Protokoll:
18150

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Metadaten
  • date_rangeWahlperiode: 18

  • date_rangeSitzungsnummer: 150

  • date_rangeDatum: 15. Januar 2016

  • access_timeStartuhrzeit der Sitzung: 09:00 Uhr

  • av_timerEnduhrzeit der Sitzung: 14:11 Uhr

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  • tocInhaltsverzeichnis
    Plenarprotokoll 18/150 Deutscher Bundestag Stenografischer Bericht 150. Sitzung Berlin, Freitag, den 15. Januar 2016 Inhalt: Tagesordnungspunkt 17: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie über die Ver- gleichbarkeit von Zahlungskontoentgelten, den Wechsel von Zahlungskonten sowie den Zugang zu Zahlungskonten mit grundle- genden Funktionen Drucksache 18/7204 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14767 B Dr . Michael Meister, Parl . Staatssekretär BMF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14767 B Caren Lay (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . . 14769 B Ulrich Kelber, Parl . Staatssekretär BMJV . . . 14770 B Dr . Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14771 B Nicole Maisch (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14772 C Matthias Hauer (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . 14773 C Nicole Maisch (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14774 B Susanna Karawanskij (DIE LINKE) . . . . . . . . 14775 B Sarah Ryglewski (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . 14776 B Dr . Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14778 A Alexander Radwan (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . 14779 A Lisa Paus (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14779 D Dr . Jens Zimmermann (SPD) . . . . . . . . . . . . . 14781 A Mechthild Heil (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . 14781 D Tagesordnungspunkt 18: Antrag der Abgeordneten Harald Ebner, Steffi Lemke, Nicole Maisch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN: Pestizide reduzieren – Mensch und Umwelt schützen Drucksache 18/7240 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14783 A Dr . Anton Hofreiter (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14783 B Hermann Färber (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . 14784 D Karin Binder (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . 14786 C Rita Hagl-Kehl (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14787 C Ingrid Pahlmann (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . 14789 A Dr . Kirsten Tackmann (DIE LINKE) . . . . . . . 14791 A Johann Saathoff (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14792 B Harald Ebner (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14793 C Waldemar Westermayer (CDU/CSU) . . . . . . . 14794 C Carsten Träger (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14795 D Thomas Mahlberg (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . 14796 C Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14797 B Elvira Drobinski-Weiß (SPD) . . . . . . . . . . . . . 14799 B Tagesordnungspunkt 19: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie 2014/26/EU über die kollektive Wahrnehmung von Urheber- und verwandten Schutzrechten und die Vergabe von Mehrgebietslizenzen für Rech- Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 150 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 15 . Januar 2016II te an Musikwerken für die Online-Nutzung im Binnenmarkt sowie zur Änderung des Verfahrens betreffend die Geräte- und Spei- chermedienvergütung (VG-Richtlinie-Um- setzungsgesetz) Drucksache 18/7223 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14800 B Heiko Maas, Bundesminister BMJV . . . . . . . 14800 C Harald Petzold (Havelland) (DIE LINKE) . . . 14801 B Dr . Stefan Heck (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . 14802 C Renate Künast (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14803 C Christian Flisek (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14805 A Marco Wanderwitz (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . 14806 A Dr . Volker Ullrich (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 14807 A Tagesordnungspunkt 20: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verbesserung der Rechtssicherheit bei An- fechtungen nach der Insolvenzordnung und nach dem Anfechtungsgesetz Drucksache 18/7054 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14808 A Heiko Maas, Bundesminister BMJV . . . . . . . 14808 A Richard Pitterle (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . 14809 A Elisabeth Winkelmeier-Becker (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14810 A Katja Keul (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14811 B Dr . Heribert Hirte (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 14812 B Dr . Karl-Heinz Brunner (SPD) . . . . . . . . . . . . 14813 B Philipp Graf Lerchenfeld (CDU/CSU) . . . . . . 14814 C Tagesordnungspunkt 21: a) Antrag der Abgeordneten Ulla Jelpke, Frank Tempel, Sevim Dağdelen, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LIN- KE: Unerlaubte Einreise von Flüchtlin- gen entkriminalisieren Drucksache 18/6652 . . . . . . . . . . . . . . . . . 14815 C b) Erste Beratung des von den Abgeordne- ten Volker Beck (Köln), Luise Amtsberg, Katja Keul, weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Entkriminalisierung von Menschen ohne Aufenthaltsstatus Drucksache 18/6346 . . . . . . . . . . . . . . . . . 14815 C Ulla Jelpke (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . . 14815 D Marian Wendt (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . 14816 D Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14818 D Sebastian Hartmann (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . 14820 B Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14821 A Dr . Volker Ullrich (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 14823 A Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14824 C Dr . Volker Ullrich (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 14824 D Nächste Sitzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14825 C Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . . . . . . 14827 A Anlage 2 Amtliche Mitteilungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14827 B (A) (C) (B) (D) Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 150 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 15 . Januar 2016 14767 150. Sitzung Berlin, Freitag, den 15. Januar 2016 Beginn: 9 .00 Uhr
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    Dr. Volker Ullrich (A) (C) (B) (D) Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 150 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 15 . Januar 2016 14827 Anlage 2 Amtliche Mitteilungen ohne Verlesung Der Bundesrat hat in seiner 940 . Sitzung am 18 . De- zember 2015 beschlossen, den nachstehenden Gesetzen zuzustimmen bzw . einen Antrag gemäß Artikel 77 Ab- satz 2 des Grundgesetzes nicht zu stellen: – Gesetz über die Feststellung des Bundeshaushalts- plans für das Haushaltsjahr 2016 (Haushaltsge- setz 2016) – Gesetz zur Umsetzung der EU-Mobilitäts-Richtlinie – Gesetz zur Änderung des Zwölften Buches Sozial- gesetzbuch und weiterer Vorschriften Anlagen zum Stenografischen Bericht Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Aken, Jan van DIE LINKE 15 .01 . 2016 Albsteiger, Katrin CDU/CSU 15 .01 . 2016 Brugger, Agnieszka BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 15 .01 . 2016 Daldrup, Bernhard SPD 15 .01 . 2016 Dittmar, Sabine SPD 15 .01 . 2016 Fabritius, Dr . Bernd CDU/CSU 15 .01 . 2016 Fischbach, Ingrid CDU/CSU 15 .01 . 2016 Fuchs, Dr . Michael CDU/CSU 15 .01 . 2016 Gottschalck, Ulrike SPD 15 .01 . 2016 Gysi, Dr . Gregor DIE LINKE 15 .01 . 2016 Harbarth, Dr . Stephan CDU/CSU 15 .01 . 2016 Hardt, Jürgen CDU/CSU 15 .01 . 2016 Held, Marcus SPD 15 .01 . 2016 Ilgen, Matthias SPD 15 .01 . 2016 Janecek, Dieter BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 15 .01 . 2016 Jantz, Christina SPD 15 .01 . 2016 Kapschack, Ralf SPD 15 .01 . 2016 Kauder, Volker CDU/CSU 15 .01 . 2016 Kotting-Uhl, Sylvia BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 15 .01 . 2016 Kühn (Tübingen), Christian BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 15 .01 . 2016 Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Malecha-Nissen, Dr . Birgit SPD 15 .01 . 2016 Nahles, Andrea SPD 15 .01 . 2016 Poschmann, Sabine SPD 15 .01 . 2016 Post (Minden), Achim SPD 15 .01 . 2016 Rehberg, Eckhardt CDU/CSU 15 .01 . 2016 Röring, Johannes CDU/CSU 15 .01 . 2016 Sarrazin, Manuel BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 15 .01 . 2016 Schäuble, Dr . Wolfgang CDU/CSU 15 .01 . 2016 Scheer, Dr . Nina SPD 15 .01 . 2016 Schmidt (Fürth), Christian CDU/CSU 15 .01 . 2016 Spinrath, Norbert SPD 15 .01 . 2016 Steffen, Sonja SPD 15 .01 . 2016 Steinbach, Erika CDU/CSU 15 .01 . 2016 Tank, Azize DIE LINKE 15 .01 . 2016 Veit, Rüdiger SPD 15 .01 . 2016 Veith, Oswin CDU/CSU 15 .01 . 2016 Vogler, Kathrin DIE LINKE 15 .01 . 2016 Wagenknecht, Dr . Sahra DIE LINKE 15 .01 . 2016 Wagner, Doris BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 15 .01 . 2016 Wicklein, Andrea SPD 15 .01 . 2016 Zdebel, Hubertus DIE LINKE 15 .01 . 2016 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 150 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 15 . Januar 201614828 (A) (C) (B) (D) – Erstes Gesetz zur Änderung des Seearbeitsgeset- zes – Erstes Gesetz zur Änderung des Lebensmittelspe- zialitätengesetzes – Gesetz zur Mehrseitigen Vereinbarung vom 29. Oktober 2014 zwischen den zuständigen Be- hörden über den automatischen Austausch von Informationen über Finanzkonten – Gesetz zum automatischen Austausch von Infor- mationen über Finanzkonten in Steuersachen und zur Änderung weiterer Gesetze – Zweites Gesetz zur Änderung des Gesetzes über Bausparkassen – Zweites Gesetz zur Stärkung der pflegerischen Versorgung und zur Änderung weiterer Vorschrif- ten (Zweites Pflegestärkungsgesetz PSG II) Der Bundesrat hat ferner folgende Entschließung ge- fasst: 1 . Der Bundesrat stellt fest: Das vorliegende Gesetz ent- hält eine Vielzahl von Einzelmaßnahmen, die einen Beitrag zur Gewährleistung der pflegerischen Versor- gung leisten können . So begrüßt der Bundesrat ausdrücklich die seit lan- gem von den Ländern geforderte Einführung des neuen Pflegebedürftigkeitsbegriffs und des damit ver- bundenen neuen Begutachtungsverfahrens. Einem dringenden sozial- und pflegepolitischen Anliegen wird dadurch Rechnung getragen. Pflegebedürftigkeit wird künftig auf der Grundlage des Grades der Selb- ständigkeit der Betroffenen weit mehr Lebensberei- che als bisher erfassen. Damit geht notwendigerweise auch die Erweiterung des Leistungskatalogs der Pfle- geversicherung um pflegerische Betreuungsmaßnah- men, die nun gleichberechtigt neben den bisherigen herkömmlichen Pflegeleistungen stehen, einher. Die Länder haben in der Vergangenheit wiederholt deutlich gemacht, dass mit der Neuausrichtung des Leistungsrechts in der weiterhin als Teilzuschuss ausgestalteten Pflegeversicherung gleichzeitig und untrennbar die Notwendigkeit zur Anpassung der sozialhilferechtlichen Regelungen im Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) mit der Klärung der Schnittstellen, insbesondere zur Hilfe zur Pflege und zur Eingliederungshilfe, verbunden ist. Dies ist so- wohl rechtssystematisch als auch sozialpolitisch un- abdingbar, denn zum einen verweisen die Vorschrif- ten im SGB XII umfänglich auf Regelungen im Elften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XI), und zum anderen ist eine faktische Rückverengung des künftig breiter gefassten Verständnisses von Pflegebedürftigkeit in der Sozialhilfe nicht begründbar. Die Länder haben deshalb immer darauf hingewie- sen, dass vor allem in Bezug auf die rechtlichen und finanziellen Folgen die Wechselwirkungen der beiden Systeme SGB XI und SGB XII genau analysiert und bewertet werden müssen. Das vorliegende Gesetz entkoppelt die Umsetzung eines einheitlichen Lebenssachverhaltes, der in zwei Sozialgesetzbüchern – dem SGB XI als „Teilleistungs- system“ und dem SGB XII als ergänzendes, bedarfs- deckendes System  – geregelt ist. Das Gesetz enthält zudem einseitig Berechnungen zur Entlastung der Sozialhilfe. 2 . Der Bundesrat fordert die Bundesregierung auf: Zur Sicherstellung des nahtlosen Übergangs in das neue Leistungsrecht und zur Definition des Leis- tungsspektrums der Sozialhilfe und deren Abgren- zung zum SGB XI sind die zum 1.  Januar 2017 zu- gesagten gesetzlichen Änderungen zeitnah in einem Gesetzentwurf vorzulegen, um die rechtzeitige Ein- bindung der Länder zu gewährleisten. Dabei sind die folgenden Aspekte zu berücksichtigen: a) Die Umsetzung der grundlegenden Änderungen durch das Zweite Pflegestärkungsgesetz im Be- reich des SGB XII ist umgehend und verbindlich bundesgesetzlich zu normieren . Eine Schlechter- stellung pflegebedürftiger Menschen, die Sozial- hilfe beziehen, ist dabei sozialrechtlich und sozi- alpolitisch nicht zu vertreten . b) Vor allem die Schnittstellen zwischen Leistungen der Pflegeversicherung, Leistungen der Hilfe zur Pflege und der Eingliederungshilfe beziehungs- weise des angekündigten Bundesteilhabegeset- zes sind eindeutig zu bestimmen . Das bedingt klare Regelungen, welche Leistungen vorrangig oder nachrangig zu gewähren sind . Eine Vorfest- legung zulasten der Träger der Sozialhilfe darf nicht erfolgen . c) Die Grenze der finanziellen Belastbarkeit der Kommunen und Länder als Träger der Sozial- hilfe ist unter anderem bereits durch die bisheri- gen Auswirkungen des demografischen Wandels erreicht . Kommunen und Ländern dürfen keine Mehrkosten entstehen . Soweit eine notwendig durchzuführende Ermittlung der Gesamtkosten eine Mehrbelastung der Träger der Sozialhilfe er- gibt, ist zur Sicherstellung dieser Kostenneutrali- tät eine Bundesbeteiligung an den entsprechen- den Kosten vorzusehen oder auf anderem Wege ein Ausgleich herzustellen . d) Im Rahmen der gesetzlichen Umsetzung der Evaluationsklausel sind die Auswirkungen für die Betroffenen sowie die örtlichen und überört- lichen Träger der Sozialhilfe zu überprüfen und bei Bedarf zu korrigieren . Die Länder bieten dem Bund beim Folgegesetz Un- terstützung an . – Gesetz für sichere digitale Kommunikation und Anwendungen im Gesundheitswesen sowie zur Änderung weiterer Gesetze – … Gesetz zur Änderung des Parteiengesetzes – Gesetz zur Änderung des Berufsqualifikations- feststellungsgesetzes und anderer Gesetze Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 150 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 15 . Januar 2016 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 150 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 15 . Januar 2016 14829 (A) (C) (B) (D) – Gesetz zur Änderung des Aktiengesetzes (Aktien- rechtsnovelle 2016) – Gesetz zur Stärkung der Opferrechte im Strafver- fahren (3. Opferrechtsreformgesetz) – Gesetz zur Neuordnung des Rechts der Syndikus- anwälte und zur Änderung der Finanzgerichtsord- nung – Erstes Gesetz zur Änderung des Verkehrsinfra- strukturfinanzierungsgesellschaftsgesetzes Der Bundesrat hat ferner folgende Entschließung ge- fasst: 1 . Der Bundesrat erkennt das Bemühen des Bundes um ein einheitliches Buchungssystem für die Ausgaben zur Finanzierung der Bundesfernstraßen an . 2 . Der Bundesrat betont, dass die im Gesetz enthaltene Verfahrensänderung und die damit zusammenhän- gende Übertragung weiterer Aufgaben und Zustän- digkeiten an die Verkehrsinfrastrukturfinanzierungs- gesellschaft kein Präjudiz darstellen dürfen bezüglich einer Gründung einer Bundesfernstraßengesellschaft und damit einhergehenden Abschaffung der Auftrags- verwaltung durch die Länder für die Bundesfernstra- ßen . 3 . Der Bundesrat fordert die Bundesregierung auf, die Länder bei der Erarbeitung von Vorschlägen zur Optimierung der Bundesfernstraßenverwaltung eng einzubeziehen und keine Vorfestlegungen zu tref- fen, bevor die Kommission „Bau und Unterhaltung des Verkehrsnetzes“, die sich unter anderem mit dem Verhältnis von Bund und Ländern bei Planung, Bau und Unterhaltung von Fernstraßen beschäftigt, ihre Beratungen abgeschlossen hat . – Gesetz zur Durchführung der Verordnung (EU) Nr. 1007/2011 und zur Ablösung des Textilkenn- zeichnungsgesetzes – Gesetz zur Umsetzung der aufsichts- und berufs- rechtlichen Regelungen der Richtlinie 2014/56/EU sowie zur Ausführung der entsprechenden Vorga- ben der Verordnung (EU) Nr. 537/2014 im Hin- blick auf die Abschlussprüfung bei Unternehmen von öffentlichem Interesse (Abschlussprüferauf- sichtsreformgesetz – APAReG) – Gesetz zur Neuregelung des Kraft-Wärme-Kopp- lungsgesetzes Der Bundesrat hat ferner folgende Entschließung ge- fasst: 1 . Mit einem Gesamtwirkungsgrad von über 80 Prozent leisten KWK-Anlagen einen wichtigen Beitrag für die hocheffiziente Nutzung der uns zur Verfügung stehenden fossilen und regenerativen Energieträger . Zum anderen tragen sie entscheidend zur notwendi- gen Flexibilisierung unseres konventionellen Kraft- werksparks bei und unterstützen so in kosteneffizien- ter Weise die Integration der Erneuerbaren Energien in unsere Energieversorgung . KWK-Anlagen stellen zudem eine wichtige und notwendige Verknüpfung von Strom-, Wärme- und Erdgasversorgung dar, die eine effiziente Einbindung eines zunehmenden An- teils an fluktuierender Stromerzeugung aus Winde- nergie und Sonne in sichere Versorgungsstrukturen volkswirtschaftlich vorteilhaft unterstützt . 2 . Der Bundesrat begrüßt den Beschluss des dringend benötigten Gesetzes zur Neuregelung des Kraft-Wär- me-Kopplungsgesetzes . Der vorliegende Gesetzes- beschluss ist nach Ansicht des Bundesrates dazu geeignet, bestehende Verunsicherungen auf Seiten von Investoren zu beseitigen, Planungssicherheit her- zustellen und einen Zubau von auch klimapolitisch gewünschten KWK-Anlagen anzureizen . 3 . Er begrüßt insbesondere die Einführung von Vorbe- scheiden durch die BAFA, da hierdurch Investoren bereits frühzeitig Sicherheit über die Förderfähigkeit und Förderhöhe ihrer Projekte erhalten und so Finan- zierungsentscheidungen auf einer sicheren Grundlage gefällt werden können . Ebenso begrüßt er die vorge- sehene Besserstellung von Energiedienstleistern und Contractoren . Er verbindet damit die Erwartung, dass insbesondere Projekte zur Nahwärmeversorgung und Quartierslösungen zukünftig höhere Realisierungs- chancen haben . 4 . Gleichzeitig muss der Bundesrat jedoch ebenfalls fest- stellen, dass im Rahmen der Beratungen des Geset- zes im Deutschen Bundestag die Stellungnahme des Bundesrates vom 6 . November 2015 (BR-Drucksache 441/15 – Beschluss -) lediglich in Teilen berücksichtigt wurde . Wichtige Punkte, die nach Ansicht des Bundes- rates die Zubaudynamik deutlich verbessert hätten, ha- ben keinen Eingang in den Gesetzesbeschluss gefun- den . 5 . In diesem Zusammenhang hebt der Bundesrat insbe- sondere die neue Zielsystematik des Gesetzes in § 1 hervor . Anders als bisher wird dort nun mit absolu- ten Terawattstunden-Größen gearbeitet . So wird eine Nettostromerzeugung von 110 Terawattstunden bis zum Jahr 2020 und 120 Terawattstunden bis zum Jahr 2025 aus KWK-Anlagen angestrebt . Dies entspricht – bei einer gleichbleibenden Nettostromerzeugung in Höhe von ca . 592 Terawattstunden (2014) – einem Anteil von 19 Prozent in 2020 und 20 Prozent in 2025 . Dies stellt zwar eine Verbesserung gegenüber dem ursprünglichen Gesetzentwurf dar, bleibt jedoch deutlich hinter der Forderung des Bundesrates von 25 Prozent an der gesamten Nettostromerzeugung bis zum Jahr 2020 zurück, die einer Nettostromerzeu- gung aus KWK-Anlagen von 148 Terawattstunden entspricht . 6 . Um den Ausbau der KWK nicht weiter abzubremsen, sollte der Bezug des Ausbauziels von 25 Prozent im Rahmen der Überprüfung der Zielerreichung des Ge- setzes wieder hergestellt werden, zumal mit einem wachsenden Anteil dargebotsabhängiger Erneuerba- rer Energien an der Stromerzeugung die Bezugsgröße der regelbaren Nettostromerzeugungsmenge zuneh- mend schrumpfen würde . 7 . Unter grundsätzlichen Erwägungen von Vertrauens- schutz und Wettbewerbsgleichheit lehnt der Bundesrat die nach wie vor vorgesehene Ungleichbehandlung von Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 150 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 15 . Januar 201614830 (A) (C) (B) (D) bis zum 31 . Dezember 2015 in Dauerbetrieb gegange- nen modernisierten oder neu errichteten KWK-Anla- gen gegenüber solchen, die nach dem 1 . Januar 2016 in Dauerbetrieb gehen, ab . Er hält es für erforderlich, dass frühzeitige Investitionsentscheidungen im Sinne von Energieeffizienz und Klimaschutz nicht schlech- ter gestellt werden . Auf Grund von gesunkenen Er- lösmöglichkeiten am Strommarkt droht hierdurch schlimmstenfalls ein Ausscheiden der betreffenden Anlagen aus dem Markt . Dies ist nicht im Sinne der Zielsetzung des Gesetzes . 8 . Nach dem vom Bundestag beschlossenen Gesetz wird die Förderung für Neubau, Modernisierung und Nach- rüstung von KWK-Anlagen auf Anlagen beschränkt, die vor dem Jahr 2023 in Dauerbetrieb genommen werden . Diese zeitliche Beschränkung der Förderfä- higkeit von Einrichtungen unter dem KWKG spiegelt jedoch nicht die Zielsetzung des Gesetzentwurfs zum KWK-Ausbau bis zum Jahr 2025 wider . Die Ausbau- ziele für 2020 und 2025 dürfen nicht als Schlusspunkt gesehen werden . Vielmehr müssen die gesetzlichen Rahmenbedingungen für die Kraft-Wärme-Kopplung so gestaltet werden, dass auch über das Jahr 2022 hi- naus der Anreiz zum Ausbau der Stromerzeugung in Kraft-Wärme-Kopplung erhalten bleibt, wobei das Ziel der langfristigen vollständigen Dekarbonisie- rung der Energieerzeugung nicht gefährdet werden darf . 9 . Der Bundesrat fordert die Bundesregierung auf, von der vom Deutschen Bundestag neu eingefügten Ver- ordnungsermächtigung in § 33 Absatz 2 Nummer 3 KWKG keinen Gebrauch zu machen . Die Bundes- regierung hat nach Auffassung des Bundesrates zu Recht in ihrer Begründung zum Gesetzentwurf da- rauf hingewiesen, dass die Unterstützung von neuen oder modernisierten Kohle-KWK-Anlagen einen Widerspruch zum Ziel einer Dekarbonisierung der Stromerzeugung darstellt . Nach Auffassung des Bundesrates gilt diese Annahme umso mehr für alte Kohle-KWK-Anlagen, die nicht modernisiert wur- den . 10 . Der Bundesrat bedauert, dass keine neuen Anreize für die Nutzung von KWK in Industrieprozessen im Gesetz eröffnet wurden, sondern lediglich eine Ver- ordnungsermächtigung beschlossen wurde für den Fall, dass ohne entsprechende Förderung kein Zubau oder sogar ein Rückgang der Anlagenkapazitäten er- folgt . Gerade hier bestehen aus Sicht des Bundesrates große Potenziale zur Nutzung industrieller Wärme/ Kälte und damit große klimapolitische Potenziale . Er bittet die Bundesregierung daher, von der genannten Verordnungsermächtigung möglichst umgehend Ge- brauch zu machen und damit positive Marktsignale auszusenden . 11 . Der Bundesrat ist der Ansicht, dass neben dem Aus- bau der KWK im Leistungsbereich oberhalb von 2 Megawatt ebenfalls die Wettbewerbsfähigkeit und die Zukunftsfähigkeit der bestehenden hocheffizien- ten, regionalen Energieerzeugungs- und -versorgungs- strukturen erhalten bleiben muss . Er bedauert, dass im weiteren Gesetzgebungsverfahren seinem Vorschlag, die Zuschlagsberechtigung von kleineren KWK-An- lagen auch unterhalb einer elektrischen Leistung von 2 Megawatt wirksam werden zu lassen, nicht gefolgt wurde . 12 . Die Beschränkung der KWK-Förderung für eigen- erzeugten und -verbrauchten Strom auf Anlagen mit einer elektrischen Leistung von bis zu 100 Kilowatt sowie auf Anlagen in stromintensiven Unterneh- men (§ 6 Absatz 4 Nummer 1 und 3 KWKG), die über einen rechtskräftigen Begrenzungsbescheid der BAFA zur EEG-Umlage verfügen, wird ab- gelehnt . Gerade mit der Förderung des Baus, der Modernisierung oder Nachrüstung industrieller KWK-Anlagen für eigen erzeugten Strom sind wei- tere Energieeffizienzstei gerungen in der Strom- und Nutzwärmeerzeugung verbunden . Vor dem Hinter- grund des Ausbaudefizits bei der Stromerzeugung in KWK ist eine Schlechterstellung von eigenerzeug- tem und verbrauchtem KWK-Strom nicht nachvoll- ziehbar . 13 . Der Bundesrat stellt fest, dass der der Gesetzesbe- schluss eine Reihe von Verordnungsermächtigun- gen enthält, die jedoch nicht die Zustimmungsbe- dürftigkeit durch den Bundesrat vorsehen . Gerade vor dem Hintergrund der regional diversifizierten KWK-Landschaft und der damit in den Ländern verankerten Kenntnis über die Situation der Anla- genbetreiber hätte der Bundesrat seine Beteiligung an den auf Grundlage der Ermächtigungsnormen zu erlassenen Verordnungen für sinnvoll erachtet . 14 . Der Bundesrat verzichtet auf eine Anrufung des Ver- mittlungsausschusses, um ein Inkrafttreten des Geset- zes zum 1 . Januar 2016 nicht zu gefährden . Er bittet die Bundesregierung jedoch, im Rahmen der Über- prüfung der Zielerreichung gemäß § 34 KWKG mit den Ländern in den Dialog zu treten und frühzeitig eine Perspektive für die KWK-Technologie, langfris- tig auf Basis erneuerbarer Energien, auch über 2025 hinaus zu erörtern . – Gesetz zur Änderung von Bestimmungen des Rechts des Energieleitungsbaus – Gesetz zur Modernisierung des Vergabe- rechts (Vergaberechtsmodernisierungsgesetz – VergRModG) – Gesetz zu dem Abkommen vom 28. März 2014 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Volksrepublik China zur Vermeidung der Doppelbesteuerung und zur Verhinderung der Steuerverkürzung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen Die folgenden Ausschüsse haben mitgeteilt, dass sie gemäß § 80 Absatz 3 Satz 2 der Geschäftsordnung von einer Berichterstattung zu den nachstehenden Vorlagen absehen: Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 150 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 15 . Januar 2016 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 150 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 15 . Januar 2016 14831 (A) (C) (B) (D) Ausschuss für Wirtschaft und Energie – Bericht des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung (18 . Ausschuss) gemäß § 56a der Geschäftsordnung Technikfolgenabschätzung (TA) Moderne Stromnetze als Schlüsselelement einer nachhaltigen Stromversorgung Drucksache 18/5948 – Unterrichtung durch die Bundesregierung Vierter Monitoring-Bericht „Energie der Zu- kunft“ Drucksachen 18/6780, 18/6933 Nr. 1.2 – Unterrichtung durch die Bundesregierung Änderung des Monitoring-Prozesses «Energie der Zukunft» Drucksachen 18/6781, 18/6933 Nr. 1.3 Ausschuss für Kultur und Medien – Unterrichtung durch die Bundesregierung Bericht der Bundesregierung über die Maßnah- men zur Förderung der Kulturarbeit gemäß § 96 des Bundesvertriebenengesetzes in den Jahren 2011 und 2012 Drucksachen 17/13777, 18/770 Nr. 30 – Unterrichtung durch die Bundesregierung Bericht der Bundesregierung über die Maßnah- men zur Förderung der Kulturarbeit gemäß § 96 des Bundesvertriebenengesetzes in den Jahren 2013 und 2014 Drucksache 18/5598 Die Vorsitzenden der folgenden Ausschüsse haben mitgeteilt, dass der Ausschuss die nachstehenden Uni- onsdokumente zur Kenntnis genommen oder von einer Beratung abgesehen hat . Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Drucksache 18/5982 Nr . A .12 EP P8_TA-PROV(2015)0273 Ausschuss für Wirtschaft und Energie Drucksache 18/5286 Nr . A .8 EuB-BReg 37/2015 Drucksache 18/6240 Nr . A .1 KOM(2015)359 endg . Drucksache 18/6607 Nr . A .16 Ratsdokument 12858/15 Ausschuss für Gesundheit Drucksache 18/2935 Nr . A .4 Ratsdokument 13558/14 Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur Drucksache 18/6855 Nr . A .7 EP P8_TA-PROV(2015)0375 Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit Drucksache 18/6607 Nr . A .23 Ratsdokument 12667/15 Drucksache 18/6607 Nr . A .24 Ratsdokument 12683/15 Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe Drucksache 18/6607 Nr . A .25 EP P8_TA-PROV(2015)0345 Drucksache 18/6607 Nr . A .26 EP P8_TA-PROV(2015)0348 Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Drucksache 18/5982 Nr . A .50 EP P8_TA-PROV(2015)0265 Drucksache 18/6607 Nr . A .27 Ratsdokument 12797/15 Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Drucksache 18/822 Nr . A .38 Ratsdokument 5866/14 Drucksache 18/822 Nr . A .39 Ratsdokument 5867/14 Drucksache 18/1707 Nr . A .9 EP P7_TA-PROV(2014)0430 Drucksache 18/2533 Nr . A .70 Ratsdokument 12424/14 Drucksache 18/5982 Nr . A .52 Ratsdokument 10651/15 Drucksache 18/5982 Nr . A .53 Ratsdokument 10663/15 Satz: Satzweiss.com Print, Web, Software GmbH, Mainzer Straße 116, 66121 Saarbrücken, www.satzweiss.com Druck: Printsystem GmbH, Schafwäsche 1-3, 71296 Heimsheim, www.printsystem.de Vertrieb: Bundesanzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de 150. Sitzung Inhaltsverzeichnis TOP 17 Umsetzung der EU-Richtlinie zu Bankkonten TOP 18 Pestizide TOP 19 Umsetzung der Verwertungsgesellschaften-Richtlinie TOP 20 Insolvenzanfechtungsrecht TOP 21 Aufenthalts- und asylrechtliche Strafvorschriften Anlagen Anlage 1 Anlage 2
Gesamtes Protokol
Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1815000000

Nehmen Sie bitte Platz . Die Sitzung ist eröffnet .
Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich

begrüße Sie zur 150 . Plenarsitzung dieser Legislaturperi-
ode . Dieses kleine Jubiläum hätte eigentlich eine größere
Beteiligung verdient .


(Beifall)

Immerhin können Sie von sich sagen, dabei gewesen zu
sein .

Ich rufe Tagesordnungspunkt 17 auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umset-
zung der Richtlinie über die Vergleichbarkeit
von Zahlungskontoentgelten, den Wechsel von
Zahlungskonten sowie den Zugang zu Zah-
lungskonten mit grundlegenden Funktionen
Drucksache 18/7204
Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss (f)

Innenausschuss
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz

Was man sich darunter vorzustellen hat, wird nicht
jedem auf der Besuchertribüne sofort einleuchten, sich
aber sicher im Laufe der Debatte erschließen,


(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Im günstigsten Fall!)


die 77 Minuten dauern soll, es sei denn, jemand macht
jetzt einen konkreten Gegenvorschlag . – Darauf war kei-
ner vorbereitet . Also stelle ich dazu Einvernehmen fest .

Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem
Parlamentarischen Staatssekretär beim Bundesminister
der Finanzen, Michael Meister .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


D
Dr. Michael Meister (CDU):
Rede ID: ID1815000100


Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Her-
ren! Ich hoffe, dass ich zur Erhellung Ihrer Frage bei al-

len Beteiligten, die hier anwesend sind und zuhören, bei-
tragen kann . Ich glaube, heute ist ein großer Tag für viele
Menschen in unserem Land, denen über dieses Gesetz
in Zukunft die Teilhabe am Zahlungsverkehr rechtlich
abgesichert und ermöglicht wird . Insoweit ist es, glaube
ich, für eine große Zahl von Menschen ein bedeutender
Tag .

Die Regierung bittet den Bundestag, die sogenann-
te Zahlungskontenrichtlinie mit diesem Gesetzentwurf
umzusetzen . Wir haben uns im Koalitionsvertrag ver-
pflichtet, eine schnelle, zügige Umsetzung dieser Richt-
linie vorzunehmen . Das haben wir auch eingehalten .
Deutschland ist das Land unter den Mitgliedstaaten der
Europäischen Union, das bei diesem Vorhaben bisher
am weitesten vorangeschritten ist . Meine Bitte wäre,
dass Sie in den anstehenden Beratungen in Bundestag
und Bundesrat dafür Sorge tragen, dass wir das am
Ende auch als Erste im Gesetzblatt stehen haben und
umsetzen .

Der Entwurf, den das Bundeskabinett verabschie-
det hat, ist sowohl auf der Seite der Verbraucher, in den
Medien, aber auch von den Vertretern der Rechtswissen-
schaften begrüßt worden . Ich glaube deshalb, dass wir
eine breite Unterstützung haben . Nicht ganz so breit ist
die Unterstützung im Bereich der Kreditwirtschaft . Dort
ist die Meinung der Beteiligten etwas geteilt . Allerdings
zielen die kritischen Meinungsäußerungen weniger in
Richtung dieses Gesetzentwurfes, den wir diskutieren,
sondern mehr in Richtung des Inhalts der ihm zugrun-
deliegenden Richtlinie . Diese werden wir bei unseren
Gesetzesberatungen allerdings nicht mehr verändern
können .

Was sieht die Richtlinie vor? Die Richtlinie sieht zu-
nächst einen Kontrahierungszwang für sogenannte Ba-
siskonten vor . Das heißt, jeder Mensch in diesem Land
hat in Zukunft den Anspruch, ein sogenanntes Basiskon-
to eröffnen zu können . Dieser Anspruch besteht zwar
seit Jahren, aber er wird heute im Prinzip nur von den
Sparkassen durch das Sparkassenrecht in Deutschland
zur Umsetzung gebracht . In Zukunft wird er nicht nur






(A) (C)



(B) (D)


für Sparkassen, sondern für alle Kreditinstitute Gültig-
keit haben .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf wollen wir den
Zahlungsverkehr innerhalb der Europäischen Union über
die dafür notwendigen Konten auf zwei Ebenen verbes-
sern:

Den ersten Pfeiler hatte ich angesprochen: den zivil-
rechtlichen Anspruch jedes Menschen auf ein sogenann-
tes Basiskonto . Was ist ein Basiskonto? Es bietet die
Möglichkeit, Ein- und Auszahlungen auf ein Bankkonto
vorzunehmen, an Geldautomaten Geld abzuheben und
einzuzahlen, am Lastschriftverkehr teilzunehmen und
Überweisungen zu tätigen – all das, wovon viele Men-
schen in unserem Lande bisher ausgegrenzt sind .

Es geht um die Frage: Zu welchen Preisen wird diese
Leistung bzw . dieses Basiskonto angeboten? Die Trans-
parenz der Kontogebühren wird durch diesen Gesetzent-
wurf erhöht, und die Vergleichbarkeit der Preise für die
verschiedenen Angebote wird verbessert . Im Interesse
der Kunden soll auch der Wechsel des Anbieters des Ba-
siskontos – sprich: des Kreditinstituts – erleichtert wer-
den .

Wir haben versucht, das Recht auf ein Basiskonto für
alle Menschen als ein Thema zu betrachten, das nicht
nur den Verbraucherschutz betrifft . Wir müssen, gerade
in diesen Tagen, berücksichtigen, dass es auch Asylbe-
werber, Wohnsitzlose und Drittstaatsangehörige, die sich
innerhalb der EU und damit auch innerhalb Deutschlands
befinden, berührt, weil sie nicht automatisch Zugang zu
einem Konto haben . Es gibt Schätzungen – natürlich
kann man die Betroffenen nicht genau zählen –, nach
denen bis zu 1 Million Menschen in unserem Land von
diesem Problem betroffen sind . Es ist also ein Thema,
das weiter zu fassen ist .

Beim zweiten Pfeiler dieses Gesetzentwurfes geht es
um das Funktionieren eines harmonisierten Zahlungsver-
kehrs im europäischen Binnenmarkt . Ein Zahlungskonto
ist ja der Schlüssel, um an unbaren Zahlungsvorgängen
überhaupt teilnehmen zu können . Nach der Schaffung
eines einheitlichen europäischen Zahlungsverkehrs-
raums – das Stichwort lautet „SEPA“ – bildet die Zah-
lungskontenrichtlinie einen weiteren Meilenstein im
Hinblick auf den europäischen Zahlungsmarkt . Es gab
in diesem Zusammenhang die Empfehlung des Europä-
ischen Parlaments, den Zugang zum Zahlungsmarkt im
Privatkundengeschäft zu verbessern . Wir als Bundesre-
gierung versuchen, diese Forderung des Europäischen
Parlaments aufzugreifen .

Meine Damen und Herren, was den Kontenwechsel
und in diesem Kontext auch die Vergleichbarkeit der
Leistungen betrifft, wollen wir jedem Konsumenten in
der Europäischen Union die Möglichkeit geben, ohne
technische und bürokratische Hürden das Konto zu wäh-
len, das für seine Bedürfnisse am besten geeignet ist . Wir
hoffen, dass es entsprechende Websites geben wird, auf
denen man sich relativ zügig informieren kann: „Welche
Konten gibt es, und wie sehen die Konditionen dieser

Konten aus?“, sodass der Verbraucher die Möglichkeit
hat, Entgelte und Leistungen zu vergleichen, und Schwie-
rigkeiten beim Wechsel des Anbieters überwinden kann .
Heutzutage gibt es in diesem Bereich eine relativ geringe
Mobilität . Wir hoffen, dass dieses Gesetz dazu beiträgt,
dass die Mobilität steigt . Auch das wäre, glaube ich, im
Interesse des Verbrauchers, weil er das Ganze, wenn er
die Marktgegebenheiten hinsichtlich der Entgelte und
der Kosten überblickt, besser für sich nutzen kann .

Wer ist verpflichtet, ein Basiskonto anzubieten? Ich
habe vorhin schon erwähnt, dass es im Sparkassenrecht
entsprechende Vorgaben gibt, dass andere Banken davon
aber nicht betroffen sind . An dieser Stelle führen wir eine
Diskussion über den Identitätsnachweis von Kunden, die
ein solches Konto eröffnen wollen . Es geht um die Frage,
ob es hier einen Konflikt mit der Geldwäscheprävention
gibt . Natürlich ist uns die Geldwäscheprävention ein rie-
siges Anliegen. Wir sehen hier aber keinerlei Konfliktla-
ge. Wir fordern zwar eine Identifikation, knüpfen sie
aber nicht unbedingt an Ausweispapiere, etwa an einen
Personalausweis oder Ähnliches; denn solche Papiere
können zum Beispiel Drittstaatsangehörige nicht vor-
legen. Nichtsdestotrotz ist eine Identifikation sehr wohl
notwendig, um einen Beitrag zur Geldwäscheprävention
zu leisten . Ich möchte auch darauf hinweisen, dass, wenn
man den Zahlungsverkehr über Konten abgewickelt, die
Möglichkeiten, Geldwäsche zu betreiben, mit Sicherheit
geringer sind als beim Bargeldverkehr . Insofern glauben
wir, dass wir das Problem identifiziert haben, mit diesem
Gesetzentwurf einen Schritt in die richtige Richtung ge-
hen und an dieser Stelle nicht kontraproduktiv handeln .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Wir versuchen, die möglichen Ablehnungsgründe für
die Anbieter eines Basiskontos im Gesetzentwurf klar zu
präzisieren . Eine solche Präzisierung gibt es in unserem
Rechtssystem bisher nicht . Außerdem setzen wir eine
Frist und sagen: Wenn abgelehnt wird, dann muss das
binnen einer Frist von zehn Tagen geschehen . – Das kann
sich also nicht ewig hinziehen .

Wenn die Einrichtung eines Basiskontos abgelehnt
wird, muss also gesagt werden, aufgrund welchen Tat-
bestands im Gesetz diese Ablehnung erfolgt . Diese mög-
lichen Ablehnungsgründe sind im Gesetz abschließend
aufgezählt und klar benannt . Ein solcher Ablehnungs-
grund kann zum Beispiel sein, dass der Betreffende schon
an anderer Stelle über ein Basiskonto verfügt . Dann ist
eine Ablehnung, glaube ich, nachvollziehbar . Ein anderer
Ablehnungsgrund wäre zum Beispiel, dass jemand bei
dem gleichen Kreditinstitut, bei dem er ein Basiskonto
einrichten möchte, in der Vergangenheit durch strafbare
Handlungen wegen Geldwäsche aufgefallen ist .

Selbstverständlich ist in einem Rechtsstaat jede Ab-
lehnung auch vor Gerichten überprüfbar . Wir gehen hier
aber den Weg, bei einer Ablehnung nicht nur auf den
Gerichtsweg zu verweisen – das kann Monate oder auch
Jahre dauern –, sondern unabhängig von der gerichtli-
chen Überprüfung eröffnen wir auch die Möglichkeit,
die Ablehnung durch die BaFin überprüfen zu lassen,
was schneller geht und möglicherweise auch mit weni-
ger Kosten verbunden ist . Insofern glauben wir, dass man

Parl. Staatssekretär Dr. Michael Meister






(A) (C)



(B) (D)


hier tatsächlich im Interesse der Verbraucher zügig zu ei-
ner Entscheidung kommt .

Auch für die BaFin setzen wir eine Frist von maxi-
mal einem Monat, in dem diese Ablehnungsentscheidung
überprüft werden muss . Wenn man die zehn Tage und
den einen Monat zusammenrechnet, dann sieht man, dass
es auf jeden Fall schnell zu einer Entscheidung kommen
wird . Außerdem wird es bei der BaFin keinen Anwalts-
zwang geben, sodass auch an dieser Stelle für einen po-
tenziellen Kunden keine Kosten entstehen .

Meine Damen und Herren, ich hoffe, dass wir eine
gute Beratung zu diesem Gesetzentwurf haben werden .
Ich habe es eingangs bereits gesagt: Mit diesem Gesetz-
entwurf eröffnen wir in Zukunft für die vielen Menschen
in unserem Lande, denen heute noch der Zugang zum
bargeldlosen Zahlungsverkehr fehlt, einen unbürokrati-
schen und auch kostengünstigen Weg, um daran teilneh-
men zu können .

Herr Präsident, ich hoffe, dass ich mit meinem Beitrag
ein klein wenig zur Erhellung des Beratungsgegenstan-
des beigetragen habe .

Vielen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1815000200

Herr Staatssekretär, zumindest ich habe den Eindruck,

dass ich es begriffen habe .


(Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Ob das repräsentativ ist, kann ich jetzt nicht hinreichend
beurteilen .

Es gibt jedenfalls noch weitere vertiefende Erläute-
rungen, zum Beispiel von der Kollegin Caren Lay, die
nun für die Fraktion Die Linke zu diesem Thema Stel-
lung nimmt .


(Beifall bei der LINKEN)



Caren Lay (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1815000300

Meine Damen und Herren! Herr Präsident! Stellen Sie

sich ein Leben ohne Girokonto vor . Die Schwierigkei-
ten fangen damit an, dass man an der Kasse eines Su-
permarktes bzw . eines Geschäftes nicht einfach mit der
EC-Karte bezahlen kann . Man kann auch nicht einfach
Geld überweisen und seine Rechnungen per Überwei-
sung begleichen . Man bekommt keinen Handyvertrag
und schon gar keine neue Wohnung .

Ein Girokonto ist in der modernen Welt einfach un-
verzichtbar, und ich finde, es ist ein Skandal, dass immer
noch über 700 000 Menschen in Deutschland – Flüchtlin-
ge bzw. Geflüchtete sind hier noch nicht eingerechnet –
kein Girokonto haben .


(Beifall bei der LINKEN sowie der Abg . Lisa Paus [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Insofern freuen auch wir uns, dass endlich ein Basiskon-
to für alle kommen soll . Das wird auch höchste Zeit .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ich spreche an dieser Stelle nicht zum ersten Mal zu
diesem Thema . Gestatten Sie mir deshalb einen kleinen
Ausflug in die Geschichte der Debatte, die wir hier im
Bundestag dazu geführt haben; denn das Recht auf ein
Girokonto hätte es natürlich schon sehr viel früher geben
können .

Die PDS hat hier im Bundestag 1994 zum ersten Mal
ein Girokonto für alle gefordert . Die Linke hat seither
sage und schreibe fünf Anträge gestellt, in denen wir ein
Recht auf ein Girokonto für alle gefordert haben . Alle
diese Anträge wurden hier mit Mehrheit abgelehnt .

Die Argumente, die damals vor allen Dingen die Uni-
on ins Feld geführt hat, waren wirklich abenteuerlich . Es
waren die üblichen Vorurteile vor allen Dingen gegen-
über uns Linken .


(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Die meisten davon sind bestätigt! – Lachen bei der LINKEN)


Das alles sei gegen den freien Markt, staatsfixiert usw.

Der ehemalige Kollege Leo Dautzenberg sagte zum
Beispiel 2006: Das Girokonto für alle ist geradezu ein
Beispiel dafür, dass der Staat nicht alles regeln kann und
schon gar nicht besser regeln kann als die Wirtschaftsteil-
nehmer im Rahmen einer bestimmten Selbstregulierung .

Und der Kollege Brinkhaus entgegnete mir noch vor
einigen Jahren an dieser Stelle zu diesem Thema: Es gibt
kein Menschenrecht auf ein Girokonto .


(Ralph Brinkhaus [CDU/CSU]: Und dabei bleibe ich!)


Meine Damen und Herren, ich finde schon. Und ich freue
mich sehr, dass auch Sie heute, so hoffe ich, endlich zur
Einsicht gekommen sind .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Es wurden zwar regelmäßig die Zahlen erhoben, wie
viele Menschen in Deutschland ohne ein Girokonto sind .
Man hat sich aber nicht dazu durchringen können, endlich
gesetzlich verbindliche Regeln zu schaffen . Stattdessen
hat man mit den Banken eine freiwillige Selbstverpflich-
tung ausgehandelt. „Freiwillige Selbstverpflichtung“ war
jahrelang – das ist es, glaube ich, bis heute – die belieb-
teste Worthülse vor allen Dingen der Union in der Ver-
braucherpolitik, die eigentlich nur darüber hinwegtäu-
schen soll, dass man nicht in der Lage ist, verbindliche
Regelungen gesetzlich zu verankern. Ich finde, wir brau-
chen verbindliche gesetzliche Regelungen für Menschen,
die überschuldet sind, für obdachlose Menschen und für
Geflüchtete. All jene haben das Recht auf ein Konto.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Auch dieses Mal sind Sie nicht so ganz allein auf die-
se Idee bzw . zur Einsicht gekommen . Im Gegenteil: Es

Parl. Staatssekretär Dr. Michael Meister






(A) (C)



(B) (D)


gibt eine EU-Richtlinie, die auch Deutschland dazu ver-
pflichtet, dieses Recht noch in diesem Jahr umzusetzen.
Also – so gut es ist, dass es ein Basiskonto für alle geben
wird –: Schmücken Sie sich an dieser Stelle bitte nicht
mit fremden Federn!


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Bei der Umsetzung gibt es leider einen Pferdefuß bzw .
einen entscheidenden Nachteil: Das Konto soll nämlich
nicht verbindlich kostenfrei oder gebührenfrei sein . Im
Gegenteil: Im Gesetzentwurf ist von marktüblichen Ge-
bühren und Entgelten die Rede . Da schwant mir nichts
Gutes . Einige Banken haben ja ein sogenanntes Bürger-
konto auf Grundlage dieser freiwilligen Selbstverpflich-
tung eingerichtet . Sie verlangen aber stattliche Gebühren
in Höhe von 10 Euro im Monat . Es kostet also viel mehr
als ein normales Girokonto, hat aber viel weniger Funk-
tionen. Ich finde das wirklich unmöglich.


(Beifall bei der LINKEN sowie der Abg . Lisa Paus [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Es wäre möglich gewesen, bereits im Gesetzentwurf
die Gebührenfreiheit des Kontos festzulegen oder zumin-
dest die Gebühren zu deckeln . Dafür haben sich auch die
Verbraucherschutzminister einstimmig ausgesprochen .
Auch das Land Brandenburg hat dafür im Bundesrat ge-
kämpft und gefordert, dass das Konto gebührenfrei sein
soll oder dass die Kosten zumindest gedeckelt werden
sollen. Leider hat das keine Mehrheit gefunden. Ich finde,
das muss im Gesetzgebungsverfahren geändert werden .


(Beifall bei der LINKEN)


10 Euro im Monat, meine Damen und Herren, mögen in
diesem Hohen Hause vielleicht nicht als große Summe
gelten. Für Menschen aber, die obdachlos, geflüchtet oder
überschuldet sind, sind 10 Euro im Monat jede Menge
Geld . Es wird sie im Zweifel davon abhalten, das Recht
auf ein Girokonto in Anspruch zu nehmen . Das können
wir so nicht stehen lassen . Ich bitte Sie wirklich eindring-
lich: Lassen Sie uns im Beratungsverfahren gemeinsam
dafür sorgen, dass das Basiskonto für alle kostenfrei sein
wird . Das sind wir den Betroffenen schuldig .

Vielen Dank .


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1815000400

Nächster Redner ist der Parlamentarische Staatssekre-

tär Ulrich Kelber für das Justiz- und Verbraucherschutz-
ministerium . – Bitte schön .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


U
Ulrich Kelber (SPD):
Rede ID: ID1815000500


Guten Morgen, Herr Präsident! Meine sehr geehrten
Damen und Herren! Es geht um ein zentrales verbrau-
cherpolitisches Thema . Mit dem heute eingebrachten
Gesetzentwurf schaffen wir in der Tat erstens einen An-
spruch aller Verbraucherinnen und Verbraucher auf ein
Girokonto . Zweitens werden die Transparenz von Konto-

gebühren und die Vergleichbarkeit von Angeboten deut-
lich verbessert . Und drittens wird auch allen Verbrau-
cherinnen und Verbrauchern der Anbieterwechsel ihres
Zahlungskontos erleichtert .

Wir setzen erstens ein Verbraucherrecht durch, und
zweitens sorgen wir dafür, dass der Wettbewerb in die-
sem Bereich in Gang kommt .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Frau Lay, aber auch Herr Meister haben es bereits anklin-
gen lassen: In der Tat ist dies – nämlich der Zugang zu
bargeldlosem Zahlungsverkehr – ein Thema, das schon
lange in Deutschland und Europa diskutiert wird und bei
dem die Dringlichkeit größer geworden ist . Es gibt auch
in Deutschland eine große Zahl von Menschen, die bisher
kein Girokonto bekommen konnten . Dieser Missstand
soll durch diesen Gesetzentwurf behoben werden .

Wir folgen damit der Zielsetzung des Koalitionsver-
trages, Frau Lay, diese europäische Initiative zu unter-
stützen – diese Initiativen fallen nicht vom Himmel, son-
dern müssen beschlossen werden – und sie dann unter
Einbeziehung aller Kreditinstitute, nicht nur der Sparkas-
sen, umzusetzen. Ich finde es gut, dass dieses Recht auf
gesamteuropäischer Ebene für alle Verbraucherinnen und
Verbraucher in Europa in Kraft tritt .

Ich bedanke mich auch für die gute Zusammenarbeit
mit dem Finanzministerium . Ich hoffe, das beruht auf
Gegenseitigkeit, auch wenn der Kollege Meister das bei
seinen erhellenden Ausführungen nicht dargelegt hat .


(Beifall bei der SPD – Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Man konnte es aber raushören!)


Von überragender Bedeutung ist dabei die Sicherung des
Zugangs zu einem Zahlungskonto für jedermann, also
das Girokonto für alle, das in der Öffentlichkeit immer
wieder als ein Prüfpunkt für Verbraucherschutz im Fi-
nanzsektor benannt wurde .

Eine Untersuchung der Europäischen Union 2013
hat eine Zahl von 1 Million Menschen in Deutschland
ermittelt, bei denen man vermutet, dass sie noch keinen
Zugang zu einem Konto haben . Ich denke, dass die Zu-
wanderung von Menschen auf der Flucht in den letzten
beiden Jahren dazu geführt hat, dass diese Zahl heute ver-
mutlich sogar höher liegt . Aber ohne ein Konto sind die
gesellschaftliche Teilhabe und die Teilnahme am Wirt-
schaftsleben und damit auch Integration nicht möglich .

Die Verankerung in den Sparkassengesetzen einzelner
Bundesländer und auch die Selbstverpflichtung haben
dieses Problem nicht grundlegend gelöst . Deswegen ist
das Handeln des Gesetzgebers gefragt . Wir wollen alle
Kreditinstitute, die schon heute Zahlungskonten für Ver-
braucher im Angebot haben, dazu verpflichten, solche
Konten anzubieten . Damit sichern wir die breite Ver-
fügbarkeit eines solchen Basiskontos nicht nur für alle
Bevölkerungsgruppen, sondern auch in ländlichen Ge-
bieten . Wir wollen auch eine gleichmäßige Beteiligung
der Kreditwirtschaft sicherstellen . In der Vergangenheit

Caren Lay






(A) (C)



(B) (D)


haben viele private Banken bestimmte Kunden einfach
an die Sparkasse weitergeleitet .

Alle grundlegenden Zahlungsdienste werden mit ei-
nem solchen Konto ermöglicht, also Ein- und Auszah-
lungen, Lastschriften, Überweisungen und natürlich
Geschäfte mit Zahlungskarten . Das Leistungsangebot
wird nicht hinter dem Angebot für gängige Girokonten
zurückbleiben . Ebenso müssen die Kosten angemessen
sein . Eine Benachteiligung ist also ausgeschlossen .

Frau Kollegin Lay, Sie wissen, dass ich Sie schätze,
aber es ist schon unseriös, die Vorgaben in der gesetz-
lichen Vorschrift, nach der die Kosten im Vergleich mit
anderen Angeboten des Kreditinstitutes angemessen sein
müssen, mit den Kosten von freiwilligen Angeboten von
heute zu vergleichen . Damit haben Sie selber einen Po-
panz aufgebaut, an dem Sie sich dann im Rest Ihrer Rede
versucht haben, abzuarbeiten .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Caren Lay [DIE LINKE]: Warten Sie es einmal ab!)


Der Kollege Meister hat zu Recht dargestellt, dass die
Kreditinstitute nur noch einen sehr geringen Spielraum
haben, wann sie die Einrichtung eines Basiskontos ab-
lehnen dürfen .


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1815000600

Herr Kollege .

U
Ulrich Kelber (SPD):
Rede ID: ID1815000700


Kurzen Augenblick, bitte . – Deswegen werden die
Verbraucherinnen und Verbraucher nicht nur in die Lage
versetzt, ein solches Konto zu erhalten . Sie werden auch
davor geschützt, diesen Zugang wieder zu verlieren . –
Herr Präsident .


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1815000800

Vielen Dank . – Der Kollege Schick möchte gerne eine

Zwischenfrage stellen oder -bemerkung machen .

U
Ulrich Kelber (SPD):
Rede ID: ID1815000900


Ja .


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1815001000

Bitte .


Dr. Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1815001100

Danke . – Herr Staatssekretär, ich möchte Sie fragen,

ob die Finanzaufsichtsbehörde BaFin die Angemessen-
heit aktiv prüfen wird oder ob sie es den Menschen, die
offensichtlich nicht über die Ressourcen verfügen, ein
normales Girokonto zu eröffnen oder einen Anwalt für
die Durchsetzung ihres Anspruchs zu bezahlen, überlas-
sen wird, diese Angemessenheit in einem Rechtsstreit
gegen die Institute durchzusetzen . Ich meine, diese An-
gemessenheit wird es nur dann geben, wenn sie wirklich

überprüft wird . Ist das vorgesehen? Können Sie das zu-
sichern?

U
Ulrich Kelber (SPD):
Rede ID: ID1815001200


Ich sage Ihnen natürlich nicht zu, was genau im Ge-
schäftsablauf der dem Bundesfinanzministerium zuge-
ordneten Behörde passieren wird . In der Tat sind aber
die Rechtsaufsicht und die Rechtsdurchsetzung durch die
Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht Kernele-
mente dieses Gesetzentwurfes . Genau dieses Novum –
verglichen mit anderen Bereichen der Verbraucherpoli-
tik; dazu werde ich gleich noch etwas sagen – wird zur
Durchsetzung sowohl des Anspruchs auf Einrichtung ei-
nes Kontos als auch des Anspruchs auf Angemessenheit
der vorliegenden Entgelte führen .

Ich bedanke mich bei Ihnen, Herr Kollege, für Ihre
Frage . Mein nächster Punkt ist nämlich das Thema der
Rechtsdurchsetzung . Wir haben in Deutschland eine gute
Tradition der zivilrechtlichen Überprüfung und Durch-
setzung von Verbraucherrechten . Wir erleben aber, dass
es Bereiche gibt, in denen diese Tradition an Grenzen
kommt . Deswegen haben wir eine besonders effektive
Möglichkeit der Rechtsdurchsetzung – ich konnte das
dank Ihrer Frage gerade schon kurz erwähnen – geschaf-
fen: Der Weg zu den Zivilgerichten bleibt frei, übrigens
nicht nur für die einzelnen Verbraucherinnen und Ver-
braucher, sondern mit entsprechender Unterstützung
auch über Gruppenverfahren . Aber die BaFin wird an
der Stelle nicht nur kollektive Verbraucherinteressen
durchsetzen – diese Aufgabe hat sie seit kurzem; auch
das haben wir erreicht –, sondern es gibt auch die Mög-
lichkeit, sich bei der Verweigerung der Einrichtung eines
Basiskontos individuell an die BaFin zu wenden, die mit
einem Verwaltungsakt sicherstellen kann, dass ein Basis-
konto eröffnet wird . Das geht deutlich schneller als ein
gerichtliches Verfahren .


(Beifall bei der SPD)


Die Überwachung des Finanzmarkts – dazu gehören
auch all diese Fragen – ist ohnehin Aufgabe der BaFin .

Die Verbesserung der Transparenz von Kontogebüh-
ren und die Vergleichbarkeit verschiedener Angebo-
te sind weitere wichtige Punkte . Der Wettbewerb führt
dazu, Angebote möglichst in einer Form auszugestalten,
bei der es Verbraucherinnen und Verbrauchern schwer-
fällt, die Konditionen wirklich zu vergleichen . Deswegen
ist eine Situation entstanden, die es notwendig macht,
Verbraucherinnen und Verbrauchern wieder den Über-
blick darüber zu geben, was sie für ihr Geld bekommen .

Wir wollen nicht nur, dass die Sollzinssätze und ange-
fallenen Zinsen für geduldete Kontoüberziehungen und
anderes sichtbar auf den Websites der Anbieter vorgehal-
ten werden müssen, sondern es wird, um diese Informa-
tionen vergleichbar zu halten, auch ein standardisiertes
Präsentationsformat und eine einheitliche Terminologie
geben . Auch das halte ich für eine Blaupause, wie man in
solchen Fragen vorgehen kann, um die Vergleichbarkeit
sicherzustellen .

Parl. Staatssekretär Ulrich Kelber






(A) (C)



(B) (D)


Wir wollen außerdem, dass Vergleichswebsites es
Verbraucherinnen und Verbrauchern ermöglichen, das
für sie beste Angebot auszuwählen . Wir wollen, dass
diese Vergleichswebsites weiterhin eine wichtige Rolle
spielen . Um das Verbrauchervertrauen zu schützen, sol-
len Web sites, die gesetzlich geregelte Qualitätsstandards
einhalten, mit einem Zertifizierungssymbol ausgestattet
werden, damit Verbraucherinnen und Verbraucher wis-
sen: Hier wird nicht eventuell dem Interesse eines Finan-
zinstituts nachgegangen, sondern hier werden objektiv
die in dem einheitlichen Format dargestellten Entgelte
verglichen . Auch das halte ich für ein Novum, für eine
bessere Form der Rechtsdurchsetzung und vielleicht
auch für eine Blaupause für andere verbraucherpolitische
Aufgaben .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)


Der Gesetzentwurf enthält auch Regelungen zur Kon-
tenwechselhilfe . Wir haben in den letzten Jahren erlebt,
dass Wettbewerb dann mit besseren Angeboten für Ver-
braucherinnen und Verbraucher in Gang kommt, wenn
es möglich ist, mit einem überschaubaren Aufwand und
geringer Gefahr von Fehlern Angebote zu wechseln . Ich
glaube, dass man durchaus sagen kann, dass in den Be-
reichen Telekommunikation und Energie dadurch deut-
liche Verbesserungen für die Verbraucherinnen und Ver-
braucher entstanden sind .

Wir haben in der Tat erleben müssen, dass selbst über-
zogene Zinsen für Dispokredite und andere schlechte
Konditionen nur wenige Verbraucherinnen und Verbrau-
cher dazu gebracht haben, ihre Zahlungskonten zu wech-
seln, weil die Vielzahl von Lastschriften, Daueraufträgen
und Personen, denen man eine neue Kontoverbindung
mitteilen muss, viele davon abgehalten hat . Das hat oft
genug dazu geführt, dass wir in diesem Hause diskutiert
haben, eventuell gesetzliche Regelungen bis ins Detail –
mit Obergrenzen oder Ähnlichem – aufzunehmen, um
schlechte Angebote vom Markt zu fegen, was wir in an-
deren Bereichen dem Wettbewerb überlassen haben .

Wenn wir jetzt eine Kontenwechselhilfe ermögli-
chen – und das tun wir mit dem Gesetzentwurf; wir
erleichtern den Wechsel von Anbietern für Verbrauche-
rinnen und Verbraucher –, dann sorgen wir dafür, dass
es auch im Bereich der Konten zu einem Wettbewerb
kommt, und zwar nicht nur um die besten Kunden – da-
für ist das Instrument zu breit angelegt –, und dass es
Verbraucherinnen und Verbrauchern in Zukunft möglich
ist, zu günstigeren oder für ihre Ziele besseren Anbietern
zu wechseln . Auch dieser Teil ist ein gutes Ergebnis des
Gesetzentwurfs .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)


Meine Damen und Herren, der Zugang zu Zahlungs-
konten ist die unverzichtbare Voraussetzung für die
Teilnahme am modernen gesellschaftlichen Leben . Wir
wollen das mit dem Gesetzentwurf auch den Verbrauche-
rinnen- und Verbrauchergruppen, die bisher davon aus-
geschlossen waren, ermöglichen . Wir wollen undurch-
schaubaren Entgeltgestaltungen durch mehr Transparenz
ein Ende bereiten und den Wechsel ermöglichen . Ich bit-

te Sie um Unterstützung dieses Gesetzentwurfs für diese
Ziele .

Vielen Dank .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1815001300

Nicole Maisch ist die nächste Rednerin für die Frakti-

on Bündnis 90/Die Grünen .


Nicole Maisch (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1815001400

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ein guter

Tag für die Verbraucherinnen und Verbraucher in diesem
Land – das sind schöne Worte von der Union . Wenn ich
mich an die Debatten in den vergangenen Jahren erinne-
re, dann müssten heute von Ihnen sinngemäß eher fol-
gende Worte kommen: Die DDR ist zurück . Der Sozia-
lismus ist ausgebrochen . Wir alle sind jetzt Mitglied der
Linkspartei . – Das war der Diskussionsduktus des Kolle-
gen Brinkhaus, des Kollegen Meister und vieler anderer
in der Union, wenn wir in den vergangenen Jahren immer
wieder gemeinsam mit den Kollegen von der Opposition
ein Girokonto für alle beantragt haben .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Aber Menschen sind lernfähig. Das finden wir wunder-
bar .

Das ist vor allem wunderbar für die rund 1 Million
Menschen – so viele scheinen es mittlerweile zu sein –,
die bislang vom normalen Wirtschaftsleben in Deutsch-
land ausgeschlossen sind . Um so etwas Exotisches wie
Onlineshopping oder Bestellungen bei Ebay geht es gar
nicht, sondern um Telefonanschluss, Mietvertrag und
Arbeitsvertrag . Das alles ist heutzutage ohne ein Konto
kaum noch möglich . Das soll sich nun ändern . Das ist
gut so .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Peinlich ist, dass auch diese Bundesregierung wieder
von Brüssel zum Jagen getragen werden musste . Drei Le-
gislaturperioden – so weit reicht zumindest meine politi-
sche Erinnerung in diesem Haus – haben wir diskutiert .
Stets haben Sie alles abgelehnt . Auch die SPD, die den
heutigen Tag so besonders feiert, hat sich unter Führung
ihres Finanzministers Peer Steinbrück gegen ein Giro-
konto für alle mit Händen und Füßen gewehrt; das gehört
zur Wahrheit dazu . Aber nun kommt es, und man darf die
Umsetzung nicht vermasseln .

Es gibt viele Punkte in dem vorliegenden Gesetzent-
wurf, die wir begrüßen . Brüssel schreibt auch vieles sehr
eng vor . Aber zwei Punkte kritisieren wir . Da ist noch – so
glauben wir – Luft nach oben . Der erste Punkt betrifft die
Kosten . Wir glauben nicht, dass ein solches Konto kos-
tenlos sein muss . Auch wer arm ist in diesem Land, dem
wird selten etwas geschenkt; das ist nun einmal so . Aber
wir halten die Begriffe „angemessen“ und „marktüb-
lich“, die Sie gewählt haben, für zu unkonkret . Sie eröff-

Parl. Staatssekretär Ulrich Kelber






(A) (C)



(B) (D)


nen den Banken damit Spielräume, sich die unliebsame
Kundschaft durch saftige Kontoführungsgebühren vom
Hals zu halten . Diese Befürchtung können wir historisch
gut begründen . 2010 haben wir das Pfändungsschutzkon-
to, das sogenannte P-Konto, gesetzlich eingeführt . Viele
Kreditinstitute – auch Sparkassen – haben darauf reagiert
und versucht, sich die unliebsame Kundschaft mit dras-
tisch erhöhten Kontogebühren vom Hals zu halten . vzbv
und die Verbraucherzentralen in den Ländern haben viele
Kreditinstitute abgemahnt und die meisten Rechtsstrei-
tigkeiten gewonnen . Das zeigt: Man muss genau aufpas-
sen, dass diese Kundschaft nicht durch erhöhte Gebühren
verdrängt wird .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Das gilt auch für das von den Sparkassen freiwillig
eingeführte Bürgerkonto bzw . Guthabenkonto, das im
Grunde genommen so eine Art Girokonto für alle ist .
Die Berliner Sparkasse zum Beispiel hat ihre Gebühren
von 3,90 auf 8 Euro erhöht . Man versucht also, über die
Gebühren etwas zu schaffen, was das Gesetz eigentlich
verbietet . Ich glaube, dass wir hier nicht auf den Markt
setzen können; denn ein funktionierender Wettbewerb
setzt voraus, dass der Anbieter den Kunden auch möch-
te . Wenn es aber um eine Kundengruppe geht, gegen
die man sich mit Händen und Füßen wehrt, um sie vom
Bankschalter fernzuhalten, dann kann es keinen Wettbe-
werb geben . Wettbewerb funktioniert nur in Bezug auf
eine Kundengruppe, die man auch möchte .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Der zweite Punkt betrifft die Transparenz von Ver-
gleichswebsites; Herr Kelber hat schon etwas dazu ge-
sagt. Eine staatliche Zertifizierung ist sicherlich gut. Aber
dann müssen wir uns Gedanken über die Kriterien für
diese Zertifizierung machen. Was sagt mir als Kunde ein
entsprechendes staatliches Siegel? Nach unserer Auffas-
sung gehört zu einer vernünftig zertifizierten Vergleichs-
website, dass alle Provisionen, die zwischen Bank oder
Sparkasse und einer Vergleichswebsite fließen, zwingend
offengelegt werden . Sonst steht man als Verbraucher wie
der Ochs vorm Berg und weiß nicht, wie hinter den Ku-
lissen die Geldströme fließen. Sonst ist auch der Zugang
zu Banken und Sparkassen nicht diskriminierungsfrei .
Deshalb fordern wir die Pflicht zur Offenlegung von Pro-
visionen für alle Vergleichswebsites .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Die Regierung hat uns als Antwort auf eine Kleine
Anfrage zu anderen Vergleichswebsites mitgeteilt, dass
sie darauf setzt, dass die Verbraucher die Portale selbst
fragen, welche Provisionen in welcher Höhe von wem an
wen fließen. Das halten wir – mit Verlaub – für lebens-
fremd und das Gegenteil von Verbraucherschutz . Wenn
ich als Verbraucher ins Netz gehe, um mich schnell zu
informieren, dann möchte ich nicht an irgendwelche
Stellen einen Brief schreiben nach dem Motto: Bitte teilt
mir mit, wie viel Provisionen ihr von welcher Sparkasse
oder welcher Bank erhalten habt . – Das ist lebensfremd
und das Gegenteil von Verbraucherschutz .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wir sind heute noch nicht am Ende der Debatte . Ich
freue mich sehr auf konstruktive Beratungen . Es handelt
sich um eine gute europäische Regelung, die nun in deut-
sches Recht umgesetzt werden soll . Diese Umsetzung
kann in einigen Punkten noch besser werden .

Vielen Dank .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1815001500

Das Wort erhält nun der Kollege Matthias Hauer für

die CDU/CSU-Fraktion .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Matthias Hauer (CDU):
Rede ID: ID1815001600

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Wir beraten heute in erster Lesung den Entwurf
eines Zahlungskontengesetzes . Damit setzen wir die
EU-Zahlungskontenrichtlinie in deutsches Recht um und
erfüllen gleichzeitig wichtige Zusagen aus dem Koaliti-
onsvertrag . Was wird sich durch das Gesetz ändern?

Erstens . Wir sorgen dafür, dass jeder Verbraucher in
Deutschland Zugang zu einem Zahlungskonto mit grund-
legenden Funktionen erhält . Jeder, der sich rechtmäßig in
der Europäischen Union aufhält, kann dann ein solches
Basiskonto eröffnen .

Zweitens . Wir sorgen für mehr Vergleichbarkeit und
Transparenz bei den Kontoentgelten . Jeder Verbraucher
wird sich künftig auf dafür zertifizierten Internetseiten
schnell und einfach über Entgelte der Banken und Spar-
kassen informieren können, die für ihn infrage kommen .

Drittens . Wir sorgen dafür, dass Verbraucher ihr Giro-
konto einfacher wechseln können . Der Kontoumzug zu
einer anderen Bank wird künftig mit weniger Aufwand
für den einzelnen Bankkunden verbunden sein . Er um-
fasst auch die bestehenden Überweisungen, Daueraufträ-
ge und Lastschriften .

Bislang sind die Vorschriften über Zahlungskonten
innerhalb der EU sehr unterschiedlich und nicht durch-
gängig an einem hohen Verbraucherschutzstandard ori-
entiert . Die Umsetzung der Zahlungskontenrichtlinie ist
nun ein weiterer Schritt zur Harmonisierung der Rege-
lungen innerhalb des europäischen Binnenmarktes .

Nun zum Basiskonto . Ein Girokonto ist heutzutage
Grundvoraussetzung für die Teilnahme am gesellschaft-
lichen und wirtschaftlichen Leben . Schätzungen gehen
davon aus – wir haben es gerade schon gehört –, dass
allein in Deutschland etwa 1 Million Menschen nicht
über ein solches Konto verfügen können . Diesen Zustand
wollen wir nicht hinnehmen .

Wir möchten, dass gerade Obdachlosen und anderen
einkommensschwachen Menschen nicht länger der Zu-
gang zu einem Basiskonto verwehrt wird . Gleiches gilt
auch für Asylsuchende sowie für Personen ohne Aufent-
haltstitel, die nicht abgeschoben werden können . Der An-
spruch auf das Basiskonto steht jedem zu, der sich recht-

Nicole Maisch






(A) (C)



(B) (D)


mäßig in der Europäischen Union aufhält . Wir als Union
werden in besonderem Maße darauf achten, dass bei den
parlamentarischen Beratungen keine Abstriche bei den
Themen Geldwäsche und Bekämpfung der Terrorismus-
finanzierung gemacht werden.

Das vorgesehene Recht auf Zugang zu einem solchen
Basiskonto geht weit über die bisherigen Maßnahmen hi-
naus . In Deutschland haben sich Sparkassen sowie öf-
fentliche, private und genossenschaftliche Banken 1995
die Selbstverpflichtung auferlegt, für jeden Bürger auf
Wunsch ein Girokonto zu eröffnen . Lediglich in eini-
gen Bundesländern besteht darüber hinaus mit gewissen
Einschränkungen eine Verpflichtung für Sparkassen, ein
Girokonto anzubieten . Zudem haben sich die Sparkassen
im Jahr 2012 selbst dazu verpflichtet, jeder Privatperson
in ihrem Geschäftsgebiet ein Guthabenkonto, das soge-
nannte Bürgerkonto, einzurichten .

Der Gesetzentwurf geht auch inhaltlich weit über die
bisherigen Regelungen hinaus, vor allem hinsichtlich des
Kreises der berechtigten Verbraucher, des Mindestum-
fangs der zu nutzenden Zahlungsdienste und bei weiteren
verbraucherschützenden Regelungen .

In der Vergangenheit haben gerade die Sparkassen ei-
nen großen Teil dazu beigetragen, Menschen ohne gere-
geltes Einkommen den Zugang zu einem Girokonto zu
verschaffen . Für dieses Engagement gilt es insbesondere
den Sparkassen zu danken .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Der Versorgungsgrad mit Girokonten ist in Deutsch-
land zwar höher als in den meisten anderen EU-Staaten,
dennoch besteht Handlungsbedarf . Noch immer haben
auch in Deutschland zu viele Menschen keinen Zugang
zu einem Konto . Diesen Zustand möchten wir ändern .
Bargeld spielt gerade in Deutschland, im Gegensatz zu
vielen anderen europäischen Ländern, im tagtäglichen
Leben eine sehr wichtige Rolle . Dennoch braucht derzeit
jeder ein Girokonto, um am gesellschaftlichen und wirt-
schaftlichen Leben partizipieren zu können .

Wer heutzutage ein Arbeitsverhältnis aufnehmen, eine
Wohnung mieten, einen Vertrag mit einem Strom- oder
Handyanbieter schließen oder nur über das Internet ein-
kaufen möchte, der steht ohne ein Girokonto vor großen,
teils unüberbrückbaren Hindernissen . Hinzu kommt,
dass hohe Entgelte anfallen, wenn jemand nicht über ein
Girokonto verfügt .


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1815001700

Herr Kollege Hauer, darf die Kollegin Maisch eine

Zwischenfrage stellen?


Matthias Hauer (CDU):
Rede ID: ID1815001800

Sehr gerne .


Nicole Maisch (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1815001900

Herr Kollege Hauer, vielen Dank, dass ich diese Frage

stellen kann . – Sie haben gerade sehr eindrücklich erklärt,
warum ein Girokonto in Deutschland Voraussetzung für

die Teilhabe am politischen Leben ist . Wie erklären Sie
sich dann den Zwischenruf Ihres stellvertretenden Frak-
tionsvorsitzenden Brinkhaus, der – ich glaube, das kann
man so sagen – einer der profiliertesten Finanzpolitiker
der Union ist und der sagte: „Ich bleibe dabei: Das ist der
größtmögliche Blödsinn“?


(Dr . Jens Zimmermann [SPD]: Hört! Hört!)



Matthias Hauer (CDU):
Rede ID: ID1815002000

Frau Kollegin Maisch, das Lob an den Kollegen

Brinkhaus teile ich voll und ganz . Dennoch geben Sie
seine Äußerung hier falsch wieder . Schauen Sie sich ein-
mal an, was die Union bereits vor Jahren, beispielsweise
2012, gemeinsam mit der FDP beantragt hat, übrigens
bevor diese Richtlinie erlassen worden ist: „Rechtssi-
cherheit beim Zugang zu einem Basiskonto schaffen“ .
Bereits in diesem Antrag sind die Punkte, die wir auch
heute behandeln, festgeschrieben . Insofern sollten Sie
genau darauf achten, was der Kollege Brinkhaus dazwi-
schenruft . Das kann erhellend wirken .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Ralph Brinkhaus [CDU/CSU]: Frau Maisch kann sich auch mit mir austauschen, sie kann das auch bilateral klären!)


Ich war bei den Entgelten stehen geblieben . Barein-
zahlungen und Barüberweisungen sind bei den meisten
Kreditinstituten mit hohen Kosten verbunden . Wer, viel-
leicht weil er obdachlos ist, über kein Girokonto verfügt,
der muss derzeit noch hohe Entgelte leisten . Auch das
wollen wir mit der Einführung des Zugangs zu einem Ba-
siskonto ändern .

Um die Teilnahme am gesellschaftlichen und wirt-
schaftlichen Leben in Deutschland zu ermöglichen,
soll das Basiskonto alle wesentlichen Funktionen des
modernen Zahlungsverkehrs umfassen . Dazu gehören
Bareinzahlungen, Barauszahlungen, Überweisungen,
Lastschriften und Kartenzahlungen . Von diesem Gesetz
profitieren aber nicht nur diejenigen, die bislang keinen
Zugang zu einem Girokonto haben, sondern alle Bank-
kundinnen und Bankkunden . Die Vergleichbarkeit und
Transparenz von Kontoentgelten werden erhöht, und
der Girokontowechsel zu einer anderen Bank wird ver-
einfacht . Wir versetzen Verbraucher damit in die Lage,
EU-weit das am besten für sie geeignete Girokonto aus-
zuwählen . Zahlungsdienstleister müssen Verbraucher
sowohl vor Vertragsabschluss als auch während der Ver-
tragslaufzeit über die Entgelte informieren, die für das
Girokonto anfallen . Die Entgeltinformation muss so ge-
staltet sein, dass sie klar und leicht verständlich ist .

Wir sorgen dazu dafür, dass Verbraucher auf zertifi-
zierten Internetseiten kostenlos und transparent Bankent-
gelte vergleichen können . Dadurch kann der Verbraucher
sachgerecht beurteilen, bei welchem Institut er ein Gi-
rokonto beantragen möchte . Auf diesen Vergleichsweb-
sites muss der Vergleich mindestens anhand der gesetz-
lich bestimmten Kriterien erfolgen: Das sind Entgelte,
Filialnetz, Geldautomatennetz und Sollzinssatz für ein-
geräumte Überziehungsmöglichkeiten . Darüber hinaus
gibt es weitere gesetzliche Bestimmungen für diese In-
ternetseiten: Sie müssen zum Beispiel unabhängig be-

Matthias Hauer






(A) (C)



(B) (D)


trieben werden, eine leicht verständliche und eindeutige
Sprache verwenden sowie korrekte und aktuell gehaltene
Informationen bereitstellen . Damit auch ein länderüber-
greifender Vergleich von Angeboten gelingen kann, wird
EU-weit eine standardisierte Bezeichnung für die mit
dem Girokonto verbundenen wesentlichen Dienste ein-
geführt .

Zudem wollen wir den Wechsel eines Girokontos weit-
gehend von Bürokratie befreien und ein klares, schnelles
und sicheres Verfahren dafür bieten . In Zukunft müssen
die Banken und Sparkassen einem Verbraucher Konten-
wechselhilfe anbieten, wenn er mit einem Girokonto zu
einem anderen Institut umziehen möchte . Wir sorgen mit
dem einfachen Kontenwechsel dafür, dass der einzelne
Verbraucher flexibler die auf ihn zugeschnittenen Ange-
bote auf dem Markt nutzen kann . Der Kontowechsel wird
einfacherer möglich sein, weil Informationen, wie zum
Beispiel über Daueraufträge und Lastschriften, unbüro-
kratisch übermittelt werden . Das gilt nicht nur für den
innerstaatlichen, sondern auch für den grenzüberschrei-
tenden Kontenwechsel . Dabei wird das Entgelt begrenzt,
das durch den Kontenwechsel anfällt . Es muss angemes-
sen und an den tatsächlichen Kosten des Zahlungsdienst-
leisters ausgerichtet sein .

Abschließend ist festzustellen: Rechtsanspruch auf
ein Basiskonto, mehr Vergleichbarkeit und Transparenz
bei den Kontoentgelten und einfacherer Wechsel des Gi-
rokontos – mit dem Zahlungskontengesetz stärken wir
die Rechte aller Verbraucherinnen und Verbraucher .

Vielen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1815002100

Für die Fraktion Die Linke hat nun die Kollegin

Karawanskij das Wort .


(Beifall bei der LINKEN)



Susanna Karawanskij (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1815002200

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Liebe Gäste! Die Gesetzesvorlagen der Bun-
desregierung können wir als Opposition nur sehr sel-
ten loben . Es gibt aber im wahrsten Sinne des Wortes
manchmal löbliche Ausnahmen . Mit dem Gesetz, dessen
Entwurf vorliegt, soll nun der unbeschränkte Zugang zu
Zahlungskonten geschaffen werden, wodurch erstmals
eine wirksame Rechtsdurchsetzung für Verbraucherinnen
und Verbraucher ermöglicht wird . Dieser Anspruch auf
Abschluss eines Basiskontovertrages auf Guthabenbasis
ist sicherlich ein Quantensprung im Bereich des finanzi-
ellen Verbraucherschutzes. Wir finden es richtig gut, dass
dieses Gesetz jetzt auf den Weg gebracht wird .

Doch bevor die Bundesregierung zu selbstgefällig
wird, möchte ich noch einmal auf etwas verweisen – das
hat auch meine Kollegin Caren Lay schon getan –: Es
gab jahrelang nur freiwillige Selbstverpflichtungen. Sie
haben 20 Jahre lang auf Sand gebaut . Erst als die EU die-
se Richtlinie beschlossen hat, mussten Sie handeln; Sie
mussten tatsächlich zum Jagen getragen werden .

Wir haben als Linke in den Kommunalparlamenten,
aber auch in den Landesparlamenten und hier im Bun-
destag durchgängig für das Basiskonto gestritten . Mich
würde es freuen, wenn Sie in anderen Bereichen des
finanziellen Verbraucherschutzes aus eigener Überzeu-
gung heraus proaktiv die Rechte der Verbraucherinnen
und Verbraucher im Finanzbereich stärken würden .


(Beifall bei der LINKEN)


Ich möchte im Folgenden auf Nachbesserungen ein-
gehen, die in diesem Gesetzentwurf dringend notwendig
sind:

Wir fordern als Linke, dass das Basiskonto kostenlos
ist . Der Gesetzentwurf enthält zwei unbestimmte Rechts-
begriffe, durch die den Instituten unseres Erachtens zu
viele Spielräume bei der Festlegung von Entgelten ein-
geräumt werden . Bitte konkretisieren Sie sowohl den
Begriff „marktüblich“ als auch den Begriff „angemesse-
nes Entgelt“ . Sie sind hoffentlich nicht so blauäugig und
erwarten, dass diese Begriffe zugunsten der Verbrauche-
rinnen und Verbraucher ausgelegt werden; denn es gibt
bislang gar keinen Markt für Konten speziell für finanz-
schwache Verbraucher . Verbraucher wie Überschuldete,
Obdachlose oder Flüchtlinge – wir haben es in der De-
batte bereits gehört – müssen ein Basiskonto bezahlen
können . Seien wir mal ehrlich: Es wird am besten und
dauerhaft gelingen, wenn so ein Konto kostenlos ist . Nur
so kann die Teilhabe aller Bürgerinnen und Bürger am
bargeldlosen Zahlungsverkehr ermöglicht werden .


(Beifall bei der LINKEN)


Man überliest schnell, dass ein Basiskonto dem Ver-
braucher innerhalb von zehn Tagen angeboten werden
muss; ich betone: angeboten . Dies bleibt allerdings hin-
ter der EU-Richtlinie zurück . Wir fordern als Linke, dass
das Konto innerhalb von zehn Tagen eingerichtet und
eröffnet werden muss . Sie sollten sich an die umzuset-
zende Richtlinie halten und nicht dagegen verstoßen . So
eine klare und einheitliche Eröffnungsfrist ist notwendig,
damit die Kontoeröffnung tatsächlich zeitnah stattfindet,
damit Banken den eigentlichen Anspruch auf Einhaltung
der Zehntagesfrist nicht konterkarieren können in der
Hoffnung, dass die nicht ganz so finanzkräftigen, viel-
leicht zum Teil auch unliebsamen Kundinnen und Kun-
den der letzten Jahre ihr Glück bei einem anderen Institut
suchen .


(Beifall bei der LINKEN)


Es fehlt auch eine Harmonisierung mit den Vorschrif-
ten zum Pfändungsschutzkonto . Wenn ein Basiskonto er-
öffnet wird, kann nicht gleichzeitig ein Pfändungsschutz-
konto eröffnet werden . Das geht immer nur in einem
separaten zweiten Schritt . Der Wechsel des Basiskonto-
anbieters ist zwar von nun an einfacher möglich – das
wurde hier auch schon betont; es reicht die Vorlage der
Kündigung des bisherigen Kontos –; aber problematisch
bleibt der Wechsel für die Inhaber eines Pfändungsschutz-
kontos, eines P-Kontos . Oft werden P-Konten – man darf
nur ein solches Konto führen – nicht zeitnah geschlossen .
Bis zur Kontoschließung steht dieses P-Konto in den Da-
ten der Schufa . Wenn das alte P-Konto gekündigt wird,
erhalten die Kundinnen und Kunden zwar ein Basiskon-

Matthias Hauer






(A) (C)



(B) (D)


to; das verfügt dann aber nicht über den notwendigen
Pfändungsschutz, weil bei der Schufa noch der Eintrag
des alten P-Kontos besteht . Hier ist eine Ankopplung des
P-Kontos an das Basiskonto nur dann sinnvoll, wenn bei
Kündigung des P-Kontos diese Kontofunktion innerhalb
weniger Tage aufgehoben und dieser Eintrag bei der
Schufa auch tatsächlich gelöscht wird . Wir fordern, dass
mit diesem Gesetz beim Kontowechsel eine ununterbro-
chene P-Konto-Verbindung sichergestellt werden muss .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Ich habe einige Punkte aufgeführt, bei denen Sie bit-
te schön nicht hinter die Richtlinie der EU zurückfallen
sollten . Es ist ein Quantensprung im Bereich des Zah-
lungsverkehrs; nichtsdestotrotz bleiben viele Lücken im
finanziellen Verbraucherschutz. Ich möchte hier noch
einmal betonen: Lebensversicherte werden weiter ge-
schröpft . Kleinanleger können immer noch in hochris-
kante und unseriöse Anlageprodukte gelockt werden .
Ich nenne Fragen der Deckelung der Dispozinsen oder
auch der verbrauchergerechten Finanzberatung; hier ver-
weise ich auf die noch weitverbreiteten Provisionen der
Vermittler, die allzu leicht nur an ihren eigenen Vorteil
denken .

Ich würde mich freuen, wenn Sie diesen Gesetzent-
wurf und die moderate Kritik, die wir in dieser Diskus-
sion üben, als Ansporn nähmen, in diesen Bereichen des
finanziellen Verbraucherschutzes auch ein bisschen pro-
aktiver voranzuschreiten .

Vielen Dank .


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1815002300

Sarah Ryglewski ist die nächste Rednerin für die

SPD-Fraktion .


(Beifall bei der SPD)



Sarah Ryglewski (SPD):
Rede ID: ID1815002400

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kollegin-

nen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Loriot hat
einmal gesagt:

Ein Leben ohne Mops ist möglich, aber sinnlos .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


In Bezug auf das Girokonto ist es genau umgekehrt .
Ein Leben ohne Konto hat sicherlich trotzdem einen
Sinn, ist heutzutage aber fast unmöglich . Denn wie sieht
ein Leben ohne Girokonto heute aus?

Stellen wir uns einmal vor, wie unser potenzieller
Arbeitgeber reagieren würde, wenn wir ihm nach einem
bis dahin möglicherweise sehr positiv verlaufenen Vor-
stellungsgespräch mitteilten, dass er uns unser Gehalt in
einer Lohntüte überreichen soll, oder die Reaktion des
Vermieters, dem wir sagen, dass wir ihn jeden Monat per-
sönlich besuchen werden, um die Miete vorbeizubringen .

Möglicherweise hat man einen sehr sympathischen
Arbeitgeber oder einen netten Vermieter, und das lässt

sich alles regeln . Trotzdem ist es eine höchst beschämen-
de Situation für den Betroffenen oder die Betroffene .


(Beifall bei der SPD)


Auch bei weiteren regelmäßigen finanziellen Ver-
pflichtungen wird es sehr schwierig – sei es die Strom-
oder Handyrechnung oder auch die Krankenversiche-
rung . Möglicherweise lassen sich immer individuelle
Lösungen finden. Das Ganze ist aber mit einem sehr ho-
hen Aufwand, sowohl organisatorisch als auch finanziell,
verbunden . So sind die Gebühren für Bareinzahlungen
so hoch, dass sie unter Umständen sogar den einzuzah-
lenden Betrag übersteigen, und zum Telefonieren bleiben
nur die teuren Prepaidtarife .

Ein Leben ohne Konto ist also nicht nur fast unmög-
lich, sondern auch noch sehr, sehr teuer und beschneidet
die Möglichkeiten von Menschen, die in der Regel oh-
nehin mit sehr wenig Geld auskommen müssen, weiter .

Diese Situation ist leider keine Seltenheit . Wir haben
in dieser Debatte schon oft gehört, dass bis zu 1 Million
Menschen betroffen sind . Diese Zahl höre ich allerdings
schon seit Jahren . Angesichts der steigenden Flücht-
lingszahlen können wir davon ausgehen, dass sie in den
letzten Monaten deutlich gestiegen ist . Die Gründe dafür
sind vielfältig: negative Schufa, Überschuldung, fehlen-
de Ausweisdokumente oder schlicht die falsche Staats-
bürgerschaft .

Vor dieser Situation stehen wir trotz der seit mehr als
20 Jahren bestehenden Selbstverpflichtung der Kredit-
wirtschaft . Diese sollte – daran möchte ich erinnern –
gerade für diesen Personenkreis sicherstellen, dass er
endlich ein Konto bekommt. Diese Selbstverpflichtung
hat nicht funktioniert . Das können wir so feststellen .
Ich möchte auch noch einmal daran erinnern, dass die
Kreditwirtschaft nur bedingt freiwillig zu dieser Selbst-
verpflichtung gekommen ist; denn schon 1995 war der
Handlungsdruck so groß, dass die damalige Bundesre-
gierung über ein entsprechendes Gesetz nachgedacht hat .
Dieses Gesetz konnte die Kreditwirtschaft nur dadurch
abwenden, dass sie die Selbstverpflichtung eingegangen
ist .

Umso bedauerlicher ist es, dass es erst einer EU-Richt-
linie bedurfte, damit wir hier in Deutschland endlich zu
einer gesetzlichen Regelung kommen .


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Wir hätten das schon früher haben können .

Meine Partei war da auch relativ klar . Ich erinnere
mich noch gut an Debatten, die ich in der Bremischen
Bürgerschaft geführt habe . Dort wurde mir von meinem
CDU-Kollegen vorgeworfen, ich würde vom Pult aus so-
zialistisches Gewäsch verbreiten .


(Ulli Nissen [SPD]: Was? Das hat er gesagt? Ungeheuerlich! – Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: In der Bürgerschaft wird so gesprochen! – Nicole Maisch [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Ihr Finanzminister war aber nicht so klar!)


Susanna Karawanskij






(A) (C)



(B) (D)


– Ich will jetzt nicht die Kolleginnen und Kollegen hier
im Bundestag für Äußerungen ihrer Kollegen in einem
Landesparlament verantwortlich machen,


(Dr . Gerhard Schick [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das machen die umgekehrt auch!)


aber das war der Tenor .

Heute sind wir hier glücklicherweise im Jahr 2016 .
Deswegen sollten wir nach vorne schauen und dafür sor-
gen, dass das, was lange währt, am Ende auch endlich
gut wird .


(Beifall bei der SPD)


Deswegen möchte ich mich bei den beteiligten Bundes-
ministerien ganz herzlich für den guten Gesetzentwurf
bedanken . Wir schaffen damit endlich die Grundlage,
dass jeder in Deutschland ein Konto eröffnen und am
wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Leben teilhaben
kann .

Damit das Basiskonto ein voller Erfolg wird, bedarf es
jedoch eines klaren Rahmens . Darauf haben meine Vor-
rednerinnen und Vorredner bereits hingewiesen .

Neben der Frage, wie teuer das Konto sein darf, ist mir
dabei insbesondere wichtig, dass wir darüber reden, wel-
che Funktionen das Konto hat und aus welchen Gründen
die Eröffnung eines Basiskontos abgelehnt werden darf .
Hier mahnen die Erfahrungen mit dem Pfändungsschutz-
konto . Die Versuchung ist für Banken doch sehr groß, die
Funktionen des Kontos so zu gestalten, dass das Konto
sehr unattraktiv wird für die unbeliebte Kundschaft . So
gibt es ein Girokonto ohne Onlinebanking, bei dem der
Verbraucher darauf angewiesen ist, statt von zu Hause
Überweisungen zu tätigen, persönlich zur Bank zu gehen
und dort für jede Überweisung auch noch eine hohe Ge-
bühr zu bezahlen . Ich glaube, dass das neben der Frage
der Höhe der Kontoführungsgebühren, bei der wir auch
noch etwas präziser werden können, die zweite große
Gefahr ist; denn wir wollen ja schließlich, dass möglichst
viele Menschen vom neuen Basiskonto profitieren.


(Beifall bei der SPD)


Hinsichtlich der Gründe, aus denen ein Konto verwei-
gert werden darf, ist der Gesetzentwurf schon sehr präzi-
se . Insbesondere ist es sehr gut, dass wir einen abschlie-
ßenden Katalog von Ablehnungsgründen haben . Da gibt
es also kein Drumherumgemogel. Besonders gut finde
ich, dass auch die Antragstellung dokumentiert werden
soll und dass wir eine Frist zur Eröffnung haben, sodass
es da eigentlich keine Ausreden geben sollte .


(Beifall bei der SPD)


Doch auch hier gibt es leider negative Erfahrungen mit
dem Pfändungsschutzkonto, mit der Selbstverpflichtung
der Banken und leider auch mit den Sparkassen . Oft ist
es nämlich so, dass es gar nicht zu einer dokumentierten
Antragsstellung kommt, sondern Kundinnen und Kunden
unter Umständen schon am Schalter abgewiesen werden,
wenn sie nach einem solchen Konto fragen . Das ist natür-
lich ein Sachverhalt, der dann später schwer zu klären ist
und bei dem es mit der Nachweispflicht schwierig wird.

Hierauf müssen wir auf jeden Fall ein Auge haben . Hier
sollten wir uns auch sensibel bei den Verbraucherzen-
tralen und den Schuldnerberatungen umhören, damit das
nicht durch die Hintertür zum Regelfall wird .


(Beifall bei der SPD)


Wir als SPD-Fraktion wollen also ein Basiskonto
ohne Schlupflöcher und ohne Ausweichmöglichkeiten
verabschieden, damit am Ende des Gesetzgebungspro-
zesses das Recht auf ein Girokonto keinem Menschen
in Deutschland mehr aus rein geschäftlichen Erwägun-
gen verweigert werden kann . Doch mit dem Zahlungs-
kontengesetz verbessern wir nicht nur die Situation von
bisher Kontolosen . Wir schaffen auch mehr Fairness und
Transparenz für alle Bankkunden . Bisher ist es meist
sehr schwierig, Angebote von Banken miteinander zu
vergleichen . Gebühren werden im Kleingedruckten oder
irgendwo in den hintersten Ecken einer Website versteckt
und sind schwer zu durchblicken . Wir erinnern uns an die
Diskussion um die Dispozinsen . Bisher war es ja gang
und gäbe, dass man die Höhe der Dispozinsen nur in ei-
nem kleinen Bilderrahmen aufgehängt in seiner Bankfi-
liale finden konnte. Verbraucherinnen und Verbraucher
sollen künftig offen und regelmäßig über Kosten und
Entgelte informiert werden . Nur wenn ich Entgelte nach-
vollziehen kann, kann ich zwischen verschiedenen Kre-
ditinstituten vergleichen und beurteilen, welches Konto
zu mir passt .


(Beifall bei der SPD)


Aber selbst wenn dies gegeben ist, ist es sehr schwie-
rig, sich im Dickicht der verschiedenen Gebühren und
Angebote zurechtzufinden. Hier versprechen Vergleichs-
websites oder Vergleichsportale Abhilfe . Doch diese sind
nicht immer verlässlich und nur selten objektiv; denn
schließlich ist das Geschäftsmodell der Portale, dass sie
über die Abschlüsse ihr Geld verdienen . Die Verbrau-
cherinnen und Verbraucher können sich also nicht sicher
sein, ob ihnen das günstigste Kontoangebot angezeigt
wird oder doch nur das, welches die höchste Provision
für den Portalbetreiber verspricht . Deshalb brauchen wir
hier eine klare Regulierung und eine gute Zertifizierung.


(Beifall bei der SPD)


Doch auch die beste Vergleichsplattform nützt nichts,
wenn der Kontowechsel weiterhin mit demselben hohen
Aufwand verbunden ist wie bisher . Wer das einmal ver-
sucht und durchgemacht hat, der weiß, dass es leichter
ist, seinen kompletten Hausstand von einer Wohnung in
die nächste zu bringen, als das Konto zu wechseln . Damit
kann man gut und gerne ein halbes Jahr beschäftigt sein .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Deswegen begrüßen wir es sehr, dass die Banken nach
dem Zahlungskontengesetz ihre Kunden künftig beim
Wechsel des Kontos unterstützen müssen . Nur so ist eine
ununterbrochene Kontoverbindung sichergestellt . Nur so
gibt es keine Scherereien . Nur so bekommen wir endlich
einen echten Wettbewerb bei den Girokonten für Privat-
kunden .

Sarah Ryglewski






(A) (C)



(B) (D)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, der vorliegende Ge-
setzentwurf ist gut .


(Beifall bei der SPD)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1815002500

Das wäre eigentlich ein schöner Schlusssatz, Frau

Ryglewski .


Sarah Ryglewski (SPD):
Rede ID: ID1815002600

Es kommt ein letzter Satz . – Er bedeutet eine echte

Stärkung von Verbraucherrechten am Finanzmarkt . Jetzt
müssen wir an die Details, damit aus einem guten Ge-
setzentwurf ein noch besserer wird .

Vielen Dank .


(Beifall bei der SPD)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1815002700

Das Wort erhält der Kollege Gerhard Schick für die

Fraktion Bündnis 90/Die Grünen .


Dr. Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1815002800

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Im

März 2006 – ich war damals noch relativ frisch im Bun-
destag – habe ich hier zum ersten Mal zum Girokonto
für jedermann – so sagte man damals noch; die jetzige
Begrifflichkeit „für alle“ ist natürlich die bessere – ge-
sprochen . Auch damals schon war es so, dass die Banken
zehn Jahre Zeit hatten, um zu zeigen, dass die Selbstver-
pflichtung funktioniert. Auch damals schon war es klar
und bewiesen, dass zu viele Menschen in Deutschland
keinen Zugang zu einem Girokonto erhielten und damit
große Schwierigkeiten hatten, ihr Geschäftsleben zu ge-
stalten, Miete zu zahlen . Sie konnten in Bewerbungsge-
sprächen keine Kontonummer angeben etc . Also: Die
Teilnahme am gesellschaftlichen Leben war dadurch
massiv erschwert .

Auch damals war schon klar, dass das den Staat mehr
kostet, weil zum Beispiel die Bundesagentur für Arbeit
höhere Kosten hat, wenn sie alles in Bargeld abwickeln
muss, als dann, wenn die Leute ein Konto haben . Auch
damals gab es schon massenhaft Argumente dafür, eine
gesetzliche Verpflichtung vorzusehen. Wir haben immer
noch zehn Jahre gebraucht, damit jetzt ein solcher Ge-
setzentwurf vorliegt . Das ist einfach eine schwache Leis-
tung .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Auch wenn der Kollege Hauer gerade versucht hat,
die Verantwortung ein wenig zu diffundieren, muss man
klar sagen, wo sie lag . Die Ablehnung war im Kern bei
CDU, CSU und natürlich auch der FDP begründet . Es ist
jetzt so, dass es einer europäischen Gesetzgebung bedurft
hat . Man muss, wenn Sie sich immer wieder mit Blick
auf Europa als Verteidiger der deutschen Kleinsparer ge-
rieren, doch deutlich machen: Es ist das Europäische Par-
lament, es ist die Europäische Kommission gewesen, die
Sie dazu zwingen, endlich einmal für die kleinen Leute in

Deutschland etwas zu tun . Es muss doch einmal deutlich
gesagt werden, wie hier die Lage ist .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Zuruf des Abg . Matthias Hauer [CDU/CSU])


Noch 2011 ist die Hamburger Initiative im Bundesrat
von den CDU- bzw . CSU-geführten Ländern abgelehnt
worden – vor wenigen Jahren! Auf europäischer Ebene
haben Sie sich, damals noch als schwarz-gelbe Bundes-
regierung, gegen die Gesetzgebung gewehrt . Geben Sie
das mal zu, und sagen Sie, dass Sie über Jahre auf dem
Holzweg waren und viele Hunderttausend Menschen in
Deutschland im Regen stehen lassen haben!


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Jetzt kommt es endlich . Das ist gut . Es ist gut, dass es
eine klare Frist gibt . Es ist gut, dass es eine klare Liste
von Ausschlussgründen gibt . Es ist auch gut, dass wir da-
mit Menschen, die jetzt als Flüchtlinge nach Deutschland
kommen, auch in dieser Form integrieren können . Ich
finde es richtig, dass Sie die Bedenken der Banken kri-
tisch hinterfragt haben und darauf nicht eingehen, wenn
sie sagen, es gebe Probleme, etwa mit den USA . Das sind
richtige Punkte .

Ich möchte zwei Punkte ansprechen, von denen wir
meinen, dass sie im Gesetzgebungsverfahren besondere
Bedeutung bekommen sollten . Das eine ist die Kostenfra-
ge, die schon angesprochen worden ist . Ich bin der Kolle-
gin Ryglewski sehr dankbar, dass sie gesagt hat, dass wir
da noch präziser werden sollten . Ich glaube auch – des-
wegen habe ich gerade die Zwischenfrage gestellt –, wir
können nicht mit einer weichen Formulierung, die nicht
durchgesetzt wird, den Banken freies Spiel lassen, über
hohe Gebühren die Leute vom Girokonto abzuhalten .
Hier braucht es eine klare Formulierung, und es braucht
die Sicherheit, dass es wirklich kontrolliert und umge-
setzt wird .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Ich will einen zweiten Punkt ansprechen . Für eine der
vielen Anhörungen, die wir hatten, haben wir eine Exper-
tin aus Frankreich benannt . Frankreich hat schon längere
Erfahrung mit diesem Thema . Dort gibt es ein gesetzli-
ches Recht schon seit 1984 . Man hat in Frankreich die
Erfahrung gemacht, dass ein Gesetz, das auf dem Papier
steht, von dem die Leute aber nichts wissen, die ent-
scheidende gesellschaftliche Wirkung nicht erzeugt . Die
Menschen müssen über Werbung, die entweder der Staat
macht oder die Banken machen, über das Recht auf ein
Girokonto aufgeklärt werden, damit sie es in der Praxis
einfordern und nicht ausgeschlossen bleiben, weil sie
meinen: Ich bekomme doch eh nichts .

Ich glaube, dieses Thema sollten wir uns noch ein-
mal anschauen – erreicht dieses neue Recht wirklich die
Menschen? –, damit das Ziel, das wir offensichtlich jetzt
alle teilen, dass möglichst alle Menschen in Deutschland
Zugang zu bargeldlosem Zahlungsverkehr haben, wirk-
lich in der Praxis verwirklicht wird . Dann können wir
in einigen Monaten sehen, dass die Zahl der Menschen

Sarah Ryglewski






(A) (C)



(B) (D)


ohne Girokonto, der Menschen, die abgewimmelt wer-
den, massiv sinkt, und können sagen: Das Ziel, das wir
alle proklamieren, ist wirklich erreicht und steht nicht nur
im Gesetzblatt .

Vielen Dank .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1815002900

Alexander Radwan hat nun das Wort für die CDU/

CSU-Fraktion .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Alexander Radwan (CSU):
Rede ID: ID1815003000

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Prä-

sident! Es wurde ja schon sehr viel zum Thema gesagt,
zur Richtlinie zu den Bankkonten, die 2013/2014 auf eu-
ropäischer Ebene auf den Weg gebracht wurde und die
wir nun umsetzen . Lassen Sie mich zu Beginn, nachdem
Herr Kollege Dr . Schick sehr ausgiebig auf die europä-
ische Ebene eingegangen ist, ebenfalls einen Verweis
darauf machen . Auf europäischer Ebene wurde dieses
Thema sehr lange diskutiert, und man war der Meinung:
Eine solche Richtlinie ist notwendig, weil der Zugang der
Menschen zu Konten in den Mitgliedstaaten der Europäi-
schen Union schlicht und ergreifend sehr unterschiedlich
geregelt ist, weil auch die Bankenstruktur in Europa sehr
unterschiedlich ist .

Wir in Deutschland haben – zumindest formell be-
trachtet – eine Struktur mit kleinen Regionalbanken;
jede Fraktion nimmt für sich in Anspruch, für die klei-
nen Regionalbanken zu sein . Dann gibt es das britische
Bankensystem . Wir wissen: In Großbritannien, in Irland,
in anderen Staaten war der Zugang der Menschen zu ei-
nem Bankkonto angesichts der dortigen Bankenstruktur
erheblich schlechter gewährleistet . Darum wurde auf eu-
ropäischer Ebene diese Richtlinie auf den Weg gebracht .

Es gibt in Deutschland – Staatssekretär Meister und
Kollege Hauer haben darauf hingewiesen – eine Selbst-
verpflichtung der Banken und Sparkassen. Dank der
Sparkassen gibt es in Deutschland eine erheblich bessere
Versorgung mit Konten für jedermann als in anderen eu-
ropäischen Staaten .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Einen Punkt kann ich mir da nicht verkneifen – es geht
um den Trugschluss europäischer Gesetzgebung –: Wenn
auf europäischer Ebene durch Binnenmarktgesetzge-
bung, Finanzmarktregulierung und Maßnahmen in vielen
anderen Bereichen auf der einen Seite harmonisiert und
damit Kahlschlag betrieben wird, weil systemimmanente
Strukturen nicht berücksichtigt werden – –


(Nicole Maisch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es gab doch trotzdem 1 Million Leute ohne Konto!)


– Lassen Sie mich doch bitte erst mal den Gedanken zu
Ende führen . Ich kann Ihnen genügend Beispiele nen-
nen . Sogar die Grünen im Europäischen Parlament teil-

ten damals die Meinung, dass der Verbraucherschutz in
Deutschland durch systemimmanente, kleingewachsene
Strukturen gewährleistet wird . Das sehen wir im Apothe-
kenbereich, das sehen wir im Bereich des Handwerks,
und das sehen wir auch bei den Regionalbanken .

Ich komme zu den Sparkassen . Was ich schon gern
hätte, ist, dass die europäische Ebene nicht die Sparkas-
sen, die bisher diese Leistungen erbracht haben, an den
Pranger stellt, indem sie regelmäßig in dem Bereich re-
guliert . – Da brauchen Sie nicht mit dem Kopf zu schüt-
teln, Frau Maisch .


(Nicole Maisch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das hat mit dem Thema gar nichts zu tun! Die Sparkassen machen es doch schon seit langem!)


– Eben!


(Nicole Maisch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jetzt werden auch die anderen Institute gezwungen! Aber nicht von Ihnen, sondern von Brüssel!)


Sie äußern genau den Gedanken in sehr kurzer Form . In
anderen Bereichen Europas gibt es so etwas nicht .


(Nicole Maisch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN], an die CDU/CSU gewandt: Er hat es leider nicht verstanden! – Gegenruf der Abg . Antje Tillmann [CDU/CSU]: Sie offensichtlich auch nicht!)


Die Sparkassen haben es gemacht .

Auf europäischer Ebene wird jetzt wieder eine Har-
monisierung vorgenommen .


(Dr . Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Haben wir hier eine Anti-EU-Debatte, oder wie?)


Das führt zu einem Kahlschlag auf voller Bandbreite .


(Dr . Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wo ist denn hier der Kahlschlag? Können Sie das mal erklären?)


Herr Präsident?


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1815003100

Lassen Sie dazu eine Zwischenfrage zu?


Alexander Radwan (CSU):
Rede ID: ID1815003200

Ja .


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1815003300

Bitte schön .


Lisa Paus (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1815003400

Herr Kollege Radwan, Ihnen ist sicherlich wie mir be-

kannt, dass für die Sparkassen Gesetze gelten und dies
Landesgesetze sind . Ich möchte Sie, wenn Sie nicht da-
rüber informiert sind, darüber in Kenntnis setzen, dass
beispielsweise das Land Berlin ein Sparkassengesetz
hat und die Grünen beantragt haben, darin das Konto für

Dr. Gerhard Schick






(A) (C)



(B) (D)


jedermann aufzunehmen, es aber nicht aufgenommen
wurde . Nach meinem Wissen gibt es maximal ein oder
zwei Bundesländer, in denen das Konto für jedermann
im Sparkassengesetz steht . Es wurde auch von den Spar-
kassen massiv bekämpft, dass das Konto für jedermann
verankert wird . Deswegen ist das, was Sie gerade gesagt
haben, schlichtweg nicht richtig .


Alexander Radwan (CSU):
Rede ID: ID1815003500

Das eine ist die gesetzliche Regelung, Frau Kollegin .

Das andere ist die Selbstverpflichtung zu einem Basisgi-
rokonto, einem Bürgerkonto . Da waren die Sparkassen
nach meinem Kenntnisstand in Deutschland und sogar
in Europa Vorreiter . Oder wollen Sie das infrage stellen?


Lisa Paus (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1815003600

Ja .


Alexander Radwan (CSU):
Rede ID: ID1815003700

Dann haben wir halt einen Dissens . Die Sparkassen

waren hier beispielhaft .

Ich erwähne es deswegen, weil Sie von der Oppositi-
on – das ist der Punkt, auf den ich hinaus will – den Ge-
setzentwurf zur Einlagensicherung begrüßt haben – ent-
schuldigen Sie, dass ich jetzt kurz zur Einlagensicherung
komme –, der gerade diese Struktur der in der Region
verwobenen, verbrauchernahen Institute, die sehr ver-
braucherfreundlich ist, gefährdet . Sie begrüßen es, diesen
Weg der europäischen Ebene zu gehen, aber wir kriti-
sieren das . Wir wollen bestehende bürgernahe Strukturen
schützen und aufrechterhalten .


(Dr . Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Reden Sie doch einmal zum Thema!)


– Nein, das ist für mich ein Thema . Sie gehen den Weg
in Richtung eines einheitlichen europäischen Breis . Sie
begrüßen das .


(Dr . Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was soll denn dieser nationalistische Einschlag?)


Sie wollen eine einheitliche europäische Regulierung,
die bewirkt, dass die Großen mit den Kleinen gleichge-
setzt werden, wie bei der Einlagensicherung, wie bei der
Bankenunion . Sie sagen: Wir brauchen einheitliche Re-
gelungen, mit denen die Großen mit den Kleinen auf eine
Ebene gesetzt werden . – Das wollen wir genau nicht .


(Beifall bei der CDU/CSU – Dr . Jens Zimmermann [SPD]: Wir wollen, dass jeder ein Konto bekommt! Das wollen wir doch!)


In diesem Zusammenhang sind drei Bereiche genannt
worden . Das Basiskonto wurde erwähnt . Dann ist der
Wechsel zwischen Banken zu nennen . Das ist ein gutes
Ziel, ein Ziel, das den Wettbewerb stärkt . Wir werden
darüber diskutieren, inwieweit wir es zukünftig mit ei-
nem Systembruch zu tun haben; denn die Digitalisierung
schreitet hier voran . Zukünftig wird es nicht um die Fra-
ge gehen, ob einer beispielsweise von der Sparkasse zu
einer Genossenschaftsbank wechselt . Vielmehr werden

wir verstärkt darüber diskutieren müssen, ob jemand von
einer traditionellen Bank zu einer im digitalen Bereich
tätigen Bank wechselt . Es ist sehr wichtig, zu schauen,
inwieweit diese Möglichkeit vorhanden ist und inwie-
weit ein Systembruch notwendig ist oder nicht .

Ich begrüße sehr stark den Vorstoß zum Thema Ent-
gelttransparenz . Ich möchte an die Finanzwirtschaft die
mit einer Kritik verbundene Bitte richten: Natürlich gibt
es unterschiedliche Produkte, die unterschiedliche Be-
standteile aufweisen, aber wichtig ist – das ist schon sehr
lange Thema –, eine einfache Information zu geben, eine
Information, die Produkte relativ schnell vergleichbar
macht . Wenn man dann immer auf verschiedene Pake-
te verweist, kann man natürlich gut in die Irre führen .
Die Finanzwirtschaft hat die Chance, entsprechende Vor-
schläge zu machen . Bis jetzt habe ich hierzu leider keine
Vorschläge gesehen .

Die Geldwäscherichtlinie und -verordnung wurden
erwähnt . Ich halte den Aspekt, den der Staatssekretär im
Hinblick auf die Geldwäscheverordnung erwähnt hat, für
richtig . Trotzdem sollten wir in der weiteren Beratung
gerade vor dem Hintergrund der Terrorismusfinanzierung
und der in Europa und weltweit aufkommenden höheren
Sensibilität dazu kommen, dass wir auch andere Rechts-
gebiete prüfen . Wir wollen nicht, dass durch ein Gesetz
für einen Bereich in anderen Rechtsbereichen zusätzliche
Gefährdungen entstehen . Man muss sich anschauen, in-
wieweit eine entsprechende Problematik besteht, Stich-
wort: USA, bzw . inwieweit wir Gefährdungen mit gutem
Gewissen ausschließen können .

Ich begrüße es sehr, dass wir die Richtlinie jetzt um-
setzen . Sie stammt übrigens aus dem Jahr 2013/2014 .
Damals hatten wir nicht die jetzt aktuelle Situation mit
den Flüchtlingen . Die BaFin hat aus meiner Sicht völlig
zu Recht für Erleichterung beim Zugang zu Konten ge-
sorgt . Das ist zu begrüßen . Wir müssen das aber gerade
unter dem Gesichtspunkt der Umsetzung der Geldwä-
scherichtlinie und der Geldwäscheverordnung entspre-
chend handhaben .

Einen letzten Aspekt kann ich mir nicht verkneifen .
Vorhin wurde darüber geredet, dass wir für die neuen Re-
gelungen Werbung machen müssen . Viele Redner haben
zu Recht betont, wie wichtig ein Konto ist, um am sozi-
alen Leben in Deutschland teilhaben zu können . Das be-
trifft die Miete, den Arbeitsvertrag und andere Bereiche .
Aber wenn der Druck so groß ist – und das ist unter al-
len Fraktionen unbestritten –, dann ist, glaube ich, keine
Werbung notwendig .

Es ist schlicht und ergreifend so, dass mit diesem Ge-
setz ein gangbarer Weg gegangen wird . Ihn werden wir
jetzt mit den Beratungen eröffnen . Ich denke, wir werden
am Schluss ein gutes Gesetz hinbekommen .

Besten Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Lisa Paus






(A) (C)



(B) (D)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1815003800

Nächster Redner ist der Kollege Jens Zimmermann

für die SPD-Fraktion .


(Beifall bei der SPD)



Dr. Jens Zimmermann (SPD):
Rede ID: ID1815003900

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lassen Sie

mich nach der Rede des Kollegen Radwan noch einmal
klarstellen, was wir eigentlich wollen und warum wir die-
ses Gesetz machen: Wir wollen ein Konto für alle, darum
geht es heute Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen .


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Über alle anderen Nebenkriegsschauplätze werden wir
uns noch in anderen Debatten austauschen können .

Es ist angesprochen worden: Ohne Konto steht man
im Alltag vor vielen Problemen, sei es bei der Miete, sei
es im Beruf . Aber ich will auch noch einmal auf einen
Bereich bzw . eine Personengruppe eingehen, die im-
mer größer wird: Das sind die Geflüchteten, die wir in
Deutschland haben . Wir müssen uns doch fragen: Ist es
wirklich sinnvoll, dass sie ganz viele Geschäfte mit Bar-
geld abwickeln müssen? Ist es sinnvoll, dass sie auf Pre-
paidkarten usw . ausweichen müssen? Aus Gesprächen
mit Bürgermeisterinnen und Bürgermeistern und Land-
rätinnen und Landräten weiß ich, welchen Aufwand das
Hantieren mit großen Bargeldsummen für die Behörden
und Ämter bedeutet . Auch in einer Unterkunft mit nur
100 Leuten machen kleine Beträge am Ende große Sum-
men aus . Ich glaube, es kann nicht in unserem Interesse
sein, dass diese Menschen auch langfristig alles nur bar
abwickeln können .


(Beifall bei der SPD sowie des Abg . Dr . Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Als jemand, der sich sehr intensiv mit dem Thema
Geldwäsche beschäftigt, will ich an dieser Stelle eines
ganz klar sagen: Unser Ziel muss es sein, dass möglichst
viele Menschen ihre Geschäfte elektronisch abwickeln,
über regulierte Konten, weil wir dadurch die Möglich-
keit haben, entsprechende Erkenntnisse zu gewinnen und
Ermittlungsansätze für die Strafverfolgungsbehörden zu
finden. Also ist das Konto für alle eben gerade nichts,
was der Geldwäsche Vorschub leistet, sondern ein Instru-
ment zur Geldwäschebekämpfung .


(Beifall bei der SPD)


An dieser Stelle will ich auf die Bedenken eingehen,
die von einigen Banken jetzt ins Feld geführt werden .
Über diese Bedenken muss ich mich sehr wundern . Un-
sere deutschen Banken in den USA – die USA sind als
Problemfeld explizit angesprochen worden – haben doch
ein wesentliches Problem: Sie werden in den USA von
einem Prozess zum nächsten gezerrt, weil sie sich nicht
an die dortigen Gesetze gehalten haben. Ich finde es – das
muss ich schon sagen – billig, wenn diese Probleme, die
deutsche Banken mit den Strafermittlungs- und Strafver-
folgungsbehörden in den USA haben, jetzt herangezogen
werden, um zu sagen: Vielleicht bieten wir lieber doch

kein Konto für alle an, weil uns in den USA Ärger drohen
könnte . – Das halte ich für nicht gerechtfertigt .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wir haben vorgestern im Finanzausschuss auch die-
ses Thema diskutiert. Ich finde es erstaunlich, dass die-
jenigen, die dieses Argument vorbringen, auf die Frage:
„Welche Gesetze stehen dem denn entgegen?“ mit gro-
ßem Schweigen antworten . Das zeigt mir, dass das ein
vorgeschobenes Argument ist, um dieses Konto nicht an-
bieten zu müssen .

Wir als SPD-Fraktion werden in den anstehenden
Verhandlungen und in der Anhörung sehr genau darauf
achten, dass wir uns um die Dinge kümmern, die wirk-
lich wichtig sind: Am Ende sollen alle Menschen Zugang
zu einem Basiskonto erhalten . Diese Manöver zielen nur
darauf, ökonomisch vermeintlich uninteressante Kunden
nicht bedienen zu müssen . Das werden wir verhindern .

Ich will auch eines sagen: Einer der bekanntesten Un-
ternehmensgründer der USA, ein Milliardär, hat syrische
Eltern gehabt: Das war Steve Jobs . Vielleicht sollte sich
die eine oder andere Bank einmal Gedanken darüber ma-
chen, ob nicht der zukünftige Steve Jobs und damit ein
potenter Kunde heute unter diesen vermeintlich ökono-
misch uninteressanten Kunden ist .

Vielen Dank .


(Beifall bei der SPD sowie der Abg . Antje Tillmann [CDU/CSU])



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1815004000

Letzte Rednerin zu diesem Tagesordnungspunkt ist

die Kollegin Mechthild Heil für die CDU/CSU-Fraktion .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Mechthild Heil (CDU):
Rede ID: ID1815004100

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Die Zeiten, in denen man am Ende des Monats
sein Gehalt in einer Lohntüte bekommen hat, sind wirk-
lich schon lange vorbei . Schon seit 1957 kann man sein
Gehalt auf ein Girokonto überweisen lassen . Wir haben
es heute schon mehrfach gehört: Die Miete, der Strom,
aber auch der Vereinsbeitrag und vieles andere mehr wer-
den heute nicht mehr bar bezahlt . Ein eigenes Konto und
eine eigene Zahlkarte sind heute eine Selbstverständlich-
keit . Ich glaube, die jungen Leute auf der Tribüne können
sich das gar nicht anders vorstellen . Dazu kommen natür-
lich neue Tendenzen: der wachsende Internethandel, aber
auch die Digitalisierung der Verwaltungen . Egal ob Sie
Steuern zahlen, Steuern nachzahlen, Steuern zurückbe-
kommen oder zum Beispiel Hartz IV bekommen, eigent-
lich geht alles bargeldlos .

Im meinem Landkreis Mayen-Koblenz – immerhin
der größte Landkreis in Rheinland-Pfalz – gibt es heute
keinen Hartz-IV-Empfänger mehr, der kein Konto hat . Er
ist schwarz regiert . Ich sage Ihnen: Wenn man sich ein
bisschen darum gekümmert hat, war das Konto für alle
auch schon in der Vergangenheit möglich .






(A) (C)



(B) (D)


Die Tendenz zum bargeldlosen Zahlen ist steigend . In
den Supermärkten und auch an der Tankstelle wird bar-
geldlos gezahlt . Ich gehöre zu denjenigen, die das Zahlen
mit Bargeld nicht abschaffen wollen . Ich bin nach wie
vor dafür, dass man Bargeld verwendet, und ich finde,
dass es in Deutschland eine gute Entwicklung ist, dass
man weiterhin Bargeld benutzt . Aber ich will natürlich
nicht, dass manche Verbraucher auf Bargeldgeschäfte
beschränkt werden, weil sie kein Konto haben können .

Bislang – wir haben das schon erwähnt – haben die
Sparkassen diese Lücke geschlossen, wenn auch nicht
in allen Bundesländern . Sie haben vollkommen recht:
Auch da ist Berlin ein Negativbeispiel; hier haben die
Sparkassen ihre Aufgabe nicht übernommen . Die Euro-
päische Union sagt, dass 1 Million Menschen bei uns in
Deutschland kein Konto haben; wir gehen von 700 000
oder 600 000 Menschen aus . Ich will mich über die Zah-
len gar nicht streiten . Es sind auf jeden Fall eine Menge
Menschen zu viel, die kein eigenes Konto haben . Manch
einer von denen will gar kein Konto; diesen Menschen
wollen wir auch kein Konto aufzwingen . Aber das ist
kein Grund, es denjenigen zu verweigern, die Zugang zu
einem Konto benötigen .

Deshalb begrüße ich es, dass wir heute in der ersten
Lesung dieses Zahlungskontengesetz auf den Weg brin-
gen . Die Frage ist natürlich: Wer hat jetzt ein Recht, ein
solches Basiskonto zu eröffnen? Das ist jeder Verbrau-
cher mit einem rechtmäßigen Aufenthalt in der Europäi-
schen Union . Das sind erstmals aber auch Personen ohne
festen Wohnsitz . Das sind alle Asylsuchenden sowie
Personen ohne Aufenthaltstitel, die aber aus rechtlichen
oder tatsächlichen Gründen nicht abgeschoben werden
können .

Bereits 1995 haben sich die Banken in Deutschland
selbst zu der Einrichtung eines sogenannten Jeder-
mann-Kontos verpflichtet. Das ist 20 Jahre her. Einige
Banken sind dieser Selbstverpflichtung nachgekommen,
aber viel zu viele haben sich in diesem Bereich nicht en-
gagiert . Auch wenn jetzt in Deutschland verhältnismäßig
viele Menschen ein eigenes Konto haben – wir haben die
Zahlen gehört –, muss ich ganz ehrlich sagen: Das En-
gagement der gesamten Branche hat nicht ausgereicht .
Ehrlich gesagt, ich finde es schade, dass gerade eine
Branche, die immer mehr und manchmal – auch das sage
ich – durchaus berechtigt über zunehmende Reglemen-
tierung lamentiert, in diesen 20 Jahren keine Kraft hatte,
eine solche Selbstverpflichtung umzusetzen.

Deshalb bessern wir als Gesetzgeber jetzt nach, und
zwar auch – Sie haben recht – mithilfe der Europäischen
Union . Wir bessern so nach, dass alle Institutsgruppen –
dies wurde übrigens schon im Koalitionsvertrag verein-
bart – in angemessener Weise beteiligt sind . Das geht
nicht ohne gewisse Eingriffe in die Vertragsfreiheit der
Banken . Ein Konto für alle bedeutet dann eben auch für
alle und nicht nur für den, den sich die Bank aussucht .

Was muss ein Basiskonto alles können? Wir haben es
schon gehört: Überweisungen sowie Barein- und -aus-
zahlungen müssen möglich sein, man muss Lastschriften
tätigen können, und natürlich müssen auch Kartenzah-
lungen möglich sein . Die Kosten müssen angemessen,

marktüblich und verhältnismäßig sein. Ich finde es rich-
tig, dass es nicht kostenlos ist . Die Bedingungen für das
Basiskonto dürfen nicht schlechter sein als die bei ande-
ren Zahlungskonten des gleichen Institutes .

Ein Basiskonto – das möchte ich an dieser Stelle auch
ganz klar sagen – ist keinesfalls ein Freifahrtschein zum
Leben auf Pump . Denn es besteht lediglich ein Recht auf
ein Guthabenkonto . Das Recht auf einen Kredit oder auf
einen Disporahmen hat man damit nicht . Es geht also
wirklich nur um die Grundfunktionen eines Kontos . Al-
les andere ist freiwillig: Überziehungskredite müssen
nach wie vor frei zwischen der Bank und dem Kunden
ausgehandelt werden . Wenn es dann zu Problemen mit
dem Kreditinstitut kommt, kann der Kunde sich auf drei
Wegen Hilfe suchen:

Erstens . Er kann sich an die BaFin wenden . Die Bun-
desanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht kann dann
als zuständige Behörde den Anspruch des Verbrauchers
auf ein Basiskonto mit den Mitteln eines Verwaltungsak-
tes durchsetzen, natürlich nur, wenn auch keine Ableh-
nungsgründe vorliegen .

Zweitens . Wie immer kann der Verbraucher den or-
dentlichen Rechtsweg beschreiten .

Drittens . Er kann sich für eine alternative Streitbeile-
gung – wir sprechen von Schlichtungsstellen – entschei-
den . Die Schlichtungsverfahren, die dann bei der BaFin
angesiedelt sind, sind für den Kunden kostenlos .

Sie sehen daran, meine Damen und Herren: Wir
schreiben nicht einfach nur die Ziele in ein Gesetz hi-
nein, nein, wir sorgen auch dafür, dass die Verbraucher
ihr Recht auch wirklich durchsetzen können .

Und ein weiteres Thema packen wir an: Wir erleich-
tern den Wechsel zwischen den Kreditinstituten . Bisher
war es wirklich eine große Arbeit und war mit gewis-
sen Hürden und Mühen verbunden, die Bank zu wech-
seln; der eine oder andere von uns oder von Ihnen wird
es schon einmal gemacht haben . Das soll jetzt leichter
werden . Dass Lastschriften, Auf- und Abbuchungen und
Daueraufträge einzeln geändert und übertragen werden
mussten, das ändern wir nun . Künftig wird die übertra-
gende Bank verpflichtet, Lastschriften und dergleichen
an die empfangende Bank zu melden . Ich gehe wirklich
davon aus, dass wir mit diesem Mittel bald deutlich mehr
unzufriedene Kunden dazu bewegen können, von dem
Recht Gebrauch zu machen und die Bank zu wechseln .
Das ist gut so; denn das erhöht noch einmal den Wettbe-
werb unter den Banken .

Den Wettbewerb zwischen den Banken zugunsten der
Verbraucher fördern wir auch beim Thema „Vergleich-
barkeit von Zahlungsentgelten“ . Wie kommt – auch das
war vorhin schon die Frage – der Kunde an diese Infor-
mationen? Klar, zuerst einmal ist die Bank in der Ver-
pflichtung – das haben wir auch schon geregelt –, die In-
formationen an den Kunden zu geben . Aber gleichzeitig
können Verbraucher auch auf einer zertifizierten Websei-
te – zumindest wollen wir das so – diese Informationen
in Zukunft abrufen .

Insgesamt kann ich sagen: Das wird ein gelungenes
Gesetz, wenn wir es dann nach der dritten Lesung verab-

Mechthild Heil






(A) (C)



(B) (D)


schiedet haben . Auch mit diesem Gesetz steht die CDU/
CSU für klare Kundeninformation . Wir stehen für mehr
Wettbewerb zwischen den Kreditinstituten, und wir stär-
ken auch hier einmal wieder die Marktmacht der Ver-
braucher . Ein guter Schritt in Richtung „Verbraucher auf
Augenhöhe“ .

Vielen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1815004200

Ich schließe die Aussprache .

Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzent-
wurfes auf Drucksache 18/7204 an die in der Tagesord-
nung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen . Gibt es
dazu andere Vorschläge? – Das ist nicht der Fall . Dann
ist die Überweisung so beschlossen .

Dann kann ich nun Tagesordnungspunkt 18 aufrufen:

Beratung des Antrags der Abgeordneten Harald
Ebner, Steffi Lemke, Nicole Maisch, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN

Pestizide reduzieren – Mensch und Umwelt
schützen

Drucksache 18/7240
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft (f)

Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktor-
sicherheit

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind auch
für diese Aussprache 77 Minuten vorgesehen . – Das
scheint einvernehmlich zu sein . Also können wir so ver-
fahren .

Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Kollegen
Anton Hofreiter für die Antragsteller das Wort .


Dr. Anton Hofreiter (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1815004300

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Glyphosat ist das am häufigsten in Deutsch-
land verwendete Ackergift . Allein 5 Millionen Liter des
reinen Wirkstoffes werden Jahr für Jahr auf unsere Felder
und Äcker ausgebracht . Die WHO, die Weltgesundheits-
organisation, hat in ihrer jüngsten Untersuchung Glypho-
sat als wahrscheinlich krebserregend eingestuft . Das ist
die zweithöchste Stufe, die die WHO überhaupt kennt .
Wenn man weiß, wie vorsichtig, wie konservativ, wie
zurückhaltend die WHO bei diesen Einstufungen agiert,
dann heißt das: Glyphosat ist nach menschlichem Ermes-
sen in Wirklichkeit krebserregend .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Glyphosat findet sich inzwischen in den Körpern vie-
ler Menschen, nicht nur derer, die in der Nähe von Äckern
wohnen, sondern auch derer, die in den Innenstädten bei-
spielsweise von München oder Berlin wohnen . Woran
liegt das? Das liegt schlichtweg daran, dass Glyphosat
vom Acker in die Lebensmittel und so in unsere Körper

kommt . Es ist endlich an der Zeit, dass die Große Koa-
lition, dass ihr zuständiger Minister aufhört, diese wis-
senschaftlichen Erkenntnisse zu ignorieren . Handeln Sie
endlich; denn es ist überfällig!


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist sogar
noch schlimmer . Was hat denn die Bundesregierung trotz
dieser Erkenntnis getan? Sie hat das Gegenteil von dem
getan, was notwendig ist, und hat in Brüssel mit ihrer
ganzen Lobbykraft darauf hingewirkt, dass die Zulas-
sung für Glyphosat noch einmal um volle zehn Jahre ver-
längert wird . Das ist angesichts dieser Erkenntnisse mehr
als skandalös .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn man sich in
Brüssel umhört, dann beschleicht einen der Verdacht,
dass das überhaupt nichts mit wissenschaftlicher Er-
kenntnis zu tun hat und auch nicht allein mit der Lobby-
kraft der Agroindustrie oder der deutschen Bundesregie-
rung, sondern dass das schon ein peinlicher Vorgriff auf
die TTIP-Verhandlungen ist; denn in den USA wird Gly-
phosat noch umfangreicher verwendet als in Deutsch-
land . Glyphosat kommt bei uns – zum Glück – nur zum
Einsatz, bevor die Nutzpflanzen keimen; denn es ist ein
Totalherbizid, das nach der Ernte eingesetzt wird . Aber
in den USA gibt es gentechnisch veränderte, herbizidre-
sistente Pflanzen. Auch in anderen Ländern wie Brasilien
und Argentinien werden in großem Umfang glyphosatre-
sistente Pflanzen eingesetzt. Deshalb liegt der Verdacht
auf der Hand, dass Sie bereits im Vorfeld der Verhandlun-
gen wissenschaftliche Erkenntnisse ignorieren und sich
hier entsprechend dem Diktat unterwerfen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Katharina Landgraf [CDU/CSU]: Jetzt wird es gerade langsam spanisch! – Manfred Grund [CDU/CSU]: Konstruiert! Verdammt konstruiert!)


Das Bittere ist, dass der Pestizidverbrauch in Deutsch-
land trotz der problematischen Auswirkungen auf Natur
und Gesundheit steigt . Wir sind inzwischen bei einem
Pestizideinsatz von über 100 000 Tonnen pro Jahr . Das
sind umgerechnet 270 Tonnen, die täglich auf unsere Fel-
der und Äcker gespritzt werden .


(Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Skandalös!)


Diese Gifte sind nicht nur krebserregend, sondern auch
hormonschädigend . Da sie interagieren und sich ihre Ef-
fekte addieren und multiplizieren, sind viele der gesund-
heitsschädlichen Auswirkungen schwer abzuschätzen;
das ist noch nicht erforscht . Sorgen Sie deshalb nach dem
Vorsorgeprinzip endlich dafür, dass diese Gesundheits-
schäden ausbleiben, dass diese Schweinereien abgestellt
werden!


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Manfred Grund [CDU/CSU]: Das Angstprinzip ist das!)


Mechthild Heil






(A) (C)



(B) (D)


Nehmen wir als Beispiel Äpfel . Äpfel sind ein ei-
gentlich hervorragendes und gesundes Obst, das bei uns
einheimisch ist . Äpfel werden bei uns bis zu 24-mal mit
17 unterschiedlichen Mitteln gespritzt . Es ist daher über-
haupt nicht erstaunlich, dass konventionelles Obst zum
Teil 350-mal höher belastet ist als Bioobst . Und was
unternehmen Sie? Was tun Sie, um die Verbraucher zu
schützen?


(Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Gar nichts!)


Jetzt können wir natürlich sagen: Der Verbraucher kann
Bio kaufen . – Ja, der Verbraucher kann Bio kaufen . Das
kann man ihm insbesondere bei Obst nur raten . Aber Sie
tun ja auch nichts dafür, dass der Bioanbau zunimmt . Bei
den konventionellen Lebensmitteln lassen Sie den Ver-
braucher alleine . Das ist das Gegenteil von verantwor-
tungsvollem Verbraucherschutz .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Bitter ist auch: Sie ignorieren nicht nur die Erkennt-
nisse der WHO, sondern auch die Erkenntnisse des Bun-
desamtes für Naturschutz . In Deutschland ist inzwischen
jede dritte Tier- und jede dritte Pflanzenart vom Aus-
sterben bedroht . Damit zerstören Sie unsere natürliche
Vielfalt . Anders formuliert – wenn Sie es gerne christlich
haben –: Sie zerstören damit die Schöpfung .


(Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So ist es!)


Das sollte Ihnen als CDU/CSU doch etwas bedeuten .


(Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das haben die vergessen!)


Jede dritte bei uns lebende, natürlich vorkommende Art
ist vom Aussterben bedroht . Pestizide tragen einen er-
heblichen Teil dazu bei . Sie aber sind zu feige oder zu
ignorant, daran etwas zu ändern .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


In gewisser Hinsicht ist nachvollziehbar, dass Sie sich
nicht an dieses Thema herantrauen; denn allein BASF
und Bayer machen mit Pestiziden 13 Milliarden Euro
Umsatz . Da müsste man natürlich den Mut haben, sich
mit der Agroindustrie auseinanderzusetzen und zu sagen:
Wir haben die Erwartung, dass ihr innovative Produkte
herstellt, aber nicht Produkte, die die Gesundheit der
Menschen und die natürliche Artenvielfalt gefährden . –
Deshalb sage ich: Trauen Sie sich endlich an entspre-
chende Regelungen heran! Sie haben hier doch 80 Pro-
zent . Trauen Sie sich also irgendwann auch einmal etwas!


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, eine andere Land-
wirtschaftspolitik wäre möglich . Das beweisen die grü-

nen Landwirtschaftsminister in den Bundesländern Tag
für Tag .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Widerspruch bei Abgeordneten der CDU/ CSU)


Eine Agrarwende müsste aber vonseiten der Bundes-
ebene unterstützt werden . Da gibt es aber leider keinerlei
Unterstützung . Sie stellen sich ja gerne als Lobbyisten
der Landwirte dar . Wenn also wenigstens die Landwirte
von Ihnen profitieren würden! Aber was zeigen uns die
Zahlen? Die Anzahl der Bauernhöfe nimmt ganz massiv
ab . Deshalb: Noch nicht einmal den Landwirten nützt
Ihre Politik .


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1815004400

Herr Kollege .


Dr. Anton Hofreiter (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1815004500

Hören Sie deshalb endlich damit auf, die Augen da-

vor zu verschließen, dass der Pestizideinsatz zunimmt,
die Arten aussterben und wir Jahr für Jahr weniger Land-
wirte haben! Steuern Sie endlich um! Sorgen Sie endlich
für eine funktionierende Agrarwende! Sorgen Sie endlich
für eine grüne Landwirtschaftspolitik zugunsten der Ver-
braucher, zugunsten der Landwirte und zugunsten unse-
rer Natur!

Vielen Dank .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1815004600

Hermann Färber erhält nun das Wort für die CDU/

CSU-Fraktion .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Hermann Färber (CDU):
Rede ID: ID1815004700

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-

ren! Ich teile die Ansicht meines Vorredners definitiv
nicht .


(Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ups! – Dr . Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das hat mich jetzt aber erstaunt!)


Sehr geehrter Herr Hofreiter, ich kam aus dem Staunen
nicht mehr heraus, als ich Ihnen zugehört habe . Ihnen
dürfte in Sachen Verbraucherschutz schon bekannt sein,
dass in Zeiten Ihrer Regierungsverantwortung auf Bun-
desebene Ihre Fachministerin eine Genehmigung für Im-
portlebensmittel unterzeichnet hat, die 300-mal höhere
Rückstände an Pestiziden aufweisen, als es in Deutsch-
land zulässig ist . Ich wollte Ihnen das nur sagen . Viel-
leicht haben Sie das ja aus den Augen verloren .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Dr . Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Herr Färber, mich würde interessieren, was jetzt irgendeinem Verbraucher in irgendeinem Land heute nützt, das, was vor 10, 15 Jahren war!)


Dr. Anton Hofreiter






(A) (C)



(B) (D)


– Weiter möchte ich auf Ihre Rede jetzt nicht eingehen .
Das, was Sie gesagt haben, spricht für sich . Sie haben
aber natürlich wie auch ich das Recht, sich hier zu äu-
ßern .

Meine Damen und Herren, der Antrag der Grünen
macht eines ganz deutlich: Chemische Pflanzenschutz-
mittel sind heute so gut und so erfolgreich, dass sich nie-
mand mehr vorstellen kann, wie das Leben war, als es
diese Mittel noch nicht gegeben hat . Ein solcher Antrag
wäre völlig undenkbar, wenn heute noch die Erinnerung
daran lebendig wäre, wie früher ganze Landstriche dem
Hunger ausgeliefert waren, nur weil ein Pilz oder ein an-
derer Pflanzenschädling die komplette Nahrungsgrundla-
ge zerstört hat, wie es in früheren Zeiten in Irland mit der
Kartoffelfäule geschehen ist .

Fakt ist: Die heutige Sicherheit und Qualität unserer
Nahrungsmittelversorgung, die uns so selbstverständlich
erscheinen, sind ohne chemische Pflanzenschutzmittel
definitiv nicht zu erreichen.


(Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Oh, oh!)


Das muss an dieser Stelle einfach gesagt werden . Es gibt
auch heute Schädlinge, die letztendlich nur mit chemi-
schen Mitteln bekämpft werden können . Ein Beispiel da-
für ist die Kirschessigfliege, die im letzten Jahr zu mas-
siven Schäden im Obst- und Weinbau geführt hat . Zur
Bekämpfung dieses Schädlings schreibt der BUND Re-
gionalverband Südlicher Oberrhein auf seiner Webseite:

Biologische Schädlingsbekämpfungsmittel werden
erforscht, sind aber noch längst nicht praxisreif .

Es gibt hier, wie in vielen anderen Fällen auch, eben kei-
ne wirksame Alternative zu chemischen Pflanzenschutz-
mitteln .

Ich stelle aber positiv fest: In dem Antrag der Grünen
kommt der Begriff „Forschung“ zumindest noch vor .


(Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Noch besser wäre es allerdings gewesen, wenn Sie die
zahlreichen Bemühungen dieser Bundesregierung dazu
zur Kenntnis genommen hätten . Ich erwähne hier nur
die Förderung von Demonstrationsbetrieben für den inte-
grierten Pflanzenschutz, die Resistenzforschung und die
Forschung an vorbeugenden und nichtchemischen Pflan-
zenschutzmaßnahmen . Dafür haben wir auch die not-
wendigen Mittel im Bundeshaushalt eingestellt; denn wir
wollen den Landwirten Lösungen anbieten, die wirklich
praxistauglich sind . Ich bin davon überzeugt: Das ist der
bessere Weg zu noch gesünderem und umweltverträgli-
cherem Pflanzenschutz als eine pauschale Verunglimp-
fung .

Im Antrag der Grünen wird es so dargestellt, als sei
ein Verzicht auf diese Mittel in jedem Fall und ohne jede
Ausnahme besser und gesünder als ihre Anwendung . Ge-
nau das ist eben falsch . Was vielen Verbrauchern nicht
bewusst ist: Jedes pflanzliche Lebensmittel enthält auch
natürliche Pestizide, die von den Pflanzen selbst herge-
stellt werden . Der amerikanische Biochemiker Bruce
Ames ist bei seinen Untersuchungen zu dem Ergebnis
gekommen, dass 99,99 Prozent der in Lebensmitteln ent-

haltenen schädlichen Stoffe solch einen natürlichen Ur-
sprung haben . Nur 0,01 Prozent kommen aus künstlichen
Quellen .

Erst kürzlich hat das Bundesamt für Verbraucher-
schutz und Lebensmittelsicherheit in 56 Prozent aller
untersuchten Honigproben Alkaloide gefunden, die für
den Menschen giftig sind . Ihnen von den Grünen war das
aber keine Warnung wert . Ich gehe davon aus, dass der
Grund dafür ist, dass die Quelle dieser Alkaloide eben
kein Industrieunternehmen ist, das man an den Pranger
stellen kann . Man kann es nicht einmal dem Freihan-
delsabkommen zuordnen, sondern es handelt sich um
in der Natur wachsende Pflanzen wie etwa das Jakobs-
kreuzkraut . Dadurch wird ganz klar: Auch der Verzicht
auf Pflanzenschutzmittel kann die Gesundheitsgefahren
erhöhen .


(Beifall bei der CDU/CSU – Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Können Sie das statistisch belegen, Herr Färber? Es gibt keine Statistik, die das beweist!)


Beispielsweise ist Getreide oft von Pilzerregern befal-
len, die dann ihrerseits wieder Mykotoxine ausscheiden .
Diese Mykotoxine sind gesundheitlich sehr bedenklich .
Ohne den Einsatz beispielsweise von Fungiziden würde
diesen pflanzlichen Parasiten und damit auch der Bildung
ihrer giftigen Stoffe nicht Einhalt geboten werden kön-
nen .

Für die Anwendung von Pflanzenschutzmitteln gibt es
also sehr gute Gründe . Vor- und Nachteile müssen na-
türlich in jedem Einzelfall sorgsam abgewogen werden .
Das ist die korrekte Anwendung des Vorsorgeprinzips .
Genau diese Abwägung aber findet offensichtlich bei
den Grünen schlichtweg nicht mehr statt . Das ist ebenso
unwissenschaftlich wie unrealistisch und auch unverant-
wortlich .

Selbstverständlich müssen Pflanzenschutzmittel aus-
reichend reguliert werden . Das werden sie aber heute
schon . Wir haben in Deutschland und in Europa eines
der strengsten Regulierungssysteme der Welt . Es beruht
auf mehreren Säulen: auf einem wissenschaftlich basier-
ten Zulassungssystem für einzelne Wirkstoffe und Mit-
tel, einem Sachkundenachweis für die Landwirte, wel-
che die Mittel anwenden, sowie auf Kontrollen über die
sachgerechte Anwendung . In Deutschland gibt es genaue
Anwendungsbestimmungen, wie viel von einem Mittel
in welchem Zeitraum mit welcher Ausbringungstechnik
und mit wie viel Abstand zum Waldrand und zu Gewäs-
sern ausgebracht werden darf . Diese hohen Standards
sind uns von der Union sehr wichtig . Ebenso wichtig ist
uns die wissenschaftliche Basis des Zulassungsprozes-
ses .

In diesem Zusammenhang will ich, auch wenn es Sie
verwundert, Frau Renate Künast ausdrücklich loben .


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das wundert uns gar nicht! Dazu gibt es Anlass!)


Hermann Färber






(A) (C)



(B) (D)


Frau Künast ist heute – ich sehe sie nicht – leider nicht
da .


(Dr . Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Der jetzige Landwirtschaftsminister ist auch nicht da!)


Wir haben sicherlich inhaltlich eine Reihe von Differen-
zen; aber die Gründung des Bundesinstituts für Risikobe-
wertung war eine völlig richtige und sehr gute Entschei-
dung von Frau Künast .


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ihr wart doch dagegen! – Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Union war damals dagegen!)


Das BfR ist heute für seine Bewertungspraxis und seine
fachliche Arbeit international hoch anerkannt . Dafür be-
danke ich mich auch bei den Mitarbeitern dieses Instituts .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Es ist aber völlig inakzeptabel, wenn diese Mitarbeiter
massivem Druck politischer Kampagnen ausgesetzt wer-
den .

Zulassungen von Pflanzenschutzmitteln sind in Euro-
pa klar und streng geregelt . Jeder Hersteller, der ein Mit-
tel auf den Markt bringen will, benötigt zuerst eine Zu-
lassung des Wirkstoffs auf europäischer Ebene, die dann
nach zehn Jahren automatisch ausläuft und neu beantragt
werden muss . Der Hersteller muss die Unschädlichkeit
des Produkts für Umwelt und Gesundheit nachweisen .
Dazu müssen die Hersteller den staatlichen Bewertungs-
behörden aufwendige Studien vorlegen . Es gibt die inter-
national festgelegten Standards guter Laborpraxis . Da-
durch ist sichergestellt, dass diese Studien zu korrekten
und nachprüfbaren Ergebnissen führen . Diese Studien
werden dann von den staatlichen Bewertungsbehörden
überprüft . Dieser Prozess läuft gerade bei Glyphosat .

Da bei dieser Zulassung auf europäischer Ebene nur
der reine Wirkstoff überprüft und zugelassen wird, ist
es völlig richtig, dass das Bundesinstitut für Risikobe-
wertung als Berichterstatter für die Europäische Union
eben nur solche Studien verwenden kann, die sich aus-
schließlich mit diesem Wirkstoff befassen, nicht aber mit
kompletten Mischungen oder Beistoffen; denn die kom-
pletten Mischungen, mit allen Zusatzstoffen und Beistof-
fen, werden anschließend in einem zweiten Schritt auf
nationaler Ebene geprüft und zugelassen . Wer dieses Ver-
fahren des BfR kritisiert, der hat entweder schlicht und
ergreifend den Prozess der Zulassung nicht verstanden
oder – naheliegender – will ihn einfach nicht verstehen .

Wir halten auf jeden Fall an verlässlichen wissen-
schaftlichen Standards fest . Sie sind die Basis sowohl für
korrekte Zulassungsverfahren als auch für korrekte Ver-
braucherinformation . Wir von der Union wollen wissen-
schaftsbasierte und rechtssichere Zulassungsverfahren .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Die Zulassung eines Pflanzenschutzmittels muss
auch in Zukunft allein von der wissenschaftlich nachge-
wiesenen Unschädlichkeit für Umwelt, Anwender und
Verbraucher abhängen . Nur wenn auch für die Herstel-

ler diese Rechtssicherheit besteht, werden sie weiter in
Forschung und Entwicklung investieren, um noch zielge-
nauere und noch umweltfreundlichere Produkte zu ent-
wickeln . Das liegt im Interesse von uns allen .

Pflanzenschutz ist für die Ernährung von 7 Milliarden
Menschen auf dieser Erde unverzichtbar . Wir von der
CDU/CSU-Bundestagsfraktion arbeiten weiter an kon-
kreten Lösungen für konkrete Probleme . Aber ich bitte
Sie um Verständnis dafür, dass wir uns nicht an Stim-
mungsmache und entsprechenden Kampagnen beteili-
gen .

Herzlichen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1815004800

Die Kollegin Karin Binder hat nun das Wort für die

Fraktion Die Linke .


(Beifall bei der LINKEN)



Karin Binder (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1815004900

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Meine Damen und Herren! Obst und Gemüse sind wich-
tige Bestandteile einer gesunden und ausgewogenen Er-
nährung . Umso schlimmer ist, dass immer mehr Rück-
stände von Pflanzenschutzmitteln in unseren wichtigsten
Lebensmitteln festgestellt werden .


(Ingrid Pahlmann [CDU/CSU]: Das stimmt doch gar nicht!)


Deshalb ist es gut, dass wir heute durch den Antrag der
Grünen die Möglichkeit haben, die ernstzunehmenden
Auswirkungen auf Gesundheit und Umwelt zu behan-
deln .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Nach Angaben des Bundesamtes für Verbraucher-
schutz und Lebensmittelsicherheit ist die Beanstan-
dungsquote aufgrund von Grenzwertüberschreitungen
mit 1,4 Prozent der untersuchten Proben äußerst gering .
Doch bei genauem Hinsehen entpuppt sich diese Angabe
als höchst bedenkliche Verbrauchertäuschung . Tatsache
ist: Die Beanstandungen sind so niedrig, nicht weil die
Schadstoffbelastung reduziert wurde, sondern weil die
Grenzwerte vieler Pestizide in den vergangenen Jahren
immer wieder angehoben wurden . Auf Wunsch des Her-
stellers Monsanto wurde zum Beispiel der Grenzwert für
das vermutlich krebserregende Glyphosat im Jahr 2011
von 0,1 auf 10 Milligramm pro Kilogramm Körperge-
wicht eines erwachsenen Menschen erhöht, also um das
Hundertfache . Da brauche ich mich nicht mehr zu wun-
dern, dass ein Überschreiten der Grenzwerte kaum noch
festgestellt wird .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Die Verbraucher nehmen also, während die Zahl der
Beanstandungen mangels regelmäßiger Kontrollen sinkt,

Hermann Färber






(A) (C)



(B) (D)


unwissentlich und unbewusst immer mehr Gifte auf . Das
ist ein Skandal .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Bestimmte Pestizide können das Gehirn schädigen, Par-
kinson und Alzheimer fördern, die Fortpflanzung beein-
trächtigen oder Krebs auslösen . Besonders Kinder und
schwangere Frauen werden durch diese Gifte gefährdet .
Dagegen müssen wir etwas tun .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Kollege Hofreiter hat darauf hingewiesen: Allein Äp-
fel werden mit bis zu 17 unterschiedlichen Substanzen
behandelt, bevor sie in unserem Einkaufskorb landen .
Diese Chemiecocktails und ihre Auswirkungen werden
bisher jedoch kaum untersucht . Über viele Jahre nehmen
wir täglich Substanzen auf, zwar in geringen Mengen,
aber dafür viele unterschiedliche Stoffe . Wir essen jeden
Tag Gift .

Auch die Umwelt leidet . Viele Kleinstlebewesen ster-
ben durch diese Art von Pflanzenschutz. Sie verschwin-
den einfach . Das heißt, ein Teil der Nahrungskette ist
weg . Bienen, die eigentlich Obstbäume bestäuben soll-
ten, werden durch Pestizide vergiftet oder geschwächt .
Sie verlieren die Orientierung, fallen der Varroa-Milbe
zum Opfer, und im Honig tauchen Rückstände auf .

Wir haben aber auch noch ein anderes Problem . Der
Großteil der Rückstandsuntersuchungen wird von den
Herstellern selbst vorgenommen . Das ist in etwa so, als
dürfte der Autobesitzer die TÜV-Prüfung selbst durch-
führen – alles auf Vertrauensbasis .


(Dr . Petra Sitte [DIE LINKE]: Oh! Das ist eine gute Idee!)


Aber Spaß beiseite . Erzeuger stehen täglich im Kon-
flikt zwischen ihrem Ertrag und dem Verbraucherschutz.
Die Händler nehmen nur noch Eins-a-Ware ab – das ist
im Übrigen eine rein optische Angelegenheit –, angeb-
lich, weil die Verbraucher es so wollen . Ich glaube das,
ehrlich gesagt, nicht . Aber das ist eine andere Geschichte .

Ich frage mich: Wie sollen die schädlichen Wirkstoffe
in Obst und Gemüse untersucht werden? Die amtlichen
Überwachungsbehörden jedenfalls sind seit Jahren chro-
nisch unterfinanziert, schlecht ausgestattet und haben zu
wenig Personal. Unangemeldete Kontrollen finden heute
kaum noch statt . Was dabei herauskommen kann, haben
uns die Lebensmittelskandale der vergangenen Jahre ge-
zeigt: Gammelfleisch, EHEC, Dioxin oder zuletzt der
Bayern-Ei-Skandal .

Mehr als 40 000 Tonnen Pestizide werden jährlich in
Deutschland auf den Feldern versprüht . Äpfel werden bis
zur Ernte mehr als 20-mal gespritzt . Wenn Labore heute
einen Apfel auf Pestizidrückstände untersuchen wollen,
dann müssten sie bis zu 500 chemische Wirkstoffe be-
rücksichtigen . Das ist teuer . Es gibt nur eine Lösung: Der

Einsatz der Pestizide, der sogenannten Pflanzenschutz-
mittel, muss drastisch reduziert werden .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wir müssen Anbaumethoden entwickeln, die letztendlich
ohne den Chemiecocktail auskommen . Das hat vielleicht
seinen Preis, aber es nützt: Es schützt Umwelt und Ge-
sundheit und schafft vermutlich auch neue Arbeitsplätze .

Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1815005000

Rita Hagl-Kehl ist die nächste Rednerin für die

SPD-Fraktion .


(Beifall bei der SPD)



Rita Hagl-Kehl (SPD):
Rede ID: ID1815005100

Danke schön . – Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe

Kolleginnen und Kollegen! Die Kollegen von Bünd-
nis 90/Die Grünen haben für ihren Antrag einen Titel ge-
wählt, zu dem man schwer Nein sagen kann .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der Abg . Karin Binder [DIE LINKE])


– Nicht zu voreilig klatschen . – Ich bin mir sicher, dass
wir uns alle in unserer politischen Arbeit dafür einsetzen,
Mensch und Umwelt zu schützen . Wie man das tut und
ob die Herangehensweise dieses Antrages die richtige ist,
ist eine andere Frage .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Zunächst möchte ich auf die Schwerpunkte der sozi-
aldemokratischen Agrarpolitik eingehen, die ich schon
mehrmals im Plenum und im Ausschuss deutlich ge-
macht habe . Für uns steht der Schutz der Verbrauche-
rinnen und Verbraucher an erster Stelle . Wir wollen eine
nachhaltige Entwicklung der Landwirtschaft, die auch
ressourcenschonend ist .


(Beifall bei der SPD)


Die Beachtung der Gesundheit von Menschen und Tieren
sowie die Folgen für die Umwelt sind für uns ein wich-
tiger Punkt . Wir wollen die Produktion von gesunden,
qualitativ hochwertigen und auch wettbewerbsfähigen
Lebensmitteln . Ein verantwortungsvoller Umgang mit
Pflanzenschutzmitteln, nachhaltiger Schutz der Gesund-
heit und die Fruchtbarkeit unserer Böden sind ausschlag-
gebende Gründe dafür, dass wir uns sehr eingehend mit
diesem Thema beschäftigt haben .

Jetzt von der Theorie zur Wirklichkeit: Derzeit haben
wir in Deutschland trotz rechtlicher Vorgaben und hof-
fentlich artgerechter Anwendung von Pflanzenschutz-
mitteln überschrittene Rückstandshöchstgehalte in Ge-
wässern und Lebensmitteln sowie Schäden an Bienen
und Wirbeltieren . Der intensive Einsatz von Pestiziden
bewirkt eine anhaltende Abnahme der biologischen

Karin Binder






(A) (C)



(B) (D)


Vielfalt; auf diesen Punkt wird mein Kollege Carsten
Träger noch näher eingehen . Wir wissen deshalb, dass
eine Reduktion dringend nötig ist, aber nicht ein allge-
meiner Verzicht auf Pflanzenschutzmittel. Warum? Ziel
eines Pflanzenschutzmittels ist – das sagt schon die Be-
zeichnung – der Schutz einer Pflanze oder eines pflanz-
lichen Produkts vor Risiken und Gefahren durch andere
Organismen . Wenn die Anwendung richtig erfolgt, dann
haben wir einen Schutz der Gesundheit von Menschen
und Tieren sowie einen Schutz des Naturhaushalts . Das
Problem ist oft die Anwendung .

Welche Folgen hätte aber ein Verzicht auf Pflanzen-
schutzmittel grundsätzlich? Da muss ich dem Kollegen
Färber ausnahmsweise recht geben


(Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU – Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Betonung liegt auf „ausnahmsweise“!)


– wie Sie wissen, mache ich so etwas selten –: Wir wür-
den damit befördern, dass noch mehr Produkte aus dem
Ausland zu uns kommen, also nicht erst mit TTIP, wie
Herr Hofreiter vorhin meinte . Wir haben bereits viele
Importe von Lebensmitteln und insbesondere von Futter-
mitteln zu verzeichnen . Man darf nicht vergessen, dass
Pflanzenschutzmittel nicht nur in den USA, sondern ins-
besondere auch in Südamerika in sehr starkem Maße ein-
gesetzt werden, um genmanipulierte Pflanzen zu schüt-
zen. Bei uns sterben die Pflanzen, wenn sie zum Beispiel
mit Glyphosat besprüht werden . Bei genmanipulierten
Pflanzen ist das aber nicht der Fall. Pflanzenschutzmittel
werden aber in Südamerika in sehr viel stärkerem Maße
angewendet . Damit steigt auch die Schadstoffbelastung .
Natürlich weisen die dort produzierten Lebensmittel eine
sehr viel höhere Konzentration auf, weil die Pflanzen-
schutzmittel direkt auf die Pflanzen angewendet werden.

Vor kurzem haben einige Kollegen und ich ein Ge-
spräch mit einem argentinischen Arzt geführt . Er hat dar-
gestellt, wie extrem gerade in Argentinien zum Beispiel
Soja mit Glyphosat besprüht wird . Glyphosat wird dort
nicht von den Landwirten mit entsprechenden Maschi-
nen auf leere Flächen aufgebracht, wie das bei uns der
Fall wäre, sondern teilweise per Flugzeug verteilt, egal
ob ein Dorf vorhanden ist oder nicht . Wenn wir aus sol-
chen Ländern Lebensmittel importieren, dann verlagern
wir die Entscheidung über die Gesundheitsgefahr zu ei-
nem großen Teil in Länder, in denen die Menschen zum
Teil sehr viel ärmer sind als wir . Wir bringen diesen Men-
schen damit noch mehr Krebsgefahr ins Land .


(Beifall bei der SPD und der LINKEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wir brauchen nun Schritte, um die genannten Proble-
me zu lösen . Die konsequente Umsetzung und Weiterent-
wicklung des Nationalen Aktionsplans zur nachhaltigen
Anwendung von Pflanzenschutzmitteln müssen vorange-
trieben werden . Hier erleben wir momentan Stillstand .
Wir brauchen einen verantwortungsbewussten Einsatz
von Pflanzenschutzmitteln durch die Landwirte. Hier
muss Qualität vor Quantität gehen .


(Beifall bei der SPD)


Das fördert auch die Akzeptanz in der Bevölkerung . Die
Ausrichtung der Wissenschaft und der Beratung auf eine
nachhaltige Landwirtschaft ist uns ein wichtiges Anlie-
gen . Wir hoffen, dass wir gemeinsam mit unserem Koa-
litionspartner dafür mehr Fördermittel im Haushalt 2017
bekommen .


(Beifall bei der SPD)


Wir brauchen die Beschränkung des überflüssigen
Einsatzes von Pflanzenschutzmitteln. Wenn zum Bei-
spiel Glyphosat zur Sikkation verwendet wird – das ist
noch immer möglich, wenn auch nur ausnahmsweise –,
dann ist es im Getreide und geht so in den Organismus
des Menschen über . Wir brauchen des Weiteren eine
Stärkung der gezielten Erforschung sicherer Alternativen
und – das ist mir ein besonderes Anliegen – die Auswei-
tung der ökologisch bewirtschafteten Anbauflächen in
Deutschland, für die ein Anwendungsverbot von che-
misch-synthetischen Pflanzenschutzmitteln gilt.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Glyphosat wurde als Beispiel schon genannt . Es
ist aber leider nicht so einfach, seine Anwendung in
Deutschland zu verbieten, wenn es in der EU erlaubt
ist . Was wir machen können – damit habe ich mich in
den letzten Wochen eingehend befasst –, ist, die Anwen-
dung von Glyphosat in Haus- und Kleingärten sowie im
kommunalen Bereich zu verbieten . Trotz Zulassung auf
EU-Ebene besteht nach Artikel 31 Absatz 1 der Pflanzen-
schutzmittelverordnung die Möglichkeit, auf nationaler
Ebene festzulegen, in welchen nichtlandwirtschaftlichen
Bereichen Pflanzenschutzmittel verwendet werden dür-
fen. Wir alle wissen, dass Haus- und Kleingärtner Pflan-
zenschutzmittel nicht immer verantwortungsvoll einset-
zen .

Auch eine Beschränkung des Einsatzes von Pflanzen-
schutzmitteln in der Nähe von Orten, wo sich Kinder
aufhalten, wo sie spielen, ist möglich . Da wollen wir sie
auf keinen Fall. Hier gibt uns zwar nicht die Pflanzen-
schutzmittelverordnung, aber die Rahmenrichtlinie die
Möglichkeit, dass wir ein Verbot verhängen oder zumin-
dest die Minimierung des Einsatzes beschließen . Diese
Orte sind auch in der Rahmenrichtlinie genannt . Es sind
öffentliche Parks, Gärten, Sport- und Freizeitstätten,
Schulgelände und Kinderspielplätze .

Für uns steht die Pflanzenschutzmittelreduktion als ein
wichtiges Anliegen im Mittelpunkt . Leider geht der An-
trag der Grünen in diesem Punkt meiner Fraktion etwas
zu weit, weshalb wir ihm leider nicht zustimmen können .


(Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: „Etwas zu weit“!)


Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Rita Hagl-Kehl






(A) (C)



(B) (D)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1815005200

Das Wort hat die Kollegin Ingrid Pahlmann für die

CDU/CSU-Fraktion .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Ingrid Pahlmann (CDU):
Rede ID: ID1815005300

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen!

Ich spreche Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen der Grü-
nenfraktion, jetzt einmal ganz besonders an: Die Wort-
wahl in Ihrem Antrag ist bezeichnend . Sie sprechen nur
von Pestiziden und Giften, also wieder von dem Teufels-
zeug, das die Landwirte auf die Äcker bringen und womit
sie alles töten, was ihnen in die Quere kommt .


(Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wie soll man das sonst nennen?)


Pflanzenschutzmittel sind aber nicht nur Pestizide und
Gifte, Pflanzenschutzmittel schützen Pflanzen.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Sie schützen sie vor Pilzbefall, saugenden und beißen-
den Insekten und vor dem Überwuchern mit Beikräutern .
Pflanzenschutz hat natürlich auch einen bedeutenden ge-
sellschaftlichen Nutzen . Er sichert und erhöht die Erträge
unserer Äcker. Ohne Pflanzenschutz gäbe es immense
Ernteverluste .

Durch höhere Erträge können übrigens knappe Res-
sourcen – Sie müssen zur Kenntnis nehmen: Ackerboden
ist eine knappe Ressource – geschont werden . Wir alle
wissen: Unsere Anbauflächen sind begrenzt und die be-
stehenden auch noch zunehmend gefährdet . Wir haben
immer noch einen täglichen Flächenverlust von über
70 Hektar .


(Dr . Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das stimmt! Unternehmen Sie doch etwas dagegen!)


Diese begrenzten Flächen müssen aber eine immer
stärker wachsende Weltbevölkerung ernähren . Das wird
bei aller Idylle der heilen Heidi-Welt leider nicht möglich
sein . Brandenburg zum Beispiel schafft es nicht einmal,
Berlin mit Lebensmitteln zu versorgen . Die Höhe und die
Stabilität der Flächenerträge hängen untrennbar mit ei-
nem funktionierenden Pflanzenschutz zusammen. Ohne
einen flächendeckenden Pflanzenschutz stünden rund ein
Drittel weniger nutzbare Erträge zur Verfügung .

Die Union will gute, sichere und bezahlbare Lebens-
mittel . Wir haben in Deutschland die besten und sichers-
ten Lebensmittel . Es ist amtlich, statistisch bewiesen,
dass wir die geringsten Rückstände von Pflanzenschutz-
mitteln in unseren Nahrungsmitteln haben,


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


und das Ganze bei einem für die Verbraucher niedrigen
Preisniveau . Wir wollen eine nachhaltige Ertragssiche-
rung und den Schutz der biologischen Vielfalt . Diese
Ziele darf man nicht gegeneinander ausspielen . Unsere
Landwirte – das sage ich Ihnen – haben das Know-how,
das auch zu erreichen .

Die Zulassung von Pflanzenschutzmitteln in Deutsch-
land unterliegt strengen Kriterien . Sie ist darüber hinaus
mit präzisen Anwendungsbestimmungen verbunden .
Diese dienen auch dazu, Grenzwerte für Rückstände in
Gewässern und Lebensmitteln einzuhalten .


(Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Diese Grenzwerte – hören Sie zu! – werden regelmäßig
kritisch überprüft und auch kontinuierlich angepasst .
Dass in Wasserproben doch ab und zu Rückstände ober-
halb oder an den Grenzwerten gefunden werden, hat
verschiedene Gründe . Es liegt zum Teil an der Nicht-
einhaltung der Anwendungsvorschriften . Da sind wir bei
Ihnen: Das muss aufgedeckt und natürlich auch geahndet
werden . Zum Teil werden aber auch Rückstände alter,
nicht mehr zugelassener Wirkstoffe gefunden .


(Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Umso schlimmer!)


Das lässt darauf schließen, dass die Mittel der neuen Ge-
neration eben besser abbaubar sind und die Forschung
bessere Lösungen entwickelt hat .


(Dr . Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Illegale Anwendung!)


Auch auf europäischer Ebene gelten für die Zulassung
von Pflanzenschutzmitteln bereits heute außerordentlich
strenge Anforderungen . Für Anwender gilt das Prinzip,
ein zugelassenes Mittel nur so viel und so häufig aus-
zubringen, wie unbedingt nötig . Der Anspruch des in-
tegrierten Pflanzenschutzes als Leitbild ist es, zunächst
die zur Verfügung stehenden pflanzenbaulichen Mög-
lichkeiten der Vorbeugung und der Reduzierung eines
Befallsrisikos auszuschöpfen und erst bei einem nicht
mehr tolerierbaren Befall eine Behandlung mit Pflan-
zenschutzmitteln durchzuführen . Zur guten fachlichen
Praxis gehört darüber hinaus eine intensive, regelmäßige
Fortbildung im Bereich des Pflanzenschutzes.

Pflanzenschutz hat aber noch einen weiteren Aspekt:
den Erhalt der Wettbewerbsfähigkeit der Landwirte im in-
ternationalen Vergleich . In der letzten Ausschusssitzung
haben Sie, liebe Kollegen, den Einkommenseinbruch bei
den Landwirten beklagt . Wir haben einen Rückgang des
landwirtschaftlichen Realeinkommens pro Arbeitskraft
um 37,6 Prozent, einen Rückgang der Milchvieh- und
schweinehaltenden Betriebe um 4,2 Prozent . Wenn Ihre
Antwort nun die ist, auch das Einkommen der Ackerbau-
ern auf dieses Niveau zu senken, dann muss man Ihrem
Antrag zustimmen – aber auch nur dann .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ein ständiges Hochschrauben der Anforderungen an
die Bauern oder der Entzug wichtiger Produktionsbe-
standteile führt erst einmal zu höheren Kosten und zu
weiteren Einbrüchen im Gewinn und damit zu einem
verstärkten Strukturwandel, klar gesagt: zu einem wei-
teren Höfesterben . Wir müssen doch einmal anerken-
nen, dass die deutsche Landwirtschaft Lebensmittel auf
allerhöchstem Niveau erzeugt, und das unter zum Teil
deutlich schwierigeren Produktionsbedingungen als die






(A) (C)



(B) (D)


der Konkurrenten auf den europäischen und weltweiten
Märkten .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg . Willi Brase [SPD])


Die Nachfrage gerade nach hochwertigen deutschen
Agrarprodukten ist weltweit hoch . Wir sind ein Export-
land, und das nicht nur im industriellen Bereich . Der Ex-
port im Agrarbereich wächst . Deutsches Getreide ist ge-
fragt, neuerdings besonders in Bereichen Asiens, die eine
hohe Nachfrage nach unseren ausgezeichneten Agrarpro-
dukten haben . Sie müssen doch einmal zur Kenntnis neh-
men, dass die Weltbevölkerung wächst und Hunger hat .
Da tragen auch wir als wohlhabendes und fruchtbares
Land Verantwortung . Das Absenken deutscher Erträge,
das die unmittelbare Folge eines weitgehenden Verzichts
des Einsatzes von Pflanzenschutzmitteln wäre, wäre fatal
und führt in die völlig falsche Richtung .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Wir wollen keine gesellschaftliche Spaltung in gute und
schlechte Landwirtschaft .

Konventionelle Landwirtschaft per se zu verurteilen,
ist nicht der richtige Weg . Konventionell arbeitende Be-
triebe legen im Rahmen des Greenings Blühstreifen und
Lerchenfenster an . Sie achten auf die Fruchtfolge und
arbeiten mit Zwischenfruchtanbau . Das alles geschieht
zum Schutz der Böden . Unsere Landwirte haben eine ex-
zellente Ausbildung genossen, und sie gehen verantwort-
lich mit den Produktionsgütern Boden und Wasser um .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Fachwissen, Sachkundenachweis im Umgang mit Pflan-
zenschutzmitteln und Spritztechnik, gepaart mit High-
tech der Gerätschaften und satellitengesteuerte Ausbrin-
gungsmethoden sorgen dafür, dass sorg- und sparsam mit
den Mitteln umgegangen wird . Glauben Sie mir, bei den
Preisen, die für Pflanzenschutz verlangt werden, überlegt
sich jeder Landwirt, wann, was und wie viel er ausbringt .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Diese hohen Standards zu erfüllen, ist durchaus auch der
Anspruch der Union . Dass diese dann auch kontinuier-
lich überprüft und weiterentwickelt werden müssen, ist
für uns ebenfalls selbstverständlich . Das muss dann aller-
dings auf Basis aktueller wissenschaftlicher Erkenntnisse
erfolgen .

Hier leistet Forschung einen entscheidenden Beitrag .
Deshalb haben wir diesen Bereich ja auch im Haushalt
des Bundeslandwirtschaftsministeriums gestärkt und
mit insgesamt 566 Millionen Euro um 10 Prozent auf-
gestockt .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Wir brauchen innovative und nachhaltige Pflanzen-
schutzmittel . Neben intensiver Erforschung neuer Ver-
fahren des integrierten Pflanzenschutzes befasst sich zum
Beispiel das Julius-Kühn-Institut mit der Resistenzfor-
schung . Durch die Resistenzforschung sollen zunehmend
moderne Züchtungsverfahren geschaffen werden, die
polygen resistente Pflanzen züchten, deren Resistenzme-
chanismen von Schadstofforganismen nur schwer um-

gangen werden können. Um Pflanzenschutzmittel, auch
biologische, für den integrierten Pflanzenschutz und den
ökologischen Landbau langfristig zu sichern, sind funkti-
onierende und wirksame Resistenzstrategien notwendig;
da sind wir uns einig . Aber auch damit befasst sich die
Ressortforschung des Bundeslandwirtschaftsministeri-
ums .

Zudem werden weiterhin moderne Pflanzenschutzge-
räte und Technologien sowie Prognosemodelle und ande-
re Entscheidungshilfen entwickelt und weiterentwickelt .
Innovative Verfahren tragen dazu bei, die Anwendung
von Pflanzenschutzmitteln auf das notwendige Maß zu
beschränken und Risiken zu reduzieren .

Wichtig in Bezug auf Forschung ist immer auch die
Anwendung in der Praxis . Darum ist das Modellvorhaben
„Demonstrationsbetriebe integrierter Pflanzenschutz“ so
wichtig . Auf Basis der gewonnenen Erkenntnisse wer-
den neue Schlussfolgerungen für den integrierten Pflan-
zenschutz gezogen, insbesondere zur Anwendung und
Weiterentwicklung der Leitlinien und zu entsprechenden
Maßnahmen, die der Umsetzung der Erkenntnisse in die
Praxis dienen .

Aber darüber hinaus werden natürlich noch weitere
Maßnahmen ergriffen: Die Bewertung von Mehrfach-
rückständen von Pflanzenschutzmitteln in Lebensmit-
teln soll künftig vorausschauend bei der Festsetzung von
Rückstandshöchstmengen und bei der Zulassung von
Pflanzenschutzmitteln Berücksichtigung finden. Ich hof-
fe, dass die Konzepte, die hierzu derzeit entwickelt wer-
den, bald vorliegen . Im Nationalen Aktionsplan wurde
festgelegt, auch ein Kleingewässermonitoring für Pflan-
zenschutzmittel zu entwickeln . Die Umsetzung erfolgt
derzeit durch das Umweltbundesamt . – Das sind nur zwei
kleine Beispiele von vielen .

Die bisherigen Ergebnisse aus dem Aktionsplan sind
mit Blick sowohl auf Lebensmittel als auch auf den Na-
turhaushalt positiv . Die wichtigsten Ziele wie zum Bei-
spiel 20 Prozent Risikoreduktion für den Naturhaushalt
bis 2018 und 30 Prozent bis 2023 werden wir wohl errei-
chen . Die Landwirte jedenfalls sind bereit, an lösungsori-
entierten Herangehensweisen mitzuarbeiten, die zu einer
weiteren Vermeidung und Verringerung von Pflanzen-
schutzmittelrückständen in der Umwelt beitragen .

Meine Damen und Herren, gesellschaftlicher Zusam-
menhalt ist ein hohes und in diesen Tagen sehr fragiles
Gut . Das haben die Debatten in dieser Woche zu ganz
unterschiedlichen Themen immer wieder gezeigt . Die
Stimmung in unserem Land ist aufgeheizt und vielfach
durch Verunsicherungen geprägt. Ich finde, auch hier tra-
gen wir Verantwortung .

Schwarz-Weiß-Denken ist nicht der richtige Ansatz
für einen sachorientierten gesellschaftlichen Diskurs . Ich
fordere Sie daher auf, sich zwar immer wieder konstruk-
tiv kritisch gemeinsam mit uns für gesunde Lebensmittel
und Lebensräume einzusetzen, aber die Spaltung in gute
und böse Landwirtschaft, schwarz und weiß endlich zu
beenden . Stattdessen sollten wir alle gemeinsam einen
Beitrag dazu leisten, dass die Akzeptanz für die Produk-
te verantwortungsvoll arbeitender Landwirte auch durch

Ingrid Pahlmann






(A) (C)



(B) (D)


gutinformierte Verbraucher gestärkt wird . Mit Ihren pau-
schalen Diffamierungen


(Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wo denn ganz konkret, Frau Kollegin?)


erweisen Sie nicht nur den Landwirten, sondern auch den
Verbrauchern einen Bärendienst .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1815005400

Das Wort hat die Kollegin Dr . Kirsten Tackmann für

die Fraktion Die Linke .


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. Kirsten Tackmann (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1815005500

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Liebe Gäste! Ich danke den Grünen dafür, dass wir heute
über Pflanzenschutz debattieren können; denn die Grü-
ne Woche ist eigentlich ein exzellenter Anlass dafür . Es
wertet sie doch eigentlich nur auf, wenn nicht nur die
Branche gefeiert wird, sondern wenn im Parlament auch
Probleme diskutiert werden .


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Als Tierärztin und leidenschaftliche Hobbygärtnerin,
als die ich mich outen möchte, kenne ich natürlich das
Bedürfnis, Pflanzen vor Krankheiten zu schützen. Aber
ich weiß eben auch, dass die Mittelchen nicht nur die
gewollte Wirkung, sondern auch ungewollte haben oder
indirekt Schäden anrichten . Über Rückstände in Lebens-
mitteln hat meine Fraktionskollegin Karin Binder schon
gesprochen . Ich möchte über die ökologischen Schäden
reden .

Wer Schädlinge bekämpft, schadet auch Nützlingen .
Manchmal ist das offensichtlich – wie zum Beispiel beim
massiven Bienensterben in Süddeutschland 2008 infolge
fehlerhafter Aussaattechnik . Manchmal wird aber auch
„nur“ das Nervensystem der Bienen geschädigt, sodass
sie nicht zurück in den Stock finden. Das ist für die hoch-
sozialen Bienenvölker wirklich ein Problem . Manchmal
sinkt die Widerstandsfähigkeit gegen Krankheiten, und
damit wird die Varroa-Milbe sehr gefährlich . Bei Hum-
meln wurde kürzlich ein ganz besonders erschreckendes
Phänomen festgestellt. Für sie werden nämlich Pflanzen,
die mit Neonikotinoiden behandelt werden, also mit be-
sonders bienengefährlichen Stoffen, zu attraktiven Fal-
len; sie werden dort besonders häufig geschädigt.

Auch indirekte Wirkungen gehören in die Schadens-
bilanz . Beikräuter auf Äckern werden heute als Ernte-
gutverunreinigung oder als Konkurrenz rigoros beseitigt .
Damit gehen aber gleichzeitig Nahrungsquellen für an-
dere Lebewesen verloren .

Nicht nur Insekten sind vom stillen Sterben betroffen .
Erst seit kurzem wissen wir, dass zum Beispiel die feuch-
te Haut von Fröschen nur wenig Schutz vor Ackergiften
bietet . Das wird im Zulassungsverfahren nicht einmal ge-
prüft, obwohl auch in Gewässern Rückstände gefunden
werden .

Aber ich sage ganz klar: Diese dramatische Situation
entsteht nicht durch gelegentlichen Pflanzenschutz – das
würde die Natur verkraften -; in Verruf gekommen ist der
Pflanzenschutz, weil er viel zu oft zum festen Bestandteil
des Ackerbaus geworden ist . Hier ist Kritik angebracht
und dringend notwendig .


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Selbst bei Glyphosat hat der Bauernverband in der
Ausschussanhörung eingeräumt, dass es eigentlich nur
um Arbeitserleichterung geht. Ich finde, das ist bei einem
Wirkstoff, der unter dem Verdacht steht, krebsauslösend
zu sein, alles andere als dem Vorsorgeprinzip gemäß .

Ja, wir haben den Nationalen Aktionsplan; nur geän-
dert hat sich wenig . Aber es muss sich dringend etwas
ändern; denn das Insektensterben wird für die Land-
wirtschaft auch schnell – das muss man betonen – zum
Bumerang . Ein Drittel der landwirtschaftlichen Kultu-
ren sind auf Insektenbestäubung angewiesen . In China
müssen inzwischen ganze Obstplantagen durch mensch-
liche Handarbeit bestäubt werden, weil die Insekten dort
schon fehlen . Mit den Insekten geht auch eine wichtige
Nahrungsgrundlage für viele Vögel verloren . Der rasan-
te Verlust von biologischer Vielfalt gerade in der Agrar-
landschaft hat nicht nur, aber eben viel mit Ackergiften
zu tun .

Als Linke sage ich ganz klar: Das sind keine Kolla-
teralschäden . Hier geht es um den Schutz unserer Le-
bensgrundlagen .


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Deshalb dürfen wir nicht wegsehen . Wir müssen han-
deln, bevor dieser Prozess unumkehrbar geworden ist .

Ja, wir brauchen die Landwirtschaftsbetriebe als Ver-
bündete. Sie sind übrigens nicht die Profiteure des fal-
schen Systems . Das große Geld landet nämlich in den Ta-
schen von Konzernen . Diese würden den Landwirten am
liebsten nicht nur das Pflanzenschutzmittel verkaufen,
sondern gleich noch die dazugehörende gentechnisch
veränderte Pflanze. Diese Gelddruckmaschine wird aber
Gott sei Dank von immer mehr Menschen durchschaut .
Es ist gut, dass sich hier Widerstand regt . Die Linke ist an
der Seite derer, die sich dem widersetzen .


(Beifall bei der LINKEN)


Was ist also noch für weniger Gift auf dem Acker zu
tun? Beim Glyphosat wiederhole ich hier die Forderung
der Linken: Als erste Sofortmaßnahme müssen die Vor-
erntebehandlung und der Verkauf im Baumarkt sofort
verboten werden .


(Beifall bei der LINKEN)


Das zweijährige Verbot der besonders bienengefährli-
chen Neonikotinoide muss dringend verlängert werden .

Es geht uns aber nicht nur um Verbote . Wir müssen ris-
kante Anbaukonzepte in den Blick nehmen . Dazu gehö-
ren zum Beispiel der großflächige Anbau einer einzigen
Kulturpflanze oder der mehrjährige Anbau von Mais auf

Ingrid Pahlmann






(A) (C)



(B) (D)


Mais . Wenn immer weniger unterschiedliche Kulturen
überhaupt noch angebaut werden, ist das ein Problem .

Deshalb ist die Forderung der Grünen nach einer ver-
bindlichen und rechtssicheren Definition der sogenann-
ten guten fachlichen Praxis richtig und längst überfällig .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wir brauchen auch mehr Flächen, in denen sich die
Natur regenerieren kann . Die Unterstützung des Öko-
landbaus gehört dazu . Auch die ökologischen Vorrang-
flächen, die alle Betriebe jetzt einrichten müssen, sind
aus meiner Sicht durchaus eine Chance . Ja, leider wurden
die Regeln dafür während des Verhandlungsmarathons in
Brüssel aufgeweicht . Unterdessen wissen wir aber, dass
viele kleine Flächen einen großen Einfluss haben kön-
nen, wenn sie denn als ökologische Trittsteine fungieren
können . Deswegen ist hier Kreativität dringend gefragt .
An dieser Stelle sage ich: Ortsansässige Betriebe sind da
eher unsere Verbündeten als Agrarinvestoren .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Aber mit Betrieben in ständiger Existenznot wird das
auch sehr schwer .

Gebraucht wird mehr unabhängige, öffentlich finan-
zierte Forschung für Analysen, für Alternativkonzepte
und für die Bewertung der Wirksamkeit von Maßnah-
men . Vielleicht ist auch Landwirtschaft 4 .0 eine Chance;
denn wenn eine Gefahr früher erkannt wird und kleinflä-
chiger und konsequenter behoben werden kann, ist viel-
leicht auch der Schaden zu minimieren . Am dringends-
ten ist aus Sicht der Linken allerdings ein transparentes,
herstellerunabhängiges Zulassungsverfahren; denn dann
kämen gefährliche Pflanzenschutzmittel gar nicht erst
auf den Markt .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Deshalb haben wir viel Stoff zur Diskussion . Ich freue
mich auf die Ausschussbefassung .

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit .


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1815005600

Für die SPD-Fraktion hat der Kollege Johann Saathoff

das Wort .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Johann Saathoff (SPD):
Rede ID: ID1815005700

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen

und Kollegen! Liebe Kolleginnen und Kollegen – heute
einmal wegen des Antrags – von den Grünen! Ich will
durchaus bekennen, dass ich meistens mit den Positio-
nen der Grünen im Agrarbereich durchaus einverstanden
bin – so auch hier . Bei den Zielen sind wir uns einig . Wir

wollen so wenig Pestizideinsatz wie möglich und mehr
Ökolandbau erreichen .

Meine Damen und Herren, Pflanzenschutzmittel wer-
den aber nicht nur zum Spaß eingesetzt . Zwar werden
Pflanzenschutzmittel in Einzelfällen bedauerlicherweise
nach dem sehr betrüblichen Motto „Viel hilft viel“ ver-
wendet . Größtenteils wenden die Bäuerinnen und Bau-
ern in Deutschland Pflanzenschutzmittel aber verantwor-
tungsvoll an . Das müssen wir in dieser Debatte deutlich
betonen .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Die Bundesregierung hat mit dem Nationalen Aktions-
plan sehr umfassende Ziele und Maßnahmen definiert,
vor allem das 1-Prozent-Ziel bei Grenzwertüberschrei-
tungen . Es gibt auch ein begleitendes Forum zu diesem
Nationalen Aktionsplan . Ich bedaure es ausdrücklich,
dass dort nicht alle relevanten Gruppen beteiligt sind . Die
Umweltverbände haben sich nämlich aus dieser Diskus-
sion herausgezogen. Ich finde, dass sie mit in diese Dis-
kussion hineingehören, und möchte sie an dieser Stelle
auch aufrufen: Bitte machen Sie bei diesem Forum zum
Nationalen Aktionsplan weiter mit!


(Beifall bei der SPD)


Ihnen sind die Zeitpläne im NAP nicht konkret genug .
Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen,
Sie trauen sich auf der anderen Seite selbst nicht, einen
Zeithorizont für die Beschränkung des Einsatzes von
Pflanzenschutzmitteln auf ein Minimum oder vielleicht
sogar den Totalausstieg zu nennen .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Mich würde echt einmal interessieren, bis wann Sie das
für möglich halten . Oder gilt vielleicht der Umkehr-
schluss? Das bedeutet: Aus der Tatsache, dass Sie keinen
Zeitplan für den Ausstieg nennen, könnte man schließen,
dass Sie den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln grund-
sätzlich anerkennen .

Auch kein Wort zu einer Steuer oder Abgabe auf
Pflanzenschutzmittel. Dabei hat der grüne Umwelt- und
Landwirtschaftsminister Robert Habeck aus Schles-
wig-Holstein diese ins Spiel gebracht . Der Diskussions-
prozess über Wege zur Verringerung des Einsatzes von
Pflanzenschutzmitteln scheint also auch bei euch, liebe
Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, anzudauern .
Das ist völlig normal, und das ist auch gut so . Das ist
sogar bei uns in der SPD-Fraktion nicht anders . Aber mit
eurem Antrag schraubt ihr an Details herum .

Ihr sprecht den BVL-Report 2013 an . 106 Proben mit
Überschreitung der Grenzwerte sind genau 106 zu viel,
keine Frage . Wir müssen diese Zahl aber in einen ange-
messenen Kontext stellen . Dabei würde zum Beispiel
deutlich werden, dass die Zahl der Grenzwertüberschrei-
tungen bei Produkten aus Drittländern die in Deutschland
bei weitem übertrifft . In Deutschland sind es nur 0,6 Pro-
zent . Die Proben werden risikobezogen genommen, also
bei den Lebensmitteln, wo bekanntermaßen Pflanzen-
schutzmittel zum Einsatz kommen können . Ich würde
Sie einmal die „üblichen Verdächtigen“ nennen . Würde

Dr. Kirsten Tackmann






(A) (C)



(B) (D)


man die Proben bei allen Lebensmitteln gleichermaßen
nehmen, wäre der Prozentsatz der Grenzwertüberschrei-
tungen noch einmal deutlich niedriger .

Das Ziel des Nationalen Aktionsplans zur nachhalti-
gen Anwendung von Pflanzenschutzmitteln ist also mehr
als erreicht und deutlich früher erreicht; denn eigentlich
war das 1-Prozent-Ziel erst für 2021 vorgesehen – zumin-
dest in Deutschland, worum es ja im Antrag geht . In den
Drittländern sind die Grenzwerte teilweise höher als bei
uns . Allerdings haben wir dort nur einen sehr begrenzten
Einfluss auf den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln. Aber
auch dort müssen wir uns für eine Reduktion des Einsat-
zes von Pflanzenschutzmitteln einsetzen, für niedrigere
Grenzwerte, für eine bessere Anwenderausbildung . Wir
stellen fest, dass das BVL resümiert, dass es „keine An-
haltspunkte für ein akutes Gesundheitsrisiko für den Ver-
braucher“ gibt . Das, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist
eine gute und wichtige Botschaft .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Wir wollen deshalb aber nicht die Hände in den Schoß
legen. Wir wollen Pflanzenschutzverfahren mit geringem
Pflanzenschutzmitteleinsatz und integriertem Pflanzen-
schutz . Dazu gehört, den Anteil praktikabler nichtchemi-
scher Maßnahmen in den Pflanzenschutzkonzepten, zum
Beispiel durch biologische, biotechnische oder mechani-
sche Pflanzenschutzverfahren, weiter auszubauen. Wir
wollen die Forschung intensivieren mit dem Ziel, den
Einsatz von Pestiziden weiter zu reduzieren . Kurz: Wir
wollen mit immer weniger Pflanzenschutzmitteln aus-
kommen . Das gilt übrigens auch für den Ökolandbau . Im
Ökolandbau ist der Einsatz von chemisch-synthetischen
Mitteln verboten . Wir wollen mehr Ökolandbau . Wir ha-
ben uns gemeinsam bei der Novelle der EU-Ökoverord-
nung sehr für den Ökolandbau starkgemacht .


(Beifall bei der SPD)


Dank der einstimmigen – einstimmigen! – Positionierung
des Deutschen Bundestages, der sich viele Mitgliedstaa-
ten angeschlossen haben, konnten wir viel für den Öko-
landbau erreichen .

Meine Damen und Herren, zusammenfassend kann
man sagen, dass wir uns in den Zielen wieder einmal ei-
nig sind . Diskussionsbedarf besteht hinsichtlich des We-
ges, um die Ziele zu erreichen . Am Ende des Prozesses
ist man immer schlauer, was denn der beste Weg gewe-
sen wäre, oder wie wir in Ostfriesland sagen: „Achteran
kakeln Hauner .“

Besten Dank für die Aufmerksamkeit .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Harald Ebner [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Eine Übersetzung, bitte!)


– „Anschließend gackern die Hühner .“


Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1815005800

Das Wort hat der Kollege Harald Ebner für die Frakti-

on Bündnis 90/Die Grünen .


Harald Ebner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1815005900

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen

und Kollegen! Atrazin, Chlorpyrifos, Glyphosat – das
G-Wort wurde heute schon oft genannt – und nicht zu-
letzt die Neonikotinoide – die Liste wäre verlängerbar –
haben gezeigt: Der Pestizidpfad der angeblich modernen
Landwirtschaft führt leider in eine Sackgasse . Wenn wir
Pech haben, liebe Kolleginnen und Kollegen, dann gibt
es am Ende dieser Sackgasse nicht einmal eine Wende-
platte, damit wir da wieder herauskommen .

Pestizide schaden der Gesundheit von denen, die sie
anwenden, und denen, die an den Feldern wohnen . Am
Ende – das haben wir jetzt auch in unserer neuen Stu-
die lesen müssen – landen sie auch auf unseren Tellern .
Sie verursachen enorme Kosten für die Beseitigung von
Umweltschäden . Für die Schweiz gibt es eine Schätzung:
Da würde die Umrüstung von Kläranlagen, um solche
Rückstände herauszufiltern, 1,2 Millionen Franken kos-
ten . – pro Anlage

Pestizide tragen leider auch massiv dazu bei, die bio-
logische Vielfalt zu vermindern .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ausgestorbene Arten kommen nicht wieder, und das ent-
zieht dem gesamten Agrarökosystem die Existenzgrund-
lage . Deshalb, liebe Kolleginnen und Kollegen, brauchen
wir einen Weg aus dieser Sackgasse . Pestizide müssen
runter vom Acker, und sie haben in unserem Essen nichts
zu suchen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Wir haben am Mittwoch im Fachgespräch im Um-
weltausschuss gehört: Als Ursache für ein aktuelles,
wirklich erschreckendes Insektensterben in Deutschland
wurden ganz klar an erster Stelle der Einsatz von Pesti-
ziden und auch Strukturverluste in agrarisch optimierten
Landschaften genannt . Das Fazit des Fachgesprächs war:
Dieser massive Insektentod kann nur gestoppt werden,
wenn auf eine Landwirtschaft mit deutlich weniger –
die Experten sagen: besser ohne – Pestiziden umgestellt
wird . Das sagen nun einmal die Experten . Der Kollege
Auernhammer erinnert sich ganz bestimmt an die Emp-
fehlung auf seine Frage, er möge dann doch auf Ökoland-
bau umstellen . Ich weiß nicht, ob er den Antrag schon
gestellt hat .


(Elvira Drobinski-Weiß [SPD]: Er ist dabei!)


Von der Reduzierung der Pestizidmengen – darin soll-
ten wir uns einig sein – können wir doch alle nur profi-
tieren,


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


außer natürlich die Industrie, die Pestizide herstellt und
damit seit Jahren Rekordumsätze einfährt . Leider ver-
weigert der Bundesminister, der auch heute lieber auf der
IGW als im Parlament ist, in Sachen Pestizidreduktion
wie bei vielen anderen Themen eindeutig die Arbeit . Das
zeigt, lieber Kollege Saathoff, der Nationale Aktionsplan,
der nach wie vor nicht mehr als das geduldige Papier ist,

Johann Saathoff






(A) (C)



(B) (D)


das sich gefällig liest, aber zu dessen Umsetzung nichts
passiert . Eine ganze Reihe von Verbänden – das wurde
schon gesagt – mit Sachverstand sind schon vor Jahren
aus dem NAP-Forum ausgestiegen, weil sie sagen: Bei
einem Aktionsverhinderungsplan machen wir nicht mit .
Wir lassen uns nicht zu Tode partizipieren, und am Ende
kommt nichts dabei heraus .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Dies zeigt: Die Bundesregierung ist an dieser Stelle nicht
Sachwalter der Interessen der Bürgerinnen und Bürger in
diesem Land .

Da muss ich auch an die Adresse des Kollegen Färber
und der Kollegin Pahlmann sagen: Uns geht es dar-
um, die Forschungen zu Alternativen zum chemischen
Pflanzenschutz zu einem Schwerpunkt der öffentlichen
Agrarforschung zu machen . Wir haben das in unseren
Haushaltsanträgen mehrfach gefordert . Da ist noch lange
nicht genug passiert . Das kommt dann den konventio-
nellen Landwirten und den Ökolandwirten zugute . Auch
der Deutsche Bauernverband hat dies jüngst gefordert:
60 Millionen Euro für den Ökolandbau! – Das ist richtig .
Das findet unsere volle Unterstützung.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Hermann Färber [CDU/CSU]: Der größte Bauernverband fordert das!)


– Ja, natürlich . – Aber schade, dass es just nach den
Haushaltsberatungen im Dezember passiert ist . Ich baue
darauf, dass der Bauernverband diese Forderungen auch
aufrechterhält, wenn es an die nächsten Haushaltsbera-
tungen geht . Ich baue darauf, dass Sie, liebe Kolleginnen
und Kollegen von der Union, dieses Mal auch, wie sonst
immer, den Forderungen des Bauernverbandes entspre-
chen und hier mit dabei sind . Dann kommen wir einen
wesentlichen Schritt weiter . Das wäre schön .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Das würde uns nämlich auch als Verbraucherinnen und
Verbraucher nutzen .

Die aktuelle Auswertung unserer Fraktion zu Pestizi-
den auf Lebensmitteln zeigt: Ökolebensmittel schneiden
bei allen Parametern der Pestizidbelastung deutlich bes-
ser ab . Wenn Pestizidrückstände auf Ökolebensmitteln
auftauchen, dann kommen sie leider Gottes zu 90 Pro-
zent vom konventionellen Nachbarn . Das kann ja keiner
wirklich gutheißen .

Es wurde schon angesprochen, Pestizidrückstände,
Kollege Saathoff, seien ja immer unter dem Grenzwert .
Aber die Grenzwerte sind die halbe Wahrheit . Wir haben
keine Grenzwerte für Cocktails . Es ist auch der Dreh-
und Angelpunkt bei den Zulassungsverfahren, dass wir
keine Prüfungen für die Mischung von Pestiziden haben,
dass wir über deren Risiken überhaupt nichts wissen .

Ein weiteres Problem – ich komme demnächst zum
Schluss – bei Zulassungsverfahren ist: Wir haben keine
Kenntnis über das, was die Industrie im Vorfeld, bevor sie
Studien abliefert, für ihre Good-Laboratory-Practice-Prü-
fungen durchführt . Sie können lange untersuchen, bevor
sie ein Untersuchungsdesign festlegen, das sie am Ende
abliefern . Wir haben gesehen, dass ein Pestizidzyklus im-

mer läuft: Pestizide prüfen, Ungefährlichkeit feststellen,
zulassen .


Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1815006000

Herr Kollege Ebner, nicht nur die Ankündigung, son-

dern der tatsächliche Schluss ist jetzt erreicht .


Harald Ebner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1815006100

Ich komme zum Schluss . – Am Ende stellen wir fest,

es wird gefährlich, und erst dann werden die Pestizide
vom Markt genommen . Wir kennen das von DDT und
anderen Substanzen . Damit muss endlich Schluss sein .
Wir müssen im Rahmen eines Humanbiomonitorings
bessere Daten zur Exposition gewinnen . Wir wollen, dass
die Landwirtschaft mit weniger Pestiziden, besser noch:
ohne Pestizide auskommt . Machen Sie endlich etwas da-
für .

Danke schön .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1815006200

Das Wort hat der Kollege Waldemar Westermayer für

die CDU/CSU-Fraktion .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Waldemar Westermayer (CDU):
Rede ID: ID1815006300

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Werte

Kolleginnen und Kollegen! Wir diskutieren heute ge-
meinsam den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln in unse-
rer Landwirtschaft . Zunächst möchte ich festhalten, dass
unsere Lebensmittel niemals zuvor so sicher, bezahlbar
und vielfältig waren .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Beim Thema Pflanzenschutz sind die Verbraucher aber
zu Recht sehr sensibel . Deshalb sollten wir uns sachlich
fundiert damit auseinandersetzen . Zu diesem sachlich
fundierten Umgang gehört für mich aber auch, dass wir
auf Basis gesicherter Erkenntnisse argumentieren . Die-
sem Anspruch werden Ihr Antrag und auch Ihre Rede,
Herr Hofreiter, leider nicht gerecht .

Übrigens, der Betrieb meines Sohnes befindet sich ge-
rade in der Phase der Umstellung auf Ökolandbau . Das
möchte ich auch einmal erwähnen .


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ich selber habe 40 Jahre lang den Betrieb geführt, habe
einige Jahre das Modell MEKA, das übrigens in Ba-
den-Württemberg von einer CDU-Regierung ins Leben
gerufen wurde, genutzt und über Jahrzehnte keine Pflan-
zenschutzmittel eingesetzt .


(Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Deshalb sind Sie noch so fit und rüstig! – Dr . Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das heißt, es geht ja!)


Sie behaupten, dass in Deutschland Jahr für Jahr mehr
Pflanzenschutzmittel eingesetzt werden, und stellen ei-

Harald Ebner






(A) (C)



(B) (D)


nen direkten Zusammenhang zwischen den Gewinnen
der Hersteller und Gesundheitsgefahren für die Men-
schen her . So ist das falsch . Zum einen geben die Zahlen
den von Ihnen beschriebenen Trend nicht her; denn der
Absatz der Wirkstoffe – darum geht es im Kern – ist seit
2011 ungefähr konstant geblieben . Zwischendurch ist
der Absatz sogar leicht gesunken . Sie, Herr Hofreiter, ha-
ben vorhin von 100 000 Tonnen gesprochen . Dazu muss
man sagen: 44 000 Tonnen entfallen auf den Wirkstoff,
das andere sind Füllstoffe . Im europaweiten Vergleich
der Zahlen liegt Deutschland nach Daten von Euro stat
beim Verkauf von Pflanzenschutzmitteln pro Hektar
landwirtschaftlicher Nutzfläche sogar leicht unter dem
EU-Durchschnitt .

Irreführend und populistisch finde ich zum anderen
auch Ihre Gegenüberstellung von Gewinnen der Herstel-
ler auf der einen Seite und Gesundheitsgefahren für den
Menschen auf der anderen Seite . Sie legen damit ganz
bewusst nahe, dass hier ein Zusammenhang besteht, und
wollen damit das Bild einer menschenverachtenden In-
dustrie zeichnen . Das hat aus meiner Sicht nichts mehr
mit seriöser Politik zu tun . Schließlich stellen diese Un-
ternehmen Wirkstoffe her, die – das sage ich ganz be-
wusst – nach unabhängigen wissenschaftlichen Unter-
suchungen mit hohem Sachverstand zugelassen wurden .
An dieser Stelle möchte ich ausdrücklich sagen: Ich bin
davon überzeugt, dass wir einen solchen unabhängigen
Sachverstand im Bundesamt für Verbraucherschutz und
Lebensmittelsicherheit und im Bundesinstitut für Risiko-
bewertung haben .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU sowie des Abg . Willi Brase [SPD])


Insbesondere wird die nationale Zulassung durch das
BVL internationalen Standards gerecht, vor allem auch
durch die intensive Zusammenarbeit mit dem Juli-
us-Kühn-Institut und dem Umweltbundesamt . Vor die-
sem Hintergrund kann ich die Fundamentalkritik am Zu-
lassungsverfahren in Ihrem Antrag nicht nachvollziehen .

Nach meiner Auffassung setzt Ihr Antrag im Kern den
falschen Schwerpunkt . Sie fordern primär ein Programm
zur Reduzierung des Einsatzes von Pflanzenschutzmitteln
mit dem Ziel des vollkommenen Verzichts auf diese Mit-
tel . Unabhängig davon, dass Sie damit den erheblichen
gesamtgesellschaftlichen Nutzen von Pflanzenschutzmit-
teln außer Acht lassen, bringt eine pauschale Reduktion
erst mal gar nichts . Gute und nachhaltige Agrarpolitik
bemisst sich nämlich nicht isoliert nach der bloßen Men-
ge der eingesetzten Pflanzenschutzmittel. Sonst würde
ein risikoreicheres Mittel, das schon in geringen Mengen
wirkt, besser bewertet werden als ein risikoärmeres mit
einer höheren Wirkungsschwelle . Das kann deshalb nicht
unser Ansatz sein .

Entscheidend ist vielmehr, dass man sich die Eigen-
schaften der eingesetzten Stoffe genau anschaut, eventu-
elle Risiken identifiziert und dementsprechend Maßnah-
men trifft . Letztlich ist demnach keine Mengen-, sondern
eine Risikoreduktion entscheidend . Das ist aus meiner
Sicht der nachhaltige und dem Vorsorgeprinzip entspre-
chende Ansatz, den wir verfolgen sollten .

Ausdrücklich möchte ich in diesem Zusammenhang
auch auf die Untersuchung der WHO hinsichtlich Gly-
phosat eingehen . Der vermeintliche Gegensatz zwischen
dem Ergebnis der WHO und dem Ergebnis des BfR und
der klaren Mehrheit der Zulassungsbehörden ist schlicht
im unterschiedlichen Ansatz der Untersuchung begrün-
det . Die WHO hat in ihrer Betrachtung nämlich keine
Risikobewertung im eigentlichen Sinn durchgeführt,
sondern lediglich abstrakt und allgemein das potenzielle
Krebsrisiko durch Glyphosat begutachtet . Das sagt je-
doch erst einmal nichts über das tatsächliche Risiko für
den einzelnen Bürger aus, welches maßgeblich für die
Zulassung ist . Ich ziehe daraus für mich den Schluss,
dass wir vor allem in der Forschung weiter vorankom-
men müssen . Hierfür übernimmt die Bundesregierung in
ihrem Aktionsplan auch einiges, vor allem mit der Natio-
nalen Forschungsstrategie BioÖkonomie 2030 .

Außerdem wird die Bundesregierung ihrem Anspruch
an eine nachhaltige Anwendung von Pflanzenschutzmit-
teln auch international gerecht . So betreibt das Bundes-
ministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung – in diesem Ausschuss bin ich auch ver-
treten – zusammen mit der GIZ in Entwicklungsländern
Resistenzforschung und bildet Bauern vor Ort in der An-
wendung des integrierten Pflanzenschutzes aus. Außer-
dem wird die Anwendung von Nachhaltigkeitsstandards
beim Einsatz von Pflanzenschutzmitteln in Zusammen-
arbeit mit der Privatwirtschaft gefördert, zum Beispiel
in einem regionalen Projekt zur Baumwollproduktion in
Afrika . Das zeigt den ganzheitlichen Ansatz, den wir bei
unserer Pflanzenschutzstrategie verfolgen, und beweist,
dass wir in der Sache auf einem guten Weg sind . Denn
wer eine Welt ohne Hunger will, kann nicht auf Pflan-
zenschutzmittel verzichten . Deshalb ist Ihr Antrag abzu-
lehnen .

Herzlichen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg . Willi Brase [SPD])



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1815006400

Der Kollege Carsten Träger hat für die SPD-Fraktion

das Wort .


(Beifall bei der SPD)



Carsten Träger (SPD):
Rede ID: ID1815006500

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Am Mitt-
woch fand im Umweltausschuss eine Anhörung zum Ver-
lust der Artenvielfalt bei Insekten statt . Das mag von dem
einen oder anderen belächelt werden: Wen interessieren
schon ein paar Mücken mehr oder weniger? Ich sage Ih-
nen: Mir ist das Schmunzeln vergangen . In der Anhörung
zeigten alle Sachverständigen die Dramatik des Arten-
sterbens auf, hier in Deutschland, in unserer Heimat, vor
unserer Haustür . In manchen Teilen Deutschlands ist die
Zahl der Fluginsekten um 80 Prozent zurückgegangen,
das ist der Anteil der Individuen, die verloren sind .

Das Aussterben von Arten hat ein unerkanntes Aus-
maß erreicht . Mehr als 20 Prozent der Großschmetterlin-

Waldemar Westermayer






(A) (C)



(B) (D)


ge – das haben Messungen an den jeweiligen Standorten
ergeben – sind verloren . Diese Arten sind in Deutschland
ausgestorben . Kann uns das kaltlassen?


(Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein!)


Der Verlust der Arten ist nicht nur bedrohlich, weil sie
ein wichtiger Bestandteil der Nahrungskette sind . Weni-
ger Insekten bedeuten auch weniger Futter, zum Beispiel
für Jungvögel . Der Verlust der Insekten ist nicht nur be-
drohlich, weil sie verantwortlich sind für das Bestäuben
eines Großteils der Pflanzen. Alle reden über Bienen,
aber die Wahrheit ist: Nicht nur die Bienen sind für die
Bestäubung zuständig . Der Verlust der Insekten ist auch
bedrohlich, weil sie Frühindikatoren für den Zustand un-
seres Lebensumfeldes sind . Kann uns das kaltlassen?

Liebe Kolleginnen und Kollegen, werfen wir doch ge-
rade anlässlich der Grünen Woche einen Blick auf die
Gründe . Alle Experten in der Anhörung vermuten Neo-
nikotinoide als Hauptursache für das Massensterben .
Das sind Pestizide, die seit Mitte der 90er-Jahre in der
Landwirtschaft eingesetzt werden . Seit es sie gibt, hat die
Geschwindigkeit des Sterbens von Insekten dramatisch
zugenommen . Und, seien wir ehrlich: So ganz überra-
schend ist der Befund nicht; dafür sind sie schließlich da,
die Neoniks . Landen sie in unserer Nahrung, mit Folgen
für unsere Gesundheit? Wer kann das mit Sicherheit aus-
schließen?

Liebe Kolleginnen und Kollegen, uns muss daran ge-
legen sein, den Einsatz von Pestiziden zu verringern .


(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Jeder Zustandsbericht zur Lage der Natur zeigt es immer
wieder: Der Indikator für Artenvielfalt gerade im Agrar-
land hat sich deutlich verschlechtert . Er ist auf den bisher
tiefsten Wert gesunken, und er ist weiter vom Zielwert
entfernt als alle anderen Indikatoren .

Die Landwirtschaft erhält in großem Umfang Agrar-
subventionen aus Steuermitteln . Die daran geknüpften
Umweltanforderungen sind allerdings wenig anspruchs-
voll und können am negativen Trend nichts ändern . Ich
unterstütze daher ausdrücklich unsere Umweltministe-
rin Barbara Hendricks bei ihrer Naturschutzoffensive
für eine Umgestaltung dieser Landwirtschaftssubven-
tionen .


(Beifall bei der SPD sowie des Abg . Dr . Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Es muss das Prinzip gelten: öffentliche Mittel für öffent-
liche Leistungen .

Kolleginnen und Kollegen, ich bin sehr dafür, dass wir
unsere Landwirte kräftig unterstützen . Ich bin aber auch
dafür, dass wir unsere Unterstützung an Leistungen für
den Naturschutz knüpfen .


(Beifall bei der SPD)


Wenn nicht mit Rücksicht auf Umwelt und Natur be-
wirtschaftet wird, sollten die Subventionen nicht mehr
fließen. Das wird nicht von heute auf morgen gehen;

gleichwohl müssen wir uns auf den Weg machen; denn
der Verlust der Artenvielfalt kann uns nicht kaltlassen .

Vielen Dank .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1815006600

Für die CDU/CSU-Fraktion hat nun der Kollege

Thomas Mahlberg das Wort .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Thomas Mahlberg (CDU):
Rede ID: ID1815006700

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Meine Damen und Herren! Herr Kollege Hofreiter, ich
muss sagen: Sie sind wirklich sehr konsequent gewesen .
Sie haben genau das getan, was man von Ihnen erwartet
hat . Sie wollen den Markenkern, den Sie für Ihre Partei
entwickeln, Angstpolitik zu machen und Panik zu ver-
breiten, auch mit diesem Antrag heute umsetzen . Ich
kann Ihnen sagen: Das ist Ihnen nicht gelungen .


(Beifall bei der CDU/CSU – Dr . Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Sie sind unbelehr bar!)


Sie haben in Ihrer Rede angesprochen, wie es in den
einzelnen Bundesländern aussieht . Sie haben die Bun-
desländer wegen der Kontrollen gelobt . Ich bitte Sie, zur
Kenntnis zu nehmen, dass wir gestern über den Ticker
eine Meldung aus Mecklenburg-Vorpommern zu Ihrem
Lieblingsthema Glyphosat erhalten haben:

Ministerium: Keine Glyphosatrückstände in Le-
bensmitteln aus MV

. . . in keiner der 135 Proben eine Überschreitung des
Grenzwertes nachgewiesen .


(Dr . Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja! Grenzwerte! – Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Lesen Sie die Studie!)


Untersucht wurden den Angaben zufolge frisches
Obst wie Äpfel . . .

Und so weiter . Das sind genau die Äpfel, die Sie eben
angesprochen haben .


(Dr . Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Zwischen Grenzwerten und nichts drin ist ein Unterschied! Kennen Sie den?)


Ich frage Sie: Was für Geschichten erzählen Sie eigent-
lich hier im Parlament?


(Beifall bei der CDU/CSU – Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Kennen Sie unsere Studie?)


Das ist genau der Punkt . Wir sprechen über Grenzwer-
te, die natürlich sinnvoll sind und zur Sicherung unserer
Bevölkerung festgelegt werden, und Sie sagen: Wenn

Carsten Träger






(A) (C)



(B) (D)


man etwas findet, dann ist das per se schlecht und muss
raus .


(Dr . Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wieso sind sie dann um den Faktor 100 erhöht worden?)


Gut ist, Herr Hofreiter, dass nicht nur wir erkennen,
was Sie hier machen, sondern mittlerweile auch andere
Leute Ihnen auf die Schliche kommen, auch die Leute,
die das, was Sie machen, transportieren sollen .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


So hat zum Beispiel Der Tagesspiegel im September letz-
ten Jahres einen Kommentar mit der Überschrift „Gly-
phosat: Wie groß ist die Gefahr?“ veröffentlicht . Im Tea-
ser kann man lesen:

Glyphosat in der Muttermilch? Eine höchst zweifel-
hafte Annahme . Bei der Bewertung von Pestiziden
sollte Sachlichkeit der Maßstab sein .

Herr Hofreiter, es geht um Sachlichkeit . Dieser Kom-
mentar bezieht sich auf eine – das kann man nur in ganz
dicken Anführungszeichen sagen – „Studie“, die im Auf-
trag Ihrer Fraktion, der Fraktion der Grünen, bei stillen-
den Müttern durchgeführt wurde .


(Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das war eine Untersuchung!)


Sich auf die Ergebnisse dieser Studie stützend, rief
Ihre Kollegin Bärbel Höhn – sie sitzt ja da; sie ist eine
sehr geschätzte Kollegin; wir waren früher ja zusammen
im Landtag von Nordrhein-Westfalen – der Bundesregie-
rung zu:

Die Bundesregierung muss Glyphosat aus dem Ver-
kehr ziehen .

Was können wir in dem Artikel weiter lesen? Ich zitiere
das einmal:

Aber die Grünen verschwiegen nicht nur, dass die
gefundenen Glyphosat-Mengen weit unterhalb der
Schadensschwelle lagen . Schlimmer noch, das ver-
wendete Testverfahren war gar nicht für Mutter-
milch geeignet, die Ergebnisse daher unbrauchbar .

Deshalb kann ich nur sagen, im Klartext: Das war großer
Murks, was Sie da veranstaltet haben .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1815006800

Kollege Mahlberg, gestatten Sie eine Frage oder Be-

merkung der Kollegin Höhn?


Thomas Mahlberg (CDU):
Rede ID: ID1815006900

Natürlich .


Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1815007000

Herr Kollege Mahlberg, Glyphosat ist seit langer Zeit

auf dem Markt . Es braucht eine gewisse Zeit, um Test-
verfahren zu evaluieren . Warum hat die Bundesregie-
rung mittlerweile nicht dafür gesorgt, dass wir evaluierte
Testverfahren haben, auch für Milch? Auch wir Grüne

müssen diese Tests machen, um die Bundesregierung
dazu zu treiben, endlich dafür zu sorgen, dass diese Tests
gemacht werden und die Tests evaluiert sind, sodass wir
diese Diskussion nicht mehr führen müssen . Warum?
Wir machen auf ein Problem aufmerksam, aber Sie ver-
hindern die Lösung, die wir brauchen, um hier objektive
Fakten auf den Tisch legen zu können . Deshalb: Handeln
Sie endlich im Interesse der Verbraucher, und reden Sie
hier nicht so rum .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)



Thomas Mahlberg (CDU):
Rede ID: ID1815007100

Frau Kollegin Höhn, umgekehrt wird ein Schuh da-

raus. Sie erfinden Testverfahren, die nicht geeignet sind,
weil Sie bestimmte Ergebnisse erzielen wollen .


(Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wollen Sie endlich zur Kenntnis nehmen, dass die Bundesregierung keinen Pfifferling dafür getan hat, dass es sie gibt?)


Sie wollen ja nicht wirklich Ergebnisse haben, sondern
Sie wollen Ergebnisse finden, mit denen Sie Ihre Angst-
politik weiter betreiben können .


(Beifall bei der CDU/CSU)


An der Stelle sind Sie sich nicht zu schade, Äpfel und
Birnen miteinander zu vergleichen . Wie gesagt, auch
Journalisten kommen Ihnen hier auf die Schliche .


(Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Antworten Sie jetzt noch auf die Frage? – Gegenruf von der CDU/CSU: Ist doch beantwortet!)


– Habe ich .


(Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Feigling!)


Ich darf Ihnen auch verraten, wie der Artikel wei-
tergeht; er ist sehr spannend . Ich stelle ihn Ihnen gerne
zur Verfügung . Da ist dann von den hanebüchenen Test-
ergebnissen und vor allen Dingen von der ungerecht-
fertigten Panikmache unter Müttern die Rede . Der Ta-
gesspiegel-Kommentator unterstellt Ihnen sogar, liebe
Kolleginnen und Kollegen von der Fraktion der Grünen,
dass die Angstmacherei am Ende sogar Sinn der gan-
zen Sache war . Soll ich Ihnen etwas sagen? Er trifft ins
Schwarze . Genau das ist hier der Fall . Sie haben es heute
wieder unter Beweis gestellt .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Ich weiß nicht, ob Ihnen diese Sache nicht schon pein-
lich genug ist, aber ich kann gerne noch andere Beispie-
le bringen . In dem Antrag, den Sie heute gestellt haben,
entlarven Sie sich selbst auch mit Ergebnissen einer wei-
teren Studie . In dem Fall geht es um Stichproben zum
Glyphosat-Gehalt im Urin von Stadtbewohnern . Diese –
Sie nennen das so – wissenschaftliche Arbeit wurde von
der renommierten und bestimmt weltweit anerkannten
Forschungseinrichtung BUND – das ist nicht der Bund,
sondern der Bund für Umwelt und Naturschutz – durch-

Thomas Mahlberg






(A) (C)



(B) (D)


geführt . Es ist bestimmt eine sehr renommierte For-
schungseinrichtung .


(Zuruf von der CDU/CSU: Wer bezahlt das?)


Die Exzellenz der wissenschaftlichen Leistung, die hier
erbracht worden ist, wurde, wie ich meine, vom Rhei-
nisch-Westfälischen Institut für Wirtschaftsforschung zu
Recht erkannt und mit dem Titel „Unstatistik des Mo-
nats“ prämiert . Das sind die Quellen, auf die Sie sich
berufen .


(Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Das Institut, das Mitglied in der Leibniz-Gemeinschaft
und vom Bund und den Ländern finanziert wird, ordnet
die Studie als „groben statistischen Unfug“ ein .

In Ihrem Antrag bieten Sie, wie ich finde, noch mehr
Peinlichkeiten . Gleich auf der ersten Seite Ihres Antrags
beziehen Sie sich angeblich auf die Daten des Bundes-
amtes für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicher-
heit aus dem Jahr 2013 . Laut Ihrer Aussage wurde bei
106 Proben eine Überschreitung der Rückstandshöchst-
gehalte festgestellt . Ich weiß nicht, woher Sie die Zahlen
haben. Ich finde die da nicht. Wenn man in die Natio-
nale Berichterstattung „Pflanzenschutzmittelrückstände
in Lebensmitteln“ aus dem Jahr 2013 schaut, sieht man,
dass es diese Zahl dort gar nicht gibt . Man kann in dem
Bericht hingegen andere Zahlen finden. Das sind eigent-
lich die interessanten . Aber ich verstehe, dass Sie diese
nicht nennen; denn sie passen nicht in die Panikmache,
die Sie betreiben .

Aber ich spiele an dieser Stelle gerne einmal den
Spielverderber und darf vielleicht aus dem Bericht des
Bundesamtes für Verbraucherschutz und Lebensmittelsi-
cherheit die Ergebnisse der in Deutschland im Jahr 2013
an Lebensmitteln erfolgten Untersuchungen auf Pflanzen-
schutzmittelrückstände zusammenfassen . Da heißt es:

So traten im Jahr 2013 bei insgesamt 1,1 % der be-
probten Erzeugnisse . . . aus Deutschland . . . Über-
schreitungen der geltenden Rückstandhöchstgehalte
auf . . . So wurden im Berichtsjahr 0,6 % der unter-
suchten deutschen . . . Erzeugnisse . . . aufgrund von
Rückstandshöchstgehaltsüberschreitungen bean-
standet .

Das ist eine Quote von 0,6 Prozent bei 17 000 Proben .

Selbstverständlich gilt auch der Grundsatz, dass natür-
lich nicht alles gesundheitsgefährdend ist, was da auf den
Tisch kommt . Darauf weist das BVL in der Studie natür-
lich explizit hin . Ich glaube auch nicht, dass wir an dieser
Stelle einen Dissens haben . Deshalb frage ich Sie, Herr
Hofreiter, einmal ganz persönlich, warum Sie hier diese
ganze Panikmache und Irreführung betreiben . Ihnen geht
es doch eigentlich nur um einen parteipolitisch ideologi-
schen Ansatz . Sie wollen im Grunde schon Wahlkampf
betreiben und bereiten so zum Beispiel Ihre Konferenz
am morgigen Tag vor . Das ist doch eigentlich das Ziel,
das Sie hier haben, oder nicht?


(Beifall bei der CDU/CSU – Dr . Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wollen Sie jetzt ernsthaft eine Antwort von mir haben?)


Immer getreu dem Motto: Falsche Dinge lange genug be-
haupten, dann bleibt schon etwas hängen, dann wird es
an irgendeiner Stelle entsprechend transportiert .


(Dr . Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben mich persönlich gefragt! Wollen Sie eine Antwort haben? Oder wie stellen Sie sich das vor?)


Es mag Ihnen nicht gefallen, aber Sie sollten endlich
einmal einsehen, dass unsere Lebensmittel so sicher sind
wie nie zuvor . Die Kolleginnen und Kollegen haben in
ihren Beiträgen schon darauf hingewiesen . Die Bundes-
bürger haben – auch wenn Ihnen das nicht passt – ein
ganz hohes Vertrauen in die heimische Landwirtschaft
und unsere Erzeugnisse .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg . Dr . Wilhelm Priesmeier [SPD])


Laut dem Ernährungsreport 2016, der auch Ihnen vor-
liegt, also einer repräsentativen Umfrage im Auftrag un-
seres Landwirtschaftsministeriums, sagen 77 Prozent der
befragten Bürger mehrheitlich, dass Lebensmittel sehr
sicher sind. Ich finde, mit Ihren Diffamierungskampag-
nen und der Angstmacherei, die Sie betreiben, zerstören
Sie doch gerade das Vertrauen in unsere sicheren Lebens-
mittel . Das darf doch nicht wahr sein, was Sie hier im
Parlament betreiben .

Das Schlimme ist: Wir haben wissenschaftliche Ins-
titute, wir haben Behörden, wir haben das BfR und die
EFSA . Mit den Studien, die Sie machen, ziehen Sie die
seriöse Arbeit genau dieser Institutionen in Zweifel . Es
kann doch nicht wahr sein, dass man versucht, Politik auf
Panikmache aufzubauen . Im Prinzip machen Sie nichts
anderes, als unsere Landwirte und Landwirtinnen zu ent-
mündigen .


(Beifall bei der CDU/CSU)

Sie haben es ja gehört: Da wird mit großer Sachkunde

und mit ganz großem Verantwortungsbewusstsein vorge-
gangen – Sie haben es auch gerade von meinem Kolle-
gen Westermayer noch einmal gehört, wie es in seinem
Betrieb gelaufen ist: mit großer Sachkunde wird das ge-
macht –, und Sie sprechen hier immer von „Ackergif-
ten“; dabei geht man – so sage ich einmal – sehr dosiert
mit Pflanzenschutzmitteln um.


(Dr . Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Und die Insekten sterben zufällig, oder was?)


Ich könnte jetzt noch etwas zum Nationalen Aktions-
plan zur nachhaltigen Anwendung von Pflanzenschutz-
mitteln sagen; ich glaube aber, darüber ist schon gespro-
chen worden . Ich kann nur sagen: Der richtige Ansatz ist
natürlich Risikominderung; in diesem Punkt sind wir uns
ja einig . Das kann auch etwas mit Mengenminderung zu
tun haben, aber Risikominderung ist der entscheidende
Punkt . Notwendigkeiten zu erkennen und Risiken zu mi-
nimieren, muss im Grunde das sein, was wir tun müssen .

Herr Hofreiter, ich empfehle Ihnen einfach einmal, ei-
nen Grundkurs beim BfR zu machen . Dann werden Sie
wahrscheinlich die eine oder andere Notwendigkeit an
dieser Stelle auch einsehen .

Zum Schluss will ich Ihnen noch verraten –

Thomas Mahlberg






(A) (C)



(B) (D)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1815007200

Herr Kollege Mahlberg, achten Sie bitte auf die Zeit!


Thomas Mahlberg (CDU):
Rede ID: ID1815007300

– ich bin sofort fertig, Frau Präsidentin –, was noch im

Kommentar des Tagesspiegels zu Ihren Angstkampagnen
steht . Der Artikel endet nämlich folgendermaßen: „Jetzt
muss sich nur noch die Vernunft durchsetzen .“


(Dr . Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Haben Sie eigentlich auch einen eigenen Gedanken, oder lesen Sie nur aus dem Kommentar vor? Warum haben Sie eigentlich so viel Redezeit, wenn Sie nur Kommentare vorlesen? Die können wir auch selber lesen!)


Vernünftig wäre es, wie gesagt, mal einen Grundkurs zu
belegen .

Wir sprachen gestern über Wahrheit und Klarheit beim
Deutschen Lebensmittelbuch. Wahr ist, wie ich finde: Ihr
Antrag ist unterirdisch . Und klar ist: Hier im Haus wird
Ihr Antrag gar nicht gebraucht .

Danke schön .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1815007400

Für die SPD-Fraktion hat die Kollegin Elvira

Drobinski-Weiß das Wort .


(Beifall bei der SPD)



Elvira Drobinski-Weiß (SPD):
Rede ID: ID1815007500

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren!

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn wir über die
Gefahren von Pestiziden und Glyphosat diskutieren, fällt
zwangsläufig ja auch immer wieder der Name des Bun-
desinstituts für Risikobewertung .

Der aktuelle Verbrauchermonitor, den das Bundes-
institut regelmäßig erstellt, hat mir dabei für die Debatte
wichtige Erkenntnisse geliefert, nämlich dass beispiels-
weise 65 Prozent der befragten Bürgerinnen und Bürger
sich wegen des Einsatzes von Pflanzenschutzmitteln um
die Sicherheit von Lebensmitteln sorgen . Und ihre An-
zahl ist in den vergangenen Jahren nicht gesunken, son-
dern gestiegen .


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Oh! Da hat Herr Mahlberg gerade etwas anderes gesagt!)


Über die Hälfte aller Befragten wünscht sich, dass der
Staat mehr konkrete Maßnahmen wie Verbote und Be-
schränkungen ergreift, um sie, nämlich die Verbrauche-
rinnen und Verbraucher, vor gesundheitlichen Risiken zu
schützen . Ich kann diese Bedenken sehr gut nachvollzie-

hen. Pestizide finden sich in Milch, in Brötchen und im
menschlichen Urin wieder . Gesund kann das nicht sein .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Der Wirkstoff Glyphosat gehört unter den Pflanzen-
giften inzwischen zu den bekanntesten seiner Art . Behör-
den auf allen Ebenen streiten sich mit Wissenschaftlern
und Wissenschaftlerinnen aus allen Ländern darüber, ob
Glyphosat „krebserregend“, „wahrscheinlich krebserre-
gend“ oder „gesundheitlich unbedenklich“ ist . Ich bin
keine Wissenschaftlerin . Ich muss mich auf die fachliche
Beurteilung durch Dritte verlassen . Wenn ich aber höre,
dass kritische, unabhängige Studien wegen fehlender
Formalitäten bei der Risikobewertung einfach ignoriert
werden, kommen mir doch erhebliche Zweifel an der
Glaubwürdigkeit dieser Beurteilungen .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Demgegenüber stehen die eindringlichen Warnungen
von Experten und Expertinnen, die anmahnen, den Ein-
satz von Glyphosat deutlich einzuschränken bzw . zu ver-
bieten . Nicht zuletzt durch den Streit in der Wissenschaft
hat der Wirkstoff eine traurige Berühmtheit erlangt . Er
wird auch weltweit am meisten genutzt . Regelmäßig er-
reichen uns Berichte aus Brasilien, Argentinien und Indi-
en, wo Glyphosat in großen Mengen verspritzt wird – mit
unübersehbaren Folgen für die Anwohner und für die Ar-
beiterinnen und Arbeiter auf den Feldern .

Der Handel hat bereits auf diese Bilder reagiert und
entsprechend den Wünschen seiner Kunden gehandelt .
Die großen Baumarktketten beispielsweise haben sich
dazu entschlossen, Glyphosat nicht mehr zum Kauf an-
zubieten . Das gilt auch für deren Onlinehandel . Ich be-
grüße es außerordentlich, dass die Unternehmen in dieser
Sache so verantwortungsbewusst handeln . Auch in ihrem
Interesse kann es daher nur sein, wenn wir zügig eine
Regelung schaffen, die für den gesamten Handel gilt:


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)


Für den privaten Gebrauch sollte Glyphosat nicht mehr
frei erhältlich sein .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Die SPD wird sich deshalb für ein Verbot im Bereich von
Haus- und Kleingärten und auch im kommunalen Be-
reich einsetzen .


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist ja schon einmal etwas!)







(A) (C)



(B) (D)


Denn dort, wo Menschen unmittelbar mit dem Gift in
Berührung kommen, ist das gesundheitliche Risiko be-
sonders groß .


(Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jawohl!)


Ich bin mir sicher, dass auch Eltern nicht wollen, dass
ihre Kinder auf Spielplätzen, in öffentlichen Parks und
Gärten spielen, also da, wo das Gift dann auch ange-
wendet wird, egal in welchen Mengen . Nach wie vor bin
ich auch davon überzeugt, dass die Landwirtschaft ohne
Glyphosat auskommen kann .


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Hier müssen wir nur die Anwendung konsequent redu-
zieren, Schritt für Schritt, aber mit dem Ausstieg als kla-
rem Ziel vor Augen .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


In der Tat können wir auf nationaler Ebene nur zu
einem kleinen Teil zur Lösung beitragen, insbesondere
wenn es um die Lebensmittelsicherheit geht . Doch wir
sollten als gutes Beispiel vorangehen . Von unseren hohen
Lebensmittelstandards haben wir bis jetzt noch immer
profitiert.

Herzlichen Dank .


(Beifall bei der SPD sowie des Abg . Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1815007600

Ich schließe die Aussprache .

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 18/7240 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen . Sind Sie damit ein-
verstanden? – Das ist der Fall . Dann ist die Überweisung
so beschlossen .

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 19 auf:

Erste Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Um-
setzung der Richtlinie 2014/26/EU über die
kollektive Wahrnehmung von Urheber- und
verwandten Schutzrechten und die Vergabe von
Mehrgebietslizenzen für Rechte an Musikwer-
ken für die Online-Nutzung im Binnenmarkt
sowie zur Änderung des Verfahrens betreffend
die Geräte- und Speichermedienvergütung

(VG-Richtlinie-Umsetzungsgesetz)


Drucksache 18/7223
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz (f)

Ausschuss für Kultur und Medien
Ausschuss Digitale Agenda

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 38 Minuten vorgesehen . – Ich höre kei-
nen Widerspruch . Dann ist das so beschlossen .

Ich bitte, die offensichtlich notwendigen Umgruppie-
rungen in den Fraktionen zügig vorzunehmen und die
Gesprächsrunden aus dem Plenum nach draußen zu ver-
lagern .

Ich eröffne die Aussprache . Das Wort hat der Bundes-
minister der Justiz, Heiko Maas .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Heiko Maas, Bundesminister der Justiz und für Ver-
braucherschutz:

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen
und Herren! Das Urheberrecht ist in Bewegung . Heute
beraten wir zu diesem Thema hier im Parlament das erste
große Gesetzgebungsverfahren in dieser Legislaturperio-
de, nämlich das neue Recht der Verwertungsgesellschaf-
ten . Der Anstoß dazu kam aus Brüssel . Wir setzen eine
Richtlinie um, die das Recht der Verwertungsgesellschaf-
ten europaweit harmonieren soll . Unser altes deutsches
Urheberrechtswahrnehmungsgesetz wird damit abgelöst .
Es hat immerhin fünf Jahrzehnte die Spielregeln von
GEMA, VG WORT und anderen Verwertungsgesell-
schaften bestimmt .

Meine Damen und Herren, wir machen mit diesem
Gesetz nicht alles anders, aber wir machen, wie wir fin-
den, vieles besser . Ich will drei Punkte herausheben .

Erstens . Wir stärken die Mitbestimmung . Unser Ge-
setzentwurf enthält neue Kompetenzen und Verfahren,
die dafür sorgen, dass alle Mitglieder und Berechtigten
in ihrer Verwertungsgesellschaft mitreden und auch mi-
tentscheiden können .

Zweitens . Wir passen das Recht an das digitale Zeital-
ter an . Wir regeln die gebietsübergreifende Vergabe von
Musikrechten neu . Das ist für Onlinemusikangebote er-
forderlich, etwa für Streaming-Dienste wie Spotify oder
auch andere .

Drittens . Wir reformieren die sogenannte Vergütung
der Privatkopie . Um das Verfahren zur Festsetzung der
Tarife effizienter zu machen, führen wir unter anderem
ein Schiedsstellenverfahren ein . Wir sorgen so dafür,
dass Autoren und Verlage in Zukunft schneller an ihr
Geld kommen werden . Das schafft auch und vor allen
Dingen mehr Rechtssicherheit für die Unternehmen . Sie
können künftig wesentlich besser einplanen, welche Ver-
gütungskosten noch auf sie zukommen werden .

Außerdem schützen wir die Kreativen besser vor
Ausfallrisiken . Wir sichern sie dadurch ab, dass die
Schiedsstelle künftig eine Sicherheitsleistung für ihre
Vergütungsansprüche anordnen kann, etwa in Form einer
Bankbürgschaft .

Bewährte Grundsätze behalten wir aber bei . So wird es
bei diesem Gesetzentwurf in der Sache auch einen hohen
Wiederkennungswert geben . Verwertungsgesellschaften
sind auch in Zukunft dazu verpflichtet, Nutzungsrechte
zu angemessenen Bedingungen einzuräumen . Es bleibt
also beim Wahrnehmungs- und Abschlusszwang . Es
bleibt auch bei der Erlaubnispflicht für Verwertungsge-
sellschaften, und schließlich werden die Verwertungs-
gesellschaften auch in Zukunft weit mehr sein als der

Elvira Drobinski-Weiß






(A) (C)



(B) (D)


Treuhänder der Rechteinhaber . Es geht eben nicht nur
um Tantiemen, sondern auch um den Wert kreativer
Leistungen für unsere Kulturgesellschaft . Deshalb wird
es auch weiter Aufgabe der Verwertungsgesellschaften
sein, Künstlerinnen und Künstler zu fördern und zu un-
terstützen – auch wenn sie etwa in einer Schaffenskrise
in Not geraten sind .

Das sind die wesentlichen Aspekte dieses Gesetzent-
wurfs . Ich kann aber auch ankündigen, dass unsere Ar-
beiten am Urheberrecht weitergehen werden .

Der nächste Gesetzentwurf, den wir hier schon bald
zur Beratung und zur Entscheidung vorstellen möchten,
betrifft das Urhebervertragsrecht . Wir wollen damit ins-
besondere den gesetzlichen Anspruch auf eine angemes-
sene Vergütung für kreative Leistungen stärken und gel-
tendes Recht besser durchsetzbar machen .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wir arbeiten außerdem an einem Gesetzentwurf zur
Bildungs- und Wissenschaftsschranke, damit Schulen
und Unis die Chancen der Digitalisierung in Zukunft
noch stärker nutzen können .

Schließlich geht auch – wie Ihnen nicht verborgen
geblieben ist – die Arbeit in Brüssel weiter . Zuletzt hat
uns das Reprobel-Urteil mit seinem Votum gegen eine
Beteiligung der Verleger an der Privatkopievergütung
deutlich gemacht: In vielen Fragen des Urheberrechts
stellt heute der Europäische Gerichtshof die Weichen .
Deshalb brauchen wir an vielen Stellen neue gesetzliche
Regeln, und wir werden uns in Brüssel dafür starkma-
chen, dass auch in Zukunft Autoren und Verleger solche
Vergütungsansprüche wahrnehmen können . Ich halte das
für die weitaus bessere Lösung .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Zudem geht es darum, dass wir auf nationaler, aber
auch auf europäischer Ebene dafür sorgen müssen, dass
in Zukunft nicht die Gerichte, sondern die gewählten
demokratischen Parlamente weiterhin die Regeln des
Urheberrechtes bestimmen . Deshalb gibt es an vielen
Stellen des Urheberrechtes, das teilweise vor Jahrzehn-
ten beschlossen worden ist und das die Dynamik der
technischen Entwicklung in der digitalisierten Welt häu-
fig nicht widerspiegelt, Veränderungsbedarf. Dem wollen
wir uns stellen .

Schönen Dank .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1815007700

Das Wort hat der Kollege Harald Petzold für die Frak-

tion Die Linke .


(Beifall bei der LINKEN)



Harald Petzold (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1815007800

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen

und Kollegen! Liebe Zuschauerinnen und Zuschauer auf
den Tribünen! Die Präsidentin hat uns das Wortungetüm

des Gesetzentwurfs der Bundesregierung, den wir heute
hier verhandeln, vorgelesen . Die kurze Überschrift lautet
„Umsetzung der Verwertungsgesellschaften-Richtlinie“ .

Verwertungsgesellschaften erfreuen sich nicht gerade
größter Beliebtheit in der Gesellschaft . Gerade die jungen
Zuschauerinnen und Zuschauer auf den Tribünen werden
sich möglicherweise an den frustrierenden Moment erin-
nern, als sie vor dem Bildschirm ihres Computers geses-
sen haben, weil sie sich auf YouTube einen Titel anhö-
ren oder ihn vielleicht sogar herunterladen wollten, und
nur eine schwarze Fläche zu sehen war, weil die GEMA
erklärt hat, dass die Rechte dafür in Deutschland nicht
geklärt wären .

Aber auch Personen meines Jahrgangs hier im Saal
werden sich möglicherweise daran erinnern, dass sie als
Mitglied des Fördervereins einer Kita oder einer Schule
oder als Mitglied einer Willkommensinitiative versucht
haben, ein Weihnachtskonzert, ein Benefizkonzert oder
eine andere Kulturveranstaltung zu organisieren, und er-
leben mussten, dass im Finanzplan der Veranstaltung der
Posten „GEMA-Gebühren“ einen nicht ganz unerheb-
lichen Finanzbetrag von ihnen einforderte, obwohl sie
eigentlich einen guten Zweck verfolgt haben; dennoch
mussten sie dafür löhnen .

Insofern erfreuen sich Verwertungsgesellschaften
nicht unbedingt großer Beliebtheit . Sie sind aber eine
sehr wichtige und eigentlich auch eine gute Institution,
weil sie gerade angesichts der Tatsache, dass wir uns im
Internetzeitalter befinden und es weltweite Vertriebs-
möglichkeiten von Musik- und Kunstprodukten gibt,
dafür sorgen, dass Komponistinnen und Komponisten,
Textdichterinnen und Textdichter, Fotografinnen und
Fotografen, bildende Künstlerinnen und Künstler so-
wie Autorinnen und Autoren ihr Geld nicht einzeln bei
den Verwerterinnen und Verwertern einfordern müssen,
sondern das kollektiv über eine Organisation betreiben
können .

Insofern ist meine Fraktion, die Linke, sehr dafür, dass
Verwertungsgesellschaften gut reguliert werden und or-
dentlich arbeiten können . Wir haben bereits in der ver-
gangenen Legislaturperiode dazu einen Antrag vorgelegt
und einen Gesetzentwurf eingefordert . In dem Antrag
haben wir eine ganze Reihe von Kriterien genannt, die
inzwischen auch in die Regelungen der Europäischen
Kommission eingeflossen sind und die jetzt hier umge-
setzt werden sollen . Insofern sind sie natürlich von der
Bundesregierung aufgegriffen worden und finden sich im
Gesetzentwurf wieder .

Gleichzeitig muss ich sagen: Wenn ich mir den Ge-
setzentwurf, den die Bundesregierung hier vorlegt, insge-
samt angucke, erinnert er mich eher an die Echternacher
Springprozession; denn es werden drei Schritte nach
vorn und zwei zurück gemacht, oder, um in Richtung der
Kolleginnen und Kollegen von der SPD mit dem Ihnen
bekannten Schriftsteller Günter Grass zu sprechen: „Der
Fortschritt ist eine Schnecke“ .

Bundesminister Heiko Maas






(A) (C)



(B) (D)


Was in aller Welt hat Sie denn daran gehindert, für
mehr Binnendemokratie in den Verwertungsgesellschaf-
ten zu sorgen?


(Beifall bei der LINKEN)


Was hat Sie denn dazu bewogen, ein Aufsichtsmodell zu
wählen, das aus den 60er-Jahren stammt,


(Dr . Volker Ullrich [CDU/CSU]: Das hat sich bewährt!)


und das Deutsche Patent- und Markenamt für die Auf-
sicht sorgen zu lassen?


(Christian Flisek [SPD]: Sie müssen jedem die Kompetenz absprechen, oder?)


Ich hatte bereits in der Befragung der Bundesregierung
im November vergangenen Jahres angefragt, wie die
Bundesregierung das gestalten will . Die Antwort ließ
nichts Gutes erahnen . Warum wurde das Deutsche Pa-
tent- und Markenamt als Aufsicht für diese Verwertungs-
gesellschaften ausgewählt?


(Dr . Karl-Heinz Brunner [SPD]: Warum nicht?)


Um nur ein Beispiel zu nennen: Wenn ein Konzert or-
ganisiert wird und dann die GEMA-Gebühr bezahlt wer-
den soll, richtet sich der Beitrag nach einem vom Deut-
schen Patent- und Markenamt genehmigten Tarif . Aber
das Deutsche Patent- und Markenamt hat nicht die Spur
einer Ahnung davon, wer beispielsweise Organisator sol-
cher Konzerte sein und welche Interessen dieser haben
kann . Wenn beispielsweise ein Konzert zu einem guten
Zweck bzw. ein Benefizkonzert organisiert werden soll,
ist es eigentlich nicht sinnvoll, die Veranstalter in einem
so hohen Maße zur Kasse zu bitten .

Genauso könnte ich Sie fragen: Was hat Sie dazu
bewogen, dieses kastenähnliche binnendemokratische
Mitbestimmungsmodell aus den 60er-Jahren in dem Ge-
setzentwurf weiter fortzuführen, das nur Mitgliedern –
insofern stimmt es nicht ganz, was Sie hier vorgetragen
haben – in den Verwertungsgesellschaften eine tatsächli-
che Mitbestimmung sichert?

Das alles ist nicht zielführend, weil es dazu führt, dass
beispielsweise, wenn die Gewinne oder die Einnahmen
der Verwertungsgesellschaften an die Beteiligten aus-
geschüttet werden, vor allen Dingen die Großverdiener
bevorzugt werden und gerade kleinere, finanzschwäche-
re Kreative, die eigentlich viel mehr darauf angewiesen
wären, dass sie von den Einnahmen profitieren, benach-
teiligt werden .

All dies sind Dinge, die wir dringend noch korrigieren
müssen . Insofern freue ich mich auf die parlamentarische
Debatte zu diesem Gesetzentwurf .

Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit .


(Beifall bei der LINKEN)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1815007900

Der Kollege Dr . Stefan Heck hat für die CDU/

CSU-Fraktion das Wort .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Stefan Heck (CDU):
Rede ID: ID1815008000

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und

Herren!

Dieses Video ist in Deutschland nicht verfügbar, da
es möglicherweise Musik enthält, für die die erfor-
derlichen Musikrechte von der GEMA nicht einge-
räumt wurden .

Diesen Satz kennt wohl – Herr Kollege Petzold, auch
Sie haben es angesprochen – jeder YouTube-Nutzer .
Vielleicht haben auch Sie sich schon einmal darüber ge-
ärgert, dass, wenn Sie ein solches Video aufgerufen hat-
ten, ein schwarzer Bildschirm mit einem traurigen roten
Gesicht erschien . Das macht deutlich, dass Urheberrecht
zwar manchmal, aber nicht immer Spaß macht . Vor allem
ist es verwirrend, dass manche Inhalte zwar in einigen
Ländern verfügbar sind, in anderen wiederum nicht .

Herr Minister, Sie haben es gesagt: Mit dem neuen
Verwertungsgesellschaftengesetz lösen wir das alte Ur-
heberrechtswahrnehmungsgesetz ab, das diesen Rechts-
bereich über viele Jahrzehnte geregelt hat . Wir ändern
aber nicht nur den Namen . Wir lösen auch eine ganze
Reihe von Rechtsproblemen, die in der Vergangenheit
aufgetreten sind, insbesondere das der länderübergreifen-
den Rechtewahrnehmung . Wir setzen die Vorgaben der
EU-Richtlinie um . Was uns ganz wichtig ist: Wir behal-
ten dabei das hohe Urheberrechtsniveau in der Bundes-
republik Deutschland bei, auf das wir zu Recht stolz sein
können, liebe Kolleginnen und Kollegen .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Das Urheberrecht, das sich schon begrifflich von dem
englischen Copyright unterscheidet, stellt die wirtschaft-
liche Grundlage kreativen Schaffens dar . Es entspringt
dem Eigentumsrecht und dem Persönlichkeitsrecht des
Urhebers . Er selbst steht im Mittelpunkt . Er selbst ent-
scheidet darüber, was mit dem von ihm geschaffenen
Werk am Ende geschieht . Die Verwertungsgesellschaf-
ten, die im Mittelpunkt dieses Gesetzentwurfes stehen,
unterstützen den kreativen Urheber, der nicht selten da-
mit überfordert ist, seine Rechte selbst wahrzunehmen
und durchzusetzen . Diese Aufgabe der Verwertungsge-
sellschaften kann man gar nicht hoch genug einschätzen .
Deswegen ist das Urheberrecht das Recht auf Eigentum
im digitalen Zeitalter .

Auch das ist schon angesprochen worden: Bei der
gesamten Diskussion um das Urheberrecht in Deutsch-
land, aber auch in Europa kommt den Verlagen eine ganz
wichtige Rolle zu . Sie unterstützen den Urheber in seiner
Arbeit . Sie haben eine wichtige Aufgabe bei der Aus-
wahl, Bearbeitung und Betreuung von Werken . Dass es
in Deutschland ein so hohes Publikationsniveau gibt, ist
am Ende ein gemeinsames Verdienst von Urhebern auf
der einen und Verlagen auf der anderen Seite .

Harald Petzold (Havelland)







(A) (C)



(B) (D)


Ich glaube, wir alle, die wir uns mit dem Urheberrecht
beschäftigen, haben in den letzten Wochen und Monaten
sehr aufmerksam die Rechtsprechung des Europäischen
Gerichtshofs zu diesem Thema verfolgt; auch das ist
schon angesprochen worden . Das Urteil in der Rechts-
sache Reprobel hat deutsche Verlage in eine schwierige
und teilweise existenzbedrohende Situation gebracht .
Deswegen, finde ich, sollten wir heute das Signal sen-
den: Wir lassen es nicht zu, dass die deutsche Verlags-
landschaft von der europäischen Rechtsprechung quasi
im Handstreich zerstört wird .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Die Harmonisierung des hohen Urheberrechtsstan-
dards auf EU-Ebene hat für die Urheber, aber auch für
die Nutzer sehr große Vorteile . Künftig gelten EU-weit
die gleichen Spielregeln . Für den gesamten EU-Raum
wird nun die Möglichkeit bestehen, grenzübergreifende
Lizenzen zu erhalten . Die Einholung von 27 Lizenzen
der Verwertungsgesellschaften aus 27 Mitgliedstaaten
wird künftig der Vergangenheit angehören . Das wird hof-
fentlich auch dazu führen, dass Sie bei YouTube den ein-
gangs erwähnten Satz „Dieses Video ist in Ihrem Land
nicht verfügbar“ auf Ihrem Bildschirm künftig nicht
mehr so häufig lesen müssen.

Für die Urheber bietet sich ein weiterer Vorteil . Es
gibt nämlich einen größeren Wettbewerb bei den Ver-
wertungsgesellschaften . Ihnen wird es ermöglicht, Ver-
wertungsgesellschaften in anderen Mitgliedstaaten der
Europäischen Union mit der Wahrnehmung ihrer Rechte
zu beauftragen .

Aber wir bleiben als Koalition nicht bei dem stehen,
was uns der europäische Normgeber vorgegeben hat .
Wir haben uns im Koalitionsvertrag das Ziel gesetzt, die
kollektive Rechtewahrnehmung durch Verwertungsge-
sellschaften zu stärken und die Aufsicht darüber künftig
noch effektiver zu gestalten . Dabei möchte ich ein Pro-
blem ansprechen, das uns alle beschäftigt hat und das
auch zu vielen Diskussionen geführt hat .

Es ist ein gravierendes Problem in der urheberrecht-
lichen Praxis, dass das Verfahren zur Festsetzung der
sogenannten Privatkopievergütung im Moment viel zu
lange dauert . Es gibt für Vervielfältigungsgeräte und für
Speichermedien in weiten Teilen bislang keine wirksa-
men Gesamtverträge . Das führt dazu, dass es auch kei-
nerlei Zahlungen seitens der Vergütungsschuldner an die
Kreativen und die Urheber gibt . Dadurch haben sich ganz
beträchtliche Vergütungsrückstände gebildet . Das ist für
die Rechteinhaber mit erheblichen Belastungen verbun-
den . Es besteht zudem ein zunehmendes Risiko, dass die
aufgelaufenen Ansprüche am Ende nicht mehr realisier-
bar sind .

Hier besteht dringender Verbesserungsbedarf . Des-
halb haben wir in der Koalition verabredet, dass die Ver-
handlungen und Streitigkeiten über die Höhe der Privat-
kopievergütung künftig noch einfacher und effizienter
gestaltet werden sollen .

Zur Sicherung der Vergütungsansprüche im laufenden
Verhandlungsverfahren schaffen wir eine Hinterlegungs-

pflicht. Verwertungsgesellschaften können künftig von
Vergütungsschuldnern Sicherheitsleistungen verlangen,
wenn noch keine Klarheit über den Tarif herrscht .

Wir wollen dabei aber auch die Gerätehersteller nicht
unangemessen benachteiligen . Deshalb sieht der Gesetz-
entwurf vor, dass am Ende die Schiedsstelle als neutrale
Instanz über die Höhe des zu hinterlegenden Beitrages
entscheidet .

Meine Damen und Herren, mit diesem Gesetzentwurf
soll die Tätigkeit der Verwertungsgesellschaften trans-
parenter und der Erwerb der Lizenzen künftig einfacher
werden – ein weiterer Schritt, um das Urheberrecht für
das 21. Jahrhundert und die digitale Welt fitzumachen.

Herzlichen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1815008100

Das Wort hat die Kollegin Renate Künast für die Frak-

tion Bündnis 90/Die Grünen .


Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1815008200

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Lie-

be Kolleginnen und Kollegen! Es ist richtig – das will
ich ausdrücklich sagen –, dass Herr Minister Maas den
Gesetzentwurf und die Umsetzung der Richtlinie in den
Kontext gebracht hat, dass wir im Urheberrecht und Ur-
hebervertragsrecht sowieso einen Regelungsbedarf ha-
ben; es sind nämlich schon andere Initiativen im Bun-
destag oder auf europäischer Ebene in der Debatte . Das
finde ich richtig.

Ich will gleichwohl sagen, dass es mich ein bisschen
irritiert hat, dass Herr Heck über das Geoblocking sprach
und den Eindruck erweckte, das sei Gegenstand des Ge-
setzentwurfes .


(Dr . Stefan Heck [CDU/CSU]: Nicht das Geoblocking! Nein! – Dr . Volker Ullrich [CDU/CSU]: Nicht das Geoblocking! Das hat er nicht gesagt! Es geht um die Musiklizenzierungen!)


– Gut . Dann haben Sie es vielleicht nicht gemeint .


(Dr . Volker Ullrich [CDU/CSU]: Auch nicht gesagt!)


Aber das ist genau der Punkt, der insgesamt noch vor
uns liegt . Warum? Weil wir einen ganz großen Arbeits-
auftrag haben, der eigentlich lautet: Wie bringen wir das
Urheberrecht und das Urhebervertragsrecht ins 21 . Jahr-
hundert?

Es gibt so viele neue Anwendungen und Nutzungsfor-
men . Es gibt – Herr Petzold hat es angesprochen – so
manche Jugendliche, die sich wundern, wenn plötzlich
Rechnungen kommen oder wenn ihnen plötzlich gesagt
wird, dass sie sich illegal verhalten haben .


(Christian Flisek [SPD]: Manche wundern sich auch über Straßenverkehrsregeln!)


Ich finde, dass es überfällig ist, hier zu einer rechtli-
chen Änderung zu kommen . Denn wir müssen Nutzungs-

Dr. Stefan Heck






(A) (C)



(B) (D)


formen wie Downloads, Streaming, Remix bis hin zur
Privatkopie – das Stichwort ist schon gefallen – im digi-
talen Zeitalter neu regeln, und wir müssen sie klar regeln,
sodass die Menschen wissen, was zu tun ist und was legal
ist und was nicht .

Ich erwarte an dieser Stelle von der Europäischen
Kommission mehr, als wir bisher bekommen haben .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg . Harald Petzold [Havelland] [DIE LINKE])


Ich scheue mich nämlich schon fast, Herrn Oettinger
wieder einzuladen, weil ich Sorge habe, dass ich dann
zum fünften Mal dieselbe Rede hören werde .


(Christian Flisek [SPD]: Das ist durchaus möglich!)


Nur die Vorlage dazu gibt es noch nicht . Ich habe den
Eindruck, dass auch einige andere schon meinen, den
Text mitsprechen zu können, wenn er uns zum Beispiel
wieder erzählt, dass in Zukunft nur noch bestimmte Fuß-
ballspiele geguckt würden, die kleinen aber nicht mehr .

Wir erwarten – das will ich in Richtung Brüssel sa-
gen –, dass es endlich gute Legal Proposals und Vorlagen
gibt; denn der gesamte Bereich des Urheberrechts betrifft
nicht nur uns persönlich, sondern auch die Autorinnen
und Autoren, die Künstler und Künstlerinnen und die
User, die täglichen Nutzer im digitalen Zeitalter .

Klarheit tut not, und es wird am Ende auch mehr wirt-
schaftliche Entwicklungsmöglichkeiten geben . Auch das
wollen wir nicht vergessen, meine Damen und Herren .

Aber hier und jetzt geht es speziell um den Entwurf
eines Gesetzes zur Umsetzung einer Richtlinie über die
kollektive Wahrnehmung von Urheber- und verwandten
Schutzrechten . In diesem Zusammenhang möchte ich ei-
nes klar sagen: Autorinnen und Autoren, Künstlerinnen
und Künstler, Urheberinnen und Urheber leben davon,
dass sie Werke verfassen, die ein möglichst breites Pu-
blikum finden. Dabei brauchen sie natürlich organisato-
rische Unterstützung . Denn man kann noch so viele Ro-
mane schreiben: Wenn sie alle zu Hause in einer großen
Schachtel neben dem Poesiealbum liegen bleiben, wird
daraus kein Lebensunterhalt . Sie leben aber logischer-
weise auch davon, dass es eine entsprechende Vergütung
gibt .

Verwertungsgesellschaften können dabei eine gute
Hilfe sein, auch wenn wir alle wissen, dass es hier und
da Kritik an Abläufen und Vergütungsstrukturen gibt .
Manche haben das Gefühl, dass einige, die schon be-
rühmt sind, viel Geld bekommen, während die Kleinen
bei der Vergütung im Verborgenen bleiben . Es gibt also
eine Menge zu tun in Sachen Umsetzung, nicht nur dieser
Richtlinie, und es gibt eine Menge Reformmöglichkei-
ten .

Dieser Gesetzentwurf regelt einen großen Bereich der
technischen Umsetzung . Ich will vier oder fünf Punkte in
diesem Bereich ansprechen, von denen wir hoffen, dass
wir zu einer ernsthaften Debatte im Ausschuss, zu einer
Anhörung, die schon terminiert ist, und letztlich auch zu
Änderungen kommen .

Der erste Punkt betrifft § 35 Absatz 2 . Ich glaube,
hier ist noch nachzubessern . Bei den hier möglichen
„Zwangsgemeinschaften“ bei Gesamtverträgen sehe ich,
sehen wir, sehen viele Praktikerinnen und Praktiker, Ur-
heber und auch Verwertungsgesellschaften ein erhebli-
ches Missbrauchspotenzial und in der Praxis erhebliche
Probleme, auch zulasten der Urheber und Urheberinnen .

Zweiter Punkt, der One-Stop-Shop . Viele – auch Ver-
wertungsgesellschaften – plädieren für einen One-Stop-
Shop, also eine einfache, schnelle und europaweit zent-
rale digitale Rechteerklärung für Nutzungslizenzen . Ich
frage mich: Warum finden wir das nicht im Gesetzent-
wurf? Warum entscheidet man sich anders?

Drittens, ein kleines Lob . – Nein, erst unter dem vier-
ten Punkt kommt das Lob .


(Christian Flisek [SPD]: Zweimal Lob!)


– „Zweimal Lob“, das ist auch eine gute Idee . Da habe
ich mich jetzt vergaloppiert . Wie schade!

Dann komme ich jetzt erst einmal zu dem Punkt mit
dem kleinen Lob . In § 32 geht es um die Ausschüttung
für kulturelle und soziale Zwecke sowie um kulturelle
Förderung und soziale Leistung . Die Richtlinie enthielt
eine Sollvorschrift, während der Referentenentwurf nur
eine Kannvorschrift vorsah . Nun handelt es sich wieder
um eine Sollvorschrift . Das ist gut so .

Der vierte Punkt betrifft die Kosten und den Kosten-
aufwand . Ich wünsche mir, dass das noch einmal realis-
tisch nachgerechnet wird .

Fünfter und letzter Punkt betrifft die kritische Frage,
ob dieser Gesetzentwurf eigentlich alternative Verwer-
tungsgesellschaften zulässt . Alle wollen immer überall
Wettbewerb .


Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1815008300


Frau Kollegin Künast, ich glaube, das müssen Sie in
den Ausschussberatungen bis zur zweiten und dritten Le-
sung klären .


Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1815008400


Ich führe meinen Gedankengang noch zu Ende . – Ich
frage mich: Werden hier eigentlich Alternativen zu-
gelassen? Herr Maas hat gesagt, dass wir Wettbewerb
brauchen . Dann müsste ein solches Gesetz auch genos-
senschaftlich organisierte Verwertungsgesellschaften zu-
lassen .


(Beifall des Abg . Harald Petzold [Havelland] [DIE LINKE])


Es ist Luft nach oben, und ich freue mich auf die Be-
ratungen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Renate Künast






(A) (C)



(B) (D)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1815008500


Das Wort hat der Kollege Christian Flisek für die
SPD-Fraktion .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Christian Flisek (SPD):
Rede ID: ID1815008600


Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Es geht heute um Verwertungsgesellschaften; das ist
mittlerweile klar . Herr Petzold, Sie haben es angespro-
chen: Was auf Anhieb etwas sperrig klingt, stellt in Wirk-
lichkeit eine große gesetzgeberische Zäsur dar, und zwar
eine Zäsur in sehr positivem Sinne . Das Bundesministe-
rium der Justiz und für Verbraucherschutz hat die Richt-
linienumsetzung zum Anlass genommen, das Recht der
Verwertungsgesellschaften komplett neu aufzustellen .
Man muss sich nur vor Augen führen, dass das derzeitige
Wahrnehmungsgesetz über 50 Jahre gegolten hat, um zu
ermessen, wie lange uns wahrscheinlich auch das neue
Gesetz begleiten wird .

Es ist kein Geheimnis, dass das Recht der Verwer-
tungsgesellschaften selbst für Juristen, die sich intensiv
mit dem Urheberrecht beschäftigen, eine besondere Ma-
terie ist, in der sich nur wenige Spezialisten bewegen .
Die Existenz der Verwertungsgesellschaften im Verbor-
genen steht aber in keinem Verhältnis zur ökonomischen
Bedeutung der Verwertungsgesellschaften für die Kultur-
schaffenden und die Kreativwirtschaft in unsrem Land .
Zwei Zahlen mögen dies verdeutlichen: Die GEMA als
die vielleicht in der Öffentlichkeit bekannteste deutsche
Verwertungsgesellschaft verwaltet jedes Jahr treuhände-
risch Erlöse über knapp 900 Millionen Euro . Insgesamt
verwalten die 13 deutschen Verwertungsgesellschaften
als Treuhänder Einnahmen von über 1,3 Milliarden Euro .
Damit sind Verwertungsgesellschaften eine wesentli-
che Säule der kulturellen und kreativen Landschaft in
Deutschland, und das – darauf wurde schon hingewie-
sen –, obwohl sie in der öffentlichen Meinung nicht un-
bedingt das beste Image haben . Aber das sollte nicht dazu
führen, dass wir in parlamentarischen Debatten stereoty-
pe Vorurteile bedienen .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Verwertungsgesellschaften arbeiten nicht gewinnori-
entiert . Ihre Einnahmen verwalten sie als Treuhänder .
Diese werden an die berechtigten Urheber und Rechte-
inhaber ausgeschüttet . Diese verlässlichen Ausschüttun-
gen sind für viele Kreative der gerechte Lohn für ihre
Arbeit . Diese Ausschüttungen sind wesentlicher Teil der
Existenzgrundlage vieler Urheber, und sie sind damit
eine wesentliche ökonomische Grundlage für das Kul-
turschaffen in Deutschland . Verwertungsgesellschaften
bündeln Rechte und erleichtern damit den Kreativen,
die wirtschaftlichen Früchte ihrer Arbeit zu ernten . Sie
tragen aber auch ganz wesentlich dazu bei, dass Verwer-
ter wie beispielsweise Radiosender Rechte effizient und
rechtssicher einkaufen können . Um es auf den Punkt zu

bringen: Effiziente und gesellschaftlich breit akzeptierte
Verwertungsgesellschaften sind unverzichtbar .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Genauso unverzichtbar ist ein verlässlicher und klarer
Rechtsrahmen für die Arbeit der Verwertungsgesellschaf-
ten . In Zeiten der Digitalisierung und Internationalisie-
rung muss dieser Rechtsrahmen auch wettbewerbsfähig
sein . Verwertungsgesellschaften benötigen nicht nur ein
attraktives Rechteportfolio, sondern auch faire Wettbe-
werbsbedingungen . Dafür haben wir als Gesetzgeber zu
sorgen, und wir werden es mit diesem Gesetzentwurf
auch tun .

Dieser Gesetzentwurf markiert aber auch das Ende der
urheberrechtlichen Lethargie in der deutschen Politik .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Die Urheberrechtspolitik dieser Koalition besteht nicht
aus vollmundigen und im Ergebnis ergebnislosen Ber-
liner Reden zum Urheberrecht, sondern sie setzt hand-
werklich sauber das Urheberrechtsprogramm der Legis-
laturperiode, das angekündigt wurde, um .


(Beifall bei der SPD)


Das ist ein gutes Signal für die Urheber, die Verwerter
und auch für die Nutzer in diesem Land .

Meine Damen und Herren, der Minister hat die De-
tails des Entwurfs bereits vorgestellt . Lassen Sie mich
noch zwei Anmerkungen hierzu machen . Dieser Entwurf
enthält auch wesentliche Regelungen zur Erhebung und
Verteilung derjenigen Gelder, die unter dem Stichwort
„Privatkopievergütung“ die urheberrechtlich sensibili-
sierten Gemüter in der Vergangenheit erregt haben . Auch
jetzt kursieren schon wieder zahlreiche Gutachten zu der
Frage, was an diesen Regelungen vielleicht verfassungs-
widrig sein könnte und was nicht .

Ich möchte betonen, dass es uns als SPD in dieser
Frage um einen fairen Interessenausgleich geht . Wenn
klar ist, dass ein Vergütungsanspruch zu zahlen ist, je-
doch keine Einigkeit über die Höhe besteht, dann muss
einerseits das Insolvenzrisiko der Zahlungsverpflichteten
abgesichert werden, und andererseits muss verhindert
werden, dass unnötig Liquidität aus den Unternehmen
herausgezogen wird . Wir haben dies im Vorfeld des Ge-
setzgebungsverfahrens deutlich gemacht, und ich per-
sönlich finde, dass der nunmehr vorgeschlagene Weg der
Sicherheitsleistung, auch wenn diese nicht kostenlos zu
haben ist, hier eine faire Kompromisslinie darstellt .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Eine zweite Anmerkung möchte ich machen . Wir
werden – es ist bereits erwähnt worden – aus Anlass
der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs im
Fall Reprobel und der anstehenden Entscheidung des
Bundesgerichtshofs im Fall Vogel beobachten müssen,
welche Konsequenzen dies für die betroffenen Verwer-
tungsgesellschaften einerseits und insbesondere für die
Verlagslandschaft in Deutschland andererseits haben
kann . Wir stehen hier für einen konstruktiven Dialog auf






(A) (C)



(B) (D)


nationaler und europäischer Ebene bereit, aber wir wer-
den jetzt erst einmal die höchstrichterliche Entscheidung
des Bundesgerichtshofs abwarten . Das gebietet auch der
Respekt vor der Judikative .

Meine Damen und Herren, ich möchte mich zum
Schluss bei Herrn Bundesjustizminister Heiko Maas und
auch bei seinem Hause für diesen ausgewogenen, kom-
plexen und handwerklich guten Entwurf bedanken . 2016
wird mit Sicherheit das Urheberrechtsjahr dieser Legis-
laturperiode werden . Es beginnt mit einem großen Wurf
zum Recht der Verwertungsgesellschaften .

Herzlichen Dank .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1815008700

Das Wort hat der Kollege Marco Wanderwitz für die

CDU/CSU-Fraktion .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Marco Wanderwitz (CDU):
Rede ID: ID1815008800

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Zunächst auch von mir, Herr Minister, herzlichen Dank
für das erste große Urheberrechtsgesetz dieser Legisla-
turperiode; Kollege Flisek hat es schon angesprochen .
Wir haben die Raufe reichlich voll in diesem Bereich .
Deswegen freue ich mich sehr, dass wir nun ans Laufen
kommen . Es wird auch Zeit, will ich an dieser Stelle sa-
gen;


(Beifall des Abg . Christian Flisek [SPD])


denn die Legislaturperiode ist zur Hälfte vorbei .

Weil es so viel ist, was wir noch gemeinsam machen
wollen, haben wir 2016 eine Menge vor, was unter an-
derem – auch das will ich an dieser Stelle sagen – etwas
damit zu tun hat, dass wir einen erheblichen Reformstau
in diesem Bereich haben . Das hat wiederum damit zu
tun, dass die letzte Legislaturperiode in diesem Bereich
leider verlorene Jahre für das deutsche Urheberrecht mit
sich gebracht hat . Warum spreche ich das heute hier an?
Weil wir als Union betonen wollen, dass nicht wir da-
für verantwortlich sind, sondern diese Verantwortung
bei einer Partei liegt, die heute nicht mehr in diesem
Hause sitzt, und bei einer ehemaligen Ministerin, die
heute nicht mehr Justizministerin ist, nämlich bei Frau
Leutheusser-Schnarrenberger . Das waren verlorene Jahre
für die Weiterentwicklung des Urheberrechts . Das will
ich heute hier zumindest festgehalten haben .

Schön ist nun, dass es uns gelingt – mit diesem Ge-
setz sind wir jedenfalls schon einmal auf dem richtigen
Weg –, dass es künftig anders wird . Ich teile absolut die
Sicht, dass wir hier ein handwerklich gutes Gesetz vor
uns haben . Wir werden im parlamentarischen Verfahren,
glaube ich, nicht so viele Änderungen vornehmen müs-
sen .

Ich will allerdings ein wenig Wasser in den Wein gie-
ßen, indem ich den Blick auf das lenke, was so im Kö-
cher ist . Herr Minister, ich verweise beispielsweise auf

den sich auf Referentenebene befindlichen Entwurf ei-
nes Gesetzes zur Reform des Urhebervertragsrechts . Da
erkennen wir derzeit nicht die Qualität, wie wir sie hier
jetzt sehen . Insofern hoffen wir, dass dieser Entwurf auf
dem Weg zum Kabinettsbeschluss noch deutlich nachbe-
arbeitet wird, damit das hohe Niveau, mit dem wir in die
Novellierung des Urheberrechtes eingestiegen sind, auf-
rechterhalten wird .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Die Kolleginnen und Kollegen haben es schon ange-
sprochen – gleichwohl will auch ich es noch einmal sa-
gen –: Das Urheberrecht ist eine relativ trockene Sparten-
materie . Dennoch besprechen wir dieses Thema zu dieser
Zeit hier im Parlament, was einfach etwas damit zu tun
hat, dass es für die vielen Hunderttausend Kreativen in
unserem Land – für die Urheber, für die, die schreiben,
für die, die malen, für die, die Drehbücher verfassen, für
Schauspielerinnen und Schauspieler usw . – ein unheim-
lich wichtiges Thema ist, weil sie vom Wert ihrer Arbeit
leben können müssen . Das setzt voraus, dass die Rechte,
die sie haben, vernünftig wahrgenommen werden .

Damit sind wir bei dem Thema „kollektive Rechte-
wahrnehmung“, das im Rahmen der Beratung dieses
Gesetzentwurfs zu behandeln ist . Kollegin Künast hat
§ 35 Absatz 2 dieses Gesetzentwurfs bereits angespro-
chen . Auch wir sehen noch Gesprächsbedarf im parla-
mentarischen Verfahren . Hinter die im Gesetzentwurf
verankerte Regelung von Gesamtverträgen setzen zu-
mindest wir noch große Fragezeichen, weil sie einfach
missbrauchsanfällig ist, weil sie die Möglichkeit von
Blockaden in sich birgt und weil davon auch das Thema
„ausländische Verwertungsgesellschaften“, die ein beste-
hendes System unterminieren können, berührt ist . Über
all das müssen wir im parlamentarischen Verfahren noch
sprechen .

Des Weiteren war – das hat mein Kollege Stefan Heck
schon angesprochen – das einschlägige Urteil des Euro-
päischen Gerichtshofes, was Verlagsbeteiligungen be-
trifft, ein, wie man so schön sagt, „Schlag ins Kontor“ .
Wir wollen im parlamentarischen Verfahren prüfen, ob
wir mit diesem Gesetz an dieser Stelle Raum für eine
nationale Lösung der aufgeworfenen Problematik haben .

Klar ist – das hat der Minister zutreffend ausgeführt;
Herr Minister, wir wollen Sie absolut darin bestärken,
zu versuchen, in Brüssel zu einer Lösung zu kommen –:
Bis es zu einer solchen Lösung gekommen ist, haben wir
eine Lücke; bis dahin befinden sich unsere Verlage in
schwerer Not . Das ist auch für die Kreativen keine gute
Botschaft; denn die Verlage sollen das vorhandene Geld
nicht einfach einstecken, sondern damit weiterhin all das
tun, was sie bisher getan haben, nämlich beispielsweise
Produkte wie Hörbücher entwickeln, ausländische Li-
zenzen vergeben und Übersetzungen auf den Markt brin-
gen . Hinzu kommt natürlich auch die gesamte Werbung,
etwa für Bücher, Stichwort „Markteinführung“ . Ange-
sichts dessen meinen wir, dass wir im parlamentarischen
Verfahren intensiv prüfen sollten, ob es uns gelingt, diese
Lücke zumindest national zu schließen, bis sie auch auf
europäischer Ebene geschlossen ist .

Christian Flisek






(A) (C)



(B) (D)


Der letzte Punkt, den ich in Bezug auf das Verfahren
der Umsetzung der Richtlinie ansprechen möchte: Der
Gesetzentwurf sieht eine Lösung vor, was die Sicher-
heitsleistung betrifft . Die vorgesehene Leistung ist ein
bisschen weniger umfangreich als die Hinterlegungs-
pflicht, die wir uns im Koalitionsvertrag vorgenommen
hatten . Dies halten wir gleichwohl für eine akzepta ble
Lösung, für einen Interessenausgleich zwischen den
Verwertungsgesellschaften auf der einen Seite und der
Geräteindustrie auf der anderen Seite . Allerdings sollte
sich das Ganze dann nicht noch weiter zurückentwickeln,
sprich: Ein parlamentarisches Verfahren, das sich in die
falsche Richtung entwickelt, wäre für uns kein gangba-
rer Weg . Deswegen an dieser Stelle meine Bitte an die
Kolleginnen und Kollegen: Lassen Sie uns eher in die
andere Richtung denken . Das ist besser, als diesen Weg
weiterzugehen .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1815008900

Für die CDU/CSU-Fraktion hat nun der Kollege

Dr . Volker Ullrich das Wort .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Volker Ullrich (CSU):
Rede ID: ID1815009000

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Wir haben in unserem Land ein reiches Kultur-
leben mit vielen Werken in Wort, Ton, Bild oder Schrift,
die von zahlreichen Kreativen geschaffen werden . Auch
wenn viele Werke ideelle Werte haben und oftmals in ih-
rem Wert nicht bezifferbar sind, so müssen und sollen
die Kreativen doch von ihren Werken leben können und
dürfen . Weil die Vergütungsansprüche von Kreativen mit
den zu zahlenden Entgelten der Nutzer in Einklang zu
bringen sind, ist das System der kollektiven Urheber-
rechtswahrnehmung ein altes und bewährtes System .
Deswegen werden wir an ihm festhalten .

Das Urheberrechtswahrnehmungsgesetz hat am 1 . Ja-
nuar 50 Jahre seines Bestehens gefeiert . Wir werden es
durch das Verwertungsgesellschaftengesetz ablösen, das
die wesentlichen Punkte beibehält, weil sie sich bewährt
haben . Dazu gehört, dass die Verwertungsgesellschaften
ihre Monopolstellung behalten, dass sie einer staatlichen
Erlaubnispflicht und Überwachung unterliegen und dass
sie verpflichtet werden, gemeinnützig zu handeln, nicht
für sich Gewinne zu erzielen, sondern Gewinne an die
Kreativen auszuschütten . Es sind nicht unerhebliche
Summen, die hier zustande kommen . Allein im Jahr 2014
war es über 1 Milliarde Euro, davon 893 Millionen Euro
für die GEMA und 144 Millionen für die VG WORT . Das
sind Beträge, die es vielen Künstlern ermöglichen, von
ihren Werken zu leben und zu profitieren. Das sollten wir
in diesem Zusammenhang auch einmal bemerken .

Meine Damen und Herren, wir müssen bei dem zur
Beratung anstehenden Gesetzentwurf auf einige Dinge
achten . Es ist ein insgesamt ausgewogener und guter
Entwurf . Wir müssen aber Obacht geben und uns fragen,
ob wir bei der Frage der Binnenstruktur den Verwer-
tungsgesellschaften nicht Regulierungen auferlegen, die

es für die Kreativen zu kompliziert machen, ihre Rechte
wahrzunehmen . Wenn die Wahrnehmung der Rechte in-
nerhalb einer Verwertungsgesellschaft komplizierter ist
als beispielsweise bei der Binnenstruktur einer Aktienge-
sellschaft, dann, glaube ich, laufen wir Gefahr, dass wir
hier überregulieren . Wir sollten eine einfache, eine prak-
tikable Handhabung vorsehen und nicht in eine Richtung
gehen, die ein Zuviel an Regelung bedeutet .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Wir werden auch über die Geräte- und Leermedien-
vergütung zu sprechen haben . Es muss klar und deutlich
gesagt werden, dass die Urheberrechtsreform von 2008,
die eine Einigungspflicht zwischen den Organisationen,
zwischen den Urhebern einerseits und den Verwertern
andererseits, vorsah, sich nicht bewährt hat, dass immer
noch Dutzende von Schiedsverfahren und Gerichtsver-
fahren offen sind, weil es der Gesetzgeber zu schwer ge-
macht hat, sich darüber zu einigen .

Deswegen ist die zukünftige Sicherheitsleistung ein
gangbarer und, wie ich meine, auch verfassungsrecht-
lich angemessener Mittelweg zwischen dem System, das
nicht funktioniert hat – nämlich zu sagen: einigt euch! –,
und einer Hinterlegungspflicht, die verfassungsrechtlich
bedenklich ist . Ich glaube, mit dieser Sicherheitsleistung
sind die Ansprüche der Urheber gegen Insolvenzrisiken
hinreichend abgesichert . Trotzdem wird Liquidität nicht
in einem Maße entzogen, welches es für die Verwerter
selbst schwer macht, über die Runden zu kommen . Des-
wegen sollten wir uns auf diese Sicherheitsleistung ei-
nigen .

Meine Damen und Herren, wir brauchen eine Ände-
rung in Bezug auf die Rechtsprechung des EuGH . Das
Urteil vom 12 . November 2015 ist ein Urteil, das mit
unserer Rechtstradition und auch mit unserer Auffassung
nicht in Einklang zu bringen ist . Auch Verlage tragen ih-
ren Teil zur schöpferischen Darstellung und zum Urhe-
berrecht bei, weil ein Autor ohne die Verlage sein Werk
gar nicht an die Öffentlichkeit bringen könnte . Deswegen
sollten wir deutlich machen, dass erst durch das Zusam-
menspiel von Verlagen und Autoren die Autoren, die Ur-
heber, ihre Rechte wahrnehmen können .

Meine Damen und Herren, Kreativität hat in diesem
Land einen hohen Wert; das muss auch so sein . Wir
werden mit diesem Gesetz zwei Grundrechte, zwei Ver-
fassungsentscheidungen, die wichtig sind, verbinden,
nämlich die Kunstfreiheit und die Eigentumsgarantie .
Deswegen: Lassen Sie uns an diesem Entwurf mit der
gebotenen Ernsthaftigkeit sauber arbeiten – für die Krea-
tiven und für das kulturelle Leben in diesem Land!

Vielen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1815009100

Ich schließe die Aussprache .

Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzent-
wurfs auf Drucksache 18/7223 an die in der Tagesord-
nung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen . Gibt es

Marco Wanderwitz






(A) (C)



(B) (D)


dazu anderweitige Vorschläge? – Das ist nicht der Fall .
Dann ist die Überweisung so beschlossen .

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 20 auf:

Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verbes-
serung der Rechtssicherheit bei Anfechtungen
nach der Insolvenzordnung und nach dem An-
fechtungsgesetz

Drucksache 18/7054
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz (f)

Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Energie
Ausschuss für Arbeit und Soziales

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 38 Minuten vorgesehen . – Ich höre kei-
nen Widerspruch . Dann ist das so beschlossen .

Ich eröffne die Aussprache . Das Wort hat der Bun-
desminister der Justiz und für Verbraucherschutz, Heiko
Maas .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Heiko Maas, Bundesminister der Justiz und für Ver-
braucherschutz:

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Eine der wichtigsten Aufgaben des Rechts be-
steht darin, Sicherheit zu schaffen . Rechtssicherheit
bringt Ordnung in unser Leben . Zu dieser Sicherheit ge-
hört dann auch Kontinuität . Was heute gilt, soll grund-
sätzlich auch morgen noch Bestand haben .


(Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das wäre schön!)


Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf stärken wir Si-
cherheit und Kontinuität im Geschäftsverkehr, indem wir
das Recht der Insolvenzanfechtung behutsam reformie-
ren .

Durch die Anfechtung kann ein Insolvenzverwalter
Vermögenswerte in die Insolvenzmasse zurückholen, die
vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens aus dem Ver-
mögen des Schuldners geflossen sind. Das ist ein wich-
tiges Instrument, um vor allen Dingen sicherzustellen,
dass alle Gläubiger gleichbehandelt werden . Es soll ver-
hindert werden, dass sich Einzelne vor einer Insolvenz
die Rosinen herauspicken .

Die Erfahrungen der letzten Jahre haben allerdings
auch die Kehrseiten der Anfechtung gezeigt . Wer mit ei-
nem Unternehmen Geschäfte macht oder dort als Arbeit-
nehmer beschäftigt ist, also Lohn empfängt, kann nicht
sicher sein, dass er sein Geld dauerhaft behalten kann .
Wie ein Damoklesschwert schwebt über ihm das Risiko,
dass er das Geld wieder herausgeben muss, wenn das Un-
ternehmen später in Insolvenz gerät und ein Insolvenz-
verwalter die Zahlung anfechtet .

Diese widerstreitenden Interessen – Rechtssicherheit
einerseits und Sicherung der Insolvenzmasse anderer-
seits – sind zweifelsfrei aus der Balance geraten . Hier
setzt unser Entwurf an . Wir wollen die Interessen der frü-

heren Zahlungsempfänger und die Belange der übrigen
Insolvenzgläubiger wieder ins Lot bringen .

Bisher können Geschäfte angefochten werden, die bis
zu zehn Jahre vor der Insolvenz liegen . Dieser Zeitraum
ist für gewöhnliche Zahlungsvorgänge zu lang . Wir wol-
len diese Frist auf vier Jahre verkürzen .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Ich sage dazu: Diese Verkürzung gilt allerdings nicht für
Vermögensverschiebungen und Bankrotthandlungen .
Dort muss nämlich niemand geschützt werden . Unrecht
verdient wahrlich keine Rechtssicherheit .

Wir wollen auch mehr Sicherheit für Gläubiger schaf-
fen, die ihren Schuldnern zur Überbrückung Zahlungser-
leichterungen gewährt haben . So etwas kann das Funkti-
onieren der Märkte stärken und soll nicht unnötig bestraft
werden . Das ist ebenfalls gesondert geregelt .

Wir wollen auch Arbeitnehmerinnen und Arbeitneh-
mer besser schützen . Sie sollen die Sicherheit haben,
dass sie den Lohn, den sie verdient haben, auch tatsäch-
lich behalten dürfen .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


In Zukunft sollen Lohnzahlungen nicht mehr angefoch-
ten werden können, wenn das Geld spätestens drei Mona-
te nach der Arbeitsleistung gezahlt worden ist .

Und schließlich wollen wir auch Gläubiger schützen,
die zur Zwangsvollstreckung gegriffen haben . Was sie
mithilfe des Vollstreckungsrechts erlangt haben, sollen
sie nicht aufgrund des Insolvenzrechts wieder herausge-
ben müssen .

Meine Damen und Herren, neben diesen Einschrän-
kungen des Anfechtungsrechts wollen wir auch noch auf
andere Weise die Belastungen für den Geschäftsverkehr
reduzieren . Wir wollen die Verzinsung des Anfechtungs-
anspruchs neu regeln . Das niedrige Zinsniveau auf dem
Geldmarkt und die deutlich höheren Verzugszinsen, die
das Gesetz vorsieht, verleiten manche tatsächlich dazu,
ihre Anfechtungsansprüche später als möglich geltend zu
machen . Auch solche Fehlanreize wollen wir beseitigen .

Wir schlagen außerdem vor, dass das Insolvenzan-
tragsrecht der Gläubiger gestärkt wird . Belastungen
durch die nachträgliche Anfechtung lassen sich ja auch
dadurch vermeiden, dass insolvenzreife Unternehmen
rechtzeitig vom Markt genommen werden .

Meine Damen und Herren, mit diesen behutsamen
Reformen erhalten wir das wichtige Recht der Insolvenz-
anfechtung, aber wir steuern auch punktuell nach . Wir
machen die komplexe Materie vor allen Dingen für die
Praxis leichter handhabbar, und wir sorgen damit den-
noch für mehr Rechtssicherheit . Das kommt auch dem
Ansehen des Insolvenzrechtes insgesamt zugute . Es soll
eben kein Damoklesschwert sein, das über Arbeitneh-
merinnen und Arbeitnehmern und lauteren Geschäfts-
partnern schwebt, sondern ein juristisches Skalpell, das

Vizepräsidentin Petra Pau






(A) (C)



(B) (D)


dafür sorgt, dass Markt und Wirtschaft gesund bleiben
und gerecht funktionieren .

Vielen Dank .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1815009200

Der Kollege Richard Pitterle von der Fraktion Die

Linke hat jetzt das Wort .


(Beifall bei der LINKEN)



Richard Pitterle (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1815009300

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr verehrte Kollegin-

nen und Kollegen! Liebe Gäste auf der Tribüne! Stellen
Sie sich Folgendes vor: Sie arbeiten seit einigen Jahren
in einem kleinen Familienunternehmen . Es herrscht ein
angenehmes Betriebsklima . Kollegen und Kolleginnen
treffen sich auch in der Freizeit. Die Tür der Chefin oder
des Chefs ist immer offen . Eine durchaus realistische
Vorstellung! Wie wir im Zuge der Erbschaftsteuerdebatte
immer wieder gehört haben, sind kleine Familienunter-
nehmen das Rückgrat der deutschen Wirtschaft; denn sie
beschäftigen Millionen Arbeitnehmerinnen und Arbeit-
nehmer .

Stellen wir uns weiter vor: Im Unternehmen wird seit
einiger Zeit gemunkelt, dass es dem Unternehmen nicht
gut ginge . Die Aufträge würden wegbrechen, Kreditge-
ber ließen sich Zeit mit Zusagen, Vertragspartner mahn-
ten Zahlungen an. Die Chefin oder der Chef räumt ein,
dass es Probleme gibt: Das Gehalt werde gezahlt, aber
wohl später, wohl weniger . Wenn sich alle anstrengten,
den Gürtel enger schnallten, dann sei die Krise aber bald
überwunden .

Leider wird die Krise nicht überwunden . Nach Mona-
ten des Zitterns steht der Insolvenzverwalter in der Tür .
Und er bringt ein paar Briefe mit: keine Dankes- oder
Motivationsschreiben, sondern Zahlungsaufforderungen,
Aufforderungen an die Belegschaft, die letzten nach-
gezahlten Gehälter unverzüglich zu erstatten, damit sie
allen Gläubigern zur Befriedigung ihrer Ansprüche zur
Verfügung stünden . Die Arbeitnehmerinnen und Arbeit-
nehmer seien Schuldner der Insolvenzmasse, da sie die
prekäre Situation ihres Unternehmens schließlich ge-
kannt hätten .

Das mag wie eine Räuberpistole klingen . Oder? Aber
das ist seit der Insolvenzrechtsreform 1999 gesetzliche
Realität und Praxis . Zuvor galt Jahrzehnte das sogenann-
te Arbeitnehmerprivileg der Konkursordnung . Danach
blieben rückständige Lohnforderungen der letzten sechs
Monate unangetastet . Forderungen der Arbeitnehmerin-
nen und Arbeitnehmer waren gegenüber anderen Gläubi-
gern bevorrechtigt . Mit der Insolvenzrechtsreform wur-
den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zu einfachen
Gläubigern degradiert, die auf sich gestellt gegen Vertre-
ter von Banken und Großgläubigern in den Verteilungs-
kampf um den Trog mit den Vermögensresten geschickt
wurden . Man kann sich vorstellen, wer da den Kürzeren
gezogen hat .

Zum Glück für die Arbeitnehmerinnen und Arbeit-
nehmer hat das Bundesarbeitsgericht die Anfechtungen
der Gehaltszahlungen durch die Insolvenzverwalter nicht
länger geduldet . Es wandte die Insolvenzordnung unter
Achtung tragender Verfassungsprinzipien wie des Sozi-
alstaatsprinzips an und erhöhte den Schutz der Arbeit-
nehmerinnen und Arbeitnehmer .

Trotz dieser Entscheidung wurden weiterhin Lohnzah-
lungen durch Insolvenzverwalter angefochten . Sie berie-
fen sich auf die Rechtsprechung eines anderen Oberge-
richts: Der Bundesgerichtshof für Zivilsachen warf dem
Bundesarbeitsgericht vor, die Grenzen der Verfassung
verlassen zu haben und den gesetzgeberischen Willen zu
missachten . Daher sind wir als Gesetzgeber gefordert,
gesetzliche Regelungen zum Schutz der Arbeitnehmerin-
nen und Arbeitnehmer zu verabschieden .


(Beifall bei der LINKEN)


Die Argumente der Gegner einer solchen Regelung
überzeugen nicht . Die beschworene heilige Kuh der
Gläubigergleichbehandlung mag ein altrömisches Prin-
zip sein . Doch nicht altrömische Prinzipien, sondern das
Grundgesetz ist unser Maßstab . Das Gleichbehandlungs-
gebot des Artikels 3 Grundgesetz ist im Lichte des Sozi-
alstaatsprinzips anzuwenden . Und während Forderungen
von Banken und Großgläubigern häufig nur Rechnungs-
posten in der Buchführung sind, ist Arbeitslohn für Ar-
beitnehmerinnen und Arbeitnehmer schlicht existenziell .
Der Gesetzgeber ist gefordert, Schutz nach Schutzbe-
dürftigkeit zu gewähren . Der BGH meint, es wäre da-
bei Aufgabe des Staates, sozialrechtliche Schutzlücken
durch staatliche Leistungen auszugleichen . Für die Linke
ist es die Aufgabe des Staates, unter den Gläubigern eine
gerechte Verteilung zu regeln .


(Beifall bei der LINKEN)


Im Steuerrecht wird nach Leistungsfähigkeit besteu-
ert . Auch das Insolvenzrecht muss sich bei der Verteilung
daran orientieren . Es kann nicht Aufgabe der Arbeitneh-
merinnen und Arbeitnehmer sein, den Topf für Banken
und Großgläubiger wieder aufzufüllen, um dann zum
Bittsteller beim Staat zu werden .

Der vorliegende Entwurf ist ein wichtiger Anstoß .
Lassen Sie uns in den Beratungen dafür sorgen, dass
den Ansprüchen, wie sie im Regierungsentwurf zur
Insolvenz ordnung von 1992 formuliert werden, Rech-
nung getragen wird . Dort heißt es – ich zitiere –:

Insolvenzrecht soll, wie alles Recht im demokra-
tischen und sozialen Rechtsstaat, einen gerechten
Ausgleich schaffen, den Schwächeren schützen und
Frieden stiften .

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit .


(Beifall bei der LINKEN – Dr . Patrick Sensburg [CDU/CSU]: So viel Lob der Linken für eine Initiative der Union!)


Bundesminister Heiko Maas






(A) (C)



(B) (D)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1815009400

Das Wort hat die Kollegin Elisabeth Winkelmeier-

Becker für die CDU/CSU-Fraktion .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Elisabeth Winkelmeier-Becker (CDU):
Rede ID: ID1815009500

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Die Koalition legt heute – endlich, möchte man sagen –
einen Gesetzentwurf vor, der die Anfechtung von frühe-
ren Zahlungen eines Schuldners betrifft, die im Falle der
Insolvenz zurückverlangt werden . Da an dieser Stelle die
Sache aus dem Ruder gelaufen ist, hat sich die Union seit
Jahren für eine Neuregelung starkgemacht und vor allem
auch in den Koalitionsverhandlungen dafür gesorgt, dass
das zum Programm dieser Regierung wird .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Wir werden mit diesem wichtigen Gesetz Vertrauen
und Planungssicherheit für viele Unternehmen wieder-
herstellen, die in den vergangenen Jahren aufgrund einer
Fehlentwicklung in der Praxis vieler Insolvenzverwal-
ter, die von der Rechtsprechung nicht korrigiert wurde,
mit unvermuteten hohen Rückforderungen konfrontiert
worden sind, die sie selber an den Rand ihrer Existenz
gebracht haben .

Im Zentrum steht die sogenannte Vorsatzanfechtung
nach § 133 der Insolvenzordnung . Ihr liegt der an sich
richtige und nachvollziehbare Gedanke zugrunde, dass
sich kein Gläubiger einen Vorteil verschaffen darf, wenn
sich beim Schuldner eine Krise abzeichnet . Deshalb ord-
net § 133 der Insolvenzordnung an, dass Zahlungen, die
in der Absicht, Gläubiger zu benachteiligen, erfolgten,
zurückgeholt werden können, wenn dies für den Gläubi-
ger, der begünstigt ist, erkennbar war, und zwar mit einer
Frist von bis zu zehn Jahren .

Was aber in der Praxis daraus geworden ist, geht weit
über diese sinnvolle Intention hinaus . In der Praxis wer-
den völlig übliche und gesamtwirtschaftlich erwünschte
Verhaltensweisen auf diese Weise sanktioniert . Schon
eine bloße Ratenzahlungsvereinbarung, die der Gläubi-
ger mit dem Schuldner trifft – oft sind das Vertragspart-
ner über Jahre hinaus, die in einer Vertrauensbeziehung
zueinander stehen –, soll ausreichen, dass eine erfolgte
und gerechtfertigte Zahlung hinterher wieder zurückab-
gewickelt werden kann . Das geht dann doch zu weit .
Handwerker, Lieferanten, aber auch die Arbeitnehmer
sind auf diese Weise unter Druck gesetzt worden in einer
nicht mehr akzeptablen Art und Weise . Deshalb müssen
wir handeln .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Wir müssen wissen: Zahlungserleichterungen von Lie-
feranten, aber auch Zugeständnisse aus der Belegschaft
sind üblich, um zum Beispiel saisonale Schwankungen
oder eine erkennbare vorübergehende Krise zu überbrü-
cken . Es würde an der Realität des Wirtschaftslebens vor-
beigehen, den Gläubiger faktisch dazu zu zwingen, einen
Insolvenzantrag zu stellen und nicht dem Vertragspartner
zu helfen . Das funktioniert nicht und würde zusätzlichen
Schaden anrichten .

Meine Damen und Herren, für das Insolvenzverfahren
ist es typisch, dass es um Verteilungskonflikte geht. Was
der eine für sich zusätzlich verlangt, würde auf Kosten
des anderen gehen . Aber hier kommt noch etwas ande-
res hinzu . Die Verunsicherung und die Sorge vor einer
späteren Rückforderung führen in der Praxis zu weniger
Flexibilität, weniger unkomplizierter Unterstützung der
Firmen untereinander bei erkennbar guter Prognose .

Wir müssen wissen: Zunehmend sind die Lieferanten
diejenigen, die sich um die Finanzierung kümmern und
Einblick darin haben, wie ein Unternehmen aufgestellt
ist . Sie wissen, ob das Unternehmen deshalb in der Krise
ist, weil ein eigener Schuldner wiederum ausgefallen ist,
es aber in der Substanz völlig gesund ist, oder ob etwas
anderes dahintersteckt . Insofern ist eines klar: Wenn ein
Lieferant davon ausgeht, dass ein Vorschuss noch Sinn
macht, weil er davon überzeugt ist, dass das Unterneh-
men aus der Krise kommt, dann dürfen wir vom Liefe-
ranten doch nicht verlangen, dem ein Ende zu setzen,
einen Insolvenzantrag zu stellen und dem Unternehmen
den Todesstoß zu geben . Das würde zu mehr unnötigen
Insolvenzen führen und damit einen zusätzlichen wirt-
schaftlichen Schaden anrichten, dem auf der anderen
Seite überhaupt kein Vorteil gegenübersteht .

Das ist der Grund, weshalb diese Praxis unisono kriti-
siert wird, und zwar auch von Verbänden, die sowohl auf
der Seite eines begünstigten Gläubigers als auch eines
Schuldners oder eines Gläubigers, für den sich daraus
im Einzelfall ein Nachteil ergibt, stehen könnten . Hier
geht es um Vertrauen, einem Wert im Geschäftsverkehr
an sich .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Deshalb ist es wichtig, dass wir für den redlichen
Geschäftsverkehr die Frist für eine Anfechtung auf vier
Jahre verkürzen und dass die Regelung hinsichtlich der
Vermutung über die Kenntnis der Zahlungsunfähigkeit
gesetzlich geändert wird: Es wird klargestellt, dass eine
Zahlungserleichterung, die ein Gläubiger dem Schuld-
ner gewährt, allein noch kein Indiz für die Kenntnis des
Gläubigers ist .

Wichtig ist – es wurde schon angesprochen –: Die
Arbeitnehmer werden in einer besonderen Weise unter-
stützt, ohne dass wir ansonsten in die Struktur des In-
solvenzrechts eingreifen . Wir nehmen hier eine Lösung
auf, die das Bundesarbeitsgericht vorgezeichnet hat, und
sichern sie ab, indem wir sie gesetzlich regeln . Der Lohn,
der innerhalb von drei Monaten für geleistete Arbeit ge-
zahlt worden ist, ist nun der Anfechtung entzogen, im
Wege der Subsumtion unter das Bargeschäft . Ich glaube,
das ist eine intelligente Lösung, um hier zu einem effek-
tiven Schutz gerade der Arbeitnehmer zu kommen, die
besonders darauf angewiesen sind, darauf vertrauen zu
können, ihren ausgezahlten Lohn behalten zu dürfen .

Für mich ist für die weiteren Beratungen aber noch
eines wichtig: Wir müssen darauf achten, dass wir dem
Insolvenzverfahren nicht insgesamt mangels Masse den
Boden entziehen; denn das Insolvenzverfahren hat sei-
nen spezifischen Wert. Es gehört zur Marktwirtschaft,
dass ein Unternehmen, das nicht mehr wettbewerbsfähig
ist, vom Markt verschwindet und abgewickelt wird . Da






(A) (C)



(B) (D)


macht es einen Unterschied, ob das in einem geordneten
Verfahren durch den Insolvenzverwalter gemacht wird
oder ob einfach nur unsortiert Aktenordner und volle
Schubladen mit Rechnungen entsorgt werden . Es geht
dann auch darum, Ansprüche zu klären . Es geht zum
Beispiel auch darum, Zeugnisse für Arbeitnehmer aus-
zustellen . All das muss in einem geordneten Verfahren
geschehen . Schon deshalb müssen wir dafür sorgen, dass
das Insolvenzverfahren nicht ausgetrocknet wird . Wir
müssen überlegen, ob es richtig ist, dass alle Titel, die
vollstreckt werden – egal, woraus sie resultieren –, privi-
legiert werden sollen .


Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1815009600

Kollegin Winkelmeier-Becker, Sie müssen die weite-

ren Vorschläge vertagen .


Elisabeth Winkelmeier-Becker (CDU):
Rede ID: ID1815009700

Ich bin froh, dass die Bedeutung unserer heutigen

Debatte nicht daraus resultiert, dass wir viele Insolvenz-
verfahren hätten . Wir haben den geringsten Stand an In-
solvenzverfahren seit der Einführung der Insolvenzord-
nung . Trotzdem ist es dieses Thema immer wieder wert,
an Verbesserungen zu arbeiten . Die Union macht das je-
denfalls sehr gerne, im Interesse der Unternehmen und
der Arbeitnehmer .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1815009800

Das Wort hat die Kollegin Katja Keul für die Fraktion

Bündnis 90/Die Grünen .


Katja Keul (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1815009900

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf schlägt
die Bundesregierung Änderungen an der Insolvenzord-
nung vor, die insbesondere das Anfechtungsrecht betref-
fen . Parallel dazu sollen im Anfechtungsgesetz entspre-
chende Änderungen für Anfechtungen außerhalb eines
Insolvenzverfahrens vorgenommen werden .

Aber was ist das Anfechtungsrecht eigentlich? Es
dient dazu, zu verhindern, dass bei einer Insolvenz ein-
zelne Gläubiger bessergestellt werden, weil sie früh
Informationen über die finanziellen Verhältnisse des
Schuldners haben und daher noch kurz vor der Insolvenz
ihr Geld eintreiben können . Das Anfechtungsrecht dient
somit der Gläubigergleichbehandlung . Dennoch soll die-
ses Recht nunmehr an mehreren Stellen eingeschränkt
werden, um überlange Unsicherheiten über den Bestand
eines Rechtsgeschäftes zu vermeiden .

Unproblematisch und zu begrüßen ist zunächst einmal
die Verkürzung der Anfechtungsfrist von zehn auf vier
Jahre ab Insolvenzantragstellung . Nach vier Jahren sollte
klar sein, ob eine Leistung zurückgezahlt werden muss
oder nicht . Auch die Verknüpfung der Verzinsung von
Rückzahlungsansprüchen an die üblichen Verzugsvo-
raussetzungen ist nicht mehr als fair .

Kritisch ist aber die künftige umfassende Privile-
gierung von Vollstreckungsmaßnahmen, die dann nicht

mehr anfechtbar sein sollen . Der Vorschlag hat folgenden
Hintergrund: Wenn Gläubiger ihre berechtigte Forderung
in jahrelangem Rechtsstreit endlich tituliert haben und
dann mit hohem Zeit- und Kostenaufwand vollstrecken,
ist nicht einzusehen, dass sie so behandelt werden, als
ob ihnen dieses Recht nie zugestanden hätte . Problema-
tisch dabei ist aber, dass das jetzt auch für alle öffent-
lich-rechtlichen Gläubiger wie Finanzämter und Sozial-
versicherungsträger gelten soll, die sich ihre Titel selbst
erstellen und vollstrecken können . Mit Einführung der
Insolvenzordnung hatte man sich bewusst von dieser Fis-
kusprivilegierung verabschiedet, um Insolvenzverfahren
frühzeitiger zu ermöglichen, wenn noch genug Masse zur
Verteilung bzw . Chancen zur Fortsetzung des Unterneh-
mens vorhanden sind .

Sozialversicherungsträger und Finanzämter sind die
wichtigsten Insolvenzantragsteller . Wenn diese nun die
Möglichkeit erhalten, bis zum bitteren Ende unanfecht-
bar zu vollstrecken, haben sie kaum noch Interesse an
einem frühzeitigen Insolvenzantrag .


(Dr . Johannes Fechner [SPD]: So ist es ja nicht!)


Im Ergebnis werden damit wieder mehr Privatgläubiger
leer ausgehen, so wie früher nach der Konkursordnung .
Ich denke, Sie sollten die Vorschläge der Verbände über-
nehmen und die Privilegierung auf gerichtlich erlangte
Vollstreckungstitel beschränken .

Kommen wir zu den Änderungen in § 133 Insolvenz-
ordnung . Danach soll der Gläubiger, dessen berechtigte
Forderung vom Schuldner erfüllt wird, nur noch dann
mit einer Anfechtung rechnen müssen, wenn er die ein-
getretene Zahlungsunfähigkeit kannte . Kenntnis von
drohender Zahlungsunfähigkeit soll nicht mehr reichen .
Dieser zusätzliche Schutz ist angemessen und nachvoll-
ziehbar . Ob es aber darüber hinaus auch noch angemes-
sen ist, gleich bei jeder Ratenzahlungsvereinbarung zu
vermuten, dass der Gläubiger die Zahlungsunfähigkeit
nicht kannte, finde ich zumindest zweifelhaft. Hier bleibt
die Expertenanhörung abzuwarten .

Mit der Änderung des § 142 Insolvenzordnung sollen
die sogenannten Bargeschäfte konkretisiert werden, also
die Geschäfte, bei denen eine Gegenleistung unmittelbar
bezahlt wird, wie vor allem beim Arbeitslohn. Das finde
ich richtig . Gerade in Bezug auf Arbeitnehmer war es an
der Zeit, die umfangreiche höchstrichterliche Rechtspre-
chung zum Zwecke der Rechtsklarheit im Gesetz aufzu-
nehmen . Jetzt kann es jeder schwarz auf weiß nachlesen:
Der Lohn für Arbeitsleistungen der letzten drei Monate
ist vor der Anfechtung sicher .

Nicht ganz so klar ist leider die Ausnahmevorschrift .
Hat der Arbeitnehmer erkannt, dass der Arbeitgeber un-
lauter handelte, soll der Anfechtungsschutz nicht gelten .
Aber was bitte ist „unlauter“? Warum man jetzt hier
wieder einen neuen Begriff einführt, der erst wieder im
Wege der Rechtsprechung konkretisiert werden muss, er-
schließt sich mir nicht . Ich denke, auf diese Ausnahme

Elisabeth Winkelmeier-Becker






(A) (C)



(B) (D)


sollten Sie schlicht verzichten oder zumindest auf leiten-
de Angestellte beschränken .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Am Ende schlagen Sie noch eine Änderung vor, die
mit dem Anfechtungsrecht nichts zu tun hat: Gläubiger
sollen schneller und leichter einen Insolvenzantrag stellen
können als bisher . Bislang konnte ein Schuldner den In-
solvenzantrag eines Gläubigers einmal abwenden, indem
er die Forderung doch noch bezahlt, wenn nicht bereits
ein Insolvenzantrag in den letzten zwei Jahren gestellt
worden war . Diese Möglichkeit soll für den Schuldner
jetzt gänzlich entfallen . Begründet wird dies insbesonde-
re damit, dass Sozialversicherungsträger schneller eine
Klärung der Zahlungsfähigkeit herbeiführen sollen . Im
Ergebnis kann dann aber jeder Gläubiger eines säumigen
Schuldners ohne weitere Voraussetzungen jederzeit eine
insolvenzgerichtliche Entscheidung in der Sache veran-
lassen . Ich frage mich schon, ob das wirklich praktikabel
sein wird und nicht einfach zu einer unnötigen Mehrbe-
lastung der Insolvenzgerichte führt . Leider liegen gerade
zu diesem Punkt kaum schriftliche Stellungnahmen der
Verbände vor, sodass wir auch hier die Expertenanhö-
rung abwarten müssen .

Fazit: Der Gesetzentwurf ist eine gute Diskussions-
grundlage . Allerdings sollte auch dieses Gesetz keines-
falls aus dem Parlament so herauskommen, wie es hi-
neingekommen ist .

Vielen Dank .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1815010000

Vielen Dank, Katja Keul . – Nächster Redner in der

Debatte: Dr . Heribert Hirte für die CDU/CSU-Fraktion .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. Heribert Hirte (CDU):
Rede ID: ID1815010100

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Liebe Zuhörer! Es sind an diesem Freitagnachmittag ja
nicht mehr ganz so viele . Zunächst einmal: Worum geht
es eigentlich bei diesem Gesetzentwurf zur Reform des
Insolvenzanfechtungsrechts? Die Insolvenzanfechtung
dient dazu – wir haben es schon einmal gehört –, so-
genannte vorinsolvenzliche Vermögensverschiebungen
rückabzuwickeln . Wer also etwas aus einem später insol-
vent gehenden Unternehmen herausbekommen hat, muss
es unter bestimmten Voraussetzungen an den Insolvenz-
verwalter zurückführen, wenn er es innerhalb bestimm-
ter Fristen vor der Insolvenz bekommen hat . Das dient
dazu – auch das hat der Minister richtigerweise gesagt –,
die Gleichbehandlung der Gläubiger im Insolvenzverfah-
ren sicherzustellen . Es soll nicht derjenige einen Vorteil
haben, der noch kurz vor der Insolvenz seine Schäfchen
ins Trockene gebracht hat .

Um es deutlich zu sagen: Das ist nicht etwa neu, son-
dern das ist ein Rechtsinstitut, das es seit der Römerzeit

gibt und das deshalb weitgehend anerkannt ist, auch in
seiner Konzeption . Es wurde in den letzten Jahren aller-
dings ausgebaut, weil wir den Gläubigerschutz an ande-
rer Stelle, bei den Gesellschaften, zurückgefahren haben .
Insofern ist es nicht ganz überraschend, dass wir jetzt
auch hier über die Grenzen nachdenken .

Herr Pitterle hat gesagt, in einem Bereich, was die An-
fechtung von Lohnzahlungen an Arbeitnehmer angeht,
hat sich seit der Konkursordnung etwas geändert . Das
ist richtig . Die Konkursordnung sah ein spezielles Pri-
vileg für die Arbeitnehmer vor, das in dieser Weise jetzt
nicht mehr existiert . Aber die Zahl der Anfechtungen von
Lohnzahlungen hat nicht etwa wegen der Einführung
der Insolvenzordnung zugenommen, sondern aus einem
ganz anderen Grund, nämlich weil die Sozialversiche-
rungsträger der Sache nach durch eine etwas versteckte
Sonderregelung – § 28 e SGB IV – privilegiert wurden .
Insofern gibt es einen Zusammenhang mit dem, was Frau
Keul angesprochen hat, mit der Privilegierung der So-
zialversicherungsträger . Darauf komme ich gleich noch
einmal zu sprechen .

Diese Regelungen – ich betone es noch einmal – sind
im Grundsatz richtig . Sie dienen der Verwirklichung des
Gläubigerschutzes und haben deshalb eine hohe ord-
nungspolitische Bedeutung . Allerdings ist die Reichwei-
te umstritten . In einem zentralen Punkt sind die Regelun-
gen zu Recht auf Kritik gestoßen . Dabei geht es um die
Regelung des § 133 Insolvenzordnung, um die sogenann-
te Vorsatzanfechtung . Leistungen, die bis zu zehn Jahre
vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens zurückliegen,
können zurückgefordert werden, und das eigentlich nur
bei Vorsatz . Die zehn Jahre wären nicht so schlimm,
wenn nicht der Begriff „Vorsatz“ von der Rechtspre-
chung ausgelegt, will heißen: abgemildert worden wäre .
Das bedeutet für die Gläubiger, die Adressaten dieser
Insolvenzanfechtung, dass sie ziemlich überraschend
mit solchen Rückforderungen konfrontiert werden . Das
wollen wir ändern . Es ist richtig, dass wir das ändern .
In der Koalitionsvereinbarung haben wir vereinbart, dass
wir im Interesse des Mittelstandes und im Interesse der
Arbeitnehmer in diesem Punkt mehr Rechtssicherheit
herstellen wollen .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Aus diesem Grunde adressiert der Gesetzentwurf zu
Recht drei Bereiche, in denen Änderungen vorgenom-
men werden:

Zum einen geht es um Änderungen bei der schon an-
gesprochenen Vorsatzanfechtung . Die Frist, die bisher
zehn Jahre beträgt, soll, jedenfalls für wesentliche Teile,
auf vier Jahre verkürzt werden . Es soll dabei auch die
Kenntnis, die der andere, der das Geld bekommen hat,
hat, erhöht werden . Er muss wissen, dass die Insolvenz
schon eingetreten ist . Es soll nicht mehr nur ausreichen,
dass er von einer drohenden Insolvenz Kenntnis hat .

Zweitens . Zahlungserleichterungen, die irgendwann
einmal im Vorfeld gewährt wurden, sollen nicht mehr
dazu führen können, dass man sein Geld zurückgeben
muss . Über die genaue Formulierung – auch das ist schon

Katja Keul






(A) (C)



(B) (D)


angesprochen worden – müssen wir allerdings noch
nachdenken; das ist zu evaluieren .

Drittens . Richtig ist auch, dass das sogenannte Barge-
schäft – § 142 Insolvenzordnung – erweitert wird, und
zwar klarstellend erweitert wird, in Aufnahme der Recht-
sprechung des Bundesarbeitsgerichts zur Anfechtbarkeit
von Lohnzahlung an Arbeitnehmer . Allerdings müssen
wir noch ein bisschen schauen, ob jetzt auch innerhalb
dieser Norm die Gleichbehandlung hergestellt ist . Auch
darüber werden wir noch nachzudenken haben .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Völlig unstreitig, wenn ich das hier Revue passieren
lasse, ist, dass der Zinslauf bei der Rückforderung jetzt
ab Verzug einsetzen soll und nicht etwa nur, wie es im
Augenblick der Fall ist, ab Eröffnung des Insolvenzver-
fahrens . Auch das hat dazu beigetragen, dass Adressaten
einer solchen Insolvenzanfechtung mit den Forderungen
überrascht werden konnten . Das wird jetzt anders . Das ist
ein wichtiger Punkt . Wir hätten diesen Punkt meines Er-
achtens schon viel, viel früher regeln können, als wir am
Anfang der Legislaturperiode gesagt haben, wir könnten
mit kleinen Detailänderungen das Problem schon lösen .
Das sind einige wesentliche Punkte .

Ein Punkt ist zweifelhaft . Das ist der Punkt, dass
auch Deckungen und Sicherungen, die man im Wege der
Zwangsvollstreckung erreicht hat, privilegiert werden,
also von der Insolvenzanfechtung ausgenommen werden
sollen . Denn das betrifft jedenfalls in der Praxis vor al-
len Dingen Forderungen des Fiskus und der Sozialver-
sicherungsträger . Wenn die nicht mehr anfechtbar sind,
obwohl die Beteiligten genau wussten, dass es sich um
ein insolventes Unternehmen handelt, heißt das, dass die
Insolvenzmasse so ausgedünnt wird, dass am Ende nicht
mehr genügend Masse zur Eröffnung der Verfahren zur
Verfügung steht . Ich stimme der Kollegin Keul, die sehr
deutlich darauf hingewiesen hat, ausdrücklich zu . Das
würde mich mit großer Sorge erfüllen . Darüber müssen
wir nachdenken, unter anderem auch deshalb, weil sonst
anschließend nicht mehr genügend Geld für die Arbeit-
nehmer, für einen Sozialplan, zur Verfügung steht .

Es gibt noch genügend zu beraten . Auf diese Beratun-
gen freue ich mich .

Vielen Dank Ihnen allen .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1815010200

Danke schön, Dr . Hirte . – Nächster Redner:

Dr . Brunner für die SPD .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Karl-Heinz Brunner (SPD):
Rede ID: ID1815010300

Verehrte Frau Präsidentin! Meine Kolleginnen und

Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren und
Gäste, die Sie an diesem Freitagmittag auf den Zuhörer-
rängen ausgeharrt haben! Die Koalitionsparteien haben
in dem Koalitionsvertrag „Deutschlands Zukunft gestal-

ten“ vorgeschlagen, eine Reihe von gesellschafts- und
insolvenzrechtlichen Aspekten zu regeln . Ich zitiere aus
dem Koalitionsvertrag:

Zudem werden wir das Insolvenzanfechtungsrecht
im Interesse der Planungssicherheit . . . sowie des
Vertrauens der Arbeitnehmerinnen und Arbeitneh-
mer in ausgezahlte Löhne auf den Prüfstand stellen .

Kernstück der Regelungen heute ist daher die Verbes-
serung der Rechtssicherheit bei Anfechtungen nach der
Insolvenzordnung . Hier gab es oft Probleme, nicht zu-
letzt – das wurde ja schon von einigen Rednern angespro-
chen – durch die unterschiedlichen Rechtsprechungen
des Bundesarbeitsgerichtes, des Bundesgerichtshofs –
und nicht zu vergessen – die zahlreichen obergerichtli-
chen Entscheidungen zu den Haftungsansprüchen von
Insolvenzverwaltern, wenn sie in der gängigen Praxis
früherer Jahre nicht angefochten haben; denn Rechtsge-
schäfte mit dem Schuldner unterliegen bis zu zehn Jahren
rückwirkend der Anfechtung .

Lassen Sie mich kurz die häufigsten drei Beispiele
nennen, in denen dies zum Tragen kam .

Erstens . Arbeitnehmer vereinbaren mit ihrem Betrieb,
der sich in Schieflage befindet – manchmal ist dies noch
nicht ersichtlich –, dass sie für ein geringeres Gehalt ar-
beiten, um nach Insolvenzeröffnung nicht nur zu erfah-
ren, dass der Arbeitsplatz weg ist, sondern nun auch noch
erfahren, dass bereits gezahltes Gehalt an den Insolvenz-
verwalter zurückzuzahlen ist .

Zweitens . Handwerker, meist kleine und mittelstän-
dische Unternehmer, gestatten ihren Lieferanten, mit
denen sie schon lange in Geschäftsbeziehungen stehen,
Stundungen oder Ratenzahlungen, um deren Liquidität
und letztendlich die Geschäftsbeziehung zu erhalten . Der
Geschäftspartner geht in Insolvenz, und es passiert, dass
die Zahlungen an den Insolvenzverwalter zurückzuzah-
len sind .

Drittens . Ein Gläubiger bemüht sich, wegen mangeln-
der Zahlung bei Gericht ein Urteil zu erwirken, beauftragt
den Gerichtsvollzieher, und der vereinbart ordnungsge-
mäß, so wie es das Gesetz will, eine Ratenzahlung . Am
Schluss bleibt der kleine Unternehmer auf den Kosten
sitzen, weil er zurückzuerstatten hat .

Alle drei Fälle führen zu Ergebnissen, die im
schlimmsten Fall sogar die Existenzgrundlage der betrof-
fenen Gläubiger ernsthaft bedrohen, weil die Rückforde-
rungen bis zu zehn Jahre danach erhoben werden können .
Verständlich ist das nicht – und gerecht allemal nicht .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)


Diese Ungerechtigkeit zu beseitigen, nachzujustieren,
wo es notwendig ist, gleichzeitig aber möglichst wenig
in die Systematik der Insolvenzordnung einzugreifen,
das unternimmt der heute in erster Lesung vorliegende
Gesetzentwurf .

Kern der Änderung, die ausdrücklich Vermögensver-
schiebungen oder Bankrotthandlungen ausnimmt, weil
diese keine Privilegierung verdienen, ist die Beseitigung
von Rechtsunsicherheiten bei Arbeitnehmerinnen und

Dr. Heribert Hirte






(A) (C)



(B) (D)


Arbeitnehmern . Es geht dabei – das wurde bereits ange-
sprochen – um die Kodifizierung der Rechtsprechung des
Bundesarbeitsgerichts .

Außerdem wollen wir, um das Vertrauen von Arbeit-
nehmerinnen und Arbeitnehmern zu stärken, verdien-
ten Arbeitslohn auch behalten zu dürfen, einen Teil der
Vorsatzanfechtung in das Bargeschäftsprivileg einbe-
ziehen . Nach § 142 Absatz 1 der Insolvenzordnung soll
die Anfechtung nur noch möglich sein, wenn erstens der
Schuldner unlauter handelte und zweitens der Gläubiger
dies auch erkannte .

Zudem wollen wir die Anfechtungsfrist von zehn auf
vier Jahre verkürzen .

Wenig interessensgerecht fand ich auch die bisheri-
ge Regelung zur Verzinsung des Anfechtungsanspruchs,
weil sie Anreize zu dessen verzögerter Geltendmachung
schaffte . Deshalb sollen, wie im Gesetzentwurf vorgese-
hen, die Zinsen begrenzt werden, indem sie den allgemei-
nen schuldrechtlichen Verzugsregeln unterstellt werden .

Mein Dank an dieser Stelle, meine Damen und Her-
ren, geht vor allen Dingen an Sie, lieber Justizminister
Heiko Maas, für diesen Entwurf und die konstruktiven
Lösungsansätze . Ich hoffe, dass bei der öffentlichen An-
hörung noch viele konstruktive Vorschläge zu den noch
wenigen offenen Fragen kommen . Ich sage dies deshalb,
weil ich glaube, dass an einigen Stellen noch Diskussi-
onsbedarf besteht . So glaube ich, dass der Vorschlag im
Referentenentwurf aus Ihrem Haus, Herr Minister, ledig-
lich den zivilprozessualen, also auf dem Rechtsweg er-
strittenen Titeln ein Privileg in der Zwangsvollstreckung
einzuräumen, also denjenigen, die einen Zahlungsbefehl
oder ein Urteil erwirken wie der einfache Handwerker,
sachgerecht und angemessen war .


(Beifall des Abg . Dr . Heribert Hirte [CDU/ CSU])


Dass jedoch jetzt, vermutlich bei der Ressortabstim-
mung, durch Streichung des kleinen Wortes „gerichtlich“
quasi durch die Hintertür die alten, aus der Konkursord-
nung bekannten Fiskal- und Sozialversicherungsprivile-
gien wieder Einzug halten könnten – auch als Ausstands-
verzeichnisse, die im einfachen Weg erstritten werden,
bekannt –, dient weder der Sache und, wie ich glaube,
schon gar nicht der Masse .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie der Abg . Dr . Heribert Hirte [CDU/CSU] und Richard Pitterle [DIE LINKE])


Deshalb, meine sehr verehrten Damen und Herren,
freue ich mich, auch nach den Wortbeiträgen und Reden
des heutigen Tages, auf einen intensiven Gedankenaus-
tausch, auf gute Anregungen in der öffentlichen Anhö-
rung am 24 . Februar und gute Ergebnisse bis zur zweiten
und dritten Lesung .

Vielen herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1815010400

Vielen Dank, Kollege Brunner . – Der letzte Redner in

dieser Debatte ist Philipp Graf Lerchenfeld für die CDU/
CSU-Fraktion .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Graf Philipp Lerchenfeld (CSU):
Rede ID: ID1815010500

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Hohes Haus! Der vorliegende Gesetzentwurf soll den
Wirtschaftsverkehr und die Arbeitnehmer von Unsicher-
heiten im Insolvenzverfahren entlasten, die eben gerade
durch die Praxis des Insolvenzverfahrens in den letzten
Jahren stark hervorgerufen wurden .

Es ist Ziel der Reform, die Insolvenzanfechtungen in
bestimmten Punkten neu zu ordnen, wie von vielen schon
dargestellt worden ist, die Gläubiger in ihren Rechten zu
stärken, sodass übermäßige Belastungen des Geschäfts-
verkehrs und gleichzeitig vor allem auch Rechtsunsi-
cherheiten bei Arbeitnehmern und Arbeitnehmerinnen
vermieden werden können . Es sollte dabei allerdings
nicht aus den Augen verloren werden, dass das große Ziel
der Reform der Konkursordnung im Jahre 1994 darin be-
stand, anstelle der damals üblichen Zerschlagung der in
Krise geratenen Unternehmen vor allem die Möglichkeit
der Fortführung der Unternehmen in den Vordergrund zu
stellen . Dieses Ziel hat sich bewährt, und es sind in den
letzten Jahren viele Unternehmen und damit auch viele
Arbeitsplätze erhalten worden . Alle Änderungen, die wir
an der Insolvenzordnung vornehmen, müssen sich des-
halb an diesem Ziel messen lassen .

Während der Insolvenz eines Unternehmens verändert
sich grundsätzlich das Recht des Gläubigers auf Vollstre-
ckung seiner Forderung . Ziel ist die Sicherstellung der
gleichmäßigen Befriedung aller Gläubiger . Konsequen-
terweise können deshalb Zahlungen, die vom Schuldner
in der Krise geleistet worden sind, zurückgefordert wer-
den, damit die Gelder dann gleichmäßig auf alle Gläubi-
ger verteilt werden können .

Die Frist für diese Rückforderung betrug zehn Jahre .
Man muss sich nun einmal vorstellen, was das bedeutet:
Im Laufe von zehn Jahren kann es leicht passieren, dass
sich ein Unternehmen, das in der Krise war, einigerma-
ßen erholt und dann wieder in Konkurs oder Vermögens-
verfall gerät . Aber eine Rückforderung konnte, obwohl
jeder gewusst hat, dass es dem Unternehmen wieder
deutlich besser geht, zehn Jahre lang geltend gemacht
werden . Das ist ungerecht, und das führt nicht dazu, dass
man mit den Gläubigern vernünftig umgeht .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg . Dr . Karl-Heinz Brunner [SPD])


Diese Frist wird durch den Gesetzentwurf nun auf
vier Jahre verkürzt, und die Kenntnis der drohenden
Zahlungsunfähigkeit wird durch die Kenntnis der ein-
getretenen Zahlungsunfähigkeit ersetzt . § 142 Insol-
venzordnung, der die Bargeschäfte betrifft, wird klarer
formuliert, und die Arbeitnehmerrechte werden dadurch
gestärkt; das ist von allen Vorrednern schon ausführlich
dargestellt worden .

Dr. Karl-Heinz Brunner






(A) (C)



(B) (D)


Wichtig sind in diesem Zusammenhang natürlich auch
die Zinsforderungen, für die nunmehr die allgemeinen
Grundsätze gelten und die nicht mehr, wie bisher, eine
Sonderstellung erhalten sollen .

Problematisch sehe ich die im Gesetzentwurf vorge-
sehene Neuregelung des § 131 Insolvenzordnung, nach
dem für alle Zwangsvollstreckungen und damit auch für
die sogenannten Zwangsgläubiger der Tatbestand der
Inkongruenzanforderung entfallen soll . Eine behutsame
Änderung des Gesetzes ist das eigentlich nicht .


(Beifall des Abg . Dr . Heribert Hirte [CDU/ CSU])


Genügt es nicht, den Tatbestand der Inkongruenzanforde-
rung nur auf der Grundlage eines in einem gerichtlichen
Verfahren erlangten vollstreckbaren Titels zu erreichen?

Es entsteht somit ein großer, wirklich großer Vorteil
für öffentlich-rechtliche Gläubiger, da diese ihre Forde-
rungen ja auch meist selbst titulieren können . Sie erhalten
damit einen zeitlichen Vorzug vor privaten Gläubigern,
und der allgemeine Grundsatz der gleichmäßigen Be-
friedigung aller Gläubiger kann damit eindeutig gestört
werden . Es muss auch befürchtet werden, dass dadurch
wieder mehr Verfahren mangels Masse abgewiesen wer-
den, weil man schlicht und ergreifend nicht mehr über
die erforderliche Masse verfügt, um das Verfahren über-
haupt zu eröffnen .


(Dr . Heribert Hirte [CDU/CSU]: Eben!)


Wichtig ist auch – ich glaube, damit sollten wir uns
in den Beratungen noch ernsthaft beschäftigen –, eine
vernünftige Übergangsregelung für die Verfahren, die
bereits laufen, zu schaffen .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ich denke, hier haben wir in den Beratungen noch eine
große Aufgabe vor uns .

Ich hoffe, dass wir den Grundsatz, den ich eingangs
genannt habe – die Fortführung des Unternehmens muss
Vorrang vor der Zerschlagung des Unternehmens ha-
ben –, in den anstehenden Beratungen beachten, und ich
wünsche uns zu diesem Zweck gute Beratungen .

Vielen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1815010600

Danke schön, Graf Lerchenfeld . – Damit schließe ich

diese sehr lehrreiche Debatte .

Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfs
auf Drucksache 18/7054 an die in der Tagesordnung auf-
geführten Ausschüsse vorgeschlagen . – Es gibt dazu kei-
ne anderweitigen Vorschläge . Dann ist die Überweisung
so beschlossen .

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 21 a und 21 b auf:

a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Ulla
Jelpke, Frank Tempel, Sevim Dağdelen, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE

Unerlaubte Einreise von Flüchtlingen entkri-
minalisieren

Drucksache 18/6652
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss (f)

Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe

b) Erste Beratung des von den Abgeordneten Volker
Beck (Köln), Luise Amtsberg, Katja Keul, wei-
teren Abgeordneten und der Fraktion BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs
eines Gesetzes zur Entkriminalisierung von
Menschen ohne Aufenthaltsstatus

Drucksache 18/6346
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss (f)

Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 38 Minuten vorgesehen . – Ich höre kei-
nen Widerspruch . Dann ist es so beschlossen .

Ich bitte diejenigen, die sich – warum auch immer –
nicht unmittelbar für dieses Thema interessieren, den
anderen die Möglichkeit zu geben, der Aussprache zu
folgen .

Ich eröffne die Aussprache und gebe das Wort an Ulla
Jelpke für die Linken .


(Beifall bei der LINKEN)



Ulla Jelpke (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1815010700

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Einer-

seits garantiert das Grundgesetz Flüchtlingen die Prü-
fung eines Asylantrages, andererseits wird gegen die
Flüchtlinge aber ein Ermittlungsverfahren wegen uner-
laubter Einreise eingeleitet, wenn sie ohne Reisepass und
Visum zu uns kommen, um Asyl zu beantragen .

Ich meine, man erkennt auf den ersten Blick, wie ab-
surd diese Gesetzeslage ist . Deswegen fordern die Linken
heute in ihrem Antrag, klarzustellen, dass Asylsuchende,
die zu uns kommen, nicht kriminell sind, sondern völlig
im Einklang mit unseren Gesetzen handeln .


(Beifall bei der LINKEN)


Jedes Jahr führt die Bundespolizei Zehntausende von
Ermittlungsverfahren wegen unerlaubter Einreise durch .
Alleine im vergangenen Jahr waren es bis August 118 000
Verfahren, und inzwischen dürften es noch einige mehr
sein . Nach dem Gesetz steht darauf eine Freiheitsstrafe
von bis zu einem Jahr .

In der Realität wird aber nur 1 Prozent der Beschul-
digten tatsächlich verurteilt; denn nach internationalem
Recht dürfen Asylsuchende nicht wegen illegaler Einrei-
se belangt werden . Deswegen werden fast alle Verfahren
wieder eingestellt, sobald die Beschuldigten ihren Asyl-
antrag gestellt haben . Mit anderen Worten: Die Polizei
wird vom Gesetz gezwungen, Verfahren einzuleiten, die
zu 99 Prozent nur für den Papierkorb sind . Mit dieser
Verschwendung der Arbeitszeit muss man – auch vor

Philipp Graf Lerchenfeld






(A) (C)



(B) (D)


dem Hintergrund der enormen Belastung der Polizei –
endlich einmal aufhören .


(Beifall bei der LINKEN)


Wir müssen einsehen: Flüchtlinge haben überhaupt
keine andere Chance, als unerlaubt hier einzureisen,
wenn sie Asyl beantragen wollen .


(Marian Wendt [CDU/CSU]: Natürlich! Kontingente!)


Es ist deshalb doch völlig absurd, ihnen diese Einreise
strafrechtlich vorzuhalten .

Ich zitiere einmal den Bundesvorsitzenden des Bun-
des Deutscher Kriminalbeamter, André Schulz . Er sagt:

Wir gewähren ein grundgesetzlich verankertes
Asylrecht, haben aber so gut wie keine Möglich-
keit geschaffen, damit Betroffene dieses Recht auch
wirklich und auf legalem Wege in Anspruch neh-
men können . Stattdessen kriminalisieren wir Asyl-
bewerber systembedingt .

Der Vorsitzende des BDK im Bundeskriminalamt,
Andy Neumann, sagt:

Die Kriminalpolizei in die Pflicht zu zwingen, Hun-
derttausende Vorgänge zu bearbeiten, die juristisch
folgenlos bleiben und menschlich fragwürdig sind,
ist angesichts der brutalen Überlastung der Polizei
in Bund und Ländern ein Skandal .


(Beifall bei der LINKEN)


Auch die Gewerkschaft der Polizei teilt diese Ansicht
und sagt, es sei unsinnig, die unerlaubte Einreise und den
unerlaubten Aufenthalt strafrechtlich ahnden zu wollen .

Es kommt wirklich selten vor, dass die Linke mit den
Polizeigewerkschaften einer Meinung ist, aber hier ist
das auf alle Fälle so .

Ich meine, wir sollten wirklich die Konsequenzen da-
raus ziehen und die unerlaubte Einreise endlich aus dem
Strafrecht herausnehmen; denn Flüchtlinge sind nicht il-
legal hier . Wenn Sie das auch juristisch klarstellen, dann
ist das ein wichtiges Signal an die Flüchtlinge und auch
an unsere Gesellschaft .

Die Linke geht in ihrem Antrag noch einen Schritt
weiter . Wir fordern nämlich auch die Entkriminalisie-
rung von Menschen, die Flüchtlingen beim unerlaubten
Grenzübertritt helfen; denn diese Helfer riskieren bislang
eine Haftstrafe von einem Jahr bis zu fünf Jahren . Bis
Mitte September 2015 wurden 2 653 sogenannte Schleu-
ser festgestellt .

Um es gleich klarzustellen: Es geht uns hier nicht um
die bandenmäßigen Schleuser, die Leib und Leben von
Schutzsuchenden aufs Spiel setzen und dafür auch zu
Recht bestraft werden . Uns geht es um die aus humanitä-
ren Gründen Handelnden, um Menschen, wie beispiels-
weise Hanna L ., der ein syrischer Christ ist, in Essen lebt
und seit Beginn des Bürgerkriegs in Syrien 270 Men-
schen aus seiner syrischen Heimat geholfen hat, aus der
dortigen Hölle herauszukommen . Er wurde zu zwei Jah-

ren Haft auf Bewährung verurteilt und muss eine hohe
Geldstrafe zahlen . Wir meinen, völlig zu Unrecht .


(Beifall bei der LINKEN – Marian Wendt [CDU/CSU]: Der Richter aber nicht!)


Für uns Linke ist die Rettung von Menschen aus Not eine
achtbare Tat . Menschen zu retten, ist vorbildlich . Man
darf sie nicht unter Strafe stellen .

Ich weiß, Sie von der CDU/CSU werden hier vor al-
len Dingen gleich wieder von einer fatalen Signalwir-
kung sprechen . Ich will Ihnen dazu sagen, dass ich das
für Quatsch halte. Wer Gründe hat, zu fliehen, bleibt
nicht weg, weil es hier ein Ermittlungsverfahren wegen
illegalen Grenzübertritts gibt . Es gibt keinen vernünfti-
gen Grund dafür, Flüchtlinge und ihre Helfer wegen an-
geblich unerlaubter Einreise zu kriminalisieren . Wer das
will, dem geht es nur darum, seine Ressentiments gegen
Flüchtlinge zu pflegen.

Wir sagen: Entlasten wir die Polizei und die Ermitt-
lungsbehörden, entkriminalisieren wir die Flüchtlinge,
nehmen wir die Asylgarantie des Grundgesetzes ernst .

Ich danke Ihnen .


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1815010800

Vielen Dank, Ulla Jelpke . – Nächster Redner in der

Debatte ist Marian Wendt für die CDU/CSU-Fraktion .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Marian Wendt (CDU):
Rede ID: ID1815010900

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! „… ein

Staat ohne Grenzen gibt sich selbst auf“ . – Das ist ein
schöner kurzer Satz des Herausgebers der Zeitung Die
Welt, Stefan Aust, in einem Artikel der letzten Tage . Ein
Staat ohne Grenzen gibt sich selbst auf – oder anders for-
muliert: Ein Staat, der diese Grenzen gar nicht schützt,
gibt sich selbst auf . – Ein europäisches Grenzregime, das
wir im Rahmen von Schengen vereinbart haben, entbin-
det uns auch weiterhin nicht von der Kontrolle unserer
nationalen Grenzen . Auch wenn es keine stationären
Grenzkontrollen mehr gibt, wie wir sie noch vor 15, 20
oder 25 Jahren hatten, bleibt der illegale Grenzübertritt in
die Bundesrepublik Deutschland weiterhin strafbar .


(Manfred Grund [CDU/CSU]: Wie in jedem Land!)


Ich sage Ihnen: Die illegale Einreise ist auch aus guten
Gründen strafbar . Ich führe in meiner Rede gerne die we-
sentlichen Punkte dazu auf:


(Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Jetzt sind wir gespannt!)


Den in der Genfer Flüchtlingskonvention vereinbarten
Schutz vor Strafverfolgung bei illegaler Einreise kön-
nen die meisten Flüchtlinge in Deutschland gar nicht in
Anspruch nehmen . Sie sind nämlich grundsätzlich über
sichere Drittstaaten eingereist – und eben nicht unmit-
telbar aus einem Gebiet, in dem sie gefährdet sind . So

Ulla Jelpke






(A) (C)



(B) (D)


viel zur Rechtslage. Schutz finden sie auch in Österreich
und in Slowenien, auf dem Balkan oder in anderen Staa-
ten, aus denen sie hierher eingereist sind . Deutschland ist
umgeben von sicheren Drittstaaten . Das ist nun einmal so
wegen unserer geografischen Lage. Dass wir in Deutsch-
land dennoch zurzeit eine so große Menge an Menschen
aufgenommen haben und diese nicht wegen illegaler Ein-
reise bestraft werden, ist ein der humanitären Situation
geschuldeter Umstand .


(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein, das folgt aus Artikel 31 der Genfer Flüchtlingskonvention! Das ist keine Wohltat, das ist internationales Recht, Herr Wendt!)


Die Bundesregierung hat am 4 . September 2015 erkannt,
dass die Situation in Budapest und in den Regionen Süd-
osteuropas zu kippen droht . Wir erinnern uns alle an die
Bilder vom Budapester Bahnhof . Deshalb haben wir aus
europäischer Solidarität unsere Grenzen geöffnet . Diese
Katastrophensituation vom 4 . September kann aber kein
Dauerzustand sein, und wir sind bereits dabei – wie die
Kontrollen in Österreich und in Sachsen mittlerweile
belegen –, Stück für Stück wieder zu einem geordneten
Verfahren zurückzufinden. Auch Zurückweisungen – das
haben wir in den letzten Tagen erfahren – finden statt und
machen die Grenze Stück für Stück sicherer . Die Genfer
Flüchtlingskonvention kann daher kein Argument sein,
den illegalen Grenzübertritt in die Bundesrepublik zu
entkriminalisieren .

Das Argument der Linken,


(Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Ein gutes Argument!)


man sollte als entlastendes Element für die deutschen
Behörden illegale Einreise straffrei stellen, weil dieser
Straftatbestand ohnehin durch die Genfer Flüchtlings-
konvention, das EU-Recht und das Grundgesetz aufge-
löst würde, geht also fehl . Man könnte auch sagen: Wir
schaffen einfach das Asylverfahren ab . Das wäre auch
eine Form von Entbürokratisierung, aber keine Form von
Rechtsstaatlichkeit .

Ferner gehen Sie in Ihrem Antrag auf Grenzkontrollen
ein . Sie wollen, dass der Bundestag die Bundesregierung
auffordert, von grenzsichernden Maßnahmen abzusehen .
Diese Forderung halte ich – aus den eben genannten
Gründen, so die mangelhaft gesicherten Außengrenzen
der EU – für naiv bis gefährlich . Vielmehr brauchen wir
bessere, effizientere Grenzkontrollen. Sie sollten tem-
porär und stationär durchgeführt werden sowie auch
Schleierfahndungen und sogenannte Binnengrenzkon-
trollen umfassen .


(Ulla Jelpke [DIE LINKE]: Wollen Sie die Mauer wieder?)


– Wir wollen keine Mauer, meine Damen und Herren .
Die Linkspartei kennt sich da ja bestens aus .


(Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Reflexe funktionieren!)


Wir wollen aber eine Kontrolle derer, die in unser Land
kommen .

Dass wir über die Mittel verfügen, um die öffentliche
Sicherheit wieder herzustellen, haben wir bereits unter
Beweis gestellt . Ich erinnere an den G-7-Gipfel . Da hat-
ten wir ordentliche Einreisekontrollen,


(Ulla Jelpke [DIE LINKE]: Sehr hohe!)


ohne dass unsere Freiheit in Europa oder der lokale Grenz-
verkehr gefährdet waren oder gar die Rechtsstaatlichkeit
infrage gestellt wurde. Die Effizienz dieser temporären
Grenzkontrollen rund um den G-7-Gipfel brauche ich,
denke ich, nicht näher zu erläutern . Darüber haben wir
im Innenausschuss intensiv diskutiert und haben die Dis-
kussion mit einem positiven Ergebnis beendet .

Zusätzlich ginge mit der entkriminalisierten und damit
letztlich nicht zu kontrollierenden Einreise die Aufgabe
des Schutzes des deutschen Staatsgebietes einher . In An-
betracht der Tatsache, dass die europäischen Außengren-
zen nicht hinreichend geschützt werden, wäre dies ein
fataler Fehler .

Ihre Stoßrichtung hin zu Grenzen ohne jede Kontrolle
lässt sich auch in einem anderen Lichte betrachten . Die
Signalwirkung wäre nämlich verheerend .


(Ulla Jelpke [DIE LINKE]: Sie haben offensichtlich nichts verstanden!)


Gerade jetzt, da die Zahl der Flüchtlinge wenigstens lang-
sam zurückgeht, wäre es geradezu sträflich, weitere An-
ziehungsfaktoren einzurichten . Die Entkriminalisierung
der illegalen Einreise mag in Ihren Augen vielleicht kei-
nen großen Effekt haben und sogar gut sein . Aber die An-
reizstrukturen für die Menschen, gerade nach Deutsch-
land zu kommen, sind vielfältig . Die illegale Einreise
straffrei zu stellen, wäre ein solcher Anreiz ebenso wie
die Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz .


(Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ach!)


Andererseits würden wir den Migrationsdruck auf un-
sere europäischen Nachbarn erhöhen, wenn Deutschland
auf einmal anfangen würde, alle Grenzen zu öffnen . Wer
litt denn zunächst unter dieser vermeintlichen Grenzöff-
nung, wie Sie sie hier beschrieben haben? Die Nachbar-
staaten auf dem Balkan, die von all denen, die hier nach
Deutschland kommen, durchquert werden . Auch das
wäre ein Aussetzen von europäischer Solidarität .

Der Tod der 71 Syrer in einem ungarischen Lkw im
August letzten Jahres in Österreich ist uns allen eine
Mahnung . Deswegen haben wir am 4 . September 2015
richtig gehandelt . Schleusung zu entkriminalisieren,


(Ulla Jelpke [DIE LINKE]: Humanitäre Schleuser!)


auch für diejenigen, die in diesem Geschäftsfeld aus an-
geblich edlen Motiven tätig sind, können wir nicht zulas-
sen . Die Hilfe zur illegalen Einreise ist und bleibt straf-
bar, und das ist auch gut so .


(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wenn die Haupttat nicht strafbar ist, bleibt auch die Beilhilfe nicht strafbar!)


Marian Wendt






(A) (C)



(B) (D)


Einen viel klügeren Schritt – darauf möchte ich nach
der ganzen Analyse eingehen – haben wir gestern Abend
unternommen, um wieder zu sicheren Grenzen zu kom-
men . Mit dem Datenaustauschverbesserungsgesetz haben
wir eine echte Entlastung für alle Behörden geschaffen,
die mit der Bewältigung der Flüchtlings- und Asylkrise
betraut sind . Es ist doch ein Hauptanliegen Ihres Antrags,
dass wir die Behörden entlasten und dass wir der Polizei
wieder mehr Möglichkeiten geben, die Grenzen wirklich
zu sichern und nicht nur Papier zu verschieben .


(Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Das haben Sie verstanden!)


Deswegen reduzieren wir mit dem Gesetz den Aufwand
dort, wo er wirklich anfällt . Wir wissen künftig, wer
kommt . Wir wissen, wer bei uns ist .


(Ulla Jelpke [DIE LINKE]: Das wissen wir auch so!)


Und es ist uns auch klar, ob Terroristen unter den An-
kommenden sind . Damit können wir auch besser unter-
scheiden, wer Hilfe braucht und wer nicht .

Bei der Registrierung und Aufnahme von Flüchtlingen
und Asylbewerbern, vor allen Dingen bei der Abwick-
lung der Verfahren, besteht derzeit ein Engpass; darin
sind wir uns sicherlich einig . Da besteht Handlungsbe-
darf, den wir mit Mitteln der digitalen Verwaltung ange-
gangen sind . Es freut mich daher, dass wir das ängstliche
Datenschutzdenken aus der Zeit des Volkszählungsgeset-
zes ablegen und uns etwas trauen .


(Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da haben Sie noch gar nicht gelebt, Herr Wendt! – Mechthild Rawert [SPD]: Wie alt waren Sie denn da?)


Sie haben sich dankenswerterweise bei der Abstimmung
über das Datenaustauschverbesserungsgesetz enthalten
und damit Ihre Unterstützung für dieses Gesetz gezeigt .

Das Kerndatensystem, auf das fast alle mit der Unter-
bringung, Betreuung und Erfassung betrauten Behörden
zugreifen können, ist ein mutiger Schritt . Die Mittel der
modernen Verwaltung zu nutzen, sollte für unsere nor-
malen Verwaltungsprozesse beispielhaft sein . Dort sind
wir vielleicht noch nicht mutig genug . Aber wir werden
dieses gute Beispiel als Blaupause nehmen können .

Die lückenlose Erfassung all derer, die Schutz in
Deutschland suchen, und derer, die sich hier illegal
aufhalten, ist vor dem Hintergrund der Ereignisse der
vergangenen Monate geboten . Die leider mittlerwei-
le zahlreichen Anschläge in Frankreich, die Ereignisse
von Köln, Hamburg, Istanbul und anderen europäischen
Städten sowie die Lage im Nahen Osten erfordern eine
Zusammenarbeit und einen besseren Datenaustausch un-
serer Sicherheitsbehörden .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Das Datenaustauschverbesserungsgesetz ist dazu die nö-
tige Grundlage .

Lassen Sie mich also zusammenfassen: Eine Entkrimi-
nalisierung der illegalen Einreise wäre aus verschiedenen
Gründen ein Fehler: wegen der falschen Anreize, wegen

der Pull-Faktoren und auch in Bezug auf die Kon trolle
derer, die ankommen . Denn wir müssen es vielleicht
noch einmal klar sagen: Die Mehrheit der Menschen, die
zurzeit an unsere Grenze strömen, kommen aus Gebie-
ten, die normalerweise einem zweistufigen Visaverfahren
unterliegen, das insbesondere eine nachrichtendienstli-
che Kontrolle zum Bestandteil hat .


(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dass es nicht strafbar ist, heißt nicht, dass sie nicht trotzdem gehen müssen! Was ist denn das für ein Unsinn?)


Deswegen kommen wir mit unserem Datenaustausch-
verbesserungsgesetz genau zu dem Ziel, das Sie fordern,
aber ohne unsere Staatlichkeit aufzugeben . Wir sichern
unsere Grenze, sorgen für eine ordentliche Registrierung,
und wir werden auch in Zukunft in Abstimmung mit un-
seren europäischen Partnern dafür sorgen, dass wir zu
einem kontrollierten Grenzzustand kommen – ohne die
Freiheit, die Reisefreiheit, die Wirtschaftsfreiheit und
die Dienstleistungsfreiheit, in Europa aufzugeben – und
trotzdem allen Menschen, die hier leben wollen und des
Schutzes – auch unseres Schutzes – bedürfen, Hilfe ge-
währen .


(Mechthild Rawert [SPD]: Das ist ein Trugschluss!)


Wir werden in den anstehenden Beratungen weiter
über den Gesetzentwurf und den Antrag debattieren .

Danke .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1815011000

Vielen Dank, Kollege Wendt . – Nächster Redner in

der Debatte: Volker Beck für Bündnis 90/Die Grünen .


Volker Beck (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1815011100

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Lieber

Kollege Wendt, das mit dem Strafrecht haben Sie nicht
ganz verstanden .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN – Marian Wendt [CDU/ CSU]: Aber Sie!)


Dass man es nicht zur Straftat macht, dass jemand illegal
die Grenze übertritt, heißt noch nicht, dass er sich legal
hier aufhalten darf, wenn er kein Flüchtling oder Tourist
ist und kein Visum hat . Wenn er keinen entsprechenden
Grund für den Aufenthalt und keinen entsprechenden Ti-
tel hat, dann muss er unabhängig von der Strafbarkeit der
illegalen Einreise selbstverständlich das Land verlassen .
Dass diese Rechtsfolge nicht mehr gegeben ist, wenn wir
das aus dem Strafgesetzbuch herausnehmen, wird damit
nicht bewirkt .


(Manfred Grund [CDU/CSU]: Es gibt dann diese Rechtsfolge nicht mehr!)


Marian Wendt






(A) (C)



(B) (D)


Das sollten Sie eigentlich bei der Vorbereitung der Rede
durchdacht haben .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Aber Sie liegen noch in einem weiteren Punkt falsch .
Sie haben davon gesprochen, dass wir von sicheren Dritt-
staaten umgeben sind . Das ist zwar richtig, es hat aber
mit dieser Materie nichts zu tun . Das sieht übrigens auch
die Bundesregierung so . In Übereinstimmung mit der
Rechtsprechung des Oberlandesgerichts Stuttgart und des
Oberlandesgerichts Düsseldorf vertritt auch die Bundes-
regierung die Auffassung, dass der Schutz des Artikel 31
Absatz 1 Genfer Flüchtlingskonvention nicht bereits
durch die Einreise über einen sicheren Drittstaat verloren
geht, wenn die Flucht dort nicht schon beendet war .


(Dr . Volker Ullrich [CDU/CSU]: Die Flucht!)


So weit zu der Frage der zwingenden Straflosigkeit für
Flüchtlinge nach der Genfer Flüchtlingskonvention bei
der illegalen Einreise .

Deshalb ist es doch richtig, zu sagen, dass die Straf-
taten nach dem Aufenthaltsgesetz in Bezug auf Flücht-
linge als kaum vermeidbare Ordnungswidrigkeiten zum
Zweck der Vorbringung begründeter Schutzersuchen er-
scheinen . Das muss überwunden werden, weil es keinen
Sinn macht .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Trotz der rechtlichen Voraussetzungen, in Deutsch-
land Asyl zu beantragen oder den Flüchtlingsstatus
zu erhalten, existieren nach dem Aufenthaltsgesetz
Straftaten, welche nahezu jeden der Antragstel-
ler betreffen . Demnach ist die Einreise ohne einen
gültigen Aufenthaltstitel (Visum) per se eine Straf-
tat, welche eine polizeiliche Bearbeitung nach sich
zieht . Gibt der Betroffene seine Absicht kund, in
Deutschland Asyl beantragen zu wollen, zieht dies
keine strafrechtlichen Konsequenzen nach sich,

– das ist auch richtig –

dennoch führt diese Gesetzeslage dazu, dass ein
Großteil der Flüchtlinge in Deutschland durch die
Straftat der illegalen Einreise polizeilich bearbei-
tet wird, was auch das Erfassen und Speichern von
Lichtbildern und Fingerabdrücken umfasst . Dies
ist nicht nur enorm zeitaufwendig und personalbin-
dend, sondern erscheint unter Berücksichtigung des
Mangels an legalen Einreisemöglichkeiten wider-
sprüchlich .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Dem kann man eigentlich nichts hinzufügen . Das ist
aber kein Grünen-Duktus oder Linken-Duktus, sondern
das ist ein wortwörtliches Zitat des Bundes der Kriminal-
beamten, der nämlich sagt: Wir wollen mit so einem Un-
sinn nicht unsere wertvolle Arbeitszeit verbringen; wir
wollen weder Justiz- noch Polizeiressourcen für etwas
binden, das ohnehin zu nichts anderem als zu Verfahrens-

einstellungen führt; wir haben weiß Gott Wichtigeres zu
tun. – Da ist der Polizei nur beizupflichten.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN – Manfred Grund [CDU/ CSU]: Nein! Sie haben sich an Recht und Gesetz zu halten!)


– Wie bitte?


(Manfred Grund [CDU/CSU]: Sie haben sich an Recht und Gesetz zu halten! Dafür werden sie bezahlt!)


– Wollen Sie eine Zwischenfrage stellen? Ich lasse die
Zwischenfrage zu, Frau Präsidentin .


(Manfred Grund [CDU/CSU]: Sie haben mich gefragt!)


– Wenn Sie keine Zwischenfrage stellen, können wir kein
Gespräch führen . Das ist Ihre Entscheidung .


(Manfred Grund [CDU/CSU]: Meine Entscheidung ist, dazwischenzurufen oder nicht dazwischenzurufen!)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1815011200

Herr Grund hat das Recht, dazwischenzurufen, ohne

anschließend eine Frage zu stellen .


(Manfred Grund [CDU/CSU]: Ich möchte das nicht kriminalisiert haben!)



Volker Beck (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1815011300

Es ist absurd, dass jeder Flüchtling qua Flüchtlingssta-

tus beim Grenzübertritt eine Straftat begeht . Das müssen
wir überwinden .

Es kommt aber noch absurder . Ich habe die Bundes-
regierung gefragt, wie es um die Beihilfe von Menschen
bestellt ist, die sich ehrenamtlich in Flüchtlingsinitiativen
engagieren . Die Bundesregierung kann nicht ausschlie-
ßen, dass diese Menschen strafrechtlich belangt werden .
Die Anzahl der Ermittlungsverfahren ist der Bundesre-
gierung in diesem Zusammenhang nicht bekannt . Wir
wollen, dass uns die Bürgerinnen und Bürger helfen und
sich bei der Aufnahme der Flüchtlinge engagieren, und
setzen sie gleichzeitig bei bestimmten Hilfsmaßnahmen
der Gefahr aus, strafrechtlich verfolgt zu werden . Das ist
doch eine absurde Situation .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Es ist nicht so, dass das nicht passiert . Stichwort „Schwe-
dentickets“ – Luise Amtsberg, das ist ein Beispiel aus
Deiner Region –: Die Staatsanwaltschaft überprüfte die
Strafbarkeit von Flüchtlingshelfern in Schleswig-Hol-
stein, die Tickets gekauft haben, damit Menschen nach
Schweden weiterreisen können .


(Luise Amtsberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Können gleich bei mir anfangen!)


Das ist doch ein absurder Vorgang . Der Staatsanwalt hat
geäußert, dass es eine rechtlich hochinteressante Frage
sei, ob das strafbar ist oder nicht, auch wenn das im Er-

Volker Beck (Köln)







(A) (C)



(B) (D)


gebnis nicht entscheidend sei, da die Verfahren wegen
Geringfügigkeit eingestellt werden . Sind wir denn völlig
verrückt geworden, unsere Justiz mit so etwas zu belas-
ten?

Lassen Sie uns ein Signal setzen: Die illegale Einreise
von Flüchtlingen ist nicht strafbar . Da das so ist, müs-
sen auch keine Verfahren eröffnet werden . Nehmen wir
es also aus dem Strafgesetzbuch heraus! Menschen, die
Flüchtlinge unterstützen, ohne habgierige und unverant-
wortliche Schleuser zu sein, sollen ebenfalls nicht be-
langt oder der Gefahr ausgesetzt werden, dass ihnen ihr
ehrenamtliches Engagement zu guter Letzt auf die Füße
fällt . Das wäre eine sinnvolle Maßnahme für Humanität
und Entbürokratisierung .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Wenn wir die Ressourcen unseres Staates nicht für
sinnloses Zeug wie Ihre konservative Ideologie ver-
schleudern, dann können wir guten Gewissens sagen:
Wir schaffen das! – Wenn Sie so weitermachen wie bis-
her, ist das allerdings sehr zweifelhaft .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1815011400

Vielen Dank, Kollege Volker Beck . – Das Wort als

nächster Redner hat Sebastian Hartmann für die SPD .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Sebastian Hartmann (SPD):
Rede ID: ID1815011500

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten

Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Ich möchte die Gelegenheit nutzen, um nicht nur auf den
Antrag der Linken einzugehen, sondern auch auf die im
Mittelpunkt stehende Frage, wie wir Deutschen in die-
ser Lage unserer internationalen Verantwortung gerecht
werden . Die Dimension dieser Frage macht es notwen-
dig, eine Antwort auf mehreren Ebenen zu geben . Es gibt
eine internationale Verpflichtung, eine Verpflichtung und
eine Verantwortung gegenüber unseren Bürgern, aber
auch eine Verantwortung gegenüber den Beschäftigten
in Polizei und Justiz . Die Linken greifen einen Aspekt
heraus . Das ist eine singuläre Betrachtungsweise . Aber
ich möchte auf diesen Punkt eingehen und werde Ihnen
darlegen, dass wir unserer internationalen Verantwortung
gerecht werden .

Die Genfer Flüchtlingskonvention wurde schon ange-
sprochen . Hier ist die erste Verantwortung, die unser Land
hat; denn für uns gilt die Genfer Flüchtlingskonvention
nicht nur dann, wenn sie nicht zur Anwendung kommt,
sondern auch dann, wenn Menschen in unser Land flüch-
ten und sich auf diese Konvention berufen . Die Ausfüh-
rung der Bundesregierung, dass die Einreise über einen
Drittstaat unter die Genfer Flüchtlingskonvention fällt,
ist noch einmal zu unterstreichen . Aber das soll uns nicht
darüber hinwegtäuschen, dass das, vor dem wir stehen,
uns, unseren Staat und unsere Gesellschaft, vor enorme
Herausforderungen stellt . Im Mittelpunkt steht daher der

handlungsfähige Staat . Es ist unsere Verantwortung, den
Staat so zu organisieren, dass er handlungsfähig ist . Ich
möchte in diesem Zusammenhang einen Gedanken des
Justizministers aufgreifen und darauf hinweisen, dass das
Recht nur so viel wert ist, wie es durchgesetzt wird . Un-
ter diesem Aspekt sollten wir unsere Aufmerksamkeit auf
die Frage lenken, wie wir das verfahrensökonomisch so
gestalten, dass sich die Bediensteten in Polizei und Justiz
auf das Wesentliche konzentrieren können .

Ich habe ausgeführt, dass wir unserer internationa-
len Verantwortung gerecht werden . Das zeigt unser ge-
setzgeberisches Handeln im Zusammenhang mit dem
Aufenthaltsgesetz . In Abschnitt 5 dieses Gesetzes wird
ausdrücklich Bezug auf Artikel 31 der Genfer Flücht-
lingskonvention genommen und dargelegt, dass Arti-
kel 31 Absatz 1 des Abkommens über die Rechtsstellung
von Flüchtlingen unberührt bleibt . Darin haben wir das
abgebildet, wozu wir uns international verpflichtet ha-
ben . Wir werden aber die Frage, wie wir das verfahrens-
ökonomisch abbilden, vielleicht auch anders beantwor-
ten können . Darüber werden wir zu reden haben .

Die Bundesregierung selbst hat in ihrer Antwort auf
die Fragen auch der Linken dargelegt, dass im Übrigen
nicht die Tatsache der Asylbeantragung, sondern erst
der anerkannte Status als Schutzbedürftiger die Straf-
barkeit wegen unerlaubter Einreise aufhebt . Ich ergänze,
dass nach weitergehender Auffassung und auch nach der
Rechtsprechung klar ist, dass die Genfer Konvention in
diesem Falle mit der entsprechenden Antragstellung als
Strafaufhebungsgrund wirkt . Das gilt auch dann, wenn
das Verfahren nachher bestandskräftig abgelehnt wird .
Aber danach wird der Ausländer eben ausreisepflichtig,
und so haben wir das in unserem Verfahren auch ordent-
lich geregelt .

Deswegen finde ich die Überschrift Ihres Antrags
„Unerlaubte Einreise von Flüchtlingen entkriminalisie-
ren“ falsch . Wir kriminalisieren Flüchtlinge nicht . Auch
das ist Teil unserer internationalen Verantwortung . Es ist
unredlich, das Ganze hier anders darzustellen .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Lassen Sie mich auf den zweiten Punkt des Antrags
eingehen .


(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie bringen sie schon erst einmal in die strafrechtliche Mühle!)


– Herr Volker Beck, ich darf Ihren Ansatz aufgreifen und
Sie fragen, wie Sie eben den Kollegen gefragt haben: Ist
das eine Zwischenfrage?


(Abg . Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] meldet sich zu einer Zwischenfrage)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1815011600

Gut . Dann fragt die Präsidentin, ob Herr Hartmann es

möchte, dass Herr Beck eine Zwischenfrage stellt .

Volker Beck (Köln)







(A) (C)



(B) (D)



Sebastian Hartmann (SPD):
Rede ID: ID1815011700

Ja . Dann werde ich antworten: Vielen Dank . Aber ich

glaube, wenn meine Ausführungen zu Ende sind und Sie
dann noch eine Frage haben, können Sie die stellen .


(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jetzt haben Sie gedacht, ich sei so feige wie Ihr Kollege!)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1815011800

Moment . Das ist jetzt ein Eingriff in das Recht des

Kollegen Beck zu einer Zwischenfrage . – Herr Beck
kann jetzt fragen .


Volker Beck (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1815011900

Vielen Dank, Frau Präsidentin, Herr Hartmann . – Ich

wollte Sie fragen, ob Sie Ihrer eigenen Logik folgen,
wenn Sie die Linken kritisieren . Die Überschrift des An-
trags ist natürlich ein bisschen kursorisch; das gebe ich
zu . Aber trotzdem ist die Abfolge doch so: Der Flücht-
ling übertritt die Grenze . Die Polizei stellt den illegalen
Grenz übertritt als Tatbestand fest . Dann nimmt sie Fin-
gerabdrücke, macht ein Lichtbild, stellt die Identität fest .
Das ist ein Riesenbrimborium, und das alles kostet Geld
und Arbeitskapazitäten .


(Dr . Volker Ullrich [CDU/CSU]: Das ist auch richtig!)


Dann sagt der Flüchtling: Asyl . – Das nimmt die Staats-
anwaltschaft irgendwann zur Kenntnis, und sie macht
einen Stempel auf die Akten mit dem Vermerk „einge-
stellt“ .

Natürlich wird die Person nicht strafrechtlich verfolgt,
aber die ganzen polizeilichen Ermittlungsmaßnahmen,
die Geld kosten und Ressourcen binden, finden statt.
Deshalb ist der Antrag zwar, wie ich finde, etwas schlank
formuliert, aber im Kern trifft der Grundgedanke doch
die Sache .


Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1815012000

Herr Hartmann .


Sebastian Hartmann (SPD):
Rede ID: ID1815012100

Ich werde mir jetzt redlich Mühe geben, aus Ihren

Ausführungen eine Frage zu extrahieren .


(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die ergibt sich aus der Sprachmelodie!)


Ich darf mit Ihren eigenen Worten, die Sie vor zwei
Minuten hier im Plenum verwendet haben, antworten:
Die illegale Einreise ist nicht strafbar . Das ist nachzu-
lesen im Protokoll des Bundestags vom heutigen Tage .
Das haben Sie selbst in Ihrer Bundestagsrede ausgeführt .


(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber diese ganze Ermittlungsaufwand passiert doch!)


Sie wollen über die verfahrensökonomische Frage
reden, das heißt darüber, ob dieser Ermittlungsaufwand
gerechtfertigt ist . Ich habe zu Anfang, als ich auf Ihren

Fragewunsch eingehen wollte, darauf hingewiesen, dass
ich in meiner Rede dazu Ausführungen machen werde .
Ich habe jetzt die Gelegenheit, Ihre Frage zu beantwor-
ten, und sage, dass es andere Varianten geben wird, als
das über die Strafbarkeit zu regeln . Aber es wird darauf
ankommen, bestimmte Tatbestände eben auch strafbar zu
halten . Ich denke dabei zum Beispiel an das Schleusen .


(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Schauen Sie in unseren Gesetzentwurf! Da ist das vernünftig geregelt!)


Darum muss man sehr genau überlegen, wie man das re-
gelt .

Ich möchte auf die Verantwortung gegenüber den Be-
schäftigten der Bundespolizei eingehen . Es wird nach
wie vor den Tatbestand geben, dass jemand die Grenze
übertritt, auch ohne konkreten Bezug zum Flüchtlingssta-
tus, und damit möglicherweise ein Aufenthalt in unserem
Land illegal ist . Wenn wir dem Antrag der Linken fol-
gen würden, dann könnten wir bestimmte abschreckende
und generalpräventive Maßnahmen, zum Beispiel gegen
Menschenhandel oder gegen illegale Beschäftigung,
nicht mehr treffen . Der Aufenthaltstitel gilt nämlich an
der Stelle nicht nur für Flüchtlinge .

Ich möchte auch auf den zweiten Gedanken zu spre-
chen kommen. Wir haben die Verpflichtung, einen hand-
lungsfähigen Staat zu schaffen. Dieser Verpflichtung sind
wir hier im Plenum durch eine Vielzahl von Maßnahmen
und einzelnen Paketen – Stichwort „Asylpakete“ – ge-
recht geworden .

Wir wollen die Verfahren vereinfachen . Darauf haben
die Bürgerinnen und Bürger in unserem Land einen An-
spruch . Wir wollen nämlich Recht und Ordnung ebenso
wie Sicherheit garantieren . Aber damit haben wir auch
die Verantwortung, geordnete Verfahren, insbesondere
schnelle und effiziente Asyl- und Anerkennungsverfah-
ren, durchzuführen, wobei wir trotzdem unserer interna-
tionalen Verantwortung gerecht werden müssen .

Mit dem Bezug auf das Schengen-System, das nicht
dauerhaft außer Kraft gesetzt werden soll, und die zeit-
weilige Einführung von Grenzkontrollen geht es im Kern
aus meiner Sicht darum, wieder zu geordneten Verfah-
ren zu kommen . Wir müssen wissen, wer einreist . Wir
müssen die Identität der Einreisenden feststellen, und wir
müssen dafür sorgen, dass diejenigen, die bei uns bleiben
können, schnell in ein Integrationsverfahren eintreten
können .

Was die Forderung angeht, die Sie in Ihrem Antrag
ebenfalls gestellt haben, nämlich die Grenzkontrollen
entfallen zu lassen: Dessen bedarf es nicht . Es geht da-
rum, zu geordneten Verfahren zu kommen .

Wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten sind
Verfechter eines freien und offenen Europas . All dieje-
nigen, die meinen, mit immer mehr und immer höheren
Grenzzäunen das Europa, das auf einem Konzept und ei-
ner Idee beruht, sichern zu können, würden das Gegenteil
von dem erreichen, was wir ja gerade wollen: ein Europa
der freien Grenzen . Das setzt aber zwingend die Siche-
rung der Außengrenzen voraus . Hierfür werden wir uns
weiterhin einsetzen . Wir müssen die Kontrollen an dieser






(A) (C)



(B) (D)


Stelle aber vor allen Dingen unter dem Aspekt betrach-
ten, dass wir zu einer Ordnung im Verfahren kommen
wollen, damit wir auch über die erkennungsdienstliche
Behandlung vorankommen können .

Hier gibt es einen Unterschied: Die erkennungs-
dienstliche Behandlung der in unser Land Einreisenden
entspricht nicht der von Straftätern – das hat die Bun-
desregierung in ihrer Antwort auf die Fragen der Linken
dargelegt –, sondern es wird analog zum Asylverfah-
rensgesetz vereinfacht erkennungsdienstlich behandelt,
weil erkannt wird, welcher Verwaltungsaufwand damit
verbunden ist .

Ich komme zum nächsten Punkt, nämlich zu unserer
Verantwortung gegenüber den Beschäftigten von Polizei
und Justiz . Wir werden unserer Verantwortung gerecht .
Zum einen haben wir uns als SPD-Bundestagsfraktion
sehr deutlich dafür eingesetzt, 3 000 neue Stellen bei der
Bundespolizei zu schaffen . Wir haben das durchgesetzt,
wir stehen dazu, und wir sind darauf stolz .


(Beifall des Abg . Ulrich Freese [SPD])


Wir haben die Forderung erhoben, 12 000 neue Beschäf-
tigte bei Landespolizeien und Bundespolizei einzustel-
len. All das dient dazu, dem effizienten Staat die Mög-
lichkeit zu geben, handlungsfähig zu sein .


(Beifall bei der SPD)


Ich möchte an dieser Stelle aber auch den Bundespoli-
zisten, den Landespolizisten und allen Justizbediensteten
danken . Mir ist sehr bewusst, dass es zu einer Vielzahl
von Überstunden und aufgeschobenen Urlaubstagen
kommt, wenn man hier seiner Verantwortung gerecht
werden will . Mein Dank gehört ihnen allen ebenso wie
den Ehrenamtlichen, die sich darum kümmern, dass
Flüchtlinge, die hier einreisen, aufgenommen und unter-
stützt werden . Danke hierfür!


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wir werden durch effiziente Verfahren und Gesetze
diesen Menschen ermöglichen, ihrer Arbeit möglichst
gut nachzugehen . Der Antrag der Linken und die Ausfüh-
rungen des Kollegen Beck haben auf das hingewiesen,
was der Bund Deutscher Kriminalbeamter gesagt hat,
und wir nehmen diese Hinweise ernst .


(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die GdP hat das auch gefordert!)


Wie bereits ausgeführt, wird der Flüchtling bzw . der
Asylsuchende, der aufgegriffen wird, erkennungsdienst-
lich behandelt . Das bedeutet einen Verwaltungsmehrauf-
wand und eine Belastung der Polizei- und Justizbehör-
den . Das will niemand wegdiskutieren . Wir reagieren
darauf über die Verfahrensvereinfachungen .

Aber allein die Aussage, dass die Fallzahl von
42 000 Fällen im Jahr 2014 auf 90 000 Fälle in den ersten
drei Quartalen im Jahr 2015 gestiegen ist – verwiesen sei
auch auf die 118 000 beanzeigten illegalen Einreisen –
ist keine Aussage, die den Schluss zulässt, dass dieses
Verwaltungsverfahren keinen Sinn hat . Sie zeigt eher auf,

dass die Kontrollen eine Wirkung entfalten und eine sta-
tistische Folge haben .

Aber wir brauchen einen ganzheitlichen Ansatz, um
die Migration in unserem Land zu steuern . Das muss von
illegaler Einreise und von illegalem Aufenthalt klar ge-
trennt werden . Man kann das eine tun, ohne das ande-
re zu lassen . Der Bund Deutscher Kriminalbeamter hat
etwas ausgeführt, was leider noch nicht Gegenstand der
Debatte war: Er hat in seinen Diskussionsbeiträgen die
Verabschiedung eines Einwanderungsgesetzes gefordert .


(Beifall bei der SPD)


Das ist etwas, was die SPD-Bundestagsfraktion schon
seit vielen Jahren fordert . Ich möchte diese Forderung
unterstreichen .


(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Legen Sie doch eins vor! Sie sind doch an der Regierung!)


Dies gibt uns die Gelegenheit, aufgeworfene Fragen
der Strafbarkeit, aber auch Fragen, die Ordnungswidrig-
keiten betreffen, zu regeln . Ich glaube, dass wir an dieser
Stelle unserer Verantwortung gegenüber den Bedienste-
ten im öffentlichen Dienst mehr als gerecht werden kön-
nen .

Ein Blick nach Österreich zeigt: Dort ist die unerlaub-
te Einreise lediglich ein Verwaltungsverstoß; die Sicher-
heit der Grenze wird damit nicht in Abrede gestellt . Des-
wegen werden wir diese Hinweise aufnehmen .

Das ist ein Unterschied zum Antrag der Linken; denn
hier geht es eben nicht darum, unter der falschen Über-
schrift der Kriminalisierung von Flüchtlingen eine Ab-
schaffung oder eine Änderung des Gesetzes zu fordern .
Wir wollen an dieser Stelle einen ganzheitlichen Ansatz
statt eines singulären Ansatzes, und wir wollen das Ver-
fahren so gestalten, dass sich die Beschäftigten im öffent-
lichen Dienst, bei Polizei und Justiz, auf das Wesentliche
konzentrieren können, nämlich auf die Verfolgung von
Straftaten .


(Beifall bei der SPD)


Meine Damen und Herren, das ist etwas, was wir in
den Mittelpunkt der Diskussion stellen wollen . Es ist
richtig, dass das jetzt ein Ansatz Ihres Antrages ist; aber
ich glaube, dass das nur eine Momentaufnahme ist und
nur einen einzelnen Punkt betrifft . Wenn wir das tun,
dann zeigt das unsere Verantwortung, für ein insgesamt
schlüssiges Verfahren zu sorgen . Wenn Sie besorgt sind,
dass Flüchtlinge kriminalisiert werden, so kann ich Ihnen
versichern, wie ausgeführt: Sie werden nicht kriminali-
siert . Das ist schon beim Verfahrensstand von heute so .

Aber wir brauchen auch eine internationale und eine
europäische Regelung, um dies gemeinsam zu lösen . Wir
merken im Schengen-System, dass es ohne eine europäi-
sche Lösung nicht gehen wird .

Lassen Sie mich zum Ende meiner Rede noch einen
Punkt ausführen . Wir müssen dafür sorgen, dass wir in
dieser Diskussion in Ruhe auch über eine Verfahrensfra-
ge reden . Wir müssen dies so organisieren, dass wir einen
handlungsfähigen Staat haben . Darauf verlassen sich die

Sebastian Hartmann






(A) (C)



(B) (D)


Bürgerinnen und Bürger in unserem Land . Das ist unsere
Verpflichtung, die wir Flüchtenden gegenüber haben. Ich
meine auch, dass wir auf dem Weg, unserer internationa-
len Verantwortung gerecht zu werden, schon ein Stück
weit gegangen sind . Diejenigen, die immer weiter Ver-
schärfungen fordern oder das Kurzfristige hektisch in den
Mittelpunkt stellen, werden nicht die unterstützen, die es
gut meinen, die unseren Staat voranbringen wollen . Für
all das brauchen wir einen Staat, der handlungsfähig ist,
und eine Gesellschaft, die unterstützt wird .

Ich danke für die Aufmerksamkeit .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1815012200

Vielen Dank, Kollege Hartmann . – Zum Ende dieser

Aussprache gebe ich das Wort an Dr . Volker Ullrich – wie
immer; das muss sein –, Augsburg .


(Beifall bei der CDU/CSU – Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann enden die Gemeinsamkeiten!)



Dr. Volker Ullrich (CSU):
Rede ID: ID1815012300

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! § 95 des Aufenthaltsgesetzes stellt die illegale
Einreise unter Strafe . Es ist eine notwendige und gebo-
tene Vorschrift . Das ergibt sich aus dem unmittelbaren
Zweck des Staates selbst. Der Staat hat die Verpflichtung,
die innere und äußere Sicherheit für seine Bürger zu ge-
währleisten . Daraus folgt, dass der Staat zur Aufrechter-
haltung der staatlichen Ordnung gezwungen ist, und dies
setzt voraus, dass der Staat seine Grenzen schützt .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Der Schutz der staatlichen Grenzen schafft auch den
notwendigen Ordnungsrahmen . Damit die Grundrechte
in diesem Staat überhaupt zur Geltung kommen können,
damit Bürger sich in Würde frei entfalten können, damit
sie die Freizügigkeit und ihre Freiheit ausleben können,
muss der Staat einen entsprechenden Rahmen setzen .


(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das müssen Sie jetzt noch mit diesen Delikten in Zusammenhang bringen! Ich wünsche Ihnen viel Spaß bei dieser Denksportaufgabe! Das wird Ihnen nicht gelingen!)


Grenzen schränken also die Freiheit nicht ein, sondern
sie erreichen erst, dass der Staat diese Freiheit gewähr-
leisten kann .

Unser Staat hat den Schutz an das Schengensystem,
das die EU-Außengrenzen schützt, delegiert – das ist
richtig -; das entbindet unseren Staat aber nicht davon,
seine Grenzen zu schützen . Deswegen muss klar sein:
Solange der Schutz der EU-Außengrenzen nicht hinrei-
chend gewährleistet ist, ist die Sicherung der eigenen
Staatsgrenze keine Option; sie ist eine Notwendigkeit .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Wenn wir über die Notwendigkeit des Schutzes unse-
rer Grenzen reden, dann muss auch etwas anderes klar

sein . Dieser Staat muss wissen: Wer betritt das Staats-
gebiet?


(Marian Wendt [CDU/CSU]: Richtig!)


Wer ist er? Woher kommt er? Was will er? Das kann
man nur durch wirksame Grenzkontrollen erreichen . Das
kann man nur erreichen, indem klar ist: Wer diesen Staat
illegal betritt, der begeht eine Straftat .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Meine Damen und Herren, die mögliche Abschaffung
der Strafbarkeit der illegalen Einreise wäre auch das fal-
sche Signal in der jetzigen Debatte .


(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie glauben tatsächlich, die Syrer schauen bei uns ins Aufenthaltsgesetz und erschrecken sich beim § 95? – Gegenruf der Abg . Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Die lesen das! Die lernen das auswendig!)


Die Humanität in diesem Land ist groß . Unser Herz ist
groß . Wir helfen über 1 Million Menschen, die im letzten
Jahr in dieses Land gekommen sind, um hier Zuflucht zu
suchen, um Schutz zu suchen, ja, um vielleicht auch ein
besseres Leben zu finden.

Diese humanitäre Geste unseres Landes ist eine groß-
artige Leistung, die durch ehrenamtliche Helfer, aber vor
allem auch durch die Kommunen zustande gekommen
ist .

Aber so groß unser Herz auch ist,


(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wenn Sie überhaupt eins haben!)


klar wird auch, dass die Kapazitäten dieses Staates be-
grenzt sind . Wir können das Asylrecht nur in dem Maße
gewährleisten, wie es uns, den Kommunen gelingt, eine
menschenwürdige Unterbringung sicherzustellen, und
wie es uns auch gelingen kann, die Integration sicher-
zustellen . Eine unbegrenzte Zuwanderung richtet sich
sowohl gegen das, was die Kommunen leisten können,
als auch gegen den grundlegenden Grundsatz der Men-
schenwürde . Deswegen ist eine Begrenzung der Zuwan-
derung notwendig und wichtig .

Eine Begrenzung der Zuwanderung wird auch von
den Kollegen der Linken sowie der Grünen gefordert .
Ich zitiere:

Natürlich gibt es Kapazitätsgrenzen, wer das leug-
net, ist doch weltfremd .

Das sagte vor wenigen Tagen Sahra Wagenknecht, Frak-
tionsvorsitzende der Linken .


(Ulla Jelpke [DIE LINKE]: Das ist trotzdem nicht das Thema dieses Antrags!)


Ein anderes Zitat:

Wenn wir weiterhin mehr als eine Million Flücht-
linge pro Jahr aufnehmen, halte ich zwar die Unter-
bringung in Containern für machbar, nicht aber die
Integration aller in unsere Gesellschaft .

Sebastian Hartmann






(A) (C)



(B) (D)


Das sagte der Oberbürgermeister der Stadt Tübingen,
Mitglied der Grünen .

Meine Damen und Herren, deswegen ist es wichtig,
dass dieser Staat auch ein klares Signal aussendet . Das
Signal heißt: Wir können die Probleme der Welt nicht lö-
sen, indem alle Menschen zu uns kommen .


(Beifall bei der CDU/CSU – Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Es wollen ja auch gar nicht alle Menschen zu uns! – Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die einen haben Wagenknecht, die einen haben Palmer, und die anderen haben Seehofer!)


Es gibt eben eine Differenzierung zwischen den Men-
schen, die unseres Schutzes bedürfen, und den anderen
Menschen, die keinen Schutzgrund haben und die unser
Land dann auch wieder verlassen müssen .

In genau dieser Debatte, in der die Menschen mit gro-
ßer Sorge darauf schauen, ob es der Politik in Berlin auch
gelingt, eine deutliche Reduzierung der Zuzugszahlen zu
erreichen, wäre es das völlig falsche Signal, zu sagen:
Die illegale Einreise stellen wir auf einmal straffrei . –
Das wäre das falsche Signal, ein Signal, das wir im Au-
genblick nicht gebrauchen können .


(Beifall bei der CDU/CSU – Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Meinen Sie, die Flüchtlinge lesen vorher die Gesetze, oder was?)


Meine Damen und Herren, ich lade Sie ein, in der jet-
zigen Flüchtlingskrise unsere Verantwortung in diesem
Hohen Haus gemeinsam wahrzunehmen . Diese Verant-
wortung bedeutet, dass wir den Kommunen und den eh-
renamtlichen Helfern unter die Arme greifen, die so viel
für eine humanitäre Visitenkarte für unser Land tun .


(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber nicht, indem Sie sie mit Strafrecht bedrohen! Da platzt doch Ihre ganze Argumentation!)


– Herr Kollege Beck,


(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, Herr Ullrich?)


ich bitte Sie, dass Sie hier keine Nebelkerzen zünden .


(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Pyrotechnik ist im Plenum nicht erlaubt! – Heiterkeit)


Sie sprechen davon, wir würden ehrenamtliche Helfer
kriminalisieren . Das ist schlichtweg nicht der Fall . Wenn
ein ehrenamtlicher Helfer einem Flüchtling in einer Un-
terkunft hilft, ist das zu begrüßen . Wenn es aber darum
geht, einen Flüchtling über die Grenze zu bringen, dann
ist das Schleuserei . Das muss auch bestraft werden .


(Beifall bei der CDU/CSU – Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wie war das denn früher in der DDR mit den Leuten, die die Flüchtlinge nach Westberlin gebracht haben?)


Meine Damen und Herren, ich lade Sie ein, dass
wir gemeinsam an unserer Verantwortung arbeiten, die

Flüchtlingszahlen deutlich zu reduzieren, damit wir Ka-
pazitäten für die Menschen haben, die unserer Hilfe be-
dürfen . Das ist unsere Aufgabe . Darum bitte ich Sie sehr .


Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1815012400

Herr Ullrich .


Dr. Volker Ullrich (CSU):
Rede ID: ID1815012500

Ihren Antrag werden wir ablehnen .


(Beifall bei der CDU/CSU – Abg . Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] meldet sich zu einer Zwischenfrage)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1815012600

Für eine Zwischenfrage ist es jetzt zu spät .


(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann würde ich das gerne so sagen!)


– Gut . Es geht nach der Geschäftsordnung . Bitte .


Volker Beck (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1815012700

Vielen Dank, Frau Präsidentin . – Ich möchte Sie nach

Ihren letzten Worten schon fragen, ob Sie der Meinung
sind, dass die Menschen bestraft werden sollten, die in
Lübeck Geld gesammelt haben, damit Flüchtlinge, die in
den vergangenen drei Wochen per Fähre von Travemün-
de nach Schweden gereist sind, die Tickets kaufen konn-
ten . Ist das Ihrer Ansicht nach illegale Schleuserei oder
Beihilfe zu illegaler Schleuserei und damit strafwürdig?

Der zuständige Staatsanwalt ist der Auffassung, es
erfülle zwar den objektiven Tatbestand; mögliche Er-
mittlungsverfahren würden aber wohl wegen Geringfü-
gigkeit eingestellt werden . Halten Sie diese Einschätzung
der Staatsanwaltschaft für falsch, und würden Sie der
Staatsanwaltschaft anraten, hier rigoros anzuklagen?


Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1815012800

Herr Ullrich, bitte .


(Zuruf von der CDU/CSU: Stehen bleiben, Herr Beck!)


– Ja, es wäre schon gut, stehen zu bleiben . Das ist ja auch
für den Rücken nicht schlecht . – Herr Ullrich .


Dr. Volker Ullrich (CSU):
Rede ID: ID1815012900

Herr Kollege Beck, wir haben in diesem Land Ge-

waltenteilung . Deswegen sollte ein Mitglied des Bun-
destages nicht über Ermittlungsmaßnahmen, mögliche
Verfahrenseinstellungen oder auch Anklageerhebungen
einer Staatsanwaltschaft sprechen . Ich kann Ihnen aber
sagen, dass es keinen Grund für einen Flüchtling gibt,
von Deutschland nach Schweden weiterzureisen, weil er
auch bei uns schon sicher ist . Und es gibt auch keinen
Grund, von Österreich nach Deutschland weiterzureisen,
weil der Flüchtling bereits in Österreich sicher war .


(Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Aber vielleicht gefällt es ihm in Schweden besser!)


Dr. Volker Ullrich






(A) (C)



(B) (D)


Die Wertentscheidung des Gesetzgebers ist aber folgen-
de: Der illegale Grenzübertritt ist strafbar . Jemand, der
diesen Grenzübertritt befördert, ist möglicherweise we-
gen Beihilfe anzuklagen . An dieser grundsätzlichen Ent-
scheidung des Gesetzgebers wollen und werden wir nicht
rütteln .


(Beifall bei der CDU/CSU – Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Aber wir würden das gern! – Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie können sich nicht so richtig entscheiden bei dem Fall!)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1815013000

Danke, Herr Ullrich . – Damit schließe ich die Aus-

sprache .

Es wird ja lebendig weitergehen . Die Einladung neh-
men wir gerne an . Das wurde von Herrn Binninger ge-
rade ein bisschen falsch verstanden . Wir haben gedacht,
wir gehen zum Wirt; aber es war wohl eine andere Ein-
ladung gemeint .

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf
den Drucksachen 18/6652 und 18/6346 an die in der Ta-
gesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen . –
Sie sind damit einverstanden . Dann sind die Überwei-
sungen so beschlossen .

Wir sind damit am Schluss der heutigen Tagesord-
nung .

Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundes-
tages auf Mittwoch, den 27 . Januar 2016, 13 .30 Uhr, ein .

Ich möchte Sie im Herausgehen noch daran erinnern,
dass an diesem Tag um 12 Uhr hier im Plenarsaal die
Sonderveranstaltung aus Anlass des Gedenktages für die
Opfer des Nationalsozialismus stattfindet. Deswegen be-
ginnt die Plenarsitzung erst um 13 .30 Uhr .

Die Sitzung ist geschlossen . Ich wünsche Ihnen ein
gutes Wochenende .