Gesamtes Protokol
Die Sitzung ist eröffnet. Die amtlichen Mitteilungen werden ohne Verlesung in den Stenographischen Bericht aufgenommen:
Der Herr Bundesminister für Wirtschaft hat unter dem 2. Februar 1956 auf Grund des Beschlusses des Deutschen Bundestages in seiner 123. Sitzung über die Preise bei militärischen Aufträgen berichtet. Sein Schreiben ist als Drucksache 2073
Der Herr Stellvertreter des Bundeskanzlers hat unter dem 4. Februar 1956 auf Grund des Beschlusses des Deutschen Bundestages in seiner 68. Sitzung über die Frage der finanziellen Maßnahmen zur Erneuerung und zum Ausbau der Schiffahrt- und Fischerei-Tonnage berichtet. Sein Schreiben wird als Drucksache 2076 vervielfältigt.
verfielfältigt.
Meine Damen und Herren, ich rufe auf Punkt 1 der Tagesordnung:
a) Große Anfrage der Fraktion der CDU/CSU betreffend Eingliederung von Flüchtlingen, Vertriebenen, Evakuierten und Heimkehrern ;
b) Beratung des Antrags der Fraktion der SPD betreffend Politik der Bundesregierung in den Angelegenheiten der Vertriebenen, Sowjetzonenflüchtlinge und Evakuierten
;
c) Erste Beratung des vor der Fraktion des GB/BHE eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Bundesvertriebenengesetzes ;
d) Erste Beratung des von der Fraktion des GB/BHE eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über Ausgleichsleistungen an Sowjetzonenflüchtlinge .
Im Ältestenrat ist vereinbart — und ich nehme an, daß das Haus zustimmt —, daß zunächst die Begründung und die Beantwortung zu Punkt 1 a erfolgen, dann die Begründung zu Punkt 1 b, darauf zu Punkt 1 c und d gemeinsam und daß erst dann die Aussprache über den gesamten Tagesordnungspunkt 1 stattfindet. — Ich höre keinen Widerspruch; es ist so beschlossen.
Darf ich fragen, wer das Wort zur Begründung der Großen Anfrage der Fraktion der CDU/CSU wünscht? — Herr Abgeordneter Kuntscher.
Kuntscher , Anfragender: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Große Anfrage meiner Fraktion ist von dem ernsten Anliegen getragen, in aller Deutlichkeit zum Ausdruck zu bringen, daß das Problem der Eingliederung der Heimatvertriebenen, der Flüchtlinge, der Kriegssachgeschädigten, der Evakuierten, Aussiedler und Heimkehrer noch lange nicht gelöst ist. Wir hoffen, durch die Beantwortung unserer Großen Anfrage einen nüchternen Situationsbericht über wichtige Teilgebiete der Eingliederung zu erhalten.
Es ist wahr: auf einzelnen Sektoren sind durch die anerkennenswerten Leistungen des Bundes und der Länder und in Auswirkung des Lastenaus-
gleichsgesetzes die Notstände, die vor Jahren bestanden haben, weitestgehend gemildert worden. Dankbar und in aller Sachlichkeit wollen wir das feststellen.
Dafür ist aber auch eine Fülle neuer Probleme durch den Zustrom weiterer Flüchtlinge aus der Zone, durch die Rückkehr der Heimkehrer, die jahrelang in den Ländern hinter dem Eisernen Vorhang Zurückgehaltenen und durch das Eintreffen von Aussiedlern entstanden. Die alten Probleme sind noch nicht gelöst, und neue gewaltige Aufgaben werden uns aufgegeben. Wir möchten aber auch betonen, daß die in unserer Großen Anfrage angesprochenen Teilgebiete nicht nur Fragen an die Bundesregierung beinhalten, sondern in starkem Maße die Länderregierungen betreffen, da die Durchführung der einschlägigen Gesetze ja vielfach bei den Ländern liegt. Unseres Erachtens hätte bei Durchführung der gesetzlichen Maßnahmen in den vergangenen Jahren vieles schneller und besser laufen können. Diese Tatsache muß immer wieder betont werden.
Nun zu den einzelnen Punkten der Großen Anfrage. Ziffer 1 soll unsere große Sorge um die zügige Abwicklung der Leistungen aus dem Lastenausgleich zum Ausdruck bringen. Der Herr Bundesminister der Finanzen hat in seiner vielbeachteten Rede am 8. Dezember 1955 bei der Einbringung des Haushaltsplans für 1956 betont auf die erfreulicherweise sich steigernden Leistungen aus dem Lastenausgleichsfonds hingewiesen, die 1952 knapp 1,5 Milliarden und 1953 rund 3,5 Milliarden DM betrugen, 1954 haushaltsplanmäßig auf 4,2 Milliarden stiegen und 1955 mit 4,4 Milliarden veranschlagt waren. Hierzu möchte ich aber bemerken, daß diese Leistungssteigerung vielfach dem Überhang aus den Vorjahren zuzuschreiben ist und daß sich in der gleichen Größenordnung das echte Aufkommen nicht steigerte. Nur durch beachtliche Vorfinanzierungen wie etwa vorzeitige Ablösungen, durch 7-f-Gelder, Anleihe- und Kassenkredite des Bundes sowie Inanspruchnahme des Kreditplafonds bei der Bank deutscher Länder wurden diese Verplanungen ermöglicht.
Im Finanzplan 1955 sind allein 400 Millionen DM Anleihe- und 500 Millionen DM Kassenkredite des Bundesfinanzministers als Vorfinanzierung vorgesehen. Bisher sind von diesen 900 Millionen 250 Millionen im Anleiheweg untergebracht. Weitere 150 Millionen DM sollen bereitgestellt werden. Der interimistische Wirtschafts- und Finanzplan des Bundesausgleichsamts für das Jahr 1956 sieht 350 Millionen DM „nicht aufgekommener und noch ausstehender Vorfinanzierungsmittel aus dem Jahre 1955" auf der Einnahmenseite vor, also nur eine Übertragung aus dem Vorjahr, und es kann in diesem Fall von einer echten neuen Vorfinanzierung keine Rede sein.
Wir sind der Auffassung, daß die Form einer echten Vorfinanzierung gefunden werden muß, damit die Lastenausgleichsleistungen in den kommenden Jahren nicht absinken. Es muß sichergestellt werden, daß bevorschußte Kassenkredite zu gegebener Zeit, wenn es der Geldmarkt erlaubt, in Anleihen umgewandelt werden. Kassenkredite allein sind an und für sich keine echten Vorfinanzierungen, da sie kurzfristig sind und nicht laufend wiederholt werden können. Wohl geben die beachtlichen Beträge dem Wirtschafts- und Finanzplan des Lastenausgleichsfonds ein ansprechendes
Äußeres, aber sie werden von einem Jahresetat in den anderen übertragen. Die beschleunigte Abwicklung einzelner Leistungssparten aus dem LAG ist eine Frage der vorhandenen Mittel. Die Kernfrage bei der Vorfinanzierung ist die Zusicherung, daß auch im Jahre 1956 die Fakultativleistungen des Lastenausgleichsfonds gegenüber dem Jahre 1955 nicht absinken. Bei anderen Leistungen ist die rasche Abwicklung eine Frage der beschleunigten Schadensfeststellung. Ich denke hier besonders an die Entschädigungsrente. Die Durchführung und das Tempo der Schadensfeststellung liegt aber nicht in den Händen der Regierung, sondern ist eine Angelegenheit der schnellen Arbeit draußen bei den Ausgleichsämtern.
Nun zu Ziffer 2 a der Großen Anfrage: die Verstärkung des Härtefonds nach § 301 LAG. An und für sich hat der Herr Bundesfinanzminister die Frage der Erhöhung des Härtefonds aus Bundesmitteln bereits in der Haushaltsrede beantwortet, da er dort ausführte, daß im Jahre 1955 dem Härtefonds des Lastenausgleichsfonds aus Bundesmitteln 50 Millionen DM zugeführt werden und im Jahre 1956 der Betrag eine Erhöhung auf 70 Millionen DM erfahren soll. Diese Erhöhung von 50 auf 70 Millionen konnte in etwa dem Bedarf der Zuwanderung von Zonenbewohnern der ersten Monate des Vorjahres entsprochen haben, er wird aber dem steigenden Zustrom in der zweiten Hälfte des vergangenen Jahres unter gar keinen Umständen gerecht.
253 000 Personen haben im Vorjahr das Notaufnahmeverfahren beantragt. Erfahrungsgemäß liegt aber die Zahl derjenigen, die aus der Zone nach dem Westen kommen, regelmäßig um ein Drittel höher, da dieses Drittel zum größten Teil legal mit Interzonenpässen besuchsweise in die Bundesrepublik einreist, dann hier verbleibt und erst von einem festen Wohnsitz in der Bundesrepublik aus das Notaufnahmeverfahren beantragt. Insgesamt ist also damit zu rechnen, daß im Jahre 1955 nahezu eine Drittelmillion Personen aus der SBZ in die Bundesrepublik gekommen sind. Wiederum erfahrungsgemäß — nach den Statistiken der letzten Jahre — erhalten 20 bis 25 % über Ansuchen den sogenannten C-Ausweis. Das wäre also für das Jahr 1955 ein Zuwachs von mindestens 60 000 Personen mit C-Ausweis. Von den Registrierten sind weiter 70 000 Jugendliche unter 25 Jahren, die als Alleinstehende, also ohne Familienanhang, nach dem Westen gekommen sind. Diese 70 000 Jugendlichen ohne Familienanhang und die 60 000 zusätzlichen Anspruchsberechtigten bedeuten eine weitere Belastung des Härtefonds.
Damit komme ich zu Ziffer 2 b. Die große Zahl der Jugendlichen bringt auch eine wesentliche Erhöhung der zu gewährenden Ausbildungsbeihilfen aus dem Härtefonds mit sich. Es wachsen aber auch die Anforderungen an die Umschulungskurse, die für die jugendlichen Aussiedler aus Jugoslawien, Polen und anderen Ländern hinter dem Eisernen Vorhang eingerichtet sind. Die Kurse laufen, der Besucherzahl nach gesehen, heute schon über. Diese Einrichtungen müssen verstärkt und vermehrt werden. Die Zahl der Kinder und Jugendlichen, die nicht einmal mehr ihre deutsche Muttersprache sprechen, ist groß. Sie sind an Titos oder anderen volksdemokratischen Schulen erzogen worden. Sie haben nie eine Stunde ihres Lebens geistige Freiheit genossen. Sie haben die Werbung um die Sympathien der Jugend in den Volksdemokra-
tien erlebt. Sie können, wenn man sich ihrer nicht warmherzig annimmt und sie fördert und in die Welt des Westens auch geistig einführt, in ihrem inneren Zwiespalt zu einer beachtlichen Gefahr werden. Der interfraktionelle Antrag Drucksache 2034, der den Problemen der beruflichen und wirtschaftlichen Eingliederung dieser Jugend Rechnung trägt, wurde inzwischen von diesem Hohen Hause angenommen. Er spricht diese ernsten Fragen in allen ihren Einzelheiten an.
Zusammenfassend: Der Zuwachs an Zonenflüchtlingen mit C-Ausweis, dieser gewaltige Zuwachs an Jugendlichen bedingt es, daß wir die Erhöhung und die Verstärkung des Härtefonds aus Bundesmitteln auf mindestens 100, wenn nicht auf 110 Millionen DM eindringlichst fordern müssen.
Zu Ziffer 3 — sie betrifft die Heimatvertriebenen- und Flüchtlingswirtschaft —: Ausgangspunkt dafür, dieser ernsten Frage eine verstärkte Aufmerksamkeit zuzuwenden, war die Große Anfrage Drucksache 838 Dr. Götz und Genossen, die am 20. Oktober 1954 im Plenum behandelt wurde. Ein Unterausschuß befaßt sich seit dieser Zeit mit diesem Problem.
Das Bundeswirtschaftsministerium hat inzwischen bei 486 Vertriebenen- und Flüchtlingsunternehmungen in 13 Wirtschaftszweigen eine Erhebung durchgeführt. Im Bericht 283 des Wirtschaftsministeriums ist das Ergebnis zusammenfassend festgehalten. Die Untersuchungen konzentrierten sich im wesentlichen auf vier Schwerpunkte, und zwar: a) Wie ist die Entwicklung des Eigenkapitals, das Verhältnis von Anlagekapital und Umlaufvermögen zum Eigenkapital? b) die Zusammensetzung des Fremdkapitals, ob kurz- oder langfristig, c) die Belastung des Unternehmens durch Zinsen für Fremdkapital oder Nichtinanspruchnahme der Sconti infolge mangelnder Liquidität, d) die Belastung der Unternehmungen durch Tilgungsverpflichtungen auf Fremdkapital.
Das Ergebnis dieser Gesamterhebung ist erschütternd. Uns scheint, hier wird eine beachtliche Gefahr für die gesamte Volkswirtschaft offensichtlich. Es besteht die begründete Sorge, daß wertvollste Teile unserer Volkswirtschaft in höchster Gefahr sind. Trotz allgemeiner Wirtschaftskonjunktur drohen sie unter die Räder zu kommen, so daß wertvollstes Volksvermögen verlorengeht und ein beachtlicher Teil unserer bisherigen Bemühungen um die wirtschaftliche Eingliederung dieser Personenkreise wieder vernichtet werden kann.
Nur ganz wenige Zahlen aus dem Bericht des Bundeswirtschaftsministeriums, um unsere Befürchtungen zu untermauern. Bei den untersuchten Betrieben betrug der Anteil des Eigenkapitals an der Bilanzsumme 16,1 bis 18,3 Prozent. Zum Vergleich die Bilanzstatistik des Statistischen Bundesamts, wo der durchschnittliche Anteil des Eigenkapitals an der Bilanzsumme bei den schon immer im Westen beheimateten Betrieben mit 47,4 % ermittelt wird.
Auch das Institut Finanzen und Steuern stellt bei diesen einheimischen Betrieben einen Durchschnittssatz von 45,7 % Eigenkapital zur Bilanzsumme fest. Bei den untersuchten Vertriebenen-und Flüchtlingsbetrieben beträgt der durchschnittliche Anteil des Eigenkapitals, wie ich bereits sagte, 18,3 %, der des Fremdkapitals 81,7 %. Eine Aufgliederung nach kurzfristigem und langfristigem Fremdkapital ergibt, daß bei diesen Vertriebenen-
und Flüchtlingsbetrieben kaum ein Viertel des gesamten Fremdkapitals langfristig ist, während drei Viertel kurzfristig sind.
Nach einer Aufstellung des Instituts Finanzen und Steuern vom 30. Juni 1954 beträgt bei 936 überprüften alteingesessenen Unternehmungen der durchschnittliche Anteil des Fremdkapitals 54,3 %. Das gleiche ungünstige Verhältnis zeigen in diesem Bericht die Vergleiche und Auswirkungen der Zinsenleistungen für Fremdkapital. Den Vertriebenenbetrieben ist es im Gegensatz zur alteingesessenen Wirtschaft infolge mangelnder Liquidität unmöglich, Sconti auszunützen. Die Verpflichtungen zur Tilgung von langfristigem und mittelfristigem Fremdkapital nehmen im Durchschnitt etwa die Hälfte des steuerlichen Gewinnes in Anspruch.
Diesen ernsten Gefahrenquellen kann nur begegnet werden, wenn die geplante Umschuldungsaktion endlich zum Tragen kommt und wenn das letzte Hindernis für die Durchführung dieser Aktion beseitigt, wenn nämlich die Übernahme der Kurspflege durch den Herrn Bundesfinanzminister nach Ablauf der Sperrfrist, das ist Ende Februar 1958, für die aufzulegende Umschuldungsanleihe zugesagt wird. Diese Zusage belastet keinesfalls den Haushalt.
Ebenso müssen steuerliche Maßnahmen ergriffen werden, um die Blutleere an Eigenkapital in den Vertriebenen- und Flüchtlingsbetrieben zu beseitigen.
Im übrigen dürfte bei der Aussprache nach der Beantwortung der Großen Anfrage noch Gelegenheit sein, auf dringende Details dieses Fragenkomplexes einzugehen.
Damit komme ich zu Ziffer 4, die die Eingliederung der heimatvertriebenen und Flüchtlingsbauern betrifft. Dieses schwierigste Problem der Eingliederung hat das Hohe Haus schon sehr oft beschäftigt. Die Eingliederung von jährlich 20 000 Bauern auf Voll- und Nebenerwerbssiedlungen wurde in den letzten zwei Jahren zu 75 % erfüllt. Allerdings ist die Zahl der Vollbauernstellen zugunsten der Nebenerwerbsstellen beachtlich abgesunken.
Die Ursache hierfür ist aber nicht der Mangel an finanziellen Mitteln, sondern es fehlt eben an Land. Es ist eine traurige, aber wahre Tatsache, daß durch Produktion alles vermehrt werden kann, daß es aber leider Gottes bis heute noch niemandem gelungen ist, durch Produktion auch eine Vermehrung von Grund und Boden herbeizuführen.
Zur Zeit gibt es noch 150 000 siedlungswillige Bauern, die aus den Vertreibungsgebieten stammen. In den letzten zwei Jahren sind aber zusätzlich 18 000 selbständige Bauern aus der sowjetischen Besatzungszone in die Bundesrepublik zugewandert. Im gleichen Zeitraum wurden unter Anrechnung aller Nebenerwerbsstellen 23 000 Vertriebene und Flüchtlinge in der westdeutschen Landwirtschaft neu angesetzt.
Dieser Notstand zwingt zur Erfassung aller vorhandenen Landquellen. Der freie Grundstücksmarkt ist wieder beweglicher geworden. Diese wichtigste Landquelle der Eingliederung nutzbar zu machen, liegt allerdings ausschließlich in der Hand der Länder.
128 700 Inhaber landwirtschaftlicher Betriebe in der Bundesrepublik sind über 60 Jahre alt, haben keine Familienangehörigen und keine direkten Hoferben. 97 000 dieser Inhaber sind über 65 Jahre alt. Damit diese Landreserven nicht überschätzt werden, muß allerdings gesagt werden, daß 90 % dieser erbenlosen Betriebe in der Größenklasse unter 5 ha liegen. Sie stellen also keine volle Ackernahrung dar.
Die Landabgabe durch diesen Personenkreis hängt wiederum mit dem Problem der Altersversorgung zusammen. Sie ist durch den Verkauf oder durch den Pachterlös in diesen Größenordnungen nicht gesichert. Deshalb unsere Frage an die Bundesregierung, ob sie eine Möglichkeit sieht, daß durch die Sicherung der Altersversorgung landabgebender Bauern die Eingliederung von Vertriebenen und Flüchtlingen im landwirtschaftlichen Sektor beschleunigt werden kann. Es ist bekannt, daß ein Land bereits erfolgreiche Schritte in dieser Richtung unternommen hat. Unser Ersuchen: Könnte durch eine Verwaltungsanweisung des Herrn Bundesministers für Landwirtschaft, Ernährung und Forsten an die Länder im Zusammenwirken mit der Deutschen Siedlungsbank erreicht werden, daß sich die Länder in verstärktem Maße dieses Zweiges der ländlichen Siedlung und damit der Eingliederung annehmen?
Unter Ziffer 4 b fragen wir, ob die Bundesregierung die benötigten Mittel für die ländliche Siedlung so rechtzeitig und ausreichend zur Verfügung stellt, daß die Länder in die Lage versetzt werden, die Siedlungsmaßnahmen schneller und planmäßig durchzuführen. Im Haushaltsjahr 1956 sind 154,6 Millionen DM für die ländliche Siedlung vorgesehen. Im Vorjahr waren es 94,6 Millionen DM. Bei der zweiten Lesung des Haushaltsplans 1955 wurde seitens des Herrn Bundesministers für Landwirtschaft, Ernährung und Forsten im Benehmen mit dem Herrn Bundesfinanzminister die Erklärung abgegeben, daß, wenn dieser Betrag nicht ausreichen sollte, weitere Mittel zur Verfügung gestellt werden. Die Zusage wurde eingehalten. Tatsächlich wurden weitere 60 Millionen DM bereitgestellt.
— Ganz richtig. Dieser Vorgriff von 60 Millionen DM soll aber durch die 154,6 Millionen des Haushalts 1956 abgedeckt werden, so daß praktisch für 1956 vorerst wieder nur 94,6 Millionen DM zur Verfügung stehen.
Damit ist die Frage berechtigt: Soll ein neuerlicher Mehrbedarf für das Jahr 1956 durch einen neuerlichen Vorgriff gedeckt werden? Wenn das geschähe, bedeutete es ein immerwährendes Vorsichherschieben eines sehr beachtlichen Betrags. Diese Methode erschwert natürlich die Verplanung und schafft für die mit diesen Aufgaben betrauten Siedlungsbehörden eine dauernde Unsicherheit, da diese ja nie mit festen Ansätzen rechnen können.
In diesem Zusammenhang müssen wir mit Bedauern feststellen, daß die Ansätze für die landwirtschaftliche Siedlung aus Bundesmitteln wohl verstärkt, die Ansätze bei einigen Ländern aber abgebaut werden. Diesen Tatbestand hat auch der Herr Bundesfinanzminister in aller Offenheit bei seiner Etatrede am 8. Dezember 1955 festgestellt. Es wäre eine Aufgabe aller an dieser Frage interessierten, aber auch beteiligten Verbände, mit dafür zu sorgen, daß diese Diskrepanz — beim Bund Aufbau, bei den Ländern Abbau — aus der Welt geschafft wird.
Zu dieser Sorge um die Weiterführung der Neusiedlung im allgemeinen und die weitere Eingliederung der Vertriebenen- und Flüchtlingsbauern kommt die allgemeine Unruhe in der Landwirtschaft, die durch die Ertragslage in weiten Gebieten, besonders aber durch die vorjährige Mißernte, begründet ist. Damit hat sich auch die wirtschaftliche Lage der bereits angesetzten Vertriebenen-und Flüchtlingsbauern besonders kritisch gestaltet. Als Beweis darf ich aus dem „Landvolk-Pressedienst" des Verbandes des Niedersächsischen Landvolkes mit Genehmigung des Herrn Präsidenten folgendes zitieren. Unter der Überschrift „Flüchtlingssiedler vor schwerster Krise" schreibt der niedersächsische „Landvolk-Pressedienst":
Die Not der Landwirtschaft beruht aber nicht nur auf schlechten Ernten. Sie beruht auch auf der Tatsache des Mangels an Arbeitskräften — selbst Minister Lübke hat dies ausgesprochen —, denn der Mangel an Arbeitskräften bedingt den Kauf von Maschinen. Das erfordert aber Kapital, und dieses fehlt in den meisten Fällen. Um die Mechanisierung trotzdem durchführen zu können, kann der Eigentümer Grundstücke verkaufen oder Kredit aufnehmen. Anders steht es um die Pächter und besonders die Flüchtlingspächter, die Flüchtlingssiedler. Im allgemeinen ist, von seltenen Ausnahmen abgesehen, ihr Inventar geliehen oder verpfändet. Etwas anderes können sie als Deckung nicht bieten. Damit sind sie praktisch von der Mechanisierung ausgeschlossen, obwohl diese doch unumgänglich nötig ist. Wenn sich die Flüchtlingssiedler trotzdem bisher gehalten haben, so auch aus zwei Gründen. Einmal stehen sie erst am Anfang der Notwendigkeit, ihre Betriebe schnell neuzeitlich zu gestalten, sie zu mechanisieren. Sodann aber haben die leidgewohnten Flüchtlingssiedler den schlimmsten Anfang nur überwunden durch äußerste persönliche Einschränkung. Ihr Lebensstandard ist geradezu erschreckend niedrig. Keinem Arbeiter in Stadt und Land würde man eine derartig bescheidene Lebensweise zumuten. Die Flüchtlingssiedler haben diese auf sich genommen aus der Liebe zur Scholle, aus der Treue zu ihrem Beruf. Sie wollten Bauern bleiben, pflügen, säen und ernten wie ihre Väter, sie wollten auch ihre Kinder unserem Berufsstand erhalten. Es ist fast niemand unter ihnen und ihren Frauen, der nicht Überdurchschnittliches leistet. Nur bei unerhörtestem Einsatz, bei spartanischer Härte gegen sich und ihre Familien konnten sie den Anfang überstehen, konnten sie hoffen, einmal einen bescheidenen Erfolg ihrer treuen Arbeit zu sehen. Damit haben sie bewiesen, daß sie zur Elite des deutschen Bauerntums gehören, daß sie es wert sind, freie Bauern auf eigener Scholle zu bleiben. Es ergibt sich die Frage, wie eine Hilfe diesen Flüchtlingssiedlern in Kürze ermöglicht werden kann, solange dafür noch Zeit ist.
— Wir wiederholen: solange noch Zeit ist —
Es geht hierbei um nichts Geringeres als um
die Erhaltung besten deutschen Bauerntums.
Diese bestimmt unverdächtige und objektive Charakterisierung unserer bäuerlichen Siedler durch das Presseorgan des niedersächsischen Landvolkes zeigt die kritische Lage, in die besonders auch unsere Siedlungsbauern durch die Krise in
der Rentabilität der Landwirtschaft gekommen sind. Die Landwirtschaft wird in ihrem Kampf um eine gerechte Wertung ihrer Arbeit und einen gerechten Ertrag aus dieser Arbeit deshalb auch in unseren Reihen echte Bundesgenossen finden.
Ziffer 5! Wir fragen in fünf Punkten nach der zweckbestimmten und wirksamen Verwendung jener umfangreichen öffentlichen Mittel, die für den Wohnungsbau für Vertriebene, Flüchtlinge, Evakuierte und andere Kriegsgeschädigte bestimmt waren. Damit werfen wir insbesondere auch die Frage der Meisterung des Problems auf allen Stufen der Verwaltung auf — ich betone: auf allen Stufen —, besonders auch in den Ländern und in den Kreisen. Es ist für uns wertvoll, über die Ergebnisse und über die Durchführung bei den Behörden der Länder und Kreise etwas zu erfahren. Es ist eine ernste Frage, die auch verschiedene Ministerien des Bundes angeht, aber auch eine Frage nach der Durchschlagskraft der zentralen Flüchtlingsverwaltungen der Länder, für deren politisches Gesicht meist nicht unsere Partei verantwortlich zeichnet, sondern sehr oft diejenigen, welche behaupten, es werde fast nichts für Vertriebene und Flüchtlinge getan.
Sehr bedeutende Mittel haben der Lastenausgleich und der Bundeshaushalt für den Wohnungsbau für Geschädigte, Umsiedler, Evakuierte und SBZ-Flüchtlinge zur Verfügung gestellt. Man kann ruhig sagen, daß in den letzten Jahren über zwei Fünftel der öffentlichen Mittel für den Wohnungsbau für diesen Personenkreis bestimmt waren. Von den zirka 3 Milliarden DM öffentlicher Mittel, die jährlich aus Bund, Ländern und Gemeinden für den Wohnungsbau bereitgestellt werden, stammt jeweils rund 1 Milliarde DM aus Mitteln des Lastenausgleichs. Hierzu kommen mehr als 300 Millionen DM aus Bundeshaushaltsmitteln für die Umsiedlung und für Wohnungen der SBZ-Flüchtlinge. Aus Soforthilfe- und Lastenausgleichsmitteln sind bis zum 31. Dezember 1955 insgesamt 5547 Millionen DM in den sozialen Wohnungsbau geflossen.
Unsere Frage: Sind diese gewaltigen Mittel sinnvoll und zweckbestimmt verwendet worden, und ist eine zweckbestimmte Vergebung dieser gewaltigen Mittel zugunsten der Geschädigten auch in der Zukunft sichergestellt?
Wir erinnern daran, daß der Lastenausgleichsfonds ein Sondervermögen ist. Die Zweckentfremdung seiner Mittel ist gesetzlich verboten. Verantwortlich hierfür ist die gesamte Verwaltung des Ausgleichsfonds auf allen Stufen. Die Mittel sind nicht dafür bestimmt, etwa privaten und juristischen Personen, die nicht geschädigt sind, zum Erwerb oder zur Ballung von Besitz zu verhelfen, zu einem Besitz, der in einigen Jahrzehnten durch die Mieter schuldenfrei gemacht wird, vor allem nicht dazu bestimmt, daß bei einer solchen Verwendung der Mittel nicht einmal die Verpflichtung zur Aufnahme geschädigter Mieter auferlegt wird. Deshalb fragen wir mit großem Ernst nach den Gründen des Rückganges der Zuteilungszahlen. Ist unter diesen Umständen noch überall gesichert, daß die Länder bei jeder Verwendung von Wohnraumhilfemitteln des Lastenausgleichs Nachweise vorlegen? Ist vor allem durch klare und bindende Verwaltungsanweisungen gesichert, daß alle, aber
auch alle Ausgleichsämter, die für die Verwaltung der aus dem Fonds zugeteilten Mittel verantwortlich sind, wenigstens aktenmäßig einwandfrei davon benachrichtigt werden, welche Besitzer von Dringlichkeitsbescheinigungen nach § 347 des Lastenausgleichsgesetzes in die für den geschädigten Personenkreis gebundenen Wohnungen tatsächlich eingezogen sind? Lassen die Verwaltungsanweisungen die Möglichkeit offen, daß auch Familien ohne diese Bescheinigung einziehen? Hier wären wir für eine eindeutige Klärung des Verwaltungsverfahrens dankbar.
Eine weitere ernste Sorge auf diesem Gebiet bereitet uns die Verwendung des zweiten Teiles von Mitteln für den Wohnungsbau aus dem Lastenausgleich, nämlich der sogenannten „Aufbaudarlehen für den sozialen Wohnungsbau". Sie sollen als Eigenleistung der Geschädigten für den Wohnungsbau verwendet werden. Statt dessen führt ihre Verwendung immer häufiger zu einer Kürzung der übrigen nachrangigen öffentlichen Mittel in jenen Fällen, wo diese gewährt werden können, ein Vorgang, der weder dem Zweck der Aufbaudarlehen noch dem Willen des Gesetzgebers entspricht. Aufbaudarlehen sind ein Ersatz für die durch den Schaden unmöglich gewordene eigene Sparleistung; sie sind aber in den meisten Fällen für die Geschädigten auch ein Vorgriff auf die Hauptentschädigung. Hinzu kommt, daß die Zahl der unerledigten Individualanträge unverhältnismäßig hoch ist. Es erweckt den Anschein, daß von den Bewilligungsstellen der Ausgleichämter die Bauträger, die in großen Serien Mietwohnungen bauen, leichter und schneller bedient werden als die einzelnen Familien. Es wäre auch zu prüfen, ob nicht die Zahl der sogenannten Sonderprogramme eingeengt werden könnte. Diese Massenabfertigung über das Globalverfahren übersteigt bei weitem die Zahl der für die äußere und innere Umsiedlung notwendigen Wohnungen.
Mögen die zuständigen Sachbearbeiter des Bundesausgleichsamtes und der Landesausgleichsämter ihre wie immer gearteten eigenen politischen Ansichten haben, sie haben die gesetzliche Pflicht, auch für das Restitutionsprinzip des Lastenausgleichs Sorge zu tragen. Darum geht unsere Frage klar dahin, wie viele der Wohnungen zu Eigentum und wie viele zu Miete für die Geschädigten geschaffen wurden.
Ein Wort zur Frage der Rückführung der Evakuierten. Die damit zusammenhängenden Probleme und die Unterbringung der Evakuierten bereiten uns auch beachtliche Sorgen. In wachsendem Maße werden dafür Gelder aus dem Lastenausgleich gegeben; aber die Klagen der Evakuierten wachsen. Diese Klagen kommen nicht nur von denjenigen Evakuierten, die nicht geschädigt sind, also nicht mit Mitteln des Lastenausgleichs gefördert werden können, sondern auch von den sachgeschädigten Evakuierten, für die mit diesen Mitteln eine Wohnung beschafft werden könnte. Gibt es überhaupt einen Nachweis darüber, wie viele Evakuierte mit den Lastenausgleichsmitteln, die für Evakuierte bestimmt sind, untergebracht werden? Man müßte sich eigentlich auch überlegen, ob das Bundesevakuiertengesetz nicht einen eigenen finanziellen Teil bekommen sollte, damit außerhalb der zu immer allgemeineren Zwecken herangezogenen Melkkuh „Lastenausgleich" einmal genaue Pläne erstellt werden und damit auch eine genaue Kontrolle der Unterbringung und Rückführung der Evakuierten möglich ist.
Ziffer 6: die Begründung der Fragen bezüglich der SBZ-Flüchtlinge. Es würde zu weit führen, den ganzen schwierigen Komplex mit allen seinen Betrachtungspunkten und den darin liegenden Problemen hier aufzurollen. Von welcher Seite man immer diese Frage betrachten möge, wir werden, so glaube ich, alle darin übereinstimmen, daß man nicht Familien, manchmal 30 bis 40 Personen beiderlei Geschlechts, zwei Jahre oder noch länger in den Lägern in einem Raum zusammenwohnen lassen kann. Daß dabei selbst anständige Familien moralisch und nervenmäßig schwer angeschlagen werden, ist uns ja allen bekannt.
Der Bund stellt für die wohnungsmäßige Unterbringung und für die sonstige Betreuung der SBZ-Flüchtlinge durch die Kriegsfolgenhilfe jährlich bedeutende Mittel zur Verfügung. Wir sind damit einverstanden, daß in die erstellten Wohnungen zuerst langjährig Wohnungsuchende eingewiesen und die Sowjetzonenflüchtlinge im Tauschwege in zumutbarer Weise untergebracht werden. „Zumutbar" für die Familien bedeutet Einweisung in Teilwohnungen, in freiwerdende Altwohnungen und ähnliche, bedeutet aber insbesondere nicht Unterbringung von Einzelpersonen, wie sie immer mehr geschieht; in den Großstädten macht das mehr und mehr Schule.
Dazu ein Beispiel. In einer Großstadt werden an vier verschiedenen Plätzen vier Männer als Untermieter untergebracht. Für vier Personen ergeben sich 7050 DM nachrangige Förderungsmittel. Das Wohnungsamt hat dafür, daß die vier Männer in Untermiete untergebracht sind, d. h. formell "zumutbar" wohnen, eine Neubauwohnung zur freien Verfügung erhalten. Aber die Familien dieser vier untergebrachten Männer bleiben in den Lägern sitzen.
Unsere Frage geht dahin: Ist durch Weisung gesichert, daß nicht nur Einzelpersonen, sondern in erster Linie Familien zumutbar untergebracht werden? Es geht nicht an, daß man sich um Arbeitskräfte reißt und die Familien in den Lägern verkommen läßt. Wir müssen auf diesem Gebiet durch Nachweise eine Kontrolle erbitten.
Es wäre auch wichtig zu wissen, ob die für den Wohnungsbau für SBZ-Flüchtlinge bereitgestellten Mittel, die bisher in vier Aktionen gegeben worden sind, von den Ländern auch so schnell wie möglich verplant werden. Ein Bericht des Bundesministers für Vertriebene, Flüchtlinge und Kriegsgeschädigte mit graphischer Darstellung vom 3. Januar dieses Jahres muß leider zu einer gegenteiligen Annahme führen. Für die vierte Aktion des SBZ-Bauprogramms wurden im Mai 1955 die Mittel bereitgestellt. Im August war der erste, im Dezember der zweite Teilbetrag fällig. Die graphische Darstellung nach dem Stand vom 1. November zeigt aber, daß in einem Land bis zu diesem Termin in der vierten Aktion noch nichts passiert war. Die Säule dieses Landes ist in der graphischen Darstellung weiß, also leer. Auf Grund dieser graphischen Darstellung ergibt sich, daß in diesem Land noch nicht einmal eine Vorplanung vorgenommen wurde.
Die Ziffer 7 enthält die Frage nach der Auflösung der Altlager. In den vergangenen Jahren wurden jeweils jährlich 30 Millionen DM aus Kriegsfolgenhilfe auf Bundesebene erspart und für die Lagerräumung verwendet. Durch das Vierte Überleitungsgesetz sind die Gelder pauschaliert. Die Ersparnisse bleiben in den Ländern.
Unsere Frage: Sind Sicherungen vorhanden, daß I diese Ersparnisse zum gleichen Zweck verwendet werden, oder fließen sie in die allgemeine Kasse des betreffenden Landes? Wir bitten den Herrn Bundesfinanzminister dringend, dies auf Grund seines generellen Rechtes zur Kontrolle der zweckmäßigen Verwendung von Bundesmitteln, das ihm auch das Vierte Überleitungsgesetz ausdrücklich beläßt, zu überprüfen und ernstlich Verhandlungen mit den in Frage kommenden Ländern einzuleiten, damit sie die Ersparnisse aus der pauschalierten Kriegsfolgenhilfe nicht in ihrer Kasse für allgemeine Zwecke verschwinden lassen, sondern sie zur Lagerräumung verwenden. Den serienweisen Bau von Schlichtwohnungen an einigen Orten, der nachweislich aus SBZ-Wohnbaumitteln betrieben wird, betrachten wir als eine Fehlinvestition.
Ich habe zu den Ziffern 5, 6 und 7 eine Reihe Fragen gestellt, die in der Beantwortung wohl nicht alle sofort erledigt werden können. Aus diesem Grunde hat meine Fraktion in diesem Zusammenhang zwei weitere Anträge eingereicht, die Ihnen heute mit den Drucksachen 2082 und 2083 zugegangen sind. Der eine dieser Anträge beschäftigt sich mit der Aufforderung zur genauen ziffernmäßigen Klarstellung der Fragen, die ich soeben ausgesprochen habe. Der zweite Antrag beschäftigt sich mit Hilfsmaßnahmen für Aussiedler, die nach dem Kriegsgefangenenentschädigungsgesetz keine Ansprüche haben und die nach dem 1. Oktober 1955 aus den Gebieten östlich der OderNeiße, der Tschechoslowakei und den südosteuropäischen Staaten eingetroffen sind. .Wir wünschen, daß diesem Personenkreis eine Erstunterstützung von 100 DM für jede Person, die über 21 Jahre alt ist, und von 50 DM für jede Person, die unter 21 Jahre alt ist, gewährt wird. Im zweiten Teil dieses unseres Antrags, der eigentlich zu diesem Fragenkomplex gehört, geht es um Bereitstellung von Mitteln, damit auch für diesen Personenkreis die Wohnraumfrage gelöst werden kann.
Damit komme ich zur letzten Ziffer, der Ziffer 8. Als der Haushaltsplan 1955 in zweiter und dritter Lesung in diesem Hause zur Beratung stand, war eines der umstrittenen Probleme die Dotierung des Kriegsgefangenenentschädigungsgesetzes, im besonderen die Durchführung des Teiles II, wo die Leistungen für den Wohnungsbau, Existenzaufbaumittel und dergleichen gesetzlich verankert sind. Der Haushaltsplan sah 45 Millionen DM für diese Zwecke vor. Anträge auf eine Erhöhung auf 70 Millionen wurden eingebracht. Es kam nach einer recht lebhaften Aussprache zur namentlichen Abstimmung. Vor der Abstimmung hatte der Herr Bundesfinanzminister die Erklärung abgegeben, daß weitere Mittel zur Verfügung gestellt werden, wenn die im Haushaltsplan vorgesehenen 45 Millionen DM nicht ausreichen sollten. Der Antrag auf Erhöhung wurde nach dieser Erklärung in namentlicher Abstimmung abgelehnt. Im Verbandsorgan des Heimkehrerverbandes wurden alle Kolleginnen und Kollegen dieses Hauses namentlich angeprangert, die gegen den Erhöhungsantrag gestimmt hatten.
— Warten Sie ein Weilchen, meine Herren! Ich sage das mit Betonung, denn das Wichtige zu diesem Ihren Antrag kommt erst jetzt.
So weit wäre alles in Ordnung. Die gegenteiligen Standpunkte waren entschieden.
Nun aber unsere Frage: Entspricht es den Tatsachen, daß von den bereitgestellten 45 Millionen DM bis Ende Januar 1956, also zwei Monate vor Ablauf des Haushaltsjahres, von den Ländern insgesamt, sage und schreibe: 2 Millionen DM abgerufen worden sind?
— Ja, meine Herren, keine Aufregung! Ich weiß, Sie haben sich damals mit Ihrem Antrag, den Sie mit nichts fundamentieren konnten, eben danebengesetzt. Denn heute ist das Ergebnis eben das, daß von den bereitgestellten 45 Millionen DM bis Ende Januar 2 Millionen DM abgerufen waren
und 13 Millionen DM verplant sind.
Aber es werden immerhin zwei Drittel dieses Betrages aus dem Haushaltsplan 1955 in den Haushaltsplan 1956 übertragen werden.
Ferner frage ich — nicht Sie , das wissen Sie nicht, sondern ich frage hier die Bundesregierung —, ob es auch wahr ist, daß es Länder gibt, die bisher für diese Zwecke noch gar nichts abgerufen haben,
wer die verantwortlichen Ressortleiter in diesen Ländern sind und welches die Ursachen sind. Es ist ja auch interessant, warum eine derartige Abrufung bis heute nicht erfolgt ist.
Die Beantwortung dieser Fragen ist insofern von Wichtigkeit, als jene rehabilitiert werden, die seinerzeit gegen die Erhöhung dieses Haushaltsansatzes gestimmt und der Erklärung des Bundesfinanzministers, daß er, wenn die 45 Millionen DM nicht ausreichten, weitere Mittel zur Verfügung stellen werde, mehr Glauben geschenkt haben als irgendwelchen agitatorischen Anträgen,
und das Verbandsorgan des Heimkehrerverbandes, das ich in seiner Sachlichkeit sehr schätze, wird von diesem Tatbestand Kenntnis nehmen.
Bleibt der Buchstabe b der Frage 8, nach welchem Maßstab die Mittel im kommenden Haushaltsjahr für die Erfüllung des Teiles II des Kriegsgefangenenentschädigungsgesetzes berechnet wurden und ob sie für ausreichend erachtet werden, ob auch Vorsorge getroffen ist, daß die bereitgestellten Mittel zeitgerecht ihrem Zweck zugeführt werden, und ob nicht bei den Ländern etwas nachgeholfen werden kann, damit auch diese Mittel zweckbestimmt eingesetzt werden.
Damit komme ich zum Schluß der Begründung der Großen Anfrage, die zehn Jahre nach der Vertreibung einen nüchternen Situationsbericht über die wichtigsten Teilgebiete der Eingliederung der Vertriebenen und Flüchtlinge, der Kriegssachgeschädigten, Evakuierten, Heimkehrer und volksdeutschen Aussiedler fordert. Ich wiederhole: Dankbar anerkennen wir die Leistung, die nach einem hoffnungslosen Anfang des Jahres 1945 erbracht wurde. Ich möchte aber auch betonen: Je freimütiger und gerechter wir diese Leistungen anerkennen, mit desto größerer Berechtigung dürfen wir ein offenes Ohr für den Hinweis auf die Mängel, Bedenken über Zweckentfremdung von Mitteln und laufend anfallenden Aufgaben erwarten. Auch die Lösung der noch ausstehenden Aufgaben darf keine Verzögerung erleiden.
Meine Damen und Herren, Sie haben die Begründung der Großen Anfrage der Fraktion der CDU/CSU gehört. Das Wort zur Beantwortung dieser Großen Anfrage hat der Herr Bundesminister für Vertriebene.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bin dankbar dafür, heute sozusagen außerplanmäßig über ein zentrales Anliegen sprechen zu können, das keinesfalls allein aus der Perspektive der unmittelbar Betroffenen betrachtet werden darf. Es handelt sich im wahrsten Sinne des Wortes um ein gesamtdeutsches Problem. Unsere gesamte zukünftige politische Entwicklung, alle Teile der Bevölkerung, jeder Zweig unserer Volkswirtschaft werden von der Art, wie wir Lösungsmöglichkeiten finden, intensiv beeinflußt werden. Ich danke den Interpellanten und Antragstellern — gleich welcher Partei — für den Willen zu konstruktiver Hilfe, der aus allen Anträgen spricht. Das Ministerium, dem die Betreuung der Vertriebenen, Flüchtlinge, Kriegssachgeschädigten und aller ehemaligen Gefangenen des zweiten Weltkrieges als Aufgabe gesetzt ist, hat eine politische Verantwortung auferlegt erhalten, die im umgekehrten Verhältnis zu seiner Ausstattung mit materiellen Zuständigkeiten steht. Unter diesem Mißverhältnis zwischen der Schwere der gestellten Aufgabe und den effektiven Möglichkeiten sie zu lösen, leiden auch alle Ministerien der Länder, die mit der gleichen Aufgabe betraut sind, gleichgültig wie die parteipolitische Zusammensetzung der Länderregierungen aussehen mag. Es darf jedoch nicht übersehen werden, daß die faktischen Möglichkeiten realer Hilfeleistungen bei den Ländern größer sind als beim Bund.
Die Schwierigkeit meines Ministeriums liegt vor allem darin, daß es nicht nur auf die Koordinierung aller betroffenen Bundesressorts angewiesen ist, sondern auch auf die aktive Mitarbeit des Bundesausgleichsamtes und der Länderregierungen. Es ist keine Anklage, sondern lediglich eine Feststellung, die für den Wissenden eine Selbstverständlichkeit enthält, daß infolge der Mängel und Vielfältigkeit der Koordinationsaufgaben ein Teil der vom Ministerium entwickelten Energie verlorengehen muß, von den unausbleiblichen Reibungen ganz zu schweigen. Ich möchte jedoch betonen, daß
ich mich den Bundesressorts, dem Bundesausgleichsamt, den Ländern, Gemeinden und Gemeindeverbänden, den Verbänden der Landwirtschaft, der Arbeitgeber und Arbeitnehmer, sowie den karitativen Organisationen für ihre Bereitschaft, mitzuarbeiten, verpflichtet fühle.
Zwei Dinge sind es, welche die Arbeit komplizieren und erschweren. Einmal die Tatsache, daß in allen Schichten des deutschen Volkes, auch in Verwaltung und Parlament, die Meinung anzutreffen ist, mit der Arbeitsbeschaffung sei mehr oder weniger auch die Eingliederung vollendet. Diese Auffassung ist irrig, denn sie läßt die Sozialstruktur der Vertreibungsgebiete unberücksichtigt. Sie ignoriert, daß die Vertriebenen in ihrer Heimat ebenso breit sozial gegliedert waren, wie die Bevölkerung Westdeutschlands. Damit sanktioniert diese These förmlich den Zustand der Vermassung wie er durch Austreibung und Flucht geschaffen wurde.
Unsere Aufgabe muß es jedoch gerade sein, die Vermassung aufzulösen und die europäisch gegliederte Sozialordnung wieder herzustellen. Von der Vollendung dieser Aufgabe sind wir noch weit entfernt. Wir werden zwar die Heimat nie zu ersetzen vermögen. Aber diese harte Erkenntnis darf kein Anlaß sein, fatalistisch oder gar in Zufriedenheit die Hände in den Schoß zu legen. Wir dürfen die Vermassung nicht hinnehmen, sondern müssen sie durch organische Gliederung ersetzen.
Zum zweiten darf ich wie eingangs noch einmal mit aller Dringlichkeit darauf hinweisen, daß wir es nicht mit einem einschichtigen, in sich abgeschlossenen, sondern mit einem komplexen Problem zu tun haben. Nach wie vor sind uns drei große Eingliederungsaufgaben gestellt:
1. Die Eingliederung der Vertriebenen. Noch während des Jahres 1955 sind unmittelbar aus dem Ausland 15 788 Vertriebene neu in das Bundesgebiet hereingekommen. Seit der Volkszählung im September 1950 hat die Zahl der Vertriebenen durch Zuwanderung, besonders aus der sowjetischen Besatzungszone, und durch Geburtenüberschuß erneut um 889 374, insgesamt auf 8 867 000 Personen zugenommen.
2. Die Eingliederung der Flüchtlinge aus der sowjetischen Besatzungszone. Die Diktaturflucht bedeutet eine tägliche Volksabstimmung über die sogenannten politischen und sozialen Errungenschaften des Systems, das in der sowjetischen Zone herrscht. Immer erneut bin ich überrascht, wie oft durch eine verständnislose und falsche Betrachtungsweise eine Entwertung dieser Volksabstimmung vorgenommen wird. Natürlich gibt es einen wirtschaftlichen Sog der Bundesrepublik. Die Masse der Flüchtlinge, vor allem die Jugendlichen, haben aber eindeutig echte politische, religiöse oder ethische Fluchtgründe. Den stärksten Sog allerdings übt die Freiheit aus. Wir sollten nie vergessen, daß niemand die Heimat leichten Herzens verläßt. Wenn aber Willkür und Gewalt so groß werden, daß der Freiheitsdrang die Heimatliebe überwindet, dann sollten gerade wir nicht nur einen Arbeitsplatz, sondern in unserem Herzen eine Zuflucht geben.
Die Geflohenen legen uns eine schwere, aber auch
dankbare Aufgabe auf. Wer in ihnen lediglich ein
Potential für den Kräftebedarf unserer Wirtschaft sieht, vergeht sich nicht nur an dem einzelnen Menschen, sondern auch an unserem ersten politischen, dem gesamtdeutschen Anliegen. Während des Jahres 1955 hat die Zahl der Flüchtlinge aus der sowjetischen Besatzungszone, die durch das Notaufnahmeverfahren gegangen sind, um 252 870 zugenommen. Unter ihnen befanden sich 68 000 Vertriebene. Seit der Volkszählung vom 13. September 1950 hat die Bundesrepublik 1 161 000 Flüchtlinge aus der sowjetischen Besatzungszone aufgenommen. Es muß aber damit gerechnet werden, daß die Zahl derer, die aus der sowjetischen Besatzungszone herübergekommen sind, um rund 30 % höher liegt, da wahrscheinlich 300 000 bis 400 000 am Notaufnahmeverfahren vorbeigegangen sind. Zwischen 1941 und 1955 hat sich die Einwohnerzahl des jetzigen Gebietes der Bundesrepublik um mehr als 2,6 Millionen Zugewanderte aus dem jetzigen Gebiet der sowjetischen Besatzungszone vermehrt.
3. Die Wiedereingliederung der Evakuierten. Zehn Jahre nach der Beendigung des Krieges warten noch immer 388 000 Menschen auf die Rückführung in ihre Heimatorte, auf die sie nach den Bestimmungen des Bundesevakuiertengesetzes einen Rechtsanspruch haben. Diese Rückführung ist mehr als eine Ehrenpflicht für Gemeinden, Länder und Bund. Sie ist von grundsätzlicher Bedeutung, da sie im Zusammenhang mit dem Recht auf Heimat gesehen werden muß. Gerade die Vertriebenen und Flüchtlinge haben für die Aufgabe der Rückführung ein besonderes Verständnis, weil das Recht auf die Heimat unteilbar ist und daher auch den Evakuierten zusteht.
Diesen drei sich überschneidenden und überlagernden Eingliederungs- und Betreuungsaufgaben steht der an sich begreifliche Wunsch der eingessenen Bevölkerung gegenüber, das Leben zu normalisieren. Daß es bisher gelungen ist, diese Aufgaben und Tendenzen im wesentlichen ruhig nebeneinander zur Entwicklung zu bringen, ist ein Ereignis, das wir nicht als selbstverständlich hinnehmen sollten. Wir müssen vielmehr allen Bevölkerungsteilen für ihre Einsicht, Gesinnung und Haltung unsere Anerkennung zum Ausdruck bringen.
Zu Frage 1: Vorfinanzierung des Lastenausgleichs. Die Bundesregierung war in den vergangenen Jahren laufend bemüht, eine Vorfinanzierung über eine Auslandsanleihe herbeizuführen. Sie konnte sich dabei auf die Empfehlungen des amerikanischen Bankfachmanns, Herrn Sonne, stützen, die dieser im Jahre 1951 in seinem bekannten Gutachten abgegeben hat. Im vorigen Jahr habe ich mich mit besonderer Unterstützung des Herrn Bundeskanzlers persönlich in den Vereinigten Staaten bemüht. Es ist jedoch zu meinem großen Bedauern bis zur Stunde nicht gelungen, eine Auslandsanleihe zu tragbaren Bedingungen zustande zu bringen.
Wir werden uns in allernächster Zeit mit dem Lastenausgleichsschlußgesetz zu beschäftigen haben. Dabei wird dem Lastenausgleich die endgültige Form gegeben werden. Es gehört zu den Grundzielen des Lastenausgleichs, die durch die Austreibung und Ausbombung vernichteten Existenzen wiederherzustellen und begabten jüngeren Kräften den beruflichen Aufstieg zu sichern. Dabei wird im Sinne der allgemeinen Mittelstandspolitik besonderer Wert darauf gelegt werden müssen, gerade die Verluste kleinerer und
mittlerer Vermögen mit einer möglichst hohen Quote zu bedenken. Wenn heute Millionen einheimischer Mittelständler ihre Abgabepflicht in anerkennenswerter Weise erfüllen, so tun sie das nicht, um Kollektivwerte zu schaffen, sondern um zerstörtes Privateigentum so weit wie irgend möglich wiederherzustellen.
Es wird zu wenig beachtet, daß die Machthaber Mitteldeutschlands den Lastenausgleich ablehnen. Das liegt logisch in ihrem System. Sie wollen die Vermassung und Nivellierung vorantreiben und dabei die eingessene Bevölkerung auf das Niveau der Deklassierten hinabziehen. Es liegt uns fern, Staatspensionäre zu schaffen und den eigenen Unternehmungsgeist mit der dazu gehörigen Verantwortungsfreude zu untergraben. Im Gegensatz zum kommunistischen Regime kommt es darauf an, die Vertriebenen, Flüchtlinge und Ausgebombten auf das Niveau der nichtgeschädigten Bevölkerung zu heben.
Die Bundesregierung erklärt: Von den bis jetzt gewährten Ausgleichsleistungen sind über 2,5 Milliarden durch Vorfinanzierung zustande gekommen. Die Grenzen, die den Bemühungen um eine möglichst weitgehende Beschleunigung der Durchführung des Lastenausgleichs im Wege der Vorfinanzierung gezogen sind, beruhen auf Voraussetzungen allgemeinwirtschaftlicher Art. Dies wird beispielsweise auch darin deutlich, daß der Ausgleichsfonds zur Zeit ihm von der Bundesregierung zugesagte und der Verplanung von Ausgleichsleistungen bereits zugrunde gelegte Einnahmen in Höhe von 650 Millionen DM wegen der bekannten Entwicklung auf dem Geld- und Kapitalmarkt noch nicht hat in Anspruch nehmen können. Der Bund hat zur Überbrückung eine Liquiditätshilfe in Höhe von derzeit 300 Millionen DM zur Verfügung gestellt.
Infolgedessen wird die Verplanung dadurch, daß die Unterbringung der 650 Millionen auf dem Kapitalmarkt noch nicht möglich war, keine Änderung erfahren.
Die Bundesregierung wird sich auch weiterhin um die Bereitstellung der bereits zugesagten Mittel aus dem Kapitalmarkt für den Ausgleichsfonds bemühen.
Darüber hinaus wird die Bundesregierung dafür Sorge tragen, daß die zum Vollzug des Wirtschaftsplans 1956/57 notwendige Liquiditätshilfe zur Verfügung gestellt wird. Ich füge hinzu: Das Bundesausgleichsamt ist also jetzt nach dieser Zusage der Bundesregierung in der Lage, die im vorläufigen Wirtschaftsplan 1956/57 geringer als im Vorjahr eingesetzten Positionen fakultativer Leistungen zu erhöhen.
Zu Frage 2: Haushaltsmittel für den Härtefonds zugunsten der Flüchtlinge aus der sowjetischen Besatzungszone. Es dürfte sich empfehlen, daß die Bundesregierung einmal die mittelbaren und unmittelbaren Lasten, die ihr der Kalte Krieg laufend außerhalb der Verteidigungskosten auferlegt, zusammenstellt. Wir tragen hier eine in ihrer Höhe uns und unseren Freunden unzureichend bekannte und selten beachtete Sonderbelastung.
Die Bundesregierung hat im vergangenen Jahr den entscheidenden Schritt getan, die Ausstattung des Härtefonds von dem Aufkommen des Lastenausgleichs zu trennen. Die berechtigten Erwartungen, welche von der zunehmenden Zahl der politischen Flüchtlinge aus der sowjetischen Besatzungszone an den Härtefonds gestellt werden, sollen nicht zu Lasten der Vertriebenen und Kriegssachgeschädigten gehen. Aus diesem Gedanken heraus hat die Bundesregierung im vorigen Haushaltsjahr den Härtefonds erstmalig mit 50 Millionen DM Bundeshaushaltsmitteln dotiert. Sie geht nun über diese Hilfe weit hinaus. Die Bundesregierung erklärt: Da sich seit der Aufstellung des Haushaltsplanentwurfs 1956 die Zahl der Flüchtlinge aus der sowjetischen Besatzungszone erheblich vermehrt hat und der Kreis der Personen, die Ansprüche an den Härtefonds stellen können, durch die 4. Novelle zum Lastenausgleichsgesetz erweitert wurde, wird die Bundesregierung beim Haushaltsausschuß des Hohen Hauses anregen, den Haushaltsansatz für den Härtefonds bis zum Doppelten des Haushaltansatzes 1955 zu erhöhen.
Die erforderliche Deckung wird allerdings nur durch Einsparungen an anderer Stelle beschafft werden können.
— Meine Damen und Herren! Mit den Worten „an anderer Stelle" ist — worauf ich der Klarheit halber hinweisen muß — nicht auf einen Haushaltsansatz der Anliegen meines Betreuungsbereiches Bezug genommen.
Mit der Verdoppelung des alten Ansatzes werden insgesamt 140 Millionen DM in den neuen Wirtschaftsplan des Fonds eingesetzt werden können. Mit dem Verplanungsrest von 35 Millionen DM stehen also 175 Millionen DM für den Härtefonds zur Verfügung. Mit dem Härtefonds in Zusammenhang steht die Frage der Novellierung der §§ 3 und 4 des Bundesvertriebenengesetzes. In Kenntnis der Tatsachen und der Erfahrungen aus der Praxis der letzten Jahre werden wir die Härten, zu denen auch das Vertretenmüssen gehört, abbauen müssen. Ich denke hier u. a. an eine Ersetzung der kollektiven Vermutung durch eine individuelle Wertung und an eine Würdigung des Gewissenszwanges. Darüber wird mit den Sachverständigen des Gesamtdeutschen und des Vertriebenenausschusses des Hohen Hauses eingehend zu beraten sein.
Zu Frage 2 b: Maßnahmen zur Betreuung und Ausbildung der jugendlichen Sowjetzonenflüchtlinge. Im Bundesjugendplan 1956 sind 7,5 Millionen DM vorgesehen. Das bedeutet gegenüber dem Jahre 1955 eine Erhöhung des Ansatzes um 5 Millionen DM. Über die zur Betreuung und Ausbildung der jugendlichen Sowjetzonenflüchtlinge getroffenen Maßnahmen und etwa darüber hinaus noch zu treffende Maßnahmen wird die Bundesregierung bei der Beantwortung der Großen Anfrage der SPD-Fraktion vom 14. Dezember 1955, Drucksachen 1967 und 1968, und der Erörterung des interfraktionellen Antrags, Drucksache 2024, berichten. Es erscheint nicht zweckmäßig, diese Frage herausgelöst aus dem gesamten Zusammenhang der in den genannten Großen Anfragen behandelten Förderung der jugendlichen Flüchtlinge aus der sowjetischen Besatzungszone allein zu behandeln. Es wird deshalb auf die bevorstehende Beantwortung dieser beiden Großen Anfragen verwiesen.
Die oben genannten 7,5 Millionen DM werden angesichts des großen Zustroms von jugendlichen Zuwanderern aus der sowjetischen Besatzungszone und wegen der übermäßig starken Belegung der Flüchtlingslager vor allem für folgende Aufgaben verwendet werden.
1. Für die Betreuung der jugendlichen Flüchtlinge in den Lagern durch die Lagerdienste der verschiedenen caritativen und freien Wohlfahrtsorganisationen sowie der Jugendorganisationen. Es werden hier Freizeiten, Lehrgänge und Kurse durchgeführt. Für eine individuelle Betreuung der Insassen ist gesorgt.
2. Ebenso wichtig ist die Betreuung und Eingliederung der jugendlichen Flüchtlinge außerhalb der Lager in Jugendgemeinschaftswerken und am Ort der endgültigen Eingliederung. Hier sind zu nennen: Leistung sozialpädagogischer und jugendfürsorgerischer Hilfe, Hinführung zu Berufs- und Erwerbsarbeit, Hilfeleistung beim Unterbringen in Familien und Jugendwohnheimen, Herstellung gesellschaftlicher Kontakte und Pflege einer jugendgemäßen Gemeinschaftsbildung. Je nach Lage des Einzelfalles stehen für die Förderung der beruflichen und schulischen Ausbildung der Flüchtlingsjugend nach verschiedenen Gesetzen Beihilfen zur Verfügung. So z. B. aus dem Härtefonds des Lastenausgleichsgesetzes, nach dem Bundesversorgungsgesetz und dem Häftlingshilfegesetz, ferner aus Mitteln des Bundesministeriums des Innern für Flüchtlingsstudenten, der Bundesanstalt für Arbeitslosenversicherung und -vermittlung Nürnberg und der Kriegsfolgenhilfe.
Die Betreuung und Ausbildung der jugendlichen Flüchtlinge auf Grund dieser Bestimmungen wird allerdings durch die zum Teil langwierigen Verwaltungswege bis zur Gewährung der Beihilfen stark behindert.
Die Bundesregierung berät daher zur Zeit die Schaffung von Zuschuß- und Vorschußfonds, aus denen unbeschadet der Frage, wer die Kosten endgültig zu tragen hat, schnelle Hilfe gewährt werden kann.
Im übrigen sind die gleichen Maßnahmen für die jugendlichen Spätaussiedler aus den Vertreibungsgebieten notwendig. Diese konnten u. a. vielfach die deutsche Schriftsprache nicht erlernen. Die Herren Kultusminister der Länder werden dieser Frage ihre besondere Aufmerksamekit widmen müssen.
Ich glaube, mich hier auf diese kurzen Mitteilungen über dieses ernste Problem beschränken zu können. Bei der Beantwortung der Großen Anfrage der SPD — Drucksachen 1967 und 1968 — wird sich binnen kurzem Gelegenheit geben, die Fragen eingehend zu diskutieren und zu klären.
Zur Frage 3 a: Maßnahmen zugunsten der heimatvertriebenen Wirtschaft. Schon 1945 hatten die Länder begonnen, den Vertriebenen Möglichkeiten einzuräumen, ihr Können und ihre Ausdauer zum eigenen wie zum gemeinsamen Nutzen einzusetzen. Die Bundesregierung ging diesen Weg weiter, gab und verbürgte Kredite und gewährte begrenzte Steuererleichterungen. Sie folgte dabei in vielen Fällen dem Beispiel, das vor etwa 250 Jahren deutsche Fürsten bei der Aufnahme und der so erfolgreichen wirtschaftlichen Eingliederung der
Hugenotten gegeben hatten. So wurden aus einer anfänglichen Last Antrieb und Gewinn für das gesamte Wirtschaftsleben.
Man muß den 128 000 vertriebenen oder geflüchteten Unternehmern der Industrie und des gewerblichen Mittelstandes, die allen Schwierigkeiten zum Trotz die Risiken der Geschäftsgründung auf sich genommen haben, alle Achtung entgegenbringen. Sie haben sich zum großen Teil tapfer emporgehungert. Sie begannen unter ungleichen Startbedingungen, weil ihnen das Eigenkapital fehlte oder nur unzureichend vorhanden war.
Die Startbedingungen anzugleichen, ist das Ziel der wirtschaftsfördernden Maßnahmen der Bundesregierung, die keine Sonderrechte, sondern nur gleiche Voraussetzungen schaffen will. Die Ergebnisse der in der Zeit von 1950 bis 1953 durchgeführten Untersuchungen des Bundeswirtschaftsministeriums sind vorhin in der Begründung gebracht worden. Das alarmierende Ergebnis dieser Untersuchungen hat mich nicht überrascht. Sie werden aber denen, die bisher glaubten, daß alles in Ordnung sei, zu denken geben müssen. Sie sind ein Ruf an Regierung und die gesamte Volkswirtschaft. Sie werden durch folgende Feststellungen nicht entkräftet.
Das Anwachsen der Bilanzsummen läßt eine gewisse Teilnahme der Vertriebenenbetriebe an der allgemeinen Wirtschaftsbelebung erkennen. Die bis 1953 nachgewiesenen erheblichen Anlageinvestitionen dürften während der letzten beiden Jahre eine weitere Verbesserung der wirtschaftlichen Situation herbeigeführt haben. Diese an sich günstige Entwicklung wurde aber durch eine verstärkte Fremdfinanzierung erkauft. Die erreichte wirtschaftliche Verbesserung der Unternehmen schloß noch keine Besserung des Verhältnisses von Eigenkapital und Fremdkapital ein. Die Bundesregierung ist von der Notwendigkeit überzeugt, daß auch weiterhin fördernde Maßnahmen zugunsten dieser Betriebe ergriffen werden müssen.
Aus den getroffenen Feststellungen ergeben sich in der Hauptsache folgende Maßnahmen:
Zur notwendigen Eigenkapitalbildung: Das Eigenkapital bei Vertriebenenbetrieben läßt sich im wesentlichen nur aus dem Gewinn anreichern. Also werden gewisse Erleichterungen bei der Gewinnbesteuerung eine der Möglichkeiten für die Eigenkapitalbildung sein. Aus dieser Erkenntnis heraus erscheint es angezeigt, Wege zu finden, um bei der Vertriebenenwirtschaft die Dauerschulden und Dauerschuldzinsen bei der Ermittlung der Gewerbesteuerschuld von den nach §§ 8 und 12 des Gewerbesteuergesetzes vorzunehmenden Hinzurechnungen auszunehmen. Hierdurch würde eine relativ sehr starke gewerbesteuerliche Belastung abgeschwächt. Ob darüber hinaus noch andere steuerliche Vergünstigungen wie z. B. die §§ 7 a und 7 e und 10 a in Betracht kommen können, wird die Bundesregierung prüfen.
Für die Anreicherung der Gewinne der einzelnen Betriebe sind die Zinsbedingungen der gewährten Kredite von entscheidender Bedeutung. Der Förderung der Eigenkapitalbildung dienen auch die aus dem Lastenausgleichsfonds bereitgestellten Aufbaudarlehen, sofern der Darlehensbe-
trag auf den Anspruch auf Hauptentschädigung angerechnet werden kann. In dem Wirtschaftsplan des Bundesausgleichsamtes für das Jahr 1956 werden Mittel wie seither für die Vergabe von Aufbaudarlehen bereitgestellt.
Zur Betriebsmittelversorgung: Die Bundesregierung hat bereits in der Vergangenheit für die Gewährung von Betriebsmittelkrediten gesorgt, indem die Lastenausgleichsbank Bürgschaften für sonst schwer zu erlangende Bankkredite übernehmen kann. Der zur Zeit bestehende Bürgschaftsrahmen ist noch nicht voll ausgeschöpft. Sollte eine Aufstockung notwendig werden, wird sie im Rahmen der gesetzlichen Möglichkeiten erfolgen.
Zu den Tilgungsverpflichtungen: Der Bericht des Herrn Bundesministers für Wirtschaft hebt mit Recht die Gefahr hervor, die aus der Tatsache erwächst, daß in den fünf Jahren von 1954 bis 1958 mehr als die Hälfte des langfristigen Fremdkapitals zurückgezahlt werden muß. Die Bundesregierung beabsichtigt, Verpflichtungen aus kurzfristigen und hochverzinslichen Schulden durch eine Umschuldungsaktion zu konsolidieren. Auf Grund einer vom Bund verbürgten Anleihe der Lastenausgleichsbank in Höhe von 100 Millionen werden diese Verpflichtungen in Darlehen mit einer Laufzeit von in der Regel 15 Jahren umgewandelt. Zur Minderung der Zinsbelastungen werden Bund und Länder Zinszuschüsse für die umgewandelten Verpflichtungen auf die Dauer von fünf Jahren zur Verfügung stellen. Nachdem die zeitraubenden Verhandlungen mit den Ländern abgeschlossen sind, ist jetzt mit einem baldigen Anlaufen dieser Umschuldungsaktion zu rechnen.
Zur hohen Zinsbelastung: Die in Verbindung mit der Umschuldungsaktion gewährten Zinszuschüsse werden der Vertriebenenwirtschaft generell eine Entlastung ihrer Zinsverpflichtungen bringen. Durch die bessere Ausstattung mit Betriebsmitteln infolge der von der Lastenausgleichsbank verbürgten Kredite können die Betriebe den Skontoabzug ausnutzen. Darüber hinaus wird die Kapitalausstattung laufend durch Bereitstellung weiterer ERP-Mittel für Investitionen und Rationalisierung zu besonders günstigen Zins- und Rückzahlungsbedingungen gefördert. Es ist beabsichtigt, für diese Zwecke auch weiterhin namhafte Mittel zur Verfügung zu stellen.
Zur Betreuung finanz- und ertragsschwacher Betriebe: Aus den Einzeluntersuchungen des Herrn Bundesministers für Wirtschaft geht auch hervor, daß in manchen Fällen innerbetriebliche Maßnahmen zum Zwecke der Rationalisierung und Steigerung der Produktivität von den Unternehmern selbst getroffen werden müssen. Die Beratung durch Sachverständige kann die Voraussetzung entsprechender Verbesserungen sein. Es wird für tunlich gehalten, die Inanspruchnahme von Sachverständigen seitens finanz- und ertragsschwacher Betriebe durch finanzielle Unterstützung aus Bundesmitteln in Zusammenarbeit mit dem Rationalisierungskuratorium der deutschen Wirtschaft zu fördern und auf breite Basis zu stellen.
Zusammenfassend erklärt die Bundesregierung, daß sie alles tun wird, die Vertriebenen- und Flüchtlingswirtschaft, die ein unlösbarer Bestandteil der Gesamtwirtschaft geworden ist, zu fördern. Sie tut dies aus ihrer moralischen Verpflichtung gegenüber den Geschädigten, aus dem gesamtdeutschen Interesse, aber auch — das darf ich hier einmal sagen — aus der Erkenntnis, daß Schwächen und Rückschläge in diesem Teil der Wirtschaft Rückwirkungen auf die Gesamtwirtschaft haben werden.
Zur Frage 3 b: Lage der kriegssachgeschädigten Wirtschaft. Die kriegssachgeschädigte Wirtschaft ist in mancher Hinsicht in ähnlicher Lage wie die heimatvertriebene Wirtschaft. Sie hat aber im allgemeinen ihre Bank- und Geschäftsbeziehungen und damit eine Voraussetzung für den Personalkredit erhalten können. Es ist jedoch eine Notwendigkeit, denjenigen zu helfen, deren Lage jener der Vertriebenen gleicht. Die Parität, der ich mich verpflichtet fühle, bedingt gleiche Hilfen in gleicher Lage.
Ein präzises Urteil über die Kapitalausstattung der kriegssachgeschädigten Wirtschaft abzugeben, ist die Bundesregierung nicht in der Lage, da hinreichende Unterlagen noch nicht beschafft werden konnten. Bei Maßnahmen zugunsten der kriegssachgeschädigten Wirtschaft sind in einigen Fällen Schwierigkeiten bei der Abgrenzung des Personenkreises entstanden. Die sich daraus ergebenden Fragen sind Gegenstand von Erörterungen gewesen, in die auch die Verbände eingeschaltet waren. Die Bundesregierung ist der Auffassung, daß auch einem Teil der kriegssachgeschädigten Wirtschaft Hilfen gewährt werden müssen. Ihr sind bereits u. a. aus ERP-Mitteln, aus STEG-Mitteln und aus dem Lastenausgleichsfonds Investitionskredite und Bürgschaften für Betriebsmittelkredite zur Verfügung gestellt worden. Die Hilfen werden weitergeführt. Weitere Kreditmaßnahmen werden nach den in Gang befindlichen Erhebungen und Prüfungen durchgeführt werden.
Zur Frage 4: Eingliederung des Landvolkes. Die Ansiedlung der vertriebenen und geflüchteten Bauern ist für die Wiederherstellung der alten sozialen Gliederung der wichtigste, aber auch der schwierigste Teil der Eingliederungsaufgabe. Die allgemeinen Schwierigkeiten sind bekannt. Die Bodenreform ist von den Besatzungsmächten unter teilweise diffamierenden Gesichtspunkten eingeleitet worden und blieb daher stecken. Wir haben eine große Zahl nachgeborener Bauernsöhne sowie Landarbeiter und Heuerlinge mit einem berechtigten Landbedarf, den auch die Heimatvertriebenen ausdrücklich anerkennen. Die durch die ausländische Konkurrenz erzwungene Notwendigkeit der Mechanisierung und Rationalisierung zwingen unsere Landwirtschaft zur Strukturverbesserung.
Diese ist besonders in den Gebieten fortgesetzter Realteilung notwendig. Bei der Ansiedlung sind Kollege Lübke und ich nicht nur bestrebt, möglichst viele vertriebene und geflüchtete Bauern anzusetzen. Wir haben auch die Gesamtlage der Landwirtschaft zu berücksichtigen und darauf bedacht zu sein, lebensfähige Siedlungen zu schaffen. Diese sind zugleich ein Beitrag zur Strukturverbesserung und damit zur Sicherung der Lebensfähigkeit der gesamten deutschen Landwirtschaft. Jeder Kenner unserer Verhältnisse weiß, daß eine Erfüllung aller Siedlungswünsche bei 150 000 vertriebenen und mehr als 18 000 aus der Sowjetzone geflüchteten Bauern schon nach der Größe dieser Ziffern, erst recht aber bezüglich der Größe der erstrebten Betriebe unmöglich ist. Ich bin überzeugt, daß die vorhandenen Möglichkeiten zur Ansiedlung noch
lange nicht erschöpft sind und daß sich das Tempo steigern läßt. Dabei sollten wir die notwendigen Maßnahmen fördern, die die für unsere gesamte Bevölkerung lebenswichtige Substanz erhalten und noch Siedlungswillige an die Scholle binden.
Frage 4 a: Altersversorgung landabgebender Bauern. Trotz zunehmender Mobilität des Bodens ist der Umfang der Landbeschaffung für den Siedlungserfolg entscheidend. Die Bundesregierung ist deshalb bemüht, der Siedlung alle erfaßbaren Landreserven zuzuführen, wozu vornehmlich auch jene landwirtschaftlichen Betriebe gehören, deren Besitzer erbenlos sind oder keine übernahmebereiten Nachkommen haben. Eine Sicherung der Altersversorgung wird die Bereitschaft gerade dieses Personenkreises zur Landabgabe wesentlich fördern. Statt den Kaufpreis in bar entgegenzunehmen, hat der Verkäufer künftig die Möglichkeit, Wohnrecht sowie eine Geld- und Naturalrente —in Form etwa des üblichen Altenteils — auf Lebenszeit mit dem Übernehmer zu vereinbaren. Unter Zugrundelegung der Lebenserwartung des Landabgebers müssen die kapitalisierten Leistungen dem festgestellten Wert des Betriebs entsprechen. Die auf dem Kreditwege aufzubringende kapitalisierte Barrente bringt der Siedler in die Deutsche Siedlungsbank ein, welche die monatliche Auszahlung der Rente übernimmt. Dieses Verfahren wurde in einem Bundesland bereits mit Erfolg erprobt. Hierbei ergab sich in relativ kurzer Zeit ein Landanfall, der die Errichtung von 23 Vollerwerbs- und 135 Nebenerwerbsstellen ermöglichte. Da etwa 90 % der auslaufenden Betriebe in der Größenklasse unter 5 ha liegen, müssen die Siedlungsgesellschaften in vielen Fällen vor Ansetzung des Siedlers eine Zusammenlegung der Parzellen zu einer vollen Betriebseinheit vornehmen. Der Herr Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten hat den Ländern Empfehlungen zugehen lassen, damit die aus den bereits durchgeführten Fällen erworbenen Erfahrungen allgemein angewendet werden. Die Empfehlung ist ein geeignetes Mittel, die traditionelle Fehlentwicklung in der Agrarstruktur mancher deutscher Landschaften zu verbessern und vielen Fachkräften eine organische berufliche Verankerung zu geben. Die Voraussetzung bilden etwa 129 000 Höfe ohne Erben, davon 85 000 in einer Betriebsgröße von weniger als 2 ha. Der Erfolg wird davon abhängen, ob die Länder und Gemeinden zusammen mit den berufsständischen Organisationen wirklich alle in Frage kommenden Betriebsinhaber über die gebotenen Möglichkeiten aufklären. Die Bundesregierung ist der Auffassung, daß dieses Verfahren eine notwendige Ergänzung der bisherigen Siedlungsmethoden darstellt. Sie hat es daher in die Förderungsmaßnahmen im Sinne des Bundesvertriebenengesetzes einbezogen.
Zu Frage 4 b: Rechtzeitige Bereitstellung der Siedlungsmittel. Die Bundesregierung wird die Haushaltsmittel 1956, sofern sie für die Realisierung der sich bietenden Siedlungsmöglichkeiten benötigt werden, rechtzeitig zur Verfügung stellen. Soweit diese Mittel hierfür nicht ausreichen, wird die Bundesregierung für eine kontinuierliche Fortsetzung der Siedlungsmaßnahmen durch Bindungsermächtigung, notfalls durch Zustimmung zu einem Vorgriff, so rechtzeitig Sorge tragen, daß eine Unterbrechung der Siedlung nicht eintreten kann.
Zu Frage 4 c: Zusätzliche Anstrengungen zur Durchführung des Siedlungsprogramms. Auf Grund
eingehender Prüfungen der Eingliederungsmöglichkeiten für die vertriebene Landbevölkerung hatten Bundestag und Bundeskabinett die Erwartung ausgesprochen, daß im Zeitraum von 1953 bis 1957 etwa 100 000 Bauernfamilien angesiedelt werden. Im Sinne der Regierungserklärung vom 20. Oktober 1953 hat die Bundesregierung die gesetzlichen, finanziellen und verwaltungstechnischen Voraussetzungen zur Erreichung dieses Zieles geschaffen.
Für die Durchführung der Siedlung unter Ausnützung dieser gebotenen Möglichkeiten sind jedoch die Länder verantwortlich. Auf diesen Tatbestand hat die Bundesregierung wiederholt hingewiesen. In laufenden Verhandlungen ist sie bemüht, eine Intensivierung der schwierigen Arbeit in den Ländern und damit das gesteckte Ziel zu erreichen.
Darüber hinaus muß aber auch die Fortsetzung der Siedlungsmaßnahmen für die Zeit ab 1957 sichergestellt werden. Grundlegend hierfür ist die gesetzliche Verpflichtung des Bundes, die für die Eingliederung des vertriebenen Landvolkes erforderlichen Mittel bereitzustellen, was bis zur Stunde stets geschah.
In § 46 des Bundesvertriebenengesetzes ist die Verpflichtung des Ausgleichsfonds festgelegt, den Ländern bis einschließlich 1957 jährlich 100 Millionen DM darlehensweise zur Verfügung zu stellen. Außerdem stellt der Ausgleichsfonds bis 31. März 1957 gemäß § 253 des Lastenausgleichsgesetzes Aufbaudarlehen für Landwirtschaft bereit. Der Lastenausgleich wird im Jahre 1957 aus der „Eingliederungsphase" in die „Entschädigungsphase" übergeleitet. Daraus werden sich Rückwirkungen auf die Gestaltung der künftigen Wirtschafts- und Finanzierungspläne des Bundesausgleichsamtes ergeben.
Unabhängig hiervon ist sich jedoch die Bundesregierung bewußt, daß auch von 1957 an die Eingliederung des Landvolkes durch Bereitstellung ausreichender Mittel gesichert werden muß.
Die Bundesregierung wird prüfen, inwieweit die Gültigkeit der Bestimmungen des Bundesvertriebenengesetzes über die Vergünstigungen auf dem Gebiet des Steuer- und Abgabenrechts gemäß §§ 47 bis 56 des Bundesvertriebenengesetzes nach 1957 verlängert werden muß. Grundsätzliche Bedenken gegen eine zeitliche Verlängerung dieser Bestimmungen bestehen nicht. Darüber hinaus hält die Bundesregierung eine Anpassung der in § 36 Nr. 3 des Bundesvertriebenengesetzes festgelegten Wertgrenzen an die Bedürfnisse der Praxis für erforderlich. Sie strebt eine Gesetzesänderung an, nach der die Vergünstigungen auf dem Gebiet des Steuer-und Abgabenrechts ohne Rücksicht auf die bisherige Wertgrenze künftig in jedem Falle der Veräußerung oder Verpachtung bis zu einem Wertanteil von 80 000 DM gegeben werden können. Außerdem hat sich die Bundesregierung mit Erfolg für die Vereinheitlichung der Siedlungsfinanzierung durch Angleichung der Konditionen und Zusammenfassung aller Geldquellen einschließlich der Mittel aus dem Ausgleichsfonds eingesetzt. Um die Ansätze in den Haushalten des Bundes und der Länder den Erfordernissen besser anpassen zu können, wird das Siedlungsprogramm dem Bundeskabinett zur Beschlußfassung künftig vor Beginn des jeweiligen Haushaltsjahres zugeleitet werden.
Das Siedlungsprogramm 1956/57 mit 14 597 von den Ländern eingesetzten Stellen für Vertriebene und Flüchtlinge liegt dem Kabinett vor. Die Finanzierung dieses Programms sowie der sich darüber hinaus bietenden Siedlungsmöglichkeiten ist nach der eben verlesenen Erklärung der Bundesregierung gesichert. Die Bundesregierung wird auch weiterhin ihre Aufmerksamkeit der Eingliederung der vertriebenen Landarbeiter und der nicht mehr siedlungsfähigen Bauern sowie der Ausbildung und dem berufsgerechten Einsatz der vertriebenen Landjugend widmen. Sie gibt schließlich ihrer besonderen Hoffnung Ausdruck, daß die für die Durchführung der Siedlungsmaßnahmen verantwortlichen Länder in Zusammenarbeit mit der Bundesregierung künftig noch bessere und schnellere Erfolge erzielen werden.
Zu Frage 5: Wohnraummäßige Unterbringung der Geschädigten. Einen wesentlichen Einfluß auf die Versorgung der Vertriebenen, Flüchtlinge und Evakuierten mit Wohnraum hat die Vergabepraxis der lokalen Wohnraumbewirtschaftungsbehörden. Die Lockerung der Wohnraumbewirtschaftung ist eine Folge der in der gesamten Bevölkerung wirkenden Normalisierungstendenz. Diese hat sich auf Gesetzgebung und Verwaltung ausgewirkt. Ich bin der Auffassung, daß die Normalisierung bei der Wohnraumbewirtschaftung den Tatsachen und Bedürfnissen vorausgeeilt ist. Ich weiß mich in dieser Feststellung einig mit allen, welche den Wohnraumbedarf der Geschädigten kennen und in der Praxis der Wohnraumvergabe tätig sind bzw. Erfahrung haben. Die Verwaltung kann nicht mehr leisten, als ihr aus der Gesetzgebung heraus möglich ist. Ich muß an dieser Stelle auch einmal die natürliche Kraft der Tatsachen erwähnen, die auf der Seite jener steht, die den selbstverständlichen Vorteil einer örtlichen Verwurzelung auf ihrer Seite haben. Ich will hiermit nicht jedes Verhalten der Verwaltungsbehörden decken. In vielen Fällen, auch wenn sie formell korrekt erledigt sein mögen, wäre eine bessere Lösung möglich, wenn Verständnis, Wille und Mut zum Helfen mitgewirkt hätten. Im großen und ganzen aber ist die Abwärtsentwicklung des Anteils der Geschädigten an der Vergabe neuen und alten Wohnraums auf die Lockerung der Wohnraumbewirtschaftung zurückzuführen. Ein Beschluß, den das Bundeskabinett gestern auf Antrag des Herrn Bundesministers für Wohnnungsbau gefaßt hat, ist geeignet. dieser Entwicklung Einhalt zu gebieten. Aus Bundeshaushaltsmitteln werden im kommenden Haushaltsjahr nicht 500 Millionen DM wie bisher, sondern 700 Millionen DM für den Wohnungsbau zur Verfügung stehen. Diese zusätzlichen 200 Millionen DM dienen u. a. der Qualitätsverbesserung des sozialen Wohnungsbaues, der Förderung des Eigenheimbaues und kommen darüber hinaus anteilmäßig unmittelbar und mittelbar allen Geschädigten zugute.
In Ziffer 5 wird zunächst gefragt, wie weit die wohnraummäßige Unterbringung der Vertriebenen, Flüchtlinge und der Evakuierten fortgeschritten ist. Die wohnliche Unterbringung der Vertriebenen konnte nur im Jahre 1950 anläßlich der Volkszählung auf Grund amtlicher Zahlen festgestellt werden. Für die Ermittlung des heutigen Standes sind nur Schätzungen möglich. Eine wissenschaftliche Arbeit hat versucht, anhand der Gesamtentwicklung des Wohnungsbaus seit 1950 und der Statistik der Wohnraumvergaben seit 1952 hierzu hinreichende Schätzungsunterlagen zu liefern. Es kann
hiernach folgendes gesagt werden: Den Vertriebenen standen 1950 etwa 580 000 selbständige Wohnungen zur Verfügung. Bis zum 1. Januar 1955 sind es rund 1,4 Millionen Wohnungen geworden. Das bedeutet, daß im Jahre 1950 nur 28 % aller vertriebenen Wohnungsinhaber eine Normalwohnung hatten, während es Anfang 1955 schon 62 % geworden waren. Umgekehrt ist der Anteil der als Untermieter oder in Notwohnungen und Lagern untergebrachten Vertriebenen von 72 % im Jahre 1950 auf 38 % Anfang 1955 zurückgegangen. Dehnt man diese Untersuchungen sinngemäß auf den Verlauf des Jahres 1955 aus, so kann bei einer etwa gleichen Beteiligung der Vertriebenen an dem Wohnungsbau dieses Jahres damit gerechnet werden, daß gegenwärtig etwa zwei Drittel der vertriebenen Bevölkerung selbständig in Normalwohnungen untergebracht sind. Bei der übrigen Bevölkerung beträgt dieser Anteil jedoch etwa neun Zehntel. Daraus ergibt sich, daß zwar Erhebliches geleistet worden ist, aber noch recht viel getan werden muß. Genauere Zahlen kann nur die für 1956 vorgesehene Wohnungszählung erbringen.
Wieweit die wohnraummäßige Unterbringung der Flüchtlinge aus der sowjetischen Besatzungszone gediehen ist, kann ich Ihnen leider nicht angeben. Denn weder aus der Volkszählung 1950 noch aus neuerer Zeit sind konkrete Grundlagen vorhanden. Lediglich seit 1953 gibt es zuverlässige Zahlen. Hierauf komme ich noch bei Beantwortung der Frage 6.
Bei den Evakuierten sind nicht einmal Schätzungen möglich. Es sei nur darauf hingewiesen, daß bei Kriegsende große Teile der westdeutschen Bevölkerung abwesend waren. Diese sind zurückgekommen und haben z. B. als Kriegssachgeschädigte eine Neubauwohnung erhalten, ohne daß hierbei festgestellt wurde, ob es sich um Evakuierte handelte. Die für 1956 vorgesehene Wohnungszählung wird über die wohnliche Unterbringung aller Wohnungsgeschädigten Zahlen erbringen.
In Ziffer 5 a wird gefragt, wieviel Vertriebene, Flüchtlinge und Evakuierte sich noch in Lagern, Baracken und sonstigen Notunterkünften befinden. Man muß bei einer Frage nach Lagern und Lagerinsassen zunächst zwei Kategorien begrifflich unterscheiden: erstens die alten, meist seit Kriegsende bestehenden Wohnlager, die in familienmäßig abgetrennte Räume unterteilt sind — diese sind zur längeren Unterbringung bestimmt und hauptsächlich mit Vertriebenen belegt —, und zweitens die Durchgangslager sowie die Notunterkünfte Ost, die seit etwa drei Jahren für den Flüchtlingsstrom aus der sowjetischen Besatzungszone eingerichtet sind. Es gibt ferner noch die Notaufnahmelager Berlin, Uelzen, Gießen und die Grenzdurchgangslager Friedland, Piding, Schalding usw., die aber in diesem Zusammenhang nicht interessieren, da ihre Insassen meist nur kurze Zeit verbleiben.
Lediglich für die Kriegsfolgenhilfe-Lager und die Notunterkünfte Ost bestanden bisher periodische Statistiken. Schon mein Vorgänger im Amt hatte sich dafür eingesetzt, daß eine einmalige Statistik aller Lager und Lagerinsassen durchgeführt wird. Der entsprechenden Verordnung wurde endlich im Mai 1955 vom Bundesrat zugestimmt. Daraufhin sind mit dem Stichtag vom 30. Juni 1955 sämtliche im Bundesgebiet vorhandenen Lager mit ihren Insassen erfaßt worden.
Die ersten, vorläufigen Ergebnisse sagen zunächst einmal, daß ein Drittel aller Lagerinsassen
in Lagern leben, die bisher statistisch kaum erfaßt worden sind. Am 30. Juni vorigen Jahres bestanden im Bundesgebiet 1919 Wohnlager mit rund 232 000 Insassen. Die Lager verteilen sich fast ausschließlich auf vier Länder: Niedersachsen mit 88 000, Schleswig-Holstein mit 68 000, Bayern mit 35 000 und Hamburg mit 23 000 Personen.
Unter den insgesamt 232 000 Insassen befinden sich 151 000 Vertriebene = 65 %, 10 000 Zuwanderer aus der sowjetischen Besatzungszone = 4,3%, 9600 Evakuierte = 4 % und 21 000 Ausländer und Staatenlose = 9 %. In diesen Lagern leben ferner 7600 sonstige Kriegsfolgenhilfeempfänger, z. B. Kriegsbeschädigte und Heimkehrer mit Angehörigen, und schließlich 33 000 andere Personen. Bei letzteren handelt es sich meist um Exmittierte und Asoziale, die von den Gemeinden in die im Laufe der Zeit freigewordenen Lagerplätze eingewiesen wurden.
Zu den Zahlen des Bundesgebietes sind noch 39 Wohnlager in Berlin mit 17 000 Zuwanderern aus der sowjetischen Besatzungszone hinzuzuzählen.
Ein Vergleich dieser Zahlen vom 30. Juni 1955 mit der zurückliegenden Zeit kann nur auf Schätzungen beruhen, da nur die Kriegsfolgenhilfe-Lager periodisch gezählt wurden. Es ergibt sich hiernach immerhin, daß die Zahl der Lagerinsassen der Dauerwohnlager seit 1953 um etwa 40% abgenommen hat.
Während sich aber die Zahl der Dauerwohnlager und ihrer Insassen im Laufe der letzten Jahre allmählich durch Wohnungsbau, Umsiedlung und Lagerauflösung verringert hat, ist seit etwa 3 Jahren zusätzlich eine neue Lagerart entstanden. Es handelt sich um die Notunterkünfte Ost und Durchgangslager, die zur vorübergehenden Unterbringung der notaufgenommenen Flüchtlinge aus der sowjetischen Besatzungszone eingerichtet wurden.
Die Zahl dieser Insassen wird periodisch registriert. Am 1. Januar 1955 waren es 135 000 Personen. Die Zahl sank bis zum 1. Mai auf 128 000. Seitdem steigt sie aber ständig an. Der zunehmende Flüchtlingsstrom, mit dem der Wohnungsbau nicht Schritt halten konnte, bewirkte, daß am 1. Januar 1956 164 000 Insassen in den Notunterkünften Ost gezählt wurden. Von diesen sind etwa ein Viertel Vertriebene, die nunmehr zum zweiten Mal von vorne beginnen müssen. Bei den 165 000 Menschen handelt es sich fast durchweg um Notaufgenommene, die den Ländern Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg zugewiesen worden sind. Hierunter sind 54 000 in sogenannten Festlagern, die diese Länder in anderen Ländern unterhalten. Wenn man also das soziale Elend aller Lagergruppen zusammenfaßt, so ergibt sich, daß Anfang dieses Jahres wieder etwa 410 000 Menschen in rund 3000 Lagern untergebracht sind. Dies ist eine wahrhaft erschreckende Zahl. Sie wird noch verstärkt durch die nicht bekannte Anzahl der Bewohner von Bunkern und anderen Notquartieren in den Gemeinden.
Zu Frage 5 b Satz 1, Anteil der Geschädigten bei Wohnraumvergabe. Der alljährliche Anteil der Geschädigten bei der Vergabe von bewirtschaftetem Wohnraum ergibt sich aus der WohnraumvergabeStatistik, die seit 1952 geführt wird. Es waren beteiligt an der Erstvergabe von Neubauwohnungen im Jahre 1954: die Vertriebenen mit 39,2 %, die Flüchtlinge mit 4,1 %, die Evakuierten mit 2,3 %. Gegenüber den Zahlen des Jahres 1952 hat sich der Anteil der Vertriebenen um ein Fünftel vermindert, der Anteil der Flüchtlinge hat sich verdreifacht und auch der Anteil der Evakuierten ist etwas gestiegen. Für das Jahr 1955 liegen noch keine Gesamtziffern vor.
Allgemein etwas niedriger liegen die Anteile dieser Personenkreise bei der Wiedervergabe von Altwohnraum. Hier sind im Jahre 1954 beteiligt gewesen: die Vertriebenen mit 27,6 %, die Flüchtlinge mit 2,7% und die Evakuierten mit 0,6% Gegenüber dem Jahre 1952 ist etwa die gleiche Veränderung wie bei den Neubauwohnungen eingetreten.
Die Entscheidung über die Zuteilung bewirtschafteten Wohnraumes ist nach dem Wohnraumbewirtschaftungsgesetz nur in wenigen Fällen in die Hand der Wohnungsbehörden gelegt. Die Zuteilung erfolgt in der Regel entsprechend dem Antrag des Verfügungsberechtigten. Außerdem besitzt nach dem Ersten Wohnungsbaugesetz derjenige Wohnungsuchende einen Anspruch auf Zuteilung einer Wohnung, der dazu einen angemessenen Finanzierungsbeitrag leistet. Die Wohnraumvergabe bei öffentlich geförderten Wohnungen wird daher fast ausschließlich schon im Stadium der Finanzierung entschieden.
In Würdigung dieser Sachlage hat sich die Bundesregierung bemüht, durch Einflußnahme auf entsprechende Mittelbereitstellungen, insbesondere der Aufbaudarlehen, dafür zu sorgen, daß diese Personenkreise einen angemessenen Anteil am Wohnungsbau erhalten. Nur dadurch konnten überhaupt in den Jahren 1952 bis 1954 die vorerwähnten Anteile an der Erstvergabe erzielt werden. Wohl ist der Anteil der Vertriebenen an Neubauwohnungen zurückgegangen. Die absolute Zahl der an Vertriebene vergebenen öffentlich geförderten Wohnungen hat sich aber gegenüber 1952 erhöht. Ferner hat auch die Beteiligung der Vertriebenen an den steuerbegünstigten und frei finanzierten Wohnungen zugenommen. Ein ständig steigender Anteil der Aufbaudarlehen ist diesem Wohnungsbau zugeflossen; von dem im Individualverfahren bewilligten Betrag ist etwa ein Viertel auf nicht öffentlich geförderte Vorhaben zugunsten Vertriebener und Kriegssachgeschädigter entfallen. Es steht aber andererseits fest, daß in den letzten drei Jahren die Bereitstellung von Lastenausgleichsmitteln für den Wohnungsbau ständig gestiegen ist. Demnach hat sich der Anteil der Geschädigten und hierunter besonders der Vertriebenen an den Ergebnissen des öffentlich geförderten sozialen Wohnungsbaus nicht im gleichen Verhältnis erhöht.
In diesem Zusammenhang darf nicht übersehen werden, daß noch im Jahre 1952 viele Wohnungen lediglich auf Grund der nachstelligen öffentlichen Förderung und der Bindung an Vertriebene vergeben wurden, während die Restfinanzierung aus privaten Quellen, sei es vom Bauträger, vom Arbeitgeber, durch Verwandtenhilfe oder auf andere Art aufgebracht wurde. Heute dagegen muß die Restfinanzierung fast ganz durch Aufbaudarlehen gedeckt werden. Eine Ursache hierfür ist allerdings auch die Baukostensteigerung und die zunehmende Verbesserung der Wohnungen nach Größe und Qualität.
Die Zahl der Flüchtlinge aus der sowjetischen Besatzungszone wächst ständig.
Ihr Anspruch an der Wohnungsvergabe wird also zwangsläufig zunehmen. Also müssen Finanzierungsmittel im entsprechenden Umfange bereitgestellt werden.
Bei den Evakuierten kommt dem Ansteigen ihres Anteils an den Erstvergaben erhöhte Bedeu-
tung zu, zumal sie wegen ihrer Entfernung von dem Ausgangsort bei Wiedervergaben wenig Aussicht auf Berücksichtigung haben.
Frage 5 b 2: Ist die Zweckbindung ausdehnbar? Ich habe bereits darauf hingewiesen, daß die Vergabe von Wohnungen an diese Personenkreise nicht immer durch bloßen Verwaltungsakt gesichert werden kann, sondern viel besser durch Bereitstellung entsprechender Mittel, insbesondere im Bereich der Restfinanzierung. Die für den allgemeinen Wohnungsbau bereitstehenden 500 Millionen DM Bundeshaushaltsmittel sind bisher wiederholt mit unterschiedlichen Anteilen vor allem zur Durchführung der übergebietlichen Umsiedlung zweckgebunden worden. Daran soll auch in Zukunft in vertretbarem Maße festgehalten werden. Eine Ausdehnung der Zweckbindung über den bisherigen Umfang hinaus dürfte aber im Interesse der übrigen wohnungsuchenden Bevölkerungskreise gegenwärtig leider nicht möglich sein.
Eine Erhöhung der Lastenausgleichsmittel scheidet im Hinblick auf die sonstigen Verpflichtungen des Lastenausgleichs aus; der Fonds trägt bereits mit fast einem Drittel seines Gesamtaufkommens zum Wohnungsbau bei.
Für die Evakuierten gilt ähnliches wie für die Vertriebenen. Doch kommt hier hinzu, daß nur etwa 50 % der Evakuierten lastenausgleichsberechtigt sind. Infolgedessen kann nur etwa die Hälfte Wohnungsbaumittel aus dem Lastenausgleich erhalten.
Auf die noch schwierigere Situation bei dem Wohnungsbau für Flüchtlinge werde ich bei Beantwortung der Frage 6 eingehen.
Zu Frage 5 c: Das Wohnungselend der ersten Jahre nach 1945 erzwang jede Lösung auf jedem gangbaren Weg. Die Voraussetzungen für größere Beweglichkeit mußten erst geschaffen werden. Man verhalf zum Wohnraum, noch nicht zur Wohnung und noch weniger zum Wohneigentum. Inzwischen ist die Bewegungsfreiheit erweitert und Eigentumsbildung ohne Beeinträchtigung des Bauergebnisses möglich geworden. Das schlimmste Elend ist weitgehend beseitigt. Noch aber besteht vornehmlich in den Wirtschaftszentren ausgesprochene Wohnungsnot.
In Ziffer 5 c wird zunächst gefragt, wieviel für Geschädigte gebundene und wieviel bezogene Wohnungen als Ergebnis . der Wohnraumhilfe festgestellt worden sind. Die Wohnraumhilfemittel des Lastenausgleichs müssen zur nachstelligen Finanzierung des öffentlich geförderten sozialen Wohnungsbaus zur Verfügung gestellt werden. Entsprechend dem Wunsch der gesetzgebenden Körperschaften werden sie zusammen mit den übrigen Mitteln von den zuständigen Förderungsstellen der Länder bewilligt. Über die mit diesen öffentlichen Mitteln geförderten Wohnungen und über die nach den Bewilligungsbescheiden für Geschädigte vorbehaltenen Wohnungen haben die Länder dem Bundeswohnungsbauministerium und dem Bundesausgleichsamt alljährlich einen Verwendungsnachweis zu liefern.
Aus den bisher für die Rechnungsjahre 1952 bis 1954 vorliegenden Nachweisen ergibt sich nur ein noch unvollständiges Bild mit vorläufigen Zahlen. Ich beschränke mich darauf, hier das Ergebnis von 1954 — allerdings ohne Baden-Württemberg — bekanntzugeben. Hiernach sind rund 50 % aller mit öffentlichen Mitteln geförderten Wohnungen durch Bewilligungsbescheide für Geschädigte gebunden;
aber insgesamt rund 70 % wurden an Geschädigte zugeteilt. Da der Anteil der Wohnraumhilfemittel an den gesamten öffentlichen Förderungsmitteln etwa ein Drittel betragen hat, bedeutet dies, daß die Länder der ihnen nach den Einsatzrichtlinien obliegenden Verpflichtung nachgekommen sind. Sie haben nämlich mindestens denjenigen Anteil geförderter Wohnungen durch Bewilligungsbescheid den Geschädigten vorbehalten, der dem Verhältnis der Lastenausgleichsmittel zu den insgesamt zur Verfügung gestellten öffentlichen Mitteln entspricht. Sie haben weiterhin auch einen angemessenen Teil der sonstigen mit öffentlichen Mitteln geförderten neuen Wohnungen an Geschädigte zugeteilt. Das ist vornehmlich eine Folge der durch den Einsatz von Aufbaudarlehen im Restfinanzierungsraum automatisch eintretenden Bindung der Wohnungen zugunsten von Geschädigten.
Die weitere Frage lautet, wie viele mit Lastenausgleichsmitteln geförderte Wohnungen den Geschädigten zu Eigentum zugefallen sind. Der gefragte Anteil kann vom Bundesausgleichsamt lediglich für den Bereich der Aufbaudarlehen angegeben werden. Diese Zahlen aber erlauben weitgehend einen Rückschluß auf die Verwendung der nachstelligen Wohnungsbaumittel, auch der Wohnraumhilfemittel. Denn der weitaus überwiegende Teil der mit Wohnraumhilfemitteln geförderten Wohnungen ist gleichzeitig mit Aufbaudarlehen finanziert worden.
Von den bisher insgesamt bis zum 30. September 1955 mit Aufbaudarlehen geförderten 422 000 Wohnungen kann über die Rechtsform und damit über die Frage des Eigentums bei zunächst 324 000 Wohnungen Aufschluß gegeben werden. Der Rest entfällt auf Wohnungen, für die — im Globalverfahren gefördert — eine Abrechnung noch nicht erfolgt ist. Von diesen 324 000 Wohnungen sind 106 000 Wohnungen in der Rechtsform des Eigenheims oder des Wohnungseigentums oder des Dauerwohnrechts erstellt. Hierbei ist bei Eigenheimen mit Einliegerwohnung nur die eine Wohnung gezählt worden, für welche der Darlehensnehmer, der Wohnungsbenutzer und der Eigentümer ein und dieselbe Person ist. Es sind ferner für 20 000 Antragsteller Mehrfamilienhäuser hauptsächlich im Wiederaufbau und als Ersatzbau Geschädigter mit zusammen 80 000 Wohnungen gefördert worden. Es entfallen also lediglich 20 000 Wohnungen aus diesen Förderungsmaßnahmen auf Eigentümer. Insgesamt ergibt sich demnach, daß von den 324 000 Wohnungen etwa 126 000 — das sind 40% — in das Eigentum von Geschädigten gelangt sind. Fast 200 000 Wohnungen — das sind 60 % — sind Mietwohnungen.
Es wird gefragt, ob die ordnungsgemäße Ablösung der im Globalverfahren gewährten Aufbaudarlehen durch Individualanträge gewährleistet ist. Die Ausführungsbestimmungen zu § 20 der entsprechenden Weisung des Bundesausgleichsamtes haben die Ablösung der Globaldarlehen in lückenlosen Vorschriften geregelt. Die Durchführung des Verfahrens ist nicht ganz einfach. Es setzt die einwandfreie Zusammenarbeit von zahlreichen behördlichen Stellen und Bauträgern voraus. Daraus ergeben sich in der Praxis manche Schwierigkeiten. Das Bundesausgleichsamt ist aber im Einvernehmen mit den zuständigen Bundesressorts mit einigem Erfolg bemüht, die Hindernisse aus dem Weg zu räumen. Die Schwierigkeiten liegen besonders darin, daß Wohnungen an Geschädigte zugeteilt worden sind, die nicht bereit sind, nachträglich Ablösungsanträge zu stellen. Der Druck, den das Bun-
desausgleichsamt in letzter Zeit auf die beschleunigte Ablösung der Globaldarlehen ausübte, hat zu einer ständig steigenden Ablösungsquote geführt.
Die in der nächsten Frage angeschnittene unbefriedigende Berücksichtigung der Individualanträge auf Aufbaudarlehen ist hauptsächlich auf ein relativ starkes Anschwellen der Anträge auf Aufbaudarlehen zurückzuführen. Um dieser Entwicklung zu begegnen, beabsichtigt die Bundesregierung, zwei Wege zu beschreiten: erstens ausreichende Bereitstellung von Aufbaudarlehen für den Wohnungsbau zugunsten von Geschädigten im Rahmen der gegebenen Möglichkeiten. In diesem Sinne hat sich die Bundesregierung bereits im Dezember 1955 bereit erklärt, der Vorfinanzierung von 150 Millionen DM zuzustimmen, die zur Aufstockung der vom Präsidenten des Bundesausgleichsamtes für 1956 zu bewilligenden Aufbaudarlehen für den Wohnungsbau verwendet werden sollen. Damit soll gleichzeitig dem Kontrollausschuß die Zustimmung zu gewissen Zweckbindungen anteiliger Lastenausgleichsmittel für die Umsiedlung und Evakuiertenrückführung erleichtert werden.
Die Bundesregierung beabsichtigt zweitens die Einschränkung des Globalverfahrens. Das Globalverfahren hat sich in der Vergangenheit im Interesse der wohnungsmäßigen Unterbringung der Geschädigten, die nicht selbst zu bauen vermochten, als notwendig erwiesen. Es hat darüber hinaus dazu beigetragen, den im Anfang stockenden Abfluß der Mittel aufzulockern. Nunmehr kann dazu übergegangen werden, das Globalverfahren im Interesse der Individualanträge und einer verstärkten Eigentumsbildung einzuschränken.
Notwendig bleibt das Globalverfahren dabei für die äußere Umsiedlung und im wesentlichen auch für die innere Umsiedlung und den Wiederaufbau. Dagegen wird der Bundesminister für Wohnungsbau den Präsidenten des Bundesausgleichsamtes bitten, das Verfahren für diejenigen der sonstigen Fälle nicht mehr zuzulassen, die nicht zur Eigentumsbildung für Geschädigte führen.
Abgesehen davon wird die Möglichkeit geprüft, das Individualverfahren auch im übrigen stärker zur Geltung zu bringen. Gleichzeitig gilt es jedoch sicherzustellen, daß nicht neue Stockungen im Abfluß der Mittel auftreten können.
Zum Schluß der Ziffer 5 c wird noch gefragt, ob Aufbaudarlehen entgegen ihrer ursprünglichen Zweckbestimmung zur Einsparung nachstelliger Baudarlehen verwendet werden. Das Bundesausgleichsamt hat aus Unterlagen für das Baujahr 1954 festgestellt, daß die Landesbaudarlehen im Durchschnitt um mehr als 300 DM geringer sind, wenn die Wohnungen gleichzeitig mit Aufbaudarlehen gefördert wurden. Der Präsident des Bundesausgleichsamtes wird, sofern darin eine offensichtlich mißbräuchliche Handhabung und damit ein Verstoß gegen die Weisung festzustellen ist, für die Zukunft geeignete Maßnahmen zur Unterbindung dieser Verstöße treffen.
Zur Frage 5 d: Wohnungsbaumittel zur Beendigung der übergebietlichen Familienzusammenführung. übergebietliche Familienzusammenführung ist als eine durch den Bund geförderte Sondermaßnahme bisher nur im Rahmen der Umsiedlung aus den mit den Vertriebenen und Flüchtlingen überbelegten Ländern in die übrigen Bundesländer betrieben worden. Sie wird deshalb auch in dem durch das laufende Umsiedlungsprogramm erlaubten Umfange fortgesetzt. Dieses Programm, das die Umsiedlung von 915 000 Personen aus den Ländern Bayern, Niedersachsen und Schleswig-Holstein vorsieht, wird bis Ende 1956 durchgeführt sein. Die darüber hinaus notwendige übergebietliche Familienzusammenführung und Evakuiertenrückführung wird durch ein weiteres und voraussichtlich letztes Umsiedlungsprogramm ermöglicht werden. Die dieses Programm regelnde Verordnung ist dem Kabinett zugestellt worden. Unabhängig von dieser Verordnung hat das Kabinett die Rückführung von 35 000 Evakuierten und die der Familienzusammenführung dienende Umsiedlung von 94 500 Vertriebenen und Flüchtlingen sowie 5500 nichtdeutschen Flüchtlingen gebilligt. Bei der Feststellung der zuletzt genannten Zahl noch umzusiedelnder Vertriebener und Flüchtlinge wurde von dem durch die vorliegenden Umsiedlungsanträge ausgewiesenen Bedürfnis nach Familienzusammenführung ausgegangen.
Für die Durchführung des neuen Umsiedlungsprogramms und damit für die Fortführung der übergebietlichen Familienzusammenführung werden voraussichtlich rund 285 Millionen DM nachstelliger Wohnungsbauförderungsmittel des Bundes benötigt. Über die Bereitstellung dieser Summe durch entsprechende Zweckbindung von für den Wohnungsbau bestimmten Bundeshaushalts- bzw. Lastenausgleichsmitteln bleibt im Zusammenhang mit der Verabschiedung der Umsiedlungsverordnung zu entscheiden. Sie wird im wesentlichen von der Haltung der Länder zu der Frage der Bindung der Mittel für die Zwecke der Umsiedlung abhängen. Die Zustimmung zur Zweckbindung wird dem zunächst ablehnenden Kontrollausschuß bzw. dem Bundesrat durch Bereitstellung einer weiteren Vorfinanzierung aus Bundesmitteln für den Ausgleichsfonds — in Höhe von 150 Millionen DM für Aufbaudarlehen Wohnungsbau — erleichtert. Die Bereitstellung von öffentlichen Wohnungsbaumitteln zur Beendigung der übergebietlichen Familienzusammenführung wird also erst mit der Verabschiedung der vorbereiteten Umsiedlungsverordnung endgültig sichergestellt sein.
Zur Frage 5 e, Rückführung der Evakuierten. Sowohl die dem Bund als auch den Ländern zur Verfügung stehenden Statistiken liefern keine ausreichenden Unterlagen zur vollständigen Beantwortung des ersten Teils dieser Frage. Es kann daher nur gesagt werden, daß seit dem Inkrafttreten des Bundesevakuiertengesetzes vom 18. Juli 1953 bis zum 30. September 1955 sich 465 025 Personen als rückkehrwillig gemeldet haben. Registriert wurden rund 450 000. Von diesen sind bereits bis zum 30. September 1955 62 819 rückgeführt und wohnungsmäßig untergebracht worden. Es muß damit gerechnet werden, daß ein Teil derer, die sich gemeldet haben, von der Rückkehrabsicht zurücktritt.
Die Maßnahmen der Länder seit dem Inkrafttreten des Bundesevakuiertengesetzes sind hauptsächlich auf die wohnraummäßige Versorgung der innerhalb ihrer Länder rückzuführenden Evakuierten abgestellt. Die Wohnraumversorgung dieses Personenkreises erfolgt über die Bereitstellung von zweckbestimmten Mitteln bzw. durch Zuweisung eines Anteils der im Rahmen der allgemeinen Wohnungsprogramme erstellten Wohnungen. Über
Maßnahmen der Länder können vollständige Angaben nicht gemacht werden. Bekannt ist, daß in Baden-Württemberg Sondermittel für 800 Wohneinheiten, in Bayern solche für 1150 Wohneinheiten, in Hessen für rund 320 Wohneinheiten und in Nordrhein-Westfalen für vorläufig 2000 Wohneinheiten für das Baujahr 1956 sichergestellt sind.
Die Bundesregierung ihrerseits erkennt hiermit abermals ihre Verantwortung für die Rückführung der Evakuierten von Land zu Land an. Die Bundesregierung hat Maßnahmen durchgeführt bzw. führt sie durch im Rahmen der Umsiedlung Vertriebener aus den Ländern Bayern, Niedersachsen und Schleswig-Holstein. Im letzten, gegenwärtigen Umsiedlungsabschnitt — 165 000 Personen — sind die Evakuierten mit mindestens 22 500 vorgesehen. Diese Rückführung wird bis Ende des Jahres 1956 abgeschlossen sein. Für die Rückführung von Evakuierten außerhalb der Umsiedlung aus anderen als den Flüchtlingsabgabeländern sind in den Jahren 1954 und 1955 zweckgebundene Wohnraumhilfemittel von zusammen 40 Millionen DM und 10 Millionen DM Aufbaudarlehen bereitgestellt worden. Mit diesen Mitteln werden rund 6700 Wohnungen erstellt und insgesamt rund 22 000 Evakuierte zurückgeführt.
Als geplante Maßnahmen der Bundesregierung für die Rückführung der Evakuierten von Land zu Land werden genannt: Die Fortsetzung der Umsiedlung wird in der dem Kabinett vorliegenden neuen Umsiedlungsverordnung die Einbeziehung von weiteren 35 000 Evakuierten und deren Rückführung in die Ausgangsländer vorsehen. Als Finanzierungsbeitrag für die nachstelligen Wohnungsbaumittel sollen 15 Millionen DM aus den für Evakuierte vorgesehenen öffentlichen Wohnungsbaumitteln zur Verfügung gestellt werden. Für die Rückführung der Evakuierten außerhalb der Umsiedlung sind 10 Millionen DM Wohnraumhilfemittel und 10 Millionen DM Aufbaudarlehen sowie 25 Millionen DM Bundeshaushaltsmittel vorgesehen.
Ich fasse die Programme zusammen: 1. Vom Bund bereits 1954/55 zurückgeführt 22 000, dazu eine nicht bekannte Zahl der Evakuierten aus früheren Umsiedlungsabschnitten; 2. im Jahre 1956 im Rahmen der Umsiedlung 22 500; 3. in der neuen Umsiedlungsverordnung 35 000; 4. aus der Rückführung außerhalb der Umsiedlung 15 000; 5. aus den von vier Ländern bekanntgegebenen Programmen für 1956 15 000, zusammen also 109 500 Personen. Die Zahl wird sich durch weitere Ländermeldungen erhöhen.
Im übrigen erkennt die Bundesregierung auch ihrerseits die Dringlichkeit der Rückführung der Evakuierten an. Sie wird daher alle Möglichkeiten nützen und die erforderlichen Maßnahmen ergreifen, die für eine weiter beschleunigte Rückführung der Evakuierten notwendig sind.
Zur Frage 6: Wieviel Zuwanderer aus der sowjetischen Besatzungszone sind durch Bundeswohnungsbaumittel mit Wohnraum versorgt worden? Vom Bund werden in den letzten Jahren an Stelle von Mitteln zur Errichtung von Lagern Sondermittel für den Wohnungsbau zugunsten der seit dem 1. Februar 1953 einströmenden Notaufgenommenen bereitgestellt. Die Länder sind verpflichtet, im Verhältnis der ihnen zugeteilten Mittel die Zuwanderer zumutbar wohnungsmäßig unterzubringen. Bisher wurden rund 545 Millionen DM gegeben. Dadurch ist die Voraussetzung für die wohnungsmäßige Unterbringung der den Ländern einschließlich Berlin in der Zeit vom 1. Februar 1953 bis 31. März 1955 zugewiesenen rund 370 000 Zuwanderer geschaffen. Einschließlich der dankenswerterweise von der Regierung der Vereinigten Staaten für diesen Zweck gespendeten 63 Millionen DM FOA-Mittel wurden bisher im Bundesgebiet und in Berlin zugunsten von Flüchtlingen Wohnungsbauprogramme von insgesamt rund 77 000 Wohnungen in Angriff genommen. Davon waren zum 1. November 1955 bezugsfertig 52 000, im Bau 21 000, bewilligt, aber noch nicht im Bau 4000. Weitere Bauprogramme sind auf Grund des Bundeshaushaltsansatzes vom 56 Millionen DM in Vorbereitung.
Nach den Berichten der Länder wurden bis etwa Mitte 1955 224 000 Personen zumutbar untergebracht, davon 112 000 in Neubauwohnungen, die übrigen in vorhandenen Wohnungen. Die anderweitig untergebrachten Alleinstehenden, insbesondere Jugendliche, sind hierin nicht eingerechnet. Die wohnungsmäßig noch nicht untergebrachten Notaufgenommenen befinden sich zum großen Teil noch in Durchgangslagern und Notunterkünften Ost. Ich habe bei meinen Angaben zu Ziffer 5 a über die Belegung der Lager die Zahlen genannt.
Die Frage, ob für Flüchtlinge in größerem Ausmaße Schlichtwohnungen gebaut werden, wird von den Ländern ausnahmslos verneint. Lediglich Bayern weist darauf hin, daß angesichts der Finanzierung nur eine einfache Ausstattung in Betracht kommt, die aber noch im Rahmen der für den sozialen Wohnungsbau geltenden Bestimmungen liegt.
Wie kann die untragbare Ausdehnung des Lageraufenthaltes verhindert werden? Die Vereinbarung zwischen Bund und Ländern vom Juli 1955 schuf die Grundlage dafür, in den Haushaltsplan 1956 nicht nur die Summe einzusetzen, die zum Wohnungsbau für die ab 1. April 1955 aufgenommenen Zuwanderer erforderlich ist, sondern gleichzeitig schon eine Bindungsermächtigung für diejenigen Mittel zu erteilen, welche zum Wohnungsbau für die voraussichtlich im Rechnungsjahr 1956 zu erwartenden Zuwanderer gebraucht werden. Es handelt sich allerdings bei beiden Beträgen von je 157,5 Millionen DM, die sich lediglich auf SBZ-Flüchtlinge beziehen, nur um Schätzungen, da bei Aufstellung des Haushaltsplanes das Anschwellen des Flüchtlingstroms in seinem ganzen Ausmaß noch nicht zu übersehen war. Schon jetzt ist festzustellen, daß die für das Rechnungsjahr 1955 zugrunde gelegte Zahl von Zuwanderern mit etwa 30 000 Personen überschritten werden wird.
Bisher mußte den Flüchtlingen im Durchschnitt zwei Jahre Lageraufenthalt zugemutet werden, weil ein Jahr bis zur Bereitstellung der Mittel und ein weiteres bis zur Fertigstellung der Wohnungen verging. Durch die in Form der Bindungsermächtigung getroffenen Überbrückungsmaßnahmen kann dieser Aufenthalt voraussichtlich auf ein Jahr abgekürzt werden. Ein völliger Wegfall des Lageraufenthaltes würde sich nur erreichen lassen, wenn die zum Wohnungsbau erforderlichen Mittel bereits ein Jahr vor der Ankunft der entsprechenden Flüchtlinge bereitgestellt und verplant werden könnten. Das ist aber infolge vieler Unsicherheitsfaktoren nicht möglich.
Die Abkürzung des Lageraufenthaltes auf ein Jahr hängt außerdem von zwei weiteren Voraussetzungen ab. Zunächst muß den Ländern eine
Vorfinanzierung der unter die Bindungsermächtigung fallenden Beträge im Jahre 1956 gelingen. Soweit sich der Auszahlung in diesem Rechnungsjahr unüberbrückbare Schwierigkeiten entgegenstellen sollten, zieht die Bundesregierung eine Kassenhilfe in Betracht. Zum zweiten müssen die aus der Bindungsermächtigung stammenden Mittel noch im Bauprogramm des Jahres 1956 planungsmäßig untergebracht werden, was wiederum nicht nur von der Baukapazität, sondern von der Gesamtfinanzierung abhängig ist. Dabei kommt es darauf an, daß einerseits die Lücke in der nachstelligen Förderung geschlossen und andererseits das Problem der Restfinanzierung befriedigend gelöst werden.
Zwar sind Länder bemüht, die Bestrebungen des Bundes zur Verkürzung des Lageraufenthaltes zu unterstützen, aber sie haben bisher nur zum Teil Wege zur Überwindung der genannten Engpässe gefunden. So führt z. B. Nordrhein-Westfalen jetzt Verhandlungen über die Beschaffung zusätzlicher Mittel und plant u. a., für diesen Zweck 18 Millionen DM aus den pauschalierten Kriegsfolgenhilfemitteln zu verwenden. Hessen beabsichtigt, die offene Finanzierungslücke durch Aufnahme von 1-b-Hypotheken unter gleichzeitiger Gewährung von Zinsverbilligungen zu schließen. Fast übereinstimmend wird allerdings von den Ländern darauf hingewiesen, daß sie solche außergewöhnliche Anstrengungen auf die Dauer kaum durchhalten können.
Die Mittel allein tun es aber nicht. Auch die innere Bereitschaft der Bauherren, den auf sie entfallenden Teil unserer gesamtdeutschen Verpflichtung auf sich zu nehmen, ist notwendig.
Zur Frage 7: Lagerräumung. Unter 5 a habe ich die erschreckenden Zahlen genannt. Das Lager ist ein Attribut totalitärer Staatsformen. Ohne Zweifel ist uns das Lager durch den hohen Zerstörungsgrad unseres Wohnraumes und den plötzlichen Bevölkerungszuwachs von nahezu 25 % von außen aufgedrängt worden. Aber wir müssen uns aus der gefährlichen Gewohnheit reißen, die Lager als etwas Unabänderliches hinzunehmen. Die Achtung vor der Würde und Individualität des Menschen, unsere Sorge um die Familie und unser Bekenntnis zum europäischen Charakter unseres Staates und unserer Gesellschaft, aber auch Gründe der Staatssicherheit verpflichten uns, die Lager trotz aller großen Schwierigkeiten, die nicht nur in dem unverminderten Zustrom von Flüchtlingen aus der sowjetischen Besatzungszone liegen, so schnell wie nur irgend möglich zu beseitigen.
Im letzten Haushaltsjahr vor der Pauschalierung der Kriegsfolgenhilfe hat die Bundesregierung mit Hilfe der für die Lagerunterhaltung eingesetzten Mittel ein Lagerräumungsprogramm aufgestellt, finanziert und durchgeführt. Dadurch, daß 30 Millionen DM nicht zur Ausbesserung alter Lager verwandt, sondern der Finanzierung von Wohnungen zugeführt wurden, konnten 277 Lager geräumt und 30 000 Lagerinsassen wohnungsmäßig untergebracht werden.
Die Pauschalierung der Kriegsfolgenhilfe hat der Bundesregierung die Disposition über die Verwendung dieser Mittel entzogen. Die Länder verfügen nun selbst über ihre Pauschbeträge, mit denen das Programm in eigener Zuständigkeit fortgesetzt werden kann.
Die Möglichkeit, über die pauschalierten Beträge hinaus zusätzliche Bundeshaushaltsmittel zur Beschleunigung der Lagerauflösung bereitzustellen, mußte nach gewissenhafter Prüfung verneint werden.
Die Bundesregierung ist jedoch bereit, unter der Voraussetzung, daß durch die in Vorbereitung befindliche Durchführungsverordnung zum Vierten Überleitungsgesetz die Pauschbeträge für die einzelnen Länder bis dahin endgültig festgesetzt worden sind, den Ländern zur Durchführung von Lagerräumungsprogrammen sofort nach dem 1. April 1956 die vollen Pauschbeträge für Lageraufwendungen des Rechnungsjahres 1956 bereitzustellen.
Außerdem ist die Bundesregierung bereit, den Ländern auf Wunsch eine einjährige Kassenhilfe zu geben, die aus den Pauschbeträgen des folgenden Rechnungsjahres zu tilgen ist,
und dies erforderlichenfalls in den darauf folgenden Jahren zu wiederholen.
Die Länder, mit denen auf Grund dieser Zusage sofort Verhandlungen aufgenommen werden, haben somit die Möglichkeit, Programme vorzufinanzieren, welche eine beschleunigte Lagerräumung bewirken können. Da gleichzeitig der Kontrollausschuß beim Bundesausgleichsamt einer Ergänzung dieser und anderer nachstelliger Länderaufwendungen für 1956 durch bis zu 30 Millionen DM Aufbaudarlehen zur Restfinanzierung bereits zugestimmt hat, kann die Finanzierung der in die Zuständigkeit der Länder gestellten Lagerauflösung zunächst für 1956 als gesichert angesehen werden.
Frage 8 a und b. Ziffer 8 a fragt, wie weit die 1955 bereitgestellten Mittel für Darlehen nach dem Kriegsgefangenenentschädigungsgesetz von den Ländern abgerufen worden sind. Für das Haushaltsjahr 1955 waren 45 Millionen DM in den Haushalt eingesetzt. Diese wurden den Ländern in Raten bereitgestellt, und zwar im Juli 10 Millionen DM, im August 12,5 Millionen DM und im November 22,5 Millionen DM. Bis jetzt haben die mehrfach um Beschleunigung des Verfahrens und rechtzeitige Verwertung der Mittel gebetenen Länder nur rund 2 Millionen DM der bereitgestellten Mittel abgerufen.
Über 13 Millionen DM der Mittel ist durch verbindliche Bewilligungen verfügt. Eine gewisse Anlauffrist muß vorausgesetzt werden. Es ist auch erklärlich, daß zumal bei Wohnungsbaumitteln zwischen Bewilligung und Auszahlung eine größere Zeitspanne liegt.
Ziffer 8 b fragt nach den entsprechenden Mitteln des Haushaltsjahres 1956. Da ein gewisser Teil der im Jahre 1955 bereitgestellten Mittel übertragen wird, dürfte eine Bereitstellung weiterer 40 Millionen DM im Haushaltsjahr 1956 dem Bearbeitungstempo der durchführenden Landesbehörden entsprechen. Einer schnelleren Bearbeitung und Auszahlung dieser Mittel durch den Bund oder der Heimkehr einer größeren Anzahl von Verschleppten wird jederzeit nach Art. 112 des Grundgesetzes durch nachträgliche Bewilligung Rechnung getragen werden.
Das bisherige Betreuungs- und Eingliederungsergebnis ist neben dem Selbstbehauptungswillen der Opfer von Vertreibung, Flucht und Bombenkrieg auch der günstigen Wirtschafts- und Finanzentwicklung der freien Welt zu verdanken. Diese Feststellung verkleinert nicht den Erfolg der Maßnahmen der Bundesregierung, der auch vor jeder sachlichen Kritik bestehen kann. Die Bundesrepublik darf aber als überzeugtes Mitglied der freien Völker darauf hinweisen, daß es gerade die Vertriebenen, die Flüchtlinge und unsere Heimkehrer waren, die in entscheidenden Jahren mit heißem Herzen und klarem Willen einen festen Damm gegen das weitere Vordringen des Bolschewismus errichtet haben. Damit gaben sie der Bundesrepublik die Fähigkeit, einen in seinem Wert unschätzbaren Beitrag zur Konsolidierung und Behauptung der Freiheit zu leisten. Diese so enge Verflechtung zwischen dem Schicksal der freien Welt und der staatspolitischen sowie religiösen Haltung der Vertriebenen und Flüchtlinge dauert an. Bis zur Verwirklichung des Rechtes auf Heimat, ja über die natürliche, gerechte und friedliche Lösung der Vertriebenenfrage hinaus wird diese innige Verflechtung politisch wirksam bleiben. Sie ist ein bleibender Bestandteil deutschen Schicksals überhaupt.
Daraus ergeben sich Folgerungen. Erstens: Wir müssen unsere Pflicht zur Eingliederung jener erfüllen, die ohne eigene Schuld noch in der Vorhalle oder gar vor der Tür der wirtschaftlichen Aufwärtsentwicklung stehenbleiben mußten.
Die Meinung ist irrig, daß sich das Vertriebenen-und Flüchtlingsproblem nunmehr von selbst löse. Nichts löst sich von selbst. Zu groß ist die politische Versuchung, die in dem demütigenden Gefühl liegt, nicht mehr dranzukommen, nicht mehr teilnehmen zu dürfen, vergessen und ausgeschlossen zu sein.
Die uns verbliebene Aufgabe ist aus verschiedenen Gründen schwierig. Die Eingliederung des Restes erfordert eine Fülle individueller Maßnahmen; sie setzen individuelles Einfühlungsvermögen voraus. Daher ist die Erkenntnis notwendig, daß Eingliedern nicht nur das Ausüben einer volkswirtschaftlichen Tätigkeit — also primär kein materieller Vorgang — ist, sondern Arbeit am lebendigen Menschen sein muß. Wer das nicht zu sehen vermag, ist ungewollt denen ähnlich, die wir bekämpfen.
Die Eingliederung muß so beschleunigt werden, daß die Hilfen des Staates schneller zur Durchführung kommen, als der Selbsthilfewille der Geschädigten erlahmt. Dieser Wettlauf mit der Zeit wird nicht leichter durch die Konkurrenz der Dringlichkeit zwischen den Einzugliedernden. Die gerechte Reihenfolge ist ein schweres Problem, wiederum ein Problem der Menschlichkeit.
Zweitens. Die Eingliederung ist aber auch Vorbereitung und eine unüberspringbare Vorstufe zur Wiedervereinigung. Wenn wir die reiche soziale Gliederung, die die Bevölkerung der ost- und mitteldeutschen Gebiete auszeichnetete, unter den Vertriebenen und Flüchtlingen nicht wieder herstellen, schwächen wir die geistigen, seelischen und materiellen Voraussetzungen für die Wiedervereinigung und für die geistige Überlegenheit gegenüber dem Bolschewismus, dessen Entwicklungsgrundlagen die ungegliederten Massen der sozial Gedrückten sind.
Ohne erfolgreiche Eingliederung kein erfolgreicher Aufbau einer Bundeswehr. In unserer Zeit
hängt der moralische Wert einer Truppe vom Gefühl sozialer Geborgenheit eines jeden Soldaten ab.
Drittens. Die Vertriebenen, Flüchtlinge und Heimkehrer tragen positive Elemente für eine Sozialreform in sich, die dem Mandat unserer Zeit entspricht. Wir werden bei den grundsätzlichen Erwägungen über die Sozialreform nicht nur von den klassischen Begriffen und Tatbeständen ausgehen dürfen. Labilität — auch seelische — läßt sich durch Sicherheit bannen. Der beste Weg zu diesem Ziel ist die Einbettung in eine Sozialordnung, welche durch Förderung der Eigentumsbildung für jedermann Selbstverantwortungsgefühl und Sicherheit schafft.
Das Problem der Vertriebenen und Flüchtlinge ist noch voller Gefahren, birgt aber auch noch alle Möglichkeiten, im Guten wie im Bösen. Über den Berg sind wir noch nicht. Die Versuche der kommunistischen Infiltration, gerade jetzt in die Reihen derer einzudringen, die glauben, übergangen, vergessen zu sein, sind offenkundig, aber werden trotzdem vielfach zu wenig beachtet oder zu leicht bewertet. Der durch die Konjunktur in aller Schärfe profilierte Kontrast zwischen der allgemeinen Lebenshaltung und immer noch vorhandenen persönlichen Notständen wird dabei geschickt ausgenutzt.
Diese Versuche, die durch Tarnung und Anonymität ihre Herkunft zu verbergen trachten, müssen uns neben unserem sozialen Gewissen zur Wachsamkeit aufrufen. Sie müssen besonders jenen zu denken geben, die gerade in letzter Zeit nichts mehr vom Vertriebenenproblem hören wollten, weil sie dazu neigten, die Eingliederung als vollzogen anzusehen.
Es ist ermutigend, immer erneut bestätigt zu finden, daß die Geschädigten ihre eigenen Probleme nicht karitativ gesehen wissen wollen. Sie wollen aus ihrem Ausnahmestatus heraus, in den sie ohne subjektive Schuld gestoßen wurden. Sie wollen nicht die Verkrampfung in Schadensgruppen, sondern die Eingliederung in die natürlichen Stände unseres Volkes. Sie wollen den Staat, der ihnen den Weg frei gibt, der sie zu jener sozialen Position führt, die sie mit Herz und Hand auszufüllen vermögen. Wer ihnen dabei hilft, nützt nicht nur den Geschädigten, sondern dem ganzen deutschen Volk und der Gesamtheit der freien Welt.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Meine Damen und Herren, bevor ich das Wort weitergebe, möchte ich höflichst darauf aufmerksam machen, daß wir im Ältestenrat beispielsweise für die Begründung der Großen Anfrage 30 Minuten Redezeit vorgesehen hatten.
— Ja, ich weiß, daß das natürlich bei einer solchen Komplexität nicht leicht einzuhalten ist. Aber ich möchte doch bitten, daß gestrafft wird; denn, meine Damen und Herren, jetzt müssen noch drei Punkte begründet werden, und ich habe zu dem ersten Punkt unserer heutigen Tagesordnung jetzt schon sechs Wortmeldungen vorliegen.
Ich erteile das Wort zur Begründung des Antrags Drucksache 1896 dem Abgeordneten Jaksch.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Unter den Gegenständen des Punktes 1 der heutigen Tagesordnung befindet sich auch der Antrag meiner politischen Freunde von der SPD-Fraktion Drucksache 1896 betreffend die Politik der Bundesregierung in den Angelegenheiten der Vertriebenen, Sowjetzonenflüchtlinge und Evakuierten. Der Punkt 1 dieses Antrages lautet:
Die Bundesregierung wird ersucht,
die weitere Tätigkeit des Bundesministeriums für Vertriebene, Flüchtlinge und Kriegssachgeschädigte entsprechend der Bedeutung und der Dringlichkeit der Hilfsmaßnahmen für diese Geschädigtengruppen sicherzustellen.
Punkt 2 verlangt ,von der Bundesregierung einen Gesamtbericht über die bisher vollzogenen Eingliederungsmaßnahmen und die noch zu lösenden Aufgaben. Es geht also meinen politischen Freunden von der SPD-Fraktion dieses Hauses vor allem um die Grundsatzentscheidung, welchen Platz die Bundesregierung und die Mehrheit dieses Hauses den Anliegen der großen Geschädigtengruppen nach wie vor einzuräumen gewillt sind.
Es klafft hier nämlich offenkundig eine Lücke zwischen dem Wortreichtum der offiziellen Erklärungen
und den Taten der Bundesregierung auf diesen Sachgebieten.
Ich muß hier gleich mein tiefes Bedauern darüber aussprechen, daß die Behandlung des Vertriebenen- und Flüchtlingsproblems in diesem Hause unter einem so ungünstigen Stern steht. Die heutige Aussprache wäre nämlich schon seit längerer Zeit fällig gewesen.
Vielleicht hätte man dafür auch einen günstigeren Tag finden können. Das gilt auch für den Zwischenbericht des Herrn Bundesministers für Vertriebene, den wir soeben gehört haben. Detailzahlen — das möchte ich gleich hinzufügen —, die allein im parlamentarischen Raum stehen, sagen in dieser schicksalsvollen Angelegenheit doch zu wenig aus. Ich möchte auch davor warnen, aus der Berichterstattung über dieses viel verzweigte Sachgebiet eine Art Stoßgeschäft zu machen, bei dem man einmal in der Zeit den Mitgliedern dieses Hauses eine Fülle von Angaben an den Kopf wirft, mit denen dann die Presse und die ganze öffentliche Meinung zu wenig anzufangen wissen.
Man hatte heute jedenfalls das Empfinden, daß durch eine Fülle von Detailfragen und Detailangaben der ungünstige Eindruck verwischt werden sollte, den die zweimalige Verhinderung dieser Debatte im Lande draußen weithin ausgelöst hat.
Es ist immerhin bemerkenswert und muß hier gesagt werden: Wenn in vorgeschrittener Stunde, schon unter der Mahnung des Herrn Präsidenten zur Kürze, dazu noch an einem ungünstigen Tag, —
das ist doch nicht verborgen geblieben, meine Damen und Herren! Ich wünschte, daß diese Befürchtungen zu Unrecht bestünden.
Aber es ist doch eine Unterbewertung dieser großen staatspolitischen Aufgabe, wenn wir so zusammengedrängt, so unter Zeitdruck darüber sprechen müssen.
— Wir haben es erlebt, und ich muß das hier sagen, daß für die Berufsordnungen sehr ehrenwerter Stände,
deren Bedeutung wir voll anerkennen, ein ganzer Tag zur Verfügung stand
und daß da dem breiten Strom der Argumente in keiner Weise Einhalt geboten worden ist. Weil es darum geht, einmal gewisse Dinge von großer Bedeutung aufzuzeigen, will ich vorausschicken, daß diese Debatte, mag sie auch unter einem unglücklichen Stern stehen, im Lande draußen von einer großen Anzahl von Menschen mit Hoffen und Bangen verfolgt wird, weil man vom Bundestag erwartet, daß auch dieses Schicksalsthema nicht vernachlässigt wird.
Nun wollte ich mit dieser Feststellung die beachtliche Bilanz der bisherigen Eingliederungsmaßnahmen keineswegs schmälern. Das wäre unsinnig, weil auch die Opposition dieses Hauses in den Ländern und Kommunen daran beteiligt war, und ich glaube, sogar nicht unerheblich. Was uns aber mit schwerster Sorge erfüllt, ist die Wahrnehmung, daß die Bereitschaft, den permanenten sozialen Ausnahmezustand Westdeutschlands zur Kenntnis zu nehmen, im Abnehmen begriffen ist, und zwar auf allen Ebenen.
Es wäre pharisäisch, das Volumen der westdeutschen Selbsttäuschungen und auch einer zunehmenden Herzensträgheit nach Parteien aufschlüsseln zu wollen. Aber wir können den fatalen Eindruck nicht verhehlen, daß sich das Interesse der Bundesregierung für die sozialen Belange der großen Geschädigtengruppen des zweiten Weltkrieges im Zeichen des abnehmenden Mondes befindet.
Die Behandlung wahrer Existenzfragen des Bundesministeriums für Vertriebene, Flüchtlinge und Kriegsgeschädigte gerade in den letzten Monaten war dafür symptomatisch. Obwohl in dieser Aussprache Personalfragen sicherlich nur am Rande interessant sind, scheint mir die Feststellung im Interesse der Sache zu liegen, daß ,die Parlamentsscheu des gegenwärtigen Herrn Bundesministers für Vertriebene zum Teil dafür verantwortlich ist, daß die Öffentlichkeit den ganzen Problemkreis sozusagen in die falsche Kehle bekommen hat. Das ist die Hauptursache dafür, daß wir mit unserem Antrag heute die Frage der Funktionsfähigkeit des
Bundesministeriums für Vertriebene, Flüchtlinge und Kriegsgeschädigte aufwerfen. Ich glaube damit an einer wichtigen Nahtstelle der Zusammenhänge angelangt zu sein, die es hier klarzustellen gibt. Es wäre doch die erste Aufgabe des Chefs eines so wichtigen Bundesressorts, das Wohlwollen und sogar die Bundesgenossenschaft dieses Hohen Hauses zu suchen und zu finden, was seinem Vorgänger in einem bemerkenswerten Ausmaße gelungen ist. Der 2. Bundestag tagt nun schon das dritte Jahr; doch abgesehen von der routinemäßigen Pflichtdebatte anläßlich der Haushaltsberatungen, die gewiß nützlich ist und viele gute Anregungen bringt, ist dies die zweite Möglichkeit, dieses große Aufgabengebiet anzusprechen.
Ich möchte in diesem Zusammenhang darauf hinweisen, daß sich der Herr Bundesverkehrsminister eine viel bessere parlamentarische Tribüne zu sichern weiß. Ich weiß nicht, wie es kommt; aber er hat jedenfalls das Glück, daß ihm von seiner eigenen Fraktion rechtzeitig Große Anfragen gestellt werden, die manchesmal auch Suggestivanfragen sind, die ihm dann die Möglichkeit bieten, vor diesem Hause eine umfassende Berichterstattung über die Probleme und Sorgen seines Ressorts vorzunehmen. So kommt es, daß der 2. Bundestag über die Fragen der Binnenschiffahrt und über die Aussichten der zivilen Luftfahrt viel besser unterrichtet worden ist als über die Zustände in den Flüchtlingslagern und über die Problematik der inneren Umsiedlung.
Dann komme ich zu einigen Illustrationsfakten, welche die Notwendigkeit einer Reaktivierung der Vertriebenen- und Geschädigtenpolitik der Bundesregierung noch unterstreichen. Im Namen vieler Interessenten, die ungeduldig auf eine Entscheidung der Bundesregierung warten, möchte ich die Frage stellen: Wie steht es denn in Wirklichkeit um die Fortsetzung der Bundesumsiedlung? Es ist uns immerhin aufgefallen, daß in der Großen Anfrage der Kollegen von der CDU/CSU-Fraktion plötzlich ein neuer Begriff gefunden wird.
Es ist nicht mehr von Bundesumsiedlung die Rede, sondern ganz bescheiden von der „übergebietlichen Familienzusammenführung".
Soll das — diese Frage richte ich an die Kollegen von der anderen Seite des Hauses — der äußere Ausdruck dafür sein, daß sich der Vertriebenenflügel der CDU/CSU-Fraktion auf dem Rückzug befindet?
Meine Damen und Herren, ich weiß genau, warum ich diese Fragestelle. Denn die heutige Debatte hat im Oktober vorigen Jahres in Berlin ein Vorspiel gehabt. Es war merkwürdigerweise der Herr Bundesfinanzminister, der dort — ich weiß nicht, ob im Einvernehmen mit seinem Kollegen vom zuständigen Ressort oder nicht — in der Frage der Bundesumsiedlung sehr weitgehende Erklärungen abgegeben hat. Ich darf, Herr Präsident, mit Ihrer Genehmigung die entscheidenden Sätze der Berliner Rede des Herrn Bundesfinanzministers zitieren. Er sprach von der Bundesumsiedlung und sagte:
Aber wer Augen hat zu sehen und Ohren hat
zu hören, der soll sich heute mit mir vielleicht
einmal in ein solches, früher als überlastetes
Notstandsgebiet bezeichnetes Gebiet hinein begeben und dort eine Rede halten, die staatlich gelenkte Umsiedlung müsse weiter getrieben werden! Ich wünsche ihm viel Glück. Heute ist es Gott sei Dank so geworden, daß die Leute auch im letzten Grenzdorf draußen die Arbeitskräfte, die noch vorhanden sind, zu behalten wünschen ...
Ich lenke die Aufmerksamkeit des Hohen Hauses auf die interessante linguistische Unterscheidung zwischen „Leuten" und „Arbeitskräften".
Besser hätte man wohl nicht ausdrücken können, daß man die noch arbeitslosen Heimatvertriebenen sozusagen als Objekte der regionalen Wirtschaftspolitik betrachtet.
Wir leben aber nicht mehr im Zeitalter der Schollengebundenheit. Noch mehr hat mich befremdet, daß der Herr Bundesfinanzminister glaubte, in der Behandlung eines solchen Themas noch ein Stück Ironie einflechten zu können, indem er sagte — es ist nur ein Satz, den ich hier anführe —:
Der ist ein schlechter Jäger, der dann, wenn der Hirsch erlegt ist, noch immer weiter auf den toten Hirsch schießt.
Ich glaube, meine Damen und Herren, auch die Kollegen von der CDU-Fraktion, denen diese Dinge am Herzen liegen, werden sich da nicht ohne weiteres als schlechte Jäger hinstellen lassen,
denn die Zahlen über die überhöhte Arbeitslosigkeit der Vertriebenen sagen aus, daß dieser Hirsch noch lange nicht tot ist
und daß er auch noch ganz munter im Bayerischen Wald herumläuft, also gerade im Wahlkreis des Herrn Bundesfinanzministers.
— Herr Kollege, wenn Sie mir diese bescheidene Bemerkung gestatten: auf dem Gebiet habe ich schon einige Erfahrungen gesammelt.
— Hier wird eingeworfen: Industriestreuung! Lassen Sie mich vom Standpunkt einer guten Erfahrung hierzu feststellen, es ist vielfach ein Ausweichen vor dem Thema, wenn man sagt: Wir wollen nicht umsiedeln, sondern Arbeit herschaffen.
Wenn für solche Notstandsgebiete ein Sanierungsprogramm auf kurze Sicht existiert, kann man mit diesem Argument operieren, wir haben es auch in Hessen im Kreis Eschwege und im Kreis Marburg an der Lahn versucht — dort ist saniert worden, bis eben die überhöhte Arbeitslosigkeit verschwunden war —; aber man darf die arbeitslosen Heimatvertriebenen in den Notstandsgebieten nicht auf eine Arbeitsbeschaffung vertrösten, die noch gar nicht unterwegs ist.
Dieses Thema ist sehr wichtig, weil es in die Auffassungen des Kabinetts hineinspielt, die hier von einiger Bedeutung sind. Ich berufe mich in diesem Zusammenhang auf eine recht zuverlässige Quelle, auf einen Bericht des „Münchner Merkur" vom 18. Dezember vorigen Jahres, worin gesagt wurde, daß auf dem Höhepunkt der Beschäftigungslage in Bayern noch „eine beträchtliche Reserve an Arbeitslosen" zur Verfügung stand.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Frage.
Bitte, gern.
Herr Kollege, darf ich dazu eine Frage stellen. Sind Sie nicht mit mir der Auffassung, daß es im Interesse der Heimatvertriebenen viel, viel besser ist, wenn wir uns bemühen — wie wir dies nicht nur seit Monaten, sondern schon seit Jahren machen —, gerade in diese Notstandsgebiete Arbeit durch Industrie hineinzubringen? Ich weiß, daß diese Bemühungen nicht sofort von Erfolg gekrönt sein können. Sind Sie nicht mit uns der Auffassung, daß das ein viel besserer Weg ist, als wenn wir jetzt die Heimatvertriebenen, die sich mühsam seit sechs, acht oder zehn Jahren festgesetzt haben und sich schon wieder eine gewisse zweite Heimat erworben haben, wieder verpflanzen?
Herr Kollege, diese Frage habe ich zum Teil schon beantwortet, aber weil Sie mich darauf ansprechen, noch eine Bemerkung dazu. Ich habe noch keinen Heimatvertriebenen kennengelernt, der aus einem Notstandsgebiet weggegangen ist, wenn er dort Arbeit in Aussicht hatte. Aber aus dem Problem, das Sie aufwerfen, ergibt sich die Gegenfrage, wie lange diese Menschen noch warten können.
Das ist doch die Frage! Wenn man sich die Verhältnisse in den Zonengrenzgebieten ansieht, auch ein wenig in dem östlichen Grenzgebiet Bayerns, so kann man doch die Augen nicht davor verschließen, daß die Lage schon länger etablierter Industrien auch problematisch geworden ist und daß es auch dort Schwierigkeiten gibt.
Dann noch etwas — das möchte ich abschließend auf diese Frage sagen —: Bei der Beschaffung von Arbeitsplätzen kommt es auf den guten Willen der Unternehmer an, in ein Notstandsgebiet zu gehen. Wenn dieser Interessent nicht in das Notstandsgebiet gehen will, weil es ihm dort nicht gefällt, dann können Sie ihn einfach nicht hinbringen. Die Menschen, die in solchen Gegenden immerhin schon jahrelang auf Arbeit warten, dürfen nicht einem Zustand ausgesetzt bleiben, der sie so zermürbt, daß auch die Arbeitsbeschaffung zu spät kommt.
Noch zum Thema der Bundesumsiedlung, das in den Ausführungen des Herrn Bundesministers für Vertriebene recht kurz angesprochen worden ist und das immerhin für 400 000 Menschen im Lande eine Schicksalsfrage ist — denn zum bloßen Vergnügen wandern die Menschen, die die Austreibung hinter sich haben, nicht weiter; sie müssen doch, wenn sie sich zur Umsiedlung melden, das Gefühl haben, daß sie am falschen Platze eingewiesen sind und daß dort für sie keine Zukunft wartet. Wir wollen also im Hinblick auf diesen ganz bedenklichen Standpunkt des Herrn Bundesfinanzministers klarstellen, daß die arbeitslosen Heimatvertriebenen nicht zum Objekt der Wirtschaftspolitik gemacht werden dürfen. Es wäre ein schweres Unrecht, wenn man die bisherige, erprobte Umsiedlungspolitik auf das Gebiet der Familienzusammenführung beschränken würde. Das Leben ist doch viel reichhaltiger als eine solche bestechend einfache Formel.
Nehmen Sie z. B. den Fall der Stadt Frankfurt. Ich habe hier den Bericht des Oberbürgermeisters von Frankfurt vorliegen. Aus ihm geht hervor, daß schon im Vorjahre in Frankfurt 450 Familien auf die Einreihung in die Bundesumsiedlung gewartet haben. Darunter waren 45 Familien, die in Notunterkünften lebten, die dort wieder in Baracken eingezogen sind.
— Herr Kollege, das ist ein Irrtum. In den Fällen, von denen ich jetzt spreche, hat die Familie das Schicksal der Zerreißung nicht in Kauf nehmen wollen. Die Frau und die Kinder sind lieber in die Baracke mitgegangen, um nicht allein sitzenzubleiben, weil sie dann bei einer doppelten Haushaltsführung nicht hätten auskommen können. So werden hier neue Wohnungsnotstände geschaffen.
— Herr Kollege Czaja, wer schon mit seiner Familie am Ort lebt, wo er Arbeit gefunden hat,
der fällt nicht mehr unter die Familienzusammenführung, sondern muß sich beim Wohnungsamt an letzter Stelle anstellen.
— Nein, Herr Kollege, —
— Herr Kollege, ich sage Ihnen: es ist schwer, wenn man aus dem Personenkreis der Umzusiedelnden einmal herausgefallen ist, wieder hineinzukommen. Die bisherigen Erfahrungen sagen darüber genug. Aber der Heimatvertriebene, der in den Abgabeländern wohnt, ist nicht bloß vom Standpunkt des Arbeitskraftbedarfs zu beurteilen. Wir haben doch z. B. Fälle, daß die Eltern pflegebedürftig geworden sind und ihren Kindern nachziehen wollen, die in einem Aufnahmeland untergekommen sind. Was sagen wir denn diesen Menschen, wenn sie zu uns kommen und uns anflehen, wir sollten es möglich machen, daß sie als kranke, pflegebedürftige Leute in die Nähe ihrer Kinder kommen? Wer mit Umsiedlung zu tun hat, der hat es hier auch mit der Vielfalt der Nöte der Menschen zu tun, auch mit dem Problem der Halbfamilien und mit dem Problem der alleinstehenden Personen. Deshalb wollte ich heute für die uneingeschränkte Fortführung der Bundesumsiedlung eine Lanze brechen,
weil sie das Herzstück der bisherigen Eingliederungspolitik ist und weil es ein Rückschritt wäre, wenn wir davon abgingen.
Freilich, meine Damen und Herren — ich will es noch kurz sagen —, was wir heute vom Herrn Bundesminister über die Finanzierungsseite der weiteren Umsiedlung gehört haben, war ziemlich unbefriedigend.
— Warum, Kollege Schütz? Das werde ich Ihnen gleich sagen. Über den Ausweg der Vorfinanzierung, über die 150 Millionen DM, wie wir gehört haben, vollzieht sich das Herausgehen des Bundes mit seiner finanziellen Verpflichtung.
— Bitte, ich lasse mich überzeugen; der Herr Bundesminister hat die Möglichkeit, mich zu korrigieren. Nach dem, was wir hier gehört haben, werden Haushaltsmittel des Bundes für die Fortsetzung der Bundesumsiedlung nicht mehr eingesetzt werden.
Im Wege der Vorfinanzierung wird dem Lastenausgleichsfonds ein Darlehen gegeben, das aber selbstverständlich an die Bundeskasse zurückzuzahlen ist;
daher geht die Fortführung der Bundesumsiedlung, zu der der Bund bisher aus Haushaltsmitteln beigesteuert hat, künftig zu Lasten des Ausgleichsfonds.
Ich glaube also, meine Damen und Herren, die Frage läßt sich nicht so vereinfachen, wie es durch den Herrn Bundesfinanzminister in Berlin geschehen ist. Ich wollte das hier vorbringen, um das Bundesvertriebenenministerium in seinem pflichtgemäßen Bestreben zu unterstützen, die 400 000 Menschen, die sich zur Umsiedlung gemeldet haben, nicht im Stich zu lassen. Es sind Gründe für unsere Besorgnis vorhanden. Wir schreiben jetzt bald Mitte Februar; die Umsiedlungsverordnung ist noch im Kabinett — aus unbekannten Gründen. Die Länder haben ihre Bauprogramme für das laufende Baujahr bereits fertig, und wir stehen vor der Gefahr, daß zwar eine nachträgliche Entscheidung kommt, daß aber das Jahr 1956 für die Durchführung der Bundesumsiedlung verlorengeht.
Es gibt auch noch andere Gründe, die Bundesregierung und die Mehrheit dieses Hauses vor Selbstzufriedenheit zu warnen und auch davor, die Schwierigkeiten zu übersehen, die bei den weiteren Eingliederungsmaßnahmen noch zu überwinden sind.
Ehe ich zum Abschluß komme, wollte ich ein Wort über das vielumstrittene Problem der Zweckbindung des Flüchtlingswohnungsbaues sagen. Ich hörte mit Überraschung aus den Ausführungen des Herrn Bundesministers, daß eine Ausdehnung der Zweckbindung angestrebt wird. So steht die Sache leider nicht. Es geht praktisch um die Beibehaltung der bisherigen Zweckbindungen; da stelle ich mich an die Seite derer, die für die Beibehaltung der Zweckbindungen eintreten. Das muß einmal in diesem Hause geklärt werden. Denn hinter dem Streit um die sogenannte Kästchenwirtschaft stehen ganz ernste Dinge. Wenn es keine feste Zweckbindung im Wohnungsbau für Vertriebene und Sowjetzonenflüchtlinge und Evakuierte gibt, dann bekommt die Wohnung meistens der, der die letzten 500 oder 1000 DM Restfinanzierung liefert, aber die kinderreiche Familie bleibt im Lager stecken.
Deswegen muß, wer den Ärmsten helfen will, wer den kinderreichen Familien helfen will, für eiserne Zweckbindung eintreten
und auch für Vollfinanzierung dieses Wohnungsbaues.
Damit komme ich zu einer weiteren Sorge, die uns bewegt, und zwar zur Frage des Wohnungsbaues für Sowjetzonenflüchtlinge. Es tut mir sehr leid, in diesem Punkt nicht mit dem übereinstimmen zu können, was Kollege K u n t s c her zum gleichen Thema ausgeführt hat. Es ist wahr: wir sind beim Wohnungsbau für die Sowjetzonenflüchtlinge im Verzug. Die Bauprogramme des Vorjahrs sind zum Teil steckengeblieben. Alles, was hier gesagt worden ist, unterschreibe ich. Aber, lieber Kollege Kuntscher, es ist genau so wahr, daß da drüben in einem Ausschuß des Bundesrates bis heute um die Mark und um den Pfennig für diesen Wohnungsbau gefeilscht wird und daß sich Bund und Länder über die Finanzierung des Wohnungsbaues für Sowjetzonenflüchtlinge nicht einigen können. Jedermann weiß, daß man mit dem bisher zur Verfügung stehenden Betrag von 1500 DM pro Kopf keine menschenwürdige Wohnung mehr erstellen kann.
Das Hindernis liegt — ich muß es hier sagen — in erster Linie bei dem Bundesfinanzminister, und deshalb möchte ich mir eine Bemerkung zur allgemeinen staatspolitischen Seite dieser Planung gestatten. Ich sagte schon, daß in Bonn um die Mark und um den Pfennig für den Wohnungsbau für Sowjetzonenflüchtlinge gefeilscht wird. Zur selben Zeit greifen die Hände der NATO-Verbündeten der Bundesregierung nach den gehorteten Steuergeldern des Herrn Bundesfinanzministers. Es wäre wohl an der Zeit, daß die Bundesregierung die Staatsmänner ihrer westlichen Verbündeten einmal dazu einlädt, sich die Aufnahmelager in Berlin und die überfüllten Durchgangslager in den Ländern anzusehen, damit der freien Welt bewußt wird, daß die Bundesrepublik einen sozialen Verteidigungsbeitrag von ungeahntem Ausmaß leistet.
Man sollte aber nicht nur ausländische Staatsmänner in diese Lager einladen. Ich würde es sehr begrüßen, wenn auch die inländischen Staatsmänner einmal in die Lager gingen.
— Auch wir alle. In dem Punkt habe ich ein sehr gutes Gewissen, Herr Kollege; in der Verwaltung von Flüchtlingslagern bin ich geradezu Fachmann, obwohl ich mich dessen nicht rühme. Wir können vom Ausland nur so viel Verständnis für diesen sozialen Verteidigungsbeitrag fordern, wie wir selber im eigenen Lande aufzubringen vermögen.
Es geht aber auch um die Wertung des Menschen. Tag für Tag vollzieht sich ja mit einer unheim-
lichen inneren Logik eine gewaltige Schwerpunktverlagerung der deutschen Volksexistenz vom Osten nach dem Westen. In Friedland wird doch bloß an sogenannten Großkampftagen aufgeblendet. Dann interessiert sich die Presse dafür, und dann kommt Friedland in die Wochenschau. Aber wenn wieder einige Hundert Nachzügler der großen Austreibungswelle aus Pommern, aus Schlesien oder Deutsche aus Polen kommen, sind ein paar kümmerliche Zeilen in der Presse alles, was darüber berichtet wird. Vielleicht ist man des Problems schon müde geworden. Ich bin der Überzeugung, die Tatsache, daß fast tausend hilfesuchende Menschen pro Tag aus Mitteldeutschland nach dem Westen kommen, würde ein anderes Land in Atem halten,
und jede andere Regierung würde es verstehen, dieses ungeheure Thema in_ die weltpolitische Diskussion zu bringen.
Man verlasse sich nicht darauf, daß die Konjunktur mit diesen Dingen allein fertig werden wird, wenn wir nicht zu einer neuen Wertung des Menschen kommen. Soweit es sich um jüngere Menschen oder um vielbegehrte Fachleute handelt, die da herüberkommen, greift die Wirtschaft mit beiden Händen nach ihnen. Wehe aber dem 50jährigen, wenn er Privatangestellter oder kleiner öffentlicher Bediensteter oder selbständiger Kaufmann oder geistig Schaffender und gleichzeitig Flüchtling ist! Die sogenannten Durchgangslager füllen sich wieder mit „schwierigen Fällen". Man nennt sie so, weil man sich mit ihnen keinen Rat weiß. Wir sollten bei der Behandlung dieser Fragen stets bedenken, daß uns die ständig zuströmende Volkskraft Mitteldeutschlands nicht nur zum ökonomischen Nutzgenuß überlassen ist, sondern zur treuhänderischen Bewahrung.
Auch wenn man sagt, es seien nur etwa 10 % C-Fälle unter den Sowjetzonenflüchtlingen, sollten wir doch die Qualitätswerte nicht übersehen, die in einer solchen Minderheit stecken. Es kann sein, daß Menschen, die aus sittlicher Auflehnung heraus die Zone verlassen haben, für die Zukunft Deutschlands wichtig sind, auch wenn ihr Gebrauchswert auf dem Arbeitsmarkt heute gering ist. Die Vorstellung von der Schicksalsverbundenheit des deutschen Volkes darf nicht im Getriebe des wirtschaftlichen und staatspolitischen Alltags verlorengehen. Wir sollten uns daher die Erhaltung der menschlichen Substanz dieser Zuwanderer sehr angelegen sein lassen.
Damit komme ich zu einigen abschließenden Feststellungen. Ich, will diese Aussprache nicht gerade ins Prinzipielle verlegen, aber ich kann Ihnen die Überzeugung nicht verhehlen, daß aus der Begriffswelt der sozialen Marktwirtschaft heraus die heutige Koalitionsmehrheit und auch die Bundesregierung keine zufriedenstellende Antwort auf diesen ganzen Fragenkomplex, auf die Einmaligkeit der sozialen Problematik eines gespaltenen und verstümmelten Landes finden können. Ein Volk, das sich zu einem Viertel auf der Wanderschaft befindet und zu einem weiteren Viertel unter Fremdherrschaft lebt, ist sehr ungeeignet, das Prinzip der Kostenmiete zu verwirklichen.
Uns scheint die Erhaltung der menschlichen Substanz wichtiger zu sein als die Kostenmiete hier in Westdeutschland; denn wenn wir die Schlacht um die Freiheit nicht gewinnen, werden auch die erhöhten Mieten denen keinen Segen bringen, die so sehr darauf pochen.
Es wäre die eigentliche Funktion des Bundesvertriebenenministeriums, als ein echtes Sozialministerium über die Belange der 11 Millionen Menschen zu wachen, deren Betreuung ihm anvertraut ist. Die Angriffe auf den sozialen Wohnungsbau, wie wir sie in letzter Zeit erlebt haben, hätten in der Bonner Husarenstraße Anlaß für die höchste Alarmstufe sein müssen,
da es doch die Heimatvertriebenen, die Sowjetzonenflüchtlinge und die rückkehrwilligen Evakuierten sind, die das Problem ihrer Behausung von Grund auf neu lösen müssen und die daher in erster Linie betroffen werden. So manche schmucke Flüchtlingssiedlung im Lande ist ein Denkmal der Entsagung derer, die darin hausen. Auch in den neuen Betriebsgebäuden der Heimatvertriebenen wohnt die Sorge. Dort erfährt man, daß Darlehen nicht immer ein Segen sind, weil sie von jedem Heimatvertriebenen, von jedem Geschädigten auf Heller und Pfennig zurückgezahlt werden müssen.
In dieser Phase der Entwicklung, da eine trügerische Optik gegen die Hoffnungen und Wünsche derer spricht, die auf der Schattenseite des deutschen Wirtschaftswunders leben, ist das Bundesvertriebenenministerium auf die eigentliche Probe seiner Bewährung und seiner Existenzberechtigung gestellt. Über die Schwierigkeiten, mit denen dieses Haus zu ringen hat, empfinden wir Heimatvertriebenen auch auf den Bänken der Opposition keine Schadenfreude. Ich fürchte aber, daß sich das Bundesvertriebenenministerium von dem Geltungsschwund, den es seit dem Juli vorigen Jahres erlitten hat, nicht mehr erholen wird.
Ich stelle die Frage — es ist die entscheidende, auf die es ankommt —, warum von den sachkundigen Kollegen in der größten Fraktion dieses Hauses keiner mehr Lust hat, seine politische Zukunft mit dem Schicksal des Bundesministeriums für Vertriebene, Sachgeschädigte und Evakuierte zu verbinden.
Die Wahrheit ist, daß der heutige Herr Vertriebenenminister mit dem Ausscheiden seiner Partei aus der Regierungskoalition die politische Basis verloren hat, die er unter seinen Füßen hatte. Wenn er mit seiner neuen Fraktion nicht zufrieden sein sollte, womit will er noch drohen? Er wird sich ja kaum den Luxus leisten können, neuerdings sechs Monate in dem Zustand der Demission zu amtieren.
— Warum, Herr Kollege, ist das so verlockend?
Warum ist das so verlockend, Ministerialdirektor in Hessen zu sein? Ich glaube, es ist genau so ehrenvoll, Ministerialdirektor in Hessen gewesen zu sein wie in einem CDU-Land.
Zusammenfassend darf ich sagen: Die Gefahr besteht darin, daß dieses für große Teile der Bevölkerung so wichtige Ressort in das Spiel der Machtspekulation hineingerissen wird. Was not tut, ist ein neuer Start der Geschädigtenpolitik und ein neuer Großangriff gegen die sozialen Notstände dieser Nachkriegszeit. Wir rufen nach einem umfassenden Programm der sozialen Aufrüstung der Bundesrepublik, denn ohne soziale Aufrüstung gibt es keine erfolgreiche Selbstbehauptung des deutschen Volkes. Darum bitten wir das Hohe Haus um seine Zustimmung zu unserem Antrag, damit die Bundesregierung eine klare Weisung bekommt, das Bundesvertriebenenministerium seiner eigentlichen Zweckbestimmung zurückzugeben.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat der Bundesminister für Vertriebene, Herr Dr. Oberländer.
Im Auftrage der Bundesregierung habe ich zu diesem Antrag folgende Stellungnahme abzugeben.
Zu Ziffer 1 des Antrags: Die Bundesregierung weiß, daß dem Ministerium noch eine Fülle dringender Aufgaben gestellt ist. Es besteht kein Anlaß, Sorge wegen der Existenz oder der Funktionsfähigkeit des Ministeriums zu haben.
Zu Ziffer 2 des Antrags: Die Bundesregierung ist bereit, dem Bundestag einen Gesamtbericht über die bei der Eingliederung der Heimatvertriebenen noch zu lösenden Probleme unter Berücksichtigung ihrer strukturellen Beschaffenheit und der hierfür erforderlichen Mittel vorzulegen. Feststellungen und Analysen, die in der ausführlichen Antwort auf die alle Bereiche der Eingliederung einbeziehende Große Anfrage der Fraktion der CDU/CSU, Drucksache 1961, enthalten sind, werden im wesentlichen Grundlagen dieses Berichts sein.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich 'erteile das Wort zur Begründung der Gesetzentwürfe Drucksachen 1965 und 1966 dem Abgeordneten Dr. Klötzer.
Dr. Klötzer , Antragsteller: Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Namens und im Auftrage meiner Fraktion habe ich die Ihnen in Drucksachen 1965 und 1966 vorliegenden Anträge der Fraktion des GB/BHE zu begründen. Ich darf hierzu folgendes ausführen.
Bei der Drucksache 1965 handelt es sich um einen Gesetzentwurf meiner Fraktion, der eine Änderung der §§ 3 und 4 des Bundesvertriebenengesetzes zum Ziele hat. Der Art. 1 Ziffer 1 des vorliegenden Entwurfs beinhaltet eine Änderung des § 3 Abs. 1 BVFG, die keine Abkehr vom bisherigen Willen des Gesetzgebers, sondern nur eine Klarstellung und damit eine Verfahrenserleichterung bezweckt.
An dem Grundsatz, daß nur die in der sowjetischen Besatzungszone beheimateten Personen anerkannt und mit dem Ausweis C ausgestattet werden sollen, die sich in einer besonderen Zwangslage befanden, wird durch unseren Antrag festgehalten. Die jeden Bewohner der sowjetischen Besatzungszone treffenden allgemeinen Zwangsverhältnisse des dortigen politischen und wirtschaftlichen Systems sollen auch nach unserer Ansicht für Anerkennung und Ausstattung mit C-Ausweis nicht als ausreichend gelten. Das gleiche gilt hinsichtlich des bekannten wirtschaftlichen West-Ost-Gefälles. Selbstverständlich ist auch, daß Personen, die gegen die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit und der Menschlichkeit verstoßen haben, ausgeschlossen bleiben.
Die von uns vorgeschlagene Neufassung des § 3 Abs. 1 enthält, von redaktionellen Änderungen abgesehen, zwei Änderungen, durch die erhebliche Härten, die in der bisherigen unpräzisen Gesetzesformulierung begründet sind, beseitigt werden sollen. Bisher wird für die Anerkennung als Sowjetzonenflüchtling im Gegensatz zum Heimatvertriebenen eine vom Antragsteller nicht zu vertretende besondere Zwangslage gefordert, deretwegen er flüchten mußte. Durch Richtlinien des Bundesvertriebenenministeriums wurde dieser einengende Begriff ohne eine gesetzliche Ermächtigung weiter dahingehend eingeengt, daß auch jeder kleinste ehemalige Amtsträger der NSDAP oder ihrer Gliederungen die Zwangslage zu vertreten hat und daß für einfache Mitglieder dieser Partei und ihrer Verbände die den Tatsachen widersprechende Vermutung aufgestellt wurde, daß sie keiner Zwangslage ausgesetzt und nicht gefährdet gewesen seien. Diese Unterstellung widerspricht den Tatsachen. Dies ergibt sich schon daraus, daß nach der Besetzung der sowjetischen Zone wahllos etwa 185 000 ehemalige Nationalsozialisten verhaftet und in Konzentrationslager verbracht wurden. Von diesen sind nach amtlichen Feststellungen 96 000 in der Haft verstorben und 37 000 in die Sowjetunion deportiert worden.
Es ist für uns erstaunlich, daß diese amtlichen Feststellungen und diese wohl im gesamten Gebiet der Bundesrepublik bekannten Tatsachen offenbar nicht bis ins Bundesvertriebenenministerium bekanntgeworden sind und dort zu einer Änderung dieser Richtlinien geführt haben. Es ist weiterhin erstaunlich, daß ausgerechnet dieses Ministerium, dessen offizielle Bezeichnung „Ministerium für Heimatvertriebene, Flüchtlinge und Kriegsgeschädigte" lautet und in dessen Aufgabenbereich doch die Betreuung dieses hier angesprochenen Personenkreises gehört, sich bemüßigt sah, Bestimmungen einengender Art herauszugeben, durch die gerade dieser zu betreuende Personenkreis besonders hart betroffen wurde. Es blieb der Verwaltungsgerichtsbarkeit und in einem von mir besonders ins Auge gefaßten Falle dem Oberverwaltungsgericht Lüneburg die Feststellung vorbehalten, daß diese einengenden vertraulichen Richtlinien des Bundesvertriebenenministers weder dem bisherigen Wortlaut des Gesetzes noch dem Willen des Gesetzgebers entsprechen. Bedauerlich ist, daß der Herr Bundesvertriebenenminister sich selbst durch diesen deutlichen, in einem Urteil eines Oberverwaltungsgerichts enthaltenen Hinweis noch nicht veranlaßt sah, seine umstrittenen Richtlinien zu ändern,
sondern ich im Gegenteil etwa wie ein bösgläubiger Schuldner erst auf die Rechtskraft dieses
Urteils stützen will, um dann etwa das Notwendige zu veranlassen.
Bei Anerkennung des Standpunktes dieser Richtlinien müßte man konsequenterweise, um nur ein Beispiel aufzuführen, auch einem geflohenen Funktionär der LDP die Anerkennung verweigern, weil er die Folge seines Parteibeitritts nach diesen Richtlinien selbst zu vertreten hat.
Für mich erhob sich auch die Frage, ob und inwieweit bei einer strikten Anwendung dieser Richtlinien der Herr Bundesvertriebenenminister selbst in der Lage wäre, für sich einen solchen C-Ausweis und die Anerkennung als Sowjetzonenflüchtling zu erlangen.
Durch unseren Entwurf sollen weiterhin die in § 3 Abs. 1 enthaltenen Worte „einer ... durch die politischen Verhältnisse bedingten besonderen Zwangslage" ersetzt werden durch die Worte „einer durch die dortigen Verhältnisse bedingten besonderen Zwangslage". Bei der Auslegung des Begriffs „politische Verhältnisse" klaffte die Verwaltung in ihrer Praxis weit auseinander. So sind bisweilen wirtschaftliche Maßnahmen, die subjektiv verhängt worden waren, z. B. die Entziehung von Kontingenten, selbst wenn sie zu einem Entzug der Lebensgrundlage und damit zur Existenzvernichtung führten, nicht als unter den Begriff „politische Verhältnisse" fallend anerkannt worden. Durch die von uns vorgeschlagene Neufassung sollen nunmehr auch solche wirtschaftlichen Zwangsmaßnahmen mit umfaßt werden.
In Art. 1 Ziffer 2 unseres Entwurfs wird die Beseitigung von zwei bisher zutage getretenen Unzulänglichkeiten angestrebt. Im ersten Falle handelt es sich um die Gleichstellung der Fälle des § 4 mit denen des § 3 des Gesetzes. In § 3 wird bisher lediglich eine besondere Zwangslage gefordert, während nach § 4 eine unmittelbare Gefahr für Leib und Leben oder die persönliche Freiheit Voraussetzung für die Anerkennung ist. Es ist für uns nicht einzusehen, warum nicht auch bei § 4, also bei den Nichtrückkehrern, z. B. Fälle von Gewissenszwang eingeschlossen werden sollen.
Zweitens wird in unserem Antrag eine Verfahrenserleichterung durch eine Umkehrung der Beweislast angestrebt. Für die vor der Roten Armee oder dem roten Regime Geflohenen und für die Frühheimkehrer, die nach ihrer Entlassung nicht in die Zone zurückkehrten, wird die Vermutung einer besonderen Zwangslage im Rückkehrfalle ausgesprochen. Die Tatsache, vor der Roten Armee oder dem roten Regime geflohen zu sein, war allein Grund genug, um im Falle einer Rückkehr Zwangsmaßnahmen und Freiheitsbedrohung nach sich zu ziehen. Daß die Furcht vor Vergewaltigungen sehr oft Frauen von der Rückkehr in die Zone abgehalten hat, wird ebenfalls respektiert werden müssen. Den Frühheimkehrern konnte ebenfalls nicht zugemutet werden, in die sowjetische Besatzungszone zurückzukehren, weil Fälle an der Tagesordnung waren, in denen man dort Entlassene mit einem Entlassungsschein der Westalliierten erneut inhaftiert und in russische Gefangenenlager eingeliefert hat. All diesen Personen war auch später, nachdem sie im Gebiet der Bundesrepublik Fuß gefaßt sowie Arbeit und Existenz gefunden hatten, nicht mehr zuzumuten, in die Zone zurückzukehren. Nach der bisherigen Praxis müssen diese Personen eine unmittelbare Gefahr für Leib und Leben oder eine Gefährdung ihrer persönlichen Freiheit für den Fall der Rückkehr glaubhaft machen. Wo diese Glaubhaftmachung nicht gelingt — was angesichts der allgemein bekannten Schwierigkeiten sehr häufig der Fall war und auch weiterhin der Fall ist —, wurde die Anerkennung versagt und der Ausweis verweigert. Diesen Personen blieb dann nur die Möglichkeit, entweder auf alle sich aus dem Ausweis C ergebenden Vergünstigungen trotz ihrer Notlage zu verzichten oder aber die in den Richtlinien des Bundesvertriebenenministeriums geforderte Gefährdung dadurch unter Beweis zu stellen, daß sie nun tatsächlich den gefährlichen Weg in die Zone antreten, sich dort einer Gefährdung von Freiheit und Leben aussetzen und die Folgen auf sich nehmen. In diesem Falle erübrigt sich dann die Ausstellung eines Ausweises oder die Anerkennung. Die von uns für diese Fälle vorgeschlagene Umkehrung der Beweislast würde gleichzeitig erhebliche verwaltungsmäßige Vereinfachungen mit sich bringen.
Zu dem zweiten Gesetzentwurf — Drucksache 1966 — darf ich folgendes ausführen. Wir wollen durch diesen Gesetzentwurf einer Entwicklung Rechnung tragen, die sich seit der Verabschiedung des Lastenausgleichsgesetzes im Jahre 1952 bis heute vollzogen hat und die noch immer nicht zum Stillstand gekommen ist. Im Jahre 1952 wurden im § 301 LAG, der den Härtefonds behandelt, Leistungen an Sowjetzonenflüchtlinge vorgesehen. Man hat seinerzeit die Mittel, aus denen diese Leistungen erbracht werden sollten, mit jährlich rund 40 Millionen DM veranschlagt und in dieser Höhe in den zurückliegenden Jahren auch verausgabt. Seither hat sich die damals zugrunde gelegte Zahl der Sowjetzonenflüchtlinge durch die ungeheure und von niemandem vorausgesehene Steigerung des Flüchtlingstromes vervielfacht. Gegenüber diesem Anwachsen des Personenkreises der Berechtigten bliebt aber bis zur Verabschiedung der 4. Novelle zum LAG im vergangenen Jahr die Höhe der für die Betreuung dieses Personenkreises vorgesehenen Mittel unverändert. Dies hatte zur Folge, daß der prozentuale Anteil der aus Mitteln des Härtefonds bewilligten Anträge von Sowjetzonen-Flüchtlingen ständig zurückging, und zwar im gleichen Maße, wie die Zahl der Flüchtlinge im Steigen begriffen war. Dieser Zustand führte zu immer zahlreicheren und heftiger werdenden berechtigten Protesten aus den Reihen der Zonenflüchtlinge, die sich gegenüber den anderen Geschädigtengruppen zurückgesetzt fühlten und seit langem eine dem zahlenmäßigen Zuwachs ihrer Geschädigtengruppe entsprechende Erhöhung der für sie bestimmten Mittel anstrebten.
Der Gesetzgeber hat dieses Mißverhältnis zwischen dem anspruchsberechtigten, ständig wachsenden Personenkreis auf der einen Seite und den für ihre Bedürfnisse bereitstehenden Mitteln auf der anderen Seite auch anerkannt und bei der 4. Novelle zum Lastenausgleichsgesetz eine gewisse Verbesserung vorgenommen. Diese Verbesserung wird jedoch weit überschätzt. Durch die Anfügung der Ausnahmebestimmungen in § 301 Abs. 3 LAG sind die Vorschriften im Abs. 1 des gleichen Paragraphen — z. B. über die Notlagevoraussetzung — nicht außer Kraft gesetzt worden. Der von meiner Fraktion vorgelegte Gesetzentwurf sieht in § 1 Abs. 1 die Errichtung eines selbständigen, neben dem Lastenausgleichsfonds stehenden Ausgleichsfonds für Sowjetzonenflüchtlinge vor. Durch diese
Trennung soll verstärkt sichergestellt werden, daß nicht eine Vermengung der Mittel für Heimatvertriebene und Kriegssachgeschädigte mit den Mitteln für Sowjetzonenflüchtlinge eintreten kann und daß allen Vermutungen und Behauptungen dieser Art, wie sie in der Vergangenheit bis heute sehr oft erhoben wurden, der Boden entzogen wird.
In Abs. 2 haben wir vorgesehen, daß der Lastenausgleichsfonds für die Leistungen an die Sowjetzonenflüchtlinge in Zukunft den gleichen Betrag wie bisher, nämlich 40 .Millionen DM, zur Verfügung stellt.
In Abs. 3 fordern wir von der Bundesregierung, daß aus dem Haushalt des Bundes, aus den öffentlichen Mitteln 100 Millionen DM für diesen Ausgleichsfonds der Sowjetzonenflüchtlinge zur Verfügung gestellt werden. Dem liegt die Absicht und die einzig mögliche Folgerung zugrunde, daß die infolge des anhaltenden Zustroms notwendigen Mehraufwendungen, also der Aufwand, soweit er über die ursprünglich vorgesehenen 40 Millionen DM des § 301 LAG hinausgeht, aus Bundesmitteln getragen werden müssen. Dieser Gedanke ist im Prinzip auch bereits beim Bundeshaushaltsplan 1955 durch die Zurverfügungstellung von erstmals 50 Millionen DM anerkannt worden. Die Kosten für die Leistungen an Zonenflüchtlinge nach bisherigem Recht werden auf etwa 110 Millionen DM jährlich geschätzt. Durch den vorliegenden Gesetzentwurf werden neue Aufwendungen hervorgerufen durch Beseitigung der Notlageklausel, Zubilligung einer Entschädigungsrente wegen Existenzverlustes sowie Zubilligung einer gestaffelten Hausratentschädigung. Dieser zusätzliche Aufwand kann auf etwa 30 Millionen DM, zusammen also 140 Millionen DM jährlich geschätzt werden.
In § 2 Abs. 1 unseres Entwurfs übernehmen wir automatisch die Regelung, die das Bundesvertriebenengesetz hinsichtlich der Abgrenzung des Personenkreises der Sowjetzonenflüchtlinge und der ihnen gleichgestellten Personen festlegt. Sofern eine Ausweitung dieses Personenkreises in den §§ 3 und 4 BVFG entsprechend dem vorher von mir begründeten Entwurf Drucksache 1965 erfolgt, wirkt sie sich auch für diesen Gesetzentwurf aus. Bei der Bemessung der Zuschüsse aus dem Haushalt des Bundes waren wir hierbei noch von der alten Fassung des Bundesvertriebenengesetzes ausgegangen. Diese Zuschüsse müßten sich bei Annahme des Antrags Drucksache 1965 noch um etwa 60 Millionen DM jährlich erhöhen.
Wir haben außerdem in § 2 Abs. 2 unseres Entwurfs durch Zitierung der Paragraphen des Lastenausgleichsgesetzes für die Leistungen, die im Rahmen dieses Gesetzes vorgesehen sind, die von den Sowjetzonenflüchtlingen angestrebte rechtliche Gleichstellung mit den anderen Geschädigten des Lastenausgleichsgesetzes, soweit sie durchführbar ist, herbeigeführt. Als Ausgleichsleistungen an Sowjetzonenflüchtlinge sind in unserem Entwurf Eingliederungsdarlehen, Unterhaltshilfe, Entschädigungsrente wegen Existenzverlustes, Hausratentschädigung und Ausbildungshilfe aufgeführt. Es fehlen Hauptentschädigung und Entschädigungsrente wegen Vermögensverlustes sowie Wohnraumhilfe. Die letzte Hilfe, die Wohnraumhilfe, ist den Zonenflüchtlingen bereits gegenwärtig im Rahmen des Lastenausgleichsgesetzes zugänglich. Auf die beiden anderen Leistungen, Hauptentschädigung und Entschädigungsrente wegen Vermögensverlustes, ist in unserem Entwurf bewußt verzichtet.
Solche Verluste werden, soweit sie durch Maßnahmen der sowjetischen Besatzungsmacht oder der Machthaber der Zone mittelbar oder unmittelbar eingetreten sind, grundsätzlich nicht anerkannt. Deshalb kann auch für solche zeitweilige Eigentumsstörungen eine Vermögensentschädigung nicht zugebilligt werden. Es erscheint im übrigen auch äußerst schwierig, diese Enteignungsverluste wertmäßig einwandfrei festzustellen.
Zu § 3 des Entwurfs: Für die Bemessung der Entschädigungsrente wegen Existenzverlustes sowie für die Eingruppierung in die Stufen der Hausratentschädigung ist es erforderlich, den Umfang der erlittenen Schäden wenigstens annähernd festzustellen. Hierfür genügt nach unserer Meinung eine Rechtsverordnung, die man auf Grund von § 43 Nr. 3 des Feststellungsgesetzes erlassen könnte. Das gleiche gilt, soweit für die Erfüllung des Erfordernisses in § 255 LAG, wonach Aufbaudarlehen dem Umfang der Entschädigung angemessen sein sollen, ebenfalls eine gewisse wertmäßige Feststellung des Verlustes erforderlich ist.
Die in § 4 vorgesehene Verwaltungs- und Verfahrensregelung entspricht dem allgemeinen Wunsch nach größtmöglicher Einheitlichkeit mit dem Lastenausgleich der Vertriebenen und Kriegssachgeschädigten.
Meine Damen und Herren, ich glaube aus den heutigen Ausführungen des Herrn Bundesvertriebenenministers eine gewisse Bereitschaft zur Lösung der in unseren beiden soeben begründeten Anträgen behandelten Fragen im Sinne dieser Anträge erkennen zu dürfen. Ich darf die Hoffnung aussprechen, daß diese Bereitschaft nicht nur in den Worten des Herrn Bundesvertriebenenministers, sondern auch bei den Beratungen und Abstimmungen über unsere Anträge ihren Niederschlag findet.
Ich beantrage namens meiner Fraktion, die Drucksache 1965 dem Vertriebenenausschuß als federführendem Ausschuß und dem Ausschuß für Gesamtdeutsche Fragen zur Mitberatung zu überweisen und die Drucksache 1966 dem Lastenausgleichsausschuß als federführendem Ausschuß und zur Mitberatung ebenfalls dem Ausschuß für Gesamtdeutsche Fragen zu überweisen.
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Meine Damen und Herren, nachdem nunmehr alle Anträge begründet sind, treten wir in die Debatte ein, und zwar gleichzeitig über die Ziffern a bis d des Punktes 1 der heutigen Tagesordnung. Ich erteile als erstem Redner dem Abgeordneten Dr. Hellwig das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es mag ein Wagnis sein, wenn man zu den komplizierten Fragen des Vertriebenen- und Flüchtlingsproblems Stellung nimmt, ohne täglich mit dieser Materie befaßt zu sein. Denn dieser ganze Stoff ist derart kompliziert und umfassend geworden, daß derjenige, der wirklich zu Einzelheiten Stellung nehmen will, sich eine ungewöhnliche Vertrautheit mit ihm aneignen muß. Er wird zum Techniker, er wird zum Experten, und es besteht die Gefahr, wie auch das Interesse dieses Hauses für derartige Debatten zeigt, daß man unter sich bleibt, wenn die Experten der verschiedenen Parteien zu diesen Fragen Stellung nehmen. Ich glaube aber, es ist notwendig, daß zu dem grundsätzlichen Vertriebenen- und Flücht-
lingsproblem auch einmal aus der Sicht der nicht unmittelbar Betroffenen einiges gesagt wird, und so habe ich den Auftrag meiner politischen Freunde angenommen, einige allgemeine Ausführungen zu diesem Problem vorzutragen.
Ich darf auf ein Wort verweisen, welches der amerikanische Kommissar Sonne bei der Untersuchung des deutschen Flüchtlingsproblems 1951 in seinem Bericht, dem sogenannten Sonne-Bericht, geschrieben hat. Da heißt es wörtlich: „Das Flüchtlingsproblem und das deutsche Problem sind untrennbar miteinander verbunden". Diese untrennbare Verbundenheit sollte auch bei Aussprachen über dieses Problem in diesem Hause immer wieder zum Ausdruck kommen, und wir sollten denjenigen Kollegen, die als unmittelbar Betroffene und, ich gebe ehrlich zu, als besondere Experten auf diesem Gebiet hier eine Diskussion führen, diese Verbundenheit auch unsererseits zum Ausdruck bringen, indem wir uns stärker dafür interessieren, als es leider die derzeitige Anwesenheit hier zu erkennen gibt.
Von den Ausführungen des Kollegen Jaksch darf ich einen Satz aufgreifen, weil er im großen und ganzen doch die gute sachliche Atmosphäre, in der diese Erörterung stattfinden konnte, beleuchtet hat. Er hat wörtlich gesagt, daß die bisherige beachtliche Bilanz nicht verkleinert werden soll. Ich habe auch in seinen Ausführungen außer vielleicht personal- und organisationspolitisch bedingten Gesichtspunkten nicht eigentlich ein schwerwiegendes Gravamen gegenüber der bisherigen Politik der Bundesregierung auf diesem Gebiete gefunden.
Die Sorgen, die ihm in echter Besorgnis an verschiedenen Stellen das Wort geführt haben, sind — das darf ich sagen — auch unsere Sorgen, und wir sollten uns, wenn wir hier auf Sorgen aufmerksam machen, Bedenken anmelden und auf kommende Gefahren hinweisen, darüber verständigen, daß wir in gemeinsamer Arbeit mit diesen Dingen eher fertig werden, als wenn wir in einen Wettlauf eintreten, Bedenken nur um des Bedenkens willen zu finden.
Meine Damen und Herren, es sind gut zehn Jahre vergangen, seitdem das Vertriebenen- und das folgende Flüchtlingsproblem auf das deutsche Volk als nationales Unglück im Gefolge der Katastrophe niedergegangen sind, ein Zeitraum, lang genug, und ein Abschnitt, auch würdig genug, daß man sich etwas intensiver noch einmal vergegenwärtigt, was dieses Problem in diesen zehn Jahren für Deutschland bedeutet hat. Sind wir uns heute noch im ganzen Volk darüber klar, daß die Vertreibung der Deutschen aus ihren angestammten Wohnsitzen nichts anderes als die Fortsetzung des Krieges über den Waffenstillstand hinaus war?
Weiß die Gesamtheit unseres Volkes noch, was damit ursprünglich beabsichtigt war, daß damit das verbliebene Restdeutschland sturmreif für den Kommunismus, für die 'Überwindung und die Überwältigung durch den Kommunismus von innen her gemacht werden sollte?
Daß sich diese Hoffnung der Sowjetpolitik nicht verwirklicht hat, hat mehrere Gründe. Ich will sie hier nicht alle aufzählen. Aber eines ist schon in den Ausführungen angeklungen, die vorhin gemacht worden sind: nämlich die persönliche Begegnung und Erfahrung der Masse der Heimatvertriebenen und Flüchtlinge mit dem Sowjetsystem und seinen Repräsentanten. Was diese Menschen mitgebracht haben, hat entscheidend zur Immunisierung der westdeutschen Bevölkerung überhaupt beigetragen.
Wir erkennen ebenso dankbar an, daß die Eingliederung Westdeutschlands in das Nachkriegshilfsprogramm Amerikas für Europa und damit die planmäßige Einfügung der Bundesrepublik in die Gemeinschaft der freien westlichen Welt die Voraussetzung für die Eingliederung der Flüchtlinge und Vertriebenen geschaffen haben. Wir müssen weiterhin feststellen, daß der erfolgreiche Wiederaufbau von Staat und Wirtschaft für die Behandlung des Vertriebenenproblems ganz andere Voraussetzungen schuf, als wir vor acht oder neun Jahren noch zu hoffen wagen durften.
Die Eingliederung aber — das soll auch heute, zehn Jahre danach, noch gesagt werden — von rund 11 Millionen Menschen, d. h. von mehr als einem Viertel der einheimischen Bevölkerung in Westdeutschland, war und ist die wichtigste Aufgabe der Gesellschafts- und Wirtschaftspolitik in der Bundesrepublik.
Sie ist nicht nur eine deutsche, sondern sie bleibt eine europäische, eine internationale Angelegenheit. Von ihrer Lösung hängt es ab, ob die Immunität der deutschen Bevölkerung gegen den Kommunismus weiter Bestand haben wird.
Ich habe vorhin den amerikanischen Bericht, den Sonne-Bericht vom Jahre 1951, schon kurz erwähnt. Die Situation, die damals bestand, darf vielleicht noch einmal mit einigen Zitaten aus diesem Bericht beleuchtet werden, die ich mit Genehmigung des Herrn Präsidenten wörtlich vortragen darf. An einer Stelle im Sonne-Bericht findet sich noch die Überschrift: „Können überhaupt diese Flüchtlinge erfolgreich eingegliedert werden?" Es steht weiter, uns Mut machend, darin:
Innerhalb von sechs Jahren würde ein wirksam durchgeführter Plan für die Eingliederung der Flüchtlinge diesen Bevölkerungszuwachs in eine große moralische und wirtschaftliche Kraftquelle für Westdeutschland verwandeln. . . . Westdeutschland ist jetzt in der Lage, die Lösung des Flüchtlingsprogramms in Angriff zu nehmen, jedoch kann es das Programm mit der erforderlichen Beschleunigung und Sicherheit nur lösen, wenn ausländische Unterstützung rechtzeitig dazukommt.... Um das Programm jetzt auszuführen, muß man Mut, faire Haltung und Einsicht besitzen, um zu verstehen, daß es nicht nur eine Pflicht, sondern auch ein erfolgreiches Geschäft für die einheimische Bevölkerung ist, gewisse Opfer zu bringen und ihren eigenen Verbrauch so einzuschränken, daß die Flüchtlinge
wirtschaftlich eingegliedert werden können, wodurch später der Lebensstandard beider Bevölkerungsgruppen gehoben werden kann. ... Das Flüchtlingsproblem
— so wurde 1951 gesagt —
in Westdeutschland hat weltweite Auswirkung.
Meine Damen und Herren, ich glaube, wir sollten, wenn wir heute, gut zehn Jahre nach dieser großen Volkskatastrophe, einmal diesen Abschnitt überblicken, dankbar anerkennen, daß wir auch durch diese ermutigenden Anregungen internationaler Sachverständiger vieles erhielten und manches bei der Lösung der Eingliederungsaufgabe auch in der Praxis verwirklichen konnten.
Wir erkennen weiter dankbar an, daß von den Gegenwertmitteln aus dem Marshallplan Kredite für die wirtschaftliche Eingliederung von Vertriebenen zur Verfügung standen. Das soll nicht durch die Feststellung verkleinert werden, daß der von ERP-Vertriebenenkrediten bisher tatsächlich bestrittene Betrag im Verhältnis zu dem Gesamtaufwand, den das Vertriebenenproblem für das deutsche Volk bisher erfordert hat, nur einen bescheidenen Bruchteil darstellt. Zu der eigentlichen, wiederholt im Ausland angeregten großen internationalen Hilfsaktion hinsichtlich des deutschen Vertriebenenproblems ist es bis heute nicht gekommen.
Ich habe an die Formulierungen des Herrn Sonne deswegen erinnert, weil wir gerade an ihnen ermessen können, was in diesen Jahren an der Eingliederung der Vertriebenen gearbeitet und tatsächlich erreicht worden ist. Wenn wir angesichts der damaligen, noch sehr pessimistischen Betrachtungsweise heute bestimmte Erfolge feststellen dürfen, so sicher nicht zu dem Zwecke, eine billige Befriedigung zu empfinden oder zu sagen: wir haben es geschafft. „Wir sind in dieser Frage noch nicht über den Berg", diesem vorhin gefallenen Wort möchte ich mich vollinhaltlich anschließen. Wir dürfen aber vielleicht einen gewissen Stolz darauf empfinden, daß es uns gelungen ist, durch eine bestimmte Wirtschafts- und Sozialpolitik im ganzen die eigene Kraft so zu mobilisieren, daß hier doch ganz Erhebliches geleistet werden konnte.
Vielleicht darf ich auch einmal — das sei allen draußen in die Erinnerung gerufen — einige allgemeine Feststellungen über die Größenordnungen dieser Aufwendungen treffen. Der Gesamtaufwand in der Bundesrepublik für die Vertriebenen und Flüchtlinge belief sich bis Ende 1954 bereits auf 26,3 Milliarden DM, wobei erhebliche Leistungen der Länder auf dem Gebiet des sozialen Wohnungsbaus für Flüchtlinge und Vertriebene noch nicht mit erfaßt sind. Wir dürfen daher annehmen, daß sich dieser Gesamtaufwand bis zum Ende des Jahres 1955 auf etwa 40 Milliarden DM hin entwickelt hat. Von den bis Ende 1954 nachgewiesenen Aufwendungen, d. h. von den genannten 26,3 Milliarden, entfallen rund 19 Milliarden, also etwa 70 %, auf konsumtive Leistungen; das sind überwiegend die Renten, Pensionen, die Unterstützungen und Zuschüsse nach der Art der Hausrathilfe. 3,2 Milliarden oder gut 12 % sind Aufwendungen für den Wohnungsbau gewesen., Dazu müßten allerdings noch die im einzelnen hier im Augenblick nicht faßbaren Leistungen der Länder für den sozialen Wohnungsbau zugunsten von Vertriebenen und Flüchtlingen gerechnet werden. 1,9 Milliarden oder 7,3 % der Gesamtleistungen sind produktive Eingliederungsmaßnahmen mannigfaltigster Art gewesen.
Hier möchten wir allerdings ein Bedenken anmelden, welches, wie ich glaube, grundsätzlicher Art ist. Von dem Riesenkapitalaufwand, der in diesen Jahren von dem deutschen Volk für die Lösung dieser Aufgabe aufgebracht worden ist, haben wir bisher gerade knapp 2 Milliarden DM wirklich im produktiven Sinne, d. h. im Sinne einer zusätzlichen Wertschaffung, einsetzen können. Ich glaube, daß dieser Anteil in den kommenden Jahren unter allen Umständen vergrößert werden muß, denn von dieser Seite her ist einer wesentlichen Anforderung an die echte Eingliederung überhaupt erst gerecht zu werden.
Die Eingliederung, meine Damen und Herren, kann nicht allein die Beseitigung von Arbeitslosigkeit sein, wenn dabei die soziale Umschichtung bestehenbleibt, die darin zum Ausdruck kommt, daß der Anteil der Erwerbspersonen in der Vertriebenenbevölkerung. die einmal selbständig oder mithelfende Familienangehörige waren und der früher 35 % betrug, nur noch ein Fünftel des früheren Anteils ausmacht.
Hier ist in einer Schlüsselzahl das entscheidende Problem der weiteren Wiedereingliederung angesprochen. 35 % der vertriebenen Bevölkerung waren selbständig und mithelfende Familienangehörige; 1950 waren es nur noch 7 %. Besonders katastrophal ist der Schwund der Familien. 20 % der Erwerbspersonen bei den Vertriebenen waren 1939 mithelfende Familienangehörige, 1950 nur noch 2 %. Hier äußert sich die katastrophale Zerschlagung der Familie nicht nur als der natürlichen gesellschaftlichen Einheit, sondern auch als einer Wirtschafts- und Versorgungsgemeinschaft.
Was an produktiver Eingliederung bisher geschehen ist, trägt noch allzusehr das Kennzeichen der provisorischen Maßnahmen aus den ersten Jahren. Aufgabe ist jetzt, die provisorischen Aufnahme- und Übergangshilfen abzulösen und in eine planmäßige Eingliederungspolitik umzuwandeln. Wir müssen über die quantitative Betrachtung aller bisherigen Maßnahmen, die sehr stark vom Arbeitsmarkt oder von der rein wohnungsmäßigen Unterbringung ausging, zu der qualitativen Betrachtung übergehen.
Ich möchte wegen der vorgeschrittenen Zeit hier nicht alle Einzelfragen behandeln, sondern möchte aus dem Komplex der produktiven Eingliederung einige besonders auffällige Merkmale festhalten. Zunächst, glaube ich, darf für die gesamte Wirtschaft gesagt werden, daß der Beitrag, den die Vertriebenen und Flüchtlinge geleistet haben, von dem erfolgreichen Wiederaufbau nicht mehr getrennt werden kann
und daß die wirtschaftliche Expansion, die die Bundesrepublik in den letzten Jahren hat vollbringen können, ohne den Beitrag der Flüchtlinge und Vertriebenen wahrscheinlich längst nicht dieses Ausmaß erreicht hätte.
Das Problem der Arbeitskräfte, die hier als ein wichtiges Potential in die deutsche Wirtschaft einströmten, ist wiederholt angesprochen worden. Ich darf auch hier darauf aufmerksam machen, daß die Fülle von Selbständigen, die ehemals selbständig waren und um jeden Preis unter Einsatz ihrer ganzen persönlichen Leidenschaft und ihres Behauptungswillens wieder eine Existenz aufbauten und damit auch anderen eine Existenz als Arbeitnehmer gaben, keinesfalls unterschätzt werden darf.
Wir erkennen ebenso deutlich die wesentliche Bereicherung an, die die westdeutsche Produktion auf sehr vielen Spezialgebieten — sei es etwa in der Bekleidungs- und Textilindustrie, sei es etwa in der Gablonzer Industrie, um nur einige ganz bestimmte, sichtbare Dinge zu nennen — erfahren hat. Ich schätze ebenso deutlich und positiv ein — was für die Gesamtheit der Vertriebenenwirtschaft gesagt werden darf —, daß ein ungewöhnlich hoher Nutzeffekt mit verhältnismäßig bescheidenen Mitteln erzielt werden konnte,
so daß der Multiplikator, mit dem die hier zum Einsatz gekommene öffentliche Hilfe sich wirtschaftlich bezahlt hat, ein ungewöhnlich günstiger war.
Ich habe mir einmal die Ausfälle angesehen, die in der Wiedereingliederung bei Empfängern von öffentlichen Mitteln für die wirtschaftliche Selbständigmachung eingetreten sind. Das Überraschende war, daß von allen Betrieben, die öffentliche Mittel aller Art erhalten hatten, lediglich 2 1/2% aus Gründen, die in der Person des Unternehmers liegen, zusammengebrochen sind. Insgesamt sind 8 % der mit derartigen Krediten oder Bürgschaften ausgestatteten Betriebe zusammengebrochen, und bei diesem Anteilssatz von 8 % kamen 70 % der Gründe. die zum Zusammenbruch geführt hatten, auf sachliche Umstände — zu geringe Kapitalausstattung. zu ungünstiger Standort oder zu stark gewordene Konkurrenz —, und lediglich 30 % von 8 % — bezog en auf die Gesamtzahl der Betriebe also nur 2 1/2 % — kamen zum Zusammenbruch aus Gründen, die in der Person des Unternehmers lagen. Hier ist, glaube ich, wenn man bedenkt, wie schwierig die Voraussetzungen für den Personalkredit waren, weil ja die ganze persönliche Umwelt fehlte, die zum Personalkredit doch entscheidend beiträgt, tatsächlich ein ungewöhnlicher Beweis der Vertrauenswürdigkeit von der vertriebenen Wirtschaft erbracht worden.
Die Aufgabe, vor der wir in diesem Sektor in diesem Augenblick stehen. ist, wie ich vorhin andeutete, die der Konsolidierung. Wir müssen auch weiterhin so denken, daß mit relativ geringfügigen Mitteln oder mit relativ geringfügigen Einnahmeminderungen bei den öffentlichen Haushalten weiterhin erhebliche Wirkungen erzielt werden können — ich erwähne die beiden Begriffe ..Umschuldung" und „verbesserte Eigenkapitalbildung" —, um der ungeheuer labilen Lage. in der sich die vertriebene Wirtschaft noch befindet — Zahlen hierüber sind vorhin vorgetragen worden — gerecht zu werden. Die kurzfristige Verschuldung kann gar nicht ernst genug genommen werden, wenn über 50 % des Gesamtkapitals der untersuchten Vertriebenenbetriebe kurzfristig abrufbar. d. h. praktisch bis zu einem Jahr Laufzeit abrufbar sind und die Schwierigkeiten der Eigenkapitalbildung merkwürdigerweise durch die günstige Wirtschaftskonjunktur verschärft worden sind. Denn
die günstige Wirtschaftskonjunktur hat den Bedarf an Betriebskapital wesentlich zunehmen lassen, Umsatz, Produktion und infolgedessen Kapitalbedarf sind gewaltig gestiegen, während die Eigenkapitalbildung der vertriebenen Wirtschaft zunächst — da sie ohnehin noch nicht optimale Betriebsgrößen hat und ohnehin in ihren Gewinnmöglichkeiten niedriger anzusetzen ist als die einheimische Wirtschaft — sich dem gestiegenen Bedarf an Betriebskapital nicht anpassen, mit dem gestiegenen Kapitalbedarf nicht mehr Schritt halten konnte.
Welche Maßnahmen hier im einzelnen zu ergreifen sind, kann ich der Kürze der Zeit wegen nicht vollständig aufzählen. Ich glaube aber, daß man auf eines aufmerksam machen sollte. Mit einer allgemeinen Einkommensteuersenkung, die für die Gesamtheit der Steuerzahler ungewöhnlich wichtig wäre, kommt man dem speziellen Problem der vertriebenen Wirtschaft nicht bei. Denn die Einkommensteuersenkung wirkt ja nur dort, wo einkommensteuerpflichtige Gewinne erzielt werden bzw. in einer angemessenen Höhe erzielt werden. Wo aber nur niedrige oder gar keine Gewinne erzielt werden, da kann eine derartige allgemeine Steuersenkung den bereits vorhandenen Abstand der einheimischen Betriebe mit günstiger Gewinnlage von den vertriebenen Betrieben mit ungünstiger Gewinnlage nur noch vergrößern. Man wird also bestimmte Sondermaßnahmen in diesem Bereich nach wie vor brauchen.
Es ist früher von der Notwendigkeit gesprochen worden, für die „Startgleichheit" Sorge zu tragen. Ich glaube, es müßte etwas anders formuliert werden: die Aufgabe ist, der vertriebenen Wirtschaft ermöglichen, aufzuholen und Schritt zu halten.
Denn wir befürchten, daß der Abstand zwischen dieser Gruppe und der wohlfundierten einheimischen Wirtschaft größer wird. Das liegt immanent in den Entwicklungen, die eine große volkswirtschaftliche Gesamtexpansion nach sich zieht.
Ich weiß, daß in der Sicht des Herrn Bundesfinanzministers gerade gegenüber Sondermaßnahmen immer bestimmte Vorbehalte bestehen. Ich glaube aber, daß man auch dem Herrn Bundesfinanzminister und allen Finanzministern die Sache damit schmackhaft machen soll, daß man darauf aufmerksam macht: dieses Problem wird nicht gelöst, indem man schwache Steuerzahler vielleicht ausfallen läßt, sondern es wird dadurch gelöst, daß man schwache Steuerzahler zu stärkeren Steuerzahlern macht,
indem man ihnen die notwendige kapitalmäßige Hilfe angedeihen läßt, um sie dann auch in den Stand zu setzen, eines Tages größere Gewinne zu erzielen.
Meine Damen und Herren, von den kapitalfördernden Maßnahmen möchte ich hier vor allem eine herausstellen, das ist die Frage der Gewerbebesteuerung. Die Gewerbesteuerbestimmungen von 1936 sehen auch heute noch vor, daß Dauerschulden dem Kapital und ihre Zinsen dem Ertrag zugerechnet werden müssen. Nun konnte das Gesetz von 1936 überhaupt nicht voraussehen, daß in einem solch weiten Umfang, wie wir es jetzt nach dem Kriege im Vertriebenensektor haben, Betriebe zwangsläufig zu überdurchschnittlich hohen Dauerschulden kommen, wie es in der Vertriebenenwirt-
schaft mit ihren Aufbaukrediten der Fall ist. Diese gesetzliche Bestimmung müßte endlich einmal den tatsächlichen Verhältnissen angepaßt werden;
denn hier liegt eine Vorbelastung vor, die um so drückender ist, wenn Gewerbekapitalsteuer ohne Rücksicht auf den Ertrag des Unternehmens aufgebracht werden muß.
Ich darf weiterhin auf eine Maßnahme aufmerksam machen, die nur zum Gleichziehen gerechtfertigt sein sollte, nämlich auf die Berücksichtigung des Unternehmernachwuchses. Hier müßte eine Lücke gefüllt werden, um die Gleichstellung mit dem Lastenausgleichsrecht zu schaffen. Es sollte weiterhin die bisher in § 10 a des Einkommensteuergesetzes zugestandene Erleichterung auch auf die Körperschaften, d. h. auf die Gesellschaften mit beschränkter Haftung und die Aktiengesellschaften im Sektor der Vertriebenenwirtschaft ausgedehnt werden. Ich persönlich glaube auch, daß man der Frage einer Ausdehnung und Vertiefung der jetzigen Begünstigung des § 10 a nähertreten sollte. Es wird aber immerhin zu überprüfen sein, inwieweit man da bei den vielen ähnlichen Wünschen anderer Gruppen zu einem Ausgleich kommen kann.
Lassen Sie mich abschließend noch einige grundsätzliche Bemerkungen zu den Gesamttendenzen der bisherigen Entwicklung vortragen. Wir sehen mit einer gewissen Besorgnis, daß aus den Leistungen, die die Staatsbürger in diesen Jahren für diese Zwecke aufbringen, viel stärker öffentliche Vermögen entstehen und daß das Problem der Eigentumsbildung bei den Vertriebenen und Flüchtlingen in der breiten Masse bisher noch nicht wirklich wirksam angepackt worden ist.
Ich habe das Gefühl, daß auch hier an vielen Stellen so etwas wie ein Ressortpartikularismus vorliegt, indem man auf den Mitteln, über die man zu verfügen hat, sitzen bleibt, weil Mittel dieser Art immerhin zu dem Ansehen und zu der Macht der darüber verfügenden Stellen wesentlich beitragen. Ich glaube, wir sollten alle darauf achten, daß hier nicht öffentliche Riesenvermögen entstehen, die sich einer wirksamen parlamentarischen Kontrolle dann kaum noch ausgesetzt fühlen, sondern ihr Eigenleben entwickeln und sich, ich möchte sagen, von der eigentlichen parlamentarischen Budgetkontrolle immer weiter emanzipieren.
Ich glaube, daß man auch zu dem Problem der Familienzusammenführung noch etwas sagen muß. Ich will nicht in die Kontroverse eintreten, ob die Familienzusammenführung an die Stelle der Bundesumsiedlung treten soll. Man sollte diese beiden Dinge nicht voneinander trennen; denn es sind zwei Seiten der gleichen Münze. Mit einer Umsiedlung, die nur den arbeitskräftigen und arbeitsfähigen Familienangehörigen sieht und nicht die Familie, haben wir nichts gewonnen.
Es bleibt das Problem der Familienzusammenführung, das ich nicht von dem anderen trennen möchte.
Die Frage, Herr Kollege Jaksch, inwieweit hier die Zusammenführung in Richtung auf die Industriegebiete, auf die großen Städte weitergeht, sollte man allerdings so sehen, daß das Tempo dieser Umsiedlung wesentlich auch von dem Bauvolumen in diesen Aufnahmegebieten abhängt und daß wir wahrscheinlich in einigen industriellen Ballungszentren wegen der starken Zuwanderung von allen Seiten mit jahrelangen Fristen für die Wohnraumbereitstellung zu rechnen haben und in diesem Zeitraum mit Sicherheit auch in der Frage der Industrieaussiedlung etwas weiterkommen sollten.
Gestatten Sie eine Frage, Herr Abgeordneter?
Bitte sehr!
Ich habe nur eine Frage, Herr Kollege. Ist Ihnen bekannt, daß man die Umsiedlungsdichte durch die Planung des sozialen Wohnungsbaus ohne weiteres berücksichtigen kann? Wir bekommen doch die Voranmeldungen, um in jedem Jahr ungefähr das Volumen an Umsiedlerwohnungen zu bauen, das benötigt wird! Diese Fälle sind in der administrativen Praxis durchaus zu meistern.
Ich glaube, daß wir damit nicht weiterkommen, Herr Kollege Jaksch. Das Problem ist doch, daß bei der Kapazität, die dem für Umsiedler bestimmten Wohnungsbau kapital-und leistungsmäßig zur Verfügung steht, dieser in Konkurrenz mit anderen Vorhaben, z. B. für die industrielle Produktion in diesen Bezirken, tritt. Ich erwähne den Bergarbeiterwohnungsbau. Das sind ebenso wichtige Angelegenheiten, und je mehr Sie diese Dinge in die industriellen Ballungszentren hineinbringen, um so schärfer wird die Konkurrenz der anderen Vorhaben in diesen Bezirken. Ich glaube, wir sollten uns hier aber in der Aufforderung an den Herrn Bundeswirtschaftsminister einigen, aus diesem und noch aus vielen anderen Gründen, über die an anderer Stelle einmal ausführlicher gesprochen werden sollte, dem Problem der industriellen Aussiedlung nunmehr eine besondere Aufmerksamkeit zuzuwenden.
Hier kommen viele Dinge zusammen. Wir haben das Problem der landwirtschaftlichen Notstandsgebiete, wir haben das Problem der Grenz- und Zonenrandgebiete, und wir haben das Problem der Flüchtlingsabgabeländer. Wenn nun die allgemeine wirtschaftliche Entwicklung ohnehin allmählich an ihre Grenze in der Arbeitskräftesituation gestoßen ist, sollten wir gerade bei der Industrie selbst das eigene Interesse an der Aussiedlung in derartige Bezirke wecken und fördern. Wir erwarten, daß hierfür wirklich einmal eine Initiative von diesem Hause und von der Bundesregierung ausgeht.
Abschließend noch eine Bemerkung, die von dem rein Ökonomischen wieder zum Menschlichen zurückführen soll. Die Leistungen, die in materieller Gestalt an die Vertriebenen und Flüchtlinge ausgeschüttet werden konnten und weiter ausgeschüttet werden, sind minimal im Verhältnis zu dem, was verlorengegangen ist. Wir alle sollten uns da im Hause und im Lande nichts vormachen.
Aber ihr Wert kann wesentlich davon abhängen, wie es gegeben wird und wie es gemacht wird. Die Kompliziertheit dieser Materie, die Fülle von kaum noch zu überschauenden Gesetzen und Vorschriften, hat zu einer Anonymität dieser Leistungen gegenüber dem Empfänger und Leistungsberechtigten geführt, die ich als eines der schwierigsten Probleme der wirklichen, der geistigen und seelischen Eingliederung betrachte.
Wie sieht es denn draußen aus? Hier ist einer Vielzahl von Behörden und Dienststellen eine Mitwirkung zugewiesen worden. Und wie fühlt sich der einzelne, der hier betroffen ist? Er wird sich zunächst seiner Ohnmacht immer wieder bewußt. Er sieht die Macht der Behörde als eine anonyme Kraft, und er wird immer wieder nur auf seine eigene persönliche Ohnmacht hingewiesen. Das geht jeden einzelnen von uns an, vor allem aber diejenigen, die in Dienststellen, in Behörden, aber auch in Organisationen und Verbänden irgendwie mit diesen Dingen zu tun haben. Die menschliche Seite der Frage, wie die Leistungen gegeben werden, wie die Dinge behandelt werden, wird entscheidend sein.
Ich habe nur einen Wunsch und eine Besorgnis, die mir auch durch die Ausführungen des Herrn Bundesministers für Vertriebenenfragen bestätigt zu sein scheint: Von einer Koordinierung aller in diesen Dingen zuständigen behördlichen Organe sind wir noch weit entfernt.
Vieles, was in diesem Hause mit gutem Willen und Initiative an Anregungen erarbeitet und was an Planungen wirklich auf den Weg gebracht wird, stößt sich doch allzu hart im Raum des behördlichen Gestrüpps auf den anderen Ebenen, wofür zunächst wiederum die Bundesregierung verantwortlich gemacht wird. Wenn die heutige Aussprache die Gesamtverantwortung aller, die auf diesem Gebiete öffentliche Verantwortung in der Bundesrepublik tragen, noch einmal besonders wirksam anspricht, sollte der Zweck dieser Aussprache zu einem wesentlichen Teile erfüllt sein.
Das Wort hat der Abgeordnete Rehs.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Kollege Hellwig hat sich für seine Fraktion mit einem bemerkenswerten Mut in die kritische Auseinandersetzung hineingestellt, und er hat mit anerkennenswertem Freimut und mit einer in einer Reihe von Fragen sehr positiven Haltung Notwendigkeiten einer Änderung der Dinge aufgezeigt, die auch ich und meine Freunde in vollem Umfang unterstreichen. Herr Kollege Hellwig, Sie sagten eingangs unter Hinweis auf meinen Parteifreund Jaksch, wir sollten doch nicht die Leistungen verkleinern und einen falschen Eindruck entstehen lassen. Ich meine, Sie sollten doch nicht übersehen, daß diese Leistungen nur in einem richtigen Verhältnis zu dem betrachtet und beurteilt werden können, was noch nicht geschehen ist. Vor allen Dingen können sie richtig nur gesehen werden auf dem Hintergrund der Zeit, die bereits abgelaufen ist, insbesondere auch auf dem Hintergrund der gehorteten Milliarden, die jetzt im
Bundeshaushalt zur Verfügung stehen. Sie hätten in weitem Umfang für diese Aufgaben schon zu einem viel früheren Zeitpunkt herangezogen werden können. Sie müssen die bisherigen Leistungen auch im Zusammenhang mit dem gesamten Sozialprodukt sehen, mit den Investitionen, mit dem ganzen übrigen Wirtschaftsspiegel, den Dividenden, den Aktien. Wenn Sie das alles im Zusammenhang betrachten, werden Sie zu dem Ergebnis kommen, daß die Möglichkeiten, die in der Bundesrepublik bestanden haben, nicht ausgeschöpft worden sind.
Sie haben in einer Reihe von Fällen, ich sagte es schon, sehr positive Anregungen ausgesprochen. Es wird darauf ankommen, Herr Kollege Hellwig, welche Konsequenzen Sie und Ihre Freunde in der Fraktion aus diesen Ihren eigenen Worten ziehen werden. Es ist Ihr Finanzminister, Herr Kollege Hellwig, und es ist Ihr Vertriebenenminister — jedenfalls der Minister, der zu Ihnen gehört —, und Sie sind die größte Fraktion, Sie haben die Möglichkeit, Ihren Worten auch die Taten folgen zu lassen. Im anderen Fall wird auch Ihre gute und wohlklingende Rede nur eine mehr in der Reihe der schönen, platonischen Erklärungen Ihrer Fraktion zu diesem Problem gewesen sein.
— Ja, Herr Kollege, es ist doch nicht anders! Wir haben es doch immer erlebt; Sie können es gar nicht bestreiten!
Wir haben diese Frage seit Jahr und Tag hier immer wieder aufgerollt. Was ich aber auch heute zu den Ausführungen des Herrn Vertriebenenministers feststellen muß, ist: Diese Rede war wieder das Muster einer Ministerrede über Vertriebenenfragen, wie wir sie seit Jahren in diesem Hause kennen. Mit einem Aufwand von Worten ist über all das hinweggeredet worden, worauf es uns ankommt.
Mit einem Wirbel von Zahlen, Hinweisen auf finanzielle Maßnahmen, mit Ankündigungen und Projektierungen ist versucht worden, den Eindruck zu erwecken, als ob eigentlich alles in bester Ordnung sei.
als ob das Vertriebenenministerium geradezu berste vor Initiative, Entschlossenheit und Gedankenfülle. Und wenn Sie diesen Wortschwamm der Ministerrede zusammendrücken, dieser anderthalbstündigen Rede, dann müssen Sie feststellen, daß sich seit den Tagen des Ministers Lukaschek bis heute an der eisigen Haltung der Bundesregierung zu diesem Problem auch nicht ein Gran geändert hat
und daß der Herr Bundesfinanzminister Schäffer trotz seiner gelegentlichen rührungsvollen Bekenntnisse heute weniger denn je bereit ist, aus dem prallen, in seinen Nähten platzenden Staatssäckel etwas zu einer durchgreifenden und raschen Behebung der Kriegsfolgenöte beizusteuern. Sie müssen feststellen, daß der Herr Minister für Vertriebene, Flüchtlinge und Kriegsgeschädigte auf
der ganzen Linie vor ihm und dem Kabinett kapituliert hat.
— Der Herr Minister hat es doch selber vorgetragen! Ich werde Ihnen hier noch einige konkrete Beispiele dafür anführen.
Die Sozialdemokratische Partei will, daß der soziale Teil der Vertriebenen- und Kriegsgeschädigtenprobleme endlich abgeschlossen werden kann, aber mit Hilfe materieller Anstrengungen, zu denen die Bundesregierung heute bei gutem Willen durchaus in der Lage wäre. Wir wollen nicht, daß Hunderttausende von Menschen auf oder vor dem Altar des Wirtschaftswunders geopfert bleiben. Wir wollen, daß diese emotionalen Spannungsursachen aus dem menschlichen und politischen Raum bei uns herauskommen, und deshalb wollen wir, daß die Spiegelfechtereien mit diesen Dingen endlich aufhören, die die Öffentlichkeit verwirren und bisher jeden ernsthaften und durchgreifenden Entschluß verhindert haben.
— Herr Kollege, Ihre Zwischenrufe verhindern nicht, was ich sage, und sie verhindern auch nicht, daß ich es sage; sie zeigen nur, daß Sie entweder ein schlechtes Gewissen haben oder daß Sie nicht tief genug in die Dinge eingedrungen sind.
— Mein Oberbürgermeister? Ich weiß nicht, welchen Sie jetzt meinen. Meinen eigenen? Das mag allerdings sein. — Na ja, bei einer solchen Geographie ist es natürlich kein Wunder, daß die Vertriebenen zu kurz kommen.
Der Kollege Jaksch hat hier zu der Frage der Umsiedlung bereits eingehende Ausführungen gemacht. Ich möchte nur noch wenige Bemerkungen hinzufügen, gerade im Hinblick auf das, was Kollege Hellwig hierzu ausgeführt hat. Sie wissen doch, Herr Minister Oberländer, daß aus den drei Hauptflüchtlingsländern Anträge für insgesamt rund 250 000 Personen vorliegen. Sie wollen hiervon ungefähr 50 bis 60 % auf die innere Umsiedlung abschreiben. Das ist im höchsten Grade problematisch, weil der Bund für die innere Umsiedlung kein Geld zur Verfügung stellt. Aber Sie wissen andererseits, daß bei dem dann noch verbleibenden großen Teil der Menschen die Familienzusammenführung nur in begrenztem Umfang das treibende Motiv ist, daß es um die Familien ohne Ernährer geht, die Halbfamilien, die in den jetzigen Wohnländern nicht eingegliedert werden und keinen Arbeitsplatz finden können. Das ist der harte Kern des Problems, der schwierigste, menschlich der bitterste Teil. Für sie bietet die Umsiedlung nach wie vor die einzige Chance, endlich einmal aus ihrer hoffnungslosen Lage herauszukommen.
Sie haben zum Finanzproblem Ausführungen gemacht, die dem Haus keinerlei Gewähr für die sichere Durchführung geben können. Sie haben erklärt, daß der Finanzbedarf für die weitere Umsiedlung einschließlich der 50 000 Evakuierten in Höhe von rund 285 Millionen DM durch Zweckbindung der für den Wohnungsbau bereitzustellenden Bundeshaushaltsmittel und durch Zweckbindung der Wohnraumhilfe-, also Lastenausgleichsmittel gedeckt werden soll. Sie wissen selbst — das haben Sie ja auch eingeräumt —, daß die Zweckbindung der Zustimmung der Länder wie auch des Kontrollausschusses bedarf. Bisher hat der Kontrollausschuß seine Zustimmung zu einer Zweckbindung von Wohnraumhilfemitteln für das Jahr 1956 nicht erteilt. Sie wissen, daß die Länder der Zweckbindung der allgemeinen Wohnungsbauhaushaltsmittel ebenfalls grundsätzlich widersprochen haben. Alles, was Sie bisher über die Finanzierung der weiteren Umsiedlung nach der neuen Umsiedlungsverordnung angekündigt haben, hängt also im Augenblick jedenfalls noch in der Luft. Aber mag der Kontrollausschuß darüber entscheiden! In jedem Falle stellt das Angebot der sogenannten Erleichterung, von dem Sie gesprochen haben, ganz eindeutig eine Verschleierung der Tatsache dar, daß die Bundesrégierung selber Haushaltsmittel für den Umsiedlungswohnungsbau nicht zur Verfügung stellen, sondern daß sie den Lastenausgleichsfonds damit belasten will. Sie gibt diesem jetzt zwar aus dem derzeitigen Mittelüberschuß, aus dem Juliusturm, um die Optik zu verbessern, einige Gelder. Der Lastenausgleich muß sie später aber wieder zurückzahlen. Das ist doch der entscheidende Punkt.
Herr Minister, bei Ihren Worten klang durch, daß es von der Haltung der Länder abhänge, ob die Verordnung auch finanziell unter Dach komme. Da klang so etwas der Versuch durch, schon jetzt den Ländern den Schwarzen Peter dafür zuzuschieben, wenn das eventuell nicht klappen sollte. Nun, Sie kennen die Lage genau. Sie wissen, daß die Länder bisher einstimmig die Notwendigkeit weiterer Umsiedlung bejaht, daß sie sich aber gegen die bisherige Finanzierungspraxis gewendet haben, und zwar deshalb, weil es sich bei der Umsiedlung um eine Kriegsfolgenaufgabe des Bundes handelt. Die Länder wehren sich dagegen, daß auf diese Weise die auf sie entfallenden Bundeswohnungsbaumittel zur Befriedigung ihres allgemeinen Wohnungsbaubedarfs gemindert werden sollen. Gerade diese Finanzierungspraxis hat ja bisher insbesondere die drei Hauptflüchtlingsländer insofern benachteiligt, als diese den ihnen zustehenden Schlüsselanteil an den allgemeinen Wohnungsbaumitteln nur aus den durch Zweckbindungen reduzierten Summen erhalten haben.
Man muß in diesem Zusammenhang nur noch wissen und in Betracht ziehen, daß der Bund von den für den Wohnungsbau zugunsten der äußeren Umsiedlung bisher bereitzustellenden nachrangigen Förderungsmitteln selbst bisher tatsächlich nur 200 Millionen DM zusätzlich, d. h. zu den durch den Bund ohnehin bereitzustellenden Wohnungsbaumitteln, gegeben hat und daß es sich bei diesen 200 Millionen DM zudem noch um einen Betrag handelt, der vom Bundestag bereits am 16. Mai 1952 in Zusammenhang mit der Verabschiedung des Lastenausgleichsgesetzes durch Beschluß gefordert worden war. Erst jetzt, bald vier Jahre danach, hat sich die Bundesregierung, wie wir aus dem Bulletin vom 4. Februar ersehen konnten, dazu bequemt, diesen Beschluß des Bundestages auszuführen und die letzten 97.4 Millionen von diesen 200 Millionen DM mit Wirkung vom kommenden 1. April zur Verfügung zu stellen.
Wenn Sie objektiv gewesen wären, Herr Minister, dann hätten Sie bei der Beantwortung der Großen Anfrage mindestens den Antrag meiner
Fraktion vom 1. Dezember 1955, Drucksache 1899 Buchstabe A, zu Rate gezogen. Sie haben ja diese Große Anfrage — das weiß jeder mit den Dingen in diesem Hause Beschäftigte und Vertraute — nicht nur selber bestellt, sondern mehr oder minder mit Kollegen aus der CDU/CSU gefertigt. Also Sie haben doch den Zweck, der damit verfolgt wurde und der von Ihnen verfolgt wurde, genau übersehen. Es wäre also doch mindestens ein Gebot der Fairneß für Sie gewesen, die sachlichen Anregungen und die sachlichen Möglichkeiten, die durch diese Anträge aufgezeigt worden sind, in Ihrem eigenen Vorbringen zu berücksichtigen. Auf diese Anträge aber einzugehen, dazu gehört freilich Herrn Bundesfinanzminister Schäffer gegenüber auch der Mut zu Konsequenzen.
Zur Frage der Altlager: Herr Kollege Kuntscher hat dazu gemeint — und er hat das, soweit ich ihn verstanden habe, eigentlich als sein einziges Anliegen in dieser Frage angesehen —,. der Herr Bundesfinanzminister möge doch darauf bedacht sein, daß die Länder daraufhin kontrolliert werden, daß die Ersparnisse aus den Kriegsfolgemitteln, soweit sie auf die Länder entfallen, nicht für andere Zwecke, sondern auch tatsächlich für die Auflösung der Lager verwandt werden. — Natürlich sollen die Länder das. Aber um das zu erreichen, Herr Kollege Kuntscher, werden eben die Länderparlamente aufpassen müssen, und Sie selbst brauchen sich ja deswegen nur an Ihre zuständigen Fraktionskollegen in den Ländern zu wenden, um auf diesem direkten Wege ihren eigenen Landesfinanzminister dazu zu zwingen.
Der Schwerpunkt des Problems liegt doch ganz woanders. Der Schwerpunkt liegt in der einfachen Frage, ob und mit welchen Mitteln die Bundesregierung endlich bereit ist und sich dazu aufraffen will, in dieser traurigen Angelegenheit — die doch angesichts der in dem Bundesfinanzministerium gehorteten 6 Milliarden einen Schandfleck darstellt — etwas Durchgreifendes zur Beseitigung der Mißstände zu tun. Was wir dazu heute von dem Herrn Minister Oberländer gehört haben, war wieder nur der Versuch, an der Fassade herumzuretuschieren.
— Richtig. — Herr Minister Oberländer, Sie haben eine Menge philosophischer Betrachtungen zu diesem Punkt angestellt, über das Attribut totalitärer Staatsformen, und daß man sich aus der gefährlichen Gewohnheit reißen müßte, die Lager als selbstverständlich anzusehen. Sie haben von Gründen der Staatssicherheit gesprochen. Natürlich ist das alles richtig; aber ich habe nur zu fragen: Warum sagen Sie das nicht der Bundesregierung und warum setzen Sie nicht im Kabinett durch, daß diese Gesichtspunkte berücksichtigt werden?
Uns hier brauchen Sie das nicht zu erzählen; wir wissen das alle. Aber sorgen Sie endlich dafür, daß diese Gesichtspunkte bei Ihren eigenen Kabinettskollegen berücksichtigt werden!
Sie haben zu diesem Punkte dann ausgeführt, daß der Bundesregierung seit dem Überleitungsgesetz die Verfügung über die Pauschalmittel entzogen sei. Ich habe dazu nur zu fragen: Warum führen Sie das an, wenn Sie nicht gleichzeitig sagen, daß dann eben noch andere Mittel eingesetzt
werden müssen, um diesem Problem zu Leibe zu gehen? Sie haben ja noch vor gar nicht allzu langer Zeit in Kiel etwas ganz anderes erzählt. Sie haben uns heute gesagt, Bundeshaushaltsmittel stünden für diesen Zweck nicht mehr zur Verfügung. Nun bitte, vor sechs Wochen in Kiel waren Ihre Erklärungen genau umgekehrt! Was ist nun davon zu halten, Herr Minister?
Ich will auf die Einzelheiten dieses Problems nicht weiter eingehen. Ich will auch nicht darauf hinweisen, daß die einjährige Kassenhilfe, von der Sie noch gesprochen haben, Herr Minister, doch als ernsthafte Vorfinanzierung überhaupt nicht angesehen werden kann; denn sie soll ja bereits aus den Pauschbeträgen des nächsten Jahres wieder getilgt werden, fehlt also dann bei diesen Mitteln. Das ist also doch — um es in der Studentensprache auszudrücken — nichts anderes als ein Leim für Füchse. Aber Sie haben auch hier den Antrag meiner Fraktion vom 1. Dezember 1955 völlig übergangen, wo nämlich die Handhabe und der Weg gezeigt worden sind, wie allein weiterzukommen ist. Der Antrag steht heute nicht auf der Tagesordnung; ich will infolgedessen nicht auf seine Einzelheiten eingehen. Das Parlament wird bei seiner Behandlung zu zeigen haben, ob es bereit ist, ein Machtwort zu sprechen. Insbesondere wird der Vertriebenenflügel der CDU/CSU hierzu Farbe bekennen müssen. Zu dem Problem Räumung der Lager hat Herr Minister Oberländer zusammenfassend oder abschließend die Erklärung abgegeben, daß die Finanzierung der Lagerauflösung „zunächst für 1956" als gesichert angesehen werden kann. Das heißt doch mit dürren Worten, daß das bisherige Schneckentempo bleibt; es heißt mit dürren Worten, daß Sie, wenn Sie nicht eine Wendung herbeiführen und sich zu anderen Maßnahmen entschließen
— Richtig! Kehrtwendung auf der ganzen Linie! —, noch in 13 Jahren die letzte Baracke stehen haben werden. Das ist der Gesichtspunkt, unter dem überhaupt jede Erörterung dieses Problems stattzufinden hat. Es ist mir unbegreiflich, Herr Minister Oberländer, wie Sie bei diesen Ihnen genau bekannten Tatsachen ein solches Eingeständnis, daß „zunächst für das Jahr 1956" diese Finanzierung gesichert sei, mit Ihrem Verantwortungsbewußtsein als Minister für diese betroffenen Menschen vereinbaren wollen.
Ein kurzes Wort zu dem Kapitel der Vertriebenenwirtschaft. Sie haben, Herr Minister, den vertriebenen Unternehmern Anerkennung und Lob für ihre Haltung gezollt. Sie haben von dem alarmierenden Ergebnis der Untersuchung gesprochen, davon, daß dieses Ergebnis ein Ruf an die Regierung und die gesamte Volkswirtschaft sei. Man war gespannt, was denn nun kommen würde. Wenn man genau hinhörte, dann stellte man fest, daß wieder einmal ein ungeheurer Schaumberg aufgeblasen wurde, in dem aber auch nichts Konkretes zur wirklichen Lösung dieser Fragen enthalten ist.
Sie haben gesagt, die Regierung sei von der Notwendigkeit überzeugt, weitere fördernde Maßnahmen zu ergeifen. Ich brauche auf diese Maßnahmen, soweit es sich um die steuerliche Seite
handelt, nicht näher einzugehen. Hierzu hat der Kollege Hellwig ja genau das gesagt, was in dieser Richtung erforderlich ist.
Aber außerdem hat das Problem ja noch eine andere, eine ganz entscheidende Seite. Das ist die Frage, was mit der Umschuldungsanleihe und mit ihren Kursen geschieht, wenn die Sperrfrist vom Februar 1958 abgelaufen ist. Wie soll dann die Kurspflege dieser Umschuldungsanleihe weitergeführt werden? Sie wissen, Herr Minister, daß der Unterausschuß für Vertriebenenwirtschaft im Einvernehmen mit der Lastenausgleichsbank gewünscht hat, der Finanzminister möge bestimmte Zusicherungen auf Bereitstellung von Haushaltsmitteln für diese Kurspflege geben. Hierüber haben Sie in Ihren Ausführungen kein Sterbenswörtchen verlauten lassen. Den entscheidenden Punkt, der die Vertriebenenwirtschaft interessiert, haben Sie überhaupt nicht angesprochen.
Dabei wissen Sie — das ist auch uns bekannt, Herr Minister —, was Sie in dieser Frage mit dem Finanzministerium erst kürzlich abgesprochen haben. Warum haben Sie nicht den Mut, das auch in diesem Hause offen zu bekennen? Sie haben ein Abkommen mit dem Finanzminister getroffen, in dem zuerst die Erklärung abgegeben wird, daß die Kurspflege grundsätzlich Aufgabe der Emittenten sei und daß das auch für die Lastenausgleichsbank gelte, daß im übrigen aber das Finanzministerium ein allgemeines finanzpolitisches Interesse an der Kurspflege der Anleihen des Bundes und der übrigen öffentlich-rechtlichen Institute — und damit auch der Lastenausgleichsbank — habe.
— Na ja, ein allgemeines Interesse! Was „kaufen sich die Leute" — um den Ausdruck zu gebrauchen
— für ein solches allgemeines Interesse ohne eine konkrete Zusage: In der und der Größenordnung stehen Finanzmittel, Haushaltsmittel des Bundes dafür zur Verfügung? Durch diese Erklärung ist leider nur klargestellt, daß die Schwierigkeiten, wie wir sie im vergangenen Herbst mit der Lastenausgleichsanleihe erlebt haben, erneut entstehen werden. Die Kurspflege der Lastenausgleichsbank war ja, obwohl es sich um ein öffentlich-rechtliches Institut handelt und obwohl gerade in diesem Falle das Interesse des Bundes besonders groß hätte sein müssen, so mangelhaft, daß ein sehr bedenkliches Abgleiten der Kurse gar nicht verhindert werden konnte, während zur selben Zeit — aber das ist Ihnen ja alles nicht unbekannt — die Bundesanleihen selbst von der Bank deutscher Länder in Kurs gehalten worden sind.
Es kam also für Sie, Herr Minister, darauf an, nach dieser Richtung hin die Karten auf den Tisch zu legen und zu erklären, ob und was konkret Sie beim Bundesfinanzminister in diesem Punkte erreicht haben. Wir stellen fest: gar nichts.
— Das, Herr Kollege, ist einer der Beweise für meine vorherige Behauptung, daß hier die erforderlichen Anstrengungen auch von Ihrer Fraktion nicht gemacht worden sind.
— Natürlich stimmt das, Herr Kollege Kuntscher!
— Na, bitte sehr!
Wir haben in der Ziffer 2 unseres Antrags nicht ohne Grund gefordert, daß die Bundesregierung — der Bundestag beschließt das hoffentlich — endlich eine definitive Bilanz und einen Gesamtbericht über die bei der Eingliederung der Vertriebenen noch zu lösenden Probleme unter Berücksichtigung ihrer strukturellen Beschaffenheit und der hierfür erforderlichen Mittel vorlegt. Wir können das, was wir heute als Zwischenbericht und als Vorbereitung für diesen Gesamtbericht aus dem Ministerium gehört haben, als in keiner Weise ausreichend ansehen. Sie haben sich bereit erklärt, Herr Minister, diesen Bericht zu geben. Ich habe nur zu fragen, wann, in welchem Zeitraum wir damit rechnen können, eine genaue Ubersicht über die Dinge zu erhalten. Wir wollen aus dem Nebel, in dem diese Fragen liegen, heraus. Wir wollen, daß solche Auseinandersetzungen 'und solche Beschwichtigungsreden, wie sie heute auch von Herrn Hellwig hier versucht worden sind, nicht mehr möglich sind. Wir können nur dann zu einem Abschluß in der Behandlung dieser Dinge gelangen, wenn der Bundestag und die Öffentlichkeit genau wissen, welche Fragen hinsichtlich der einzelnen Gruppen noch ungelöst geblieben sind und welcher finanzielle Gesamtaufwand für ihre Lösung benötigt wird. Im anderen Falle werden wir uns in jedem Jahr erneut um diese Dinge hier streiten müssen.
Zum Abschluß möchte ich Ihnen selber, Herr Minister Oberländer, noch folgendes sagen. Wir haben seinerzeit bei Ihrer Amtsübernahme namens der Fraktion erklärt, daß wir bereit seien, Sie bei allen positiven Maßnahmen für die Geschädigten zu unterstützen. Wir haben Sie aber auch eindringlich gewarnt und Ihnen wie weiland Frundsberg zugerufen: „Mönchlein, Mönchlein, du gehst einen schweren Gang!" Aber Sie waren kein Luther: „Hier stehe ich, ich kann nicht anders!" Sie konnten immer anders.
Immer wieder haben wir Sie in der Zwischenzeit gemahnt und wiederholt auch von dieser Stelle aufgefordert, auf den äußeren Schein einer Betriebsamkeit zugunsten einer konstruktiven und entschlossenen Lösung Ihrer Aufgaben zu verzichten. Wir haben Ihnen eine lange Schonfrist gegeben, Sie haben sie nicht genutzt. Seit Lukaschek sind in Ihrem Ministerium die Probleme, um die es hier geht, praktisch nur verwaltet worden.
Es ist nichts wirklich Neues, Schöpferisches zu einer beschleunigten Lösung der Dinge herausgekommen.
Ihre heutige Rede hat gezeigt, daß Sie auch weiterhin den Weg des geringsten Widerstandes gehen wollen. Es soll bei dem bisherigen Kurs bleiben, d. h. wir hören zwar über Verbesserung um einige Prozente, aber wie bisher von Jahr zu Jahr diese Erfolgsreden des Ministeriums, die in Wirklichkeit Mißerfolgsbestätigungen sind, und wir sollen das ächzende Karussel der Vertriebenendebatte in diesem Hause weiter drehen. Herr Minister, meine Freunde sagen dazu nein. Das Urteil über das Ergebnis einer Amtstätigkeit von über zwei Jahren ist — unter diesem Gesichtpunkt betrachtet — vernichtend. Die Vertriebenen und Geschä-
digten haben nur die Feststellung zu treffen: Gewogen und zu leicht befunden.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Czermak.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Auch ich möchte eingangs betonen, daß die heutige Flüchtlingsdebatte in diesem Hohen Hause bei allem Für und Wider klar und deutlich beweist, daß das Flüchtlingsproblem in der Bundesrepublik noch lange nicht gelöst ist, wenn das auch manche Kreise im Inland und Ausland glauben, daß trotz der Tatsache, daß bereits zehn Jahre seit Kriegsschluß und Austreibung vergangen sind, trotz des deutschen Wirtschaftswunders, trotz aller positiven Leistungen des Bundes, der Länder und der Gemeinden noch sehr viele Aufgaben zu erfüllen sind. Ein sehr beträchtlicher Teil bei den Heimatvertriebenen allein etwa ein Drittel — der Sowjetzonenflüchtlinge, der Evakuierten und Ausgebombten, der Spätheimkehrer und der weiteren Aussiedler aus den Ostgebieten leben heute, besonders draußen in den Notstandsgebieten, noch in Not und Elend. Wir hoffen alle, daß recht bald recht viele weitere Kriegsgefangene aus Rußland heimkehren und daß auch noch sehr viele unserer Landsleute, die drüben in den Ostgebieten in Haft und in Zwangsarbeit leben müssen, endlich zu ihren Familien und in die Freiheit kommen.
Ich denke insbesondere auch an die alten Menschen, an die Arbeitslosen und Arbeitsunfähigen. Der Prozentsatz der Arbeitslosen ist bei den Vertriebenen noch immer wesentlich höher als bei der einheimischen Bevölkerung. Viele sind auch berufsfremd und am falschen Arbeitsplatz eingesetzt. Ich denke an die, die schon jahrelang als Pendler leben, an die Bauern ohne Land, an die Witwen und Waisen, nicht zuletzt an all die Sowjetzonenflüchtlinge, die in den letzten Jahren ständig zugeströmt sind und weiter zuströmen und insbesondere an deren Jugend. Allen diesen Menschen, die sich selbst nicht helfen können, muß die Allgemeinheit, muß der Staat helfen. Das sollte eine besondere Verpflichtung aller politischen Parteien sein. Ich möchte nach dem Verlauf der Debatte ausdrücklich feststellen: hier handelt es sich nicht um parteipolitische Fragen, sondern um größere Dinge.
Ich darf nun auf die konkreten Fragen der Großen Anfrage der CDU/CSU eingehen, möglichst kurz und bündig, zur gefälligen Nachahmung.
— Ich sage das an alle.
Zunächst Lastenausgleich! Bis zum 31. März 1957 muß das Lastenausgleichsschlußgesetz verabschiedet werden. Bisher wurde in den meisten Fällen nur erste Hilfe, Soforthilfe geleistet. Mit diesem Schlußgesetz beginnt ein neuer Abschnitt in der Eingliederung, der schon jetzt gründlich vorbereitet werden muß. Ich möchte mir daher die Frage gestatten— verzeihen Sie meine Neugierde —: Welche Vorbereitungen sind für dieses Lastenausgleichsschlußgesetz bereits getroffen?
Wann sollen die Entwürfe vorgelegt werden? Wann hofft man, daß man mit diesem Schlußgesetz fertig wird? Hoffentlich kommt es noch als Weihnachtsgeschenk in diesem Jahr! Welches sind seine Grundsätze, seine Grundgedanken? Besonders: Wird mit der Auszahlung der Hauptentschädigung bereits im nächsten, im Rechnungsjahr 1957/58 begonnen werden? Nach dem Lastenausgleichsschlußgesetz sollen die Leistungen aus dem Ausgleichsfonds auf die Auszahlung dieser Hauptentschädigung konzentriert werden. Weitere Frage: Woher kommen dann die Mittel für die weitere Eingliederung, für die Existenzgründung, für Wohnungsbau, Bauernsiedlung und Familienzusammenführung?
Die Lösung dieser Probleme muß jetzt schon sehr gründlich vorbereitet werden. Das macht eine Vorfinanzierung des Lastenausgleichs nicht nur von innen, sondern auch von außen dringend notwendig, damit zumindest die Leistungen der letzten Jahre auch in den kommenden Jahren sichergestellt werden können. Wir haben gehört, daß die Bundesregierung einen Kassenkredit von 300 Millionen zur Verfügung stellt und für das Jahr 1956 für den Wohnungsbau 150 Millionen eingesetzt werden können. Wer weiß aber, ob das genügt.
Eine weitere Frage wegen der Vorfinanzierung von außen. Was ist denn eigentlich aus dem Sonne-Plan geworden? Ist er völlig untergegangen? Es wurde doch, weiß Gott, wie oft schon gesagt, daß es sich hier nicht nur um eine deutsche, sondern um eine europäische, weltpolitische Frage handelt,
für die sich auch die befreundeten Vertragsmächte, besonders die USA, interessieren müßten, weil die Lösung dieser Frage dem Frieden der ganzen Welt dient und weil diese Mächte ja auch eine Mitverantwortung tragen. Ich meine hier zunächst einmal all die schweren Lasten des Kalten Krieges seit Potsdam; deutlicher brauche ich wohl in diesem Hohen Hause nicht zu werden.
Wenn also die Auszahlung der Hauptentschädigung im nächsten Jahr schon beginnen soll, dann ist es allerdings unbedingt notwendig, daß bis dahin alle erlittenen Vermögensschäden amtlich festgestellt werden. Damit, meine Damen und Herren, schaut es noch sehr böse aus. Es liegen 3 1/2 Millionen Anträge auf Feststellung vor; davon sind erst etwa 4 % erledigt. Da muß also Tempo gemacht werden. Die Ausgleichsämter müssen endlich richtig funktionieren. Da muß vor allen Dingen der mehr als übertriebene Bürokratismus etwas abgebaut werden! Denn wer keimt sich heute wirklich schon in diesem Urwald von Verordnungen und Weisungen zu diesem Feststellungsgesetz noch aus?
Für die Sowjetzonenflüchtlinge muß der Härtefonds — das ist heute schon mehrmals gesagt worden — nach § 301 LAG wesentlich erhöht werden. Wenn ich recht verstanden habe, sind für das Jahr 1956 175 Millionen vorgesehen. Wer weiß aber, was da noch alles kommt! Ich denke hier insbesondere an die Jugendlichen aus der Sowjetzone. Bei unserer letzten Tagung in Berlin war ich auch in so einem Jugendflüchtlingslager. Ich muß Ihnen sagen: das ist mir etwas ans Herz gegangen, was ich dort alles gesehen habe.
Bei der heutigen Debatte spielt auch das Problem der heimatvertriebenen Wirtschaft eine Rolle. Sie hat trotz der Konjunktur der letzten Jahre im-
mer noch schwer zu kämpfen, weil es an Eigenkapital, an einer gesunden, gesicherten Basis fehlt. Sie hat aus dem Nichts beginnen müssen. Die Zinsen der Darlehen sind mit 10 bis 12 % viel zu hoch, die Tilgungsfristen viel zu kurz; die Besicherung ist in den meisten Fällen sehr schwierig, oft unmöglich, so daß eine Zinsverbilligung und eine Umschuldung dringend notwendig ist. Was soll geschehen, wenn nach diesen sieben fetten Jahren seit 1948 — Gott soll hüten — einmal sieben magere Jahre kommen? Dann geraten jedenfalls sehr viele heimatvertriebene und auch einheimische Betriebe in Schwierigkeiten.
Im Unterausschuß der heimatvertriebenen Wirtschaft wird schon monatelang über eine Umschuldungsaktion für 100 Millionen DM beraten. Hoffentlich kommt es trotz aller finanziellen und fiskalischen Schwierigkeiten bald zum Abschluß. Die heimatvertriebene Wirtschaft braucht auch weiterhin Mittel für Investitionen, besonders auch aus ERP-Mitteln. Sie braucht Steuervergünstigungen. Gerade das hat mein Kollege Dr. Wellhausen, der etwas von Steuern und Finanzen versteht, sehr offen und klar gesagt. Die heimatvertriebene Wirtschaft braucht auch, besonders jetzt im Zuge der Wiederaufrüstung, Aufträge aus öffentlicher Hand, wie dies bereits, insbesondere für die Notstandsgebiete, im Bundesvertriebenengesetz vorgesehen ist.
Ein noch viel schwierigeres Kapitel ist die heimatvertriebene Landwirtschaft. Wenn man an die Wiedervereinigung und wenn man an die Rückgewinnung der ostdeutschen Gebiete denkt, muß man zugeben, daß das geradezu eine nationale Lebensfrage ist. Ohne einen gesunden Bauernstand gibt es keinen gesunden Staat. Es gibt noch ca. 152 000 siedlungswillige heimatvertriebene Bauern, etwa 18 000 aus der Sowjetzone.
— Noch mehr, wie mir der Herr Kollege sagt. Ich habe das nur aus einer letzten Bilanz ausgezogen.
— Um sie ansiedeln zu können, braucht man Boden, insbesondere aus auslaufenden Höfen. Kredite müssen bewilligt werden, Steuererleichterungen auch hier geschaffen werden. Sehr zu begrüßen ist jedenfalls auch der Gedanke, daß diejenigen Bauern, die den Hof abgeben, dann ein Ausgedinge bekommen, eine Altersversorgung in Form einer Rente. Das hat sich in einigen Ländern bereits sehr gut bewährt. Gerade der Bauernstand verlangt mit Recht — auch das ist ein sehr wichtiges Problem —, daß die im Lastenausgleich bisher eingesetzten Einheitswerte endlich entsprechend erhöht werden. Sie sind viel zu niedrig. Sie entsprechen höchstens einem Drittel des wahren Wertes. Auch hier muß in erster Linie eingegriffen werden.
Nun zu einer weiteren Frage, zum Wohnungsbau, besonders zum sozialen Wohnungsbau. Es muß auch hier durchaus dankbar anerkannt werden, daß gerade auf diesem Gebiet in Westdeutschland in den letzten Jahren sehr viel geleistet wurde, aber leider immer noch nicht genug. Sehr viele sind noch ohne Wohnung, leben in Notwohnungen, in Bunkern und Lagern. Ich erinnere mich an ein hartes Wort: „Man kann einen Menschen nicht nur mit einer Hacke erschlagen, sondern auch mit einer Wohnung", das ich einmal irgendwo gehört habe. Wenn man hört, daß noch weit über 400 000 Menschen in Lagern sitzen, so ist das schrecklich. Man kann da leicht in den Verdacht kommen, daß hier und da vielfach nur Fassadenpolitik getrieben worden ist, anstatt diesen Menschen wirklich zu helfen.
Besonders im Ausland macht das jedenfalls einen sehr schlechten Eindruck. Der soziale Wohnungsbau muß daher weitergeführt werden, allerdings in dem Bestreben, damit möglichst Eigentum zu schaffen, echtes, freies Eigentum, und nicht nur Mietskasernen. Die Mittel aus dem Lastenausgleich für den Wohnungsbau dürfen jedenfalls nicht zweckentfremdet werden. Auch im Wohnungsbau sollte endlich der Mensch Subjekt seines Handelns werden, er sollte nicht bloß Objekt irgendeines Schalterbeamten beim zuständigen Wohnungsamt sein.
Gerade im Wohnungsbau, im Bau von Häusern, Wohnungen und Siedlungen kann man wirklich Geschichte machen. Alles andere vergeht, wird vergessen; aber die Steine reden. Saxa loquuntur, wie schon die alten Römer gesagt haben. Deswegen muß auch weiter gebaut werden. Es gibt noch sehr viele Familien, die zerrissen sind, in allen Ländern. Dieser Rest der größten Völkerwanderung aller Zeiten sollte endlich beseitigt werden. Dabei verlangen mit gutem Recht die Evakuierten und die Ausgebombten auch die Rückführung in ihre Heimat. Wir Heimatvertriebenen, die wir unsere Heimat verloren haben, haben dafür volles Verständnis; denn wir wissen, daß es eines jeden Menschen gutes und heiliges Recht ist, seine angestammte Heimat wiederzubekommen.
Es müssen auch in nächster Zeit alle notwendigen Mittel für die weitere Umsiedlung über die bisher geplanten Zahlen hinaus aus den überbelegten Ländern dorthin, wo noch Platz ist, geschaffen werden, damit ein gerechter Ausgleich im ganzen Bundesgebiet zwischen allen Ländern geschaffen werden kann.
Damit lassen Sie mich zu der Großen Anfrage schließen.
Es liegt noch ein Antrag der SPD vor, in dem die Bundesregierung ersucht wird, die weitere Tätigkeit des Ministeriums für Heimatvertriebene, Flüchtlinge und Kriegsgeschädigte sicherzustellen und einen Gesamtbericht über die weitere Eingliederung vorzulegen. Es ist unbestritten — das hat gerade die heutige Debatte in diesem Hohen Hause bewiesen —, daß noch sehr viele Probleme ungelöst sind, daß noch sehr schwere und dringende Aufgaben vor uns allen liegen, daß das Ministerium für Vertriebene, Flüchtlinge und Kriegsgeschädigte daher in den nächsten Jahren noch Arbeit mehr als genug zu leisten hat. An seiner Existenzberechtigung kann daher ernstlich nicht gezweifelt werden, und seine weitere Tätigkeit muß in jeder Richtung sichergestellt werden. Es ist klar, daß ein Gesamtbericht über die weiteren Eingliederungsmaßnahmen nicht nur für uns, sondern auch für das Ausland sehr interessant und lehrreich wäre.
Weiter liegen zwei Anträge des GB/BHE betreffend Bildung eines eigenen Ausgleichsfonds für Sowjetzonenflüchtlinge und betreffend Änderung der Bestimmungen der §§ 3 und 4 des Bundesvertriebenengesetzes darüber, wer als Sowjetzonenflüchtling anzuerkennen ist, vor. Über diese Anträge — sie sind auch in den Kreisen der Sowjetzonenflücthlinge umstritten, wie ich festgestellt habe — muß in den zuständigen Ausschüssen gründlich verhandelt werden. Dabei wäre es sicherlich sehr zu begrüßen, wenn dazu auch gutinformierte Vertreter der Verbände der Sowjetzonen-
flüchtlinge beigezogen würden. Kein Zweifel besteht jedenfalls darüber, daß alle Härten des Notaufnahmeverfahrens möglichst rasch beseitigt werden müssen. Denn gerade in dieser Frage, wer als Sowjetzonenflüchtling mit diesem oder jenem Ausweis anerkannt werden soll und aus welchen Gründen, entstehen draußen in der Praxis die größten Schwierigkeiten und vielfach auch Ungerechtigkeiten.
Lassen Sie mich damit schließen - ich habe versprochen, Ihnen ein Beispiel der Kürze zu geben -, zu sagen, daß es sich nicht nur um eine wirtschaftliche, nicht nur um eine finanzielle oder gar fiskalische Frage handelt, sondern vor allem auch um eine Frage des Herzens, des guten Willens und der Menschlichkeit, in der sich alle Parteien dieses Hohen Hauses einig sein sollten.
Meine Damen und' Herren! Abgeordnete verschiedener Parteien sind an mich mit der Bitte herangetreten, im Hinblick auf die vorgeschrittene Zeit und die Verpflichtungen der bayerischen Abgeordneten heute abend die Sitzung zu beenden. Wird eine anderweitige Meinung dazu laut? - Das ist nicht der Fall; dann darf ich feststellen, daß wir diesen Punkt der Tagesordnung morgen als ersten Gegenstand weiter beraten werden. Die weitere Reihenfolge kann morgen bei Beginn der Sitzung festgelegt werden. Jedenfalls kommen sämtliche heute nicht erledigten Gegenstände auf die morgige Tagesordnung.
Ich berufe die nächste, die 129. Sitzung des Deutschen Bundestages auf Freitag, den 10. Februar, 9 Uhr, und schließe die Sitzung.