Rede von
Dr.
Hermann
Kopf
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU/CSU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Den Gegenstand unserer Debatte bildet die Frage, ob die Strafbarkeit des Geistlichen, der ohne vorherigen Vollzug der standesamtlichen Eheschließung eine kirchliche Trauung vornimmt, im Personenstandsgesetz aufrechterhalten werden soll oder nicht.
Was ist der Zweck dieser Bestimmung des § 67 des Personenstandsgesetzes? Es soll hierdurch eine strafrechtliche Sicherung des staatlichen Prioritätsanspruchs — ich komme auf diesen Begriff gleich zurück — hinsichtlich der standesamtlichen Eheschließung erfolgen. Es soll, wie von anderer Seite ausgeführt worden ist, die obligatorische Zivilehe durchgesetzt und die Anerkennung der Wirksamkeit der staatlichen Eheschließung gesichert werden. Es soll, wie ich bei einem anderen Autor gelesen habe, eine repressive Maßnahme mögliche oder denkbare kirchliche Übergriffe abwehren.
Wir haben einiges über die geschichtliche Entwicklung dieser Bestimmung gehört. Frau Schwarzhaupt hat vorhin in ihrer Begründung gesagt — ich habe den Text hier —, daß diese Einrichtung des § 67 mit der Erinnerung an die bitteren. Zeiten des Kulturkampfes verbunden ist und ein Mißtrauen gegenüber dem katholischen Pfarrer zum Ausdruck bringt, der nunmehr seit fast 80 Jahren die vom Staat eingeführte Eheschließungspraxis befolgt. Herr Dr. Arndt hat darauf hingewiesen,
daß die Einführung der Strafbestimmung, die dem heutigen § 67 des Personenstandsgesetzes entspricht, nicht erst in der eigentlichen Kulturkampfzeit erfolgt sei, sondern daß bereits das Strafgesetzbuch des Norddeutschen Bundes aus dem Jahre 1870 eine ähnliche Bestimmung vorgesehen habe.
Man muß sich aber eins vergegenwärtigen. Die Einführung der obligatorischen Zivilehe durch den Norddeutschen Bund ist im Gegensatz zu den Wünschen beider Kirchen, auch den Wünschen der evangelischen Kirche erfolgt. Diese obligatorische Zivilehe mußte sich erst langsam durchsetzen und konnte erst allmählich in den Gewohnheiten und in den Vorstellungen der davon Betroffenen Platz greifen. Daraus erklärt sich, daß sich schon damals, im Zeitpunkt der Einführung, lebhafte Widerstände auf seiten der Angehörigen beider Konfessionen gegen die obligatorische Zivilehe bemerkbar gemacht haben. Um diese Widerstände zu überwinden, hat man diese repressive Strafbestimmung eingesetzt. Es ist selbstverständlich, daß sich die Einstellung, die der Kulturkampfzeit eigen war, bei der Neufassung der gesetzlichen Bestimmungen im Jahre 1875, also in der Hochblüte der Kulturkampfzeit, dadurch ausdrückte, daß diese Bestimmungen beibehalten worden sind. Wir wissen auch, daß in der nationalsozialistischen Zeit der Strafrahmen verstärkt worden ist.
Wir haben vorhin von der Zwecksetzung gesprochen, den staatlichen Prioritätsanspruch durch die standesamtliche Eheschließung zu sichern. Dieses Wort von der Priorität bedarf einer Erläuterung. Ich bin dem Herrn Kollegen Arndt dankbar, daß er in der Sitzung des Rechtsausschusses vom 11. November 1954 eine wesentliche Einsicht zum Ausdruck gebracht hat. Herr Dr. Arndt hat in dieser Sitzung gesagt:
Der Staat ist völlig außerstande, seiner staatlichen Einrichtung einen Vorrang vor kirchlichen Einrichtungen zu geben. . . . Der Sinn ist vielmehr stets die zeitliche Reihenfolge, ...
Die Frage scheint daher zu sein, ob das rein zeitliche Vorangehen in der Tat einer strafrechtlichen Sicherung bedürfe. Wenn es aber so ist, wie Herr Arndt es gesagt hat, daß dieser Vorrang der staatlichen Eheschließung vor der kirchlichen Trauung lediglich den Sinn hat, eine zeitliche Reihenfolge der beiden Akte festzusetzen, und wenn durch diese Regelung nichts über ,den Wert der beiden Akte und ihre Einordnung in das kirchliche und das bürgerliche Wertsystem ausgesagt wird, dann erhebt sich tatsächlich die Frage, ob die Verletzung einer bloßen Ordnungsvorschrift, einer Vorschrift, die sich auf die Ordnung der rein zeitlichen Reihenfolge erstreckt, eine kriminelle Strafe rechtfertigt.
Die Strafe, die heute im Gesetz noch vorgesehen ist und die der Ausschuß dem Plenum zur Annahme empfohlen hat, ist keineswegs die Buße, die für eine Ordnungswidrigkeit festgesetzt zu werden pflegt, sondern sie ist eine kriminelle Strafe. Ich erkenne an, daß der Antrag, den Herr Dr. Arndt heute verlesen hat, in einem inneren und logischen Zusammenhang mit den Ausführungen steht, die er damals im Rechtsausschuß gemacht hat. Wenn darauf hingewiesen worden ist, daß die vorzeitige Vornahme einer kirchlichen Trauung lediglich die Reihenfolge der beiden Akte störe, daß eine Verletzung der Ordnung hinsichtlich der Reihenfolge vorliege, dann ist es durchaus logisch,
daß, wenn überhaupt eine Bestrafung stattfindet, sie nicht wegen einer kriminellen Handlungsweise, sondern nur wegen einer Ordnungswidrigkeit stattfinden könnte.
Die Frage ist die: Soll die Verletzung dieser Reihenfolge, die das bürgerliche Recht vorsieht, tatsächlich unter Strafe gestellt werden? Ist es wirklich so, daß ein Rechtsvakuum vorliegt und daß es notwendig ist, dieses Rechtsvakuum durch eine Strafdrohung auszufüllen, sei es, daß man eine kriminelle Strafe, sei es, daß man eine Ordnungswidrigkeitsstrafe vorsieht? Ich glaube nicht, daß dem so ist.
Zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Katholischen Kirche besteht das Konkordat. Es sieht vor, daß die kirchliche Einsegnung der Ehe vor der Ziviltrauung nur in zwei Fällen vorgenommen werden darf, einmal im Falle einer lebensgefährlichen, einen Aufschub nicht gestattenden Erkrankung — gerade dieser Fall ist auch in der jetzt geltenden und in der vom Ausschuß vorgeschlagenen Fassung des § 67 des Personenstandsgesetzes ausdrücklich aufgenommenen — und zweitens im Falle eines schweren sittlichen Notstandes, dessen Vorhandensein von der bischöflichen Behörde bestätigt sein muß.
Ich möchte anerkennen, daß in dem Änderungsantrag, den Herr Dr. Arndt soeben begründet hat, dieser Text des Konkordats mit aufgenommen ist.
Das Konkordat schafft Recht für die Kirche und für den Staat, und es ist nicht nur für den Staat selbst verbindlich, sondern auch für die einzelnen, selbstverständlich auch für den Träger der geistlichen Gewalt. Der bloße Umkehrschluß aus dieser Fassung des Art. 26 des Konkordats besagt, daß, wenn die beiden fest umgrenzten Ausnahmetatbestände nicht gegeben sind, der Geistliche auf Grund des Konkordats, durch das kanonische Recht und durch sein Gewissen gehalten ist, die zeitliche Priorität der staatlichen Eheschließung zu berücksichtigen.
Der Notenwechsel, der unlängst zwischen dem Vatikan und der Bundesregierung stattgefunden hat und in dem auch Ihnen bekannten Bulletin vom 2. Februar 1957 auf Seite 203 abgedruckt und von Frau Dr. Schwarzhaupt verlesen worden ist, hat nun die Anwendungsmöglichkeiten dieses Art. 26 des Konkordats klargestellt. Er handelt über die Auslegung dieser Bestimmung und bringt nach dem übereinstimmenden Willen der beiden Vertragschließenden zum Ausdruck, daß ein schwerer sittlicher Notstand nicht gegeben sein soll, „wenn mit dem Vollzug der Ziviltrauung für die Nupturienten ausschließlich wirtschaftliche Nachteile verbunden wären". Er spricht ferner aus, daß nach Art. 26 des Konkordats beim Vorliegen der dort vorgesehenen Umstände die kirchliche Einsegnung der Ehe vor der Ziviltrauung vorgenommen werden darf, daß aber hierbei immer vorausgesetzt wird, daß die Ziviltrauung der kirchlichen Einsegnung der Ehe folgen soll und daß die Bestimmung nicht anwendbar ist, „wenn die in den Ansuchen der Nupturienten um Vornahme der kirchlichen Trauung vorgebrachten Gründe den Vollzug der Ziviltrauung nach der kirchlichen Einsegnung der Ehe ausschließen."
Das bedeutet, daß ein ganz wesentlicher Fall, der einzige Fall, der Anlaß zur Kritik gegeben hat, nicht mehr unter die Anwendungsmöglichkeiten dieses Art. 26 fallen soll, der Fall der sogenannten
Onkelehe oder des sogenannten Rentenkonkubinats.
Ich glaube, daß die gemeinsam vereinbarte Auslegung der maßgebenden Organe der Bundesrepublik ,und des Heiligen Stuhls dazu beitragen wird, etwaige Unklarheiten zu beseitigen und vor allem den Fall, der die Kritik in erster Linie ausgelöst hat, für die Zukunft unmöglich zu machen. Nachdem aber nunmehr diese Klarstellung erfolgt ist, besteht nach meiner Meinung kein Vakuum mehr; es ist vielmehr im Bereiche des bürgerlichen Rechts die obligatorische Zivilehe als solche nach wie vor anerkannt und unangefochten. Auf der anderen Seite ist klargestellt, unter dem Vorliegen welcher Voraussetzungen die Ausnahmebestimmungen des Art. 26 Anwendung finden dürfen. Der Geistliche, der die kirchliche Trauung vollzieht, ist an diese Anwendungsbestimmungen gebunden.
Aber noch ein Irrtum bedarf einer Berichtigung. Weit verbreitet ist die Meinung, die bürgerlichrechtlichen Bestimmungen der nationalen Gesetzgebungen seien für die Katholische Kirche wenig interessant, ja vielleicht sogar nicht einmal beachtlich. Das ist ein vollkommener Irrtum, und ich darf Ihnen die maßgebende Bestimmung des Kirchlichen Gesetzbuchs zitieren. Es handelt sich um den Kanon 1016 des Codex Iuris Canonici. Ich zitiere ihn der Vereinfachung wegen deutsch; ich habe den lateinischen Text vorsorglich mitgebracht. Er lautet:
Die Ehe der Gläubigen untersteht nicht nur dem göttlichen, sondern auch dem kanonischen Recht,
— und nun kommt ein entscheidender Zusatz — vorbehaltlich der Zuständigkeit der staatlichen Gewalt bezüglich der rein bürgerlichen Wirkungen der Ehe.
Aus diesem Zusatz ergibt sich, daß die Kirche den Inhalt eines solchen Vorbehaltes respektiert und daß die Respektierung derartiger bürgerlich-rechtlicher Regelungen keineswegs im Gegensatz zu den von der Kirche in ihrem Gesetzgebungswerk niedergelegten Grundsätzen steht. Es trifft also nicht zu, daß die Respektierung der obligatorischen Zivilehe durch die grundlegenden kirchlichen Bestimmungen in ihrer Anwendung in Frage gestellt würde.
Der § 67 des Personenstandsgesetzes enthält eine Diskriminierung der Geistlichen. Diese Behauptung ist allerdings bestritten worden. In den Ausführungen im Rechtsausschuß ist mitunter darauf hingewiesen worden, daß es nicht nur den Stand des Geistlichen gebe, sondern auch andere Berufsstände, z. B. den Stand des Beamten und den Stand des Rechtsanwalts, die auch einem besonderen Berufsstrafrecht unterworfen seien. Mir scheint jedoch ein ganz wesentlicher Unterschied zwischen den Handlungen, die die Mitglieder solcher weltlichen Berufsstände vornehmen können, auf der einen Seite und den Akten vorzuliegen, wegen derer der Geistliche in § 67 mit Strafe bedroht wird. Denn wenn eine Bestrafung des Geistlichen wegen dieser im § 67 genannten Handlungen erfolgt, so erfolgt sie wegen eines Aktes, den der Geistliche als Inhaber der geistlichen Gewalt, als Verwalter der Gnadenmittel ausübt.
Die Aufrechterhaltung des § 67 würde in zwei Punkten eine wesentliche Diskriminierung des Geistlichen bedeuten. Der Geistliche würde anders behandelt werden als die beiden eheschließenden
Personen. Sie sind nach dem jetzigen Stand des Rechtes straffrei, obwohl es nach katholischer Auffassung die Ehepartner sind, die sich unter Mitwirkung des Geistlichen das Sakrament selber spenden. Die Aufrechterhaltung dieser Bestimmung bedeutet somit einen Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz unseres Rechts.
Zweitens liegt aber auch eine Diskriminierung des Geistlichen im Verhältnis zum Standesbeamten vor. Ich bin auf eine interessante Tatsache gestoßen, die in der bisherigen Diskussion noch nicht hervorgehoben worden ist. Auch der Standesbeamte unterlag ursprünglich nach dem Gesetz von 1875 einer Bestrafung.
Das alte Personenstandsgesetz hatte
— ich zitiere hier mit Erlaubnis das Werk von Stölzel, Personenstandsgesetz —
noch eine weitere Sicherung der Ehe, indem es dem Standesbeamten eine kriminelle Geldstrafe von 300 bis 600 Mark, seit 1924 von 3000 bis 10 000 Mark androhte, wenn er bei Vollziehung, d. h. Entgegennahme einer Eheschließung irgendeine gesetzliche Vorschrift außer acht ließ. Das Personenstandsgesetz neuer Fassung hat das fallenlassen.
Und nun kommt eine sehr interessante Erläuterung:
Zwar wird die Bedeutung der Ehe und die Wichtigkeit der genauen Einhaltung des Eherechts jetzt nicht geringer geschätzt als ehedem, im Gegenteil; aber man vertraut nach den gemachten Erfahrungen dem Standesbeamten, daß er auch ohne kriminelle Strafandrohung das Eherecht genauestens beachtet.
Ich stelle die Frage: Wenn der Gesetzgeber, wie es hier heißt, dem Standesbeamten dahin vertraut, daß er auch ohne Androhung einer kriminellen Strafe das Eherecht genauestens beachtet, warum sollten wir nicht auch dem Geistlichen Vertrauen schenken, daß er die für ihn bindenden Vorschriften des bürgerlichen Rechts, des kanonischen Rechts, auch des Konkordats, auch beachtet?
Und wenn wir glauben sollten, daß die Gefahr einer Nichtbeachtung durch den Geistlichen gegeben sei, während die Annahme der Gefahr einer Nichtbeachtung durch den Standesbeamten einen Verstoß gegen unsere Vertrauensleistung bedeuten würde, würden wir dann nicht eine Diskriminierung vornehmen, und ist es uns nicht untersagt, derartige Diskriminierungen vorzunehmen?
Die Aufrechterhaltung des § 67 würde den Geist des Mißtrauens atmen. Eine solche Strafbestimmung ist aber auch gar nicht nötig, weil die Kirche die zeitliche Reihenfolge respektiert und der Geistliche zur Einhaltung der Konkordatsbestimmungen kirchenrechtlich und in seinem Gewissen verpflichtet ist.
Es besteht aber auch nicht die Gefahr einer Nichtbeachtung bei den kleinen Religionsgesellschaften. Es ist einmal im Ausschuß bemerkt worden, bei den großen Religionsgesellschaften könne man dieses Vertrauen den Geistlichen ja wohl entgegenbringen, aber bei den kleinen Religionsgesellschaften, da müsse man doch zweifeln. Ein Teil dieser Religionsgemeinschaften erkennt den sakramentalen Charakter der Ehe nicht an. Ich glaube,
daß sich die eigentliche Konfliktlage in der Hauptsache im allgemeinen doch erst dann ergibt, wenn eine Kollision zwischen der sakramentalen und der bürgerlich-rechtlichen Eheauffassung Platz greift. Bei den anderen Religionsgemeinschaften ist — man könnte das im einzelnen nachweisen — keineswegs damit zu rechnen, daß sie eine Durchbrechung der staatlichen Normen über die Ehe beabsichtigen.
Die Strafbestimmung entspricht aber auch nicht unserer heutigen Auffassung über das Verhältnis von Staat und Kirche. Ich möchte vielmehr sagen, daß ich in dieser Strafbestimmung noch ein Relikt aus einer längst vergangenen Zeit des Staatskirchentums erblicke. Wenn auch die Weimarer Verfassung nicht mehr diese Einrichtung des Staatskirchentums kennt — sie hat es ausdrücklich ausgeschlossen —, ist merkwürdigerweise dieses Relikt wie ein Fossil bis in unsere heutige Zeit hinein aufrechterhalten worden. Unsere Zeit geht aber davon aus, daß zwischen Staat und Kirche der beiderseitige gute Wille zur Koordination und zur Verständigung bestehen sollte. Ich zitiere ein Wort, das Herr von Brentano am Abschluß der Arbeiten des Parlamentarischen Rates gebraucht hat, als er von den kirchenpolitischen Lösungen des Grundgesetzes sprach. Er sagte damals, es sei hier versucht worden und erfolgt „eine Überwindung eines ausschließlich staatsbezogenen Denkens, die Abkehr von einer etatistischen Grundauffassung und dem Gedanken einer jeden Staatsomnipotenz."
Schließlich erhebt sich aber auch die Frage, inwieweit die Bestimmung des § 67 des Personenstandsgesetzes jetziger Fassung mit den Normen unseres Grundgesetzes vereinbar ist. Wir haben den Art. 4 Abs. 2, der eine ungestörte Religionsausübung gewährleistet. Wir haben die Freiheit des Glaubens, des Gewissens, und die Freiheit des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses, die unverletzlich sind. Wir haben die Vorschrift, daß jede Religionsgesellschaft ihre Angelegenheiten selbständig innerhalb der Schranken des für alle geltenden Gesetzes ordnet und verwaltet.
Ich kann nicht unerwähnt lassen eine Entscheidung des österreichischen Bundesverfassungsgerichts vom November letzten Jahres. Ich habe sie mit Aufmerksamkeit gelesen, und es fiel mir auf, daß die gesetzlichen Normen, die zum Gegenstand der Rechtsfindung dieses höchsten österreichischen Gerichts gemacht worden sind, auffällig mit den rechtlichen Normen in der Gesetzgebung der Bundesrepublik übereinstimmen. Der § 67 des österreichischen Personenstandsgesetzes, um dessen Rechtsgültigkeit es sich handelte, hat denselben Wortlaut wie unser § 67. Die Verfassungsgrundsätze der österreichischen Verfassung und die Gesetze, die zur Anwendung gekommen sind, haben zwar nicht denselben Wortlaut, aber wohl denselben Sinn und dieselbe Tragweite wie die Bestimmungen unseres Grundgesetzes, die ich soeben zitiert habe. Das österreichische Oberste Verfassungsgericht hat die Bestimmung des § 67 aufgehoben, weil sie in Widerspruch zur Verfassung stehe.
Ich möchte diese verfassungsrechtliche Betrachtung nicht vertiefen. Es ist nicht ausgeschlossen, daß der durch das Landgericht Passau entschiedene Fall, der zur Zeit dem Bundesgerichtshof zur Entscheidung vorliegt auch noch einmal dem deutschen Bundesverfassungsgericht vorgelegt werden könnte. Ich möchte daher keineswegs hier irgendwelchen Argumenten vorgreifen. Aber allein schon die Möglichkeit, daß die Aufrechterhaltung des § 67 uns in Widerspruch mit bestehenden Verfassungsbestimmungen bringen könnte, sollte uns davon abhalten, diese Bestimmung in der vom Ausschuß vorgeschlagenen Fassung aufrechtzuerhalten.
Schließlich möchte ich einen Gedanken ausdrücken, den ich seinerzeit in einer Sitzung des Rechtsausschusses entwickelt habe. Ich habe damals von einem gewissen Automatismus der bürgerlichen Rechtsordnung gesprochen, und ich habe darunter den Tatbestand verstanden, daß die Existenz der obligatorischen Zivilehe die Tendenz in sich trägt, sich selbst durchzusetzen, ohne daß es einer strafrechtlichen Sanktion bedarf. Denn alle diejenigen, die diesen Rechtstatbestand nicht einhalten sollten, die an ihm vorübergehen sollten, vielleicht unter Berufung auf die falsch verstandenen Ausnahmebestimmungen des Konkordats, werden der Rechtsvorteile, werden der Privilegien, werden der Rechtspositionen verlustig gehen, die die Bestimmungen des bürgerlichen Rechts eröffnen. Die Kinder aus einer solchen Ehe würden uneheliche Kinder sein, und es würden Unterhaltsansprüche nicht entstehen in Fällen, in denen sie nach dem bürgerlichen Recht entstehen würden. So wirkt die Aufrechterhaltung unserer obligatorischen Zivilehe in dem Sinne, daß sie die Beteiligten zwingt, selbst wenn sie anderer Auffassung sein sollten, dieses Institut und die Vorschriften des bürgerlichen Rechts zu respektieren. So setzt sich durch sein bloßes Vorhandensein und durch den Automatismus der Gesetzgebung des Familienrechts dieser Grundgedanke der obligatorischen Zivilehe in der Praxis durch.
Es ist seitens des Herrn Dr. Arndt ein Änderungsantrag gestellt worden. Er sieht vor, daß § 67 in der jetzigen Form, wie sie vom Ausschuß vorgeschlagen worden ist, zwar nicht aufrechterhalten werden soll, daß die Bestrafung wegen einer angeblich kriminellen Handlungsweise in Fortfall kommen soll, daß aber die Bestrafung wegen dreier Tatbestände von Ordnungswidrigkeiten normiert werden soll.
Ich möchte bei einer gerechten Würdigung dieses Vorschlags die positiven Seiten anerkennen, auch wenn ich selber zur Ablehnung dieses Vorschlages kommen muß.
Ich erblicke eine der positiven Seiten darin, daß in dem ersten Tatbestand, wenn ich recht verstanden habe — ich habe den Text nicht vor mir liegen — die Ausnahmebestimmungen des Konkordats mit eingeführt worden sind, und zwar beide Ausnahmetatbestände, während die jetzige Fassung des § 67 des Personenstandsgesetzes nur den einen Ausnahmetatbestand einer schweren Krankheit in den Inhalt aufgenommen hat. Insofern läge ein Fortschritt vor.
Ich begrüße auch. daß der Antrag der Erkenntnis Rechnung trägt, daß eine kriminelle Strafe ganz bestimmt nicht am Platze ist; weil nur die Reihenfolge in der Ordnung der Ereignisse verletzt worden ist und weil hier keineswegs ein krimineller Tatbestand, sondern nur eine Nichtbeachtung der vom Staat gewünschten Ordnung vorliegt.
Trotzdem bin ich der Meinung, daß man diesem Antrage nicht stattgeben sollte und daß er auch nicht notwendig ist. Ich glaube hier ausgeführt zu haben, daß unsere Rechtsordnung, wie wir sie
heute nach Streichung des § 67 vorfinden, keineswegs das angebliche Rechtsvakuum aufreißt, daß vielmehr gerade die handelnden Personen, die heute noch im § 67 unter bestimmten Umständen für strafbar erklärt worden sind, keineswegs nach ihrer Willkür zu handeln vermögen, sondern gebunden sind durch die staatsrechtlich und kirchenrechtlich bedeutsamen Normen des Konkordats, durch die Bestimmungen des Kirchenrechts und durch die Auslegungsbestimmungen, die neuerdings durch den von mir zitierten Notenwechsel klargelegt worden sind. Es liegt hier keineswegs die Möglichkeit einer Willkür und damit auch nicht die Möglichkeit eines Mißbrauchs vor. Gerade der Geistliche wird zu denjenigen Berufsständen zu rechnen sein, die sich in ganz besonderem Maße der Verpflichtung zu einer sorgfältigen Prüfung in allen Gewissensfällen bewußt sind.
Weil wir die Notwendigkeit dieser Bestimmung nicht einzusehen vermögen, weil wir in dieser Bestimmung ein Relikt aus einer vergangenen Zeit des Staatskirchentums erblicken, weil diese Bestimmung nicht dem geläuterten Verhältnis, einer guten Harmonie und dem wechselseitigen Verständnis zwischen Staat und Kirche Rechnung trägt, weil die Bestimmung überflüssig ist und weil hinsichtlich ihrer verfassungsrechtlichen Geltung wesentliche Zweifel bestehen, halten wir ihre Streichung für notwendig und haben sie beantragt. Wir möchten durch die Streichung dieser Bestimmung jedem der beteiligten Teile das Seinige geben, nämlich dem Staate das Recht, die Form der Eheschließung und ihre rechtlichen Wirkungen im Rahmen des bürgerlichen Rechts zu bestimmen, der Kirche das Recht, bei Respektierung der staatlichen Ordnungsvorschriften den Gläubigen die kirchlichen Gnadenmittel zu vermitteln, und schließlich dem Gewissen des Geistlichen das Recht, jene Freiheit der Gewissensentscheidung walten zu lassen, die durch das Grundgesetz verbürgt ist und die von dieser Stelle des Hauses aus vor wenigen Wochen so warmherzige und eifrige, so überzeugte und unbedingte Verteidiger gefunden hat.