Rede von
Dr.
Fritz
Czermak
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(FDP)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Auch ich möchte eingangs betonen, daß die heutige Flüchtlingsdebatte in diesem Hohen Hause bei allem Für und Wider klar und deutlich beweist, daß das Flüchtlingsproblem in der Bundesrepublik noch lange nicht gelöst ist, wenn das auch manche Kreise im Inland und Ausland glauben, daß trotz der Tatsache, daß bereits zehn Jahre seit Kriegsschluß und Austreibung vergangen sind, trotz des deutschen Wirtschaftswunders, trotz aller positiven Leistungen des Bundes, der Länder und der Gemeinden noch sehr viele Aufgaben zu erfüllen sind. Ein sehr beträchtlicher Teil bei den Heimatvertriebenen allein etwa ein Drittel — der Sowjetzonenflüchtlinge, der Evakuierten und Ausgebombten, der Spätheimkehrer und der weiteren Aussiedler aus den Ostgebieten leben heute, besonders draußen in den Notstandsgebieten, noch in Not und Elend. Wir hoffen alle, daß recht bald recht viele weitere Kriegsgefangene aus Rußland heimkehren und daß auch noch sehr viele unserer Landsleute, die drüben in den Ostgebieten in Haft und in Zwangsarbeit leben müssen, endlich zu ihren Familien und in die Freiheit kommen.
Ich denke insbesondere auch an die alten Menschen, an die Arbeitslosen und Arbeitsunfähigen. Der Prozentsatz der Arbeitslosen ist bei den Vertriebenen noch immer wesentlich höher als bei der einheimischen Bevölkerung. Viele sind auch berufsfremd und am falschen Arbeitsplatz eingesetzt. Ich denke an die, die schon jahrelang als Pendler leben, an die Bauern ohne Land, an die Witwen und Waisen, nicht zuletzt an all die Sowjetzonenflüchtlinge, die in den letzten Jahren ständig zugeströmt sind und weiter zuströmen und insbesondere an deren Jugend. Allen diesen Menschen, die sich selbst nicht helfen können, muß die Allgemeinheit, muß der Staat helfen. Das sollte eine besondere Verpflichtung aller politischen Parteien sein. Ich möchte nach dem Verlauf der Debatte ausdrücklich feststellen: hier handelt es sich nicht um parteipolitische Fragen, sondern um größere Dinge.
Ich darf nun auf die konkreten Fragen der Großen Anfrage der CDU/CSU eingehen, möglichst kurz und bündig, zur gefälligen Nachahmung.
— Ich sage das an alle.
Zunächst Lastenausgleich! Bis zum 31. März 1957 muß das Lastenausgleichsschlußgesetz verabschiedet werden. Bisher wurde in den meisten Fällen nur erste Hilfe, Soforthilfe geleistet. Mit diesem Schlußgesetz beginnt ein neuer Abschnitt in der Eingliederung, der schon jetzt gründlich vorbereitet werden muß. Ich möchte mir daher die Frage gestatten— verzeihen Sie meine Neugierde —: Welche Vorbereitungen sind für dieses Lastenausgleichsschlußgesetz bereits getroffen?
Wann sollen die Entwürfe vorgelegt werden? Wann hofft man, daß man mit diesem Schlußgesetz fertig wird? Hoffentlich kommt es noch als Weihnachtsgeschenk in diesem Jahr! Welches sind seine Grundsätze, seine Grundgedanken? Besonders: Wird mit der Auszahlung der Hauptentschädigung bereits im nächsten, im Rechnungsjahr 1957/58 begonnen werden? Nach dem Lastenausgleichsschlußgesetz sollen die Leistungen aus dem Ausgleichsfonds auf die Auszahlung dieser Hauptentschädigung konzentriert werden. Weitere Frage: Woher kommen dann die Mittel für die weitere Eingliederung, für die Existenzgründung, für Wohnungsbau, Bauernsiedlung und Familienzusammenführung?
Die Lösung dieser Probleme muß jetzt schon sehr gründlich vorbereitet werden. Das macht eine Vorfinanzierung des Lastenausgleichs nicht nur von innen, sondern auch von außen dringend notwendig, damit zumindest die Leistungen der letzten Jahre auch in den kommenden Jahren sichergestellt werden können. Wir haben gehört, daß die Bundesregierung einen Kassenkredit von 300 Millionen zur Verfügung stellt und für das Jahr 1956 für den Wohnungsbau 150 Millionen eingesetzt werden können. Wer weiß aber, ob das genügt.
Eine weitere Frage wegen der Vorfinanzierung von außen. Was ist denn eigentlich aus dem Sonne-Plan geworden? Ist er völlig untergegangen? Es wurde doch, weiß Gott, wie oft schon gesagt, daß es sich hier nicht nur um eine deutsche, sondern um eine europäische, weltpolitische Frage handelt,
für die sich auch die befreundeten Vertragsmächte, besonders die USA, interessieren müßten, weil die Lösung dieser Frage dem Frieden der ganzen Welt dient und weil diese Mächte ja auch eine Mitverantwortung tragen. Ich meine hier zunächst einmal all die schweren Lasten des Kalten Krieges seit Potsdam; deutlicher brauche ich wohl in diesem Hohen Hause nicht zu werden.
Wenn also die Auszahlung der Hauptentschädigung im nächsten Jahr schon beginnen soll, dann ist es allerdings unbedingt notwendig, daß bis dahin alle erlittenen Vermögensschäden amtlich festgestellt werden. Damit, meine Damen und Herren, schaut es noch sehr böse aus. Es liegen 3 1/2 Millionen Anträge auf Feststellung vor; davon sind erst etwa 4 % erledigt. Da muß also Tempo gemacht werden. Die Ausgleichsämter müssen endlich richtig funktionieren. Da muß vor allen Dingen der mehr als übertriebene Bürokratismus etwas abgebaut werden! Denn wer keimt sich heute wirklich schon in diesem Urwald von Verordnungen und Weisungen zu diesem Feststellungsgesetz noch aus?
Für die Sowjetzonenflüchtlinge muß der Härtefonds — das ist heute schon mehrmals gesagt worden — nach § 301 LAG wesentlich erhöht werden. Wenn ich recht verstanden habe, sind für das Jahr 1956 175 Millionen vorgesehen. Wer weiß aber, was da noch alles kommt! Ich denke hier insbesondere an die Jugendlichen aus der Sowjetzone. Bei unserer letzten Tagung in Berlin war ich auch in so einem Jugendflüchtlingslager. Ich muß Ihnen sagen: das ist mir etwas ans Herz gegangen, was ich dort alles gesehen habe.
Bei der heutigen Debatte spielt auch das Problem der heimatvertriebenen Wirtschaft eine Rolle. Sie hat trotz der Konjunktur der letzten Jahre im-
mer noch schwer zu kämpfen, weil es an Eigenkapital, an einer gesunden, gesicherten Basis fehlt. Sie hat aus dem Nichts beginnen müssen. Die Zinsen der Darlehen sind mit 10 bis 12 % viel zu hoch, die Tilgungsfristen viel zu kurz; die Besicherung ist in den meisten Fällen sehr schwierig, oft unmöglich, so daß eine Zinsverbilligung und eine Umschuldung dringend notwendig ist. Was soll geschehen, wenn nach diesen sieben fetten Jahren seit 1948 — Gott soll hüten — einmal sieben magere Jahre kommen? Dann geraten jedenfalls sehr viele heimatvertriebene und auch einheimische Betriebe in Schwierigkeiten.
Im Unterausschuß der heimatvertriebenen Wirtschaft wird schon monatelang über eine Umschuldungsaktion für 100 Millionen DM beraten. Hoffentlich kommt es trotz aller finanziellen und fiskalischen Schwierigkeiten bald zum Abschluß. Die heimatvertriebene Wirtschaft braucht auch weiterhin Mittel für Investitionen, besonders auch aus ERP-Mitteln. Sie braucht Steuervergünstigungen. Gerade das hat mein Kollege Dr. Wellhausen, der etwas von Steuern und Finanzen versteht, sehr offen und klar gesagt. Die heimatvertriebene Wirtschaft braucht auch, besonders jetzt im Zuge der Wiederaufrüstung, Aufträge aus öffentlicher Hand, wie dies bereits, insbesondere für die Notstandsgebiete, im Bundesvertriebenengesetz vorgesehen ist.
Ein noch viel schwierigeres Kapitel ist die heimatvertriebene Landwirtschaft. Wenn man an die Wiedervereinigung und wenn man an die Rückgewinnung der ostdeutschen Gebiete denkt, muß man zugeben, daß das geradezu eine nationale Lebensfrage ist. Ohne einen gesunden Bauernstand gibt es keinen gesunden Staat. Es gibt noch ca. 152 000 siedlungswillige heimatvertriebene Bauern, etwa 18 000 aus der Sowjetzone.
— Noch mehr, wie mir der Herr Kollege sagt. Ich habe das nur aus einer letzten Bilanz ausgezogen.
— Um sie ansiedeln zu können, braucht man Boden, insbesondere aus auslaufenden Höfen. Kredite müssen bewilligt werden, Steuererleichterungen auch hier geschaffen werden. Sehr zu begrüßen ist jedenfalls auch der Gedanke, daß diejenigen Bauern, die den Hof abgeben, dann ein Ausgedinge bekommen, eine Altersversorgung in Form einer Rente. Das hat sich in einigen Ländern bereits sehr gut bewährt. Gerade der Bauernstand verlangt mit Recht — auch das ist ein sehr wichtiges Problem —, daß die im Lastenausgleich bisher eingesetzten Einheitswerte endlich entsprechend erhöht werden. Sie sind viel zu niedrig. Sie entsprechen höchstens einem Drittel des wahren Wertes. Auch hier muß in erster Linie eingegriffen werden.
Nun zu einer weiteren Frage, zum Wohnungsbau, besonders zum sozialen Wohnungsbau. Es muß auch hier durchaus dankbar anerkannt werden, daß gerade auf diesem Gebiet in Westdeutschland in den letzten Jahren sehr viel geleistet wurde, aber leider immer noch nicht genug. Sehr viele sind noch ohne Wohnung, leben in Notwohnungen, in Bunkern und Lagern. Ich erinnere mich an ein hartes Wort: „Man kann einen Menschen nicht nur mit einer Hacke erschlagen, sondern auch mit einer Wohnung", das ich einmal irgendwo gehört habe. Wenn man hört, daß noch weit über 400 000 Menschen in Lagern sitzen, so ist das schrecklich. Man kann da leicht in den Verdacht kommen, daß hier und da vielfach nur Fassadenpolitik getrieben worden ist, anstatt diesen Menschen wirklich zu helfen.
Besonders im Ausland macht das jedenfalls einen sehr schlechten Eindruck. Der soziale Wohnungsbau muß daher weitergeführt werden, allerdings in dem Bestreben, damit möglichst Eigentum zu schaffen, echtes, freies Eigentum, und nicht nur Mietskasernen. Die Mittel aus dem Lastenausgleich für den Wohnungsbau dürfen jedenfalls nicht zweckentfremdet werden. Auch im Wohnungsbau sollte endlich der Mensch Subjekt seines Handelns werden, er sollte nicht bloß Objekt irgendeines Schalterbeamten beim zuständigen Wohnungsamt sein.
Gerade im Wohnungsbau, im Bau von Häusern, Wohnungen und Siedlungen kann man wirklich Geschichte machen. Alles andere vergeht, wird vergessen; aber die Steine reden. Saxa loquuntur, wie schon die alten Römer gesagt haben. Deswegen muß auch weiter gebaut werden. Es gibt noch sehr viele Familien, die zerrissen sind, in allen Ländern. Dieser Rest der größten Völkerwanderung aller Zeiten sollte endlich beseitigt werden. Dabei verlangen mit gutem Recht die Evakuierten und die Ausgebombten auch die Rückführung in ihre Heimat. Wir Heimatvertriebenen, die wir unsere Heimat verloren haben, haben dafür volles Verständnis; denn wir wissen, daß es eines jeden Menschen gutes und heiliges Recht ist, seine angestammte Heimat wiederzubekommen.
Es müssen auch in nächster Zeit alle notwendigen Mittel für die weitere Umsiedlung über die bisher geplanten Zahlen hinaus aus den überbelegten Ländern dorthin, wo noch Platz ist, geschaffen werden, damit ein gerechter Ausgleich im ganzen Bundesgebiet zwischen allen Ländern geschaffen werden kann.
Damit lassen Sie mich zu der Großen Anfrage schließen.
Es liegt noch ein Antrag der SPD vor, in dem die Bundesregierung ersucht wird, die weitere Tätigkeit des Ministeriums für Heimatvertriebene, Flüchtlinge und Kriegsgeschädigte sicherzustellen und einen Gesamtbericht über die weitere Eingliederung vorzulegen. Es ist unbestritten — das hat gerade die heutige Debatte in diesem Hohen Hause bewiesen —, daß noch sehr viele Probleme ungelöst sind, daß noch sehr schwere und dringende Aufgaben vor uns allen liegen, daß das Ministerium für Vertriebene, Flüchtlinge und Kriegsgeschädigte daher in den nächsten Jahren noch Arbeit mehr als genug zu leisten hat. An seiner Existenzberechtigung kann daher ernstlich nicht gezweifelt werden, und seine weitere Tätigkeit muß in jeder Richtung sichergestellt werden. Es ist klar, daß ein Gesamtbericht über die weiteren Eingliederungsmaßnahmen nicht nur für uns, sondern auch für das Ausland sehr interessant und lehrreich wäre.
Weiter liegen zwei Anträge des GB/BHE betreffend Bildung eines eigenen Ausgleichsfonds für Sowjetzonenflüchtlinge und betreffend Änderung der Bestimmungen der §§ 3 und 4 des Bundesvertriebenengesetzes darüber, wer als Sowjetzonenflüchtling anzuerkennen ist, vor. Über diese Anträge — sie sind auch in den Kreisen der Sowjetzonenflücthlinge umstritten, wie ich festgestellt habe — muß in den zuständigen Ausschüssen gründlich verhandelt werden. Dabei wäre es sicherlich sehr zu begrüßen, wenn dazu auch gutinformierte Vertreter der Verbände der Sowjetzonen-
flüchtlinge beigezogen würden. Kein Zweifel besteht jedenfalls darüber, daß alle Härten des Notaufnahmeverfahrens möglichst rasch beseitigt werden müssen. Denn gerade in dieser Frage, wer als Sowjetzonenflüchtling mit diesem oder jenem Ausweis anerkannt werden soll und aus welchen Gründen, entstehen draußen in der Praxis die größten Schwierigkeiten und vielfach auch Ungerechtigkeiten.
Lassen Sie mich damit schließen - ich habe versprochen, Ihnen ein Beispiel der Kürze zu geben -, zu sagen, daß es sich nicht nur um eine wirtschaftliche, nicht nur um eine finanzielle oder gar fiskalische Frage handelt, sondern vor allem auch um eine Frage des Herzens, des guten Willens und der Menschlichkeit, in der sich alle Parteien dieses Hohen Hauses einig sein sollten.