Rede von
Dr.
Konrad
Adenauer
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Nein, das tue ich ja auch gar nicht! Ich wiederhole die Worte des Herrn Präsidenten: Ich werde die Rede des Herrn Kollegen Wehner in diesem Punkte nachlesen.
Sie werden verstehen, es ist eine so wichtige Frage, daß es sich doch lohnt, die Rede nachzulesen.
— Lieber Herr Mellies, ich will die früheren Reden nicht nachlesen; das ist zuviel verlangt. Aber ich möchte die heutige Rede nachlesen. Das ist doch mein gutes Recht.
Das können Sie mir doch nicht nehmen.
Ich wünschte, Herr Mellies, Sie lesen auch meine Rede nach.
Nun überhaupt ein allgemeines Wort zur Neutralität, auch bewaffneter oder Neutralisierung. Ich sage Ihnen, und das mit allem Ernst und im Bewußtsein dessen, was ich sage: kein Land in Europa ist in der Lage, falls es wirklich zum heißen Krieg zwischen den großen Mächten kommen sollte, sich für sich allein zu verteidigen.
Der Fortschritt in der Entwicklung der Waffentechnik macht das einfach unmöglich. Ein Land wie Großbritannien, dem man sicher nicht nachsagen kann, daß es schnell und leichtherzig Entschlüsse faßt, hat in Erkenntnis dieser Lage doch auf der Londoner Konferenz des Herbstes 1954 mit einer 500 Jahre alten Tradition, mit der Tradition der Isolierung, des Alleinstehens gebrochen.
Weil es eben eingesehen hat, daß das in unserer
Zeit Selbstmord bedeutet, hat es sein Geschick mit
dem Geschick von Kontinentaleuropa verbunden.
Nun wird jeder fragen: Gibt es denn überhaupt eine Möglichkeit, den Frieden in der Welt wiederherzustellen? Ich glaube, mit Recht kann die friedlose Menschheit diese Frage stellen, muß sie
jeder verantwortungsbewußte Politiker stellen. Ich, meine Damen und Herren, beantworte diese Frage überzeugt mit Ja. Es gibt eine Möglichkeit. Wenn wir in die Vergangenheit zurückblicken, so hat es einmal Zeiten gegeben, in denen eine Macht, die so stark war wie alle anderen zusammen, den Frieden sichern konnte. Diese Zeiten sind vorbei, sie werden nicht wiederkehren. Man hat dann zu Ersatzmitteln gegriffen. Man hat versucht, eine Reihe von Mächten zusammenzubinden, damit sie eine solche moralische und eventuell auch eine Kraft, die in der Tat angewandt werden könnte, bekämen, um den Frieden in der Welt zu sichern. Ich erinnere an die Heilige Allianz, die das unternommen hat; ich erinnere an den Völkerbund, ich erinnere an die UNO. Ich bin der letzte, der bestreiten würde, daß der Völkerbund und insbesondere die UNO manches beigetragen haben zur Entspannung von Spannungen untergeordneten Grades. Aber auch ,die UNO hat es nicht fertigbekommen, zu verhindern, daß die Welt in den heutigen entsetzlichen Zustand geraten ist.
Nach meiner Überzeugung kann der Frieden in der Welt in Wahrheit nur ,dadurch wiederhergestellt werden, daß die mächtigsten Länder der Welt, die im Besitz der die Menschheit bedrohenden Waffen sind, Abrüstungen, kontrollierte Abrüstungen in einem solchen Grade vereinbaren und vornehmen, daß bei der heutigen territorialen Größe der einander entgegenstehenden Staaten keine Angriffe mehr Aussicht auf Erfolg bieten.
Erst auf dieser Grundlage lassen sich Sicherheitssysteme aufbauen. Auch wir begrüßen den Aufbau solcher Sicherheitssysteme. Aber diese Sicherheitssysteme werden niemals im Ernstfall Bestand haben, wenn weiter in der Weise gerüstet wird oder gerüstet bleibt, wie jetzt die Welt gerüstet ist.
Nach meiner Überzeugung ist für eine solche Abrüstung der Weltmächte — —
— Ach, „zu Hause", — das können Sie bei sich ja machen, da können Sie abrüsten;
es sind so ernste Dinge, daß man sie wirklich nicht mit solchen Zwischenrufen stören sollte!
Meine Damen und Herren, nach meiner Überzeugung ist für eine solche Abrüstung der Weltmächte —denn darum handelt es sich; die anderen Länder werden dann ohne weiteres folgen —
ein besonders günstiger Zeitpunkt gekommen. Die Entwicklung der Atomwaffen, die Entwicklung der Wasserstoffbombe macht auch für die in ihrem Besitz befindlichen Mächte jeden Krieg zu einem ungeheuren Wagnis. Höchstwahrscheinlich würde durch diesen Krieg dem Sieger wie dem Besiegten und wie auch den übrigen Völkern der Erde das gleiche Los bereitet werden: völliger Untergang. Der Krieg, meine Damen und Herren, der so oft in der Geschichte als ein Mittel der Politik bezeichnet worden ist, ist das nicht mehr!
Der Krieg ist durch die Entwicklung der modernen Waffen aid 'absurdum geführt.
Er kann keinem Lande mehr eine Vergrößerung seiner Macht bringen, sondern er bedeutet für alle Verderben und Untergang.
Ich bin weiter der Ansicht, daß auch der sowjetrussische Machtblock dringend einer Verminderung seiner Ausgaben für Aufrüstung bedarf, um die sehr großen wirtschaftlichen, kulturellen und sozialen Aufgaben, die sein Dasein bedrohen, erfüllen zu können. Ich wiederhole deswegen: Ich glaube, daß für eine allgemeine kontrollierte Abrüstung in dem von mir skizzierten Ausmaße die Zeit niemals so günstig gewesen ist wie jetzt.
Man wird mich auf die bisher fruchtlosen Bemühungen innerhalb der UNO hinweisen. Demgegenüber weise ich darauf hin, daß eben die Furchtbarkeit der modernen Waffen von Monat zu Monat wächst und daß das, was vielleicht vor sechs Monaten noch nicht so als eine absolute Notwendigkeit für alle Länder der Erde erschien, nunmehr eine Notwendigkeit für sie alle ist und auch als eine solche, glaube ich, erkannt wird.
Ich spreche hier diese Meinungen aus, obwohl in der Abrüstungskommission der UNO in London keine Fortschritte von besonderer Bedeutung gemacht worden sind. Ich spreche sie aus, obgleich ein neuer, von der Sowjetunion vorgelegter Abrüstungsplan bei genauer Nachprüfung sich als voller Gefahren erweist. Aber wir sind nunmehr ein souveräner Staat geworden, und unser Schicksal ist mit dem Schicksal der ganzen Erde verbunden. Daher, glaube ich, sollte der Deutsche Bundestag laut und deutlich seine Stimme erheben und die Forderungen, die ich Ihnen soeben vorgetragen habe, zu seinen eigenen machen.
Noch ein Weiteres! Wir stehen vor einem Zusammentreffen der Chefs der vier Regierungen, in deren Händen das Geschick der Welt liegt. Es wird sich Gelegenheit bieten zu einer Aussprache zwischen Eisenhower und Bulganin. Das ist vielleicht eine nicht wiederkehrende Gelegenheit, eine Möglichkeit, die Schicksalsfrage der Menschheit, die Frage der kontrollierten Abrüstung in ihren Grundsätzen zu einer positiven Entscheidung zu bringen. Denn diese Aussprache, von der ich eben gesprochen habe, wird sich vollziehen — wie wir hoffen — gelöst von den Schwierigkeiten und Fesseln, die jede größere Konferenz ihrer Natur nach mit sich bringt. Nach meiner Meinung muß auf der bevorstehenden Viererkonferenz die Frage der Abrüstung die primäre und die entscheidende Frage sein. Ich glaube, daß die Vereinigten Staaten kühn und entschlossen mit einem Vorschlag vorangehen sollten. Sie wären damit der Politik treu, die Präsident Eisenhower im April des Jahres 1953 in so kraftvoller Weise als die Politik der Vereinigten Staaten gekennzeichnet hat. Er hat darin nicht nur eine kontrollierte Abrüstung verlangt, sondern zugleich sich bereit erklärt, das amerikanische Volk aufzufordern, zusammen mit allen Nationen einen wesentlichen Teil der durch die Abrüstung erzielten Ersparnisse einem Fonds für die Unterstützung und den Wiederaufbau der Welt zuzuführen. Ziel dieses großen Werkes, so hat er gesagt, würde sein: Beistand für alle Völker bei der Entwicklung der wirtschaftlich zurückgebliebenen Gebiete der Welt.
Auf diesen Vorschlag Eisenhowers im Jahre 1953 hat Sowjetrußland mit einem Hinweis auf den Potsdamer Vertrag geantwortet. Das war keine Antwort, die den Vorschlägen des Amerikaners gerecht ward. Ich glaube, auch Sowjetrußland wird den Potsdamer Vertrag nicht mehr als lebenskräftig betrachten.
Die Vereinigten Staaten können als erster Staat einen ähnlichen Vorschlag wie 1953 machen und sich mit allem Nachdruck für seine Verwirklichung einsetzen, ohne dadurch einen Prestigeverlust befürchten zu müssen. Die ernsthafte und entschlossene Inangriffnahme dieser Aufgabe wird in der weiteren Entwicklung auch die Wiedervereinigung Deutschlands in Frieden und Freiheit bringen.
Lassen Sie mich zur Wiedervereinigung noch folgendes sagen, auch über die Wände dieses Saales hinaus: Von unserem, vom deutschen Standpunkt aus verlangen wir nur unser Recht, wenn wir fordern, daß Sowjetrußland die 18 Millionen Deutschen, die es mit Gewalt in Unfreiheit hält, freigibt und ihnen gestattet, sich mit uns zu vereinigen.
Denn die Sowjetzone ist nichts anderes als ein von Sowjetrußland besetztes deutsches Gebiet.
Nach der Haager Konvention ist Sowjetrußland verpflichtet, dieses Gebiet treuhänderisch, d. h. unter Wahrung der Freiheit der Bewohner und ihrer Rechte, zu verwalten und in diesem Zustand zurückzugeben. Aber, meine Damen und Herren, bei internationalen. Verhandlungen — wie bei allen Verhandlungen — muß man sich natürlich auch in die Position des Verhandlungsgegners hineindenken.
Aber man darf der Tatsache nicht blind gegenüberstehen, daß vom russischen Standpunkt aus die Freigabe der Sowjetzone für Sowjetrußland eine politische Frage ersten Ranges ist, die mit anderen Sowjetrußland als lebenswichtig erscheinenden Fragen, insbesondere Fragen der Satellitenstaaten, zusammenhängt. Die Frage der Wiedervereinigung Deutschlands kann, wie die Dinge sich gestaltet haben, nun einmal nicht als eine für sich allein im Raume stehende Frage betrachtet und gelöst werden.
Sie steht in engem Zusammenhang mit den Ost-West-Fragen überhaupt. Aber die Frage der Wiedervereinigung Deutschlands, lassen Sie mich das nochmals betonen, ist eine der wichtigsten Fragen, wenn nicht die wichtigste Frage für den Frieden der Welt.
Daher muß diese Frage für alle NATO-Mächte entsprechend ihren Beschlüssen ein Antrieb sein, die Frage der kontrollierten Abrüstung nunmehr energisch anzufassen, dadurch zu einer allgemeinen Entspannung zu kommen und im Zusammenhang damit die Wiedervereinigung Deutschlands in Frieden und Freiheit herbeizuführen.
Die Vereinigten Staaten sind die stärkste Macht auf der Welt. Sie können und müssen dafür sorgen, daß diese Fragen ernsthaft angefaßt und intensiv und tatkräftig gefördert werden. Die ganze Welt wird durch eine solche kontrollierte Abrüstung von dem jetzt auf ihr ruhenden Druck befreit aufatmen und sich in vollem Maße den Werken des Friedens und des Fortschritts widmen können.
Nun lassen Sie mich wenige Sätze zu den Anträgen der sozialdemokratischen Fraktion sagen, die uns soeben überreicht worden sind. Ich empfehle Ihnen, meine Damen und Herren, diese Anträge abzulehnen. Ihre Annahme würde nichts anderes bedeuten, als die Viererkonferenz jetzt schon in diesem Hause abzuwürgen.
— Ich wiederhole das: die Annahme würde nichts anderes bedeuten. Ich darf das Wort wiederholen, daß es, wenn wir nicht die Pariser Verträge hätten, niemals zu einer Viererkonferenz über unsere Wiedervereinigung gekommen wäre.
Wie kann man denn einem Lande zumuten, daß es, nachdem es gerade diese Verträge geschlossen hat, sagt: Jetzt höre ich auf, und ihr anderen Vertragspartner, bitte, gebt euch damit zufrieden, daß wir aufhören! — Wo bleibt dann jedes internationale Vertrauen in unsere Politik?
Ich glaube, ich brauche kein anderes Wort hinzuzufügen. Wir treiben nicht zum Krieg, und die 12 Divisionen, die wir anfangen aufzustellen — demnächst werden die ersten Gesetzentwürfe über
die Einstellung Freiwilliger diesem Hohen Hause zugehen —, die Aufstellung dieser zwölf Divisionen ändert nichts an dem Schicksal der Welt.
— Ach, meine Herren, Sie kennen mich doch genug, um zu wissen, — —
— Sie kennen mich doch genug, um zu wissen, daß einem solchen Satz noch ein Nachsatz folgt.
Aber, meine Damen und Herren, was an dem
Schicksal der Welt etwas ändern würde, das würde
ein Rückfall in die Uneinigkeit des Westens sein,
und darin erblicke ich den Wert dieser 12 Divisionen, daß sie die Einheit des gesamten freien Westens dokumentieren.