Rede:
ID0212801200

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Metadaten
  • insert_drive_fileAus Protokoll: 2128

  • date_rangeDatum: 9. Februar 1956

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  • tocInhaltsverzeichnis
    2. Deutscher Bundestag — 128. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. Februar 1956 6661 128. Sitzung Bonn, Donnerstag, den 9. Februar 1956. Mitteilung über Vorlage von Berichten über die Preise bei militärischen Aufträgen (Drucksache 2073) und über die Frage der finanziellen Maßnahmen zur Erneuerung und zum Ausbau der Schiffahrt- und Fischerei-Tonnage (Drucksache 2076) . . 6661 C Große Anfrage der Fraktion der CDU/CSU betr. Eingliederung von Flüchtlingen, Vertriebenen, Evakuierten und Heimkehrern (Drucksache 1961) in Verbindung mit der Beratung des Antrags der Fraktion der SPD betr. Politik der Bundesregierung in den Angelegenheiten der Vertriebenen, Sowjetzonenflüchtlinge und Evakuierten (Drucksache 1896), mit der Ersten Beratung des von der Fraktion des GB/BHE eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Bundesvertriebenengesetzes (Drucksache 1965) und mit der Ersten Beratung des von der Fraktion des GB/BHE eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über Ausgleichsleistungen an Sowjetzonenflüchtlinge (Drucksache 1966) 6661 C Kuntscher (CDU/CSU), Anfragender 6661 D Dr. Dr. Oberländer, Bundesminister für Vertriebene, Flüchtlinge und Kriegsgeschädigte . . . . 6667 C, 6685 A Jaksch (SPD), Antragsteller 6680 A, 6682 A, 6691 C Niederalt (CDU/CSU) 6682 A Dr. Klötzer (GB/BHE), Antragsteller 6685 B Dr. Hellwig (CDU/CSU) . . 6687 D, 6691 C Rehs (SPD) 6692 B Dr. Czermak (FDP) 6696 A Weiterberatung vertagt 6698 C Nächste Sitzung 6698 C Anlage 1: Liste der beurlaubten Abgeordneten 6698 C Die Sitzung wird um 14 Uhr durch den Präsidenten D. Dr. Gerstenmaier eröffnet.
  • folderAnlagen
    Anlage 1 Liste der beurlaubten Abgeordneten a) Beurlaubungen Abgeordnete beurlaubt bis einschließlich Lulay 7. 4. Dr. Dr. h. c. Prinz zu Löwenstein 1. 4. Dr. Kopf 31. 3. Böhm (Düsseldorf) 3. 3. Graaff (Elze) 3. 3. Dr. Hammer 3. 3. Mensing 1. 3. Meitmann 29. 2. Peters 29. 2. Dr. Starke 28. 2. Dr. Eckhardt 25. 2. Glüsing 25. 2. Mellies 25. 2. Dr. Pohle (Düsseldorf) 25. 2. Schmidt (Hamburg) 25. 2. Srock 25. 2. Gleisner (Unna) 18. 2. Hörauf 13. 2. Dr. Arndt 11. 2. Bauer (Wasserburg) 11. 2. Eberhard 11. 2. Kriedemann 11. 2. Dr. Lenz (Godesberg) 11. 2. Maier (Stuttgart) 11. 2. Morgenthaler 11. 2. Pelster 11. 2. Siebel 11. 2. Bauknecht 10. 2. Frau Beyer (Frankfurt) 10. 2. Dr. Blank (Oberhausen) 10. 2. Even 10. 2. Gockeln 10. 2. Hilbert 10. 2. Kemper (Trier) 10. 2. Lemmer 10. 2. Dr. Miessner 10. 2. Dr. Dr. h. c. Müller (Bonn) 10. 2. Müller-Hermann 10. 2. Naegel 10. 2. Raestrup 10. 2. Scheel 10. 2. Frau Dr. Steinbiß 10. 2. Dr. Will 10. 2. Dr. Berg 9. 2. Fuchs 9. 2. Geritzmann 9. 2. Hansen (Köln) 9. 2. Heiland 9. 2. Kinat 9. 2. Kühlthau 9. 2. Dr. Mocker 9. 2. Dr. Schellenberg 9. 2. Schmitt (Vockenhausen) 9. 2. Dr. Schranz 9. 2. Spörl 9. 2. Graf von Spreti 9. 2. Sträter 9. 2. Varelmann 9. 2. Dr. Welskop 9. 2. Wolf (Stuttgart) 9. 2. b) Urlaubsanträge Ladebeck 10. 3. Dr. Orth 10. 3. Dr. von Merkatz 10. 3. Krammig 25. 2. Odenthal 18. 2.
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von: Unbekanntinfo_outline


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: ()
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: ()

    Ich 'erteile das Wort zur Begründung der Gesetzentwürfe Drucksachen 1965 und 1966 dem Abgeordneten Dr. Klötzer.
    Dr. Klötzer (GB/BHE), Antragsteller: Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Namens und im Auftrage meiner Fraktion habe ich die Ihnen in Drucksachen 1965 und 1966 vorliegenden Anträge der Fraktion des GB/BHE zu begründen. Ich darf hierzu folgendes ausführen.
    Bei der Drucksache 1965 handelt es sich um einen Gesetzentwurf meiner Fraktion, der eine Änderung der §§ 3 und 4 des Bundesvertriebenengesetzes zum Ziele hat. Der Art. 1 Ziffer 1 des vorliegenden Entwurfs beinhaltet eine Änderung des § 3 Abs. 1 BVFG, die keine Abkehr vom bisherigen Willen des Gesetzgebers, sondern nur eine Klarstellung und damit eine Verfahrenserleichterung bezweckt.
    An dem Grundsatz, daß nur die in der sowjetischen Besatzungszone beheimateten Personen anerkannt und mit dem Ausweis C ausgestattet werden sollen, die sich in einer besonderen Zwangslage befanden, wird durch unseren Antrag festgehalten. Die jeden Bewohner der sowjetischen Besatzungszone treffenden allgemeinen Zwangsverhältnisse des dortigen politischen und wirtschaftlichen Systems sollen auch nach unserer Ansicht für Anerkennung und Ausstattung mit C-Ausweis nicht als ausreichend gelten. Das gleiche gilt hinsichtlich des bekannten wirtschaftlichen West-Ost-Gefälles. Selbstverständlich ist auch, daß Personen, die gegen die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit und der Menschlichkeit verstoßen haben, ausgeschlossen bleiben.
    Die von uns vorgeschlagene Neufassung des § 3 Abs. 1 enthält, von redaktionellen Änderungen abgesehen, zwei Änderungen, durch die erhebliche Härten, die in der bisherigen unpräzisen Gesetzesformulierung begründet sind, beseitigt werden sollen. Bisher wird für die Anerkennung als Sowjetzonenflüchtling im Gegensatz zum Heimatvertriebenen eine vom Antragsteller nicht zu vertretende besondere Zwangslage gefordert, deretwegen er flüchten mußte. Durch Richtlinien des Bundesvertriebenenministeriums wurde dieser einengende Begriff ohne eine gesetzliche Ermächtigung weiter dahingehend eingeengt, daß auch jeder kleinste ehemalige Amtsträger der NSDAP oder ihrer Gliederungen die Zwangslage zu vertreten hat und daß für einfache Mitglieder dieser Partei und ihrer Verbände die den Tatsachen widersprechende Vermutung aufgestellt wurde, daß sie keiner Zwangslage ausgesetzt und nicht gefährdet gewesen seien. Diese Unterstellung widerspricht den Tatsachen. Dies ergibt sich schon daraus, daß nach der Besetzung der sowjetischen Zone wahllos etwa 185 000 ehemalige Nationalsozialisten verhaftet und in Konzentrationslager verbracht wurden. Von diesen sind nach amtlichen Feststellungen 96 000 in der Haft verstorben und 37 000 in die Sowjetunion deportiert worden.
    Es ist für uns erstaunlich, daß diese amtlichen Feststellungen und diese wohl im gesamten Gebiet der Bundesrepublik bekannten Tatsachen offenbar nicht bis ins Bundesvertriebenenministerium bekanntgeworden sind und dort zu einer Änderung dieser Richtlinien geführt haben. Es ist weiterhin erstaunlich, daß ausgerechnet dieses Ministerium, dessen offizielle Bezeichnung „Ministerium für Heimatvertriebene, Flüchtlinge und Kriegsgeschädigte" lautet und in dessen Aufgabenbereich doch die Betreuung dieses hier angesprochenen Personenkreises gehört, sich bemüßigt sah, Bestimmungen einengender Art herauszugeben, durch die gerade dieser zu betreuende Personenkreis besonders hart betroffen wurde. Es blieb der Verwaltungsgerichtsbarkeit und in einem von mir besonders ins Auge gefaßten Falle dem Oberverwaltungsgericht Lüneburg die Feststellung vorbehalten, daß diese einengenden vertraulichen Richtlinien des Bundesvertriebenenministers weder dem bisherigen Wortlaut des Gesetzes noch dem Willen des Gesetzgebers entsprechen. Bedauerlich ist, daß der Herr Bundesvertriebenenminister sich selbst durch diesen deutlichen, in einem Urteil eines Oberverwaltungsgerichts enthaltenen Hinweis noch nicht veranlaßt sah, seine umstrittenen Richtlinien zu ändern,

    (Abg. Dr. Kather: Hört! Hört!)

    sondern ich im Gegenteil etwa wie ein bösgläubiger Schuldner erst auf die Rechtskraft dieses


    (Dr. Klötzer)

    Urteils stützen will, um dann etwa das Notwendige zu veranlassen.
    Bei Anerkennung des Standpunktes dieser Richtlinien müßte man konsequenterweise, um nur ein Beispiel aufzuführen, auch einem geflohenen Funktionär der LDP die Anerkennung verweigern, weil er die Folge seines Parteibeitritts nach diesen Richtlinien selbst zu vertreten hat.
    Für mich erhob sich auch die Frage, ob und inwieweit bei einer strikten Anwendung dieser Richtlinien der Herr Bundesvertriebenenminister selbst in der Lage wäre, für sich einen solchen C-Ausweis und die Anerkennung als Sowjetzonenflüchtling zu erlangen.

    (Zurufe vom GB/BHE: Sehr gut! — Ausgezeichnet!)

    Durch unseren Entwurf sollen weiterhin die in § 3 Abs. 1 enthaltenen Worte „einer ... durch die politischen Verhältnisse bedingten besonderen Zwangslage" ersetzt werden durch die Worte „einer durch die dortigen Verhältnisse bedingten besonderen Zwangslage". Bei der Auslegung des Begriffs „politische Verhältnisse" klaffte die Verwaltung in ihrer Praxis weit auseinander. So sind bisweilen wirtschaftliche Maßnahmen, die subjektiv verhängt worden waren, z. B. die Entziehung von Kontingenten, selbst wenn sie zu einem Entzug der Lebensgrundlage und damit zur Existenzvernichtung führten, nicht als unter den Begriff „politische Verhältnisse" fallend anerkannt worden. Durch die von uns vorgeschlagene Neufassung sollen nunmehr auch solche wirtschaftlichen Zwangsmaßnahmen mit umfaßt werden.
    In Art. 1 Ziffer 2 unseres Entwurfs wird die Beseitigung von zwei bisher zutage getretenen Unzulänglichkeiten angestrebt. Im ersten Falle handelt es sich um die Gleichstellung der Fälle des § 4 mit denen des § 3 des Gesetzes. In § 3 wird bisher lediglich eine besondere Zwangslage gefordert, während nach § 4 eine unmittelbare Gefahr für Leib und Leben oder die persönliche Freiheit Voraussetzung für die Anerkennung ist. Es ist für uns nicht einzusehen, warum nicht auch bei § 4, also bei den Nichtrückkehrern, z. B. Fälle von Gewissenszwang eingeschlossen werden sollen.
    Zweitens wird in unserem Antrag eine Verfahrenserleichterung durch eine Umkehrung der Beweislast angestrebt. Für die vor der Roten Armee oder dem roten Regime Geflohenen und für die Frühheimkehrer, die nach ihrer Entlassung nicht in die Zone zurückkehrten, wird die Vermutung einer besonderen Zwangslage im Rückkehrfalle ausgesprochen. Die Tatsache, vor der Roten Armee oder dem roten Regime geflohen zu sein, war allein Grund genug, um im Falle einer Rückkehr Zwangsmaßnahmen und Freiheitsbedrohung nach sich zu ziehen. Daß die Furcht vor Vergewaltigungen sehr oft Frauen von der Rückkehr in die Zone abgehalten hat, wird ebenfalls respektiert werden müssen. Den Frühheimkehrern konnte ebenfalls nicht zugemutet werden, in die sowjetische Besatzungszone zurückzukehren, weil Fälle an der Tagesordnung waren, in denen man dort Entlassene mit einem Entlassungsschein der Westalliierten erneut inhaftiert und in russische Gefangenenlager eingeliefert hat. All diesen Personen war auch später, nachdem sie im Gebiet der Bundesrepublik Fuß gefaßt sowie Arbeit und Existenz gefunden hatten, nicht mehr zuzumuten, in die Zone zurückzukehren. Nach der bisherigen Praxis müssen diese Personen eine unmittelbare Gefahr für Leib und Leben oder eine Gefährdung ihrer persönlichen Freiheit für den Fall der Rückkehr glaubhaft machen. Wo diese Glaubhaftmachung nicht gelingt — was angesichts der allgemein bekannten Schwierigkeiten sehr häufig der Fall war und auch weiterhin der Fall ist —, wurde die Anerkennung versagt und der Ausweis verweigert. Diesen Personen blieb dann nur die Möglichkeit, entweder auf alle sich aus dem Ausweis C ergebenden Vergünstigungen trotz ihrer Notlage zu verzichten oder aber die in den Richtlinien des Bundesvertriebenenministeriums geforderte Gefährdung dadurch unter Beweis zu stellen, daß sie nun tatsächlich den gefährlichen Weg in die Zone antreten, sich dort einer Gefährdung von Freiheit und Leben aussetzen und die Folgen auf sich nehmen. In diesem Falle erübrigt sich dann die Ausstellung eines Ausweises oder die Anerkennung. Die von uns für diese Fälle vorgeschlagene Umkehrung der Beweislast würde gleichzeitig erhebliche verwaltungsmäßige Vereinfachungen mit sich bringen.
    Zu dem zweiten Gesetzentwurf — Drucksache 1966 — darf ich folgendes ausführen. Wir wollen durch diesen Gesetzentwurf einer Entwicklung Rechnung tragen, die sich seit der Verabschiedung des Lastenausgleichsgesetzes im Jahre 1952 bis heute vollzogen hat und die noch immer nicht zum Stillstand gekommen ist. Im Jahre 1952 wurden im § 301 LAG, der den Härtefonds behandelt, Leistungen an Sowjetzonenflüchtlinge vorgesehen. Man hat seinerzeit die Mittel, aus denen diese Leistungen erbracht werden sollten, mit jährlich rund 40 Millionen DM veranschlagt und in dieser Höhe in den zurückliegenden Jahren auch verausgabt. Seither hat sich die damals zugrunde gelegte Zahl der Sowjetzonenflüchtlinge durch die ungeheure und von niemandem vorausgesehene Steigerung des Flüchtlingstromes vervielfacht. Gegenüber diesem Anwachsen des Personenkreises der Berechtigten bliebt aber bis zur Verabschiedung der 4. Novelle zum LAG im vergangenen Jahr die Höhe der für die Betreuung dieses Personenkreises vorgesehenen Mittel unverändert. Dies hatte zur Folge, daß der prozentuale Anteil der aus Mitteln des Härtefonds bewilligten Anträge von Sowjetzonen-Flüchtlingen ständig zurückging, und zwar im gleichen Maße, wie die Zahl der Flüchtlinge im Steigen begriffen war. Dieser Zustand führte zu immer zahlreicheren und heftiger werdenden berechtigten Protesten aus den Reihen der Zonenflüchtlinge, die sich gegenüber den anderen Geschädigtengruppen zurückgesetzt fühlten und seit langem eine dem zahlenmäßigen Zuwachs ihrer Geschädigtengruppe entsprechende Erhöhung der für sie bestimmten Mittel anstrebten.
    Der Gesetzgeber hat dieses Mißverhältnis zwischen dem anspruchsberechtigten, ständig wachsenden Personenkreis auf der einen Seite und den für ihre Bedürfnisse bereitstehenden Mitteln auf der anderen Seite auch anerkannt und bei der 4. Novelle zum Lastenausgleichsgesetz eine gewisse Verbesserung vorgenommen. Diese Verbesserung wird jedoch weit überschätzt. Durch die Anfügung der Ausnahmebestimmungen in § 301 Abs. 3 LAG sind die Vorschriften im Abs. 1 des gleichen Paragraphen — z. B. über die Notlagevoraussetzung — nicht außer Kraft gesetzt worden. Der von meiner Fraktion vorgelegte Gesetzentwurf sieht in § 1 Abs. 1 die Errichtung eines selbständigen, neben dem Lastenausgleichsfonds stehenden Ausgleichsfonds für Sowjetzonenflüchtlinge vor. Durch diese


    (Dr. Klötzer)

    Trennung soll verstärkt sichergestellt werden, daß nicht eine Vermengung der Mittel für Heimatvertriebene und Kriegssachgeschädigte mit den Mitteln für Sowjetzonenflüchtlinge eintreten kann und daß allen Vermutungen und Behauptungen dieser Art, wie sie in der Vergangenheit bis heute sehr oft erhoben wurden, der Boden entzogen wird.
    In Abs. 2 haben wir vorgesehen, daß der Lastenausgleichsfonds für die Leistungen an die Sowjetzonenflüchtlinge in Zukunft den gleichen Betrag wie bisher, nämlich 40 .Millionen DM, zur Verfügung stellt.
    In Abs. 3 fordern wir von der Bundesregierung, daß aus dem Haushalt des Bundes, aus den öffentlichen Mitteln 100 Millionen DM für diesen Ausgleichsfonds der Sowjetzonenflüchtlinge zur Verfügung gestellt werden. Dem liegt die Absicht und die einzig mögliche Folgerung zugrunde, daß die infolge des anhaltenden Zustroms notwendigen Mehraufwendungen, also der Aufwand, soweit er über die ursprünglich vorgesehenen 40 Millionen DM des § 301 LAG hinausgeht, aus Bundesmitteln getragen werden müssen. Dieser Gedanke ist im Prinzip auch bereits beim Bundeshaushaltsplan 1955 durch die Zurverfügungstellung von erstmals 50 Millionen DM anerkannt worden. Die Kosten für die Leistungen an Zonenflüchtlinge nach bisherigem Recht werden auf etwa 110 Millionen DM jährlich geschätzt. Durch den vorliegenden Gesetzentwurf werden neue Aufwendungen hervorgerufen durch Beseitigung der Notlageklausel, Zubilligung einer Entschädigungsrente wegen Existenzverlustes sowie Zubilligung einer gestaffelten Hausratentschädigung. Dieser zusätzliche Aufwand kann auf etwa 30 Millionen DM, zusammen also 140 Millionen DM jährlich geschätzt werden.
    In § 2 Abs. 1 unseres Entwurfs übernehmen wir automatisch die Regelung, die das Bundesvertriebenengesetz hinsichtlich der Abgrenzung des Personenkreises der Sowjetzonenflüchtlinge und der ihnen gleichgestellten Personen festlegt. Sofern eine Ausweitung dieses Personenkreises in den §§ 3 und 4 BVFG entsprechend dem vorher von mir begründeten Entwurf Drucksache 1965 erfolgt, wirkt sie sich auch für diesen Gesetzentwurf aus. Bei der Bemessung der Zuschüsse aus dem Haushalt des Bundes waren wir hierbei noch von der alten Fassung des Bundesvertriebenengesetzes ausgegangen. Diese Zuschüsse müßten sich bei Annahme des Antrags Drucksache 1965 noch um etwa 60 Millionen DM jährlich erhöhen.
    Wir haben außerdem in § 2 Abs. 2 unseres Entwurfs durch Zitierung der Paragraphen des Lastenausgleichsgesetzes für die Leistungen, die im Rahmen dieses Gesetzes vorgesehen sind, die von den Sowjetzonenflüchtlingen angestrebte rechtliche Gleichstellung mit den anderen Geschädigten des Lastenausgleichsgesetzes, soweit sie durchführbar ist, herbeigeführt. Als Ausgleichsleistungen an Sowjetzonenflüchtlinge sind in unserem Entwurf Eingliederungsdarlehen, Unterhaltshilfe, Entschädigungsrente wegen Existenzverlustes, Hausratentschädigung und Ausbildungshilfe aufgeführt. Es fehlen Hauptentschädigung und Entschädigungsrente wegen Vermögensverlustes sowie Wohnraumhilfe. Die letzte Hilfe, die Wohnraumhilfe, ist den Zonenflüchtlingen bereits gegenwärtig im Rahmen des Lastenausgleichsgesetzes zugänglich. Auf die beiden anderen Leistungen, Hauptentschädigung und Entschädigungsrente wegen Vermögensverlustes, ist in unserem Entwurf bewußt verzichtet.
    Solche Verluste werden, soweit sie durch Maßnahmen der sowjetischen Besatzungsmacht oder der Machthaber der Zone mittelbar oder unmittelbar eingetreten sind, grundsätzlich nicht anerkannt. Deshalb kann auch für solche zeitweilige Eigentumsstörungen eine Vermögensentschädigung nicht zugebilligt werden. Es erscheint im übrigen auch äußerst schwierig, diese Enteignungsverluste wertmäßig einwandfrei festzustellen.
    Zu § 3 des Entwurfs: Für die Bemessung der Entschädigungsrente wegen Existenzverlustes sowie für die Eingruppierung in die Stufen der Hausratentschädigung ist es erforderlich, den Umfang der erlittenen Schäden wenigstens annähernd festzustellen. Hierfür genügt nach unserer Meinung eine Rechtsverordnung, die man auf Grund von § 43 Nr. 3 des Feststellungsgesetzes erlassen könnte. Das gleiche gilt, soweit für die Erfüllung des Erfordernisses in § 255 LAG, wonach Aufbaudarlehen dem Umfang der Entschädigung angemessen sein sollen, ebenfalls eine gewisse wertmäßige Feststellung des Verlustes erforderlich ist.
    Die in § 4 vorgesehene Verwaltungs- und Verfahrensregelung entspricht dem allgemeinen Wunsch nach größtmöglicher Einheitlichkeit mit dem Lastenausgleich der Vertriebenen und Kriegssachgeschädigten.
    Meine Damen und Herren, ich glaube aus den heutigen Ausführungen des Herrn Bundesvertriebenenministers eine gewisse Bereitschaft zur Lösung der in unseren beiden soeben begründeten Anträgen behandelten Fragen im Sinne dieser Anträge erkennen zu dürfen. Ich darf die Hoffnung aussprechen, daß diese Bereitschaft nicht nur in den Worten des Herrn Bundesvertriebenenministers, sondern auch bei den Beratungen und Abstimmungen über unsere Anträge ihren Niederschlag findet.
    Ich beantrage namens meiner Fraktion, die Drucksache 1965 dem Vertriebenenausschuß als federführendem Ausschuß und dem Ausschuß für Gesamtdeutsche Fragen zur Mitberatung zu überweisen und die Drucksache 1966 dem Lastenausgleichsausschuß als federführendem Ausschuß und zur Mitberatung ebenfalls dem Ausschuß für Gesamtdeutsche Fragen zu überweisen.

    (Beifall beim GB/BHE und bei der SPD.)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Meine Damen und Herren, nachdem nunmehr alle Anträge begründet sind, treten wir in die Debatte ein, und zwar gleichzeitig über die Ziffern a bis d des Punktes 1 der heutigen Tagesordnung. Ich erteile als erstem Redner dem Abgeordneten Dr. Hellwig das Wort.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Prof. Dr. Fritz Hellwig


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es mag ein Wagnis sein, wenn man zu den komplizierten Fragen des Vertriebenen- und Flüchtlingsproblems Stellung nimmt, ohne täglich mit dieser Materie befaßt zu sein. Denn dieser ganze Stoff ist derart kompliziert und umfassend geworden, daß derjenige, der wirklich zu Einzelheiten Stellung nehmen will, sich eine ungewöhnliche Vertrautheit mit ihm aneignen muß. Er wird zum Techniker, er wird zum Experten, und es besteht die Gefahr, wie auch das Interesse dieses Hauses für derartige Debatten zeigt, daß man unter sich bleibt, wenn die Experten der verschiedenen Parteien zu diesen Fragen Stellung nehmen. Ich glaube aber, es ist notwendig, daß zu dem grundsätzlichen Vertriebenen- und Flücht-


    (Dr. Hellwig)

    lingsproblem auch einmal aus der Sicht der nicht unmittelbar Betroffenen einiges gesagt wird, und so habe ich den Auftrag meiner politischen Freunde angenommen, einige allgemeine Ausführungen zu diesem Problem vorzutragen.
    Ich darf auf ein Wort verweisen, welches der amerikanische Kommissar Sonne bei der Untersuchung des deutschen Flüchtlingsproblems 1951 in seinem Bericht, dem sogenannten Sonne-Bericht, geschrieben hat. Da heißt es wörtlich: „Das Flüchtlingsproblem und das deutsche Problem sind untrennbar miteinander verbunden". Diese untrennbare Verbundenheit sollte auch bei Aussprachen über dieses Problem in diesem Hause immer wieder zum Ausdruck kommen, und wir sollten denjenigen Kollegen, die als unmittelbar Betroffene und, ich gebe ehrlich zu, als besondere Experten auf diesem Gebiet hier eine Diskussion führen, diese Verbundenheit auch unsererseits zum Ausdruck bringen, indem wir uns stärker dafür interessieren, als es leider die derzeitige Anwesenheit hier zu erkennen gibt.

    (Zuruf vom GB/BHE: Das ist sehr gut gesagt!)

    Von den Ausführungen des Kollegen Jaksch darf ich einen Satz aufgreifen, weil er im großen und ganzen doch die gute sachliche Atmosphäre, in der diese Erörterung stattfinden konnte, beleuchtet hat. Er hat wörtlich gesagt, daß die bisherige beachtliche Bilanz nicht verkleinert werden soll. Ich habe auch in seinen Ausführungen außer vielleicht personal- und organisationspolitisch bedingten Gesichtspunkten nicht eigentlich ein schwerwiegendes Gravamen gegenüber der bisherigen Politik der Bundesregierung auf diesem Gebiete gefunden.

    (Beifall bei den Regierungsparteien. — Zurufe von der SPD und vom GB/BHE.)

    Die Sorgen, die ihm in echter Besorgnis an verschiedenen Stellen das Wort geführt haben, sind — das darf ich sagen — auch unsere Sorgen, und wir sollten uns, wenn wir hier auf Sorgen aufmerksam machen, Bedenken anmelden und auf kommende Gefahren hinweisen, darüber verständigen, daß wir in gemeinsamer Arbeit mit diesen Dingen eher fertig werden, als wenn wir in einen Wettlauf eintreten, Bedenken nur um des Bedenkens willen zu finden.

    (Beifall.)

    Meine Damen und Herren, es sind gut zehn Jahre vergangen, seitdem das Vertriebenen- und das folgende Flüchtlingsproblem auf das deutsche Volk als nationales Unglück im Gefolge der Katastrophe niedergegangen sind, ein Zeitraum, lang genug, und ein Abschnitt, auch würdig genug, daß man sich etwas intensiver noch einmal vergegenwärtigt, was dieses Problem in diesen zehn Jahren für Deutschland bedeutet hat. Sind wir uns heute noch im ganzen Volk darüber klar, daß die Vertreibung der Deutschen aus ihren angestammten Wohnsitzen nichts anderes als die Fortsetzung des Krieges über den Waffenstillstand hinaus war?

    (Sehr richtig! in der Mitte.)

    Weiß die Gesamtheit unseres Volkes noch, was damit ursprünglich beabsichtigt war, daß damit das verbliebene Restdeutschland sturmreif für den Kommunismus, für die 'Überwindung und die Überwältigung durch den Kommunismus von innen her gemacht werden sollte?
    Daß sich diese Hoffnung der Sowjetpolitik nicht verwirklicht hat, hat mehrere Gründe. Ich will sie hier nicht alle aufzählen. Aber eines ist schon in den Ausführungen angeklungen, die vorhin gemacht worden sind: nämlich die persönliche Begegnung und Erfahrung der Masse der Heimatvertriebenen und Flüchtlinge mit dem Sowjetsystem und seinen Repräsentanten. Was diese Menschen mitgebracht haben, hat entscheidend zur Immunisierung der westdeutschen Bevölkerung überhaupt beigetragen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und beim GB/ BHE.)

    Wir erkennen ebenso dankbar an, daß die Eingliederung Westdeutschlands in das Nachkriegshilfsprogramm Amerikas für Europa und damit die planmäßige Einfügung der Bundesrepublik in die Gemeinschaft der freien westlichen Welt die Voraussetzung für die Eingliederung der Flüchtlinge und Vertriebenen geschaffen haben. Wir müssen weiterhin feststellen, daß der erfolgreiche Wiederaufbau von Staat und Wirtschaft für die Behandlung des Vertriebenenproblems ganz andere Voraussetzungen schuf, als wir vor acht oder neun Jahren noch zu hoffen wagen durften.
    Die Eingliederung aber — das soll auch heute, zehn Jahre danach, noch gesagt werden — von rund 11 Millionen Menschen, d. h. von mehr als einem Viertel der einheimischen Bevölkerung in Westdeutschland, war und ist die wichtigste Aufgabe der Gesellschafts- und Wirtschaftspolitik in der Bundesrepublik.

    (Beifall bei der CDU/CSU und beim GB/ BHE.)

    Sie ist nicht nur eine deutsche, sondern sie bleibt eine europäische, eine internationale Angelegenheit. Von ihrer Lösung hängt es ab, ob die Immunität der deutschen Bevölkerung gegen den Kommunismus weiter Bestand haben wird.

    (Sehr richtig! in der Mitte.)

    Ich habe vorhin den amerikanischen Bericht, den Sonne-Bericht vom Jahre 1951, schon kurz erwähnt. Die Situation, die damals bestand, darf vielleicht noch einmal mit einigen Zitaten aus diesem Bericht beleuchtet werden, die ich mit Genehmigung des Herrn Präsidenten wörtlich vortragen darf. An einer Stelle im Sonne-Bericht findet sich noch die Überschrift: „Können überhaupt diese Flüchtlinge erfolgreich eingegliedert werden?" Es steht weiter, uns Mut machend, darin:
    Innerhalb von sechs Jahren würde ein wirksam durchgeführter Plan für die Eingliederung der Flüchtlinge diesen Bevölkerungszuwachs in eine große moralische und wirtschaftliche Kraftquelle für Westdeutschland verwandeln. . . . Westdeutschland ist jetzt in der Lage, die Lösung des Flüchtlingsprogramms in Angriff zu nehmen, jedoch kann es das Programm mit der erforderlichen Beschleunigung und Sicherheit nur lösen, wenn ausländische Unterstützung rechtzeitig dazukommt.... Um das Programm jetzt auszuführen, muß man Mut, faire Haltung und Einsicht besitzen, um zu verstehen, daß es nicht nur eine Pflicht, sondern auch ein erfolgreiches Geschäft für die einheimische Bevölkerung ist, gewisse Opfer zu bringen und ihren eigenen Verbrauch so einzuschränken, daß die Flüchtlinge


    (Dr. Hellwig)

    wirtschaftlich eingegliedert werden können, wodurch später der Lebensstandard beider Bevölkerungsgruppen gehoben werden kann. ... Das Flüchtlingsproblem
    — so wurde 1951 gesagt —
    in Westdeutschland hat weltweite Auswirkung. (Sehr richtig! in der Mitte.)

    Meine Damen und Herren, ich glaube, wir sollten, wenn wir heute, gut zehn Jahre nach dieser großen Volkskatastrophe, einmal diesen Abschnitt überblicken, dankbar anerkennen, daß wir auch durch diese ermutigenden Anregungen internationaler Sachverständiger vieles erhielten und manches bei der Lösung der Eingliederungsaufgabe auch in der Praxis verwirklichen konnten.
    Wir erkennen weiter dankbar an, daß von den Gegenwertmitteln aus dem Marshallplan Kredite für die wirtschaftliche Eingliederung von Vertriebenen zur Verfügung standen. Das soll nicht durch die Feststellung verkleinert werden, daß der von ERP-Vertriebenenkrediten bisher tatsächlich bestrittene Betrag im Verhältnis zu dem Gesamtaufwand, den das Vertriebenenproblem für das deutsche Volk bisher erfordert hat, nur einen bescheidenen Bruchteil darstellt. Zu der eigentlichen, wiederholt im Ausland angeregten großen internationalen Hilfsaktion hinsichtlich des deutschen Vertriebenenproblems ist es bis heute nicht gekommen.
    Ich habe an die Formulierungen des Herrn Sonne deswegen erinnert, weil wir gerade an ihnen ermessen können, was in diesen Jahren an der Eingliederung der Vertriebenen gearbeitet und tatsächlich erreicht worden ist. Wenn wir angesichts der damaligen, noch sehr pessimistischen Betrachtungsweise heute bestimmte Erfolge feststellen dürfen, so sicher nicht zu dem Zwecke, eine billige Befriedigung zu empfinden oder zu sagen: wir haben es geschafft. „Wir sind in dieser Frage noch nicht über den Berg", diesem vorhin gefallenen Wort möchte ich mich vollinhaltlich anschließen. Wir dürfen aber vielleicht einen gewissen Stolz darauf empfinden, daß es uns gelungen ist, durch eine bestimmte Wirtschafts- und Sozialpolitik im ganzen die eigene Kraft so zu mobilisieren, daß hier doch ganz Erhebliches geleistet werden konnte.

    (Beifall in der Mitte.)

    Vielleicht darf ich auch einmal — das sei allen draußen in die Erinnerung gerufen — einige allgemeine Feststellungen über die Größenordnungen dieser Aufwendungen treffen. Der Gesamtaufwand in der Bundesrepublik für die Vertriebenen und Flüchtlinge belief sich bis Ende 1954 bereits auf 26,3 Milliarden DM, wobei erhebliche Leistungen der Länder auf dem Gebiet des sozialen Wohnungsbaus für Flüchtlinge und Vertriebene noch nicht mit erfaßt sind. Wir dürfen daher annehmen, daß sich dieser Gesamtaufwand bis zum Ende des Jahres 1955 auf etwa 40 Milliarden DM hin entwickelt hat. Von den bis Ende 1954 nachgewiesenen Aufwendungen, d. h. von den genannten 26,3 Milliarden, entfallen rund 19 Milliarden, also etwa 70 %, auf konsumtive Leistungen; das sind überwiegend die Renten, Pensionen, die Unterstützungen und Zuschüsse nach der Art der Hausrathilfe. 3,2 Milliarden oder gut 12 % sind Aufwendungen für den Wohnungsbau gewesen., Dazu müßten allerdings noch die im einzelnen hier im Augenblick nicht faßbaren Leistungen der Länder für den sozialen Wohnungsbau zugunsten von Vertriebenen und Flüchtlingen gerechnet werden. 1,9 Milliarden oder 7,3 % der Gesamtleistungen sind produktive Eingliederungsmaßnahmen mannigfaltigster Art gewesen.
    Hier möchten wir allerdings ein Bedenken anmelden, welches, wie ich glaube, grundsätzlicher Art ist. Von dem Riesenkapitalaufwand, der in diesen Jahren von dem deutschen Volk für die Lösung dieser Aufgabe aufgebracht worden ist, haben wir bisher gerade knapp 2 Milliarden DM wirklich im produktiven Sinne, d. h. im Sinne einer zusätzlichen Wertschaffung, einsetzen können. Ich glaube, daß dieser Anteil in den kommenden Jahren unter allen Umständen vergrößert werden muß, denn von dieser Seite her ist einer wesentlichen Anforderung an die echte Eingliederung überhaupt erst gerecht zu werden.

    (Beifall in der Mitte.)

    Die Eingliederung, meine Damen und Herren, kann nicht allein die Beseitigung von Arbeitslosigkeit sein, wenn dabei die soziale Umschichtung bestehenbleibt, die darin zum Ausdruck kommt, daß der Anteil der Erwerbspersonen in der Vertriebenenbevölkerung. die einmal selbständig oder mithelfende Familienangehörige waren und der früher 35 % betrug, nur noch ein Fünftel des früheren Anteils ausmacht.

    (Beifall in der Mitte.)

    Hier ist in einer Schlüsselzahl das entscheidende Problem der weiteren Wiedereingliederung angesprochen. 35 % der vertriebenen Bevölkerung waren selbständig und mithelfende Familienangehörige; 1950 waren es nur noch 7 %. Besonders katastrophal ist der Schwund der Familien. 20 % der Erwerbspersonen bei den Vertriebenen waren 1939 mithelfende Familienangehörige, 1950 nur noch 2 %. Hier äußert sich die katastrophale Zerschlagung der Familie nicht nur als der natürlichen gesellschaftlichen Einheit, sondern auch als einer Wirtschafts- und Versorgungsgemeinschaft.
    Was an produktiver Eingliederung bisher geschehen ist, trägt noch allzusehr das Kennzeichen der provisorischen Maßnahmen aus den ersten Jahren. Aufgabe ist jetzt, die provisorischen Aufnahme- und Übergangshilfen abzulösen und in eine planmäßige Eingliederungspolitik umzuwandeln. Wir müssen über die quantitative Betrachtung aller bisherigen Maßnahmen, die sehr stark vom Arbeitsmarkt oder von der rein wohnungsmäßigen Unterbringung ausging, zu der qualitativen Betrachtung übergehen.
    Ich möchte wegen der vorgeschrittenen Zeit hier nicht alle Einzelfragen behandeln, sondern möchte aus dem Komplex der produktiven Eingliederung einige besonders auffällige Merkmale festhalten. Zunächst, glaube ich, darf für die gesamte Wirtschaft gesagt werden, daß der Beitrag, den die Vertriebenen und Flüchtlinge geleistet haben, von dem erfolgreichen Wiederaufbau nicht mehr getrennt werden kann

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    und daß die wirtschaftliche Expansion, die die Bundesrepublik in den letzten Jahren hat vollbringen können, ohne den Beitrag der Flüchtlinge und Vertriebenen wahrscheinlich längst nicht dieses Ausmaß erreicht hätte.

    (Abg. Rasner: Ausgezeichnet!)



    (Dr. Hellwig)

    Das Problem der Arbeitskräfte, die hier als ein wichtiges Potential in die deutsche Wirtschaft einströmten, ist wiederholt angesprochen worden. Ich darf auch hier darauf aufmerksam machen, daß die Fülle von Selbständigen, die ehemals selbständig waren und um jeden Preis unter Einsatz ihrer ganzen persönlichen Leidenschaft und ihres Behauptungswillens wieder eine Existenz aufbauten und damit auch anderen eine Existenz als Arbeitnehmer gaben, keinesfalls unterschätzt werden darf.
    Wir erkennen ebenso deutlich die wesentliche Bereicherung an, die die westdeutsche Produktion auf sehr vielen Spezialgebieten — sei es etwa in der Bekleidungs- und Textilindustrie, sei es etwa in der Gablonzer Industrie, um nur einige ganz bestimmte, sichtbare Dinge zu nennen — erfahren hat. Ich schätze ebenso deutlich und positiv ein — was für die Gesamtheit der Vertriebenenwirtschaft gesagt werden darf —, daß ein ungewöhnlich hoher Nutzeffekt mit verhältnismäßig bescheidenen Mitteln erzielt werden konnte,

    (Sehr gut! bei der CDU/CSU)

    so daß der Multiplikator, mit dem die hier zum Einsatz gekommene öffentliche Hilfe sich wirtschaftlich bezahlt hat, ein ungewöhnlich günstiger war.
    Ich habe mir einmal die Ausfälle angesehen, die in der Wiedereingliederung bei Empfängern von öffentlichen Mitteln für die wirtschaftliche Selbständigmachung eingetreten sind. Das Überraschende war, daß von allen Betrieben, die öffentliche Mittel aller Art erhalten hatten, lediglich 2 1/2% aus Gründen, die in der Person des Unternehmers liegen, zusammengebrochen sind. Insgesamt sind 8 % der mit derartigen Krediten oder Bürgschaften ausgestatteten Betriebe zusammengebrochen, und bei diesem Anteilssatz von 8 % kamen 70 % der Gründe. die zum Zusammenbruch geführt hatten, auf sachliche Umstände — zu geringe Kapitalausstattung. zu ungünstiger Standort oder zu stark gewordene Konkurrenz —, und lediglich 30 % von 8 % — bezog en auf die Gesamtzahl der Betriebe also nur 2 1/2 % — kamen zum Zusammenbruch aus Gründen, die in der Person des Unternehmers lagen. Hier ist, glaube ich, wenn man bedenkt, wie schwierig die Voraussetzungen für den Personalkredit waren, weil ja die ganze persönliche Umwelt fehlte, die zum Personalkredit doch entscheidend beiträgt, tatsächlich ein ungewöhnlicher Beweis der Vertrauenswürdigkeit von der vertriebenen Wirtschaft erbracht worden.
    Die Aufgabe, vor der wir in diesem Sektor in diesem Augenblick stehen. ist, wie ich vorhin andeutete, die der Konsolidierung. Wir müssen auch weiterhin so denken, daß mit relativ geringfügigen Mitteln oder mit relativ geringfügigen Einnahmeminderungen bei den öffentlichen Haushalten weiterhin erhebliche Wirkungen erzielt werden können — ich erwähne die beiden Begriffe ..Umschuldung" und „verbesserte Eigenkapitalbildung" —, um der ungeheuer labilen Lage. in der sich die vertriebene Wirtschaft noch befindet — Zahlen hierüber sind vorhin vorgetragen worden — gerecht zu werden. Die kurzfristige Verschuldung kann gar nicht ernst genug genommen werden, wenn über 50 % des Gesamtkapitals der untersuchten Vertriebenenbetriebe kurzfristig abrufbar. d. h. praktisch bis zu einem Jahr Laufzeit abrufbar sind und die Schwierigkeiten der Eigenkapitalbildung merkwürdigerweise durch die günstige Wirtschaftskonjunktur verschärft worden sind. Denn
    die günstige Wirtschaftskonjunktur hat den Bedarf an Betriebskapital wesentlich zunehmen lassen, Umsatz, Produktion und infolgedessen Kapitalbedarf sind gewaltig gestiegen, während die Eigenkapitalbildung der vertriebenen Wirtschaft zunächst — da sie ohnehin noch nicht optimale Betriebsgrößen hat und ohnehin in ihren Gewinnmöglichkeiten niedriger anzusetzen ist als die einheimische Wirtschaft — sich dem gestiegenen Bedarf an Betriebskapital nicht anpassen, mit dem gestiegenen Kapitalbedarf nicht mehr Schritt halten konnte.
    Welche Maßnahmen hier im einzelnen zu ergreifen sind, kann ich der Kürze der Zeit wegen nicht vollständig aufzählen. Ich glaube aber, daß man auf eines aufmerksam machen sollte. Mit einer allgemeinen Einkommensteuersenkung, die für die Gesamtheit der Steuerzahler ungewöhnlich wichtig wäre, kommt man dem speziellen Problem der vertriebenen Wirtschaft nicht bei. Denn die Einkommensteuersenkung wirkt ja nur dort, wo einkommensteuerpflichtige Gewinne erzielt werden bzw. in einer angemessenen Höhe erzielt werden. Wo aber nur niedrige oder gar keine Gewinne erzielt werden, da kann eine derartige allgemeine Steuersenkung den bereits vorhandenen Abstand der einheimischen Betriebe mit günstiger Gewinnlage von den vertriebenen Betrieben mit ungünstiger Gewinnlage nur noch vergrößern. Man wird also bestimmte Sondermaßnahmen in diesem Bereich nach wie vor brauchen.
    Es ist früher von der Notwendigkeit gesprochen worden, für die „Startgleichheit" Sorge zu tragen. Ich glaube, es müßte etwas anders formuliert werden: die Aufgabe ist, der vertriebenen Wirtschaft ermöglichen, aufzuholen und Schritt zu halten.

    (Zustimmung beim GB/BHE.)

    Denn wir befürchten, daß der Abstand zwischen dieser Gruppe und der wohlfundierten einheimischen Wirtschaft größer wird. Das liegt immanent in den Entwicklungen, die eine große volkswirtschaftliche Gesamtexpansion nach sich zieht.
    Ich weiß, daß in der Sicht des Herrn Bundesfinanzministers gerade gegenüber Sondermaßnahmen immer bestimmte Vorbehalte bestehen. Ich glaube aber, daß man auch dem Herrn Bundesfinanzminister und allen Finanzministern die Sache damit schmackhaft machen soll, daß man darauf aufmerksam macht: dieses Problem wird nicht gelöst, indem man schwache Steuerzahler vielleicht ausfallen läßt, sondern es wird dadurch gelöst, daß man schwache Steuerzahler zu stärkeren Steuerzahlern macht,

    (Beifall bei der CDU/CSU und der DP)

    indem man ihnen die notwendige kapitalmäßige Hilfe angedeihen läßt, um sie dann auch in den Stand zu setzen, eines Tages größere Gewinne zu erzielen.
    Meine Damen und Herren, von den kapitalfördernden Maßnahmen möchte ich hier vor allem eine herausstellen, das ist die Frage der Gewerbebesteuerung. Die Gewerbesteuerbestimmungen von 1936 sehen auch heute noch vor, daß Dauerschulden dem Kapital und ihre Zinsen dem Ertrag zugerechnet werden müssen. Nun konnte das Gesetz von 1936 überhaupt nicht voraussehen, daß in einem solch weiten Umfang, wie wir es jetzt nach dem Kriege im Vertriebenensektor haben, Betriebe zwangsläufig zu überdurchschnittlich hohen Dauerschulden kommen, wie es in der Vertriebenenwirt-


    (Dr. Hellwig)

    schaft mit ihren Aufbaukrediten der Fall ist. Diese gesetzliche Bestimmung müßte endlich einmal den tatsächlichen Verhältnissen angepaßt werden;

    (Beifall bei der CDU/CSU, beim GB/BHE und rechts)

    denn hier liegt eine Vorbelastung vor, die um so drückender ist, wenn Gewerbekapitalsteuer ohne Rücksicht auf den Ertrag des Unternehmens aufgebracht werden muß.
    Ich darf weiterhin auf eine Maßnahme aufmerksam machen, die nur zum Gleichziehen gerechtfertigt sein sollte, nämlich auf die Berücksichtigung des Unternehmernachwuchses. Hier müßte eine Lücke gefüllt werden, um die Gleichstellung mit dem Lastenausgleichsrecht zu schaffen. Es sollte weiterhin die bisher in § 10 a des Einkommensteuergesetzes zugestandene Erleichterung auch auf die Körperschaften, d. h. auf die Gesellschaften mit beschränkter Haftung und die Aktiengesellschaften im Sektor der Vertriebenenwirtschaft ausgedehnt werden. Ich persönlich glaube auch, daß man der Frage einer Ausdehnung und Vertiefung der jetzigen Begünstigung des § 10 a nähertreten sollte. Es wird aber immerhin zu überprüfen sein, inwieweit man da bei den vielen ähnlichen Wünschen anderer Gruppen zu einem Ausgleich kommen kann.
    Lassen Sie mich abschließend noch einige grundsätzliche Bemerkungen zu den Gesamttendenzen der bisherigen Entwicklung vortragen. Wir sehen mit einer gewissen Besorgnis, daß aus den Leistungen, die die Staatsbürger in diesen Jahren für diese Zwecke aufbringen, viel stärker öffentliche Vermögen entstehen und daß das Problem der Eigentumsbildung bei den Vertriebenen und Flüchtlingen in der breiten Masse bisher noch nicht wirklich wirksam angepackt worden ist.

    (Hört! Hört! bei der CDU/CSU.)

    Ich habe das Gefühl, daß auch hier an vielen Stellen so etwas wie ein Ressortpartikularismus vorliegt, indem man auf den Mitteln, über die man zu verfügen hat, sitzen bleibt, weil Mittel dieser Art immerhin zu dem Ansehen und zu der Macht der darüber verfügenden Stellen wesentlich beitragen. Ich glaube, wir sollten alle darauf achten, daß hier nicht öffentliche Riesenvermögen entstehen, die sich einer wirksamen parlamentarischen Kontrolle dann kaum noch ausgesetzt fühlen, sondern ihr Eigenleben entwickeln und sich, ich möchte sagen, von der eigentlichen parlamentarischen Budgetkontrolle immer weiter emanzipieren.

    (Abg. Kuntscher: Ausgezeichnet!)

    Ich glaube, daß man auch zu dem Problem der Familienzusammenführung noch etwas sagen muß. Ich will nicht in die Kontroverse eintreten, ob die Familienzusammenführung an die Stelle der Bundesumsiedlung treten soll. Man sollte diese beiden Dinge nicht voneinander trennen; denn es sind zwei Seiten der gleichen Münze. Mit einer Umsiedlung, die nur den arbeitskräftigen und arbeitsfähigen Familienangehörigen sieht und nicht die Familie, haben wir nichts gewonnen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der DP.)

    Es bleibt das Problem der Familienzusammenführung, das ich nicht von dem anderen trennen möchte.
    Die Frage, Herr Kollege Jaksch, inwieweit hier die Zusammenführung in Richtung auf die Industriegebiete, auf die großen Städte weitergeht, sollte man allerdings so sehen, daß das Tempo dieser Umsiedlung wesentlich auch von dem Bauvolumen in diesen Aufnahmegebieten abhängt und daß wir wahrscheinlich in einigen industriellen Ballungszentren wegen der starken Zuwanderung von allen Seiten mit jahrelangen Fristen für die Wohnraumbereitstellung zu rechnen haben und in diesem Zeitraum mit Sicherheit auch in der Frage der Industrieaussiedlung etwas weiterkommen sollten.

    (Vizepräsident D r. Jaeger übernimmt den Vorsitz.)