Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Änderungsantrag der CDU/CSU-Fraktion läuft darauf hinaus, ,daß keine Strafbestimmung in das Gesetz aufgenommen, daß also der § 67 in der alten Fassung, wie ihn Frau Dr. Ilk dargestellt hat, ganz gestrichen wird. Dieser Paragraph hat im Verlaufe der 21/2 Jahre, seit der Entwurf dem Bundestag und seinen Ausschüssen vorliegt, ein ziemlich wechselvolles Schicksal gehabt. Der Regierungsentwurf von 1954, der unter dem Ministerium Dehler entstanden ist, hat eine vollkommene Streichung der Vorschrift vorgesehen. Der Bundesrat hat die Aufrechterhaltung einer Strafbestimmung vorgeschlagen, jedoch in gemilderter Form. Es sollte bis zu 500 Mark Geldstrafe und drei Monaten Gefängnis gegangen werden können. Die Bundesregierung schloß sich diesem Antrag an, soweit es sich um die 500 Mark Geldstrafe handelte, konnte sich aber mit der Androhung einer Gefängnisstrafe nicht einverstanden erklären.
In den Ausschüssen hatte der Entwurf folgendes Schicksal. Der Rechtsausschuß entschied sich mit einer ganz knappen Mehrheit für eine Streichung jeder Strafvorschrift. Der Ausschuß für die innere Verwaltung lehnte — mit verschieden zusammengesetzten Mehrheiten — sowohl den Antrag auf Streichung als auch den auf eine mildere Strafvorschrift ab.
Auf diese Weise liegt Ihnen der Gesetzentwurf nunmehr mit der Bestimmung in der alten Fassung des Jahres 1937 vor. Wenn sich der Bundestag nicht zur Annahme eines Änderungsantrages entschließt, bleibt die Bestimmung des Jahres 1937 bestehen, wonach derjenige, der eine kirchliche Trauung vor der standesamtlichen Eheschließung vornimmt, mit Geldstrafe oder Gefängnis, d. h. bis zu fünf Jahren, bestraft wird.
Unser Antrag geht auf eine Wiederherstellung des Regierungsentwurfs vom Jahre 1954, d. h. auf eine Streichung jeder Strafbestimmung. Die Strafbestimmung des Personenstandsgesetzes mit der Androhung einer Kriminalstrafe von Gefängnis bis zu fünf Jahren ist im Grunde genommen ein
*) Siehe Anlage 5. Fremdkörper in einem Gesetz, das in seinen übrigen 70 Paragraphen Verwaltungsvorschriften mit Erzwingungsstrafen mit geringen Geldstrafen enthält. Diese Strafbestimmung, die aus dem Rahmen der übrigen Erzwingungsbestimmungen fällt, stammt aus dem Jahre 1875, und zwar aus einer ganz bestimmten Situation. Man schuf damals zur Sicherung der neu eingeführten und umstrittenen obligatorischen Zivilehe eine Sanktion. Grundsätzlich ist es aber nicht unsere Meinung, daß jede Verpflichtung, deren Erfüllung der Staat von einem Bürger, sei dieser Bürger nun ein Geistlicher oder ein Nichtgeistlicher, erwartet, durch Strafbestimmungen gesichert werden muß. Im Gegenteil, wir sehen in der Demokratie die wünschenswertere Ordnung da, wo sie aus sich heraus, auf Grund ihrer Vernünftigkeit und Rechtlichkeit überzeugend und zwingend wirkt. Das gilt im allgemeinen insbesondere für Verpflichtungen der öffentlich-rechtlichen Körperschaften.
Die Auseinandersetzung, die sich jetzt um diese Bestimmung entwickelt hat, geht um die Frage, ob aus besonderen Gründen heute noch eine strafrechtliche Sicherung der obligatorischen Zivilehe nötig und sinnvoll ist. Die rechtliche und tatsächliche Situation in bezug auf diese Frage ist folgende. § 13 des Ehegesetzes lautet:
Die Ehe wird dadurch geschlossen, daß die Verlobten vor dem Standesbeamten persönlich und bei gleichzeitiger Anwesenheit erklären, die Ehe miteinander eingehen zu wollen.
Hier ist die Rechtsgrundlage für die zivile Eheschließung. Diese Bestimmung ist und bleibt geltendes Recht. Sie wird von einer Streichung des § 67, von einer Änderung der Strafbestimmungen nicht berührt. Sie bleibt geltendes Recht, es sei denn, daß dieser Bundestag oder ein späterer Bundestag sich zu einer Änderung entschließt.
Diese Regelung bedeutet, daß, auch wenn wir den § 67 streichen, nach wie vor nur die aus einer vor dem Standesbeamten geschlossenen Ehe hervorgegangenen Kinder die Rechte ehelicher Kinder haben, daß nur durch diese Eheschließung Unterhaltsansprüche der Ehegatten, insbesondere der Ehefrau, entstehen, daß das Erbrecht, insbesondere von Ehefrau und Kindern, von dieser zivilen Eheschließung abhängig ist. Das bedeutet also, daß ein Pfarrer, der seine Gemeindeglieder vor Unordnung, Konflikten und Enttäuschungen bewahren will, schon deshalb gehalten ist, auf der standesamtlichen Eheschließung zu bestehen.
Daß es trotzdem überhaupt eine Strafdrohung gab, ist aus den Zeitverhältnissen, unter denen dieser Paragraph entstanden ist, zu erklären. Damais haben sich ja beide Kirchen, insbesondere die katholische, gegen die Einführung der obligatorischen Zivilehe gewandt. Dieser Protest galt damals nicht nur der Strafbestimmung des § 67, sondern auch der Einführung der zivilen Eheschließung überhaupt, und um dieses Protestes willen wurde die Strafandrohung eingeführt. Von dieser Bestimmung wurde nach der allerersten Anfangszeit jahrzehntelang kaum Gebrauch gemacht, da nach einer kurzen Übergangszeit die obligatorische Zivilehe sich in der Praxis einführte. Die katholischen Pfarrer nahmen die staatliche Ordnung an; das Interesse der Verlobten, ihre Ehe in einer Form zu schließen, die ihre bürgerlich-rechtliche Wirksamkeit garantierte, entschied im praktischen Leben, und jahrzehntelang gab es in der Praxis keinen Verstoß gegen die staatliche Ordnung.
Konflikte entstanden erst wieder im „Dritten Reich", als Rassenmischehen nicht standesamtlich getraut werden durften. Damals gewährten Geistliche beider Kirchen in Einzelfällen nichtarischen Christen den geistlichen Zuspruch, den für diese Menschen in dieser Situation die kirchliche Eheschließung bedeutete. Für die katholischen Nichtarier hatte sie darüber hinaus die kirchliche und kirchenrechtliche Bedeutung des Sakraments. Damars wurde von den Auffassungen des „Dritten Reichs" her die Strafvorschrift durch eine Novelle auf fünf Jahre Gefängnis verschärft, und diese Fassung liegt Ihnen heute vor.
Die Gründe, die im Jahre 1937, und auch die Gründe, die im Jahre 1875 für eine strafrechtliche Sicherung der Zivilehe maßgebend waren, bestehen heute zweifellos nicht mehr. Allerdings erschien es vielen von uns, auch Mitgliedern der CDU/CSU-Fraktion, eine Zeitlang zweifelhaft, ob man jetzt auf jede Sanktion der bisherigen Eheschließungspraxis verzichten könne. Denn wir wissen alle, daß in den Jahren 1953 und 1954 eine Reihe von Trauungen der sogenannten Onkelehen vorgenommen wurden, bei denen keine standesamtliche Eheschließung beabsichtigt war. Diese kirchlichen Trauungen verstießen gegen die bestehende Ordnung, gegen den § 67 des Personenstandsgesetzes. Sie verstießen auch gegen das Konkordat zwischen der Katholischen Kirche und dem deutschen Staat, in dem die Ausnahmen, die zu einer kirchlichen Trauung ohne vorangegangene zivile Eheschließung berechtigen, einzeln aufgezählt sind.
Im Laufe der Auseinandersetzungen über diese Frage, insbesondere über die Haltung der Katholischen Kirche zu dieser Frage, gab Prälat Böhler, der Vertreter der Katholischen Kirche bei der Bundesregierung, ein Interview. Er wurde gefragt:
Würde die Kirche die Streichung des § 67 zum
Anlaß nehmen, um eine Änderung ihrer Eheschließungspraxis herbeizuführen?
Er antwortete:
Ich kann erklären, daß die Katholische Kirche das nicht beabsichtigt. Sie will ja keine Unordnung, sondern Ordnung, und für die besonderen Gewissenfälle reichen die Bestimmungen des Konkordats aus.
In dem gleichen Zusammenhang wurde zu der Frage, wie diese Gewissensfälle aussehen können und wie sie nicht aussehen können, ein Schriftwechsel zwischen dem Auswärtigen Amt und dem Vatikan geführt, der zu folgender Erklärung des Vatikans führte, die nunmehr aller Öffentlichkeit vorgelegt worden ist. Zunächst einmal wird gesagt, daß ein sittlicher Notstand nicht vorliegt, wenn für die Nupturienten mit dem Vollzug der Ziviltrauung ausschließlich wirtschaftliche Nachteile verbunden wären. Das ist aber der Typ der Onkelehe. Es wird weiter gesagt, daß ein derartiger Gewissensfall niemals dann vorliegt, wenn die in dem Ansuchen der Nupturienten um Vornahme der kirchlichen Trauung vorgebrachten Gründe den Vollzug der Ziviltrauung nach der kirchlichen Einsegnung der Ehe ausschließen.
Auch diese von der höchsten autoritativen Stelle der Katholischen Kirche abgegebene Erklärung stellt klar, daß der in unseren Tagen kurze Zeit aktuell gewordene Sonderfall der Onkelehen keinen Grund gibt, von der gegebenen Ordnung abzuweichen. Es wird eine Zusage der Katholischen Kirche gegeben, daß nur in den bisher schon bestimmten Ausnahmefällen vor der standesamtlichen Eheschließung kirchlich getraut werden kann. Insbesondere ist klargestellt, daß die einzigen in der Praxis wirklich aktuellen Streitfälle, die Onkelehen, kein Anlaß mehr für eine Abweichung von der ordnungsmäßigen Reihenfolge von kirchlicher und standesamtlicher Trauung sind.
Ohne Zweifel gibt es innerhalb des Katholizismus Stimmen, die für die Zukunft eine Änderung des Eheschließungsrechts wollen. Sie wollen eine fakultative kirchliche Eheschließung einführen. Die Evangelische Kirche und, wie ich annehme, der weitaus größte Teil der evangelischen Bevölkerung wollen an der obligatorischen Zivilehe festhalten. Ob der Gesetzgeber jemals, frühestens in einem späteren Bundestag, zu einer Änderung des Rechts kommt, ist eine Frage der Zukunft. Für uns handelt es sich heute darum, ob die heutige Rechtslage, d. h. die obligatorische Zivilehe in ihrer jetzigen Fassung und die bisherige Reihenfolge von kirchlicher und standesamtlicher Trauung auch ohne eine Strafvorschrift gesichert ist. Die Katholische Kirche hat ihre Erklärungen abgegeben. Die Evangelische Kirche und die Freikirchen sind, abgesehen von Einzelfällen während des „Dritten Reichs", von dieser Praxis nie abgewichen.
Ich glaube, daß die Strafbestimmung zur Zeit nicht mehr zur Aufrechterhaltung der geltenden Ordnung erforderlich ist. Wir glauben allerdings, daß ein Strafgesetz da nicht am Platz ist, wo eine Ordnung von selbst wirksam ist.
Bei dieser Strafbestimmung, dem § 67 des Personenstandsgesetzes, kommt noch eines hinzu, nämlich daß sie auf Grund ihrer ganzen Geschichte für unsere katholischen Mitbürger eine innere Belastung bedeutet. Sie ist für sie mit der Erinnerung an die bitteren Zeiten des Kulturkampfes verbunden, und sie bringt ein Mißtrauen gegen den katholischen Pfarrer zum Ausdruck, der seit nunmehr fast 80 Jahren die vom Staat eingeführte Eheschließungspraxis befolgt hat — von den ganz geringen Abweichungsfällen abgesehen — und der jetzt nochmals durch eine klare Anweisung des Vatikans gebunden worden ist. Schließlich ist es für den Katholiken schwer tragbar, daß der Staat eine geistliche Handlung eines katholischen Pfarrers, ein Sakrament, überhaupt unter Strafe stellt.
Aus seinem Verständnis der Kirche, des Sakraments und der Aufgaben und Rechte des Staates ist dies — das müssen wir evangelischen Christen verstehen — schwer zu ertragen. In der Bundesrepublik leben fast gleichviel evangelische und katholische Mitbürger in einem Staat zusammen. Es gibt Gegenden, in denen die evangelischen, es gibt andere, in denen die katholischen Christen in der Minderheit sind. Wir müssen und wir wollen überall tolerant miteinander zusammenleben.
Wir evangelischen Christen fordern für unsere Art zu leben, für unsere Überzeugung und auch für unsere Gefühle Achtung. Aber wir wollen auch die Gefühle, die dem Protest unserer katholischen Mitbürger gegen diese alte Strafbestimmung zugrunde liegen, achten.
Wir können diese Gefühle achten, nachdem die
Katholische Kirche durch autoritative Erklärungen
ihre Bereitschaft zur Wahrung der Ordnung der obligatorischen Zivilehe und des zeitlichen Vorrangs der standesamtlichen Eheschließung erklärt hat. Wir sollten darauf vertrauen, daß in diesen Erklärungen der Wille zum Ausdruck kommt, die zur Zeit geltende Ordnung zu wahren, und wir sollten die Sicherung dieser Verpflichtung durch eine Strafbestimmung als nicht mehr notwendig und deshalb unrichtig streichen.