Wir müssen also ganz klar den Unterschied unserer Auffassungen herausarbeiten, damit endlich das deutsche Volk sieht, worauf es wirklich ankommt.
Warum lassen Sie sich denn das nicht sagen? Warum sind Sie so schrecklich empfindlich? Sofort wird aufbegehrt, sofort wird der Redner durch hysterische Zwischenrufe unterbrochen. Wir haben Sie ruhig angehört. Auch Sie haben leidenschaftlich gesprochen, Sie haben Ihre Überzeugung dargelegt. Woher kommt es denn, daß Sie jedesmal, wenn einer von uns spricht, auf solche Weise aufbegehren?
Sie, Herr Ollenhauer, sehen — ich glaube, ehrlich; bitte, gestehen Sie dasselbe uns zu — in einem System der kollektiven Sicherheit, das mit Sanktionen ausgestattet ist, eine genügende Sicherung unserer Freiheit. Es bedarf wirklich nicht vieler Phantasie, sich vorzustellen, was passieren könnte, wenn der Zustand Westeuropas so bliebe, wie er jetzt ist, oder so würde, wie Sie es sich vorstellen. In einem solchen Falle würde die Versuchung für jemanden, der seine Politik ausschließlich nach einer immanenten aggressiven Ideologie und nach einem rein machtpolitischen Interesse ausrichtet, allzu groß sein, im gegebenen Augenblick eine Situation auszunützen, die es ihm erlaubte, einen Konflikt zu beginnen, der lokal und zeitlich und dem Waffeneinsatz nach beschränkt werden könnte und bei dem die Sanktionen höchstens zu einer späten, späten Wiederbefreiung führen könnten. Um diese Gefahr von uns fernzuhalten, deswegen unsere Konzeption!
Herr Kollege Wehner hat gesagt, auch nach seiner Vorstellung würde es „keine Lämmerweide" geben. Ich war froh, das zu hören. Aber es genügt mir wahrhaftig nicht; denn, Herr Kollege Lemmer — Verzeihung, Herr Kollege Wehner, — —
Herr Kollege Wehner, Sie haben gesagt, es würde
keine Lämmer weide sein, mit ä geschrieben!
— Ich hoffe, daß es eines Tages in Berlin zu einer Lemmer weide kommt, nämlich dann, wenn Berlin wieder eines freien geeinten deutschen Vaterlandes Hauptstadt sein wird. Dann werden wir, lieber Freund Lemmer, auf dieser Lemmerweide zusammen feiern.
Aber nun zurück zur Lämmerweide! Herr Kollege Wehner, ich habe Angst, daß es in Ihrer neuen Welt Wölfe im Wolfspelz und Wölfe im Schafspelz gäbe,
daß wir aber als die Schafe im Schafspelz übrigblieben.
— Herr Kollege Schmid, ich weiß nicht, was Sie zu dieser Meinungsäußerung berechtigt; aber ganz sicher stimme ich mit Ihnen darin überein, daß die Pariser Verträge sich nicht in dem Bild der Schafe im Schafspelz darstellen lassen. Darauf läuft schon eher Ihr kollektives Sicherheitssystem hinaus. Wenn Sowjetrußland wirklich will, daß es zu einer annehmbaren Lösung auch seiner Probleme kommt — und der Herr Bundeskanzler hat ja in seiner Rede angedeutet, daß er sich durchaus bewußt ist, daß es solche Probleme für Sowjetrußland gibt —, dann muß es sich Rechenschaft darüber geben, wieso es zur gegenwärtigen Situation gekommen ist, und dann muß in Moskau auch die Einsicht dämmern, daß eine Bereinigung nur so geschehen kann., daß gewisse Fakten, die nach 1945 einseitig von Moskau geschaffen worden sind, wieder aus der Welt geschafft werden.
Und nun sagen Sie uns: Wenn es nun um dieses Ziel der deutschen Wiedervereinigung in Frieden und Freiheit, in jenem Frieden und in jener Freiheit geht, von der ich gesprochen habe, dann müßte man doch selbstverständlich, trotz der von uns gemeinsam geforderten Entscheidungsfreiheit der gesamtdeutschen Regierung, davon ausgehen, daß sich vorher die Mächte über den internationalen Status Gesamtdeutschlands geeinigt hätten. Ich kann mir nicht helfen, Herr Kollege Ollenhauer: es wird mir immer ein bißchen traurig zumute, wenn ich höre, wie die Sozialdemokratische Partei in diesem Zusammenhang bereit ist, von vornherein im Grunde genommen die sowjetrussische Forderung zu akzeptieren.
— Herr Kollege Schmid, Sie weisen das zurück. Bitte, lassen Sie uns ruhig darüber sprechen. Was will Sowjetrußland? Sowjetrußland ist es doch, das fordert, daß sich Gesamtdeutschland aus den sogenannten beiden Blöcken heraushalten soll oder herausgehalten werden soll; und das ist doch auch Ihre prinzipielle Forderung.
— Auch Sowjetrußland, Sie wissen es wohl, Herr Kollege Schmid, ist in diesem Zusammenhang bereit, einem System kollektiver Sicherheit zuzustimmen. Was will es denn mit diesem System kollektiver Sicherheit?
— Nein, Sowjetrußland will mehr als Sicherheit. Sowjetrußland will Europa beherrschen. Das ist unsere Überzeugung bis zu dieser Stunde. Sowjetrußland hat in all seinen Bemühungen der letzten Zeit auf das Ziel hingearbeitet, Amerika vom europäischen Kontinent zu verdrängen.
Ich habe schon gesagt, daß es selbst schuld ist, daß die amerikanischen Stützpunkte hier sind. Wozu dienen die Abrüstungsvorschläge, die Sowjetrußland gebracht hat? Sicherlich hat Sowjetrußland diese Abrüstungsvorschläge im Zusammenhang mit seinen übrigen Vorstellungen über die künftige Gestaltung Europas gemacht. Dazu gehört grundlegend das Heraushalten Deutschlands aus dem westlichen Sicherheitssystem, nicht nur das Verbot von zwölf deutschen Divisionen, sondern das Verschwinden der amerikanischen Stützpunkte vom deutschen, ja, wie uns alle Experten sagen, vom europäischen Boden, und das bedeutet ganz einfach die Zerstörung der Nordatlantischen Verteidigungsgemeinschaft.
Aber selbst wenn ich einmal unterstellen wollte, daß es Sowjetrußland in übergroßer Ängstlichkeit, in seltsamer Vermischung von Aggressivität und Einkreisungssorge nur um seine Sicherheit ginge: Sowjetrußland, das die Losung der Koexistenz ausgegeben hat, hat dafür gesorgt, daß seine eigene Existenz im Ernstfall verteidigt werden könnte, denn es hat sich bis an die Zähne bewaffnet. Aber es verlangt von Westeuropa, daß es schutzlos dem guten Willen Moskaus ausgeliefert bleibe, daß es für den Konfliktsfall auf die wirksame Hilfe der freien Welt verzichte oder daß die Hilfe der freien Welt um lange Zeit verspätet käme, wenn wir längst liquidiert und bolschewisiert wären.
Wenn wir miteinander über Vorschläge, über Ideen reden, die wir bei den Beratungen einbringen könnten, und wenn wir gemeinsam davon ausgehen, Herr Kollege Ollenhauer, daß bei den Beratungen der Großen über unser Schicksal selbstverständlich Gedankengänge eine Rolle spielen werden, wie sich das kommende Gesamtdeutschland einmal im Weltgefüge verhalten werde, dann sollten wir nicht so verfahren, wie Sie es tun. Wir sollten vielmehr willens sein, bei den kommenden Verhandlungen das Höchstmaß an politischer Freiheit für ein entscheidungsfreies Gesamtdeutschland herauszuholen.
— Sie sagen, Herr Kollege Schmid: Das ist doch klar. Aber in Ihren Vorschlägen tun Sie doch das Gegenteil. Ist das, was Sie mit Ihrem kollektiven Sicherheitssystem und dem Heraushalten Deutschlands aus den beiden Machtblöcken, also praktisch
der Zertrümmerung des Systems der Nordatlantischen Verteidigungsgemeinschaft vorschlagen, ein Weg, um jenes Höchstmaß an politischer Freiheit für Gesamtdeutschland zu erreichen? Ich glaube nicht!
— Herr Wehner, wir wollen uns nicht dauernd gegenseitig vorwerfen oder bestätigen, wie sehr wir an das Schicksal der 18 Millionen Menschen drüben denken!
Dazu sind uns diese Menschen zu gut. Auch uns macht dieses Problem, genau so wie Ihnen, Tag und Nacht Sorge. Auch uns bewegt die Frage, daß es nicht geschehen darf — und aus den Ausführungen des Herrn Bundeskanzlers klang es ja deutlich hervor —, daß diese 18 Millionen Menschen — nicht zu reden von dem Raum jenseits der Oder und der Neiße, worüber ja auch ein Wörtchen zu sagen wäre —
das Schicksal eines endgültigen Satelliten erleiden.
Uns tröstet in diesem Zusammenhang nur eines, nicht nur eine Überzeugung, sondern ein Wissen, ein Wissen darüber, wie die 18 Millionen drüben selbst denken.
Wenn sie mit den Fäusten an unsere Türen trommelten und uns zuschrien: „Was immer kommen mag, welches Risiko, welche Minderung an Sicherheit ein vereinigtes Deutschland immer auf sich nehmen muß, — bloß um uns aus Not und Sklaverei zu erlösen: tut, was die Russen wollen, oder tut, was gewisse neutralistische Vorschläge verlangen!", dann wären wir allerdings des Kummers voll; denn 18 Millionen Menschen lassen sich nicht übersehen. Wenn ich Ihnen aber sage, daß ich aus Tausenden von Botschaften und Zuschriften weiß, wie die Bevölkerung drüben denkt, dann werden Sie mir das zwar vielleicht nicht glauben; aber wir haben ganz einwandfreie Zeugen. Wenn jüngst der westfälische Kirchenpräsident, Herr Wilms, der ein entschiedener Gegner unserer Politik ist, von einer Predigtreise in die Sowjetzone zurückkehrend, sich darüber beklagte, daß drüben — so drückte er sich etwa aus — jeder, der für die Pariser Verträge sei, bejubelt werde, und daß er es nicht verstehe, daß jeder Gegner dieser Verträge von den Menschen drüben — ich mache mir diese Ansicht, die ich jetzt wiedergebe, durchaus nicht zu eigen — praktisch mit dem Kommunismus identifiziert werde, dann ergibt sich aus diesem Zeugnis eines Mannes, dem Sie ganz bestimmt nicht mißtrauen werden, doch klar, wie die Bevölkerung drüben steht. Warum steht sie so? Man hat gesagt, ohne jeden Zweifel stehe die Mehrheit des deutschen Volkes hinter dem Bundeskanzler; es habe das tiefe Bedürfnis, eine Politik der Sicherheit zu treiben, aber das geschehe ja nur aus einem gebrochenen Selbstbewußtsein, einer Folge der Katastrophe, und wieder einmal fielen die Deutschen von einem Extrem ins andere. Wenn dieser Kritiker glaubte, ein solches Urteil über die westdeutsche Bevölkerung abgeben zu können, wie stellt er sich dann zu der Tatsache, daß die deutsche Bevölkerung der Mittelzone genau so denkt? Ihr
kann man doch wahrhaftig nicht vorwerfen, daß dies die Politik eines ängstlichen oder egoistischen Sicherheitsbedürfnisses sei!
In Wahrheit sehen die Menschen drüben die Situation realer als viele hier. Sie wissen genau, wie man mit der Sowjetunion paktieren soll und welche Voraussetzungen geschaffen werden müssen, damit man paktieren kann! Daß die Welt in Bewegung gekommen wäre, wie Sie es sagten, Herr Ollenhauer, ohne diese Politik der Festigkeit und Stärke des Westens, das zu behaupten sollten Sie wirklich nicht versuchen. Wenn die Welt in Bewegung geraten ist, dann nur durch diese Einigkeit und Festigkeit des Westens!
Österreich, Warschau, Belgrad, Abrüstungsvorschläge, Angebot Chinas, — ja, das ist doch alles zurückzuführen auf eine feste und klare Haltung, vor allen Dingen der Vereinigten Staaten von Amerika.
Sie haben das amerikanische Verhalten hinsichtlich Formosas gerühmt. Das zeigt ja gerade die weise Mäßigung der leitenden Politiker drüben. Ich hätte Sie in diesem Zusammenhang an die weise Mäßigung erinnern können, die Amerika im Koreakonflikt geübt hat. Sie wissen genau, daß es drüben eine kleine Gruppe gab, die damals eine Generalbereinigung mit China forderte, und es waren Weisheit und Mäßigung, die die amerikanische Staatsführung dazu veranlaßt haben, jene Generalbereinigung nicht zu unternehmen. Zum Dank dafür haben dann gewisse europäische Besserwisser den Amerikanern bestätigt, daß sie den Krieg in Korea, bei dem sie immerhin die rote Flut hinter die Ausgangsposition zurückgestaut hatten, verloren hätten. Wenn sie den Amerikanern diese Haltung bezeugen, um so weniger Grund haben Sie doch, besonders in Ihrer populären Propaganda draußen im Volk, immer wieder zu behaupten, daß sie uns eigennützig und eigensüchtig vor den Wagen ihrer Politik spannten und daß insbesondere diese ihre Eigensucht die deutsche Wiedervereinigung zugunsten einer Politik des Status quo verhindern würde.
Herr Wehner sagte, wir müßten in dieser Situation ein Höchstmaß an Elastizität und eine ganze Skala von Vorschlägen zeigen. Ich möchte ihm entgegensetzen: Was wir in dieser Situation zeigen müssen, wenn wir überhaupt etwas aus der Geschichte der vergangenen zehn Jahre gelernt haben — und darauf kommt es doch wahrhaftig für unser aller Leben an —, ist ein Höchstmaß an Konsequenz.
Wir ratifizieren keine Verträge, um sie hinterher als Kaufpreis in ein zweifelhaftes Geschäft zu werfen.
Ein Höchstmaß an Loyalität tut not. Wir werden zu unserem Worte stehen.
— Wir werden zu unserem Worte stehen, und dadurch, Herr Wehner, werden wir zur deutschen Einheit kommen!
Ihre ewige Wiederholung, daß wir so nicht dazu
kommen werden, beweist ja nichts. Unsere Loyali-
tät fordert wiederum Loyalität auf der Seite unserer Verbündeten heraus. Wenn es schon wahr ist, daß jedes Land eine Politik macht, die durch seine eigenen Interessen bestimmt wird, dann müssen wir doch um so stärker dafür sorgen, daß die westliche Welt in uns einen so wertvollen Bundesgenossen sieht, daß es sich lohnt, unsere eigenen Probleme auch zum Problem der westlichen Welt zu machen.
Es gibt ein Wort, das man in diesem Zusammenhang ruhig sagen darf: Treue um Treue! Was die Bundesrepublik bisher für die deutsche Wiedervereinigung tun konnte,
hat sie getan. Sie hat das feierliche Versprechen der westlichen Welt erhalten, mit uns zusammen ihre Kraft für die Wiedervereinigung Deutschlands in Frieden und Freiheit einzusetzen. Jetzt gilt es allerdings, diese Hilfe der westlichen Welt in den kommenden schwierigen Verhandlungen zu mobilisieren. A her, wir mobilisieren sie nicht so, wie Sie es wollen. Nicht nur der Cordon sanitaire, Herr Ollenhauer, ist etwas Utopisches! Es ist nach unserer festen Überzeugung sowohl nach Westen wie nach Osten utopisch gedacht, zu glauben, man könne mit Ihrer Art eines Systems der kollektiven Sicherheit, die auf eine Zertrümmerung des nordatlantischen Verteidigungssystems hinausläuft, irgend etwas für die Wiedervereinigung in Freiheit erreichen.
Nichts auf dieser Welt ist ewig, selbstverständlich nicht. Niemand in dieser Welt, Herr Wehner, glaubt daran, daß die Systeme, die aus Notwehr, aus der Zwangslage, eine unmittelbar drohende Gefahr abzuwehren, geschaffen worden sind, ewig dauern werden. Niemand wird insbesondere den Vereinigten Staaten von Amerika, die, glaube ich, in der ganzen Geschichte der Menschheit die am wenigsten imperialistische Großmacht darstellen, unterschieben wollen, daß es ihnen Freude mache, in Kontinentaleuropa und anderswo in der Welt für ewige Zeiten amerikanische Stützpunkte zu halten.
Herr Wehner, die Prinzipien von Bandung sind gut und schön. Aber Sie haben Bandung als eine Versammlung von Menschen dargestellt, die sich über die Methoden einig gewesen seien. Haben Sie übersehen, was die Repräsentanten von Pakistan, der Türkei, vom Irak, der Philippinen und von Ceylon gesagt haben? Haben Sie nicht bemerkt, daß dort eine sehr andere Stellungnahme eingenommen wurde als die von Herrn Tschu En-Lai und auch eine andere als die von Herrn Pandit Nehru? Es bestand ja über die Methode gerade gar keine Einigkeit! Wir hier sind genau so einig über die Prinzipien, über Frieden, Abrüstung, Entspannung, über ein zu schaffendes kollektives Sicherheitssystem; aber wir sind uns nicht einig darüber, inwieweit man bei einem solchen Paktsystem darauf vertrauen kann, daß es von der Sowjetunion respektiert wird. Das ist die entscheidende Frage, auf die man immer und immer wieder zurückkommen muß.
Meine Damen und Herren, es bleibt uns nichts anderes übrig: wir müssen diesen Weg weitergehen, wir dürfen die Lehre der letzten zehn Jahre: Einigkeit, Festigkeit, Klarheit, Konsequenz und Stärke, nicht vergessen. Aber ich will nicht schließen, ohne noch ein ernstes Wort an uns und unsere europäischen Nachbarn zu richten. Europa, Kontinentaleuropa insbesondere, muß wissen, daß es selbst einen starken Beitrag zu all dem leisten muß, wovon der Herr Bundeskanzler gesprochen hat. Die große Politik des Friedens und der Entspannung wird j a nicht durch Pakte und durch Reden gemacht. Auch die vier Repräsentanten der großen Mächte, die nun zusammenkommen werden, sind keine Magier, die die gegebenen Tatsachen von einem Tag zum andern ändern könnten. Man sollte auch hier die Lehren von Jalta und Potsdam wahrhaftig nicht vergessen. Vielmehr wird es jene mühselige Arbeit werden, von der der Herr Bundeskanzler gesprochen hat, jene lange und zähe Konferenz oder jene Reihe von zähen Konferenzen, bei denen es die Voraussetzungen zu beseitigen gilt, die zum Kalten Krieg geführt haben. Da ist in erster Linie die Forderung nach Abrüstung; aber dazu gehört auch die Schaffung eines solchen Systems der Sicherheit, auf das Westeuropa und damit auch die übrige Weit fest bauen kann.
Koexistenz, wenn man sie wörtlich nehmen dürfte, ist gut; Sicherung der Existenz, das hat uns ja gerade Rußland gezeigt, geht ihr voran.
Wenn Europa glaubt, es könnte sich in den nächsten Jahren oder Jahrzehnten bei der gegenwärtigen Situation beruhigen, oder wenn es gar glaubt, dabei beharren zu sollen, dann täuscht es sich sehr. Europa könnte, wenn es seine Kräfte zusammenwirft, wenn es jenen Weg weitergeht, den es hochgemut vor einigen Jahren begonnen hat, einen ganz wesentlichen Beitrag zur internationalen Entspannung leisten. Hierüber, meine Damen und Herren von der Opposition, haben wir uns so manches Mal in den vergangenen Jahren gestritten. Warum sollte der Weg eines vereinigten Europa, auf welche Weise und mit welchen Methoden immer diese Vereinigung herbeigeführt würde, nicht einen wesentlichen Teil jener Voraussetzungen beseitigen können, die zum Kalten Krieg geführt haben? Ich denke nicht—und ich will ja nicht mißverstanden werden — an ein Europa als neutrale Dritte Kraft. So weit ist leider Gottes Europa noch lange nicht. Aber je stärker und einiger Europa wird, je mehr es sich für einen möglichen Konfliktsfall auf seine eigenen Kräfte verlassen kann, desto eher beginnt eine Entwicklung der allgemeinen Entspannung zwischen West und Ost. Wenn Europa seinen großen Traditionen treu bleiben und sich inmitten dieser Welt der Giganten nicht selbst aufgeben will, dann bleibt ihm
— und ich sage das den europäischen „Realisten", die zu alten bequemen Denkvorstellungen zurückgekehrt sind — keine andere Wahl als eine Politik der Einigung, der Freiheit und damit der Entspannung und des Friedens. Inmitten dieser Politik
— und glauben Sie uns, daß dies wenigstens unsere wohldurchdachte Überzeugung ist! — wird auch die deutsche Wiedervereinigung in Frieden und Freiheit gelingen.