Gesamtes Protokol
Die Sitzung ist eröffnet.
Vor Eintritt in die Tagesordnung, meine Damen und Herren, darf ich dem Herrn Abgeordneten Bausch die herzlichsten Glückwünsche des Hauses zu seinem heutigen 60. Geburtstag aussprechen.
Durch interfraktionelle Vereinbarung, darf ich noch bekanntgeben, ist die Fragestunde vom 8. Juni auf den 6. Juli verlegt worden. Sperrfrist für eingehende Fragen ist Freitag, der 1. Juli, 12 Uhr.
Die übrigen amtlichen Mitteilungen werden ohne Verlesung in den Stenographischen Bericht aufgenommen:
Der Herr Bundesminister des Innern hat unter dem 20. Mai 1955 die Kleine Anfrage 175 der Abgeordneten Stücklen, Wieninger, Bauer und Genossen betreffend Schutzimpfung gegen Kinderlähmung — Drucksache 1381 — beantwortet. Sein Schreiben wird als Drucksache 1422 vervielfältigt.
Meine Damen und Herren, damit kommen wir zur Tagesordnung. Ich rufe auf den einzigen Punkt der Tagesordnung:
a) Große Anfrage der Fraktion der SPD betreffend Vorbereitung von Viermächteverhandlungen zur Wiedervereinigung Deutschlands ;
b) Beratung des Antrags der Fraktion der SPD betreffend Viermächteverhandlungen .
Nach § 28 der Geschäftsordnung werden die beiden Punkte miteinander verbunden. Ich frage, ob zur Begründung das Wort gewünscht wird. — Das Wort zur Begründung hat der Abgeordnete Wehner.
— Einen Augenblick, Herr Abgeordneter! — Meine Damen und Herren, ich bitte doch um etwas Ruhe, damit wir hier beginnen können.
Bitte, fangen Sie an, Herr Abgeordneter Wehner.
Wehner , Anfragender: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Antrag, der die Drucksachennummer 1355 trägt, ist von meiner Fraktion im April eingebracht worden. Wenn damals die Mehrheit des Hauses diesem Antrag entsprochen und wenn die Bundesregierung den in diesem Antrag verlangten Bericht über die außenpolitische Entwicklung im Hinblick auf bevorstehende Viermächteverhandlungen gegeben und zur Diskussion gestellt hätte, hätten manche Fragen rechtzeitig geklärt werden können, über die inzwischen Diskussionen entbrannt sind. Wir müssen nun heute, nachdem sich damals die Mehrheit des Hauses unserem Antrag versagte, sozusagen auf dem Umweg über die Große Anfrage, die Ihnen vorliegt, zum Teil nachholen, was damals zweckmäßigerweise in Bericht und Debatte hätte behandelt werden sollen. Daß ein solcher Umweg und eine solche behelfsmäßige Unterrichtung erforderlich sind, gehört zu den Kennzeichen einer bedauerlichen Art der Behandlung von Lebensfragen unseres Volkes.
Ich wende mich nun der Begründung der Anfrage der sozialdemokratischen Fraktion zu. In Punkt 1 fragen wir:
Was hat die Bundesregierung getan, um im Sinne des Beschlusses des Deutschen Bundestages vom 26. Februar 1955 zu erwirken, daß eine ständige Kommission, bestehend aus je einem Vertreter der drei Westmächte und der Bundesrepublik Deutschland, gebildet wird, deren Aufgabe es ist, ,alle zur friedlichen Wiedervereinigung Deutschlands sich bietenden Gelegenheiten zu erörtern und Vorschläge auszuarbeiten, um aussichtsreiche Verhandlungen vorzubereiten?
Entschuldigen Sie, daß ich Sie hier auf einen offenbar durch einen Schreibfehler entstandenen Druckfehler in der Ihnen schriftlich vorliegenden Fassung der Anfrage aufmerksam mache. Ich habe schon korrigiert, daß es sich urn den Beschluß des Plenums vorn 26. Februar 1955 handelt. Wir bedauern, daß man erst gesucht hat, was denn wohl am 27. Februar 1954 für ein Beschluß gefaßt worden sei. Wir wollten Ihre Aufmerksamkeit und auch die der Regierung nicht auf die Zeit unmittelbar nach dem Schluß derBerliner Viermächtekonferenz vom vorigen Jahr zurücklenken, sondern wir wollten an jene Resolution, an jenen Beschluß erinnern, den unser Haus nach der zweiten Lesung der Pariser Verträge gefaßt hat. Ich nehme das zum Anlaß, einiges zu der damaligen Entschließung zu sagen.
Diese Entschließung war das Ergebnis der Beratung von Anträgen der sozialdemokratischen Fraktion im Ausschuß für auswärtige Angelegenheiten. Mit diesen Anträgen hatten wir — beginnend mit der Londoner Konferenz vom September/Oktober 1954 über die Pariser Konferenz bis zu der Zeit, in der über die Annahme der Pariser Verträge gestritten wurde — versucht, schon während der Vorbereitung der Pariser Verträge konkrete Bemühungen um gleichzeitige Viermächteverhandlungen über die Wiedervereinigung Deutschlands in Gang zu bringen.
Wir sind damals von Stufe zu Stufe auf die Ablehnung der Mehrheit des Hauses und der Bundesregierung gestoßen. Man hat uns auf die Zeit nach der Ratifikation der Verträge vertröstet und hat gesagt, diese sei unerläßlich, um überhaupt ein Klima für die Behandlung ,der Wiedervereinigung auf dem Viermächtewege zu schaffen. Gleichzeitige konkrete Bemühungen, Viermächteverhandlungen in Gang zubringen, sind an Ihrer ablehnenden Haltung gescheitert.
Dann hat man gesagt, aber unmittelbar nach der Ratifikation werde man sich — und zwar auf höchster Ebene, auf der Ebene der Regierungschefs oder der Außenminister — in einem ständigen Ausschuß mit den Fragen der Wiedervereinigung befassen. Inzwischen ist von neuen, erst noch zu absolvierenden Fristen und Stadien, Stadien der Durchführung der Verträge, die Rede. Immer neue Bedingungen und Voraussetzungen werden für notwendig gehalten, bevor man an die konkrete Wiedervereinigungsverhandlung herankommen könne. Damals, in dem Beschluß des Bundestages vom 26. Februar, hieß es unter Punkt 1:
Die Einheit Deutschlands als Staat und seine Freiheit zu wahren und mit friedlichen Mitteln zu vollenden, bleibt die vordringliche Aufgabe der deutschen Politik.
Es wurde dann im zweiten Punkt dieses Beschlusses auf die Londoner Schlußakte und die Tatsache hingewiesen, daß eine ganze Reihe von
Regierungen anderer Staaten sich den Satz der Londoner Schlußakte zu eigen gemacht haben: „die Verwirklichung eines völlig freien und geeinten Deutschlands durch friedliche Mittel als ein grundlegendes Ziel ihrer Politik zu behandeln". Es wurde darauf hingewiesen, daß auch im Europarat bei der Behandlung der Frage: Entspannung und europäische Sicherheit in erster Linie die Wiedervereinigung Deutschlands zu erörtern für notwendig bezeichnet wurde. Es wurde damals auch — das war ein Ergebnis langer Diskussionen, sowohl im Plenum als auch im Ausschuß — darauf hingewiesen, daß gewisse Verlautbarungen der vierten Besatzungsmacht, der Sowjet-Regierung, der Untersuchung würdig seien, ob sich hier vielleicht Möglichkeiten und Wege zu Verhandlungen über eine friedliche Wiedervereinigung in Freiheit eröffneten. Schließlich wurde es vom Bundestag, nachdem er in diesem Beschluß Verhandlungen der vier Mächte mit dem Ziel: „Wahl eines gesamtdeutschen Parlaments in allen Zonen auf der Grundlage eines demokratischen, allgemeinen, freien und gleichen Wahlrechts, Schaffung einer gesamtdeutschen Verfassung und Bildung einer gesamtdeutschen Regierung" usw. gefordert hatte, für notwendig erachtet — ich erinnere daran, weil dies der Punkt ist, der unsere Frage kennzeichnet —, daß eine ständige Kommission aus Vertretern der Westmächte und der Bundesrepublik eingesetzt werden sollte, deren Aufgabe es sein müßte, „alle zur friedlichen Wiedervereinigung Deutschlands sich bietenden Gelegenheiten zu erörtern und Vorschläge auszuarbeiten, um aussichtsreiche Verhandlungen vorzubereiten". Wir sind unmittelbar nach der Annahme dieses Beschlusses durch das regierungsoffiziöse „Bulletin" darauf hingewiesen worden, daß alle Parteien sich nun künftig an die gemeinsame Entschließung auch weiter gebunden fühlen sollten. Nun, wir fühlen uns wirklich an sie gebunden und machen heute darauf aufmerksam, daß in dem ersten Satz dieser Entschließung die Anstrengungen um die Wiedervereinigung Deutschlands als die vordringliche Aufgabe der deutschen Politik bezeichnet wurde.
Wir haben feststellen müssen, daß inzwischen — ich denke dabei besonders an das Kommuniqué über die Gespräche, die der Herr Bundeskanzler mit dem französischen Außenminister Monsieur Pinay in Bonn gehabt hat — gerade im Zusammenhang mit diesen Gesprächen ganz andere Töne in bezug auf die Voraussetzungen für Wiedervereinigungsverhandlungen angeschlagen worden sind. Dort nämlich heißt es leider, daß die Verwirklichung der Pariser Verträge das notwendige Gespräch mit dem Osten zu eröffnen erlaube. Man weiß ja auch, es gibt eine Art internes Stichwort in den Regierungskreisen, daß man zunächst einmal einige Jahre brauche, in denen wir durch die Verwirklichung der Verträge unseren westlichen Vertragspartnern unsere Vertragstreue zu beweisen hätten, und es liege auch im Interesse dieser Partner, daß sie bei dann fälligen Verhandlungen nicht nur auf papierne Verträge und nicht nur auf papierne Soldaten zurückgreifen könnten. Es könnte sehr leicht sein — das ist leider so —, daß dann eben auch die Gegenseite ähnliche handfeste Dinge hat, auf die sie zurückgreift, und daß schließlich beide Seiten die Zeit damit verbracht haben, militärische Tatsachen, die sich als Hindernisse für die Verwirklichung der Wiedervereinigung Deutschlands erweisen werden, zu schaffen. Man sagt heute, es bedürfe langer Verhandlungen; zwei
Jahre und mehr müsse man verhandeln. Das ist nur die Bemäntelung der Tatsache, daß man in diesen Jahren an eine Durchführung der militärischen Folgerungen aus den Pariser Verträgen denkt. Wieweit das aber mit der Wiedervereinigung zu vereinbaren sein wird, das ist nicht nur in der Vergangenheit die Streitfrage gewesen, das wird sich leider auch in der Zukunft, wenn Sie davon nicht ablassen, als die Streitfrage herausstellen.
Unsere Frage ist also: Was ist mit dieser Kommission? Diese Frage heißt in Wirklichkeit: Wie steht es mit einer gemeinsamen Politik der Bundesregierung und der Westmächte in bezug auf die Verwirklichung der Wiedervereinigung Deutschlands?
Denn diese Kommission kann nur interessant sein, wenn sie der Platz und wenn sie ein Mittel dazu ist, eine gemeinsame Politik in Zusammenarbeit der Bundesrepublik und der Westmächte zur Verwirklichung der Wiedervereinigung zu betreiben. Dabei handelt es sich — so wurde es damals gesagt — um alle zur friedlichen Wiedervereinigung Deutschlands sich bietenden Gelegenheiten, die erörtert werden sollen, und um Vorschläge zur Vorbereitung aussichtsreicher Verhandlungen.
Es kann sich doch wohl nicht darum handeln, sozusagen periodisch im Gleichklang zwischen Bundesregierung und Regierungen der Westmächte festzustellen, daß Bundesregierung und Westmächte lediglich in der Ablehnung von Modellen einig seien. Man müßte ja wohl auch einmal hören, welche Einigkeit in der gemeinsamen Vertretung, im gemeinsamen Verfolgen von Möglichkeiten besteht.
Ich komme dann zum zweiten Punkt unserer Anfrage. Er lautet:
Hat die von der Bundesregierung zu Vorverhandlungen mit Vertretern der drei Westmächte nach London entsandte Delegation Instruktionen und Vollmachten erhalten, die sich auf den sachlichen Inhalt der angestrebten Viermächteverhandlungen erstrecken?
Lassen Sie mich Ihnen ganz offen sagen, daß ich es bedauere, eine solche Frage stellen und begründen zu müssen. Es sollte, meine Damen und Herren, die Opposition, und vielleicht darf ich das sogar sagen, ohne Sie zu kränken, es sollte das Parlament selbstverständlich davon unterrichtet sein.
Soweit wir wissen, sind zu diesen Vorverhandlungen von Regierungen der mitbeteiligten Staaten qualifizierte Beauftragte entsandt worden. Es bieten oder es boten diese Vorbesprechungen zweifellos eine Gelegenheit für die Bundesregierung, durch Vorschläge klarzumachen, was wir, was die Bundesrepublik, was die Deutschen in Viermächteverhandlungen zur Wiedervereinigung für möglich halten. Denn nur dadurch, daß wir es klarmachen, können wir das Maximum an Bereitschaft bei den anderen Partnern erzielen. Man erwartet doch, und ich glaube, man erwartet es mit Recht, von u n s , daß wir Vorschläge und Pläne darbieten. Das aber erfordert angesichts der nicht unkomplizierten Lage ein Höchstmaß an Elastizität.
Ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, als bestehe das Interesse der Bundesregierung in diesem Stadium der Vorbereitung von Viermächteverhandlungen vorwiegend darin, nicht in den Ruf
zu geraten, die Pariser Verträge und die mit ihnen
beschlossene Aufrüstung des geteilten Deutschland
aufs Spiel setzen zu wollen, und als verhielten wir
uns so, daß wir auf das warten, was die anderen
vorzubringen hätten und äußerten. Aber von
keiner beteiligten Seite können und dürfen wir
doch mehr Intensität in der Entwicklung einer zur
Wiedervereinigung Deutschlands führenden Politik
erwarten, als wir selbst bereit sind zu entwickeln.
Das heißt, daß es unsere Sache ist, wenn notwendig, eine ganze Skala brauchbarer und annehmbarer Vorschläge zu entwerfen und allen brauchbaren und annehmbaren Anregungen nachzugehen, statt — ich muß auch hier wieder diese Bemerkung machen — sich darauf zu beschränken, festzustellen, was alles nicht in Frage kommt, wenn es zu Viermächteverhandlungen über die deutsche Wiedervereinigung kommt.
Ich wende mich damit dem Punkt 3 unserer Anfrage zu. Er lautet:
Warum hat die Bundesregierung ihre Vorbereitungen zu Viermächteverhandlungen nicht in einem Ausschuß des Deutschen Bundestages zur Diskussion gestellt? Wann gedenkt sie das Parlament an der Ausarbeitung von Vorschlägen zu aussichtsreichen Verhandlungen zu beteiligen?
Diese Frage kann nicht so abgetan werden, wie sie kürzlich einmal hier in einer Geschäftsordnungsdebatte über den Antrag, den wir früher hier zur Beratung stellen wollten, erledigt wurde, daß man nämlich intensiver im Auswärtigen Ausschuß diskutieren sollte. Selbst wenn die Bundesregierung — das bestreiten wir gar nicht — für Verhandlungen die letzte Verantwortlichkeit hat und wenn sie ein Interesse daran haben muß, daß nicht jede für Verhandlungen wesentliche Einzelheit öffentlich und vielleicht zur Unzeit erörtert wird, muß doch — oder wir geben uns selbst auf — über die Grundlinie, die bei solchen Verhandlungen verfolgt werden soll, und über Alternativmöglichkeiten eine Aussprache möglich und nicht nur möglich, sondern dringend erwünscht sein,
doch auch zu dem Zweck, die deutsche Position, die ja schwierig genug ist, anderen, die an dieser Frage wieder mit anderen Interessen beteiligt sind, klarzumachen. Jetzt haben wir es mit einem Maß öffentlicher Erörterung von zum Teil durchaus taktischen Einzelfragen zu tun, daß man mit Recht fragen kann, ob durch ein normales Verfahren, d. h. durch die Beteiligung des Bundestages an den deutschen Vorbereitungen von Viermächteverhandlungen, nicht viel mehr hätte gewonnen und mancher Schaden hätte verhütet werden können. Aber die Frage bleibt, wann denn die Bundesregierung gedenkt, dieses Haus und die dafür zuständigen Ausschüsse oder einen dafür zuständigen Ausschuß mit diesen Fragen zu befassen.
Ich komme damit zu Punkt 4 unserer Anfrage:
Was gedenkt die Bundesregierung zu tun, um zu verhindern, daß eine Viermächtekonferenz faktisch zur Festlegung der beteiligten Mächte auf die Fortdauer der Spaltung Deutschlands führt, weil beide Seiten daran festhalten, der militärischen Blockbildung und der Einbezie-
hung der Teile Deutschlands in die Blöcke den Vorrang vor einer Übereinkunft über die friedliche Wiedervereinigung Deutschlands zu geben?
Man darf es heute, ohne voreilig zu sein, wohl als gegeben ansehen, daß Viermächteverhandlungen zustande kommen. Eine ganz andere Frage ist es, womit sich Viermächteverhandlungen befassen werden oder hauptsächlich befassen werden. Viermächteverhandlungen werden zustande kommen, weil die Großmächte aus sehr verständlichen Gründen eine Entspannung der zwischen ihnen bestehenden Gegensätze anstreben. Vor allem ist es die Entwicklung der modernen Massenvernichtungswaffen, die es ihnen nahezu unausweichlich erscheinen läßt, den Versuch einer Politik des friedlichen Nebeneinanderbestehens und der friedlichen Regelung der Streitfragen zu machen.
Dabei möchte ich nicht versäumen, auch Ihre Aufmerksamkeit darauf zu lenken, daß heute schon in sehr wesentlichen Teilen der Welt die Völker und auch die Regierungen sich an ganz anderen Maßstäben orientieren als den Maßstäben der Periode des Kalten Krieges. Ich denke dabei vor allem an ein Ereignis, das uns räumlich ferner liegt, das aber von eminenter politischer Bedeutung auch für unsere Breitengrade ist, an das Ereignis der Asiatisch-Afrikanischen Konferenz von Bandung. Es ist meine persönliche Überzeugung, daß die fünf Prinzipien, die schon im vorigen Jahre von maßgebenden Staatsmännern asiatischer Länder postuliert wurden, Grundsätze sind, die auch für die Gestaltung der Dinge in den übrigen Teilen der Welt die entscheidenden Maßstäbe abgeben werden: der Grundsatz der gegenseitigen Achtung der territorialen Integrität und Souveränität des andern, der Grundsatz der gegenseitigen Nichtangriffshandlungen, der Grundsatz der gegenseitigen Nichteinmischung in die internen Angelegenheiten des andern, der Grundsatz der Gleichberechtigung und des gegenseitigen wirtschaftlichen Nutzens und schließlich der Grundsatz des friedlichen Zusammenlebens. Die zehn Punkte, die die Vertreter von etwas mehr als der Hälfte der Menschheit — wenn man einmal zahlenmäßig sprechen darf — in Bandung postuliert haben, entsprechen diesen fünf Prinzipien.
Auch wir Deutschen müssen — das ist ein vitales Interesse — für die Entspannung der internationalen Gegensätze sein. Auch wir müssen für das friedliche Nebeneinanderleben der Völker und Staaten sein. Auch wir dürfen die Augen nicht vor der Tatsache verschließen, daß dies keine Lämmerweide sein wird, sondern der Austrag eines sehr scharfen Wettbewerbs verschiedener sozialer Systeme. Wenn man heute mit annähernder Sicherheit sagen darf, daß es zu Viermächteverhandlungen kommen wird, weil die Großmächte auf Grund der Entwicklung und auch gedrängt durch die Bewegungen in den Völkern, wie ich sie jetzt eben erwähnt habe, in eine Periode der Ordnung des friedlichen Nebeneinanderbestehens eintreten, so ist es für uns, die wir noch im Zustand der Teilung unseres Landes leben müssen, von wesentlicher Bedeutung, ob diese Periode beginnt mit Bemühungen um die Wiedervereinigung Deutschlands oder ob beide Seiten, vielleicht auch mit der Bemerkung „zunächst, bis auf weiteres, bis die Dinge sich anders ordnen lassen", je einen Teil Deutschlands in ihrem Block behalten. Das ist nicht nur für unser Volk lebenswichtig, sondern auch — so möchten wir ohne Anmaßung sagen — für den europäischen Frieden. Es ist lebenswichtig für die Existenz der 18 Millionen, die in der sowjetisch besetzten Zone leben müssen. Ich sage noch einmal: Es ist für das europäische Zusammenleben lebenswichtig, ob es sich weiter in der Verkrampfung der Mächteblocks abspielen soll oder ob man den Weg zu einer Ordnung gutnachbarlicher Verhältnisse findet. Wir können zwar nicht annehmen, daß in dieser Beziehung alles von unserem Verhalten abhängt, aber für eine positive Entwicklung in dieser Richtung hängt sehr vieles von unserem eigenen Verhalten ab. Es hat schon sein Gewicht und es hat auch seine Folgen, auf welcher Grundlinie wir selbst argumentieren und vorgehen.
Wir möchten und wir fordern, daß die Bundesregierung als ihr Ziel für Viermächteverhandlungen eine Vereinbarung der Vier über ein regionales europäisches Sicherheitssystem im Rahmen der Vereinten Nationen anstrebt, in dem das wiedervereinigte Deutschland Rechte und Pflichten ausüben kann. Selbst wenn dieses Ziel angesichts der schon vorhandenen Verhärtung der in Gegensatz zueinander stehenden Mächteblöcke nicht ohne Zwischenstadien erreichbar sein sollte, so müßte die Bundesregierung es als ihr Ziel bezeichnen und anstreben, um klarzumachen, daß sie nicht die Absicht hat, das wiedervereinigte Deutschland Mitglied des einen oder des anderen Militärblocks werden zu lassen oder es aus allen Bindungen auszuklammern, wobei ich hier unter Bindungen verstehe: die Verpflichtungen zur Aufrechterhaltung der Sicherheit im Rahmen der Bestimmungen der Vereinten Nationen. Wir wollen auch bei dieser schweren Aufgabe Rechte und Pflichten übernehmen.
. Angesichts der offenkundigen Schwierigkeiten, sozusagen mit einem Schlag aus der Verhärtung der Blöcke zu einer Auflösung der militärischen Blockbildungen zugunsten eines regionalen Sicherheitsabkommens im Rahmen der Vereinten Nationen zu gelangen, sollte die Bundesregierung — das ist unsere nächste Erwartung — als Etappenziel eine Garantieabmachung der Vier mit der Regierung des wiedervereinigten Deutschlands im Auge behalten, an der dann eventuell auch andere Staaten teilnehmen könnten, über die Unverletzbarkeit der Territorien, die Verhütung bewaffneter Austragung von Konflikten und die Anerkennung der Bestimmungen der Vereinten Nationen für die Regelung von Konflikten. Auch in diesem Fall sollte die Bundesregierung es als ihre erklärte Absicht bezeichnen, daran mitzuwirken, daß an die Stelle der militärischen Blockbildungen, die einer vergangenen Periode angehören sollten, regionale Sicherheitsabkommen treten. Deutschland will nicht Mitglied des einen oder anderen Militärblocks sein. Es soll aber berechtigt sein zur Aufstellung von Truppen in zu vereinbarender Stärke und verpflichtet zur Mitarbeit an Sicherheitsaufgaben regionaler Art. Dementsprechend sollte es die erklärte Politik der Bundesregierung im Hinblick auf die Verwirklichung der Einheit Deutschlands sein, sich für die Verpflichtung eines wiedervereinigten Deutschlands einzusetzen, auf seinem Boden nicht andere Militärstützpunkte und Basen zuzulassen als solche, die sich aus den Verpflichtungen des regionalen Sicherheitssystems ergeben könnten.
Das ist eine Richtung für den Versuch, auf die Viermächteverhandlungen einzuwirken, die für die Entwicklung jeder Art von Verhandlungen entscheidend ist. Gegebenenfalls muß die Bundes-
regierung auf der Linie operieren, ein länger befristetes Zwischenstadium von der Wiedervereinigung bis zum Abschluß des Friedensvertrags zu erwirken. Das wäre ja nicht so furchtbar umstürzend; denn der Eden-Plan, gegen den wir mancherlei Einwände hatten und haben, wenn er heute wieder zur Debatte stünde, sah ja eine solche Regelung für ein Zwischenstadium vom Moment der Wiedervereinigung bis zum Abschluß des Friedensvertrags vor, ein Stadium, in dem alle fünf Beteiligten — denn dann wären es nicht mehr nur vier, sondern fünf — darauf bauen könnten, daß keine der fünf durch vollendete Tatsachen außer Spiel gesetzt werden könnte, die andere allein oder miteinander schaffen; denn jede von ihnen hätte bis zum Abschluß des Friedensvertrages — das hat seine Schattenseiten, das hat auch seine positiven Seiten — ein Vetorecht.
Entscheidend für unsere Grundhaltung in solchen Verhandlungen, die ja schwierig genug sein werden, muß es sein, alles daranzusetzen, eine Vereinbarung der Vier zu erreichen, durch die Deutschland wiedervereinigt wird und wodurch die in der sowjetischen Besatzungszone lebenden Deutschen in den Stand gesetzt werden, in voller persönlicher und staatsbürgerlicher Freiheit zusammen mit uns zu leben. Das muß das Nächste sein, worauf wir bei Viermächteverhandlungen hinstreben.
Kommen wir zu der so viele Schwierigkeiten hervorrufenden Frage: Wie sollen die Pariser Verträge, die ja ratifiziert sind, bei solchen Verhandlungen gehandhabt werden? Sollen sie sozusagen Selbstzweck sein, sollen sie unberührbar sein? Wenn das der Fall sein sollte, wenn das die Auffassung der Bundesregierung sein sollte, dann müßte sie sich darüber klar sein, daß damit automatisch auch das durch den Warschauer Vertrag errichtete Militärblockgebäude unberührbar sein wird.
— Ja, auf diesen Zwischenruf, Herr Euler, habe ich auch längst gewartet. Das ist der einzige, der von dieser Seite kommt: das sei längst alles so gewesen. Es ist ein falscher Trost, dies sei nur das Offenkundigwerden eines bestehenden Zustandes. Je mehr militärische Hindernisse auf der einen und auf der anderen Seite in den Teilen Deutschlands errichtet werden, um so schwieriger wird es werden, sie einmal wieder abzutragen.
Wir werden dann unendlich mühsame Verhandlungen über den Abbau der Vorgebirge haben, statt daß man an die Kernfrage vorstoßen kann.
Es ist ein Unterschied, ob die Zone, • wenn auch vielleicht nur theoretisch, noch Verhandlungsgegenstand ist oder ob sie es nicht mehr ist. Vielleicht müssen wir darüber später wieder reden, weil Sie sich das in den Kopf gesetzt haben. Aber ich warne Sie davor.
Wenn Sie heute einer Lage gegenüberstehen, in der es — darüber will ich mich nicht verbreiten, aber das ist ja in die Debatte geworfen worden — unmöglich ist, über das Schicksal bestimmter im Laufe der letzten zehn oder fünfzehn Jahre kommunistisch gewordener Teile Europas bei Verhandlungen zu beginnen, so könnte es uns in bezug auf die Zone ähnlich ergehen, wie es heute mit gewissen Satellitenstaaten der Fall ist; und davor möchten wir unser Volk und die Bewohner der Zone bewahren. Das ist unsere Sorge.
Meine Damen und Herren! Über die Frage, wie die Pariser Verträge behandelt werden, ist in einem Stadium, in dem durch sie und durch das, was als Gegenbild auf der anderen Seite errichtet worden ist, noch nicht unabänderliche Tatsachen in die Welt gesetzt worden sind, zweckmäßiger zu reden, als vielleicht nach Verlauf einer längeren Zeit. Wir meinen, daß die der Bundesrepublik auferlegten Verpflichtungen militärischer Art — das sollte ein Verhandlungsziel sein — zugunsten einer zwischen den Vier Mächten und Deutschland zu vereinbarenden Lösung im Rahmen eines regionalen europäischen Sicherheitsabkommens aufgehoben — oder, wenn Sie das Wort lieber hören: ersetzt — werden sollten, und wir finden — und wir haben diesen Vorschlag ja auch zur Debatte gestellt —, daß man z. B. den Versuch machen sollte, die Westeuropäische Union aus ihrer jetzigen Gestalt zu einer allen europäischen Staaten offenstehenden Union auszubauen oder zu verwandeln, mit entsprechenden Verpflichtungen für das wiedervereinigte Deutschland.
Ich will hier nicht im einzelnen über Modifikationsmöglichkeiten sprechen. Es ist mir peinlich, solche Einzelheiten nicht an einer Stelle erörtern zu können und erörtern zu dürfen, an der es mit Sinn und Zweck geschehen müßte, wenn wir nicht in Verhandlungen hineinschlittern sollen, die noch dadurch erschwert sind, idaß wir selbst gar kein unmittelbar 'beteiligter Partner sind, in Verhandlungen, die an dem Kern der Dinge vorbeigehen. Wir meinen, das Inkrafttreten der militärischen Folgerungen aus den Verträgen, die die Bundesrepublik betreffen, müßte für eine bestimmte Zeit ausgesetzt werden, um den Versuch der Wiedervereinigung zu ermöglichen. Die Westeuropäische Union hat es in der Hand, durch die Festlegung z. B. neuer Höchstzahlen für die Truppenstärken der ihr angeschlossenen Länder eine Situation zu schaffen, die es ganz klarmacht, daß hier eine Pause zur Durchführung des Versuchs der Wiedervereinigung Deutschlands gemeint ist, daß man sozusagen ein Stillhalteabkommen hat. Schließlich würden wir in dem Zusammenhang von den Revisionsbestimmungen Gebrauch zu machen für notwendig halten.
Das also sind Dinge, die im Zusammenhang mit dieser Frage zu erörtern wären, die wir besonders deswegen für erörterungswert halten, weil der Herr Bundeskanzler in einem seiner Interviews — ich habe eines vorn 1. April 1955 vor mir — im Hinblick auf bevorstehende Viermächteverhandlungen den Gedanken entwickelt hat — ich zitiere den Herrn Bundeskanzler —,
man könnte also an ein umfassendes Übereinkommen der beiden Mächteblocks denken, das sich auf militärische, wirtschaftliche und politische Fragen erstrecken würde.
Beim Bundeskanzler ist also offenbar auch der Gedanke an Übereinkommen. Das, was manchem noch vor eineinviertel Jahren völlig undiskutabel erschien, die Frage, ob man ein Sicherheitsabkommen oder Sicherheitsabmachungen, an denen auch die
Sowjetregierungbeteiligt sein müßte und sein würde, für denkbar halten könnte oder nicht, das ist heute längst hoffähig geworden. A 11e reden vom Sicherheitsabkommen, nur meinen die einen damit Abkommen von Block zu Block bei Fortexistenz der Blöcke. Da haben wir unsere berechtigten Einwände und mehr als Zweifel, ob das gutgehen kann, vor allen Dingen auch deswegen, weil es für uns bedeutet, daß wir den schrecklichen Vorzug genießen würden, als einziges Volk in getrenntem Zustandbeiden Blöcken angehören zu müssen.
Das ist etwas, was kein Vorzug, sondern eine furchtbare Geißel wäre,
und deswegen möchten wir herunter und der Bundesregierung helfen, herunterzukommen von diesen Vorstellungen, Abmachungen zwischen Block und Block, zwischen den Mächteblocks zu wollen; denn das ist eine Form, in der es wohl kaum zur Verwirklichung der Wiedervereinigung Deutschlands kommen könnte. Wir sehen die Gefahr, daß unser Anliegen, die Wiedervereinigung, endgültig der Strategie der Mächteblocks untergeordnet wird. Davor warnen wir, und wir bemühen uns, mitzuhelfen, daß man diesen folgenschweren Schritt nicht tut.
Ich komme damit zum Punkt 5 unserer Anfrage, in der die Bundesregierung gefragt wird, ob sie die vom Leiter des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung in einem Rundfunkvortrag am 20. April 1955 genannten Bedingungen für die Wiedervereinigung Deutschlands billigt, daß nämlich unmöglich auf Militärstützpunkte anderer Mächte in Deutschland und auf Militärallianzen verzichtet werden könne. Ich bedaure, daß ich hier einen Beamten — dazu noch in seiner Abwesenheit — in die Debatte ziehen muß, aber die Bemerkung richtet sich ja nicht — so jedenfalls soll sie verstanden werden — gegen seine Person; ,denn hier ist von ihm in seiner amtlichen Eigenschaft offenbar der Versuch gemacht worden, die Ansicht der Bundesregierung zu interpretieren. Es ist dies der kritischste Punkt der Auffassungen der Bundesregierung über Möglichkeiten einer deutschen Wiedervereinigungspolitik. Es sieht so aus, als wollten wir die Wiedervereinigung nicht, wenn man uns nicht Militärstützpunkte und Allianzen erlaubte. Das ist eine gefährliche Umdrehung dessen, was uns nützlich und notwendig sein könnte. Da haben wir wieder dieses Stichwort: Wiedervereinigung wäre inakzeptabel, wenn sie um den Preis des Verzichts der Mitgliedschaft im Nordatlantikpakt erkauft werden müßte. Wir alber meinen: wir müssen die Wiedervereinigung wollen. Wir wollen auch den Abbau der Blocks, und darin sehen wir den deutschen Beitrag zur Entspannung der internationalen Gegensätze.
Heute geht mitten durch unser Volk ein Riß. Alle wünschen die Einheit Deutschlands, aber viele sind in steigender Sorge, weil sie sehen, daß der Weg der militärischen Aufrüstung des geteilten Deutschlands die Einheit in unbestimmte Ferne zu rücken droht. Noch ist es Zeit, die Anstrengungen aller zusammenzufassen. Noch kann der Wille aller Deutschen zur Wiedervereinigung in die Waagschale der Viermächteverhandlungen gelegt werden. Wir wünschen und fordern, daß sich die
Bundesregierung mit höchster Elastizität und mit unermüdlicher Zähigkeit
der Einwirkung auf die Viermächteverhandlungen widmet.
Man muß sich doch darüber klar sein, daß auch in
Ausschüssen — auf das Wort „Ausschuß" komme
ich hiermit zurück —, bei denen in der Regel einschließlich der Vertreter der Ministerien 40 bis 50
und mehr Personen versammelt sind, so schwierige
Angelegenheiten sich einfach nicht erörtern lassen.
— Also, meine Damen und Herren, ich bin ja gar nicht aufgelegt, mit Ihnen Streit anzufangen; warten Sie doch mal ruhig ab!
Dafür ist diese ganze Sache zu ernst.
Ich glaube, wir müssen — ähnlich wie wir das in einem früheren Stadium einer anderen Angelegenheit getan haben — gemeinsam einen Weg suchen, eine Verbindung zwischen dem Parlament und der Bundesregierung herzustellen.
Auf Frage 4 habe ich zu antworten: Die Bundesrepublik Deutschland hat die Pariser Verträge ratifiziert und ist Mitglied der Westeuropäischen Union geworden. Damit ist gemäß dem Londoner Protokoll vom 3. Oktober 1954 die vertragliche Verpflichtung der drei Westmächte in Kraft getreten, derzufolge „die Schaffung eines völlig freien und vereinten Deutschlands durch friedliche Mittel ein grundsätzliches Ziel ihrer Politik bleibt". Dieser Erklärung haben sich die übrigen Mitglieder des Nordatlantikpaktes angeschlossen. Daraus ergibt sich die vertragliche Verpflichtung dieser Mächte, keiner Regelung zuzustimmen, die die Beibehaltung der Spaltung Deutschlands festlegt oder voraussetzt. Die amerikanische, die britische und die französische Regierung haben sich in letzter Zeit wiederholt zu diesem Grundsatz bekannt. Auch die Bundesregierung hat diesen Standpunkt bei jeder sich bietenden Gelegenheit vertreten.
Zu Frage Nr. 5: Der Bundesregierung ist bekannt, daß Herr von Eckardt in seiner Rundfunkrede vom 20. April 1955 sich unter anderem wie folgt geäußert hat:
Welche Forderungen Sowjetrußlands sind aber wirklich unmöglich anzunehmen? Erstens: Weder die Bundesrepublik noch Gesamtdeutschland können die Wiedervereinigung mit der Herauslösung aus der Gemeinschaft der freien Völker bezahlen. Zweitens: Es geht dabei keineswegs nur um die 12 deutschen Divisionen, sondern genau wie im Falle Österreich sollen die Westmächte alle Stützpunkte in Deutschland aufgeben. Und drittens: Es dürfen keine militärischen Schutzverbindungen, deutlicher gesagt Schutzverträge oder Allianzen zwischen Deutschland und dem Westen bestehen.
Die Äußerung des Herrn von Eckardt steht im Einklang mit den Pariser Verträgen und mit der von der Bundesregierung und der Mehrheit dieses Hohen Hauses verfolgten Politik. Sie wird deshalb auch von uns gebilligt. Aber ich werde auf diesen Punkt noch im Laufe meiner Ausführungen zurückkommen.
Ich glaube, daß der Bundestag und die deutsche Öffentlichkeit ein Recht auf die Darlegung des weiteren Verlaufs der außenpolitischen Verhandlungen und der außenpolitischen Lage im Hinblick auf die bevorstehende Viermächtekonferenz haben. Durch die Hinterlegung des Deutschlandvertrags seitens der Vereinigten Staaten, Großbritanniens und Frankreichs erhielt die Bundesrepublik am
5. Mai ihre volle Souveränität wieder. Diese Souveränität — das lassen Sie mich hier nachdrücklich bemerken — ist nur so weit eingeschränkt, wie wir es im Hinblick auf Berlin und die Teilung Deutschlands im Einvernehmen mit unseren nunmehrigen westlichen Verbündeten für notwendig hielten und wie sie ferner bei den übrigen NATO-Staaten eingeschränkt ist. Bei der Überstürzung der Ereignisse ist es vielleicht nicht allen Deutschen klargeworden, was die Wiederherstellung der Souveränität für uns bedeutet.
Sie bedeutet für uns Freiheit der Gesetzgebung und der Verwaltung, die ja bis dahin durch das Besatzungsstatut beschränkt war,
und sie bedeutet für uns Freiheit in der außenpolitischen Betätigung. Ich bin überzeugt, daß die zukünftige Geschichtsschreibung der Nachkriegszeit diesen Tag als einen Markstein in der Entwicklung Deutschlands nach dem Krieg bezeichnen wird.
Das wesentliche Kennzeichen der Pariser Konferenzen war, daß die Mächte, die in Paris zusammenkamen, diesmal aus der Phase der Planung in die Phase der Verwirklichung einer auf gemeinsamen Interessen und Idealen gegründeten Politik eintraten.
Ähnlich wie bei der Unterzeichnung des deutschalliierten Vertragswerkes in Paris in der Zeit vom 19. bis 23. Oktober 1954 haben auch diesmal in Paris mehrere Konferenzen mit verschiedenen Teilnehmerkreisen stattgefunden, die ich in dieser Reihenfolge behandeln möchte:
1. Die Gründung der Westeuropäischen Union in ihrer neuen Form, d. h. unter Mitgliedschaft Italiens und der Bundesrepublik Deutschland;
2. die damit in unmittelbarem Zusammenhang stehenden deutsch-französischen Besprechungen über die Anwendung des Saarabkommens;
3. die Sitzung des Nordatlantikrats, auf der eingangs die Bundesrepublik feierlich in öffentlicher Sitzung in die NATO aufgenommen und sodann eine umfassende Prüfung der gegenwärtigen politischen Lage vorgenommen wurde.
4. Im engen sachlichen Zusammenhang mit den vom Nordatlantikrat erörterten Fragen fanden schließlich Besprechungen der Außenminister der Vereinigten Staaten, Großbritanniens, Frankreichs
und der Bundesrepublik Deutschland zur Vorbereitung einer Konferenz mit der Sowjetunion statt. Dazu gehörte sachlich ein Bericht über die Tätigkeit der Londoner Arbeitsgruppe.
Lassen Sie mich zunächst einige Worte über die Westeuropäische Union sagen. Die Pariser Verhandlungen begannen mit der konstituierenden Sitzung des Rats der Westeuropäischen Union am 7. Mai 1955. Die Sitzung wurde eingeleitet durch herzliche Worte der Begrüßung, mit denen die Vertreter der bisherigen Brüsseler Paktstaaten
die beiden neuen Teilnehmerstaaten Italien und die Bundesrepublik Deutschland willkommen hießen. Alsdann erledigte der Rat sogleich eine Reihe von praktischen Fragen. Ich erwähne die Bildung eines Ständigen Rüstungsausschusses mit Sitz in Paris. Ferner wurden einige wichtige Personalbesetzungen vorgenommen. Zum Generalsekretär der Westeuropäischen Union wurde der Belgier Louis Goffin ernannt. Ihm beigeordnet wurden drei stellvertretende Generalsekretäre, und zwar der deutsche Gesandte von Etzdorf, der Engländer Fraser und der Franzose Christofini, der mit der Leitung des Sekretariats des Ständigen Rüstungsausschusses in Paris beauftragt wurde. Zum Direktor des Rüstungskontrollamtes der Westeuropäischen Union wurde der Italiener Admiral Ferreri ernannt.
— Meine Herren, ich würde Ihnen empfehlen, auch den Einzelheiten dieser Konstituierung der Westeuropäischen Union wenigstens eine gewisse Aufmerksamkeit zu widmen.
— Meine Damen und Herren, „Form von Schulunterricht" — ich fühle mich nicht als Lehrer.
— Meine Damen und Herren, in der Schule werden keine Zwischenrufe gemacht.
Schließlich — und das wird sicher auch Ihr Interesse finden — wurde beschlossen, die Versammlung der Westeuropäischen Union in Straßburg unmittelbar vor der nächsten Sitzung der Beratenden Versammlung des Europarats zu ihrer ersten konstituierenden Sitzung einzuberufen.
Im Rahmen der Sitzung des Rats der Westeuropäischen Union in Paris konnten auch aktuelle Saarfragen geregelt werden. Der Rat der Westeuropäischen Union hat einstimmig diejenigen Bestimmungen des Saarabkommens, die seiner Zustimmung bedurften, gebilligt und die in dem Abkommen für ihn vorgesehenen Verantwortlichkeiten, Befugnisse und Pflichten übernommen. Damit ist das Statut, wie es im Abkommen vorgesehen ist, „in den Rahmen der Westeuropäischen Union gestellt" worden.
Dann wurden gewisse Lücken des. Saarstatuts ausgefüllt, die den Zeitraum bis zur Durchführung der Volksabstimmung und die Festsetzung der Aufgaben und Befugnisse des Europäischen Kommissars an der Saar betreffen. In diesen Fragen konnten die Bundesregierung und die französische Regierung auf Grund der Verhandlungen in Baden-Baden und Bonn dem Rat der Westeuropäischen Union in fast allen Punkten übereinstimmende Vorschläge unterbreiten.
Durch den vom Rat der Westeuropäischen Union gefaßten Beschluß werden die Vorbereitung und die Durchführung der Volksabstimmung an der Saar unter internationale Kontrolle gestellt. Unter der Verantwortlichkeit des Rates wird eine Fünfmächtekommission darüber wachen, daß die vorn Rat aufgestellten Grundsätze für die Durchführung eingehalten werden. Insbesondere ist von der Saarregierung die volle Freiheit der politischen Betätigung zu gewährleisten, alle Parteien müssen gleiche Rechte und Einwirkungsmöglichkeiten erhalten, und niemand darf wegen seines Verhaltens bei der Vorbereitung und Durchführung der Volksabstimmung schlechter gestellt werden.
Der Rat der Westeuropäischen Union wird dann auf Grund des zahlenmäßigen Ergebnisses und unter Berücksichtigung und Wertung des gesamten Verlaufs der Volksabstimmung feststellen, ob die Saarbevölkerung das Statut im Wege der Volksabstimmung gebilligt hat oder nicht.
Gewisse Schwierigkeiten bereitete die Frage der Abstimmungsberechtigung insbesondere der Ausgewiesenen. Über diesen Punkt war zwischen Deutschland und Frankreich keine Einigung erzielt worden. Vor allem die Saarregierung widersetzte sich der von der Bundesregierung vorgeschlagenen Regelung. Der Rat der Westeuropäischen Union hat entschieden, daß grundsätzlich alle Personen, die aus politischen Gründen nach dem 8. Mai 1945 aus dem Saargebiet ausgewiesen worden sind, abstimmungsberechtigt sein sollen. Nur in besonderen Ausnahmefällen kann die Fünfmächtekommission eine andere Entscheidung treffen.
In einem weiteren Beschluß hat der Rat die Aufgaben und Befugnisse des Kommissars festgelegt. Auch hier lagen im wesentlichen gemeinsame deutsch-französische Vorschläge vor, die insbesondere die Einrichtung eines gerichtlichen Rechtszuges gegenüber Verletzung der Grundrechte vorsehen. Nachträglich war jedoch auf die Vorstellungen der Saarregierung hin die Frage zwischen Frankreich und Deutschland strittig geworden, ob der Kommissar ein vorläufiges Eingriffsrecht gegenüber der Saarregierung erhalten solle. Der Rat hat dahin entschieden, daß der Kommissar in dringenden und schwerwiegenden Fällen die Saarregierung anweisen kann, sofort die Durchführung der angefochtenen Maßnahmen, auch von Gesetzen, auszusetzen; die letzte Entscheidung, ob die Aussetzung aufrechterhalten bleibt oder nicht, liegt dann beim Rat der Westeuropäischen Union. Darüber hinaus wurden die zwischen Herrn Außenminister Pinay und mir verabredeten Formulierungen über die politische Meinungsfreiheit übernommen.
Alle diese Fragen wurden in Paris im Geiste verständnisvollen Ausgleichs geklärt. Weitere Probleme der deutsch-französischen Verständigung und Zusammenarbeit, wie z. B. die Frage der Moselkanalisierung, wurden dabei nicht berührt.
Meine Damen und Herren! Ich komme zur Tagung des Nordatlantikrates. Es ist keineswegs eine
Übertreibung, wenn ich hier feststelle, daß seine Sitzung ihr Gepräge durch die Aufnahme der Bundesrepublik Deutschland in die Nordatlantikpaktorganisation erhielt. Die erste öffentliche Sitzung des Ministerrats, in der die Aufnahme vollzogen wurde, zeigte in eindrucksvoller Weise, welche Bedeutung die im Nordatlantikpakt zusammengeschlossenen Mächte dieser Tatsache beimessen. Zunächst der derzeitige Präsident des Rats, der griechische Außenminister Stephanopoulos, und hierauf die Vertreter aller Mächte sprachen übereinstimmend ihre Genugtuung darüber aus, daß die Bundesrepublik Deutschland nunmehr ihre volle Souveränität erlangt hat und jetzt auch formell in die Gemeinschaft der freien Völker des Westens eingetreten ist, daß nunmehr auch die Bundesrepublik Streitkräfte zu ihrer eigenen Verteidigung und zur gemeinsamen Verteidigung Europas aufstellen wird und daß damit die Voraussetzungen dafür geschaffen sind, daß in. Europa ein Gleichgewicht der militärischen Kräfte des Westens und des Ostens entstehen kann.
Ich habe meinerseits darauf hingewiesen, daß die rein defensiven Ziele der Nordatlantikpaktorganisation den natürlichen Interessen des deutschen Volkes entsprechen, das sich, wie kaum ein anderes Volk, nach Sicherheit und Frieden sehnt. Andererseits habe ich festgestellt, daß Deutschland in der Gemeinschaft der freien Völker ein zuverlässiger Partner sein werde, und ich habe in den weiteren Sitzungen des Nordatlantischen Rates keinen Zweifel darüber gelassen, daß die Bundesregierung den Gedanken der Neutralisierung Deutschlands ablehnt.
Außer der Eröffnungssitzung waren alle Sitzungen des Atlantikrates geheim. Den Hauptgegenstand seiner Beratung bildete die Spannung zwischen Ost und West. Alle wichtigen Aspekte der politischen Lage innerhalb und außerhalb des Ver-. tragsgebietes des Paktes wurden eingehend geprüft. Diese Prüfung erstreckte sich unter anderem auf die Tendenzen der sowjetischen Politik, auf die Lage im Mittleren und Fernen Osten und auf den Verlauf der Konferenz von Bandung. In allen wesentlichen Fragen bestand zwischen den Vertretern der fünfzehn Regierungen völlige Einigkeit. Sie sind, wie das Schlußkommuniqué besagt, entschlossen, ihre bisherige Politik des Aufbaus und der Festigung der Kraft und der Einheit des Westens fortzusetzen..
Der Atlantische Rat hat sich schließlich auch eingehend mit den bevorstehenden Verhandlungen der Westmächte mit der Sowjetunion befaßt. Er hat einen Bericht über die bisherigen Beratungen der Regierungen der drei Westmächte und der Bundesregierung über dieses Thema entgegengenommen und die Initiative der drei Westmächte allgemein begrüßt.
Ich komme nunmehr zu den Ministerbesprechungen zur Vorbereitung der Viererkonferenz. Ich komme damit zu dem Thema, das unsere Interessen und unsere Gefühle stärker als jedes andere berührt, zu der Frage der Wiedervereinigung Deutschlands in Frieden und Freiheit.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich hier mit einigen Worten auf Ausführungen des Herrn Kollegen Wehner eingehen. Ich weiß nicht, ob Sie aus allen seinen Ausführungen den Eindruck gewonnen haben, daß alle Parteien dieses Hauses gleichmäßig von dem Gefühl der Verantwortung dafür beseelt sind, so schnell wie möglich die Wiedervereinigung in Frieden und Freiheit herbeizuführen.
Aber ich freue mich doch, daß Herr Kollege Wehner im weiteren Verlauf seiner Ausführungen festgestellt hat, daß sich das ganze deutsche Volk in diesem Bestreben einig ist. Und das sind wir auch, meine Damen und Herren. Wir sind uns alle einig darin, daß wir die Wiedervereinigung Deutschlands in Frieden und Freiheit so schnell wie möglich herbeiführen müssen.
Ich bin erfreut, Ihnen sagen zu können, daß die vierzehn anderen Teilnehmer des Nordatlantikpakts und insbesondere die Vereinigten Staaten, Großbritannien und Frankreich die Berechtigung und die Stärke dieses unseres Wunsches in vollem Maße erkennen und billigen.
Demzufolge hat diese Frage die in Paris anwesenden Außenminister stark beschäftigt. Sie bildete vor allem den Gegenstand von Besprechungen des amerikanischen, britischen, französischen und des deutschen Außenministers. Um die Pariser Besprechungen in den richtigen Zusammenhang zu stellen, darf ich die wichtigsten Vorgänge noch einmal in Ihr Gedächtnis zurückrufen.
Zwischen der amerikanischen, britischen, französischen und der deutschen Bundesregierung bestand seit langem Einverständnis darüber, daß alle nur irgendwie erfolgversprechenden Schritte unternommen werden müssen, um zu einer Entspannung zwischen Ost und West, zu einer Befriedung und Sicherung Europas und zur Lösung des wichtigsten europäischen Problems, der Frage der Wiedervereinigung Deutschlands in Frieden und Freiheit, zu gelangen. Es bestand gleichfalls Übereinstimmung darüber, daß erfolgversprechende Verhandlungen erst dann möglich seien, wenn die Pariser Verträge in Kraft getreten sind. Meine Damen und Herren, ich darf Sie an alle die Ausführungen erinnnern, die wir vom Osten her gehört haben, ehe die Pariser Verträge in Kraft getreten sind. Damals ist uns gesagt worden, dann würde überhaupt nicht mehr über die Frage Deutschland zu sprechen sein.
Ich bin der Auffassung und bleibe bei der Auffassung, daß man all diesen Reden, die vom Osten her kommen, nicht eine solch entscheidende Bedeutung beilegen sollte, wie das manchmal in Deutschland geschieht.
Wie kann man, meine Damen und Herren, wichtige und diffizile Verhandlungen mit Sowjetrußland führen, wenn man von vornherein auf jedes Wort, das in der „Prawda" steht, einen Eid leistet!
— Wer das tut? Meine Damen und Herren, das will ich hier nicht weiter ausführen.
Aber ich muß noch folgendes hier feststellen: daß die jetzige Viererkonferenz nach meiner Oberzeugung — und immerhin habe ich einen gewissen Einblick in die Dinge — niemals zustande gekommen wäre, wenn die Pariser Verträge nicht vorher in Kraft getreten wären.
Daher glaube ich, daß der erste Schritt, ein entscheidender Schritt auf dem vielleicht langen Wege, zur Wiedervereinigung Deutschlands zu kommen, durch das Inkrafttreten der Pariser Verträge getan worden ist.
Ich glaube, wenn die Wiedervereinigung dasein
wird — und sie wird eines Tages dasein —, dann
werden diejenigen, die den Pariser Verträgen zugestimmt haben, mit Recht darauf hinweisen, daß
sie diejenigen gewesen sind, die zuerst etwas
Wirkliches für die Wiedervereinigung getan haben.
Meine Damen und Herren, gestatten Sie mir, nochmals auf den Sachverständigenausschuß zurückzukommen, von dem ja auch in der Anfrage der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion die Rede war. Dieser Sachverständigenausschuß tagte von der zweiten Sitzung an unter Teilnahme der deutschen Delegation, die unter dem Vorsitz des Botschafters Blankenhorn stand. Sie hat in vollem Umfange an allen Beratungen dieses Sachverständigenausschusses teilgenommen. Der Sachverständigenausschuß hat vorzügliche Arbeit geleistet. Es ist deshalb — ich unterstreiche das nochmals — vorgesehen, daß er jederzeit wieder zusammentritt, wenn die politische Entwicklung das als zweckmäßig erscheinen läßt. Es war natürlich nicht die Aufgabe des Sachverständigenausschusses, den Außenministern fertige Vorschläge und ausgearbeitete Pläne zur Lösung der verschiedenen Probleme vorzulegen. Vielmehr sollte er alle Fragen, die möglicherweise den Gegenstand von Viererverhandlungen bilden können, zusammenstellen und analysieren. Er sollte damit eine Grundlage für die Entscheidung der Außenminister schaffen.
Nun, meine Damen und Herren, lassen Sie mich jetzt wieder auf eine Ausführung des Herrn Kollegen Wehner eingehen. Herr Kollege Wehner hat von der Bundesregierung verlangt, sie solle in Zusammenarbeit mit dem Bundestag eine ganze Skala — er hat wörtlich diesen Ausdruck gebraucht —, eine ganze Skala von Vorschlägen zur Wiedervereinigung Deutschlands aufstellen. Meine Damen und Herren, ich kann nicht zugeben, daß ein solcher Vorschlag irgendwie richtig ist.
Wenn ich in Verhandlungen eintrete mit einem verhandlungsgewandten und sehr ernst zu nehmenden Gegner, dann kann ich doch unmöglich vorher eine Skala aufstellen. Skala, meine Herren, bedeutet eine Leiter, bei der offenbleibt, ob ich von der obersten Sprosse immer weiter heruntergehen will. Das ist doch völlig unmöglich! Wer von Ihnen einmal einer solchen Konferenz gefolgt ist, wenn auch nur am Radio oder an Hand der Zeitung, der weiß ganz genau, daß das letzte Wort von allen Beteiligten in der letzten Sitzung gesprochen wird, daß aber nicht vorher urbi et orbi mitgeteilt wird: „Das ist die Skala unserer Vorschläge."
Meine Damen und Herren, auf Grund des Berichts der Sachverständigen hatten die drei Westmächte in Paris über die Frage einer Viermächtekonferenz zunächst allein, dann unter Hinzuziehung des Vertreters der Bundesrepublik eingehend beraten. Als Ergebnis dieser Beratungen wurde, wie Ihnen bekannt ist, die Sowjetregierung zu einer Konferenz der Regierungschefs der Vier Mächte eingeladen.
Die Einladung an Sowjetrußland gibt kein bestimmtes Konferenzthema an. Die Konferenz soll der Lösung der großen offenstehenden Probleme dienen. Sie soll sich um die Beseitigung der noch bestehenden Konfliktsherde bemühen. Wie die Note der Westmächte ausführte, erfordert die Lösung dieser Probleme Zeit und Geduld; sie werden nicht auf einem kurzen Treffen gelöst werden können.
Auch hier möchte ich auf eine Ausführung des Herrn Kollegen Wehner eingehen, die ich, wie ich glaube, richtig verstanden habe. Ich glaube, er hat gesagt: Wenn man von einer Konferenzdauer von zwei Jahren spricht, dann heißt das einen Schleier darüber decken, daß man es in Wirklichkeit mit der Wiedervereinigung gar nicht eilig hat. Verehrter Herr Kollege Wehner, die Welt ist in wenigen Jahren kurz und klein geschlagen worden. Wenn es gelingt, in einer langen Konferenz von ein bis zwei Jahren die Welt wieder aufzubauen, dann werden unsere und die folgende Generation dankbar und glücklich darüber sein.
Ich möchte hier einschieben, daß ich ausdrücklich gefragt worden bin: Will die Bundesrepublik an der Beratung der die Wiedervereinigung Deutschlands betreffenden Fragen teilnehmen oder nicht? Ich habe die letzte Entscheidung zunächst zurückgestellt — und zwar aus wohlerwogenen Gründen, die Sie alle verstehen werden —, denn selbstverständlich würde Sowjetrußland sofort mit der Gegenforderung geantwortet haben, daß dann auch die Regierung in Pankow hieran teilnehmen müsse. Wir wollen die Entwicklung aller dieser Dinge abwarten. Aber das eine ist sichergestellt: Die deutsche Delegation wird nicht nur wie bei der Berliner Konferenz nach , sondern auch vor jeder Sitzung hinzugezogen, und es werden dann die auf der Sitzung zu erledigenden oder zu besprechenden Fragen, soweit sie das deutsche Interesse betreffen, mit ihr besprochen werden. Ich glaube, wir können davon überzeugt sein, daß das deutsche Interesse bei dieser Viererkonferenz auf jede Weise gewahrt werden wird.
Nun ist in der Zwischenzeit, wie Sie wissen, die Antwortnote Sowjetrußlands eingetroffen. Ich enthalte mich hier eines näheren Eingehens auf die Antwortnote, die mehrere Seiten umfaßt. Die Hauptsache ist: die Viererkonferenz, bei der die Frage Deutschland den Auftakt, den Anfang bilden wird, wird im Laufe dieses Sommers zusammentreten. Aber wenn sie auch in Anwesenheit der vier Regierungschefs zusammentritt, so wird sie doch, nachdem diese die Grundlagen festgestellt haben, in die Hände der Außenminister übergehen, und es werden Sachverständige zugezogen werden. Da doch nun einmal das ganze Gebiet angepackt und da doch einmal an die Frage herangegangen
werden muß, ob es denn nicht möglich ist, wieder Frieden auf der Welt herzustellen, wird dazu Geduld notwendig sein. Das kann ich nur immer wieder dem deutschen Volke sagen: Derartige Dinge, die für alle Beteiligten so schwerwiegend sind, lassen sich eben nicht im Handumdrehen erledigen, auch nicht durch mehr oder weniger schöne Reden,
sondern sie verlangen eine hingebende, gewissenhafte, sorgfältige Arbeit und Prüfung.
Aber, meine Damen und Herren, schon jetzt besteht zwischen der Bundesregierung und den Regierungen der Westmächte in einer Reihe von Fragen grundsätzlicher Art Übereinstimmung. Die drei Westmächte und wir sind darüber einig, daß die Wiedervereinigung Deutschlands einer der entscheidenden Schritte auf dem Wege der Befriedung und Sicherung Europas und der Welt ist. Die Abhaltung freier gesamtdeutscher Wahlen bleibt nach wie vor der einzige Weg zur deutschen Wiedervereinigung in Frieden und Freiheit. Vor der Bildung einer legitimen gesamtdeutschen Regierung können keine Verhandlungen über den Inhalt eines Friedensvertrages stattfinden. Eine Neutralisierung Deutschlands als Voraussetzung für die Wiedervereinigung ist nicht annehmbar. Weder kann Deutschland sich freiwillig oder besser: mehr oder weniger unfreiwillig den Status der Neutralität, wenn auch der bewaffneten, auferlegen noch sich neutralisieren lassen. Diese Frage ist hier im Hause so oft behandelt worden, daß ich mich sehr kurz hierzu fassen kann. Deutschland ist zu schwach, sich selbst wirksam zu verteidigen. Neutralisierung — oder, wie Herr Kollege Wehner gesagt hat: Gestattung einer Wehrkraft in bestimmtem Ausmaße — bedeutet dauernde Kontrolle Deutschlands und damit dauernde Unfreiheit.
Meine Damen und Herren, im Falle eines heißen Krieges zwischen den beiden Blocks wären wir Schlachtfeld.
— Also, meine Damen und Herren, durch Zwischenrufe schaffen Sie das nicht aus der Welt. Die Integration Europas wäre erledigt, und ebenso wäre der Atlantikpakt erledigt. Nach den immer wiederholten Erklärungen des jetzigen und der früheren Oberbefehlshaber von SHAPE wäre dann eine Verteidigung von Europa nicht mehr möglich. Welche Folgen die Ausdehnung der russischen Einflußsphäre auf Europa auf die ganze Weltlage, insbesondere auch auf die Vereinigten Staaten, haben würde, darauf komme ich im Laufe meiner Ausführungen noch zurück.
In den letzten Wochen, meine Damen und Herren, ist in der öffentlichen Meinung der Welt vielfach die Frage behandelt worden, ob man dadurch, daß man in Nord-, Ost- und Südeuropa einen Gürtel neutraler, bewaffneter Staaten schafft, eine Milderung der Gegensätze zwischen Ost und West herbeiführen könne, die dann im Laufe der Entwicklung weitere Entspannungen bringen würde. Der Gedanke ist von einem wenn auch kleinen
Teil der amerikanischen Öffentlichkeit begrüßt worden im Anschluß an eine, wie ich mit Nachdruck sagen kann, mißverstandene Äußerung des Präsidenten Eisenhower auf einer Pressekonferenz. Man wollte in diesen Gürtel einige Satellitenstaaten einbezogen wissen. Wenn auch die Erörterung über diesen Plan zur Zeit wieder abgeebbt ist, so scheint es mir doch notwendig, den Standpunkt der Bundesregierung zu diesen Gedanken vor dem Hohen Hause darzulegen.
In der französischen und in der italienischen Presse und Öffentlichkeit und in der Öffentlichkeit der Benelux-Staaten und Großbritanniens wurde der Gedanke von vornherein allgemein abgelehnt.
In der Bundesrepublik Deutschland wurde die Schaffung eines solchen Gürtels ebenfalls von allen Fraktionssprechern abgelehnt. Ich schätze mich glücklich, feststellen zu können, daß alle mit der Bundesregierung in dieser Ablehnung übereinstimmen. Die Gründe der Fraktionen sind in einzelnen Punkten verschieden; das ändert aber nichts an der Tatsache, daß sie sich in der Ablehnung des Gedankens einig sind.
Der Sprecher der sozialdemokratischen Fraktion hat die ablehnende Haltung damit begründet, daß dadurch eine Versteinerung der beiden Machtblocks herbeigeführt würde. Der Grundgedanke, daß die Bildung eines solchen Streifens jedenfalls einen Abbau der beiden einander gegenüberstehenden Blocks nicht begünstigt, ist richtig und bildet auch einen der Gründe für die Stellungnahme der Bundesregierung.
Man muß damit rechnen, daß der Gedanke in der Folge von neuem auftaucht. Vor einer so umfassenden Konferenz wie der Konferenz oder den Konferenzen, vor denen wir stehen, werden alle möglichen Projekte immer wieder in der Öffentlichkeit aufgeworfen werden. Ich möchte daher die Gründe darlegen, warum dieser Gedanke nicht zu dem gewünschten Ziele führen kann, sondern im Gegenteil Europa der Gefahr aussetzt, kommunistisch zu werden. Ich gehe in meinen Darlegungen davon aus, daß dieser neutrale Gürtel auch Länder jenseits des Eisernen Vorhangs umfassen soll, obgleich die „Prawda" und jetzt die Antwortnote Sowjetrußlands sich ja mit Empörung gegen den Gedanken gewendet haben, daß ein Land, das unter russischem Einfluß steht, in einen solchen neutralen Gürtel hineingebracht werden soll. Das Ergebnis der Gedanken, die da lautgeworden sind, würde sein, daß innerhalb dieses Gürtels, von Norden angefangen, Norwegen, Dänemark, Deutschland, die Benelux-Länder, eventuell auch Griechenland oder einige der kommunistisch regierten Satellitenstaaten liegen. Auf der westlichen Seite des Gürtels blieben von Europa übrig Italien, Frankreich, Spanien und England, während auf seiner östlichen Seite der sowjetrussisch-kommunistische Koloß liegen würde. Ich glaube, man braucht sich diese Situation nur auf dem Atlas anzusehen, man braucht sich nur dabei vor Augen zu halten, daß in Italien und Frankreich starke kommunistische Parteien sind. Man braucht sich nur vor Augen zu halten, daß die in dem Gürtel liegenden kommunistischen Staaten Gebilde sind, die ihren Bewohnern von Sowjetrußland mit Gewalt und Terror aufgepreßt worden sind, und daß Sowjetrußland seine Beauftragten in diesen Staaten nicht im Stich lassen wird und lassen kann, -um sich darüber klarzuwerden, daß bei Schaffung eines
solchen Gürtels in kurzer Zeit ganz oder fast ganz Europa in kommunistischer Hand sein würde.
— Ich, nehme doch an, Sie sind auch dagegen!
— Was glaubt keiner?
— Meine Damen und Herren, das ist ein sehr hartes Urteil — ich muß das zugeben —;
aber ich weiß nicht, ob das Urteil so vollkommen
richtig ist. Ich glaube, man glaubt mir doch etwas!
Nun, meine Damen und Herren, einen Schutz gegen einen heißen Krieg, wenn er kommen sollte, bildet ein solcher Gürtel bei dem Fortschritt der Technik der Kriegswaffen überhaupt nicht.
Keiner dieser neutralen Staaten wäre in der Lage, einem vom Osten her unter Verwendung von modernen Waffen vorgetragenen Angriff zu widerstehen.
— Folgen Sie meiner Politik, dann gehen Sie richtig!
Ganz offenbar handelt es sich bei diesem Gedanken um die Verwirklichung von zwei Zielen der sowjetrussischen Politik: Erstens sollen die amerikanischen Stützpunkte aus Europa entfernt werden, und zweitens handelt es sich um ein ähnliches Manöver, wie es Sowjetrußland im mittleren Osten vorhat: Schaffung schwacher Staaten, die sich dem russischen Einfluß einfach nicht entziehen können und somit die Einflußsphäre Sowjetrußlands vergrößern.
Ich möchte nochmals betonen, daß die Westeuropäische Union, daß jeder Zusammenschluß Europas und der Nordatlantikpakt' durch die Schaffung eines solchen Gürtels erledigt wären und daß dann das zur Zeit bestehende Gleichgewicht der Kräfte in der Welt zugunsten Sowjetrußlands zerstört wäre.
Meine Damen und Herren, ich bin nicht dazu berufen, der Bevölkerung der Vereinigten Staaten zu sagen, welche Gefahren ihr drohen würden; aber einige Bemerkungen möchte ich mir dazu doch erlauben.
Die Vereinigten Staaten wären infolge der Vermehrung des Kräftepotentials Sowjetrußlands in äußerster Gefahr, der sie vielleicht nur durch Aufwendung ihrer ganzen Kraft entgehen. könnten. Bei der Erörterung in dem — ich wiederhole — wenn auch kleinen Teil der öffentlichen Meinung
der Vereinigten Staaten hat vielleicht der Gedanke eine Rolle gespielt, daß die Vereinigten Staaten nicht nur eine atlantische Macht sind, sondern auch eine Macht sind, deren Gesicht nach dem Pazifik zu gerichtet ist. Das ist natürlich richtig. Aber ich glaube, auch die Vereinigten Staaten würden im Atlantik keine größere Sicherheit bekommen, wenn Sowjetrußland durch einen solchen neutralen Gürtel den Rücken in Europa frei bekäme.
Meine Damen und Herren, ich werde die Rede des Herrn Kollegen Wehner noch einmal nachlesen, insbesondere wegen eines Satzes, der darin enthalten ist. Er hat von einem europäischen Sicherheitssystem gesprochen. Es ist mir nicht klargeworden, ob er in dieses europäische Sicherheitssystem die Vereinigten Staaten mit einschließen will.
— Ja, ich habe doch Herrn Wehner gefragt, nicht Sie, Herr Schmid!
Einen Augenblick, meine Damen und Herren! Der Herr Bundeskanzler hat betont, daß er die Rede noch einmal nachlesen werde. Ich darf also doch bitten, sich darüber zu beruhigen.
Nein, das tue ich ja auch gar nicht! Ich wiederhole die Worte des Herrn Präsidenten: Ich werde die Rede des Herrn Kollegen Wehner in diesem Punkte nachlesen.
Sie werden verstehen, es ist eine so wichtige Frage, daß es sich doch lohnt, die Rede nachzulesen.
— Lieber Herr Mellies, ich will die früheren Reden nicht nachlesen; das ist zuviel verlangt. Aber ich möchte die heutige Rede nachlesen. Das ist doch mein gutes Recht.
Das können Sie mir doch nicht nehmen.
Ich wünschte, Herr Mellies, Sie lesen auch meine Rede nach.
Nun überhaupt ein allgemeines Wort zur Neutralität, auch bewaffneter oder Neutralisierung. Ich sage Ihnen, und das mit allem Ernst und im Bewußtsein dessen, was ich sage: kein Land in Europa ist in der Lage, falls es wirklich zum heißen Krieg zwischen den großen Mächten kommen sollte, sich für sich allein zu verteidigen.
Der Fortschritt in der Entwicklung der Waffentechnik macht das einfach unmöglich. Ein Land wie Großbritannien, dem man sicher nicht nachsagen kann, daß es schnell und leichtherzig Entschlüsse faßt, hat in Erkenntnis dieser Lage doch auf der Londoner Konferenz des Herbstes 1954 mit einer 500 Jahre alten Tradition, mit der Tradition der Isolierung, des Alleinstehens gebrochen.
Weil es eben eingesehen hat, daß das in unserer
Zeit Selbstmord bedeutet, hat es sein Geschick mit
dem Geschick von Kontinentaleuropa verbunden.
Nun wird jeder fragen: Gibt es denn überhaupt eine Möglichkeit, den Frieden in der Welt wiederherzustellen? Ich glaube, mit Recht kann die friedlose Menschheit diese Frage stellen, muß sie
jeder verantwortungsbewußte Politiker stellen. Ich, meine Damen und Herren, beantworte diese Frage überzeugt mit Ja. Es gibt eine Möglichkeit. Wenn wir in die Vergangenheit zurückblicken, so hat es einmal Zeiten gegeben, in denen eine Macht, die so stark war wie alle anderen zusammen, den Frieden sichern konnte. Diese Zeiten sind vorbei, sie werden nicht wiederkehren. Man hat dann zu Ersatzmitteln gegriffen. Man hat versucht, eine Reihe von Mächten zusammenzubinden, damit sie eine solche moralische und eventuell auch eine Kraft, die in der Tat angewandt werden könnte, bekämen, um den Frieden in der Welt zu sichern. Ich erinnere an die Heilige Allianz, die das unternommen hat; ich erinnere an den Völkerbund, ich erinnere an die UNO. Ich bin der letzte, der bestreiten würde, daß der Völkerbund und insbesondere die UNO manches beigetragen haben zur Entspannung von Spannungen untergeordneten Grades. Aber auch ,die UNO hat es nicht fertigbekommen, zu verhindern, daß die Welt in den heutigen entsetzlichen Zustand geraten ist.
Nach meiner Überzeugung kann der Frieden in der Welt in Wahrheit nur ,dadurch wiederhergestellt werden, daß die mächtigsten Länder der Welt, die im Besitz der die Menschheit bedrohenden Waffen sind, Abrüstungen, kontrollierte Abrüstungen in einem solchen Grade vereinbaren und vornehmen, daß bei der heutigen territorialen Größe der einander entgegenstehenden Staaten keine Angriffe mehr Aussicht auf Erfolg bieten.
Erst auf dieser Grundlage lassen sich Sicherheitssysteme aufbauen. Auch wir begrüßen den Aufbau solcher Sicherheitssysteme. Aber diese Sicherheitssysteme werden niemals im Ernstfall Bestand haben, wenn weiter in der Weise gerüstet wird oder gerüstet bleibt, wie jetzt die Welt gerüstet ist.
Nach meiner Überzeugung ist für eine solche Abrüstung der Weltmächte — —
— Ach, „zu Hause", — das können Sie bei sich ja machen, da können Sie abrüsten;
es sind so ernste Dinge, daß man sie wirklich nicht mit solchen Zwischenrufen stören sollte!
Meine Damen und Herren, nach meiner Überzeugung ist für eine solche Abrüstung der Weltmächte —denn darum handelt es sich; die anderen Länder werden dann ohne weiteres folgen —
ein besonders günstiger Zeitpunkt gekommen. Die Entwicklung der Atomwaffen, die Entwicklung der Wasserstoffbombe macht auch für die in ihrem Besitz befindlichen Mächte jeden Krieg zu einem ungeheuren Wagnis. Höchstwahrscheinlich würde durch diesen Krieg dem Sieger wie dem Besiegten und wie auch den übrigen Völkern der Erde das gleiche Los bereitet werden: völliger Untergang. Der Krieg, meine Damen und Herren, der so oft in der Geschichte als ein Mittel der Politik bezeichnet worden ist, ist das nicht mehr!
Der Krieg ist durch die Entwicklung der modernen Waffen aid 'absurdum geführt.
Er kann keinem Lande mehr eine Vergrößerung seiner Macht bringen, sondern er bedeutet für alle Verderben und Untergang.
Ich bin weiter der Ansicht, daß auch der sowjetrussische Machtblock dringend einer Verminderung seiner Ausgaben für Aufrüstung bedarf, um die sehr großen wirtschaftlichen, kulturellen und sozialen Aufgaben, die sein Dasein bedrohen, erfüllen zu können. Ich wiederhole deswegen: Ich glaube, daß für eine allgemeine kontrollierte Abrüstung in dem von mir skizzierten Ausmaße die Zeit niemals so günstig gewesen ist wie jetzt.
Man wird mich auf die bisher fruchtlosen Bemühungen innerhalb der UNO hinweisen. Demgegenüber weise ich darauf hin, daß eben die Furchtbarkeit der modernen Waffen von Monat zu Monat wächst und daß das, was vielleicht vor sechs Monaten noch nicht so als eine absolute Notwendigkeit für alle Länder der Erde erschien, nunmehr eine Notwendigkeit für sie alle ist und auch als eine solche, glaube ich, erkannt wird.
Ich spreche hier diese Meinungen aus, obwohl in der Abrüstungskommission der UNO in London keine Fortschritte von besonderer Bedeutung gemacht worden sind. Ich spreche sie aus, obgleich ein neuer, von der Sowjetunion vorgelegter Abrüstungsplan bei genauer Nachprüfung sich als voller Gefahren erweist. Aber wir sind nunmehr ein souveräner Staat geworden, und unser Schicksal ist mit dem Schicksal der ganzen Erde verbunden. Daher, glaube ich, sollte der Deutsche Bundestag laut und deutlich seine Stimme erheben und die Forderungen, die ich Ihnen soeben vorgetragen habe, zu seinen eigenen machen.
Noch ein Weiteres! Wir stehen vor einem Zusammentreffen der Chefs der vier Regierungen, in deren Händen das Geschick der Welt liegt. Es wird sich Gelegenheit bieten zu einer Aussprache zwischen Eisenhower und Bulganin. Das ist vielleicht eine nicht wiederkehrende Gelegenheit, eine Möglichkeit, die Schicksalsfrage der Menschheit, die Frage der kontrollierten Abrüstung in ihren Grundsätzen zu einer positiven Entscheidung zu bringen. Denn diese Aussprache, von der ich eben gesprochen habe, wird sich vollziehen — wie wir hoffen — gelöst von den Schwierigkeiten und Fesseln, die jede größere Konferenz ihrer Natur nach mit sich bringt. Nach meiner Meinung muß auf der bevorstehenden Viererkonferenz die Frage der Abrüstung die primäre und die entscheidende Frage sein. Ich glaube, daß die Vereinigten Staaten kühn und entschlossen mit einem Vorschlag vorangehen sollten. Sie wären damit der Politik treu, die Präsident Eisenhower im April des Jahres 1953 in so kraftvoller Weise als die Politik der Vereinigten Staaten gekennzeichnet hat. Er hat darin nicht nur eine kontrollierte Abrüstung verlangt, sondern zugleich sich bereit erklärt, das amerikanische Volk aufzufordern, zusammen mit allen Nationen einen wesentlichen Teil der durch die Abrüstung erzielten Ersparnisse einem Fonds für die Unterstützung und den Wiederaufbau der Welt zuzuführen. Ziel dieses großen Werkes, so hat er gesagt, würde sein: Beistand für alle Völker bei der Entwicklung der wirtschaftlich zurückgebliebenen Gebiete der Welt.
Auf diesen Vorschlag Eisenhowers im Jahre 1953 hat Sowjetrußland mit einem Hinweis auf den Potsdamer Vertrag geantwortet. Das war keine Antwort, die den Vorschlägen des Amerikaners gerecht ward. Ich glaube, auch Sowjetrußland wird den Potsdamer Vertrag nicht mehr als lebenskräftig betrachten.
Die Vereinigten Staaten können als erster Staat einen ähnlichen Vorschlag wie 1953 machen und sich mit allem Nachdruck für seine Verwirklichung einsetzen, ohne dadurch einen Prestigeverlust befürchten zu müssen. Die ernsthafte und entschlossene Inangriffnahme dieser Aufgabe wird in der weiteren Entwicklung auch die Wiedervereinigung Deutschlands in Frieden und Freiheit bringen.
Lassen Sie mich zur Wiedervereinigung noch folgendes sagen, auch über die Wände dieses Saales hinaus: Von unserem, vom deutschen Standpunkt aus verlangen wir nur unser Recht, wenn wir fordern, daß Sowjetrußland die 18 Millionen Deutschen, die es mit Gewalt in Unfreiheit hält, freigibt und ihnen gestattet, sich mit uns zu vereinigen.
Denn die Sowjetzone ist nichts anderes als ein von Sowjetrußland besetztes deutsches Gebiet.
Nach der Haager Konvention ist Sowjetrußland verpflichtet, dieses Gebiet treuhänderisch, d. h. unter Wahrung der Freiheit der Bewohner und ihrer Rechte, zu verwalten und in diesem Zustand zurückzugeben. Aber, meine Damen und Herren, bei internationalen. Verhandlungen — wie bei allen Verhandlungen — muß man sich natürlich auch in die Position des Verhandlungsgegners hineindenken.
Aber man darf der Tatsache nicht blind gegenüberstehen, daß vom russischen Standpunkt aus die Freigabe der Sowjetzone für Sowjetrußland eine politische Frage ersten Ranges ist, die mit anderen Sowjetrußland als lebenswichtig erscheinenden Fragen, insbesondere Fragen der Satellitenstaaten, zusammenhängt. Die Frage der Wiedervereinigung Deutschlands kann, wie die Dinge sich gestaltet haben, nun einmal nicht als eine für sich allein im Raume stehende Frage betrachtet und gelöst werden.
Sie steht in engem Zusammenhang mit den Ost-West-Fragen überhaupt. Aber die Frage der Wiedervereinigung Deutschlands, lassen Sie mich das nochmals betonen, ist eine der wichtigsten Fragen, wenn nicht die wichtigste Frage für den Frieden der Welt.
Daher muß diese Frage für alle NATO-Mächte entsprechend ihren Beschlüssen ein Antrieb sein, die Frage der kontrollierten Abrüstung nunmehr energisch anzufassen, dadurch zu einer allgemeinen Entspannung zu kommen und im Zusammenhang damit die Wiedervereinigung Deutschlands in Frieden und Freiheit herbeizuführen.
Die Vereinigten Staaten sind die stärkste Macht auf der Welt. Sie können und müssen dafür sorgen, daß diese Fragen ernsthaft angefaßt und intensiv und tatkräftig gefördert werden. Die ganze Welt wird durch eine solche kontrollierte Abrüstung von dem jetzt auf ihr ruhenden Druck befreit aufatmen und sich in vollem Maße den Werken des Friedens und des Fortschritts widmen können.
Nun lassen Sie mich wenige Sätze zu den Anträgen der sozialdemokratischen Fraktion sagen, die uns soeben überreicht worden sind. Ich empfehle Ihnen, meine Damen und Herren, diese Anträge abzulehnen. Ihre Annahme würde nichts anderes bedeuten, als die Viererkonferenz jetzt schon in diesem Hause abzuwürgen.
— Ich wiederhole das: die Annahme würde nichts anderes bedeuten. Ich darf das Wort wiederholen, daß es, wenn wir nicht die Pariser Verträge hätten, niemals zu einer Viererkonferenz über unsere Wiedervereinigung gekommen wäre.
Wie kann man denn einem Lande zumuten, daß es, nachdem es gerade diese Verträge geschlossen hat, sagt: Jetzt höre ich auf, und ihr anderen Vertragspartner, bitte, gebt euch damit zufrieden, daß wir aufhören! — Wo bleibt dann jedes internationale Vertrauen in unsere Politik?
Ich glaube, ich brauche kein anderes Wort hinzuzufügen. Wir treiben nicht zum Krieg, und die 12 Divisionen, die wir anfangen aufzustellen — demnächst werden die ersten Gesetzentwürfe über
die Einstellung Freiwilliger diesem Hohen Hause zugehen —, die Aufstellung dieser zwölf Divisionen ändert nichts an dem Schicksal der Welt.
— Ach, meine Herren, Sie kennen mich doch genug, um zu wissen, — —
— Sie kennen mich doch genug, um zu wissen, daß einem solchen Satz noch ein Nachsatz folgt.
Aber, meine Damen und Herren, was an dem
Schicksal der Welt etwas ändern würde, das würde
ein Rückfall in die Uneinigkeit des Westens sein,
und darin erblicke ich den Wert dieser 12 Divisionen, daß sie die Einheit des gesamten freien Westens dokumentieren.
Meine Damen und Herren, Sie haben die Antwort auf die Große Anfrage der Fraktion der SPD gehört. Die Beratung ist vereinbart. Ich eröffne die Beratung.
Das Wort hat der Abgeordnete Ollenhauer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Herr Bundeskanzler hat zu Beginn seiner heutigen außenpolitischen Erklärung davon gesprochen, daß der Bundestag und die deutsche Öffentlichkeit ein Recht darauf hätten, über die vergangenen internationalen Verhandlungen und die Stellungnahme der Bundesregierung informiert zu werden. Das war eine sehr interessante Feststellung in Zusammenhang mit der Tatsache, daß wir ja den Herrn Bundeskanzler erst durch die Einbringung einer Großen Anfrage zum Reden über diese Frage in diesem Hause veranlassen konnten.
Es scheint mir, Herr Bundeskanzler, wir haben auf diese Weise wenigstens erreicht, daß sich sozusagen Ihr besseres Ich gegenüber dem Parlament durchgesetzt hat
'
und Ihnen die Möglichkeit gegeben hat, hier Ihre Auffassungen über die außenpolitische Lage zu entwickeln. Ich stelle das deshalb fest, weil das kein Einzelfall ist und nicht das erste Mal geschah. Wenn ich daran denke, wieviel außenpolitische Erklärungen und Stellungnahmen des Herrn Bundeskanzlers wir während der Pariser Konferenz vor der Presse erlebt haben, und wenn ich daran denke, welche große Aktivität in außenpolitischen Fragen in den letzten Tagen völlig abseits des Parlaments erfolgt ist, dann muß ich schon sagen, daß hier offensichtlich eine absolut unbefriedigende Beziehung zwischen Regierung und Parlament vorliegt.
Ich habe nicht die Hoffnung, daß diese Feststellung einer bitteren und für die parlamentarische Ordnung in unserem Lande sehr schwerwiegenden Erfahrung für die Zukunft irgendeine Besserung bringen wird, weil sich auch die Mehrheit dieses Hauses mit der weitgehenden Ausschaltung des Parlaments immer wieder abgefunden hat.
Das zweite, was ich sagen möchte, ist, auch im Hinblick auf die Ausführungen des Herrn Bundeskanzlers, daß er hier dargelegt hat, es sei ja nicht möglich, internationale Verhandlungen so komplizierter Art vor einem so großen Gremium wie dem Plenum des Bundestages zu behandeln. Niemand von uns hat das jemals verlangt. Wir haben darüber hier sogar Aussprachen gehabt, daß die Führung solcher Verhandlungen im Konkreten Aufgabe der Exekutive ist und bleiben muß, daß aber auf der anderen Seite ein normal funktionierendes parlamentarisches System es der Regierung immer von neuem nahelegt, wenigstens vertraulich das Parlament in geeigneter Weise über den Gang der Dinge zu informieren und auf seinen Rat zu hören.
Das Bedauerliche ist, daß uns auch die heutigen Ausführungen des Herrn Bundeskanzlers nur sehr geringe Hoffnung geben, daß wir zu einer solchen vernünftigen und für die Sache nötigen Regelung kommen werden.
Außerdem, was hier not tut und was hier not tat, war nicht eine Diskussion der Einzelheiten, etwa der Besprechungen über die Richtlinien für die deutschen Mitglieder des vorbereitenden Ausschusses in London, sondern ich finde, auch die Ausführungen des Herrn Bundeskanzlers haben den Beweis dafür erbracht, daß ein dringendes Bedürfnis dafür vorlag, sich hier einmal über die internationale Situation klarzuwerden, um zu wissen, auf welchem gegenüber der Berliner Konferenz von 1954 sehr verschiedenen Hintergrund sich aller Voraussicht nach die Verhandlungen einer neuen Viermächtekonferenz abspielen werden und welche Rolle, welche Position in diesem Zusammenhang die deutsche Frage haben wird. Ich finde, die Erklärung des Herrn Bundeskanzlers ist der beste Beweis für die Notwendigkeit, hier eine solche Aussprache zu haben. Wir haben auch deshalb darauf gedrängt, weil uns daran lag, mindestens als Sozialdemokraten vor dem Hause und vor der Öffentlichkeit unsere Auffassung darzulegen. Ich werde das versuchen in gewisser Ergänzung zu den Ausführungen meines Freundes Wehner und auch in Erwiderung auf einige Ansichten, die der Herr Bundeskanzler in seiner heutigen Erklärung vorgetragen hat.
Ich möchte mit einer Bemerkung beginnen. Der Herr Bundeskanzler hat hier — verständlicherweise unter lebhaftem Beifall der Mehrheit — die These vertreten, daß die jetzt in Aussicht stehende Viermächtekonferenz niemals ohne die Ratifizierung der Pariser Verträge zustande gekommen wäre. Nun, meine Damen und Herren, ob in bezug auf die deutsche Frage die Aussichten für eine positive Lösung auf der kommenden Viermächtekonferenz durch die Ratifizierung der Pariser Verträge vergrößert worden sind, das ist noch offen.
Ich würde Ihnen sehr empfehlen, auch da mit Vorsieht erst die weitere Entwicklung abzuwarten,
Das, was ich in diesem Zusammenhang sagen möchte, ist etwas ganz anderes. Wenn wir an die kommenden internationalen Unterhaltungen und Verhandlungen unter der Vorstellung herangehen: diese Verhandlungen haben wir sozusagen auf der europäischen Ebene durch die Ratifizierung der Pariser Verträge erzwungen, dann werden wir sehr schnell feststellen, daß wir mit dieser Ausgangsposition der gegenwärtigen internationalen Lage und dem wirklichen Hintergrund für die Bereitschaft der Vier, eine neue Viermächtekonferenz abzuhalten, einfach nicht gerecht werden.
Es sind ja ganz andere Dinge im Fluß, Dinge, von denen ich meine, sie hätten in der Erklärung des Herrn Bundeskanzlers oder in der Schilderung der internationalen Situation vor den neuen Viermächteverhandlungen auch etwas mehr Gewicht haben können.
Dabei möchte ich keine, auch nicht die geringste kritische Bemerkung zu dem machen, was der Herr Bundeskanzler über die Bedeutung, die Lebensnotwendigkeit einer allgemeinen, international kontrollierten Abrüstung gesagt hat. Ich möchte ausdrücklich von vornherein, damit diese Feststellung nicht in irgendeinen Zusammenhang mit späteren polemischen Bemerkungen kommt, unterstreichen, daß die sozialdemokratische Fraktion des Bundestags in dieser Richtung völlig einig ist mit der Regierung in ihrer Vorstellung, daß die Inangriffnahme einer allgemeinen, international kontrollierten Abrüstung eine Lebens- und Schicksalsfrage für die ganze Menschheit geworden ist
und daß wir unbeschadet unserer sonstigen Meinungsverschiedenheiten in anderen wichtigen Fragen selbstverständlich alles tun werden, um gemeinsam, soweit es in deutschen Kräften liegt, einen Erfog zu erzielen.
Mir lag daran, das voranzustellen. Aber ich schließe an diese Feststellung den Hinweis darauf an, daß uns die Herausstellung der allgemeinen und international kontrollierten Abrüstung ja schon zeigt, daß die internationale Politik in den letzten Monaten auf einer ganzen Reihe von Gebieten und, meine Damen und Herren, auf beiden Seiten der Weltmächte in Bewegung gekommen ist, nicht nur auf der Seite der Sowjetunion.
Wenn wir heute mit einer gewissen Hoffnung und einer gewissen Aussicht auf Erfolg einer neuen Viermächtekonferenz entgegensehen, so spielen dafür nicht irgendwelche Bemerkungen der Prawda, wie der Herr Bundeskanzler -sagt, eine Rolle, sondern sehr reale Dinge, die sich ereignet haben, z. B. die Unterzeichnung des österreichischen Staatsvertrages, der möglich geworden ist. weil die russische Regierung entgegen ihrer Haltung auf der Berliner Konferenz die Lösung der ÖsterreichFrage nicht mehr von der Frage der deutschen Wiederaufrüstung abhhängig gemacht hat.
— Darüber ließe sich eine ganze Menge sagen, Herr Kiesinger. Ich komme darauf zurück.
Das zweite ist, daß die Sowjetunion, wiederum auf der europäischen Ebene, in bezug auf die Eingliederung der Sowjetzone in den Militärblock des Ostens auf der Warschauer Konferenz einige sehr bemerkenswerte Einschränkungen vorgenommen hat, nämlich die Einfügung einer Kündigungsklausel und die vorläufige Ausklammerung der sowjetisch besetzten Zone Deutschlands aus der militärischen Aufrüstung im Ostblock.
Schließlich haben wir einige andere Ereignisse auf politischem Gebiet, etwa den jetzt in Belgrad stattfindenden Besuch einer sehr repräsentativen Delegation der Sowjetunion, der wohl in erster Linie als eine sehr hohe Anerkennung des Erfolgs der gegenwärtigen jugoslawischen Regierung im Kampf um eine unabhängige Politik dieses Landes gewertet werden muß.
Der Herr Bundeskanzler hat ferner schon darauf hingewiesen, daß die Sowjetunion in einem Entschließungsentwurf an die Vereinten Nationen neue Vorschläge für die internationale Abrüstung gemacht hat. Sicher enthalten auch diese Vorschläge noch eine ganze Reihe von Problemen, die sehr ernsthaft untersucht werden müssen. Aber niemand, der die Verhandlungen der letzten Monate, vor allen Dingen in London, verfolgt hat, bestreitet, daß die Sowjetunion in der Frage der Abrüstung hier zum erstenmal sehr konkrete und weitergehende Vorschläge als jemals zuvor gemacht und damit eine gewisse Annäherung der Ansichten zwischen den Hauptbeteiligten ermöglicht hat.
Es bleiben sehr ernste Probleme offen, z. B. die Frage der internationalen Kontrolle einer solchen schrittweise durchgeführten Abrüstung. Aber es wäre falsch, wollten wir die positive Bedeutung dieses Schrittes in der Richtung einer allgemeinen Entspannung in der Welt unterschlagen.
Schließlich, meine Damen und Herren, um in diesem Zusammenhang noch ein solches Beispiel zu I nennen: Ich glaube, wir können die Bedeutung der Tatsache nicht unterschätzen, daß durch die veränderte Haltung der Pekinger Regierung, durch das Angebot des chinesischen Außenministers, direkt mit der amerikanischen Regierung über die Krise in der Formosa-Straße zu verhandeln, eine Chance für eine ernsthafte Entspannung im Fernen Osten und für eine mögliche friedliche Beilegung der dort anstehenden Konflikte gegeben ist. Das sind nicht mehr Ankündigungen oder Versprechungen oder Mutmaßungen, sondern das sind Realitäten, die sich in den letzten Monaten im praktischen Verhalten der Sowjetunion abgespielt haben.
Ähnliche bedeutsame Entwicklungen sehen wir aber auch auf der Seite der Vereinigten Staaten von Amerika. Wir haben offensichtlich eine weitgehende Änderung der früheren außenpolitischen Haltung der Regierung der Vereinigten Staaten von Amerika im Fernen Osten. Ich glaube, wir können heute diese Veränderung der außenpolitischen Haltung der amerikanischen Regierung im Fernen Osten in ihrer Bedeutung und in ihrer Auswirkung für die Europapolitik der Vereinigten Staaten noch längst nicht im vollen Umfang übersehen.
In jedem Fall bedeutet es für die außenpolitische Konzeption der amerikanischen Regierung eine entscheidende Wendung, daß der amerikanische Außenminister den Vorschlag des Pekinger Außenministers zu direkten Verhandlungen über die Formosa-Frage im Prinzip angenommen hat. Wer weiß, welche entscheidende Rolle gerade die Frage der
erkennung oder Nichtanerkennung von Rotchina, die Frage der Aufnahme der heutigen chinesischen Regierung in die Vereinten Nationen, die Frage der Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen Peking und Washington gespielt haben, der kann ermessen, daß es sich hier nicht um eine x-beliebige, leichte, taktische, für den Tag berechnete Schwenkung handelt, sondern ,daß hier eine Änderung vorliegt, die weitgehende Hintergründe und Konsequenzen hat.
Ich möchte noch hinzufügen — das ist der letzte äußere Ausdruck dieser veränderten Haltung —: In der Geschichte der letzten Jahre, ich möchte sagen: des letzten Jahres wird wahrscheinlich eine andere Entscheidung des amerikanischen Präsidenten Eisenhower eine noch größere Rolle spielen, nämlich jene Entscheidung, es in der FormosaStraße nicht durch amerikanisches Eingreifen zu einem offenen Konflikt zwischen China und Amerika kommen zu lassen. Es ist sehr wahrscheinlich, daß diese Entscheidung 'des amerikanischen Präsidenten uns alle von der außerordentlich großen Gefahr eines dritten Weltkrieges für absehbare Zeit befreit 'hat.
Meine Damen und Herren, 'das ist natürlich etwas, was wir bei unseren Überlegungen über die Hintergründe der sich jetzt anbahnenden neuen Viermächteverhandlungen sehen müssen. Ich glaube, daß auf beiden Seiten aus verschiedenen Motiven innerpolitischer und militärischer Art sich die Erkenntnis durchsetzt, daß die weitere Entwicklung der internationalen Beziehungen auf der Ebene der Machtblockpolitik und auf 'der Ebene der unbeschränkten Aufrüstung mit den modernen Massenvernichtungswaffen unweigerlich zu einem Punkt führen muß, in dem eine Katastrophe unvermeidlich ist und in dem das geschieht, wovon der Herr Bundeskanzler mit Recht hier gesprochen hat: daß in einem solchem Fall die Vernichtung aller 'das einzig Sichere einer solchen Katastrophe sein wird.
Meine Damen und Herren, wenn das richtig ist — und ich finde, es kann darüber keine Meinungsverschiedenheit im Grundsätzlichen geben —, dann ergibt sich eine Frage: ob wir ganz gewiß sind, daß unter allen Umständen die heute von uns praktizierte Außenpolitik, ,die ,die Realisierung der Pariser Verträge zum Kernstück hat und die geboren ist aus und fundiert ist auf der amerikanischen Außenpolitik vom Jahre 1950, wirklich noch so unantastbar und unveränderlich vor uns stehen kann als ein undiskutabler Faktor oder nicht.
Ich sage das nicht polemisch, sondern es geht einfach darum, idaß wir, wenn wir in diese Verhandlungssituation gehen, uns doch überlegen: Ist der Ausgangspunkt, von dem wir die deutsche Frage angreifen — und wir haben uns in erster Linie und entscheidend um diese Frage zu kümmern —, wirklich so völlig unverändert etwa gegenüber dem Ausgangspunkt der Verhandlungen, wie wir sie im Januar 1954 gehabt haben? Denn diese neue Viermächtekonferenz ist eben — ich will gar nicht über den Grad sprechen — nicht auf jeden Fall, jedenfalls nicht in entscheidender Weise das Resultat der Ratifizierung der Pariser Verträge, sondern in entscheidender Weise das Resultat einer grundlegenden Veränderung
der Vorstellungen über die möglichen Beziehungen zwischen den 'beiden Hauptgruppen in der Welt auf einer anderen Ebene als auf der Weiterentwicklung einer Machtblockpolitik, wie sie sich ja schließlich in den Verträgen auf der westlichen Seite präsentiert.
Das ist der erste entscheidende Punkt, auf den wir Wert legen und den wir bei unseren weiteren Überlegungen in Betracht ziehen müssen.
Das Zweite - in idieser Überlegung bin ich durch die Ausführungen des Herrn Bundeskanzlers noch bestärkt worden —: Es ist keineswegs sicher, daß die Viermächtekonferenz, wenn sie zustande kommt, von vornherein einen Erfolg in der 'deutschen Frage sichert. Denn die Wiedervereinigung Deutschlands ist für die anderen beteiligten Staaten nicht das erste und einzige Problem ihrer Außenpolitik. Das vordringliche Interesse ist die allgemeine 'internationale und dauerhafte Entspannung. Und hier ist unsere Meinung: So voll wir die Forderung nach einer Förderung aller Bestrebungen unterstützen, zu einer effektiven internationalen Abrüstung zu kommen, so bleibt im Hinblick auf die kommende Viermächtekonferenz die Aufgabe der Bundesregierung, gerade in diesem Zusammenhang die überragende Bedeutung der Frage der deutschen Einheit 'ins Bewußtsein der Partner zu bringen, so vordringlich, wie sie noch niemals war.
Meine Damen und Herren, wir diskutieren ja nicht im Prinzip über das Ziel: die Wiedervereinigung Deutschlands in Freiheit. Der Herr Bundeskanzler hat hier im Zusammenhang mit unserem Anspruch auf die Sowjetzone die sehr richtige Bemerkung gemacht, daß dieser Anspruch unbestreitbar ist, daß wir ihn aus menschlichen und staatsrechtlichen nationalen Gründen selbstverständlich immer von neuem erheben müssen. Aber er hat, wahrscheinlich gegründet auf seine Erfahrungen in den Verhandlungen in der Saarfrage,
hinzugefügt, daß man gewisse machtpolitische Gegebenheiten respektieren muß. Und hier ist der Punkt: Es kommt darauf ran, daß wir die Wiedervereinigung dieser beiden Teile Deutschlands in den Zusammenhang bringen mit den allgemeinen Interessen deranderen Völker und ihrer Regierungen, die zu einer internationalen Entspannung kommen wollen.
Unser menschliches Interesse, die 18 Millionen Deutschen hinter dem Eisernen Vorhang aus der Not und aus der Unfreiheit zu erlösen, steht an erster Stelle und ist unbestritten von jedermann. Unbestritten ist auch unser berechtigtes nationales Interesse, zu einer solchen Wiedervereinigung Deutschlands zu kommen und dem deutschen Volke die Möglichkeit zu geben, nach den Grundsätzen zu leben, die allen Völkern den Anspruch auf die nationale und staatliche Einheit sichern. Darüber hinaus müssen wir deutlich machen, und zwar mit allen uns zur Verfügung stehenden Argumenten und Überlegungen, daß die Frage der Wiederherstellung der Einheit Deutschlands nicht eine nationale Frage, nicht eine Frage der Menschlichkeit, sondern eine Frage der Entspannung in Europa und in der Welt ist.
Denn, meine Damen und Herren, die Vorstellung
— das gilt auch für uns hier in der Bundes-
republik —, man könne in Westeuropa in Sicherheit und Frieden leben, solange Deutschland und damit Europa gespalten sind, — diese Vorstellung ist eine gefährliche Illusion.
Es kommt deshalb darauf an, daß wir in der Debatte, die sich auf dem Hintergrund des Bestrebens nach einer internationalen Entspannung entwickelt hat, auch die übernationale Bedeutung der Wiederherstellung der deutschen Einheit zum Bewußtsein der Verhandlungsträger machen. Ich finde: hier liegt die erste Aufgabe der Bundesregierung mit dem Ziel, zu erreichen, daß die Frage der Wiederherstellung der deutschen Einheit als vordringliches und zentrales Problem behandelt wird, und zwar unter zwei Gesichtspunkten.
So vordringlich und so umfassend das Problem der allgemeinen Abrüstung ist — es wird sich auch hier um einen langwierigen Prozeß handeln, ehe wir zu einem Erfolg kommen können —, unter keinen Umständen darf die Vorrangbedeutung der Abrüstung dahin gehen, daß wir uns damit abfinden, die Diskussion über die Wiederherstellung der deutschen Einheit könne nur ein Resultat einer erfolgreichen internationalen Abrüstung sein,
sondern wir müssen auf der Linie argumentieren, daß die Wiederherstellung der deutschen Einheit eine Abmachung über internationale Abrüstung erleichtert, weil sie einen entscheidenden Gefahrenpunkt in der europäischen Politik aus der Welt schafft. Ich hätte gewünscht, daß über diesen Zusammenhang dieser beiden Lebensfragen hier etwas Klareres und Deutlicheres gesagt worden wäre.
Und nun das Zweite. Ich bin der Meinung, daß die Bundesrepublik — oder die Bundesregierung, um es konkreter zu sagen — die uns gestellte Aufgabe in der Vorbereitung der kommenden Viermächteverhandlungen nicht erfüllt, wenn wir uns darauf beschränken, festzustellen, daß ja alle Partner, sowohl der Westeuropäischen Union wie der Nordatlantikpaktorganisation, feierlich und einmütig zum Ausdruck gebracht haben, daß sie sich bei jeder möglichen Gelegenheit für die Wiederherstellung der deutschen Einheit einsetzen werden.
Meine Damen und Herren, es ist hier sehr viel von der neuerworbenen Souveränität der Bundesrepublik gesprochen worden, und der Herr Bundeskanzler hat ihr heute eine so weitgehende Auslegung gegeben, daß ich hier ausdrücklich feststellen möchte, daß ich mit dieser Auslegung der Bedeutung des Generalvertrages nun in keiner Weise übereinstimme
und daß ja wohl inzwischen auch die Bevölkerung in der Bundesrepublik erfahren hat, daß die Grenzen der sogenannten Souveränität der Bundesrepublik auch heute viel enger liegen, als es der Herr Bundeskanzler heute hier hat erkennen lassen wollen.
Aber, meine Damen und Herren, ich will das Thema nicht vertiefen. Wir werden Gelegenheit haben, bei anderen Dingen, die auch sehr interessant sind, darauf zurückzukommen, und wir können dann einiges dazu bemerken. Ich sage nur folgendes: Wenn wir diese Freiheit, wenn wir dieses weitgehende Recht der Souveränität haben, von der der Herr Bundeskanzler gesprochen hat, auch in bezug auf außenpolitische Verhandlungen, dann schließt das doch auch die Pflicht ein, in den
kommenden Verhandlungen zur Vorbereitung der
Konferenz mindestens mit den Westmächten gewisse eigene deutsche Vorstellungen zu entwickeln.
Ich verrate hier kein Geheimnis, aber ich muß sagen: Unter den Äußerungen von ausländischen Freunden des Westens, die ich im Zusammenhang mit einer Unterhaltung über die internationale Lage in den letzten Tagen gehört habe, hat mich am meisten die einfache Feststellung bedrückt, daß es doch bei der Vorbereitung dieser Viermächteverhandlungen durch die drei Westmächte nicht nur darauf ankomme, daß sich die drei Westmächte den Kopf zerbrechen, welche Lösung möglich sei, sondern daß man auch erwarten könne, daß die Bundesregierung selbst eine Art von deutschem Verhandlungsvorschlag mache.
Ich empfinde das als eine sehr berechtigte Anforderung nicht nur im Hinblick auf konkrete Vorschläge für die Verhandlungen, sondern auch für die Frage: Was können wir oder was müssen wir hier tun, um die Verhandlungsituation so leicht wie möglich zu machen, auf jeden Fall keine neuen Erschwerungen zu schaffen?
Nun, meine Damen und Herren, Sie haben unseren Antrag vorliegen. Der Herr Bundeskanzler hat gesagt: Man kann doch nicht wenige Wochen nach der Ratifizierung der Verträge hier beschließen, ihre Durchführung einzustellen; wo bleibt dann unsere Glaubwürdigkeit?
Diese Frage der Vertragstreue, die Frage unseres Verhältnisses zu den Vertragspartnern steht hier doch gar nicht zur Debatte.
— Sie steht nicht zur Debatte! Niemand denkt daran — jedenfalls haben wir es nicht verlangt —, etwas anderes vorzuschlagen, als im Augenblick der Möglichkeit aussichtsreicher neuer Viermächteverhandlungen, die ja nicht nur in der Frage der Wiedervereinigung Deutschlands, sondern auch in der ganzen europäischen Situation eine neue Lage schaffen werden, oder bis zu diesem Zeitpunkt nichts an der Realisierung der militärischen Fakten dieser Verträge zu tun,
was in der gegenwärtigen Situation eine Erschwerung der Verhandlungslage bedeuten wird.
Denn, meine Damen und Herren, Sie können doch auf keinen Fall bei aller Ihrer Vorstellung von der Wunderwirkung der Pariser Verträge annehmen, daß die Sowjetunion bei Viermächteverhandlungen leichter bereit wird, sich über die deutsche Wiedervereinigung zu unterhalten, wenn sie feststellt. daß wir hier gar nichts anderes tun können, als die Realisierung gerade des militärischen Teils der Verträge zu forcieren.
Wenn ich hinzunehme, was der Herr Bundeskanzler über die militärische Bedeutung der 12 Divisionen gesagt hat,
wo bleibt dann der praktisch-politische Nutzen oder, wenn Sie wollen, der militärische Nutzen einer forcierten Aktion der Realisierung der Ver-
träge im nächsten halben Jahr angesichts der viel größeren Frage, ob diese Konferenz durch ein Stillhalten in der Bundesrepublik vielleicht ein Jota von größerer Chance nicht nur in der deutschen Frage, sondern auch in der Frage der internationalen Entspannung bekommt?!
Verstehen Sie doch, daß es hier nicht darum geht, die alten Gegensätze über die Zweckmäßigkeit, über den politischen Wert dieser Verträge in diesem Augenblick zu schüren, sondern wir bitten einfach darum, sich zu überlegen, ob nicht in der heute gegebenen veränderten Situation in dieser Richtung ein solcher Schritt ein positiver Beitrag der Bundesrepublik zur Wiederherstellung der deutschen Einheit sein kann.
Da niemand widerspricht, wenn wir — wann immer — die Frage hier aufgeworfen haben, daß für uns die Wiederherstellung der deutschen Einheit die vordringlichste Aufgabe ist, muß aus solchen feierlichen Bekenntnissen in einer solchen ernsten Situation auch eine praktische Konsequenz gezogen werden;
denn wir glauben, daß hier, wenn Sie wollen, ohne irgendeinen entscheidenden Verlust für die Position, die Sie sehen, ein solcher Schritt unternommen werden könnte. Wir würden es außerordentlich bedauern, wenn sich die Mehrheit dieses Hauses dem Rat des Herrn Bundeskanzlers anschlösse und den Vorschlag in unserem Antrag einfach ablehnte.
— Ich spreche über die heutige Situation. Wenn wir alle alten Reden wieder aufbringen wollen, dann kommen wir damit nicht zu Ende. Das hat der Herr Bundeskanzler auch schon festgestellt.
Nun gibt es einen anderen Punkt, der nicht weniger wichtig, vielleicht der entscheidende ist: Mit welcher Verhandlungsposition, nicht im Speziellen, sondern im Grundsätzlichen, wollen denn die Westmächte und wollen wir, soweit die Bundesregierung an den Vorbesprechungen beteiligt ist, in die Viermächteverhandlungen über die deutsche Wiedervereinigung gehen? Der Herr Bundeskanzler hat heute erkennen lassen — was ich sehr begrüße —, daß auch er der Meinung ist, daß wir die neuen Viermächteverhandlungen nicht wieder auf der Ebene der Verhandlungsrichtlinien der Westmächte in Berlin 1954 beginnen können, daß nämlich die Frage der Wiederherstellung der deutschen Einheit nur zu behandeln ist unter dem Gesichtspunkt: Sind die Sowjets als vierte Besatzungsmacht bereit, solche freien Wahlen als Grundlage für die Wiederherstellung der deutschen Einheit zu akzeptieren oder nicht? Viele Gründe, die in der internationalen Situation gelegen haben, mögen zum Scheitern der Berliner Konferenz in der deutschen Frage geführt haben. Der entscheidende Grund war, daß sich herausgestellt hat: ein erfolgversprechendes Gespräch der Vier über die Wiedervereinigung ist nur möglich, wenn alle vier bereit sind, die Wiederherstellung der Einheit durch freie Wahlen und die Frage des internationalen Status eines wiedervereinigten Deutschlands als einen gemeinsamen Problemkomplex zu behandeln. Jeder andere Versuch wird diese Konferenz in eine Sackgasse führen müssen.
Wenn ich die Äußerungen der Bundesregierung und die allgemeine Tendenz der Ausführungen des Herrn Bundeskanzlers richtig verstanden habe, so ist seine Meinung, daß man natürlich über den zukünftigen Status eines wiedervereinigten Deutschlands in Zukunft reden müsse, aber zunächst müsse es dabei bleiben, daß auf der Basis: freie Wahlen als Grundlage der Wiedervereinigung verhandelt werde; die Mitgliedschaft der Bundesrepublik in der NATO stehe nicht zur Diskussion. In der gegenwärtigen internationalen Lage eine Politik zu betreiben mit der Vorstellung von freien Wahlen und ohne Bereitschaft, auch über den internationalen Status zu verhandeln, in Viermächteverhandlungen zu gehen mit der Vorstellung, es wäre eine Viermächtevereinbarung möglich, die die Mitgliedschaft der Bundesrepublik in der NATO unantastbar läßt — eine solche Koppelung: freie Wahlen unter Aufrechterhaltung der Mitgliedschaft der Bundesrepublik in NATO, meine Damen und Herren, ist praktisch, ob gewollt oder nicht gewollt, ein politisches Programm gegen die Realisierung der Wiedervereinigung;
— Herr Kollege von Brentano, Sie haben Zweifel? Aber ich möchte sehr gern von der Seite der Koalition und, wenn möglich, von der Regierung hören, wie sie sich eine Viermächtevereinbarung über die Wiederherstellung der deutschen Einheit vorstellt, wenn sie davon ausgeht, daß die Frage der Mitgliedschaft der Bundesrepublik in der NATO nicht diskutiert werden kann. Meine Damen und Herren, man spricht jetzt in amtlichen oder halbamtlichen Diskussionen — das ist nicht immer ganz klar — mit solcher Vehemenz von der Entscheidungsfreiheit der gesamtdeutschen Regierung.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Bitte!
Herr Abgeordneter von Merkatz!
Herr Kollege Ollenhauer, gestatten Sie mir die Frage: Der Status Deutschlands, ganz Deutschlands, dürfte doch wohl Gegenstand der Verhandlung einer gesamtdeutschen Regierung im Rahmen eines Friedensvertrags sein. Oder sind Sie anderer Ansicht?
Ja, selbstverständlich, Herr von Merkatz; aber die Sache ist ja. so: Sie kommen ja nicht zu einer gesamtdeutschen Regierung auf der Basis freier Wahlen, wenn Sie nicht vorher bereit sind, unter den Vier Mächten eine Diskussion zu haben über den internationalen Status des wiedervereinigten Deutschlands.
Die Vorstellung — ich wollte das noch sagen, Herr von Merkatz —, die Vorstellung, man könnte eine Übereinstimmung über die Wiedervereinigung über freie Wahlen herbeiführen, und der internationale Status eines wiedervereinigten Deutschlands bleibt ein Vakuum, diese Vorstellung ist absolut irreal!
Sie werden dafür niemals — ich sage: niemals! —
die Zustimmung der Sowjetunion, Sie werden da-
für auch nicht die Zustimmung der Westmächte bekommen, die in dieser Frage ja ebenfalls wissen wollen, wie i h r Sicherheitsbedürfnis gegenüber einem wiedervereinigten Deutschland befriedigt werden kann.
— Bitte, ja; es wird mich freuen! — Das ist also die Frage, und unsere Meinung ist: die Bundesregierung sollte in ihren Vorschlägen für eine solche Wiedervereinigung Deutschlands als deutschen Verhandlungsbeitrag positiv die Linie vertreten, daß die jetzige vertragliche Bindung der Bundesrepublik im Rahmen der Pariser Verträge auch Gegenstand der Diskussion sein muß und sein kann, wenn es darauf ankommt, eine Vereinbarung über den zukünftigen internationalen Status des wiedervereinigten Deutschlands herbeizuführen.
— Ich glaube, ja! Herr Dr. Krone, ich finde, unsere Position ist die: jede denkbare, mit der Sicherheit des deutschen Volkes als Ganzen und mit der Sicherheit der freien Völker vereinbare Lösung des Status zu suchen, die sowohl vom Westen wie vom Osten akzeptiert werden kann.
— Ich habe gesagt: vom Standpunkt des deutschen Volkes, selbstverständlich! Diese Lösung ist de facto in der gegenwärtigen Situation in dem Verhältnis der West- und Ostblockbindungen nicht zu haben!
Die Gefahr — und das ist etwas, was wir in dieser Diskussion auch mit Nachdruck sagen möchten —, die wir sehen, ist, daß man im Laufe der Verhandlungen der Vier Mächte angesichts ihres Bestrebens, zu einer wirklichen umfassenden internationalen Entspannung zu kommen, diese Konferenz mit einem positiven Resultat in dieser Frage enden zu lassen, andere Lösungen als die jetzt in den Pariser Verträgen gegebenen diskutiert und daß die deutsche Bundesregierung dadurch, daß sie einseitig nur an dem Status quo dieser Verträge festhält ohne Bereitschaft zur Diskussion über andere Möglichkeiten, sich aus solchen denkbaren Entwicklungen ausschaltet. Das ist eine Überlegung, die wir in Europa angesichts der internationalen Entwicklung sehr ernst im Auge behalten sollten.
Was uns schließlich veranlaßt, mit unserem Antrag und mit unseren Reden hier so zu drängen, daß die Regierung mit konkreten Vorstellungen in der Richtung aktiv wird, wie ich sie aufgezeigt habe, ist doch folgendes. Es gibt selbstverständlich die Vereinbarungen in der Londoner Schlußakte, in dem Vertrag der Westeuropäischen 'Union, in der Deklaration der Mächte der NATO über ihre Bereitwilligkeit und Entschlossenheit, sich für die deutsche Wiedervereinigung einzusetzen; einverstanden. Aber wenn wir im Laufe einer internationalen Diskussion — in der ja das deutsche Problem nicht das Problem ist, das viele andere so überragend bewegt wie uns, was ganz natürlich ist; wir wollen ja nicht vergessen, daß wir hier als Deutsche nicht im Mittelpunkt der Weltgeschichte stehen —, falls sich die Verhandlungen über eine Lösung der deutschen Frage schwierig gestalten, vor eine Entwicklung kommen, bei der man um den Preis einer Verständigung in Fragen der allgemeinen Entspannung die deutsche Frage, wie man so schön sagt, „zunächst mal ausklammert", so würde das eine Entwicklung bedeuten, die für die Aussichten einer Wiedervereinigung Deutschlands in absehbarer Zeit geradezu verhängnisvoll sein müßte.
Deshalb: wenn wir helfen können, daß sich die Diskussion nicht festfrißt aus der Argumentation der beiden Blöcke, wenn wir eine eigene Vorstellung in der Richtung, wie wir sie bezeichnet haben — Bildung eines regionalen kollektiven Sicherheitssystems —, entwickeln, haben wir vielleicht doch einen größeren Beitrag zu dieser möglichen Lösung geleistet, als wenn wir nur auf der Ebene des Status quo der Pariser Verträge und unserer Eingliederung denken.
Die Sozialdemokratische Partei hat sich diese Sache gar nicht leicht gemacht. Ich muß nur sagen, leider haben mich die heutigen Bemerkungen des Herrn Bundeskanzlers davon überzeugt, daß unsere Anstrengungen, einen Beitrag in dieser Frage zu leisten, jedenfalls bei ihm keine Resonanz gefunden haben.
Es tut mir leid, Herr Bundeskanzler, das sagen zu müssen. Aber ich habe den Eindruck gewonnen, daß Sie in dieser kurzen Zwischenperiode Ihrer Rede, in der Sie sich mit Herbert Wehners Bemerkungen über ein kollektives Sicherheitssystem in Europa auseinandergesetzt haben, völlig bar jeder Information über die Gedanken waren, die ich Ihnen vor drei Wochen im Auftrage der zweitgrößten Fraktion dieses Hauses mit allem Ernst übergeben habe.
Meine Damen und Herren, es tut mir schrecklich leid, wirklich, ich hätte gewünscht, diese Bemerkung nicht machen zu müssen. Aber angesichts der Unmöglichkeit, auch bei der größten sachlichen Anstrengung der Opposition hier ein Gespräch auf der Grundlage mindestens der Information über die Standpunkte der beiden Teile zu bekommen, mußte ich sie machen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ihre Frage ist nur verständlich, wenn Sie sich auch nicht an das Geringste dessen erinnern, was die Sozialdemokratie in bezug auf ein europäisches kollektives Sicherheitssystem seit Jahr und Tag in Klarheit und Konkretheit hier gesagt hat.
Meine Damen und Herren, Sie haben damals gesagt — es war Ihr gutes Recht —: Ihr seid Illusionäre, es gibt keine solche Möglichkeit. — Bitte, wir sind in dieser Auseinandersetzung bei den praktischen Entscheidungen unterlegen. Aber wollen Sie bestreiten, daß heute der Gedanke, die Blockbildung in Europa abzubauen und zu einem System der kollektiven Sicherheit in Europa auf der Basis der Satzung der Vereinten Nationen zu kommen, ein viel größeres Gewicht hat als jemals zuvor?
Meine Damen und Herren, wann sind Sie endlich bereit, für sich selber wenigstens zu überlegen, ob es hier nicht eine andere Möglichkeit gibt, zwei Dinge zu erreichen, die, wie ich immer noch glaube,
zu erreichen sind — und das ist im Grunde die Basis unseres Kampfes —: erstens die Einheit Deutschlands in Freiheit und zweitens die Eingliederung Deutschlands, des wiedervereinigten Deutschlands,
in ein System kollektiver Sicherheit, das dem wiedervereinigten deutschen Volk die größtmögliche Sicherheit gibt — selbstverständlich —,
das auf der anderen Seite aber auch — und das ist doch das Problem, das mit derselben Schwere auf uns lastet — alle Nachbarvölker in ihrem Sicherheitsbedürfnis, auch in ihrem Sicherheitsbedürfnis gegenüber bestimmten nationalistischen und militaristischen Tendenzen in einem wiedervereinigten Deutschland befriedigt?
Wollen Sie angesichts der Entwicklung der Dinge bestreiten, daß es hier auch ein von den demokratischen Kräften Deutschlands anzuerkennendes echtes Bedürfnis gibt und daß wir große Anstrengungen machen müssen, wenn wir nicht dahin kommen wollen, daß solche Befürchtungen eine reale Grundlage bekommen? Meine Damen und Herren, das ist unser Anliegen — wie man es heute zu nennen pflegt —: dahin zu kommen, daß im Hinblick auf diese Viermächteverhandlungen, die sicher zustande kommen werden, bei denen aber die Deutschlandfrage in einem ganz anderen Zusammenhang und auf einem größeren Hintergrund erscheint, dennoch von der deutschen Seite, und das heißt in diesem Falle von der Regierung der Bundesrepublik, bei den drei Westmächten schon in den Vorbereitungen darauf hingewiesen wird, daß hier die deutsche Bundesrepublik bereit ist, für die Lösung des Problems Freiheit und Sicherheit für das deutsche Volk und Sicherheit für alle europäischen Völker, für die Lösung dieses entscheidenden Problems, das als ein Ganzes gesehen werden muß, auch konkrete Vorschläge zu machen.
Das Wort hat der Herr Bundeskanzler.
Herr Präsident! Meine Damen und meine Herren! Ich möchte gegenüber den Ausführungen des Herrn Kollegen Ollenhauer einige Feststellungen machen.
Herr Kollege Ollenhauer hat geglaubt, sagen zu müssen, daß ich den Inhalt der schriftlichen Erklärung völlig vergessen hätte. Ich habe sie nicht vergessen, und ich würdige sie auch als eine Erklärung der zweitgrößten Fraktion dieses Hauses. Aber, Herr Kollege Ollenhauer, ich habe nur davon gesprochen, was Herr Kollege Wehner ausgesprochen hat. Ich habe hier meine Notizen, die ich mir gemacht habe, während er gesprochen hat. Er hat von einem „regionalen Sicherheitssystem" gesprochen, und da ist mir doch wohl erlaubt, die Frage zu stellen, ob in einem regionalen Sicherheitssystem auch die Vereinigten Staaten nach der Auffassung des Herrn Kollegen Wehner, nicht nach Ihrer Auffassung, mit eingeschlossen sind.
— Herr Arndt, verlieren Sie nicht die Geduld; ich ( verliere sie mit Ihnen auch nicht.
Zweitens: Bisher haben wir — soviel ich weiß, einschließlich der sozialdemokratischen Fraktion — auf dem Standpunkt gestanden und den Standpunkt wiederholt durch Beschluß bekräftigt, daß die aus freien Wahlen zustande kommende gesamtdeutsche Regierung allein das Recht habe, zu entscheiden, was das wiedervereinigte Deutschland tun soll.
Auf diesen Standpunkt, Herr Kollege Ollenhauer, habe ich mich auch gegenüber den drei Westmächten gestellt.
Wenn jetzt auf einmal ein vollkommener Wechsel in der Situation stattfindet, wenn jetzt für die Bundesrepublik Deutschland, für ihren Bundestag, für ihre Bundesregierung in Anspruch genommen werden soll, zu bestimmen, welchen Status das wiedervereinigte Deutschland haben soll, dann wäre das eine vollkommene Abkehr von der bisherigen Linie.
Drittens: Ich habe niemals davon gesprochen oder auch nur daran gedacht, daß man etwa bei der Viermächtekonferenz die Frage der Wiedervereinigung Deutschlands „ausklammern" sollte. Im Gegenteil, wenn Sie meine Worte nachlesen, werden Sie finden, daß ich gesagt habe, daß gerade diese Frage eine wichtige, wenn nicht die wichtigste Frage für die Wiederherstellung des Friedens in Europa und in der Welt sei.
Das Wort hat der Abgeordnete Kiesinger.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Herr Bundeskanzler hat in seiner Rede mit besonderer Eindringlichkeit, ja mit beschwörender Kraft das Thema des Friedens und der internationalen Entspannung angesprochen. Wenn es einen Beweis dafür gibt, daß die Bundesrepublik ihre Souveränität wiedererhalten hat und daß sie als ein wesentlicher Faktor der internationalen Politik auf die Szene getreten ist, dann waren es diese Erklärungen des Bundeskanzlers. Es steht dem verantwortlichen Leiter der deutschen Außenpolitik wohl an, nachdem wir die Souveränität erlangt haben und am Beginn einer gemeinsamen Verteidigungsanstrengung mit der westlichen Welt, diesen beschwörenden Appell an die Welt und an die Adresse der Vereinigten Staaten zu richten, um zu zeigen, wohin die deutsche Außenpolitik wirklich will.
Dafür schulden wir ihm Dank, und er hat dabei unsere leidenschaftliche Zustimmung.
— Nicht nur meine persönliche, verehrter Herr
Zwischenrufer, sondern die leidenschaftliche Zustimmung, hoffe ich, dieses ganzen Hauses, aber
darüber hinaus ganz bestimmt des deutschen Volkes, das im übrigen in der letzten Zeit wieder sehr klar zum Ausdruck gebracht hat, zu welchem politischen Kurs es sich bekennt.
Wenn wir das Problem des Friedens und der internationalen Entspannung an die Spitze unserer Betrachtungen stellen, dann kommt uns allerdings mitunter das Gefühl an, daß wir uns in einem Teufelszirkel bewegen, den man nur schwer durchbrechen kann. Entspannung durch Abrüstung
— jawohl; aber Abrüstung setzt auch schon ein gewisses Maß an Entspannung voraus. Vorhin hat ein Zwischenrufer gesagt: „Zu Hause anfangen!" Ich hatte in der letzten Zeit den Eindruck bekommen, daß—Konzeption hin, Konzeption her —auch die Sozialdemokratische Partei sich bewußt ist, daß im Rahmen der kommenden Entwicklung nur ein entschiedener deutscher Defensiv- und Wehrwille helfen könnte.
Wir müssen uns, wenn wir diese Fragen: Abrüstung durch Entspannung, Entspannung durch Abrüstung, ins Auge fassen, noch einmal kurz daran erinnern, wodurch denn die Weltsituation, über die Herr 011enhauer sich so breit ausgelassen hat, entstanden ist. Die Situation des Kalten Krieges ist entstanden durch drei Dinge und nur durch sie: Erstens durch die Tatsache einer aggressiven Ideologie der Weltrevolution in der Sowjetunion, zweitens durch die sowjetische Aufrüstung nach 1945 und drittens durch die aggressive Expansion Sowjetrußlands nach diesem Kriege, bis tief nach Mitteleuropa hinein.
Das war die Politik seit 1945.
— Wollen Sie, Herr Wehner, bestreiten, daß nach dem Jahre — —
— Mein Weltgemälde werde ich Ihnen gleich noch deutlicher machen. Wollen Sie bestreiten, daß im Jahre 1945 die gesamte westliche Welt abgerüstet hat? Wollen Sie bestreiten, daß die westliche Welt im Gefolge von Jalta und Potsdam daran geglaubt hat, man könne dem Wort Sowjetrußlands vertrauen, daß die amerikanischen Mütter ihre Söhne nach Hause gefordert haben und daß es lediglich die aggressive Politik Sowjetrußlands gewesen ist, die den Zustand geschaffen hat, über den sich Sowjetrußland heute beklagt?
Wenn es wahr ist, daß die Crux der heutigen Lage das Vorhandensein amerikanischer Stützpunkte auch auf dem europäischen Kontinent ist, dann haben die Russen doch die Tatsache des Vorhandenseins dieser Stützpunkte sich selbst und ihrer Politik seit 1945 zuzuschreiben.
Im Jahre 1945 lag Hitler-Deutschland am Boden; Rußland hatte keinen Anlaß, sich gegen eine „aggressive kapitalistische Welt" zur Wehr zu setzen. Rußland hatte damals einzig und allein den Wunsch, im östlichen Europa, hineinfassend ins Herz Westeuropas, sich ein Glacis, eine Machtposition aufzubauen, entgegen den feierlichen Verspregungen, die es in Jalta und Potsdam den westlichen Alliierten abgegeben hat.
Aber ich verkenne durchaus nicht — Herr Wehner, ich habe Ihnen nur so geantwortet, weil Sie mir mit einer jener so beliebten Simplifikationen entgegentraten —, daß Rußland Gründe haben kann, mit Sorge an eine deutsche Wiederaufrüstung zu denken und dazu an eine im Rahmen der westlichen Welt. Aber man muß immer wieder eine betrübliche Feststellung machen. Man spricht vom sowjetrussischen Sicherheitsbedürfnis in Rückerinnerung an den Angriff Hitlers. Wann endlich wird man mit vollem Ernst von unserem eigenen Sicherheitsbedürfnis gegenüber Sowjetrußland reden?
— Ja,
und zwar werde ich genau darauf zu sprechen kommen.
— Lassen Sie mich einmal den Gedanken zu Ende führen, Herr Wehner. Die westliche Welt hat auf Sowjetrußlands Expansionspolitik mit ohnmächtigen Protesten geantwortet. Sie konnte nicht anders; denn sie hatte ja abgerüstet.
Nur ein Beispiel: Bei den sogenannten Friedensverträgen mit Ungarn, Rumänien, Bulgarien hatte die westliche Welt gefordert, daß wenigstens die Garantie der Menschenrechte und der demokratischen Freiheiten aufgenommen würde. Das ist geschehen. Dazu war Sowjetrußland bereit. Warum auch nicht?! Es kostete ja nichts. Und als es dann gebrochen wurde, dieses erneute feierliche Versprechen, stand Sowjetrußland und diesen überwältigten Nationen wiederum eine ohnmächtige freie Welt gegenüber.
Wir wissen doch, wodurch diese Expansionsbewegung Sowjetrußlands gestoppt worden ist. Doch nicht durch den guten Willen Moskaus! Erst seit Berlin, seit Griechenland, seit Korea, seitdem sich die westliche Welt zu einem Verteidigungsverband organisiert hat, ist diese Expansion zum Stillstand gekommen.
Sowjetrußland muß sich über sich selber beklagen, daß es mit neuen Parolen, mit freundlicheren Tönen in der westlichen Welt auf ein tiefes, kaum zu überwindendes Mißtrauen stößt. Sowjetrußland hat das Vertrauen der westlichen Welt darauf, daß man mit ihm leben, daß man sich auf sein Wort verlassen könne, durch seine Politik der Gewalt verspielt. Und nun handelt es sich darum, trotzdem mit ihm zu verhandeln.
Ich habe eben gefragt: Wann wird man ernsthaft von unserem eigenen Sicherheitsbedürfnis reden? Ernsthaft, Herr Kollege Wehner!
Sicherheit — das wurde bei einer der letzten Debatten gesagt — sei für uns gegeben — und Herr Kollege Ollenhauer hat es heute wiederholt —, wenn wir in ein System kollektiver Sicherheit mit Rußland hineingingen. Wollen Sie denn wirklich unsere Sicherheit erneut nur Verträgen, Pakten, Dokumenten anvertrauen, ohne jene realen Siche-
rungen geschaffen zu haben, die allein die Grundlage eines solchen Paktsystems sein können?
Sie tadeln die westliche Welt wegen ihrer Politik der Stärke und Sie fragen, ob diese Politik heute noch das Richtige sei, ob sich die internationale Situation nicht gewandelt habe. Nun, meine Damen und Herren, wollen Sie bestreiten, daß die heutige Situation nur erreicht worden ist, weil die westliche Welt in all diesen Jahren durch eine Politik der Festigkeit, der Einigkeit und, jawohl, der Stärke Sowjetrußland davon überzeugt hat, daß es mit den Mitteln schierer Gewalt nicht weiterkommt?
Sie sprechen davon, daß die Dinge in der Welt in Fluß geraten seien, Herr Ollenhauer. Sie haben den österreichischen Staatsvertrag erwähnt, die Warschauer Konferenz, was sich in Belgrad ereignet, die neuesten Abrüstungsvorschläge der Sowjetunion und das Angebot Chinas an die Vereinigten Staaten von Nordamerika zu direkten Verhandlungen in der Formosa-Frage. Welches sind denn die Gründe dafür, daß die Dinge in Fluß geraten sind? Betrachten wir es doch sine ira et studio!
Der österreichische Staatsvertrag: Zehn Jahre lang hat es gedauert, bis es zu dieser Lösung kam. Zehn Jahre lang hat sich Sowjetrußland geweigert, diesen Staatsvertrag abzuschließen, und Sie erinnern sich noch alle, wie die Dinge auf der Berliner Konferenz standen, wo Molotow trotz der westlichen Zugeständnisse nicht bereit war, diesen Staatsvertrag abzuschließen. Dann auf einmal, von einem Tag zum anderen — das ist ja sehr kennzeichnend für die sowjetrussische Politik —, ging es doch. Und warum? Als die österreichischen Unterhändler aus Moskau zurückkamen, da haben sie von Ihrer Seite großes Lob empfangen. Aber sie haben dieses Lob sehr rasch zurückgewiesen, wie auch Sie gelesen haben. Ich möchte Sie daran erinnern, daß es gerade das Zentralorgan der österreichischen Sozialdemokraten, die „Wiener Arbeiterzeitung", gesagt hat: Hätten wir diesen Vertrag früher bekommen können? Nein! Wir haben ihn nur erreicht, weil und seitdem die Pariser Verträge ratifiziert worden sind.
— Ich rede dazu!
Belgrad! Wodurch hat Tito seine Politik — wie immer sie sich in der Zukunft gestalten möge, er wird nie wieder ein Satellit werden; das scheint mir sicher zu sein - betreiben können? Doch nur deswegen, weil er, gestützt auf die mögliche Hilfe der freien Welt, eine Politik der Festigkeit und der Stärke gegenüber Sowjetrußland getrieben hat.
Wenn die sowjetrussische Delegation nunmehr nach Belgrad geht, dann tut sie das nicht, weil dort ein de- und wehmütiger künftiger Satellit, sondern ein Mann sitzt, der weiß, worauf es in den
— Das ist eine andere Frage, Herr Mommer. Aber mit Sicherheit deswegen, weil Tito auf den Schutz der freien Welt rechnen konnte; denn was er gewagt hat — das werden Sie mir zugestehen —, hätte man in Warschau, in Prag, in Budapest und in Bukarest nicht wagen können, weil dort die Hilfe fern gewesen wäre.
Nun hat Herr Ollenhauer die Forderung aufgestellt: Entspannung durch Wiedervereinigung! Darin ist sicherlich ein richtiger Kern. Aber ebenso richtig ist die andere Formel — und darauf kam es dem Bundeskanzler in seinen Ausführungen wesentlich an —, die lautet: Wiedervereinigung durch Entspannung! Wir hören immer wieder von Ihnen, man müsse sich aus den beiden Blöcken heraushalten, man müsse sich einem Paktsystem anvertrauen. Meine Damen und Herren, bringt das Entspannung? Schafft das die Voraussetzungen für eine echte Lösung der deutschen Frage?
Herr Wehner, Sie haben in Ihren Ausführungen immer nur von der Wiedervereinigung geredet. Wir haben uns seit Jahr und Tag in diesem Hause darauf geeinigt, daß wir eine Wiedervereinigung in Frieden und Freiheit wollen.
Herr Wehner, diese Formel enthält drei Forderungen. Vielleicht lassen Sie mich nun auch einmal
ruhig aussprechen, wie ich es bei Ihnen getan habe.
Drei Forderungen enthält diese Formel: die Wiedervereinigung, aber nur in Frieden und in Freiheit. Sie scheinen zu denken, Wiedervereinigung in Frieden bedeute lediglich die Anwendung friedlicher Methoden bei ihrer Durchsetzung. O nein, es bedeutet sehr viel mehr! Es bedeutet, daß sich eine wirkliche Entspannung in der Welt anbahnen muß, damit die Wiedervereinigung gelingen kann, und es bedeutet weiter, daß die Wiedervereinigung so geschehen muß, daß auch sie sich eingliedert in alle Anstrengungen, die dem dauernden Frieden auf dieser Welt dienen.
Das ist ein sehr viel größeres Programm. Sie meinen, Wiedervereinigung in Freiheit bedeute nur, daß dem deutschen Volke freie Wahlen zugesichert werden. O nein! Sie bedeutet, daß das deutsche Volk freie Wahl seines Standortes hat. Dazu haben wir uns noch in unserer letzten Entschließung zusammengefunden, als wir eine in ihren Entscheidungen freie gesamtdeutsche Regierung forderten. Und auch das ist noch nicht Freiheit. Freiheit des Standortes ist nur dem gegeben, der über die notwendigen Schutz- und Verteidigungsmittel verfügt, wenn ihm ein anderer diese Freiheit des Standortes bestreiten will.
Daher bedeutet Wiedervereinigung in Freiheit eben, daß im Zusammenhang mit ihr jene Realitäten, jene Verteidigungsgarantien, die nicht nur Pakte sind, geschaffen werden müssen, auf denen erst ein kollektives Sicherheitssystem aufgebaut werden kann, das dann nicht in der Luft hängt, sondern auf festem Grunde steht.
Hierin eben — sagen wir es doch ganz klar — unterscheiden wir uns. Das ist doch des Pudels
Kern. Sooft in diesem Hause in der letzten Zeit
über Sicherheit geredet worden ist, ist uns von
Ihrer Seite immer wieder gesagt worden, diese
Sicherheit bestehe darin, daß man durch ein System
kollektiver Sicherheit im Rahmen der Vereinten
Nationen einen Zustand der Entspannung schaffe,
bei dem es dann wahrscheinlich keinen Konflikt
mehr gebe. Aber das ist doch ein Zurückgehen zu
jenen unseligen Erfahrungen meinetwegen von
München, aber auch von Jalta und von Potsdam.
— Verehrter Herr Ollenhauer, ich finde gar nicht,
daß das übermäßig interessant ist. Es ist eine Banalität, denn wir wissen doch alle — und ich wünschte, Sie würden den Ernst dieses Gedankenganges anerkennen —, daß Sicherheit in dieser Welt wahrhaftig nicht nur eine Angelegenheit von Verträgen sein kann.
— Wir haben Verträge geschlossen, Herr Kollege Schmid, um sie zu verwirklichen; wir haben sie geschlossen, um jenen Verteidigungszustand zu schaffen.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Frage?
Bitte sehr!
Herr Abgeordneter Schmid!
Glauben Sie, daß man einen Vertrag über kollektive Sicherheit abschließen würde, um ihn nicht zu verwirklichen?
Verehrter Herr Kollege Schmid, diese Frage ist nun wirklich etwas primitiv. Wenn ich einen Vertrag zu gemeinsamer Sicherung abschließe, der zur Folge hat, daß Verteidigungsstreitkräfte aufgestellt werden, dann bedeutet die Verwirklichung dieses Vertrages die Schaffung jener Realitäten, von denen ich gesprochen habe und auf denen allein sich ein Sicherheitssystem aufbauen läßt. Wenn ich einen Pakt über kollektive Sicherheit abschließe und Sie sagen mir nicht zugleich, welche harten Tatsachen Sie im Zusammenhang damit schaffen wollen, die vor einem wortbrüchigen Angreifer wirksam schützen, dann können wir unsere Diskussion nicht fruchtbar weiterführen.
Eine Zusatzfrage! Herr Kiesinger, ich habe so primitiv gefragt, weil ich im Anschluß an Ihre letzte Bemerkung gefragt habe.
Aber ich möchte weiter fragen: Ist Ihnen denn nicht bekannt, daß in dem System kollektiver Sicherheit die einzelnen Vertragspartner sich zu effektiven militärischen Leistungen verpflichten und daß darin Verfahren dafür vereinbart werden, die im Falle eines Angriffs die Aktion aller gegen den Angreifer auslösen? Der Unterschied gegenüber Ihrem Blocksystem ist, daß hier eine Auflösung der Blöcke vorausgegangen ist und
nicht von vornherein die Freund-Feind-Position verewigt wird!
Herr Kollege Schmid, warum gehen wir denn immer wieder wie die Katze um den heißen Brei herum? ! Natürlich ist mir bekannt, daß ein solches System kollektiver Sicherheit Sanktionen einschließt. Es kommt aber nach den Erfahrungen, die wir mit der Sowjetunion in dem letzten Jahrzehnt und schon früher gemacht haben, darauf an, eine solche Verteidigungsrealität zu schaffen, daß die Sanktionen im Falle einer Aggression eines Mitgliedes dieses kollektiven Sicherheitssystems nicht erst dann einsetzen, wenn es zu spät ist.
Eine weitere Zusatzfrage! Ist Ihnen nicht bekannt, wie sich einige unserer heutigen Vertragspartner ihren früheren Vertragspartnern gegenüber in einer solchen Situation — „München" — verhalten haben?
Gerade weil München ein abschreckendes Beispiel ist, wollen wir es anders haben.
Herr Abgeordneter Schmid, eine dritte Zusatzfrage kann ich nicht mehr zulassen.
Wir müssen also ganz klar den Unterschied unserer Auffassungen herausarbeiten, damit endlich das deutsche Volk sieht, worauf es wirklich ankommt.
Warum lassen Sie sich denn das nicht sagen? Warum sind Sie so schrecklich empfindlich? Sofort wird aufbegehrt, sofort wird der Redner durch hysterische Zwischenrufe unterbrochen. Wir haben Sie ruhig angehört. Auch Sie haben leidenschaftlich gesprochen, Sie haben Ihre Überzeugung dargelegt. Woher kommt es denn, daß Sie jedesmal, wenn einer von uns spricht, auf solche Weise aufbegehren?
Sie, Herr Ollenhauer, sehen — ich glaube, ehrlich; bitte, gestehen Sie dasselbe uns zu — in einem System der kollektiven Sicherheit, das mit Sanktionen ausgestattet ist, eine genügende Sicherung unserer Freiheit. Es bedarf wirklich nicht vieler Phantasie, sich vorzustellen, was passieren könnte, wenn der Zustand Westeuropas so bliebe, wie er jetzt ist, oder so würde, wie Sie es sich vorstellen. In einem solchen Falle würde die Versuchung für jemanden, der seine Politik ausschließlich nach einer immanenten aggressiven Ideologie und nach einem rein machtpolitischen Interesse ausrichtet, allzu groß sein, im gegebenen Augenblick eine Situation auszunützen, die es ihm erlaubte, einen Konflikt zu beginnen, der lokal und zeitlich und dem Waffeneinsatz nach beschränkt werden könnte und bei dem die Sanktionen höchstens zu einer späten, späten Wiederbefreiung führen könnten. Um diese Gefahr von uns fernzuhalten, deswegen unsere Konzeption!
Herr Kollege Wehner hat gesagt, auch nach seiner Vorstellung würde es „keine Lämmerweide" geben. Ich war froh, das zu hören. Aber es genügt mir wahrhaftig nicht; denn, Herr Kollege Lemmer — Verzeihung, Herr Kollege Wehner, — —
Herr Kollege Wehner, Sie haben gesagt, es würde
keine Lämmer weide sein, mit ä geschrieben!
— Ich hoffe, daß es eines Tages in Berlin zu einer Lemmer weide kommt, nämlich dann, wenn Berlin wieder eines freien geeinten deutschen Vaterlandes Hauptstadt sein wird. Dann werden wir, lieber Freund Lemmer, auf dieser Lemmerweide zusammen feiern.
Aber nun zurück zur Lämmerweide! Herr Kollege Wehner, ich habe Angst, daß es in Ihrer neuen Welt Wölfe im Wolfspelz und Wölfe im Schafspelz gäbe,
daß wir aber als die Schafe im Schafspelz übrigblieben.
— Herr Kollege Schmid, ich weiß nicht, was Sie zu dieser Meinungsäußerung berechtigt; aber ganz sicher stimme ich mit Ihnen darin überein, daß die Pariser Verträge sich nicht in dem Bild der Schafe im Schafspelz darstellen lassen. Darauf läuft schon eher Ihr kollektives Sicherheitssystem hinaus. Wenn Sowjetrußland wirklich will, daß es zu einer annehmbaren Lösung auch seiner Probleme kommt — und der Herr Bundeskanzler hat ja in seiner Rede angedeutet, daß er sich durchaus bewußt ist, daß es solche Probleme für Sowjetrußland gibt —, dann muß es sich Rechenschaft darüber geben, wieso es zur gegenwärtigen Situation gekommen ist, und dann muß in Moskau auch die Einsicht dämmern, daß eine Bereinigung nur so geschehen kann., daß gewisse Fakten, die nach 1945 einseitig von Moskau geschaffen worden sind, wieder aus der Welt geschafft werden.
Und nun sagen Sie uns: Wenn es nun um dieses Ziel der deutschen Wiedervereinigung in Frieden und Freiheit, in jenem Frieden und in jener Freiheit geht, von der ich gesprochen habe, dann müßte man doch selbstverständlich, trotz der von uns gemeinsam geforderten Entscheidungsfreiheit der gesamtdeutschen Regierung, davon ausgehen, daß sich vorher die Mächte über den internationalen Status Gesamtdeutschlands geeinigt hätten. Ich kann mir nicht helfen, Herr Kollege Ollenhauer: es wird mir immer ein bißchen traurig zumute, wenn ich höre, wie die Sozialdemokratische Partei in diesem Zusammenhang bereit ist, von vornherein im Grunde genommen die sowjetrussische Forderung zu akzeptieren.
— Herr Kollege Schmid, Sie weisen das zurück. Bitte, lassen Sie uns ruhig darüber sprechen. Was will Sowjetrußland? Sowjetrußland ist es doch, das fordert, daß sich Gesamtdeutschland aus den sogenannten beiden Blöcken heraushalten soll oder herausgehalten werden soll; und das ist doch auch Ihre prinzipielle Forderung.
— Auch Sowjetrußland, Sie wissen es wohl, Herr Kollege Schmid, ist in diesem Zusammenhang bereit, einem System kollektiver Sicherheit zuzustimmen. Was will es denn mit diesem System kollektiver Sicherheit?
— Nein, Sowjetrußland will mehr als Sicherheit. Sowjetrußland will Europa beherrschen. Das ist unsere Überzeugung bis zu dieser Stunde. Sowjetrußland hat in all seinen Bemühungen der letzten Zeit auf das Ziel hingearbeitet, Amerika vom europäischen Kontinent zu verdrängen.
Ich habe schon gesagt, daß es selbst schuld ist, daß die amerikanischen Stützpunkte hier sind. Wozu dienen die Abrüstungsvorschläge, die Sowjetrußland gebracht hat? Sicherlich hat Sowjetrußland diese Abrüstungsvorschläge im Zusammenhang mit seinen übrigen Vorstellungen über die künftige Gestaltung Europas gemacht. Dazu gehört grundlegend das Heraushalten Deutschlands aus dem westlichen Sicherheitssystem, nicht nur das Verbot von zwölf deutschen Divisionen, sondern das Verschwinden der amerikanischen Stützpunkte vom deutschen, ja, wie uns alle Experten sagen, vom europäischen Boden, und das bedeutet ganz einfach die Zerstörung der Nordatlantischen Verteidigungsgemeinschaft.
Aber selbst wenn ich einmal unterstellen wollte, daß es Sowjetrußland in übergroßer Ängstlichkeit, in seltsamer Vermischung von Aggressivität und Einkreisungssorge nur um seine Sicherheit ginge: Sowjetrußland, das die Losung der Koexistenz ausgegeben hat, hat dafür gesorgt, daß seine eigene Existenz im Ernstfall verteidigt werden könnte, denn es hat sich bis an die Zähne bewaffnet. Aber es verlangt von Westeuropa, daß es schutzlos dem guten Willen Moskaus ausgeliefert bleibe, daß es für den Konfliktsfall auf die wirksame Hilfe der freien Welt verzichte oder daß die Hilfe der freien Welt um lange Zeit verspätet käme, wenn wir längst liquidiert und bolschewisiert wären.
Wenn wir miteinander über Vorschläge, über Ideen reden, die wir bei den Beratungen einbringen könnten, und wenn wir gemeinsam davon ausgehen, Herr Kollege Ollenhauer, daß bei den Beratungen der Großen über unser Schicksal selbstverständlich Gedankengänge eine Rolle spielen werden, wie sich das kommende Gesamtdeutschland einmal im Weltgefüge verhalten werde, dann sollten wir nicht so verfahren, wie Sie es tun. Wir sollten vielmehr willens sein, bei den kommenden Verhandlungen das Höchstmaß an politischer Freiheit für ein entscheidungsfreies Gesamtdeutschland herauszuholen.
— Sie sagen, Herr Kollege Schmid: Das ist doch klar. Aber in Ihren Vorschlägen tun Sie doch das Gegenteil. Ist das, was Sie mit Ihrem kollektiven Sicherheitssystem und dem Heraushalten Deutschlands aus den beiden Machtblöcken, also praktisch
der Zertrümmerung des Systems der Nordatlantischen Verteidigungsgemeinschaft vorschlagen, ein Weg, um jenes Höchstmaß an politischer Freiheit für Gesamtdeutschland zu erreichen? Ich glaube nicht!
— Herr Wehner, wir wollen uns nicht dauernd gegenseitig vorwerfen oder bestätigen, wie sehr wir an das Schicksal der 18 Millionen Menschen drüben denken!
Dazu sind uns diese Menschen zu gut. Auch uns macht dieses Problem, genau so wie Ihnen, Tag und Nacht Sorge. Auch uns bewegt die Frage, daß es nicht geschehen darf — und aus den Ausführungen des Herrn Bundeskanzlers klang es ja deutlich hervor —, daß diese 18 Millionen Menschen — nicht zu reden von dem Raum jenseits der Oder und der Neiße, worüber ja auch ein Wörtchen zu sagen wäre —
das Schicksal eines endgültigen Satelliten erleiden.
Uns tröstet in diesem Zusammenhang nur eines, nicht nur eine Überzeugung, sondern ein Wissen, ein Wissen darüber, wie die 18 Millionen drüben selbst denken.
Wenn sie mit den Fäusten an unsere Türen trommelten und uns zuschrien: „Was immer kommen mag, welches Risiko, welche Minderung an Sicherheit ein vereinigtes Deutschland immer auf sich nehmen muß, — bloß um uns aus Not und Sklaverei zu erlösen: tut, was die Russen wollen, oder tut, was gewisse neutralistische Vorschläge verlangen!", dann wären wir allerdings des Kummers voll; denn 18 Millionen Menschen lassen sich nicht übersehen. Wenn ich Ihnen aber sage, daß ich aus Tausenden von Botschaften und Zuschriften weiß, wie die Bevölkerung drüben denkt, dann werden Sie mir das zwar vielleicht nicht glauben; aber wir haben ganz einwandfreie Zeugen. Wenn jüngst der westfälische Kirchenpräsident, Herr Wilms, der ein entschiedener Gegner unserer Politik ist, von einer Predigtreise in die Sowjetzone zurückkehrend, sich darüber beklagte, daß drüben — so drückte er sich etwa aus — jeder, der für die Pariser Verträge sei, bejubelt werde, und daß er es nicht verstehe, daß jeder Gegner dieser Verträge von den Menschen drüben — ich mache mir diese Ansicht, die ich jetzt wiedergebe, durchaus nicht zu eigen — praktisch mit dem Kommunismus identifiziert werde, dann ergibt sich aus diesem Zeugnis eines Mannes, dem Sie ganz bestimmt nicht mißtrauen werden, doch klar, wie die Bevölkerung drüben steht. Warum steht sie so? Man hat gesagt, ohne jeden Zweifel stehe die Mehrheit des deutschen Volkes hinter dem Bundeskanzler; es habe das tiefe Bedürfnis, eine Politik der Sicherheit zu treiben, aber das geschehe ja nur aus einem gebrochenen Selbstbewußtsein, einer Folge der Katastrophe, und wieder einmal fielen die Deutschen von einem Extrem ins andere. Wenn dieser Kritiker glaubte, ein solches Urteil über die westdeutsche Bevölkerung abgeben zu können, wie stellt er sich dann zu der Tatsache, daß die deutsche Bevölkerung der Mittelzone genau so denkt? Ihr
kann man doch wahrhaftig nicht vorwerfen, daß dies die Politik eines ängstlichen oder egoistischen Sicherheitsbedürfnisses sei!
In Wahrheit sehen die Menschen drüben die Situation realer als viele hier. Sie wissen genau, wie man mit der Sowjetunion paktieren soll und welche Voraussetzungen geschaffen werden müssen, damit man paktieren kann! Daß die Welt in Bewegung gekommen wäre, wie Sie es sagten, Herr Ollenhauer, ohne diese Politik der Festigkeit und Stärke des Westens, das zu behaupten sollten Sie wirklich nicht versuchen. Wenn die Welt in Bewegung geraten ist, dann nur durch diese Einigkeit und Festigkeit des Westens!
Österreich, Warschau, Belgrad, Abrüstungsvorschläge, Angebot Chinas, — ja, das ist doch alles zurückzuführen auf eine feste und klare Haltung, vor allen Dingen der Vereinigten Staaten von Amerika.
Sie haben das amerikanische Verhalten hinsichtlich Formosas gerühmt. Das zeigt ja gerade die weise Mäßigung der leitenden Politiker drüben. Ich hätte Sie in diesem Zusammenhang an die weise Mäßigung erinnern können, die Amerika im Koreakonflikt geübt hat. Sie wissen genau, daß es drüben eine kleine Gruppe gab, die damals eine Generalbereinigung mit China forderte, und es waren Weisheit und Mäßigung, die die amerikanische Staatsführung dazu veranlaßt haben, jene Generalbereinigung nicht zu unternehmen. Zum Dank dafür haben dann gewisse europäische Besserwisser den Amerikanern bestätigt, daß sie den Krieg in Korea, bei dem sie immerhin die rote Flut hinter die Ausgangsposition zurückgestaut hatten, verloren hätten. Wenn sie den Amerikanern diese Haltung bezeugen, um so weniger Grund haben Sie doch, besonders in Ihrer populären Propaganda draußen im Volk, immer wieder zu behaupten, daß sie uns eigennützig und eigensüchtig vor den Wagen ihrer Politik spannten und daß insbesondere diese ihre Eigensucht die deutsche Wiedervereinigung zugunsten einer Politik des Status quo verhindern würde.
Herr Wehner sagte, wir müßten in dieser Situation ein Höchstmaß an Elastizität und eine ganze Skala von Vorschlägen zeigen. Ich möchte ihm entgegensetzen: Was wir in dieser Situation zeigen müssen, wenn wir überhaupt etwas aus der Geschichte der vergangenen zehn Jahre gelernt haben — und darauf kommt es doch wahrhaftig für unser aller Leben an —, ist ein Höchstmaß an Konsequenz.
Wir ratifizieren keine Verträge, um sie hinterher als Kaufpreis in ein zweifelhaftes Geschäft zu werfen.
Ein Höchstmaß an Loyalität tut not. Wir werden zu unserem Worte stehen.
— Wir werden zu unserem Worte stehen, und dadurch, Herr Wehner, werden wir zur deutschen Einheit kommen!
Ihre ewige Wiederholung, daß wir so nicht dazu
kommen werden, beweist ja nichts. Unsere Loyali-
tät fordert wiederum Loyalität auf der Seite unserer Verbündeten heraus. Wenn es schon wahr ist, daß jedes Land eine Politik macht, die durch seine eigenen Interessen bestimmt wird, dann müssen wir doch um so stärker dafür sorgen, daß die westliche Welt in uns einen so wertvollen Bundesgenossen sieht, daß es sich lohnt, unsere eigenen Probleme auch zum Problem der westlichen Welt zu machen.
Es gibt ein Wort, das man in diesem Zusammenhang ruhig sagen darf: Treue um Treue! Was die Bundesrepublik bisher für die deutsche Wiedervereinigung tun konnte,
hat sie getan. Sie hat das feierliche Versprechen der westlichen Welt erhalten, mit uns zusammen ihre Kraft für die Wiedervereinigung Deutschlands in Frieden und Freiheit einzusetzen. Jetzt gilt es allerdings, diese Hilfe der westlichen Welt in den kommenden schwierigen Verhandlungen zu mobilisieren. A her, wir mobilisieren sie nicht so, wie Sie es wollen. Nicht nur der Cordon sanitaire, Herr Ollenhauer, ist etwas Utopisches! Es ist nach unserer festen Überzeugung sowohl nach Westen wie nach Osten utopisch gedacht, zu glauben, man könne mit Ihrer Art eines Systems der kollektiven Sicherheit, die auf eine Zertrümmerung des nordatlantischen Verteidigungssystems hinausläuft, irgend etwas für die Wiedervereinigung in Freiheit erreichen.
Nichts auf dieser Welt ist ewig, selbstverständlich nicht. Niemand in dieser Welt, Herr Wehner, glaubt daran, daß die Systeme, die aus Notwehr, aus der Zwangslage, eine unmittelbar drohende Gefahr abzuwehren, geschaffen worden sind, ewig dauern werden. Niemand wird insbesondere den Vereinigten Staaten von Amerika, die, glaube ich, in der ganzen Geschichte der Menschheit die am wenigsten imperialistische Großmacht darstellen, unterschieben wollen, daß es ihnen Freude mache, in Kontinentaleuropa und anderswo in der Welt für ewige Zeiten amerikanische Stützpunkte zu halten.
Herr Wehner, die Prinzipien von Bandung sind gut und schön. Aber Sie haben Bandung als eine Versammlung von Menschen dargestellt, die sich über die Methoden einig gewesen seien. Haben Sie übersehen, was die Repräsentanten von Pakistan, der Türkei, vom Irak, der Philippinen und von Ceylon gesagt haben? Haben Sie nicht bemerkt, daß dort eine sehr andere Stellungnahme eingenommen wurde als die von Herrn Tschu En-Lai und auch eine andere als die von Herrn Pandit Nehru? Es bestand ja über die Methode gerade gar keine Einigkeit! Wir hier sind genau so einig über die Prinzipien, über Frieden, Abrüstung, Entspannung, über ein zu schaffendes kollektives Sicherheitssystem; aber wir sind uns nicht einig darüber, inwieweit man bei einem solchen Paktsystem darauf vertrauen kann, daß es von der Sowjetunion respektiert wird. Das ist die entscheidende Frage, auf die man immer und immer wieder zurückkommen muß.
Meine Damen und Herren, es bleibt uns nichts anderes übrig: wir müssen diesen Weg weitergehen, wir dürfen die Lehre der letzten zehn Jahre: Einigkeit, Festigkeit, Klarheit, Konsequenz und Stärke, nicht vergessen. Aber ich will nicht schließen, ohne noch ein ernstes Wort an uns und unsere europäischen Nachbarn zu richten. Europa, Kontinentaleuropa insbesondere, muß wissen, daß es selbst einen starken Beitrag zu all dem leisten muß, wovon der Herr Bundeskanzler gesprochen hat. Die große Politik des Friedens und der Entspannung wird j a nicht durch Pakte und durch Reden gemacht. Auch die vier Repräsentanten der großen Mächte, die nun zusammenkommen werden, sind keine Magier, die die gegebenen Tatsachen von einem Tag zum andern ändern könnten. Man sollte auch hier die Lehren von Jalta und Potsdam wahrhaftig nicht vergessen. Vielmehr wird es jene mühselige Arbeit werden, von der der Herr Bundeskanzler gesprochen hat, jene lange und zähe Konferenz oder jene Reihe von zähen Konferenzen, bei denen es die Voraussetzungen zu beseitigen gilt, die zum Kalten Krieg geführt haben. Da ist in erster Linie die Forderung nach Abrüstung; aber dazu gehört auch die Schaffung eines solchen Systems der Sicherheit, auf das Westeuropa und damit auch die übrige Weit fest bauen kann.
Koexistenz, wenn man sie wörtlich nehmen dürfte, ist gut; Sicherung der Existenz, das hat uns ja gerade Rußland gezeigt, geht ihr voran.
Wenn Europa glaubt, es könnte sich in den nächsten Jahren oder Jahrzehnten bei der gegenwärtigen Situation beruhigen, oder wenn es gar glaubt, dabei beharren zu sollen, dann täuscht es sich sehr. Europa könnte, wenn es seine Kräfte zusammenwirft, wenn es jenen Weg weitergeht, den es hochgemut vor einigen Jahren begonnen hat, einen ganz wesentlichen Beitrag zur internationalen Entspannung leisten. Hierüber, meine Damen und Herren von der Opposition, haben wir uns so manches Mal in den vergangenen Jahren gestritten. Warum sollte der Weg eines vereinigten Europa, auf welche Weise und mit welchen Methoden immer diese Vereinigung herbeigeführt würde, nicht einen wesentlichen Teil jener Voraussetzungen beseitigen können, die zum Kalten Krieg geführt haben? Ich denke nicht—und ich will ja nicht mißverstanden werden — an ein Europa als neutrale Dritte Kraft. So weit ist leider Gottes Europa noch lange nicht. Aber je stärker und einiger Europa wird, je mehr es sich für einen möglichen Konfliktsfall auf seine eigenen Kräfte verlassen kann, desto eher beginnt eine Entwicklung der allgemeinen Entspannung zwischen West und Ost. Wenn Europa seinen großen Traditionen treu bleiben und sich inmitten dieser Welt der Giganten nicht selbst aufgeben will, dann bleibt ihm
— und ich sage das den europäischen „Realisten", die zu alten bequemen Denkvorstellungen zurückgekehrt sind — keine andere Wahl als eine Politik der Einigung, der Freiheit und damit der Entspannung und des Friedens. Inmitten dieser Politik
— und glauben Sie uns, daß dies wenigstens unsere wohldurchdachte Überzeugung ist! — wird auch die deutsche Wiedervereinigung in Frieden und Freiheit gelingen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Dehler.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Führer der Opposition, Herr Kol-
lege Ollenhauer, hat in bewegenden Worten die Ziele unserer Außenpolitik aufgestellt, die wir mit ihm teilen: die Einheit Deutschlands in Freiheit, die Sicherheit des vereinigten Deutschlands und die Sicherheit aller Völker der Welt. Ich gehe noch in einem Weiteren mit ihm einig, wenn er es als die politische Aufgabe dieser Zeit darstellt, diese Ziele zu konkretisieren. Ich weiß nicht, ob dieser Raum hier, diese Auseinandersetzung die Voraussetzungen für eine solche Konkretisierung schaffen kann, ob es dem Wesen einer wirksamen Außenpolitik entspricht, konkrete Ziele, d. h. konkrete Wege in der parlamentarischen Behandlung im Plenum anstreben zu wollen. Ich glaube nicht. Ich meine, die Lösungen dieser Fragen entziehen sich dieser Art der Behandlung. Aber ich stimme ihm zu: wir müssen zu konkreten Lösungen kommen, und ich meine, zur Konkretisierung gehört es auch, daß wir nicht bei platonischen Bekenntnissen bleiben, sondern daß wir die geistigen Voraussetzungen einer gemeinschaftlichen Haltung zu den Zielen suchen, die hier aufgezeigt worden sind.
Für meine Freunde ist die Aufgabe unserer Generation, die unselige Spaltung unseres Volkes zu überwinden, d i e Aufgabe. Wenn es uns nicht gelingt, sie zu erfüllen, dann werden wir einem geschichtlichen Auftrage nicht entsprechen. Für uns ist es eine nationale, eine vaterländische Pflicht. Wir meinen, nach wie vor gilt das nationale Gesetz der Einigung der Völker in ihren Staaten. Das ist nicht selbstverständlich. Oft klingt der Gedanke auf, der Nationalstaat sei vorbei, der Nationalstaat sei antiquiert, anachronistisch, sei eine Gefahr. Thomas Mann hat es in seiner Stuttgarter und Weimarer Schillerrede sehr einprägsam geformt, wenn er sagt:
Tief sinkt die nationale Idee, die Idee des engeren Raumes, ins Gestrige ab. Von ihr aus — jeder fühlt es — ist kein Problem, kein politisches, ökonomisches, geistiges mehr zu lösen. Der universelle Aspekt ist die Forderung der Lebensstunde und unseres geängstigten Herzens.
Ich meine, das sind die Betrachtungen eines Unpolitischen. Es wäre eine Selbsttäuschung, anzunehmen, der Anspruch des deutschen Volkes auf seine nationale Einheit könne überdeckt, könne verdrängt werden durch andere Ziele, durch das Ziel des integrierten Europas oder durch eine noch weitergesteckte oder gar universelle Form des Zusammenlebens der Völker.
Unsere Meinung: die intakte nationale Ordnung, die richtige Verfassung des Volkes in seinem Staate, die Einheit des Volkes, ist die Voraussetzung einer internationalen, auch einer supranationalen Ordnung. Dem deutschen Volke kann nicht versagt werden, was allen anderen Völkern der Welt zugestanden wird und was von ihnen verlangt wird. Die wichtige Frage — ich habe schon einmal versucht, davon zu sprechen — ist, ob unser Volk das gesunde nationale Empfinden hat, das die Voraussetzung auch der Erfüllung dieses Zieles der nationalen Einheit ist. Denn sonst bleibt es ja eine Form ohne Geist. Wir wissen, daß dieses nationale Empfinden gelähmt ist durch eine bittere hundertjährige Geschichte, durch das Scheitern der Paulskirche, durch die geistige Unklarheit, will ich einmal sagen, der Wilhelminischen Zeit, durch das Unvermögen der Weimarer Republik, durch die verbrecherische Entartung des Nationalsozialismus, durch die schmerzlichen Irrtümer der Politik der Besetzung. Aber es gibt keinen deutschen Staat ohne ein gesundes nationales Gefühl, und, darf ich auch sagen, es gibt keinen deutschen Soldaten mit Wert ohne innere Bindung an sein Vaterland.
Das ist die geistige Voraussetzung, die zur Erfüllung dieses großen Zieles der Wiedervereinigung führen muß, und wir dürfen, glaube ich, auch wieder einmal daran mahnen, welche Risiken die Wiedervereinigung hat, von der wir so leichthin sprechen. Oft möchte ich sagen: Mehr daran denken, weniger davon sprechen, von dem so schönen, inhaltsreichen Wort „Wiedervereinigung in Frieden und Freiheit"! Wissen wir, welche Opfer von uns abverlangt werden? Sind wir bereit, sie zu tragen? Ist das deutsche Volk bereit dazu,
oder flüchtet es sich in den Spießerstandpunkt: Um Gottes willen, wir reden davon, aber wir wollen es nicht, weil wir in unserem Behagen gestört sein werden? — Wollen wir nicht einmal davon sprechen?
Meine Freunde und ich stellen kein Kalkül an, kein parteipolitisches und kein konfessionelles, sondern wir wollen die deutsche Einheit als wesentliches Ziel unserer Politik und sind bereit, dafür Opfer zu bringen und unserem Volke auch Opfer zuzumuten.
— Ich kann mich nur für meine Freunde bekennen
und freue mich, wenn Sie mit mir übereinstimmen.
Wir sind, glaube ich, einig im ganzen Hause, daß die Wiedervereinigung wahrlich ein brennendes, ein aktuelles Problem ist, das keinen Aufschub erträgt.
Wir alle haben die Erfahrungen, die auch Herr Kiesinger hat. Die gleichen Stimmen kommen zu uns. Aber schlimm, wenn man die Verzweiflung dieser deutschen Menschen drüben in der Zone erlebt, die Resignation, die über sie kommt. Wir wissen doch: Jeder Tag verhärtet den Riß im Körper des deutschen Volkes. Die heute zwanzig Jahre werden, die wissen gar nichts mehr von unserem Geiste, von dem, was für uns das Leben wertvoll macht, und in jedem Jahr sinkt ein Jahrgang ins Grab, der noch für unseren Geist drüben zeugen kann. Und nur allzu berechtigt ist von allen meinen Vorrednern gesagt worden, wie darüber hinaus aus dieser Spaltung das Gift träufelt, wie die ganze Atmosphäre Europas vergiftet und die Lage gefährdet wird.
Es ist für uns erschreckend gewesen, zu erfahren, daß die Welt darüber erstaunt, überrascht ist, in welcher Art in der deutschen Aussprache der letzten Wochen das Ziel der deutschen Einheit hochgekommen ist. Der Schock von Königswinter, daß unsere englischen Gäste meinten, mit überraschender Plötzlichkeit und Intensität werde von uns über die deutsche Einheit gesprochen! Man hat kein Gefühl dafür in der Welt gehabt, hat die Dringlichkeit der Frage der deutschen Einheit ganz offensichtlich unterschätzt. Müssen wir uns Vorwürfe machen? Haben wir diese unsere Sorge den anderen nicht eindringlich genug vor Augen gestellt? Ich meine, nicht.
Wenn wir in den letzten Jahren zunächst in der Form der europäischen Integration, der politischen, der militärischen, der wirtschaftlichen Zusammen-
ordnung Europas und dann in ,der Frage der Pariser Verträge europäische Wirksamkeit mit dem Ziel der Sicherheit dieses Europas erstrebt haben, dann haben wir niemals das nationale Ziel, die Einheit des deutschen Vaterlandes, dabei aus den Augen gelassen. Das, was wir wollen, hat ja auch seinen Niederschlag in den Pariser Verträgen wie vorher schon in den Verträgen über die Europäische Verteidigungsgemeinschaft gefunden.
Die Dinge liegen nicht leicht für uns. Wir wollen, wir brauchen das Vertrauen der westlichen Welt, mit der zusammen wir unseren Weg gehen wollen Es darf nicht der Eindruck entstehen, die abgeschlossenen Verträge würden von uns irgendwie zum Kompensationsobjekt mißbraucht werden. Das muß man mit allem Nachdruck sagen. Wir Deutsche sind die unbedingten Gegner des Geistes, der im Osten Wirklichkeit geworden ist. Für uns heißt doch deutsche Einheit Befreiung der Zone von der Sowjetherrschaft, von dem unerträglichen politischen Zwang, der dort herrscht, von dem falschen, verwerflichen wirtschaftlichen System, das den deutschen Menschen drüben aufgezwungen worden ist.
Aus den Worten der Vertreter der Sozialdemokratischen Partei, der Herren Kollegen Wehner und Ollenhauer, klang so die Stimmung hoch: Wir, die Regierungskoalition, betrieben eine Politik der Ausflüchte und der Vorwände; es gehe uns nicht um das Ziel der deutschen Einheit, fast: es sei ein Lippenbekenntnis, und wir schüfen von uns aus immer wieder neue Schwierigkeiten. Dieser Vorwurf ist nicht begründet. Natürlich wäre es nicht zu billigen, wenn wir in die Verhandlungen mit Zielen hineingingen, von denen wir wissen, daß sie nicht erfüllbar sind; dann würden wir auf einen Erfolg und damit auf die deutsche Einheit verzichten.
Meine Damen und Herren von der Opposition, die Regierungsparteien gehen mit der Regierung die Probleme der deutschen Einheit konkret an, mit der ganzen Kraft, die ihnen zu Gebote steht, mit der ganzen Hingabe, die nur möglich ist. Niemand in diesem Hause soll doch den Glauben haben, er könne den anderen in der Intensität dieses politischen Willens übertreffen. Wir sind uns bewußt: erst Gesamtdeutschland wird einen Friedensvertrag abschließen können; das ist die staatsrechtliche, die völkerrechtliche Lage. Aber wir würden uns schuldig machen, wenn wir nicht jede Möglichkeit der Klärung der Vorstellungen und des Willens aller Beteiligten nützten. Ich glaube, es gilt hier der Satz, der auf Veranlassung unseres Bundespräsidenten in die Präambel der Bundesverfassung hineingefügt worden ist, daß wir befugt sind, hierbei für jene Deutschen zu handeln, denen jetzt mitzuwirken versagt ist. Die Einheit Deutschlands kann nur — hier gehe ich mit manchem, was auf der Seite der Opposition gesagt worden ist, einig — das Ergebnis unserer Bemühungen sein. Freie gesamtdeutsche Wahlen sind -natürlich der formale Weg zur Einheit Deutschlands. Er wird erst beschritten werden können, wenn die großen Akteure sich in sachlicher Hinsicht über den gesamten Aspekt gefunden haben.
Die Verträge enthalten kein Rezept für die Wiedervereinigung; sie begründen nur die Verpflichtung unserer Vertragspartner, dieses Ziel zu erreichen. Deswegen sind wir wohl alle der Meinung, daß es an uns ist, eine Konzeption, die konkreten Voraussetzungen der Wiedervereinigung, vor allem vom Status des gesamten Deutschlands
zu entwickeln. Diese Vorstellungen mit unseren Vertragspartnern abzustimmen, das ist die Aufgabe, die unmittelbar vor der Viererkonferenz vor uns steht.
Die große Sorge ist nicht unberechtigt, daß ein Arrangement über uns hinweg getroffen werden könnte. Wir müssen vom Westen, von unseren Vertragspartnern fordern, daß die deutsche Einheit zur Conditio sine qua non auch im Falle einer globalen Vereinbarung gemacht wird, daß also auch Rüstungsbeschränkungen nur vereinbart werden, wenn ein geeintes Deutschland daran beteiligt wird. Wir haben Anlaß zur Sorge, wenn etwa der französische Ministerpräsident Edgar Faure kürzlich gesagt hat, die Einbeziehung der beiden Teile Deutschlands in zwei verschiedene Sicherungssysteme schließe eine Verständigung über ein gemeinsames Sicherungsabkommen für Europa nicht aus, oder wenn die „Times" noch weitergegangen ist und erklärt hat, in der deutschen Teilung liege ein Vorteil für eine Weltabrüstung. Es gibt ja noch die weitere Steigerung, daß man sagt, das Gleichgewicht der Kräfte in der Welt sei nur durch die Teilung Deutschlands zu sichern. Solche Stimmen müssen uns, meine Damen und Herren, aufwühlen, müssen uns bestimmen, leidenschaftlich unseren Willen zu klären und einzusetzen. Nostra res agitur! Darum geht es, daß wir wissen, was wir wollen und wie wir es wollen.
Und man schmähe nicht die, die sich Gedanken über diese Frage machen, und schelte sie nicht der Plänemacherei! Wir können uns von der weltweiten Aussprache, die im Gange und von der heute verschiedentlich gesprochen worden ist, doch nicht ausschalten. Wenn wir das tun, laufen wir Gefahr, daß wir „verplant" werden.
Es ist ganz interessant, was der immerhin nicht erfolglose österreichische Bundeskanzler, Herr Ra a b, als eines unter seinen zehn außenpolitischen Geboten kürzlich aufgestellt hat: Ein Land, das es unterläßt, Entscheidungen zu treffen, und zuläßt, daß es selbst der Spielball der großen Mächte wird, verliert seine Chancen für die Zukunft. Ein Staat kann sich nicht in Pension zurückziehen.
Darum bedarf es des deutschen Planes. Noch einmal: Wir müssen ihn leidenschaftlich wollen. Und das ist — Herr Ollenhauer, gestatten Sie mir, daß ich es noch einmal sage — nicht eine Aufgabe, die in der Öffentlichkeit erfüllt werden kann. Das ist mit dem Wesen der Außenpolitik nicht vereinbar. Das ist zunächst die Aufgabe der Regierung und des Mannes, in dessen Hand die Aufgabe der Außenpolitik liegt, im Zusammenwirken mit den Parteien. Wir empfinden den Vorwurf, es werde hier nicht gedacht, es werde hier nicht geplant und es werde hier nicht mit der ganzen Notwendigkeit das Erforderliche erstrebt. Ich meine, den Vorwurf können wir nicht hinnehmen; er wäre ein kränkender, ein schwer verletzender Vorwurf.
Der Gedanke der Neutralität als Lösung ist in die Debatte geworfen worden. Ich glaube, es ist ein utopischer Wunschtraum, zu meinen, Deutschland könnte sich aus den Spannungen dieser Zeit herauslösen und allein oder mit irgendwelchen Nachbarn in den idyllischen Zustand des Unbeteiligtseins, der Neutralität flüchten. Es ist unser Schicksal, daß wir im Herzen Europas wohnen, in dem sich immer wieder die großen politischen Entscheidungen vollziehen.
Wir gedenken in diesem Jahre der tausendjährigen Wiederkehr der Schlacht auf dem Lechfelde. Die Lage ist im Grunde nicht anders geworden. Daß wir zusammen mit der freien Welt dem Druck aus dem Osten widerstehen, das ist der uns von der Geschichte wieder einmal erteilte Auftrag.
Notwendig sind Konzeptionen, Lösungen für die Einheit Deutschlands, die natürlich vereinbar sind mit unserer Sicherheit, mit der Sicherheit der anderen Völker, mit der Sicherheit aller Völker. Notwendig sind Lösungen, die auch Sowjetrußland mit seinen Sicherheitsvorstellungen zu decken vermag. Wir wissen, die Russen fühlen sich bedroht. Nicht zu Recht! Aber psychologische Tatsachen sind Fakten, die man in Rechnung stellen muß.
Es berührt uns merkwürdig, wenn Bulganin, wenn Molotow wieder vom „deutschen Militarismus" sprechen, von diesem Schlagwort, das der Westen überwunden hat. Wir hoffen darauf, daß diese Vorstellung aus der Gedankenwelt und aus dem Vokabular auch der Russen verschwindet. Sie ist nicht begründet.
Zwischen dem Vorschlage Molotows eines europäischen Sicherheitssystems und dem Vorschlag des Bundeskanzlers eines westöstlichen Sicherheitssystems läßt sich eine Formel denken, die den europäischen und den deutschen Notwendigkeiten Rechnung trägt. Es kommt eben darauf an, die Aufrüstung auszuwägen, Balancen zu finden, automatische Verpflichtungen zu vermeiden. Meine Meinung: In den Grundgedanken der Westeuropäischen Union liegen Ansatzpunkte für Vereinbarungen auch nach der anderen Seite. Die konstruktiven Elemente, die dort liegen, auszuweiten, muß Gegenstand unserer Bemühungen sein. Ich halte
die Pariser Verträge für elastisch genug, um den Westmächten im Zusammenwirken mit der Bundesrepublik eine Verständigung mit dem Osten und damit auch eine Verständigung über die deutsche Einheit zu ermöglichen; sie geben Spielraum hinsichtlich des Maßes, des Umfanges der Aufrüstung, hinsichtlich der Stationierung der Truppen. Hier sind Ansatzpunkte, die es zu nützen gilt.
Ich halte das Verlangen der Opposition, die Durchführung der Pariser Verträge zurückzustellen, für unmöglich. Es verstößt gegen einen kardinalen Grundsatz der Außenpolitik, gegen den Grundsatz ihrer Beständigkeit. Man kann viel von Bismarck lernen. Ein Satz, den ich für richtig halte: „Jede Politik halte ich für eine bessere als eine schwankende." Für jede außenpolitische Situation gibt es mehrere Lösungen, gibt es mehrere Wege. Aber man muß einen Weg, den man beschritten hat, weitergehen; man kann ihn nicht zurückgehen.
Meine Herren von der Opposition, wenn Sie sagen, wir dürften keine unabänderlichen Tatsachen schaffen, — welche Tatsachen werden denn geschaffen, wenn jetzt wirklich einige Hunderte, einige Tausende Freiwillige eingezogen sind? Was bedeutet schon dieser Beginn der Ausführung der Verträge? Es ist beinahe in jeder russischen Note zugestanden, daß wir zur nationalen Aufrüstung kommen. Das kann also den Russen nicht irritieren, am wenigsten angesichts der Tatsachen, die drüben in der Zone geschaffen sind, bei dem Ausmaß der Aufrüstung in der Gestalt der Volkspolizei, bei der vormilitärischen Ausbildung beider Geschlechter, der militärischen Ausbildung der Werktätigen.
Es wäre schön, wenn das Ziel der einheitlichen Außenpolitik erreicht würde. Auch hier, glaube ich, hat der heutige Tag einige Töne aufklingen lassen, die uns etwas zuversichtlich stimmen können. Aber die Opposition muß bei ihren Erwägungen mit uns davon ausgehen, daß die Pariser Verträge verbindliches Recht geworden sind und daß das Ziel der deutschen Einheit, in dem wir, die Regierungsparteien, uns doch mit der Opposition einig fühlen, nur von der Grundlage dieser Verträge her angestrebt werden kann. Ich meine, es ist die rechte Zeit, die Fehlentwicklung der letzten Jahre, dieses Uneins-Sein in der Frage der Verfassung unseres Volkes nach außen und damit seines Bestandes zu beendigen. Unser Volk erträgt nicht die Zwietracht in der Frage seines Lebens. Gestatten Sie mir den Appell: Schließen wir unsere Reihen! Unserem geeinten Willen kann unser Recht, das Recht der deutschen Einheit, nicht versagt bleiben.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Mocker.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir dürfen nicht vergessen, daß Grundlage der heutigen Verhältnisse in Mitteleuropa und insbesondere in Deutschland die Konferenz von Jalta ist. In Jalta waren die Absprachen von Feindseligkeiten, ja Haß und unbeherrschtern Siegerwillen diktiert. Dieses Vorgehen der damaligen Alliierten wirkt soweit verständlich, als es dem Bestreben diente, den seinerzeitigen gemeinsamen Feind endgültig niederzuschlagen und ein verhaßtes Regime auszurotten, wenn auch heute gerade die seitherige Entwicklung wieder einmal eindeutig demonstriert, daß sich ein Sieger auf dem Höhepunkt seines Triumphes nicht von Haßgefühlen leiten lassen, sondern vielmehr maßhalten sollte, wenn er nicht eines Tages wegen seines Hasses selbst Leidtragender werden will.
Die in Jalta beschlossenen Maßnahmen trafen und beseitigten aber nicht bloß das damalige System Deutschlands, sondern trafen vor allem auch das deutsche Volk. Niemand wird behaupten wollen, daß die Aufrechterhaltung von Maßnahmen gegen ein Volk, welche von Feindseligkeit diktiert sind, Grundlage einer friedlichen Entwicklung oder gar Freundschaft sein könne. Ein so hart getroffenes Volk wie das deutsche wird genau registrieren, wo ein Abrücken von dieser feindseligen Einstellung und den darauf fußenden Maßnahmen erfolgt und wo nicht. Das ist eine Selbstverständlichkeit bei jedem, der das einem Besiegten über das notwendige Maß hinaus auferlegte Joch zu spüren bekommt. Er wird dankbar die Hand eines jeden ergreifen, der sie ihm entgegenstreckt, um ihn zu einem gleichberechtigten Partner in Frieden und Freiheit zu machen, und darum geht es doch in erster Linie in der nächsten Zeit bei allen Wiedervereinigungsgesprächen.
Selbst das, was Jalta als Deutschland übriggelassen hat, ist heute in zwei Teile zerrissen. Es gilt also vorerst doch, diese Zerreißung aufzuheben und wenigstens das, was heute Deutschland heißt, zu einem einheitlichen Staat zu machen. Dann erst wird es einen Partner Deutschland zur Behandlung und Lösung aller weiteren Probleme geben, bei welchen die Mitwirkung Deutschlands notwendig ist.
Nun erklärt nicht nur der Westen, sondern auch der Osten, die Wiedervereinigung, d. h. die Zusammenführung der Bundesrepublik mit der Sowjetzone, zu wollen. Der Unterschied besteht aber darin, daß der Westen bereit ist, diese Vereinigung durch den freien Willen des deutschen Volkes sich vollziehen zu lassen, während der Osten zwar auch von Wiedervereinigung in Freiheit spricht, aber Bedingungen und Voraussetzungen an seine Zustimmung zur Wiedervereinigung knüpft, die nicht dem Wesen wahrer Freiheit entsprechen und von vornherein ausschließen, daß Deutschland ein gleichberechtigter Partner in Frieden und Freiheit wird. Wir haben volles Verständnis dafür, daß die Sowjetunion Kautelen eingebaut sehen will, damit nicht etwa dieses Deutschland in Zukunft direkt oder indirekt mit zum Instrument der Gefährdung ihrer Sicherheit werden kann. Wir können aber für ein Mehr, das noch in den Bedingungen der Sowjetunion enthalten ist, kein Verständnis aufbringen, da dies zu einem unfreien Deutschland führen würde, zu einem Deutschland, das niemals Partner echter Friedensverhandlungen sein könnte
Meine Fraktion ist der Ansicht, daß dem Wunsche des deutschen Volkes nach Wiedervereinigung in Frieden und Freiheit und dem Sicherheitsbedürfnis der Sowjetunion am besten entsprochen werden kann, wenn die Deutschlandfrage nicht isoliert, sondern im Zusammenhang mit der Errichtung eines Sicherheitssystems, das auf einer allgemeinen Abrüstung fußt, beraten werden würde. Gerade in dieser Spanne liegen die verschiedensten Lösungsmöglichkeiten, die aber nur von jenen Mächten gefunden werden können, die tatsächlich die Abrüstung durchzuführen haben, die aber nicht herbeigeführt werden kann durch neuerliche Vorleistungen der Bundesrepublik selbst, noch dazu auf Kosten der Vertragstreue.
Es wird entgegengehalten, daß diesem Verfahren die Pariser Verträge entgegenstünden. Dem vermag ich nicht zuzustimmen, denn die Verträge sehen gerade für den Fall der Wiedervereinigung die Möglichkeit von Modifikationen vor.
Es wurde auch gesagt, daß die Sowjetunion nach der Ratifizierung der Verträge zu irgendwelchen Gesprächen nicht mehr bereit sein würde. Das hat sich nicht nur nicht bewahrheitet, sondern es wird sogar behauptet, daß die Pariser Verträge die Wiedervereinigungsverhandlungen erst in Gang gebracht und die Bereitschaft der Sowjetunion hierzu herbeigeführt hätten. Andere wieder bestreiten dieses Faktum. Dem sei nun, wie ihm wolle. Jedenfalls steht fest, daß diese Bereitschaft der Sowjetunion sich erst seit dem Bestehen der Verträge zeigt.
Im übrigen glaube ich, daß die Lehre, die manche aus der Entwicklung ziehen, die zum österreichischen Staatsvertrag führte, dem wahren Sachverhalt am nächsten kommt, nämlich daß Rußland dann, wenn es einmal aus irgendwelchen Gründen eine Einigung wünscht, auch zu realen Verhandlungen bereit ist. Solange das aber nicht der Fall ist, sind sämtliche Konzessionen vom Westen her nur geeignet, Moskau anzureizen, seine Bedingungen höher zu schrauben, um eine bessere Ausgangsposition für mögliche spätere Gespräche zu haben.
Die SPD verlangt nun, daß jetzt eine Modifikation der Verträge bzw. ein Verzicht Deutschlands
auf die Mitgliedschaft bei der NATO herbeigeführt und daß mit der Durchführung der Verträge zugewartet werden soll.
Meine Fraktion hält es für gefährlich, so zu taktieren. Die Verträge sind, wie man zu ihnen auch vorher gestanden haben mag, nun einmal ratifiziert; sie sind also eine politische Realität, die eben da ist. Die Bundesrepublik hat die Vertragsbestimmungen zu respektieren und den Bestand der Verträge mit zur Grundlage ihrer Politik zu machen. Es darf daher nichts geschehen, was geeignet wäre, bei den Vertragspartnern Zweifel an der Vertragstreue aufkommen zu lassen. Dies würde nur zum Schaden des deutschen Volkes die Meinung in der Welt neu beleben — meiner Ansicht nach ist sie unberechtigt, aber sie besteht —, daß wir Deutsche Verträge nicht halten.
Wenn mir entgegengehalten wird, daß eine solche Regelung nur im Einvernehmen mit den Vertragspartnern herbeigeführt werden soll, dann muß ich sagen, daß allein schon die Äußerung eines solchen Wunsches zu diesem Mißtrauen in der Welt führt Die Verträge sind nun einmal Bestandteil der Politik der Bundesrepublik, weil sie als verpflichtender politischer Faktor vorhanden sind.
Ich unterstelle einmal, daß Herr Ollenhauer morgen die Bundesregierung zu bilden hätte und sie dann führte. Er stände damit vor der Entscheidung, ob er bei der Behandlung der Deutschlandfrage die Verträge respektieren will oder nicht. Ich bin überzeugt, daß er die Verträge respektierte und sehr darauf bedacht wäre, als treuer und fairer Vertragspartner zu gelten. Von dem aber, wozu die Sozialdemokratische Partei hinsichtlich einer deutschen Politik als Regierungspartei verpflichtet wäre, ist sie meiner Ansicht nach als Oppositionspartei nicht befreit.
Meine Fraktion steht auf dem Standpunkt, daß unbeschadet dieser Vertragstreue alle Möglichkeiten, die die Verträge geben, zu einer Ostpolitik in deutschem Sinne und im vollem Umfange auszuschöpfen sind. Dies werden wir um so mehr und in einem um so größeren Umfange tun können, je weniger Zweifel wir an unserer Vertragstreue aufkommen lassen. Wir müssen Möglichkeiten zu dieser Ostpolitik schon deshalb voll ausschöpfen, um der Sowjetunion zu zeigen, daß unser Beitritt zu den Verträgen kein gegen sie gerichteter Akt ist, sondern nur zur Erhaltung unserer Freiheit erfolgt ist.
Die Sowjetunion macht den Vorschlag, ein wiedervereinigtes Deutschland in einen neutralisierten Sicherheitsgürtel einzubeziehen. Eine Neutralisierung Deutschlands lehnt meine Fraktion entschieden ab. Wir halten im Zeitalter der modernen Waffen nichts von einem cordon sanitaire. Es wäre auch nur eine Frage der Zeit, bis ein neutralisiertes Deutschland zwischen den beiden Machtblöcken zerrieben wäre. Ein Volk von 70 Millionen und von der Tradition des deutschen Volkes zu neutralisieren, hieße, es zu entmachten, es zur Bedeutungslosigkeit herabzuwürdigen und es der völligen Unsicherheit preiszugeben.
Auch andere Überlegungen können nur zur Ablehnung einer Neutralisierung Deutschlands führen. Es wird wohl so sein, daß die sowjetischen Bemühungen, einen Neutralitätsgürtel zu bilden, ernst gemeint sind. Nach sowjetischer Auflassung
müssen aber von diesem Neutralitätsgürtel unbedingt die „Volksdemokratien", also die Satelliten, ausgeschlossen sein. Es sollen also für einen solchen Gürtel nur solche Staaten in Frage kommen, die zum Westen gehören.
Die Neutralisierung dieser westlichen Staaten stellt sich die Sowjetunion nach dem österreichischen Muster vor. Danach ist jeder dieser Staaten im Neutralitätsgürtel zwar politisch zum Westen gehörig, weil zur Zeit auch gar keine andere Möglichkeit besteht, wirtschaftlich ist aber ein solcher Staat eng an den Ostblock angeschlossen und schließlich militärisch auf jeden Fall schwach. Für den engen wirtschaftlichen Anschluß kann als Muster der § 2 des österreichischen Staatsvertrages gelten. Österreich hat mit diesem hohen Preis wohl erreichen wollen, unter allen Umständen die russische Besatzung loszuwerden. Der Westen konnte aus Prestigegründen nicht nein sagen, und außerdem kann er auch die Neutralisierung eines kleinen Staates wie Österreich verkraften. Österreich kann also als der erste Erfolg der sowjetischen Neutralisierungspolitik angesehen werden. Der Umstand, daß die Manöver der Balkanpakt-Staaten an der bulgarischen Grenze abgesagt wurden, wird dahin gedeutet, daß der Balkanpakt militärisch erledigt sei. Schließlich besteht auch noch die Vermutung, daß der Besuch Gromykos am Ende vorigen Jahres in Stockholm dem Ziel diente, den Neutralitätsgürtel zu erweitern. Auf die darauf folgende amerikanische Forderung, daß zu einem Neutralitätsgürtel auch die „Volksdemokratien"
müßten, hat die Sowjetunion sehr scharf erklärt, diese Forderung sei unannehmbar.
Die Sowjetunion bekräftigte diesen ihren Standpunkt, indem sie wenige Tage später den Warschauer Vertrag abschloß, der in den §§ 5, 6 und 7 die Volksdemokratien politisch, wirtschaftlich und militärisch auf 20 Jahre an die Sowjetunion fesselt. Gleichzeitig hat eine Kampagne in der Sowjetunion und vor allem auch in den Volksdemokratien gegen jeden Versuch einer Neutralisierung der Volksdemokratien begonnen.
Diese Tatsachen zeigen, daß die Sowjetunion einen neutralen Gürtel quer durch Europa will, daß sie aber nicht bereit ist, dafür auch nur einen Fußbreit Baden aus ihrem Machtbereich freizugeben. Die Opfer für diese Neutralisierung soll nur der Westen bringen. Es zeichnet sich also damit klar das Ziel ab, daß die Sowjetunion einen ganzen Gürtel von Staaten aus dem Westen herauslösen, auf diese Weise die westliche Front aufbrechen und die Verteidigungsmöglichkeit des Westens auf einen schmalen Rand beschränken will, der fraglos für ein wiedervereinigtes Deutschland keine Sicherheit mehr bedeuten würde. Die Verteidigungsbaues und damit die Sicherheit für ein wiedervereinigtes Deutschland wäre selbst dann nicht größer, wenn die Sowjetunion im Zuge von Verhandlungen gestatten sollte, in den Neutralitätsgürtel auch noch Satellitenstaaten aufzunehmen.
Aus diesen Gründen ergibt sich im Hinblick auf die Freiheit und Sicherheit eines wiedervereinigten Deutschlands der Schluß, daß die Einbeziehung Deutschlands in einen Neutralitätsgürtel, also eine Neutralisierung, abgelehnt werden muß. Die Ablehnung eines Neutralitätsgürtels bedeutet nicht auch eine Ablehnung des Sicherheitsbedürfnisses der Sowjetunion — ich habe bereits gesagt, daß wir ein Sicherheitsbedürfnis der Sowjetunion anerkennen —; es muß aber auch ein Sicherheitsbedürfnis Deutschlands anerkannt und berücksichtigt werden.
Dem Verlangen nach allseitiger Sicherheit kann nicht durch einen Sicherheitsgürtel quer durch Europa, sondern nur durch eine kontrollierte Abrüstung im Rahmen eines allgemeinen Sicherheitssystems Rechnung getragen werden. In Verbindung damit sollte es bei gutem Willen aller Mächte möglich sein, die Bundesrepublik mit der Sowjetzone zu einem einheitlichen deutschen Staat zu vereinen, der allein erst Partner eines Friedensvertrages sein kann. Alle weiteren Probleme Deutschlands müssen den Verhandlungen über diesen Friedensvertrag vorbehalten bleiben.
Für die Wiedervereinigung auf diesem Wege haben wir alle unsere Kräfte einzusetzen. Es muß der Welt klar sein, daß es ohne die Wiedervereinigung keine Entspannung gibt. Es ist gut und notwendig, wenn wir unsere Vorstellungen darüber sorgfältig vorbereiten. Es ist aber schlecht, alle möglichen Lösungen in aller Breite zu erörtern und die verschiedensten Rezepte anzupreisen. Ein Verhandlungspartner wird weder ernst genommen, noch hat er Erfolg, wenn er sich vorher durch Geschwätzigkeit alle Vorteile seiner Verhandlungsposition beraubt.
Ich glaube, daß wir gut tun, diese Erfahrungstatsache besonders hier zu berücksichtigen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. von Merkatz.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich zunächst einen kleinen Freundschaftsdienst für meinen sehr verehrten Kollegen Herrn Kiesinger tun. Bei der Aufzählung der Teilnehmerstaaten von Bandung hat mein Kollege Kiesinger, wie das bei einer solchen Aufzählung leicht mal passieren kann, vergessen, Thailand zu erwähnen. Ich möchte das für ihn hier nachholen, und zwar mit seinem besonderen Wunsch und Willen, den er mir zum Ausdruck gebracht hat, und ich tue das um so lieber, da uns allen in diesem Hause bekannt ist, daß dieser Staat Thailand ein Beispiel für Europa gibt in seiner Festigkeit, seiner politischen Haltung und seiner inneren, auf Traditionen gegründeten Ruhe, ein Beispiel, wie man selbst in gefährdeter Lage seine Linie in der Politik konsequent halten kann, eine Tatsache, für die wir hier in Europa dankbar sind.
Es ist natürlich nicht ganz einfach, am Schluß einer Rednerkette zu stehen, zumal dann, wenn die einzelnen Kollegen jetzt den Wunsch haben, zu ihren Familien zu fahren. Aber es ist notwendig, daß wir, alle Fraktionen dieses Hauses, unserer politischen Pflicht genügen und unsere Stellungnahme geben.
Im Grunde genommen muß ich Ihnen sagen, daß man in dem gegenwärtigen Zeitpunkt der weltpolitischen Situation und auch der europäischen Situation nicht sehr aufgelegt sein kann, eine außenpolitische Debatte zu bestreiten, die man nicht gewünscht hat, weil die Stunde eher eine gewisse Zurückhaltung, ein gefestigtes Abwarten fordern würde. Nun, die Debatte hat stattgefunden. Es ist die erste außenpolitische Debatte in diesem Hause, nachdem die Bundesrepublik., Deutschland den Status eines souverän handelnden Staates erhalten hat. Man wird in der Welt auf das, was heute morgen im Bundestag gesagt worden ist, sehr aufmerksam hören. Darum ist ein
besonders Maß an Verantwortung für jede Darlegung gegeben, bei aller Zurückhaltung, die uns geboten erscheint.
Souveränität, so problematisch der Begriff in der heutigen Welt sein mag, in der der Nationalstaat nicht mehr in der Lage ist, sein Dasein aus eigenem heraus zu verteidigen, bedeutet vor allen Dingen die Kraft zu einer selbständigen Politik, zu einer Selbstverantwortung im politischen Raum. Wir haben unsere Interessen als Volk und Staat mit den Interessen des Friedens, mit den Interessen der anderen in Einklang zu bringen, um durch diese Synthese, durch diesen Einklang die von uns erkannten Ziele zu erreichen. Ich habe mit einem gewissen Bedenken die Darlegungen des Herrn Kollegen Ollenhauer angehört, in denen immer so selbstverständlich davon ausgegangen wurde, daß sich die großen Vier über den Status Deutschlands einigen müßten, daß vorab eine solche Einigung notwendig sei, ehe man überhaupt in den innerdeutschen Wiedervereinigungsprozeß eintreten könne. Gewiß, die Machtlage in der Welt dürfte so sein, daß Deutschland in der Gefahr steht - ganz Deutschland meine ich damit —praktisch einen Diktatfrieden auferlegt zu bekommen. Die Spanne, in der sich eine gesamtdeutsche Regierung überhaupt bewegen kann, dürfte also verhältnismäßig klein sein. Es liegt aber nicht im Interesse unseres Landes, diese Tatsache noch von uns aus zu unterstreichen. Unsere drei westlichen Bündnispartner haben in den Verträgen ausdrücklich zugestanden, daß über Deutschland und mit Deutschland ein Verhandlungsfrieden geschlossen wird. Das ist eine klare rechtliche Position, auf die wir uns berufen können. Meine Freunde legen großen Wert darauf, das heute festzustellen: Wenn man sich fragt, welchen Status Deutschland haben soll — ganz Deutschland, das Deutschland, das einen Friedensvertrag bekommt —, dann wird unsere Haltung die sein, daß die gesamtdeutsche Regierung im Wege der Verhandlungen zu einem Status ihre Zustimmung zu geben hat und daß niemand berechtigt ist, diesen Status schon vorab festzulegen und zu bestimmen.
Namens meiner Fraktion stimme ich den Ausführungen des Herrn Bundeskanzlers zu. Es handelt sich zwar nicht um eine formelle Regierungserklärung, sondern um Ausführungen von einer besonderen Tragweite und Bedeutung. Ich darf sagen, daß unsere Zustimmung sich auf alle Punkte seiner Darlegungen bezieht. Meine Aufgabe als Sprecher meiner Fraktion ist es nun, zu begründen, warum wir seinen Ausführungen zustimmen.
Es ist klar, daß die Weltlage in Fluß gekommen ist. Das spüren wir alle. Gerade durch die Pariser Verträge ist eine merkliche Auflockerung, ich möchte sagen, der weltpolitischen Situation erfolgt. Man darf auch mit einem gedämpften Optimismus feststellen, daß ein Bemühen aller Mächte um eine Entspannung in der Welt zu erkennen ist. Ich bejahe diese Feststellung, soweit es sich um eine Entspannung mit dem Ziel des Friedens handelt, ich warne aber vor der Illusion und vor einer Art der Feststellung der Entspannung, die als Vorwand für ein Nachlassen in der Wachsamkeit dient. Das ist ein ganz erheblicher Unterschied.
Es ist heute viel über die Existenz der Machtblöcke und über die Notwendigkeit gesprochen worden, den Gegensatz dieser Machtblöcke, die sich in der Aufrüstung steigern, aufzulösen, um eine dritte Katastrophe in der Welt zu verhindern. Man muß sich aber auch darüber klar sein, wie es zu diesen Machtblöcken gekommen ist. Die Unordnung in der Welt und in Europa, die durch die zweite Kriegskatastrophe angerichtet worden ist, hat doch dazu geführt, daß ganz Osteuropa und praktisch auch Mitteleuropa in den Einflußbereich des Ostblocks geraten ist. Wenn man sich also fragt: was ist denn der Grund der Unsicherheit in der Welt und auf dem europäischen Kontinent — ich spreche nicht von Ostasien; Probleme, die mindestens die gleiche Gewichtigkeit haben —, was ist denn der Grund der Spannung?, so ist es doch die Tatsache, daß sich der von der Sowjetunion geführte Machtblock weit über die Grenzen der Sowjetunion erstreckt hat, bis in das Herz Europas hinein, bis in unser geteiltes Land. Der Machtblock des Westens, die Verteidigungsorganisation der Atlantikpaktstaaten ist ja kein Selbstzweck gewesen, kein Ding, das aus sich heraus entstanden ist, sondern ist eine Organisation der Abwehr, die notwendig geworden ist, nachdem alle Versuche einer Verständigung zwischen Ost und West, die seit dem Kriegsausgang von 1945 gemacht worden sind, gescheitert waren. Nachdem die Sowjetunion die Tatsache ihres eigenen Machtblocks mit der Integrierung Osteuropas und mit dem Versuch, ganz Deutschland zu integrieren und damit ganz Europa in ihren Machtblock zu integrieren, geschaffen hat, nachdem diese starre, bedrohliche Politik vom Ostblock aus geführt worden ist, kann man doch heute nicht sagen, daß durch ein Unterlassen jeder Gegenwehr, durch ein Aufgeben jeder Abwehrorganisation der Zustand der Sicherheit und der Entspannung erreichbar wäre. Man muß von den realen Tatsachen, die von der Sowjetunion selber in der Welt gesetzt worden sind, ausgehen: das sind ihr Block und ihre bisherige Politik der Bedrohung der Sicherheit in der Welt und vor allem auch hier in Europa.
Es ist gefordert worden, einen Verhandlungsplan zu machen. Ich bin überzeugt davon, daß man Verhandlungspläne hat; aber mit erdachten Entwürfen, sozusagen mit einer juristischen Relation, die im harmonischen Gefüge eines logischen Gedankengebäudes aufgebaut worden ist, kann man doch in solche Verhandlungen überhaupt nicht hineingehen, vor allen Dingen kann man das nicht in der Position, in der Deutschland steht.
— Mein lieber Herr Zwischenrufer, es gibt kaum etwas so Unlogisches und Überraschendes wie den Raum der Politik! Man muß sich da auf allerhand gefaßt machen. Wer das Gefühl für das Unberechenbare nicht hat, sondern glaubt, man könne sozusagen durch einen Aufriß einen geschichtlichen Ablauf bestimmen, der wird von der Geschichte schwer enttäuscht werden. Nehmen Sie es mir nicht übel: es ist eine alte Erbschaft des Marxismus, daß man glaubt, diese lebendigen Abläufe in einen solchen Aufriß bannen zu können. Ich glaube, darin liegt eine besondere Schwäche Ihres politischen Denkens.
Man hat in der Diskussion der letzten Wochen und Monate allmählich auf allen Seiten, bei allen Parteien eine ganze Preisliste für das aufgestellt, was man anzubieten hat. Ich befürchte, daß der Verhandlungsgegner sich aus dieser Preisliste das Passende heraussuchen wird und das formuliert, bis er schließlich für die Ziele, die er erreichen will, bloß einen Schleuderpreis zu bezahlen hat. Das ist
die Gefahr, in der wir stehen. Nun, ich glaube, daß nach dieser Debatte die Produktion solcher am grünen Tisch ersonnenen Verhandlungspläne zurückgehen wird.
Ich stimme auch durchaus dem zu, was die Opposition gesagt hat: daß zwischen Regierung und Parlament ein Kontakt vorhanden sein muß, daß das Parlament zu informieren ist und daß auch eine Regierung auf den Rat ihres Parlaments hören soll; richtig!
— Das ist kein starkes Stück, Herr Wehner; das haben Sie selber gesagt!
— Ich rede ja als Sprecher meiner Fraktion, und die notwendige Vorsicht, Herr Kollege Wehner, ist eine politische Pflicht, die wir in diesem Hause haben. Diese notwendige Pflicht ist gerade in außenpolitischen Debatten öfters gründlich verletzt worden.
Also sehr richtig gesagt: das Verhältnis zwischen Exekutive und Legislative ist so, wie es Herr Kollege Ollenhauer beschrieben hat. Aber ist denn das, was hier von der Bundesregierung in diesem Antrag und in der Interpellation verlangt worden ist, im Rahmen der Zuständigkeitsbereiche der Exekutive und der Legislative geblieben? Ist es zweckmäßig, daß diplomatische Instruktionen — etwas, was man früher mit besonderer Vorsicht behandelt hat; jeder Staat war glücklich, wenn er in den Besitz einer diplomatischen Instruktion seines Verhandlungspartners kam, denn damit war ihm sozusagen die ganze Verhandlungslast schon abgenommen — im Parlament besprochen oder in einem Ausschuß mitgeteilt werden? Soweit ich darüber aus den Quellen unterrichtet bin, wäre das ein völlig neuer Vorgang in der deutschen Parlamentsgeschichte. Etwas ganz anderes ist nötig — und das liegt auch im Interesse des Hauses und im Interesse der Regierung —: daß diese Verhandlungen zwischen Ost und West, die, wie wir alle so dringend hoffen, kommen mögen, von breiten politischen Überzeugungen in unserem Volk und in unseren Parteien getragen werden, damit die Regierung, die sich bei diesen Verhandlungen in der treuhänderischen Wahrnehmung der gesamtdeutschen Souveränität in einer schweren Verhandlungsposition befindet, sich jederzeit auf die breite politische Basis der öffentlichen Meinung im Volke berufen kann. Für uns Parlamentarier ist ja gerade die Aufgabe, diese breite Überzeugung durch ein möglichst klares Vertreten unserer Meinung hervorzurufen. Deswegen geht unser Appell immer wieder an die Opposition — wir werden darin niemals müde werden —, daß es in diesen grundsätzlichen Lebensfragen unseres Volkes eine Verständigung geben muß. Ich bin überzeugt — ich weiß nicht, was noch alles vor unserem Volke steht —, daß es sie eines Tages auch geben wird.
Die heutige Aussprache hat, so glaube ich, vieles zur Klärung der Standpunkte beigetragen. Aber wir sollten uns ganz einfach einmal klarmachen: Was heißt Verhandlungsplan? Was ist die positive Vorstellung, die wir für Verhandlungen zwischen Ost und West auf den Weg geben können? Verhandlungsplan heißt nichts anderes, als daß die Ziele einer Verhandlung festgestellt werden und daß man sich über das Unverzichtbare klar ist,
über das, was man nicht preisgeben kann. Dazwischen liegt der Raum des Kompromisses, und erst der Ablauf der Verhandlungen kann zeigen, wohin der Weg geht.
Vorhin wurde hier von einer ganzen Skala von Möglichkeiten gesprochen. In Wirklichkeit sucht doch die ganze Welt nach der einen realen Möglichkeit, nach dem einen beschreitbaren Weg der Entspannung zwischen Ost und West. Wenn dieser Stein der Weisen schon gefunden wäre, die ganze Welt würde glücklich sein! Alle sind doch auf der Suche, d e n möglichen Weg zu finden, und zwar aus einer uferlosen Menge von Vorschlägen und Phantasien. Zunächst kristallisiert sich ja doch noch nichts deutlich heraus. Es wird auch keinem in diesem Hause gelingen — auch der Opposition ist das nicht gelungen —, einen positiven Vorschlag, der die Entkrampfung zwischen Ost und West bringen könnte, zu entwickeln.
Übereinstimmung der Interessen zu suchen, ist die Aufgabe der Politik. Wir haben durch die Außenpolitik, die von der Koalition getragene Außenpolitik, die Übereinstimmung mit wichtigsten Interessen der Westmächte erreicht. Vor drei Jahren, ja, noch vor einem Jahre, selbst auf der Berliner Konferenz
war die Einmütigkeit der Grundanschauung über das Ziel einer solchen Konferenz der Entspannung und über das Unverzichtbare noch keineswegs so deutlich im Raume, wie das jetzt der Fall ist. Und dabei ist klar: Niemals können wir einwilligen in eine Entspannung, die auf der Grundlage einer friedlichen Koexistenz, auf der Grundlage der Teilung unseres Landes aufgebaut wird. Wir dürfen niemals in irgendein Konzept einwilligen, das zu Lasten der realen Sicherheit und der Freiheit unseres Landes geht.
Ein Wort lassen Sie mich hier einmal am Rande bemerken: Das infame Wort von dem angeblich satten Behagen der Bevölkerung oder der Verantwortlichen im Westen Deutschlands, dieses Wort ist ein Wort des Nihilismus. Hören Sie einmal, was die Feinde dieses freien Teiles Deutschlands alles gesagt haben, um dem deutschen Volk die Möglichkeit zu nehmen, gegen die Vergewaltigung durch den Bolschewismus aufzuschreien. In Wirklichkeit ist das alles ein Attentat gegen die Glaubwürdigkeit, gegen die Festigkeit und gegen die Willensstärke unserer Politik, wenn hier von einem satten Behagen gesprochen wird. Ich warne davor, sich gewissermaßen zum Helfershelfer böswilliger Kräfte durch die Aufnahme solcher Parolen zu machen, die letzthin darauf gerichtet sind, die Ernsthaftigkeit, die Willensstärke und auch die Herzenskräfte zu schwächen, von denen unsere Politik getragen wird.
Die Ziele sind klar. Die Grundlage des Friedens ist — und das sei in aller Deutlichkeit im Namen meiner politischen Freunde klargestellt — eine europäische Gemeinschaft. Nur eine europäische Gemeinschaft wird die Grundlage für eine wirkliche, auf die Dauer berechnete Friedensordnung in diesem Teil der Welt geben.
Ungeachtet dessen, daß es — nachdem mehrere
Versuche in dieser Richtung nicht die Erfolge gebracht haben, die man sich erhoffen konnte —,
Mode geworden ist, mit einer gewissen blasierten
Überheblichkeit über den Integrationsgedanken zu
sprechen, sind wir der Meinung: Das ist das Grundziel. Wir müssen eine Politik betreiben, die diese Integration möglich macht, und auch die Sowjetunion muß einsehen, daß diese Gemeinschaft zu gemeinsamem politischem, wirtschaftlichem, sozialem und finanziellem Handeln zusammengeschlossener Nationen eine Grundlage für die Neuordnung in diesem Teil der Welt ist. Wir lassen von diesem Ziel nicht ab.
Diese Integration beruht — ich möchte hier einmal ein Wort meines Kollegen Gerstenmaier wiederholen — auf der Integrität der Völker, der Nationen. Das ist ein Grundziel, das unverzichtbar ist.
Die deutsche Einheit ist zwar nicht die einzige Frage, die bei der Spannung zwischen Ost und West im Spiele ist; aber sie ist die wichtigste Frage für uns, wie es der Herr Bundeskanzler gesagt hat, und diese deutsche Einheit muß und wird die Grundlage des Friedens in Europa sein. Sie ist gewissermaßen die Voraussetzung einer Neuordnung Europas in diesem friedlichen Rahmen, den ich angedeutet habe.
Nun zur Frage des Sicherheitssystems, die uns so sehr beschäftigt und zu der die sozialdemokratische Opposition den konkreten Vorschlag eines kollektiven Sicherheitssystems im Rahmen der UNO gemacht hat. Ich bin der Auffassung, daß es im gegenwärtigen Zeitpunkt nicht um die Frage der Auflösung der Machtblöcke geht, sondern daß es hier in erster Linie zunächst einmal um die Frage des Machtausgleichs zwischen diesen beiden Blöcken gehen muß.
Ich muß mich sehr deutlich von den Ideen eines Neutralitäts- oder sanitären Gürtels — oder wie man das alles bezeichnen mag - absetzen. Wenn man sich mit diesem Problem etwas intensiver beschäftigt und durchdenkt, wie denn die vertragliche Sicherung eines solchen sanitären Gürtels sein soll, dann erkennt man, daß alle diese Fragen, alle diese Vorstellungen der Neutralitäts- und Neutralisierungspolitik letzthin Vorstellungen aus einem Staatensystem und aus einer internationalen Ordnung sind, die der Vergangenheit, die dem 19. Jahrhundert angehören. Damals gab es die klassische Neutralitätspolitik. In dem Augenblick, in dem kriegerische Verwicklungen im weltweiten Rahmen ganzer Kontinente möglich werden, ja jeder Krieg die Eigenart hat, zu einem Weltkrieg auszuarten, seitdem es die Massenvernichtungsmittel gibt, die nur durch ungeheure Wirtschaftskräfte der am Krieg beteiligten Partner geschaffen werden können, seitdem die Gefahren der großen Katastrophe mit diesen Massenvernichtungsmitteln gegeben sind, seitdem kann es in dem Raume Europas und in der ganzen Welt echte, klassische Neutralitätspolitik oder auch einen cordon sanitaire gar nicht mehr geben. Das sind Vorstellungen der Vergangenheit.
Und denken Sie an den Versailler Vertrag! Was hat denn die osteuropäische Ordnung, was hat denn den Zusammenbruch unserer europäischen Ordnung nach sich gezogen? Es war das Schaffen eines Gürtels schwacher Staaten von Norden nach Süden hin, die dann eines Tages eine Beute der Sowjetunion geworden sind. Damit ist doch die europäische Tragödie eingeleitet worden.
Soll man heute denselben Weg der Pariser Vorortverträge gehen nur in morgenthauisierter Aufmachurig. Soll man immer wieder in dieselben Irrtümer verfallen? Wir fordern mehr, und es ist auch mehr notwendig, um den Frieden in der Welt zu sichern.
Die sozialdemokratische Opposition hat die Behauptung aufgestellt: Freie Wahlen plus einer NATO-Mitgliedschaft sei ein Programm gegen die Wiedervereinigung, d. h. also — den Schluß muß man daraus ziehen, Herr Kollege Ollenhauer -, freie Wahlen ohne NATO-Mitgliedschaft sei eine reale Möglichkeit. Das bedeutet also, Sie wollen auf den einzig realen Punkt Verzicht leisten, nämlich auf die Sicherheit, die nicht nur für Deutschland, für den mitteleuropäischen Raum, sondern für ganz Westeuropa gegeben ist und die vom Westen her als Notwendigkeit und Abwehr gegen einen nicht unerheblichen Druck aufgebaut worden ist. Ich halte das für außerordentlich gefährlich.
— Ich komme noch darauf, was ich hierzu ergänzend zu sagen habe. Ich halte es für außerordentlich gefährlich, diese realen Sicherheitsgrundlagen, diese Existenzgrundlagen für die Möglichkeit des Aufbaus eines Systems, das einen wirklichen Ausgleich zwischen Ost und West bietet, von vornherein preiszugeben.
Abgesehen davon ist gerade die NATO-Organisation, insbesondere wenn man sich mit ihrer inneren Struktur, ihrem politischen Hintergrund und den politischen Funktionen der einzelnen Organe der NATO eingehender befaßt, ein bisher einzigartiges Instrument, das in der Defensive sehr wirksam sein wird, aber für die Offensive gar nicht in Gang gesetzt werden kann. Deshalb sind alle die Befürchtungen, die man wegen des Machtgewichtes des mitteleuropäischen Raumes hat, unbegründet. Gerade ein Einbeziehen dieses mitteleuropäischen Raumes in die NATO und in ihren Funktionszusammenhang würde, ganz im Gegensatz zu der Ostblockpropaganda, ein ganz wesentliches Instrument sein, um die Möglichkeiten eines kollektiven Sicherheitssystems in der weiteren Entwicklung dieses Sicherheitssystems ins Auge zu fassen.
Die Angst vor der dritten Katastrophe ist kein genügendes Element der Sicherheit in der Welt. Augenblicklich beruht die Sicherheit in der Welt im wesentlichen auf der Angst und auf dem Risiko, daß eine Gewalttat die dritte Katastrophe auslösen könnte. Wir brauchen auch mehr als Deklarationen. Die zehn Gebote sind schon lange in der Welt. Trotzdem geschehen Verbrechen und größtes Unrecht. Die Anerkennung der Prinzipien von Tschu En-lai als Substrat, als Inhalt der gegenwärtigen völkerrechtlichen Ordnung ist etwas Gutes; wir sollten sie anerkennen. Ich könnte mir Konferenzen vorstellen, auf denen diese Prinzipien Grundlagen der Verhandlungen werden, um sie zu konkretisieren. Aber sie genügen ohne eine Konkretisierung und ohne Garantien nicht.
Ich möchte etwas, was in der Erklärung des Herrn Bundeskanzlers enthalten war, als sehr wesentlich unterstreichen, nämlich seine Ausführungen über die Abrüstung. Im Hinblick auf die Existenz der nuklearen Waffen und der Massenvernichtungsmittel scheint mir tatsächlich eine zwingende Notwendigkeit gegeben zu sein, um eine konkrete Abrüstungspolitik treiben zu können. Ich möchte mich deshalb auch nicht mit einer an und für sich gebotenen Kritik an den sowjetrussischen Abrüstungsvorschlägenaufhalten. Diese Abrü-
stungsvorschläge enthalten zum Teil wesentliche Elemente des englisch-französischen Abrüstungsplanes vom Oktober 1954. Auf diesem Wege sollte mit zäher Geduld weiter verhandelt werden, solange es auch dauern mag. Bei der Abrüstung liegt das konkrete Programm, zu einem Machtausgleich zwischen den beiden Blöcken zu kommen, um damit, wenn die Sicherheit zuvor einmal hergestellt ist, langsam und vorsichtig zu einer Neuordnung vorzuschreiten, die eine dritte Katastrophe verhindert. Es ist bisher in der Geschichte noch kein kollektives Sicherheitssystem geschaffen worden, das wirksam gewesen ist. Vielleicht sind jetzt wirkliche Ansatzpunkte dadurch gegeben, daß es die Massenvernichtungswaffen gibt, und dadurch, daß die Erkenntnis in der ganzen Welt wächst, daß jeder Krieg eine Niederlage, eine Katastrophe für Sieger und Besiegte werden wird.
Sicherheitssysteme mit nachträglichen Sanktionen taugen nichts. Das hat Kollege Kiesinger schon klargemacht. Wir brauchen Sicherheitssysteme mit einer vorbeugenden Kontrolle. Und diese vorbeugende Kontrolle läßt sich bei gutem Willen und bei Anwendung höchster technischer Erfahrung in einem weltumspannenden Abrüstungsplan durchaus entwickeln. Das dürfte eines der Hauptthemen sein, die die nächsten Jahre beherrschen. Es handelt sich hier um realisierbare Dinge.
Lassen Sie mich noch ein Wort sagen, was weiter in ein solches System der Entspannung gehört. Wir müssen die Möglichkeiten der friedlichen Streitschlichtung noch ganz anders wahrnehmen und ausbauen. Wir leben heute nicht mehr in einer strategischen und machtpolitischen Situation wie bei den großen Friedenskonferenzen im Haag, als man das Völkerrecht zu kodifizieren versuchte. Wir leben auch nicht in der Situation des Völkerbundes., ja auch schon nicht mehr in der Situation, als man die Vereinten Nationen zu schaffen begann. Jetzt, wo es die wirklichen Massenvernichtungswaffen gibt, wo der Krieg, wie der Herr Bundeskanzler gesagt hat, nicht mehr .das Mittel der Politik ist, jetzt scheint es mir wahrhaft möglich, den Gedanken der friedlichen Streitschlichtung ganz realistisch weiter auszubauen. Das ist dann allerdings eine Aufgabe, in der die Vereinten Nationen mit den Aufgaben einer regionalen europäischen Gemeinschaft verzahnt werden können.
Aber vor allen Dingen kommt es darauf an, auch ein politisches System ins Auge zu fassen, das nicht nur eine Streitschlichtung, sondern eine Streitverhinderung vorsieht. Und da spielt das Rückgängigmachen des Deutschland durch seine Teilung angetanen Unrechts tatsächlich die wichtigste Rolle, wenn man wirklich Frieden und Entspannung will, um damit einen der gefährlichsten Streitpunkte in der Mitte Europas auszuräumen. Auf alles dies wird sich die Energie der Verhandlungen zu richten haben.
Herr Kollege Kiesinger hat gegenübergestellt: Entspannung durch Wiedervereinigung - ich habe etwas in diesem Sinne gesprochen — oder Wiedervereinigung durch Entspannung. Wissen Sie, das sind so Syllogismen, genau so wie man bei der Abrüstung nicht sagen kann, sie sei die Voraussetzung oder die Folge eines Sicherheits- oder eines Befriedungssystems. Sie ist beides zugleich. Dieser Weg der Entspannung, ein Sicherheitssystem aufzubauen, das nichtallein auf nachträglichen Sanktionen beruht, sondern durch vorbeugende Kontrolle, durch friedliche Streitschlichtung und durch den grundsätzlichen Machtausgleich
in der Staatenordnung aufgebaut wird, macht es erforderlich, in Parallellität alle Möglichkeiten auszunutzen, die zu diesem Ziel führen können.
Um aber diese Politik der Entspannung zu führen, haben wir in voller Vertragstreue zu bleiben. Das ist überhaupt nicht in Frage zu stellen. Die politische Dynamik, die in den Verträgen liegt, die ja nichts Konstantes sind — es sind politische Verträge, die sich von Tag zu Tag wandeln —, haben wir durch die schöpferische Konsequenz und Stabilität unserer eigenen Politik zu einem kraftvollen Instrument zu machen, damit das große Werk gelingt, die in Scherben gegangene Welt und das in Scherben gegangene Europa wiederaufzubauen und damit als Volk in Einheit und Freiheit unseren Frieden zu finden. Bisher ist nach unserer Auffassung nur eine aktive Wiedervereinigungspolitik geführt worden, die reale Politik der Koalition.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Beratung zu dem einzigen Punkt der heutigen Tagesordnung. Sein Buchstabe a ist geschäftsordnungsmäßig, sein Buchstabe b damit sachlich erledigt.
Ich komme zum Antrag Umdruck 372 *).
— Herr Abgeordneter Dr. Menzel zur Abstimmung.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Namens der sozialdemokratischen Fraktion beantrage ich namentliche Abstimmung.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Meine Damen und Herren, Sie haben den Antrag gehört. Er ist genügend unterstützt. Ich bitte die Herren Schriftführer, mit der Einsammlung der Abstimmungskarten zu beginnen. Es wird abgestimmt über den Antrag Umdruck 372, der allen Mitgliedern des Hauses vorliegt.
Ich frage das Haus: Sind noch Damen und Herren da, die ihre Abstimmungskarten noch nicht abgegeben haben? — Das ist nicht der Fall. Ich schließe die Abstimmung.
Meine Damen und Herren! Ich gebe das vorläufige Ergebnis*) der namentlichen Abstimmung bekannt. Von den stimmberechtigten Abgeordneten wurden insgesamt 391 Stimmen abgegeben, davon mit Ja 145, mit Nein 244, 2 enthielten sich. Von den Berliner Abgeordneten wurden 19 Stimmen abgegeben, 10 mit Ja und 9 mit Nein.
Nach dem Ergebnis dieser Abstimmung ist der Antrag der SPD-Fraktion auf Umdruck 372 abgelehnt.
Wir sind damit am Ende der heutigen Sitzung. Ich gebe noch bekannt, daß der Ausschuß für Fragen der Presse, des Rundfunks und des Films im Anschluß an die Plenarsitzung, wie hier formuliert ist, ganz kurz tagen muß. Die Sitzung findet im Zimmer 204 des Südflügels statt.
Nun wünsche ich den Damen und Herren des Hohen Hauses ein gutes Pfingstfest und gute Erholung.
Ich berufe die nächste, die 85. Sitzung des Deutschen Bundestages auf Mittwoch, den 8. Juni 1955, 9 Uhr, und schließe die heutige Sitzung.