Gesamtes Protokol
Nehmen Sie bitte Platz . Die Sitzung ist eröffnet .Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte Sie alleherzlich begrüßen – bei gutem Wetter und hoffentlichähnlich guter Laune . Zur Beförderung derselben möchteich vor Eintritt in die Tagesordnung den Kollegen ErnstDieter Rossmann, Bernhard Schulte-Drüggelte undKarl Lamers, die seit der letzten Sitzungswoche ihren65 . Geburtstag gefeiert haben, ebenso herzlich gratulie-ren
wie dem Kollegen Alois Gerig, der gestern Glückwün-sche zu seinem 60 . Geburtstag entgegennehmen konn-te . Ihnen allen noch einmal alle unsere geballten gutenWünsche für das neue Lebensjahr .Es gibt eine interfraktionelle Vereinbarung, die Tages-ordnung um die in der Zusatzpunkteliste aufgeführtenPunkte zu erweitern:ZP 1 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion DIELINKE:Verschärfung kriegerischer Auseinanderset-zungen in Syrien nach den Angriffen der Tür-kei auf syrisch-kurdisches Gebiet
ZP 2 Beratung des Antrags der Abgeordneten MonikaLazar, Luise Amtsberg, Volker Beck ,weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-NIS 90/DIE GRÜNENDemokratie stärken – Dem Hass keine ChancegebenDrucksache 18/7553Überweisungsvorschlag: Innenausschuss
Sportausschuss Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenab-schätzung Ausschuss Digitale AgendaZP 3 Aktuelle Stunde auf Verlangen der FraktionBÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN:Stand der Aufklärung und Konsequenzen ausdem AbgasskandalZP 4 Beratung des Antrags der AbgeordnetenDr . Wolfgang Strengmann-Kuhn, Christian Kühn
, Corinna Rüffer, weiterer Abgeord-
neter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NENWohnungslosigkeit wirkungsvoll angehen –Bundesweite Statistik einführenDrucksache 18/7547Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicher-heitZP 5 Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurfs eines Ge-setzes zur Einführung beschleunigter Asylver-fahrenDrucksache 18/7538Überweisungsvorschlag: Innenausschuss
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für GesundheitZP 6 Beratung des Antrags der Abgeordneten LuiseAmtsberg, Dr . Franziska Brantner, Beate Walter-Rosenheimer, weiterer Abgeordneter und derFraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENRechte von Kindern im Asylverfahren stärkenDrucksache 18/7549Überweisungsvorschlag: Innenausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre HilfeDabei handelt es sich unter anderem um das Asyl-paket II . Von der Frist für den Beginn der Beratungensoll, soweit erforderlich, abgewichen werden . Der Tages-
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 155 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 18 . Februar 201615202
(C)
(D)
ordnungspunkt 5 – hier geht es um Anträge zum Thema„Schlussfolgerungen aus den Pkw-Abgasmanipulatio-nen“ – soll abgesetzt und stattdessen der Antrag mit demTitel „Demokratie stärken – Dem Hass keine Chancegeben“ beraten werden . Ebenso soll der Tagesordnungs-punkt 14 abgesetzt und an dieser Stelle der Antrag mitdem Titel „Wohnungslosigkeit wirkungsvoll angehen –Bundesweite Statistik einführen“ debattiert werden . DieTagesordnungspunkte 10 und 20 sollen ihre Plätze tau-schen und der Tagesordnungspunkt 22 c zusammen mitdem Tagesordnungspunkt 23 aufgerufen werden . WennSie mit all dem einverstanden sind und eine ungefähreVorstellung über die sich daraus neu ergebende Abwick-lung der Tagesordnung erhalten haben,
werden Sie vermutlich auch zustimmend zur Kennt-nis nehmen, dass es noch mehrere nachträglicheAusschuss überweisungen gibt, die im Anhang zur Zu-satzpunkteliste aufgeführt sind:Der am 14 . Januar 2016 überwiesenenachfolgende Gesetzentwurf soll zusätzlich dem Finanz-ausschuss zur Mitberatung überwiesenwerden:Erste Beratung des von der Bundesregierungeingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Um-setzung der Richtlinie über Tabakerzeugnisseund verwandte ErzeugnisseDrucksache 18/7218Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Finanzausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Energie Ausschuss für GesundheitDer am 28 . Januar 2016 überwiesenenachfolgende Gesetzentwurf soll zusätzlich dem Aus-schuss für Wirtschaft und Energie zurMitberatung überwiesen werden:Erste Beratung des von der Bundesregierungeingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Um-setzung der prüfungsbezogenen Regelungender Richtlinie 2014/56/EU sowie zur Ausfüh-rung der entsprechenden Vorgaben der Ver-ordnung Nr. 537/2014 im Hinblick aufdie Abschlussprüfung bei Unternehmen von
Drucksache 18/7219Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Finanzausschuss Ausschuss für Wirtschaft und EnergieDies alles nehmen wir hiermit förmlich, zustimmend,einvernehmlich zur Kenntnis und verfahren heute dannso .Ich rufe den Tagesordnungspunkt 4 auf:Erste Beratung des von der Bundesregierungeingebrachten Entwurfs eines Ersten Geset-zes zur Novellierung von Finanzmarktvor-schriften auf Grund europäischer Rechtsakte
Drucksache 18/7482Überweisungsvorschlag: Finanzausschuss
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz HaushaltsausschussDie dazu vorgesehene Debatte soll nach einer inter-fraktionellen Vereinbarung 77 Minuten dauern . – Auchdazu darf ich Einvernehmen feststellen . Dann ist das sobeschlossen .Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort für dieBundesregierung dem Parlamentarischen StaatssekretärMichael Meister .
D
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wirbringen heute den Gesetzentwurf zum Ersten Finanz-marktnovellierungsgesetz in den Deutschen Bundestagein . Damit setzen wir eine Reihe von Rechtsakten ausder Europäischen Union in deutsches Recht um . Es gehtdarum, dass wir im Nachgang zur Finanzkrise mehr Inte-grität und mehr Transparenz in die Finanzmärkte bekom-men und insbesondere der Anlegerschutz weiter gestärktwird .Wir haben als Reaktion auf die Finanzkrise bereitseine Reihe von Maßnahmen – insgesamt sind es 40 – indiesem Sinne auf europäischer Ebene verabschiedet undumgesetzt . Damit haben wir versucht, die Konsequenzbzw . die Schlussfolgerung aus dem zu ziehen, was aufdem amerikanischen Immobilienmarkt geschehen war,was dann aber aufgrund der Situation, dass wir intrans-parente Kapitalmarktstrukturen und intransparente Ka-pitalmarktprodukte hatten, vom amerikanischen Immo-bilienmarkt bis hierher zu uns kam und sich in unsereeuropäischen Finanzmärkte hineinfraß .Höhepunkt dieser Entwicklung war die Insolvenz vonLehman Brothers . Ich habe eben erwähnt, dass wir 40Maßnahmen umgesetzt haben . Dennoch müssen wir unsdarüber klar sein, dass wir auch mit Blick auf die Zu-kunft vor neuen Herausforderungen stehen . In diesemZusammenhang will ich nur das Thema „Allokation vonFinanzmitteln vor dem Hintergrund der Niedrigzinspha-se“ sowie die geopolitischen Risiken, die sich auftun,erwähnen . All dies kann zu neuen Instabilitäten führen .Deshalb sind wir gut beraten, rechtzeitig präventiv anmehr Integrität, Stabilität und Transparenz zu arbeiten .Um deutlich zu machen, was wir bisher auf den Weggebracht haben, nenne ich zum einen die Verschärfungder Eigenkapitalanforderungen und das Zusammenbrin-gen von Entscheidungen und Haftung . Das Risiko mussPräsident Dr. Norbert Lammert
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 155 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 18 . Februar 2016 15203
(C)
(D)
bei dem liegen, der auch die Gewinnchancen wahrnimmt .Zum Zweiten geht es um die Frage, wie wir über europä-ische Banken Aufsicht führen . Wir haben gesehen, dassrein nationale Ansätze zu kurz greifen und wir deshalbeine europäische Lösung benötigen .Beim Thema Abwicklungsmechanismus – dabei gehtes um den Fall, dass Banken in Schieflage kommen –haben wir das Gleiche gemacht . Auch dort haben wireine europäische Lösung implementiert . Ich glaube, esist richtig, dass wir die Verantwortung vom Steuerzah-ler genommen und dem auferlegt haben, der Eigentümerund Gläubiger ist . Es ist in unserer Wirtschaftsordnungso, dass nicht der eine die Chancen hat und der anderedie Risiken trägt .Ich habe relativ wenig Verständnis, dass in der jetzi-gen Situation, wo wir auf diese neuen Herausforderun-gen zugehen, einige darüber diskutieren, ob wir das, waswir an Bail-in-Regeln geschaffen haben, möglicherweiseaussetzen oder aufheben sollten . Ich glaube, gerade jetztkommt es darauf an, dass wir Kurs halten und die im-plementierten Regeln auch wirken lassen, meine Damenund Herren .
Wir haben eine Diskussion über die Frage, inwieweitRisiken in Europa vergemeinschaftet werden sollen .Dazu gibt es Vorschläge der Kommission . Ich möchteganz klar und deutlich sagen: Das kann nicht die Antwortauf die Herausforderungen sein . Wir brauchen nicht dieVergemeinschaftung von Risiken, sondern wir benötigendringend den Abbau vorhandener Risiken . Dazu muss je-der, der als Aufseher, als Politiker, aber auch als Mitgliedvon Organen der verschiedenen Institute Verantwortungträgt, seinen Beitrag leisten . Deshalb sagen wir Nein zuweiterer Vergemeinschaftung, aber Ja zum Abbau undzur Reduzierung dieser Risiken, meine Damen und Her-ren .
Die Europäische Union hat Vorschläge zum ThemaKapitalmarktunion unterbreitet . Wir sind der Meinung,dass es durchaus sinnvoll ist, darüber nachzudenken, obwir gerade kleinen und mittelständischen Unternehmenneben den bestehenden Finanzierungswegen weitereFinanzierungswege öffnen sollten . Das ist ein richtigerAnsatz . Es geht aber nicht darum, bestehende Wege zubegrenzen, sondern darum, mehr Wettbewerb und Alter-nativen zu schaffen . In diesem Sinne sind wir offen, dieDiskussion darüber zu führen, wie wir eine Kapitalmarkt-union ausgestalten können .Ich möchte den Kollegen im Deutschen Bundestagausdrücklich Danke sagen, weil wir an einigen Stellenschneller vorangegangen und auch weiter gegangen sind,als es uns das europäische Recht vorgibt . Ich nenne andieser Stelle den Hochfrequenzhandel, wo wir zügigergehandelt haben, als dies von europäischer Seite aus vor-gegeben war . Weiter nenne ich den grauen Kapitalmarkt,wo wir über das Kleinanlegerschutzgesetz auch nationaleinen Schritt nach vorne gemacht haben .In diesem Ersten Finanzmarktnovellierungsgesetzwird die Umsetzung verschiedener europäischer Ver-ordnungen bzw . Richtlinien mit ihren Konsequenzen innationale Gesetzgebung vorgeschlagen . Wir hatten ei-gentlich die Absicht, Ihnen mit diesem Gesetz auch dieUmsetzung der überarbeiteten FinanzmarktrichtlinieMiFID II und der entsprechenden Verordnung MiFIRvorzulegen . Es ist leider so, dass auf europäischer Ebe-ne die Ausgestaltung auf der zweiten Ebene nicht zügiggenug vorangegangen ist . Deshalb können wir dies nichtmit diesem Gesetz vorlegen und werden dazu zu einemspäteren Zeitpunkt einen eigenen Gesetzgebungsvor-schlag unterbreiten . Insofern ist in diesem Finanzmarkt-novellierungsgesetz die Marktmissbrauchsrichtlinie, dieMarktmissbrauchsverordnung der Europäischen Union,die EU-Verordnung über die Zentralverwahrer und dieEU-Verordnung über Basisinformationsblätter für ver-packte Anlageprodukte für Kleinanleger und Versiche-rungsanlageprodukte enthalten .Zum Inhalt der einzelnen Verordnungen bzw . Richt-linien: Die neue Marktmissbrauchsverordnung regeltEU-weit einheitlich und mit unmittelbarer Geltung dasVerbot des Marktmissbrauchs, also das Verbot des Insi-derhandels und das Verbot der Marktmanipulation sowiedie Anforderungen an eine Ad-hoc-Publizität . Die Ver-ordnung baut dabei auf bestehenden Vorgaben der bis-herigen Marktmissbrauchsrichtlinie auf und erstrecktdiese insbesondere auf weitere Finanzinstrumente undHandels plätze .Die EU-Richtlinie über strafrechtliche Sanktionen beiMarktmanipulation harmonisiert EU-weit die Straftat-bestände und Rechtsfolgen von Marktmissbrauch . Derin Deutschland schon heute geltende Strafrahmen beiMarktmissbrauch von Freiheitsstrafen bis zu fünf Jahrenoder Geldstrafe bleibt dabei erhalten .Die Zentralverwahrerverordnung, CSDR, legt Anfor-derungen an die Zulassung und laufende Aufsicht überdie Zentralverwahrer sowie an Bankgeschäfte im Zu-sammenhang mit der Zentralverwahrertätigkeit fest . DieVerordnung verbessert zudem Wertpapierlieferungen inder Europäischen Union durch Festlegung eines einheit-lichen Liefertermins für übertragbare Wertpapiere aufzwei Tage sowie die Festlegung von Maßnahmen gegengescheiterte Wertpapierabwicklungen wie zum Beispieldie Einleitung eines Eindeckungsvorgangs .Die PRIIP-Verordnung führt ein EU-weit einheitlichesProduktinformationsblatt für verpackte Anlageproduktefür Kleinanleger und Versicherungsanlageprodukte ein .Damit werden die Transparenz und das Schutzniveau fürKleinanleger auf dem Anlagemarkt verbessert .Wir folgen bei der Umsetzung dieser Richtliniendem Prinzip der Eins-zu-eins-Umsetzung europäischenRechts in deutsches Recht . Zudem werden allerdingsauch nationale Regelungen in einigen wenigen Berei-chen geändert, um Regelungslücken zu vermeiden undeine angemessene Aufsicht sicherzustellen .Die mit dem vorliegenden Gesetz umzusetzendenEU-Rechtsakte haben unterschiedliche Umsetzungsfris-ten . Deshalb wird auch dieses Gesetz gestaffelt in KraftParl. Staatssekretär Dr. Michael Meister
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 155 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 18 . Februar 201615204
(C)
(D)
treten, im zweiten Halbjahr 2016 – so, wie es die jeweili-gen EU-Rechtsakte als Grundlage vorsehen .Meine Damen und Herren, bei der Anpassung unsererbestehenden Finanzmarktgesetze fassen wir insbesonderefolgende Gesetze an: zum einen das Wertpapierhandels-gesetz . Hier werden zahlreiche Vorschriften aufgehoben,deren Inhalt künftig unmittelbar in der entsprechendeneuropäischen Verordnung geregelt wird . Dies betrifft ins-besondere den vorhin angesprochenen Insiderhandel, dasThema Marktmanipulation und die Ad-hoc-Publizität .Im Kreditwesengesetz werden vor allem die Aufsichtsbe-fugnisse der BaFin in Bezug auf die Zentralverwahrer andie Anforderungen der EU-Verordnung angepasst . In dasBörsengesetz, das Kapitalanlagegesetzbuch und das Ver-sicherungsaufsichtsgesetz werden die Ausführungen derPRIIP-Verordnung entsprechend eingearbeitet . Der An-wendungsbereich des Vermögensanlagengesetzes wirdangepasst, um Aufsichtslücken bei den Direktinvest-ments in Sachgüter zu schließen .Ich habe vorhin das Thema Sanktionen angespro-chen . Der Bußgeldrahmen bei Verstößen wird auf bis zu20 Millionen Euro festgelegt . Wir führen bei juristischenPersonen ein Bußgeld ein, das bis zu 1,5 Prozent des Um-satzes dieser juristischen Person betragen kann .Ich glaube, das ist ein sehr breites, sehr weites Gesetz-gebungswerk . Ich hoffe darauf, dass wir in der vorgese-henen Zeit dazu kommen, diese europäischen Vorgabenin nationales Recht umzusetzen und damit einen Beitragzu leisten, dass unsere Finanzmärkte noch stabiler, nochtransparenter für die Teilnehmer werden und damit einStück weit mehr Sicherheit für alle gegeben ist . Ich freuemich auf die Diskussionen in den entsprechenden Fach-ausschüssen .Danke sehr .
Für die Fraktion Die Linke erhält die Kollegin
Karawanskij nun das Wort .
Schönen guten Morgen, Herr Präsident! Liebe Kol-leginnen und Kollegen! Liebe Gäste! Wir steigen heutein den ersten Teil einer umfassenden Überarbeitung vonverschiedenen Finanzmarktgesetzen ein . Die Bundes-regierung versucht damit – Herr Meister, Sie haben esgerade dargestellt –, die Finanzmärkte stabiler und trans-parenter zu machen und auch den Anlegerschutz zu ver-bessern .
Dafür drehen Sie an einer Reihe von Schrauben, aber ichmuss leider feststellen: Die Schrauben sind immer nochzu locker .
Sie justieren nach, aber wirklich Stabilität auf den Fi-nanzmärkten sowie im Verbraucherschutz schaffen Siedamit nicht .Ich möchte einen Punkt herausgreifen, nämlich dieStärkung der Überwachungs- und Eingriffsbefugnisseder Finanzaufsicht, der BaFin . Vor nicht allzu langerZeit wurde im sogenannten Kleinanlegerschutzgesetzder BaFin die Möglichkeit zur Produktintervention beiMarktmissbrauch eröffnet . Sie darf also den Vertrieb vonFinanzinstrumenten gegebenenfalls sogar untersagen .Das war ein wichtiger Schritt, den wir als Linke immergefordert haben . Man könnte jetzt auch sagen: Linkswirkt! Die BaFin hat also Eingriffsinstrumente, aber eskommt doch darauf an, dass sie diese auch entschiedennutzt . Daher sollte unmissverständlich klargemacht wer-den, dass die BaFin bei Missbrauch von ihrem Interven-tionsrecht Gebrauch machen muss . Sie muss auch dahingelangen, dass sie Finanzinstrumente und -praktiken ver-mehrt einer inhaltlichen Prüfung anstatt wie bislang nureiner formalen Prüfung unterzieht .
Zum zweiten Punkt: Verbraucherschutz . Hier sitztdie Schraube bei der Bundesregierung tatsächlich nochzu locker . Auch wenn die Finanzaufsicht noch so genauprüft: Es wird weiterhin Anlagepleiten geben, die auchKleinanleger treffen . Kleinanleger sind meist auf sichselbst gestellt . Ihnen fehlen die Informationen bzw . dieMöglichkeiten, ihre Rechte durchzusetzen . Es wird aufVerjährung gespielt . Die Prospekte sind zum Teil nichtauf Deutsch . Die meisten Anleger haben keine Rechts-schutzversicherung . Die meisten Emittenten, derenProdukte Anleger geschädigt haben, haben schlichtwegkeine Konsequenzen zu befürchten – vielleicht mal einevereinzelte Klage, aber meistens sitzen sie die Pleite aus .Es wird nicht nur auf den Finanzmärkten spekuliert, eswird ebenso darauf spekuliert, dass sich die Anlegernicht adäquat wehren können . Da kann es doch nichtangehen, dass hier weiterhin suggeriert wird, man wolleTransparenz schaffen, aber nicht tatsächlich stärker zumWohle der Anleger durchgegriffen wird .
Das Problem besteht doch darin, dass die BaFin erstdann eingreift, nachdem ein Finanzinstrument bereits aufdem Markt ist . Wir als Linke plädieren für eine Umkehr,nämlich für eine vorgelagerte Zulassungsprüfung für Fi-nanzinstrumente, am besten auf europäischer Ebene . Dasheißt, der Emittent müsste beweisen, dass sein Finanzin-strument gesamtgesellschaftlich und vor allen Dingenvolkswirtschaftlich unbedenklich ist . Erst danach wirdein Finanzinstrument ausdrücklich zugelassen . Wenn esden Zulassungskriterien nicht entspricht, dann kann eseben nicht zugelassen werden .Parl. Staatssekretär Dr. Michael Meister
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 155 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 18 . Februar 2016 15205
(C)
(D)
Wir brauchen einen wirksamen Finanz-TÜV und keinhalbherziges Herumdoktern, zum Beispiel an Infoblät-tern . Damit würden Sie selbst mit der fünften oder zehn-ten Novellierung von Finanzmarktgesetzen nicht viel anFinanzmarktstabilität, Transparenz und letztendlich An-legerschutz erreichen . Sie werden weiterhin mutlos her-umdoktern . Tun Sie etwas in Richtung Finanzmarktregu-lierung und vor allen Dingen im Sinne eines wirksamenAnlegerschutzes .Vielen Dank .
Carsten Schneider ist der nächste Redner für die
SPD-Fraktion .
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Dervorliegende Gesetzentwurf zur Umsetzung verschiede-ner EU-Richtlinien schützt insbesondere Kleinanleger .Das neue Gesetz soll Marktmissbrauch durch große Han-delsplattformen, aber auch durch Manipulationsmöglich-keiten im Insiderhandel verhindern . Das ist richtig undwichtig .Aber das ist ein kleines Puzzleteil, das zu einemgrößeren Bild gehört, nämlich zu der Frage, ob das Fi-nanzsystem insoweit sicher ist, als es finanz- und volks-wirtschaftliche Krisen wie 2008/2009 verhindert, dieverbunden waren mit Staatsverschuldung, hoher Arbeits-losigkeit und wirtschaftlicher Depression .Herr Kollege Meister hat in seiner Einführungsredeauf ein paar Punkte hingewiesen . Ich will sie unterstrei-chen . Wir haben eine EU-Abwicklungsrichtlinie für Ban-ken umgesetzt, die vorsieht, dass das dort vorhandeneund auch das nachgelagerte Eigenkapital haften müssen .Das ist in Europa aber bislang nicht überall umgesetztworden . Ich komme mit einigen Kollegen gerade von ei-ner Konferenz in Brüssel zur Situation in den National-staaten . Dort spielte die Frage einer gemeinsamen Ein-lagensicherung eine Rolle . Wir haben sehr klargemacht,dass wir das als eine Endstufe einer Bankenunion sehen,aber nicht als den nächsten Schritt . Wir wollen keine Ver-gemeinschaftung von Risiken, ohne dass der Haftungs-oder Sicherheitsrahmen steht . Dieser Sicherheitsrahmenmuss zuvor stehen .
Da gibt es noch einiges zu tun . Ich habe auch dieStimmen aus der EZB und aus Italien gehört – dort hatdas Bankensystem ähnlich geschwankt wie der Aktien-kurs der Deutschen Bank in den letzten Wochen –, voneiner möglichen Haftung der Gläubiger abzusehen . Ichwill Ihnen ganz klar sagen: Wir Sozialdemokraten tragenso eine Veränderung nicht mit . Wir haben sehr deutlichin den letzten Jahren dafür gekämpft, dass Haftung undRisiko zusammengehören . Das heißt: Banken, Bankvor-stände und Aktionäre müssen wissen, dass, wenn dasGeschäftsmodell riskant ist, für Verluste auch der Aktio-när und der Gläubiger einzustehen haben – und nicht dieSteuerzahler .
Die Verunsicherung, die Nervosität, die hohe Markt-volatilität, die sich am Auf und Ab des DAX in den letz-ten Wochen insbesondere bei den Bankaktien gezeigt hat,sprechen dafür, dass wir in einer extrem kritischen Situ-ation sind . Man kann nicht in der ersten Krisensituationdie Dinge, die man in Sonntagsreden gefordert und inGesetze gegossen hat, sofort abschaffen und sagen: Diesetzen wir jetzt einmal aus . Das wäre nicht nur schlechterStil, sondern auch Verrat an den Interessen des Gemein-wohls .Deswegen meine ich, dass sowohl die europäischeBankenaufsicht als auch die Europäische Zentralbankgut beraten sind, das bestehende Instrumentarium zu nut-zen. Ich finde, dass die Aktionäre gut beraten sind, aufdie Geschäftspolitik der einzelnen Banken insoweit Ein-fluss zu nehmen, als sie nicht riskant sein sollte.Wir haben bei der Deutschen Bank jahrzehntelangexpansive, risikoreiche und unlautere Geschäftspolitikerlebt . Dafür kommt jetzt die Rechnung . Ich kann michnoch genau an die Gespräche mit Herrn Fitschen undHerrn Jain erinnern, die zwischenzeitlich Vorstände derDeutschen Bank waren – der eine ist immer noch einerder Vorstandsvorsitzenden –, in denen es hieß: Wir wol-len immer noch die einzige europäische Investmentbankbleiben, während sich alle anderen europäischen Bankenvon dieser Idee verabschiedet haben . – Das war ein Feh-ler, und dafür zahlen sie heute dadurch, dass das Markt-vertrauen verloren geht .Klar ist: Es kann auch anders gehen . Nehmen Siedie Commerzbank . Wir haben als Anteilseigner derCommerzbank sehr klar darauf gedrängt und auchdurchgesetzt, dass sie sich aus dem globalen Speku-lationskapitalismus zurückzieht und ganz normalesBrot-und-Butter-Mittelstandsgeschäft macht . Das istzwar nicht sonderlich sexy, aber zumindest so ertrag-reich, dass es der Wirtschaft in Deutschland nutzt und dieBank wieder in stabiles Fahrwasser bringt .
Nichtsdestotrotz, Kollege Meister, muss ich zweiPunkte ansprechen, bei denen wir als Sozialdemokratenim Bundestag noch mehr Initiativen der Bundesregierungund vor allem des Bundesfinanzministers erwarten – ins-besondere vor dem Hintergrund der Krise 2009 . Der erstebetrifft die Finanztransaktionsteuer, und der zweite be-trifft das Trennbankensystem .Wir haben sehr klar in den Koalitionsverhandlungenvereinbart: Wir wollen ein scharfes Trennbankensystem .Diejenigen, die spekulieren wollen, können das gern ma-chen – aber nur mit ihrem Eigenkapital und nicht mit denEinlagen, also nicht mit dem Spargroschen der Bürger .Dieses Trennbankensystem ist in Europa gerade in Ver-handlung .Susanna Karawanskij
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 155 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 18 . Februar 201615206
(C)
(D)
Die Sozialdemokraten im Europäischen Parlamentsind für eine scharfe Regelung; bei den Christdemokra-ten bin ich mir nicht so ganz sicher . Ich erwarte, dassdie Bundesregierung den Koalitionsvertrag umsetzt, dersagt: Ganz scharfe Regelungen, so, wie die Experten-kommission unter Herrn Liikanen, dem Präsidenten derZentralbank Finnlands, das vorgeschlagen hat .
Nur dann haben wir die Risiken so weit separiert, so-dass ich über ein europäisches Einlagensystem diskutie-ren und gegebenenfalls positiv entscheiden kann . Dafürbrauche ich aber die Sicherheit, dass das volatile, extremanfällige Spekulationsgeschäft der Investmentbankennicht durch den Spargroschen der Einleger geschützt ist .Der zweite Punkt ist die Finanztransaktionsteuer . WirSozialdemokraten haben uns 2012 hier im Bundestag ingemeinsamen Verhandlungen mit Union und FDP – auchdie Grünen waren dabei – durchgesetzt . Wir haben deneuropäischen Rettungsfonds mitbeschlossen . Eine derBedingungen für unsere Zustimmung war, dass diejeni-gen, die spekulieren, vor allen Dingen im Hochfrequenz-handel einen Teil der Lasten der Finanzkrise schultern,das heißt, dass die Kosten der Krise auch mit den Einnah-men aus einer Finanztransaktionsteuer bezahlt werden .Diese Einnahmen sind bislang nicht geflossen. Wir habenbisher keine entsprechende Steuereinnahme . Im Gegen-teil: Die Kosten der Krisenbewältigung haben letztend-lich die Schuldenlast des Bundes erhöht, und wir habenkeine Gegenfinanzierung.Es gibt eine Initiative von noch zehn Ländern zur Fi-nanztransaktionsteuer . Nach dem, was ich gehört habe –Herr Moscovici, der zuständige Kommissar, hat uns dasauf meine Frage in Brüssel sehr konkret gesagt –, gehtes in die Schlussphase der Entscheidung . Im März wirdklar, ob es eine europäische Finanztransaktionsteuer gibtoder nicht . Er hat gesagt, dass sich auch Deutschland be-wegen und konstruktiv verhandeln muss. Der Bundesfi-nanzminister hat das hier im Bundestag immer betont . Erhat dafür auch ein Mandat des Bundestages: breite Be-messungsgrundlage, niedrige Sätze, keine Ausnahmen .
Worum ich bitte und was ich erwarte – das ist auch imSinne dessen, was der Bundestag 2012 auf den Weg ge-bracht hat, also im Interesse der Kontinuität –, ist, dass Siekonstruktiv agieren und eine europäische Finanztransak-tionsteuer als Ergebnis wollen und durchsetzen . Es bringtnichts, über die Kosten der Flüchtlingskrise zu diskutie-ren und eine höhere Benzinsteuer vorzuschlagen, wäh-rend die Finanztransaktionsteuer entscheidungsreif aufdem Tisch liegt . Deswegen sage ich: Nehmen Sie IhrenMut zusammen, und sorgen Sie Seite an Seite mit Frank-reich dafür, dass im März entschieden wird, dass nachsieben Jahren Finanzkrise endlich auch diejenigen zurKasse gebeten werden, die diese Krise verursacht haben .
Gerhard Schick ist der nächste Redner für die Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen .
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ichwill als Erstes einen Blick auf unsere heutige Tagesord-nung werfen: Drei Finanzmarktthemen stehen auf derTagesordnung. Heute Morgen findet eine mit 77 Minu-ten angesetzte, große Debatte zu der Umsetzung einerEU-Richtlinie bzw . mehrerer EU-Normen statt . DerAnteil der Bundesregierung daran ist relativ gering . Esgeht vielmehr um das, was von der europäischen Ebenekommt . Der Gesetzentwurf enthält viel Gutes, zum Bei-spiel härtere Sanktionen . Darüber reden Sie gerne mor-gens zur besten Sendezeit .
Mittags nutzen Sie die immer noch hohe Aufmerksam-keit für die Kritik an den europäischen Aufsichtsbehör-den . Erst am Abend, wenn die Zeitungen gedruckt sind,
kommt das, was für Sie etwas unangenehmer ist, nämlichdie Umsetzung der Wohnimmobilienkreditrichtlinie . Da-bei geht es um eine rechtsstaatliche Dreistigkeit . DiesesThema gehört eigentlich zu dieser Debatte, weil es dabeiauch um Anlegerschutz geht .
Was ist der Punkt? Normalerweise machen wir neueGesetze für die Zukunft . In diesem Fall ist aber Folgen-des passiert: Die Finanzmarktbranche hat gejammert,dass die bisherige Gesetzeslage für alte Fälle nicht güns-tig sei . Deswegen wird jetzt rückwirkend in die Rechts-position von Verbraucherinnen und Verbrauchern beimWiderrufsrecht eingegriffen . Wo kommen wir hin, wenndas Schule macht?
Wenn Verbraucher aufgrund eines Gesetzes Problemehatten, dann wurde noch nie – an so etwas kann ich michjedenfalls überhaupt nicht erinnern – rückwirkend dasGesetz geändert . Wenn aber die Finanzbranche ruft, än-dern Sie Gesetze auch rückwirkend . Das ist skandalös,und dass ein Verbraucherminister bei so etwas mitmacht,das geht überhaupt nicht .
Das, was uns jetzt vorliegt, geht zurück auf denSchock von 2008/2009 bzw . die Erinnerung daran . Da-mals hat man eine Expertengruppe unter dem früherenDirektor des Internationalen Währungsfonds beauftragt,Handlungsempfehlungen zu erarbeiten . Daraus ist dieMarktmissbrauchsrichtlinie entstanden, weil man festge-stellt hat, in der Europäischen Union sollten – ich zitie-re – „rigorose und abschreckende Sanktionen gelten – dieauch effektiv durchgesetzt werden sollten .“Carsten Schneider
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 155 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 18 . Februar 2016 15207
(C)
(D)
Ein Stück weit wird das jetzt vorgelegt, und das istauch richtig . Aber man muss natürlich die Frage stellen:Warum nutzt eigentlich die Bundesregierung nicht sys-tematisch die Möglichkeiten, die die Richtlinie bietenwürde, um in Deutschland fehlende Sanktionen wirk-lich hart anzuziehen? An einigen Stellen erreichen Siewahrscheinlich noch nicht einmal das Mindestniveau anSanktionen, das die Richtlinie vorgibt . Ich will ein Bei-spiel nennen: Der Regierungsentwurf sieht im Hinblickauf die Strafbarkeit der Marktmanipulation vor, dassdurch die jeweilige Handlung auch eine Einwirkung aufden Marktpreis erfolgt ist; das heißt, es muss ein Erfolgeingetreten sein . Nach der Richtlinie genügt bereits dasGeben falscher oder irreführender Signale für eine Straf-barkeit . Das heißt, der Nachweis ist nach dem, was Siejetzt vorlegen, wesentlich schwieriger zu erbringen, alses die Richtlinie eigentlich vorsieht .Ich frage mich: Warum sieht der Gesetzentwurf be-züglich Waren eine generelle Strafbarkeit vor, im Fallevon vorsätzlichen Fehlinformationen bei Aktien aber nur,wenn es wirklich die Erlangung eines großen Vermögens-vorteils gegeben hat? Unser Finanzminister gibt ja gerneinmal den Harten . Aber wenn es um Finanzmarktakteu-re geht, wird er plötzlich relativ weich und nachsichtig .Da stimmen Ihre Maßstäbe nicht .
Die Ökonomen George Akerlof und Robert Shillerhaben im Handelsblatt kürzlich einen Beitrag aus ei-nem aktuellen Forschungsprojekt veröffentlicht . Es heißt„Phishing for Phools“ und behandelt das Thema „Mani-pulation und Täuschung“ . Es geht darin insbesondere umden Finanzmarkt, weil ein ganz relevanter Teil des Fi-nanzmarktes leider auf Lug und Betrug basiert . Es mussdoch einmal zur Kenntnis genommen werden – ich hoffe,auch in den Koalitionsfraktionen und im Bundesfinanz-ministerium –, dass wir in Anbetracht von Skandalen,bei denen die Marktpreise bei Zinsen, bei Devisen undbeim Gold manipuliert und Märkte in Billionenumfangdurch Preismanipulationen gestört worden sind, einmalsehr systematisch die Frage stellen müssen: Wie schaffenwir es eigentlich, endlich wieder Recht und Ordnung amFinanzmarkt zu etablieren?
Das ist kein Thema, bei dem wir einfach unsere Händein den Schoß legen dürfen, sondern wir müssen sehen:All die großen Skandale sind, selbst wenn deutsche Un-ternehmen oder auch Finanzmarktunternehmen betroffenwaren, nicht in Deutschland aufgedeckt worden . BeimLibor-Skandal waren es die britischen und amerikani-schen Behörden, beim VW-Skandal waren es die ame-rikanischen Behörden . So könnte man diese Liste leiderfortsetzen . Was heißt denn das? Es besteht wohl großerHandlungsbedarf in Deutschland . Da kann es doch nichtausreichen, eine EU-Richtlinie nur so umzusetzen, wie esden Mindestanforderungen entspricht, sondern da mussman auch die deutschen Probleme endlich einmal ange-hen .
– Ja, da muss man auch beim Vollzug etwas tun . Deswe-gen ist der Bundesfinanzminister, der für die Rechts- undFachaufsicht bei der BaFin zuständig ist, natürlich in be-sonderer Art und Weise gefragt . Ich hätte mich gefreut,wenn hier auch dazu ein paar Worte verloren wordenwären .
Wir sehen, dass diese Sache so wichtig ist, dass vieleLeute empört sind und es keine Stabilität gibt . Erst jüngsthat die Finanzaufsichtsbehörde, viel zu spät eingreifend,eine Bank schließen müssen, weil sie die Strafzahlungennach einem Betrugsfall nicht leisten konnte, nämlich dieMaple Bank . Das ist systemrelevant, und das ist stabi-litätsrelevant . Deswegen brauchen wir in Deutschlandeine Diskussion darüber und auch eine Gesetzgebungdazu . Wir müssen die Sanktionen im Unternehmens-bereich endlich verschärfen und auch die individuelleVerantwortung von Unternehmen ausweiten . Das Spiel,dass der Vorgesetzte sagt: „Du musst die Ziele erreichen,und mich interessiert nicht, wie“ und sich nachher vorGericht herausreden kann, indem er sagt: „Ich habe dasdoch nicht angewiesen“, muss aufhören, und zwar da-durch, dass es ein klares Strafbarkeits- und Sanktions-recht gibt, auf der Unternehmensebene, aber auch auf derindividuellen Ebene . Die britischen Parlamentskollegenhaben entsprechende Vorschläge gemacht . Für die ein-zelnen Unternehmensbereiche soll zum Beispiel jeweilsein Vorstand auch strafrechtlich verantwortlich sein . Ichfrage mich: Warum sehen wir so etwas hier im Bundestagnicht als Gesetzesinitiative von Ihnen?
Wir sehen auch, welche Bedeutung das für die aktuelleDiskussion hat . Bei der Deutschen Bank spielt das Risikoder Rechtsstreitigkeiten eine große Rolle: 12,7 Milliar-den Euro an Strafzahlungen in den letzten Jahren, jetztnoch einmal Rückstellungen für weitere Milliardenstraf-zahlungen, die vielleicht überhaupt nicht ausreichen . Dasist leider ein Problem für Deutschland insgesamt . Dassieht man derzeit an der Marktentwicklung .Ich will noch einmal eines zu der Diskussion sagen:Viele machen sich jetzt Gedanken darüber, wie stabil dieDeutsche Bank ist . In dieser Diskussion hat sich auchder Bundesfinanzminister geäußert. Seither fragen sichalle: „War das eine Intervention, weil es der DeutschenBank so schlecht geht? Wusste er mehr?“, usw. Ich finde,hier muss man eines einmal klar haben: Für jemandenin der Verantwortung des Bundesfinanzministers darf esin einer solchen Situation nur eine Regel geben – ich zi-tiere hier einen Satz aus dem CDU-Präsidium an eineranderen Stelle, der hier aber auch gilt –: „Einfach mal dieKlappe halten .“
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 155 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 18 . Februar 201615208
(C)
(D)
Ja, der Bundesfinanzminister, der die Rechts- undFachaufsicht über die Aufsichtsbehörde in Deutschlandhat, hat hier eine eindeutige Verantwortung . Sie könnenan Elke König sehen, wie man so eine Frage beantwortet .
Sie sagt: Zu einzelnen Instituten äußere ich mich nicht . –Das wäre auch Ihre richtige Antwort gewesen . Auf soetwas muss man sich bei einem Bundesfinanzministerverlassen können .
Nun zu Ihren Fehleinschätzungen . – Das Zitat „Wir ha-ben das Schlimmste hinter uns“ von Wolfgang Schäublezeigt, dass er das Wesen dieser Krise leider nicht verstan-den hat .
– Ja . – Auch der Satz der Bundeskanzlerin: „Wir haben80 Prozent der Finanzmarktregulierung geschafft“ zeigt,dass Sie nicht verstanden haben, um was es geht;
denn seit 2007 ist die Fehlentwicklung unverändert wei-tergegangen .
Die Finanzmärkte sind seit 2007 weiter schneller ge-wachsen als die Realwirtschaft, und in den westlichenIndustriestaaten sind die Schulden im Verhältnis zur rea-len Wirtschaftsleistung von 269 Prozent auf 286 Prozentweiter gestiegen . Solange es so ist, dass der Finanzmarktschneller wächst als die Realwirtschaft, werden wir keineStabilität bekommen . Deswegen braucht es jetzt mehr re-ale Investitionen, bei denen dieser Bundesfinanzministerleider bremst, und es braucht eine schärfere Finanzmarkt-regulierung, wobei dieser Bundesfinanzminister leiderauch bremst .Sie haben sich in Brüssel und in Basel gegen einestrikte Schuldenbremse für Banken gewehrt und einPlacebo-Trennbankengesetz hier in den Bundestag ein-gebracht und verabschiedet, das für die Stabilität unse-res Finanzmarktes – das sehen wir jetzt an der Diskus-sion über die Deutsche Bank – überhaupt nichts bringt . Carsten Schneider hat es bereits gesagt: Die ChristlichDemokratische Union bremst im Europäischen Parla-ment, wenn es darum geht, ein klares Trennbankengesetzzu machen, um endlich unseren Finanzmarkt zu stabili-sieren .Deswegen muss an dieser Stelle eines klar sein: WennSie so weitermachen, wird es keine Stabilität geben . DieUnsicherheiten werden uns dann weiter begleiten . Esbraucht mehr reale Investitionen, eine härtere Finanz-marktregulierung und auch im strafrechtlichen und imzivilrechtlichen Bereich harte Sanktionen für Lug undBetrug .Danke .
Ich erteile dem Kollegen Matthias Hauer für die CDU/
CSU-Fraktion das Wort .
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Bei den Ausführungen meines Vorredners konn-te man fast vergessen, dass wir heute den Entwurf einesErsten Gesetzes zur Novellierung von Finanzmarktvor-schriften beraten . Wie der Name schon erahnen lässt, istdas nur ein Teil eines größeren Pakets . Es geht um dieRegulierung der Finanzmärkte und um die Stärkung desAnlegerschutzes . Im zweiten Teil werden wir zu einemspäteren Zeitpunkt das deutsche Recht an die Finanz-marktverordnung MiFIR anpassen und die Finanzmarkt-richtlinie MiFID II in deutsches Recht umsetzen .Eine Anmerkung vorab: Es ist bedauerlich, dass sichdie Ausarbeitung der technischen Details auf europäi-scher Ebene verzögert . Das erschwert die nationale Um-setzung des zweiten Teils . Es ist aus meiner Sicht nichtnachvollziehbar, dass die Europäische Kommission denZeitplan für die nationale Umsetzung nicht sachgerechtanpassen will .Jetzt zum heutigen Thema: Worum geht es bei demErsten Finanzmarktnovellierungsgesetz? Der erste Teilumfasst vier europäische Rechtsakte aus drei Themen-bereichen: erstens die Richtlinie und Verordnung zumMarktmissbrauch, zweitens die Verordnung über Zen-tralverwahrer, drittens die Verordnung über Basisinfor-mationsblätter . Diese europäischen Rechtsakte verankernwir im deutschen Recht . Sie wurden als Lehre aus derFinanzkrise verabschiedet; wir haben gerade schon vieldazu gehört . Sie haben das Ziel, die Transparenz und dieIntegrität der Finanzmärkte zu stärken .Der Deutsche Bundestag hat in den vergangenen Jah-ren viel dafür getan, die Märkte zu stabilisieren und dieAnfälligkeit für neue Finanzkrisen zu reduzieren . Auchder heutige Gesetzentwurf dient in erster Linie dazu, dieAnleger besser zu schützen .Erster Punkt: Bekämpfung von Marktmissbrauch .Wogegen gehen wir dabei auf europäischer Ebene vor?Gegen Insidergeschäfte, gegen die unrechtmäßige Offen-legung von Insiderinformationen und gegen Marktmani-pulationen .Dr. Gerhard Schick
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 155 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 18 . Februar 2016 15209
(C)
(D)
Prominentes Beispiel für Marktmanipulationen ist derLibor-Skandal . Dabei ging es um betrügerische Mani-pulationen von Referenzzinssätzen wie dem Libor . DieManipulationen wurden in den Jahren 2011 und 2012aufgedeckt . Der Skandal steht exemplarisch dafür, dassMarktmanipulationen erhebliche Auswirkungen habenkönnen, gerade auch zulasten einfacher Bankkunden undKreditnehmer .Banken haben sich dabei beispielsweise für bestimm-te Privatkredite an den Libor-Zinssätzen zum Monats-anfang orientiert . Wenn durch gezielte Manipulationensolche Referenzzinssätze zum Monatsanfang zeitweiseerhöht werden konnten, dann wurde daran gut verdient –zum Schaden privater Kreditnehmer, die so überhöhteZinssätze zahlen mussten .Leider sind die Regeln zum Marktmissbrauch in denStaaten der Europäischen Union bislang sehr unter-schiedlich . Selbst schwere Verstöße werden nicht in al-len Mitgliedstaaten strafrechtlich sanktioniert . Dort, woSanktionen möglich sind, variieren sie teilweise erheb-lich .Durch die unterschiedlichen Regelungen auf europäi-scher Ebene konnte der Marktmissbrauch in der Vergan-genheit nur unzureichend bekämpft werden, auch weilTäter über Staatsgrenzen hinweg agieren . Die EU-weiteHarmonisierung ist also sinnvoll . Regelungslücken ineinzelnen EU-Staaten, die bisher von Tätern ausgenutztwerden konnten, werden nun geschlossen . Es ist gut undrichtig, einheitlich in der gesamten EU scharfe Sanktio-nen bei Insiderhandel und Marktmanipulation zu ermög-lichen .Die Manipulation von Zinssätzen wird verboten .Schwere Formen des Marktmissbrauchs werden EU-weitunter Strafe gestellt . Der Versuch, die Beihilfe und dieAnstiftung werden strafbar .
Im deutschen Recht haben wir insbesondere die Straf-und Bußgeldvorschriften den neuen europäischen Rege-lungen anzupassen . Wir berücksichtigen aber auch dietechnologische Entwicklung . Sowohl der Hochfrequenz-handel – in Deutschland schon geregelt – als auch neuar-tige Handelsplattformen werden dabei einbezogen .Zweiter Punkt: Anforderungen an Zentralverwahrer .Was machen Zentralverwahrer überhaupt? Sie regis-trieren neu emittierte Wertpapiere, sie führen zentraleWertpapierkonten, und auf diesen Wertpapierkonten er-fassen sie, wem welche Wertpapiere gehören . In der EUverwahren sie Wertpapiere im Gesamtvolumen von rund39 Billionen Euro . Sie wickeln Wertpapiergeschäfte imVolumen von jährlich etwa 500 Billionen Euro ab .Die Verordnung über Zentralverwahrer vereinheitlichtnun europaweit, wie sie organisiert sind, wie sie Ge-schäfte tätigen, wie sie beaufsichtigt werden, aber auchwie sie gegebenenfalls sanktioniert werden . Ziel ist es,dass die Verwahrer Wertpapiergeschäfte ordnungsgemäßund pünktlich durchführen .Der Gesetzentwurf der Bundesregierung sieht einenumfassenden Bußgeldkatalog für Ordnungswidrigkeitenvor . Wenn ein Zentralverwahrer gegen solche Vorschrif-ten verstößt, dann wird es künftig teuer . 20 MillionenEuro Bußgeld sind möglich, bis zu 10 Prozent des jährli-chen Gesamtumsatzes – je nachdem, welcher der beidenBeträge höher ist .Dritter Punkt: die bessere Information für Kleinan-leger . Mit dem Gesetzentwurf verankern wir zudem dieVerordnung über Basisinformationsblätter im deutschenRecht . Diese Informationsblätter, auch Beipackzettelgenannt, müssen Anlegern vor Vertragsabschluss bei be-stimmten Anlageprodukten ausgehändigt werden . Egal,ob Anleger, Versicherungsnehmer oder Bankkunde: Siewissen im Normalfall deutlich weniger über ein Produktals der Anbieter . Wir wollen, dass Verbraucher vor Ab-schluss solcher Verträge umfassend informiert werdenund dann gute Entscheidungen treffen können .Die Finanzmärkte werden immer komplexer . NeueTechnologien verändern die Finanzmärkte rasant . DieVielfalt von Angeboten und Produkten nimmt ständigzu . Gerade in einer solchen Zeit ist es besonders wichtig,dass Kleinanleger die wesentlichen Informationen erhal-ten, und zwar verständlich und übersichtlich . Mit demKleinanlegerschutzgesetz haben wir die Situation derKleinanleger bereits im vergangenen Jahr deutlich ver-bessert . Auch die Idee der Informationsblätter ist nichtneu . Wir in Deutschland sind bei diesem Thema in denletzten Jahren sehr aktiv gewesen .
Es gibt sie bei uns bereits für Anlageberatung bei Finanz-instrumenten, bei Verträgen über Versicherungen und zurAltersvorsorge, für Investmentvermögen und für vieleProdukte des Grauen Kapitalmarkts .Bei der aktuellen Verordnung wird ein Basisinforma-tionsblatt für verpackte Anlageprodukte vorgeschrieben .Als „verpackt“ gelten Anlageprodukte, bei denen dasGeld nicht direkt, sondern indirekt am Kapitalmarkt an-gelegt wird, zum Beispiel in offenen oder geschlossenenInvestmentfonds oder in fondsgebundenen Lebensversi-cherungen .Um diese komplexen Produkte besser verstehen zukönnen, werden klare Regeln für die Gestaltung der Ba-sisinformationsblätter eingeführt . Der Aufbau wird stan-dardisiert . Sie müssen nicht nur richtig sein, sondern auchkurz, prägnant und verständlich . Anleger können damitChancen und Risiken, aber auch die Kosten produktüber-greifend vergleichen . Wichtig für Kleinanleger ist auch,dass die Vorschriften über die zivilrechtliche Haftung derErsteller der Informationsblätter harmonisiert werden .Das heißt: Jeder Kleinanleger kann in Zukunft den Er-steller haftbar machen, wenn das Blatt irreführend oderfehlerhaft war und ihm dadurch ein Schaden entstandenist .Fazit für den Entwurf des Ersten Finanzmarktnovel-lierungsgesetzes ist: Die europäische Harmonisierungmacht die Finanzmärkte transparenter und robuster ge-gen Krisen . Alle drei Teile des Gesetzentwurfs stärkenMatthias Hauer
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 155 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 18 . Februar 201615210
(C)
(D)
den Anlegerschutz . Daran werden wir gemeinsam mitunserem Koalitionspartner weiter arbeiten .Vielen Dank .
Axel Troost ist der nächste Redner für die Fraktion
Die Linke .
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Wenn der Bundestag europäische Richtlinien umsetzt, istdie Zeit häufig schon darüber hinweggeschritten. Dochjetzt holen uns die Entwicklungen an den Finanzmärktenwieder ein .Nach wie vor wabern Unmengen von Geldern freium den Globus, mal hierhin, mal dorthin . Keiner weiß,wohin die Reise geht . Innerhalb weniger Wochen ist derDAX drastisch eingebrochen, und die mit Abstand größ-ten Abstürze gab es bei den Bankaktien . Das hat natürlichauch reale Folgen . Schon rufen die ersten Bankvorständewieder nach Hilfen von der EZB . Nach jahrelanger Dere-gulierung und seit 2009 etlichen Gegenmaßnahmen müs-sen wir feststellen, dass wir den Tiger immer noch nichtreiten können . Zu oft wurden hier Gesetze aufgelegt, dieich hier an dieser Stelle immer nur mit dem Ausdruck „zuspät und zu wenig“ gekennzeichnet habe .In dem vorliegenden Gesetzentwurf geht es unter an-derem um Maßnahmen gegen Marktmissbrauch, es gehtzum Beispiel um Insidergeschäfte und Manipulationenvon Kursen . Von diesen kriminellen Praktiken sehen wirimmer mehr, aber wir sehen immer auch nur die Spitzedes Eisberges . Nur in einigen Fällen werden die betrüge-rischen Praktiken überhaupt aufgedeckt. Ich finde dabeiden Umgang mit dem Hochfrequenzhandel, der von denneuen Regelungen erfasst wird, symptomatisch .Der Handel mit Wertpapieren, die in Bruchteilen vonSekunden gekauft und verkauft werden, macht in man-chen Marktsegmenten mehr als 40 Prozent des gesam-ten Handelsvolumens aus . Solange aber einem Händlerseine schädlichen Praktiken nicht nachgewiesen werdenkönnen, ist grundsätzlich jedes Geschäft erlaubt . Volks-wirtschaftlich gibt es jedoch überhaupt keinen Grund,Finanzprodukte in Sekundenbruchteilen kaufen und ver-kaufen zu müssen und dafür immer wieder Kollateral-schäden in Kauf zu nehmen .
Das Gleiche gilt für die Zulassung von Finanzproduk-ten . Auch hier können Anlegern die irrsinnigsten Finanz-produkte aufgeschwatzt werden, solange anschließenddie Dokumentationspflicht ordentlich erfüllt wird. Dasist dann die gelobte unternehmerische Freiheit mit demErgebnis, dass Einzelne und der gesamtwirtschaftlicheNutzen dabei auf der Strecke bleiben .Jetzt möchte ich noch einige Ausführungen zur aktu-ellen Situation machen . Der Kollege Schneider und auchder Kollege Schick haben die Situation um die DeutscheBank angesprochen .Ich bin vor einigen Monaten scharf kritisiert worden,weil ich hier in einer Rede die Deutsche Bank als mög-licherweise kriminellste Bank der Welt bezeichnet habe .Ich habe seitdem – zusammen mit dem Wissenschaftli-chen Dienst des Deutschen Bundestages – gründlicheRecherchen unternommen . Das Ergebnispapier kannman auf meiner Internetseite oder auch auf den Nach-DenkSeiten nachlesen .Es gibt – um nur einiges daraus anzuführen – der-zeit etwa 6 000 Verfahren gegen die Deutsche Bank,darunter – jetzt muss ich ablesen – Handel mit US-Hy-pothekenramsch, Umsatzsteuerbetrug, Beihilfe zurSteuerhinterziehung, Insolvenz der Kirch-Gruppe, grobfehlerhafte Anlageberatung bei Zinswetten, betrügeri-sche Cum-ex-Geschäfte, Manipulation von Devisen-kursen, US-Staatsanleihen, Preisen von Edelmetallenund Manipulation von Referenzgrößen wie Libor und Euribor, Korrumpierung ausländischer Politiker, Geld-wäsche und Sanktionsverstöße und noch einiges mehr .Alles, wie gesagt, recherchiert und nachlesbar .Bei den dabei verhängten Strafen nimmt die DeutscheBank weltweit zugegebenermaßen nur den zehnten Platzein . In der Euro-Zone ist sie aber mit deutlichem Abstandals Spitzenreiter auf Platz eins, was kriminelle Aktivitä-ten angeht, und das nicht nur in absoluten Zahlen, wasdie Strafzahlungen angeht, sondern auch in Relation zurjeweiligen Bilanzsumme .Aber es geht mir nicht in erster Linie um das Straf-register eines einzelnen Unternehmens . Es geht mir umSystemversagen .Der Kongress in Washington hat unermüdlich zahlrei-che solcher Vergehen in diversen Ausschüssen aufgear-beitet, und zwar öffentlich. Bei uns im Bundestag findetso etwas überhaupt nicht statt . Der Kollege Schick undich wissen, wovon wir in dieser Frage reden .
Jetzt steht die Deutsche Bank von allen Seiten unterDruck: von Investoren, Kunden und Gerichten . Von derGefahr einer Pleite zu reden, wäre sicherlich unverant-wortlich . Aber wer weiß, welche Milliardenstrafen nochkommen? Wer kann genau sagen, welche Gefahren vonden 52 Billionen Euro an Derivaten ausgehen, die dieDeutsche Bank in ihren Büchern hat? Niemand in diesemHause kann behaupten, dass die Wahrscheinlichkeit einerPleite bei null liegt .In den letzten Jahren haben wir uns viel mit der Ret-tung und Abwicklung von Banken beschäftigt und dazuauch vieles verabschiedet . Aber wir waren uns alle im-mer einig, dass alle diese Maßnahmen nicht tragfähigsind, wenn es um ein Rieseninstitut wie die DeutscheBank geht .
Matthias Hauer
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 155 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 18 . Februar 2016 15211
(C)
(D)
Das geisterte immer mehr als Schreckgespenst durch dieDebatte . Jetzt sollten wir uns diesem Schreckgespenstendlich stellen . Wir sollten unser Bankensystem mitSparkassen und Genossenschaftsbanken vernünftig wei-terentwickeln . Aber die riesigen Bankkonzerne müsseneingedampft und verkleinert werden . Solange das nichtpassiert ist, sind wir mit der Bankenregulierung noch lan-ge nicht am Ende .Danke schön .
Nächste Rednerin ist die Kollegin Sarah Ryglewski
für die SPD-Fraktion .
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolle-ginnen und Kollegen! Mit dem Entwurf eines ErstenFinanzmarktnovellierungsgesetzes ziehen wir die richti-gen Konsequenzen aus der Finanzkrise . Wir sorgen da-für, dass Integrität und Transparenz der Finanzmärkte inDeutschland gestärkt werden . Der Entwurf des Finanz-marktnovellierungsgesetzes steht in einer langen Reihevon Gesetzentwürfen, die wir in dieser Legislaturperiodezur Verbesserung des Verbraucher- und Anlegerschutzesim Finanzbereich entweder bereits beschlossen habenoder noch beraten . Aktuell beraten wir über den Entwurfeines Zahlungskontengesetzes, mit dem wir nicht nur ei-ner großen Anzahl an Menschen, die bisher kontolos sind,ein Girokonto verschaffen, sondern auch die Marktmachtder Verbraucherinnen und Verbraucher gegenüber denBanken stärken . Mit der Wohnimmobilienkreditrichtli-nie sorgen wir für einen besseren Verbraucherschutz . Mitdem im letzten Jahr beschlossenen Kleinanlegerschutz-gesetz haben wir die Position von Kleinanlegern auf demGrauen Kapitalmarkt gestärkt . Das macht deutlich, dasswir eine Reihe von Gesetzen beschlossen haben, die sehrgut sind . Wir sind auf einem guten Weg .
Die Kleinanleger sind auch bei dem nun vorliegen-den Gesetzentwurf im Fokus . Das ist nur gut und richtig;denn hier handelt es sich um eine besonders verletzlicheGruppe, die nur mit einer sehr geringen Marktmacht aus-gestattet ist . Wir reden hier von Menschen, die eine ver-hältnismäßig kleine Summe investieren, um sich gegenLebensrisiken abzusichern oder für das Alter vorzusor-gen . Gerade für diese Menschen können Fehlinvestitio-nen schnell existenzbedrohend werden . Umso wichtigerist, dass der Einzelne weiß, worauf er sich bei einer Anla-geentscheidung einlässt, und sich darauf verlassen kann,dass er richtig beraten wird und alle Informationen, dieihm zugehen, fehlerfrei sind .
Denn wir können davon ausgehen, dass nur die wenigs-ten Kleinanlegerinnen und Kleinanleger ausgewieseneFinanzexpertinnen und Finanzexperten sind .Gleichzeitig gibt es viele Produkte auf dem Markt, diesich zwar großer Beliebtheit in der Bevölkerung erfreu-en, aber leider häufig sehr komplex und unter Umständenfür Kleinanlegerinnen und Kleinanleger wenig geeignetsind . Ob es sich nun um strukturierte Finanzprodukte,Derivate oder eine Kapitallebensversicherung handelt, esist häufig sehr schwierig für den Einzelnen, abzuschät-zen, welche Risiken welchen Ertragschancen gegenüber-stehen . Natürlich ist gerade im derzeitigen Zinsumfeldder Anreiz groß, in ein Produkt zu investieren, das gro-ße Ertragschancen verspricht, aber für den Betreffendennicht geeignet ist . Den Chancen steht im Extremfall dasRisiko des Totalausfalls gegenüber . Das ist insbesonde-re dann dramatisch, wenn man sich gegen Lebensrisikenabsichern möchte .Selbstverständlich soll jeder – der Kollege Petry sag-te vorhin zu mir, des Menschen Wille sei sein Himmel-reich – weiterhin in die Produkte investieren können, dieihm attraktiv erscheinen . Aber das Risiko, dem er sichaussetzt, muss klar erkennbar sein . Dem Anleger mussgenauso klar sein, wie hoch die Ertragsaussichten letzt-endlich sind . Mit der PRIIP-Verordnung führen wir daherflächendeckend Basisinformationsblätter im Wertpapier-handelsgesetz ein . Mit dem Kapitalanlagegesetzbuchund dem Vermögensanlagengesetz stärken wir die Klein-anleger weiter, indem wir sie vor Vertragsabschluss mitallen wichtigen Informationen ausstatten, angefangenvom Risiko eines Produktes über Renditemöglichkei-ten bis hin zu den Provisionen, die der Anbieter für denVerkauf an einen Anleger erhält . Damit kommen wir zurAnwendung . Mir ist dabei sehr wichtig, dass wir bei derUmsetzung auf Verständlichkeit achten; denn die bestenInformationen helfen niemandem, wenn sie nicht ver-ständlich sind .
Mindestens genauso wichtig ist, dass fehlerhafte An-gaben in Zukunft bestraft werden . Wer fehlerhafte Infor-mationsblätter verteilt, muss dafür die Konsequenzen tra-gen und im Schadensfall haften . Die BaFin ist zukünftigbefugt, Bußgelder zu verhängen, wenn die Informations-blätter nicht den Anforderungen der PRIIP-Verordnunggenügen . Damit fördern wir das Vertrauen der Menschenin die Finanzmärkte und stärken erneut die BaFin in ihrerRolle als kollektiver Verbraucherschützer . Das ist eineInnovation, die wir der BaFin mit dem Kleinanleger-schutzgesetz im letzten Sommer als Aufsichtsziel gege-ben haben . Wir werden als Parlamentarierinnen und Par-lamentarier begleitend beobachten, ob die BaFin dieseRolle annimmt und konsequent zugunsten der Verbrau-cherinnen und Verbraucher wahrnimmt .Liebe Kolleginnen und Kollegen, natürlich kommt esnicht von ungefähr, dass wir heute über das Erste Finanz-marktnovellierungsgesetz debattieren . Das eigentlicheKernstück der geplanten Finanzmarktnovellierung, dieMiFID II, setzen wir zu diesem Zeitpunkt noch nicht um .Das ist sehr ärgerlich; denn mit der MiFID II wolltenDr. Axel Troost
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 155 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 18 . Februar 201615212
(C)
(D)
wir wichtige Verbesserungen auf den Weg bringen . Esist sehr unbefriedigend – das kann man an dieser Stelleschon sagen –, dass wir noch nicht einmal wissen, wannwir uns mit dieser Richtlinie befassen werden .Mit der MiFID II würde unter anderem die BaFin dasRecht erhalten, Vermarktung, Vertrieb und Verkauf vonFinanzinstrumenten zu untersagen oder zu beschrän-ken, wenn erhebliche Bedenken für den Anlegerschutzaufkommen . Und dass sie es nicht hat, ist in der Tat eingroßer Mangel; denn das eine ist die Information überverschiedene Produkte, und das andere ist, dass auf demMarkt Produkte angeboten werden, die vielleicht für denAnbieter attraktiv sind, dem Anleger aber wenig bringen .Außerdem würden Vertreiber von Finanzproduktenviel strengeren Bestimmungen darüber unterliegen, wel-che Produkte sie überhaupt auf den Markt bringen dür-fen .Zum Abschluss möchte ich noch auf ein besonderesAnliegen hinweisen, das wir auch mit der MiFID II be-raten werden: Das ist die Stärkung der Honorarberatung .Bisher ist es so, dass der Anteil der Honorarberatung inDeutschland verschwindend gering ist . Das ist in derLogik des Marktes begründet: Die meisten Verbrauche-rinnen und Verbraucher wissen nicht, dass sie bei derprovisionsbasierten Beratung, die sie bei ihrer Bank odereinem privaten Anbieter in der Regel erhalten, doch et-was bezahlen, nämlich eine hohe Provision . Es ist denLeuten oft auch nicht klar, dass das Produkt, das sie kau-fen, sich dadurch für sie auch erst später rentiert . Beimdirekten Vergleich zwischen Honorarberatung, bei derich am Anfang etwas bezahle, und Provisionsberatung,bei der die Kosten eben versteckt sind, sagt der Verbrau-cher oft: Na, bei der Provisionsberatung sehe ich dieKosten nicht; es kostet nichts, und deswegen nehme ichdie Honorarberatung nicht wahr .Verstehen Sie mich nicht falsch: Es gibt sicherlichviele Finanzberater, die das Beste der Kunden im Sinnhaben . Aber natürlich schauen sie auch immer ein Stückweit auf ihren eigenen Geldbeutel . Unser Ziel muss essein, beide Beratungssysteme nebeneinander verlässlichzu etablieren, damit die Kunden wirklich die Wahl habenund dann auch die beste Beratung bekommen .
Ich komme zum Schluss . Mit dem vorliegenden Ge-setz müssen Provisionen offengelegt werden . Wir solltenaber auch bei der Umsetzung der MiFID-II-Richtlinie da-für sorgen, dass wir dann die Honorarberatung insgesamtstärken und alle Anlageformen in den Blick nehmen .Jetzt freue ich mich erst einmal auf die weiteren Bera-tungen zum Ersten Finanzmarktnovellierungsgesetz undsehe gespannt den Beratungen zu MiFID II entgegen .Vielen Dank .
Mathias Middelberg ist nun der nächste Redner für die
CDU/CSU-Fraktion .
Wir beraten das Finanzmarktnovellierungsgesetz .Aber da die Debatte hier in einigen Punkten ein bisschenabgeschweift ist, nehme ich mir auch das Recht heraus,zwei Vorbemerkungen meinem Beitrag vorzuschalten .Die eine Vorbemerkung betrifft das Thema Finanztrans-aktionsteuer . – Leider ist der Kollege Schneider jetztnicht mehr unter uns . Das bedauere ich .
– Ach, wunderbar . Das ist ja klasse . Dann bleiben Sievielleicht noch einmal zwei, drei Minuten hier . Denn denPunkt möchte ich gern klarstellen .Sie haben an dem Punkt unseren Finanzminister Wolfgang Schäuble kritisiert und gemeint, er würde sichnicht adäquat einsetzen . Ich sage Ihnen aus unserer Er-fahrung im Finanzausschuss – da wäre es gut, wenn Sievielleicht einmal als Besucher vorbeischauten –, dasswir uns in jeder Finanzausschusssitzung mit dem The-ma „Stand der Beratungen zur Finanztransaktionsteuer“beschäftigen .
Ich kann mir in Europa unter den Ländern, die sich imMoment noch darum bemühen – das ist bedauerlicher-weise eine überschaubare Anzahl; das sind weniger alsdie EU-Mitgliedsländer insgesamt –, keine Regierungund keinen Finanzminister vorstellen, der sich mehrum das Erreichen dieses Ziels, Implementierung einerFinanztransaktionsteuer, bemüht, als das bei WolfgangSchäuble der Fall ist .
– Da erleben Sie sogar das Kopfnicken des KollegenTroost aus der Fraktion Die Linke . – Also das, denke ich,sollte man wirklich festhalten .Wir sind als Deutschland auch in keiner Weise im De-tail festgelegt . Wir machen keine Vorbedingungen zu die-sem Thema, sondern wir diskutieren das offen und gehenauf jeden konstruktiven Vorschlag ein, der von den ver-schiedenen europäischen Ländern kommt . Also, es liegtmitnichten an unserer Regierung, es liegt mitnichten anWolfgang Schäuble, sondern es liegt an der Situation inEuropa, die – wie Sie es im Moment auch an anderenpolitischen Fragestellungen beobachten können – ebennicht immer nur durch Einheitlichkeit und Einigkeit ge-prägt ist .
Sarah Ryglewski
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 155 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 18 . Februar 2016 15213
(C)
(D)
Ich hoffe, dass wir bei diesem Thema weiterkommen .Aber wenn wir weiterkommen, dann kommen wir aufjeden Fall durch Wolfgang Schäuble weiter .
Der andere Punkt, den ich meinem Beitrag vorschal-ten will, ist eine Bemerkung zu dem Thema Banken undzu dem Stichwort „Deutsche Bank“ . Ich gehöre nichtzum engeren Sympathisantenkreis der Deutschen Bankund habe sie auch nicht auf ihrer Facebookseite geliketoder Ähnliches . Aber ich muss schon sagen, dass ich die-ses regelmäßige Bashing der Deutschen Bank doch einbisschen schlicht finde. Das will ich Ihnen ganz ehrlichsagen .
Lassen Sie uns die Sache einmal zu Ende denken . Esgibt ganz viele Punkte, die einen konkret am Geschäfts-gebaren dieser Bank stören können, zumal in den letztenJahren; das ist völlig zutreffend . Über diese konkretenPunkte können wir auch gerne sprechen . Das Problemerkennen wir, wenn wir das zu Ende denken . Wir sind,glaube ich, die dritt-, viert- oder fünftgrößte Volkswirt-schaft auf diesem Erdball . Deshalb ist es auch ganz ge-scheit, wenn man im eigenen Land Finanzinstitute hat,die die eigene Wirtschaft, unsere großen, aber auch unse-re mittelständischen Unternehmen, die alle internationalagieren, begleiten . Ich halte das für sehr gut und für einerstrebenswertes Ziel .
Das muss nicht unbedingt eine Bank sein oder eineAdresse . Mir geht es auch nicht um konkrete Namen,aber ich glaube schon, dass es gut ist, wenn Deutschlandauch in Zukunft noch einen attraktiven Kapitalmarkt hatund ein attraktiver Bankenstandort ist . Das halte ich fürwichtig .
Eines sage ich Ihnen an dieser Stelle vorweg: Es istkritisiert worden, dass unsere Gesetzgebung nicht funk-tionieren würde .
Herr Kollege Middelberg, darf der Kollege Schneider
eine Zwischenfrage stellen?
Ja, gerne .
Herr Kollege Middelberg, vielen Dank für die Mög-
lichkeit, im Rahmen meiner Frage klarzustellen, dass wir
auch als Koalition – so habe ich das verstanden – der
Auffassung sind, dass die Finanztransaktionsteuer ohne
Ausnahmen eingeführt werden soll . Mir ist nämlich be-
kannt, dass von deutscher Seite aus das Bundesfinanzmi-
nisterium Ausnahmen will, zum Beispiel bei Derivaten
von Staatsanleihen . Frankreich will andere Ausnahmen .
Frankreich will, dass das Market Making nicht besteuert
wird .
Herr Meister ist da . Im März haben wir die Verhand-
lungen in Brüssel . Ich würde gerne von Ihnen wissen: Ist
auch die Unionsfraktion dafür, keine Ausnahmen zu ma-
chen, eine breite Bemessungsgrundlage, niedrige Steuer-
sätze zu haben und auch die Frage der Besteuerung von
Derivaten von Staatsanleihen in die Verhandlungen mit
einzubeziehen?
Herr Kollege Schneider, herzlichen Dank für die-se Zwischenfrage . – Wir halten uns an das, was wir imKoalitionsvertrag festgelegt haben . Da haben wir einenRahmen für die Implementierung der Finanztransaktion-steuer festgelegt . In diesem Rahmen muss sich nachherdas bewegen, was wir am Ende vereinbaren werden . Biszu dem Zeitpunkt ist es auch richtig, dass die Bundes-regierung offen über alle Varianten diskutiert . Nur, wirmüssen im Rahmen der verstärkten Zusammenarbeit eingewisses Quorum an Beteiligten überhaupt erst einmalauf eine einigende Linie bringen . Danach macht es Sinn,sich darüber konkret zu unterhalten, auch in diesem Par-lament .
Jetzt möchte ich mit meinem Punkt zu dem ThemaBanken fortfahren . Das ist mir wichtig, weil eben auchvom Kollegen Schick angesprochen wurde, viele Dingewürden nicht funktionieren, wir hätten nicht genug Ge-setze implementiert und viel Fehlverhalten würde nichtaufgedeckt . Dann hat der Kollege Troost richtigerweisedarauf hingewiesen – ich glaube, da gab es eine Empfeh-lung von dir, lieber Axel, wo man das nachlesen kann –,dass es 6 000 Fälle gibt, in denen sich die Deutsche Bankverantworten muss .Ich kann das im Einzelnen gar nicht nachvollziehen;aber wir lesen jeden Tag in der Presse, dass über die ver-schiedenen Verfahren, über das Kirch-Verfahren, überdas Libor-Verfahren und über viele andere Dinge, dieVerbraucher und Kleinanleger betreffen, berichtet wird .Das heißt, dass offensichtlich die Kontrollmechanismenund damit auch der Rechtsschutz in dem Bereich docheffizient funktionieren. Auch was andere Dinge angeht –Insiderhandel, Manipulationen an den Wertpapiermärk-ten –, kommt es zu Verfahren, und zwar zu Verfahren,in denen Vorstände, Aufsichtsräte und andere auf derAnklagebank sitzen . Ich kann ehrlich gesagt nicht fest-stellen, dass unser Rechtssystem in dem Bereich unter-entwickelt ist und nicht funktionieren würde .
Dr. Mathias Middelberg
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 155 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 18 . Februar 201615214
(C)
(D)
Das ist aber jetzt die letzte Zwischenfrage, die ich in
dem Zusammenhang zulasse . – Bitte schön, Herr Schick .
Man kann ein Mikrofon ja auch festhalten, und dann
funktioniert das auch . – Danke, Herr Präsident, und dan-
ke, Herr Middelberg, für die Zulassung der Frage . – Mich
würde interessieren, wie Sie den Bürgerinnen und Bür-
gern in Deutschland Ihre Aussage, dass die Aufklärung
durch die Behörden gut funktioniert, vor dem Hinter-
grund erklären, dass die entscheidenden Skandale, in die
die Deutsche Bank verwickelt ist, wie zum Beispiel in
den Libor-Skandal, von britischen und US-Behörden und
nicht von deutschen aufgedeckt wurde . Mich würde inte-
ressieren, ob Sie den Bürgerinnen und Bürgern erklären
können, wie viele für die Finanzkrise Verantwortliche in
Deutschland bisher rechtskräftig verurteilt worden sind,
warum das so wenige sind und wie Sie vor dem Hinter-
grund dieser Defizite zu der Aussage kommen, dass das
alles in Deutschland eigentlich ganz gut funktioniere .
Genau . – Die Tatsache, dass überhaupt ein solchesVerfahren stattfindet, und die Tatsache, dass die betref-fende Bank, über die wir eben gesprochen haben, für dasvergangene Jahr einen Verlust von 6,5 Milliarden Euroausgewiesen hat – man bedenke auch, wie viele Milliar-den Euro an Rückstellungen noch für die Durchführungvon Rechtsverfahren nachgehalten werden –, wird dochjedes Bankhaus und wird auch jeden anderen Mitspieler,jeden anderen Mitbeteiligten am Finanzmarkt hinläng-lich abschrecken. Wenn Strafverfahren stattfinden, wennVorstandsmitglieder oder andere Verantwortliche einesUnternehmens auf der Anklagebank sitzen, dann ist auchdas schon eine hinreichende Lehre für sie, unabhängigdavon, ob es zu einer Verurteilung kommt . Es ist in vie-len Fällen zu einer Verurteilung gekommen .Um ganz konkret auf den Libor-Skandal einzugehen:Dieses Verhalten hat sich in London abgespielt . Da gehtman jetzt vor Gericht; darüber wird dort jetzt verhan-delt . Ich kann also nichts Unangemessenes feststellen;vielmehr stelle ich fest, dass die Systeme funktionieren,dass Dinge aufgedeckt werden, dass die örtlich zustän-digen Behörden das letzten Endes leisten und dass dieVorgänge durch die Gerichte aufgearbeitet werden . DieEntscheidungsfindung der Gerichte spielt sich im Rah-men ihrer Unabhängigkeit ab . Das können wir hier beob-achten, haben es aber nicht zu kommentieren .
Ich werde mich in meiner weiteren Rede ein bisschenzurückhalten; sonst provoziert es zu viele Zwischenfra-gen .
Ich möchte sagen, dass das, worüber wir heute reden,schon sehr wichtig ist; schließlich hat man immer denEindruck, dass das ein bisschen technokratisch ist – dievielen kleinen Regelungen . Es ist schon wichtig, dass wireinen funktionierenden, einen sicheren Kapitalmarkt ha-ben, aber auch einen Kapitalmarkt, in den jeder Vertrauensetzen kann, jeder große, aber auch jeder kleine Anleger .Das ist ganz entscheidend; denn ansonsten würde unsereVolkswirtschaft nicht vernünftig funktionieren .Wir brauchen einen funktionierenden Kapitalmarkt,auch für unsere Banken, die zusätzlichen Eigenkapitalan-forderungen unterliegen; das ist bereits erwähnt worden .Wir brauchen einen funktionierenden Kapitalmarkt fürunsere Industrie, die sich auf die Digitalisierung um-stellen muss und erhebliche Anpassungsinvestitionenin diesem Bereich finanzieren muss. Wir brauchen ei-nen funktionierenden, sicheren Kapitalmarkt für unsereGründerszene, die Wachstums- und Gründungskapitalbenötigt .Weil die Banken so scharfen Eigenkapitalanforderun-gen unterliegen, stehen sie an den Märkten als Finanzie-rer nicht mehr in dem Maße zur Verfügung, wie es früherder Fall war . Das heißt, Unternehmen können Investiti-onen heute nicht mehr allein durch Banken finanzieren,sondern sie müssen dazu auch auf den Kapitalmarkt zu-rückgreifen . Auch das ist ein ganz wichtiges Motiv undein Grund dafür, dass wir uns weiter um Sicherheit undum Zuverlässigkeit auf unseren Märkten bemühen .Es ist auch gut, dass wir das in Deutschland tun; dennin Deutschland sind wir im Moment noch unterentwi-ckelt, was unsere Kapitalmärkte angeht . In den USAhaben wir ein Verhältnis von Marktkapitalisierung zuBruttoinlandsprodukt, also zur Wirtschaftsleistung, vonüber 100 Prozent . In Deutschland liegt dieses Verhältnisbei unter 40 Prozent . Die deutschen Unternehmen nutzenalso ihren Kapitalmarkt viel zu wenig und müssten ihnviel stärker in Anspruch nehmen .
Wir haben auch im Hinblick auf die Sicherung unse-rer Altersvorsorge gute Gründe, uns um einen intaktenKapitalmarkt zu bemühen; denn angesichts des niedrigenZinsumfeldes ist es nicht mehr für jeden eine attraktiveAlternative, zu seiner örtlichen Bank zu gehen und zu sa-gen: Ich kaufe eine Bundesanleihe mit einer Verzinsungvon null Komma irgendwas . – Vielmehr wird der eineoder andere überlegen müssen, ob er nicht besser in an-dere Finanzprodukte investiert, weil er dort höhere undbessere Renditen erzielt .
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 155 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 18 . Februar 2016 15215
(C)
(D)
Mit diesem Gesetz schaffen wir ganz reale Verbesse-rungen . Meine Kollegen Dr . Meister und Matthias Hauer,aber auch die Kollegin Ryglewski haben die konkretenVerbesserungen im Gesetz angesprochen, sodass ich esmir erspare, hier die einzelnen Punkte aufzulisten .Wir kommen zu deutlich besseren Sanktionsmöglich-keiten, als wir sie früher hatten, gerade beim Insiderhan-del . Das ist eine ganz konkrete Verbesserung auf unseremKapitalmarkt, die gerade auch die Kleinanleger schützt .Wir implementieren den Beipackzettel für Finanzpro-dukte; er ist schon erwähnt worden . Wir in Deutschlandsind diejenigen gewesen, die dieses Produktionsinforma-tionsblatt damals im Kontext mit Riester-Produkten, aberauch mit anderen Finanzprodukten implementiert haben .Jetzt zieht die Europäische Union nach .
Herr Kollege .
Ich bin gleich am Schluss . – Deswegen bilanziere ich:
Es ist ein gutes Gesetz . Es ist ein guter Tag für die Anle-
ger am Kapitalmarkt. Es ist ein guter Tag für einen effi-
zienten, sicheren und vertrauenswürdigen Kapitalmarkt .
Vielen Dank .
Das Wort erhält nun der Kollege Petry für die
SPD-Fraktion .
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Her-ren! Das, was wir heute vorliegen haben, reizt natürlich,über Dinge zu sprechen, die nicht in dem Gesetz geregeltwerden; das ist heute Vormittag schon vielfach passiert .Axel Troost und Gerhard Schick haben die DeutscheBank und andere Dinge im Visier . Herr Middelberg hateine gewagte These über Bankenfinanzierung und Kapi-talmarkt geäußert .
Ich habe das so verstanden, dass die Regulierungen, diewir nun im Bankenwesen haben, dazu geführt haben,dass es schwieriger für sie wird, sich zu finanzieren, unddass deshalb der Kapitalmarkt einspringen muss . Ich binsicher, dass wir darüber in der Diskussion bleiben wer-den .Wir haben natürlich schon sehr viel getan . HerrDr . Meister hat es gesagt: Es waren 40 Regelungen in denletzten Jahren . Herr Dr . Meister, bei diesem Gesetz darfich mich bei Ihnen ausdrücklich bedanken . Ich hatte beider Diskussion um das Kleinanlegerschutzgesetz gesagt:Das versteht kein Mensch . – Selbst die Begründung warunlesbar . – Dieses Gesetz jetzt – ich weiß nicht, ob meineAussage dazu geführt hat – kann man wirklich lesen undverstehen . Das ist für die Transparenz, auch die Trans-parenz für den Gesetzgeber, sehr wichtig . Dafür einenherzlichen Dank an Sie!
– Dafür kann man Herrn Dr . Meister einmal danken .Er hat uns im Zusammenhang mit den 40 Regelungenauch viel erklären müssen, ob es um den Grauen Kapi-talmarkt oder das Kleinanlegerschutzgesetz ging, dieAbwicklungsmechanismen, das Bail-in oder die Banken-union . Jetzt ist die Frage, ob wir als dritte Stufe die Ein-lagensicherung verwirklichen, vor allem, wann und unterwelchen Bedingungen wir sie verwirklichen und was da-für in Europa getan werden muss; Carsten Schneider hatdazu einiges ausgeführt .Das alles sind Dinge, die unter dem Leitmotiv stehen:Stärkung des Verbraucherschutzes, mehr Sicherheit fürKleinanleger, Transparenz am Markt, bessere Aufsicht,stärkere Sanktionsmechanismen . So ist auch das uns heu-te vorliegende Gesetz zu verstehen .Die Marktmissbrauchsrichtlinie, die Marktmiss-brauchsverordnung, die EU-Verordnung über Zentralver-wahrer und die EU-Verordnung über Basisinformations-blätter werden in nationales Recht umgesetzt . 98 Seitendick ist die Vorlage . 17 Rechtsgebiete sind betroffen . De-tailregelungen werden angepasst . Mit Sicherheit wird imVerfahren noch nachgesteuert werden . Es werden weite-re Dinge auftauchen, die wir berücksichtigen müssen . Esgeht darum, die Integrität der europäischen Finanzmärktewiederherzustellen bzw . zu stärken . Märkte funktionie-ren nur dann effizient – das hat auch Herr Dr. Middelberggesagt –, wenn die Marktakteure klare Regelungen ha-ben . Wir brauchen einen funktionierenden Kapitalmarkt;da sind wir einer Auffassung . Wenn er mit den einheitli-chen Aufsichts- und Sanktionsbefugnissen versehen ist,die wir hiermit stärken, wenn die Transparenz für Anle-gerinnen und Anleger gewährleistet ist, dann ist dies einbedeutender Schritt hierzu .Die Finanzmärkte boomen; wir wissen dies . 800 Bil-lionen Dollar im Derivatehandel weltweit, in Europa einFondsvolumen von 20 Billionen Euro – das sind giganti-sche Summen . Märkte sind vorhanden . Geld ist vorhan-den . Die Regularien dazu müssen so gefasst sein, dass sietransparent sind und Sicherheit bieten .
Der Marktmissbrauch verfälscht Marktergebnisse undlässt die Integrität der Finanzmärkte erodieren . Das scha-det dem Markt und untergräbt das Vertrauen der Anleger .Hier haben Herr Dr . Schick und Axel Troost ja die Deut-sche Bank als Beispiel genannt .Herr Dr . Schick, eines habe ich nicht so ganz verstan-den – es war ein bisschen widersprüchlich –, nämlichIhre These „Trennbank – keine Krise“ . Das war so einbisschen monokausal aufgearbeitet . Ich habe mich ge-Dr. Mathias Middelberg
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 155 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 18 . Februar 201615216
(C)
(D)
fragt: Sind denn nicht eher, sage ich einmal, möglicheskriminelles Handeln und Betrugsfälle ausschlaggebendals die Regelungen, die dazu da sind, das zu verhindern?Denn auch neue Regelungen, die wir einführen, könnennatürlich missbraucht werden; Axel Troost hat daraufhingewiesen . Das hat mich so ein bisschen an AnimalFarm erinnert: Zwei Beine sind schlecht, vier Beine sindgut . Das war mir zu einfach . Ich glaube, das ist komple-xer, Herr Dr . Schick . Ich habe Sie vielleicht auch nichtganz richtig verstanden .
– Dann können wir das nochmals ausdiskutieren .
– Sie dürfen keine Zwischenfrage mehr stellen, HerrDr . Schick .Durch dieses Erste Finanzmarktnovellierungsgesetzwerden die strafrechtlichen und verwaltungsrechtlichenSanktionsmöglichkeiten erweitert . Dies wird, fünf Jahrenach Bekanntwerden des Libor-Betrugsskandals, endlichzu den entsprechenden Sanktionen bei Marktmissbrauchund Insidergeschäften führen .Einen Aspekt – er ist schon zweimal genannt wor-den – möchte ich noch besonders betrachten, beispielhaftfür das, was wir hier regeln: den Hochfrequenzhandel,den computerbasierten Handel mittels Algorithmen, dereuropaweit nicht einheitlich reguliert ist . Lothar Bindingkennt sich als Mathematiker mit diesen Algorithmen na-türlich besonders gut aus .
Die zulässige Datenmenge liegt hier bei 10 Gigabit proSekunde und 75 000 Mitteilungen pro Tag . Mit dieser Re-gelung ist Deutschland Vorreiter . Eben ist die Frage ge-stellt worden: Welchen volkswirtschaftlichen Sinn machtdas Ganze? Es macht keinen Sinn . Es geht schlichtwegdarum, ein Geschäft zu machen . Jetzt kann man nichtjedem verbieten, ein Geschäft zu machen; das ist auchklar . Das braucht man auch nicht . Aber die Regulierungsollte so erfolgen, dass die Kräfte, die dahinterstehenkönnen, inklusive der Marktmanipulation durch solcheAlgorithmen, begrenzt, beaufsichtigt und auch kontrol-liert werden, damit der Missbrauch weitestgehend ver-hindert werden kann . Die einheitlichen Regularien hierzuin Europa, was die Sanktionsmöglichkeiten angeht, sindTeil dieses Pakets . Das halte ich für sehr gut . Das ist einSchritt nach vorne . Da bedeutet das Erste Finanzmarkt-novellierungsgesetz natürlich einen großen Schritt füruns .
Es ist auch gesagt worden, dass die Finanzmarktricht-linie und die Finanzmarktverordnung, MiFID II undMiFIR, jetzt noch nicht umgesetzt werden . Statt zum3 . Januar 2017 soll dies nun erst 2018 der Fall sein . Dasist natürlich ärgerlich . Hier wäre – Sarah Ryglewski hatdarauf hingewiesen – noch ein großer Schritt zu tun; aberdieser wird kommen . Auch hier werden wir im Zusam-menhang mit dem Thema „mehr Transparenz und mehrVerbraucherschutz“ ein Augenmerk auf die Umsetzungin nationales Recht legen .Am Ende meiner Ausführungen möchte ich nochmalsbetonen, dass es bei diesem sehr komplexen Werk in derDiskussion mit Sicherheit noch an der einen oder an-deren Stelle Veränderungsbedarf geben wird . Ich freuemich auf diese Diskussion . Ich bin auch sehr gespanntdarauf, was noch von außen an uns herangetragen wird .Wir haben eben beschrieben, wie der Weltfinanzmarktaufgebaut ist . Wir sprechen hier über schier undenkbargroße Summen . Ich bin froh, dass wir dies heute Morgenin vertrauter Runde diskutieren können . Insoweit freueich mich auf die kommende Diskussion . Mein besonde-rer Dank für das schnelle und geräuschlose Arbeiten giltan dieser Stelle nochmals dem Bundesfinanzministeriumund den beteiligten Ressorts . Wir werden in den kom-menden Wochen intensiv diskutieren . Ich denke, der heu-tige Tag ist ein guter Tag für den Verbraucherschutz undfür die Transparenz . Es ist ein guter Tag hier im Deut-schen Bundestag .Glück auf!
Frank Steffel ist der letzte Redner zu diesem Tages-
ordnungspunkt für die CDU/CSU-Fraktion .
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-ren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Seit eineinhalbStunden diskutieren wir – ich vermute, zum hundertsten,zweihundertsten oder dreihundertsten Mal – in diesemDeutschen Bundestag über die Regulierung von Finanz-märkten . Vielen Zuhörerinnen und Zuhörern geht es wohlwie immer: Man merkt, wie mühsam das ist, man merkt,wie komplex das ist . Man versteht wahrscheinlich vie-les nicht wirklich, hat aber hoffentlich das Gefühl, dasssich dieser Deutsche Bundestag sehr intensiv bemüht, dieLehren aus der Finanzmarktkrise zu ziehen und alles da-für zu tun, dass sich eine solche Krise in Europa nie mehrwiederholen kann .
Ziel auch dieses Gesetzes – wie aller Gesetze davor –ist es einmal mehr, die europäischen Finanzmärkte voreiner Krise zu schützen, die ja nicht nur Auswirkungenauf den Banken- und Finanzbereich, sondern auch aufArbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, unseren Mittel-stand, unsere Verbraucher und unsere Steuerzahler hat .Es sind viele, die dann die Zeche einer solchen Krise be-zahlen müssen . Wir optimieren also heute – acht Jahrenach der Finanzkrise – einmal mehr die seitdem bereitseingeführten Finanzmarkgesetze .Christian Petry
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 155 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 18 . Februar 2016 15217
(C)
(D)
Lassen Sie mich an einem Tag wie heute ganz bewussteinmal festhalten: Wir optimieren das heute europaweit .Das heißt, die europäische Politik stellt einmal mehrin einem außerordentlich komplexen Sachverhalt ihreHandlungsfähigkeit unter Beweis . Sie stellt unter Be-weis, dass sie aus dieser Finanzkrise ihre Lehren gezogenhat . Und sie stellt unter Beweis, dass sie trotz aller unter-schiedlichen Auffassungen in der Lage ist, gemeinsameRegelungen für Europa zu schaffen . Des Weiteren stelltsie unter Beweis, dass sie wachsam und bereit ist, Jahrfür Jahr immer wieder Gesetze zu optimieren, die denMenschen in Europa dienen . Ich glaube, das ist gerade aneinem Tag wie heute – bei vielen anderen Fragen, die wirzurzeit streitig diskutieren – ein gutes Signal Europas .
Ich möchte sehr bewusst auch im Rückblick nocheinmal daran erinnern, dass sich die Europäische Unionund die Staaten in Europa auch vor acht Jahren als hand-lungsfähig erwiesen haben . Viele von uns erinnern sichan die Finanzkrise und ihre Auswirkungen nur noch ganzentfernt . Aber: So lange ist das noch gar nicht her . Auchdamals haben der Deutsche Bundestag und viele Parla-mente in Europa Pakete von Maßnahmen gemeinsamdiskutiert und entschieden, um die Folgen der Krise fürEuropa bzw . für die Menschen in Europa abzumildern .Wir können übrigens heute, acht Jahre nach der Kri-se, in Deutschland feststellen: Wir haben verdammt vielrichtig gemacht . Auch damals war es übrigens eine Gro-ße Koalition, die gemeinsam gearbeitet und dazu beige-tragen hat, dass wir heute – nur wenige Jahre nach derKrise – mit über 43 Millionen Menschen den höchstenBeschäftigungsstand in der Geschichte der Bundesrepu-blik Deutschland haben .
Wir haben heute – das ist uns allen besonders wichtig –einen historischen Tiefstand bei der Arbeitslosigkeit,insbesondere aber bei der Jugendarbeitslosigkeit . JederJunge und jedes Mädchen in Deutschland hat heute dieChance, aus seinem Leben etwas zu machen . Das warvor acht Jahren keineswegs sicher . Und wir haben heutewirtschaftliche Rahmenbedingungen, die insgesamt sopositiv sind wie selten zuvor . Ich sage das sehr bewusstan einem Tag, wo natürlich die Interessenlage auf dieStaats- und Regierungschefs abzielt und wir den Ein-druck erwecken, als ob wir Krisen vor uns haben, die wirüberhaupt nicht mehr bewältigen können . Meine Damenund Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, wer solldenn diese Krise bewältigen, wenn nicht wir in Europa,wenn nicht wir in Deutschland?
Ich bin sicher, dass auch der heutige Gesetzentwurf –dazu sind ja viele Details sehr umfangreich diskutiertworden – deutlich macht, dass Europa gemeinsam han-delt, dass wir Gesetze auf europäischer Ebene verwirk-lichen, die wir übrigens in Deutschland vielfach schonvorher eingeführt hatten . Heute werden die Regeln fürden Insiderhandel und zur Verhinderung von Marktma-nipulationen durch europaweit einheitliche Regelungenabgelöst . Das ist ein gutes Signal Europas . Wir passendie Regelungen aktuellen Entwicklungen an, etwa denvöllig neuen Handelsplattformen wie dem Hochfre-quenzhandel, der sich vielfach schneller entwickelt, alswir Politiker überhaupt handeln können . Wir stärken dieIntegrität und Transparenz der Kapitalmärkte durch Re-gelungen zum Vertrieb von Wertpapieren und Kapitalan-lagen . Der Anlegerschutz – viele haben darauf hingewie-sen – wird einmal mehr deutlich verbessert . Die Strafenwerden deutlich erhöht . Auch das ist ein wichtiger Teildieses Gesetzespakets . Weiterhin erleichtern wir mit demGesetz das Tätigwerden von Whistleblowern, und wir er-weitern auch die Eingriffsmöglichkeiten von Aufsichts-behörden .Ich will das in aller Kürze noch einmal deutlich ma-chen, weil es keineswegs selbstverständlich ist, dass sichsehr unterschiedliche Regierungen bzw . Länder Europasgemeinsam auf so umfangreiche Regelungen verständigthaben . Wir Deutschen – auch in dieser Hinsicht solltenwir zufrieden sein – waren einmal mehr an der Spitze derBewegung . Wir haben aktiv mitgestaltet . Wir sind, HerrDr . Meister, nicht nur unserer Verantwortung gerecht ge-worden, sondern wir waren einmal mehr Motor für Fi-nanzmarktregulierung in Europa .
All diese Regelungen stärken die Verbraucherrechte undwerden hoffentlich die Finanzmärkte sicherer machenund dazu beitragen, dass sich eine Krise wie vor achtJahren nicht wiederholen kann .Ich möchte auf einen Punkt hinweisen, der etwasuntergegangen ist – er hat mit dem heute vorliegendenGesetzentwurf nur mittelbar zu tun –: Es ist im Rahmendieser Regulierung auch gelungen, für die 120 größtenBanken in Europa eine einheitliche Bankenaufsicht zuschaffen . Zusätzlich haben wir einen einheitlichen Ab-wicklungsmechanismus . Dieser stellt sicher, dass im Falleiner Pleite einer europäischen Bank zunächst die An-teilseigner und Gläubiger und dann ein von den Bankengespeister Rettungsfonds die Schulden bedient und ebennicht einmal mehr der Steuerzahler . Diese Bankenunionist ein Meilenstein der europäischen Integration . Vor derFinanzkrise war eine derart enge Zusammenarbeit un-denkbar, und niemand konnte sich vorstellen, dass dienationalen Regierungen ihre Gesetzgebungskompetenzin einem so sensiblen Bereich wie der Bankenregulie-rung an Europa, an die EU abgeben würden .Das zeigt einmal mehr, meine Damen und Herren,dass wir Europäer in der Lage sind, gemeinsam unsereProbleme zu lösen . Trotz unterschiedlicher nationaler In-teressen, was völlig normal ist und Europa auch im posi-tiven Sinne ausmacht, finden wir eine zukunftsweisendeEinigung und gehen zumeist gestärkt aus Krisen hervor .Deshalb sollten wir uns gerade an einem Tag wie heutedieser gemeinsamen Kraft bewusst sein, auch wenn derWeg häufig anstrengend ist. Es gibt dazu übrigens aufunserer Welt und in Europa ohnehin keine vernünftigeAlternative . Diese Kraft Europas sollte uns aber auchAnsporn sein, in der aktuellen Krise an gemeinsamenLösungen zu arbeiten .Lassen Sie mich das abschließend sagen: Ich bin vonNatur aus optimistisch . Deswegen bin ich mir ziemlichDr. Frank Steffel
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 155 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 18 . Februar 201615218
(C)
(D)
sicher, dass die Staats- und Regierungschefs in den voruns liegenden 48 Stunden einmal mehr in wichtigen Fra-gen der Europapolitik gemeinsame Beschlüsse fassenund Europa stärken werden und die europäische Zusam-menarbeit in zwei, drei Tagen vertieft ist und besser da-steht, als es heute diskutiert wird . Denn, liebe Kollegin-nen und Kollegen, der Optimist behält nicht zwingendöfter recht als der Pessimist, aber er lebt in jedem Falleglücklicher .
Mit dieser ermutigenden Perspektive schließe ich die
Aussprache .
Ich vermute, dass sie uns die Empfehlung erleichtert,
der Überweisung des Gesetzentwurfes auf der Drucksa-
che 18/7482 an die in der Tagesordnung aufgeführten
Ausschüsse zuzustimmen . Hat jemand anderweitige Vor-
schläge? – Das ist nicht der Fall . Dann ist die Überwei-
sung so beschlossen .
Ich rufe nun unseren Zusatzpunkt 2 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Monika
Lazar, Luise Amtsberg, Volker Beck ,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN
Demokratie stärken – Dem Hass keine Chance
geben
Drucksache 18/7553
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss
Sportausschuss
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenab-
schätzung
Ausschuss Digitale Agenda
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist auch
für diese Aussprache eine Dauer von 77 Minuten vorge-
sehen . – Das ist offensichtlich einvernehmlich . Also kön-
nen wir so verfahren .
Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Kollegen
Anton Hofreiter für die antragsstellende Fraktion Bünd-
nis 90/Die Grünen das Wort .
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen undKollegen! Deutschland hat ein Problem; es heißt Rassis-mus . Rechtspopulistische, rassistische und rechtsextremeKräfte verbreiten Hass und Hetze – auf der Straße, imInternet, im politischen Diskurs . Wir erleben eine Verro-hung, die uns alle hier tief besorgt machen muss .Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Gewaltbereit-schaft hat eine Dimension erreicht, die in Teilen nochschlimmer ist als in den 90er-Jahren . Heidenau, Tröglitz,Freital sind in den vergangenen Jahren zum Gesicht deshässlichen Deutschen geworden . Im niedersächsischenSalzhemmendorf wurde nachts ein Brandsatz in eineFlüchtlingsunterkunft geworfen . Nur durch Zufall ent-gingen die im Haus schlafenden Kinder dem Tod . Imbrandenburgischen Bad Belzig haben Jugendliche einehochschwangere Asylbewerberin aus Somalia zusam-mengeschlagen . – Dies sind nur wenige Beispiele, diedas Ausmaß der rechten Gewalt zeigen .Aber es ist nicht nur die Häufigkeit, die mich er-schreckt . Die neue Dimension besteht darin, dass die Ge-waltbereitschaft bis tief in die Mitte der Gesellschaft vor-dringt . Biedermänner werden zu Brandstiftern . Ich binmir sicher, ich spreche im Namen aller, wenn ich sage:Dagegen müssen wir mit aller Macht vorgehen .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, 2015 gab es erschre-ckenderweise 14 000 rechtsextrem motivierte Straftaten,darunter 1 600 Straftaten im Zusammenhang mit der Un-terbringung Geflüchteter, jeden Tag vier Anschläge aufOrte, an denen Menschen sich sicher fühlen sollen, Men-schen, die bei uns Schutz suchen vor Gewalt, vor Folter,vor Bomben und vor Krieg . Ein Staat versagt, wenn erseine Schutzverantwortung für alle Menschen im Landnicht ernst nimmt .Rechte Gewalt ist in unserem Land tragischerweisewieder etwas Alltägliches geworden .
Wir sind es den Menschen und uns selbst schuldig, die-se erschreckende Normalität nicht einen Tag länger zuakzeptieren . Zu oft bleiben die Täter unbehelligt . Wiekann es angehen, dass sich die Polizei 20 Jahre nachRostock-Lichtenhagen, nach Mölln und Solingen erneutso schwer damit tut, rechte Straftaten zu erkennen? Imschleswig-holsteinischen Escheburg etwa zündete ein Fi-nanzbeamter eine geplante Asylunterkunft in der Nach-barschaft an . Das BKA will keine rechte Tatmotivationerkennen, selbst dann nicht, nachdem das zuständige Ge-richt den rassistischen Hintergrund eindeutig festgestellthat . Oder nehmen wir den Fall Tröglitz . Dort tritt einBürgermeister aufgrund von Gewalt des rechten Mobszurück . Kurz danach brennt die geplante Unterkunft fürGeflüchtete. Nach Monaten wird ein NPD-Sympathisantals Täter festgenommen; aber auch in diesem Fall siehtdas BKA keinen Grund, die Tat als vermutlich rechts-motiviert einzustufen . Wer nicht imstande ist, wer nichtwillens ist, rechte Straftaten zu erkennen, der gefährdetdie innere Sicherheit unseres Landes .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, rechte Gewalt ent-steht nicht aus dem Nichts . Sie kündigt sich in einerRadikalisierung der Sprache wie bei Pegida und AfD anund bleibt, tragischerweise auch auf der Facebookseiteder CSU, zu oft unwidersprochen. Wir befinden uns ineiner Abwärtsspirale, in der die unterste Schublade nochunterboten wird . Wir machen es uns zu leicht, wenn wirdie Taten zu Taten einiger Verirrter oder Unbelehrbarererklären . Pegida, AfD und Co . bereiten den Nährbodenfür rassistische Hetze und für das vergiftete gesellschaft-Dr. Frank Steffel
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 155 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 18 . Februar 2016 15219
(C)
(D)
liche Klima . Sie schüren Ängste, und sie spielen mitrassistischen Ressentiments . So befeuert die AfD die ab-surde Phantasie eines kulturell oder ethnisch homogenendeutschen Volkes, und CSU-Söder fürchtet eine massi-ve Verringerung von Volksvermögen . Wir erleben hiereinen massiven Missbrauch rechter Sprüche durch dieCSU . Dabei ist die Obergrenze für destruktives CSU-Ge-schwätz doch längst erreicht .
Im Wahlprogramm der AfD in Baden-Württembergwird vom Ende der deutschen und europäischen Kulturschwadroniert, das durch die Menschen, die vor Kriegund Verfolgung hierher fliehen, angeblich besiegelt wer-den soll . Die AfD führt sich als geistiger Brandstifter aufund treibt damit die Verrohung des politischen Diskursesganz entscheidend voran . Wer so hetzt wie die AfD, trägtMitschuld daran, wenn Molotowcocktails geworfen wer-den und Unterkünfte brennen .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist unsere Aufga-be, die Aufgabe aller Demokratinnen und Demokraten,solchen Äußerungen entgegenzutreten, egal ob sie ausder eigenen Familie, aus dem Freundeskreis oder aus dereigenen Partei kommen . Sie machen mich zornig .
Wir müssen der Spaltung unserer demokratischen Ge-sellschaft entgegentreten, gemeinsam und entschlossen .Rassismus und andere Formen gruppenbezogener Men-schenfeindlichkeit haben tragischerweise seit Jahrzehn-ten einen festen Platz in der Mitte unserer Gesellschaft .Ja, Deutschland ist leicht entflammbar. RassistischeAngstmache und krude Ideologien der Ungleichheit vonMenschen dürfen keine Akzeptanz erfahren . Aber wennHorst Seehofer auf niedrigstem Niveau von einer „Herr-schaft des Unrechts“ schwadroniert oder ein sinnlosesUltimatum nach dem anderen stellt, statt ernsthaft nachLösungen zu suchen, vergiftet er das politische Klimaund trägt mit zum Vertrauensverlust in unserer Demokra-tie bei .
Wer von Flüchtlingsströmen redet, als würde es sich da-bei um eine Naturkatastrophe handeln, wer Menschenzu Naturkatastrophen macht, der entmenschlicht sie undnimmt ihnen die Würde . Es sind aber Männer, Frauenund Kinder, die vor Krieg und Verfolgung zu uns fliehen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, jeder von uns undjeder, der sich öffentlich äußert, trägt Verantwortungdafür, wie wir über die Frauen, Männer und Kinder, diezu uns kommen, sprechen . Wir können uns in der Sachestreiten, heftig und mit Leidenschaft . Aber lassen Sie unsbitte gemeinsam dafür sorgen, dass wir zu einer Debatteder Vernunft und der Menschlichkeit zurückkehren, an-statt die schrillen Töne der Hetze und der Hysterie anzu-stimmen . Es ist die Aufgabe von Politik, den Menschendie Sorgen zu nehmen, anstatt Ängste zu schüren . Es istdie Aufgabe von Politik, zu streiten, Probleme zu identi-fizieren und dann die Probleme zu lösen.
Ja, Deutschland hat ein Problem; es heißt Rassismus .Es ist höchste Zeit, dass wir das erkennen und unmiss-verständlich für unsere demokratische und offene Gesell-schaft kämpfen und einstehen . Die übergroße Mehrheitder Menschen in unserem Land erwartet von uns, dasswir davon sprechen, welch offene, bunte und lebens-werte Gesellschaft wir haben, und klar zeigen, dass wirdiese offene und lebenswerte Gesellschaft verteidigenund sie weder im Internet noch auf der Straße noch imöffentlichen Diskurs den Hetzern, den Rassisten und denRechtsradikalen überlassen .Vielen Dank .
Für die CDU/CSU-Fraktion hat nun der Kollege
Marian Wendt das Wort .
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen undKollegen! Meine Damen und Herren! Die gesellschaftli-che Entwicklung zu einem Mehr an Gewalt in unseremLand betrachte auch ich mit großer Sorge . In der Tat dür-fen wir dem Hass und der Gewalt keine Chance bieten .Im Antrag der Grünen finde ich sehr gute Ansatz-punkte . Wer aber von politischer Gewalt und von Hassspricht und damit ausschließlich Gewalt und Hass durchRechtsextremisten meint, verhält sich unredlich .
Diese Auffassung ist für mich engstirnig und ideologischverbrämt .
Betrachten wir nur einmal die extremistischen Gewaltta-ten und Ereignisse des letzten Jahres, so stellen wir fest,dass wir unseren Blick weiten müssen . Ich zähle auf: dieAusschreitung der Linksextremisten am 12 . Dezemberin Leipzig, die Ausschreitungen von Rechtsextremistenam 11 . Januar in Leipzig, die HoGeSa-Krawalle, die Kra-walle bei der Eröffnung der EZB-Zentrale in Frankfurtund die unsäglichen Angriffe auf Polizisten in der RigaerStraße hier in Berlin . Das alles macht uns klar: Gewaltherrscht auf vielen Seiten und hat viele Facetten in un-serem Land . Auch die BKA-Berichte zu Gewalt gegenAsylbewerber und in Asylbewerberunterkünften, die unsDr. Anton Hofreiter
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 155 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 18 . Februar 201615220
(C)
(D)
diese Woche erreichten, zeigen dies leider einmal mehr .Sie schreiben in Ihrem Antrag, dass „menschenfeindli-ches Gedankengut … nicht nur ein Problem der ‚rechtenRänder‘“ sei . Richtig, Hass und Gewalt sind auch Proble-me des linken Randes . Ich hätte mir gewünscht, dass Siedies hier klipp und klar benannt hätten .
Aber Sie bleiben Ihrer Linie treu und klammern einseitigeine Reihe von Problemstellungen aus .Allein in der Bundeshauptstadt gab es im Jahr 2015ganze 25 Anschläge gegen Gotteshäuser, wovon 17 ge-gen christliche Kirchen gerichtet waren . Allein im zwei-ten Quartal des vergangenen Jahres hat die Bundesre-gierung 168 Straftaten mit antisemitischem Hintergrundregistriert . Wenn dabei nach dem Antisemitismus vonrechts differenziert wird, sage ich klipp und klar: Wir ha-ben auch einen Antisemitismus von links, der mitunterreligiös motiviert ist . So wurde etwa ein Rabbiner in Ber-lin-Schöneberg von Arabern bespuckt . Auch da habenwir ein Problem . Ich möchte gar nicht erwähnen, dassein gespürter Antisemitismus von 20 Prozent in unsererBevölkerung herrscht, der vor allen Dingen von Anti-Is-rael-Propaganda und Israel-Kritik auch vonseiten derLinkspartei verfolgt wird .
Was wollen Sie damit erreichen? Warum verschwei-gen Sie auf den sechs Seiten Ihres Antrags die Gewaltund die Beschimpfung von christlichen Asylbewerberndurch muslimische Asylbewerber? Wo findet sich derlutherische Pfarrer Martens aus Berlin, der sich schüt-zend vor diese bedrängten Menschen stellt, sich für ihreBelange engagiert und von den etablierten Kirchen ziem-lich alleingelassen wird – so fühlt er sich –, in Ihrem An-trag wieder?Was politische Gewalt angeht, haben wir ein probatesMittel, eines, das sich auf diesem Gebiet bewährt hat, denRechtsstaat . Diese Errungenschaft ist die erste Adresse,wenn es darum geht, politisch motivierte Gewalttatenaufzuklären und Gewalt zu verhindern . Wir müssen dasBKA sicherlich genau im Blick haben; aber es einzu-schüchtern und der ständige Vorwurf, es arbeite falsch,das ist die falsche Herangehensweise .
Unser Rechtsstaat verfügt über funktionierende Prozesseder Selbstreinigung und der kontinuierlichen Verbesse-rung, wie die Aufarbeitung der Taten des Nationalsozi-alistischen Untergrunds ganz klar gezeigt hat . Der Vor-wurf gegenüber der CDU, sie sei auf einem Auge blind,ist hier völlig fehl am Platze .
Im Zuge dieser kontinuierlichen Verbesserung hatdie Große Koalition verschiedene Gesetzespakete inden Bundestag eingebracht, um politische Gewalt vonrechts und links stärker zu bekämpfen . Wir haben eineReform der Verfassungsschutzämter durchgebracht unddamit eine bessere Vernetzung der Sicherheitsbehördengewährleistet . Wir haben ein Mehr an Bundespolizei ge-schaffen .
Auch die Länder vergrößern ihre Personalkörper undführen neue Formen wie die sächsische Wachpolizei ein .Die Vorratsdatenspeicherung wird uns ebenfalls helfen,massiv Gewalt von rechts und links aufzuklären . Dashaben zum Beispiel die Festnahmen im Januar 2015 inLeipzig gezeigt .Ich bin mir sicher – da bin ich ehrlich –: Der Rechts-staat kann nicht alle Probleme lösen, die sich insbeson-dere durch gesellschaftliche Entwicklungen hervorgetanhaben . Es kommt auf ein wirklich nachhaltiges zivil-gesellschaftliches Engagement von uns allen an . Eine„Förderung zivilgesellschaftlicher Arbeit“, wie Sie es inIhrem Antrag formulieren, meine ich damit nicht . Sie ge-hen eher von einem zivilgesellschaftlichen Engagementaus, das der Staat finanziert. Ich frage mich ehrlich: Istdas noch wahres und nachhaltiges zivilgesellschaftlichesEngagement im eigentlichen Wortsinne?
Extremismusprävention darf doch keine groß ange-legte Arbeitsbeschaffungsmaßnahme sein, sondern mussdem Ziel, Extremismus zu verhindern und Radikalisie-rungen vorzubeugen, dienen .
– Bleiben Sie ganz ruhig . Ich bringe gleich ein anderesModell ins Spiel . – Aus meiner Sicht sollte es vielmehrum die Stärkung des zivilgesellschaftlichen Engage-ments gehen, das bei uns bereits eine breite Basis hat .Wir haben Sportvereine, die THW-Jugend, Kirchen undMusikvereine. Dort findet wirkliche Integration statt.
Dort werden Werte wie Toleranz, Teamwork und dieVerantwortung füreinander miteinander gelebt . Dort sindfinanzielle Mittel viel, viel besser angelegt als in aufge-bauschten Anti-rechts-Programmen, die dann auch nochzur Finanzierung von Antifa-Strukturen genutzt werden .
Das wäre aus unserer Sicht der richtige Weg .
Integration kann in einem Sportverein oder einer Kirchedoch viel tiefer gehen, weil sie Teil des wahren Lebenssind . Deswegen wäre es aus meiner Sicht besser gewe-Marian Wendt
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 155 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 18 . Februar 2016 15221
(C)
(D)
sen, viel mehr Punkte aufzuzeigen, an denen dieser Weggegangen wird .
In diesen Bereichen engagieren sich Millionen von Men-schen für die Integration von Asylbewerbern und be-kämpfen damit auch den Rechtsextremismus .
Detlef Pollack hat das eindeutig belegt .Weil der Kollege Hofreiter das angesprochen hat undSie sicherlich eine Positionierung von mir erwarten,möchte ich auf Pegida zurückkommen .
Man darf die Menschen – das habe ich bereits vor einigenWochen hier gesagt – nicht pauschal für ihre Gedankenverurteilen . Wir müssen mit ihnen sprechen . Ich rede Pegida nicht nach dem Mund – das macht keiner –; aberwer Menschen in diesem Land und die Diskussion mitihnen pauschal ablehnt, muss sich fragen lassen: Was tutihr da?
Die Menschen haben Fragen, und diese Fragen müssenwir beantworten .
Die Frage ist doch: Warum gehen die Menschen zuPegida und nicht zur CDU?
Das ist die entscheidende Frage . Es ist wie immer: Wennwir nur mit dem Finger auf die anderen zeigen und sa-gen: „Die sind böse“, aber selber keine Antworten haben,werden wir dieses Problem nicht lösen . Wir müssen denLeuten doch zeigen, dass es unserem Land gut geht . DieLeute haben Angst, dass die Wirtschaft einbricht, dass sieihre Arbeitsplätze verlieren . Aber wir können ihnen klippund klar zeigen: Die unionsgeführte Bundesregierung hatGutes getan . Wir haben den Reallohn gesteigert, alleinim letzten Jahr um 2,4 Prozent . Wir haben mit 6,7 Pro-zent eine sehr niedrige Arbeitslosenquote . Das sind Din-ge, mit denen wir den Menschen, die auf die Straße ge-hen, begegnen können . Das sind klare Antworten, die wirihnen geben können .
Für mich ist wichtig: Angst ist ein ganz schlechterPartner .
Wir dürfen die Angst nicht in unsere Gesellschaft lassen .Mein Aufruf an Pegida ist: Fragt euch, wie wir diesesLand voranbringen können! Wir brauchen mündige Bür-ger und keine Scharfmacher, und wir brauchen weiter-hin ein Strafgesetzbuch, das klipp und klar besagt, dassfriedliche Demonstrationen erlaubt sind, das Gewalt aberganz scharf ablehnt .
Wenn wir uns wieder auf diesen Weg begeben – allemiteinander, von rechts, von links, vom Ausländerex-tremismus bis hin zum religiösen Extremismus –, dannkann uns dies gelingen . Wenn wir aber andere Meinun-gen pauschal verunglimpfen und uns nicht friedlich mitihnen auseinandersetzen, dann werden wir das Problemnicht lösen .Noch ein kurzes Wort zu Pegida . Ich weiß, dass inDresden nur 7 von 100 Einwohnern mitmarschieren .
Herr Kollege, denken Sie bitte an die Zeit .
Ja . – Denen rufe ich ganz klar entgegen: Nein, ihr seid
nicht das Volk – schon gar nicht meins –, höchstens ein
Völkchen . Deswegen ist mein Aufruf, Hassreden vor al-
lem gute und positive Reden entgegenzusetzen .
Vielen Dank .
Katja Kipping ist die nächste Rednerin für die Frakti-
on Die Linke .
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mein Vor-redner, Herr Wendt, kommt von der sächsischen CDU .Ich finde, seine Rede hat sehr gut veranschaulicht, wa-rum Pegida in Sachsen so stark werden konnte . Das wardie Strategie der letzten 25 Jahre: Jeden Hinweis aufwachsende neofaschistische Gewalt hat die CDU relati-viert, indem sie irgendwo auch einen linken Regelver-stoß aufgetan hat . Diejenigen, die sich zivilgesellschaft-Marian Wendt
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 155 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 18 . Februar 201615222
(C)
(D)
lich gegen Neonazis engagieren, werden von SachsensCDU auch noch verunglimpft .
Doch nun zum Thema des Antrags . Wir erleben ge-genwärtig mehrere beunruhigende Entwicklungen . Dazugehört erstens die Zunahme von Angriffen, von rassisti-schen Angriffen auf Leib und Leben von Menschen . Sohat sich die Zahl der Angriffe auf Flüchtlingsunterkünfteverfünffacht .Zweitens stellen wir eine Verrohung des Sprechensfest . Nicht nur im Netz nehmen Wortmeldungen zu, dieanderen Menschen das Menschsein absprechen .Drittens . Mit den Aufmärschen von Pegida, denselbsternannten Verteidigern des sogenannten Abend-landes, gibt es eine bewegungsförmige Organisation desRassismus .Viertens können die Rechtspopulisten europaweitWahlerfolge feiern .Diese vier Entwicklungen verstärken einander . Ras-sistische Bewegungen wie Pegida stehen für die Aufkün-digung von Empathie und Mitmenschlichkeit . Insofernist es die Pflicht aller Demokratinnen und Demokraten,gegen diesen Rassismus klar und deutlich Flagge zu zei-gen .
Doch es sind nicht die selbsternannten Verteidigerdes Abendlandes, die mir wirklich Angst machen . Michängstigt vielmehr das Versagen derjenigen, die eigentlichdie Verteidiger der Demokratie sein müssten . Wenn ein-zelne rassistische Aufmärsche die Demokratie verhöh-nen, dann ist das ärgerlich; aber das kann eine Demo-kratie aushalten . Wenn jedoch die Regierenden, die alsVerfassungsorgan auf das Grundgesetz verpflichtet sind,anfangen, zu lavieren, und am Ende Stück für Stück dieForderungen der Rechtspopulisten in Gesetzestexte gie-ßen, dann gibt es einen Rechtsruck . Wenn diejenigen, diedie Verantwortung hätten, dagegenzuhalten, die Rhetorikund die Problembeschreibung der Rassisten übernehmen,dann droht das Pendel wirklich umzuschlagen .Wir erleben gegenwärtig: Aus lauter Angst vor denmöglichen Erfolgen der AfD wird im Wochentakt eineScheinlösung nach der anderen von der Union präsen-tiert, Scheinlösungen, die an den wirklichen Ursachenvorbeigehen, die aber die rassistische Problembeschrei-bung übernehmen und sie damit verstärken .
– Ja, große Teile der politischen Klasse, große Teile derUnion versagen gegenwärtig, gerade weil sie das Liedder AfD mitsingen und dort einstimmen .
Ich habe dafür einige Beispiele . Nehmen wir nur ein-mal Horst Seehofer . Er ist immerhin Vorsitzender einerPartei, die Teil dieser Regierung ist . Er möchte die Bun-desregierung wegen der Unantastbarkeit der Grenzenverklagen und führt sich dabei auf, als ob er Artikel 1 desGrundgesetzes umschreiben möchte, obwohl dieser Ar-tikel durch die Ewigkeitsklausel geschützt ist . Artikel 1Absatz 1 des Grundgesetzes lautet:Die Würde des Menschen ist unantastbar . Sie zuachten und zu schützen ist Verpflichtung aller staat-lichen Gewalt .
Für Herrn Seehofer sind die bayerischen Obergrenzenaber offenbar ein höheres Gut als die Menschenwürde .
Das Grundgesetz entstand infolge der schweren undschmerzhaften Erfahrungen mit dem Nationalsozialis-mus, und es beginnt deswegen aus gutem Grund mit derWürde des Menschen, also aller Menschen und nicht nurder Deutschen .
Ein weiteres Beispiel für den Flirt mit dem Rechtspo-pulismus liefert Julia Klöckner . Sie, die immerhin Minis-terpräsidentin und vielleicht noch mehr werden möchte,führt in Rheinland-Pfalz einen Wahlkampf gegen Flücht-linge in der Art eines AfD-Imitationswettbewerbes .
Oder nehmen wir Thomas Strobl von der CDU . Er for-dert, das Recht zum unbefristeten Aufenthalt sollten nurMenschen erhalten, die hinreichend Kenntnisse der deut-schen Sprache sowie der bundesdeutschen Rechts- undGesellschaftsordnung nachweisen können .
Aussagen wie diese verstärken das Vorurteil, dass dieGeflüchteten nicht Deutsch lernen wollen. Ich erlebein Gesprächen in Flüchtlingsunterkünften genau dasGegenteil . Dort wird Sorge darüber geäußert, dass nurMenschen einiger weniger Nationen die zertifiziertenSprachkurse angeboten werden . Die schwarz-rote Bun-Katja Kipping
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 155 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 18 . Februar 2016 15223
(C)
(D)
desregierung versagt gerade dabei, allen, die wollen,Sprachkurse anzubieten,
und ist sich nicht zu schade, den Schwarzen Peter denGeflüchteten zuzuschieben. Das ist schädlich.
Ganz offensichtlich schwebt Herrn Strobl eine Aus-weitung der Einbürgerungstests vor . Ich fände es jaeinmal interessant, zu sehen, wer hier in diesem HohenHause all die Fragen zur bundesdeutschen Gesellschafts-ordnung beantworten könnte .
Mich würde auch interessieren, wer aus der Union denInhalt von Artikel 3 des Grundgesetzes aufsagen könn-te . Herr Strobl kann dies ganz offensichtlich nicht; dennsonst wüsste er, dass nach unserem Grundgesetz niemandwegen seiner Abstammung oder seiner Sprache benach-teiligt werden darf .Ich fasse zusammen: Wer von rassistischen Anschlä-gen spricht, der darf über Pegida nicht schweigen, wervon Pegida spricht, der darf über die AfD nicht schwei-gen,
und wer von der AfD spricht, der darf nicht darüberschweigen, dass sich Teile der politischen Klasse inzwi-schen den Mantel des Rechtspopulismus umgelegt ha-ben .
Der vorliegende Antrag stellt auf das wichtige Zielab, die Demokratie zu stärken . Wir hoffen, dass sich dieGeschichte nicht wiederholt, aber wir können aus ihr ler-nen . Das Scheitern der Weimarer Republik hing unter an-derem damit zusammen, dass massive gesellschaftlicheUmbrüche mit einer Wirtschaftskrise und mit sozialenVerwerfungen einhergingen . Es gibt keine Entschuldi-gung dafür, dass man zum Rassisten wird . Wir wissenjedoch, dass Abstiegsängste und eine Gesellschaft, inder jeder auf Konkurrenzdruck und Ellbogeneinsatz ge-trimmt wird, den Menschenfeinden in die Händen spie-len . Da müssen wir ansetzen . Wir müssen alles tun, umzu verhindern, dass sich die Weimarer Verhältnisse hierund in Europa wiederholen . Deswegen brauchen wir eineSozialgarantie und die berechtigte Hoffnung auf sozialenFortschritt .
Das heißt: Es gilt, den Sozialstaat und den öffentlichenSektor auf- und auszubauen und nicht zu zerschlagen –sowohl hierzulande als auch überall in Europa .Vielen Dank .
Uli Grötsch von der SPD-Fraktion ist der nächste Red-
ner .
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ichbin gemeinsam mit meiner Fraktion der Meinung, dasses gut ist, dass wir heute diese wertvolle Debatte führen,und danke den Antragstellern dafür, dass sie uns dies mitihrem Antrag ermöglichen .Am Anfang meiner Ausführungen möchte ich aberschon sagen, Herr Wendt, dass es heute nicht um alleFormen von Gewalt geht .
Dann müsste man ja bis zur häuslichen Gewalt alle For-men der Gewalt einbeziehen, die wir natürlich alle, diewir hier sitzen, verurteilen . Heute geht es um Rassismus,um Hetze und um rechte Gewalt, und es stünde uns allengut zu Gesicht, wenn wir in einer solchen Debatte beidiesem Thema blieben .
Ich möchte auch etwas dazu sagen, dass Sie zum The-ma Pegida angeregt haben, dass wir mit den Menschenim Gespräch sein sollten . Natürlich sollte man mit denMenschen im Gespräch sein, und natürlich ist es unseraller Aufgabe, den Menschen ihre Ängste zu nehmen .Aber ich sage Ihnen schon: Mit den Anführern von Pegida – über die reden wir hier – würde ich nicht redenwollen, weil sie es sind, die in immer kürzeren Abstän-den fordern, dass man Flüchtlinge, die nach Deutschlandkommen, um Schutz zu suchen, an der Grenze erschie-ßen soll . Erschießen! Was für Leute sind das, die Siehier – zumindest meiner Wahrnehmung nach – in Schutznehmen?
Ich meine, dass wir in einer Debatte wie dieser nichtversuchen sollten, den Scheinwerfer von rechts nachlinks zu drehen, sondern der Scheinwerfer sollte dorthinscheinen, wo in diesen Tagen die Feinde der Demokratiesitzen,
Katja Kipping
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 155 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 18 . Februar 201615224
(C)
(D)
und die sitzen rechts, meine Damen und Herren .
Ich sage Ihnen auch, dass ich nicht gedacht hätte, dassnach dem Auffliegen des NSU Rechtspopulisten undNPD-Light-Parteien in Deutschland wieder derart pro-minent werden können . Insbesondere im Osten unseresLandes ist es offenbar wieder salonfähig geworden – ichsage das alles andere als gerne –, rechtsradikal zu sein .Das hat uns im Innenausschuss letztens eine hohe Ver-treterin einer deutschen Sicherheitsbehörde wortwörtlichgesagt .Ich sage Ihnen: Wir – damit meine ich die GroßeKoalition und am besten uns alle – werden es nicht zu-lassen, dass diejenigen, die sich in diesen Tagen für dieschwächsten Glieder unserer Gesellschaft engagieren,die dafür ihre gesamte Freizeit und ihre ganze Kraft auf-wenden, von den rechten Hetzern und braunen Schläger-trupps diffamiert und selbst verfolgt werden .
Demokratie stärken, liebe Antragsteller, wird bei unsseit mehr als 150 Jahren sehr groß geschrieben . Wir ha-ben das Bundesprogramm „Demokratie leben!“ unsererFamilienministerin Manuela Schwesig auf 50,5 Milli-onen Euro aufgestockt . Wenn Sie unseren Fraktionsbe-schluss vom Januar gelesen haben, dann wissen Sie, dassdas der SPD bei weitem nicht genug ist . Wir wollen dasProgramm bei den nächsten Haushaltsberatungen sogarauf mehr als 100 Millionen Euro verdoppeln; denn wirwollen den Anfängen wehren und gerade die jungenMenschen in Deutschland vor Extremismus schützen .
Das Programm „Zusammenhalt durch Teilhabe“ gegenRechtsextremismus haben wir auf 12 Millionen Euro ver-doppelt . Auch die Bundeszentrale für politische Bildung,die, wie wir alle wissen, enorm wichtige Arbeit in diesemBereich leistet, bekommt 10 Millionen Euro mehr .Liebe Kolleginnen und Kollegen, glauben Sie mir:Als Obmann meiner Fraktion im zweiten NSU-Unter-suchungsausschuss bin ich durchaus in höchstem Maßesensibilisiert für rechtsterroristische Gefahr . Ich bin derMeinung, dass der von diesem Haus geforderte Menta-litätswechsel bei den Sicherheitsbehörden als Lehre ausdem NSU durchaus auf einem guten Weg ist . Eine eigensbeim Bundeskriminalamt eingerichtete Clearingstelle lie-fert uns jetzt Zahlen zu Straftaten gegen Asylbewerber-unterkünfte . Wenn dort die Lagen zur PMK-rechts nichtso erstellt werden, wie wir alle uns das wünschen, dannlassen Sie uns das doch einfach gemeinsam ändern . Dannkann das durch eine Weisung der Hausspitze beim BKAoder durch eine Weisung des BMI schnell und unkompli-ziert geändert werden .In dem Antrag sprechen Sie auch die offenen Haftbe-fehle gegen rechte Straftäter an, ein Thema, das uns allein den letzten Wochen durchaus erschüttert hat. Ich findees wichtig, dass wir dieses Thema im Fokus behalten . Ichglaube, wir alle miteinander sind der Meinung, dass jetztdie Länderinnenminister und die Länderpolizeien gefor-dert sind, diese Haftbefehle schnell zu vollstrecken .Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn Staat, Zivil-gesellschaft und alle Parteien, die hier sitzen, an einemStrang ziehen und aufklären, dann können die selbst-ernannten Kümmerer keinen Keil durch unsere Gesell-schaft treiben .
In Wahrheit – das wissen wir doch alle – sind sie nämlichkeine Alternative, sondern sie sind die Feinde der Demo-kratie . Ich bin mir sicher: Früher oder später – es wäremir heute lieber als morgen – wird die Maske endgültigfallen und wird auch der letzte Verirrte sehen, was fürein armseliges Menschenbild mit krankem Gedankenguthinter dieser rechtsextremen Fassade steckt .Ich komme zum Schluss . Liebe Kolleginnen und Kol-legen, lassen Sie uns in diesem Haus alle gemeinsamgegen die Kräfte in unserem Land vorgehen, die einenKeil durch unsere Gesellschaft treiben wollen, die die-ses Land unter dem Deckmantel einer Alternative spal-ten wollen . Wir wollen kein geteiltes Land . Wir wollenkein gespaltenes Deutschland . Wir sind ein Land, liebeKolleginnen und Kollegen, mit all seinen Problemen undKontroversen, aber auch in all seiner Vielfalt und mit allunseren Werten, und diese lassen wir uns von nieman-dem nehmen .Vielen Dank .
Für die CDU/CSU-Fraktion spricht jetzt der Kollege
Dr . Volker Ullrich .
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Her-ren! Wir beraten den Antrag „Demokratie stärken – DemHass keine Chance geben“ . Im Kern geht es dabei umdie Geltung von Grundrechten, um die Würde des Men-schen, um die Unverletzlichkeit der Person und um diegewaltfreie Auseinandersetzung im politischen Betrieb .Über tausend Angriffe auf Asylbewerber und Flüchtlings-heime machen betroffen und rufen unser aller Entsetzenhervor . Man muss formulieren, was es ist: Eine Schande,dass so etwas in unserem Land geschehen konnte!
Wir müssen uns diesem Hass und dieser Gewalt mitallen rechtsstaatlichen Mitteln entgegenstellen . Wir sindvon tiefer Sorge geprägt, dass Radikalisierung, Hass undeine Verrohung des gesellschaftlichen Diskurses zu Ge-Uli Grötsch
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 155 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 18 . Februar 2016 15225
(C)
(D)
walt und damit auch zu Ausgrenzung von Andersdenken-den und anderen Menschen führt . Das ist auch ein Themaim Internet und in sozialen Medien . Es ist zu sagen, dassMeinungsfreiheit ein hohes Gut darstellt; das ist gar keineFrage . Sie ist konstituierend für eine demokratisch-poli-tische Auseinandersetzung . Aber die Meinungsfreiheithat ihre Grenzen im Recht des anderen . Wer die Rechtedes anderen verletzt, kann sich nicht auf die Meinungs-freiheit berufen . Deswegen muss klar und deutlich sein,auch in den sozialen Netzwerken: Hass und Aufrufen zuGewalt müssen sich alle entgegenstellen . Wir braucheneine Kultur der digitalen Zivilcourage .
Wenn allerdings Volksverhetzung, Holocaustleug-nung und andere Straftaten zu beobachten sind, dann darfals Reaktion darauf kein „Like“ oder kein „Teilen“ erfol-gen . Darauf gibt es nur eine Antwort, nämlich Besuchoder Post von Polizei und Justiz . Diese Antwort muss derRechtsstaat geben .
Deswegen brauchen wir eine ordentliche Ausstattungbei Polizei und Justiz . Ich bin froh, dass der Bund durchdie Bereitstellung von 3 000 neuen Stellen bei der Bun-despolizei beherzt vorangegangen ist . Ich wünsche mir,dass auch die Länder diesem Beispiel folgen und Polizeiund Justiz so ausstatten, dass wir den Feinden unsererFreiheit gerecht und beherzt trotzen können . Das ist dieVerpflichtung jeder staatlichen Aufgabe.
Ich möchte auch daran erinnern, dass im Strafrecht ei-niges passiert ist . Wir haben nach der schrecklichen Ter-rorserie des NSU im Bereich der Strafzumessung reagiert .Jeder Richter in Deutschland hat bei der Strafzumessungrassistische, fremdenfeindliche oder sonstige menschen-verachtende Beweggründe konkret zu beachten . Das istseit einem Jahr geltendes Recht, und das ist richtig so .Wir haben auch die Position des Generalbundesanwaltsgestärkt, damit er Ermittlungen frühzeitig an sich ziehenkann, um damit bei Vorliegen von fremdenfeindlichenoder rassistischen Straftaten eine bessere Koordinierungder Ermittlungsarbeit durchzuführen . Das sind richtigePunkte; das sollten wir heute betonen .Es muss aber, meine Damen und Herren, die Präventi-on im Vordergrund stehen . Hass und Gewalt dürfen sichgar nicht erst in den Köpfen breitmachen . Wir brauchenPrävention im Bereich der Zivilgesellschaft, aber auchin den Schulen und Universitäten . Wir brauchen Prä-vention gegen jede Art der Radikalisierung: Präventiongegen Rechtsextremismus ebenso wie Prävention gegenLinksextremismus oder salafistisches Gedankengut. DerStaat muss bei der Bildung ansetzen, damit Menschensich insgesamt nicht radikalisieren .
Deswegen ist es richtig und darf in dieser Debatteauch erwähnt werden: So notwendig der Einsatz gegenrechte Gewalt, rechtsradikales Gedankengut, Rassismus,Hetze und Gewalt ist, so sehr darf der Rechtsstaat aberauch darauf aufmerksam machen, dass wir ein Problemvon Linksradikalismus und von Salafismus haben. Wirmüssen die Feinde unserer Freiheit insgesamt bekämp-fen. Das ist die Verpflichtung unseres Gemeinwesens.
In diesem Zusammenhang möchte ich zu Ihrer Redekommen, Frau Kollegin Kipping . Sie haben von der po-litischen Klasse gesprochen . Ich habe mir diesen Begriffgenau notiert . Ich sage Ihnen deutlich: Der Begriff „po-litische Klasse“ ist in seiner Entstehungsgeschichte undin seinem Gebrauch ein demokratiefeindlicher Kunstbe-griff .
Sie sollten Menschen, die Verantwortung für dieses Landtragen, nicht herabwürdigen, indem Sie von „Klasse“sprechen .Das ist falsch, wenn es darum geht, die rechtsradikalenHetzer in diesem Land zu bekämpfen .
Es ist auch nicht in Ordnung, dass Sie, Herr KollegeHofreiter, wenn es darum geht, gegen Hass und Gewaltund gegen Radikalisierung auf unseren Straßen vorzuge-hen, automatisch den Bogen von Pegida über AfD bis hinzur CSU spannen . Das ist unlauter, und dem stellen wiruns mit aller Macht entgegen .
Ja, wir bekämpfen die AfD . Wir bekämpfen Pegida .Wir bekämpfen radikales Gedankengut . Aber das gehtnur, wenn wir Verantwortung übernehmen und wenn diePolitik Vertrauen in diesem Land schafft . Vertrauen wer-den wir nur dann erlangen, wenn wir die Probleme lösenund uns offen und ohne gegenseitige Schuldzuweisungendaranmachen, die drängenden Herausforderungen zu be-wältigen .
Das sind Herausforderungen im Bereich der Flüchtlings-politik und im Bereich der inneren Sicherheit . Wir wer-den diese Herausforderungen angehen . Da mögen Sie soDr. Volker Ullrich
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 155 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 18 . Februar 201615226
(C)
(D)
viel schreien, wie Sie nur wollen . Verantwortung ist kei-ne Frage der Lautstärke, sondern des Handelns .
Meine Damen und Herren, wir brauchen insgesamtein Eintreten für die wertvolle freiheitlich-demokratischeGrundordnung . Das geht durch beherztes politischesHandeln, aber auch durch Engagement dieser Zivilge-sellschaft . Wer nichts tut, wer sich zurücklehnt, wer sichnicht engagiert, wird vielleicht morgen in einer Welt auf-wachen, in der er dieses Nichtstun bitter bereuen würde .Nichtstun und Nichteintreten für die freiheitlich-demo-kratische Grundordnung ist ein süßes Gift; aber es ist einGift, das wir nicht akzeptieren sollten .Lassen Sie uns gemeinsam gegen Extremismus, Hassund Hetze kämpfen, und lassen Sie uns gemeinsam dieVerantwortung in diesem Staat wahrnehmen! Dafür sindwir gewählt, und daran sollten wir arbeiten .Vielen Dank .
Das Wort hat jetzt die Kollegin Ulla Jelpke für die
Fraktion Die Linke .
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich hat-te eigentlich gedacht, es ist eine Selbstverständlichkeit,dass bei einem Thema wie heute, wenn es darum geht,gegen Hass, Hetze und rassistische Gewalt vorzugehen,alle im Hause dem Antrag folgen können, dass sie dieseDebatte so wichtig finden, dass man mehr Präsenz zeigt
und dass man vor allen Dingen ernsthaft und sachlichüber dieses Thema spricht, anders als Herr Wendt undHerr Ullrich es eben getan haben .
Ich möchte einen Punkt aufgreifen, der, finde ich, imAntrag zu kurz kommt, und zwar die Analyse der Ur-sachen für die massive Zunahme fremdenfeindlicherGewalt und Hasspropaganda . Es heißt im Antrag – daswurde schon vom Kollegen Hofreiter zitiert –:Es ist die Aufgabe aller demokratischen Kräfte, ei-ner Spaltung der Gesellschaft unmissverständlichentgegenzutreten .Ich meine aber, dass diese Spaltung längst Realitätist . Die Kluft zwischen Arm und Reich war nie größer .Deutschland ist heute das Land mit der höchsten Vermö-gensungleichheit innerhalb der Euro-Zone, so der Pari-tätische Wohlfahrtsverband . 16 Prozent leben unter derArmutsgrenze . Die obersten 10 Prozent verfügen überdie Hälfte des gesamten Vermögens, Tendenz steigend .Millionen Menschen sind prekär beschäftigt . Sie lebentrotz Arbeit am Existenzminimum . Die Altersarmutnimmt rasant zu .All das sind Folgen einer jahrzehntelangen neolibe-ralen Politik der Umverteilung von unten nach oben,begleitet von fortschreitendem Demokratieabbau . Dasist der soziale Nährboden, auf dem Rassismus, Fremden-feindlichkeit, Pegida und AfD gedeihen . Es sind nichtnur die Neonazis und die Pegida-Anhänger, die die Men-schen gegeneinander aufhetzen . Herr Ullrich, Sie habengerade wieder die entsprechenden Stichworte genannt .Auch in Ihren Reihen, in der Bundesregierung findensich immer wieder Unterstützer für diese Hetzer .
Hier im Parlament: Einmal geht es gegen die Armuts-zuwanderer aus Bulgarien und Rumänien sowie vomWestbalkan, dann sind die Menschen aus Afghanistanangeblich nicht schutzbedürftig, dann wiederum geht esgegen die sogenannten Antanzer aus Nordafrika . DieseRhetorik befeuert die fremdenfeindliche Mobilmachungvon rechts außen .
Im Antrag der Grünen ist die Rede von Rassismus undAntisemitismus, Sexismus und Homophobie . Aber auchhier möchte ich anmerken: Es fehlt die seit Jahren an-wachsende Islamfeindlichkeit . Sie muss genauso geäch-tet werden wie alle rassistischen Auswüchse .
Für das vergangene Jahr zählte die Bundesregierung – aufAnfrage der Linken – rund 70 Übergriffe auf muslimi-sche Einrichtungen, von Nazischmierereien über einge-schlagene Fenster bis hin zu schweren Brandstiftungen .Allein in den ersten drei Wochen des neuen Jahres melde-ten die Moscheegemeinschaften rund 80 weitere Angrif-fe . Nach den frauenfeindlichen Übergriffen in der KölnerSilvesternacht haben Schmäh- und Bedrohungsszenariensprunghaft zugenommen, wie die muslimischen Verbän-de beklagen . Es ist in der Tat nicht hinnehmbar, wie hiereine ganze Religionsgemeinschaft pauschal verächtlichgemacht wird .
Um es deutlich zu sagen: Die Täter von Köln müssen er-mittelt und bestraft werden, keine Frage .
Doch es ist geradezu absurd, dass nun Nazis, Hooligansund Rocker, deren mittelalterliches Frauenbild sich kaumvon dem der Salafisten unterscheidet, Bürgerwehren zumSchutze „unserer“ Frauen bilden, weil die vermeintlichenTäter von Köln nicht deutscher Herkunft sind . Lassen wires nicht zu, dass das Eintreten gegen sexistische GewaltDr. Volker Ullrich
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 155 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 18 . Februar 2016 15227
(C)
(D)
und der Kampf gegen Rassismus gegeneinander ausge-spielt werden . Es darf keine Angsträume in unseren Städ-ten geben, weder für Frauen noch für Flüchtlinge undMigranten .Ich danke Ihnen .
Der Kollege Dr . Lars Castellucci spricht jetzt für die
SPD .
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Her-ren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Richten wir ein-mal den Scheinwerfer auf die AfD . Die stellvertretendeBundesvorsitzende der AfD, Beatrix von Storch – dasist die Dame, die an der Grenze schießen will –, hat aufeinem Parteitag gesagt: „Wir wollen die Demokratie ver-teidigen . Demokratie geht nur national .“ Ich sage: Ichwill die Demokratie verteidigen, und zwar vor solchenLeuten wie Frau von Storch; denn Demokratie geht nurmit Anstand .
Vieles, was wir in diesen Tagen hören und lesen, istnur schwer erträglich . Markus Frohnmaier – er ist Bun-desvorsitzender der Jungen Alternative und Landtags-kandidat bei uns im Südwesten – sagt:Wenn wir kommen, dann wird aufgeräumt, dannwird ausgemistet, dann wird wieder Politik für dasVolk und nur für das Volk gemacht .
Alexander Gauland – den kennen Sie auch noch – sagtim Spiegel:Natürlich verdanken wir unseren Wiederaufstieg inerster Linie der Flüchtlingskrise .Und:Man kann diese Krise ein Geschenk für uns nennen .Sie war sehr hilfreich .Ein Armin Paul Hampel – er ist AfD-Chef in Nieder-sachsen – relativiert die Angriffe auf Flüchtlingsunter-künfte und sagt:… aber es ist doch klar,– Achtung! –dass ein Gutteil dieser angeblichen Brandanschlägevon den Flüchtlingen selbst kommt, meist aus Un-kenntnis der Technik . Mal ehrlich, viele von ihnendürften es gewohnt sein, in ihren Heimatländern da-heim Feuer zu machen .Meine sehr verehrten Damen und Herren, nationalis-tisch, völkisch, zynisch oder auch nur dumm: SolchenLeuten kann man dieses Land nicht anvertrauen .
Einmal nur nebenbei: Sagen darf man diese ganzenDinge übrigens . Das ist ja auch eines dieser Leitmotive,das aus dieser Szene kommt, man dürfe bestimmte Din-ge in Deutschland nicht sagen . Ich frage mich: Woherkommen denn eigentlich diese Erfahrungen? Ich glaube,dahinter steckt etwas ganz anderes . Die Leute wissen:Wenn sie so etwas sagen, dann bekommen sie Wider-spruch . Das sind aber zwei unterschiedliche Dinge . Sa-gen darf man es schon, aber mit Widerspruch muss mandann im Zweifel auch rechnen .
Man kann sich rassistisch äußern, dann muss man aberauch damit rechnen, ein Rassist genannt zu werden . Dasist Demokratie .
Am Sonntag wurde in Heidelberg der Ehrenbürgerinund Dichterin Hilde Domin gedacht . Sie ist vor zehn Jah-ren verstorben. Auch sie musste aus Deutschland fliehen.Es ist etwas exemplarisch, wie ihr Weg dann war . Viel-leicht hilft das auch für eine Einschätzung unserer heu-tigen Zeit. Sie floh über Italien, dann Frankreich, dannGroßbritannien, dann Kanada, bis sie in Santo Domingolandete und damit in einem Land, dem sie dann ihren Na-men entliehen hat . Wir merken da also: Ja, die Menschenwollen eigentlich, wenn sie fliehen müssen, erst einmalin der Nähe bleiben, weil sie Hoffnung haben, wiederzurückzukönnen . Und wir lernen auch: Wenn es wiedermöglich ist, zurückzugehen, dann gibt es viele, die auchwieder zurückwollen und mithelfen wollen, dass aus ih-rem Land ein gutes Land wird .
Hilde Domin hat aus dieser eigenen Fluchterfahrunggeschrieben:Jeder Verfolgte, der überlebt hat, weiß, dass er nurdurch die Hilfe anderer noch hier ist .Diese Hilfe, die wir in Deutschland in diesen Tagenerleben, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist für michauch Ausdruck eines hohen demokratischen Bewusst-seins . Denn Willy Brandt, als er „mehr Demokratie wa-gen“ gesagt hat, hat damit gesagt, er will zur Mitverant-wortung ermutigen .Ich würde sagen, diese Saat von Bildungsreformenund mehr Demokratie ist aufgegangen . Das zeigt die Hil-fe in diesem Land . Willy Brandt hätte einen klaren Blickauf die Herausforderungen, vor denen wir stehen, aberUlla Jelpke
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 155 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 18 . Februar 201615228
(C)
(D)
er wäre auch stolz auf dieses Land . Demokratie, das istHilfe, mit anpacken, keine Hetze!
Aber das Wichtigste – auch noch einmal Hilde Domin,wie sie aus ihrer Lebenserfahrung zusammenfasst, wo-rauf es im Umgang von Mensch zu Mensch ankommt –: . . . dass er den anderen als seinesgleichen behandelt .Dass er ihn in seiner Menschenwürde nicht kränkt,gleichgültig wie groß die Standes-, Begabungs-, Bil-dungs- und Glücksunterschiede auch sein mögen .Ja, Demokratie geht nur mit Menschenwürde . Das istder Ausgangspunkt . Meine Damen und Herren von derAfD, Menschenwürde – und nicht Deutschenwürde .
Diese sogenannte Alternative für Deutschland bietetalso keine Alternative für Deutschland, sondern in vielenÄußerungen kommt zum Ausdruck: Sie bietet eine Al-ternative zur Demokratie . Ich kann dazu nur sagen: Dashaben wir schon gehabt . Das brauchen wir nicht wieder .
Nächste Rednerin ist die Kollegin Monika Lazar,
Bündnis 90/Die Grünen .
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Geflüchtete und haupt- und ehrenamtlich Tätige in derFlüchtlingsarbeit sind häufig Zielscheibe von rassisti-scher Hetze, Hass und Gewalt. Die Anzahl flüchtlings-feindlicher Straftaten wuchs in den vergangenen Jahrenstetig . 2012 waren es 62 Straftaten, 2014 bereits knapp900 und im letzten Jahr schon mehr als 1 600 . Das ist eindramatischer Trend, dem wir gemeinsam mit allen Kräf-ten Einhalt gebieten müssen .
Auch der Ton im politischen Diskurs wird rauer undwiderwärtiger . Viele Akteure in Politik, Medien oder In-itiativen werden beschimpft und bedroht . Verunglimp-fungen wie „Volksverräter“ oder „grüne Zecke“, die ichpersönlich am Rande von Legida-Demonstrationen re-gelmäßig höre, gehören dabei noch zu den harmloserenBeispielen . Besonders enthemmt geht es dabei im Inter-net zu . In den letzten Monaten bin ich besonders froh,nicht bei Facebook zu sein; denn bei Twitter müssen sichdie Hetzer wenigstens kurz fassen .
Ich will jetzt keine Beispiele nennen, um den Trollenkeine Bühne zu geben; denn ich denke, die meisten vonuns Abgeordneten haben leider selber genügend Beispie-le parat .Strafbare Internethetze muss unverzüglich aus demNetz entfernt und geahndet werden, bevor sie Menschenzu Straftaten anstachelt . Hassdelikte müssen konsequen-ter bekämpft werden . All die Beleidigungen und Bedro-hungen tragen dazu bei, dass der Hass noch weiter ange-stachelt wird . Das dürfen wir nicht zulassen .
Wir müssen uns mit allen rechtsstaatlichen und ge-sellschaftlichen Mitteln dafür einsetzen, dass Rassismus,menschenverachtende Hetze und Gewalt zurückgedrängtwerden . Wo rechte Strömungen das friedliche Miteinan-der vergiften, müssen staatliche Institutionen mit einemrassismuskritischen Fokus arbeiten; dazu bedarf es auchder passenden Aus- und Weiterbildungen .Ebenso muss die interkulturelle Kompetenz von Be-hörden, Institutionen und Bildungseinrichtungen erhöhtwerden, unter anderem durch mehr Beschäftigte mitMigrationshintergrund im öffentlichen Dienst . Die de-mokratischen Parteien müssen rassistischen Äußerungenauch aus den eigenen Reihen in aller Klarheit entgegen-treten . Versuche, die AfD von rechts zu überholen, umdort nach Wählerstimmen zu fischen, sind inakzeptabelund gefährlich für das politische Klima in unserem Land .
Wer sich daran beteiligt, spielt den rechten Scharfma-chern in die Hände .Manchmal ist es aber auch wichtig, wenn die demo-kratischen Parteien Geschlossenheit zeigen . Wie manes nicht macht, hat die Leipziger CDU zum Beispiel am11 . Januar gezeigt, als sie sich an einer gemeinsamenLichterkette in der Leipziger Innenstadt nicht beteiligenwollte . Ziel dieser Lichterkette war es, ein gemeinsamesZeichen für Weltoffenheit gegen die Legida-Demonstra-tion zu setzen . Die Leipziger CDU-Bundestagsabgeord-nete Bettina Kudla erklärte dazu –:Von parteiübergreifenden Aufrufen halte ich nichts,da sie die Unterschiede zwischen den Parteien undauch die Verantwortlichkeiten vermengen .
Das ist nun wirklich kontraproduktiv und abstrus .
Zivilgesellschaftliche Akteure und Geflüchtete brau-chen den Schutz von Staat und Gesellschaft . Es ist des-halb großartig, dass so viele zivilgesellschaftliche Ini-tiativen und engagierte ehrenamtliche Helferinnen undHelfer vor Ort wertvolle Arbeit für unsere Demokratieleisten . Dafür möchte ich ihnen ganz herzlich danken .
Aber auch der Staat ist stärker gefragt . Wir braucheneine gut ausgestattete Demokratieoffensive auf allen poli-Dr. Lars Castellucci
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 155 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 18 . Februar 2016 15229
(C)
(D)
tischen Ebenen, um gemeinsam mit der Zivilgesellschaftunsere demokratische und pluralistische Gesellschaft zuverteidigen . Dafür ist unser Antrag eine Anregung . Wirhaben zehn Eckpunkte zusammengetragen, die in diesemMaßnahmenpaket enthalten sein sollten . Ich freue michschon jetzt auf die sicherlich sehr lebhaften Debatten inden Ausschüssen .Vielen Dank .
Für die CDU/CSU spricht jetzt die Kollegin Barbara
Woltmann .
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Liebe Kollegen und Kolleginnen von den Grü-nen, als am Dienstagnachmittag Ihr Antrag auf unsereSchreibtische kam und ich das Thema sah, habe ich ge-dacht: Ja, ein wichtiges, ein gutes Thema, auch der Titelist gut . Doch beim Lesen Ihres gesamten Antrags habeich gedacht: Na ja, da bist du aber nicht mehr von al-len Punkten so begeistert . Denn es haben mir doch vieleDinge gefehlt, ich fand den Antrag nicht vollständig undteilweise einseitig . Auch mir fehlen alle Facetten vonHass und Rassismus . Der Linksextremismus ist hier vonmeinen Kollegen schon angesprochen worden .Ich denke, wir müssen jedem Hass, jedem Rassismus,egal von welcher Seite er kommt, entgegenwirken, undzwar ganz entschieden . Da ist mir die Seite, woher erkommt, völlig egal; vielmehr ist jeder Hass, jeder Ras-sismus von allen Demokraten zu bekämpfen . Ich glaube,das ist sicherlich Konsens hier im Haus .
Drei Punkte sind für mich dabei wichtig:Erstens . Eine starke Demokratie braucht einen starkenRechtsstaat . Das beinhaltet die Anerkennung des staatli-chen Gewaltmonopols .Zweitens. Eine starke Demokratie braucht flächende-ckende politische Aufklärung .Drittens . Eine starke Demokratie braucht auch klareStrukturen und ein klares Bekenntnis gegen Hass und In-toleranz .Diese Prämissen müssen erfüllt sein, um dem Hassvon rechts gegen Ausländer, gegen Juden, gegen ande-re Gruppen, gegen andere Minderheiten, dem Hass vonlinks, dem Hass von Salafisten oder Islamisten gegenunsere staatliche Rechts- und Grundordnung erfolgreichentgegentreten zu können . Allein die Zahlen der politischmotivierten Straftaten aus dem vergangenen Dezembersprechen leider eine deutliche Sprache: Insgesamt 1 820politisch motivierte Straftaten, darunter 149 Gewalttatenund 665 Propagandadelikte, sind gemeldet worden – vielzu viele . Der Großteil der Straftaten ist von Rechtsextre-men begangen worden . Ja, das ist so .Schockierend ist auch die Zahl der Straftaten gegenAsylunterkünfte im gesamten vergangenen Jahr – sehrbesorgniserregend . 1 027 Straftaten sind registriert wor-den – eine Vervierfachung der Zahl im Vergleich zumJahre 2014 . Aber auch im Bereich der linkspolitisch wieauch der islamistisch motivierten Kriminalität sind leiderZuwächse zu verzeichnen .Mich beunruhigen in diesem Zusammenhang insbe-sondere die Straftaten mit antisemitischem Hintergrund .Juden werden nicht mehr nur von Rechtsextremen drang-saliert, sondern in zunehmendem Maße auch von Täternmit islamistischem Hintergrund . Dies führt hier in Berlinsogar dazu, dass Juden von sich aus das öffentliche Tra-gen der Kippa vermeiden . Meiner Meinung nach passteine solche Entwicklung nicht in ein freiheitlich-demo-kratisches Deutschland .Sie haben recht, wenn Sie in Ihrem Antrag darauf hin-weisen, dass die Bildung von Bürgerwehren das Gewalt-monopol des Staates infrage stellt . So etwas dürfen wirnicht zulassen; da bin ich ganz auf Ihrer Seite .
Auch stimmt es, dass die zunehmende Enthemmungbei Worten und Taten wirklich Anlass zu großer Sorgegibt . Das ist besorgniserregend, auch wenn man die ver-rohten, hassverbreitenden Äußerungen in den sozialenNetzwerken sieht, in denen die Anonymität viele dazuverleitet, sich auszutoben und zu hetzen . Vorredner ha-ben schon darauf hingewiesen .Wir können alle froh sein, dass zum Beispiel Facebookjetzt auf unsere Forderungen reagiert hat und in Deutsch-land ein Team installiert hat, durch das Hetzkommentaregelöscht werden . Das ist wichtig, und das muss auch sopassieren . Wir dürfen nicht zulassen, dass die Verfassersolcher Kommentare in den Netzen bleiben .
Ich spreche mich für einen starken Staat aus, der kon-sequent das Strafrecht anwendet und Straftäter gleichwelcher Couleur entsprechend unserer Gesetze ver-folgt und auch verurteilt . Zum Beispiel haben wir in§ 130 StGB Volksverhetzung mit einer Strafe von im-merhin bis zu fünf Jahren Freiheitsentzug belegt . Wirhaben in § 131 StGB die Gewaltdarstellung unter Strafegestellt . Ein weiteres Beispiel ist, dass nach § 166 StGBdie Beschimpfung von Religionsgemeinschaften undWeltanschauungen unter Strafe gestellt ist . Auch KollegeUllrich hat auf die Strafverschärfungen im letzten Jahrhingewiesen .Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, ichkann Ihren Antrag und Ihre Beweggründe sehr gut nach-vollziehen . Sie zeichnen aber im Antrag das Bild einesinaktiven Staates, der sich der Herausforderung „Stär-kung der Demokratie“ nicht stellen würde .Monika Lazar
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 155 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 18 . Februar 201615230
(C)
(D)
Frau Kollegin Woltmann, gestatten Sie eine Zwi-
schenfrage des Kollegen Beck?
Ja, bitte .
Frau Kollegin Woltmann, Sie haben gerade davon ge-
sprochen, dass Straftaten, die sich gegen die Religions-
zugehörigkeit von Personen richten, zu Recht geahndet
werden müssen . Wie erklären Sie sich vor diesem Hin-
tergrund, dass bei der Definition von Hasskriminalität in
§ 46 StGB durch die Große Koalition das Kriterium der
Religion anders als beim Volksverhetzungsparagrafen
nicht vorkommt?
Ich möchte jetzt nicht der Justiz vorgreifen oder michüber die Gewaltenteilung hinwegsetzen .
– Ich habe nur auf die Paragrafen hingewiesen, die wirhaben . Wenn wir merken, dass wir da eine falsche Po-sition haben, werden wir uns sicherlich noch einmalkritisch fragen, ob wir unsere Position eventuell über-denken müssen . Insofern bin ich Ihnen dankbar, dasswir dieses Thema hier diskutieren; wir werden es auchin den Ausschüssen intensiv weiter diskutieren . Dass wirdort eine andere Position einnehmen müssen, will ich garnicht ausschließen . Auch meine Position ist, dass wir al-les tun müssen, um dieser Hasskriminalität oder diesemHasspotenzial wirklich stark entgegenzuwirken . Ich willder Diskussion in meiner Fraktion nicht vorgreifen, aberich denke, dass wir alles dafür tun müssen, um letztenEndes den Auswüchsen, den schlimmen Entwicklungen,die es gibt, entgegenzutreten . Das ist erst einmal meinePosition .
Ich habe vorhin gesagt, dass ich es nicht gut finde, dassSie in Ihrem Antrag das Bild eines inaktiven Staates ma-len und zum Ausdruck bringen, wir würden noch nichtstun . Dem muss ich widersprechen . Die Bundesregierungerstellt sorgfältig und regelmäßig umfassende Lagebilderzu rechten Straftaten .Ich finde es nicht richtig, ich finde es sogar unerhört,wenn Sie in Ihrem Antrag unterstellen, das Bundeskrimi-nalamt und andere Organe würden ungenau arbeiten, undes gebe – jetzt zitiere ich aus Ihrem Antrag – „Kumpa-nei, Durchstecherei zu Gunsten von Rechtsextremisten . . . durch einzelne Beschäftigte in Sicherheitsbehörden“ .Wenn Sie diese für mich ungeheure Behauptung aufstel-len, dann müssen Sie schon auch Ross und Reiter nennenund sagen, wo jemand das so getan hat .
Sie sprechen in Ihrem Antrag von „Angst-Räumen“,davon, dass durch rechtsextreme Bestrebungen in Re-gionen, Orten, Ortsteilen die staatliche Ordnung außerKraft gesetzt wird . Das geschieht nicht nur von der rech-ten Seite, sondern auch von anderen Seiten . Ich fand eserschreckend, von Polizisten aus Neukölln oder auch ausDuisburg-Marxloh zu hören, wie dort mit der Polizei um-gegangen wird . Das können wir so nicht dulden .Der Bund hat mit dem Haushalt 2016 einen beträchtli-chen Stellenzuwachs bei der Bundespolizei beschlossen .Wir werden bis 2018 3 000 neue Stellen schaffen . Jetztsind aber auch die Länder gefordert, ihren Beitrag zuleisten und bei der Polizei wieder mehr einzustellen .
Ich glaube, da ist in der Vergangenheit zu viel gespartworden . Wir können die Länder nur auffordern, bei derPolizei wieder mehr einzustellen . Einige Länder tun dasbereits .Wir sollten allen Polizisten und Polizistinnen unserenDank aussprechen – ich möchte das hier tun –; denn siesind es, die tagtäglich ihren Kopf für uns und für unsereSicherheit hinhalten .Wir brauchen als starke Demokratie auch eine flächen-deckende Aufklärung . Völlig inakzeptabel ist für michdas Vorgehen in Schleswig-Holstein, wo Fälle gering-fügiger Straftaten nicht mehr an die Staatsanwaltschaftübergeben werden sollen .
Das ist für mich ein Schlag ins Gesicht jedes billig undgerecht denkenden Bürgers . Das kann ich so nicht akzep-tieren und nicht nachvollziehen .
Die Förderung zivilgesellschaftlicher Arbeit zur De-mokratiestärkung geschieht schon auf vielfältige Weiseauf allen Ebenen . Lassen Sie mich Beispiele nennen: ImRahmen des Bundesprogramms „Demokratie leben!“und der Förderung durch das Bundesministerium für Fa-milie, Senioren, Frauen und Jugend existieren bereits invielen Bundesländern Beratungsstellen für Opfer rechts-extremer und rassistischer Gewalt . Das Bündnis für De-mokratie und Toleranz, in dessen Beirat ich mitarbeitendarf, und der Verein „Gegen Vergessen – Für Demokra-tie“ engagieren sich gemeinsam bundesweit durch dasPortal „Demokratie vor Ort“ . Sämtliche Initiativen, dieden Bürgern ein demokratisches Engagement innerhalbunserer Gesellschaft anbieten, werden auf diesem Portalaufgeführt und rufen zum Mitmachen auf . Vom Sport bishin in die Kultur fördert der Bund Demokratieprojekte .Der Wettbewerb „Aktiv für Demokratie und Toleranz“wird jährlich vom BfDT ausgeschrieben und zeichnet dieVielfalt zivilgesellschaftlichen Engagements aus . LetztesJahr sind 327 Wettbewerbsbeiträge eingegangen . Das
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 155 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 18 . Februar 2016 15231
(C)
(D)
war eine Steigerung um mehr als 10 Prozent im Vergleichzum Jahr 2014 .Ebenso wird die Auszeichnung zum Botschafter fürDemokratie und Toleranz, die jedes Jahr am Tag desGrundgesetzes, am 23 . Mai, verliehen wird, sehr gut an-genommen . Auch über die Bundeszentrale für politischeBildung – Kollege Volker Ullrich hatte bereits daraufhingewiesen – wird sehr viel unternommen . Wir brau-chen eine starke Demokratie, und eine starke Demokratiebraucht klare Strukturen . Die Vermittlung von Chancenund Werten, die eine offene und vielfältige Gesellschaftbietet, muss auch über die Kitas und die Schulen erfol-gen. Auch hier sind die Länder in der Pflicht; denn Bil-dung ist Ländersache .
Frau Kollegin Woltmann, Sie denken an die Zeit?
Sie haben mich erschreckt .
Das tut mir leid . Das wollte ich nicht .
Ich wollte Sie nur auf die begrenzte Redezeit hinwei-
sen .
Ich bin sofort fertig . – Ich rede nicht nur von Präven-
tionsarbeit im Bereich Rechtsextremismus . Wir müssen
den Salafismus, den Islamismus, den Linksextremismus
genauso in den Blick nehmen . Ich sehe hier die islami-
schen Verbände in der Pflicht, ebenfalls ihren Beitrag zu
leisten, zum Beispiel gegen Hassprediger . Wir stehen vor
einer gesamtgesellschaftlichen Aufgabe . Alle staatlichen
und zivilgesellschaftlichen Stellen sind aufgefordert, ak-
tiv für unsere Demokratie einzutreten . Ich glaube, wir
brauchen auch einen gesellschaftlichen Diskurs über
die Frage, wie wir zusammenleben wollen, wie wir mit
Minderheiten umgehen, und auch darüber, wie wir mit
Egoismen umgehen, die immer mehr um sich greifen .
Diesen gesellschaftlichen Diskurs halte ich für dringend
geboten .
Vielen Dank .
Der Kollege Sönke Rix spricht jetzt für die SPD .
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Meine Damen und Herren! Zunächst einmal – weil in denvorherigen Reden häufig die Polizisten und die Situationin der Bildungspolitik angesprochen worden sind undgesagt wurde, dass die Verantwortung bei den Ländernliege – unterstreiche ich das, was Sie gerade eben gesagthaben, Frau Kollegin: Mein Dank geht an alle Polizisten,die gerade angesichts der jetzigen Herausforderung, ge-rade in der jetzigen Zeit sehr viel zu tun haben . DieserDank sollte vom ganzen Hause kommen .
Mein Dank gilt auch den Lehrkräften und denjenigen,die im Bildungsbereich unterwegs sind und die im Wirt-schaftspolitikunterricht, im Sozialkundeunterricht, imGemeinschaftskundeunterricht demokratische Werte ver-mitteln, Demokratie vermitteln . Auch das ist in der heu-tigen Zeit und gerade im Fokus auf die aktuelle Situationkeine einfache, aber eine besonders wichtige Aufgabe .Gerade jetzt sollten junge Menschen über die Situationaufgeklärt werden .
Es wird in diesem Zusammenhang häufig gesagt, dassdeshalb jetzt auch die Länder gefragt sind, in diesen Be-reichen mehr zu investieren, mehr Personal für Polizeiund Bildung zur Verfügung zu stellen . Diese Forderungrichtet sich natürlich in erster Linie immer, je nachdem,von wem es gesagt wird, an die Länder, in denen die ei-gene Partei gerade nicht regiert . Ich will aber zumindestdazusagen, dass die jetzigen Aufwüchse, die es in denmeisten Bereichen in den vergangenen Jahren, ganz be-sonders in den letzten drei Jahren, tatsächlich gegebenhat, deshalb notwendig waren, weil die Einsparungen,insbesondere in Niedersachsen zum Beispiel, vor fünfJahren vorgenommen worden sind, und da waren nochandere verantwortlich . Also: Der Finger, der auf die ak-tuellen Landesregierungen zeigt, zeigt immer auch aufeinen selbst .
Deshalb sollten wir das vermeiden und uns insgesamt fürmehr Personal starkmachen .
– Genau, auch da hat die Union einmal regiert, und wirmussten da einiges aufholen .
– Ich habe gerade eben gesagt, wir sollten es nicht tun .Aber schön, dass Sie es doch wieder tun . Das ist das Zei-chen dafür, dass Sie nicht wollen, dass man gemeinsamfür mehr Personal kämpft, sondern dass sie immer nochmit den Fingern auf die anderen zeigen wollen .
Meine Damen und Herren, ich will noch einmal denFokus auf eine Partei richten, die im Moment alle hin-ter sich versammelt, die frustriert sind oder die mit derSituation nicht zurechtkommen . Einige davon sind sichBarbara Woltmann
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 155 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 18 . Februar 201615232
(C)
(D)
vielleicht gar nicht bewusst, hinter welcher Partei sie sichda versammeln, nämlich der AfD .Die AfD vertritt rechtsextreme Positionen . Wennsogar Herr Henkel, der damals die AfD mit gegründethat, sagt: „Wir haben ein Monster geschaffen“ – er istaus diesem Grunde ausgetreten – und wenn Herr Höckesich darüber beschwert, dass die Meinungsfreiheit ein-geschränkt ist, weil man keine Nazisymbole zeigen darf,dann ist ganz klar: Bei der AfD handelt es sich um einerassistische und rechtsextremistische Partei . Das solltenwir auch nicht kleinreden und irgendwie relativieren,sondern wir sollten als demokratische Parteien, die wirhier in diesem Hause vertreten sind, geschlossen daraufantworten .
Die Antwort auf die AfD darf nämlich nicht sein, dassman sagt: Na gut, die etwas harmloseren Forderungenvon denen sind ja gar nicht so schlimm, die überneh-men wir einfach . Nein, Antwort muss sein, dass alle De-mokraten geschlossen sagen: Mit der AfD machen wirnichts gemeinsam . Die AfD ist eine rechtsextreme Partei .Sie hat in diesem Lande, in diesem Haus und in allenanderen Parlamenten nichts zu suchen .
Wer die einfachen Antworten von der AfD übernimmt,der verlässt – das sollten wir nicht zulassen – auch dengeschlossenen Kreis der Demokraten . Diese Geschlos-senheit haben wir in den letzten Jahren eigentlich immersehr hochgehalten .Meine Damen und Herren, ich will auch noch auf dieFragestellung eingehen, ob wir heute eigentlich überLinksextremismus, Salafismus oder Rechtsextremismusreden . In dem Antrag ist sehr eindeutig formuliert, washeute das Thema ist .
Das heißt mitnichten, dass man nicht auch über die an-deren politischen Straftaten und die anderen politischenExtremisten diskutieren darf . Es aber immer wieder indiese Debatte mit einzubauen, ist eine Relativierung des-sen, worüber wir hier eigentlich streiten müssen . Deshalbfordere ich Sie auf, dass wir, wenn wir über Nazis bzw .Rechtsextremismus sprechen, auch darüber bzw . übergeeignete Maßnahmen gegen Nazis – und nicht gegenandere – diskutieren .
Wir haben ja im Hinblick auf Demokratie einen Kon-sens . Und wir haben einen Konsens, dass wir insgesamtgegen extremistische Gewalt angehen müssen . Aber wa-rum immer diese Relativierung?
Wir machen es bei anderen Straftaten bzw . anderen Din-gen auch nicht so, dass wir immer wieder auf andere Be-reiche eingehen . Das sollten wir lassen; denn das hilftnur denen, die sagen: Wir sind ja gar nicht so schlimm, esgibt auch noch andere, schlimmere Sachen .
Voraussetzung für den Kampf gegen rechts ist aucheine starke Zivilgesellschaft. Ich finde es schon richtig,dass auch der Staat diese Zivilgesellschaft unterstützt .Es ist Aufgabe des Staates, Rahmenbedingungen – auchrechtlicher Art – zu setzen sowie finanzielle Mittel zugeben, damit die Zivilgesellschaft tatsächlich stark seinkann .
– Es gab dazu heute schon Fragestellungen, wie viel Gelddenn dafür nötig ist und ob die Zivilgesellschaft so etwaseigentlich alleine machen sollte. Ich finde, der Staat hatdie Aufgabe, die Zivilgesellschaft zu unterstützen .
– Das haben wir auch gemeinsam gemacht . Wir habenzum Beispiel gemeinsam die Mittel im Programm „De-mokratie leben! Aktiv gegen Rechtsextremismus, Gewaltund Menschenfeindlichkeit“ des Bundesfamilienministe-riums erhöht; das ist auch gut so . Deshalb geht abschlie-ßend mein Danke an all diejenigen, die sich in der Zivil-gesellschaft engagieren . Das sind nicht nur diejenigen,die an den runden Tischen gegen rechte Gewalt sindoder bei Demonstrationen von Pegida und AfD Gegen-demonstrationen organisieren . Es sind auch die Flücht-lingshelfer selbst . Die tragen dazu bei, dass Rechtsex-tremismus nicht wieder in großem Maße Bestandteilder Gesellschaft wird . Sie sind die Multiplikatoren fürDemokratie und Toleranz . Deshalb sollten wir diese en-gagierten Menschen auch weiterhin kräftig unterstützen .
Aber auch jeder Einzelne von uns ist in Bezug auf seineÄußerungen und Taten bzw . bei seinen Diskussionen inder Nachbarschaft und der Familie gefragt, gegen Nazisbzw . Rechtsextreme – also auch gegen die AfD – zu agie-ren .Ich will ein positives Beispiel aus meinem Wahlkreisnennen . Ich habe mich sehr gefreut, als ich die Schlagzei-le „Im Kreis Rendsburg-Eckernförde gibt es keinen Platzfür die AfD“ gelesen habe . Das ist das Resultat mehre-rer Anfragen nach großen Veranstaltungsräumlichkeitenund Gaststätten, in denen die AfD gerne VeranstaltungenSönke Rix
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 155 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 18 . Februar 2016 15233
(C)
(D)
durchführen wollte . Alle Betreiber von Veranstaltungs-orten und Gaststätten haben gesagt: Nein, wir wollen dieAfD nicht haben . – Das hört man öfter . Die Vertreter, beidenen angefragt wurde, haben sich in der Öffentlichkeitaber auch wie folgt geäußert: Nein, wir wollen die nichtdeshalb nicht haben, weil wir keine Unruhe haben wol-len . Vielmehr haben sie ganz deutlich Position bezogenund festgestellt: Wir stehen nicht zu den Inhalten derAfD, wir wollen keine Rechtsextremisten in unserenHäusern . – Für so viel zivilgesellschaftliche Aufmerk-samkeit und für so viel Demokratiebewusstsein sage ichDanke . Davon brauchen wir mehr .Herzlichen Dank .
Bevor ich jetzt gleich dem Kollegen Jörg Hellmuth für
die CDU/CSU das Wort erteile, darf ich den Hinweis ge-
ben, dass die vereinbarten Redezeiten keine Richtwerte
sind, sondern eingehalten werden sollten .
Bitte schön .
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Her-ren! Ja, rechtsextreme, rechtspopulistische und rassisti-sche Hetze bzw . die Zahl der Kräfte, die diese verbreiten,nehmen zu . Diese Entwicklung erfüllt uns alle mit großerSorge . Der Rechtsstaat mit all seinen Mitteln ist hier ge-fragt . Er hat natürlich die Aufgabe, dieser EntwicklungEinhalt zu gebieten . Der Bundestag – Kollege Ullrich hatdas hier angeführt – hat in den letzten Wochen und Mo-naten das eine oder andere auf den Weg gebracht . Ob dasschon ausreichend ist, werden die nächsten Wochen undMonate zeigen .Die Tendenz zu rechtspopulistischer und rassistischerHetze gibt es nicht erst seit gestern oder heute – es ist einelängere Entwicklung –; aber aufgrund der Übergriffe aufviele Asylunterkünfte hat man im Moment den Eindruck,dass wir hier eine völlig neue Dimension erreicht haben .Wie auch in anderen Städten fanden in meinem Wahl-kreis in den letzten Jahren mitunter Demonstrationen derNPD statt . Der Ablauf war immer der gleiche: Der An-kündigung einer Demo der NPD folgte die Ankündigungeiner Gegendemo durch Linksextreme .
Trotz diverser Kooperationsgespräche kam es zu Gewalt-exzessen . Im Vorfeld wurde veranlasst, dass ein Großauf-gebot der Polizei vor Ort ist,
die in jedem Fall die öffentliche Sicherheit gewährleistenkonnte . Aber ich frage mich: Zu welchem Preis?
Wir im Bund haben im letzten Haushaltsjahr reagiert,haben 3 000 zusätzliche Stellen in der Bundespolizei ge-schaffen . Auch bei den Ländern gibt es ein Umdenken .Insbesondere in den neuen Bundesländern ist die Formel,dass die demografische Entwicklung zu einer Abnahmeder Zahl der Polizeikräfte führt, außer Kraft gesetzt . Dasist so; daran führt im Moment kein Weg vorbei . Wennman sich überlegt, dass selbst Fußballspiele der drittenund vierten Liga mittlerweile als Hochsicherheitsspie-le eingestuft werden, dann fragt man sich: Wo soll dasnoch hinführen? Angesichts dieser Umstände habe ichmich des Öfteren gefragt: Wird es in Zukunft überhauptnoch genügend Jugendliche geben, die bereit sind, ihrenDienst bei der Polizei zu tun? Wir müssen also nicht nurdas Personal aufstocken, sondern es auch mit modernstenMaterialien ausrüsten . Auch hier haben wir im Haushaltdas ein oder andere mit auf den Weg gebracht .Ich will einen anderen Aspekt benennen . Als wir mitder Arbeitsgruppe Innen der CDU/CSU-Bundestagsfrak-tion vor einigen Monaten die Bundesbereitschaftspolizeiin Fuldatal besuchten, bin ich mit einem Polizeiführer insGespräch gekommen, der gerade von einem Wochenend-einsatz aus Bayern zurückkam – das war im Herbst letz-ten Jahres –: viele Überstunden, Tag und Nacht Einsätze .Es war für ihn ein besonderes Ereignis, als ihm Flücht-linge, mit denen er ins Gespräch gekommen war, sagten,dass sie auf ihrem langen Weg über die Balkanroute daserste Mal einen freundlichen Polizisten erlebt haben . Dassollten wir uns auch in Zukunft erhalten . Unsere Polizeikann auch zukünftig ein Stück dazu beitragen, dass inanderen Ländern, insbesondere der Europäischen Union,ein Umdenken bei der Polizeiarbeit erfolgt .
Wo liegen die Ursachen für die Entwicklung? Wiekann man gegensteuern? Ich denke, wir sind uns einig:Ein Patentrezept gibt es nicht . Aber ein, wenn nicht derAnsatz – einige meiner Vorredner sind schon darauf ein-gegangen –, ist sicherlich das Thema Bildung . Es mussgelingen, jedem Jugendlichen einen Schul- bzw . Be-rufsabschluss zu ermöglichen . Viele Schulen in meinemWahlkreis haben das auf ihrer Agenda . Nachdem dieZahlen Ende der 90er-Jahre besorgniserregend waren,was den Anteil Jugendlicher ohne Abschluss betraf, ha-ben wir jetzt wieder eine positive Entwicklung . Ich sagedas auch vor dem Hintergrund, dass wir in Sachsen-An-halt in den letzten Jahren viele Millionen Euro in unse-re Schullandschaft investiert haben . Trotz leerer Kassenhaben wir, die kommunalen Spitzenverbände und dasKultusministerium gemeinsam Programme entwickelt,Sönke Rix
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 155 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 18 . Februar 201615234
(C)
(D)
mit denen es insbesondere gelang, Strukturmittel der EUumzuleiten . Wie gesagt, hier sind wir in den letzten Jah-ren einen wesentlichen Schritt vorangekommen .In Ihrem Antrag, meine sehr verehrten Damen undHerren von den Grünen, heißt es unter Punkt 5 „Zivilge-sellschaftliches Engagement schützen“ . Das ist wichtig,keine Frage . Ich will Ihnen aus meinem Wahlkreis einBeispiel für ein solches zivilgesellschaftliches Demokra-tieprojekt nennen .In meinem Wahlkreis befindet sich der GeburtsortOtto von Bismarcks, dessen 200 . Geburtstag letztes Jahrgefeiert wurde .
Seit einigen Jahren gibt es einen Kooperationsvertragzwischen Gemeinde, Landkreis, Land und der bundesei-genen Otto-von-Bismarck-Stiftung,
übrigens die einzige Außenstelle einer der Politiker-gedenkstiftungen in den neuen Ländern . Insbesonderezum Geburtstag des ehemaligen Reichskanzlers fandenin den letzten Jahren Demonstrationen der sogenann-ten „ Bismarck-Freunde“, nachweislich hauptsächlichNPD-Mitglieder, statt .
Die Leiterin der Otto-von-Bismarck-Stiftung vor Ortund ihre Mitarbeiter haben das Projekt „Kunst für De-mokratie“ initiiert . Immer zum Geburtstag werden dielegendären Kanonen eingehüllt, und es finden Thea-teraufführungen statt . Man hat damit erreicht, dass die„Bismarck-Freunde“ keine Kulisse für ihren Aufmarschbekommen .Zum 200 . Geburtstag im letzten Jahr wurde ein wei-teres Projekt von der Grundschule des Ortes initiiert:„Kunst öffnet Türen“ . Dort haben zahlreiche Vereine derGemeinde und der umliegenden Orte Türen gestaltet undden Park damit zugestellt
– aber auch: für Demokratie –, um auch hier der NPDkeine Kulisse zu bieten .Unter Punkt 10 sprechen Sie sich in Ihrem Antrag füreine Quote für Beschäftigte mit Migrationshintergrundim öffentlichen Dienst aus .
Ich möchte davor warnen, dies umzusetzen .Meine eigene Erfahrung über viele Jahre in einer öf-fentlichen Verwaltung, wo wir nachweislich auch Mitar-beiter mit Migrationshintergrund eingestellt haben, diesich aber einem normalen Auswahlverfahren unterwer-fen mussten, ist, dass man keinen bevorzugen sollte . Undwir sind in keinem Fall von denjenigen, die wir einge-stellt haben, enttäuscht worden .Insofern können wir den einen oder anderen Punktsicherlich noch in den Ausschusssitzungen debattieren .Vielen Dank .
Abschließender Redner in dieser Aussprache ist der
Kollege Matthias Schmidt für die SPD .
Vielen Dank, Herr Präsident . – Meine sehr geehrtenDamen und Herren auf der Zuschauertribüne! LiebeKolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Hellmuth, inSachen Bismarck haben Sie ja furchtbar viel Anlauf ge-nommen, bis Sie am Ende zum Projekt gekommen sind .Ich glaube aber, das Projekt „Kunst für Demokratie“ warwirklich gut .
Aber so ganz genau habe ich es nicht verstanden .
Worüber ich aber sehr ernsthaft mit Ihnen redenmöchte, ist: Sie kommen doch aus Sachsen-Anhalt, undSie haben Wahlen vor der Tür .
Ich möchte Ihnen empfehlen, die Augen aufzumachen .Es ist 1998 in Sachsen-Anhalt der CDU ja schon einmalso gegangen, dass sie am Tag nach der Wahl wachge-worden ist, und die DVU hatte ein Wahlergebnis vonunsäglichen 12,9 Prozent . Machen Sie bitte die Augenauf! Die Feinde der Demokratie stehen rechts . Von dortwird unser Rechtsstaat bekämpft, und dort müssen wirgemeinsam hin .
Wenn Sie von einer NPD-Kundgebung aus IhremWahlkreis berichten und dann nur zu erwähnen wissen,dass es eine Gegendemo von Linksextremen gab, dieGewaltexzesse produziert hätten, läuft da etwas grund-legend falsch .
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 155 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 18 . Februar 2016 15235
(C)
(D)
Ich glaube, in all unseren Wahlkreisen gibt es diese Si-tuation, dass „besorgte Bürger“ unter dem Deckmantelder NPD oder andersherum die NPD unter deren Deck-mantel Demonstrationen anmelden . Da müssen wir alsDemokraten gemeinsam zusammenstehen und unsereWerte verteidigen . Das erwarte ich von Bundestagsabge-ordneten .
Ich komme zum Thema .
Im Titel des Antrags heißt es: „Demokratie stärken“ . Ge-nau darauf möchte ich meinen Schwerpunkt legen .Ich beginne mit einem Zitat von Pastor Martin Niemöller, deutscher Theologe, christlicher Widerstands-kämpfer und U-Boot-Kommandant im Ersten Weltkrieg .Er hat einmal in einem Interview sinngemäß gesagt: Dieeinzig wahre Demokratie gab es auf meinem U-Boot . –Das ist ein Satz, der sehr nachdenklich macht . Warumgibt es Demokratie im Zusammenhang mit Militär? Ichhabe mir seinerzeit sein Buch Vom U-Boot zur Kanzelaus einem Antiquariat besorgt . Es ist sehr interessant,das nachzulesen . Möglicherweise macht es gerade dieSchicksalsgemeinschaft auf einem U-Boot erforderlich,demokratisch zusammenzustehen, sich gegenseitig zumotivieren und sein eigenes Überleben zu sichern .Das Beispiel von Niemöller zeigt uns: Demokratiegibt es nicht nur hier im Parlament, im Bundestag, in denLandtagen, in den Kommunalparlamenten oder im Eu-ropaparlament, sondern Demokratie gibt es im Alltag imGroßen und im Kleinen an ganz vielen Stellen . Es gibtDemokratie in der Familie – so hoffe ich zumindest –, inder Schule bei der Abstimmung über den Wandertag oderüber die Klassenfahrt und gerne auch beim Elternabend .Es gibt Demokratie in Sportvereinen, die ich gern als dieSchule der Demokratie bezeichne, im Bürgerverein, imChor und auch im Kirchenkreis und mitunter am Arbeits-platz . Das zeigt uns das Beispiel von Niemöller; das kannfür uns alle als Arbeitgeber Mahnung sein .Wir haben das Potenzial der Demokratie in der Gesell-schaft noch nicht ausgeschöpft, und wir sollten alle weiterdaran arbeiten, das zu tun . Unser Staat schafft an vielenStellen zahllose Möglichkeiten der gleichberechtigtenTeilhabe . Einige Beispiele habe ich genannt . Gleichwohlmüssen wir erleben, dass immer weniger Menschen ihredemokratischen Rechte wahrnehmen, und das an einerStelle, wo es uns allen wehtut, nämlich bei den Wahlen .Das macht uns allen Sorgen, und wir müssen sehen, wiewir damit umgehen .Ein Teil der Menschen geht leider nicht mehr zurWahl, weil sie die Demokratie radikal ablehnen, weil sieein anderes System wollen . Wir kennen das aus unsererGeschichte .Der Staat muss darauf reagieren, einerseits mit Re-pression . Das NPD-Verbotsverfahren ist ein sehr gutesBeispiel dafür . Ich weiß, wovon ich rede: Die Bundes-zentrale der NPD liegt leider in meinem Wahlkreis . Ichsaß viele Jahre mit dem seinerzeitigen NPD-Vorsitzen-den Udo Voigt im Kommunalparlament und war dazuverdammt, mir seine rechtsextremen und rechtspopulisti-schen Thesen anzuhören; aber dafür waren wir gewählt .Ich hoffe, dass das Bundesverfassungsgericht im Märzden nächsten Schritt in die richtige Richtung geht und zueinem NPD-Verbot kommt,
wohl wissend, dass das NPD-Verbot nicht alle Problemelöst – ganz im Gegenteil .Wir müssen weiter zivilgesellschaftlich arbeiten, unddafür braucht es Prävention . Dafür braucht es Demokra-tiestärkung, die wir – viele Vorredner haben darauf hin-gewiesen – an vielen Stellen leisten . Eine Stelle ist nochnicht genannt worden: Das sind die Lehrerinnen undLehrer in unseren Schulen . Sie sind allesamt, egal wel-ches Fach sie unterrichten, ob Sport, Mathe, Geschichteoder Deutsch, Vorbilder der Demokratie und leisten eineprima Arbeit . Dafür ist ihnen zu danken .
Herr Präsident, ich ahne schon, dass Sie unglücklichwären, wenn ich noch lange weiterredete . Deswegenkomme ich direkt zum Schluss .Der Antrag der Grünen greift tatsächlich viele Aspekteauf, die wir für eine Stärkung der Demokratie benötigen .Darüber werden wir in den Ausschüssen weiter disku-tieren . Letztendlich geht es darum, das demokratischeBewusstsein und auch Freude an der Demokratie zu we-cken . Liebe Gäste auf den Zuschauertribünen, das richtetsich genauso an Sie wie an uns Abgeordnete: Lassen Sieuns gemeinsam etwas bewegen für die Demokratie .Vielen herzlichen Dank .
Vielen Dank, Herr Kollege Schmidt . – Damit schließeich die Aussprache .Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage aufDrucksache 18/7553 an die in der Tagesordnung aufge-führten Ausschüsse vorgeschlagen . Sind Sie damit ein-verstanden? – Widerspruch sehe ich keinen . Dann ist dieÜberweisung beschlossen .Wir kommen jetzt zum Tagesordnungspunkt 6, denich hiermit aufrufe:Vereinbarte Debatte25 Jahre wissenschaftliche Politikberatung –Technikfolgenabschätzung beim DeutschenBundestagMatthias Schmidt
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 155 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 18 . Februar 201615236
(C)
(D)
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind fürdie Aussprache 60 Minuten vorgesehen . – Widersprucherhebt sich keiner . Dann ist das so beschlossen .Ich eröffne gleich die Aussprache und erteile als ers-ter Rednerin das Wort der Kollegin Patricia Lips für dieCDU/CSU .
Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Mei-ne sehr geehrten Damen und Herren! 25 Jahre wissen-schaftliche Politikberatung oder, um den offiziellen Titelzu nennen, Technikfolgenabschätzung beim DeutschenBundestag: Warum eigentlich? Alle Fraktionen und, wieich glaube, jeder einzelne Abgeordnete waren und sindder gemeinsamen Auffassung, dass der Deutsche Bun-destag über das bestmögliche Wissen verfügen sollte, umals Gesetzgeber vor allen Dingen den rasch voranschrei-tenden wissenschaftlich-technischen Wandel gestaltendbegleiten zu können .Es gab und gibt durchaus eine Vielzahl von Räten,Weisen, Kommissionen, Interessenvertretern und vielenanderen mehr, die uns Expertisen zur Verfügung stellen .Der Deutsche Bundestag verfügt darüber hinaus seit je-her auch über Beratungsinstrumente wie Enquete-Kom-missionen, Anhörungen oder auch den Wissenschaftli-chen Dienst, um Expertisen für die Arbeit der Gremien,aber auch die individuellen Mandatsaufgaben seiner Ab-geordneten einzuholen .Damals wie heute gab und gibt es also eher selten denPolitiker, der zu wenig Beratung erfährt, ob er will odernicht . Zumeist handelt es sich bei den beschriebenenEinrichtungen oder Untersuchungen jedoch um einzelne,inhaltlich und zeitlich abgegrenzte Projekte, losgelöstvoneinander und auch nicht automatisch eingebunden indie Abläufe des parlamentarischen Betriebes, so wertvollsie im Einzelnen oft auch sind .Angesichts neuer Dimensionen – ich sagte es be-reits – gerade technologischer Entwicklungen mit all ih-ren potenziellen Auswirkungen waren sich deshalb alleFraktionen einig, das vorhandene Instrumentarium umein kontinuierlich arbeitendes Gremium zu ergänzen . Esging und geht dabei um eine Instanz, die Entwicklungenfür die parlamentarischen Prozesse koordiniert, aufarbei-tet und entsprechend darstellt, die ihre Aufträge – ganzwichtig – unmittelbar aus den Gremien des DeutschenBundestages erhält und die bereits bei der Entwicklungder Themen im ständigen Dialog mit den Parlamentari-ern steht .Der damalige Ausschuss für Forschung und Techno-logie hat mit Beschluss des Deutschen Bundestages vor25 Jahren die Aufgabe der Technikfolgenabschätzung alswissenschaftliches Beratungsinstrument für das gesamteParlament erhalten; er stellt also eine Art Scharnierfunk-tion bzw . Verbindungsbüro für alle anderen Ausschüssedar . Darüber hinaus wurde unserem Ausschuss auferlegt,die Grundsätze der parlamentarischen Technikfolgenab-schätzung aufzustellen, eine Einrichtung – sprich: ein ei-genes Büro – mit der Durchführung zu beauftragen und,falls notwendig, natürlich auch Weiterentwicklungenvorzunehmen . In 25 Jahren bleibt die Zeit ja nicht stehen .
Damit war der Grundstein für eine jetzt über 25 Jahre an-dauernde, erfolgreiche wissenschaftlich-technische Poli-tikberatung gelegt .Aber, meine sehr geehrten Damen und Herren, wasbedeutet das eigentlich: Technikfolgenabschätzung? Wasverbirgt sich hinter dieser Arbeit, die auf der einen Sei-te eminent wichtig im Hinblick auf Fragen unserer ge-sellschaftlichen Entwicklung und der Auswirkungen ist,während der sehr sperrige Begriff auf der anderen Seiteden allermeisten Menschen in diesem Land günstigsten-falls rudimentär bekannt sein dürfte? Ich komme nochdarauf zurück .Das Forschungsgebiet der Technikfolgenabschätzungentstand in den 1960er-Jahren, zunächst in den USA, undes verbreitete sich von dort ab den 1970er-Jahren auch inEuropa wie zum Beispiel bei uns . Die Technikfolgenab-schätzung befasst sich mit der Beobachtung und Analysevon Trends in Wissenschaft und Technik und den damitzusammenhängenden gesellschaftlichen Entwicklungen,insbesondere aber – das ist die Hauptaufgabe – mit derAbschätzung sich daraus ergebender Chancen und Risi-ken . Zudem soll die TA – ich benutze jetzt die Abkür-zung – politische Handlungsempfehlungen für die Ver-meidung von Risiken und für verbesserte Nutzung vonChancen geben .Ob es sich um Nanotechnologie handelt, um die Ge-fährdung und Verletzbarkeit moderner Gesellschaftenam Beispiel eines großräumigen Ausfalls der Strom-versorgung, um Möglichkeiten und Auswirkungen des3-D-Drucks – ganz aktuell –, um synthetische Biologie,Mediensuchtverhalten, elektronische Petitionsverfah-ren oder die Medikamentenentwicklung für Afrika: DasBüro für Technikfolgen-Abschätzung hat bis heute über200 Abschlussberichte zu seinen Untersuchungen vorge-legt, die sich intensiv mit den Folgen einer sich rasantentwickelnden Technologie in verschiedensten Berei-chen auseinandersetzen .
Kolleginnen und Kollegen, es ist festzustellen – ichpersönlich werte es als überaus positiv –, dass die Nach-frage nach TA-Untersuchungen aus unseren Gremienund den Fraktionen unseres Hauses in den letzten zehnJahren stark gestiegen ist; das spiele ich von dieser Seiteauch einmal in das Plenum zurück . Wir starten geradewieder eine neue Runde der Abfrage . Dies zeigt, wieintensiv um Themen gerungen wird, wie hoch die Zahlzukunftsrelevanter Bereiche ist und dass diese auch alssolche erkannt werden .Von Anfang an wird das Büro beim Deutschen Bun-destag – in Kurzform auch „TAB“ genannt – vom heu-tigen Karlsruher Institut für Technologie betrieben . WasVizepräsident Johannes Singhammer
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 155 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 18 . Februar 2016 15237
(C)
(D)
sind die Erfolgsfaktoren dieser 25-jährigen parlamenta-rischen Technikfolgenabschätzung und der Zusammen-arbeit gerade mit diesem Institut? Zu nennen sind: derBetrieb des Büros durch eine interdisziplinär arbeitendeund ausgewiesene Großforschungseinrichtung, vor allenDingen natürlich die wissenschaftliche Unabhängigkeitund politische Neutralität, die Möglichkeit des Zugriffsauf externen Sachverstand durch die Vergabe von Gut-achten und vor allen Dingen die Kontinuität auf parla-mentarischer Seite durch Steuerung in einem ständigenAusschuss, unserem Ausschuss, sowie die Einrichtungeiner sogenannten Berichterstattergruppe aus den Reihender Parlamentarier .Kolleginnen und Kollegen, das TAB, aber auch wirals zuständiger Ausschuss und stellvertretend unsere vierständigen Berichterstatterkollegen, stehen sozusagen alsparlamentarische Treuhänder für Technikfolgenabschät-zung als eine Art Notare in einem Prozess der dauerhaf-ten Probezeit bzw . internen Dauerevaluation .
Denn das Büro für Technikfolgen-Abschätzung ist natür-lich kein Selbstzweck . In jeder neuen Wahlperiode musssich die TA vorstellen, muss bei neuen Kolleginnen undKollegen Vertrauen gewinnen und auch die Nützlich-keit unter Beweis stellen . Wir müssen uns immer wiederfragen: Entsprechen die Inhalte und die Ergebnisse derUntersuchungsberichte den Zielen und Wünschen derAntragsteller? Entsprechen Bearbeitungsdauer, Darstel-lungsweise und Sprache der Berichte den parlamentari-schen Bedürfnissen?Wir haben daher auch immer wieder die Gelegenheitfür eine Neujustierung und Erweiterung des Aufgaben-spektrums genutzt . Wir haben dem Büro Partnerinsti-tutionen zur Seite gestellt, um die bisher eher klassischtechnikzentrierte Arbeit um neue Themenbereiche zuerweitern und eine stärkere Vorausschau zu betreibenoder – in der jüngeren Vergangenheit – die Öffentlichkeitstärker an Ergebnisdiskussionen zu beteiligen . Vor allemLetzteres ist es wert, dass wir noch stärker als bisher dasAugenmerk darauf lenken und gemeinsam Methoden füreine verstärkte Wahrnehmung auf dem Weg zu einem ge-sellschaftlichen Diskurs entwickeln .Lassen Sie mich noch einen kurzen Blick über denDeutschen Bundestag hinaus werfen . Ich sagte es ein-gangs bereits: Der Begriff und die Arbeit rund um dieTechnikfolgenabschätzung sind kein rein deutschesPhänomen . Auch die Möglichkeit eines regelmäßigenAustausches mit anderen Parlamenten und Büros machtdiese Arbeit im Vergleich mit anderen Expertisen so er-folgreich . Der Deutsche Bundestag und sein Büro spie-len eine wesentliche Rolle im europäischen Netzwerk derrund 17 Länder mit vergleichbaren parlamentarischenEinrichtungen .
Vor wenigen Jahren hatten wir die Präsidentschaft die-ser Gemeinschaft inne, und nicht nur die Repräsentantendieser Länder waren bei uns zu Gast, sondern auch Inter-essierte aus nahezu allen Kontinenten: aus den USA, ausSüdamerika, aus Asien und aus Australien . Technikfol-genabschätzung ist zu Recht ein globales Thema .Kolleginnen und Kollegen, meine sehr geehrten Da-men und Herren, bereits Ende vergangenen Jahres konn-ten wir unser Jubiläum mit zahlreichen Gästen bei einervielbeachteten und interessanten Veranstaltung feiern .Mit der heutigen Debatte im Deutschen Bundestag wol-len wir die Arbeit der Technikfolgenabschätzung auchan dieser Stelle würdigen und eine öffentliche Plattformherstellen .
Verbunden damit möchte ich deshalb auch im Namen un-seres Ausschusses dem Büro ausdrücklich danken: Pro-fessor Grunwald als Leiter und den Herren Revermannund Sauter als Stellvertreter in Berlin gemeinsam mit ih-rem Team von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaft-lern .
Trotz eines annähernd gleichen Etats in den 25 Jahrenarbeitet unser TAB bei gleichbleibender Personalstärke,jedoch stetig wachsender Nachfrage nach Beratungsleis-tungen und neuen Anforderungen im Hinblick auf dieErgebnisermittlung mit großem Engagement auf hohemNiveau . Herzlichen Dank dafür!In der kommenden Zeit ist es nun unsere Aufgabe, da-für zu sorgen, dass dies so bleiben kann .Vielen Dank .
Der Kollege Ralph Lenkert spricht als Nächster für die
Fraktion Die Linke .
Sehr geehrter Herr Präsident! Geehrte Kolleginnenund Kollegen! Immer schneller entwickeln sich Wissen-schaft und Technik, immer komplexer werden Zusam-menhänge in der Gesellschaft und machen Bewertungenund politische Entscheidungen ohne systematische Ana-lyse fast unmöglich .Seit Mitte der 90er-Jahre eröffnete das Internet unsallen völlig neue Möglichkeiten, aber es beschleunigteauch unser Leben . Es veränderte unsere Arbeit, wur-de Bestandteil unserer Freizeit, ermöglichte schnellenInformationsaustausch und öffnete weltweit virtuelleGrenzen . Aber auch Gerüchte, gezielte Desinformatio-nen, Hass und Lügen werden schnell im Netz verbreitetund können Menschen und Gesellschaften manipulierenPatricia Lips
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 155 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 18 . Februar 201615238
(C)
(D)
und im schlimmsten Falle zerstören . Wie sollte man mitdieser Entwicklung umgehen? Braucht es neue Regelnund Gesetze, oder ist Aufklärung der bessere Weg?Für diese Entscheidungen benötigen wir Bundestags-abgeordnete unabhängige professionelle Beratung . Seit25 Jahren gibt es deshalb die Technikfolgenabschätzungbeim Deutschen Bundestag . Wir würdigen mit unsererheutigen Debatte dieses Jubiläum .
Die Abgeordneten der Fraktionen, die Ausschüssemelden Themen mit Beratungsbedarf an . Wir Bericht-erstatter treffen dann die schwere Auswahl im Konsensund begleiten die Arbeit des TAB . Ich danke im Namenmeiner Fraktion allen Berichterstattern, Ihnen, Frau Lips,als Ausschussvorsitzende, den Mitarbeiterinnen und Mit-arbeitern des Sekretariats des TAB-Büros und allen Part-nerinnen und Partnern für die gute Zusammenarbeit .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ein konkretes Bei-spiel zur Arbeit des TAB: Erinnern Sie sich an die heftigenAuseinandersetzungen um CCS, Carbon Dioxide Cap-ture and Storage, den Technologien zur Kohlendioxid-abtrennung und -speicherung? CCS sollte Kohlendioxidaus Kohlekraftwerken und Zementwerken unterirdischeinlagern und somit aus der Atmosphäre heraushalten,um das Klima zu schützen . Aber viele Fragen standenim Raum .Der TAB-Bericht Nummer 120/2007 betrachtete mög-liche CCS-Technologien . Er analysierte mögliche Beiträ-ge zum Klimaschutz . Er benannte aber auch, dass Men-schen und Tiere bei einem plötzlichen Austreten von CO2ersticken könnten, dass das Grundwasser kontaminiertwerden kann . Diese Erkenntnisse führten zur Ablehnungvon CCS bei vielen Menschen, auch bei der Linken .Das TAB-Hintergrundpapier 18/2012 stellte dannfest: CCS rechnet sich finanziell nicht und vor allem: DieTechnologien verbrauchen so viel Energie und Ressour-cen, dass ein positiver Gesamteffekt für das Klima un-sicher ist . Die Bundesländer beschlossen daraufhin denAusstieg aus CCS .
Politisch ist CCS somit – auch dank der TAB-Berichte –erledigt .
Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer, vielleicht kennenSie den Roman BLACKOUT – Morgen ist es zu spät vonMarc Elsberg, der sich am TAB-Bericht 141/2010 „Ge-fährdung und Verletzbarkeit moderner Gesellschaften –am Beispiel eines großräumigen und langandauerndenAusfalls der Stromversorgung“ orientierte . Hier zweiProblembeispiele aus dem TAB-Bericht und dem Ro-man: Bei einem flächendeckenden Stromausfall brechendigitale Kommunikation, also Digitalfunk, Internet undIP-basierte Telefonie, innerhalb von Minuten zusammen .Mit Batterien funktionieren analoge Telefonnetze nochzwei Tage ohne externe Stromzufuhr . Das ist beim In-ternet aufgrund des deutlich höheren Strombedarfs undanderer Endgeräte nicht möglich . UKW- und Mittelwel-lenfunk kann mit Batterien oder einfachsten Ladegerätendauerhaft funktionieren . Die vielen notwendigen Um-setzstationen des Digitalfunknetzes mit Notstrom zu ver-sorgen, ist unbezahlbar .
Die Telekom aber schaltet derzeit trotzdem ihr ana-loges Telefonnetz aus Profitgründen ab. Polizei und Be-hörden stellen auf Digitalfunk um, und die alte Technikwird aus Kostengründen entsorgt . Im Moment ist diesbequem, aber im Katastrophenfall wird dies verheerendeAuswirkungen haben .
Das TAB benannte schon vor sechs Jahren die Risikender heutigen Entwicklung . Die Linke wird jede Entschei-dung zum Erhalt oder zur Neueinrichtung der Kommuni-kationsstruktur für Havarien und Notfälle unterstützen .
Ein zweites Beispiel: Stellen Sie sich vor, Sie stehenim Supermarkt an der Kasse, und der Strom fällt aus .Elektronisches Bezahlen wird unmöglich, Bargeldzah-lung könnte noch funktionieren . Hält der Stromausfalllänger an, ist kein Handel, keine Notwirtschaft mehrmöglich .
Die EU stellt nun aber aus Sicherheitsgründen das Bar-geld infrage, weil sie vermutet, dass illegale Geldströme,Steuerhinterziehung und Kriminalität ohne Bargeld deut-lich sinken könnten . Die bargeldlose Gesellschaft nutztneben unserer Bequemlichkeit jedoch nur drei Gruppen:Banken, die mehr Transaktionsgebühren einstreichen,Händlern, weil man Mitarbeiterinnen und Mitarbeitereinspart, und denen, die uns mit diesen Informationenüberwachen oder manipulieren wollen .
Kriminelle und Steuerhinterzieher werden neue Wegefinden, ihre schlechten Absichten umzusetzen. Denenschadet das fehlende Bargeld höchstens temporär . Ichmeine, Bargeld ist Schutz vor lückenloser Überwa-chung und eine Absicherung bei Stromausfall . Der Be-richt 141/2010 des Büros für Technikfolgen-Abschät-zung beim Deutschen Bundestag empfiehlt übrigens,Bargeldreserven für Katastrophenfälle bereitzuhalten .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, mit dem Internet-auftritt des Petitionsausschusses des Bundestages ent-standen neue Möglichkeiten der demokratischen Teil-habe wie öffentliche Petitionen . Als der entsprechendeModellversuch im Jahre 2005 begann, wurde er durchzahlreiche Untersuchungen des TAB begleitet . Die Be-fragung der Wählerinnen und Wähler durch das Büro fürRalph Lenkert
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 155 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 18 . Februar 2016 15239
(C)
(D)
Technikfolgen-Abschätzung beim Deutschen Bundestaglieferte wichtige Beiträge zur Gestaltung der dauerhaftenPlattform epetitionen .bundestag .de . Jede Internetnutze-rin, jeder -nutzer kann jetzt Petitionen einstellen, mit-zeichnen, diskutieren und die Entscheidungen des Peti-tionsausschusses nachverfolgen .
Auch dank des TAB wurde das Portal zum meistbesuch-ten Bereich des Internetauftritts des Deutschen Bundes-tages:
mit über 4 200 Petitionen von allgemeinem öffentli-chen Interesse, fast 2 Millionen angemeldeten Nutzern,250 000 Diskussionsbeiträgen und 3,6 Millionen Petiti-onsmitzeichnungen .
Liebe Haushälterinnen und Haushälter, insbesonderevon der Union, wir sind uns fraktionsübergreifend ei-nig: Die Technikfolgenabschätzung des Bundestages istwichtig und unverzichtbar . Seit 2011 wurde der Jahres-etat des TAB in Höhe von 2,1 Millionen Euro nicht mehrangepasst . Jetzt haben wir Berichterstatter gemeinsamfür 2017 eine Erhöhung vorgeschlagen . Ja, 25 Prozentklingen viel . Aber es ist die erste Erhöhung seit sechsJahren, und absolut sind es nur 527 000 Euro –
eine verschwindend kleine Summe bei einem Bundesetatvon über 300 Milliarden Euro . Auch die Forschungsaus-gaben stiegen im gleichen Zeitraum um 26 Prozent oder2,6 Milliarden Euro – bei jährlichen Steigerungen fielbloß dieser Prozentsatz nicht so auf .Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir als Abgeordnetehaben mit der Technikfolgenabschätzung des Bundesta-ges ein wertvolles Instrument. Pflegen wir es! Stellen wirdie notwendigen Mittel bereit! Erhöhen wir den Jahres-etat des TAB auf 2,6 Millionen Euro – als Geburtstags-geschenk! Die Linke dankt und gratuliert dem TAB undstimmt der Etaterhöhung zu .
Ich hoffe, Sie alle schließen sich dem an .Vielen Dank .
Nächster Redner ist der Kollege René Röspel für die
SPD .
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Her-ren! Herzlich willkommen im Plenarsaal des DeutschenBundestages! Das hier ist wirklich der Platz, wo Gesetzebeschlossen werden . Aber es ist nicht der Platz, wo Ge-setze gemacht werden .Gesetze entstehen auf ganz unterschiedlichem Wege,beispielsweise wenn uns die Europäische Union Vor-gaben macht und wir diese in nationale Gesetzgebungumsetzen – meistens ist das alles in Ordnung und klapptganz gut – oder wenn ein Bürger in die Bürgersprechstun-de kommt und sagt: „Ich habe ein Problem. Ich befindemich irgendwo in einer Lücke zwischen zwei Gesetzen“,und wir dann versuchen, dafür etwas auf den Weg zubringen, oder wenn aufgrund politischer Initiativen, in-dem also beispielsweise die SPD sagt: „Wir sind davonüberzeugt, dass es jetzt an der Zeit ist, den Mindestlohneinzuführen, weil die gesellschaftlichen Verhältnisse indiesem Punkt nicht mehr so sind, wie sie sein sollten“,ein hier eingebrachter Gesetzentwurf, nachdem man sichvorher mit dem Koalitionspartner darauf geeinigt hat, be-schlossen wird .Ich finde es übrigens durchaus ärgerlich, wie wir diemeisten Gesetzentwürfe – das habe ich an anderer Stel-le schon einmal gesagt – vom Text her aufbauen . Obensteht immer der Titel, etwa „Entwurf eines Asylverfah-rensbeschleunigungsgesetzes“, unter A . kommen danndas Problem und das Ziel, unter B . die Lösung, und un-ter „C . Alternativen“ steht: Keine . – Eigentlich lehrt dieErfahrung des Lebens: Es gibt immer eine Alternative .Handeln steht Unterlassen gegenüber und umgekehrt .Ich finde – das ist an uns gerichtet –: Wir müssen Poli-tik deutlicher erklären und sagen, dass es zu Gesetzent-würfen eine Alternative gibt, möglicherweise auch einepolitische Alternative . Wir müssen auch besser erläutern,warum wir uns für einen Weg entscheiden und der ande-re eben nicht zum Zug gekommen ist . Die beschriebeneAlternativlosigkeit – das hatten wir in der vorangegange-nen Debatte – müssen wir denen überlassen, die auf denStraßen populistische Sprüche skandieren und glauben,das Recht auf ihrer Seite zu haben oder im Besitz derrichtigen alternativlosen Lösungen zu sein .
Die meisten Gesetze, die wir hier beschließen, er-kennen die Situation in der Gesellschaft oder in der Ge-genwart an und versuchen, diese zu verändern . BeimMindestlohn etwa sagen wir: Wir können diese gesell-schaftlichen Verhältnisse nicht mehr akzeptieren . Wirversuchen, daran etwas zu ändern .Komplizierter ist es, wenn wir über technologischeoder gesellschaftliche Entwicklungen reden und viel-leicht über Gesetze nachdenken, die noch gar nicht wirk-lich zustande gekommen sind, die sich in der Zukunft be-wegen, wo vielleicht die ersten Pflänzchen und Zeichensichtbar sind . Das einschätzen zu können, ist schwieriger .Dabei ist ganz klar: Neue Technologien bergen immerChancen und Risiken, und es geht darum, die Risikennicht zu ignorieren oder zu verschweigen . Zu einer ver-Ralph Lenkert
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 155 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 18 . Februar 201615240
(C)
(D)
nünftigen Politik gehört vielmehr, Risiken zu identifizie-ren, zu verhindern oder vielleicht zu minimieren .Wir leben in einer Zeit rasanter Technikentwicklung,und viele Menschen sind überfordert, mit dieser Entwick-lung Schritt zu halten . Mir geht das auch so . Vor 30 Jah-ren konnte ich das grüne Tastentelefon der Post – einigekennen es vielleicht noch; damals gab es noch nicht dieTelekom – auseinandernehmen, und ich habe einigerma-ßen verstanden, wie es funktionierte . Beim Smartphonewürde ich das heute nicht mehr empfehlen . Vor 30 Jahrenkonnte man beim Moped noch den Vergaser auseinan-dernehmen und wieder zusammenbauen, und meistenslief es danach wieder . Heute ist schon der Glühlampen-wechsel beim Auto fast nicht mehr möglich . Es ist alleskomplizierter geworden, und Technik ist manchmal auchüberfordernd .Deswegen war es ganz klug, dass vor fast 26 Jahreneinige weise Kolleginnen und Kollegen – von ihnen ist,glaube ich, nur noch Edelgard Bulmahn im Parlament –gesagt haben: Wir wollen nicht unvorbereitet mit sichentwickelnden Technologien oder gesellschaftlichenEntwicklungen umgehen, sondern wir brauchen eine vonder Politik unabhängige wissenschaftliche Beratung, diewir beim Bundestag ansiedeln, die aber, was auch richtigist, nicht weisungsgebunden ist . Wir sollten als Politiknicht in die Berichte hineinfummeln, die unabhängig undwissenschaftsgeleitet erarbeitet werden . Das Büro fürTechnikfolgen-Abschätzung soll uns beraten . Es soll sichmit künftigen Technologien befassen, sie bewerten undHandlungsempfehlungen zu unterschiedlichen Wegengeben, die man gehen kann, und Alternativen benennen .Das sind spannende Fragen . Was ist denn eigentlichsynthetische Biologie? Ist es eine Gefahr für uns odereine Chance, wenn es heutzutage möglich ist, in seinemeigenen Badezimmer ein kleines Genlabor aufzubauenund käuflich zu erwerbende Genschnipsel so zu kombi-nieren, dass möglicherweise etwas Neues entsteht?Sollen wir Geo-Engineering oder Climate Enginee-ring machen, da wir doch wissen, dass nach einem Vul-kanausbruch die großen Mengen an Asche, die ausgesto-ßen werden, dazu führen, dass die Sonneneinstrahlungreduziert wird, und sich, wie wir es nach dem Ausbruchdes Pinatubo 1991 erlebt haben, die Erdtemperatur umein halbes Grad abkühlt? Wäre das nicht eine Möglich-keit, gegen den Klimawandel anzukämpfen, indem mangroße Mengen von Schwefeldioxid in die Stratosphärepumpt und die Sonneneinstrahlung reduziert? Die Ant-wort, um das aufzulösen, hat ein guter Bericht des TABgegeben: Das macht keinen Sinn, und die Gefahren sindviel zu groß .Aber ich wollte gar keine Antworten geben, sondernfast nur Fragen stellen: Wie ist es, wenn in der älterwerdenden Gesellschaft immer weniger Pflegende vor-handen sind? Macht es Sinn, so wie es in Japan schonfast gang und gäbe ist, Roboter bei der Pflege von pfle-gebedürftigen bzw . älteren Menschen einzusetzen? Oderverschleiern wir damit ein Problem, das auf einer ganzanderen Ebene besteht? Ist es zu empfehlen, eine Ge-sundheits-App zu haben und regelmäßig Daten über sei-nen Blutdruck, Puls und die Herzfrequenz zu bekommen,oder ist es nicht eher ein Problem, damit umzugehen,wenn man nicht ordentlich informiert ist?All das sind Fragen, die wir dem TAB gestellt ha-ben und auf die das Büro für Technikfolgen-Abschät-zung gute Antworten geben kann, und zwar nicht nureine oder gar die einzige wahre, sondern es zeigt – dasist auch seine Aufgabe – in der Regel den Politikerin-nen und Politikern unterschiedliche Handlungsoptionenund Wege auf, die wir dann beschreiten können . Es istunsere Verantwortung als Politik, den Weg zu nehmen,der den künftigen Generationen in 20 Jahren noch eineMöglichkeit offen lässt, sich anders zu entscheiden, unddie Spielräume erhält, statt heute etwas zuzulassen, daskünftigen Generationen keine Entscheidungsmöglichkeitmehr lässt .Wir sollten alles dafür tun – und das TAB hilft uns inunverzichtbarer Weise dabei –, hier keine Entscheidun-gen zu treffen, die wir nicht mehr zurückholen können .Vielen Dank .
Für Bündnis 90/Die Grünen spricht jetzt der Kollege
Harald Ebner .
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen undKollegen! Prognosen sind schwierig, besonders wennsie die Zukunft betreffen . Ob das nun von Karl Valentin,Mark Twain oder anderen stammt, es ist auf jeden Falleine treffende Begründung dafür, warum wir eine er-fahrene, professionelle Institution für Technikfolgenab-schätzung brauchen .Wie extrem man manchmal bei Voraussagen daneben-liegen kann, zeigt vielleicht eine Aussage eines US-Staub-saugerproduzenten aus dem Jahr 1955 . Er meinte, nukle-arbetriebene Staubsauger seien wahrscheinlich in zehnJahren Realität . Zum Glück hat es nie einen Staubsaugermit Mini-AKW gegeben . Mehr noch: Inzwischen ist dasEnde der großen Atomkraftwerke in Deutschland längstbeschlossener Konsens, sodass in sieben Jahren auch ausden Steckdosen kein Atomstrom mehr – auch nicht fürStaubsauger – kommen wird; das ist gut so . Hätten wirbeizeiten eine Technikfolgenabschätzung vorgenommen,hätten wir vielleicht nie einen Atomausstieg 2 .0 nötig ge-habt .
Gegen Irrtümer bei der Bewertung neuer Technologi-en ist niemand gefeit, auch wir nicht . Meine Partei hat einpaar schöne Irrtümer begangen . Vor 30 Jahren waren dieGrünen – man stelle sich das vor – gegen die Digitalisie-rung des Fernsprechnetzes und das Satellitenfernsehen .René Röspel
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 155 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 18 . Februar 2016 15241
(C)
(D)
Auch Computer waren damals für Grüne eine schwierigeSache .
Heute sind wir offensive Nutzer dieser Technologien .Eine wichtige Aufgabe der Technikfolgenabschätzungist, die Irrtumswahrscheinlichkeit bei Entscheidungenüber Technologien zu senken .
In anderen Bereichen sehe ich viele unserer kritischenHaltungen allerdings bestätigt . Die bereits genannteAtomkraft und die Agrogentechnik sind zwei Themen,bei denen sich nach anfänglicher Euphorie herausge-stellt hat, dass sich diese Technologien nicht bewähren .So wurde zum Beispiel in mehreren TAB-Berichten zumThemenbereich Welternährung schon vor Jahren daraufhingewiesen, dass nicht die Agrogentechnik, sondernmoderne Ökolandbaumethoden für Kleinbauern dieSchlüsselstrategie für die Welternährung sind .
Auch der schon genannte Bericht zum Climate Enginee-ring macht deutlich, dass Ansätze wie Algendüngungkeine Alternative zum konsequenten Klimaschutz durchEmissionsreduktion sind .Nicht nur bei den Risiken, sondern auch bei den Chan-cen von Technologien gibt es manchmal falsche Erwar-tungen, die zu politischen Fehlentscheidungen führenkönnen . Die Beispiele belegen, wie schwierig es ist,technologische Entwicklungen sowie deren Potenzialeund Risiken realistisch einzuschätzen . Je rasanter tech-nologische Entwicklungen verlaufen, desto schwierigerwird es für uns, die entsprechenden Weichenstellungenvorzunehmen . Wir treffen schließlich regulatorische Ent-scheidungen für die Zukunft und nicht für die Vergan-genheit . Unser Handeln hat immer Auswirkungen aufkommende Generationen . Wir haben hier eine morali-sche Verpflichtung – der Kollege Röspel hat das bereitsgesagt –, auch die Interessen unserer Enkel und Urenkelbei allen Entscheidungen mit zu bedenken und eventuelleFolgen bestmöglich zu ermitteln .Das ist Technikfolgenabschätzung und Nachhaltig-keitsdenken in bestem Sinne . Dafür brauchen wir Spezi-alisten und Experten, die uns beratend zur Seite stehen .Deshalb war es 1989 tatsächlich eine weise Entschei-dung, dass der Bundestag in breiter Einigkeit unter denFraktionen die Einrichtung einer eigenen Institution be-schlossen hat . Konsens war damals auch, dass eine un-abhängige Einrichtung zur Technikfolgenabschätzungnötig ist, um nicht länger auf die Expertise der Bundes-regierung und ihrer Einrichtungen angewiesen zu sein .Ich finde es bestechend, dass sich das Parlament mit demBüro für Technikfolgen-Abschätzung eine Entschei-dungs- und Bewertungssouveränität erarbeitet hat . Dashalte ich für eine wirklich gute Sache .
Das TAB soll die Urteilsfähigkeit des Parlamentsim Ganzen befördern . So hat es Bundestagspräsident Norbert Lammert in seiner Rede zur TAB-Jubiläumsfei-er zu Recht betont . Voraussetzung für die breite Aner-kennung der Arbeit des TAB ist, dass diese Arbeit überdie Legislaturperiode hinaus getragen wird . Daher ist esso wichtig, dass Entscheidungen zur Projektarbeit vomParlament unabhängig von den gerade aktuellen Mehr-heitsverhältnissen getragen werden . Genau das soll durchdas Konsensprinzip im Berichterstatterkreis, der eben diewesentliche Vorarbeit bei der Auswahl der Themen leis-tet, erreicht werden . So haben Sachargumente – so hoffeund erfahre ich das auch – ein stärkeres Gewicht . Dasgegenseitige Zuhören und Eingehen aufeinander hat eineChance .Ich glaube, an der Stelle ist es auch richtig, dem Bürofür Technikfolgen-Abschätzung, aber auch dem Sekreta-riat ganz herzlich dafür zu danken, dass sie diesen nichtimmer einfachen Konsensprozess mit stoischer Geduldertragen . Dazu gehört auch ein Dank an die Ausschuss-vorsitzende Lips, die das immer humorvoll begleitet undmoderiert .
Ich hoffe sehr, dass dieses bewährte Prinzip der Zusam-menarbeit auch in Zukunft erhalten bleibt . Und so ha-ben wir das ja auch für diese Wahlperiode erneut in denGrundsätzen für die Arbeit des TAB festgehalten .Wie brennend aktuell unsere Arbeit ist, zeigt sichgerade auch dieser Tage angesichts der Meldungenüber Genmanipulation an menschlichen Embryonen zuForschungszwecken . Das ist in mehrerlei Hinsicht be-denklich . Es geht um die Eingriffe in die menschlicheKeimbahn, um verbrauchende Embryonenforschung .Dieser Vorstoß aus Großbritannien torpediert leider densinnvollen internationalen Aufruf für ein Moratorium beiGenome Editing am Menschen . Ich bin froh, dass es eineganz breite Einigkeit in der Wissenschaft gibt, hier vor-sichtig zu sein . Das Thema Genome Editing greift auchein TAB-Bericht auf, der sich mit synthetischer Biologiebeschäftigt und uns hier auch Ratschläge an die Handgibt, wie wir künftig die Risikoregulierung reformierenund die Risikoforschung stärken könnten .
Der Bedarf an unabhängiger Technikfolgenabschät-zung ist heute größer denn je . Die aktuelle Arbeitslistewurde vom Kollegen Röspel schon umfänglich vorge-stellt . Das TAB leistet heute, meine ich, mehr als früher,aber sein Budget ist in diesen 25 Jahren nur einmal mini-mal erhöht worden . Die Kosten sind allerdings um mehrHarald Ebner
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 155 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 18 . Februar 201615242
(C)
(D)
als 50 Prozent gestiegen . Da bleibt es nicht aus, dass daszulasten der Qualität und zulasten der Arbeitskapazitätgeht . Da meine ich: Wenn wir die hohe wissenschaftli-che Qualität und die Leistungsfähigkeit des TAB erhaltenwollen, ist eine Erhöhung der Finanzmittel wirklich dasGebot der Stunde . Ich bin sicher, dass die aktuell zu erar-beitende Halbzeitbilanz des TAB da eine gute Grundlagesein wird, um für den nächsten Haushalt eine Erhöhunghinzubekommen .Wenn wir heute unsere Anerkennung für die TAB-Ar-beit in guten Worten ausdrücken, dann ist klar, dass wirdabei nicht stehen bleiben dürfen . Das TAB hat ein Ge-burtstagsgeschenk verdient . Ich würde mich freuen,wenn das im Konsens aller Fraktionen auf den Weg ge-bracht werden könnte .Danke schön .
Für die CDU/CSU-Fraktion spricht jetzt der Kollege
Dr . Philipp Lengsfeld .
Das werde ich ganz sicher nicht tun, lieber Kollege .Aber vielleicht habe ich ja noch den einen oder anderenüberraschenden Punkt in meinen Ausführungen .Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Wissenschaftliche Politikberatung ist ein essenziellesund absolut selbstverständliches Tool eines demokrati-schen Parlaments . Es gibt deshalb viele Beratungsgremi-en und Instrumente vor und neben der Arbeit des TAB;das ist hier schon erwähnt worden . Aber es gibt Beson-derheiten der Konstruktion TAB, die dem Büro für Tech-nikfolgen-Abschätzung beim Deutschen Bundestag einespezielle, eine sehr herausgehobene Position zuweisen .
Ich will hier den einen oder anderen Punkt noch einmalvertiefen; viele Punkte sind ja schon angerissen worden .Liebe Kolleginnen und Kollegen, das Besondere amTAB ist nicht, dass hier exzellente wissenschaftlicheGutachten zu wichtigen Themen erstellt werden; ein paarThemen sind ja schon genannt worden . Das ist selbst-verständlich . Dies machen – wie schon erwähnt – andereauch . Vielmehr ist das Besondere, dass das TAB ein In-strument des Bundestages ist . Und ja – ich sage es einmalganz deutlich –, das TAB ist abhängig vom DeutschenBundestag . Wir geben die Haushaltsmittel . Die Diskus-sion über diese Mittel führen wir gerade. Aber das findeich richtig und wichtig; denn selbst wenn man es nichtgerne offen ausspricht: Es gibt keine völlig unabhängigeForschung und Wissenschaft .
Nein, es kann keine völlig unabhängige Forschung undWissenschaft geben; denn Forschung und Wissenschaftsind teuer und finanzieren sich nicht von selbst. Dies giltnatürlich auch für wissenschaftliche Politikberatung, dieglücklicherweise nicht ganz so teuer ist .
Die Zahlen sind schon genannt worden .Ich sage es ganz deutlich: Ich bin froh, dass wir mitdem TAB bezahlte Wissenschaftler haben, die aber nichtvon der Regierung oder von der heimischen Wirtschaftoder gar von fremden Regierungen oder ausländischenFirmen bezahlt werden, sondern die dem Deutschen Bun-destag berichten und niemandem sonst . Der Kern guterwissenschaftlicher Beratung ist gerade nicht, dass maneinen völlig unvoreingenommenen Berater findet, dereinem dann ungefilterte Wahrheiten präsentiert; denn soeinen völlig unvoreingenommenen Berater gibt es nicht,genauso wenig wie es die reine Wahrheit gibt, die mannur irgendwo ausbuddeln müsste . Der Trick ist vielmehrdie richtige Anwendung des wissenschaftlichen Prinzipsder Konkurrenz und der Überprüfbarkeit von Analysenund Empfehlungen . Dies funktioniert viel einfacher undviel besser, wenn man selber ein Instrument in der Handhat und wenn klar im Titel genannt wird, wer der Auf-traggeber ist . Beides ist beim TAB der Fall .
Ich nehme einmal ein aktuelles Beispiel aus unseremTAB-Portfolio . Ich freue mich, dass es bis dato nochnicht erwähnt wurde; das hat mich eigentlich gewundert .Ich meine den Bericht zur Sinnhaftigkeit der Zeitumstel-lungen, wie wir sie in Europa und den USA – ich sage ausmeiner Sicht: leider – seit vielen Jahrzehnten haben . Fürmich persönlich ist das eine der fragwürdigsten polit-tech-nokratischen Erfindungen des letzten Jahrhunderts. DerDeutsche Bundestag hat das TAB beauftragt, eine Bilan-zierung der Sinnhaftigkeit dieser Zeitumstellungen zuerstellen . Der Bericht ist gerade in der Finalisierung . Ichbin sicher, dass er dieses Haus noch beschäftigen wird .Natürlich gab es ganz klar einen Unwillen zum Beispielin der EU-Kommission oder in vielen Regierungen, sichmit dieser Frage zu beschäftigen . Man machte zwar dieZeitumstellungen, aber hinschauen wollte keiner mehr sogenau . Aber wir, das deutsche Parlament, machen es jetztund nehmen so unsere ureigenste Aufgabe wahr, nämlichRegierungshandeln zu kontrollieren und zu hinterfragen .Es kann ja auch sein, dass herauskommt, dass alles palet-ti ist . Das glaube ich aber eher nicht .
Die wissenschaftliche Politikberatung durch das TABist dafür ein großartiges Instrument, unser Instrument,Harald Ebner
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 155 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 18 . Februar 2016 15243
(C)
(D)
und dieses sollten wir pflegen und stärken; das ist hierschon gesagt worden .
Das TAB ist ein besonderes Instrument, und es hatauch besondere Arbeitsprinzipien . Auch die sind hier er-wähnt worden, aber ich will sie noch einmal diskutieren,insbesondere das Konsensprinzip in der Berichterstatter-runde . Das ist sicherlich ein eher ungewöhnlicher Ansatzin der Demokratie, aber ich weiß die tiefere Weisheit desKonsensprinzips beim TAB mittlerweile sehr zu schät-zen . Dazu muss man aber verstehen, was im Konsensbeschlossen wird und was nicht .Die Berichterstatter des TAB beschließen im Konsensden Arbeitsplan, die Abnahme eines Berichts, und wirschreiben gemeinsam ein Vorwort . Der wichtigste Punktist natürlich der Arbeitsplan, also die Themensetzung .Über die Abfrage bei den Fraktionen, Arbeitsgruppenund Ausschüssen werden Themenvorschläge gesammelt .Anschließend werden die Themen bewertet, verdichtetund in Diskussionen mit dem TAB durch die Berichter-statter in ein handhabbares Arbeitsprogramm gegossen .Dann wird es mit zwei Absegnungsdurchgängen so vomTAB umgesetzt . Alle Berichte des TAB sind vom Deut-schen Bundestag gewollt .Hätten wir das Konsensverfahren nicht und würdedie Themensetzung zum Beispiel analog zur Redezeit-verteilung erfolgen, dann würde die jeweilige Mehrheitdominieren und letztendlich jede Fraktion nur ihre ei-genen Lieblingsthemen platzieren . Das Konsensprinzipdurchbricht diesen Mechanismus zu einem großen Teilund erhöht so nach meinem Eindruck die Akzeptanz undQualität für alle Berichte . Dies ist so wichtig, weil dasTAB auch das Gütesiegel „Deutscher Bundestag“ trägt .Dies wird in der Öffentlichkeit durchaus stark wahrge-nommen . Man denke nur daran, welche Wellen die deut-lich kleineren Gutachten unseres WissenschaftlichenDienstes manchmal schlagen .Andere Gremien der Politikberatung machen auchGutachten, aber hier erfolgt die Themensetzung teilwei-se auf eigene Initiative . Das ist ein großer Unterschied .So entstehen auch Gutachten zu, zumindest aus meinerSicht, eher abseitigen Themen . Ich nenne hier einmal alsdrastisches Beispiel die Stellungnahme des Ethikrats zurAufweichung des Inzesttabus in Deutschland . Der großeUnterschied in der Genese dieser Gutachten, der für dieBewertung ebenfalls eine gewisse Rolle spielt, wird inder Öffentlichkeit nicht immer so klar wahrgenommen .Das Konsensprinzip der Berichterstatter gilt auch fürdie Abnahme der TAB-Berichte . Dies sehe ich als wich-tiges Instrument der Qualitätssicherung . Es ist übrigensauch ein Grundprinzip wissenschaftlichen Arbeitens,zum Beispiel beim sogenannten Peer Review in Fach-zeitschriften oder bei der Bewertung von Doktorarbeiten .Mehrere Reviewer reduzieren die Gefahr von Gefällig-keitsgutachten und Denkschablonen . Das Konsensprin-zip funktioniert aber natürlich nur – auch das ist erwähntworden – bei konstruktiver Zusammenarbeit . Deshalbmöchte ich an dieser Stelle ausdrücklich meinen Mitbe-richterstattern – die erste Hälfte dieser Debatte über dasTAB ist ja praktisch eine Berichterstatterrunde –, demAusschusssekretariat und insbesondere der VorsitzendenPatricia Lips danken .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, das Konsensprinzipendet aber bei der politischen Bewertung und Nutzungder TAB-Berichte . Auch diese Selbstverständlichkeitspreche ich noch einmal deutlich aus . Hier kann es keinKonsensprinzip geben . Es gibt auch keine einfachenWahrheiten . Deshalb zeigt das TAB Handlungsoptionenauf und gibt nicht etwa einfache Handlungsrezepte vor,welche der Bundestag nur nachkochen muss .Der Umgang mit diesem Wissen unterscheidet uns javon autokratischen Herrschaften . Ich habe es hier schoneinmal gesagt, wiederhole es aber: Die Aralsee-Katastro-phe als direkte Folge megalomanischer Bewässerungs-und Kanalprojekte in Zentralasien zu sowjetrussischenZeiten oder die vermutlich auch sehr dramatischen Fol-gen des Riesenprojekts Drei-Schluchten-Staudamm inChina sind für mich Beispiele für politisch-technischeEntscheidungen, wie sie in dieser Form in einer funkti-onierenden Demokratie nie fallen dürfen oder wo manzumindest sehr viel schneller gegensteuern würde .Dies ist übrigens auch ein Grund – das sage ich jetzteinmal ein bisschen provokativ; Kollege Mutlu, einekleine Provokation extra für dich –, warum wir in dieserWahlperiode nach intensiven Diskussionen zum Beispielein Gutachten zu den Folgen des massiven Ausbaus vonregenerativen Energiequellen in Auftrag gegeben haben .Bei der Nutzung der Gutachten endet das Kon-sensprinzip; aber es startet die Arbeit für das ganze Haus .Denn natürlich geben wir das Geld für das TAB nicht alsWeiterbildung aus . Ich weiß, dass es gerade in der letz-ten Legislatur auch Unzufriedenheit mit dem KonstruktTAB gab . Es sind daraufhin jedoch wichtige Weichen ge-stellt worden. Wir haben jetzt flexiblere, vielfältigere undschnellere Instrumente .Aber der Kernpunkt bleibt: Wir, der Deutsche Bun-destag, müssen die Gutachten letztendlich auch nutzen –da erwähne ich jetzt einmal rein zufällig das Gutachtenzur Zeitumstellung –; das ist das Prinzip wissenschaft-licher Politikberatung: Die Wissenschaftler analysierendie Situation und zeigen Optionen auf; handeln müssenwir aber selber .In diesem Sinne gratuliere ich dem TAB und uns zu25 Jahren gemeinsamer Arbeit .Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit .
Für die SPD spricht jetzt die Kollegin Dr . SimoneRaatz .
Dr. Philipp Lengsfeld
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 155 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 18 . Februar 201615244
(C)
(D)
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen undKollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Der VCI,also der Verband der Chemischen Industrie, hat vor Kur-zem eine Studie mit dem Titel „Innovationen den Wegebnen“ herausgegeben . Die Ergebnisse dieser Studiemachen Folgendes deutlich: Wie innovativ ein Unter-nehmen ist, liegt nicht allein am Unternehmen selbst,sondern auch am gesellschaftlichen Umfeld . Fast 30 Pro-zent der chemischen Unternehmen beklagen eine ableh-nende Haltung zur technischen Entwicklung in unsererGesellschaft . Das regt zum Nachdenken an . Das solltenwir hinterfragen; denn es schränkt natürlich auch unsereInnovationsfähigkeit ein .Warum ist das so? Wir alle nutzen doch täglich neueEntwicklungen und Technologien und genießen ihr Vor-handensein . Das Smartphone oder unser Auto mit Na-vigationssystem – man kann vieles mehr nennen – sinddoch alltägliche Produkte . All das macht uns das Lebenleichter, und wir wollen es nicht missen .Eine mögliche Antwort auf das Verhalten, das die che-mischen Unternehmen feststellen, gibt uns das Wissen-schaftsbarometer von 2015 . Hiernach meinen 31 Prozentder Befragten, dass die Entwicklung einer neuen Techno-logie gestoppt werden sollte, wenn sie unbekannte Risi-ken birgt . Genau hier leistet das TAB-Büro seit 25 Jahreneinen ganz wichtigen Beitrag .Das TAB gibt uns Bundestagsabgeordneten – daswurde von meinen Vorrednern hier schon erwähnt –,aber auch anderen Interessierten die Möglichkeit, sichmit naturwissenschaftlich-technischen Entwicklungenbereits im Vorfeld ihrer Realisierung auseinanderzuset-zen . Zudem gibt uns die Technikfolgenabschätzung poli-tische Handlungsempfehlungen an die Hand, sodass wireinschätzen können, mit welchen Risiken, aber auch mitwelchen Potenzialen wir es zu tun haben . Ich denke, dassdas für unsere politische Arbeit – das war hier schon The-ma – von unschätzbarem Wert ist . Dafür möchte auch ichan dieser Stelle noch einmal danken .
Seit seiner Gründung hat das TAB zahlreiche Studi-en zu den unterschiedlichsten Fragestellungen verfasstund veröffentlicht . Einige Themen haben hier schon eineRolle gespielt . So sind beispielsweise die Beiträge desTAB zur Bewertung der Grünen Gentechnik sehr wich-tig, auch heute noch; ich glaube, der Bericht wurde 2005veröffentlicht . Gerade in diesem Feld standen und stehensich Kritiker und Befürworter nach wie vor kompromiss-los gegenüber . Das Kuriose ist: Beide Seiten beziehensich auf wissenschaftliche Studien und untermauern da-mit im Endeffekt gegenläufige politische Forderungen.Ich denke, das macht für uns die Entscheidung nicht injedem Fall einfacher .Da ist auf der einen Seite die Industrie, die die Grü-ne Gentechnik ausschließlich positiv bewertet und mitihr zum Beispiel die Ernährung einer stark wachsendenBevölkerung als gesichert ansieht . Auf der anderen Seitebefindet sich ein großer Teil der Bevölkerung, der ins-besondere negative Auswirkungen auf unser Ökosys-tem und natürlich auch auf unsere Gesundheit vermu-tet . Umso wichtiger war und ist es, dass das TAB imArbeitsbericht 104 dem Deutschen Bundestag und derinteressierten Öffentlichkeit eine unabhängige und wis-senschaftlich fundierte Sicht auf die kritischen Aspekte,aber auch auf die Potenziale der Grünen Gentechnik auf-gezeigt hat . Mein Kollege hat zwar schon einige Sätzedazu gesagt, was „Unabhängigkeit“ bedeutet . Aber ichgehe erst einmal davon aus, dass unser TAB verschiede-ne Seiten beleuchtet und wir als Auftraggeber dafür sor-gen, dass die Unabhängigkeit gewahrt ist .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Grüne Gentech-nik ist nur eines von vielen Beispielen, die verdeutlichen,dass unsere Bürger zu Recht Transparenz und einen ehr-lichen Dialog über den Nutzen, aber auch über die Ri-siken fordern . Das spielt in der heutigen Diskussion inder Gesellschaft nach wie vor eine zu geringe Rolle . Nurwenn wir den Nutzen und die Risiken gleichermaßen be-trachten, stellt sich die Akzeptanz von Innovationen ein .Wenn wir das nicht machen, sind die Leute kritisch undsagen: Ich weiß gar nicht, was auf mich zukommt . – Da-mit verhindern wir Innovationen .Um diese Akzeptanz herzustellen, ist es besser, dieLeute möglichst früh einzubeziehen . Die Forschungs-einrichtungen, die Industrie und wir als Politiker müs-sen darauf hinwirken, dass wir unsere Bürger in aktuelleEntwicklungen einbeziehen, noch bevor vielleicht einEndprodukt da ist . Wir müssen einen kontinuierlichenDialog produzieren und die Partizipation der Menschenvon Anfang an ermöglichen .
Im Moment ist es bei vielen Dingen eigentlich ehernoch eine Einbahnstraße . Man sagt: Hier habt ihr ein Pro-dukt; das müsst ihr jetzt schön finden. – Dann sagen dieLeute: Nein, das finden wir nicht unbedingt schön.
Da brauchen wir in der Gesellschaft noch mehr Diskussi-on und Anregungen, auch aus unserem TAB heraus .Liebe Kolleginnen und Kollegen, ein wichtiger Part-ner in diesem gesellschaftspolitischen Prozess ist, wiegesagt, das TAB . Darum bin ich außerordentlich dank-bar, dass Edelgard Bulmahn diese Idee auf den Weg ge-bracht hat – das ist schon erwähnt worden – und UllaBurchardt das im Endeffekt maßgeblich mit unterstützthat . An dieser Stelle möchte ich auch dir, Patricia Lips,danken – du stehst heute halt im Mittelpunkt –, dankenfür dein Engagement, für deine Überzeugungskraft unddeine Geduld . An dieser Stelle also noch einmal ein ganzherzlicher Dank an dich!
Ich bin guter Dinge, dass wir 2040 an gleicher Stel-le „50 Jahre TAB“ feiern können . Damit das TAB auchdann auf der Höhe der Zeit ist, müssen wir es nach mei-ner Meinung konzeptionell weiterentwickeln und auchfinanziell auf sicherere Füße stellen. Deswegen danke ich
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 155 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 18 . Februar 2016 15245
(C)
(D)
der Opposition insbesondere, dass sie den Vorschlägenzur finanziellen Aufstockung beipflichtet. Das ist ganzgroßartig .
Außerdem muss das TAB in die Lage versetzt wer-den, mehr tagesaktuelle Themen zu bearbeiten und sei-ne wertvolle Arbeit noch breiter in die Öffentlichkeit zutragen . Ich denke, die Bundestagsabgeordneten könnennicht der alleinige Adressat sein .Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich komme zumSchluss . Das Büro für Technikfolgen-Abschätzung ist einganz wertvoller Bestandteil sowohl des Bundestags alsauch unseres Ausschusses für Bildung und Forschung .Seine Rolle ist nach meiner Meinung heute noch bedeu-tender als vor 25 Jahren . Und: Die Bedeutung wächststetig . Ich würde mich daher freuen, wenn wir weiterhingemeinsam und vor allen Dingen parteiübergreifend wei-ter an diesem Diamanten schleifen, um seine Leuchtkraftnoch zu verstärken .Vielen Dank .
Nächster Redner ist der Kollege Dr . Stefan Kaufmann,
CDU/CSU .
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ichfreue mich, dass auch unsere Ministerin Johanna Wankadieser Debatte beiwohnt und damit ihre Wertschätzungfür diesen Diamanten, wie Sie es, Frau Kollegin Raatz,formuliert haben, zum Ausdruck bringt .
25 Jahre wissenschaftliche Politikberatung beim Deut-schen Bundestag: Das sind nahezu 200 vom Bundestagbeauftragte Studien zu gesellschaftlich folgenreichenwissenschaftlich-technologischen Entwicklungslinien .Aber auch Enquete-Kommissionen, Bundes- und Lan-desministerien, Forschungs- und Bildungseinrichtungen,Behörden, Unternehmen und interessierte Öffentlichkeitnutzen die Ergebnisse der in den TAB-Berichten vor-gestellten Szenarien und Handlungsoptionen . Dabei istdas deutsche Büro für Technikfolgen-Abschätzung beimDeutschen Bundestag – wir haben es gehört – mit seinen25 oder genau genommen 26,5 Jahren nicht einmal dasälteste . Das OPECST in Frankreich besteht seit 1985 .Die Europäische Union hat bereits 1987 ein TA-Büro,das STOA, eingerichtet, und auch Großbritannien ver-fügt seit 1989 über ein Parliamentary Office of Scienceand Technology . Ich denke, wir sind uns einig hier imRaum: Für unsere tägliche Arbeit als Parlamentarier istdie wissenschaftlich fundierte Beratung unerlässlich .Keiner von uns kennt alle Bereiche des medizinischenFortschritts, neuer Umwelttechnologien oder der neues-ten digitalen Entwicklungen . Deshalb ist eine gründlicheTechnikfolgenabschätzung unglaublich wertvoll .
Ein Grundproblem der Technikfolgenabschätzungmöchte ich kurz ansprechen, das sogenannte Colling-ridge-Dilemma . Es besteht darin, dass Wirkungen einerTechnologie nicht leicht vorhergesehen werden können,solange die Technologie noch nicht ausreichend entwi-ckelt oder verbreitet ist . Das Gestalten und Ändern, alsodas, was unsere Aufgabe als Politik ist, wird jedoch umsoschwieriger, je fester die Technologie verwurzelt ist . Inden letzten Jahren sieht sich die Technikfolgenabschät-zung zudem genötigt, stärker auf die zunehmenden Par-tizipationsbestrebungen in der Gesellschaft einzugehenund dafür neue Beteiligungsformen zu entwickeln .
Allerdings setzt sich die Technikfolgenabschätzungdurch eine pauschale Forderung nach mehr Partizipationgelegentlich auch dem Vorwurf der bloßen Legitimati-onsbeschaffung aus . Auch darüber müsste man vielleichteinmal nachdenken .Weil eben viel zu den Verfahren gesagt wurde, möchteich noch zwei aktuelle Beispiele zur Arbeit des TAB he-rausgreifen, die mich besonders beeindruckt haben bzw .die besonders neugierig machen .Erstens ist das die bereits mehrfach zitierte Untersu-chung zur Synthetischen Biologie aus dem Jahre 2015 .Seit gut zehn Jahren werden wir mit dem Begriff derSynthetischen Biologie, kurz: SynBio, konfrontiert . Sowerden Forschungsvorhaben, Methoden und Verfahrenzu einem Umbau natürlicher Organismen bezeichnet,die weiter gehen, als dies bisher mithilfe der Gentech-nik möglich war . Das BMBF spricht in diesem Zusam-menhang von Biotechnologie 2020+ . Darüber hinauswird auch gerne von Do-it-yourself-Biologie gespro-chen . In der Gesellschaft ist dieses Thema jedoch bislangkaum angekommen . Es war das Biotech-Start-up Glo-wing Plant aus den USA, welches dieses Phänomen derDo-it-yourself-Biologie erst weltweit bekannt gemachthat . Dieses Start-up will Glühwürmchen-DNA über Bak-terien in Pflanzen injizieren und diese so im Dunkelnzum Leuchten bringen . Damit könnte Licht ohne elektri-sche Energie geliefert werden, was wiederum als natürli-che Straßenbeleuchtung dienen könnte – eine irgendwiefaszinierende Vorstellung .
Es wird geschätzt, dass es weltweit etwa 4 000 sol-cher Biohacker bzw . solcher Start-ups gibt . Für sie istDNA eine Programmiersprache, mit der sich beliebigeObjekte basteln lassen . Für einige ist natürlich die Ma-nipulation von Organismen auch der nächste logischeZivilisationsschritt . Es soll inzwischen sogar ein Start-upgeben, das einen 3-D-Drucker für lebendige Dinge bau-en will . Ein Mitarbeiter dieses Start-ups wurde mit demSatz zitiert: „Alles, was lebt, ist nicht optimal . Es kannDr. Simone Raatz
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 155 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 18 . Februar 201615246
(C)
(D)
verbessert werden .“ Oder noch extremer: „Es ist dochoffensichtlich, dass irgendwann einmal jeder Mensch aneinem Computer entworfen wird .“ Das wiederum, meineKolleginnen und Kollegen, ist eine eher erschreckendeVorstellung .
Der hochinteressante TAB-Bericht hierzu zeigt aberauch andere Anwendungen auf. Hierzu gehören modifi-zierte Viren zur Krebsbekämpfung, genetisch veränderteStechmücken zur Kontrolle des Denguefiebers sowie dieProduktion des Pflanzenstoffes Artemisinin als wichti-gem Bestandteil von Malariamedikamenten basierendauf Mikroorganismen mit neu konstruierten Stoffwech-selwegen . Angesichts dieser nahezu uferlosen Möglich-keiten – dazu gehört im Übrigen auch die von Emma-nuelle Charpentier entwickelte Gen-Schere – sind ausmeiner Sicht tatsächlich mehr Investitionen in die Bio-sicherheitsforschung notwendig, um auch die Gefahrendes Missbrauchs von biowissenschaftlicher Forschungim Allgemeinen und von Synthetischer Biologie im Be-sonderen zu verringern .
Jedenfalls wird sich der Bundestag aus meiner Sichtin Zukunft noch stärker mit diesem wichtigen Thema be-schäftigen müssen . Der TAB-Bericht – da sind wir uns,denke ich, auch alle einig – wird hierzu eine erste wichti-ge Grundlage bieten .Darüber hinaus bin ich gespannt auf das gerade lau-fende Untersuchungsprojekt „Mensch-Maschine-Ent-grenzungen – Zwischen künstlicher Intelligenz und Hu-man Enhancement“ . Hierbei geht es vor allem um dasThema „Verschmelzung von Mensch und Maschine“ .Durch die extrem schell voranschreitende Digitalisierungunserer Gesellschaft stellen sich hier natürlich weitrei-chende Fragen .Ich habe im November letzten Jahres der Gründungdes Max Planck ETH Centers for Learning Systems inTübingen beigewohnt . Dort wurden uns selbstlernendeMaschinen gezeigt . Sie kennen vielleicht das Spiel, beidem eine Schnur mit einer Kugel herunterhängt und manversucht, die Kugel durch eine bestimmte Bewegung inein Loch zu bekommen . Man untersuchte diese Bewe-gung, und es wurden dort Maschinen gezeigt, die nachmehreren Dutzend solcher Versuche die ihnen gestell-te Aufgabe mit einer 100-prozentigen Sicherheit lösenkonnten .Weiter wurden Algorithmen vorgestellt, die anhandZehntausender Beispiele aus der Vergangenheit mit70-prozentiger Wahrscheinlichkeit die nächste Hand-lung eines Menschen vorhersagen können . Dazu nur eineZahl: Siri – Sie kennen das vom iPhone – beantwortet proJahr – schätzen Sie einmal – 100 Milliarden mündlicheAnfragen . Das Wissen, das hier generiert wird, ist natür-lich Big Data im besten Sinne und auch ökonomisch vonunschätzbarem Wert . Wenn Maschinen aber bereits in derLage sind, selbst zu lernen und mit einer 100-prozentigenPräzision zu arbeiten, ist zu fragen: Welche Herausfor-derungen ergeben sich daraus? Und gibt es irgendwannsogar eine Maschine mit einem eigenen Bewusstsein?Wie aktuell all diese Fragen sind – der Kollege hates schon angesprochen –, wurde mir auch bei meinemJapanbesuch im Oktober letzten Jahres deutlich . Japansteht vor einem demografischen Wandel, der noch vieldramatischer ist als in Deutschland . Die Bevölkerungs-zahl wird von 130 Millionen auf 100 Millionen herun-tergehen . Japan setzt aber nicht etwa auf eine aktiveFamilienpolitik oder gar auf eine Einwanderungspolitik,sondern ganz massiv auf Robotik . Immer menschlicherwerdende Roboter sollen alte Leute pflegen, im Haushalthelfen oder ihnen auch als Begleiter zur Seite stehen .Dieser aus unserer Sicht durchaus befremdliche Ansatzwird dort mit großem Aufwand vorangetrieben . Toshibazum Beispiel investiert allein in den USA 1 MilliardeDollar in die Erforschung künstlicher Intelligenz .Meine Damen und Herren, es liegt an uns, die richti-gen Fragen aufzuwerfen, die sich mit diesen Herausfor-derungen verbinden, und entsprechende Aufträge zu er-teilen . Ich bin froh, dass uns das TAB hierbei mit großerExpertise und fundierten Analysen zur Seite steht . Dieslassen wir uns übrigens – das Thema Geld wurde ange-sprochen – durchaus etwas kosten .Ich wünschte mir manchmal lediglich – auch dassei angemerkt – eine etwas kompaktere Fassung derTAB-Berichte . Das soll aber die insgesamt sehr positiveBewertung der Arbeit des TAB überhaupt nicht schmä-lern . Deshalb auch von meiner Seite aus abschließendein ganz herzliches Dankeschön an alle Verantwortlichenbzw . Akteure und auch an dich, liebe Patricia Lips, fürdiese wichtige Arbeit .Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit .
Vielen Dank, Dr . Kaufmann . – Die nächste und letzte
Rednerin in der Debatte ist Dr . Daniela De Ridder für
die SPD .
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Vielen Dank . – Sehr geehrte Frau Präsidentin! LiebeKolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen undHerren! Welchen Nutzen bringt das Klonen von Tieren,und welche Gefahren birgt es? Kann die Kernfusionsämtliche Energieprobleme der Zukunft lösen? WelchePerspektiven hat der militärische Einsatz beispielsweiseunbemannter Drohnen? Wie beeinflussen die neuen elek-tronischen Medien das Suchtverhalten von Menschen?Dies – ich komme darauf im Übrigen gleich noch einmalzurück – ist nur ein kleiner Auszug aus den über 100 Un-tersuchungen, die das Büro für Technikfolgenabschät-zung in den vergangenen 25 Jahren durchgeführt hat .Die Analysen geben uns Abgeordneten des DeutschenBundestages regelmäßig Hinweise auf der Basis wissen-Dr. Stefan Kaufmann
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 155 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 18 . Februar 2016 15247
(C)
(D)
schaftlicher Erkenntnisse. Diese wiederum beeinflussenunsere politischen Entscheidungen .Sie haben es gehört: 1990 wurde das Büro für Tech-nikfolgen-Abschätzung – kurz TAB genannt – vom Deut-schen Bundestag genau mit dieser Absicht eingesetzt .Man wollte ein Gegengewicht zu den von Eigeninteres-sen beeinflussten Analysen der Wirtschaft schaffen. DerBegriff „Unabhängigkeit“ wurde vorhin schon einmalgenannt . Noch eine Überlegung spielte damals eine ent-scheidende Rolle, liebe Kolleginnen und Kollegen . Manwollte nämlich die Bedenken der Menschen zerstreu-en, die die technische Entwicklung mit immer größererSkepsis betrachten .Heute stehen wir aber möglicherweise an einer ande-ren Stelle . Wir müssen heute möglicherweise eher fra-gen: Wie ist es denn mit dem Suchtverhalten in Bezugauf elektronische Medien? Ich will jetzt gar nicht fragen,wer während dieser Debatte, die wir jetzt führen, seinHandy bedient hat und wer noch dabei ist . Ehrlich ge-sagt, ich sehe sie, und die anderen sehen sie auch . Genaudas ist aber möglicherweise ein Phänomen, das es zu be-schreiben gilt .Als ich in den 1990er-Jahren noch wissenschaftlichgearbeitet habe, verfolgte mich das Thema der sogenann-ten kulturellen Diffusion des Handys . Gemeint war die-ses Phänomen . Es ist ganz spannend, welche BeispieleSie aus der TAB-Liste herausgesucht und angesprochenhaben . Mich hat insbesondere das Thema des Suchtver-haltens im Umgang mit Handys angesprochen und an daserinnert, was ich selber einmal vorhatte wissenschaftlichzu untersuchen, nämlich die kulturelle Diffusion desHandys . Gemeint ist das Phänomen, dass Leute bei-spielsweise in Zügen, Straßenbahnen, Cafés oder auchim Deutschen Bundestag – wo auch immer – ihr Handybedienen, dabei Kündigungen schreiben, Liebeserklä-rungen und Liebesschwüre abgeben oder vielleicht auchSchluss machen, als ob sie eine Tarnkappe aufhätten .Dieses Phänomen kennen Sie . Wir müssen uns immerwieder fragen: Was bedeutet das eigentlich kulturell, wasbedeutet es für die Zukunft, und hat es vielleicht auchetwas mit dem generativen Verhalten zu tun? Genau die-sen Fragen ist das TAB nachgegangen . Sie können sichvorstellen, dass es möglicherweise Folgeprojekte gibt .Ich weiß, es ist nicht üblich, an einem GeburtstagWünsche an das Geburtstagskind zu richten . Ich will esgleichwohl tun . Ich hätte gerade in diesem Kontext zweiFragen . Vielleicht sollten wir uns, da wir heute einmütigzusammenstehen, überlegen, ob wir das TAB nicht be-auftragen wollen, gerade in diesem Kontext zwei kriti-schen Fragen nachzugehen .Die eine Frage treibt Sie, liebe Kolleginnen und Kol-legen von der Union, mit Sicherheit noch mehr um alsmich oder meine Fraktion, nämlich die Frage – auch dashat etwas mit kultureller Diffusion zu tun –: Was war ei-gentlich der Auslöser der Zunahme der Fluchtbewegun-gen im vergangenen Jahr? Manche in meinem Wahlkreisbehaupten allen Ernstes, es seien die Selfies der Kanzle-rin gewesen . Man kann das in Abrede stellen; aber mansollte es tatsächlich einmal wissenschaftlich untersuchen .Denn es gemahnt uns alle, wie wir mit unseren Handysumgehen .Eine zweite Frage gehört möglicherweise in diesenKontext: Wozu führt eigentlich das tägliche Lancierenvon Kurzbotschaften, etwa in Drei-Wort-Sätzen überWhatsApp-Gruppen, beispielsweise von Botschaften derAfD? Wie reagieren eigentlich junge Menschen, die nochnicht politisch gefestigt sind, auf solche Botschaften, diemöglicherweise einen sehr manipulativen Charakter ha-ben? Das sollte uns in der Tat sehr zu denken geben . Auchhier wünschte ich mir eine entsprechende Untersuchung .In der Tat begrüße ich die Debatte, die wir heute füh-ren, deshalb umso mehr, weil es gilt, dem TAB nichtnur zu danken, sondern ihm auch ganz großes Vertrauenauszusprechen und seine Arbeit zu würdigen . Ich denke,die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und die Leitung desTAB wissen sehr genau, dass wir ihre Arbeit zu schätzenwissen . Dies gilt umso mehr, liebe Patricia, für deine Ar-beit .Herzlichen Dank .
Vielen Dank, liebe Kollegin De Ridder . Ihrem Dankschließe ich mich an .Ich schließe die Aussprache und bedanke mich für be-denkenswerte Anregungen und Fragestellungen in dieserspannenden Debatte .Ich rufe jetzt die Tagesordnungspunkte 22 a und 22 bauf:a) Erste Beratung des von der Bundesregierungeingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu demVertrag vom 24. Oktober 2014 zwischen derBundesrepublik Deutschland und dem König-reich der Niederlande über die Nutzung undVerwaltung des Küstenmeers zwischen 3 und12 SeemeilenDrucksache 18/7450Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur
Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicher-heitb) Erste Beratung des von der Bundesregierungeingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu demVertrag vom 28. April 2015 zwischen der Bun-desrepublik Deutschland und der Tschechi-schen Republik über die polizeiliche Zusam-menarbeit und zur Änderung des Vertragesvom 2. Februar 2000 zwischen der Bundes-republik Deutschland und der TschechischenRepublik über die Ergänzung des Europäi-schen Übereinkommens über die Rechtshilfein Strafsachen vom 20. April 1959 und die Er-leichterung seiner AnwendungDrucksache 18/7455Dr. Daniela De Ridder
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 155 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 18 . Februar 201615248
(C)
(D)
Überweisungsvorschlag: Innenausschuss
Ausschuss für Recht und VerbraucherschutzEs handelt sich um Überweisungen im vereinfach-ten Verfahren ohne Debatte.Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen andie in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zuüberweisen . – Sie sind damit einverstanden . Dann sinddie Überweisungen so beschlossen .Ich rufe die Tagesordnungspunkte 23 a bis 23 e sowie22 c auf . Es handelt sich um die Beschlussfassung zuVorlagen, zu denen keine Aussprache vorgesehen ist .Tagesordnungspunkte 23 a bis 23 e . Wir kommen zuden Beschlussempfehlungen des Petitionsausschusses .Tagesordnungspunkt 23 a:Beratung der Beschlussempfehlung des Petiti-onsausschusses
Sammelübersicht 277 zu PetitionenDrucksache 18/7383Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-hält sich? – Die Sammelübersicht 277 ist einstimmig an-genommen .Tagesordnungspunkt 23 b:Beratung der Beschlussempfehlung des Petiti-onsausschusses
Sammelübersicht 278 zu PetitionenDrucksache 18/7384Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-hält sich? – Sammelübersicht 278 ist angenommen mitZustimmung von CDU/CSU und SPD bei Gegenstim-men der Linken und bei Enthaltung von Bündnis 90/DieGrünen .Tagesordnungspunkt 23 c:Beratung der Beschlussempfehlung des Petiti-onsausschusses
Sammelübersicht 279 zu PetitionenDrucksache 18/7385Bevor wir zur Abstimmung über diese Sammel-übersicht kommen, erteile ich der Kollegin MartinaStamm-Fibich das Wort zu einer ergänzenden Berichter-stattung .
Verehrte Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen undKollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Jeder zehnteDeutsche leidet unter Harn- und/oder Stuhlinkontinenz .Experten sprechen sogar von einer Volkskrankheit . Den-noch wagen viele Erkrankte nicht einmal einen Arztbe-such, weil die Krankheit ein solches Tabuthema ist . Siewerden durch ihre Scham vom gesellschaftlichen Lebenabgehalten . Ein Facharzt sagte zu mir sehr treffend: AnInkontinenz stirbt man nicht, aber sie kann einem dasLeben nehmen . – Dabei kann man qualitativ gute Inkon-tinenzprodukte bekommen, die viele Symptome lindernkönnen .In den letzten Jahren hat sich die Qualität der Ver-sorgung mit Inkontinenzhilfsmitteln jedoch massivverschlechtert . So liegt die Monatspauschale der ge-setzlichen Krankenkassen für Inkontinenzhilfsmittelaktuell zum Teil unter 12,50 Euro, aber für eine quali-tativ hochwertige, angemessene Versorgung müssten esmindestens 20 Euro sein . Die Konsequenz daraus sindAufzahlungen, die derzeit zwischen 50 und 100 Euro proMonat betragen, und die Betroffenen zahlen auf, weil dieProdukte, die sie bekommen, in Anzahl oder Qualität ein-fach nicht ausreichen .Menschen, die viel unterwegs sind, brauchen andereHilfsmittel als Menschen, die bettlägerig sind . Bei derVersorgung mit Inkontinenzhilfsmitteln darf Wirtschaft-lichkeit nicht der einzige Maßstab sein .
Krankenkassen müssen sicherlich nicht die individuelleFarbauswahl der Hilfsmittel bezahlen, aber sie müsseneine Versorgung sicherstellen, die die individuelle Le-bensrealität der Betroffenen berücksichtigt . Vor zweiJahren ist deshalb eine Petition beim Deutschen Bundes-tag eingegangen, in der die Abschaffung der Pauschalefür Inkontinenzhilfsmittel gefordert wird . Stattdessensollen die Krankenkassen einfach alle Kosten überneh-men, die anfallen . Die Abschaffung dieser Pauschale un-terstützt der Petitionsausschuss nicht, aber wir haben dasProblem erkannt und werden die Petition zur Erwägungan das Bundesministerium für Gesundheit überweisen .Ziel ist es, die Qualität der Versorgung zu verbessern . In-dividuelle Bedürfnisse müssen durch die Krankenkassenberücksichtigt werden, und Aufzahlungen für die Patien-tinnen und Patienten dürfen nur dann vorkommen, wennder Bedarf über eine angemessene und qualitativ guteVersorgung hinausgeht .Mit dem Votum zu dieser Petition unterstreichen wirbewusst einen Prozess, den wir bereits in Gang gesetzthaben . In den mittlerweile zwei Jahren, in denen michdie Petition begleitet, habe ich das Problem an vielenStellen deponiert, und die ersten Erfolge sind bereits zuverbuchen .
So hat die Barmer GEK im Dezember 2015 ihre Aus-schreibungen über aufsaugende Inkontinenzmittel ge-stoppt . Die Krankenkasse setzt nun wieder auf klassischeHilfsmittelverträge . Fast zeitgleich hat der GKV-Spit-zenverband angekündigt, dass das Haus die sogenannteProduktgruppe 15 „Inkontinenzhilfsmittel“ im Hilfsmit-telverzeichnis überarbeiten wird . Hauptkriterium dieserÜberarbeitung wird die Qualität der Produkte sein .Verehrte Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen undKollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Wir habenden Stein ins Rollen gebracht, aber wir sind noch nichtam Ziel . Auf der politischen Ebene haben wir viele Ge-spräche geführt . Das Bewusstsein für das Problem rundum die Ausschreibungen ist gewachsen . Derzeit überar-beitet das BMG die Regelungen der Hilfsmittelversor-Vizepräsidentin Claudia Roth
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 155 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 18 . Februar 2016 15249
(C)
(D)
gung . An den Ausschreibungen soll festgehalten werden,aber neben dem Preis soll auch die Qualität entscheiden .Das ist der entscheidende Schritt hin zu einer guten Ver-sorgung der Betroffenen . Ich freue mich, dass der Petiti-onsausschuss hier zu einem einstimmigen hohen Votumgekommen ist .Herzlichen Dank .
Vielen Dank an die Frau Kollegin Stamm-Fibich, die
im Namen aller Fraktionen gesprochen hat .
Wir kommen jetzt zur Abstimmung über die Sammel-
übersicht 279 auf Drucksache 18/7385 . Wer stimmt da-
für? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die
Sammelübersicht 279 ist einstimmig angenommen .
Tagesordnungspunkt 23 d:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petiti-
onsausschusses
Sammelübersicht 280 zu Petitionen
Drucksache 18/7386
Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-
hält sich? – Sammelübersicht 280 ist angenommen mit
Zustimmung von CDU/CSU, SPD, Bündnis 90/Die Grü-
nen und Gegenstimmen der Linken .
Tagesordnungspunkt 23 e:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petiti-
onsausschusses
Sammelübersicht 281 zu Petitionen
Drucksache 18/7387
Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer
enthält sich? – Sammelübersicht 281 ist angenommen .
Zugestimmt haben CDU/CSU und SPD, dagegen waren
Bündnis 90/Die Grünen und die Linke .
Dann sind wir mit den Abstimmungen zu den Be-
schlussempfehlungen des Petitionsausschusses durch,
und ich komme zu Tagesordnungspunkt 22 c:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Halina
Wawzyniak, Frank Tempel, Dr . André Hahn, wei-
terer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE
zu dem Vorschlag für eine Richtlinie des Eu-
ropäischen Parlaments und des Rates zur
Terrorismusbekämpfung und zur Erset-
zung des Rahmenbeschlusses 2002/475/JI
zur Terrorismusbekämpfung
KOM(2015) 625 endg.; Ratsdok. 14926/15
hier: Stellungnahme gemäß Artikel 6 des
Protokolls Nr. 2 zum Vertrag von Lissa-
Drucksache 18/7542
Wer stimmt für diesen Antrag? – Wer stimmt dage-
gen? – Wer enthält sich? – Der Antrag ist abgelehnt . Zu-
gestimmt hat die Linke . Dagegengestimmt haben CDU/
CSU und SPD . Enthalten hat sich Bündnis 90/Die Grü-
nen .
Jetzt rufe ich Zusatzpunkt 3 auf:
Aktuelle Stunde
auf Verlangen der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN
Stand der Aufklärung und Konsequenzen aus
dem Abgasskandal
Ich bitte die Kolleginnen und Kollegen, die Plätze zu
verlassen bzw . einzunehmen, damit wir zügig anfangen
können .
Dann eröffne ich die Aussprache und gebe das Wort an
Oliver Krischer für Bündnis 90/Die Grünen .
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Der Abgasskandal ist jetzt seit fünf Monaten einer breitenÖffentlichkeit bekannt, und inzwischen ist auch klar: Esgeht längst nicht mehr nur um VW . VW ist ohne Zweifeldie Spitze des Eisbergs, weil man dort mit eindeutig il-legalen Methoden versucht hatte, Grenzen für Stickoxid-emissionen zu umgehen .Zumindest seit dem Wochenende ist auch die Ge-schichte in sich zusammengefallen, dass es ein paar wildgewordene Ingenieure im Konzern waren, die diese Ma-nipulation veranlasst haben . Zumindest scheint es so,dass die Konzernspitze davon wusste und das billigendin Kauf genommen und weggeschaut hat .Das ist das Problem bei VW . Aber der eigentlicheSkandal ist, dass das System der Manipulation der Ab-gaswerte und der Überschreitung von Grenzwerten vonAbgasen allerorts und bei vielen Automarken stattfindetund, meine Damen und Herren, dass die Branche dasnach wie vor billigend in Kauf nimmt . Das können wirnicht länger hinnehmen .
Jedem sollte jetzt klar sein, warum trotz Euro 4, 5 und6 die Stickoxidwerte in unseren Städten nicht sinken .Das ist beileibe keine Lappalie, sondern es ist ein gigan-tisches Industrie- und Umweltproblem . Denn TausendeMenschen sterben in unserem Land an den Folgen vonVerkehrsemissionen, und Zehntausende werden krank .Jeder Verkehrsminister dieser Republik müsste allestun, um diesen Skandal zu bekämpfen und zu lösen, umdas Problem aus der Welt zu schaffen . Aber nach fünfMonaten müssen wir feststellen: Was dieser Verkehrsmi-nister Alexander Dobrindt zur Lösung dieses ProblemsMartina Stamm-Fibich
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 155 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 18 . Februar 201615250
(C)
(D)
beiträgt, ist gar nichts . Das ist inzwischen der Skandalim Skandal .
Wir haben im Deutschen Bundestag Dutzende Anfra-gen zum Thema gestellt, um herauszubekommen, wasdas Verkehrsministerium denn eigentlich nun in SachenAbgasskandal tut . Die Antworten, die wir regelmäßig be-kommen, sind eine solche Unverschämtheit – ich kannkein anderes Wort dafür benutzen –, dass wir ernsthaft inder Grünenfraktion überlegen, diese in gebundener Formals Dokument und Beleg dafür herauszugeben, wie dieseBundesregierung mit dem Thema Abgasskandal umgeht,
aber auch, wie sie die Informationsrechte des Parlamentsmissachtet . Das ist ein unglaubliches Umgehen mit dem,was eigentlich notwendig wäre .
Ich will nur ein Beispiel nennen: Wir haben x-malgefragt, wer denn Mitglied dieser ominösen Untersu-chungskommission ist, die unmittelbar nach Bekannt-werden des Abgasskandals eingesetzt wurde . Wir habennie eine Antwort bekommen, bis heute nicht . Als dasan die Presse durchsickerte, weil jemand anders die In-formation weitergegeben hat, wurde klar, warum dieseInformation nicht weitergegeben wurde: Diese Untersu-chungskommission – man glaubt es ja kaum – besteht ausdem Minister, seinem Staatssekretär, ein paar Beamtendes Ministeriums und des Kraftfahrt-Bundesamtes undeinem Professor, der früher in der Verkehrswirtschaft ge-arbeitet hat . Das sind genau die Leute, die jahrelang ent-weder beim Skandal mitgemacht haben oder zumindestweggeschaut und nicht gehandelt haben, trotz eindeu-tiger Informationen . Dazu kann ich nur sagen, obwohlich als Grüner ein Freund von Tieren bin: Man kann dieFrösche nicht damit beauftragen, den Sumpf trockenzu-legen . Aber genau das tun Sie .
Wenn Sie es ernst meinen würden, dann würden Siedie Kritiker hereinholen, dann würden Sie unabhängigeFachleute hereinholen . Weil Sie das nicht tun, ist völligklar: Sie wollen am Ende nicht aufklären und die nötigenKonsequenzen nicht ziehen .
Am Wochenende haben wir via Bild-Zeitung – da-rin ist übrigens mehr zu lesen als in den Antworten aufunsere Anfragen – erfahren, dass Dopingtests die großeAntwort sein sollen, Stichproben, die man hin und wie-der nehmen soll . Mal abgesehen davon, dass ein grünerVerkehrsminister das bereits im Oktober letzten Jahresgefordert hat und die Union damals geschimpft und ge-zetert hat, wie man Dopingtests fordern könne – jetzt for-dert das Ihr eigener Minister –,
ist es unglaublich, dass fünf Monate nach Bekanntwer-den des VW-Skandals die einzige Konsequenz aus demAbgasskandal ein paar Stichprobenuntersuchungen seinsollen . Ich sage: Man kann über Dopingtests diskutieren,was wir aber eigentlich brauchen, ist ein Drogentest fürdiesen Minister, damit wir einmal herausbekommen, waser zum Frühstück raucht, wenn er draußen im Land undin der Welt erzählt, Deutschland sei vorbildhaft bei derAufklärung dieses Skandals . Das ist doch absurd . Das istWirklichkeitsausblendung .
Ich möchte die Gelegenheit nutzen, dem Ministerzwei Fragen zu stellen – er hat ja gleich Gelegenheit, da-rauf zu antworten –:Im Gegensatz zur EPA haben Sie VW einen Freifahrt-schein erteilt . Es gibt eine Rückrufaktion, um eine neueSoftware aufzuspielen . Als Kunde würde ich gerne wis-sen: Wird mein VW in Zukunft die Grenzwerte für dieAbgasemissionen im Realbetrieb einhalten, ohne dass esdabei zu einem Leistungsverlust kommt? Ich bitte Sie,das klar zu beantworten . Das wäre der eine Punkt .Ich bitte Sie, eine weitere Frage zu beantworten .
Aber schnell .
Ich komme zum Ende, Frau Präsidentin . – Wir haben
gelernt, dass die Abgasreinigungseinrichtungen bei Au-
ßentemperaturen unter 10 Grad nicht richtig funktionie-
ren . Ich würde gerne von Ihnen hören, Herr Dobrindt: Ist
es legal, dass die Automobilunternehmen die Abgasrei-
nigungseinrichtungen abschalten? Was unternehmen Sie
dagegen? Was sagen Sie zu diesen Vorwürfen? Nach fünf
Monaten Beschäftigung mit dem Thema will ich hier ein-
mal eine klare Aussage von Ihnen zu dem Thema hören:
Ist es nicht nur VW, arbeitet am Ende die gesamte Auto-
mobilwirtschaft mit Manipulationen?
Laufen Sie nicht mit so einem Unsinn durch die Gegend,
dass es nur einiger Dopingtests bedürfe . Das reicht an der
Stelle nicht .
Ich danke Ihnen .
Vielen Dank, Kollege Krischer . – Das Wort hat nunMinister Alexander Dobrindt .
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 155 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 18 . Februar 2016 15251
(C)
(D)
Alexander Dobrindt, Bundesminister für Verkehrund digitale Infrastruktur:Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen undHerren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Verehrter HerrKrischer, Ihr ewiges Abspulen der immer gleichen Leieraus der grünen Mottenkiste ist an Einfallslosigkeit wirk-lich nicht zu überbieten .
Aber wenn sich hier im Deutschen Bundestag ein Grü-ner hinstellt und sagt, man dürfe die Frösche nicht fra-gen, wenn man den Sumpf trockenlegen will, dann bitteich die Umweltschützer, ihre Beschwerden an die grüneFraktion zu richten . Es ist ja unglaublich, Herr Krischer,was sich da auftut .
Ich kann Ihnen sagen: Wir haben beim Umgang mit demVW-Skandal eine klare Strategie .
Wir treiben die Umsetzung auch energisch voran . Wirklären auf . Die Fehler werden beseitigt und die Prozesseoptimiert . Das ist der Leitfaden zur Bewältigung der Kri-se, meine Damen und Herren .
Zur Aufklärung . Wir haben unmittelbar nach Bekannt-werden der Vorwürfe eine Untersuchungskommissioneingesetzt . Diese Untersuchungskommission hat seitdemüber 30-mal getagt .
Sie hat strenge, spezifische Nachprüfungen angeordnet,übrigens nicht nur bei Volkswagen, sondern auch bei ei-ner Reihe anderer Hersteller aus dem In- und Ausland .In Unterlagen wird Einsicht genommen . Wir fordern undbegleiten die Aufklärung durch das Unternehmen aktiv .Wir machen Volkswagen klare Vorgaben, wie der Scha-den zu beseitigen ist .
Das ist im Interesse der Kunden, im Interesse des Auto-mobilstandorts Deutschland und auch im Interesse vonHundertausenden von Mitarbeitern in der Automobilin-dustrie,
die ihre Arbeit jeden Tag korrekt und gewissenhaft ma-chen und es nicht verdient haben, von Ihnen unter Gene-ralverdacht gestellt zu werden .
Die Zusammenarbeit zwischen unserer Untersu-chungskommission und Volkswagen funktioniert übri-gens kooperativ .
Das Unternehmen arbeitet erkennbar engagiert daran,seiner Verantwortung nachzukommen und den entstan-denen Schaden zu korrigieren .
Die Untersuchungskommission hat eine großangelegteÜberprüfung aller betroffenen VW-Dieselmodelle undaller Volumenhersteller angeordnet. Diese Tests findennicht nur im Labor, also auf der sogenannten Rolle, son-dern auch unter realen Bedingungen, das heißt auf derStraße, statt . Es gibt an dieser Stelle auch Cross-Checks .Sobald diese Nachprüfungen abgeschlossen sind, wirdein Gesamtergebnis vorliegen;
das ist Ihnen bekannt, es ist Ihnen mehrmals mitgeteiltworden .
Übrigens werden die Ergebnisse, die im Rahmen derTests bei unseren Messungen erzielt werden, in dem Ge-samtbericht detailliert veröffentlicht werden .
Das ist die Aufgabe, der wir nachkommen, um festzustel-len, wie die ganze Branche mit diesem Thema umgeht .Das ist ein wesentlicher Teil der Aufklärung, die durchdie Untersuchungskommission durchgeführt wird .Zur Fehlerbeseitigung . Wir haben Volkswagen bereitsim Oktober letzten Jahres aufgefordert, einen verbindli-chen Maßnahmen- und Zeitplan mit technischen Lösun-gen zur Beseitigung der Abschalteinrichtungen vorzule-gen . Dabei haben wir auch klar zum Ausdruck gebracht,dass die Umrüstungen unter keinen Umständen zumNachteil der Kunden durchgeführt werden dürfen . Volks-wagen hat die Software- und Hardwarelösungen fristge-Vizepräsidentin Claudia Roth
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 155 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 18 . Februar 201615252
(C)
(D)
recht vorgelegt . Daraufhin hat das Kraftfahrt-Bundesamtfür die betroffenen Fahrzeuge verpflichtend den Rückrufangeordnet. Das heißt, ein verpflichtender Rückruf hatbegonnen . Bereits im Januar dieses Jahres ist mit demAmarok die erste Fahrzeugkategorie in den Rückruf unddie Umrüstung gegangen .
Damit hat Volkswagen eine weitere unserer Vorgabenerfüllt .Wir erwarten, dass jetzt Zug um Zug weitere Modellein die Werkstatt zurückgerufen werden, um sie in einenregelkonformen Zustand zu bringen . Das nächste Modellwird der Passat sein . Er wird im März zum Rückruf kom-men .Das ist ein notwendiger Prozess für die Kunden, aberauch für Volkswagen, um Vertrauen zurückzugewinnen .Ich betone hier ganz ausdrücklich: Wir sind hier deutlichweiter als alle anderen Länder . Auch die Beispiele, dieSie genannt haben, zeigen das . Die technischen Lösun-gen sind in Deutschland erarbeitet und befinden sich be-reits im Umsetzungsprozess .
Der Rückruf ist angeordnet, und die Fahrzeuge werdenin einen regelkonformen Zustand gebracht . Das ist dieWahrheit, Herr Krischer .
Wir optimieren die Prozesse .
Ja, es ist richtig, dass die Untersuchungskommission auchan einem umfassenden Maßnahmenpaket im Zusammen-hang mit zukünftigen Zulassungsverfahren arbeitet .
Klar ist dabei heute schon, dass wir die Offenlegung derMotorsoftware gegenüber der Typgenehmigungsbehördeund übrigens auch die Rotation der technischen Prüf-dienste vorschreiben werden .Außerdem wird ein Antischadstoff-Dopingtest für Au-tos eingeführt . Das heißt, jedes Jahr werden Fahrzeugeunangemeldet aus dem bestehenden Markt herausge-nommen und auf ihren Schadstoffausstoß und ihre Re-gelkonformität getestet . Dazu bauen wir eigene staatlichePrüfstände beim Kraftfahrt-Bundesamt unter Aufsichtdes Bundesverkehrsministeriums auf .Das sind schlagkräftige Maßnahmen, damit jedemauch zukünftig klar ist: Der Versuch von Manipulationbleibt nicht unentdeckt .
Darüber hinaus haben wir auf europäischer Ebene –auch das ist von Ihnen in den vergangenen Wochen jakritisiert worden – die RDEs, die Real Driving Emissi-ons, beschlossen . Das heißt, wir werden die Emissionenzukünftig nicht mehr nur auf der Rolle, sondern auch realauf der Straße kontrollieren . Konkret geht es schlichtwegdarum, dass wir die Tests dem realen Fahrverhalten derAutofahrer annähern . Darüber hat es in Europa in der Tateine lange Debatte gegeben, und es war die Bundesre-gierung, die im letzten Jahr dafür gesorgt hat, dass eineweitere Dynamik in diese Debatte gekommen ist .Inzwischen ist die Entscheidung in Brüssel gefallen,dass die RDEs eingeführt werden . Vor wenigen Tagen hatübrigens auch das Europäische Parlament zugestimmt,sodass dem nichts mehr im Wege steht .Auch das ist ein notwendiger Schritt, um bei derKontrolle des Schadstoffausstoßes zukünftig das Fahr-verhalten der Kunden stärker zu berücksichtigen . HerrKrischer, auch hier war es die Bundesregierung, die ge-handelt und dafür gesorgt hat, dass Europa jetzt endlichzu Entscheidungen gekommen ist .
Herr Krischer, Sie haben der Bundesregierung heutehier und in ähnlicher Form auch vor wenigen Tagen öf-fentlich „Kumpanei“ – wörtlich – vorgeworfen .
Ich will Ihnen an dieser Stelle sagen: Die Partnerschaftzwischen Wirtschaft, Gesellschaft und Politik ist dieGrundlage der sozialen Marktwirtschaft, und Partner-schaft ist keine Kumpanei .
Wir klären im Sinne der Kunden, der Wirtschaft und derBeschäftigten in dieser Branche auf .
Ihr Kollege Winnie Hermann, der Verkehrsminister inBaden-Württemberg, lässt sich öffentlich damit zitieren:Bundesminister Alexander Dobrindt
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 155 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 18 . Februar 2016 15253
(C)
(D)
Mit 750 000 Arbeitsplätzen ist die Automobilindus-trie nicht . . . so bedeutend, wie sie tut .Ich kann Ihnen nur dringend empfehlen: Sagen Sie genaudieses und Ähnliches in den nächsten Wochen noch sehroft, damit Sie am 13 . März 2016 auch die entsprechendeAntwort der Menschen dafür bekommen .
Vielen Dank, Herr Dobrindt . – Nächster Redner in der
Debatte: Herbert Behrens für die Linke .
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Wir erinnern uns: Der VW-Konzern umging mit hoherkrimineller Energie Abgasbestimmungen, um bei Diesel-motoren zu täuschen . Doch nicht nur Autos und Auto-fahrer auf dem amerikanischen Markt waren betroffen,sondern 11 Millionen Fahrzeugbesitzer weltweit .Mit der Manipulationssoftware wurden nicht nur Kun-dinnen und Kunden getäuscht, sondern vorsätzlich wurdedie Gesundheit derjenigen geschädigt, die nicht im Autositzen, die in den Städten unterwegs sind, die an Straßenmit viel Autoverkehr wohnen, weil sie sich die Wohnun-gen in besseren Vierteln nicht leisten können . DiesenSkandal prangern wir an . Wir machen deutlich, dass hierProfit vor Gesundheit geht, und das ist inakzeptabel.
Der VW-Konzern ist in eine schwere Schieflage gera-ten . Mehrere Milliarden Euro müssen zurückgestellt wer-den, um Strafen, Schadenersatzforderungen und Nach-rüstungen zu bezahlen . Die Belegschaft im Konzern isthoch beunruhigt . Sie ängstigt sich, weil sie nicht weiß,was auf sie zukommt . Weniger Absatz, weniger Geld fürEntwicklung und Forschung für sinnvolle Produkte aufdem Fahrzeugmarkt bedrohen die Arbeitsplätze . Die Ze-che zahlen die Leiharbeiter, die ihren Arbeitsplatz verlie-ren, und die Festangestellten, die auf vereinbarte Prämienverzichten müssen, schon jetzt . Noch beunruhigender ist,dass kein Ende des Skandals in Sicht ist . Darum ist diezügige Aufklärung so dringend nötig .
Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen haben Vorschlägegemacht, wie man das hinbekommt . Die Anträge liegenvor . Die hätten Sie sich ansehen können, um beispiels-weise Maßnahmen, die in der Kommission offenbar be-raten worden sind, zu bewerten . Von den Koalitionsfrak-tionen kam bis heute nichts – Fehlanzeige!Sie, werte Kolleginnen und Kollegen von den Koaliti-onsfraktionen, verlassen sich offenbar auf Ihren Chefauf-klärer, Minister Dobrindt . Ich glaube, wenn man sich aufihn verlässt, dann ist man schon verlassen .
Denn was haben Sie, Herr Dobrindt, als Chefaufklärerunternommen? Sie haben Schlagzeilen geliefert, indemSie ganz fix eine Expertenkommission einberufen ha-ben . Doch wer die Experten waren – wir haben es geradegehört –, war lange nicht herauszufinden. Erst Monatedanach waren Sie quasi gezwungen, zu erzählen, wer inder Kommission sitzt . Damit haben Sie eine öffentlicheKontrolle verhindert . Sie haben verhindert, dass wirklichunabhängige Experten zum Zuge kommen, um das zuuntersuchen, was notwendig ist . Sie haben keine Unter-suchungskommission gebildet, sondern eine Beratungs-kommission gegründet . So hörte sich das an, was Siegerade vorgestellt haben .Die Böcke, die jetzt als Gärtner tätig sind, haben in-zwischen 36-mal getagt . Ergebnisse – Sie haben ebengesagt, es gäbe ganz viele, offiziell wissen wir von kei-nem – oder Empfehlungen, die dabei herausgekommensind? Fehlanzeige oder geheim! Sie verweisen uns aufden Abschlussbericht, sagen aber nicht, wann dieserkommt . Ich wäre schon froh, wenn wir einmal einenZeitrahmen hätten .
Sie haben die Schlagzeilenproduktion weiter ohneSubstanz angereichert durch Ihre merkwürdige Ankün-digung einer Dopinguntersuchung . Dabei haben Sie völ-lig aus dem Blick verloren, dass es hier um die Gesund-heitsgefährdung von Zehntausenden von Menschen geht .An der Stelle haben Sie Ihre Aufgabe überhaupt nichtwahrgenommen . Sie sind nicht mit der Automobilindu-strie massiv in die Auseinandersetzung gegangen, um zuerklären, was geht und was nicht geht, sondern Sie habensich darauf beschränkt, zu sagen: Wir prüfen . – Aber Siemüssen doch diejenigen an die Kandare nehmen, die Ur-sache dieser Prüfung sind, damit sich der Skandal nichtwiederholen kann .
Wir haben Ihnen in unseren Anträgen Alternativenvorgelegt . Die Linke fordert unter anderem eine von derAutomobilindustrie unabhängige Expertenkommission .Die Mitglieder sollen von Umwelt- und auch von Ver-braucherschutzverbänden benannt werden .
Wir brauchen die Verkehrs- und Automobilklubs amTisch, weil dort auch Experten zu finden sind.
Die Dobrindt-Kommission ist aufzulösen . Möglicher-weise vorhandene Ergebnisse mögen bitte der neuen Ex-pertenkommission übergeben werden .Um die Beschäftigten des VW-Konzerns, die für die-sen Betrug nicht verantwortlich sind, vor den Folgenzu schützen, muss die Bundesregierung alle rechtlichenBundesminister Alexander Dobrindt
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 155 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 18 . Februar 201615254
(C)
(D)
Möglichkeiten ausschöpfen, um die wirklich Verantwort-lichen auch finanziell zur Kasse zu bitten.
Das ist schwer durchzusetzen, das ist mir bewusst; denndie Bundesregierung hat andere Prioritäten . Die Kanzle-rin, der Wirtschaftsminister und auch Sie, Herr MinisterDobrindt, treffen sich zwar mit den Chefs der mächtigenAutomobilkonzerne im Land, doch es geht bei diesenGesprächen zwischen Regierenden und Herrschendennicht um die Klärung dringender Fragen, sondern umeine Industriepolitik ganz anderer Art . Man berät überKaufprämien für Elektroautos .Am Ende dieser Diskussion – damit komme ich zumSchluss – sollten wir uns auf gemeinsame Ziele verstän-digen .Erstens. Gesundheit vor Profit.
Der Abgasskandal macht deutlich, dass wir hier erst amAnfang sind .
Zweitens . Wir brauchen eine sozial-ökologische Wen-de in der Mobilitätspolitik in Deutschland . Es hat sichgezeigt: Wir müssen Umweltpolitik und Mobilitätspoli-tik zusammen denken . Ansonsten haben wir ein Problem .
Drittens . Dieser Verkehrsminister – da gehen Sie vonden Koalitionsfraktionen sicherlich nicht mit mir kon-form – muss aus dem Verkehr gezogen werden . Er ist er-neut mit dem gescheitert, was er sich vorgenommen hat .Er klärt nicht auf, sondern verschleiert weiter .
Vielen Dank, Kollege Behrens . – Der nächste Redner
ist Arno Klare für die SPD .
Frau Präsidentin! Sehr verehrte Damen und Herren!Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es gibt einen Satz, denman George Washington zuschreibt, der da lautet: Ver-trauen ist eine sehr langsam wachsende Pflanze. – Er hatrecht . Ich füge hinzu – das ist gewissermaßen ein Insider-witz –: „Defeat Devices“ sind in diesem Zusammenhangkein guter Dünger . Das sind die Softwarepakete, die da-für sorgen, dass das Fahrzeug die Überprüfung erkenntund die Abgasregelung ein wenig anders gestaltet wird .Ich habe an dieser Stelle in einer Aktuellen Stun-de – ich glaube, das ist schon einige Monate her – fünfPunkte vorgestellt, die mir wichtig waren und die manim Zusammenhang mit diesem Skandal anpacken soll-te . Ich habe seinerzeit gefordert – das war wirklich daserste Mal, dass das überhaupt gesagt worden ist –: DerQuellcode der emissionsrelevanten Motorsoftware mussoffengelegt werden .
Ich habe damals von dem Verbraucherzentrale Bun-desverband eine E-Mail bekommen, in der stand: End-lich hat das einmal jemand gesagt . – Dass das jetzt vonder Politik in die allgemeine Begrifflichkeit übernommenworden ist, erweist sich als sehr positiv, wie ich finde.Natürlich muss der Datenschutz in diesem Zusammen-hang gewährleistet sein . Man greift schließlich auf dasAllerheiligste zu; das muss man einfach sehen . Die Mo-torsteuerungssoftware kann man nicht einfach wie eineOpen-Source-Software behandeln .Ich habe damals in derselben Rede gesagt, dass es soetwas wie eine Kontrolle nach der ersten Kontrolle zurTypengenehmigung geben muss und diese immer wie-der neu erfolgen muss . Ich habe auch erklärt, dass dieseKontrolle beim KBA, beim Kraftfahrt-Bundesamt, an-gesiedelt sein kann . Ob man dafür nun das Wort „Do-pingkontrolle“ verwenden, ist eine semantische Beson-derheit, aber es trifft genau das, was ich damals gesagthabe . Insofern bin ich relativ zufrieden darüber, dass derMinister meiner Forderung nachgekommen ist .
Ich habe noch etwas hinzugefügt . Wichtig wäre fürmich auch, dass man bei der Abgasuntersuchung nicht nurdie On-Board-Unit ausliest, sondern hinten am Endrohrmisst . Die Formulierung, über die Kollege Wichtel, indessen Richtung ich jetzt schaue, seinerzeit gelächelt hat,war: Analog schlägt in diesem Fall digital . – Der Mei-nung bin ich auch heute . Ich glaube, das muss bei derDopingkontrolle noch ergänzt werden .Wir haben auch einen neuen Testzyklus vereinbart .Dazu gehört natürlich der Real-Driving-Emission-Test,um das, was auf dem Prüfstand gemessen wird, zu vali-dieren . Ich sage aber an dieser Stelle noch einmal, ohnees in meiner begrenzten Redezeit ausführen zu können:Es wäre systemfremd, zu erwarten, dass dieser Konfor-mitätsfaktor bei eins liegt . Der Real-Driving-Emissi-on-Test findet auf der Straße statt, während der Labortestim Labor, also auf der Rolle, stattfindet. Diesen Test einszu eins umzusetzen, geht nur, wenn der Labortest mitdem Real-Driving-Emission-Test identisch ist, sodass ichdiesen Test gar nicht mehr brauche . Aber das will keiner .Also wird der Konformitätsfaktor oberhalb von eins lie-gen müssen .
Auf eines möchte ich noch hinweisen: Das Unterneh-men selbst, der große VW-Konzern und seine Teilkon-zerne, unternimmt selber entsprechende Anstrengungen .Ich war vor kurzem in Werlte . Das ist in Niedersachsen,also in der Heimat von Kirsten Lühmann, aber ein biss-Herbert Behrens
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 155 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 18 . Februar 2016 15255
(C)
(D)
chen weiter im Westen gelegen . Dort läuft eine Anlagein industriellem Maßstab, die Wasserstoff produziert unddiesen dann in Methan umwandelt . Dieses Methan wirdins Netz eingespeist, und man kann damit Fahrzeuge an-treiben . Das, was dort mit einem Rieseninvestment ge-macht wird, ist CO2- und THG-neutral . VW wird – wahr-scheinlich in Salzgitter – neben einem Stahlwerk eineweitere dieser Anlagen bauen . Dieses Engagement sollteman durchaus honorieren . Denn bisher lohnen sich dieseAnlagen betriebswirtschaftlich nicht .
Ich komme zum Schluss . Ich habe am Anfang gesagt,dass Vertrauen eine sehr langsam wachsende Pflanze ist.Ich bin relativ sicher, dass diese Pflanze auch einen ver-nünftigen Dünger braucht . Wenn man alles, was ich gera-de schon gesagt habe, einmal Revue passieren lässt, dannist das der Dünger, der im Moment bereits ausgebrachtwird . Ich bitte um ein wenig Geduld, bis er wirkt .Von Ihnen, Herr Krischer – das ist mein Schlusssatz –,habe ich an dieser Stelle in der x-ten Aktuellen Stundeinhaltlich außer Polemik und lautstarkem Schreien nichtsgehört . Das ist eine Bankrotterklärung grüner ökologi-scher Politik .
Vielen Dank, Herr Kollege Klare . – Nächster Redner:
Oliver Wittke für die CDU/CSU-Fraktion .
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen!Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wenn ich esnicht besser wüsste, dann würde ich denken, heute sei der2 . Februar . Sie wissen: Der 2 . Februar ist in den Vereinig-ten Staaten der Murmeltiertag . Als ich gelesen habe, dassdie dritte Aktuelle Stunde zum Thema Abgasskandalbeantragt worden ist, habe ich in der Tat daran gedacht:Und täglich grüßt das Murmeltier . Fällt Ihnen eigentlichgar nichts Neues mehr ein, Herr Krischer?
Es ist in der Tat so, dass Sie keinem anderen politi-schen Thema im vergangenen halben Jahr so viele Ak-tuelle Stunden eingeräumt haben wie dem Abgasskandalbei VW .
Man hat ein Stück weit den Eindruck, es geht Ihnen garnicht um Aufklärung oder darum, Neues auf den Weg zubringen . Denn sonst würden Sie endlich Ihre Anträge zurAbstimmung ins Parlament einbringen .
Es geht Ihnen vielmehr darum, Ihren Feldzug gegen dasAutomobil fortzusetzen, daher spielen Sie immer wie-der dieselbe Schallplatte . Es ist immer wieder dieselbeLeier . Wir sind dessen überdrüssig; denn Sie werden amEnde nicht damit durchkommen . Die Automobilindustrieist und bleibt eine starke Branche in Deutschland, undwir werden dazu beitragen, dass das auch künftig so seinwird .
Im Übrigen haben Sie heute zum wiederholten Maleden Versuch unternommen, Herr Krischer, in untaugli-cher Art und Weise das kriminelle Verhalten eines ein-zelnen Unternehmens auf eine ganze Branche zu übertra-gen . Das ist nicht seriös .
Ganz im Gegenteil: Es ist eine bodenlose Unverschämt-heit, dass Sie einer gesamten Branche unterstellen, siewürde in betrügerischer Absicht Recht brechen .
– Nein, das ist nicht der Fall . Sie sind uns bis zum heu-tigen Tage den Nachweis schuldig geblieben, wo anderedeutsche Automobilkonzerne sich angeblich rechtswid-rig verhalten haben .
– Sie behaupten es immer wieder . Sie unterstellen es im-mer wieder, aber es stimmt nicht . Sie können den Nach-weis nicht erbringen, weil der VW-Fall ein Einzelfall inDeutschland ist .
Das Gleiche gilt im Übrigen für den Kollegen Kühnvon den Grünen . Der Kollege Kühn hat am 25 . Septem-ber an diesem Pult erklärt, die deutsche Automobilindu-strie habe nicht nur einen Kratzer abgekommen, sonderneinen Kollateralschaden erlitten . Der Lack sei ab, so derKollege Kühn wörtlich .Ich will Ihnen die Absatzdaten der deutschen Auto-mobilindustrie der letzten Monate vortragen: Daimlerhat 2015 ein Plus von 12 Prozent erzielt, BMW ein Plusvon 6 Prozent . VW – hören Sie jetzt gut zu! – hat imersten Monat dieses Jahres, im Januar 2016, ein Plus von3,7 Prozent erzielt . Das alles fällt doch nicht vom Him-mel . Wenn die Autos so schlecht wären, wären sie dochnicht weltweit nachgefragt . Die Automobilindustrie inDeutschland ist nach wie vor eine Spitzentechnologie,Arno Klare
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 155 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 18 . Februar 201615256
(C)
(D)
die mit Innovationen dazu beiträgt, Mobilität sicher, sau-berer und erschwinglich zu machen .
Gleichwohl gilt – das will ich an dieser Stelle nocheinmal ausdrücklich zu Protokoll geben –: Die Betrüge-reien, die es bei VW gab, sind nicht nur ärgerlich; siesind auch zu ahnden . Da muss es Konsequenzen geben .Aber Konsequenzen zieht man erst nach einer intensivenAnalyse dessen, was passiert ist, und nach einer Bewer-tung der Vorgänge . Erst danach kann man Konsequenzenziehen . Deshalb war das Vorgehen des Bundesverkehrs-ministers und des BMVI absolut richtig, zuerst einmalin Ruhe zu analysieren, was da passiert ist und was wirtun können, damit so etwas nie wieder vorkommt . HerrKollege Dobrindt, ich sage an dieser Stelle ausdrücklichDanke schön für dieses besonnene, konsequente undzielgerichtete Verhalten Ihres Hauses . Genauso geht manmit solchen Krisen um, und nicht mit Klamauk, wie dieGrünen das zum wiederholten Mal versucht haben .
Die Rückrufaktion ist eingeleitet . In der EuropäischenUnion werden – auch auf Initiative der Bundesregierungund insbesondere des Verkehrsministers Dobrindt – dieTests verschärft . Das Kraftfahrt-Bundesamt wird dieKontrollen weiter ausdehnen . Wir sind da auf einem gu-ten Weg, auch wenn wir noch nicht am Ziel angekommensind; das ist richtig . Wir werden uns noch im Ausschussintensiv damit zu befassen haben, welche Rolle künftigdas Kraftfahrt-Bundesamt spielen soll . Auch da habenwir noch an der einen oder anderen Stelle Fragen . Wirwünschen uns mehr als das, was in der Vergangenheitgeschehen ist .Abschließend will ich Ihnen eines versichern: Wir alsUnionsfraktion werden weiterhin Sorge dafür tragen,
dass die deutsche Automobilindustrie nach diesem Skan-dal nicht wie durch Sie, Herr Krischer und Herr Hofreiter,unter Generalverdacht gestellt wird, sondern den Stel-lenwert – auch in der öffentlichen Wahrnehmung – be-kommt, den sie verdient, nämlich den einer innovativenBranche, die einen wichtigen Beitrag dazu leistet, dieMobilität in diesem Land dauerhaft zu sichern und Be-schäftigung in Deutschland weiterhin zu ermöglichen .Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit .
Vielen Dank, Herr Kollege Wittke, auch dafür, dass
Sie sich auf die Sekunde genau an die Redezeit gehalten
haben .
Nächste Rednerin: Jutta Krellmann für die Linke .
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnenund Kollegen! Was bedeuten die Auswirkungen des Ab-gasskandals für die Beschäftigten? Für viele Leiharbeit-nehmer, zum Beispiel in Zwickau, heißt es jetzt schon:Tschüs, VW! – Für sie ist es das Ende der Chance auf ei-nen Dauerarbeitsplatz in der Stammbelegschaft . Für vie-le befristet Beschäftigte bedeutet es keine Festeinstellungoder keine Verlängerung der Befristung . Zulieferbetriebehalten Investitionen zurück und haben bereits Kurzarbeitbeantragt . Die Betroffenheit ist dabei unterschiedlichhoch . Es gibt nach wie vor Standorte mit Mehrarbeit .Gleichzeitig wird am nächsten Standort bereits Kurzar-beit eingeführt . Im letzten Jahr lautete die zentrale Aus-sage der Interessenvertretung: Wir zahlen nicht für eureKrise! – Dabei muss es auch bleiben .
Schwieriger ist es in den Rand- und Zulieferbereichen .Viele Logistikunternehmen, die als Werkvertragsfirmenbei VW, Opel, Mercedes und Co . arbeiten, haben we-der Tarifverträge noch Betriebsräte . Tarifverträge undBetriebsräte sind aber eine wichtige Voraussetzung, umAuswirkungen einer Krise im Interesse der Beschäftigtenzu bewältigen . Auch hier gilt: Beschäftigungssicherunghat oberste Priorität .
Ich bin fest davon überzeugt, dass die Arbeitneh-merinnen und Arbeitnehmer in den verschiedenen Be-trieben alles tun werden, um den Karren aus dem Dreckzu ziehen . Sie werden dazu ihre ganze Kraft und Qua-lifikation einsetzen. Das setzt allerdings die Sicherheitihrer Arbeitsplätze voraus . Ihre betrieblichen Interessen-vertretungen werden nichts unversucht lassen, um dieseKrise zu überwinden . Kurzarbeit, Arbeitszeitverkürzung,Regelungen über Tarifverträge und Betriebsvereinbarun-gen waren schon in der Vergangenheit Instrumente . Woes keine Betriebsräte gibt, müssen welche geschaffenwerden .
Dort, wo es aber welche gibt, endet deren Mitbestim-mung bei wirtschaftlichen Angelegenheiten . Das musssich ändern .
Wir brauchen zukünftig Mitbestimmung über das Was,Wie und Wo in der Produktion .
Die Zeit ist reif, Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmeran der wirtschaftlichen Gestaltung ihrer Betriebe zubeteiligen . Was ist die unternehmerische Freiheit wert,wenn die einen ihren Arbeitsplatz verlieren und die an-deren mit Abfindungen in Millionenhöhe nach Hause ge-hen? Deswegen benötigen Beschäftigte Mitsprache undOliver Wittke
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 155 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 18 . Februar 2016 15257
(C)
(D)
Vetorechte, wenn sie bemerken, dass die Entwicklung indie falsche Richtung geht .
Für VW bedeutet die Auswirkung des Skandals deut-lich reduzierte Absatzzahlen . Ein differenzierter Blickmacht deutlich, dass der Abgasskandal einen längst ein-gesetzten Trend beschleunigt . Ein strukturelles Problemwird offensichtlich: Wie entwickelt sich die Automobil-industrie? In Norwegen oder in den USA wird seit Jahrenverstärkt in E-Mobilität investiert; sie investieren in For-schung und Entwicklung und schaffen gleichzeitig diedazu notwendige Infrastruktur .Das Problem bei VW ist doppelt dramatisch: Zum ei-nen muss dort mit Fehlmanagement, Betrug und verlore-nem Vertrauen umgegangen werden, zum anderen gehtes aber auch darum, den Anschluss an die technologischeEntwicklung nicht zu verlieren . Wenn wir Pech haben,sehen wir nur noch die Schlusslichter dieser Entwick-lung .Skandale muss man bewältigen . Vertrauensverlustmuss behoben werden . Bei der Bewältigung der notwen-digen Umstrukturierungen muss die Bundesregierung ingroßen Schritten die Bedingungen schaffen . Kaufprämi-en für Elektroautos genügen nicht .
Das braucht Mut und Kraft . Aber ohne die Beschäf-tigten geht es gar nicht . Um an der strategischen Neuaus-richtung der Automobilbranche mitzuarbeiten, brauchenBeschäftigte Sicherheit . Packen wir es an – mit den Be-schäftigten und nicht gegen sie!Vielen Dank .
Vielen Dank, Kollegin Krellmann . – Die nächste Red-
nerin ist Dr . Birgit Malecha-Nissen für die SPD .
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damenund Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das An-sehen von VW ist weltweit in Schieflage geraten; dadürfen wir uns nichts vormachen . Schon jetzt sind Kon-sequenzen aus dem Abgasskandal sichtbar: Während derAutomarkt in Europa weiter kräftig gewachsen ist, hatder größte Automobilproduzent Europas, VW, Marktan-teile verloren . Für die Innovationsmarke VW und seineTausenden von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern stehtalso viel auf dem Spiel .Was muss nun getan werden? Es ist wirklich wenighilfreich, eine dritte Aktuelle Stunde durchzuführen . Wirbrauchen jetzt eine sachliche und gründliche Debatte –auch im Respekt vor den Arbeitnehmerinnen und Arbeit-nehmern .
Hier steht an erster Stelle: Das Vertrauen der Verbrau-cherinnen und Verbraucher in die Autobranche musswiederhergestellt werden . Bewusste Manipulationen undVerstöße gegen Umweltauflagen und Emissionsgrenz-werte haben das Vertrauen verspielt . Jetzt braucht es denkonsequenten Willen der Industrie und ihrer Vorständezu Aufklärung und Transparenz .Deshalb ist es unerlässlich, dass die vom Konzern ein-geleiteten Rückrufaktionen verbraucherfreundlich aus-gestaltet werden . Die betroffenen VW-Kunden müssenverstehen können, was denn nun um- oder nachgerüstetwird . Sie müssen auch sicher sein,
dass sie – nach Aussagen des VW-Vorstandes; Herr Mi-nister Dobrindt hat das ja gerade auch gesagt – keinerleiNachteile bei Verbrauch, Leistung und Geräuschentwick-lung fürchten müssen . Denn das Ziel ist ja klar: die Ein-haltung der Abgaswerte . Dies muss nach dem Eingriffdurch Nachweise belegt werden .Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, des Weiterenbraucht es mehr Transparenz und Kontrolle der Abgas-werte . Wir haben heute bereits über die Prüfverfahrengesprochen, die die Realität widerspiegeln müssen undmöglichst schnell eingeführt werden sollen .Mir ist unverständlich, dass da fast 20 Jahre Stillstandherrschte . Deswegen wollen wir, dass das standardisier-te und weitaus realitätsnähere Messverfahren WLTP undder neue Abgastest RDE – ich nenne jetzt einfach nurdie Abkürzungen, weil wir das hier schon gehört haben –spätestens 2017 EU-weit und in den Typgenehmigungs-verfahren angewendet werden . Wir haben ja von demHerrn Minister heute auch gehört, dass dem nichts mehrim Wege steht .Eine weitere zielführende Maßnahme können staat-liche Prüfstände beim Kraftfahrt-Bundesamt sein . Wei-terhin sollen Konzerne künftig ihre Motorsteuerungs-software offenlegen, damit Manipulationen vorgebeugtwerden kann . Das hat ja mein Kollege Arno Klare be-reits dargestellt . Und wie auch jüngst von Herrn MinisterDobrindt vorgeschlagen – ich habe gerade gehört, meinKollege hat es schon vor langer Zeit vorgeschlagen –,könnten verschärfte, unangemeldete Kontrollen – ebendie sogenannten Dopingkontrollen – ein passendes Ins-trument sein .
Wichtig für die Vertrauensbildung und die Akzeptanzin der Öffentlichkeit ist, dass das Kraftfahrt-Bundesamtdann auch umfänglich über Ergebnisse von Nachprü-fungen informiert . An der Stelle wäre es vielleicht hilf-reich – ein Hinweis an das Ministerium –, wenn uns einJutta Krellmann
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 155 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 18 . Februar 201615258
(C)
(D)
Zwischenbericht der Untersuchungskommission zur Ver-fügung gestellt würde .
Der Produktionsstandort Deutschland mit den vielenZulieferbetrieben und seinen Tausenden hart arbeitendenMitarbeiterinnen und Mitarbeitern muss gesichert blei-ben . Arbeitsplätze dürfen nicht verloren gehen . Deshalbheißt es nun, nach vorne zu schauen und die Weichenfür zukunftsfeste Perspektiven in der Automobilbranchezu stellen, Perspektiven, die ökonomische und ökologi-sche Aspekte gleichermaßen berücksichtigen . Endlichmüssen alternative Antriebsformen – ich nenne hier nurganz kurz das Stichwort „Elektromobilität“ – stärker undkonsequent in den Fokus genommen werden .
Damit sorgen wir für bessere Luft in den Städten; dennerhöhte Werte für Stickoxide und Rußpartikel sind eineGefahr für unsere Gesundheit und ganz besonders für dieunserer Kinder . Wir leisten damit natürlich auch einenwichtigen Beitrag zum Erreichen der Klimaschutzziele .Da ist im Verkehrssektor sicher noch viel Luft nach oben .
Die deutsche Automobilindustrie steht seit Jahrzehn-ten für hohe Qualität und Sicherheit, für Spitzentech-nologie, Verbraucher- und Umweltschutz . Diese Positi-on muss aber täglich neu gesichert werden . Ich bin mirsicher: Unsere Ingenieurinnen und Ingenieure schaffendas .Vielen Dank .
Vielen Dank, Frau Kollegin Malecha-Nissen . – Nächs-ter Redner: Stephan Kühn für Bündnis 90/Die Grünen .Stephan Kühn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN):Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine lieben Kolle-ginnen und Kollegen! Wissenschaftliche Tests, zum Bei-spiel im Auftrag des ZDF-Magazins Frontal 21, zeigen:Auf der Straße blasen Dieselfahrzeuge deutlich mehrStickoxide aus als bei den offiziellen Tests im Labor. DieGrenzwerte werden von vielen Dieselfahrzeugen nichteingehalten . Die Abgasreinigung muss aber nicht nur imLabor, sondern auch auf der Straße laufen .
Wie wäre es, wenn Handbremse, Gurt oder Airbag nurauf dem Rollenprüfstand im Labor funktionieren wür-den?Die Automobilindustrie will uns weismachen, dass dieerheblichen Abweichungen zwischen den Labormessun-gen und den Nachprüfungen im realen Fahrbetrieb mitUnterschieden im Fahrverhalten und den äußeren Bedin-gungen zu erklären seien . So will kein anderer HerstellerAbschalteinrichtungen wie VW verwendet haben . Werwie die Deutsche Umwelthilfe etwas anderes sagt, hateine Armada von Anwälten im Haus oder ist mit Scha-densersatzforderungen konfrontiert . Ich sage: Wer ehr-lich ist, hat so etwas nicht nötig und muss sich auch nichtwie Daimler vor der Teilnahme an einem Fachgesprächder grünen Bundestagsfraktion drücken .
So gewinnt man Glaubwürdigkeit nicht zurück, son-dern man bringt die deutsche Automobilindustrie auchindustriepolitisch ins Abseits . Verkehrsminister Dobrindtstellt sich schützend vor eine Automobilindustrie, diebisher offensichtlich Kosten zulasten der Umwelt undder Gesundheit der Menschen eingespart hat . Dieselfahr-zeuge können sehr wohl auf der Straße sauber sein, abereine funktionierende Abgasreinigung ist halt nicht zumNulltarif zu bekommen .Von einer lückenlosen Aufklärung des Abgasskan-dals, wie von Minister Dobrindt angekündigt, kann kei-ne Rede sein . Das KBA bekam von Herrn Dobrindt denAuftrag, etwa 60 Dieselfahrzeuge verschiedener Her-steller hinsichtlich der Emissionen zu prüfen . WährendDaimler-Chef Zetsche bereits Ende Januar in einem Zei-tungsinterview gegenüber der Welt über Ergebnisse derNachprüfungen des Kraftfahrt-Bundesamtes berichtenkonnte – Tenor: keine auffälligen Abgaswerte bei Daim-ler –, will uns der Verkehrsminister nicht einmal einenTermin für die Veröffentlichung der Ergebnisse nennen .Ich halte das für einen skandalösen Vorgang .
Durch welche Untersuchungen oder Gutachten kommtdie Bundesregierung eigentlich zu der Einschätzung,dass die Umrüstpläne von VW auch tatsächlich zu sau-beren Dieselmotoren führen? Diese Antwort bleibt derVerkehrsminister bisher schuldig . Ich frage mich schon,warum man bei VW kriminelle Energie braucht und ein-setzt, wenn ein Bauteil, ein sogenannter Strömungstrans-formator, der bekanntlich nicht mehr als 1 Euro kostet,die Lösung sein soll, um Dieselmotoren sauber werdenzu lassen . Den Ankündigungen des Ministers folgen kei-ne Taten . „Aussitzen und Deckel drauf“ ist wohl die De-vise .Bereits Mitte Dezember hat er angekündigt, künftigbei der Zulassung von Autos die Motorensoftware unterdie Lupe zu nehmen . Zwei Monate später will er aberimmer noch nicht verraten, wie, wann und wer künftigdie Quellcodes anschauen soll . Dafür macht nun endlichBrüssel Druck und will die nationalen Zulassungsbehör-den überprüfen . Das führt offensichtlich dazu, dass dasKraftfahrt-Bundesamt jetzt überlegt, endlich wieder Rol-lenprüfstände anzuschaffen, die man vor Jahren schonhatte, die man dann aber abgeschafft hat, weil man dochlieber den Zahlen der Automobilindustrie vertrauen woll-te .Wir brauchen endlich wirksame Kontrollen . Die Be-hörde, die für die Fahrzeugzulassung zuständig ist, darfnicht für die Nachprüfung zuständig sein . Die Feld-überwachung im Verkehr sollte nicht durch das Kraft-Dr. Birgit Malecha-Nissen
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 155 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 18 . Februar 2016 15259
(C)
(D)
fahrt-Bundesamt, sondern durch das Umweltbundesamtübernommen werden .
Da teilen wir den Vorschlag von Justizminister Maas .Nur habe ich nicht den Eindruck, dass es der Vorschlagder Bundesregierung ist . Ferner muss die Feldüberwa-chung endlich auf eine rechtliche Grundlage gestelltwerden, und es müssen Mittel und Personal dafür bereit-gestellt werden . Auch hier höre ich von der Bundesregie-rung nichts .Meine Damen und Herren, lassen Sie mich als Schluss-bemerkung Folgendes sagen: Wir sind es den Menschenschuldig, die aufgrund der schlechten Luftqualität in vie-len Städten an Herz-Kreislauf- oder Atemwegserkran-kungen leiden, dass dieser Abgasskandal politische Kon-sequenzen hat . Jetzt müssen den Worten endlich Tatenfolgen .
Vielen Dank, Kollege Kühn . – Nächster Redner in der
Debatte: Dr . Matthias Heider für die CDU/CSU-Frakti-
on .
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Jetzt istes langsam Zeit, einmal Zwischenbilanz in dieser De-batte in der heutigen Aktuellen Stunde zu ziehen . Ichhabe mich ein bisschen gefragt: Kennen Sie eigentlichden Unterschied zwischen Staatsanwaltschaft und Parla-ment? Die Staatsanwaltschaft ist die Behörde, die für dieStrafverfolgung und die Vollstreckung zuständig ist . DasParlament hingegen ist hauptsächlich für die Verabschie-dung von Gesetzen zuständig .
Hält jemand Gesetze nicht ein, ist es nicht Aufgabe desParlaments, darüber zu urteilen – schon gar nicht vor-schnell, Herr Hofreiter –, sondern die Aufgabe vonStaatsanwaltschaften und Gerichten .
Was Sie seit Ende September hier machen, ist vor al-lem eines: Sie wollen vorschnell über eine ganze Bran-che urteilen und sie in Sippenhaft nehmen . Sie wollenStaatsanwaltschaft, Gericht und Parlament zugleich sein .
Das ist das Problem, das Sie haben .
Man merkt an der Häufigkeit, mit der Sie AktuelleStunden beantragen, dass der Wahlkampf in den Bun-desländern offensichtlich begonnen hat . Aber Sie könnensich darauf verlassen: Wir werden nicht zulassen, dassSie einfach mal eben eine deutsche Schlüsselindustrieso beschädigen, dass sie nach den Landtagswahlen nichtwieder hochkommt .
– Ich weiß, dass Sie das nicht gerne hören .Ich sage Ihnen noch einmal: Die Automobilwirtschaftin Europa hat einen Anteil an der Wertschöpfung von14 Prozent . Fast jeder siebte Arbeitsplatz in Deutschlandhängt von der Automobilwirtschaft ab . Richtig ist: Mitder Manipulation bei den Abgaswerten ist erheblichesVertrauen verspielt worden . Um das Vertrauen in die Au-tomobilwirtschaft und auch in den WirtschaftsstandortDeutschland international wiederherzustellen, müsstenwir sichere Testverfahren nutzen .Wir sind uns hier im Hause, glaube ich, einig, dass wirmöglichst schnell den WLTP-Zyklus und die Real–Dri-ving-Emission-Tests brauchen . Wir können deshalb ganzfroh sein, dass das Europäische Parlament inzwischendie entsprechenden Weichenstellungen vorgenommenhat . Es ist ein wichtiger Schritt, zu realistischen Emis-sionsangaben zu kommen, und allein das stärkt das Ver-trauen der Verbraucher .Wir müssen aber auch genau beobachten, in welchemwirtschaftlichen Umfeld wir uns bewegen . Wir dürfennicht überziehen . Ich wiederhole: Kraftfahrzeuge sindfür Deutschland ein wichtiges Exportprodukt .
Wenn Sie sich einmal die internationale Großwetterlageanschauen, stellen Sie fest: Es ist ein düsteres Bild, dassich etwa bei den Importen Chinas ergibt . Diese Impor-te sind um 19 Prozent eingebrochen . Der Präsident desBundesverbandes Großhandel, Außenhandel, Dienstleis-tungen Börner hat es treffend beschrieben: China stecktin einem Transformationsprozess mit ungewissem Aus-gang .Auch wenn Sie die Sanktionen etwa für den russi-schen Markt sehen, werden Sie erkennen: Das sind be-stimmt keine Wachstumstreiber . Denken wir daran, dassder Anteil der nach Russland exportierten Fahrzeugeam Gesamtexport 2013, also vor den Sanktionen, noch20 Prozent betragen hat, dann können wir erkennen, dassgerade jetzt zwei absolute Wachstumsmärkte für die Au-tomobilindustrie anfangen, zu schwächeln . Da greife ichgern das Argument von den Linken auf, die sich Sorgenum die Beschäftigungslage bei den nur zeitweise Be-schäftigten in der Automobilwirtschaft machen .Es droht uns weiter eine Abschwächung der Weltkon-junktur . Die Stimmung trübt sich im Moment ein . DerZEW-Index ist im Februar von 9,2 auf 1,0 Punkte ein-gebrochen . Vor einem Jahr lag er noch bei 53 Punkten .Wenn ich in meinem Wahlkreis in Südwestfalen sehe,dass 52 000 Menschen im Bereich der ZulieferindustrieStephan Kühn
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 155 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 18 . Februar 201615260
(C)
(D)
von diesem Markt abhängen, meine Damen und Herren,dann ist das in der Tat ein Grund, zu sagen: Vorsicht! DasKind nicht mit dem Bade ausschütten!
Die Unternehmen machen sich Sorgen . Sie machensich nicht nur Sorgen um die Infrastruktur in Deutsch-land; sie machen sich bei all diesen Rahmenbedingun-gen natürlich auch Sorgen um den internationalen Wett-bewerb . In diesen Zeiten müssen wir uns deshalb genauüberlegen, mit wie viel Regulierung wir der Branche be-gegnen . Herr Krischer, es ist nicht damit getan, alle vierWochen mal mit dem Ölkännchen am Feuer vorbeizulau-fen, so wie Sie das hier machen .
Ohne Zweifel, wir müssen gesetzliche Leitplankenneu justieren . Wir hätten mit Ihnen gern über die gestell-ten Anträge gesprochen . Aber Sie haben es vorgezogen,für heute eine Aktuelle Stunde zu beantragen . Ich weißnicht, ob das mit Blick auf die Landtagswahlen der rich-tige Weg ist .
Ich bin überzeugt, dass auch die vielen Arbeitnehmer inBaden-Württemberg sehr gut darüber nachdenken wer-den, wie sie ihre Entscheidung treffen, so wie Sie mitderen Arbeitsplätzen umgehen .Vielen Dank .
Vielen Dank, Dr . Heider . – Die nächste Rednerin in
der Debatte: Kirsten Lühmann für die SPD .
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kollegen und Kolle-ginnen! Verehrte Zuhörende! Wie auch bei der letztenAktuellen Stunde zu diesem Thema habe ich akribischversucht, herauszufinden, welche aktuellen Dinge wirneu haben, die wir besprechen müssen . Ich bin dann aufdie hier schon angesprochene Pressemitteilung gestoßen,nach der Herr Winterkorn schon im Mai 2014 von Mani-pulationen in Amerika wusste .
Das ist allerdings nicht neu . Wir alle wissen, dass im Mai2014 die US-Umweltbehörde EPA an VW herangetretenist, um über das Thema zu reden . Dass man darüber dieKonzernspitze informiert, halte ich für normal .Die Frage, die dieser Pressebericht nicht beantwortethat, ist: Hat Herr Winterkorn vor dem Aufspielen derSoftware davon gewusst? Hat er es gebilligt? Hat er essogar angewiesen? Mein Vorredner hat dankenswerter-weise darauf hingewiesen: Das ist eine Frage, die vonden Ermittlungsbehörden geklärt wird und nicht vonuns . – Also kann das nicht das Thema sein .Das Einzige, was mir aktuell noch eingefallen ist, ist,dass uns die Grünen Informationen über die Ergebnisseihrer gestrigen Veranstaltung zur Zwischenbilanz im Ab-gasskandal geben wollten . An der Veranstaltung konntenwir nicht teilnehmen, weil zeitgleich eine Sitzung desVerkehrsausschusses stattfand . Aber aus den Reden derGrünen ist mir dazu auch nichts bekannt geworden .
Also glaube ich, dass wir uns nicht weiter damit be-schäftigen sollten, warum wir hier heute eine AktuelleStunde haben, sondern die Zeit einfach zu einer kurzenStandortbestimmung nutzen sollten .
Zwischen Deutschland und den Vereinigten Staatengibt es deutliche Unterschiede in der Philosophie derKontrolle .
In den USA bescheinigt man mit seinem guten Namen,dass man Regularien einhält . Wird man dann beim Betrugerwischt, bekommt man eine saftige Strafe, eine deutlichhöhere als bei uns . Wir hingegen haben eine Kultur derregelmäßigen Kontrollen .
Hier gilt es Veränderungen herbeizuführen und Kon-trollen an die neuen Bedingungen anzupassen, und zwarzeitnah, liebe Kollegen und Kolleginnen .
Das heißt, wir müssen das Kraftfahrt-Bundesamt recht-lich wie auch technisch dazu in die Lage versetzen . MeinKollege Arno Klare hat bereits in der Aktuellen StundeAnfang November die Offenlegung der Quellcodes undWeiteres gefordert . Inzwischen ist das vom BMVI unter-stützt worden . Wir sind uns mit Minister Dobrindt darü-ber einig, dass die Motorsoftware gegenüber dem KBAoffengelegt werden muss . Wir müssen auch dafür sorgen,dass das KBA eigene Prüfstände bekommt, um selbst-ständig Kontrollen durchführen zu können . Das werdenwir angehen .Doch bessere Prüfmöglichkeiten für die deutschenBehörden wird es am Ende nur mit einer europäischenLösung geben, und zwar mit einer Lösung, die den rea-len Fahrbetrieb berücksichtigt . Die EU hat mit ihren Vor-schriften im Paket zu den NOx-Grenzwerten einen erstenDr. Matthias Heider
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 155 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 18 . Februar 2016 15261
(C)
(D)
Schritt getan . Ich glaube, es ist kein Geheimnis, dass un-sere Fraktion sich da auch etwas ambitioniertere Wertehätte vorstellen können; aber zumindest ist dieses Paketjetzt auf den Weg gebracht . Viel wichtiger ist das nächstePaket, das wir brauchen . Wir brauchen Regelungen zuden hier schon mehrfach angesprochenen Real DrivingEmissions . Wir brauchen Rahmenbedingungen, die klardefiniert sind, was die Geschwindigkeit, die enthaltenenSteigungen, die Temperatur und die Beschleunigung an-geht . Diese müssen, wie gesagt, klar und eindeutig sein .Ich gehe davon aus, dass hier in diesem Hause Einigkeitdarüber herrscht, dass wir diese klaren Vorschriften zeit-nah brauchen und dass wir sie gemeinsam in Brüssel um-setzen, liebe Kolleginnen und Kollegen .
Erfreulich ist auch – was ja auch angesprochen wur-de –, dass der Rückruf in Deutschland begonnen hat .Heute gab es einen Bericht in der auto motor und sport.Die haben die ersten umgerüsteten Fahrzeuge des VWAmarok getestet . Dabei sind ein paar interessante Sachenherausgekommen .Das Erste ist, dass es einige Fahrzeuge gab, die nachder Umrüstung einige PS mehr hatten als vorher .
Nun gut, das ist jetzt nicht
besonders positiv oder negativ . Allerdings wurde auchfestgestellt, dass das Beschleunigungsverhalten im fünf-ten und sechsten Gang besser geworden ist und, was füruns ja ganz wichtig ist, dass der Stickoxidausstoß gleichgeblieben ist,
das heißt, die Werte werden eingehalten, es hat sichnichts verändert .
Das Zweite, was hier auch angesprochen wurde undüber das wir reden sollten, ist die Tatsache, dass derKraftstoffverbrauch auf 100 Kilometer um einen gutenhalben Liter höher geworden ist . Nun ist der Amarok janicht gerade als besonders sparsames Auto bekannt .
Wenn jetzt also im März die VW Passat zur Umrüstungkommen, werden wir uns das noch einmal anschauen;aber ich glaube nicht, dass das in dieser Höhe dort zusehen sein wird .Die SPD-Fraktion hat im Januar dieses Jahres ein Po-sitionspapier verabschiedet, in dem wir uns eindeutig fürdie Energiewende im Verkehr ausgesprochen haben . Esist ein umfangreiches Papier . In ihm haben wir festge-legt, dass wir neben der Elektromobilität auch Brücken-technologien wie Erdgas weiterhin fördern; denn beideTechnologien bieten sowohl für den Individualverkehrals auch für den ÖPNV immer noch große Potenziale –die Elektromobilität auch bei leichten Nutzfahrzeugen,Erdgas und Wasserstoff auch im Schwerlastverkehr, derimmer noch den höchsten Schadstoffausstoß aufweist .
Abschließend sei mir erlaubt, anzumerken, dass ichgerne diese und weitere Punkte mit Ihnen in einer ernst-haften Debatte erörtert hätte . Wir sind daher etwas er-staunt, dass die von den Grünen beantragte 77-minütigeKernzeitdebatte,
in der wir diverse Anträge hätten beraten und auch be-schließen können,
abgesetzt wurde .
Ich gehe davon aus,
dass wir diese Debatte hier zeitnah nachholen und richti-ge Beschlüsse auf den Weg bringen .Herzlichen Dank .
Vielen Dank, Kollegin Lühmann . – Der nächste Red-
ner in der Debatte: Hans-Werner Kammer für die CDU/
CSU-Fraktion .
Verehrte Frau Präsidentin! Wir hatten uns ja gerade
schon sehr nett ausgetauscht .
Körpersprachlich .Kirsten Lühmann
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 155 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 18 . Februar 201615262
(C)
(D)
Liebe Kolleginnen und liebe Kollegen! Seit Anfang
2015 haben wir in diesem Hohen Haus 32 Aktuelle Stun-
den durchgeführt. Heute findet die dritte Aktuelle Stunde
zur VW-Abgasaffäre statt . Zum Vergleich: Zur Gesamt-
situation im Nahen Osten gab es vier Aktuelle Stunden,
außerdem zwei zum Thema Terrorismus, in einer haben
wir uns über das Thema Flüchtlinge unterhalten . Ich wie-
derhole jetzt noch einmal: drei Aktuelle Stunden zum
VW-Skandal in nicht einmal einem halben Jahr . Dass die
Grünen mit der Beantragung dieser Aktuellen Stunde fal-
sche Schwerpunkte setzen, ist damit ganz offensichtlich;
denn Neues ist kaum zu berichten .
Natürlich könnte es sein, dass es derzeit für die Grünen
keine wichtigeren Themen gibt als den VW-Skandal .
Vielleicht ist es aber auch so, dass die Grünen nur noch
auf billige Effekthascherei setzen .
Was mich am Umgang der Grünen mit der Abgasaf-
färe stört, sind jedoch weniger diese Zeitverschwendung
und das parteipolitische Geplänkel;
das kennen wir ja leider zur Genüge von Ihnen . Vielmehr
stört mich, dass die Grünen einen Feldzug gegen den In-
dustrie- und Automobilstandort Deutschland führen .
Nur für einige wenige Schlagzeilen spielen Sie mit zahl-
losen Arbeitsplätzen . Sie sollten sich einmal vor Ort,
auch bei den Autohändlern, informieren, wie sachlich die
Kunden mit diesem Thema umgehen und wie betroffen
teilweise die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter – auch
ob Ihres Verhaltens – sind . Ich denke dabei nicht nur an
die 150 000 Beschäftigten in den sechs deutschen Stand-
orten von VW, sondern auch an die Beschäftigten der
VW-Werkstätten und der Zulieferbetriebe . Dass Sie de-
ren Jobs gefährden, ist der Skandal an der Sache .
VW hat nach der Aufdeckung der Abgasmanipula-
tion mehr als genug Eigeninteresse an der Aufklärung .
Die Marke kämpft weltweit mit Imageproblemen . Erst-
mals seit 2002 gab es in 2015 einen Umsatzrückgang .
Der Fahrzeugabsatz der Kernmarke VW sank in diesem
Jahr um 4,8 Prozent . Es gab einen Absatzrückgang ins-
besondere in den USA, wo der Skandal auch aufgedeckt
wurde .
Der Konzern setzt alles daran, die Probleme abzu-
stellen und Ähnliches für die Zukunft zu verhindern .
Zusätzliche Panikmache wie diese überflüssige Debatte
verunsichert die Kunden . Die grünen Ideologen sagen
dazu: VW muss für das, was es getan hat, büßen . – Eine
Krise bei VW schadet in erster Linie aber eben nicht den-
jenigen, die für den Skandal verantwortlich sind und nun
selbstverständlich zur Verantwortung gezogen werden
müssen . Nein, die Grünen schaden mit ihrer negativen
Propaganda den kleinen Angestellten bei VW, den Händ-
lern, den Werkstätten und den Zulieferbetrieben in ganz
Deutschland .
Ich kann Sie daher nur eindringlich bitten, nicht weiter
Öl ins Feuer zu gießen und diesen Klamauk endlich zu
beenden . Das hilft niemandem . Ebenfalls nicht hilfreich
ist der grüne Feldzug gegen den Verbrennungsmotor .
Denn Sie sollten sich nicht einbilden, dass die Autofah-
rer auf das Fahrrad umsteigen, wenn sie das Vertrauen
in deutsche Fahrzeugtechnik verlieren . Geben wir statt-
dessen VW die nötige Zeit, die Affäre aufzuklären und
abzuarbeiten .
Gleichzeitig haben wir – Minister Dobrindt hat das an-
gekündigt – schon erste Konsequenzen gezogen . Durch
die unangemeldeten Tests, die Ihnen noch nicht ausrei-
chen, sowie durch die Offenlegung der Motorsoftware
und der Testergebnisse erschweren wir in Zukunft Ma-
nipulationen . Die gesamte Branche wird aus den Fehlern
von Volkswagen lernen .
Verlässliche und transparente Verbrauchsangaben
nutzen den Kunden und werden letztlich auch zu techni-
schem Fortschritt und niedrigem Verbrauch führen . Das
hilft mehr als Ihre Kampfreden gegen große Konzerne .
Zum Schluss möchte ich den Grünen eines mit auf
den Weg geben: Ich komme aus Niedersachsen . Nieder-
sachsen wird bekanntlich von der SPD und den Grünen
regiert . Im Dezember 2014 ist bekannt geworden, dass in
den USA 482 000 Pkws zurückgerufen wurden . Das ist –
dies ist in Aufsichtsratsprotokollen nachzulesen – dem
Aufsichtsrat bekannt . Ich wundere mich, dass sich die
Regierung in Niedersachsen, an der die Grünen maßgeb-
lich beteiligt sind, nie darum gekümmert hat . Dort sollten
Sie aufklären! Das wäre Ihre Aufgabe .
Herzlichen Dank .
Vielen Dank, Herr Kollege Kammer . – Nächster Red-
ner: Michael Donth für die CDU/CSU-Fraktion .
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen undKollegen! Wieder eine Aktuelle Stunde auf Verlangender Grünen zum Thema „Abgasmanipulation bei VW“ .Was ist denn heute der aktuelle Anlass, um darüber zusprechen? Eine Meldung der Bild am Sonntag, wonachHerr Winterkorn doch eine Mail bekommen und deshalbnachweislich gelogen haben solle . Mir war neu, welchhohe Bedeutung die Springerpresse und die Bild am
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 155 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 18 . Februar 2016 15263
(C)
(D)
Sonntag für die Grünen haben . Aber gut, jeder mag lesen,was ihm gefällt und zu ihm passt .
Eine unbestätigte Zeitungsmeldung ist also der Anlass,dass sich der Deutsche Bundestag in einer dringlichenDebatte mit der Abgasmanipulation beschäftigt . Ich binder Meinung, dass der Deutsche Bundestag zurzeit vie-le andere Themen dringlich zu besprechen hätte . Abernein, wir debattieren jetzt wegen einer E-Mail, die Herr Winterkorn angeblich 2014 erhalten haben soll .
Hier wird das parlamentarische Instrument der AktuellenStunde vor den Landtagswahlen aus reiner Profilierungs-sucht missbraucht .
Das gilt nicht nur für dieses Instrument: Seit Septem-ber vergangenen Jahres gab es seitens der Opposition, fe-derführend von den Grünen, zum Thema „Manipulationder Abgaswerte bei VW“ schon 23 mündliche Fragen,20 schriftliche Fragen, elf Kleine Anfragen, eine öffentli-che Anhörung und schon zweimal eine Aktuelle Stunde .
Wie viel Arbeitskraft das in den Ministerien und im Bun-destag bindet! Auf diese Weise legen Sie den Politikbe-trieb absichtlich fast lahm, um dann der Regierung Untä-tigkeit vorzuwerfen .
Bundesverkehrsminister Dobrindt hat bereits ersteSchritte unternommen, damit solche Manipulationen inZukunft nicht mehr vorkommen werden . So wird es eige-ne staatliche Prüfstände und unangekündigte Kontrollennach dem Zufallsprinzip geben, dazu eine Rotation derPrüfdienste und eine Offenlegung der Motorsoftware .Die Rückrufaktionen für die betroffenen Fahrzeugehaben in Abstimmung und auf Anweisung des Kraft-fahrt-Bundesamtes bereits begonnen – um nur die aktu-ellsten Punkte anzuführen .Auch die EU hat bereits reagiert und mehrere Vor-schläge zur Verbesserung der Aufsicht über die Zulas-sungsbehörden und die technischen Prüfdienste gemacht .Erst vergangenen Freitag hat der Rat eine Verordnungbeschlossen, die vorsieht, die Abgastests – wir haben esschon mehrfach gehört – unter realen Fahrbedingungendurchzuführen . Das ist etwas, wofür sich unser Verkehrs-minister tatkräftig eingesetzt hat .Meine Damen und Herren, ich will damit nicht dieVorgänge um die manipulierten Abgastests relativieren .
Betrug in jeder Form ist Unrecht . Da muss ermittelt wer-den . Die Verantwortlichen müssen dafür auch den Kopfhinhalten . Ich möchte aber betonen, dass der DeutscheBundestag – der Vorredner hat es schon gesagt – dafürnicht der richtige Ort ist . Dafür haben wir bei der Justiz,im Ministerium und auch bei VW entsprechende Struk-turen zur Aufklärung . Der Deutsche Bundestag ist nichtdas Dorf, durch das jeden Tag erneut die Sau getriebenwerden muss . Bei den Grünen ist die Automobilindus-trie, um in diesem Bild zu bleiben, eine besonders be-liebte Sau .
Wahrscheinlich möchten Sie die Automobilindustrieam liebsten ganz abschaffen oder zumindest mit dieserpermanenten Thematisierung schwer schädigen . Herr Krischer hat vorhin behauptet, dass bei den anderen Her-stellern noch viel mehr betrogen wurde als bei VW .
In der Automobilindustrie haben rund 800 000 Men-schen in Deutschland ihren Arbeitsplatz . Hinzu kommenHunderttausende Beschäftigte in der Zulieferungsindus-trie . Ein solches politisches Agieren ist für mich keinePolitik zum Wohl der Bürgerinnen und Bürger . ZumWohl der Bürgerinnen und Bürger zählt für mich, dasssie Arbeit haben, um sich ihren Lebensunterhalt zu ver-dienen, aber natürlich auch, dass sie saubere Luft zumAtmen haben .
Um dies zu erreichen, haben wir Abgasgrenzwerte undMechanismen zu deren Überprüfung eingeführt .
Es ist wichtig, dass die Grenzwerte eingehalten werdenund dies überprüft wird .
Es gilt jetzt, strukturiert vorzugehen, nämlich erst denSachverhalt aufzuklären, dann eine Bewertung vorzu-nehmen und schließlich Konsequenzen zu ziehen . Dasbedeutet im vorliegenden Fall für uns als Gesetzgeber,die Regelverstöße aufzuklären, dann die Regeln zu über-prüfen und diese gegebenenfalls anzupassen . Grüner Ak-Michael Donth
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 155 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 18 . Februar 201615264
(C)
(D)
tionismus als wahltaktisches Manöver auf dem Rückender Beschäftigten ist scheinheilig und damit fehl amPlatz .Vielen Dank .
Vielen Dank, Kollege Donth . – Der letzte Redner
in der Aktuellen Stunde ist Ulrich Lange für die CDU/
CSU-Fraktion .
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!Wir haben es jetzt schon mehrfach gehört: zum drittenMal eine Aktuelle Stunde zu diesem Thema . Sie treibenhier ihre Spielchen . Lieber Kollege Kühn, lieber KollegeKrischer, wenn Sie den Plenarplan gelesen hätten, dannwüssten Sie: Eigentlich hätten heute die Anträge allerFraktionen auf der Tagesordnung gestanden,
mit einer Kernzeitdebatte und fachlichen Vorschlägen .
Aber darum geht es Ihnen nicht .Ihnen geht es, lieber Kollege Krischer – das haben Sie inIhrer Rede geradezu eindrucksvoll unterstrichen –, umHetze gegen die deutsche Automobilindustrie .
Ihre Rede, in der Sie über Drogen und anderes gespro-chen haben, hatte den Charakter einer Rede beim Stark-bieranstich während der Fastenzeit .
Dass Sie im Anschluss daran vielleicht ein Alcolock ge-braucht hätten, das lasse ich einmal offen .
Natürlich sind Manipulationen illegal . Wir werdensie auch weiterhin nicht dulden; ich wiederhole das zumdritten Mal . Ich wiederhole auch, dass wir lückenlos auf-klären . Wir sind froh, dass wir mit Alexander Dobrindteinen Bundesminister haben, der dies konsequent undsauber tut, auch zeitlich sauber .
Wir wehren uns dagegen, dass Sie eine ganze Brancheunter Generalverdacht stellen .
Sie wollen ein Buch schreiben, Herr Krischer . Ichfreue mich auf dieses Buch, insbesondere auf das ersteKapitel .
Das erste Kapitel des Buches heißt: Die Rolle der Grünenin Niedersachsen beim VW-Skandal .
Niedersachsen ist nämlich zweitgrößter Anteilseigner,und die Grünen sitzen in Niedersachsen in der Regierung .
Ich zitiere gerne Ihre Fraktionsvorsitzende im Nieder-sächsischen Landtag:Zwischen Volkswagen und Niedersachsen bestehteine enge Verbindung .
Das sehen wir Grünen … genauso wie alle anderenhier .Herr Krischer, Sie sprechen in Berlin und in Hannoverzweierlei Sprachen . Das ist unehrlich . Das ist ein unred-licher Vorgang gegenüber dem Parlament .
Lieber Kollege Kühn, Sie beschweren sich darüber,dass Daimler an dem gestrigen Fachgespräch in der Sit-zung des Verkehrsausschusses nicht teilgenommen hat .Ich habe fast Verständnis dafür; denn Daimler redet wohllieber mit dem Automobilfreund Kretschmann in Ba-den-Württemberg .
Dass viele Arbeitsplätze in der Automobilindustrie anVW hängen, haben wir heute mehrfach beleuchtet . Abergegen eines wehren wir uns, und zwar mit aller Vehe-menz: Wir stecken mit niemandem unter einer Decke .
Wir machen seriöse, saubere Politik .
Dazu gehört zunächst die Aufklärung .
Wir stellen uns hinter die Beschäftigten, die täglich für„made in Germany“ stehen . Sie stehen weder zu den Be-Michael Donth
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 155 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 18 . Februar 2016 15265
(C)
(D)
schäftigten noch zur Technologie . Das sollten Sie auchehrlich sagen .
Wir wollen und werden nichts vertuschen . Wir hättenheute gerne über die Vorreiterrolle bei alternativen An-trieben geredet . Wir hätten gerne über moderne Mobili-tätsmodelle geredet .
Wir hätten gerne über die Zukunft der Abgasmessunggeredet, darüber, wie wir mit den Emissionstests um-gehen . Diese Debatte haben Sie heute verhindert . Ihnenwar Klamauk wichtiger als Sachpolitik . Sie sollten sichdafür – Pünktchen, Pünktchen, Pünktchen .
Wichtig ist jetzt, dass wir das Vertrauen wiederherstel-len, dass es keine voreiligen Beschuldigungen oder Ver-dächtigungen gibt und wir für einen sinnvollen Umgangmit den Untersuchungsergebnissen sorgen . Diese sinddann sachlich umzusetzen . Ich freue mich auf die sachli-che Debatte, lieber Kollege Krischer, sofern Sie dazu inder Lage sind .Wir stehen zum Technologiestandort Deutschland .Wir stehen zu den Beschäftigten in der Automobilindus-trie . Wir setzen weiter auf eine erfolgreiche Branche .Herzlichen Dank .
Vielen Dank, Kollege Lange . – Damit ist die Aktuelle
Stunde beendet .
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 7 auf:
Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/
CSU und SPD
Europäisches System der Finanzaufsicht effi-
zient weiterentwickeln
Drucksache 18/7539
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 38 Minuten vorgesehen . – Ich höre und
sehe keinen Widerspruch . Dann ist das so beschlossen .
Darf ich bitten, Platz zu nehmen, damit wir dem ersten
Redner zuhören können? – Ich eröffne die Debatte und
gebe Alexander Radwan für die CDU/CSU-Fraktion das
Wort .
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Wir haben heute einen Antrag über die Weiter-entwicklung der europäischen Finanzaufsicht zu beraten,um sie nach Möglichkeit effizient zu machen.Zu Beginn sollte man sich die Frage stellen, wie dieEntstehung war und die Entwicklung und warum wirheute an diesem Punkt sind, den wir diskutieren . Kern-punkt war das sogenannte Lamfalussy-Verfahren, in demdrei Strukturen geschaffen wurden: für den Banken-, denWertpapier- und den Versicherungsbereich . Zielrichtungder Kommission des europäischen Parlaments und derbeteiligten Staaten war es, die europäischen Kapital-märkte zu deregulieren . Inzwischen hatten wir die Fi-nanzkrise . Darum wurden diese Strukturen entsprechendweiterentwickelt .Man muss sich einmal anschauen, welche Aufgabendie drei neu geschaffenen Organisationen haben: DieESAs, also die EBA, die EIOPA und die ESMA, habenauf der einen Seite die Aufgabe einer kohärenten Regu-lierung . Das heißt, auf europäischer Ebene werden dieVorgaben gemacht – im gesetzgeberischen Bereich aufLevel 1 –, die, wenn sie Verordnungen sind, unmittelbargelten, oder Richtlinien, die entsprechend umzusetzensind und dann auf Level 2 und 3 – darauf komme ichnoch zu sprechen – konkretisiert werden . Damit dies inEuropa, etwa in Portugal, Polen oder Deutschland, kohä-rent angewendet wird, wurden diese Gremien geschaffen .Gleichzeitig haben sie die Aufgabe, auf Level 2 undLevel 3 entsprechende Vorgaben, sogenannte technischeStandards, zu definieren. Auf Level 2 sind die Vorgabendurch die delegierten Rechtsakte auf europäischer Ebenedefiniert. Auf Level 3 können diese Organisationen vonsich aus definieren, welche Themen sie auf europäischerEbene angehen wollen . Sie haben grundsätzlich dasRecht dazu; aber die Frage ist, welchen Rechtsstatus diesim Vollzug hat . – Das ist die Ausgangsposition .Dazu kamen in den letzten Jahren die Bankenunion,der Abwicklungsmechanismus und die Aufsicht der Eu-ropäischen Zentralbank . Das heißt: Wir haben seitdemeine ganze Reihe von europäischen Institutionen, die sichmit dem Thema „Regulierung und Aufsicht“ national wieeuropäisch beschäftigen . Darum begrüßen wir, dass dieEuropäische Kommission eine Evaluierung angestoßenhat, wie wir zukünftig aufgrund der Erfahrungen die Auf-sicht weiterentwickeln müssen . Es hat sich ein ganzerWust entwickelt, den man kritisch prüfen muss, um esbesser zu machen und zu optimieren, ohne zu sagen, dasses generell falsch gelaufen ist .Ich möchte bei Level 2 und Level 3 anfangen . Hierwird sehr viel faktische Normierung vorgenommen, dienicht vom Gesetzgeber vorgesehen wurde; die wurdenvon den Behörden entsprechend implementiert . Die Pro-portionalitätsprämisse wird nicht immer berücksichtigt –das wird fraktionsübergreifend regelmäßig betont –,obwohl das Proportionalitäts- und das Subsidiaritätsprin-zip, die unterschiedlichen Strukturen der Banken vondiesen Gremien beachtet werden müssen . Das passiertaus unserer Sicht aber zu wenig – gerade mit Blick aufdie Genossenschaftsbanken und Sparkassen . Außerdemhaben wir eine erhebliche Regulierungsfülle . Ich glau-be, eine Rücknahme bzw . Reduzierung der Regulierungwäre durchaus sinnvoll . Ferner wäre es gerade mit Blickauf die Sparkassen und Genossenschaftsbanken sinnvoll,die Zusammenarbeit in deutscher Sprache zu führen, umihnen das Leben nicht noch schwerer zu machen .Ulrich Lange
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 155 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 18 . Februar 201615266
(C)
(D)
Wichtig ist aber insbesondere, dass diese Gremienihre Kompetenzen nicht überschreiten . Es muss klar sein:Das, was der Gesetzgeber vorgegeben hat, kann nicht zu-rückgedreht werden, auch wenn es den Gremien nichtgefällt . Das bekannteste Beispiel hängt mit der MiFIDzusammen – es ist eines von vielen –: Der Gesetzgeberhat ganz klar entschieden, dass die Honorar- und Pro-visionsberatung gleichberechtigt nebeneinanderstehensollen; aber jetzt regulieren die entsprechenden Gremiendas in der Form, dass die Provisionsberatung faktisch totist und es nur noch die Honorarberatung gibt . – DieseGremien haben nicht das Recht, am Gesetzgeber vorbeiGesetzgebung zu machen .
Damit bin ich bei einem der zentralen Punkte: Trans-parenz hinsichtlich dessen, was in den Gremien passiert,und parlamentarische Kontrolle aus Sicht des Europäi-schen Parlaments und aus Sicht des Deutschen Bundes-tages . Um es noch einmal klar zu sagen, weil das immerwieder bewusst falsch verstanden wird: Mir geht es nichtdarum, dass im Plenum oder im Ausschuss über einzel-ne Regulierungsmaßnahmen diskutiert wird . Die Struk-tur muss aber so sein, dass auf europäischer Ebene eineKontrolle erfolgen kann wie die auf nationaler Ebenedurch die BaFin . Davon sind wir auf europäischer Ebe-ne momentan weit entfernt . Ich glaube, alle in diesemParlament haben ein Interesse daran, diese Kontrolle zuerreichen .
Wir müssen dieses Ziel erreichen, weil sich die euro-päische Aufsichtspraxis infolge der jetzt anstehendenGesetzgebungsmaßnahmen in den nächsten Jahren eta-blieren wird . Wenn der Vollzug in den nächsten Jahrenetabliert wird und es normal wird, dass weder nationa-le Parlamente noch das Europäische Parlament invol-viert sind, dann wird ein Zurückdrehen des Rades nochschwieriger sein, als das jetzt schon ist . Die Aufsichtspra-xis pendelt sich momentan zwischen den nationalen Auf-sehern und der Europäischen Zentralbank ein .Es ist wichtig, dass wir die verschiedenen Maßnahmenhinsichtlich Normierung und Definition auf der europä-ischen Ebene zukünftig von Anfang an parallel und ein-heitlich betrachten . Momentan ist es so: Wir haben bei-spielsweise Basel, IFRS und Solvency, und jeder Experteschaut nur auf sein Fachgebiet . Die Kohärenz zwischenden einzelnen Maßnahmen wird von den Aufsehern abernicht beachtet . Diese Kohärenz schlägt sich letztendlichbei den Banken und den Finanzdienstleistern nieder, ver-bunden mit der entsprechenden Bürokratie und den damitverbundenen Kosten . Diesbezüglich müssen die Aufse-her von Anfang an auch auf der oberen Ebene zusam-menarbeiten .
Lassen Sie mich noch etwas zur Rolle der BaFin undder Europäischen Zentralbank sagen . Ich erwarte zukünf-tig von der BaFin, dass sie gegenüber dem DeutschenBundestag transparent agiert, sodass wir wissen, wie siein diesen Gremien verhandelt und was ihre Zielrichtungist, und ich erwarte, dass sich die BaFin – wir reden hierüber den Vollzug; und die europäischen Regelungenwerden sehr stark auf nationaler Ebene vollzogen – sehrstark am politischen Willen des Gesetzgebers orientiert .Sollte es auf Level 3 entsprechende Maßnahmen geben,die nicht unserer Zielrichtung entsprechen – das habenwir im Finanzausschuss und im Plenum des Bundestagesschon gesagt –, dann sollte man die BaFin dazu auffor-dern, dies nicht zu implementieren und auf europäischerEbene zu sagen, dass das in Deutschland nicht möglichist .Wir haben seit einiger Zeit die Europäische Zentralbankals einen wichtigen Aufseher . Hierbei wird oft vergessen,dass die Europäische Zentralbank Teil der EBA ist . DieEuropäische Zentralbank steht nicht über der EBA; sieist ein Teil der EBA . Wir wissen, dass die EuropäischeZentralbank hinsichtlich der Geldpolitik unabhängig ist;die Unabhängigkeit der Europäischen Zentralbank be-zieht sich aber nicht auf die Aufsicht . Wir erleben ak-tuell, dass in der Diskussion über AnaCredit klipp undklar gesagt wird, dass sehr viele Daten mit Blick auf dieGeldpolitik gesammelt werden . Das mag so sein . Mankann darüber diskutieren, ob das mit Blick auf die Geld-politik notwendig ist oder nicht . Bezogen auf die Kritik,dass Aufsicht und Geldpolitik in einem Haus stattfinden,hat man anfangs immer verkündet: Chinese Walls! Mei-ne Damen und Herren, daran sollte man sich halten undnicht bereits heute klar sagen, dass diese Daten zukünftigfür die Aufsicht verwendet werden . Dazu brauchen wireinen Dialog mit der Europäischen Zentralbank . Darumzeigt auch dieses Beispiel, wie notwendig es ist, dass wirdas Thema der Kontrolle durch die Parlamente von par-lamentarischer Seite gemeinsam angehen .
Lassen Sie mich abschließend sagen: Wir haben dieKosten im Antrag insbesondere deswegen explizit er-wähnt, weil wir auf europäischer Ebene bereits jetztmerken, dass es darum geht, wie diese Organisationenzukünftig finanziert werden. Dass eine Finanzierung undmöglicherweise eine Ausweitung der Finanzierung not-wendig ist, wird überhaupt nicht bestritten . Lassen Sieuns aber bitte zuerst die Evaluierung vornehmen und de-finieren, wer an welcher Position welche Funktionen hat,und dann über die Kosten reden . Wir sollten es nicht um-gekehrt machen: erst die Bürokratie aufbauen und späterüber die Aufgaben reden . Das wäre genau der falscheWeg . Ich bitte um Zustimmung zu unserem Antrag .Besten Dank .
Vielen Dank, Kollege Radwan . – Nächster Redner inder Debatte: Dr . Axel Troost für die Linke .
Alexander Radwan
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 155 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 18 . Februar 2016 15267
(C)
(D)
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Auch nach der Diskussion gestern im Finanzausschussund nach dem Vortrag von Herrn Radwan lässt mich IhrAntrag nach wie vor ziemlich ratlos zurück .
Was versprechen Sie sich eigentlich von diesem Antrag?Er fasst in weiten Bereichen Allgemeinplätze zusammen .Wenn Sie schreiben, dass sich durch die Schaffung derneuen europäischen Aufsichtsbehörden eine „zunehmen-de ‚Regulierungsdichte‘“ entwickelt, dann ist das reich-lich banal . Das genau war die Aufgabe . Die neuen Behör-den wurden als Lehre aus der Finanzkrise ausdrücklichzu dem Zweck geschaffen, die nationale Aufsicht weiterzu vereinheitlichen und für eine wirksamere Regulierungund Aufsicht zu sorgen .Wir haben immer kritisiert, dass die Regulierung unddie Aufsicht nicht weit genug gehen . Aber ich kann mirnicht helfen: Der Grundtenor Ihres Antrags geht eher indie andere Richtung . Man hat das Gefühl, als wollten Siedas Wenige an verschärfter Finanzmarktregulierung eherzurückdrehen als es konsequent weiterentwickeln .Gemeinsame europäische Standards für Regulierungund Aufsicht – dafür wurden diese Institutionen geschaf-fen – heißt natürlich auch, dass es zu einem gewissenMaß an Gleichmacherei kommen muss, weil die Ein-richtungen und die Bankenstrukturen in den einzelnenLändern sehr unterschiedlich sind . Aber das Ziel musslauten: Eine Großbank muss in Deutschland, Irland undSpanien möglichst gleich gut reguliert und beaufsichtigtwerden .
Ein sicherlich ärgerlicher Nebeneffekt europäischerStandards ist, dass auch eine Großbank und eine kleineVolksbank innerhalb Deutschlands aufgrund der ein-heitlichen europäischen Standardisierung immer ähnli-cher behandelt werden – eine Tendenz, die nun einmalin der Natur der Vereinheitlichung liegt, der man aber inder Praxis entgegentreten muss . Das haben wir bei al-len möglichen Maßnahmen gemacht, als es um genaudiese Sonderregelungen ging . In diesem Punkt sind wiruns völlig einig: Es muss aufgepasst werden, dass es hiernicht zu einer Überforderung gerade der kleinen Institutekommt .
Bei Ihnen bleibt aber als Hauptargument hängen, dasseuropäische Vorhaben zulasten Deutschlands gingen undman daher bei europäischen Finanzmarktprojekten zu-nächst einmal bremsen müsse . Das ist aus meiner Sichtso pauschal falsch und eher Stimmungsmache .
Ich erinnere an unsere Diskussion von heute Vormittag,auch über den Fall Deutsche Bank . Dank der Turbulen-zen der letzten Wochen dürfte inzwischen jedem klarsein, dass auch ein Institut wie die Deutsche Bank nichtüber jeden Verdacht einer ernsthaften Schieflage erhabenist . Es gibt wohl niemanden hier im Raum, der glaubt,dass bei einer Schieflage der Deutschen Bank die Kostenallein mit Mitteln aus Deutschland auffangbar wären . Ichwarne daher dringend davor, immer wieder den Eindruckzu erwecken, der Rest Europas hätte durch deutschesGeld und durch Deutschland als Zahlmeister Vorteile .Wir brauchen hier europäische Standards, auch als Ab-sicherung .
Viel schlimmer als die Auswirkungen der bisweilenübertriebenen Aufsichtsstandards der EBA für Sparkas-sen und Volksbanken sind aus meiner und unserer Sichtdie nach wie vor unzureichenden Finanzregulierungenund Aufsichtsstandards für die Großbanken . Wir habenweiterhin keinerlei Lösungen für das Problem „too bigto fail“ . Die meisten Institute bzw . Großbanken sind seitder Krise nicht kleiner, sondern im Durchschnitt größergeworden . Wenn die nächste Bankenkrise kommt – undich prophezeie Ihnen, sie wird kommen –, dann werdendie Kosten angesichts der heutigen Großbankenstruktu-ren in Europa unvorstellbar sein . Statt diese Kosten abervorausschauend zu begrenzen, sorgen Sie sich in IhremAntrag darum, dass – ich zitiere – „einem unkontrollier-ten Anwachsen der europäischen Aufsichtskosten . . . ent-gegengewirkt“ wird . Sie rechnen kleinlich in Millionenund vergessen drei- oder vierstellige Milliardenbeträge .Ich fürchte, Sie haben das eigentliche Problem aus denAugen verloren .
Sagen Sie den Aufsichtsbehörden nicht, was sie nichtmachen sollen, sondern versuchen Sie, in einem Antragfestzulegen, was sie besser und anders machen sollen .Sagen Sie vor allen Dingen, wo klarer Handlungsbedarfist . Solange Sie das nicht tun, werden wir Ihrem Antragnicht zustimmen können, weil er völlig unzureichend ist .
Ein letzter Punkt . Wir Linke und auch die Grünenwaren diejenigen, die immer gesagt haben: Die Aufsichtdarf nicht zur EZB . Sie haben von der Chinese Wall ge-sprochen und gesagt: Es gibt keine Alternative dazu; dasmüssen wir machen . – Wir haben uns immer über die-se chinesische Mauer kaputtgelacht . Sie ist inzwischenein Mäuerchen, über das man im Sitzen von der einenzur anderen Seite gucken kann . Es ist völlig klar: Wennirgendeine Maßnahme Richtung Italien ergriffen wird,weiß keiner, ob das eine geldpolitische Maßnahme istoder eine Maßnahme, die der Bankenrettung dient, weilman entsprechende Informationen durch die Aufsicht
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 155 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 18 . Februar 201615268
(C)
(D)
hat . – Dieses Problem haben Sie gegen unsere Vorstel-lungen geschaffen .Danke schön .
Vielen Dank, Axel Troost . – Der nächste Redner ist
Manfred Zöllmer für die SPD .
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Die Welt der Finanzmärkte hat sich seit der Finanzmarkt-krise durchgreifend verändert . Da ist kaum ein Stein aufdem anderen geblieben . Es gibt zwar immer noch einige,die behaupten, es hätte sich überhaupt nichts verändert;aber das ist nicht richtig . Diejenigen, die das behaupten,sind entweder ahnungslos oder böswillig – oder beides .Die wichtigsten Veränderungen hat es auf und mit dereuropäischen Ebene gegeben . Wir haben den Einheitli-chen Abwicklungsmechanismus und den EinheitlichenAufsichtsmechanismus geschaffen . Damit wurden end-lich die richtigen Schlussfolgerungen aus der Krise gezo-gen . Übernational agierende Unternehmen müssen auchübernational überwacht und reguliert werden . Finanz-marktkrisen machen nicht an nationalen Grenzen halt .Die Etablierung der Bankenunion in Europa war deshalbkonsequent und richtig, lieber Axel .
Es war mir wichtig, dies am Anfang meiner Ausfüh-rungen deutlich zu machen, damit kein falscher Zun-genschlag entsteht . Aus unserer Sicht ist Europa Teil derLösung . Ich glaube, das ist ganz wichtig, und das solltenwir festhalten .
Es ist eine Vielzahl von Institutionen entstanden, diesich um Regulierung, Aufsicht und Abwicklung küm-mern . Seit 2010 sind drei europäische Institutionen – imFolgenden nenne ich sie vereinfachend ESAs – als Auf-sichtsbehörden für Banken, Versicherungen und Finanz-märkte errichtet worden . Das sind nicht die einzigen;aber damit beschäftigt sich unser Antrag hauptsächlich .Daneben gibt es natürlich weiterhin nationale Aufsichts-behörden . In Deutschland sind das für den Bereich derBanken die BaFin, die Bundesbank und natürlich dieEZB, die für die Geldpolitik und für die systemrelevan-ten Banken in Europa zuständig ist .Politisches Ziel war und ist es, die Regulierung unddie Beaufsichtigung in Europa kohärenter und konver-genter zu machen . Dazu brauchen wir Regeln, die eineAufsichtsarbitrage, also Vorteile durch unterschiedlicheAuslegungen, nicht zulassen . Es ist normal, dass einevöllige Umgestaltung der Aufsichtsstruktur neben ei-ner Verbesserung von Konvergenz und Kohärenz derAufsicht auch Probleme in der Praxis mit sich bringt .Neugeschaffene Institutionen versuchen natürlich, sichihre Reputation und Existenzberechtigung durch einenmanchmal überbordenden Aktionismus zu sichern, undwenn es ein überbordender Aktionismus ist, dann mussman das auch entsprechend benennen .Wir haben auf der anderen Seite natürlich auch verblei-bende nationale Aufsichtsbehörden, die ebenfalls versu-chen, ihre Existenzberechtigung deutlich zu machen; dasist ja völlig klar .Es gibt eine Vielzahl von Gesetzen und Verordnungen,die entsprechend konkretisiert und in der Praxis umge-setzt werden müssen . All das geschieht in Ländern mitsehr unterschiedlicher Struktur der Finanzmärkte . – Lie-ber Axel, allein die deutsche Struktur mit ihren drei Säu-len ist ja einmalig in Europa . Es gibt nichts Vergleichba-res . Wir wollen das doch um jeden Preis erhalten, weil essich bewährt hat . Das ist doch ein ganz wichtiges Ziel .
Wir sind damit beim Kern des Problems . Unser An-liegen ist es, zu einer effizienten Weiterentwicklung desGesamtsystems zu kommen und mit einer Bestandsauf-nahme auch auf kritische Entwicklungen hinzuweisen .Das hat nichts damit zu tun, dass wir irgendetwas zurück-nehmen wollen, sondern es geht um Weiterentwicklung .Der wichtigste Punkt ist und bleibt die Forderung nachstrikter Beachtung des Proportionalitätsgrundsatzes . Washeißt das? Kleine Institute – Sparkassen, Genossen-schaftsbanken und kleine Privatbanken – müssen andersbeaufsichtigt und reguliert werden als systemrelevanteGroßbanken . Die systemrelevanten Banken bedürfen ei-ner strengen und starken Regulierung, die – da gebe ichdir recht – noch nicht abgeschlossen ist; ich will hier nurdas Stichwort „Trennbanken“ nennen .
Risikoarme Institute dürfen jedoch nicht regulatorischerdrosselt werden . Diese Gefahr besteht an manchenPunkten . Das würde unsere Struktur beschädigen, unddas ist etwas, was wir nicht wollen .
Die ESAs sollen in dem Rahmen tätig werden, derihnen vom demokratisch legitimierten europäischen Ge-setzgeber vorgegeben wurde . Es kann nicht sein, dassBeschlüsse des Europäischen Parlaments durch Um-setzungsvorgaben ins Gegenteil verkehrt werden; HerrKollege Radwan hat das Beispiel eben genannt . Darü-ber hinaus ist es notwendig, die enge und vertrauensvolleZusammenarbeit der europäischen mit den nationalenAufsichtsbehörden in den jeweiligen Gremien zu vertie-fen und weiterzuentwickeln .Darüber hinaus brauchen wir eine Diskussion überAufsichtsstrukturen bei der Bankenaufsicht auch in Zu-kunft . Die doppelte Zuständigkeit der EZB für Geldpo-Dr. Axel Troost
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 155 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 18 . Februar 2016 15269
(C)
(D)
litik und Bankenaufsicht ist auf Dauer nicht akzeptabel .Wir Sozialdemokraten haben das von Anfang an so for-muliert . Nur, wir waren in einer Situation, in der die EZBdie einzige funktionierende Institution war, die dieseAufgabe zum damaligen Zeitpunkt übernehmen konnte .Deswegen war die Entscheidung damals richtig .
Wir wollen dies nicht aus den Augen verlieren, ob-wohl wir natürlich wissen, dass Europa in der gegen-wärtigen Situation mit ganz anderen Problemen kämpft .Aber auch wenn das so ist, ist es Aufgabe des DeutschenBundestages, die Arbeit der ESAs zu bewerten und nichtnur die bemerkenswerte Aufbauarbeit zu loben, was wirausdrücklich tun, sondern auch auf Aspekte hinzuweisen,die der Verbesserung bedürfen . Das ist nicht antieuropä-isch . Das tun wir mit diesem Antrag .Ich würde mich freuen, wenn unser Anliegen auch dieUnterstützung der Opposition findet. Wenn sich die Lin-ken wie im Ausschuss enthalten, ist das für eure Situationja schon fast wie Zustimmung .
Vielen Dank . – Als nächster Redner hat Dr . Gerhard
Schick von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das
Wort .
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Mir geht es so wie Axel Troost . Der Antrag hat verschie-dene Punkte und lässt einen ein bisschen ratlos zurück .Ich habe den Eindruck, dass es das besondere Anliegeneines Kollegen war, der früher im Europäischen Parla-ment saß, das Thema aufzubringen . Deswegen ist es einguter Tag für Alexander Radwan, bringt Europa aber ir-gendwie nicht voran .
Ich will einzelne Punkte aufgreifen, erstens die Pro-portionalität bei der Bankenaufsicht . Wir sind uns inso-fern einig, als klar ist: Die Besonderheiten kleiner Ins-titute müssen besonders berücksichtigt werden . Es darfnicht dazu kommen, dass eine Regulierung, die für Groß-banken passt, dann kleine Banken erdrückt und es damitinsgesamt zu einer Konzentrationstendenz kommt . Wirsind dagegen . Das haben Sie allerdings auch schon imFrühjahr 2012 in einem ähnlichen Entschließungsantraggefordert . Ich frage mich, warum es nötig ist, den Bun-desfinanzminister daran noch einmal zu erinnern. An-scheinend sind Sie damit nicht ganz zufrieden .
Vor allem aber greift diese Forderung ein Stück weit zukurz, wenn sie sich nur an die europäischen Aufsichts-behörden richtet . Vielmehr werden wir das auch in denRegulierungen selber festschreiben müssen .Wir sind seit Langem der Auffassung, dass es für kleineBanken einen eigenen Regulierungsansatz braucht; dennwenn die Regulierungsvorgaben so sind, wie sie heutesind, dann kommen die Aufsichtsbehörden irgendwannan ihre Grenze und können die besonderen Geschäfts-modelle von kleinen Instituten, insbesondere von denen,die regional eingegrenzt mit besonders eng gefasstemGeschäftsmodell tätig sind, nicht mehr berücksichtigen .Deswegen ist die Idee einer Small Bank Box richtig, dasheißt, in die Regulierung eine eigene klare Regelung fürkleine Banken aufzunehmen . Damit ist klar: Wenn wirüber die internationale Bankenregulierung sprechen undverhandeln, dann ist das nicht immer wieder eine Be-drohung für das Geschäftsmodell kleinerer Institute . Andieser Stelle gehen wir über Ihre Forderung noch hinaus .
Der zweite Punkt, den ich hier nennen will, – Sie habenes angesprochen – ist die Frage der Zuständigkeiten beider Bankenaufsicht mit Blick auf EBA und EZB . Bei Ih-rer Forderung zur weiteren Ausgestaltung bleiben Sie un-seres Erachtens auf halber Strecke stehen . Es reicht nicht,die Geldpolitik und Bankenaufsicht bei der EZB stärkerzu trennen . Es ist auch nicht ausreichend, eine klare Ab-grenzung der Zuständigkeiten zwischen EBA und EZBvorzunehmen . Vielmehr muss man bei der nächsten Ver-tragsänderung dazu kommen, dass eine eigene Institutionfür die Bankenaufsicht zuständig ist . Wenn man hier fürdie Zukunft Ideen vorträgt, dann gehört unseres Erach-tens dieser Punkt auf die Tagesordnung . Es wird nichtausreichen, diese Trennung nur innerhalb der EZB vor-zunehmen .
Worin wir uns relativ einig sind, ist die Frage der Kon-trolle der europäischen und nationalen Behörden durchdie jeweiligen Parlamente . Diese muss verstärkt werden .Es kann nicht sein, dass Aufsichtsbehörden ein Eigen-leben entwickeln . Wir allerdings haben insgesamt nichtden Eindruck, dass man die Finanzaufsichtsbehördenbremsen muss, wie das in Ihrem Antrag mitschwingt .Ich bin froh, wenn eine Finanzaufsichtsbehörde wirklichversucht, den Finanzmarkt sauber aufzustellen . Da könn-te sich vielleicht die BaFin in Deutschland an der einenoder anderen Stelle eher noch eine Scheibe abschneiden .Ihre Forderung, dass auch die Mitarbeit der Bundes-anstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht in den Gremiender ESAs transparenter wird und somit für den Deut-schen Bundestag besser nachvollziehbar, richtet sich andie von Ihnen getragene Bundesregierung . Die Frage,welche Informationen wir über das Handeln der BaFinhaben, entscheidet der Bundesfinanzminister. An dieserStelle haben Sie unsere ausdrückliche Zustimmung . Daskritisiere ich schon seit Jahren . Vielleicht wissen Sie,dass ich mit einigen Fraktionskollegen in dieser Fragein Karlsruhe vorstellig geworden bin, weil das kompletteAbschirmen aller Informationen, die die BaFin betreffen,Manfred Zöllmer
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 155 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 18 . Februar 201615270
(C)
(D)
vor den Kontrollmöglichkeiten des Parlaments unseresErachtens nicht gerechtfertigt ist und dazu führt, dass wirdie parlamentarische Kontrolle nicht umsetzen können .
Es gab ein Petitum des Bundesrechnungshofes, überdas Sie gesagt haben, das wollten Sie aufgreifen. Das fin-den wir richtig . An dieser Stelle gibt es eine Lücke, dassein Teil des Aufsichtshandelns weder vom Bundesrech-nungshof, also der deutschen Institution, noch vom Euro-päischen Rechnungshof, also der europäischen Instituti-on, geprüft werden kann . Diese Lücke muss geschlossenwerden . Dafür sollten wir uns gemeinsam einsetzen .Wenn ich einen Strich unter Ihren Antrag ziehe, kannich feststellen: einige richtige Punkte und einige Punkte,die zu kurz greifen . Wir sehen nicht, dass dieser Antragdie Debatte entscheidend verändern wird . Wir werdenuns bei der Abstimmung über diesen Antrag enthalten .Ich glaube, wenn wir etwas in Europa bewirken wol-len, dann ist es wichtig, dass man gemeinsam eine klareForderung aufstellt, die wir in Richtung Straßburg undBrüssel gemeinsam vertreten . Vielleicht gelingt es beimnächsten Mal, dass wir vorab im Finanzausschuss nichtnur eine Selbstbefassung haben, sondern uns wirklichzusammensetzen und schauen, was wir gemeinsam er-reichen wollen .Danke schön .
Vielen Dank . – Als nächster Redner spricht Klaus-Pe-
ter Flosbach von der CDU/CSU-Fraktion .
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen undKollegen! Seit den Jahren 2007 und 2008 haben wir unsauch im Deutschen Bundestag mit gewaltigen Heraus-forderungen beschäftigen müssen . Wir hatten erst dieFinanzkrise, dann die Wirtschaftskrise und anschließenddie Staatsschuldenkrise, die von vielen als Euro-Krisebezeichnet wurde .
Wenn wir heute die Wirtschaft in Deutschland sehen –die niedrigste Arbeitslosenquote, den höchsten Beschäf-tigungsgrad, steigende Löhne und eine Finanzwirtschaft,die wieder funktioniert –, dann können wir sagen: Mitall den Maßnahmen, die wir in den letzten sechs, siebenJahren umgesetzt haben, haben wir in Deutschland auchein Stück Stabilität geschaffen . Insofern ist das auch einStück Erfolg der deutschen Politik .
Wir haben, wie Sie alle wissen, 40 Gesetzespaketeteilweise von der europäischen Ebene und teilweise alsVorreiter im deutschen Parlament umgesetzt, und wirhaben von den Grünen und von den Linken viel Kritikbekommen, dass das alles nicht ausreicht, obwohl wir beiall diesen Maßnahmen in Europa meistens die Ersten wa-ren . Die wirtschaftliche Betrachtung Deutschlands heutezeigt, dass wir hier auf dem richtigen Weg sind .Es ging nicht nur um mehr Eigenkapital, außerbörsli-che Derivate, die Regulierung von Ratingagenturen undähnliche Fragen, sondern es ging um Themen, die diegesamte Wirtschaft betreffen . Wenn wir Themen disku-tieren, die die Regulierung des Finanzmarkts betreffen,dann ist es nicht nur wichtig, dass wir gute Gesetze ma-chen, die auch umgesetzt werden, sondern diese Gesetzemüssen auch kontrolliert werden .
Dazu brauchen wir eine exzellente, herausragende Auf-sicht in Deutschland und vor allen Dingen auch in Eu-ropa .Meine Damen und Herren, in den Krisenjahren habenwir erlebt, dass die Produkte, die Märkte und die Teil-nehmer zum großen Teil international aufgestellt waren,die Kontrolle bzw . die Aufsicht aber national . Darin lageine sehr große Problematik. Denn der nationale Einflussauf die Firmen war nicht so groß, wie er hätte sein müs-sen . Deshalb wurden viele Dinge auch nach der Phaseder Deregulierung einfach nicht gesehen . Ich erinneremich wie viele Kollegen in diesem Raum noch an dasJahr 2007, als das Thema IKB im Finanzausschuss desDeutschen Bundestages behandelt wurde und die Crèmede la Crème der deutschen Finanzpolitik bis hin zur Auf-sicht uns nicht erläutern konnte, in welcher problemati-schen Situation wir uns befinden.Eine der ersten Maßnahmen war, auf europäischerEbene Aufsichtsgremien zu schaffen . Damals wurdendrei Aufsichtsbehörden geschaffen, und zwar die EBA,die Europäische Bankaufsichtsbehörde, dazu die EIOPAfür die Versicherungen und die ESMA für die Wertpapie-re . Sie sollen vor allen Dingen die Aufsicht besser ver-zahnen und wirksame Regulierungen nach gemeinsamenRegeln finden. Das war bis dato nicht der Fall.Der Ausschuss für Systemrisiken ist noch hinzuge-kommen . Man muss den Finanzmarkt nicht nur nationalin das Unternehmen hinein betrachten, sondern auch vonaußen, „makroprudenziell“, wie es heißt . Mit diesen ver-schiedenen Säulen – dazu kommt die nationale Aufsicht,die unmittelbar in die Firmen hineinragt, in Deutschlanddie BaFin und die Bundesbank –, haben wir ein neuesModell auf europäischer Ebene kreiert .Diese europäischen Aufsichtsbehörden müssen aberjetzt Maßnahmen für inzwischen 28 europäische Län-der treffen . In der Tat haben wir – das haben auch ei-nige Kollegen angesprochen – völlig unterschiedlicheStrukturen im Bankenbereich . Wir in Deutschland habendas sogenannte Drei-Säulen-System . Dazu gehören dieVolksbanken und Raiffeisenbanken, die öffentlich-recht-lichen Banken – das sind die Landesbanken und vor al-len Dingen die über 400 Sparkassen – und der gesamteDr. Gerhard Schick
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 155 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 18 . Februar 2016 15271
(C)
(D)
private Bereich . Das sind völlig unterschiedliche Säulen,die auch völlig unterschiedliche Anforderungen an dieRegulierung in ihrem Bereich haben .In diesem Zusammenhang gibt es die größte Kritik anden europäischen Aufsichtsbehörden, nämlich dass siegegen zwei Prinzipien verstoßen, die vom Gesetzgebervorgegeben worden sind . Das eine ist das Subsidiari-tätsprinzip, das heißt, man muss auf europäischer Ebenenicht das regeln, was man auf nationaler Ebene regelnkann . Das andere ist: Man muss beim Handeln die Pro-portionalität beachten, das heißt, kleine Banken müssenklein reguliert werden und große müssen groß reguliertwerden . In dieser Frage unterstütze ich die Kritik an deneuropäischen Aufsichtsbehörden .
Dieser Konflikt führt dazu, dass wir auch zurzeitdeutliche Defizite in der europäischen Aufsicht haben.Die Kommission hat in einem Bericht dargelegt, dass eseinen bemerkenswerten Erfolg in der Aufbauarbeit gibt .Aber sie hat auch Defizite und Fehlentwicklungen auf-gezeigt und deutlich gemacht, dass wir die jetzigen Auf-gaben der europäischen Aufsichtsbehörden überdenkenmüssen . Wir selbst werden selbstverständlich dieses The-ma noch erweitern müssen, allein schon aus dem Grund,dass wir am Ende 2014 die Umsetzung der EuropäischenBankenunion beschlossen haben .Europäische Bankenunion bedeutet, dass die 120 gro-ßen Finanzunternehmen bzw . die drei größten Finanzun-ternehmen im jeweiligen Land von der EuropäischenZentralbank kontrolliert werden . Die anderen, die klei-nen und regionalen Banken werden im Wesentlichen vonden nationalen Behörden kontrolliert . Allein aus diesemGrund muss überdacht werden, welche Rolle eine euro-päische Aufsichtsbehörde mit ihren Vorgaben für Ban-ken, Versicherungen und Wertpapiere spielen soll . Füruns ist dabei immer wichtig gewesen, dass die Regelnso getroffen werden, dass wir einen stabilen Finanzmarkthaben und dass nicht der Steuerzahler für Fehler der Ban-ken herangezogen wird . Das ist unser zentraler Punkt .Das wollen wir in diesem Bereich auch so umsetzen .
Wo es viele Beteiligte in der Aufsicht gibt – Europä-ische Zentralbank, die drei verschiedenen europäischenAufsichtsbehörden, die deutschen Behörden und die so-genannten Systemausschüsse –, gibt es auch mehrfacheZuständigkeiten . Die Kritik lautet daher, dass die europä-ischen Aufsichtsbehörden inzwischen den Rahmen, denihnen der Gesetzgeber vorgegeben hat, deutlich über-schritten haben, dass die Standards und Leitlinien weitüber die sogenannten regulatorischen politischen Vorga-ben hinausgehen . Da müssen wir selbstverständlich auf-passen, gerade wenn es um Subsidiarität und Proportio-nalität geht . Bei der Subsidiarität geht es vor allem umdie enorme Regulierungsdichte, die unmittelbar in dienationale Aufsicht hineinragt . Bei der Proportionalitätgeht es darum, dass die kleinen Unternehmen nicht in ge-ringerem Maße kontrolliert werden, sondern vielfach diegleichen Anforderungen wie die Großunternehmen erfül-len müssen . Das kann nicht der Sinn einer europäischenVorgabe und Regulierung sein .
Es gibt zu viele Daten . Vieles wird nicht in deutscherSprache vorgegeben . Zudem gibt es zu viele Normset-zungen .Wenn ich mir die aktuelle Diskussion mit der Euro-päischen Zentralbank über die Forderung nach AnaCre-dit vor Augen führe, wonach jeder Kredit über 25 000Euro mit 100 Informationen belegt werden muss, dannfrage ich mich natürlich, was eigentlich die Aufgabe derEuropäischen Zentralbank ist . Ist es ihre Aufgabe, dieGroßen zu kontrollieren, damit es nicht zu einer erneutenFinanzkrise kommt, oder ist es ihre Aufgabe, die Kleinenmit Daten zu belasten, was hohe Kosten verursacht undnichts zur Finanzstabilität beiträgt?
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir brauchen guteAufseher nicht nur in Deutschland, sondern auch in Eu-ropa . Sie sind für uns als Parlamentarier mit die wich-tigsten Ansprechpartner . Kollegen haben bereits daraufhingewiesen, dass die Zukunft der Europäischen Zen-tralbank nicht in der Aufsicht, sondern in der Geldpolitikliegen sollte und dass wir zu einer Trennung von Aufsichtund Geldpolitik kommen müssen . Für uns als Abgeord-nete ist wichtig, mit den Aufsehern intensiv zusammen-zuarbeiten; denn unsere Aufgabe ist, weitere Krisen zuverhindern und immer dafür zu sorgen, dass der Steuer-zahler für Krisen anderer nicht herangezogen wird .Vielen Dank .
Vielen Dank . – Als letzter Redner in dieser Debatte
hat Christian Petry von der SPD-Fraktion das Wort .
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Die Beiträge von Gerhard Schick und AxelTroost waren bemerkenswert . Besonders bemerkenswertwar für mich, dass sich beide ratlos gaben . Sie wären rat-los .
Wenn allerdings Ratlosigkeit zu Enthaltung führt, dannmüsste man einmal darüber nachdenken, ob man dasnicht zum System macht .
Klaus-Peter Flosbach
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 155 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 18 . Februar 201615272
(C)
(D)
Da für die Opposition die Enthaltung eine der höchstenFormen der Zustimmung ist, fühlen wir uns dadurch ge-ehrt .
– Herr Gerhard Schick, wie ich sehe, sitzen Sie nun inden Reihen der Linksfraktion . Das habe ich erst jetzt be-merkt .Manfred Zöllmer hat an dem vorliegenden Antragwesentlich mitgearbeitet und verhandelt . Wir habenzuerst gedacht, dass es Ihnen nicht auffällt, dass es dasVerdienst dieses Kollegen war . Manfred Zöllmer hat inVerhandlungen dafür gesorgt, dass hier einiges hinein-kommt . Das ist dann aber Gerhard Schick aufgefallen,und er hat es genannt . Ich glaube jedenfalls, dass wir inder Überschrift unseres Antrags „Europäisches Systemder Finanzaufsicht effizient weiterentwickeln“ ein gutesZiel formuliert haben . Das ist ein klares Bekenntnis zumeuropäischen System der Finanzaufsicht . Es ist zudemein klares Bekenntnis, dass wir Effizienz in der Weiter-entwicklung wollen .Es ist hier genannt worden, dass die Gründung der Fi-nanzaufsicht ja einen gewissen Hintergrund hatte: eineKrise . Herr Kollege Flosbach hat hier ausführlich undauch sehr nachvollziehbar dargelegt, wie die EBA, dieEIOPA und die ESMA für Banken, Versicherungen undWertpapiere gegründet wurden . Es gab klare Koordinie-rungs- und Regelungsaufgaben in diesem Bereich . DieAufsichtskompetenz musste auch dort liegen, damit mander Krise entgegentreten kann . Wir wollten und wollenja in vielen Dingen, die wir hier geregelt haben, mehrTransparenz, mehr Schutz, mehr Aufsicht und auch mehrSanktionsmöglichkeiten, wenn etwas schiefläuft.
Diese Dinge sind letztlich auch in diesem Antrag imple-mentiert, Herr Kollege Trost .
Im Übrigen: Es wurde eben gesagt, es würden sich ge-wisse Punkte an die Bundesregierung richten . Der ganzeAntrag richtet sich an die Bundesregierung . Darin steht:„Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierungauf“, all die Punkte zu tun . Es ist doch eine vorzüglicheAufgabe des Parlaments, hier die Dinge zu formulieren,die es für weiterentwicklungsbedürftig hält .Der Kommissionsbericht zur Arbeit der ESAs fällt po-sitiv aus . Wir teilen diese Einschätzung . Man sollte hierauch nicht den Eindruck erwecken, das wäre negativ . Ins-gesamt gesehen sind wir froh, dass diese Aufsichts- undKontrollgremien ihre Arbeit tun .Bei allem Positiven muss man die Level-3-Regelun-gen, die genannt worden sind, im Auge haben . Wenn siefür eine große Bank gemacht sind, aber auf eine kleineBank letztlich auch Anwendung finden sollen, dann soll-ten die kompetenten Ansprechpartner von uns auf unsereAuffassung hingewiesen werden . Die Proportionalitätund die Subsidiarität müssen erhalten bleiben . Das heißt,beides muss sich in den Regelungen wiederfinden. Eskann keine starre Regelung, Vereinheitlichung aller ent-sprechenden Aufsichtskriterien geben, sondern es mussan die entsprechende Situation vor Ort angepasst sein .Aber es muss auch klar sein: Es muss Transparenz herr-schen, es muss Sicherheit herrschen, und eine Lockerungoder eine Änderung der Vorgehensweise darf nicht zuneuen Risiken führen . Dies müssen wir hier – wie auchim Antrag gefordert – entsprechend umsetzen .
Die Arbeit der ESAs hat also schon deutliche Fort-schritte gebracht . Auch die nationalen Aufsichtsbehördensind nach diesem Prozess wesentlich effektiver, und dieRisiken sind minimiert .Ich möchte am Schluss noch auf einen Punkt einge-hen, der mir besonders wichtig ist . Also nicht unbedingt,dass jetzt alles auch in deutscher Sprache vorliegen muss .Das ist ein netter Wunsch, aber das ist nicht unbedingtmein zentraler Punkt . Ich bin der Auffassung, dass wirperspektivisch die Trennung von Bankenaufsicht undGeldpolitik bei der EZB als Schwerpunkt im Auge behal-ten sollten . Die kleine chinesische Mauer, wie sie AxelTroost genannt hat, ist letztlich also aufgebaut und ist alsgroße chinesische Mauer entstanden, aus der Not gebo-ren, weil man in dieser Situation die Aufsicht über sys-temrelevante Banken in der Euro-Zone verorten musste .Die Gründung des SSM zeigt, dass Europa die Welt-marktkrise meistern will und daraus die richtigen Lehrengezogen hat . Ihn – in Ermangelung von Alternativen –zum damaligen Zeitpunkt bei der EZB zu verorten, darfnatürlich nicht dazu führen, dass wir sagen, dies soll aufEwigkeit so bleiben . Wir müssen darauf hinarbeiten, dasses hier wiederum eine Trennung der beiden Funktionengibt .
Perspektivisch müssen Bankenaufsicht- und Geldpolitikvoneinander getrennt werden . Denn wenn bei steigendenInflationsraten eigentlich eine Leitzinserhöhung notwen-dig wäre, dies aber gleichzeitig angeschlagene Bankengefährdet, dann sind das natürlich zwei Dinge, die mitei-nander nicht vereinbar sind und die man betrachten muss .Ein zweiter Punkt: Die demokratische Legitimationdes SSM ist zurzeit natürlich nicht in ausreichendemMaße gegeben . Auch hier sind wir als nationales Parla-ment mit im Boot . Ich denke, das ist ein legitimes Ansin-nen, das wir nicht aus den Augen verlieren sollten . Auchdem trägt dieser Antrag Rechnung .Alles in allem bin ich überzeugt, dass wir mit diesemAntrag eine gut formulierte Handlungsoption als Auftragfür die Bundesregierung haben . Die Aufforderung gehtan die Bundesregierung, hier diese Schritte in die Wegezu leiten . Ich glaube, das ist von denjenigen, die es ausge-arbeitet haben, gut gemacht . Herzlichen Dank dafür . Esfindet sich sehr viel wieder; und wird es in dieser Formumgesetzt, glaube ich, wird das große Ziel mehr Transpa-renz, mehr Effektivität, mehr Sicherheit im Finanzwesenauch erreicht werden . Lassen Sie uns in diesem Sinne zu-sammenarbeiten!Christian Petry
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 155 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 18 . Februar 2016 15273
(C)
(D)
Glück auf!
Liebe Kolleginnen und Kollegen, damit schließe ich
die Debatte .
Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der
Fraktionen der CDU/CSU und der SPD auf Drucksa-
che 18/7539 mit dem Titel „Europäisches System der
Finanzaufsicht effizient weiterentwickeln“. Wer stimmt
für den Antrag? – Das ist die Koalition . Wer stimmt da-
gegen? – Wer enthält sich? – Damit ist der Antrag mit
den Stimmen der Koalition ohne Gegenstimmen und bei
Enthaltung der Opposition angenommen worden .
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 8 a und 8 b auf:
a) Beratung des Berichts des Ausschusses für Recht
und Verbraucherschutz gemäß
§ 62 Absatz 2 der Geschäftsordnung zu dem von
den Abgeordneten Diana Golze, Agnes Alpers,
Nicole Gohlke, weiteren Abgeordneten und der
Fraktion DIE LINKE eingebrachten Entwurfs
eines Gesetzes zur Einführung des Rechts
auf Eheschließung für Personen gleichen Ge-
schlechts
Drucksachen 18/8, 18/7375
b) Beratung des Berichts des Ausschusses für Recht
und Verbraucherschutz gemäß
§ 62 Absatz 2 der Geschäftsordnung zu dem
von den Abgeordneten Volker Beck , Ulle
Schauws, Katja Keul, weiteren Abgeordneten
und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur
Abschaffung des Eheverbots für gleichge-
schlechtliche Paare
Drucksachen 18/5098, 18/7257
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 38 Minuten vorgesehen . – Ich höre dazu
keinen Widerspruch . Dann ist das so beschlossen .
Ich eröffne die Debatte und bitte die Kolleginnen und
Kollegen, zügig die Plätze einzunehmen und die Gesprä-
che einzustellen . Jetzt hat nur noch der Redner das Wort,
und das ist Harald Petzold von der Fraktion Die Linke .
Vielen Dank . – Frau Präsidentin! Meine sehr verehr-ten Kolleginnen und Kollegen! Liebe Besucherinnenund Besucher auf den Besuchertribünen! Seit 850 Tagenliegt der Gesetzentwurf zur Einführung des Rechts aufEheschließung für gleichgeschlechtliche Partnerschaf-ten, den meine Fraktion eingebracht hat, dem DeutschenBundestag zur Beratung vor . Seit 850 Tagen ist diesemParlament und vor allen Dingen der Großen Koalitionnichts dazu eingefallen, wie sie sich zu diesem Gesetzpositionieren wollen, und das, obwohl die SPD im Bun-destagswahlkampf „100 Prozent Gleichstellung nur mituns“ versprochen hat, und das, obwohl sie einen Koaliti-onsvertrag geschlossen hat, in dem es heißt:Wir werden darauf hinwirken, dass bestehendeDiskriminierungen von gleichgeschlechtlichen Le-benspartnerschaften und von Menschen auf Grundihrer sexuellen Identität in allen gesellschaftlichenBereichen beendet werden . Rechtliche Regelungen,die gleichgeschlechtliche Lebenspartnerschaftenschlechter stellen, werden wir beseitigen .850 Tage gleichstellungspolitischer Stillstand undkeine Gleichstellung zu 100 Prozent, 850 Tage gleich-stellungspolitischer Tiefschlaf sogar; denn die wenigenTrippelschritte, die Sie gegangen sind, sind Sie nur des-wegen gegangen, weil das Bundesverfassungsgericht Sieper Urteil dazu gezwungen hat, die Sukzessivadoptioneinzuführen . Wer sich die Wirkung dieses Gesetzes ge-nauer anschaut, wird berechtigterweise die Frage stellen:Welches Argument gibt es eigentlich noch, um die volleAdoption zu verweigern? Mit dem Recht auf Sukzessiv-adoption kann man es praktisch erreichen, dass zwei Le-benspartner ein Kind gemeinsam adoptieren können .Deswegen sage ich: Ihr Verhalten ist Betrug an Wäh-lerinnen und Wählern, vor allen Dingen ist das Verhaltender SPD Betrug an ihren Wählerinnen und Wählern . Sie,verehrte Kolleginnen und Kollegen von der SPD, solltensich schon einmal die Frage stellen, warum es immer wie-der Ihre Vertreter im Rechtsausschuss sind, die, wenn wirden Gesetzentwurf auf die Tagesordnung setzen wollen,beantragen, dass er nicht behandelt wird . Sie sollten auf-passen, dass nicht die Union Ihnen im Wahlkampf 2017das Argument entgegenhalten kann: Es waren immer dieKolleginnen und Kollegen der SPD, die verhindert ha-ben, dass das Gesetz behandelt werden kann . – Damitsind Sie dann die Letzten, die hier im Parlament Neinsagen, obwohl wir eigentlich eine rechnerische Mehrheitfür das Gesetz haben .
Sie haben nicht einmal bemerkt, dass wir inzwischendas 15-jährige Jubiläum des Gesetzes über die Eingetra-gene Lebenspartnerschaft haben,
eines Gesetzes, das seinerzeit tatsächlich einen histori-schen Wendepunkt dargestellt hat und mit dem Deutsch-land wirklich an der Spitze all derjenigen gewesen ist,die sich darum bemüht haben, dass Lesben und Schwule,Bisexuelle und Transsexuelle endlich in der Gesellschaftgleichbehandelt werden .Es gab vor einigen Tagen eine interessante Veranstal-tung der Bundesstiftung Magnus Hirschfeld, auf der dieehemalige Bundestagspräsidentin Rita Süssmuth, CDU,einen sehr interessanten Satz gesagt hat . Wenn Sie mirschon nicht glauben, liebe Kolleginnen und Kollegenvon der Union, dann glauben Sie doch wenigstens FrauSüssmuth, die gesagt hat: Es ist notwendig, dass wir an-gesichts der gesellschaftlichen Entwicklungen neue Ide-en entwickeln, ein neues Denken an den Tag legen, umBlockaden aufzulösen .Christian Petry
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 155 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 18 . Februar 201615274
(C)
(D)
Ich sage Ihnen: Die Freigabe der Abstimmung überdie Möglichkeit der Eheschließung gleichgeschlechtli-cher Lebenspartner wäre Ausdruck eines solchen Den-kens . Sie von der Union können Ihrem Fraktionsvor-sitzenden ausrichten, er könne ganz beruhigt bleiben;niemand wolle ihn zwingen, mit Ja zu stimmen . Aber ichwill, dass wir ein neues Denken an den Tag legen, dieseAbstimmung freigeben, sodass endlich all die, die mit Jastimmen wollen – auch die in der Union –, mit Ja stim-men können . Dann können wir die hier im DeutschenBundestag vorhandene rechnerische Mehrheit endlichnutzen .
Ich kann Ihnen versichern – die Geschäftsordnung gibtes ja her –: Sie werden von uns als Opposition weiterhinmit diesem Thema beschäftigt werden . Die Zehnwochen-frist für die nächste Berichterstattung zum Umgang mitdiesem Gesetz hat mit der gestrigen Ausschusssitzungangefangen . Sie können sich sicher sein: Spätestens vorder Sommerpause, also zum Jahrestag des Inkrafttretensdes Gesetzes über die Eingetragene Lebenspartnerschaft,werden Sie die nächste Debatte dazu bekommen . Ich bingespannt, ob die Große Koalition bis dahin eine Idee ent-wickelt hat, wie sie mit diesem Gesetzentwurf umgehenwill .Ich danke für die Aufmerksamkeit .
Vielen Dank . – Als nächster Redner hat Dr . Stefan
Kaufmann von der CDU/CSU-Fraktion das Wort .
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Meine Damen und Herren! Wieder einmal führen wirhier im Haus eine Debatte zum Thema Öffnung der Ehe .Dabei ist die Rollenverteilung klar: Die Opposition willuns bei einem Thema vorführen, das unbestritten schonlange wichtig ist, bei dem sie aber genau weiß, dass dieRegierung noch nicht so weit ist .
Ohne die Regierung und ohne die sie tragenden Partei-en, Herr Kollege Kahrs, geht es nun einmal nicht, selbstwenn die Zustimmung zur Öffnung der Ehe in der Be-völkerung nach allen Umfragen stetig zunimmt und mitt-lerweile wohl sogar bei mehr als zwei Dritteln liegt . Wasbleibt der Opposition also? Sie muss überzeugen, undzwar durch Sachlichkeit, und das ist ihr Ding nicht oderjedenfalls nicht immer .Ja, ich verstehe Ihre Ungeduld;
aber Sie müssen auch uns verstehen, liebe Kollegen . Wirbrauchen Zeit . Wenn ich „wir“ sage, dann meine ich glei-chermaßen die, die noch am tradierten, kirchlich gepräg-ten Begriff der Ehe hängen, wie jene, die, mich einge-schlossen, aktiv für eine Öffnung dieser Position werbenund streiten – in der Partei und außerhalb der Partei .Sie glauben gar nicht, was es, wenn es konkret wird,noch für Widerstände gibt . Ich könnte Ihnen ein Lied da-von singen, zum Beispiel davon, was mein Mann Rolfund ich im Zuge unserer kirchlichen Segnungsfeier imMai letzten Jahres erlebt haben . Aber auch hier gilt: Wirmüssen in unserer gesamten Gesellschaft noch Überzeu-gungsarbeit leisten . Die meisten von Ihnen wissen: Ichbefinde mich seither in einem durchaus kritischen Dialogmit den Kirchen und insbesondere auch mit meiner eige-nen Kirche, der römisch-katholischen Kirche . Ich führediesen Dialog auch, weil mein Glaube mir wichtig undnicht nur Fassade ist und weil ich nicht ohne Weitereshinnehmen will, dass die römisch-katholische Kirchenoch keinen wirklichen Weg des Umgangs mit gleichge-schlechtlich Liebenden gefunden hat .Doch selbst in der katholischen Kirche, jedenfalls inDeutschland, spüre ich eine wachsende Offenheit, viel-leicht noch nicht beim Rütteln am Sakrament der Ehe,aber im Umgang mit gleichgeschlechtlich Liebenden .Da sind übrigens die vom Zentralkomitee der deutschenKatholiken im Mai letzten Jahres in Würzburg beschlos-senen Erklärungen ein ermutigendes Signal . Man suchtnach Wegen, die Verbindung zweier Menschen gleichenGeschlechts in einer Feier vor Gott segnen zu können .Warum also tun wir uns als Gesetzgeber so schwer?
Warum verengen wir die Ehe weiterhin auf die Verbin-dung von Mann und Frau? Oder aber: Wem schadet es,wenn wir die Ehe öffnen?
– Jetzt hören Sie doch erst einmal zu . – Ich darf dazu kurzaus der Predigt von Pfarrer Pfützner bei unserer alt-ka-tholischen Segnungsfeier im Mai letzten Jahres zitieren:Unsere Gesellschaft hat in den vergangenen Jahr-zehnten . . . eine erstaunliche, aber auch notwendigeEntwicklung gemacht, und diese Entwicklung ist anden Kirchen nicht spurlos vorübergegangen .
Heraushalten werden sie sich daraus schon deshalbnicht können, weil in ihnen homosexuelle Men-schen leben und weil diese Menschen, die sich inunserer Gesellschaft Gott sei Dank nicht mehr ver-stecken möchten,– auch in den Kirchen nicht –Harald Petzold
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 155 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 18 . Februar 2016 15275
(C)
(D)
gerade dort, wo die Liebe Thema eins ist und wo derGlaube an einen Gott lebt, den wir als grenzenloserfahren, als grenzenlos auch in der Liebe .Jesus hat uns gerade diese Seite gezeigt, und er ist sonicht nur auf Zustimmung, sondern auch auf Ableh-nung gestoßen . Aber gerade das lässt aufhorchen:Wer bestimmt denn, bis wo die Liebe gehen undwas als Liebe bezeichnet oder nicht bezeichnet wer-den darf? Und was macht die so sicher, die genau zuwissen scheinen, wo die Grenze ist?Das ist es, meine Damen und Herren, liebe Kollegin-nen und Kollegen: Es geht um Liebe, es geht um gelebteVerantwortung, und es geht um Werte .Es geht also nicht nur um ein Rechtsinstitut . Deshalbsollten wir die Debatte auch nicht kleiner machen, als sieist . Nein, es geht um ein Symbol . Es geht um die Ehe alsSymbol für ein stabiles Band, das nach außen dokumen-tiert, dass zwei Menschen, die sich lieben, zusammenge-hören und füreinander Verantwortung übernehmen – einLeben lang –, die füreinander da sind, in guten wie inschlechten Tagen . Das nennt man gemeinhin Ehe .Und, ach ja: Auch im allgemeinen Sprachgebrauchsind zwei Menschen gleichen Geschlechts verheiratet –und nicht verpartnert . Übrigens wurde meinem MannRolf und mir letztes Jahr von nahezu allen Gratulantenzur Hochzeit gratuliert – und nicht zur Verpartnerung .
– Auch von der CDU . – Die Word-Spracherkennungkennt das Wort „verpartnert“ im Übrigen nicht, bis heutenicht, trotz 15 Jahre Lebenspartnerschaftsgesetz .
Wie ist nun die Rechtslage? Die zivilrechtliche Defini-tion dessen, was Ehe ist, obliegt dem Gesetzgeber . Hier-bei steht es ihm meines Erachtens frei, das zivilrechtli-che Institut der Ehe abweichend vom naturrechtlich oderkirchlich geprägten Begriff der Ehe zu regeln . Das gerneins Feld geführte Urteil des Verfassungsgerichts zumEhebegriff stammt aus einer anderen Zeit und könnte –ohne auf das Argument des gewandelten Zeitgeistes ab-stellen zu müssen – eine Revision erfahren .Klar ist aber auch, meine Damen und Herren: DieNeufassung des Ehebegriffs fällt einer Partei, die, wiedas bei uns der Fall ist, das C im Namen trägt, schwererals einer Partei, die sich betont atheistisch gibt .
Und nun ist es ja auch nicht so, dass unser Staat schonvöllig säkularisiert wäre . Noch immer spielt der christli-che Glaube für viele Menschen jedenfalls im Alltag einewichtige Rolle,
und damit spielen auch die Handlungsanleitungen derchristlichen Kirchen eine wichtige Rolle, lieber HerrKollege Beck . Das können die Vertreterinnen und Ver-treter einer Volkspartei nicht per se ignorieren . Deshalbsage ich nochmals: Geben Sie uns Zeit, die noch Zögern-den mitzunehmen und zu überzeugen, und setzen Sie unsnicht monatlich mit Schaufensteranträgen unter Druck,wie Sie das tun, Herr Kollege Petzold .
Übrigens: Besinnen wir uns nicht gerade dieser Tage –angesichts der Ereignisse in Köln und vielerlei Sorgenum eine Erosion unseres Wertekanons – wieder stärkerunserer christlich-jüdischen Wurzeln? Ist es nicht bis inTeile der Opposition hinein opportun, ein Bekenntnis derhierher Flüchtenden zu unserer Rechts- und Werteord-nung einzufordern und zu betonen, dass wir zur Vertei-digung unserer Werte unseren eigenen Glauben wiederstärker und selbstbewusster leben sollten?
Seien wir doch an dieser Stelle auch einfach mal frohdarüber und dankbar dafür, liebe Kollegin Künast, waswir erreicht haben: Die Gleichstellung nämlich und dieToleranz gegenüber gleichgeschlechtlichen Lebenswei-sen
wird gerade im Zusammenhang damit, was als Werteka-non in Deutschland zu akzeptieren ist, nicht mehr infragegestellt . Im Gegenteil: Es wird selbst von Kolleginnenund Kollegen, die sich betont konservativ geben, aus-drücklich eingefordert .
Auch die Kanzlerin Angela Merkel hat auf unserem Par-teitag am 14 . Dezember betont, dass Deutschland einLand sein solle „mit der Absage an jede Form von An-tisemitismus, Fremdenfeindlichkeit und Diskriminierunghomosexueller Menschen“ .
– Du bist doch gleich dran, Johannes .Und dennoch – auch das soll heute gesagt sein – ma-che ich mir Sorgen, Sorgen auch um eine zunehmendrechtspopulistische und rechtsextreme Tendenz in unse-rer Gesellschaft . Die Zahl derer, die meinen, sich end-lich – wieder – trauen zu dürfen, ihre Meinung zu sagenund nicht vor dem sogenannten Mainstream zurückwei-chen zu müssen, steigt . Unverhohlen werden wieder öf-fentlich diskriminierende und verhetzende Parolen skan-diert und gepostet . Mit der Einleitung „Man wird ja wohlnoch sagen dürfen . . .“ werden herabwürdigende oder garhetzerische Äußerungen keinen Deut besser oder erträg-licher . Da gilt es, weiterhin dagegenzuhalten .Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Öffnung der Ehefür gleichgeschlechtliche Paare ist sehr vielen unter unsein gemeinsames Anliegen – und zwar über alle Frakti-onsgrenzen hinweg. Das finde ich zunächst einmal ermu-Dr. Stefan Kaufmann
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 155 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 18 . Februar 201615276
(C)
(D)
tigend . Lassen Sie uns an diesen Gemeinsamkeiten weiterarbeiten . Ich möchte mit Ihnen zusammen diejenigen, diesich mitunter aus für sie schwerwiegenden Gründen inder Frage noch schwertun, überzeugen und mitnehmen .Am Ende sollte dann ein breiter Konsens stehen: hier imDeutschen Bundestag, aber auch in unserer Gesellschaft .Szenen, wie wir sie in europäischen Partnerstaaten ge-sehen haben, mit Demonstrationen gegen die „Ehe füralle“ oder gar unseren Status quo hier – ich denke nur anItalien –, wird hierzulande keiner von uns wollen .Das Lebenspartnerschaftsgesetz ist eine Errungen-schaft . Ich weiß sie sehr zu schätzen . Nun gilt es aber,die Gleichstellung zu vollenden und bestehende Stigma-tisierungen zu beseitigen . Diese Stigmatisierung habenwir ja schon im Kleinen, wenn man in Formularen alsPersonenstand „verpartnert“ statt „verheiratet“ angebenmuss . Es ist eine persönliche Entscheidung jedes Einzel-nen, ob er oder sie das angeben möchte, wie sie oder erliebt . Auch deshalb ist es fair, gleicher Liebe den glei-chen Rechtsrahmen zu geben .Nun haben viele Kritiker einer Eheöffnung Sorge,dass die Ehe als Institution entwertet wird . Aber ist nichtgenau das Gegenteil der Fall? Wird das Institut der Ehenicht vielmehr gestärkt? Freuen wir uns doch darüber,dass diese klassische Institution Ehe und die mit ihr ver-bundenen Werte im Kontext der aktuellen Debatte gera-dezu eine Renaissance erleben . Entscheidend ist doch:Es wird niemandem etwas genommen, es wird kein Kindweniger geboren, es wird keine Ehe weniger geschlos-sen, und es gibt auch keinen Widerspruch zu Artikel 6Grundgesetz; denn am besonderen Schutz der Ehe wirdnicht gerüttelt und will niemand rütteln . Und zur Fragedes Geschlechts der Ehepartner sagt das Grundgesetznichts .
Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen undKollegen, ich bin der festen Überzeugung, dass wir amEnde dieser notwendigen Debatte
auch einen Großteil jener Bürgerinnen und Bürger mit-genommen haben, die jetzt noch Probleme haben mit derVorstellung, dass gleiche Liebe auch den gleichen Namenverdient, und dass wir dann in einem großen Konsensdas nachvollziehen, was viele, auch katholisch geprägteStaaten wie Spanien, Portugal, Irland oder Brasilien
in der Vergangenheit in Gesetze gegossen haben .
Ich bin jedenfalls voller Zuversicht, Herr Kollege Kahrs,
und in der Gewissheit dessen, was kommt, auch sehr auf-geräumt und gelassen .Danke schön .
Vielen Dank . – Als nächste Rednerin hat Renate Kün-
ast von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort .
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! LieberHerr Kaufmann, ich will einmal bei Ihrem Wertekanonansetzen . Angesichts Ihrer Rede fragt man sich fast, wasSie eigentlich in Ihrer Fraktion noch wollen, außer langezu diskutieren .
Sie haben über den Wertekanon geredet . Was Sie abernicht gemacht haben, ist, auch über den Wert zu reden,den ein parlamentarisches Verfahren hat . Sie haben sichin Ihrer ganzen Rede nicht zu der Tatsache geäußert, dasswir hier nach zehn Sitzungswochen einen Zwischenbe-richt verlangen müssen und nicht zu einer Entscheidungkommen . Sie haben von einem Konsens gesprochen unddavon, dass wir am Ende hier gemeinsam Arm in Armstehen . Aber wann soll das Ende dieses Diskurses eigent-lich sein?
Dazu hätte ich gerne einmal einen Hinweis .Ein Blick in die GO, weil wir jetzt einen Zwischen-bericht haben: In § 54 GO heißt es, dass Ausschüsse denSinn und Zweck haben, die Verhandlungen des Bundes-tages vorzubereiten . Manche Leute sagen sogar, dassdort die eigentliche Arbeit stattfindet. Wenn Sie sicheinmal anschauen, was die Aufgabe der Ausschüsse ist,dann finden Sie in § 62 Absatz 1 folgende Formulierung:Die Ausschüsse sind zu baldiger Erledigung der ih-nen überwiesenen Aufgaben verpflichtet.Das waren jetzt schon mehr als zehn Sitzungswochen .Wir können ja nicht immer irgendwo in einer Erdumlauf-bahn hinter einer internationalen Raumstation herfliegenund sagen: Ist mir doch egal, wann wir jemals zur Lan-dung kommen . – Zu baldiger Erledigung der Aufgaben:Es ist ja offensichtlich so, dass maximal zehn Wocheneine baldige Erledigung darstellen, sonst würden wirjetzt nicht hier im Plenum diskutieren .Man muss sich schon fragen, was eigentlich los ist .Wenn ich so zwischen Ihnen, den Koalitionsfraktionen,sitze, frage ich mich, wer eigentlich an dieser Verzöge-rung schuld ist . Ich hätte gerne, dass wir auch bei The-men und Tagesordnungspunkten, die die Oppositions-fraktionen beantragen, zu einer Erledigung kommen .
Dr. Stefan Kaufmann
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 155 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 18 . Februar 2016 15277
(C)
(D)
Wenn Sie, Herr Kaufmann, über den Wertekanon re-den, den man zum Beispiel den vielen Flüchtlingen bei-bringen sollte, dann frage ich Sie: Wie wäre es denn mitdem Wertekanon, dass bei uns Parlamentarismus funk-tioniert und auch Oppositionsfraktionen das Recht ha-ben, Anträge einzubringen, eine erste Lesung zu haben,Ausschussarbeit und eine zweite Lesung und Verabschie-dung?
Sie können ja dann dagegen stimmen . Auch daswird man doch wahrscheinlich im Integrationskurs denFlüchtlingen mitteilen . Sie reden von Beratungsbedarf .Im Gegensatz zum Kollegen Petzold komme ich nichtauf 800 Tage, sondern, wenn ich einmal zähle – das Jahrhat zumindest meistens 365 Tage; 1990 hat der Kolle-ge Beck sozusagen den ersten Antrag eingebracht –, beimir macht das 9 490 Tage . So lange denkt die CDU/CSUnach, kommt aber zu keinem Ergebnis .
Ich finde das unter parlamentarischen Gesichtspunktennicht in Ordnung und weiß auch nicht, welches Spielzwischen CDU und SPD da gespielt wird und wer jetzteigentlich blockiert . Ich habe das Gefühl, Sie wollen esinhaltlich nicht, und Sie wollen die Abstimmung nicht,damit Sie nicht zeigen müssen, was Koalition bedeutet .Ich denke aber, dass Sie da eigentlich durch müssen, lie-be Kolleginnen und Kollegen von der SPD, das hier andieser Stelle einmal namentlich zu benennen .Ich will Ihnen eines sagen: Wir haben hier vor kur-zem eine fraktionsunabhängige Abstimmung zum Thema„Sterbehilfe“ gehabt . Vielleicht hat es die SPD verschla-fen, auch zum Thema „Ehe für alle“ eine solche frakti-onsunabhängige Initiative zu verhandeln und in die Koa-litionsvereinbarung aufzunehmen .
Das wäre eine Möglichkeit gewesen .
Zum Inhalt, meine Damen und Herren: Vor 15 Jahrenist das rot-grüne Lebenspartnerschaftsgesetz unterzeich-net worden . Der Vater der eingetragenen Lebenspartner-schaft, Volker Beck, sitzt dort . Wir hätten schon damalsgerne mehr gemacht, aber der Bundesrat hat uns nichtzu einer Mehrheit verholfen . Heute aber haben wir einegesellschaftliche Mehrheit, die so weit geht, dass 68 Pro-zent aller Deutschen sagen: Ja, ich bin für eine Gleich-stellung auch bei der Ehe . Sogar fast genauso viele Mit-glieder der katholischen Kirche sagen das . 67 Prozentder Angehörigen protestantischer Kirchen – bei der Ge-samtbevölkerung sind es 63 Prozent – sagen: In Regen-bogenfamilien werden Kinder genauso gut erzogen wiein den Heterofamilien, und sie können dort genauso gutaufwachsen . Warum wollen Sie da eigentlich noch wei-tere 1 000 Tage nachdenken?
Seit 2005 hat sich eigentlich nichts Wesentliches mehrverändert . Es gab hier und da kleine Rechtsbereinigun-gen .Ich will Ihnen die eine Frage stellen: Warum sollgleichgeschlechtlichen Paaren in Zukunft die Ehe wei-ter verwehrt werden? Warum tragen wir das wie eineMonstranz – quasi als Symbol einer bewussten Diskri-minierung – durch dieses Land? Schwarz-rot trägt mitt-lerweile die schwarz-rote Laterne in Europa . Internatio-nal – in den USA und in Irland – ist es anders . Selbst dasBundesverfassungsgericht ist weiter als die Mehrheit imDeutschen Bundestag . Bei der Sukzessivadoption hat esuns – anders als es uns Herr Lange bei der Veranstaltungneulich erzählte – mit einer Fristsetzung gezwungen, sieendlich umzusetzen . Das Bundesverfassungsgericht hatin vielen Entscheidungen immer wieder gesagt: Es gibtkeinen Grund für eine Ungleichbehandlung .Deshalb rufe ich der ganzen CDU/CSU und auch derSPD zu: Nehmen Sie sich ein Herz! Herr Kaufmann,seien Sie nicht nur stolz auf das alte Partnerschaftsge-setz, sondern nehmen Sie auch zur Kenntnis, dass manam Ende sagen muss: Jetzt habe ich Mut, meine Stimmezu erheben und entsprechend abzustimmen . Ich habe denMut, endlich die Ungleichbehandlung von Dingen, diegleich sind, zu beenden . – Denn Liebe ist gleich Liebe .Verantwortung ist gleich Verantwortung . Es gibt keineLiebe zweiter Klasse .Wenn wir den § 1353 BGB endlich öffnen und dasWort „gleichgeschlechtlich“ hineinschreiben würden,dann wäre weder Herrn Harbarth noch Herrn Kaudernoch sonst jemandem in dieser Republik, der verheiratetist, etwas genommen . Es ist genug Ehe für alle da . Wirmüssen es jetzt nur anpacken .
Vielen Dank . – Als nächster Redner hat Dr . Karl-
Heinz Brunner von der SPD-Fraktion das Wort .
Frau Präsidentin! Meine Kolleginnen und Kollegen!Eigentlich wollte ich ja die gestern durch die Kanzlerinvorgetragene Regierungserklärung heute zum Anlassnehmen, ganz positiv über die Ehe für alle zu sprechen;denn die Kanzlerin hatte gestern so schön klar und deut-lich erklärt, Nichtdiskriminierung stehe bei den Verhand-lungen um die Europäische Union nicht zur Disposition .Da sagte ich mir: Gut so, Frau Merkel, es gibt keine Dis-kriminierung – nicht wegen Herkunft oder Nationalität,des Geschlechts, der Hautfarbe oder der Religion, keineam Arbeitsplatz und – weshalb wir hier heute zusam-mengekommen sind – schon gar keine wegen sexuellerOrientierung .Renate Künast
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 155 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 18 . Februar 201615278
(C)
(D)
Lieber Kollege Kaufmann, ich muss, sosehr ich Siepersönlich schätze, nach diesen Ausführungen sagen:Diese positive Stimmung des gestrigen Tages ist dochetwas getrübt worden . Sie haben sich, wenn ich IhreAusführungen richtig verstanden habe, auf die Lehre derrömisch-katholischen Kirche zurückgezogen . Wir haben,soweit ich weiß, seit Bismarck doch eigentlich die Zivil-ehe, für die der Gesetzgeber bzw . das Hohe Haus und diedeutsche Bevölkerung zuständig sind .
Meine Kolleginnen und Kollegen, aber genau dieseDiskriminierung, die gestern als No-Go angesehen wur-de, geschieht jeden Augenblick in unserem Land . Siegeschieht aus vielen Reihen – insbesondere aus denender verehrten Freunde der Union – heraus . Die Unionlehnt eigentlich ohne Begründung – Sie haben wiederkeine richtige Begründung gebracht – die Ehe für allegrundsätzlich ab, und sie nimmt uns Sozialdemokratin-nen und Sozialdemokraten in diesem Parlament in dieMithaftung . Wir sollen für die Koalitionsräson herhalten,nur weil die Union nicht in der Lage und bereit ist, eineEntscheidung darüber zu treffen, wie man Ungleichbe-handlungen in diesem Land endlich verhandlungs- undkoalitionsvertragstreu – Kollege Petzold hat es vorgele-sen – beseitigen kann .Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben bishernoch nicht oft genug über das Thema „Ehe für alle“ dis-kutiert. Ich finde es zwar dramatisch, dass wir uns in denAusschüssen wegen Vertagung seit nunmehr zehn Wo-chen mit den Anträgen beschäftigen müssen und hierim Hohen Hause nicht zur Entscheidung kommen . Aberich bin der Auffassung: Das Thema kann nicht oft ge-nug auf der Tagesordnung stehen, damit wir endlich dasErgebnis erreichen, das wir in diesem Land erreichenmüssen, nämlich die Ehe für alle, ganz gleich, welchenGeschlechts .Liebe Kollegin Künast, bevor wir jetzt in diesem Be-reich zu Verklärungen kommen, möchte ich eines fest-halten – ich habe Ihnen heute sogar applaudiert und fandgut, was Sie gesagt haben;
bis auf einen Punkt, zu dem ich ganz deutlich sage, dasswir der Legendenbildung vorbeugen sollten –: Nicht derKollege Beck ist der Vater der Lebenspartnerschaft; eswar letztendlich das rot-grüne Kabinett unter GerhardSchröder,
das dafür gesorgt hat, dass es zum Gesetz werden konnteund es in diesem Land nunmehr seit 15 Jahren die einge-tragene Lebenspartnerschaft gibt .
Meine Kolleginnen und Kollegen, ich finde es bedau-erlich – das sage ich ganz deutlich –, dass Herr Kauderheute nicht unter uns ist . Er war vorhin da, aber er istrechtzeitig gegangen . Denn ich hätte Herrn Kauder ge-sagt: So kann es nicht gehen . – Ich verspüre nichts vondem Erfolg – davon hat er gestern gesprochen –, den dieKoalition haben will . Wenn man nämlich gesellschafts-politische Fragen gegen die Mehrheit der Deutschenfernab des Gewissens der einzelnen Abgeordneten be-handeln will, dann entspricht das nicht dem Willen zumSieg . Ich meine, die Menschen haben es verdient, dassder Politpoker, für den sie in Geiselhaft genommen wer-den, endlich beendet wird . Es ist notwendig, die Abstim-mung hier im Deutschen Bundestag freizugeben . Ichbitte nicht nur unseren Koalitionspartner, sondern ichfordere ihn dazu auf . Ich akzeptiere es, wenn der eineoder andere sagt: Nein, ich will die Ehe für alle nicht, ichpersönlich möchte eine andere Lebensweise in Deutsch-land haben . – Aber ich habe es ziemlich satt – das sageich ganz deutlich –, dass wir Abgeordnete, weil einige esnicht wollen, darüber nicht unserem Gewissen unterwor-fen entscheiden können . Die Abstimmung muss freige-geben werden, damit die Aussage, Nichtdiskriminierungstehe nicht zur Disposition, keine Phrase bleibt, sondernendlich mit Leben erfüllt wird .Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit .
Vielen Dank . – Als nächster Redner hat Dr . Volker Ul-
lrich von der CDU/CSU-Fraktion das Wort .
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Wir führen eine rechtliche Debatte, die sich abernur schwer von einer Wertediskussion trennen lässt . Da-her vorweg: Es darf nach unserem Menschenbild für dieBeurteilung, Anerkennung und Würde eines Menschenkeine Rolle spielen, wen oder wie er liebt . Verbindungenzwischen zwei Menschen, die auf Dauer angelegt unddurch Verantwortung füreinander geprägt sind, gebendieser Gesellschaft Stabilität und Halt .
Sie haben die Unterstützung des Staates verdient .
Vor 15 Jahren hat der Deutsche Bundestag das Institutder eingetragenen Lebenspartnerschaft geschaffen .
Das war ein wichtiger Schritt zur Anerkennung undGleichstellung gleichgeschlechtlicher Paare .
Ich möchte nicht verhehlen, dass die volle rechtlicheGleichstellung mit der Ehe, beispielsweise im Steuer-recht, nicht durch den Gesetzgeber, sondern erst durchDr. Karl-Heinz Brunner
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 155 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 18 . Februar 2016 15279
(C)
(D)
die Entscheidung des Verfassungsgerichts erreicht wer-den konnte .
Auch muss uns der Umstand bewegen, dass selbst un-ter Geltung dieses Grundgesetzes viele Männer aufgrunddes § 175 Strafgesetzbuch verurteilt worden sind . Daswar unter keinem Gesichtspunkt richtig .
Das muss dieser Staat deutlich zum Ausdruck bringen .Die heutige Debatte dreht sich um die Frage derGleichbehandlung von Ehe und eingetragener Le-benspartnerschaft im Hinblick auf die rechtliche Situa-tion . Festzuhalten ist: Eine Diskriminierung liegt nichtbereits dann vor, wenn Einrichtungen, die gleich sindoder gleiche Rechte besitzen, lediglich sprachlich un-terschiedlich bezeichnet werden . Anknüpfungspunkt fürDiskriminierung ist zunächst eine unterschiedliche Be-handlung in den Rechtsfolgen . Soweit die Rechtsfolgeneiner eingetragenen Lebenspartnerschaft im Hinblick aufgewichtige Elemente der gegenseitigen Verantwortungund des gemeinsamen Einstehens füreinander wie Unter-halt, Hinterbliebenenversorgung, Steuerrecht, Erbrechtund Zeugnisverweigerungsrecht sich nicht von der Eheunterscheiden, liegt keine rechtliche Diskriminierungvor . Es ist vielmehr festzuhalten: Dieser Bundestag hatzuletzt durch die Änderung von 27 Gesetzen im Hinblickauf den Gleichheitsgrundsatz Lebenspartnerschaften inder rechtlichen Wirkung der Ehe gleichgestellt .
Ich möchte dennoch den Umstand nicht verschwei-gen,
dass die unterschiedlichen Bezeichnungen – hier Ehe,dort Lebenspartnerschaft, hier verheiratet, dort verpart-nert – Diskussionen und ehrlich empfundene Wünscheaußerhalb der rechtlichen Sphäre nach einer einheitli-chen Sprache auslösen . Bereits jetzt sind im allgemeinenSprachgebrauch und damit in der Lebenswirklichkeit dieBegriffe „verheiratet“ oder „Hochzeit“ längst Standardgeworden, und zwar unabhängig von der Frage, ob diePartner verschieden- oder gleichgeschlechtlich sind .Viele gleichgeschlechtliche Paare sind zu Recht stolzauf ihre Lebenspartnerschaft . Ich kann aber sehr gutnachempfinden, dass nicht wenige Lebenspartner sehrungern auf Formularen oder im allgemeinen Sprachge-brauch „verpartnert“ angeben wollen . Die Angabe desFamilienstands dient dazu, nach außen kundzutun, obund in welcher Verantwortungsgemeinschaft jemandsteht . Die Preisgabe der sexuellen Orientierung kann unddarf damit aber nicht gemeint sein, sie spielt für diesenInformationszweck auch keine Rolle .Ich verstehe den Umstand und den Wunsch, dass vie-le Lebenspartner ihrer gegenseitigen Verantwortung undihren gemeinsamen Werten einen besonderen Rahmengeben wollen . Das führt uns zum eigentlichen Kern die-ser Debatte, der folgende Frage zugrunde liegt: Kann derGesetzgeber durch einfachgesetzliche Änderungen imbürgerlichen Recht die Ehe für Personen gleichen Ge-schlechts einführen, oder bedarf es dazu einer Grundge-setzänderung?
Dieser Frage müssen wir uns sehr sorgfältig widmen;
denn selbst gut- und wohlgemeinte Anliegen sollten unsnicht dazu verleiten, bei verfassungsrechtlichen Fragendie gebotene Sorgfalt und die richtige Einschätzung au-ßer Acht zu lassen .
Artikel 6 Grundgesetz stellt Ehe und Familie unter denbesonderen Schutz des Staates .
Der Ehebegriff ist nicht definiert und deswegen zwingenddurch die ständige Rechtsprechung des Verfassungsge-richts zu erschließen . Ehe ist danach die auf Dauer an-gelegte, auf freiem Entschluss und Gleichberechtigungberuhende, geschlossene Lebensgemeinschaft zwischenMann und Frau . Das Verfassungsgericht sieht bis heute –letztes Urteil 2013 – die Ehe in ständiger Rechtsprechungals Institut der Verbindung zwischen Mann und Frau an .Auch der Gesetzgeber des Jahres 2001 hat daran nichtsgeändert . Ob man diese verfassungsrechtliche Situationfür politisch richtig oder falsch hält, als gut oder schlechtempfindet, das muss jeder für sich selbst entscheiden.
Es ändert nichts daran, dass der Bundestag beim weiterenVorgehen diese Lage zwingend zu berücksichtigen hat .
Auch die jüngeren Urteile können an dieser Situationnichts ändern . Die verfassungsrechtliche Begründung fürdie im Ergebnis richtige Gleichstellung war nicht die Be-rufung auf Ehe und Familie,
Dr. Volker Ullrich
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 155 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 18 . Februar 201615280
(C)
(D)
sondern der Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz, derzu Recht gerügt worden ist .
Kein Mensch in einer Ehe hat weniger Rechte, weil Men-schen in einer eingetragenen Lebenspartnerschaft diegleichen Rechte besitzen .Ich fasse zusammen: Eine Öffnung des Instituts derEhe für gleichgeschlechtliche Paare unterliegt der Wer-tentscheidung des verfassungsgebenden Gesetzgebers .
Daher reicht eine einfachgesetzliche Änderung im BGBnicht aus .
Das müssen wir im Rahmen der Beratungen im Rechts-ausschuss beachten .
Wer das Institut der Ehe für gleichgeschlechtlichePaare öffnen möchte, muss das Grundgesetz ändern .
Deswegen, meine Damen und Herren und auch HerrKollege Brunner, sollten wir hier nicht von „Geiselhaft“oder „Politikpoker“ sprechen, sondern von Debattenbei-trägen, die sich an unserer Verfassung orientieren . Daswäre die richtige Tonlage gewesen .
Wir werden über diese Fragen sprechen müssen . Dasbenötigt Zeit und kluge Beratungen .
Ich will nicht verschweigen, dass es dazu in der Unionunterschiedliche Auffassungen gibt . Wir sollten abernicht den Fehler begehen,
dass jedem, der aus guten Gründen eine abweichendeMeinung vertritt, gleich ein Diskriminierungswille un-terstellt wird .
Das wäre nicht fair und würde die Fronten verhärten .Meine Damen und Herren, Ehe und Familie, auch undgerade Familien mit Kindern, sind der Kernbereich dersozialen Sphäre der Menschen . Debatten darüber dürfennicht verletzen oder ausgrenzen oder Gruppen gegenei-nander ausspielen, sondern sie müssen die Menschen zu-sammenführen und einen .
Das ist unser Ansatz bei der Debatte .Herzlichen Dank .
Vielen Dank . – Als nächster Redner hat Johannes
Kahrs von der SPD-Fraktion das Wort .
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen undKollegen! Wir haben jetzt zwei Rednern der Union lau-schen dürfen, die hier nur herumgeeiert haben .
Im Kern ist die Sachlage doch klar: Rot-Grün hat dasLebenspartnerschaftsgesetz vor 15 Jahren beschlossen .
Geschrieben hat es Margot von Renesse . Wir alle wollenes . Die CDU ist im Bundesrat dagegen zu Felde gezogen .Die CDU ist zum Bundesverfassungsgericht gezogen .Am Ende hat die CDU/CSU-Fraktion nie freiwillig mit-gestimmt . Wenn sie mitgestimmt hat, wurde sie genötigt .
Freiwillig war das alles nie .
Wenn überhaupt etwas stattgefunden hat, hat es stattge-funden, weil entweder Rot-Grün irgendetwas beschlos-sen hat oder weil tapfere Bürgerinnen und Bürger diesesLandes vor das Verfassungsgericht gezogen sind undRecht bekommen haben . Das waren die beiden Motorendieser ganzen Veranstaltung .
Weiterhin ist es so, dass es natürlich ganz wunderbarist, dass die Kollegen von der Union – ich muss es fastablesen – noch Zeit brauchen, um die Meinungsbildungin der Union voranzutreiben, und Beratungsbedarf haben .Ernsthaft: Ich bin seit 1998 im Deutschen Bundestag,
und seit 1998 denkt die Union nach . Wenn das das Tempoist, in dem Sie zu Ihrer Meinungsbildung kommen, wennDr. Volker Ullrich
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 155 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 18 . Februar 2016 15281
(C)
(D)
das das Tempo ist, in dem Sie nachdenken, wundert michüberhaupt nichts mehr in diesem Land .
Dass Sie sich nicht einigen können, erklärt dann nämlich,warum wir in ganz vielen Punkten nicht vorwärtskom-men . Ich will ja gar nicht auf den Streit in der Koaliti-on in den letzten Wochen zu sprechen kommen . Es istja nicht so, dass sich CDU, CSU und SPD streiten . Dastreiten sich CDU und CSU, dann streitet man sich in derCDU wie die Kesselflicker. Dagegen sind wir ein Hortder Stabilität .
Wenn man sich Ihre Leistung in dieser Frage anschaut,dann kann man sie doch gar nicht anders als blamabelfinden.Und jetzt: Familien mit Kindern, Leute, die anständigverheiratet sind – das will niemand niemandem nehmen,weil wir alle aus solchen Familien gekommen sind, weiles auch vollkommen in Ordnung ist und niemand einProblem damit hat –, als Grund dafür anzuführen, dassandere, die auch füreinander einstehen, nicht heiratenkönnen sollen, grenzt ans Absurde .
Mit Ihrem Herumgeschwurbel, das man sich ja hieranschauen kann, liebe Kolleginnen und Kollegen, kom-men Sie nicht weiter . Nachdem das schon 15 Jahre dauertund Sie jetzt noch mehr Zeit brauchen, sage ich Ihnenganz einfach: Ich habe die Schnauze voll, und zwar bishier .
Ich habe diese Rede in unterschiedlichen Varianten zweioder drei Dutzend Male gehalten . Ich musste mir jedesMal von unterschiedlichsten Rednerinnen und Rednernder Union anhören, warum Sie gerade nervlich dazunicht in der Lage sind,
warum Sie noch nachdenken müssen, warum Sie nocheinen Volkshochschulkurs brauchen, warum Sie noch einbisschen Nachhilfe in Rechtsfragen brauchen . Ich weißnicht, was Sie noch alles brauchen . Sie können von unsgern verfassungsrechtliche Gutachten haben . Die Fried-rich-Ebert-Stiftung ist gern bereit, Ihnen dazu etwas zuübersenden. Selbst das Porto würde ich noch selbst fi-nanzieren . Im Ergebnis kann all das doch nicht angehen .Ich finde, das muss in dieser Legislaturperiode been-det werden . Ich bin der Opposition, den Linken und denGrünen, wirklich dankbar, dass sie das Thema immerwieder aufs Tapet bringt .
Denn dann darf ich diese Rede immer wieder halten .Im Kern ist es ja so, dass CDU und CSU – ich binHaushälter – immer gern von der schwarzen Null reden .In diesem Punkt stimmt das mal .
Da sitzen nämlich jede Menge von der Sorte .
Es reicht . Ich habe einfach keine Lust mehr . Ich ver-spreche Ihnen eines: Wenn das Thema hier im DeutschenBundestag noch einmal aufkommt, dann werden wir inder SPD-Fraktion darüber abstimmen, wie wir hier ab-stimmen .
Und ich sage Ihnen: In der SPD-Fraktion werden wir,glaube ich, eine Mehrheit haben .
Entweder Sie raffen sich jetzt mal auf und kriegen es hin,dass die Abstimmung geöffnet wird, oder Sie werden hierim Deutschen Bundestag eine Abstimmungsniederlageerleiden! Und die wäre auch verdient!Vielen Dank .
Vielen Dank . – Als letzte Rednerin hat Petra Ro-
de-Bosse von der SPD-Fraktion das Wort .
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnenund Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren!Menschen – es geht um Menschen! Was verbinden siemit dem Begriff der Ehe? Die meisten denken sicher anMenschen, die füreinander da sind, die füreinander sor-gen, die sich wertschätzen, die füreinander Verantwor-tung tragen, die sich mit großer Zuneigung begegnen,die sich lieben . Sicherlich könnte man noch vieles Wei-tere ausführen, doch diese wenigen Worte sind schon einwichtiger Beleg dafür, dass Ehe und Familie zu Rechtden besonderen Schutz unseres Grundgesetzes genießen .Im Grundgesetz steht auch, dass alle Menschen gleichsind und niemand benachteiligt werden darf . Das tun wirJohannes Kahrs
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 155 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 18 . Februar 201615282
(C)
(D)
aber, wenn wir gleichgeschlechtlichen Paaren immerwieder sagen: Ihr seid nicht gleichberechtigt . Wir erken-nen eure Liebe nicht als gleichwertig an . – Im Grundge-setz wird übrigens nicht näher aufgeführt, dass die Eheausschließlich Paaren aus Frau und Mann vorbehaltenist . Lassen Sie uns doch davon ausgehen, wie weitsich-tig die Mütter und Väter des Grundgesetzes waren, alssie bewiesen haben, dass sie gesellschaftlichen Wandeleinschließen . Das Grundgesetz ist offen für die norma-tive Kraft des Faktischen, oder, um es einfacher auszu-drücken, das Grundgesetz ist offen für gesellschaftlicheVeränderungen .Seien wir doch ehrlich: Die Gesellschaft hat sich ver-ändert . Die Lebenswirklichkeit ist längst eine andere alsjene, die sich bei uns in zwei Gesetzen wiederfindet –zwei Gesetze und damit zwei verschiedene Modelle: ein-mal die Ehe und einmal die eingetragene Lebenspartner-schaft. Das ist vollkommen überflüssig. Es erleidet dochniemand einen Nachteil, wenn auch Männer Männer undFrauen Frauen heiraten dürfen .
Die diffuse Angst vor der Ehe für gleichgeschlechtli-che Paare ist völlig unbegründet . Wir sollten uns endlichtrauen, mit der Gesellschaft Schritt zu halten . Die Politikdarf nicht länger der Realität hinterherhinken .
20 Staaten weltweit haben das bereits anerkannt . Auchbei uns in Europa haben schon 12 Länder die Ehe fürgleichgeschlechtliche Paare ermöglicht und sich dafürgeöffnet . Und, meine sehr verehrten Damen und Herren,diese Länder werden nicht nur von Sozialdemokraten,Grünen und Linken regiert . Die Ehe auch für gleichge-schlechtliche Paare ist ein internationales Symbol fürWeltoffenheit, für Freiheit, für Gerechtigkeit und Gleich-berechtigung .
Häufig wird Deutschland – und das völlig zu Recht – alsWegbereiter für genau diese Werte angesehen . Doch beider Öffnung der Ehe für gleichgeschlechtliche Paare ha-ben wir eindeutig Nachholbedarf .Überholte Konventionen und überkommene Vorstel-lungen von Partnerschaft und Ehe dürfen nicht entschei-dend sein . Der Mensch ist entscheidend . Der Menschmuss im Mittelpunkt stehen .Danke sehr .
Ganz herzlichen Dank und gleichzeitig auch Gratula-
tion zu Ihrer ersten Rede, Frau Rode-Bosse .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich schließe die
Aussprache und rufe den Tagesordnungspunkt 9 auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung einge-
brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neurege-
lung des Kulturgutschutzrechts
Drucksache 18/7456
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Kultur und Medien
Innenausschuss
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Finanzausschuss
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenab-
schätzung
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 38 Minuten vorgesehen . – Ich höre dazu
keinen Widerspruch . Dann ist das so beschlossen, und
wir können die Aussprache beginnen .
Wenn Sie bitte zügig die Plätze einnehmen würden . –
Darf ich auch die Kollegen von der CDU/CSU bitten,
ihre Plätze einzunehmen,
und die von der SPD auch?
Als erste Rednerin in der Debatte hat die Staatsminis-
terin Monika Grütters für die Bundesregierung das Wort .
M
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen undHerren Kolleginnen und Kollegen! Zu unserem Selbst-verständnis als Kulturnation gehört zuerst einmal derKonsens, dass Kunst, dass Kulturgut keine Ware wie jedeandere ist und auch keine Geldanlage wie jede andere;denn Kulturgüter sind zunächst einmal Spiegel unsererGeschichte und unserer Identität .Der Regierungsentwurf zur Novellierung des Kul-turgutschutzgesetzes, den wir heute in den Bundestageinbringen, ist Teil einer historischen Entwicklung, diein manch hitziger Debatte der vergangenen Monate einwenig aus dem Blickfeld geraten ist . Die erste rechtli-che Regelung des Kulturgutschutzes – ich glaube, dasses ganz wichtig ist, diesen Kontext herzustellen –, eine,wie es damals hieß, „Verordnung über die Ausfuhr vonKunstwerken“ aus dem Jahr 1919, war der bitteren Erfah-rung von Plünderungen ungeheuren Ausmaßes im ErstenWeltkrieg in Deutschland und Europa sowie dann auchdes drohenden Ausverkaufs deutschen Kulturbesitzes ge-schuldet . Auf den Zweiten Weltkrieg, also auf wirklichleidvolle Erfahrungen auch mit Raub- und Beutekunsthier bei uns, wenn auch selbstverschuldet, folgte dasKulturgutschutzgesetz von 1955, das national wertvollesKulturgut seitdem durch die Eintragung in Verzeichnisseder Länder vor Abwanderung schützt und das wir heute,also ziemlich genau 60 Jahre danach, novellieren wollen .Zwischenzeitlich, nämlich mit der UNESCO-Kon-vention zum Kulturgutschutz aus dem Jahr 1970, istebendieses Thema auch international auf die Tagesord-nung gekommen . Ausgerechnet Deutschland hat diePetra Rode-Bosse
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 155 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 18 . Februar 2016 15283
(C)
(D)
UNESCO-Konvention aber erst mit 37-jähriger Verspä-tung ratifiziert. Die EU wiederum hat 1992 ihrerseits ent-sprechende Bestimmungen eingeführt . Auch da sind wirals eines der letzten von 28 Ländern wieder einmal mitdeutlicher Verzögerung am Werk .Trotz unserer eigenen – teilweise selbstverschulde-ten – Erfahrung mit dem Verlust von Kulturgut und trotzunserer auch historisch begründeten Verantwortung fürden Schutz des kulturellen Erbes – nicht nur unsereseigenen, sondern auch des fremden – fristet der Kultur-gutschutz bei uns, in der viel gerühmten KulturnationDeutschland, seit Jahrzehnten eher ein Schattendasein,meine Damen und Herren . Deutschland hinkt der euro-päischen und der internationalen Entwicklung nach wievor hinterher .Zwar haben sich viele Regelungen zum Kulturgut-schutz bewährt, zum Beispiel dass wir zur Identifizie-rung dessen, was wir national wertvoll finden, Sachver-ständige befragen und dies nicht der Politik überlassen .Andere Regelungen der jetzigen Gesetzeslage haben sichaber nicht bewährt, zum Beispiel diejenigen zur Einfuhrvon Kulturgütern aus Kriegs- und Krisenregionen . Dabeigeht es etwa um den Handel mit antiken Kulturgütern .Indem wir die Einfuhr unterbinden, wollen wir ja versu-chen, tatsächlich auch organisierte Kriminalität zu ver-hindern . Diese Regelungen haben sich, wie gesagt, nichtbewährt . Deshalb haben sich die Parteien, auch aufgrundeines Evaluierungsberichts der Bundesregierung aus demJahr 2013, im Koalitionsvertrag darauf verständigt, denKulturgutschutz in Deutschland zu novellieren . Das mussim Rahmen eines Gesetzes geschehen, das einer Kultur-nation würdig ist, und zwar, wie ich meine, in zweierleiHinsicht:Erstens bei der Einfuhr . Deutschland muss endlich sei-nen Beitrag zur Eindämmung des illegalen Handels mitKulturgütern leisten . Hier geht es um nicht weniger alsum den Schutz des internationalen, des weltweiten kultu-rellen Erbes der Menschheit .Zweitens bei der Ausfuhr, also beim Schutz unsereseigenen kulturellen Erbes . In den wenigen Ausnahme-fällen, in denen Kulturgüter als emblematisch für unsereGeschichte und Identität gelten und anerkannt werden,muss es auch bei uns möglich sein, diese wenigen Stückehier auch künftig vor Abwanderung ins Ausland und vorZerstörung zu schützen .In diesen wenigen Fällen kann es natürlich zu Konflik-ten kommen: zwischen legitimen privaten Eigentümerin-teressen, zum Beispiel dem Interesse nach möglichsthohen Verkaufspreisen, und einem dem möglicherweiseentgegenstehenden öffentlichen Interesse an der Bewah-rung des besonderen Werts eines Werks für Deutschland .Hier müssen wir fair und angemessen verhandeln . Dasist uns – auch diese Erinnerung möchte ich hier nocheinmal ganz deutlich formulieren – in den vergangenen60 Jahren, seit wir das Gesetz haben, fast ausnahmsloskonfliktfrei gelungen. Es gab in den vergangenen Jahrenso gut wie keinen nennenswerten Streit über solche Fälle .Deshalb glaube ich und bin sehr zuversichtlich, dass wirdas mit den Regelungen im vorliegenden Gesetzentwurfauch künftig hinbekommen, zumal Museen und privateEigentümer und Sammler in vielerlei Hinsicht deutlichbessergestellt werden als nach der jetzigen Regelung .Die Unterstützung für die Gesetzesnovelle ist dennauch viel breiter, als manche schrille Stimme in der De-batte der letzten Wochen es vermuten lässt . Ich bedan-ke mich insbesondere beim Deutschen Kulturrat, beimDeutschen Museumsbund, beim Internationalen Muse-umsrat, beim Bundesverband Bildender Künstlerinnernund Künstler, beim Deutschen Künstlerbund, beim Bun-desverband der Fördervereine Deutscher Museen fürbildende Kunst; darin vertreten sind sehr viele Sammler,Leihgeber und Eigentümer sowie Vertreter von Samm-lern . Zu den Unterstützern gehören auch die 18 Staa-ten, deren Botschafter sich bei mir ausdrücklich für denjetzigen Gesetzentwurf bedankt haben – aus Süd- undMittelamerika sind sie gesammelt bei mir erschienen,andere, aus dem Mittleren und Nahen Osten, kamen ein-zeln –, und nicht zuletzt auch die Kulturminister unserer16 Bundesländer . Der Bundesrat hat die Zustimmungdieser Kulturminister in seiner Stellungnahme im De-zember bekräftigt .Kunst- und Kulturgüter, liebe Kolleginnen und Kol-legen, haben nicht nur einen Preis, sondern vor allenDingen einen Wert . Diese Überzeugung trägt den Ge-setzentwurf der Bundesregierung zur Novellierung desKulturgutschutzrechts . In diesem Sinne bitte ich Sie umIhre Zustimmung .Vielen Dank .
Vielen Dank . – Als nächste Rednerin hat Sigrid
Hupach von der Fraktion Die Linke das Wort .
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren!Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die UNESCO-Kon-vention von 1970 gegen die rechtswidrige Einfuhr, Aus-fuhr oder Übereignung von Kulturgut endlich in wirksa-mes nationales Recht umzusetzen, ist längst überfällig .Deshalb unterstützt meine Fraktion dieses Anliegen desvorliegenden Gesetzentwurfes .Das Kulturgüterrückgabegesetz von 2007 hat sich,wie von der Linken bei seiner Einführung übrigens schonbefürchtet und wie von Bund und Ländern im Evaluati-onsbericht von 2013 einhellig festgestellt, als wirkungs-los erwiesen . Die erdrückenden Bilder der barbarischenKulturzerstörungen in Mosul, Hatra, Nimrud und Palmy-ra machen mehr als deutlich, dass sich auch Deutschlandendlich darum kümmern muss, den illegalen Handel mitRaubkunst und Artefakten aus archäologischen Raubgra-bungen zu verhindern bzw . wenigstens zu erschweren .
Jedoch – das muss man auch sagen – sind es nichtnur Terrormilizen, die sich dieser Finanzierungsquellebedienen . Viele Menschen treibt die blanke Not dazu .Staatsministerin Monika Grütters
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 155 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 18 . Februar 201615284
(C)
(D)
Auch dagegen muss und dagegen kann man etwas tun:mit humanitärer Hilfe, mit solidarischer Entwicklungs-zusammenarbeit und mit Programmen für Wissenstrans-fer, Ausbildung und Forschung .
Für Letzteres gibt es bereits gute Projektansätze desDeutschen Archäologischen Instituts und des Museumsfür Islamische Kunst mit Partnern vor Ort . Sie sollten inder ganzen Diskussion um den Schutz des gemeinsamenkulturellen Erbes nicht vergessen werden und ihre Finan-zierung gesichert werden .Ausdrücklich unterstützen wir das Vorhaben, die Be-stände öffentlicher Museen und Sammlungen generellunter Schutz zu stellen . Dafür hatte sich schon die En-quete-Kommission „Kultur in Deutschland“ in ihremSchlussbericht aus dem Jahre 2007 ausgesprochen .Als öffentliche Bildungseinrichtungen müssen dieMuseen aber auch vor allem finanziell gestärkt werden:mit mehr Fachpersonal, mit höheren bzw . überhaupt mitAnkaufetats, mit mehr Mitteln für den Erhalt und diePflege ihrer Bestände, mit einer abgestimmten Strategiefür die Digitalisierung oder auch mit Optionen auf freienEintritt .
Um an dieser Stelle nicht missverstanden zu werden,sage ich es deutlich: Der Kunsthandel ist natürlich einwichtiges Moment für die Kunst- und Kulturentwick-lung . Die öffentlich inszenierte Empörung über denstaatlichen Eingriff ins Eigentum oder das Reden vomEnde des Kunsthandelsstandortes Deutschland sind aberunangebracht . Sie verdeutlichen eher, dass der Gesetz-entwurf offenbar an der richtigen Stelle ansetzt .Wir begrüßen ausdrücklich, dass der Gesetzentwurfklar regelt, dass NS-verfolgungsbedingt entzogenes Kul-turgut bei der Restitution von allen Ausfuhrbeschränkun-gen ausgenommen ist .
Das ist deswegen enorm wichtig, da nicht nur wir hoffen,dass die angekündigte verstärkte Provenienzforschungund der seit langem versprochene Gesetzentwurf zurerleichterten Rückgabe von NS-Raubkunst aus privatenSammlungen endlich zu mehr „fairen und gerechten Lö-sungen“ führen wird und es zukünftig mehr Rückgabenan die Opfer von Kunstraub bzw . ihre Erben geben wird .
Es ist Zeit, dass nun endlich auch die parlamentarischeDebatte zu diesem wichtigen Gesetzesvorhaben beginnt:mit einem eigenen Anhörungsverfahren, bei dem alleberechtigten Interessen gehört werden sollten, vor allemdiejenigen, die bisher nicht ausreichend einbezogen wur-den .Bei einzelnen Fragen sehen wir noch Änderungs- undKlärungsbedarf . So müssen manche Begriffe geschärftwerden . Und der Geltungsrahmen einzelner Regelungenmuss noch klarer gefasst werden . Dies gilt vornehmlichfür die naturwissenschaftlichen Museen und Sammlun-gen und die dazugehörige Forschung . Uns ist hierbeiwichtig, dass die Formulierungen klar und deutlich imGesetz selbst stehen und nicht in einzelnen Hintergrund-papieren, wie zum Beispiel in dem zur Paläontologie,die nicht rechtsverbindlich sind . Insofern begrüßen wirausdrücklich, dass viele der ursprünglich geplanten Ver-ordnungsermächtigungen aus dem Entwurf genommenwurden .Beim Kulturgutschutz geht es um das kulturelle Erbevon uns allen, und da sollten wir Abgeordnete auch mit-reden dürfen . Wichtig ist für uns daher auch, dass dieSachverständigenausschüsse in den Ländern ihre Ent-scheidungen transparent machen und dass das Gesetznach fünf Jahren auf seine Wirksamkeit evaluiert wird .Wir sollten uns außerdem nicht davor scheuen, öffent-lich die Frage zu diskutieren: Was ist für uns, für unsereGesellschaft eigentlich wertvolles, identitätsstiftendesKulturgut? Dazu gehört auch, sich über die Verpflich-tungen zu verständigen, die sich aus dieser Klassifizie-rung ergeben . Es geht dabei ja nicht nur um ein Etikett,sondern um den Erhalt, die Pflege und die öffentlicheZugänglichmachung . Diese Diskussion muss eigentlichauch vor dem Hintergrund europäischer und globalerZusammenhänge geführt werden: hier im Bundestag undvor allem mit den Bürgerinnen und Bürgern .In diesem Sinne werden wir uns gern in die Debat-te einbringen und vor allem darauf achten, dass wir amEnde ein wirklich wirksames Gesetz zum Kulturgut-schutz erhalten werden und kein entschärftes wie 2007 .Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit .
Vielen Dank . – Als nächster Redner spricht Siegmund
Ehrmann von der SPD-Fraktion .
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen undHerren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Zustan-dekommen des Gesetzentwurfes ist von einer erbittertenDebatte begleitet gewesen: „Kalte Enteignung“, „Zer-störung des Kunstmarktes“, gar „Renationalisierung derKulturpolitik“ sind einige Begriffe, die mir noch in denOhren klingen . Auch gab es drängende Fragen, die Zwei-fel säen sollten: Welche Kulturgüter werden durch dasGesetz vor welchen Gefahren geschützt? Welche kultur-politischen Ziele werden damit verfolgt? Und werden sietatsächlich verwirklicht?Der im Koalitionsvertrag verabredete Ansatz ist rich-tig . Nach der Evaluation, die Mängel aufgezeigt hat, istes gut, dass wir vereinbart haben, drei geltende Gesetzein einem guten Gesetz zusammenzufassen: das bisherigeKulturgutschutzgesetz, das Kulturgüterrückgabegesetzund das Umsetzungsgesetz der Haager Konvention zumSchutz von Kulturgut bei bewaffneten Konflikten.Sigrid Hupach
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 155 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 18 . Februar 2016 15285
(C)
(D)
Die Debatte selbst wiederum löst bei mir Bilder aus,mit denen ich auch eine Begleitmusik verinnerlichthabe . Ich erinnere an die Bilder von den Plünderungenarchäologischer Stätten im Nahen Osten, auf der Arabi-schen Halbinsel, aber auch an den illegalen Handel mitAntiken . Damit verbunden sind oftmals die ins Leerelaufenden Aktivitäten der Strafverfolgungsbehörden . Einanderes Bild ist aber zum Beispiel die Entscheidung vonHerrn Baselitz, seine Werke aus Wut über das geplanteGesetz aus Museen abzuziehen . All das schwingt mit .Worum geht es im Kern? Ein Blick in die Geschichte:Die Frage des Schutzes national wertvollen Kunstbesit-zes in unserem Land stellte sich – Frau Staatsministerinhat darauf hingewiesen – in einer neuen Qualität erstmalsunmittelbar nach dem Ende des Ersten Weltkrieges beimÜbergang von der konstitutionellen Monarchie zu einerparlamentarischen Demokratie . Der Weimarer Reichs-tag erkannte, dass die durch das Adelsrecht definiertenBindungen des Besitzes entfallen und damit die Gefahrbesteht, dass Kunstwerke, Sammlungen und Bibliothe-ken veräußert würden, deren Verlust unersetzbar seinwürde . So ist im Mai 1920 tatsächlich eine Verordnungbeschlossen worden, nach der Gegenstände, die einengeschichtlichen Wert haben, nur mit staatlicher Geneh-migung veräußert, verpfändet, wesentlich verändert oderausgeführt werden dürfen .Bereits Anfang der 20er-Jahre wurde die Inventarisie-rung hervorragender Kunstgegenstände vorgeschlagen,deren Ausfuhr einer besonderen Genehmigung bedurfte .Professor Dube, der im letzten Jahrhundert, von 1983 bis1999, Generaldirektor der Staatlichen Museen zu Berlinwar, hat das herausgearbeitet, und das beschreibt, wie ichfinde, sehr gut den eigentlichen Schutzzweck:Damals wie heute ist unbestritten, daß Gesellschaf-ten Anspruch auf ihr Patrimonium– also ihr kulturelles Erbe –geltend machen dürfen . Die Bewahrung histori-scher, geistesgeschichtlicher und künstlerisch wich-tiger Güter ist deswegen unverzichtbar, weil sichnur in ihnen die historische Erinnerung … anschau-lich manifestieren lässt . …Dem steht nicht entgegen– so Dube –die Überzeugung, daß die Kultur des ganzen Erd-kreises allen Menschen zu eigen ist . … Staaten ha-ben nicht allein deswegen Anspruch auf Güter dermateriellen Kultur, weil diese innerhalb eines be-stimmten Territoriums entstanden sind .Damit wird auch ein Spannungsverhältnis deutlich .Diese Grundgedanken nahm der Deutsche Bundes-tag 1955 im Kulturgutschutzgesetz auf, modifiziertemanches Detail . Aber der Grundgedanke, der Anfangder 20er-Jahre festgeschrieben wurde, ist aufgegriffenworden . Er kam ins Wanken, als 1993 der europäischeBinnenmarkt eingeführt wurde und deshalb der Exportvon Kunstgütern im innereuropäischen Markt nicht mehrder Genehmigung unterlag . Die anderen europäischenStaaten bis auf die Niederlande und Deutschland habendarauf reagiert . Diese Schutzlücke schließen wir jetzt mitdieser Gesetzesinitiative .Ich will nicht verhehlen, dass es ein gewisses Span-nungsverhältnis zwischen den einzelstaatlichen Bemü-hungen, national wertvolles Kulturgut zu schützen, undder Idee eines gemeinsamen Kulturerbes der Menschheitgibt, das sorgfältig ausbalanciert werden will . Gleich-wohl stelle ich ausdrücklich fest: Es geht nicht um einenrückwärtsgewandten Kulturgutschutz . Der Vorwurf, derGesetzentwurf würde in einem Europa der kulturellenVielfalt „Kulturgut ohne Migrationshintergrund“ dekla-rieren, geht fehl . Im Gegenteil: Es geht um das originäreRecht der Staaten, das kulturelle Erbe zu bewahren, zudem uns im Übrigen auch die UNESCO-Konvention zurkulturellen Vielfalt verpflichtet.Zum zweiten Themenkomplex, zum Kulturgutrück-gaberecht und zum illegalen Kunsthandel: Nach Schät-zungen der UNESCO und des Büros der Vereinten Na-tionen für Drogen- und Verbrechensbekämpfung liegendie Umsätze des Antikenhandels jährlich bei geschätzten6 Milliarden bis 8 Milliarden US-Dollar . Es handelt sichum ein weites Feld organisierter Kriminalität und Terror-finanzierung.Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen undKollegen, ich will ausdrücklich klarstellen, dass es mirfernliegt, ehrbare Antikenhändler zu diffamieren oderzu stigmatisieren . Aber auch diesen muss daran gelegensein, mit Objekten zu handeln, die zweifelsfreier Pro-venienz sind . Deshalb sind die im Entwurf gefordertenSorgfaltspflichten unabdingbar; möglicherweise müssensie im Detail sogar noch verschärft werden .Wenn Sie sich mit den Spezialisten von BKA undLKA unterhalten, erfahren Sie, wie oft sie dringendTatverdächtige laufen lassen müssen, weil nicht belegtwerden kann, dass wissentlich mit Hehlerware gehandeltwurde . Hier müssen wir als Gesetzgeber wirksamere In-strumente für die Prävention, die Strafverfolgung, aberauch die Rückgabe an die Herkunftsstaaten schaffen .Diesem Anspruch trägt das Gesetz mit den Regelungenüber die Sorgfaltspflichten im Wesentlichen Rechnung.Liebe Kolleginnen und Kollegen, im Rahmen derAusschussberatungen werden wir uns intensiv mit kri-tischen Einwänden auseinandersetzen müssen . Wir sindals SPD-Fraktion in intensiven Gesprächen mit diversenAkteuren und haben dazu auch schon ein Fachgesprächdurchgeführt .Vor wenigen Tagen hat das Aktionsbündnis Kulturgut-schutz einen Forderungskatalog unterbreitet . Auch mitdiesen Argumenten müssen wir uns im Fachausschussintensiv auseinandersetzen . Das schließt nach meinerÜberzeugung auch ein, dass wir uns mit dem Für undWider eines Vorkaufsrechts nach britischem Vorbild aus-einandersetzen müssen . Es ist nicht zu verkennen, dassdie Unterschutzstellung eines Kulturgegenstandes einenEingriff in das Eigentumsrecht darstellt, der nach höchst-richterlicher Rechtsprechung aber sehr wohl mit Arti-kel 14 des Grundgesetzes im Einklang steht . Gleichwohlwird die Frage, ob der Ausgleich reicht, zu klären sein .Siegmund Ehrmann
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 155 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 18 . Februar 201615286
(C)
(D)
Ich bin sicher, dass wir am Ende des Gesetzgebungs-verfahrens einen überzeugenden Rechtsrahmen geschaf-fen haben, der in eine gute Zukunft führt .Herzlichen Dank .
Vielen Dank . – Als nächste Rednerin hat Ulle Schauws
von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort .
Vielen Dank, Frau Präsidentin . – Sehr geehrte Kol-leginnen und Kollegen! Seit letztem Sommer begleitetuns nun die öffentliche Debatte über die Novellierungdes Kulturschutzgesetzes . Diese Novellierung war kei-ne Idee der Bundesregierung . Sie ist notwendig, weildie EU-Richtlinie zum Kulturschutz umgesetzt werdenmuss .Leider ist die Bundesregierung diese Aufgabe allesandere als professionell angegangen .
Durch diffuse Kommunikation und einen angeblich un-autorisierten Referentenentwurf ist viel Verunsicherungunter Kunsthändlerinnen und Kunsthändlern, Sammle-rinnen und Sammlern sowie Künstlerinnen und Künst-lern entstanden . So übertrieben die Ängste mitunter ge-wesen sind, Sie, Frau Kulturstaatsministerin, waren ander aufgeheizten und feindseligen öffentlichen Debattealles andere als unschuldig .
Mit Verlaub, wie Sie den Gesetzentwurf kommuni-ziert haben, war unprofessionell und unbedacht . Wir hät-ten uns bei einem solch wichtigen Gesetz auf jeden Fallmehr Weitblick und vor allen Dingen handwerkliche Pro-fessionalität gewünscht . Dann wäre auch Ihnen einigeserspart geblieben, und es hätte sich nicht dieses generel-le Misstrauen unter Händlern und Sammlern gegenüberder Politik ausbreiten können . Man muss klar sagen: Daswirre Vorgehen des BKM hat das Ansehen der Politik be-schädigt . Die Menschen dachten: Die wissen nicht, wassie tun . – Das ist ärgerlich .Jetzt liegt uns also nach langem Hin und Her und derversuchten Schadensbegrenzung durch Ihr Haus ein rich-tiger Gesetzentwurf vor . Wir haben endlich eine seriö-se Diskussionsgrundlage . Es wurde höchste Zeit dafür .Es steht viel Richtiges und Vernünftiges darin; das willich überhaupt nicht bestreiten . Die vorgesehenen Rege-lungen sorgen für mehr Rechtssicherheit und geben derPolitik Instrumente an die Hand, um Kulturgut wirksamzu schützen .Dennoch muss man feststellen, dass das, worum esim Kern geht, also um „national wertvolles Kulturgut“,unbestimmt bleibt . Es fehlt eine befriedigende und aus-reichende Definition. Gerade in Zeiten der Globalisie-rung versteht längst nicht jeder von selbst, was „nationalwertvolles Kulturgut“ bedeuten soll . In dieser zentralenFrage bleibt der Gesetzentwurf viele Antworten schuldig .Hier ist aus meiner Sicht noch viel öffentliche Debattenotwendig .
Denn es darf auf keinen Fall der Eindruck entstehen, alssei die Bestimmung, was national wertvoll ist, je nachFall Sache des Geschmacks der politisch Verantwortli-chen . Der Eindruck politischer Willkür wäre fatal .Ich fände es deshalb notwendig, dass hierzu ein runderTisch zur gemeinsamen Definition von national wertvol-lem Kulturgut geschaffen wird . Dort müssten dann nichtnur die Vertreterinnen und Vertreter von Bund und Län-dern, sondern auch ausgewiesene Kunstexpertinnen undKunstexperten sitzen . Im Rahmen des runden Tischessollte ein Kriterienkatalog erarbeitet werden, der dannals Handreichung den betroffenen Museen, Händlernund Sammlern zur Verfügung gestellt wird . So ließe sichTransparenz herstellen .
Die Sorgen, die in den letzten Monaten entstanden sind,könnten abgebaut werden . Daneben könnten die Ergeb-nisse dieses runden Tisches im Internet veröffentlichtwerden . Neues Vertrauen schaffen durch mehr Transpa-renz!Ein weiterer Punkt ist wichtig . Wir dürfen bei der gan-zen Diskussion über Ausfuhrgenehmigungen nicht ver-gessen, was die EU-Richtlinie ebenso verlangt, nämlichdass die Einfuhr und Rückgabe von Kulturgut in einemGesetz neu geregelt wird . Es ist allgemein bekannt, dassDeutschland wegen seiner laschen Gesetzgebung seitlangem ein Umschlagplatz für geraubte Kulturgüter ist .Hier lohnt es sich, genauer in den vorliegenden Gesetz-entwurf zu schauen .Ich muss leider sagen: Einiges ist noch immer zu laxund wird den Raubhandel mit archäologischen Kultur-gütern nicht effektiv und nachhaltig bekämpfen können .Sie alle werden sicherlich den Artikel „Scherbenhaufen“im aktuellen Spiegel gelesen haben . Darin äußern sicheinige Fachleute kritisch, weil der Gesetzentwurf keineklaren Herkunftsnachweise mehr vorsieht . Viele fragensich jetzt zu Recht, warum die Bedenken der Fachleu-te im Gesetzentwurf nicht berücksichtigt wurden, wa-rum hier nicht mehr Austausch zwischen Expertinnenund Experten sowie dem Ministerium stattgefunden hat .Da frage ich: Waren die Eingaben der Händlerlobby amEnde doch wichtiger?Ein weiteres Beispiel: Der Gesetzentwurf enthältSorgfaltspflichten für den gewerblichen Handel mit Kul-turgütern . Das ist grundsätzlich äußerst notwendig undbegrüßenswert, um den illegalen Handel endlich zu er-schweren. Diese Sorgfaltspflichten aber gleichzeitigmit weitreichenden Ausnahmen zu versehen, ist kontra-produktiv und praxisfern, und zwar aus dem einfachenGrund, dass beispielsweise eine Befreiung von der Sorg-faltspflicht für archäologisches Kulturgut unter 100 Eurodazu führen wird, dass archäologische Objekte zerstü-ckelt werden, um eingeführt zu werden . Das ist jetztSiegmund Ehrmann
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 155 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 18 . Februar 2016 15287
(C)
(D)
schon längst gängige Praxis, und es würde durch diesenGesetzentwurf weiter gefördert werden .Dieser kleine und unscheinbare, aber extrem folgen-reiche Punkt zeigt: Es gibt an diesem Gesetzentwurf nochviel zu tun . Wir werden uns als Opposition konstruktiv,aber weiter kritisch einbringen, damit es am Ende dochnoch ein gutes Schutzgesetz wird .Vielen Dank .
Vielen Dank . – Als nächster Redner hat Ansgar
Heveling von der CDU/CSU-Fraktion das Wort .
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!… durch die Natur gleichsam . . . abgeschieden, liegtsie unabhängig zwischen zwei mächtigen Reichen,dem römischen und parthischen, und wird bei je-dem Zwiste auf beiden Seiten zu gewinnen gesucht .Von der parthischen Stadt Seleucia am Tigris ist sie337 000 Schritte entfernt, von der nächsten KüsteSyriens aber 203 000; Damaskus liegt 27 000 Schrit-te näher .So beschreibt bereits Plinius der Ältere in seiner Natura-lis historia um circa 50 nach Christus – urheberrechtlichkorrekt sei darauf hingewiesen: hier in der Übersetzungvon Max Freiherr von Oppenheim – die Königin derWüste, die syrische Stadt Palmyra .Heute liegen nach der Besetzung durch die Terrormilizdes sogenannten IS im Mai 2015 weite Teile der Ausgra-bungsstätten von Palmyra, die zum UNESCO-Weltkul-turerbe zählen, in Schutt und Asche . Erst plünderten dieDschihadisten mehrere Mausoleen, dann enthauptetensie den Chef-Archäologen von Palmyra und zerbombtenschließlich das übriggebliebene Ruinengelände . So ge-schehen nicht nur in Syrien, sondern auch im Irak . Auchdie antiken Stätten Nimrud und Mosul seien an dieserStelle stellvertretend für den abscheulichen Raubzug desIS genannt .Die Ausbeutung und Zerstörung dieser bedeutendenKulturstätten, die Zeugnisse der Menschheitsgeschichtesind, ist nicht rein ideologischer Natur . Der illegale Han-del mit Raubkunst – überall hin und damit auch zu unsnach Deutschland – ist eines der lukrativen Geschäfte derTerrormiliz . Er ist nach dem Handel mit Drogen, Öl oderWaffen eine wichtige Einnahmequelle des IS .Deutschland steht hier gemeinsam mit der internati-onalen Staatengemeinschaft in der Verantwortung, denillegalen Handel mit Kulturgütern, insbesondere ausKriegs- und Krisengebieten, weiter zu bekämpfen und indiesem Fall international wertvolle Kulturgüter zu schüt-zen und für nachfolgende Generationen zu bewahren .
Im Einklang mit der UNESCO-Konvention von 1970tragen wir diesem Ziel mit den nun vorliegenden Ände-rungsvorschlägen zu Einfuhrbestimmungen und Sorg-faltspflichten ergänzend verstärkt Rechnung, reagierengleichzeitig auf den Bericht der Bundesregierung zumKulturgutschutz und setzen die EU-Richtlinie zur Rück-gabe von Kulturgutschutz vom Mai 2014 in geltendesRecht um .Über diese eine Säule oder Seite der Medaille der No-vellierung des Kulturgutschutzgesetzes – wie es im Be-richt der Bundesregierung geradezu allegorisch heißt –sind wir uns auch weitgehend einig, denke ich .Schwieriger wird es allerdings beim Betrachten derzweiten Seite der Medaille, namentlich dem Ausbau desSchutzes von deutschem Kulturgut vor Abwanderung .Diese zweite Säule des Gesetzentwurfs sorgt für großeUnruhe in der deutschen Kunstszene, wobei ich nichtglaube, dass man diese Unruhe der Kulturstaatsministe-rin anlasten kann . Denn es ist richtig, dass man, wennman einen Paradigmenwechsel vorhat, diesen auch zurDiskussion stellt. Und in dieser Diskussion befinden wiruns gerade . Das ist eigentlich ein politisch-parlamenta-risch normaler, richtiger und wichtiger Vorgang, und denwerden wir auch in den Beratungen im Parlament sicher-lich weiter aufgreifen .
Die Sorgen vor einer vermeintlichen Enteignung sindan manchen Stellen so groß gewesen, dass einzelne zeit-genössische Künstler bereits Dauerleihgaben an deutscheMuseen zurückgezogen haben . Auch wenn die Werkelebender Künstler von der Novellierung kaum betrof-fen sind – zum einen wird ihr Werk nicht von den neuenAusfuhrbestimmungen erfasst, und zum anderen ist einEintrag in das Verzeichnis national wertvollen Kulturgu-tes der Länder nur mit einer persönlichen Genehmigungmöglich –, zeigt dieser beispielhaft genannte Vorgang,dass noch erheblicher Klärungs-, aber auch Erklärungs-bedarf besteht und wir einiges in den kommenden Wo-chen im Deutschen Bundestag zu beraten haben, bevorwir das Gesetz verabschieden .Schon heute sind Ausfuhrregelungen im Kulturgut-schutzgesetz von 1955 für das Verbringen von Kultur-gütern ins außereuropäische Ausland geregelt . DieseBeschränkung auf Nicht-EU-Länder eröffnet ohne Fragedie Möglichkeit, Kulturgut ohne Ausfuhrgenehmigungerst ins europäische Ausland und von dort weiter ins au-ßereuropäische Ausland zu bringen, ohne dass die Frageder nationalen Bedeutung dann noch eine Rolle spielt .Zukünftig wollen wir, so wie es mittlerweile in fast allenEU-Staaten geregelt ist, Ausfuhrgenehmigungen auchfür den europäischen Binnenmarkt einführen und hierbeiinsgesamt das Kategorieprinzip anwenden, das – andersals das Listenprinzip – den rechtlichen Vorgaben andererEU-Mitgliedstaaten und der UNESCO-Vertragsstaatenentspricht .Dazu, wie wir das alles im Detail ausgestalten, wirdes noch intensive Beratungen im Bundestag geben, wo-bei deutlich festzuhalten ist: Beide Säulen, Ausfuhr- undUlle Schauws
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 155 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 18 . Februar 201615288
(C)
(D)
Einfuhrregelungen, werden und müssen sich im zukünf-tigen Kulturgutschutzgesetz wiederfinden.Wie so oft das Wichtigste zum Schluss . Mein Ein-druck ist, dass dies bei der kontroversen Debatte um dieeinzelnen Regelungen bisher leider ein wenig zu kurz ge-kommen ist: Erstmals erfolgt eine klare und verbindlicheFestlegung des Begriffs, was national wertvolles Kultur-gut ist, durch ein Gesetz . Das ist aus meiner Sicht einerder zentralen Dreh- und Angelpunkte des zukünftigenKulturgutschutzgesetzes . Inhalt und Verfahren werdendamit erstmals gesetzlich geregelt . Das ist aus der Sichtdes Parlaments als Souverän und im Hinblick auf unserLand als Nation einer tradierten Rechtskultur nicht nurein qualitativer Fortschritt, sondern ein Schritt, der unsgut zu Gesicht steht .Es werden auch in Zukunft nur wenige ausgewählteKulturgüter unter die Regelung fallen, nämlich diejeni-gen, die in besonderer Weise die Identität und Geschichteunseres Landes widerspiegeln und deren Abwanderungtatsächlich ein großer Verlust für uns und für kommendeGenerationen bedeuten würde .Vielen Dank .
Vielen Dank . – Als nächste Rednerin hat Eva Högl von
der SPD-Fraktion das Wort .
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen undKollegen! Die Neuregelung des Kulturgüterschutzrechtsist das wichtigste Gesetz in dieser Legislaturperiode imKulturbereich . Mit dem Gesetzentwurf der Bundesre-gierung haben wir eine gute Grundlage für unsere Bera-tungen . Die Koalition hat sich Dreierlei vorgenommen:den Kulturgutschutz zu stärken, das illegal ausgeführteKulturgut anderer Staaten zurückzugeben – dazu gehörtvor allen Dingen, strengere Regelungen für die Einfuhrvon Kulturgut einzuführen und die Voraussetzungen da-für deutlich zu verschärfen; da haben wir wirklich Hand-lungsbedarf – sowie deutsches Kulturgut besser vor Ab-wanderung ins Ausland zu schützen .Ich sage ganz deutlich: Bei diesem letzten Punkt müs-sen wir uns auch darüber im Klaren sein, dass die Regeln,die wir bisher hatten, gut funktionierten und nicht allesüberarbeitungsbedürftig ist, wir also durchaus vorsich-tig und sensibel an Neuregelungen herangehen müssen .Insbesondere die Regelungen zur Ausfuhr deutschenKulturguts sind sehr umstritten . Ich habe die Debatte sowahrgenommen, dass diese gar nicht im Grundsatz um-stritten waren, also niemand wirklich bestritten hat, dasswir unser deutsches Kulturgut vor der Abwanderung insAusland schützen wollen, sondern dass die Details sehrumstritten waren . Da muss ich sagen: Das war nicht ohneGrund . Deswegen müssen wir uns in den Beratungenwirklich sehr gründlich über die Details beugen .Dass wir gründlich beraten, ist auch vor dem Hinter-grund wichtig, dass wir tatsächlich mit diesem Gesetzent-wurf über eine sehr scharfe Regelung, die vorgeschlagenwird, diskutieren, nämlich eine Genehmigungspflicht fürdie Ausfuhr aller nationalen Kulturgüter, und zwar unab-hängig davon, ob sie in einem Verzeichnis stehen . Das istnatürlich erst einmal eine sehr scharfe Regelung .Ich sage auch ganz deutlich, dass wir uns Gedankendarüber machen müssen, ob wir wirklich strengere Rege-lungen im Binnenmarkt brauchen . Auch das müssen wirsorgfältig prüfen . Ja, 26 von 28 Mitgliedstaaten habendiese Regelung, und, ja, es kann auch richtig sein, dasswir uns dieser Regelung anschließen und nicht mit denNiederlanden zusammen die einzigen Mitgliedstaatensind, die keine solche Regelung haben . Aber wir müssenuns auch fragen, ob es tatsächlich noch zeitgemäß ist, imBinnenmarkt solche strengen Regelungen zu formulie-ren .Etwas, was in diesem Gesetzentwurf steht, finde ichganz hervorragend – ich knüpfe an das an, was der Kol-lege Heveling schon gesagt hat –, nämlich die gesetzlicheDefinition von national wertvollem Kulturgut. Ich haltees für ganz entscheidend, dass wir uns darüber gemein-sam Gedanken machen . Im Gesetzentwurf steht viel,was ein guter Anknüpfungspunkt für das ist, wonach wirbeurteilen können, ob wir nationales Kulturgut im Landbehalten wollen und ob wir eben nicht gestatten, dass esausgeführt wird: Es muss besonders bedeutsam sein fürunser kulturelles Erbe . Es muss identitätsstiftend sein . Esmuss ein wesentlicher Verlust für den deutschen Kultur-besitz sein, wenn das entsprechende Kulturgut abwan-dert, und es muss ein herausragendes kulturelles öffentli-ches Interesse daran bestehen, dieses Kulturgut im Landzu halten . Darüber werden Sachverständige sorgfältigbefinden. Das halte ich für eine wirklich gute Regelung.Das zeigt aber auch, dass ein ganzer Teil der Aufre-gung, die es um genau diese Regelung gegeben hat, völ-lig überzogen war; denn wir alle wissen: Alle Vorausset-zungen müssen vorliegen . Daher werden tatsächlich nursehr wenige Kulturgüter betroffen sein, für die dann einabsolutes Ausfuhrverbot gilt .Für mich ist auch wichtig, dass die Kriterien um dieSichtbarkeit, um die öffentliche Zugänglichkeit erweitertwerden. Ich finde, „identitätsstiftend“ hat immer etwasdamit zu tun, dass Kunstwerke nicht in irgendeinem Tre-sor oder Keller lagern, sondern dass sie im Land tatsäch-lich wahrgenommen werden können .Eine letzte Bemerkung, und zwar zum Vorkaufsrecht .Die damit verbundene Idee tauchte im Zusammenhangmit dieser Diskussion auf . Auf den ersten Blick wirktes durchaus sympathisch, dass der Staat die Kulturgüterankauft, um sie dann der Öffentlichkeit zur Verfügungzu stellen . Wenn wir uns mit dem Vorkaufsrecht aber nä-her beschäftigen, dann sehen wir, dass dieses Instrumentnicht uneingeschränkt zum Schutz unseres Kulturgutesgeeignet ist . Deswegen hoffe ich, dass wir in den Bera-tungen diesen Aspekt noch aufgreifen und uns sorgfältigdamit auseinandersetzen .Ich sage es noch einmal: Wir haben eine gute Bera-tungsgrundlage . Ich freue mich wirklich sehr auf dieAnsgar Heveling
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 155 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 18 . Februar 2016 15289
(C)
(D)
Fachgespräche und auf die folgenden Beratungen in un-serem Ausschuss .Vielen Dank .
Vielen Dank . – Jetzt hat das Wort Dr . Astrid
Freudenstein von der CDU/CSU-Fraktion .
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Wenn behauptet wird, daß eine Substanz keine Ne-benwirkung zeigt, so besteht der dringende Ver-dacht, daß sie auch keine Hauptwirkung hat .Was der deutsche Pharmakologe Gustav Kuschinskyauf Medikamente münzte, gilt in ähnlicher Form auchfür unsere Gesetze . Wenn ein Gesetz gar keine Neben-wirkungen zeigt, wirkt es vermutlich überhaupt nicht .Die Kunst der Arzneimittelherstellung ebenso wie dieder Gesetzgebung besteht also darin, die erwünschteWirkung zu potenzieren und die unerwünschten Neben-wirkungen so gering wie möglich zu halten . Wenn dasgelingt, dann haben wir gut gearbeitet .Die Wirkungen, die wir uns von dem Kulturgutschutz-gesetz wünschen, haben meine Vorredner bereits ausführ-lich beschrieben: Wir wollen zum einen mit dem GesetzRaubgrabungen und den illegalen Handel mit Kulturgutverhindern und damit vor allem das Kulturgut andererLänder schützen, und wir wollen zum anderen unser ei-genes, national wertvolles Kulturgut vor Abwanderungins Ausland schützen .Der erste Punkt ist relativ unumstritten; doch um denzweiten Punkt hat sich eine recht lebhafte Debatte entwi-ckelt . Papiere führten zu teils heftigen Reaktionen, auchzu Überreaktionen . Es ist sicher notwendig, Befürchtun-gen und Ängste ernst zu nehmen, und es ist auch notwen-dig, die Debatte zu versachlichen und ein kompliziertesGesetzesvorhaben zu erklären .Die Eintragung von national wertvollem Kulturgutgibt es bei uns bereits seit mehr als 60 Jahren, seit 1955 .Die Diskussion der vergangenen Monate hat auch ge-zeigt, dass das nicht allen bekannt war . Man könnte auchsagen: In vielen Fällen hat das Gesetz bisher nicht so ge-wirkt, wie es hätte wirken sollen .
Ein Gesetz, das nicht wirkt, braucht allerdings nie-mand . Man muss es folglich abschaffen, oder man mussso nachbessern, dass es wirkt . Wir bessern nach, weil wirnachbessern müssen . Wir wollen Kulturgut nicht nur aufdem Papier schützen, sondern eben auch in der Realität .Wir müssen auch nachbessern, um im internationalenKontext nicht ins Hintertreffen zu geraten; Frau Staats-ministerin Grütters hat das bereits ausgeführt .Es ist völlig klar, dass es bei diesem neuen, wirkungs-volleren Kulturgutschutzgesetz auch Nebenwirkungengeben wird: Das Gesetz kann durchaus dazu führen, dassmanches schwieriger und aufwendiger wird . Es kannauch dazu führen, dass Kunsthändler einen Antrag mehrschreiben müssen als bisher . Und es kann in letzter Kon-sequenz in Einzelfällen dazu führen, dass Händler ihr na-tional wertvolles Kulturgut in Deutschland für wenigerGeld an den Mann bringen, als sie es vielleicht in Londongetan hätten .An dieser Stelle wird es natürlich spannend, weil esum nationale, aber eben auch um berechtigte finanziel-le Interessen geht: Je höher die Grenzwerte, umso wir-kungsloser – aber eben auch umso nebenwirkungsär-mer – wird unser Gesetz . Es kommt jetzt darauf an, dieInteressen abzuwägen und ins Lot zu bringen . Klar istaber auch: Ein Gesetz, von dem am Schluss nichts undniemand betroffen ist, brauchen wir hier nicht zu verab-schieden .Eine positive Nebenwirkung des Gesetzes kann manaber schon erkennen: In Deutschland wurde vermutlichnoch nie so viel darüber diskutiert, welches Kulturgutuns wirklich wertvoll ist, welche Kulturgüter für unsidentitätsstiftend sind . Das steht uns, die wir uns gerneund völlig zu Recht als Kulturnation bezeichnen, auchgut zu Gesicht, wie ich meine .Mit drei Beispielen dazu, was in Bayern bereits alsnational wertvolles Kulturgut eingetragen worden ist,möchte ich Ihnen eine Vorstellung davon geben, um wases gehen soll:Erst vor kurzem wurde ein Exemplar des Archaeop-teryx aus dem Steinbruch Schamhaupten eingetragen .Der Urvogel ist für die naturwissenschaftliche Forschungund für die Evolutionsgeschichte von herausragendemInteresse .Wertvoll ist auch das ritterliche Schwert aus der Re-gierungszeit Heinrichs des Löwen . Es stammt aus dem12 . Jahrhundert und ist ein erstklassig erhaltenes Exem-plar, von ganz besonderer Bedeutung für die bayerischeLandesgeschichte und vor allem für die Geschichte des„baierischen“ Herzogtums .Ebenfalls völlig zu Recht auf der Liste: die einzigarti-ge Sammlung „Der Blaue Reiter“ aus dem Lenbachhausin München . Der Blaue Reiter ist eine der bedeutendstenKünstlergruppen der Avantgarde zu Beginn des 20 . Jahr-hunderts und eng mit München und Bayern verbunden –zweifelsohne wertvoll und identitätsstiftend .Mit der Gesetzesnovelle wollen wir nun Kulturgüterwie die drei genannten besser als bisher schützen . Dafürbraucht es klare, angemessene und auch verständlicheRegeln und – das ist wichtig –: Wir müssen bürokratischeNebenwirkungen kleinhalten . Regeln, die wirken, ohnejemanden über Gebühr zu belasten, daran werden wir inden nächsten Wochen arbeiten .Herzlichen Dank .
Dr. Eva Högl
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 155 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 18 . Februar 201615290
(C)
(D)
Vielen Dank . – Liebe Kolleginnen und Kollegen, ichschließe die Debatte .Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzent-wurfs auf Drucksache 18/7456 an die in der Tagesord-nung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen . Gibt esdazu anderweitige Vorschläge? – Das ist nicht der Fall .Dann ist die Überweisung so beschlossen .Ich rufe die Tagesordnungspunkte 20 a und 20 b auf:a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Agnieszka Brugger, Katja Keul, KatharinaDröge, weiterer Abgeordneter und der FraktionBÜNDNIS 90/DIE GRÜNENRüstungsexportkontrollgesetz vorlegenDrucksache 18/7546b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-richts des Ausschusses für Wirtschaft und Ener-gie zu dem Antrag der Abgeord-neten Katja Keul, Agnieszka Brugger, KatharinaDröge, weiterer Abgeordneter und der FraktionBÜNDNIS 90/DIE GRÜNENEckpunkte für ein Rüstungsexportkontrollge-setzDrucksachen 18/4940, 18/7030Über den Antrag auf Vorlage eines Rüstungsexport-kontrollgesetzes werden wir später namentlich abstim-men .Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind fürdie Aussprache 38 Minuten vorgesehen . – Auch dazuhöre ich keinen Widerspruch . Dann ist das so beschlos-sen .Ich kann die Aussprache eröffnen . – Herr Pfeiffer, ichbitte um Ihre Aufmerksamkeit . – Als erste Rednerin inder Aussprache hat Agnieszka Brugger von der FraktionBündnis 90/Die Grünen das Wort .
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Jede,wirklich jede Bundesregierung – das sage ich auch miteinem selbstkritischen Blick auf die rot-grüne Regie-rungszeit – beteuert immer, dass in Deutschland eine res-triktive Rüstungsexportpolitik betrieben wird .
Leider entspricht das nicht der Realität; denn so sieht dieFaktenlage aus:Deutschland ist seit Jahren unter den Top Fünf derWaffenexporteure weltweit, und das ist kein Ranking,auf das man stolz sein kann .
Abgesehen von ein paar kleineren Schwankungen sinddie Rüstungsexporte nach wie vor ein Milliardenge-schäft . Allein im ersten Halbjahr 2015 sind Rüstungs-exporte im Wert von über 3 Milliarden Euro genehmigtworden . Morgen kommen wahrscheinlich die neuen Zah-len für das Gesamtjahr 2015 . Ich vermute leider, dass sieerschreckend hoch sein werden .In der Regel gingen in den letzten Jahren mehr alsdie Hälfte dieser Rüstungsexporte in Staaten jenseitsvon NATO und EU . Darunter befanden sich schmutzige Deals mit Ländern wie Katar und Saudi-Arabien, in de-nen eine katastrophale Menschenrechtslage herrscht unddie aktuell Teil einer Kriegsallianz sind, die ohne Rück-sicht die Menschen im Jemen brutal bombardiert .
Es gehörten aber ebenso Skandale dazu wie der, dassG36-Gewehre in Mexiko in den Händen korrupter Poli-zisten auftauchten und dann gegen unbewaffnete Studen-ten eingesetzt wurden . Eine solche Politik als restriktivzu bezeichnen, das ist doch zynisch .
Trotz einiger Kurskorrekturen, zum Beispiel bei derTransparenz, trotz all seiner großen Töne und schönenWorte hat Sigmar Gabriel hier keine grundlegende Trend-wende eingeleitet . Zwischen Anspruch und Wirklichkeit,zwischen schöner Rhetorik und hässlicher Realität klaffthier eine erschreckend große Lücke der Verantwortungs-losigkeit .
Es gibt kaum ein politisches Thema, bei dem das, wasgesagt wird, in so krassem Widerspruch zu dem steht,was getan wird . Dabei gibt es in Deutschland die sehr gu-ten und sehr strengen Politischen Grundsätze für Expor-te, die jeder Minister in den Himmel lobt und auf die mansich in Sonntagsreden gerne beruft, die Menschenrechtezu einem zentralen Kriterium bei den Entscheidungenerheben und die sehr hohe Hürden für den Verkauf vonKriegswaffen an Staaten jenseits von NATO und EU auf-stellen . Die zentrale Frage, die sich hier aufdrängt, ist:Wenn diese Grundsätze so strikt sind, wie kann es danneigentlich sein, dass es in der Praxis zur Regel gewordenist, dass sie immer wieder verletzt und gebrochen wer-den?
Wie kann es dazu kommen, dass Frieden, Sicherheitund Menschenrechte immer wieder Exportprofiten undGewinninteressen der Rüstungslobby geopfert werden?Ein Teil der Antwort hat auch mit dem Charakter dieserGrundsätze zu tun . Sie sind vom Inhalt her richtig undgut, sie bestehen aber eben vor allem auf dem Papier . Esmangelt ihnen an Durchsetzungskraft und Verbindlich-keit . Liebe Kolleginnen und Kollegen, das sollten undmüssen wir als Parlament dringend ändern .
Natürlich gibt es mit dem Kriegswaffenkontrollgesetzund mit dem Außenwirtschaftsgesetz gesetzliche Grund-lagen im Bereich der Rüstungsexporte . Die Kriterien ausden Politischen Grundsätzen sind aber eben nicht wirk-lich im Gesetzestext verankert . Das wäre aber notwen-
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 155 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 18 . Februar 2016 15291
(C)
(D)
dig, um ihnen endlich das Gewicht zu verleihen, das sieverdienen .
Im Mai haben wir Grüne Ihnen Eckpunkte für einneues, ein echtes Rüstungsexportgesetz vorgelegt . Diesehat die Koalition leider abgelehnt . Trotzdem waren wirGrüne anscheinend nicht ganz so erfolglos: Die gutenArgumente der Kollegin Keul aus der Bundestagsdebattehaben Widerhall gefunden, und sie konnten offensicht-lich Sigmar Gabriel zum Denken anregen .
Denn vor einem Monat hat der Wirtschaftsminister er-klärt, er denke jetzt darüber nach, ein Rüstungsexportge-setz auf den Weg zu bringen und eine Expertenkommis-sion dazu einzurichten .Wir freuen uns natürlich sehr, wenn Regierungsmit-glieder die guten grünen Ideen aufgreifen . Aber zwischenNachdenken und Handeln besteht ja bekanntermaßennoch ein großer Unterschied . Und so ganz trauen wir die-sen vielversprechenden Ankündigungen noch nicht; denngerade bei den Rüstungsexporten haben wir in den letz-ten Jahren oft genug erlebt, dass der Wirtschaftsministerden typischen Gabriel macht: Erst viel Wind erzeugen,dann aber nicht liefern .
Meine Damen und Herren, als aufmerksame und hart-näckige Opposition geben wir uns natürlich nicht mitIhren schönen Schlagzeilen zufrieden . Uns interessiert,was Sie in der Realität daraus machen . Das ist ein Pro-zess, den wir konstruktiv begleiten wollen . Deshalb ha-ben wir auch nachgefragt, wie es denn jetzt weitergeht .Wir wollten wissen: Wie sieht es mit dem Zeitplan aus,wie ist die Besetzung der Kommission? Welche Rollesoll das Parlament dabei spielen? Am Montag erhielt ichzu all diesen Fragen eine lapidare Antwort aus dem Hau-se Gabriel, nämlich dass er noch nachdenke und dass esnoch keine Details gebe . Einen Monat nachdem die Pres-sestatements verkündet waren, keinen Schritt weiter zusein, ist doch ein bisschen peinlich .
Herr Minister, wenn Sie in diesem Schneckentempoweitermachen, dann können wir vielleicht in der über-nächsten Wahlperiode mit einem Gesetzentwurf rechnen .Deshalb stellen wir heute hier einen zweiten Antrag, überden wir nachher namentlich abstimmen . Er enthält keineinhaltlichen Vorfestlegungen . Er besteht nur aus einemSatz und fordert Sie dazu auf, Herr Gabriel, Ihr Verspre-chen auch wahrzumachen und dem Parlament noch indieser Legislaturperiode einen entsprechenden Gesetz-entwurf zur Beratung und Abstimmung vorzulegen .
Liebe Abgeordnete von SPD und Union, wenn Siealso den Vorschlägen Ihres eigenen Vizekanzlers, die ihnoffensichtlich nicht besonders interessieren, folgen undihn auf diesem richtigen Weg unterstützen wollen, dannbleibt Ihnen ja fast nichts anderes übrig, als unserem grü-nen Antrag heute hier zuzustimmen .
Sie, Herr Minister, haben die Chance, zu zeigen, dassdas hier kein weiterer Fall von „groß posaunt und dannnoch nichts gemacht“ ist . Und wir als Parlament könn-ten ein schönes, klares und gemeinsames Zeichen setzen,dass in Zukunft bei den Rüstungsexporten das Kriteriumder Achtung der Menschenrechte keine leere Sprechblasemehr ist und dass Friedens- und Sicherheitspolitik aus-ufernden Waffenexporten klare und enge Grenzen setzen .Deshalb bitten wir Sie, unserem Antrag zuzustimmen,damit wir noch in dieser Legislaturperiode endlich überein Rüstungsexportgesetz abstimmen können .
Vielen Dank . – Nächster Redner für die CDU/
CSU-Fraktion ist der Kollege Klaus-Peter Willsch .
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Brugger,wir brauchen kein Rüstungsexportgesetz .
Immer wieder debattieren wir hier im Parlament solcheFragen . Es gibt zu diesem Thema wirklich keinen Man-gel an öffentlicher Erörterung . Sie versuchen immer wie-der, den Eindruck zu erwecken, es gehe hier alles wieauf einem levantinischen Basar zu . Das ist bei uns klargeregelt . Und wir glauben, dass es so, wie es geregelt ist,richtig geregelt ist .
– Sie können sich gerne noch zu Wort melden, wenn Sieder Auffassung sind, dass Frau Brugger nicht ausrei-chend vorgetragen hat .
Hier wird ständig versucht, den Eindruck zu erzeugen,die Rüstungsexportpolitik in Deutschland sei nicht klargeregelt . Ihr liegen jedoch die Politischen Grundsätzeder Bundesregierung für den Export von Kriegswaffenund sonstigen Kriegsgütern in der aktuellen Fassung vom19. Januar 2000 zugrunde. Das fiel in die Regierungszeitvon Rot-Grün . Joschka Fischer war damals, wenn ichmich recht erinnere, Außenminister .Agnieszka Brugger
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 155 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 18 . Februar 201615292
(C)
(D)
Jede Rüstungsexportgenehmigung ist eine Einzelfall-entscheidung . Es gibt keinen Anspruch auf eine Geneh-migung . Gemäß Außenwirtschaftsgesetz und Außenwirt-schaftsverordnung ist die Ausfuhr aller Rüstungsgütergenehmigungspflichtig. Es wird nicht genehmigt, wennder hinreichende Verdacht besteht, dass damit interneRepression oder sonstige Menschenrechtsverletzungenausgeübt werden .
– Ich weiß ja, dass Sie schon alles wissen, aber ich kannnicht ausschließen, dass vielleicht der falsche Eindruck,den Sie, Frau Brugger, zu verbreiten versuchen, bei denZuschauerinnen und Zuschauern hängen bleibt .
Deshalb will ich das noch einmal darstellen: Die Prü-fung und Genehmigung der Ausfuhr von Kriegswaffenund sonstigen Rüstungsgütern obliegt dem Bundessi-cherheitsrat . Der Bundessicherheitsrat tagt unter demVorsitz der Bundeskanzlerin . Zusätzlich gehören ihm ander Vizekanzler bzw . der Wirtschaftsminister, die Mi-nister der Verteidigung, des Auswärtigen, des Innern,der Justiz, der Finanzen, der Minister für wirtschaftlicheZusammenarbeit und Entwicklung . Der Chef des Bun-deskanzleramtes, der Regierungssprecher und der Ge-neralinspekteur der Bundeswehr nehmen ebenfalls teil .In ihm ist also alles versammelt, was in der Regierunghierzu Kompetenz aufzuweisen hat .
Bei der Erteilung einer Ausfuhrgenehmigung handeltes sich eben nicht um einen formalen Akt . Es besteht keinAnspruch auf die Erteilung einer Genehmigung . Zahlrei-che Gesetze und Vereinbarungen, die ich Ihnen – damitnicht bei irgendjemandem der Eindruck bestehen bleibt,in diesem Bereich würde irgendetwas ungeregelt gesche-hen – noch einmal in Erinnerung rufen möchte, sind beimExport von Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgüternzu beachten .
Dabei handelt es sich um das Gesetz über die Kontrollevon Kriegswaffen, das Außenwirtschaftsgesetz, den Ver-haltenskodex der Europäischen Union für Waffenausfuh-ren sowie um die Prinzipien der OSZE zur Regelung desTransfers konventioneller Waffen . Erst im März letztenJahres hat die Bundesregierung als Ergänzung zu denPolitischen Grundsätzen noch die Grundsätze für die Er-teilung von Genehmigungen für die Ausfuhr von Kleinenund Leichten Waffen vorgelegt .
Kollege Willsch, das ist jetzt eine gute Gelegenheit,
um zu fragen, ob Sie eine Zwischenfrage der Kollegin
Keul zulassen .
Ja, wenn ich irgendeine rechtliche Regelung verges-
sen haben sollte, die Sie nachtragen wollen, Frau Keul,
bitte sehr .
Bitte schön .
Vielen Dank . – Es ehrt mich, dass Sie mir zutrauen,
die rechtlichen Regelungen besser zu kennen . Wenn all
das, was Sie vorgetragen haben, so toll ist, dann frage
ich Sie: Wie kann dann Ihr Koalitionspartner bzw . der
Wirtschaftsminister auf die Idee kommen, dass wir ein
Rüstungsexportkontrollgesetz brauchen? Können Sie
uns das erklären?
Das müssen Sie im Zweifelsfalle meinen Minister selbstfragen . Ich weiß aber, dass in dieser Bundesregierungviel nachgedacht wird . Es ist auch klug, immer viel überalles Mögliche nachzudenken . Da ist der Vizekanzlerkeine Ausnahme .
Der Export an Nicht-EU- und Nicht-NATO-Staatenwird äußerst restriktiv gehandhabt . Frau Brugger, Siekennen doch die Berichte . Sie wissen, dass wir über dieHälfte an NATO-Partner und Gleichgestellte, also Aus-tralien, Schweiz usw ., exportieren . Da können Sie sichdoch wirklich nicht hierhinstellen und sagen, wir würdenfreigiebig in alle Himmelsrichtungen deutsche Waffenverteilen .
Der Export von Kriegswaffen wird– so heißt es im Rüstungsexportbericht; das könnten Sienachlesen –nur ausnahmsweise genehmigt, wenn im Einzelfallbesondere außen- oder sicherheitspolitische Interes-sen Deutschlands für die Erteilung einer Genehmi-gung sprechen .
Ich will Ihnen, um das greifbar zu machen, deutlichmachen, was das für Sicherheitsinteressen sein können .Zum Beispiel könnte es in unserem Sicherheitsinteres-se liegen, die Abwehr terroristischer Bedrohungen zuunterstützen oder den internationalen Drogenhandel zubekämpfen . Bei der Ausfuhr von Marineausrüstung gehtKlaus-Peter Willsch
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 155 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 18 . Februar 2016 15293
(C)
(D)
es regelmäßig darum, dass wir Staaten ertüchtigen wol-len, ihren Küstenschutz durchzuführen und damit einenBeitrag zur Gewährleistung der Freiheit der Handelswe-ge auf See zu leisten . All das sind natürlich Aspekte, diewir berücksichtigen, und das ist auch berechtigt .Die Bundesregierung hat beispielsweise den bereitsgenehmigten Export eines Gefechtsübungszentrumsnach Russland untersagt, weil die Krim von den Russenbesetzt worden ist und wegen der Rolle, die Russland indem eingefrorenen Konflikt in der Ostukraine spielt.Im Falle der Waffenlieferung an die Regierung derautonomen Region Kurdistan im Irak handelt es sichum eine politische Ausnahmeentscheidung – das wissenSie –, und sie ist in diesem Haus breit getragen worden .
Die akute Bedrohung der Bevölkerung im Irak durch dieHalsabschneider vom IS, vom „Islamischen Staat“, waranders nicht abzuwenden . Ich will hier nicht mit billigerKriegsrhetorik irgendetwas schönreden . Die Lage warso, dass dort wirklich die Gefahr bestand, dass Völker-mord begangen wird, dass die Menschen vertrieben wer-den, dass die Menschen dem IS unterworfen werden, undes gab keine anderen Bodentruppen als die, die wir dannbeliefert haben .Ich will Ihnen eine friedensethische Stellungnahmedes Rats der Evangelischen Kirche in Deutschland zudiesem Thema nicht vorenthalten . Im Nachgang einerReise des Landesbischofs Dr . Bedford-Strohm in denIrak vom September 2014 hieß es zu den Waffenlieferun-gen an die Peschmerga – ich zitiere –:Die kurdischen Milizen sind die einzigen lokalenGegner, welche dem IS militärisch entgegentretenkönnen . Militärische Mittel erscheinen in der ge-genwärtigen Lage als die letzte verbliebene Mög-lichkeit, um wirksame und schnelle Hilfe zu brin-gen .Nach evangelischem Verständnis kann militärischeGewalt zur Abwendung schwerster anhaltenderMenschenrechtsverletzungen, angesichts von Völ-kermord und Vertreibung, als letzter Ausweg legi-tim sein, wenn alle anderen gewaltärmeren Mittelversagen .
Ich bitte Sie, mal ein bisschen aus der Kuschelecke he-rauszukommen . Wenn man Ihre Position zu Ende denkt,dann stellen Sie die eigene Armee letztlich auch infra-ge . Es gibt natürlich Interessen in der Welt; es gibt dieNotwendigkeit, zu unterstützen und zu helfen, wenn wirkönnen . Wir machen uns der Unterlassenen Hilfeleistungschuldig, wenn wir das dann nicht tun .Übrigens wurde das Gleiche auch von katholischerSeite als eine „Art von Völkermord“ kategorisiert . DerVertreter des Heiligen Stuhls bei den Vereinten Nationen,Erzbischof Silvano Tomasi, sprach sich als Ultima Ratiofür den Einsatz von Gewalt aus, „um die Aggressoren zustoppen“ . Weiter sagte Tomasi wörtlich:Andernfalls werden wir in Zukunft beklagen, dasswir solch eine schreckliche Tragödie zugelassen ha-ben .Mit Blick auf die linke Seite unseres Hauses undauch auf Sie, Frau Brugger, muss ich sagen, dass wir mitFriedensmärschen, Handauflegen und Stuhlkreisen dieIS-Mörderbande nicht stoppen werden .
Selbst der Parteivorsitzende der Grünen, Cem Özdemir,hat erkannt, dass man den IS – ich zitiere – „nicht mit derYogamatte unterm Arm“ bekämpfen kann . Ein bisschenmehr Realismus in den Debatten auch hier in diesemHaus würde Ihnen guttun .Ich will Ihnen ein anderes historisches Beispiel nen-nen: Die Amerikaner hat es im Zweiten Weltkrieg – dawaren sie noch gar nicht in diesen Krieg eingetreten –einiges an Überwindung gekostet, die Rote Armee mitdem Lend-Lease Act zu unterstützen . Sie haben es da-mals getan, um einen ökonomischen und militärischenZusammenbruch der Sowjetunion zu verhindern, und ha-ben damit einen Beitrag dazu geleistet, dass Hitlers An-griffsarmee in Russland gestoppt werden konnte . Auchdas zeigt, dass die Vorgänge nicht ganz eindimensionalsind, sondern dass wir die verschiedenen Aspekte immersehr sorgfältig bewerten und gewichten müssen . Wir ha-ben nicht den Eindruck, dass das in der Bundesregierungfalsch gemacht wird, sondern wir glauben, dass es richtiggemacht wird .
Insofern ist es nicht notwendig, dass wir ein Gesetzauf den Weg bringen; denn es ist bereits alles geregelt .Ich halte es mit Montesquieu, von dem bekanntlich fol-gender Satz stammt:Wenn es nicht notwendig ist, ein Gesetz zu machen,dann ist es notwendig, kein Gesetz zu machen .Vielen Dank für die Aufmerksamkeit .
Vielen Dank . – Nächster Redner ist jetzt der Kollege
Jan van Aken, Fraktion Die Linke .
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Grü-nen fordern in ihrem Antrag ein Rüstungsexportkontroll-gesetz. Das finden wir richtig, da stimmen wir zu. DaHerr Gabriel auch schon darüber nachdenkt, könnten wirKlaus-Peter Willsch
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 155 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 18 . Februar 201615294
(C)
(D)
eigentlich heute hier mit rot-rot-grüner Mehrheit – diegibt es, das vergessen wir gerne – darüber abstimmen .
Das große Problem ist nur, dass an diesem Punkt unsereGemeinsamkeit aufhört .
Ich habe mir noch einmal den Antrag der Grünen vomletzten Mai durchgelesen . Da schreiben Sie: Das Zieldes Rüstungsexportkontrollgesetzes ist es, die geltendenPolitischen Grundsätze der Bundesregierung in ein Ge-setz zu überführen . – Das können Sie gerne tun, aber daswürde überhaupt nichts verändern, und das wissen Sieauch . Dass die Politischen Grundsätze ständig gebrochenwerden, wie Sie das eben behauptet haben, Frau Brugger,ist nicht richtig .
Die Grundsätze sind butterweich . Sie dürfen sogar –das hat Herr Gabriel im letzten Jahr gemacht – die Liefe-rung von Panzern nach Katar genehmigen,
sie dürfen die Lieferung einer ganzen Sturmgewehrfa-brik nach Saudi-Arabien genehmigen, sie dürfen auchdie Lieferung von Pistolen an die USA genehmigen .
Alles ist dadurch gedeckt .
Claudia Roth protestiert dagegen, das verstehe ichauch .
Denn Sie, Frau Roth, haben diese 1999
gemeinsam mit Herrn Erler von der SPD verhandelt . Ichweiß auch, dass Sie beide die Waffenexporte wirklichreduzieren wollten . Da stehen viele gute Sachen drin:Menschenrechte, nachhaltige Entwicklung, Kriegs- undKrisengebiete . Aber Sie wissen auch – das hat Frau Keulan dieser Stelle schon offen zugegeben –: Sie sind mitdiesem Versuch komplett gescheitert, weil trotz dieserPolitischen Grundsätze in den letzten Jahren die Waffen-exporte gestiegen und gestiegen sind . Das müssen wirendlich stoppen, und das geht mit diesen PolitischenGrundsätzen nicht .
Das liegt zum Beispiel daran, dass in den Grundsät-zen einerseits glasklar steht, dass in sonstige Länder au-ßerhalb der NATO keine Ausfuhr von Kriegswaffen ge-nehmigt wird – super, der Satz geht aber weiter –, es seidenn, dass besondere außenpolitische Interessen dafürsprechen . Tatsächlich gibt es in jedem einzelnen Fall of-fenbar ein außenpolitisches Interesse, wodurch die Men-schenrechte jedes Mal hinten runterfallen .Frau Roth, Frau Brugger, Sie kennen die Zahlen: JedesJahr werden 17 000 Anträge gestellt, und 16 900 Anträ-ge werden durchgewinkt . Ungefähr 100 Anträge werdenabgelehnt . Daran sieht man: Ihre Politischen Grundsätzesind butterweich . Ich verstehe bis heute nicht, warum Siedie in ein Gesetz gießen wollen .
Denn wenn Sie das zu einem Gesetz machen, dann ze-mentieren Sie den Status quo, dann werden Sie zemen-tieren, dass Deutschland auch in 20 Jahren immer nochder größte Waffenexporteur Europas ist, und das wollenwir stoppen .
Ein Minimum, welches in einem solchen Gesetz ge-regelt werden sollte, wäre ein generelles Verbot vonKleinwaffenexporten . Ich frage Sie von den Grünen: Wa-rum sind Sie nicht dazu bereit? Wir haben es von Herrn Gabriel gehört, wir haben es von Ihnen gehört . Eigentlichsind wir uns bis auf den rechten Teil dieses Hauses fastalle einig, dass Kleinwaffenexporte nicht zu verantwor-ten sind. Kleinwaffen – das hat Kofi Annan gesagt –, dassind die Massenvernichtungswaffen unserer Zeit .
Keine einzige Kleinwaffe darf von diesem Land aus ir-gendwohin exportiert werden, ob nach Saudi-Arabien,nach Mexiko oder in die USA .
Jetzt werden Sie natürlich alle aufschreien: Wiesonicht in die USA, wenigstens an NATO-Staaten dürfeman doch liefern? Ich möchte Sie nur daran erinnern –und das verstehe ich bis heute nicht –, dass der letztegroße Exportskandal ausdrücklich die USA betraf . VonSig Sauer bei uns oben im schönen Norden wurden100 000 Pistolen an die USA geliefert . Sie wurden um-etikettiert und gleich nach Kolumbien weiterverschifft .Damit haben die Amerikaner deutsches Exportrecht wis-sentlich und willentlich gebrochen . Deswegen sagen wir:Keine Ausnahmen!
Jan van Aken
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 155 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 18 . Februar 2016 15295
(C)
(D)
Wir fordern ein generelles Verbot von Kleinwaffenexpor-ten .
Einem Rüstungsexportkontrollgesetz, das dies enthält,würden wir auch zustimmen .Noch ein letzter Punkt, bevor ich zum Ende komme .Herr Gabriel nutzt morgen die Gelegenheit, auf der Bun-despressekonferenz die Waffenexportzahlen 2015 vor-zustellen . Sie werden gigantisch hoch sein . Wir wissen,dass im ersten Halbjahr 2015 schon mehr genehmigtworden ist als im ganzen Jahr 2014: Exporte mit einemVolumen von 6,5 Milliarden Euro in einem halben Jahr .Wir hören also morgen von Rüstungsexporten in einemUmfang von 8, 9, 10, 11 Milliarden Euro – und das voneinem Minister, der Wahlkampf gegen Waffenexportegemacht hat .Dann frage ich mich: Woran ist er gescheitert? Er istgenau an diesem System gescheitert, am System der Po-litischen Grundsätze von Claudia Roth und von HerrnErler, das auf „Ja“ gestellt ist .
Wir wollen ein Rüstungskontrollgesetz, das auf „Nein“gestellt ist, damit von deutschem Boden nie wieder ir-gendwo Kriege befeuert werden .Im Übrigen – das wissen Sie – bin ich der Meinung,dass Deutschland überhaupt keine Waffen mehr exportie-ren sollte . Das Kleinwaffenexportverbot ist ein Anfang .Aber ich finde: Irgendwann sollten wir uns ein Beispielan Japan nehmen . Japan hat 40 Jahre lang kein einzigesRüstungsgut in die Welt exportiert
und war damit relativ erfolgreich .Ich danke Ihnen .
Danke schön . – Jetzt hat Matthias Ilgen, SPD-Frakti-
on, das Wort .
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich will
mich gleich direkt an Herrn van Aken wenden, weil ich
es mal wieder sehr unseriös finde, wie die Linke mit den
Zahlen um sich wirft .
Ich finde, man muss dann schon bei den Fakten blei-
ben . Wenn Sie die hohe Zahl der Exportgenehmigungen
ansprechen, müssen Sie auch sagen, wie viele der ge-
nehmigten Exporte in NATO-Staaten gegangen ist und
wie viele nicht . Dann sehen die Zahlen auf einmal ganz
anders aus .
Sie schlagen vor, wir sollten am besten gar nichts
mehr, wenn ich das gerade richtig verstanden habe, in
NATO-Staaten liefern . So, Herr van Aken, wird man nie
regierungsfähig; das steht fest .
Wir haben seit dem Wiedereintritt der SPD in die Bun-
desregierung 2013 eine deutliche Reduktion der Exporte
zum Beispiel bei den Kleinwaffen erfahren, von 2013
auf 2014 um 43 Prozent . Im Vergleich der ersten Halb-
jahre 2015 zu 2014 waren es wiederum 42 Prozent . Ich
kann also nicht feststellen, dass Ihre Aussagen zu den
Kleinwaffen gerade in irgendeiner Art und Weise mit
den Fakten, nämlich der Realität der kleinen Schritte und
des Weniger – das waren beide Mal fast 50 Prozent – in
irgendeiner Art und Weise übereinstimmen . Und deswe-
gen ist es schlichtweg falsch .
Darüber hinaus hat das Wirtschaftsministerium
für weitere Verschärfungen gesorgt . Wir haben die
Post-Shipment-Kontrollen eingeführt .
– Ja, 1 . März, entschuldigen Sie bitte . Wir führen sie zum
1 . März ein . Aber wir haben bzw . das Wirtschaftsminis-
terium hat sie beschlossen .
Herr Kollege Ilgen, gestatten Sie eine Zwischenfrage
des Kollegen van Aken?
Ja, selbstverständlich .
Bitte schön, Herr van Aken .
Herr Ilgen, seit sechs Jahren fordern die Grünen undwir die Post-Shipment-Kontrollen . Jetzt hat Herr Gabrielsie angekündigt . Jetzt sagen Sie: Zum 1 . März kommensie .Können Sie einmal genauer beschreiben, was das be-deutet? Wissen Sie, was der Beschluss der Bundesregie-rung zu den Post-Shipment-Kontrollen beinhaltet? Wis-sen Sie, dass da nicht drinsteht: Alle exportierten Waffenwerden später vor Ort kontrolliert? Wissen Sie, dass dazum Beispiel Ausnahmen drinstehen? Wissen Sie, dassJan van Aken
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 155 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 18 . Februar 201615296
(C)
(D)
im ursprünglichen Beschluss der Bundesregierung zumBeispiel die Ausnahme enthalten war, dass die Wettbe-werbsfähigkeit der deutschen Rüstungsindustrie dabeinicht beeinträchtigt werden darf? Und wissen Sie, wasdas in der Praxis heißen könnte? Dass Sie vielleicht amEnde keine einzige Kontrolle irgendwo durchführenwerden, weil jedes Mal Heckler & Koch, Rheinmetall,Krauss-Maffei Wegmann sagen werden: Wenn wir dasjetzt zulassen, wäre unsere Wettbewerbsfähigkeit beein-trächtigt . Wissen Sie, dass die Post-Shipment-Kontrol-len, die Sie vorschlagen, nur Schaumschlägerei sind?
Herr van Aken, ich weiß jedenfalls, dass Ihre Argu-mente Schaumschlägerei sind .
Denn es steht in den Bestimmungen über die Post-Ship-ment-Kontrollen eindeutig, dass es sozusagen als Bestra-fung für diejenigen Staaten und Menschen, an die wir lie-fern und die unseren Rechtsgrundlagen zuwiderhandeln,keine künftigen Exporte geben wird . Das steht da eindeu-tig drin . Ich gehe davon aus, dass die Bundesregierungentsprechend handeln wird und wir als Parlament dasnachvollziehen . Deswegen kann ich Ihrer Argumentationnicht folgen; tut mir leid .
Die neuen Kleinwaffengrundsätze wurden angespro-chen . Der „Neu für Alt“-Grundsatz und das Prinzip„Neu, Vernichtung bei Aussonderung“, dass also die neugelieferten Waffen bei der Aussonderung vernichtet wer-den, werden für zusätzliche Limitierungen in diesem Be-reich sorgen . Meine Damen und Herren der Opposition,ich finde: Wir sind auf dem richtigen Weg.Darüber hinaus haben wir rechtliche Grundlagen . Jetztkommen wir zum eigentlichen Thema, der Frage desRüstungsexportkontrollgesetzes . Die rechtlichen Grund-lagen, die wir bisher haben, sind die Politischen Grund-sätze der Bundesregierung, der Gemeinsame Standpunktdes Rates zu jeder Lieferung auch innerhalb der Europä-ischen Union, das Kriegswaffenkontrollgesetz, das Au-ßenwirtschaftsgesetz und auch Verträge auf völkerrecht-licher Ebene, die Waffenlieferungen einschränken, etwader Arms Trade Treaty .Der Bundeswirtschaftsminister hat vorgeschlagen,dass man, um das rechtlich vernünftig zu ordnen, gege-benenfalls ein Gesetz machen könnte .
– Ich finde es gut, dass Sie klatschen, Frau Roth. – Ab-sicht des Ministers ist es, eine Expertenkommission zurPrüfung aller Ideen zur Schaffung eines solchen Rüs-tungsexportgesetzes als Ersatz für all die Richtlinien, dieich eben genannt habe, einzuberufen . Wir als SPD-Frak-tion begrüßen das ausdrücklich; denn damit wird estransparenter und klarer für alle .Meine Damen und Herren von den Grünen, ich finde,Sie könnten dieses Vorgehen des Ministers durchaus alsSchritt in die richtige Richtung ausdrücklich loben undanerkennen .
Was tun Sie stattdessen? Statt zu warten, was diese Ex-pertenkommission hervorbringt, heben Sie darauf ab,dass er das vor einem Monat vorgeschlagen hat . Wir wer-den sehen, was passiert . Der Minister hat eine Pressekon-ferenz angekündigt . Auch wir warten, was kommt . Wirgehen aber davon aus, dass diese Expertenkommissionwirklich zeitnah eingerichtet wird . Wir sollten alle ge-meinsam auf die Ergebnisse warten, die uns diese Kom-mission vorstellt . Wir sagen an dieser Stelle ganz klar:Es gilt der Grundsatz „Gründlichkeit vor Schnelligkeit“;denn wir wollen es ordentlich machen, oder?
– Nein .Ob die Zusammenfassung der bisherigen Gesetzes-lage, die der Bundesminister beabsichtigt, zudem IhrerIdee – jetzt diskutieren wir darüber, was für ein Rüs-tungsexportgesetz wir hier machen wollen – entsprechenwird, das wage ich zu bezweifeln . Woher der Wind beiIhrer Idee eines Rüstungsexportkontrollgesetzes wirklichweht, kann man Ihren alten Anträgen entnehmen . Sie for-dern da zum Beispiel ein Klagerecht für NGOs, wenn esum Rüstungsexportentscheidungen der Bundesregierunggeht .
– Ja, das ist quasi ein Verbandsklagerecht .
Ich finde, das ist ohnehin schon eines der problematisch-sten Gesetze, die wir in Deutschland haben – hinsichtlichder Ausgestaltung des Verbandsklagerechts, nicht grund-legend .
Wie wir es gemeinsam ausgestaltet haben, ist es proble-matisch;
denn das ist in vielen anderen Bereichen ein wahnsin-niges Verhinderungsinstrument in Bezug auf die wirt-schaftliche Entwicklung .
Jan van Aken
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 155 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 18 . Februar 2016 15297
(C)
(D)
Auf den Rüstungsbereich wollen wir das aber nichteins zu eins übertragen . Darum geht es nicht .
Wir wollen das nicht eins zu eins übertragen . Ich glau-be nicht, dass wir das wirtschaftliche Wachstum mitWaffen exporten vergleichen sollten . Wir wollen aber aufjeden Fall darauf hinweisen, dass es nicht Teil unsererForderungen sein wird, Klagerechte für Verbände in die-sem Bereich einzuführen . Wir halten davon nichts, undwir werden das auch so nicht machen .In Ihrem Antrag auf Drucksache 18/6201 vom 30 . Sep-tember 2015 haben Sie ganz klar eingefordert, dass wirals Bundesregierung bei CETA darauf achten, dass eskeine Sonderklagerechte für Unternehmen und Verbändevor irgendwelchen Gerichten gibt . Das können Sie dochnicht jetzt – ich finde, das muss man an dieser Stelle ein-mal sagen –, bei den Waffenexportgesetzen, einfordern .
Sie messen ständig mit zweierlei Maß . Das ist derGrund, warum ich mit einem norddeutschen Sprichwortauf Niederdeutsch, also Plattdeutsch, enden will: Snellhett sick totlopen . Ich bleibe dabei: Gründlichkeit gehtvor Schnelligkeit . Deswegen werden wir Ihren Antragheute ablehnen .
Vielen Dank . – Das Wort hat jetzt die Kollegin Gisela
Manderla, CDU/CSU-Fraktion . – Bitte schön .
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Es gibt kaum ein Thema in unserem Land, über das hef-tiger und kontroverser diskutiert und debattiert wird alsüber den Umgang mit Rüstungsgütern . Vor allem kochendie Gemüter hoch, wann immer es um den Export dieserProdukte geht . Dabei täten gerade wir in Deutschland gutdaran, eine Versachlichung dieser Debatte anzustreben .Wir sollten mit Blick auf die gesellschaftliche Orientie-rung die Fragen stellen: Welche Rolle soll Deutschlandzukünftig in der Welt einnehmen? Welchen Wert hat dieVerteidigung unserer Grundwerte, und mit welchem Ins-trumentarium wollen wir eben jene Grundwerte erhaltenund beschützen?Apropos Versachlichung: Unsere Handlungsgrund-lage ist der Koalitionsvertrag. Dort ist fixiert, dassDeutschland ein elementares Interesse an einer innova-tiven leistungs- und wettbewerbsfähigen nationalen Si-cherheits- und Verteidigungsindustrie hat, und zwar nichtin erster Linie aus wirtschaftlicher, sondern vor allemaus außen-, sicherheits- und technologiepolitischer Sicht,und das aus guten Gründen .Mit Blick auf unsere Außen- und Sicherheitspolitikgeht es vorrangig um zwei Punkte:Erstens geht es um die Verteidigungsfähigkeit im NATO-Bündnis und im Rahmen der Europäischen Uni-on . Um diese künftig sicherzustellen, bilden wir mitKonzepten wie „Framework Nations“, den Anlehnungs-partnerschaften oder „Smart Defence“ zunehmend mehrtransnationale Fähigkeiten aus . Wer auf den Prozessfortschreitender Bündnisintegration und die hierfür not-wendige Arbeitsteilung gestalterischen Einfluss nehmenwill, der muss auch über die entsprechenden Kapazitätenverfügen: in den Streitkräften selbst, aber auch in Aus-rüstungs- und Ausbildungsfragen .Zweitens geht es um die Fähigkeit, diejenigen He-rausforderungen, die sich in Europas unmittelbarerNachbarschaft für unsere Sicherheit ergeben, direkt undaktiv anzugehen . Das entspricht übrigens nicht nur un-serer gewachsenen Verantwortung, sondern wird auchzunehmend von unseren Freunden und Partnern so er-wartet, und das auch völlig zu Recht, wie ich finde, liebeKolleginnen und Kollegen .
Vor allem die Entwicklungen der letzten beiden Jahrehaben uns schmerzlich vor Augen geführt, wie schnellKonflikte entstehen und eskalieren können.
Hierauf müssen wir schneller und entschlossener reagie-ren können . Dafür braucht Deutschland die entsprechen-den Fähigkeiten . Nun könnte man ja sagen, die hierfürnötigen Systeme lassen sich doch allesamt im Auslanderwerben . Das mag stimmen . Allerdings sind eigene rüs-tungstechnologische Fähigkeiten eine zentrale Voraus-setzung, um den europäischen Integrationsprozess imRüstungsbereich mitzugestalten . Sie gewähren Teilhabeund Einfluss bei Entwicklung, Beschaffung und Betriebvon entscheidenden militärischen Systemen, vor allemwenn sie, wie es in Deutschland in einigen Bereichenzum Glück noch der Fall ist, im globalen Vergleich im-mer noch State of the Art sind . Einmal verloren gegan-gen, sind wehrtechnische Fähigkeiten jedoch nicht odernur unter größtem Aufwand wieder aufzuholen .Die deutsche wehrtechnische Industrie trägt mit ihrenProdukten zentral dazu bei, dass die Bundeswehr als einInstrument der Politik vernünftig ausgerüstet ist und mitihrem Fähigkeitsspektrum die Breite der sicherheitspoli-tischen Herausforderungen abdecken kann .
Der Kunde Bundeswehr allein reicht heute aber längstnicht mehr aus, um die wehrtechnischen Kapazitätenauch nur zu erhalten, geschweige denn in Sachen For-schung und Entwicklung am Ball zu bleiben . Zu geringMatthias Ilgen
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 155 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 18 . Februar 201615298
(C)
(D)
ist der investive Spielraum im Einzelplan Verteidigungim Bundeshaushalt .
Frau Kollegin Manderla, darf ich Sie einmal kurz un-
terbrechen? – Kolleginnen und Kollegen, ich bitte Sie,
sich Ihre Stimmkarten etwas geräuschloser zu besorgen
und auch die Gespräche in den Fluren zu unterlassen;
denn jetzt hat die Kollegin Manderla das Wort . Sie hat
auch das Recht darauf, dass Sie ihr zuhören .
Vielen Dank, Frau Präsidentin . – Selbst der avisierte
und dringend angezeigte Mittelaufwuchs für die Bun-
deswehr wird bei weitem nicht ausreichen, diese Realität
umzukehren . So ist die deutsche wehrtechnische Indus-
trie beinahe folgerichtig bereits zu 50 bis 70 Prozent von
Exportmärkten abhängig . Lieferungen von Rüstungs-
gütern sind faktisch aber kaum noch möglich, in Teilen
nicht einmal mehr an NATO-Verbündete bzw . europäi-
sche Partner . Gerade dieser Punkt, liebe Kolleginnen und
Kollegen, ist nur schwer erträglich; das will ich hier deut-
lich zum Ausdruck bringen .
Denn wenn sich selbst unsere engsten Partner nicht da-
rauf verlassen können, dass wir ihnen vertraglich zugesi-
cherte Systeme, Ersatzteile und einzelne Bauteile liefern
bzw . nachliefern, was ist unseren Verbündeten diese Part-
nerschaft dann noch wert?
Deutsche Unternehmen haben es zunehmend schwe-
rer, sich in internationalen Lieferketten und Kooperati-
onen mit NATO-Partnern zu behaupten . Die Aufträge
gehen an Firmen aus anderen Staaten, die in der Regel
mit erheblicher staatlicher Flankierung unterstützt wer-
den . Aus dem Qualitätssiegel „made in Germany“ ist das
Label „German-free“ geworden – angesichts der quali-
tativen und technologischen Wertigkeit vieler deutscher
Systeme und Komponenten eine geradezu absurde Ent-
wicklung, meine Damen und Herren .
Deutschland hat bereits jetzt mit die restriktivsten
Regelungen für den Rüstungsexport weltweit . Mit den
im letzten Jahr noch zusätzlich eingeführten Klein-
waffengrundsätzen, lieber Herr Kollege van Aken, und
einer weiteren Verschärfung der Endverbleibskon-
trollen – sie wurden schon angesprochen; Stichwort
Post-Shipment-Kontrollen – kamen weitere Regularien
dazu .
Die Unzahl deutscher Auflagen, Bedingungen, Ein-
schränkungen und Hürden sucht weltweit jetzt schon
ihresgleichen . Mit weiteren, noch restriktiveren Maß-
nahmen riskieren wir eine Strangulierung der gesamten
Branche; und das ist mit uns, der Unionsfraktion in die-
sem Hause, nicht zu machen .
Entscheidungen über Rüstungsexporte unterliegen
stets schwierigen und komplexen Abwägungsprozessen .
Sie müssen unter Einbeziehung vieler Aspekte getroffen
werden . Eindimensionale Begründungen reichen nicht
aus . Sie müssen vielmehr in die oben genannten grund-
sätzlichen Erwägungen eingebettet sein .
In der Gesamtschau – das wissen Sie – reden wir heu-
te über eine Hochtechnologiebranche in Deutschland mit
rund 300 000 inländischen Arbeitsplätzen, deren Wert-
schöpfungsniveau beträchtlich ist und deren interaktive
Wirkung enorme Synergien mit anderen Branchen er-
zeugt . Die Bedeutung der wehrtechnischen Industrie ist
aber nicht einfach nur an simplen Umsätzen abzulesen,
sondern sie stellt einen ganz elementaren Grundpfeiler
in unserer Sicherheitsvorsorge dar und ist deshalb von
herausragender Bedeutung .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, bevor ich ende, ge-
statten Sie mir noch ein deutliches Wort zum hier heute
vorliegenden Antrag und vor allen Dingen zu dem Im-
puls im Mai letzten Jahres .
Die Unterstellung, Deutschland würde seiner Frie-
denspflicht nicht nachkommen, ist ungeheuerlich, und
angesichts der umfangreichen Bemühungen in unseren
Bündnissen – seien sie diplomatischer oder militärischer
Art – ist sie ein Schlag ins Gesicht unserer Soldatinnen
und Soldaten und unserer zivilen Kräfte, die sich tagtäg-
lich abmühen, den Störern der internationalen Ordnung
Einhalt zu gebieten .
Vielen Dank . – Letzter Redner zu diesem Tagesord-
nungspunkt ist der Kollege Dr . Karl-Heinz Brunner,
SPD-Fraktion .
Verehrte Frau Präsidentin! Meine Kolleginnen undKollegen! Meine Damen und Herren! Es ist immer etwaskritisch, als Letzter zu sprechen, und dann auch noch voreiner namentlichen Abstimmung, wenn sich das HoheHaus über alle Themen austauschen möchte, die so wich-tig sind .Es geht mir genauso wie vielen Menschen in unseremLand . Wenn man über Rüstungsexportkontrolle spricht,dann kann jeder mitdiskutieren – in jeder Form und injeder Ausgestaltung . Es ist das ideale Thema an jedemStammtisch . Man vergleicht einen Panzer oder einenTornado ganz selbstverständlich mit dem G36 oder auchnur einer Jagdmunition .Warum sage ich dies? Ich sage dies deshalb, weil esbei der Diskussion über die Rüstungsexportkontrol-le zweifelsohne um mehr geht, als nur platt zu fordern,Gisela Manderla
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 155 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 18 . Februar 2016 15299
(C)
(D)
nicht mehr Waffen in irgendwelche Staaten zu exportie-ren, seien es befreundete und unkritische Staaten oder,was ausgeschlossen sein muss, kritische Staaten .
Das Thema ist weitaus vielschichtiger, differenzierterund vor allen Dingen komplizierter zu betrachten .
Bereits heute gelten zahllose Vorschriften . Die Klein-waffengrundsätze wurden im vergangenen Jahr verän-dert, und die Post-Shipment-Kontrollen kommen . Esist richtig, dass Bundesminister Gabriel, der weiß, dasseine Reihe von Richtlinien Auslegungen erlauben, Aus-legungen einmal industriefreundlich und einmal weni-ger industriefreundlich vornimmt . Er hat zu Recht vor-geschlagen, innere Klarheit bzw . Rechtssicherheit undvor allen Dingen auch äußere Klarheit durch ein eigenesRüstungsexportgesetz zu schaffen .
Liebe Kollegin Brugger, ich glaube, es ist zu kurz ge-sprungen, wenn man sagt, man sollte nicht arg lang nach-denken, vom 15 . Januar 2016 bis zum 16 . Februar 2016hätte das erledigt sein sollen;
denn Nachdenken ist die Voraussetzung für richtigesHandeln, und für das Regierungshandeln gilt das erstrecht . Deshalb ist es richtig, zuerst intensiv nachzuden-ken, eine Expertenkommission einzubinden und mitdieser Expertenkommission die richtigen abgewogenenVorschriften und gesetzlichen Regelungen zu erarbeitenund vorzustellen, die eine wirksame und effektive Arbeitausgewogen und umfassend ermöglichen .
Es geht nicht allein darum, jetzt ganz schnell das Au-ßenwirtschaftsgesetz, das Kriegswaffenkontrollgesetzund Ähnliches zu ändern . Es geht nicht darum, die Fragezu beantworten: Wie können für Kleinwaffen, die größ-te Gefahr in unserer Gesellschaft und auf unserer Welt,wirksame Endverbleibskontrollen durchgeführt werden,sei es durch Chips, sei es durch Laser oder Ähnliches?Vielmehr gehört dazu auch, nicht nur über Waffenexpor-te zu reden, sondern auch über die Waffen, die tatsächlichin Umlauf gebracht werden . Die Abrüstungspolitik ins-gesamt muss als eine Einheit gesehen werden .Deutschland muss und wird – soweit bin ich mir si-cher – im Rahmen der weltweiten Abrüstung und derSchaffung von mehr Sicherheit weiter aktiv seinen Bei-trag leisten . Auch ich will dies . Deshalb, glaube ich, müs-sen wir eine ganz bestimmte Art der Kriegsführung in denExpertenrunden mutig ansprechen, von der wir heute vielzu wenig sprechen: die extralegalen Tötungen . Dadurchwird versucht, Konflikte und das Recht auf Selbstvertei-digung über alle Maßen hinweg räumlich und zeitlich zuentgrenzen, also durch Drohnenangriffe in anderen Län-dern zu töten, ohne das Völkerrecht zu berücksichtigen .Extralegale Tötungen – ich sage dies, weil ich die Gele-genheit habe, als Letzter zu sprechen – dürfen nie undnimmermehr zur völkerrechtlichen Gewohnheit werden .
Wir dürfen sie nicht akzeptieren . Vor allen Dingen dür-fen sie niemals und schon gar nicht mit unserer Hilfe insVölkerrecht eingehen .Sie sehen, meine Damen und Herren, Rüstungskon-trolle, Abrüstung, die Schaffung von Frieden auf dieserWelt sind wesentlich komplexer, als schnell mal einenAntrag zu stellen, schnell mal einen Gesetzentwurf vor-zulegen und schnell mal zu handeln . Vielmehr bedarf eseiner weisen und intensiven Diskussion und Beratung .Ich glaube, dass dies die Expertenkommission sehr wohltun kann . Ich bin mir sicher, dass Sigmar Gabriel unddas Ministerium für Wirtschaft auf dem richtigen Wegsind, die entsprechenden Regelungen zu treffen und denFrieden zu sichern .Vielen Dank für die Aufmerksamkeit .
Vielen Dank . – Wir sind damit am Ende der Debatteangelangt und kommen zur Abstimmung über den An-trag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksa-che 18/7546 mit dem Titel „Rüstungsexportkontrollge-setz vorlegen“ . Wir stimmen nun über den Antrag aufVerlangen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen nament-lich ab .Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer,die vorgesehenen Plätze einzunehmen . – Sind jetzt allePlätze an den Urnen besetzt? – Ich sehe, das ist der Fall .Dann eröffne ich die Abstimmung über den Antrag .Sind Kollegen oder Kolleginnen im Saal, die ihreStimmkarte noch nicht abgegeben haben? – Ich sehe, dasist nicht der Fall . Dann schließe ich die Abstimmung undbitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit derAuszählung zu beginnen . Das Ergebnis der Abstimmungwird Ihnen später bekannt gegeben .1)Wir haben jetzt noch eine weitere Abstimmung durch-zuführen . Ich darf Sie alle bitten, wieder Platz zu neh-men .Wir kommen zum Tagesordnungspunkt 20 b . Abstim-mung über die Beschlussempfehlung des Ausschussesfür Wirtschaft und Energie zu dem Antrag der FraktionBündnis 90/Die Grünen mit dem Titel „Eckpunkte für einRüstungsexportkontrollgesetz“. Der Ausschuss empfiehltin seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/7030,den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen aufDrucksache 18/4940 abzulehnen . Wer stimmt für die-se Beschlussempfehlung? – Gegenprobe! – Enthaltun-gen? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmenvon CDU/CSU- und SPD-Fraktion angenommen bei1) Ergebnis Seite 15301 CDr. Karl-Heinz Brunner
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 155 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 18 . Februar 201615300
(C)
(D)
Enthaltung der Fraktion Die Linke und Gegenstimmender Fraktion Bündnis 90/Die Grünen .Ich rufe jetzt die Tagesordnungspunkte 11 a und 11 bauf:a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-regierung eingebrachten Entwurfs eines Geset-zes zur Umsetzung der Wohnimmobilienkre-ditrichtlinieDrucksachen 18/5922, 18/6286Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
Drucksache 18/7584b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-richts des Ausschusses für Recht und Verbrau-cherschutz zu dem Antrag der Ab-geordneten Caren Lay, Klaus Ernst, Dr . DietmarBartsch, weiterer Abgeordneter und der FraktionDIE LINKEGesetzliche Deckelung und Veröffentlichungder Zinssätze für Dispo- und Überziehungs-krediteDrucksachen 18/2741, 18/7584Der Gesetzentwurf zur Umsetzung der Wohnim-mobilienkreditrichtlinie beinhaltet in der Fassung derBeschlussempfehlung des Ausschusses für Recht undVerbraucherschutz auch Änderungen handelsrechtlicherVorschriften .Außerdem liegen zu dem Gesetzentwurf der Bundes-regierung je ein Entschließungsantrag der Fraktion DieLinke und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor .Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind fürdie Aussprache 38 Minuten vorgesehen . – Ich höre dazukeinen Widerspruch . Dann ist so beschlossen .Ich eröffne die Aussprache . Das Wort hat der Parla-mentarische Staatssekretär Ulrich Kelber .
U
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Her-ren! Ich freue mich, dass wir heute über den Entwurf einesGesetzes zur Umsetzung der Wohnimmobilienkreditricht-linie abschließend beraten können . Für die Verbrauche-rinnen und Verbraucher ist es wichtig, dass sie jetzt vonden neuen Möglichkeiten, ihren neuen Rechten beim Ab-schluss eines Immobilienkredits Gebrauch machen kön-nen . Ich will nur stichwortartig die Verbesserungen ausSicht der Verbraucherinnen und Verbraucher nennen – dieKolleginnen und Kollegen werden darauf näher einge-hen –: verbesserte vorvertragliche Informationen, Schutzvor Risiken bei Fremdwährungskrediten, Beratungsan-gebote bei Dispokrediten, die Möglichkeit anbieterunab-hängiger Honorarberatung und das Widerrufsrecht auchbei Null-Prozent-Finanzierung . Heute Morgen haben wirin weiteren Bereichen im Rahmen eines anderen Gesetzeszusätzliche Verbraucherrechte eingeführt, unter anderemdas Widerrufsrecht auf dem Grauen Kapitalmarkt .Es gibt also eine Reihe positiver Punkte . Zur Trans-parenz gehört aber, auch auf den Punkt einzugehen, überden in den letzten Wochen kritisch diskutiert wurde,nämlich über das Auslaufen des sogenannten ewigen Wi-derrufsrechts . Dies ist lange innerhalb der Bundesregie-rung – Finanzministerium und Verbraucherschutzminis-terium – abgewogen worden . Wir sind zu dem Ergebnisgekommen – das haben wir dem Bundestag vorgeschla-gen –, dass auch Personen, denen der Verbraucherschutzein Anliegen ist, dem Auslaufen der Altfälle 6 bis 14 Jah-re nach Zustandekommen des Vertrages zustimmenkönnen . Es geht darum, dass Immobilienkreditverträge,die zwischen 2002 und 2010 zustande gekommen sind,teilweise mit einem ewigen Widerrufsrecht belastet sind,weil manche Bankinstitute nicht mehr von der gesetzli-chen Musterwiderrufsbelehrung Gebrauch gemacht ha-ben, als diese von einigen Gerichten infrage gestellt wur-de . Ich will die Gründe nicht im Einzelnen bewerten . DieVerträge sind nicht wegen einer schlechten oder falschenInformation, die zu Benachteiligungen geführt hat, ent-standen, vielmehr sind sie wegen eines Formfehlers mitRechtsunsicherheiten für beide Seiten behaftet .Man darf sicherlich sagen, dass es kein echtes ver-braucherpolitisches Anliegen ist, das Widerrufsrecht einerVertragspartei noch aufrechtzuerhalten, wenn der Kreditbereits vollständig getilgt wurde und der Vertrag zur bei-derseitigen Zufriedenheit erfüllt worden ist . Wie wir se-hen, geht es größtenteils nicht um Kunden, die sich überzu hohe Vorfälligkeitsentschädigungen beschwert haben .Vielmehr wird dieses Widerrufsrecht von Rechtsanwalts-kanzleien sozusagen als Widerrufsjoker genutzt, nach demMotto: Nutzen Sie die jetzt niedrigeren Zinsen! – Aus mei-ner Sicht sind vor allem Banken und Sparkassen belastet,die Kredite zu fairen Konditionen angeboten und nichtversucht haben, zu übervorteilen . Aber diese müssen heut-zutage damit rechnen, dass ihre Bilanzen durch hohe Kos-ten aus abgelaufenen, erfüllten Verträgen belastet werden .Es ist keineswegs sicher, dass dieses Widerrufsrechtewig von den Verbraucherinnen und Verbrauchern ge-nutzt werden kann; denn wahrscheinlich werden in Zu-kunft einige Gerichte entscheiden, dass das Widerrufs-recht nach 10, 14 oder 16 Jahren verwirkt ist . Aber solange, bis entsprechende höchstrichterliche Urteile erge-hen, herrscht Rechtsunsicherheit auf beiden Seiten . Dasist weder aus Verbrauchersicht noch aus Gründen derFinanzmarktstabilität sinnvoll . Deswegen glaube ich,dass es nun richtig ist, zu sagen: Verbraucherinnen undVerbraucher haben drei Monate nach Inkrafttreten desGesetzentwurfs Zeit, sich zu überlegen, ob sie ihr Wi-derrufsrecht bei Verträgen aus den Jahren 2002 bis 2010wahrnehmen wollen . Die Regierung hat im Septemberletzten Jahres angekündigt, eine solche Regelung vorzu-schlagen . Die Verbraucherinnen und Verbraucher habenfolglich neun Monate Zeit . Von „zu schnell“ und „über-rumpeln“ kann also keine Rede sein .Neben all den Vorteilen, die ich zu Beginn aufgezählthabe, wird diese Regelung dazu beitragen, dass wir inDeutschland zwei Dinge behalten: die europaweit bes-Vizepräsidentin Ulla Schmidt
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 155 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 18 . Februar 2016 15301
(C)
(D)
ten Konditionen bei Immobilienkrediten, also die nied-rigsten Zinsen, und gleichzeitig eine hohe Kultur bei denFestzinsen, also Berechenbarkeit aus Sicht der Verbrau-cherinnen und Verbraucher . Daher hoffe ich, dass derGesetzentwurf auf breite Unterstützung bei Ihnen stößt .Vielen Dank .
Vielen Dank . – Bevor ich die nächste Rednerin aufru-fe, möchte ich Ihnen das von den Schriftführerinnen undSchriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichenAbstimmung bekannt geben: abgegebene Stimmen 583 .Mit Ja haben gestimmt 116, mit Nein haben gestimmt467 . Damit ist der Antrag abgelehnt .Endgültiges ErgebnisAbgegebene Stimmen: 582;davonja: 116nein: 466enthalten: 0JaCDU/CSUJosef GöppelSPDDetlef Müller
DIE LINKEJan van AkenDr . Dietmar BartschHerbert BehrensKarin BinderMatthias W . BirkwaldHeidrun BluhmChristine BuchholzEva Bulling-SchröterRoland ClausSevim DağdelenDr . Diether DehmKlaus ErnstWolfgang GehrckeAnnette GrothDr . Andre HahnDr . Rosemarie HeinInge HögerAndrej HunkoSigrid HupachUlla JelpkeSusanna KarawanskijKerstin KassnerKatja KippingJan KorteJutta KrellmannKatrin KunertCaren LaySabine LeidigRalph LenkertStefan LiebichDr . Gesine LötzschBirgit MenzCornelia MöhringNiema MovassatNorbert Müller
Dr . Alexander S . NeuThomas NordPetra PauHarald Petzold
Richard PitterleMartina RennerDr . Petra SitteKersten SteinkeDr . Kirsten TackmannAzize TankFrank TempelDr . Axel TroostAlexander UlrichKathrin VoglerHalina WawzyniakHarald WeinbergKatrin WernerBirgit WöllertJörn WunderlichHubertus ZdebelPia ZimmermannSabine Zimmermann
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENLuise AmtsbergKerstin AndreaeAnnalena BaerbockMarieluise Beck
Dr . Franziska BrantnerAgnieszka BruggerKatja DörnerKatharina DrögeHarald EbnerDr . Thomas GambkeKai GehringKatrin Göring-EckardtAnja HajdukBritta HaßelmannDr . Anton HofreiterBärbel HöhnDieter JanecekUwe KekeritzKatja KeulSven-Christian KindlerMaria Klein-SchmeinkTom KoenigsSylvia Kotting-UhlOliver KrischerStephan Kühn
Christian Kühn
Renate KünastMarkus KurthMonika LazarSteffi LemkeDr . Tobias LindnerPeter MeiwaldIrene MihalicBeate Müller-GemmekeÖzcan MutluDr . Konstantin von NotzOmid NouripourFriedrich OstendorffCem ÖzdemirLisa PausBrigitte PothmerTabea RößnerClaudia Roth
Manuel SarrazinElisabeth ScharfenbergUlle SchauwsDr . Gerhard SchickDr . Frithjof SchmidtKordula Schulz-AscheDr . Wolfgang Strengmann-KuhnHans-Christian StröbeleDr . Harald TerpeMarkus TresselJürgen TrittinDr . Julia VerlindenBeate Walter-RosenheimerDr . Valerie WilmsNeinCDU/CSUStephan AlbaniPeter AltmaierArtur AuernhammerThomas BareißNorbert BarthleGünter BaumannMaik BeermannVeronika BellmannSybille BenningDr . Andre BergheggerDr . Christoph BergnerPeter BeyerSteffen BilgerClemens BinningerPeter BleserDr . Maria BöhmerWolfgang BosbachNorbert BrackmannKlaus BrähmigMichael BrandDr . Reinhard BrandlHelmut BrandtDr . Ralf BrauksiepeHeike BrehmerRalph BrinkhausCajus CaesarGitta ConnemannAlexandra Dinges-DierigAlexander DobrindtMichael DonthThomas DörflingerMarie-Luise DöttHansjörg DurzIris EberlJutta EckenbachHermann FärberUwe FeilerDr . Thomas FeistEnak FerlemannIngrid FischbachDirk Fischer
Axel E . Fischer
Dr . Maria FlachsbarthKlaus-Peter FlosbachThorsten FreiDr . Astrid FreudensteinParl. Staatssekretär Ulrich Kelber
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 155 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 18 . Februar 201615302
(C)
(D)
Dr . Hans-Peter Friedrich
Michael FrieserDr . Michael FuchsHans-Joachim FuchtelAlexander FunkIngo GädechensDr . Thomas GebhartAlois GerigEberhard GiengerCemile GiousoufUrsula Groden-KranichHermann GröheKlaus-Dieter GröhlerMichael Grosse-BrömerAstrid GrotelüschenMarkus GrübelManfred GrundOliver GrundmannMonika GrüttersDr . Herlind GundelachFritz GüntzlerOlav GuttingChristian HaaseFlorian HahnDr . Stephan HarbarthJürgen HardtGerda HasselfeldtMatthias HauerMark HauptmannDr . Stefan HeckDr . Matthias HeiderHelmut HeiderichMechthild HeilFrank Heinrich
Mark HelfrichUda HellerJörg HellmuthMichael HennrichAnsgar HevelingPeter HintzeDr . Heribert HirteChristian HirteRobert Hochbaum
Karl HolmeierDr . Hendrik HoppenstedtMargaret HorbBettina HornhuesCharles M . HuberAnette HübingerHubert HüppeThomas JarzombekSylvia JörrißenDr . Franz Josef JungAndreas JungXaver JungDr . Egon JüttnerBartholomäus KalbHans-Werner KammerSteffen KampeterSteffen KanitzAlois KarlAnja KarliczekBernhard KasterVolker KauderDr . Stefan KaufmannRoderich KiesewetterDr . Georg KippelsVolkmar KleinJürgen KlimkeAxel KnoerigJens KoeppenMarkus KoobCarsten KörberHartmut KoschykKordula KovacMichael KretschmerGunther KrichbaumDr . Günter KringsRüdiger KruseBettina KudlaDr . Roy KühneUwe LagoskyDr . Karl A . LamersAndreas G . LämmelDr . Norbert LammertKatharina LandgrafUlrich LangeBarbara LanzingerDr . Silke LaunertPaul LehriederDr . Katja LeikertDr . Philipp LengsfeldDr . Andreas LenzPhilipp Graf LerchenfeldDr . Ursula von der LeyenAntje LeziusIngbert LiebingMatthias LietzAndrea LindholzDr . Carsten LinnemannPatricia LipsWilfried LorenzDr . Claudia Lücking-MichelDr . Jan-Marco LuczakDaniela LudwigKarin MaagYvonne MagwasThomas MahlbergDr . Thomas de MaizièreGisela ManderlaMatern von MarschallHans-Georg von der MarwitzAndreas MattfeldtStephan Mayer
Reiner MeierDr . Michael MeisterJan MetzlerMaria MichalkDr . h .c . Hans MichelbachDr . Mathias MiddelbergDietrich MonstadtKarsten MöringMarlene MortlerVolker MosblechElisabeth MotschmannDr . Gerd MüllerCarsten Müller
Stefan Müller
Dr . Philipp MurmannDr . Andreas NickMichaela NollHelmut NowakDr . Georg NüßleinJulia ObermeierWilfried OellersFlorian OßnerDr . Tim OstermannHenning OtteIngrid PahlmannSylvia PantelMartin PatzeltDr . Martin PätzoldUlrich PetzoldDr . Joachim PfeifferSibylle PfeifferEckhard PolsThomas RachelKerstin RadomskiAlexander RadwanAlois RainerDr . Peter RamsauerEckhardt RehbergLothar RiebsamenJosef RiefDr . Heinz RiesenhuberDr . Norbert RöttgenErwin RüddelAnita Schäfer
Andreas ScheuerKarl SchiewerlingNorbert SchindlerTankred SchipanskiHeiko SchmelzleGabriele Schmidt
Ronja SchmittPatrick SchniederDr . Ole SchröderDr . Kristina Schröder
Bernhard Schulte-DrüggelteDr . Klaus-Peter SchulzeUwe SchummerArmin Schuster
Christina SchwarzerDetlef SeifJohannes SelleReinhold SendkerDr . Patrick SensburgBernd SiebertThomas SilberhornJohannes SinghammerTino SorgeJens SpahnCarola StaucheDr . Frank SteffelDr. Wolfgang StefingerAlbert StegemannErika SteinbachSebastian SteinekeJohannes SteinigerChristian Frhr . von StettenDieter StierRita StockhofeGero StorjohannStephan StrackeMax StraubingerMatthäus StreblKarin StrenzThomas StritzlThomas Strobl
Lena StrothmannMichael StübgenDr . Sabine Sütterlin-WaackDr . Peter TauberAntje TillmannAstrid Timmermann-FechterDr . Hans-Peter UhlDr . Volker UllrichArnold VaatzOswin VeithThomas ViesehonMichael VietzVolkmar Vogel
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 155 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 18 . Februar 2016 15303
(C)
(D)
Sven VolmeringChristel Voßbeck-KayserKees de VriesDr . Johann WadephulMarco WanderwitzNina WarkenKai WegnerAlbert WeilerMarcus Weinberg
Dr . Anja WeisgerberPeter Weiß
Sabine Weiss
Ingo WellenreutherKarl-Georg WellmannMarian WendtWaldemar WestermayerKai WhittakerPeter WichtelAnnette Widmann-MauzHeinz Wiese
Klaus-Peter WillschElisabeth Winkelmeier-BeckerDagmar G . WöhrlBarbara WoltmannTobias ZechEmmi ZeulnerDr . Matthias ZimmerGudrun ZollnerSPDNiels AnnenIngrid Arndt-BrauerRainer ArnoldHeike BaehrensUlrike BahrHeinz-Joachim BarchmannDr . Katarina BarleyDoris BarnettKlaus BarthelDr . Matthias BartkeSören BartolBärbel BasUwe BeckmeyerLothar Binding
Burkhard BlienertWilli BraseDr . Karl-Heinz BrunnerEdelgard BulmahnMarco BülowMartin BurkertDr . Lars CastellucciPetra CroneBernhard DaldrupSabine DittmarMartin DörmannElvira Drobinski-WeißSiegmund EhrmannMichaela EngelmeierDr . h .c . Gernot ErlerPetra ErnstbergerSaskia EskenKarin Evers-MeyerDr . Johannes FechnerDr . Fritz FelgentreuElke FernerDr . Ute Finckh-KrämerChristian FlisekGabriele FograscherDr . Edgar FrankeUlrich FreeseDagmar FreitagSigmar GabrielMichael GerdesMartin GersterIris GleickeAngelika GlöcknerUlrike GottschalckKerstin GrieseGabriele GronebergMichael GroßUli GrötschWolfgang GunkelBettina HagedornRita Hagl-KehlMetin HakverdiSebastian Hartmann
Dirk HeidenblutHubertus Heil
Marcus HeldWolfgang HellmichHeidtrud HennGustav HerzogGabriele Hiller-OhmPetra Hinz
Thomas HitschlerDr . Eva HöglMatthias IlgenFrank JungeJosip JuratovicThomas JurkOliver KaczmarekJohannes KahrsRalf KapschackGabriele KatzmarekUlrich KelberMarina KermerCansel KiziltepeArno KlareLars KlingbeilDr. Bärbel KoflerBirgit KömpelAnette KrammeDr . Hans-Ulrich KrügerChristine LambrechtChristian Lange
Dr . Karl LauterbachSteffen-Claudio LemmeBurkhard LischkaGabriele Lösekrug-MöllerHiltrud LotzeKirsten LühmannDr . Birgit Malecha-NissenCaren MarksKatja MastHilde MattheisDr . Matthias MierschKlaus MindrupSusanne MittagBettina MüllerMichelle MünteferingDr . Rolf MützenichDietmar NietanUlli NissenThomas OppermannMahmut Özdemir
Markus PaschkeChristian PetryJeannine PflugradtDetlev PilgerSabine PoschmannJoachim PoßFlorian PostAchim Post
Dr . Wilhelm PriesmeierFlorian PronoldDr . Sascha RaabeDr . Simone RaatzMartin RabanusMechthild RawertStefan RebmannGerold ReichenbachDr . Carola ReimannAndreas RimkusSönke RixPetra Rode-BosseDennis RohdeDr . Martin RosemannRené RöspelDr . Ernst Dieter RossmannMichael Roth
Susann RüthrichBernd RützelSarah RyglewskiJohann SaathoffAnnette SawadeDr . Hans-JoachimSchabedothAxel Schäfer
Dr . Nina ScheerMarianne SchiederUdo SchiefnerDr . Dorothee SchlegelUlla Schmidt
Matthias Schmidt
Dagmar Schmidt
Carsten Schneider
Elfi Scho-AntwerpesUrsula SchulteSwen Schulz
Ewald SchurerFrank SchwabeStefan SchwartzeAndreas SchwarzRita Schwarzelühr-SutterRainer SpieringNorbert SpinrathSvenja StadlerMartina Stamm-FibichSonja SteffenPeer SteinbrückDr . Frank-Walter SteinmeierChristoph SträsserKerstin TackClaudia TausendMichael ThewsDr . Karin ThissenFranz ThönnesCarsten TrägerUte VogtDirk VöpelBernd WestphalDirk Wiese
Gülistan YükselDagmar ZieglerStefan ZierkeDr . Jens ZimmermannManfred ZöllmerBrigitte Zypries
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 155 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 18 . Februar 201615304
(C)
(D)
Nächste Rednerin für die Fraktion Die Linke ist dieKollegin Caren Lay .
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Wir sprechen heute über die Rechte von Men-
schen, die einen Kredit aufgenommen haben, um sich da-
mit ein Haus zu bauen oder eine Eigentumswohnung zu
finanzieren. Für viele, ja für die meisten ist es der größte
Kauf in ihrem Leben, der größte Kredit, den sie aufneh-
men .
Da sind die Konditionen zum Teil kompliziert, die
Vertragswerke für manche unverständlich, und der Häus-
lebauer ist ja auch auf die Bank und auf den Kredit an-
gewiesen . Diese Situation nutzen die Banken gern, um
zuzuschlagen mit versteckten Gebühren, mit versteckten
Kosten . Deswegen sagen wir als Linke: Es ist höchste
Zeit, die Rechte der Kunden gegenüber den Banken zu
stärken .
Der Impuls für die Gesetzesänderung heute – auch
das gehört allerdings zur Wahrheit hinzu – kommt nicht
etwa von der Regierung, kommt nicht aus der Koalition
in Berlin; es ist wieder einmal die EU, die Deutschland
zwingt, eine Richtlinie umzusetzen . Das ist ja leider bei
der Verbraucherpolitik inzwischen an der Tagesordnung .
Bei dieser Umsetzung schaffen Sie es allerdings am
Ende des Tages, also heute, dass mit einer Richtlinie, mit
der die Rechte der Verbraucher gestärkt werden sollen,
den Verbraucherinnen und Verbrauchern letztlich Mög-
lichkeiten genommen werden . Das kann ich überhaupt
nicht verstehen. Wir finden das völlig inakzeptabel.
Ich möchte auf drei konkrete Punkte eingehen . Das
Erste sind die sogenannten Vorfälligkeitsentschädigun-
gen . Also: Wer seinen Kredit vorzeitig kündigen möch-
te – dahinter stecken ja manchmal auch Schicksale wie
Todesfälle, Trennung vom Partner, von der Partnerin
oder Arbeitslosigkeit –, muss Gebühren, hohe Gebühren,
zu hohe Gebühren – wie wir finden – an die Banken zah-
len . Nach Aussagen der Verbraucherzentralen fallen da
in Deutschland bis zu 15 Prozent der Kreditsumme an .
Bei 100 000 Euro wären das dann also 15 000 Euro, die
man an Entschädigung an die Bank zahlen muss . Das ist
wirklich fett . Diese Vorfälligkeitsentschädigungen sind
die höchsten in ganz Europa . Wir können das nicht ak-
zeptieren . Deswegen sagen wir als Linke: Machen Sie es
doch so wie unsere europäischen Nachbarn, und deckeln
Sie endlich diese Gebühren!
Leider verpasst die Koalition auch dieses Mal die Chance,
das umzusetzen, was uns die EU hier ermöglicht hätte .
Der zweite Punkt – wir haben als Fraktion Die Linke
viele Anträge dazu gestellt – sind die Dispozinsen . Ich
darf Sie erinnern: Die Dispozinsen liegen in Deutschland
durchschnittlich immer noch bei 10 Prozent . Wenn wir
uns jetzt angucken, dass die Banken ihr Geld zu einem
historisch niedrigen Leitzins bekommen, sind die Gewin-
ne, die die Banken hier auf Kosten derjenigen einfahren
können, die im Dispo stecken, einfach nicht akzeptabel .
Wir als Linke haben deswegen gesagt: Lassen Sie uns
die Dispozinsen gesetzlich bei 5 Prozent über dem Leit-
zinssatz der EZB deckeln! Das würde den Banken im-
mer noch 5 Prozent Gewinn sichern . Aber alles andere
ist doch unanständig, alles andere bedeutet, Reibach auf
Kosten von Menschen zu machen, die auf den Dispo an-
gewiesen sind . Das ist völlig inakzeptabel .
Den Vogel abgeschossen hat die Koalition aber mit
der Änderung des Widerrufsrechts . Ohne Not sollen wir
heute eine Änderung zulasten der Verbraucher beschlie-
ßen, eine Änderung, zu der uns die EU-Richtlinie über-
haupt nicht anhält . Die Banken haben einfach jahrelang
falsche Widerrufsbelehrungen verschickt . Das ermög-
licht den Verbrauchern, solange das nicht korrigiert wird,
ihre Darlehensverträge zu kündigen . Das ist den Banken
ein Dorn im Auge .
Ich finde, die Banken könnten diesen Fehler behe-
ben, indem sie eine korrekte Nachbelehrung vornehmen .
Das tun sie aber nicht, weil sie fürchten, dass sie damit
schlafende Hunde wecken . Stattdessen haben die Ban-
ken Lobbyismus betrieben – offenbar bei Abgeordneten
des Deutschen Bundestags, bei der Regierung und beim
Bundesrat – und haben gesagt: Liebe Politiker, regelt
das doch einmal für uns! Und genau das sollen wir heute
auch für die Banken zulasten der Verbraucherinnen und
Verbraucher tun . Ich kann überhaupt nicht verstehen, wie
Sie sich hier von den Banken vor den Karren spannen
lassen . Das machen wir als Linke nicht mit .
Damit belohnt der Gesetzgeber am Ende diejenigen, die
sich besonders verbraucherfeindlich verhalten . Es ist ein-
fach völlig unnötig, das Widerrufsrecht an dieser Stelle
zu ändern .
Meine Damen und Herren, das manager magazin,
nicht gerade im Verdacht, der Linken nahezustehen, darf
ich zum Abschluss zitieren . Es titelte: „Wie die Banken-
lobby einen Minister dazu bringt, die Rechte ihrer Kun-
den zu beschneiden“ . Der Autor führt fort, dieses Gesetz
sei „ein einziger Kniefall vor der Bankenlobby“ . Ich
möchte ergänzen: Das war auch für mich ein Lehrstück
von Lobbyismus im Deutschen Bundestag, in der Bun-
desrepublik Deutschland, wie ich es selten erlebt habe .
Wir können diesem Gesetzentwurf nicht zustimmen .
Vielen Dank .
Vielen Dank . – Nächster Redner ist der KollegeDr . Stefan Heck, CDU/CSU-Fraktion .
Vizepräsidentin Ulla Schmidt
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 155 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 18 . Februar 2016 15305
(C)
(D)
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Wir bringen heute ein Gesetz auf den Weg, das
im Wesentlichen eine europäische Richtlinie umsetzt .
Wir erhöhen damit insgesamt den Verbraucherschutz auf
einem wichtigen Sektor der Kreditgewährung . Ich möch-
te noch einige Punkte gleich im Einzelnen herausgrei-
fen . Ich glaube, dass die Beratungen der letzten Wochen
gezeigt haben, dass unser Baufinanzierungssystem sich
insgesamt bewährt hat . Es steht auf festen Füßen .
Wir sollten insbesondere an den Regelungen zur Vor-
fälligkeitsentschädigung festhalten . Hier sind Eingriffe
in die Vertragsfreiheit fehl am Platz . Die Vorfälligkeits-
entschädigung sichert gerade unser Festzinssystem und
ist die Voraussetzung für langfristige Zinsgarantien, auch
und gerade im Interesse der Verbraucher . Es ist gut, dass
wir daran heute nicht rütteln .
Ich will besonders noch auf diejenigen Punkte ein-
gehen, die wir in den letzten Wochen im Zuge der Aus-
schussberatungen weiter verbessert haben . Ja, Frau Lay,
wir haben uns intensiv mit den Folgen beschäftigt, die
das ewige Widerrufsrecht hat . Hier haben nicht irgend-
welche Banken, wie Sie eben gesagt haben, sondern wir
als Gesetzgeber, der Staat selber, eine Situation geschaf-
fen, die zu ganz erheblicher Rechtsunsicherheit führt .
Mit der von uns gelieferten Vorlage haben wir Regelun-
gen geschaffen, die Probleme hervorrufen und die dazu
führen, dass Widerrufsbelehrungen zwischen den Jahren
2002 und 2010 fehlerhaft sind . Das heißt, es gibt heute
noch Verträge, die vor teilweise 6 bis 13 Jahren geschlos-
sen worden sind und die längst abgewickelt sind, aber
durch einen Fehler, den wir selbst verursacht haben, im-
mer noch widerrufen werden können .
Sie fragen, wem das nützt . Das nützt vor allem einer
ganz beträchtlichen Zahl von Rechtsanwälten, die vie-
le Prozesse angestoßen haben . Wenn Sie fragen, wem
das schadet, dann antworte ich Ihnen: Das sind nicht
die großen internationalen, europäischen und deutschen
Banken, die wir alle kennen, sondern es sind gerade die
kleinen Institute, die Regionalbanken, die kommunalen
Banken und die Sparkassen, die wir immer ganz beson-
ders im Blick haben sollten .
Hier ist ein Zustand entstanden, den wir nicht sehenden
Auges hinnehmen können . Ich glaube, dass wir im Inte-
resse der Rechtssicherheit und am Ende auch des Rechts-
friedens eine Änderung vornehmen müssen .
Wir schlagen Ihnen heute eine Erlöschensregelung
nach drei Monaten vor . Das heißt, alle, die bis jetzt schon
6 bis 13 Jahre Zeit hatten, ihre Verträge zu widerrufen,
bekommen nun noch einmal drei Monate Zeit, ihre in-
dividuellen Verträge zu prüfen und mit Rechtsanwälten
oder Verbraucherzentralen darüber zu sprechen, ob bei
ihnen ein Widerrufsrecht besteht . Ich bin überzeugt: Wir
haben Ihnen gerade zu diesem Punkt eine ausgewogene
und maßvolle Lösung vorgelegt, die längst überfällig war
und mit der wir heute den lange fälligen Rechtsfrieden
schaffen .
Wir haben in dieses Gesetzespaket noch zwei weitere
Regelungen aufgenommen, die der schon länger anhal-
tenden Niedrigzinsphase geschuldet sind . Die erste be-
trifft die betriebliche Altersvorsorge . Hier führen niedri-
ge Zinsen dazu, dass Firmen immer mehr Geld für ihre
Pensionen zurücklegen müssen . Es besteht die Gefahr,
dass eine ganz unverschuldete finanzielle Schieflage ent-
steht . Wir schlagen Ihnen heute vor, dass wir nunmehr
den Zinsdurchschnitt der letzten zehn Jahre zugrunde
legen, also den bisher geltenden Zeitraum von sieben
Jahren auf zehn Jahre erhöhen . Ich glaube, dass auch
das dringend notwendig ist, weil wir damit gerade den
Arbeitnehmern, aber auch den Unternehmen helfen . Wie
wir heute den Schlagzeilen entnehmen konnten, leidet
selbst das Erzbistum Köln unter dieser Situation . Wir
machen heute das wichtige Instrument der betrieblichen
Altersvorsorge zukunftsfest .
Es gibt noch eine zweite Auswirkung, die der Nied-
rigzinsphase ganz unmittelbar geschuldet ist . Auch in
diesem Zusammenhang verbessern wir die Rechte des
Endverbrauchers heute maßgeblich . Wir stellen fest, dass
in der Niedrigzinsphase immer mehr hochwertige Wa-
ren zinsfrei finanziert werden können. Bislang stand bei
einer unentgeltlichen, also zinsfreien, Finanzierung der
Verbraucher schlechter da als bei einer Finanzierung, bei
der Zinsen vorgesehen sind . Dies wird die Koalition heu-
te ändern . Es kann nicht sein, dass sich ein Endverbrau-
cher schlechterstellt, weil er bessere Kreditkonditionen
aushandeln konnte .
Ich glaube, dass wir uns im weiteren Verfahren – es
ist noch eine Verordnung vorgesehen – noch um ein paar
Details kümmern müssen . Etwa bei der sogenannten Al-
te-Hasen-Regelung, die die Gewerbeordnung betrifft,
müssen wir Klarstellungen vornehmen, was die ununter-
brochene Tätigkeit angeht .
Ich komme zum Schluss . Ich glaube, dass wir heute
einen guten Kompromiss vorlegen . Wir achten das Prin-
zip der Vertragsfreiheit . Wir sichern bewährte Finan-
zierungsmodelle, und wir verbessern den Verbraucher-
schutz .
Herzlichen Dank .
Herzlichen Dank . – Es spricht jetzt der Kollege
Dr . Gerhard Schick, Bündnis 90/Die Grünen .
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Bei diesem Gesetzgebungsvorhaben möchte ich nicht aufalles eingehen – das lässt die Zeit nicht zu –, sondern dreiPunkte in den Vordergrund rücken .Der erste ist die Vorfälligkeitsentschädigung . Andersals es der Kollege Heck gerade gesagt hat, ist die For-
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 155 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 18 . Februar 201615306
(C)
(D)
derung der Opposition nicht, diese Entschädigung abzu-schaffen, sondern es geht darum, sie zu deckeln oder zu-mindest – das ist wirklich die Grundanforderung – dafürzu sorgen, dass sie nicht immer wieder zulasten der Ver-braucherinnen und Verbraucher falsch berechnet wird .Der Anreiz dafür ist gerade in dieser Niedrigzinssituationfür die Banken sehr groß. Ich finde, das kann man nunwirklich nicht durchgehen lassen: dass die Leute selbernachrechnen müssen, weil hier immer wieder und ko-mischerweise immer zulasten des Verbrauchers falschgerechnet wird . Dagegen müsste man etwas tun . Sinn-vollerweise geht es auch um eine Begrenzung der Höhe .Wenn die Höhe exzessiv ist, dann wird es für die Kundenvöllig inflexibel. Dementsprechend ist unsere Forderung.Wir fordern nicht die Abschaffung der Entschädigung .Bauen Sie da keinen Pappkameraden auf .
Der zweite Punkt betrifft das Widerrufsrecht . Wer dieAnhörung dazu verfolgt hat, hat wahrnehmen müssen,dass der Vertreter der Bankenbranche auf eine Frage hinnicht sagen konnte oder wollte, wie viele Fälle es eigent-lich wirklich gibt, in denen Verbraucher dieses Recht ineiner nicht legitimen Weise nutzen . Wenn es sehr vieleMissbrauchsfälle gäbe, hätte man es ja sagen können .Aber auf diese Frage gab es keine Antwort, wahrschein-lich weil die Fallzahlen ziemlich niedrig sind und sichdas Ganze deswegen als ein ziemlicher Popanz heraus-gestellt hätte .Vor allem ist eines zu fragen: Wenn es Rechtsunsi-cherheit für Verbraucherinnen und Verbraucher gibt, anwelchen Stellen haben wir denn in den letzten Jahrenrückwirkend in die vertraglichen Vereinbarungen einge-griffen? An dieser Stelle wird das getan. Ich finde, mansollte sich schon überlegen, was für ein Präzedenzfall dasist . Wir teilen auf jeden Fall nicht die Ansicht, dass andieser Stelle eine faire Interessenabwägung vorgenom-men wird .
Herr Kollege Schick, gestatten Sie eine Zwischenfra-
ge des Kollegen Heck?
Bitte .
Bitte schön .
Herr Kollege Dr . Schick, Sie konnten leider bei der
zweiten Anhörung nicht dabei sein, die wir separat zu
den Regelungen des Widerrufsrechts durchgeführt ha-
ben . Wir haben uns sehr intensiv mit der Vorgeschichte
beschäftigt . Wir haben uns gefragt: Wie ist die Situation,
die wir heute haben, entstanden?
Wir haben in den Gesetzgebungsmaterialien nachge-
schaut . Da steht – Zitat –:
Der Unternehmer müsste daher auch noch Jahre
nach Vertragsschluss mit einem Widerruf des Ver-
brauchers rechnen; dies ist gerade in den Fällen
einer zwar nicht unterbliebenen, aber fehlerhaften
Widerrufsbelehrung nicht hinnehmbar .
Das bezieht sich auf die Schuldrechtsreform, die Ihre
Partei damals, 2002, mitverantwortet hat .
Deswegen meine Frage: Wollen Sie zur Kenntnis neh-
men, dass wir heute Rechtsfrieden herstellen, einen Zu-
stand, den Sie damals eigentlich auch wollten?
Erstens haben Sie die Anhörung sehr geschickt gelegt,auf den Montagabend, zudem ganz kurzfristig anbe-raumt . Das war wieder ein super Zeitablauf .Zweitens zur Sache . Die Frage ist, ob man etwas nachvorn hin anders regelt . Was den Rechtsfrieden angeht:Wir haben ständig rechtliche Auseinandersetzungen zwi-schen Verbrauchern und Verbraucherinnen auf der einenSeite und Banken oder Versicherungen auf der anderenSeite . Ich erinnere mich an die Käuferinnen und Käu-fer von Lehman-Zertifikaten. Da wurde im Nachhineindeutlich, dass man die Verjährungsfrist auf eine Art undWeise bestimmt hat, die nicht gut war . Da hat es aberauch keine rückwirkende Änderung gegeben . Deswegenist die Frage, ob man den Rechtsfrieden hier nicht sehreinseitig definiert und einen Maßstab anlegt, den Sie sel-ber an vielen anderen Stellen nicht anlegen würden, unddas ist genau unser Kritikpunkt .
Ich will zu einem dritten Punkt kommen, den Pensi-onsrückstellungen . Ja, die Niedrigzinssituation ist eineHerausforderung für viele wirtschaftlich Beteiligte; dasist richtig . Aber die Frage ist: Was ist jetzt die richtigegesetzgeberische Antwort darauf?Sie haben vorgeschlagen, dass man die Höhe desdurchschnittlichen Zinses über einen längeren Zeitraumberechnet . Was macht das eigentlich? Das macht nichtsanderes, als ein Problem in die Zukunft zu schieben, unddas geschieht gegen die ausdrückliche Empfehlung derDeutschen Bundesbank . Denn es löst das wirtschaftlicheProblem nicht wirklich .Sie haben einen Vorschlag gemacht, der sich zunächsteinmal gar nicht schlecht angehört hat, nämlich dass dieUnternehmen die eingesparten Rückstellungen nichtausschütten dürfen . Es ist aber in der von Ihnen geradeangesprochenen Anhörung deutlich geworden – wir ha-ben uns darüber auch im Finanzausschuss noch einmalunterhalten –, dass das für die Personengesellschaftennicht funktioniert und dass sich das in einem Konzerndurch Gewinnverschiebung umgehen lässt, sodass das,was sich zunächst nach einer guten Regelung angehörthat, in der Praxis voraussichtlich nicht funktionierenwird . Vielmehr laufen wir Gefahr, dass kurzfristig nurder Shareholder Value maximiert wird, und zwar aufDr. Gerhard Schick
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 155 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 18 . Februar 2016 15307
(C)
(D)
Kosten der Sicherheit der Pensionsansprüche der Arbeit-nehmerinnen und Arbeitnehmer .
Deswegen halten wir das nicht für eine taugliche Lösung .Eine andere Frage ist, ob der tatsächliche Aufwandauch im Steuerrecht zu berücksichtigen ist. Das, findeich, ist eine durchaus denkbare Position .Mit Ihrem Vorschlag wird ein Problem nur in die Zu-kunft geschoben und kein Problem wirklich gelöst .In der Summe können wir diesem Gesetz deswegennicht zustimmen und werden das durch unsere Ableh-nung zum Ausdruck bringen .Vielen Dank .
Vielen Dank . – Nächster Redner für die SPD-Fraktion
ist der Kollege Dr . Johannes Fechner .
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Meine sehr geehrten Zuhörerinnen und Zuhörer auf den
Tribünen! Wir beschließen heute ein Gesetz mit sehr
wichtigen Regelungen für Unternehmen in Deutschland,
aber auch für Bankkunden . Das jahrelange Zinstief, des-
sen Ende niemand absehen kann, zwingt die Unternehmen
in ihren Jahresabschlüssen zu höheren Rückstellungen
für ihre Pensionsverpflichtungen. Diese Rückstellungen
mindern den Gewinn und den Eigenkapitalanteil, und das
kann Jobs und Investitionen gefährden .
Wir wollen aber gerade Betriebe, die ihren Mitarbei-
tern Direktzusagen für eine Betriebsrente gemacht ha-
ben, nicht im Regen stehen lassen, und deshalb verlän-
gern wir den Berechnungszeitraum für die Abzinsung der
Rückstellungen von sieben Jahre auf zehn Jahre . Wichtig
dabei ist: Die durch den neuen Zinssatz ersparten Rück-
stellungen dürfen nicht als Gewinn an die Aktionäre oder
an die Gesellschafter ausgeschüttet werden, sondern sie
müssen im Betriebsvermögen bleiben und sichern so die
Pensionsverpflichtungen dauerhaft ab.
Jetzt gab es Diskussionen . Ich habe heute eine Mel-
dung aus dem Handelsblatt gelesen, in der der SPD-Frak-
tion Erpressung vorgeworfen wird . Erpressung ist uns
natürlich völlig wesensfremd . Nur um der historischen
Wahrheit Genüge zu tun: Der Entwurf des Bundesjustiz-
ministers sah einen Berechnungszeitraum von zwölf Jah-
ren vor . In den Ressortabstimmungen, die dann stattfan-
den, ist dieser Zeitraum auf Druck oder Empfehlung des
Bundesfinanzministers auf zehn Jahre gekürzt worden.
Dass der Berechnungszeitraum auf zehn Jahre gekürzt
wurde, ist also auf die Anregung oder die Empfehlung,
den Wunsch, den Druck des Bundesfinanzministeriums
zurückzuführen .
Herr Kollege Fechner .
Ja .
Gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin
Winkelmeier-Becker?
Ich kenne sogar schon die Frage, aber gerne .
Aber sie darf sie stellen?
Natürlich .
Bitte schön .
Dann hast du dir hoffentlich eine Antwort überlegt .
Stimmst du mir zu, lieber Kollege Johannes Fechner,
oder stimmen Sie mir zu – gerne, Frau Künast, wenn
Sie auf Etikette so viel Wert legen –, dass wir uns als
Sprecher dieser Großen Koalition in dieser Frage noch
einmal explizit darüber ausgetauscht haben, ob wir als
Parlamentarier, als die die Regierungskoalition tragen-
den Fraktionen uns darauf einigen können, die Frist auf
zwölf Jahre zu verlängern, dass wir als CDU/CSU-Frak-
tion uns ausdrücklich dafür ausgesprochen haben, dies
zu tun, und dass dann seitens der SPD-Fraktion diese Be-
reitschaft nicht bestanden hat? Und ist es nicht so, dass
wir als Parlament diese Entscheidung verbindlich zu tref-
fen haben, unabhängig davon, was uns die Ministerien
vorgeben?
Selbstverständlich haben wir hier das letzte Wort; dasist klar . Ich habe deswegen ja dargestellt, wie der his-torische Ablauf war und dass es das CDU-geführte Fi-nanzministerium war . Allzu groß war der Protest in denReihen der Union auch nicht .
– Das war so . – Ich möchte Herrn Schäuble hier aus-drücklich in Schutz nehmen . Es gibt ja durchaus Argu-mente für diese Position, die etwa der Vertreter der Deut-schen Bundesbank in der Anhörung auch dargestellt hat .Ich meine aber, um meine Antwort versöhnlich zu been-den, dass sowohl Sie, liebe Kollegin Lisa Winkelmeier-Dr. Gerhard Schick
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 155 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 18 . Februar 201615308
(C)
(D)
B
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Wir haben es
hier mit einem vernünftigen Kompromiss zu tun . – Allzu
ausgeprägt war also die Rauflust in der Unionsfraktion,
hier auf zwölf Jahre – gegen das eigene Finanzministeri-
um – zu gehen, auch nicht; das möchte ich so festhalten .
Letztendlich finde ich, dass wir doch einen vernünf-
tigen Kompromiss gefunden haben . Das zeigt sich auch
daran, dass von den Wirtschaftsverbänden bis hin zum
Deutschen Gewerkschaftsbund ja zunächst einhellig die-
se Lösung gefordert wurde, aber auch der jetzige Kom-
promiss begrüßt wurde . Auch in der Anhörung hat sich
das so ergeben .
Zum Verbraucherschutz im Gesetz zur Umsetzung der
Wohnimmobilienkreditrichtlinie. Diesbezüglich, finde
ich, sind für die Bankkundinnen und Bankkunden doch
eine ganze Reihe von Verbesserungen in diesem Gesetz
enthalten . Auch bei den Null-Prozent-Finanzierungen
wird es eine verpflichtende Kreditwürdigkeitsprüfung
und ein Widerrufsrecht geben, um Verbraucher vor über-
eilten Vertragsabschlüssen zu schützen . Wir stellen zu-
dem klar, dass ein Darlehen nur gekündigt werden kann,
wenn der Darlehensnehmer mit mindestens zwei aufei-
nanderfolgenden Raten – zumindest teilweise und auch
nicht nur mit einem kleineren Betrag, sondern entspre-
chend der Laufzeit in Höhe eines gewissen Prozentsatzes
des Darlehensbetrages – in Verzug ist, und es ist eine Ab-
mahnung erforderlich, die eine einvernehmliche Lösung
als Gesprächsangebot enthalten muss .
Oft ist die Vorfälligkeitsentschädigung, um auch die-
ses Thema anzusprechen, aus Sicht der Bankkunden in
der Höhe nicht transparent und nachvollziehbar . Deswe-
gen haben wir hier die wichtige Neuerung, dass wir bei
den allgemeinen Verbraucherdarlehen ganz klar regeln,
dass die Vorfälligkeitsentschädigung nur 1 Prozent des
vorzeitig zurückgezahlten Betrages ausmachen darf .
Ich finde, das ist eine Verbesserung. Hier können jetzt
alle sehen, was auf sie zukommt, wenn etwa wegen des
Verlustes des Arbeitsplatzes oder einer Scheidung die fi-
nanzielle Leistungsfähigkeit zurückgeht und sie vorzeitig
das Darlehen kündigen .
Ich will nicht verschweigen, dass die SPD-Frakti-
on in diesem Verfahren gerne noch andere Punkte un-
tergebracht hätte, etwa eine gesetzliche Deckelung des
Dispozinses . Wir hätten uns, um die Härtefälle bei der
Vorfälligkeitsentschädigung zu berücksichtigen, auch
vorstellen können, eine Ermächtigung der Bundesregie-
rung aufzunehmen, in der klare Kriterien dazu, wann ein
solcher Härtefall vorliegt und wie dann die Transparenz
bei der Vorfälligkeitsentschädigung zu gewährleisten ist,
aufgenommen werden sollten . Das war leider nicht mög-
lich . Wir hoffen, dass wir das ein andermal hier beschlie-
ßen können .
In diesem Sinne glaube ich, dass wir hier ein gutes
Gesetz haben, dass wir für die Pensionsrückstellungen
eine vernünftige Lösung gefunden haben und dass sehr
viele Vorteile für die Verbraucher in dem Gesetz enthal-
ten sind, sodass wir diesem Gesetz zustimmen sollten .
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit .
Vielen Dank . – Für die CDU/CSU-Fraktion hat jetzt
Professor Dr . Heribert Hirte das Wort .
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Liebe Zuhörer! Zu diesem Gesetz möchte ich jetzt nureinen Punkt ansprechen: Das Thema „Abzinsungssatzfür Pensionsrückstellungen“ hat eine relativ lange Vorge-schichte . Schon im vergangenen Sommer haben wir, alswir das Bilanzrichtlinie-Umsetzungsgesetz beraten undbeschlossen haben, zusammengesessen und – nachdemgroße Teile der deutschen Wirtschaft und der DeutscheGewerkschaftsbund auf uns zugekommen waren und er-klärt haben, dass es hier ein großes Problem gibt, das wirlösen müssen – gesagt, dass wir diesen Punkt ansprechenwollen .Wir haben deshalb – ich betone das – gemeinsam eineEntschließung verabschiedet, in der wir gesagt haben,dass wir dieses Problem angehen wollen . Die Beratungenhaben länger gedauert, als wir es vorgesehen, als wir eserhofft hatten . Wir wollten das eigentlich schon vor dem31 . Dezember 2015 zu Ende bringen . Jetzt stehen wir daund müssen dieses Gesetz im Jahr 2016 mit möglicherRückwirkung beschließen .Im Kern – das möchte ich jetzt noch einmal sagen – gehtes aber um die Frage: Wie bewerten wir Rückstellungenin der Bilanz? Rückstellungen sind Verbindlichkeiten . Jegrößer sie sind, desto größer ist die Schuldenlast bzw .das Fremdkapital des Unternehmens . Die Frage ist: Wiebewerten wir Rückstellungen für erst in ferner Zukunftkommende bzw . drohende mögliche Verbindlichkeiten?Wie zinsen wir die auf den heutigen Zeitpunkt ab?Herr Schick, Sie haben gesagt, wir gehen das Problemjetzt nicht richtig an . Es gibt dafür verschiedene Lösungs-ansätze . Wir könnten eigentlich sagen, dass wir – das istübrigens der Ansatz des Pensionssicherungsvereins – dieZinsen der nächsten 10, 15 oder 20 Jahre nehmen . Weilwir den Zinssatz der Zukunft, der Grundlage für die Ab-zinsung ist, nicht kennen, haben wir bisher den Zinssatzder Vergangenheit genommen . Der war aber letztlich ge-griffen; sieben Jahre waren es . Diese sieben Jahre führenzu zufälligen Ergebnissen . Weil wir sehen, dass das einzufälliges Ergebnis ist, das zu einer Belastung für die Un-ternehmen und die von den Pensionen profitierenden Ar-beitnehmer führt, nehmen wir jetzt den vorgeschlagenenZeitraum von zehn Jahren .Wir hätten uns – ich sage es noch einmal deutlich –zwölf Jahre gewünscht . Herr Fechner, wir hatten dasauch in den Arbeitsgruppen untereinander so verabredet .
Dr. Johannes Fechner
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 155 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 18 . Februar 2016 15309
(C)
(D)
– Doch! Wir haben untereinander so über diesen Punktgeredet und waren der Meinung: In diese Richtung solltedie Lösung gehen .
Wenn Sie jetzt sagen, das Bundesfinanzministerium habenicht zugestimmt, dann erzählen Sie die Geschichte nichtbis zum Ende. Das Bundesfinanzministerium hat in derTat auf eine Stellungnahme der Deutschen Bundesbankverwiesen und gesagt: Die ursprünglich einmal vonHerrn Naumann vorgeschlagene Lösung sei so nicht ver-nünftig . – Wir haben aber an dieser Lösung gearbeitet .Und das Bundesfinanzministerium – hier sitzt als seinVertreter Herr Spahn – hat gesagt: Ja, wir machen dasmit . – Am Ende – und das ist das Ende der Geschich-te – waren Sie es, die den zwölf Jahren nicht mehr zuge-stimmt haben . Noch gestern im Rechtsausschuss hat HerrHakverdi gesagt: Wir müssten darüber nachdenken, obdie zehn Jahre reichen oder ob es nicht vielleicht zwölfJahre sein können . – Wir denken gerne und sofort darü-ber nach . Beim nächsten Verfahren können wir die Zahl„zehn“ gegen die Zahl „zwölf“ auswechseln .
Herr Professor Hirte, Sie haben jetzt den Widerspruch
des Kollegen Fechner ausgelöst . Sind Sie damit einver-
standen, dass er Ihnen eine Frage stellt oder eine Bemer-
kung macht?
Mit der Frage, ja; mit dem Widerspruch nicht .
Bitte schön .
Herr Kollege Hirte, wollen Sie zur Kenntnis nehmen,
dass es weder vonseiten der Parteispitze noch der Frak-
tion noch von irgendjemand anderem eine Verabredung
gab, im parlamentarischen Verfahren den Berechnungs-
zeitraum auf zwölf Jahre auszuweiten? Eine solche Ver-
einbarung gab es nicht . Es gab aber die ausdrückliche
Aussage von Ihnen oder auch von Herrn Meister, dass
es eine vernünftige Lösung ist, bei den zehn Jahren zu
bleiben . Und wenn ich mich an das Nicken des Staatsse-
kretärs Spahn vor wenigen Minuten erinnere, als ich von
einem vernünftigen Kompromiss sprach, kann ich fest-
stellen, dass offensichtlich auch er dieser Meinung ist .
Sie sollten hier also nicht den Anschein erwecken, dass
die Große Koalition zu sehr streiten würde .
Diesen Anschein erwecke ich natürlich nicht . An kei-ner Stelle streiten wir . Das habe ich noch überhaupt nichterlebt .
Ich stimme Ihnen – das ist der Punkt, den Sie genannthaben – ausdrücklich zu: Es ist ein vernünftiger Kompro-miss, den wir am Ende hinbekommen haben . Ich stimmeIhnen nur nicht in dem Punkt zu – wenn Sie da Zustim-mung haben wollen, können Sie die nicht bekommen –,dass wir von den zwölf Jahren abgewichen sind, weil wirdavon nicht mehr überzeugt gewesen seien . So hörte sichdas bei Ihnen – auch in einer Presseerklärung, die Sieherausgegeben haben – heute an .
Ich darf das weiter aufgreifen: Gerade zu dem zentra-len Kritikpunkt, der über die Bundesbank an das Bun-desfinanzministerium weitergegeben wurde, war gesagtworden, dass das die Schuldentragfähigkeit der Unter-nehmen in der Zukunft beeinflussen könne. Das war derGrund, warum das Bundesfinanzministerium und dieBundesbank dagegen waren . Aber genau in diesem Punkthaben wir – im Übrigen im Einverständnis – nachgebes-sert . Wir haben eine Ausschüttungssperre vorgesehen,sodass im Ergebnis nur eines passiert: Das, was in derBilanz früher als Fremdkapital gekennzeichnet war, wan-dert zum Eigenkapital herunter . Das bedeutet, wir habenden Ausweis geändert, ohne dass Geld das Unternehmenverlässt . Damit haben wir dem Gedanken der DeutschenBundesbank Rechnung getragen . Die Gesichtspunkte,die Sie angeführt haben, gelten jetzt nicht mehr . Sie hät-ten also zustimmen können .Damit komme ich zum nächsten Punkt . Ich glaube, wirhaben eine in dieser Situation vernünftige Lösung gefun-den, auch was das Übergangsrecht angeht . Wir erlaubennämlich den Unternehmen, die jetzt die Bilanz noch nichtfestgestellt haben, die neue Regelung, die – da stimmeich Ihnen zu – ein gesunder, vernünftiger Kompromiss,aber eben auch nur ein Kompromiss ist, rückwirkend fürdas Jahr 2015 anzuwenden, sodass die Lasten in der Bi-lanz auch für das Jahr 2015 richtiger als bislang darge-stellt werden können .Ich möchte einen weiteren Punkt aufgreifen, der mitdieser Regelung nicht zusammenhängt, gerade weil Sieso schön auf die Position des Bundesfinanzministeriumsund der Bundesbank verweisen . Wir haben ganz am An-fang – ich erinnere mich daran, wie wir es hier im letztenSommer beraten haben – auch über einen weiteren Punktnachgedacht, nämlich darüber, ob nicht eigentlich auchdie steuerliche Begleitregelung angepasst werden müss-te . Da waren wir uns in der Großen Koalition einig, dasswir das nicht angehen wollten . Wenn diesbezüglich aberdie Bundesbank zitiert wird, dann kann ich nur sagen:Die Deutsche Bundesbank hat – wie im Übrigen auchder Arbeitskreis Bilanzrecht Hochschullehrer Rechts-wissenschaft – gesagt, dass wir eigentlich auch an dieseRegelung herangehen müssten . Das haben wir aus Rück-Dr. Heribert Hirte
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 155 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 18 . Februar 201615310
(C)
(D)
sichtnahme auf unseren Koalitionspartner nicht weiterverfolgt . Der Sache nach ist das überzeugend .Was das Bilanzrecht anbelangt, sind wir bei denRückstellungen nur auf die Pensionsverpflichtungeneingegangen . Selbstverständlich gibt es auch noch an-dere langfristige Rückstellungen . Als Jurist denkt mandann über die Frage nach: Müsste man nicht gemäß demGleichbehandlungsgrundsatz auch da einschreiten? Dashaben wir nicht gemacht .Insofern: Es gibt noch einiges zu tun . Das Gesetz istgut für die Unternehmen, gut für die Arbeitnehmer undgut für die Wirtschaft . Deshalb ist es im Ergebnis ein ver-nünftiger Kompromiss .Vielen Dank .
Vielen Dank . – An dieser Stelle hätte der Kollege
Metin Hakverdi das Wort bekommen . Er ist leider er-
krankt . Ich denke, auch in Ihrem Namen können wir ihm
gute Besserung wünschen . Im Einvernehmen mit allen
Fraktionen kann er seine Rede zu Protokoll geben .1)
Jetzt hat der Kollege Dr . Volker Ullrich, CDU/
CSU-Fraktion, das Wort .
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Das Gesetz zur Umsetzung der Wohnimmobili-enkreditrichtlinie hat hohe praktische Relevanz . Es regeltnicht nur die rechtlichen Beziehungen zwischen Darle-hensnehmern und Darlehensgebern im Bereich der Häus-lebauer, sondern betrifft auch weite Teile des Privatkon-sumbereiches . Ich möchte auf vier Punkte zu sprechenkommen, die die Debatte geprägt haben .Erstens . Wir lassen das System der Vorfälligkeits-entschädigungen unangetastet . Ich weiß und will nichtverhehlen, dass manchmal Härtefälle auftreten und sichMenschen aufgrund von Scheidung oder Krankheit ausDarlehensverträgen lösen müssen . Diese Härtefällemüssen wir lösen, und die Banken sollen sie sensibelbehandeln . Aber der Sinn und Zweck der Vorfälligkeits-entschädigung ist die Gewährleistung unseres deutschenFestzinsniveaus, das dazu führt, dass unsere Häuslebauerund Käufer von Wohnungen Planungssicherheit haben,über viele Jahrzehnte hinweg . Diese Planungssicherheitführt dazu, dass wir in Deutschland mit das beste Wohn-immobiliendarlehenssystem haben . Daran halten wirfest .
Zweitens . Wir beschränken den Widerruf für Verträge,die zwischen 2002 und 2010 abgeschlossen worden sind .Es ist keine rückwirkende Änderung von Vertragsbezie-hungen, sondern nur eine Einschränkung eines Gestal-1) Anlage 2tungsrechtes . Normalerweise ist das Widerrufsrecht aufzwei Wochen beschränkt, bei fehlender Widerrufsbe-lehrung auf ein Jahr . Hier handelt es sich um ein ewigesWiderrufsrecht . Hier geht es um Verträge, die mittler-weile seit über einem Jahrzehnt potenziell eines Wider-rufs harren . Ich muss sagen: In der Abwägung zwischenRechtssicherheit und Widerrufsrecht haben wir einen gu-ten Kompromiss gefunden . Jeder kann noch widerrufen,aber er muss sich innerhalb von drei Monaten endlichdazu entschließen . Dieser Kompromiss ist gut für dieRechtssicherheit und damit auch für die Planungssicher-heit von Verbrauchern und Banken .
Der dritte Punkt betrifft die Null-Prozent-Finanzie-rung . Wir beseitigen damit eine Verbraucherfalle . Bisherist es so: Jemand, der einen Kredit mit einem Zins ab-schließt und dem das Produkt, das er mit diesem Krediterwirbt, kaputtgeht, kann die Darlehensraten gegenüberdem Verkäufer beispielsweise des Handys oder des Lap-tops verweigern . Wird allerdings eine Null-Prozent-Fi-nanzierung abgeschlossen, handelt es sich nach bishe-riger Rechtslage nicht um einen entgeltlichen Vertrag .Damit steht dem Käufer dieses Rückgaberecht nicht zu .Geht also der Laptop oder das Handy kaputt, bleibt er aufdem Gerät sitzen, muss aber dennoch die Darlehensratenzahlen . Das ist nicht in Ordnung, das ändern wir heute .Damit schaffen wir für viele Verbraucher ein Mehr anRechtssicherheit .
Der letzte Punkt betrifft die Frage: Wie gehen wir inder Situation anhaltend niedriger Zinsen mit der Alters-vorsorge in den Unternehmen um? Ich glaube, dass diePolitik insgesamt auf die Frage der anhaltend niedrigenZinsen eine Antwort finden muss. Die Antwort, die wirheute geben, lautet, dass wir den Referenzzeitraum fürdie Rückstellungen verlängern . Damit bleibt zunächsteinmal mehr Geld im Unternehmen . Wir sorgen dafür,dass dieses Geld nicht ausgeschüttet, sondern im Unter-nehmen thesauriert wird, um damit langfristig Arbeits-plätze zu sichern . Somit ist auch dieser Teil des Gesetzesfür Arbeitnehmer eine gute Lösung .
Ich will nicht verhehlen, dass am Ende des Tages dieUnternehmen die zugesagte Pensionsrückstellung auchleisten müssen, und zwar in der Höhe, in der sie sie zu-gesagt haben .
Trotzdem darf uns die Regelung positiv stimmen, undzwar aus einem ganz einfachen Grund: Sie ist eine ers-te Antwort auf die anhaltende Niedrigzinsphase, undsie sorgt dafür, dass Unternehmen in ihrer finanziellenStruktur gestärkt werden und damit nachhaltiger undlangfristiger planen können . Das ist ein weiteres positi-ves Signal .Dr. Heribert Hirte
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 155 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 18 . Februar 2016 15311
(C)
(D)
Deswegen, meine Damen und Herren, darf ich Sie bit-ten, dem vorliegenden Gesetzentwurf zuzustimmen . Esist ein gutes Gesetz .
Vielen Dank . – Ich schließe die Aussprache .
Wir stimmen jetzt über den von der Bundesregierung
eingebrachten Gesetzentwurf zur Umsetzung der Wohn-
immobilienkreditrichtlinie ab . Zu dieser Abstimmung
sind mehrere Erklärungen nach § 31 unserer Geschäfts-
ordnung eingegangen .1)
Der Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz emp-
fiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 18/7584, den Gesetzentwurf der Bundesre-
gierung auf Drucksachen 18/5922 und 18/6286 in der
Ausschussfassung anzunehmen . Ich bitte diejenigen, die
dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen
wollen, um das Handzeichen . – Wer stimmt dagegen? –
Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist damit in zwei-
ter Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen
gegen die Stimmen der Opposition angenommen .
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben . –
Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetz-
entwurf ist mit dem gleichen Stimmenverhältnis ange-
nommen .
Wir kommen damit zur Abstimmung über die Ent-
schließungsanträge .
Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke auf
Drucksache 18/7585 . Wer stimmt für diesen Entschlie-
ßungsantrag? – Die Linke . Wer stimmt dagegen? – CDU/
CSU- und SPD-Fraktion . Wer enthält sich? – Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen . Damit ist der Entschließungs-
antrag abgelehnt .
Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen auf Drucksache 18/7586 . Wer stimmt für diesen
Entschließungsantrag? – Wer stimmt dagegen? – Der
Entschließungsantrag ist mit den Stimmen der Koaliti-
onsfraktionen gegen die Stimmen der Opposition abge-
lehnt .
Tagesordnungspunkt 11 b . Wir setzen die Abstimmung
zu der Beschlussempfehlung des Ausschusses für Recht
und Verbraucherschutz auf Drucksache 18/7584 fort . Der
Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe b seiner Beschluss-
empfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion Die
Linke auf Drucksache 18/2741 mit dem Titel „Gesetz-
liche Deckelung und Veröffentlichung der Zinssätze für
Dispo- und Überziehungskredite“ . Wer stimmt für diese
Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer
enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit den
Stimmen von CDU/CSU- und SPD-Fraktion gegen die
Stimmen der Fraktion Die Linke bei Enthaltung von
Bündnis 90/Die Grünen angenommen .
1) Anlagen 3 und 4
Damit sind wir am Ende der Beratungen zu Tagesord-
nungspunkt 11 .
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 12 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Cornelia
Möhring, Matthias W . Birkwald, Eva Bulling-
Schröter, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
DIE LINKE
Rechtsanspruch auf Schutz und Hilfe für von
Gewalt betroffene Frauen – Bundeseinheitli-
che Finanzierung voranbringen
Drucksache 18/7540
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 25 Minuten vorgesehen . – Ich höre dazu
keinen Widerspruch . Dann ist so beschlossen .
Ich bitte Sie, die Plätze einzunehmen . – Ich eröff-
ne die Aussprache . Das Wort hat die Kollegin Cornelia
Möhring, Fraktion Die Linke .
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Seit meinem 16 . Lebensjahr bin ich frauenpolitisch aktiv .Seit dieser Zeit habe ich auch mit dem Thema unsererDebatte zu tun . Das ist, ehrlich gestanden, ziemlich langeher, nämlich 40 Jahre . Für mich persönlich ist das keinProblem; denn ich fühle mich gar nicht so alt . Aber dasswir das Problem „Schutz und Hilfe für von Gewalt be-troffene Frauen“ in diesen 40 Jahren noch nicht gelösthaben, ist wirklich ein großes Problem .
Vor 40 Jahren feierte das erste autonome Frauenhausseine Gründung, und in den darauffolgenden 40 Jahrensind weitere gegründet worden . Mittlerweile gibt esrund 350 Frauenhäuser, nicht nur autonome, sondernauch trägerinnengestützte . Ihre Finanzierung ist aber seit40 Jahren nicht gesichert . Es sind Frauennotrufe und Be-ratungsstellen entstanden, und auch ihre Finanzierung istnicht gesichert. Ich finde, dieser Zustand ist für ein Land,das sich aktuell als Land der Frauenrechte stilisiert, nichttragbar .
Zum 40 . Geburtstag der Frauenhäuser ist es endlich ander Zeit, sie angemessen auszustatten und ihre Finanzie-rung bundeseinheitlich abzusichern .
Warum ist das Thema ein Dauerbrenner, auch hierim Parlament? Weil sich nichts Wesentliches ändert undalle Bundesregierungen in dieser Frage im Mikroschne-ckentempo agieren . Es wird immer vorgebracht: Ja, esgibt das Hilfetelefon . – Liebe Kolleginnen und Kollegen,so hilfreich das bundesweite Hilfetelefon auch ist, es istDr. Volker Ullrich
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 155 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 18 . Februar 201615312
(C)
(D)
nicht genug und nicht annähernd eine Lösung für diedesolate Lage des Hilfe- und Unterstützungssystems .
18 000 Frauen und ebenso viele Kinder – das sind36 000 –, 36 000 Frauen und Kinder suchen jährlichSchutz in einem Frauenhaus . Das sind etwa 100 pro Tag .Nach einem Bericht der Bundesregierung werden min-destens 9 000 pro Jahr abgewiesen und können nicht auf-genommen werden . Sie gehen nicht aus Jux und Dollereiin ein Frauenhaus . Ich zitiere einmal aus einem Aufrufder autonomen Frauenhäuser . Darin heißt es:Sie flüchten vor der Misshandlung durch ihre Ehe-männer, Lebenspartner oder Väter . Frauen werdenerniedrigt, beschimpft, isoliert, bedroht und massivin ihrem Selbstwertgefühl verletzt . Die körperlichenÜbergriffe reichen von Schubsen und Ohrfeigenüber Schlagen und Treten bis hin zu sexualisierterGewalt, schweren Misshandlungen mit Gegenstän-den, Würgen, Angriffen mit Waffen und sogar Mord .Liebe Kolleginnen und Kollegen, diese Frauen undihre Kinder brauchen dringend Platz in Schutzräumen .
Wo bleibt hier die effektive Antwort der Bundesregie-rung? Seit Jahren wird das Thema verschoben, den Län-dern und Kommunen aufgeladen und die Verantwortungdes Bundes ignoriert . Es gibt 16 Bundesländer und min-destens 16 unterschiedliche Regelungen für die Finan-zierung . Von der Finanzierung hängt es aber ab, ob einegewaltbetroffene Frau und ihre Kinder den notwendigenSchutz bekommen . Eine schnelle und unbürokratischeAufnahme in ein Frauenhaus kann das Leben dieserFrauen und Kinder retten . Doch wenn sie keinen Platzfinden, kann ihr Leben gefährdet sein.Nicht nur für die gewaltbetroffenen Frauen ist die Si-tuation nicht länger tragbar . Das Personal arbeitet meistdeutlich an oder über der Belastungsgrenze, ohne dassangemessene Gehälter gezahlt werden können . Sie gebentrotzdem alles . Das ist doch wirklich unerträglich .
Ich appelliere ernsthaft an Sie: Es muss Schluss damitsein, dass die Verantwortung den Ländern und Kommu-nen zugeschoben wird . Der Bund muss endlich mehr tun .
Ministerin Schwesig hat vor fünf Wochen das Jahr derFrauen ausgerufen . Das begrüße ich sehr . Zeigen Sie amBeispiel der Frauenhäuser, dass Sie das echt ernst neh-men!Meine Fraktion fordert mit dem vorliegenden Antrageinen Rechtsanspruch, weil er Rechtssicherheit schafftfür die gewaltbetroffenen Frauen und die Trägerinnender Einrichtungen . Ein Rechtsanspruch wäre einklagbar .Er wirkt aber natürlich nur, wenn auch die Finanzierunggesichert ist, und er darf auf keinen Fall zu mehr Verwal-tung und Bürokratie führen .Was erwarte ich und was erwartet meine Fraktion vondieser Bundesregierung? Arbeiten Sie endlich gezielt anLösungen, damit das Problem gelöst wird! Ich finde, dasist eine Erwartung, die im Jahr der Frauen tatsächlichumgesetzt werden könnte .Vielen Dank .
Danke schön . – Nächste Rednerin ist die Kollegin
Sylvia Pantel, CDU/CSU-Fraktion .
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen undKollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! DieBekämpfung von Gewalt gegen Frauen ist ein gemeinsa-mes Ziel aller Fraktionen im Haus . Wann immer Frauenvon Gewalt betroffen sind, ist die schnelle Hilfe vor Ortnötig . Nicht jede Frau, die Opfer von häuslicher Gewaltgeworden ist, kann sich selbst einen sicheren Schutzraumorganisieren. Oft fehlen die finanziellen Mittel und dieUnterkunft, um kurzfristig mitsamt der Kinder vor einemgewalttätigen Partner zu fliehen. Dass wir den Frauenhelfen müssen und Zufluchtsorte, geschützte Räume undHilfsangebote für sie zur Verfügung stellen müssen, stehtfür mich und meine Fraktion außer Frage .
Darum müssen wir uns kümmern .Im städtischen Raum sind Hilfe und Unterstützungs-einrichtungen meist leichter zu erreichen als in den länd-lichen Gegenden . Dabei sind die Gegebenheiten undHilfsnetze vor Ort sehr unterschiedlich . Da stimme ichIhnen nicht zu: In den vergangenen 40 Jahren ist sehr vielpassiert, und wir haben zum Teil sehr gut funktionierendeund auch gut ausgestattete Frauenhäuser .
Klar ist, dass Frauenhäuser kurzfristige Zufluchtsortefür die betroffenen Frauen sein sollen . Der Schutz vorGewalt und die Beratung und Betreuung in den Frauen-häusern sollen es den Betroffenen ermöglichen, über ihreZukunft selbstbestimmt und ohne äußeren Druck undohne Angst entscheiden zu können .Die Mitarbeiter und die Ehrenamtlichen in den Frau-enberatungsstellen und Frauenhäusern leisten unter gro-ßem persönlichem Einsatz einen unschätzbaren Dienstfür die Opfer von Gewalt . Um diese wertvolle Arbeitdauerhaft leisten zu können, muss die Finanzierung si-Cornelia Möhring
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 155 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 18 . Februar 2016 15313
(C)
(D)
cher und verlässlich sein . Da stimme ich mit Ihnen voll-kommen überein .
Deshalb ist die Forderung nach einer sicheren Finanzie-rung berechtigt . Das Problem bei Ihrer Forderung ist,dass Sie eine Bundesfinanzierung einfordern, obwohl dieLänder zuständig sind . Das ist in unserem Land geregelt .
Wir haben in den Ländern bereits ganz verschiedene undsinnvolle Modelle, mit denen die Frauenhäuser finanziertwerden .
Ich kann Ihnen nur sagen: Ich war in meinem Wahlkreisin einem Frauenhaus . Auch wir haben ein Jubiläum unse-res Gleichstellungsbüros gefeiert . Auf meine Nachfrageerhielt ich die Antwort: Bei uns läuft es . – Da werdenkeine Frauen abgewiesen .
– Ja, in Düsseldorf . Das ist richtig .
Das ist eine Sache, die die Kommunen und Länder zuregeln haben und nicht der Bund .Leider ist die Qualität der Versorgung in den Ländernsehr unterschiedlich . Aber man muss im Land dafür sor-gen, dass die Finanzierung geregelt ist;
denn dafür sind die Länder verantwortlich . Es kann nichtdie Lösung sein, dass immer der Bund einspringt, wenndie Länder ihren Aufgaben nicht nachkommen . Ganzim Gegenteil: Ich halte es für einen Skandal, wenn ei-nige Länder in diesem sensiblen Bereich, beim Schutzvon Frauen vor Gewalt, ihren Verpflichtungen nichtnachkommen . Aber der Bund ist die falsche Stelle . DieLänder sind für eine solide Finanzierung der in ihremHoheitsbereich jeweils gewählten Schutzmodelle verant-wortlich . Der Bund hat die Länder in vielen anderen Be-reichen entlastet, damit sie ihren Aufgaben nachkommenkönnen .
Wir müssen darauf drängen, dass die Länder diese Ent-lastungen an die Kommunen weiterleiten, gerade dann,wenn diese auch Projekte wie die Finanzierung der Frau-enhäuser sicherstellen sollen .Wir haben Länder und Kommunen in den vergange-nen Jahren kontinuierlich entlastet . Für soziale Leistun-gen der Kommunen stellt der Bund 2016 7,7 MilliardenEuro zur Verfügung . Die richtigen Hilfestrukturen für dieBetroffenen zu finden, ist eine Aufgabe für die Expertenvor Ort . Eine zentrale staatliche Maßnahme kann nichtunsere Antwort auf diese Herausforderung sein; das wäreder falsche Weg . Zielführender wäre es, wenn sich dieLänder auf gemeinsame Standards einigen könnten, diekeine Verschlechterung der gut aufgestellten Frauenhäu-ser zur Folge hätten . Vor Ort gibt es die notwendigenNetzwerke und die Flexibilität, um auf die individuelleSituation und die Bedürfnisse der Frauen eingehen zukönnen .
Ich möchte auf eine Ihrer Forderungen eingehen . InIhrem Antrag fordern Sie, Frauen sollten keinen Nach-weis mehr erbringen müssen, Opfer von Gewalt zu sein .Ich stimme Ihnen zu, dass es nicht sein darf, dass Frauenvom Hilfesystem ausgeschlossen werden . Aber ein An-spruch muss schon nachgewiesen werden . In einer idea-len Welt wäre das in der Tat nicht nötig . In einer idealenWelt würde aber auch niemand Sozialleistungen erschlei-chen, schwarzfahren oder sonst wie unberechtigt Leis-tungen beziehen . Sicher können wir darüber reden, wiesolche Regelungen umgesetzt werden .
– Hören Sie doch zu; dann brauchen Sie sich nicht aufzu-regen . – Eine Kontrolle aber, ob jemand die Leistungenzu Recht bezieht, muss sein .
Dass wir heute über die Finanzierung von Frauenhäu-sern diskutieren, ist wichtig . Wir stellen hier und heutenoch einmal fest, dass die Länder ihren Pflichten nach-kommen müssen . Länder und Kommunen müssen durchdie unterschiedlichen Angebote vor Ort dafür sorgen,dass Frauen, die Opfer von häuslicher Gewalt sind, Hilfeerhalten . Deshalb sind alle Konzepte, die eine gewalt-freie Konfliktlösung fördern, zu unterstützen. Das heißtaber nicht, dass der Bund sie dann auch finanzieren muss.Herzlichen Dank .
Vielen Dank . – Die Kollegin Ulle Schauws, Bünd-nis 90/Die Grünen, hat jetzt das Wort .Sylvia Pantel
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 155 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 18 . Februar 201615314
(C)
(D)
Vielen Dank, Frau Präsidentin . – Sehr geehrte Kolle-ginnen und Kollegen! Über Gewalt gegen Frauen ist seitder Silvesternacht so viel wie in den letzten Jahren nichtgeredet worden . Es ist wichtig, dass diese Gewalt, abervor allem die Betroffenen im Fokus bleiben; denn jededritte Frau in Deutschland hat schon einmal Gewalt er-fahren . Unsere politische Verantwortung ist es, Gewaltgegen Frauen – egal wo, ob im öffentlichen oder im häus-lichen Raum – nicht aus dem Blick geraten zu lassen .
Das Gewaltschutzgesetz war ein Meilenstein zumSchutz von Frauen vor Gewalt . Für Frauen in Not sindFrauenhäuser oft eine existenzielle Anlaufstelle. Sie fin-den hier Sicherheit, auch mit ihren Kindern, und hierkann die Gewalt vor der Tür bleiben . Tatsache aber ist,dass wir seit vier Jahrzehnten über die mangelnde Fi-nanzierung der Frauenhäuser sprechen . Tatsache ist,dass Frauen in Deutschland oft keinen Frauenhausplatzbekommen . Tatsache ist, dass Hilfe oft zur Glückssacheund zu einer Frage des passenden Zeitpunkts wird . Ichsage Ihnen: Das kann so nicht weitergehen . Hier wider-spreche ich auch den Ausführungen der Kollegin Pantel .Die Situation ist tatsächlich von Bundesland zu Bundes-land sehr unterschiedlich . Ich sehe da auch eine Verant-wortung des Bundes, über die wir reden müssen .
Morgen starten die autonomen Frauenhäuser – dieKollegin Möhring hat das gerade gesagt – aus Anlassihres 40-jährigen Bestehens die 16-Tage-16-Bundeslän-der-Tour unter dem Motto „Gewalt gegen Frauen been-den! Frauenhausfinanzierung jetzt sichern!“. Sie fordern,dass die Politik endlich verantwortliche Lösungen füreine verlässliche Finanzierung findet. Ich finde, sie ha-ben recht .
Ich will Ihnen sagen, was ich nicht nachvollziehenkann: Es gibt immer eine große Betroffenheit – wir habengerade Beispiele gehört –, wenn das Schicksal einzelnerFrauen in Frauenhäusern und die Not der Frauenhäuserund der Mitarbeiterinnen konkret sichtbar werden; daserlebe ich auch bei der SPD und der Union . Wir habenmit dem Ausschuss schon gemeinsame Begehungen vonFrauenhäusern durchgeführt . Wenn es dann aber um diekonkreten Schritte geht und die sichere Finanzierung derHilfen für Frauen angesprochen wird, ist die Zurückwei-sung an die Länder und Kommunen, wie gerade passiert,immer die leichteste Übung, obwohl wir – und das sageich ganz deutlich – im Bund etwas machen können . Ichfinde das ermüdend und Ihre Argumente an dieser Stelleauch nicht durchgängig glaubwürdig . Sie sehen die Notvon Frauen, aber tun an dieser Stelle nichts. Ich finde,verantwortliche Politik ist auch, zu prüfen, was wir sei-tens des Bundes tun können .
Aus dem Frauenministerium kommt hier ebenfalls zuwenig . Das Ministerium hat zuletzt 2013 etwas gegenGewalt an Frauen getan . Da wurde nämlich das Hilfete-lefon eingerichtet . Zu den Frauenhäusern hat MinisterinSchwesig lediglich eine Bedarfsanalyse angekündigt . Ichsage „angekündigt“ . Dafür braucht man nicht zweiein-halb Jahre Regierungszeit . Gewaltschutz für Frauen stehthier nur im Kleingedruckten .
Noch etwas: Die Pflicht zum Gewaltschutz gilt inDeutschland auch für geflüchtete Frauen, die in Unter-künften leben und besonders verwundbar sind . Was aberhat Innenminister de Maizière gemacht? Er hat ein ver-einbartes Konzept für den Gewaltschutz gekippt . Wich-tige Mindeststandards wie abschließbare Toiletten undgetrennte Duschen in den Unterkünften sind nicht vor-gesehen . Dem Anspruch eines Gewaltschutzes und derEU-Aufnahmerichtlinie wird die Bundesregierung somitnicht gerecht, und das kritisieren wir Grüne aufs Schärfs-te .
Hinzu kommt: Betroffene Flüchtlingsfrauen bekom-men aufgrund der Residenzpflicht bei Gewalterfahrun-gen durch den Partner oder auch durch andere Männer inder Unterkunft im Zweifel keinen Schutz . Das geht über-haupt nicht . Nötig wäre – die Kollegin Möhring hat dasgesagt, und das steht auch in diesem Antrag – ein Rechts-anspruch für alle Frauen auf einen Frauenhausplatz . Dashätte eine positive Signalwirkung .
Darin sind wir uns in der Opposition nach einem gemein-samen Fachgespräch von Linken und Grünen einig . Klarist auch, dass ein Rechtsanspruch an ein tragfähiges Fi-nanzierungskonzept gekoppelt sein muss. Ich finde, hierbleibt der Antrag ein wenig zu vage . Die Antwort auf dieFrage, wie die finanzielle Verantwortung in Bezug aufden Rechtsanspruch und das gesamte Hilfesystem mitdem Bund geregelt werden kann, bleibt offen . So sindLänder und Kommunen mit der Finanzierung wieder al-leine .Wir unterstützen den Antrag der Linken auf einenRechtsanspruch . Er geht in die richtige Richtung . Wirwollen eine fundierte Lösung für den Schutz der Frau-en . Dafür braucht es schlicht und einfach auch eine Mit-finanzierung durch den Bund, und die müssen wir hierbesprechen .Wenn Sie von Union und SPD weiterhin den Gewalt-schutz für Frauen wichtig finden und das auch nach Sil-vester weiter diskutieren wollen, dann sollten Sie zuvorendlich auch im Bund konsequent handeln .
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 155 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 18 . Februar 2016 15315
(C)
(D)
Vielen Dank .
Vielen Dank . – Für die SPD-Fraktion spricht jetzt
Gülistan Yüksel .
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damenund Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bundes-weit werden jährlich circa 12 000 bis 13 000 Anzeigenwegen Vergewaltigung oder sexueller Nötigung erstat-tet . Trotz der erschreckenden Höhe sind dies allerdingsnur Fälle, die zu einer Anzeige führen . Tatsächlich wirdjede dritte Frau in Deutschland einmal in ihrem LebenOpfer von körperlicher oder sexueller Gewalt . Mehr alsdie Hälfte aller Frauen hat schon einmal eine sexuelleBelästigung erfahren . – Dies sind erschreckende Zahlen .Sie stammen zum einen aus den Ergebnissen einer eu-ropaweiten Studie der Agentur der Europäischen Unionfür Grundrechte und zum anderen aus den Auswertun-gen des Hilfetelefons „Gewalt gegen Frauen“ . Besondersverheerend ist: Hinzu kommt noch eine große Dunkelzif-fer; denn viele Frauen schämen sich, auszusprechen, wasihnen widerfahren ist .Es ist die Aufgabe eines Staates, seine Bürgerinnenund Bürger vor Gewalt zu schützen . Ein starkes Hilfe-system ist elementar, um schutzbedürftigen Frauen und –ganz wichtig – auch deren Kindern Halt und Schutz zubieten .
Ein Hilfesystem funktioniert dann am besten, wenn sichdie Akteure keine Gedanken über eine sichere Finanzie-rung machen müssen . Eine einheitliche Finanzierung fürFrauenhäuser ist deshalb mehr als wünschenswert .
Das sehen wir auch in der SPD-Fraktion so . Wir wol-len, dass Hilfsangebote wie Beratungsstellen ausgebautund Frauenhäuser bedarfsgerecht und bundeseinheitlichfinanziert werden. Eine Tagessatzfinanzierung ist keinegute und dauerhafte Lösung .
Es hat aber nichts mit dem Hin- und Hergeschiebe vonVerantwortung zu tun, wenn ich auf Folgendes hinweise:Die Hauptverantwortung für die Finanzierung des Frau-enunterstützungssystems liegt bei den Ländern .
Diese Aufteilung ist in unserem föderalen System so vor-gesehen . Diese Länderverantwortlichkeit hat auch Vor-teile; denn lokale Akteure sind näher an den Menschenund ihren Problemen . Sie können somit eine bedarfsge-rechte Infrastruktur vor Ort gewährleisten . Die Länderselbst bestehen auch auf dieser Verantwortlichkeit; dassollten wir berücksichtigen . Eine wirkliche Änderung dermomentanen Finanzierungssituation lässt sich deswegennur gemeinsam verwirklichen .
Es ist deshalb gut und wichtig, dass die Gleichstel-lungs- und Frauenministerkonferenz der Länder letztesJahr ein länderoffenes Arbeitsgremium zum Thema „Be-treuung und Beratung für gewaltbetroffene Frauen undderen Kinder“ eingesetzt hat . Auch der Bund ist durchdas Familienministerium an dieser Arbeitsgruppe be-teiligt . Berichte aus der aktuellen Arbeit des Gremiumslassen erkennen, wie schwierig es ist, eine tragfähige Ei-nigung unter den Ländern zu erreichen . Einige Länderbefürchten, dass eine bundeseinheitliche Regelung eineAbsenkung von Standards mit sich bringen würde .Die Forderung nach einem gesetzlich verankertenRechtsanspruch auf sofortigen Schutz und umfassendeHilfe für von Gewalt betroffene Frauen und deren Kin-der klingt zuerst nach einer guten Lösung, findet aber beiden Ländern keine Mehrheit . Wie Sie selbst von Sach-verständigen und aus Expertengesprächen wissen, ist einRechtsanspruch mit vielen Schwierigkeiten und neuenHürden verbunden .Wir sollten die Realität nicht aus den Augen verlie-ren: Gewalt findet in der Regel im Verborgenen zwischenzwei Menschen statt. Die meisten Frauen flüchten in einFrauenhaus, ohne sich die erlittene Gewalt vorher vomArzt oder der Polizei attestieren zu lassen . Ein Rechts-anspruch bedeutet aber in der Regel, dass die betroffeneFrau einen notwendigen Nachweis erbringen muss . Waspassiert mit der Frau, die keine objektiven Beweismittelvorlegen kann? Wird ihr dann der Platz im Frauenhausverweigert? Frauenhäuser weisen deshalb zu Recht da-rauf hin, dass ein Rechtsanspruch eine neue Aufnahme-hürde bedeuten kann .Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Bekämpfung vonGewalt gegen Frauen ist eine gesamtgesellschaftlicheAufgabe, an der sich auch der Bund beteiligt und weiterverstärkt beteiligen muss . Wir haben in Deutschland eingutes Netz an Einrichtungen und Unterstützungsangebo-ten, die Hilfestellungen bieten . Gewaltbetroffene Frau-en können in unserem Land regelmäßig und bundesweitBeratung und Unterstützung sowie Schutz finden. Aberauch kleine Lücken im Hilfesystem sind unbedingt ernstzu nehmen .Wir haben in der Koalition vereinbart, ressortübergrei-fend Maßnahmen zu bündeln und Lücken im Hilfesys-tem zu schließen . Studentinnen, Auszubildende, Frauenmit Migrationshintergrund und auch Flüchtlingsfrauenhaben mit erschwerten Bedingungen zu kämpfen . Ichmöchte hier unterstreichen: Im Sinne aller schutzsuchen-den Frauen muss eine sichere Finanzierung des Frauen-Ulle Schauws
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 155 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 18 . Februar 201615316
(C)
(D)
hauses gewährleistet sein, unabhängig von Einkommen,Aufenthaltsstatus oder Herkunftsort .
Wir arbeiten an der Schließung dieser Finanzierungslü-cken in unseren Sozialgesetzen . Das Familienressort istmit dem hierfür federführenden Arbeits- und Sozialmi-nisterium im Gespräch .Im Rahmen der länderübergreifenden Arbeitsgrup-pe führt der Bund 2016 ein Modellprojekt durch . Darinwird untersucht, wie eine bedarfsgerechte Ausstattung ineinzelnen Regionen bezüglich Schutz und Beratung aus-sehen könnte . Aus den hier gewonnenen Erkenntnissenwerden konkrete Vorschläge erarbeitet, die der Gleich-stellungs- und Frauenministerkonferenz als Beratungs-und Beschlussgrundlage dienen soll . Außerdem gehenwir die Reform des Sexualstrafrechts an . Ich freue mich,dass der Referentenentwurf unseres Ministers HeikoMaas zur Schließung von Schutzlücken in der Strafbar-keit der Vergewaltigung nun auch das Nadelöhr Kanzler-amt passiert hat und sich in der Anhörung befindet.
Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Kolleginnenund Kollegen, Gewalt gegen Frauen muss öffentlich ge-macht werden und darf kein Tabuthema sein . Gewalt wi-derfährt den Betroffenen jeden Alters und über alle sozi-alen Grenzen hinweg . Wir wissen: Dies ist beileibe keinRandthema, sondern ein Thema aus der Mitte der Ge-sellschaft . Es ist die Aufgabe von Staat und Gesellschaft,dies zu thematisieren . Wir müssen den Frauen zur Seitestehen . Wir müssen gemeinsam auf das Thema aufmerk-sam machen und gemeinsam weiter nach sinnvollen undpraktikablen Lösungen in unserem Hilfesystem suchen .Gewalt, in welcher Form auch immer, darf in unserer Ge-sellschaft keinen Platz haben .Herzlichen Dank .
Vielen Dank . – Letzte Rednerin zu diesem Tages-
ordnungspunkt ist die Kollegin Gudrun Zollner, CDU/
CSU-Fraktion .
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnenund Kollegen! Jeder Mensch hat das Recht auf körper-liche Unversehrtheit . Leider muss jede vierte Frau inDeutschland mindestens einmal in ihrem Leben Gewaltdurch ihren Partner erleben, und jede einzelne ist eine zuviel . Beleidigungen, Schläge, Demütigungen, Vergewal-tigungen und lebensgefährliche Verletzungen führen zumTeil zu lebenslangen seelischen Folgen . Meist braucht esviele Anläufe, bis die Betroffenen bereit und in der Lagesind, sich aus der Gewaltsituation zu lösen . Die Frauenbrauchen dafür Beratung und Zuwendung, und sie brau-chen einen sicheren Ort . Als zentrale Anlaufstelle undEinrichtung für Opfer von häuslicher Gewalt sind Frau-enhäuser seit nunmehr 40 Jahren unverzichtbar gewor-den . Gerade in Zeiten der Flüchtlingskrise kommen aufdie Frauenhäuser neue Herausforderungen zu .Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, die Bekämp-fung aller Formen von Gewalt gegen Frauen gehört nichterst seit Köln zu den langfristigen Schwerpunkten derBundesregierung . Im Rahmen der durch das Grundge-setz vorgegebenen Kompetenzverteilung stehen wir allein der Verantwortung .Insgesamt verfügt Deutschland über ein ausdiffe-renziertes Hilfesystem für gewaltbetroffene Frauen .Im März 2013 startete das Hilfetelefon – viele meinerVorrednerinnen haben das angesprochen –: Kostenlos,anonym und vertraulich kann sich jede Frau Rat durcherfahrene Fachkräfte holen – in bis zu 15 verschiedenenSprachen . Sehr wichtig ist dies für die zu uns kommen-den Flüchtlingsfrauen .Frauen mit Behinderungen haben einen besonde-ren Hilfebedarf, da sie überdurchschnittlich häufig vonGewalt betroffen sind . Hierzu sind in Bayern im Janu-ar 2014 Projekte gestartet worden: eine zentrale, barri-erefreie Service-Homepage mit Informationsmaterial,Fortbildungen für Beraterinnen in Frauenhäusern undNotrufe zur Thematik „Gewalt und Behinderung“ .
Frauenbeauftragte werden in Einrichtungen der Behin-dertenhilfe ausgebildet . Das Vorhandensein, die Ausge-staltung und die finanzielle Absicherung von Unterstüt-zungsangeboten für gewaltbetroffene Frauen und derenKinder liegen aber in erster Linie bei den Bundesländern .Im Rahmen der landesrechtlich konkretisierten Aufgabeder Daseinsvorsorge liegt die Zuständigkeit auch bei denKommunen . Ich möchte die Bundesländer aufrufen, ihreKommunen bei diesen wichtigen Aufgaben zu unterstüt-zen und die Entlastungen an sie weiterzugeben .Es entspricht unserem föderalen Prinzip, in der unter-schiedlichen Ausgestaltung vor Ort grundsätzlich eineChance zu sehen . Damit werden Spielräume eröffnet,um den Bedürfnissen mit den regionalen UnterschiedenRechnung zu tragen . Das ist auch gut so .
Dies sehen auch die Bundesländer so, und das wurdeauch von der Gleichstellungsministerkonferenz so gese-hen . Festgestellte gewachsene Unterschiede der Versor-gungsinfrastruktur für gewaltbetroffene Frauen sind auchAusprägungen der föderalistischen Struktur der Bundes-republik Deutschland und deuten nicht automatisch aufVersorgungsdefizite hin.Ich kann auch nicht erkennen, dass eine Verlagerungder Aufgaben auf den Bund automatisch alles besser ma-chen würde . Das würde auch bedeuten, dass die Länderihre finanziellen Mittel für diese Aufgabe nicht mehr be-reithalten würden . Kurzum: Der Bund müsste die Leis-tungen der Länder ersetzen . Ich darf erinnern, dass erstkürzlich der Bundesrechnungshof vor einer Überlastungdes Bundeshaushalts durch die umfangreichen Unterstüt-Gülistan Yüksel
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 155 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 18 . Februar 2016 15317
(C)
(D)
zungsleistungen an die Länder und Kommunen gewarnthat .Liebe Kolleginnen und Kollegen, packen wir gemein-sam die Herausforderungen zum Schutz von Frauen undKindern an! Konzentrieren wir uns auf die Aufgaben, fürdie wir als Bund zuständig sind! Länder und Kommunenwerden verantwortungsvoll ihre Pflichten übernehmen.Ich erinnere: Es wäre nicht das erste Mal, dass ein Gesetzvom Bundesverfassungsgericht gekippt wird, weil nichtder Bund, sondern die Länder zuständig sind .Vielen Dank für die Aufmerksamkeit .
Vielen Dank . – Liebe Kolleginnen und Kollegen, da-
mit schließe ich die Debatte .
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 18/7540 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen . Sind Sie damit ein-
verstanden? – Das ist der Fall . Dann ist die Überweisung
so beschlossen .
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 13 auf:
Beratung des Antrags der Bundesregierung
Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter
deutscher Streitkräfte an der EU-geführten
Ausbildungs- und Beratungsmission EUTM
Somalia auf Grundlage des Ersuchens der
somalischen Regierung mit Schreiben vom
27. November 2012 und 11. Januar 2013 sowie
der Beschlüsse des Rates der Europäischen
Union vom 15. Februar 2010, 22. Januar 2013
und 16. März 2015 in Verbindung mit den Re-
solutionen 1872 und 2158 (2014) des Si-
cherheitsrates der Vereinten Nationen
Drucksache 18/7556
Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuss
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwick-
lung
Haushaltsausschuss gemäß § 96 der GO
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 25 Minuten vorgesehen . – Ich höre dazu
keinen Widerspruch . Dann ist das so beschlossen .
Ich eröffne die Aussprache . Das Wort hat als erster
Redner in dieser Debatte der Staatsminister Michael
Roth für die Bundesregierung .
Einen wunderschönen guten Abend, Frau Präsidentin!Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Region am Hornvon Afrika ist seit vielen, zu vielen Jahren ein Dauer-brennpunkt in der globalen Krisenlandschaft . Das giltinsbesondere für das krisengeplagte Somalia . Mehr als20 Jahre Bürgerkrieg, humanitäre Notlagen und islamis-tischer Terror haben ihre Spuren im Land hinterlassen .Da ist es wenig verwunderlich, dass Somalia in den ver-gangenen Jahren nur sehr selten mit positiven Schlag-zeilen von sich reden machte . Angesichts der aktuellenpolitischen Entwicklung blickt die internationale Ge-meinschaft derzeit wieder mit verhaltenem Optimismusauf Somalia . Am 27 . Januar hat sich das somalische Ka-binett nach einem ausgesprochen schwierigen, aber letzt-lich erfolgreichen Prozess auf ein Wahlmodell für natio-nale Wahlen noch in diesem Jahr geeignet . Das Jahr 2016kann also zu einem Wendepunkt in der Entwicklung desLandes werden . Die jüngsten Entwicklungen unterstrei-chen den Willen der somalischen Regierung, die politi-schen Geschicke des Landes künftig wieder eigenver-antwortlich wahrzunehmen . Das ist unser gemeinsamesZiel: Mittelfristig soll Somalia politisch, wirtschaftlichund militärisch wieder auf eigenen Beinen stehen .Zur Ehrlichkeit gehört aber auch: Das beschlosseneWahlverfahren unterscheidet sich von den in Europavorherrschenden Vorstellungen demokratischer Teilhabe .Als sogenanntes somalisches Modell trägt es jedoch derinneren Verfasstheit der somalischen Gesellschaft, derpolitischen Kultur und ihren Traditionen Rechnung . Wirwerden den Prozess der Umsetzung mit dem Ziel beglei-ten, so viel Transparenz und Demokratie wie möglich zuerreichen .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, mit der 2012 be-schlossenen Übergangsverfassung begann ein ausgespro-chen steiniger Weg der kleinen Schritte zum Wiederauf-bau funktionsfähiger staatlicher Strukturen . Diesen Weggehen die Somalis unter denkbar schwierigen Bedingun-gen . Die islamistische Terrormiliz al-Schabab überziehtdas Land mit Terroranschlägen . Daneben bringen Dürrenund Hungersnöte Somalia immer wieder an den Rand ei-ner humanitären Katastrophe . Dennoch gilt Somalia dankder gemeinsamen Anstrengungen der Somalis und der in-ternationalen Gemeinschaft mittlerweile nicht mehr alsein sogenannter Failed State, also als gescheiterter Staat .Aber wir haben es noch immer mit einem fragilen Staatzu tun . Aber bis wir tatsächlich von Good Governancesprechen können, ist es vermutlich ein noch ausgespro-chen langer und beschwerlicher Weg . Nicht nur auf denersten Kilometern, sondern auf der gesamten Streckebleibt Somalia auf unsere Unterstützung angewiesen .Unsere Stabilisierungspolitik zielt weiter auf dieSchaffung eines Mindestmaßes an effektiver Staatlich-keit . Es geht nicht um die großen, hehren Ziele, es gehterst einmal um die elementaren Grundbedürfnisse derBevölkerung . Neben der Versorgung mit Wasser, Nah-rung, Energie und einem funktionierenden Gesundheits-wesen muss der somalische Staat auch das elementarstemenschliche Grundbedürfnis erfüllen, nämlich Frieden,Stabilität, Sicherheit .Unser militärisches Engagement im Rahmen derEU-Ausbildungsmission EUTM Somalia ist eingebettetin einen umfassenden Ansatz . Es gibt eine Reihe vonbilateralen Projekten, die wir auf den Weg gebracht ha-Gudrun Zollner
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 155 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 18 . Februar 201615318
(C)
(D)
ben, mit denen wir zivilgesellschaftliche und staatlicheStrukturen stärken und eben die demokratische Teilhabefördern wollen . Auch das wieder anlaufende Engagementder deutschen Entwicklungszusammenarbeit in Somaliawird künftig eine noch größere Rolle spielen .Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sollten nichtvergessen: Der Aufbau der somalischen Armee erfolgtvon Grund auf . Parallel dazu stehen aber auch die soma-lischen Soldaten an der Seite von AMISOM im Kampfgegen die Terrormilizen von al-Schabab . Die Zusam-menarbeit im Sicherheitssektor in einem Land, das sichin einem bewaffneten Konflikt befindet, ist eine ausge-sprochen schwierige Aufgabe . Dennoch hat der Aufbauder somalischen Sicherheitskräfte in den vergangenenJahren wichtige Fortschritte gemacht .Die internationale Gemeinschaft und die somalischeRegierung haben sich auf Planungsgrundlagen und Zielefür den Aufbau der Armee und der Polizei geeinigt . DieStrukturen des Somalia-Paktes haben zu deutlich mehrTransparenz, verbindlichen Absprachen geführt, undüber das „Wer macht was?“ gibt es zwischen somalischerRegierung, den Vereinten Nationen und den internatio-nalen Gebern inzwischen einen belastbaren politischenDialog .Die Mission EUTM Somalia hat sich als ein wichtigerund geschätzter Partner etabliert . Trotz eines nach wievor schwierigen Umfeldes hat die Mission bereits vielerreicht . Insgesamt haben wir seit 2010 5 000 soma-lische Soldaten ausgebildet – zunächst in Uganda undzwischenzeitlich, seit 2014, nun auch auf somalischemBoden in Mogadischu . Mit unseren EU-Partnern undder Hohen Vertreterin Frederica Mogherini stimmen wirdarin überein: Dieses Engagement soll auch über dieLaufzeit des aktuellen Mandats hinaus, also über De-zember 2016 hinaus, fortgesetzt werden . Wir tun das,gleichwohl wir wissen, dass es sich um ausgesprochenschwierige Rahmenbedingungen handelt .Gerade deshalb setzen wir uns ja auch für Verbesse-rungen ein, etwa dafür, dass sich die Mission in engerAbstimmung mit AMISOM künftig noch stärker auf dieUnterstützung beim Aufbau der Verwaltungs- und Füh-rungsstrukturen der somalischen Streitkräfte verlegt . Wirkönnen hier als Europäerinnen und Europäer einen ent-sprechenden Mehrwert aufbringen . Wir wollen die erstenErfolge bei der „Ertüchtigung“ der somalischen Streit-kräfte nachhaltig sichern und langfristig in die alleinigesomalische Verantwortung überführen .Die Erfahrungen aus der Praxis zeigen uns aber auch:Das Bewusstsein der militärischen Eliten in Somalia fürden Mehrwert einer funktionsfähigen Streitkräfteorgani-sation, die rechenschaftspflichtig gegenüber der zivilenpolitischen Führung ist, ist immer noch vergleichsweisegering ausgeprägt. Gerade bei diesen Defiziten soll dieAusbildung künftig ansetzen . Wir setzen unsere Hoff-nungen vor allem auf die jüngere Generation . Die imRahmen der EU-Mission ausgebildeten Soldatinnen undSoldaten machen uns Mut . Hier wächst eine motivierte,gut ausgebildete, mit den Grundsätzen des humanitärenVölkerrechts vertraute neue Generation somalischer Mi-litärs heran .Deshalb, liebe Kolleginnen und Kollegen, bitte ich Siebei allen Schwierigkeiten um Ihre tatkräftige Unterstüt-zung und um Zustimmung zur Fortsetzung dieses Man-dats .Vielen herzlichen Dank .
Vielen Dank . – Als nächster Redner hat Dr . Alexander
Neu von der Fraktion Die Linke das Wort .
Sehr geehrte Damen und Herren! Sehr geehrte FrauPräsidentin! Somalia – so wird es gesagt – ist ein fragilerStaat . „Die Stabilisierung des Landes ist eine Generatio-nenaufgabe“, so steht es im Antrag der Bundesregierung .Ziel sei es, den Aufbau tragfähiger staatlicher Strukturenin Kooperation mit anderen internationalen Organisati-onen herbeizuführen . Die Methode wird als umfassendbezeichnet: außenpolitische Instrumente, sicherheitspo-litische Instrumente, entwicklungspolitische Instrumen-te . EUTM Somalia, seit Februar 2010 in Kraft, soll einsicherheitspolitisches Instrument sein . Die Bundeswehrbeteiligt sich mit bis zu 20 Soldatinnen und Soldaten imRahmen der Sicherheitssektorenreform .Was hier so honorig als Staatsaufbau dargestellt wird,ist nicht nur honorig, sondern natürlich auch machtpo-litisch eigennützig, aber dabei wenig effektiv . In Mo-gadischu herrscht ein Regime, das man durchaus alsautoritär-islamistisch bezeichnen kann . Die Scharia,die vor einigen Jahren eingeführt wurde, steht über derVerfassung . Faktisch konkurrieren in Somalia zwei isla-mistische Gruppierungen, wobei die eine davon, die alsmoderater betrachtet wird – ob sie es ist oder nicht, seidahingestellt –, von der Europäischen Union unterstütztwird . Ich räume ein: Man kann sich die Partner im inter-nationalen Umfeld nicht immer aussuchen . Man muss sieaber als das benennen, was sie sind . Diese Partner sindIslamisten .Der Fortschritt, der im Antrag der Bundesregierungdargestellt wird, ist mehr als widersprüchlich . Die Bun-desregierung sagt auf der einen Seite, es sei eine positiveEntwicklungsperspektive erkennbar . Als Beispiel wirddie Einführung der vorläufigen Verfassung 2012 genannt.Demgegenüber heißt es aber auch: Eine weitverbreiteteKorruption, organisierte Kriminalität, Terrorismus, unsi-chere Lebensverhältnisse sowie eine fehlgeleitete wirt-schaftliche Entwicklung seien maßgeblich verantwort-lich und ursächlich für die prekäre Sicherheitslage . Dasist eine gute Analyse; denn Armut als Ursache für Terrorwird hier analysiert . Eine außerordentlich ehrliche Ana-lyse vonseiten der Bundesregierung, die wir so gar nichtgewohnt sind .
– Nein, leider nicht. Wir würden es gut finden. Jetzt hatsie es einmal geschafft, und das lobe ich auch .Staatsminister Michael Roth
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 155 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 18 . Februar 2016 15319
(C)
(D)
Aber was unternimmt die Bundesregierung dagegen?Der sozioökonomische Aufbau Somalias ist immer nochvöllig unterentwickelt . Der Aufbau repressiver Instru-mente, das heißt militärischer Fähigkeiten, dominiert .Aber auch das läuft irgendwie nicht so richtig rund . DerAufbau militärischer Fähigkeiten geht auch deshalb fehl,weil dem wirtschaftlichen Aufbau keine Priorität zu-kommt . Symptomatisch hierfür ist: Im letzten Jahr, am9 . Juni, haben somalische Soldaten eine Straßensperreerrichtet, nahe des Trainingscamps Dschasira . Die Sol-daten haben das deshalb gemacht, weil sie unzufriedenüber den ausbleibenden Sold waren . Das ist ein Zeichenfür die nach wie vor unterentwickelte sozioökonomischeSphäre . Nichts wird dagegen gemacht . Man lässt Soma-lia im Bereich der sozialen Entwicklung weiter am Bo-den liegen .Mir fehlt immer noch eine Bilanzierung, wie vie-le der ausgebildeten Soldaten – die Zahl 5 000 ist vor-hin genannt worden – noch im Dienst der somalischenStreitkräfte sind . Wie viele von denen sind übergelaufen?Nichts davon steht in dem Antrag . Das fehlt . Eine ehr-liche Bilanzierung der Effektivität dieser Trainingsmaß-nahme verweigern Sie, weil Sie genau wissen, dass dieBilanz desaströs sein würde .Aber es gibt weitere Gründe, warum Somalia nicht aufdie Beine kommt . Einer davon ist der US-Drohnenterror,der das alltägliche Leben überschattet . Die Normalisie-rung ist einfach gar nicht möglich . Warum hierzu keinekritischen Worte seitens der Bundesregierung? Nichtsdazu .Das westliche Verständnis von Staatsaufbau machtdas Projekt, euphemistisch formuliert, zu einer Gene-rationenaufgabe, wie es die Bundesregierung in weiserVoraussicht konstatiert hat . Realistisch ausgedrückt, wirdder westliche Staatsaufbau zum Scheitern verurteilt sein .Sie ahnen es, und wir wissen es .Die Linke lehnt einen militärisch gestützten Staatsauf-bau ab und somit auch die Mission EUTM Somalia .
Ich danke Ihnen .
Vielen Dank . – Als nächster Redner hat Jürgen Hardt
von der CDU/CSU-Fraktion das Wort .
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Das heute hier vorgelegte Mandat ist ein wich-
tiger Baustein im Rahmen des gesamten Netzwerkansat-
zes, den die Welt für Somalia hat . Wir haben in Somalia
das vielleicht drastischste und schrecklichste Beispiel
eines Failed States in den letzten Jahrzehnten gehabt,
in dem es an allem mangelte, was in irgendeiner Weise
Staatlichkeit und Schutz der Bürger ausmachte . Es ist
deswegen ein ganz weiter Weg, dieses Land tatsächlich
zu einer prosperierenden Demokratie zu machen . Der
Staatsminister hat darauf hingewiesen, welche Schwie-
rigkeiten es gibt, dort Wahlen durchzuführen und dort
Verhältnisse herzustellen, die wir auch nach westlichen
Maßstäben als demokratisch bezeichnen können .
Aber es ist eine ganze Reihe geschehen . Der Netzwerk-
ansatz ist offensichtlich der richtige . EUTM Somalia, die
Ausbildungsmission der Europäischen Union, fügt sich
ein in die Mission EUCAP NESTOR, in die Operation
Atalanta, also in unser Antipirateriemandat . Es fügt sich
ein in die Bemühungen der Afrikanischen Union, der ost-
afrikanischen Kooperation und natürlich auch der Ver-
einten Nationen, die dort gemeinsam agieren .
Wir haben vor zwei Jahren die Ausbildungsmission
direkt in die Hauptstadt verlegt . Es hat damals Diskus-
sionen gegeben, auch hier im Haus, auch in den Aus-
schüssen und in den Arbeitsgruppen: Können wir das
verantworten? Ist es zumutbar, dass unsere Soldatinnen
und Soldaten dort Dienst tun? – Die Antwort nach zwei
Jahren lautet: Es ist verantwortbar gewesen . Gerade Sol-
daten der Afrikanischen Union schützen den deutschen
und den internationalen Ausbildungsbeitrag insgesamt
in hervorragender Art und Weise, sodass wir jetzt sagen
können: Es war richtig, direkt ins Land zu gehen . Es ist
auch dadurch eine höhere Effizienz der Ausbildungs-
leistung zu verzeichnen – das zeigen die Zahlen –, dass
allein in den letzten zwei Jahren 1 500 Personen ausge-
bildet wurden .
Ich halte es auch für ein schönes Beispiel für den ver-
netzten Ansatz, dass wir nicht nur die militärische Aus-
bildung und die Polizeiausbildung durchführen, sondern
dass wir auch den zivilen Wiederaufbau des Landes för-
dern . Wir haben zusätzlich Mittel in Höhe von 20 Milli-
onen Euro zur Verfügung gestellt, und wir werden auch
Altmittel der Entwicklungszusammenarbeit aus früheren
Jahrzehnten freisetzen – Mittel, die zuvor aufgrund der
Entwicklung in Somalia nicht eingesetzt werden konn-
ten –, sodass wir deutlich mehr finanzielle Mittel für den
zivilen Wiederaufbau des Landes als für die Komponente
der militärischen Ausbildung aufwenden .
Ich kann an dieser Stelle den Kolleginnen und Kolle-
gen in den Ausschüssen nur empfehlen, der Verlängerung
dieses Mandates genauso zuzustimmen wie den Manda-
ten, die sich im Rahmen des Netzwerkansatzes der Welt-
gemeinschaft darum ranken . Ich kann guten Gewissens
sagen, dass wir unseren Soldatinnen und Soldaten eine
sinnvolle, verantwortbare und auch hinreichend sichere
Aufgabe übertragen . Ich wünsche allen Soldatinnen und
Soldaten, die diesen Einsatz ausführen – das sind im Au-
genblick 9; es werden vielleicht einmal bis zu 20 sein;
das ist die Mandatsobergrenze, die vorgeschlagen wird –,
jedes Soldatenglück, damit sie heil wieder nach Hause
kommen, wenn der Einsatz beendet ist . In diesem Sinne
eine gute Beratung in den Ausschüssen .
Vielen Dank . – Agnieszka Brugger von Bündnis 90/Die Grünen hat als nächste Rednerin das Wort .Dr. Alexander S. Neu
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 155 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 18 . Februar 201615320
(C)
(D)
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! DieMandate der Bundesregierung zu Auslandseinsätzen le-sen sich oft sehr technisch. Aber ich finde, bei diesemMandat, bei der europäischen Ausbildungsmission fürdie somalischen Sicherheitskräfte, merkt man ganz be-sonders, wie oberflächlich und extrem technokratisch Siedie Situation in Somalia beschreiben .Wer ein Gespür für die Situation der Menschen in So-malia bekommen möchte, dem empfehle ich eine Repor-tage aus der Zeit, die im Januar dieses Jahres erschienenist . Dort wird die bewegende Geschichte von einem Kocherzählt, der 2008, als in Mogadischu die Gewalt regierte,in sein Land zurückgekehrt ist, um es wieder aufzubauen .Diese Geschichte handelt von Hoffnung, von Mut, vonLebensfreude und von wirtschaftlichem Aufschwung,aber eben auch ganz viel von Angst, von Gewalt und vonKorruption . Diese Reportage ist übrigens auch eine emp-fehlenswerte Lektüre für all die Menschen, die nicht wis-sen, was Heimat und Heimweh bedeuten können, und diemeinen, dass die Flüchtlinge alle nur hierbleiben wollenund nicht in ihre Länder zurückkehren .Nach 25 Jahren Bürgerkrieg gab es auch positive Ent-wicklungen in Somalia . Wer aber zum Beispiel glaubt,dass die gesunkene Anzahl der Terroranschläge durchdie Verbrecher von al-Schabab quantitativ ein Zeichenfür die Verbesserung der Sicherheitslage ist, der täuschtsich leider . Gerade in den letzten Wochen erschütterteeine Reihe von Attentaten das Land, die in ihrer Qualitätleider immer schlimmer und grausamer werden .Die Afrikanische Union, die Vereinten Nationen undzahlreiche Staaten engagieren sich seit Jahren in Soma-lia . Seit Jahren warnen alle Expertinnen und Expertenimmer wieder und weisen darauf hin, dass die zentraleUrsache für die Probleme in Somalia, bei der man anset-zen muss, die fehlende Staatlichkeit und die Schwächeder politischen Institutionen sind .Ja, auch im politischen Bereich hat es in den letztenJahren einige Fortschritte gegeben . Aber Sie fokussierensich sehr stark auf die Militäreinsätze, und diese wich-tigen Fragen werden vernachlässigt . Wer will, dass dasEngagement in Somalia zum Erfolg führt, der muss vielmehr für den Staatsaufbau tun . Weil Sie da zu wenig ma-chen, ist die Gefahr groß, dass auch dieser europäischeMilitäreinsatz am Ende nicht nur wirkungslos bleibt,sondern sogar noch mehr Schaden anrichtet .Sie haben in den letzten Jahren erst in Uganda unddann in Somalia mehrere Tausend Soldaten ausgebildet .Immer dann, wenn wir die Bundesregierung nach den Er-fahrungen und nach der Bilanz fragen, hüllen Sie sich inSchweigen und in Nichtwissen . Das hat man auch in Ih-rer Rede sehr stark gemerkt, Herr Roth . Einen Militärein-satz kann man doch nicht so begleiten und gestalten . Daszeugt von einer Oberflächlichkeit und einer Ignoranz, diegefährlich ist .
Meine Damen und Herren, in einem Land, das auchwegen der Rivalitäten der mächtigen Clans nicht zurRuhe kommt, birgt es große Gefahren, Sicherheitskräf-te auszubilden, wenn sie keiner wirksamen politischenKontrolle unterliegen . Wir haben Hinweise, dass sehrstark nur aus einem Clan rekrutiert wird, was in der Kon-sequenz die Spannungen verstärkt . Wir hören, dass Soldnicht gezahlt wird oder nur willkürlich gezahlt wird undin den Taschen der Kommandeure verschwindet . Wir se-hen hohe Desertionsraten . Wir erfahren von Soldaten, dieanschließend zu den Milizen gehen oder sich gar al-Scha-bab anschließen . Es gibt Vorfälle, bei denen Soldaten inUniform die Zivilbevölkerung bedrängen, statt sie zu be-schützen . Immer wieder verschwinden auch Waffen . Vonalldem will die Bundesregierung noch nie wirklich etwasgehört haben . Da muss man sagen: Eine verantwortungs-volle Politik sieht wirklich anders aus .
Meine Damen und Herren, vor einem Jahr haben wirGrüne das Mandat einstimmig abgelehnt . Wir haben mitNein gestimmt, nicht deshalb, weil man die Menschen inSomalia alleinlassen soll; dieses Nein war vor allem einAppell an die Bundesregierung, endlich die Konfliktursa-chen anzugehen und den Aufbau der staatlichen Instituti-onen viel stärker zu unterstützen . Es ist wirklich schade,dass Sie dieses Jahr untätig haben verstreichen lassen;denn nur dann, wenn man da etwas tut, kann man einenBeitrag dazu leisten, dass immer mehr Menschen wie je-ner Koch sich entschließen, in ihre Heimat zurückzuge-hen, und kann man sicherstellen, dass die Weichen dortso gestellt werden, dass die Menschen eine neue Zukunftfür ihr Land aufbauen können .
Vielen Dank . – Als nächster Redner hat Florian Hahn
von der CDU/CSU-Fraktion das Wort .
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen undKollegen! Um die Fortschritte messen zu können, die inden vergangenen Jahren in Somalia gemacht wurden,müssen wir uns a) in Erinnerung rufen, wie wir ange-fangen haben, und müssen wir b) das ins Verhältnis zuden doch sehr ambitionierten Zielen setzen . Die Zielesind, zunächst einmal eine Basissicherheit und langfris-tig funktionsfähige somalische Sicherheitsstrukturen undStreitkräfte aufzubauen .Jahrelang galt Mogadischu als einer der gefährlichs-ten Orte der Welt . Es wurde im Volksmund „StalingradOstafrikas“ genannt . Noch immer ist das Land am Hornvon Afrika eine der unsichersten und ärmsten Regionen .Dürreperioden, wie jetzt durch das Wetterphänomen ElNiño ausgelöst, treffen den Krisenstaat hart . Fast dieHälfte der Einwohner, fast 5 Millionen Menschen sind
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 155 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 18 . Februar 2016 15321
(C)
(D)
auf Nahrungsmittelhilfe angewiesen . Die Vereinten Nati-onen schlagen deshalb entsprechend Alarm .Somalia wird sich sicherlich noch lange als fragilerStaat darstellen und auf Hilfe der internationalen Ge-meinschaft angewiesen bleiben . Doch wird eine reinpessimistische Bewertung dem Land nicht gerecht . Teileerholen sich langsam, auch wenn die Entwicklung si-cherlich nicht geradlinig verläuft . Mogadischu ist heutedie am zweitschnellsten wachsende Stadt der Welt . Ob-wohl man die Sicherheitslage weiterhin als schwierig be-werten muss, erholt sich die Stadt langsam, baut sich ausRuinen wieder auf, versucht, wieder normal zu sein .So minimal die Fortschritte sind – ich will das nichtüberzeichnen –: Die Menschen suchen nach Perspekti-ven. Erste qualifizierte Arbeitskräfte aus der ganzen Weltsind nach Somalia zurückgekommen, um beim Wieder-aufbau des Staates zu helfen . Mehr als 20 Hochschulenwurden in den letzten Jahren in der Stadt eröffnet . Res-taurants und Läden entstehen . Manche sprechen von ei-ner Art Gründungssituation . Wie gesagt: Man muss allesins richtige Verhältnis setzen . Wir werden im Februar einGIZ-Büro eröffnen und Vorhaben zur staatlichen Wasser-versorgung und Ernährungssicherung beginnen .Neben den strukturellen Fortschritten geben die poli-tischen Entwicklungen Grund zu ein bisschen Hoffnung .So einigte sich das somalische Kabinett am 27 . Januardieses Jahres auf ein gesamtstaatliches Wahlsystem fürdie anstehenden Wahlen, die im August 2016 durchge-führt werden sollen . Das sind insgesamt schon ein paargute Zeichen, wenn wir auf die Anfänge zurückblicken .Erste Fortschritte zeigen den richtigen Ansatz der Missi-on EUTM Somalia, aber eben auch vernetzt mit EUCAPNESTOR und EU NAVFOR . Mittlerweile wurden imRahmen von EUTM Somalia über 5 000 Soldatinnenund Soldaten ausgebildet – wir haben es schon gehört –,1 500 davon seit Anfang 2014 in Mogadischu . Die ent-sprechend ausgebildeten Kräfte gelten als vergleichswei-se zuverlässig und schlagkräftig . Auch hier muss mandas ins richtige Verhältnis setzen . Seit dem Beginn derMission hat sich die Sicherheitslage in Somalia insge-samt verbessert . War Somalia vor Kurzem noch das ge-fährlichste Seegebiet weltweit für Handelsschiffe, gab es2015 keine Entführungen mehr .Auch im Kampf gegen al-Schabab zeichnen sich Er-folge ab . Wir dürfen nicht vergessen: Die afrikanischeTerrororganisation hatte einst ähnliche Strukturen wieheute der sogenannte IS im Mittleren Osten . AMISOMund Teile der somalischen Armee haben die Islamistenaus zentralen Gebieten vertrieben . Entscheidend hier-bei: Mit dem Territorium verliert die Terrororganisationauch zunehmend an Steuereinnahmequellen und lokalerUnterstützung . Mehrere schwierige Wahrheiten ergebensich daraus für uns, die für Somalia wie auch teilweiseähnlich für andere Krisenregionen gelten .Erstens . Al-Schabab verbindet ihre politische Agendamit einer dschihadistischen Doktrin, die über Somalia hi-nausgeht . Zudem besteht laut der somalischen Regierungdie Möglichkeit, dass Mitglieder von Boko Haram auchdurch al-Schabab-Milizen in Somalia trainiert wurden .Eine solche potenzielle panafrikanische Allianz zeigt,wie wichtig die Stabilisierung Somalias für West- undOstafrika ist .Zweitens . Mit ihrer medialen Strategie, Tweets, You-Tube-Videos usw . wirbt al-Schabab weiterhin auch überSomalia hinaus viele Dschihadisten an . Narrative wie dasFeindbild der westlichen und afrikanischen Kreuzzüglerbeherrschen diesen Diskurs, gegen den wir bisher kaumerfolgreich agieren .Drittens . Die somalische Terrormiliz kann rein militä-risch nicht besiegt werden . Viele Kämpfer der al-Scha-bab-Miliz sind nicht aus ideologischen Gründen dort,sondern aus wirtschaftlichen . Die Wechselwirkung istoffenkundig . Sicherheit bedingt Entwicklung wie Ent-wicklung Sicherheit bedingt .Viertens . Somalia wird im Kampf gegen die al-Scha-bab-Miliz einen langen Atem benötigen . Eine einfacheterritoriale Eindämmung wird aufgrund der Anpassungs-fähigkeit nicht funktionieren . Die Organisation wird auchin nächster Zeit eine terroristische Bedrohung bleiben .Klar ist auch, dass Kräfte der Afrikanischen Unionsowie die Ausbildungsunterstützung der EuropäischenUnion auf absehbare Zeit notwendig bleiben . Unser En-gagement in Somalia war und bleibt daher weiterhin not-wendig .Vielen Dank .
Vielen Dank . – Liebe Kolleginnen und Kollegen, da-mit schließe ich die Aussprache .Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage aufDrucksache 18/7556 an die in der Tagesordnung auf-geführten Ausschüsse vorgeschlagen . Sind Sie damiteinverstanden? – Das ist der Fall . Dann ist das auch sobeschlossen .Ich rufe den Zusatzpunkt 4 auf:Beratung des Antrags der AbgeordnetenDr . Wolfgang Strengmann-Kuhn, Christian Kühn
, Corinna Rüffer, weiterer Abgeord-
neter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NENWohnungslosigkeit wirkungsvoll angehen –Bundesweite Statistik einführenDrucksache 18/7547Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicher-heitNach einer interfraktionellen Vereinbarung sind fürdie Aussprache 25 Minuten vorgesehen . – Ich höre dazukeinen Widerspruch . Dann ist das so beschlossen .Ich eröffne die Aussprache . Als erster Redner hatDr . Wolfgang Strengmann-Kuhn von der Fraktion Bünd-nis 90/Die Grünen das Wort .Florian Hahn
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 155 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 18 . Februar 201615322
(C)
(D)
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Nach groben Schätzungen der BAG Wohnungslosenhil-fe gibt es in Deutschland circa 350 000 Wohnungslose .Das sind so viele, wie in einer mittleren Großstadt, zumBeispiel Bielefeld, leben . Die Bundesregierung verhältsich aber so, als würde es die gar nicht geben; denn inden offiziellen Armutszahlen tauchen sie nicht auf. Auchim nächsten Armuts- und Reichtumsbericht der Bun-desregierung wird es wieder keine offiziellen Zahlen zuObdachlosigkeit und Wohnungslosigkeit und extremerArmut in Deutschland geben. Ich finde, das ist ein Ar-mutszeugnis .
Nach Schätzungen der BAG Wohnungslosenhilfe le-ben fast 40 000 Menschen auf der Straße, darunter Kin-der und Jugendliche . Das ist eines reichen Landes wieDeutschland unwürdig . Ziel sollte es sein, dass niemandauf der Straße leben muss .
Es ist zu befürchten, dass durch die hohe Zahl vonGeflüchteten die Zahl der Menschen, die keine Wohnunghaben oder auf der Straße leben müssen, sogar nochsteigt . Auch deswegen ist es gerade jetzt wichtig, mehrAnstrengungen gegen Obdachlosigkeit und Wohnungs-losigkeit zu unternehmen . Um das zu erreichen, brauchenwir genaue Statistiken über das Ausmaß, die Struktur undvor allem die Ursachen . Da reicht die grobe Schätzungeiner Nichtregierungsorganisation nicht aus . Wir müssengenau wissen, wer betroffen ist, um zielgenau handelnzu können .
Ich nenne zwei Beispiele für mögliche Ursachen, beidenen die Bundespolitik verantwortlich ist . Handelt essich um Unionsbürgerinnen bzw . -bürger, die vom Bezugvon Grundsicherung ausgeschlossen sind? Wie man hört,will die Bundesregierung für diese Gruppe das Grund-recht auf Existenzminimum sogar noch einschränken .Wir halten das für falsch .
Oder handelt es sich um junge Erwachsene, die keineGrundsicherung erhalten? Alle Expertinnen und Exper-ten sind sich einig, dass die verschärften Sanktionen ge-gen junge Erwachsene und die Sanktionen bei den Kos-ten der Unterkunft kontraproduktiv sind .Auch in der Politik gibt es eigentlich einen breitenKonsens, was diese Frage angeht . Allein die CSU ist da-gegen . Hören Sie endlich auf, sich von der CSU vorfüh-ren zu lassen, und schaffen Sie die verschärften Sanktio-nen gegen junge Erwachsene und die Sanktionen bei denKosten der Unterkunft endlich ab .
Damit beseitigen Sie eine Ursache von Obdachlosigkeit .Die Bundesregierung aber duckt sich weg und be-hauptet, für die Bekämpfung von Obdachlosigkeit undWohnungslosigkeit sei man nicht zuständig . Zuständigdafür seien nur die Länder und die Kommunen .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, das ist verantwortungs-los .
Wegschauen und wegducken ist der falsche Weg .
Sagen Sie nicht, es geht nicht . Nordrhein-Westfalenhat schon lange eine Wohnungslosenstatistik . Und Bay-ern, Herr Kollege Straubinger und liebe Kolleginnen undKollegen von der CSU,
ist nach Nordrhein-Westfalen wieder einmal das zweiteLand, das zumindest eine Piloterhebung durchgeführthat, die ganz gut funktioniert hat .
Also, daran kann man sich orientieren .Es gibt also keinen Grund, warum es nicht möglichsein sollte, auch eine bundesweite Statistik einzuführen .
Geben Sie sich einen Ruck! Schaffen wir gemeinsameine Grundlage für die Bekämpfung von Obdachlosig-keit und Wohnungslosigkeit . Denn niemand bei uns soll-te auf der Straße leben müssen .Vielen Dank für die Aufmerksamkeit .
Vielen Dank . – Als nächster Redner hat Dr . Matthias
Zimmer von der CDU/CSU-Fraktion das Wort .
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! In denStädten – insofern will ich dem Kollegen Strengmann-Kuhn völlig recht geben – gewinnt das Thema Woh-nungsnot ganz erheblich an Brisanz . Viele deutscheStädte wachsen durch Urbanisierung bzw . Zuwanderung .Für viele Städte ist das natürlich eine Herausforderung –nicht zuletzt weil im unteren Preissegment relativ wenigWohnraum zur Verfügung steht .Es ist ja richtig: Mit dem Wegfall der Gemeinnützig-keit 1988 und dem Rückzug des Bundes aus der öffent-
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 155 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 18 . Februar 2016 15323
(C)
(D)
lichen Förderung hat ein deutlicher Abbau des sozialenWohnungsbaus stattgefunden . Das führt nun dazu, dassüber Jahre Versäumtes kompensiert werden muss . Daswird aber gemacht .Wir haben mit der Föderalismusreform 2006 die Zu-ständigkeit für die Wohnraumförderung auf die Länderübertragen – Bund und Länder haben das einvernehm-lich beschlossen –, weil wir regional sehr unterschied-liche Wohnungsbedarfe haben . Seitdem unterstützt derBund die Länder bei der sozialen Wohnraumförderungmit jährlich rund 520 Millionen Euro . Im Rahmen derAsyldebatte hat der Bund zugesagt, diesen Betrag biseinschließlich 2019 zu verdoppeln . Obwohl das Themaalso ein rein kommunales ist, unterstützt der Bund dieLänder derzeit im sozialen Wohnungsbau mit 1 MilliardeEuro jährlich .Lieber Kollege Strengmann-Kuhn, manchmal ist esja auch gut, wenn man eine schwarz-grüne Regierung –wie die in Hessen – loben kann . In Hessen hat sich dieschwarz-grüne Regierung im Rahmen des „Aktionsplanszur Integration von Flüchtlingen und Bewahrung des ge-sellschaftlichen Zusammenhalts“ verpflichtet, bis 2019insgesamt 10 000 neue Wohnungen zu fördern . In denStädten hat ein Umdenken begonnen, nicht erst unterdem Eindruck der Asylkrise . In Frankfurt beispielsweisewerden jedes Jahr 45 Millionen Euro in die Hand genom-men, um den sozialen Wohnungsbau zu fördern . Insofernist die Wohnungsfrage eine ganz zentrale soziale Frageder nächsten Jahre, vor allen Dingen in den Städten .Ich sage deshalb „vor allen Dingen in den Städten“,weil bundesweit auch etwa 2 Millionen Wohnungen leerstehen . Deswegen müssen wir uns sehr genau überlegen,wie wir die Mittel für den sozialen Wohnungsbau ein-setzen, was die Länder sinnvollerweise tun können . Wirsollten uns beispielsweise überlegen, in den Kommuneneinen bestimmten Prozentsatz der zur Verfügung stehen-den Grundstücke für genossenschaftliches Wohnen odersozialen Wohnungsbau zu reservieren, sie nicht notwen-digerweise direkt an den Markt zu geben . Ich glaube,das ist eigentlich eine ganz gute Idee . Die Diskussionenüber sozialen Wohnungsbau, genossenschaftliches Woh-nen und vieles andere zeigen, wie sehr das Thema Woh-nungsnot bereits in der öffentlichen Diskussion präsentist .
Nun wird im Antrag der Grünen gefordert, eine bun-desweite Statistik über Obdachlosigkeit einzuführen . Ja,warum auch nicht?
Wir führen über alles Mögliche eine Statistik – warumnicht auch über Obdachlosigkeit? Die Bundesarbeitsge-meinschaft Wohnungslosenhilfe fordert schon seit vielenJahren eine solche Statistik . Wir beide, Herr Strengmann-Kuhn, saßen vor etwa einem Jahr bei einer Veranstaltungder Bundesarbeitsgemeinschaft zusammen auf dem Po-dium und haben eine Diskussion darüber geführt . AusErfahrung wissen wir, dass Wohnungslosigkeit ein früherIndikator für zunehmenden Problemdruck auf dem Woh-nungsmarkt ist . Deswegen kann es für die Politik vor Ortdurchaus wichtig sein, hier frühzeitig entsprechende Da-ten zur Verfügung zu haben .Hier liegt aber das erste Problem . In meinem Wahl-kreis, in Frankfurt, ist die Situation wie folgt: Ein Teil derObdachlosen wird durch die Fachstelle zur Verhinderungvon Obdachlosigkeit betreut, ein anderer im Rechtskreisdes SGB XII . Nicht zu vergessen sind Bezieher von Leis-tungen nach dem SGB II ohne Wohnung, die über einespezielle Außenstelle des Jobcenters betreut werden . Zu-sätzlich wird über den Kältebus die Zahl derjenigen er-hoben, die auf der Straße nächtigen – im Winter täglich,im Sommer 14-tägig . Die Zahl dieser Menschen wurdein den letzten drei Jahren immer mehr durch Osteuropäernach oben getrieben, wobei die Zahl der Menschen ausdem klassischen Klientel der Wohnungslosenhilfe stag-nierte oder zurückging; diese Menschen haben sich an-dere Nischen gesucht .Was ich nicht nur aus meinem Wahlkreis, sondernauch von anderen kommunal Aktiven höre: Die Woh-nungslosen, die sich von den genannten Anlaufstellenhelfen lassen, sind vor Ort auch bekannt . Hier bedarf esjetzt keiner weiteren Instrumente für die Erfassung . Vielproblematischer verhält es sich mit den Menschen, diesich bewusst der staatlichen Erfassung entziehen . DieseMenschen statistisch zu erfassen, wäre ein personalinten-sives Unterfangen . Die Kommunen müssten dafür ver-mutlich Personal abstellen, das durch die Straßen geht,um jeden einzelnen Betroffenen statistisch zu erfassen .Das wäre ein ganz erheblicher Aufwand für ein relativkleines Ergebnis, zumal die Menschen mit einer solchenErfassung natürlich noch nicht von der Straße weg sind .Wichtiger wäre aber, die Daten bei den verschiedenenSozialleistungsträgern abrufen zu können .
Dabei ist eine eindeutige Fallidentifizierung nötig, abertrotzdem der Datenschutz zu wahren, und die Daten soll-ten möglichst einfach aus den vorhandenen IT-Systemenabgegriffen werden können . Mit anderen Worten: Einerster Schritt dessen, was Wolfgang Strengmann-Kuhnhier gefordert hat, wäre schon getan, wenn es vor Ortgelänge, schnell und unkompliziert ein Lagebild überObdachlosigkeit und ihre Gründe zu bekommen . Denndas ist es doch, was wir letztendlich wollen: kleinräumi-ge und zeitnah aufbereitete Daten, damit vor Ort schnellund effizient gehandelt werden kann. Ich finde, wir soll-ten uns einmal ansehen, ob wir da als Bundesgesetzgeberhelfen können, etwa was die Frage des Datenschutzesoder die Kompatibilität der Software unterschiedlicherTräger sozialer Hilfen angeht .Nun wäre das sicherlich ein erster Schritt, ein etwasgenaueres Bild davon zu bekommen, was sich im Be-reich Obdachlosigkeit tut . Was aber wäre der Mehrwerteiner nationalen Berichterstattung, wie sie den Grünenin ihrem Antrag vorschwebt? Das ist, glaube ich, dieentscheidende Frage . Die Notwendigkeit einer solchenStatistik wird damit begründet, die Fachwelt finde essinnvoll . Das kann ich als Wissenschaftler nachvollzie-Dr. Matthias Zimmer
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 155 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 18 . Februar 201615324
(C)
(D)
hen; aber nicht alles, was statistisch erfasst werden kann,macht für die politische Arbeit auch Sinn – leider!Nun macht der Antrag dann eine sonderbare Verren-kung, indem behauptet wird, eine bundesweite Statistiksei die Voraussetzung, um auf kommunaler Ebene einegute und wirksame Wohnungsnothilfeplanung zu entwi-ckeln und die entstehenden Kosten besser kalkulieren zukönnen . Mit anderen Worten: Wenn ich weiß, wie vie-le Wohnsitzlose es in anderen Teilen Deutschlands gibt,kann ich in Frankfurt besser planen . Das ist eine strammeAussage, die ich bei den Praktikern so nicht bestätigenkonnte . Ich halte es auch für Unfug, weil sich nur gro-ße Städte oder ähnlich strukturierte Landkreise sinnvollmiteinander vergleichen lassen . Für die politische Praxisspielen zeitnahe und regionale Zahlen eine Rolle, abernicht bundesweit erhobene .Bleibt die Begründung, dass man es einfach wissenwill, etwa im Rahmen von Armuts- und Reichtumsstudi-en; das ist im Vortrag von Wolfgang Strengmann-Kuhnangesprochen worden . Ob dies allein aber den zusätz-lichen Aufwand in den Kommunen rechtfertigt, also obeine vernünftige Kosten-Nutzen-Relation entsteht, daswage ich zu bezweifeln .
Meine Damen und Herren, ob die Bundesländer esstattdessen tun sollten, kann ich nicht abschließend beur-teilen . Nordrhein-Westfalen macht eine eigene Statistik,in Hessen diskutieren wir über eine eigene Statistik . Hierist auch der regionale Bezug noch gegeben, bei einerStatistik, die vom Bund geführt würde, allerdings nicht .Deswegen komme ich persönlich zu dem Schluss: Dieim Antrag vorgebrachten Argumente überzeugen nicht .Aber wir sollten uns sehr wohl darüber unterhalten, wieman die statistische Erhebung vor Ort deutlich verbes-sern kann .
Vielen Dank . – Als nächste Rednerin hat Caren Lay
das Wort .
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Heute Nacht wird es in Berlin wieder minus2 Grad Außentemperatur haben, gestern hat es dazu nochgeschneit . Während so manch einer hier mit dem Fahr-dienst in die warme Stube fährt, sind viele andere nochauf der Suche nach einem Platz zum Übernachten .Wohnungslosigkeit – das lässt sich nicht abstreiten –ist ein zunehmendes Problem in Deutschland . Das siehtjeder, der mit offenen Augen durch die Städte geht . Dasbelegen auch die Zahlen, die wir kennen . Schätzungswei-se 335 000 Menschen waren im letzten Jahr ohne Woh-nung . Das ist gemessen an den Schätzungen der Jahredavor ein Anstieg um 18 Prozent . Das sagt die Bundesar-beitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe, die diese Zahlenseit Jahren erhebt und bei der ich mich an dieser Stellesehr herzlich für ihr Engagement bedanken möchte .
335 000 Obdachlose in einem reichen Land, mit stei-gender Tendenz – das ist ein Armutszeugnis für unserLand . Wir können da nicht länger zusehen .
Wohnen ist doch ein Grundrecht . Deswegen ist es unsereVerantwortung in der Politik, dafür zu sorgen, dass jederMensch dieses Grundrecht auch wahrnehmen kann .Für die nächsten Jahre prognostiziert die BAGW so-gar noch einen Anstieg und geht davon aus, dass schonin wenigen Jahren die Grenze von einer halben MillionWohnungsloser überschritten sein wird . Und wer ersteinmal seine Wohnung verloren hat, der hat wenigeChancen, schnell einen anderen Lebensweg einzuschla-gen . Jeder Vermieter wird stutzig, wenn er keine aktuelleAdresse aufweisen kann, jeder potenzielle Arbeitgeberauch. Die Wohnungslosigkeit ist häufig der Beginn einesTeufelskreises . Wir müssen alles daransetzen, dass Men-schen aus diesem Teufelskreis aussteigen können .
Verlässliche Zahlen über die steigende Wohnungslo-sigkeit zu haben, das ist der erste Schritt . Das ist immerso . Damit sagen wir als Gesellschaft, damit sagen wir alsPolitik: Wir haben das Problem erkannt . Wir setzen al-les daran, es statistisch sauber zu erfassen . Das ist dieGrundlage, um Wohnungslosigkeit zu bekämpfen .Damit komme ich zu meinem nächsten Punkt . Wirbegrüßen den Antrag der Grünen . Wir, die Fraktion DieLinke, haben vor wenigen Jahren einen ähnlichen Antraggestellt . Er trug den Titel „Obdach- und Wohnungslosig-keit erkennen und bekämpfen“ . Den zweiten Punkt ver-misse ich ein wenig im Antrag der Grünen .Steigende Mieten sind der Nährboden für Wohnungs-losigkeit . Wir hatten in vielen Großstädten in den letztenfünf Jahren Mietsteigerungen von 20, 30, 40, in Berlinbis zu 50 Prozent . Die Mietenexplosion und die Woh-nungsnot sind hausgemacht . Das fällt nicht einfach vomHimmel . Das ist Ergebnis einer falschen und verfehltenMiet- und Wohnungspolitik . Das muss man an dieserStelle ganz klar sagen .
Eine Privatisierungswelle sondergleichen auch derBundesregierung in den letzten Jahren und das Zusam-menstreichen von Sozialwohnungen führten dazu, dasshier in zehn Jahren über 1 Million Sozialwohnungenweggefallen sind . Ihre positive Einschätzung kann ich dabeim besten Willen nicht teilen .
Dr. Matthias Zimmer
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 155 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 18 . Februar 2016 15325
(C)
(D)
Jährlich fallen 80 000 bis 100 000 Wohnungen aus derSozial-, der Belegungs- und der Preisbindung, aber neugebaut werden gerade einmal 10 000 Wohnungen imJahr . Das steht doch in gar keinem Verhältnis . Hier sindandere Anstrengungen nötig .
Bei allen Sonntagsreden über den sozialen Wohnungsbaukann ich die Beschlusslage hier nicht erkennen . Sie be-schließen Steuerabschreibungsmodelle für Reiche . Dasist Gießkannenförderung . Das ist nicht der richtige Weg .Das ist überhaupt nicht zielführend .
Meine Damen und Herren, zu guter Letzt wenigePunkte, wie wir die Wohnungslosigkeit bekämpfen wol-len . Wir sagen ganz klar – da kann ich an meinen Vorred-ner anschließen –: Sanktionsfreie Mindestsicherung stattHartz IV wäre einer der wichtigen Schritte .
Eine ganz wesentliche Ursache sind die Zwangsräu-mungen . 22 Zwangsräumungen im Schnitt am Tag alleinin Berlin sind doch eine Schande . Das haben Sie mit derletzten Mietrechtsnovelle begünstigt, die die Union mitzu verantworten hat . Sie haben Zwangsräumungen er-leichtert . Das müssen wir dringend rückgängig machen .
Zu guter Letzt, meine Damen und Herren: Wir brau-chen einen sinnvollen und starken Neustart im sozialenWohnungsbau . Da muss man mehr Geld in die Handnehmen, und da muss man die Gemeinnützigkeit wiedereinführen .Aber auf diese Gießkannenförderung, die Sie be-schlossen haben, können wir verzichten . Das wird kei-nem Wohnungslosen nutzen .Vielen Dank .
Vielen Dank . – Als nächste Rednerin hat Dagmar
Schmidt von der SPD-Fraktion das Wort .
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damenund Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen vor allemvon den Grünen! Ich danke Ihnen für Ihre Initiative; dennsie gibt uns Gelegenheit, ein immens wichtiges sozialpo-litisches Thema, nämlich die Wohnungspolitik, zu disku-tieren .Sie fordern in Ihrem Antrag die Einführung einer bun-desweiten Statistik, um auf dieser Basis Wohnungslosig-keit wirkungsvoll anzugehen . Die Bundesregierung hatdies in ihrer Antwort auf Ihre Kleine Anfrage abgelehnt,weil die Zuständigkeit seit der Föderalismusreform I von2006 bei den Ländern liegt .Für beide Positionen gibt es gute Argumente . Ichpersönlich habe immer große Sympathien für eine guteDatenbasis für gute Politik . Aber weder haben alle grünmitregierten Länder eine Wohnungslosenstatistik, die dieBasis für eine im Länderzuständigkeitsbereich liegendeWohnungspolitik wäre, noch macht die Bundesregierungdeswegen keine Politik gegen Wohnungslosigkeit undObdachlosigkeit, weil es keine Statistik gibt .
Ich kann das Lob für Hessen, Herr Zimmer, leider nichtteilen . In meinem schwarz-grün regierten HeimatlandHessen sind es wiederum allein die Sozialdemokratinnenund Sozialdemokraten, die sich des Themas Obdachlo-sigkeit angenommen haben . Leider hat Schwarz-Gründie Streichung der Mittel der Obdachlosenhilfe durch dieehemalige schwarz-gelbe Landesregierung nicht zurück-genommen . Ich hätte Ihnen da mehr Kraft gewünscht .
Als vorbildlich kann ich das Land Nordrhein-Westfa-len nennen . Auch die sozialdemokratische Sozialminis-terin Altpeter in Baden-Württemberg hat die Initiativeergriffen
und sich des Themas „Berichterstattung und Konzepti-onierung im Bereich der Wohnungslosigkeit“ angenom-men .
Je weiter man sich von den Kommunen entfernt, destoschwieriger wird es mit der Zielgenauigkeit . Deswegenmacht es Sinn, die konkrete Planung auf Länderebenedurchzuführen .Das heißt aber nicht, dass die Bundespolitik hierbeikeine Verantwortung übernehmen würde . Ganz konkrethat unsere Ministerin Andrea Nahles bei der Steuerungder Mittel aus dem Europäischen Hilfsfonds für die amstärksten von Armut betroffenen Personen einen Schwer-punkt auf Wohnungslose und von Wohnungslosigkeit be-drohte Menschen gelegt . Das ist gut und richtig so .
Die Zahl der Wohnungslosen in Deutschland steigt,und das fordert uns auf allen Ebenen zum Handelnauf . Es ist bereits erwähnt worden: Laut der Bundes-arbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe waren 2014 335 000 Menschen ohne Wohnung . Sie erwartet, dassdie Zahl bis 2018 auf mehr als eine halbe Million steigt .Gleichzeitig macht sie für den Bund folgende Hand-lungsfelder aus, die alle von der Koalition bereits ange-gangen wurden und werden:Da wäre erstens die Verbesserung der sozialen Lagedurch angemessene Regelsätze und durch die Bekämp-Caren Lay
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 155 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 18 . Februar 201615326
(C)
(D)
fung des Niedriglohnsektors . Mit der Einführung desMindestlohns haben wir einen riesengroßen Schritt ge-tan .
Mit der Regulierung von Leiharbeit und Werkverträgenwerden wir weitere Schritte gehen, und die Frage der Re-gelsätze werden wir noch dieses Jahr aufrufen . Ja, auchich hätte große Sympathien dafür gehabt, wenn man ge-sagt hätte, dass man bei den Kosten der Unterkunft nichtmehr sanktionieren darf . Aber wir haben mit einer längstüberfälligen Wohngeldreform die finanzielle Situationvon 870 000 Haushalten, vor allem von Rentnerinnenund Rentnern und Familien mit Kindern, verbessert, auchwenn es für die Opposition, wie üblich, etwas mehr hättesein dürfen .Zweitens . Wir brauchen mehr bezahlbaren Wohn-raum, vor allem Kleinwohnungen und Wohnungen in denBallungsräumen . Das ist für uns nicht erst ein Thema,seitdem die Flüchtlinge ein Thema sind . Bereits im Ko-alitionsvertrag haben wir einen Dreiklang aus Stärkungder Investitionstätigkeit, Wiederbelebung des sozialenWohnungsbaus und einer mietrechtlichen und sozialpoli-tischen Flankierung festgeschrieben . Was heißt das kon-kret? Die Stichworte lauten: Mietpreisbremse und – dasist bereits erwähnt worden – jährlich 500 Millionen Euromehr für den Wohnungsbau .
Vor allem aber haben wir das sehr erfolgreiche Pro-gramm „Soziale Stadt“ wieder zum Leben erweckt; dennnicht nur Wohnungen, sondern auch ein lebenswertesWohnumfeld und soziale Unterstützung im Quartier sindwichtig . Deswegen geht es am Ende des Tages um dieHandlungsfähigkeit und die Ausstattung der Kommunen .Da haben wir viel Geld in Bewegung gesetzt: Wir entlas-ten die Kommunen bis 2018 um insgesamt 25 MilliardenEuro . Das ist eine echte Hausnummer .
Der Respekt gegenüber den Ärmsten – um nichts an-deres geht es, wenn man sich um Menschen kümmert,die es alleine nicht schaffen, wenn man ihnen wiederauf die Beine hilft, auch wenn es lange dauert – ist Aus-druck des sozialen Zusammenhalts unserer Gesellschaft .Dieses soziale Klima, diesen starken gesellschaftlichenZusammenhalt wünschen sich auch die allermeisten der-jenigen, die nicht persönlich betroffen sind und es auchnie sein werden .„Vier eigene Wände machen einen Menschen frei“,sagt ein persisches Sprichwort . Diese Freiheit ist inDeutschland ein Grundrecht . Deshalb gilt es, Wohnun-gen zu bauen und den Sozialstaat zu stärken und dabei zuklotzen und nicht zu kleckern .Glück auf!
Vielen Dank . – Als letzter Redner in dieser Debatte
hat Michael Groß von der SPD-Fraktion das Wort .
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren!Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das mit dem „Glückauf!“ gefällt mir sehr gut . Ich komme aus einer Region,in der das leider bald nur noch Kulturgut ist .Lassen Sie mich im Anschluss an die KolleginSchmidt auf einige Punkte eingehen . Wer kein Dachmehr über dem Kopf hat, verliert auch alles andere . DasThema Integration wurde gerade schon angesprochen .Ich glaube, das ist ein sehr wichtiges Thema, und zwarnicht nur bezogen auf die Statistik . Für uns Sozialdemo-kraten ist es sehr wichtig, dafür zu sorgen, dass Men-schen selbstbestimmt in einer guten Wohnung und einemguten Lebensumfeld aufwachsen können, dass sie dortArbeit finden und alt werden können. Das ist für uns einganz großes Ziel . Deswegen sind wir für Ihren Antragdankbar, der zwei Teile hat: Einmal geht es darum, Woh-nungslosigkeit zu verhindern, und das andere Thema istdie Statistik .Ich danke außerordentlich Frau Ministerin Hendricks,die sich Zeit genommen hat, um heute hier zu sein undder Debatte über dieses wichtige Thema beizuwohnen .
Das zeigt, wie wichtig es uns Sozialdemokraten und derMinisterin ist, dass wir auf dem Wohnungsmarkt bezahl-baren Wohnraum für alle Menschen schaffen .
Ich möchte ergänzen, was bisher passiert ist – die FrauMinisterin hat das im Ausschuss deutlich gemacht –: Wirhaben es ja nicht dabei bewenden lassen, zu sagen, dasswir die Mittel für die soziale Wohnraumförderung ver-doppeln wollen . Uns ist sehr bewusst, dass wir zurzeit ei-nen großen Nachholbedarf haben, dass wir mehr bezahl-baren Wohnraum für die Bezieher unterer und mittlererEinkommen schaffen müssen . Frau Hendricks hat ange-kündigt, dass sie zusätzlich 1 Milliarde Euro in die Handnehmen möchte, um zusätzlich Wohnraum zu schaffen,insbesondere in Ballungsgebieten . Ich hoffe, dass wir unsda durchsetzen können .
Mein zweiter Punkt . Ich möchte darauf hinweisen,dass sich die Ministerin eindeutig für eine ressortüber-greifende Strategie bei dem Programm „Soziale Stadt“eingesetzt hat . Das ist ein wichtiges Thema . Es geht ins-Dagmar Schmidt
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 155 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 18 . Februar 2016 15327
(C)
(D)
besondere um die Frage, wie wir die einzelnen Hand-lungsfelder, die Fachpolitiken auf Bundesebene, aufLandesebene und auf kommunaler Ebene so bündelnkönnen, dass die Kompetenzen der Fachleute in der Po-litik zusammengeführt werden, sodass man jedem Men-schen effizient helfen kann.Darüber hinaus hat die Ministerin gesagt: Wir brau-chen eine Stiftung . – Ich kann das nur sehr begrüßen,weil das Programm „Soziale Stadt“ ein Programm ist,das natürlich davon abhängt, dass einzelne Stadtteile zu-nächst einen negativen Weg genommen haben .
Ich gehe davon aus, wir werden uns weiterhin dafür ein-setzen, dass eine Stiftung auf den Weg gebracht wird,damit wir auch präventiv in den Städten für gute Lebens-bedingungen sorgen können . Sie haben da unsere Unter-stützung, Frau Hendricks; darauf können Sie in der SPDzählen .
Jetzt noch ein Satz zur Statistik; das war ja vom Kol-legen von der CDU doch ein gewisser Rittberger . Einebelastbare Statistik, die vor Ort natürlich erforderlich ist,kann dazu beitragen, dass wir, wenn sie aggregiert wird,auf Bundesebene für das sorgen können, was im Grund-gesetz steht, nämlich für gleichwertige Lebensverhältnis-se. Da hat der Bund eine Verpflichtung, und ich glaube,da sind wir, die SPD, stringent . Wir haben schon in derletzten Legislatur gefordert, dass es eine bundesweiteStatistik geben sollte, und wir werden uns weiterhin da-für einsetzen .Herzlichen Dank und Glück auf!
Vielen Dank . – Damit schließe ich die Aussprache .
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 18/7547 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen . Sind Sie damit ein-
verstanden? – Das ist der Fall . Dann ist das so beschlos-
sen .
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 15 auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-
regierung eingebrachten Entwurfs eines Geset-
zes zur Änderung des Wasserhaushaltsgeset-
zes zur Einführung von Grundsätzen für die
Kosten von Wasserdienstleistungen und Was-
sernutzungen sowie zur Änderung des Abwas-
serabgabengesetzes
Drucksache 18/6986
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
ses für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsi-
cherheit
Drucksache 18/7578
Hierzu liegen ein Entschließungsantrag der Fraktion
Die Linke sowie zwei Änderungsanträge und ein Ent-
schließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
vor .
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 25 Minuten vorgesehen . – Dazu gibt es
keinen Widerspruch . Dann ist das so beschlossen .
Ich eröffne die Aussprache . Als erste Rednerin in der
Aussprache hat Hiltrud Lotze von der SPD-Fraktion das
Wort .
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Meine Damen und Herren! Wir beraten heute Abendden – ich lese einmal den gesamten Titel vor – Entwurfeines Gesetzes zur Änderung des Wasserhaushaltsgeset-zes zur Einführung von Grundsätzen für die Kosten vonWasserdienstleistungen und Wassernutzungen sowie zurÄnderung des Abwasserabgabengesetzes . Vom Titel herist das eine Herausforderung . Inhaltlich ist es ein gutesund wichtiges Gesetz, weil es im Kern um unser wich-tigstes Lebenselixier geht, nämlich ums Wasser . Mit die-sem Gesetz beenden wir heute einen mehrjährigen Streitum die Frage der Umsetzung der EU-Wasserrahmen-richtlinie in das Wasserhaushaltsgesetz .Grundsätzlich zielt die EU-Wasserrahmenrichtlinieauf die Herstellung eines guten Zustands aller Gewässer .Gewässer sind dann in einem guten Zustand, wenn sie,vereinfacht gesagt, vom Menschen nur gering beeinflusstsind . Die EU-Wasserrahmenrichtlinie sieht vor, dass sichalle, die Wasser in irgendeiner Form nutzen, finanzielldaran beteiligen müssen, dass die Gewässer in einem gu-ten Zustand sind . Das ist der Kostendeckungsgrundsatz .Umweltverbände und die Europäische Kommissionwaren der Meinung, dass auch in unserem Wasserhaus-haltsgesetz eine Kostenbeteiligung zur Umsetzung derWasserrahmenrichtlinie festgeschrieben werden muss,und haben deswegen geklagt . Dazu muss man wissen,dass in Deutschland unter Wasserdienstleistungen dieTrinkwasserversorgung und die Abwasserentsorgungverstanden werden . Diese Bereiche werden zur Kosten-deckung herangezogen . Allerdings wird zum Beispieldas Aufstauen des Wassers für die Stromerzeugung ausWasserkraft oder das Nutzen des Wassers für die Schiff-fahrt nicht als Wasserdienstleistung betrachtet . Deswe-gen werden diese Bereiche bei der Anwendung des Kos-tendeckungsgrundsatzes – wer nutzt, muss zahlen – auchnicht berücksichtigt .Die jetzige Bundesregierung und ihre Vorgänger ha-ben die Wasserrahmenrichtlinie so interpretiert: Für denFall, dass die Ziele der Wasserrahmenrichtlinie nicht er-reicht werden, sollen sich die übrigen Wassernutzer, alsodie eben Genannten, an den Kosten beteiligen . DieseBeteiligung müsse aber nicht unbedingt finanzieller Artsein . – Ich weiß, das ist ein bisschen kompliziert . Ich ver-suche, das hier so deutlich wie möglich zu erläutern .Michael Groß
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 155 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 18 . Februar 201615328
(C)
(D)
Der Europäische Gerichtshof hat nach der Klage diegrundsätzliche Rechtsauffassung der BundesrepublikDeutschland bestätigt: Deutschland muss alle Wasser-nutzer an den Kosten beteiligen . – Wie dies zu geschehenhat, ist aber nicht festgelegt . Obwohl der EuGH festge-stellt hat, dass die Bundesrepublik bisher nicht gegen dieWasserrahmenrichtlinie verstoßen hat, sind zur Klarstel-lung minimale Änderungen im Wasserhaushaltsgesetznotwendig . Und die nehmen wir heute hier mit diesemGesetzentwurf vor . Im Klartext heißt das: Das Wasser-haushaltsgesetz wird ergänzt, für die Wassernutzer bleibtaber alles beim Alten . Für niemanden entstehen zusätzli-che Kosten .Das Land Baden-Württemberg war nun der Meinung,hier könne eine Rechtsunsicherheit in dem Sinne ent-stehen, dass das verfassungsmäßige Recht der Länder,Abgaben zu erheben, beschnitten werden könne . DieGrünen haben das in ihren Änderungsantrag aufgenom-men, und auch der Bundesrat hat auf Initiative von Ba-den-Württemberg den Wunsch formuliert, eine Länder-öffnungsklausel einzuführen .Aus unserer Sicht – da teilen wir auch die Auffassungdes Ministeriums – ist eine solche Klausel unnötig; dennnach dem vorliegenden Gesetzentwurf können Bund undLänder das Kostendeckungsprinzip bei der Wassernut-zung auch dann uneingeschränkt anwenden, wenn dieZiele der Wasserrahmenrichtlinie schon erreicht werden .Deswegen werden wir den Änderungsantrag der Grünenablehnen .Das Gleiche gilt auch für den Entschließungsantrag, indem unter anderem gefordert wird, im Wasserhaushalts-gesetz ein Fracking-Verbot zu verankern .
– Der Applaus ist im Prinzip richtig .
Wir werden diesen Entschließungsantrag trotzdem ab-lehnen .
Aber Achtung: Wir lehnen ihn nicht ab, weil wir etwa fürFracking sind . Ganz im Gegenteil!
Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie wissen: Es isteine umfassende Fracking-Gesetzgebung auf dem Weg,
und dieser wollen wir hier nicht durch ein Detail vor-greifen .Ich will den Fokus heute Abend noch auf ein ande-res Wasserthema lenken, nämlich auf die Nitratrichtlinie .Wenn wir in Deutschland das Grundanliegen der Was-serrahmenrichtlinie – nämlich den guten Zustand allerGewässer – erreichen wollen, dann müssen wir dieseNitratrichtlinie umsetzen; denn wir alle wissen: UnsereBöden und damit auch die Gewässer sind noch immer zustark durch Düngemittel, und hier vor allem mit Nitrat,belastet. 82 Prozent der Oberflächengewässer haben letz-tes Jahr die Kriterien der Wasserrahmenrichtlinie nichterfüllt .Wir alle wissen auch, dass der Hauptverursacher diesesZustandes die Landwirtschaft ist . Bei allem Verständnisfür die Landwirtschaft will ich hier ganz deutlich sagen:Die Verzögerung bei der Umsetzung der Nitratrichtlinieist nicht dem Umweltressort zuzuschreiben .
Dass es auch anders geht, zeigt sich beispielhaft in mei-ner Region, in Lüchow-Dannenberg - Lüneburg . Hierbeteiligen sich derzeit 20 landwirtschaftliche Betriebean einem mehrjährigen niedersächsischen Modellver-such . Diese Betriebe werden in Düngefragen intensivberaten – und das kostenlos . Das Ergebnis ist, dass biszu 20 Prozent weniger Düngemittel und damit wenigerNitrat eingesetzt werden .Man kann also sehen: Es funktioniert . Deswegen istuns und mir als Umweltpolitikerin sehr daran gelegen,dass wir die Verschärfung des Düngemittelgesetzes undder Düngemittelverordnung zur Umsetzung der Nitrat-richtlinie schnell verabschieden .
Denn, liebe Kolleginnen und Kollegen, auch das mussuns klar sein: Wenn wir alle zusammen nicht mehr für dieVerbesserung der Wasserqualität tun, dann werden wir inmehrfacher Hinsicht einen hohen Preis dafür zahlen .Ich komme zurück zu dem Gesetzentwurf . Mit derNovelle des Wasserhaushaltsgesetzes setzen wir ein wei-teres Element der Wasserrahmenrichtlinie in nationalesRecht um . Wir als SPD-Fraktion stimmen zu . Und wir ar-beiten zusammen mit unserer Ministerin weiter intensivdaran, unser Wasser noch besser zu schützen .Vielen Dank .
Vielen Dank . – Als nächster Redner hat Ralph Lenkert
von der Fraktion Die Linke das Wort .
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Geehrte Kollegin-nen und Kollegen! Der vorliegende Gesetzentwurf zumWasserhaushaltsgesetz, WHG, übernimmt EU-Vorga-ben unverändert in deutsches Recht . Durch ihn werdenalso Wasserdienstleistungen klarer definiert. An Positi-vem kann ich zum Gesetzentwurf sagen: Es wird nichtsschlechter . Leider verpasst die Koalition jedoch dieChance, unseren, durch verschiedenste Nutzung starkHiltrud Lotze
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 155 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 18 . Februar 2016 15329
(C)
(D)
belasteten Bächen, Flüssen und Seen wirklich zu helfen .Und das ist schon fahrlässig .
Damit Gesetzesänderungen neben dem bürokratischenSinn auch noch gut für die Gewässer sind, haben wir vonder Linken Ihnen zwei Entschließungsanträge vorgelegt .Mit Ihrer Zustimmung könnten Sie dann doch noch et-was Positives für unsere Gewässer erreichen .Der erste Entschließungsantrag schließt eine Geset-zeslücke bei Kleinwasserkraftwerken . Nach § 34 Was-serhaushaltsgesetz dürfen Stauanlagen nur zugelassenwerden, wenn die Bewirtschaftungspläne und Bewirt-schaftungsziele des Gewässers nicht beeinträchtigt wer-den . Leider haben Bäche und Gewässer mit wenigerals 10 Quadratkilometern Einzugsgebiet keine Bewirt-schaftungspläne . Gewiefte Juristen hebeln jetzt überdiese Lücke Bestimmungen zum Umwelt-, Natur- undArtenschutz aus, die unsere Gewässer vor umweltschäd-lichen Kleinwasserkraftwerken schützen sollten . Auchdie Betreiber von Schneekanonen nutzen diese Mög-lichkeit, um Stauanlagen zu bauen . Doch gerade dieseoft unbelasteten Kleingewässer sind ein Rückzugsort fürviele Tierarten, unter anderem für die vom Aussterbenbedrohte Flussperlmuschel und viele Köcherfliegenarten.Schließen wir diese Gesetzeslücke! Stimmen Sie unse-rem Entschließungsantrag zu!
Den zweiten Entschließungsantrag stellt die Linke,so wie die Kollegen von den Grünen, um insbesondereFracking über das Wasserrecht zu verbieten . Wir wol-len, dass für die Wassernutzung, egal ob zur Rohstoff-gewinnung, als Kühlwasser oder für die exportierendeLandwirtschaft, ein Nutzungsentgelt bezahlt werdenmuss, welches der Höhe der Belastungen für die Naturentspricht .
Auch dies würde unseren Gewässern helfen .Mit der Änderung des Wasserhaushaltsgesetzes wen-det die Koalition ein drohendes Vertragsverletzungsver-fahren durch die EU ab .
Gut . Aber ein anderes Vertragsverletzungsverfahren derEU wegen Verstoßes gegen die Wasserrahmenrichtlinieläuft derzeit gegen die Bundesrepublik . Liebe Kollegin-nen und Kollegen, seit Jahren kämpfen Umweltschützer,Anliegergemeinden, Anglervereine, die Linke, die SPDin NRW und Niedersachsen für eine gesunde Werra undfür eine gesunde Weser .
Fische in diesen Flüssen sehen wie Zombies aus, vonSalzwasser zerfressen . Am Ufer entstehen Salzwiesenwie an der Nordsee . Und über den Witz „Was kann mansich bei Fischen aus der Weser sparen? – Das Salzen!“lacht kein Betroffener mehr .Der Vier-Punkte-Plan von K+S, also Kali und Salz,und Hessen wird von der EU nicht akzeptiert, weil er denguten Zustand für Werra und Weser in eine ferne Zukunftverschiebt . Kali und Salz erzielte zwischen 2010 und2014 über 2,4 Milliarden Euro Gewinn und schüttete indiesem Zeitraum 937 Millionen Euro an die Aktionäreaus . Der alternative Entsorgungsplan der Firma K-UTECkostet laut Schätzung des Bundesumweltamtes rund800 Millionen Euro . Liebe Kolleginnen und Kollegen,dies könnte die Firma Kali und Salz leisten, ohne dassdadurch Arbeitsplätze gefährdet wären .
Die Linke fordert das Bundesumweltministerium undalle Kolleginnen und Kollegen auf: Jetzt, wo das Was-serhaushaltsgesetz EU-konform ist, sollten wir uns ge-meinsam um Werra und Weser kümmern, damit wir auchdieses Vertragsverletzungsverfahren ausräumen können .Vielen Dank .
Vielen Dank . – Als nächster Redner hat Ulrich Petzold
von der CDU/CSU-Fraktion das Wort .
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrtenDamen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Wir haben die Wasserrahmenrichtlinie in der Bundes-republik de facto längst korrekt umgesetzt . Das hat unsmit seinem Urteil vom 11 . September 2014 die ZweiteKammer des Europäischen Gerichtshofes mit der Zu-rückweisung der Klage der Europäischen Kommissiongegen die Bundesrepublik klar bestätigt . Es gibt daherdurchaus fundierte Rechtsauffassungen, dass eine forma-le Umsetzung der Vorgaben des Artikels 9 der Wasser-rahmenrichtlinie im Wasserhaushaltsgesetz nicht mehrerforderlich ist, da dieses bereits durch eine Reihe bun-des- und landesrechtlicher Vorschriften erreicht ist .Wenn wir jetzt trotzdem eine Gesetzesnovelle vor-nehmen, ist das der Rechtsklarheit geschuldet . In demGesetzentwurf geht es daher nur noch um eine rechtlichsaubere Formulierung von Wasserdienstleistung undWassernutzung sowie Ausnahmen im Kostendeckungs-prinzip im Wasserhaushaltsgesetz und nicht um eine all-gemeine Öffnung des Gesetzes oder darum, sozusagenim Vorbeigehen gleich auch noch das Fracking zu verbie-ten . Umso bedauerlicher ist es, dass wir mehrere Anläufebrauchten, um juristische Klippen zu umschiffen . Das istjetzt endgültig geschafft . Wir können mit der zweiten unddritten Lesung des Vorhabens ein Kapitel abschließen,das wir seit 2009, ja eigentlich seit 2007 ständig behan-deln .Wir alle wissen, dass es im Rahmen der Umsetzungnoch weiter gehende Wünsche im Bundesrat gibt; dochwir dürfen das grundsätzliche Ziel der Wasserrahmen-richtlinie nicht aus den Augen verlieren: Jegliche Was-sernutzung, die die Ziele der WasserrahmenrichtlinieRalph Lenkert
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 155 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 18 . Februar 201615330
(C)
(D)
gefährdet, ist nach dem Kostendeckungs- und Verursa-cherprinzip zu behandeln . Wenn also die Ziele der Was-serrahmenrichtlinie gefährdet sind, sind spezielle öko-nomische und fiskalische Instrumente einzusetzen, diesowohl im Bundes- als auch im Landesrecht verankertsein können . Dazu haben sich die Bundesländer ja da-mals im Wasserhaushaltsgesetz eine Öffnungsklausel er-kämpft . Dabei ist im Bundesrecht das Kostendeckungs-prinzip so anzuwenden, dass eine Gefährdung der Zieleder Wasserrahmenrichtlinie grundsätzlich nicht zu erwar-ten ist . Dazu gibt es zwischen Bund und Ländern wohlauch keine unterschiedliche Rechtsauffassung .Nach dem Urteil des Europäischen Gerichtshofes istes jedoch nicht geboten, eine Kostendeckung durchzu-setzen, wenn die Ziele der Wasserrahmenrichtlinie auchohne eine Abgabe auf die Wassernutzung erreicht wer-den . Wenn der Wunsch dennoch bestehen sollte, einesolche Wassernutzung, die die Ziele der Wasserrahmen-richtlinie nicht gefährdet, zu einer Abgabe heranzuzie-hen, liegt das eindeutig in der Regelungskompetenz derLänder und bedarf daher nur der Nutzung der vorhan-denen Öffnungsklausel, die der Bund ja eingeräumt hat .Auffassungsunterschiede zwischen Bund und Länderngibt es darin – das ist ja auch weidlich von der Oppositionaufgegriffen worden –, wie die Öffnung für Wasserent-nahmeentgelte zu formulieren ist . Wenn die Grünen inihrem Änderungsantrag bezweifeln, ob die Formulierungdes Bundes nicht doch das verfassungsgemäße Recht derLänder beschneidet, ein Wasserentnahmeentgelt zu erhe-ben, kann ich wiederum nur auf Minister Untersteller ausBaden-Württemberg verweisen, der zwar auch gern dievon den Grünen vorgeschlagene Formulierung im Gesetzhätte, aber die Formulierung des Bundes nicht einfachvon der Hand weist .Eine Umweltabgabe mit dem wirtschaftlichen Vorteilder Wasserentnahme oder Wassernutzung für den Ent-nehmenden oder Nutzer zu begründen, ohne dass derNutzer die ökologischen Ziele der Wasserrahmenrichtli-nie gefährdet, halte ich für problematisch . Die Abschöp-fung eines ökonomischen Vorteils für einen Nutzer durcheine ökologische Abgabe, ohne dass der Allgemeinheitein ökologischer Nachteil entsteht, ist für mich ein juris-tisches Vabanquespiel . Wenn die Länder mit der Nutzungoder Entnahme von Wasser aus einem Gewässer Geldverdienen wollen, dann sollen sie es auch so begründenund nicht noch ökologisch verbrämen . Dazu haben sieeine eigene Regelungskompetenz, die wir mit diesemGesetzentwurf sogar noch stärken .Im Bergbau wird zur Abschöpfung wirtschaftlicherVorteile die Förderabgabe genutzt, was von den Ländernsinngemäß genauso gut auf das Allgemeingut Wasser an-gewendet werden könnte . Ob es sinnvoll ist, die Gewin-nung erneuerbarer Energie aus Wasserkraft mit einemWasserpfennig künstlich zu verteuern, stelle ich hier in-frage, insbesondere dann, wenn der Betreiber einer sol-chen Energiegewinnungsanlage alles getan hat, um zumBeispiel mit Fischrechen und Fischtreppen ökologischenSchaden zu verhindern und dadurch selbst Leistungsein-bußen in Kauf nimmt .
Genauso ist es für mich die Frage, ob man auf die Schiff-fahrt, eigentlich das ökologisch vorteilhafteste Trans-portmittel, eine Abgabe erheben muss . Wenn das einigeLänder machen wollen, sollen sie es tun . Aber ich bineigentlich dagegen, dass der Bund das regelt .Wie wichtig es ist, dass in Deutschland seit Langemdas Kostendeckungsprinzip bei der Wasserentnahme undder Wassernutzung gilt, ist in seiner ganzen Dramatik inden neuen Bundesländern zu erkennen . Die DDR-Sub-ventionitis hatte dort den Wasserverbrauch in Wirtschaft,Gewerbe und Haushalten in dramatische Höhen schnel-len lassen, was letztendlich dazu führte, dass im SommerWasserknappheit herrschte, obwohl eigentlich genügendWasser vorhanden gewesen wäre .So verbrauchte ein DDR-Durchschnittshaushalt proTag mehr als 20 Eimer voll Wasser . Schon 1991 sank derVerbrauch in Sachsen-Anhalt, meinem Heimatland, auf160 Liter pro Tag und Haushalt und stagniert in den letz-ten Jahren bei circa 90 Liter pro Tag und Haushalt . Damitliegt er etwa 28 Liter unter dem Durchschnittsverbrauchin der Bundesrepublik . Ziele sind also noch zu setzen .Doch auch in der Wirtschaft konnte der Wasserver-brauch in meinem Heimatland sehr stark gesenkt wer-den . Der Wasserverbrauch sank natürlich mit dem Zu-sammenbruch der Planwirtschaft
dramatisch ab; das ist ganz klar . Bemerkenswert ist je-doch, dass sich die wirtschaftliche Erholung zum Bei-spiel in der sachsen-anhaltischen Industrie nicht in einerdeutlichen Zunahme des Wasserverbrauchs widerspie-gelt . Wasserkreislauf und Wassermehrfachnutzung habensich durchgesetzt .
– Ja, gerne . – Vom Gesamtverbrauch der Wirtschaft inSachsen-Anhalt gehen 48 Prozent des Wasserverbrauchsin eine Kreislaufnutzung, 9 Prozent in eine Mehrfachnut-zung und nur noch 43 Prozent in eine Einfachnutzung .Damit ist Sachsen-Anhalt natürlich kein Sonderfall; denndiese Zahlen decken sich mit den Ergebnissen in vielenanderen Bundesländern . Die Bundesrepublik kann auchhier Vorbild sein .Bei dem Ziel der Wasserrahmenrichtlinie, durch eineentsprechende Kostenzuweisung die Ressource Wasserals Lebensgrundlage für kommende Generationen nichtzu übernutzen, sind wir zumindest bei der Wassernut-zung auf einem guten Weg . Selbstverständlich gibt esnoch genügend Probleme auch in der Bundesrepublikim Rahmen der Umsetzung der Wasserrahmenrichtlinie .Von den zuständigen Behörden werden als wichtigsteVerzögerungsursachen bei der Umsetzung der Vorgabender Wasserrahmenrichtlinie zeitaufwendige Genehmi-gungsverfahren und der Abstimmungsbedarf bei kon-kurrierenden Interessen genannt . Für mich ist es schoneine Frage, ob für eine Maßnahme zur Verbesserung deshydromorphologischen Zustandes, also der Veränderungdes Abflussverhaltens und der räumlichen AusdehnungUlrich Petzold
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 155 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 18 . Februar 2016 15331
(C)
(D)
eines Gewässers, Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen er-forderlich sind .Es wird auch weiter eine Aufgabe für die Zukunft blei-ben, die Wasserrahmenrichtlinie in einem vernünftigenund nach allen Seiten ausgewogenen Verhältnis ökolo-gisch und wirtschaftlich sinnvoll umzusetzen . In demGesetzentwurf sehe ich eine gute Grundlage dafür . Herz-lichen Dank dafür, Frau Ministerin!
Vielen Dank . – Als letzter Redner in dieser Debatte
spricht jetzt Peter Meiwald von der Fraktion Bündnis 90/
Die Grünen .
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!Wir reden, auch wenn der Kollege Petzold das gerade einbisschen infrage gestellt hat, wieder einmal darüber, wiewir ein Vertragsverletzungsverfahren der EU abwehrenund deutsches Recht endlich so anpassen können, dasses EU-rechtskonform ist . Wieder einmal! Aktuell sind14 Verfahren gegen die Bundesrepublik im Umwelt-bereich anhängig . Dabei geht es gerade hier um unserewichtigste Lebensgrundlage – unser Wasser . Was könn-te, ja was müsste man alles tun, um diese Ressource zuschützen? Im ehemaligen Umweltmusterland Deutsch-land liegt vieles im Argen, auch wenn es immer wiederheißt: Wir sind auf einem guten Weg .Wir haben aber die Überdüngung mit Nitraten undPhosphaten; und das Vertragsverletzungsverfahren –Frau Lotze hat es angesprochen – wegen Nichteinhal-tung der Nitratrichtlinie ist noch lange nicht abgewendet .Also, da bin zumindest ich nicht davon überzeugt, dassdas, was jetzt für die Düngeverordnung und für die Dün-gegesetzgebung vorgelegt wird, ausreichen wird, um dieZiele der Nitratrichtlinie zu erfüllen .
Wir haben die Wassergefährdung durch Arzneimittelwie Antibiotika aufgrund ihres massiven Einsatzes in derindustriellen Tierhaltung, aber eben auch in der Human-medizin .Wir haben Mikroplastik aus Kosmetika, Autoreifenund Plastikmüll in unserem Wasser und natürlich – es istangesprochen worden – Salze und Eisenverbindungenaus dem Bergbau in unseren Gewässern .Und nicht zuletzt, Frau Lotze, haben wir Frack-Fluideund Lagerstättenwasser aus der Öl- und Erdgasgewin-nung .Diese Novelle wäre doch jetzt ein guter Anlass gewe-sen, das Vorsorgeprinzip als Leitmotiv deutscher Um-weltpolitik endlich wieder einmal etwas hervorzuholen .
Doch für alle, die darauf gehofft hatten, bleibt nur zukonstatieren: Dieses unambitionierte Gesetz ist im wört-lichen Sinne ein Schlag ins Wasser .Auch zukünftig werden sich Wasserverschmutzerweiträumig der Beteiligung an den Kosten der Herstel-lung des guten ökologischen und des guten chemischenZustandes unserer Gewässer entziehen können . Bergbau-unternehmen und Landwirtschaft werden dankbar dafürsein, dass Sie ihnen einen Freibrief ausstellen für dieKaperfahrt auf Kosten der lebenswichtigen RessourceWasser .Dabei schaffen Sie – das ist gerade in Zweifel gezo-gen worden – durch Ihren Gesetzentwurf auch noch ohneNot neue Rechtsunsicherheit für unsere Bundesländer .Der § 6 a Wasserhaushaltsgesetz in der von der Bundes-regierung eingebrachten Fassung könnte dazu führen,dass nur noch solche Wasserentgelte zulässig sind, dieder Erreichung der Bewirtschaftungsziele direkt dienenund dafür erforderlich sind . Sie stellen so die Entgeltre-gelungen der Länder, die gerade noch so hervorgehobenworden sind, zur Disposition . Und das sagt eben nichtnur Kollege Untersteller in Baden-Württemberg, sonderndas sagt der Bundesrat in Gänze . Also, hier gibt es durch-aus Klärungsbedarf; und es wird versäumt, das jetzt or-dentlich zu regeln .
Es geht dabei nicht um einen Pappenstiel . Wir spre-chen von 380 Millionen Euro, die zum Beispiel in 2014in den Ländern durch die Wasserpfennige, durch dieWasserentnahmeentgelte zur Verfügung gestanden ha-ben: zur Umsetzung der Wasserrahmenrichtlinie, dafür,dass Bewirtschaftungspläne auch mit Geld hinterlegtsind und nicht nur irgendwo als „Plan“ stehen . Und wenndiese Einnahmequelle versiegte, hätte das katastrophaleAuswirkungen auf die Länderhaushalte und vor allenDingen auf die betroffenen Bürgerinnen und Bürger .Ich möchte noch etwas zu den Entschließungsanträgender Linken sagen . Im Grundsatz teilen wir die Inhalte;das ist völlig klar . Wir haben allerdings bei unserer Prü-fung festgestellt, dass sie die Ziele nicht so ganz treffen .Deswegen werden wir uns dazu der Stimme enthalten .Aber das Ziel, zu sagen, wir müssen da vorangehen, istnatürlich im Kern richtig .Dann zur Verpressung: Frau Lotze, ich würde mich jafreuen, wenn wir da so optimistisch sein könnten, dassdas Verpassen einer entsprechenden Regelung in dieserWasserhaushaltsgesetzgeschichte nur dem geschuldetist, dass Sie ein anderes Gesetz vorbereiten, das dann dasFracking verhindern wird . Wenn das so wäre, wären wirja alle entspannt und erleichtert .
Den Optimismus teile ich, ehrlich gesagt, nicht, und ichglaube, viele in diesem Hohen Haus und vor allen Din-gen viele in unserer Bevölkerung teilen diesen Optimis-mus nicht . Fracking wird auf diesem Weg nicht verhin-dert . Eine Chance ist vertan, und ich sehe nicht, dass Sieals Regierung die Kraft haben werden, etwas vorzubrin-Ulrich Petzold
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 155 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 18 . Februar 201615332
(C)
(D)
gen, was das Problem Fracking für unsere Bevölkerungin Zukunft vermeidet und damit dem Vorsorgegrundsatz,den wir aus gutem Grund in Europa haben, endlich zurDurchsetzung verhilft . Schade drum, eine vertane Chan-ce!
In diesem Sinne: Wir als Grüne haben entsprechendunsere Änderungsanträge und unseren Entschließungs-antrag eingebracht . Dem so schwachen Gesetzentwurf
können wir in dieser Form leider nicht zustimmen .Vielen Dank für die Aufmerksamkeit .
Vielen Dank . – Liebe Kolleginnen und Kollegen, da-
mit schließe ich die Aussprache .
Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun-
desregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur
Änderung des Wasserhaushaltsgesetzes zur Einführung
von Grundsätzen für die Kosten von Wasserdienstleis-
tungen und Wassernutzungen sowie zur Änderung des
Abwasserabgabengesetzes . – Bei diesem Titel muss ich
es richtig ablesen .
Der Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Re-
aktorsicherheit empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung
auf Drucksache 18/7578, den Gesetzentwurf der Bundes-
regierung auf Drucksache 18/6986 in der Ausschussfas-
sung anzunehmen . Hierzu liegen zwei Änderungsanträge
der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor, über die wir
zuerst abstimmen .
Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Drucksa-
che 18/7579? – Bündnis 90/Die Grünen .
Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist die-
ser Änderungsantrag abgelehnt worden mit den Stimmen
der Koalition bei Zustimmung durch Bündnis 90/Die
Grünen und Enthaltung der Fraktion Die Linke .
Ich komme zur Abstimmung über den Änderungsan-
trag auf Drucksache 18/7580, ebenfalls Bündnis 90/Die
Grünen . Wer stimmt für diesen Änderungsantrag? – Die
Opposition . Wer stimmt dagegen? – Die Koalition . Da-
mit ist auch dieser Änderungsantrag mit den Stimmen
der Koalition gegen die Stimmen der Opposition abge-
lehnt worden .
Ich bitte nun diejenigen, die dem Gesetzentwurf zu-
stimmen wollen, um das Handzeichen . – Wer stimmt
dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist der Gesetzent-
wurf in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koaliti-
on gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen bei
Enthaltung der Fraktion Die Linke angenommen worden .
Wir kommen zur
dritten Beratung
und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben . –
Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist der
Gesetzentwurf mit den Stimmen der Koalition gegen die
Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der
Fraktion Die Linke angenommen worden .
Wir kommen jetzt zur Abstimmung über die Ent-
schließungsanträge .
Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke auf
Drucksache 18/7581 . Wer stimmt für diesen Entschlie-
ßungsantrag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält
sich? – Damit ist der Entschließungsantrag mit den Stim-
men der Koalition gegen die Stimmen der Fraktion Die
Linke und bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen abgelehnt worden .
Ich lasse über den Entschließungsantrag der Frakti-
on Die Linke auf Drucksache 18/7582 abstimmen . Wer
stimmt für diesen Entschließungsantrag? – Wer stimmt
dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist auch dieser Ent-
schließungsantrag mit den Stimmen der Koalition gegen
die Stimmen der Fraktion Die Linke bei Enthaltung von
Bündnis 90/Die Grünen abgelehnt worden .
Ich rufe den Entschließungsantrag der Fraktion Bünd-
nis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/7583 auf . Wer
stimmt für diesen Entschließungsantrag? – Wer stimmt
dagegen? – Enthaltungen? – Nein . Dann ist dieser Ent-
schließungsantrag mit den Stimmen der Koalition gegen
die Stimmen der Opposition abgelehnt worden .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, damit ist dieser Ta-
gesordnungspunkt abgeschlossen .
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 16 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten
Wolfgang Gehrcke, Heike Hänsel, Jan van Aken,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE
LINKE
Beziehungen zu Kuba weiter verbessern
Drucksache 18/7541
Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Energie
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwick-
lung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 25 Minuten vorgesehen . – Ich höre dazu
keinen Widerspruch . Dann ist das so beschlossen .
Ich eröffne die Aussprache . Als erster Redner in die-
ser Debatte hat Wolfgang Gehrcke von der Fraktion Die
Linke das Wort .
Danke sehr, Frau Präsidentin . – Liebe Kolleginnenund Kollegen! Ein schönes Zeichen ist doch die Über-schrift unseres Antrages „Beziehungen zu Kuba weiterPeter Meiwald
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 155 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 18 . Februar 2016 15333
(C)
(D)
verbessern“ . Das signalisiert ja, dass wir sehr wohl zurKenntnis nehmen und uns darüber freuen, dass sich dieBeziehungen verbessert haben, heißt aber nicht, dass manan einem Endpunkt angekommen ist . Wir wollen also dieBeziehungen weiter verbessern . Das ist unsere Absicht .
Ich finde es eigentlich angesichts der schwierigen au-ßenpolitischen Themen, über die wir hier öfter diskutie-ren, sehr schön, einmal ein Thema zu haben, über dasman mit etwas Freude reden kann . Für mich sind in denletzten Wochen und Monaten 50 Jahre Eiszeit, die wir inden Beziehungen zu Kuba gehabt haben, so langsam zuEnde gegangen . Die Eiszeit war gekennzeichnet durchdie Antwort der USA auf die kubanische Revolution .Es gab eine ganze Serie von Mordanschlägen auf FidelCastro, die Eiszeit war geprägt durch das Nicht-zur-Kenntnis-Nehmen der Umgestaltung der kubanischenGesellschaft und durch eine Geringschätzung der kuba-nischen Kultur . Kuba sollte für die USA weiter Bordellund Vergnügungsort bleiben . Das ist gestoppt worden .Schon das allein finde ich einen ganz wichtigen Schritt,den ich aus meiner Sicht mit voller Sympathie betrachteund unterstütze .
Die Eiszeit geht also zu Ende; das Tauwetter beginnt .Aber man weiß nie, gerade in den Tropen, was Tauwettermit sich bringt . Es lohnt sich, darüber nachzudenken .Man reibt sich die Augen, was plötzlich alles mög-lich wird. Ich finde es schon fantastisch, dass sich derPapst und der Patriarch der russisch-orthodoxen Kirchein Kuba und nicht woanders treffen, um über die Bezie-hungen zwischen der katholischen und der russisch-or-thodoxen Kirche zu reden .
– Ja, ich wäre gern dabei gewesen; das gebe ich zu . Aberleider haben sie mich nicht eingeladen .
Das war das Missliche dabei .Ich finde ziemlich toll, dass in Kuba ein Friedensab-kommen zwischen der Guerilla-Organisation FARC undder Regierung Kolumbiens ausgehandelt worden ist, un-ter Mithilfe der kubanischen Regierung . Dadurch wirdeine offene Wunde in Lateinamerika, dieser furchtbareBürgerkrieg, endlich geschlossen . Das sind doch Fort-schritte, die man begrüßen sollte .Ich weiß nicht, wer von Ihnen einmal die Gelegenheitergriffen hat, zur Literaturmesse nach Havanna zu fahren .Viele der zurzeit großen, interessanten Schriftsteller ausLateinamerika kommen aus Kuba: Leonardo Padura undandere . Sie sind in der Gesellschaft wirklich prägend .
All das könnte auch unsere Gesellschaft bereichern .Wenn es Wirklichkeit werden sollte, dass Obama nachKuba fährt, dann nehme ich mir zwei Tage frei, um daszumindest am Fernseher mitzuerleben . Ein Treffen vonUS-Präsident Obama mit dem kubanischen PräsidentenRaúl Castro und seinem Bruder Fidel möchte ich gernaufgezeichnet wissen .
Ich finde, dass Fidel unwahrscheinlich viel geleistethat . Ich bin sehr glücklich – ich will das auch bei die-ser Gelegenheit sagen – über die aktive Tätigkeit vielerHilfsorganisationen, die Kuba unterstützt haben . Kubawar nie ganz allein; denn Kuba war für die Linke inDeutschland und in Europa immer so etwas wie ein Sig-nal, von dem wir alle profitiert haben.Deswegen geht mein Dank an solche Organisationenwie das Netzwerk Kuba und Cuba Sí . Mit Kuba zusam-men eine solche Entwicklungszusammenarbeit zu ma-chen, das hat einen Sinn . Ich sage extra mit Blick auf dieSPD: Mein Dank geht auch an Steinmeier, dass er nachKuba gefahren ist. Ich finde, es ist ein gutes Signal einesdeutschen Außenministers, keinen Bogen um Kuba zumachen, sondern dorthin zu fahren .Herzlichen Dank .
Als nächster Redner hat Professor Dr . Egon Jüttner
von der CDU/CSU-Fraktion das Wort .
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen undHerren! „Beziehungen zu Kuba weiter verbessern“ lautetder Titel des Antrags . Ich glaube, wir sind uns alle in die-sem Hohen Hause darin einig, dass zwischen Deutsch-land und Kuba normale und gute Beziehungen aufgebautwerden müssen .Die Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischenden USA und Kuba hat ein wichtiges Zeichen gesetzt –auch für die Entwicklung der Beziehungen Kubas zurEuropäischen Union und zu Deutschland . Wir müssennun alles unternehmen, die im Jahr 1996 zurückgefah-renen Beziehungen wieder aufleben zu lassen und durchentsprechende Abkommen mit Leben zu erfüllen .Ein wichtiger Auftakt hierfür war der Besuch vonAußenminister Steinmeier im vergangenen Jahr mit derUnterzeichnung einer Gemeinsamen Erklärung über dieZusammenarbeit beider Länder .
Darin heißt es – ich darf zitieren –, „dass die Zusammen-arbeit darauf abzielt, einen engeren allgemeinen Dialogund Beziehungen in den Bereichen Wirtschaft, Wissen-schaft, Technik, Bildung, Kultur und Sport zwischen bei-den Ländern und ihren Völkern zu fördern . . .“ .Wolfgang Gehrcke
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 155 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 18 . Februar 201615334
(C)
(D)
Im Klartext heißt das, dass unter anderem ein Kulturab-kommen abgeschlossen werden soll, um die Rahmenbe-dingungen für eine gute Zusammenarbeit im kulturellenBereich zu schaffen . Dabei gibt es viele Anknüpfungs-punkte an erfolgreiche Kulturprojekte der Vergangenheitwie etwa den deutschen Auftritt beim Havanna Filmfes-tival oder beim Havanna Festival für Alte Musik oder dieDeutsche Theaterwoche Havanna . Dazu gehören auchdie Verbesserung der Möglichkeit für Deutschunterrichtoder der erweiterte Austausch im Hochschulbereich . Ichdenke, das Interesse an einer solchen verbesserten Zu-sammenarbeit ist auf beiden Seiten hoch .
Der Abschluss eines bilateralen Kulturabkommens istauch deshalb wichtig, weil dadurch eigenständige Ver-tretungen des Goethe-Instituts und des Deutschen Aka-demischen Austauschdienstes errichtet werden können .Ein weiterer Erfolg, meine Damen und Herren, ist,dass Bundeswirtschaftsminister Gabriel auf seiner Reisenach Kuba im Januar dieses Jahres gemeinsam mit demkubanischen Außenhandelsminister eine Absichtserklä-rung unterschrieb, die die Eröffnung eines deutschenBüros zur Förderung von Handel und Investition kon-kretisierte . Dieses soll deutsche Unternehmen in Kubaüber Investitionsmöglichkeiten beraten . Ursprünglichwar zwar eine bilaterale Außenhandelskammer von deut-scher Seite angestrebt . Nun muss aber das vorgeseheneVerbindungsbüro alles unternehmen, damit der Handels-austausch und die Investitionstätigkeit vorankommen .Bisher ist in diesem Bereich äußerst wenig geschehen .Deutschland möchte mit der Eröffnung eines Büros inKuba in der schwierigen Zeit der wirtschaftlichen Anpas-sung Kuba als Partner auf Augenhöhe zur Seite stehenund beraten .Wichtig ist auch, dass die Entwicklungszusammenar-beit mit Kuba wieder aufgenommen wird . Die bilatera-le staatliche Entwicklungszusammenarbeit ist seit 2003eingestellt . Bisher beschränkte sich diese auf Kleinst-projekte der deutschen Botschaft, auf kirchliche Trägerund auf wenige deutsche Entwicklungsträger wie dieWelthungerhilfe . Hier ist es dringend erforderlich, dassein deutsch-kubanisches Abkommen zur entwicklungs-politischen Zusammenarbeit abgeschlossen wird . Dienächste Verhandlungsrunde des Bundesministeriums fürwirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung mitKuba soll voraussichtlich im Mai 2016 stattfinden. DieGespräche sind in die Politik der schrittweisen Annähe-rung eingebunden, für die sich die Bundesregierung ent-schieden hat .Meine Damen und Herren, auch wenn es in der Fra-ge der Menschenrechte, der bürgerlichen Freiheiten, derRechtsstaatlichkeit sowie der Presse- und Versamm-lungsfreiheit in Kuba weiterhin Defizite gibt, so solltenwir den eingeschlagenen Weg einer besseren Zusammen-arbeit mit Kuba fortsetzen . Ein Dialog über Menschen-rechte ist eher möglich, wenn man ohnehin im Gesprächist und in bestimmten Bereichen bereits zusammenarbei-tet:
etwa bei der Modernisierung der Infrastruktur, in derLandwirtschaft oder bei der Förderung erneuerbarerEnergien . Wir sollten die Hoffnung nicht aufgeben, dasses in Kuba allmählich zu einem Wandel und somit auchzu einem besseren Leben für die Menschen dort kommenwird .Ich danke Ihnen .
Vielen Dank . – Als nächster Redner hat Tom Koenigs
von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort .
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Lieber Wolfgang Gehrcke, dieser Antrag sagt„Achtung der Souveränität und Nichteinmischung“ . Mitdiesen beiden Begriffen hat die Sowjetunion 25 Jahre denSicherheitsrat blockiert . Das ist die Sprache des KaltenKrieges . Wollt ihr das wirklich, die Nichteinmischung inmenschenrechtlichen Fragen?
Wir kämpfen doch gerade dafür, dass wir uns einmi-schen . Die Europäische Gemeinschaft hat ein einzigesMal einen Gemeinsamen Standpunkt bezogen und auchdurchgehalten und hat darin die Zusammenarbeit mitFortschritten bei den Menschenrechten konditioniert . Eineinziges Mal ist das geschehen, und da sagt ihr: Der Ge-meinsame Standpunkt soll aufgegeben werden?
Der Antrag atmet noch ein Zweites aus, nämlich: Aufdie politischen Rechte achten wir mal nicht so genau,aber die sozialen Rechte in Kuba werden gefeiert .
Das ist zwar zweifellos wichtig, aber dies ist genau dieAuseinandersetzung, bei der jeder Menschenrechtlersagt: Die Menschenrechte sind unteilbar .
Das war aber auch – vielleicht verstehst du das da bes-ser – die Auseinandersetzung zwischen Rosa Luxemburgund Lenin . Sie hat immer gesagt: Die Freiheit muss auchmit den wirtschaftlichen Fortschritten einhergehen . – Fürdie Austragung dieses Widerspruchs sind Millionen inden Gulags gestorben .
Dr. Egon Jüttner
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 155 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 18 . Februar 2016 15335
(C)
(D)
Wenn du das nicht weißt, dann frag doch mal bei deinerTaschen-Rosa-Luxemburg nach, die weiß das, oder beider Stiftung .
Der Gemeinsame Standpunkt der Europäischen Unionsagt ganz deutlich, dass das Ziel ein Prozess des Über-gangs in eine pluralistische Demokratie ist . Selbst RaúlCastro ist dafür; denn das ist genau das, was aus den Ver-handlungen mit der FARC herauskommen soll . Wenn esnämlich in Kolumbien keine pluralistische Demokratiegibt, dann kann die FARC sich auch nicht am politischenProzess beteiligen . Die sind da also schon viel weiter .Deshalb muss man dies auch unterstützen .Es wird im Gemeinsamen Standpunkt weiterhin ge-sagt, dass die Europäische Union den Standpunkt ver-tritt, „eine umfassende Zusammenarbeit mit Kuba vonFortschritten im Bereich der Menschenrechte und derpolitischen Freiheit“ abhängig zu machen . Was ist denndagegen zu haben? Außerdem wird richtigerweise gefor-dert – das fehlt in diesem Antrag völlig –, dass die „Ent-lassung aller politischen Häftlinge und die Einstellungder Schikanierung und Bestrafung von Dissidenten“ zufördern ist .Diese Zivilgesellschaft – eine aktive Zivilgesell-schaft – wird Kuba dringend brauchen .
Denn es ist ja nicht so, dass das Land einfach geöffnetwerden soll . Die Investoren aus den USA stehen dochschon da . Dieses Land und alle seine Fortschritte, aberauch seine politischen Freiheiten werden ausverkauft –selbst wenn es diese Freiheiten gewinnt –, wenn es keinepolitisch aktive, ungemütliche und auch dissidente Zivil-gesellschaft gibt .Deshalb: Setzen wir uns weiter für die Prinzipien desGemeinsamen Standpunktes ein! Unterstützen wir diedortige Zivilgesellschaft und laufen nicht alten 60er-,50er-, 40er-Jahre-Standpunkten wie Souveränität undNichteinmischung hinterher!
Wir brauchen in Kuba eine aktive Zivilgesellschaft,wir brauchen Dissidenten, wir brauchen mehrere Partei-en, und wir brauchen politische Freiheit .Venceremos!
Vielen Dank . – Als nächster Redner hat Klaus Barthel
von der SPD-Fraktion das Wort .
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Fast hätte ich gesagt: Liebe Kubanerinnen und Kubaner!
Aber das haut dann doch nicht ganz hin .Momentan geben sich die Staatschefs in Kuba dieKlinke in die Hand . Im letzten Jahr gab es, glaube ich, ei-nen Zuwachs von 25 Prozent an deutschen Touristen . Dasheißt also: Da tut sich offensichtlich etwas . Ich glaube, zudem, was in der Überschrift des Antrags steht, kann manauf jeden Fall feststellen: Wir machen das . – Das stelltder Antrag ja auch richtigerweise fest . Aber es ist auchrichtig und wichtig, darüber zu sprechen .Sie haben auch die Initiativen der Bundesregierunggewürdigt . Sigmar Gabriel hat bei seinem Besuch inHavanna ausdrücklich von einer neuen Phase der Bezie-hungen gesprochen . Wir fordern schon lange, wie es imAntrag steht, die Blockade aufzuheben . Es gibt entspre-chende Beschlüsse der UN-Vollversammlung . Wir ha-ben uns als Sozialdemokratinnen und Sozialdemokratenimmer dafür eingesetzt, dass zumindest der europäischeStandpunkt aufgehoben oder korrigiert wird . Da gibt es,glaube ich, inzwischen einen breiten Konsens . Den eu-ropäischen Standpunkt hält sowieso niemand oder fastniemand in Europa ein .Wir begrüßen, dass es jetzt diplomatische Bezie-hungen zwischen den USA und Kuba gibt, dass es denGefangenenaustausch gibt – Stichwort „Cuban Five“ –,dass einzelne Boykottmaßnahmen jetzt von Obama auf-gehoben worden sind, dass es Flugverbindungen gebensoll, dass der Präsident selber nach Kuba reisen wird .Ich glaube, das Wichtige daran ist, dass das nicht nurein Signal an die Kubaner ist, sondern an die ganzeRegion, an ganz Lateinamerika, weil sich diese Län-der gemeinsam dafür eingesetzt haben, die künstlicheIsolierung des Landes zu beenden . Damit wurde ebenauch – das ist ja schon gesagt worden – die Rolle Ku-bas bei der Entwicklungszusammenarbeit und bei dendiplomatischen Bemühungen in Bezug auf Kolumbiengewürdigt .Im Antrag fehlt allerdings ein Blick auf die Ent-wicklung in Kuba selber . Ich glaube, sowohl Gehrckeals auch Tom Koenigs sind da einfach irgendwo stehengeblieben . Seit den Zeiten des Kalten Krieges hat sichin dem Land einiges verändert . Das muss man einfachzur Kenntnis nehmen . Es gibt nämlich inzwischeneine deutliche Selbstkritik an den Zuständen im Land .Auch Raúl Castro sagt: Die Blockade ist nicht an allemschuld, was bei uns zum Beispiel wirtschaftlich schie-fläuft. Es gibt zu viele einseitige Abhängigkeiten, mo-mentan von Venezuela und früher von der Sowjetuni-on . Wir brauchen Korrekturen zum Beispiel in unseremWirtschaftssystem .Es wird aber gehandelt . Seit 2011 gibt es die Aktu-alisierung des Modells . Es gibt über 600 neue Rechts-setzungen . Es gibt Reisefreiheit und weniger Repressi-on . Tom Koenigs, das muss man einfach zur Kenntnisnehmen . Es gibt mehr und mehr Zugänge zum Internet,selbstständige Unternehmen und zumindest das Be-Tom Koenigs
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 155 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 18 . Februar 201615336
(C)
(D)
mühen, die Produktivität im Staatssektor zu erhöhen .Weiterhin gibt es ein neues Investitionsgesetz . Auchdarüber müsste man einmal etwas sagen . Des Weiterenmüsste man mehr darüber diskutieren, dass es sich nichtmehr um die alte Welt handelt . Zum Beispiel gibt esjetzt auch den Erfolg, dass Kuba seine Schulden im Pa-riser Club abwickeln kann .Worauf kommt es also in dieser Situation an? Überdiese Frage sollten wir, glaube ich, reden . Ich bin froh,dass Kollege Jüttner es auch so sieht, dass wir jetzt ge-genseitiges Vertrauen aufbauen müssen . Es kommt da-rauf an – das hat auch Sigmar Gabriel bei seinem Besuchso formuliert –, dass wir alle Gespräche auf Augenhöheführen und nicht irgendwelche Vorbedingungen stellen .Tom Koenigs, so kämen wir auch in Kolumbien nichtweiter, wenn wir vorher darauf bestünden, dass alle dasakzeptieren, was wir so gewohnt sind . Wenn wir so vor-gingen, kämen wir bei Verhandlungen keinen Zentime-ter voran .Ich glaube, es ist wichtig, dass wir respektieren,dass Kuba seinen eigenen Weg gehen und nicht neueAbhängigkeiten produzieren will . Das Land will, dasses keine Rekolonialisierung – zum Beispiel durch dieUSA – gibt. Es muss seine Wirtschaft diversifizieren.Dabei muss es seine eigenen Bedürfnisse beachten . Dasmüssen wir akzeptieren und dann versuchen, die Bezie-hungen auf voller Breite weiterzuentwickeln . KollegeJüttner hat die wesentlichen Punkte genannt .Natürlich muss sich aber auch die Regierung in Kubanoch ein ganzes Stück bewegen . Wenn es Investitionengeben soll, muss es weniger Bürokratie, Vorschriftenund Gängelung geben . Es muss mehr Bewegungsmög-lichkeiten auch für nichtstaatliche Einrichtungen – fürdie Außenhandelskammern, die politischen Stiftungenusw . – geben . Man muss insbesondere den kleinen undmittleren Unternehmen entgegenkommen, damit auchsie – auch wenn sie nicht riesige Rechtsabteilungen un-terhalten können, die sich mit der kubanischen Bürokra-tie auseinandersetzen – dort investieren können . Und esmuss noch vieles mehr geschehen .Zum Schluss müssen wir, glaube ich, einen Schrittweiter gehen . Wir dürfen uns nicht damit zufrieden ge-ben, dass die Lage in Kuba und in Lateinamerika relativruhig ist und dass es dort Fortschritte gibt . Man ist heuteja schon froh, wenn es irgendwo auf der Welt einmalkeinen Bürgerkrieg, Krieg oder Chaos gibt . Wir müssenuns aber auch darüber klar sein, dass in Lateinamerikadie Lage nicht überall glänzend ist . Sie ist sehr labil undvon Land zu Land sehr differenziert zu sehen . Ich nennein diesem Zusammenhang die Themen Rohstoffe undKrise der Schwellenländer . Es gibt Probleme im Zu-sammenhang mit der wirtschaftlichen Entwicklung inChina . Der Klimawandel trifft Kuba zum Beispiel sehrstark, aber auch andere Länder der Region .Wir sollten also unser Interesse für eine solche Regi-on nicht erst dann entdecken, wenn es wieder Mord undTotschlag gibt . Wir sollten das tun, bevor die nächsteKrise kommt . Kuba sollten wir dabei unterstützen, deneingeschlagenen Weg weiterzugehen . Wir sollten versu-chen, mit unseren Instrumenten – das sind KfW-Kredi-te, Hermesbürgschaften usw . – die Investitionen in die-sem Land zu unterstützen . Es gibt ja einen Vorschlag,der über 300 Projekte einbezieht . Dazu hat Kuba eigeneVorstellungen entwickelt . Wir sollten die internationaleRolle Kubas stärken und stützen und auch die sozialenund ökologischen Aspekte beachten .Zum Schluss . Wir müssen uns darüber im Klarensein, dass der Wandel, den es in Kuba selber, aber auchvon den USA aus gibt, eine Unterstützung braucht,wenn er erfolgreich sein und eine eigene Dynamik ent-wickeln soll; denn da ist noch viel zu tun .
Vielen Dank . – Als letzter Redner hat Charles Huber
von der CDU/CSU-Fraktion das Wort .
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kollegen! Sehrgeehrte Damen und Herren!
Herr Kollege Gehrcke, es ist, wie Sie es gesagt haben:Wir kämpfen heute im Plenum ein bisschen um denHeiligenschein. „Wer mich sucht, findet mich in Kuba“,lautet ein Spruch einer bekannten Persönlichkeit . Ichsage es mal so: Wer da war, kann das ein bisschen nach-vollziehen . Wer durch die Altstadt von Havanna gelau-fen ist, weiß, was es mit diesem Spruch auf sich hat .Einige, die nach Kuba reisen, sagen: Ich will da nochmal hin, bevor alles anders wird . – Ich denke, genaudieses Anderswerden ist das, was uns deutsche Politikerbeschäftigt – das kam in den vorangegangenen Redenzum Ausdruck –, zugegebenermaßen beschäftigt diesaber auch die Kubaner, nämlich, wie dieses Andersseindann aussehen mag, in welcher Form es sich vollziehtund inwiefern der mögliche Wegfall der Sanktionen imKontext zur heiß diskutierten Systemfrage steht .In puncto Menschenrechte möchte ich sagen: Aus ge-schichtlicher Perspektive war Kuba vor der Revolutionde facto ein Apartheidstaat, ein Staat, in dem Benach-teiligung und sogar Sklaverei ein wesentlicher Teil desSystems waren . Und wenn wir über Menschenrechte inKuba reden, sollte dies auch hier einmal Erwähnung ge-funden haben .
Kuba muss seine Wirtschaft diversifizieren, um einenachhaltige Entwicklung erreichen und somit sozialenFrieden garantieren zu können, und dafür muss es aucheine Diversifizierung seiner Wirtschaftspartnerschaf-ten herbeiführen, und dies – sage ich einfach mal so –möglichst außerhalb sozialistisch geprägter Systeme .Klaus Barthel
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 155 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 18 . Februar 2016 15337
(C)
(D)
Kollege Gehrcke, wir sind uns in vielen Punkten ei-nig; aber ich denke, dieser Punkt ist bei uns beiden dieKrux . Werfen wir einen Blick auf sozialistisch geprägteSysteme, sehen wir, dass es diesen auch in den Zeitenhoher Rohstoffpreise nicht gelungen ist, stabile Volks-wirtschaften aufzubauen, bzw . sie den Versuch erst garnicht unternommen haben .Wenn wir von Wirtschaftspartnerschaften reden, dannist festzuhalten, dass Deutschland für Kuba zweifellosein starker und verlässlicher Partner wäre . 1 200 mit-telständische deutsche Firmen sind Weltmarktführer inihrer Technologie . Diese könnten den Kubanern helfen,Kapazitäten in vielen Sektoren aufzubauen, damit Kubanicht ausschließlich auf den Tourismus angewiesen ist .Ich denke hierbei ganz besonders an das System der du-alen Ausbildung .Was man Kuba zugutehalten muss, ist, dass es derBevölkerung den Zugang zum Bildungssystem und zukompetenter medizinischer Versorgung ermöglicht hat .
Das ist gerade im lateinamerikanischen Vergleich vor-bildlich .Zum Thema Sicherheit sei gesagt: Gehen Sie durchdie Straßen Havannas, egal zu welcher Tageszeit – Siekönnen sich sicher fühlen . Auch das ist im globalen, zu-mindest aber im regionalen Kontext – das weiß jeder,der die mittelamerikanische Region kennt – schon fastein Alleinstellungsmerkmal . Dass man diese positivenErrungenschaften in eine mögliche neue Ära hinüber-rettet, ist für das Land und seine Regierung mit Sicher-heit eine große Herausforderung; aber es wäre sicher-lich sinnvoll .Eine ähnliche, aber wesentlich kompliziertere Auf-gabe stellt meines Erachtens die Besitzfrage dar . Hiermuss im Hinblick auf den sozialen Frieden auch daraufgeachtet werden, dass der Großteil von Gebäuden undBesitztümern nicht nur auf ein paar wenige zurückfällt,und zwar auf jene, die vorher im Land das Sagen hat-ten und mittlerweile im Ausland leben . Denn bereitsjetzt hat in Bezug auf Transferleistungen der Teil derBevölkerung deutliche ökonomische Vorteile, der Ver-wandte außerhalb des Landes hat . Die kubanische Re-gierung hat aber bereits angekündigt, einer Ghettoisie-rung dahin gehend entgegenzuwirken; denn das ist eingroßes Problem sehr erfolgreicher südamerikanischerVolkswirtschaften – Beispiel Brasilien . Menschen, diein der Innenstadt von Havanna wohnen, soll ermöglichtwerden, auch nach der Renovierung der Häuser dort zubleiben . Ich denke, das ist ein ganz wichtiger Punkt .
Wir haben einen hervorragenden Botschafter inKuba – das sage ich vor dem Hintergrund der Reise,die wir, Klaus, gemeinsam getätigt haben –, der für dieReise, die zu Beginn des Jahres stattgefunden hat, eintolles Programm zusammengestellt hat .Professor Jüttner hat das Kulturabkommen angespro-chen, das hoffentlich vor einer baldigen Unterzeich-nung steht . Es liegt nicht an Deutschland, dass das nochdauert; Kuba lässt uns ein bisschen warten . Wir habendiesen Punkt bei Vizepräsident Bermudez dezidiert an-gesprochen . Was Kultur im Bereich des Marketing ei-nes Landes bewirken kann, verdeutlicht der Film BuenaVista Social Club meines ehemaligen Kollegen WimWenders auf besonders beeindruckende Art und Weise .Präsident Obama wird als erster amtierender Präsi-dent nach 88 Jahren Kuba besuchen . Das ist ein gutesZeichen . Ich bin mir nicht sicher, was das Datum an-geht .
– In einem Monat, vielen Dank .Kuba muss sicher nicht in der Systemfrage das „alte“Kuba bleiben . Es braucht vielmehr eine Erneuerung,aber eben eine sanfte .
Herr Kollege, das ist ein schöner Abschlusssatz . Sie
müssen nämlich sofort zum Schluss kommen .
Ich bin sofort fertig . Ich muss eines noch loswer-
den . – Das Modell der sozialen Marktwirtschaft wäre
hier sicher keine schlechte Variante . Das Land muss
seine gesamte Bevölkerung in dieser Phase mitnehmen,
damit aus den Gewinnern der Revolution nicht die Ver-
lierer der Transformation werden .
Vielen Dank, Frau Präsidentin .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich schließe die
Aussprache .
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 18/7541 an die in der Tagesordnung auf-
geführten Ausschüsse vorgeschlagen . Sind Sie damit
einverstanden? – Das ist der Fall, sonst würde sich jetzt
jemand hier regen . Dann ist die Überweisung so be-
schlossen .
Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tages-
ordnung .
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun-
destages auf morgen, Freitag, den 19 . Februar 2016,
9 Uhr, ein .
Die Sitzung ist geschlossen, liebe Kolleginnen und
Kollegen, und ich wünsche Ihnen noch einen schönen
Abend .