Protokoll:
18155

insert_drive_file

Metadaten
  • date_rangeWahlperiode: 18

  • date_rangeSitzungsnummer: 155

  • date_rangeDatum: 18. Februar 2016

  • access_timeStartuhrzeit der Sitzung: 09:01 Uhr

  • av_timerEnduhrzeit der Sitzung: 20:58 Uhr

  • account_circleMdBs dieser Rede
  • tocInhaltsverzeichnis
    Plenarprotokoll 18/155 Textrahmenoptionen: 16 mm Abstand oben Deutscher Bundestag Stenografischer Bericht 155. Sitzung Berlin, Donnerstag, den 18. Februar 2016 Inhalt: Glückwünsche zum Geburtstag der Abgeord- neten Dr. Ernst Dieter Rossmann, Bernhard Schulte-Drüggelte, Dr. Karl Lamers und Alois Gerig . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15201 A Erweiterung und Abwicklung der Tagesord- nung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15201 B Absetzung der Tagesordnungspunkte 5 und 14 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15201 D Nachträgliche Ausschussüberweisungen . . . . 15202 A Tagesordnungspunkt 4: Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Novellierung von Finanz- marktvorschriften auf Grund europäischer Rechtsakte (Erstes Finanzmarktnovellie- rungsgesetz – 1. FiMaNoG) Drucksache 18/7482 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15202 C Dr . Michael Meister, Parl . Staatssekretär BMF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15202 C Susanna Karawanskij (DIE LINKE) . . . . . . . . 15204 B Carsten Schneider (Erfurt) (SPD) . . . . . . . . . . 15205 A Dr . Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15206 C Matthias Hauer (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . 15208 C Dr . Axel Troost (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . 15210 A Sarah Ryglewski (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . 15211 A Dr . Mathias Middelberg (CDU/CSU) . . . . . . . 15212 C Carsten Schneider (Erfurt) (SPD) . . . . . . . . 15213 B Dr . Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15214 A Christian Petry (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15215 B Dr . Frank Steffel (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . 15216 D Zusatztagesordnungspunkt 2: Antrag der Abgeordneten Monika Lazar, Luise Amtsberg, Volker Beck (Köln), weiterer Abge- ordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Demokratie stärken – Dem Hass keine Chance geben Drucksache 18/7553 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15218 B Dr . Anton Hofreiter (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15218 B Marian Wendt (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . 15219 D Katja Kipping (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . 15221 D Uli Grötsch (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15223 C Dr . Volker Ullrich (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 15224 D Ulla Jelpke (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . . 15226 B Dr . Lars Castellucci (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . 15227 A Monika Lazar (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15228 B Barbara Woltmann (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . 15229 A Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15230 A Sönke Rix (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15231 B Jörg Hellmuth (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . 15233 B Matthias Schmidt (Berlin) (SPD) . . . . . . . . . . 15234 C Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 155 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 18 . Februar 2016II Tagesordnungspunkt 6: Vereinbarte Debatte: 25 Jahre wissenschaft- liche Politikberatung – Technikfolgenab- schätzung beim Deutschen Bundestag Patricia Lips (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . 15236 A Ralph Lenkert (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . 15237 D René Röspel (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15239 C Harald Ebner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) 15240 D Dr . Philipp Lengsfeld (CDU/CSU) . . . . . . . . . 15242 B Dr . Simone Raatz (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . 15244 A Dr . Stefan Kaufmann (CDU/CSU) . . . . . . . . . 15245 B Dr . Daniela De Ridder (SPD) . . . . . . . . . . . . . 15246 D Tagesordnungspunkt 22: a) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Ge- setzes zu dem Vertrag vom 24. Okto- ber 2014 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Königreich der Niederlande über die Nutzung und Ver- waltung des Küstenmeers zwischen 3 und 12 Seemeilen Drucksache 18/7450 . . . . . . . . . . . . . . . . . 15247 D b) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes zu dem Vertrag vom 28. April 2015 zwischen der Bundesrepublik Deutsch- land und der Tschechischen Republik über die polizeiliche Zusammenarbeit und zur Änderung des Vertrages vom 2. Februar 2000 zwischen der Bundes- republik Deutschland und der Tsche- chischen Republik über die Ergänzung des Europäischen Übereinkommens über die Rechtshilfe in Strafsachen vom 20. April 1959 und die Erleichterung sei- ner Anwendung Drucksache 18/7455 . . . . . . . . . . . . . . . . . 15247 D Tagesordnungspunkt 23: a)–e) Beratung der Beschlussempfehlungen des Petitionsausschusses: Sammelübersich- ten 277, 278, 279, 280 und 281 zu Peti- tionen Drucksachen 18/7383, 18/7384, 18/7385, 18/7386, 18/7387 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15248 A Martina Stamm-Fibich (SPD) . . . . . . . . . . . . . 15248 B Tagesordnungspunkt 22: c) Beratung des Antrags der Abgeordne- ten Halina Wawzyniak, Frank Tempel, Dr . André Hahn, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: zu dem Vorschlag für eine Richtlinie des Eu- ropäischen Parlaments und des Ra- tes zur Terrorismusbekämpfung und zur Ersetzung des Rahmenbeschlusses 2002/475/JI zur Terrorismusbekämp- fung – KOM(2015) 625 endg.; Ratsdok. 14926/15 hier: Stellungnahme gemäß Artikel 6 des Protokolls Nr. 2 zum Vertrag von Lissabon (Grundsätze der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit) Drucksache 18/7542 . . . . . . . . . . . . . . . . . 15249 B Zusatztagesordnungspunkt 3: Aktuelle Stunde auf Verlangen der Frakti- on BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Stand der Aufklärung und Konsequenzen aus dem Abgasskandal Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15249 C Alexander Dobrindt, Bundesminister BMVI . 15251 A Herbert Behrens (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . 15253 A Arno Klare (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15254 B Oliver Wittke (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . 15255 B Jutta Krellmann (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . 15256 C Dr . Birgit Malecha-Nissen (SPD) . . . . . . . . . . 15257 B Stephan Kühn (Dresden) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15258 B Dr . Matthias Heider (CDU/CSU) . . . . . . . . . . 15259 A Kirsten Lühmann (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . 15260 B Hans-Werner Kammer (CDU/CSU) . . . . . . . . 15261 D Michael Donth (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . 15262 D Ulrich Lange (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . 15264 A Tagesordnungspunkt 7: Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD: Europäisches System der Finanzauf- sicht effizient weiterentwickeln Drucksache 18/7539 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15265 B Alexander Radwan (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . 15265 B Dr . Axel Troost (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . 15267 A Manfred Zöllmer (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . 15268 A Dr . Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15269 B Klaus-Peter Flosbach (CDU/CSU) . . . . . . . . . 15270 B Christian Petry (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15271 D Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 155 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 18 . Februar 2016 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 155 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 18 . Februar 2016 III Tagesordnungspunkt 8: a) Bericht des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz gemäß § 62 Absatz 2 der Geschäftsordnung zu dem von den Abgeordneten Diana Golze, Agnes Alpers, Nicole Gohlke, weiteren Abgeordneten und der Fraktion DIE LINKE eingebrach- ten Entwurfs eines Gesetzes zur Einfüh- rung des Rechts auf Eheschließung für Personen gleichen Geschlechts Drucksachen 18/8, 18/7375 . . . . . . . . . . . . 15273 A b) Bericht des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz gemäß § 62 Absatz 2 der Geschäftsordnung zu dem von den Abgeordneten Volker Beck (Köln), Ulle Schauws, Katja Keul, weiteren Abgeord- neten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Abschaffung des Ehever- bots für gleichgeschlechtliche Paare Drucksachen 18/5098, 18/7257 . . . . . . . . . 15273 B Harald Petzold (Havelland) (DIE LINKE) . . . 15273 B Dr . Stefan Kaufmann (CDU/CSU) . . . . . . . . . 15274 B Renate Künast (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15276 C Dr . Karl-Heinz Brunner (SPD) . . . . . . . . . . . . 15277 D Dr . Volker Ullrich (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 15278 D Johannes Kahrs (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15280 C Petra Rode-Bosse (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . 15281 D Tagesordnungspunkt 9: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neuregelung des Kulturgutschutzrechts Drucksache 18/7456 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15282 C Monika Grütters, Staatsministerin BK . . . . . . 15282 C Sigrid Hupach (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . 15283 D Siegmund Ehrmann (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . 15284 D Ulle Schauws (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15286 A Ansgar Heveling (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 15287 A Dr . Eva Högl (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15288 B Dr . Astrid Freudenstein (CDU/CSU) . . . . . . . 15289 A Tagesordnungspunkt 20: a) Antrag der Abgeordneten Agnieszka Brugger, Katja Keul, Katharina Dröge, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Rüstungs- exportkontrollgesetz vorlegen Drucksache 18/7546 . . . . . . . . . . . . . . . . . 15290 A b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Energie zu dem Antrag der Abgeordneten Katja Keul, Agnieszka Brugger, Katharina Dröge, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Eckpunkte für ein Rüstungsexportkontrollgesetz Drucksachen 18/4940, 18/7030 . . . . . . . . . 15290 A Agnieszka Brugger (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15290 B Klaus-Peter Willsch (CDU/CSU) . . . . . . . . . . 15291 C Katja Keul (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) 15292 C Jan van Aken (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . 15293 D Matthias Ilgen (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15295 B Jan van Aken (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . 15295 D Gisela Manderla (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . 15297 B Dr . Karl-Heinz Brunner (SPD) . . . . . . . . . . . . 15298 D Namentliche Abstimmung . . . . . . . . . . . . . . . 15299 C Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15301 C Tagesordnungspunkt 11: a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung der Wohn- immobilienkreditrichtlinie Drucksachen 18/5922, 18/6286, 18/7584 . 15300 A b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Recht und Verbraucher- schutz zu dem Antrag der Abgeordne- ten Caren Lay, Klaus Ernst, Dr . Dietmar Bartsch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Gesetzliche Decke- lung und Veröffentlichung der Zinssätze für Dispo- und Überziehungskredite Drucksachen 18/2741, 18/7584 . . . . . . . . . 15300 A Ulrich Kelber, Parl . Staatssekretär BMJV . . . 15300 B Caren Lay (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . . 15304 A Dr . Stefan Heck (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . 15305 A Dr . Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15305 D Dr . Stefan Heck (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . 15306 B Dr . Johannes Fechner (SPD) . . . . . . . . . . . . . . 15307 A Elisabeth Winkelmeier-Becker (CDU/ CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15307 C Dr . Heribert Hirte (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 15308 C Dr . Johannes Fechner (SPD) . . . . . . . . . . . . 15309 B Dr . Volker Ullrich (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 15310 B Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 155 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 18 . Februar 2016IV Tagesordnungspunkt 12: Antrag der Abgeordneten Cornelia Möhring, Matthias W . Birkwald, Eva Bulling-Schröter, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Rechtsanspruch auf Schutz und Hilfe für von Gewalt betroffene Frauen – Bundeseinheitliche Finanzierung voran- bringen Drucksache 18/7540 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15311 C Cornelia Möhring (DIE LINKE) . . . . . . . . . . 15311 C Sylvia Pantel (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . 15312 C Ulle Schauws (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15314 A Gülistan Yüksel (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15315 A Gudrun Zollner (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . 15316 B Tagesordnungspunkt 13: Antrag der Bundesregierung: Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streit- kräfte an der EU-geführten Ausbildungs- und Beratungsmission EUTM Somalia auf Grundlage des Ersuchens der somalischen Regierung mit Schreiben vom 27. Novem- ber 2012 und 11. Januar 2013 sowie der Be- schlüsse des Rates der Europäischen Union vom 15. Februar 2010, 22. Januar 2013 und 16. März 2015 in Verbindung mit den Re- solutionen 1872 (2009) und 2158 (2014) des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen Drucksache 18/7556 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15317 B Michael Roth, Staatsminister AA . . . . . . . . . . 15317 B Dr . Alexander S . Neu (DIE LINKE) . . . . . . . . 15318 C Jürgen Hardt (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . 15319 B Agnieszka Brugger (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15320 A Florian Hahn (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . 15320 D Zusatztagesordnungspunkt 4: Antrag der Abgeordneten Dr . Wolfgang Strengmann-Kuhn, Christian Kühn (Tübin- gen), Corinna Rüffer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN: Wohnungslosigkeit wirkungsvoll an- gehen – Bundesweite Statistik einführen Drucksache 18/7547 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15321 D Dr . Wolfgang Strengmann-Kuhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . 15322 A Dr . Matthias Zimmer (CDU/CSU) . . . . . . . . . 15322 D Caren Lay (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . . 15324 B Dagmar Schmidt (Wetzlar) (SPD) . . . . . . . . . 15325 B Michael Groß (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15326 C Tagesordnungspunkt 15: Zweite und dritte Beratung des von der Bun- desregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Wasserhaus- haltsgesetzes zur Einführung von Grund- sätzen für die Kosten von Wasserdienst- leistungen und Wassernutzungen sowie zur Änderung des Abwasserabgabengesetzes Drucksachen 18/6986, 18/7P578 . . . . . . . . . . 15327 B Hiltrud Lotze (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15327 C Ralph Lenkert (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . 15328 D Ulrich Petzold (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . 15329 C Peter Meiwald (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15331 A Tagesordnungspunkt 16: Antrag der Abgeordneten Wolfgang Gehrcke, Heike Hänsel, Jan van Aken, weiterer Abge- ordneter und der Fraktion DIE LINKE: Bezie- hungen zu Kuba weiter verbessern Drucksache 18/7541 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15332 D Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE) . . . . . . . . . . 15332 D Dr . Egon Jüttner (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . 15333 D Tom Koenigs (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) 15334 C Klaus Barthel (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15335 C Charles M . Huber (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 15336 C Nächste Sitzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15337 D Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . . . . . . 15339 A Anlage 2 Zu Protokoll gegebene Rede des Abgeord- neten Metin Hakverdi (SPD) zur Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung der Wohnimmobilienkreditrichtlinie und der Be- schlussempfehlung des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz sowie zur Beratung der Beschlussempfehlung des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz zu dem Antrag der Abgeordneten Caren Lay, Klaus Ernst, Dr . Dietmar Bartsch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion Die Linke: Gesetzliche De- ckelung und Veröffentlichung der Zinssätze für Dispo- und Überziehungskredite (Tages- ordnungspunkt 11 a und 11 b) . . . . . . . . . . . . . 15339 B Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 155 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 18 . Februar 2016 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 155 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 18 . Februar 2016 V Anlage 3 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Fritz Güntzler und Philipp Graf Lerchenfeld (beide CDU/CSU) zu der Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung der Wohnimmobilienkreditrichtlinie (Tagesord- nungspunkt 11 a) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15340 A Anlage 4 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordne- ten Dr . Philipp Murmann (CDU/CSU) zu der Abstimmung über den von der Bun- desregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung der Wohnimmo- bilienkreditrichtlinie (Tagesordnungs- punkt 11 a) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15341 D Textrahmenoptionen: 30,5 mm Abstand oben (A) (C) (B) (D) Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 155 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 18 . Februar 2016 15201 155. Sitzung Berlin, Donnerstag, den 18. Februar 2016 Beginn: 9 .01 Uhr
  • folderAnlagen
    Charles M. Huber (A) (C) (B) (D) Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 155 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 18 . Februar 2016 15339 Anlagen zum Stenografischen Bericht Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Albsteiger, Katrin CDU/CSU 18 .02 .2016 Beck (Bremen), Marieluise BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 18 .02 .2016 Diaby, Dr . Karamba SPD 18 .02 .2016 Gastel, Matthias BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 18 .02 .2016 Hampel, Ulrich SPD 18 .02 .2016 Heinrich, Gabriela SPD 18 .02 .2016 Hoffmann, Alexander CDU/CSU 18 .02 .2016 Holzenkamp, Franz- Josef CDU/CSU 18 .02 .2016 Irlstorfer, Erich CDU/CSU 18 .02 .2016 Jantz, Christina SPD 18 .02 .2016 Kolbe, Daniela SPD 18 .02 .2016 Kühn-Mengel, Helga SPD 18 .02 .2016 Merkel, Dr . Angela CDU/CSU 18 .02 .2016 Röring, Johannes CDU/CSU 18 .02 .2016 Rüffer, Corinna BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 18 .02 .2016 Schlecht, Michael DIE LINKE 18 .02 .2016 Schmidt (Fürth), Christian CDU/CSU 18 .02 .2016 Schön (St . Wendel), Nadine CDU/CSU 18 .02 .2016 Veit, Rüdiger SPD 18 .02 .2016 Wagner, Doris BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 18 .02 .2016 Wicklein, Andrea SPD 18 .02 .2016 Anlage 2 Zu Protokoll gegebene Rede des Abgeordneten Metin Hakverdi (SPD) zur Be- ratung des von der Bundesregierung eingebrach- ten Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung der Wohnimmobilienkreditrichtlinie und der Be- schlussempfehlung des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz sowie zur Beratung der Beschlussempfehlung des Aus- schusses für Recht und Verbraucherschutz zu dem Antrag der Abgeordneten Caren Lay, Klaus Ernst, Dr. Dietmar Bartsch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion Die Linke Gesetzliche Deckelung und Veröffentlichung der Zinssätze für Dispo- und Überziehungskredite (Ta- gesordnungspunkt 11 a und 11 b) Metin Hakverdi (SPD): Im Rahmen des Gesetzge- bungsverfahrens zur Umsetzung der Wohnimmobilien- kreditrichtlinie nehmen wir auch Änderungen im Be- reich der Bilanzierung von Pensionsrückstellungen vor . Wo rum geht es? Unternehmen, die ihren Mitarbeiterinnen und Mitar- beitern betriebliche Altersvorsorge anbieten, behalten ei- nen Teil der Löhne ein . Dieses einbehaltene Geld ist fak- tisch ein Darlehen der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter an ihre Arbeitgeberin bzw . an ihren Arbeitgeber . Diese Mittel können vom Unternehmen zu unternehmerischen Zwecken verwendet werden . Das Unternehmen muss in seinen Bilanzen auswei- sen, dass es im Rahmen der betrieblichen Altersvorsorge sich von seinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern Geld geliehen hat . Das sind die sogenannten Pensionsrück- stellungen . Denn dieses geliehene Geld muss schließlich irgendwann wieder an die Mitarbeiterinnen und Mitar- beiter ausgezahlt werden . Die Pensionsrückstellungen müssen jedoch angemes- sen verzinst werden, damit die Belastung, die auf das Un- ternehmen zukommt, zutreffend abgebildet wird . Dieser Zinsaufschlag wird seit 2009 aus dem Marktzins abge- leitet . Damit temporäre Zinsschwankungen aufgefangen werden, wurde ein Betrachtungszeitraum von sieben Jah- ren gewählt . Das entspricht einem Konjunkturzyklus . Nun wollen wir diesen Betrachtungszeitraum auf zehn Jahre ausdehnen . Warum? Seit Jahren stecken wir in einer Niedrigzinsphase . Niedrige Zinsen bedeuten für die Pensionsrückstellungen einen hohen Zinsaufschlag . Damit werden die Bilanzen der Unternehmen belastet . Dies wiederum bewirkt eine schlechtere Bonität der Unternehmen . Das führt dazu, dass sich Unternehmen nur zu teureren Konditionen auf dem Markt refinanzieren können. Das hat Auswirkungen auf ihre Investitionsbereitschaft . Hier wollen wir den Unternehmen helfen . Mit der Erweiterung des Betrachtungszeitraums auf zehn Jahre müssen die Unternehmen bei den Pensionsrückstellun- gen einen geringeren Zinsausschlag berücksichtigen . Da- mit verschaffen wir den Unternehmen Zeit, um sich auch bilanziell an die Niedrigzinsphase anzupassen . Ich finde es richtig, dass wir die Unternehmen bei der Anpassung an die Niedrigzinsphase unterstützen . Es wäre jedoch falsch, wenn die Unternehmen den durch diese Reform gewonnenen bilanziellen Spielraum Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 155 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 18 . Februar 201615340 (A) (C) (B) (D) dafür nutzen würden, ihre Anteilseigner oder Gesell- schafter zu bedienen . Geringere Pensionsrückstellungen dürfen nicht dazu führen, dass den Anteilseignern höhere Gewinne ausgezahlt werden . Das würde eine illegitime Risikoverschiebung zulasten der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer bedeuten . Deshalb ist die Ausschüttungssperre, die in der Re- form verankert ist, nicht nur ein Punkt, auf den wir Sozi- aldemokratinnen und Sozialdemokraten bestehen . Es ist eine Frage der Gerechtigkeit, Kolleginnen und Kollegen . Die Erweiterung auf zehn Jahre halte ich für sachge- recht . Denn ein noch längerer Betrachtungszeitraum ver- zögert die Anpassung der Unternehmen und nimmt den gebotenen Anpassungsdruck . Die Unternehmen müssen umgehend mit der Umstellung an das neue makroökono- mische Umfeld mit einem niedrigen Zins beginnen . Die Niedrigzinsphase wird noch einige Jahre dauern . Es gilt keine Zeit zu verlieren . Worauf ist zu achten? Die Unternehmen müssen wis- sen, dass sie früher oder später die Verbindlichkeiten aus der Betriebsrente bedienen müssen . Die gewonnene Bonität sollte auch dafür genutzt werden, die Bedienung dieser Verbindlichkeiten sicherzustellen . Es kann nicht sein, dass sie in einigen Jahren wieder auf uns zukom- men, damit wir den Betrachtungszeitraum abermals er- weitern . Sie sollten ihre Probleme jetzt lösen . Anlage 3 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Fritz Güntzler und Philipp Graf Lerchenfeld (beide CDU/CSU) zu der Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrach- ten Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung der Wohnimmobilienkreditrichtlinie (Tagesordnungs- punkt 11 a) Der Bundestag beschließt heute mit der Verabschie- dung des Wohnimmobilienkreditrichtlinienumset- zungsgesetzes die Anpassung der handelsrechtlichen Vorschriften zur Abzinsung von Rückstellungen für Al- tersversorgungsverpflichtungen (§ 253 Absatz 2 Satz 1 und Absatz 6 HGB) . Wir sind der Ansicht, dass die Än- derungen zwar in die richtige Richtung gehen, aber nicht weitgehend genug sind . Wir stimmen dem Gesetz heute aber dennoch zu, da es besser als der Status quo ist und den Unternehmen immerhin ein wenig hilft . Im Folgen- den möchten wir unseren Standpunkt genauer darstellen: Für künftig wahrscheinlich eintretende Verbindlich- keiten müssen Unternehmen Rückstellungen bilden . Rückstellungen mit einer Restlaufzeit von mehr als ei- nem Jahr sind dabei nach § 253 Absatz 2 Satz 1 HGB mit dem ihrer Restlaufzeit entsprechenden durchschnitt- lichen Marktzinssatz der vergangenen sieben Geschäfts- jahre abzuzinsen . Dies galt bisher auch für Altersversor- gungsverpflichtungen. Hintergrund der Abzinsung ist, dass mit künftig benötigten Mitteln bis zum Zeitpunkt ihrer Auszahlung regelmäßig Erträge erwirtschaftet wer- den . Das HGB stellt, anders als die IFRS, bewusst nicht auf einen Marktzins zum Stichtag, sondern auf einen durchschnittlichen Marktzinssatz ab, um starke Bewer- tungsvolatilitäten zu vermeiden . Der Gesetzgeber ging bei der Einführung dieser Regelung im Jahr 2009 durch das Bilanzrechtsmodernisierungsgesetz (BilMoG) davon aus, dass ein siebenjähriger Betrachtungszeitraum für die Ermittlung des anwendbaren Zinssatzes eine ausreichend stabile Durchschnittsbetrachtung sichert . Diese Annahme hat sich aber aufgrund der derzeit anhaltenden Niedrigzinsphase nicht bestätigt . Die Un- ternehmen müssen für ihre Altersversorgungsverpflich- tungen zu hohe Rückstellungen bilden . Dadurch wird die tatsächliche wirtschaftliche Lage der Unternehmen zu schlecht und damit auch unzutreffend dargestellt (vgl . § 264 Absatz 2 Satz 1 HGB) . Je weiter die Markt- zinsen fallen, desto höher werden dabei die erforderli- chen Rückstellungen . Dies schmälert die Gewinne der Unternehmen, belastet ihr bilanzielles Eigenkapital und erschwert ihre Finanzierung . Darunter leidet schließlich auch ihre Investitionsfähigkeit . Dies wird durch eine Stu- die des DIHK bestätigt . Des Weiteren wird es für Unternehmen zunehmend unattraktiv, den eigenen Arbeitnehmern betriebliche Al- tersvorsorge anzubieten . Aufgrund dieser Probleme war es geboten, die Regelungen zu den Pensionsrückstellun- gen zu verändern . Die Änderungen, die heute beschlos- sen werden, halten wir an den folgenden Stellen für un- zureichend bzw . falsch: Zeitraum für die Ermittlung des Durchschnittszinssat- zes: Nach den Regelungen, die heute beschlossen wer- den, beträgt der Zeitraum für die Ermittlung des Durch- schnittszinssatzes für die Abzinsung der Pensionsrück- stellungen nunmehr zehn Jahre . Wir sind der Auffassung, dass dieser Zeitraum auf 15 Jahre hätte ausgedehnt werden müssen . Dem liegt folgende Überlegung zugrunde: In der Zeit ihrer aktiven Betriebszugehörigkeit erdienen sich die Mitarbeiter ihre Pensionsansprüche . Bei wirtschaftlicher Betrachtung entspricht dies einer Darlehensgewährung der Arbeitneh- mer an ihren Arbeitgeber . Bei einer unterstellten Anspar- phase des einzelnen Mitarbeiters von 30 Jahren beträgt die durchschnittliche Betriebszugehörigkeit der aktiven Mitarbeiter von Unternehmen somit 15 Jahre . Entspre- chend kann der Ermittlung des durchschnittlichen Zins- satzes, zu dem diese Darlehen gewährt werden, daher ein 15-jähriger Betrachtungszeitraum zugrunde gelegt wer- den . Sollte es tatsächlich so sein, wie die Bundesbank dar- stellt, dass für einen Betrachtungszeitraum von 15 Jahren die Datengrundlage fehlt, hätte man jedenfalls hilfsweise einen Zeitraum von 12 Jahren festschreiben können . Unseres Erachtens wäre es in der gegenwärtigen Situ- ation, in der abzusehen ist, dass die Zinsen lange auf ei- nem niedrigen Niveau verharren werden, auch vertretbar gewesen, einen festen Zinssatz vorzuschreiben und so für eine langfristige Lösung der Problematik zu sorgen . Wir hätten uns dabei beispielsweise . einen Zinssatz von Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 155 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 18 . Februar 2016 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 155 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 18 . Februar 2016 15341 (A) (C) (B) (D) 4,5 Prozent vorstellen können . Durch Veränderungen des Rechnungszinses verursachte Ergebnisschwankungen hätten sich dadurch vollständig ausschließen lassen, was auch dem Sinn und Zweck der durch das BilMoG getrof- fenen Regelungen entsprochen hätte . Diese Auffassung fand im Übrigen in den Beratungen bei den Wirtschafts- verbänden und dem Deutschen Gewerkschaftsbund gro- ße Unterstützung . Regelungsort der Ausschüttungssperre: Die Ausschüttungssperre wird in § 253 Absatz 6 HGB geregelt . Rechtssystematisch wäre eine Regelung in § 268 Absatz 8 HGB vorzugswürdig gewesen . Diese Vor- schrift enthält bereits Ausschüttungssperren . § 253 HGB befindet sich im Ersten Abschnitt des Dritten Buches, der Vorschriften für alle Kaufleute enthält. § 268 HGB steht im Zweiten Abschnitt des Dritten Buches, der ergänzen- de Vorschriften für Kapitalgesellschaften und haftungs- beschränkte Personengesellschaften enthält . Die Neuregelung der Pensionsrückstellungen dient ausweislich der Gesetzesbegründung der Abmilderung der Niedrigzinsphase und nicht dazu, das Vorsichtsprin- zip nach § 252 Absatz 1 Nummer 4 HGB oder die Fä- higkeit der Unternehmen, ihre Vorsorgeversprechen zu erfüllen, einzuschränken . Mit anderen Worten dient die Ausschüttungssperre dem Gläubigerschutz . Bei Ein- zelunternehmern und Personengesellschaften wird der Gläubigerschutz bereits durch die persönliche Haftung des Einzelunternehmers bzw . der Gesellschafter erreicht . Bei ihnen macht eine Ausschüttungssperre daher schon gar keinen Sinn . Zudem gibt es bei Einzelunternehmern und Personengesellschaften keine Gewinnausschüttun- gen im technischen Sinne . Die Vorschrift muss also bei ihnen ins Leere laufen . Daher wäre es rechtssystematisch klarer gewesen, die Ausschüttungssperre in § 268 Absatz 8 HGB zu veran- kern und so ganz eindeutig klarzustellen, dass sie bei Einzelunternehmern und haftungsunbeschränkten Perso- nengesellschaften keine Anwendung finden kann. Dazu kommt, dass eine Verankerung der Ausschüt- tungssperre in § 268 Absatz 8 HGB die Ausschüttungs- sperre auch zu einer Abführungssperre gemäß § 301 AktG hätte werden lassen, was unseres Erachtens von der In- tention des Gesetzgebers gedeckt gewesen wäre . Ausgestaltung der Ausschüttungssperre: Die Regelungen, die heute beschlossen werden, se- hen vor, dass die Pensionsrückstellungen dauerhaft so- wohl mit dem Zinssatz, der sich beim siebenjährigen Betrachtungszeitraum ergibt, als auch mit dem Zinssatz, der sich beim zehnjährigen Betrachtungszeitraum ergibt, berechnet werden müssen . Der sich durch den Wechsel des Betrachtungszeitraums ergebende Gewinn darf nicht ausgeschüttet werden . Diese Regelung erfordert ein zusätzliches Gutachten . So müssen manche Unternehmen nun zwei Gutachten für den HGB-Abschluss, ein Gutachten für die IFRS-Rech- nungslegung und eines für die Steuerbilanz, insgesamt also vier Gutachten, erstellen lassen . Auch müssen wei- tere Angaben im Anhang des Jahresabschlusses gemacht werden . Dies erhöht den bürokratischen Aufwand und verursacht unnötige Kosten für die Unternehmen . Es wäre ausreichend, die Bewertungsdifferenz nur bei der erstmaligen Anwendung der neuen Zinsberechnungs- methode zu ermitteln und den ausschüttungsgesperrten Betrag dann ratierlich über zehn Jahre abzubauen . Das Ziel des Gläubigerschutzes wäre damit auch gewährleis- tet gewesen . Übergangsvorschrift: Die Neuregelung ist auf Jahresabschlüsse für Ge- schäftsjahre, die nach dem 31 .12 .2015 enden, anzuwen- den . Die Unternehmen haben aber das Recht, auf Jahres- abschlüsse für Geschäftsjahre, die nach dem 31 .12 .2014 beginnen und vor dem 1 .1 .2016 enden, die alte Regelung anzuwenden . Dies begrüßen wir ausdrücklich . Problematisch erscheint es aber für diejenigen Unter- nehmer, deren Wirtschaftsjahr vor dem Inkrafttreten des Gesetzes endet und die ihren Abschluss zwischen dem 1 .1 .2016 und dem Inkrafttreten des Gesetzes aufgestellt haben, haben prüfen lassen und festgestellt haben . Sie müssten bei Aufstellung und gegebenenfalls auch Fest- stellung ihres Jahresabschlusses eigentlich die dann geltende Rechtslage beachten und würden womöglich rückwirkend in eine fehlerhafte Bewertung ihrer Pensi- onsrückstellungen geraten . Auch bei Organgesellschaf- ten könnte es rückwirkend zu einer fehlerhaften Gewin- nabführung kommen, die zu einer Nichtanerkennung der Organschaft führt . Es hätte daher für diese Fälle eine ent- sprechende Regelung gefunden werden müssen . Anlage 4 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Dr. Philipp Murmann (CDU/ CSU) zu der Abstimmung über den von der Bun- desregierung eingebrachten Entwurf eines Ge- setzes zur Umsetzung der Wohnimmobilienkre- ditrichtlinie (Tagesordnungspunkt 11 a) Der Bundestag beschließt heute mit der Verabschie- dung des Wohnimmobilienkreditrichtlinienumsetzungs- gesetzes zeitgleich die Anpassung der handelsrechtlichen Vorschriften zur Abzinsung von Rückstellungen für Al- tersversorgungsverpflichtungen (§ 253 Absatz 2 Satz 1 und Absatz 6 HGB) . Ich stimme dem Gesetz zu, möchte aber folgende Punkte ergänzen: 1 . Zeitraum zur Übermittlung des Durchschnittszins- satzes Für Rückstellungen für Altersversorgungsverpflich- tungen mit einer Restlaufzeit von mehr als einem Jahr wurde bisher ein siebenjähriger Betrachtungszeitraum für die Ermittlung des anwendbaren Zinssatzes als aus- reichend betrachtet . Aufgrund der anhaltenden Niedrig- zinsphase müssen die Unternehmen für ihre Altersver- sorgungsverpflichtungen derzeit allerdings besonders hohe Rückstellungen bilden . Je weiter die Marktzinsen fallen, desto höher werden die erforderlichen Rückstel- Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 155 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 18 . Februar 201615342 (A) (C) (B) (D) Satz: Satzweiss.com Print, Web, Software GmbH, Mainzer Straße 116, 66121 Saarbrücken, www.satzweiss.com Druck: Printsystem GmbH, Schafwäsche 1-3, 71296 Heimsheim, www.printsystem.de Vertrieb: Bundesanzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de lungen . Dies schmälert die Gewinne der Unternehmen, belastet ihr bilanzielles Eigenkapital und erschwert ihre Finanzierung . Darunter leidet schließlich auch ihre In- vestitions- und Innovationsfähigkeit . Dies wird durch eine Studie des DIHK bestätigt . Des Weiteren wird es für Unternehmen zunehmend unattraktiv, den eigenen Arbeitnehmern betriebliche Al- tersvorsorge anzubieten . Aufgrund dieser Probleme war es geboten, die Regelungen zu den Pensionsrückstellun- gen zu verändern . Die heute beschlossenen Änderungen halte ich jedoch für unzureichend . Anstelle des jetzt beschlossenen Zeitraumes für die Ermittlung des Durchschnittszinssatzes von zehn Jahren wäre ein Zeitraum von zwölf Jahren, besser noch von 15 Jahren, angemessen gewesen, um damit auch die für solche Altersversorgungsverpflichtungen zugrunde lie- genden langen Betriebszugehörigkeitszeiten Rechnung zu tragen . Dieses wurde zum Beispiel auch in den Stel- lungnahmen verschiedener Experten deutlich gemacht . 2 . Regelungen zur Ausschüttungssperre Eine Ausschüttungssperre, wie jetzt vorgesehen, ist zwar grundsätzlich gut zu begründen . Sie führt allerdings zu erhöhtem, zumeist gar doppeltem Begutachtungsauf- wand, der aus meiner Sicht nicht in einem vernünftigen Verhältnis zu der tatsächlich erreichten Wirkung steht . Dies hätte auch durch einfachere Regelungen erreicht werden können, die mit weniger Bürokratie verbunden wären . Insofern wäre es zu begrüßen, diese Verbesserungen im Rahmen zukünftiger Gesetzesverfahren umzusetzen, um Bürokratie angemessen zu begrenzen und die Inves- titionskraft der Unternehmen nicht unnötig einzuschrän- ken . 155. Sitzung Inhaltsverzeichnis TOP 4 Novellierung von Finanzmarktvorschriften ZP 2 Rechtsextremismus TOP 6 25 Jahre Technikfolgenabschätzung beim Bundestag TOP 22 Überweisungen im vereinfachten Verfahren TOP 23 Abschließende Beratungen ohne Aussprache ZP 3 Aktuelle Stunde zum Abgasskandal TOP 7 Europäisches System der Finanzaufsicht TOP 8 Recht auf gleichgeschlechtliche Eheschließung TOP 9 Neuregelung des Kulturgutschutzrechts TOP 20 Rüstungsexportkontrolle TOP 11 Umsetzung der Wohnimmobilienkreditrichtlinie TOP 12 Bundeseinheitliche Finanzierung von Frauenhäusern TOP 13 Bundeswehreinsatz EUTM Somalia ZP 4 Wohnungslosigkeit TOP 15 Änderung des Wasserhaushaltsgesetzes TOP 16 Beziehungen zu Kuba Anlagen Anlage 1 Anlage 2 Anlage 3 Anlage 4
Gesamtes Protokol
Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1815500000

Nehmen Sie bitte Platz . Die Sitzung ist eröffnet .

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte Sie alle
herzlich begrüßen – bei gutem Wetter und hoffentlich
ähnlich guter Laune . Zur Beförderung derselben möchte
ich vor Eintritt in die Tagesordnung den Kollegen Ernst
Dieter Rossmann, Bernhard Schulte-Drüggelte und
Karl Lamers, die seit der letzten Sitzungswoche ihren
65 . Geburtstag gefeiert haben, ebenso herzlich gratulie-
ren


(Beifall)


wie dem Kollegen Alois Gerig, der gestern Glückwün-
sche zu seinem 60 . Geburtstag entgegennehmen konn-
te . Ihnen allen noch einmal alle unsere geballten guten
Wünsche für das neue Lebensjahr .

Es gibt eine interfraktionelle Vereinbarung, die Tages-
ordnung um die in der Zusatzpunkteliste aufgeführten
Punkte zu erweitern:

ZP 1 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion DIE
LINKE:

Verschärfung kriegerischer Auseinanderset-
zungen in Syrien nach den Angriffen der Tür-
kei auf syrisch-kurdisches Gebiet


(siehe 154 . Sitzung)


ZP 2 Beratung des Antrags der Abgeordneten Monika
Lazar, Luise Amtsberg, Volker Beck (Köln),
weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN

Demokratie stärken – Dem Hass keine Chance
geben

Drucksache 18/7553
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss (f)

Sportausschuss
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenab-
schätzung
Ausschuss Digitale Agenda

ZP 3 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN:

Stand der Aufklärung und Konsequenzen aus
dem Abgasskandal

ZP 4 Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr . Wolfgang Strengmann-Kuhn, Christian Kühn

(Tübingen), Corinna Rüffer, weiterer Abgeord-

neter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN

Wohnungslosigkeit wirkungsvoll angehen –
Bundesweite Statistik einführen

Drucksache 18/7547
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales (f)

Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicher-
heit

ZP 5 Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/
CSU und SPD eingebrachten Entwurfs eines Ge-
setzes zur Einführung beschleunigter Asylver-
fahren

Drucksache 18/7538
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss (f)

Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit

ZP 6 Beratung des Antrags der Abgeordneten Luise
Amtsberg, Dr . Franziska Brantner, Beate Walter-
Rosenheimer, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Rechte von Kindern im Asylverfahren stärken

Drucksache 18/7549
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss (f)

Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe

Dabei handelt es sich unter anderem um das Asyl-
paket II . Von der Frist für den Beginn der Beratungen
soll, soweit erforderlich, abgewichen werden . Der Tages-






(A) (C)



(B) (D)


ordnungspunkt 5 – hier geht es um Anträge zum Thema
„Schlussfolgerungen aus den Pkw-Abgasmanipulatio-
nen“ – soll abgesetzt und stattdessen der Antrag mit dem
Titel „Demokratie stärken – Dem Hass keine Chance
geben“ beraten werden . Ebenso soll der Tagesordnungs-
punkt 14 abgesetzt und an dieser Stelle der Antrag mit
dem Titel „Wohnungslosigkeit wirkungsvoll angehen –
Bundesweite Statistik einführen“ debattiert werden . Die
Tagesordnungspunkte 10 und 20 sollen ihre Plätze tau-
schen und der Tagesordnungspunkt 22 c zusammen mit
dem Tagesordnungspunkt 23 aufgerufen werden . Wenn
Sie mit all dem einverstanden sind und eine ungefähre
Vorstellung über die sich daraus neu ergebende Abwick-
lung der Tagesordnung erhalten haben,


(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Habe ich!)


werden Sie vermutlich auch zustimmend zur Kennt-
nis nehmen, dass es noch mehrere nachträgliche
Ausschuss überweisungen gibt, die im Anhang zur Zu-
satzpunkteliste aufgeführt sind:

Der am 14 . Januar 2016 (149 . Sitzung) überwiesene
nachfolgende Gesetzentwurf soll zusätzlich dem Finanz-
ausschuss (7 . Ausschuss) zur Mitberatung überwiesen
werden:

Erste Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Um-
setzung der Richtlinie über Tabakerzeugnisse
und verwandte Erzeugnisse

Drucksache 18/7218

Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft (f)

Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Energie
Ausschuss für Gesundheit

Der am 28 . Januar 2016 (152 . Sitzung) überwiesene
nachfolgende Gesetzentwurf soll zusätzlich dem Aus-
schuss für Wirtschaft und Energie (9 . Ausschuss) zur
Mitberatung überwiesen werden:

Erste Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Um-
setzung der prüfungsbezogenen Regelungen
der Richtlinie 2014/56/EU sowie zur Ausfüh-
rung der entsprechenden Vorgaben der Ver-
ordnung (EU) Nr. 537/2014 im Hinblick auf
die Abschlussprüfung bei Unternehmen von

(Abschlussprüfungsreformgesetz – AReG)


Drucksache 18/7219

Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz (f)

Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Energie

Dies alles nehmen wir hiermit förmlich, zustimmend,
einvernehmlich zur Kenntnis und verfahren heute dann
so .

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 4 auf:

Erste Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Ersten Geset-
zes zur Novellierung von Finanzmarktvor-
schriften auf Grund europäischer Rechtsakte

(Erstes Finanzmarktnovellierungsgesetz – 1. FiMaNoG)


Drucksache 18/7482
Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss (f)

Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Haushaltsausschuss

Die dazu vorgesehene Debatte soll nach einer inter-
fraktionellen Vereinbarung 77 Minuten dauern . – Auch
dazu darf ich Einvernehmen feststellen . Dann ist das so
beschlossen .

Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort für die
Bundesregierung dem Parlamentarischen Staatssekretär
Michael Meister .


(Beifall bei der CDU/CSU)


D
Dr. Michael Meister (CDU):
Rede ID: ID1815500100


Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir
bringen heute den Gesetzentwurf zum Ersten Finanz-
marktnovellierungsgesetz in den Deutschen Bundestag
ein . Damit setzen wir eine Reihe von Rechtsakten aus
der Europäischen Union in deutsches Recht um . Es geht
darum, dass wir im Nachgang zur Finanzkrise mehr Inte-
grität und mehr Transparenz in die Finanzmärkte bekom-
men und insbesondere der Anlegerschutz weiter gestärkt
wird .

Wir haben als Reaktion auf die Finanzkrise bereits
eine Reihe von Maßnahmen – insgesamt sind es 40 – in
diesem Sinne auf europäischer Ebene verabschiedet und
umgesetzt . Damit haben wir versucht, die Konsequenz
bzw . die Schlussfolgerung aus dem zu ziehen, was auf
dem amerikanischen Immobilienmarkt geschehen war,
was dann aber aufgrund der Situation, dass wir intrans-
parente Kapitalmarktstrukturen und intransparente Ka-
pitalmarktprodukte hatten, vom amerikanischen Immo-
bilienmarkt bis hierher zu uns kam und sich in unsere
europäischen Finanzmärkte hineinfraß .

Höhepunkt dieser Entwicklung war die Insolvenz von
Lehman Brothers . Ich habe eben erwähnt, dass wir 40
Maßnahmen umgesetzt haben . Dennoch müssen wir uns
darüber klar sein, dass wir auch mit Blick auf die Zu-
kunft vor neuen Herausforderungen stehen . In diesem
Zusammenhang will ich nur das Thema „Allokation von
Finanzmitteln vor dem Hintergrund der Niedrigzinspha-
se“ sowie die geopolitischen Risiken, die sich auftun,
erwähnen . All dies kann zu neuen Instabilitäten führen .
Deshalb sind wir gut beraten, rechtzeitig präventiv an
mehr Integrität, Stabilität und Transparenz zu arbeiten .

Um deutlich zu machen, was wir bisher auf den Weg
gebracht haben, nenne ich zum einen die Verschärfung
der Eigenkapitalanforderungen und das Zusammenbrin-
gen von Entscheidungen und Haftung . Das Risiko muss

Präsident Dr. Norbert Lammert






(A) (C)



(B) (D)


bei dem liegen, der auch die Gewinnchancen wahrnimmt .
Zum Zweiten geht es um die Frage, wie wir über europä-
ische Banken Aufsicht führen . Wir haben gesehen, dass
rein nationale Ansätze zu kurz greifen und wir deshalb
eine europäische Lösung benötigen .

Beim Thema Abwicklungsmechanismus – dabei geht
es um den Fall, dass Banken in Schieflage kommen –
haben wir das Gleiche gemacht . Auch dort haben wir
eine europäische Lösung implementiert . Ich glaube, es
ist richtig, dass wir die Verantwortung vom Steuerzah-
ler genommen und dem auferlegt haben, der Eigentümer
und Gläubiger ist . Es ist in unserer Wirtschaftsordnung
so, dass nicht der eine die Chancen hat und der andere
die Risiken trägt .

Ich habe relativ wenig Verständnis, dass in der jetzi-
gen Situation, wo wir auf diese neuen Herausforderun-
gen zugehen, einige darüber diskutieren, ob wir das, was
wir an Bail-in-Regeln geschaffen haben, möglicherweise
aussetzen oder aufheben sollten . Ich glaube, gerade jetzt
kommt es darauf an, dass wir Kurs halten und die im-
plementierten Regeln auch wirken lassen, meine Damen
und Herren .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Wir haben eine Diskussion über die Frage, inwieweit
Risiken in Europa vergemeinschaftet werden sollen .
Dazu gibt es Vorschläge der Kommission . Ich möchte
ganz klar und deutlich sagen: Das kann nicht die Antwort
auf die Herausforderungen sein . Wir brauchen nicht die
Vergemeinschaftung von Risiken, sondern wir benötigen
dringend den Abbau vorhandener Risiken . Dazu muss je-
der, der als Aufseher, als Politiker, aber auch als Mitglied
von Organen der verschiedenen Institute Verantwortung
trägt, seinen Beitrag leisten . Deshalb sagen wir Nein zu
weiterer Vergemeinschaftung, aber Ja zum Abbau und
zur Reduzierung dieser Risiken, meine Damen und Her-
ren .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Die Europäische Union hat Vorschläge zum Thema
Kapitalmarktunion unterbreitet . Wir sind der Meinung,
dass es durchaus sinnvoll ist, darüber nachzudenken, ob
wir gerade kleinen und mittelständischen Unternehmen
neben den bestehenden Finanzierungswegen weitere
Finanzierungswege öffnen sollten . Das ist ein richtiger
Ansatz . Es geht aber nicht darum, bestehende Wege zu
begrenzen, sondern darum, mehr Wettbewerb und Alter-
nativen zu schaffen . In diesem Sinne sind wir offen, die
Diskussion darüber zu führen, wie wir eine Kapitalmarkt-
union ausgestalten können .

Ich möchte den Kollegen im Deutschen Bundestag
ausdrücklich Danke sagen, weil wir an einigen Stellen
schneller vorangegangen und auch weiter gegangen sind,
als es uns das europäische Recht vorgibt . Ich nenne an
dieser Stelle den Hochfrequenzhandel, wo wir zügiger
gehandelt haben, als dies von europäischer Seite aus vor-
gegeben war . Weiter nenne ich den grauen Kapitalmarkt,
wo wir über das Kleinanlegerschutzgesetz auch national
einen Schritt nach vorne gemacht haben .

In diesem Ersten Finanzmarktnovellierungsgesetz
wird die Umsetzung verschiedener europäischer Ver-
ordnungen bzw . Richtlinien mit ihren Konsequenzen in
nationale Gesetzgebung vorgeschlagen . Wir hatten ei-
gentlich die Absicht, Ihnen mit diesem Gesetz auch die
Umsetzung der überarbeiteten Finanzmarktrichtlinie
MiFID II und der entsprechenden Verordnung MiFIR
vorzulegen . Es ist leider so, dass auf europäischer Ebe-
ne die Ausgestaltung auf der zweiten Ebene nicht zügig
genug vorangegangen ist . Deshalb können wir dies nicht
mit diesem Gesetz vorlegen und werden dazu zu einem
späteren Zeitpunkt einen eigenen Gesetzgebungsvor-
schlag unterbreiten . Insofern ist in diesem Finanzmarkt-
novellierungsgesetz die Marktmissbrauchsrichtlinie, die
Marktmissbrauchsverordnung der Europäischen Union,
die EU-Verordnung über die Zentralverwahrer und die
EU-Verordnung über Basisinformationsblätter für ver-
packte Anlageprodukte für Kleinanleger und Versiche-
rungsanlageprodukte enthalten .

Zum Inhalt der einzelnen Verordnungen bzw . Richt-
linien: Die neue Marktmissbrauchsverordnung regelt
EU-weit einheitlich und mit unmittelbarer Geltung das
Verbot des Marktmissbrauchs, also das Verbot des Insi-
derhandels und das Verbot der Marktmanipulation sowie
die Anforderungen an eine Ad-hoc-Publizität . Die Ver-
ordnung baut dabei auf bestehenden Vorgaben der bis-
herigen Marktmissbrauchsrichtlinie auf und erstreckt
diese insbesondere auf weitere Finanzinstrumente und
Handels plätze .

Die EU-Richtlinie über strafrechtliche Sanktionen bei
Marktmanipulation harmonisiert EU-weit die Straftat-
bestände und Rechtsfolgen von Marktmissbrauch . Der
in Deutschland schon heute geltende Strafrahmen bei
Marktmissbrauch von Freiheitsstrafen bis zu fünf Jahren
oder Geldstrafe bleibt dabei erhalten .

Die Zentralverwahrerverordnung, CSDR, legt Anfor-
derungen an die Zulassung und laufende Aufsicht über
die Zentralverwahrer sowie an Bankgeschäfte im Zu-
sammenhang mit der Zentralverwahrertätigkeit fest . Die
Verordnung verbessert zudem Wertpapierlieferungen in
der Europäischen Union durch Festlegung eines einheit-
lichen Liefertermins für übertragbare Wertpapiere auf
zwei Tage sowie die Festlegung von Maßnahmen gegen
gescheiterte Wertpapierabwicklungen wie zum Beispiel
die Einleitung eines Eindeckungsvorgangs .

Die PRIIP-Verordnung führt ein EU-weit einheitliches
Produktinformationsblatt für verpackte Anlageprodukte
für Kleinanleger und Versicherungsanlageprodukte ein .
Damit werden die Transparenz und das Schutzniveau für
Kleinanleger auf dem Anlagemarkt verbessert .

Wir folgen bei der Umsetzung dieser Richtlinien
dem Prinzip der Eins-zu-eins-Umsetzung europäischen
Rechts in deutsches Recht . Zudem werden allerdings
auch nationale Regelungen in einigen wenigen Berei-
chen geändert, um Regelungslücken zu vermeiden und
eine angemessene Aufsicht sicherzustellen .

Die mit dem vorliegenden Gesetz umzusetzenden
EU-Rechtsakte haben unterschiedliche Umsetzungsfris-
ten . Deshalb wird auch dieses Gesetz gestaffelt in Kraft

Parl. Staatssekretär Dr. Michael Meister






(A) (C)



(B) (D)


treten, im zweiten Halbjahr 2016 – so, wie es die jeweili-
gen EU-Rechtsakte als Grundlage vorsehen .

Meine Damen und Herren, bei der Anpassung unserer
bestehenden Finanzmarktgesetze fassen wir insbesondere
folgende Gesetze an: zum einen das Wertpapierhandels-
gesetz . Hier werden zahlreiche Vorschriften aufgehoben,
deren Inhalt künftig unmittelbar in der entsprechenden
europäischen Verordnung geregelt wird . Dies betrifft ins-
besondere den vorhin angesprochenen Insiderhandel, das
Thema Marktmanipulation und die Ad-hoc-Publizität .
Im Kreditwesengesetz werden vor allem die Aufsichtsbe-
fugnisse der BaFin in Bezug auf die Zentralverwahrer an
die Anforderungen der EU-Verordnung angepasst . In das
Börsengesetz, das Kapitalanlagegesetzbuch und das Ver-
sicherungsaufsichtsgesetz werden die Ausführungen der
PRIIP-Verordnung entsprechend eingearbeitet . Der An-
wendungsbereich des Vermögensanlagengesetzes wird
angepasst, um Aufsichtslücken bei den Direktinvest-
ments in Sachgüter zu schließen .

Ich habe vorhin das Thema Sanktionen angespro-
chen . Der Bußgeldrahmen bei Verstößen wird auf bis zu
20 Millionen Euro festgelegt . Wir führen bei juristischen
Personen ein Bußgeld ein, das bis zu 1,5 Prozent des Um-
satzes dieser juristischen Person betragen kann .

Ich glaube, das ist ein sehr breites, sehr weites Gesetz-
gebungswerk . Ich hoffe darauf, dass wir in der vorgese-
henen Zeit dazu kommen, diese europäischen Vorgaben
in nationales Recht umzusetzen und damit einen Beitrag
zu leisten, dass unsere Finanzmärkte noch stabiler, noch
transparenter für die Teilnehmer werden und damit ein
Stück weit mehr Sicherheit für alle gegeben ist . Ich freue
mich auf die Diskussionen in den entsprechenden Fach-
ausschüssen .

Danke sehr .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1815500200


Für die Fraktion Die Linke erhält die Kollegin
Karawanskij nun das Wort .


(Beifall bei der LINKEN)



Susanna Karawanskij (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1815500300


Schönen guten Morgen, Herr Präsident! Liebe Kol-
leginnen und Kollegen! Liebe Gäste! Wir steigen heute
in den ersten Teil einer umfassenden Überarbeitung von
verschiedenen Finanzmarktgesetzen ein . Die Bundes-
regierung versucht damit – Herr Meister, Sie haben es
gerade dargestellt –, die Finanzmärkte stabiler und trans-
parenter zu machen und auch den Anlegerschutz zu ver-
bessern .


(Beifall der Abg . Antje Tillmann [CDU/ CSU] – Volker Kauder [CDU/CSU]: Sehr richtig!)


Dafür drehen Sie an einer Reihe von Schrauben, aber ich
muss leider feststellen: Die Schrauben sind immer noch
zu locker .


(Beifall bei der LINKEN – Volker Kauder [CDU/CSU]: Das ist die Frage, bei wem die Schraube locker ist! Die Frage ist noch offen!)


Sie justieren nach, aber wirklich Stabilität auf den Fi-
nanzmärkten sowie im Verbraucherschutz schaffen Sie
damit nicht .

Ich möchte einen Punkt herausgreifen, nämlich die
Stärkung der Überwachungs- und Eingriffsbefugnisse
der Finanzaufsicht, der BaFin . Vor nicht allzu langer
Zeit wurde im sogenannten Kleinanlegerschutzgesetz
der BaFin die Möglichkeit zur Produktintervention bei
Marktmissbrauch eröffnet . Sie darf also den Vertrieb von
Finanzinstrumenten gegebenenfalls sogar untersagen .
Das war ein wichtiger Schritt, den wir als Linke immer
gefordert haben . Man könnte jetzt auch sagen: Links
wirkt! Die BaFin hat also Eingriffsinstrumente, aber es
kommt doch darauf an, dass sie diese auch entschieden
nutzt . Daher sollte unmissverständlich klargemacht wer-
den, dass die BaFin bei Missbrauch von ihrem Interven-
tionsrecht Gebrauch machen muss . Sie muss auch dahin
gelangen, dass sie Finanzinstrumente und -praktiken ver-
mehrt einer inhaltlichen Prüfung anstatt wie bislang nur
einer formalen Prüfung unterzieht .


(Beifall bei der LINKEN)


Zum zweiten Punkt: Verbraucherschutz . Hier sitzt
die Schraube bei der Bundesregierung tatsächlich noch
zu locker . Auch wenn die Finanzaufsicht noch so genau
prüft: Es wird weiterhin Anlagepleiten geben, die auch
Kleinanleger treffen . Kleinanleger sind meist auf sich
selbst gestellt . Ihnen fehlen die Informationen bzw . die
Möglichkeiten, ihre Rechte durchzusetzen . Es wird auf
Verjährung gespielt . Die Prospekte sind zum Teil nicht
auf Deutsch . Die meisten Anleger haben keine Rechts-
schutzversicherung . Die meisten Emittenten, deren
Produkte Anleger geschädigt haben, haben schlichtweg
keine Konsequenzen zu befürchten – vielleicht mal eine
vereinzelte Klage, aber meistens sitzen sie die Pleite aus .
Es wird nicht nur auf den Finanzmärkten spekuliert, es
wird ebenso darauf spekuliert, dass sich die Anleger
nicht adäquat wehren können . Da kann es doch nicht
angehen, dass hier weiterhin suggeriert wird, man wolle
Transparenz schaffen, aber nicht tatsächlich stärker zum
Wohle der Anleger durchgegriffen wird .


(Beifall bei der LINKEN)


Das Problem besteht doch darin, dass die BaFin erst
dann eingreift, nachdem ein Finanzinstrument bereits auf
dem Markt ist . Wir als Linke plädieren für eine Umkehr,
nämlich für eine vorgelagerte Zulassungsprüfung für Fi-
nanzinstrumente, am besten auf europäischer Ebene . Das
heißt, der Emittent müsste beweisen, dass sein Finanzin-
strument gesamtgesellschaftlich und vor allen Dingen
volkswirtschaftlich unbedenklich ist . Erst danach wird
ein Finanzinstrument ausdrücklich zugelassen . Wenn es
den Zulassungskriterien nicht entspricht, dann kann es
eben nicht zugelassen werden .

Parl. Staatssekretär Dr. Michael Meister






(A) (C)



(B) (D)


Wir brauchen einen wirksamen Finanz-TÜV und kein
halbherziges Herumdoktern, zum Beispiel an Infoblät-
tern . Damit würden Sie selbst mit der fünften oder zehn-
ten Novellierung von Finanzmarktgesetzen nicht viel an
Finanzmarktstabilität, Transparenz und letztendlich An-
legerschutz erreichen . Sie werden weiterhin mutlos her-
umdoktern . Tun Sie etwas in Richtung Finanzmarktregu-
lierung und vor allen Dingen im Sinne eines wirksamen
Anlegerschutzes .

Vielen Dank .


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1815500400

Carsten Schneider ist der nächste Redner für die

SPD-Fraktion .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Carsten Schneider (SPD):
Rede ID: ID1815500500

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der

vorliegende Gesetzentwurf zur Umsetzung verschiede-
ner EU-Richtlinien schützt insbesondere Kleinanleger .
Das neue Gesetz soll Marktmissbrauch durch große Han-
delsplattformen, aber auch durch Manipulationsmöglich-
keiten im Insiderhandel verhindern . Das ist richtig und
wichtig .

Aber das ist ein kleines Puzzleteil, das zu einem
größeren Bild gehört, nämlich zu der Frage, ob das Fi-
nanzsystem insoweit sicher ist, als es finanz- und volks-
wirtschaftliche Krisen wie 2008/2009 verhindert, die
verbunden waren mit Staatsverschuldung, hoher Arbeits-
losigkeit und wirtschaftlicher Depression .

Herr Kollege Meister hat in seiner Einführungsrede
auf ein paar Punkte hingewiesen . Ich will sie unterstrei-
chen . Wir haben eine EU-Abwicklungsrichtlinie für Ban-
ken umgesetzt, die vorsieht, dass das dort vorhandene
und auch das nachgelagerte Eigenkapital haften müssen .

Das ist in Europa aber bislang nicht überall umgesetzt
worden . Ich komme mit einigen Kollegen gerade von ei-
ner Konferenz in Brüssel zur Situation in den National-
staaten . Dort spielte die Frage einer gemeinsamen Ein-
lagensicherung eine Rolle . Wir haben sehr klargemacht,
dass wir das als eine Endstufe einer Bankenunion sehen,
aber nicht als den nächsten Schritt . Wir wollen keine Ver-
gemeinschaftung von Risiken, ohne dass der Haftungs-
oder Sicherheitsrahmen steht . Dieser Sicherheitsrahmen
muss zuvor stehen .


(Beifall bei der SPD sowie der Abg . Anja Karliczek [CDU/CSU])


Da gibt es noch einiges zu tun . Ich habe auch die
Stimmen aus der EZB und aus Italien gehört – dort hat
das Bankensystem ähnlich geschwankt wie der Aktien-
kurs der Deutschen Bank in den letzten Wochen –, von
einer möglichen Haftung der Gläubiger abzusehen . Ich
will Ihnen ganz klar sagen: Wir Sozialdemokraten tragen
so eine Veränderung nicht mit . Wir haben sehr deutlich
in den letzten Jahren dafür gekämpft, dass Haftung und
Risiko zusammengehören . Das heißt: Banken, Bankvor-

stände und Aktionäre müssen wissen, dass, wenn das
Geschäftsmodell riskant ist, für Verluste auch der Aktio-
när und der Gläubiger einzustehen haben – und nicht die
Steuerzahler .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Die Verunsicherung, die Nervosität, die hohe Markt-
volatilität, die sich am Auf und Ab des DAX in den letz-
ten Wochen insbesondere bei den Bankaktien gezeigt hat,
sprechen dafür, dass wir in einer extrem kritischen Situ-
ation sind . Man kann nicht in der ersten Krisensituation
die Dinge, die man in Sonntagsreden gefordert und in
Gesetze gegossen hat, sofort abschaffen und sagen: Die
setzen wir jetzt einmal aus . Das wäre nicht nur schlechter
Stil, sondern auch Verrat an den Interessen des Gemein-
wohls .

Deswegen meine ich, dass sowohl die europäische
Bankenaufsicht als auch die Europäische Zentralbank
gut beraten sind, das bestehende Instrumentarium zu nut-
zen. Ich finde, dass die Aktionäre gut beraten sind, auf
die Geschäftspolitik der einzelnen Banken insoweit Ein-
fluss zu nehmen, als sie nicht riskant sein sollte.

Wir haben bei der Deutschen Bank jahrzehntelang
expansive, risikoreiche und unlautere Geschäftspolitik
erlebt . Dafür kommt jetzt die Rechnung . Ich kann mich
noch genau an die Gespräche mit Herrn Fitschen und
Herrn Jain erinnern, die zwischenzeitlich Vorstände der
Deutschen Bank waren – der eine ist immer noch einer
der Vorstandsvorsitzenden –, in denen es hieß: Wir wol-
len immer noch die einzige europäische Investmentbank
bleiben, während sich alle anderen europäischen Banken
von dieser Idee verabschiedet haben . – Das war ein Feh-
ler, und dafür zahlen sie heute dadurch, dass das Markt-
vertrauen verloren geht .

Klar ist: Es kann auch anders gehen . Nehmen Sie
die Commerzbank . Wir haben als Anteilseigner der
Commerzbank sehr klar darauf gedrängt und auch
durchgesetzt, dass sie sich aus dem globalen Speku-
lationskapitalismus zurückzieht und ganz normales
Brot-und-Butter-Mittelstandsgeschäft macht . Das ist
zwar nicht sonderlich sexy, aber zumindest so ertrag-
reich, dass es der Wirtschaft in Deutschland nutzt und die
Bank wieder in stabiles Fahrwasser bringt .


(Beifall bei der SPD)


Nichtsdestotrotz, Kollege Meister, muss ich zwei
Punkte ansprechen, bei denen wir als Sozialdemokraten
im Bundestag noch mehr Initiativen der Bundesregierung
und vor allem des Bundesfinanzministers erwarten – ins-
besondere vor dem Hintergrund der Krise 2009 . Der erste
betrifft die Finanztransaktionsteuer, und der zweite be-
trifft das Trennbankensystem .

Wir haben sehr klar in den Koalitionsverhandlungen
vereinbart: Wir wollen ein scharfes Trennbankensystem .
Diejenigen, die spekulieren wollen, können das gern ma-
chen – aber nur mit ihrem Eigenkapital und nicht mit den
Einlagen, also nicht mit dem Spargroschen der Bürger .
Dieses Trennbankensystem ist in Europa gerade in Ver-
handlung .

Susanna Karawanskij






(A) (C)



(B) (D)


Die Sozialdemokraten im Europäischen Parlament
sind für eine scharfe Regelung; bei den Christdemokra-
ten bin ich mir nicht so ganz sicher . Ich erwarte, dass
die Bundesregierung den Koalitionsvertrag umsetzt, der
sagt: Ganz scharfe Regelungen, so, wie die Experten-
kommission unter Herrn Liikanen, dem Präsidenten der
Zentralbank Finnlands, das vorgeschlagen hat .


(Beifall bei der SPD)


Nur dann haben wir die Risiken so weit separiert, so-
dass ich über ein europäisches Einlagensystem diskutie-
ren und gegebenenfalls positiv entscheiden kann . Dafür
brauche ich aber die Sicherheit, dass das volatile, extrem
anfällige Spekulationsgeschäft der Investmentbanken
nicht durch den Spargroschen der Einleger geschützt ist .

Der zweite Punkt ist die Finanztransaktionsteuer . Wir
Sozialdemokraten haben uns 2012 hier im Bundestag in
gemeinsamen Verhandlungen mit Union und FDP – auch
die Grünen waren dabei – durchgesetzt . Wir haben den
europäischen Rettungsfonds mitbeschlossen . Eine der
Bedingungen für unsere Zustimmung war, dass diejeni-
gen, die spekulieren, vor allen Dingen im Hochfrequenz-
handel einen Teil der Lasten der Finanzkrise schultern,
das heißt, dass die Kosten der Krise auch mit den Einnah-
men aus einer Finanztransaktionsteuer bezahlt werden .
Diese Einnahmen sind bislang nicht geflossen. Wir haben
bisher keine entsprechende Steuereinnahme . Im Gegen-
teil: Die Kosten der Krisenbewältigung haben letztend-
lich die Schuldenlast des Bundes erhöht, und wir haben
keine Gegenfinanzierung.

Es gibt eine Initiative von noch zehn Ländern zur Fi-
nanztransaktionsteuer . Nach dem, was ich gehört habe –
Herr Moscovici, der zuständige Kommissar, hat uns das
auf meine Frage in Brüssel sehr konkret gesagt –, geht
es in die Schlussphase der Entscheidung . Im März wird
klar, ob es eine europäische Finanztransaktionsteuer gibt
oder nicht . Er hat gesagt, dass sich auch Deutschland be-
wegen und konstruktiv verhandeln muss. Der Bundesfi-
nanzminister hat das hier im Bundestag immer betont . Er
hat dafür auch ein Mandat des Bundestages: breite Be-
messungsgrundlage, niedrige Sätze, keine Ausnahmen .


(Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Zu Recht!)


Worum ich bitte und was ich erwarte – das ist auch im
Sinne dessen, was der Bundestag 2012 auf den Weg ge-
bracht hat, also im Interesse der Kontinuität –, ist, dass Sie
konstruktiv agieren und eine europäische Finanztransak-
tionsteuer als Ergebnis wollen und durchsetzen . Es bringt
nichts, über die Kosten der Flüchtlingskrise zu diskutie-
ren und eine höhere Benzinsteuer vorzuschlagen, wäh-
rend die Finanztransaktionsteuer entscheidungsreif auf
dem Tisch liegt . Deswegen sage ich: Nehmen Sie Ihren
Mut zusammen, und sorgen Sie Seite an Seite mit Frank-
reich dafür, dass im März entschieden wird, dass nach
sieben Jahren Finanzkrise endlich auch diejenigen zur
Kasse gebeten werden, die diese Krise verursacht haben .


(Beifall bei der SPD sowie des Abg . Philipp Graf Lerchenfeld [CDU/CSU])



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1815500600

Gerhard Schick ist der nächste Redner für die Fraktion

Bündnis 90/Die Grünen .


Dr. Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1815500700

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich

will als Erstes einen Blick auf unsere heutige Tagesord-
nung werfen: Drei Finanzmarktthemen stehen auf der
Tagesordnung. Heute Morgen findet eine mit 77 Minu-
ten angesetzte, große Debatte zu der Umsetzung einer
EU-Richtlinie bzw . mehrerer EU-Normen statt . Der
Anteil der Bundesregierung daran ist relativ gering . Es
geht vielmehr um das, was von der europäischen Ebene
kommt . Der Gesetzentwurf enthält viel Gutes, zum Bei-
spiel härtere Sanktionen . Darüber reden Sie gerne mor-
gens zur besten Sendezeit .


(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Sie ja auch!)


Mittags nutzen Sie die immer noch hohe Aufmerksam-
keit für die Kritik an den europäischen Aufsichtsbehör-
den . Erst am Abend, wenn die Zeitungen gedruckt sind,


(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Es gibt ja noch die Onlineportale!)


kommt das, was für Sie etwas unangenehmer ist, nämlich
die Umsetzung der Wohnimmobilienkreditrichtlinie . Da-
bei geht es um eine rechtsstaatliche Dreistigkeit . Dieses
Thema gehört eigentlich zu dieser Debatte, weil es dabei
auch um Anlegerschutz geht .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Was ist der Punkt? Normalerweise machen wir neue
Gesetze für die Zukunft . In diesem Fall ist aber Folgen-
des passiert: Die Finanzmarktbranche hat gejammert,
dass die bisherige Gesetzeslage für alte Fälle nicht güns-
tig sei . Deswegen wird jetzt rückwirkend in die Rechts-
position von Verbraucherinnen und Verbrauchern beim
Widerrufsrecht eingegriffen . Wo kommen wir hin, wenn
das Schule macht?


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wenn Verbraucher aufgrund eines Gesetzes Probleme
hatten, dann wurde noch nie – an so etwas kann ich mich
jedenfalls überhaupt nicht erinnern – rückwirkend das
Gesetz geändert . Wenn aber die Finanzbranche ruft, än-
dern Sie Gesetze auch rückwirkend . Das ist skandalös,
und dass ein Verbraucherminister bei so etwas mitmacht,
das geht überhaupt nicht .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Das, was uns jetzt vorliegt, geht zurück auf den
Schock von 2008/2009 bzw . die Erinnerung daran . Da-
mals hat man eine Expertengruppe unter dem früheren
Direktor des Internationalen Währungsfonds beauftragt,
Handlungsempfehlungen zu erarbeiten . Daraus ist die
Marktmissbrauchsrichtlinie entstanden, weil man festge-
stellt hat, in der Europäischen Union sollten – ich zitie-
re – „rigorose und abschreckende Sanktionen gelten – die
auch effektiv durchgesetzt werden sollten .“

Carsten Schneider (Erfurt)







(A) (C)



(B) (D)


Ein Stück weit wird das jetzt vorgelegt, und das ist
auch richtig . Aber man muss natürlich die Frage stellen:
Warum nutzt eigentlich die Bundesregierung nicht sys-
tematisch die Möglichkeiten, die die Richtlinie bieten
würde, um in Deutschland fehlende Sanktionen wirk-
lich hart anzuziehen? An einigen Stellen erreichen Sie
wahrscheinlich noch nicht einmal das Mindestniveau an
Sanktionen, das die Richtlinie vorgibt . Ich will ein Bei-
spiel nennen: Der Regierungsentwurf sieht im Hinblick
auf die Strafbarkeit der Marktmanipulation vor, dass
durch die jeweilige Handlung auch eine Einwirkung auf
den Marktpreis erfolgt ist; das heißt, es muss ein Erfolg
eingetreten sein . Nach der Richtlinie genügt bereits das
Geben falscher oder irreführender Signale für eine Straf-
barkeit . Das heißt, der Nachweis ist nach dem, was Sie
jetzt vorlegen, wesentlich schwieriger zu erbringen, als
es die Richtlinie eigentlich vorsieht .

Ich frage mich: Warum sieht der Gesetzentwurf be-
züglich Waren eine generelle Strafbarkeit vor, im Falle
von vorsätzlichen Fehlinformationen bei Aktien aber nur,
wenn es wirklich die Erlangung eines großen Vermögens-
vorteils gegeben hat? Unser Finanzminister gibt ja gern
einmal den Harten . Aber wenn es um Finanzmarktakteu-
re geht, wird er plötzlich relativ weich und nachsichtig .
Da stimmen Ihre Maßstäbe nicht .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Die Ökonomen George Akerlof und Robert Shiller
haben im Handelsblatt kürzlich einen Beitrag aus ei-
nem aktuellen Forschungsprojekt veröffentlicht . Es heißt
„Phishing for Phools“ und behandelt das Thema „Mani-
pulation und Täuschung“ . Es geht darin insbesondere um
den Finanzmarkt, weil ein ganz relevanter Teil des Fi-
nanzmarktes leider auf Lug und Betrug basiert . Es muss
doch einmal zur Kenntnis genommen werden – ich hoffe,
auch in den Koalitionsfraktionen und im Bundesfinanz-
ministerium –, dass wir in Anbetracht von Skandalen,
bei denen die Marktpreise bei Zinsen, bei Devisen und
beim Gold manipuliert und Märkte in Billionenumfang
durch Preismanipulationen gestört worden sind, einmal
sehr systematisch die Frage stellen müssen: Wie schaffen
wir es eigentlich, endlich wieder Recht und Ordnung am
Finanzmarkt zu etablieren?


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Das ist kein Thema, bei dem wir einfach unsere Hände
in den Schoß legen dürfen, sondern wir müssen sehen:
All die großen Skandale sind, selbst wenn deutsche Un-
ternehmen oder auch Finanzmarktunternehmen betroffen
waren, nicht in Deutschland aufgedeckt worden . Beim
Libor-Skandal waren es die britischen und amerikani-
schen Behörden, beim VW-Skandal waren es die ame-
rikanischen Behörden . So könnte man diese Liste leider
fortsetzen . Was heißt denn das? Es besteht wohl großer
Handlungsbedarf in Deutschland . Da kann es doch nicht
ausreichen, eine EU-Richtlinie nur so umzusetzen, wie es
den Mindestanforderungen entspricht, sondern da muss
man auch die deutschen Probleme endlich einmal ange-
hen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN – Lothar Binding [Hei delberg] [SPD]: Aber man darf Gesetzgebung und Vollzug nicht verwechseln! – Gegenruf des Abg . Volker Kauder [CDU/CSU]: Genau!)


– Ja, da muss man auch beim Vollzug etwas tun . Deswe-
gen ist der Bundesfinanzminister, der für die Rechts- und
Fachaufsicht bei der BaFin zuständig ist, natürlich in be-
sonderer Art und Weise gefragt . Ich hätte mich gefreut,
wenn hier auch dazu ein paar Worte verloren worden
wären .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Wir sehen, dass diese Sache so wichtig ist, dass viele
Leute empört sind und es keine Stabilität gibt . Erst jüngst
hat die Finanzaufsichtsbehörde, viel zu spät eingreifend,
eine Bank schließen müssen, weil sie die Strafzahlungen
nach einem Betrugsfall nicht leisten konnte, nämlich die
Maple Bank . Das ist systemrelevant, und das ist stabi-
litätsrelevant . Deswegen brauchen wir in Deutschland
eine Diskussion darüber und auch eine Gesetzgebung
dazu . Wir müssen die Sanktionen im Unternehmens-
bereich endlich verschärfen und auch die individuelle
Verantwortung von Unternehmen ausweiten . Das Spiel,
dass der Vorgesetzte sagt: „Du musst die Ziele erreichen,
und mich interessiert nicht, wie“ und sich nachher vor
Gericht herausreden kann, indem er sagt: „Ich habe das
doch nicht angewiesen“, muss aufhören, und zwar da-
durch, dass es ein klares Strafbarkeits- und Sanktions-
recht gibt, auf der Unternehmensebene, aber auch auf der
individuellen Ebene . Die britischen Parlamentskollegen
haben entsprechende Vorschläge gemacht . Für die ein-
zelnen Unternehmensbereiche soll zum Beispiel jeweils
ein Vorstand auch strafrechtlich verantwortlich sein . Ich
frage mich: Warum sehen wir so etwas hier im Bundestag
nicht als Gesetzesinitiative von Ihnen?


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Wir sehen auch, welche Bedeutung das für die aktuelle
Diskussion hat . Bei der Deutschen Bank spielt das Risiko
der Rechtsstreitigkeiten eine große Rolle: 12,7 Milliar-
den Euro an Strafzahlungen in den letzten Jahren, jetzt
noch einmal Rückstellungen für weitere Milliardenstraf-
zahlungen, die vielleicht überhaupt nicht ausreichen . Das
ist leider ein Problem für Deutschland insgesamt . Das
sieht man derzeit an der Marktentwicklung .

Ich will noch einmal eines zu der Diskussion sagen:
Viele machen sich jetzt Gedanken darüber, wie stabil die
Deutsche Bank ist . In dieser Diskussion hat sich auch
der Bundesfinanzminister geäußert. Seither fragen sich
alle: „War das eine Intervention, weil es der Deutschen
Bank so schlecht geht? Wusste er mehr?“, usw. Ich finde,
hier muss man eines einmal klar haben: Für jemanden
in der Verantwortung des Bundesfinanzministers darf es
in einer solchen Situation nur eine Regel geben – ich zi-
tiere hier einen Satz aus dem CDU-Präsidium an einer
anderen Stelle, der hier aber auch gilt –: „Einfach mal die
Klappe halten .“


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Matthias Hauer [CDU/CSU]: Sie sollten häu Dr. Gerhard Schick figer aus CDU-Papieren zitieren! – Volker Kauder [CDU/CSU]: Das gilt für Sie auch! – Weiterer Zuruf von der CDU/CSU: Das sagt ja der Richtige!)





(A) (C)


(B) (D)


Ja, der Bundesfinanzminister, der die Rechts- und
Fachaufsicht über die Aufsichtsbehörde in Deutschland
hat, hat hier eine eindeutige Verantwortung . Sie können
an Elke König sehen, wie man so eine Frage beantwortet .


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Für euch gilt das auch: Einfach mal die Klappe halten!)


Sie sagt: Zu einzelnen Instituten äußere ich mich nicht . –
Das wäre auch Ihre richtige Antwort gewesen . Auf so
etwas muss man sich bei einem Bundesfinanzminister
verlassen können .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Nun zu Ihren Fehleinschätzungen . – Das Zitat „Wir ha-
ben das Schlimmste hinter uns“ von Wolfgang Schäuble
zeigt, dass er das Wesen dieser Krise leider nicht verstan-
den hat .


(Zurufe von der CDU/CSU: Oh! – Volker Kauder [CDU/CSU]: Gott sei Dank haben wir Sie!)


– Ja . – Auch der Satz der Bundeskanzlerin: „Wir haben
80 Prozent der Finanzmarktregulierung geschafft“ zeigt,
dass Sie nicht verstanden haben, um was es geht;


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


denn seit 2007 ist die Fehlentwicklung unverändert wei-
tergegangen .


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Ach was! – Klaus-Peter Flosbach [CDU/CSU]: 2005 waren Sie an der Regierung!)


Die Finanzmärkte sind seit 2007 weiter schneller ge-
wachsen als die Realwirtschaft, und in den westlichen
Industriestaaten sind die Schulden im Verhältnis zur rea-
len Wirtschaftsleistung von 269 Prozent auf 286 Prozent
weiter gestiegen . Solange es so ist, dass der Finanzmarkt
schneller wächst als die Realwirtschaft, werden wir keine
Stabilität bekommen . Deswegen braucht es jetzt mehr re-
ale Investitionen, bei denen dieser Bundesfinanzminister
leider bremst, und es braucht eine schärfere Finanzmarkt-
regulierung, wobei dieser Bundesfinanzminister leider
auch bremst .

Sie haben sich in Brüssel und in Basel gegen eine
strikte Schuldenbremse für Banken gewehrt und ein
Placebo-Trennbankengesetz hier in den Bundestag ein-
gebracht und verabschiedet, das für die Stabilität unse-
res Finanzmarktes – das sehen wir jetzt an der Diskus-
sion über die Deutsche Bank – überhaupt nichts bringt .
Carsten Schneider hat es bereits gesagt: Die Christlich
Demokratische Union bremst im Europäischen Parla-
ment, wenn es darum geht, ein klares Trennbankengesetz
zu machen, um endlich unseren Finanzmarkt zu stabili-
sieren .

Deswegen muss an dieser Stelle eines klar sein: Wenn
Sie so weitermachen, wird es keine Stabilität geben . Die
Unsicherheiten werden uns dann weiter begleiten . Es
braucht mehr reale Investitionen, eine härtere Finanz-
marktregulierung und auch im strafrechtlichen und im
zivilrechtlichen Bereich harte Sanktionen für Lug und
Betrug .

Danke .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN – Volker Kauder [CDU/ CSU]: Links bleibt links!)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1815500800

Ich erteile dem Kollegen Matthias Hauer für die CDU/

CSU-Fraktion das Wort .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Matthias Hauer (CDU):
Rede ID: ID1815500900

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Bei den Ausführungen meines Vorredners konn-
te man fast vergessen, dass wir heute den Entwurf eines
Ersten Gesetzes zur Novellierung von Finanzmarktvor-
schriften beraten . Wie der Name schon erahnen lässt, ist
das nur ein Teil eines größeren Pakets . Es geht um die
Regulierung der Finanzmärkte und um die Stärkung des
Anlegerschutzes . Im zweiten Teil werden wir zu einem
späteren Zeitpunkt das deutsche Recht an die Finanz-
marktverordnung MiFIR anpassen und die Finanzmarkt-
richtlinie MiFID II in deutsches Recht umsetzen .

Eine Anmerkung vorab: Es ist bedauerlich, dass sich
die Ausarbeitung der technischen Details auf europäi-
scher Ebene verzögert . Das erschwert die nationale Um-
setzung des zweiten Teils . Es ist aus meiner Sicht nicht
nachvollziehbar, dass die Europäische Kommission den
Zeitplan für die nationale Umsetzung nicht sachgerecht
anpassen will .

Jetzt zum heutigen Thema: Worum geht es bei dem
Ersten Finanzmarktnovellierungsgesetz? Der erste Teil
umfasst vier europäische Rechtsakte aus drei Themen-
bereichen: erstens die Richtlinie und Verordnung zum
Marktmissbrauch, zweitens die Verordnung über Zen-
tralverwahrer, drittens die Verordnung über Basisinfor-
mationsblätter . Diese europäischen Rechtsakte verankern
wir im deutschen Recht . Sie wurden als Lehre aus der
Finanzkrise verabschiedet; wir haben gerade schon viel
dazu gehört . Sie haben das Ziel, die Transparenz und die
Integrität der Finanzmärkte zu stärken .

Der Deutsche Bundestag hat in den vergangenen Jah-
ren viel dafür getan, die Märkte zu stabilisieren und die
Anfälligkeit für neue Finanzkrisen zu reduzieren . Auch
der heutige Gesetzentwurf dient in erster Linie dazu, die
Anleger besser zu schützen .

Erster Punkt: Bekämpfung von Marktmissbrauch .
Wogegen gehen wir dabei auf europäischer Ebene vor?
Gegen Insidergeschäfte, gegen die unrechtmäßige Offen-
legung von Insiderinformationen und gegen Marktmani-
pulationen .

Dr. Gerhard Schick






(A) (C)



(B) (D)


Prominentes Beispiel für Marktmanipulationen ist der
Libor-Skandal . Dabei ging es um betrügerische Mani-
pulationen von Referenzzinssätzen wie dem Libor . Die
Manipulationen wurden in den Jahren 2011 und 2012
aufgedeckt . Der Skandal steht exemplarisch dafür, dass
Marktmanipulationen erhebliche Auswirkungen haben
können, gerade auch zulasten einfacher Bankkunden und
Kreditnehmer .

Banken haben sich dabei beispielsweise für bestimm-
te Privatkredite an den Libor-Zinssätzen zum Monats-
anfang orientiert . Wenn durch gezielte Manipulationen
solche Referenzzinssätze zum Monatsanfang zeitweise
erhöht werden konnten, dann wurde daran gut verdient –
zum Schaden privater Kreditnehmer, die so überhöhte
Zinssätze zahlen mussten .

Leider sind die Regeln zum Marktmissbrauch in den
Staaten der Europäischen Union bislang sehr unter-
schiedlich . Selbst schwere Verstöße werden nicht in al-
len Mitgliedstaaten strafrechtlich sanktioniert . Dort, wo
Sanktionen möglich sind, variieren sie teilweise erheb-
lich .

Durch die unterschiedlichen Regelungen auf europäi-
scher Ebene konnte der Marktmissbrauch in der Vergan-
genheit nur unzureichend bekämpft werden, auch weil
Täter über Staatsgrenzen hinweg agieren . Die EU-weite
Harmonisierung ist also sinnvoll . Regelungslücken in
einzelnen EU-Staaten, die bisher von Tätern ausgenutzt
werden konnten, werden nun geschlossen . Es ist gut und
richtig, einheitlich in der gesamten EU scharfe Sanktio-
nen bei Insiderhandel und Marktmanipulation zu ermög-
lichen .

Die Manipulation von Zinssätzen wird verboten .
Schwere Formen des Marktmissbrauchs werden EU-weit
unter Strafe gestellt . Der Versuch, die Beihilfe und die
Anstiftung werden strafbar .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Im deutschen Recht haben wir insbesondere die Straf-
und Bußgeldvorschriften den neuen europäischen Rege-
lungen anzupassen . Wir berücksichtigen aber auch die
technologische Entwicklung . Sowohl der Hochfrequenz-
handel – in Deutschland schon geregelt – als auch neuar-
tige Handelsplattformen werden dabei einbezogen .

Zweiter Punkt: Anforderungen an Zentralverwahrer .
Was machen Zentralverwahrer überhaupt? Sie regis-
trieren neu emittierte Wertpapiere, sie führen zentrale
Wertpapierkonten, und auf diesen Wertpapierkonten er-
fassen sie, wem welche Wertpapiere gehören . In der EU
verwahren sie Wertpapiere im Gesamtvolumen von rund
39 Billionen Euro . Sie wickeln Wertpapiergeschäfte im
Volumen von jährlich etwa 500 Billionen Euro ab .

Die Verordnung über Zentralverwahrer vereinheitlicht
nun europaweit, wie sie organisiert sind, wie sie Ge-
schäfte tätigen, wie sie beaufsichtigt werden, aber auch
wie sie gegebenenfalls sanktioniert werden . Ziel ist es,
dass die Verwahrer Wertpapiergeschäfte ordnungsgemäß
und pünktlich durchführen .

Der Gesetzentwurf der Bundesregierung sieht einen
umfassenden Bußgeldkatalog für Ordnungswidrigkeiten
vor . Wenn ein Zentralverwahrer gegen solche Vorschrif-
ten verstößt, dann wird es künftig teuer . 20 Millionen
Euro Bußgeld sind möglich, bis zu 10 Prozent des jährli-
chen Gesamtumsatzes – je nachdem, welcher der beiden
Beträge höher ist .

Dritter Punkt: die bessere Information für Kleinan-
leger . Mit dem Gesetzentwurf verankern wir zudem die
Verordnung über Basisinformationsblätter im deutschen
Recht . Diese Informationsblätter, auch Beipackzettel
genannt, müssen Anlegern vor Vertragsabschluss bei be-
stimmten Anlageprodukten ausgehändigt werden . Egal,
ob Anleger, Versicherungsnehmer oder Bankkunde: Sie
wissen im Normalfall deutlich weniger über ein Produkt
als der Anbieter . Wir wollen, dass Verbraucher vor Ab-
schluss solcher Verträge umfassend informiert werden
und dann gute Entscheidungen treffen können .

Die Finanzmärkte werden immer komplexer . Neue
Technologien verändern die Finanzmärkte rasant . Die
Vielfalt von Angeboten und Produkten nimmt ständig
zu . Gerade in einer solchen Zeit ist es besonders wichtig,
dass Kleinanleger die wesentlichen Informationen erhal-
ten, und zwar verständlich und übersichtlich . Mit dem
Kleinanlegerschutzgesetz haben wir die Situation der
Kleinanleger bereits im vergangenen Jahr deutlich ver-
bessert . Auch die Idee der Informationsblätter ist nicht
neu . Wir in Deutschland sind bei diesem Thema in den
letzten Jahren sehr aktiv gewesen .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Es gibt sie bei uns bereits für Anlageberatung bei Finanz-
instrumenten, bei Verträgen über Versicherungen und zur
Altersvorsorge, für Investmentvermögen und für viele
Produkte des Grauen Kapitalmarkts .

Bei der aktuellen Verordnung wird ein Basisinforma-
tionsblatt für verpackte Anlageprodukte vorgeschrieben .
Als „verpackt“ gelten Anlageprodukte, bei denen das
Geld nicht direkt, sondern indirekt am Kapitalmarkt an-
gelegt wird, zum Beispiel in offenen oder geschlossenen
Investmentfonds oder in fondsgebundenen Lebensversi-
cherungen .

Um diese komplexen Produkte besser verstehen zu
können, werden klare Regeln für die Gestaltung der Ba-
sisinformationsblätter eingeführt . Der Aufbau wird stan-
dardisiert . Sie müssen nicht nur richtig sein, sondern auch
kurz, prägnant und verständlich . Anleger können damit
Chancen und Risiken, aber auch die Kosten produktüber-
greifend vergleichen . Wichtig für Kleinanleger ist auch,
dass die Vorschriften über die zivilrechtliche Haftung der
Ersteller der Informationsblätter harmonisiert werden .
Das heißt: Jeder Kleinanleger kann in Zukunft den Er-
steller haftbar machen, wenn das Blatt irreführend oder
fehlerhaft war und ihm dadurch ein Schaden entstanden
ist .

Fazit für den Entwurf des Ersten Finanzmarktnovel-
lierungsgesetzes ist: Die europäische Harmonisierung
macht die Finanzmärkte transparenter und robuster ge-
gen Krisen . Alle drei Teile des Gesetzentwurfs stärken

Matthias Hauer






(A) (C)



(B) (D)


den Anlegerschutz . Daran werden wir gemeinsam mit
unserem Koalitionspartner weiter arbeiten .

Vielen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1815501000

Axel Troost ist der nächste Redner für die Fraktion

Die Linke .


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. Axel Troost (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1815501100

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Wenn der Bundestag europäische Richtlinien umsetzt, ist
die Zeit häufig schon darüber hinweggeschritten. Doch
jetzt holen uns die Entwicklungen an den Finanzmärkten
wieder ein .

Nach wie vor wabern Unmengen von Geldern frei
um den Globus, mal hierhin, mal dorthin . Keiner weiß,
wohin die Reise geht . Innerhalb weniger Wochen ist der
DAX drastisch eingebrochen, und die mit Abstand größ-
ten Abstürze gab es bei den Bankaktien . Das hat natürlich
auch reale Folgen . Schon rufen die ersten Bankvorstände
wieder nach Hilfen von der EZB . Nach jahrelanger Dere-
gulierung und seit 2009 etlichen Gegenmaßnahmen müs-
sen wir feststellen, dass wir den Tiger immer noch nicht
reiten können . Zu oft wurden hier Gesetze aufgelegt, die
ich hier an dieser Stelle immer nur mit dem Ausdruck „zu
spät und zu wenig“ gekennzeichnet habe .

In dem vorliegenden Gesetzentwurf geht es unter an-
derem um Maßnahmen gegen Marktmissbrauch, es geht
zum Beispiel um Insidergeschäfte und Manipulationen
von Kursen . Von diesen kriminellen Praktiken sehen wir
immer mehr, aber wir sehen immer auch nur die Spitze
des Eisberges . Nur in einigen Fällen werden die betrüge-
rischen Praktiken überhaupt aufgedeckt. Ich finde dabei
den Umgang mit dem Hochfrequenzhandel, der von den
neuen Regelungen erfasst wird, symptomatisch .

Der Handel mit Wertpapieren, die in Bruchteilen von
Sekunden gekauft und verkauft werden, macht in man-
chen Marktsegmenten mehr als 40 Prozent des gesam-
ten Handelsvolumens aus . Solange aber einem Händler
seine schädlichen Praktiken nicht nachgewiesen werden
können, ist grundsätzlich jedes Geschäft erlaubt . Volks-
wirtschaftlich gibt es jedoch überhaupt keinen Grund,
Finanzprodukte in Sekundenbruchteilen kaufen und ver-
kaufen zu müssen und dafür immer wieder Kollateral-
schäden in Kauf zu nehmen .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Das Gleiche gilt für die Zulassung von Finanzproduk-
ten . Auch hier können Anlegern die irrsinnigsten Finanz-
produkte aufgeschwatzt werden, solange anschließend
die Dokumentationspflicht ordentlich erfüllt wird. Das
ist dann die gelobte unternehmerische Freiheit mit dem
Ergebnis, dass Einzelne und der gesamtwirtschaftliche
Nutzen dabei auf der Strecke bleiben .

Jetzt möchte ich noch einige Ausführungen zur aktu-
ellen Situation machen . Der Kollege Schneider und auch
der Kollege Schick haben die Situation um die Deutsche
Bank angesprochen .

Ich bin vor einigen Monaten scharf kritisiert worden,
weil ich hier in einer Rede die Deutsche Bank als mög-
licherweise kriminellste Bank der Welt bezeichnet habe .
Ich habe seitdem – zusammen mit dem Wissenschaftli-
chen Dienst des Deutschen Bundestages – gründliche
Recherchen unternommen . Das Ergebnispapier kann
man auf meiner Internetseite oder auch auf den Nach-
DenkSeiten nachlesen .

Es gibt – um nur einiges daraus anzuführen – der-
zeit etwa 6 000 Verfahren gegen die Deutsche Bank,
darunter – jetzt muss ich ablesen – Handel mit US-Hy-
pothekenramsch, Umsatzsteuerbetrug, Beihilfe zur
Steuerhinterziehung, Insolvenz der Kirch-Gruppe, grob
fehlerhafte Anlageberatung bei Zinswetten, betrügeri-
sche Cum-ex-Geschäfte, Manipulation von Devisen-
kursen, US-Staatsanleihen, Preisen von Edelmetallen
und Manipulation von Referenzgrößen wie Libor und
Euribor, Korrumpierung ausländischer Politiker, Geld-
wäsche und Sanktionsverstöße und noch einiges mehr .
Alles, wie gesagt, recherchiert und nachlesbar .

Bei den dabei verhängten Strafen nimmt die Deutsche
Bank weltweit zugegebenermaßen nur den zehnten Platz
ein . In der Euro-Zone ist sie aber mit deutlichem Abstand
als Spitzenreiter auf Platz eins, was kriminelle Aktivitä-
ten angeht, und das nicht nur in absoluten Zahlen, was
die Strafzahlungen angeht, sondern auch in Relation zur
jeweiligen Bilanzsumme .

Aber es geht mir nicht in erster Linie um das Straf-
register eines einzelnen Unternehmens . Es geht mir um
Systemversagen .

Der Kongress in Washington hat unermüdlich zahlrei-
che solcher Vergehen in diversen Ausschüssen aufgear-
beitet, und zwar öffentlich. Bei uns im Bundestag findet
so etwas überhaupt nicht statt . Der Kollege Schick und
ich wissen, wovon wir in dieser Frage reden .


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Jetzt steht die Deutsche Bank von allen Seiten unter
Druck: von Investoren, Kunden und Gerichten . Von der
Gefahr einer Pleite zu reden, wäre sicherlich unverant-
wortlich . Aber wer weiß, welche Milliardenstrafen noch
kommen? Wer kann genau sagen, welche Gefahren von
den 52 Billionen Euro an Derivaten ausgehen, die die
Deutsche Bank in ihren Büchern hat? Niemand in diesem
Hause kann behaupten, dass die Wahrscheinlichkeit einer
Pleite bei null liegt .

In den letzten Jahren haben wir uns viel mit der Ret-
tung und Abwicklung von Banken beschäftigt und dazu
auch vieles verabschiedet . Aber wir waren uns alle im-
mer einig, dass alle diese Maßnahmen nicht tragfähig
sind, wenn es um ein Rieseninstitut wie die Deutsche
Bank geht .


(Beifall bei der LINKEN)


Matthias Hauer






(A) (C)



(B) (D)


Das geisterte immer mehr als Schreckgespenst durch die
Debatte . Jetzt sollten wir uns diesem Schreckgespenst
endlich stellen . Wir sollten unser Bankensystem mit
Sparkassen und Genossenschaftsbanken vernünftig wei-
terentwickeln . Aber die riesigen Bankkonzerne müssen
eingedampft und verkleinert werden . Solange das nicht
passiert ist, sind wir mit der Bankenregulierung noch lan-
ge nicht am Ende .

Danke schön .


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1815501200

Nächste Rednerin ist die Kollegin Sarah Ryglewski

für die SPD-Fraktion .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Sarah Ryglewski (SPD):
Rede ID: ID1815501300

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolle-

ginnen und Kollegen! Mit dem Entwurf eines Ersten
Finanzmarktnovellierungsgesetzes ziehen wir die richti-
gen Konsequenzen aus der Finanzkrise . Wir sorgen da-
für, dass Integrität und Transparenz der Finanzmärkte in
Deutschland gestärkt werden . Der Entwurf des Finanz-
marktnovellierungsgesetzes steht in einer langen Reihe
von Gesetzentwürfen, die wir in dieser Legislaturperiode
zur Verbesserung des Verbraucher- und Anlegerschutzes
im Finanzbereich entweder bereits beschlossen haben
oder noch beraten . Aktuell beraten wir über den Entwurf
eines Zahlungskontengesetzes, mit dem wir nicht nur ei-
ner großen Anzahl an Menschen, die bisher kontolos sind,
ein Girokonto verschaffen, sondern auch die Marktmacht
der Verbraucherinnen und Verbraucher gegenüber den
Banken stärken . Mit der Wohnimmobilienkreditrichtli-
nie sorgen wir für einen besseren Verbraucherschutz . Mit
dem im letzten Jahr beschlossenen Kleinanlegerschutz-
gesetz haben wir die Position von Kleinanlegern auf dem
Grauen Kapitalmarkt gestärkt . Das macht deutlich, dass
wir eine Reihe von Gesetzen beschlossen haben, die sehr
gut sind . Wir sind auf einem guten Weg .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Die Kleinanleger sind auch bei dem nun vorliegen-
den Gesetzentwurf im Fokus . Das ist nur gut und richtig;
denn hier handelt es sich um eine besonders verletzliche
Gruppe, die nur mit einer sehr geringen Marktmacht aus-
gestattet ist . Wir reden hier von Menschen, die eine ver-
hältnismäßig kleine Summe investieren, um sich gegen
Lebensrisiken abzusichern oder für das Alter vorzusor-
gen . Gerade für diese Menschen können Fehlinvestitio-
nen schnell existenzbedrohend werden . Umso wichtiger
ist, dass der Einzelne weiß, worauf er sich bei einer Anla-
geentscheidung einlässt, und sich darauf verlassen kann,
dass er richtig beraten wird und alle Informationen, die
ihm zugehen, fehlerfrei sind .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Denn wir können davon ausgehen, dass nur die wenigs-
ten Kleinanlegerinnen und Kleinanleger ausgewiesene
Finanzexpertinnen und Finanzexperten sind .

Gleichzeitig gibt es viele Produkte auf dem Markt, die
sich zwar großer Beliebtheit in der Bevölkerung erfreu-
en, aber leider häufig sehr komplex und unter Umständen
für Kleinanlegerinnen und Kleinanleger wenig geeignet
sind . Ob es sich nun um strukturierte Finanzprodukte,
Derivate oder eine Kapitallebensversicherung handelt, es
ist häufig sehr schwierig für den Einzelnen, abzuschät-
zen, welche Risiken welchen Ertragschancen gegenüber-
stehen . Natürlich ist gerade im derzeitigen Zinsumfeld
der Anreiz groß, in ein Produkt zu investieren, das gro-
ße Ertragschancen verspricht, aber für den Betreffenden
nicht geeignet ist . Den Chancen steht im Extremfall das
Risiko des Totalausfalls gegenüber . Das ist insbesonde-
re dann dramatisch, wenn man sich gegen Lebensrisiken
absichern möchte .

Selbstverständlich soll jeder – der Kollege Petry sag-
te vorhin zu mir, des Menschen Wille sei sein Himmel-
reich – weiterhin in die Produkte investieren können, die
ihm attraktiv erscheinen . Aber das Risiko, dem er sich
aussetzt, muss klar erkennbar sein . Dem Anleger muss
genauso klar sein, wie hoch die Ertragsaussichten letzt-
endlich sind . Mit der PRIIP-Verordnung führen wir daher
flächendeckend Basisinformationsblätter im Wertpapier-
handelsgesetz ein . Mit dem Kapitalanlagegesetzbuch
und dem Vermögensanlagengesetz stärken wir die Klein-
anleger weiter, indem wir sie vor Vertragsabschluss mit
allen wichtigen Informationen ausstatten, angefangen
vom Risiko eines Produktes über Renditemöglichkei-
ten bis hin zu den Provisionen, die der Anbieter für den
Verkauf an einen Anleger erhält . Damit kommen wir zur
Anwendung . Mir ist dabei sehr wichtig, dass wir bei der
Umsetzung auf Verständlichkeit achten; denn die besten
Informationen helfen niemandem, wenn sie nicht ver-
ständlich sind .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Mindestens genauso wichtig ist, dass fehlerhafte An-
gaben in Zukunft bestraft werden . Wer fehlerhafte Infor-
mationsblätter verteilt, muss dafür die Konsequenzen tra-
gen und im Schadensfall haften . Die BaFin ist zukünftig
befugt, Bußgelder zu verhängen, wenn die Informations-
blätter nicht den Anforderungen der PRIIP-Verordnung
genügen . Damit fördern wir das Vertrauen der Menschen
in die Finanzmärkte und stärken erneut die BaFin in ihrer
Rolle als kollektiver Verbraucherschützer . Das ist eine
Innovation, die wir der BaFin mit dem Kleinanleger-
schutzgesetz im letzten Sommer als Aufsichtsziel gege-
ben haben . Wir werden als Parlamentarierinnen und Par-
lamentarier begleitend beobachten, ob die BaFin diese
Rolle annimmt und konsequent zugunsten der Verbrau-
cherinnen und Verbraucher wahrnimmt .

Liebe Kolleginnen und Kollegen, natürlich kommt es
nicht von ungefähr, dass wir heute über das Erste Finanz-
marktnovellierungsgesetz debattieren . Das eigentliche
Kernstück der geplanten Finanzmarktnovellierung, die
MiFID II, setzen wir zu diesem Zeitpunkt noch nicht um .
Das ist sehr ärgerlich; denn mit der MiFID II wollten

Dr. Axel Troost






(A) (C)



(B) (D)


wir wichtige Verbesserungen auf den Weg bringen . Es
ist sehr unbefriedigend – das kann man an dieser Stelle
schon sagen –, dass wir noch nicht einmal wissen, wann
wir uns mit dieser Richtlinie befassen werden .

Mit der MiFID II würde unter anderem die BaFin das
Recht erhalten, Vermarktung, Vertrieb und Verkauf von
Finanzinstrumenten zu untersagen oder zu beschrän-
ken, wenn erhebliche Bedenken für den Anlegerschutz
aufkommen . Und dass sie es nicht hat, ist in der Tat ein
großer Mangel; denn das eine ist die Information über
verschiedene Produkte, und das andere ist, dass auf dem
Markt Produkte angeboten werden, die vielleicht für den
Anbieter attraktiv sind, dem Anleger aber wenig bringen .

Außerdem würden Vertreiber von Finanzprodukten
viel strengeren Bestimmungen darüber unterliegen, wel-
che Produkte sie überhaupt auf den Markt bringen dür-
fen .

Zum Abschluss möchte ich noch auf ein besonderes
Anliegen hinweisen, das wir auch mit der MiFID II be-
raten werden: Das ist die Stärkung der Honorarberatung .
Bisher ist es so, dass der Anteil der Honorarberatung in
Deutschland verschwindend gering ist . Das ist in der
Logik des Marktes begründet: Die meisten Verbrauche-
rinnen und Verbraucher wissen nicht, dass sie bei der
provisionsbasierten Beratung, die sie bei ihrer Bank oder
einem privaten Anbieter in der Regel erhalten, doch et-
was bezahlen, nämlich eine hohe Provision . Es ist den
Leuten oft auch nicht klar, dass das Produkt, das sie kau-
fen, sich dadurch für sie auch erst später rentiert . Beim
direkten Vergleich zwischen Honorarberatung, bei der
ich am Anfang etwas bezahle, und Provisionsberatung,
bei der die Kosten eben versteckt sind, sagt der Verbrau-
cher oft: Na, bei der Provisionsberatung sehe ich die
Kosten nicht; es kostet nichts, und deswegen nehme ich
die Honorarberatung nicht wahr .

Verstehen Sie mich nicht falsch: Es gibt sicherlich
viele Finanzberater, die das Beste der Kunden im Sinn
haben . Aber natürlich schauen sie auch immer ein Stück
weit auf ihren eigenen Geldbeutel . Unser Ziel muss es
sein, beide Beratungssysteme nebeneinander verlässlich
zu etablieren, damit die Kunden wirklich die Wahl haben
und dann auch die beste Beratung bekommen .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ich komme zum Schluss . Mit dem vorliegenden Ge-
setz müssen Provisionen offengelegt werden . Wir sollten
aber auch bei der Umsetzung der MiFID-II-Richtlinie da-
für sorgen, dass wir dann die Honorarberatung insgesamt
stärken und alle Anlageformen in den Blick nehmen .

Jetzt freue ich mich erst einmal auf die weiteren Bera-
tungen zum Ersten Finanzmarktnovellierungsgesetz und
sehe gespannt den Beratungen zu MiFID II entgegen .

Vielen Dank .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1815501400

Mathias Middelberg ist nun der nächste Redner für die

CDU/CSU-Fraktion .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. Mathias Middelberg (CDU):
Rede ID: ID1815501500

Wir beraten das Finanzmarktnovellierungsgesetz .

Aber da die Debatte hier in einigen Punkten ein bisschen
abgeschweift ist, nehme ich mir auch das Recht heraus,
zwei Vorbemerkungen meinem Beitrag vorzuschalten .
Die eine Vorbemerkung betrifft das Thema Finanztrans-
aktionsteuer . – Leider ist der Kollege Schneider jetzt
nicht mehr unter uns . Das bedauere ich .


(Dr . Gerhard Schick [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da sitzt er doch!)


– Ach, wunderbar . Das ist ja klasse . Dann bleiben Sie
vielleicht noch einmal zwei, drei Minuten hier . Denn den
Punkt möchte ich gern klarstellen .

Sie haben an dem Punkt unseren Finanzminister
Wolfgang Schäuble kritisiert und gemeint, er würde sich
nicht adäquat einsetzen . Ich sage Ihnen aus unserer Er-
fahrung im Finanzausschuss – da wäre es gut, wenn Sie
vielleicht einmal als Besucher vorbeischauten –, dass
wir uns in jeder Finanzausschusssitzung mit dem The-
ma „Stand der Beratungen zur Finanztransaktionsteuer“
beschäftigen .


(Beifall bei der CDU/CSU – Zuruf des Abg . Dr . Gerhard Schick [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Ich kann mir in Europa unter den Ländern, die sich im
Moment noch darum bemühen – das ist bedauerlicher-
weise eine überschaubare Anzahl; das sind weniger als
die EU-Mitgliedsländer insgesamt –, keine Regierung
und keinen Finanzminister vorstellen, der sich mehr
um das Erreichen dieses Ziels, Implementierung einer
Finanztransaktionsteuer, bemüht, als das bei Wolfgang
Schäuble der Fall ist .


(Beifall bei der CDU/CSU)


– Da erleben Sie sogar das Kopfnicken des Kollegen
Troost aus der Fraktion Die Linke . – Also das, denke ich,
sollte man wirklich festhalten .

Wir sind als Deutschland auch in keiner Weise im De-
tail festgelegt . Wir machen keine Vorbedingungen zu die-
sem Thema, sondern wir diskutieren das offen und gehen
auf jeden konstruktiven Vorschlag ein, der von den ver-
schiedenen europäischen Ländern kommt . Also, es liegt
mitnichten an unserer Regierung, es liegt mitnichten an
Wolfgang Schäuble, sondern es liegt an der Situation in
Europa, die – wie Sie es im Moment auch an anderen
politischen Fragestellungen beobachten können – eben
nicht immer nur durch Einheitlichkeit und Einigkeit ge-
prägt ist .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Sarah Ryglewski






(A) (C)



(B) (D)


Ich hoffe, dass wir bei diesem Thema weiterkommen .
Aber wenn wir weiterkommen, dann kommen wir auf
jeden Fall durch Wolfgang Schäuble weiter .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Der andere Punkt, den ich meinem Beitrag vorschal-
ten will, ist eine Bemerkung zu dem Thema Banken und
zu dem Stichwort „Deutsche Bank“ . Ich gehöre nicht
zum engeren Sympathisantenkreis der Deutschen Bank
und habe sie auch nicht auf ihrer Facebookseite geliket
oder Ähnliches . Aber ich muss schon sagen, dass ich die-
ses regelmäßige Bashing der Deutschen Bank doch ein
bisschen schlicht finde. Das will ich Ihnen ganz ehrlich
sagen .


(Dr . Axel Troost [DIE LINKE]: Das war ein Aufzählen von Fakten! Von Fakten!)


Lassen Sie uns die Sache einmal zu Ende denken . Es
gibt ganz viele Punkte, die einen konkret am Geschäfts-
gebaren dieser Bank stören können, zumal in den letzten
Jahren; das ist völlig zutreffend . Über diese konkreten
Punkte können wir auch gerne sprechen . Das Problem
erkennen wir, wenn wir das zu Ende denken . Wir sind,
glaube ich, die dritt-, viert- oder fünftgrößte Volkswirt-
schaft auf diesem Erdball . Deshalb ist es auch ganz ge-
scheit, wenn man im eigenen Land Finanzinstitute hat,
die die eigene Wirtschaft, unsere großen, aber auch unse-
re mittelständischen Unternehmen, die alle international
agieren, begleiten . Ich halte das für sehr gut und für ein
erstrebenswertes Ziel .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Das muss nicht unbedingt eine Bank sein oder eine
Adresse . Mir geht es auch nicht um konkrete Namen,
aber ich glaube schon, dass es gut ist, wenn Deutschland
auch in Zukunft noch einen attraktiven Kapitalmarkt hat
und ein attraktiver Bankenstandort ist . Das halte ich für
wichtig .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Eines sage ich Ihnen an dieser Stelle vorweg: Es ist
kritisiert worden, dass unsere Gesetzgebung nicht funk-
tionieren würde .


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1815501600

Herr Kollege Middelberg, darf der Kollege Schneider

eine Zwischenfrage stellen?


Dr. Mathias Middelberg (CDU):
Rede ID: ID1815501700

Ja, gerne .


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Wenn er schon geblieben ist!)



Carsten Schneider (SPD):
Rede ID: ID1815501800

Herr Kollege Middelberg, vielen Dank für die Mög-

lichkeit, im Rahmen meiner Frage klarzustellen, dass wir
auch als Koalition – so habe ich das verstanden – der
Auffassung sind, dass die Finanztransaktionsteuer ohne
Ausnahmen eingeführt werden soll . Mir ist nämlich be-
kannt, dass von deutscher Seite aus das Bundesfinanzmi-

nisterium Ausnahmen will, zum Beispiel bei Derivaten
von Staatsanleihen . Frankreich will andere Ausnahmen .
Frankreich will, dass das Market Making nicht besteuert
wird .

Herr Meister ist da . Im März haben wir die Verhand-
lungen in Brüssel . Ich würde gerne von Ihnen wissen: Ist
auch die Unionsfraktion dafür, keine Ausnahmen zu ma-
chen, eine breite Bemessungsgrundlage, niedrige Steuer-
sätze zu haben und auch die Frage der Besteuerung von
Derivaten von Staatsanleihen in die Verhandlungen mit
einzubeziehen?


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)



Dr. Mathias Middelberg (CDU):
Rede ID: ID1815501900


Herr Kollege Schneider, herzlichen Dank für die-
se Zwischenfrage . – Wir halten uns an das, was wir im
Koalitionsvertrag festgelegt haben . Da haben wir einen
Rahmen für die Implementierung der Finanztransaktion-
steuer festgelegt . In diesem Rahmen muss sich nachher
das bewegen, was wir am Ende vereinbaren werden . Bis
zu dem Zeitpunkt ist es auch richtig, dass die Bundes-
regierung offen über alle Varianten diskutiert . Nur, wir
müssen im Rahmen der verstärkten Zusammenarbeit ein
gewisses Quorum an Beteiligten überhaupt erst einmal
auf eine einigende Linie bringen . Danach macht es Sinn,
sich darüber konkret zu unterhalten, auch in diesem Par-
lament .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Jetzt möchte ich mit meinem Punkt zu dem Thema
Banken fortfahren . Das ist mir wichtig, weil eben auch
vom Kollegen Schick angesprochen wurde, viele Dinge
würden nicht funktionieren, wir hätten nicht genug Ge-
setze implementiert und viel Fehlverhalten würde nicht
aufgedeckt . Dann hat der Kollege Troost richtigerweise
darauf hingewiesen – ich glaube, da gab es eine Empfeh-
lung von dir, lieber Axel, wo man das nachlesen kann –,
dass es 6 000 Fälle gibt, in denen sich die Deutsche Bank
verantworten muss .

Ich kann das im Einzelnen gar nicht nachvollziehen;
aber wir lesen jeden Tag in der Presse, dass über die ver-
schiedenen Verfahren, über das Kirch-Verfahren, über
das Libor-Verfahren und über viele andere Dinge, die
Verbraucher und Kleinanleger betreffen, berichtet wird .
Das heißt, dass offensichtlich die Kontrollmechanismen
und damit auch der Rechtsschutz in dem Bereich doch
effizient funktionieren. Auch was andere Dinge angeht –
Insiderhandel, Manipulationen an den Wertpapiermärk-
ten –, kommt es zu Verfahren, und zwar zu Verfahren,
in denen Vorstände, Aufsichtsräte und andere auf der
Anklagebank sitzen . Ich kann ehrlich gesagt nicht fest-
stellen, dass unser Rechtssystem in dem Bereich unter-
entwickelt ist und nicht funktionieren würde .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg . Lothar Binding [Heidelberg] [SPD] – Abg . Dr . Gerhard Schick [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] meldet sich zu einer Zwischenfrage)


Dr. Mathias Middelberg






(A) (C)



(B) (D)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1815502000

Das ist aber jetzt die letzte Zwischenfrage, die ich in

dem Zusammenhang zulasse . – Bitte schön, Herr Schick .


(Das Mikrofon lässt sich nicht feststellen – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Zu oft benutzt, das Gerät! – Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Da verweigert sich sogar das Mikrofon! – Heiterkeit)



Dr. Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1815502100

Man kann ein Mikrofon ja auch festhalten, und dann

funktioniert das auch . – Danke, Herr Präsident, und dan-
ke, Herr Middelberg, für die Zulassung der Frage . – Mich
würde interessieren, wie Sie den Bürgerinnen und Bür-
gern in Deutschland Ihre Aussage, dass die Aufklärung
durch die Behörden gut funktioniert, vor dem Hinter-
grund erklären, dass die entscheidenden Skandale, in die
die Deutsche Bank verwickelt ist, wie zum Beispiel in
den Libor-Skandal, von britischen und US-Behörden und
nicht von deutschen aufgedeckt wurde . Mich würde inte-
ressieren, ob Sie den Bürgerinnen und Bürgern erklären
können, wie viele für die Finanzkrise Verantwortliche in
Deutschland bisher rechtskräftig verurteilt worden sind,
warum das so wenige sind und wie Sie vor dem Hinter-
grund dieser Defizite zu der Aussage kommen, dass das
alles in Deutschland eigentlich ganz gut funktioniere .


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Das kriegen Sie jetzt gesagt!)



Dr. Mathias Middelberg (CDU):
Rede ID: ID1815502200

Genau . – Die Tatsache, dass überhaupt ein solches

Verfahren stattfindet, und die Tatsache, dass die betref-
fende Bank, über die wir eben gesprochen haben, für das
vergangene Jahr einen Verlust von 6,5 Milliarden Euro
ausgewiesen hat – man bedenke auch, wie viele Milliar-
den Euro an Rückstellungen noch für die Durchführung
von Rechtsverfahren nachgehalten werden –, wird doch
jedes Bankhaus und wird auch jeden anderen Mitspieler,
jeden anderen Mitbeteiligten am Finanzmarkt hinläng-
lich abschrecken. Wenn Strafverfahren stattfinden, wenn
Vorstandsmitglieder oder andere Verantwortliche eines
Unternehmens auf der Anklagebank sitzen, dann ist auch
das schon eine hinreichende Lehre für sie, unabhängig
davon, ob es zu einer Verurteilung kommt . Es ist in vie-
len Fällen zu einer Verurteilung gekommen .

Um ganz konkret auf den Libor-Skandal einzugehen:
Dieses Verhalten hat sich in London abgespielt . Da geht
man jetzt vor Gericht; darüber wird dort jetzt verhan-
delt . Ich kann also nichts Unangemessenes feststellen;
vielmehr stelle ich fest, dass die Systeme funktionieren,
dass Dinge aufgedeckt werden, dass die örtlich zustän-
digen Behörden das letzten Endes leisten und dass die
Vorgänge durch die Gerichte aufgearbeitet werden . Die
Entscheidungsfindung der Gerichte spielt sich im Rah-
men ihrer Unabhängigkeit ab . Das können wir hier beob-
achten, haben es aber nicht zu kommentieren .


(Beifall bei der CDU/CSU – Dr . Petra Sitte [DIE LINKE]: Das kann ich schon kommentieren!)


Ich werde mich in meiner weiteren Rede ein bisschen
zurückhalten; sonst provoziert es zu viele Zwischenfra-
gen .


(Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ich möchte sagen, dass das, worüber wir heute reden,
schon sehr wichtig ist; schließlich hat man immer den
Eindruck, dass das ein bisschen technokratisch ist – die
vielen kleinen Regelungen . Es ist schon wichtig, dass wir
einen funktionierenden, einen sicheren Kapitalmarkt ha-
ben, aber auch einen Kapitalmarkt, in den jeder Vertrauen
setzen kann, jeder große, aber auch jeder kleine Anleger .
Das ist ganz entscheidend; denn ansonsten würde unsere
Volkswirtschaft nicht vernünftig funktionieren .

Wir brauchen einen funktionierenden Kapitalmarkt,
auch für unsere Banken, die zusätzlichen Eigenkapitalan-
forderungen unterliegen; das ist bereits erwähnt worden .
Wir brauchen einen funktionierenden Kapitalmarkt für
unsere Industrie, die sich auf die Digitalisierung um-
stellen muss und erhebliche Anpassungsinvestitionen
in diesem Bereich finanzieren muss. Wir brauchen ei-
nen funktionierenden, sicheren Kapitalmarkt für unsere
Gründerszene, die Wachstums- und Gründungskapital
benötigt .

Weil die Banken so scharfen Eigenkapitalanforderun-
gen unterliegen, stehen sie an den Märkten als Finanzie-
rer nicht mehr in dem Maße zur Verfügung, wie es früher
der Fall war . Das heißt, Unternehmen können Investiti-
onen heute nicht mehr allein durch Banken finanzieren,
sondern sie müssen dazu auch auf den Kapitalmarkt zu-
rückgreifen . Auch das ist ein ganz wichtiges Motiv und
ein Grund dafür, dass wir uns weiter um Sicherheit und
um Zuverlässigkeit auf unseren Märkten bemühen .

Es ist auch gut, dass wir das in Deutschland tun; denn
in Deutschland sind wir im Moment noch unterentwi-
ckelt, was unsere Kapitalmärkte angeht . In den USA
haben wir ein Verhältnis von Marktkapitalisierung zu
Bruttoinlandsprodukt, also zur Wirtschaftsleistung, von
über 100 Prozent . In Deutschland liegt dieses Verhältnis
bei unter 40 Prozent . Die deutschen Unternehmen nutzen
also ihren Kapitalmarkt viel zu wenig und müssten ihn
viel stärker in Anspruch nehmen .


(Dr . Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da waren wir aber doch schon viel weiter!)


Wir haben auch im Hinblick auf die Sicherung unse-
rer Altersvorsorge gute Gründe, uns um einen intakten
Kapitalmarkt zu bemühen; denn angesichts des niedrigen
Zinsumfeldes ist es nicht mehr für jeden eine attraktive
Alternative, zu seiner örtlichen Bank zu gehen und zu sa-
gen: Ich kaufe eine Bundesanleihe mit einer Verzinsung
von null Komma irgendwas . – Vielmehr wird der eine
oder andere überlegen müssen, ob er nicht besser in an-
dere Finanzprodukte investiert, weil er dort höhere und
bessere Renditen erzielt .


(Dr . Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie müssen in die Realwirtschaft investieren!)







(A) (C)



(B) (D)


Mit diesem Gesetz schaffen wir ganz reale Verbesse-
rungen . Meine Kollegen Dr . Meister und Matthias Hauer,
aber auch die Kollegin Ryglewski haben die konkreten
Verbesserungen im Gesetz angesprochen, sodass ich es
mir erspare, hier die einzelnen Punkte aufzulisten .

Wir kommen zu deutlich besseren Sanktionsmöglich-
keiten, als wir sie früher hatten, gerade beim Insiderhan-
del . Das ist eine ganz konkrete Verbesserung auf unserem
Kapitalmarkt, die gerade auch die Kleinanleger schützt .

Wir implementieren den Beipackzettel für Finanzpro-
dukte; er ist schon erwähnt worden . Wir in Deutschland
sind diejenigen gewesen, die dieses Produktionsinforma-
tionsblatt damals im Kontext mit Riester-Produkten, aber
auch mit anderen Finanzprodukten implementiert haben .
Jetzt zieht die Europäische Union nach .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1815502300

Herr Kollege .


Dr. Mathias Middelberg (CDU):
Rede ID: ID1815502400

Ich bin gleich am Schluss . – Deswegen bilanziere ich:

Es ist ein gutes Gesetz . Es ist ein guter Tag für die Anle-
ger am Kapitalmarkt. Es ist ein guter Tag für einen effi-
zienten, sicheren und vertrauenswürdigen Kapitalmarkt .

Vielen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1815502500

Das Wort erhält nun der Kollege Petry für die

SPD-Fraktion .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Christian Petry (SPD):
Rede ID: ID1815502600

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Her-

ren! Das, was wir heute vorliegen haben, reizt natürlich,
über Dinge zu sprechen, die nicht in dem Gesetz geregelt
werden; das ist heute Vormittag schon vielfach passiert .
Axel Troost und Gerhard Schick haben die Deutsche
Bank und andere Dinge im Visier . Herr Middelberg hat
eine gewagte These über Bankenfinanzierung und Kapi-
talmarkt geäußert .


(Heiterkeit bei Abgeordneten der LINKEN)


Ich habe das so verstanden, dass die Regulierungen, die
wir nun im Bankenwesen haben, dazu geführt haben,
dass es schwieriger für sie wird, sich zu finanzieren, und
dass deshalb der Kapitalmarkt einspringen muss . Ich bin
sicher, dass wir darüber in der Diskussion bleiben wer-
den .

Wir haben natürlich schon sehr viel getan . Herr
Dr . Meister hat es gesagt: Es waren 40 Regelungen in den
letzten Jahren . Herr Dr . Meister, bei diesem Gesetz darf
ich mich bei Ihnen ausdrücklich bedanken . Ich hatte bei
der Diskussion um das Kleinanlegerschutzgesetz gesagt:

Das versteht kein Mensch . – Selbst die Begründung war
unlesbar . – Dieses Gesetz jetzt – ich weiß nicht, ob meine
Aussage dazu geführt hat – kann man wirklich lesen und
verstehen . Das ist für die Transparenz, auch die Trans-
parenz für den Gesetzgeber, sehr wichtig . Dafür einen
herzlichen Dank an Sie!


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)


– Dafür kann man Herrn Dr . Meister einmal danken .

Er hat uns im Zusammenhang mit den 40 Regelungen
auch viel erklären müssen, ob es um den Grauen Kapi-
talmarkt oder das Kleinanlegerschutzgesetz ging, die
Abwicklungsmechanismen, das Bail-in oder die Banken-
union . Jetzt ist die Frage, ob wir als dritte Stufe die Ein-
lagensicherung verwirklichen, vor allem, wann und unter
welchen Bedingungen wir sie verwirklichen und was da-
für in Europa getan werden muss; Carsten Schneider hat
dazu einiges ausgeführt .

Das alles sind Dinge, die unter dem Leitmotiv stehen:
Stärkung des Verbraucherschutzes, mehr Sicherheit für
Kleinanleger, Transparenz am Markt, bessere Aufsicht,
stärkere Sanktionsmechanismen . So ist auch das uns heu-
te vorliegende Gesetz zu verstehen .

Die Marktmissbrauchsrichtlinie, die Marktmiss-
brauchsverordnung, die EU-Verordnung über Zentralver-
wahrer und die EU-Verordnung über Basisinformations-
blätter werden in nationales Recht umgesetzt . 98 Seiten
dick ist die Vorlage . 17 Rechtsgebiete sind betroffen . De-
tailregelungen werden angepasst . Mit Sicherheit wird im
Verfahren noch nachgesteuert werden . Es werden weite-
re Dinge auftauchen, die wir berücksichtigen müssen . Es
geht darum, die Integrität der europäischen Finanzmärkte
wiederherzustellen bzw . zu stärken . Märkte funktionie-
ren nur dann effizient – das hat auch Herr Dr. Middelberg
gesagt –, wenn die Marktakteure klare Regelungen ha-
ben . Wir brauchen einen funktionierenden Kapitalmarkt;
da sind wir einer Auffassung . Wenn er mit den einheitli-
chen Aufsichts- und Sanktionsbefugnissen versehen ist,
die wir hiermit stärken, wenn die Transparenz für Anle-
gerinnen und Anleger gewährleistet ist, dann ist dies ein
bedeutender Schritt hierzu .

Die Finanzmärkte boomen; wir wissen dies . 800 Bil-
lionen Dollar im Derivatehandel weltweit, in Europa ein
Fondsvolumen von 20 Billionen Euro – das sind giganti-
sche Summen . Märkte sind vorhanden . Geld ist vorhan-
den . Die Regularien dazu müssen so gefasst sein, dass sie
transparent sind und Sicherheit bieten .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Der Marktmissbrauch verfälscht Marktergebnisse und
lässt die Integrität der Finanzmärkte erodieren . Das scha-
det dem Markt und untergräbt das Vertrauen der Anleger .
Hier haben Herr Dr . Schick und Axel Troost ja die Deut-
sche Bank als Beispiel genannt .

Herr Dr . Schick, eines habe ich nicht so ganz verstan-
den – es war ein bisschen widersprüchlich –, nämlich
Ihre These „Trennbank – keine Krise“ . Das war so ein
bisschen monokausal aufgearbeitet . Ich habe mich ge-

Dr. Mathias Middelberg






(A) (C)



(B) (D)


fragt: Sind denn nicht eher, sage ich einmal, mögliches
kriminelles Handeln und Betrugsfälle ausschlaggebend
als die Regelungen, die dazu da sind, das zu verhindern?
Denn auch neue Regelungen, die wir einführen, können
natürlich missbraucht werden; Axel Troost hat darauf
hingewiesen . Das hat mich so ein bisschen an Animal
Farm erinnert: Zwei Beine sind schlecht, vier Beine sind
gut . Das war mir zu einfach . Ich glaube, das ist komple-
xer, Herr Dr . Schick . Ich habe Sie vielleicht auch nicht
ganz richtig verstanden .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie des Abg . Dr . Mathias Middelberg [CDU/CSU] – Dr . Gerhard Schick [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das erkläre ich gern noch mal!)


– Dann können wir das nochmals ausdiskutieren .


(Dr . Gerhard Schick [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich darf bloß keine Zwischenfrage mehr stellen!)


– Sie dürfen keine Zwischenfrage mehr stellen, Herr
Dr . Schick .

Durch dieses Erste Finanzmarktnovellierungsgesetz
werden die strafrechtlichen und verwaltungsrechtlichen
Sanktionsmöglichkeiten erweitert . Dies wird, fünf Jahre
nach Bekanntwerden des Libor-Betrugsskandals, endlich
zu den entsprechenden Sanktionen bei Marktmissbrauch
und Insidergeschäften führen .

Einen Aspekt – er ist schon zweimal genannt wor-
den – möchte ich noch besonders betrachten, beispielhaft
für das, was wir hier regeln: den Hochfrequenzhandel,
den computerbasierten Handel mittels Algorithmen, der
europaweit nicht einheitlich reguliert ist . Lothar Binding
kennt sich als Mathematiker mit diesen Algorithmen na-
türlich besonders gut aus .


(Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD – Manfred Zöllmer [SPD]: So einer bist du!)


Die zulässige Datenmenge liegt hier bei 10 Gigabit pro
Sekunde und 75 000 Mitteilungen pro Tag . Mit dieser Re-
gelung ist Deutschland Vorreiter . Eben ist die Frage ge-
stellt worden: Welchen volkswirtschaftlichen Sinn macht
das Ganze? Es macht keinen Sinn . Es geht schlichtweg
darum, ein Geschäft zu machen . Jetzt kann man nicht
jedem verbieten, ein Geschäft zu machen; das ist auch
klar . Das braucht man auch nicht . Aber die Regulierung
sollte so erfolgen, dass die Kräfte, die dahinterstehen
können, inklusive der Marktmanipulation durch solche
Algorithmen, begrenzt, beaufsichtigt und auch kontrol-
liert werden, damit der Missbrauch weitestgehend ver-
hindert werden kann . Die einheitlichen Regularien hierzu
in Europa, was die Sanktionsmöglichkeiten angeht, sind
Teil dieses Pakets . Das halte ich für sehr gut . Das ist ein
Schritt nach vorne . Da bedeutet das Erste Finanzmarkt-
novellierungsgesetz natürlich einen großen Schritt für
uns .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Es ist auch gesagt worden, dass die Finanzmarktricht-
linie und die Finanzmarktverordnung, MiFID II und
MiFIR, jetzt noch nicht umgesetzt werden . Statt zum

3 . Januar 2017 soll dies nun erst 2018 der Fall sein . Das
ist natürlich ärgerlich . Hier wäre – Sarah Ryglewski hat
darauf hingewiesen – noch ein großer Schritt zu tun; aber
dieser wird kommen . Auch hier werden wir im Zusam-
menhang mit dem Thema „mehr Transparenz und mehr
Verbraucherschutz“ ein Augenmerk auf die Umsetzung
in nationales Recht legen .

Am Ende meiner Ausführungen möchte ich nochmals
betonen, dass es bei diesem sehr komplexen Werk in der
Diskussion mit Sicherheit noch an der einen oder an-
deren Stelle Veränderungsbedarf geben wird . Ich freue
mich auf diese Diskussion . Ich bin auch sehr gespannt
darauf, was noch von außen an uns herangetragen wird .
Wir haben eben beschrieben, wie der Weltfinanzmarkt
aufgebaut ist . Wir sprechen hier über schier undenkbar
große Summen . Ich bin froh, dass wir dies heute Morgen
in vertrauter Runde diskutieren können . Insoweit freue
ich mich auf die kommende Diskussion . Mein besonde-
rer Dank für das schnelle und geräuschlose Arbeiten gilt
an dieser Stelle nochmals dem Bundesfinanzministerium
und den beteiligten Ressorts . Wir werden in den kom-
menden Wochen intensiv diskutieren . Ich denke, der heu-
tige Tag ist ein guter Tag für den Verbraucherschutz und
für die Transparenz . Es ist ein guter Tag hier im Deut-
schen Bundestag .

Glück auf!


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1815502700

Frank Steffel ist der letzte Redner zu diesem Tages-

ordnungspunkt für die CDU/CSU-Fraktion .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Frank Steffel (CDU):
Rede ID: ID1815502800

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-

ren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Seit eineinhalb
Stunden diskutieren wir – ich vermute, zum hundertsten,
zweihundertsten oder dreihundertsten Mal – in diesem
Deutschen Bundestag über die Regulierung von Finanz-
märkten . Vielen Zuhörerinnen und Zuhörern geht es wohl
wie immer: Man merkt, wie mühsam das ist, man merkt,
wie komplex das ist . Man versteht wahrscheinlich vie-
les nicht wirklich, hat aber hoffentlich das Gefühl, dass
sich dieser Deutsche Bundestag sehr intensiv bemüht, die
Lehren aus der Finanzmarktkrise zu ziehen und alles da-
für zu tun, dass sich eine solche Krise in Europa nie mehr
wiederholen kann .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Ziel auch dieses Gesetzes – wie aller Gesetze davor –
ist es einmal mehr, die europäischen Finanzmärkte vor
einer Krise zu schützen, die ja nicht nur Auswirkungen
auf den Banken- und Finanzbereich, sondern auch auf
Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, unseren Mittel-
stand, unsere Verbraucher und unsere Steuerzahler hat .
Es sind viele, die dann die Zeche einer solchen Krise be-
zahlen müssen . Wir optimieren also heute – acht Jahre
nach der Finanzkrise – einmal mehr die seitdem bereits
eingeführten Finanzmarkgesetze .

Christian Petry






(A) (C)



(B) (D)


Lassen Sie mich an einem Tag wie heute ganz bewusst
einmal festhalten: Wir optimieren das heute europaweit .
Das heißt, die europäische Politik stellt einmal mehr
in einem außerordentlich komplexen Sachverhalt ihre
Handlungsfähigkeit unter Beweis . Sie stellt unter Be-
weis, dass sie aus dieser Finanzkrise ihre Lehren gezogen
hat . Und sie stellt unter Beweis, dass sie trotz aller unter-
schiedlichen Auffassungen in der Lage ist, gemeinsame
Regelungen für Europa zu schaffen . Des Weiteren stellt
sie unter Beweis, dass sie wachsam und bereit ist, Jahr
für Jahr immer wieder Gesetze zu optimieren, die den
Menschen in Europa dienen . Ich glaube, das ist gerade an
einem Tag wie heute – bei vielen anderen Fragen, die wir
zurzeit streitig diskutieren – ein gutes Signal Europas .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Ich möchte sehr bewusst auch im Rückblick noch
einmal daran erinnern, dass sich die Europäische Union
und die Staaten in Europa auch vor acht Jahren als hand-
lungsfähig erwiesen haben . Viele von uns erinnern sich
an die Finanzkrise und ihre Auswirkungen nur noch ganz
entfernt . Aber: So lange ist das noch gar nicht her . Auch
damals haben der Deutsche Bundestag und viele Parla-
mente in Europa Pakete von Maßnahmen gemeinsam
diskutiert und entschieden, um die Folgen der Krise für
Europa bzw . für die Menschen in Europa abzumildern .

Wir können übrigens heute, acht Jahre nach der Kri-
se, in Deutschland feststellen: Wir haben verdammt viel
richtig gemacht . Auch damals war es übrigens eine Gro-
ße Koalition, die gemeinsam gearbeitet und dazu beige-
tragen hat, dass wir heute – nur wenige Jahre nach der
Krise – mit über 43 Millionen Menschen den höchsten
Beschäftigungsstand in der Geschichte der Bundesrepu-
blik Deutschland haben .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Wir haben heute – das ist uns allen besonders wichtig –
einen historischen Tiefstand bei der Arbeitslosigkeit,
insbesondere aber bei der Jugendarbeitslosigkeit . Jeder
Junge und jedes Mädchen in Deutschland hat heute die
Chance, aus seinem Leben etwas zu machen . Das war
vor acht Jahren keineswegs sicher . Und wir haben heute
wirtschaftliche Rahmenbedingungen, die insgesamt so
positiv sind wie selten zuvor . Ich sage das sehr bewusst
an einem Tag, wo natürlich die Interessenlage auf die
Staats- und Regierungschefs abzielt und wir den Ein-
druck erwecken, als ob wir Krisen vor uns haben, die wir
überhaupt nicht mehr bewältigen können . Meine Damen
und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, wer soll
denn diese Krise bewältigen, wenn nicht wir in Europa,
wenn nicht wir in Deutschland?


(Beifall bei der CDU/CSU)


Ich bin sicher, dass auch der heutige Gesetzentwurf –
dazu sind ja viele Details sehr umfangreich diskutiert
worden – deutlich macht, dass Europa gemeinsam han-
delt, dass wir Gesetze auf europäischer Ebene verwirk-
lichen, die wir übrigens in Deutschland vielfach schon
vorher eingeführt hatten . Heute werden die Regeln für
den Insiderhandel und zur Verhinderung von Marktma-
nipulationen durch europaweit einheitliche Regelungen
abgelöst . Das ist ein gutes Signal Europas . Wir passen

die Regelungen aktuellen Entwicklungen an, etwa den
völlig neuen Handelsplattformen wie dem Hochfre-
quenzhandel, der sich vielfach schneller entwickelt, als
wir Politiker überhaupt handeln können . Wir stärken die
Integrität und Transparenz der Kapitalmärkte durch Re-
gelungen zum Vertrieb von Wertpapieren und Kapitalan-
lagen . Der Anlegerschutz – viele haben darauf hingewie-
sen – wird einmal mehr deutlich verbessert . Die Strafen
werden deutlich erhöht . Auch das ist ein wichtiger Teil
dieses Gesetzespakets . Weiterhin erleichtern wir mit dem
Gesetz das Tätigwerden von Whistleblowern, und wir er-
weitern auch die Eingriffsmöglichkeiten von Aufsichts-
behörden .

Ich will das in aller Kürze noch einmal deutlich ma-
chen, weil es keineswegs selbstverständlich ist, dass sich
sehr unterschiedliche Regierungen bzw . Länder Europas
gemeinsam auf so umfangreiche Regelungen verständigt
haben . Wir Deutschen – auch in dieser Hinsicht sollten
wir zufrieden sein – waren einmal mehr an der Spitze der
Bewegung . Wir haben aktiv mitgestaltet . Wir sind, Herr
Dr . Meister, nicht nur unserer Verantwortung gerecht ge-
worden, sondern wir waren einmal mehr Motor für Fi-
nanzmarktregulierung in Europa .


(Beifall bei der CDU/CSU)


All diese Regelungen stärken die Verbraucherrechte und
werden hoffentlich die Finanzmärkte sicherer machen
und dazu beitragen, dass sich eine Krise wie vor acht
Jahren nicht wiederholen kann .

Ich möchte auf einen Punkt hinweisen, der etwas
untergegangen ist – er hat mit dem heute vorliegenden
Gesetzentwurf nur mittelbar zu tun –: Es ist im Rahmen
dieser Regulierung auch gelungen, für die 120 größten
Banken in Europa eine einheitliche Bankenaufsicht zu
schaffen . Zusätzlich haben wir einen einheitlichen Ab-
wicklungsmechanismus . Dieser stellt sicher, dass im Fall
einer Pleite einer europäischen Bank zunächst die An-
teilseigner und Gläubiger und dann ein von den Banken
gespeister Rettungsfonds die Schulden bedient und eben
nicht einmal mehr der Steuerzahler . Diese Bankenunion
ist ein Meilenstein der europäischen Integration . Vor der
Finanzkrise war eine derart enge Zusammenarbeit un-
denkbar, und niemand konnte sich vorstellen, dass die
nationalen Regierungen ihre Gesetzgebungskompetenz
in einem so sensiblen Bereich wie der Bankenregulie-
rung an Europa, an die EU abgeben würden .

Das zeigt einmal mehr, meine Damen und Herren,
dass wir Europäer in der Lage sind, gemeinsam unsere
Probleme zu lösen . Trotz unterschiedlicher nationaler In-
teressen, was völlig normal ist und Europa auch im posi-
tiven Sinne ausmacht, finden wir eine zukunftsweisende
Einigung und gehen zumeist gestärkt aus Krisen hervor .
Deshalb sollten wir uns gerade an einem Tag wie heute
dieser gemeinsamen Kraft bewusst sein, auch wenn der
Weg häufig anstrengend ist. Es gibt dazu übrigens auf
unserer Welt und in Europa ohnehin keine vernünftige
Alternative . Diese Kraft Europas sollte uns aber auch
Ansporn sein, in der aktuellen Krise an gemeinsamen
Lösungen zu arbeiten .

Lassen Sie mich das abschließend sagen: Ich bin von
Natur aus optimistisch . Deswegen bin ich mir ziemlich

Dr. Frank Steffel






(A) (C)



(B) (D)


sicher, dass die Staats- und Regierungschefs in den vor
uns liegenden 48 Stunden einmal mehr in wichtigen Fra-
gen der Europapolitik gemeinsame Beschlüsse fassen
und Europa stärken werden und die europäische Zusam-
menarbeit in zwei, drei Tagen vertieft ist und besser da-
steht, als es heute diskutiert wird . Denn, liebe Kollegin-
nen und Kollegen, der Optimist behält nicht zwingend
öfter recht als der Pessimist, aber er lebt in jedem Falle
glücklicher .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1815502900

Mit dieser ermutigenden Perspektive schließe ich die

Aussprache .

Ich vermute, dass sie uns die Empfehlung erleichtert,
der Überweisung des Gesetzentwurfes auf der Drucksa-
che 18/7482 an die in der Tagesordnung aufgeführten
Ausschüsse zuzustimmen . Hat jemand anderweitige Vor-
schläge? – Das ist nicht der Fall . Dann ist die Überwei-
sung so beschlossen .

Ich rufe nun unseren Zusatzpunkt 2 auf:

Beratung des Antrags der Abgeordneten Monika
Lazar, Luise Amtsberg, Volker Beck (Köln),
weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN

Demokratie stärken – Dem Hass keine Chance
geben

Drucksache 18/7553
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss (f)

Sportausschuss
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenab-
schätzung
Ausschuss Digitale Agenda

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist auch
für diese Aussprache eine Dauer von 77 Minuten vorge-
sehen . – Das ist offensichtlich einvernehmlich . Also kön-
nen wir so verfahren .

Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Kollegen
Anton Hofreiter für die antragsstellende Fraktion Bünd-
nis 90/Die Grünen das Wort .


Dr. Anton Hofreiter (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1815503000

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Deutschland hat ein Problem; es heißt Rassis-
mus . Rechtspopulistische, rassistische und rechtsextreme
Kräfte verbreiten Hass und Hetze – auf der Straße, im
Internet, im politischen Diskurs . Wir erleben eine Verro-
hung, die uns alle hier tief besorgt machen muss .

Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Gewaltbereit-
schaft hat eine Dimension erreicht, die in Teilen noch
schlimmer ist als in den 90er-Jahren . Heidenau, Tröglitz,
Freital sind in den vergangenen Jahren zum Gesicht des
hässlichen Deutschen geworden . Im niedersächsischen
Salzhemmendorf wurde nachts ein Brandsatz in eine

Flüchtlingsunterkunft geworfen . Nur durch Zufall ent-
gingen die im Haus schlafenden Kinder dem Tod . Im
brandenburgischen Bad Belzig haben Jugendliche eine
hochschwangere Asylbewerberin aus Somalia zusam-
mengeschlagen . – Dies sind nur wenige Beispiele, die
das Ausmaß der rechten Gewalt zeigen .

Aber es ist nicht nur die Häufigkeit, die mich er-
schreckt . Die neue Dimension besteht darin, dass die Ge-
waltbereitschaft bis tief in die Mitte der Gesellschaft vor-
dringt . Biedermänner werden zu Brandstiftern . Ich bin
mir sicher, ich spreche im Namen aller, wenn ich sage:
Dagegen müssen wir mit aller Macht vorgehen .


(Beifall im ganzen Hause)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, 2015 gab es erschre-
ckenderweise 14 000 rechtsextrem motivierte Straftaten,
darunter 1 600 Straftaten im Zusammenhang mit der Un-
terbringung Geflüchteter, jeden Tag vier Anschläge auf
Orte, an denen Menschen sich sicher fühlen sollen, Men-
schen, die bei uns Schutz suchen vor Gewalt, vor Folter,
vor Bomben und vor Krieg . Ein Staat versagt, wenn er
seine Schutzverantwortung für alle Menschen im Land
nicht ernst nimmt .

Rechte Gewalt ist in unserem Land tragischerweise
wieder etwas Alltägliches geworden .


(Manfred Grund [CDU/CSU]: Das stimmt nicht! Alltäglich ist das nicht!)


Wir sind es den Menschen und uns selbst schuldig, die-
se erschreckende Normalität nicht einen Tag länger zu
akzeptieren . Zu oft bleiben die Täter unbehelligt . Wie
kann es angehen, dass sich die Polizei 20 Jahre nach
Rostock-Lichtenhagen, nach Mölln und Solingen erneut
so schwer damit tut, rechte Straftaten zu erkennen? Im
schleswig-holsteinischen Escheburg etwa zündete ein Fi-
nanzbeamter eine geplante Asylunterkunft in der Nach-
barschaft an . Das BKA will keine rechte Tatmotivation
erkennen, selbst dann nicht, nachdem das zuständige Ge-
richt den rassistischen Hintergrund eindeutig festgestellt
hat . Oder nehmen wir den Fall Tröglitz . Dort tritt ein
Bürgermeister aufgrund von Gewalt des rechten Mobs
zurück . Kurz danach brennt die geplante Unterkunft für
Geflüchtete. Nach Monaten wird ein NPD-Sympathisant
als Täter festgenommen; aber auch in diesem Fall sieht
das BKA keinen Grund, die Tat als vermutlich rechts-
motiviert einzustufen . Wer nicht imstande ist, wer nicht
willens ist, rechte Straftaten zu erkennen, der gefährdet
die innere Sicherheit unseres Landes .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, rechte Gewalt ent-
steht nicht aus dem Nichts . Sie kündigt sich in einer
Radikalisierung der Sprache wie bei Pegida und AfD an
und bleibt, tragischerweise auch auf der Facebookseite
der CSU, zu oft unwidersprochen. Wir befinden uns in
einer Abwärtsspirale, in der die unterste Schublade noch
unterboten wird . Wir machen es uns zu leicht, wenn wir
die Taten zu Taten einiger Verirrter oder Unbelehrbarer
erklären . Pegida, AfD und Co . bereiten den Nährboden
für rassistische Hetze und für das vergiftete gesellschaft-

Dr. Frank Steffel






(A) (C)



(B) (D)


liche Klima . Sie schüren Ängste, und sie spielen mit
rassistischen Ressentiments . So befeuert die AfD die ab-
surde Phantasie eines kulturell oder ethnisch homogenen
deutschen Volkes, und CSU-Söder fürchtet eine massi-
ve Verringerung von Volksvermögen . Wir erleben hier
einen massiven Missbrauch rechter Sprüche durch die
CSU . Dabei ist die Obergrenze für destruktives CSU-Ge-
schwätz doch längst erreicht .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Im Wahlprogramm der AfD in Baden-Württemberg
wird vom Ende der deutschen und europäischen Kultur
schwadroniert, das durch die Menschen, die vor Krieg
und Verfolgung hierher fliehen, angeblich besiegelt wer-
den soll . Die AfD führt sich als geistiger Brandstifter auf
und treibt damit die Verrohung des politischen Diskurses
ganz entscheidend voran . Wer so hetzt wie die AfD, trägt
Mitschuld daran, wenn Molotowcocktails geworfen wer-
den und Unterkünfte brennen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist unsere Aufga-
be, die Aufgabe aller Demokratinnen und Demokraten,
solchen Äußerungen entgegenzutreten, egal ob sie aus
der eigenen Familie, aus dem Freundeskreis oder aus der
eigenen Partei kommen . Sie machen mich zornig .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Wir müssen der Spaltung unserer demokratischen Ge-
sellschaft entgegentreten, gemeinsam und entschlossen .
Rassismus und andere Formen gruppenbezogener Men-
schenfeindlichkeit haben tragischerweise seit Jahrzehn-
ten einen festen Platz in der Mitte unserer Gesellschaft .
Ja, Deutschland ist leicht entflammbar. Rassistische
Angstmache und krude Ideologien der Ungleichheit von
Menschen dürfen keine Akzeptanz erfahren . Aber wenn
Horst Seehofer auf niedrigstem Niveau von einer „Herr-
schaft des Unrechts“ schwadroniert oder ein sinnloses
Ultimatum nach dem anderen stellt, statt ernsthaft nach
Lösungen zu suchen, vergiftet er das politische Klima
und trägt mit zum Vertrauensverlust in unserer Demokra-
tie bei .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Wer von Flüchtlingsströmen redet, als würde es sich da-
bei um eine Naturkatastrophe handeln, wer Menschen
zu Naturkatastrophen macht, der entmenschlicht sie und
nimmt ihnen die Würde . Es sind aber Männer, Frauen
und Kinder, die vor Krieg und Verfolgung zu uns fliehen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, jeder von uns und
jeder, der sich öffentlich äußert, trägt Verantwortung
dafür, wie wir über die Frauen, Männer und Kinder, die
zu uns kommen, sprechen . Wir können uns in der Sache
streiten, heftig und mit Leidenschaft . Aber lassen Sie uns
bitte gemeinsam dafür sorgen, dass wir zu einer Debatte

der Vernunft und der Menschlichkeit zurückkehren, an-
statt die schrillen Töne der Hetze und der Hysterie anzu-
stimmen . Es ist die Aufgabe von Politik, den Menschen
die Sorgen zu nehmen, anstatt Ängste zu schüren . Es ist
die Aufgabe von Politik, zu streiten, Probleme zu identi-
fizieren und dann die Probleme zu lösen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Ja, Deutschland hat ein Problem; es heißt Rassismus .
Es ist höchste Zeit, dass wir das erkennen und unmiss-
verständlich für unsere demokratische und offene Gesell-
schaft kämpfen und einstehen . Die übergroße Mehrheit
der Menschen in unserem Land erwartet von uns, dass
wir davon sprechen, welch offene, bunte und lebens-
werte Gesellschaft wir haben, und klar zeigen, dass wir
diese offene und lebenswerte Gesellschaft verteidigen
und sie weder im Internet noch auf der Straße noch im
öffentlichen Diskurs den Hetzern, den Rassisten und den
Rechtsradikalen überlassen .

Vielen Dank .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1815503100

Für die CDU/CSU-Fraktion hat nun der Kollege

Marian Wendt das Wort .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Marian Wendt (CDU):
Rede ID: ID1815503200

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Meine Damen und Herren! Die gesellschaftli-
che Entwicklung zu einem Mehr an Gewalt in unserem
Land betrachte auch ich mit großer Sorge . In der Tat dür-
fen wir dem Hass und der Gewalt keine Chance bieten .

Im Antrag der Grünen finde ich sehr gute Ansatz-
punkte . Wer aber von politischer Gewalt und von Hass
spricht und damit ausschließlich Gewalt und Hass durch
Rechtsextremisten meint, verhält sich unredlich .


(Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und von der LINKEN)


Diese Auffassung ist für mich engstirnig und ideologisch
verbrämt .


(Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Oh mein Gott!)


Betrachten wir nur einmal die extremistischen Gewaltta-
ten und Ereignisse des letzten Jahres, so stellen wir fest,
dass wir unseren Blick weiten müssen . Ich zähle auf: die
Ausschreitung der Linksextremisten am 12 . Dezember
in Leipzig, die Ausschreitungen von Rechtsextremisten
am 11 . Januar in Leipzig, die HoGeSa-Krawalle, die Kra-
walle bei der Eröffnung der EZB-Zentrale in Frankfurt
und die unsäglichen Angriffe auf Polizisten in der Rigaer
Straße hier in Berlin . Das alles macht uns klar: Gewalt
herrscht auf vielen Seiten und hat viele Facetten in un-
serem Land . Auch die BKA-Berichte zu Gewalt gegen
Asylbewerber und in Asylbewerberunterkünften, die uns

Dr. Anton Hofreiter






(A) (C)



(B) (D)


diese Woche erreichten, zeigen dies leider einmal mehr .
Sie schreiben in Ihrem Antrag, dass „menschenfeindli-
ches Gedankengut … nicht nur ein Problem der ‚rechten
Ränder‘“ sei . Richtig, Hass und Gewalt sind auch Proble-
me des linken Randes . Ich hätte mir gewünscht, dass Sie
dies hier klipp und klar benannt hätten .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Aber Sie bleiben Ihrer Linie treu und klammern einseitig
eine Reihe von Problemstellungen aus .

Allein in der Bundeshauptstadt gab es im Jahr 2015
ganze 25 Anschläge gegen Gotteshäuser, wovon 17 ge-
gen christliche Kirchen gerichtet waren . Allein im zwei-
ten Quartal des vergangenen Jahres hat die Bundesre-
gierung 168 Straftaten mit antisemitischem Hintergrund
registriert . Wenn dabei nach dem Antisemitismus von
rechts differenziert wird, sage ich klipp und klar: Wir ha-
ben auch einen Antisemitismus von links, der mitunter
religiös motiviert ist . So wurde etwa ein Rabbiner in Ber-
lin-Schöneberg von Arabern bespuckt . Auch da haben
wir ein Problem . Ich möchte gar nicht erwähnen, dass
ein gespürter Antisemitismus von 20 Prozent in unserer
Bevölkerung herrscht, der vor allen Dingen von Anti-Is-
rael-Propaganda und Israel-Kritik auch vonseiten der
Linkspartei verfolgt wird .


(Zuruf von der LINKEN: Was?)


Was wollen Sie damit erreichen? Warum verschwei-
gen Sie auf den sechs Seiten Ihres Antrags die Gewalt
und die Beschimpfung von christlichen Asylbewerbern
durch muslimische Asylbewerber? Wo findet sich der
lutherische Pfarrer Martens aus Berlin, der sich schüt-
zend vor diese bedrängten Menschen stellt, sich für ihre
Belange engagiert und von den etablierten Kirchen ziem-
lich alleingelassen wird – so fühlt er sich –, in Ihrem An-
trag wieder?

Was politische Gewalt angeht, haben wir ein probates
Mittel, eines, das sich auf diesem Gebiet bewährt hat, den
Rechtsstaat . Diese Errungenschaft ist die erste Adresse,
wenn es darum geht, politisch motivierte Gewalttaten
aufzuklären und Gewalt zu verhindern . Wir müssen das
BKA sicherlich genau im Blick haben; aber es einzu-
schüchtern und der ständige Vorwurf, es arbeite falsch,
das ist die falsche Herangehensweise .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Zuruf von der LINKEN: Als wenn sich das BKA einschüchtern lässt!)


Unser Rechtsstaat verfügt über funktionierende Prozesse
der Selbstreinigung und der kontinuierlichen Verbesse-
rung, wie die Aufarbeitung der Taten des Nationalsozi-
alistischen Untergrunds ganz klar gezeigt hat . Der Vor-
wurf gegenüber der CDU, sie sei auf einem Auge blind,
ist hier völlig fehl am Platze .


(Dr . Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Na ja! Wir dachten, das wäre nur die CSU! Aber nach der Rede?)


Im Zuge dieser kontinuierlichen Verbesserung hat
die Große Koalition verschiedene Gesetzespakete in
den Bundestag eingebracht, um politische Gewalt von
rechts und links stärker zu bekämpfen . Wir haben eine

Reform der Verfassungsschutzämter durchgebracht und
damit eine bessere Vernetzung der Sicherheitsbehörden
gewährleistet . Wir haben ein Mehr an Bundespolizei ge-
schaffen .


(Uli Grötsch [SPD]: SPD!)


Auch die Länder vergrößern ihre Personalkörper und
führen neue Formen wie die sächsische Wachpolizei ein .
Die Vorratsdatenspeicherung wird uns ebenfalls helfen,
massiv Gewalt von rechts und links aufzuklären . Das
haben zum Beispiel die Festnahmen im Januar 2015 in
Leipzig gezeigt .

Ich bin mir sicher – da bin ich ehrlich –: Der Rechts-
staat kann nicht alle Probleme lösen, die sich insbeson-
dere durch gesellschaftliche Entwicklungen hervorgetan
haben . Es kommt auf ein wirklich nachhaltiges zivil-
gesellschaftliches Engagement von uns allen an . Eine
„Förderung zivilgesellschaftlicher Arbeit“, wie Sie es in
Ihrem Antrag formulieren, meine ich damit nicht . Sie ge-
hen eher von einem zivilgesellschaftlichen Engagement
aus, das der Staat finanziert. Ich frage mich ehrlich: Ist
das noch wahres und nachhaltiges zivilgesellschaftliches
Engagement im eigentlichen Wortsinne?


(Beifall des Abg . Martin Patzelt [CDU/CSU])


Extremismusprävention darf doch keine groß ange-
legte Arbeitsbeschaffungsmaßnahme sein, sondern muss
dem Ziel, Extremismus zu verhindern und Radikalisie-
rungen vorzubeugen, dienen .


(Katja Kipping [DIE LINKE]: Ihre Rede müssen wir unbedingt im Internet verbreiten! Das wäre sehr hilfreich!)


– Bleiben Sie ganz ruhig . Ich bringe gleich ein anderes
Modell ins Spiel . – Aus meiner Sicht sollte es vielmehr
um die Stärkung des zivilgesellschaftlichen Engage-
ments gehen, das bei uns bereits eine breite Basis hat .
Wir haben Sportvereine, die THW-Jugend, Kirchen und
Musikvereine. Dort findet wirkliche Integration statt.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Dort werden Werte wie Toleranz, Teamwork und die
Verantwortung füreinander miteinander gelebt . Dort sind
finanzielle Mittel viel, viel besser angelegt als in aufge-
bauschten Anti-rechts-Programmen, die dann auch noch
zur Finanzierung von Antifa-Strukturen genutzt werden .


(Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Jetzt wird es aber ganz eng! – Weitere Zurufe vom BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Das wäre aus unserer Sicht der richtige Weg .


(Dr . Petra Sitte [DIE LINKE]: Sie haben überhaupt nichts verstanden! Null! – Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Alle Fraktionen haben hier immer an einem Strang gezogen! Alle Fraktionen!)


Integration kann in einem Sportverein oder einer Kirche
doch viel tiefer gehen, weil sie Teil des wahren Lebens
sind . Deswegen wäre es aus meiner Sicht besser gewe-

Marian Wendt






(A) (C)



(B) (D)


sen, viel mehr Punkte aufzuzeigen, an denen dieser Weg
gegangen wird .


(Dr . Petra Sitte [DIE LINKE]: Sie ignorieren mal alle wissenschaftlichen Studien dazu! Das ist ja peinlich!)


In diesen Bereichen engagieren sich Millionen von Men-
schen für die Integration von Asylbewerbern und be-
kämpfen damit auch den Rechtsextremismus .


(Dr . Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ihre Ahnungslosigkeit ist erschütternd!)


Detlef Pollack hat das eindeutig belegt .

Weil der Kollege Hofreiter das angesprochen hat und
Sie sicherlich eine Positionierung von mir erwarten,
möchte ich auf Pegida zurückkommen .


(Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jetzt sind wir aber gespannt!)


Man darf die Menschen – das habe ich bereits vor einigen
Wochen hier gesagt – nicht pauschal für ihre Gedanken
verurteilen . Wir müssen mit ihnen sprechen . Ich rede
Pegida nicht nach dem Mund – das macht keiner –; aber
wer Menschen in diesem Land und die Diskussion mit
ihnen pauschal ablehnt, muss sich fragen lassen: Was tut
ihr da?


(Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Die haben einen Galgen für Frau Merkel hochgehalten!)


Die Menschen haben Fragen, und diese Fragen müssen
wir beantworten .


(Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Bei Pegida werden keine Fragen gestellt! Da wird gehetzt!)


Die Frage ist doch: Warum gehen die Menschen zu
Pegida und nicht zur CDU?


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN – Lachen bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr . Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Also wirklich! Das ist doch wohl unglaublich! Was für ein Schmarrn! – Katrin GöringEckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wie bitte? Meinen Sie das ernst?)


Das ist die entscheidende Frage . Es ist wie immer: Wenn
wir nur mit dem Finger auf die anderen zeigen und sa-
gen: „Die sind böse“, aber selber keine Antworten haben,
werden wir dieses Problem nicht lösen . Wir müssen den
Leuten doch zeigen, dass es unserem Land gut geht . Die
Leute haben Angst, dass die Wirtschaft einbricht, dass sie
ihre Arbeitsplätze verlieren . Aber wir können ihnen klipp
und klar zeigen: Die unionsgeführte Bundesregierung hat
Gutes getan . Wir haben den Reallohn gesteigert, allein
im letzten Jahr um 2,4 Prozent . Wir haben mit 6,7 Pro-
zent eine sehr niedrige Arbeitslosenquote . Das sind Din-
ge, mit denen wir den Menschen, die auf die Straße ge-

hen, begegnen können . Das sind klare Antworten, die wir
ihnen geben können .


(Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann gehen Sie doch mal hin! Gehen Sie nur ein Mal hin!)


Für mich ist wichtig: Angst ist ein ganz schlechter
Partner .


(Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Ich finde, dass Sie ein ganz schlechter Partner sind!)


Wir dürfen die Angst nicht in unsere Gesellschaft lassen .
Mein Aufruf an Pegida ist: Fragt euch, wie wir dieses
Land voranbringen können! Wir brauchen mündige Bür-
ger und keine Scharfmacher, und wir brauchen weiter-
hin ein Strafgesetzbuch, das klipp und klar besagt, dass
friedliche Demonstrationen erlaubt sind, das Gewalt aber
ganz scharf ablehnt .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Wenn wir uns wieder auf diesen Weg begeben – alle
miteinander, von rechts, von links, vom Ausländerex-
tremismus bis hin zum religiösen Extremismus –, dann
kann uns dies gelingen . Wenn wir aber andere Meinun-
gen pauschal verunglimpfen und uns nicht friedlich mit
ihnen auseinandersetzen, dann werden wir das Problem
nicht lösen .

Noch ein kurzes Wort zu Pegida . Ich weiß, dass in
Dresden nur 7 von 100 Einwohnern mitmarschieren .


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1815503300

Herr Kollege, denken Sie bitte an die Zeit .


Marian Wendt (CDU):
Rede ID: ID1815503400

Ja . – Denen rufe ich ganz klar entgegen: Nein, ihr seid

nicht das Volk – schon gar nicht meins –, höchstens ein
Völkchen . Deswegen ist mein Aufruf, Hassreden vor al-
lem gute und positive Reden entgegenzusetzen .

Vielen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1815503500

Katja Kipping ist die nächste Rednerin für die Frakti-

on Die Linke .


(Beifall bei der LINKEN)



Katja Kipping (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1815503600

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mein Vor-

redner, Herr Wendt, kommt von der sächsischen CDU .
Ich finde, seine Rede hat sehr gut veranschaulicht, wa-
rum Pegida in Sachsen so stark werden konnte . Das war
die Strategie der letzten 25 Jahre: Jeden Hinweis auf
wachsende neofaschistische Gewalt hat die CDU relati-
viert, indem sie irgendwo auch einen linken Regelver-
stoß aufgetan hat . Diejenigen, die sich zivilgesellschaft-

Marian Wendt






(A) (C)



(B) (D)


lich gegen Neonazis engagieren, werden von Sachsens
CDU auch noch verunglimpft .


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Doch nun zum Thema des Antrags . Wir erleben ge-
genwärtig mehrere beunruhigende Entwicklungen . Dazu
gehört erstens die Zunahme von Angriffen, von rassisti-
schen Angriffen auf Leib und Leben von Menschen . So
hat sich die Zahl der Angriffe auf Flüchtlingsunterkünfte
verfünffacht .

Zweitens stellen wir eine Verrohung des Sprechens
fest . Nicht nur im Netz nehmen Wortmeldungen zu, die
anderen Menschen das Menschsein absprechen .

Drittens . Mit den Aufmärschen von Pegida, den
selbsternannten Verteidigern des sogenannten Abend-
landes, gibt es eine bewegungsförmige Organisation des
Rassismus .

Viertens können die Rechtspopulisten europaweit
Wahlerfolge feiern .

Diese vier Entwicklungen verstärken einander . Ras-
sistische Bewegungen wie Pegida stehen für die Aufkün-
digung von Empathie und Mitmenschlichkeit . Insofern
ist es die Pflicht aller Demokratinnen und Demokraten,
gegen diesen Rassismus klar und deutlich Flagge zu zei-
gen .


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Doch es sind nicht die selbsternannten Verteidiger
des Abendlandes, die mir wirklich Angst machen . Mich
ängstigt vielmehr das Versagen derjenigen, die eigentlich
die Verteidiger der Demokratie sein müssten . Wenn ein-
zelne rassistische Aufmärsche die Demokratie verhöh-
nen, dann ist das ärgerlich; aber das kann eine Demo-
kratie aushalten . Wenn jedoch die Regierenden, die als
Verfassungsorgan auf das Grundgesetz verpflichtet sind,
anfangen, zu lavieren, und am Ende Stück für Stück die
Forderungen der Rechtspopulisten in Gesetzestexte gie-
ßen, dann gibt es einen Rechtsruck . Wenn diejenigen, die
die Verantwortung hätten, dagegenzuhalten, die Rhetorik
und die Problembeschreibung der Rassisten übernehmen,
dann droht das Pendel wirklich umzuschlagen .

Wir erleben gegenwärtig: Aus lauter Angst vor den
möglichen Erfolgen der AfD wird im Wochentakt eine
Scheinlösung nach der anderen von der Union präsen-
tiert, Scheinlösungen, die an den wirklichen Ursachen
vorbeigehen, die aber die rassistische Problembeschrei-
bung übernehmen und sie damit verstärken .


(Beifall bei der LINKEN – Marian Wendt [CDU/CSU]: Das ist eine Beleidigung! – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Das ist ja unglaublich, was Sie da erzählen! Kümmern Sie sich mal um die Inhalte, und lesen Sie mal die Anträge durch!)


– Ja, große Teile der politischen Klasse, große Teile der
Union versagen gegenwärtig, gerade weil sie das Lied
der AfD mitsingen und dort einstimmen .


(Beifall bei der LINKEN sowie der Abg . Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Das ist ja hanebüchener Unsinn, den Sie hier loslassen!)


Ich habe dafür einige Beispiele . Nehmen wir nur ein-
mal Horst Seehofer . Er ist immerhin Vorsitzender einer
Partei, die Teil dieser Regierung ist . Er möchte die Bun-
desregierung wegen der Unantastbarkeit der Grenzen
verklagen und führt sich dabei auf, als ob er Artikel 1 des
Grundgesetzes umschreiben möchte, obwohl dieser Ar-
tikel durch die Ewigkeitsklausel geschützt ist . Artikel 1
Absatz 1 des Grundgesetzes lautet:

Die Würde des Menschen ist unantastbar . Sie zu
achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staat-
lichen Gewalt .


(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Das haben Sie wenigstens mal gelesen! – Gegenruf des Abg . Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Sie handeln aber nicht danach!)


Für Herrn Seehofer sind die bayerischen Obergrenzen
aber offenbar ein höheres Gut als die Menschenwürde .


(Dr . Volker Ullrich [CDU/CSU]: Ihre Rede wäre viel besser, wenn Sie die Polemik weglassen würden!)


Das Grundgesetz entstand infolge der schweren und
schmerzhaften Erfahrungen mit dem Nationalsozialis-
mus, und es beginnt deswegen aus gutem Grund mit der
Würde des Menschen, also aller Menschen und nicht nur
der Deutschen .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ein weiteres Beispiel für den Flirt mit dem Rechtspo-
pulismus liefert Julia Klöckner . Sie, die immerhin Minis-
terpräsidentin und vielleicht noch mehr werden möchte,
führt in Rheinland-Pfalz einen Wahlkampf gegen Flücht-
linge in der Art eines AfD-Imitationswettbewerbes .


(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Mein Gott, haben Sie ein eingeschränktes Weltbild! Das ist phänomenal!)


Oder nehmen wir Thomas Strobl von der CDU . Er for-
dert, das Recht zum unbefristeten Aufenthalt sollten nur
Menschen erhalten, die hinreichend Kenntnisse der deut-
schen Sprache sowie der bundesdeutschen Rechts- und
Gesellschaftsordnung nachweisen können .


(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Zu Frau Wagenknecht kommen Sie noch, oder?)


Aussagen wie diese verstärken das Vorurteil, dass die
Geflüchteten nicht Deutsch lernen wollen. Ich erlebe
in Gesprächen in Flüchtlingsunterkünften genau das
Gegenteil . Dort wird Sorge darüber geäußert, dass nur
Menschen einiger weniger Nationen die zertifizierten
Sprachkurse angeboten werden . Die schwarz-rote Bun-

Katja Kipping






(A) (C)



(B) (D)


desregierung versagt gerade dabei, allen, die wollen,
Sprachkurse anzubieten,


(Marian Wendt [CDU/CSU]: Nur die, die hierbleiben!)


und ist sich nicht zu schade, den Schwarzen Peter den
Geflüchteten zuzuschieben. Das ist schädlich.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ganz offensichtlich schwebt Herrn Strobl eine Aus-
weitung der Einbürgerungstests vor . Ich fände es ja
einmal interessant, zu sehen, wer hier in diesem Hohen
Hause all die Fragen zur bundesdeutschen Gesellschafts-
ordnung beantworten könnte .


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


Mich würde auch interessieren, wer aus der Union den
Inhalt von Artikel 3 des Grundgesetzes aufsagen könn-
te . Herr Strobl kann dies ganz offensichtlich nicht; denn
sonst wüsste er, dass nach unserem Grundgesetz niemand
wegen seiner Abstammung oder seiner Sprache benach-
teiligt werden darf .

Ich fasse zusammen: Wer von rassistischen Anschlä-
gen spricht, der darf über Pegida nicht schweigen, wer
von Pegida spricht, der darf über die AfD nicht schwei-
gen,


(Beifall des Abg . Matthias W . Birkwald [DIE LINKE])


und wer von der AfD spricht, der darf nicht darüber
schweigen, dass sich Teile der politischen Klasse inzwi-
schen den Mantel des Rechtspopulismus umgelegt ha-
ben .


(Beifall bei der LINKEN – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Unterirdisch!)


Der vorliegende Antrag stellt auf das wichtige Ziel
ab, die Demokratie zu stärken . Wir hoffen, dass sich die
Geschichte nicht wiederholt, aber wir können aus ihr ler-
nen . Das Scheitern der Weimarer Republik hing unter an-
derem damit zusammen, dass massive gesellschaftliche
Umbrüche mit einer Wirtschaftskrise und mit sozialen
Verwerfungen einhergingen . Es gibt keine Entschuldi-
gung dafür, dass man zum Rassisten wird . Wir wissen
jedoch, dass Abstiegsängste und eine Gesellschaft, in
der jeder auf Konkurrenzdruck und Ellbogeneinsatz ge-
trimmt wird, den Menschenfeinden in die Händen spie-
len . Da müssen wir ansetzen . Wir müssen alles tun, um
zu verhindern, dass sich die Weimarer Verhältnisse hier
und in Europa wiederholen . Deswegen brauchen wir eine
Sozialgarantie und die berechtigte Hoffnung auf sozialen
Fortschritt .


(Beifall bei der LINKEN)


Das heißt: Es gilt, den Sozialstaat und den öffentlichen
Sektor auf- und auszubauen und nicht zu zerschlagen –
sowohl hierzulande als auch überall in Europa .

Vielen Dank .


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg . Dr . Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1815503700

Uli Grötsch von der SPD-Fraktion ist der nächste Red-

ner .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Uli Grötsch (SPD):
Rede ID: ID1815503800

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich

bin gemeinsam mit meiner Fraktion der Meinung, dass
es gut ist, dass wir heute diese wertvolle Debatte führen,
und danke den Antragstellern dafür, dass sie uns dies mit
ihrem Antrag ermöglichen .

Am Anfang meiner Ausführungen möchte ich aber
schon sagen, Herr Wendt, dass es heute nicht um alle
Formen von Gewalt geht .


(Marian Wendt [CDU/CSU]: Politische Gewalt!)


Dann müsste man ja bis zur häuslichen Gewalt alle For-
men der Gewalt einbeziehen, die wir natürlich alle, die
wir hier sitzen, verurteilen . Heute geht es um Rassismus,
um Hetze und um rechte Gewalt, und es stünde uns allen
gut zu Gesicht, wenn wir in einer solchen Debatte bei
diesem Thema blieben .


(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ich möchte auch etwas dazu sagen, dass Sie zum The-
ma Pegida angeregt haben, dass wir mit den Menschen
im Gespräch sein sollten . Natürlich sollte man mit den
Menschen im Gespräch sein, und natürlich ist es unser
aller Aufgabe, den Menschen ihre Ängste zu nehmen .
Aber ich sage Ihnen schon: Mit den Anführern von
Pegida – über die reden wir hier – würde ich nicht reden
wollen, weil sie es sind, die in immer kürzeren Abstän-
den fordern, dass man Flüchtlinge, die nach Deutschland
kommen, um Schutz zu suchen, an der Grenze erschie-
ßen soll . Erschießen! Was für Leute sind das, die Sie
hier – zumindest meiner Wahrnehmung nach – in Schutz
nehmen?


(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Das haben wir verurteilt und nicht unterstützt!)


Ich meine, dass wir in einer Debatte wie dieser nicht
versuchen sollten, den Scheinwerfer von rechts nach
links zu drehen, sondern der Scheinwerfer sollte dorthin
scheinen, wo in diesen Tagen die Feinde der Demokratie
sitzen,


(Zuruf von der CDU/CSU: Alles ausleuchten!)


Katja Kipping






(A) (C)



(B) (D)


und die sitzen rechts, meine Damen und Herren .


(Beifall bei der SPD und der LINKEN – Barbara Woltmann [CDU/CSU]: Aber nicht nur!)


Ich sage Ihnen auch, dass ich nicht gedacht hätte, dass
nach dem Auffliegen des NSU Rechtspopulisten und
NPD-Light-Parteien in Deutschland wieder derart pro-
minent werden können . Insbesondere im Osten unseres
Landes ist es offenbar wieder salonfähig geworden – ich
sage das alles andere als gerne –, rechtsradikal zu sein .
Das hat uns im Innenausschuss letztens eine hohe Ver-
treterin einer deutschen Sicherheitsbehörde wortwörtlich
gesagt .

Ich sage Ihnen: Wir – damit meine ich die Große
Koalition und am besten uns alle – werden es nicht zu-
lassen, dass diejenigen, die sich in diesen Tagen für die
schwächsten Glieder unserer Gesellschaft engagieren,
die dafür ihre gesamte Freizeit und ihre ganze Kraft auf-
wenden, von den rechten Hetzern und braunen Schläger-
trupps diffamiert und selbst verfolgt werden .


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Demokratie stärken, liebe Antragsteller, wird bei uns
seit mehr als 150 Jahren sehr groß geschrieben . Wir ha-
ben das Bundesprogramm „Demokratie leben!“ unserer
Familienministerin Manuela Schwesig auf 50,5 Milli-
onen Euro aufgestockt . Wenn Sie unseren Fraktionsbe-
schluss vom Januar gelesen haben, dann wissen Sie, dass
das der SPD bei weitem nicht genug ist . Wir wollen das
Programm bei den nächsten Haushaltsberatungen sogar
auf mehr als 100 Millionen Euro verdoppeln; denn wir
wollen den Anfängen wehren und gerade die jungen
Menschen in Deutschland vor Extremismus schützen .


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Das Programm „Zusammenhalt durch Teilhabe“ gegen
Rechtsextremismus haben wir auf 12 Millionen Euro ver-
doppelt . Auch die Bundeszentrale für politische Bildung,
die, wie wir alle wissen, enorm wichtige Arbeit in diesem
Bereich leistet, bekommt 10 Millionen Euro mehr .

Liebe Kolleginnen und Kollegen, glauben Sie mir:
Als Obmann meiner Fraktion im zweiten NSU-Unter-
suchungsausschuss bin ich durchaus in höchstem Maße
sensibilisiert für rechtsterroristische Gefahr . Ich bin der
Meinung, dass der von diesem Haus geforderte Menta-
litätswechsel bei den Sicherheitsbehörden als Lehre aus
dem NSU durchaus auf einem guten Weg ist . Eine eigens
beim Bundeskriminalamt eingerichtete Clearingstelle lie-
fert uns jetzt Zahlen zu Straftaten gegen Asylbewerber-
unterkünfte . Wenn dort die Lagen zur PMK-rechts nicht
so erstellt werden, wie wir alle uns das wünschen, dann
lassen Sie uns das doch einfach gemeinsam ändern . Dann
kann das durch eine Weisung der Hausspitze beim BKA
oder durch eine Weisung des BMI schnell und unkompli-
ziert geändert werden .

In dem Antrag sprechen Sie auch die offenen Haftbe-
fehle gegen rechte Straftäter an, ein Thema, das uns alle
in den letzten Wochen durchaus erschüttert hat. Ich finde

es wichtig, dass wir dieses Thema im Fokus behalten . Ich
glaube, wir alle miteinander sind der Meinung, dass jetzt
die Länderinnenminister und die Länderpolizeien gefor-
dert sind, diese Haftbefehle schnell zu vollstrecken .

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn Staat, Zivil-
gesellschaft und alle Parteien, die hier sitzen, an einem
Strang ziehen und aufklären, dann können die selbst-
ernannten Kümmerer keinen Keil durch unsere Gesell-
schaft treiben .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


In Wahrheit – das wissen wir doch alle – sind sie nämlich
keine Alternative, sondern sie sind die Feinde der Demo-
kratie . Ich bin mir sicher: Früher oder später – es wäre
mir heute lieber als morgen – wird die Maske endgültig
fallen und wird auch der letzte Verirrte sehen, was für
ein armseliges Menschenbild mit krankem Gedankengut
hinter dieser rechtsextremen Fassade steckt .

Ich komme zum Schluss . Liebe Kolleginnen und Kol-
legen, lassen Sie uns in diesem Haus alle gemeinsam
gegen die Kräfte in unserem Land vorgehen, die einen
Keil durch unsere Gesellschaft treiben wollen, die die-
ses Land unter dem Deckmantel einer Alternative spal-
ten wollen . Wir wollen kein geteiltes Land . Wir wollen
kein gespaltenes Deutschland . Wir sind ein Land, liebe
Kolleginnen und Kollegen, mit all seinen Problemen und
Kontroversen, aber auch in all seiner Vielfalt und mit all
unseren Werten, und diese lassen wir uns von nieman-
dem nehmen .

Vielen Dank .


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie des Abg . Heinz Wiese [Ehingen] [CDU/CSU])



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1815503900

Für die CDU/CSU-Fraktion spricht jetzt der Kollege

Dr . Volker Ullrich .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Volker Ullrich (CSU):
Rede ID: ID1815504000

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Her-

ren! Wir beraten den Antrag „Demokratie stärken – Dem
Hass keine Chance geben“ . Im Kern geht es dabei um
die Geltung von Grundrechten, um die Würde des Men-
schen, um die Unverletzlichkeit der Person und um die
gewaltfreie Auseinandersetzung im politischen Betrieb .
Über tausend Angriffe auf Asylbewerber und Flüchtlings-
heime machen betroffen und rufen unser aller Entsetzen
hervor . Man muss formulieren, was es ist: Eine Schande,
dass so etwas in unserem Land geschehen konnte!


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wir müssen uns diesem Hass und dieser Gewalt mit
allen rechtsstaatlichen Mitteln entgegenstellen . Wir sind
von tiefer Sorge geprägt, dass Radikalisierung, Hass und
eine Verrohung des gesellschaftlichen Diskurses zu Ge-

Uli Grötsch






(A) (C)



(B) (D)


walt und damit auch zu Ausgrenzung von Andersdenken-
den und anderen Menschen führt . Das ist auch ein Thema
im Internet und in sozialen Medien . Es ist zu sagen, dass
Meinungsfreiheit ein hohes Gut darstellt; das ist gar keine
Frage . Sie ist konstituierend für eine demokratisch-poli-
tische Auseinandersetzung . Aber die Meinungsfreiheit
hat ihre Grenzen im Recht des anderen . Wer die Rechte
des anderen verletzt, kann sich nicht auf die Meinungs-
freiheit berufen . Deswegen muss klar und deutlich sein,
auch in den sozialen Netzwerken: Hass und Aufrufen zu
Gewalt müssen sich alle entgegenstellen . Wir brauchen
eine Kultur der digitalen Zivilcourage .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wenn allerdings Volksverhetzung, Holocaustleug-
nung und andere Straftaten zu beobachten sind, dann darf
als Reaktion darauf kein „Like“ oder kein „Teilen“ erfol-
gen . Darauf gibt es nur eine Antwort, nämlich Besuch
oder Post von Polizei und Justiz . Diese Antwort muss der
Rechtsstaat geben .


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Deswegen brauchen wir eine ordentliche Ausstattung
bei Polizei und Justiz . Ich bin froh, dass der Bund durch
die Bereitstellung von 3 000 neuen Stellen bei der Bun-
despolizei beherzt vorangegangen ist . Ich wünsche mir,
dass auch die Länder diesem Beispiel folgen und Polizei
und Justiz so ausstatten, dass wir den Feinden unserer
Freiheit gerecht und beherzt trotzen können . Das ist die
Verpflichtung jeder staatlichen Aufgabe.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Ich möchte auch daran erinnern, dass im Strafrecht ei-
niges passiert ist . Wir haben nach der schrecklichen Ter-
rorserie des NSU im Bereich der Strafzumessung reagiert .
Jeder Richter in Deutschland hat bei der Strafzumessung
rassistische, fremdenfeindliche oder sonstige menschen-
verachtende Beweggründe konkret zu beachten . Das ist
seit einem Jahr geltendes Recht, und das ist richtig so .
Wir haben auch die Position des Generalbundesanwalts
gestärkt, damit er Ermittlungen frühzeitig an sich ziehen
kann, um damit bei Vorliegen von fremdenfeindlichen
oder rassistischen Straftaten eine bessere Koordinierung
der Ermittlungsarbeit durchzuführen . Das sind richtige
Punkte; das sollten wir heute betonen .

Es muss aber, meine Damen und Herren, die Präventi-
on im Vordergrund stehen . Hass und Gewalt dürfen sich
gar nicht erst in den Köpfen breitmachen . Wir brauchen
Prävention im Bereich der Zivilgesellschaft, aber auch
in den Schulen und Universitäten . Wir brauchen Prä-
vention gegen jede Art der Radikalisierung: Prävention
gegen Rechtsextremismus ebenso wie Prävention gegen
Linksextremismus oder salafistisches Gedankengut. Der
Staat muss bei der Bildung ansetzen, damit Menschen
sich insgesamt nicht radikalisieren .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN)


Deswegen ist es richtig und darf in dieser Debatte
auch erwähnt werden: So notwendig der Einsatz gegen
rechte Gewalt, rechtsradikales Gedankengut, Rassismus,
Hetze und Gewalt ist, so sehr darf der Rechtsstaat aber
auch darauf aufmerksam machen, dass wir ein Problem
von Linksradikalismus und von Salafismus haben. Wir
müssen die Feinde unserer Freiheit insgesamt bekämp-
fen. Das ist die Verpflichtung unseres Gemeinwesens.


(Beifall bei der CDU/CSU)


In diesem Zusammenhang möchte ich zu Ihrer Rede
kommen, Frau Kollegin Kipping . Sie haben von der po-
litischen Klasse gesprochen . Ich habe mir diesen Begriff
genau notiert . Ich sage Ihnen deutlich: Der Begriff „po-
litische Klasse“ ist in seiner Entstehungsgeschichte und
in seinem Gebrauch ein demokratiefeindlicher Kunstbe-
griff .


(Katja Kipping [DIE LINKE]: Die Praxis der politischen Klasse ist demokratiefeindlich!)


Sie sollten Menschen, die Verantwortung für dieses Land
tragen, nicht herabwürdigen, indem Sie von „Klasse“
sprechen .

Das ist falsch, wenn es darum geht, die rechtsradikalen
Hetzer in diesem Land zu bekämpfen .


(Dr . Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: „Klasse“ ist doch keine Herabwürdigung! – Katja Kipping [DIE LINKE]: Vielleicht ist ja in Ihrer Partei die Bezeichnung als Klasse eine Beschönigung von irgendetwas!)


Es ist auch nicht in Ordnung, dass Sie, Herr Kollege
Hofreiter, wenn es darum geht, gegen Hass und Gewalt
und gegen Radikalisierung auf unseren Straßen vorzuge-
hen, automatisch den Bogen von Pegida über AfD bis hin
zur CSU spannen . Das ist unlauter, und dem stellen wir
uns mit aller Macht entgegen .


(Beifall bei der CDU/CSU – Dr . Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann sollten Sie Herrn Seehofer sagen, dass er mal einen Tag seine Klappe halten soll! Das wäre ja schon ein Fortschritt, wenn er wenigstens einen Tag seine Klappe halten würde!)


Ja, wir bekämpfen die AfD . Wir bekämpfen Pegida .
Wir bekämpfen radikales Gedankengut . Aber das geht
nur, wenn wir Verantwortung übernehmen und wenn die
Politik Vertrauen in diesem Land schafft . Vertrauen wer-
den wir nur dann erlangen, wenn wir die Probleme lösen
und uns offen und ohne gegenseitige Schuldzuweisungen
daranmachen, die drängenden Herausforderungen zu be-
wältigen .


(Dr . Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das stimmt! Aber dazu trägt halt die CSU nichts bei! Der Herr Seehofer auch nicht! Fragen Sie mal Frau Merkel, was sie von den Lösungsvorschlägen der CSU hält!)


Das sind Herausforderungen im Bereich der Flüchtlings-
politik und im Bereich der inneren Sicherheit . Wir wer-
den diese Herausforderungen angehen . Da mögen Sie so

Dr. Volker Ullrich






(A) (C)



(B) (D)


viel schreien, wie Sie nur wollen . Verantwortung ist kei-
ne Frage der Lautstärke, sondern des Handelns .


(Beifall bei der CDU/CSU – Dr . Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber daran mangelt es Ihnen eben ganz genau!)


Meine Damen und Herren, wir brauchen insgesamt
ein Eintreten für die wertvolle freiheitlich-demokratische
Grundordnung . Das geht durch beherztes politisches
Handeln, aber auch durch Engagement dieser Zivilge-
sellschaft . Wer nichts tut, wer sich zurücklehnt, wer sich
nicht engagiert, wird vielleicht morgen in einer Welt auf-
wachen, in der er dieses Nichtstun bitter bereuen würde .
Nichtstun und Nichteintreten für die freiheitlich-demo-
kratische Grundordnung ist ein süßes Gift; aber es ist ein
Gift, das wir nicht akzeptieren sollten .

Lassen Sie uns gemeinsam gegen Extremismus, Hass
und Hetze kämpfen, und lassen Sie uns gemeinsam die
Verantwortung in diesem Staat wahrnehmen! Dafür sind
wir gewählt, und daran sollten wir arbeiten .

Vielen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1815504100

Das Wort hat jetzt die Kollegin Ulla Jelpke für die

Fraktion Die Linke .


(Beifall bei der LINKEN)



Ulla Jelpke (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1815504200

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich hat-

te eigentlich gedacht, es ist eine Selbstverständlichkeit,
dass bei einem Thema wie heute, wenn es darum geht,
gegen Hass, Hetze und rassistische Gewalt vorzugehen,
alle im Hause dem Antrag folgen können, dass sie diese
Debatte so wichtig finden, dass man mehr Präsenz zeigt


(Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Das stimmt!)


und dass man vor allen Dingen ernsthaft und sachlich
über dieses Thema spricht, anders als Herr Wendt und
Herr Ullrich es eben getan haben .


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Ich möchte einen Punkt aufgreifen, der, finde ich, im
Antrag zu kurz kommt, und zwar die Analyse der Ur-
sachen für die massive Zunahme fremdenfeindlicher
Gewalt und Hasspropaganda . Es heißt im Antrag – das
wurde schon vom Kollegen Hofreiter zitiert –:

Es ist die Aufgabe aller demokratischen Kräfte, ei-
ner Spaltung der Gesellschaft unmissverständlich
entgegenzutreten .

Ich meine aber, dass diese Spaltung längst Realität
ist . Die Kluft zwischen Arm und Reich war nie größer .
Deutschland ist heute das Land mit der höchsten Vermö-
gensungleichheit innerhalb der Euro-Zone, so der Pari-
tätische Wohlfahrtsverband . 16 Prozent leben unter der

Armutsgrenze . Die obersten 10 Prozent verfügen über
die Hälfte des gesamten Vermögens, Tendenz steigend .
Millionen Menschen sind prekär beschäftigt . Sie leben
trotz Arbeit am Existenzminimum . Die Altersarmut
nimmt rasant zu .

All das sind Folgen einer jahrzehntelangen neolibe-
ralen Politik der Umverteilung von unten nach oben,
begleitet von fortschreitendem Demokratieabbau . Das
ist der soziale Nährboden, auf dem Rassismus, Fremden-
feindlichkeit, Pegida und AfD gedeihen . Es sind nicht
nur die Neonazis und die Pegida-Anhänger, die die Men-
schen gegeneinander aufhetzen . Herr Ullrich, Sie haben
gerade wieder die entsprechenden Stichworte genannt .
Auch in Ihren Reihen, in der Bundesregierung finden
sich immer wieder Unterstützer für diese Hetzer .


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


Hier im Parlament: Einmal geht es gegen die Armuts-
zuwanderer aus Bulgarien und Rumänien sowie vom
Westbalkan, dann sind die Menschen aus Afghanistan
angeblich nicht schutzbedürftig, dann wiederum geht es
gegen die sogenannten Antanzer aus Nordafrika . Diese
Rhetorik befeuert die fremdenfeindliche Mobilmachung
von rechts außen .


(Barbara Woltmann [CDU/CSU]: Wollen Sie die Straftäter in Schutz nehmen? Das schlägt dem Fass den Boden aus!)


Im Antrag der Grünen ist die Rede von Rassismus und
Antisemitismus, Sexismus und Homophobie . Aber auch
hier möchte ich anmerken: Es fehlt die seit Jahren an-
wachsende Islamfeindlichkeit . Sie muss genauso geäch-
tet werden wie alle rassistischen Auswüchse .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Für das vergangene Jahr zählte die Bundesregierung – auf
Anfrage der Linken – rund 70 Übergriffe auf muslimi-
sche Einrichtungen, von Nazischmierereien über einge-
schlagene Fenster bis hin zu schweren Brandstiftungen .
Allein in den ersten drei Wochen des neuen Jahres melde-
ten die Moscheegemeinschaften rund 80 weitere Angrif-
fe . Nach den frauenfeindlichen Übergriffen in der Kölner
Silvesternacht haben Schmäh- und Bedrohungsszenarien
sprunghaft zugenommen, wie die muslimischen Verbän-
de beklagen . Es ist in der Tat nicht hinnehmbar, wie hier
eine ganze Religionsgemeinschaft pauschal verächtlich
gemacht wird .


(Beifall bei der LINKEN)


Um es deutlich zu sagen: Die Täter von Köln müssen er-
mittelt und bestraft werden, keine Frage .


(Beifall der Abg . Matthias W . Birkwald [DIE LINKE] und Dr . Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Doch es ist geradezu absurd, dass nun Nazis, Hooligans
und Rocker, deren mittelalterliches Frauenbild sich kaum
von dem der Salafisten unterscheidet, Bürgerwehren zum
Schutze „unserer“ Frauen bilden, weil die vermeintlichen
Täter von Köln nicht deutscher Herkunft sind . Lassen wir
es nicht zu, dass das Eintreten gegen sexistische Gewalt

Dr. Volker Ullrich






(A) (C)



(B) (D)


und der Kampf gegen Rassismus gegeneinander ausge-
spielt werden . Es darf keine Angsträume in unseren Städ-
ten geben, weder für Frauen noch für Flüchtlinge und
Migranten .

Ich danke Ihnen .


(Beifall bei der LINKEN)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1815504300

Der Kollege Dr . Lars Castellucci spricht jetzt für die

SPD .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Lars Castellucci (SPD):
Rede ID: ID1815504400

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Her-

ren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Richten wir ein-
mal den Scheinwerfer auf die AfD . Die stellvertretende
Bundesvorsitzende der AfD, Beatrix von Storch – das
ist die Dame, die an der Grenze schießen will –, hat auf
einem Parteitag gesagt: „Wir wollen die Demokratie ver-
teidigen . Demokratie geht nur national .“ Ich sage: Ich
will die Demokratie verteidigen, und zwar vor solchen
Leuten wie Frau von Storch; denn Demokratie geht nur
mit Anstand .


(Beifall im ganzen Hause)


Vieles, was wir in diesen Tagen hören und lesen, ist
nur schwer erträglich . Markus Frohnmaier – er ist Bun-
desvorsitzender der Jungen Alternative und Landtags-
kandidat bei uns im Südwesten – sagt:

Wenn wir kommen, dann wird aufgeräumt, dann
wird ausgemistet, dann wird wieder Politik für das
Volk und nur für das Volk gemacht .


(Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Den kenne ich!)


Alexander Gauland – den kennen Sie auch noch – sagt
im Spiegel:

Natürlich verdanken wir unseren Wiederaufstieg in
erster Linie der Flüchtlingskrise .

Und:

Man kann diese Krise ein Geschenk für uns nennen .
Sie war sehr hilfreich .

Ein Armin Paul Hampel – er ist AfD-Chef in Nieder-
sachsen – relativiert die Angriffe auf Flüchtlingsunter-
künfte und sagt:

… aber es ist doch klar,

– Achtung! –

dass ein Gutteil dieser angeblichen Brandanschläge
von den Flüchtlingen selbst kommt, meist aus Un-
kenntnis der Technik . Mal ehrlich, viele von ihnen
dürften es gewohnt sein, in ihren Heimatländern da-
heim Feuer zu machen .

Meine sehr verehrten Damen und Herren, nationalis-
tisch, völkisch, zynisch oder auch nur dumm: Solchen
Leuten kann man dieses Land nicht anvertrauen .


(Beifall im ganzen Hause – Katja Kipping [DIE LINKE]: Da klatschen Sie nicht, Herr Wendt!)


Einmal nur nebenbei: Sagen darf man diese ganzen
Dinge übrigens . Das ist ja auch eines dieser Leitmotive,
das aus dieser Szene kommt, man dürfe bestimmte Din-
ge in Deutschland nicht sagen . Ich frage mich: Woher
kommen denn eigentlich diese Erfahrungen? Ich glaube,
dahinter steckt etwas ganz anderes . Die Leute wissen:
Wenn sie so etwas sagen, dann bekommen sie Wider-
spruch . Das sind aber zwei unterschiedliche Dinge . Sa-
gen darf man es schon, aber mit Widerspruch muss man
dann im Zweifel auch rechnen .


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der LINKEN)


Man kann sich rassistisch äußern, dann muss man aber
auch damit rechnen, ein Rassist genannt zu werden . Das
ist Demokratie .


(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Am Sonntag wurde in Heidelberg der Ehrenbürgerin
und Dichterin Hilde Domin gedacht . Sie ist vor zehn Jah-
ren verstorben. Auch sie musste aus Deutschland fliehen.
Es ist etwas exemplarisch, wie ihr Weg dann war . Viel-
leicht hilft das auch für eine Einschätzung unserer heu-
tigen Zeit. Sie floh über Italien, dann Frankreich, dann
Großbritannien, dann Kanada, bis sie in Santo Domingo
landete und damit in einem Land, dem sie dann ihren Na-
men entliehen hat . Wir merken da also: Ja, die Menschen
wollen eigentlich, wenn sie fliehen müssen, erst einmal
in der Nähe bleiben, weil sie Hoffnung haben, wieder
zurückzukönnen . Und wir lernen auch: Wenn es wieder
möglich ist, zurückzugehen, dann gibt es viele, die auch
wieder zurückwollen und mithelfen wollen, dass aus ih-
rem Land ein gutes Land wird .


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Hilde Domin hat aus dieser eigenen Fluchterfahrung
geschrieben:

Jeder Verfolgte, der überlebt hat, weiß, dass er nur
durch die Hilfe anderer noch hier ist .

Diese Hilfe, die wir in Deutschland in diesen Tagen
erleben, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist für mich
auch Ausdruck eines hohen demokratischen Bewusst-
seins . Denn Willy Brandt, als er „mehr Demokratie wa-
gen“ gesagt hat, hat damit gesagt, er will zur Mitverant-
wortung ermutigen .

Ich würde sagen, diese Saat von Bildungsreformen
und mehr Demokratie ist aufgegangen . Das zeigt die Hil-
fe in diesem Land . Willy Brandt hätte einen klaren Blick
auf die Herausforderungen, vor denen wir stehen, aber

Ulla Jelpke






(A) (C)



(B) (D)


er wäre auch stolz auf dieses Land . Demokratie, das ist
Hilfe, mit anpacken, keine Hetze!


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der LINKEN)


Aber das Wichtigste – auch noch einmal Hilde Domin,
wie sie aus ihrer Lebenserfahrung zusammenfasst, wo-
rauf es im Umgang von Mensch zu Mensch ankommt –:

. . . dass er den anderen als seinesgleichen behandelt .
Dass er ihn in seiner Menschenwürde nicht kränkt,
gleichgültig wie groß die Standes-, Begabungs-, Bil-
dungs- und Glücksunterschiede auch sein mögen .

Ja, Demokratie geht nur mit Menschenwürde . Das ist
der Ausgangspunkt . Meine Damen und Herren von der
AfD, Menschenwürde – und nicht Deutschenwürde .


(Beifall im ganzen Hause)


Diese sogenannte Alternative für Deutschland bietet
also keine Alternative für Deutschland, sondern in vielen
Äußerungen kommt zum Ausdruck: Sie bietet eine Al-
ternative zur Demokratie . Ich kann dazu nur sagen: Das
haben wir schon gehabt . Das brauchen wir nicht wieder .


(Beifall im ganzen Hause)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1815504500

Nächste Rednerin ist die Kollegin Monika Lazar,

Bündnis 90/Die Grünen .


Monika Lazar (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1815504600

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Geflüchtete und haupt- und ehrenamtlich Tätige in der
Flüchtlingsarbeit sind häufig Zielscheibe von rassisti-
scher Hetze, Hass und Gewalt. Die Anzahl flüchtlings-
feindlicher Straftaten wuchs in den vergangenen Jahren
stetig . 2012 waren es 62 Straftaten, 2014 bereits knapp
900 und im letzten Jahr schon mehr als 1 600 . Das ist ein
dramatischer Trend, dem wir gemeinsam mit allen Kräf-
ten Einhalt gebieten müssen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Auch der Ton im politischen Diskurs wird rauer und
widerwärtiger . Viele Akteure in Politik, Medien oder In-
itiativen werden beschimpft und bedroht . Verunglimp-
fungen wie „Volksverräter“ oder „grüne Zecke“, die ich
persönlich am Rande von Legida-Demonstrationen re-
gelmäßig höre, gehören dabei noch zu den harmloseren
Beispielen . Besonders enthemmt geht es dabei im Inter-
net zu . In den letzten Monaten bin ich besonders froh,
nicht bei Facebook zu sein; denn bei Twitter müssen sich
die Hetzer wenigstens kurz fassen .


(Heiterkeit und Beifall beim BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Ich will jetzt keine Beispiele nennen, um den Trollen
keine Bühne zu geben; denn ich denke, die meisten von
uns Abgeordneten haben leider selber genügend Beispie-
le parat .

Strafbare Internethetze muss unverzüglich aus dem
Netz entfernt und geahndet werden, bevor sie Menschen
zu Straftaten anstachelt . Hassdelikte müssen konsequen-
ter bekämpft werden . All die Beleidigungen und Bedro-
hungen tragen dazu bei, dass der Hass noch weiter ange-
stachelt wird . Das dürfen wir nicht zulassen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wir müssen uns mit allen rechtsstaatlichen und ge-
sellschaftlichen Mitteln dafür einsetzen, dass Rassismus,
menschenverachtende Hetze und Gewalt zurückgedrängt
werden . Wo rechte Strömungen das friedliche Miteinan-
der vergiften, müssen staatliche Institutionen mit einem
rassismuskritischen Fokus arbeiten; dazu bedarf es auch
der passenden Aus- und Weiterbildungen .

Ebenso muss die interkulturelle Kompetenz von Be-
hörden, Institutionen und Bildungseinrichtungen erhöht
werden, unter anderem durch mehr Beschäftigte mit
Migrationshintergrund im öffentlichen Dienst . Die de-
mokratischen Parteien müssen rassistischen Äußerungen
auch aus den eigenen Reihen in aller Klarheit entgegen-
treten . Versuche, die AfD von rechts zu überholen, um
dort nach Wählerstimmen zu fischen, sind inakzeptabel
und gefährlich für das politische Klima in unserem Land .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN)


Wer sich daran beteiligt, spielt den rechten Scharfma-
chern in die Hände .

Manchmal ist es aber auch wichtig, wenn die demo-
kratischen Parteien Geschlossenheit zeigen . Wie man
es nicht macht, hat die Leipziger CDU zum Beispiel am
11 . Januar gezeigt, als sie sich an einer gemeinsamen
Lichterkette in der Leipziger Innenstadt nicht beteiligen
wollte . Ziel dieser Lichterkette war es, ein gemeinsames
Zeichen für Weltoffenheit gegen die Legida-Demonstra-
tion zu setzen . Die Leipziger CDU-Bundestagsabgeord-
nete Bettina Kudla erklärte dazu –:

Von parteiübergreifenden Aufrufen halte ich nichts,
da sie die Unterschiede zwischen den Parteien und
auch die Verantwortlichkeiten vermengen .


(Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sehr traurig!)


Das ist nun wirklich kontraproduktiv und abstrus .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Zivilgesellschaftliche Akteure und Geflüchtete brau-
chen den Schutz von Staat und Gesellschaft . Es ist des-
halb großartig, dass so viele zivilgesellschaftliche Ini-
tiativen und engagierte ehrenamtliche Helferinnen und
Helfer vor Ort wertvolle Arbeit für unsere Demokratie
leisten . Dafür möchte ich ihnen ganz herzlich danken .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN)


Aber auch der Staat ist stärker gefragt . Wir brauchen
eine gut ausgestattete Demokratieoffensive auf allen poli-

Dr. Lars Castellucci






(A) (C)



(B) (D)


tischen Ebenen, um gemeinsam mit der Zivilgesellschaft
unsere demokratische und pluralistische Gesellschaft zu
verteidigen . Dafür ist unser Antrag eine Anregung . Wir
haben zehn Eckpunkte zusammengetragen, die in diesem
Maßnahmenpaket enthalten sein sollten . Ich freue mich
schon jetzt auf die sicherlich sehr lebhaften Debatten in
den Ausschüssen .

Vielen Dank .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1815504700

Für die CDU/CSU spricht jetzt die Kollegin Barbara

Woltmann .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Barbara Woltmann (CDU):
Rede ID: ID1815504800

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Liebe Kollegen und Kolleginnen von den Grü-
nen, als am Dienstagnachmittag Ihr Antrag auf unsere
Schreibtische kam und ich das Thema sah, habe ich ge-
dacht: Ja, ein wichtiges, ein gutes Thema, auch der Titel
ist gut . Doch beim Lesen Ihres gesamten Antrags habe
ich gedacht: Na ja, da bist du aber nicht mehr von al-
len Punkten so begeistert . Denn es haben mir doch viele
Dinge gefehlt, ich fand den Antrag nicht vollständig und
teilweise einseitig . Auch mir fehlen alle Facetten von
Hass und Rassismus . Der Linksextremismus ist hier von
meinen Kollegen schon angesprochen worden .

Ich denke, wir müssen jedem Hass, jedem Rassismus,
egal von welcher Seite er kommt, entgegenwirken, und
zwar ganz entschieden . Da ist mir die Seite, woher er
kommt, völlig egal; vielmehr ist jeder Hass, jeder Ras-
sismus von allen Demokraten zu bekämpfen . Ich glaube,
das ist sicherlich Konsens hier im Haus .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Drei Punkte sind für mich dabei wichtig:

Erstens . Eine starke Demokratie braucht einen starken
Rechtsstaat . Das beinhaltet die Anerkennung des staatli-
chen Gewaltmonopols .

Zweitens. Eine starke Demokratie braucht flächende-
ckende politische Aufklärung .

Drittens . Eine starke Demokratie braucht auch klare
Strukturen und ein klares Bekenntnis gegen Hass und In-
toleranz .

Diese Prämissen müssen erfüllt sein, um dem Hass
von rechts gegen Ausländer, gegen Juden, gegen ande-
re Gruppen, gegen andere Minderheiten, dem Hass von
links, dem Hass von Salafisten oder Islamisten gegen
unsere staatliche Rechts- und Grundordnung erfolgreich
entgegentreten zu können . Allein die Zahlen der politisch
motivierten Straftaten aus dem vergangenen Dezember
sprechen leider eine deutliche Sprache: Insgesamt 1 820
politisch motivierte Straftaten, darunter 149 Gewalttaten
und 665 Propagandadelikte, sind gemeldet worden – viel

zu viele . Der Großteil der Straftaten ist von Rechtsextre-
men begangen worden . Ja, das ist so .

Schockierend ist auch die Zahl der Straftaten gegen
Asylunterkünfte im gesamten vergangenen Jahr – sehr
besorgniserregend . 1 027 Straftaten sind registriert wor-
den – eine Vervierfachung der Zahl im Vergleich zum
Jahre 2014 . Aber auch im Bereich der linkspolitisch wie
auch der islamistisch motivierten Kriminalität sind leider
Zuwächse zu verzeichnen .

Mich beunruhigen in diesem Zusammenhang insbe-
sondere die Straftaten mit antisemitischem Hintergrund .
Juden werden nicht mehr nur von Rechtsextremen drang-
saliert, sondern in zunehmendem Maße auch von Tätern
mit islamistischem Hintergrund . Dies führt hier in Berlin
sogar dazu, dass Juden von sich aus das öffentliche Tra-
gen der Kippa vermeiden . Meiner Meinung nach passt
eine solche Entwicklung nicht in ein freiheitlich-demo-
kratisches Deutschland .

Sie haben recht, wenn Sie in Ihrem Antrag darauf hin-
weisen, dass die Bildung von Bürgerwehren das Gewalt-
monopol des Staates infrage stellt . So etwas dürfen wir
nicht zulassen; da bin ich ganz auf Ihrer Seite .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg . Gabriele Fograscher [SPD] und Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Auch stimmt es, dass die zunehmende Enthemmung
bei Worten und Taten wirklich Anlass zu großer Sorge
gibt . Das ist besorgniserregend, auch wenn man die ver-
rohten, hassverbreitenden Äußerungen in den sozialen
Netzwerken sieht, in denen die Anonymität viele dazu
verleitet, sich auszutoben und zu hetzen . Vorredner ha-
ben schon darauf hingewiesen .

Wir können alle froh sein, dass zum Beispiel Facebook
jetzt auf unsere Forderungen reagiert hat und in Deutsch-
land ein Team installiert hat, durch das Hetzkommentare
gelöscht werden . Das ist wichtig, und das muss auch so
passieren . Wir dürfen nicht zulassen, dass die Verfasser
solcher Kommentare in den Netzen bleiben .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Ich spreche mich für einen starken Staat aus, der kon-
sequent das Strafrecht anwendet und Straftäter gleich
welcher Couleur entsprechend unserer Gesetze ver-
folgt und auch verurteilt . Zum Beispiel haben wir in
§ 130 StGB Volksverhetzung mit einer Strafe von im-
merhin bis zu fünf Jahren Freiheitsentzug belegt . Wir
haben in § 131 StGB die Gewaltdarstellung unter Strafe
gestellt . Ein weiteres Beispiel ist, dass nach § 166 StGB
die Beschimpfung von Religionsgemeinschaften und
Weltanschauungen unter Strafe gestellt ist . Auch Kollege
Ullrich hat auf die Strafverschärfungen im letzten Jahr
hingewiesen .

Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, ich
kann Ihren Antrag und Ihre Beweggründe sehr gut nach-
vollziehen . Sie zeichnen aber im Antrag das Bild eines
inaktiven Staates, der sich der Herausforderung „Stär-
kung der Demokratie“ nicht stellen würde .

Monika Lazar






(A) (C)



(B) (D)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1815504900

Frau Kollegin Woltmann, gestatten Sie eine Zwi-

schenfrage des Kollegen Beck?


Barbara Woltmann (CDU):
Rede ID: ID1815505000

Ja, bitte .


Volker Beck (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1815505100

Frau Kollegin Woltmann, Sie haben gerade davon ge-

sprochen, dass Straftaten, die sich gegen die Religions-
zugehörigkeit von Personen richten, zu Recht geahndet
werden müssen . Wie erklären Sie sich vor diesem Hin-
tergrund, dass bei der Definition von Hasskriminalität in
§ 46 StGB durch die Große Koalition das Kriterium der
Religion anders als beim Volksverhetzungsparagrafen
nicht vorkommt?


Barbara Woltmann (CDU):
Rede ID: ID1815505200

Ich möchte jetzt nicht der Justiz vorgreifen oder mich

über die Gewaltenteilung hinwegsetzen .


(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ein Akt des Gesetzgebers! Das war Ihr Gesetzentwurf! Sie sind Mitglied der CDU/CSU!)


– Ich habe nur auf die Paragrafen hingewiesen, die wir
haben . Wenn wir merken, dass wir da eine falsche Po-
sition haben, werden wir uns sicherlich noch einmal
kritisch fragen, ob wir unsere Position eventuell über-
denken müssen . Insofern bin ich Ihnen dankbar, dass
wir dieses Thema hier diskutieren; wir werden es auch
in den Ausschüssen intensiv weiter diskutieren . Dass wir
dort eine andere Position einnehmen müssen, will ich gar
nicht ausschließen . Auch meine Position ist, dass wir al-
les tun müssen, um dieser Hasskriminalität oder diesem
Hasspotenzial wirklich stark entgegenzuwirken . Ich will
der Diskussion in meiner Fraktion nicht vorgreifen, aber
ich denke, dass wir alles dafür tun müssen, um letzten
Endes den Auswüchsen, den schlimmen Entwicklungen,
die es gibt, entgegenzutreten . Das ist erst einmal meine
Position .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ich habe vorhin gesagt, dass ich es nicht gut finde, dass
Sie in Ihrem Antrag das Bild eines inaktiven Staates ma-
len und zum Ausdruck bringen, wir würden noch nichts
tun . Dem muss ich widersprechen . Die Bundesregierung
erstellt sorgfältig und regelmäßig umfassende Lagebilder
zu rechten Straftaten .

Ich finde es nicht richtig, ich finde es sogar unerhört,
wenn Sie in Ihrem Antrag unterstellen, das Bundeskrimi-
nalamt und andere Organe würden ungenau arbeiten, und
es gebe – jetzt zitiere ich aus Ihrem Antrag – „Kumpa-
nei, Durchstecherei zu Gunsten von Rechtsextremisten
. . . durch einzelne Beschäftigte in Sicherheitsbehörden“ .
Wenn Sie diese für mich ungeheure Behauptung aufstel-

len, dann müssen Sie schon auch Ross und Reiter nennen
und sagen, wo jemand das so getan hat .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Sie sprechen in Ihrem Antrag von „Angst-Räumen“,
davon, dass durch rechtsextreme Bestrebungen in Re-
gionen, Orten, Ortsteilen die staatliche Ordnung außer
Kraft gesetzt wird . Das geschieht nicht nur von der rech-
ten Seite, sondern auch von anderen Seiten . Ich fand es
erschreckend, von Polizisten aus Neukölln oder auch aus
Duisburg-Marxloh zu hören, wie dort mit der Polizei um-
gegangen wird . Das können wir so nicht dulden .

Der Bund hat mit dem Haushalt 2016 einen beträchtli-
chen Stellenzuwachs bei der Bundespolizei beschlossen .
Wir werden bis 2018 3 000 neue Stellen schaffen . Jetzt
sind aber auch die Länder gefordert, ihren Beitrag zu
leisten und bei der Polizei wieder mehr einzustellen .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Ich glaube, da ist in der Vergangenheit zu viel gespart
worden . Wir können die Länder nur auffordern, bei der
Polizei wieder mehr einzustellen . Einige Länder tun das
bereits .

Wir sollten allen Polizisten und Polizistinnen unseren
Dank aussprechen – ich möchte das hier tun –; denn sie
sind es, die tagtäglich ihren Kopf für uns und für unsere
Sicherheit hinhalten .

Wir brauchen als starke Demokratie auch eine flächen-
deckende Aufklärung . Völlig inakzeptabel ist für mich
das Vorgehen in Schleswig-Holstein, wo Fälle gering-
fügiger Straftaten nicht mehr an die Staatsanwaltschaft
übergeben werden sollen .


(Sönke Rix [SPD]: Das stimmt doch gar nicht!)


Das ist für mich ein Schlag ins Gesicht jedes billig und
gerecht denkenden Bürgers . Das kann ich so nicht akzep-
tieren und nicht nachvollziehen .


(Beifall bei der CDU/CSU – Sönke Rix [SPD]: Das stimmt auch nicht!)


Die Förderung zivilgesellschaftlicher Arbeit zur De-
mokratiestärkung geschieht schon auf vielfältige Weise
auf allen Ebenen . Lassen Sie mich Beispiele nennen: Im
Rahmen des Bundesprogramms „Demokratie leben!“
und der Förderung durch das Bundesministerium für Fa-
milie, Senioren, Frauen und Jugend existieren bereits in
vielen Bundesländern Beratungsstellen für Opfer rechts-
extremer und rassistischer Gewalt . Das Bündnis für De-
mokratie und Toleranz, in dessen Beirat ich mitarbeiten
darf, und der Verein „Gegen Vergessen – Für Demokra-
tie“ engagieren sich gemeinsam bundesweit durch das
Portal „Demokratie vor Ort“ . Sämtliche Initiativen, die
den Bürgern ein demokratisches Engagement innerhalb
unserer Gesellschaft anbieten, werden auf diesem Portal
aufgeführt und rufen zum Mitmachen auf . Vom Sport bis
hin in die Kultur fördert der Bund Demokratieprojekte .
Der Wettbewerb „Aktiv für Demokratie und Toleranz“
wird jährlich vom BfDT ausgeschrieben und zeichnet die
Vielfalt zivilgesellschaftlichen Engagements aus . Letztes
Jahr sind 327 Wettbewerbsbeiträge eingegangen . Das






(A) (C)



(B) (D)


war eine Steigerung um mehr als 10 Prozent im Vergleich
zum Jahr 2014 .

Ebenso wird die Auszeichnung zum Botschafter für
Demokratie und Toleranz, die jedes Jahr am Tag des
Grundgesetzes, am 23 . Mai, verliehen wird, sehr gut an-
genommen . Auch über die Bundeszentrale für politische
Bildung – Kollege Volker Ullrich hatte bereits darauf
hingewiesen – wird sehr viel unternommen . Wir brau-
chen eine starke Demokratie, und eine starke Demokratie
braucht klare Strukturen . Die Vermittlung von Chancen
und Werten, die eine offene und vielfältige Gesellschaft
bietet, muss auch über die Kitas und die Schulen erfol-
gen. Auch hier sind die Länder in der Pflicht; denn Bil-
dung ist Ländersache .


Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1815505300

Frau Kollegin Woltmann, Sie denken an die Zeit?


Barbara Woltmann (CDU):
Rede ID: ID1815505400

Sie haben mich erschreckt .


Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1815505500

Das tut mir leid . Das wollte ich nicht .


(Heiterkeit)


Ich wollte Sie nur auf die begrenzte Redezeit hinwei-
sen .


Barbara Woltmann (CDU):
Rede ID: ID1815505600

Ich bin sofort fertig . – Ich rede nicht nur von Präven-

tionsarbeit im Bereich Rechtsextremismus . Wir müssen
den Salafismus, den Islamismus, den Linksextremismus
genauso in den Blick nehmen . Ich sehe hier die islami-
schen Verbände in der Pflicht, ebenfalls ihren Beitrag zu
leisten, zum Beispiel gegen Hassprediger . Wir stehen vor
einer gesamtgesellschaftlichen Aufgabe . Alle staatlichen
und zivilgesellschaftlichen Stellen sind aufgefordert, ak-
tiv für unsere Demokratie einzutreten . Ich glaube, wir
brauchen auch einen gesellschaftlichen Diskurs über
die Frage, wie wir zusammenleben wollen, wie wir mit
Minderheiten umgehen, und auch darüber, wie wir mit
Egoismen umgehen, die immer mehr um sich greifen .
Diesen gesellschaftlichen Diskurs halte ich für dringend
geboten .

Vielen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1815505700

Der Kollege Sönke Rix spricht jetzt für die SPD .


(Beifall bei der SPD)



Sönke Rix (SPD):
Rede ID: ID1815505800

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Meine Damen und Herren! Zunächst einmal – weil in den
vorherigen Reden häufig die Polizisten und die Situation
in der Bildungspolitik angesprochen worden sind und
gesagt wurde, dass die Verantwortung bei den Ländern
liege – unterstreiche ich das, was Sie gerade eben gesagt

haben, Frau Kollegin: Mein Dank geht an alle Polizisten,
die gerade angesichts der jetzigen Herausforderung, ge-
rade in der jetzigen Zeit sehr viel zu tun haben . Dieser
Dank sollte vom ganzen Hause kommen .


(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Mein Dank gilt auch den Lehrkräften und denjenigen,
die im Bildungsbereich unterwegs sind und die im Wirt-
schaftspolitikunterricht, im Sozialkundeunterricht, im
Gemeinschaftskundeunterricht demokratische Werte ver-
mitteln, Demokratie vermitteln . Auch das ist in der heu-
tigen Zeit und gerade im Fokus auf die aktuelle Situation
keine einfache, aber eine besonders wichtige Aufgabe .
Gerade jetzt sollten junge Menschen über die Situation
aufgeklärt werden .


(Beifall bei der SPD)


Es wird in diesem Zusammenhang häufig gesagt, dass
deshalb jetzt auch die Länder gefragt sind, in diesen Be-
reichen mehr zu investieren, mehr Personal für Polizei
und Bildung zur Verfügung zu stellen . Diese Forderung
richtet sich natürlich in erster Linie immer, je nachdem,
von wem es gesagt wird, an die Länder, in denen die ei-
gene Partei gerade nicht regiert . Ich will aber zumindest
dazusagen, dass die jetzigen Aufwüchse, die es in den
meisten Bereichen in den vergangenen Jahren, ganz be-
sonders in den letzten drei Jahren, tatsächlich gegeben
hat, deshalb notwendig waren, weil die Einsparungen,
insbesondere in Niedersachsen zum Beispiel, vor fünf
Jahren vorgenommen worden sind, und da waren noch
andere verantwortlich . Also: Der Finger, der auf die ak-
tuellen Landesregierungen zeigt, zeigt immer auch auf
einen selbst .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Deshalb sollten wir das vermeiden und uns insgesamt für
mehr Personal starkmachen .


(Rainer Spiering [SPD]: Das ist die Wahrheit! – Peter Beyer [CDU/CSU]: Ich sage nur: Nordrhein-Westfalen!)


– Genau, auch da hat die Union einmal regiert, und wir
mussten da einiges aufholen .


(Marian Wendt [CDU/CSU]: Fünf Jahre!)


– Ich habe gerade eben gesagt, wir sollten es nicht tun .
Aber schön, dass Sie es doch wieder tun . Das ist das Zei-
chen dafür, dass Sie nicht wollen, dass man gemeinsam
für mehr Personal kämpft, sondern dass sie immer noch
mit den Fingern auf die anderen zeigen wollen .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Marian Wendt [CDU/CSU]: Wir kämpfen gemeinsam für sichere Herkunftsstaaten!)


Meine Damen und Herren, ich will noch einmal den
Fokus auf eine Partei richten, die im Moment alle hin-
ter sich versammelt, die frustriert sind oder die mit der
Situation nicht zurechtkommen . Einige davon sind sich

Barbara Woltmann






(A) (C)



(B) (D)


vielleicht gar nicht bewusst, hinter welcher Partei sie sich
da versammeln, nämlich der AfD .

Die AfD vertritt rechtsextreme Positionen . Wenn
sogar Herr Henkel, der damals die AfD mit gegründet
hat, sagt: „Wir haben ein Monster geschaffen“ – er ist
aus diesem Grunde ausgetreten – und wenn Herr Höcke
sich darüber beschwert, dass die Meinungsfreiheit ein-
geschränkt ist, weil man keine Nazisymbole zeigen darf,
dann ist ganz klar: Bei der AfD handelt es sich um eine
rassistische und rechtsextremistische Partei . Das sollten
wir auch nicht kleinreden und irgendwie relativieren,
sondern wir sollten als demokratische Parteien, die wir
hier in diesem Hause vertreten sind, geschlossen darauf
antworten .


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Zuruf von der CDU/CSU: Aber die wählt auch keiner!)


Die Antwort auf die AfD darf nämlich nicht sein, dass
man sagt: Na gut, die etwas harmloseren Forderungen
von denen sind ja gar nicht so schlimm, die überneh-
men wir einfach . Nein, Antwort muss sein, dass alle De-
mokraten geschlossen sagen: Mit der AfD machen wir
nichts gemeinsam . Die AfD ist eine rechtsextreme Partei .
Sie hat in diesem Lande, in diesem Haus und in allen
anderen Parlamenten nichts zu suchen .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN)


Wer die einfachen Antworten von der AfD übernimmt,
der verlässt – das sollten wir nicht zulassen – auch den
geschlossenen Kreis der Demokraten . Diese Geschlos-
senheit haben wir in den letzten Jahren eigentlich immer
sehr hochgehalten .

Meine Damen und Herren, ich will auch noch auf die
Fragestellung eingehen, ob wir heute eigentlich über
Linksextremismus, Salafismus oder Rechtsextremismus
reden . In dem Antrag ist sehr eindeutig formuliert, was
heute das Thema ist .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Das heißt mitnichten, dass man nicht auch über die an-
deren politischen Straftaten und die anderen politischen
Extremisten diskutieren darf . Es aber immer wieder in
diese Debatte mit einzubauen, ist eine Relativierung des-
sen, worüber wir hier eigentlich streiten müssen . Deshalb
fordere ich Sie auf, dass wir, wenn wir über Nazis bzw .
Rechtsextremismus sprechen, auch darüber bzw . über
geeignete Maßnahmen gegen Nazis – und nicht gegen
andere – diskutieren .


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Zuruf von der CDU/CSU: Es geht um Gewalt und Hetze! – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Wir sprechen über Rassismus! – Dr . Volker Ullrich [CDU/ CSU]: Über Gewalt!)


Wir haben ja im Hinblick auf Demokratie einen Kon-
sens . Und wir haben einen Konsens, dass wir insgesamt

gegen extremistische Gewalt angehen müssen . Aber wa-
rum immer diese Relativierung?


(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Das machen doch nicht wir!)


Wir machen es bei anderen Straftaten bzw . anderen Din-
gen auch nicht so, dass wir immer wieder auf andere Be-
reiche eingehen . Das sollten wir lassen; denn das hilft
nur denen, die sagen: Wir sind ja gar nicht so schlimm, es
gibt auch noch andere, schlimmere Sachen .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Voraussetzung für den Kampf gegen rechts ist auch
eine starke Zivilgesellschaft. Ich finde es schon richtig,
dass auch der Staat diese Zivilgesellschaft unterstützt .
Es ist Aufgabe des Staates, Rahmenbedingungen – auch
rechtlicher Art – zu setzen sowie finanzielle Mittel zu
geben, damit die Zivilgesellschaft tatsächlich stark sein
kann .


(Zuruf von der CDU/CSU: Das bestreitet doch keiner!)


– Es gab dazu heute schon Fragestellungen, wie viel Geld
denn dafür nötig ist und ob die Zivilgesellschaft so etwas
eigentlich alleine machen sollte. Ich finde, der Staat hat
die Aufgabe, die Zivilgesellschaft zu unterstützen .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das haben wir jahrelang gemeinsam gemacht!)


– Das haben wir auch gemeinsam gemacht . Wir haben
zum Beispiel gemeinsam die Mittel im Programm „De-
mokratie leben! Aktiv gegen Rechtsextremismus, Gewalt
und Menschenfeindlichkeit“ des Bundesfamilienministe-
riums erhöht; das ist auch gut so . Deshalb geht abschlie-
ßend mein Danke an all diejenigen, die sich in der Zivil-
gesellschaft engagieren . Das sind nicht nur diejenigen,
die an den runden Tischen gegen rechte Gewalt sind
oder bei Demonstrationen von Pegida und AfD Gegen-
demonstrationen organisieren . Es sind auch die Flücht-
lingshelfer selbst . Die tragen dazu bei, dass Rechtsex-
tremismus nicht wieder in großem Maße Bestandteil
der Gesellschaft wird . Sie sind die Multiplikatoren für
Demokratie und Toleranz . Deshalb sollten wir diese en-
gagierten Menschen auch weiterhin kräftig unterstützen .


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Aber auch jeder Einzelne von uns ist in Bezug auf seine
Äußerungen und Taten bzw . bei seinen Diskussionen in
der Nachbarschaft und der Familie gefragt, gegen Nazis
bzw . Rechtsextreme – also auch gegen die AfD – zu agie-
ren .

Ich will ein positives Beispiel aus meinem Wahlkreis
nennen . Ich habe mich sehr gefreut, als ich die Schlagzei-
le „Im Kreis Rendsburg-Eckernförde gibt es keinen Platz
für die AfD“ gelesen habe . Das ist das Resultat mehre-
rer Anfragen nach großen Veranstaltungsräumlichkeiten
und Gaststätten, in denen die AfD gerne Veranstaltungen

Sönke Rix






(A) (C)



(B) (D)


durchführen wollte . Alle Betreiber von Veranstaltungs-
orten und Gaststätten haben gesagt: Nein, wir wollen die
AfD nicht haben . – Das hört man öfter . Die Vertreter, bei
denen angefragt wurde, haben sich in der Öffentlichkeit
aber auch wie folgt geäußert: Nein, wir wollen die nicht
deshalb nicht haben, weil wir keine Unruhe haben wol-
len . Vielmehr haben sie ganz deutlich Position bezogen
und festgestellt: Wir stehen nicht zu den Inhalten der
AfD, wir wollen keine Rechtsextremisten in unseren
Häusern . – Für so viel zivilgesellschaftliche Aufmerk-
samkeit und für so viel Demokratiebewusstsein sage ich
Danke . Davon brauchen wir mehr .

Herzlichen Dank .


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie des Abg . Stefan Liebich [DIE LINKE])



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1815505900


Bevor ich jetzt gleich dem Kollegen Jörg Hellmuth für
die CDU/CSU das Wort erteile, darf ich den Hinweis ge-
ben, dass die vereinbarten Redezeiten keine Richtwerte
sind, sondern eingehalten werden sollten .


(Barbara Woltmann [CDU/CSU]: Das liegt am Thema!)


Bitte schön .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Jörg Hellmuth (CDU):
Rede ID: ID1815506000


Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Her-
ren! Ja, rechtsextreme, rechtspopulistische und rassisti-
sche Hetze bzw . die Zahl der Kräfte, die diese verbreiten,
nehmen zu . Diese Entwicklung erfüllt uns alle mit großer
Sorge . Der Rechtsstaat mit all seinen Mitteln ist hier ge-
fragt . Er hat natürlich die Aufgabe, dieser Entwicklung
Einhalt zu gebieten . Der Bundestag – Kollege Ullrich hat
das hier angeführt – hat in den letzten Wochen und Mo-
naten das eine oder andere auf den Weg gebracht . Ob das
schon ausreichend ist, werden die nächsten Wochen und
Monate zeigen .

Die Tendenz zu rechtspopulistischer und rassistischer
Hetze gibt es nicht erst seit gestern oder heute – es ist eine
längere Entwicklung –; aber aufgrund der Übergriffe auf
viele Asylunterkünfte hat man im Moment den Eindruck,
dass wir hier eine völlig neue Dimension erreicht haben .
Wie auch in anderen Städten fanden in meinem Wahl-
kreis in den letzten Jahren mitunter Demonstrationen der
NPD statt . Der Ablauf war immer der gleiche: Der An-
kündigung einer Demo der NPD folgte die Ankündigung
einer Gegendemo durch Linksextreme .


(Katja Kipping [DIE LINKE]: Warum haben Sie eigentlich keine Gegendemo angemeldet? – Gegenruf des Abg . Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Es war klar, dass Sie da nicht einfach zuhören können!)


Trotz diverser Kooperationsgespräche kam es zu Gewalt-
exzessen . Im Vorfeld wurde veranlasst, dass ein Großauf-
gebot der Polizei vor Ort ist,


(Katja Kipping [DIE LINKE]: Sie sind noch stolz, dass Sie nichts anmelden!)


die in jedem Fall die öffentliche Sicherheit gewährleisten
konnte . Aber ich frage mich: Zu welchem Preis?


(Stefan Liebich [DIE LINKE]: Soll lieber nicht demonstriert werden?)


Wir im Bund haben im letzten Haushaltsjahr reagiert,
haben 3 000 zusätzliche Stellen in der Bundespolizei ge-
schaffen . Auch bei den Ländern gibt es ein Umdenken .
Insbesondere in den neuen Bundesländern ist die Formel,
dass die demografische Entwicklung zu einer Abnahme
der Zahl der Polizeikräfte führt, außer Kraft gesetzt . Das
ist so; daran führt im Moment kein Weg vorbei . Wenn
man sich überlegt, dass selbst Fußballspiele der dritten
und vierten Liga mittlerweile als Hochsicherheitsspie-
le eingestuft werden, dann fragt man sich: Wo soll das
noch hinführen? Angesichts dieser Umstände habe ich
mich des Öfteren gefragt: Wird es in Zukunft überhaupt
noch genügend Jugendliche geben, die bereit sind, ihren
Dienst bei der Polizei zu tun? Wir müssen also nicht nur
das Personal aufstocken, sondern es auch mit modernsten
Materialien ausrüsten . Auch hier haben wir im Haushalt
das ein oder andere mit auf den Weg gebracht .

Ich will einen anderen Aspekt benennen . Als wir mit
der Arbeitsgruppe Innen der CDU/CSU-Bundestagsfrak-
tion vor einigen Monaten die Bundesbereitschaftspolizei
in Fuldatal besuchten, bin ich mit einem Polizeiführer ins
Gespräch gekommen, der gerade von einem Wochenend-
einsatz aus Bayern zurückkam – das war im Herbst letz-
ten Jahres –: viele Überstunden, Tag und Nacht Einsätze .
Es war für ihn ein besonderes Ereignis, als ihm Flücht-
linge, mit denen er ins Gespräch gekommen war, sagten,
dass sie auf ihrem langen Weg über die Balkanroute das
erste Mal einen freundlichen Polizisten erlebt haben . Das
sollten wir uns auch in Zukunft erhalten . Unsere Polizei
kann auch zukünftig ein Stück dazu beitragen, dass in
anderen Ländern, insbesondere der Europäischen Union,
ein Umdenken bei der Polizeiarbeit erfolgt .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wo liegen die Ursachen für die Entwicklung? Wie
kann man gegensteuern? Ich denke, wir sind uns einig:
Ein Patentrezept gibt es nicht . Aber ein, wenn nicht der
Ansatz – einige meiner Vorredner sind schon darauf ein-
gegangen –, ist sicherlich das Thema Bildung . Es muss
gelingen, jedem Jugendlichen einen Schul- bzw . Be-
rufsabschluss zu ermöglichen . Viele Schulen in meinem
Wahlkreis haben das auf ihrer Agenda . Nachdem die
Zahlen Ende der 90er-Jahre besorgniserregend waren,
was den Anteil Jugendlicher ohne Abschluss betraf, ha-
ben wir jetzt wieder eine positive Entwicklung . Ich sage
das auch vor dem Hintergrund, dass wir in Sachsen-An-
halt in den letzten Jahren viele Millionen Euro in unse-
re Schullandschaft investiert haben . Trotz leerer Kassen
haben wir, die kommunalen Spitzenverbände und das
Kultusministerium gemeinsam Programme entwickelt,

Sönke Rix






(A) (C)



(B) (D)


mit denen es insbesondere gelang, Strukturmittel der EU
umzuleiten . Wie gesagt, hier sind wir in den letzten Jah-
ren einen wesentlichen Schritt vorangekommen .

In Ihrem Antrag, meine sehr verehrten Damen und
Herren von den Grünen, heißt es unter Punkt 5 „Zivilge-
sellschaftliches Engagement schützen“ . Das ist wichtig,
keine Frage . Ich will Ihnen aus meinem Wahlkreis ein
Beispiel für ein solches zivilgesellschaftliches Demokra-
tieprojekt nennen .

In meinem Wahlkreis befindet sich der Geburtsort
Otto von Bismarcks, dessen 200 . Geburtstag letztes Jahr
gefeiert wurde .


(Lachen der Abg . Dr . Petra Sitte [DIE LINKE])


Seit einigen Jahren gibt es einen Kooperationsvertrag
zwischen Gemeinde, Landkreis, Land und der bundesei-
genen Otto-von-Bismarck-Stiftung,


(Lachen der Abg . Dr . Petra Sitte [DIE LINKE])


übrigens die einzige Außenstelle einer der Politiker-
gedenkstiftungen in den neuen Ländern . Insbesondere
zum Geburtstag des ehemaligen Reichskanzlers fanden
in den letzten Jahren Demonstrationen der sogenann-
ten „ Bismarck-Freunde“, nachweislich hauptsächlich
NPD-Mitglieder, statt .


(Katja Kipping [DIE LINKE]: Das ist Ihr Beitrag zum Thema „Was ist Rassismus“? Tourismuswerbung?)


Die Leiterin der Otto-von-Bismarck-Stiftung vor Ort
und ihre Mitarbeiter haben das Projekt „Kunst für De-
mokratie“ initiiert . Immer zum Geburtstag werden die
legendären Kanonen eingehüllt, und es finden Thea-
teraufführungen statt . Man hat damit erreicht, dass die
„Bismarck-Freunde“ keine Kulisse für ihren Aufmarsch
bekommen .

Zum 200 . Geburtstag im letzten Jahr wurde ein wei-
teres Projekt von der Grundschule des Ortes initiiert:
„Kunst öffnet Türen“ . Dort haben zahlreiche Vereine der
Gemeinde und der umliegenden Orte Türen gestaltet und
den Park damit zugestellt


(Ulla Jelpke [DIE LINKE]: Das Thema ist: gegen Rassismus!)


– aber auch: für Demokratie –, um auch hier der NPD
keine Kulisse zu bieten .

Unter Punkt 10 sprechen Sie sich in Ihrem Antrag für
eine Quote für Beschäftigte mit Migrationshintergrund
im öffentlichen Dienst aus .


(Dr . Petra Sitte [DIE LINKE]: Das ist mal ein Beleg dafür, dass die Union viel zu viel Redezeit hat! – Gegenruf von der CDU/CSU: Wahlergebnis!)


Ich möchte davor warnen, dies umzusetzen .

Meine eigene Erfahrung über viele Jahre in einer öf-
fentlichen Verwaltung, wo wir nachweislich auch Mitar-
beiter mit Migrationshintergrund eingestellt haben, die

sich aber einem normalen Auswahlverfahren unterwer-
fen mussten, ist, dass man keinen bevorzugen sollte . Und
wir sind in keinem Fall von denjenigen, die wir einge-
stellt haben, enttäuscht worden .

Insofern können wir den einen oder anderen Punkt
sicherlich noch in den Ausschusssitzungen debattieren .

Vielen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1815506100

Abschließender Redner in dieser Aussprache ist der

Kollege Matthias Schmidt für die SPD .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Matthias Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1815506200

Vielen Dank, Herr Präsident . – Meine sehr geehrten

Damen und Herren auf der Zuschauertribüne! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Hellmuth, in
Sachen Bismarck haben Sie ja furchtbar viel Anlauf ge-
nommen, bis Sie am Ende zum Projekt gekommen sind .
Ich glaube aber, das Projekt „Kunst für Demokratie“ war
wirklich gut .


(Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD sowie der Abg . Dr . Petra Sitte [DIE LINKE] – Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN)


Aber so ganz genau habe ich es nicht verstanden .


(Katja Kipping [DIE LINKE]: Das ist ein bisschen untergegangen in der Tourismuswerbung! – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Gut, das wir es kennengelernt haben!)


Worüber ich aber sehr ernsthaft mit Ihnen reden
möchte, ist: Sie kommen doch aus Sachsen-Anhalt, und
Sie haben Wahlen vor der Tür .


(Zuruf von der CDU/CSU: Ui!)


Ich möchte Ihnen empfehlen, die Augen aufzumachen .
Es ist 1998 in Sachsen-Anhalt der CDU ja schon einmal
so gegangen, dass sie am Tag nach der Wahl wachge-
worden ist, und die DVU hatte ein Wahlergebnis von
unsäglichen 12,9 Prozent . Machen Sie bitte die Augen
auf! Die Feinde der Demokratie stehen rechts . Von dort
wird unser Rechtsstaat bekämpft, und dort müssen wir
gemeinsam hin .


(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Das müssen Sie nicht der CDU allein sagen!)


Wenn Sie von einer NPD-Kundgebung aus Ihrem
Wahlkreis berichten und dann nur zu erwähnen wissen,
dass es eine Gegendemo von Linksextremen gab, die
Gewaltexzesse produziert hätten, läuft da etwas grund-
legend falsch .


(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Michael Jörg Hellmuth Grosse-Brömer [CDU/CSU]: War eine sachliche Darstellung!)





(A) (C)


(B) (D)


Ich glaube, in all unseren Wahlkreisen gibt es diese Si-
tuation, dass „besorgte Bürger“ unter dem Deckmantel
der NPD oder andersherum die NPD unter deren Deck-
mantel Demonstrationen anmelden . Da müssen wir als
Demokraten gemeinsam zusammenstehen und unsere
Werte verteidigen . Das erwarte ich von Bundestagsabge-
ordneten .


(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ich komme zum Thema .


(Zuruf von der CDU/CSU: Endlich!)


Im Titel des Antrags heißt es: „Demokratie stärken“ . Ge-
nau darauf möchte ich meinen Schwerpunkt legen .

Ich beginne mit einem Zitat von Pastor Martin
Niemöller, deutscher Theologe, christlicher Widerstands-
kämpfer und U-Boot-Kommandant im Ersten Weltkrieg .
Er hat einmal in einem Interview sinngemäß gesagt: Die
einzig wahre Demokratie gab es auf meinem U-Boot . –
Das ist ein Satz, der sehr nachdenklich macht . Warum
gibt es Demokratie im Zusammenhang mit Militär? Ich
habe mir seinerzeit sein Buch Vom U-Boot zur Kanzel
aus einem Antiquariat besorgt . Es ist sehr interessant,
das nachzulesen . Möglicherweise macht es gerade die
Schicksalsgemeinschaft auf einem U-Boot erforderlich,
demokratisch zusammenzustehen, sich gegenseitig zu
motivieren und sein eigenes Überleben zu sichern .

Das Beispiel von Niemöller zeigt uns: Demokratie
gibt es nicht nur hier im Parlament, im Bundestag, in den
Landtagen, in den Kommunalparlamenten oder im Eu-
ropaparlament, sondern Demokratie gibt es im Alltag im
Großen und im Kleinen an ganz vielen Stellen . Es gibt
Demokratie in der Familie – so hoffe ich zumindest –, in
der Schule bei der Abstimmung über den Wandertag oder
über die Klassenfahrt und gerne auch beim Elternabend .
Es gibt Demokratie in Sportvereinen, die ich gern als die
Schule der Demokratie bezeichne, im Bürgerverein, im
Chor und auch im Kirchenkreis und mitunter am Arbeits-
platz . Das zeigt uns das Beispiel von Niemöller; das kann
für uns alle als Arbeitgeber Mahnung sein .

Wir haben das Potenzial der Demokratie in der Gesell-
schaft noch nicht ausgeschöpft, und wir sollten alle weiter
daran arbeiten, das zu tun . Unser Staat schafft an vielen
Stellen zahllose Möglichkeiten der gleichberechtigten
Teilhabe . Einige Beispiele habe ich genannt . Gleichwohl
müssen wir erleben, dass immer weniger Menschen ihre
demokratischen Rechte wahrnehmen, und das an einer
Stelle, wo es uns allen wehtut, nämlich bei den Wahlen .
Das macht uns allen Sorgen, und wir müssen sehen, wie
wir damit umgehen .

Ein Teil der Menschen geht leider nicht mehr zur
Wahl, weil sie die Demokratie radikal ablehnen, weil sie
ein anderes System wollen . Wir kennen das aus unserer
Geschichte .

Der Staat muss darauf reagieren, einerseits mit Re-
pression . Das NPD-Verbotsverfahren ist ein sehr gutes
Beispiel dafür . Ich weiß, wovon ich rede: Die Bundes-

zentrale der NPD liegt leider in meinem Wahlkreis . Ich
saß viele Jahre mit dem seinerzeitigen NPD-Vorsitzen-
den Udo Voigt im Kommunalparlament und war dazu
verdammt, mir seine rechtsextremen und rechtspopulisti-
schen Thesen anzuhören; aber dafür waren wir gewählt .
Ich hoffe, dass das Bundesverfassungsgericht im März
den nächsten Schritt in die richtige Richtung geht und zu
einem NPD-Verbot kommt,


(Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie der Abg . Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


wohl wissend, dass das NPD-Verbot nicht alle Probleme
löst – ganz im Gegenteil .

Wir müssen weiter zivilgesellschaftlich arbeiten, und
dafür braucht es Prävention . Dafür braucht es Demokra-
tiestärkung, die wir – viele Vorredner haben darauf hin-
gewiesen – an vielen Stellen leisten . Eine Stelle ist noch
nicht genannt worden: Das sind die Lehrerinnen und
Lehrer in unseren Schulen . Sie sind allesamt, egal wel-
ches Fach sie unterrichten, ob Sport, Mathe, Geschichte
oder Deutsch, Vorbilder der Demokratie und leisten eine
prima Arbeit . Dafür ist ihnen zu danken .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)


Herr Präsident, ich ahne schon, dass Sie unglücklich
wären, wenn ich noch lange weiterredete . Deswegen
komme ich direkt zum Schluss .

Der Antrag der Grünen greift tatsächlich viele Aspekte
auf, die wir für eine Stärkung der Demokratie benötigen .
Darüber werden wir in den Ausschüssen weiter disku-
tieren . Letztendlich geht es darum, das demokratische
Bewusstsein und auch Freude an der Demokratie zu we-
cken . Liebe Gäste auf den Zuschauertribünen, das richtet
sich genauso an Sie wie an uns Abgeordnete: Lassen Sie
uns gemeinsam etwas bewegen für die Demokratie .

Vielen herzlichen Dank .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1815506300

Vielen Dank, Herr Kollege Schmidt . – Damit schließe

ich die Aussprache .

Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 18/7553 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen . Sind Sie damit ein-
verstanden? – Widerspruch sehe ich keinen . Dann ist die
Überweisung beschlossen .

Wir kommen jetzt zum Tagesordnungspunkt 6, den
ich hiermit aufrufe:

Vereinbarte Debatte

25 Jahre wissenschaftliche Politikberatung –
Technikfolgenabschätzung beim Deutschen
Bundestag

Matthias Schmidt (Berlin)







(A) (C)



(B) (D)


Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 60 Minuten vorgesehen . – Widerspruch
erhebt sich keiner . Dann ist das so beschlossen .

Ich eröffne gleich die Aussprache und erteile als ers-
ter Rednerin das Wort der Kollegin Patricia Lips für die
CDU/CSU .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Patricia Lips (CDU):
Rede ID: ID1815506400

Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Mei-

ne sehr geehrten Damen und Herren! 25 Jahre wissen-
schaftliche Politikberatung oder, um den offiziellen Titel
zu nennen, Technikfolgenabschätzung beim Deutschen
Bundestag: Warum eigentlich? Alle Fraktionen und, wie
ich glaube, jeder einzelne Abgeordnete waren und sind
der gemeinsamen Auffassung, dass der Deutsche Bun-
destag über das bestmögliche Wissen verfügen sollte, um
als Gesetzgeber vor allen Dingen den rasch voranschrei-
tenden wissenschaftlich-technischen Wandel gestaltend
begleiten zu können .

Es gab und gibt durchaus eine Vielzahl von Räten,
Weisen, Kommissionen, Interessenvertretern und vielen
anderen mehr, die uns Expertisen zur Verfügung stellen .
Der Deutsche Bundestag verfügt darüber hinaus seit je-
her auch über Beratungsinstrumente wie Enquete-Kom-
missionen, Anhörungen oder auch den Wissenschaftli-
chen Dienst, um Expertisen für die Arbeit der Gremien,
aber auch die individuellen Mandatsaufgaben seiner Ab-
geordneten einzuholen .

Damals wie heute gab und gibt es also eher selten den
Politiker, der zu wenig Beratung erfährt, ob er will oder
nicht . Zumeist handelt es sich bei den beschriebenen
Einrichtungen oder Untersuchungen jedoch um einzelne,
inhaltlich und zeitlich abgegrenzte Projekte, losgelöst
voneinander und auch nicht automatisch eingebunden in
die Abläufe des parlamentarischen Betriebes, so wertvoll
sie im Einzelnen oft auch sind .

Angesichts neuer Dimensionen – ich sagte es be-
reits – gerade technologischer Entwicklungen mit all ih-
ren potenziellen Auswirkungen waren sich deshalb alle
Fraktionen einig, das vorhandene Instrumentarium um
ein kontinuierlich arbeitendes Gremium zu ergänzen . Es
ging und geht dabei um eine Instanz, die Entwicklungen
für die parlamentarischen Prozesse koordiniert, aufarbei-
tet und entsprechend darstellt, die ihre Aufträge – ganz
wichtig – unmittelbar aus den Gremien des Deutschen
Bundestages erhält und die bereits bei der Entwicklung
der Themen im ständigen Dialog mit den Parlamentari-
ern steht .

Der damalige Ausschuss für Forschung und Techno-
logie hat mit Beschluss des Deutschen Bundestages vor
25 Jahren die Aufgabe der Technikfolgenabschätzung als
wissenschaftliches Beratungsinstrument für das gesamte
Parlament erhalten; er stellt also eine Art Scharnierfunk-
tion bzw . Verbindungsbüro für alle anderen Ausschüsse
dar . Darüber hinaus wurde unserem Ausschuss auferlegt,
die Grundsätze der parlamentarischen Technikfolgenab-
schätzung aufzustellen, eine Einrichtung – sprich: ein ei-

genes Büro – mit der Durchführung zu beauftragen und,
falls notwendig, natürlich auch Weiterentwicklungen
vorzunehmen . In 25 Jahren bleibt die Zeit ja nicht stehen .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg . René Röspel [SPD])


Damit war der Grundstein für eine jetzt über 25 Jahre an-
dauernde, erfolgreiche wissenschaftlich-technische Poli-
tikberatung gelegt .

Aber, meine sehr geehrten Damen und Herren, was
bedeutet das eigentlich: Technikfolgenabschätzung? Was
verbirgt sich hinter dieser Arbeit, die auf der einen Sei-
te eminent wichtig im Hinblick auf Fragen unserer ge-
sellschaftlichen Entwicklung und der Auswirkungen ist,
während der sehr sperrige Begriff auf der anderen Seite
den allermeisten Menschen in diesem Land günstigsten-
falls rudimentär bekannt sein dürfte? Ich komme noch
darauf zurück .

Das Forschungsgebiet der Technikfolgenabschätzung
entstand in den 1960er-Jahren, zunächst in den USA, und
es verbreitete sich von dort ab den 1970er-Jahren auch in
Europa wie zum Beispiel bei uns . Die Technikfolgenab-
schätzung befasst sich mit der Beobachtung und Analyse
von Trends in Wissenschaft und Technik und den damit
zusammenhängenden gesellschaftlichen Entwicklungen,
insbesondere aber – das ist die Hauptaufgabe – mit der
Abschätzung sich daraus ergebender Chancen und Risi-
ken . Zudem soll die TA – ich benutze jetzt die Abkür-
zung – politische Handlungsempfehlungen für die Ver-
meidung von Risiken und für verbesserte Nutzung von
Chancen geben .

Ob es sich um Nanotechnologie handelt, um die Ge-
fährdung und Verletzbarkeit moderner Gesellschaften
am Beispiel eines großräumigen Ausfalls der Strom-
versorgung, um Möglichkeiten und Auswirkungen des
3-D-Drucks – ganz aktuell –, um synthetische Biologie,
Mediensuchtverhalten, elektronische Petitionsverfah-
ren oder die Medikamentenentwicklung für Afrika: Das
Büro für Technikfolgen-Abschätzung hat bis heute über
200 Abschlussberichte zu seinen Untersuchungen vorge-
legt, die sich intensiv mit den Folgen einer sich rasant
entwickelnden Technologie in verschiedensten Berei-
chen auseinandersetzen .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN und des Abg . Ralph Lenkert [DIE LINKE])


Kolleginnen und Kollegen, es ist festzustellen – ich
persönlich werte es als überaus positiv –, dass die Nach-
frage nach TA-Untersuchungen aus unseren Gremien
und den Fraktionen unseres Hauses in den letzten zehn
Jahren stark gestiegen ist; das spiele ich von dieser Seite
auch einmal in das Plenum zurück . Wir starten gerade
wieder eine neue Runde der Abfrage . Dies zeigt, wie
intensiv um Themen gerungen wird, wie hoch die Zahl
zukunftsrelevanter Bereiche ist und dass diese auch als
solche erkannt werden .

Von Anfang an wird das Büro beim Deutschen Bun-
destag – in Kurzform auch „TAB“ genannt – vom heu-
tigen Karlsruher Institut für Technologie betrieben . Was

Vizepräsident Johannes Singhammer






(A) (C)



(B) (D)


sind die Erfolgsfaktoren dieser 25-jährigen parlamenta-
rischen Technikfolgenabschätzung und der Zusammen-
arbeit gerade mit diesem Institut? Zu nennen sind: der
Betrieb des Büros durch eine interdisziplinär arbeitende
und ausgewiesene Großforschungseinrichtung, vor allen
Dingen natürlich die wissenschaftliche Unabhängigkeit
und politische Neutralität, die Möglichkeit des Zugriffs
auf externen Sachverstand durch die Vergabe von Gut-
achten und vor allen Dingen die Kontinuität auf parla-
mentarischer Seite durch Steuerung in einem ständigen
Ausschuss, unserem Ausschuss, sowie die Einrichtung
einer sogenannten Berichterstattergruppe aus den Reihen
der Parlamentarier .

Kolleginnen und Kollegen, das TAB, aber auch wir
als zuständiger Ausschuss und stellvertretend unsere vier
ständigen Berichterstatterkollegen, stehen sozusagen als
parlamentarische Treuhänder für Technikfolgenabschät-
zung als eine Art Notare in einem Prozess der dauerhaf-
ten Probezeit bzw . internen Dauerevaluation .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN und des Abg . Ralph Lenkert [DIE LINKE])


Denn das Büro für Technikfolgen-Abschätzung ist natür-
lich kein Selbstzweck . In jeder neuen Wahlperiode muss
sich die TA vorstellen, muss bei neuen Kolleginnen und
Kollegen Vertrauen gewinnen und auch die Nützlich-
keit unter Beweis stellen . Wir müssen uns immer wieder
fragen: Entsprechen die Inhalte und die Ergebnisse der
Untersuchungsberichte den Zielen und Wünschen der
Antragsteller? Entsprechen Bearbeitungsdauer, Darstel-
lungsweise und Sprache der Berichte den parlamentari-
schen Bedürfnissen?

Wir haben daher auch immer wieder die Gelegenheit
für eine Neujustierung und Erweiterung des Aufgaben-
spektrums genutzt . Wir haben dem Büro Partnerinsti-
tutionen zur Seite gestellt, um die bisher eher klassisch
technikzentrierte Arbeit um neue Themenbereiche zu
erweitern und eine stärkere Vorausschau zu betreiben
oder – in der jüngeren Vergangenheit – die Öffentlichkeit
stärker an Ergebnisdiskussionen zu beteiligen . Vor allem
Letzteres ist es wert, dass wir noch stärker als bisher das
Augenmerk darauf lenken und gemeinsam Methoden für
eine verstärkte Wahrnehmung auf dem Weg zu einem ge-
sellschaftlichen Diskurs entwickeln .

Lassen Sie mich noch einen kurzen Blick über den
Deutschen Bundestag hinaus werfen . Ich sagte es ein-
gangs bereits: Der Begriff und die Arbeit rund um die
Technikfolgenabschätzung sind kein rein deutsches
Phänomen . Auch die Möglichkeit eines regelmäßigen
Austausches mit anderen Parlamenten und Büros macht
diese Arbeit im Vergleich mit anderen Expertisen so er-
folgreich . Der Deutsche Bundestag und sein Büro spie-
len eine wesentliche Rolle im europäischen Netzwerk der
rund 17 Länder mit vergleichbaren parlamentarischen
Einrichtungen .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN und des Abg . Ralph Lenkert [DIE LINKE])


Vor wenigen Jahren hatten wir die Präsidentschaft die-
ser Gemeinschaft inne, und nicht nur die Repräsentanten
dieser Länder waren bei uns zu Gast, sondern auch Inter-
essierte aus nahezu allen Kontinenten: aus den USA, aus
Südamerika, aus Asien und aus Australien . Technikfol-
genabschätzung ist zu Recht ein globales Thema .

Kolleginnen und Kollegen, meine sehr geehrten Da-
men und Herren, bereits Ende vergangenen Jahres konn-
ten wir unser Jubiläum mit zahlreichen Gästen bei einer
vielbeachteten und interessanten Veranstaltung feiern .
Mit der heutigen Debatte im Deutschen Bundestag wol-
len wir die Arbeit der Technikfolgenabschätzung auch
an dieser Stelle würdigen und eine öffentliche Plattform
herstellen .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Verbunden damit möchte ich deshalb auch im Namen un-
seres Ausschusses dem Büro ausdrücklich danken: Pro-
fessor Grunwald als Leiter und den Herren Revermann
und Sauter als Stellvertreter in Berlin gemeinsam mit ih-
rem Team von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaft-
lern .


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg . Ralph Lenkert [DIE LINKE])


Trotz eines annähernd gleichen Etats in den 25 Jahren
arbeitet unser TAB bei gleichbleibender Personalstärke,
jedoch stetig wachsender Nachfrage nach Beratungsleis-
tungen und neuen Anforderungen im Hinblick auf die
Ergebnisermittlung mit großem Engagement auf hohem
Niveau . Herzlichen Dank dafür!

In der kommenden Zeit ist es nun unsere Aufgabe, da-
für zu sorgen, dass dies so bleiben kann .

Vielen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1815506500

Der Kollege Ralph Lenkert spricht als Nächster für die

Fraktion Die Linke .


(Beifall bei der LINKEN)



Ralph Lenkert (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1815506600

Sehr geehrter Herr Präsident! Geehrte Kolleginnen

und Kollegen! Immer schneller entwickeln sich Wissen-
schaft und Technik, immer komplexer werden Zusam-
menhänge in der Gesellschaft und machen Bewertungen
und politische Entscheidungen ohne systematische Ana-
lyse fast unmöglich .

Seit Mitte der 90er-Jahre eröffnete das Internet uns
allen völlig neue Möglichkeiten, aber es beschleunigte
auch unser Leben . Es veränderte unsere Arbeit, wur-
de Bestandteil unserer Freizeit, ermöglichte schnellen
Informationsaustausch und öffnete weltweit virtuelle
Grenzen . Aber auch Gerüchte, gezielte Desinformatio-
nen, Hass und Lügen werden schnell im Netz verbreitet
und können Menschen und Gesellschaften manipulieren

Patricia Lips






(A) (C)



(B) (D)


und im schlimmsten Falle zerstören . Wie sollte man mit
dieser Entwicklung umgehen? Braucht es neue Regeln
und Gesetze, oder ist Aufklärung der bessere Weg?

Für diese Entscheidungen benötigen wir Bundestags-
abgeordnete unabhängige professionelle Beratung . Seit
25 Jahren gibt es deshalb die Technikfolgenabschätzung
beim Deutschen Bundestag . Wir würdigen mit unserer
heutigen Debatte dieses Jubiläum .


(Beifall im ganzen Hause)


Die Abgeordneten der Fraktionen, die Ausschüsse
melden Themen mit Beratungsbedarf an . Wir Bericht-
erstatter treffen dann die schwere Auswahl im Konsens
und begleiten die Arbeit des TAB . Ich danke im Namen
meiner Fraktion allen Berichterstattern, Ihnen, Frau Lips,
als Ausschussvorsitzende, den Mitarbeiterinnen und Mit-
arbeitern des Sekretariats des TAB-Büros und allen Part-
nerinnen und Partnern für die gute Zusammenarbeit .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD und der Abg . Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Liebe Kolleginnen und Kollegen, ein konkretes Bei-
spiel zur Arbeit des TAB: Erinnern Sie sich an die heftigen
Auseinandersetzungen um CCS, Carbon Dioxide Cap-
ture and Storage, den Technologien zur Kohlendioxid-
abtrennung und -speicherung? CCS sollte Kohlendioxid
aus Kohlekraftwerken und Zementwerken unterirdisch
einlagern und somit aus der Atmosphäre heraushalten,
um das Klima zu schützen . Aber viele Fragen standen
im Raum .

Der TAB-Bericht Nummer 120/2007 betrachtete mög-
liche CCS-Technologien . Er analysierte mögliche Beiträ-
ge zum Klimaschutz . Er benannte aber auch, dass Men-
schen und Tiere bei einem plötzlichen Austreten von CO2
ersticken könnten, dass das Grundwasser kontaminiert
werden kann . Diese Erkenntnisse führten zur Ablehnung
von CCS bei vielen Menschen, auch bei der Linken .

Das TAB-Hintergrundpapier 18/2012 stellte dann
fest: CCS rechnet sich finanziell nicht und vor allem: Die
Technologien verbrauchen so viel Energie und Ressour-
cen, dass ein positiver Gesamteffekt für das Klima un-
sicher ist . Die Bundesländer beschlossen daraufhin den
Ausstieg aus CCS .


(Beifall bei der LINKEN)


Politisch ist CCS somit – auch dank der TAB-Berichte –
erledigt .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer, vielleicht kennen
Sie den Roman BLACKOUT – Morgen ist es zu spät von
Marc Elsberg, der sich am TAB-Bericht 141/2010 „Ge-
fährdung und Verletzbarkeit moderner Gesellschaften –
am Beispiel eines großräumigen und langandauernden
Ausfalls der Stromversorgung“ orientierte . Hier zwei
Problembeispiele aus dem TAB-Bericht und dem Ro-
man: Bei einem flächendeckenden Stromausfall brechen
digitale Kommunikation, also Digitalfunk, Internet und

IP-basierte Telefonie, innerhalb von Minuten zusammen .
Mit Batterien funktionieren analoge Telefonnetze noch
zwei Tage ohne externe Stromzufuhr . Das ist beim In-
ternet aufgrund des deutlich höheren Strombedarfs und
anderer Endgeräte nicht möglich . UKW- und Mittelwel-
lenfunk kann mit Batterien oder einfachsten Ladegeräten
dauerhaft funktionieren . Die vielen notwendigen Um-
setzstationen des Digitalfunknetzes mit Notstrom zu ver-
sorgen, ist unbezahlbar .


(Dr . Thomas Feist [CDU/CSU]: Brieftauben!)


Die Telekom aber schaltet derzeit trotzdem ihr ana-
loges Telefonnetz aus Profitgründen ab. Polizei und Be-
hörden stellen auf Digitalfunk um, und die alte Technik
wird aus Kostengründen entsorgt . Im Moment ist dies
bequem, aber im Katastrophenfall wird dies verheerende
Auswirkungen haben .


(Dr . Thomas Feist [CDU/CSU]: Brieftauben!)


Das TAB benannte schon vor sechs Jahren die Risiken
der heutigen Entwicklung . Die Linke wird jede Entschei-
dung zum Erhalt oder zur Neueinrichtung der Kommuni-
kationsstruktur für Havarien und Notfälle unterstützen .


(Beifall bei der LINKEN)


Ein zweites Beispiel: Stellen Sie sich vor, Sie stehen
im Supermarkt an der Kasse, und der Strom fällt aus .
Elektronisches Bezahlen wird unmöglich, Bargeldzah-
lung könnte noch funktionieren . Hält der Stromausfall
länger an, ist kein Handel, keine Notwirtschaft mehr
möglich .


(Zuruf von der LINKEN: Umverteilen!)


Die EU stellt nun aber aus Sicherheitsgründen das Bar-
geld infrage, weil sie vermutet, dass illegale Geldströme,
Steuerhinterziehung und Kriminalität ohne Bargeld deut-
lich sinken könnten . Die bargeldlose Gesellschaft nutzt
neben unserer Bequemlichkeit jedoch nur drei Gruppen:
Banken, die mehr Transaktionsgebühren einstreichen,
Händlern, weil man Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter
einspart, und denen, die uns mit diesen Informationen
überwachen oder manipulieren wollen .


(Dr . Thomas Feist [CDU/CSU]: Die ganze Portemonnaiebranche geht kaputt!)


Kriminelle und Steuerhinterzieher werden neue Wege
finden, ihre schlechten Absichten umzusetzen. Denen
schadet das fehlende Bargeld höchstens temporär . Ich
meine, Bargeld ist Schutz vor lückenloser Überwa-
chung und eine Absicherung bei Stromausfall . Der Be-
richt 141/2010 des Büros für Technikfolgen-Abschät-
zung beim Deutschen Bundestag empfiehlt übrigens,
Bargeldreserven für Katastrophenfälle bereitzuhalten .


(Dr . Thomas Feist [CDU/CSU]: Haben Sie was zu Hause, Herr Lenkert?)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, mit dem Internet-
auftritt des Petitionsausschusses des Bundestages ent-
standen neue Möglichkeiten der demokratischen Teil-
habe wie öffentliche Petitionen . Als der entsprechende
Modellversuch im Jahre 2005 begann, wurde er durch
zahlreiche Untersuchungen des TAB begleitet . Die Be-
fragung der Wählerinnen und Wähler durch das Büro für

Ralph Lenkert






(A) (C)



(B) (D)


Technikfolgen-Abschätzung beim Deutschen Bundestag
lieferte wichtige Beiträge zur Gestaltung der dauerhaften
Plattform epetitionen .bundestag .de . Jede Internetnutze-
rin, jeder -nutzer kann jetzt Petitionen einstellen, mit-
zeichnen, diskutieren und die Entscheidungen des Peti-
tionsausschusses nachverfolgen .


(Dr . Thomas Feist [CDU/CSU]: Außer, wenn der Strom ausfällt!)


Auch dank des TAB wurde das Portal zum meistbesuch-
ten Bereich des Internetauftritts des Deutschen Bundes-
tages:


(Dr . Thomas Feist [CDU/CSU]: Außer, wenn der Strom ausfällt!)


mit über 4 200 Petitionen von allgemeinem öffentli-
chen Interesse, fast 2 Millionen angemeldeten Nutzern,
250 000 Diskussionsbeiträgen und 3,6 Millionen Petiti-
onsmitzeichnungen .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des Abg . René Röspel [SPD])


Liebe Haushälterinnen und Haushälter, insbesondere
von der Union, wir sind uns fraktionsübergreifend ei-
nig: Die Technikfolgenabschätzung des Bundestages ist
wichtig und unverzichtbar . Seit 2011 wurde der Jahres-
etat des TAB in Höhe von 2,1 Millionen Euro nicht mehr
angepasst . Jetzt haben wir Berichterstatter gemeinsam
für 2017 eine Erhöhung vorgeschlagen . Ja, 25 Prozent
klingen viel . Aber es ist die erste Erhöhung seit sechs
Jahren, und absolut sind es nur 527 000 Euro –


(Dr . Thomas Feist [CDU/CSU]: Dafür muss eine alte Frau lange stricken!)


eine verschwindend kleine Summe bei einem Bundesetat
von über 300 Milliarden Euro . Auch die Forschungsaus-
gaben stiegen im gleichen Zeitraum um 26 Prozent oder
2,6 Milliarden Euro – bei jährlichen Steigerungen fiel
bloß dieser Prozentsatz nicht so auf .

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir als Abgeordnete
haben mit der Technikfolgenabschätzung des Bundesta-
ges ein wertvolles Instrument. Pflegen wir es! Stellen wir
die notwendigen Mittel bereit! Erhöhen wir den Jahres-
etat des TAB auf 2,6 Millionen Euro – als Geburtstags-
geschenk! Die Linke dankt und gratuliert dem TAB und
stimmt der Etaterhöhung zu .


(Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ich hoffe, Sie alle schließen sich dem an .

Vielen Dank .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1815506700

Nächster Redner ist der Kollege René Röspel für die

SPD .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



René Röspel (SPD):
Rede ID: ID1815506800

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Her-

ren! Herzlich willkommen im Plenarsaal des Deutschen
Bundestages! Das hier ist wirklich der Platz, wo Gesetze
beschlossen werden . Aber es ist nicht der Platz, wo Ge-
setze gemacht werden .

Gesetze entstehen auf ganz unterschiedlichem Wege,
beispielsweise wenn uns die Europäische Union Vor-
gaben macht und wir diese in nationale Gesetzgebung
umsetzen – meistens ist das alles in Ordnung und klappt
ganz gut – oder wenn ein Bürger in die Bürgersprechstun-
de kommt und sagt: „Ich habe ein Problem. Ich befinde
mich irgendwo in einer Lücke zwischen zwei Gesetzen“,
und wir dann versuchen, dafür etwas auf den Weg zu
bringen, oder wenn aufgrund politischer Initiativen, in-
dem also beispielsweise die SPD sagt: „Wir sind davon
überzeugt, dass es jetzt an der Zeit ist, den Mindestlohn
einzuführen, weil die gesellschaftlichen Verhältnisse in
diesem Punkt nicht mehr so sind, wie sie sein sollten“,
ein hier eingebrachter Gesetzentwurf, nachdem man sich
vorher mit dem Koalitionspartner darauf geeinigt hat, be-
schlossen wird .

Ich finde es übrigens durchaus ärgerlich, wie wir die
meisten Gesetzentwürfe – das habe ich an anderer Stel-
le schon einmal gesagt – vom Text her aufbauen . Oben
steht immer der Titel, etwa „Entwurf eines Asylverfah-
rensbeschleunigungsgesetzes“, unter A . kommen dann
das Problem und das Ziel, unter B . die Lösung, und un-
ter „C . Alternativen“ steht: Keine . – Eigentlich lehrt die
Erfahrung des Lebens: Es gibt immer eine Alternative .
Handeln steht Unterlassen gegenüber und umgekehrt .
Ich finde – das ist an uns gerichtet –: Wir müssen Poli-
tik deutlicher erklären und sagen, dass es zu Gesetzent-
würfen eine Alternative gibt, möglicherweise auch eine
politische Alternative . Wir müssen auch besser erläutern,
warum wir uns für einen Weg entscheiden und der ande-
re eben nicht zum Zug gekommen ist . Die beschriebene
Alternativlosigkeit – das hatten wir in der vorangegange-
nen Debatte – müssen wir denen überlassen, die auf den
Straßen populistische Sprüche skandieren und glauben,
das Recht auf ihrer Seite zu haben oder im Besitz der
richtigen alternativlosen Lösungen zu sein .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des Abg . Ralph Lenkert [DIE LINKE])


Die meisten Gesetze, die wir hier beschließen, er-
kennen die Situation in der Gesellschaft oder in der Ge-
genwart an und versuchen, diese zu verändern . Beim
Mindestlohn etwa sagen wir: Wir können diese gesell-
schaftlichen Verhältnisse nicht mehr akzeptieren . Wir
versuchen, daran etwas zu ändern .

Komplizierter ist es, wenn wir über technologische
oder gesellschaftliche Entwicklungen reden und viel-
leicht über Gesetze nachdenken, die noch gar nicht wirk-
lich zustande gekommen sind, die sich in der Zukunft be-
wegen, wo vielleicht die ersten Pflänzchen und Zeichen
sichtbar sind . Das einschätzen zu können, ist schwieriger .
Dabei ist ganz klar: Neue Technologien bergen immer
Chancen und Risiken, und es geht darum, die Risiken
nicht zu ignorieren oder zu verschweigen . Zu einer ver-

Ralph Lenkert






(A) (C)



(B) (D)


nünftigen Politik gehört vielmehr, Risiken zu identifizie-
ren, zu verhindern oder vielleicht zu minimieren .

Wir leben in einer Zeit rasanter Technikentwicklung,
und viele Menschen sind überfordert, mit dieser Entwick-
lung Schritt zu halten . Mir geht das auch so . Vor 30 Jah-
ren konnte ich das grüne Tastentelefon der Post – einige
kennen es vielleicht noch; damals gab es noch nicht die
Telekom – auseinandernehmen, und ich habe einigerma-
ßen verstanden, wie es funktionierte . Beim Smartphone
würde ich das heute nicht mehr empfehlen . Vor 30 Jahren
konnte man beim Moped noch den Vergaser auseinan-
dernehmen und wieder zusammenbauen, und meistens
lief es danach wieder . Heute ist schon der Glühlampen-
wechsel beim Auto fast nicht mehr möglich . Es ist alles
komplizierter geworden, und Technik ist manchmal auch
überfordernd .

Deswegen war es ganz klug, dass vor fast 26 Jahren
einige weise Kolleginnen und Kollegen – von ihnen ist,
glaube ich, nur noch Edelgard Bulmahn im Parlament –
gesagt haben: Wir wollen nicht unvorbereitet mit sich
entwickelnden Technologien oder gesellschaftlichen
Entwicklungen umgehen, sondern wir brauchen eine von
der Politik unabhängige wissenschaftliche Beratung, die
wir beim Bundestag ansiedeln, die aber, was auch richtig
ist, nicht weisungsgebunden ist . Wir sollten als Politik
nicht in die Berichte hineinfummeln, die unabhängig und
wissenschaftsgeleitet erarbeitet werden . Das Büro für
Technikfolgen-Abschätzung soll uns beraten . Es soll sich
mit künftigen Technologien befassen, sie bewerten und
Handlungsempfehlungen zu unterschiedlichen Wegen
geben, die man gehen kann, und Alternativen benennen .

Das sind spannende Fragen . Was ist denn eigentlich
synthetische Biologie? Ist es eine Gefahr für uns oder
eine Chance, wenn es heutzutage möglich ist, in seinem
eigenen Badezimmer ein kleines Genlabor aufzubauen
und käuflich zu erwerbende Genschnipsel so zu kombi-
nieren, dass möglicherweise etwas Neues entsteht?

Sollen wir Geo-Engineering oder Climate Enginee-
ring machen, da wir doch wissen, dass nach einem Vul-
kanausbruch die großen Mengen an Asche, die ausgesto-
ßen werden, dazu führen, dass die Sonneneinstrahlung
reduziert wird, und sich, wie wir es nach dem Ausbruch
des Pinatubo 1991 erlebt haben, die Erdtemperatur um
ein halbes Grad abkühlt? Wäre das nicht eine Möglich-
keit, gegen den Klimawandel anzukämpfen, indem man
große Mengen von Schwefeldioxid in die Stratosphäre
pumpt und die Sonneneinstrahlung reduziert? Die Ant-
wort, um das aufzulösen, hat ein guter Bericht des TAB
gegeben: Das macht keinen Sinn, und die Gefahren sind
viel zu groß .

Aber ich wollte gar keine Antworten geben, sondern
fast nur Fragen stellen: Wie ist es, wenn in der älter
werdenden Gesellschaft immer weniger Pflegende vor-
handen sind? Macht es Sinn, so wie es in Japan schon
fast gang und gäbe ist, Roboter bei der Pflege von pfle-
gebedürftigen bzw . älteren Menschen einzusetzen? Oder
verschleiern wir damit ein Problem, das auf einer ganz
anderen Ebene besteht? Ist es zu empfehlen, eine Ge-
sundheits-App zu haben und regelmäßig Daten über sei-
nen Blutdruck, Puls und die Herzfrequenz zu bekommen,

oder ist es nicht eher ein Problem, damit umzugehen,
wenn man nicht ordentlich informiert ist?

All das sind Fragen, die wir dem TAB gestellt ha-
ben und auf die das Büro für Technikfolgen-Abschät-
zung gute Antworten geben kann, und zwar nicht nur
eine oder gar die einzige wahre, sondern es zeigt – das
ist auch seine Aufgabe – in der Regel den Politikerin-
nen und Politikern unterschiedliche Handlungsoptionen
und Wege auf, die wir dann beschreiten können . Es ist
unsere Verantwortung als Politik, den Weg zu nehmen,
der den künftigen Generationen in 20 Jahren noch eine
Möglichkeit offen lässt, sich anders zu entscheiden, und
die Spielräume erhält, statt heute etwas zuzulassen, das
künftigen Generationen keine Entscheidungsmöglichkeit
mehr lässt .

Wir sollten alles dafür tun – und das TAB hilft uns in
unverzichtbarer Weise dabei –, hier keine Entscheidun-
gen zu treffen, die wir nicht mehr zurückholen können .

Vielen Dank .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1815506900

Für Bündnis 90/Die Grünen spricht jetzt der Kollege

Harald Ebner .


Harald Ebner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1815507000

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Prognosen sind schwierig, besonders wenn
sie die Zukunft betreffen . Ob das nun von Karl Valentin,
Mark Twain oder anderen stammt, es ist auf jeden Fall
eine treffende Begründung dafür, warum wir eine er-
fahrene, professionelle Institution für Technikfolgenab-
schätzung brauchen .

Wie extrem man manchmal bei Voraussagen daneben-
liegen kann, zeigt vielleicht eine Aussage eines US-Staub-
saugerproduzenten aus dem Jahr 1955 . Er meinte, nukle-
arbetriebene Staubsauger seien wahrscheinlich in zehn
Jahren Realität . Zum Glück hat es nie einen Staubsauger
mit Mini-AKW gegeben . Mehr noch: Inzwischen ist das
Ende der großen Atomkraftwerke in Deutschland längst
beschlossener Konsens, sodass in sieben Jahren auch aus
den Steckdosen kein Atomstrom mehr – auch nicht für
Staubsauger – kommen wird; das ist gut so . Hätten wir
beizeiten eine Technikfolgenabschätzung vorgenommen,
hätten wir vielleicht nie einen Atomausstieg 2 .0 nötig ge-
habt .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)


Gegen Irrtümer bei der Bewertung neuer Technologi-
en ist niemand gefeit, auch wir nicht . Meine Partei hat ein
paar schöne Irrtümer begangen . Vor 30 Jahren waren die
Grünen – man stelle sich das vor – gegen die Digitalisie-
rung des Fernsprechnetzes und das Satellitenfernsehen .

René Röspel






(A) (C)



(B) (D)


Auch Computer waren damals für Grüne eine schwierige
Sache .


(René Röspel [SPD]: Da hattet ihr noch lange Bärte und Pullover!)


Heute sind wir offensive Nutzer dieser Technologien .

Eine wichtige Aufgabe der Technikfolgenabschätzung
ist, die Irrtumswahrscheinlichkeit bei Entscheidungen
über Technologien zu senken .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und der LINKEN)


In anderen Bereichen sehe ich viele unserer kritischen
Haltungen allerdings bestätigt . Die bereits genannte
Atomkraft und die Agrogentechnik sind zwei Themen,
bei denen sich nach anfänglicher Euphorie herausge-
stellt hat, dass sich diese Technologien nicht bewähren .
So wurde zum Beispiel in mehreren TAB-Berichten zum
Themenbereich Welternährung schon vor Jahren darauf
hingewiesen, dass nicht die Agrogentechnik, sondern
moderne Ökolandbaumethoden für Kleinbauern die
Schlüsselstrategie für die Welternährung sind .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg . René Röspel [SPD])


Auch der schon genannte Bericht zum Climate Enginee-
ring macht deutlich, dass Ansätze wie Algendüngung
keine Alternative zum konsequenten Klimaschutz durch
Emissionsreduktion sind .

Nicht nur bei den Risiken, sondern auch bei den Chan-
cen von Technologien gibt es manchmal falsche Erwar-
tungen, die zu politischen Fehlentscheidungen führen
können . Die Beispiele belegen, wie schwierig es ist,
technologische Entwicklungen sowie deren Potenziale
und Risiken realistisch einzuschätzen . Je rasanter tech-
nologische Entwicklungen verlaufen, desto schwieriger
wird es für uns, die entsprechenden Weichenstellungen
vorzunehmen . Wir treffen schließlich regulatorische Ent-
scheidungen für die Zukunft und nicht für die Vergan-
genheit . Unser Handeln hat immer Auswirkungen auf
kommende Generationen . Wir haben hier eine morali-
sche Verpflichtung – der Kollege Röspel hat das bereits
gesagt –, auch die Interessen unserer Enkel und Urenkel
bei allen Entscheidungen mit zu bedenken und eventuelle
Folgen bestmöglich zu ermitteln .

Das ist Technikfolgenabschätzung und Nachhaltig-
keitsdenken in bestem Sinne . Dafür brauchen wir Spezi-
alisten und Experten, die uns beratend zur Seite stehen .
Deshalb war es 1989 tatsächlich eine weise Entschei-
dung, dass der Bundestag in breiter Einigkeit unter den
Fraktionen die Einrichtung einer eigenen Institution be-
schlossen hat . Konsens war damals auch, dass eine un-
abhängige Einrichtung zur Technikfolgenabschätzung
nötig ist, um nicht länger auf die Expertise der Bundes-
regierung und ihrer Einrichtungen angewiesen zu sein .
Ich finde es bestechend, dass sich das Parlament mit dem
Büro für Technikfolgen-Abschätzung eine Entschei-

dungs- und Bewertungssouveränität erarbeitet hat . Das
halte ich für eine wirklich gute Sache .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Das TAB soll die Urteilsfähigkeit des Parlaments
im Ganzen befördern . So hat es Bundestagspräsident
Norbert Lammert in seiner Rede zur TAB-Jubiläumsfei-
er zu Recht betont . Voraussetzung für die breite Aner-
kennung der Arbeit des TAB ist, dass diese Arbeit über
die Legislaturperiode hinaus getragen wird . Daher ist es
so wichtig, dass Entscheidungen zur Projektarbeit vom
Parlament unabhängig von den gerade aktuellen Mehr-
heitsverhältnissen getragen werden . Genau das soll durch
das Konsensprinzip im Berichterstatterkreis, der eben die
wesentliche Vorarbeit bei der Auswahl der Themen leis-
tet, erreicht werden . So haben Sachargumente – so hoffe
und erfahre ich das auch – ein stärkeres Gewicht . Das
gegenseitige Zuhören und Eingehen aufeinander hat eine
Chance .

Ich glaube, an der Stelle ist es auch richtig, dem Büro
für Technikfolgen-Abschätzung, aber auch dem Sekreta-
riat ganz herzlich dafür zu danken, dass sie diesen nicht
immer einfachen Konsensprozess mit stoischer Geduld
ertragen . Dazu gehört auch ein Dank an die Ausschuss-
vorsitzende Lips, die das immer humorvoll begleitet und
moderiert .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)


Ich hoffe sehr, dass dieses bewährte Prinzip der Zusam-
menarbeit auch in Zukunft erhalten bleibt . Und so ha-
ben wir das ja auch für diese Wahlperiode erneut in den
Grundsätzen für die Arbeit des TAB festgehalten .

Wie brennend aktuell unsere Arbeit ist, zeigt sich
gerade auch dieser Tage angesichts der Meldungen
über Genmanipulation an menschlichen Embryonen zu
Forschungszwecken . Das ist in mehrerlei Hinsicht be-
denklich . Es geht um die Eingriffe in die menschliche
Keimbahn, um verbrauchende Embryonenforschung .
Dieser Vorstoß aus Großbritannien torpediert leider den
sinnvollen internationalen Aufruf für ein Moratorium bei
Genome Editing am Menschen . Ich bin froh, dass es eine
ganz breite Einigkeit in der Wissenschaft gibt, hier vor-
sichtig zu sein . Das Thema Genome Editing greift auch
ein TAB-Bericht auf, der sich mit synthetischer Biologie
beschäftigt und uns hier auch Ratschläge an die Hand
gibt, wie wir künftig die Risikoregulierung reformieren
und die Risikoforschung stärken könnten .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD und des Abg . Ralph Lenkert [DIE LINKE])


Der Bedarf an unabhängiger Technikfolgenabschät-
zung ist heute größer denn je . Die aktuelle Arbeitsliste
wurde vom Kollegen Röspel schon umfänglich vorge-
stellt . Das TAB leistet heute, meine ich, mehr als früher,
aber sein Budget ist in diesen 25 Jahren nur einmal mini-
mal erhöht worden . Die Kosten sind allerdings um mehr

Harald Ebner






(A) (C)



(B) (D)


als 50 Prozent gestiegen . Da bleibt es nicht aus, dass das
zulasten der Qualität und zulasten der Arbeitskapazität
geht . Da meine ich: Wenn wir die hohe wissenschaftli-
che Qualität und die Leistungsfähigkeit des TAB erhalten
wollen, ist eine Erhöhung der Finanzmittel wirklich das
Gebot der Stunde . Ich bin sicher, dass die aktuell zu erar-
beitende Halbzeitbilanz des TAB da eine gute Grundlage
sein wird, um für den nächsten Haushalt eine Erhöhung
hinzubekommen .

Wenn wir heute unsere Anerkennung für die TAB-Ar-
beit in guten Worten ausdrücken, dann ist klar, dass wir
dabei nicht stehen bleiben dürfen . Das TAB hat ein Ge-
burtstagsgeschenk verdient . Ich würde mich freuen,
wenn das im Konsens aller Fraktionen auf den Weg ge-
bracht werden könnte .

Danke schön .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD und des Abg . Ralph Lenkert [DIE LINKE])



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1815507100

Für die CDU/CSU-Fraktion spricht jetzt der Kollege

Dr . Philipp Lengsfeld .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg . René Röspel [SPD] – Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jetzt bin ich einmal gespannt, ob Sie die Abschaffung fordern!)



Dr. Philipp Lengsfeld (CDU):
Rede ID: ID1815507200

Das werde ich ganz sicher nicht tun, lieber Kollege .

Aber vielleicht habe ich ja noch den einen oder anderen
überraschenden Punkt in meinen Ausführungen .

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Wissenschaftliche Politikberatung ist ein essenzielles
und absolut selbstverständliches Tool eines demokrati-
schen Parlaments . Es gibt deshalb viele Beratungsgremi-
en und Instrumente vor und neben der Arbeit des TAB;
das ist hier schon erwähnt worden . Aber es gibt Beson-
derheiten der Konstruktion TAB, die dem Büro für Tech-
nikfolgen-Abschätzung beim Deutschen Bundestag eine
spezielle, eine sehr herausgehobene Position zuweisen .


(Beifall des Abg . René Röspel [SPD])


Ich will hier den einen oder anderen Punkt noch einmal
vertiefen; viele Punkte sind ja schon angerissen worden .

Liebe Kolleginnen und Kollegen, das Besondere am
TAB ist nicht, dass hier exzellente wissenschaftliche
Gutachten zu wichtigen Themen erstellt werden; ein paar
Themen sind ja schon genannt worden . Das ist selbst-
verständlich . Dies machen – wie schon erwähnt – andere
auch . Vielmehr ist das Besondere, dass das TAB ein In-
strument des Bundestages ist . Und ja – ich sage es einmal
ganz deutlich –, das TAB ist abhängig vom Deutschen
Bundestag . Wir geben die Haushaltsmittel . Die Diskus-
sion über diese Mittel führen wir gerade. Aber das finde
ich richtig und wichtig; denn selbst wenn man es nicht

gerne offen ausspricht: Es gibt keine völlig unabhängige
Forschung und Wissenschaft .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Nein, es kann keine völlig unabhängige Forschung und
Wissenschaft geben; denn Forschung und Wissenschaft
sind teuer und finanzieren sich nicht von selbst. Dies gilt
natürlich auch für wissenschaftliche Politikberatung, die
glücklicherweise nicht ganz so teuer ist .


(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Uns aber mehr wert sein sollte!)


Die Zahlen sind schon genannt worden .

Ich sage es ganz deutlich: Ich bin froh, dass wir mit
dem TAB bezahlte Wissenschaftler haben, die aber nicht
von der Regierung oder von der heimischen Wirtschaft
oder gar von fremden Regierungen oder ausländischen
Firmen bezahlt werden, sondern die dem Deutschen Bun-
destag berichten und niemandem sonst . Der Kern guter
wissenschaftlicher Beratung ist gerade nicht, dass man
einen völlig unvoreingenommenen Berater findet, der
einem dann ungefilterte Wahrheiten präsentiert; denn so
einen völlig unvoreingenommenen Berater gibt es nicht,
genauso wenig wie es die reine Wahrheit gibt, die man
nur irgendwo ausbuddeln müsste . Der Trick ist vielmehr
die richtige Anwendung des wissenschaftlichen Prinzips
der Konkurrenz und der Überprüfbarkeit von Analysen
und Empfehlungen . Dies funktioniert viel einfacher und
viel besser, wenn man selber ein Instrument in der Hand
hat und wenn klar im Titel genannt wird, wer der Auf-
traggeber ist . Beides ist beim TAB der Fall .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und des Abg . Ralph Lenkert [DIE LINKE])


Ich nehme einmal ein aktuelles Beispiel aus unserem
TAB-Portfolio . Ich freue mich, dass es bis dato noch
nicht erwähnt wurde; das hat mich eigentlich gewundert .
Ich meine den Bericht zur Sinnhaftigkeit der Zeitumstel-
lungen, wie wir sie in Europa und den USA – ich sage aus
meiner Sicht: leider – seit vielen Jahrzehnten haben . Für
mich persönlich ist das eine der fragwürdigsten polit-tech-
nokratischen Erfindungen des letzten Jahrhunderts. Der
Deutsche Bundestag hat das TAB beauftragt, eine Bilan-
zierung der Sinnhaftigkeit dieser Zeitumstellungen zu
erstellen . Der Bericht ist gerade in der Finalisierung . Ich
bin sicher, dass er dieses Haus noch beschäftigen wird .
Natürlich gab es ganz klar einen Unwillen zum Beispiel
in der EU-Kommission oder in vielen Regierungen, sich
mit dieser Frage zu beschäftigen . Man machte zwar die
Zeitumstellungen, aber hinschauen wollte keiner mehr so
genau . Aber wir, das deutsche Parlament, machen es jetzt
und nehmen so unsere ureigenste Aufgabe wahr, nämlich
Regierungshandeln zu kontrollieren und zu hinterfragen .
Es kann ja auch sein, dass herauskommt, dass alles palet-
ti ist . Das glaube ich aber eher nicht .


(Heiterkeit)


Die wissenschaftliche Politikberatung durch das TAB
ist dafür ein großartiges Instrument, unser Instrument,

Harald Ebner






(A) (C)



(B) (D)


und dieses sollten wir pflegen und stärken; das ist hier
schon gesagt worden .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Das TAB ist ein besonderes Instrument, und es hat
auch besondere Arbeitsprinzipien . Auch die sind hier er-
wähnt worden, aber ich will sie noch einmal diskutieren,
insbesondere das Konsensprinzip in der Berichterstatter-
runde . Das ist sicherlich ein eher ungewöhnlicher Ansatz
in der Demokratie, aber ich weiß die tiefere Weisheit des
Konsensprinzips beim TAB mittlerweile sehr zu schät-
zen . Dazu muss man aber verstehen, was im Konsens
beschlossen wird und was nicht .

Die Berichterstatter des TAB beschließen im Konsens
den Arbeitsplan, die Abnahme eines Berichts, und wir
schreiben gemeinsam ein Vorwort . Der wichtigste Punkt
ist natürlich der Arbeitsplan, also die Themensetzung .
Über die Abfrage bei den Fraktionen, Arbeitsgruppen
und Ausschüssen werden Themenvorschläge gesammelt .
Anschließend werden die Themen bewertet, verdichtet
und in Diskussionen mit dem TAB durch die Berichter-
statter in ein handhabbares Arbeitsprogramm gegossen .
Dann wird es mit zwei Absegnungsdurchgängen so vom
TAB umgesetzt . Alle Berichte des TAB sind vom Deut-
schen Bundestag gewollt .

Hätten wir das Konsensverfahren nicht und würde
die Themensetzung zum Beispiel analog zur Redezeit-
verteilung erfolgen, dann würde die jeweilige Mehrheit
dominieren und letztendlich jede Fraktion nur ihre ei-
genen Lieblingsthemen platzieren . Das Konsensprinzip
durchbricht diesen Mechanismus zu einem großen Teil
und erhöht so nach meinem Eindruck die Akzeptanz und
Qualität für alle Berichte . Dies ist so wichtig, weil das
TAB auch das Gütesiegel „Deutscher Bundestag“ trägt .
Dies wird in der Öffentlichkeit durchaus stark wahrge-
nommen . Man denke nur daran, welche Wellen die deut-
lich kleineren Gutachten unseres Wissenschaftlichen
Dienstes manchmal schlagen .

Andere Gremien der Politikberatung machen auch
Gutachten, aber hier erfolgt die Themensetzung teilwei-
se auf eigene Initiative . Das ist ein großer Unterschied .
So entstehen auch Gutachten zu, zumindest aus meiner
Sicht, eher abseitigen Themen . Ich nenne hier einmal als
drastisches Beispiel die Stellungnahme des Ethikrats zur
Aufweichung des Inzesttabus in Deutschland . Der große
Unterschied in der Genese dieser Gutachten, der für die
Bewertung ebenfalls eine gewisse Rolle spielt, wird in
der Öffentlichkeit nicht immer so klar wahrgenommen .

Das Konsensprinzip der Berichterstatter gilt auch für
die Abnahme der TAB-Berichte . Dies sehe ich als wich-
tiges Instrument der Qualitätssicherung . Es ist übrigens
auch ein Grundprinzip wissenschaftlichen Arbeitens,
zum Beispiel beim sogenannten Peer Review in Fach-
zeitschriften oder bei der Bewertung von Doktorarbeiten .
Mehrere Reviewer reduzieren die Gefahr von Gefällig-
keitsgutachten und Denkschablonen . Das Konsensprin-
zip funktioniert aber natürlich nur – auch das ist erwähnt
worden – bei konstruktiver Zusammenarbeit . Deshalb
möchte ich an dieser Stelle ausdrücklich meinen Mitbe-
richterstattern – die erste Hälfte dieser Debatte über das
TAB ist ja praktisch eine Berichterstatterrunde –, dem

Ausschusssekretariat und insbesondere der Vorsitzenden
Patricia Lips danken .


(Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, das Konsensprinzip
endet aber bei der politischen Bewertung und Nutzung
der TAB-Berichte . Auch diese Selbstverständlichkeit
spreche ich noch einmal deutlich aus . Hier kann es kein
Konsensprinzip geben . Es gibt auch keine einfachen
Wahrheiten . Deshalb zeigt das TAB Handlungsoptionen
auf und gibt nicht etwa einfache Handlungsrezepte vor,
welche der Bundestag nur nachkochen muss .

Der Umgang mit diesem Wissen unterscheidet uns ja
von autokratischen Herrschaften . Ich habe es hier schon
einmal gesagt, wiederhole es aber: Die Aralsee-Katastro-
phe als direkte Folge megalomanischer Bewässerungs-
und Kanalprojekte in Zentralasien zu sowjetrussischen
Zeiten oder die vermutlich auch sehr dramatischen Fol-
gen des Riesenprojekts Drei-Schluchten-Staudamm in
China sind für mich Beispiele für politisch-technische
Entscheidungen, wie sie in dieser Form in einer funkti-
onierenden Demokratie nie fallen dürfen oder wo man
zumindest sehr viel schneller gegensteuern würde .

Dies ist übrigens auch ein Grund – das sage ich jetzt
einmal ein bisschen provokativ; Kollege Mutlu, eine
kleine Provokation extra für dich –, warum wir in dieser
Wahlperiode nach intensiven Diskussionen zum Beispiel
ein Gutachten zu den Folgen des massiven Ausbaus von
regenerativen Energiequellen in Auftrag gegeben haben .

Bei der Nutzung der Gutachten endet das Kon-
sensprinzip; aber es startet die Arbeit für das ganze Haus .
Denn natürlich geben wir das Geld für das TAB nicht als
Weiterbildung aus . Ich weiß, dass es gerade in der letz-
ten Legislatur auch Unzufriedenheit mit dem Konstrukt
TAB gab . Es sind daraufhin jedoch wichtige Weichen ge-
stellt worden. Wir haben jetzt flexiblere, vielfältigere und
schnellere Instrumente .

Aber der Kernpunkt bleibt: Wir, der Deutsche Bun-
destag, müssen die Gutachten letztendlich auch nutzen –
da erwähne ich jetzt einmal rein zufällig das Gutachten
zur Zeitumstellung –; das ist das Prinzip wissenschaft-
licher Politikberatung: Die Wissenschaftler analysieren
die Situation und zeigen Optionen auf; handeln müssen
wir aber selber .

In diesem Sinne gratuliere ich dem TAB und uns zu
25 Jahren gemeinsamer Arbeit .

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1815507300

Für die SPD spricht jetzt die Kollegin Dr . Simone

Raatz .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Dr. Philipp Lengsfeld






(A) (C)



(B) (D)



Dr. Simone Raatz (SPD):
Rede ID: ID1815507400

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Der VCI,
also der Verband der Chemischen Industrie, hat vor Kur-
zem eine Studie mit dem Titel „Innovationen den Weg
ebnen“ herausgegeben . Die Ergebnisse dieser Studie
machen Folgendes deutlich: Wie innovativ ein Unter-
nehmen ist, liegt nicht allein am Unternehmen selbst,
sondern auch am gesellschaftlichen Umfeld . Fast 30 Pro-
zent der chemischen Unternehmen beklagen eine ableh-
nende Haltung zur technischen Entwicklung in unserer
Gesellschaft . Das regt zum Nachdenken an . Das sollten
wir hinterfragen; denn es schränkt natürlich auch unsere
Innovationsfähigkeit ein .

Warum ist das so? Wir alle nutzen doch täglich neue
Entwicklungen und Technologien und genießen ihr Vor-
handensein . Das Smartphone oder unser Auto mit Na-
vigationssystem – man kann vieles mehr nennen – sind
doch alltägliche Produkte . All das macht uns das Leben
leichter, und wir wollen es nicht missen .

Eine mögliche Antwort auf das Verhalten, das die che-
mischen Unternehmen feststellen, gibt uns das Wissen-
schaftsbarometer von 2015 . Hiernach meinen 31 Prozent
der Befragten, dass die Entwicklung einer neuen Techno-
logie gestoppt werden sollte, wenn sie unbekannte Risi-
ken birgt . Genau hier leistet das TAB-Büro seit 25 Jahren
einen ganz wichtigen Beitrag .

Das TAB gibt uns Bundestagsabgeordneten – das
wurde von meinen Vorrednern hier schon erwähnt –,
aber auch anderen Interessierten die Möglichkeit, sich
mit naturwissenschaftlich-technischen Entwicklungen
bereits im Vorfeld ihrer Realisierung auseinanderzuset-
zen . Zudem gibt uns die Technikfolgenabschätzung poli-
tische Handlungsempfehlungen an die Hand, sodass wir
einschätzen können, mit welchen Risiken, aber auch mit
welchen Potenzialen wir es zu tun haben . Ich denke, dass
das für unsere politische Arbeit – das war hier schon The-
ma – von unschätzbarem Wert ist . Dafür möchte auch ich
an dieser Stelle noch einmal danken .


(Beifall im ganzen Hause)


Seit seiner Gründung hat das TAB zahlreiche Studi-
en zu den unterschiedlichsten Fragestellungen verfasst
und veröffentlicht . Einige Themen haben hier schon eine
Rolle gespielt . So sind beispielsweise die Beiträge des
TAB zur Bewertung der Grünen Gentechnik sehr wich-
tig, auch heute noch; ich glaube, der Bericht wurde 2005
veröffentlicht . Gerade in diesem Feld standen und stehen
sich Kritiker und Befürworter nach wie vor kompromiss-
los gegenüber . Das Kuriose ist: Beide Seiten beziehen
sich auf wissenschaftliche Studien und untermauern da-
mit im Endeffekt gegenläufige politische Forderungen.
Ich denke, das macht für uns die Entscheidung nicht in
jedem Fall einfacher .

Da ist auf der einen Seite die Industrie, die die Grü-
ne Gentechnik ausschließlich positiv bewertet und mit
ihr zum Beispiel die Ernährung einer stark wachsenden
Bevölkerung als gesichert ansieht . Auf der anderen Seite
befindet sich ein großer Teil der Bevölkerung, der ins-
besondere negative Auswirkungen auf unser Ökosys-

tem und natürlich auch auf unsere Gesundheit vermu-
tet . Umso wichtiger war und ist es, dass das TAB im
Arbeitsbericht 104 dem Deutschen Bundestag und der
interessierten Öffentlichkeit eine unabhängige und wis-
senschaftlich fundierte Sicht auf die kritischen Aspekte,
aber auch auf die Potenziale der Grünen Gentechnik auf-
gezeigt hat . Mein Kollege hat zwar schon einige Sätze
dazu gesagt, was „Unabhängigkeit“ bedeutet . Aber ich
gehe erst einmal davon aus, dass unser TAB verschiede-
ne Seiten beleuchtet und wir als Auftraggeber dafür sor-
gen, dass die Unabhängigkeit gewahrt ist .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Grüne Gentech-
nik ist nur eines von vielen Beispielen, die verdeutlichen,
dass unsere Bürger zu Recht Transparenz und einen ehr-
lichen Dialog über den Nutzen, aber auch über die Ri-
siken fordern . Das spielt in der heutigen Diskussion in
der Gesellschaft nach wie vor eine zu geringe Rolle . Nur
wenn wir den Nutzen und die Risiken gleichermaßen be-
trachten, stellt sich die Akzeptanz von Innovationen ein .
Wenn wir das nicht machen, sind die Leute kritisch und
sagen: Ich weiß gar nicht, was auf mich zukommt . – Da-
mit verhindern wir Innovationen .

Um diese Akzeptanz herzustellen, ist es besser, die
Leute möglichst früh einzubeziehen . Die Forschungs-
einrichtungen, die Industrie und wir als Politiker müs-
sen darauf hinwirken, dass wir unsere Bürger in aktuelle
Entwicklungen einbeziehen, noch bevor vielleicht ein
Endprodukt da ist . Wir müssen einen kontinuierlichen
Dialog produzieren und die Partizipation der Menschen
von Anfang an ermöglichen .


(Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause)


Im Moment ist es bei vielen Dingen eigentlich eher
noch eine Einbahnstraße . Man sagt: Hier habt ihr ein Pro-
dukt; das müsst ihr jetzt schön finden. – Dann sagen die
Leute: Nein, das finden wir nicht unbedingt schön.


(Dr . Thomas Feist [CDU/CSU]: Beispiele!)


Da brauchen wir in der Gesellschaft noch mehr Diskussi-
on und Anregungen, auch aus unserem TAB heraus .

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ein wichtiger Part-
ner in diesem gesellschaftspolitischen Prozess ist, wie
gesagt, das TAB . Darum bin ich außerordentlich dank-
bar, dass Edelgard Bulmahn diese Idee auf den Weg ge-
bracht hat – das ist schon erwähnt worden – und Ulla
Burchardt das im Endeffekt maßgeblich mit unterstützt
hat . An dieser Stelle möchte ich auch dir, Patricia Lips,
danken – du stehst heute halt im Mittelpunkt –, danken
für dein Engagement, für deine Überzeugungskraft und
deine Geduld . An dieser Stelle also noch einmal ein ganz
herzlicher Dank an dich!


(Beifall im ganzen Hause)


Ich bin guter Dinge, dass wir 2040 an gleicher Stel-
le „50 Jahre TAB“ feiern können . Damit das TAB auch
dann auf der Höhe der Zeit ist, müssen wir es nach mei-
ner Meinung konzeptionell weiterentwickeln und auch
finanziell auf sicherere Füße stellen. Deswegen danke ich






(A) (C)



(B) (D)


der Opposition insbesondere, dass sie den Vorschlägen
zur finanziellen Aufstockung beipflichtet. Das ist ganz
großartig .


(Beifall der Abg . Dr . Daniela De Ridder [SPD] und Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Außerdem muss das TAB in die Lage versetzt wer-
den, mehr tagesaktuelle Themen zu bearbeiten und sei-
ne wertvolle Arbeit noch breiter in die Öffentlichkeit zu
tragen . Ich denke, die Bundestagsabgeordneten können
nicht der alleinige Adressat sein .

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich komme zum
Schluss . Das Büro für Technikfolgen-Abschätzung ist ein
ganz wertvoller Bestandteil sowohl des Bundestags als
auch unseres Ausschusses für Bildung und Forschung .
Seine Rolle ist nach meiner Meinung heute noch bedeu-
tender als vor 25 Jahren . Und: Die Bedeutung wächst
stetig . Ich würde mich daher freuen, wenn wir weiterhin
gemeinsam und vor allen Dingen parteiübergreifend wei-
ter an diesem Diamanten schleifen, um seine Leuchtkraft
noch zu verstärken .

Vielen Dank .


(Beifall im ganzen Hause – Dr . Thomas Feist [CDU/CSU]: Poesie in reiner Form!)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1815507500

Nächster Redner ist der Kollege Dr . Stefan Kaufmann,

CDU/CSU .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Stefan Kaufmann (CDU):
Rede ID: ID1815507600

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich

freue mich, dass auch unsere Ministerin Johanna Wanka
dieser Debatte beiwohnt und damit ihre Wertschätzung
für diesen Diamanten, wie Sie es, Frau Kollegin Raatz,
formuliert haben, zum Ausdruck bringt .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg . René Röspel [SPD])


25 Jahre wissenschaftliche Politikberatung beim Deut-
schen Bundestag: Das sind nahezu 200 vom Bundestag
beauftragte Studien zu gesellschaftlich folgenreichen
wissenschaftlich-technologischen Entwicklungslinien .
Aber auch Enquete-Kommissionen, Bundes- und Lan-
desministerien, Forschungs- und Bildungseinrichtungen,
Behörden, Unternehmen und interessierte Öffentlichkeit
nutzen die Ergebnisse der in den TAB-Berichten vor-
gestellten Szenarien und Handlungsoptionen . Dabei ist
das deutsche Büro für Technikfolgen-Abschätzung beim
Deutschen Bundestag – wir haben es gehört – mit seinen
25 oder genau genommen 26,5 Jahren nicht einmal das
älteste . Das OPECST in Frankreich besteht seit 1985 .
Die Europäische Union hat bereits 1987 ein TA-Büro,
das STOA, eingerichtet, und auch Großbritannien ver-
fügt seit 1989 über ein Parliamentary Office of Science
and Technology . Ich denke, wir sind uns einig hier im
Raum: Für unsere tägliche Arbeit als Parlamentarier ist
die wissenschaftlich fundierte Beratung unerlässlich .
Keiner von uns kennt alle Bereiche des medizinischen

Fortschritts, neuer Umwelttechnologien oder der neues-
ten digitalen Entwicklungen . Deshalb ist eine gründliche
Technikfolgenabschätzung unglaublich wertvoll .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ein Grundproblem der Technikfolgenabschätzung
möchte ich kurz ansprechen, das sogenannte Colling-
ridge-Dilemma . Es besteht darin, dass Wirkungen einer
Technologie nicht leicht vorhergesehen werden können,
solange die Technologie noch nicht ausreichend entwi-
ckelt oder verbreitet ist . Das Gestalten und Ändern, also
das, was unsere Aufgabe als Politik ist, wird jedoch umso
schwieriger, je fester die Technologie verwurzelt ist . In
den letzten Jahren sieht sich die Technikfolgenabschät-
zung zudem genötigt, stärker auf die zunehmenden Par-
tizipationsbestrebungen in der Gesellschaft einzugehen
und dafür neue Beteiligungsformen zu entwickeln .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Allerdings setzt sich die Technikfolgenabschätzung
durch eine pauschale Forderung nach mehr Partizipation
gelegentlich auch dem Vorwurf der bloßen Legitimati-
onsbeschaffung aus . Auch darüber müsste man vielleicht
einmal nachdenken .

Weil eben viel zu den Verfahren gesagt wurde, möchte
ich noch zwei aktuelle Beispiele zur Arbeit des TAB he-
rausgreifen, die mich besonders beeindruckt haben bzw .
die besonders neugierig machen .

Erstens ist das die bereits mehrfach zitierte Untersu-
chung zur Synthetischen Biologie aus dem Jahre 2015 .
Seit gut zehn Jahren werden wir mit dem Begriff der
Synthetischen Biologie, kurz: SynBio, konfrontiert . So
werden Forschungsvorhaben, Methoden und Verfahren
zu einem Umbau natürlicher Organismen bezeichnet,
die weiter gehen, als dies bisher mithilfe der Gentech-
nik möglich war . Das BMBF spricht in diesem Zusam-
menhang von Biotechnologie 2020+ . Darüber hinaus
wird auch gerne von Do-it-yourself-Biologie gespro-
chen . In der Gesellschaft ist dieses Thema jedoch bislang
kaum angekommen . Es war das Biotech-Start-up Glo-
wing Plant aus den USA, welches dieses Phänomen der
Do-it-yourself-Biologie erst weltweit bekannt gemacht
hat . Dieses Start-up will Glühwürmchen-DNA über Bak-
terien in Pflanzen injizieren und diese so im Dunkeln
zum Leuchten bringen . Damit könnte Licht ohne elektri-
sche Energie geliefert werden, was wiederum als natürli-
che Straßenbeleuchtung dienen könnte – eine irgendwie
faszinierende Vorstellung .


(Dr . Thomas Feist [CDU/CSU]: Shining!)


Es wird geschätzt, dass es weltweit etwa 4 000 sol-
cher Biohacker bzw . solcher Start-ups gibt . Für sie ist
DNA eine Programmiersprache, mit der sich beliebige
Objekte basteln lassen . Für einige ist natürlich die Ma-
nipulation von Organismen auch der nächste logische
Zivilisationsschritt . Es soll inzwischen sogar ein Start-up
geben, das einen 3-D-Drucker für lebendige Dinge bau-
en will . Ein Mitarbeiter dieses Start-ups wurde mit dem
Satz zitiert: „Alles, was lebt, ist nicht optimal . Es kann

Dr. Simone Raatz






(A) (C)



(B) (D)


verbessert werden .“ Oder noch extremer: „Es ist doch
offensichtlich, dass irgendwann einmal jeder Mensch an
einem Computer entworfen wird .“ Das wiederum, meine
Kolleginnen und Kollegen, ist eine eher erschreckende
Vorstellung .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Der hochinteressante TAB-Bericht hierzu zeigt aber
auch andere Anwendungen auf. Hierzu gehören modifi-
zierte Viren zur Krebsbekämpfung, genetisch veränderte
Stechmücken zur Kontrolle des Denguefiebers sowie die
Produktion des Pflanzenstoffes Artemisinin als wichti-
gem Bestandteil von Malariamedikamenten basierend
auf Mikroorganismen mit neu konstruierten Stoffwech-
selwegen . Angesichts dieser nahezu uferlosen Möglich-
keiten – dazu gehört im Übrigen auch die von Emma-
nuelle Charpentier entwickelte Gen-Schere – sind aus
meiner Sicht tatsächlich mehr Investitionen in die Bio-
sicherheitsforschung notwendig, um auch die Gefahren
des Missbrauchs von biowissenschaftlicher Forschung
im Allgemeinen und von Synthetischer Biologie im Be-
sonderen zu verringern .


(Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause)


Jedenfalls wird sich der Bundestag aus meiner Sicht
in Zukunft noch stärker mit diesem wichtigen Thema be-
schäftigen müssen . Der TAB-Bericht – da sind wir uns,
denke ich, auch alle einig – wird hierzu eine erste wichti-
ge Grundlage bieten .

Darüber hinaus bin ich gespannt auf das gerade lau-
fende Untersuchungsprojekt „Mensch-Maschine-Ent-
grenzungen – Zwischen künstlicher Intelligenz und Hu-
man Enhancement“ . Hierbei geht es vor allem um das
Thema „Verschmelzung von Mensch und Maschine“ .
Durch die extrem schell voranschreitende Digitalisierung
unserer Gesellschaft stellen sich hier natürlich weitrei-
chende Fragen .

Ich habe im November letzten Jahres der Gründung
des Max Planck ETH Centers for Learning Systems in
Tübingen beigewohnt . Dort wurden uns selbstlernende
Maschinen gezeigt . Sie kennen vielleicht das Spiel, bei
dem eine Schnur mit einer Kugel herunterhängt und man
versucht, die Kugel durch eine bestimmte Bewegung in
ein Loch zu bekommen . Man untersuchte diese Bewe-
gung, und es wurden dort Maschinen gezeigt, die nach
mehreren Dutzend solcher Versuche die ihnen gestell-
te Aufgabe mit einer 100-prozentigen Sicherheit lösen
konnten .

Weiter wurden Algorithmen vorgestellt, die anhand
Zehntausender Beispiele aus der Vergangenheit mit
70-prozentiger Wahrscheinlichkeit die nächste Hand-
lung eines Menschen vorhersagen können . Dazu nur eine
Zahl: Siri – Sie kennen das vom iPhone – beantwortet pro
Jahr – schätzen Sie einmal – 100 Milliarden mündliche
Anfragen . Das Wissen, das hier generiert wird, ist natür-
lich Big Data im besten Sinne und auch ökonomisch von
unschätzbarem Wert . Wenn Maschinen aber bereits in der
Lage sind, selbst zu lernen und mit einer 100-prozentigen
Präzision zu arbeiten, ist zu fragen: Welche Herausfor-

derungen ergeben sich daraus? Und gibt es irgendwann
sogar eine Maschine mit einem eigenen Bewusstsein?

Wie aktuell all diese Fragen sind – der Kollege hat
es schon angesprochen –, wurde mir auch bei meinem
Japanbesuch im Oktober letzten Jahres deutlich . Japan
steht vor einem demografischen Wandel, der noch viel
dramatischer ist als in Deutschland . Die Bevölkerungs-
zahl wird von 130 Millionen auf 100 Millionen herun-
tergehen . Japan setzt aber nicht etwa auf eine aktive
Familienpolitik oder gar auf eine Einwanderungspolitik,
sondern ganz massiv auf Robotik . Immer menschlicher
werdende Roboter sollen alte Leute pflegen, im Haushalt
helfen oder ihnen auch als Begleiter zur Seite stehen .
Dieser aus unserer Sicht durchaus befremdliche Ansatz
wird dort mit großem Aufwand vorangetrieben . Toshiba
zum Beispiel investiert allein in den USA 1 Milliarde
Dollar in die Erforschung künstlicher Intelligenz .

Meine Damen und Herren, es liegt an uns, die richti-
gen Fragen aufzuwerfen, die sich mit diesen Herausfor-
derungen verbinden, und entsprechende Aufträge zu er-
teilen . Ich bin froh, dass uns das TAB hierbei mit großer
Expertise und fundierten Analysen zur Seite steht . Dies
lassen wir uns übrigens – das Thema Geld wurde ange-
sprochen – durchaus etwas kosten .

Ich wünschte mir manchmal lediglich – auch das
sei angemerkt – eine etwas kompaktere Fassung der
TAB-Berichte . Das soll aber die insgesamt sehr positive
Bewertung der Arbeit des TAB überhaupt nicht schmä-
lern . Deshalb auch von meiner Seite aus abschließend
ein ganz herzliches Dankeschön an alle Verantwortlichen
bzw . Akteure und auch an dich, liebe Patricia Lips, für
diese wichtige Arbeit .

Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1815507700

Vielen Dank, Dr . Kaufmann . – Die nächste und letzte

Rednerin in der Debatte ist Dr . Daniela De Ridder für
die SPD .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1815507800

Vielen Dank . – Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe

Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und
Herren! Welchen Nutzen bringt das Klonen von Tieren,
und welche Gefahren birgt es? Kann die Kernfusion
sämtliche Energieprobleme der Zukunft lösen? Welche
Perspektiven hat der militärische Einsatz beispielsweise
unbemannter Drohnen? Wie beeinflussen die neuen elek-
tronischen Medien das Suchtverhalten von Menschen?
Dies – ich komme darauf im Übrigen gleich noch einmal
zurück – ist nur ein kleiner Auszug aus den über 100 Un-
tersuchungen, die das Büro für Technikfolgenabschät-
zung in den vergangenen 25 Jahren durchgeführt hat .
Die Analysen geben uns Abgeordneten des Deutschen
Bundestages regelmäßig Hinweise auf der Basis wissen-

Dr. Stefan Kaufmann






(A) (C)



(B) (D)


schaftlicher Erkenntnisse. Diese wiederum beeinflussen
unsere politischen Entscheidungen .

Sie haben es gehört: 1990 wurde das Büro für Tech-
nikfolgen-Abschätzung – kurz TAB genannt – vom Deut-
schen Bundestag genau mit dieser Absicht eingesetzt .
Man wollte ein Gegengewicht zu den von Eigeninteres-
sen beeinflussten Analysen der Wirtschaft schaffen. Der
Begriff „Unabhängigkeit“ wurde vorhin schon einmal
genannt . Noch eine Überlegung spielte damals eine ent-
scheidende Rolle, liebe Kolleginnen und Kollegen . Man
wollte nämlich die Bedenken der Menschen zerstreu-
en, die die technische Entwicklung mit immer größerer
Skepsis betrachten .

Heute stehen wir aber möglicherweise an einer ande-
ren Stelle . Wir müssen heute möglicherweise eher fra-
gen: Wie ist es denn mit dem Suchtverhalten in Bezug
auf elektronische Medien? Ich will jetzt gar nicht fragen,
wer während dieser Debatte, die wir jetzt führen, sein
Handy bedient hat und wer noch dabei ist . Ehrlich ge-
sagt, ich sehe sie, und die anderen sehen sie auch . Genau
das ist aber möglicherweise ein Phänomen, das es zu be-
schreiben gilt .

Als ich in den 1990er-Jahren noch wissenschaftlich
gearbeitet habe, verfolgte mich das Thema der sogenann-
ten kulturellen Diffusion des Handys . Gemeint war die-
ses Phänomen . Es ist ganz spannend, welche Beispiele
Sie aus der TAB-Liste herausgesucht und angesprochen
haben . Mich hat insbesondere das Thema des Suchtver-
haltens im Umgang mit Handys angesprochen und an das
erinnert, was ich selber einmal vorhatte wissenschaftlich
zu untersuchen, nämlich die kulturelle Diffusion des
Handys . Gemeint ist das Phänomen, dass Leute bei-
spielsweise in Zügen, Straßenbahnen, Cafés oder auch
im Deutschen Bundestag – wo auch immer – ihr Handy
bedienen, dabei Kündigungen schreiben, Liebeserklä-
rungen und Liebesschwüre abgeben oder vielleicht auch
Schluss machen, als ob sie eine Tarnkappe aufhätten .
Dieses Phänomen kennen Sie . Wir müssen uns immer
wieder fragen: Was bedeutet das eigentlich kulturell, was
bedeutet es für die Zukunft, und hat es vielleicht auch
etwas mit dem generativen Verhalten zu tun? Genau die-
sen Fragen ist das TAB nachgegangen . Sie können sich
vorstellen, dass es möglicherweise Folgeprojekte gibt .

Ich weiß, es ist nicht üblich, an einem Geburtstag
Wünsche an das Geburtstagskind zu richten . Ich will es
gleichwohl tun . Ich hätte gerade in diesem Kontext zwei
Fragen . Vielleicht sollten wir uns, da wir heute einmütig
zusammenstehen, überlegen, ob wir das TAB nicht be-
auftragen wollen, gerade in diesem Kontext zwei kriti-
schen Fragen nachzugehen .

Die eine Frage treibt Sie, liebe Kolleginnen und Kol-
legen von der Union, mit Sicherheit noch mehr um als
mich oder meine Fraktion, nämlich die Frage – auch das
hat etwas mit kultureller Diffusion zu tun –: Was war ei-
gentlich der Auslöser der Zunahme der Fluchtbewegun-
gen im vergangenen Jahr? Manche in meinem Wahlkreis
behaupten allen Ernstes, es seien die Selfies der Kanzle-
rin gewesen . Man kann das in Abrede stellen; aber man
sollte es tatsächlich einmal wissenschaftlich untersuchen .

Denn es gemahnt uns alle, wie wir mit unseren Handys
umgehen .

Eine zweite Frage gehört möglicherweise in diesen
Kontext: Wozu führt eigentlich das tägliche Lancieren
von Kurzbotschaften, etwa in Drei-Wort-Sätzen über
WhatsApp-Gruppen, beispielsweise von Botschaften der
AfD? Wie reagieren eigentlich junge Menschen, die noch
nicht politisch gefestigt sind, auf solche Botschaften, die
möglicherweise einen sehr manipulativen Charakter ha-
ben? Das sollte uns in der Tat sehr zu denken geben . Auch
hier wünschte ich mir eine entsprechende Untersuchung .

In der Tat begrüße ich die Debatte, die wir heute füh-
ren, deshalb umso mehr, weil es gilt, dem TAB nicht
nur zu danken, sondern ihm auch ganz großes Vertrauen
auszusprechen und seine Arbeit zu würdigen . Ich denke,
die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und die Leitung des
TAB wissen sehr genau, dass wir ihre Arbeit zu schätzen
wissen . Dies gilt umso mehr, liebe Patricia, für deine Ar-
beit .

Herzlichen Dank .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1815507900

Vielen Dank, liebe Kollegin De Ridder . Ihrem Dank

schließe ich mich an .

Ich schließe die Aussprache und bedanke mich für be-
denkenswerte Anregungen und Fragestellungen in dieser
spannenden Debatte .

Ich rufe jetzt die Tagesordnungspunkte 22 a und 22 b
auf:

a) Erste Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem
Vertrag vom 24. Oktober 2014 zwischen der
Bundesrepublik Deutschland und dem König-
reich der Niederlande über die Nutzung und
Verwaltung des Küstenmeers zwischen 3 und
12 Seemeilen

Drucksache 18/7450
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur (f)

Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicher-
heit

b) Erste Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem
Vertrag vom 28. April 2015 zwischen der Bun-
desrepublik Deutschland und der Tschechi-
schen Republik über die polizeiliche Zusam-
menarbeit und zur Änderung des Vertrages
vom 2. Februar 2000 zwischen der Bundes-
republik Deutschland und der Tschechischen
Republik über die Ergänzung des Europäi-
schen Übereinkommens über die Rechtshilfe
in Strafsachen vom 20. April 1959 und die Er-
leichterung seiner Anwendung

Drucksache 18/7455

Dr. Daniela De Ridder






(A) (C)



(B) (D)


Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss (f)

Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz

Es handelt sich um Überweisungen im vereinfach-
ten Verfahren ohne Debatte.

Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an
die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu
überweisen . – Sie sind damit einverstanden . Dann sind
die Überweisungen so beschlossen .

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 23 a bis 23 e sowie
22 c auf . Es handelt sich um die Beschlussfassung zu
Vorlagen, zu denen keine Aussprache vorgesehen ist .

Tagesordnungspunkte 23 a bis 23 e . Wir kommen zu
den Beschlussempfehlungen des Petitionsausschusses .

Tagesordnungspunkt 23 a:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petiti-
onsausschusses (2 . Ausschuss)


Sammelübersicht 277 zu Petitionen

Drucksache 18/7383

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-
hält sich? – Die Sammelübersicht 277 ist einstimmig an-
genommen .

Tagesordnungspunkt 23 b:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petiti-
onsausschusses (2 . Ausschuss)


Sammelübersicht 278 zu Petitionen

Drucksache 18/7384

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-
hält sich? – Sammelübersicht 278 ist angenommen mit
Zustimmung von CDU/CSU und SPD bei Gegenstim-
men der Linken und bei Enthaltung von Bündnis 90/Die
Grünen .

Tagesordnungspunkt 23 c:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petiti-
onsausschusses (2 . Ausschuss)


Sammelübersicht 279 zu Petitionen

Drucksache 18/7385

Bevor wir zur Abstimmung über diese Sammel-
übersicht kommen, erteile ich der Kollegin Martina
Stamm-Fibich das Wort zu einer ergänzenden Berichter-
stattung .


Martina Stamm-Fibich (SPD):
Rede ID: ID1815508000

Verehrte Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und

Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Jeder zehnte
Deutsche leidet unter Harn- und/oder Stuhlinkontinenz .
Experten sprechen sogar von einer Volkskrankheit . Den-
noch wagen viele Erkrankte nicht einmal einen Arztbe-
such, weil die Krankheit ein solches Tabuthema ist . Sie
werden durch ihre Scham vom gesellschaftlichen Leben
abgehalten . Ein Facharzt sagte zu mir sehr treffend: An
Inkontinenz stirbt man nicht, aber sie kann einem das
Leben nehmen . – Dabei kann man qualitativ gute Inkon-

tinenzprodukte bekommen, die viele Symptome lindern
können .

In den letzten Jahren hat sich die Qualität der Ver-
sorgung mit Inkontinenzhilfsmitteln jedoch massiv
verschlechtert . So liegt die Monatspauschale der ge-
setzlichen Krankenkassen für Inkontinenzhilfsmittel
aktuell zum Teil unter 12,50 Euro, aber für eine quali-
tativ hochwertige, angemessene Versorgung müssten es
mindestens 20 Euro sein . Die Konsequenz daraus sind
Aufzahlungen, die derzeit zwischen 50 und 100 Euro pro
Monat betragen, und die Betroffenen zahlen auf, weil die
Produkte, die sie bekommen, in Anzahl oder Qualität ein-
fach nicht ausreichen .

Menschen, die viel unterwegs sind, brauchen andere
Hilfsmittel als Menschen, die bettlägerig sind . Bei der
Versorgung mit Inkontinenzhilfsmitteln darf Wirtschaft-
lichkeit nicht der einzige Maßstab sein .


(Beifall bei der SPD und der LINKEN)


Krankenkassen müssen sicherlich nicht die individuelle
Farbauswahl der Hilfsmittel bezahlen, aber sie müssen
eine Versorgung sicherstellen, die die individuelle Le-
bensrealität der Betroffenen berücksichtigt . Vor zwei
Jahren ist deshalb eine Petition beim Deutschen Bundes-
tag eingegangen, in der die Abschaffung der Pauschale
für Inkontinenzhilfsmittel gefordert wird . Stattdessen
sollen die Krankenkassen einfach alle Kosten überneh-
men, die anfallen . Die Abschaffung dieser Pauschale un-
terstützt der Petitionsausschuss nicht, aber wir haben das
Problem erkannt und werden die Petition zur Erwägung
an das Bundesministerium für Gesundheit überweisen .
Ziel ist es, die Qualität der Versorgung zu verbessern . In-
dividuelle Bedürfnisse müssen durch die Krankenkassen
berücksichtigt werden, und Aufzahlungen für die Patien-
tinnen und Patienten dürfen nur dann vorkommen, wenn
der Bedarf über eine angemessene und qualitativ gute
Versorgung hinausgeht .

Mit dem Votum zu dieser Petition unterstreichen wir
bewusst einen Prozess, den wir bereits in Gang gesetzt
haben . In den mittlerweile zwei Jahren, in denen mich
die Petition begleitet, habe ich das Problem an vielen
Stellen deponiert, und die ersten Erfolge sind bereits zu
verbuchen .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie der Abg . Kersten Steinke [DIE LINKE])


So hat die Barmer GEK im Dezember 2015 ihre Aus-
schreibungen über aufsaugende Inkontinenzmittel ge-
stoppt . Die Krankenkasse setzt nun wieder auf klassische
Hilfsmittelverträge . Fast zeitgleich hat der GKV-Spit-
zenverband angekündigt, dass das Haus die sogenannte
Produktgruppe 15 „Inkontinenzhilfsmittel“ im Hilfsmit-
telverzeichnis überarbeiten wird . Hauptkriterium dieser
Überarbeitung wird die Qualität der Produkte sein .

Verehrte Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und
Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Wir haben
den Stein ins Rollen gebracht, aber wir sind noch nicht
am Ziel . Auf der politischen Ebene haben wir viele Ge-
spräche geführt . Das Bewusstsein für das Problem rund
um die Ausschreibungen ist gewachsen . Derzeit überar-
beitet das BMG die Regelungen der Hilfsmittelversor-

Vizepräsidentin Claudia Roth






(A) (C)



(B) (D)


gung . An den Ausschreibungen soll festgehalten werden,
aber neben dem Preis soll auch die Qualität entscheiden .
Das ist der entscheidende Schritt hin zu einer guten Ver-
sorgung der Betroffenen . Ich freue mich, dass der Petiti-
onsausschuss hier zu einem einstimmigen hohen Votum
gekommen ist .

Herzlichen Dank .


(Beifall bei der SPD und der LINKEN sowie der Abg . Michael Donth [CDU/CSU] und Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1815508100

Vielen Dank an die Frau Kollegin Stamm-Fibich, die

im Namen aller Fraktionen gesprochen hat .

Wir kommen jetzt zur Abstimmung über die Sammel-
übersicht 279 auf Drucksache 18/7385 . Wer stimmt da-
für? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die
Sammelübersicht 279 ist einstimmig angenommen .

Tagesordnungspunkt 23 d:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petiti-
onsausschusses (2 . Ausschuss)


Sammelübersicht 280 zu Petitionen

Drucksache 18/7386

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-
hält sich? – Sammelübersicht 280 ist angenommen mit
Zustimmung von CDU/CSU, SPD, Bündnis 90/Die Grü-
nen und Gegenstimmen der Linken .

Tagesordnungspunkt 23 e:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petiti-
onsausschusses (2 . Ausschuss)


Sammelübersicht 281 zu Petitionen

Drucksache 18/7387

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer
enthält sich? – Sammelübersicht 281 ist angenommen .
Zugestimmt haben CDU/CSU und SPD, dagegen waren
Bündnis 90/Die Grünen und die Linke .

Dann sind wir mit den Abstimmungen zu den Be-
schlussempfehlungen des Petitionsausschusses durch,
und ich komme zu Tagesordnungspunkt 22 c:

Beratung des Antrags der Abgeordneten Halina
Wawzyniak, Frank Tempel, Dr . André Hahn, wei-
terer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE

zu dem Vorschlag für eine Richtlinie des Eu-
ropäischen Parlaments und des Rates zur
Terrorismusbekämpfung und zur Erset-
zung des Rahmenbeschlusses 2002/475/JI
zur Terrorismusbekämpfung
KOM(2015) 625 endg.; Ratsdok. 14926/15

hier: Stellungnahme gemäß Artikel 6 des
Protokolls Nr. 2 zum Vertrag von Lissa-

(Grundsätze der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit)


Drucksache 18/7542

Wer stimmt für diesen Antrag? – Wer stimmt dage-
gen? – Wer enthält sich? – Der Antrag ist abgelehnt . Zu-
gestimmt hat die Linke . Dagegengestimmt haben CDU/
CSU und SPD . Enthalten hat sich Bündnis 90/Die Grü-
nen .

Jetzt rufe ich Zusatzpunkt 3 auf:

Aktuelle Stunde

auf Verlangen der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN

Stand der Aufklärung und Konsequenzen aus
dem Abgasskandal

Ich bitte die Kolleginnen und Kollegen, die Plätze zu
verlassen bzw . einzunehmen, damit wir zügig anfangen
können .

Dann eröffne ich die Aussprache und gebe das Wort an
Oliver Krischer für Bündnis 90/Die Grünen .


(Dr . Matthias Heider [CDU/CSU]: Herr Krischer sagt uns jetzt, die wievielte Aktuelle Stunde das ist!)



Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1815508200

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Der Abgasskandal ist jetzt seit fünf Monaten einer breiten
Öffentlichkeit bekannt, und inzwischen ist auch klar: Es
geht längst nicht mehr nur um VW . VW ist ohne Zweifel
die Spitze des Eisbergs, weil man dort mit eindeutig il-
legalen Methoden versucht hatte, Grenzen für Stickoxid-
emissionen zu umgehen .

Zumindest seit dem Wochenende ist auch die Ge-
schichte in sich zusammengefallen, dass es ein paar wild
gewordene Ingenieure im Konzern waren, die diese Ma-
nipulation veranlasst haben . Zumindest scheint es so,
dass die Konzernspitze davon wusste und das billigend
in Kauf genommen und weggeschaut hat .

Das ist das Problem bei VW . Aber der eigentliche
Skandal ist, dass das System der Manipulation der Ab-
gaswerte und der Überschreitung von Grenzwerten von
Abgasen allerorts und bei vielen Automarken stattfindet
und, meine Damen und Herren, dass die Branche das
nach wie vor billigend in Kauf nimmt . Das können wir
nicht länger hinnehmen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Jedem sollte jetzt klar sein, warum trotz Euro 4, 5 und
6 die Stickoxidwerte in unseren Städten nicht sinken .
Das ist beileibe keine Lappalie, sondern es ist ein gigan-
tisches Industrie- und Umweltproblem . Denn Tausende
Menschen sterben in unserem Land an den Folgen von
Verkehrsemissionen, und Zehntausende werden krank .

Jeder Verkehrsminister dieser Republik müsste alles
tun, um diesen Skandal zu bekämpfen und zu lösen, um
das Problem aus der Welt zu schaffen . Aber nach fünf
Monaten müssen wir feststellen: Was dieser Verkehrsmi-
nister Alexander Dobrindt zur Lösung dieses Problems

Martina Stamm-Fibich






(A) (C)



(B) (D)


beiträgt, ist gar nichts . Das ist inzwischen der Skandal
im Skandal .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Wir haben im Deutschen Bundestag Dutzende Anfra-
gen zum Thema gestellt, um herauszubekommen, was
das Verkehrsministerium denn eigentlich nun in Sachen
Abgasskandal tut . Die Antworten, die wir regelmäßig be-
kommen, sind eine solche Unverschämtheit – ich kann
kein anderes Wort dafür benutzen –, dass wir ernsthaft in
der Grünenfraktion überlegen, diese in gebundener Form
als Dokument und Beleg dafür herauszugeben, wie diese
Bundesregierung mit dem Thema Abgasskandal umgeht,


(Zuruf der Abg . Sabine Leidig [DIE LINKE])


aber auch, wie sie die Informationsrechte des Parlaments
missachtet . Das ist ein unglaubliches Umgehen mit dem,
was eigentlich notwendig wäre .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Ich will nur ein Beispiel nennen: Wir haben x-mal
gefragt, wer denn Mitglied dieser ominösen Untersu-
chungskommission ist, die unmittelbar nach Bekannt-
werden des Abgasskandals eingesetzt wurde . Wir haben
nie eine Antwort bekommen, bis heute nicht . Als das
an die Presse durchsickerte, weil jemand anders die In-
formation weitergegeben hat, wurde klar, warum diese
Information nicht weitergegeben wurde: Diese Untersu-
chungskommission – man glaubt es ja kaum – besteht aus
dem Minister, seinem Staatssekretär, ein paar Beamten
des Ministeriums und des Kraftfahrt-Bundesamtes und
einem Professor, der früher in der Verkehrswirtschaft ge-
arbeitet hat . Das sind genau die Leute, die jahrelang ent-
weder beim Skandal mitgemacht haben oder zumindest
weggeschaut und nicht gehandelt haben, trotz eindeu-
tiger Informationen . Dazu kann ich nur sagen, obwohl
ich als Grüner ein Freund von Tieren bin: Man kann die
Frösche nicht damit beauftragen, den Sumpf trockenzu-
legen . Aber genau das tun Sie .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Wenn Sie es ernst meinen würden, dann würden Sie
die Kritiker hereinholen, dann würden Sie unabhängige
Fachleute hereinholen . Weil Sie das nicht tun, ist völlig
klar: Sie wollen am Ende nicht aufklären und die nötigen
Konsequenzen nicht ziehen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Am Wochenende haben wir via Bild-Zeitung – da-
rin ist übrigens mehr zu lesen als in den Antworten auf
unsere Anfragen – erfahren, dass Dopingtests die große
Antwort sein sollen, Stichproben, die man hin und wie-
der nehmen soll . Mal abgesehen davon, dass ein grüner
Verkehrsminister das bereits im Oktober letzten Jahres
gefordert hat und die Union damals geschimpft und ge-
zetert hat, wie man Dopingtests fordern könne – jetzt for-
dert das Ihr eigener Minister –,


(Dr . Matthias Heider [CDU/CSU]: Das lesen Sie besser im Protokoll nach! – Herbert Behrens [DIE LINKE]: Wir brauchen Dopingtests im Ministerium!)


ist es unglaublich, dass fünf Monate nach Bekanntwer-
den des VW-Skandals die einzige Konsequenz aus dem
Abgasskandal ein paar Stichprobenuntersuchungen sein
sollen . Ich sage: Man kann über Dopingtests diskutieren,
was wir aber eigentlich brauchen, ist ein Drogentest für
diesen Minister, damit wir einmal herausbekommen, was
er zum Frühstück raucht, wenn er draußen im Land und
in der Welt erzählt, Deutschland sei vorbildhaft bei der
Aufklärung dieses Skandals . Das ist doch absurd . Das ist
Wirklichkeitsausblendung .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Widerspruch bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ich möchte die Gelegenheit nutzen, dem Minister
zwei Fragen zu stellen – er hat ja gleich Gelegenheit, da-
rauf zu antworten –:

Im Gegensatz zur EPA haben Sie VW einen Freifahrt-
schein erteilt . Es gibt eine Rückrufaktion, um eine neue
Software aufzuspielen . Als Kunde würde ich gerne wis-
sen: Wird mein VW in Zukunft die Grenzwerte für die
Abgasemissionen im Realbetrieb einhalten, ohne dass es
dabei zu einem Leistungsverlust kommt? Ich bitte Sie,
das klar zu beantworten . Das wäre der eine Punkt .

Ich bitte Sie, eine weitere Frage zu beantworten .


Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1815508300

Aber schnell .


Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1815508400

Ich komme zum Ende, Frau Präsidentin . – Wir haben

gelernt, dass die Abgasreinigungseinrichtungen bei Au-
ßentemperaturen unter 10 Grad nicht richtig funktionie-
ren . Ich würde gerne von Ihnen hören, Herr Dobrindt: Ist
es legal, dass die Automobilunternehmen die Abgasrei-
nigungseinrichtungen abschalten? Was unternehmen Sie
dagegen? Was sagen Sie zu diesen Vorwürfen? Nach fünf
Monaten Beschäftigung mit dem Thema will ich hier ein-
mal eine klare Aussage von Ihnen zu dem Thema hören:
Ist es nicht nur VW, arbeitet am Ende die gesamte Auto-
mobilwirtschaft mit Manipulationen?


(Daniela Ludwig [CDU/CSU]: Das sind bösartige Unterstellungen, die nicht zu beweisen sind!)


Laufen Sie nicht mit so einem Unsinn durch die Gegend,
dass es nur einiger Dopingtests bedürfe . Das reicht an der
Stelle nicht .

Ich danke Ihnen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1815508500

Vielen Dank, Kollege Krischer . – Das Wort hat nun

Minister Alexander Dobrindt .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Daniela Ludwig [CDU/ Oliver Krischer CSU]: Kriegen wir alle zwei Minuten mehr Redezeit?)





(A) (C)


(B) (D)


Alexander Dobrindt, Bundesminister für Verkehr
und digitale Infrastruktur:

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und
Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Verehrter Herr
Krischer, Ihr ewiges Abspulen der immer gleichen Leier
aus der grünen Mottenkiste ist an Einfallslosigkeit wirk-
lich nicht zu überbieten .


(Beifall bei der CDU/CSU – Lachen des Abg . Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Jutta Krellmann [DIE LINKE]: Doch! Von Ihnen!)


Aber wenn sich hier im Deutschen Bundestag ein Grü-
ner hinstellt und sagt, man dürfe die Frösche nicht fra-
gen, wenn man den Sumpf trockenlegen will, dann bitte
ich die Umweltschützer, ihre Beschwerden an die grüne
Fraktion zu richten . Es ist ja unglaublich, Herr Krischer,
was sich da auftut .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD – Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das hat er so aber gar nicht gesagt! – Weitere Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Na, na, na! – Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Der war billig!)


Ich kann Ihnen sagen: Wir haben beim Umgang mit dem
VW-Skandal eine klare Strategie .


(Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Ja! Abwarten und nichts machen!)


Wir treiben die Umsetzung auch energisch voran . Wir
klären auf . Die Fehler werden beseitigt und die Prozesse
optimiert . Das ist der Leitfaden zur Bewältigung der Kri-
se, meine Damen und Herren .


(Dr . Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein, das ist Ihre Unfähigkeit! – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nichts machen Sie!)


Zur Aufklärung . Wir haben unmittelbar nach Bekannt-
werden der Vorwürfe eine Untersuchungskommission
eingesetzt . Diese Untersuchungskommission hat seitdem
über 30-mal getagt .


(Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Interessant! Das sagen Sie!)


Sie hat strenge, spezifische Nachprüfungen angeordnet,
übrigens nicht nur bei Volkswagen, sondern auch bei ei-
ner Reihe anderer Hersteller aus dem In- und Ausland .
In Unterlagen wird Einsicht genommen . Wir fordern und
begleiten die Aufklärung durch das Unternehmen aktiv .
Wir machen Volkswagen klare Vorgaben, wie der Scha-
den zu beseitigen ist .


(Sabine Leidig [DIE LINKE]: Welche? – Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Welche denn?)


Das ist im Interesse der Kunden, im Interesse des Auto-
mobilstandorts Deutschland und auch im Interesse von

Hundertausenden von Mitarbeitern in der Automobilin-
dustrie,


(Dr . Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Haben Sie eigentlich auch noch was anderes außer ein paar Sprechblasen?)


die ihre Arbeit jeden Tag korrekt und gewissenhaft ma-
chen und es nicht verdient haben, von Ihnen unter Gene-
ralverdacht gestellt zu werden .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Hat keiner gemacht!)


Die Zusammenarbeit zwischen unserer Untersu-
chungskommission und Volkswagen funktioniert übri-
gens kooperativ .


(Dr . Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das glaube ich ausnahmsweise! – Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Man könnte auch „Seilschaft“ dazu sagen!)


Das Unternehmen arbeitet erkennbar engagiert daran,
seiner Verantwortung nachzukommen und den entstan-
denen Schaden zu korrigieren .


(Sabine Leidig [DIE LINKE]: Wie?)


Die Untersuchungskommission hat eine großangelegte
Überprüfung aller betroffenen VW-Dieselmodelle und
aller Volumenhersteller angeordnet. Diese Tests finden
nicht nur im Labor, also auf der sogenannten Rolle, son-
dern auch unter realen Bedingungen, das heißt auf der
Straße, statt . Es gibt an dieser Stelle auch Cross-Checks .
Sobald diese Nachprüfungen abgeschlossen sind, wird
ein Gesamtergebnis vorliegen;


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das sagen Sie schon seit drei Monaten!)


das ist Ihnen bekannt, es ist Ihnen mehrmals mitgeteilt
worden .


(Sabine Leidig [DIE LINKE]: Nein! Wann?)


Übrigens werden die Ergebnisse, die im Rahmen der
Tests bei unseren Messungen erzielt werden, in dem Ge-
samtbericht detailliert veröffentlicht werden .


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wann denn? Wann kommt der? Sagen Sie mal!)


Das ist die Aufgabe, der wir nachkommen, um festzustel-
len, wie die ganze Branche mit diesem Thema umgeht .
Das ist ein wesentlicher Teil der Aufklärung, die durch
die Untersuchungskommission durchgeführt wird .

Zur Fehlerbeseitigung . Wir haben Volkswagen bereits
im Oktober letzten Jahres aufgefordert, einen verbindli-
chen Maßnahmen- und Zeitplan mit technischen Lösun-
gen zur Beseitigung der Abschalteinrichtungen vorzule-
gen . Dabei haben wir auch klar zum Ausdruck gebracht,
dass die Umrüstungen unter keinen Umständen zum
Nachteil der Kunden durchgeführt werden dürfen . Volks-
wagen hat die Software- und Hardwarelösungen fristge-

Vizepräsidentin Claudia Roth






(A) (C)



(B) (D)


recht vorgelegt . Daraufhin hat das Kraftfahrt-Bundesamt
für die betroffenen Fahrzeuge verpflichtend den Rückruf
angeordnet. Das heißt, ein verpflichtender Rückruf hat
begonnen . Bereits im Januar dieses Jahres ist mit dem
Amarok die erste Fahrzeugkategorie in den Rückruf und
die Umrüstung gegangen .


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Oh ja! 4 000 Stück in Deutschland!)


Damit hat Volkswagen eine weitere unserer Vorgaben
erfüllt .

Wir erwarten, dass jetzt Zug um Zug weitere Modelle
in die Werkstatt zurückgerufen werden, um sie in einen
regelkonformen Zustand zu bringen . Das nächste Modell
wird der Passat sein . Er wird im März zum Rückruf kom-
men .

Das ist ein notwendiger Prozess für die Kunden, aber
auch für Volkswagen, um Vertrauen zurückzugewinnen .
Ich betone hier ganz ausdrücklich: Wir sind hier deutlich
weiter als alle anderen Länder . Auch die Beispiele, die
Sie genannt haben, zeigen das . Die technischen Lösun-
gen sind in Deutschland erarbeitet und befinden sich be-
reits im Umsetzungsprozess .


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist doch wohl zum Lachen! Sie machen nichts!)


Der Rückruf ist angeordnet, und die Fahrzeuge werden
in einen regelkonformen Zustand gebracht . Das ist die
Wahrheit, Herr Krischer .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, da wird Software aufgespielt! Reduzieren Sie mal die Emissionen! – Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Die Wahrheit ist: Sie haben nichts gemacht!)


Wir optimieren die Prozesse .


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie „optimieren die Prozesse“!)


Ja, es ist richtig, dass die Untersuchungskommission auch
an einem umfassenden Maßnahmenpaket im Zusammen-
hang mit zukünftigen Zulassungsverfahren arbeitet .


(Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich habe jetzt schon ganz oft die Worte „Maßnahmen“ und „Paket“ gehört, nur nicht, was drin ist!)


Klar ist dabei heute schon, dass wir die Offenlegung der
Motorsoftware gegenüber der Typgenehmigungsbehörde
und übrigens auch die Rotation der technischen Prüf-
dienste vorschreiben werden .

Außerdem wird ein Antischadstoff-Dopingtest für Au-
tos eingeführt . Das heißt, jedes Jahr werden Fahrzeuge
unangemeldet aus dem bestehenden Markt herausge-
nommen und auf ihren Schadstoffausstoß und ihre Re-
gelkonformität getestet . Dazu bauen wir eigene staatliche
Prüfstände beim Kraftfahrt-Bundesamt unter Aufsicht
des Bundesverkehrsministeriums auf .

Das sind schlagkräftige Maßnahmen, damit jedem
auch zukünftig klar ist: Der Versuch von Manipulation
bleibt nicht unentdeckt .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Darüber hinaus haben wir auf europäischer Ebene –
auch das ist von Ihnen in den vergangenen Wochen ja
kritisiert worden – die RDEs, die Real Driving Emissi-
ons, beschlossen . Das heißt, wir werden die Emissionen
zukünftig nicht mehr nur auf der Rolle, sondern auch real
auf der Straße kontrollieren . Konkret geht es schlichtweg
darum, dass wir die Tests dem realen Fahrverhalten der
Autofahrer annähern . Darüber hat es in Europa in der Tat
eine lange Debatte gegeben, und es war die Bundesre-
gierung, die im letzten Jahr dafür gesorgt hat, dass eine
weitere Dynamik in diese Debatte gekommen ist .

Inzwischen ist die Entscheidung in Brüssel gefallen,
dass die RDEs eingeführt werden . Vor wenigen Tagen hat
übrigens auch das Europäische Parlament zugestimmt,
sodass dem nichts mehr im Wege steht .

Auch das ist ein notwendiger Schritt, um bei der
Kontrolle des Schadstoffausstoßes zukünftig das Fahr-
verhalten der Kunden stärker zu berücksichtigen . Herr
Krischer, auch hier war es die Bundesregierung, die ge-
handelt und dafür gesorgt hat, dass Europa jetzt endlich
zu Entscheidungen gekommen ist .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist ja wohl Hohn!)


Herr Krischer, Sie haben der Bundesregierung heute
hier und in ähnlicher Form auch vor wenigen Tagen öf-
fentlich „Kumpanei“ – wörtlich – vorgeworfen .


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja! – Herbert Behrens [DIE LINKE]: Recht hat er!)


Ich will Ihnen an dieser Stelle sagen: Die Partnerschaft
zwischen Wirtschaft, Gesellschaft und Politik ist die
Grundlage der sozialen Marktwirtschaft, und Partner-
schaft ist keine Kumpanei .


(Beifall bei der CDU/CSU – Herbert Behrens [DIE LINKE]: Aber die Verbraucher fehlen, Herr Minister! – Dr . Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Herr Dobrindt, hören Sie auf, die soziale Marktwirtschaft zu beleidigen! Die soziale Marktwirtschaft ist nicht schuld an dem VW-Skandal und an Ihrer Unfähigkeit!)


Wir klären im Sinne der Kunden, der Wirtschaft und der
Beschäftigten in dieser Branche auf .


(Dr . Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So geht es wirklich nicht! VW als Musterbeispiel der sozialen Marktwirtschaft zu erklären!)


Ihr Kollege Winnie Hermann, der Verkehrsminister in
Baden-Württemberg, lässt sich öffentlich damit zitieren:

Bundesminister Alexander Dobrindt






(A) (C)



(B) (D)


Mit 750 000 Arbeitsplätzen ist die Automobilindus-
trie nicht . . . so bedeutend, wie sie tut .

Ich kann Ihnen nur dringend empfehlen: Sagen Sie genau
dieses und Ähnliches in den nächsten Wochen noch sehr
oft, damit Sie am 13 . März 2016 auch die entsprechende
Antwort der Menschen dafür bekommen .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1815508600

Vielen Dank, Herr Dobrindt . – Nächster Redner in der

Debatte: Herbert Behrens für die Linke .


(Beifall bei der LINKEN)



Herbert Behrens (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1815508700

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Wir erinnern uns: Der VW-Konzern umging mit hoher
krimineller Energie Abgasbestimmungen, um bei Diesel-
motoren zu täuschen . Doch nicht nur Autos und Auto-
fahrer auf dem amerikanischen Markt waren betroffen,
sondern 11 Millionen Fahrzeugbesitzer weltweit .

Mit der Manipulationssoftware wurden nicht nur Kun-
dinnen und Kunden getäuscht, sondern vorsätzlich wurde
die Gesundheit derjenigen geschädigt, die nicht im Auto
sitzen, die in den Städten unterwegs sind, die an Straßen
mit viel Autoverkehr wohnen, weil sie sich die Wohnun-
gen in besseren Vierteln nicht leisten können . Diesen
Skandal prangern wir an . Wir machen deutlich, dass hier
Profit vor Gesundheit geht, und das ist inakzeptabel.


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Sören Bartol [SPD]: Hören Sie auf mit dem Populismus! Ich hab keinen Bock mehr!)


Der VW-Konzern ist in eine schwere Schieflage gera-
ten . Mehrere Milliarden Euro müssen zurückgestellt wer-
den, um Strafen, Schadenersatzforderungen und Nach-
rüstungen zu bezahlen . Die Belegschaft im Konzern ist
hoch beunruhigt . Sie ängstigt sich, weil sie nicht weiß,
was auf sie zukommt . Weniger Absatz, weniger Geld für
Entwicklung und Forschung für sinnvolle Produkte auf
dem Fahrzeugmarkt bedrohen die Arbeitsplätze . Die Ze-
che zahlen die Leiharbeiter, die ihren Arbeitsplatz verlie-
ren, und die Festangestellten, die auf vereinbarte Prämien
verzichten müssen, schon jetzt . Noch beunruhigender ist,
dass kein Ende des Skandals in Sicht ist . Darum ist die
zügige Aufklärung so dringend nötig .


(Beifall bei der LINKEN)


Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen haben Vorschläge
gemacht, wie man das hinbekommt . Die Anträge liegen
vor . Die hätten Sie sich ansehen können, um beispiels-
weise Maßnahmen, die in der Kommission offenbar be-
raten worden sind, zu bewerten . Von den Koalitionsfrak-
tionen kam bis heute nichts – Fehlanzeige!

Sie, werte Kolleginnen und Kollegen von den Koaliti-
onsfraktionen, verlassen sich offenbar auf Ihren Chefauf-

klärer, Minister Dobrindt . Ich glaube, wenn man sich auf
ihn verlässt, dann ist man schon verlassen .


(Beifall bei der LINKEN – Sabine Leidig [DIE LINKE]: Allerdings!)


Denn was haben Sie, Herr Dobrindt, als Chefaufklärer
unternommen? Sie haben Schlagzeilen geliefert, indem
Sie ganz fix eine Expertenkommission einberufen ha-
ben . Doch wer die Experten waren – wir haben es gerade
gehört –, war lange nicht herauszufinden. Erst Monate
danach waren Sie quasi gezwungen, zu erzählen, wer in
der Kommission sitzt . Damit haben Sie eine öffentliche
Kontrolle verhindert . Sie haben verhindert, dass wirklich
unabhängige Experten zum Zuge kommen, um das zu
untersuchen, was notwendig ist . Sie haben keine Unter-
suchungskommission gebildet, sondern eine Beratungs-
kommission gegründet . So hörte sich das an, was Sie
gerade vorgestellt haben .

Die Böcke, die jetzt als Gärtner tätig sind, haben in-
zwischen 36-mal getagt . Ergebnisse – Sie haben eben
gesagt, es gäbe ganz viele, offiziell wissen wir von kei-
nem – oder Empfehlungen, die dabei herausgekommen
sind? Fehlanzeige oder geheim! Sie verweisen uns auf
den Abschlussbericht, sagen aber nicht, wann dieser
kommt . Ich wäre schon froh, wenn wir einmal einen
Zeitrahmen hätten .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Sie haben die Schlagzeilenproduktion weiter ohne
Substanz angereichert durch Ihre merkwürdige Ankün-
digung einer Dopinguntersuchung . Dabei haben Sie völ-
lig aus dem Blick verloren, dass es hier um die Gesund-
heitsgefährdung von Zehntausenden von Menschen geht .
An der Stelle haben Sie Ihre Aufgabe überhaupt nicht
wahrgenommen . Sie sind nicht mit der Automobilindu-
strie massiv in die Auseinandersetzung gegangen, um zu
erklären, was geht und was nicht geht, sondern Sie haben
sich darauf beschränkt, zu sagen: Wir prüfen . – Aber Sie
müssen doch diejenigen an die Kandare nehmen, die Ur-
sache dieser Prüfung sind, damit sich der Skandal nicht
wiederholen kann .


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wir haben Ihnen in unseren Anträgen Alternativen
vorgelegt . Die Linke fordert unter anderem eine von der
Automobilindustrie unabhängige Expertenkommission .
Die Mitglieder sollen von Umwelt- und auch von Ver-
braucherschutzverbänden benannt werden .


(Beifall bei der LINKEN)


Wir brauchen die Verkehrs- und Automobilklubs am
Tisch, weil dort auch Experten zu finden sind.


(Arno Klare [SPD]: ADAC!)


Die Dobrindt-Kommission ist aufzulösen . Möglicher-
weise vorhandene Ergebnisse mögen bitte der neuen Ex-
pertenkommission übergeben werden .

Um die Beschäftigten des VW-Konzerns, die für die-
sen Betrug nicht verantwortlich sind, vor den Folgen
zu schützen, muss die Bundesregierung alle rechtlichen

Bundesminister Alexander Dobrindt






(A) (C)



(B) (D)


Möglichkeiten ausschöpfen, um die wirklich Verantwort-
lichen auch finanziell zur Kasse zu bitten.


(Beifall bei der LINKEN)


Das ist schwer durchzusetzen, das ist mir bewusst; denn
die Bundesregierung hat andere Prioritäten . Die Kanzle-
rin, der Wirtschaftsminister und auch Sie, Herr Minister
Dobrindt, treffen sich zwar mit den Chefs der mächtigen
Automobilkonzerne im Land, doch es geht bei diesen
Gesprächen zwischen Regierenden und Herrschenden
nicht um die Klärung dringender Fragen, sondern um
eine Industriepolitik ganz anderer Art . Man berät über
Kaufprämien für Elektroautos .

Am Ende dieser Diskussion – damit komme ich zum
Schluss – sollten wir uns auf gemeinsame Ziele verstän-
digen .

Erstens. Gesundheit vor Profit.


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


Der Abgasskandal macht deutlich, dass wir hier erst am
Anfang sind .


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


Zweitens . Wir brauchen eine sozial-ökologische Wen-
de in der Mobilitätspolitik in Deutschland . Es hat sich
gezeigt: Wir müssen Umweltpolitik und Mobilitätspoli-
tik zusammen denken . Ansonsten haben wir ein Problem .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Drittens . Dieser Verkehrsminister – da gehen Sie von
den Koalitionsfraktionen sicherlich nicht mit mir kon-
form – muss aus dem Verkehr gezogen werden . Er ist er-
neut mit dem gescheitert, was er sich vorgenommen hat .
Er klärt nicht auf, sondern verschleiert weiter .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Michael Donth [CDU/CSU]: Blödsinn!)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1815508800

Vielen Dank, Kollege Behrens . – Der nächste Redner

ist Arno Klare für die SPD .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Arno Klare (SPD):
Rede ID: ID1815508900

Frau Präsidentin! Sehr verehrte Damen und Herren!

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es gibt einen Satz, den
man George Washington zuschreibt, der da lautet: Ver-
trauen ist eine sehr langsam wachsende Pflanze. – Er hat
recht . Ich füge hinzu – das ist gewissermaßen ein Insider-
witz –: „Defeat Devices“ sind in diesem Zusammenhang
kein guter Dünger . Das sind die Softwarepakete, die da-
für sorgen, dass das Fahrzeug die Überprüfung erkennt
und die Abgasregelung ein wenig anders gestaltet wird .

Ich habe an dieser Stelle in einer Aktuellen Stun-
de – ich glaube, das ist schon einige Monate her – fünf
Punkte vorgestellt, die mir wichtig waren und die man
im Zusammenhang mit diesem Skandal anpacken soll-

te . Ich habe seinerzeit gefordert – das war wirklich das
erste Mal, dass das überhaupt gesagt worden ist –: Der
Quellcode der emissionsrelevanten Motorsoftware muss
offengelegt werden .


(Beifall bei der SPD – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ist der offengelegt?)


Ich habe damals von dem Verbraucherzentrale Bun-
desverband eine E-Mail bekommen, in der stand: End-
lich hat das einmal jemand gesagt . – Dass das jetzt von
der Politik in die allgemeine Begrifflichkeit übernommen
worden ist, erweist sich als sehr positiv, wie ich finde.
Natürlich muss der Datenschutz in diesem Zusammen-
hang gewährleistet sein . Man greift schließlich auf das
Allerheiligste zu; das muss man einfach sehen . Die Mo-
torsteuerungssoftware kann man nicht einfach wie eine
Open-Source-Software behandeln .

Ich habe damals in derselben Rede gesagt, dass es so
etwas wie eine Kontrolle nach der ersten Kontrolle zur
Typengenehmigung geben muss und diese immer wie-
der neu erfolgen muss . Ich habe auch erklärt, dass diese
Kontrolle beim KBA, beim Kraftfahrt-Bundesamt, an-
gesiedelt sein kann . Ob man dafür nun das Wort „Do-
pingkontrolle“ verwenden, ist eine semantische Beson-
derheit, aber es trifft genau das, was ich damals gesagt
habe . Insofern bin ich relativ zufrieden darüber, dass der
Minister meiner Forderung nachgekommen ist .


(Beifall bei der SPD)


Ich habe noch etwas hinzugefügt . Wichtig wäre für
mich auch, dass man bei der Abgasuntersuchung nicht nur
die On-Board-Unit ausliest, sondern hinten am Endrohr
misst . Die Formulierung, über die Kollege Wichtel, in
dessen Richtung ich jetzt schaue, seinerzeit gelächelt hat,
war: Analog schlägt in diesem Fall digital . – Der Mei-
nung bin ich auch heute . Ich glaube, das muss bei der
Dopingkontrolle noch ergänzt werden .

Wir haben auch einen neuen Testzyklus vereinbart .
Dazu gehört natürlich der Real-Driving-Emission-Test,
um das, was auf dem Prüfstand gemessen wird, zu vali-
dieren . Ich sage aber an dieser Stelle noch einmal, ohne
es in meiner begrenzten Redezeit ausführen zu können:
Es wäre systemfremd, zu erwarten, dass dieser Konfor-
mitätsfaktor bei eins liegt . Der Real-Driving-Emissi-
on-Test findet auf der Straße statt, während der Labortest
im Labor, also auf der Rolle, stattfindet. Diesen Test eins
zu eins umzusetzen, geht nur, wenn der Labortest mit
dem Real-Driving-Emission-Test identisch ist, sodass ich
diesen Test gar nicht mehr brauche . Aber das will keiner .
Also wird der Konformitätsfaktor oberhalb von eins lie-
gen müssen .


(Sabine Leidig [DIE LINKE]: Nein! – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Messwert ist Messwert! Wir brauchen keinen Konformitätsfaktor!)


Auf eines möchte ich noch hinweisen: Das Unterneh-
men selbst, der große VW-Konzern und seine Teilkon-
zerne, unternimmt selber entsprechende Anstrengungen .
Ich war vor kurzem in Werlte . Das ist in Niedersachsen,
also in der Heimat von Kirsten Lühmann, aber ein biss-

Herbert Behrens






(A) (C)



(B) (D)


chen weiter im Westen gelegen . Dort läuft eine Anlage
in industriellem Maßstab, die Wasserstoff produziert und
diesen dann in Methan umwandelt . Dieses Methan wird
ins Netz eingespeist, und man kann damit Fahrzeuge an-
treiben . Das, was dort mit einem Rieseninvestment ge-
macht wird, ist CO2- und THG-neutral . VW wird – wahr-
scheinlich in Salzgitter – neben einem Stahlwerk eine
weitere dieser Anlagen bauen . Dieses Engagement sollte
man durchaus honorieren . Denn bisher lohnen sich diese
Anlagen betriebswirtschaftlich nicht .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ich komme zum Schluss . Ich habe am Anfang gesagt,
dass Vertrauen eine sehr langsam wachsende Pflanze ist.
Ich bin relativ sicher, dass diese Pflanze auch einen ver-
nünftigen Dünger braucht . Wenn man alles, was ich gera-
de schon gesagt habe, einmal Revue passieren lässt, dann
ist das der Dünger, der im Moment bereits ausgebracht
wird . Ich bitte um ein wenig Geduld, bis er wirkt .

Von Ihnen, Herr Krischer – das ist mein Schlusssatz –,
habe ich an dieser Stelle in der x-ten Aktuellen Stunde
inhaltlich außer Polemik und lautstarkem Schreien nichts
gehört . Das ist eine Bankrotterklärung grüner ökologi-
scher Politik .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1815509000

Vielen Dank, Herr Kollege Klare . – Nächster Redner:

Oliver Wittke für die CDU/CSU-Fraktion .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Oliver Wittke (CDU):
Rede ID: ID1815509100

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen!

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wenn ich es
nicht besser wüsste, dann würde ich denken, heute sei der
2 . Februar . Sie wissen: Der 2 . Februar ist in den Vereinig-
ten Staaten der Murmeltiertag . Als ich gelesen habe, dass
die dritte Aktuelle Stunde zum Thema Abgasskandal
beantragt worden ist, habe ich in der Tat daran gedacht:
Und täglich grüßt das Murmeltier . Fällt Ihnen eigentlich
gar nichts Neues mehr ein, Herr Krischer?


(Beifall bei der CDU/CSU – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir würden gerne mal Ergebnisse sehen!)


Es ist in der Tat so, dass Sie keinem anderen politi-
schen Thema im vergangenen halben Jahr so viele Ak-
tuelle Stunden eingeräumt haben wie dem Abgasskandal
bei VW .


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Frauenquote!)


Man hat ein Stück weit den Eindruck, es geht Ihnen gar
nicht um Aufklärung oder darum, Neues auf den Weg zu
bringen . Denn sonst würden Sie endlich Ihre Anträge zur
Abstimmung ins Parlament einbringen .


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben die Anträge verhindert! Das ist ja nun wirklich das Allerletzte!)


Es geht Ihnen vielmehr darum, Ihren Feldzug gegen das
Automobil fortzusetzen, daher spielen Sie immer wie-
der dieselbe Schallplatte . Es ist immer wieder dieselbe
Leier . Wir sind dessen überdrüssig; denn Sie werden am
Ende nicht damit durchkommen . Die Automobilindustrie
ist und bleibt eine starke Branche in Deutschland, und
wir werden dazu beitragen, dass das auch künftig so sein
wird .


(Beifall bei der CDU/CSU – Dr . Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das glaube ich! Ich meine, ich glaube Ihnen, dass Sie weiter versuchen werden, das zu vertuschen! Das schwächt die Automobilindustrie, aber stärkt sie nicht!)


Im Übrigen haben Sie heute zum wiederholten Male
den Versuch unternommen, Herr Krischer, in untaugli-
cher Art und Weise das kriminelle Verhalten eines ein-
zelnen Unternehmens auf eine ganze Branche zu übertra-
gen . Das ist nicht seriös .


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Stickstoffemissionen sind zu hoch!)


Ganz im Gegenteil: Es ist eine bodenlose Unverschämt-
heit, dass Sie einer gesamten Branche unterstellen, sie
würde in betrügerischer Absicht Recht brechen .


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Werte sind zu hoch!)


– Nein, das ist nicht der Fall . Sie sind uns bis zum heu-
tigen Tage den Nachweis schuldig geblieben, wo andere
deutsche Automobilkonzerne sich angeblich rechtswid-
rig verhalten haben .


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie sind zu hoch!)


– Sie behaupten es immer wieder . Sie unterstellen es im-
mer wieder, aber es stimmt nicht . Sie können den Nach-
weis nicht erbringen, weil der VW-Fall ein Einzelfall in
Deutschland ist .


(Beifall bei der CDU/CSU – Dr . Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was Sie sagen, ist einfach offensichtlich falsch! Lesen Sie doch mal nach!)


Das Gleiche gilt im Übrigen für den Kollegen Kühn
von den Grünen . Der Kollege Kühn hat am 25 . Septem-
ber an diesem Pult erklärt, die deutsche Automobilindu-
strie habe nicht nur einen Kratzer abgekommen, sondern
einen Kollateralschaden erlitten . Der Lack sei ab, so der
Kollege Kühn wörtlich .

Ich will Ihnen die Absatzdaten der deutschen Auto-
mobilindustrie der letzten Monate vortragen: Daimler
hat 2015 ein Plus von 12 Prozent erzielt, BMW ein Plus
von 6 Prozent . VW – hören Sie jetzt gut zu! – hat im
ersten Monat dieses Jahres, im Januar 2016, ein Plus von
3,7 Prozent erzielt . Das alles fällt doch nicht vom Him-
mel . Wenn die Autos so schlecht wären, wären sie doch
nicht weltweit nachgefragt . Die Automobilindustrie in
Deutschland ist nach wie vor eine Spitzentechnologie,

Arno Klare






(A) (C)



(B) (D)


die mit Innovationen dazu beiträgt, Mobilität sicher, sau-
berer und erschwinglich zu machen .


(Beifall bei der CDU/CSU – Bernhard Kaster [CDU/CSU]: Mit Tausenden von hochqualifizierten Arbeitnehmern!)


Gleichwohl gilt – das will ich an dieser Stelle noch
einmal ausdrücklich zu Protokoll geben –: Die Betrüge-
reien, die es bei VW gab, sind nicht nur ärgerlich; sie
sind auch zu ahnden . Da muss es Konsequenzen geben .
Aber Konsequenzen zieht man erst nach einer intensiven
Analyse dessen, was passiert ist, und nach einer Bewer-
tung der Vorgänge . Erst danach kann man Konsequenzen
ziehen . Deshalb war das Vorgehen des Bundesverkehrs-
ministers und des BMVI absolut richtig, zuerst einmal
in Ruhe zu analysieren, was da passiert ist und was wir
tun können, damit so etwas nie wieder vorkommt . Herr
Kollege Dobrindt, ich sage an dieser Stelle ausdrücklich
Danke schön für dieses besonnene, konsequente und
zielgerichtete Verhalten Ihres Hauses . Genauso geht man
mit solchen Krisen um, und nicht mit Klamauk, wie die
Grünen das zum wiederholten Mal versucht haben .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Dr . Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ist das Satire, was Sie hier machen?)


Die Rückrufaktion ist eingeleitet . In der Europäischen
Union werden – auch auf Initiative der Bundesregierung
und insbesondere des Verkehrsministers Dobrindt – die
Tests verschärft . Das Kraftfahrt-Bundesamt wird die
Kontrollen weiter ausdehnen . Wir sind da auf einem gu-
ten Weg, auch wenn wir noch nicht am Ziel angekommen
sind; das ist richtig . Wir werden uns noch im Ausschuss
intensiv damit zu befassen haben, welche Rolle künftig
das Kraftfahrt-Bundesamt spielen soll . Auch da haben
wir noch an der einen oder anderen Stelle Fragen . Wir
wünschen uns mehr als das, was in der Vergangenheit
geschehen ist .

Abschließend will ich Ihnen eines versichern: Wir als
Unionsfraktion werden weiterhin Sorge dafür tragen,


(Dr . Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Den Skandal zu vertuschen!)


dass die deutsche Automobilindustrie nach diesem Skan-
dal nicht wie durch Sie, Herr Krischer und Herr Hofreiter,
unter Generalverdacht gestellt wird, sondern den Stel-
lenwert – auch in der öffentlichen Wahrnehmung – be-
kommt, den sie verdient, nämlich den einer innovativen
Branche, die einen wichtigen Beitrag dazu leistet, die
Mobilität in diesem Land dauerhaft zu sichern und Be-
schäftigung in Deutschland weiterhin zu ermöglichen .

Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1815509200

Vielen Dank, Herr Kollege Wittke, auch dafür, dass

Sie sich auf die Sekunde genau an die Redezeit gehalten
haben .

Nächste Rednerin: Jutta Krellmann für die Linke .


(Beifall bei der LINKEN)



Jutta Krellmann (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1815509300

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen

und Kollegen! Was bedeuten die Auswirkungen des Ab-
gasskandals für die Beschäftigten? Für viele Leiharbeit-
nehmer, zum Beispiel in Zwickau, heißt es jetzt schon:
Tschüs, VW! – Für sie ist es das Ende der Chance auf ei-
nen Dauerarbeitsplatz in der Stammbelegschaft . Für vie-
le befristet Beschäftigte bedeutet es keine Festeinstellung
oder keine Verlängerung der Befristung . Zulieferbetriebe
halten Investitionen zurück und haben bereits Kurzarbeit
beantragt . Die Betroffenheit ist dabei unterschiedlich
hoch . Es gibt nach wie vor Standorte mit Mehrarbeit .
Gleichzeitig wird am nächsten Standort bereits Kurzar-
beit eingeführt . Im letzten Jahr lautete die zentrale Aus-
sage der Interessenvertretung: Wir zahlen nicht für eure
Krise! – Dabei muss es auch bleiben .


(Beifall bei der LINKEN)


Schwieriger ist es in den Rand- und Zulieferbereichen .
Viele Logistikunternehmen, die als Werkvertragsfirmen
bei VW, Opel, Mercedes und Co . arbeiten, haben we-
der Tarifverträge noch Betriebsräte . Tarifverträge und
Betriebsräte sind aber eine wichtige Voraussetzung, um
Auswirkungen einer Krise im Interesse der Beschäftigten
zu bewältigen . Auch hier gilt: Beschäftigungssicherung
hat oberste Priorität .


(Beifall bei der LINKEN)


Ich bin fest davon überzeugt, dass die Arbeitneh-
merinnen und Arbeitnehmer in den verschiedenen Be-
trieben alles tun werden, um den Karren aus dem Dreck
zu ziehen . Sie werden dazu ihre ganze Kraft und Qua-
lifikation einsetzen. Das setzt allerdings die Sicherheit
ihrer Arbeitsplätze voraus . Ihre betrieblichen Interessen-
vertretungen werden nichts unversucht lassen, um diese
Krise zu überwinden . Kurzarbeit, Arbeitszeitverkürzung,
Regelungen über Tarifverträge und Betriebsvereinbarun-
gen waren schon in der Vergangenheit Instrumente . Wo
es keine Betriebsräte gibt, müssen welche geschaffen
werden .


(Beifall bei der LINKEN)


Dort, wo es aber welche gibt, endet deren Mitbestim-
mung bei wirtschaftlichen Angelegenheiten . Das muss
sich ändern .


(Beifall bei der LINKEN)


Wir brauchen zukünftig Mitbestimmung über das Was,
Wie und Wo in der Produktion .


(Beifall bei der LINKEN)


Die Zeit ist reif, Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer
an der wirtschaftlichen Gestaltung ihrer Betriebe zu
beteiligen . Was ist die unternehmerische Freiheit wert,
wenn die einen ihren Arbeitsplatz verlieren und die an-
deren mit Abfindungen in Millionenhöhe nach Hause ge-
hen? Deswegen benötigen Beschäftigte Mitsprache und

Oliver Wittke






(A) (C)



(B) (D)


Vetorechte, wenn sie bemerken, dass die Entwicklung in
die falsche Richtung geht .


(Beifall bei der LINKEN)


Für VW bedeutet die Auswirkung des Skandals deut-
lich reduzierte Absatzzahlen . Ein differenzierter Blick
macht deutlich, dass der Abgasskandal einen längst ein-
gesetzten Trend beschleunigt . Ein strukturelles Problem
wird offensichtlich: Wie entwickelt sich die Automobil-
industrie? In Norwegen oder in den USA wird seit Jahren
verstärkt in E-Mobilität investiert; sie investieren in For-
schung und Entwicklung und schaffen gleichzeitig die
dazu notwendige Infrastruktur .

Das Problem bei VW ist doppelt dramatisch: Zum ei-
nen muss dort mit Fehlmanagement, Betrug und verlore-
nem Vertrauen umgegangen werden, zum anderen geht
es aber auch darum, den Anschluss an die technologische
Entwicklung nicht zu verlieren . Wenn wir Pech haben,
sehen wir nur noch die Schlusslichter dieser Entwick-
lung .

Skandale muss man bewältigen . Vertrauensverlust
muss behoben werden . Bei der Bewältigung der notwen-
digen Umstrukturierungen muss die Bundesregierung in
großen Schritten die Bedingungen schaffen . Kaufprämi-
en für Elektroautos genügen nicht .


(Beifall bei der LINKEN)


Das braucht Mut und Kraft . Aber ohne die Beschäf-
tigten geht es gar nicht . Um an der strategischen Neuaus-
richtung der Automobilbranche mitzuarbeiten, brauchen
Beschäftigte Sicherheit . Packen wir es an – mit den Be-
schäftigten und nicht gegen sie!

Vielen Dank .


(Beifall bei der LINKEN)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1815509400

Vielen Dank, Kollegin Krellmann . – Die nächste Red-

nerin ist Dr . Birgit Malecha-Nissen für die SPD .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Birgit Malecha-Nissen (SPD):
Rede ID: ID1815509500

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen

und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das An-
sehen von VW ist weltweit in Schieflage geraten; da
dürfen wir uns nichts vormachen . Schon jetzt sind Kon-
sequenzen aus dem Abgasskandal sichtbar: Während der
Automarkt in Europa weiter kräftig gewachsen ist, hat
der größte Automobilproduzent Europas, VW, Marktan-
teile verloren . Für die Innovationsmarke VW und seine
Tausenden von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern steht
also viel auf dem Spiel .

Was muss nun getan werden? Es ist wirklich wenig
hilfreich, eine dritte Aktuelle Stunde durchzuführen . Wir
brauchen jetzt eine sachliche und gründliche Debatte –

auch im Respekt vor den Arbeitnehmerinnen und Arbeit-
nehmern .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sagen Sie mal was zu den Konsequenzen!)


Hier steht an erster Stelle: Das Vertrauen der Verbrau-
cherinnen und Verbraucher in die Autobranche muss
wiederhergestellt werden . Bewusste Manipulationen und
Verstöße gegen Umweltauflagen und Emissionsgrenz-
werte haben das Vertrauen verspielt . Jetzt braucht es den
konsequenten Willen der Industrie und ihrer Vorstände
zu Aufklärung und Transparenz .

Deshalb ist es unerlässlich, dass die vom Konzern ein-
geleiteten Rückrufaktionen verbraucherfreundlich aus-
gestaltet werden . Die betroffenen VW-Kunden müssen
verstehen können, was denn nun um- oder nachgerüstet
wird . Sie müssen auch sicher sein,


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sind sie aber nicht!)


dass sie – nach Aussagen des VW-Vorstandes; Herr Mi-
nister Dobrindt hat das ja gerade auch gesagt – keinerlei
Nachteile bei Verbrauch, Leistung und Geräuschentwick-
lung fürchten müssen . Denn das Ziel ist ja klar: die Ein-
haltung der Abgaswerte . Dies muss nach dem Eingriff
durch Nachweise belegt werden .

Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, des Weiteren
braucht es mehr Transparenz und Kontrolle der Abgas-
werte . Wir haben heute bereits über die Prüfverfahren
gesprochen, die die Realität widerspiegeln müssen und
möglichst schnell eingeführt werden sollen .

Mir ist unverständlich, dass da fast 20 Jahre Stillstand
herrschte . Deswegen wollen wir, dass das standardisier-
te und weitaus realitätsnähere Messverfahren WLTP und
der neue Abgastest RDE – ich nenne jetzt einfach nur
die Abkürzungen, weil wir das hier schon gehört haben –
spätestens 2017 EU-weit und in den Typgenehmigungs-
verfahren angewendet werden . Wir haben ja von dem
Herrn Minister heute auch gehört, dass dem nichts mehr
im Wege steht .

Eine weitere zielführende Maßnahme können staat-
liche Prüfstände beim Kraftfahrt-Bundesamt sein . Wei-
terhin sollen Konzerne künftig ihre Motorsteuerungs-
software offenlegen, damit Manipulationen vorgebeugt
werden kann . Das hat ja mein Kollege Arno Klare be-
reits dargestellt . Und wie auch jüngst von Herrn Minister
Dobrindt vorgeschlagen – ich habe gerade gehört, mein
Kollege hat es schon vor langer Zeit vorgeschlagen –,
könnten verschärfte, unangemeldete Kontrollen – eben
die sogenannten Dopingkontrollen – ein passendes Ins-
trument sein .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wichtig für die Vertrauensbildung und die Akzeptanz
in der Öffentlichkeit ist, dass das Kraftfahrt-Bundesamt
dann auch umfänglich über Ergebnisse von Nachprü-
fungen informiert . An der Stelle wäre es vielleicht hilf-
reich – ein Hinweis an das Ministerium –, wenn uns ein

Jutta Krellmann






(A) (C)



(B) (D)


Zwischenbericht der Untersuchungskommission zur Ver-
fügung gestellt würde .


(Stephan Kühn [Dresden] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Sehr richtig!)


Der Produktionsstandort Deutschland mit den vielen
Zulieferbetrieben und seinen Tausenden hart arbeitenden
Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern muss gesichert blei-
ben . Arbeitsplätze dürfen nicht verloren gehen . Deshalb
heißt es nun, nach vorne zu schauen und die Weichen
für zukunftsfeste Perspektiven in der Automobilbranche
zu stellen, Perspektiven, die ökonomische und ökologi-
sche Aspekte gleichermaßen berücksichtigen . Endlich
müssen alternative Antriebsformen – ich nenne hier nur
ganz kurz das Stichwort „Elektromobilität“ – stärker und
konsequent in den Fokus genommen werden .


(Beifall bei der SPD)


Damit sorgen wir für bessere Luft in den Städten; denn
erhöhte Werte für Stickoxide und Rußpartikel sind eine
Gefahr für unsere Gesundheit und ganz besonders für die
unserer Kinder . Wir leisten damit natürlich auch einen
wichtigen Beitrag zum Erreichen der Klimaschutzziele .
Da ist im Verkehrssektor sicher noch viel Luft nach oben .


(Beifall bei der SPD)


Die deutsche Automobilindustrie steht seit Jahrzehn-
ten für hohe Qualität und Sicherheit, für Spitzentech-
nologie, Verbraucher- und Umweltschutz . Diese Positi-
on muss aber täglich neu gesichert werden . Ich bin mir
sicher: Unsere Ingenieurinnen und Ingenieure schaffen
das .

Vielen Dank .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1815509600

Vielen Dank, Frau Kollegin Malecha-Nissen . – Nächs-

ter Redner: Stephan Kühn für Bündnis 90/Die Grünen .

Stephan Kühn (Dresden) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN):

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine lieben Kolle-
ginnen und Kollegen! Wissenschaftliche Tests, zum Bei-
spiel im Auftrag des ZDF-Magazins Frontal 21, zeigen:
Auf der Straße blasen Dieselfahrzeuge deutlich mehr
Stickoxide aus als bei den offiziellen Tests im Labor. Die
Grenzwerte werden von vielen Dieselfahrzeugen nicht
eingehalten . Die Abgasreinigung muss aber nicht nur im
Labor, sondern auch auf der Straße laufen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wie wäre es, wenn Handbremse, Gurt oder Airbag nur
auf dem Rollenprüfstand im Labor funktionieren wür-
den?

Die Automobilindustrie will uns weismachen, dass die
erheblichen Abweichungen zwischen den Labormessun-
gen und den Nachprüfungen im realen Fahrbetrieb mit
Unterschieden im Fahrverhalten und den äußeren Bedin-
gungen zu erklären seien . So will kein anderer Hersteller

Abschalteinrichtungen wie VW verwendet haben . Wer
wie die Deutsche Umwelthilfe etwas anderes sagt, hat
eine Armada von Anwälten im Haus oder ist mit Scha-
densersatzforderungen konfrontiert . Ich sage: Wer ehr-
lich ist, hat so etwas nicht nötig und muss sich auch nicht
wie Daimler vor der Teilnahme an einem Fachgespräch
der grünen Bundestagsfraktion drücken .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


So gewinnt man Glaubwürdigkeit nicht zurück, son-
dern man bringt die deutsche Automobilindustrie auch
industriepolitisch ins Abseits . Verkehrsminister Dobrindt
stellt sich schützend vor eine Automobilindustrie, die
bisher offensichtlich Kosten zulasten der Umwelt und
der Gesundheit der Menschen eingespart hat . Dieselfahr-
zeuge können sehr wohl auf der Straße sauber sein, aber
eine funktionierende Abgasreinigung ist halt nicht zum
Nulltarif zu bekommen .

Von einer lückenlosen Aufklärung des Abgasskan-
dals, wie von Minister Dobrindt angekündigt, kann kei-
ne Rede sein . Das KBA bekam von Herrn Dobrindt den
Auftrag, etwa 60 Dieselfahrzeuge verschiedener Her-
steller hinsichtlich der Emissionen zu prüfen . Während
Daimler-Chef Zetsche bereits Ende Januar in einem Zei-
tungsinterview gegenüber der Welt über Ergebnisse der
Nachprüfungen des Kraftfahrt-Bundesamtes berichten
konnte – Tenor: keine auffälligen Abgaswerte bei Daim-
ler –, will uns der Verkehrsminister nicht einmal einen
Termin für die Veröffentlichung der Ergebnisse nennen .
Ich halte das für einen skandalösen Vorgang .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Durch welche Untersuchungen oder Gutachten kommt
die Bundesregierung eigentlich zu der Einschätzung,
dass die Umrüstpläne von VW auch tatsächlich zu sau-
beren Dieselmotoren führen? Diese Antwort bleibt der
Verkehrsminister bisher schuldig . Ich frage mich schon,
warum man bei VW kriminelle Energie braucht und ein-
setzt, wenn ein Bauteil, ein sogenannter Strömungstrans-
formator, der bekanntlich nicht mehr als 1 Euro kostet,
die Lösung sein soll, um Dieselmotoren sauber werden
zu lassen . Den Ankündigungen des Ministers folgen kei-
ne Taten . „Aussitzen und Deckel drauf“ ist wohl die De-
vise .

Bereits Mitte Dezember hat er angekündigt, künftig
bei der Zulassung von Autos die Motorensoftware unter
die Lupe zu nehmen . Zwei Monate später will er aber
immer noch nicht verraten, wie, wann und wer künftig
die Quellcodes anschauen soll . Dafür macht nun endlich
Brüssel Druck und will die nationalen Zulassungsbehör-
den überprüfen . Das führt offensichtlich dazu, dass das
Kraftfahrt-Bundesamt jetzt überlegt, endlich wieder Rol-
lenprüfstände anzuschaffen, die man vor Jahren schon
hatte, die man dann aber abgeschafft hat, weil man doch
lieber den Zahlen der Automobilindustrie vertrauen woll-
te .

Wir brauchen endlich wirksame Kontrollen . Die Be-
hörde, die für die Fahrzeugzulassung zuständig ist, darf
nicht für die Nachprüfung zuständig sein . Die Feld-
überwachung im Verkehr sollte nicht durch das Kraft-

Dr. Birgit Malecha-Nissen






(A) (C)



(B) (D)


fahrt-Bundesamt, sondern durch das Umweltbundesamt
übernommen werden .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Da teilen wir den Vorschlag von Justizminister Maas .
Nur habe ich nicht den Eindruck, dass es der Vorschlag
der Bundesregierung ist . Ferner muss die Feldüberwa-
chung endlich auf eine rechtliche Grundlage gestellt
werden, und es müssen Mittel und Personal dafür bereit-
gestellt werden . Auch hier höre ich von der Bundesregie-
rung nichts .

Meine Damen und Herren, lassen Sie mich als Schluss-
bemerkung Folgendes sagen: Wir sind es den Menschen
schuldig, die aufgrund der schlechten Luftqualität in vie-
len Städten an Herz-Kreislauf- oder Atemwegserkran-
kungen leiden, dass dieser Abgasskandal politische Kon-
sequenzen hat . Jetzt müssen den Worten endlich Taten
folgen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1815509700

Vielen Dank, Kollege Kühn . – Nächster Redner in der

Debatte: Dr . Matthias Heider für die CDU/CSU-Frakti-
on .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Matthias Heider (CDU):
Rede ID: ID1815509800

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Jetzt ist

es langsam Zeit, einmal Zwischenbilanz in dieser De-
batte in der heutigen Aktuellen Stunde zu ziehen . Ich
habe mich ein bisschen gefragt: Kennen Sie eigentlich
den Unterschied zwischen Staatsanwaltschaft und Parla-
ment? Die Staatsanwaltschaft ist die Behörde, die für die
Strafverfolgung und die Vollstreckung zuständig ist . Das
Parlament hingegen ist hauptsächlich für die Verabschie-
dung von Gesetzen zuständig .


(Dr . Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, aber auch für die Kontrolle der Regierung! Das ist Ihnen offensichtlich unbekannt!)


Hält jemand Gesetze nicht ein, ist es nicht Aufgabe des
Parlaments, darüber zu urteilen – schon gar nicht vor-
schnell, Herr Hofreiter –, sondern die Aufgabe von
Staatsanwaltschaften und Gerichten .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Was Sie seit Ende September hier machen, ist vor al-
lem eines: Sie wollen vorschnell über eine ganze Bran-
che urteilen und sie in Sippenhaft nehmen . Sie wollen
Staatsanwaltschaft, Gericht und Parlament zugleich sein .


(Max Straubinger [CDU/CSU]: So ist es!)


Das ist das Problem, das Sie haben .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Man merkt an der Häufigkeit, mit der Sie Aktuelle
Stunden beantragen, dass der Wahlkampf in den Bun-
desländern offensichtlich begonnen hat . Aber Sie können
sich darauf verlassen: Wir werden nicht zulassen, dass

Sie einfach mal eben eine deutsche Schlüsselindustrie
so beschädigen, dass sie nach den Landtagswahlen nicht
wieder hochkommt .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein, das machen Sie!)


– Ich weiß, dass Sie das nicht gerne hören .

Ich sage Ihnen noch einmal: Die Automobilwirtschaft
in Europa hat einen Anteil an der Wertschöpfung von
14 Prozent . Fast jeder siebte Arbeitsplatz in Deutschland
hängt von der Automobilwirtschaft ab . Richtig ist: Mit
der Manipulation bei den Abgaswerten ist erhebliches
Vertrauen verspielt worden . Um das Vertrauen in die Au-
tomobilwirtschaft und auch in den Wirtschaftsstandort
Deutschland international wiederherzustellen, müssten
wir sichere Testverfahren nutzen .

Wir sind uns hier im Hause, glaube ich, einig, dass wir
möglichst schnell den WLTP-Zyklus und die Real–Dri-
ving-Emission-Tests brauchen . Wir können deshalb ganz
froh sein, dass das Europäische Parlament inzwischen
die entsprechenden Weichenstellungen vorgenommen
hat . Es ist ein wichtiger Schritt, zu realistischen Emis-
sionsangaben zu kommen, und allein das stärkt das Ver-
trauen der Verbraucher .

Wir müssen aber auch genau beobachten, in welchem
wirtschaftlichen Umfeld wir uns bewegen . Wir dürfen
nicht überziehen . Ich wiederhole: Kraftfahrzeuge sind
für Deutschland ein wichtiges Exportprodukt .


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau darum geht es! Und darum brauchen wir zukunftsfähige Produkte, die wir in die USA liefern können!)


Wenn Sie sich einmal die internationale Großwetterlage
anschauen, stellen Sie fest: Es ist ein düsteres Bild, das
sich etwa bei den Importen Chinas ergibt . Diese Impor-
te sind um 19 Prozent eingebrochen . Der Präsident des
Bundesverbandes Großhandel, Außenhandel, Dienstleis-
tungen Börner hat es treffend beschrieben: China steckt
in einem Transformationsprozess mit ungewissem Aus-
gang .

Auch wenn Sie die Sanktionen etwa für den russi-
schen Markt sehen, werden Sie erkennen: Das sind be-
stimmt keine Wachstumstreiber . Denken wir daran, dass
der Anteil der nach Russland exportierten Fahrzeuge
am Gesamtexport 2013, also vor den Sanktionen, noch
20 Prozent betragen hat, dann können wir erkennen, dass
gerade jetzt zwei absolute Wachstumsmärkte für die Au-
tomobilindustrie anfangen, zu schwächeln . Da greife ich
gern das Argument von den Linken auf, die sich Sorgen
um die Beschäftigungslage bei den nur zeitweise Be-
schäftigten in der Automobilwirtschaft machen .

Es droht uns weiter eine Abschwächung der Weltkon-
junktur . Die Stimmung trübt sich im Moment ein . Der
ZEW-Index ist im Februar von 9,2 auf 1,0 Punkte ein-
gebrochen . Vor einem Jahr lag er noch bei 53 Punkten .

Wenn ich in meinem Wahlkreis in Südwestfalen sehe,
dass 52 000 Menschen im Bereich der Zulieferindustrie

Stephan Kühn (Dresden)







(A) (C)



(B) (D)


von diesem Markt abhängen, meine Damen und Herren,
dann ist das in der Tat ein Grund, zu sagen: Vorsicht! Das
Kind nicht mit dem Bade ausschütten!


(Zurufe von der LINKEN)


Die Unternehmen machen sich Sorgen . Sie machen
sich nicht nur Sorgen um die Infrastruktur in Deutsch-
land; sie machen sich bei all diesen Rahmenbedingun-
gen natürlich auch Sorgen um den internationalen Wett-
bewerb . In diesen Zeiten müssen wir uns deshalb genau
überlegen, mit wie viel Regulierung wir der Branche be-
gegnen . Herr Krischer, es ist nicht damit getan, alle vier
Wochen mal mit dem Ölkännchen am Feuer vorbeizulau-
fen, so wie Sie das hier machen .


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Gucken Sie sich mal an, was Sie in fünf Monaten alles gemacht haben! Da passiert nichts!)


Ohne Zweifel, wir müssen gesetzliche Leitplanken
neu justieren . Wir hätten mit Ihnen gern über die gestell-
ten Anträge gesprochen . Aber Sie haben es vorgezogen,
für heute eine Aktuelle Stunde zu beantragen . Ich weiß
nicht, ob das mit Blick auf die Landtagswahlen der rich-
tige Weg ist .


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Stellen Sie doch mal einen Antrag! Sagen Sie doch mal irgendwas!)


Ich bin überzeugt, dass auch die vielen Arbeitnehmer in
Baden-Württemberg sehr gut darüber nachdenken wer-
den, wie sie ihre Entscheidung treffen, so wie Sie mit
deren Arbeitsplätzen umgehen .

Vielen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1815509900

Vielen Dank, Dr . Heider . – Die nächste Rednerin in

der Debatte: Kirsten Lühmann für die SPD .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Kirsten Lühmann (SPD):
Rede ID: ID1815510000

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kollegen und Kolle-

ginnen! Verehrte Zuhörende! Wie auch bei der letzten
Aktuellen Stunde zu diesem Thema habe ich akribisch
versucht, herauszufinden, welche aktuellen Dinge wir
neu haben, die wir besprechen müssen . Ich bin dann auf
die hier schon angesprochene Pressemitteilung gestoßen,
nach der Herr Winterkorn schon im Mai 2014 von Mani-
pulationen in Amerika wusste .


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: War das eine Pressemitteilung?)


Das ist allerdings nicht neu . Wir alle wissen, dass im Mai
2014 die US-Umweltbehörde EPA an VW herangetreten
ist, um über das Thema zu reden . Dass man darüber die
Konzernspitze informiert, halte ich für normal .

Die Frage, die dieser Pressebericht nicht beantwortet
hat, ist: Hat Herr Winterkorn vor dem Aufspielen der
Software davon gewusst? Hat er es gebilligt? Hat er es
sogar angewiesen? Mein Vorredner hat dankenswerter-
weise darauf hingewiesen: Das ist eine Frage, die von
den Ermittlungsbehörden geklärt wird und nicht von
uns . – Also kann das nicht das Thema sein .

Das Einzige, was mir aktuell noch eingefallen ist, ist,
dass uns die Grünen Informationen über die Ergebnisse
ihrer gestrigen Veranstaltung zur Zwischenbilanz im Ab-
gasskandal geben wollten . An der Veranstaltung konnten
wir nicht teilnehmen, weil zeitgleich eine Sitzung des
Verkehrsausschusses stattfand . Aber aus den Reden der
Grünen ist mir dazu auch nichts bekannt geworden .


(Stephan Kühn [Dresden] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann haben Sie mir nicht zugehört!)


Also glaube ich, dass wir uns nicht weiter damit be-
schäftigen sollten, warum wir hier heute eine Aktuelle
Stunde haben, sondern die Zeit einfach zu einer kurzen
Standortbestimmung nutzen sollten .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Zwischen Deutschland und den Vereinigten Staaten
gibt es deutliche Unterschiede in der Philosophie der
Kontrolle .


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, das kann man so sagen!)


In den USA bescheinigt man mit seinem guten Namen,
dass man Regularien einhält . Wird man dann beim Betrug
erwischt, bekommt man eine saftige Strafe, eine deutlich
höhere als bei uns . Wir hingegen haben eine Kultur der
regelmäßigen Kontrollen .


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es hat überhaupt keine Kontrollen gegeben! Von niemandem!)


Hier gilt es Veränderungen herbeizuführen und Kon-
trollen an die neuen Bedingungen anzupassen, und zwar
zeitnah, liebe Kollegen und Kolleginnen .


(Beifall bei der SPD sowie des Abg . Michael Donth [CDU/CSU])


Das heißt, wir müssen das Kraftfahrt-Bundesamt recht-
lich wie auch technisch dazu in die Lage versetzen . Mein
Kollege Arno Klare hat bereits in der Aktuellen Stunde
Anfang November die Offenlegung der Quellcodes und
Weiteres gefordert . Inzwischen ist das vom BMVI unter-
stützt worden . Wir sind uns mit Minister Dobrindt darü-
ber einig, dass die Motorsoftware gegenüber dem KBA
offengelegt werden muss . Wir müssen auch dafür sorgen,
dass das KBA eigene Prüfstände bekommt, um selbst-
ständig Kontrollen durchführen zu können . Das werden
wir angehen .

Doch bessere Prüfmöglichkeiten für die deutschen
Behörden wird es am Ende nur mit einer europäischen
Lösung geben, und zwar mit einer Lösung, die den rea-
len Fahrbetrieb berücksichtigt . Die EU hat mit ihren Vor-
schriften im Paket zu den NOx-Grenzwerten einen ersten

Dr. Matthias Heider






(A) (C)



(B) (D)


Schritt getan . Ich glaube, es ist kein Geheimnis, dass un-
sere Fraktion sich da auch etwas ambitioniertere Werte
hätte vorstellen können; aber zumindest ist dieses Paket
jetzt auf den Weg gebracht . Viel wichtiger ist das nächste
Paket, das wir brauchen . Wir brauchen Regelungen zu
den hier schon mehrfach angesprochenen Real Driving
Emissions . Wir brauchen Rahmenbedingungen, die klar
definiert sind, was die Geschwindigkeit, die enthaltenen
Steigungen, die Temperatur und die Beschleunigung an-
geht . Diese müssen, wie gesagt, klar und eindeutig sein .
Ich gehe davon aus, dass hier in diesem Hause Einigkeit
darüber herrscht, dass wir diese klaren Vorschriften zeit-
nah brauchen und dass wir sie gemeinsam in Brüssel um-
setzen, liebe Kolleginnen und Kollegen .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Stephan Kühn [Dresden] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dafür hattet ihr doch fünf Monate Zeit! – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Warum kommt denn da nie was?)


Erfreulich ist auch – was ja auch angesprochen wur-
de –, dass der Rückruf in Deutschland begonnen hat .
Heute gab es einen Bericht in der auto motor und sport.
Die haben die ersten umgerüsteten Fahrzeuge des VW
Amarok getestet . Dabei sind ein paar interessante Sachen
herausgekommen .

Das Erste ist, dass es einige Fahrzeuge gab, die nach
der Umrüstung einige PS mehr hatten als vorher .


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja!)


Nun gut, das ist jetzt nicht


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ziel der Übung!)


besonders positiv oder negativ . Allerdings wurde auch
festgestellt, dass das Beschleunigungsverhalten im fünf-
ten und sechsten Gang besser geworden ist und, was für
uns ja ganz wichtig ist, dass der Stickoxidausstoß gleich
geblieben ist,


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Immer noch zu hoch!)


das heißt, die Werte werden eingehalten, es hat sich
nichts verändert .


(Stephan Kühn [Dresden] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Warum hat dann VW betrogen?)


Das Zweite, was hier auch angesprochen wurde und
über das wir reden sollten, ist die Tatsache, dass der
Kraftstoffverbrauch auf 100 Kilometer um einen guten
halben Liter höher geworden ist . Nun ist der Amarok ja
nicht gerade als besonders sparsames Auto bekannt .


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Eher ein Panzer!)


Wenn jetzt also im März die VW Passat zur Umrüstung
kommen, werden wir uns das noch einmal anschauen;
aber ich glaube nicht, dass das in dieser Höhe dort zu
sehen sein wird .

Die SPD-Fraktion hat im Januar dieses Jahres ein Po-
sitionspapier verabschiedet, in dem wir uns eindeutig für
die Energiewende im Verkehr ausgesprochen haben . Es
ist ein umfangreiches Papier . In ihm haben wir festge-
legt, dass wir neben der Elektromobilität auch Brücken-
technologien wie Erdgas weiterhin fördern; denn beide
Technologien bieten sowohl für den Individualverkehr
als auch für den ÖPNV immer noch große Potenziale –
die Elektromobilität auch bei leichten Nutzfahrzeugen,
Erdgas und Wasserstoff auch im Schwerlastverkehr, der
immer noch den höchsten Schadstoffausstoß aufweist .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Abschließend sei mir erlaubt, anzumerken, dass ich
gerne diese und weitere Punkte mit Ihnen in einer ernst-
haften Debatte erörtert hätte . Wir sind daher etwas er-
staunt, dass die von den Grünen beantragte 77-minütige
Kernzeitdebatte,


(Sören Bartol [SPD]: Ja!)


in der wir diverse Anträge hätten beraten und auch be-
schließen können,


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Unsere Anträge!)


abgesetzt wurde .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie hätten unsere Anträge abgelehnt!)


Ich gehe davon aus,


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Der Sinn war doch ein anderer!)


dass wir diese Debatte hier zeitnah nachholen und richti-
ge Beschlüsse auf den Weg bringen .

Herzlichen Dank .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Bringen Sie doch mal einen Antrag ein!)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1815510100

Vielen Dank, Kollegin Lühmann . – Der nächste Red-

ner in der Debatte: Hans-Werner Kammer für die CDU/
CSU-Fraktion .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Hans-Werner Kammer (CDU):
Rede ID: ID1815510200

Verehrte Frau Präsidentin! Wir hatten uns ja gerade

schon sehr nett ausgetauscht .


(Zurufe: Oh! – Stephan Kühn [Dresden] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Erzählen Sie mal! – Heiterkeit)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1815510300

Körpersprachlich .

Kirsten Lühmann






(A) (C)



(B) (D)



Hans-Werner Kammer (CDU):
Rede ID: ID1815510400

Liebe Kolleginnen und liebe Kollegen! Seit Anfang

2015 haben wir in diesem Hohen Haus 32 Aktuelle Stun-
den durchgeführt. Heute findet die dritte Aktuelle Stunde
zur VW-Abgasaffäre statt . Zum Vergleich: Zur Gesamt-
situation im Nahen Osten gab es vier Aktuelle Stunden,
außerdem zwei zum Thema Terrorismus, in einer haben
wir uns über das Thema Flüchtlinge unterhalten . Ich wie-
derhole jetzt noch einmal: drei Aktuelle Stunden zum
VW-Skandal in nicht einmal einem halben Jahr . Dass die
Grünen mit der Beantragung dieser Aktuellen Stunde fal-
sche Schwerpunkte setzen, ist damit ganz offensichtlich;
denn Neues ist kaum zu berichten .


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja! Das ist das Problem! Das ist genau das Problem! Darüber reden wir doch die ganze Zeit!)


Natürlich könnte es sein, dass es derzeit für die Grünen
keine wichtigeren Themen gibt als den VW-Skandal .
Vielleicht ist es aber auch so, dass die Grünen nur noch
auf billige Effekthascherei setzen .

Was mich am Umgang der Grünen mit der Abgasaf-
färe stört, sind jedoch weniger diese Zeitverschwendung
und das parteipolitische Geplänkel;


(Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Macht ihr nie!)


das kennen wir ja leider zur Genüge von Ihnen . Vielmehr
stört mich, dass die Grünen einen Feldzug gegen den In-
dustrie- und Automobilstandort Deutschland führen .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Nur für einige wenige Schlagzeilen spielen Sie mit zahl-
losen Arbeitsplätzen . Sie sollten sich einmal vor Ort,
auch bei den Autohändlern, informieren, wie sachlich die
Kunden mit diesem Thema umgehen und wie betroffen
teilweise die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter – auch
ob Ihres Verhaltens – sind . Ich denke dabei nicht nur an
die 150 000 Beschäftigten in den sechs deutschen Stand-
orten von VW, sondern auch an die Beschäftigten der
VW-Werkstätten und der Zulieferbetriebe . Dass Sie de-
ren Jobs gefährden, ist der Skandal an der Sache .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir gefährden sie nicht! Wer manipuliert, gefährdet!)


VW hat nach der Aufdeckung der Abgasmanipula-
tion mehr als genug Eigeninteresse an der Aufklärung .
Die Marke kämpft weltweit mit Imageproblemen . Erst-
mals seit 2002 gab es in 2015 einen Umsatzrückgang .
Der Fahrzeugabsatz der Kernmarke VW sank in diesem
Jahr um 4,8 Prozent . Es gab einen Absatzrückgang ins-
besondere in den USA, wo der Skandal auch aufgedeckt
wurde .

Der Konzern setzt alles daran, die Probleme abzu-
stellen und Ähnliches für die Zukunft zu verhindern .
Zusätzliche Panikmache wie diese überflüssige Debatte
verunsichert die Kunden . Die grünen Ideologen sagen
dazu: VW muss für das, was es getan hat, büßen . – Eine

Krise bei VW schadet in erster Linie aber eben nicht den-
jenigen, die für den Skandal verantwortlich sind und nun
selbstverständlich zur Verantwortung gezogen werden
müssen . Nein, die Grünen schaden mit ihrer negativen
Propaganda den kleinen Angestellten bei VW, den Händ-
lern, den Werkstätten und den Zulieferbetrieben in ganz
Deutschland .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Ich kann Sie daher nur eindringlich bitten, nicht weiter
Öl ins Feuer zu gießen und diesen Klamauk endlich zu
beenden . Das hilft niemandem . Ebenfalls nicht hilfreich
ist der grüne Feldzug gegen den Verbrennungsmotor .
Denn Sie sollten sich nicht einbilden, dass die Autofah-
rer auf das Fahrrad umsteigen, wenn sie das Vertrauen
in deutsche Fahrzeugtechnik verlieren . Geben wir statt-
dessen VW die nötige Zeit, die Affäre aufzuklären und
abzuarbeiten .

Gleichzeitig haben wir – Minister Dobrindt hat das an-
gekündigt – schon erste Konsequenzen gezogen . Durch
die unangemeldeten Tests, die Ihnen noch nicht ausrei-
chen, sowie durch die Offenlegung der Motorsoftware
und der Testergebnisse erschweren wir in Zukunft Ma-
nipulationen . Die gesamte Branche wird aus den Fehlern
von Volkswagen lernen .

Verlässliche und transparente Verbrauchsangaben
nutzen den Kunden und werden letztlich auch zu techni-
schem Fortschritt und niedrigem Verbrauch führen . Das
hilft mehr als Ihre Kampfreden gegen große Konzerne .

Zum Schluss möchte ich den Grünen eines mit auf
den Weg geben: Ich komme aus Niedersachsen . Nieder-
sachsen wird bekanntlich von der SPD und den Grünen
regiert . Im Dezember 2014 ist bekannt geworden, dass in
den USA 482 000 Pkws zurückgerufen wurden . Das ist –
dies ist in Aufsichtsratsprotokollen nachzulesen – dem
Aufsichtsrat bekannt . Ich wundere mich, dass sich die
Regierung in Niedersachsen, an der die Grünen maßgeb-
lich beteiligt sind, nie darum gekümmert hat . Dort sollten
Sie aufklären! Das wäre Ihre Aufgabe .

Herzlichen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1815510500

Vielen Dank, Herr Kollege Kammer . – Nächster Red-

ner: Michael Donth für die CDU/CSU-Fraktion .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg . Kirsten Lühmann [SPD])



Michael Donth (CDU):
Rede ID: ID1815510600

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Wieder eine Aktuelle Stunde auf Verlangen
der Grünen zum Thema „Abgasmanipulation bei VW“ .
Was ist denn heute der aktuelle Anlass, um darüber zu
sprechen? Eine Meldung der Bild am Sonntag, wonach
Herr Winterkorn doch eine Mail bekommen und deshalb
nachweislich gelogen haben solle . Mir war neu, welch
hohe Bedeutung die Springerpresse und die Bild am






(A) (C)



(B) (D)


Sonntag für die Grünen haben . Aber gut, jeder mag lesen,
was ihm gefällt und zu ihm passt .


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das sollten Sie mal Ihren Verkehrsminister fragen, der danach Dopingkontrollen im doppelseitigen Zeitungsinterview angekündigt hat!)


Eine unbestätigte Zeitungsmeldung ist also der Anlass,
dass sich der Deutsche Bundestag in einer dringlichen
Debatte mit der Abgasmanipulation beschäftigt . Ich bin
der Meinung, dass der Deutsche Bundestag zurzeit vie-
le andere Themen dringlich zu besprechen hätte . Aber
nein, wir debattieren jetzt wegen einer E-Mail, die Herr
Winterkorn angeblich 2014 erhalten haben soll .


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir diskutieren darüber, dass dieser Verkehrsminister nichts tut!)


Hier wird das parlamentarische Instrument der Aktuellen
Stunde vor den Landtagswahlen aus reiner Profilierungs-
sucht missbraucht .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Das gilt nicht nur für dieses Instrument: Seit Septem-
ber vergangenen Jahres gab es seitens der Opposition, fe-
derführend von den Grünen, zum Thema „Manipulation
der Abgaswerte bei VW“ schon 23 mündliche Fragen,
20 schriftliche Fragen, elf Kleine Anfragen, eine öffentli-
che Anhörung und schon zweimal eine Aktuelle Stunde .


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da sehen Sie mal, wie aktiv wir sind! Wir kriegen keine Antworten!)


Wie viel Arbeitskraft das in den Ministerien und im Bun-
destag bindet! Auf diese Weise legen Sie den Politikbe-
trieb absichtlich fast lahm, um dann der Regierung Untä-
tigkeit vorzuwerfen .


(Lachen des Abg . Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Stephan Kühn [Dresden] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wollen Sie unsere politischen Rechte beschneiden? – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Ihre Kollegen sagen, wir sollen die Anträge abstimmen lassen! Sie sagen, wir sollen sie nicht abstimmen lassen! Was ist das denn?)


Bundesverkehrsminister Dobrindt hat bereits erste
Schritte unternommen, damit solche Manipulationen in
Zukunft nicht mehr vorkommen werden . So wird es eige-
ne staatliche Prüfstände und unangekündigte Kontrollen
nach dem Zufallsprinzip geben, dazu eine Rotation der
Prüfdienste und eine Offenlegung der Motorsoftware .
Die Rückrufaktionen für die betroffenen Fahrzeuge
haben in Abstimmung und auf Anweisung des Kraft-
fahrt-Bundesamtes bereits begonnen – um nur die aktu-
ellsten Punkte anzuführen .

Auch die EU hat bereits reagiert und mehrere Vor-
schläge zur Verbesserung der Aufsicht über die Zulas-
sungsbehörden und die technischen Prüfdienste gemacht .
Erst vergangenen Freitag hat der Rat eine Verordnung

beschlossen, die vorsieht, die Abgastests – wir haben es
schon mehrfach gehört – unter realen Fahrbedingungen
durchzuführen . Das ist etwas, wofür sich unser Verkehrs-
minister tatkräftig eingesetzt hat .

Meine Damen und Herren, ich will damit nicht die
Vorgänge um die manipulierten Abgastests relativieren .


(Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nee, das haben Sie ja schon! – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben alles relativiert!)


Betrug in jeder Form ist Unrecht . Da muss ermittelt wer-
den . Die Verantwortlichen müssen dafür auch den Kopf
hinhalten . Ich möchte aber betonen, dass der Deutsche
Bundestag – der Vorredner hat es schon gesagt – dafür
nicht der richtige Ort ist . Dafür haben wir bei der Justiz,
im Ministerium und auch bei VW entsprechende Struk-
turen zur Aufklärung . Der Deutsche Bundestag ist nicht
das Dorf, durch das jeden Tag erneut die Sau getrieben
werden muss . Bei den Grünen ist die Automobilindus-
trie, um in diesem Bild zu bleiben, eine besonders be-
liebte Sau .


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was ist das denn für ein Bild?)


Wahrscheinlich möchten Sie die Automobilindustrie
am liebsten ganz abschaffen oder zumindest mit dieser
permanenten Thematisierung schwer schädigen . Herr
Krischer hat vorhin behauptet, dass bei den anderen Her-
stellern noch viel mehr betrogen wurde als bei VW .


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja!)


In der Automobilindustrie haben rund 800 000 Men-
schen in Deutschland ihren Arbeitsplatz . Hinzu kommen
Hunderttausende Beschäftigte in der Zulieferungsindus-
trie . Ein solches politisches Agieren ist für mich keine
Politik zum Wohl der Bürgerinnen und Bürger . Zum
Wohl der Bürgerinnen und Bürger zählt für mich, dass
sie Arbeit haben, um sich ihren Lebensunterhalt zu ver-
dienen, aber natürlich auch, dass sie saubere Luft zum
Atmen haben .


(Stephan Kühn [Dresden] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aha! – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was tun Sie denn dafür?)


Um dies zu erreichen, haben wir Abgasgrenzwerte und
Mechanismen zu deren Überprüfung eingeführt .


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die nicht eingehalten werden!)


Es ist wichtig, dass die Grenzwerte eingehalten werden
und dies überprüft wird .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Es gilt jetzt, strukturiert vorzugehen, nämlich erst den
Sachverhalt aufzuklären, dann eine Bewertung vorzu-
nehmen und schließlich Konsequenzen zu ziehen . Das
bedeutet im vorliegenden Fall für uns als Gesetzgeber,
die Regelverstöße aufzuklären, dann die Regeln zu über-
prüfen und diese gegebenenfalls anzupassen . Grüner Ak-

Michael Donth






(A) (C)



(B) (D)


tionismus als wahltaktisches Manöver auf dem Rücken
der Beschäftigten ist scheinheilig und damit fehl am
Platz .

Vielen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1815510700

Vielen Dank, Kollege Donth . – Der letzte Redner

in der Aktuellen Stunde ist Ulrich Lange für die CDU/
CSU-Fraktion .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Ulrich Lange (CSU):
Rede ID: ID1815510800

Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!

Wir haben es jetzt schon mehrfach gehört: zum dritten
Mal eine Aktuelle Stunde zu diesem Thema . Sie treiben
hier ihre Spielchen . Lieber Kollege Kühn, lieber Kollege
Krischer, wenn Sie den Plenarplan gelesen hätten, dann
wüssten Sie: Eigentlich hätten heute die Anträge aller
Fraktionen auf der Tagesordnung gestanden,


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben doch gar keine gestellt!)


mit einer Kernzeitdebatte und fachlichen Vorschlägen .


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Haben Sie einen gestellt, Herr Lange? – Gegenruf der Abg . Kirsten Lühmann [SPD]: Das stand auf der Tagesordnung! Lesen hilft! – Gegenruf des Abg . Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann bringen Sie ihn doch ein!)


Aber darum geht es Ihnen nicht .

Ihnen geht es, lieber Kollege Krischer – das haben Sie in
Ihrer Rede geradezu eindrucksvoll unterstrichen –, um
Hetze gegen die deutsche Automobilindustrie .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ihre Rede, in der Sie über Drogen und anderes gespro-
chen haben, hatte den Charakter einer Rede beim Stark-
bieranstich während der Fastenzeit .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Dass Sie im Anschluss daran vielleicht ein Alcolock ge-
braucht hätten, das lasse ich einmal offen .


(Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Natürlich sind Manipulationen illegal . Wir werden
sie auch weiterhin nicht dulden; ich wiederhole das zum
dritten Mal . Ich wiederhole auch, dass wir lückenlos auf-
klären . Wir sind froh, dass wir mit Alexander Dobrindt
einen Bundesminister haben, der dies konsequent und
sauber tut, auch zeitlich sauber .


(Beifall bei der CDU/CSU – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da muss er ja selber lachen!)


Wir wehren uns dagegen, dass Sie eine ganze Branche
unter Generalverdacht stellen .


(Beifall bei der CDU/CSU – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Erklären Sie mal die hohen Stickoxidwerte!)


Sie wollen ein Buch schreiben, Herr Krischer . Ich
freue mich auf dieses Buch, insbesondere auf das erste
Kapitel .


(Stephan Kühn [Dresden] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wollen Sie ein Vorwort schreiben?)


Das erste Kapitel des Buches heißt: Die Rolle der Grünen
in Niedersachsen beim VW-Skandal .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Niedersachsen ist nämlich zweitgrößter Anteilseigner,
und die Grünen sitzen in Niedersachsen in der Regierung .


(Max Straubinger [CDU/CSU]: So ist es!)


Ich zitiere gerne Ihre Fraktionsvorsitzende im Nieder-
sächsischen Landtag:

Zwischen Volkswagen und Niedersachsen besteht
eine enge Verbindung .


(Max Straubinger [CDU/CSU]: Ach!)


Das sehen wir Grünen … genauso wie alle anderen
hier .

Herr Krischer, Sie sprechen in Berlin und in Hannover
zweierlei Sprachen . Das ist unehrlich . Das ist ein unred-
licher Vorgang gegenüber dem Parlament .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Michael Donth [CDU/ CSU]: Aber nichts Neues!)


Lieber Kollege Kühn, Sie beschweren sich darüber,
dass Daimler an dem gestrigen Fachgespräch in der Sit-
zung des Verkehrsausschusses nicht teilgenommen hat .
Ich habe fast Verständnis dafür; denn Daimler redet wohl
lieber mit dem Automobilfreund Kretschmann in Ba-
den-Württemberg .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Den habe ich jetzt nicht verstanden!)


Dass viele Arbeitsplätze in der Automobilindustrie an
VW hängen, haben wir heute mehrfach beleuchtet . Aber
gegen eines wehren wir uns, und zwar mit aller Vehe-
menz: Wir stecken mit niemandem unter einer Decke .


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Doch!)


Wir machen seriöse, saubere Politik .


(Lachen und Beifall des Abg . Harald Petzold [Havelland] [DIE LINKE])


Dazu gehört zunächst die Aufklärung .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wir stellen uns hinter die Beschäftigten, die täglich für
„made in Germany“ stehen . Sie stehen weder zu den Be-

Michael Donth






(A) (C)



(B) (D)


schäftigten noch zur Technologie . Das sollten Sie auch
ehrlich sagen .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Wir wollen und werden nichts vertuschen . Wir hätten
heute gerne über die Vorreiterrolle bei alternativen An-
trieben geredet . Wir hätten gerne über moderne Mobili-
tätsmodelle geredet .


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Mit der Elektromobilität sind Sie ja nun völlig gescheitert!)


Wir hätten gerne über die Zukunft der Abgasmessung
geredet, darüber, wie wir mit den Emissionstests um-
gehen . Diese Debatte haben Sie heute verhindert . Ihnen
war Klamauk wichtiger als Sachpolitik . Sie sollten sich
dafür – Pünktchen, Pünktchen, Pünktchen .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Wichtig ist jetzt, dass wir das Vertrauen wiederherstel-
len, dass es keine voreiligen Beschuldigungen oder Ver-
dächtigungen gibt und wir für einen sinnvollen Umgang
mit den Untersuchungsergebnissen sorgen . Diese sind
dann sachlich umzusetzen . Ich freue mich auf die sachli-
che Debatte, lieber Kollege Krischer, sofern Sie dazu in
der Lage sind .

Wir stehen zum Technologiestandort Deutschland .
Wir stehen zu den Beschäftigten in der Automobilindus-
trie . Wir setzen weiter auf eine erfolgreiche Branche .

Herzlichen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1815510900

Vielen Dank, Kollege Lange . – Damit ist die Aktuelle

Stunde beendet .

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 7 auf:

Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/
CSU und SPD

Europäisches System der Finanzaufsicht effi-
zient weiterentwickeln

Drucksache 18/7539

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 38 Minuten vorgesehen . – Ich höre und
sehe keinen Widerspruch . Dann ist das so beschlossen .

Darf ich bitten, Platz zu nehmen, damit wir dem ersten
Redner zuhören können? – Ich eröffne die Debatte und
gebe Alexander Radwan für die CDU/CSU-Fraktion das
Wort .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Alexander Radwan (CSU):
Rede ID: ID1815511000

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Wir haben heute einen Antrag über die Weiter-
entwicklung der europäischen Finanzaufsicht zu beraten,
um sie nach Möglichkeit effizient zu machen.

Zu Beginn sollte man sich die Frage stellen, wie die
Entstehung war und die Entwicklung und warum wir
heute an diesem Punkt sind, den wir diskutieren . Kern-
punkt war das sogenannte Lamfalussy-Verfahren, in dem
drei Strukturen geschaffen wurden: für den Banken-, den
Wertpapier- und den Versicherungsbereich . Zielrichtung
der Kommission des europäischen Parlaments und der
beteiligten Staaten war es, die europäischen Kapital-
märkte zu deregulieren . Inzwischen hatten wir die Fi-
nanzkrise . Darum wurden diese Strukturen entsprechend
weiterentwickelt .

Man muss sich einmal anschauen, welche Aufgaben
die drei neu geschaffenen Organisationen haben: Die
ESAs, also die EBA, die EIOPA und die ESMA, haben
auf der einen Seite die Aufgabe einer kohärenten Regu-
lierung . Das heißt, auf europäischer Ebene werden die
Vorgaben gemacht – im gesetzgeberischen Bereich auf
Level 1 –, die, wenn sie Verordnungen sind, unmittelbar
gelten, oder Richtlinien, die entsprechend umzusetzen
sind und dann auf Level 2 und 3 – darauf komme ich
noch zu sprechen – konkretisiert werden . Damit dies in
Europa, etwa in Portugal, Polen oder Deutschland, kohä-
rent angewendet wird, wurden diese Gremien geschaffen .

Gleichzeitig haben sie die Aufgabe, auf Level 2 und
Level 3 entsprechende Vorgaben, sogenannte technische
Standards, zu definieren. Auf Level 2 sind die Vorgaben
durch die delegierten Rechtsakte auf europäischer Ebene
definiert. Auf Level 3 können diese Organisationen von
sich aus definieren, welche Themen sie auf europäischer
Ebene angehen wollen . Sie haben grundsätzlich das
Recht dazu; aber die Frage ist, welchen Rechtsstatus dies
im Vollzug hat . – Das ist die Ausgangsposition .

Dazu kamen in den letzten Jahren die Bankenunion,
der Abwicklungsmechanismus und die Aufsicht der Eu-
ropäischen Zentralbank . Das heißt: Wir haben seitdem
eine ganze Reihe von europäischen Institutionen, die sich
mit dem Thema „Regulierung und Aufsicht“ national wie
europäisch beschäftigen . Darum begrüßen wir, dass die
Europäische Kommission eine Evaluierung angestoßen
hat, wie wir zukünftig aufgrund der Erfahrungen die Auf-
sicht weiterentwickeln müssen . Es hat sich ein ganzer
Wust entwickelt, den man kritisch prüfen muss, um es
besser zu machen und zu optimieren, ohne zu sagen, dass
es generell falsch gelaufen ist .

Ich möchte bei Level 2 und Level 3 anfangen . Hier
wird sehr viel faktische Normierung vorgenommen, die
nicht vom Gesetzgeber vorgesehen wurde; die wurden
von den Behörden entsprechend implementiert . Die Pro-
portionalitätsprämisse wird nicht immer berücksichtigt –
das wird fraktionsübergreifend regelmäßig betont –,
obwohl das Proportionalitäts- und das Subsidiaritätsprin-
zip, die unterschiedlichen Strukturen der Banken von
diesen Gremien beachtet werden müssen . Das passiert
aus unserer Sicht aber zu wenig – gerade mit Blick auf
die Genossenschaftsbanken und Sparkassen . Außerdem
haben wir eine erhebliche Regulierungsfülle . Ich glau-
be, eine Rücknahme bzw . Reduzierung der Regulierung
wäre durchaus sinnvoll . Ferner wäre es gerade mit Blick
auf die Sparkassen und Genossenschaftsbanken sinnvoll,
die Zusammenarbeit in deutscher Sprache zu führen, um
ihnen das Leben nicht noch schwerer zu machen .

Ulrich Lange






(A) (C)



(B) (D)


Wichtig ist aber insbesondere, dass diese Gremien
ihre Kompetenzen nicht überschreiten . Es muss klar sein:
Das, was der Gesetzgeber vorgegeben hat, kann nicht zu-
rückgedreht werden, auch wenn es den Gremien nicht
gefällt . Das bekannteste Beispiel hängt mit der MiFID
zusammen – es ist eines von vielen –: Der Gesetzgeber
hat ganz klar entschieden, dass die Honorar- und Pro-
visionsberatung gleichberechtigt nebeneinanderstehen
sollen; aber jetzt regulieren die entsprechenden Gremien
das in der Form, dass die Provisionsberatung faktisch tot
ist und es nur noch die Honorarberatung gibt . – Diese
Gremien haben nicht das Recht, am Gesetzgeber vorbei
Gesetzgebung zu machen .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Damit bin ich bei einem der zentralen Punkte: Trans-
parenz hinsichtlich dessen, was in den Gremien passiert,
und parlamentarische Kontrolle aus Sicht des Europäi-
schen Parlaments und aus Sicht des Deutschen Bundes-
tages . Um es noch einmal klar zu sagen, weil das immer
wieder bewusst falsch verstanden wird: Mir geht es nicht
darum, dass im Plenum oder im Ausschuss über einzel-
ne Regulierungsmaßnahmen diskutiert wird . Die Struk-
tur muss aber so sein, dass auf europäischer Ebene eine
Kontrolle erfolgen kann wie die auf nationaler Ebene
durch die BaFin . Davon sind wir auf europäischer Ebe-
ne momentan weit entfernt . Ich glaube, alle in diesem
Parlament haben ein Interesse daran, diese Kontrolle zu
erreichen .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wir müssen dieses Ziel erreichen, weil sich die euro-
päische Aufsichtspraxis infolge der jetzt anstehenden
Gesetzgebungsmaßnahmen in den nächsten Jahren eta-
blieren wird . Wenn der Vollzug in den nächsten Jahren
etabliert wird und es normal wird, dass weder nationa-
le Parlamente noch das Europäische Parlament invol-
viert sind, dann wird ein Zurückdrehen des Rades noch
schwieriger sein, als das jetzt schon ist . Die Aufsichtspra-
xis pendelt sich momentan zwischen den nationalen Auf-
sehern und der Europäischen Zentralbank ein .

Es ist wichtig, dass wir die verschiedenen Maßnahmen
hinsichtlich Normierung und Definition auf der europä-
ischen Ebene zukünftig von Anfang an parallel und ein-
heitlich betrachten . Momentan ist es so: Wir haben bei-
spielsweise Basel, IFRS und Solvency, und jeder Experte
schaut nur auf sein Fachgebiet . Die Kohärenz zwischen
den einzelnen Maßnahmen wird von den Aufsehern aber
nicht beachtet . Diese Kohärenz schlägt sich letztendlich
bei den Banken und den Finanzdienstleistern nieder, ver-
bunden mit der entsprechenden Bürokratie und den damit
verbundenen Kosten . Diesbezüglich müssen die Aufse-
her von Anfang an auch auf der oberen Ebene zusam-
menarbeiten .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Lassen Sie mich noch etwas zur Rolle der BaFin und
der Europäischen Zentralbank sagen . Ich erwarte zukünf-
tig von der BaFin, dass sie gegenüber dem Deutschen
Bundestag transparent agiert, sodass wir wissen, wie sie
in diesen Gremien verhandelt und was ihre Zielrichtung

ist, und ich erwarte, dass sich die BaFin – wir reden hier
über den Vollzug; und die europäischen Regelungen
werden sehr stark auf nationaler Ebene vollzogen – sehr
stark am politischen Willen des Gesetzgebers orientiert .
Sollte es auf Level 3 entsprechende Maßnahmen geben,
die nicht unserer Zielrichtung entsprechen – das haben
wir im Finanzausschuss und im Plenum des Bundestages
schon gesagt –, dann sollte man die BaFin dazu auffor-
dern, dies nicht zu implementieren und auf europäischer
Ebene zu sagen, dass das in Deutschland nicht möglich
ist .

Wir haben seit einiger Zeit die Europäische Zentralbank
als einen wichtigen Aufseher . Hierbei wird oft vergessen,
dass die Europäische Zentralbank Teil der EBA ist . Die
Europäische Zentralbank steht nicht über der EBA; sie
ist ein Teil der EBA . Wir wissen, dass die Europäische
Zentralbank hinsichtlich der Geldpolitik unabhängig ist;
die Unabhängigkeit der Europäischen Zentralbank be-
zieht sich aber nicht auf die Aufsicht . Wir erleben ak-
tuell, dass in der Diskussion über AnaCredit klipp und
klar gesagt wird, dass sehr viele Daten mit Blick auf die
Geldpolitik gesammelt werden . Das mag so sein . Man
kann darüber diskutieren, ob das mit Blick auf die Geld-
politik notwendig ist oder nicht . Bezogen auf die Kritik,
dass Aufsicht und Geldpolitik in einem Haus stattfinden,
hat man anfangs immer verkündet: Chinese Walls! Mei-
ne Damen und Herren, daran sollte man sich halten und
nicht bereits heute klar sagen, dass diese Daten zukünftig
für die Aufsicht verwendet werden . Dazu brauchen wir
einen Dialog mit der Europäischen Zentralbank . Darum
zeigt auch dieses Beispiel, wie notwendig es ist, dass wir
das Thema der Kontrolle durch die Parlamente von par-
lamentarischer Seite gemeinsam angehen .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg . Lothar Binding [Heidelberg] [SPD])


Lassen Sie mich abschließend sagen: Wir haben die
Kosten im Antrag insbesondere deswegen explizit er-
wähnt, weil wir auf europäischer Ebene bereits jetzt
merken, dass es darum geht, wie diese Organisationen
zukünftig finanziert werden. Dass eine Finanzierung und
möglicherweise eine Ausweitung der Finanzierung not-
wendig ist, wird überhaupt nicht bestritten . Lassen Sie
uns aber bitte zuerst die Evaluierung vornehmen und de-
finieren, wer an welcher Position welche Funktionen hat,
und dann über die Kosten reden . Wir sollten es nicht um-
gekehrt machen: erst die Bürokratie aufbauen und später
über die Aufgaben reden . Das wäre genau der falsche
Weg . Ich bitte um Zustimmung zu unserem Antrag .

Besten Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1815511100


Vielen Dank, Kollege Radwan . – Nächster Redner in
der Debatte: Dr . Axel Troost für die Linke .


(Beifall bei der LINKEN)


Alexander Radwan






(A) (C)



(B) (D)



Dr. Axel Troost (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1815511200

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Auch nach der Diskussion gestern im Finanzausschuss
und nach dem Vortrag von Herrn Radwan lässt mich Ihr
Antrag nach wie vor ziemlich ratlos zurück .


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Alexander Radwan [CDU/CSU]: Dann können Sie ihn ja nicht einmal aus gutem Herzen ablehnen!)


Was versprechen Sie sich eigentlich von diesem Antrag?
Er fasst in weiten Bereichen Allgemeinplätze zusammen .
Wenn Sie schreiben, dass sich durch die Schaffung der
neuen europäischen Aufsichtsbehörden eine „zunehmen-
de ‚Regulierungsdichte‘“ entwickelt, dann ist das reich-
lich banal . Das genau war die Aufgabe . Die neuen Behör-
den wurden als Lehre aus der Finanzkrise ausdrücklich
zu dem Zweck geschaffen, die nationale Aufsicht weiter
zu vereinheitlichen und für eine wirksamere Regulierung
und Aufsicht zu sorgen .

Wir haben immer kritisiert, dass die Regulierung und
die Aufsicht nicht weit genug gehen . Aber ich kann mir
nicht helfen: Der Grundtenor Ihres Antrags geht eher in
die andere Richtung . Man hat das Gefühl, als wollten Sie
das Wenige an verschärfter Finanzmarktregulierung eher
zurückdrehen als es konsequent weiterentwickeln .

Gemeinsame europäische Standards für Regulierung
und Aufsicht – dafür wurden diese Institutionen geschaf-
fen – heißt natürlich auch, dass es zu einem gewissen
Maß an Gleichmacherei kommen muss, weil die Ein-
richtungen und die Bankenstrukturen in den einzelnen
Ländern sehr unterschiedlich sind . Aber das Ziel muss
lauten: Eine Großbank muss in Deutschland, Irland und
Spanien möglichst gleich gut reguliert und beaufsichtigt
werden .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Alexander Radwan [CDU/CSU]: So wie die Kreissparkassen und die Genossenschaftsbanken!)


Ein sicherlich ärgerlicher Nebeneffekt europäischer
Standards ist, dass auch eine Großbank und eine kleine
Volksbank innerhalb Deutschlands aufgrund der ein-
heitlichen europäischen Standardisierung immer ähnli-
cher behandelt werden – eine Tendenz, die nun einmal
in der Natur der Vereinheitlichung liegt, der man aber in
der Praxis entgegentreten muss . Das haben wir bei al-
len möglichen Maßnahmen gemacht, als es um genau
diese Sonderregelungen ging . In diesem Punkt sind wir
uns völlig einig: Es muss aufgepasst werden, dass es hier
nicht zu einer Überforderung gerade der kleinen Institute
kommt .


(Manfred Zöllmer [SPD]: Na ja, dann ist die Ratlosigkeit ja jetzt vorbei!)


Bei Ihnen bleibt aber als Hauptargument hängen, dass
europäische Vorhaben zulasten Deutschlands gingen und
man daher bei europäischen Finanzmarktprojekten zu-

nächst einmal bremsen müsse . Das ist aus meiner Sicht
so pauschal falsch und eher Stimmungsmache .


(Alexander Radwan [CDU/CSU]: Das gilt aber auch für Kleinbanken in Italien!)


Ich erinnere an unsere Diskussion von heute Vormittag,
auch über den Fall Deutsche Bank . Dank der Turbulen-
zen der letzten Wochen dürfte inzwischen jedem klar
sein, dass auch ein Institut wie die Deutsche Bank nicht
über jeden Verdacht einer ernsthaften Schieflage erhaben
ist . Es gibt wohl niemanden hier im Raum, der glaubt,
dass bei einer Schieflage der Deutschen Bank die Kosten
allein mit Mitteln aus Deutschland auffangbar wären . Ich
warne daher dringend davor, immer wieder den Eindruck
zu erwecken, der Rest Europas hätte durch deutsches
Geld und durch Deutschland als Zahlmeister Vorteile .
Wir brauchen hier europäische Standards, auch als Ab-
sicherung .


(Beifall bei der LINKEN)


Viel schlimmer als die Auswirkungen der bisweilen
übertriebenen Aufsichtsstandards der EBA für Sparkas-
sen und Volksbanken sind aus meiner und unserer Sicht
die nach wie vor unzureichenden Finanzregulierungen
und Aufsichtsstandards für die Großbanken . Wir haben
weiterhin keinerlei Lösungen für das Problem „too big
to fail“ . Die meisten Institute bzw . Großbanken sind seit
der Krise nicht kleiner, sondern im Durchschnitt größer
geworden . Wenn die nächste Bankenkrise kommt – und
ich prophezeie Ihnen, sie wird kommen –, dann werden
die Kosten angesichts der heutigen Großbankenstruktu-
ren in Europa unvorstellbar sein . Statt diese Kosten aber
vorausschauend zu begrenzen, sorgen Sie sich in Ihrem
Antrag darum, dass – ich zitiere – „einem unkontrollier-
ten Anwachsen der europäischen Aufsichtskosten . . . ent-
gegengewirkt“ wird . Sie rechnen kleinlich in Millionen
und vergessen drei- oder vierstellige Milliardenbeträge .
Ich fürchte, Sie haben das eigentliche Problem aus den
Augen verloren .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Sagen Sie den Aufsichtsbehörden nicht, was sie nicht
machen sollen, sondern versuchen Sie, in einem Antrag
festzulegen, was sie besser und anders machen sollen .
Sagen Sie vor allen Dingen, wo klarer Handlungsbedarf
ist . Solange Sie das nicht tun, werden wir Ihrem Antrag
nicht zustimmen können, weil er völlig unzureichend ist .


(Beifall bei der LINKEN)


Ein letzter Punkt . Wir Linke und auch die Grünen
waren diejenigen, die immer gesagt haben: Die Aufsicht
darf nicht zur EZB . Sie haben von der Chinese Wall ge-
sprochen und gesagt: Es gibt keine Alternative dazu; das
müssen wir machen . – Wir haben uns immer über die-
se chinesische Mauer kaputtgelacht . Sie ist inzwischen
ein Mäuerchen, über das man im Sitzen von der einen
zur anderen Seite gucken kann . Es ist völlig klar: Wenn
irgendeine Maßnahme Richtung Italien ergriffen wird,
weiß keiner, ob das eine geldpolitische Maßnahme ist
oder eine Maßnahme, die der Bankenrettung dient, weil
man entsprechende Informationen durch die Aufsicht






(A) (C)



(B) (D)


hat . – Dieses Problem haben Sie gegen unsere Vorstel-
lungen geschaffen .

Danke schön .


(Beifall bei der LINKEN – Volker Kauder [CDU/CSU]: Mit der Mafia hat das was zu tun! Damit kennt ihr euch ja aus!)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1815511300

Vielen Dank, Axel Troost . – Der nächste Redner ist

Manfred Zöllmer für die SPD .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Volker Kauder [CDU/CSU]: Ach, jetzt bin ich ja mal gespannt!)



Manfred Zöllmer (SPD):
Rede ID: ID1815511400

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Die Welt der Finanzmärkte hat sich seit der Finanzmarkt-
krise durchgreifend verändert . Da ist kaum ein Stein auf
dem anderen geblieben . Es gibt zwar immer noch einige,
die behaupten, es hätte sich überhaupt nichts verändert;
aber das ist nicht richtig . Diejenigen, die das behaupten,
sind entweder ahnungslos oder böswillig – oder beides .
Die wichtigsten Veränderungen hat es auf und mit der
europäischen Ebene gegeben . Wir haben den Einheitli-
chen Abwicklungsmechanismus und den Einheitlichen
Aufsichtsmechanismus geschaffen . Damit wurden end-
lich die richtigen Schlussfolgerungen aus der Krise gezo-
gen . Übernational agierende Unternehmen müssen auch
übernational überwacht und reguliert werden . Finanz-
marktkrisen machen nicht an nationalen Grenzen halt .
Die Etablierung der Bankenunion in Europa war deshalb
konsequent und richtig, lieber Axel .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Dr . Axel Troost [DIE LINKE]: Aber nicht bei der EZB! Das habe ich gesagt, nichts anderes!)


Es war mir wichtig, dies am Anfang meiner Ausfüh-
rungen deutlich zu machen, damit kein falscher Zun-
genschlag entsteht . Aus unserer Sicht ist Europa Teil der
Lösung . Ich glaube, das ist ganz wichtig, und das sollten
wir festhalten .


(Dr . Axel Troost [DIE LINKE]: Kein Widerspruch!)


Es ist eine Vielzahl von Institutionen entstanden, die
sich um Regulierung, Aufsicht und Abwicklung küm-
mern . Seit 2010 sind drei europäische Institutionen – im
Folgenden nenne ich sie vereinfachend ESAs – als Auf-
sichtsbehörden für Banken, Versicherungen und Finanz-
märkte errichtet worden . Das sind nicht die einzigen;
aber damit beschäftigt sich unser Antrag hauptsächlich .
Daneben gibt es natürlich weiterhin nationale Aufsichts-
behörden . In Deutschland sind das für den Bereich der
Banken die BaFin, die Bundesbank und natürlich die
EZB, die für die Geldpolitik und für die systemrelevan-
ten Banken in Europa zuständig ist .

Politisches Ziel war und ist es, die Regulierung und
die Beaufsichtigung in Europa kohärenter und konver-
genter zu machen . Dazu brauchen wir Regeln, die eine

Aufsichtsarbitrage, also Vorteile durch unterschiedliche
Auslegungen, nicht zulassen . Es ist normal, dass eine
völlige Umgestaltung der Aufsichtsstruktur neben ei-
ner Verbesserung von Konvergenz und Kohärenz der
Aufsicht auch Probleme in der Praxis mit sich bringt .
Neugeschaffene Institutionen versuchen natürlich, sich
ihre Reputation und Existenzberechtigung durch einen
manchmal überbordenden Aktionismus zu sichern, und
wenn es ein überbordender Aktionismus ist, dann muss
man das auch entsprechend benennen .

Wir haben auf der anderen Seite natürlich auch verblei-
bende nationale Aufsichtsbehörden, die ebenfalls versu-
chen, ihre Existenzberechtigung deutlich zu machen; das
ist ja völlig klar .

Es gibt eine Vielzahl von Gesetzen und Verordnungen,
die entsprechend konkretisiert und in der Praxis umge-
setzt werden müssen . All das geschieht in Ländern mit
sehr unterschiedlicher Struktur der Finanzmärkte . – Lie-
ber Axel, allein die deutsche Struktur mit ihren drei Säu-
len ist ja einmalig in Europa . Es gibt nichts Vergleichba-
res . Wir wollen das doch um jeden Preis erhalten, weil es
sich bewährt hat . Das ist doch ein ganz wichtiges Ziel .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Wir sind damit beim Kern des Problems . Unser An-
liegen ist es, zu einer effizienten Weiterentwicklung des
Gesamtsystems zu kommen und mit einer Bestandsauf-
nahme auch auf kritische Entwicklungen hinzuweisen .
Das hat nichts damit zu tun, dass wir irgendetwas zurück-
nehmen wollen, sondern es geht um Weiterentwicklung .

Der wichtigste Punkt ist und bleibt die Forderung nach
strikter Beachtung des Proportionalitätsgrundsatzes . Was
heißt das? Kleine Institute – Sparkassen, Genossen-
schaftsbanken und kleine Privatbanken – müssen anders
beaufsichtigt und reguliert werden als systemrelevante
Großbanken . Die systemrelevanten Banken bedürfen ei-
ner strengen und starken Regulierung, die – da gebe ich
dir recht – noch nicht abgeschlossen ist; ich will hier nur
das Stichwort „Trennbanken“ nennen .


(Dr . Axel Troost [DIE LINKE]: Das steht aber nicht drin!)


Risikoarme Institute dürfen jedoch nicht regulatorisch
erdrosselt werden . Diese Gefahr besteht an manchen
Punkten . Das würde unsere Struktur beschädigen, und
das ist etwas, was wir nicht wollen .


(Beifall bei der SPD)


Die ESAs sollen in dem Rahmen tätig werden, der
ihnen vom demokratisch legitimierten europäischen Ge-
setzgeber vorgegeben wurde . Es kann nicht sein, dass
Beschlüsse des Europäischen Parlaments durch Um-
setzungsvorgaben ins Gegenteil verkehrt werden; Herr
Kollege Radwan hat das Beispiel eben genannt . Darü-
ber hinaus ist es notwendig, die enge und vertrauensvolle
Zusammenarbeit der europäischen mit den nationalen
Aufsichtsbehörden in den jeweiligen Gremien zu vertie-
fen und weiterzuentwickeln .

Darüber hinaus brauchen wir eine Diskussion über
Aufsichtsstrukturen bei der Bankenaufsicht auch in Zu-
kunft . Die doppelte Zuständigkeit der EZB für Geldpo-

Dr. Axel Troost






(A) (C)



(B) (D)


litik und Bankenaufsicht ist auf Dauer nicht akzeptabel .
Wir Sozialdemokraten haben das von Anfang an so for-
muliert . Nur, wir waren in einer Situation, in der die EZB
die einzige funktionierende Institution war, die diese
Aufgabe zum damaligen Zeitpunkt übernehmen konnte .
Deswegen war die Entscheidung damals richtig .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wir wollen dies nicht aus den Augen verlieren, ob-
wohl wir natürlich wissen, dass Europa in der gegen-
wärtigen Situation mit ganz anderen Problemen kämpft .
Aber auch wenn das so ist, ist es Aufgabe des Deutschen
Bundestages, die Arbeit der ESAs zu bewerten und nicht
nur die bemerkenswerte Aufbauarbeit zu loben, was wir
ausdrücklich tun, sondern auch auf Aspekte hinzuweisen,
die der Verbesserung bedürfen . Das ist nicht antieuropä-
isch . Das tun wir mit diesem Antrag .

Ich würde mich freuen, wenn unser Anliegen auch die
Unterstützung der Opposition findet. Wenn sich die Lin-
ken wie im Ausschuss enthalten, ist das für eure Situation
ja schon fast wie Zustimmung .


(Heiterkeit und Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Alexander Radwan [CDU/CSU]: Das ist ja schon Jubel! – Dr . Axel Troost [DIE LINKE]: Na, na, na!)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1815511500

Vielen Dank . – Als nächster Redner hat Dr . Gerhard

Schick von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das
Wort .


Dr. Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1815511600

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Mir geht es so wie Axel Troost . Der Antrag hat verschie-
dene Punkte und lässt einen ein bisschen ratlos zurück .
Ich habe den Eindruck, dass es das besondere Anliegen
eines Kollegen war, der früher im Europäischen Parla-
ment saß, das Thema aufzubringen . Deswegen ist es ein
guter Tag für Alexander Radwan, bringt Europa aber ir-
gendwie nicht voran .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Volker Kauder [CDU/CSU]: Aber immerhin ein guter Tag!)


Ich will einzelne Punkte aufgreifen, erstens die Pro-
portionalität bei der Bankenaufsicht . Wir sind uns inso-
fern einig, als klar ist: Die Besonderheiten kleiner Ins-
titute müssen besonders berücksichtigt werden . Es darf
nicht dazu kommen, dass eine Regulierung, die für Groß-
banken passt, dann kleine Banken erdrückt und es damit
insgesamt zu einer Konzentrationstendenz kommt . Wir
sind dagegen . Das haben Sie allerdings auch schon im
Frühjahr 2012 in einem ähnlichen Entschließungsantrag
gefordert . Ich frage mich, warum es nötig ist, den Bun-
desfinanzminister daran noch einmal zu erinnern. An-
scheinend sind Sie damit nicht ganz zufrieden .


(Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Kontinuität!)


Vor allem aber greift diese Forderung ein Stück weit zu
kurz, wenn sie sich nur an die europäischen Aufsichts-
behörden richtet . Vielmehr werden wir das auch in den
Regulierungen selber festschreiben müssen .

Wir sind seit Langem der Auffassung, dass es für kleine
Banken einen eigenen Regulierungsansatz braucht; denn
wenn die Regulierungsvorgaben so sind, wie sie heute
sind, dann kommen die Aufsichtsbehörden irgendwann
an ihre Grenze und können die besonderen Geschäfts-
modelle von kleinen Instituten, insbesondere von denen,
die regional eingegrenzt mit besonders eng gefasstem
Geschäftsmodell tätig sind, nicht mehr berücksichtigen .
Deswegen ist die Idee einer Small Bank Box richtig, das
heißt, in die Regulierung eine eigene klare Regelung für
kleine Banken aufzunehmen . Damit ist klar: Wenn wir
über die internationale Bankenregulierung sprechen und
verhandeln, dann ist das nicht immer wieder eine Be-
drohung für das Geschäftsmodell kleinerer Institute . An
dieser Stelle gehen wir über Ihre Forderung noch hinaus .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Der zweite Punkt, den ich hier nennen will, – Sie haben
es angesprochen – ist die Frage der Zuständigkeiten bei
der Bankenaufsicht mit Blick auf EBA und EZB . Bei Ih-
rer Forderung zur weiteren Ausgestaltung bleiben Sie un-
seres Erachtens auf halber Strecke stehen . Es reicht nicht,
die Geldpolitik und Bankenaufsicht bei der EZB stärker
zu trennen . Es ist auch nicht ausreichend, eine klare Ab-
grenzung der Zuständigkeiten zwischen EBA und EZB
vorzunehmen . Vielmehr muss man bei der nächsten Ver-
tragsänderung dazu kommen, dass eine eigene Institution
für die Bankenaufsicht zuständig ist . Wenn man hier für
die Zukunft Ideen vorträgt, dann gehört unseres Erach-
tens dieser Punkt auf die Tagesordnung . Es wird nicht
ausreichen, diese Trennung nur innerhalb der EZB vor-
zunehmen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Worin wir uns relativ einig sind, ist die Frage der Kon-
trolle der europäischen und nationalen Behörden durch
die jeweiligen Parlamente . Diese muss verstärkt werden .
Es kann nicht sein, dass Aufsichtsbehörden ein Eigen-
leben entwickeln . Wir allerdings haben insgesamt nicht
den Eindruck, dass man die Finanzaufsichtsbehörden
bremsen muss, wie das in Ihrem Antrag mitschwingt .
Ich bin froh, wenn eine Finanzaufsichtsbehörde wirklich
versucht, den Finanzmarkt sauber aufzustellen . Da könn-
te sich vielleicht die BaFin in Deutschland an der einen
oder anderen Stelle eher noch eine Scheibe abschneiden .

Ihre Forderung, dass auch die Mitarbeit der Bundes-
anstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht in den Gremien
der ESAs transparenter wird und somit für den Deut-
schen Bundestag besser nachvollziehbar, richtet sich an
die von Ihnen getragene Bundesregierung . Die Frage,
welche Informationen wir über das Handeln der BaFin
haben, entscheidet der Bundesfinanzminister. An dieser
Stelle haben Sie unsere ausdrückliche Zustimmung . Das
kritisiere ich schon seit Jahren . Vielleicht wissen Sie,
dass ich mit einigen Fraktionskollegen in dieser Frage
in Karlsruhe vorstellig geworden bin, weil das komplette
Abschirmen aller Informationen, die die BaFin betreffen,

Manfred Zöllmer






(A) (C)



(B) (D)


vor den Kontrollmöglichkeiten des Parlaments unseres
Erachtens nicht gerechtfertigt ist und dazu führt, dass wir
die parlamentarische Kontrolle nicht umsetzen können .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Es gab ein Petitum des Bundesrechnungshofes, über
das Sie gesagt haben, das wollten Sie aufgreifen. Das fin-
den wir richtig . An dieser Stelle gibt es eine Lücke, dass
ein Teil des Aufsichtshandelns weder vom Bundesrech-
nungshof, also der deutschen Institution, noch vom Euro-
päischen Rechnungshof, also der europäischen Instituti-
on, geprüft werden kann . Diese Lücke muss geschlossen
werden . Dafür sollten wir uns gemeinsam einsetzen .

Wenn ich einen Strich unter Ihren Antrag ziehe, kann
ich feststellen: einige richtige Punkte und einige Punkte,
die zu kurz greifen . Wir sehen nicht, dass dieser Antrag
die Debatte entscheidend verändern wird . Wir werden
uns bei der Abstimmung über diesen Antrag enthalten .

Ich glaube, wenn wir etwas in Europa bewirken wol-
len, dann ist es wichtig, dass man gemeinsam eine klare
Forderung aufstellt, die wir in Richtung Straßburg und
Brüssel gemeinsam vertreten . Vielleicht gelingt es beim
nächsten Mal, dass wir vorab im Finanzausschuss nicht
nur eine Selbstbefassung haben, sondern uns wirklich
zusammensetzen und schauen, was wir gemeinsam er-
reichen wollen .

Danke schön .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1815511700

Vielen Dank . – Als nächster Redner spricht Klaus-Pe-

ter Flosbach von der CDU/CSU-Fraktion .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg . Christian Petry [SPD])



Klaus-Peter Flosbach (CDU):
Rede ID: ID1815511800

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Seit den Jahren 2007 und 2008 haben wir uns
auch im Deutschen Bundestag mit gewaltigen Heraus-
forderungen beschäftigen müssen . Wir hatten erst die
Finanzkrise, dann die Wirtschaftskrise und anschließend
die Staatsschuldenkrise, die von vielen als Euro-Krise
bezeichnet wurde .


(Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Bankenkrise!)


Wenn wir heute die Wirtschaft in Deutschland sehen –
die niedrigste Arbeitslosenquote, den höchsten Beschäf-
tigungsgrad, steigende Löhne und eine Finanzwirtschaft,
die wieder funktioniert –, dann können wir sagen: Mit
all den Maßnahmen, die wir in den letzten sechs, sieben
Jahren umgesetzt haben, haben wir in Deutschland auch
ein Stück Stabilität geschaffen . Insofern ist das auch ein
Stück Erfolg der deutschen Politik .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Wir haben, wie Sie alle wissen, 40 Gesetzespakete
teilweise von der europäischen Ebene und teilweise als
Vorreiter im deutschen Parlament umgesetzt, und wir
haben von den Grünen und von den Linken viel Kritik
bekommen, dass das alles nicht ausreicht, obwohl wir bei
all diesen Maßnahmen in Europa meistens die Ersten wa-
ren . Die wirtschaftliche Betrachtung Deutschlands heute
zeigt, dass wir hier auf dem richtigen Weg sind .

Es ging nicht nur um mehr Eigenkapital, außerbörsli-
che Derivate, die Regulierung von Ratingagenturen und
ähnliche Fragen, sondern es ging um Themen, die die
gesamte Wirtschaft betreffen . Wenn wir Themen disku-
tieren, die die Regulierung des Finanzmarkts betreffen,
dann ist es nicht nur wichtig, dass wir gute Gesetze ma-
chen, die auch umgesetzt werden, sondern diese Gesetze
müssen auch kontrolliert werden .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Dazu brauchen wir eine exzellente, herausragende Auf-
sicht in Deutschland und vor allen Dingen auch in Eu-
ropa .

Meine Damen und Herren, in den Krisenjahren haben
wir erlebt, dass die Produkte, die Märkte und die Teil-
nehmer zum großen Teil international aufgestellt waren,
die Kontrolle bzw . die Aufsicht aber national . Darin lag
eine sehr große Problematik. Denn der nationale Einfluss
auf die Firmen war nicht so groß, wie er hätte sein müs-
sen . Deshalb wurden viele Dinge auch nach der Phase
der Deregulierung einfach nicht gesehen . Ich erinnere
mich wie viele Kollegen in diesem Raum noch an das
Jahr 2007, als das Thema IKB im Finanzausschuss des
Deutschen Bundestages behandelt wurde und die Crème
de la Crème der deutschen Finanzpolitik bis hin zur Auf-
sicht uns nicht erläutern konnte, in welcher problemati-
schen Situation wir uns befinden.

Eine der ersten Maßnahmen war, auf europäischer
Ebene Aufsichtsgremien zu schaffen . Damals wurden
drei Aufsichtsbehörden geschaffen, und zwar die EBA,
die Europäische Bankaufsichtsbehörde, dazu die EIOPA
für die Versicherungen und die ESMA für die Wertpapie-
re . Sie sollen vor allen Dingen die Aufsicht besser ver-
zahnen und wirksame Regulierungen nach gemeinsamen
Regeln finden. Das war bis dato nicht der Fall.

Der Ausschuss für Systemrisiken ist noch hinzuge-
kommen . Man muss den Finanzmarkt nicht nur national
in das Unternehmen hinein betrachten, sondern auch von
außen, „makroprudenziell“, wie es heißt . Mit diesen ver-
schiedenen Säulen – dazu kommt die nationale Aufsicht,
die unmittelbar in die Firmen hineinragt, in Deutschland
die BaFin und die Bundesbank –, haben wir ein neues
Modell auf europäischer Ebene kreiert .

Diese europäischen Aufsichtsbehörden müssen aber
jetzt Maßnahmen für inzwischen 28 europäische Län-
der treffen . In der Tat haben wir – das haben auch ei-
nige Kollegen angesprochen – völlig unterschiedliche
Strukturen im Bankenbereich . Wir in Deutschland haben
das sogenannte Drei-Säulen-System . Dazu gehören die
Volksbanken und Raiffeisenbanken, die öffentlich-recht-
lichen Banken – das sind die Landesbanken und vor al-
len Dingen die über 400 Sparkassen – und der gesamte

Dr. Gerhard Schick






(A) (C)



(B) (D)


private Bereich . Das sind völlig unterschiedliche Säulen,
die auch völlig unterschiedliche Anforderungen an die
Regulierung in ihrem Bereich haben .

In diesem Zusammenhang gibt es die größte Kritik an
den europäischen Aufsichtsbehörden, nämlich dass sie
gegen zwei Prinzipien verstoßen, die vom Gesetzgeber
vorgegeben worden sind . Das eine ist das Subsidiari-
tätsprinzip, das heißt, man muss auf europäischer Ebene
nicht das regeln, was man auf nationaler Ebene regeln
kann . Das andere ist: Man muss beim Handeln die Pro-
portionalität beachten, das heißt, kleine Banken müssen
klein reguliert werden und große müssen groß reguliert
werden . In dieser Frage unterstütze ich die Kritik an den
europäischen Aufsichtsbehörden .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Dieser Konflikt führt dazu, dass wir auch zurzeit
deutliche Defizite in der europäischen Aufsicht haben.
Die Kommission hat in einem Bericht dargelegt, dass es
einen bemerkenswerten Erfolg in der Aufbauarbeit gibt .
Aber sie hat auch Defizite und Fehlentwicklungen auf-
gezeigt und deutlich gemacht, dass wir die jetzigen Auf-
gaben der europäischen Aufsichtsbehörden überdenken
müssen . Wir selbst werden selbstverständlich dieses The-
ma noch erweitern müssen, allein schon aus dem Grund,
dass wir am Ende 2014 die Umsetzung der Europäischen
Bankenunion beschlossen haben .

Europäische Bankenunion bedeutet, dass die 120 gro-
ßen Finanzunternehmen bzw . die drei größten Finanzun-
ternehmen im jeweiligen Land von der Europäischen
Zentralbank kontrolliert werden . Die anderen, die klei-
nen und regionalen Banken werden im Wesentlichen von
den nationalen Behörden kontrolliert . Allein aus diesem
Grund muss überdacht werden, welche Rolle eine euro-
päische Aufsichtsbehörde mit ihren Vorgaben für Ban-
ken, Versicherungen und Wertpapiere spielen soll . Für
uns ist dabei immer wichtig gewesen, dass die Regeln
so getroffen werden, dass wir einen stabilen Finanzmarkt
haben und dass nicht der Steuerzahler für Fehler der Ban-
ken herangezogen wird . Das ist unser zentraler Punkt .
Das wollen wir in diesem Bereich auch so umsetzen .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Wo es viele Beteiligte in der Aufsicht gibt – Europä-
ische Zentralbank, die drei verschiedenen europäischen
Aufsichtsbehörden, die deutschen Behörden und die so-
genannten Systemausschüsse –, gibt es auch mehrfache
Zuständigkeiten . Die Kritik lautet daher, dass die europä-
ischen Aufsichtsbehörden inzwischen den Rahmen, den
ihnen der Gesetzgeber vorgegeben hat, deutlich über-
schritten haben, dass die Standards und Leitlinien weit
über die sogenannten regulatorischen politischen Vorga-
ben hinausgehen . Da müssen wir selbstverständlich auf-
passen, gerade wenn es um Subsidiarität und Proportio-
nalität geht . Bei der Subsidiarität geht es vor allem um
die enorme Regulierungsdichte, die unmittelbar in die
nationale Aufsicht hineinragt . Bei der Proportionalität
geht es darum, dass die kleinen Unternehmen nicht in ge-
ringerem Maße kontrolliert werden, sondern vielfach die
gleichen Anforderungen wie die Großunternehmen erfül-

len müssen . Das kann nicht der Sinn einer europäischen
Vorgabe und Regulierung sein .


(Beifall des Abg . Lothar Binding [Heidelberg] [SPD])


Es gibt zu viele Daten . Vieles wird nicht in deutscher
Sprache vorgegeben . Zudem gibt es zu viele Normset-
zungen .

Wenn ich mir die aktuelle Diskussion mit der Euro-
päischen Zentralbank über die Forderung nach AnaCre-
dit vor Augen führe, wonach jeder Kredit über 25 000
Euro mit 100 Informationen belegt werden muss, dann
frage ich mich natürlich, was eigentlich die Aufgabe der
Europäischen Zentralbank ist . Ist es ihre Aufgabe, die
Großen zu kontrollieren, damit es nicht zu einer erneuten
Finanzkrise kommt, oder ist es ihre Aufgabe, die Kleinen
mit Daten zu belasten, was hohe Kosten verursacht und
nichts zur Finanzstabilität beiträgt?


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir brauchen gute
Aufseher nicht nur in Deutschland, sondern auch in Eu-
ropa . Sie sind für uns als Parlamentarier mit die wich-
tigsten Ansprechpartner . Kollegen haben bereits darauf
hingewiesen, dass die Zukunft der Europäischen Zen-
tralbank nicht in der Aufsicht, sondern in der Geldpolitik
liegen sollte und dass wir zu einer Trennung von Aufsicht
und Geldpolitik kommen müssen . Für uns als Abgeord-
nete ist wichtig, mit den Aufsehern intensiv zusammen-
zuarbeiten; denn unsere Aufgabe ist, weitere Krisen zu
verhindern und immer dafür zu sorgen, dass der Steuer-
zahler für Krisen anderer nicht herangezogen wird .

Vielen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1815511900


Vielen Dank . – Als letzter Redner in dieser Debatte
hat Christian Petry von der SPD-Fraktion das Wort .


(Beifall bei der SPD)



Christian Petry (SPD):
Rede ID: ID1815512000


Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Die Beiträge von Gerhard Schick und Axel
Troost waren bemerkenswert . Besonders bemerkenswert
war für mich, dass sich beide ratlos gaben . Sie wären rat-
los .


(Dr . Axel Troost [DIE LINKE]: Was euren Antrag angeht!)


Wenn allerdings Ratlosigkeit zu Enthaltung führt, dann
müsste man einmal darüber nachdenken, ob man das
nicht zum System macht .


(Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Klaus-Peter Flosbach






(A) (C)



(B) (D)


Da für die Opposition die Enthaltung eine der höchsten
Formen der Zustimmung ist, fühlen wir uns dadurch ge-
ehrt .


(Dr . Gerhard Schick [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben schon zugestimmt!)


– Herr Gerhard Schick, wie ich sehe, sitzen Sie nun in
den Reihen der Linksfraktion . Das habe ich erst jetzt be-
merkt .

Manfred Zöllmer hat an dem vorliegenden Antrag
wesentlich mitgearbeitet und verhandelt . Wir haben
zuerst gedacht, dass es Ihnen nicht auffällt, dass es das
Verdienst dieses Kollegen war . Manfred Zöllmer hat in
Verhandlungen dafür gesorgt, dass hier einiges hinein-
kommt . Das ist dann aber Gerhard Schick aufgefallen,
und er hat es genannt . Ich glaube jedenfalls, dass wir in
der Überschrift unseres Antrags „Europäisches System
der Finanzaufsicht effizient weiterentwickeln“ ein gutes
Ziel formuliert haben . Das ist ein klares Bekenntnis zum
europäischen System der Finanzaufsicht . Es ist zudem
ein klares Bekenntnis, dass wir Effizienz in der Weiter-
entwicklung wollen .

Es ist hier genannt worden, dass die Gründung der Fi-
nanzaufsicht ja einen gewissen Hintergrund hatte: eine
Krise . Herr Kollege Flosbach hat hier ausführlich und
auch sehr nachvollziehbar dargelegt, wie die EBA, die
EIOPA und die ESMA für Banken, Versicherungen und
Wertpapiere gegründet wurden . Es gab klare Koordinie-
rungs- und Regelungsaufgaben in diesem Bereich . Die
Aufsichtskompetenz musste auch dort liegen, damit man
der Krise entgegentreten kann . Wir wollten und wollen
ja in vielen Dingen, die wir hier geregelt haben, mehr
Transparenz, mehr Schutz, mehr Aufsicht und auch mehr
Sanktionsmöglichkeiten, wenn etwas schiefläuft.


(Dr . Axel Troost [DIE LINKE]: Steht aber nicht drin!)


Diese Dinge sind letztlich auch in diesem Antrag imple-
mentiert, Herr Kollege Trost .


(Dr . Axel Troost [DIE LINKE]: Da steht kein Wort davon drin!)


Im Übrigen: Es wurde eben gesagt, es würden sich ge-
wisse Punkte an die Bundesregierung richten . Der ganze
Antrag richtet sich an die Bundesregierung . Darin steht:
„Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung
auf“, all die Punkte zu tun . Es ist doch eine vorzügliche
Aufgabe des Parlaments, hier die Dinge zu formulieren,
die es für weiterentwicklungsbedürftig hält .

Der Kommissionsbericht zur Arbeit der ESAs fällt po-
sitiv aus . Wir teilen diese Einschätzung . Man sollte hier
auch nicht den Eindruck erwecken, das wäre negativ . Ins-
gesamt gesehen sind wir froh, dass diese Aufsichts- und
Kontrollgremien ihre Arbeit tun .

Bei allem Positiven muss man die Level-3-Regelun-
gen, die genannt worden sind, im Auge haben . Wenn sie
für eine große Bank gemacht sind, aber auf eine kleine
Bank letztlich auch Anwendung finden sollen, dann soll-
ten die kompetenten Ansprechpartner von uns auf unsere
Auffassung hingewiesen werden . Die Proportionalität
und die Subsidiarität müssen erhalten bleiben . Das heißt,

beides muss sich in den Regelungen wiederfinden. Es
kann keine starre Regelung, Vereinheitlichung aller ent-
sprechenden Aufsichtskriterien geben, sondern es muss
an die entsprechende Situation vor Ort angepasst sein .
Aber es muss auch klar sein: Es muss Transparenz herr-
schen, es muss Sicherheit herrschen, und eine Lockerung
oder eine Änderung der Vorgehensweise darf nicht zu
neuen Risiken führen . Dies müssen wir hier – wie auch
im Antrag gefordert – entsprechend umsetzen .


(Beifall bei der SPD)


Die Arbeit der ESAs hat also schon deutliche Fort-
schritte gebracht . Auch die nationalen Aufsichtsbehörden
sind nach diesem Prozess wesentlich effektiver, und die
Risiken sind minimiert .

Ich möchte am Schluss noch auf einen Punkt einge-
hen, der mir besonders wichtig ist . Also nicht unbedingt,
dass jetzt alles auch in deutscher Sprache vorliegen muss .
Das ist ein netter Wunsch, aber das ist nicht unbedingt
mein zentraler Punkt . Ich bin der Auffassung, dass wir
perspektivisch die Trennung von Bankenaufsicht und
Geldpolitik bei der EZB als Schwerpunkt im Auge behal-
ten sollten . Die kleine chinesische Mauer, wie sie Axel
Troost genannt hat, ist letztlich also aufgebaut und ist als
große chinesische Mauer entstanden, aus der Not gebo-
ren, weil man in dieser Situation die Aufsicht über sys-
temrelevante Banken in der Euro-Zone verorten musste .

Die Gründung des SSM zeigt, dass Europa die Welt-
marktkrise meistern will und daraus die richtigen Lehren
gezogen hat . Ihn – in Ermangelung von Alternativen –
zum damaligen Zeitpunkt bei der EZB zu verorten, darf
natürlich nicht dazu führen, dass wir sagen, dies soll auf
Ewigkeit so bleiben . Wir müssen darauf hinarbeiten, dass
es hier wiederum eine Trennung der beiden Funktionen
gibt .


(Beifall bei der SPD)


Perspektivisch müssen Bankenaufsicht- und Geldpolitik
voneinander getrennt werden . Denn wenn bei steigenden
Inflationsraten eigentlich eine Leitzinserhöhung notwen-
dig wäre, dies aber gleichzeitig angeschlagene Banken
gefährdet, dann sind das natürlich zwei Dinge, die mitei-
nander nicht vereinbar sind und die man betrachten muss .

Ein zweiter Punkt: Die demokratische Legitimation
des SSM ist zurzeit natürlich nicht in ausreichendem
Maße gegeben . Auch hier sind wir als nationales Parla-
ment mit im Boot . Ich denke, das ist ein legitimes Ansin-
nen, das wir nicht aus den Augen verlieren sollten . Auch
dem trägt dieser Antrag Rechnung .

Alles in allem bin ich überzeugt, dass wir mit diesem
Antrag eine gut formulierte Handlungsoption als Auftrag
für die Bundesregierung haben . Die Aufforderung geht
an die Bundesregierung, hier diese Schritte in die Wege
zu leiten . Ich glaube, das ist von denjenigen, die es ausge-
arbeitet haben, gut gemacht . Herzlichen Dank dafür . Es
findet sich sehr viel wieder; und wird es in dieser Form
umgesetzt, glaube ich, wird das große Ziel mehr Transpa-
renz, mehr Effektivität, mehr Sicherheit im Finanzwesen
auch erreicht werden . Lassen Sie uns in diesem Sinne zu-
sammenarbeiten!

Christian Petry






(A) (C)



(B) (D)


Glück auf!


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1815512100

Liebe Kolleginnen und Kollegen, damit schließe ich

die Debatte .

Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der
Fraktionen der CDU/CSU und der SPD auf Drucksa-
che 18/7539 mit dem Titel „Europäisches System der
Finanzaufsicht effizient weiterentwickeln“. Wer stimmt
für den Antrag? – Das ist die Koalition . Wer stimmt da-
gegen? – Wer enthält sich? – Damit ist der Antrag mit
den Stimmen der Koalition ohne Gegenstimmen und bei
Enthaltung der Opposition angenommen worden .

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 8 a und 8 b auf:

a) Beratung des Berichts des Ausschusses für Recht
und Verbraucherschutz (6 . Ausschuss) gemäß
§ 62 Absatz 2 der Geschäftsordnung zu dem von
den Abgeordneten Diana Golze, Agnes Alpers,
Nicole Gohlke, weiteren Abgeordneten und der
Fraktion DIE LINKE eingebrachten Entwurfs
eines Gesetzes zur Einführung des Rechts
auf Eheschließung für Personen gleichen Ge-
schlechts

Drucksachen 18/8, 18/7375

b) Beratung des Berichts des Ausschusses für Recht
und Verbraucherschutz (6 . Ausschuss) gemäß
§ 62 Absatz 2 der Geschäftsordnung zu dem
von den Abgeordneten Volker Beck (Köln), Ulle
Schauws, Katja Keul, weiteren Abgeordneten
und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur
Abschaffung des Eheverbots für gleichge-
schlechtliche Paare

Drucksachen 18/5098, 18/7257

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 38 Minuten vorgesehen . – Ich höre dazu
keinen Widerspruch . Dann ist das so beschlossen .

Ich eröffne die Debatte und bitte die Kolleginnen und
Kollegen, zügig die Plätze einzunehmen und die Gesprä-
che einzustellen . Jetzt hat nur noch der Redner das Wort,
und das ist Harald Petzold von der Fraktion Die Linke .


(Beifall bei der LINKEN)



Harald Petzold (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1815512200

Vielen Dank . – Frau Präsidentin! Meine sehr verehr-

ten Kolleginnen und Kollegen! Liebe Besucherinnen
und Besucher auf den Besuchertribünen! Seit 850 Tagen
liegt der Gesetzentwurf zur Einführung des Rechts auf
Eheschließung für gleichgeschlechtliche Partnerschaf-
ten, den meine Fraktion eingebracht hat, dem Deutschen
Bundestag zur Beratung vor . Seit 850 Tagen ist diesem
Parlament und vor allen Dingen der Großen Koalition
nichts dazu eingefallen, wie sie sich zu diesem Gesetz
positionieren wollen, und das, obwohl die SPD im Bun-
destagswahlkampf „100 Prozent Gleichstellung nur mit

uns“ versprochen hat, und das, obwohl sie einen Koaliti-
onsvertrag geschlossen hat, in dem es heißt:

Wir werden darauf hinwirken, dass bestehende
Diskriminierungen von gleichgeschlechtlichen Le-
benspartnerschaften und von Menschen auf Grund
ihrer sexuellen Identität in allen gesellschaftlichen
Bereichen beendet werden . Rechtliche Regelungen,
die gleichgeschlechtliche Lebenspartnerschaften
schlechter stellen, werden wir beseitigen .

850 Tage gleichstellungspolitischer Stillstand und
keine Gleichstellung zu 100 Prozent, 850 Tage gleich-
stellungspolitischer Tiefschlaf sogar; denn die wenigen
Trippelschritte, die Sie gegangen sind, sind Sie nur des-
wegen gegangen, weil das Bundesverfassungsgericht Sie
per Urteil dazu gezwungen hat, die Sukzessivadoption
einzuführen . Wer sich die Wirkung dieses Gesetzes ge-
nauer anschaut, wird berechtigterweise die Frage stellen:
Welches Argument gibt es eigentlich noch, um die volle
Adoption zu verweigern? Mit dem Recht auf Sukzessiv-
adoption kann man es praktisch erreichen, dass zwei Le-
benspartner ein Kind gemeinsam adoptieren können .

Deswegen sage ich: Ihr Verhalten ist Betrug an Wäh-
lerinnen und Wählern, vor allen Dingen ist das Verhalten
der SPD Betrug an ihren Wählerinnen und Wählern . Sie,
verehrte Kolleginnen und Kollegen von der SPD, sollten
sich schon einmal die Frage stellen, warum es immer wie-
der Ihre Vertreter im Rechtsausschuss sind, die, wenn wir
den Gesetzentwurf auf die Tagesordnung setzen wollen,
beantragen, dass er nicht behandelt wird . Sie sollten auf-
passen, dass nicht die Union Ihnen im Wahlkampf 2017
das Argument entgegenhalten kann: Es waren immer die
Kolleginnen und Kollegen der SPD, die verhindert ha-
ben, dass das Gesetz behandelt werden kann . – Damit
sind Sie dann die Letzten, die hier im Parlament Nein
sagen, obwohl wir eigentlich eine rechnerische Mehrheit
für das Gesetz haben .


(Beifall bei der LINKEN)


Sie haben nicht einmal bemerkt, dass wir inzwischen
das 15-jährige Jubiläum des Gesetzes über die Eingetra-
gene Lebenspartnerschaft haben,


(Mechthild Rawert [SPD]: Wir waren auf der gleichen Veranstaltung!)


eines Gesetzes, das seinerzeit tatsächlich einen histori-
schen Wendepunkt dargestellt hat und mit dem Deutsch-
land wirklich an der Spitze all derjenigen gewesen ist,
die sich darum bemüht haben, dass Lesben und Schwule,
Bisexuelle und Transsexuelle endlich in der Gesellschaft
gleichbehandelt werden .

Es gab vor einigen Tagen eine interessante Veranstal-
tung der Bundesstiftung Magnus Hirschfeld, auf der die
ehemalige Bundestagspräsidentin Rita Süssmuth, CDU,
einen sehr interessanten Satz gesagt hat . Wenn Sie mir
schon nicht glauben, liebe Kolleginnen und Kollegen
von der Union, dann glauben Sie doch wenigstens Frau
Süssmuth, die gesagt hat: Es ist notwendig, dass wir an-
gesichts der gesellschaftlichen Entwicklungen neue Ide-
en entwickeln, ein neues Denken an den Tag legen, um
Blockaden aufzulösen .

Christian Petry






(A) (C)



(B) (D)


Ich sage Ihnen: Die Freigabe der Abstimmung über
die Möglichkeit der Eheschließung gleichgeschlechtli-
cher Lebenspartner wäre Ausdruck eines solchen Den-
kens . Sie von der Union können Ihrem Fraktionsvor-
sitzenden ausrichten, er könne ganz beruhigt bleiben;
niemand wolle ihn zwingen, mit Ja zu stimmen . Aber ich
will, dass wir ein neues Denken an den Tag legen, diese
Abstimmung freigeben, sodass endlich all die, die mit Ja
stimmen wollen – auch die in der Union –, mit Ja stim-
men können . Dann können wir die hier im Deutschen
Bundestag vorhandene rechnerische Mehrheit endlich
nutzen .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ich kann Ihnen versichern – die Geschäftsordnung gibt
es ja her –: Sie werden von uns als Opposition weiterhin
mit diesem Thema beschäftigt werden . Die Zehnwochen-
frist für die nächste Berichterstattung zum Umgang mit
diesem Gesetz hat mit der gestrigen Ausschusssitzung
angefangen . Sie können sich sicher sein: Spätestens vor
der Sommerpause, also zum Jahrestag des Inkrafttretens
des Gesetzes über die Eingetragene Lebenspartnerschaft,
werden Sie die nächste Debatte dazu bekommen . Ich bin
gespannt, ob die Große Koalition bis dahin eine Idee ent-
wickelt hat, wie sie mit diesem Gesetzentwurf umgehen
will .

Ich danke für die Aufmerksamkeit .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1815512300

Vielen Dank . – Als nächster Redner hat Dr . Stefan

Kaufmann von der CDU/CSU-Fraktion das Wort .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Stefan Kaufmann (CDU):
Rede ID: ID1815512400

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Meine Damen und Herren! Wieder einmal führen wir
hier im Haus eine Debatte zum Thema Öffnung der Ehe .
Dabei ist die Rollenverteilung klar: Die Opposition will
uns bei einem Thema vorführen, das unbestritten schon
lange wichtig ist, bei dem sie aber genau weiß, dass die
Regierung noch nicht so weit ist .


(Johannes Kahrs [SPD]: Die CDU! Herr Kaufmann, die CDU ist noch nicht so weit!)


Ohne die Regierung und ohne die sie tragenden Partei-
en, Herr Kollege Kahrs, geht es nun einmal nicht, selbst
wenn die Zustimmung zur Öffnung der Ehe in der Be-
völkerung nach allen Umfragen stetig zunimmt und mitt-
lerweile wohl sogar bei mehr als zwei Dritteln liegt . Was
bleibt der Opposition also? Sie muss überzeugen, und
zwar durch Sachlichkeit, und das ist ihr Ding nicht oder
jedenfalls nicht immer .

Ja, ich verstehe Ihre Ungeduld;


(Johannes Kahrs [SPD]: Wir warten seit 15 Jahren!)


aber Sie müssen auch uns verstehen, liebe Kollegen . Wir
brauchen Zeit . Wenn ich „wir“ sage, dann meine ich glei-
chermaßen die, die noch am tradierten, kirchlich gepräg-
ten Begriff der Ehe hängen, wie jene, die, mich einge-
schlossen, aktiv für eine Öffnung dieser Position werben
und streiten – in der Partei und außerhalb der Partei .

Sie glauben gar nicht, was es, wenn es konkret wird,
noch für Widerstände gibt . Ich könnte Ihnen ein Lied da-
von singen, zum Beispiel davon, was mein Mann Rolf
und ich im Zuge unserer kirchlichen Segnungsfeier im
Mai letzten Jahres erlebt haben . Aber auch hier gilt: Wir
müssen in unserer gesamten Gesellschaft noch Überzeu-
gungsarbeit leisten . Die meisten von Ihnen wissen: Ich
befinde mich seither in einem durchaus kritischen Dialog
mit den Kirchen und insbesondere auch mit meiner eige-
nen Kirche, der römisch-katholischen Kirche . Ich führe
diesen Dialog auch, weil mein Glaube mir wichtig und
nicht nur Fassade ist und weil ich nicht ohne Weiteres
hinnehmen will, dass die römisch-katholische Kirche
noch keinen wirklichen Weg des Umgangs mit gleichge-
schlechtlich Liebenden gefunden hat .

Doch selbst in der katholischen Kirche, jedenfalls in
Deutschland, spüre ich eine wachsende Offenheit, viel-
leicht noch nicht beim Rütteln am Sakrament der Ehe,
aber im Umgang mit gleichgeschlechtlich Liebenden .
Da sind übrigens die vom Zentralkomitee der deutschen
Katholiken im Mai letzten Jahres in Würzburg beschlos-
senen Erklärungen ein ermutigendes Signal . Man sucht
nach Wegen, die Verbindung zweier Menschen gleichen
Geschlechts in einer Feier vor Gott segnen zu können .

Warum also tun wir uns als Gesetzgeber so schwer?


(Johannes Kahrs [SPD]: Die Union, nicht der Gesetzgeber!)


Warum verengen wir die Ehe weiterhin auf die Verbin-
dung von Mann und Frau? Oder aber: Wem schadet es,
wenn wir die Ehe öffnen?


(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Union, nicht der Gesetzgeber!)


– Jetzt hören Sie doch erst einmal zu . – Ich darf dazu kurz
aus der Predigt von Pfarrer Pfützner bei unserer alt-ka-
tholischen Segnungsfeier im Mai letzten Jahres zitieren:

Unsere Gesellschaft hat in den vergangenen Jahr-
zehnten . . . eine erstaunliche, aber auch notwendige
Entwicklung gemacht, und diese Entwicklung ist an
den Kirchen nicht spurlos vorübergegangen .


(Johannes Kahrs [SPD]: Aber an der CDU!)


Heraushalten werden sie sich daraus schon deshalb
nicht können, weil in ihnen homosexuelle Men-
schen leben und weil diese Menschen, die sich in
unserer Gesellschaft Gott sei Dank nicht mehr ver-
stecken möchten,

– auch in den Kirchen nicht –

Harald Petzold (Havelland)







(A) (C)



(B) (D)


gerade dort, wo die Liebe Thema eins ist und wo der
Glaube an einen Gott lebt, den wir als grenzenlos
erfahren, als grenzenlos auch in der Liebe .

Jesus hat uns gerade diese Seite gezeigt, und er ist so
nicht nur auf Zustimmung, sondern auch auf Ableh-
nung gestoßen . Aber gerade das lässt aufhorchen:
Wer bestimmt denn, bis wo die Liebe gehen und
was als Liebe bezeichnet oder nicht bezeichnet wer-
den darf? Und was macht die so sicher, die genau zu
wissen scheinen, wo die Grenze ist?

Das ist es, meine Damen und Herren, liebe Kollegin-
nen und Kollegen: Es geht um Liebe, es geht um gelebte
Verantwortung, und es geht um Werte .

Es geht also nicht nur um ein Rechtsinstitut . Deshalb
sollten wir die Debatte auch nicht kleiner machen, als sie
ist . Nein, es geht um ein Symbol . Es geht um die Ehe als
Symbol für ein stabiles Band, das nach außen dokumen-
tiert, dass zwei Menschen, die sich lieben, zusammenge-
hören und füreinander Verantwortung übernehmen – ein
Leben lang –, die füreinander da sind, in guten wie in
schlechten Tagen . Das nennt man gemeinhin Ehe .

Und, ach ja: Auch im allgemeinen Sprachgebrauch
sind zwei Menschen gleichen Geschlechts verheiratet –
und nicht verpartnert . Übrigens wurde meinem Mann
Rolf und mir letztes Jahr von nahezu allen Gratulanten
zur Hochzeit gratuliert – und nicht zur Verpartnerung .


(Johannes Kahrs [SPD]: Auch von der CDU?)


– Auch von der CDU . – Die Word-Spracherkennung
kennt das Wort „verpartnert“ im Übrigen nicht, bis heute
nicht, trotz 15 Jahre Lebenspartnerschaftsgesetz .


(Beifall des Abg . Harald Petzold [Havelland] [DIE LINKE])


Wie ist nun die Rechtslage? Die zivilrechtliche Defini-
tion dessen, was Ehe ist, obliegt dem Gesetzgeber . Hier-
bei steht es ihm meines Erachtens frei, das zivilrechtli-
che Institut der Ehe abweichend vom naturrechtlich oder
kirchlich geprägten Begriff der Ehe zu regeln . Das gerne
ins Feld geführte Urteil des Verfassungsgerichts zum
Ehebegriff stammt aus einer anderen Zeit und könnte –
ohne auf das Argument des gewandelten Zeitgeistes ab-
stellen zu müssen – eine Revision erfahren .

Klar ist aber auch, meine Damen und Herren: Die
Neufassung des Ehebegriffs fällt einer Partei, die, wie
das bei uns der Fall ist, das C im Namen trägt, schwerer
als einer Partei, die sich betont atheistisch gibt .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Und nun ist es ja auch nicht so, dass unser Staat schon
völlig säkularisiert wäre . Noch immer spielt der christli-
che Glaube für viele Menschen jedenfalls im Alltag eine
wichtige Rolle,


(Zuruf des Abg . Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


und damit spielen auch die Handlungsanleitungen der
christlichen Kirchen eine wichtige Rolle, lieber Herr
Kollege Beck . Das können die Vertreterinnen und Ver-
treter einer Volkspartei nicht per se ignorieren . Deshalb

sage ich nochmals: Geben Sie uns Zeit, die noch Zögern-
den mitzunehmen und zu überzeugen, und setzen Sie uns
nicht monatlich mit Schaufensteranträgen unter Druck,
wie Sie das tun, Herr Kollege Petzold .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Übrigens: Besinnen wir uns nicht gerade dieser Tage –
angesichts der Ereignisse in Köln und vielerlei Sorgen
um eine Erosion unseres Wertekanons – wieder stärker
unserer christlich-jüdischen Wurzeln? Ist es nicht bis in
Teile der Opposition hinein opportun, ein Bekenntnis der
hierher Flüchtenden zu unserer Rechts- und Werteord-
nung einzufordern und zu betonen, dass wir zur Vertei-
digung unserer Werte unseren eigenen Glauben wieder
stärker und selbstbewusster leben sollten?


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was ist, wenn man nicht glaubt?)


Seien wir doch an dieser Stelle auch einfach mal froh
darüber und dankbar dafür, liebe Kollegin Künast, was
wir erreicht haben: Die Gleichstellung nämlich und die
Toleranz gegenüber gleichgeschlechtlichen Lebenswei-
sen


(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es ist doch noch keine Gleichstellung!)


wird gerade im Zusammenhang damit, was als Werteka-
non in Deutschland zu akzeptieren ist, nicht mehr infrage
gestellt . Im Gegenteil: Es wird selbst von Kolleginnen
und Kollegen, die sich betont konservativ geben, aus-
drücklich eingefordert .


(Johannes Kahrs [SPD]: Jetzt lass dich von deiner Partei nicht so missbrauchen, diesen Unsinn auch noch zu erzählen!)


Auch die Kanzlerin Angela Merkel hat auf unserem Par-
teitag am 14 . Dezember betont, dass Deutschland ein
Land sein solle „mit der Absage an jede Form von An-
tisemitismus, Fremdenfeindlichkeit und Diskriminierung
homosexueller Menschen“ .


(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Selber mal anfangen! – Johannes Kahrs [SPD]: Man sollte den Kakao nicht saufen, durch den man gezogen wird! Ernsthaft!)


– Du bist doch gleich dran, Johannes .

Und dennoch – auch das soll heute gesagt sein – ma-
che ich mir Sorgen, Sorgen auch um eine zunehmend
rechtspopulistische und rechtsextreme Tendenz in unse-
rer Gesellschaft . Die Zahl derer, die meinen, sich end-
lich – wieder – trauen zu dürfen, ihre Meinung zu sagen
und nicht vor dem sogenannten Mainstream zurückwei-
chen zu müssen, steigt . Unverhohlen werden wieder öf-
fentlich diskriminierende und verhetzende Parolen skan-
diert und gepostet . Mit der Einleitung „Man wird ja wohl
noch sagen dürfen . . .“ werden herabwürdigende oder gar
hetzerische Äußerungen keinen Deut besser oder erträg-
licher . Da gilt es, weiterhin dagegenzuhalten .

Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Öffnung der Ehe
für gleichgeschlechtliche Paare ist sehr vielen unter uns
ein gemeinsames Anliegen – und zwar über alle Frakti-
onsgrenzen hinweg. Das finde ich zunächst einmal ermu-

Dr. Stefan Kaufmann






(A) (C)



(B) (D)


tigend . Lassen Sie uns an diesen Gemeinsamkeiten weiter
arbeiten . Ich möchte mit Ihnen zusammen diejenigen, die
sich mitunter aus für sie schwerwiegenden Gründen in
der Frage noch schwertun, überzeugen und mitnehmen .
Am Ende sollte dann ein breiter Konsens stehen: hier im
Deutschen Bundestag, aber auch in unserer Gesellschaft .
Szenen, wie wir sie in europäischen Partnerstaaten ge-
sehen haben, mit Demonstrationen gegen die „Ehe für
alle“ oder gar unseren Status quo hier – ich denke nur an
Italien –, wird hierzulande keiner von uns wollen .

Das Lebenspartnerschaftsgesetz ist eine Errungen-
schaft . Ich weiß sie sehr zu schätzen . Nun gilt es aber,
die Gleichstellung zu vollenden und bestehende Stigma-
tisierungen zu beseitigen . Diese Stigmatisierung haben
wir ja schon im Kleinen, wenn man in Formularen als
Personenstand „verpartnert“ statt „verheiratet“ angeben
muss . Es ist eine persönliche Entscheidung jedes Einzel-
nen, ob er oder sie das angeben möchte, wie sie oder er
liebt . Auch deshalb ist es fair, gleicher Liebe den glei-
chen Rechtsrahmen zu geben .

Nun haben viele Kritiker einer Eheöffnung Sorge,
dass die Ehe als Institution entwertet wird . Aber ist nicht
genau das Gegenteil der Fall? Wird das Institut der Ehe
nicht vielmehr gestärkt? Freuen wir uns doch darüber,
dass diese klassische Institution Ehe und die mit ihr ver-
bundenen Werte im Kontext der aktuellen Debatte gera-
dezu eine Renaissance erleben . Entscheidend ist doch:
Es wird niemandem etwas genommen, es wird kein Kind
weniger geboren, es wird keine Ehe weniger geschlos-
sen, und es gibt auch keinen Widerspruch zu Artikel 6
Grundgesetz; denn am besonderen Schutz der Ehe wird
nicht gerüttelt und will niemand rütteln . Und zur Frage
des Geschlechts der Ehepartner sagt das Grundgesetz
nichts .


(Johannes Kahrs [SPD]: Stimmt!)


Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und
Kollegen, ich bin der festen Überzeugung, dass wir am
Ende dieser notwendigen Debatte


(Johannes Kahrs [SPD]: Wann soll denn das so sein? 2030?)


auch einen Großteil jener Bürgerinnen und Bürger mit-
genommen haben, die jetzt noch Probleme haben mit der
Vorstellung, dass gleiche Liebe auch den gleichen Namen
verdient, und dass wir dann in einem großen Konsens
das nachvollziehen, was viele, auch katholisch geprägte
Staaten wie Spanien, Portugal, Irland oder Brasilien


(Johannes Kahrs [SPD]: Aber die sind doch schon alle da! – Mechthild Rawert [SPD]: Wir sind doch die Letzten!)


in der Vergangenheit in Gesetze gegossen haben .


(Johannes Kahrs [SPD]: Das kann doch nicht länger dauern als bei den Katholen!)


Ich bin jedenfalls voller Zuversicht, Herr Kollege Kahrs,


(Johannes Kahrs [SPD]: Ja!)


und in der Gewissheit dessen, was kommt, auch sehr auf-
geräumt und gelassen .

Danke schön .


(Beifall bei der CDU/CSU – Johannes Kahrs [SPD]: Ja! Seit 15 Jahren!)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1815512500

Vielen Dank . – Als nächste Rednerin hat Renate Kün-

ast von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort .


Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1815512600

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Lieber

Herr Kaufmann, ich will einmal bei Ihrem Wertekanon
ansetzen . Angesichts Ihrer Rede fragt man sich fast, was
Sie eigentlich in Ihrer Fraktion noch wollen, außer lange
zu diskutieren .


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


Sie haben über den Wertekanon geredet . Was Sie aber
nicht gemacht haben, ist, auch über den Wert zu reden,
den ein parlamentarisches Verfahren hat . Sie haben sich
in Ihrer ganzen Rede nicht zu der Tatsache geäußert, dass
wir hier nach zehn Sitzungswochen einen Zwischenbe-
richt verlangen müssen und nicht zu einer Entscheidung
kommen . Sie haben von einem Konsens gesprochen und
davon, dass wir am Ende hier gemeinsam Arm in Arm
stehen . Aber wann soll das Ende dieses Diskurses eigent-
lich sein?


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Dazu hätte ich gerne einmal einen Hinweis .

Ein Blick in die GO, weil wir jetzt einen Zwischen-
bericht haben: In § 54 GO heißt es, dass Ausschüsse den
Sinn und Zweck haben, die Verhandlungen des Bundes-
tages vorzubereiten . Manche Leute sagen sogar, dass
dort die eigentliche Arbeit stattfindet. Wenn Sie sich
einmal anschauen, was die Aufgabe der Ausschüsse ist,
dann finden Sie in § 62 Absatz 1 folgende Formulierung:

Die Ausschüsse sind zu baldiger Erledigung der ih-
nen überwiesenen Aufgaben verpflichtet.

Das waren jetzt schon mehr als zehn Sitzungswochen .
Wir können ja nicht immer irgendwo in einer Erdumlauf-
bahn hinter einer internationalen Raumstation herfliegen
und sagen: Ist mir doch egal, wann wir jemals zur Lan-
dung kommen . – Zu baldiger Erledigung der Aufgaben:
Es ist ja offensichtlich so, dass maximal zehn Wochen
eine baldige Erledigung darstellen, sonst würden wir
jetzt nicht hier im Plenum diskutieren .

Man muss sich schon fragen, was eigentlich los ist .
Wenn ich so zwischen Ihnen, den Koalitionsfraktionen,
sitze, frage ich mich, wer eigentlich an dieser Verzöge-
rung schuld ist . Ich hätte gerne, dass wir auch bei The-
men und Tagesordnungspunkten, die die Oppositions-
fraktionen beantragen, zu einer Erledigung kommen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)


Dr. Stefan Kaufmann






(A) (C)



(B) (D)


Wenn Sie, Herr Kaufmann, über den Wertekanon re-
den, den man zum Beispiel den vielen Flüchtlingen bei-
bringen sollte, dann frage ich Sie: Wie wäre es denn mit
dem Wertekanon, dass bei uns Parlamentarismus funk-
tioniert und auch Oppositionsfraktionen das Recht ha-
ben, Anträge einzubringen, eine erste Lesung zu haben,
Ausschussarbeit und eine zweite Lesung und Verabschie-
dung?


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Sie können ja dann dagegen stimmen . Auch das
wird man doch wahrscheinlich im Integrationskurs den
Flüchtlingen mitteilen . Sie reden von Beratungsbedarf .
Im Gegensatz zum Kollegen Petzold komme ich nicht
auf 800 Tage, sondern, wenn ich einmal zähle – das Jahr
hat zumindest meistens 365 Tage; 1990 hat der Kolle-
ge Beck sozusagen den ersten Antrag eingebracht –, bei
mir macht das 9 490 Tage . So lange denkt die CDU/CSU
nach, kommt aber zu keinem Ergebnis .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Ich finde das unter parlamentarischen Gesichtspunkten
nicht in Ordnung und weiß auch nicht, welches Spiel
zwischen CDU und SPD da gespielt wird und wer jetzt
eigentlich blockiert . Ich habe das Gefühl, Sie wollen es
inhaltlich nicht, und Sie wollen die Abstimmung nicht,
damit Sie nicht zeigen müssen, was Koalition bedeutet .
Ich denke aber, dass Sie da eigentlich durch müssen, lie-
be Kolleginnen und Kollegen von der SPD, das hier an
dieser Stelle einmal namentlich zu benennen .

Ich will Ihnen eines sagen: Wir haben hier vor kur-
zem eine fraktionsunabhängige Abstimmung zum Thema
„Sterbehilfe“ gehabt . Vielleicht hat es die SPD verschla-
fen, auch zum Thema „Ehe für alle“ eine solche frakti-
onsunabhängige Initiative zu verhandeln und in die Koa-
litionsvereinbarung aufzunehmen .


(Johannes Kahrs [SPD]: Ist alles schon mehrfach abgelehnt worden!)


Das wäre eine Möglichkeit gewesen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Zum Inhalt, meine Damen und Herren: Vor 15 Jahren
ist das rot-grüne Lebenspartnerschaftsgesetz unterzeich-
net worden . Der Vater der eingetragenen Lebenspartner-
schaft, Volker Beck, sitzt dort . Wir hätten schon damals
gerne mehr gemacht, aber der Bundesrat hat uns nicht
zu einer Mehrheit verholfen . Heute aber haben wir eine
gesellschaftliche Mehrheit, die so weit geht, dass 68 Pro-
zent aller Deutschen sagen: Ja, ich bin für eine Gleich-
stellung auch bei der Ehe . Sogar fast genauso viele Mit-
glieder der katholischen Kirche sagen das . 67 Prozent
der Angehörigen protestantischer Kirchen – bei der Ge-
samtbevölkerung sind es 63 Prozent – sagen: In Regen-
bogenfamilien werden Kinder genauso gut erzogen wie
in den Heterofamilien, und sie können dort genauso gut

aufwachsen . Warum wollen Sie da eigentlich noch wei-
tere 1 000 Tage nachdenken?


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Seit 2005 hat sich eigentlich nichts Wesentliches mehr
verändert . Es gab hier und da kleine Rechtsbereinigun-
gen .

Ich will Ihnen die eine Frage stellen: Warum soll
gleichgeschlechtlichen Paaren in Zukunft die Ehe wei-
ter verwehrt werden? Warum tragen wir das wie eine
Monstranz – quasi als Symbol einer bewussten Diskri-
minierung – durch dieses Land? Schwarz-rot trägt mitt-
lerweile die schwarz-rote Laterne in Europa . Internatio-
nal – in den USA und in Irland – ist es anders . Selbst das
Bundesverfassungsgericht ist weiter als die Mehrheit im
Deutschen Bundestag . Bei der Sukzessivadoption hat es
uns – anders als es uns Herr Lange bei der Veranstaltung
neulich erzählte – mit einer Fristsetzung gezwungen, sie
endlich umzusetzen . Das Bundesverfassungsgericht hat
in vielen Entscheidungen immer wieder gesagt: Es gibt
keinen Grund für eine Ungleichbehandlung .

Deshalb rufe ich der ganzen CDU/CSU und auch der
SPD zu: Nehmen Sie sich ein Herz! Herr Kaufmann,
seien Sie nicht nur stolz auf das alte Partnerschaftsge-
setz, sondern nehmen Sie auch zur Kenntnis, dass man
am Ende sagen muss: Jetzt habe ich Mut, meine Stimme
zu erheben und entsprechend abzustimmen . Ich habe den
Mut, endlich die Ungleichbehandlung von Dingen, die
gleich sind, zu beenden . – Denn Liebe ist gleich Liebe .
Verantwortung ist gleich Verantwortung . Es gibt keine
Liebe zweiter Klasse .

Wenn wir den § 1353 BGB endlich öffnen und das
Wort „gleichgeschlechtlich“ hineinschreiben würden,
dann wäre weder Herrn Harbarth noch Herrn Kauder
noch sonst jemandem in dieser Republik, der verheiratet
ist, etwas genommen . Es ist genug Ehe für alle da . Wir
müssen es jetzt nur anpacken .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1815512700

Vielen Dank . – Als nächster Redner hat Dr . Karl-

Heinz Brunner von der SPD-Fraktion das Wort .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Dr. Karl-Heinz Brunner (SPD):
Rede ID: ID1815512800

Frau Präsidentin! Meine Kolleginnen und Kollegen!

Eigentlich wollte ich ja die gestern durch die Kanzlerin
vorgetragene Regierungserklärung heute zum Anlass
nehmen, ganz positiv über die Ehe für alle zu sprechen;
denn die Kanzlerin hatte gestern so schön klar und deut-
lich erklärt, Nichtdiskriminierung stehe bei den Verhand-
lungen um die Europäische Union nicht zur Disposition .
Da sagte ich mir: Gut so, Frau Merkel, es gibt keine Dis-
kriminierung – nicht wegen Herkunft oder Nationalität,
des Geschlechts, der Hautfarbe oder der Religion, keine
am Arbeitsplatz und – weshalb wir hier heute zusam-
mengekommen sind – schon gar keine wegen sexueller
Orientierung .

Renate Künast






(A) (C)



(B) (D)


Lieber Kollege Kaufmann, ich muss, sosehr ich Sie
persönlich schätze, nach diesen Ausführungen sagen:
Diese positive Stimmung des gestrigen Tages ist doch
etwas getrübt worden . Sie haben sich, wenn ich Ihre
Ausführungen richtig verstanden habe, auf die Lehre der
römisch-katholischen Kirche zurückgezogen . Wir haben,
soweit ich weiß, seit Bismarck doch eigentlich die Zivil-
ehe, für die der Gesetzgeber bzw . das Hohe Haus und die
deutsche Bevölkerung zuständig sind .


(Beifall bei der SPD)


Meine Kolleginnen und Kollegen, aber genau diese
Diskriminierung, die gestern als No-Go angesehen wur-
de, geschieht jeden Augenblick in unserem Land . Sie
geschieht aus vielen Reihen – insbesondere aus denen
der verehrten Freunde der Union – heraus . Die Union
lehnt eigentlich ohne Begründung – Sie haben wieder
keine richtige Begründung gebracht – die Ehe für alle
grundsätzlich ab, und sie nimmt uns Sozialdemokratin-
nen und Sozialdemokraten in diesem Parlament in die
Mithaftung . Wir sollen für die Koalitionsräson herhalten,
nur weil die Union nicht in der Lage und bereit ist, eine
Entscheidung darüber zu treffen, wie man Ungleichbe-
handlungen in diesem Land endlich verhandlungs- und
koalitionsvertragstreu – Kollege Petzold hat es vorgele-
sen – beseitigen kann .

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben bisher
noch nicht oft genug über das Thema „Ehe für alle“ dis-
kutiert. Ich finde es zwar dramatisch, dass wir uns in den
Ausschüssen wegen Vertagung seit nunmehr zehn Wo-
chen mit den Anträgen beschäftigen müssen und hier
im Hohen Hause nicht zur Entscheidung kommen . Aber
ich bin der Auffassung: Das Thema kann nicht oft ge-
nug auf der Tagesordnung stehen, damit wir endlich das
Ergebnis erreichen, das wir in diesem Land erreichen
müssen, nämlich die Ehe für alle, ganz gleich, welchen
Geschlechts .

Liebe Kollegin Künast, bevor wir jetzt in diesem Be-
reich zu Verklärungen kommen, möchte ich eines fest-
halten – ich habe Ihnen heute sogar applaudiert und fand
gut, was Sie gesagt haben;


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


bis auf einen Punkt, zu dem ich ganz deutlich sage, dass
wir der Legendenbildung vorbeugen sollten –: Nicht der
Kollege Beck ist der Vater der Lebenspartnerschaft; es
war letztendlich das rot-grüne Kabinett unter Gerhard
Schröder,


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das habe ich auch erwähnt!)


das dafür gesorgt hat, dass es zum Gesetz werden konnte
und es in diesem Land nunmehr seit 15 Jahren die einge-
tragene Lebenspartnerschaft gibt .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Meine Kolleginnen und Kollegen, ich finde es bedau-
erlich – das sage ich ganz deutlich –, dass Herr Kauder
heute nicht unter uns ist . Er war vorhin da, aber er ist
rechtzeitig gegangen . Denn ich hätte Herrn Kauder ge-
sagt: So kann es nicht gehen . – Ich verspüre nichts von

dem Erfolg – davon hat er gestern gesprochen –, den die
Koalition haben will . Wenn man nämlich gesellschafts-
politische Fragen gegen die Mehrheit der Deutschen
fernab des Gewissens der einzelnen Abgeordneten be-
handeln will, dann entspricht das nicht dem Willen zum
Sieg . Ich meine, die Menschen haben es verdient, dass
der Politpoker, für den sie in Geiselhaft genommen wer-
den, endlich beendet wird . Es ist notwendig, die Abstim-
mung hier im Deutschen Bundestag freizugeben . Ich
bitte nicht nur unseren Koalitionspartner, sondern ich
fordere ihn dazu auf . Ich akzeptiere es, wenn der eine
oder andere sagt: Nein, ich will die Ehe für alle nicht, ich
persönlich möchte eine andere Lebensweise in Deutsch-
land haben . – Aber ich habe es ziemlich satt – das sage
ich ganz deutlich –, dass wir Abgeordnete, weil einige es
nicht wollen, darüber nicht unserem Gewissen unterwor-
fen entscheiden können . Die Abstimmung muss freige-
geben werden, damit die Aussage, Nichtdiskriminierung
stehe nicht zur Disposition, keine Phrase bleibt, sondern
endlich mit Leben erfüllt wird .

Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1815512900

Vielen Dank . – Als nächster Redner hat Dr . Volker Ul-

lrich von der CDU/CSU-Fraktion das Wort .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Volker Ullrich (CSU):
Rede ID: ID1815513000

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Wir führen eine rechtliche Debatte, die sich aber
nur schwer von einer Wertediskussion trennen lässt . Da-
her vorweg: Es darf nach unserem Menschenbild für die
Beurteilung, Anerkennung und Würde eines Menschen
keine Rolle spielen, wen oder wie er liebt . Verbindungen
zwischen zwei Menschen, die auf Dauer angelegt und
durch Verantwortung füreinander geprägt sind, geben
dieser Gesellschaft Stabilität und Halt .


(Johannes Kahrs [SPD]: Bis jetzt ist alles richtig!)


Sie haben die Unterstützung des Staates verdient .


(Dr . Karl-Heinz Brunner [SPD]: Jawohl!)


Vor 15 Jahren hat der Deutsche Bundestag das Institut
der eingetragenen Lebenspartnerschaft geschaffen .


(Johannes Kahrs [SPD]: Immer noch gut!)


Das war ein wichtiger Schritt zur Anerkennung und
Gleichstellung gleichgeschlechtlicher Paare .


(Dr . Karl-Heinz Brunner [SPD]: Ja, wo ihr dann vors Bundesverfassungsgericht gezogen seid!)


Ich möchte nicht verhehlen, dass die volle rechtliche
Gleichstellung mit der Ehe, beispielsweise im Steuer-
recht, nicht durch den Gesetzgeber, sondern erst durch

Dr. Karl-Heinz Brunner






(A) (C)



(B) (D)


die Entscheidung des Verfassungsgerichts erreicht wer-
den konnte .


(Johannes Kahrs [SPD]: Ja, weil ihr geklagt habt!)


Auch muss uns der Umstand bewegen, dass selbst un-
ter Geltung dieses Grundgesetzes viele Männer aufgrund
des § 175 Strafgesetzbuch verurteilt worden sind . Das
war unter keinem Gesichtspunkt richtig .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und der LINKEN – Mechthild Rawert [SPD]: Rehabilitation!)


Das muss dieser Staat deutlich zum Ausdruck bringen .

Die heutige Debatte dreht sich um die Frage der
Gleichbehandlung von Ehe und eingetragener Le-
benspartnerschaft im Hinblick auf die rechtliche Situa-
tion . Festzuhalten ist: Eine Diskriminierung liegt nicht
bereits dann vor, wenn Einrichtungen, die gleich sind
oder gleiche Rechte besitzen, lediglich sprachlich un-
terschiedlich bezeichnet werden . Anknüpfungspunkt für
Diskriminierung ist zunächst eine unterschiedliche Be-
handlung in den Rechtsfolgen . Soweit die Rechtsfolgen
einer eingetragenen Lebenspartnerschaft im Hinblick auf
gewichtige Elemente der gegenseitigen Verantwortung
und des gemeinsamen Einstehens füreinander wie Unter-
halt, Hinterbliebenenversorgung, Steuerrecht, Erbrecht
und Zeugnisverweigerungsrecht sich nicht von der Ehe
unterscheiden, liegt keine rechtliche Diskriminierung
vor . Es ist vielmehr festzuhalten: Dieser Bundestag hat
zuletzt durch die Änderung von 27 Gesetzen im Hinblick
auf den Gleichheitsgrundsatz Lebenspartnerschaften in
der rechtlichen Wirkung der Ehe gleichgestellt .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Dr . Karl-Heinz Brunner [SPD]: Aber nicht in der gesellschaftlichen!)


Ich möchte dennoch den Umstand nicht verschwei-
gen,


(Johannes Kahrs [SPD]: Immerhin!)


dass die unterschiedlichen Bezeichnungen – hier Ehe,
dort Lebenspartnerschaft, hier verheiratet, dort verpart-
nert – Diskussionen und ehrlich empfundene Wünsche
außerhalb der rechtlichen Sphäre nach einer einheitli-
chen Sprache auslösen . Bereits jetzt sind im allgemeinen
Sprachgebrauch und damit in der Lebenswirklichkeit die
Begriffe „verheiratet“ oder „Hochzeit“ längst Standard
geworden, und zwar unabhängig von der Frage, ob die
Partner verschieden- oder gleichgeschlechtlich sind .

Viele gleichgeschlechtliche Paare sind zu Recht stolz
auf ihre Lebenspartnerschaft . Ich kann aber sehr gut
nachempfinden, dass nicht wenige Lebenspartner sehr
ungern auf Formularen oder im allgemeinen Sprachge-
brauch „verpartnert“ angeben wollen . Die Angabe des
Familienstands dient dazu, nach außen kundzutun, ob
und in welcher Verantwortungsgemeinschaft jemand
steht . Die Preisgabe der sexuellen Orientierung kann und
darf damit aber nicht gemeint sein, sie spielt für diesen
Informationszweck auch keine Rolle .

Ich verstehe den Umstand und den Wunsch, dass vie-
le Lebenspartner ihrer gegenseitigen Verantwortung und
ihren gemeinsamen Werten einen besonderen Rahmen
geben wollen . Das führt uns zum eigentlichen Kern die-
ser Debatte, der folgende Frage zugrunde liegt: Kann der
Gesetzgeber durch einfachgesetzliche Änderungen im
bürgerlichen Recht die Ehe für Personen gleichen Ge-
schlechts einführen, oder bedarf es dazu einer Grundge-
setzänderung?


(Johannes Kahrs [SPD]: Braucht es nicht!)


Dieser Frage müssen wir uns sehr sorgfältig widmen;


(Johannes Kahrs [SPD]: Aber nicht zehn Jahre lang! – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Diese Debatte ist auch schon 9 000 Tage alt!)


denn selbst gut- und wohlgemeinte Anliegen sollten uns
nicht dazu verleiten, bei verfassungsrechtlichen Fragen
die gebotene Sorgfalt und die richtige Einschätzung au-
ßer Acht zu lassen .


(Johannes Kahrs [SPD]: Sie hatten 15 Jahre Zeit, Herr Kollege! – Mechthild Rawert [SPD]: Das hat das Bundesverfassungsgericht entschieden!)


Artikel 6 Grundgesetz stellt Ehe und Familie unter den
besonderen Schutz des Staates .


(Johannes Kahrs [SPD]: Den nimmt ja auch keiner weg!)


Der Ehebegriff ist nicht definiert und deswegen zwingend
durch die ständige Rechtsprechung des Verfassungsge-
richts zu erschließen . Ehe ist danach die auf Dauer an-
gelegte, auf freiem Entschluss und Gleichberechtigung
beruhende, geschlossene Lebensgemeinschaft zwischen
Mann und Frau . Das Verfassungsgericht sieht bis heute –
letztes Urteil 2013 – die Ehe in ständiger Rechtsprechung
als Institut der Verbindung zwischen Mann und Frau an .
Auch der Gesetzgeber des Jahres 2001 hat daran nichts
geändert . Ob man diese verfassungsrechtliche Situation
für politisch richtig oder falsch hält, als gut oder schlecht
empfindet, das muss jeder für sich selbst entscheiden.


(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wann geben Sie endlich die Abstimmung frei?)


Es ändert nichts daran, dass der Bundestag beim weiteren
Vorgehen diese Lage zwingend zu berücksichtigen hat .


(Harald Petzold [Havelland] [DIE LINKE]: Deswegen soll ja die Abstimmung freigegeben werden, Herr Kollege, genau deswegen!)


Auch die jüngeren Urteile können an dieser Situation
nichts ändern . Die verfassungsrechtliche Begründung für
die im Ergebnis richtige Gleichstellung war nicht die Be-
rufung auf Ehe und Familie,


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das war doch gar nicht die Frage beim Verfassungsgericht!)


Dr. Volker Ullrich






(A) (C)



(B) (D)


sondern der Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz, der
zu Recht gerügt worden ist .


(Johannes Kahrs [SPD]: Jetzt eiern Sie doch nicht so rum, Herr Kollege!)


Kein Mensch in einer Ehe hat weniger Rechte, weil Men-
schen in einer eingetragenen Lebenspartnerschaft die
gleichen Rechte besitzen .

Ich fasse zusammen: Eine Öffnung des Instituts der
Ehe für gleichgeschlechtliche Paare unterliegt der Wer-
tentscheidung des verfassungsgebenden Gesetzgebers .


(Johannes Kahrs [SPD]: Jetzt!)


Daher reicht eine einfachgesetzliche Änderung im BGB
nicht aus .


(Johannes Kahrs [SPD]: Doch! – Dr . KarlHeinz Brunner [SPD]: Eben doch!)


Das müssen wir im Rahmen der Beratungen im Rechts-
ausschuss beachten .


(Mechthild Rawert [SPD]: Nein!)


Wer das Institut der Ehe für gleichgeschlechtliche
Paare öffnen möchte, muss das Grundgesetz ändern .


(Johannes Kahrs [SPD]: Ach Quatsch!)


Deswegen, meine Damen und Herren und auch Herr
Kollege Brunner, sollten wir hier nicht von „Geiselhaft“
oder „Politikpoker“ sprechen, sondern von Debattenbei-
trägen, die sich an unserer Verfassung orientieren . Das
wäre die richtige Tonlage gewesen .


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Frage ich direkt in der Obleuterunde! Anhörung! – Johannes Kahrs [SPD]: Das ist grober Unfug! – Weiterer Zuruf des Abg . Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Wir werden über diese Fragen sprechen müssen . Das
benötigt Zeit und kluge Beratungen .


(Lachen bei Abgeordneten der SPD – Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Noch mehr Zeit?)


Ich will nicht verschweigen, dass es dazu in der Union
unterschiedliche Auffassungen gibt . Wir sollten aber
nicht den Fehler begehen,


(Johannes Kahrs [SPD]: Nein!)


dass jedem, der aus guten Gründen eine abweichende
Meinung vertritt, gleich ein Diskriminierungswille un-
terstellt wird .


(Johannes Kahrs [SPD]: Doch, genauso ist es! Leider wahr! – Kai Gehring [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Aber das stimmt!)


Das wäre nicht fair und würde die Fronten verhärten .

Meine Damen und Herren, Ehe und Familie, auch und
gerade Familien mit Kindern, sind der Kernbereich der
sozialen Sphäre der Menschen . Debatten darüber dürfen
nicht verletzen oder ausgrenzen oder Gruppen gegenei-

nander ausspielen, sondern sie müssen die Menschen zu-
sammenführen und einen .


(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Menschen sind doch schon geeint! Sie von der Union sind nicht geeint!)


Das ist unser Ansatz bei der Debatte .

Herzlichen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1815513100

Vielen Dank . – Als nächster Redner hat Johannes

Kahrs von der SPD-Fraktion das Wort .


(Beifall bei der SPD)



Johannes Kahrs (SPD):
Rede ID: ID1815513200

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Wir haben jetzt zwei Rednern der Union lau-
schen dürfen, die hier nur herumgeeiert haben .


(Heiterkeit bei der SPD)


Im Kern ist die Sachlage doch klar: Rot-Grün hat das
Lebenspartnerschaftsgesetz vor 15 Jahren beschlossen .


(Zuruf von der CDU/CSU: Das bestreitet doch niemand!)


Geschrieben hat es Margot von Renesse . Wir alle wollen
es . Die CDU ist im Bundesrat dagegen zu Felde gezogen .
Die CDU ist zum Bundesverfassungsgericht gezogen .
Am Ende hat die CDU/CSU-Fraktion nie freiwillig mit-
gestimmt . Wenn sie mitgestimmt hat, wurde sie genötigt .


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das stimmt!)


Freiwillig war das alles nie .


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein, aufgefordert durch das Bundesverfassungsgericht!)


Wenn überhaupt etwas stattgefunden hat, hat es stattge-
funden, weil entweder Rot-Grün irgendetwas beschlos-
sen hat oder weil tapfere Bürgerinnen und Bürger dieses
Landes vor das Verfassungsgericht gezogen sind und
Recht bekommen haben . Das waren die beiden Motoren
dieser ganzen Veranstaltung .


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Weiterhin ist es so, dass es natürlich ganz wunderbar
ist, dass die Kollegen von der Union – ich muss es fast
ablesen – noch Zeit brauchen, um die Meinungsbildung
in der Union voranzutreiben, und Beratungsbedarf haben .
Ernsthaft: Ich bin seit 1998 im Deutschen Bundestag,


(Dr . Volker Ullrich [CDU/CSU]: Viel zu lang!)


und seit 1998 denkt die Union nach . Wenn das das Tempo
ist, in dem Sie zu Ihrer Meinungsbildung kommen, wenn

Dr. Volker Ullrich






(A) (C)



(B) (D)


das das Tempo ist, in dem Sie nachdenken, wundert mich
überhaupt nichts mehr in diesem Land .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und des Abg . Harald Petzold [Havelland] [DIE LINKE])


Dass Sie sich nicht einigen können, erklärt dann nämlich,
warum wir in ganz vielen Punkten nicht vorwärtskom-
men . Ich will ja gar nicht auf den Streit in der Koaliti-
on in den letzten Wochen zu sprechen kommen . Es ist
ja nicht so, dass sich CDU, CSU und SPD streiten . Da
streiten sich CDU und CSU, dann streitet man sich in der
CDU wie die Kesselflicker. Dagegen sind wir ein Hort
der Stabilität .


(Lachen bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wenn man sich Ihre Leistung in dieser Frage anschaut,
dann kann man sie doch gar nicht anders als blamabel
finden.

Und jetzt: Familien mit Kindern, Leute, die anständig
verheiratet sind – das will niemand niemandem nehmen,
weil wir alle aus solchen Familien gekommen sind, weil
es auch vollkommen in Ordnung ist und niemand ein
Problem damit hat –, als Grund dafür anzuführen, dass
andere, die auch füreinander einstehen, nicht heiraten
können sollen, grenzt ans Absurde .


(Dr . Volker Ullrich [CDU/CSU]: Hat doch niemand gesagt! Hören Sie mal zu!)


Mit Ihrem Herumgeschwurbel, das man sich ja hier
anschauen kann, liebe Kolleginnen und Kollegen, kom-
men Sie nicht weiter . Nachdem das schon 15 Jahre dauert
und Sie jetzt noch mehr Zeit brauchen, sage ich Ihnen
ganz einfach: Ich habe die Schnauze voll, und zwar bis
hier .


(Zuruf von der CDU/CSU: Na, na, na!)


Ich habe diese Rede in unterschiedlichen Varianten zwei
oder drei Dutzend Male gehalten . Ich musste mir jedes
Mal von unterschiedlichsten Rednerinnen und Rednern
der Union anhören, warum Sie gerade nervlich dazu
nicht in der Lage sind,


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nervlich?)


warum Sie noch nachdenken müssen, warum Sie noch
einen Volkshochschulkurs brauchen, warum Sie noch ein
bisschen Nachhilfe in Rechtsfragen brauchen . Ich weiß
nicht, was Sie noch alles brauchen . Sie können von uns
gern verfassungsrechtliche Gutachten haben . Die Fried-
rich-Ebert-Stiftung ist gern bereit, Ihnen dazu etwas zu
übersenden. Selbst das Porto würde ich noch selbst fi-
nanzieren . Im Ergebnis kann all das doch nicht angehen .

Ich finde, das muss in dieser Legislaturperiode been-
det werden . Ich bin der Opposition, den Linken und den

Grünen, wirklich dankbar, dass sie das Thema immer
wieder aufs Tapet bringt .


(Zuruf von der CDU/CSU: Was Sie selbst nicht geschafft haben!)


Denn dann darf ich diese Rede immer wieder halten .

Im Kern ist es ja so, dass CDU und CSU – ich bin
Haushälter – immer gern von der schwarzen Null reden .
In diesem Punkt stimmt das mal .


(Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Da sitzen nämlich jede Menge von der Sorte .


(Michaela Noll [CDU/CSU]: Das ist nicht Ihr Niveau!)


Es reicht . Ich habe einfach keine Lust mehr . Ich ver-
spreche Ihnen eines: Wenn das Thema hier im Deutschen
Bundestag noch einmal aufkommt, dann werden wir in
der SPD-Fraktion darüber abstimmen, wie wir hier ab-
stimmen .


(Zurufe von der CDU/CSU)


Und ich sage Ihnen: In der SPD-Fraktion werden wir,
glaube ich, eine Mehrheit haben .


(Beifall bei der SPD sowie des Abg . Harald Petzold [Havelland] [DIE LINKE])


Entweder Sie raffen sich jetzt mal auf und kriegen es hin,
dass die Abstimmung geöffnet wird, oder Sie werden hier
im Deutschen Bundestag eine Abstimmungsniederlage
erleiden! Und die wäre auch verdient!

Vielen Dank .


(Beifall bei der SPD und der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Elisabeth Winkelmeier-Becker [CDU/CSU]: Es liegt an Ihnen, dass wir nicht abstimmen! – Dr . Volker Ullrich [CDU/CSU]: Unterirdisches Niveau, Herr Kahrs!)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1815513300

Vielen Dank . – Als letzte Rednerin hat Petra Ro-

de-Bosse von der SPD-Fraktion das Wort .


(Beifall bei der SPD)



Petra Rode-Bosse (SPD):
Rede ID: ID1815513400

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen

und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren!
Menschen – es geht um Menschen! Was verbinden sie
mit dem Begriff der Ehe? Die meisten denken sicher an
Menschen, die füreinander da sind, die füreinander sor-
gen, die sich wertschätzen, die füreinander Verantwor-
tung tragen, die sich mit großer Zuneigung begegnen,
die sich lieben . Sicherlich könnte man noch vieles Wei-
tere ausführen, doch diese wenigen Worte sind schon ein
wichtiger Beleg dafür, dass Ehe und Familie zu Recht
den besonderen Schutz unseres Grundgesetzes genießen .

Im Grundgesetz steht auch, dass alle Menschen gleich
sind und niemand benachteiligt werden darf . Das tun wir

Johannes Kahrs






(A) (C)



(B) (D)


aber, wenn wir gleichgeschlechtlichen Paaren immer
wieder sagen: Ihr seid nicht gleichberechtigt . Wir erken-
nen eure Liebe nicht als gleichwertig an . – Im Grundge-
setz wird übrigens nicht näher aufgeführt, dass die Ehe
ausschließlich Paaren aus Frau und Mann vorbehalten
ist . Lassen Sie uns doch davon ausgehen, wie weitsich-
tig die Mütter und Väter des Grundgesetzes waren, als
sie bewiesen haben, dass sie gesellschaftlichen Wandel
einschließen . Das Grundgesetz ist offen für die norma-
tive Kraft des Faktischen, oder, um es einfacher auszu-
drücken, das Grundgesetz ist offen für gesellschaftliche
Veränderungen .

Seien wir doch ehrlich: Die Gesellschaft hat sich ver-
ändert . Die Lebenswirklichkeit ist längst eine andere als
jene, die sich bei uns in zwei Gesetzen wiederfindet –
zwei Gesetze und damit zwei verschiedene Modelle: ein-
mal die Ehe und einmal die eingetragene Lebenspartner-
schaft. Das ist vollkommen überflüssig. Es erleidet doch
niemand einen Nachteil, wenn auch Männer Männer und
Frauen Frauen heiraten dürfen .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Die diffuse Angst vor der Ehe für gleichgeschlechtli-
che Paare ist völlig unbegründet . Wir sollten uns endlich
trauen, mit der Gesellschaft Schritt zu halten . Die Politik
darf nicht länger der Realität hinterherhinken .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)


20 Staaten weltweit haben das bereits anerkannt . Auch
bei uns in Europa haben schon 12 Länder die Ehe für
gleichgeschlechtliche Paare ermöglicht und sich dafür
geöffnet . Und, meine sehr verehrten Damen und Herren,
diese Länder werden nicht nur von Sozialdemokraten,
Grünen und Linken regiert . Die Ehe auch für gleichge-
schlechtliche Paare ist ein internationales Symbol für
Weltoffenheit, für Freiheit, für Gerechtigkeit und Gleich-
berechtigung .


(Beifall des Abg . Dr . Karl-Heinz Brunner [SPD] – Mechthild Rawert [SPD]: Gut so!)


Häufig wird Deutschland – und das völlig zu Recht – als
Wegbereiter für genau diese Werte angesehen . Doch bei
der Öffnung der Ehe für gleichgeschlechtliche Paare ha-
ben wir eindeutig Nachholbedarf .

Überholte Konventionen und überkommene Vorstel-
lungen von Partnerschaft und Ehe dürfen nicht entschei-
dend sein . Der Mensch ist entscheidend . Der Mensch
muss im Mittelpunkt stehen .

Danke sehr .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1815513500

Ganz herzlichen Dank und gleichzeitig auch Gratula-

tion zu Ihrer ersten Rede, Frau Rode-Bosse .


(Beifall)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich schließe die
Aussprache und rufe den Tagesordnungspunkt 9 auf:

Erste Beratung des von der Bundesregierung einge-
brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neurege-
lung des Kulturgutschutzrechts

Drucksache 18/7456
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Kultur und Medien (f)

Innenausschuss
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Finanzausschuss
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenab-
schätzung

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 38 Minuten vorgesehen . – Ich höre dazu
keinen Widerspruch . Dann ist das so beschlossen, und
wir können die Aussprache beginnen .

Wenn Sie bitte zügig die Plätze einnehmen würden . –
Darf ich auch die Kollegen von der CDU/CSU bitten,
ihre Plätze einzunehmen,


(Michaela Noll [CDU/CSU]: Wir brauchen immer ein bisschen mehr Zeit! Das haben wir ja eben gehört!)


und die von der SPD auch?

Als erste Rednerin in der Debatte hat die Staatsminis-
terin Monika Grütters für die Bundesregierung das Wort .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


M
Monika Grütters (CDU):
Rede ID: ID1815513600


Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren Kolleginnen und Kollegen! Zu unserem Selbst-
verständnis als Kulturnation gehört zuerst einmal der
Konsens, dass Kunst, dass Kulturgut keine Ware wie jede
andere ist und auch keine Geldanlage wie jede andere;
denn Kulturgüter sind zunächst einmal Spiegel unserer
Geschichte und unserer Identität .

Der Regierungsentwurf zur Novellierung des Kul-
turgutschutzgesetzes, den wir heute in den Bundestag
einbringen, ist Teil einer historischen Entwicklung, die
in manch hitziger Debatte der vergangenen Monate ein
wenig aus dem Blickfeld geraten ist . Die erste rechtli-
che Regelung des Kulturgutschutzes – ich glaube, dass
es ganz wichtig ist, diesen Kontext herzustellen –, eine,
wie es damals hieß, „Verordnung über die Ausfuhr von
Kunstwerken“ aus dem Jahr 1919, war der bitteren Erfah-
rung von Plünderungen ungeheuren Ausmaßes im Ersten
Weltkrieg in Deutschland und Europa sowie dann auch
des drohenden Ausverkaufs deutschen Kulturbesitzes ge-
schuldet . Auf den Zweiten Weltkrieg, also auf wirklich
leidvolle Erfahrungen auch mit Raub- und Beutekunst
hier bei uns, wenn auch selbstverschuldet, folgte das
Kulturgutschutzgesetz von 1955, das national wertvolles
Kulturgut seitdem durch die Eintragung in Verzeichnisse
der Länder vor Abwanderung schützt und das wir heute,
also ziemlich genau 60 Jahre danach, novellieren wollen .

Zwischenzeitlich, nämlich mit der UNESCO-Kon-
vention zum Kulturgutschutz aus dem Jahr 1970, ist
ebendieses Thema auch international auf die Tagesord-
nung gekommen . Ausgerechnet Deutschland hat die

Petra Rode-Bosse






(A) (C)



(B) (D)


UNESCO-Konvention aber erst mit 37-jähriger Verspä-
tung ratifiziert. Die EU wiederum hat 1992 ihrerseits ent-
sprechende Bestimmungen eingeführt . Auch da sind wir
als eines der letzten von 28 Ländern wieder einmal mit
deutlicher Verzögerung am Werk .

Trotz unserer eigenen – teilweise selbstverschulde-
ten – Erfahrung mit dem Verlust von Kulturgut und trotz
unserer auch historisch begründeten Verantwortung für
den Schutz des kulturellen Erbes – nicht nur unseres
eigenen, sondern auch des fremden – fristet der Kultur-
gutschutz bei uns, in der viel gerühmten Kulturnation
Deutschland, seit Jahrzehnten eher ein Schattendasein,
meine Damen und Herren . Deutschland hinkt der euro-
päischen und der internationalen Entwicklung nach wie
vor hinterher .

Zwar haben sich viele Regelungen zum Kulturgut-
schutz bewährt, zum Beispiel dass wir zur Identifizie-
rung dessen, was wir national wertvoll finden, Sachver-
ständige befragen und dies nicht der Politik überlassen .
Andere Regelungen der jetzigen Gesetzeslage haben sich
aber nicht bewährt, zum Beispiel diejenigen zur Einfuhr
von Kulturgütern aus Kriegs- und Krisenregionen . Dabei
geht es etwa um den Handel mit antiken Kulturgütern .
Indem wir die Einfuhr unterbinden, wollen wir ja versu-
chen, tatsächlich auch organisierte Kriminalität zu ver-
hindern . Diese Regelungen haben sich, wie gesagt, nicht
bewährt . Deshalb haben sich die Parteien, auch aufgrund
eines Evaluierungsberichts der Bundesregierung aus dem
Jahr 2013, im Koalitionsvertrag darauf verständigt, den
Kulturgutschutz in Deutschland zu novellieren . Das muss
im Rahmen eines Gesetzes geschehen, das einer Kultur-
nation würdig ist, und zwar, wie ich meine, in zweierlei
Hinsicht:

Erstens bei der Einfuhr . Deutschland muss endlich sei-
nen Beitrag zur Eindämmung des illegalen Handels mit
Kulturgütern leisten . Hier geht es um nicht weniger als
um den Schutz des internationalen, des weltweiten kultu-
rellen Erbes der Menschheit .

Zweitens bei der Ausfuhr, also beim Schutz unseres
eigenen kulturellen Erbes . In den wenigen Ausnahme-
fällen, in denen Kulturgüter als emblematisch für unsere
Geschichte und Identität gelten und anerkannt werden,
muss es auch bei uns möglich sein, diese wenigen Stücke
hier auch künftig vor Abwanderung ins Ausland und vor
Zerstörung zu schützen .

In diesen wenigen Fällen kann es natürlich zu Konflik-
ten kommen: zwischen legitimen privaten Eigentümerin-
teressen, zum Beispiel dem Interesse nach möglichst
hohen Verkaufspreisen, und einem dem möglicherweise
entgegenstehenden öffentlichen Interesse an der Bewah-
rung des besonderen Werts eines Werks für Deutschland .
Hier müssen wir fair und angemessen verhandeln . Das
ist uns – auch diese Erinnerung möchte ich hier noch
einmal ganz deutlich formulieren – in den vergangenen
60 Jahren, seit wir das Gesetz haben, fast ausnahmslos
konfliktfrei gelungen. Es gab in den vergangenen Jahren
so gut wie keinen nennenswerten Streit über solche Fälle .
Deshalb glaube ich und bin sehr zuversichtlich, dass wir
das mit den Regelungen im vorliegenden Gesetzentwurf
auch künftig hinbekommen, zumal Museen und private

Eigentümer und Sammler in vielerlei Hinsicht deutlich
bessergestellt werden als nach der jetzigen Regelung .

Die Unterstützung für die Gesetzesnovelle ist denn
auch viel breiter, als manche schrille Stimme in der De-
batte der letzten Wochen es vermuten lässt . Ich bedan-
ke mich insbesondere beim Deutschen Kulturrat, beim
Deutschen Museumsbund, beim Internationalen Muse-
umsrat, beim Bundesverband Bildender Künstlerinnern
und Künstler, beim Deutschen Künstlerbund, beim Bun-
desverband der Fördervereine Deutscher Museen für
bildende Kunst; darin vertreten sind sehr viele Sammler,
Leihgeber und Eigentümer sowie Vertreter von Samm-
lern . Zu den Unterstützern gehören auch die 18 Staa-
ten, deren Botschafter sich bei mir ausdrücklich für den
jetzigen Gesetzentwurf bedankt haben – aus Süd- und
Mittelamerika sind sie gesammelt bei mir erschienen,
andere, aus dem Mittleren und Nahen Osten, kamen ein-
zeln –, und nicht zuletzt auch die Kulturminister unserer
16 Bundesländer . Der Bundesrat hat die Zustimmung
dieser Kulturminister in seiner Stellungnahme im De-
zember bekräftigt .

Kunst- und Kulturgüter, liebe Kolleginnen und Kol-
legen, haben nicht nur einen Preis, sondern vor allen
Dingen einen Wert . Diese Überzeugung trägt den Ge-
setzentwurf der Bundesregierung zur Novellierung des
Kulturgutschutzrechts . In diesem Sinne bitte ich Sie um
Ihre Zustimmung .

Vielen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1815513700

Vielen Dank . – Als nächste Rednerin hat Sigrid

Hupach von der Fraktion Die Linke das Wort .


(Beifall bei der LINKEN)



Sigrid Hupach (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1815513800

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren!

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die UNESCO-Kon-
vention von 1970 gegen die rechtswidrige Einfuhr, Aus-
fuhr oder Übereignung von Kulturgut endlich in wirksa-
mes nationales Recht umzusetzen, ist längst überfällig .
Deshalb unterstützt meine Fraktion dieses Anliegen des
vorliegenden Gesetzentwurfes .

Das Kulturgüterrückgabegesetz von 2007 hat sich,
wie von der Linken bei seiner Einführung übrigens schon
befürchtet und wie von Bund und Ländern im Evaluati-
onsbericht von 2013 einhellig festgestellt, als wirkungs-
los erwiesen . Die erdrückenden Bilder der barbarischen
Kulturzerstörungen in Mosul, Hatra, Nimrud und Palmy-
ra machen mehr als deutlich, dass sich auch Deutschland
endlich darum kümmern muss, den illegalen Handel mit
Raubkunst und Artefakten aus archäologischen Raubgra-
bungen zu verhindern bzw . wenigstens zu erschweren .


(Beifall bei der LINKEN)


Jedoch – das muss man auch sagen – sind es nicht
nur Terrormilizen, die sich dieser Finanzierungsquelle
bedienen . Viele Menschen treibt die blanke Not dazu .

Staatsministerin Monika Grütters






(A) (C)



(B) (D)


Auch dagegen muss und dagegen kann man etwas tun:
mit humanitärer Hilfe, mit solidarischer Entwicklungs-
zusammenarbeit und mit Programmen für Wissenstrans-
fer, Ausbildung und Forschung .


(Beifall bei der LINKEN)


Für Letzteres gibt es bereits gute Projektansätze des
Deutschen Archäologischen Instituts und des Museums
für Islamische Kunst mit Partnern vor Ort . Sie sollten in
der ganzen Diskussion um den Schutz des gemeinsamen
kulturellen Erbes nicht vergessen werden und ihre Finan-
zierung gesichert werden .

Ausdrücklich unterstützen wir das Vorhaben, die Be-
stände öffentlicher Museen und Sammlungen generell
unter Schutz zu stellen . Dafür hatte sich schon die En-
quete-Kommission „Kultur in Deutschland“ in ihrem
Schlussbericht aus dem Jahre 2007 ausgesprochen .

Als öffentliche Bildungseinrichtungen müssen die
Museen aber auch vor allem finanziell gestärkt werden:
mit mehr Fachpersonal, mit höheren bzw . überhaupt mit
Ankaufetats, mit mehr Mitteln für den Erhalt und die
Pflege ihrer Bestände, mit einer abgestimmten Strategie
für die Digitalisierung oder auch mit Optionen auf freien
Eintritt .


(Beifall bei der LINKEN)


Um an dieser Stelle nicht missverstanden zu werden,
sage ich es deutlich: Der Kunsthandel ist natürlich ein
wichtiges Moment für die Kunst- und Kulturentwick-
lung . Die öffentlich inszenierte Empörung über den
staatlichen Eingriff ins Eigentum oder das Reden vom
Ende des Kunsthandelsstandortes Deutschland sind aber
unangebracht . Sie verdeutlichen eher, dass der Gesetz-
entwurf offenbar an der richtigen Stelle ansetzt .

Wir begrüßen ausdrücklich, dass der Gesetzentwurf
klar regelt, dass NS-verfolgungsbedingt entzogenes Kul-
turgut bei der Restitution von allen Ausfuhrbeschränkun-
gen ausgenommen ist .


(Beifall bei der LINKEN)


Das ist deswegen enorm wichtig, da nicht nur wir hoffen,
dass die angekündigte verstärkte Provenienzforschung
und der seit langem versprochene Gesetzentwurf zur
erleichterten Rückgabe von NS-Raubkunst aus privaten
Sammlungen endlich zu mehr „fairen und gerechten Lö-
sungen“ führen wird und es zukünftig mehr Rückgaben
an die Opfer von Kunstraub bzw . ihre Erben geben wird .


(Beifall bei der LINKEN)


Es ist Zeit, dass nun endlich auch die parlamentarische
Debatte zu diesem wichtigen Gesetzesvorhaben beginnt:
mit einem eigenen Anhörungsverfahren, bei dem alle
berechtigten Interessen gehört werden sollten, vor allem
diejenigen, die bisher nicht ausreichend einbezogen wur-
den .

Bei einzelnen Fragen sehen wir noch Änderungs- und
Klärungsbedarf . So müssen manche Begriffe geschärft
werden . Und der Geltungsrahmen einzelner Regelungen
muss noch klarer gefasst werden . Dies gilt vornehmlich
für die naturwissenschaftlichen Museen und Sammlun-
gen und die dazugehörige Forschung . Uns ist hierbei

wichtig, dass die Formulierungen klar und deutlich im
Gesetz selbst stehen und nicht in einzelnen Hintergrund-
papieren, wie zum Beispiel in dem zur Paläontologie,
die nicht rechtsverbindlich sind . Insofern begrüßen wir
ausdrücklich, dass viele der ursprünglich geplanten Ver-
ordnungsermächtigungen aus dem Entwurf genommen
wurden .

Beim Kulturgutschutz geht es um das kulturelle Erbe
von uns allen, und da sollten wir Abgeordnete auch mit-
reden dürfen . Wichtig ist für uns daher auch, dass die
Sachverständigenausschüsse in den Ländern ihre Ent-
scheidungen transparent machen und dass das Gesetz
nach fünf Jahren auf seine Wirksamkeit evaluiert wird .

Wir sollten uns außerdem nicht davor scheuen, öffent-
lich die Frage zu diskutieren: Was ist für uns, für unsere
Gesellschaft eigentlich wertvolles, identitätsstiftendes
Kulturgut? Dazu gehört auch, sich über die Verpflich-
tungen zu verständigen, die sich aus dieser Klassifizie-
rung ergeben . Es geht dabei ja nicht nur um ein Etikett,
sondern um den Erhalt, die Pflege und die öffentliche
Zugänglichmachung . Diese Diskussion muss eigentlich
auch vor dem Hintergrund europäischer und globaler
Zusammenhänge geführt werden: hier im Bundestag und
vor allem mit den Bürgerinnen und Bürgern .

In diesem Sinne werden wir uns gern in die Debat-
te einbringen und vor allem darauf achten, dass wir am
Ende ein wirklich wirksames Gesetz zum Kulturgut-
schutz erhalten werden und kein entschärftes wie 2007 .

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit .


(Beifall bei der LINKEN sowie der Abg . Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1815513900

Vielen Dank . – Als nächster Redner spricht Siegmund

Ehrmann von der SPD-Fraktion .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Siegmund Ehrmann (SPD):
Rede ID: ID1815514000

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und

Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Zustan-
dekommen des Gesetzentwurfes ist von einer erbitterten
Debatte begleitet gewesen: „Kalte Enteignung“, „Zer-
störung des Kunstmarktes“, gar „Renationalisierung der
Kulturpolitik“ sind einige Begriffe, die mir noch in den
Ohren klingen . Auch gab es drängende Fragen, die Zwei-
fel säen sollten: Welche Kulturgüter werden durch das
Gesetz vor welchen Gefahren geschützt? Welche kultur-
politischen Ziele werden damit verfolgt? Und werden sie
tatsächlich verwirklicht?

Der im Koalitionsvertrag verabredete Ansatz ist rich-
tig . Nach der Evaluation, die Mängel aufgezeigt hat, ist
es gut, dass wir vereinbart haben, drei geltende Gesetze
in einem guten Gesetz zusammenzufassen: das bisherige
Kulturgutschutzgesetz, das Kulturgüterrückgabegesetz
und das Umsetzungsgesetz der Haager Konvention zum
Schutz von Kulturgut bei bewaffneten Konflikten.

Sigrid Hupach






(A) (C)



(B) (D)


Die Debatte selbst wiederum löst bei mir Bilder aus,
mit denen ich auch eine Begleitmusik verinnerlicht
habe . Ich erinnere an die Bilder von den Plünderungen
archäologischer Stätten im Nahen Osten, auf der Arabi-
schen Halbinsel, aber auch an den illegalen Handel mit
Antiken . Damit verbunden sind oftmals die ins Leere
laufenden Aktivitäten der Strafverfolgungsbehörden . Ein
anderes Bild ist aber zum Beispiel die Entscheidung von
Herrn Baselitz, seine Werke aus Wut über das geplante
Gesetz aus Museen abzuziehen . All das schwingt mit .

Worum geht es im Kern? Ein Blick in die Geschichte:
Die Frage des Schutzes national wertvollen Kunstbesit-
zes in unserem Land stellte sich – Frau Staatsministerin
hat darauf hingewiesen – in einer neuen Qualität erstmals
unmittelbar nach dem Ende des Ersten Weltkrieges beim
Übergang von der konstitutionellen Monarchie zu einer
parlamentarischen Demokratie . Der Weimarer Reichs-
tag erkannte, dass die durch das Adelsrecht definierten
Bindungen des Besitzes entfallen und damit die Gefahr
besteht, dass Kunstwerke, Sammlungen und Bibliothe-
ken veräußert würden, deren Verlust unersetzbar sein
würde . So ist im Mai 1920 tatsächlich eine Verordnung
beschlossen worden, nach der Gegenstände, die einen
geschichtlichen Wert haben, nur mit staatlicher Geneh-
migung veräußert, verpfändet, wesentlich verändert oder
ausgeführt werden dürfen .

Bereits Anfang der 20er-Jahre wurde die Inventarisie-
rung hervorragender Kunstgegenstände vorgeschlagen,
deren Ausfuhr einer besonderen Genehmigung bedurfte .
Professor Dube, der im letzten Jahrhundert, von 1983 bis
1999, Generaldirektor der Staatlichen Museen zu Berlin
war, hat das herausgearbeitet, und das beschreibt, wie ich
finde, sehr gut den eigentlichen Schutzzweck:

Damals wie heute ist unbestritten, daß Gesellschaf-
ten Anspruch auf ihr Patrimonium

– also ihr kulturelles Erbe –

geltend machen dürfen . Die Bewahrung histori-
scher, geistesgeschichtlicher und künstlerisch wich-
tiger Güter ist deswegen unverzichtbar, weil sich
nur in ihnen die historische Erinnerung … anschau-
lich manifestieren lässt . …

Dem steht nicht entgegen

– so Dube –

die Überzeugung, daß die Kultur des ganzen Erd-
kreises allen Menschen zu eigen ist . … Staaten ha-
ben nicht allein deswegen Anspruch auf Güter der
materiellen Kultur, weil diese innerhalb eines be-
stimmten Territoriums entstanden sind .

Damit wird auch ein Spannungsverhältnis deutlich .

Diese Grundgedanken nahm der Deutsche Bundes-
tag 1955 im Kulturgutschutzgesetz auf, modifizierte
manches Detail . Aber der Grundgedanke, der Anfang
der 20er-Jahre festgeschrieben wurde, ist aufgegriffen
worden . Er kam ins Wanken, als 1993 der europäische
Binnenmarkt eingeführt wurde und deshalb der Export
von Kunstgütern im innereuropäischen Markt nicht mehr
der Genehmigung unterlag . Die anderen europäischen
Staaten bis auf die Niederlande und Deutschland haben

darauf reagiert . Diese Schutzlücke schließen wir jetzt mit
dieser Gesetzesinitiative .

Ich will nicht verhehlen, dass es ein gewisses Span-
nungsverhältnis zwischen den einzelstaatlichen Bemü-
hungen, national wertvolles Kulturgut zu schützen, und
der Idee eines gemeinsamen Kulturerbes der Menschheit
gibt, das sorgfältig ausbalanciert werden will . Gleich-
wohl stelle ich ausdrücklich fest: Es geht nicht um einen
rückwärtsgewandten Kulturgutschutz . Der Vorwurf, der
Gesetzentwurf würde in einem Europa der kulturellen
Vielfalt „Kulturgut ohne Migrationshintergrund“ dekla-
rieren, geht fehl . Im Gegenteil: Es geht um das originäre
Recht der Staaten, das kulturelle Erbe zu bewahren, zu
dem uns im Übrigen auch die UNESCO-Konvention zur
kulturellen Vielfalt verpflichtet.

Zum zweiten Themenkomplex, zum Kulturgutrück-
gaberecht und zum illegalen Kunsthandel: Nach Schät-
zungen der UNESCO und des Büros der Vereinten Na-
tionen für Drogen- und Verbrechensbekämpfung liegen
die Umsätze des Antikenhandels jährlich bei geschätzten
6 Milliarden bis 8 Milliarden US-Dollar . Es handelt sich
um ein weites Feld organisierter Kriminalität und Terror-
finanzierung.

Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und
Kollegen, ich will ausdrücklich klarstellen, dass es mir
fernliegt, ehrbare Antikenhändler zu diffamieren oder
zu stigmatisieren . Aber auch diesen muss daran gelegen
sein, mit Objekten zu handeln, die zweifelsfreier Pro-
venienz sind . Deshalb sind die im Entwurf geforderten
Sorgfaltspflichten unabdingbar; möglicherweise müssen
sie im Detail sogar noch verschärft werden .

Wenn Sie sich mit den Spezialisten von BKA und
LKA unterhalten, erfahren Sie, wie oft sie dringend
Tatverdächtige laufen lassen müssen, weil nicht belegt
werden kann, dass wissentlich mit Hehlerware gehandelt
wurde . Hier müssen wir als Gesetzgeber wirksamere In-
strumente für die Prävention, die Strafverfolgung, aber
auch die Rückgabe an die Herkunftsstaaten schaffen .
Diesem Anspruch trägt das Gesetz mit den Regelungen
über die Sorgfaltspflichten im Wesentlichen Rechnung.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, im Rahmen der
Ausschussberatungen werden wir uns intensiv mit kri-
tischen Einwänden auseinandersetzen müssen . Wir sind
als SPD-Fraktion in intensiven Gesprächen mit diversen
Akteuren und haben dazu auch schon ein Fachgespräch
durchgeführt .

Vor wenigen Tagen hat das Aktionsbündnis Kulturgut-
schutz einen Forderungskatalog unterbreitet . Auch mit
diesen Argumenten müssen wir uns im Fachausschuss
intensiv auseinandersetzen . Das schließt nach meiner
Überzeugung auch ein, dass wir uns mit dem Für und
Wider eines Vorkaufsrechts nach britischem Vorbild aus-
einandersetzen müssen . Es ist nicht zu verkennen, dass
die Unterschutzstellung eines Kulturgegenstandes einen
Eingriff in das Eigentumsrecht darstellt, der nach höchst-
richterlicher Rechtsprechung aber sehr wohl mit Arti-
kel 14 des Grundgesetzes im Einklang steht . Gleichwohl
wird die Frage, ob der Ausgleich reicht, zu klären sein .

Siegmund Ehrmann






(A) (C)



(B) (D)


Ich bin sicher, dass wir am Ende des Gesetzgebungs-
verfahrens einen überzeugenden Rechtsrahmen geschaf-
fen haben, der in eine gute Zukunft führt .

Herzlichen Dank .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1815514100

Vielen Dank . – Als nächste Rednerin hat Ulle Schauws

von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort .


Ulle Schauws (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1815514200

Vielen Dank, Frau Präsidentin . – Sehr geehrte Kol-

leginnen und Kollegen! Seit letztem Sommer begleitet
uns nun die öffentliche Debatte über die Novellierung
des Kulturschutzgesetzes . Diese Novellierung war kei-
ne Idee der Bundesregierung . Sie ist notwendig, weil
die EU-Richtlinie zum Kulturschutz umgesetzt werden
muss .

Leider ist die Bundesregierung diese Aufgabe alles
andere als professionell angegangen .


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Durch diffuse Kommunikation und einen angeblich un-
autorisierten Referentenentwurf ist viel Verunsicherung
unter Kunsthändlerinnen und Kunsthändlern, Sammle-
rinnen und Sammlern sowie Künstlerinnen und Künst-
lern entstanden . So übertrieben die Ängste mitunter ge-
wesen sind, Sie, Frau Kulturstaatsministerin, waren an
der aufgeheizten und feindseligen öffentlichen Debatte
alles andere als unschuldig .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Marco Wanderwitz [CDU/CSU]: Blödsinn!)


Mit Verlaub, wie Sie den Gesetzentwurf kommuni-
ziert haben, war unprofessionell und unbedacht . Wir hät-
ten uns bei einem solch wichtigen Gesetz auf jeden Fall
mehr Weitblick und vor allen Dingen handwerkliche Pro-
fessionalität gewünscht . Dann wäre auch Ihnen einiges
erspart geblieben, und es hätte sich nicht dieses generel-
le Misstrauen unter Händlern und Sammlern gegenüber
der Politik ausbreiten können . Man muss klar sagen: Das
wirre Vorgehen des BKM hat das Ansehen der Politik be-
schädigt . Die Menschen dachten: Die wissen nicht, was
sie tun . – Das ist ärgerlich .

Jetzt liegt uns also nach langem Hin und Her und der
versuchten Schadensbegrenzung durch Ihr Haus ein rich-
tiger Gesetzentwurf vor . Wir haben endlich eine seriö-
se Diskussionsgrundlage . Es wurde höchste Zeit dafür .
Es steht viel Richtiges und Vernünftiges darin; das will
ich überhaupt nicht bestreiten . Die vorgesehenen Rege-
lungen sorgen für mehr Rechtssicherheit und geben der
Politik Instrumente an die Hand, um Kulturgut wirksam
zu schützen .

Dennoch muss man feststellen, dass das, worum es
im Kern geht, also um „national wertvolles Kulturgut“,
unbestimmt bleibt . Es fehlt eine befriedigende und aus-
reichende Definition. Gerade in Zeiten der Globalisie-

rung versteht längst nicht jeder von selbst, was „national
wertvolles Kulturgut“ bedeuten soll . In dieser zentralen
Frage bleibt der Gesetzentwurf viele Antworten schuldig .
Hier ist aus meiner Sicht noch viel öffentliche Debatte
notwendig .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Denn es darf auf keinen Fall der Eindruck entstehen, als
sei die Bestimmung, was national wertvoll ist, je nach
Fall Sache des Geschmacks der politisch Verantwortli-
chen . Der Eindruck politischer Willkür wäre fatal .

Ich fände es deshalb notwendig, dass hierzu ein runder
Tisch zur gemeinsamen Definition von national wertvol-
lem Kulturgut geschaffen wird . Dort müssten dann nicht
nur die Vertreterinnen und Vertreter von Bund und Län-
dern, sondern auch ausgewiesene Kunstexpertinnen und
Kunstexperten sitzen . Im Rahmen des runden Tisches
sollte ein Kriterienkatalog erarbeitet werden, der dann
als Handreichung den betroffenen Museen, Händlern
und Sammlern zur Verfügung gestellt wird . So ließe sich
Transparenz herstellen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Die Sorgen, die in den letzten Monaten entstanden sind,
könnten abgebaut werden . Daneben könnten die Ergeb-
nisse dieses runden Tisches im Internet veröffentlicht
werden . Neues Vertrauen schaffen durch mehr Transpa-
renz!

Ein weiterer Punkt ist wichtig . Wir dürfen bei der gan-
zen Diskussion über Ausfuhrgenehmigungen nicht ver-
gessen, was die EU-Richtlinie ebenso verlangt, nämlich
dass die Einfuhr und Rückgabe von Kulturgut in einem
Gesetz neu geregelt wird . Es ist allgemein bekannt, dass
Deutschland wegen seiner laschen Gesetzgebung seit
langem ein Umschlagplatz für geraubte Kulturgüter ist .
Hier lohnt es sich, genauer in den vorliegenden Gesetz-
entwurf zu schauen .

Ich muss leider sagen: Einiges ist noch immer zu lax
und wird den Raubhandel mit archäologischen Kultur-
gütern nicht effektiv und nachhaltig bekämpfen können .
Sie alle werden sicherlich den Artikel „Scherbenhaufen“
im aktuellen Spiegel gelesen haben . Darin äußern sich
einige Fachleute kritisch, weil der Gesetzentwurf keine
klaren Herkunftsnachweise mehr vorsieht . Viele fragen
sich jetzt zu Recht, warum die Bedenken der Fachleu-
te im Gesetzentwurf nicht berücksichtigt wurden, wa-
rum hier nicht mehr Austausch zwischen Expertinnen
und Experten sowie dem Ministerium stattgefunden hat .
Da frage ich: Waren die Eingaben der Händlerlobby am
Ende doch wichtiger?

Ein weiteres Beispiel: Der Gesetzentwurf enthält
Sorgfaltspflichten für den gewerblichen Handel mit Kul-
turgütern . Das ist grundsätzlich äußerst notwendig und
begrüßenswert, um den illegalen Handel endlich zu er-
schweren. Diese Sorgfaltspflichten aber gleichzeitig
mit weitreichenden Ausnahmen zu versehen, ist kontra-
produktiv und praxisfern, und zwar aus dem einfachen
Grund, dass beispielsweise eine Befreiung von der Sorg-
faltspflicht für archäologisches Kulturgut unter 100 Euro
dazu führen wird, dass archäologische Objekte zerstü-
ckelt werden, um eingeführt zu werden . Das ist jetzt

Siegmund Ehrmann






(A) (C)



(B) (D)


schon längst gängige Praxis, und es würde durch diesen
Gesetzentwurf weiter gefördert werden .

Dieser kleine und unscheinbare, aber extrem folgen-
reiche Punkt zeigt: Es gibt an diesem Gesetzentwurf noch
viel zu tun . Wir werden uns als Opposition konstruktiv,
aber weiter kritisch einbringen, damit es am Ende doch
noch ein gutes Schutzgesetz wird .

Vielen Dank .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1815514300

Vielen Dank . – Als nächster Redner hat Ansgar

Heveling von der CDU/CSU-Fraktion das Wort .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Ansgar Heveling (CDU):
Rede ID: ID1815514400

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

… durch die Natur gleichsam . . . abgeschieden, liegt
sie unabhängig zwischen zwei mächtigen Reichen,
dem römischen und parthischen, und wird bei je-
dem Zwiste auf beiden Seiten zu gewinnen gesucht .
Von der parthischen Stadt Seleucia am Tigris ist sie
337 000 Schritte entfernt, von der nächsten Küste
Syriens aber 203 000; Damaskus liegt 27 000 Schrit-
te näher .

So beschreibt bereits Plinius der Ältere in seiner Natura-
lis historia um circa 50 nach Christus – urheberrechtlich
korrekt sei darauf hingewiesen: hier in der Übersetzung
von Max Freiherr von Oppenheim – die Königin der
Wüste, die syrische Stadt Palmyra .

Heute liegen nach der Besetzung durch die Terrormiliz
des sogenannten IS im Mai 2015 weite Teile der Ausgra-
bungsstätten von Palmyra, die zum UNESCO-Weltkul-
turerbe zählen, in Schutt und Asche . Erst plünderten die
Dschihadisten mehrere Mausoleen, dann enthaupteten
sie den Chef-Archäologen von Palmyra und zerbombten
schließlich das übriggebliebene Ruinengelände . So ge-
schehen nicht nur in Syrien, sondern auch im Irak . Auch
die antiken Stätten Nimrud und Mosul seien an dieser
Stelle stellvertretend für den abscheulichen Raubzug des
IS genannt .

Die Ausbeutung und Zerstörung dieser bedeutenden
Kulturstätten, die Zeugnisse der Menschheitsgeschichte
sind, ist nicht rein ideologischer Natur . Der illegale Han-
del mit Raubkunst – überall hin und damit auch zu uns
nach Deutschland – ist eines der lukrativen Geschäfte der
Terrormiliz . Er ist nach dem Handel mit Drogen, Öl oder
Waffen eine wichtige Einnahmequelle des IS .

Deutschland steht hier gemeinsam mit der internati-
onalen Staatengemeinschaft in der Verantwortung, den
illegalen Handel mit Kulturgütern, insbesondere aus
Kriegs- und Krisengebieten, weiter zu bekämpfen und in
diesem Fall international wertvolle Kulturgüter zu schüt-
zen und für nachfolgende Generationen zu bewahren .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Im Einklang mit der UNESCO-Konvention von 1970
tragen wir diesem Ziel mit den nun vorliegenden Ände-
rungsvorschlägen zu Einfuhrbestimmungen und Sorg-
faltspflichten ergänzend verstärkt Rechnung, reagieren
gleichzeitig auf den Bericht der Bundesregierung zum
Kulturgutschutz und setzen die EU-Richtlinie zur Rück-
gabe von Kulturgutschutz vom Mai 2014 in geltendes
Recht um .

Über diese eine Säule oder Seite der Medaille der No-
vellierung des Kulturgutschutzgesetzes – wie es im Be-
richt der Bundesregierung geradezu allegorisch heißt –
sind wir uns auch weitgehend einig, denke ich .

Schwieriger wird es allerdings beim Betrachten der
zweiten Seite der Medaille, namentlich dem Ausbau des
Schutzes von deutschem Kulturgut vor Abwanderung .
Diese zweite Säule des Gesetzentwurfs sorgt für große
Unruhe in der deutschen Kunstszene, wobei ich nicht
glaube, dass man diese Unruhe der Kulturstaatsministe-
rin anlasten kann . Denn es ist richtig, dass man, wenn
man einen Paradigmenwechsel vorhat, diesen auch zur
Diskussion stellt. Und in dieser Diskussion befinden wir
uns gerade . Das ist eigentlich ein politisch-parlamenta-
risch normaler, richtiger und wichtiger Vorgang, und den
werden wir auch in den Beratungen im Parlament sicher-
lich weiter aufgreifen .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Die Sorgen vor einer vermeintlichen Enteignung sind
an manchen Stellen so groß gewesen, dass einzelne zeit-
genössische Künstler bereits Dauerleihgaben an deutsche
Museen zurückgezogen haben . Auch wenn die Werke
lebender Künstler von der Novellierung kaum betrof-
fen sind – zum einen wird ihr Werk nicht von den neuen
Ausfuhrbestimmungen erfasst, und zum anderen ist ein
Eintrag in das Verzeichnis national wertvollen Kulturgu-
tes der Länder nur mit einer persönlichen Genehmigung
möglich –, zeigt dieser beispielhaft genannte Vorgang,
dass noch erheblicher Klärungs-, aber auch Erklärungs-
bedarf besteht und wir einiges in den kommenden Wo-
chen im Deutschen Bundestag zu beraten haben, bevor
wir das Gesetz verabschieden .

Schon heute sind Ausfuhrregelungen im Kulturgut-
schutzgesetz von 1955 für das Verbringen von Kultur-
gütern ins außereuropäische Ausland geregelt . Diese
Beschränkung auf Nicht-EU-Länder eröffnet ohne Frage
die Möglichkeit, Kulturgut ohne Ausfuhrgenehmigung
erst ins europäische Ausland und von dort weiter ins au-
ßereuropäische Ausland zu bringen, ohne dass die Frage
der nationalen Bedeutung dann noch eine Rolle spielt .
Zukünftig wollen wir, so wie es mittlerweile in fast allen
EU-Staaten geregelt ist, Ausfuhrgenehmigungen auch
für den europäischen Binnenmarkt einführen und hierbei
insgesamt das Kategorieprinzip anwenden, das – anders
als das Listenprinzip – den rechtlichen Vorgaben anderer
EU-Mitgliedstaaten und der UNESCO-Vertragsstaaten
entspricht .

Dazu, wie wir das alles im Detail ausgestalten, wird
es noch intensive Beratungen im Bundestag geben, wo-
bei deutlich festzuhalten ist: Beide Säulen, Ausfuhr- und

Ulle Schauws






(A) (C)



(B) (D)


Einfuhrregelungen, werden und müssen sich im zukünf-
tigen Kulturgutschutzgesetz wiederfinden.

Wie so oft das Wichtigste zum Schluss . Mein Ein-
druck ist, dass dies bei der kontroversen Debatte um die
einzelnen Regelungen bisher leider ein wenig zu kurz ge-
kommen ist: Erstmals erfolgt eine klare und verbindliche
Festlegung des Begriffs, was national wertvolles Kultur-
gut ist, durch ein Gesetz . Das ist aus meiner Sicht einer
der zentralen Dreh- und Angelpunkte des zukünftigen
Kulturgutschutzgesetzes . Inhalt und Verfahren werden
damit erstmals gesetzlich geregelt . Das ist aus der Sicht
des Parlaments als Souverän und im Hinblick auf unser
Land als Nation einer tradierten Rechtskultur nicht nur
ein qualitativer Fortschritt, sondern ein Schritt, der uns
gut zu Gesicht steht .

Es werden auch in Zukunft nur wenige ausgewählte
Kulturgüter unter die Regelung fallen, nämlich diejeni-
gen, die in besonderer Weise die Identität und Geschichte
unseres Landes widerspiegeln und deren Abwanderung
tatsächlich ein großer Verlust für uns und für kommende
Generationen bedeuten würde .

Vielen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1815514500

Vielen Dank . – Als nächste Rednerin hat Eva Högl von
der SPD-Fraktion das Wort .


(Beifall bei der SPD)



Dr. Eva Högl (SPD):
Rede ID: ID1815514600

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Die Neuregelung des Kulturgüterschutzrechts
ist das wichtigste Gesetz in dieser Legislaturperiode im
Kulturbereich . Mit dem Gesetzentwurf der Bundesre-
gierung haben wir eine gute Grundlage für unsere Bera-
tungen . Die Koalition hat sich Dreierlei vorgenommen:
den Kulturgutschutz zu stärken, das illegal ausgeführte
Kulturgut anderer Staaten zurückzugeben – dazu gehört
vor allen Dingen, strengere Regelungen für die Einfuhr
von Kulturgut einzuführen und die Voraussetzungen da-
für deutlich zu verschärfen; da haben wir wirklich Hand-
lungsbedarf – sowie deutsches Kulturgut besser vor Ab-
wanderung ins Ausland zu schützen .

Ich sage ganz deutlich: Bei diesem letzten Punkt müs-
sen wir uns auch darüber im Klaren sein, dass die Regeln,
die wir bisher hatten, gut funktionierten und nicht alles
überarbeitungsbedürftig ist, wir also durchaus vorsich-
tig und sensibel an Neuregelungen herangehen müssen .
Insbesondere die Regelungen zur Ausfuhr deutschen
Kulturguts sind sehr umstritten . Ich habe die Debatte so
wahrgenommen, dass diese gar nicht im Grundsatz um-
stritten waren, also niemand wirklich bestritten hat, dass
wir unser deutsches Kulturgut vor der Abwanderung ins
Ausland schützen wollen, sondern dass die Details sehr
umstritten waren . Da muss ich sagen: Das war nicht ohne
Grund . Deswegen müssen wir uns in den Beratungen
wirklich sehr gründlich über die Details beugen .

Dass wir gründlich beraten, ist auch vor dem Hinter-
grund wichtig, dass wir tatsächlich mit diesem Gesetzent-
wurf über eine sehr scharfe Regelung, die vorgeschlagen
wird, diskutieren, nämlich eine Genehmigungspflicht für
die Ausfuhr aller nationalen Kulturgüter, und zwar unab-
hängig davon, ob sie in einem Verzeichnis stehen . Das ist
natürlich erst einmal eine sehr scharfe Regelung .

Ich sage auch ganz deutlich, dass wir uns Gedanken
darüber machen müssen, ob wir wirklich strengere Rege-
lungen im Binnenmarkt brauchen . Auch das müssen wir
sorgfältig prüfen . Ja, 26 von 28 Mitgliedstaaten haben
diese Regelung, und, ja, es kann auch richtig sein, dass
wir uns dieser Regelung anschließen und nicht mit den
Niederlanden zusammen die einzigen Mitgliedstaaten
sind, die keine solche Regelung haben . Aber wir müssen
uns auch fragen, ob es tatsächlich noch zeitgemäß ist, im
Binnenmarkt solche strengen Regelungen zu formulie-
ren .

Etwas, was in diesem Gesetzentwurf steht, finde ich
ganz hervorragend – ich knüpfe an das an, was der Kol-
lege Heveling schon gesagt hat –, nämlich die gesetzliche
Definition von national wertvollem Kulturgut. Ich halte
es für ganz entscheidend, dass wir uns darüber gemein-
sam Gedanken machen . Im Gesetzentwurf steht viel,
was ein guter Anknüpfungspunkt für das ist, wonach wir
beurteilen können, ob wir nationales Kulturgut im Land
behalten wollen und ob wir eben nicht gestatten, dass es
ausgeführt wird: Es muss besonders bedeutsam sein für
unser kulturelles Erbe . Es muss identitätsstiftend sein . Es
muss ein wesentlicher Verlust für den deutschen Kultur-
besitz sein, wenn das entsprechende Kulturgut abwan-
dert, und es muss ein herausragendes kulturelles öffentli-
ches Interesse daran bestehen, dieses Kulturgut im Land
zu halten . Darüber werden Sachverständige sorgfältig
befinden. Das halte ich für eine wirklich gute Regelung.

Das zeigt aber auch, dass ein ganzer Teil der Aufre-
gung, die es um genau diese Regelung gegeben hat, völ-
lig überzogen war; denn wir alle wissen: Alle Vorausset-
zungen müssen vorliegen . Daher werden tatsächlich nur
sehr wenige Kulturgüter betroffen sein, für die dann ein
absolutes Ausfuhrverbot gilt .

Für mich ist auch wichtig, dass die Kriterien um die
Sichtbarkeit, um die öffentliche Zugänglichkeit erweitert
werden. Ich finde, „identitätsstiftend“ hat immer etwas
damit zu tun, dass Kunstwerke nicht in irgendeinem Tre-
sor oder Keller lagern, sondern dass sie im Land tatsäch-
lich wahrgenommen werden können .

Eine letzte Bemerkung, und zwar zum Vorkaufsrecht .
Die damit verbundene Idee tauchte im Zusammenhang
mit dieser Diskussion auf . Auf den ersten Blick wirkt
es durchaus sympathisch, dass der Staat die Kulturgüter
ankauft, um sie dann der Öffentlichkeit zur Verfügung
zu stellen . Wenn wir uns mit dem Vorkaufsrecht aber nä-
her beschäftigen, dann sehen wir, dass dieses Instrument
nicht uneingeschränkt zum Schutz unseres Kulturgutes
geeignet ist . Deswegen hoffe ich, dass wir in den Bera-
tungen diesen Aspekt noch aufgreifen und uns sorgfältig
damit auseinandersetzen .

Ich sage es noch einmal: Wir haben eine gute Bera-
tungsgrundlage . Ich freue mich wirklich sehr auf die

Ansgar Heveling






(A) (C)



(B) (D)


Fachgespräche und auf die folgenden Beratungen in un-
serem Ausschuss .

Vielen Dank .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1815514700

Vielen Dank . – Jetzt hat das Wort Dr . Astrid

Freudenstein von der CDU/CSU-Fraktion .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Astrid Freudenstein (CSU):
Rede ID: ID1815514800

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Wenn behauptet wird, daß eine Substanz keine Ne-
benwirkung zeigt, so besteht der dringende Ver-
dacht, daß sie auch keine Hauptwirkung hat .

Was der deutsche Pharmakologe Gustav Kuschinsky
auf Medikamente münzte, gilt in ähnlicher Form auch
für unsere Gesetze . Wenn ein Gesetz gar keine Neben-
wirkungen zeigt, wirkt es vermutlich überhaupt nicht .
Die Kunst der Arzneimittelherstellung ebenso wie die
der Gesetzgebung besteht also darin, die erwünschte
Wirkung zu potenzieren und die unerwünschten Neben-
wirkungen so gering wie möglich zu halten . Wenn das
gelingt, dann haben wir gut gearbeitet .

Die Wirkungen, die wir uns von dem Kulturgutschutz-
gesetz wünschen, haben meine Vorredner bereits ausführ-
lich beschrieben: Wir wollen zum einen mit dem Gesetz
Raubgrabungen und den illegalen Handel mit Kulturgut
verhindern und damit vor allem das Kulturgut anderer
Länder schützen, und wir wollen zum anderen unser ei-
genes, national wertvolles Kulturgut vor Abwanderung
ins Ausland schützen .

Der erste Punkt ist relativ unumstritten; doch um den
zweiten Punkt hat sich eine recht lebhafte Debatte entwi-
ckelt . Papiere führten zu teils heftigen Reaktionen, auch
zu Überreaktionen . Es ist sicher notwendig, Befürchtun-
gen und Ängste ernst zu nehmen, und es ist auch notwen-
dig, die Debatte zu versachlichen und ein kompliziertes
Gesetzesvorhaben zu erklären .

Die Eintragung von national wertvollem Kulturgut
gibt es bei uns bereits seit mehr als 60 Jahren, seit 1955 .
Die Diskussion der vergangenen Monate hat auch ge-
zeigt, dass das nicht allen bekannt war . Man könnte auch
sagen: In vielen Fällen hat das Gesetz bisher nicht so ge-
wirkt, wie es hätte wirken sollen .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ein Gesetz, das nicht wirkt, braucht allerdings nie-
mand . Man muss es folglich abschaffen, oder man muss
so nachbessern, dass es wirkt . Wir bessern nach, weil wir
nachbessern müssen . Wir wollen Kulturgut nicht nur auf
dem Papier schützen, sondern eben auch in der Realität .
Wir müssen auch nachbessern, um im internationalen
Kontext nicht ins Hintertreffen zu geraten; Frau Staats-
ministerin Grütters hat das bereits ausgeführt .

Es ist völlig klar, dass es bei diesem neuen, wirkungs-
volleren Kulturgutschutzgesetz auch Nebenwirkungen
geben wird: Das Gesetz kann durchaus dazu führen, dass
manches schwieriger und aufwendiger wird . Es kann
auch dazu führen, dass Kunsthändler einen Antrag mehr
schreiben müssen als bisher . Und es kann in letzter Kon-
sequenz in Einzelfällen dazu führen, dass Händler ihr na-
tional wertvolles Kulturgut in Deutschland für weniger
Geld an den Mann bringen, als sie es vielleicht in London
getan hätten .

An dieser Stelle wird es natürlich spannend, weil es
um nationale, aber eben auch um berechtigte finanziel-
le Interessen geht: Je höher die Grenzwerte, umso wir-
kungsloser – aber eben auch umso nebenwirkungsär-
mer – wird unser Gesetz . Es kommt jetzt darauf an, die
Interessen abzuwägen und ins Lot zu bringen . Klar ist
aber auch: Ein Gesetz, von dem am Schluss nichts und
niemand betroffen ist, brauchen wir hier nicht zu verab-
schieden .

Eine positive Nebenwirkung des Gesetzes kann man
aber schon erkennen: In Deutschland wurde vermutlich
noch nie so viel darüber diskutiert, welches Kulturgut
uns wirklich wertvoll ist, welche Kulturgüter für uns
identitätsstiftend sind . Das steht uns, die wir uns gerne
und völlig zu Recht als Kulturnation bezeichnen, auch
gut zu Gesicht, wie ich meine .

Mit drei Beispielen dazu, was in Bayern bereits als
national wertvolles Kulturgut eingetragen worden ist,
möchte ich Ihnen eine Vorstellung davon geben, um was
es gehen soll:

Erst vor kurzem wurde ein Exemplar des Archaeop-
teryx aus dem Steinbruch Schamhaupten eingetragen .
Der Urvogel ist für die naturwissenschaftliche Forschung
und für die Evolutionsgeschichte von herausragendem
Interesse .

Wertvoll ist auch das ritterliche Schwert aus der Re-
gierungszeit Heinrichs des Löwen . Es stammt aus dem
12 . Jahrhundert und ist ein erstklassig erhaltenes Exem-
plar, von ganz besonderer Bedeutung für die bayerische
Landesgeschichte und vor allem für die Geschichte des
„baierischen“ Herzogtums .

Ebenfalls völlig zu Recht auf der Liste: die einzigarti-
ge Sammlung „Der Blaue Reiter“ aus dem Lenbachhaus
in München . Der Blaue Reiter ist eine der bedeutendsten
Künstlergruppen der Avantgarde zu Beginn des 20 . Jahr-
hunderts und eng mit München und Bayern verbunden –
zweifelsohne wertvoll und identitätsstiftend .

Mit der Gesetzesnovelle wollen wir nun Kulturgüter
wie die drei genannten besser als bisher schützen . Dafür
braucht es klare, angemessene und auch verständliche
Regeln und – das ist wichtig –: Wir müssen bürokratische
Nebenwirkungen kleinhalten . Regeln, die wirken, ohne
jemanden über Gebühr zu belasten, daran werden wir in
den nächsten Wochen arbeiten .

Herzlichen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Dr. Eva Högl






(A) (C)



(B) (D)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1815514900

Vielen Dank . – Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich

schließe die Debatte .

Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzent-
wurfs auf Drucksache 18/7456 an die in der Tagesord-
nung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen . Gibt es
dazu anderweitige Vorschläge? – Das ist nicht der Fall .
Dann ist die Überweisung so beschlossen .

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 20 a und 20 b auf:

a) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Agnieszka Brugger, Katja Keul, Katharina
Dröge, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Rüstungsexportkontrollgesetz vorlegen

Drucksache 18/7546

b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Wirtschaft und Ener-
gie (9 . Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeord-
neten Katja Keul, Agnieszka Brugger, Katharina
Dröge, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Eckpunkte für ein Rüstungsexportkontrollge-
setz

Drucksachen 18/4940, 18/7030

Über den Antrag auf Vorlage eines Rüstungsexport-
kontrollgesetzes werden wir später namentlich abstim-
men .

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 38 Minuten vorgesehen . – Auch dazu
höre ich keinen Widerspruch . Dann ist das so beschlos-
sen .

Ich kann die Aussprache eröffnen . – Herr Pfeiffer, ich
bitte um Ihre Aufmerksamkeit . – Als erste Rednerin in
der Aussprache hat Agnieszka Brugger von der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen das Wort .


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Jede,
wirklich jede Bundesregierung – das sage ich auch mit
einem selbstkritischen Blick auf die rot-grüne Regie-
rungszeit – beteuert immer, dass in Deutschland eine res-
triktive Rüstungsexportpolitik betrieben wird .


(Dr . Joachim Pfeiffer [CDU/CSU]: Leider!)


Leider entspricht das nicht der Realität; denn so sieht die
Faktenlage aus:

Deutschland ist seit Jahren unter den Top Fünf der
Waffenexporteure weltweit, und das ist kein Ranking,
auf das man stolz sein kann .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Abgesehen von ein paar kleineren Schwankungen sind
die Rüstungsexporte nach wie vor ein Milliardenge-
schäft . Allein im ersten Halbjahr 2015 sind Rüstungs-

exporte im Wert von über 3 Milliarden Euro genehmigt
worden . Morgen kommen wahrscheinlich die neuen Zah-
len für das Gesamtjahr 2015 . Ich vermute leider, dass sie
erschreckend hoch sein werden .

In der Regel gingen in den letzten Jahren mehr als
die Hälfte dieser Rüstungsexporte in Staaten jenseits
von NATO und EU . Darunter befanden sich schmutzige
Deals mit Ländern wie Katar und Saudi-Arabien, in de-
nen eine katastrophale Menschenrechtslage herrscht und
die aktuell Teil einer Kriegsallianz sind, die ohne Rück-
sicht die Menschen im Jemen brutal bombardiert .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Es gehörten aber ebenso Skandale dazu wie der, dass
G36-Gewehre in Mexiko in den Händen korrupter Poli-
zisten auftauchten und dann gegen unbewaffnete Studen-
ten eingesetzt wurden . Eine solche Politik als restriktiv
zu bezeichnen, das ist doch zynisch .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Trotz einiger Kurskorrekturen, zum Beispiel bei der
Transparenz, trotz all seiner großen Töne und schönen
Worte hat Sigmar Gabriel hier keine grundlegende Trend-
wende eingeleitet . Zwischen Anspruch und Wirklichkeit,
zwischen schöner Rhetorik und hässlicher Realität klafft
hier eine erschreckend große Lücke der Verantwortungs-
losigkeit .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg . Stefan Liebich [DIE LINKE])


Es gibt kaum ein politisches Thema, bei dem das, was
gesagt wird, in so krassem Widerspruch zu dem steht,
was getan wird . Dabei gibt es in Deutschland die sehr gu-
ten und sehr strengen Politischen Grundsätze für Expor-
te, die jeder Minister in den Himmel lobt und auf die man
sich in Sonntagsreden gerne beruft, die Menschenrechte
zu einem zentralen Kriterium bei den Entscheidungen
erheben und die sehr hohe Hürden für den Verkauf von
Kriegswaffen an Staaten jenseits von NATO und EU auf-
stellen . Die zentrale Frage, die sich hier aufdrängt, ist:
Wenn diese Grundsätze so strikt sind, wie kann es dann
eigentlich sein, dass es in der Praxis zur Regel geworden
ist, dass sie immer wieder verletzt und gebrochen wer-
den?


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wie kann es dazu kommen, dass Frieden, Sicherheit
und Menschenrechte immer wieder Exportprofiten und
Gewinninteressen der Rüstungslobby geopfert werden?
Ein Teil der Antwort hat auch mit dem Charakter dieser
Grundsätze zu tun . Sie sind vom Inhalt her richtig und
gut, sie bestehen aber eben vor allem auf dem Papier . Es
mangelt ihnen an Durchsetzungskraft und Verbindlich-
keit . Liebe Kolleginnen und Kollegen, das sollten und
müssen wir als Parlament dringend ändern .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Natürlich gibt es mit dem Kriegswaffenkontrollgesetz
und mit dem Außenwirtschaftsgesetz gesetzliche Grund-
lagen im Bereich der Rüstungsexporte . Die Kriterien aus
den Politischen Grundsätzen sind aber eben nicht wirk-
lich im Gesetzestext verankert . Das wäre aber notwen-






(A) (C)



(B) (D)


dig, um ihnen endlich das Gewicht zu verleihen, das sie
verdienen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Im Mai haben wir Grüne Ihnen Eckpunkte für ein
neues, ein echtes Rüstungsexportgesetz vorgelegt . Diese
hat die Koalition leider abgelehnt . Trotzdem waren wir
Grüne anscheinend nicht ganz so erfolglos: Die guten
Argumente der Kollegin Keul aus der Bundestagsdebatte
haben Widerhall gefunden, und sie konnten offensicht-
lich Sigmar Gabriel zum Denken anregen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Jan van Aken [DIE LINKE]: Hört! Hört!)


Denn vor einem Monat hat der Wirtschaftsminister er-
klärt, er denke jetzt darüber nach, ein Rüstungsexportge-
setz auf den Weg zu bringen und eine Expertenkommis-
sion dazu einzurichten .

Wir freuen uns natürlich sehr, wenn Regierungsmit-
glieder die guten grünen Ideen aufgreifen . Aber zwischen
Nachdenken und Handeln besteht ja bekanntermaßen
noch ein großer Unterschied . Und so ganz trauen wir die-
sen vielversprechenden Ankündigungen noch nicht; denn
gerade bei den Rüstungsexporten haben wir in den letz-
ten Jahren oft genug erlebt, dass der Wirtschaftsminister
den typischen Gabriel macht: Erst viel Wind erzeugen,
dann aber nicht liefern .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Meine Damen und Herren, als aufmerksame und hart-
näckige Opposition geben wir uns natürlich nicht mit
Ihren schönen Schlagzeilen zufrieden . Uns interessiert,
was Sie in der Realität daraus machen . Das ist ein Pro-
zess, den wir konstruktiv begleiten wollen . Deshalb ha-
ben wir auch nachgefragt, wie es denn jetzt weitergeht .
Wir wollten wissen: Wie sieht es mit dem Zeitplan aus,
wie ist die Besetzung der Kommission? Welche Rolle
soll das Parlament dabei spielen? Am Montag erhielt ich
zu all diesen Fragen eine lapidare Antwort aus dem Hau-
se Gabriel, nämlich dass er noch nachdenke und dass es
noch keine Details gebe . Einen Monat nachdem die Pres-
sestatements verkündet waren, keinen Schritt weiter zu
sein, ist doch ein bisschen peinlich .


(Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Der Minister hört nicht zu!)


Herr Minister, wenn Sie in diesem Schneckentempo
weitermachen, dann können wir vielleicht in der über-
nächsten Wahlperiode mit einem Gesetzentwurf rechnen .
Deshalb stellen wir heute hier einen zweiten Antrag, über
den wir nachher namentlich abstimmen . Er enthält keine
inhaltlichen Vorfestlegungen . Er besteht nur aus einem
Satz und fordert Sie dazu auf, Herr Gabriel, Ihr Verspre-
chen auch wahrzumachen und dem Parlament noch in
dieser Legislaturperiode einen entsprechenden Gesetz-
entwurf zur Beratung und Abstimmung vorzulegen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg . Stefan Liebich [DIE LINKE])


Liebe Abgeordnete von SPD und Union, wenn Sie
also den Vorschlägen Ihres eigenen Vizekanzlers, die ihn
offensichtlich nicht besonders interessieren, folgen und

ihn auf diesem richtigen Weg unterstützen wollen, dann
bleibt Ihnen ja fast nichts anderes übrig, als unserem grü-
nen Antrag heute hier zuzustimmen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Sie, Herr Minister, haben die Chance, zu zeigen, dass
das hier kein weiterer Fall von „groß posaunt und dann
noch nichts gemacht“ ist . Und wir als Parlament könn-
ten ein schönes, klares und gemeinsames Zeichen setzen,
dass in Zukunft bei den Rüstungsexporten das Kriterium
der Achtung der Menschenrechte keine leere Sprechblase
mehr ist und dass Friedens- und Sicherheitspolitik aus-
ufernden Waffenexporten klare und enge Grenzen setzen .
Deshalb bitten wir Sie, unserem Antrag zuzustimmen,
damit wir noch in dieser Legislaturperiode endlich über
ein Rüstungsexportgesetz abstimmen können .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg . Susanna Karawanskij [DIE LINKE])



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1815515000

Vielen Dank . – Nächster Redner für die CDU/

CSU-Fraktion ist der Kollege Klaus-Peter Willsch .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg . Matthias Ilgen [SPD])



Klaus-Peter Willsch (CDU):
Rede ID: ID1815515100

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Brugger,
wir brauchen kein Rüstungsexportgesetz .


(Agnieszka Brugger [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Doch!)


Immer wieder debattieren wir hier im Parlament solche
Fragen . Es gibt zu diesem Thema wirklich keinen Man-
gel an öffentlicher Erörterung . Sie versuchen immer wie-
der, den Eindruck zu erwecken, es gehe hier alles wie
auf einem levantinischen Basar zu . Das ist bei uns klar
geregelt . Und wir glauben, dass es so, wie es geregelt ist,
richtig geregelt ist .


(Dr . Frithjof Schmidt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sagen Sie das einmal dem Wirtschaftsminister! Das ist doch Ihr Minister! – Weitere Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


– Sie können sich gerne noch zu Wort melden, wenn Sie
der Auffassung sind, dass Frau Brugger nicht ausrei-
chend vorgetragen hat .


(Dr . Frithjof Schmidt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wenn Sie so einen Blödsinn reden!)


Hier wird ständig versucht, den Eindruck zu erzeugen,
die Rüstungsexportpolitik in Deutschland sei nicht klar
geregelt . Ihr liegen jedoch die Politischen Grundsätze
der Bundesregierung für den Export von Kriegswaffen
und sonstigen Kriegsgütern in der aktuellen Fassung vom
19. Januar 2000 zugrunde. Das fiel in die Regierungszeit
von Rot-Grün . Joschka Fischer war damals, wenn ich
mich recht erinnere, Außenminister .

Agnieszka Brugger






(A) (C)



(B) (D)


Jede Rüstungsexportgenehmigung ist eine Einzelfall-
entscheidung . Es gibt keinen Anspruch auf eine Geneh-
migung . Gemäß Außenwirtschaftsgesetz und Außenwirt-
schaftsverordnung ist die Ausfuhr aller Rüstungsgüter
genehmigungspflichtig. Es wird nicht genehmigt, wenn
der hinreichende Verdacht besteht, dass damit interne
Repression oder sonstige Menschenrechtsverletzungen
ausgeübt werden .


(Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Na ja! – Niema Movassat [DIE LINKE]: Lächerlich!)


– Ich weiß ja, dass Sie schon alles wissen, aber ich kann
nicht ausschließen, dass vielleicht der falsche Eindruck,
den Sie, Frau Brugger, zu verbreiten versuchen, bei den
Zuschauerinnen und Zuschauern hängen bleibt .


(Agnieszka Brugger [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sagen Sie etwas zu den Fakten!)


Deshalb will ich das noch einmal darstellen: Die Prü-
fung und Genehmigung der Ausfuhr von Kriegswaffen
und sonstigen Rüstungsgütern obliegt dem Bundessi-
cherheitsrat . Der Bundessicherheitsrat tagt unter dem
Vorsitz der Bundeskanzlerin . Zusätzlich gehören ihm an
der Vizekanzler bzw . der Wirtschaftsminister, die Mi-
nister der Verteidigung, des Auswärtigen, des Innern,
der Justiz, der Finanzen, der Minister für wirtschaftliche
Zusammenarbeit und Entwicklung . Der Chef des Bun-
deskanzleramtes, der Regierungssprecher und der Ge-
neralinspekteur der Bundeswehr nehmen ebenfalls teil .
In ihm ist also alles versammelt, was in der Regierung
hierzu Kompetenz aufzuweisen hat .


(Lachen bei Abgeordneten der LINKEN – Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wahnsinn!)


Bei der Erteilung einer Ausfuhrgenehmigung handelt
es sich eben nicht um einen formalen Akt . Es besteht kein
Anspruch auf die Erteilung einer Genehmigung . Zahlrei-
che Gesetze und Vereinbarungen, die ich Ihnen – damit
nicht bei irgendjemandem der Eindruck bestehen bleibt,
in diesem Bereich würde irgendetwas ungeregelt gesche-
hen – noch einmal in Erinnerung rufen möchte, sind beim
Export von Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgütern
zu beachten .


(Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Das sollten Sie sich in Erinnerung rufen!)


Dabei handelt es sich um das Gesetz über die Kontrolle
von Kriegswaffen, das Außenwirtschaftsgesetz, den Ver-
haltenskodex der Europäischen Union für Waffenausfuh-
ren sowie um die Prinzipien der OSZE zur Regelung des
Transfers konventioneller Waffen . Erst im März letzten
Jahres hat die Bundesregierung als Ergänzung zu den
Politischen Grundsätzen noch die Grundsätze für die Er-
teilung von Genehmigungen für die Ausfuhr von Kleinen
und Leichten Waffen vorgelegt .


Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1815515200

Kollege Willsch, das ist jetzt eine gute Gelegenheit,

um zu fragen, ob Sie eine Zwischenfrage der Kollegin
Keul zulassen .


Klaus-Peter Willsch (CDU):
Rede ID: ID1815515300

Ja, wenn ich irgendeine rechtliche Regelung verges-

sen haben sollte, die Sie nachtragen wollen, Frau Keul,
bitte sehr .


Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1815515400

Bitte schön .


Katja Keul (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1815515500

Vielen Dank . – Es ehrt mich, dass Sie mir zutrauen,

die rechtlichen Regelungen besser zu kennen . Wenn all
das, was Sie vorgetragen haben, so toll ist, dann frage
ich Sie: Wie kann dann Ihr Koalitionspartner bzw . der
Wirtschaftsminister auf die Idee kommen, dass wir ein
Rüstungsexportkontrollgesetz brauchen? Können Sie
uns das erklären?


Klaus-Peter Willsch (CDU):
Rede ID: ID1815515600

Das müssen Sie im Zweifelsfalle meinen Minister selbst
fragen . Ich weiß aber, dass in dieser Bundesregierung
viel nachgedacht wird . Es ist auch klug, immer viel über
alles Mögliche nachzudenken . Da ist der Vizekanzler
keine Ausnahme .


(Beifall bei der CDU/CSU – Lachen beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Der Export an Nicht-EU- und Nicht-NATO-Staaten
wird äußerst restriktiv gehandhabt . Frau Brugger, Sie
kennen doch die Berichte . Sie wissen, dass wir über die
Hälfte an NATO-Partner und Gleichgestellte, also Aus-
tralien, Schweiz usw ., exportieren . Da können Sie sich
doch wirklich nicht hierhinstellen und sagen, wir würden
freigiebig in alle Himmelsrichtungen deutsche Waffen
verteilen .


(Dr . Frithjof Schmidt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie können ja mal die Statistiken lesen!)


Der Export von Kriegswaffen wird

– so heißt es im Rüstungsexportbericht; das könnten Sie
nachlesen –

nur ausnahmsweise genehmigt, wenn im Einzelfall
besondere außen- oder sicherheitspolitische Interes-
sen Deutschlands für die Erteilung einer Genehmi-
gung sprechen .


(Agnieszka Brugger [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Widerlegen Sie einmal meine Fakten!)


Ich will Ihnen, um das greifbar zu machen, deutlich
machen, was das für Sicherheitsinteressen sein können .
Zum Beispiel könnte es in unserem Sicherheitsinteres-
se liegen, die Abwehr terroristischer Bedrohungen zu
unterstützen oder den internationalen Drogenhandel zu
bekämpfen . Bei der Ausfuhr von Marineausrüstung geht

Klaus-Peter Willsch






(A) (C)



(B) (D)


es regelmäßig darum, dass wir Staaten ertüchtigen wol-
len, ihren Küstenschutz durchzuführen und damit einen
Beitrag zur Gewährleistung der Freiheit der Handelswe-
ge auf See zu leisten . All das sind natürlich Aspekte, die
wir berücksichtigen, und das ist auch berechtigt .

Die Bundesregierung hat beispielsweise den bereits
genehmigten Export eines Gefechtsübungszentrums
nach Russland untersagt, weil die Krim von den Russen
besetzt worden ist und wegen der Rolle, die Russland in
dem eingefrorenen Konflikt in der Ostukraine spielt.

Im Falle der Waffenlieferung an die Regierung der
autonomen Region Kurdistan im Irak handelt es sich
um eine politische Ausnahmeentscheidung – das wissen
Sie –, und sie ist in diesem Haus breit getragen worden .


(Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nee!)


Die akute Bedrohung der Bevölkerung im Irak durch die
Halsabschneider vom IS, vom „Islamischen Staat“, war
anders nicht abzuwenden . Ich will hier nicht mit billiger
Kriegsrhetorik irgendetwas schönreden . Die Lage war
so, dass dort wirklich die Gefahr bestand, dass Völker-
mord begangen wird, dass die Menschen vertrieben wer-
den, dass die Menschen dem IS unterworfen werden, und
es gab keine anderen Bodentruppen als die, die wir dann
beliefert haben .

Ich will Ihnen eine friedensethische Stellungnahme
des Rats der Evangelischen Kirche in Deutschland zu
diesem Thema nicht vorenthalten . Im Nachgang einer
Reise des Landesbischofs Dr . Bedford-Strohm in den
Irak vom September 2014 hieß es zu den Waffenlieferun-
gen an die Peschmerga – ich zitiere –:

Die kurdischen Milizen sind die einzigen lokalen
Gegner, welche dem IS militärisch entgegentreten
können . Militärische Mittel erscheinen in der ge-
genwärtigen Lage als die letzte verbliebene Mög-
lichkeit, um wirksame und schnelle Hilfe zu brin-
gen .

Nach evangelischem Verständnis kann militärische
Gewalt zur Abwendung schwerster anhaltender
Menschenrechtsverletzungen, angesichts von Völ-
kermord und Vertreibung, als letzter Ausweg legi-
tim sein, wenn alle anderen gewaltärmeren Mittel
versagen .


(Dr . Frithjof Schmidt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann müssen Sie in Saudi-Arabien einmarschieren!)


Ich bitte Sie, mal ein bisschen aus der Kuschelecke he-
rauszukommen . Wenn man Ihre Position zu Ende denkt,
dann stellen Sie die eigene Armee letztlich auch infra-
ge . Es gibt natürlich Interessen in der Welt; es gibt die
Notwendigkeit, zu unterstützen und zu helfen, wenn wir
können . Wir machen uns der Unterlassenen Hilfeleistung
schuldig, wenn wir das dann nicht tun .

Übrigens wurde das Gleiche auch von katholischer
Seite als eine „Art von Völkermord“ kategorisiert . Der
Vertreter des Heiligen Stuhls bei den Vereinten Nationen,
Erzbischof Silvano Tomasi, sprach sich als Ultima Ratio

für den Einsatz von Gewalt aus, „um die Aggressoren zu
stoppen“ . Weiter sagte Tomasi wörtlich:

Andernfalls werden wir in Zukunft beklagen, dass
wir solch eine schreckliche Tragödie zugelassen ha-
ben .

Mit Blick auf die linke Seite unseres Hauses und
auch auf Sie, Frau Brugger, muss ich sagen, dass wir mit
Friedensmärschen, Handauflegen und Stuhlkreisen die
IS-Mörderbande nicht stoppen werden .


(Agnieszka Brugger [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Reden Sie doch mal zur Sache! Wir reden jetzt nicht über die Waffenlieferungen an die Peschmerga!)


Selbst der Parteivorsitzende der Grünen, Cem Özdemir,
hat erkannt, dass man den IS – ich zitiere – „nicht mit der
Yogamatte unterm Arm“ bekämpfen kann . Ein bisschen
mehr Realismus in den Debatten auch hier in diesem
Haus würde Ihnen guttun .

Ich will Ihnen ein anderes historisches Beispiel nen-
nen: Die Amerikaner hat es im Zweiten Weltkrieg – da
waren sie noch gar nicht in diesen Krieg eingetreten –
einiges an Überwindung gekostet, die Rote Armee mit
dem Lend-Lease Act zu unterstützen . Sie haben es da-
mals getan, um einen ökonomischen und militärischen
Zusammenbruch der Sowjetunion zu verhindern, und ha-
ben damit einen Beitrag dazu geleistet, dass Hitlers An-
griffsarmee in Russland gestoppt werden konnte . Auch
das zeigt, dass die Vorgänge nicht ganz eindimensional
sind, sondern dass wir die verschiedenen Aspekte immer
sehr sorgfältig bewerten und gewichten müssen . Wir ha-
ben nicht den Eindruck, dass das in der Bundesregierung
falsch gemacht wird, sondern wir glauben, dass es richtig
gemacht wird .


(Agnieszka Brugger [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, dann können wir es doch ins Gesetz schreiben!)


Insofern ist es nicht notwendig, dass wir ein Gesetz
auf den Weg bringen; denn es ist bereits alles geregelt .
Ich halte es mit Montesquieu, von dem bekanntlich fol-
gender Satz stammt:

Wenn es nicht notwendig ist, ein Gesetz zu machen,
dann ist es notwendig, kein Gesetz zu machen .

Vielen Dank für die Aufmerksamkeit .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1815515700

Vielen Dank . – Nächster Redner ist jetzt der Kollege

Jan van Aken, Fraktion Die Linke .


(Beifall bei der LINKEN)



Jan van Aken (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1815515800

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Grü-

nen fordern in ihrem Antrag ein Rüstungsexportkontroll-
gesetz. Das finden wir richtig, da stimmen wir zu. Da
Herr Gabriel auch schon darüber nachdenkt, könnten wir

Klaus-Peter Willsch






(A) (C)



(B) (D)


eigentlich heute hier mit rot-rot-grüner Mehrheit – die
gibt es, das vergessen wir gerne – darüber abstimmen .


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr . Joachim Pfeiffer [CDU/CSU]: Hört! Hört! – Matthias Ilgen [SPD]: Davon träumen Sie!)


Das große Problem ist nur, dass an diesem Punkt unsere
Gemeinsamkeit aufhört .


(Matthias Ilgen [SPD]: Allerdings!)


Ich habe mir noch einmal den Antrag der Grünen vom
letzten Mai durchgelesen . Da schreiben Sie: Das Ziel
des Rüstungsexportkontrollgesetzes ist es, die geltenden
Politischen Grundsätze der Bundesregierung in ein Ge-
setz zu überführen . – Das können Sie gerne tun, aber das
würde überhaupt nichts verändern, und das wissen Sie
auch . Dass die Politischen Grundsätze ständig gebrochen
werden, wie Sie das eben behauptet haben, Frau Brugger,
ist nicht richtig .


(Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Natürlich!)


Die Grundsätze sind butterweich . Sie dürfen sogar –
das hat Herr Gabriel im letzten Jahr gemacht – die Liefe-
rung von Panzern nach Katar genehmigen,


(Agnieszka Brugger [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein! – Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein!)


sie dürfen die Lieferung einer ganzen Sturmgewehrfa-
brik nach Saudi-Arabien genehmigen, sie dürfen auch
die Lieferung von Pistolen an die USA genehmigen .


(Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Nein!)


Alles ist dadurch gedeckt .


(Klaus-Peter Willsch [CDU/CSU]: Also, dass mir der van Aken mal zustimmt!)


Claudia Roth protestiert dagegen, das verstehe ich
auch .


(Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Weil ich sie verhandelt habe!)


Denn Sie, Frau Roth, haben diese 1999


(Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Mit Gernot Erler!)


gemeinsam mit Herrn Erler von der SPD verhandelt . Ich
weiß auch, dass Sie beide die Waffenexporte wirklich
reduzieren wollten . Da stehen viele gute Sachen drin:
Menschenrechte, nachhaltige Entwicklung, Kriegs- und
Krisengebiete . Aber Sie wissen auch – das hat Frau Keul
an dieser Stelle schon offen zugegeben –: Sie sind mit
diesem Versuch komplett gescheitert, weil trotz dieser
Politischen Grundsätze in den letzten Jahren die Waffen-
exporte gestiegen und gestiegen sind . Das müssen wir

endlich stoppen, und das geht mit diesen Politischen
Grundsätzen nicht .


(Beifall bei der LINKEN – Agnieszka Brugger [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, deswegen das Gesetz!)


Das liegt zum Beispiel daran, dass in den Grundsät-
zen einerseits glasklar steht, dass in sonstige Länder au-
ßerhalb der NATO keine Ausfuhr von Kriegswaffen ge-
nehmigt wird – super, der Satz geht aber weiter –, es sei
denn, dass besondere außenpolitische Interessen dafür
sprechen . Tatsächlich gibt es in jedem einzelnen Fall of-
fenbar ein außenpolitisches Interesse, wodurch die Men-
schenrechte jedes Mal hinten runterfallen .

Frau Roth, Frau Brugger, Sie kennen die Zahlen: Jedes
Jahr werden 17 000 Anträge gestellt, und 16 900 Anträ-
ge werden durchgewinkt . Ungefähr 100 Anträge werden
abgelehnt . Daran sieht man: Ihre Politischen Grundsätze
sind butterweich . Ich verstehe bis heute nicht, warum Sie
die in ein Gesetz gießen wollen .


(Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Endlich weiß ich, wer schuld ist!)


Denn wenn Sie das zu einem Gesetz machen, dann ze-
mentieren Sie den Status quo, dann werden Sie zemen-
tieren, dass Deutschland auch in 20 Jahren immer noch
der größte Waffenexporteur Europas ist, und das wollen
wir stoppen .


(Beifall bei der LINKEN)


Ein Minimum, welches in einem solchen Gesetz ge-
regelt werden sollte, wäre ein generelles Verbot von
Kleinwaffenexporten . Ich frage Sie von den Grünen: Wa-
rum sind Sie nicht dazu bereit? Wir haben es von Herrn
Gabriel gehört, wir haben es von Ihnen gehört . Eigentlich
sind wir uns bis auf den rechten Teil dieses Hauses fast
alle einig, dass Kleinwaffenexporte nicht zu verantwor-
ten sind. Kleinwaffen – das hat Kofi Annan gesagt –, das
sind die Massenvernichtungswaffen unserer Zeit .


(Beifall bei der LINKEN)


Keine einzige Kleinwaffe darf von diesem Land aus ir-
gendwohin exportiert werden, ob nach Saudi-Arabien,
nach Mexiko oder in die USA .


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg . Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Jetzt werden Sie natürlich alle aufschreien: Wieso
nicht in die USA, wenigstens an NATO-Staaten dürfe
man doch liefern? Ich möchte Sie nur daran erinnern –
und das verstehe ich bis heute nicht –, dass der letzte
große Exportskandal ausdrücklich die USA betraf . Von
Sig Sauer bei uns oben im schönen Norden wurden
100 000 Pistolen an die USA geliefert . Sie wurden um-
etikettiert und gleich nach Kolumbien weiterverschifft .
Damit haben die Amerikaner deutsches Exportrecht wis-
sentlich und willentlich gebrochen . Deswegen sagen wir:
Keine Ausnahmen!


(Dr . Joachim Pfeiffer [CDU/CSU]: Außer Russland!)


Jan van Aken






(A) (C)



(B) (D)


Wir fordern ein generelles Verbot von Kleinwaffenexpor-
ten .


(Beifall bei der LINKEN – Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir organisieren die Mehrheiten!)


Einem Rüstungsexportkontrollgesetz, das dies enthält,
würden wir auch zustimmen .

Noch ein letzter Punkt, bevor ich zum Ende komme .
Herr Gabriel nutzt morgen die Gelegenheit, auf der Bun-
despressekonferenz die Waffenexportzahlen 2015 vor-
zustellen . Sie werden gigantisch hoch sein . Wir wissen,
dass im ersten Halbjahr 2015 schon mehr genehmigt
worden ist als im ganzen Jahr 2014: Exporte mit einem
Volumen von 6,5 Milliarden Euro in einem halben Jahr .
Wir hören also morgen von Rüstungsexporten in einem
Umfang von 8, 9, 10, 11 Milliarden Euro – und das von
einem Minister, der Wahlkampf gegen Waffenexporte
gemacht hat .

Dann frage ich mich: Woran ist er gescheitert? Er ist
genau an diesem System gescheitert, am System der Po-
litischen Grundsätze von Claudia Roth und von Herrn
Erler, das auf „Ja“ gestellt ist .


(Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Ja! Wir sind schuld, dass Waffen nach Saudi-Arabien gehen! So ein Schwachsinn!)


Wir wollen ein Rüstungskontrollgesetz, das auf „Nein“
gestellt ist, damit von deutschem Boden nie wieder ir-
gendwo Kriege befeuert werden .

Im Übrigen – das wissen Sie – bin ich der Meinung,
dass Deutschland überhaupt keine Waffen mehr exportie-
ren sollte . Das Kleinwaffenexportverbot ist ein Anfang .
Aber ich finde: Irgendwann sollten wir uns ein Beispiel
an Japan nehmen . Japan hat 40 Jahre lang kein einziges
Rüstungsgut in die Welt exportiert


(Zurufe von der CDU/CSU: Stimmt doch gar nicht! Ist doch gar nicht wahr!)


und war damit relativ erfolgreich .

Ich danke Ihnen .


(Beifall bei der LINKEN)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1815515900

Danke schön . – Jetzt hat Matthias Ilgen, SPD-Frakti-

on, das Wort .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)



Matthias Ilgen (SPD):
Rede ID: ID1815516000

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich will

mich gleich direkt an Herrn van Aken wenden, weil ich
es mal wieder sehr unseriös finde, wie die Linke mit den
Zahlen um sich wirft .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Ich finde, man muss dann schon bei den Fakten blei-
ben . Wenn Sie die hohe Zahl der Exportgenehmigungen
ansprechen, müssen Sie auch sagen, wie viele der ge-

nehmigten Exporte in NATO-Staaten gegangen ist und
wie viele nicht . Dann sehen die Zahlen auf einmal ganz
anders aus .


(Zuruf von der CDU/CSU: So sieht es aus!)


Sie schlagen vor, wir sollten am besten gar nichts
mehr, wenn ich das gerade richtig verstanden habe, in
NATO-Staaten liefern . So, Herr van Aken, wird man nie
regierungsfähig; das steht fest .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU – Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Will er auch nicht!)


Wir haben seit dem Wiedereintritt der SPD in die Bun-
desregierung 2013 eine deutliche Reduktion der Exporte
zum Beispiel bei den Kleinwaffen erfahren, von 2013
auf 2014 um 43 Prozent . Im Vergleich der ersten Halb-
jahre 2015 zu 2014 waren es wiederum 42 Prozent . Ich
kann also nicht feststellen, dass Ihre Aussagen zu den
Kleinwaffen gerade in irgendeiner Art und Weise mit
den Fakten, nämlich der Realität der kleinen Schritte und
des Weniger – das waren beide Mal fast 50 Prozent – in
irgendeiner Art und Weise übereinstimmen . Und deswe-
gen ist es schlichtweg falsch .


(Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Warten Sie mal die Zahlen morgen ab!)


Darüber hinaus hat das Wirtschaftsministerium
für weitere Verschärfungen gesorgt . Wir haben die
Post-Shipment-Kontrollen eingeführt .


(Agnieszka Brugger [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die sind noch gar nicht eingeführt!)


– Ja, 1 . März, entschuldigen Sie bitte . Wir führen sie zum
1 . März ein . Aber wir haben bzw . das Wirtschaftsminis-
terium hat sie beschlossen .


Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1815516100

Herr Kollege Ilgen, gestatten Sie eine Zwischenfrage

des Kollegen van Aken?


Matthias Ilgen (SPD):
Rede ID: ID1815516200

Ja, selbstverständlich .


Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1815516300

Bitte schön, Herr van Aken .


Jan van Aken (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1815516400

Herr Ilgen, seit sechs Jahren fordern die Grünen und

wir die Post-Shipment-Kontrollen . Jetzt hat Herr Gabriel
sie angekündigt . Jetzt sagen Sie: Zum 1 . März kommen
sie .

Können Sie einmal genauer beschreiben, was das be-
deutet? Wissen Sie, was der Beschluss der Bundesregie-
rung zu den Post-Shipment-Kontrollen beinhaltet? Wis-
sen Sie, dass da nicht drinsteht: Alle exportierten Waffen
werden später vor Ort kontrolliert? Wissen Sie, dass da
zum Beispiel Ausnahmen drinstehen? Wissen Sie, dass

Jan van Aken






(A) (C)



(B) (D)


im ursprünglichen Beschluss der Bundesregierung zum
Beispiel die Ausnahme enthalten war, dass die Wettbe-
werbsfähigkeit der deutschen Rüstungsindustrie dabei
nicht beeinträchtigt werden darf? Und wissen Sie, was
das in der Praxis heißen könnte? Dass Sie vielleicht am
Ende keine einzige Kontrolle irgendwo durchführen
werden, weil jedes Mal Heckler & Koch, Rheinmetall,
Krauss-Maffei Wegmann sagen werden: Wenn wir das
jetzt zulassen, wäre unsere Wettbewerbsfähigkeit beein-
trächtigt . Wissen Sie, dass die Post-Shipment-Kontrol-
len, die Sie vorschlagen, nur Schaumschlägerei sind?


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)



Matthias Ilgen (SPD):
Rede ID: ID1815516500

Herr van Aken, ich weiß jedenfalls, dass Ihre Argu-

mente Schaumschlägerei sind .


(Heiterkeit bei der SPD und der CDU/CSU)


Denn es steht in den Bestimmungen über die Post-Ship-
ment-Kontrollen eindeutig, dass es sozusagen als Bestra-
fung für diejenigen Staaten und Menschen, an die wir lie-
fern und die unseren Rechtsgrundlagen zuwiderhandeln,
keine künftigen Exporte geben wird . Das steht da eindeu-
tig drin . Ich gehe davon aus, dass die Bundesregierung
entsprechend handeln wird und wir als Parlament das
nachvollziehen . Deswegen kann ich Ihrer Argumentation
nicht folgen; tut mir leid .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Die neuen Kleinwaffengrundsätze wurden angespro-
chen . Der „Neu für Alt“-Grundsatz und das Prinzip
„Neu, Vernichtung bei Aussonderung“, dass also die neu
gelieferten Waffen bei der Aussonderung vernichtet wer-
den, werden für zusätzliche Limitierungen in diesem Be-
reich sorgen . Meine Damen und Herren der Opposition,
ich finde: Wir sind auf dem richtigen Weg.

Darüber hinaus haben wir rechtliche Grundlagen . Jetzt
kommen wir zum eigentlichen Thema, der Frage des
Rüstungsexportkontrollgesetzes . Die rechtlichen Grund-
lagen, die wir bisher haben, sind die Politischen Grund-
sätze der Bundesregierung, der Gemeinsame Standpunkt
des Rates zu jeder Lieferung auch innerhalb der Europä-
ischen Union, das Kriegswaffenkontrollgesetz, das Au-
ßenwirtschaftsgesetz und auch Verträge auf völkerrecht-
licher Ebene, die Waffenlieferungen einschränken, etwa
der Arms Trade Treaty .

Der Bundeswirtschaftsminister hat vorgeschlagen,
dass man, um das rechtlich vernünftig zu ordnen, gege-
benenfalls ein Gesetz machen könnte .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


– Ich finde es gut, dass Sie klatschen, Frau Roth. – Ab-
sicht des Ministers ist es, eine Expertenkommission zur
Prüfung aller Ideen zur Schaffung eines solchen Rüs-
tungsexportgesetzes als Ersatz für all die Richtlinien, die
ich eben genannt habe, einzuberufen . Wir als SPD-Frak-
tion begrüßen das ausdrücklich; denn damit wird es
transparenter und klarer für alle .

Meine Damen und Herren von den Grünen, ich finde,
Sie könnten dieses Vorgehen des Ministers durchaus als
Schritt in die richtige Richtung ausdrücklich loben und
anerkennen .


(Agnieszka Brugger [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das haben wir gemacht!)


Was tun Sie stattdessen? Statt zu warten, was diese Ex-
pertenkommission hervorbringt, heben Sie darauf ab,
dass er das vor einem Monat vorgeschlagen hat . Wir wer-
den sehen, was passiert . Der Minister hat eine Pressekon-
ferenz angekündigt . Auch wir warten, was kommt . Wir
gehen aber davon aus, dass diese Expertenkommission
wirklich zeitnah eingerichtet wird . Wir sollten alle ge-
meinsam auf die Ergebnisse warten, die uns diese Kom-
mission vorstellt . Wir sagen an dieser Stelle ganz klar:
Es gilt der Grundsatz „Gründlichkeit vor Schnelligkeit“;
denn wir wollen es ordentlich machen, oder?


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Agnieszka Brugger [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, gerne! Stimmen Sie unserem Antrag zu!)


– Nein .

Ob die Zusammenfassung der bisherigen Gesetzes-
lage, die der Bundesminister beabsichtigt, zudem Ihrer
Idee – jetzt diskutieren wir darüber, was für ein Rüs-
tungsexportgesetz wir hier machen wollen – entsprechen
wird, das wage ich zu bezweifeln . Woher der Wind bei
Ihrer Idee eines Rüstungsexportkontrollgesetzes wirklich
weht, kann man Ihren alten Anträgen entnehmen . Sie for-
dern da zum Beispiel ein Klagerecht für NGOs, wenn es
um Rüstungsexportentscheidungen der Bundesregierung
geht .


(Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Verbandsklagen! Genau!)


– Ja, das ist quasi ein Verbandsklagerecht .


(Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja!)


Ich finde, das ist ohnehin schon eines der problematisch-
sten Gesetze, die wir in Deutschland haben – hinsichtlich
der Ausgestaltung des Verbandsklagerechts, nicht grund-
legend .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wie wir es gemeinsam ausgestaltet haben, ist es proble-
matisch;


(Dr . Frithjof Schmidt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Hört! Hört! Jetzt wird es interessant!)


denn das ist in vielen anderen Bereichen ein wahnsin-
niges Verhinderungsinstrument in Bezug auf die wirt-
schaftliche Entwicklung .


(Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Oh!)


Jan van Aken






(A) (C)



(B) (D)


Auf den Rüstungsbereich wollen wir das aber nicht
eins zu eins übertragen . Darum geht es nicht .


(Jan van Aken [DIE LINKE]: Von welcher Partei war der? SPD? Ich wundere mich schon! – Dr . Frithjof Schmidt [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Wenn das die SPD hört!)


Wir wollen das nicht eins zu eins übertragen . Ich glau-
be nicht, dass wir das wirtschaftliche Wachstum mit
Waffen exporten vergleichen sollten . Wir wollen aber auf
jeden Fall darauf hinweisen, dass es nicht Teil unserer
Forderungen sein wird, Klagerechte für Verbände in die-
sem Bereich einzuführen . Wir halten davon nichts, und
wir werden das auch so nicht machen .

In Ihrem Antrag auf Drucksache 18/6201 vom 30 . Sep-
tember 2015 haben Sie ganz klar eingefordert, dass wir
als Bundesregierung bei CETA darauf achten, dass es
keine Sonderklagerechte für Unternehmen und Verbände
vor irgendwelchen Gerichten gibt . Das können Sie doch
nicht jetzt – ich finde, das muss man an dieser Stelle ein-
mal sagen –, bei den Waffenexportgesetzen, einfordern .


(Lachen des Abg . Dr . Frithjof Schmidt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Agnieszka Brugger [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber jedes Unternehmen, dem eine Genehmigung versagt wird, kann dagegen den Rechtsweg beschreiten!)


Sie messen ständig mit zweierlei Maß . Das ist der
Grund, warum ich mit einem norddeutschen Sprichwort
auf Niederdeutsch, also Plattdeutsch, enden will: Snell
hett sick totlopen . Ich bleibe dabei: Gründlichkeit geht
vor Schnelligkeit . Deswegen werden wir Ihren Antrag
heute ablehnen .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1815516600

Vielen Dank . – Das Wort hat jetzt die Kollegin Gisela

Manderla, CDU/CSU-Fraktion . – Bitte schön .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Gisela Manderla (CDU):
Rede ID: ID1815516700

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Es gibt kaum ein Thema in unserem Land, über das hef-
tiger und kontroverser diskutiert und debattiert wird als
über den Umgang mit Rüstungsgütern . Vor allem kochen
die Gemüter hoch, wann immer es um den Export dieser
Produkte geht . Dabei täten gerade wir in Deutschland gut
daran, eine Versachlichung dieser Debatte anzustreben .
Wir sollten mit Blick auf die gesellschaftliche Orientie-
rung die Fragen stellen: Welche Rolle soll Deutschland
zukünftig in der Welt einnehmen? Welchen Wert hat die
Verteidigung unserer Grundwerte, und mit welchem Ins-
trumentarium wollen wir eben jene Grundwerte erhalten
und beschützen?

Apropos Versachlichung: Unsere Handlungsgrund-
lage ist der Koalitionsvertrag. Dort ist fixiert, dass
Deutschland ein elementares Interesse an einer innova-
tiven leistungs- und wettbewerbsfähigen nationalen Si-

cherheits- und Verteidigungsindustrie hat, und zwar nicht
in erster Linie aus wirtschaftlicher, sondern vor allem
aus außen-, sicherheits- und technologiepolitischer Sicht,
und das aus guten Gründen .

Mit Blick auf unsere Außen- und Sicherheitspolitik
geht es vorrangig um zwei Punkte:

Erstens geht es um die Verteidigungsfähigkeit im
NATO-Bündnis und im Rahmen der Europäischen Uni-
on . Um diese künftig sicherzustellen, bilden wir mit
Konzepten wie „Framework Nations“, den Anlehnungs-
partnerschaften oder „Smart Defence“ zunehmend mehr
transnationale Fähigkeiten aus . Wer auf den Prozess
fortschreitender Bündnisintegration und die hierfür not-
wendige Arbeitsteilung gestalterischen Einfluss nehmen
will, der muss auch über die entsprechenden Kapazitäten
verfügen: in den Streitkräften selbst, aber auch in Aus-
rüstungs- und Ausbildungsfragen .

Zweitens geht es um die Fähigkeit, diejenigen He-
rausforderungen, die sich in Europas unmittelbarer
Nachbarschaft für unsere Sicherheit ergeben, direkt und
aktiv anzugehen . Das entspricht übrigens nicht nur un-
serer gewachsenen Verantwortung, sondern wird auch
zunehmend von unseren Freunden und Partnern so er-
wartet, und das auch völlig zu Recht, wie ich finde, liebe
Kolleginnen und Kollegen .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Vor allem die Entwicklungen der letzten beiden Jahre
haben uns schmerzlich vor Augen geführt, wie schnell
Konflikte entstehen und eskalieren können.


(Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Durch Waffenexporte!)


Hierauf müssen wir schneller und entschlossener reagie-
ren können . Dafür braucht Deutschland die entsprechen-
den Fähigkeiten . Nun könnte man ja sagen, die hierfür
nötigen Systeme lassen sich doch allesamt im Ausland
erwerben . Das mag stimmen . Allerdings sind eigene rüs-
tungstechnologische Fähigkeiten eine zentrale Voraus-
setzung, um den europäischen Integrationsprozess im
Rüstungsbereich mitzugestalten . Sie gewähren Teilhabe
und Einfluss bei Entwicklung, Beschaffung und Betrieb
von entscheidenden militärischen Systemen, vor allem
wenn sie, wie es in Deutschland in einigen Bereichen
zum Glück noch der Fall ist, im globalen Vergleich im-
mer noch State of the Art sind . Einmal verloren gegan-
gen, sind wehrtechnische Fähigkeiten jedoch nicht oder
nur unter größtem Aufwand wieder aufzuholen .

Die deutsche wehrtechnische Industrie trägt mit ihren
Produkten zentral dazu bei, dass die Bundeswehr als ein
Instrument der Politik vernünftig ausgerüstet ist und mit
ihrem Fähigkeitsspektrum die Breite der sicherheitspoli-
tischen Herausforderungen abdecken kann .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Der Kunde Bundeswehr allein reicht heute aber längst
nicht mehr aus, um die wehrtechnischen Kapazitäten
auch nur zu erhalten, geschweige denn in Sachen For-
schung und Entwicklung am Ball zu bleiben . Zu gering

Matthias Ilgen






(A) (C)



(B) (D)


ist der investive Spielraum im Einzelplan Verteidigung
im Bundeshaushalt .


(Unruhe)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1815516800

Frau Kollegin Manderla, darf ich Sie einmal kurz un-

terbrechen? – Kolleginnen und Kollegen, ich bitte Sie,
sich Ihre Stimmkarten etwas geräuschloser zu besorgen
und auch die Gespräche in den Fluren zu unterlassen;
denn jetzt hat die Kollegin Manderla das Wort . Sie hat
auch das Recht darauf, dass Sie ihr zuhören .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Gisela Manderla (CDU):
Rede ID: ID1815516900

Vielen Dank, Frau Präsidentin . – Selbst der avisierte

und dringend angezeigte Mittelaufwuchs für die Bun-
deswehr wird bei weitem nicht ausreichen, diese Realität
umzukehren . So ist die deutsche wehrtechnische Indus-
trie beinahe folgerichtig bereits zu 50 bis 70 Prozent von
Exportmärkten abhängig . Lieferungen von Rüstungs-
gütern sind faktisch aber kaum noch möglich, in Teilen
nicht einmal mehr an NATO-Verbündete bzw . europäi-
sche Partner . Gerade dieser Punkt, liebe Kolleginnen und
Kollegen, ist nur schwer erträglich; das will ich hier deut-
lich zum Ausdruck bringen .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Denn wenn sich selbst unsere engsten Partner nicht da-
rauf verlassen können, dass wir ihnen vertraglich zugesi-
cherte Systeme, Ersatzteile und einzelne Bauteile liefern
bzw . nachliefern, was ist unseren Verbündeten diese Part-
nerschaft dann noch wert?

Deutsche Unternehmen haben es zunehmend schwe-
rer, sich in internationalen Lieferketten und Kooperati-
onen mit NATO-Partnern zu behaupten . Die Aufträge
gehen an Firmen aus anderen Staaten, die in der Regel
mit erheblicher staatlicher Flankierung unterstützt wer-
den . Aus dem Qualitätssiegel „made in Germany“ ist das
Label „German-free“ geworden – angesichts der quali-
tativen und technologischen Wertigkeit vieler deutscher
Systeme und Komponenten eine geradezu absurde Ent-
wicklung, meine Damen und Herren .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Deutschland hat bereits jetzt mit die restriktivsten
Regelungen für den Rüstungsexport weltweit . Mit den
im letzten Jahr noch zusätzlich eingeführten Klein-
waffengrundsätzen, lieber Herr Kollege van Aken, und
einer weiteren Verschärfung der Endverbleibskon-
trollen – sie wurden schon angesprochen; Stichwort
Post-Shipment-Kontrollen – kamen weitere Regularien
dazu .


(Unruhe – Glocke der Präsidentin)


Die Unzahl deutscher Auflagen, Bedingungen, Ein-
schränkungen und Hürden sucht weltweit jetzt schon
ihresgleichen . Mit weiteren, noch restriktiveren Maß-
nahmen riskieren wir eine Strangulierung der gesamten

Branche; und das ist mit uns, der Unionsfraktion in die-
sem Hause, nicht zu machen .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Entscheidungen über Rüstungsexporte unterliegen
stets schwierigen und komplexen Abwägungsprozessen .
Sie müssen unter Einbeziehung vieler Aspekte getroffen
werden . Eindimensionale Begründungen reichen nicht
aus . Sie müssen vielmehr in die oben genannten grund-
sätzlichen Erwägungen eingebettet sein .

In der Gesamtschau – das wissen Sie – reden wir heu-
te über eine Hochtechnologiebranche in Deutschland mit
rund 300 000 inländischen Arbeitsplätzen, deren Wert-
schöpfungsniveau beträchtlich ist und deren interaktive
Wirkung enorme Synergien mit anderen Branchen er-
zeugt . Die Bedeutung der wehrtechnischen Industrie ist
aber nicht einfach nur an simplen Umsätzen abzulesen,
sondern sie stellt einen ganz elementaren Grundpfeiler
in unserer Sicherheitsvorsorge dar und ist deshalb von
herausragender Bedeutung .

Liebe Kolleginnen und Kollegen, bevor ich ende, ge-
statten Sie mir noch ein deutliches Wort zum hier heute
vorliegenden Antrag und vor allen Dingen zu dem Im-
puls im Mai letzten Jahres .

Die Unterstellung, Deutschland würde seiner Frie-
denspflicht nicht nachkommen, ist ungeheuerlich, und
angesichts der umfangreichen Bemühungen in unseren
Bündnissen – seien sie diplomatischer oder militärischer
Art – ist sie ein Schlag ins Gesicht unserer Soldatinnen
und Soldaten und unserer zivilen Kräfte, die sich tagtäg-
lich abmühen, den Störern der internationalen Ordnung
Einhalt zu gebieten .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1815517000

Vielen Dank . – Letzter Redner zu diesem Tagesord-

nungspunkt ist der Kollege Dr . Karl-Heinz Brunner,
SPD-Fraktion .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Karl-Heinz Brunner (SPD):
Rede ID: ID1815517100

Verehrte Frau Präsidentin! Meine Kolleginnen und

Kollegen! Meine Damen und Herren! Es ist immer etwas
kritisch, als Letzter zu sprechen, und dann auch noch vor
einer namentlichen Abstimmung, wenn sich das Hohe
Haus über alle Themen austauschen möchte, die so wich-
tig sind .

Es geht mir genauso wie vielen Menschen in unserem
Land . Wenn man über Rüstungsexportkontrolle spricht,
dann kann jeder mitdiskutieren – in jeder Form und in
jeder Ausgestaltung . Es ist das ideale Thema an jedem
Stammtisch . Man vergleicht einen Panzer oder einen
Tornado ganz selbstverständlich mit dem G36 oder auch
nur einer Jagdmunition .

Warum sage ich dies? Ich sage dies deshalb, weil es
bei der Diskussion über die Rüstungsexportkontrol-
le zweifelsohne um mehr geht, als nur platt zu fordern,

Gisela Manderla






(A) (C)



(B) (D)


nicht mehr Waffen in irgendwelche Staaten zu exportie-
ren, seien es befreundete und unkritische Staaten oder,
was ausgeschlossen sein muss, kritische Staaten .


(Unruhe – Glocke der Präsidentin)


Das Thema ist weitaus vielschichtiger, differenzierter
und vor allen Dingen komplizierter zu betrachten .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie des Abg . Dr . Joachim Pfeiffer [CDU/CSU])


Bereits heute gelten zahllose Vorschriften . Die Klein-
waffengrundsätze wurden im vergangenen Jahr verän-
dert, und die Post-Shipment-Kontrollen kommen . Es
ist richtig, dass Bundesminister Gabriel, der weiß, dass
eine Reihe von Richtlinien Auslegungen erlauben, Aus-
legungen einmal industriefreundlich und einmal weni-
ger industriefreundlich vornimmt . Er hat zu Recht vor-
geschlagen, innere Klarheit bzw . Rechtssicherheit und
vor allen Dingen auch äußere Klarheit durch ein eigenes
Rüstungsexportgesetz zu schaffen .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Liebe Kollegin Brugger, ich glaube, es ist zu kurz ge-
sprungen, wenn man sagt, man sollte nicht arg lang nach-
denken, vom 15 . Januar 2016 bis zum 16 . Februar 2016
hätte das erledigt sein sollen;


(Agnieszka Brugger [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Bis zum Ende der Legislaturperiode ist noch über ein Jahr Zeit!)


denn Nachdenken ist die Voraussetzung für richtiges
Handeln, und für das Regierungshandeln gilt das erst
recht . Deshalb ist es richtig, zuerst intensiv nachzuden-
ken, eine Expertenkommission einzubinden und mit
dieser Expertenkommission die richtigen abgewogenen
Vorschriften und gesetzlichen Regelungen zu erarbeiten
und vorzustellen, die eine wirksame und effektive Arbeit
ausgewogen und umfassend ermöglichen .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Es geht nicht allein darum, jetzt ganz schnell das Au-
ßenwirtschaftsgesetz, das Kriegswaffenkontrollgesetz
und Ähnliches zu ändern . Es geht nicht darum, die Frage
zu beantworten: Wie können für Kleinwaffen, die größ-
te Gefahr in unserer Gesellschaft und auf unserer Welt,
wirksame Endverbleibskontrollen durchgeführt werden,
sei es durch Chips, sei es durch Laser oder Ähnliches?
Vielmehr gehört dazu auch, nicht nur über Waffenexpor-
te zu reden, sondern auch über die Waffen, die tatsächlich
in Umlauf gebracht werden . Die Abrüstungspolitik ins-
gesamt muss als eine Einheit gesehen werden .

Deutschland muss und wird – soweit bin ich mir si-
cher – im Rahmen der weltweiten Abrüstung und der
Schaffung von mehr Sicherheit weiter aktiv seinen Bei-
trag leisten . Auch ich will dies . Deshalb, glaube ich, müs-
sen wir eine ganz bestimmte Art der Kriegsführung in den
Expertenrunden mutig ansprechen, von der wir heute viel
zu wenig sprechen: die extralegalen Tötungen . Dadurch
wird versucht, Konflikte und das Recht auf Selbstvertei-
digung über alle Maßen hinweg räumlich und zeitlich zu
entgrenzen, also durch Drohnenangriffe in anderen Län-
dern zu töten, ohne das Völkerrecht zu berücksichtigen .

Extralegale Tötungen – ich sage dies, weil ich die Gele-
genheit habe, als Letzter zu sprechen – dürfen nie und
nimmermehr zur völkerrechtlichen Gewohnheit werden .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und des Abg . Jan van Aken [DIE LINKE])


Wir dürfen sie nicht akzeptieren . Vor allen Dingen dür-
fen sie niemals und schon gar nicht mit unserer Hilfe ins
Völkerrecht eingehen .

Sie sehen, meine Damen und Herren, Rüstungskon-
trolle, Abrüstung, die Schaffung von Frieden auf dieser
Welt sind wesentlich komplexer, als schnell mal einen
Antrag zu stellen, schnell mal einen Gesetzentwurf vor-
zulegen und schnell mal zu handeln . Vielmehr bedarf es
einer weisen und intensiven Diskussion und Beratung .
Ich glaube, dass dies die Expertenkommission sehr wohl
tun kann . Ich bin mir sicher, dass Sigmar Gabriel und
das Ministerium für Wirtschaft auf dem richtigen Weg
sind, die entsprechenden Regelungen zu treffen und den
Frieden zu sichern .

Vielen Dank für die Aufmerksamkeit .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1815517200

Vielen Dank . – Wir sind damit am Ende der Debatte

angelangt und kommen zur Abstimmung über den An-
trag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksa-
che 18/7546 mit dem Titel „Rüstungsexportkontrollge-
setz vorlegen“ . Wir stimmen nun über den Antrag auf
Verlangen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen nament-
lich ab .

Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer,
die vorgesehenen Plätze einzunehmen . – Sind jetzt alle
Plätze an den Urnen besetzt? – Ich sehe, das ist der Fall .
Dann eröffne ich die Abstimmung über den Antrag .

Sind Kollegen oder Kolleginnen im Saal, die ihre
Stimmkarte noch nicht abgegeben haben? – Ich sehe, das
ist nicht der Fall . Dann schließe ich die Abstimmung und
bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der
Auszählung zu beginnen . Das Ergebnis der Abstimmung
wird Ihnen später bekannt gegeben .1)

Wir haben jetzt noch eine weitere Abstimmung durch-
zuführen . Ich darf Sie alle bitten, wieder Platz zu neh-
men .

Wir kommen zum Tagesordnungspunkt 20 b . Abstim-
mung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses
für Wirtschaft und Energie zu dem Antrag der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen mit dem Titel „Eckpunkte für ein
Rüstungsexportkontrollgesetz“. Der Ausschuss empfiehlt
in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/7030,
den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf
Drucksache 18/4940 abzulehnen . Wer stimmt für die-
se Beschlussempfehlung? – Gegenprobe! – Enthaltun-
gen? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen
von CDU/CSU- und SPD-Fraktion angenommen bei

1) Ergebnis Seite 15301 C

Dr. Karl-Heinz Brunner






(A) (C)



(B) (D)


Enthaltung der Fraktion Die Linke und Gegenstimmen
der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen .

Ich rufe jetzt die Tagesordnungspunkte 11 a und 11 b
auf:

a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-
regierung eingebrachten Entwurfs eines Geset-
zes zur Umsetzung der Wohnimmobilienkre-
ditrichtlinie

Drucksachen 18/5922, 18/6286

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-

(6 . Ausschuss)


Drucksache 18/7584

b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Recht und Verbrau-
cherschutz (6 . Ausschuss) zu dem Antrag der Ab-
geordneten Caren Lay, Klaus Ernst, Dr . Dietmar
Bartsch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
DIE LINKE

Gesetzliche Deckelung und Veröffentlichung
der Zinssätze für Dispo- und Überziehungs-
kredite

Drucksachen 18/2741, 18/7584

Der Gesetzentwurf zur Umsetzung der Wohnim-
mobilienkreditrichtlinie beinhaltet in der Fassung der
Beschlussempfehlung des Ausschusses für Recht und
Verbraucherschutz auch Änderungen handelsrechtlicher
Vorschriften .

Außerdem liegen zu dem Gesetzentwurf der Bundes-
regierung je ein Entschließungsantrag der Fraktion Die
Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor .

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 38 Minuten vorgesehen . – Ich höre dazu
keinen Widerspruch . Dann ist so beschlossen .

Ich eröffne die Aussprache . Das Wort hat der Parla-
mentarische Staatssekretär Ulrich Kelber .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


U
Ulrich Kelber (SPD):
Rede ID: ID1815517300


Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Her-
ren! Ich freue mich, dass wir heute über den Entwurf eines
Gesetzes zur Umsetzung der Wohnimmobilienkreditricht-
linie abschließend beraten können . Für die Verbrauche-
rinnen und Verbraucher ist es wichtig, dass sie jetzt von
den neuen Möglichkeiten, ihren neuen Rechten beim Ab-
schluss eines Immobilienkredits Gebrauch machen kön-
nen . Ich will nur stichwortartig die Verbesserungen aus
Sicht der Verbraucherinnen und Verbraucher nennen – die
Kolleginnen und Kollegen werden darauf näher einge-
hen –: verbesserte vorvertragliche Informationen, Schutz
vor Risiken bei Fremdwährungskrediten, Beratungsan-
gebote bei Dispokrediten, die Möglichkeit anbieterunab-
hängiger Honorarberatung und das Widerrufsrecht auch
bei Null-Prozent-Finanzierung . Heute Morgen haben wir

in weiteren Bereichen im Rahmen eines anderen Gesetzes
zusätzliche Verbraucherrechte eingeführt, unter anderem
das Widerrufsrecht auf dem Grauen Kapitalmarkt .

Es gibt also eine Reihe positiver Punkte . Zur Trans-
parenz gehört aber, auch auf den Punkt einzugehen, über
den in den letzten Wochen kritisch diskutiert wurde,
nämlich über das Auslaufen des sogenannten ewigen Wi-
derrufsrechts . Dies ist lange innerhalb der Bundesregie-
rung – Finanzministerium und Verbraucherschutzminis-
terium – abgewogen worden . Wir sind zu dem Ergebnis
gekommen – das haben wir dem Bundestag vorgeschla-
gen –, dass auch Personen, denen der Verbraucherschutz
ein Anliegen ist, dem Auslaufen der Altfälle 6 bis 14 Jah-
re nach Zustandekommen des Vertrages zustimmen
können . Es geht darum, dass Immobilienkreditverträge,
die zwischen 2002 und 2010 zustande gekommen sind,
teilweise mit einem ewigen Widerrufsrecht belastet sind,
weil manche Bankinstitute nicht mehr von der gesetzli-
chen Musterwiderrufsbelehrung Gebrauch gemacht ha-
ben, als diese von einigen Gerichten infrage gestellt wur-
de . Ich will die Gründe nicht im Einzelnen bewerten . Die
Verträge sind nicht wegen einer schlechten oder falschen
Information, die zu Benachteiligungen geführt hat, ent-
standen, vielmehr sind sie wegen eines Formfehlers mit
Rechtsunsicherheiten für beide Seiten behaftet .

Man darf sicherlich sagen, dass es kein echtes ver-
braucherpolitisches Anliegen ist, das Widerrufsrecht einer
Vertragspartei noch aufrechtzuerhalten, wenn der Kredit
bereits vollständig getilgt wurde und der Vertrag zur bei-
derseitigen Zufriedenheit erfüllt worden ist . Wie wir se-
hen, geht es größtenteils nicht um Kunden, die sich über
zu hohe Vorfälligkeitsentschädigungen beschwert haben .
Vielmehr wird dieses Widerrufsrecht von Rechtsanwalts-
kanzleien sozusagen als Widerrufsjoker genutzt, nach dem
Motto: Nutzen Sie die jetzt niedrigeren Zinsen! – Aus mei-
ner Sicht sind vor allem Banken und Sparkassen belastet,
die Kredite zu fairen Konditionen angeboten und nicht
versucht haben, zu übervorteilen . Aber diese müssen heut-
zutage damit rechnen, dass ihre Bilanzen durch hohe Kos-
ten aus abgelaufenen, erfüllten Verträgen belastet werden .

Es ist keineswegs sicher, dass dieses Widerrufsrecht
ewig von den Verbraucherinnen und Verbrauchern ge-
nutzt werden kann; denn wahrscheinlich werden in Zu-
kunft einige Gerichte entscheiden, dass das Widerrufs-
recht nach 10, 14 oder 16 Jahren verwirkt ist . Aber so
lange, bis entsprechende höchstrichterliche Urteile erge-
hen, herrscht Rechtsunsicherheit auf beiden Seiten . Das
ist weder aus Verbrauchersicht noch aus Gründen der
Finanzmarktstabilität sinnvoll . Deswegen glaube ich,
dass es nun richtig ist, zu sagen: Verbraucherinnen und
Verbraucher haben drei Monate nach Inkrafttreten des
Gesetzentwurfs Zeit, sich zu überlegen, ob sie ihr Wi-
derrufsrecht bei Verträgen aus den Jahren 2002 bis 2010
wahrnehmen wollen . Die Regierung hat im September
letzten Jahres angekündigt, eine solche Regelung vorzu-
schlagen . Die Verbraucherinnen und Verbraucher haben
folglich neun Monate Zeit . Von „zu schnell“ und „über-
rumpeln“ kann also keine Rede sein .

Neben all den Vorteilen, die ich zu Beginn aufgezählt
habe, wird diese Regelung dazu beitragen, dass wir in
Deutschland zwei Dinge behalten: die europaweit bes-

Vizepräsidentin Ulla Schmidt






(A) (C)



(B) (D)


ten Konditionen bei Immobilienkrediten, also die nied-
rigsten Zinsen, und gleichzeitig eine hohe Kultur bei den
Festzinsen, also Berechenbarkeit aus Sicht der Verbrau-
cherinnen und Verbraucher . Daher hoffe ich, dass der
Gesetzentwurf auf breite Unterstützung bei Ihnen stößt .

Vielen Dank .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1815517400


Vielen Dank . – Bevor ich die nächste Rednerin aufru-
fe, möchte ich Ihnen das von den Schriftführerinnen und
Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen
Abstimmung bekannt geben: abgegebene Stimmen 583 .
Mit Ja haben gestimmt 116, mit Nein haben gestimmt
467 . Damit ist der Antrag abgelehnt .

Endgültiges Ergebnis

Abgegebene Stimmen: 582;
davon

ja: 116
nein: 466
enthalten: 0

Ja

CDU/CSU

Josef Göppel

SPD

Detlef Müller (Chemnitz)


DIE LINKE

Jan van Aken
Dr . Dietmar Bartsch
Herbert Behrens
Karin Binder
Matthias W . Birkwald
Heidrun Bluhm
Christine Buchholz
Eva Bulling-Schröter
Roland Claus
Sevim Dağdelen
Dr . Diether Dehm
Klaus Ernst
Wolfgang Gehrcke
Annette Groth
Dr . Andre Hahn
Dr . Rosemarie Hein
Inge Höger
Andrej Hunko
Sigrid Hupach
Ulla Jelpke
Susanna Karawanskij
Kerstin Kassner
Katja Kipping
Jan Korte
Jutta Krellmann
Katrin Kunert
Caren Lay
Sabine Leidig
Ralph Lenkert
Stefan Liebich

Dr . Gesine Lötzsch
Birgit Menz
Cornelia Möhring
Niema Movassat
Norbert Müller (Potsdam)

Dr . Alexander S . Neu
Thomas Nord
Petra Pau
Harald Petzold (Havelland)

Richard Pitterle
Martina Renner
Dr . Petra Sitte
Kersten Steinke
Dr . Kirsten Tackmann
Azize Tank
Frank Tempel
Dr . Axel Troost
Alexander Ulrich
Kathrin Vogler
Halina Wawzyniak
Harald Weinberg
Katrin Werner
Birgit Wöllert
Jörn Wunderlich
Hubertus Zdebel
Pia Zimmermann
Sabine Zimmermann


(Zwickau)


BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN

Luise Amtsberg
Kerstin Andreae
Annalena Baerbock
Marieluise Beck (Bremen)

Dr . Franziska Brantner
Agnieszka Brugger
Katja Dörner
Katharina Dröge
Harald Ebner
Dr . Thomas Gambke
Kai Gehring
Katrin Göring-Eckardt
Anja Hajduk
Britta Haßelmann
Dr . Anton Hofreiter
Bärbel Höhn

Dieter Janecek
Uwe Kekeritz
Katja Keul
Sven-Christian Kindler
Maria Klein-Schmeink
Tom Koenigs
Sylvia Kotting-Uhl
Oliver Krischer
Stephan Kühn (Dresden)

Christian Kühn (Tübingen)

Renate Künast
Markus Kurth
Monika Lazar
Steffi Lemke
Dr . Tobias Lindner
Peter Meiwald
Irene Mihalic
Beate Müller-Gemmeke
Özcan Mutlu
Dr . Konstantin von Notz
Omid Nouripour
Friedrich Ostendorff
Cem Özdemir
Lisa Paus
Brigitte Pothmer
Tabea Rößner
Claudia Roth (Augsburg)

Manuel Sarrazin
Elisabeth Scharfenberg
Ulle Schauws
Dr . Gerhard Schick
Dr . Frithjof Schmidt
Kordula Schulz-Asche
Dr . Wolfgang Strengmann-

Kuhn
Hans-Christian Ströbele
Dr . Harald Terpe
Markus Tressel
Jürgen Trittin
Dr . Julia Verlinden
Beate Walter-Rosenheimer
Dr . Valerie Wilms

Nein

CDU/CSU

Stephan Albani

Peter Altmaier
Artur Auernhammer
Thomas Bareiß
Norbert Barthle
Günter Baumann
Maik Beermann
Veronika Bellmann
Sybille Benning
Dr . Andre Berghegger
Dr . Christoph Bergner
Peter Beyer
Steffen Bilger
Clemens Binninger
Peter Bleser
Dr . Maria Böhmer
Wolfgang Bosbach
Norbert Brackmann
Klaus Brähmig
Michael Brand
Dr . Reinhard Brandl
Helmut Brandt
Dr . Ralf Brauksiepe
Heike Brehmer
Ralph Brinkhaus
Cajus Caesar
Gitta Connemann
Alexandra Dinges-Dierig
Alexander Dobrindt
Michael Donth
Thomas Dörflinger
Marie-Luise Dött
Hansjörg Durz
Iris Eberl
Jutta Eckenbach
Hermann Färber
Uwe Feiler
Dr . Thomas Feist
Enak Ferlemann
Ingrid Fischbach
Dirk Fischer (Hamburg)

Axel E . Fischer


(Karlsruhe-Land)

Dr . Maria Flachsbarth
Klaus-Peter Flosbach
Thorsten Frei
Dr . Astrid Freudenstein

Parl. Staatssekretär Ulrich Kelber






(A) (C)



(B) (D)


Dr . Hans-Peter Friedrich

(Hof)


Michael Frieser
Dr . Michael Fuchs
Hans-Joachim Fuchtel
Alexander Funk
Ingo Gädechens
Dr . Thomas Gebhart
Alois Gerig
Eberhard Gienger
Cemile Giousouf
Ursula Groden-Kranich
Hermann Gröhe
Klaus-Dieter Gröhler
Michael Grosse-Brömer
Astrid Grotelüschen
Markus Grübel
Manfred Grund
Oliver Grundmann
Monika Grütters
Dr . Herlind Gundelach
Fritz Güntzler
Olav Gutting
Christian Haase
Florian Hahn
Dr . Stephan Harbarth
Jürgen Hardt
Gerda Hasselfeldt
Matthias Hauer
Mark Hauptmann
Dr . Stefan Heck
Dr . Matthias Heider
Helmut Heiderich
Mechthild Heil
Frank Heinrich (Chemnitz)

Mark Helfrich
Uda Heller
Jörg Hellmuth
Michael Hennrich
Ansgar Heveling
Peter Hintze
Dr . Heribert Hirte
Christian Hirte
Robert Hochbaum

(Dort mund)

Karl Holmeier
Dr . Hendrik Hoppenstedt
Margaret Horb
Bettina Hornhues
Charles M . Huber
Anette Hübinger
Hubert Hüppe
Thomas Jarzombek
Sylvia Jörrißen

Dr . Franz Josef Jung
Andreas Jung
Xaver Jung
Dr . Egon Jüttner
Bartholomäus Kalb
Hans-Werner Kammer
Steffen Kampeter
Steffen Kanitz
Alois Karl
Anja Karliczek
Bernhard Kaster
Volker Kauder
Dr . Stefan Kaufmann
Roderich Kiesewetter
Dr . Georg Kippels
Volkmar Klein
Jürgen Klimke
Axel Knoerig
Jens Koeppen
Markus Koob
Carsten Körber
Hartmut Koschyk
Kordula Kovac
Michael Kretschmer
Gunther Krichbaum
Dr . Günter Krings
Rüdiger Kruse
Bettina Kudla
Dr . Roy Kühne
Uwe Lagosky
Dr . Karl A . Lamers
Andreas G . Lämmel
Dr . Norbert Lammert
Katharina Landgraf
Ulrich Lange
Barbara Lanzinger
Dr . Silke Launert
Paul Lehrieder
Dr . Katja Leikert
Dr . Philipp Lengsfeld
Dr . Andreas Lenz
Philipp Graf Lerchenfeld
Dr . Ursula von der Leyen
Antje Lezius
Ingbert Liebing
Matthias Lietz
Andrea Lindholz
Dr . Carsten Linnemann
Patricia Lips
Wilfried Lorenz
Dr . Claudia Lücking-Michel
Dr . Jan-Marco Luczak
Daniela Ludwig
Karin Maag

Yvonne Magwas
Thomas Mahlberg
Dr . Thomas de Maizière
Gisela Manderla
Matern von Marschall
Hans-Georg von der Marwitz
Andreas Mattfeldt
Stephan Mayer (Altötting)

Reiner Meier
Dr . Michael Meister
Jan Metzler
Maria Michalk
Dr . h .c . Hans Michelbach
Dr . Mathias Middelberg
Dietrich Monstadt
Karsten Möring
Marlene Mortler
Volker Mosblech
Elisabeth Motschmann
Dr . Gerd Müller
Carsten Müller


(Braunschweig)

Stefan Müller (Erlangen)

Dr . Philipp Murmann
Dr . Andreas Nick
Michaela Noll
Helmut Nowak
Dr . Georg Nüßlein
Julia Obermeier
Wilfried Oellers
Florian Oßner
Dr . Tim Ostermann
Henning Otte
Ingrid Pahlmann
Sylvia Pantel
Martin Patzelt
Dr . Martin Pätzold
Ulrich Petzold
Dr . Joachim Pfeiffer
Sibylle Pfeiffer
Eckhard Pols
Thomas Rachel
Kerstin Radomski
Alexander Radwan
Alois Rainer
Dr . Peter Ramsauer
Eckhardt Rehberg
Lothar Riebsamen
Josef Rief
Dr . Heinz Riesenhuber
Dr . Norbert Röttgen
Erwin Rüddel
Anita Schäfer (Saalstadt)

Andreas Scheuer

Karl Schiewerling
Norbert Schindler
Tankred Schipanski
Heiko Schmelzle
Gabriele Schmidt (Ühlingen)

Ronja Schmitt
Patrick Schnieder
Dr . Ole Schröder
Dr . Kristina Schröder


(Wiesbaden)

Bernhard Schulte-Drüggelte
Dr . Klaus-Peter Schulze
Uwe Schummer
Armin Schuster


(Weil am Rhein)

Christina Schwarzer
Detlef Seif
Johannes Selle
Reinhold Sendker
Dr . Patrick Sensburg
Bernd Siebert
Thomas Silberhorn
Johannes Singhammer
Tino Sorge
Jens Spahn
Carola Stauche
Dr . Frank Steffel
Dr. Wolfgang Stefinger
Albert Stegemann
Erika Steinbach
Sebastian Steineke
Johannes Steiniger
Christian Frhr . von Stetten
Dieter Stier
Rita Stockhofe
Gero Storjohann
Stephan Stracke
Max Straubinger
Matthäus Strebl
Karin Strenz
Thomas Stritzl
Thomas Strobl (Heilbronn)

Lena Strothmann
Michael Stübgen
Dr . Sabine Sütterlin-Waack
Dr . Peter Tauber
Antje Tillmann
Astrid Timmermann-Fechter
Dr . Hans-Peter Uhl
Dr . Volker Ullrich
Arnold Vaatz
Oswin Veith
Thomas Viesehon
Michael Vietz
Volkmar Vogel (Kleinsaara)







(A) (C)



(B) (D)


Sven Volmering
Christel Voßbeck-Kayser
Kees de Vries
Dr . Johann Wadephul
Marco Wanderwitz
Nina Warken
Kai Wegner
Albert Weiler
Marcus Weinberg (Hamburg)

Dr . Anja Weisgerber
Peter Weiß (Emmendingen)

Sabine Weiss (Wesel I)

Ingo Wellenreuther
Karl-Georg Wellmann
Marian Wendt
Waldemar Westermayer
Kai Whittaker
Peter Wichtel
Annette Widmann-Mauz
Heinz Wiese (Ehingen)

Klaus-Peter Willsch
Elisabeth Winkelmeier-

Becker
Dagmar G . Wöhrl
Barbara Woltmann
Tobias Zech
Emmi Zeulner
Dr . Matthias Zimmer
Gudrun Zollner

SPD

Niels Annen
Ingrid Arndt-Brauer
Rainer Arnold
Heike Baehrens
Ulrike Bahr
Heinz-Joachim Barchmann
Dr . Katarina Barley
Doris Barnett
Klaus Barthel
Dr . Matthias Bartke
Sören Bartol
Bärbel Bas
Uwe Beckmeyer
Lothar Binding (Heidelberg)

Burkhard Blienert
Willi Brase
Dr . Karl-Heinz Brunner
Edelgard Bulmahn
Marco Bülow
Martin Burkert
Dr . Lars Castellucci
Petra Crone
Bernhard Daldrup

Sabine Dittmar
Martin Dörmann
Elvira Drobinski-Weiß
Siegmund Ehrmann
Michaela Engelmeier
Dr . h .c . Gernot Erler
Petra Ernstberger
Saskia Esken
Karin Evers-Meyer
Dr . Johannes Fechner
Dr . Fritz Felgentreu
Elke Ferner
Dr . Ute Finckh-Krämer
Christian Flisek
Gabriele Fograscher
Dr . Edgar Franke
Ulrich Freese
Dagmar Freitag
Sigmar Gabriel
Michael Gerdes
Martin Gerster
Iris Gleicke
Angelika Glöckner
Ulrike Gottschalck
Kerstin Griese
Gabriele Groneberg
Michael Groß
Uli Grötsch
Wolfgang Gunkel
Bettina Hagedorn
Rita Hagl-Kehl
Metin Hakverdi
Sebastian Hartmann

(Wa ckernheim)

Dirk Heidenblut
Hubertus Heil (Peine)

Marcus Held
Wolfgang Hellmich
Heidtrud Henn
Gustav Herzog
Gabriele Hiller-Ohm
Petra Hinz (Essen)

Thomas Hitschler
Dr . Eva Högl
Matthias Ilgen
Frank Junge
Josip Juratovic
Thomas Jurk
Oliver Kaczmarek
Johannes Kahrs
Ralf Kapschack
Gabriele Katzmarek
Ulrich Kelber

Marina Kermer
Cansel Kiziltepe
Arno Klare
Lars Klingbeil
Dr. Bärbel Kofler
Birgit Kömpel
Anette Kramme
Dr . Hans-Ulrich Krüger
Christine Lambrecht
Christian Lange (Backnang)

Dr . Karl Lauterbach
Steffen-Claudio Lemme
Burkhard Lischka
Gabriele Lösekrug-Möller
Hiltrud Lotze
Kirsten Lühmann
Dr . Birgit Malecha-Nissen
Caren Marks
Katja Mast
Hilde Mattheis
Dr . Matthias Miersch
Klaus Mindrup
Susanne Mittag
Bettina Müller
Michelle Müntefering
Dr . Rolf Mützenich
Dietmar Nietan
Ulli Nissen
Thomas Oppermann
Mahmut Özdemir (Duisburg)

Markus Paschke
Christian Petry
Jeannine Pflugradt
Detlev Pilger
Sabine Poschmann
Joachim Poß
Florian Post
Achim Post (Minden)

Dr . Wilhelm Priesmeier
Florian Pronold
Dr . Sascha Raabe
Dr . Simone Raatz
Martin Rabanus
Mechthild Rawert
Stefan Rebmann
Gerold Reichenbach
Dr . Carola Reimann
Andreas Rimkus
Sönke Rix
Petra Rode-Bosse
Dennis Rohde
Dr . Martin Rosemann
René Röspel

Dr . Ernst Dieter Rossmann
Michael Roth (Heringen)

Susann Rüthrich
Bernd Rützel
Sarah Ryglewski
Johann Saathoff
Annette Sawade
Dr . Hans-Joachim

Schabedoth
Axel Schäfer (Bochum)

Dr . Nina Scheer
Marianne Schieder
Udo Schiefner
Dr . Dorothee Schlegel
Ulla Schmidt (Aachen)

Matthias Schmidt (Berlin)

Dagmar Schmidt (Wetzlar)

Carsten Schneider (Erfurt)

Elfi Scho-Antwerpes
Ursula Schulte
Swen Schulz (Spandau)

Ewald Schurer
Frank Schwabe
Stefan Schwartze
Andreas Schwarz
Rita Schwarzelühr-Sutter
Rainer Spiering
Norbert Spinrath
Svenja Stadler
Martina Stamm-Fibich
Sonja Steffen
Peer Steinbrück
Dr . Frank-Walter Steinmeier
Christoph Strässer
Kerstin Tack
Claudia Tausend
Michael Thews
Dr . Karin Thissen
Franz Thönnes
Carsten Träger
Ute Vogt
Dirk Vöpel
Bernd Westphal
Dirk Wiese

(Wol mirstedt)

Gülistan Yüksel
Dagmar Ziegler
Stefan Zierke
Dr . Jens Zimmermann
Manfred Zöllmer
Brigitte Zypries






(A) (C)



(B) (D)


Nächste Rednerin für die Fraktion Die Linke ist die
Kollegin Caren Lay .


(Beifall bei der LINKEN)



Caren Lay (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1815517500

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Wir sprechen heute über die Rechte von Men-
schen, die einen Kredit aufgenommen haben, um sich da-
mit ein Haus zu bauen oder eine Eigentumswohnung zu
finanzieren. Für viele, ja für die meisten ist es der größte
Kauf in ihrem Leben, der größte Kredit, den sie aufneh-
men .

Da sind die Konditionen zum Teil kompliziert, die
Vertragswerke für manche unverständlich, und der Häus-
lebauer ist ja auch auf die Bank und auf den Kredit an-
gewiesen . Diese Situation nutzen die Banken gern, um
zuzuschlagen mit versteckten Gebühren, mit versteckten
Kosten . Deswegen sagen wir als Linke: Es ist höchste
Zeit, die Rechte der Kunden gegenüber den Banken zu
stärken .


(Beifall bei der LINKEN)


Der Impuls für die Gesetzesänderung heute – auch
das gehört allerdings zur Wahrheit hinzu – kommt nicht
etwa von der Regierung, kommt nicht aus der Koalition
in Berlin; es ist wieder einmal die EU, die Deutschland
zwingt, eine Richtlinie umzusetzen . Das ist ja leider bei
der Verbraucherpolitik inzwischen an der Tagesordnung .


(Dr . Heribert Hirte [CDU/CSU]: Daran haben wir vorher mitgewirkt!)


Bei dieser Umsetzung schaffen Sie es allerdings am
Ende des Tages, also heute, dass mit einer Richtlinie, mit
der die Rechte der Verbraucher gestärkt werden sollen,
den Verbraucherinnen und Verbrauchern letztlich Mög-
lichkeiten genommen werden . Das kann ich überhaupt
nicht verstehen. Wir finden das völlig inakzeptabel.


(Beifall bei der LINKEN)


Ich möchte auf drei konkrete Punkte eingehen . Das
Erste sind die sogenannten Vorfälligkeitsentschädigun-
gen . Also: Wer seinen Kredit vorzeitig kündigen möch-
te – dahinter stecken ja manchmal auch Schicksale wie
Todesfälle, Trennung vom Partner, von der Partnerin
oder Arbeitslosigkeit –, muss Gebühren, hohe Gebühren,
zu hohe Gebühren – wie wir finden – an die Banken zah-
len . Nach Aussagen der Verbraucherzentralen fallen da
in Deutschland bis zu 15 Prozent der Kreditsumme an .
Bei 100 000 Euro wären das dann also 15 000 Euro, die
man an Entschädigung an die Bank zahlen muss . Das ist
wirklich fett . Diese Vorfälligkeitsentschädigungen sind
die höchsten in ganz Europa . Wir können das nicht ak-
zeptieren . Deswegen sagen wir als Linke: Machen Sie es
doch so wie unsere europäischen Nachbarn, und deckeln
Sie endlich diese Gebühren!


(Beifall bei der LINKEN)


Leider verpasst die Koalition auch dieses Mal die Chance,
das umzusetzen, was uns die EU hier ermöglicht hätte .

Der zweite Punkt – wir haben als Fraktion Die Linke
viele Anträge dazu gestellt – sind die Dispozinsen . Ich

darf Sie erinnern: Die Dispozinsen liegen in Deutschland
durchschnittlich immer noch bei 10 Prozent . Wenn wir
uns jetzt angucken, dass die Banken ihr Geld zu einem
historisch niedrigen Leitzins bekommen, sind die Gewin-
ne, die die Banken hier auf Kosten derjenigen einfahren
können, die im Dispo stecken, einfach nicht akzeptabel .
Wir als Linke haben deswegen gesagt: Lassen Sie uns
die Dispozinsen gesetzlich bei 5 Prozent über dem Leit-
zinssatz der EZB deckeln! Das würde den Banken im-
mer noch 5 Prozent Gewinn sichern . Aber alles andere
ist doch unanständig, alles andere bedeutet, Reibach auf
Kosten von Menschen zu machen, die auf den Dispo an-
gewiesen sind . Das ist völlig inakzeptabel .


(Beifall bei der LINKEN)


Den Vogel abgeschossen hat die Koalition aber mit
der Änderung des Widerrufsrechts . Ohne Not sollen wir
heute eine Änderung zulasten der Verbraucher beschlie-
ßen, eine Änderung, zu der uns die EU-Richtlinie über-
haupt nicht anhält . Die Banken haben einfach jahrelang
falsche Widerrufsbelehrungen verschickt . Das ermög-
licht den Verbrauchern, solange das nicht korrigiert wird,
ihre Darlehensverträge zu kündigen . Das ist den Banken
ein Dorn im Auge .

Ich finde, die Banken könnten diesen Fehler behe-
ben, indem sie eine korrekte Nachbelehrung vornehmen .
Das tun sie aber nicht, weil sie fürchten, dass sie damit
schlafende Hunde wecken . Stattdessen haben die Ban-
ken Lobbyismus betrieben – offenbar bei Abgeordneten
des Deutschen Bundestags, bei der Regierung und beim
Bundesrat – und haben gesagt: Liebe Politiker, regelt
das doch einmal für uns! Und genau das sollen wir heute
auch für die Banken zulasten der Verbraucherinnen und
Verbraucher tun . Ich kann überhaupt nicht verstehen, wie
Sie sich hier von den Banken vor den Karren spannen
lassen . Das machen wir als Linke nicht mit .


(Beifall bei der LINKEN)


Damit belohnt der Gesetzgeber am Ende diejenigen, die
sich besonders verbraucherfeindlich verhalten . Es ist ein-
fach völlig unnötig, das Widerrufsrecht an dieser Stelle
zu ändern .

Meine Damen und Herren, das manager magazin,
nicht gerade im Verdacht, der Linken nahezustehen, darf
ich zum Abschluss zitieren . Es titelte: „Wie die Banken-
lobby einen Minister dazu bringt, die Rechte ihrer Kun-
den zu beschneiden“ . Der Autor führt fort, dieses Gesetz
sei „ein einziger Kniefall vor der Bankenlobby“ . Ich
möchte ergänzen: Das war auch für mich ein Lehrstück
von Lobbyismus im Deutschen Bundestag, in der Bun-
desrepublik Deutschland, wie ich es selten erlebt habe .
Wir können diesem Gesetzentwurf nicht zustimmen .

Vielen Dank .


(Beifall bei der LINKEN)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1815517600

Vielen Dank . – Nächster Redner ist der Kollege

Dr . Stefan Heck, CDU/CSU-Fraktion .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Vizepräsidentin Ulla Schmidt






(A) (C)



(B) (D)



Dr. Stefan Heck (CDU):
Rede ID: ID1815517700

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und

Herren! Wir bringen heute ein Gesetz auf den Weg, das
im Wesentlichen eine europäische Richtlinie umsetzt .
Wir erhöhen damit insgesamt den Verbraucherschutz auf
einem wichtigen Sektor der Kreditgewährung . Ich möch-
te noch einige Punkte gleich im Einzelnen herausgrei-
fen . Ich glaube, dass die Beratungen der letzten Wochen
gezeigt haben, dass unser Baufinanzierungssystem sich
insgesamt bewährt hat . Es steht auf festen Füßen .

Wir sollten insbesondere an den Regelungen zur Vor-
fälligkeitsentschädigung festhalten . Hier sind Eingriffe
in die Vertragsfreiheit fehl am Platz . Die Vorfälligkeits-
entschädigung sichert gerade unser Festzinssystem und
ist die Voraussetzung für langfristige Zinsgarantien, auch
und gerade im Interesse der Verbraucher . Es ist gut, dass
wir daran heute nicht rütteln .

Ich will besonders noch auf diejenigen Punkte ein-
gehen, die wir in den letzten Wochen im Zuge der Aus-
schussberatungen weiter verbessert haben . Ja, Frau Lay,
wir haben uns intensiv mit den Folgen beschäftigt, die
das ewige Widerrufsrecht hat . Hier haben nicht irgend-
welche Banken, wie Sie eben gesagt haben, sondern wir
als Gesetzgeber, der Staat selber, eine Situation geschaf-
fen, die zu ganz erheblicher Rechtsunsicherheit führt .
Mit der von uns gelieferten Vorlage haben wir Regelun-
gen geschaffen, die Probleme hervorrufen und die dazu
führen, dass Widerrufsbelehrungen zwischen den Jahren
2002 und 2010 fehlerhaft sind . Das heißt, es gibt heute
noch Verträge, die vor teilweise 6 bis 13 Jahren geschlos-
sen worden sind und die längst abgewickelt sind, aber
durch einen Fehler, den wir selbst verursacht haben, im-
mer noch widerrufen werden können .

Sie fragen, wem das nützt . Das nützt vor allem einer
ganz beträchtlichen Zahl von Rechtsanwälten, die vie-
le Prozesse angestoßen haben . Wenn Sie fragen, wem
das schadet, dann antworte ich Ihnen: Das sind nicht
die großen internationalen, europäischen und deutschen
Banken, die wir alle kennen, sondern es sind gerade die
kleinen Institute, die Regionalbanken, die kommunalen
Banken und die Sparkassen, die wir immer ganz beson-
ders im Blick haben sollten .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Hier ist ein Zustand entstanden, den wir nicht sehenden
Auges hinnehmen können . Ich glaube, dass wir im Inte-
resse der Rechtssicherheit und am Ende auch des Rechts-
friedens eine Änderung vornehmen müssen .

Wir schlagen Ihnen heute eine Erlöschensregelung
nach drei Monaten vor . Das heißt, alle, die bis jetzt schon
6 bis 13 Jahre Zeit hatten, ihre Verträge zu widerrufen,
bekommen nun noch einmal drei Monate Zeit, ihre in-
dividuellen Verträge zu prüfen und mit Rechtsanwälten
oder Verbraucherzentralen darüber zu sprechen, ob bei
ihnen ein Widerrufsrecht besteht . Ich bin überzeugt: Wir
haben Ihnen gerade zu diesem Punkt eine ausgewogene
und maßvolle Lösung vorgelegt, die längst überfällig war
und mit der wir heute den lange fälligen Rechtsfrieden
schaffen .

Wir haben in dieses Gesetzespaket noch zwei weitere
Regelungen aufgenommen, die der schon länger anhal-
tenden Niedrigzinsphase geschuldet sind . Die erste be-
trifft die betriebliche Altersvorsorge . Hier führen niedri-
ge Zinsen dazu, dass Firmen immer mehr Geld für ihre
Pensionen zurücklegen müssen . Es besteht die Gefahr,
dass eine ganz unverschuldete finanzielle Schieflage ent-
steht . Wir schlagen Ihnen heute vor, dass wir nunmehr
den Zinsdurchschnitt der letzten zehn Jahre zugrunde
legen, also den bisher geltenden Zeitraum von sieben
Jahren auf zehn Jahre erhöhen . Ich glaube, dass auch
das dringend notwendig ist, weil wir damit gerade den
Arbeitnehmern, aber auch den Unternehmen helfen . Wie
wir heute den Schlagzeilen entnehmen konnten, leidet
selbst das Erzbistum Köln unter dieser Situation . Wir
machen heute das wichtige Instrument der betrieblichen
Altersvorsorge zukunftsfest .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Es gibt noch eine zweite Auswirkung, die der Nied-
rigzinsphase ganz unmittelbar geschuldet ist . Auch in
diesem Zusammenhang verbessern wir die Rechte des
Endverbrauchers heute maßgeblich . Wir stellen fest, dass
in der Niedrigzinsphase immer mehr hochwertige Wa-
ren zinsfrei finanziert werden können. Bislang stand bei
einer unentgeltlichen, also zinsfreien, Finanzierung der
Verbraucher schlechter da als bei einer Finanzierung, bei
der Zinsen vorgesehen sind . Dies wird die Koalition heu-
te ändern . Es kann nicht sein, dass sich ein Endverbrau-
cher schlechterstellt, weil er bessere Kreditkonditionen
aushandeln konnte .

Ich glaube, dass wir uns im weiteren Verfahren – es
ist noch eine Verordnung vorgesehen – noch um ein paar
Details kümmern müssen . Etwa bei der sogenannten Al-
te-Hasen-Regelung, die die Gewerbeordnung betrifft,
müssen wir Klarstellungen vornehmen, was die ununter-
brochene Tätigkeit angeht .

Ich komme zum Schluss . Ich glaube, dass wir heute
einen guten Kompromiss vorlegen . Wir achten das Prin-
zip der Vertragsfreiheit . Wir sichern bewährte Finan-
zierungsmodelle, und wir verbessern den Verbraucher-
schutz .

Herzlichen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1815517800

Herzlichen Dank . – Es spricht jetzt der Kollege

Dr . Gerhard Schick, Bündnis 90/Die Grünen .


(Christian Petry [SPD]: Der redet auch zu allem!)



Dr. Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1815517900

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Bei diesem Gesetzgebungsvorhaben möchte ich nicht auf
alles eingehen – das lässt die Zeit nicht zu –, sondern drei
Punkte in den Vordergrund rücken .

Der erste ist die Vorfälligkeitsentschädigung . Anders
als es der Kollege Heck gerade gesagt hat, ist die For-






(A) (C)



(B) (D)


derung der Opposition nicht, diese Entschädigung abzu-
schaffen, sondern es geht darum, sie zu deckeln oder zu-
mindest – das ist wirklich die Grundanforderung – dafür
zu sorgen, dass sie nicht immer wieder zulasten der Ver-
braucherinnen und Verbraucher falsch berechnet wird .
Der Anreiz dafür ist gerade in dieser Niedrigzinssituation
für die Banken sehr groß. Ich finde, das kann man nun
wirklich nicht durchgehen lassen: dass die Leute selber
nachrechnen müssen, weil hier immer wieder und ko-
mischerweise immer zulasten des Verbrauchers falsch
gerechnet wird . Dagegen müsste man etwas tun . Sinn-
vollerweise geht es auch um eine Begrenzung der Höhe .
Wenn die Höhe exzessiv ist, dann wird es für die Kunden
völlig inflexibel. Dementsprechend ist unsere Forderung.
Wir fordern nicht die Abschaffung der Entschädigung .
Bauen Sie da keinen Pappkameraden auf .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Der zweite Punkt betrifft das Widerrufsrecht . Wer die
Anhörung dazu verfolgt hat, hat wahrnehmen müssen,
dass der Vertreter der Bankenbranche auf eine Frage hin
nicht sagen konnte oder wollte, wie viele Fälle es eigent-
lich wirklich gibt, in denen Verbraucher dieses Recht in
einer nicht legitimen Weise nutzen . Wenn es sehr viele
Missbrauchsfälle gäbe, hätte man es ja sagen können .
Aber auf diese Frage gab es keine Antwort, wahrschein-
lich weil die Fallzahlen ziemlich niedrig sind und sich
das Ganze deswegen als ein ziemlicher Popanz heraus-
gestellt hätte .

Vor allem ist eines zu fragen: Wenn es Rechtsunsi-
cherheit für Verbraucherinnen und Verbraucher gibt, an
welchen Stellen haben wir denn in den letzten Jahren
rückwirkend in die vertraglichen Vereinbarungen einge-
griffen? An dieser Stelle wird das getan. Ich finde, man
sollte sich schon überlegen, was für ein Präzedenzfall das
ist . Wir teilen auf jeden Fall nicht die Ansicht, dass an
dieser Stelle eine faire Interessenabwägung vorgenom-
men wird .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1815518000

Herr Kollege Schick, gestatten Sie eine Zwischenfra-

ge des Kollegen Heck?


Dr. Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1815518100

Bitte .


Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1815518200

Bitte schön .


Dr. Stefan Heck (CDU):
Rede ID: ID1815518300

Herr Kollege Dr . Schick, Sie konnten leider bei der

zweiten Anhörung nicht dabei sein, die wir separat zu
den Regelungen des Widerrufsrechts durchgeführt ha-
ben . Wir haben uns sehr intensiv mit der Vorgeschichte
beschäftigt . Wir haben uns gefragt: Wie ist die Situation,
die wir heute haben, entstanden?

Wir haben in den Gesetzgebungsmaterialien nachge-
schaut . Da steht – Zitat –:

Der Unternehmer müsste daher auch noch Jahre
nach Vertragsschluss mit einem Widerruf des Ver-
brauchers rechnen; dies ist gerade in den Fällen
einer zwar nicht unterbliebenen, aber fehlerhaften
Widerrufsbelehrung nicht hinnehmbar .

Das bezieht sich auf die Schuldrechtsreform, die Ihre
Partei damals, 2002, mitverantwortet hat .

Deswegen meine Frage: Wollen Sie zur Kenntnis neh-
men, dass wir heute Rechtsfrieden herstellen, einen Zu-
stand, den Sie damals eigentlich auch wollten?


Dr. Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1815518400

Erstens haben Sie die Anhörung sehr geschickt gelegt,

auf den Montagabend, zudem ganz kurzfristig anbe-
raumt . Das war wieder ein super Zeitablauf .

Zweitens zur Sache . Die Frage ist, ob man etwas nach
vorn hin anders regelt . Was den Rechtsfrieden angeht:
Wir haben ständig rechtliche Auseinandersetzungen zwi-
schen Verbrauchern und Verbraucherinnen auf der einen
Seite und Banken oder Versicherungen auf der anderen
Seite . Ich erinnere mich an die Käuferinnen und Käu-
fer von Lehman-Zertifikaten. Da wurde im Nachhinein
deutlich, dass man die Verjährungsfrist auf eine Art und
Weise bestimmt hat, die nicht gut war . Da hat es aber
auch keine rückwirkende Änderung gegeben . Deswegen
ist die Frage, ob man den Rechtsfrieden hier nicht sehr
einseitig definiert und einen Maßstab anlegt, den Sie sel-
ber an vielen anderen Stellen nicht anlegen würden, und
das ist genau unser Kritikpunkt .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ich will zu einem dritten Punkt kommen, den Pensi-
onsrückstellungen . Ja, die Niedrigzinssituation ist eine
Herausforderung für viele wirtschaftlich Beteiligte; das
ist richtig . Aber die Frage ist: Was ist jetzt die richtige
gesetzgeberische Antwort darauf?

Sie haben vorgeschlagen, dass man die Höhe des
durchschnittlichen Zinses über einen längeren Zeitraum
berechnet . Was macht das eigentlich? Das macht nichts
anderes, als ein Problem in die Zukunft zu schieben, und
das geschieht gegen die ausdrückliche Empfehlung der
Deutschen Bundesbank . Denn es löst das wirtschaftliche
Problem nicht wirklich .

Sie haben einen Vorschlag gemacht, der sich zunächst
einmal gar nicht schlecht angehört hat, nämlich dass die
Unternehmen die eingesparten Rückstellungen nicht
ausschütten dürfen . Es ist aber in der von Ihnen gerade
angesprochenen Anhörung deutlich geworden – wir ha-
ben uns darüber auch im Finanzausschuss noch einmal
unterhalten –, dass das für die Personengesellschaften
nicht funktioniert und dass sich das in einem Konzern
durch Gewinnverschiebung umgehen lässt, sodass das,
was sich zunächst nach einer guten Regelung angehört
hat, in der Praxis voraussichtlich nicht funktionieren
wird . Vielmehr laufen wir Gefahr, dass kurzfristig nur
der Shareholder Value maximiert wird, und zwar auf

Dr. Gerhard Schick






(A) (C)



(B) (D)


Kosten der Sicherheit der Pensionsansprüche der Arbeit-
nehmerinnen und Arbeitnehmer .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Deswegen halten wir das nicht für eine taugliche Lösung .

Eine andere Frage ist, ob der tatsächliche Aufwand
auch im Steuerrecht zu berücksichtigen ist. Das, finde
ich, ist eine durchaus denkbare Position .

Mit Ihrem Vorschlag wird ein Problem nur in die Zu-
kunft geschoben und kein Problem wirklich gelöst .

In der Summe können wir diesem Gesetz deswegen
nicht zustimmen und werden das durch unsere Ableh-
nung zum Ausdruck bringen .

Vielen Dank .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1815518500

Vielen Dank . – Nächster Redner für die SPD-Fraktion

ist der Kollege Dr . Johannes Fechner .


(Beifall bei der SPD sowie des Abg . Dr . Heribert Hirte [CDU/CSU])



Dr. Johannes Fechner (SPD):
Rede ID: ID1815518600

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Meine sehr geehrten Zuhörerinnen und Zuhörer auf den
Tribünen! Wir beschließen heute ein Gesetz mit sehr
wichtigen Regelungen für Unternehmen in Deutschland,
aber auch für Bankkunden . Das jahrelange Zinstief, des-
sen Ende niemand absehen kann, zwingt die Unternehmen
in ihren Jahresabschlüssen zu höheren Rückstellungen
für ihre Pensionsverpflichtungen. Diese Rückstellungen
mindern den Gewinn und den Eigenkapitalanteil, und das
kann Jobs und Investitionen gefährden .

Wir wollen aber gerade Betriebe, die ihren Mitarbei-
tern Direktzusagen für eine Betriebsrente gemacht ha-
ben, nicht im Regen stehen lassen, und deshalb verlän-
gern wir den Berechnungszeitraum für die Abzinsung der
Rückstellungen von sieben Jahre auf zehn Jahre . Wichtig
dabei ist: Die durch den neuen Zinssatz ersparten Rück-
stellungen dürfen nicht als Gewinn an die Aktionäre oder
an die Gesellschafter ausgeschüttet werden, sondern sie
müssen im Betriebsvermögen bleiben und sichern so die
Pensionsverpflichtungen dauerhaft ab.

Jetzt gab es Diskussionen . Ich habe heute eine Mel-
dung aus dem Handelsblatt gelesen, in der der SPD-Frak-
tion Erpressung vorgeworfen wird . Erpressung ist uns
natürlich völlig wesensfremd . Nur um der historischen
Wahrheit Genüge zu tun: Der Entwurf des Bundesjustiz-
ministers sah einen Berechnungszeitraum von zwölf Jah-
ren vor . In den Ressortabstimmungen, die dann stattfan-
den, ist dieser Zeitraum auf Druck oder Empfehlung des
Bundesfinanzministers auf zehn Jahre gekürzt worden.
Dass der Berechnungszeitraum auf zehn Jahre gekürzt
wurde, ist also auf die Anregung oder die Empfehlung,
den Wunsch, den Druck des Bundesfinanzministeriums
zurückzuführen .


Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1815518700

Herr Kollege Fechner .


Dr. Johannes Fechner (SPD):
Rede ID: ID1815518800

Ja .


Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1815518900

Gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin

Winkelmeier-Becker?


Dr. Johannes Fechner (SPD):
Rede ID: ID1815519000

Ich kenne sogar schon die Frage, aber gerne .


Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1815519100

Aber sie darf sie stellen?


Dr. Johannes Fechner (SPD):
Rede ID: ID1815519200

Natürlich .


Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1815519300

Bitte schön .


(Dr . Heribert Hirte [CDU/CSU]: Dann brauche ich sie nicht zu beantworten!)



Elisabeth Winkelmeier-Becker (CDU):
Rede ID: ID1815519400

Dann hast du dir hoffentlich eine Antwort überlegt .

Stimmst du mir zu, lieber Kollege Johannes Fechner,


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie!)


oder stimmen Sie mir zu – gerne, Frau Künast, wenn
Sie auf Etikette so viel Wert legen –, dass wir uns als
Sprecher dieser Großen Koalition in dieser Frage noch
einmal explizit darüber ausgetauscht haben, ob wir als
Parlamentarier, als die die Regierungskoalition tragen-
den Fraktionen uns darauf einigen können, die Frist auf
zwölf Jahre zu verlängern, dass wir als CDU/CSU-Frak-
tion uns ausdrücklich dafür ausgesprochen haben, dies
zu tun, und dass dann seitens der SPD-Fraktion diese Be-
reitschaft nicht bestanden hat? Und ist es nicht so, dass
wir als Parlament diese Entscheidung verbindlich zu tref-
fen haben, unabhängig davon, was uns die Ministerien
vorgeben?


Dr. Johannes Fechner (SPD):
Rede ID: ID1815519500

Selbstverständlich haben wir hier das letzte Wort; das

ist klar . Ich habe deswegen ja dargestellt, wie der his-
torische Ablauf war und dass es das CDU-geführte Fi-
nanzministerium war . Allzu groß war der Protest in den
Reihen der Union auch nicht .


(Beifall bei der SPD – Widerspruch bei der CDU/CSU)


– Das war so . – Ich möchte Herrn Schäuble hier aus-
drücklich in Schutz nehmen . Es gibt ja durchaus Argu-
mente für diese Position, die etwa der Vertreter der Deut-
schen Bundesbank in der Anhörung auch dargestellt hat .
Ich meine aber, um meine Antwort versöhnlich zu been-
den, dass sowohl Sie, liebe Kollegin Lisa Winkelmeier-

Dr. Gerhard Schick






(A) (C)



(B) (D)


B
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1815519600
Wir haben es
hier mit einem vernünftigen Kompromiss zu tun . – Allzu
ausgeprägt war also die Rauflust in der Unionsfraktion,
hier auf zwölf Jahre – gegen das eigene Finanzministeri-
um – zu gehen, auch nicht; das möchte ich so festhalten .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Letztendlich finde ich, dass wir doch einen vernünf-
tigen Kompromiss gefunden haben . Das zeigt sich auch
daran, dass von den Wirtschaftsverbänden bis hin zum
Deutschen Gewerkschaftsbund ja zunächst einhellig die-
se Lösung gefordert wurde, aber auch der jetzige Kom-
promiss begrüßt wurde . Auch in der Anhörung hat sich
das so ergeben .

Zum Verbraucherschutz im Gesetz zur Umsetzung der
Wohnimmobilienkreditrichtlinie. Diesbezüglich, finde
ich, sind für die Bankkundinnen und Bankkunden doch
eine ganze Reihe von Verbesserungen in diesem Gesetz
enthalten . Auch bei den Null-Prozent-Finanzierungen
wird es eine verpflichtende Kreditwürdigkeitsprüfung
und ein Widerrufsrecht geben, um Verbraucher vor über-
eilten Vertragsabschlüssen zu schützen . Wir stellen zu-
dem klar, dass ein Darlehen nur gekündigt werden kann,
wenn der Darlehensnehmer mit mindestens zwei aufei-
nanderfolgenden Raten – zumindest teilweise und auch
nicht nur mit einem kleineren Betrag, sondern entspre-
chend der Laufzeit in Höhe eines gewissen Prozentsatzes
des Darlehensbetrages – in Verzug ist, und es ist eine Ab-
mahnung erforderlich, die eine einvernehmliche Lösung
als Gesprächsangebot enthalten muss .

Oft ist die Vorfälligkeitsentschädigung, um auch die-
ses Thema anzusprechen, aus Sicht der Bankkunden in
der Höhe nicht transparent und nachvollziehbar . Deswe-
gen haben wir hier die wichtige Neuerung, dass wir bei
den allgemeinen Verbraucherdarlehen ganz klar regeln,
dass die Vorfälligkeitsentschädigung nur 1 Prozent des
vorzeitig zurückgezahlten Betrages ausmachen darf .
Ich finde, das ist eine Verbesserung. Hier können jetzt
alle sehen, was auf sie zukommt, wenn etwa wegen des
Verlustes des Arbeitsplatzes oder einer Scheidung die fi-
nanzielle Leistungsfähigkeit zurückgeht und sie vorzeitig
das Darlehen kündigen .

Ich will nicht verschweigen, dass die SPD-Frakti-
on in diesem Verfahren gerne noch andere Punkte un-
tergebracht hätte, etwa eine gesetzliche Deckelung des
Dispozinses . Wir hätten uns, um die Härtefälle bei der
Vorfälligkeitsentschädigung zu berücksichtigen, auch
vorstellen können, eine Ermächtigung der Bundesregie-
rung aufzunehmen, in der klare Kriterien dazu, wann ein
solcher Härtefall vorliegt und wie dann die Transparenz
bei der Vorfälligkeitsentschädigung zu gewährleisten ist,
aufgenommen werden sollten . Das war leider nicht mög-
lich . Wir hoffen, dass wir das ein andermal hier beschlie-
ßen können .

In diesem Sinne glaube ich, dass wir hier ein gutes
Gesetz haben, dass wir für die Pensionsrückstellungen
eine vernünftige Lösung gefunden haben und dass sehr
viele Vorteile für die Verbraucher in dem Gesetz enthal-
ten sind, sodass wir diesem Gesetz zustimmen sollten .

Vielen Dank für die Aufmerksamkeit .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1815519700

Vielen Dank . – Für die CDU/CSU-Fraktion hat jetzt

Professor Dr . Heribert Hirte das Wort .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Heribert Hirte (CDU):
Rede ID: ID1815519800

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Liebe Zuhörer! Zu diesem Gesetz möchte ich jetzt nur
einen Punkt ansprechen: Das Thema „Abzinsungssatz
für Pensionsrückstellungen“ hat eine relativ lange Vorge-
schichte . Schon im vergangenen Sommer haben wir, als
wir das Bilanzrichtlinie-Umsetzungsgesetz beraten und
beschlossen haben, zusammengesessen und – nachdem
große Teile der deutschen Wirtschaft und der Deutsche
Gewerkschaftsbund auf uns zugekommen waren und er-
klärt haben, dass es hier ein großes Problem gibt, das wir
lösen müssen – gesagt, dass wir diesen Punkt ansprechen
wollen .

Wir haben deshalb – ich betone das – gemeinsam eine
Entschließung verabschiedet, in der wir gesagt haben,
dass wir dieses Problem angehen wollen . Die Beratungen
haben länger gedauert, als wir es vorgesehen, als wir es
erhofft hatten . Wir wollten das eigentlich schon vor dem
31 . Dezember 2015 zu Ende bringen . Jetzt stehen wir da
und müssen dieses Gesetz im Jahr 2016 mit möglicher
Rückwirkung beschließen .

Im Kern – das möchte ich jetzt noch einmal sagen – geht
es aber um die Frage: Wie bewerten wir Rückstellungen
in der Bilanz? Rückstellungen sind Verbindlichkeiten . Je
größer sie sind, desto größer ist die Schuldenlast bzw .
das Fremdkapital des Unternehmens . Die Frage ist: Wie
bewerten wir Rückstellungen für erst in ferner Zukunft
kommende bzw . drohende mögliche Verbindlichkeiten?
Wie zinsen wir die auf den heutigen Zeitpunkt ab?

Herr Schick, Sie haben gesagt, wir gehen das Problem
jetzt nicht richtig an . Es gibt dafür verschiedene Lösungs-
ansätze . Wir könnten eigentlich sagen, dass wir – das ist
übrigens der Ansatz des Pensionssicherungsvereins – die
Zinsen der nächsten 10, 15 oder 20 Jahre nehmen . Weil
wir den Zinssatz der Zukunft, der Grundlage für die Ab-
zinsung ist, nicht kennen, haben wir bisher den Zinssatz
der Vergangenheit genommen . Der war aber letztlich ge-
griffen; sieben Jahre waren es . Diese sieben Jahre führen
zu zufälligen Ergebnissen . Weil wir sehen, dass das ein
zufälliges Ergebnis ist, das zu einer Belastung für die Un-
ternehmen und die von den Pensionen profitierenden Ar-
beitnehmer führt, nehmen wir jetzt den vorgeschlagenen
Zeitraum von zehn Jahren .

Wir hätten uns – ich sage es noch einmal deutlich –
zwölf Jahre gewünscht . Herr Fechner, wir hatten das
auch in den Arbeitsgruppen untereinander so verabredet .


(Dr . Johannes Fechner [SPD]: Nein!)


Dr. Johannes Fechner






(A) (C)



(B) (D)


– Doch! Wir haben untereinander so über diesen Punkt
geredet und waren der Meinung: In diese Richtung sollte
die Lösung gehen .


(Dr . Johannes Fechner [SPD]: Das ist Quatsch!)


Wenn Sie jetzt sagen, das Bundesfinanzministerium habe
nicht zugestimmt, dann erzählen Sie die Geschichte nicht
bis zum Ende. Das Bundesfinanzministerium hat in der
Tat auf eine Stellungnahme der Deutschen Bundesbank
verwiesen und gesagt: Die ursprünglich einmal von
Herrn Naumann vorgeschlagene Lösung sei so nicht ver-
nünftig . – Wir haben aber an dieser Lösung gearbeitet .
Und das Bundesfinanzministerium – hier sitzt als sein
Vertreter Herr Spahn – hat gesagt: Ja, wir machen das
mit . – Am Ende – und das ist das Ende der Geschich-
te – waren Sie es, die den zwölf Jahren nicht mehr zuge-
stimmt haben . Noch gestern im Rechtsausschuss hat Herr
Hakverdi gesagt: Wir müssten darüber nachdenken, ob
die zehn Jahre reichen oder ob es nicht vielleicht zwölf
Jahre sein können . – Wir denken gerne und sofort darü-
ber nach . Beim nächsten Verfahren können wir die Zahl
„zehn“ gegen die Zahl „zwölf“ auswechseln .


Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1815519900


Herr Professor Hirte, Sie haben jetzt den Widerspruch
des Kollegen Fechner ausgelöst . Sind Sie damit einver-
standen, dass er Ihnen eine Frage stellt oder eine Bemer-
kung macht?


Dr. Heribert Hirte (CDU):
Rede ID: ID1815520000


Mit der Frage, ja; mit dem Widerspruch nicht .


Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1815520100


Bitte schön .


Dr. Johannes Fechner (SPD):
Rede ID: ID1815520200


Herr Kollege Hirte, wollen Sie zur Kenntnis nehmen,
dass es weder vonseiten der Parteispitze noch der Frak-
tion noch von irgendjemand anderem eine Verabredung
gab, im parlamentarischen Verfahren den Berechnungs-
zeitraum auf zwölf Jahre auszuweiten? Eine solche Ver-
einbarung gab es nicht . Es gab aber die ausdrückliche
Aussage von Ihnen oder auch von Herrn Meister, dass
es eine vernünftige Lösung ist, bei den zehn Jahren zu
bleiben . Und wenn ich mich an das Nicken des Staatsse-
kretärs Spahn vor wenigen Minuten erinnere, als ich von
einem vernünftigen Kompromiss sprach, kann ich fest-
stellen, dass offensichtlich auch er dieser Meinung ist .
Sie sollten hier also nicht den Anschein erwecken, dass
die Große Koalition zu sehr streiten würde .


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Welche Große Koalition?)



Dr. Heribert Hirte (CDU):
Rede ID: ID1815520300

Diesen Anschein erwecke ich natürlich nicht . An kei-

ner Stelle streiten wir . Das habe ich noch überhaupt nicht
erlebt .


(Heiterkeit – Dr . Gerhard Schick [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir hatten einen ganz anderen Eindruck!)


Ich stimme Ihnen – das ist der Punkt, den Sie genannt
haben – ausdrücklich zu: Es ist ein vernünftiger Kompro-
miss, den wir am Ende hinbekommen haben . Ich stimme
Ihnen nur nicht in dem Punkt zu – wenn Sie da Zustim-
mung haben wollen, können Sie die nicht bekommen –,
dass wir von den zwölf Jahren abgewichen sind, weil wir
davon nicht mehr überzeugt gewesen seien . So hörte sich
das bei Ihnen – auch in einer Presseerklärung, die Sie
herausgegeben haben – heute an .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Ich darf das weiter aufgreifen: Gerade zu dem zentra-
len Kritikpunkt, der über die Bundesbank an das Bun-
desfinanzministerium weitergegeben wurde, war gesagt
worden, dass das die Schuldentragfähigkeit der Unter-
nehmen in der Zukunft beeinflussen könne. Das war der
Grund, warum das Bundesfinanzministerium und die
Bundesbank dagegen waren . Aber genau in diesem Punkt
haben wir – im Übrigen im Einverständnis – nachgebes-
sert . Wir haben eine Ausschüttungssperre vorgesehen,
sodass im Ergebnis nur eines passiert: Das, was in der
Bilanz früher als Fremdkapital gekennzeichnet war, wan-
dert zum Eigenkapital herunter . Das bedeutet, wir haben
den Ausweis geändert, ohne dass Geld das Unternehmen
verlässt . Damit haben wir dem Gedanken der Deutschen
Bundesbank Rechnung getragen . Die Gesichtspunkte,
die Sie angeführt haben, gelten jetzt nicht mehr . Sie hät-
ten also zustimmen können .

Damit komme ich zum nächsten Punkt . Ich glaube, wir
haben eine in dieser Situation vernünftige Lösung gefun-
den, auch was das Übergangsrecht angeht . Wir erlauben
nämlich den Unternehmen, die jetzt die Bilanz noch nicht
festgestellt haben, die neue Regelung, die – da stimme
ich Ihnen zu – ein gesunder, vernünftiger Kompromiss,
aber eben auch nur ein Kompromiss ist, rückwirkend für
das Jahr 2015 anzuwenden, sodass die Lasten in der Bi-
lanz auch für das Jahr 2015 richtiger als bislang darge-
stellt werden können .

Ich möchte einen weiteren Punkt aufgreifen, der mit
dieser Regelung nicht zusammenhängt, gerade weil Sie
so schön auf die Position des Bundesfinanzministeriums
und der Bundesbank verweisen . Wir haben ganz am An-
fang – ich erinnere mich daran, wie wir es hier im letzten
Sommer beraten haben – auch über einen weiteren Punkt
nachgedacht, nämlich darüber, ob nicht eigentlich auch
die steuerliche Begleitregelung angepasst werden müss-
te . Da waren wir uns in der Großen Koalition einig, dass
wir das nicht angehen wollten . Wenn diesbezüglich aber
die Bundesbank zitiert wird, dann kann ich nur sagen:
Die Deutsche Bundesbank hat – wie im Übrigen auch
der Arbeitskreis Bilanzrecht Hochschullehrer Rechts-
wissenschaft – gesagt, dass wir eigentlich auch an diese
Regelung herangehen müssten . Das haben wir aus Rück-

Dr. Heribert Hirte






(A) (C)



(B) (D)


sichtnahme auf unseren Koalitionspartner nicht weiter
verfolgt . Der Sache nach ist das überzeugend .

Was das Bilanzrecht anbelangt, sind wir bei den
Rückstellungen nur auf die Pensionsverpflichtungen
eingegangen . Selbstverständlich gibt es auch noch an-
dere langfristige Rückstellungen . Als Jurist denkt man
dann über die Frage nach: Müsste man nicht gemäß dem
Gleichbehandlungsgrundsatz auch da einschreiten? Das
haben wir nicht gemacht .

Insofern: Es gibt noch einiges zu tun . Das Gesetz ist
gut für die Unternehmen, gut für die Arbeitnehmer und
gut für die Wirtschaft . Deshalb ist es im Ergebnis ein ver-
nünftiger Kompromiss .

Vielen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1815520400

Vielen Dank . – An dieser Stelle hätte der Kollege

Metin Hakverdi das Wort bekommen . Er ist leider er-
krankt . Ich denke, auch in Ihrem Namen können wir ihm
gute Besserung wünschen . Im Einvernehmen mit allen
Fraktionen kann er seine Rede zu Protokoll geben .1)

Jetzt hat der Kollege Dr . Volker Ullrich, CDU/
CSU-Fraktion, das Wort .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Volker Ullrich (CSU):
Rede ID: ID1815520500

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Das Gesetz zur Umsetzung der Wohnimmobili-
enkreditrichtlinie hat hohe praktische Relevanz . Es regelt
nicht nur die rechtlichen Beziehungen zwischen Darle-
hensnehmern und Darlehensgebern im Bereich der Häus-
lebauer, sondern betrifft auch weite Teile des Privatkon-
sumbereiches . Ich möchte auf vier Punkte zu sprechen
kommen, die die Debatte geprägt haben .

Erstens . Wir lassen das System der Vorfälligkeits-
entschädigungen unangetastet . Ich weiß und will nicht
verhehlen, dass manchmal Härtefälle auftreten und sich
Menschen aufgrund von Scheidung oder Krankheit aus
Darlehensverträgen lösen müssen . Diese Härtefälle
müssen wir lösen, und die Banken sollen sie sensibel
behandeln . Aber der Sinn und Zweck der Vorfälligkeits-
entschädigung ist die Gewährleistung unseres deutschen
Festzinsniveaus, das dazu führt, dass unsere Häuslebauer
und Käufer von Wohnungen Planungssicherheit haben,
über viele Jahrzehnte hinweg . Diese Planungssicherheit
führt dazu, dass wir in Deutschland mit das beste Wohn-
immobiliendarlehenssystem haben . Daran halten wir
fest .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Zweitens . Wir beschränken den Widerruf für Verträge,
die zwischen 2002 und 2010 abgeschlossen worden sind .
Es ist keine rückwirkende Änderung von Vertragsbezie-
hungen, sondern nur eine Einschränkung eines Gestal-

1) Anlage 2

tungsrechtes . Normalerweise ist das Widerrufsrecht auf
zwei Wochen beschränkt, bei fehlender Widerrufsbe-
lehrung auf ein Jahr . Hier handelt es sich um ein ewiges
Widerrufsrecht . Hier geht es um Verträge, die mittler-
weile seit über einem Jahrzehnt potenziell eines Wider-
rufs harren . Ich muss sagen: In der Abwägung zwischen
Rechtssicherheit und Widerrufsrecht haben wir einen gu-
ten Kompromiss gefunden . Jeder kann noch widerrufen,
aber er muss sich innerhalb von drei Monaten endlich
dazu entschließen . Dieser Kompromiss ist gut für die
Rechtssicherheit und damit auch für die Planungssicher-
heit von Verbrauchern und Banken .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Der dritte Punkt betrifft die Null-Prozent-Finanzie-
rung . Wir beseitigen damit eine Verbraucherfalle . Bisher
ist es so: Jemand, der einen Kredit mit einem Zins ab-
schließt und dem das Produkt, das er mit diesem Kredit
erwirbt, kaputtgeht, kann die Darlehensraten gegenüber
dem Verkäufer beispielsweise des Handys oder des Lap-
tops verweigern . Wird allerdings eine Null-Prozent-Fi-
nanzierung abgeschlossen, handelt es sich nach bishe-
riger Rechtslage nicht um einen entgeltlichen Vertrag .
Damit steht dem Käufer dieses Rückgaberecht nicht zu .
Geht also der Laptop oder das Handy kaputt, bleibt er auf
dem Gerät sitzen, muss aber dennoch die Darlehensraten
zahlen . Das ist nicht in Ordnung, das ändern wir heute .
Damit schaffen wir für viele Verbraucher ein Mehr an
Rechtssicherheit .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Der letzte Punkt betrifft die Frage: Wie gehen wir in
der Situation anhaltend niedriger Zinsen mit der Alters-
vorsorge in den Unternehmen um? Ich glaube, dass die
Politik insgesamt auf die Frage der anhaltend niedrigen
Zinsen eine Antwort finden muss. Die Antwort, die wir
heute geben, lautet, dass wir den Referenzzeitraum für
die Rückstellungen verlängern . Damit bleibt zunächst
einmal mehr Geld im Unternehmen . Wir sorgen dafür,
dass dieses Geld nicht ausgeschüttet, sondern im Unter-
nehmen thesauriert wird, um damit langfristig Arbeits-
plätze zu sichern . Somit ist auch dieser Teil des Gesetzes
für Arbeitnehmer eine gute Lösung .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg . Dr . Johannes Fechner [SPD])


Ich will nicht verhehlen, dass am Ende des Tages die
Unternehmen die zugesagte Pensionsrückstellung auch
leisten müssen, und zwar in der Höhe, in der sie sie zu-
gesagt haben .


(Stefan Rebmann [SPD]: Das wollen wir hoffen!)


Trotzdem darf uns die Regelung positiv stimmen, und
zwar aus einem ganz einfachen Grund: Sie ist eine ers-
te Antwort auf die anhaltende Niedrigzinsphase, und
sie sorgt dafür, dass Unternehmen in ihrer finanziellen
Struktur gestärkt werden und damit nachhaltiger und
langfristiger planen können . Das ist ein weiteres positi-
ves Signal .

Dr. Heribert Hirte






(A) (C)



(B) (D)


Deswegen, meine Damen und Herren, darf ich Sie bit-
ten, dem vorliegenden Gesetzentwurf zuzustimmen . Es
ist ein gutes Gesetz .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1815520600

Vielen Dank . – Ich schließe die Aussprache .

Wir stimmen jetzt über den von der Bundesregierung
eingebrachten Gesetzentwurf zur Umsetzung der Wohn-
immobilienkreditrichtlinie ab . Zu dieser Abstimmung
sind mehrere Erklärungen nach § 31 unserer Geschäfts-
ordnung eingegangen .1)

Der Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz emp-
fiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 18/7584, den Gesetzentwurf der Bundesre-
gierung auf Drucksachen 18/5922 und 18/6286 in der
Ausschussfassung anzunehmen . Ich bitte diejenigen, die
dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen
wollen, um das Handzeichen . – Wer stimmt dagegen? –
Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist damit in zwei-
ter Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen
gegen die Stimmen der Opposition angenommen .

Dritte Beratung
und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben . –
Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetz-
entwurf ist mit dem gleichen Stimmenverhältnis ange-
nommen .

Wir kommen damit zur Abstimmung über die Ent-
schließungsanträge .

Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke auf
Drucksache 18/7585 . Wer stimmt für diesen Entschlie-
ßungsantrag? – Die Linke . Wer stimmt dagegen? – CDU/
CSU- und SPD-Fraktion . Wer enthält sich? – Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen . Damit ist der Entschließungs-
antrag abgelehnt .

Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen auf Drucksache 18/7586 . Wer stimmt für diesen
Entschließungsantrag? – Wer stimmt dagegen? – Der
Entschließungsantrag ist mit den Stimmen der Koaliti-
onsfraktionen gegen die Stimmen der Opposition abge-
lehnt .

Tagesordnungspunkt 11 b . Wir setzen die Abstimmung
zu der Beschlussempfehlung des Ausschusses für Recht
und Verbraucherschutz auf Drucksache 18/7584 fort . Der
Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe b seiner Beschluss-
empfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion Die
Linke auf Drucksache 18/2741 mit dem Titel „Gesetz-
liche Deckelung und Veröffentlichung der Zinssätze für
Dispo- und Überziehungskredite“ . Wer stimmt für diese
Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer
enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit den
Stimmen von CDU/CSU- und SPD-Fraktion gegen die
Stimmen der Fraktion Die Linke bei Enthaltung von
Bündnis 90/Die Grünen angenommen .

1) Anlagen 3 und 4

Damit sind wir am Ende der Beratungen zu Tagesord-
nungspunkt 11 .

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 12 auf:

Beratung des Antrags der Abgeordneten Cornelia
Möhring, Matthias W . Birkwald, Eva Bulling-
Schröter, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
DIE LINKE

Rechtsanspruch auf Schutz und Hilfe für von
Gewalt betroffene Frauen – Bundeseinheitli-
che Finanzierung voranbringen

Drucksache 18/7540
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (f)

Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 25 Minuten vorgesehen . – Ich höre dazu
keinen Widerspruch . Dann ist so beschlossen .

Ich bitte Sie, die Plätze einzunehmen . – Ich eröff-
ne die Aussprache . Das Wort hat die Kollegin Cornelia
Möhring, Fraktion Die Linke .


(Beifall bei der LINKEN)



Cornelia Möhring (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1815520700

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Seit meinem 16 . Lebensjahr bin ich frauenpolitisch aktiv .
Seit dieser Zeit habe ich auch mit dem Thema unserer
Debatte zu tun . Das ist, ehrlich gestanden, ziemlich lange
her, nämlich 40 Jahre . Für mich persönlich ist das kein
Problem; denn ich fühle mich gar nicht so alt . Aber dass
wir das Problem „Schutz und Hilfe für von Gewalt be-
troffene Frauen“ in diesen 40 Jahren noch nicht gelöst
haben, ist wirklich ein großes Problem .


(Beifall bei der LINKEN)


Vor 40 Jahren feierte das erste autonome Frauenhaus
seine Gründung, und in den darauffolgenden 40 Jahren
sind weitere gegründet worden . Mittlerweile gibt es
rund 350 Frauenhäuser, nicht nur autonome, sondern
auch trägerinnengestützte . Ihre Finanzierung ist aber seit
40 Jahren nicht gesichert . Es sind Frauennotrufe und Be-
ratungsstellen entstanden, und auch ihre Finanzierung ist
nicht gesichert. Ich finde, dieser Zustand ist für ein Land,
das sich aktuell als Land der Frauenrechte stilisiert, nicht
tragbar .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Zum 40 . Geburtstag der Frauenhäuser ist es endlich an
der Zeit, sie angemessen auszustatten und ihre Finanzie-
rung bundeseinheitlich abzusichern .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Warum ist das Thema ein Dauerbrenner, auch hier
im Parlament? Weil sich nichts Wesentliches ändert und
alle Bundesregierungen in dieser Frage im Mikroschne-
ckentempo agieren . Es wird immer vorgebracht: Ja, es
gibt das Hilfetelefon . – Liebe Kolleginnen und Kollegen,
so hilfreich das bundesweite Hilfetelefon auch ist, es ist

Dr. Volker Ullrich






(A) (C)



(B) (D)


nicht genug und nicht annähernd eine Lösung für die
desolate Lage des Hilfe- und Unterstützungssystems .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


18 000 Frauen und ebenso viele Kinder – das sind
36 000 –, 36 000 Frauen und Kinder suchen jährlich
Schutz in einem Frauenhaus . Das sind etwa 100 pro Tag .
Nach einem Bericht der Bundesregierung werden min-
destens 9 000 pro Jahr abgewiesen und können nicht auf-
genommen werden . Sie gehen nicht aus Jux und Dollerei
in ein Frauenhaus . Ich zitiere einmal aus einem Aufruf
der autonomen Frauenhäuser . Darin heißt es:

Sie flüchten vor der Misshandlung durch ihre Ehe-
männer, Lebenspartner oder Väter . Frauen werden
erniedrigt, beschimpft, isoliert, bedroht und massiv
in ihrem Selbstwertgefühl verletzt . Die körperlichen
Übergriffe reichen von Schubsen und Ohrfeigen
über Schlagen und Treten bis hin zu sexualisierter
Gewalt, schweren Misshandlungen mit Gegenstän-
den, Würgen, Angriffen mit Waffen und sogar Mord .

Liebe Kolleginnen und Kollegen, diese Frauen und
ihre Kinder brauchen dringend Platz in Schutzräumen .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wo bleibt hier die effektive Antwort der Bundesregie-
rung? Seit Jahren wird das Thema verschoben, den Län-
dern und Kommunen aufgeladen und die Verantwortung
des Bundes ignoriert . Es gibt 16 Bundesländer und min-
destens 16 unterschiedliche Regelungen für die Finan-
zierung . Von der Finanzierung hängt es aber ab, ob eine
gewaltbetroffene Frau und ihre Kinder den notwendigen
Schutz bekommen . Eine schnelle und unbürokratische
Aufnahme in ein Frauenhaus kann das Leben dieser
Frauen und Kinder retten . Doch wenn sie keinen Platz
finden, kann ihr Leben gefährdet sein.

Nicht nur für die gewaltbetroffenen Frauen ist die Si-
tuation nicht länger tragbar . Das Personal arbeitet meist
deutlich an oder über der Belastungsgrenze, ohne dass
angemessene Gehälter gezahlt werden können . Sie geben
trotzdem alles . Das ist doch wirklich unerträglich .


(Beifall bei der LINKEN sowie der Abg . Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Ich appelliere ernsthaft an Sie: Es muss Schluss damit
sein, dass die Verantwortung den Ländern und Kommu-
nen zugeschoben wird . Der Bund muss endlich mehr tun .


(Beifall bei der LINKEN)


Ministerin Schwesig hat vor fünf Wochen das Jahr der
Frauen ausgerufen . Das begrüße ich sehr . Zeigen Sie am
Beispiel der Frauenhäuser, dass Sie das echt ernst neh-
men!

Meine Fraktion fordert mit dem vorliegenden Antrag
einen Rechtsanspruch, weil er Rechtssicherheit schafft
für die gewaltbetroffenen Frauen und die Trägerinnen
der Einrichtungen . Ein Rechtsanspruch wäre einklagbar .
Er wirkt aber natürlich nur, wenn auch die Finanzierung

gesichert ist, und er darf auf keinen Fall zu mehr Verwal-
tung und Bürokratie führen .

Was erwarte ich und was erwartet meine Fraktion von
dieser Bundesregierung? Arbeiten Sie endlich gezielt an
Lösungen, damit das Problem gelöst wird! Ich finde, das
ist eine Erwartung, die im Jahr der Frauen tatsächlich
umgesetzt werden könnte .

Vielen Dank .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1815520800

Danke schön . – Nächste Rednerin ist die Kollegin

Sylvia Pantel, CDU/CSU-Fraktion .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Sylvia Pantel (CDU):
Rede ID: ID1815520900

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die
Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen ist ein gemeinsa-
mes Ziel aller Fraktionen im Haus . Wann immer Frauen
von Gewalt betroffen sind, ist die schnelle Hilfe vor Ort
nötig . Nicht jede Frau, die Opfer von häuslicher Gewalt
geworden ist, kann sich selbst einen sicheren Schutzraum
organisieren. Oft fehlen die finanziellen Mittel und die
Unterkunft, um kurzfristig mitsamt der Kinder vor einem
gewalttätigen Partner zu fliehen. Dass wir den Frauen
helfen müssen und Zufluchtsorte, geschützte Räume und
Hilfsangebote für sie zur Verfügung stellen müssen, steht
für mich und meine Fraktion außer Frage .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Paul Lehrieder [CDU/ CSU]: Für uns Männer auch!)


Darum müssen wir uns kümmern .

Im städtischen Raum sind Hilfe und Unterstützungs-
einrichtungen meist leichter zu erreichen als in den länd-
lichen Gegenden . Dabei sind die Gegebenheiten und
Hilfsnetze vor Ort sehr unterschiedlich . Da stimme ich
Ihnen nicht zu: In den vergangenen 40 Jahren ist sehr viel
passiert, und wir haben zum Teil sehr gut funktionierende
und auch gut ausgestattete Frauenhäuser .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg . Dr . Fritz Felgentreu [SPD])


Klar ist, dass Frauenhäuser kurzfristige Zufluchtsorte
für die betroffenen Frauen sein sollen . Der Schutz vor
Gewalt und die Beratung und Betreuung in den Frauen-
häusern sollen es den Betroffenen ermöglichen, über ihre
Zukunft selbstbestimmt und ohne äußeren Druck und
ohne Angst entscheiden zu können .

Die Mitarbeiter und die Ehrenamtlichen in den Frau-
enberatungsstellen und Frauenhäusern leisten unter gro-
ßem persönlichem Einsatz einen unschätzbaren Dienst
für die Opfer von Gewalt . Um diese wertvolle Arbeit
dauerhaft leisten zu können, muss die Finanzierung si-

Cornelia Möhring






(A) (C)



(B) (D)


cher und verlässlich sein . Da stimme ich mit Ihnen voll-
kommen überein .


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


Deshalb ist die Forderung nach einer sicheren Finanzie-
rung berechtigt . Das Problem bei Ihrer Forderung ist,
dass Sie eine Bundesfinanzierung einfordern, obwohl die
Länder zuständig sind . Das ist in unserem Land geregelt .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es ist doch immer das gleiche Lied!)


Wir haben in den Ländern bereits ganz verschiedene und
sinnvolle Modelle, mit denen die Frauenhäuser finanziert
werden .


(Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Betonung liegt auf „verschiedene“! „Verschiedene“ ist das Problem!)


Ich kann Ihnen nur sagen: Ich war in meinem Wahlkreis
in einem Frauenhaus . Auch wir haben ein Jubiläum unse-
res Gleichstellungsbüros gefeiert . Auf meine Nachfrage
erhielt ich die Antwort: Bei uns läuft es . – Da werden
keine Frauen abgewiesen .


(Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: In Düsseldorf vielleicht!)


– Ja, in Düsseldorf . Das ist richtig .


(Beate Walter-Rosenheimer [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Aber Düsseldorf ist doch nicht die Bundesrepublik! – Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Gehen Sie nach Brandenburg!)


Das ist eine Sache, die die Kommunen und Länder zu
regeln haben und nicht der Bund .

Leider ist die Qualität der Versorgung in den Ländern
sehr unterschiedlich . Aber man muss im Land dafür sor-
gen, dass die Finanzierung geregelt ist;


(Beate Walter-Rosenheimer [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Das sagen Sie mal den Kollegen in Bayern!)


denn dafür sind die Länder verantwortlich . Es kann nicht
die Lösung sein, dass immer der Bund einspringt, wenn
die Länder ihren Aufgaben nicht nachkommen . Ganz
im Gegenteil: Ich halte es für einen Skandal, wenn ei-
nige Länder in diesem sensiblen Bereich, beim Schutz
von Frauen vor Gewalt, ihren Verpflichtungen nicht
nachkommen . Aber der Bund ist die falsche Stelle . Die
Länder sind für eine solide Finanzierung der in ihrem
Hoheitsbereich jeweils gewählten Schutzmodelle verant-
wortlich . Der Bund hat die Länder in vielen anderen Be-
reichen entlastet, damit sie ihren Aufgaben nachkommen
können .


(Lachen bei Abgeordneten der LINKEN)


Wir müssen darauf drängen, dass die Länder diese Ent-
lastungen an die Kommunen weiterleiten, gerade dann,
wenn diese auch Projekte wie die Finanzierung der Frau-
enhäuser sicherstellen sollen .

Wir haben Länder und Kommunen in den vergange-
nen Jahren kontinuierlich entlastet . Für soziale Leistun-
gen der Kommunen stellt der Bund 2016 7,7 Milliarden
Euro zur Verfügung . Die richtigen Hilfestrukturen für die
Betroffenen zu finden, ist eine Aufgabe für die Experten
vor Ort . Eine zentrale staatliche Maßnahme kann nicht
unsere Antwort auf diese Herausforderung sein; das wäre
der falsche Weg . Zielführender wäre es, wenn sich die
Länder auf gemeinsame Standards einigen könnten, die
keine Verschlechterung der gut aufgestellten Frauenhäu-
ser zur Folge hätten . Vor Ort gibt es die notwendigen
Netzwerke und die Flexibilität, um auf die individuelle
Situation und die Bedürfnisse der Frauen eingehen zu
können .


(Zuruf von der LINKEN: Wenn man das Geld dafür hat, schon!)


Ich möchte auf eine Ihrer Forderungen eingehen . In
Ihrem Antrag fordern Sie, Frauen sollten keinen Nach-
weis mehr erbringen müssen, Opfer von Gewalt zu sein .
Ich stimme Ihnen zu, dass es nicht sein darf, dass Frauen
vom Hilfesystem ausgeschlossen werden . Aber ein An-
spruch muss schon nachgewiesen werden . In einer idea-
len Welt wäre das in der Tat nicht nötig . In einer idealen
Welt würde aber auch niemand Sozialleistungen erschlei-
chen, schwarzfahren oder sonst wie unberechtigt Leis-
tungen beziehen . Sicher können wir darüber reden, wie
solche Regelungen umgesetzt werden .


(Beate Walter-Rosenheimer [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Was ist das denn für ein Zusammenhang? – Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was für ein kruder Vergleich! – Dr . Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Vergleichen Sie gerade Sozialleistungsbetrug mit Frauenhäusern? Unglaublich!)


– Hören Sie doch zu; dann brauchen Sie sich nicht aufzu-
regen . – Eine Kontrolle aber, ob jemand die Leistungen
zu Recht bezieht, muss sein .


(Dr . Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Tosender Beifall bei der Union!)


Dass wir heute über die Finanzierung von Frauenhäu-
sern diskutieren, ist wichtig . Wir stellen hier und heute
noch einmal fest, dass die Länder ihren Pflichten nach-
kommen müssen . Länder und Kommunen müssen durch
die unterschiedlichen Angebote vor Ort dafür sorgen,
dass Frauen, die Opfer von häuslicher Gewalt sind, Hilfe
erhalten . Deshalb sind alle Konzepte, die eine gewalt-
freie Konfliktlösung fördern, zu unterstützen. Das heißt
aber nicht, dass der Bund sie dann auch finanzieren muss.

Herzlichen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1815521000

Vielen Dank . – Die Kollegin Ulle Schauws, Bünd-

nis 90/Die Grünen, hat jetzt das Wort .

Sylvia Pantel






(A) (C)



(B) (D)



Ulle Schauws (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1815521100


Vielen Dank, Frau Präsidentin . – Sehr geehrte Kolle-
ginnen und Kollegen! Über Gewalt gegen Frauen ist seit
der Silvesternacht so viel wie in den letzten Jahren nicht
geredet worden . Es ist wichtig, dass diese Gewalt, aber
vor allem die Betroffenen im Fokus bleiben; denn jede
dritte Frau in Deutschland hat schon einmal Gewalt er-
fahren . Unsere politische Verantwortung ist es, Gewalt
gegen Frauen – egal wo, ob im öffentlichen oder im häus-
lichen Raum – nicht aus dem Blick geraten zu lassen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Das Gewaltschutzgesetz war ein Meilenstein zum
Schutz von Frauen vor Gewalt . Für Frauen in Not sind
Frauenhäuser oft eine existenzielle Anlaufstelle. Sie fin-
den hier Sicherheit, auch mit ihren Kindern, und hier
kann die Gewalt vor der Tür bleiben . Tatsache aber ist,
dass wir seit vier Jahrzehnten über die mangelnde Fi-
nanzierung der Frauenhäuser sprechen . Tatsache ist,
dass Frauen in Deutschland oft keinen Frauenhausplatz
bekommen . Tatsache ist, dass Hilfe oft zur Glückssache
und zu einer Frage des passenden Zeitpunkts wird . Ich
sage Ihnen: Das kann so nicht weitergehen . Hier wider-
spreche ich auch den Ausführungen der Kollegin Pantel .
Die Situation ist tatsächlich von Bundesland zu Bundes-
land sehr unterschiedlich . Ich sehe da auch eine Verant-
wortung des Bundes, über die wir reden müssen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Morgen starten die autonomen Frauenhäuser – die
Kollegin Möhring hat das gerade gesagt – aus Anlass
ihres 40-jährigen Bestehens die 16-Tage-16-Bundeslän-
der-Tour unter dem Motto „Gewalt gegen Frauen been-
den! Frauenhausfinanzierung jetzt sichern!“. Sie fordern,
dass die Politik endlich verantwortliche Lösungen für
eine verlässliche Finanzierung findet. Ich finde, sie ha-
ben recht .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Ich will Ihnen sagen, was ich nicht nachvollziehen
kann: Es gibt immer eine große Betroffenheit – wir haben
gerade Beispiele gehört –, wenn das Schicksal einzelner
Frauen in Frauenhäusern und die Not der Frauenhäuser
und der Mitarbeiterinnen konkret sichtbar werden; das
erlebe ich auch bei der SPD und der Union . Wir haben
mit dem Ausschuss schon gemeinsame Begehungen von
Frauenhäusern durchgeführt . Wenn es dann aber um die
konkreten Schritte geht und die sichere Finanzierung der
Hilfen für Frauen angesprochen wird, ist die Zurückwei-
sung an die Länder und Kommunen, wie gerade passiert,
immer die leichteste Übung, obwohl wir – und das sage
ich ganz deutlich – im Bund etwas machen können . Ich
finde das ermüdend und Ihre Argumente an dieser Stelle
auch nicht durchgängig glaubwürdig . Sie sehen die Not
von Frauen, aber tun an dieser Stelle nichts. Ich finde,

verantwortliche Politik ist auch, zu prüfen, was wir sei-
tens des Bundes tun können .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Aus dem Frauenministerium kommt hier ebenfalls zu
wenig . Das Ministerium hat zuletzt 2013 etwas gegen
Gewalt an Frauen getan . Da wurde nämlich das Hilfete-
lefon eingerichtet . Zu den Frauenhäusern hat Ministerin
Schwesig lediglich eine Bedarfsanalyse angekündigt . Ich
sage „angekündigt“ . Dafür braucht man nicht zweiein-
halb Jahre Regierungszeit . Gewaltschutz für Frauen steht
hier nur im Kleingedruckten .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Noch etwas: Die Pflicht zum Gewaltschutz gilt in
Deutschland auch für geflüchtete Frauen, die in Unter-
künften leben und besonders verwundbar sind . Was aber
hat Innenminister de Maizière gemacht? Er hat ein ver-
einbartes Konzept für den Gewaltschutz gekippt . Wich-
tige Mindeststandards wie abschließbare Toiletten und
getrennte Duschen in den Unterkünften sind nicht vor-
gesehen . Dem Anspruch eines Gewaltschutzes und der
EU-Aufnahmerichtlinie wird die Bundesregierung somit
nicht gerecht, und das kritisieren wir Grüne aufs Schärfs-
te .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Hinzu kommt: Betroffene Flüchtlingsfrauen bekom-
men aufgrund der Residenzpflicht bei Gewalterfahrun-
gen durch den Partner oder auch durch andere Männer in
der Unterkunft im Zweifel keinen Schutz . Das geht über-
haupt nicht . Nötig wäre – die Kollegin Möhring hat das
gesagt, und das steht auch in diesem Antrag – ein Rechts-
anspruch für alle Frauen auf einen Frauenhausplatz . Das
hätte eine positive Signalwirkung .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Darin sind wir uns in der Opposition nach einem gemein-
samen Fachgespräch von Linken und Grünen einig . Klar
ist auch, dass ein Rechtsanspruch an ein tragfähiges Fi-
nanzierungskonzept gekoppelt sein muss. Ich finde, hier
bleibt der Antrag ein wenig zu vage . Die Antwort auf die
Frage, wie die finanzielle Verantwortung in Bezug auf
den Rechtsanspruch und das gesamte Hilfesystem mit
dem Bund geregelt werden kann, bleibt offen . So sind
Länder und Kommunen mit der Finanzierung wieder al-
leine .

Wir unterstützen den Antrag der Linken auf einen
Rechtsanspruch . Er geht in die richtige Richtung . Wir
wollen eine fundierte Lösung für den Schutz der Frau-
en . Dafür braucht es schlicht und einfach auch eine Mit-
finanzierung durch den Bund, und die müssen wir hier
besprechen .

Wenn Sie von Union und SPD weiterhin den Gewalt-
schutz für Frauen wichtig finden und das auch nach Sil-
vester weiter diskutieren wollen, dann sollten Sie zuvor
endlich auch im Bund konsequent handeln .






(A) (C)



(B) (D)


Vielen Dank .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1815521200

Vielen Dank . – Für die SPD-Fraktion spricht jetzt

Gülistan Yüksel .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Gülistan Yüksel (SPD):
Rede ID: ID1815521300

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen

und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bundes-
weit werden jährlich circa 12 000 bis 13 000 Anzeigen
wegen Vergewaltigung oder sexueller Nötigung erstat-
tet . Trotz der erschreckenden Höhe sind dies allerdings
nur Fälle, die zu einer Anzeige führen . Tatsächlich wird
jede dritte Frau in Deutschland einmal in ihrem Leben
Opfer von körperlicher oder sexueller Gewalt . Mehr als
die Hälfte aller Frauen hat schon einmal eine sexuelle
Belästigung erfahren . – Dies sind erschreckende Zahlen .
Sie stammen zum einen aus den Ergebnissen einer eu-
ropaweiten Studie der Agentur der Europäischen Union
für Grundrechte und zum anderen aus den Auswertun-
gen des Hilfetelefons „Gewalt gegen Frauen“ . Besonders
verheerend ist: Hinzu kommt noch eine große Dunkelzif-
fer; denn viele Frauen schämen sich, auszusprechen, was
ihnen widerfahren ist .

Es ist die Aufgabe eines Staates, seine Bürgerinnen
und Bürger vor Gewalt zu schützen . Ein starkes Hilfe-
system ist elementar, um schutzbedürftigen Frauen und –
ganz wichtig – auch deren Kindern Halt und Schutz zu
bieten .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des Abg . Dr . Harald Terpe [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Ein Hilfesystem funktioniert dann am besten, wenn sich
die Akteure keine Gedanken über eine sichere Finanzie-
rung machen müssen . Eine einheitliche Finanzierung für
Frauenhäuser ist deshalb mehr als wünschenswert .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Das sehen wir auch in der SPD-Fraktion so . Wir wol-
len, dass Hilfsangebote wie Beratungsstellen ausgebaut
und Frauenhäuser bedarfsgerecht und bundeseinheitlich
finanziert werden. Eine Tagessatzfinanzierung ist keine
gute und dauerhafte Lösung .


(Beifall bei der SPD)


Es hat aber nichts mit dem Hin- und Hergeschiebe von
Verantwortung zu tun, wenn ich auf Folgendes hinweise:
Die Hauptverantwortung für die Finanzierung des Frau-
enunterstützungssystems liegt bei den Ländern .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)


Diese Aufteilung ist in unserem föderalen System so vor-
gesehen . Diese Länderverantwortlichkeit hat auch Vor-
teile; denn lokale Akteure sind näher an den Menschen
und ihren Problemen . Sie können somit eine bedarfsge-
rechte Infrastruktur vor Ort gewährleisten . Die Länder
selbst bestehen auch auf dieser Verantwortlichkeit; das
sollten wir berücksichtigen . Eine wirkliche Änderung der
momentanen Finanzierungssituation lässt sich deswegen
nur gemeinsam verwirklichen .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Es ist deshalb gut und wichtig, dass die Gleichstel-
lungs- und Frauenministerkonferenz der Länder letztes
Jahr ein länderoffenes Arbeitsgremium zum Thema „Be-
treuung und Beratung für gewaltbetroffene Frauen und
deren Kinder“ eingesetzt hat . Auch der Bund ist durch
das Familienministerium an dieser Arbeitsgruppe be-
teiligt . Berichte aus der aktuellen Arbeit des Gremiums
lassen erkennen, wie schwierig es ist, eine tragfähige Ei-
nigung unter den Ländern zu erreichen . Einige Länder
befürchten, dass eine bundeseinheitliche Regelung eine
Absenkung von Standards mit sich bringen würde .

Die Forderung nach einem gesetzlich verankerten
Rechtsanspruch auf sofortigen Schutz und umfassende
Hilfe für von Gewalt betroffene Frauen und deren Kin-
der klingt zuerst nach einer guten Lösung, findet aber bei
den Ländern keine Mehrheit . Wie Sie selbst von Sach-
verständigen und aus Expertengesprächen wissen, ist ein
Rechtsanspruch mit vielen Schwierigkeiten und neuen
Hürden verbunden .

Wir sollten die Realität nicht aus den Augen verlie-
ren: Gewalt findet in der Regel im Verborgenen zwischen
zwei Menschen statt. Die meisten Frauen flüchten in ein
Frauenhaus, ohne sich die erlittene Gewalt vorher vom
Arzt oder der Polizei attestieren zu lassen . Ein Rechts-
anspruch bedeutet aber in der Regel, dass die betroffene
Frau einen notwendigen Nachweis erbringen muss . Was
passiert mit der Frau, die keine objektiven Beweismittel
vorlegen kann? Wird ihr dann der Platz im Frauenhaus
verweigert? Frauenhäuser weisen deshalb zu Recht da-
rauf hin, dass ein Rechtsanspruch eine neue Aufnahme-
hürde bedeuten kann .

Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Bekämpfung von
Gewalt gegen Frauen ist eine gesamtgesellschaftliche
Aufgabe, an der sich auch der Bund beteiligt und weiter
verstärkt beteiligen muss . Wir haben in Deutschland ein
gutes Netz an Einrichtungen und Unterstützungsangebo-
ten, die Hilfestellungen bieten . Gewaltbetroffene Frau-
en können in unserem Land regelmäßig und bundesweit
Beratung und Unterstützung sowie Schutz finden. Aber
auch kleine Lücken im Hilfesystem sind unbedingt ernst
zu nehmen .

Wir haben in der Koalition vereinbart, ressortübergrei-
fend Maßnahmen zu bündeln und Lücken im Hilfesys-
tem zu schließen . Studentinnen, Auszubildende, Frauen
mit Migrationshintergrund und auch Flüchtlingsfrauen
haben mit erschwerten Bedingungen zu kämpfen . Ich
möchte hier unterstreichen: Im Sinne aller schutzsuchen-
den Frauen muss eine sichere Finanzierung des Frauen-

Ulle Schauws






(A) (C)



(B) (D)


hauses gewährleistet sein, unabhängig von Einkommen,
Aufenthaltsstatus oder Herkunftsort .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wir arbeiten an der Schließung dieser Finanzierungslü-
cken in unseren Sozialgesetzen . Das Familienressort ist
mit dem hierfür federführenden Arbeits- und Sozialmi-
nisterium im Gespräch .

Im Rahmen der länderübergreifenden Arbeitsgrup-
pe führt der Bund 2016 ein Modellprojekt durch . Darin
wird untersucht, wie eine bedarfsgerechte Ausstattung in
einzelnen Regionen bezüglich Schutz und Beratung aus-
sehen könnte . Aus den hier gewonnenen Erkenntnissen
werden konkrete Vorschläge erarbeitet, die der Gleich-
stellungs- und Frauenministerkonferenz als Beratungs-
und Beschlussgrundlage dienen soll . Außerdem gehen
wir die Reform des Sexualstrafrechts an . Ich freue mich,
dass der Referentenentwurf unseres Ministers Heiko
Maas zur Schließung von Schutzlücken in der Strafbar-
keit der Vergewaltigung nun auch das Nadelöhr Kanzler-
amt passiert hat und sich in der Anhörung befindet.


(Beifall bei der SPD)


Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Kolleginnen
und Kollegen, Gewalt gegen Frauen muss öffentlich ge-
macht werden und darf kein Tabuthema sein . Gewalt wi-
derfährt den Betroffenen jeden Alters und über alle sozi-
alen Grenzen hinweg . Wir wissen: Dies ist beileibe kein
Randthema, sondern ein Thema aus der Mitte der Ge-
sellschaft . Es ist die Aufgabe von Staat und Gesellschaft,
dies zu thematisieren . Wir müssen den Frauen zur Seite
stehen . Wir müssen gemeinsam auf das Thema aufmerk-
sam machen und gemeinsam weiter nach sinnvollen und
praktikablen Lösungen in unserem Hilfesystem suchen .
Gewalt, in welcher Form auch immer, darf in unserer Ge-
sellschaft keinen Platz haben .

Herzlichen Dank .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1815521400

Vielen Dank . – Letzte Rednerin zu diesem Tages-

ordnungspunkt ist die Kollegin Gudrun Zollner, CDU/
CSU-Fraktion .


(Beifall bei der CDU/CSU – Paul Lehrieder [CDU/CSU]: Gute Frau!)



Gudrun Zollner (CSU):
Rede ID: ID1815521500

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen

und Kollegen! Jeder Mensch hat das Recht auf körper-
liche Unversehrtheit . Leider muss jede vierte Frau in
Deutschland mindestens einmal in ihrem Leben Gewalt
durch ihren Partner erleben, und jede einzelne ist eine zu
viel . Beleidigungen, Schläge, Demütigungen, Vergewal-
tigungen und lebensgefährliche Verletzungen führen zum
Teil zu lebenslangen seelischen Folgen . Meist braucht es
viele Anläufe, bis die Betroffenen bereit und in der Lage
sind, sich aus der Gewaltsituation zu lösen . Die Frauen
brauchen dafür Beratung und Zuwendung, und sie brau-
chen einen sicheren Ort . Als zentrale Anlaufstelle und

Einrichtung für Opfer von häuslicher Gewalt sind Frau-
enhäuser seit nunmehr 40 Jahren unverzichtbar gewor-
den . Gerade in Zeiten der Flüchtlingskrise kommen auf
die Frauenhäuser neue Herausforderungen zu .

Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, die Bekämp-
fung aller Formen von Gewalt gegen Frauen gehört nicht
erst seit Köln zu den langfristigen Schwerpunkten der
Bundesregierung . Im Rahmen der durch das Grundge-
setz vorgegebenen Kompetenzverteilung stehen wir alle
in der Verantwortung .

Insgesamt verfügt Deutschland über ein ausdiffe-
renziertes Hilfesystem für gewaltbetroffene Frauen .
Im März 2013 startete das Hilfetelefon – viele meiner
Vorrednerinnen haben das angesprochen –: Kostenlos,
anonym und vertraulich kann sich jede Frau Rat durch
erfahrene Fachkräfte holen – in bis zu 15 verschiedenen
Sprachen . Sehr wichtig ist dies für die zu uns kommen-
den Flüchtlingsfrauen .

Frauen mit Behinderungen haben einen besonde-
ren Hilfebedarf, da sie überdurchschnittlich häufig von
Gewalt betroffen sind . Hierzu sind in Bayern im Janu-
ar 2014 Projekte gestartet worden: eine zentrale, barri-
erefreie Service-Homepage mit Informationsmaterial,
Fortbildungen für Beraterinnen in Frauenhäusern und
Notrufe zur Thematik „Gewalt und Behinderung“ .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Frauenbeauftragte werden in Einrichtungen der Behin-
dertenhilfe ausgebildet . Das Vorhandensein, die Ausge-
staltung und die finanzielle Absicherung von Unterstüt-
zungsangeboten für gewaltbetroffene Frauen und deren
Kinder liegen aber in erster Linie bei den Bundesländern .
Im Rahmen der landesrechtlich konkretisierten Aufgabe
der Daseinsvorsorge liegt die Zuständigkeit auch bei den
Kommunen . Ich möchte die Bundesländer aufrufen, ihre
Kommunen bei diesen wichtigen Aufgaben zu unterstüt-
zen und die Entlastungen an sie weiterzugeben .

Es entspricht unserem föderalen Prinzip, in der unter-
schiedlichen Ausgestaltung vor Ort grundsätzlich eine
Chance zu sehen . Damit werden Spielräume eröffnet,
um den Bedürfnissen mit den regionalen Unterschieden
Rechnung zu tragen . Das ist auch gut so .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Dies sehen auch die Bundesländer so, und das wurde
auch von der Gleichstellungsministerkonferenz so gese-
hen . Festgestellte gewachsene Unterschiede der Versor-
gungsinfrastruktur für gewaltbetroffene Frauen sind auch
Ausprägungen der föderalistischen Struktur der Bundes-
republik Deutschland und deuten nicht automatisch auf
Versorgungsdefizite hin.

Ich kann auch nicht erkennen, dass eine Verlagerung
der Aufgaben auf den Bund automatisch alles besser ma-
chen würde . Das würde auch bedeuten, dass die Länder
ihre finanziellen Mittel für diese Aufgabe nicht mehr be-
reithalten würden . Kurzum: Der Bund müsste die Leis-
tungen der Länder ersetzen . Ich darf erinnern, dass erst
kürzlich der Bundesrechnungshof vor einer Überlastung
des Bundeshaushalts durch die umfangreichen Unterstüt-

Gülistan Yüksel






(A) (C)



(B) (D)


zungsleistungen an die Länder und Kommunen gewarnt
hat .

Liebe Kolleginnen und Kollegen, packen wir gemein-
sam die Herausforderungen zum Schutz von Frauen und
Kindern an! Konzentrieren wir uns auf die Aufgaben, für
die wir als Bund zuständig sind! Länder und Kommunen
werden verantwortungsvoll ihre Pflichten übernehmen.
Ich erinnere: Es wäre nicht das erste Mal, dass ein Gesetz
vom Bundesverfassungsgericht gekippt wird, weil nicht
der Bund, sondern die Länder zuständig sind .

Vielen Dank für die Aufmerksamkeit .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1815521600

Vielen Dank . – Liebe Kolleginnen und Kollegen, da-

mit schließe ich die Debatte .

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 18/7540 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen . Sind Sie damit ein-
verstanden? – Das ist der Fall . Dann ist die Überweisung
so beschlossen .

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 13 auf:

Beratung des Antrags der Bundesregierung

Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter
deutscher Streitkräfte an der EU-geführten
Ausbildungs- und Beratungsmission EUTM
Somalia auf Grundlage des Ersuchens der
somalischen Regierung mit Schreiben vom
27. November 2012 und 11. Januar 2013 sowie
der Beschlüsse des Rates der Europäischen
Union vom 15. Februar 2010, 22. Januar 2013
und 16. März 2015 in Verbindung mit den Re-
solutionen 1872 (2009) und 2158 (2014) des Si-
cherheitsrates der Vereinten Nationen

Drucksache 18/7556
Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuss (f)

Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwick-
lung
Haushaltsausschuss gemäß § 96 der GO

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 25 Minuten vorgesehen . – Ich höre dazu
keinen Widerspruch . Dann ist das so beschlossen .

Ich eröffne die Aussprache . Das Wort hat als erster
Redner in dieser Debatte der Staatsminister Michael
Roth für die Bundesregierung .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)



Michael Roth (SPD):
Rede ID: ID1815521700

Einen wunderschönen guten Abend, Frau Präsidentin!

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Region am Horn
von Afrika ist seit vielen, zu vielen Jahren ein Dauer-
brennpunkt in der globalen Krisenlandschaft . Das gilt

insbesondere für das krisengeplagte Somalia . Mehr als
20 Jahre Bürgerkrieg, humanitäre Notlagen und islamis-
tischer Terror haben ihre Spuren im Land hinterlassen .
Da ist es wenig verwunderlich, dass Somalia in den ver-
gangenen Jahren nur sehr selten mit positiven Schlag-
zeilen von sich reden machte . Angesichts der aktuellen
politischen Entwicklung blickt die internationale Ge-
meinschaft derzeit wieder mit verhaltenem Optimismus
auf Somalia . Am 27 . Januar hat sich das somalische Ka-
binett nach einem ausgesprochen schwierigen, aber letzt-
lich erfolgreichen Prozess auf ein Wahlmodell für natio-
nale Wahlen noch in diesem Jahr geeignet . Das Jahr 2016
kann also zu einem Wendepunkt in der Entwicklung des
Landes werden . Die jüngsten Entwicklungen unterstrei-
chen den Willen der somalischen Regierung, die politi-
schen Geschicke des Landes künftig wieder eigenver-
antwortlich wahrzunehmen . Das ist unser gemeinsames
Ziel: Mittelfristig soll Somalia politisch, wirtschaftlich
und militärisch wieder auf eigenen Beinen stehen .

Zur Ehrlichkeit gehört aber auch: Das beschlossene
Wahlverfahren unterscheidet sich von den in Europa
vorherrschenden Vorstellungen demokratischer Teilhabe .
Als sogenanntes somalisches Modell trägt es jedoch der
inneren Verfasstheit der somalischen Gesellschaft, der
politischen Kultur und ihren Traditionen Rechnung . Wir
werden den Prozess der Umsetzung mit dem Ziel beglei-
ten, so viel Transparenz und Demokratie wie möglich zu
erreichen .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, mit der 2012 be-
schlossenen Übergangsverfassung begann ein ausgespro-
chen steiniger Weg der kleinen Schritte zum Wiederauf-
bau funktionsfähiger staatlicher Strukturen . Diesen Weg
gehen die Somalis unter denkbar schwierigen Bedingun-
gen . Die islamistische Terrormiliz al-Schabab überzieht
das Land mit Terroranschlägen . Daneben bringen Dürren
und Hungersnöte Somalia immer wieder an den Rand ei-
ner humanitären Katastrophe . Dennoch gilt Somalia dank
der gemeinsamen Anstrengungen der Somalis und der in-
ternationalen Gemeinschaft mittlerweile nicht mehr als
ein sogenannter Failed State, also als gescheiterter Staat .
Aber wir haben es noch immer mit einem fragilen Staat
zu tun . Aber bis wir tatsächlich von Good Governance
sprechen können, ist es vermutlich ein noch ausgespro-
chen langer und beschwerlicher Weg . Nicht nur auf den
ersten Kilometern, sondern auf der gesamten Strecke
bleibt Somalia auf unsere Unterstützung angewiesen .

Unsere Stabilisierungspolitik zielt weiter auf die
Schaffung eines Mindestmaßes an effektiver Staatlich-
keit . Es geht nicht um die großen, hehren Ziele, es geht
erst einmal um die elementaren Grundbedürfnisse der
Bevölkerung . Neben der Versorgung mit Wasser, Nah-
rung, Energie und einem funktionierenden Gesundheits-
wesen muss der somalische Staat auch das elementarste
menschliche Grundbedürfnis erfüllen, nämlich Frieden,
Stabilität, Sicherheit .

Unser militärisches Engagement im Rahmen der
EU-Ausbildungsmission EUTM Somalia ist eingebettet
in einen umfassenden Ansatz . Es gibt eine Reihe von
bilateralen Projekten, die wir auf den Weg gebracht ha-

Gudrun Zollner






(A) (C)



(B) (D)


ben, mit denen wir zivilgesellschaftliche und staatliche
Strukturen stärken und eben die demokratische Teilhabe
fördern wollen . Auch das wieder anlaufende Engagement
der deutschen Entwicklungszusammenarbeit in Somalia
wird künftig eine noch größere Rolle spielen .

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sollten nicht
vergessen: Der Aufbau der somalischen Armee erfolgt
von Grund auf . Parallel dazu stehen aber auch die soma-
lischen Soldaten an der Seite von AMISOM im Kampf
gegen die Terrormilizen von al-Schabab . Die Zusam-
menarbeit im Sicherheitssektor in einem Land, das sich
in einem bewaffneten Konflikt befindet, ist eine ausge-
sprochen schwierige Aufgabe . Dennoch hat der Aufbau
der somalischen Sicherheitskräfte in den vergangenen
Jahren wichtige Fortschritte gemacht .

Die internationale Gemeinschaft und die somalische
Regierung haben sich auf Planungsgrundlagen und Ziele
für den Aufbau der Armee und der Polizei geeinigt . Die
Strukturen des Somalia-Paktes haben zu deutlich mehr
Transparenz, verbindlichen Absprachen geführt, und
über das „Wer macht was?“ gibt es zwischen somalischer
Regierung, den Vereinten Nationen und den internatio-
nalen Gebern inzwischen einen belastbaren politischen
Dialog .

Die Mission EUTM Somalia hat sich als ein wichtiger
und geschätzter Partner etabliert . Trotz eines nach wie
vor schwierigen Umfeldes hat die Mission bereits viel
erreicht . Insgesamt haben wir seit 2010 5 000 soma-
lische Soldaten ausgebildet – zunächst in Uganda und
zwischenzeitlich, seit 2014, nun auch auf somalischem
Boden in Mogadischu . Mit unseren EU-Partnern und
der Hohen Vertreterin Frederica Mogherini stimmen wir
darin überein: Dieses Engagement soll auch über die
Laufzeit des aktuellen Mandats hinaus, also über De-
zember 2016 hinaus, fortgesetzt werden . Wir tun das,
gleichwohl wir wissen, dass es sich um ausgesprochen
schwierige Rahmenbedingungen handelt .

Gerade deshalb setzen wir uns ja auch für Verbesse-
rungen ein, etwa dafür, dass sich die Mission in enger
Abstimmung mit AMISOM künftig noch stärker auf die
Unterstützung beim Aufbau der Verwaltungs- und Füh-
rungsstrukturen der somalischen Streitkräfte verlegt . Wir
können hier als Europäerinnen und Europäer einen ent-
sprechenden Mehrwert aufbringen . Wir wollen die ersten
Erfolge bei der „Ertüchtigung“ der somalischen Streit-
kräfte nachhaltig sichern und langfristig in die alleinige
somalische Verantwortung überführen .

Die Erfahrungen aus der Praxis zeigen uns aber auch:
Das Bewusstsein der militärischen Eliten in Somalia für
den Mehrwert einer funktionsfähigen Streitkräfteorgani-
sation, die rechenschaftspflichtig gegenüber der zivilen
politischen Führung ist, ist immer noch vergleichsweise
gering ausgeprägt. Gerade bei diesen Defiziten soll die
Ausbildung künftig ansetzen . Wir setzen unsere Hoff-
nungen vor allem auf die jüngere Generation . Die im
Rahmen der EU-Mission ausgebildeten Soldatinnen und
Soldaten machen uns Mut . Hier wächst eine motivierte,
gut ausgebildete, mit den Grundsätzen des humanitären
Völkerrechts vertraute neue Generation somalischer Mi-
litärs heran .

Deshalb, liebe Kolleginnen und Kollegen, bitte ich Sie
bei allen Schwierigkeiten um Ihre tatkräftige Unterstüt-
zung und um Zustimmung zur Fortsetzung dieses Man-
dats .

Vielen herzlichen Dank .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1815521800

Vielen Dank . – Als nächster Redner hat Dr . Alexander

Neu von der Fraktion Die Linke das Wort .


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. Alexander S. Neu (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1815521900

Sehr geehrte Damen und Herren! Sehr geehrte Frau

Präsidentin! Somalia – so wird es gesagt – ist ein fragiler
Staat . „Die Stabilisierung des Landes ist eine Generatio-
nenaufgabe“, so steht es im Antrag der Bundesregierung .
Ziel sei es, den Aufbau tragfähiger staatlicher Strukturen
in Kooperation mit anderen internationalen Organisati-
onen herbeizuführen . Die Methode wird als umfassend
bezeichnet: außenpolitische Instrumente, sicherheitspo-
litische Instrumente, entwicklungspolitische Instrumen-
te . EUTM Somalia, seit Februar 2010 in Kraft, soll ein
sicherheitspolitisches Instrument sein . Die Bundeswehr
beteiligt sich mit bis zu 20 Soldatinnen und Soldaten im
Rahmen der Sicherheitssektorenreform .

Was hier so honorig als Staatsaufbau dargestellt wird,
ist nicht nur honorig, sondern natürlich auch machtpo-
litisch eigennützig, aber dabei wenig effektiv . In Mo-
gadischu herrscht ein Regime, das man durchaus als
autoritär-islamistisch bezeichnen kann . Die Scharia,
die vor einigen Jahren eingeführt wurde, steht über der
Verfassung . Faktisch konkurrieren in Somalia zwei isla-
mistische Gruppierungen, wobei die eine davon, die als
moderater betrachtet wird – ob sie es ist oder nicht, sei
dahingestellt –, von der Europäischen Union unterstützt
wird . Ich räume ein: Man kann sich die Partner im inter-
nationalen Umfeld nicht immer aussuchen . Man muss sie
aber als das benennen, was sie sind . Diese Partner sind
Islamisten .

Der Fortschritt, der im Antrag der Bundesregierung
dargestellt wird, ist mehr als widersprüchlich . Die Bun-
desregierung sagt auf der einen Seite, es sei eine positive
Entwicklungsperspektive erkennbar . Als Beispiel wird
die Einführung der vorläufigen Verfassung 2012 genannt.
Demgegenüber heißt es aber auch: Eine weitverbreitete
Korruption, organisierte Kriminalität, Terrorismus, unsi-
chere Lebensverhältnisse sowie eine fehlgeleitete wirt-
schaftliche Entwicklung seien maßgeblich verantwort-
lich und ursächlich für die prekäre Sicherheitslage . Das
ist eine gute Analyse; denn Armut als Ursache für Terror
wird hier analysiert . Eine außerordentlich ehrliche Ana-
lyse vonseiten der Bundesregierung, die wir so gar nicht
gewohnt sind .


(Ingo Gädechens [CDU/CSU]: Doch, doch, immer ehrlich!)


– Nein, leider nicht. Wir würden es gut finden. Jetzt hat
sie es einmal geschafft, und das lobe ich auch .

Staatsminister Michael Roth






(A) (C)



(B) (D)


Aber was unternimmt die Bundesregierung dagegen?
Der sozioökonomische Aufbau Somalias ist immer noch
völlig unterentwickelt . Der Aufbau repressiver Instru-
mente, das heißt militärischer Fähigkeiten, dominiert .
Aber auch das läuft irgendwie nicht so richtig rund . Der
Aufbau militärischer Fähigkeiten geht auch deshalb fehl,
weil dem wirtschaftlichen Aufbau keine Priorität zu-
kommt . Symptomatisch hierfür ist: Im letzten Jahr, am
9 . Juni, haben somalische Soldaten eine Straßensperre
errichtet, nahe des Trainingscamps Dschasira . Die Sol-
daten haben das deshalb gemacht, weil sie unzufrieden
über den ausbleibenden Sold waren . Das ist ein Zeichen
für die nach wie vor unterentwickelte sozioökonomische
Sphäre . Nichts wird dagegen gemacht . Man lässt Soma-
lia im Bereich der sozialen Entwicklung weiter am Bo-
den liegen .

Mir fehlt immer noch eine Bilanzierung, wie vie-
le der ausgebildeten Soldaten – die Zahl 5 000 ist vor-
hin genannt worden – noch im Dienst der somalischen
Streitkräfte sind . Wie viele von denen sind übergelaufen?
Nichts davon steht in dem Antrag . Das fehlt . Eine ehr-
liche Bilanzierung der Effektivität dieser Trainingsmaß-
nahme verweigern Sie, weil Sie genau wissen, dass die
Bilanz desaströs sein würde .

Aber es gibt weitere Gründe, warum Somalia nicht auf
die Beine kommt . Einer davon ist der US-Drohnenterror,
der das alltägliche Leben überschattet . Die Normalisie-
rung ist einfach gar nicht möglich . Warum hierzu keine
kritischen Worte seitens der Bundesregierung? Nichts
dazu .

Das westliche Verständnis von Staatsaufbau macht
das Projekt, euphemistisch formuliert, zu einer Gene-
rationenaufgabe, wie es die Bundesregierung in weiser
Voraussicht konstatiert hat . Realistisch ausgedrückt, wird
der westliche Staatsaufbau zum Scheitern verurteilt sein .
Sie ahnen es, und wir wissen es .

Die Linke lehnt einen militärisch gestützten Staatsauf-
bau ab und somit auch die Mission EUTM Somalia .


(Florian Hahn [CDU/CSU]: Überraschung!)


Ich danke Ihnen .


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1815522000

Vielen Dank . – Als nächster Redner hat Jürgen Hardt

von der CDU/CSU-Fraktion das Wort .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Jürgen Hardt (CDU):
Rede ID: ID1815522100

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Das heute hier vorgelegte Mandat ist ein wich-
tiger Baustein im Rahmen des gesamten Netzwerkansat-
zes, den die Welt für Somalia hat . Wir haben in Somalia
das vielleicht drastischste und schrecklichste Beispiel
eines Failed States in den letzten Jahrzehnten gehabt,
in dem es an allem mangelte, was in irgendeiner Weise
Staatlichkeit und Schutz der Bürger ausmachte . Es ist
deswegen ein ganz weiter Weg, dieses Land tatsächlich
zu einer prosperierenden Demokratie zu machen . Der

Staatsminister hat darauf hingewiesen, welche Schwie-
rigkeiten es gibt, dort Wahlen durchzuführen und dort
Verhältnisse herzustellen, die wir auch nach westlichen
Maßstäben als demokratisch bezeichnen können .

Aber es ist eine ganze Reihe geschehen . Der Netzwerk-
ansatz ist offensichtlich der richtige . EUTM Somalia, die
Ausbildungsmission der Europäischen Union, fügt sich
ein in die Mission EUCAP NESTOR, in die Operation
Atalanta, also in unser Antipirateriemandat . Es fügt sich
ein in die Bemühungen der Afrikanischen Union, der ost-
afrikanischen Kooperation und natürlich auch der Ver-
einten Nationen, die dort gemeinsam agieren .

Wir haben vor zwei Jahren die Ausbildungsmission
direkt in die Hauptstadt verlegt . Es hat damals Diskus-
sionen gegeben, auch hier im Haus, auch in den Aus-
schüssen und in den Arbeitsgruppen: Können wir das
verantworten? Ist es zumutbar, dass unsere Soldatinnen
und Soldaten dort Dienst tun? – Die Antwort nach zwei
Jahren lautet: Es ist verantwortbar gewesen . Gerade Sol-
daten der Afrikanischen Union schützen den deutschen
und den internationalen Ausbildungsbeitrag insgesamt
in hervorragender Art und Weise, sodass wir jetzt sagen
können: Es war richtig, direkt ins Land zu gehen . Es ist
auch dadurch eine höhere Effizienz der Ausbildungs-
leistung zu verzeichnen – das zeigen die Zahlen –, dass
allein in den letzten zwei Jahren 1 500 Personen ausge-
bildet wurden .

Ich halte es auch für ein schönes Beispiel für den ver-
netzten Ansatz, dass wir nicht nur die militärische Aus-
bildung und die Polizeiausbildung durchführen, sondern
dass wir auch den zivilen Wiederaufbau des Landes för-
dern . Wir haben zusätzlich Mittel in Höhe von 20 Milli-
onen Euro zur Verfügung gestellt, und wir werden auch
Altmittel der Entwicklungszusammenarbeit aus früheren
Jahrzehnten freisetzen – Mittel, die zuvor aufgrund der
Entwicklung in Somalia nicht eingesetzt werden konn-
ten –, sodass wir deutlich mehr finanzielle Mittel für den
zivilen Wiederaufbau des Landes als für die Komponente
der militärischen Ausbildung aufwenden .

Ich kann an dieser Stelle den Kolleginnen und Kolle-
gen in den Ausschüssen nur empfehlen, der Verlängerung
dieses Mandates genauso zuzustimmen wie den Manda-
ten, die sich im Rahmen des Netzwerkansatzes der Welt-
gemeinschaft darum ranken . Ich kann guten Gewissens
sagen, dass wir unseren Soldatinnen und Soldaten eine
sinnvolle, verantwortbare und auch hinreichend sichere
Aufgabe übertragen . Ich wünsche allen Soldatinnen und
Soldaten, die diesen Einsatz ausführen – das sind im Au-
genblick 9; es werden vielleicht einmal bis zu 20 sein;
das ist die Mandatsobergrenze, die vorgeschlagen wird –,
jedes Soldatenglück, damit sie heil wieder nach Hause
kommen, wenn der Einsatz beendet ist . In diesem Sinne
eine gute Beratung in den Ausschüssen .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1815522200

Vielen Dank . – Agnieszka Brugger von Bündnis 90/

Die Grünen hat als nächste Rednerin das Wort .

Dr. Alexander S. Neu






(A) (C)



(B) (D)



(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die
Mandate der Bundesregierung zu Auslandseinsätzen le-
sen sich oft sehr technisch. Aber ich finde, bei diesem
Mandat, bei der europäischen Ausbildungsmission für
die somalischen Sicherheitskräfte, merkt man ganz be-
sonders, wie oberflächlich und extrem technokratisch Sie
die Situation in Somalia beschreiben .

Wer ein Gespür für die Situation der Menschen in So-
malia bekommen möchte, dem empfehle ich eine Repor-
tage aus der Zeit, die im Januar dieses Jahres erschienen
ist . Dort wird die bewegende Geschichte von einem Koch
erzählt, der 2008, als in Mogadischu die Gewalt regierte,
in sein Land zurückgekehrt ist, um es wieder aufzubauen .
Diese Geschichte handelt von Hoffnung, von Mut, von
Lebensfreude und von wirtschaftlichem Aufschwung,
aber eben auch ganz viel von Angst, von Gewalt und von
Korruption . Diese Reportage ist übrigens auch eine emp-
fehlenswerte Lektüre für all die Menschen, die nicht wis-
sen, was Heimat und Heimweh bedeuten können, und die
meinen, dass die Flüchtlinge alle nur hierbleiben wollen
und nicht in ihre Länder zurückkehren .

Nach 25 Jahren Bürgerkrieg gab es auch positive Ent-
wicklungen in Somalia . Wer aber zum Beispiel glaubt,
dass die gesunkene Anzahl der Terroranschläge durch
die Verbrecher von al-Schabab quantitativ ein Zeichen
für die Verbesserung der Sicherheitslage ist, der täuscht
sich leider . Gerade in den letzten Wochen erschütterte
eine Reihe von Attentaten das Land, die in ihrer Qualität
leider immer schlimmer und grausamer werden .

Die Afrikanische Union, die Vereinten Nationen und
zahlreiche Staaten engagieren sich seit Jahren in Soma-
lia . Seit Jahren warnen alle Expertinnen und Experten
immer wieder und weisen darauf hin, dass die zentrale
Ursache für die Probleme in Somalia, bei der man anset-
zen muss, die fehlende Staatlichkeit und die Schwäche
der politischen Institutionen sind .

Ja, auch im politischen Bereich hat es in den letzten
Jahren einige Fortschritte gegeben . Aber Sie fokussieren
sich sehr stark auf die Militäreinsätze, und diese wich-
tigen Fragen werden vernachlässigt . Wer will, dass das
Engagement in Somalia zum Erfolg führt, der muss viel
mehr für den Staatsaufbau tun . Weil Sie da zu wenig ma-
chen, ist die Gefahr groß, dass auch dieser europäische
Militäreinsatz am Ende nicht nur wirkungslos bleibt,
sondern sogar noch mehr Schaden anrichtet .

Sie haben in den letzten Jahren erst in Uganda und
dann in Somalia mehrere Tausend Soldaten ausgebildet .
Immer dann, wenn wir die Bundesregierung nach den Er-
fahrungen und nach der Bilanz fragen, hüllen Sie sich in
Schweigen und in Nichtwissen . Das hat man auch in Ih-
rer Rede sehr stark gemerkt, Herr Roth . Einen Militärein-
satz kann man doch nicht so begleiten und gestalten . Das
zeugt von einer Oberflächlichkeit und einer Ignoranz, die
gefährlich ist .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg . Dr . Alexander S . Neu [DIE LINKE])


Meine Damen und Herren, in einem Land, das auch
wegen der Rivalitäten der mächtigen Clans nicht zur
Ruhe kommt, birgt es große Gefahren, Sicherheitskräf-
te auszubilden, wenn sie keiner wirksamen politischen
Kontrolle unterliegen . Wir haben Hinweise, dass sehr
stark nur aus einem Clan rekrutiert wird, was in der Kon-
sequenz die Spannungen verstärkt . Wir hören, dass Sold
nicht gezahlt wird oder nur willkürlich gezahlt wird und
in den Taschen der Kommandeure verschwindet . Wir se-
hen hohe Desertionsraten . Wir erfahren von Soldaten, die
anschließend zu den Milizen gehen oder sich gar al-Scha-
bab anschließen . Es gibt Vorfälle, bei denen Soldaten in
Uniform die Zivilbevölkerung bedrängen, statt sie zu be-
schützen . Immer wieder verschwinden auch Waffen . Von
alldem will die Bundesregierung noch nie wirklich etwas
gehört haben . Da muss man sagen: Eine verantwortungs-
volle Politik sieht wirklich anders aus .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Meine Damen und Herren, vor einem Jahr haben wir
Grüne das Mandat einstimmig abgelehnt . Wir haben mit
Nein gestimmt, nicht deshalb, weil man die Menschen in
Somalia alleinlassen soll; dieses Nein war vor allem ein
Appell an die Bundesregierung, endlich die Konfliktursa-
chen anzugehen und den Aufbau der staatlichen Instituti-
onen viel stärker zu unterstützen . Es ist wirklich schade,
dass Sie dieses Jahr untätig haben verstreichen lassen;
denn nur dann, wenn man da etwas tut, kann man einen
Beitrag dazu leisten, dass immer mehr Menschen wie je-
ner Koch sich entschließen, in ihre Heimat zurückzuge-
hen, und kann man sicherstellen, dass die Weichen dort
so gestellt werden, dass die Menschen eine neue Zukunft
für ihr Land aufbauen können .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1815522300

Vielen Dank . – Als nächster Redner hat Florian Hahn

von der CDU/CSU-Fraktion das Wort .


(Beifall bei der CDU/CSU – Ingo Gädechens [CDU/CSU]: Das scheint doch noch ein interessanter Abend zu werden!)



Florian Hahn (CSU):
Rede ID: ID1815522400

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Um die Fortschritte messen zu können, die in
den vergangenen Jahren in Somalia gemacht wurden,
müssen wir uns a) in Erinnerung rufen, wie wir ange-
fangen haben, und müssen wir b) das ins Verhältnis zu
den doch sehr ambitionierten Zielen setzen . Die Ziele
sind, zunächst einmal eine Basissicherheit und langfris-
tig funktionsfähige somalische Sicherheitsstrukturen und
Streitkräfte aufzubauen .

Jahrelang galt Mogadischu als einer der gefährlichs-
ten Orte der Welt . Es wurde im Volksmund „Stalingrad
Ostafrikas“ genannt . Noch immer ist das Land am Horn
von Afrika eine der unsichersten und ärmsten Regionen .
Dürreperioden, wie jetzt durch das Wetterphänomen El
Niño ausgelöst, treffen den Krisenstaat hart . Fast die
Hälfte der Einwohner, fast 5 Millionen Menschen sind






(A) (C)



(B) (D)


auf Nahrungsmittelhilfe angewiesen . Die Vereinten Nati-
onen schlagen deshalb entsprechend Alarm .

Somalia wird sich sicherlich noch lange als fragiler
Staat darstellen und auf Hilfe der internationalen Ge-
meinschaft angewiesen bleiben . Doch wird eine rein
pessimistische Bewertung dem Land nicht gerecht . Teile
erholen sich langsam, auch wenn die Entwicklung si-
cherlich nicht geradlinig verläuft . Mogadischu ist heute
die am zweitschnellsten wachsende Stadt der Welt . Ob-
wohl man die Sicherheitslage weiterhin als schwierig be-
werten muss, erholt sich die Stadt langsam, baut sich aus
Ruinen wieder auf, versucht, wieder normal zu sein .

So minimal die Fortschritte sind – ich will das nicht
überzeichnen –: Die Menschen suchen nach Perspekti-
ven. Erste qualifizierte Arbeitskräfte aus der ganzen Welt
sind nach Somalia zurückgekommen, um beim Wieder-
aufbau des Staates zu helfen . Mehr als 20 Hochschulen
wurden in den letzten Jahren in der Stadt eröffnet . Res-
taurants und Läden entstehen . Manche sprechen von ei-
ner Art Gründungssituation . Wie gesagt: Man muss alles
ins richtige Verhältnis setzen . Wir werden im Februar ein
GIZ-Büro eröffnen und Vorhaben zur staatlichen Wasser-
versorgung und Ernährungssicherung beginnen .

Neben den strukturellen Fortschritten geben die poli-
tischen Entwicklungen Grund zu ein bisschen Hoffnung .
So einigte sich das somalische Kabinett am 27 . Januar
dieses Jahres auf ein gesamtstaatliches Wahlsystem für
die anstehenden Wahlen, die im August 2016 durchge-
führt werden sollen . Das sind insgesamt schon ein paar
gute Zeichen, wenn wir auf die Anfänge zurückblicken .
Erste Fortschritte zeigen den richtigen Ansatz der Missi-
on EUTM Somalia, aber eben auch vernetzt mit EUCAP
NESTOR und EU NAVFOR . Mittlerweile wurden im
Rahmen von EUTM Somalia über 5 000 Soldatinnen
und Soldaten ausgebildet – wir haben es schon gehört –,
1 500 davon seit Anfang 2014 in Mogadischu . Die ent-
sprechend ausgebildeten Kräfte gelten als vergleichswei-
se zuverlässig und schlagkräftig . Auch hier muss man
das ins richtige Verhältnis setzen . Seit dem Beginn der
Mission hat sich die Sicherheitslage in Somalia insge-
samt verbessert . War Somalia vor Kurzem noch das ge-
fährlichste Seegebiet weltweit für Handelsschiffe, gab es
2015 keine Entführungen mehr .

Auch im Kampf gegen al-Schabab zeichnen sich Er-
folge ab . Wir dürfen nicht vergessen: Die afrikanische
Terrororganisation hatte einst ähnliche Strukturen wie
heute der sogenannte IS im Mittleren Osten . AMISOM
und Teile der somalischen Armee haben die Islamisten
aus zentralen Gebieten vertrieben . Entscheidend hier-
bei: Mit dem Territorium verliert die Terrororganisation
auch zunehmend an Steuereinnahmequellen und lokaler
Unterstützung . Mehrere schwierige Wahrheiten ergeben
sich daraus für uns, die für Somalia wie auch teilweise
ähnlich für andere Krisenregionen gelten .

Erstens . Al-Schabab verbindet ihre politische Agenda
mit einer dschihadistischen Doktrin, die über Somalia hi-
nausgeht . Zudem besteht laut der somalischen Regierung
die Möglichkeit, dass Mitglieder von Boko Haram auch
durch al-Schabab-Milizen in Somalia trainiert wurden .
Eine solche potenzielle panafrikanische Allianz zeigt,

wie wichtig die Stabilisierung Somalias für West- und
Ostafrika ist .

Zweitens . Mit ihrer medialen Strategie, Tweets, You-
Tube-Videos usw . wirbt al-Schabab weiterhin auch über
Somalia hinaus viele Dschihadisten an . Narrative wie das
Feindbild der westlichen und afrikanischen Kreuzzügler
beherrschen diesen Diskurs, gegen den wir bisher kaum
erfolgreich agieren .

Drittens . Die somalische Terrormiliz kann rein militä-
risch nicht besiegt werden . Viele Kämpfer der al-Scha-
bab-Miliz sind nicht aus ideologischen Gründen dort,
sondern aus wirtschaftlichen . Die Wechselwirkung ist
offenkundig . Sicherheit bedingt Entwicklung wie Ent-
wicklung Sicherheit bedingt .

Viertens . Somalia wird im Kampf gegen die al-Scha-
bab-Miliz einen langen Atem benötigen . Eine einfache
territoriale Eindämmung wird aufgrund der Anpassungs-
fähigkeit nicht funktionieren . Die Organisation wird auch
in nächster Zeit eine terroristische Bedrohung bleiben .

Klar ist auch, dass Kräfte der Afrikanischen Union
sowie die Ausbildungsunterstützung der Europäischen
Union auf absehbare Zeit notwendig bleiben . Unser En-
gagement in Somalia war und bleibt daher weiterhin not-
wendig .

Vielen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1815522500

Vielen Dank . – Liebe Kolleginnen und Kollegen, da-

mit schließe ich die Aussprache .

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 18/7556 an die in der Tagesordnung auf-
geführten Ausschüsse vorgeschlagen . Sind Sie damit
einverstanden? – Das ist der Fall . Dann ist das auch so
beschlossen .

Ich rufe den Zusatzpunkt 4 auf:

Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr . Wolfgang Strengmann-Kuhn, Christian Kühn

(Tübingen), Corinna Rüffer, weiterer Abgeord-

neter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN

Wohnungslosigkeit wirkungsvoll angehen –
Bundesweite Statistik einführen

Drucksache 18/7547
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales (f)

Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicher-
heit

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 25 Minuten vorgesehen . – Ich höre dazu
keinen Widerspruch . Dann ist das so beschlossen .

Ich eröffne die Aussprache . Als erster Redner hat
Dr . Wolfgang Strengmann-Kuhn von der Fraktion Bünd-
nis 90/Die Grünen das Wort .

Florian Hahn






(A) (C)



(B) (D)



(BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Nach groben Schätzungen der BAG Wohnungslosenhil-
fe gibt es in Deutschland circa 350 000 Wohnungslose .
Das sind so viele, wie in einer mittleren Großstadt, zum
Beispiel Bielefeld, leben . Die Bundesregierung verhält
sich aber so, als würde es die gar nicht geben; denn in
den offiziellen Armutszahlen tauchen sie nicht auf. Auch
im nächsten Armuts- und Reichtumsbericht der Bun-
desregierung wird es wieder keine offiziellen Zahlen zu
Obdachlosigkeit und Wohnungslosigkeit und extremer
Armut in Deutschland geben. Ich finde, das ist ein Ar-
mutszeugnis .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Nach Schätzungen der BAG Wohnungslosenhilfe le-
ben fast 40 000 Menschen auf der Straße, darunter Kin-
der und Jugendliche . Das ist eines reichen Landes wie
Deutschland unwürdig . Ziel sollte es sein, dass niemand
auf der Straße leben muss .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Es ist zu befürchten, dass durch die hohe Zahl von
Geflüchteten die Zahl der Menschen, die keine Wohnung
haben oder auf der Straße leben müssen, sogar noch
steigt . Auch deswegen ist es gerade jetzt wichtig, mehr
Anstrengungen gegen Obdachlosigkeit und Wohnungs-
losigkeit zu unternehmen . Um das zu erreichen, brauchen
wir genaue Statistiken über das Ausmaß, die Struktur und
vor allem die Ursachen . Da reicht die grobe Schätzung
einer Nichtregierungsorganisation nicht aus . Wir müssen
genau wissen, wer betroffen ist, um zielgenau handeln
zu können .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ich nenne zwei Beispiele für mögliche Ursachen, bei
denen die Bundespolitik verantwortlich ist . Handelt es
sich um Unionsbürgerinnen bzw . -bürger, die vom Bezug
von Grundsicherung ausgeschlossen sind? Wie man hört,
will die Bundesregierung für diese Gruppe das Grund-
recht auf Existenzminimum sogar noch einschränken .
Wir halten das für falsch .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Oder handelt es sich um junge Erwachsene, die keine
Grundsicherung erhalten? Alle Expertinnen und Exper-
ten sind sich einig, dass die verschärften Sanktionen ge-
gen junge Erwachsene und die Sanktionen bei den Kos-
ten der Unterkunft kontraproduktiv sind .

Auch in der Politik gibt es eigentlich einen breiten
Konsens, was diese Frage angeht . Allein die CSU ist da-
gegen . Hören Sie endlich auf, sich von der CSU vorfüh-
ren zu lassen, und schaffen Sie die verschärften Sanktio-
nen gegen junge Erwachsene und die Sanktionen bei den
Kosten der Unterkunft endlich ab .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Damit beseitigen Sie eine Ursache von Obdachlosigkeit .

Die Bundesregierung aber duckt sich weg und be-
hauptet, für die Bekämpfung von Obdachlosigkeit und
Wohnungslosigkeit sei man nicht zuständig . Zuständig
dafür seien nur die Länder und die Kommunen .


(Max Straubinger [CDU/CSU]: So ist es!)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, das ist verantwortungs-
los .


(Dr . Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Nein!)


Wegschauen und wegducken ist der falsche Weg .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Sagen Sie nicht, es geht nicht . Nordrhein-Westfalen
hat schon lange eine Wohnungslosenstatistik . Und Bay-
ern, Herr Kollege Straubinger und liebe Kolleginnen und
Kollegen von der CSU,


(Max Straubinger [CDU/CSU]: Bayern ist vorbildlich!)


ist nach Nordrhein-Westfalen wieder einmal das zweite
Land, das zumindest eine Piloterhebung durchgeführt
hat, die ganz gut funktioniert hat .


(Max Straubinger [CDU/CSU]: Bayern ist vorbildlich! Wie immer!)


Also, daran kann man sich orientieren .

Es gibt also keinen Grund, warum es nicht möglich
sein sollte, auch eine bundesweite Statistik einzuführen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN – Max Straubinger [CDU/CSU]: Könnt ihr auch in den rot-grünen Ländern machen!)


Geben Sie sich einen Ruck! Schaffen wir gemeinsam
eine Grundlage für die Bekämpfung von Obdachlosig-
keit und Wohnungslosigkeit . Denn niemand bei uns soll-
te auf der Straße leben müssen .

Vielen Dank für die Aufmerksamkeit .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1815522600

Vielen Dank . – Als nächster Redner hat Dr . Matthias

Zimmer von der CDU/CSU-Fraktion das Wort .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Matthias Zimmer (CDU):
Rede ID: ID1815522700

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! In den

Städten – insofern will ich dem Kollegen Strengmann-
Kuhn völlig recht geben – gewinnt das Thema Woh-
nungsnot ganz erheblich an Brisanz . Viele deutsche
Städte wachsen durch Urbanisierung bzw . Zuwanderung .
Für viele Städte ist das natürlich eine Herausforderung –
nicht zuletzt weil im unteren Preissegment relativ wenig
Wohnraum zur Verfügung steht .

Es ist ja richtig: Mit dem Wegfall der Gemeinnützig-
keit 1988 und dem Rückzug des Bundes aus der öffent-






(A) (C)



(B) (D)


lichen Förderung hat ein deutlicher Abbau des sozialen
Wohnungsbaus stattgefunden . Das führt nun dazu, dass
über Jahre Versäumtes kompensiert werden muss . Das
wird aber gemacht .

Wir haben mit der Föderalismusreform 2006 die Zu-
ständigkeit für die Wohnraumförderung auf die Länder
übertragen – Bund und Länder haben das einvernehm-
lich beschlossen –, weil wir regional sehr unterschied-
liche Wohnungsbedarfe haben . Seitdem unterstützt der
Bund die Länder bei der sozialen Wohnraumförderung
mit jährlich rund 520 Millionen Euro . Im Rahmen der
Asyldebatte hat der Bund zugesagt, diesen Betrag bis
einschließlich 2019 zu verdoppeln . Obwohl das Thema
also ein rein kommunales ist, unterstützt der Bund die
Länder derzeit im sozialen Wohnungsbau mit 1 Milliarde
Euro jährlich .

Lieber Kollege Strengmann-Kuhn, manchmal ist es
ja auch gut, wenn man eine schwarz-grüne Regierung –
wie die in Hessen – loben kann . In Hessen hat sich die
schwarz-grüne Regierung im Rahmen des „Aktionsplans
zur Integration von Flüchtlingen und Bewahrung des ge-
sellschaftlichen Zusammenhalts“ verpflichtet, bis 2019
insgesamt 10 000 neue Wohnungen zu fördern . In den
Städten hat ein Umdenken begonnen, nicht erst unter
dem Eindruck der Asylkrise . In Frankfurt beispielsweise
werden jedes Jahr 45 Millionen Euro in die Hand genom-
men, um den sozialen Wohnungsbau zu fördern . Insofern
ist die Wohnungsfrage eine ganz zentrale soziale Frage
der nächsten Jahre, vor allen Dingen in den Städten .

Ich sage deshalb „vor allen Dingen in den Städten“,
weil bundesweit auch etwa 2 Millionen Wohnungen leer
stehen . Deswegen müssen wir uns sehr genau überlegen,
wie wir die Mittel für den sozialen Wohnungsbau ein-
setzen, was die Länder sinnvollerweise tun können . Wir
sollten uns beispielsweise überlegen, in den Kommunen
einen bestimmten Prozentsatz der zur Verfügung stehen-
den Grundstücke für genossenschaftliches Wohnen oder
sozialen Wohnungsbau zu reservieren, sie nicht notwen-
digerweise direkt an den Markt zu geben . Ich glaube,
das ist eigentlich eine ganz gute Idee . Die Diskussionen
über sozialen Wohnungsbau, genossenschaftliches Woh-
nen und vieles andere zeigen, wie sehr das Thema Woh-
nungsnot bereits in der öffentlichen Diskussion präsent
ist .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Nun wird im Antrag der Grünen gefordert, eine bun-
desweite Statistik über Obdachlosigkeit einzuführen . Ja,
warum auch nicht?


(Dr . Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, dann macht es doch!)


Wir führen über alles Mögliche eine Statistik – warum
nicht auch über Obdachlosigkeit? Die Bundesarbeitsge-
meinschaft Wohnungslosenhilfe fordert schon seit vielen
Jahren eine solche Statistik . Wir beide, Herr Strengmann-
Kuhn, saßen vor etwa einem Jahr bei einer Veranstaltung
der Bundesarbeitsgemeinschaft zusammen auf dem Po-
dium und haben eine Diskussion darüber geführt . Aus
Erfahrung wissen wir, dass Wohnungslosigkeit ein früher

Indikator für zunehmenden Problemdruck auf dem Woh-
nungsmarkt ist . Deswegen kann es für die Politik vor Ort
durchaus wichtig sein, hier frühzeitig entsprechende Da-
ten zur Verfügung zu haben .

Hier liegt aber das erste Problem . In meinem Wahl-
kreis, in Frankfurt, ist die Situation wie folgt: Ein Teil der
Obdachlosen wird durch die Fachstelle zur Verhinderung
von Obdachlosigkeit betreut, ein anderer im Rechtskreis
des SGB XII . Nicht zu vergessen sind Bezieher von Leis-
tungen nach dem SGB II ohne Wohnung, die über eine
spezielle Außenstelle des Jobcenters betreut werden . Zu-
sätzlich wird über den Kältebus die Zahl derjenigen er-
hoben, die auf der Straße nächtigen – im Winter täglich,
im Sommer 14-tägig . Die Zahl dieser Menschen wurde
in den letzten drei Jahren immer mehr durch Osteuropäer
nach oben getrieben, wobei die Zahl der Menschen aus
dem klassischen Klientel der Wohnungslosenhilfe stag-
nierte oder zurückging; diese Menschen haben sich an-
dere Nischen gesucht .

Was ich nicht nur aus meinem Wahlkreis, sondern
auch von anderen kommunal Aktiven höre: Die Woh-
nungslosen, die sich von den genannten Anlaufstellen
helfen lassen, sind vor Ort auch bekannt . Hier bedarf es
jetzt keiner weiteren Instrumente für die Erfassung . Viel
problematischer verhält es sich mit den Menschen, die
sich bewusst der staatlichen Erfassung entziehen . Diese
Menschen statistisch zu erfassen, wäre ein personalinten-
sives Unterfangen . Die Kommunen müssten dafür ver-
mutlich Personal abstellen, das durch die Straßen geht,
um jeden einzelnen Betroffenen statistisch zu erfassen .
Das wäre ein ganz erheblicher Aufwand für ein relativ
kleines Ergebnis, zumal die Menschen mit einer solchen
Erfassung natürlich noch nicht von der Straße weg sind .

Wichtiger wäre aber, die Daten bei den verschiedenen
Sozialleistungsträgern abrufen zu können .


(Dr . Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau!)


Dabei ist eine eindeutige Fallidentifizierung nötig, aber
trotzdem der Datenschutz zu wahren, und die Daten soll-
ten möglichst einfach aus den vorhandenen IT-Systemen
abgegriffen werden können . Mit anderen Worten: Ein
erster Schritt dessen, was Wolfgang Strengmann-Kuhn
hier gefordert hat, wäre schon getan, wenn es vor Ort
gelänge, schnell und unkompliziert ein Lagebild über
Obdachlosigkeit und ihre Gründe zu bekommen . Denn
das ist es doch, was wir letztendlich wollen: kleinräumi-
ge und zeitnah aufbereitete Daten, damit vor Ort schnell
und effizient gehandelt werden kann. Ich finde, wir soll-
ten uns einmal ansehen, ob wir da als Bundesgesetzgeber
helfen können, etwa was die Frage des Datenschutzes
oder die Kompatibilität der Software unterschiedlicher
Träger sozialer Hilfen angeht .

Nun wäre das sicherlich ein erster Schritt, ein etwas
genaueres Bild davon zu bekommen, was sich im Be-
reich Obdachlosigkeit tut . Was aber wäre der Mehrwert
einer nationalen Berichterstattung, wie sie den Grünen
in ihrem Antrag vorschwebt? Das ist, glaube ich, die
entscheidende Frage . Die Notwendigkeit einer solchen
Statistik wird damit begründet, die Fachwelt finde es
sinnvoll . Das kann ich als Wissenschaftler nachvollzie-

Dr. Matthias Zimmer






(A) (C)



(B) (D)


hen; aber nicht alles, was statistisch erfasst werden kann,
macht für die politische Arbeit auch Sinn – leider!

Nun macht der Antrag dann eine sonderbare Verren-
kung, indem behauptet wird, eine bundesweite Statistik
sei die Voraussetzung, um auf kommunaler Ebene eine
gute und wirksame Wohnungsnothilfeplanung zu entwi-
ckeln und die entstehenden Kosten besser kalkulieren zu
können . Mit anderen Worten: Wenn ich weiß, wie vie-
le Wohnsitzlose es in anderen Teilen Deutschlands gibt,
kann ich in Frankfurt besser planen . Das ist eine stramme
Aussage, die ich bei den Praktikern so nicht bestätigen
konnte . Ich halte es auch für Unfug, weil sich nur gro-
ße Städte oder ähnlich strukturierte Landkreise sinnvoll
miteinander vergleichen lassen . Für die politische Praxis
spielen zeitnahe und regionale Zahlen eine Rolle, aber
nicht bundesweit erhobene .

Bleibt die Begründung, dass man es einfach wissen
will, etwa im Rahmen von Armuts- und Reichtumsstudi-
en; das ist im Vortrag von Wolfgang Strengmann-Kuhn
angesprochen worden . Ob dies allein aber den zusätz-
lichen Aufwand in den Kommunen rechtfertigt, also ob
eine vernünftige Kosten-Nutzen-Relation entsteht, das
wage ich zu bezweifeln .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Meine Damen und Herren, ob die Bundesländer es
stattdessen tun sollten, kann ich nicht abschließend beur-
teilen . Nordrhein-Westfalen macht eine eigene Statistik,
in Hessen diskutieren wir über eine eigene Statistik . Hier
ist auch der regionale Bezug noch gegeben, bei einer
Statistik, die vom Bund geführt würde, allerdings nicht .
Deswegen komme ich persönlich zu dem Schluss: Die
im Antrag vorgebrachten Argumente überzeugen nicht .
Aber wir sollten uns sehr wohl darüber unterhalten, wie
man die statistische Erhebung vor Ort deutlich verbes-
sern kann .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1815522800

Vielen Dank . – Als nächste Rednerin hat Caren Lay

das Wort .


(Beifall bei der LINKEN)



Caren Lay (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1815522900

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Heute Nacht wird es in Berlin wieder minus
2 Grad Außentemperatur haben, gestern hat es dazu noch
geschneit . Während so manch einer hier mit dem Fahr-
dienst in die warme Stube fährt, sind viele andere noch
auf der Suche nach einem Platz zum Übernachten .

Wohnungslosigkeit – das lässt sich nicht abstreiten –
ist ein zunehmendes Problem in Deutschland . Das sieht
jeder, der mit offenen Augen durch die Städte geht . Das
belegen auch die Zahlen, die wir kennen . Schätzungswei-
se 335 000 Menschen waren im letzten Jahr ohne Woh-
nung . Das ist gemessen an den Schätzungen der Jahre
davor ein Anstieg um 18 Prozent . Das sagt die Bundesar-
beitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe, die diese Zahlen

seit Jahren erhebt und bei der ich mich an dieser Stelle
sehr herzlich für ihr Engagement bedanken möchte .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


335 000 Obdachlose in einem reichen Land, mit stei-
gender Tendenz – das ist ein Armutszeugnis für unser
Land . Wir können da nicht länger zusehen .


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wohnen ist doch ein Grundrecht . Deswegen ist es unsere
Verantwortung in der Politik, dafür zu sorgen, dass jeder
Mensch dieses Grundrecht auch wahrnehmen kann .

Für die nächsten Jahre prognostiziert die BAGW so-
gar noch einen Anstieg und geht davon aus, dass schon
in wenigen Jahren die Grenze von einer halben Million
Wohnungsloser überschritten sein wird . Und wer erst
einmal seine Wohnung verloren hat, der hat wenige
Chancen, schnell einen anderen Lebensweg einzuschla-
gen . Jeder Vermieter wird stutzig, wenn er keine aktuelle
Adresse aufweisen kann, jeder potenzielle Arbeitgeber
auch. Die Wohnungslosigkeit ist häufig der Beginn eines
Teufelskreises . Wir müssen alles daransetzen, dass Men-
schen aus diesem Teufelskreis aussteigen können .


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Verlässliche Zahlen über die steigende Wohnungslo-
sigkeit zu haben, das ist der erste Schritt . Das ist immer
so . Damit sagen wir als Gesellschaft, damit sagen wir als
Politik: Wir haben das Problem erkannt . Wir setzen al-
les daran, es statistisch sauber zu erfassen . Das ist die
Grundlage, um Wohnungslosigkeit zu bekämpfen .

Damit komme ich zu meinem nächsten Punkt . Wir
begrüßen den Antrag der Grünen . Wir, die Fraktion Die
Linke, haben vor wenigen Jahren einen ähnlichen Antrag
gestellt . Er trug den Titel „Obdach- und Wohnungslosig-
keit erkennen und bekämpfen“ . Den zweiten Punkt ver-
misse ich ein wenig im Antrag der Grünen .

Steigende Mieten sind der Nährboden für Wohnungs-
losigkeit . Wir hatten in vielen Großstädten in den letzten
fünf Jahren Mietsteigerungen von 20, 30, 40, in Berlin
bis zu 50 Prozent . Die Mietenexplosion und die Woh-
nungsnot sind hausgemacht . Das fällt nicht einfach vom
Himmel . Das ist Ergebnis einer falschen und verfehlten
Miet- und Wohnungspolitik . Das muss man an dieser
Stelle ganz klar sagen .


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Eine Privatisierungswelle sondergleichen auch der
Bundesregierung in den letzten Jahren und das Zusam-
menstreichen von Sozialwohnungen führten dazu, dass
hier in zehn Jahren über 1 Million Sozialwohnungen
weggefallen sind . Ihre positive Einschätzung kann ich da
beim besten Willen nicht teilen .


(Dr . Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Oder verstehen!)


Dr. Matthias Zimmer






(A) (C)



(B) (D)


Jährlich fallen 80 000 bis 100 000 Wohnungen aus der
Sozial-, der Belegungs- und der Preisbindung, aber neu
gebaut werden gerade einmal 10 000 Wohnungen im
Jahr . Das steht doch in gar keinem Verhältnis . Hier sind
andere Anstrengungen nötig .


(Beifall bei der LINKEN)


Bei allen Sonntagsreden über den sozialen Wohnungsbau
kann ich die Beschlusslage hier nicht erkennen . Sie be-
schließen Steuerabschreibungsmodelle für Reiche . Das
ist Gießkannenförderung . Das ist nicht der richtige Weg .
Das ist überhaupt nicht zielführend .


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


Meine Damen und Herren, zu guter Letzt wenige
Punkte, wie wir die Wohnungslosigkeit bekämpfen wol-
len . Wir sagen ganz klar – da kann ich an meinen Vorred-
ner anschließen –: Sanktionsfreie Mindestsicherung statt
Hartz IV wäre einer der wichtigen Schritte .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Eine ganz wesentliche Ursache sind die Zwangsräu-
mungen . 22 Zwangsräumungen im Schnitt am Tag allein
in Berlin sind doch eine Schande . Das haben Sie mit der
letzten Mietrechtsnovelle begünstigt, die die Union mit
zu verantworten hat . Sie haben Zwangsräumungen er-
leichtert . Das müssen wir dringend rückgängig machen .


(Beifall bei der LINKEN)


Zu guter Letzt, meine Damen und Herren: Wir brau-
chen einen sinnvollen und starken Neustart im sozialen
Wohnungsbau . Da muss man mehr Geld in die Hand
nehmen, und da muss man die Gemeinnützigkeit wieder
einführen .

Aber auf diese Gießkannenförderung, die Sie be-
schlossen haben, können wir verzichten . Das wird kei-
nem Wohnungslosen nutzen .

Vielen Dank .


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1815523000

Vielen Dank . – Als nächste Rednerin hat Dagmar

Schmidt von der SPD-Fraktion das Wort .


Dagmar Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1815523100

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen

und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen vor allem
von den Grünen! Ich danke Ihnen für Ihre Initiative; denn
sie gibt uns Gelegenheit, ein immens wichtiges sozialpo-
litisches Thema, nämlich die Wohnungspolitik, zu disku-
tieren .

Sie fordern in Ihrem Antrag die Einführung einer bun-
desweiten Statistik, um auf dieser Basis Wohnungslosig-
keit wirkungsvoll anzugehen . Die Bundesregierung hat
dies in ihrer Antwort auf Ihre Kleine Anfrage abgelehnt,
weil die Zuständigkeit seit der Föderalismusreform I von
2006 bei den Ländern liegt .

Für beide Positionen gibt es gute Argumente . Ich
persönlich habe immer große Sympathien für eine gute
Datenbasis für gute Politik . Aber weder haben alle grün
mitregierten Länder eine Wohnungslosenstatistik, die die
Basis für eine im Länderzuständigkeitsbereich liegende
Wohnungspolitik wäre, noch macht die Bundesregierung
deswegen keine Politik gegen Wohnungslosigkeit und
Obdachlosigkeit, weil es keine Statistik gibt .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ich kann das Lob für Hessen, Herr Zimmer, leider nicht
teilen . In meinem schwarz-grün regierten Heimatland
Hessen sind es wiederum allein die Sozialdemokratinnen
und Sozialdemokraten, die sich des Themas Obdachlo-
sigkeit angenommen haben . Leider hat Schwarz-Grün
die Streichung der Mittel der Obdachlosenhilfe durch die
ehemalige schwarz-gelbe Landesregierung nicht zurück-
genommen . Ich hätte Ihnen da mehr Kraft gewünscht .


(Beifall bei der SPD – Zuruf von der SPD: Hört! Hört! – Weiterer Zuruf von der SPD: Unehrlich!)


Als vorbildlich kann ich das Land Nordrhein-Westfa-
len nennen . Auch die sozialdemokratische Sozialminis-
terin Altpeter in Baden-Württemberg hat die Initiative
ergriffen


(Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es geht hier um Sozialpolitik!)


und sich des Themas „Berichterstattung und Konzepti-
onierung im Bereich der Wohnungslosigkeit“ angenom-
men .


(Beifall bei der SPD)


Je weiter man sich von den Kommunen entfernt, desto
schwieriger wird es mit der Zielgenauigkeit . Deswegen
macht es Sinn, die konkrete Planung auf Länderebene
durchzuführen .

Das heißt aber nicht, dass die Bundespolitik hierbei
keine Verantwortung übernehmen würde . Ganz konkret
hat unsere Ministerin Andrea Nahles bei der Steuerung
der Mittel aus dem Europäischen Hilfsfonds für die am
stärksten von Armut betroffenen Personen einen Schwer-
punkt auf Wohnungslose und von Wohnungslosigkeit be-
drohte Menschen gelegt . Das ist gut und richtig so .


(Beifall bei der SPD – Dr . Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist die Vorgabe! Das ist der Sinn! Das war nicht die Bundesministerin!)


Die Zahl der Wohnungslosen in Deutschland steigt,
und das fordert uns auf allen Ebenen zum Handeln
auf . Es ist bereits erwähnt worden: Laut der Bundes-
arbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe waren 2014
335 000 Menschen ohne Wohnung . Sie erwartet, dass
die Zahl bis 2018 auf mehr als eine halbe Million steigt .
Gleichzeitig macht sie für den Bund folgende Hand-
lungsfelder aus, die alle von der Koalition bereits ange-
gangen wurden und werden:

Da wäre erstens die Verbesserung der sozialen Lage
durch angemessene Regelsätze und durch die Bekämp-

Caren Lay






(A) (C)



(B) (D)


fung des Niedriglohnsektors . Mit der Einführung des
Mindestlohns haben wir einen riesengroßen Schritt ge-
tan .


(Beifall bei der SPD – Dr . Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber gegen Obdachlosigkeit hilft er nicht!)


Mit der Regulierung von Leiharbeit und Werkverträgen
werden wir weitere Schritte gehen, und die Frage der Re-
gelsätze werden wir noch dieses Jahr aufrufen . Ja, auch
ich hätte große Sympathien dafür gehabt, wenn man ge-
sagt hätte, dass man bei den Kosten der Unterkunft nicht
mehr sanktionieren darf . Aber wir haben mit einer längst
überfälligen Wohngeldreform die finanzielle Situation
von 870 000 Haushalten, vor allem von Rentnerinnen
und Rentnern und Familien mit Kindern, verbessert, auch
wenn es für die Opposition, wie üblich, etwas mehr hätte
sein dürfen .

Zweitens . Wir brauchen mehr bezahlbaren Wohn-
raum, vor allem Kleinwohnungen und Wohnungen in den
Ballungsräumen . Das ist für uns nicht erst ein Thema,
seitdem die Flüchtlinge ein Thema sind . Bereits im Ko-
alitionsvertrag haben wir einen Dreiklang aus Stärkung
der Investitionstätigkeit, Wiederbelebung des sozialen
Wohnungsbaus und einer mietrechtlichen und sozialpoli-
tischen Flankierung festgeschrieben . Was heißt das kon-
kret? Die Stichworte lauten: Mietpreisbremse und – das
ist bereits erwähnt worden – jährlich 500 Millionen Euro
mehr für den Wohnungsbau .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es geht darum, Armut zu bekämpfen!)


Vor allem aber haben wir das sehr erfolgreiche Pro-
gramm „Soziale Stadt“ wieder zum Leben erweckt; denn
nicht nur Wohnungen, sondern auch ein lebenswertes
Wohnumfeld und soziale Unterstützung im Quartier sind
wichtig . Deswegen geht es am Ende des Tages um die
Handlungsfähigkeit und die Ausstattung der Kommunen .
Da haben wir viel Geld in Bewegung gesetzt: Wir entlas-
ten die Kommunen bis 2018 um insgesamt 25 Milliarden
Euro . Das ist eine echte Hausnummer .


(Bernd Rützel [SPD]: Das meiste bisher!)


Der Respekt gegenüber den Ärmsten – um nichts an-
deres geht es, wenn man sich um Menschen kümmert,
die es alleine nicht schaffen, wenn man ihnen wieder
auf die Beine hilft, auch wenn es lange dauert – ist Aus-
druck des sozialen Zusammenhalts unserer Gesellschaft .
Dieses soziale Klima, diesen starken gesellschaftlichen
Zusammenhalt wünschen sich auch die allermeisten der-
jenigen, die nicht persönlich betroffen sind und es auch
nie sein werden .

„Vier eigene Wände machen einen Menschen frei“,
sagt ein persisches Sprichwort . Diese Freiheit ist in
Deutschland ein Grundrecht . Deshalb gilt es, Wohnun-
gen zu bauen und den Sozialstaat zu stärken und dabei zu
klotzen und nicht zu kleckern .

Glück auf!


(Beifall bei der SPD)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1815523200

Vielen Dank . – Als letzter Redner in dieser Debatte

hat Michael Groß von der SPD-Fraktion das Wort .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)



Michael Groß (SPD):
Rede ID: ID1815523300

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren!

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das mit dem „Glück
auf!“ gefällt mir sehr gut . Ich komme aus einer Region,
in der das leider bald nur noch Kulturgut ist .

Lassen Sie mich im Anschluss an die Kollegin
Schmidt auf einige Punkte eingehen . Wer kein Dach
mehr über dem Kopf hat, verliert auch alles andere . Das
Thema Integration wurde gerade schon angesprochen .
Ich glaube, das ist ein sehr wichtiges Thema, und zwar
nicht nur bezogen auf die Statistik . Für uns Sozialdemo-
kraten ist es sehr wichtig, dafür zu sorgen, dass Men-
schen selbstbestimmt in einer guten Wohnung und einem
guten Lebensumfeld aufwachsen können, dass sie dort
Arbeit finden und alt werden können. Das ist für uns ein
ganz großes Ziel . Deswegen sind wir für Ihren Antrag
dankbar, der zwei Teile hat: Einmal geht es darum, Woh-
nungslosigkeit zu verhindern, und das andere Thema ist
die Statistik .

Ich danke außerordentlich Frau Ministerin Hendricks,
die sich Zeit genommen hat, um heute hier zu sein und
der Debatte über dieses wichtige Thema beizuwohnen .


(Dr . Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ist das jetzt Kritik an Frau Nahles?)


Das zeigt, wie wichtig es uns Sozialdemokraten und der
Ministerin ist, dass wir auf dem Wohnungsmarkt bezahl-
baren Wohnraum für alle Menschen schaffen .


(Beifall bei der SPD)


Ich möchte ergänzen, was bisher passiert ist – die Frau
Ministerin hat das im Ausschuss deutlich gemacht –: Wir
haben es ja nicht dabei bewenden lassen, zu sagen, dass
wir die Mittel für die soziale Wohnraumförderung ver-
doppeln wollen . Uns ist sehr bewusst, dass wir zurzeit ei-
nen großen Nachholbedarf haben, dass wir mehr bezahl-
baren Wohnraum für die Bezieher unterer und mittlerer
Einkommen schaffen müssen . Frau Hendricks hat ange-
kündigt, dass sie zusätzlich 1 Milliarde Euro in die Hand
nehmen möchte, um zusätzlich Wohnraum zu schaffen,
insbesondere in Ballungsgebieten . Ich hoffe, dass wir uns
da durchsetzen können .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Anja Hajduk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das hätten Sie mit uns schon haben können! Das lag ja auf dem Tisch!)


Mein zweiter Punkt . Ich möchte darauf hinweisen,
dass sich die Ministerin eindeutig für eine ressortüber-
greifende Strategie bei dem Programm „Soziale Stadt“
eingesetzt hat . Das ist ein wichtiges Thema . Es geht ins-

Dagmar Schmidt (Wetzlar)







(A) (C)



(B) (D)


besondere um die Frage, wie wir die einzelnen Hand-
lungsfelder, die Fachpolitiken auf Bundesebene, auf
Landesebene und auf kommunaler Ebene so bündeln
können, dass die Kompetenzen der Fachleute in der Po-
litik zusammengeführt werden, sodass man jedem Men-
schen effizient helfen kann.

Darüber hinaus hat die Ministerin gesagt: Wir brau-
chen eine Stiftung . – Ich kann das nur sehr begrüßen,
weil das Programm „Soziale Stadt“ ein Programm ist,
das natürlich davon abhängt, dass einzelne Stadtteile zu-
nächst einen negativen Weg genommen haben .


(Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Können Sie mal zum Antrag zurückkommen?)


Ich gehe davon aus, wir werden uns weiterhin dafür ein-
setzen, dass eine Stiftung auf den Weg gebracht wird,
damit wir auch präventiv in den Städten für gute Lebens-
bedingungen sorgen können . Sie haben da unsere Unter-
stützung, Frau Hendricks; darauf können Sie in der SPD
zählen .


(Beifall bei der SPD – Dr . Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Ganz schön viel Weihrauch!)


Jetzt noch ein Satz zur Statistik; das war ja vom Kol-
legen von der CDU doch ein gewisser Rittberger . Eine
belastbare Statistik, die vor Ort natürlich erforderlich ist,
kann dazu beitragen, dass wir, wenn sie aggregiert wird,
auf Bundesebene für das sorgen können, was im Grund-
gesetz steht, nämlich für gleichwertige Lebensverhältnis-
se. Da hat der Bund eine Verpflichtung, und ich glaube,
da sind wir, die SPD, stringent . Wir haben schon in der
letzten Legislatur gefordert, dass es eine bundesweite
Statistik geben sollte, und wir werden uns weiterhin da-
für einsetzen .

Herzlichen Dank und Glück auf!


(Beifall bei der SPD)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1815523400

Vielen Dank . – Damit schließe ich die Aussprache .

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 18/7547 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen . Sind Sie damit ein-
verstanden? – Das ist der Fall . Dann ist das so beschlos-
sen .

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 15 auf:

Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-
regierung eingebrachten Entwurfs eines Geset-
zes zur Änderung des Wasserhaushaltsgeset-
zes zur Einführung von Grundsätzen für die
Kosten von Wasserdienstleistungen und Was-
sernutzungen sowie zur Änderung des Abwas-
serabgabengesetzes

Drucksache 18/6986

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
ses für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsi-
cherheit (16 . Ausschuss)


Drucksache 18/7578

Hierzu liegen ein Entschließungsantrag der Fraktion
Die Linke sowie zwei Änderungsanträge und ein Ent-
schließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
vor .

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 25 Minuten vorgesehen . – Dazu gibt es
keinen Widerspruch . Dann ist das so beschlossen .

Ich eröffne die Aussprache . Als erste Rednerin in der
Aussprache hat Hiltrud Lotze von der SPD-Fraktion das
Wort .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Hiltrud Lotze (SPD):
Rede ID: ID1815523500

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Meine Damen und Herren! Wir beraten heute Abend
den – ich lese einmal den gesamten Titel vor – Entwurf
eines Gesetzes zur Änderung des Wasserhaushaltsgeset-
zes zur Einführung von Grundsätzen für die Kosten von
Wasserdienstleistungen und Wassernutzungen sowie zur
Änderung des Abwasserabgabengesetzes . Vom Titel her
ist das eine Herausforderung . Inhaltlich ist es ein gutes
und wichtiges Gesetz, weil es im Kern um unser wich-
tigstes Lebenselixier geht, nämlich ums Wasser . Mit die-
sem Gesetz beenden wir heute einen mehrjährigen Streit
um die Frage der Umsetzung der EU-Wasserrahmen-
richtlinie in das Wasserhaushaltsgesetz .

Grundsätzlich zielt die EU-Wasserrahmenrichtlinie
auf die Herstellung eines guten Zustands aller Gewässer .
Gewässer sind dann in einem guten Zustand, wenn sie,
vereinfacht gesagt, vom Menschen nur gering beeinflusst
sind . Die EU-Wasserrahmenrichtlinie sieht vor, dass sich
alle, die Wasser in irgendeiner Form nutzen, finanziell
daran beteiligen müssen, dass die Gewässer in einem gu-
ten Zustand sind . Das ist der Kostendeckungsgrundsatz .

Umweltverbände und die Europäische Kommission
waren der Meinung, dass auch in unserem Wasserhaus-
haltsgesetz eine Kostenbeteiligung zur Umsetzung der
Wasserrahmenrichtlinie festgeschrieben werden muss,
und haben deswegen geklagt . Dazu muss man wissen,
dass in Deutschland unter Wasserdienstleistungen die
Trinkwasserversorgung und die Abwasserentsorgung
verstanden werden . Diese Bereiche werden zur Kosten-
deckung herangezogen . Allerdings wird zum Beispiel
das Aufstauen des Wassers für die Stromerzeugung aus
Wasserkraft oder das Nutzen des Wassers für die Schiff-
fahrt nicht als Wasserdienstleistung betrachtet . Deswe-
gen werden diese Bereiche bei der Anwendung des Kos-
tendeckungsgrundsatzes – wer nutzt, muss zahlen – auch
nicht berücksichtigt .

Die jetzige Bundesregierung und ihre Vorgänger ha-
ben die Wasserrahmenrichtlinie so interpretiert: Für den
Fall, dass die Ziele der Wasserrahmenrichtlinie nicht er-
reicht werden, sollen sich die übrigen Wassernutzer, also
die eben Genannten, an den Kosten beteiligen . Diese
Beteiligung müsse aber nicht unbedingt finanzieller Art
sein . – Ich weiß, das ist ein bisschen kompliziert . Ich ver-
suche, das hier so deutlich wie möglich zu erläutern .

Michael Groß






(A) (C)



(B) (D)


Der Europäische Gerichtshof hat nach der Klage die
grundsätzliche Rechtsauffassung der Bundesrepublik
Deutschland bestätigt: Deutschland muss alle Wasser-
nutzer an den Kosten beteiligen . – Wie dies zu geschehen
hat, ist aber nicht festgelegt . Obwohl der EuGH festge-
stellt hat, dass die Bundesrepublik bisher nicht gegen die
Wasserrahmenrichtlinie verstoßen hat, sind zur Klarstel-
lung minimale Änderungen im Wasserhaushaltsgesetz
notwendig . Und die nehmen wir heute hier mit diesem
Gesetzentwurf vor . Im Klartext heißt das: Das Wasser-
haushaltsgesetz wird ergänzt, für die Wassernutzer bleibt
aber alles beim Alten . Für niemanden entstehen zusätzli-
che Kosten .

Das Land Baden-Württemberg war nun der Meinung,
hier könne eine Rechtsunsicherheit in dem Sinne ent-
stehen, dass das verfassungsmäßige Recht der Länder,
Abgaben zu erheben, beschnitten werden könne . Die
Grünen haben das in ihren Änderungsantrag aufgenom-
men, und auch der Bundesrat hat auf Initiative von Ba-
den-Württemberg den Wunsch formuliert, eine Länder-
öffnungsklausel einzuführen .

Aus unserer Sicht – da teilen wir auch die Auffassung
des Ministeriums – ist eine solche Klausel unnötig; denn
nach dem vorliegenden Gesetzentwurf können Bund und
Länder das Kostendeckungsprinzip bei der Wassernut-
zung auch dann uneingeschränkt anwenden, wenn die
Ziele der Wasserrahmenrichtlinie schon erreicht werden .
Deswegen werden wir den Änderungsantrag der Grünen
ablehnen .

Das Gleiche gilt auch für den Entschließungsantrag, in
dem unter anderem gefordert wird, im Wasserhaushalts-
gesetz ein Fracking-Verbot zu verankern .


(Beifall der Abg . Ulli Nissen [SPD])


– Der Applaus ist im Prinzip richtig .


(Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Beifall des Abg . Uwe Kekeritz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Wir werden diesen Entschließungsantrag trotzdem ab-
lehnen .


(Ralph Lenkert [DIE LINKE]: Wieso?)


Aber Achtung: Wir lehnen ihn nicht ab, weil wir etwa für
Fracking sind . Ganz im Gegenteil!


(Ulli Nissen [SPD]: Genau! – Ralph Lenkert [DIE LINKE]: Jetzt kommt die Pointe!)


Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie wissen: Es ist
eine umfassende Fracking-Gesetzgebung auf dem Weg,


(Marie-Luise Dött [CDU/CSU]: Aha! – Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wie lange schon?)


und dieser wollen wir hier nicht durch ein Detail vor-
greifen .

Ich will den Fokus heute Abend noch auf ein ande-
res Wasserthema lenken, nämlich auf die Nitratrichtlinie .
Wenn wir in Deutschland das Grundanliegen der Was-
serrahmenrichtlinie – nämlich den guten Zustand aller

Gewässer – erreichen wollen, dann müssen wir diese
Nitratrichtlinie umsetzen; denn wir alle wissen: Unsere
Böden und damit auch die Gewässer sind noch immer zu
stark durch Düngemittel, und hier vor allem mit Nitrat,
belastet. 82 Prozent der Oberflächengewässer haben letz-
tes Jahr die Kriterien der Wasserrahmenrichtlinie nicht
erfüllt .

Wir alle wissen auch, dass der Hauptverursacher dieses
Zustandes die Landwirtschaft ist . Bei allem Verständnis
für die Landwirtschaft will ich hier ganz deutlich sagen:
Die Verzögerung bei der Umsetzung der Nitratrichtlinie
ist nicht dem Umweltressort zuzuschreiben .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Dass es auch anders geht, zeigt sich beispielhaft in mei-
ner Region, in Lüchow-Dannenberg - Lüneburg . Hier
beteiligen sich derzeit 20 landwirtschaftliche Betriebe
an einem mehrjährigen niedersächsischen Modellver-
such . Diese Betriebe werden in Düngefragen intensiv
beraten – und das kostenlos . Das Ergebnis ist, dass bis
zu 20 Prozent weniger Düngemittel und damit weniger
Nitrat eingesetzt werden .

Man kann also sehen: Es funktioniert . Deswegen ist
uns und mir als Umweltpolitikerin sehr daran gelegen,
dass wir die Verschärfung des Düngemittelgesetzes und
der Düngemittelverordnung zur Umsetzung der Nitrat-
richtlinie schnell verabschieden .


(Beifall bei der SPD)


Denn, liebe Kolleginnen und Kollegen, auch das muss
uns klar sein: Wenn wir alle zusammen nicht mehr für die
Verbesserung der Wasserqualität tun, dann werden wir in
mehrfacher Hinsicht einen hohen Preis dafür zahlen .

Ich komme zurück zu dem Gesetzentwurf . Mit der
Novelle des Wasserhaushaltsgesetzes setzen wir ein wei-
teres Element der Wasserrahmenrichtlinie in nationales
Recht um . Wir als SPD-Fraktion stimmen zu . Und wir ar-
beiten zusammen mit unserer Ministerin weiter intensiv
daran, unser Wasser noch besser zu schützen .

Vielen Dank .


(Beifall bei der SPD sowie des Abg . Ulrich Petzold [CDU/CSU])



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1815523600

Vielen Dank . – Als nächster Redner hat Ralph Lenkert

von der Fraktion Die Linke das Wort .


(Beifall bei der LINKEN)



Ralph Lenkert (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1815523700

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Geehrte Kollegin-

nen und Kollegen! Der vorliegende Gesetzentwurf zum
Wasserhaushaltsgesetz, WHG, übernimmt EU-Vorga-
ben unverändert in deutsches Recht . Durch ihn werden
also Wasserdienstleistungen klarer definiert. An Positi-
vem kann ich zum Gesetzentwurf sagen: Es wird nichts
schlechter . Leider verpasst die Koalition jedoch die
Chance, unseren, durch verschiedenste Nutzung stark

Hiltrud Lotze






(A) (C)



(B) (D)


belasteten Bächen, Flüssen und Seen wirklich zu helfen .
Und das ist schon fahrlässig .


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


Damit Gesetzesänderungen neben dem bürokratischen
Sinn auch noch gut für die Gewässer sind, haben wir von
der Linken Ihnen zwei Entschließungsanträge vorgelegt .
Mit Ihrer Zustimmung könnten Sie dann doch noch et-
was Positives für unsere Gewässer erreichen .

Der erste Entschließungsantrag schließt eine Geset-
zeslücke bei Kleinwasserkraftwerken . Nach § 34 Was-
serhaushaltsgesetz dürfen Stauanlagen nur zugelassen
werden, wenn die Bewirtschaftungspläne und Bewirt-
schaftungsziele des Gewässers nicht beeinträchtigt wer-
den . Leider haben Bäche und Gewässer mit weniger
als 10 Quadratkilometern Einzugsgebiet keine Bewirt-
schaftungspläne . Gewiefte Juristen hebeln jetzt über
diese Lücke Bestimmungen zum Umwelt-, Natur- und
Artenschutz aus, die unsere Gewässer vor umweltschäd-
lichen Kleinwasserkraftwerken schützen sollten . Auch
die Betreiber von Schneekanonen nutzen diese Mög-
lichkeit, um Stauanlagen zu bauen . Doch gerade diese
oft unbelasteten Kleingewässer sind ein Rückzugsort für
viele Tierarten, unter anderem für die vom Aussterben
bedrohte Flussperlmuschel und viele Köcherfliegenarten.
Schließen wir diese Gesetzeslücke! Stimmen Sie unse-
rem Entschließungsantrag zu!


(Beifall bei der LINKEN)


Den zweiten Entschließungsantrag stellt die Linke,
so wie die Kollegen von den Grünen, um insbesondere
Fracking über das Wasserrecht zu verbieten . Wir wol-
len, dass für die Wassernutzung, egal ob zur Rohstoff-
gewinnung, als Kühlwasser oder für die exportierende
Landwirtschaft, ein Nutzungsentgelt bezahlt werden
muss, welches der Höhe der Belastungen für die Natur
entspricht .


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


Auch dies würde unseren Gewässern helfen .

Mit der Änderung des Wasserhaushaltsgesetzes wen-
det die Koalition ein drohendes Vertragsverletzungsver-
fahren durch die EU ab .


(Dr . Matthias Miersch [SPD]: Das ist schon mal gut!)


Gut . Aber ein anderes Vertragsverletzungsverfahren der
EU wegen Verstoßes gegen die Wasserrahmenrichtlinie
läuft derzeit gegen die Bundesrepublik . Liebe Kollegin-
nen und Kollegen, seit Jahren kämpfen Umweltschützer,
Anliegergemeinden, Anglervereine, die Linke, die SPD
in NRW und Niedersachsen für eine gesunde Werra und
für eine gesunde Weser .


(Dr . Matthias Miersch [SPD]: Sehr richtig!)


Fische in diesen Flüssen sehen wie Zombies aus, von
Salzwasser zerfressen . Am Ufer entstehen Salzwiesen
wie an der Nordsee . Und über den Witz „Was kann man
sich bei Fischen aus der Weser sparen? – Das Salzen!“
lacht kein Betroffener mehr .

Der Vier-Punkte-Plan von K+S, also Kali und Salz,
und Hessen wird von der EU nicht akzeptiert, weil er den
guten Zustand für Werra und Weser in eine ferne Zukunft
verschiebt . Kali und Salz erzielte zwischen 2010 und
2014 über 2,4 Milliarden Euro Gewinn und schüttete in
diesem Zeitraum 937 Millionen Euro an die Aktionäre
aus . Der alternative Entsorgungsplan der Firma K-UTEC
kostet laut Schätzung des Bundesumweltamtes rund
800 Millionen Euro . Liebe Kolleginnen und Kollegen,
dies könnte die Firma Kali und Salz leisten, ohne dass
dadurch Arbeitsplätze gefährdet wären .


(Beifall bei der LINKEN)


Die Linke fordert das Bundesumweltministerium und
alle Kolleginnen und Kollegen auf: Jetzt, wo das Was-
serhaushaltsgesetz EU-konform ist, sollten wir uns ge-
meinsam um Werra und Weser kümmern, damit wir auch
dieses Vertragsverletzungsverfahren ausräumen können .

Vielen Dank .


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1815523800

Vielen Dank . – Als nächster Redner hat Ulrich Petzold

von der CDU/CSU-Fraktion das Wort .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Ulrich Petzold (CDU):
Rede ID: ID1815523900

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten

Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Wir haben die Wasserrahmenrichtlinie in der Bundes-
republik de facto längst korrekt umgesetzt . Das hat uns
mit seinem Urteil vom 11 . September 2014 die Zweite
Kammer des Europäischen Gerichtshofes mit der Zu-
rückweisung der Klage der Europäischen Kommission
gegen die Bundesrepublik klar bestätigt . Es gibt daher
durchaus fundierte Rechtsauffassungen, dass eine forma-
le Umsetzung der Vorgaben des Artikels 9 der Wasser-
rahmenrichtlinie im Wasserhaushaltsgesetz nicht mehr
erforderlich ist, da dieses bereits durch eine Reihe bun-
des- und landesrechtlicher Vorschriften erreicht ist .

Wenn wir jetzt trotzdem eine Gesetzesnovelle vor-
nehmen, ist das der Rechtsklarheit geschuldet . In dem
Gesetzentwurf geht es daher nur noch um eine rechtlich
saubere Formulierung von Wasserdienstleistung und
Wassernutzung sowie Ausnahmen im Kostendeckungs-
prinzip im Wasserhaushaltsgesetz und nicht um eine all-
gemeine Öffnung des Gesetzes oder darum, sozusagen
im Vorbeigehen gleich auch noch das Fracking zu verbie-
ten . Umso bedauerlicher ist es, dass wir mehrere Anläufe
brauchten, um juristische Klippen zu umschiffen . Das ist
jetzt endgültig geschafft . Wir können mit der zweiten und
dritten Lesung des Vorhabens ein Kapitel abschließen,
das wir seit 2009, ja eigentlich seit 2007 ständig behan-
deln .

Wir alle wissen, dass es im Rahmen der Umsetzung
noch weiter gehende Wünsche im Bundesrat gibt; doch
wir dürfen das grundsätzliche Ziel der Wasserrahmen-
richtlinie nicht aus den Augen verlieren: Jegliche Was-
sernutzung, die die Ziele der Wasserrahmenrichtlinie

Ralph Lenkert






(A) (C)



(B) (D)


gefährdet, ist nach dem Kostendeckungs- und Verursa-
cherprinzip zu behandeln . Wenn also die Ziele der Was-
serrahmenrichtlinie gefährdet sind, sind spezielle öko-
nomische und fiskalische Instrumente einzusetzen, die
sowohl im Bundes- als auch im Landesrecht verankert
sein können . Dazu haben sich die Bundesländer ja da-
mals im Wasserhaushaltsgesetz eine Öffnungsklausel er-
kämpft . Dabei ist im Bundesrecht das Kostendeckungs-
prinzip so anzuwenden, dass eine Gefährdung der Ziele
der Wasserrahmenrichtlinie grundsätzlich nicht zu erwar-
ten ist . Dazu gibt es zwischen Bund und Ländern wohl
auch keine unterschiedliche Rechtsauffassung .

Nach dem Urteil des Europäischen Gerichtshofes ist
es jedoch nicht geboten, eine Kostendeckung durchzu-
setzen, wenn die Ziele der Wasserrahmenrichtlinie auch
ohne eine Abgabe auf die Wassernutzung erreicht wer-
den . Wenn der Wunsch dennoch bestehen sollte, eine
solche Wassernutzung, die die Ziele der Wasserrahmen-
richtlinie nicht gefährdet, zu einer Abgabe heranzuzie-
hen, liegt das eindeutig in der Regelungskompetenz der
Länder und bedarf daher nur der Nutzung der vorhan-
denen Öffnungsklausel, die der Bund ja eingeräumt hat .

Auffassungsunterschiede zwischen Bund und Ländern
gibt es darin – das ist ja auch weidlich von der Opposition
aufgegriffen worden –, wie die Öffnung für Wasserent-
nahmeentgelte zu formulieren ist . Wenn die Grünen in
ihrem Änderungsantrag bezweifeln, ob die Formulierung
des Bundes nicht doch das verfassungsgemäße Recht der
Länder beschneidet, ein Wasserentnahmeentgelt zu erhe-
ben, kann ich wiederum nur auf Minister Untersteller aus
Baden-Württemberg verweisen, der zwar auch gern die
von den Grünen vorgeschlagene Formulierung im Gesetz
hätte, aber die Formulierung des Bundes nicht einfach
von der Hand weist .

Eine Umweltabgabe mit dem wirtschaftlichen Vorteil
der Wasserentnahme oder Wassernutzung für den Ent-
nehmenden oder Nutzer zu begründen, ohne dass der
Nutzer die ökologischen Ziele der Wasserrahmenrichtli-
nie gefährdet, halte ich für problematisch . Die Abschöp-
fung eines ökonomischen Vorteils für einen Nutzer durch
eine ökologische Abgabe, ohne dass der Allgemeinheit
ein ökologischer Nachteil entsteht, ist für mich ein juris-
tisches Vabanquespiel . Wenn die Länder mit der Nutzung
oder Entnahme von Wasser aus einem Gewässer Geld
verdienen wollen, dann sollen sie es auch so begründen
und nicht noch ökologisch verbrämen . Dazu haben sie
eine eigene Regelungskompetenz, die wir mit diesem
Gesetzentwurf sogar noch stärken .

Im Bergbau wird zur Abschöpfung wirtschaftlicher
Vorteile die Förderabgabe genutzt, was von den Ländern
sinngemäß genauso gut auf das Allgemeingut Wasser an-
gewendet werden könnte . Ob es sinnvoll ist, die Gewin-
nung erneuerbarer Energie aus Wasserkraft mit einem
Wasserpfennig künstlich zu verteuern, stelle ich hier in-
frage, insbesondere dann, wenn der Betreiber einer sol-
chen Energiegewinnungsanlage alles getan hat, um zum
Beispiel mit Fischrechen und Fischtreppen ökologischen
Schaden zu verhindern und dadurch selbst Leistungsein-
bußen in Kauf nimmt .


(Zurufe von der CDU/CSU: Genau!)


Genauso ist es für mich die Frage, ob man auf die Schiff-
fahrt, eigentlich das ökologisch vorteilhafteste Trans-
portmittel, eine Abgabe erheben muss . Wenn das einige
Länder machen wollen, sollen sie es tun . Aber ich bin
eigentlich dagegen, dass der Bund das regelt .

Wie wichtig es ist, dass in Deutschland seit Langem
das Kostendeckungsprinzip bei der Wasserentnahme und
der Wassernutzung gilt, ist in seiner ganzen Dramatik in
den neuen Bundesländern zu erkennen . Die DDR-Sub-
ventionitis hatte dort den Wasserverbrauch in Wirtschaft,
Gewerbe und Haushalten in dramatische Höhen schnel-
len lassen, was letztendlich dazu führte, dass im Sommer
Wasserknappheit herrschte, obwohl eigentlich genügend
Wasser vorhanden gewesen wäre .

So verbrauchte ein DDR-Durchschnittshaushalt pro
Tag mehr als 20 Eimer voll Wasser . Schon 1991 sank der
Verbrauch in Sachsen-Anhalt, meinem Heimatland, auf
160 Liter pro Tag und Haushalt und stagniert in den letz-
ten Jahren bei circa 90 Liter pro Tag und Haushalt . Damit
liegt er etwa 28 Liter unter dem Durchschnittsverbrauch
in der Bundesrepublik . Ziele sind also noch zu setzen .

Doch auch in der Wirtschaft konnte der Wasserver-
brauch in meinem Heimatland sehr stark gesenkt wer-
den . Der Wasserverbrauch sank natürlich mit dem Zu-
sammenbruch der Planwirtschaft


(Ralph Lenkert [DIE LINKE]: Nee, mit dem Abwickeln der Betriebe durch die Treuhand!)


dramatisch ab; das ist ganz klar . Bemerkenswert ist je-
doch, dass sich die wirtschaftliche Erholung zum Bei-
spiel in der sachsen-anhaltischen Industrie nicht in einer
deutlichen Zunahme des Wasserverbrauchs widerspie-
gelt . Wasserkreislauf und Wassermehrfachnutzung haben
sich durchgesetzt .


(Ralph Lenkert [DIE LINKE]: Das erklären Sie einmal den Kollegen in den abgewickelten Betrieben!)


– Ja, gerne . – Vom Gesamtverbrauch der Wirtschaft in
Sachsen-Anhalt gehen 48 Prozent des Wasserverbrauchs
in eine Kreislaufnutzung, 9 Prozent in eine Mehrfachnut-
zung und nur noch 43 Prozent in eine Einfachnutzung .
Damit ist Sachsen-Anhalt natürlich kein Sonderfall; denn
diese Zahlen decken sich mit den Ergebnissen in vielen
anderen Bundesländern . Die Bundesrepublik kann auch
hier Vorbild sein .

Bei dem Ziel der Wasserrahmenrichtlinie, durch eine
entsprechende Kostenzuweisung die Ressource Wasser
als Lebensgrundlage für kommende Generationen nicht
zu übernutzen, sind wir zumindest bei der Wassernut-
zung auf einem guten Weg . Selbstverständlich gibt es
noch genügend Probleme auch in der Bundesrepublik
im Rahmen der Umsetzung der Wasserrahmenrichtlinie .
Von den zuständigen Behörden werden als wichtigste
Verzögerungsursachen bei der Umsetzung der Vorgaben
der Wasserrahmenrichtlinie zeitaufwendige Genehmi-
gungsverfahren und der Abstimmungsbedarf bei kon-
kurrierenden Interessen genannt . Für mich ist es schon
eine Frage, ob für eine Maßnahme zur Verbesserung des
hydromorphologischen Zustandes, also der Veränderung
des Abflussverhaltens und der räumlichen Ausdehnung

Ulrich Petzold






(A) (C)



(B) (D)


eines Gewässers, Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen er-
forderlich sind .

Es wird auch weiter eine Aufgabe für die Zukunft blei-
ben, die Wasserrahmenrichtlinie in einem vernünftigen
und nach allen Seiten ausgewogenen Verhältnis ökolo-
gisch und wirtschaftlich sinnvoll umzusetzen . In dem
Gesetzentwurf sehe ich eine gute Grundlage dafür . Herz-
lichen Dank dafür, Frau Ministerin!


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1815524000

Vielen Dank . – Als letzter Redner in dieser Debatte

spricht jetzt Peter Meiwald von der Fraktion Bündnis 90/
Die Grünen .


(Ralph Lenkert [DIE LINKE]: Weck uns wieder auf!)



Peter Meiwald (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1815524100

Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!

Wir reden, auch wenn der Kollege Petzold das gerade ein
bisschen infrage gestellt hat, wieder einmal darüber, wie
wir ein Vertragsverletzungsverfahren der EU abwehren
und deutsches Recht endlich so anpassen können, dass
es EU-rechtskonform ist . Wieder einmal! Aktuell sind
14 Verfahren gegen die Bundesrepublik im Umwelt-
bereich anhängig . Dabei geht es gerade hier um unsere
wichtigste Lebensgrundlage – unser Wasser . Was könn-
te, ja was müsste man alles tun, um diese Ressource zu
schützen? Im ehemaligen Umweltmusterland Deutsch-
land liegt vieles im Argen, auch wenn es immer wieder
heißt: Wir sind auf einem guten Weg .

Wir haben aber die Überdüngung mit Nitraten und
Phosphaten; und das Vertragsverletzungsverfahren –
Frau Lotze hat es angesprochen – wegen Nichteinhal-
tung der Nitratrichtlinie ist noch lange nicht abgewendet .
Also, da bin zumindest ich nicht davon überzeugt, dass
das, was jetzt für die Düngeverordnung und für die Dün-
gegesetzgebung vorgelegt wird, ausreichen wird, um die
Ziele der Nitratrichtlinie zu erfüllen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg . Ralph Lenkert [DIE LINKE])


Wir haben die Wassergefährdung durch Arzneimittel
wie Antibiotika aufgrund ihres massiven Einsatzes in der
industriellen Tierhaltung, aber eben auch in der Human-
medizin .

Wir haben Mikroplastik aus Kosmetika, Autoreifen
und Plastikmüll in unserem Wasser und natürlich – es ist
angesprochen worden – Salze und Eisenverbindungen
aus dem Bergbau in unseren Gewässern .

Und nicht zuletzt, Frau Lotze, haben wir Frack-Fluide
und Lagerstättenwasser aus der Öl- und Erdgasgewin-
nung .

Diese Novelle wäre doch jetzt ein guter Anlass gewe-
sen, das Vorsorgeprinzip als Leitmotiv deutscher Um-
weltpolitik endlich wieder einmal etwas hervorzuholen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Doch für alle, die darauf gehofft hatten, bleibt nur zu
konstatieren: Dieses unambitionierte Gesetz ist im wört-
lichen Sinne ein Schlag ins Wasser .

Auch zukünftig werden sich Wasserverschmutzer
weiträumig der Beteiligung an den Kosten der Herstel-
lung des guten ökologischen und des guten chemischen
Zustandes unserer Gewässer entziehen können . Bergbau-
unternehmen und Landwirtschaft werden dankbar dafür
sein, dass Sie ihnen einen Freibrief ausstellen für die
Kaperfahrt auf Kosten der lebenswichtigen Ressource
Wasser .

Dabei schaffen Sie – das ist gerade in Zweifel gezo-
gen worden – durch Ihren Gesetzentwurf auch noch ohne
Not neue Rechtsunsicherheit für unsere Bundesländer .
Der § 6 a Wasserhaushaltsgesetz in der von der Bundes-
regierung eingebrachten Fassung könnte dazu führen,
dass nur noch solche Wasserentgelte zulässig sind, die
der Erreichung der Bewirtschaftungsziele direkt dienen
und dafür erforderlich sind . Sie stellen so die Entgeltre-
gelungen der Länder, die gerade noch so hervorgehoben
worden sind, zur Disposition . Und das sagt eben nicht
nur Kollege Untersteller in Baden-Württemberg, sondern
das sagt der Bundesrat in Gänze . Also, hier gibt es durch-
aus Klärungsbedarf; und es wird versäumt, das jetzt or-
dentlich zu regeln .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg . Ralph Lenkert [DIE LINKE])


Es geht dabei nicht um einen Pappenstiel . Wir spre-
chen von 380 Millionen Euro, die zum Beispiel in 2014
in den Ländern durch die Wasserpfennige, durch die
Wasserentnahmeentgelte zur Verfügung gestanden ha-
ben: zur Umsetzung der Wasserrahmenrichtlinie, dafür,
dass Bewirtschaftungspläne auch mit Geld hinterlegt
sind und nicht nur irgendwo als „Plan“ stehen . Und wenn
diese Einnahmequelle versiegte, hätte das katastrophale
Auswirkungen auf die Länderhaushalte und vor allen
Dingen auf die betroffenen Bürgerinnen und Bürger .

Ich möchte noch etwas zu den Entschließungsanträgen
der Linken sagen . Im Grundsatz teilen wir die Inhalte;
das ist völlig klar . Wir haben allerdings bei unserer Prü-
fung festgestellt, dass sie die Ziele nicht so ganz treffen .
Deswegen werden wir uns dazu der Stimme enthalten .
Aber das Ziel, zu sagen, wir müssen da vorangehen, ist
natürlich im Kern richtig .

Dann zur Verpressung: Frau Lotze, ich würde mich ja
freuen, wenn wir da so optimistisch sein könnten, dass
das Verpassen einer entsprechenden Regelung in dieser
Wasserhaushaltsgesetzgeschichte nur dem geschuldet
ist, dass Sie ein anderes Gesetz vorbereiten, das dann das
Fracking verhindern wird . Wenn das so wäre, wären wir
ja alle entspannt und erleichtert .


(Dr . Matthias Miersch [SPD]: Können Sie sein!)


Den Optimismus teile ich, ehrlich gesagt, nicht, und ich
glaube, viele in diesem Hohen Haus und vor allen Din-
gen viele in unserer Bevölkerung teilen diesen Optimis-
mus nicht . Fracking wird auf diesem Weg nicht verhin-
dert . Eine Chance ist vertan, und ich sehe nicht, dass Sie
als Regierung die Kraft haben werden, etwas vorzubrin-

Ulrich Petzold






(A) (C)



(B) (D)


gen, was das Problem Fracking für unsere Bevölkerung
in Zukunft vermeidet und damit dem Vorsorgegrundsatz,
den wir aus gutem Grund in Europa haben, endlich zur
Durchsetzung verhilft . Schade drum, eine vertane Chan-
ce!


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


In diesem Sinne: Wir als Grüne haben entsprechend
unsere Änderungsanträge und unseren Entschließungs-
antrag eingebracht . Dem so schwachen Gesetzentwurf


(Ulli Nissen [SPD]: Na, na, na!)


können wir in dieser Form leider nicht zustimmen .

Vielen Dank für die Aufmerksamkeit .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1815524200

Vielen Dank . – Liebe Kolleginnen und Kollegen, da-

mit schließe ich die Aussprache .

Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun-
desregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur
Änderung des Wasserhaushaltsgesetzes zur Einführung
von Grundsätzen für die Kosten von Wasserdienstleis-
tungen und Wassernutzungen sowie zur Änderung des
Abwasserabgabengesetzes . – Bei diesem Titel muss ich
es richtig ablesen .


(Heiterkeit)


Der Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Re-
aktorsicherheit empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung
auf Drucksache 18/7578, den Gesetzentwurf der Bundes-
regierung auf Drucksache 18/6986 in der Ausschussfas-
sung anzunehmen . Hierzu liegen zwei Änderungsanträge
der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor, über die wir
zuerst abstimmen .

Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Drucksa-
che 18/7579? – Bündnis 90/Die Grünen .


(Dr . Matthias Miersch [SPD]: Wenn sich die Opposition nicht einmal einig ist!)


Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist die-
ser Änderungsantrag abgelehnt worden mit den Stimmen
der Koalition bei Zustimmung durch Bündnis 90/Die
Grünen und Enthaltung der Fraktion Die Linke .

Ich komme zur Abstimmung über den Änderungsan-
trag auf Drucksache 18/7580, ebenfalls Bündnis 90/Die
Grünen . Wer stimmt für diesen Änderungsantrag? – Die
Opposition . Wer stimmt dagegen? – Die Koalition . Da-
mit ist auch dieser Änderungsantrag mit den Stimmen
der Koalition gegen die Stimmen der Opposition abge-
lehnt worden .

Ich bitte nun diejenigen, die dem Gesetzentwurf zu-
stimmen wollen, um das Handzeichen . – Wer stimmt
dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist der Gesetzent-
wurf in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koaliti-
on gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen bei
Enthaltung der Fraktion Die Linke angenommen worden .

Wir kommen zur

dritten Beratung

und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben . –
Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist der
Gesetzentwurf mit den Stimmen der Koalition gegen die
Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der
Fraktion Die Linke angenommen worden .

Wir kommen jetzt zur Abstimmung über die Ent-
schließungsanträge .

Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke auf
Drucksache 18/7581 . Wer stimmt für diesen Entschlie-
ßungsantrag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält
sich? – Damit ist der Entschließungsantrag mit den Stim-
men der Koalition gegen die Stimmen der Fraktion Die
Linke und bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen abgelehnt worden .

Ich lasse über den Entschließungsantrag der Frakti-
on Die Linke auf Drucksache 18/7582 abstimmen . Wer
stimmt für diesen Entschließungsantrag? – Wer stimmt
dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist auch dieser Ent-
schließungsantrag mit den Stimmen der Koalition gegen
die Stimmen der Fraktion Die Linke bei Enthaltung von
Bündnis 90/Die Grünen abgelehnt worden .

Ich rufe den Entschließungsantrag der Fraktion Bünd-
nis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/7583 auf . Wer
stimmt für diesen Entschließungsantrag? – Wer stimmt
dagegen? – Enthaltungen? – Nein . Dann ist dieser Ent-
schließungsantrag mit den Stimmen der Koalition gegen
die Stimmen der Opposition abgelehnt worden .

Liebe Kolleginnen und Kollegen, damit ist dieser Ta-
gesordnungspunkt abgeschlossen .

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 16 auf:

Beratung des Antrags der Abgeordneten
Wolfgang Gehrcke, Heike Hänsel, Jan van Aken,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE
LINKE

Beziehungen zu Kuba weiter verbessern

Drucksache 18/7541
Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuss (f)

Ausschuss für Wirtschaft und Energie
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwick-
lung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 25 Minuten vorgesehen . – Ich höre dazu
keinen Widerspruch . Dann ist das so beschlossen .

Ich eröffne die Aussprache . Als erster Redner in die-
ser Debatte hat Wolfgang Gehrcke von der Fraktion Die
Linke das Wort .


(Beifall bei der LINKEN)



Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1815524300

Danke sehr, Frau Präsidentin . – Liebe Kolleginnen

und Kollegen! Ein schönes Zeichen ist doch die Über-
schrift unseres Antrages „Beziehungen zu Kuba weiter

Peter Meiwald






(A) (C)



(B) (D)


verbessern“ . Das signalisiert ja, dass wir sehr wohl zur
Kenntnis nehmen und uns darüber freuen, dass sich die
Beziehungen verbessert haben, heißt aber nicht, dass man
an einem Endpunkt angekommen ist . Wir wollen also die
Beziehungen weiter verbessern . Das ist unsere Absicht .


(Beifall bei der LINKEN)


Ich finde es eigentlich angesichts der schwierigen au-
ßenpolitischen Themen, über die wir hier öfter diskutie-
ren, sehr schön, einmal ein Thema zu haben, über das
man mit etwas Freude reden kann . Für mich sind in den
letzten Wochen und Monaten 50 Jahre Eiszeit, die wir in
den Beziehungen zu Kuba gehabt haben, so langsam zu
Ende gegangen . Die Eiszeit war gekennzeichnet durch
die Antwort der USA auf die kubanische Revolution .
Es gab eine ganze Serie von Mordanschlägen auf Fidel
Castro, die Eiszeit war geprägt durch das Nicht-zur-
Kenntnis-Nehmen der Umgestaltung der kubanischen
Gesellschaft und durch eine Geringschätzung der kuba-
nischen Kultur . Kuba sollte für die USA weiter Bordell
und Vergnügungsort bleiben . Das ist gestoppt worden .
Schon das allein finde ich einen ganz wichtigen Schritt,
den ich aus meiner Sicht mit voller Sympathie betrachte
und unterstütze .


(Beifall bei der LINKEN)


Die Eiszeit geht also zu Ende; das Tauwetter beginnt .
Aber man weiß nie, gerade in den Tropen, was Tauwetter
mit sich bringt . Es lohnt sich, darüber nachzudenken .

Man reibt sich die Augen, was plötzlich alles mög-
lich wird. Ich finde es schon fantastisch, dass sich der
Papst und der Patriarch der russisch-orthodoxen Kirche
in Kuba und nicht woanders treffen, um über die Bezie-
hungen zwischen der katholischen und der russisch-or-
thodoxen Kirche zu reden .


(Dr . Rolf Mützenich [SPD]: Da hätten Sie mal dabei sein sollen!)


– Ja, ich wäre gern dabei gewesen; das gebe ich zu . Aber
leider haben sie mich nicht eingeladen .


(Dr . Rolf Mützenich [SPD]: Das kommt noch!)


Das war das Missliche dabei .

Ich finde ziemlich toll, dass in Kuba ein Friedensab-
kommen zwischen der Guerilla-Organisation FARC und
der Regierung Kolumbiens ausgehandelt worden ist, un-
ter Mithilfe der kubanischen Regierung . Dadurch wird
eine offene Wunde in Lateinamerika, dieser furchtbare
Bürgerkrieg, endlich geschlossen . Das sind doch Fort-
schritte, die man begrüßen sollte .

Ich weiß nicht, wer von Ihnen einmal die Gelegenheit
ergriffen hat, zur Literaturmesse nach Havanna zu fahren .
Viele der zurzeit großen, interessanten Schriftsteller aus
Lateinamerika kommen aus Kuba: Leonardo Padura und
andere . Sie sind in der Gesellschaft wirklich prägend .


(Tom Koenigs [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Heberto Padilla!)


All das könnte auch unsere Gesellschaft bereichern .

Wenn es Wirklichkeit werden sollte, dass Obama nach
Kuba fährt, dann nehme ich mir zwei Tage frei, um das
zumindest am Fernseher mitzuerleben . Ein Treffen von
US-Präsident Obama mit dem kubanischen Präsidenten
Raúl Castro und seinem Bruder Fidel möchte ich gern
aufgezeichnet wissen .


(Tom Koenigs [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Fidel soll aber Adidas tragen!)


Ich finde, dass Fidel unwahrscheinlich viel geleistet
hat . Ich bin sehr glücklich – ich will das auch bei die-
ser Gelegenheit sagen – über die aktive Tätigkeit vieler
Hilfsorganisationen, die Kuba unterstützt haben . Kuba
war nie ganz allein; denn Kuba war für die Linke in
Deutschland und in Europa immer so etwas wie ein Sig-
nal, von dem wir alle profitiert haben.

Deswegen geht mein Dank an solche Organisationen
wie das Netzwerk Kuba und Cuba Sí . Mit Kuba zusam-
men eine solche Entwicklungszusammenarbeit zu ma-
chen, das hat einen Sinn . Ich sage extra mit Blick auf die
SPD: Mein Dank geht auch an Steinmeier, dass er nach
Kuba gefahren ist. Ich finde, es ist ein gutes Signal eines
deutschen Außenministers, keinen Bogen um Kuba zu
machen, sondern dorthin zu fahren .

Herzlichen Dank .


(Beifall bei der LINKEN – Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das war ja eine Liebeserklärung an Kuba!)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1815524400

Als nächster Redner hat Professor Dr . Egon Jüttner

von der CDU/CSU-Fraktion das Wort .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Egon Jüttner (CDU):
Rede ID: ID1815524500

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und

Herren! „Beziehungen zu Kuba weiter verbessern“ lautet
der Titel des Antrags . Ich glaube, wir sind uns alle in die-
sem Hohen Hause darin einig, dass zwischen Deutsch-
land und Kuba normale und gute Beziehungen aufgebaut
werden müssen .

Die Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen
den USA und Kuba hat ein wichtiges Zeichen gesetzt –
auch für die Entwicklung der Beziehungen Kubas zur
Europäischen Union und zu Deutschland . Wir müssen
nun alles unternehmen, die im Jahr 1996 zurückgefah-
renen Beziehungen wieder aufleben zu lassen und durch
entsprechende Abkommen mit Leben zu erfüllen .

Ein wichtiger Auftakt hierfür war der Besuch von
Außenminister Steinmeier im vergangenen Jahr mit der
Unterzeichnung einer Gemeinsamen Erklärung über die
Zusammenarbeit beider Länder .


(Beifall der Abg . Ulli Nissen [SPD])


Darin heißt es – ich darf zitieren –, „dass die Zusammen-
arbeit darauf abzielt, einen engeren allgemeinen Dialog
und Beziehungen in den Bereichen Wirtschaft, Wissen-
schaft, Technik, Bildung, Kultur und Sport zwischen bei-
den Ländern und ihren Völkern zu fördern . . .“ .

Wolfgang Gehrcke






(A) (C)



(B) (D)


Im Klartext heißt das, dass unter anderem ein Kulturab-
kommen abgeschlossen werden soll, um die Rahmenbe-
dingungen für eine gute Zusammenarbeit im kulturellen
Bereich zu schaffen . Dabei gibt es viele Anknüpfungs-
punkte an erfolgreiche Kulturprojekte der Vergangenheit
wie etwa den deutschen Auftritt beim Havanna Filmfes-
tival oder beim Havanna Festival für Alte Musik oder die
Deutsche Theaterwoche Havanna . Dazu gehören auch
die Verbesserung der Möglichkeit für Deutschunterricht
oder der erweiterte Austausch im Hochschulbereich . Ich
denke, das Interesse an einer solchen verbesserten Zu-
sammenarbeit ist auf beiden Seiten hoch .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie des Abg . Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE])


Der Abschluss eines bilateralen Kulturabkommens ist
auch deshalb wichtig, weil dadurch eigenständige Ver-
tretungen des Goethe-Instituts und des Deutschen Aka-
demischen Austauschdienstes errichtet werden können .

Ein weiterer Erfolg, meine Damen und Herren, ist,
dass Bundeswirtschaftsminister Gabriel auf seiner Reise
nach Kuba im Januar dieses Jahres gemeinsam mit dem
kubanischen Außenhandelsminister eine Absichtserklä-
rung unterschrieb, die die Eröffnung eines deutschen
Büros zur Förderung von Handel und Investition kon-
kretisierte . Dieses soll deutsche Unternehmen in Kuba
über Investitionsmöglichkeiten beraten . Ursprünglich
war zwar eine bilaterale Außenhandelskammer von deut-
scher Seite angestrebt . Nun muss aber das vorgesehene
Verbindungsbüro alles unternehmen, damit der Handels-
austausch und die Investitionstätigkeit vorankommen .
Bisher ist in diesem Bereich äußerst wenig geschehen .
Deutschland möchte mit der Eröffnung eines Büros in
Kuba in der schwierigen Zeit der wirtschaftlichen Anpas-
sung Kuba als Partner auf Augenhöhe zur Seite stehen
und beraten .

Wichtig ist auch, dass die Entwicklungszusammenar-
beit mit Kuba wieder aufgenommen wird . Die bilatera-
le staatliche Entwicklungszusammenarbeit ist seit 2003
eingestellt . Bisher beschränkte sich diese auf Kleinst-
projekte der deutschen Botschaft, auf kirchliche Träger
und auf wenige deutsche Entwicklungsträger wie die
Welthungerhilfe . Hier ist es dringend erforderlich, dass
ein deutsch-kubanisches Abkommen zur entwicklungs-
politischen Zusammenarbeit abgeschlossen wird . Die
nächste Verhandlungsrunde des Bundesministeriums für
wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung mit
Kuba soll voraussichtlich im Mai 2016 stattfinden. Die
Gespräche sind in die Politik der schrittweisen Annähe-
rung eingebunden, für die sich die Bundesregierung ent-
schieden hat .

Meine Damen und Herren, auch wenn es in der Fra-
ge der Menschenrechte, der bürgerlichen Freiheiten, der
Rechtsstaatlichkeit sowie der Presse- und Versamm-
lungsfreiheit in Kuba weiterhin Defizite gibt, so sollten
wir den eingeschlagenen Weg einer besseren Zusammen-
arbeit mit Kuba fortsetzen . Ein Dialog über Menschen-
rechte ist eher möglich, wenn man ohnehin im Gespräch

ist und in bestimmten Bereichen bereits zusammenarbei-
tet:


(Beifall der Abg . Dr . Rolf Mützenich [SPD] und Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE])


etwa bei der Modernisierung der Infrastruktur, in der
Landwirtschaft oder bei der Förderung erneuerbarer
Energien . Wir sollten die Hoffnung nicht aufgeben, dass
es in Kuba allmählich zu einem Wandel und somit auch
zu einem besseren Leben für die Menschen dort kommen
wird .

Ich danke Ihnen .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1815524600

Vielen Dank . – Als nächster Redner hat Tom Koenigs

von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort .


Tom Koenigs (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1815524700

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Lieber Wolfgang Gehrcke, dieser Antrag sagt
„Achtung der Souveränität und Nichteinmischung“ . Mit
diesen beiden Begriffen hat die Sowjetunion 25 Jahre den
Sicherheitsrat blockiert . Das ist die Sprache des Kalten
Krieges . Wollt ihr das wirklich, die Nichteinmischung in
menschenrechtlichen Fragen?


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wir kämpfen doch gerade dafür, dass wir uns einmi-
schen . Die Europäische Gemeinschaft hat ein einziges
Mal einen Gemeinsamen Standpunkt bezogen und auch
durchgehalten und hat darin die Zusammenarbeit mit
Fortschritten bei den Menschenrechten konditioniert . Ein
einziges Mal ist das geschehen, und da sagt ihr: Der Ge-
meinsame Standpunkt soll aufgegeben werden?


(Richard Pitterle [DIE LINKE]: Saudi-Arabien!)


Der Antrag atmet noch ein Zweites aus, nämlich: Auf
die politischen Rechte achten wir mal nicht so genau,
aber die sozialen Rechte in Kuba werden gefeiert .


(Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Das ist auch richtig!)


Das ist zwar zweifellos wichtig, aber dies ist genau die
Auseinandersetzung, bei der jeder Menschenrechtler
sagt: Die Menschenrechte sind unteilbar .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU und der SPD)


Das war aber auch – vielleicht verstehst du das da bes-
ser – die Auseinandersetzung zwischen Rosa Luxemburg
und Lenin . Sie hat immer gesagt: Die Freiheit muss auch
mit den wirtschaftlichen Fortschritten einhergehen . – Für
die Austragung dieses Widerspruchs sind Millionen in
den Gulags gestorben .


(Michael Brand [CDU/CSU]: So war es!)


Dr. Egon Jüttner






(A) (C)



(B) (D)


Wenn du das nicht weißt, dann frag doch mal bei deiner
Taschen-Rosa-Luxemburg nach, die weiß das, oder bei
der Stiftung .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Der Gemeinsame Standpunkt der Europäischen Union
sagt ganz deutlich, dass das Ziel ein Prozess des Über-
gangs in eine pluralistische Demokratie ist . Selbst Raúl
Castro ist dafür; denn das ist genau das, was aus den Ver-
handlungen mit der FARC herauskommen soll . Wenn es
nämlich in Kolumbien keine pluralistische Demokratie
gibt, dann kann die FARC sich auch nicht am politischen
Prozess beteiligen . Die sind da also schon viel weiter .
Deshalb muss man dies auch unterstützen .

Es wird im Gemeinsamen Standpunkt weiterhin ge-
sagt, dass die Europäische Union den Standpunkt ver-
tritt, „eine umfassende Zusammenarbeit mit Kuba von
Fortschritten im Bereich der Menschenrechte und der
politischen Freiheit“ abhängig zu machen . Was ist denn
dagegen zu haben? Außerdem wird richtigerweise gefor-
dert – das fehlt in diesem Antrag völlig –, dass die „Ent-
lassung aller politischen Häftlinge und die Einstellung
der Schikanierung und Bestrafung von Dissidenten“ zu
fördern ist .

Diese Zivilgesellschaft – eine aktive Zivilgesell-
schaft – wird Kuba dringend brauchen .


(Beifall des Abg . Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Denn es ist ja nicht so, dass das Land einfach geöffnet
werden soll . Die Investoren aus den USA stehen doch
schon da . Dieses Land und alle seine Fortschritte, aber
auch seine politischen Freiheiten werden ausverkauft –
selbst wenn es diese Freiheiten gewinnt –, wenn es keine
politisch aktive, ungemütliche und auch dissidente Zivil-
gesellschaft gibt .

Deshalb: Setzen wir uns weiter für die Prinzipien des
Gemeinsamen Standpunktes ein! Unterstützen wir die
dortige Zivilgesellschaft und laufen nicht alten 60er-,
50er-, 40er-Jahre-Standpunkten wie Souveränität und
Nichteinmischung hinterher!


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wir brauchen in Kuba eine aktive Zivilgesellschaft,
wir brauchen Dissidenten, wir brauchen mehrere Partei-
en, und wir brauchen politische Freiheit .

Venceremos!


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1815524800

Vielen Dank . – Als nächster Redner hat Klaus Barthel

von der SPD-Fraktion das Wort .


(Beifall bei der SPD)



Klaus Barthel (SPD):
Rede ID: ID1815524900

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Fast hätte ich gesagt: Liebe Kubanerinnen und Kubaner!


(Heiterkeit)


Aber das haut dann doch nicht ganz hin .

Momentan geben sich die Staatschefs in Kuba die
Klinke in die Hand . Im letzten Jahr gab es, glaube ich, ei-
nen Zuwachs von 25 Prozent an deutschen Touristen . Das
heißt also: Da tut sich offensichtlich etwas . Ich glaube, zu
dem, was in der Überschrift des Antrags steht, kann man
auf jeden Fall feststellen: Wir machen das . – Das stellt
der Antrag ja auch richtigerweise fest . Aber es ist auch
richtig und wichtig, darüber zu sprechen .

Sie haben auch die Initiativen der Bundesregierung
gewürdigt . Sigmar Gabriel hat bei seinem Besuch in
Havanna ausdrücklich von einer neuen Phase der Bezie-
hungen gesprochen . Wir fordern schon lange, wie es im
Antrag steht, die Blockade aufzuheben . Es gibt entspre-
chende Beschlüsse der UN-Vollversammlung . Wir ha-
ben uns als Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten
immer dafür eingesetzt, dass zumindest der europäische
Standpunkt aufgehoben oder korrigiert wird . Da gibt es,
glaube ich, inzwischen einen breiten Konsens . Den eu-
ropäischen Standpunkt hält sowieso niemand oder fast
niemand in Europa ein .

Wir begrüßen, dass es jetzt diplomatische Bezie-
hungen zwischen den USA und Kuba gibt, dass es den
Gefangenenaustausch gibt – Stichwort „Cuban Five“ –,
dass einzelne Boykottmaßnahmen jetzt von Obama auf-
gehoben worden sind, dass es Flugverbindungen geben
soll, dass der Präsident selber nach Kuba reisen wird .
Ich glaube, das Wichtige daran ist, dass das nicht nur
ein Signal an die Kubaner ist, sondern an die ganze
Region, an ganz Lateinamerika, weil sich diese Län-
der gemeinsam dafür eingesetzt haben, die künstliche
Isolierung des Landes zu beenden . Damit wurde eben
auch – das ist ja schon gesagt worden – die Rolle Ku-
bas bei der Entwicklungszusammenarbeit und bei den
diplomatischen Bemühungen in Bezug auf Kolumbien
gewürdigt .

Im Antrag fehlt allerdings ein Blick auf die Ent-
wicklung in Kuba selber . Ich glaube, sowohl Gehrcke
als auch Tom Koenigs sind da einfach irgendwo stehen
geblieben . Seit den Zeiten des Kalten Krieges hat sich
in dem Land einiges verändert . Das muss man einfach
zur Kenntnis nehmen . Es gibt nämlich inzwischen
eine deutliche Selbstkritik an den Zuständen im Land .
Auch Raúl Castro sagt: Die Blockade ist nicht an allem
schuld, was bei uns zum Beispiel wirtschaftlich schie-
fläuft. Es gibt zu viele einseitige Abhängigkeiten, mo-
mentan von Venezuela und früher von der Sowjetuni-
on . Wir brauchen Korrekturen zum Beispiel in unserem
Wirtschaftssystem .

Es wird aber gehandelt . Seit 2011 gibt es die Aktu-
alisierung des Modells . Es gibt über 600 neue Rechts-
setzungen . Es gibt Reisefreiheit und weniger Repressi-
on . Tom Koenigs, das muss man einfach zur Kenntnis
nehmen . Es gibt mehr und mehr Zugänge zum Internet,
selbstständige Unternehmen und zumindest das Be-

Tom Koenigs






(A) (C)



(B) (D)


mühen, die Produktivität im Staatssektor zu erhöhen .
Weiterhin gibt es ein neues Investitionsgesetz . Auch
darüber müsste man einmal etwas sagen . Des Weiteren
müsste man mehr darüber diskutieren, dass es sich nicht
mehr um die alte Welt handelt . Zum Beispiel gibt es
jetzt auch den Erfolg, dass Kuba seine Schulden im Pa-
riser Club abwickeln kann .

Worauf kommt es also in dieser Situation an? Über
diese Frage sollten wir, glaube ich, reden . Ich bin froh,
dass Kollege Jüttner es auch so sieht, dass wir jetzt ge-
genseitiges Vertrauen aufbauen müssen . Es kommt da-
rauf an – das hat auch Sigmar Gabriel bei seinem Besuch
so formuliert –, dass wir alle Gespräche auf Augenhöhe
führen und nicht irgendwelche Vorbedingungen stellen .
Tom Koenigs, so kämen wir auch in Kolumbien nicht
weiter, wenn wir vorher darauf bestünden, dass alle das
akzeptieren, was wir so gewohnt sind . Wenn wir so vor-
gingen, kämen wir bei Verhandlungen keinen Zentime-
ter voran .

Ich glaube, es ist wichtig, dass wir respektieren,
dass Kuba seinen eigenen Weg gehen und nicht neue
Abhängigkeiten produzieren will . Das Land will, dass
es keine Rekolonialisierung – zum Beispiel durch die
USA – gibt. Es muss seine Wirtschaft diversifizieren.
Dabei muss es seine eigenen Bedürfnisse beachten . Das
müssen wir akzeptieren und dann versuchen, die Bezie-
hungen auf voller Breite weiterzuentwickeln . Kollege
Jüttner hat die wesentlichen Punkte genannt .

Natürlich muss sich aber auch die Regierung in Kuba
noch ein ganzes Stück bewegen . Wenn es Investitionen
geben soll, muss es weniger Bürokratie, Vorschriften
und Gängelung geben . Es muss mehr Bewegungsmög-
lichkeiten auch für nichtstaatliche Einrichtungen – für
die Außenhandelskammern, die politischen Stiftungen
usw . – geben . Man muss insbesondere den kleinen und
mittleren Unternehmen entgegenkommen, damit auch
sie – auch wenn sie nicht riesige Rechtsabteilungen un-
terhalten können, die sich mit der kubanischen Bürokra-
tie auseinandersetzen – dort investieren können . Und es
muss noch vieles mehr geschehen .

Zum Schluss müssen wir, glaube ich, einen Schritt
weiter gehen . Wir dürfen uns nicht damit zufrieden ge-
ben, dass die Lage in Kuba und in Lateinamerika relativ
ruhig ist und dass es dort Fortschritte gibt . Man ist heute
ja schon froh, wenn es irgendwo auf der Welt einmal
keinen Bürgerkrieg, Krieg oder Chaos gibt . Wir müssen
uns aber auch darüber klar sein, dass in Lateinamerika
die Lage nicht überall glänzend ist . Sie ist sehr labil und
von Land zu Land sehr differenziert zu sehen . Ich nenne
in diesem Zusammenhang die Themen Rohstoffe und
Krise der Schwellenländer . Es gibt Probleme im Zu-
sammenhang mit der wirtschaftlichen Entwicklung in
China . Der Klimawandel trifft Kuba zum Beispiel sehr
stark, aber auch andere Länder der Region .

Wir sollten also unser Interesse für eine solche Regi-
on nicht erst dann entdecken, wenn es wieder Mord und
Totschlag gibt . Wir sollten das tun, bevor die nächste
Krise kommt . Kuba sollten wir dabei unterstützen, den
eingeschlagenen Weg weiterzugehen . Wir sollten versu-
chen, mit unseren Instrumenten – das sind KfW-Kredi-

te, Hermesbürgschaften usw . – die Investitionen in die-
sem Land zu unterstützen . Es gibt ja einen Vorschlag,
der über 300 Projekte einbezieht . Dazu hat Kuba eigene
Vorstellungen entwickelt . Wir sollten die internationale
Rolle Kubas stärken und stützen und auch die sozialen
und ökologischen Aspekte beachten .

Zum Schluss . Wir müssen uns darüber im Klaren
sein, dass der Wandel, den es in Kuba selber, aber auch
von den USA aus gibt, eine Unterstützung braucht,
wenn er erfolgreich sein und eine eigene Dynamik ent-
wickeln soll; denn da ist noch viel zu tun .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1815525000

Vielen Dank . – Als letzter Redner hat Charles Huber

von der CDU/CSU-Fraktion das Wort .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Charles M. Huber (CDU):
Rede ID: ID1815525100

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kollegen! Sehr

geehrte Damen und Herren!


(Ulli Nissen [SPD]: Und was ist mit den Kolleginnen?)


Herr Kollege Gehrcke, es ist, wie Sie es gesagt haben:
Wir kämpfen heute im Plenum ein bisschen um den
Heiligenschein. „Wer mich sucht, findet mich in Kuba“,
lautet ein Spruch einer bekannten Persönlichkeit . Ich
sage es mal so: Wer da war, kann das ein bisschen nach-
vollziehen . Wer durch die Altstadt von Havanna gelau-
fen ist, weiß, was es mit diesem Spruch auf sich hat .

Einige, die nach Kuba reisen, sagen: Ich will da noch
mal hin, bevor alles anders wird . – Ich denke, genau
dieses Anderswerden ist das, was uns deutsche Politiker
beschäftigt – das kam in den vorangegangenen Reden
zum Ausdruck –, zugegebenermaßen beschäftigt dies
aber auch die Kubaner, nämlich, wie dieses Anderssein
dann aussehen mag, in welcher Form es sich vollzieht
und inwiefern der mögliche Wegfall der Sanktionen im
Kontext zur heiß diskutierten Systemfrage steht .

In puncto Menschenrechte möchte ich sagen: Aus ge-
schichtlicher Perspektive war Kuba vor der Revolution
de facto ein Apartheidstaat, ein Staat, in dem Benach-
teiligung und sogar Sklaverei ein wesentlicher Teil des
Systems waren . Und wenn wir über Menschenrechte in
Kuba reden, sollte dies auch hier einmal Erwähnung ge-
funden haben .


(Beifall bei der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg . Ute Vogt [SPD] und Richard Pitterle [DIE LINKE])


Kuba muss seine Wirtschaft diversifizieren, um eine
nachhaltige Entwicklung erreichen und somit sozialen
Frieden garantieren zu können, und dafür muss es auch
eine Diversifizierung seiner Wirtschaftspartnerschaf-
ten herbeiführen, und dies – sage ich einfach mal so –
möglichst außerhalb sozialistisch geprägter Systeme .

Klaus Barthel






(A) (C)



(B) (D)


Kollege Gehrcke, wir sind uns in vielen Punkten ei-
nig; aber ich denke, dieser Punkt ist bei uns beiden die
Krux . Werfen wir einen Blick auf sozialistisch geprägte
Systeme, sehen wir, dass es diesen auch in den Zeiten
hoher Rohstoffpreise nicht gelungen ist, stabile Volks-
wirtschaften aufzubauen, bzw . sie den Versuch erst gar
nicht unternommen haben .

Wenn wir von Wirtschaftspartnerschaften reden, dann
ist festzuhalten, dass Deutschland für Kuba zweifellos
ein starker und verlässlicher Partner wäre . 1 200 mit-
telständische deutsche Firmen sind Weltmarktführer in
ihrer Technologie . Diese könnten den Kubanern helfen,
Kapazitäten in vielen Sektoren aufzubauen, damit Kuba
nicht ausschließlich auf den Tourismus angewiesen ist .
Ich denke hierbei ganz besonders an das System der du-
alen Ausbildung .

Was man Kuba zugutehalten muss, ist, dass es der
Bevölkerung den Zugang zum Bildungssystem und zu
kompetenter medizinischer Versorgung ermöglicht hat .


(Beifall der Abg. Elfi Scho-Antwerpes [SPD] und Wolfgang Gehrcke [DIE LIN KE])


Das ist gerade im lateinamerikanischen Vergleich vor-
bildlich .

Zum Thema Sicherheit sei gesagt: Gehen Sie durch
die Straßen Havannas, egal zu welcher Tageszeit – Sie
können sich sicher fühlen . Auch das ist im globalen, zu-
mindest aber im regionalen Kontext – das weiß jeder,
der die mittelamerikanische Region kennt – schon fast
ein Alleinstellungsmerkmal . Dass man diese positiven
Errungenschaften in eine mögliche neue Ära hinüber-
rettet, ist für das Land und seine Regierung mit Sicher-
heit eine große Herausforderung; aber es wäre sicher-
lich sinnvoll .

Eine ähnliche, aber wesentlich kompliziertere Auf-
gabe stellt meines Erachtens die Besitzfrage dar . Hier
muss im Hinblick auf den sozialen Frieden auch darauf
geachtet werden, dass der Großteil von Gebäuden und
Besitztümern nicht nur auf ein paar wenige zurückfällt,
und zwar auf jene, die vorher im Land das Sagen hat-
ten und mittlerweile im Ausland leben . Denn bereits
jetzt hat in Bezug auf Transferleistungen der Teil der
Bevölkerung deutliche ökonomische Vorteile, der Ver-
wandte außerhalb des Landes hat . Die kubanische Re-
gierung hat aber bereits angekündigt, einer Ghettoisie-
rung dahin gehend entgegenzuwirken; denn das ist ein
großes Problem sehr erfolgreicher südamerikanischer
Volkswirtschaften – Beispiel Brasilien . Menschen, die
in der Innenstadt von Havanna wohnen, soll ermöglicht
werden, auch nach der Renovierung der Häuser dort zu
bleiben . Ich denke, das ist ein ganz wichtiger Punkt .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wir haben einen hervorragenden Botschafter in
Kuba – das sage ich vor dem Hintergrund der Reise,
die wir, Klaus, gemeinsam getätigt haben –, der für die
Reise, die zu Beginn des Jahres stattgefunden hat, ein
tolles Programm zusammengestellt hat .

Professor Jüttner hat das Kulturabkommen angespro-
chen, das hoffentlich vor einer baldigen Unterzeich-
nung steht . Es liegt nicht an Deutschland, dass das noch
dauert; Kuba lässt uns ein bisschen warten . Wir haben
diesen Punkt bei Vizepräsident Bermudez dezidiert an-
gesprochen . Was Kultur im Bereich des Marketing ei-
nes Landes bewirken kann, verdeutlicht der Film Buena
Vista Social Club meines ehemaligen Kollegen Wim
Wenders auf besonders beeindruckende Art und Weise .

Präsident Obama wird als erster amtierender Präsi-
dent nach 88 Jahren Kuba besuchen . Das ist ein gutes
Zeichen . Ich bin mir nicht sicher, was das Datum an-
geht .


(Klaus Barthel [SPD]: Heute in einem Monat!)


– In einem Monat, vielen Dank .

Kuba muss sicher nicht in der Systemfrage das „alte“
Kuba bleiben . Es braucht vielmehr eine Erneuerung,
aber eben eine sanfte .


Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1815525200

Herr Kollege, das ist ein schöner Abschlusssatz . Sie

müssen nämlich sofort zum Schluss kommen .


Charles M. Huber (CDU):
Rede ID: ID1815525300

Ich bin sofort fertig . Ich muss eines noch loswer-

den . – Das Modell der sozialen Marktwirtschaft wäre
hier sicher keine schlechte Variante . Das Land muss
seine gesamte Bevölkerung in dieser Phase mitnehmen,
damit aus den Gewinnern der Revolution nicht die Ver-
lierer der Transformation werden .


(Michael Brand [CDU/CSU]: Da stimmt sogar der Kollege Gehrcke zu!)


Vielen Dank, Frau Präsidentin .


(Beifall im ganzen Hause)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1815525400

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich schließe die

Aussprache .

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 18/7541 an die in der Tagesordnung auf-
geführten Ausschüsse vorgeschlagen . Sind Sie damit
einverstanden? – Das ist der Fall, sonst würde sich jetzt
jemand hier regen . Dann ist die Überweisung so be-
schlossen .

Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tages-
ordnung .

Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun-
destages auf morgen, Freitag, den 19 . Februar 2016,
9 Uhr, ein .

Die Sitzung ist geschlossen, liebe Kolleginnen und
Kollegen, und ich wünsche Ihnen noch einen schönen
Abend .