Die Sitzung ist eröffnet.
Vor Eintritt in die Tagesordnung, meine Damen und Herren, darf ich dem Herrn Abgeordneten Bausch die herzlichsten Glückwünsche des Hauses zu seinem heutigen 60. Geburtstag aussprechen.
Durch interfraktionelle Vereinbarung, darf ich noch bekanntgeben, ist die Fragestunde vom 8. Juni auf den 6. Juli verlegt worden. Sperrfrist für eingehende Fragen ist Freitag, der 1. Juli, 12 Uhr.
Die übrigen amtlichen Mitteilungen werden ohne Verlesung in den Stenographischen Bericht aufgenommen:
Der Herr Bundesminister des Innern hat unter dem 20. Mai 1955 die Kleine Anfrage 175 der Abgeordneten Stücklen, Wieninger, Bauer und Genossen betreffend Schutzimpfung gegen Kinderlähmung — Drucksache 1381 — beantwortet. Sein Schreiben wird als Drucksache 1422 vervielfältigt.
Meine Damen und Herren, damit kommen wir zur Tagesordnung. Ich rufe auf den einzigen Punkt der Tagesordnung:
a) Große Anfrage der Fraktion der SPD betreffend Vorbereitung von Viermächteverhandlungen zur Wiedervereinigung Deutschlands ;
b) Beratung des Antrags der Fraktion der SPD betreffend Viermächteverhandlungen .
Nach § 28 der Geschäftsordnung werden die beiden Punkte miteinander verbunden. Ich frage, ob zur Begründung das Wort gewünscht wird. — Das Wort zur Begründung hat der Abgeordnete Wehner.
— Einen Augenblick, Herr Abgeordneter! — Meine Damen und Herren, ich bitte doch um etwas Ruhe, damit wir hier beginnen können.
Bitte, fangen Sie an, Herr Abgeordneter Wehner.
Wehner , Anfragender: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Antrag, der die Drucksachennummer 1355 trägt, ist von meiner Fraktion im April eingebracht worden. Wenn damals die Mehrheit des Hauses diesem Antrag entsprochen und wenn die Bundesregierung den in diesem Antrag verlangten Bericht über die außenpolitische Entwicklung im Hinblick auf bevorstehende Viermächteverhandlungen gegeben und zur Diskussion gestellt hätte, hätten manche Fragen rechtzeitig geklärt werden können, über die inzwischen Diskussionen entbrannt sind. Wir müssen nun heute, nachdem sich damals die Mehrheit des Hauses unserem Antrag versagte, sozusagen auf dem Umweg über die Große Anfrage, die Ihnen vorliegt, zum Teil nachholen, was damals zweckmäßigerweise in Bericht und Debatte hätte behandelt werden sollen. Daß ein solcher Umweg und eine solche behelfsmäßige Unterrichtung erforderlich sind, gehört zu den Kennzeichen einer bedauerlichen Art der Behandlung von Lebensfragen unseres Volkes.
Ich wende mich nun der Begründung der Anfrage der sozialdemokratischen Fraktion zu. In Punkt 1 fragen wir:
Was hat die Bundesregierung getan, um im Sinne des Beschlusses des Deutschen Bundestages vom 26. Februar 1955 zu erwirken, daß eine ständige Kommission, bestehend aus je einem Vertreter der drei Westmächte und der Bundesrepublik Deutschland, gebildet wird, deren Aufgabe es ist, ,alle zur friedlichen Wiedervereinigung Deutschlands sich bietenden Gelegenheiten zu erörtern und Vorschläge auszuarbeiten, um aussichtsreiche Verhandlungen vorzubereiten?
Entschuldigen Sie, daß ich Sie hier auf einen offenbar durch einen Schreibfehler entstandenen Druckfehler in der Ihnen schriftlich vorliegenden Fassung der Anfrage aufmerksam mache. Ich habe schon korrigiert, daß es sich urn den Beschluß des Plenums vorn 26. Februar 1955 handelt. Wir bedauern, daß man erst gesucht hat, was denn wohl am 27. Februar 1954 für ein Beschluß gefaßt worden sei. Wir wollten Ihre Aufmerksamkeit und auch die der Regierung nicht auf die Zeit unmittelbar nach dem Schluß derBerliner Viermächtekonferenz vom vorigen Jahr zurücklenken, sondern wir wollten an jene Resolution, an jenen Beschluß erinnern, den unser Haus nach der zweiten Lesung der Pariser Verträge gefaßt hat. Ich nehme das zum Anlaß, einiges zu der damaligen Entschließung zu sagen.
Diese Entschließung war das Ergebnis der Beratung von Anträgen der sozialdemokratischen Fraktion im Ausschuß für auswärtige Angelegenheiten. Mit diesen Anträgen hatten wir — beginnend mit der Londoner Konferenz vom September/Oktober 1954 über die Pariser Konferenz bis zu der Zeit, in der über die Annahme der Pariser Verträge gestritten wurde — versucht, schon während der Vorbereitung der Pariser Verträge konkrete Bemühungen um gleichzeitige Viermächteverhandlungen über die Wiedervereinigung Deutschlands in Gang zu bringen.
Wir sind damals von Stufe zu Stufe auf die Ablehnung der Mehrheit des Hauses und der Bundesregierung gestoßen. Man hat uns auf die Zeit nach der Ratifikation der Verträge vertröstet und hat gesagt, diese sei unerläßlich, um überhaupt ein Klima für die Behandlung ,der Wiedervereinigung auf dem Viermächtewege zu schaffen. Gleichzeitige konkrete Bemühungen, Viermächteverhandlungen in Gang zubringen, sind an Ihrer ablehnenden Haltung gescheitert.
Dann hat man gesagt, aber unmittelbar nach der Ratifikation werde man sich — und zwar auf höchster Ebene, auf der Ebene der Regierungschefs oder der Außenminister — in einem ständigen Ausschuß mit den Fragen der Wiedervereinigung befassen. Inzwischen ist von neuen, erst noch zu absolvierenden Fristen und Stadien, Stadien der Durchführung der Verträge, die Rede. Immer neue Bedingungen und Voraussetzungen werden für notwendig gehalten, bevor man an die konkrete Wiedervereinigungsverhandlung herankommen könne. Damals, in dem Beschluß des Bundestages vom 26. Februar, hieß es unter Punkt 1:
Die Einheit Deutschlands als Staat und seine Freiheit zu wahren und mit friedlichen Mitteln zu vollenden, bleibt die vordringliche Aufgabe der deutschen Politik.
Es wurde dann im zweiten Punkt dieses Beschlusses auf die Londoner Schlußakte und die Tatsache hingewiesen, daß eine ganze Reihe von
Regierungen anderer Staaten sich den Satz der Londoner Schlußakte zu eigen gemacht haben: „die Verwirklichung eines völlig freien und geeinten Deutschlands durch friedliche Mittel als ein grundlegendes Ziel ihrer Politik zu behandeln". Es wurde darauf hingewiesen, daß auch im Europarat bei der Behandlung der Frage: Entspannung und europäische Sicherheit in erster Linie die Wiedervereinigung Deutschlands zu erörtern für notwendig bezeichnet wurde. Es wurde damals auch — das war ein Ergebnis langer Diskussionen, sowohl im Plenum als auch im Ausschuß — darauf hingewiesen, daß gewisse Verlautbarungen der vierten Besatzungsmacht, der Sowjet-Regierung, der Untersuchung würdig seien, ob sich hier vielleicht Möglichkeiten und Wege zu Verhandlungen über eine friedliche Wiedervereinigung in Freiheit eröffneten. Schließlich wurde es vom Bundestag, nachdem er in diesem Beschluß Verhandlungen der vier Mächte mit dem Ziel: „Wahl eines gesamtdeutschen Parlaments in allen Zonen auf der Grundlage eines demokratischen, allgemeinen, freien und gleichen Wahlrechts, Schaffung einer gesamtdeutschen Verfassung und Bildung einer gesamtdeutschen Regierung" usw. gefordert hatte, für notwendig erachtet — ich erinnere daran, weil dies der Punkt ist, der unsere Frage kennzeichnet —, daß eine ständige Kommission aus Vertretern der Westmächte und der Bundesrepublik eingesetzt werden sollte, deren Aufgabe es sein müßte, „alle zur friedlichen Wiedervereinigung Deutschlands sich bietenden Gelegenheiten zu erörtern und Vorschläge auszuarbeiten, um aussichtsreiche Verhandlungen vorzubereiten". Wir sind unmittelbar nach der Annahme dieses Beschlusses durch das regierungsoffiziöse „Bulletin" darauf hingewiesen worden, daß alle Parteien sich nun künftig an die gemeinsame Entschließung auch weiter gebunden fühlen sollten. Nun, wir fühlen uns wirklich an sie gebunden und machen heute darauf aufmerksam, daß in dem ersten Satz dieser Entschließung die Anstrengungen um die Wiedervereinigung Deutschlands als die vordringliche Aufgabe der deutschen Politik bezeichnet wurde.
Wir haben feststellen müssen, daß inzwischen — ich denke dabei besonders an das Kommuniqué über die Gespräche, die der Herr Bundeskanzler mit dem französischen Außenminister Monsieur Pinay in Bonn gehabt hat — gerade im Zusammenhang mit diesen Gesprächen ganz andere Töne in bezug auf die Voraussetzungen für Wiedervereinigungsverhandlungen angeschlagen worden sind. Dort nämlich heißt es leider, daß die Verwirklichung der Pariser Verträge das notwendige Gespräch mit dem Osten zu eröffnen erlaube. Man weiß ja auch, es gibt eine Art internes Stichwort in den Regierungskreisen, daß man zunächst einmal einige Jahre brauche, in denen wir durch die Verwirklichung der Verträge unseren westlichen Vertragspartnern unsere Vertragstreue zu beweisen hätten, und es liege auch im Interesse dieser Partner, daß sie bei dann fälligen Verhandlungen nicht nur auf papierne Verträge und nicht nur auf papierne Soldaten zurückgreifen könnten. Es könnte sehr leicht sein — das ist leider so —, daß dann eben auch die Gegenseite ähnliche handfeste Dinge hat, auf die sie zurückgreift, und daß schließlich beide Seiten die Zeit damit verbracht haben, militärische Tatsachen, die sich als Hindernisse für die Verwirklichung der Wiedervereinigung Deutschlands erweisen werden, zu schaffen. Man sagt heute, es bedürfe langer Verhandlungen; zwei
Jahre und mehr müsse man verhandeln. Das ist nur die Bemäntelung der Tatsache, daß man in diesen Jahren an eine Durchführung der militärischen Folgerungen aus den Pariser Verträgen denkt. Wieweit das aber mit der Wiedervereinigung zu vereinbaren sein wird, das ist nicht nur in der Vergangenheit die Streitfrage gewesen, das wird sich leider auch in der Zukunft, wenn Sie davon nicht ablassen, als die Streitfrage herausstellen.
Unsere Frage ist also: Was ist mit dieser Kommission? Diese Frage heißt in Wirklichkeit: Wie steht es mit einer gemeinsamen Politik der Bundesregierung und der Westmächte in bezug auf die Verwirklichung der Wiedervereinigung Deutschlands?
Denn diese Kommission kann nur interessant sein, wenn sie der Platz und wenn sie ein Mittel dazu ist, eine gemeinsame Politik in Zusammenarbeit der Bundesrepublik und der Westmächte zur Verwirklichung der Wiedervereinigung zu betreiben. Dabei handelt es sich — so wurde es damals gesagt — um alle zur friedlichen Wiedervereinigung Deutschlands sich bietenden Gelegenheiten, die erörtert werden sollen, und um Vorschläge zur Vorbereitung aussichtsreicher Verhandlungen.
Es kann sich doch wohl nicht darum handeln, sozusagen periodisch im Gleichklang zwischen Bundesregierung und Regierungen der Westmächte festzustellen, daß Bundesregierung und Westmächte lediglich in der Ablehnung von Modellen einig seien. Man müßte ja wohl auch einmal hören, welche Einigkeit in der gemeinsamen Vertretung, im gemeinsamen Verfolgen von Möglichkeiten besteht.
Ich komme dann zum zweiten Punkt unserer Anfrage. Er lautet:
Hat die von der Bundesregierung zu Vorverhandlungen mit Vertretern der drei Westmächte nach London entsandte Delegation Instruktionen und Vollmachten erhalten, die sich auf den sachlichen Inhalt der angestrebten Viermächteverhandlungen erstrecken?
Lassen Sie mich Ihnen ganz offen sagen, daß ich es bedauere, eine solche Frage stellen und begründen zu müssen. Es sollte, meine Damen und Herren, die Opposition, und vielleicht darf ich das sogar sagen, ohne Sie zu kränken, es sollte das Parlament selbstverständlich davon unterrichtet sein.
Soweit wir wissen, sind zu diesen Vorverhandlungen von Regierungen der mitbeteiligten Staaten qualifizierte Beauftragte entsandt worden. Es bieten oder es boten diese Vorbesprechungen zweifellos eine Gelegenheit für die Bundesregierung, durch Vorschläge klarzumachen, was wir, was die Bundesrepublik, was die Deutschen in Viermächteverhandlungen zur Wiedervereinigung für möglich halten. Denn nur dadurch, daß wir es klarmachen, können wir das Maximum an Bereitschaft bei den anderen Partnern erzielen. Man erwartet doch, und ich glaube, man erwartet es mit Recht, von u n s , daß wir Vorschläge und Pläne darbieten. Das aber erfordert angesichts der nicht unkomplizierten Lage ein Höchstmaß an Elastizität.
Ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, als bestehe das Interesse der Bundesregierung in diesem Stadium der Vorbereitung von Viermächteverhandlungen vorwiegend darin, nicht in den Ruf
zu geraten, die Pariser Verträge und die mit ihnen
beschlossene Aufrüstung des geteilten Deutschland
aufs Spiel setzen zu wollen, und als verhielten wir
uns so, daß wir auf das warten, was die anderen
vorzubringen hätten und äußerten. Aber von
keiner beteiligten Seite können und dürfen wir
doch mehr Intensität in der Entwicklung einer zur
Wiedervereinigung Deutschlands führenden Politik
erwarten, als wir selbst bereit sind zu entwickeln.
Das heißt, daß es unsere Sache ist, wenn notwendig, eine ganze Skala brauchbarer und annehmbarer Vorschläge zu entwerfen und allen brauchbaren und annehmbaren Anregungen nachzugehen, statt — ich muß auch hier wieder diese Bemerkung machen — sich darauf zu beschränken, festzustellen, was alles nicht in Frage kommt, wenn es zu Viermächteverhandlungen über die deutsche Wiedervereinigung kommt.
Ich wende mich damit dem Punkt 3 unserer Anfrage zu. Er lautet:
Warum hat die Bundesregierung ihre Vorbereitungen zu Viermächteverhandlungen nicht in einem Ausschuß des Deutschen Bundestages zur Diskussion gestellt? Wann gedenkt sie das Parlament an der Ausarbeitung von Vorschlägen zu aussichtsreichen Verhandlungen zu beteiligen?
Diese Frage kann nicht so abgetan werden, wie sie kürzlich einmal hier in einer Geschäftsordnungsdebatte über den Antrag, den wir früher hier zur Beratung stellen wollten, erledigt wurde, daß man nämlich intensiver im Auswärtigen Ausschuß diskutieren sollte. Selbst wenn die Bundesregierung — das bestreiten wir gar nicht — für Verhandlungen die letzte Verantwortlichkeit hat und wenn sie ein Interesse daran haben muß, daß nicht jede für Verhandlungen wesentliche Einzelheit öffentlich und vielleicht zur Unzeit erörtert wird, muß doch — oder wir geben uns selbst auf — über die Grundlinie, die bei solchen Verhandlungen verfolgt werden soll, und über Alternativmöglichkeiten eine Aussprache möglich und nicht nur möglich, sondern dringend erwünscht sein,
doch auch zu dem Zweck, die deutsche Position, die ja schwierig genug ist, anderen, die an dieser Frage wieder mit anderen Interessen beteiligt sind, klarzumachen. Jetzt haben wir es mit einem Maß öffentlicher Erörterung von zum Teil durchaus taktischen Einzelfragen zu tun, daß man mit Recht fragen kann, ob durch ein normales Verfahren, d. h. durch die Beteiligung des Bundestages an den deutschen Vorbereitungen von Viermächteverhandlungen, nicht viel mehr hätte gewonnen und mancher Schaden hätte verhütet werden können. Aber die Frage bleibt, wann denn die Bundesregierung gedenkt, dieses Haus und die dafür zuständigen Ausschüsse oder einen dafür zuständigen Ausschuß mit diesen Fragen zu befassen.
Ich komme damit zu Punkt 4 unserer Anfrage:
Was gedenkt die Bundesregierung zu tun, um zu verhindern, daß eine Viermächtekonferenz faktisch zur Festlegung der beteiligten Mächte auf die Fortdauer der Spaltung Deutschlands führt, weil beide Seiten daran festhalten, der militärischen Blockbildung und der Einbezie-
hung der Teile Deutschlands in die Blöcke den Vorrang vor einer Übereinkunft über die friedliche Wiedervereinigung Deutschlands zu geben?
Man darf es heute, ohne voreilig zu sein, wohl als gegeben ansehen, daß Viermächteverhandlungen zustande kommen. Eine ganz andere Frage ist es, womit sich Viermächteverhandlungen befassen werden oder hauptsächlich befassen werden. Viermächteverhandlungen werden zustande kommen, weil die Großmächte aus sehr verständlichen Gründen eine Entspannung der zwischen ihnen bestehenden Gegensätze anstreben. Vor allem ist es die Entwicklung der modernen Massenvernichtungswaffen, die es ihnen nahezu unausweichlich erscheinen läßt, den Versuch einer Politik des friedlichen Nebeneinanderbestehens und der friedlichen Regelung der Streitfragen zu machen.
Dabei möchte ich nicht versäumen, auch Ihre Aufmerksamkeit darauf zu lenken, daß heute schon in sehr wesentlichen Teilen der Welt die Völker und auch die Regierungen sich an ganz anderen Maßstäben orientieren als den Maßstäben der Periode des Kalten Krieges. Ich denke dabei vor allem an ein Ereignis, das uns räumlich ferner liegt, das aber von eminenter politischer Bedeutung auch für unsere Breitengrade ist, an das Ereignis der Asiatisch-Afrikanischen Konferenz von Bandung. Es ist meine persönliche Überzeugung, daß die fünf Prinzipien, die schon im vorigen Jahre von maßgebenden Staatsmännern asiatischer Länder postuliert wurden, Grundsätze sind, die auch für die Gestaltung der Dinge in den übrigen Teilen der Welt die entscheidenden Maßstäbe abgeben werden: der Grundsatz der gegenseitigen Achtung der territorialen Integrität und Souveränität des andern, der Grundsatz der gegenseitigen Nichtangriffshandlungen, der Grundsatz der gegenseitigen Nichteinmischung in die internen Angelegenheiten des andern, der Grundsatz der Gleichberechtigung und des gegenseitigen wirtschaftlichen Nutzens und schließlich der Grundsatz des friedlichen Zusammenlebens. Die zehn Punkte, die die Vertreter von etwas mehr als der Hälfte der Menschheit — wenn man einmal zahlenmäßig sprechen darf — in Bandung postuliert haben, entsprechen diesen fünf Prinzipien.
Auch wir Deutschen müssen — das ist ein vitales Interesse — für die Entspannung der internationalen Gegensätze sein. Auch wir müssen für das friedliche Nebeneinanderleben der Völker und Staaten sein. Auch wir dürfen die Augen nicht vor der Tatsache verschließen, daß dies keine Lämmerweide sein wird, sondern der Austrag eines sehr scharfen Wettbewerbs verschiedener sozialer Systeme. Wenn man heute mit annähernder Sicherheit sagen darf, daß es zu Viermächteverhandlungen kommen wird, weil die Großmächte auf Grund der Entwicklung und auch gedrängt durch die Bewegungen in den Völkern, wie ich sie jetzt eben erwähnt habe, in eine Periode der Ordnung des friedlichen Nebeneinanderbestehens eintreten, so ist es für uns, die wir noch im Zustand der Teilung unseres Landes leben müssen, von wesentlicher Bedeutung, ob diese Periode beginnt mit Bemühungen um die Wiedervereinigung Deutschlands oder ob beide Seiten, vielleicht auch mit der Bemerkung „zunächst, bis auf weiteres, bis die Dinge sich anders ordnen lassen", je einen Teil Deutschlands in ihrem Block behalten. Das ist nicht nur für unser Volk lebenswichtig, sondern auch — so möchten wir ohne Anmaßung sagen — für den europäischen Frieden. Es ist lebenswichtig für die Existenz der 18 Millionen, die in der sowjetisch besetzten Zone leben müssen. Ich sage noch einmal: Es ist für das europäische Zusammenleben lebenswichtig, ob es sich weiter in der Verkrampfung der Mächteblocks abspielen soll oder ob man den Weg zu einer Ordnung gutnachbarlicher Verhältnisse findet. Wir können zwar nicht annehmen, daß in dieser Beziehung alles von unserem Verhalten abhängt, aber für eine positive Entwicklung in dieser Richtung hängt sehr vieles von unserem eigenen Verhalten ab. Es hat schon sein Gewicht und es hat auch seine Folgen, auf welcher Grundlinie wir selbst argumentieren und vorgehen.
Wir möchten und wir fordern, daß die Bundesregierung als ihr Ziel für Viermächteverhandlungen eine Vereinbarung der Vier über ein regionales europäisches Sicherheitssystem im Rahmen der Vereinten Nationen anstrebt, in dem das wiedervereinigte Deutschland Rechte und Pflichten ausüben kann. Selbst wenn dieses Ziel angesichts der schon vorhandenen Verhärtung der in Gegensatz zueinander stehenden Mächteblöcke nicht ohne Zwischenstadien erreichbar sein sollte, so müßte die Bundesregierung es als ihr Ziel bezeichnen und anstreben, um klarzumachen, daß sie nicht die Absicht hat, das wiedervereinigte Deutschland Mitglied des einen oder des anderen Militärblocks werden zu lassen oder es aus allen Bindungen auszuklammern, wobei ich hier unter Bindungen verstehe: die Verpflichtungen zur Aufrechterhaltung der Sicherheit im Rahmen der Bestimmungen der Vereinten Nationen. Wir wollen auch bei dieser schweren Aufgabe Rechte und Pflichten übernehmen.
. Angesichts der offenkundigen Schwierigkeiten, sozusagen mit einem Schlag aus der Verhärtung der Blöcke zu einer Auflösung der militärischen Blockbildungen zugunsten eines regionalen Sicherheitsabkommens im Rahmen der Vereinten Nationen zu gelangen, sollte die Bundesregierung — das ist unsere nächste Erwartung — als Etappenziel eine Garantieabmachung der Vier mit der Regierung des wiedervereinigten Deutschlands im Auge behalten, an der dann eventuell auch andere Staaten teilnehmen könnten, über die Unverletzbarkeit der Territorien, die Verhütung bewaffneter Austragung von Konflikten und die Anerkennung der Bestimmungen der Vereinten Nationen für die Regelung von Konflikten. Auch in diesem Fall sollte die Bundesregierung es als ihre erklärte Absicht bezeichnen, daran mitzuwirken, daß an die Stelle der militärischen Blockbildungen, die einer vergangenen Periode angehören sollten, regionale Sicherheitsabkommen treten. Deutschland will nicht Mitglied des einen oder anderen Militärblocks sein. Es soll aber berechtigt sein zur Aufstellung von Truppen in zu vereinbarender Stärke und verpflichtet zur Mitarbeit an Sicherheitsaufgaben regionaler Art. Dementsprechend sollte es die erklärte Politik der Bundesregierung im Hinblick auf die Verwirklichung der Einheit Deutschlands sein, sich für die Verpflichtung eines wiedervereinigten Deutschlands einzusetzen, auf seinem Boden nicht andere Militärstützpunkte und Basen zuzulassen als solche, die sich aus den Verpflichtungen des regionalen Sicherheitssystems ergeben könnten.
Das ist eine Richtung für den Versuch, auf die Viermächteverhandlungen einzuwirken, die für die Entwicklung jeder Art von Verhandlungen entscheidend ist. Gegebenenfalls muß die Bundes-
regierung auf der Linie operieren, ein länger befristetes Zwischenstadium von der Wiedervereinigung bis zum Abschluß des Friedensvertrags zu erwirken. Das wäre ja nicht so furchtbar umstürzend; denn der Eden-Plan, gegen den wir mancherlei Einwände hatten und haben, wenn er heute wieder zur Debatte stünde, sah ja eine solche Regelung für ein Zwischenstadium vom Moment der Wiedervereinigung bis zum Abschluß des Friedensvertrags vor, ein Stadium, in dem alle fünf Beteiligten — denn dann wären es nicht mehr nur vier, sondern fünf — darauf bauen könnten, daß keine der fünf durch vollendete Tatsachen außer Spiel gesetzt werden könnte, die andere allein oder miteinander schaffen; denn jede von ihnen hätte bis zum Abschluß des Friedensvertrages — das hat seine Schattenseiten, das hat auch seine positiven Seiten — ein Vetorecht.
Entscheidend für unsere Grundhaltung in solchen Verhandlungen, die ja schwierig genug sein werden, muß es sein, alles daranzusetzen, eine Vereinbarung der Vier zu erreichen, durch die Deutschland wiedervereinigt wird und wodurch die in der sowjetischen Besatzungszone lebenden Deutschen in den Stand gesetzt werden, in voller persönlicher und staatsbürgerlicher Freiheit zusammen mit uns zu leben. Das muß das Nächste sein, worauf wir bei Viermächteverhandlungen hinstreben.
Kommen wir zu der so viele Schwierigkeiten hervorrufenden Frage: Wie sollen die Pariser Verträge, die ja ratifiziert sind, bei solchen Verhandlungen gehandhabt werden? Sollen sie sozusagen Selbstzweck sein, sollen sie unberührbar sein? Wenn das der Fall sein sollte, wenn das die Auffassung der Bundesregierung sein sollte, dann müßte sie sich darüber klar sein, daß damit automatisch auch das durch den Warschauer Vertrag errichtete Militärblockgebäude unberührbar sein wird.
— Ja, auf diesen Zwischenruf, Herr Euler, habe ich auch längst gewartet. Das ist der einzige, der von dieser Seite kommt: das sei längst alles so gewesen. Es ist ein falscher Trost, dies sei nur das Offenkundigwerden eines bestehenden Zustandes. Je mehr militärische Hindernisse auf der einen und auf der anderen Seite in den Teilen Deutschlands errichtet werden, um so schwieriger wird es werden, sie einmal wieder abzutragen.
Wir werden dann unendlich mühsame Verhandlungen über den Abbau der Vorgebirge haben, statt daß man an die Kernfrage vorstoßen kann.
Es ist ein Unterschied, ob die Zone, • wenn auch vielleicht nur theoretisch, noch Verhandlungsgegenstand ist oder ob sie es nicht mehr ist. Vielleicht müssen wir darüber später wieder reden, weil Sie sich das in den Kopf gesetzt haben. Aber ich warne Sie davor.
Wenn Sie heute einer Lage gegenüberstehen, in der es — darüber will ich mich nicht verbreiten, aber das ist ja in die Debatte geworfen worden — unmöglich ist, über das Schicksal bestimmter im Laufe der letzten zehn oder fünfzehn Jahre kommunistisch gewordener Teile Europas bei Verhandlungen zu beginnen, so könnte es uns in bezug auf die Zone ähnlich ergehen, wie es heute mit gewissen Satellitenstaaten der Fall ist; und davor möchten wir unser Volk und die Bewohner der Zone bewahren. Das ist unsere Sorge.
Meine Damen und Herren! Über die Frage, wie die Pariser Verträge behandelt werden, ist in einem Stadium, in dem durch sie und durch das, was als Gegenbild auf der anderen Seite errichtet worden ist, noch nicht unabänderliche Tatsachen in die Welt gesetzt worden sind, zweckmäßiger zu reden, als vielleicht nach Verlauf einer längeren Zeit. Wir meinen, daß die der Bundesrepublik auferlegten Verpflichtungen militärischer Art — das sollte ein Verhandlungsziel sein — zugunsten einer zwischen den Vier Mächten und Deutschland zu vereinbarenden Lösung im Rahmen eines regionalen europäischen Sicherheitsabkommens aufgehoben — oder, wenn Sie das Wort lieber hören: ersetzt — werden sollten, und wir finden — und wir haben diesen Vorschlag ja auch zur Debatte gestellt —, daß man z. B. den Versuch machen sollte, die Westeuropäische Union aus ihrer jetzigen Gestalt zu einer allen europäischen Staaten offenstehenden Union auszubauen oder zu verwandeln, mit entsprechenden Verpflichtungen für das wiedervereinigte Deutschland.
Ich will hier nicht im einzelnen über Modifikationsmöglichkeiten sprechen. Es ist mir peinlich, solche Einzelheiten nicht an einer Stelle erörtern zu können und erörtern zu dürfen, an der es mit Sinn und Zweck geschehen müßte, wenn wir nicht in Verhandlungen hineinschlittern sollen, die noch dadurch erschwert sind, idaß wir selbst gar kein unmittelbar 'beteiligter Partner sind, in Verhandlungen, die an dem Kern der Dinge vorbeigehen. Wir meinen, das Inkrafttreten der militärischen Folgerungen aus den Verträgen, die die Bundesrepublik betreffen, müßte für eine bestimmte Zeit ausgesetzt werden, um den Versuch der Wiedervereinigung zu ermöglichen. Die Westeuropäische Union hat es in der Hand, durch die Festlegung z. B. neuer Höchstzahlen für die Truppenstärken der ihr angeschlossenen Länder eine Situation zu schaffen, die es ganz klarmacht, daß hier eine Pause zur Durchführung des Versuchs der Wiedervereinigung Deutschlands gemeint ist, daß man sozusagen ein Stillhalteabkommen hat. Schließlich würden wir in dem Zusammenhang von den Revisionsbestimmungen Gebrauch zu machen für notwendig halten.
Das also sind Dinge, die im Zusammenhang mit dieser Frage zu erörtern wären, die wir besonders deswegen für erörterungswert halten, weil der Herr Bundeskanzler in einem seiner Interviews — ich habe eines vorn 1. April 1955 vor mir — im Hinblick auf bevorstehende Viermächteverhandlungen den Gedanken entwickelt hat — ich zitiere den Herrn Bundeskanzler —,
man könnte also an ein umfassendes Übereinkommen der beiden Mächteblocks denken, das sich auf militärische, wirtschaftliche und politische Fragen erstrecken würde.
Beim Bundeskanzler ist also offenbar auch der Gedanke an Übereinkommen. Das, was manchem noch vor eineinviertel Jahren völlig undiskutabel erschien, die Frage, ob man ein Sicherheitsabkommen oder Sicherheitsabmachungen, an denen auch die
Sowjetregierungbeteiligt sein müßte und sein würde, für denkbar halten könnte oder nicht, das ist heute längst hoffähig geworden. A 11e reden vom Sicherheitsabkommen, nur meinen die einen damit Abkommen von Block zu Block bei Fortexistenz der Blöcke. Da haben wir unsere berechtigten Einwände und mehr als Zweifel, ob das gutgehen kann, vor allen Dingen auch deswegen, weil es für uns bedeutet, daß wir den schrecklichen Vorzug genießen würden, als einziges Volk in getrenntem Zustandbeiden Blöcken angehören zu müssen.
Das ist etwas, was kein Vorzug, sondern eine furchtbare Geißel wäre,
und deswegen möchten wir herunter und der Bundesregierung helfen, herunterzukommen von diesen Vorstellungen, Abmachungen zwischen Block und Block, zwischen den Mächteblocks zu wollen; denn das ist eine Form, in der es wohl kaum zur Verwirklichung der Wiedervereinigung Deutschlands kommen könnte. Wir sehen die Gefahr, daß unser Anliegen, die Wiedervereinigung, endgültig der Strategie der Mächteblocks untergeordnet wird. Davor warnen wir, und wir bemühen uns, mitzuhelfen, daß man diesen folgenschweren Schritt nicht tut.
Ich komme damit zum Punkt 5 unserer Anfrage, in der die Bundesregierung gefragt wird, ob sie die vom Leiter des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung in einem Rundfunkvortrag am 20. April 1955 genannten Bedingungen für die Wiedervereinigung Deutschlands billigt, daß nämlich unmöglich auf Militärstützpunkte anderer Mächte in Deutschland und auf Militärallianzen verzichtet werden könne. Ich bedaure, daß ich hier einen Beamten — dazu noch in seiner Abwesenheit — in die Debatte ziehen muß, aber die Bemerkung richtet sich ja nicht — so jedenfalls soll sie verstanden werden — gegen seine Person; ,denn hier ist von ihm in seiner amtlichen Eigenschaft offenbar der Versuch gemacht worden, die Ansicht der Bundesregierung zu interpretieren. Es ist dies der kritischste Punkt der Auffassungen der Bundesregierung über Möglichkeiten einer deutschen Wiedervereinigungspolitik. Es sieht so aus, als wollten wir die Wiedervereinigung nicht, wenn man uns nicht Militärstützpunkte und Allianzen erlaubte. Das ist eine gefährliche Umdrehung dessen, was uns nützlich und notwendig sein könnte. Da haben wir wieder dieses Stichwort: Wiedervereinigung wäre inakzeptabel, wenn sie um den Preis des Verzichts der Mitgliedschaft im Nordatlantikpakt erkauft werden müßte. Wir alber meinen: wir müssen die Wiedervereinigung wollen. Wir wollen auch den Abbau der Blocks, und darin sehen wir den deutschen Beitrag zur Entspannung der internationalen Gegensätze.
Heute geht mitten durch unser Volk ein Riß. Alle wünschen die Einheit Deutschlands, aber viele sind in steigender Sorge, weil sie sehen, daß der Weg der militärischen Aufrüstung des geteilten Deutschlands die Einheit in unbestimmte Ferne zu rücken droht. Noch ist es Zeit, die Anstrengungen aller zusammenzufassen. Noch kann der Wille aller Deutschen zur Wiedervereinigung in die Waagschale der Viermächteverhandlungen gelegt werden. Wir wünschen und fordern, daß sich die
Bundesregierung mit höchster Elastizität und mit unermüdlicher Zähigkeit
der Einwirkung auf die Viermächteverhandlungen widmet.