staates nicht zuträglich wäre.
Ich glaube auch, daß Sie, meine Damen und Herren, wenn Sie gerecht urteilen, mit mir der Überzeugung sein werden, daß sowohl die Deutsche Partei einerseits wie der Block andererseits in den vergangenen Jahren seit dem Zusammenbruch eine durchaus staatspolitische Aufgabe erfüllt haben, insofern, als meine Partei für sich in Anspruch nehmen kann, daß sie eine wirksame Abwehr gegen jeden Rechtsradikalismus geleistet hat und der Block beispielsweise die Vertriebenen an unseren Staat herangeführt hat. Ich glaube, die Erfüllung dieser staatspolitischen Aufagben darf man nicht zu gering einschätzen.
Natürlich gibt es auch ein gutes Funktionieren mit einem Zweiparteiensystem. Ich denke dabei an England. Aber Sie alle werden mir zugeben, daß dort die politischen Verhältnisse völlig anders gelagert sind, und niemand wünscht sehnlicher als meine politischen Freunde und ich, daß wir zu jenen großen politischen Einsichten gelangen mögen — gerade in den großen Fragen der Politik —, wie man sie jenseits des Kanals in solchen Fällen zu haben pflegt.
Ich darf aber darauf hinweisen, daß wir auch deswegen starke Bedenken gegen das Zweiparteiensystem haben, weil die geistesgeschichtlichen Strömungen in Deutschland nicht hinwegzudiskutieren sind, die es gar nicht gestatten, ein solches System aufzurichten, weil es praktisch eine Vergewaltigung eines großen Teiles der deutschen
Wählerschaft wäre, und weil darüber hinaus zur Zeit, wenn es zu einem Zweiparteiensystem käme, es sich um ideologisch gebundene Gruppen handeln würde.
Solange keine Gewähr dafür gegeben ist — ich bitte Sie, meine sehr geehrten Damen und Herren, das nicht falsch zu verstehen —, daß ein Zweiparteiensystem nicht im Wechsel von jeweils vier Jahren etwa zu einem politischen Zickzackkurs, eben auf Grund der ideologischen Gebundenheit, führen würde, so lange ist meine Fraktion der festen Überzeugung, daß die Mehrheit einer Partei, die sich der Opposition gegenübersieht, schädlich für unseren Staat ist und daß es besser ist, eine Mehrheitskoalition zu bilden.
Ich habe auch guten Grund, hierauf hinzuweisen, wenn ich Sie an die Kräfteverhältnisse in verschiedenen Ländern erinnere, wo abwechselnd Sozialdemokraten oder Christliche Demokraten die Mehrheit haben und wo sie nicht alleine die Regierung tragen, sondern in klarer Erkenntnis dessen, was ich eben gesagt habe, die Mehrheitskoalition gesucht und auch gefunden haben. Es gibt natürlich auch noch andere Spielarten des Zweiparteiensystems. Ich erinnere Sie z. B. an Österreich und an den „österreichischen Proporz". Ich glaube, daß auch diese Spielart auf unseren Staat nicht passen würde und daß eine unerwünschte Entwicklung die Folge sein müßte. Die Deutsche Partei will also mit ihrem Antrag gemeinsam mit dem Block gerade diese von mir aufgezeigten Dinge im Interesse der Demokratie verhindern.
Die zweite Frage ist die: Führt der von uns eingebrachte Antrag zu einer Zersplitterung, vor der
— das sage ich ehrlich und betone es noch einmal
— mit Recht gewarnt wird? Ich glaube, daß man dies in Ansehung der tatsächlichen Verhältnisse mit gutem Gewissen verneinen kann. Der Antrag ist aber geeignet, die Eigenständigkeit jener politischen Gruppen zu gewährleisten, die in den vergangenen Jahren, wie ich vorhin schon ausgeführt habe, eine staatspolitische Aufgabe im Raum dieser Demokratie, in der wir leben, ausgefüllt haben. Und vergessen Sie bitte nicht, daß es zwar relativ wenige, aber immerhin ein paar Millionen Wähler sind, die insgesamt von diesen Gruppen vertreten werden, und diese Wähler haben das Recht, auch in Zukunft durch diese ihre eigenständigen Gruppen vertreten zu werden. Auch dies vermögen meine Freunde nicht als einen Schaden für die Demokratie und für dieses Parlament zu sehen, sondern eher als einen Nutzen. Hinzu kommt, daß die letzte Entscheidung ja dem Wähler selbst überlassen bleiben muß und daß der Wähler entscheiden wird, welcher Gruppe er seine Stimme gibt, daß man aber diese Entscheidung des Wählers nicht durch ein Wahlgesetz der jetzt bestehenden Art einfach vorwegnehmen sollte.
Meine Damen und Herren, erlauben Sie mir nun bitte noch ein Wort zum Spruch des Bundesverfassungsgerichts, der natürlich auch von den Fraktionen der DP und des Blocks mit großem Ernst betrachtet wird. Die verfassungsrechtliche Entscheidung, die in Karlsruhe getroffen worden ist, wird von uns allen selbstverständlich gebührend respektiert. Diese Entscheidung besagt aber lediglich, daß das jetzt vorliegende Wahlgesetz nicht gegen das Grundgesetz verstößt. Sie besagt nicht, daß dieses Hohe Haus nicht in der Lage wäre, aus
den von mir vorgetragenen Gründen auch ein anderes Wahlgesetz zu schaffen, das nach den Erfordernissen unserer jetzigen Demokratie den Belangen dieser Demokratie besser entsprechen würde. Ich darf Sie, nachdem in verschiedenen Besprechungen auch in der Koalition die Frage der Karlsruher Entscheidung eine Rolle gespielt hat, daran erinnern, daß hier eine politische Entscheidung wieder einmal auf eine juristische Ebene geschoben worden ist, wie es in der Vergangenheit in diesem Hause ja auch in einigen Fällen exerziert worden ist. Ich hatte bereits in der Debatte über die Wehrpflichtverträge den Beifall dieses Hauses, als ich an jene unglückselige Entscheidung erinnerte, eine sehr gravierende politische Frage nicht hier im Hause zu entscheiden, sondern dem Verfassungsgericht vorzulegen.
Nun, meine Damen und Herren, kehren wir zur politischen Wirklichkeit zurück, wie sie sich in unseren Tagen darstellt. Da meine ich, daß wir zwar ein gewisses Verständnis aufzubringen vermögen, wenn man sich auf Karlsruhe beruft und mit dieser Berufung unsere Anträge abzulehnen versucht. Aber es fehlt meinen Freunden und den Angehörigen der Blockfraktion das Verständnis für die Argumente, die in diesem Zusammenhang von der größten Fraktion dieses Hauses vorgetragen werden. Wenn man meint, auf der einen Seite aus staatspolitischen Gründen einer Änderung des bestehenden Wahlgesetzes nicht zustimmen zu können, müßten die gleichen staatspolitischen Gründe selbstverständlich auch gegen jenes System von Wahlhilfen und Wahlabsprachen ins Feld geführt werden,
das im gleichen Atemzuge den kleineren politischen Gruppen in Aussicht gestellt wird.
Ich darf auch dies sine ira et studio in aller Sachlichkeit feststellen. Meine Freunde von der Deutschen Partei und die Kollegen von der Blockfraktion glauben, daß schon der Vorschlag solcher Wahlabsprachen einen gewissen Zwang für die kleineren Gruppen bedeutet, und den können wir uns im Interesse der Demokratie ebenfalls nicht leisten. Meine Damen und Herren, die beiden größten Parteien dieses Hauses können es sich aus staatspolitischen Gründen auch nicht leisten, nach der Wahl etwa nur Satelliten statt Partner zu haben.
Ich glaube, daß eine Konzentration der Kräfte in den wesentlichen Zielen, wie sie von meiner Fraktion und von der Block-Fraktion in vollem Umfang bejaht werden und in den vergangenen Jahren sichtbar verfolgt worden sind, nur auf dem Wege künftiger Gleichberechtigung, d. h. wahrer Partnerschaft, in Zukunft verwirklicht werden kann. Das ist der Sinn des Antrags, den die Deutsche Partei und der Block eingebracht haben. Wir wünschen Klarheit und wirkliche Eigenständigkeit für alle legitimen politischen Kräfte, nicht aber Taktik, die im staatspolitischen Gewande einhergeht, in der politischen Praxis aber unter Umständen zu anderen Zielen führt, was einer guten demokratischen Fortentwicklung nicht dienlich sein kann.
Zum Schluß lassen Sie mich bitte noch einmal — mit Genehmigung des Herrn Präsidenten — dem Hohen Hause die Verlautbarung zur Kenntnis geben, die die Fraktion der Deutschen Partei im Anschluß an die Einbringung des gemeinsamen Antrages mit der Block-Fraktion herausgegeben hat und in der die von mir vorgebrachten Punkte zusammengefaßt und nachdrücklich dargestellt sind.
In einem Leitartikel der „Welt" vom 20. Dezember 1956 wurde in ungewöhnlich scharfer Form gegen den von den Fraktionen des GB/BHE und der Deutschen Partei gemeinsam eingebrachten Antrag zur Änderung des Bundeswahlgesetzes Stellung genommen. Dazu traf die Deutsche Partei folgende Feststellungen, die auch in diesem Augenblick noch ihre volle Berechtigung haben:
1. Der Sinn der Sperrklausel kann nur sein, eine die Demokratie gefährdende Parteienzersplitterung zu verhindern. Sie darf aber nicht dazu führen, den Willen von Millionen Wählern zu vergewaltigen, die nicht gewillt sind, sich für eine der beiden großen Parteien zu entscheiden. Eine echte Demokratie muß daher auch den politischen Kräften außerhalb der Sozialdemokratie und der Christlich-Demokratischen Union eine parlamentarische Vertretung ermöglichen.
2. Dies kann nur geschehen, wenn die kleineren Parteien, soweit sie wie die Deutsche Partei über besonders ausgeprägte regionale Schwerpunkte mit politischem Eigengewicht verfügen und durch ihre staatspolitische Mitarbeit ihre Existenzberechtigung erwiesen haben, nicht in ihrer weiteren selbständigen Entwicklung durch eine Sperrklausel gehindert werden, die sie nötigen könnte, Wahlabsprachen mit größeren Parteien vornehmen zu müssen und dadurch ihre Entscheidungsfreiheit und Unabhängigkeit etwa zu gefährden.
3. Der Antrag der Deutschen Partei und des Blocks, bei der Verteilung der Sitze auf Landeslisten alle Parteien zu berücksichtigen, die mindestens in zwei Bundesländern je 5 % der gültigen Zweitstimmen erhalten oder in mindestens drei Wahlkreisen ein Direktmandat errungen haben, würde den kleinen Parteien die Selbständigkeit ihrer politischen Vertretung sichern, zugleich aber eine unvertretbare Parteienzersplitterung unmöglich machen. Die Behauptung, durch den Antrag des BHE und der DP würde den Splittergruppen Tür und Tor in den Bundestag geöffnet werden, muß als eine
— verzeihen Sie, ich zitiere das harte Wortunfreundliche Unterstellung bezeichnet werden. Die vom BHE und der DP vorgeschlagene Wahlgesetzänderung sollte auch von den beiden großen Parteien, der Sozialdemokratischen Partei und insbesondere der Christlich-Demokratischen Union, unterstützt werden, da sie daran interessiert sein müssen, in jedem Fall echte Koalitionspartner mit eigener politischer Linie und keine Satellitenparteien zu gewinnen.
Ich beantrage, den Antrag der beiden Fraktionen an den Wahlrechtsausschuß zu überweisen.