Gesamtes Protokol
Nehmen Sie bitte Platz. Ich wünsche Ihnen allen ei-
nen wunderschönen guten Morgen. Die Sitzung ist eröff-
net.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Kollegin
Annette Schavan hat mit Ablauf des 30. Juni 2014 auf
ihre Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag verzichtet.
Für sie ist der Kollege Waldemar Westermayer nach-
gerückt. Im Namen des gesamten Hauses begrüße ich
den neuen Kollegen sehr herzlich und wünsche eine gute
Zusammenarbeit.
Der Ältestenrat hat sich in seiner gestrigen Sitzung
darauf verständigt, während der Haushaltsberatungen
ab dem 9. September 2014 keine Befragung der Bundes-
regierung, keine Fragestunde und auch keine Aktuellen
Stunden durchzuführen. Als Präsenztage sind die Tage
von Montag, dem 8. September, bis Freitag, dem
12. September 2014, festgelegt worden. Sind Sie damit
einverstanden? – Ich sehe, das ist der Fall. Dann verfah-
ren wir so.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 26 a bis 26 c auf:
a) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Fünften Gesetzes
zur Änderung des Elften Buches Sozialgesetz-
buch – Leistungsausweitung für Pflegebedürf-
Drucksache 18/1798
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Haushaltsausschuss mitberatend und gemäß § 96 der GO
b) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesre-
gierung
Bericht der Bundesregierung über das Ergeb-
nis der Prüfung der Notwendigkeit und Höhe
einer Anpassung der Leistungen der Pflege-
versicherung nach § 30 des Elften Buches
Sozialgesetzbuch
Drucksache 18/1600
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Arbeit und Soziales
c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Pia
Zimmermann, Sabine Zimmermann ,
Diana Golze, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion DIE LINKE
Menschenrecht auf gute Pflege verwirklichen –
Soziale Pflegeversicherung solidarisch weiter-
entwickeln
Drucksache 18/1953
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Gesundheit
Finanzausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 96 Minuten vorgesehen. – Ich höre kei-
nen Widerspruch. Dann ist es so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem
Bundesminister Hermann Gröhe.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich freue mich,heute mit Ihnen den Entwurf des ersten Pflegestärkungs-gesetzes der Bundesregierung diskutieren zu können.Formal, dem Titel nach, handelt es sich um den Entwurfeines Fünften Gesetzes zur Änderung des Elften BuchesSozialgesetzbuch. Was aber dahintersteckt, ist alles an-dere als formal. Es geht um ein Thema, das nahezu jedeund jeden in diesem Land betrifft, wenn nicht am eige-nen Leib, dann doch in der Familie, in der Verwandt-schaft, im Freundeskreis, bei der Arbeit. Es geht umPflege; es geht um gute Pflege. Darauf kommt es an.
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4338 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 47. Sitzung. Berlin, Freitag, den 4. Juli 2014
Bundesminister Hermann Gröhe
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Und es kommt darauf an, dass wir 20 Jahre nach Ein-führung dieser wichtigen Sozialversicherung einen ent-scheidenden, einen notwendigen Schritt nach vorne ge-hen. Ich bin davon überzeugt, dass der vorliegendeGesetzentwurf der richtige Schritt ist, die Pflege in unse-rem Land nachhaltig zu stärken. Knapp 2,5 MillionenMenschen sind bei uns jeden Tag auf Pflegeleistungenangewiesen. Das entspricht der Einwohnerzahl von Kölnund München zusammen. Rund 950 000 Frauen undMänner sind bei uns in gut 12 000 Pflegediensten undgenauso vielen Pflegeheimen beschäftigt. Sie und dieunzähligen pflegenden Angehörigen engagieren sichtagtäglich in beeindruckender Weise für ihre Mitmen-schen. Herzlichen Dank für diesen Dienst!
Diese Zahlen zeigen die gesellschaftliche Dimension,die das Thema Pflege besitzt. Aber es geht nicht umZahlen. Es geht um Menschen. Es geht genau genom-men um die Generation unserer Mütter und Väter, Men-schen, denen wir alle unendlich viel verdanken. Einegute und den Menschen in seinen individuellen Bedürf-nissen respektierende Pflege ist Ausdruck der Humanitätunserer Gesellschaft. Es geht darum, dass diese Men-schen die pflegerische Begleitung erfahren, die ihrenpersönlichen Bedürfnissen entspricht. Mit unserem Ge-setzentwurf stellen wir genau sie in den Mittelpunkt un-serer Anstrengungen.Dieser Bundesregierung liegen die Verbesserungen inder Pflege am Herzen. Das gilt auch für mich ganz per-sönlich. Das zeigt sich darin, dass wir bereits ein guteshalbes Jahr nach dem Regierungsstart heute dieses Ge-setz vorlegen. Das zeigt sich darin, dass seit April diesesJahres die Erprobung des neuen Begutachtungsverfah-rens für den neuen Pflegebedürftigkeitsbegriff läuft. Unddas macht sich auch an Personen fest. Ich freue mich,dass heute Staatssekretär Karl-Josef Laumann auf derRegierungsbank Platz genommen hat. Als Pflegebevoll-mächtigter der Bundesregierung wird er nicht nur dieses,sondern auch weitere Gesetzeswerke intensiv begleiten.Er ist gleichsam Ohr und Sprachrohr für die Belange derPflege innerhalb der Bundesregierung. Ich freue mich,ihn bei dieser Aufgabe an meiner Seite zu wissen.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir brau-chen eine Pflege, die die Besonderheit eines jeden ein-zelnen Pflegebedürftigen wahrnimmt und berücksich-tigt. Herzenswärme, Fachkompetenz und auch die Zeitfür die kleinen Wünsche, das erhoffen wir uns von einerguten Pflege. Pflege und Pflegebedürftigkeit sind The-men, die uns alle bewegen und in Zukunft eine nochwichtigere Rolle spielen werden. Am Montag hat dieOECD die aktuellen Gesundheitsdaten für Deutschlandveröffentlicht. Demnach ist die Lebenserwartung inDeutschland bei Geburt auf nunmehr 81 Jahre gestiegen,und sie steigt weiter an. Ein heute 65-jähriger Mann darferwarten, weitere gute 18 Jahre zu leben, eine gleichalt-rige Frau rund 21 Jahre. Wir werden also in den nächstenJahren mehr ältere und alte Menschen unter uns haben.Dies bedeutet, vielen Menschen werden viele gute Jahregeschenkt – wahrlich ein Grund zur Freude!Damit steigt zugleich die Zahl derjenigen an, dievoraussichtlich der Pflege bedürfen. Bis zum Jahr 2030– so schätzen wir – werden aus den heute 2,5 MillionenPflegebedürftigen dann 3,5 Millionen pflegebedürftigeMenschen, also rund 1 Million mehr, geworden sein.Dabei weise ich ausdrücklich darauf hin: Pflege ist nichtallein eine Sache des Alters.
Auch ein Unfall, eine tückische Krankheit können für je-den von uns bedeuten, von einem Tag auf den anderenauf Pflege angewiesen zu sein.Meine Damen, meine Herren, in mehreren Gesetzenstellen wir deshalb in dieser Wahlperiode die Weichenfür eine Stärkung unseres qualitativ hochwertigen Pfle-gesystems. Der heute vorliegende Gesetzentwurf istdazu ein wichtiger erster Schritt. Wir stärken die Pflege-bedürftigen. Wir stärken die Angehörigen. Wir stärkendie Pflegekräfte.Was heißt das konkret? Das bedeutet jährlich ein Plusvon 2,4 Milliarden Euro an Leistungen für die Pflegebe-dürftigen und ihre Angehörigen. Davon fließen rund1,4 Milliarden Euro in die Stärkung der ambulantenPflege. Dies entspricht dem Wunsch der ganz überwie-genden Zahl der Pflegebedürftigen und ihrer Angehöri-gen, Pflege in den eigenen vier Wänden erleben zu kön-nen. Alle Leistungsbeträge der Pflegeversicherungwerden um 4 Prozent angehoben, um der Preisentwick-lung der letzten drei Jahre Rechnung zu tragen.Wichtig für die Pflege in den eigenen vier Wänden istder Umstand, dass wir die Unterstützung für den Umbauder eigenen Wohnung deutlich erhöhen. Da geht es mit-unter um kleine Maßnahmen, die das Leben wiedervereinfachen oder sicherer machen, wie Haltestangenoder -griffe oder der Umbau der Toiletten, der Badezim-mer. All dies wollen wir verstärkt fördern.Pflege daheim. Der größte Pflegedienst in Deutsch-land ist nach wie vor die Familie. Hier geht mein beson-derer Dank an die vielen Kinder und Enkel, Brüder undSchwestern und alle Verwandten, die ihren Angehörigenoftmals im wahrsten Sinne des Wortes unter die Armegreifen. Herzlichen Dank! Dies trägt zur Menschlichkeitunserer Gesellschaft unendlich viel bei.
Meine Damen und Herren, jede Pflegesituation ist an-ders. Deswegen bedürfen die Pflegebedürftigen und ihreAngehörigen passgenauer Hilfe für ihre jeweilige Le-benssituation. Unterstützungsleistungen wie die Kurz-zeit-, Verhinderungs-, die Tages- und Nachtpflege sollendeshalb weiter ausgebaut und besser miteinander kombi-niert werden können. Bisher wurden diese Leistungenzum Teil gegeneinander aufgerechnet. Das ändert sichnun. Wer beispielsweise bereits ambulante Pflegeleistun-gen und/oder Pflegegeld bekommt, kann künftig dane-
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 47. Sitzung. Berlin, Freitag, den 4. Juli 2014 4339
Bundesminister Hermann Gröhe
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ben die Tages- und Nachtpflege ohne Anrechnung vollin Anspruch nehmen.Erstmalig – dies ist mir auch ganz wichtig – werdenDemenzkranke in der sogenannten Pflegestufe 0 Sach-leistungen der teilstationären Tages- und Nachtpflege inAnspruch nehmen können. Gerade für Familien mit de-menziell erkrankten Pflegebedürftigen ist dies einewichtige Verbesserung. Es ist übrigens ein Vorgriff aufden neuen Pflegebedürftigkeitsbegriff mit seinen künftigfünf Pflegegraden.Neben der ambulanten Pflege nehmen wir auch eineStärkung der stationären Pflege vor. Lassen Sie mich zu-nächst aber einige Anmerkungen zu denen machen, dieTag und Nacht professionell in unseren Pflegedienstenund Pflegeheimen ihren Dienst tun. Ich habe bereits dieGelegenheit genutzt, ihnen für ihre wichtige Arbeit zudanken. Sie leisten einen Dienst am Menschen und ander Gesellschaft, dessen Anerkennung sich auch in einerangemessenen Vergütung widerspiegeln muss.
Wenn ich mir die Vergütungen der ausgebildeten Pfle-gekräfte in einzelnen Bundesländern ansehe, stelle ichfest: Diese fallen immer noch sehr unterschiedlich aus.Bei gleicher Arbeit und gleicher Qualifikation gibt esUnterschiede von bis zu 800 Euro im Monat. Ich bin si-cher, dass die Vertragspartner angesichts des ansteigen-den Fachkräftemangels in diesem Bereich hier zu weite-ren Angleichungen nach oben kommen werden undkommen müssen.
Meine Damen, meine Herren, gute Pflege brauchtZeit. Deswegen treiben wir den Abbau überflüssiger Bü-rokratie voran und erhalten dabei die notwendige Quali-tätssicherung. Wir setzen auf Betreuung als Ergänzungzur Pflege; denn Lebensqualität für den Pflegebedürfti-gen hängt nicht nur an der fachlichen Pflege, sondernauch an anderen Dingen wie Zuhören, Geselligkeit undVorlesen; jeder von uns kennt solche Lebenssituationen.Deswegen ist es wichtig, dass wir im Rahmen dieses Ge-setzes eine halbe Milliarde Euro pro Jahr in die Handnehmen, um die Zahl der Betreuungskräfte in unserenPflegeeinrichtungen von 25 000 auf bis zu 45 000 zu er-höhen. Das bringt eine spürbare Verbesserung des All-tags und der Lebenssituation in unseren Pflegeeinrich-tungen.
Wie Sie wissen, werden wir neben diesen Leistungs-verbesserungen zum 1. Januar 2015 jährlich rund 1 Mil-liarde Euro in einen Pflegevorsorgefonds einzahlen mitdem Ziel, dann, wenn die sogenannte Babyboomer-Ge-neration ins Pflegealter kommt, zu erreichen, dass diePflegebeiträge nicht ins Uferlose steigen. Dies ist einkonkreter Beitrag zur Generationengerechtigkeit.
Wir werden zu Anfang des nächsten Jahres mit derArbeit am zweiten Pflegestärkungsgesetz beginnen.Wenn wir die Erprobungsergebnisse aus der laufendenParallelbegutachtung haben, beginnt sofort der nächsteSchritt: die Realisierung des in dieser Legislaturperiodeinsgesamt umzusetzenden neuen Begutachtungsverfah-rens.Heute aber bringen wir den ersten kraftvollen Schrittzur Verbesserung der Lage der Pflegebedürftigen, ihrerAngehörigen und der Pflegekräfte auf den Weg.Herzlichen Dank.
Vielen Dank. – Für die Fraktion Die Linke erhält jetzt
das Wort Pia Zimmermann.
Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnenund Kollegen! Seit Herbst letzten Jahres legen sich inDeutschland in vielen Städten immer mehr Menschensamstags fünf vor zwölf auf die Straße und auf Plätze.Damit wollen sie zum Ausdruck bringen, dass in derPflege hierzulande etwas nicht in Ordnung ist, dass diePflege hierzulande am Boden liegt. Ich selber habe15 Jahre im Pflegebereich gearbeitet und weiß genau:Sie legen sich auf die Straße für mehr Wertschätzungund Anerkennung ihrer Arbeit, für ein grundsätzlich an-deres Verständnis von Pflege und für eine menschenwür-dige Pflege.
Die Linke unterstützt dieses Anliegen; denn gute undumfassende Pflege ist ein Menschenrecht.Und was machen Sie, meine Damen und Herren vonder Großen Koalition? Sie täuschen Handlungsbereit-schaft vor, anstatt die Probleme in der Pflege ernsthaftanzugehen.
Die Pflegeversicherung ist ungerecht. Als Teilleistungs-versicherung macht sie gute Pflege vom Geldbeutel derBetroffenen abhängig, und das ist mit uns nicht zu ma-chen.
Gute Pflege darf kein Privileg sein, sondern muss füralle umfänglich zugänglich sein entsprechend den indi-viduellen Bedürfnissen jedes einzelnen.Schauen wir uns einmal an, was Sie vorhaben. Siewollen die Leistungen der Pflegeversicherung um 4 Pro-zent anheben, das heißt eine Erhöhung um 4 Prozent injeder Pflegestufe. Das verkaufen Sie als Verbesserung.Aber – das muss in aller Deutlichkeit gesagt werden –hierbei handelt es sich um eine längst überfällige Anpas-sung der Leistungen der immer teurer werdenden Pflege,
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4340 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 47. Sitzung. Berlin, Freitag, den 4. Juli 2014
Pia Zimmermann
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Herr Minister Gröhe, und zudem ist es eine unzurei-chende Anpassung. Sie selber schreiben in dem heutevorliegenden „Bericht der Bundesregierung über das Er-gebnis der Prüfung der Notwendigkeit und Höhe einerAnpassung der Leistungen der Pflegeversicherung“,dass Sie noch nicht einmal die vollständige Angleichungan die Preisentwicklung vornehmen, weil diese in denJahren 2011 und 2012 vom hohen Anstieg der Energie-preise bestimmt war. Dies, meine Damen und Herren,lasse ich ganz unkommentiert.Nur so viel: Hier zeigt sich deutlich, dass die immerwieder von den Verbänden formulierte Kritik an den feh-lenden Regeln für diese Leistungsdynamisierung durchdie Pläne der Bundesregierung einmal mehr bestätigtwird. Damit Anpassungen der Leistungen der Pflegever-sicherung nicht weiterhin von politischer Willkür undvon politischem Gutdünken abhängig sind, fordern wireine gesetzliche, verbindliche jährliche Leistungsdyna-misierung.
Darüber hinaus muss die Pflege vollumfänglich ausfi-nanziert werden. Wir haben hier eine gesellschaftlicheVerantwortung. Menschen mit Pflegebedarf, mit körper-lichen oder psychischen Beeinträchtigungen haben einenAnspruch auf eine gute umfassende Pflegeversorgung,die sich nicht an Profiten orientiert, sondern an ihrem in-dividuellen Bedarf.
Herr Minister Gröhe, diese Verantwortung darf nichtins Private abgeschoben werden.
Heute ist es so: Wer sich professionelle Pflege nicht leis-ten kann, ist auf die Unterstützung und auf ehrenamtli-che Pflege aus der Familie und dem sozialen Umfeld an-gewiesen. Wer wo wann von wem gepflegt wird, mussaber eine selbstbestimmte Entscheidung der Betroffenensein. Diese Entscheidung darf natürlich nicht durch fi-nanzielle Nöte beschränkt werden.
Und da ist noch etwas: Sie haben die Personalsitua-tion in der Pflege überhaupt nicht im Fokus Ihres politi-schen Handelns. Sie behaupten zwar, mit der erstenStufe der Pflegereform die Personalsituation verbessernzu wollen, tatsächlich tun Sie das aber nicht. Herr Minis-ter Gröhe, es kommt nicht nur darauf an, die Anzahl derKöpfe zu erhöhen, sondern es kommt auch darauf an, dieGanzheitlichkeit in der Pflege wiederherzustellen unddas, was wir haben, zu behalten. Wenn Sie auf der Seiteder Betreuungskräfte den Personalschlüssel erhöhen,aber auf der Seite der Pflegefachkräfte alles beim Altenlassen, senken Sie insgesamt das Pflegeniveau.
Weder für die Pflegefachkräfte noch für die Betreuungs-kräfte wird es weniger Belastung geben. Die einen tra-gen Verantwortung und müssen zusehen, wie sie imSchweinsgalopp ihre Arbeit erledigt bekommen; die an-deren tragen Verantwortung, erledigen die Betreuungsar-beit im Dauerlauf, und alle haben keine Chance, sichfort- und weiterzubilden.Die meisten Menschen, die in der Pflege arbeiten, ha-ben diesen Beruf ergriffen, weil sie gerne mit Menschenzusammenarbeiten wollen. Für sie sind Gespräche,Unterstützung bei der Grundpflege sowie soziale Inter-aktion elementarer Bestandteil ihres beruflichen Selbst-verständnisses. Die Unterteilung von Pflege- und Sorge-arbeit in verschiedene Arbeitsprozesse, nämlich Pflegeauf der einen Seite und Betreuung und Unterstützung aufder anderen Seite, zerstört das Verständnis von umfas-sender Pflege. Herr Minister, so wird umfassende Pflegeweiter abgewertet, und eine Attraktivitätssteigerung derPflegeberufe findet nicht statt.Meine Damen und Herren, kommen wir zur Bezah-lung. Damit Lohndumping in der Pflege endlich ein Rie-gel vorgeschoben wird, muss der Pflegemindestlohn fürHelferinnen und Helfer auf 12,50 Euro, wie es auchVerdi fordert, erhöht werden.
Für Fachkräfte darf ein Bruttogehalt von 3 000 Euronicht unterschritten werden. Auch die Arbeitsbedingun-gen für alle Beschäftigten in der Pflege müssen spürbarverbessert werden. Aber statt einer solchen Anerken-nung der professionellen Pflegearbeit schaffen Sie mitdieser Reform ein neues Einfallstor für prekäre Beschäf-tigung in der Pflege. Sie wollen Pflegesachleistungen inniedrigschwellige Betreuungs- und Entlastungsangeboteumwidmen. Die Pflegesachleistungen waren bisher fürdie Finanzierung von ambulanten Pflegedienstleistungenvorgesehen. Nun sollen aus diesen Mitteln Aufwands-entschädigungen für ehrenamtliche Helferinnen undHelfer bezahlt werden. Meine Damen und Herren, sogeht das nicht. Das dahinterstehende Verständnis istdoch Folgendes: Pflege kann jeder. – Das ist eine Miss-achtung der hochanspruchsvollen Arbeit der Pflege-kräfte.
Außerdem liegt die Vermutung nahe, dass mit diesemSchritt ein eigenständiger Sektor an niedrigschwelligenEntlastungsangeboten geschaffen und der private Pflege-markt weiter ausgebaut werden soll.Meine Damen und Herren, die Linke fordert Sie auf:Lassen Sie die Pflege nicht länger am Boden liegen!
Wir wollen das Recht auf selbstbestimmte Pflege in denMittelpunkt stellen, sowohl für die Pflegebedürftigen alsauch für die Pflegenden. Pflege und Betreuung müssensich an den individuellen Bedürfnissen der Pflegebedürf-tigen ausrichten. Angehörige und nahestehende Perso-nen müssen entlastet werden. Die Arbeitsbedingungen inder Pflege müssen unbedingt grundlegend verbessertwerden. Das Pflegepersonal muss gerecht entlohnt wer-den.
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 47. Sitzung. Berlin, Freitag, den 4. Juli 2014 4341
Pia Zimmermann
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Um all das verwirklichen zu können, braucht es eineentsprechende Finanzierung; das ist klar. Wir als Parteider Pflegegerechtigkeit
schlagen Ihnen dafür die solidarische Bürgerinnen- undBürgerversicherung vor.Vielen Dank.
Vielen Dank. – Nächste Rednerin ist Hilde Mattheis,
SPD-Fraktion.
Guten Morgen, Frau Präsidentin. – Liebe Kolleginnenund Kollegen! Vor ungefähr einem Jahr attestierte eineAllensbach-Studie der Politik: Nur 64 Prozent der Be-völkerung glauben, dass sich bei der Pflege in der nächs-ten Zeit etwas ändern werde. 56 Prozent glauben sogar,dass die Politik überhaupt nicht in der Lage sei, für gutePflege zu sorgen.Diese Ergebnisse haben uns damals sehr beunruhigt.Ich glaube, wir haben uns in dieser Koalition auf einenguten Weg gemacht, genau das zu widerlegen und zu sa-gen: Wir sind bereit, und wir können in diesem Land fürgute Pflege viel bewegen. – Ich fordere die Oppositionauf, uns auf diesem Weg positiv und kritisch-konstruktivzu begleiten.
Fundamentalkritik ist an der Stelle, an der es um Leis-tungsverbesserungen für Pflegebedürftige geht, nichtimmer unbedingt dienlich. Wir wollen, dass in diesemLand bessere Leistungen bei den Pflegebedürftigen undihren Angehörigen ankommen. Das tun wir mit diesemersten Umsetzungsschritt.
Wir wollen uns in dieser Legislaturperiode nicht nur mitdiesem einen Baustein zufriedengeben. Unser Grund-konzept für bessere Pflege, für die Unterstützung vonpflegenden Angehörigen und für mehr Anerkennung undWertschätzung – da finden Sie uns ganz massiv an IhrerSeite –,
unser Konzept sieht mehrere notwendige Bausteine vor.
Diese Bausteine – schauen Sie in unseren Koalitionsver-trag – haben wir miteinander verabredet. Wir wollennicht nur diesen ersten Umsetzungsschritt, sondern wirwollen die Ausbildungsreform und natürlich auch einebessere Verankerung sowie eine Verständigung mit Län-dern und Kommunen darüber, was deren Aufgabe ist.Frau Zimmermann, ich glaube, da sind wir einer Mei-nung: Wir hier in Berlin, in diesem Saal, können nichtsagen, welche Infrastruktur in einer Stadt notwendig ist.Da müssen wir uns schon auf einen gemeinsamen Wegbegeben.
Neben all diesen Punkten ist uns ein wichtiges Anlie-gen, dass – das steht auch so im Koalitionsvertrag – indieser Legislatur so schnell wie möglich die Reform desPflegebedürftigkeitsbegriffs kommt.
Wenn wir jetzt diese Schritte miteinander vereinba-ren, ist uns sehr wohl bewusst: Wir gehen damit einenWeg und nehmen einige Leistungen vorweg, aber – auchdas ist eine Vereinbarung, die wir getroffen haben – dieReform dieses Begriffes wird kommen. Wenn nicht jetzt,wann dann in einer Großen Koalition?Wir wollen mit der Vorwegnahme von Pflegeleistun-gen sehr schnell die Situation von Pflegebedürftigen undihren Angehörigen verbessern. Wir haben lange daraufgewartet.
In der letzten Legislaturperiode war der Erfolg in diesemBereich nur sehr eingeschränkt. In dieser Legislaturpe-riode – das zu sagen, gestatten mir die Fachpolitiker alleranderen Fachrichtungen; man ist, wenn man mit Herz-blut für eine Sache streitet, immer ein Stück weit mitScheuklappen versehen – ist das, was Pflege anbelangt,eines der zentralen Anliegen dieser Regierung.
Jetzt stellen Sie sich vor, wir hätten hier sehr schnellfür alle Bereiche, die ich aufgezählt habe, etwas vorge-legt! Sorgfalt geht hier vor Schnelligkeit. Lassen Sie unsin dieser Legislatur lieber „step by step“ die Punkte um-setzen, die wir miteinander vereinbart haben.Die Verbesserungen, zu denen es in der ersten Stufekommen wird, sind nicht banal. Da geht es um bessereund flexiblere Leistungen für Angehörige. Da geht esdarum, einen Mix hinzubekommen: Wenn man die Leis-tungen in der Kurzzeitpflege oder der Verhinderungs-pflege nicht voll ausschöpft, dann kann man im Rahmender Leistungshinterlegung die Mittel, die für den einenBereich vorgesehen waren, für den anderen Bereich nut-zen. Das ist doch gut.Wir wollen, dass die Tages- und Nachtpflege stärkerunterstützt wird. Denn die Lebenssituation in den Fami-lien ist einfach so, dass zum Beispiel Menschen mit De-
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4342 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 47. Sitzung. Berlin, Freitag, den 4. Juli 2014
Hilde Mattheis
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menz eine Tagesstrukturierung nicht mehr hinbekom-men, dass Angehörige wenigstens in der Nacht oderzeitweise am Tag entlastet werden wollen. Das ist dochdie Lebensrealität.
Es wurde hier eine Individualisierung gefordert; aufdiese Weise kann man sie ein Stück weit erreichen.Ein Punkt, der schon angeführt wurde, ist für uns vonBedeutung: Wir wollen die Leistungen nach § 45 bSGB XI verbessern und flexibilisieren. Das heißt auch,sich damit auseinanderzusetzen – das ist von Wichtigkeit –:Wie kriegen wir es hin, zwischen einer Entlastungsleis-tung, einer Betreuungsleistung und einer Fachpflegeleis-tung zu differenzieren und das Zusammenspiel so indivi-duell zu gestalten, dass es wirklich dem Bedarf derMenschen gerecht wird,
anstatt einfach einen kategorischen Schnitt zu machenund für alle etwas zu hinterlegen? Wir selber können da-bei nicht den Bedarf im Einzelfall ermessen; aber wirkönnen den Rahmen dafür angeben, dass sich Bedarfe anindividuellen Bedürfnissen ausrichten. Da machen wirjetzt mit diesem Gesetz einen ersten wichtigen Schrittund machen einen Knopf dran, so wie wir es jahrelanggefordert haben.Der zweite Punkt. Ja, wir brauchen mehr Pflegefach-kräfte. Sie haben es ausgeführt; wir alle sind uns da imGrunde einig. Wie kriegen wir das hin? Da gibt es kei-nen Königsweg; da gibt es viele Wege. Ein Weg ist eineAusbildungsreform. Ein weiterer ist, den Beruf so attrak-tiv zu machen, dass die Verweildauer erhöht wird, dassMenschen diesen Beruf so lange ausüben können, bis siein die Lebensphase der Rente eintreten, und ihn nichtvorher verlassen müssen, weil die psychische und kör-perliche Belastung so groß ist. Dazu brauchen wir einAusbildungsgesetz. Aber wir brauchen eben auch einegute Bezahlung und einen guten Fachkräfteschlüssel. Alldiese Punkte betreffen die Rahmenbedingungen; wirwerden sie angehen.Wir haben den Bereich der Vorsorge in der Tat starkim Blick. Es gibt immer mehrere Möglichkeiten, Vor-sorge zu organisieren. Eine Möglichkeit ist, Geld anzu-sparen, womöglich aber mit dem Risiko eines hohen Re-alwertverlustes. Eine andere Möglichkeit ist, Geldereinzusetzen, um Vorsorge dafür zu treffen, dass es imJahr 2030 bzw. 2033 genug Arbeitskräfte gibt, die Men-schen professionell pflegen können und in diesem Berufihre Erfüllung finden. – Dass dieser Beruf erfüllt, dassihn sehr viele Menschen gerne ausüben möchten, zeigenunter anderem die Zahlen der Bundesagentur für Arbeit:Auf eine Ausbildungsstelle kommen drei Bewerber. Andiesem Punkt müssen wir ansetzen. Wir wollen durcheine Erhöhung der Vorsorgemittel im Bereich Pflege da-für sorgen, dass im Jahr 2030 genügend gut ausgebildeteFachkräfte vorhanden sind, um die Menschen zu pfle-gen.
Beim Thema Pflege braucht es nicht nur eine breitegesellschaftliche Akzeptanz, sondern auch eine breitegesellschaftliche Unterstützung. Pflege kommt nicht im-mer laut daher. Sie betrifft einen Bereich des Lebens, indem es darum geht, dass Menschen ihre Würde behaltenkönnen und zu garantieren, dass Solidarität in der Ge-sellschaft greift – eine Solidarität, die darauf beruht, dassdiejenigen geben, die geben können, und diejenigen neh-men können, die den Bedarf haben; das betrifft den An-fang und das Ende des Lebens. So definieren wir Gene-rationengerechtigkeit.Lassen Sie uns das in die Tat umsetzen, damit dieMenschen davon überzeugt werden: Politik ist imstande,etwas für die Pflege zu tun. Das wollen wir gemeinsamtun.Vielen Dank.
Vielen Dank. – Nächste Rednerin ist ElisabethScharfenberg, Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kol-legen! Weiterentwicklung in der Pflege, Neuorientierungin der Pflege, heute nun die Stärkung der Pflege – egalwelchen Namen Ihre Reform trägt, sie bleibt weit hinterden berechtigten Erwartungen der betroffenen Menschenund auch der Expertinnen und Experten sowie der Ver-bände zurück.
Auch innerhalb der Koalition scheint keine uneinge-schränkte Harmonie zu herrschen.
Frau Kollegin Mattheis, Sie haben dieser Tage nochmals– übrigens vollkommen zu Recht – den unsinnigen Pfle-gevorsorgefonds infrage gestellt, und die Reihen werdenimmer dichter; die taz berichtet heute davon.
Auf den unsinnigen Pflegevorsorgefonds komme ichspäter noch einmal zurück.Zunächst stelle ich fest: Ja, wir brauchen eine besserePflege, und dafür brauchen wir wesentlich mehr Geld.Deswegen ist es im Grundsatz richtig, dass diese Koali-tion den Beitragssatz zur Pflegeversicherung deutlichanheben will; das ist unbestritten.
Ich will auch nicht abstreiten, dass das eine gewisse poli-tische Kraft erfordert. Aber ich frage mich: Ist das schonLeistung genug? Nein, es ist nicht genug; denn mehrGeld allein ist kein Wert an sich, mehr Geld allein ist
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 47. Sitzung. Berlin, Freitag, den 4. Juli 2014 4343
Elisabeth Scharfenberg
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auch keine Reform. Geld ersetzt keine Ideen, und dieseKoalition hat keine Ideen.
Sie haben keine Vision, wohin sich der Bereich Pflege inunserer Gesellschaft entwickeln könnte. Sie haben keinmutiges, kein fortschrittliches Konzept, in welche Rich-tung Sie die pflegerische Versorgung in unserem Landweiterentwickeln wollen.
Völlig klar ist: Wir können nicht weitermachen wiebisher. Die Menschen in unserem Land wollen das auchnicht, und doch machen Sie einfach so weiter.
Sie setzen den Pflegezug auf die Schiene und lassen ihnin die falsche Richtung fahren. Aber bei einem Zug, derin die falsche Richtung fährt, ist eben auch jeder Halte-bahnhof falsch. Auch wenn Sie uns hier erzählen, dassdieser Zug durch blühende Landschaften in Form Ihrerwirr zusammengewürfelten Leistungsverbesserungenfährt, können Sie es nicht schönreden. Am Ende des Ta-ges liefern Sie Stückwerk ab. Sie nehmen die wirklichbrennenden Probleme nicht in Angriff.
Machen wir es konkret!
Sie haben wieder einmal die überfällige Einführung desneuen Pflegebedürftigkeitsbegriffs vertagt.
Ob er dann, wenn er überhaupt jemals kommt, die hohenErwartungen erfüllt, die über Jahre geweckt wurden,bleibt abzuwarten. Sie tun nichts für die Pflegekräfte. Sietun nichts gegen den Fachkräftemangel. Über die ange-kündigte Reform der Pflegeausbildung sind Sie sichauch noch nicht einig.
Sie haben auch noch nichts zur besseren Vereinbarkeitvon Pflege, Familie und Beruf unternommen. Ebensowenig schaffen Sie es, die Pflegeversicherung endlichnachhaltig und sozial gerecht zu finanzieren.Stattdessen bleibt es dabei, dass sich die Privatversi-cherten konsequent aus der Solidarität mit denSchwächsten entziehen können.
Dafür parken Sie 1 Milliarde Euro pro Jahr in einemPflegevorsorgefonds, der nicht funktionieren kann. Auchhier wird nur der Anschein von Nachhaltigkeit erweckt.Wir haben dazu vor einigen Wochen eine Kleine An-frage an die Bundesregierung gerichtet. Das Ergebniswar: Sie konnten oder wollten keine halbwegs konkreteZahl nennen oder sagen, was genau dieser Fonds eigent-lich bringt. Mit anderen Worten: Sie können Ihre eigenePolitik gar nicht erklären, weil Sie selbst nicht genauwissen, was der Fonds bringen soll, oder weil Sie genauwissen, dass der Fonds nichts taugt.
Bis auf Herrn Spahn glaubt in dieser Koalition ja nichtwirklich jemand an diesen Unsinn.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, lieber Herr MinisterGröhe, wie erklären Sie denn eigentlich den Pflegebe-dürftigen und den Angehörigen, den Pflegekräften undden gesetzlich Versicherten, dass Sie zwar viel Geld aus-geben werden – es ist das Geld der Versicherten, das Sieausgeben –, aber die Probleme nicht wirklich angehen?Was sagen Sie den ausgepowerten Pflegekräften? Wassagen Sie den überforderten pflegenden Angehörigen,die mit ihren realen Problemen, mit denen sie sich tag-täglich auseinandersetzen müssen, weiterhin alleingelas-sen werden? Diese Menschen werden dieser Debatteheute kopfschüttelnd und enttäuscht folgen. Herr Gröhe,Sie bleiben hier nicht nur Antworten schuldig – dasmuss ich Ihnen ganz offen sagen –,
sondern ignorieren auch die Lebenswelt und die Lebens-wirklichkeit genau derer, die eine echte Pflegereformdringend gebraucht hätten.
Dieses Gesetz ist keine Pflegereform. Es ist allenfallseine Pflegeversicherungsreform, eine sehr teure, aber be-stimmt keine fortschrittliche Reform. Pflege ist mehr,viel mehr als nur die Pflegeversicherung. Das müssenwir endlich alle begreifen. Sie müssen sich viel deutli-cher darauf besinnen, worum es bei den Betroffenen ei-gentlich geht. Deswegen sollten Sie sich, deswegen soll-ten wir uns alle fragen, welche Versorgung wir uns dennfür uns selbst wünschen. Sagen Sie einmal ganz ehrlich:Wollen Sie für sich wirklich nur etwas mehr von dem,was wir schon haben? Das ist nämlich genau der Kurs,den Sie hier fahren. Ist es wirklich damit getan, die Leis-tungen der Pflegeversicherung um 4 Prozent anzuheben?Ich will das nicht kleinreden, wirklich nicht.
Aber ist das die Antwort auf die Probleme, die wir in derPflege haben, die dieses Land braucht?
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4344 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 47. Sitzung. Berlin, Freitag, den 4. Juli 2014
Elisabeth Scharfenberg
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Wird diese Antwort den Menschen die Angst vor einemunwürdigen Leben im Alter nehmen?
Geht es nicht vielmehr darum, den Menschen eine Per-spektive zu eröffnen, damit sie selbstverständlich auchbei Pflegebedürftigkeit an dieser Gesellschaft teilhabenkönnen,
die Perspektive, dass ein Leben im Alter und bei Pflege-bedürftigkeit keine Last, sondern ganz normaler Be-standteil unseres gesellschaftlichen Zusammenlebensist?
Teilhabe ist ein elementares Grundbedürfnis, ein ele-mentares Recht. Das spielt in Ihrem Reformwerk aberüberhaupt keine Rolle. Dabei ist es das, worum es unsallen im Kern geht.
Dazu braucht es ein grundlegendes Umdenken. Wirmüssen Pflege wieder stärker als Aufgabe und Verant-wortung von uns allen und für uns alle begreifen. Einbisschen Rumwerkelei an der Pflegeversicherung ist ein-fach zu wenig. Es braucht ein deutliches Signal zur Stär-kung ambulanter Versorgungsstrukturen. Wir braucheneinen neuen Pflegebegriff, mit dem nicht nur bestehendeLeistungen der Pflegeversicherung erweitert werden,sondern mit dem flexible Formen von Leistungen bereit-gestellt werden, Leistungen, die die Betroffenen bei derFührung eines selbstbestimmten Lebens wirklich unter-stützen.
Das Allerwichtigste ist: Die Pflege muss wieder dortgestaltet und gesteuert werden, wo sie stattfindet, dasheißt vor Ort, in den Gemeinden, in den Vierteln, in denQuartieren, dort, wo die Menschen leben. Das kann einePflegeversicherung alleine aber nicht stemmen. Wirmüssen vor allem die Kommunen in die Lage versetzenund dabei unterstützen, diese Gestaltungsaufgabe wiederwahrnehmen zu können. Das ist die eigentliche Zu-kunftsaufgabe, um die es geht.In Ihrem Koalitionsvertrag steht einiges dazu drin.Dort steht auch, dass Sie sich mit der Situation der Kom-munen beschäftigen wollen und klären wollen, wie dieRolle der Kommunen bei der Pflege gestärkt werdenkann. Nur, es passiert einfach nichts. Man hört rein garnichts von Ihnen dazu.
So mutig es erscheinen mag, der Pflegeversicherungmehr Geld zur Verfügung zu stellen, so kraftlos, beinahefeige, ist das, was Sie diesbezüglich am Ende des Tagesanstellen.
Meine Fraktion, ich und auch die betroffenen Menschenim Land haben wirklich mehr von Ihnen erwartet.Vielen Dank.
Vielen Dank. – Der nächste Redner ist Dr. Georg
Nüßlein, CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine Damen! Meine Herren! FrauScharfenberg und Frau Zimmermann, Ihre Kritik warmir zu pauschal.
Wenn man diesem Thema gerecht werden will, dannmuss man schon beim Thema bleiben
und die Substanz zumindest ein bisschen würdigen, dannmuss man sich mit dem beschäftigen, was wir tatsäch-lich verbessern.
Wenn Sie im Detail Kritik üben wollen, können Sie dasgerne tun. Wenn Sie hier aber in Minioppositionsmanierin Bausch und Bogen alles pauschal verdammen, waswir hier machen, dann werden Sie nicht einmal IhrerRolle als Opposition ordentlich gerecht.
Der Deutsche Bundestag hat vor 20 Jahren die Pflege-versicherung beschlossen.
Sie war damals gar nicht unumstritten, was man heutegar nicht mehr glauben mag; denn wir alle wissen, dass
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 47. Sitzung. Berlin, Freitag, den 4. Juli 2014 4345
Dr. Georg Nüßlein
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diese Pflegeversicherung ein Erfolgsmodell ist, um dasuns Europa mittlerweile beneidet.
Wir haben in den letzten beiden Legislaturperioden be-reits deutliche Verbesserungen vorgenommen: Wir ha-ben Leistungen dynamisiert, Maßnahmen zur Entlastungpflegender Angehöriger und Zusatzleistungen für an De-menz erkrankte Pflegebedürftige beschlossen; das istnichts Neues. Zusammengenommen gab es dadurchLeistungsverbesserungen mit einem Volumen von über3 Milliarden Euro. Von einem Stillstand in der Pflegepo-litik zu sprechen, war also schon vor der Reform, überdie wir heute in erster Lesung debattieren, falsch.
Es geht weiter voran. Mit dem ersten Pflegestär-kungsgesetz bringen wir in einer ersten Stufe – ich sagedas ganz bewusst; hier hat die Nummerierung tatsächlicheinmal einen Sinn, weil es in dieser Legislaturperiodezwei Reformstufen geben wird – die im Koalitionsver-trag vereinbarten Verbesserungen im Bereich Pflege aufden Weg. Dabei geht es um eine Vielzahl von Verbesse-rungen und um ein Volumen von 2,4 Milliarden Euro.Wir haben vor, die Leistungsbeträge um 4 Prozent an-zuheben. Dabei geht es um den Inflationsausgleich.
– Da können Sie ruhig schreien. – Aber allein das istganz wichtig für die Betroffenen, für die Pflegebedürfti-gen. Mit dem von Ihnen viel gescholtenen Vorsorge-fonds setzen wir ein Zeichen,
dass wir das System zukunftsfähig machen wollen. Auchdas sollten Sie aus meiner Sicht würdigen.Die Leistungen im Bereich der häuslichen Pflegewerden deutlich verbessert und flexibilisiert; denn wirwollen jedem älteren Menschen ein selbstbestimmtesLeben in der eigenen Wohnung ermöglichen, solangedas irgendwie geht. Das ist ein gerechtfertigter und derwichtigste Anspruch älter werdender pflegebedürftigerMenschen.
Dafür wollen wir das Zusammenwirken von Fachkräf-ten, Angehörigen und Ehrenamtlichen intensivieren. DieBereiche ambulante Pflege, innovative Wohn- und Pfle-geformen sowie stationäre Einrichtungen sollen Hand inHand arbeiten. Den pflegenden Angehörigen helfen wirinsbesondere durch die vorgesehenen Verbesserungenim Bereich der Kurzzeit- und Verhinderungspflege so-wie der Tages- und Nachtpflege. Damit greifen wir dieWünsche der vielen pflegenden Angehörigen auf, entlas-tende und unterstützende Pflegeleistungen flexibler inAnspruch nehmen zu können.Ich möchte in diesem Zusammenhang ausdrücklichfür eine weitere Flexibilisierung werben, insbesondereim Hinblick auf die sechsmonatige Wartezeit im Bereichder Verhinderungspflege. Hier geht es darum, mehrMenschen zu motivieren bzw. ihnen die Möglichkeit zugeben, in einem plötzlich und überraschend auftretendenFall der Pflegebedürftigkeit häusliche Pflege zu prakti-zieren. Über diesen Punkt sollten wir im Laufe des Ver-fahrens noch einmal diskutieren.
Herr Kollege Nüßlein, gestatten Sie eine Zwischen-
frage der Kollegin Zimmermann?
Ja, gern.
Frau Kollegin Zimmermann.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Vielen Dank, Herr
Nüßlein, dass Sie meine Frage zulassen.
Sie haben gerade gesagt, dass Sie gerne möchten,
dass Menschen möglichst lange in ihren eigenen vier
Wänden gepflegt werden können. Sie haben die Verhin-
derungspflege und weitere Möglichkeiten angesprochen.
Das alles ist ja nur für einen bestimmten Zeitraum ge-
dacht. Eine Person, die pflegebedürftig ist, muss aber
meistens mehrere Jahre gepflegt werden. Dieser Zustand
setzt ein, ändert sich meistens aber nicht mehr. Das sind
die Fälle, von denen ich ausgehe.
Wie können wir mit Blick auf die zu pflegenden Per-
sonen, aber auch mit Blick auf die Pflegenden eine Re-
gelung treffen, die verhindert, was meistens der Fall ist:
dass die Frauen ihren Beruf aufgeben oder in Teilzeit ge-
hen müssen und dann, wenn sie nach der Arbeit, meinet-
wegen nach einem vierstündigen Arbeitstag, nach Hause
kommen, bei besonders schweren Pflegefällen noch
20 Stunden am Tag im Stand-by-Modus sind, weil sie
bestimmte Pflegeleistungen erbringen müssen? Wie
wollen Sie es regeln, dass die Pflege nicht auf den soge-
nannten größten Pflegedienst, den wir haben, nämlich
auf die Familie und das soziale Umfeld, zurückfällt? Wie
können wir das so regeln, dass die Pflege professionell
durchgeführt wird und es auch zu einer Entlastung der
Angehörigen und der pflegenden Personen kommt?
Zunächst einmal will ich in meiner Antwort auf IhreFrage ganz ausdrücklich betonen, dass man die Pflege inder Familie nicht durch professionelle Pflege ersetzensollte. Die Pflege in der Familie müssen wir wertschät-zen; wir können sie gar nicht hoch genug bewerten. In
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4346 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 47. Sitzung. Berlin, Freitag, den 4. Juli 2014
Dr. Georg Nüßlein
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der Tat müssen wir auch mit Blick auf das Arbeitsrechtdie notwendigen Voraussetzungen schaffen, damit hierSpielräume entstehen. Aber man kann natürlich nicht sa-gen: Auf der einen Seite wollen wir, dass in der Familiegepflegt wird. Auf der anderen Seite stehen wir demaber kritisch gegenüber, weil die Pflege in der Familienicht so professionell, wie wir es uns wünschen, durch-geführt werden kann; das kam ja in Ihrer Frage zumAusdruck.
Im Gegenteil, das, was die ambulanten Dienste andieser Stelle leisten, und das, was in der Familie leistbarist, sollte miteinander verknüpft werden. Ich sehe eineChance darin, dies fortzuführen. Ich will das überhauptnicht, wie Sie es gerade zwischen den Zeilen angedeutethaben, infrage stellen. Ganz im Gegenteil, ich glaube,dass es uns durch das, was wir vorhaben, gelingen wird,den ambulanten Bereich zu stärken und dafür Sorge zutragen, dass Pflege möglichst lange im familiären Um-feld praktiziert werden kann. Aber das geht eben nur un-ter bestimmten Bedingungen.Für Personen, die so pflegebedürftig sind, dass diePflege nicht mehr zu Hause zu leisten ist, gibt es statio-näre Einrichtungen, die wir an dieser Stelle ebenfallsstärken, und zwar dadurch, dass wir mehr Personal zurVerfügung stellen; der Personalschlüssel ändert sich ja.Deshalb kann ich nicht erkennen, warum man das in-frage stellen sollte. Ganz im Gegenteil, wir tun das Rich-tige, meine Damen und Herren.
– Sie haben das infrage gestellt,
jedenfalls zwischen den Zeilen;
so habe jedenfalls ich Sie verstanden. Sonst müssen Siesich klarer ausdrücken. Ich hatte den Eindruck, dass Siedas infrage gestellt haben.
Ich werbe ernsthaft dafür, dass wir an dieser Stelleweiterarbeiten und uns Gedanken darüber machen, waswir noch tun können. Diejenigen, die ihre Wohnung al-tersgerecht umbauen, werden wir mit Zuschüssen vonbis zu 4 000 Euro unterstützen; das ist fast eine Verdopp-lung der bisherigen Obergrenze. Auch das ist ein Ansatz,um häusliche Pflege zu erleichtern. Außerdem sorgenwir für eine weitere Angleichung der Leistungen bei kör-perlich und bei demenziell bedingter Pflegebedürftig-keit. Pflegebedürftige, die körperlich in stärkerem Maßeeingeschränkt sind, zum Beispiel nach einem Schlagan-fall – Sie haben zu Recht gesagt, das sei nicht immereine Frage des Alters –, können jetzt zusätzliche Betreu-ungs- und Entlastungsleistungen in Anspruch nehmen.Damit räumen wir den Pflegebedürftigen mehr Wahl-möglichkeiten ein. Das ist ja etwas, was Sie einfordern.Insofern sind wir da auf dem richtigen Weg. Ich hätte ge-wünscht, dass Sie das mehr würdigen.Wer seinen Anspruch auf ambulante Pflegesachleis-tungen nicht voll ausschöpft, der kann den nicht genutz-ten Betrag künftig für niedrigschwellige Angebote, etwain der Betreuung, verwenden. Auch das ist ein Beispielfür mehr Wahlmöglichkeiten.Ich will noch einmal deutlich machen – ich habe dasschon in meiner Antwort auf Ihre Frage gesagt –, dassdie Kritik mancher Pflegeverbände an dieser Neurege-lung nicht gerechtfertigt ist. Ich bin der festen Überzeu-gung, dass wir bei der Betreuung und Entlastung vonPflegebedürftigen mehr ehrenamtlich tätige Menschenbrauchen und zum bürgerschaftlichen Engagement be-reite Personen fördern müssen. Wenn wir den Anspruchhaben: „ambulant vor stationär“, dann können wir diesnur mit Ehrenamtlern umsetzen. Wir wollen die Anfor-derungen an die Qualität nicht reduzieren oder infragestellen. Ganz im Gegenteil: Wir werden die Anforderun-gen an die Qualität aufrechterhalten, aber zusätzlich dieBedeutung des Ehrenamts in diesem Zusammenhangganz deutlich herausstellen.Menschen mit erheblich eingeschränkter Alltagskom-petenz in der sogenannten Pflegestufe 0 erhalten künftigZugang zu Leistungen der Tages- und Nachtpflege sowieder Kurzzeitpflege. Dies ist bereits ein wichtiger Schrittzur Einführung des neuen Pflegebedürftigkeitsbegriffsund betrifft auch die Frage, wie man die häusliche Pflegebefördert.In der stationären Pflege – auch das habe ich ange-deutet – wird das Betreuungs- und Aktivierungsangebotschon vor Einführung des neuen Pflegebedürftigkeitsbe-griffs erweitert und auf alle Pflegebedürftigen ausge-dehnt. Das Betreuungsverhältnis wird auf eine Betreu-ungskraft zusätzlich für 20 Pflegebedürftige verbessert,was den Einsatz von weiteren 20 000 Betreuungskräftenmöglich macht. Allerdings muss der Arbeitsmarkt dieseKräfte auch hergeben. Wir werden uns also auch Gedan-ken darüber machen müssen, wie man im Rahmen vonArbeitsmarktmaßnahmen und durch Ausbildung die Vo-raussetzungen dafür schafft, dass das gelingt.Wer die von uns vorgesehenen Maßnahmen schlecht-oder kleinredet, Frau Scharfenberg, verunsichert dieMenschen und schadet der Akzeptanz der Pflegeversi-cherung.
Insofern tut mir persönlich die Pauschalkritik weh. WennSie ein Detail kritisieren, dann ist das kein Thema; abereine solche Pauschalität tut mir weh, weil Sie die Men-schen hinsichtlich dessen verunsichern, was wir im Rah-men der Pflegeversicherung tatsächlich für die Pflegebe-dürftigen leisten.
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Dr. Georg Nüßlein
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– Sie haben recht: Es bleibt eine Teilkaskoversicherung.Das ist eine Frage, die man unter der Überschrift der Fi-nanzierbarkeit, der Machbarkeit diskutieren muss. Esmuss eine Teilkaskoversicherung bleiben, weil es näm-lich darum geht, das Pflegerisiko abzusichern.
Wir dürfen die Versicherung doch nicht so gestalten– das müsste Ihnen als Argument gefallen –, dass wir dieErbschaft für die nächste Generation absichern. Darumkann es doch nicht gehen. Wenn man eine Vollkaskover-sicherung einführt, also eine Versicherung, ohne dass Ei-genanteile zu leisten sind, dann sichert man im Grundebei weiten Teilen der Bevölkerung die Erbschaft dernächsten Generation, sonst nichts.Ich will deutlich unterstreichen: Wir machen jetzt ei-nen ersten wichtigen Schritt und werden einen weiterenSchritt folgen lassen, der wohlüberlegt ist und mit demwir den Pflegebegriff anpassen. Wir werden dafür Sorgetragen, dass aus beiden Schritten eine runde Sache wird.Ich bin gespannt, aber nicht gerade erwartungsvoll, obSie das am Schluss entsprechend würdigen und uns da-für loben werden. Ich glaube es nicht wirklich; aberwünschen und hoffen darf man ja kurz vor Beginn derSommerpause.In diesem Sinne: Herzlichen Dank.
Vielen Dank. – Für die Fraktion Die Linke hat jetzt
Kathrin Vogler das Wort.
Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnenund Kollegen! Herr Nüßlein, wenn man Sie hat sagenhören, welcher Reformbedarf hier auf einmal besteht,dann fragt man sich, wer eigentlich in den letzten Jahrenin Deutschland regiert hat.
Das kann ja nicht die Union gewesen sein.
Wir wissen doch alle, und nicht erst seit gestern, dassgrundlegende Verbesserungen in der Pflege dringendnotwendig sind. Wenn ich mit Pflegenden spreche– ganz egal, ob es sich um Angehörige oder Beschäftigtein der ambulanten oder stationären Pflege handelt –,dann höre ich immer nur: Stress, Zeitdruck, übermäßigeArbeitsbelastung. Wenn man mit Menschen mit Pflege-bedarf spricht und sie fragt, was sie sich wünschen, dannhört man nur eines, nämlich mehr Zeit.
Herr Kollege Nüßlein hat gerade sehr eindrucksvoll do-kumentiert, dass auch diese Bundesregierung leiderkeine Antwort auf diese große Herausforderung hat.Wir alle haben eine Vorstellung davon, wie wir im Al-ter leben wollen. Dazu gehören größtmögliche Selbst-ständigkeit und Teilhabe. Die Realität sieht für viele aberleider ganz anders aus. Auch die Berichte über Zwangs-maßnahmen in der Pflege müssen uns, glaube ich, Sor-gen machen. Aus Personalmangel, aus Zeitmangel undaus Unwissenheit werden Menschen gegen ihren Willenangebunden oder hinter Bettgitter gesteckt. Diese Men-schenrechtsverletzungen – das will ich noch einmal ganzklar sagen – geschehen nicht aus Bosheit, sondern sindAusdruck einer strukturellen Unterversorgung.
Diese Unterversorgung müssen wir beenden; denn gutePflege ist ein Menschenrecht.
Ich höre mit Freude, dass Sie zumindest zaghafteSchritte der Verbesserung ankündigen. Ich sage aberganz klar: Mit Ankündigungen alleine wird sich dieLinke nicht abfinden. Wir werden weiter darauf achten,dass für die Menschen tatsächlich etwas passiert.
Der neue Pflegebedürftigkeitsbegriff, über den wir inExpertenkommissionen und hier im Hause über dreiWahlperioden diskutiert haben, bringt nur dann etwas fürdie Menschen mit Pflegebedarf, wenn Teilhabe undSelbstbestimmung im Mittelpunkt stehen. Hier sehe ichmit dem heute vorliegenden Gesetzentwurf leider nochkeinen echten Fortschritt. Das ist eine vertane Chance.
Uns allen ist doch klar, dass wir für die Umsetzung einersolchen grundlegenden Pflegereform viel Geld benöti-gen. Die jetzige Erhöhung der Pflegeversicherungsbei-träge hat aber rein gar nichts mit Nachhaltigkeit zu tun.Nach unserem Zeitplan werden wir heute Nachmittagum 13.20 Uhr das Lebensversicherungsreformgesetz be-raten. Die Menschen werden die Erfahrung machen, dassdas, was sie im Rahmen ihrer Lebensversicherungen fürsAlter angespart haben, vor dem Hintergrund der Nied-rigzinssituation und der Finanzkrise eben nicht mehr si-cher ist.
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4348 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 47. Sitzung. Berlin, Freitag, den 4. Juli 2014
Kathrin Vogler
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Sie wollen dieses Modell der Lebensversicherung, beidem eine Rücklage für spätere Zeiten gebildet wird, mitdem Vorsorgefonds auch auf den Bereich der sozialenPflegeversicherung übertragen.
Da die SPD jetzt offensichtlich erkannt hat, dass dashoch problematisch ist, und das strittig stellt, kann ichIhnen nur sagen: Bitte bleiben Sie hier hart! Sorgen Siedafür, dass das Struck‘sche Gesetz, dass eben nichts soaus diesem Parlament herausgeht, wie es hineingekom-men ist, gerade bei diesem Vorsorgefonds eingehaltenwird
und dass die 1,2 Milliarden Euro jährlich, die die Unionfür spätere Zeiten bei Banken und in Aktienfonds parkenmöchte, jetzt unmittelbar für Verbesserungen für diePflegebedürftigen und deren Angehörigen verwendetwerden!Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir müssen unbe-dingt einen konkreten Zeitplan für die Umsetzung desneuen Pflegebegriffs haben. Es muss auch sichergestelltwerden, dass kein pflegebedürftiger Mensch späterschlechter gestellt ist als heute.
In der Perspektive brauchen wir aber Leistungen, diesich wirklich am individuellen Bedarf orientieren. Dafürwerden wir uns als Linke weiter einsetzen. Wir werdenSie auch unterstützen, wenn wir Schritte in diese Rich-tung erkennen können.
Vielen Dank. – Nächster Redner ist Dr. Karl
Lauterbach, SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Ich muss meine Rede umstellen. Als so späterRedner in dieser Debatte dachte ich, dass über die Re-form schon alles gesagt worden wäre. Bisher hat manaber nicht viel dazu gehört. Das alles war sehr unspezi-fisch,
und nicht alles, was man gehört hat, war richtig.
:
Da wollen wir einmal wissen, was Sie zu bie-ten haben!)Worum geht es bei dieser Reform eigentlich? DieGrünen haben vorgetragen, die Reform sei teuer. Es istrichtig: Die Reform ist teuer. Darauf sind wir stolz. Wirsind stolz darauf, dass die Reform teuer ist, denn siemuss teuer sein. 6 Milliarden Euro, paritätisch finanziert.Die Leistungen der Pflegeversicherung werden in zweiSchritten um 20 Prozent erhöht. Das ist die größte Stei-gerung im Rahmen einer Sozialreform in den letztenJahrzehnten. Wir sind stolz darauf, die größte Reformder Pflegeversicherung seit ihrem Bestehen vorlegen zukönnen. Wir stehen dazu: Die Reform ist teuer. Aber ge-nau das brauchen wir auch.
Ich will auch ehrlich sagen: Diese Reform ist nichtperfekt; das ist gar keine Frage. Ich möchte aber trotz-dem sagen: Das, was wir als Reform zum jetzigen Zeit-punkt vorlegen, ist das Ergebnis dessen, was wir im Ko-alitionsvertrag über viele Wochen verhandelt haben. Ichmöchte Minister Gröhe ausdrücklich dafür danken, dasser sich aus meiner Sicht sehr eng an den Vertrag gehaltenhat, der in dieser Sache zielführend ist und den wir mitgutem Willen und im Konsens vereinbart haben. Dahergilt: Wir werden diese Reform verbessern können; dasist gar keine Frage. Jeder Parlamentarier weiß: Wir wol-len nicht verändern, sondern wir werden verbessern.Aber der Raum für Verbesserungen ist hier nicht groß;denn der eingebrachte Gesetzentwurf ist sehr gut. Dafürsind wir dankbar.
Ehrlich gesagt habe ich nicht viel an Gegenvorschlä-gen gehört.
Was haben wir an Vorschlägen – ich vermeide es, pole-misch zu sein – von den Grünen gehört? Die Pflegemuss für alle begreifbar sein. Die Pflege muss men-schenwürdig sein. Wir müssen so gepflegt werden, wiewir gepflegt werden wollen. – Das wollen wir alle. Aberwas haben wir heute an konkreten Gegenvorschlägen ge-hört? Wer erinnert sich an konkrete Gegenvorschläge?
Keine konkreten Gegenvorschläge!
Wir sind bereit, jederzeit mit Ihnen konkrete Gegenvor-schläge zu diskutieren. Sie müssen aber auch vorgetra-gen werden. Wir wollen die Reform im Geist einer ge-meinsamen Arbeit umsetzen.
Ich will auf die Reform selbst zu sprechen kommen.Ich komme zunächst einmal zur Dynamisierung derLeistungen. Hier wurde gesagt, die Dynamisierung der
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 47. Sitzung. Berlin, Freitag, den 4. Juli 2014 4349
Dr. Karl Lauterbach
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Leistungen müsse ein Automatismus sein und müssenicht jedes Mal verhandelt werden; das hat FrauZimmermann vorgetragen. – Die Pflegeversicherung istkeine Vollkaskoversicherung. Die von Ihnen vorgeschla-gene Dynamisierung würde nur Sinn machen, wenn eseine Vollkaskoversicherung wäre.
Bei einer Teilkaskoversicherung muss jedes Mal neuverhandelt werden. Dann muss es einen Kompromisszwischen der Dynamisierung der Leistungen auf der ei-nen Seite und der Einführung neuer Leistungen auf deranderen Seite geben. Wir dynamisieren zwar nur um4 Prozent, aber das macht fast 1 Milliarde Euro aus. Zu-sätzlich führen wir zahlreiche neue Leistungen ein. So-mit verbessern wir die Pflege durch die Dynamisierungund durch die Einführung neuer Leistungen.
Diese Freiheit muss das Parlament haben. Das ist bei ei-ner Teilkaskoversicherung der einzige Weg, auf sich ver-ändernde Verhältnisse rasch zu reagieren.
Hier wurde auch von den Betreuungskräften gespro-chen. Frau Zimmermann, Sie haben gesagt – dafür gabes aus Ihren eigenen Reihen wenig Beifall –, die Links-partei sei die Partei der Pflegegerechtigkeit.
Ist Ihnen aufgefallen, dass in Ihrer ganzen Rede die An-gehörigen, die den größten Teil der Pflegeleistungen er-bringen, nicht ein einziges Mal erwähnt worden sind?
Sie haben sich ausschließlich auf die Pflegekräfte in denPflegeeinrichtungen und Pflegediensten konzentriert.Die Betreuer wurden dadurch von Ihnen abqualifiziert.Sie haben doch versucht, die Betreuer gegen die ausge-bildeten Pflegekräfte auszuspielen.
Das ist unfair. Auch die Betreuer, egal ob Ehrenamtlicheoder Familienangehörige, leisten eine wichtige Arbeit.Wir dürfen in der Pflege die einzelnen Gruppen nicht ge-geneinander ausspielen.
Ich sage Ihnen ganz offen: Ein gutes Wort und dieZeit, den zu pflegenden Menschen einmal zuzuhören,ohne dass dabei gepflegt wird,
hilft diesen Menschen oft mehr als das Waschen, Rasie-ren und Saubermachen. Die menschliche Komponentewird vom Betreuer genauso geleistet wie von der ausge-bildeten Pflegekraft.
– Wenn Sie eine Zwischenfrage haben, können Sie diesejederzeit stellen. Aber das Zwischenrufen nervt. – Eskam überhaupt nicht zur Sprache, dass wir zahlreicheMaßnahmen unternommen haben, die Pflege unbürokra-tischer zu machen. Wir haben dafür gesorgt, dass je-mand, der zu Hause einen anderen Menschen pflegt,aber kurzfristig verhindert ist, im Rahmen der Verhinde-rungspflege und der Kurzzeitpflege eine professionellePflegekraft organisieren oder den zu pflegenden Men-schen in eine Pflegeeinrichtung bringen kann. Die Tatsa-che, dass man ständig im Druck ist, wenn man für dieEltern die Pflege übernimmt oder organisiert hat, dassman dann, wenn etwas dazwischenkommt, gar nichtweiß, wie es weitergeht, das ist einer der Hauptstressfak-toren in der Pflege überhaupt. Viele Menschen sind inPflegeeinrichtungen, weil die Leute den Stress nicht be-wältigt bekommen, die Pflege auch dann ständig vorhal-ten zu müssen, wenn es gerade nicht geht. Dem begeg-nen wir mit der deutlichen Flexibilisierung und Stärkungder Verhinderungs- und der Kurzzeitpflege. Das ist einewesentliche Entbürokratisierung.
Das ist das, was die Menschen, die Angehörigen und diezu Pflegenden, wünschen. Darauf sind wir eingegangen.Das wurde hier mit keinem Wort gewürdigt.
Das gilt genauso für die sogenannten Entlastungsleis-tungen. Wir machen es jetzt zum Beispiel möglich, dassman die Betreuungsleistung umwidmen kann, indemman einfach für jemanden einkaufen geht. Wenn Sie sichdie Reform konkret vorstellen – es sind hier ja oft nurSchlagworte, die vorgetragen werden –, dann betrifft dasjemanden, der einkaufen geht und für jemanden sorgt.Hier kann die Leistung abgerechnet werden, auch wennes keine Betreuung ist. Wenn jemand Papierkram erle-digt, zu einem Amt geht und so, dann kann das dem-nächst abgerechnet werden. Das ist von uns auch einVertrauensbeweis gegenüber den Angehörigen. Dennwir gehen nicht davon aus, dass das ausgenutzt wird.Wir vertrauen den Angehörigen und den Pflegenden,dass sie in dieser Zeit tatsächlich auch etwas für den zuPflegenden machen. Da sagen wir, ihr müsst nicht nach-weisen, dass das immer nur Betreuungsleistungen sind,sondern diese sogenannten Ergänzungsleistungen, Ent-lastungsleistungen sind alles Maßnahmen, die im Kon-kreten den Stress in der Familie und bei den zu Pflegen-den wegnehmen. Das halte ich für richtig. Das sindunbürokratische und gute Wege.
Der Begriff der Pflegebedürftigkeit wurde schon er-wähnt. Da wird immer kritisiert, er kommt nicht schnellgenug usw., usf. Machen wir uns doch nichts vor: Essind 2,5 Millionen Menschen, auf die der neue Pflegebe-dürftigkeitsbegriff langfristig angewendet wird. Wirwollen sicherstellen, dass niemand weniger bekommt,als ihm zusteht. Niemand soll schlechtergestellt werden.
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4350 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 47. Sitzung. Berlin, Freitag, den 4. Juli 2014
Dr. Karl Lauterbach
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Das muss in der Praxis funktionieren. Dieses Projekt hauruck einzuführen, wäre doch völlig unverantwortlich ge-wesen.
Machen wir uns doch nichts vor: Das ist die größte Ver-änderung in der Art und Weise, wie wir eine Sozialleis-tung bezahlen. Wir wollen ja, dass die Dinge unbürokra-tischer und besser werden. Es wäre rücksichtsloser,unverantwortlicher Populismus gewesen, wenn wir,ohne das in den Regionen auszutesten, dem „Druck derStraße“ nachgegeben und im Hauruckverfahren einenneuen Pflegebedürftigkeitsbegriff eingeführt hätten.
– Obwohl Sie hierzu nicht einen einzigen konkreten Vor-schlag zur Pflegereform vortragen können, erwarten Sievon uns, für die gesamte Bevölkerung ein kompliziertesSystem einzuführen, ohne dass wir es ausgetestet haben.Diese Verantwortungslosigkeit haben wir nicht. Wir ste-hen dazu. Wir führen das zu dem Zeitpunkt ein, an demes angemessen ist, und zwar so schnell wie möglich.Dieses Vertrauen haben wir verdient.
Ich komme auch noch zu dem Pflegevorsorgefonds.Ich sage dazu schlicht und ergreifend meine persönlicheMeinung. Wir werden das diskutieren. Das ist ganz klar.Das geht in diese Runden hinein, in denen wir alles ver-bessern wollen. Aber ich sage einmal das, was ich per-sönlich denke. Ich persönlich finde den Vorschlag nichtfalsch. Denn wir müssen Folgendes bedenken: Wir wer-den in 30 Jahren folgende Situation haben: Die Men-schen werden durch sinkende Renten von Altersarmutbedrängt werden, die Familien werden zum Teil zerbrö-ckelt sein, höhere Scheidungsquoten, weniger Kinder.
– Hören Sie doch einfach zu! – Die Differenz zwischendem, was eine Familie dann finanziell und menschlicheinbringen kann, und dem, was dann gefordert wird,wird für die Babyboomer-Generation größer sein als fürjede andere Generation davor.Daher halte ich es persönlich nicht für falsch, dass wireinen Teil dieses Geldes – es sind ja nur 20 Prozent derAusgaben, die wir jetzt beschließen – zurücklegen unddann verbrauchen, wenn es die Leute benötigen. Dasgibt auch eine gewisse Sicherheit. Insoweit bin ich fürjeden zusätzlichen Vorschlag dankbar. Aber wir stehenauch in diesem Punkt zum Koalitionsvertrag. Wir wer-den das diskutieren, aber wir stehen zum gesamten Pa-ket. Ich glaube, dass wir insgesamt ein Paket vortragenwerden, das die Pflege entbürokratisiert, das die Pflegeein Stück weit nachhaltiger macht und das die Pflegemenschlicher macht. Davon bin ich überzeugt.Vielen Dank.
Vielen Dank. – Nächste Rednerin ist Maria Klein-Schmeink, Bündnis 90/Die Grünen.
Liebe Präsidentin! Liebe Kollegen! Ich glaube, hierim Haus fehlt es nie an wertschätzenden Worten für diePflege.
Aber an entscheidenden wertschätzenden Taten herrschtseit Jahrzehnten in diesem Haus ein großer Mangel; dasmüssen wir feststellen.
In der heutigen Diskussion geht es zum größten Teil umdie massiven Versäumnisse in den letzten acht Jahren.Deshalb müssen wir davon sprechen, dass die Pflege amBoden liegt und dass die Pflegekräfte und die Familien-angehörigen nicht mehr können.
Das ist eigentlich die Grundsituation, über die wir nunreden und die Sie überall vor Ort erleben.Dann haben Sie sich als Union in der letzten Legisla-turperiode in einem lang andauernden Streit mit der FDPerlaubt, die Probleme im Pflegebereich auszusitzen. Siehaben nichts Materielles auf den Weg gebracht. Sie ha-ben nur kleinste Korrekturen vorgenommen und bei-spielsweise Stellen für Entlastungskräfte geschaffen.Das ist tatsächlich nicht die Lösung des Problems. Des-halb reden wir hier so kontrovers über den Pflegebe-reich.Karl Lauterbach, es ist sicherlich schön, staatstragendzu reden. Wenn man in einer Großen Koalition ist, istdas vielleicht auch notwendig. Aber ich muss wirklichsagen: Die gleiche Rede, die Frau Scharfenberg eben ge-halten hat, hätten Sie vor einem Jahr genauso gehalten.Das halten wir fest.
Kommen wir zum nächsten Punkt. Nachdem Sie sichendlich durchgerungen haben, meine Damen und Herrenvon der CDU/CSU, eine Erhöhung des Beitragssatzes inder Pflegeversicherung um insgesamt 0,5 Prozentpunkteund eine Ausweitung des Leistungskatalogs zu beschlie-ßen, erlauben Sie sich, davon etwas für ein teures Sym-bolprojekt abzuzwacken – es ist ein Drittel der Mehrein-nahmen aus der Erhöhung um 0,3 Beitragssatzpunkte ab1. Januar 2015 –, das kein einziges Problem lösen wird,
weder bei den Angehörigen noch bei den Pflegekräftenund auch nicht bei uns, den Finanziers und Beitragszah-lern. Was nutzt es mir, wenn ich 2035 einen um0,14 Prozent geringeren Beitrag zur Kranken- und Pfle-
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 47. Sitzung. Berlin, Freitag, den 4. Juli 2014 4351
Maria Klein-Schmeink
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geversicherung zahle? Das ist Irrsinn, was Sie hier ma-chen. Sie parken das Geld quasi weg, das wir dringendfür Entlastungen im Pflegebereich brauchen. Das ist derentscheidende Punkt.
Nun kommen wir zum nächsten Punkt. Sie heben sehrstark auf die Entlastung der Angehörigen ab. Es ist si-cherlich richtig, die verschiedenen Instrumente, die wirheute haben, für die Entlastung zu flexibilisieren. Eswäre überhaupt nicht nachvollziehbar, das nicht zu tun.
Darauf kann man sich aber nicht ausruhen. Wer sinddenn diese zusätzlichen Betreuungs- und Assistenz-kräfte? Ich kenne – wahrscheinlich genauso wie JensSpahn – sehr viele solcher Kräfte bei uns im westlichenMünsterland. Es handelt sich in der Regel um erfahreneHausfrauen, die nach der Familienphase und mit einerBezahlung in Höhe von 400 Euro in den entsprechendenEinrichtungen arbeiten. Das ist aber kein Zukunftskon-zept. Wir brauchen auf Dauer andere Wege, wenn wirdiesen wichtigen Teil abdecken wollen.
Denn bei diesem Konzept wird darauf gesetzt, dass dieseFrauen beispielsweise nicht in die Rentenversicherungeinzahlen und nicht in einem regulären Vollzeitarbeits-verhältnis stehen. Es handelt sich also um prekäre Be-dingungen, auf die wir nicht grundsätzlich setzen kön-nen.
Frau Mattheis pocht nicht umsonst darauf, das Geld,das Sie nun im Vorsorgefonds parken wollen, beispiels-weise für die Verbesserung der Ausbildung der Pflege-kräfte auszugeben. Wenn ich heutzutage ein Pflegesemi-nar besuche, dann sagen mir die Teilnehmer: Ich lernehier etwas, was ich eigentlich gerne tun würde. Aber ichweiß schon heute, dass ich unter den hier herrschendenArbeitsbedingungen niemals länger als zehn Jahre arbei-ten werde. – Das ist unwürdig für unsere Gesellschaft.Das dürfen wir nicht erst am Ende der Legislaturperiodeändern, sondern das müssen wir schnell angehen.
Aber wahrscheinlich werden wir erleben, dass die Er-weiterung und die Neufassung des Pflegebegriffs, derendlich für mehr Zeit in der Pflege sorgen könnte, erst2017, also am Ende der Legislaturperiode, kommen wer-den. So sieht die Situation aus. Dann müssen wir unsauch ehrlich damit befassen und dürfen nicht nur drumherumreden.
Vielen Dank. – Nächster Redner ist Jens Spahn,
CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Das Thema der Pflege und die Frage, welche Herausfor-derungen Pflege für jeden Einzelnen bedeutet, sind mitt-lerweile in jeder Familie angekommen. Jeder hat alsPartner, als Kind, als Enkelkind erlebt, was es physischund psychisch für eine Familie bedeutet, wenn jemandpflegebedürftig wird. Was heißt es eigentlich, pflegebe-dürftig zu sein?Am Ende heißt es, die Dinge des Alltags – waschen,aufstehen, essen – nicht mehr alleine tun zu können. Dasist, glaube ich, eine Erkenntnis, die für jemanden, derdies nach 75, 80 oder 85 Jahren im Safte nicht mehrkann, ganz schwierig ist; sie ist nicht nur für den Betrof-fenen selbst schwierig, sondern auch für die Angehöri-gen. In dieser Situation Unterstützung zu leisten, ist das,was Pflegeversicherung am Ende tun soll. Wir könnenden Schicksalsschlag der Pflegebedürftigkeit nicht ir-gendwie ungeschehen machen, aber wir können so gutes geht Unterstützung für die Familien, für den Pflege-dienst der Nation, leisten. Das Pflegestärkungsgesetz,das wir heute beraten, leistet einen ganz wichtigen Bei-trag dazu, Familien und Pflegebedürftige in ihrer Situa-tion zu unterstützen.
Kollege Lauterbach hat recht: Da helfen nicht diegrundsätzlichen wolkigen Worte, sondern es brauchtganz konkrete Verbesserungen für die Pflegebedürftigen,ihre Angehörigen und die Pflegekräfte.Wenn man einmal schaut, Frau KolleginScharfenberg, was wir denn konkret tun, dann wird maneine ganze Menge sehen. Das eine ist der ambulante Be-reich. Ich habe gerade gesagt: Die Familien sind derPflegedienst der Nation. Für die werden wir ganz kon-krete Verbesserungen haben. Wir werden mehr Betreu-ungsleistung haben. Sie sagen, das sei nichts, aber ichglaube, dass es für viele wichtig ist, drei, vier oder fünfStunden Entlastung zu haben, zu wissen, dass man vonzu Hause weg kann und sich einmal mit Freundinnentreffen kann, dass man einkaufen gehen kann oder ein-fach den Kopf von der 24-Stunden-Pflege freibekommenkann, weil man weiß, dass jemand da ist und sich zuHause um den Pflegebedürftigen kümmert. Das ist fürdie, die konkret betroffen sind, eine große Hilfe. Es istkleinkariert, wie Sie, Frau Scharfenberg, das hier geradekritisiert haben.
Es ist auch eine konkrete Hilfe, dass zum 1. Januar2015 mehr Geld für die Familien zur Verfügung steht,weil wir die Sätze um 4 Prozent erhöhen, und es zusätz-liche Flexibilität gibt – Stichwort Verhinderungs-, Kurz-zeitpflege –, also das, was man braucht, um einmal eine
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4352 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 47. Sitzung. Berlin, Freitag, den 4. Juli 2014
Jens Spahn
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Auszeit für zwei oder drei Wochen nehmen zu können,was ganz wichtig ist. Wir erhöhen die Mittel – Geld, dasdirekt bei den Betroffenen ankommt –, wir erhöhen dieFlexibilität. Das hilft den Menschen konkret. Ich finde,das kann man auch einmal in einer solchen Debatte aner-kennen. Man muss nicht alles schlechtreden.
Das Gleiche gilt für die stationären Einrichtungen.Die Betreuungskräfte leisten nicht die klassische Pflege,und das sollen sie auch nicht, sondern sie sind da zur zu-sätzlichen Unterstützung, um Gespräche zu führen oderum mit den Pflegebedürftigen spazieren zu gehen. Sieentlasten damit die Pflegekräfte und machen insgesamtmöglich, dass mehr Zeit für den Einzelnen da ist. Das istes, was übrigens aus allen Pflegeeinrichtungen berichtetwird.
Wenn Sie einmal vor Ort sind, dann werden Sie hören,dass alle sagen: Es war eine der besten Maßnahmen derletzten Jahre, dass es diese Betreuungskräfte gibt. – Wirwollen die Zahl der Betreuungskräfte mehr als verdop-peln. Das sind ganz konkrete Verbesserungen. Mankönnte einmal anerkennen, Frau Kollegin Scharfenberg,wie wir den Menschen helfen.
Seit zehn Jahren und länger wird über Bürokratieab-bau geredet. Wir haben jetzt endlich beschlossen, dassnicht mehr alles aufgeschrieben wird, was den ganzenTag in der Pflege geleistet wird, sondern, um es einfachzu formulieren, es wird nur noch dokumentiert, was un-gewöhnlich oder anders als sonst ist. Nach allem, waswir wissen, reduziert das die Bürokratie um mehr als einDrittel. Selbst wenn es nur die Hälfte davon ist, wäre daseine deutliche Verbesserung. Zum ersten Mal gibt es ei-nen konkreten Vorschlag, wie der Alltag der Pflegekräfteverbessert werden kann. Diesen Vorschlag müssen wirjeder einzelnen Pflegeeinrichtung unterbreiten, damit dieVerbesserungen konkret spürbar werden.
Es ist einfach kleinkariert, was Sie gerade abgelieferthaben. Sie haben nicht eine der konkreten Verbesserun-gen, die den Menschen und den Pflegebedürftigen hel-fen, gewürdigt,
sondern Sie haben pauschal alles vom Tisch gewischt.Wenn das das Niveau ist, auf dem Sie die Debatte in dennächsten Wochen führen wollen, dann bitte schön. Ichglaube, wir haben gute Argumente und konkrete Vorha-ben, die zeigen, dass wir wollen, dass es den Menschenin der Pflege ab dem 1. Januar besser geht. Wenn Sie,Frau Scharfenberg, pauschal bei Ihrer Position bleiben,dann glaube ich nicht, dass das bei den Menschen an-kommen wird.
Wir werden jetzt in zwei Schritten – auch darauf isthingewiesen worden – 6 Milliarden Euro mehr in derPflegeversicherung ausgeben. Das ist bei einem System,das heute einen Umfang von 22 Milliarden Euro hat,enorm. Das ist eine Erhöhung um ein gutes Viertel.
Sie haben mit einem recht: Geld allein bringt nichts.Aber ohne zusätzliches Geld wird es auch nicht gehen.Deswegen ist das ein sehr wichtiger, großer Schritt, denwir auch immer angekündigt haben; denn in einer älterwerdenden Gesellschaft werden für das gesellschafts-politische Megathema Pflege am Ende alle mehr Geldbrauchen.Jetzt kommt es darauf an – ich glaube, die genanntenBeispiele haben es deutlich gemacht –, dass dieses Geldam Bett ankommt, bei den Pflegebedürftigen, und nichtbei den Sozialhilfeträgern, dass es nicht irgendwo imSystem versickert, sondern ganz konkret am Bett inLeistungsverbesserungen, in zusätzliche Betreuungs-kräfte, in mehr Zeit investiert wird. Die Maßnahmen, diewir hier vorschlagen, stellen genau das sicher. Wir wol-len das zusätzliche Geld ganz konkret bei den Menschenhaben. Es soll mehr Zeit, mehr Pflege, mehr Betreuungbringen.
Das stellen wir sicher, auch wenn viele gerne gesehenhätten, dass das Geld an anderer Stelle ausgegeben wird.
Nun zum Pflegebedürftigkeitsbegriff. Sie wissen ganzgenau, Frau Scharfenberg, dass man – auch wenn jetztzwei Gutachten vorliegen; das sagen die Pflegewissen-schaftler und die anderen Sachverständigen selber –nicht vom einen auf den anderen Tag hätte regeln kön-nen, dass Demenz und andere Einschränkungen im Alterbesser berücksichtigt werden.
Eines machen wir nicht – das ist ganz wichtig –: Wir ma-chen kein Experiment mit 1 Million Menschen.
Jedes Jahr wird 1 Million Menschen in Deutschland inder Pflegeversicherung neu daraufhin angeschaut, wel-che Unterstützung sie brauchen. Da machen wir nichtmal eben, nur weil es ein theoretisches Gutachten gibt,ein Gesetz, in dem wir regeln, was wir mit diesen Men-schen machen. Möglicherweise stellen sich dann einigeschlechter; es gibt Unklarheiten und viel Durcheinander.Stattdessen untersuchen wir gerade in diesen Wochenparallel in der Praxis, in Studien, was sich konkret– nicht nur in der Theorie, sondern auch in der Praxis –
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 47. Sitzung. Berlin, Freitag, den 4. Juli 2014 4353
Jens Spahn
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(B)
ändert, um vor einer gesetzlichen Regelung herauszufin-den, welche Folgen das hat. Das ginge – das wissen Sieganz genau – nicht von heute auf morgen. Wir machendas mit der nötigen Gründlichkeit. Ich glaube, damit istden Menschen am Ende am besten geholfen.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage der
Kollegin Scharfenberg? – Bitte schön.
Vielen Dank, dass ich die Zwischenfrage noch stellen
darf. – Lieber Herr Kollege Spahn, Sie haben jetzt wun-
derbar ausgeführt, dass man das nicht von heute auf
morgen regeln und den Menschen überstülpen kann,
dass das ein sehr großer Umschwung und eine sehr
große Aufgabe ist. Wann ist Ihnen denn diese Erkenntnis
gekommen? Sie sind jetzt seit acht Jahren in der Regie-
rung. Die Vorschläge liegen uns seit Jahren vor. Wenn
man vor vier Jahren angefangen hätte, sich damit aus-
einanderzusetzen, dann wären wir jetzt an dem Punkt,
dass wir das umsetzen könnten. Ich kritisiere nicht, dass
es Modellvorhaben gibt, sondern ich kritisiere den Zeit-
punkt; ich kritisiere, dass es die erst jetzt gibt. Wann ist
Ihnen die Erkenntnis gekommen, und hätte das nicht
schon vor vier Jahren stattfinden können? Dann wären
wir und die Menschen im Land schon ein ganzes Stück
weiter.
Zunächst einmal sind wir und die Pflegebedürftigen
schon ein ganzes Stück weiter, denn wir haben in den
letzten Jahren, auch im Vorgriff auf diese Debatte, schon
viele zusätzliche Leistungen ermöglicht. Ich habe gerade
schon einige Leistungen für Menschen mit Demenz dar-
gestellt; es ist ja nicht so, als ob es heute gar keine Leis-
tungen gäbe. Weil wir wussten, dass diese Debatte noch
Zeit braucht, haben wir in den letzten Jahren im Vorgriff
bereits viele konkrete zusätzliche Verbesserungen auch
für Menschen mit Demenz beschlossen.
Zum Zweiten wissen auch Sie, dass das erste Gutach-
ten aus der vorletzten Legislatur nicht gereicht hat. Frau
Ministerin Schmidt, die seinerzeit im Amt war, hat da-
mals gesagt, damit könne man noch nichts konkret um-
setzen. Deswegen haben wir in der letzten Legislatur
weiter daran gearbeitet. Dass im Beirat alle, bis auf ei-
nen, wieder mitgemacht haben, macht deutlich, dass alle
erkannt haben, dass der Bedarf, weiter an diesem Thema
zu arbeiten, vorhanden ist. Jetzt haben wir die Basis.
Man kann immer sagen: zu spät; hätte schneller gesche-
hen müssen. Aber jetzt haben wir die Basis, das gründ-
lich und vernünftig zu machen. Wir tun das, und das ist
das, was Sie eigentlich wurmt: dass wir es sind, die das
jetzt vernünftig umsetzen.
Das bringt mich abschließend zu dem Thema Vorsor-
gefonds, Vorsorgen für die Zukunft. Der Jahrgang 1964
ist der geburtenstärkste Jahrgang, den Deutschland je-
mals hatte. 1,4 Millionen Menschen wurden 1964 gebo-
ren; Sie werden nie wieder so häufig zu 50. Geburtsta-
gen eingeladen wie dieses Jahr. Wir wissen schon jetzt,
ab wann die alle etwa pflegebedürftig werden. Das Ri-
siko, pflegebedürftig zu werden, besteht meistens ab 75,
80 Jahren. Wir wissen gleichzeitig, dass es zu diesem
Zeitpunkt in Deutschland deutlich weniger Beitragszah-
ler geben wird als heute. Da ist es doch vernünftig, Vor-
sorge zu betreiben! Wenn man weiß, dass in den nächs-
ten Jahren die Situation eintreten wird, dass wir
besonders hohen Unterstützungsbedarf haben, weil es in
Deutschland besonders viele Pflegebedürftige und
gleichzeitig viel weniger jüngere Menschen, die Bei-
träge zahlen können, geben wird, dann ist es doch kluge
Politik, über vier Jahre hinauszudenken und zu sagen:
Wir sorgen vor, wir sparen an, und zwar nicht nur zum
Schutz der Beitragszahler, sondern vor allem zum
Schutz der Pflegebedürftigen der Zukunft. Denn über-
mäßige Beiträge würden am Ende auch Debatten über
Leistungskürzungen bedeuten. Es braucht diesen Fonds,
um auch die in der Zukunft Pflegebedürftigen zu unter-
stützen. Deswegen wollen und werden wir ihn gemein-
sam, wie dargestellt, schaffen.
Das ist Ihr Prinzip: Sie wollen das Geld am liebsten
heute ausgeben. Es gibt viele Vorschläge, wie man das
Geld, das wir jetzt sparen, heute noch zusätzlich ausge-
ben kann. Sie leben eh im Vorgestern. Diese Koalition
denkt an morgen. Wir denken an die Zukunft. Wir führen
zum ersten Mal in einem sozialen Sicherungssystem in
Deutschland eine Säule ein, durch die zum Ausdruck ge-
bracht wird, dass wir nicht nur an heute denken, dass wir
nicht nur – in der Vergangenheit zu Recht erworbene –
Ansprüche bedienen; vielmehr sorgen wir auch dafür,
dass dieses System fit für die Zukunft ist. Ich glaube, die
Basis für die Beratungen der nächsten Wochen ist gut.
Vielen Dank. – Nächste Rednerin ist Mechthild
Rawert, SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Gesagt,getan: Die SPD setzt sich schon seit langem mit demThema Pflege auseinander. Gesundheitsministerin UllaSchmidt hat das Recht auf Beratung eingeführt, Pflege-stützpunkte, den Beirat zur Pflegebedürftigkeit, die Ein-richtungen zur Prüfung von Qualität und, und, und.Ohne das wäre es nicht möglich, dass wir heute dieses
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4354 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 47. Sitzung. Berlin, Freitag, den 4. Juli 2014
Mechthild Rawert
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erste Pflegestärkungsgesetz überhaupt auf den Weg brin-gen könnten.
Die SPD hat in Regierungs- und auch in Oppositions-zeiten gründlich gearbeitet. Wir sind konstant am Ballgeblieben. Wir haben im Wahlkampf die 0,5-Prozent-Beitragssatzerhöhung gefordert. Ich bin dankbar, dassdiese Koalition diese Forderung jetzt umsetzt; denn dasist die Grundlage dafür, dass wir mittlerweile über zu-sätzlich 6 Milliarden Euro für den Bereich Pflege verfü-gen.
Wir haben schon vorhin über den Pflegebedürftig-keitsbegriff gesprochen. Ja, seit Einführung der Pflege-versicherung wird darüber gesprochen, dass wir eineAusweitung von den somatischen über die kognitivenbis hin zu den psychischen Einschränkungen brauchen.Das ist richtig; denn wir wollen mehr Selbstständigkeit.Wir wollen soziale Teilhabe, und wir wollen eine stär-kere Orientierung an Kommunikation.Gesagt, getan: Dieses Pflegestärkungsgesetz bringtmehr und bessere Leistungen für Pflegebedürftige, füran Demenz Erkrankte. Vor allen Dingen bringt es mehrund auch zusätzliche Leistungen für pflegende Angehö-rige.Vorhin ist gesagt worden, das wäre alles nichts, undauch wir würden es letztendlich als zu kleines Paket be-trachten. Es ist richtig – ich habe schon mitbekommen,dass die Koalitionsvereinbarung intensiv gelesen wordenist –: Diese Debatte heute, die erste Lesung dieses Ge-setzentwurfs, ist ein Aufschlag:Erstens. Wir werden ein zweistufiges Verfahren zurReform der sozialen Pflegeversicherung haben. Wir wer-den damit eine Dynamisierung des Leistungsrechts her-beiführen und somit mehr Geld – 4 Prozent zusätzlichsind nicht zu unterschätzen – zur Verfügung stellen unddamit den Eigenfinanzierungsanteil tatsächlich senken.Zweitens. Wir werden – es steht in der Koalitionsver-einbarung; es ist also schon vereinbart – ein neues Pfle-geberufegesetz auf den Weg bringen.
– Keine Panik, Maria. Wir werden es haben, und wirwerden uns gegen Ende dieser Legislaturperiode dieHände schütteln. – Ein solches Gesetz sorgt für mehrQualität durch mehr Fachkräfte. Alle wissen: In die Pfle-geausbildung muss investiert werden. Wir wollen – auchdas steht in der Koalitionsvereinbarung – kein Schulgeldmehr, und wir wollen mehr horizontale und auch verti-kale Durchlässigkeit im Kontext der Pflegeausbildung.
Drittens. Wir wollen eine qualifiziertere, wohnortnahePflegeberatung. Wir wollen einen Ausbau der Pflegestütz-punkte. Ja, die Zukunft der Pflege liegt im Quartier. Aberauch das steht letztendlich in unseren Vereinbarungen.Viertens. Wir wollen eine Entlastung der Menschen inden Pflegeberufen erreichen, unter anderem durch Per-sonalmindeststandards. Ich selber bin keine Anhängerindieser Flashmobs, wo man sich freiwillig auf den Bodenlegt, um damit zu symbolisieren: Tritt doch auf michdrauf! Vielmehr bin ich eine Anhängerin davon, Pflegetatsächlich stark zu machen, etwas, was hier in der Cha-rité geschieht, das übrigens bundesweit als gutes Bei-spiel dienen kann. Das halte ich für einen sehr viel sinn-volleren Weg.Ich finde es auch richtig – das ist eine der Forderun-gen, die wir haben –, dass in der Pflege Tariflöhne ge-zahlt werden müssen, einmal abgesehen vom Pflegemin-destlohn. Das ist noch eine andere Baustelle, die aberschon bearbeitet worden ist.Wir sagen auch, Tariflöhne dürfen nicht so angesehenwerden, dass hinterher jemand sagt: Das ist ein unwirt-schaftliches Verhalten. – Das ist tatsächlich ein Punkt,über den wir noch reden müssen.Wir werden – fünftens – selbstverständlich auch et-was zur Vereinbarkeit von Pflege und Beruf tun. Diemeisten Angehörigen sind erwerbstätig, und wir sagennatürlich nicht – das gilt nicht nur für die Männer, son-dern insbesondere für die Frauen –: Geht alle wieder inden Haushalt zurück. Gebt eure Erwerbstätigkeit auf. –Nein, wir suchen nach Wegen der Vereinbarkeit. Deswe-gen gibt es ja den Rechtsanspruch auf Pflegezeit. Wirwerden ihn ausbauen. Vor allen Dingen werden wir einegesetzlich geregelte zehntägige bezahlte Auszeit fürpflegende Angehörige einführen. Auch das ist Bestand-teil der großen Baustelle Pflege.Pflege ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Ichsage das nicht nur, weil mittlerweile jede und jeder ir-gendwie Ahnung davon hat bzw. in der Familie davonbetroffen ist, sondern ich sage das, weil derjenige, dervon einer würdevollen Pflege spricht, auch Verantwor-tung dafür übernehmen muss, dass diese würdevollePflege ausfinanziert wird und geleistet wird durch quali-fiziertes Personal, durch letztendlich liebevolle Angehö-rige, die das auch schaffen und für die es nicht nur einezusätzliche Belastung ist.
Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage der
Abgeordneten Zimmermann?
Ja.
Ich mache darauf aufmerksam: Das ist die letzte Zwi-
schenfrage, die ich in dieser Debatte zulassen werde.
Herzlichen Dank. – Frau Präsidentin! Liebe KolleginRawert, diese Frage muss jetzt natürlich kommen. Wennwir von Ausfinanzierung einer auskömmlichen Pflegereden, dann steht natürlich auch die Frage der solidari-
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Pia Zimmermann
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schen Bürgerinnen- und Bürgerversicherung im Raum.Die SPD hat das ja im Wahlkampf auch proklamiert. Eswar auch auf euren Fahnen zu lesen. Die Frage ist: Wannkönnen wir denn damit rechnen? Wann bringt ihr dasdenn in die Koalition ein, damit wir tatsächlich zu einerauskömmlichen Pflege kommen, die wirklich rundumfinanziert ist?
Die SPD hat das Konzept der Bürgerversicherung so-
wohl für den Bereich Gesundheit als auch für die soziale
Pflegeversicherung nicht aufgegeben. Wir haben aber
derzeit eine andere Koalitionsvereinbarung. Karl
Lauterbach hat vorhin gesagt, er sagte es persönlich.
Okay, dann sage ich es auch persönlich. Ich trete in kei-
nen Urheberstreit ein, wenn es um die Rechte für die
Pflegevorsorge geht. Das ist eindeutig „made by CDU/
CSU“. Das ist so. Aber das Konzept wird von uns spä-
testens im nächsten Wahlkampf weiter betrieben; denn
wir glauben an die Parität. Wir glauben an eine gerechte
Finanzierung. Wir glauben aber auch daran, dass es not-
wendig ist, jetzt viel Geld – über 4 Milliarden Euro – für
die Pflege bereitzustellen, und dass wir dieses auch um-
setzen müssen.
Es wurde vorhin ein bestimmtes Bild von Familien
beschrieben. Ich glaube nicht, dass – ich sage jetzt ein-
mal – die Familien in 20, 30 Jahren alle viel desaströser
sind oder Ähnliches mehr. Ich bin vielmehr davon über-
zeugt, dass eines den Bereich Pflege noch mehr heraus-
fordert, nämlich die Vielfalt der unterschiedlichsten Le-
benssituationen. Da sind selbstverständlich die Singles
zu nennen. Es gibt 15-jährige Enkeltöchter, die quasi als
Einzige in der Familie wissen, wie der Medikamenten-
plan für die Oma aussieht. Es gibt mittlerweile Wohnge-
meinschaften, wo die 102-jährige Mutter sich um das
Wohlergehen der 80-jährigen Tochter kümmert.
Es geht aber auch darum, diskriminierungsfreie
Räume zu schaffen: wie zum Beispiel den „Lebensort
Vielfalt“ hier in Berlin, wie zum Beispiel das Wohn- und
Lesbenprojekt „RuT – Rad und Tat“. Wir brauchen auch
in dieser Richtung viel mehr Ideen und Kompetenzen.
Wir brauchen eine kultursensible Pflege; denn eines
ist klar: Die Senioren und Seniorinnen aus dem Kreis der
Zugewanderten sind eine der größten Gruppen, die mitt-
lerweile – so sage ich jetzt einmal – in die Pflegebedürf-
tigkeit gehen. Aber unser Pflegesystem hat für deren
spezielle Bedürfnisse noch viel zu wenig Kompetenzen.
Ich sage auch – das war ein Punkt, der hier vorhin zur
Debatte geführt hat –: Ja, es bedarf noch der genaueren
Abgrenzung zwischen den Tätigkeiten der Betreuungs-
kräfte, der Entlastungskräfte und auch der Pflegefach-
kräfte. Nichtsdestotrotz: Wir werden dieses Thema noch
diskutieren. Wir werden auch noch andere Bereiche dis-
kutieren. Was ist zum Beispiel mit der Behandlungs-
pflege? Das können wir aber heute nicht mehr machen,
zumal meine Redezeit schon zu Ende ist.
Ich wünsche allen eine schöne Sommerpause. Ich
lade Sie ein: Laden Sie uns ein! Erzählen Sie uns von Ih-
ren Pflegeerfahrungen!
Frau Kollegin, die Redezeit ist abgelaufen.
Schaffen wir gemeinsam eine bessere Pflege!
Einen schönen Sommer!
Nächster Redner ist Erwin Rüddel, CDU/CSU-Frak-
tion.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damenund Herren! 20 Jahre Pflegeversicherung. Eben sind diefolgenden Begriffe gefallen: Pflege-Weiterentwicklungs-gesetz, Pflege-Neuausrichtungs-Gesetz, Pflegestärkungs-gesetz. Das sind alles Gesetze, die sehr eng mit derCDU/CSU verbunden sind. Liebe Frau KolleginScharfenberg, auch die Grünen haben in Deutschlandeine Zeit lang Verantwortung getragen, und in diesenJahren stand die Pflege nicht auf ihrer Agenda.Wir reden heute über die bedeutendste Reform der ge-setzlichen Pflegeversicherung seit ihrer Einführung. Wirsprechen über die umfassendste Leistungsverbesserungfür pflegebedürftige Menschen und ihre Angehörigen.Wir reden über verbesserte Arbeitsbedingungen für alle,die in der Pflege tätig sind. Wir sprechen über geeigneteMaßnahmen, um rechtzeitig dem demografischen Wan-del Rechnung zu tragen. Wir reden über mehr Qualität,mehr Geld, mehr Betreuung und mehr Hände für gutePflege in Deutschland.Die Pflegereform zählt zu den zentralen innenpoliti-schen Vorhaben der Koalition in dieser Legislaturpe-riode. Deshalb wollen wir den großen Wurf, und denwerden wir umsetzen, verehrte Kolleginnen und Kolle-gen von der Opposition. Diese Koalition hält ihr Wort,das sie den Pflegebedürftigen, den Angehörigen und denPflegekräften gegeben hat.
Auf die Details der Leistungsverbesserungen sindmeine Vorredner bereits ausführlich eingegangen.Dass wir bei der Reform in zwei Stufen vorgehen, da-für gibt es gute Gründe. Die Abkehr von der Minuten-pflege und die regelhafte Einbeziehung von an Demenzerkrankten Menschen kann sinnvoll erst nach wissen-schaftlicher Vorbereitung umgesetzt werden. Hier gehtGründlichkeit vor Schnelligkeit. Die neue Systematik
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4356 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 47. Sitzung. Berlin, Freitag, den 4. Juli 2014
Erwin Rüddel
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muss in sich schlüssig sein und einheitlich angewendetwerden. Das sind wir den Pflegebedürftigen schuldig;denn vom künftigen Pflegebedürftigkeitsbegriff sindHunderttausende von Menschen betroffen.Deshalb ist es richtig, das neue Begutachtungsverfah-ren in Modellversuchen auf seine Praxistauglichkeit zuprüfen. Im Ergebnis werden alle, die ab einem bestimm-ten Stichtag pflegebedürftig werden, nach den neuen Be-dingungen begutachtet werden. Alle diejenigen, die be-reits eine Pflegestufe haben, erhalten Bestandsschutz.Bereits mit dem Pflege-Neuausrichtungs-Gesetz habenwir Grundlagen für Verbesserungen zugunsten an De-menz erkrankten Menschen gelegt. Diesen Weg gehenwir mit dem Pflegestärkungsgesetz konsequent weiter.Ich sage es noch einmal: Die Koalition hält ihr Wort undwird noch vor Ende der Legislaturperiode die zweiteStufe der Reform verabschieden, durch die Menschenmit demenziellen Erkrankungen in der Pflegeversiche-rung entscheidend besser gestellt sein werden.
Meine Damen und Herren, gestatten Sie mir nocheine Bemerkung zum Thema Bürokratieabbau und Do-kumentation. Die Ombudsfrau für Entbürokratisierungin der Pflege, Frau Beikirch, hat hervorragende Arbeitgeleistet. Jetzt kommt es darauf an, die Ergebnisse mög-lichst rasch mit allen Beteiligten umzusetzen. WenigerBürokratie bedeutet mehr Zeit für Zuwendung.
Die Dokumentation muss auf das Maß reduziert wer-den, das zur Qualitätssicherung wirklich notwendig ist.Es muss uns um die Qualität der Ergebnisse gehen, umdas Wohlbefinden, die Gesundheit und die Selbststän-digkeit von Pflegebedürftigen und weniger um dieStrukturqualität. Die Dokumentation sollte deutlich re-duziert werden, indem nur bei Abweichungen vom Re-gelfall Dokumentation notwendig ist.
Ich denke in diesem Zusammenhang auch an das so-genannte Wingenfeld-Modell. Hier liegt der Fokus da-rauf, wie sich der Pflegezustand eines Bewohners imLaufe der Zeit verändert und wie sich die Pflege im Ein-zelfall konkret auswirkt, soweit das von den Mitarbei-tern beeinflusst werden kann. Wichtig ist mir vor allem,dass wir Qualität, Bürokratieabbau und Transparenz inder Pflege nicht gesondert betrachten, sondern als Drei-klang. Dazu gehört auch die Harmonisierung der Prüf-kriterien der Medizinischen Dienste der Krankenkassenund der Heimaufsicht.
Meine Damen und Herren, auch die Pflege kann nichtisoliert betrachtet werden. Wir müssen deshalb die Zu-kunft der Pflege innerhalb von Strukturen planen, in de-nen ambulante und stationäre Versorgung in der Pflegezusammenwirken. Ein Beispiel ist die zugehende ärztli-che Versorgung von Pflegebedürftigen oder Vorkehrun-gen für Notfallsituationen an den Wochenenden. Siehelfen dabei, den Bewohnern belastende Klinikeinwei-sungen zu ersparen. Wir werden zudem unsere großePflegereform mit einer ganzen Reihe weiterer Maßnah-men flankieren, wie dem Ausbau der Vorsorge in einemneuen Präventionsgesetz oder der Förderung von inno-vativen Versorgungsformen von niedergelassenen Ärz-ten oder Kliniken.Mit der Reform der Pflege und ihren Vorhaben imGesundheitswesen verfolgt diese Koalition eine weit-sichtige Politik, die sich konsequent an mehr Qualitätund am Nutzen für die Betroffenen orientieren wird.Vielen Dank.
Vielen Dank. – Letzter Redner zu diesem Tagesord-
nungspunkt ist der Kollege Erich Irlstorfer, CDU/CSU-
Fraktion.
Verehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen undKollegen! Wir besprechen heute die erste Stufe der Pfle-gereform; so möchte ich es nennen. Sowohl in der häus-lichen als auch in der stationären Pflege gibt es immermehr Menschen mit Demenzerkrankungen, was sich ineiner stärkeren Berücksichtigung im vorliegenden Ge-setzentwurf widerspiegelt. Über zwei Drittel aller Pfle-gebedürftigen in Deutschland werden nach wie vor zuHause gepflegt. So viel dazu, dass Familie im Jahr 2014angeblich nicht mehr funktioniert. Ich kann nur sagen:Das ist das Leben des Generationenvertrages. Ich sageallen Angehörigen: Respekt und herzlichen Dank, dassSie sich tagtäglich dieser Aufgabe stellen.
Gesellschaftliche Veränderungen, neue Familien-strukturen sowie die berufliche Situation vieler pflegen-der Angehöriger erfordern Maßnahmen zur Stabilisie-rung und flexibleren Gestaltung der häuslichen Pflege,die wir heute auf den Weg bringen. Deshalb tun wir dasauch. Auch hinsichtlich der stationären Pflege bestehtVerbesserungsbedarf. Auch das gehen wir an. Hier erfol-gen weitere Verbesserungen der ergänzenden Betreuungder Pflegebedürftigen.Mit dem Gesetz werden viele notwendige Schritteaufgegriffen, auf die meine Vorredner bereits eingegan-gen sind. Besonders wichtig ist, dass in einer späterenzweiten Stufe dieser Pflegereform bis 2017 ein neuerPflegebedürftigkeitsbegriff eingeführt wird. Dies ist not-wendig, da der bisherige Pflegebedürftigkeitsbegriff reinsomatisch ausgerichtet war, nun aber auch andere we-sentliche Aspekte wie Kommunikation und soziale Teil-habe berücksichtigt werden können. Damit werden ins-besondere für Menschen mit Demenzerkrankungen oderpsychischen Problemlagen Verbesserungen einhergehen.Aber ich sage nochmals – das möchte ich unterstrei-chen –: „Satt und sauber“ ist nicht unsere Vorstellungvon stationärer Pflege. In unserer Vorstellung ist die hy-gienische Versorgung und eine alters- und patientenge-
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 47. Sitzung. Berlin, Freitag, den 4. Juli 2014 4357
Erich Irlstorfer
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rechte Ernährung eine Selbstverständlichkeit. Unser An-spruch ist eine individuelle und vor allem auchpersonifizierte Pflege, bei der das persönliche Gespräch,das kurze Innehalten am Pflegebett und somit auchNächstenliebe und Menschlichkeit von Pflegerinnen undPflegern regelmäßig gelebt werden können und nicht dieAusnahme sind.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie sehen: DieseBundesregierung setzt sich für eine massive Verbesse-rung im Bereich der Pflege ein. Das ist ein Hauptthemadieser Legislaturperiode und vor allem ein Zukunfts-thema für ganz Deutschland. Das dürfen wir nicht ver-schweigen, und wir lassen uns das auch nicht kleinreden.Aber ich sage auch: Die Pflegeversicherung hat einenTeilkaskocharakter. Staatliche Maßnahmen können hiernur eine Säule der Unterstützung bilden. Gerade daherist es notwendig, ein gewisses Erwartungshaltungsma-nagement zu betreiben und zu betonen, dass das alles nurein erster Schritt in die richtige Richtung ist. Es ist nichtmöglich, alles auf einmal zu erreichen. Doch unser tägli-ches Bestreben ist es, für Pflegebedürftige, für Angehö-rige und für Beschäftigte im gesamten Pflegebereichdeutliche Verbesserungen herbeizuführen, die auchwirklich ankommen.Es gibt im Bereich der Pflege auch weitere wichtigeFelder, auf denen Handlungsbedarf besteht. Dazu gehörtvor allem die haus- und fachärztliche Versorgung. Hierstehen wir vor der Aufgabe, dass pflegebedürftige Men-schen immer noch zu oft für Routineuntersuchungen und-behandlungen in Krankenhäuser transportiert werdenmüssen. Dies führt zu einer erheblichen Belastung derPflegebedürftigen sowie zu enormen Kosten für das Ge-sundheitssystem. Weitere Schritte zur Verbesserung derSituation sind aber notwendig. Wir dürfen uns hier auchneuen Versorgungs- und Behandlungsformen nicht ver-schließen.Liebe Kolleginnen und Kollegen, nicht nur in diesemPunkt besteht Verbesserungsbedarf. Deshalb bauen wirzum einen auf eine konservative Strategie, die ich vorhinmit den Worten Nächstenliebe und Menschlichkeit be-schrieben habe. Zum anderen bauen wir auf eine innova-tive Strategie, die zum Beispiel auch auf digitale Lösun-gen bei der Pflege, vor allem bei der Dokumentation,setzt. Hier erkenne ich enorme Potenziale für telemedizi-nische Lösungen, die zu deutlichen Verbesserungen inder Betreuung und Behandlung führen können. Wirbrauchen ein Dokumentationssystem, das sich mehr anden wirklich wichtigen pflegerelevanten Bereichen aus-richtet und die Ergebnisqualität aufzeigt. Statt der reinenDokumentation müssen künftig der Zustand und der Be-darf des Menschen sowie die Frage, wie es ihm geht,stärker im Mittelpunkt stehen.
Vor diesem Hintergrund bin ich froh, dass wir inBayern Initiativen ergriffen haben, um den Bürokratie-aufwand im Pflegebereich zu verringern. Das Bayeri-sche Staatsministerium für Gesundheit und Pflege be-gleitet das Projekt Redudok von Einrichtungsträgern, derHeimaufsicht München und des MDK. Die Dokumenta-tions- und Kommunikationsstrukturen in Pflegeeinrich-tungen werden in diesem Projekt kritisch analysiert undAnregungen zum Bürokratieabbau erarbeitet.Aber auch auf Bundesebene wird das Thema enga-giert angegangen. Ich bin dem Patienten- und Pflege-beauftragten der Bundesregierung, Karl-Josef Laumann,dankbar, dass er sich gerade auch bei diesem Thema en-gagiert.Eine neue Pflegedokumentation, die den inhaltlichenund rechtlichen Anforderungen entspricht, ist entschei-dend, gerade auch für die Beschäftigten in der Pflege.Denn diese Dokumentation stellt klar, dass nicht jedeeinzelne Tätigkeit beschrieben werden muss und estrotzdem zu keinen negativen Haftungskonsequenzen fürden einzelnen Beschäftigten kommt. Auch das ist eineVerbesserung.
Diese Bundesregierung investiert nicht nur in Stra-ßen, Schienen und Gebäude – nein, diese Bundesregie-rung investiert in Menschen, in Bildung und Ausbildung,weil wir alle wissen, dass die demografische Entwick-lung einen Fachkräftemangel erstens schon bewirkt hatund sich dieser zweitens noch verschärfen wird.Gleichzeitig wissen wir, dass Pflegeberufe schwereBerufe sind, die leider oft finanziell und gesellschaftlichunzureichend anerkannt werden. Mit anderen Worten:Wenn wir wollen, dass eine angemessene Versorgung inder Pflege gewährleistet wird, müssen wir sicherstellen,dass wir genügend Pflegerinnen und Pfleger ausbildenund der Beruf so attraktiv ist, dass die ausgebildetenKräfte ihn gerne und lange ausüben.
Das heißt, dass sie Aufstiegsmöglichkeiten haben müs-sen, dass die Vereinbarkeit von Beruf und Familie ge-währleistet sein muss, und vor allem, dass sie anständigbezahlt werden und davon auch leben können müssen.
Herr Kollege, denken Sie bitte an die Redezeit.
Deshalb müssen wir nach der Sommerpause die Wei-chen stellen, wie wir die Pflegeausbildung neu definie-ren. Dazu brauchen wir aber auch die Bundesländer. Ichsage ganz deutlich: Monatliches Schulgeld für Auszubil-dende in der Pflege kann nicht die Antwort auf Pflege-kräftemangel sein.
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4358 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 47. Sitzung. Berlin, Freitag, den 4. Juli 2014
Erich Irlstorfer
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Meine sehr geehrten Damen und Herren, zum Schlussder heutigen Debatte – –
Aber jetzt bitte zum Schluss.
Jawohl. – Ein herzliches „Vergelts Gott“ an alle Be-
teiligten! Ich hoffe, Sie stimmen diesem Gesetzentwurf
zu. – Frau Präsidentin, herzlichen Dank.
Vielen Dank. Es ist immer so, dass wir alle gemein-sam die Redezeiten vereinbaren und deshalb auch allegehalten sind, sie einzuhalten.Ich schließe damit die Aussprache.Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen aufden Drucksachen 18/1798, 18/1600 und 18/1953 an diein der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorge-schlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Ich sehe, dasist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlos-sen.Ich rufe die Tagesordnungspunkte 27 a und 27 b auf:a) Beratung des Antrags der AbgeordnetenAnnalena Baerbock, Oliver Krischer, BärbelHöhn, weiterer Abgeordneter und der FraktionBÜNDNIS 90/DIE GRÜNENKohleausstieg einleiten – Überfälligen Struk-turwandel im Kraftwerkspark gestaltenDrucksache 18/1962Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Wirtschaft und Energie
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau undReaktorsicherheitAusschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Unionb) Beratung des Antrags der Abgeordneten EvaBulling-Schröter, Caren Lay, Dr. DietmarBartsch, weiterer Abgeordneter und der FraktionDIE LINKEEnergiewende durch Kohleausstiegsgesetz ab-sichernDrucksache 18/1673Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Wirtschaft und Energie
FinanzausschussAusschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau undReaktorsicherheitHaushaltsausschussNach einer interfraktionellen Vereinbarung sind fürdie Aussprache 96 Minuten vorgesehen. – Ich höre kei-nen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.Ich bitte jetzt die Kollegen, die den Saal verlassenwollen, dies zu tun.Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat AnnalenaBaerbock, Bündnis 90/Die Grünen.
Schönen guten Morgen, sehr verehrte Frau Präsiden-tin! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen!Wir brauchen einen… Entwicklungspfad des konventionellen Kraft-werksparks, der mit den klimapolitischen Zielender Bundesregierung im Einklang steht. Insbeson-dere muss vermieden werden, dass das nationaleKlimaschutzziel verfehlt wird, wenn erneuerbareEnergien ausgebaut und die Energieeffizienz ver-bessert wird, aber nicht im Gegenzug fossile Strom-erzeugung um- und abgebaut wird.
Jetzt müssten Sie von den Regierungsfraktionen ei-gentlich klatschen, weil das die Ansage aus dem Bun-desumweltministerium vom Frühjahr dieses Jahres ist,
geschrieben im Lichte des Weltklimaberichtes, der hierin Berlin vorgestellt wurde und sehr deutlich gemachthat: Einen unkontrollierbaren Klimawandel können wirnur verhindern, wenn der größte Teil der weltweitenKohlevorräte dort bleibt, wo er ist, nämlich unter derErde.
Es wundert nicht nur uns Grüne, dass ein paar Wo-chen nach der Veröffentlichung eines solchen Berichts,den die Bundesregierung offiziell entgegengenommenhat, in Brandenburg beschlossen wird, genau das Gegen-teil zu tun, nämlich bis 2040 weiter Kohle auszubuddeln,die man eigentlich unter der Erde lassen wollte. Daswundert, wie gesagt, nicht nur uns Grüne, sondern mitt-lerweile selbst die Amis.In der New York Times hieß es, dass es schon etwas„strange“ sei, also sehr merkwürdig und komisch, dassdie Kanzlerin auf der einen Seite beschließt, Klimapoli-tik wieder zur Vorreiterpolitik zu machen, und auf deranderen Seite in Ostdeutschland ganze Dörfer ausradiertwerden. Auch uns als Klimapolitikern – da schließe ichdie CDU/CSU und die SPD ein – ist es immer wiederpeinlich; denn wir haben, wenn wir auf internationalenKonferenzen angesprochen werden, wie es denn seinkönne, dass wir die erneuerbaren Energien ausbauen undunsere CO2-Emissionen trotzdem steigen, leider garkeine Antwort.
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 47. Sitzung. Berlin, Freitag, den 4. Juli 2014 4359
Annalena Baerbock
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Nachdem es die Amerikaner begriffen haben, müssenauch Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von CDU/CSU und SPD, begreifen: Deutschland kann nicht Ener-giewendeland werden wollen und gleichzeitig Kohlelandbleiben; das geht nicht.
Sie hätten gleich noch eine zweite Chance, das zu revi-dieren. Aber leider setzt sich Ihre energiepolitischeSchizophrenie im EEG weiter fort. Das Erneuerbare-Energien-Gesetz wird zu einem „Erneuerbaren-Be-schneidungs-Gesetz“ zum Schutz der Kohle. Das istwirklich absurd.
Da hilft es auch nichts, dass das Bundesumweltminis-terium jetzt ein Aktionsprogramm – mittlerweile heißt es„mittelfristiges Sofortprogramm“; auch sehr schizophren –auf den Weg bringen will – ich habe eingangs daraus zi-tiert –; denn es ist zu befürchten, dass das Wirtschafts-ministerium – der Minister selbst ist jetzt leider nicht da –auch diesmal wieder getreu nach dem Motto verfahrenwird: Was schert mich das Geschwätz aus dem Bundes-umweltministerium? Anders kann man nicht erklären,dass die Bundesumweltministerin sehr richtig ankündigt,dass 2 Milliarden Zertifikate aus dem ETS genommenwerden müssen,
aber die Bundesregierung in Brüssel die Position vertritt:Herausnahme von 900 Millionen Zertifikaten. Das reichtdefinitiv nicht aus. Das ist ein Affront gegen die Um-weltministerin.
Ähnlich ist es beim Entwicklungspfad für fossileKraftwerke. Das Umweltministerium kündigt das großan – sogar im Spiegel steht, man wolle jetzt aus der Koh-lekraft aussteigen –, aber wenn man dann die Bundesre-gierung konkret fragt, antwortet wieder das Bundeswirt-schaftsministerium. Dort heißt es: Nein, keineswegs, dieBundesregierung beabsichtige nicht, Kohlekraftwerkevom Markt zu nehmen. – Das passt doch vorne und hin-ten nicht zusammen.
Liebe SPD, Sie müssen sich jetzt wirklich einmal ent-scheiden, ob Ihre Umweltministerin in der Regierungnoch eine Rolle spielen soll oder ob Herr Gabriel dasjetzt alles einfach übernimmt. Sie müssen sich entschei-den, ob Umwelt- und Klimapolitik für Sie noch eineRolle spielen wird.
Denn ein bisschen Energiewende – das geht genauso we-nig wie: ein bisschen schwanger; man muss sich ent-scheiden, was man will. Sie sollten sich schnell entschei-den; denn die CDU/CSU hat sich leider – das müssenwir zu unserem großen Bedauern feststellen – von die-sem Thema verabschiedet.Merkel hat beschlossen:
Während andere Staats- und Regierungschefs in NewYork über das Weltklima diskutieren, möchte sie, FrauMerkel, lieber etwas anderes tun. Es heißt, sie habeWichtigeres zu tun.
– Da klatschen Sie auch noch? Das ist ja unglaublich.
– Das ist ja nett, dass sie wenigstens bei dem Begriff„Frau“ klatschen. Schön, dass Sie so an einzelnen Wör-tern hängen.
Sie müssen sich also entscheiden, mit welcher Posi-tion Sie nach New York reisen. Bisher ist unklar, wel-cher der SPD-Minister – Frau Hendricks, Herr Gabrieloder vielleicht Herr Steinmeier – nach New York fahrenwird. Aber wer auch immer fährt: Einer von denen musseine Antwort darauf geben, was Deutschland zu der For-derung sagt – mit der Annahme des IPCC-Teilberichtshat man das zugesagt –, dass man die Kohle in Zukunftunter der Erde lassen soll.Damit Sie nicht ganz nackig dastehen, wenn Großbri-tannien sagt: „Also wir haben jetzt CO2-Grenzwerte ein-geführt, damit das Betreiben von Kohlekraftwerken aus-läuft“, damit Sie nicht ganz nackig dastehen, wennObama sagt
– Herr Freese, jetzt regen Sie sich einmal ab. –: „Wir re-duzieren unseren CO2-Austoß aus Kohlekraftwerken um30 Prozent“, haben wir als Opposition etliche Vor-schläge auf den Tisch gelegt, von denen Sie sich gernewelche aussuchen können.Wir regen an, dass Sie sich in der Sommerpause ein-mal das Bergrecht vornehmen, und zwar nicht nur zumThema Fracking, sondern auch zum Thema Kohle, umdann vorzuschlagen, dass in Zukunft neue Tagebauenicht mehr genehmigt werden.
Damit Sie in New York nicht im Schatten von Obamastehen müssen, regen wir an: Denken Sie darüber nach,wie Sie das Bundes-Immissionsschutzgesetz so ändernkönnen, dass die Menschen in Deutschland vor Queck-silber genauso geschützt sind wie in den USA. Wir regeninsbesondere an – ich bitte darum, hier etwas genauer
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4360 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 47. Sitzung. Berlin, Freitag, den 4. Juli 2014
Annalena Baerbock
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zuzuhören –, dass Sie einen Plan vorlegen, wie Sie ausder Kohle aussteigen können. Unser Vorschlag ist, CO2-Grenzwerte einzuführen. Das würde endlich Planungssi-cherheit in den fossilen Kraftwerkspark bringen. Es kanndoch nicht sein, dass die Gaskraftwerke mittlerweilevollkommen aus dem Markt gedrängt werden. Es kannauch nicht in Ihrem Sinne sein, Herr Pfeiffer, dass eineBranche komplett plattgemacht wird.
Schauen Sie sich diesen Vorschlag einmal genauer an.Denn die anderen Länder könnten Sie in Lima oder inParis fragen
– es ist interessant, dass Sie mich dauernd belehren müs-sen. –: Wie kann es denn sein, dass fünf Kohlekraft-werke in Deutschland genauso viel CO2 ausstoßen wiedie 90 emissionsärmsten Länder der Welt? – Das istdoch unglaublich. Lassen Sie sich das einmal auf derZunge zergehen.
Ihre Antwort, liebe CDU, dass es doch völlig egal sei, obDeutschland international etwas tue, ist nicht zielfüh-rend. Wenn Sie nicht an die Kohle herangehen, werdenwir keinen erheblichen Beitrag zum Klimaschutz leisten.
Sie rufen immer herein, wie absurd das Ganze sei unddass wir Grüne – das wird jetzt sicherlich auch vonHerrn Pfeiffer kommen –
den Industriestandort Deutschland ganz bewusst kaputt-machen wollten. Deshalb zitiere ich zum Abschlussnicht uns Grüne, sondern den Präsidenten der Weltbank– das ist sicherlich keine ökofundamentale Organisa-tion –, Dr. Jim Yong Kim:Es gibt keine Ausreden mehr, 2014 muss das Jahrdes Klimaschutzes sein. Und nicht nur, um unserenPlaneten zu schützen, sondern auch, um der Welt-wirtschaft einen neuen Schub zu verleihen.
In diesem Sinne hoffen wir auf Ihre zweite Halbzeit2014. Nutzen Sie die Sommerpause erkenntnisreich.Schauen Sie sich unsere Vorschläge an. Ich kann verste-hen, wenn Sie nicht mit einem grünen Antrag am Strandliegen wollen.
Frau Kollegin Baerbock, ich erinnere Sie an die ver-
einbarte Redezeit.
Ich komme zum Schluss. – Nehmen Sie statt unseres
Antrags dann halt den DIW-Bericht, den Bericht des
größten Wirtschaftsforschungsinstituts Deutschlands.
Auch die haben einen Plan vorgeschlagen, der beinhal-
tet, über die Festlegung von CO2-Grenzwerten aus der
Kohle auszusteigen. Nehmen Sie sich das zu Herzen. Le-
sen Sie das und machen Sie Ihre Vorschläge im zweiten
Halbjahr. Denn eines geht nicht: nichts zu tun und den
Kopf weiter in den Kohlesand zu stecken.
Herzlichen Dank und einen schönen Sommer.
Für die CDU/CSU spricht jetzt der Kollege
Dr. Joachim Pfeiffer.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Liebe Frau Kollegin Baerbock, wir debattieren heuteüber einen Antrag, den die Fraktion der Grünen einge-bracht hat. Ich finde das, was Sie hier fordern, ziemlichunseriös. Es ist so, als ob man Äpfel mit Birnen verglei-chen würde.
Wie ist denn der Status quo der Stromerzeugung? Wirreden zunächst einmal über die Stromerzeugung inDeutschland. Wir haben den Anteil der erneuerbarenEnergien von 7 Prozent in 2000 auf heute 25 Prozentausgebaut. Wir wollen und werden sie weiter ausbauen.Tatsache ist, dass die Kohle heute 45 Prozent der Strom-versorgung in Deutschland erbringt. Die Kohle wirdnoch auf absehbare Zeit einen Großteil der Stromerzeu-gung erbringen müssen. Denn wir sind – dazu haben Siekein Wort gesagt – gerade dabei, aus der Kernenergieauszusteigen. Die Kernenergie hatte einen Anteil von30 Prozent an der Stromerzeugung in Deutschland undwar und ist CO2-frei.
Wir hatten 2010 knapp 30 Prozent Kernenergie und10, 15 Prozent erneuerbare Energien. Das heißt, 45 Pro-zent der Stromerzeugung waren CO2-frei. Im Zuge desAusstiegs aus der Kernenergie ersetzen wir nur dieKernenergie durch die erneuerbaren Energien. Das istdie Wahrheit.
Das ist Ihre Politik, die Sie favorisiert haben und dieauch die Mehrheit des Hauses hier so beschlossen hat.
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 47. Sitzung. Berlin, Freitag, den 4. Juli 2014 4361
Dr. Joachim Pfeiffer
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Ich war anderer Meinung, aber die Mehrheit hat es sobeschlossen. Zur Wahrheit gehört das dazu. Heute stel-len Sie sich hierhin und beklagen, dass die Kohle unterCO2-Gesichtspunkten noch diese Rolle spielt, die sie– nach Ihrer Meinung – gar nicht mehr spielen müsste.Auch das gehört zur Wahrheit.Die Entscheidung, die getroffen wurde, wurde so be-gründet: Die Nutzung der Kernkraft ist unverantwortli-cher, und die Problematik bei der Kernkraft ist noch grö-ßer. – Eines geht aber mit Sicherheit nicht: aus beidemgleichzeitig auszusteigen.
Der Industrie- und Wirtschaftsstandort Deutschland wirdes sich nicht leisten können, gleichzeitig aus der Kern-energie und der Kohle auszusteigen. Um die Ziele zu er-reichen, werden wir zwar im Lauf der Zeit aus beidenEnergien aussteigen, aber sicher nicht so, wie Sie es vor-schlagen.Ich finde es schon ein bisschen scheinheilig – dasmuss ich sagen –, wenn Sie Fortschritte in den USA beider Emissionsreduzierung als Beispiel heranziehen,gleichzeitig aber kein Wort zur Schiefergasförderung sa-gen, obwohl dies der alleinige Grund dafür ist, dass dieCO2-Emissionen in den USA zurückgehen.
In den USA hat ein Fuel Switch von der Kohle zum Gasstattgefunden. Allein deshalb sind die Emissionen in denUSA um 20 bis 25 Prozent zurückgegangen. So ist dieKohle ersetzt worden.
Das ist die andere Seite der Wahrheit. Aus diesem Be-reich wollen Sie aber auch aussteigen bzw. erst gar nichtin diesen Bereich einsteigen. Sie verteufeln diese Tech-nologie ja von vornherein.
Insofern ist das, was Sie uns hier heute erzählen, wirk-lich unredlich.
Kommen wir zur Nutzung der erneuerbaren Energien.Wir haben zurzeit zwei Stromerzeugungssysteme. Abernur die Energieerzeugung im Bereich der konventionel-len Systeme kann eine gesicherte Leistung erbringen.Was nützt uns eine hohe installierte Leistung im Bereichder Photovoltaik, wenn wir heute noch zu 100 ProzentKapazitäten fossiler Energieträger, also konventionellerKraftwerke, vorhalten müssen, um die Leistung zu ge-währleisten, wenn die Sonne nicht scheint? Beim Windsind es 90 Prozent. Insofern ist es auch unredlich, wennSie hier behaupten, durch einen mengenmäßigen Ausbaudes Bereichs der erneuerbaren Energien wäre die benö-tigte Energie in Deutschland zu erzeugen.Ich nenne ein weiteres Stichwort: Versorgungssicher-heit. Die Braunkohle ist – das ist nun wirklich unstrit-tig – ein heimischer Rohstoff. Er ist in ausreichenderMenge vorhanden, und er ist subventionsfrei, anders alsandere Energieträger wie die erneuerbaren Energien, diewir gerade ausbauen. Die Braunkohle ist subventionsfreiund absolut wettbewerbsfähig. Die erschlossenen Tage-baue reichen noch für weitere 30 Jahre. Das ist übrigensauch der zeitliche Horizont unserer energiepolitischenEinsparziele, unserer CO2-Reduktionsziele
und des Ausbaus des Bereichs der erneuerbaren Ener-gien. In diesem Zusammenhang sprechen wir über 2050.Zu dem, was ich jetzt anspreche, haben Sie bishernichts gesagt. Ich bin gespannt, was Sie im weiteren Ver-lauf dieser Debatte noch dazu sagen werden. Sie blendendie Realitäten aus, greifen in eine Schublade und arbei-ten sich daran ab, ohne darauf zu achten, dass die Dingezusammenpassen. – Braunkohle wird in Deutschlandverstromt. Der Strom aus Braunkohle ist zu 90 ProzentKWK-Strom
und fließt in die Fernwärme.
Das heißt, ohne Braunkohle werden wir auch unsereKWK-Ziele nicht erreichen.
– Zu 90 Prozent in Strom- und Fernwärmeerzeugung.Das ist doch unstrittig.
Herr Kollege Pfeiffer, gestatten Sie eine Zwischen-
frage des Kollegen Krischer?
Selbstverständlich, gerne.
Herzlichen Dank, Herr Kollege Pfeiffer, für die Mög-lichkeit, eine Zwischenfrage zu stellen. Sie haben geradeeine ganz abenteuerliche These aufgestellt. Sie habenbehauptet, der in Deutschland erzeugte Strom ausBraunkohle sei KWK-Strom und damit klimafreundlich.Ich komme aus einem rheinischen Braunkohlerevier.Die in den dortigen Kraftwerken stattfindende Braun-kohleverstromung führt zu einer Leistung von ungefähr10 000 Megawatt. Etwa 100 bis 200 Megawatt davonfließen in die Wärmenutzung. Am Ende fließen also nur
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4362 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 47. Sitzung. Berlin, Freitag, den 4. Juli 2014
Oliver Krischer
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ein paar Prozent in die Wärmenutzung. Könnten Sie mirvor diesem Hintergrund erläutern, wie Sie auf die aben-teuerliche These kommen, dass 90 Prozent des inDeutschland erzeugten Braunkohlestroms KWK-Stromist?
In Strom und KWK.
Ich stelle hier die umgekehrte Behauptung auf, dass
95 Prozent des in Braunkohlekraftwerken erzeugten
Stroms reiner Kondensationsstrom mit Wirkungsgraden
von teilweise unter 30 Prozent und entsprechenden Kli-
maemissionen ist. Können Sie mir erklären, wie Sie zu
Ihrer Behauptung kommen?
Das kann ich gerne tun und es wiederholen – ich habedas vorhin schon gesagt –: 90 Prozent der Braunkohle-energie wird zur Erzeugung von Strom und Fernwärmeeingesetzt. Wir werden die KWK-Ziele ohne Braunkohlenicht erreichen.
– Noch einmal: Wir werden die KWK-Ziele ohne Braun-kohle nicht erreichen. Wie die Situation in Ihrem Wahl-kreis ist, weiß ich nicht im Detail. Aber schauen Sie sicheinmal an, wie KWK in den neuen Bundesländern einge-setzt wird.
Deshalb haben auch Sie die KWK-Ziele mitbeschlossen.Bis zum Jahr 2020 wollen wir das KWK-Ziel von25 Prozent erreichen.
Dieses Ziel werden wir ohne die Braunkohle nicht errei-chen. Das ist in der Sache ja wohl unstrittig;
das können Sie auch nachrechnen.Sie haben die Technologie angesprochen; diesesThema können wir in der Tat gerne vertiefen.
– Die Frage ist noch nicht beantwortet, Herr Krischer.
– Nein, die Frage ist noch nicht beantwortet;
ich sage Ihnen noch, wie wir unsere Ziele erreichen.Sie haben, wie gesagt, die Technologie angesprochen,und zwar zu Recht. Die CO2-Emissionen durch Kohle-verstromung betragen in Deutschland im Moment unge-fähr 380 Kilogramm je Megawattstunde. Weltweit sindes etwa 1 100 Kilogramm; das ist fast das Dreifache. Dasheißt, die weltweiten Klimaziele – ich komme nachhernoch auf die weltweite Situation zu sprechen – werdenwir ohne die entsprechenden Wirkungsgrade in Deutsch-land nicht erreichen. Sind Sie etwa gegen die weltweitenKlimaziele? Ich hoffe nicht, dass dem so ist.
– Ja, die Argumente sind falsch; das ist klar, dass Sie dassagen.
– Werden wir die KWK-Ziele ohne Braunkohle bis 2020erreichen können, Herr Krischer? Nein.
Wie sieht die technologische Situation aus? Steinkoh-lekraftwerke haben in Deutschland einen Wirkungsgradvon 46 Prozent, Braunkohlekraftwerke von ungefähr43 Prozent.
Was bedeutet das? Da Sie ja CO2-Emissionen einsparenwollen, sage ich Ihnen: Der Wirkungsgrad beträgt imweltweiten Durchschnitt 30 Prozent.
– Sie wollen die Zahlen, die Fakten und die Realitätennicht wahrhaben. – Die CO2-Emissionen betragen unge-fähr 1 200 Gramm je Kilowattstunde.
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 47. Sitzung. Berlin, Freitag, den 4. Juli 2014 4363
Dr. Joachim Pfeiffer
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– Der weltweite Durchschnitt liegt bei 30 Prozent.
– Auch Sie haben gerade davon gesprochen, wie die Si-tuation weltweit ist.
Jetzt zu unseren Kraftwerkskapazitäten. Sie wollenden Export unserer Technologie ins Ausland unterbin-den. Sie haben im Ausschuss kürzlich beantragt, dassunsere hocheffiziente Kohletechnologie nicht ins Aus-land exportiert werden soll. Sie stellen sich also hierhinund beklagen die weltweit ansteigenden Emissionen.Aber ich frage Sie: Wie wollen Sie eine Reduzierung er-reichen?
Tatsache ist – ob es Ihnen gefällt oder nicht und unab-hängig davon, was wir in Deutschland machen odernicht machen –: 40 bis 50 Prozent der Kraftwerkskapazi-täten, die weltweit neu gebaut werden, sind Kohlekraft-werke. Da das so ist und auf absehbare Zeit so bleibenwird, sage ich Ihnen: Dafür sollten wir am besten unsereeigene Technologie zur Verfügung stellen. Aber Sie wol-len, dass diese Technologie weder in Deutschland nochanderswo auf der Welt zum Einsatz kommt. Insofern istdas, was Sie tun, unredlich. Das passt vorne und hintennicht zusammen.
Noch einmal zu den CO2-Emissionen. Sie fordern ei-nen planwirtschaftlichen Eingriff in das System desEmissionshandels, einen Mindestpreis hier und Verände-rungen dort. Sie wissen ganz genau, dass weder ein Koh-leausstieg noch das EEG dazu führen, dass auch nur1 Kilogramm oder 1 Gramm mehr CO2 eingespart wird.
Entscheidend für die CO2-Einsparung in Europa ist derEmissionshandel. In diesem Rahmen wird festgelegt,wie hoch die Emissionen im Industriebereich und imStromerzeugungsbereich maximal sein dürfen. Das istvereinbart, und das ist geltende Gesetzeslage. Sie wollenin dieses System planwirtschaftlich eingreifen, statt zusagen: Wir brauchen eine Gesamtrevision und ein neuesMarktdesign, bei dem alle Aspekte – die Förderung derErneuerbaren, der Emissionshandel, die konventionellenKraftwerke und KWK – aufeinander abgestimmt sind.Dazu sagen Sie kein Wort. Das ist nicht nur unredlich,sondern völlig daneben, auch in der Sache. Da wirdüberhaupt nichts funktionieren.
Ihr Problem ist: Sie haben eine Pippi-Langstrumpf-Men-talität; Sie verstehen nichts von der Sache und sind nichtbereit, die Zusammenhänge zu akzeptieren.
Dann fordern Sie auch noch Änderungen beim Berg-recht, da das Bergrecht angeblich zu alt sei. Wenn Sie sodenken, dann können Sie auch gleich die Abschaffungdes BGB fordern, schließlich ist das BGB aus dem Jahr1900. Es ist aber ständig modernisiert worden. Gleichesgilt für das Bergrecht. Deutschland hat eines der mo-dernsten Bergrechte der Welt.
Unser Bergrecht hat sich bewährt und ist aufgrund derAnforderungen der EU ständig weiterentwickelt worden.Sie wollen aber gar kein modernes Bergrecht.Sagen Sie doch einmal, was Sie wollen. Wir wissennur, was Sie nicht wollen: Sie wollen kein Gas und keineKohle importieren; Sie wollen die heimischen Rohstoffenicht abbauen; Sie wollen keinen Bergbau mehr inDeutschland. – Genau da liegt das Problem. Das ist einschwerer Fall von Aussteigeritis.
Alle Technologien passen Ihnen nicht. Sie zeigen denMenschen Luftschlösser, indem Sie einzelne Themenherausgreifen, die aber nicht zusammenpassen. Sie wol-len aus der Kohle- und aus der Gasförderung aussteigen,Sie wollen kein Freihandelsabkommen, und auch Fra-cking wollen Sie nicht zulassen. Mit Ihrer Aussteigeritisgefährden Sie den Industrie- und InvestitionsstandortDeutschland.
Wir brauchen die Kohle in Deutschland so lange, bissichergestellt ist, dass die Energieversorgung auch hin-sichtlich der zugesicherten Leistung und der Bezahlbar-keit durch andere Technologien erfolgen kann. Sie dage-gen wollen am liebsten aus der Realität aussteigen. Wirwerden einen solchen Weg nicht zusammen mit Ihnengehen,
sondern werden den Industrie- und WirtschaftsstandortDeutschland so weiterentwickeln, dass wir eine sichere,saubere und bezahlbare Energieversorgung bekommen,ohne unseren Standort, wie es ihre Vorschläge bewirkenwürden, kaputtzumachen.
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4364 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 47. Sitzung. Berlin, Freitag, den 4. Juli 2014
(C)
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Vielen Dank. – Für die Linke spricht jetzt die Kolle-
gin Eva Bulling-Schröter.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Energiewende und Klimawandel haben einen mächtigenGegner: die Braunkohleindustrie, die derzeit boomt wienie. Braunkohlekraftwerke sind ein überkommenes Re-likt aus dem fossilen Energiezeitalter. Wir müssen dieVerstromung von Kohle so schnell wie möglich über-winden, wollen wir unseren Kindern nicht eine zerstörteWelt hinterlassen. Wenn ich sage „schnell“, dann heißtdas für uns: 2040 ist Schluss. Dazu haben auch wir einenAntrag eingebracht.
Im vergangenen Jahr sind in Deutschland so viele Ki-lowattstunden Strom aus Kohle erzeugt worden wie seit20 Jahren nicht mehr. Kohlestrom stößt mehr CO2 ausals jeder andere Energieträger; das ist hier unbestritten.Es ist völlig falsch, dass ausgerechnet die Kohle, derschmutzigste Energieträger, solch einen großen Erfolgfeiert, in einer Welt, in der wir uns abmühen, den Klima-wandel in den Griff zu bekommen. Daran ändern auchdie neuesten Zahlen nichts, die besagen, dass der Anteilder Kohle im letzten Halbjahr etwas zurückgegangen ist.Kohlestrom ist billig, aber nur, weil seine immensenFolgekosten für Gesundheit und Natur nicht in den Preismit einfließen; das sagt Herr Pfeiffer leider nicht. Billigist er auch deshalb, weil alte Kohlekraftwerke, die diemeisten Schadstoffe ausstoßen, jetzt viel profitabler sindals schadstoffarme Gaskraftwerke. Das beweist auch dieTatsache, dass es im ersten Halbjahr einen Produktions-rückgang bei Gaskraftwerken um 25 Prozent gegebenhat. Das ist wahnsinnig viel. Das müssen wir ändern.
Der schmutzige deutsche Braunkohlestrom flutet auchdas europäische Ausland. Auch dort beschwert man sichdarüber.Die Kosten für den Kohlestrom tragen die Menschen.Die gesundheitlichen Folgen wegen Quecksilberbelas-tung, Atemwegs- und Kreislaufbeschwerden, verkürzteLebenszeit, die Kosten für die Vertreibung aus der Hei-mat wegen Braunkohletagebauen, die Zerstörung riesi-ger Naturflächen – all diese Kosten tragen wir, die Bür-gerinnen und Bürger.Ich habe das Gefühl, dem Kartell der Kohlelobby istdas egal. Das finde ich sehr schade.
Die Vertreter der Kohleindustrie sitzen überall mit drin –auch hier im Deutschen Bundestag – und reden und ent-scheiden mit.Eigentlich sollte der Emissionshandel den CO2-Aus-stoß über hohe Preise ja verringern. Dieser Plan ist leidervöllig misslungen. Der Emissionshandel ist kläglich ge-scheitert. Als Folge von Fehlentscheidungen gibt esenorme Überschüsse an CO2-Zertifikaten, wodurch derPreis in den Keller gefallen ist. Eine Tonne CO2-Ausstoßkostet derzeit unter 5 Euro. Im Grunde genommenmüsste die Tonne CO2-Ausstoß aber mindestens 60 bis80 Euro kosten, wenn der Emissionshandel den Betriebvon Kohlekraftwerken ernsthaft infrage stellen soll.
Jetzt will man den Emissionshandel reparieren, indemman einen Teil dieser Überschüsse vom Markt nimmt.Aber selbst wenn die Reform gelingt, werden immernoch zu wenige Zertifikate herausgenommen. Die Ver-suche, den Emissionshandel wiederzubeleben, werdenihn leider nicht mehr retten. Der Patient Emissionshan-del ist klinisch tot.Nehmen wir einmal an, es würde tatsächlich gelingen,den Preis für eine Tonne CO2 auf jene 60 bis 80 Euro zutreiben, damit die Braunkohle hierzulande irgendwannvom Markt gedrängt wird. Was wären die Folgen, wennwir solche enorm hohen CO2-Kosten erzwingen wür-den? Das käme der Umwelt sehr zugute, aber die Ver-braucherinnen und Verbraucher würde das über denStrompreis teuer zu stehen kommen, und das wollen wirja alle miteinander nicht.Wie kommen wir aus dieser Zwickmühle heraus? DieBundesregierung will den CO2-Ausstoß bis 2040 um60 Prozent reduziert haben. Wir sagen: Bis zu diesemDatum muss es ein definitives Ende der Kohleverstro-mung geben.
Es ist ein Gebot der Stunde, so schnell wie irgend mög-lich aus der Kohleverstromung auszusteigen. Das istnicht sofort möglich; das ist klar. Wir brauchen aber jetztein Kohleausstiegsgesetz mit einem ambitionierten Aus-stiegsfahrplan.
Anders bekommen wir diesen Rückwärtsgang nicht inden Griff.Wir wollen den Kohleausstieg vom Ende her denkenund schlagen Folgendes vor – bitte hören Sie zu –: keinNeubau von Kohlekraftwerken, kein Neuaufschluss vonTagebauen, Stilllegung des letzten Kohlekraftwerks spä-testens 2040,
ab 2015 jährliche Begrenzung der Strommengen ausKohlekraftwerken, ineffiziente Kraftwerke früher ab-schalten als effizientere, Übertragung von Reststrom-mengen auf jüngere, effizientere Anlagen zulassen.Auch das ist wichtig: Der Kohleausstieg muss arbeits-markt- und sozialpolitisch flankiert werden. Mit den Be-triebsräten vor Ort muss eine Regelung getroffen wer-den, mit der alle Beschäftigten in diesem Bereichzukünftig leben können.
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 47. Sitzung. Berlin, Freitag, den 4. Juli 2014 4365
Eva Bulling-Schröter
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Dafür sind Konversionsprogramme und eine soziale Ab-sicherung notwendig.
Ich verstehe die Angst der Kohlekumpel. Das ist mir alsBetriebsrätin doch nicht fremd. Wichtig ist, dass sichalle darauf einstellen können.Ich meine, es wird langsam Zeit, diesen wichtigenSchritt in verantwortungsvoller Weise zu tun. Das ist imSinne des Klimas wirklich notwendig. Beweisen Sie,dass Sie nicht am Tropf der Kohlelobby hängen und dassIhnen die Gesundheit, die Umwelt und das Klima wich-tiger sind als die Profite der Kohleindustrie. Ich denke,wir sollten uns von den Relikten des vergangenen Jahr-hunderts trennen – für zukünftige Arbeitsplätze im Be-reich der regenerativen Energien und in vielen anderenBereichen mit Perspektive und mit guten Löhnen.Ich kann Ihnen nur sagen: Die Leute, die vor Ort ar-beiten, sind sehr qualifiziert. Hier können wir Qualifika-tionsprogramme und Strukturprogramme durchführen.Das ist dringend notwendig; denn sonst gibt es Pro-bleme.
Natürlich wird es immer Probleme geben. Aber Sie wol-len nicht nach vorne schauen, sondern sagen hier einfachNein.Danke.
Nächster Redner ist der Kollege Dirk Becker für die
Sozialdemokraten.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen!
Verehrte Kolleginnen und Kollegen der Grünen! Ich
meine es wirklich ernst: Ich habe mir sehr viel Mühe ge-
macht, Ihren Antrag und auch den Antrag der Linken zu
lesen, weil ich weiß, dass das Thema Klimaschutz für
Sie ausgesprochen wichtig ist.
– Für uns auch. Darum habe ich es ja gemacht.
In dem Antrag habe ich ein paar Punkte entdeckt, bei
denen ich gedacht habe: Das werden wir in den nächsten
Jahren ernsthaft diskutieren müssen. Das wussten wir
aber schon länger. Es tut mir leid, sagen zu müssen: Die
Art und Weise, wie Sie dieses Thema versemmeln – Sie
versuchen nur, der Regierung irgendetwas um die Ohren
zu hauen –, finde ich schade und dem Thema nicht ange-
messen.
Ich finde auch: Es ist ein bisschen grenzwertig, wenn
Sie beispielsweise auf Großbritannien und dessen Rolle
im Zusammenhang mit der Kohleverstromung verwei-
sen und dabei verschweigen, dass in Großbritannien
neue Atomkraftwerke gebaut werden. Ich finde, auch
das ist nicht so ganz glaubwürdig.
Ich will nur für all die, die den Antrag nicht gelesen
haben, die Frage stellen: Gibt es bei den Grünen das
Ziel, die gemeinsam vereinbarten Treibhausgasminde-
rungspotenziale im Hinblick auf 2050 vorzuziehen? Die-
ses Ziel gibt es nicht. In Ihrem Antrag steht: Es bleibt bei
der Vereinbarung, bis 2050 eine Reduktion der Treib-
hausgase um 80 bis 95 Prozent zu erreichen.
Wenn Sie hätten glaubwürdig bleiben wollen, hätten
Sie sagen müssen: Wir wollen schneller aus der Kohle-
verstromung aussteigen, um das genannte Ziel nicht
2050, sondern schon 2045 oder 2040 zu erreichen. – Das
machen Sie aber nicht. Das heißt, Sie bleiben bei genau
diesen Vereinbarungen.
Das ist nach meiner Einschätzung etwas problematisch.
Das Gleiche gilt für die Linksfraktion. Die Linksfrak-
tion hat immerhin gesagt: Wir haben das Ziel, bis 2040
aus der Kohleverstromung auszusteigen. – Das heißt
also: Die Linke will zehn Jahre, bevor die genannten
Treibhausreduktionen erreicht werden sollen, aus der
Kohleverstromung aussteigen. Das Problem ist aber
auch hier: Sie wollen zwar bis 2040 aus der Kohlever-
stromung aussteigen, bleiben aber bei der Gesamtstrate-
gie, bis 2050 die Treibhausgasemissionen um 80 bis
95 Prozent zu reduzieren. Das heißt, Sie hätten zwar
dann weniger CO2-Emissionen aus der Kohleverstro-
mung, aber die Gesamtmenge wollen Sie nicht reduzie-
ren. Da fehlt eine schlüssige Systematik. Das ist nicht
glaubwürdig. – Frau Baerbock möchte eine Zwischen-
frage stellen.
Ich bitte darum, abzuwägen: Wenn wir Zwischenfra-gen zulassen, wird die Debatte auf der einen Seite natür-lich sehr lebendig, auf der anderen Seite wird aber dieSitzungsdauer verlängert. Die Sitzungsleitung hat ange-sichts einer sehr ambitionierten Tagesordnung die Mög-lichkeit, Zwischenfragen nicht zuzulassen. Davonmöchte ich jetzt Gebrauch machen, damit wir zügig wei-terkommen.
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4366 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 47. Sitzung. Berlin, Freitag, den 4. Juli 2014
(C)
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Mit Blick auf die Fraktion der Grünen habe ich dieBitte, dass wir uns mit dieser Thematik einmal ernsthaftauseinandersetzen. Ich habe nach der sehr emotionalenDebatte über die Reform des EEG, die ich nachvollzie-hen kann, die Hoffnung: Es ist jetzt wirklich an der Zeit,dass wir uns mit dem gesamten energiepolitischen Um-bau, der jetzt mit der Energiewende zwingend kommenmuss, intensiver und fundierter auseinandersetzen; dennauf viele Fragestellungen haben wir alle noch keineschlüssige Antwort.Nach der Sommerpause, Frau Baerbock, wird dieprinzipielle energiepolitische Diskussion kommen: Wiesieht das Marktdesign aus? Was brauchen wir vor demHintergrund von Versorgungssicherheit und von Netz-stabilität?
Wie gehen wir mit der Struktur der deutschen Energie-versorgung grundsätzlich um?Eines ist klar und unstrittig: Wir wollen und brauchenden Erfolg dieser Energiewende, weil wir unsere Kli-maschutzziele einhalten wollen, aber auch, weil dieMinimierung unserer Abhängigkeit, insbesondere vonEnergieimporten, ein Akt und ein Gebot der volkswirt-schaftlichen, der ökonomischen Vernunft ist. Darumwollen wir den Erfolg dieser Energiewende bis 2050.
Es gibt für diese Energiewende weltweit kein Vorbild.Das macht es sehr schwierig, herauszufinden, welcherWeg richtig ist. Was aber nicht geht, ist, dass wir weiter-hin eine fragmentierte Energiepolitik machen: gesterndie Reform des EEG, jetzt das Kohleausstiegsgesetz,morgen dies und übermorgen jenes. Ich bin dem Wirt-schafts- und Energieminister ausgesprochen dankbar,dass er diese Woche einen Fahrplan, eine Zehn-Punkte-Agenda vorgelegt hat, mit der erstmals die Energie-wende insgesamt strukturiert und systematisiert wird. Eswird so für alle nachvollziehbar, welche Probleme jetztzu lösen sind und was bis zum Ende der Legislaturpe-riode vorliegen muss, damit die Energiewende Erfolghat.
Es gibt aber auch Fehlentwicklungen – wir haben dasgehört –: Die Strompreisentwicklung und die Entwick-lung der CO2-Zertifikatspreise sind anders verlaufen, alses noch vor wenigen Jahren prognostiziert worden war.Sie haben Frau Hendricks angesprochen, die gefor-dert habe, 2 Milliarden Zertifikate aus dem Markt zunehmen. Außerdem habe sie ein Vorziehen der Einfüh-rung der Marktstabilitätsreserve auf 2017 ins Spiel ge-bracht. Sie haben dabei den Eindruck erweckt, das seigegen die Meinung des Wirtschaftsministeriums erfolgt.
Ich würde Sie bitten, sich einmal die Pressemitteilunganzugucken, die von Sigmar Gabriel und von FrauHendricks war. Ich sage das nur deshalb, damit kein fal-scher Eindruck hängenbleibt.
Darüber hinaus haben sich auch die Börsenstrom-preise in Deutschland teils drastisch reduziert. Sie allekennen das. Im Prinzip ist man ja immer ein Freund fal-lender Preise, aber in diesem Fall führt das leider zu fata-len Fehlentwicklungen.Durch diese fallenden Preise steigen die Kosten fürdie hocheffizienten, modernen Kraftwerke, für dieKWK-Anlagen, während neben den erneuerbaren Ener-gien insbesondere sehr günstige, aber auch ineffizienteAnlagen mit einem hohen CO2-Ausstoß die Strompro-duktion sicherstellen.Hier brauchen wir uns nichts vorzumachen: Auch derMinister hat mehrfach gesagt, wenn es bei dieser Ent-wicklung bleibt, kriegen wir insgesamt ein Akzeptanz-problem mit der Energiewende. Daher müssen wir Maß-nahmen ergreifen, um hier gegenzusteuern.Ich sage noch einmal ausdrücklich mit Blick auf dieGrünen und auch mit Blick auf die Linkspartei: Wir ste-hen zu dem gemeinsamen Ziel der Reduktion der CO2-Emissionen bis zum Jahr 2050.
Und ich sage auch ausdrücklich: Wenn man eine Reduk-tion der CO2-Emissionen um 80 bis 95 Prozent bis 2050will, erfordert das im Klartext die vollständige Dekarbo-nisierung der Stromversorgung.
Das ist völlig unstrittig.Ich möchte, wenn ich darf, Herr Präsident, einmalkurz aus einer Drucksache aus der letzten Legislaturpe-riode zitieren. Es heißt dort:Im Sinne einer effizienten Ausnutzung fossilerBrennstoffe muss bis zur Erreichung des Ziels derVollversorgung aus Erneuerbaren Energien eineModernisierung des konventionellen Kraftwerks-parks unter Erreichung höchstmöglicher Wirkungs-grade erfolgen. … Hierzu werden über Instrumente,wie des Immissionsschutzgesetzes, die gesetzlichenAnforderungen an die Wirkungsgrade so anzupas-sen sein, dass Kraftwerke, die nicht dem aktuellenStand der Technik entsprechen – –
– Was ist das?
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 47. Sitzung. Berlin, Freitag, den 4. Juli 2014 4367
Dirk Becker
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– Ja, Sie haben in der Tat recht. Das ist ein Zitat aus demEnergiekonzept der SPD-Bundestagsfraktion aus demJahr 2011.
Da Sie sagen, Sie hätten hier das Rad neu erfunden,sage ich Ihnen:
Bereits 2011 haben wir darüber gesprochen. Wenn Siejetzt wieder mit dieser Märchenstunde kommen, wirwürden nichts machen, dann muss ich Sie darauf hinwei-sen, dass ich gerade erwähnt habe, dass ab Herbst dieDebatte über diese Punkte beginnen wird. Sie habendoch auch vom Bundeswirtschaftsminister die Agendabekommen, dass ein Grünbuch erstellt werden wird, dasswir uns in einem sehr intensiven, ernsten Prozess mit alldiesen Fragen, auf die wir die Antwort heute noch nichtabschließend kennen, auseinandersetzen wollen.
Hören Sie jetzt bitte einmal auf, hier immer zu sagen,wir machten nichts. Nehmen Sie zur Kenntnis: Die Ar-beitsagenda liegt vor, und bringen Sie sich bitte sachlichin die Diskussion ein.
Uns liegt daran, Versorgungssicherheit, Netzstabilität,die klimapolitischen Ziele,
aber auch das Thema Preisstabilität zusammenzubekom-men. Ich lade Sie wirklich ein: Lassen Sie sich dann mituns auf eine sachliche Debatte ein!
Ich weiß, die letzten Tage und Wochen waren auchaus anderen Gründen für manche emotional sehr schwie-rig. Das liegt auch an der EEG-Debatte. Ich wünsche unsallen ein bisschen Zeit für Ruhe, um dann vielleicht auchwieder Kraft für eine sachliche Debatte zu tanken.Herzlichen Dank.
Vielen Dank. – Ich darf insbesondere anmerken, dass
Sie sehr vorbildlich mit der Redezeit umgegangen
sind. – Jetzt spricht der Kollege Andreas Jung von der
CDU/CSU.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Nachdem in dieser Debatte schon die eine oder andereZahl umstritten war, will ich eine Zahl vorwegstellen,die – wie ich hoffe – unumstritten sein wird, weil sienämlich vom Fraunhofer-Institut für Solare Energiesys-teme kommt. Dieses Institut hat in diesen Tagen wiedereinmal berechnet, welche Energiequelle am meisten zumdeutschen Strommix beiträgt. Das war bis zum Jahr2007 die Kernenergie. 2007 wurde die Kernenergie vonder Braunkohle abgelöst. Bis zum gesamten letzten Jahrblieb es dabei, dass die Braunkohle am meisten zumStrommix beitrug. In den ersten sechs Monaten diesesJahres haben die erneuerbaren Energien zum ersten Maldie Braunkohle überholt. Sie trugen rund 81 Terawatt-stunden zum Energiemix bei, während die Braunkohlerund 69 Terawattstunden beitrug. Die erneuerbarenEnergien sind nun Tabellenführer im deutschen Strom-mix. Darüber sollten wir uns erst einmal gemeinsamfreuen.
Das zeigt im Übrigen, dass wir bei allen berechtigtenund notwendigen Debatten über den richtigen Weg beider Förderung der erneuerbaren Energien vorankommenund dass die erneuerbaren Energien Schritt für Schrittdie tragende Säule in unserem Energiesystem werden.Die heutige Debatte dient dazu, die Frage zu klären, wiewir auf diesem Weg vorankommen. Warum machen wirdas eigentlich? Die Förderung der Erneuerbaren ist keinSelbstzweck, sondern hat letztlich eine dienende Funk-tion. Sie dient der Sicherstellung der Stromversorgungder Wirtschaft und der Privathaushalte. Dabei werdenkeine neuen Risiken eingegangen wie beispielsweisebeim Fracking, das es erforderlich macht, Chemikalienin den Boden zu pumpen. Wir werden im Herbst diesbe-züglich ein konsequentes Gesetz verabschieden.
Die Förderung der Erneuerbaren führt dazu, dass wirSchritt für Schritt auf die Kernenergie verzichten und dieRisiken des Umgangs mit radioaktivem Material aus-schließen können und dass wir unseren CO2-Ausstoß,also den Ausstoß an Treibhausgasen, reduzieren können.Die Bestandsaufnahme zeigt, dass wir das erste Ziel er-reichen, den zurückgehenden Anteil der Kernenergie invollem Umfang durch den aufwachsenden Anteil der Er-neuerbaren zu ersetzen, dass wir aber das zweite Zielnoch nicht erreichen, den CO2-Ausstoß zu reduzieren.Dieser steigt im Moment. Warum ist das so? Das liegt
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4368 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 47. Sitzung. Berlin, Freitag, den 4. Juli 2014
Andreas Jung
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daran, dass Gaskraftwerke durch Kohlekraftwerke vomMarkt verdrängt werden. Das ist erst einmal die Analyse.Nun stellt sich die Frage, woran das liegt. Es liegtnicht an der deutschen Gesetzgebung – es ist mir wich-tig, das zu sagen –, sondern maßgeblich am Emissions-handel der Europäischen Union,
der zurzeit schwächelt bzw. daniederliegt. Dabei kann esnicht bleiben. Hier muss repariert und verändert werden.Wir brauchen eine nachhaltige und zeitnahe Reform deseuropäischen Emissionshandels.
Wenn wir das nicht schaffen, wird die Vorreiterrolle,die die EU und insbesondere Deutschland im Klimapro-zess einnehmen, infrage gestellt. Auf den Klimakonfe-renzen schaut man bislang mit Respekt auf Deutschlandund erkennt unsere Rolle an. Auf Dauer wird das abergefährdet werden, wenn unser CO2-Ausstoß steigt.
Um unsere Rolle beibehalten zu können, müssen wir inEuropa dieses Problem lösen. Dabei ist der Emissions-handel das Herzstück.Ich bin froh – der Kollege Becker hat das bereits an-gesprochen –, dass es eine abgestimmte Position derBundesregierung gibt, die auf die Entscheidungen, diewir schon getroffen haben, aufsetzt. Wir alle wissen,dass wir lange – ich sage: zu lange – um die Entschei-dung zum Backloading gerungen haben. Es war aberdiese Bundesregierung, die schon in den ersten Tagendie Entscheidung getroffen hat, eine erste Reparaturbeim Emissionshandel vorzunehmen. Was ist das Pro-blem? Im Rahmen des Emissionshandels gibt es so vieleZertifikate, dass die Preise in den Keller gefallen sind.
Zuerst ist man von 30 Euro und dann von 17 Euro ausge-gangen. Nun liegt der Preis zwischen 4 und 6 Euro, alsoin Regionen, die dazu führen, dass Braunkohlekraft-werke rentabel und Gaskraftwerke unrentabel werden.Woran liegt das? Das liegt daran, dass von Anfang anviele Zertifikate auf dem Markt waren. In der Wirt-schaftskrise ist dann die Produktion eingebrochen. Da-mit ging der CO2-Ausstoß automatisch zurück. Gleichzei-tig ist aber die Anzahl der Zertifikate gleich geblieben.Seitdem gibt es eine Bugwelle, die wir vor uns herschie-ben. Deshalb kann ein Eingriff in den Emissionshandelnur die Ultima Ratio sein, das letzte Mittel; denn das istein marktwirtschaftliches System, das von Verlässlich-keit lebt.Aber wann, wenn nicht in dieser Situation und beisolchen CO2-Preisen, ist es Zeit und notwendig, von ei-ner solchen Ultima Ratio zu sprechen? Deshalb bin ichder Meinung, dass die Entscheidung, mit dem Backloa-ding zunächst einmal Zertifikate vom Markt zu nehmen,richtig war. Ich begrüße es, dass die Bundesregierungsagt: Wir müssen jetzt einen Schritt weiter gehen. Wirbegrüßen den Vorschlag, den die EU für die Marktstabi-litätsreserve gemacht hat, nämlich die Anzahl der Zerti-fikate flexibel an die wirtschaftlichen Entwicklungen an-zupassen. Ich begrüße es, dass die Bundesregierung sagt,dass das früher als 2020 geschehen muss; es muss in dennächsten Jahren passieren, weil die Zeit drängt und dasmaßgeblich für den CO2-Ausstoß innerhalb der Europäi-schen Union ist.
Ich lade alle ein, dass wir gemeinsam darum ringen,weil in der Europäischen Union diese Diskussion nochnicht ausgetragen ist. Dort wird die Entscheidung getrof-fen, da werden die maßgeblichen Beschlüsse gefasst.Wir können natürlich darüber diskutieren, wie wir dieseMaßnahme flankieren. Wir werden im Herbst über Ka-pazitätsmärkte sprechen. Ich will sehr dafür werben,dass wir dabei insbesondere die Versorgungszeit in denBlick nehmen, also fragen, welche Kraftwerkskapazitä-ten wir brauchen, um eine sichere Versorgung mit Ener-gie sicherzustellen, dass wir aber gleichzeitig fragen,welchen Beitrag diese Kapazitäten zur Energiewendeleisten und welche Rolle sie beim CO2-Ausstoß spielen.Das ist sicherlich eine der Debatten, die wir ergänzend,neben der Debatte über das Kraft-Wärme-Kopplungsge-setz, hier auf nationaler Ebene führen können.Ich möchte noch hinzufügen, dass, wenn wir über denCO2-Ausstoß in Deutschland sprechen, der Energieer-zeugung eine wichtige Bedeutung zukommt, aber ebennicht die alleinige Bedeutung. Deshalb halte ich es auchfür richtig, dass die Bundesregierung in diesem Jahr einSofortprogramm Klimaschutz angekündigt hat, mit demdie Lücke, die auf dem Weg zur Erreichung unseres2020-Ziels noch besteht, geschlossen werden kann, unddass dabei die ganze Breite der Sektoren in den Blick ge-nommen werden soll.Ich will ausdrücklich dazusagen, dass die Haltung un-serer Fraktion ist, dass ein besonderer Schwerpunkt aufEnergieeffizienz gelegt werden soll. Am besten ist es,Energie erst gar nicht zu verbrauchen.
Es kann nicht darum gehen, dass man, wenn man in derBadewanne sitzt, noch weiter Wasser einlaufen lässt unddabei weniger umweltfreundliche Energie durch um-weltfreundlichere Energie ersetzt, sondern am besten istes, wenn überhaupt keine Energie verloren geht, und dasbedeutet, den Stöpsel in die Badewanne zu stecken. Des-halb sind wir für Energieeffizienz.Wir glauben, dass ein besonderer Schwerpunkt derGebäudebereich sein muss. Ich will ausdrücklich dafürwerben, dass wir die öffentlichen Gebäude in den Blicknehmen, den Sanierungsfahrplan verbessern und denProzess beschleunigen. Wir sollten aber auch darübernachdenken, wie wir ohne Zwang im privaten Gebäude-bereich mehr Anreize schaffen können, um in diesem
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Andreas Jung
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Bereich, den wir alle im Übrigen schon seit vielen Jah-ren als schlafenden Riesen bezeichnen, schneller voran-zukommen.Dazu muss der Nationale Energieeffizienz-Aktions-plan, den wir im Koalitionsvertrag verabredet haben, mitLeben gefüllt werden. Es wird die Frage sein, welchenBeitrag jeder dazu leisten kann. Da geht es auch um Un-ternehmen, die mit Energiemanagementplänen weitereBeiträge leisten können. Energieeffizienz ist ein beson-ders wichtiges Thema, und da wollen wir uns kraftvolleinbringen.
Zuletzt will ich die Mobilität ansprechen. Wir müssenuns auf den Weg machen, um zu einer nachhaltigen Mo-bilität zu kommen. Ich halte das Ziel der Bundesregie-rung, die Elektromobilität voranzubringen, für richtig.Ich halte es für notwendig, dass wir entsprechende Maß-nahmen auf den Weg bringen. Das soll ebenfalls in die-sem Herbst mit dem Elektromobilitätsgesetz passieren.Wir sind auf dem richtigen Weg, weil für uns derSchwerpunkt Forschung und Entwicklung ist. Jetzt gehtes aber auch darum, wie wir den einen oder anderen An-reiz setzen können, um die Hürde, die es noch gibt, umein Elektroauto zu erwerben, überwinden zu können.Auch diese Diskussion steht jetzt an. Die werden wirführen. Für die Union gilt: Wir werden uns kraftvoll ein-bringen.Wir stehen hinter den Klimaschutzzielen, die wir, na-tional wie europäisch, vereinbart haben und die wir aufder Klimakonferenz durchsetzen wollen. Wir werdendurch die Weichenstellungen, die wir national vorneh-men und auf europäischer Ebene beeinflussen können,alles dafür tun, dass die Klimakonferenz in diesem Jahrin Lima und vor allem im nächsten Jahr in Paris zu ei-nem Erfolg wird. Der Klimawandel schreitet voran. Erhat schon jetzt dramatische Auswirkungen. Die Weltge-meinschaft muss jetzt handeln, um diesen Prozess zustoppen. Dabei haben wir eine besondere Verantwor-tung, und der wollen wir gerecht werden. Deshalb ma-chen wir uns auf diesen Weg.Herzlichen Dank.
Der Kollege Hubertus Zdebel spricht jetzt für die
Fraktion Die Linke.
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damenund Herren! Die Fraktion Die Linke hat für die heutigePlenarsitzung einen Antrag auf ein Kohleausstiegsgesetzvorgelegt. Infolge eines solchen Gesetzes könnte – zu-mindest fordern wir das – spätestens 2040 das letztedeutsche Kohlekraftwerk vom Netz gehen.
Warum legen wir zur heutigen Plenarsitzung einensolchen Antrag vor? Für einen erfolgreichen Klima-schutz ist ein Ausstieg aus der Kohleverstromung unse-rer Meinung nach unerlässlich. Diese Meinung teilt auchder Vorsitzende des Sachverständigenrates für Umwelt-fragen, Martin Faulstich. Gegenüber der Zeit sagte er am4. Mai mit Blick auf die Bundesregierung – ich zitieremit Erlaubnis des Präsidenten –:Wenn sie den Klimaschutz wirklich ernst nimmt,dann kommt sie aber am Kohleausstieg nicht vor-bei.In Deutschland existiert schon seit längerem, geradewas die Frage der Treibhausgase angeht, eine Lücke beider Erfüllung des Minderungsziels. Seit 2010 steigen dieTreibhausgasemissionen in Deutschland sogar wieder.Sie alle wissen, dass den größten Anteil an diesem An-stieg die emissionsintensive, aber betriebswirtschaftlichpreiswerte Braunkohleverstromung hat. Nach wie vorstammen 25 Prozent der in Deutschland erzeugten Elek-trizität aus der Braunkohle.Vor diesem Hintergrund sagen wir: Damit muss end-lich Schluss sein.
Wir sind bis zu einem bestimmten Grade aus der Atom-kraft ausgestiegen – noch nicht ganz; es wird in Deutsch-land nach wie vor Atomstrom produziert. Als Nächstesmüssen wir meines Erachtens vor allen Dingen aus derdreckigen Braunkohleverstromung aussteigen, um inDeutschland die Energiewende hinzubekommen.
Ich weiß, wovon ich rede. Ich komme aus Nordrhein-Westfalen, wo es Garzweiler II gibt. Vor diesem Hinter-grund denke ich, dass es absolut an der Zeit ist – nichtnur aus Gründen des schmutzigen oder sauberen Stroms,sondern auch mit Blick auf die Landschaftsfragen –, ausdieser Form der Energiegewinnung endlich auszustei-gen.Klimaforscher wie der ehemalige NASA-DirektorJames Hansen gehen davon aus, dass schon die bislangausgestoßenen Treibhausgase eine 2-Grad-Erwärmungauslösen könnten. Zu ähnlichen Ergebnissen kommt derWeltklimarat in seinen Studien. Mit Planeten lassen sichallerdings keine Kompromisse ausverhandeln. Deswe-gen sagen wir: Es muss Schluss damit sein, dass Klima-schutzziele im Interesse der Stromkonzerne und derenergieintensiven Industrie mit Füßen getreten werden.
Wer den Klimaschutz ernst nimmt, muss endlich aufdie Klimaforschung hören. Die Wissenschaft sprichteine deutliche Sprache. Für halbherzige Klimaschutz-maßnahmen ist keine Zeit mehr.
Vor diesem Hintergrund ist die völlig verfehlte Ände-rung des EEG – das wird heute noch Thema sein – eineKatastrophe. Die Koalition hat das in seiner ursprüngli-
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chen Form so erfolgreiche EEG zerstört. Über das Er-gebnis kann sich die Kohlelobby nur freuen. Durch dieBefreiung von der EEG-Umlage sparen die Tagebaue250 Millionen Euro, die Braunkohlekraftwerke 630 Mil-lionen Euro. Das besagt eine Studie des BUND, die voreinigen Wochen bei einer Anhörung des Umweltaus-schusses vorgestellt wurde.Damit gefährdet die Bundesregierung nicht nur dieEnergiewende in Deutschland, sondern auch die auf in-ternationaler Ebene. Denn Deutschland hat – besser for-muliert wäre vielleicht: hatte – in dieser Frage eine Vor-reiterrolle. Dass die Bundesregierung die Energiewendehierzulande ausbremst, ist Wasser auf die Mühlen derEnergiewendegegner anderswo in der Welt. Auch dieseZusammenhänge müssen klar werden.Sie haben gerade zu Anfang der Diskussion im euro-päischen Sektor auf einige Widersprüchlichkeiten, wasdie Energiepolitik angeht, aufmerksam gemacht. Ich binganz bei Ihnen, wenn Sie zum Beispiel erwähnen, dassandere europäische Länder jetzt wieder verstärkt aufAtomkraft setzen und dass man bestimmte Entwicklun-gen in Europa nicht ausblenden darf.
Das muss man meines Erachtens deutlich formulieren.Ich bin sehr daran interessiert, mit Ihnen einen wirk-lich sachorientierten, konstruktiven Dialog darüber zuführen, wie eine Energiewendepolitik in Deutschlandvor dem Hintergrund der allgemeinen weltwirtschaftli-chen Entwicklung – Stichwort „Ressourcensicherheit“ –geführt werden kann. Damit habe ich gar keine Pro-bleme. Allerdings müssen Sie auch tatsächlich dazu be-reit sein, die Entwicklung hier in eine vernünftige Rich-tung zu lenken und Deutschland nicht die Vorreiterrollezu nehmen, die es bisher hatte; denn dass es diese Rollehat, ist sehr wichtig.
Was wir im Moment erleben, ist eine Rolle rückwärtsim Interesse der großen Konzerne, deren Börsenkurse inGefahr waren. Dort liegt nach meiner Einschätzung dereigentliche Grund dafür, dass das EEG vor kurzem geän-dert worden ist. Eine Rolle rückwärts erleben wir in vie-len Bereichen, gerade was die Braunkohleverstromungangeht. Einen Dialog über all das würde ich mit Ihnenganz gerne einmal vertiefend führen wollen. Dazu istheute leider keine Zeit; aber bei nächster Gelegenheitsollten wir das tun.
Ich will noch kurz auf die Emissionspreise eingehen.Wie bereits etliche betont haben, ist es so, dass es da auf-grund der viel zu hohen Anzahl an Zertifikaten, die aufdem Markt sind, dringend Änderungen bedarf, was dasganze Handelssystem angeht. Ich will zum Schluss FrauKemfert vom Deutschen Institut für Wirtschaftsfor-schung zitieren. Sie hat vor kurzem gesagt:Um Braunkohlestrom zu vermindern wären aberCO2-Preise von 40 bis 50 Euro pro Tonne CO2 not-wendig. Da dies eher unwahrscheinlich ist, mussman über flankierende Maßnahmen diskutieren.Das kann ein Kohleausstiegsplan sein …Recht hat sie.
Für einen solchen Kohleausstiegsplan setzen wir Lin-ken uns auf jeden Fall ein, sei es in Brandenburg, sei esin Nordrhein-Westfalen oder sei es anderswo.Herzlichen Dank.
Für die Sozialdemokraten spricht jetzt der Kollege
Matthias Miersch.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ichglaube, die Debatte hat gezeigt, dass wir hier mit einemsehr kontrovers diskutierten Thema beschäftigt sind. Eshandelt sich um ein Thema, das letztlich zentraleMenschheitsfragen berührt. Wir machen das hier allesnicht zum Selbstzweck. Ich glaube, wir erkennen alle an,dass das, was wir augenblicklich erleben – den konti-nuierlichen Anstieg der CO2-Emissionen und darüber hi-naus viel gefährlicherer Gase –, dringend gestoppt wer-den muss. Ich glaube, da sind wir alle uns in diesemHaus einig, liebe Kolleginnen und Kollegen.
Wenn wir ehrlich miteinander umgehen, dann stellenwir fest, dass sowohl auf der internationalen Ebene wieauf der europäischen Ebene wie auf der nationalenEbene – in diesem Parlament, aber auch, das sage ichganz deutlich, innerhalb der einzelnen Fraktionen, inner-halb der einzelnen Parteien, in den Bundesländern, imBundestag – unterschiedliche Konzepte existieren. Nachmeiner Auffassung gibt es niemanden, der heute sagenkann: Wir haben ein Patentrezept, um diese großeMenschheitsherausforderung tatsächlich in den Griff zubekommen. Das festzustellen, gehört, finde ich, zur Ehr-lichkeit einer solchen Debatte.
Umso begrüßenswerter finde ich es, dass wir hierheute diese Debatte führen. Frau Baerbock, ich weißnicht, ob ich die grünen Anträge in den Strandkorb– wenn ich im Urlaub einen in Anspruch nehme – mit-nehme. Da die Bundesregierung diesbezüglich geradeVorarbeiten leistet, bin ich mir sehr sicher, dass wir imHerbst darum ringen müssen, wie wir auf dieses Pro-blem zumindest mit einer nationalen Antwort reagieren.
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 47. Sitzung. Berlin, Freitag, den 4. Juli 2014 4371
Dr. Matthias Miersch
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Ich will mich über die Ziele nähern und fragen, ob wirdort miteinander gehen können. Ich glaube, niemand kannmit der heutigen Situation, wie wir sie vorfinden, zufrie-den sein. Niemand darf damit zufrieden sein, dass hoch-effiziente Gaskraftwerke augenblicklich durch Kohle-kraftwerke verdrängt werden. Das darf nicht sein, liebeKolleginnen und Kollegen.
Ich finde, es kann auch niemandem in diesem Hauserecht sein, dass der europäische Emissionshandel unddamit das, was wir durch ihn erreichen wollten, nämlichdie Verteuerung von klimaschädlicher Energiegewin-nung, am Boden liegt und der Energie- und Klimafondspraktisch leer ist. Auch das darf uns in diesem Hausnicht zufriedenstellen.
Wir dürfen auch nicht damit zufrieden sein, dass dieCO2-Emissionen in Deutschland im vergangen Jahr ge-stiegen und nicht gesunken sind. Damit darf keiner indiesem Haus zufrieden sein, liebe Kolleginnen und Kol-legen.
Ich habe Sie aufmerksam beobachtet und gesehen, eshaben irgendwie alle geklatscht.
– Jetzt müssen wir gucken, Herr Krischer, wie wir es vonder Metaebene auf die konkrete Ebene kriegen. Ich binmir sicher, dass wir über die eine oder andere Frage dis-kutieren müssen. Aber – das will ich vorweg sagen – esmuss klar sein, dass wir Ökologie, Ökonomie und so-ziale Gerechtigkeit nicht gegeneinander ausspielen kön-nen und dürfen.
– Jetzt hören Sie doch erst einmal zu, und dann regen Siesich auf! Aber ich komme gleich noch dazu.Als Umweltpolitiker liegt mir daran, zu sagen: DerGleichsatz dieser drei Werte geht nicht;
denn die industrielle Überlebensfähigkeit in Deutschlandund der soziale Ausgleich gehen nicht zusammen, wenndie Natur unwiderruflich zerstört wird.
Diese Sache müssen wir auch als Umweltpolitiker im-mer wieder berücksichtigen.
Jetzt, Herr Krischer, kommen wir zu der Frage, wel-che Antworten wir geben. Ich glaube, dass das Handelnder internationalen Staatengemeinschaft entscheidendist. Das soll nicht heißen, dass wir auf nationaler Ebenenichts tun sollen.
Aber wir brauchen auch die anderen. Mit dem Emis-sionshandel wurde ein System entwickelt, um mit markt-wirtschaftlichen Instrumenten zu versuchen, diese He-rausforderung in den Griff zu bekommen. Nach meinerpersönlichen Auffassung müssen wir im Herbst in die-sem Haus als Erstes darüber diskutieren, ob dieser euro-päische Emissionshandel überhaupt reanimierbar ist.
Diese Grundsatzfrage, finde ich, müssen wir diskutieren.
Wenn wir die Anträge von Linken und Grünen, diewir heute diskutieren, lesen, dann stellen wir fest, dassdie Antworten von beiden Seiten unterschiedlich sind,
also auch die Opposition unterschiedliche Wege vor-schlägt, und darüber müssen wir diskutieren.
Ich glaube aber, Frau Baerbock und Herr Krischer, ei-nes hat sich im Vergleich zu den letzten vier Jahren mas-siv geändert: Wir haben eine Bundesregierung, die nachBrüssel fährt und erstmals dort sagt: Der Emissionshan-del geht so, wie er augenblicklich aufgestellt ist, nicht. –Endlich gibt es eine deutsche Bundesregierung, die inBrüssel ambitioniert für die Reform wirbt, liebe Kolle-ginnen und Kollegen.
Andere Länder sind anders unterwegs. Dazu mussman sehen, dass die Briten das locker machen können.Der Kollege Becker hat zu Recht darauf hingewiesen.Nur, der britische Weg, in die Atomkraft wieder einzu-steigen, ist nicht unser Weg und darf nicht unser Wegsein!
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4372 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 47. Sitzung. Berlin, Freitag, den 4. Juli 2014
Dr. Matthias Miersch
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Deswegen, finde ich – da, lieber Kollege Pfeiffer,müssen wir wahrscheinlich noch alle zusammen mitei-nander ringen –, ist das, was Professor Edenhofer undandere vorschlagen, nämlich über CO2-Mindestpreise zureden, eine Möglichkeit. Dies greifen die Grünen in ih-rem Antrag ja auch auf. Wir müssen überlegen, Markt-wirtschaft und – Sie sagen jetzt: Planwirtschaft; ich sage:Ordnung – Mindestpreise in irgendeiner Form zusam-menzubringen; denn nur Markt bringt nichts. Das ist je-denfalls meine Überzeugung, liebe Kolleginnen undKollegen.
Aber darüber hinaus werden wir uns die Frage stellenmüssen, ob das ausreicht. Deswegen plädieren wir So-zialdemokratinnen und Sozialdemokraten in unserenEnergiekonzepten auch für eine Mehrwegestrategie. Ja,wir brauchen ein internationales Abkommen, spätestensin Paris im nächsten Jahr. Ja, wir brauchen europäischeAntworten. Aber wir brauchen auch nationale Wege.
Der Kollege Jung hat die Gebäudesanierung und die Mo-bilität angesprochen. Ich nenne noch die Landwirtschaft.Aber auch ordnungspolitische Maßnahmen sind zumin-dest zu diskutieren.
Ich war bis vor kurzem ein Verfechter der CO2-Steuer.Nach der Rechtsprechung zur Brennelementesteuermuss ich allerdings sagen, dass das juristisch wohl nichtganz einfach werden wird.
Deswegen werden wir uns nach meiner Auffassung auchüber weitere ordnungsrechtliche Ansätze unterhaltenmüssen, wenn wir beispielsweise um Effizienzstandardsvon Kraftwerken ringen.
Ich glaube, das wäre eine Maßnahme, die wir flankie-rend einsetzen könnten, liebe Kolleginnen und Kollegen.
Wir werden darüber hinaus noch über ganz andereMaßnahmen reden, an denen Barbara Hendricks geradeim Rahmen der Nationalen Klimaschutzinitiative arbei-tet. Wir werden auch darüber im Herbst diskutieren kön-nen. Da wird es eine Fülle von kommunalen, nationalenund Ländermaßnahmen geben, und wir werden dieFrage stellen müssen, ob unser Ziel „40 Prozent Reduk-tion bis 2020“ mit diesen Maßnahmen erreicht wird.Herr Krischer, dann werden wir um die einzelnenMaßnahmen miteinander ringen müssen. Sie haben ei-nige genannt; Barbara Hendricks hat andere genannt. Ichhoffe sehr, dass es uns gelingt, bei diesem großen Themaeinen Konsens zu finden.
Ähnlich wie bei der Atomkraft ist es hier sehr einfach,als Opposition etwas in die Debatte zu werfen. Damitkann man super bestehen. Das ist ja auch Ihre Aufgabe.Aber letztlich werden wir nur eine Lösung finden, wennwir alle mitnehmen. Das haben wir beim Atomkonsensgeschafft. Etwas Ähnliches ist dringend notwendig beimThema Kohle.Lassen Sie uns das gemeinsam machen! Lassen Sieuns die Sommerpause meinetwegen als schöpferischePause begreifen und dann im Herbst miteinander dieMaßnahmen diskutieren! Ich glaube, hier haben wir ei-nen langen Weg vor uns. Aber wir haben bei der Atom-energie gezeigt: Es geht gemeinsam. – Das würde ichmir auch hier wünschen.Vielen Dank.
Jetzt hat das Wort der Kollege Oliver Krischer für
Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Lieber Herr Miersch, das war jetzt einmal ein vernünfti-ger Beitrag, der die Sache auf den Punkt gebracht hat.
– Ja, das war ein Kompliment. Das hat sich wohltuendunterschieden von dem und steht in diametralem Gegen-satz zu dem, was Herr Pfeiffer und andere eben gesagthaben.
Eines ist doch klar wie Kloßbrühe: Es geht nicht mehrum das Ob des Kohleausstiegs; es geht nur noch um dasWie, darum, wie wir das organisieren.
Wenn wir unsere Klimaschutzziele ernst nehmen – mi-nus 80 Prozent bis minus 95 Prozent bis Mitte des Jahr-hunderts –, dann wird es kein Kohlekraftwerk mehr ge-ben dürfen.
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Oliver Krischer
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Wir müssen uns die Frage stellen: Lassen wir das jetztalles irgendwie geschehen, oder reden wir so wie HerrPfeiffer? Wenn man ehrlich ist, muss man sagen: Er trittdie Klimaschutzziele in die Tonne. – Die Frage, meineDamen und Herren, müssen Sie beantworten; die müs-sen Sie als Große Koalition beantworten. Da sind Sie einbisschen im Nebulösen geblieben.Wir haben konkrete Vorschläge gemacht. Wir habenkonkrete Vorschläge auf den Tisch gelegt. Man kann an-dere Vorschläge machen. Aber nichts zu tun, so wie esHerr Pfeiffer vorgeschlagen hat, das wird nicht gehen.Da werden wir Sie nicht rauslassen.
Meine Damen und Herren, es ist doch völlig irre: ImEnergiewendeland Deutschland – das muss man sicheinmal auf der Zunge zergehen lassen; das wird weltweitsehr wohl registriert – steigen die CO2-Emissionen. Dasist das Energiewendeparadoxon, gegen das wir dringendetwas unternehmen müssen. Es kann doch nicht sein,dass in meiner Heimat, im Rheinischen Braunkohle-revier, Kraftwerke aus den 60er-Jahren 8 000 Stunden,365 Tage im Jahr rund um die Uhr, laufen und brummen,während nebenan ein hochmodernes Gaskraftwerk steht,sein Geld nicht verdient, nicht laufen kann, stillsteht.Das, meine Damen und Herren, müssen wir ändern.Dazu haben wir konkrete Vorschläge gemacht, die Ihnenauf dem Tisch liegen. Ich hätte mir gewünscht, dass dieUnion an der Stelle klar sagt, wie sie dazu steht,
anstatt dumpfbackige Parolen in die Welt zu setzen.
Unsere Antwort ist: Wir müssen über den Emissions-handel reden. Ich hoffe – bei der Union bin ich mir nichtganz sicher –, dass es wenigstens hier einen Konsensgibt. Das allein wird das Problem aber nicht lösen. Wirsagen: Wir brauchen CO2-Grenzwerte für fossile Kraft-werke nach britischem Modell. Das hat nichts mit derAtomkraft in Großbritannien zu tun. Die Briten habensie; daran können wir uns orientieren, damit es auch eu-ropäisch funktioniert. Dabei kann man in keinen Kon-flikt mit der Kommission geraten, weil es dort praktiziertwird. Das schlagen wir Ihnen kombiniert mit einem öko-logischen Flexibilitätsmarkt vor. Das ist unser Angebotfür die Debatte, die jetzt ansteht. Wenn das am Ende dieVorschläge der Großen Koalition sind, dann haben Sieuns auf Ihrer Seite. Aber bisher habe ich dazu konkretnichts gehört. Ich habe von der Union gehört, dass siedarüber überhaupt nicht reden will. Offensichtlich hatsie die Vorstellung, dass es bis zum Jahr 2100 Kohle-kraftwerke in Deutschland geben soll. So habe ich HerrnPfeiffer verstanden, meine Damen und Herren.
Wir Grüne sagen klipp und klar – auch das gehörtdazu –: Es muss in Deutschland endlich Schluss sein,dass ganze Landschaften abgebaggert werden, dassMenschen aus ihrer Heimat vertrieben werden, dass Na-turressourcen zerstört werden, um dann zu 60 Prozentaus Wasser bestehende Braunkohle zu fördern und inKraftwerken zu verfeuern. KWK findet dort nicht statt,Herr Pfeiffer, weil diese Kraftwerke Wirkungsgrade un-ter 30 Prozent haben. Das ist nicht einmal Technik des20. Jahrhunderts, das ist Technik des 19. Jahrhunderts.Das ist nicht modern. Das ist nicht zukunftsweisend. Da-mit muss endlich Schluss sein, meine Damen und Her-ren.
Deshalb brauchen wir auch endlich ein Ende des Tage-baus.Ich will noch einen anderen Aspekt anführen. BeiKohle reden wir völlig zu Recht über Klimaschutz, CO2.Das ist ein ganz entscheidendes Thema. Wenn wir Kli-maschutzziele erreichen wollen, dann müssen wir an dieKohlekraftwerke denken. Wer anderes erzählt, erzähltUnsinn. Aber es gibt noch andere Punkte. Kohlekraft-werke sind inzwischen bei manchen Schadstoffen diegrößten Schadstoffquellen in Deutschland. Ich will nurein Beispiel herausgreifen.
– Quecksilber. Ja, Sie haben es begriffen.Die größte Emissionsquelle für Quecksilber, für einenhochgiftigen Stoff, sind Braunkohlekraftwerke. Es istdoch ein Irrwitz, dass in den USA, einem Land, das nunwirklich nicht für seine Umweltstandards bekannt ist,viel strengere Quecksilbergrenzwerte gelten als inDeutschland. Diese Werte werden mit einer Technologieeingehalten, die in Deutschland entwickelt worden ist.Wenn wir diese Grenzwerte in Deutschland einführten,müsste jedes alte Kohlekraftwerk stillgelegt werden.Deshalb sage ich: Lassen Sie uns deutsche Technologieund deutsches Know-how anwenden, damit endlich mitdiesem Irrsinn von Quecksilberemissionen, die die Ge-sundheit und die Umwelt belasten, Schluss ist. Es müs-sen endlich Umweltstandards eingeführt werden, diedem Stand der Technik entsprechen. Da, meine Damenund Herren, hat die Große Koalition bisher versagt, ge-nauso wie vorher Schwarz-Gelb. Es gab genug Gelegen-heiten, das zu tun. Auch das müssen wir anpacken.
Zum Schluss, eines ist klar: Das Kohlezeitalter ist de-finitiv zu Ende. Die Träumereien, die es vor einigen Jah-ren einmal gab, von 30 neuen Kohlekraftwerken – auchSigmar Gabriel und der eine Christ- oder Sozialdemo-krat sprachen begeistert davon –, sind vorbei. Alle, die inKohle investiert haben, schreiben heute tiefrote Zahlen.Es ist zum Albtraum geworden. Wir müssen uns jetzt umden Strukturwandel im fossilen Kraftwerkspark im Zu-sammenhang mit dem Ausbau der Erneuerbaren imSinne des Klimaschutzes kümmern, aber auch, um In-vestitionssicherheit in der Energiewirtschaft zu schaffen.Deshalb, meine Damen und Herren, verstehen Sie un-seren Antrag, den wir heute hier vorlegen, als Angebot,
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4374 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 47. Sitzung. Berlin, Freitag, den 4. Juli 2014
Oliver Krischer
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um einen Strukturwandel zu schaffen; denn die Zeit füreinen organisierten Kohleausstieg ist überfällig. Dasmüssen wir gemeinsam anpacken.Ich danke Ihnen.
Nächste Rednerin ist die Kollegin Barbara Lanzinger
für die CDU/CSU.
Sehr geehrter Herr Präsident! Kolleginnen und Kolle-gen! Kohle ist auf Dauer auch für uns keine Lösung.
Ich denke, daraus haben wir nie einen Hehl gemacht.
Wir alle wollen langfristig aus der Kohle aussteigen. Wirsehen das ganz genauso. Alles andere wäre paradox inder Energiewende. Kaum jemand arrangiert sich mit ei-ner neuen Stromtrasse vor der Haustür, wenn durch sieimmer mehr statt immer weniger klimabelastenderStrom transportiert wird. Aber ich sage jetzt einmal: Erstdie Atomkraft, jetzt die Kohle, alles auf einmal gehtnicht.
Bei uns würde man dann auf gut Bayerisch sagen: Ge-mach, gemach, net oalles oaf oimoa, schee loangsoam.
Eines ist klar: Wir wollen eine Versorgung mit einemintelligenten Energiesystem ohne Kohlestrom und mitmehr marktwirtschaftlicher Steuerung statt staatlicherRegulierung. Wir als CSU haben bereits im Januar 2014in Wildbad Kreuth – darauf möchte ich ganz bewusstverweisen – eine konsequente und klimafreundlicheUmsetzung der Energiewende beschlossen. Dazu gibt eseinen Plan, den wir als Koalition gemeinsam formen– wir sind gerade dabei – und umsetzen werden. DieEnergiewende ist weitaus mehr als nur das Drängen, ausder Kohlekraft auszusteigen. Wir müssen schon aufpas-sen, dass bei den derzeitigen Grundstrukturen unsererEnergieversorgung keine Versorgungslücke entsteht.Deshalb ist alles gut durchdacht anzugehen. Wichtig ist,denke ich – ich glaube schon, dass wir uns da auch einigsind –, dass in Bezug auf die VersorgungssicherheitGründlichkeit vor Schnelligkeit geht.Nun habe ich mir allerdings schon die Frage gestellt,warum Sie diesen Antrag überhaupt noch stellen. Wirhaben den Koalitionsvertrag, und wir haben einen Zeit-plan des Wirtschaftsministeriums zur Umsetzung wichti-ger Schritte im Rahmen der Energiewende – der KollegeBecker hat schon darauf hingewiesen –, übrigens auchzur Reform des Emissionshandels und der Einführungeiner Marktstabilitätsreserve.An die Fraktion der Grünen gerichtet sage ich: In Ih-rer Kleinen Anfrage, die Sie am 4. Juni 2014 an die Bun-desregierung gerichtet haben und die am 26. Juni 2014beantwortet wurde, haben Sie ja detaillierte Fragen zuden geplanten Vorhaben zur Erreichung der gesetztenKlimaschutzziele gestellt. Ich erläutere gerne jetzt nocheinmal unsere Vorhaben in dieser Legislaturperiode: Wirbrauchen und wollen zügig ein neues marktwirtschaft-liches Strommarktdesign. Deshalb wird nach der Som-merpause ein strukturierter und offener politischerDialog über das Strommarktdesign in Deutschland be-ginnen. Im Herbst 2014 wird das Bundesministerium fürWirtschaft und Energie dann ein Grünbuch zum zukünf-tigen Strommarktdesign veröffentlichen, welches öffent-lich konsultiert und im Jahr 2015 zu einem Weißbuchmit konkreten Lösungsvorschlägen weiterentwickeltwerden soll. Im Rahmen dieses Dialogs über das neueMarktdesign geht es für uns ausdrücklich nicht um dieSubventionierung alter Kohlekraftwerke, sondern um ei-nen sehr viel breiteren Ansatz.
Bayern setzt sich dafür ein, Umweltbelange, Versor-gungssicherheit und Bezahlbarkeit in eine verträglicheBalance zu bringen. Viele Jahre lang stand der Aufbauvon Kapazitäten aus erneuerbaren Energien sehr im Vor-dergrund. Ich denke, ich kann sagen: Wir in Bayern wis-sen, wovon wir reden. Wir sind an der Spitze bei der Er-zeugung von Strom aus erneuerbaren Energien – imGegensatz zu Nordrhein-Westfalen zum Beispiel. Wirdecken bereits 36 Prozent unseres Stromverbrauchs auserneuerbaren Energien.
Wir alle wissen aber auch: Leistung durch erneuer-bare Energien ist nicht durchgängig sicher und auchnicht grundlastfähig.
Die Energiewende bedeutet die Umstellung unseres ge-samten Energiesystems. Dafür brauchen wir verlässlicheRahmenbedingungen – das möchte ich heute auch nocheinmal erwähnen –, wie es zum Beispiel bei einem Ka-pazitätsmarkt der Fall sein kann.Für einen Kapazitätsmarkt brauchen wir eine techno-logieoffene, wettbewerbliche und europakompatible Lö-sung. Notwendig sind die Einbeziehung gesicherter Er-zeugungskapazitäten, von Speichern – dahinter setze ich
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Barbara Lanzinger
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mehrere Ausrufezeichen; Fragezeichen könnte mantheoretisch auch setzen –, eines Lastmanagements sowiedie Verstetigung von erneuerbaren Energien, die sehrverlässlich Strom liefern, wie zum Beispiel Wasserkraftund Biogas. Wir brauchen die richtige Mischung.Es ist gut, dass Sie ebenso wie wir die Speicher alswichtigen Bestandteil der Umstrukturierung unseresEnergiesystems betrachten. Es wäre gut gewesen – dassage ich heute sehr deutlich –, wenn wir es geschafft hät-ten, das Thema Speicher in das EEG einzupflegen. Dasist leider nicht geschehen.
Im Kapazitätsmarkt werden konventionelle Kraft-werke weiter eine Rolle spielen. Sie sind auf absehbareZeit zur Deckung der Residuallast und damit zur Ge-währleistung der Versorgungssicherheit unverzichtbar.Diese konventionellen Kraftwerke müssen jedoch drin-gend einen wesentlichen Beitrag zur Erreichung derCO2-Reduktionsziele leisten; es ist von mehreren Kolle-gen ausgeführt worden. Deshalb werden an einen zukünf-tigen Kraftwerkspark hohe Anforderungen hinsichtlichEffizienz, Emissionen, Flexibilität und Verfügbarkeit ge-stellt. Hier kommen – auch das wurde schon diskutiert –Gaskraftwerke oder Gasturbinen infrage, die teilweisemit Biogas sowie regenerativ erzeugtem Wasserstoff undMethan betrieben werden könnten.Neben dem Einsatz hocheffizienter und flexibler Gas-kraftwerke ist jedoch der europäische Emissionshandel– auch darauf wurde schon eingegangen – das wichtigsteregulatorische Instrument zur Reduktion der CO2-Emis-sionen. Ich denke schon, dass die zu günstigen Preise– auch das wurde gesagt – ein wesentlicher Grund fürden Anstieg der Kohlestromproduktion sind; sie führendazu, dass sich die klimaschonenden und effizientenGaskraftwerke nicht rentieren. Auch deshalb müssen wirdringend gemeinsam mit der EU-Kommission an neuenmarktwirtschaftlichen Modellen arbeiten und auf natio-naler Ebene über unser System der Strombörse diskutie-ren.Neben der Umstrukturierung des bisherigen CO2-Emissionszertifikatehandels gilt es aber auch, an ande-ren Stellen weiterzuarbeiten. Die Sicherstellung der Zu-verlässigkeit und der Bezahlbarkeit unserer Energiever-sorgung kann nicht allein dadurch erreicht werden, dasswir weitere Kapazitäten zubauen, ohne über einen Ab-bau von Kapazitäten im Kohlebereich zu diskutieren.Erforderlich sind Maßnahmen zur Umsetzung verbind-licher Effizienzvorgaben. Wir haben ein riesiges Ener-gieeffizienzpotenzial von mindestens 10 bis 15 Prozent,das wir nutzen können, um den Leistungsbedarf zu redu-zieren und dadurch Lasten zu verschieben. Ich denkeschon, es ist allerhöchste Zeit, insgesamt verantwor-tungsbewusster mit Energie umzugehen.Auch wenn wir alle aus der Kohle aussteigen wollen,müssen wir uns dessen bewusst sein, dass sich der Koh-leausstieg über etliche Jahrzehnte hinziehen und auchnicht nach dem Muster des Atomausstiegs erfolgen kannund wird. Ich denke, den gewaltigen Unterschied kennenwir alle: Die Atomkraft birgt weitaus höhere Risiken alsdie Kohlekraft, was einen möglichst schnellen Ausstiegaus der kommerziellen Atomenergienutzung rechtfertigt.So sieht es im Übrigen auch der Sachverständigenrat fürUmweltfragen. Er bescheinigt, dass ein Kohleausstiegund eine vollständige Versorgung mit Strom aus erneuer-baren Quellen technisch erst ab 2040 realisierbar sind,und ich denke, darauf gründet auch der Antrag der Lin-ken.
Klar ist auch: Die Bedeutung der Kohle muss in demMaße schrumpfen, in dem die Bedeutung der erneuerba-ren Energien wächst; darüber besteht auch in der Gesell-schaft durchaus Konsens.Lassen Sie mich unsere bayerische UmweltministerinIlse Aigner zitieren. Sie hat einen sehr treffenden Ver-gleich gezogen:Die Energiewende … ist kein Spaziergang, sonderneine anspruchsvolle Bergtour, bei der man Kondi-tion braucht und die Fähigkeit, bei Unvorhergese-henem auch mal die Route anzupassen oder dasTempo zu ändern.
Man muss auch mal stehen bleiben, wenn es zum Bei-spiel Unwetter gibt; das weiß jeder, der schon mal imGebirge war. Entscheidend ist jedoch, dass es aufwärtsgeht, dass man – ich bleibe bei diesem Vergleich – dasGipfelkreuz vor Augen hat, das die Richtung und dasZiel vorgibt. Dieses Ziel ist eine sichere, bezahlbare,umweltfreundliche Energieversorgung in einem gutdurchdachten Energiesystem.Je schneller wir die Kohle nicht mehr brauchen, destobesser – das sage ich ganz deutlich. Wir können denAusstieg aus der Kohle allerdings erst dann gezielt pla-nen, wenn wir ein funktionierendes Marktdesign haben;erst dann können wir sicher sein, eine ausreichende Ver-sorgungssicherheit zu gewährleisten.Zum Schluss wünsche ich allen einen schönenSommer, auch einen Arbeitssommer; ich gehe davonaus, dass wir nicht nur Ferien haben, sondern auch zuHause arbeiten. Ich wünsche, dass alle Kraft tanken kön-nen, damit wir im Herbst in aller Sachlichkeit und Ruhemit Verantwortungsbewusstsein und einem Stück Gelas-senheit weiterdiskutieren können.Vielen herzlichen Dank.
Danke auch, Frau Kollegin Lanzinger. – Für die So-zialdemokraten spricht jetzt der Kollege Thomas Jurk.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrtenDamen und Herren! Die Energiewende muss gelingen,und zwar unter ökonomischen, sozialen und ökologi-schen Aspekten. Das löst man nicht mit einem „denSchalter umlegen“. Die Energiewende ist für mich keinunendliches Experimentierfeld, sondern es gibt Rahmen-bedingungen, die wir beachten müssen. Als ehemaligerElektrotechniker sage ich dazu: Es gibt Gesetzmäßigkei-ten, die auch wir als Politiker nicht außer Kraft setzenkönnen.Sehr geehrter Herr Kollege Krischer, Sie haben alsBeispiel die Energiepolitik in Großbritannien genannt.Also, ich möchte keine Verhältnisse wie in Großbritan-nien.
Soweit ich weiß, plant man in Großbritannien, Kern-kraftwerke unter Zuhilfenahme von Einspeisevergütun-gen zu errichten.
Das gehört auch zur Wahrheit dazu. Wollen Sie daswirklich?
Es ist völlig richtig, was einige Vorredner betont ha-ben: Ein paralleler Ausstieg aus der Atomkraft und ausder Braunkohle wird nicht funktionieren können.
Es ist Ihnen schon einmal vorgetragen worden, aber da-mit Sie es sich vor Augen führen:
Woraus erzeugen wir unseren Strom in Deutschland?45 Prozent Kohle, 15 Prozent Kernkraft, 25 Prozent er-neuerbare Energien. Ich möchte gerne, dass der letztge-nannte Anteil weiter steigt. Aber wir alle wissen doch,dass erneuerbare Energien volatil sind. Deshalb müssenwir uns als Politiker darum kümmern, dass die Rahmen-bedingungen, auch was die Speicherung anbetrifft, ver-bessert werden. Ich glaube, die Bundesregierung ist ge-rade dabei.Ein anderer wichtiger Punkt ist für mich für das Ge-lingen der Energiewende notwendig, und das ist die Re-gelbarkeit. In diesem Zusammenhang komme ich zu denvon einigen so verhassten Braunkohlekraftwerken.Ich komme aus einer Region, in der vor kurzem einneuer Block ans Netz gegangen ist, der Block R in Box-berg. Er hat übrigens einen Wirkungsgrad von 44 Pro-zent. Dieser Block lässt sich im Lastmanagement zu je3 Prozent pro Minute hoch- und runterfahren. Das heißtkonkret: Man kann bei einer Gesamtleistung von675 Megawatt bis zu 250 Megawatt in einer Viertel-stunde hoch- oder runterregeln. Das ist eine gewaltigeLeistung. Das ist auch dringend notwendig, um passge-naue Lösungen dann zu finden, wenn es mal mehr, malweniger Sonnen- und Windstrom gibt. Und deshalbsollte man zur Kenntnis nehmen: Das ist ein wichtigesElement für unsere Energiewende.
Bundesminister Gabriel hat am Montag seine 10-Punkte-Energie-Agenda zu zentralen Vorhaben der Energie-wende für die 18. Legislaturperiode vorgestellt; einigeVorredner sind bereits darauf eingegangen. Ich finde, esist ein sehr gutes Papier und es lohnt, gelesen zu werden,auch vor dem Hintergrund, dass es klare Aussagen zumStrommarktdesign enthält; ich erinnere an die Arbeits-weise: Grünbuch, Weißbuch und entsprechende Geset-zesvorhaben. Das macht deutlich, dass wir nicht nur mitunseren Nachbarländern grenzüberschreitende Lösungenbrauchen, sondern in der Europäischen Union insgesamt.Neue Erzeugerstrukturen, wie sie in den letzten Jah-ren aufgewachsen sind, verlangen daran angepassteNetze. Sowohl bei Übertragungs- wie auch bei Verteil-netzen gibt es riesigen Investitionsbedarf. Das alles mussfinanziert werden.An dieser Stelle möchte ich den Verteilnetzbetreiberndurchaus meinen Dank und meine Anerkennung zollen.In den letzten Monaten und Jahren haben sie Hervorra-gendes geleistet, um die Versorgungssicherheit in unse-rem Land aufrechtzuerhalten.
Auch hier macht die 10-Punkte-Energie-Agenda vonSigmar Gabriel klar: Wir brauchen Vorgaben und vor al-len Dingen eine zeitliche Rahmensetzung, damit auchdieser riesige Kraftakt des Netzausbaus bewältigt wer-den kann.Ich komme zum Thema Bergrecht. Ich habe mir sa-gen lassen, dass das ein altes Thema ist, das auch Sie,Kollege Krischer, immer wieder vor sich hertragen.
Selbst wenn es in Deutschland keine Kohlekraftwerkegäbe, wäre die rohstoffliche Bedeutung für viele Bran-chen unserer Volkswirtschaft darin abgebildet. Es istklar: Da braucht man eine Gesetzgebung.
Seit 1982 haben wir mit dem einheitlichen Bergrecht,das damals in Deutschland geschaffen wurde, eine solideGrundlage geschaffen, die am 3. Oktober 1990 auf dasGebiet der ehemaligen DDR übertragen wurde.
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Thomas Jurk
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Natürlich gab es noch weitere Vorläufer von Vorschrif-ten, aber ich bitte Sie von den Grünen: Tun Sie dochnicht so, als hätten Sie ein altes und völlig überholtesGesetz vor sich.
– Das Garzweiler-Urteil legt jeder so aus, wie er esbraucht; auch wir haben eine Meinung dazu. Wenn Sieganz in Ruhe darüber nachdenken, stellen Sie fest: Soweit ist man da manchen nicht entgegengekommen; dasinterpretieren Sie hinein.Auch die SPD-Bundestagsfraktion hat in der jüngstenZeit Bedarf nach Weiterentwicklung des Bergrechts ge-sehen,
ohne es abschaffen zu wollen.
Deshalb ist es wichtig, darauf hinzuweisen – Sie habenes wahrscheinlich vergessen, deshalb sage ich es jetztnoch einmal –: Uns geht es um die Beteiligung der Öf-fentlichkeit, zum Beispiel von Gemeinden, von Umwelt-und Wasserbehörden. Besonders wichtig ist uns einefrühzeitige Bürgerbeteiligung auch, um die Akzeptanzfür bergrechtliche Verfahren zu erhöhen.Meine sehr verehrten Damen und Herren, das Berg-recht muss an die Anforderungen einer modernen, auf-geklärten und an Teilhabe interessierten Gesellschaft an-gepasst werden.
Ich sage Ihnen aus meiner Erfahrung heraus: Es gibtkeine undemokratischen Verfahren. Schaue ich mir dieErweiterung des Tagebaus in meiner Heimat an, so kannich feststellen, dass die Mitglieder des Braunkohleaus-schusses oder der regionale Planungsverband in seinerVerbandsversammlung sehr verantwortungsbewusst dasumgesetzt haben, was sie an Informationen bekommenhaben. Sie haben übrigens nicht nur Vorlagen von berg-bautreibenden Unternehmen, sondern auch Hinweise ausder Bevölkerung aufgegriffen. Nicht jeder war damiteinverstanden. Am Ende gehört es zur Demokratie dazu,dass man abstimmt.Frau Baerbock, ich hatte im Gegensatz zu Ihnen nichtdas Glück, vor 1990 einen solchen Rechtsstaat erlebenzu können. Mein Heimatort wäre im Jahre 2010 abge-baggert worden, hätte es die DDR noch gegeben. Ich binsehr froh, dass die Menschen 1989 dafür gesorgt haben,dass das zu Ende war.
– Ich bin jetzt bei der Region angekommen. Kohle ist einregionaler Wirtschaftsfaktor – Herr Krischer, das werdenSie selbst für NRW nicht bestreiten können – für Bran-denburg, für Sachsen und für Sachsen-Anhalt. Ganz ne-benbei reden wir über einen einheimischen Energieträ-ger, genau so, wie das auch auf die erneuerbarenEnergien zutrifft.Im Koalitionsvertrag ist dazu völlig richtig ausge-führt:Die Energiewende ist für die neuen Länder sowohlals Produktionsstandort für Anlagen als auch für dieErzeugung erneuerbarer Energien eine großeChance. Auch die Braunkohle spielt nach wie voreine bedeutende Rolle für die Wirtschaftsstruktur.Bei manchen Antragstellern hatte ich den Eindruck– spontan fällt mir das Bild vom Hebelumlegen ein –:Jetzt beschließen wir einmal den Strukturwandel. Meinesehr verehrten Damen und Herren, in meiner Heimatre-gion, in ganz Ostdeutschland haben wir seit 24 Jahren ei-nen ständigen Strukturwandel – mit unterschiedlichemErfolg.
– Ich glaube, das kann man nicht vergleichen, HerrKrischer.
Das hat noch eine andere Dimension. Viele Probleme,die wir im Osten haben, die wir jetzt gerade lösen, wer-den Sie auch in Westdeutschland einholen.
Ich bin froh, dass diese Planung zu Ende ist und dasswir ganz genau wissen, was wir vor uns haben. Deshalbist es notwendig, einen richtigen Planungsrahmen zu ha-ben. Sie haben nicht vor 1990 in meiner Heimat gelebtund können sich kein Bild machen.
Was Sie jetzt machen, ist eine pauschale Verurteilungderjenigen, die dort leben. Das weise ich mit Entschie-denheit zurück.
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Thomas Jurk
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Da bin ich bei einem wichtigen Punkt. Auch in derBraunkohlewirtschaft hat es enorme Anpassungspro-zesse gegeben. Wir hatten 1990 noch rund 140 000 Be-schäftigte in diesem volkswirtschaftlichen Sektor –sicherlich völlig aufgebläht. Momentan arbeiten in Ost-deutschland 11 000 Leute direkt im Tagebau, in Kraft-werken. Rechnet man mit einem Multiplikator von zwei,kommt man ungefähr auf die Effekte, die durch Dienst-leister und Zulieferer entstehen.Meine sehr verehrten Damen und Herren, der Struk-turwandel führt auch zu neuen Landschaftsstrukturen.Das sind einerseits Chancen für den Tourismus – wennich an die Seengebiete denke –, aber auch Chancen, derNatur Flächen wieder zurückzugeben. Stetiger Wandelbraucht Zeit.
– Das, was Sie sagen, ist alles zu vereinfacht, FrauHöhn. Das ist der Sache nicht angemessen. Sie setzensich nicht mit Argumenten auseinander.
Strukturwandel braucht seine Zeit. Sie können jetztgern einmal aufstehen. Ich bin ja noch relativ neu in die-sem Parlament. Ich kenne aus dem Sächsischen LandtagMikrofone; von diesen aus kann man Zwischenfragenstellen. Ich bin bereit, sie zu beantworten.
Stetiger Wandel braucht Zeit. Wir haben für die Re-gion übrigens auch gute Konzepte. Da wird nicht allesgelöst werden können. Das ist doch gar keine Frage.Aber es gibt in diesem Zusammenhang nach wie voreine sehr hohe Akzeptanz für die Braunkohle. Das sollteman auch einmal zur Kenntnis nehmen. Es gab im Jahr2013 eine repräsentative Umfrage von Forsa in allenLandkreisen und Städten der Region. Zwei Drittel derBefragten haben auf die Frage – ich lese sie Ihnen vor,damit Sie wissen, was gefragt wurde –: „Ist zur Siche-rung der langfristigen, zuverlässigen und kostengünsti-gen Versorgung mit Energie die Erweiterung des Braun-kohletagebaus in der Lausitz notwendig?“, mit Jageantwortet.Ich verstehe alle, die von Braunkohletagebauen be-troffen sind und die ihre Heimat verlassen müssen. Dasist ein unglaublich schmerzhafter und harter Prozess, derbegleitet werden muss. Ich sage aber auch sehr deutlich:Die Menschen in der Region wollen keine falschen Ver-sprechungen, und sie wissen, was wichtig für sie ist.Lassen Sie mich die Debatte zusammenfassen. Einesist klar geworden: In dem Maße, in dem der Ausbau unddie Systemintegration der erneuerbaren Energien voran-schreiten, wird der Einsatz der Braunkohle als Energie-träger zur Stromerzeugung mehr und mehr reduziertwerden können. Das ist ja auch das Ziel des Ausbaus dererneuerbaren Energien. In diesem Zusammenhang wirdder Anteil der Braunkohle sinken.
Herr Kollege Jurk, denken Sie an die vereinbarte Re-
dezeit.
Ja, ich sehe gerade die Uhr, Herr Präsident. – Ich sage
noch einen schönen Schlusssatz: Wir betrachten die
Braunkohle als Brückentechnologie, die wir so lange be-
nötigen, bis wir unser Ziel einer klimaneutralen Energie-
erzeugung erreicht haben.
Vielen Dank. – Abschließender Redner zu diesem Ta-
gesordnungspunkt ist der Kollege Jens Koeppen, CDU/
CSU.
Vielen Dank, Herr Präsident. – Meine Damen undHerren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Immer wennwir über den Kohleausstieg reden – alle Monate wieder –,dann geht es sehr emotional zu. Aus meiner Sicht ist dasverständlich. Sie von den Grünen sind mit Ihren Anträ-gen immer sehr beharrlich und sehr konsequent.
Das nötigt mir natürlich Respekt ab. Allerdings sind Sieimmer auch sehr dogmatisch. Deswegen müssen Sie da-mit rechnen, dass wir Ihre Anträge beharrlich und konse-quent zurückweisen, weil Ihre Anträge keiner wirklichsachlichen Betrachtung standhalten.
Wir wollen ruhig und sachlich,
aber auch ein bisschen emotional antworten. Eigentlichist es schade, dass wir jetzt, am letzten Sitzungstag vorder Sommerpause, noch einmal anderthalb Stunden langdarüber reden müssen. Wir haben in Plenarsitzungen, inAusschusssitzungen und in AG-Sitzungen darüber ge-sprochen, und immer wieder wurde dasselbe thematisiertund wurden dieselben Anträge gestellt.Die Geschichte ist eigentlich sehr schnell erzählt: Derüberstürzte Ausstieg aus der Kohleverstromung – dashaben letztendlich alle Redner gesagt – ist derzeit nichtmachbar, jedenfalls nicht ohne größere volkswirtschaft-liche Risiken.
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Jens Koeppen
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Zur Historie gehört auch – auch das haben alle gesagt –,dass es einen politischen Beschluss gibt, aus der Kern-energieerzeugung auszusteigen. Wir haben noch nichtbeschlossen, aus der Kernenergienutzung auszusteigen,aber wir haben beschlossen, aus der Kernenergieerzeu-gung auszusteigen. Im Jahr 2003 betrug der Anteil desStroms aus Kernenergie noch 27 Prozent, im Jahr 201315 Prozent. Auch diese 15 Prozent weiter zurückzufah-ren und damit weiter auszusteigen, ist kein Thema.Gleichzeitig überstürzt aus der Kohleverstromung aus-zusteigen – das haben alle Redner gesagt –, wäre aberenergiepolitischer und volkswirtschaftlicher Harakiri.Nahezu jede zweite Kilowattstunde, Frau Baerbock,wird durch Kohleverstromung erzeugt. 2003 waren esnoch 50 Prozent, 2013 waren es 45 Prozent, und jetztsind es noch etwas über 40 Prozent.Wir sollten uns eigentlich das Thema der erneuerba-ren Energien vornehmen, anstatt an den anderen Themenherumzudaddeln; denn der Ausbau der erneuerbarenEnergien ist eine Erfolgsgeschichte. 2003 betrug der An-teil des Stroms aus erneuerbaren Energien 7,5 Prozent,und jetzt sind es 25 Prozent. Das ist ein Erfolg. LassenSie uns doch darüber reden. Lassen Sie uns darüber re-den, wie wir auf diesem Gebiet weiterkommen können,um dann synchron aussteigen zu können.
Zu glauben, den 45-prozentigen Anteil der Kohleheutzutage durch Gas ersetzen zu können, und dasschnell, ist aus meiner Sicht schlicht und ergreifend naiv.
Ich jedenfalls möchte nicht, dass wir in Abhängigkeitvon unsicheren Gaslieferanten geraten, von Staaten wie– das kann man ruhig sagen – Russland. Ich möchtekeine nationale Klima- und Umweltpolitik. Sie wollenkeine Kohleverstromung in Deutschland. Sie wollen na-türlich auch kein Fracking in Deutschland. Sie wollenkeine CCS-Technologie in Deutschland. Aber ist es dennsinnvoll, fossile Energien im Ausland zu fördern und inDeutschland zu verbrennen? Das ist doch auch keinWeg.
Eine rein nationale Orientierung – das ist klar – ist nichtsinnvoll. Das ist nicht mein Verständnis von einem sinn-vollen Umgang mit fossilen Energieträgern.Der eilige und national einseitige Kernenergieausstiegführte bereits zu einigen Absurditäten; das kann uns na-türlich auch bei der Kohle passieren. Bei den erneuerba-ren Energien haben wir an Tagen mit geringer Abnahmenatürlich einen negativen Strompreis; das kennen wiralle. An Tagen mit großem Bedarf hingegen kaufen wirStrom aus Kernenergie in Frankreich oder Temelin inTschechien; auch das ist nicht der richtige Weg. Deswe-gen kommt es zur nächsten Absurdität – das stand neu-lich auch in der Zeitung –: dass Russland bzw. Putin unsStrom aus noch nicht einmal gebauten Kernkraftwerkenin Kaliningrad anbietet. Das ist völlig absurd. Wollen Siediesen Weg etwa gehen und sich in diese Abhängigkeitbegeben? Ich denke, das ist nicht der Sinn der Energie-wende.
Die Kohle wird eine Brücke sein – da haben Sie allerecht; Barbara Lanzinger hat darauf hingewiesen, HerrJurk auch –, logischerweise aber eine Brücke hin zu er-neuerbaren Energien. Sie kann keine Brücke zu einemanderen fossilen Energieträger sein, aus meiner Sicht je-denfalls nicht. Anders als bei der Kernenergie müssenwir den Ausstieg synchron betreiben:
synchron mit den neuen Technologien, synchron mit denerneuerbaren Energien, synchron mit den Speichern, diewir teilweise noch nicht haben, synchron mit den Net-zen, bestenfalls natürlich mit den vorhandenen Netzen,und synchron mit der Grundlast bzw. mit nutzbarerEnergie. Es nützt uns nichts, wenn wir erneuerbare Ener-gien nur installieren, sie aber dann, wenn sie gebrauchtwerden, nicht zur Verfügung stehen. Unser Ziel musssein, wegzukommen von der Renditeversorgung undwieder hinzukommen zur Energieversorgung.Sie sprechen in Ihrem Antrag von steigenden Emis-sionen. Aber Sie haben dabei nicht bedacht, dass dieBraunkohleverstromung sehr viel effizienter gewordenist. Das mag Sie nicht zufriedenstellen, aber es ist zu-mindest so. 2013 wurde mehr Strom aus Kohle produ-ziert; das ist richtig. Dafür wurde aber weniger Kohleverbrannt. Das ist ein Szenario, das dargestellt wurde. Esgeht um die NOx- und die SO2-Werte. Bei NOx sind wirso weit, dass wir den Wert von 1990 halbiert haben. BeiSO2 beträgt der Wert, von der Basis 1990 ausgehend,7 Prozent. Lediglich 6 Prozent aller Feinstaubemissio-nen kommen von Kraftwerken; alles andere ist auf denStraßenverkehr und auf andere Bereiche zurückzufüh-ren.Zum Quecksilber – Sie haben es angesprochen – kannman sagen: Beim Quecksilber ist die Situation kritisch;gar keine Frage. Aber europäische Kraftwerke machenweniger als 2 Prozent der weltweiten Quecksilberemis-sionen aus. Auch das kann uns nicht zufriedenstellen,aber das sind erst einmal die Fakten. Die Produktion ei-ner Leuchtstofflampe oder einer Energiesparlampe ir-gendwo auf der Welt trägt jedoch mehr zum Quecksilber-ausstoß bei als die Kraftwerke.Zu Ihren Forderungen zum Emissionshandel sei ge-sagt: ETS ist ein marktwirtschaftliches Instrument. Es istkein Instrument, um den Energiemix staatlich festzule-gen. Es ist auch kein Instrument, um die Staatskasse zu
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Jens Koeppen
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füllen; das sage ich, weil Sie immer wieder den Klima-fonds ansprechen. Ein Mindestpreis führt dazu, dass dasganze System ad absurdum geführt wird. Ein Eingriffder EU-Ebene wäre ein Eingriff in den Energiemix derNationalstaaten.Meine Damen und Herren, die Energiewende ist aufeinem guten Weg. Im ersten Halbjahr 2014 waren die er-neuerbaren Energien die wichtigste Stromquelle inDeutschland. Sie haben die Braunkohle abgelöst; daswurde heute schon gesagt. Das ist der richtige Weg, undda müssen wir hin. Die Braunkohle durch eine anderefossile Energiequelle zu ersetzen, ist aus meiner Sichtenergiepolitischer Unfug.Ich widme die letzten drei Minuten meiner Redezeit,die ich noch habe, dem heutigen Fußballspiel und höreein bisschen früher auf.Vielen Dank.
Ein nicht völlig unbedeutender Hinweis. – Damit
schließe ich die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf
den Drucksachen 18/1962 und 18/1673 an die in der Ta-
gesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen.
Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann
sind diese Überweisungen so beschlossen.
Ich rufe jetzt Tagesordnungspunkt 11 auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-
regierung eingebrachten Entwurfs eines Geset-
zes zur Bekämpfung von Zahlungsverzug im
Geschäftsverkehr
Drucksachen 18/1309, 18/1576
Beschlussempfehlung und Bericht des Aus-
schusses für Recht und Verbraucherschutz
Drucksache 18/2037
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
diese Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Weil ich
keinen Widerspruch sehe, gehe ich davon aus, dass Sie
alle damit einverstanden sind.
Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort der
Bundesregierung, Herrn Staatssekretär Christian Lange.
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Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Ich freue mich, dass wir mit dem vorliegendenGesetzentwurf der Bundesregierung zur Bekämpfungvon Zahlungsverzug im Geschäftsverkehr die im Jahr2011 überarbeitete Richtlinie zur Bekämpfung von Zah-lungsverzug im Geschäftsverkehr umsetzen. Dabei be-stand durchaus Zeitdruck; denn die Umsetzungsfrist ist,wie Sie wissen, seit über einem Jahr abgelaufen, und dieEU-Kommission hat bereits ein Vertragsverletzungsver-fahren eingeleitet.Der Entwurf hat das Ziel, eine bessere Zahlungsdiszi-plin im Geschäftsverkehr zu fördern. Wir wollen vor al-len Dingen Handwerk und Mittelstand davor schützen,dass sie ihren verhandlungsstärkeren Auftraggebern zurBegleichung des Entgelts oder zur Überprüfung derWare lange Fristen einräumen und damit praktisch kos-tenlosen Kredit gewähren müssen. Vor allem diese Un-ternehmen können sehr schnell in eine finanzielleSchief- oder gar Notlage geraten, wenn sie gegenüber ih-rem Geschäftspartner in Vorleistung gehen und zu langeauf ihr Geld warten müssen, während sie ihre eigenenZahlungsverpflichtungen sofort erfüllen müssen.Der Entwurf beschränkt deshalb das Recht, vertrag-lich Zahlungs-, Abnahme- und Überprüfungsfristen zuvereinbaren. Dies gilt vor allem für Verwender von All-gemeinen Geschäftsbedingungen. Nach den intensivenDiskussionen, die schon in der letzten Wahlperiode ge-führt worden sind, sind wir der Überzeugung, dass essachgerecht ist, Klauseln im Zweifel als unwirksam an-zusehen, in denen sich ein Schuldner vorbehält, erst nachmehr als 30 Tagen zu zahlen. Der Entwurf weicht damitgeringfügig von den Vorgaben der Richtlinie ab, die einesolche 30-Tage-Frist nur für öffentliche Auftraggeber alsZahlungsschuldner vorsieht.Eine dramatische Verschärfung der geltenden Rechts-lage ist dabei freilich nicht zu befürchten; denn schonheute orientiert sich die Rechtsprechung bei der Beurtei-lung der Wirksamkeit einer solchen Klausel an besagter30-Tage-Frist. Der Entwurf bleibt vielmehr dem schongeltenden hohen Schutzniveau des deutschen Rechts treuund vermeidet es, den geltenden Kontrollmaßstab aufzu-weichen. Zugleich lässt er genügend Spielraum, um auchkünftig die Besonderheiten einer Vertragsbeziehung zuberücksichtigen, die im Einzelfall die Vereinbarung län-gerer Fristen rechtfertigen.Dementsprechend wird auch das Recht, Klauseln mitÜberprüfungs- und Abnahmefristen zu verwenden, stär-ker beschränkt. Hier sind Fristen im Zweifel unangemes-sen, wenn sie mehr als 15 Tage betragen. Vereinbarendie Vertragsparteien individualvertragliche Zahlungs-,Überprüfungs- oder Abnahmefristen, müssen dabeikünftig in Übereinstimmung mit der Richtlinie folgendeMaßstäbe eingehalten werden:Erstens. Lässt sich ein Unternehmer eine Zahlungs-frist von mehr als 60 Tagen einräumen, so ist diese Ver-einbarung nur wirksam, wenn sie „ausdrücklich getrof-fen“ und „nicht grob unbillig“ ist.Zweitens. Dieselben Wirksamkeitsanforderungen gel-ten, wenn sich Unternehmer oder öffentliche Auftragge-ber Überprüfungs- und Abnahmefristen von mehr als30 Tagen einräumen lassen.Drittens. Im Hinblick auf vereinbarte Zahlungsfristengelten, wenn der Zahlungsschuldner ein öffentlicherAuftraggeber ist, wie bereits erwähnt, strengere Anfor-derungen; Stichwort: Vorbildfunktion der öffentlichenHand. Eine Frist von mehr als 30 Tagen ist nur dannwirksam, wenn sie „ausdrücklich getroffen“ und „sach-lich gerechtfertigt“ ist. Eine Zahlungsfrist von mehr als60 Tagen ist hingegen in jedem Fall unwirksam.
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 47. Sitzung. Berlin, Freitag, den 4. Juli 2014 4381
Parl. Staatssekretär Christian Lange
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Diese Regeln sollen nun also in der Praxis umgesetztwerden. Hierzu wird beitragen, dass Unternehmensver-bände das Recht haben werden, Ansprüche auf Unterlas-sung von gesetzeswidrigen AGB oder entsprechendeGeschäftspraktiken gerichtlich geltend zu machen.Kleine und mittlere Unternehmen erhalten damit Unter-stützung bei der Durchsetzung ihrer Ansprüche. Genaudas wollen wir, meine Damen und Herren.Die neuen Regelungen sollen nun möglichst schnellin Kraft treten. Sie sollen auch für bereits bestehendeDauerschuldverhältnisse gelten. Es wäre nicht mit demZiel des Schutzes der Gläubiger vereinbar, weit in dieZukunft hinein an vereinbarten Zahlungs-, Überprü-fungs- oder Abnahmefristen festzuhalten, die nachneuem Recht nicht mehr möglich wären. In diesen Fäl-len soll das neue Recht gelten, sofern die Leistung, fürdie ein Zahlungsziel vereinbart wurde, nach dem30. Juni 2016 erbracht wurde. Diese lange Übergangs-frist lässt hinreichend Zeit, um bestehende Rahmenver-träge anzupassen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Zah-lungsmoral zu verbessern, ist das Ziel. Ich glaube, dassder Gesetzentwurf der Bundesregierung dafür sorgenwird, dass Deutschland auch zukünftig ein verlässlicherRechtsstandort für Schuldner und Gläubiger sein wird,und bitte Sie um Ihre Unterstützung und Zustimmung.Herzlichen Dank.
Vielen Dank, Herr Staatssekretär. – Nächster Redner
ist für die Fraktion Die Linke der Kollege Richard
Pitterle.
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr verehrte Kollegin-nen und Kollegen! Mit dem vorliegenden Gesetzentwurfsoll der Zahlungsverzug im Geschäftsverkehr bekämpftwerden. Im Klartext: Es soll dafür gesorgt werden, dassdie Rechnungen bei Geschäften zwischen Unternehmenzügig beglichen werden. – So weit das erklärte Ziel.Ich kann Ihnen aber gleich vorwegsagen: Die Frak-tion Die Linke wird sich bei der Abstimmung über IhrenGesetzentwurf enthalten; denn es gibt zwar Positives anIhrem Gesetzentwurf, aber auch Negatives bzw. Schwä-chen; dazu werde ich noch Stellung nehmen.
Ich bin seit 1990 als Rechtsanwalt im Bereich des na-tionalen und internationalen Wirtschaftsverkehrs tätig.Glauben Sie mir: Ich weiß, dass an der zeitigen Zahlungvon Rechnungen – gerade bei kleinen und mittleren Un-ternehmen – allzu oft Existenzen hängen. Nehmen Sieals Beispiel die Handwerkerin oder den Handwerker vonnebenan: Wenn einmal ein größerer Auftraggeber län-gere Zeit nicht zahlt, dann kann das für das kleine Unter-nehmen aufgrund mangelnder Möglichkeiten zur Zwi-schenfinanzierung existenzbedrohend sein.Zurück zu Ihrem Gesetzentwurf. Ich will mich dabeiauf drei Punkte beschränken:Zum Ersten. Das hier verfolgte Ziel, durch gesetzli-che Höchstfristen zeitige Rechnungszahlungen zu garan-tieren, begrüßen wir. Im Gesetzentwurf ist das für denBereich der Allgemeinen Geschäftsbedingungen auchgut gelungen. Hier können sich Unternehmen nicht mehrvon vornherein 90 Tage als Zahlungsfrist ausbedingen.Grundsätzlich dürfen es jetzt nur noch 30 Tage sein.
Viele große Unternehmen verschafften sich bisher zu-lasten des Handwerks einen zinslosen Kredit. Das ist einSkandal, der auch beendet gehört.
So weit, so gut.Im Bereich der individuellen Verträge ohne Allge-meine Geschäftsbedingungen lassen Sie jedoch nocheine Frist von 60 Tagen zu – in Ausnahmefällen sogarvon mehr als 60 Tagen.
In Teilen der mittelständischen Wirtschaft besteht hierdie Befürchtung, wie wir aus der Anhörung wissen, dassdieses Schlupfloch künftig vermehrt ausgenutzt werdenkönnte. Hier müssen Sie nachbessern.
Zweiter Punkt. Ihr Gesetzentwurf ist nach wie vor zukompliziert gestaltet. Bereits in der öffentlichen Anhö-rung waren sich die geladenen Sachverständigen unei-nig, wie einzelne Regelungen Ihres Gesetzentwurfs aus-zulegen sind. Nun frage ich Sie, meine Damen undHerren der Regierungskoalition: Wie soll es für kleineund mittelständische Unternehmen möglich sein, diesesGesetz richtig auszulegen, wenn sich bereits die Sach-verständigen in der Anhörung, die ausgewiesenermaßenExperten auf diesem Gebiet sind, nicht auf eine Ausle-gung einigen konnten? Ihnen dürfte ja wohl bewusstsein, dass der Bäcker oder der Elektroinstallateur in derRegel keine tiefer gehenden Kenntnisse über die Niede-rungen des Bürgerlichen Gesetzbuchs hat – geschweigedenn eine eigene Rechtsabteilung, die hier weiterhelfenkönnte.
Dritter und letzter Punkt. Sie hätten die Arbeit imAusschuss nutzen sollen, meine Damen und Herren vonder Regierungskoalition, um hier noch einmal nachzu-bessern und entsprechende Änderungen vorzunehmen.Doch was machen Sie stattdessen? Sie bringen zwar ei-nen Änderungsantrag ein, doch der beinhaltet fast nurÄnderungen zum Erneuerbare-Energien-Gesetz, die mitder vorliegenden Materie null zu tun haben.
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4382 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 47. Sitzung. Berlin, Freitag, den 4. Juli 2014
Richard Pitterle
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Meine Damen und Herren, das muss ich Ihnen leiderganz grundsätzlich sagen: Zwar drängt die Zeit manch-mal, aber der Mischmasch, den Sie hier zusammenrüh-ren, hat mit seriöser parlamentarischer Arbeit kaum et-was zu tun.
Im Gegenteil: Mit den Änderungen zum EEG bringenSie hier eine Materie ein, die überhaupt nicht im Sachzu-sammenhang zu diesem Gesetzentwurf steht. Vielleichtwissen Sie es nicht, was, nebenbei bemerkt, recht be-denklich wäre, aber ein solches Vorgehen entspricht we-der der Geschäftsordnung dieses Hauses noch der Ver-fassung unseres Landes.Vielen Dank.
Nächster Redner ist für die CDU/CSU der Kollege
Dr. Stephan Harbarth.
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!Meine sehr geehrten Damen und Herren! Heute ist einguter Tag für den Mittelstand in Deutschland. Wir brin-gen ein wichtiges Projekt auf den Weg, das den Mittel-stand in seiner tagtäglichen Arbeit unterstützt. Es ist un-serer Fraktion seit jeher ein großes Anliegen gewesen,Mittelstandspolitik nicht in Sonntagsreden zu betreiben,sondern in praktische Politik umzusetzen. So handhabenwir das, seit wir ab dem Jahr 2005 wieder mitregierendürfen. Deshalb freuen wir uns, dass wir mit dem heu-tigen Tag wichtige Akzente für den Mittelstand inDeutschland setzen können.
Wir erreichen heute gewissermaßen das Ende einermehrjährigen Wanderung. Diese Wanderung begann zuBeginn der letzten Legislaturperiode, als der Entwurf ei-ner Richtlinie der EU über die Bekämpfung von Zah-lungsverzug im Geschäftsverkehr auf dem Tisch lag. Wirals Deutscher Bundestag haben damals – ich empfanddas als sehr starkes und sehr gutes Signal nach Brüssel –eine in diesem Hause einstimmig verabschiedete Stel-lungnahme nach Artikel 23 Grundgesetz abgegeben.Wir haben darin festgestellt, dass der Entwurf derKommission an einer Vielzahl von Punkten aus Sicht derdeutschen Rechtskultur unvertretbar und inakzeptabelwar. Wir haben damals sehr klare Kritik formuliert. Daswar ein deutliches Signal nach Brüssel, und wir habenuns sehr gefreut, dass dieses Signal in Brüssel gehörtwurde. Der Deutsche Bundestag war mit seiner Stellung-nahme erfolgreich: Die Richtlinie wurde an vielen Stel-len positiv verändert.Wie ist die Ausgangslage? Die Ausgangslage ist so,dass in Europa in vielen Fällen Rechnungen nicht zeit-nah beglichen werden. Wir in Deutschland sind in einernoch vergleichsweise guten Situation. Aber auch bei unswerden Rechnungen in manchen Fällen nicht so schnellbeglichen, wie man sich das wünscht. Man sieht, dass invielen anderen europäischen Ländern die Zahlungskulturgeradezu dramatisch ist. Man sieht auch, dass in vielenLändern innerhalb Europas gerade die Zahlungskulturder öffentlichen Hand schlecht ist, dass in manchen Län-dern die öffentliche Hand Rechnungen viel schleppenderbezahlt, als dies private Einheiten tun.Deshalb ist es richtig, dass die Kommission hier tätiggeworden ist. Es reicht nicht aus, den Zahlungsverkehrin einem Binnenmarkt in einzelnen Ländern zu bekämp-fen, sondern das muss grenzüberschreitend geschehen,weil auch der Geschäftsverkehr grenzüberschreitend ist.Wir halten auch den Ausgangspunkt der Kommission fürrichtig, an die öffentliche Hand, bei der die Missständeim Augenblick am größten sind, besonders strenge Maß-stäbe anzulegen.Wir wollen heute den vorliegenden Gesetzentwurfverabschieden. In diesem Gesetzentwurf sind strikte Re-geln für den Versuch vorgesehen, Zahlungsfristen in dieZukunft zu verlagern. Wir sind der Auffassung: Wer eineLeistung erbringt, hat das Recht, dass er dafür zeitnahGeld sieht. Deshalb gehen wir an vielen Stellen weitüber die Richtlinie hinaus. Wir machen keine Eins-zu-eins-Umsetzung, sondern im Sinne der Interessen derGläubiger, gerade auch im Sinne des Mittelstands, derauf Liquidität in besonderer Weise angewiesen ist, gehenwir über die Richtlinie hinaus. Das ist ein gutes Signalfür den Mittelstand.
Strikte Regelungen gibt es insbesondere im Bereichder Allgemeinen Geschäftsbedingungen, wo eigentlichdie Musik spielt. Es ist vorgesehen, dass alle Zahlungs-fristen, die über 30 Tage hinausgehen, im Zweifel un-wirksam sind. Damit soll erreicht werden, dass geradeHandwerksbetriebe, mittelständische Betriebe, Bauun-ternehmen und andere nicht mehr in gleicher Weise wiein der Vergangenheit Gefahr laufen, eine Zeitlang aufFehlbeträgen sitzen zu bleiben; denn sie müssen mit die-sem Geld arbeiten. Bei einem Handwerksbetrieb, der einoder zwei große Rechnungen verschickt und dann mona-telang auf das Geld wartet, kann man sich die Konse-quenzen lebhaft vorstellen: Arbeitsplatzverlust oder so-gar Insolvenz. Deshalb ist es sehr gut, dass wir hier tätigwerden.Herr Kollege Pitterle, dass verschiedene Sachverstän-dige zu Bestimmungen in Gesetzen immer wieder unter-schiedlicher Meinung sind, ist ein relativ normaler Vor-gang. Dazu fällt mir auch im Bürgerlichen Gesetzbucheine Reihe von Bestimmungen ein. Ich erinnere zumBeispiel daran, dass dort auf die Begrifflichkeit „Treuund Glauben“ rekurriert wird. Da gilt der alte Grundsatz:drei Juristen, drei Meinungen.
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 47. Sitzung. Berlin, Freitag, den 4. Juli 2014 4383
Dr. Stephan Harbarth
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Deshalb kann der Umstand, dass zu einzelnen Passagenverschiedene Rechtsauffassungen bestehen, nicht dazuführen, dass wir sagen: Das ist kein guter und zustim-mungsfähiger Entwurf. Das gilt umso mehr, als geradebei Fragen des Zahlungsverkehrs, die sich jeden Tagstellen, die Gerichte mit Sicherheit sehr schnell Rechts-sicherheit schaffen werden. Das ist komplett anders alsan vielen anderen eher entlegenen Stellen der Materie.Der Gesetzentwurf ist durch die Sachverständigenan-hörung noch einmal bestätigt worden. Deshalb würdeich Sie auch bitten – Sie haben ja noch ein paar MinutenZeit –, dass Sie sich vielleicht noch einmal in Ruhe über-legen, ob Sie einem derart guten Entwurf nicht doch zu-stimmen möchten. Sie haben das ja damals bei der Stel-lungnahme getan. Wir würden es begrüßen, wenn wirauch hier wieder ein einstimmiges Signal im Sinne desMittelstandes hinbekämen.Lassen Sie mich noch eine Bemerkung als Parlamen-tarier machen. Ich glaube, dass es ein Zeichen des Mutesund ein Zeichen aufrechten Ganges ist, dass die hand-werklichen Fehler, die in der vergangenen Woche offen-kundig im Rahmen der EEG-Reform begangen wurden,nun rasch korrigiert werden. Das haben die Menschen soverdient. Ich sage als Parlamentarier aber auch, dass iches mir sehr wünschen würde – so herausfordernd und sokomplex die Materien für die Ministerien auch sein mö-gen –, dass derartige Dinge, dass man bereits wenigeTage nach Verabschiedung einer Reform eine Reparaturvornehmen muss, in Zukunft unterbleiben.Wir werden diesem Gesetz heute zustimmen, weil es,wie bereits gesagt, ein gutes Signal für den Mittelstandist.Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Nächste Rednerin ist für Bündnis 90/Die Grünen die
Kollegin Katja Keul.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen undKollegen! Der Gesetzentwurf zur Beschleunigung desZahlungsverkehrs verdient es eigentlich, aufmerksamdiskutiert zu werden. Es geht dabei um die Umsetzungeiner EU-Richtlinie, nach der große und starke Auftrag-geber gegenüber kleineren Auftragnehmern mit einerschwächeren Verhandlungsposition nicht unendlich langeZahlungsfristen aushandeln können sollen. Leider wirddieses Gesetzvorhaben jetzt dazu missbraucht, hierinReparaturen für das völlig chaotisch zustandegekom-mene EEG unterzubringen. Inhaltlich wird gleich meinKollege dazu noch einiges sagen, von mir nur zum Ver-fahren noch eine rechtspolitische Anmerkung.Man kann daran sehen, dass es eben doch Sinn macht,dem Parlament die Gesetzgebung zu überlassen.
Überlassen wir dies der Exekutive, indem wir deren Vor-lagen nicht einmal mehr lesen, bevor wir sie verabschie-den, geht es eben schief. Gewaltenteilung hat ihren Sinn.An diese alte Weisheit sollte sich auch eine Große Koali-tion erinnern.
Aber zurück zum vorliegenden Gesetzentwurf. AlsErstes stellen wir fest, dass auch ein geordnetes Verfah-ren inklusive Sachverständigenanhörung nicht immereine Garantie für eine gelungene Gesetzgebung ist. Dieeuropäische Richtlinie zur Bekämpfung von Zahlungs-verzug im Geschäftsverkehr zielt darauf ab, die Zah-lungsdisziplin zu verbessern. – So weit, so gut.Es soll in Europa eine „Kultur der unverzüglichenZahlung“ entstehen. Insbesondere kleine und mittlereUnternehmen sollen von der Last des Gläubigerkreditsbefreit werden. Das Ziel ist gut, und in Deutschland wardie Gesetzeslage auch bisher schon eindeutig. Der bishe-rige § 271 BGB schreibt sinngemäß vor, dass die Zah-lung nach erfolgter Leistung vom Gläubiger sofort ver-langt werden kann, wenn nichts anderes vereinbartworden ist.In der Praxis wurden 2012 in Deutschland Zahlungs-ziele von durchschnittlich 24 Tagen vereinbart. Weil dasin anderen EU-Ländern teilweise schlechter läuft, schreibtdie Richtlinie als Obergrenze für vereinbarte Zahlungs-fristen bis zu 60 Tage vor.Man kann aber eine EU-Richtlinie auch umsetzen, in-dem man über sie hinausgeht.
Wenn man sich die Werte aus Deutschland ansieht unddas Ziel einer Beschleunigung ernst nimmt, sollte mandaher für den neuen § 271 a BGB einen Wert von maxi-mal 30 Tagen erwarten. Das würde der Richtlinie eben-falls entsprechen und wäre der Praxis angemessen.
Anderenfalls ist zu befürchten, dass sich der neue§ 271 a BGB mit seinen 60 Tagen künftig als gesetzli-ches Leitbild etabliert und sich die Praxis sogar nochverschlechtert.Alle Sachverständigen haben in der Anhörung betont,wie wichtig es ihnen sei, dass im Rahmen AllgemeinerGeschäftsbedingungen maximal 30 Tage vereinbart wer-den dürfen, und gaben sich damit zufrieden. Das ist auchnachvollziehbar, da diese Experten überwiegend Ver-bände vertraten, die ohnehin fast ausschließlich mitAGB, also mit vorformulierten Geschäftsbedingungen,arbeiten. Für die allgemeinere Vorschrift des § 271 aBGB interessieren die sich naturgemäß weniger. Danachdürfen es auch 60 Tage sein.Ich sehe jedoch nicht, warum nicht auch an dieserStelle Rücksicht auf die Gepflogenheiten in Deutschlandgenommen wird. 30 Tage wären für alle angemessen undausreichend – egal ob AGB oder individuelle Verträge.
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4384 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 47. Sitzung. Berlin, Freitag, den 4. Juli 2014
Katja Keul
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Außerdem unterscheiden Sie dann noch zwischen pri-vaten und öffentlichen Auftraggebern. Bei den Kommu-nen wollen Sie ebenfalls nur 30 Tage zulassen. Die Be-gründung dafür ist überhaupt nicht plausibel. Einmalheißt es, die Öffentlichen seien besonders langsam – dashaben wir gerade gehört –, und dann wieder, die Öffent-lichen sollten mit gutem Beispiel vorangehen. Beidesmag ja stimmen. Das begründet aber nicht, warum manden privaten Auftraggebern mehr Spielraum lassen will.Was für die einen recht ist, sollte für die anderen billigsein. Letztlich interessiert den Handwerker nicht, ob erwegen ausstehender Zahlungen von Kommunen odervon Privatunternehmen in Not kommt. Hauptsache, dasGeld kommt.Meine Fraktion wird den Gesetzentwurf ablehnen,weil wir eine einheitliche Obergrenze von 30 Tagen fürnötig halten, wenn man den Zahlungsverkehr in Deutsch-land tatsächlich beschleunigen will. Ein Beschleunigungs-gesetz, das nichts beschleunigt, sollte man lieber ganzlassen.Vielen Dank.
Für die Sozialdemokraten spricht jetzt der Kollege
Dirk Wiese.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen undKollegen! Mit der heutigen Verabschiedung des vorlie-genden Gesetzentwurfs setzen wir einen wichtigenPunkt bei der Bekämpfung des Zahlungsverzugs im Ge-schäftsverkehr; denn bisher mussten gerade mittelständi-sche Betriebe und das Handwerk viel zu oft finanziell inVorleistung treten. Rechnungen durch die Auftraggeberwurden zumeist erst verspätet gezahlt. Lange Zahlungs-fristen von teilweise über drei Monaten waren nicht sel-ten an der Tagesordnung. Für die kleineren und mittlerenUnternehmen barg dieser Zeitrahmen ein großes finan-zielles Risiko; denn sie liefen in dieser Zeit Gefahr, ei-gene Rechnungen und Angestellte nicht mehr bezahlenzu können. Das war und ist eine soziale Ungerechtigkeit.Dem setzen wir mit dem heutigen Gesetzentwurf einEnde.
Liebe Frau Winkelmeier-Becker, ich habe heute Mor-gen aufmerksam im Handelsblatt gelesen, dass Sie imNamen von Mittelstand und Handwerk diesen Gesetz-entwurf sehr begrüßen. Ich erinnere mich noch an dieStellungnahmen aus der letzten Legislaturperiode, in derSie einen anderen Koalitionspartner hatten und ein dia-metral entgegengesetztes Ziel verfolgten, nämlich mehrin Richtung Industrie. Deshalb freuen wir uns als Sozial-demokraten heute ganz besonders, dass wir Sie wiederauf den Pfad der Tugend bringen konnten und Sie wiederPolitik für Mittelstand und Handwerk machen. Schön,dass Sie uns da gefolgt sind!
– Ich sehe, dass Sie im Vergleich zur letzten Legislatur-periode dazugelernt haben.Fair Play unter Geschäftspartnern muss wieder unserZiel sein. Dazu trägt auch der vorliegende Gesetzent-wurf bei. Im Handel wird zeitweise erst 90 Tage nachErhalt der Ware gezahlt. Das kann nicht sein. Ich habeschon in der ersten Lesung gesagt: Wir alle müssen ander Kasse im Supermarkt direkt bezahlen. Deshalb kön-nen nicht so lange Zahlungsfristen gelten. Es muss wie-der eine Selbstverständlichkeit sein, dass schnell gezahltwird und kleine Unternehmen ihr Geld bekommen.Staatssekretär Lange hat darauf verwiesen, dass geradeGroßkonzerne, die mit enormen Summen operieren,durch die Streckung der Zahlungsfristen einen Zinsge-winn in ihren operativen Gewinn einplanen, und das aufdem Rücken von kleinen und mittleren Unternehmen,die dadurch um ihre Existenz bangen. Das geht nicht.Dem schieben wir mit diesem Gesetzentwurf einen Rie-gel vor, und das ist gut so.
Besonders ist an dieser Stelle die Neuregelung des§ 308 bei den Allgemeinen Geschäftsbedingungen – dasist der wichtigste Punkt im Gesetzentwurf – hervorzuhe-ben. Ich glaube, hier haben wir eine sehr gute Regelunggefunden, insbesondere bei den Übergangsfristen. Ichdanke dem Kollegen Dr. Harbarth, dass wir uns in denVerhandlungen verständigt haben. Das ist ein guter Weg,den wir hier gefunden haben.Ich kann nur sagen: Die rot-schwarze Bundesregie-rung legt mit dem Gesetzentwurf ein wirksames Instru-ment vor, um die Zahlungsmoral im Geschäftsverkehr zuverbessern. Wir sorgen mit diesem Gesetzentwurf dafür,dass ein Plus in den Geschäftsbüchern auch ein tatsächli-ches Plus auf dem Konto ist. Entsprechend positiv sindauch die Reaktionen, die uns in den vergangenen Tagenerreicht haben. Einige Verbände haben geschrieben: DieBundesregierung setzt ein deutliches Zeichen zur Be-kämpfung von Zahlungsverzug im Geschäftsverkehr.Schlechter Zahlungsmoral und unverhältnismäßig lan-gen Zahlungsfristen wird so künftig ein wirksamer Rie-gel vorgeschoben. – In einer anderen Stellungnahmeheißt es: Die Bundesregierung hat die Lage der Brancheverstanden, und der Gesetzentwurf gibt die richtige Ant-wort auf die Probleme.Kurzum: Sozialdemokraten und Wirtschaft, das passt.Davon verstehen wir etwas. Wir waren gerne behilflich,sozusagen die Fehler der letzten Legislaturperiode zukorrigieren.
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 47. Sitzung. Berlin, Freitag, den 4. Juli 2014 4385
Dirk Wiese
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– Ja.
Da muss ich jetzt doch einmal nachhaken, lieber Herr
Kollege. Sind Sie bereit, den Werdegang dieses Geset-
zesvorhabens zur Kenntnis zu nehmen? Damals hatte
unser Koalitionspartner, das FDP-Ministerium, einen an-
deren Entwurf – die Eins-zu-eins-Umsetzung – einge-
bracht. Es war die Union, die sich damit eben nicht ab-
gefunden hat, sondern sich dafür starkgemacht hat, dass
wir eine mittelstandsfreundliche Lösung bekommen.
Der Entwurf ist dann der Diskontinuität anheimgefallen.
Aber es war gerade unser Ansatz, diese Differenzierung
hinzubekommen und dem Mittelstand den Weg zu eb-
nen.
Genauso ist es jetzt umgesetzt worden. Das Ministe-
rium hat einen Lernprozess durchgemacht und uns einen
entsprechenden Gesetzentwurf vorgelegt. Sind Sie be-
reit, das zur Kenntnis zu nehmen, auch wenn Sie damals
noch nicht Mitglied des Hohen Hauses waren?
Mich würde Ihre Stellungnahme dazu interessieren.
Geschätzte Frau Kollegin, ich stimme Ihnen an der
Stelle vollkommen zu.
Ich glaube, wir haben hier gemeinsam einen guten
Entwurf vorgelegt, und wir beide stimmen der Feststel-
lung zu, dass es gut ist, dass der Entwurf, der in der letz-
ten Legislaturperiode vorgelegt worden ist, genauso we-
nig die parlamentarischen Hürden überwunden hat wie
die FDP die 5-Prozent-Hürde.
Lassen Sie mich zum Abschluss kommen. Ich glaube,
wir stärken das Handwerk und den Mittelstand mit dem
vorliegenden Gesetzentwurf. Das freut mich als Sauer-
länder – das muss ich an dieser Stelle sagen – ganz be-
sonders; denn im Sauerland haben Handwerksberufe und
mittelständische Familienunternehmen nicht nur eine
lange Tradition, sondern sie sind eben auch eine kultu-
relle und gesellschaftliche Bereicherung für das Leben
vor Ort.
Vielen Dank.
Als nächste Rednerin hat die Kollegin Silke Launert
das Wort.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damenund Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In diesenTagen hört man in den Medien und in der politischenDiskussion oft, wie wichtig es ist, die deutsche Wirt-schaft zu schützen, und dass wir sie doch nicht über dieMaßen belasten dürfen. Was aber oft übersehen wird, ist:Was ist die deutsche Wirtschaft? Was macht das Grosder deutschen Wirtschaft aus? Genau das sind nämlichdie kleinen und mittelständischen Unternehmen.Zwei Drittel aller sozialversicherungspflichtigen Ar-beitsplätze werden von diesen gestellt. Sie sind oft nochfamiliengeführt, identifizieren sich oft in besondererWeise mit ihren Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmernund der Region, in der sie ansässig sind, und unterstüt-zen vor Ort kulturelle Einrichtungen und Sportvereine.Deshalb ist es so wichtig, dass man diese kleinen undmittelständischen Unternehmen im Blick hat; denn, wieschon angesprochen, sie sind nicht nur das Fundamentder Wirtschaft, sondern eine tragende Säule unserer Ge-sellschaft.Deshalb müssen wir bei allen Entscheidungen, die wirin diesem Parlament treffen, besonders auf die Interes-sen dieser kleinen und mittelständischen UnternehmenRücksicht nehmen. Ich freue mich daher, dass das mitdem Gesetz zur Bekämpfung des Zahlungsverzugs imGeschäftsverkehr gelungen ist, weil wir genau auf dieInteressen dieser Gruppe achten.Wir setzen eine EU-Richtlinie um, die das Ziel hat,die Zahlungsmoral zu verbessern. Das ist gut, wir habenes schon mehrfach gehört. Wenn jemand ewig nichtzahlt, ist die Gefahr für den, der geliefert hat, groß, in In-solvenz zu kommen. Oft stehen kleine Unternehmen derMarktmacht des größeren Unternehmens gegenüber undlassen sich deshalb auf Zahlungsfristen ein, die sie ei-gentlich gar nicht tragen können. Aber man will halt denAuftrag nicht verlieren. Dem wollen wir einen Riegelvorschieben. Wir wollen grundsätzlich die Zahlungsfris-ten begrenzen, bei Individualverträgen auf 60 Tage, beiden Allgemeinen Geschäftsbedingungen auf 30 Tage.Das heißt, bei diesen vorformulierten Bedingungen, beidenen das Risiko, dass man etwas unterschreibt, wasman nicht so genau gelesen hat, größer ist, will manstrengere Anforderungen stellen. Das finde ich auch gutso.Natürlich ist es trotzdem möglich, im Einzelfall Ver-träge über einen längeren Zeitraum individuell auszu-handeln. Aber – und genau da schafft der Entwurf Klar-heit – das muss ausdrücklich geregelt sein, und es darfim Hinblick auf die Belange des Gläubigers nicht grobunbillig sein. Hier haben wir für Rechtssicherheit undSchutz gesorgt.Wir haben bewusst auf Branchenausnahmen verzich-tet, was natürlich nicht heißt, dass es sich aus der Naturdes Geschäfts nicht auch einmal ergeben kann, dass manlängere Fristen hat; das kann ja auch im Interesse desGläubigers sein. Aber wir setzen da ein Stoppschild, wodie Regelung zum Nachteil des Gläubigers ist und letzt-lich der Vertragspartner seine Marktmacht ausnutzt.
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4386 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 47. Sitzung. Berlin, Freitag, den 4. Juli 2014
Dr. Silke Launert
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Ein Stoppschild setzen wir auch bei den Abnahme-oder Überprüfungsfristen. Grundsätzlich wollen wir diesein den Allgemeinen Geschäftsbedingungen auf maximal15 Tage nach Leistungserhalt begrenzen. Gleichzeitigläuft ab Leistungserhalt auch die Zahlungsfrist. Wir wol-len verhindern, dass man durch das Aneinanderreihendieser Fristen die Zahlungsfrist insgesamt verlängert.Davon profitieren das Baugewerbe und das Handwerk,diejenigen, die in der Praxis in besonderer Weise von In-solvenzen betroffen sind, wenn nicht gezahlt wird. Dassind auch diejenigen, die sehr häufig wochen-, manch-mal monatelang mit Materialien und Lohnkosten in Vor-leistung gehen.Ein weiterer Aspekt ist die Entschädigung für die Bei-treibungskosten. Immer wenn jemand nicht zahlt, mussder andere seinem Geld hinterherrennen. Das ist aufwen-dig und kostet Geld, nämlich Anwalts- und Inkassoge-bühren. Die in der Richtlinie angemahnten Maßnahmenhaben wir in Deutschland zum Teil schon umgesetzt.Wenn jemand in Zahlungsverzug ist und einen Schadenverursacht, hat der andere einen Schadensersatzan-spruch. Nur, wie sieht die Praxis aus? Ich muss denSchaden beweisen. Ich muss vor Gericht und ihn einkla-gen. Oft ist es in der Praxis aber so, dass der Schadensich nur auf einen kleineren Betrag beläuft. Ein kleinesoder mittelständisches Unternehmen, das keine Rechts-abteilung hat, scheut oft vor einer gerichtlichen Aus-einandersetzung; es scheut die Beweissituation. Oder eskommt zu Gerichtsverfahren mit kleinen Beträgen. Fürdiese Fälle haben wir jetzt eine Neuregelung: Wir seheneinen pauschalen Schadensersatzanspruch in Höhe von40 Euro vor. Das ist praktikabel. Ich hoffe, dass dadurcheinige Verfahren vermieden und die Gerichte entlastetwerden.Ein weiterer Aspekt, der heute, glaube ich, noch nichtangesprochen wurde, ist die Anhebung des Verzugs-zinses auf 9 Prozent. Bei der derzeitigen Zinssituation istjedem klar: Das könnte durchaus die Zahlungsmoralstärken.Ich gehe davon aus, dass dieses Gesetz insgesamt dieZahlungsmoral stärken wird. Deshalb bitte ich Sie alle,zuzustimmen. Alle reden vom Mittelstand. Ich bitte Sie:Lassen Sie uns hier und heute ganz konkret etwas fürden Mittelstand tun.Vielen Dank.
Als nächste Rednerin hat die Kollegin Eva Bulling-
Schröter das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Die Linke freut sich natürlich, noch einmal etwas zumgroßen EEG sagen zu dürfen, wenn auch im Zusammen-hang mit dem Gesetz zur Bekämpfung von Zahlungsver-zug im Geschäftsverkehr; das ist etwas verwirrend, wieich finde.Um es gleich zu sagen: Wir enthalten uns.
Kollege Pitterle hat sich dazu schon geäußert. Ichmöchte aber sagen, dass wir den Verbesserungen imEEG sehr wohlwollend gegenüberstehen.
Denn die Linke ist eine Partei der Energiewende. Be-standsschutz und Fristverlängerungen für Biogasanlagensind natürlich im Sinne der Energiewende.
Wie Sie wissen, haben wir der Novellierung des Er-neuerbare-Energien-Gesetzes nicht zugestimmt, weil wires dabei mit einem Ende der Ökostromförderung auf Ra-ten zu tun haben. Der heutige Antrag mildert Einschnittebei der Biomasseförderung immerhin etwas ab.Biogas ist ein wichtiger Bestandteil einer sauberenEnergieversorgung und auch die einzige erneuerbare Re-gelenergie, wenn die Sonne einmal nicht scheint und derWind einmal nicht weht. Diesem Umstand trägt aller-dings das gesamte EEG, das wir letzte Woche beschlos-sen haben, nicht Rechnung. Der Ausbau von Biomassewird abgewürgt, und Fachleute sagen uns immer wieder,dass nicht einmal der angestrebte Ausbau auf 100 Mega-watt erreicht werden wird, weil die Vergütung drastischabgesenkt wird.Warum beschäftigen wir uns heute eigentlich nocheinmal mit Ihrem sogenannten Neustart der Energie-wende, und das nach Wochen des Tauziehens zwischenBrüssel, Berlin und den Ländern? Weil Sie die Rechtedes Parlaments mit Füßen treten, weil Ihr „großer Wurf“ein mit heißer Nadel gestricktes Provisorium ist. DieMedien haben ja auch von einem „unsauberen Herum-doktern“ geschrieben. Das ist also der Grund, meine Da-men und Herren.
Ich möchte vor allem daran erinnern, wie unwürdigsich Regierung und Koalition gegenüber der Minderheitverhalten, wie schlampig die Koalition einfach arbeitetund wie sie Fehlerhaftes übernommen hat, was ihr dieRegierung diktiert hat. Es heißt, wir hätten es hier mit ei-nem Parlamentsgesetz zu tun. Es sind ja alle GesetzeParlamentsgesetze. Die Koalition übernimmt die Formu-lierungshilfen aus dem Ministerium und winkt sie einszu eins quasi im Guttenberg-Verfahren, nämlich perCopy-and-paste, durch das Parlament.
Was das mit Parlamentsdemokratie zu tun hat, das müs-sen Sie uns hier noch einmal erklären.
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 47. Sitzung. Berlin, Freitag, den 4. Juli 2014 4387
Eva Bulling-Schröter
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Gestern hat sich auf Nachfrage herausgestellt, dassvonseiten der Regierung noch weitere Dinge geändertwurden. Nicht einmal der Kollege Dr. Pfeiffer, der jaMitglied des Wirtschaftsausschusses ist, wusste Be-scheid, worüber da genau abgestimmt wurde. Das findeich schon ein bisschen scharf, muss ich sagen.
Ich halte das auch für einen dicken Hund.Dann ist uns unterstellt worden: Sie sind ja nicht fä-hig, diese fünf Seiten zu lesen.
– Man sollte nicht immer von sich auf andere schließen,Kollege.
Ich finde, Sie haben sich wirklich blamiert.
Wir haben in den Sommerferien hoffentlich die Zeit,das EEG wirklich durchzulesen. Ich bin gespannt, wieviele unbeabsichtigte Fehler sich durch dieses Eilverfah-ren noch eingeschlichen haben. Ich sage Ihnen: MachenSie in Zukunft Ihre Hausaufgaben als Abgeordnete undRegierung wirklich besser.
Als nächster Redner hat der Kollege Marcus Held das
Wort.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr verehrte Damen
und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Die Bundesregierung setzt mit ihrem Gesetzent-
wurf ein deutliches Zeichen zur Bekämpfung von
Zahlungsverzug im Geschäftsverkehr. Schlechter
Zahlungsmoral und unverhältnismäßig langen Zah-
lungsfristen wird so künftig ein wirksamer Riegel
vorgeschoben.
Dies ist nicht nur meine Meinung, dies ist nicht nur Mei-
nung der SPD-Fraktion; dieses Zitat stammt von Holger
Schwannecke, dem Generalsekretär des Zentralverban-
des des Deutschen Handwerks.
Aber nicht nur das Handwerk in Deutschland bewer-
tet den heutigen Gesetzentwurf positiv. Die heutige Ent-
scheidung ist ein wichtiges Signal für den Mittelstand,
mit dem wir grundsätzlich vor unverhältnismäßig langen
Zahlungsfristen schützen, dafür sorgen, dass mittelstän-
dische Betriebe nicht zu lange auf ihr Geld warten müs-
sen – sowohl von öffentlichen wie auch von privaten
Vertragspartnern –, und sicherstellen, dass allgemeine
Geschäftsbedingungen nicht mehr einfach von einem
großen Auftraggeber vorgegeben werden können.
Warum ist es so wichtig, dass sich die Zahlungsdauer
verkürzt? Weil Unternehmen des Handwerks und des
Mittelstandes in aller Regel in Vorleistung treten, weil
sie Material bestellen, weil sie die Aufträge vorbereiten
und weil sie dann über einen längeren Zeitraum das
Werk ausfertigen. Unternehmen des Handwerks und des
Mittelstandes leiden aus diesem Grunde häufig unter den
finanziellen Folgen ausbleibender Zahlungen.
Wir sorgen mit dem heutigen Beschluss dafür, dass
dem ein Ende gesetzt wird.
Die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sollen anstän-
dige Löhne erhalten; das haben wir gestern mit dem Ge-
setz zum Mindestlohn beschlossen. Aber auch die Unter-
nehmen sollen eine faire Chance haben, ihre
Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ordentlich und
vor allem pünktlich zu bezahlen. Das unterstützen wir
mit dem heutigen Gesetzentwurf.
Wir unterstützen mit diesem Gesetz auch die positive
Entwicklung in Deutschland, dass Unternehmensinsol-
venzen weiter zurückgehen, und steigern die Liquidität
in den Unternehmen. Und wir unterstützen den Mittel-
stand und das Handwerk, weil hier rund 15,7 Millionen
Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Deutschland
beschäftigt sind. Das sind fast 60 Prozent aller sozialver-
sicherungspflichtigen Beschäftigten. Für diese Men-
schen, meine Damen und Herren, schaffen wir mit dem
heutigen Gesetz mehr Sicherheit.
Wir als SPD machen damit deutlich: Wir stehen an
der Seite des Mittelstands. Wir stehen an der Seite der
Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Deutschland.
Wir sind dafür, dass Innovation und soziale Gerechtig-
keit auch in Zukunft in Deutschland im Mittelpunkt ste-
hen. Das erreichen wir mit dem Gesetz zum gesetzlichen
Mindestlohn, das wir in dieser Woche beschlossen ha-
ben, und jetzt mit der Verabschiedung des Gesetzes zum
Zahlungsverzug im Geschäftsverkehr.
Vielen Dank.
Als nächster Redner hat der Kollege Oliver Krischerdas Wort.
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4388 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 47. Sitzung. Berlin, Freitag, den 4. Juli 2014
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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Ehrlich gesagt, bin ich entsetzt darüber,
dass kein einziger der 500 Abgeordneten der GroßenKoalition den Mut hat, hier nach vorne zu kommen undeinmal etwas zu dem EEG-Desaster zu sagen, das Siegerade dabei sind zu reparieren. Das ist unglaublich.
Vor einer Woche hat Sigmar Gabriel hier gestandenund hat jeden zum Querulanten erklärt, der den An-spruch hat, nicht nur fünf Seiten Vorblatt zu lesen, son-dern ein 204-seitiges Gesetz komplett lesen zu wollen.Heute steht er vor den Trümmern dessen, was er hier er-zählt hat.
Da frage ich mich: Was ist das für ein Demokratiever-ständnis, wenn hier nicht einmal der Herr GroßwesirWirtschaftsminister sitzt, nicht einmal das Wirtschafts-ministerium vertreten ist und Sie hier alleine gelassenwerden, um die Trümmer dieser Politik zu beseitigen,meine Damen und Herren? Was ist das für ein Parla-mentsverständnis?
Ich kann Ihnen sagen: Hätten Sie auf die Vorschlägeder Opposition, hätten Sie auf meine Kollegin BrittaHaßelmann gehört, die Ihnen gesagt hat: „Lassen Sie unseine Anhörung machen, lassen Sie uns fünf Tage Zeitnehmen“, dann wäre dieses Desaster nicht passiert.
Das haben Sie arrogant weggebügelt. Jetzt stehen Sieda und müssen hier eine peinliche Reparaturnummermachen und haben nicht einmal die Größe, sich bei denKollegen dafür zu entschuldigen, deren Gesetz hier ge-kapert wird. Das ist ein absolutes Unding.
Das eine, was Sie gemacht haben, muss man sich aufder Zunge zergehen lassen: Sie haben nonchalant einenEingriff in den Bestand vorgenommen, der dazu geführthätte, dass 1 000 Biogasanlagen in Deutschland in dieInsolvenz getrieben worden wären. Das haben Sie mitIhrem Verfahren in Kauf genommen.
Wenn Sie das jetzt notdürftig reparieren, zusammenmit angeblichen redaktionellen Fehlern, die keine redak-tionellen Fehler sind, sondern auch substanzielle Fehler,dann ist das keine Glanzleistung,
sondern dann ist das schiere Notwendigkeit.
Sie machen aber dann noch etwas: Sie ändern dieStichtagsregelung im EEG. Das hätten Sie auch vor einerWoche machen können. Vor einer Woche war der Sach-verhalt genau der gleiche. Sie packen aber dieses Gesetzdurch die Fehler, die Sie produziert haben, noch einmalan einer Stelle inhaltlich an. Da fragt man sich ja: Wa-rum an dieser Stelle, bei den Biomethananlagen?
Ich habe gar nichts dagegen. Aber warum packen Siedie Stichtagsregelung nicht insgesamt an, so wie es derBundesrat mit großer Mehrheit gefordert hat?
Warum ändern Sie nicht all die anderen Dinge, die indiesem Gesetz falsch sind? Das frage ich Sie, meine Da-men und Herren von der Großen Koalition.Ich will Ihnen die Antwort liefern, warum das so ist:Die Union hat gemoppert. Sie hat intern gemoppert überdieses desaströse Verfahren.
Sie haben dann ein kleines Bonbon eingefordert. Dasmussten der Herr Wirtschaftsminister und die Sozialde-mokraten Ihnen liefern. Deshalb gab es für die CSUnoch ein Geschenk bei den Biogasanlagen; denn diewollten das haben. Das ist Politik, wie sie die Große Ko-alition macht. Es geht nicht mehr um die Sache, sondernes geht einfach nur noch darum: Wie kommt man zumbesten Deal, damit man das Gesicht wahrt?
Das, meine Damen und Herren, ist nicht in Ordnung.Das sage ich in aller Deutlichkeit.
Wenn man das EEG insgesamt sieht, dann merkt man:Sie stehen ja absolut vor dem Desaster. Wir haben ges-tern gehört: In Brüssel ist nichts geregelt.
Herr Almunia ist nicht bereit, das an der Stelle zu akzep-tieren. Es ist völlig offen, ob das Gesetz am 1. August in
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 47. Sitzung. Berlin, Freitag, den 4. Juli 2014 4389
Oliver Krischer
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Kraft treten kann. Das heißt, Ihre ganze Brechstangenpo-litik hat überhaupt nichts gebracht.
Dann haben Sie noch Herrn Oettinger, der qua Amtdas deutsche EEG eigentlich schützen sollte;
nach dem Urteil des EuGH in der letzten Woche hätte erauch allen Grund, das zu tun. Was erzählt HerrOettinger, dem Sozial- und Christdemokraten sowieChristsoziale eine Laufzeitverlängerung geben? Er er-zählt, das EEG sei nicht mehr reformierbar und gehöreabgeschafft. Wer solche Freunde in der EU-Kommissionhat, der braucht keine Feinde mehr, wenn es um diedeutsche Energiewende geht.
Das muss an der Stelle einmal klar gesagt werden.
Meine Damen und Herren, wir werden selbstver-ständlich der notwendigen und überfälligen Reparaturdes EEG an der einen Stelle zustimmen.
Das ändert aber nichts daran, dass dieses Gesetz ein De-saster ist,
ein Desaster für die Energiewende, für die Investitionssi-cherheit, für die Branche der erneuerbaren Energien, fürden Klimaschutz und für die Bürgerenergien.
Da kommen Sie nicht mehr raus, auch nicht mit Ihremunwürdigen Verfahren in diesem Parlament. Ich hoffenur, dass Leute zum Gericht gehen und das problemati-sieren werden, was Sie hier veranstalten.Ich danke Ihnen.
Als letzter Redner in dieser Debatte hat der Kollege
Heider das Wort.
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kol-legen! Lieber Kollege Krischer, wer hätte das gedacht,dass Sie einmal versuchen, zum Gesetz zur Bekämpfungvon Zahlungsverzug zu reden.
– Natürlich haben wir das aufgesetzt. Ich finde es völligin Ordnung – bei allen Aufgeregtheiten heute –, dass wirdann, wenn vor der Sommerpause die Notwendigkeit be-steht,
redaktionelle Fehler zu korrigieren, Gleichlauf mit Über-gangsvorschriften herzustellen und Korrekturen imSinne der Rechtssicherheit vorzunehmen, das an dieserStelle machen.
Sie haben uns doch gerade gesagt, dass Sie zustimmenwollen. Wo ist das Problem?Sie haben das einmal als Omnibusgesetz bezeichnet,ein Verfahren, das jetzt genutzt wird. Selbst die Oppo-sition fährt gern Omnibus. Ich kann mich noch gut er-innern, meine Damen und Herren, dass Sie uns hier imletzten Jahr, als es um ein Gesetz gegen den Missbrauchim Geschäftsverkehr ging, Änderungsanträge präsentierthaben, die Ihre Meinung zur Mietpreisbremse und zurAbgeordnetenbestechung enthielten. Da haben Sie auchganz vorn im Omnibus gesessen. Das ist ein Verfahren,das zwar parlamentarisch nicht besonders schön ist, aberdas man zur Not auch einmal wählen kann.
Meine Damen und Herren, damit kommen wir wiederzum eigentlichen Thema des Gesetzes zurück. Der Ent-wurf aus der letzten Legislaturperiode unterschied nichtzwischen Individualvereinbarungen und den für dieWirtschaft wichtigen Allgemeinen Geschäftsbedingun-gen. Außerdem sah der Entwurf eine Zahlungsfrist von60 Tagen für alle vor, für Verbraucher und Unternehmer.Jedenfalls im Handwerk und auch in der Bauwirtschaftwäre das keine Verbesserung gewesen, und das hätteeher zu einer Verschlechterung der Zahlungsmoral ge-führt.Jetzt kommen wir zu den 30 Tagen. Das Gesetz bringtnatürlich auch für andere Branchen Veränderungen. Esmuss sich noch zeigen, ob das für Automobilindustrieund Handel eine gute Regelung ist. Ausgesprochen posi-tiv wird sie sich für Handwerk und Bauwirtschaft aus-wirken. Die anderen Branchen haben Strukturen, die wirin Zukunft genauer beobachten müssen.Im Handwerk und in der Bauwirtschaft werden über-wiegend Werkverträge vereinbart. Bei solchen ist der
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4390 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 47. Sitzung. Berlin, Freitag, den 4. Juli 2014
Dr. Matthias Heider
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Gläubiger der Entgeltforderung vorleistungspflichtig.Daher sind kurze Zahlungsfristen okay. In der Automo-bilwirtschaft dagegen werden zwischen Automobilher-steller und Zulieferer zumeist Verträge geschlossen, aufdie das Kaufrecht, Herr Kollege Wiese, Anwendung fin-det. Auch bei Werklieferungsverträgen ist das so. DieZahlungen, die dort in einem rollierenden Gutschriften-system jeweils zum Ende des nächsten Monats ausgelöstwerden, sehen im Detail etwas anders aus, sodass mandas alles nicht über einen Leisten schlagen sollte. Wirmüssen aufmerksam beobachten, wie das läuft.Auch im Einzelhandel haben wir meistenteils Kauf-recht. Hier liegt das Problem darin, dass Einzelhändler,die Ware von Einzelhändlern oder Lieferanten kaufen,nicht absehen können, in welchem Zeitraum sie die Wareabsetzen. Daher muss die Ware zwischenfinanziert wer-den. Ich wage, heute zu prognostizieren, dass sich dasüber kurz oder lang auf die Verbraucherpreise auswirkenwird.Trotzdem ist das Gesetz, so wie es jetzt ausgestaltetist, ein gutes Gesetz. Es hilft dem Mittelstand. Ich hoffe,dass es bei den Branchen, die vom Volumen her größersind und im internationalen Rechtsverkehr besondereBedürfnisse haben, möglich sein wird, entsprechende In-dividualvereinbarungen zu treffen. Ob das möglich ist,ist die Frage. Wir haben natürlich das Problem, HerrStaatssekretär, dass wir uns mit dieser gesetzlichen Re-gelung von den anderen Mitgliedstaaten in Europa deut-lich abheben. Auch da werden wir beobachten müssen,ob sich das Gesetz auf die Wahl deutschen Rechts fürLieferverträge und auf den Rechtsstandort Deutschlandauswirken wird. Ich kann das, genau wie Sie, heute nichtabsehen. Aber wir tun gut daran, uns die beiden Bran-chen anzusehen.Es ist gut, dass noch eine Änderung hinzugekommenist, wonach alle Marktbeteiligten die Möglichkeit haben,ihre Allgemeinen Geschäftsbedingungen bis zum Jahr2016 anzupassen. Im Juni 2016 müssen diese Anpassun-gen vollzogen sein. Ich glaube, dass diese Übergangs-frist ausreichend ist, um für die Branchen, die Unterneh-men, aber auch die Verbraucher etwas im Sinne derZahlungssicherheit und der Zahlungsschnelligkeit zutun. Damit gehen wir in die Sommerpause. Nach derSommerpause werden wir mit den Beobachtungen be-ginnen.Vielen Dank.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, damit schließe ichdie Aussprache.Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun-desregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zurBekämpfung von Zahlungsverzug im Geschäftsverkehr.Der Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz emp-fiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksa-che 18/2037, den Gesetzentwurf der Bundesregierungauf den Drucksachen 18/1309 und 18/1576 in der Aus-schussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, diedem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmenwollen, um das Handzeichen. Wer stimmt dafür? – Dassind die Koalitionsfraktionen. Wer stimmt dagegen? –Bündnis 90/Die Grünen. Wer enthält sich? – Das ist dieFraktion Die Linke. Damit ist der Gesetzentwurf inzweiter Beratung angenommen.Wir kommen zurdritten Beratungund Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die demGesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. –Wer stimmt dagegen? – Bündnis 90/Die Grünen. Werenthält sich? – Die Linke. Damit ist der Gesetzentwurfmit den Stimmen der Koalition angenommen.
Es war Teilung der Abstimmung beantragt. Deshalbbitte ich um Verständnis, dass wir die Abstimmung wie-derholen. Wir stimmen zuerst über den Antrag der Tei-lung ab.
– Wir wiederholen die Abstimmung, und zwar geteilt.Der Ausschuss für Recht und Verbraucherschutzempfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksa-che 18/2037, den Gesetzentwurf der Bundesregierungauf Drucksache 18/1309 in der Ausschussfassung anzu-nehmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung?
Ich gehe davon aus – so habe ich Frau Haßelmann ver-standen –, dass Sie folgende Teilung wollen: auf der einenSeite eine Abstimmung über die Drucksache 18/1309 undauf der anderen Seite eine Abstimmung über die Druck-sache 18/1576. Ist das zutreffend, oder ist das nicht zu-treffend? Ansonsten müssen Sie mir jetzt bitte kurz er-läutern, welche Teilung Sie wollen.
Nachdem nun geklärt ist, worüber eine getrennte Ab-stimmung erreicht werden soll, wiederholen wir die Ab-stimmung noch einmal. Aller guten Dinge sind drei. Eswird eine getrennte Abstimmung über Artikel 4 ge-wünscht. Deshalb ziehe ich das jetzt vor. Ich lasse zu-nächst abstimmen über Artikel 4 auf Drucksache 18/2037.Wer stimmt dafür? – Das sind alle. Wer stimmt dagegen? –Niemand. Wer enthält sich? – Auch niemand. Damit istArtikel 4 auf Drucksache 18/2037 einstimmig angenom-men.
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 47. Sitzung. Berlin, Freitag, den 4. Juli 2014 4391
Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn
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Jetzt lasse ich über den Gesetzentwurf im Übrigen ab-stimmen, und zwar in der Ausschussfassung, wie es vor-hin angekündigt worden ist. Wer stimmt dem Gesetzent-wurf in der Ausschussfassung zu? – Das sind dieKoalitionsfraktionen. Wer stimmt dagegen? – Bündnis 90/Die Grünen. Wer enthält sich? – Die Linke. Damit ist derGesetzentwurf in der Ausschussfassung mit den Stim-men der Koalition gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der Linken angenommenworden. Das war die zweite Beratung.Wir kommen nun zurdritten Beratungund Schlussabstimmung. Wir stimmen jetzt über denGesetzentwurf insgesamt, so wie wir ihn eben beschlos-sen haben, ab. Wer stimmt dem Gesetzentwurf, so wiewir ihn in der zweiten Lesung beschlossen haben, zu? –Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist derGesetzentwurf mit den Stimmen der Koalition gegen dieStimmen von Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung derLinken angenommen.Liebe Kolleginnen und Kollegen, damit kommen wirjetzt zu den Tagesordnungspunkten 29 a und 29 b:a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre-gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzeszur Absicherung stabiler und fairer Leistun-
Drucksache 18/1772Beschlussempfehlung und Bericht des Finanz-ausschusses
Drucksache 18/2016b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-richts des Finanzausschusses zudem Antrag der Abgeordneten SusannaKarawanskij, Matthias W. Birkwald, Dr. AxelTroost, weiterer Abgeordneter und der FraktionDIE LINKELebensversicherungen auf den Prüfstand stel-len – Kein Schnellverfahren zu Lasten derVersichertenDrucksachen 18/1815, 18/2016Über die Beschlussempfehlung werden wir später na-mentlich abstimmen. Zu dem Gesetzentwurf der Bun-desregierung liegen zwei Änderungsanträge und ein Ent-schließungsantrag der Fraktion Die Linke vor.Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind fürdie Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Dazu höre ichkeinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.Ich eröffne die Aussprache. Als erster Redner hatHerr Dr. Michelbach das Wort.Wenn sich alle Kolleginnen und Kollegen gesetzt ha-ben – ich bitte auch alle Kolleginnen und Kollegen inden ersten Reihen darum –, können wir mit der Ausspra-che beginnen. – Herr Michelbach, Sie haben das Wort.
Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! Seitdem Ausbruch der Weltfinanzkrise im Jahr 2008 habenwir in Deutschland, in Europa und weltweit vieles unter-nommen, um einer Wiederholung dieser Ereignisse vor-zubeugen. Mit Bundesfinanzminister Dr. WolfgangSchäuble haben wir konsequent Regulierungs- und Sta-bilitätsgesetze auf den Weg gebracht. Allerdings kämp-fen wir an manchen Fronten heute noch immer damit,die Folgen der Finanzmarktkrise zu bewältigen.Zu diesen Folgen gehört auch die anhaltende Niedrig-zinspolitik der Notenbanken. Seit fünf Jahren sinken dieZinsen. Für eine Trendumkehr gibt es keine Hinweise.Vielmehr hat die EZB ihren Leitzins gerade erst wiedergesenkt und sogar Negativzinsen für Einlagen bei derZentralbank eingeführt. Das bedeutet, Kredite werdenbilliger, was einerseits Verbraucher und Investoren freut.Das bedeutet aber auch, dass die Kapitalerträge zurück-gehen, wodurch zum Beispiel private Vorsorge- undSpareinlagen entwertet werden. Ein erheblicher Teil derprivaten Altersvorsorge in Deutschland steckt in Lebens-versicherungen. Deshalb besteht die Notwendigkeit zudiesem Lebensversicherungsreformgesetz.Rund 88 Millionen derartige Versicherungsverträgegibt es in Deutschland aktuell. Damit ist die Lebensver-sicherung eine der wichtigsten Spar- und Altersvorsor-geformen in unserem Land. Gegenwärtig erleben wir dieparadoxe Situation, dass Lebensversicherungen umsomehr Geld ausschütten müssen, je niedriger die Zinsensind. Bewertungsreserven entstehen, weil der Marktwertvon Kapitalanlagen bei sinkenden Zinsen über dem frü-heren Kaufpreis liegt. Dabei handelt es sich um Buchge-winne ohne realen Zuwachs von Finanzmitteln; es gibtalso keinen echten Wertzuwachs. Das kann nach AdamRiese auf Dauer nicht gut gehen. Deshalb müssen wirdie Vorschriften zur Beteiligung an den Bewertungs-reserven bei festverzinslichen Wertpapieren – nicht beiAktien und Immobilien – anpassen.Die Deutsche Bundesbank warnt in einem langfristi-gen Stressszenario nicht umsonst davor, dass mehr alsein Drittel der deutschen Lebensversicherungen in einemUmfeld langanhaltender Niedrigzinsen bis 2023 die Ei-genkapitalanforderungen nicht einhalten können. Das istder langfristige Ausblick, den wir als Verantwortlicheberücksichtigen müssen. Dieser Verantwortung kommenwir heute mit diesem Gesetz nach.Es wäre absolut fahrlässig, die Warnungen nicht ernstzu nehmen. Wenn wir nicht handeln, fahren wir zwangs-läufig einen wesentlichen Teil der privaten Altersvor-sorge vor die Wand. Das gebe ich all jenen zu bedenken,allen voran der Opposition in diesem Hause, die seit Wo-chen mit falschen Argumenten und ohne einen eigenenvernünftigen Lösungsansatz gegen die nun vorliegendeLösung polemisieren. Manchmal habe ich den Eindruck,Sie haben geradezu Freude daran, den Menschen Zu-kunftsängste zu bereiten. Ich kann Sie nur warnen: Hö-ren Sie mit den Verunsicherungskampagnen auf! LetztenEndes gibt es bei den garantierten Leistungen keine Ver-änderungen. Sie müssen deutlich machen, dass es hiernur um die Bewertungsreserven geht. Das kann man
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4392 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 47. Sitzung. Berlin, Freitag, den 4. Juli 2014
Dr. h. c. Hans Michelbach
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doch nicht in einen Topf werfen. Sonst verursacht manZukunftsängste und Verunsicherung. Das lehnen wir ab;wir müssen den Menschen für die Zukunft Sicherheit ge-ben.
Es steht außer Frage, dass der Gesetzgeber auf dieEntwicklung bei den Bewertungsreserven reagierenmuss. Es kann nicht sein, dass das Auslaufen der Ver-träge von 7 Millionen Versicherten einen Nachteil fürmehr als 80 Millionen verbleibende Versicherte bedeu-tet. Ansonsten wäre mittel- und langfristig die Fähigkeitder Versicherungsunternehmen in Gefahr, ihre zugesag-ten Zinsgarantien einzuhalten. Eine solche Situation darfnicht eintreten. Das ist im Interesse der Versicherungs-unternehmen, aber insbesondere auch im Interesse derVersicherten. Wir bevorteilen niemanden, sondern wol-len den Ausgleich. Wir wollen Verteilungsgerechtigkeitund eine Balance zwischen den bestehenden Interessen.
Die Herausforderungen, vor denen wir stehen, kön-nen wir nur durch einen gerechten Interessenausgleichbewältigen. Es ist meine feste Überzeugung, dass einsolcher Interessenausgleich mit dem vorliegenden Ge-setzentwurf erreicht wird. Der Leitgedanke der Solidar-gemeinschaft und der Verteilungsgerechtigkeit steht imVordergrund. Deshalb wird von allen Beteiligten, alsovon den Versicherungsunternehmen, den Eigentümern– das ist ganz wichtig – und natürlich auch von den Ver-sicherten, ein angemessener und ausgewogener Beitragverlangt. Wir haben darauf geachtet, dass, sollten sichdie Bewertungsreserven für die Versicherten ändern,auch die Eigentümer, die Aktionäre in Form von Aus-schüttungen daran beteiligt werden. Damit stärken wirdie Eigenkapitalausstattung, die die Versicherungennach der Solvency-II-Vereinbarung in Zukunft verstärktbenötigen. So schafft das Reformgesetz eine gerechteVerteilung der Lasten zwischen Eigentümern und Versi-cherten. Darüber hinaus werden wir die Überschussbe-teiligung der Versicherten an das Niedrigzinsumfeldanpassen. Die Versicherten werden in Zukunft mit min-destens 90 Prozent an den Risikoüberschüssen beteiligtstatt wie bislang mit 75 Prozent. Überschüsse verbleibenim Sondervermögen.Zudem stärkt das Gesetz die Handlungsmöglichkeitender Aufsichtsbehörden. Es ist ganz wichtig, dass wir denAufsichtsbehörden für das Versicherungswesen das rich-tige Werkzeug an die Hand geben, damit gefährlicheFehlentwicklungen frühzeitig erkannt und effektiv be-kämpft werden können. Damit leistet das Gesetz einenwichtigen Beitrag zur Stabilität der Lebensversicherun-gen. Jedes andere Handeln wäre ein Verstoß gegen eineseriöse Finanzpolitik. Wir haben nach wie vor das Ziel,mit unserer Finanzpolitik zu einer Stabilisierung beizu-tragen.Wir haben die Krise in vielerlei Hinsicht erfolgreichbekämpft;
aber wir sind noch nicht über den Berg. Deswegen ist esnotwendig, dass wir auch in Zukunft entsprechende Ge-setzentwürfe einbringen. In diesem Sinne ist heute einguter Tag für die Stabilität unseres Finanzmarktes, fürdie Versicherten, für die Anbieter und für die Produkte.Lassen Sie uns dieses Gesetz beschließen!Vielen Dank.
Als nächste Rednerin hat die Kollegin Susanna
Karawanskij das Wort.
Vielen Dank. – Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehrgeehrte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste! Ausge-wogen und gerecht haben Sie, Herr Finanzminister – wirhaben es jetzt noch einmal vom Kollegen Michelbachgehört –, das Gesetz zur Reform der Lebensversicherun-gen genannt.
Das ist, wenn man sich das Gesetz anschaut, aber nichtzu erkennen.
Es gibt keinen fairen Interessenausgleich zwischen denVersicherten und den Versicherungsunternehmen.
Sie sind vor der Versicherungslobby – man muss es ein-fach so sagen – eingeknickt.
Sie haben Ihr Ziel verfehlt.
Die Versicherungsbranche jammerte, es müsse schnellgehandelt werden, und ruck, zuck wird ein Gesetz aufden Weg gebracht, das für viele Versicherte – 62 Millio-nen können davon betroffen sein –,
gravierende Auswirkungen hat, die noch gar nicht über-blickt werden können, weil die entsprechenden Datenfehlen. Bislang sind sie nur bruchstückhaft vorhanden.
Nun frage ich mich, wie schlimm es wirklich um dieLebensversicherer steht. Heute war im Handelsblatt zulesen, dass die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungs-aufsicht einen Stresstest vorgenommen hat. Dort habenalle Lebensversicherer positiv abgeschnitten. „Die Risi-kotragfähigkeit der deutschen Versicherungswirtschaft
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 47. Sitzung. Berlin, Freitag, den 4. Juli 2014 4393
Susanna Karawanskij
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ist weiterhin stabil“, heißt es dort. Ich frage Sie: Warumdann eine solche Hast? Warum wollen wir nicht ausgie-big und vor allen Dingen umfassend diskutieren unddann ein wirklich gutes Gesetz auf den Weg bringen?
Konkret zum Gesetzentwurf. Es gibt durchaus Punkte,die wir unterstützen. Gut ist in unseren Augen, die Zu-führung aus den Risikoüberschüssen – Sie haben es ge-rade gesagt – auf 90 Prozent anzuheben. Wir sind aller-dings der Meinung, dass auch die Kostenüberschüsse auf90 Prozent anzuheben sind.
Eine Ausschüttungssperre an die Aktionäre und Ei-gentümer der Versicherung ist ebenfalls etwas, das wirgrundsätzlich begrüßen. Wir sind aber der Meinung,dass wir hier nachbessern müssen, um dies umgehungs-sicher zu machen.
Die am Ende der Gesetzesberatungen hinzugekom-mene Beschränkung variabler Vergütungen, also Boni,Gratifikationen, Zulagen bei den Vorständen, begrüßenwir ebenfalls. Wir hätten es auch begrüßt, wenn die Of-fenlegung der Provisionen, was lange im Gesetzentwurfenthalten war, dringeblieben wäre. Schon während derExpertenberatung im Finanzausschuss wurde im Tickergemeldet, dass diese vom Tisch seien. Die Versiche-rungslobby hat schon gejubelt, während die Sachver-ständigen bei der Anhörung noch über einen veraltetenGesetzentwurf diskutiert haben. Das ist nicht nur ein Af-front den Experten gegenüber.
Vielmehr zeigt sich hier, dass die Bundesregierung imZweifel wieder einmal dem Druck der Versicherungs-lobby nachgibt.
Das ist nicht im Sinne der Versicherten. Hier wird derWeg für Falschberatung bereitet. Die Geheimniskräme-rei bei den Provisionen bleibt bestehen. Nein, Sie sindnicht an der Seite der Versicherten. Sie betreiben Versi-cherungslobbyschutz statt Versichertenschutz.
Sie behaupten, es gäbe die dringende Notwendigkeit,sofort zu handeln. Sie behaupten auch, dass Sie inner-halb der Versichertengemeinschaft solidarisch vorgin-gen. In Wahrheit spielen Sie die Versicherungsnehmergegeneinander aus. Bis jetzt konnte mir auch noch nie-mand die Frage beantworten, wie viele der langlaufen-den hochverzinsten Wertpapiere tatsächlich zur Bedie-nung ausscheidender Kunden verkauft werden mussten.Letzten Endes bedeutet nämlich die Reduzierung der Be-teiligung an den Bewertungsreserven aus den festver-zinslichen Wertpapieren für jeden Kunden eine Kürzung.Die jetzt ausscheidenden Kunden sehen es schwarz aufweiß; da ist es offensichtlich. Den Bestandskunden wird– vereinfacht gesagt – weniger gutgeschrieben. Wir sa-gen: Das ist eine Frechheit.
– Ja, das ist eine Frechheit.Meine Damen und Herren, bei Lichte betrachtetbringt dieses Gesetz den Versicherten wenig Gutes. Siesanieren vielmehr die Versicherungskonzerne. Die tra-gen das dann auf dem Rücken der Versicherten aus. Wirsagen: Da muss umgesteuert werden:
Erstens. Gewinne und Erträge, die mit Kundengel-dern erwirtschaftet werden,
sollen bei den Kunden bleiben. Das bedeutet, die Min-destzuführungsquoten bei den Überschusstöpfen müssenauf einheitlich 90 Prozent angehoben werden, auch beiden Kostenüberschüssen; die sind nämlich noch nichtdabei.Zweitens. Die Bewertungsreserven können nicht mitTaschenspielertricks sozusagen von der Ausschüttungausgenommen werden.
Wir sagen: Ziehen Sie die Einschränkung der Beteili-gung der Versicherten an den Bewertungsreserven zu-rück bzw. verzichten Sie darauf!
Drittens. Wir brauchen in den Unternehmen Transpa-renz, wie welche Überschüsse und stille Reserven inwelcher Höhe ermittelt, verteilt und ausgekehrt werden.Das komplette Überschuss- und Reservesystem gehörtauf den Prüfstand.Dieses Hickhack um die kapitalgebundenen Lebens-versicherungen zeigt nur eines: Die private Altersversor-gung erodiert.
Nur mit geschickter Lobbyarbeit schaffen Sie es, dieseam Leben zu erhalten. Mit diesem Gesetz missbrauchenSie das Vertrauen der Versicherungsnehmer. Deswegenlehnen wir es ab.
Als nächster Redner hat der Kollege Manfred Zöllmerdas Wort.
Metadaten/Kopzeile:
4394 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 47. Sitzung. Berlin, Freitag, den 4. Juli 2014
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen undKollegen! Dass dieser Gesetzentwurf kontrovers disku-tiert wird, konnten wir eben erleben.Die erste Frage, die wir uns stellen müssen, lautet: Istdieses Gesetzesvorhaben notwendig? Wir müssen zurKenntnis nehmen, dass es in Deutschland deutlich mehrLebensversicherungsverträge gibt als Einwohner. Fürsehr viele Menschen ist dies eine ganz wesentliche Säuleihrer Altersversorgung. Sie sind deshalb existenziell da-rauf angewiesen, auf Dauer stabile Lebensversicherun-gen zu haben.
Sie haben Garantieversprechen bekommen, auf die siesich auch in Zukunft verlassen können müssen.
Was gefährdet nun die Stabilität? Das ist das aktuelleNiedrigzinsumfeld. Dieses Niedrigzinsumfeld war vorzehn Jahren überhaupt nicht in Sicht. Die durchschnittli-che Rendite deutscher Anleihen beträgt 1,6 Prozent, undder durchschnittliche Garantiezins der Lebensversiche-rungen beträgt 3,2 Prozent. Nun muss man nicht unbe-dingt zwölf Semester Volkswirtschaft studiert haben,liebe Frau Karawanskij, um zu erkennen: Da gibt es einProblem.Ergänzend hat die Deutsche Bundesbank einen Fi-nanzstabilitätsbericht veröffentlicht und deutlich ge-macht, dass langfristig – ich betone: langfristig – beieinem anhaltenden Niedrigzinsumfeld über ein Drittelder deutschen Lebensversicherungsunternehmen die ver-sprochenen Garantieleistungen nicht einhalten können.Die BaFin hat auf diese Probleme hingewiesen. Auchdie Sachverständigen haben in unserer Anhörung aufdiese Probleme hingewiesen, und zwar durchgängig alle.
Es besteht Handlungsbedarf. Oder gibt es hier irgendje-manden, der sagen kann, wie sich in Zukunft das Zins-umfeld entwickeln wird?
Diese Probleme sind nicht neu. Wir unternehmen denzweiten Anlauf zur Lösung. Der erste Anlauf ist geschei-tert, da wir gemeinsam mit den Grünen gesagt haben:Wir wollen eine Beteiligung der Unternehmen bei derlangfristigen Stabilisierung der Lebensversicherungen. –Das machen wir jetzt. Wir wollen ein Gesetz, das dieVerbraucherinnen und Verbraucher stärkt, die Unterneh-men an den Kosten beteiligt und eine faire Verteilung derÜberschüsse für die gesamte Versichertengemeinschaftvorsieht. Ein Entwurf dieses Gesetzes liegt nun vor. Wassind die Kernpunkte?Erstens. Wir verbessern die Eingriffsbefugnisse derVersicherungsaufsicht BaFin. Mögliche Risiken müssenfrühzeitig erkannt werden. Die Aufsicht muss in derLage sein, auch uneinsichtige Unternehmen zu zwingen,entsprechend zu handeln. Ziel ist es, die Unternehmenanzuhalten, selbstständig rechtzeitig tätig zu werden.Zweitens. Wir wollen die Versicherungskunden zu-künftig stärker an den Risikogewinnen der Unternehmenbeteiligen, statt bisher zu 75 Prozent in Zukunft zu90 Prozent. Das heißt, wir stellen die Versicherungsneh-mer besser als bisher.
Drittens. Wir wollen die Eigentümer beteiligen. Dasmachen wir, indem wir eine Ausschüttungssperre für Di-videnden in das Gesetz schreiben. Diese Ausschüttungs-sperre greift, wenn ein sogenannter Sicherungsbedarfvorliegt. Die Aktionäre müssen sich also in Zukunft anden Krisenlasten der Unternehmen beteiligen. Die Auf-sicht kann dies anordnen.
Wir wissen, dass das bei Unternehmen mit einem Ge-winnabführungsvertrag nicht greift. Aber bei einem Ge-winnabführungsvertrag muss dann das Mutterunterneh-men haften und frisches Geld zur Verfügung stellen.Damit schaffen wir sogar noch mehr Sicherheit als nurmit einer Ausschüttungssperre. Wir können Aktionärenatürlich nicht zwingen, frisches Geld zur Verfügung zustellen.Viertens. Wir wollen die Abschlusskosten senken.Die bilanzielle Anrechenbarkeit, die Zillmerung, soll auf25 Promille verringert werden, damit diese Kosten inZukunft geringer werden.Fünftens. Wir werden die Garantiezinsen für Renten-und Kapitallebensversicherungen für Neuverträge – ichbetone: für Neuverträge – zukünftig auf 1,25 Prozentsenken. Dies ist im aktuellen Niedrigzinsumfeld drin-gend erforderlich.Sechstens. Wir schaffen eine größere Transparenz fürVerbraucherinnen und Verbraucher. Die Unternehmensollen den Kunden gegenüber detaillierter ausweisen,welche Gewinne erwirtschaftet werden und wie viel da-von an die Kunden geht.
Wir sind nicht dem Vorschlag gefolgt, Abschlusspro-visionen offenzulegen. Warum nicht? Weil das eineFehlsteuerung der Konsumenten zur Folge hätte.
Warum? Es gibt ganz unterschiedliche Vertriebswegemit ganz unterschiedlich hohen Abschlussprovisionen.
Ein Angestellter bei einer Sparkasse bekommt eine nied-rige Abschlussprovision, ein selbstständiger Versiche-rungsmakler eine hohe, weil er viele Versicherungen hat,weil er ein eigenes Unternehmen hat. Aber die Gesamt-
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Manfred Zöllmer
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kosten können sich unterscheiden, müssen sich abernicht unterscheiden.Wenn man eine solche Summe ausweist, dann führtdas dazu, dass sich die Versicherungsnehmer an derGröße in Euro und Cent orientieren und möglicherweiseeine falsche Entscheidung treffen, weil diese Größe siein die Irre führt. Deshalb werden wir in Zukunft, orien-tiert an den Riester-Verträgen, Angaben zum Preis-Leis-tungs-Verhältnis machen und eine Kennziffer für dieEntwicklung und für die Minderung der Wertentwick-lung insgesamt ausweisen. Dann können diese Anlage-formen auch mit anderen Anlageformen verglichen wer-den, und wir haben eine Kenngröße, die sicherstellt, dasshier mehr Transparenz für die Kunden geschaffen wird.
Wir werden – siebtens – bei den Unternehmen, beidenen ein Sicherungsbedarf besteht, weil die Marktzin-sen unterhalb der Garantiezinsen liegen, die Beteiligungder Kunden an den Bewertungsreserven festverzinsli-cher Wertpapiere kürzen. Damit stellen wir die Genera-tionengerechtigkeit für das gesamte Versicherungskol-lektiv sicher. Liebe Frau Karawanski, das Geldbekommen nicht die Unternehmen – das sollten Sie in-zwischen aber verstanden haben –, sondern es wird nuranders an die Versicherungsnehmer verteilt.
Wir wollen nicht nur 5 Prozent begünstigen und die übri-gen 95 Prozent im Regen stehen lassen, sondern wirwollen 100 Prozent begünstigen; das ist ein ganz wichti-ger Punkt.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben im Kernein ausgewogenes Reformgesetz, das Unternehmen,Aufsicht, Versicherte und Vertrieb in die Pflicht nimmtund damit auch im Hinblick auf die Mammutreform Sol-vency II die notwendigen Anpassungen vornimmt.Es ist wirklich schade, dass sich die Grünen so verhal-ten, wie sie sich verhalten. Das ist wirklich ein Rückfallin den Fundamentalismus. Herr Schick, Sie haben sichhier hingestellt und gesagt: Ja, es besteht die Notwendig-keit, zu handeln. – Dann haben Sie gesagt, Sie hätten alldas Gute erfunden. Aber dann lehnen Sie den Gesetzent-wurf ab? Sie haben noch nicht einmal einen Änderungs-antrag eingebracht.
– Ja, das war ein gemeinsamer Antrag. Aber warum ha-ben Sie dem Gesetzentwurf dann nicht zugestimmt? Wa-rum denn nicht?
Konfuzius hat einmal gesagt: Wer etwas will, suchtWege. Wer etwas nicht will, sucht Gründe. – In diesemFall haben Sie nach Gründen gesucht, nicht zu wollen.
Als nächster Redner hat der Kollege Gerhard Schickdas Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Ich glaube, es ist genau anders.
Es gibt viele Gründe, diesen Gesetzentwurf abzulehnen.Sie reden sich die Lage gerade schön, obwohl Sie vor ei-nem Jahr, als Sie noch in der Opposition waren, über ge-nau dieselben Themen ganz anders gesprochen haben.
Deswegen lohnt ein Blick zurück. Vor eineinhalb Jah-ren hat der Bundesfinanzminister einen Gesetzentwurfvorgelegt, bei dem es im Kern um das Gleiche ging, umdas es auch heute geht.
Es ging nämlich um die Begrenzung der Ausschüttungvon Bewertungsreserven. Als die Öffentlichkeit, auchaufgrund der parlamentarischen Arbeit, erfuhr, um wases ging, gab es einen großen Protest. Ein CDU-Parteitaghat gesagt: Dieses Gesetz ist schlecht. – Ein CDU-Par-teitag! Und er hatte recht.
– Ja, Herr Kauder, es war ein Bundesparteitag der CDU.
Ich erinnere Sie gerne daran; denn dieser Bundespartei-tag der CDU hat unsere Kritik, dass dieser Gesetzent-wurf nicht ausgewogen war, bestätigt.Seither haben Sie sich aber nicht darin geübt, eineklare Fundierung Ihres Gesetzentwurfs vorzunehmen,sondern haben in der Öffentlichkeit erst einmal einePause eingelegt. Auch jetzt haben Sie wieder versucht,zwischen Europawahl und Sommerpause das Verfahrenso kurz wie möglich zu halten, damit möglichst wenigDiskussion um dieses Gesetz entstehen kann.
Ich meine aber, dass man bei einem Gesetz, das dasLicht der Öffentlichkeit scheut, schon einmal die Fragestellen muss, warum Sie Angst vor der öffentlichen Dis-kussion haben.
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4396 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 47. Sitzung. Berlin, Freitag, den 4. Juli 2014
Dr. Gerhard Schick
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Wir haben schon vor eineinhalb Jahren gesagt: Was esbraucht, ist eine klare Analyse, wie es dem Sektor geht,was die Handlungsnotwendigkeiten sind. Wir haben da-mals gefordert, dass ein Szenario ausgearbeitet werdenmuss, dass einmal dargelegt wird, wie die Entwicklungim Bereich Versicherungen in den nächsten Jahren aus-sieht; denn das Versicherungsgeschäft ist ein langfristi-ges, da muss man einige Jahre in die Zukunft schauen.Es hieß immer, ein solches Szenario könne man nichtentwickeln. Nun hat uns die Bundesbank aber genau dasvorgelegt, von dem Sie immer gesagt haben, das gingenicht, weil Sie keine klare und transparente Diskussionwollten. Dies haben wir aber erst am Montag für die An-hörung bekommen, also vor vier Tagen.
– Natürlich, erst dann lag das vor.Die Bundesbank bestätigt – das ist der entscheidendePunkt –, dass es Handlungsbedarf gibt; diesen habe ichauch nicht geleugnet. Aber die Bundesbank bestätigtauch, wie wichtig es ist, nicht nur auf Kundenseite etwaszu tun, sondern dass auch eine wirksame Ausschüttungs-sperre für die Eigentümer bestehen muss; denn sonstbliebe es bei einer zu großen Anzahl von Unternehmen,die bei einem Stressszenario in Schwierigkeiten kom-men könnten.Jetzt haben wir einen Gesetzentwurf vorliegen, vondem wir wissen, dass die darin vorgesehene Ausschüt-tungssperre bei vielen Unternehmen überhaupt nichtgreift. Das ist ein massives Problem.
Der Chef der Finanzaufsicht hat, als wir ihn danach ge-fragt haben, gesagt, das sei ein politisches Signal. Wirbrauchen hier aber kein politisches Signal, sondern eineeffektive Ausschüttungssperre, die dafür sorgt, dassnicht nur die Kunden, sondern auch die Eigentümer derVersicherungsunternehmen ihren fairen Beitrag zur Sta-bilisierung dieser Branche leisten.
Wie sieht die Gesamtbewertung dieses Gesetzes ausunserer Sicht aus? Inzwischen sind auch auf unsere Ini-tiative ein paar Verbesserungen vorgenommen worden.Deswegen habe ich bei der ersten Lesung gesagt, derGesetzentwurf heute sei besser als der, der vor einein-halb Jahren eingebracht worden ist; dazu stehe ich auch.Aber der Maßstab kann doch nicht zwischen „sehrschlecht“ und „schlecht“ sein; der Maßstab muss dochsein, was die Anforderungen an die Reform der Lebens-versicherungsbranche in Deutschland sind. Da stellenwir fest, dass Sie an entscheidenden Stellen nach wie voreinen blinden Fleck haben.Provisionsoffenlegung. Hierzu gab es im Gesetzent-wurf schon einmal einen guten Ansatz. Anstatt diesen zuverbessern und mehr Transparenz zu schaffen, haben Siedas zur Seite gewischt und sehen jetzt eine Effektivkos-tenregelung vor. Aber was bleibt, ist die Situation, dassein Kunde, wenn ihm ein Vermittler gegenübersitzt,nicht weiß, welches finanzielle Interesse dieser Beraterhat, ihm möglicherweise einen Vertrag zu empfehlen,der dem Vermittler mehr Provision bringt statt eine bes-sere Leistung für den Kunden. Genau diese Transparenzbraucht es, wenn wir provisionsorientierte Fehlberatungzurückdrängen wollen und dafür sorgen wollen, dass dieMenschen die Produkte bekommen, die auch gut für siesind. Das muss doch das Ziel sein.
Sie gehen an drei weitere Bereiche praktisch über-haupt nicht heran. Es ist im Vertrieb nach wie vor derFall, dass Menschen ohne ausreichende QualifikationVersicherungen, die komplizierte Produkte sind, verkau-fen dürfen. Diese Lücke bei den gebundenen Vermittlernschließen Sie nicht.Wir haben nach wie vor das Problem, dass das Pro-dukt Lebensversicherung intransparent ist und Men-schen selbst mithilfe von Sachverständigen nicht sehenkönnen, ob das, was sie ausgezahlt bekommen, auch dasist, was ihnen zusteht. An dieser Stelle machen Sie prak-tisch nichts.Auch die Eigenkapitalausstattung – das ist der drittePunkt – bleibt ein Problem. Das werden wir in dernächsten Zeit angehen müssen. Die Eigenkapitalausstat-tung von Lebensversicherungsunternehmen in Deutsch-land ist unterirdisch gering; im Durchschnitt beträgt sie1,4 Prozent. Auch an dieses Problem gehen Sie nichtrichtig heran.Daher müssen wir sagen: Das Gesetz ist zwar besserals das letzte, aber weit weg von gut. Deswegen werdenwir es ablehnen.Danke.
Als nächste Rednerin hat die Kollegin Anja Karliczek
das Wort.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrtenKolleginnen und Kollegen! Herr Schick, als Erstesmöchte ich Ihnen sagen: Wir haben keine Angst vor Dis-kussionen, aber die Stabilität der Lebensversicherer istdavon abhängig, dass keine übermäßige Liquidität mehrabfließt.
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 47. Sitzung. Berlin, Freitag, den 4. Juli 2014 4397
Anja Karliczek
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Erlauben Sie mir vorweg eine Bemerkung zum Vor-wurf der Medien – ich habe das beim letzten Mal in derDiskussion auch von Ihnen gehört, Frau Karawanskij –,wir würden unliebsame Gesetzentwürfe immer nur ge-gen Mitternacht oder bei einem Spiel der deutschen Fuß-ballnationalmannschaft verabschieden. Jetzt ist es ge-rade 14 Uhr, und das Spiel ist erst heute Abend. Wir tundas hier also öffentlich und transparent.
Wir verabschieden heute das Lebensversicherungsre-formgesetz. Das parlamentarische Verfahren verlief sehrzügig und in einer sehr guten Zusammenarbeit. Sehr ge-ehrter Herr Dr. Meister, an dieser Stelle möchte ich michganz herzlich bei Ihnen und Ihren Mitarbeiterinnen undMitarbeitern im Finanzministerium dafür bedanken. Siehatten immer ein offenes Ohr für unsere vielen Fragen,die sich aus diesem umfangreichen Gesetzentwurf erge-ben haben.
Die Altersvorsorge und damit die Kapitallebensversi-cherung als ein wesentlicher Bestandteil ist ein zentralesAnliegen vieler Menschen. Es gibt fast 90 MillionenVerträge. Damit hat jeder durchschnittlich mehr als ei-nen Vertrag. Deswegen geht dieses Thema fast jeden an.Frau Karawanskij, es waren nicht die Versicherer,sondern es war die Deutsche Bundesbank, die schon inihrem Finanzstabilitätsbericht 2013 festgestellt hat: „DasNiedrigzinsumfeld birgt ein beachtliches Gefährdungs-potenzial“ für circa ein Drittel unserer Lebensversiche-rer. Ein Drittel: Das sind 30 Versicherer, die sogar43 Prozent der Beiträge erheben, 30-mal ein Kollektiv,dem die Menschen heute noch vertrauen, 30-mal einKollektiv, aus dem jeder im Alter garantierte Zahlungenerwartet, heute, aber eben auch morgen und übermorgen.Deswegen handeln wir, und zwar jetzt.Die Finanz- und Staatsschuldenkrise hat Europa vorgroße Herausforderungen gestellt. Wir haben schon vielgetan, um Risiken künftig besser zu erkennen und zumindern. Trotzdem ist Vertrauen verloren gegangen.Vertrauen ist aber eine ganz wichtige Säule für unsereWirtschaft, insbesondere für unsere Finanzwirtschaft.Nach wie vor vertrauen die Menschen jedoch der Ka-pitallebensversicherung mit ihrem garantierten Zins. Da-mit dieses Vertrauen gerechtfertigt bleibt, müssen wirgemeinsam dafür sorgen, dass die garantierten Leistun-gen aus dieser Versicherung auch sicher und stabil blei-ben. Das tun wir mit dem vorliegenden Gesetzentwurf,und ich meine, wir tun das fair und ausgewogen; dennalle Beteiligten müssen einen Beitrag leisten.
Dazu ist eine Systematik entwickelt worden, die of-fenlegt, wie hoch die nicht ausfinanzierten Verpflichtun-gen der einzelnen Lebensversicherer sind. Daraus ergibtsich der sogenannte Sicherungsbedarf. Dieser Siche-rungsbedarf wird den stillen Reserven aus festverzins-lichen Wertpapieren einerseits und dem Bilanzgewinnandererseits entgegengestellt. Erst wenn sich stille Las-ten und stille Reserven wieder die Waage halten, habendie Menschen die Sicherheit, dass sie im Alter auch un-ter extremen Bedingungen eine Leistung bekommen.Sind die garantierten Leistungen nicht sicher, ist esden Versicherern verboten, die vielbeschworenen Be-wertungsreserven auf festverzinsliche Wertpapiere oderauch eine Dividende an die Aktionäre auszuzahlen. HerrSchick, ich kann nur sagen: An dieser Stelle machen wirgenau den Unterschied. Wir geben das Signal, dass Haf-tung und Risiko zusammengehören. Deswegen macht eseinen Unterschied, ob wir die Aktionäre beteiligen, in-dem sie eine Zeit lang keine Dividende bekommen, oderob wir in Gewinnabführungsverträge eingreifen.
Im Gegenzug werden wir den Höchstrechnungszinsfür neue Verträge von 1,75 Prozent auf 1,25 Prozent sen-ken. Ich meine, auch dies ist fair; denn wenn wir denMenschen, die heute im Versicherungskollektiv sind, ei-nen Beitrag zur Sicherung des Systems abverlangen,dann dürfen wir im Gegenzug zukünftigen Versichertenkeine Versprechungen machen, die diesen Sicherungsbe-darf weiter erhöhen. Wichtig ist – das ist festzuhalten –:Wir greifen nicht in die heutige Auszahlungssystematikein, sondern bauen einen Sicherungsmechanismus ein.
Dass wir damit richtig liegen, zeigt schon der Charak-ter der Kapitallebensversicherung. Sie ist einerseits eineAbsicherung der Familie gegen einen frühen Tod – wereinmal ein Haus gebaut hat, der weiß, wie wichtig es ist,die Familie vor dem Ausfall eines Verdieners abzusi-chern –, andererseits ist sie auch ein Instrument des Risi-koausgleichs in der Zeit. Gemeinschaftliches Sparen undAnlegen ermöglicht bessere Konditionen der Anlage underöffnet die Möglichkeit, größere Renditeschwankungenüber einen langen Zeitraum abzufedern. Wer das nichtzur Kenntnis nimmt, der handelt fahrlässig.
An dieser Stelle, Herr Schick, möchte ich die Eigen-kapitalausstattung von Versicherungsunternehmen an-sprechen. Die Finanzierung von Eigenkapital verursachtKosten, die am Ende immer der Verbraucher zu zahlenhat. Die Einführung der Lebensversicherung vor knapp200 Jahren war immer der gemeinschaftliche und damitkostengünstige Risikoausgleich, einer der großen Vor-teile einer individuellen Absicherung im Kollektiv. Des-halb ist das Vermögen der Solidargemeinschaft eigen-mittelfähig und auch bei einer Schieflage heranzuziehen.Deshalb wird es der Sache nicht gerecht, so zu tun, alswenn diese historische Tatsache aktiv herbeigeführt wor-den wäre.
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4398 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 47. Sitzung. Berlin, Freitag, den 4. Juli 2014
Anja Karliczek
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Die Finanzkrise und damit neue Rahmenbedingungenhaben uns gelehrt, dass wir eine Eigenkapitalstärkungunserer finanzwirtschaftlichen Unternehmen brauchen.Mit Solvency II haben wir dafür aber bereits einen Kata-log, der im kommenden Jahr in nationales Recht umge-setzt wird. Damit die Unternehmen diese Herausforde-rung überhaupt stemmen können, wird es einenÜbergangszeitraum von 16 Jahren geben, innerhalb des-sen alles umgesetzt ist. Genau deswegen ist es heuterichtig und wichtig, die Finanzstabilität der Unterneh-men und damit die Solidargemeinschaft der Versichertenzu stärken.
Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf gehen wir nocheinen Schritt weiter. Seit langer Zeit wissen wir, dass esneben der gesetzlichen Rente weiterer Vorsorge für denLebensabend bedarf. Dafür gibt es unterschiedlichekapitalgedeckte Systeme. Unter ihnen kann jeder freiwählen. Diese Wahlfreiheit kann aber nur der effektivnutzen, der vergleichen kann. Dazu brauchen wir Trans-parenz. Da die Lebensversicherung aber ein hoch regu-liertes und sehr komplexes Produkt ist, müssen wir mitmöglichst einfachen Mitteln Transparenz der Kostenherstellen. Deshalb haben wir uns entschieden, dieseTransparenz der Kosten über eine sogenannte Gesamt-kostenquote herzustellen. Das bedeutet: Die Versichererwerden künftig in ihren Produktinformationsblätternausweisen: Wie viel Rendite kosten mich die Kosten derLebensversicherung? Damit verfolgen wir ein analogesVerfahren zu Riester-Verträgen. Es ist ein wichtigerSchritt, um unterschiedliche Altersvorsorgeproduktevergleichbar zu machen.
Doch nicht nur die Vergleichbarkeit ist ein wichtigesKriterium. Altersvorsorge ist eine sehr langfristige Auf-gabe. Kurzfristige Veränderungen verursachen meistenshohe Kosten und konterkarieren die Möglichkeit, denZinseszinseffekt bei Kapitalanlagen zu nutzen. Wir wol-len das Interesse an einer langfristigen Bindung zwi-schen Versicherern und Versicherten stärken. Deshalbbegrenzen wir mit der Absenkung des Höchstzillmersat-zes die Aktivierung der Abschlusskosten. Die weiterge-hende Forderung, die Abschlusskosten gesetzlich zu be-grenzen, wie wir das schon gehört haben, lehnen wir ab.Es ist nicht Aufgabe des Gesetzgebers, in die Preisfin-dung einzugreifen. Das ist in einer sozialen Marktwirt-schaft Aufgabe des Wettbewerbs.
Auch die Forderung nach einer Änderung der Kosten-gewinnbeteiligung lehnen wir ab. Mit einer hälftigenAufteilung der Kosten stellen wir nämlich sicher, dassdas Interesse des Unternehmens, im Sinne der Kundenmöglichst effizient zu arbeiten, überhaupt erhaltenbleibt.Aus meiner Sicht ein letzter, sehr wichtiger Schritt,den wir mit diesem Gesetzentwurf gehen: Wir stärkendie Aufsichtsmöglichkeiten der Bundesanstalt fürFinanzdienstleistungsaufsicht. Zukünftig kann sie vonden Versicherern verlangen, dass diese sich langfristigermit den erwarteten Geschäftsergebnissen, der Risiko-tragfähigkeit und auch der Solvabilität ihres Unterneh-mens auseinandersetzen. Dies ermöglicht beiden Seitentiefere Einblicke in das Unternehmen, eine in volatilenund finanzpolitisch schwierigen Zeiten aus meiner Sichtsehr sinnvolle Maßnahme.Alles in allem bleibt festzuhalten: Die Ausgewogen-heit des Gesetzentwurfes wurde in der öffentlichen An-hörung von fast allen Experten anerkannt. Mit dem Le-bensversicherungsreformgesetz tragen wir der Sorge umeine stabile Alterssicherung Rechnung. Wer vorsorgt,soll sich auch in Zukunft darauf verlassen können, dasser die garantierten Versprechen seiner Altersvorsorgewirklich erhält. Mit dem vorliegenden Gesetzentwurfwird ein System etabliert, mit dem dieses Ziel erreichtwird. Deshalb bitte ich im Namen der Koalitionsfraktio-nen CDU/CSU und SPD um Ihre Zustimmung.
Als letzter Redner in dieser Debatte hat der Kollege
Binding das Wort. – Ich habe an die Kolleginnen und
Kollegen die Bitte, den Geräuschpegel etwas zu senken.
Der Kollege Binding hat zwar eine laute Stimme, aber es
wäre trotzdem für uns alle entspannter, wenn der Pegel
etwas gesenkt wird.
Frau Präsidentin! Sehr verehrte Damen und Herren!Liebe Kolleginnen und Kollegen! Als Schlussredner zudiesem Tagesordnungspunkt möchte ich noch einmal et-was zur Dimension sagen. Wir haben 90 Millionen Le-bensversicherungsverträge. Da ist ein Volumen von etwa860 Milliarden Euro gebunden, also ein Drittel des Brut-toinlandsproduktes, und da sind 80 Milliarden Euro stilleReserven. Um die geht es den ganzen Tag. Dazu istschon viel gesagt worden.Gerhard Schick hat gesagt, wir hätten vor einem Jahrganz anders gesprochen. Das stimmt, denn das heutigeGesetz ist Lichtjahre von dem Entwurf entfernt, den wirletztes Jahr vorgelegt bekamen.
Insofern ist es richtig, anders zu formulieren. Es er-schreckt mich ein wenig, dass du immer noch so formu-lierst wie im letzten Jahr.
Denn das zeigt ja, es ist eine gewisse Erkenntnisverwei-gerungshaltung.Das ist eine schwierige Angelegenheit, denn wir ha-ben damals nicht von Ausschüttungssperre gesprochen,wir haben nicht von der höheren Beteiligung an den Ri-
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 47. Sitzung. Berlin, Freitag, den 4. Juli 2014 4399
Lothar Binding
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sikogewinnen gesprochen, wir haben nicht von der er-höhten, wenn auch nicht vollständigen Transparenz derProvisionen und der Honorarberatung gesprochen, undinsbesondere haben wir damals nicht darüber gespro-chen, dass nicht nur die stillen Reserven zu verteilen wä-ren, diese 80 Milliarden Euro. Es ist eine gute Idee, dienur für 5 Prozent der Versicherten bereitzustellen – ja,eine gute Idee für die 5 Prozent! Wir wollen die stillenReserven für 100 Prozent der Versicherten verfügbarmachen. Dann wird ein gerechter Gesetzentwurf daraus.
Auch haben wir früher die stillen Lasten nicht themati-siert. Auch die stillen Lasten sollen korrekt verteilt wer-den. Insofern ist das eine sehr kluge Gesetzgebung.Man muss schon sagen: Wenn man sich um alle küm-mert, ist die Sache schwierig. Natürlich, die Versiche-rungskonzerne kümmern sich um sich. Die wollen Ge-winne machen, wollen die bescheidenen Gehälter fürihre Manager auszahlen. Dafür haben wir Verständnis.Aber auch die Verbände kämpfen natürlich für sich, fürihre Reputation, für ihren Einfluss, ihre Einnahmen.Auch das ist verständlich. Auch die Makler kämpfen,häufig natürlich selbstlos.
Die kümmern sich aber auch um sich. Jetzt ist die Frage:Wer kümmert sich in all diesem Lobbyismus eigentlichum die Versicherten,
und zwar nicht nur um die Neuversicherten, nicht nurum die Altversicherten, nicht nur um die Versicherten inspe, also um die zukünftig Versicherten? Denn wir habeneine Solidargemeinschaft, die in Deutschland eine ganzwichtige Funktion hat. Wer kümmert sich eigentlich umdie Versicherten? Die Antwort ist: Wir alle. Denn dieeinzelnen Versicherten haben keine Lobby. Wir sind dieLobby der Versicherten.
Deshalb ist dieses Gesetz ein sehr gelungener Versuch,zwischen all diesen einen Ausgleich zu finden. Deshalbsind wir auch so davon überzeugt.Aber es gibt ja nichts, was nicht irgendwie noch denRestzweifel in sich trüge. Deshalb wollen wir eine Eva-luierung machen, weil keiner weiß, wie sich in ZukunftDinge am Markt entwickeln. Wenn wir dann die Eva-luierung haben, bekommen wir einen ganz stabilen Pfad,um Versicherte gerecht zu behandeln.Warum ereifere ich mich so? Der Grund ist einfach:Einmal angenommen, wir ruinierten die Versicherungen.Dann stelle sich hier jeder vor, wie unsere Gesellschaftaussähe, wenn wir keine Versicherungen mehr hätten.Deshalb wollen wir die Lebensversicherung stabili-sieren. Ich glaube, dass die Versicherten mit diesem Ge-setz eine gute Zukunft haben.Schönen Dank und alles Gute.
Der Kollege Schick erhält das Wort für eine Kurz-
intervention.
– Liebe Kolleginnen und Kollegen, auch das gehört zu
den parlamentarischen Gepflogenheiten.
Weil die Kollegen von der CDU/CSU-Fraktion und
von der SPD-Fraktion mich sehr persönlich angespro-
chen haben, möchte ich jetzt doch noch einmal kurz die
Gelegenheit zur Reaktion haben.
Der erste Punkt ist der zum Verfahren. Es ist ein Ver-
fahren, das nur möglich geworden ist, weil wir aus-
nahmsweise im Finanzausschuss die Anhörung schon
beschlossen hatten, bevor hier die erste Lesung erfolgte,
und im Bundesrat ein Fristverzicht zugelassen worden
ist. In der Folge war es so knapp, dass der Normenkon-
trollrat entgegen den Bestimmungen der Geschäftsord-
nung dieser Bundesregierung nicht die Zeit hatte, Stel-
lung zu nehmen. Wenn das nicht ein extrem kurzes
Verfahren für ein so wichtiges Gesetzgebungsverfahren
ist, dann weiß ich nicht, was ein kurzes Verfahren ist.
Halten Sie sich wenigstens an die Geschäftsordnung Ih-
rer Bundesregierung! Wenn das kein Maßstab ist!
Dann zu der Frage des Vergleichs und ob wir uns da
jetzt irgendwie Argumente zusammensuchen. Wir haben
immer gesagt: Wir verschließen uns einer fairen Rege-
lung nicht. – Wir haben gemeinsam vor einem Jahr ge-
sagt – das waren unsere Vorschläge im Vermittlungsver-
fahren –, dass wir im Vertrieb auch die Qualifikation der
gebundenen Vermittler regeln wollen. Nichts davon steht
nun im Gesetz.
Es wäre ebenfalls notwendig gewesen, die Frage zu
klären, ob die Ausschüttungssperre funktioniert. Das war
einer der zentralen Punkte, die ich in der ersten Lesung
noch gelobt habe. Aber die Anhörung hat klar gezeigt:
Die Ausschüttungssperre funktioniert bei einigen Unter-
nehmen nicht. Deswegen kann man nicht behaupten, wir
suchten Gründe für eine Ablehnung. Vielmehr haben wir
sehr gute Gründe, zu sagen: Dieses Gesetz leistet keinen
fairen Ausgleich.
Die Kollegen verzichten auf eine Erwiderung.Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun-desregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zurAbsicherung stabiler und fairer Leistungen für Lebensver-sicherte. Der Finanzausschuss empfiehlt unter Buchstabe aseiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/2016, den
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4400 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 47. Sitzung. Berlin, Freitag, den 4. Juli 2014
Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn
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Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache18/1772 in der Ausschussfassung anzunehmen. Hierzuliegen zwei Änderungsanträge der Fraktion Die Linkevor.Wir stimmen zuerst über den Änderungsantrag derFraktion Die Linke auf Drucksache 18/2025 ab. Werstimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Die Koalitions-fraktionen. Wer enthält sich? – Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Damit ist der Änderungsantrag auf Druck-sache 18/2025 mit den Stimmen der Koalition abgelehntworden.Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Ände-rungsantrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache18/2026. Wer stimmt für diesen Änderungsantrag? –Die Fraktion Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen.Wer stimmt dagegen? – Die Koalitionsfraktionen. Werenthält sich? – Damit ist auch dieser Änderungsantragmit den Stimmen der Koalitionsfraktionen abgelehntworden.Ich bitte nun diejenigen, die dem Gesetzentwurf in derAusschussfassung zustimmen wollen, um das Handzei-chen. – Das sind die Koalitionsfraktionen. Wer stimmt da-gegen? – Bündnis 90/Die Grünen und die Linke. Werenthält sich? – Niemand. Damit ist der Gesetzentwurf inzweiter Beratung mit den Stimmen der Koalition ange-nommen worden.Wir kommen zurdritten Beratungund Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die demGesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. –Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist derGesetzentwurf mit der Mehrheit der Koalitionsfraktio-nen angenommen worden.Wir kommen zur Abstimmung über den Entschlie-ßungsantrag der Fraktion Die Linke auf der Drucksa-che 18/2027. Wer stimmt für diesen Entschließungsan-trag? – Die Fraktion Die Linke. Wer stimmt dagegen? –Die Koalitionsfraktionen. Wer enthält sich? – Bünd-nis 90/Die Grünen. Dann ist auch dieser Entschließungs-antrag mit den Stimmen der Koalition abgelehnt worden.Wir setzen die Abstimmung über die Beschlussemp-fehlung auf Drucksache 18/2016 fort. Unter Buchstabe bempfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags derFraktion Die Linke auf Drucksache 18/1815 mit demTitel „Lebensversicherungen auf den Prüfstand stellen –Kein Schnellverfahren zu Lasten der Versicherten“. Wirstimmen nun über den Buchstaben b der Beschlussemp-fehlung auf Verlangen der Fraktion Die Linke nament-lich ab.Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, ihrePlätze einzunehmen. Ist das überall der Fall? – Es ist derFall. Dann eröffne ich die Abstimmung über Buch-stabe b der Beschlussempfehlung.Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seineStimme noch nicht abgegeben hat? – Das ist nicht derFall. Dann schließe ich die Abstimmung und bitte dieSchriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszäh-lung zu beginnen. Das Ergebnis der Abstimmung wirdIhnen später bekannt gegeben.1)Ich rufe den Tagesordnungspunkt 28 auf:Beratung des Antrags der Fraktionen CDU/CSU,SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENEinsetzung einer „Expertenkommission zurZukunft der Behörde des Bundesbeauftragtenfür die Unterlagen des Staatssicherheitsdiens-tes der ehemaligen Deutschen Demokrati-schen Republik “Drucksache 18/1957Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind fürdie Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich höre dazukeinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.Ich eröffne die Aussprache. Der Kollege MarcoWanderwitz erhält als erster Redner das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Unmittelbar vor der parlamentarischen Sommerpausehaben wir uns als letzte Debatte ein durchaus gewichti-ges Thema vorgenommen, die Einsetzung einer Exper-tenkommission zur Zukunft der Stasi-Unterlagen-Be-hörde. Die bewegenden Bilder von der Erstürmung derStasizentrale in der Normannenstraße hier in Berlin am15. Januar 1990 gingen um die Welt. Ich habe heute Vor-mittag die Gelegenheit genutzt, mir einige dieser Bilderanzuschauen. Für viele in Deutschland, aber auch da-rüber hinaus wurden sie zu einem der Symbole der Be-freiung vom Willkür- und Unterdrückungsapparat derSED. Die Stasi, das Ministerium für Staatssicherheit,nach eigener Wahrnehmung „Schild und Schwert derSED“, war der Inbegriff der Diktatur der DDR. Es wardie Oppositionsbewegung, die die geplante völlige Ver-nichtung der Stasiunterlagen verhinderte, indem sie fastalle Bezirks- und Kreisdienststellen der ehemaligenStaatssicherheit besetzte. Leider ist es in einigen Bezir-ken gleichwohl gelungen, sehr viel Aktenmaterial zuvernichten. Was übrig geblieben ist, sind 150 laufendeKilometer Akten, darunter rund 1,3 Millionen Fotos.Unmittelbar mit der Sicherstellung folgten die Offen-legung der Akten und damit die Weichenstellung für dietiefgreifende Aufarbeitung der SED-Diktatur. Mit derStasi-Unterlagen-Behörde haben wir als Deutscher Bun-destag – ich war damals noch nicht dabei; aber mancheder heutigen Kolleginnen und Kollegen waren schon imHohen Haus – die rechtliche Grundlage für die Aufarbei-tung der Stasiunterlagen und die Zugänglichmachung fürOpfer, Forschung und Bildungsarbeit geschaffen.Heute beschließen wir die Einsetzung einer Experten-kommission, die uns als Deutschem Bundestag Rat-schläge geben soll, wie wir nach 2019 mit diesem The-menkomplex weiter verfahren sollen. Bis 2019 haben1) Ergebnis Seite 4407 C
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 47. Sitzung. Berlin, Freitag, den 4. Juli 2014 4401
Marco Wanderwitz
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wir noch eine gesetzliche Grundlage, auf der die Stasi-Unterlagen-Behörde, die BStU, arbeitet.Wir als Union haben großen Wert darauf gelegt, dassder Kommissionsauftrag offen formuliert wird und dasswir, was die Strukturen betrifft, der Expertenkommissionkeine Vorgaben machen; denn sie soll ihre Vorschlägefrei unterbreiten, allerdings auf der Grundlage der Auf-gabenstellungen, die das Stasi-Unterlagen-Gesetz be-inhaltet.Das Stasi-Unterlagen-Gesetz hat sich bewährt. Wirhaben es seit seinem Inkrafttreten 1991 insgesamt acht-mal novelliert. Ich denke, es ist ein Beispiel für ein gutesGesetz.
Der Zugang zu den Stasiakten und ihre weitere Er-schließung bleiben wichtige Voraussetzungen für die nö-tige weitere Aufarbeitung der SED-Diktatur. Das ist wei-testgehend, über die Fraktionsgrenzen hinweg – bis aufdie bekannte Ausnahme –, Konsens.
Bereits 1994 forderte die PDS die Schließung der Be-hörde, weil sie die Menschen in den neuen Ländern an-geblich diskriminiere und unter Generalverdacht stelle.Ich zitiere aus Bundestagsdrucksache 13/4359 aus der13. Wahlperiode des Bundestages, einem Gesetzentwurfder PDS für ein viertes Gesetz zur Änderung des Stasi-Unterlagen-Gesetzes von 1996:Die Persönlichkeitsrechte der als Täter charakteri-sierten offiziellen und inoffiziellen Mitarbeiter desMinisteriums für Staatssicherheit … der DDR sindweitgehend aufgehoben.Das ist völliger Unsinn, aber es ist eine klar erkennbareGeisteshaltung, die Sie bis heute einnehmen.
Mit uns in der Regierungsverantwortung – ich glaube,das trifft auch auf die beiden anderen einbringendenFraktionen zu – wird es keinen Schlussstrich unter dieSED-Unrechtsaufarbeitung geben, heute nicht und auchin Zukunft nicht.
Ich möchte deshalb den Kolleginnen und Kollegender Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen,speziell meinen beiden Berichterstatterkollegen SiegmundEhrmann und Harald Terpe, für die gemeinsame Erarbei-tung des Antrages in sehr kollegialer Atmosphäre herz-lich danken. Ich glaube, das ist auch ein gutes Zeichenfür die Zeit nach 2016, wenn uns die Kommission ihreErgebnisse vorlegt. Ich hoffe und glaube, dass wir dannin ähnlicher Einhelligkeit und konstruktiver Atmosphäregemeinsam miteinander die nötigen Novellen auf denWeg bringen können.Die wissenschaftliche Erforschung der SED-Diktaturdarf sich aber nicht auf das Wirken der Staatssicherheitbeschränken. Ich glaube, sie muss künftig noch stärkerdie Rolle der SED, der Spinne im Netz in der ehemali-gen DDR, in den Fokus nehmen.
In der ersten Debatte im Deutschen Bundestag zumStasi-Unterlagen-Gesetz 1991 führte unser damaligerCDU/CSU-Fraktionskollege Johannes Gerster aus:Wir brauchen Regelungen, die den effektivenSchutz der Opfer und deren Persönlichkeitsrechtesichern. … Die Opfer des Stasi-Terrors müssen er-fahren – soweit sie dies wollen –, was die Bespitze-lungsorgane über sie zusammengetragen haben.Das ist auch heute eine gültige Forderung. Ich möchteein paar Zahlen liefern, die unterlegen, dass das einerichtige Aussage war:Seit Bestehen der Stasi-Unterlagen-Behörde gab esrund 3 Millionen Anträge auf Akteneinsicht, rund3,3 Millionen Ersuchen für eine Überprüfung auf eineStasitätigkeit, fast 30 000 Forschungsaufträge und rundeine halbe Million Anträge auf Rehabilitierung oderStrafverfolgung. Schon das allein zeigt, dass diese Ar-beit auch in Zukunft unverzichtbar ist.Lieber Roland Jahn – Sie sitzen oben auf der Besu-chertribüne –, Ihre Behörde hat sowohl im Inland wie imAusland hohes Ansehen und große Akzeptanz. VielenStaaten, nicht nur in Osteuropa, dient Ihre Arbeit alsVorbild. Ihnen, Ihrer Amtsvorgängerin, Ihrem Amtsvor-gänger und Ihren Mitarbeitern möchte ich heute im Na-men des Hauses Dank für Ihre Arbeit sagen. Ihr Selbst-verständnis als Opferbehörde ist auch das unsere.
Die DDR war eine Diktatur, in der Menschenrechtemassiv verletzt wurden, man der Willkür der Stasi aus-geliefert war, man Angst haben musste, seine Meinungzu sagen; Millionen Biografien wurden fremdbestimmt.Mehr als 250 000 Menschen wurden in der DDR auspolitischen Gründen verhaftet. Über 1 000 Menschenverloren ihr Leben an der innerdeutschen Grenze. Ja, ander DDR klebt auch Blut.Deswegen schaue ich zum Abschluss meiner Redenach links und stelle ganz einfach wieder einmal dieFrage, ob Sie, die Linken, es heute über die Lippen brin-gen, diese Diktatur ohne Wenn und Aber als Unrechts-staat zu bezeichnen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, als nächster Rednerhat der Kollege Stefan Liebich das Wort.
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4402 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 47. Sitzung. Berlin, Freitag, den 4. Juli 2014
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Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren!Vor wenigen Tagen starb in Leipzig der Pfarrer der Ni-kolaikirche Christian Führer. In einem Interview bezo-gen auf den Herbst 1989 hat er gerade mit Blick aufjunge Menschen gesagt:Der Aufklärungsbedarf ist hoch, weil niemand un-ter den Zuhörern je zuvor in einer Weltanschau-ungsdiktatur gelebt hat.Und er ergänzte:Das einzige Mittel gegen die Staatssicherheit wardie Offenheit.Ich finde es gut, dass wir heute endlich über die Zu-kunft dieser Behörde sprechen, die weit mehr ist alsNachlassverwalterin des Ministeriums für Staatssicher-heit.
Es kann eigentlich niemanden in diesem Hause, außervielleicht Herrn Wanderwitz, überraschen, wenn ich jetztsage, dass meine Fraktion die Einsetzung einer Exper-tenkommission zur Zukunft der Stasi-Unterlagen-Be-hörde begrüßt. Wir fordern das schon sehr lange. UnserePartei, Die Linke, hat als Rechtsnachfolgerin der PDSeine ganz besondere Verantwortung bei der Diskussionüber die DDR-Geschichte – das stimmt –, die die Ge-schichte eines Teils unseres Landes ist.Wir haben aus unserer Geschichte gelernt:Ein Sozialismusversuch, der nicht von der großenMehrheit des Volkes demokratisch gestaltet, son-dern von einer Staats- und Parteiführung autoritärgesteuert wird, muss früher oder später scheitern.
So steht es im Programm unserer Partei, und wir du-cken uns auch nicht weg. Das ist in den Protokollen derSitzungen dieses Hauses nachlesbar. Wir haben uns im-mer wieder für all diejenigen eingesetzt, die in der DDRUnrecht erlitten haben und Opfer von staatlicher Willkürgeworden sind. Gerade deshalb, Herr Wanderwitz, ist esvöllig inakzeptabel, dass wir als zugleich größte Opposi-tionsfraktion insbesondere auf Betreiben Ihrer Fraktionvon der Erarbeitung und Einbringung dieses Antragesausgeschlossen wurden. Dieses Spielchen können Sienun wirklich langsam einmal beenden.
Roland Jahn hat gesagt, er fände es gut, wenn die De-batte über die Kommission ausreichenden Abstand vonparteipolitischen Auseinandersetzungen hätte. Es wäreschön, wenn Sie sich das zu Herzen genommen hätten.Noch ein Blick auf die CDU/CSU. Sie haben bereitsim Jahr 2009 eine Expertenkommission in Aussicht ge-stellt. Dann ist vier Jahre lang nichts passiert. Ich glaube,die Arbeit des Beauftragten für die Stasi-Unterlagen,Roland Jahn – der übrigens auch von vielen Kolleginnenund Kollegen meiner Fraktion ins Amt gewählt wurde,wie übrigens schon der erste Stasi-Unterlagen-Beauf-tragte, Joachim Gauck, von vielen Abgeordneten derPDS-Fraktion in der Volkskammer gewählt wurde, ma-chen sie nicht leichter, wenn Sie diese Debatte so langevor sich herschieben. Wenn Sie nur halb so viel IhrerEnergie in Überlegungen zur Zukunft der Behörde ge-steckt hätten wie in jene Überlegungen über die Aus-grenzung unserer Fraktion, dann hätten Sie unseremLand mehr geholfen.
Wir haben drei Prämissen für die Zukunft der Be-hörde. Erstens. Der Zugang der Betroffenen zu den Ak-ten muss gesichert bleiben, unter welchem Türschildauch immer. Zweitens. Die Expertise der Behörde für dieForschungs- und Bildungsarbeit darf nicht verloren ge-hen. Drittens. Natürlich, Herr Wanderwitz, es darf kei-nen Schlussstrich unter die Debatte über die DDR geben.
Darauf werden wir konsequent dringen, auch in derArbeit der Kommission selbst; wobei das mit dem „wir“wahrscheinlich etwas schwierig wird. Sie haben nun ver-abredet, dass von den 14 Mitgliedern 12 von der Koali-tion und 2 von der Opposition vorgeschlagen werdendürfen. Angesichts der verrückten Debatten, über die ichim Vorfeld gelesen habe, dass wir eventuell gar keinenVorschlag machen dürften, sollten wir uns jetzt vielleichtfreuen, dass wir wenigstens einen Platz vorschlagen dür-fen. Ich will es aber einmal andersherum aufzäumen: 2von 14, das ist nun wirklich kein Grund für unbändigenJubel. Wir haben hier eine lange Debatte über Minder-heitenrechte gehabt. Ich finde, das spiegelt diese Zusam-mensetzung hier nicht wider. Ich finde es, ehrlich gesagt,auch schade, dass die Grünen dabei mitgemacht haben.Schade ist auch, dass im Antragstext nichts über dieTransparenz der Beratung der Kommission steht undschon gar nichts von begleitenden öffentlichen Debatten.Dabei wird das für die vielen Bürgerinnen und Bürger,die aus der DDR kommen, und ihre Nachkommen einebesonders wichtige Frage; denn die Menschen wollennatürlich daran teilhaben, wie die Forschungsarbeit fort-gesetzt wird und wie und vor allen Dingen wo künftigdie Akten eingesehen werden können. Sie haben daswahrscheinlich nicht mit böser Absicht getan, sondern eseinfach so vergessen. Das wäre Ihnen nicht passiert,wenn Sie uns an der Mitarbeit beteiligt hätten.
Es sind nicht nur Details. Deshalb werden wir uns derStimme enthalten. Gleichwohl wünsche ich der Exper-tenkommission bei ihrer Arbeit namens meiner Fraktionviel Erfolg; denn diese Arbeit ist für uns alle wichtig.Ich möchte zum Abschluss unseren ehemaligen Al-terspräsidenten Stefan Heym zitieren, der in seinemBuch 5 Tage im Juni völlig zu Recht formulierte, dassnur der sich der Zukunft zuwenden kann, der seine Ver-gangenheit bewältigt hat. Ich hoffe, dass die Kommis-sion dazu einen wichtigen Beitrag leisten wird. Wir wün-schen ihr für ihre Arbeit viel Erfolg.Vielen Dank.
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 47. Sitzung. Berlin, Freitag, den 4. Juli 2014 4403
Stefan Liebich
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Als nächster Redner hat der Kollege Siegmund
Ehrmann das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Meine Damen und Herren! Es ist gut, dass wir heute, un-mittelbar vor der parlamentarischen Sommerpause, vorder sitzungsfreien Zeit, den Auftrag erteilen, eine Exper-tenkommission zu berufen, die sich mit der Zukunft derStasi-Unterlagen-Behörde beschäftigt. Dies tun wir imJahre 2014, 25 Jahre nach der friedlichen Revolution.Herr Liebich hat an Christian Führer erinnert, denmutigen Pfarrer, Seelsorger, den Mutmacher der Leipzi-ger Demonstrationen, ein wichtiger Mann der Freiheits-bewegung. Ich möchte aber auch an Reinhard Höppnererinnern, der vor wenigen Wochen verstorben ist. Beibeiden handelt es sich um große Persönlichkeiten, derenAndenken wir bewahren sollten. Das gilt insbesonderefür Höppner, der in vielen schwierigen Debatten auchder Volkskammer seine Erfahrungen als ehemaligerSynodaler einbringen konnte.
Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen undKollegen, der Ruf nach Freiheit 1989 mündete sehrschnell und direkt in den unbedingten Willen nach Auf-klärung, nach Aufklärung der Stasiverbrechen und desStasiunrechts. Ich persönlich kann nur sagen: Ich bin tiefim Westen geboren, habe aber eine leichte Ahnung da-von bekommen, was das bedeutet, als wir uns in den60er-, frühen 70er-Jahren mit Freunden aus der jungenGemeinde des Kirchenkreises Selo in Ostberlin getrof-fen haben. Ich erinnere mich an einen Besuch von Ver-wandten in Erfurt in den 70er-Jahren. Das war schonwirklich bedrückend.Überträgt man das auf das, was die Repressionenletztendlich bedeuteten: Wir wissen heute sehr genau,wie Freiheit und Menschenwürde verletzt und einge-schränkt wurden. So macht das den zwingenden Wunschverständlich, die Dokumente zu sichern, zu recherchie-ren, was los ist, und dies auch in einen rechtlichen Rah-men zu passen. Insofern ist das Gesetz, das die Arbeitder Stasi-Unterlagen-Behörde heute beschreibt, etwas,was eigentlich zentral dem einzigen und frei gewähltenParlament der ehemaligen DDR geschuldet ist, nämlichder Volkskammer. Dort ist der Ursprung verabschiedetworden. 1991 hat dann der Deutsche Bundestag diesesGesetzeswerk, das immer aus der Mitte des Parlamentsinitiiert wurde, weiterentwickelt und als Auftrag in un-sere Gesetzgebung übernommen.
Meine Damen und Herren, erinnern möchte ich auchdaran: Es war nicht die Normannenstraße, die den Auf-takt gemacht hat, sondern es waren die Stasizentralen inLeipzig und dann später in Rostock und in Erfurt. Dortin der Fläche – das zeigt, wie stark der Unmut war – hates angefangen, am 4. Dezember 1989, und am 15. Januar1990 folgten schließlich die Aktionen um die Norman-nenstraße. Alles das ist zu bedenken.Zentral und im Mittelpunkt stand, das Instrumenta-rium des Datenschutzes, der Aufklärung, der Forschung,aber auch der Rehabilitierung in das Gesetz zu schrei-ben. Aber unmittelbar nach der Wiedervereinigung 1990hat die Enquete-Kommission, die sich mit dem Un-rechtssystem der DDR auseinandergesetzt hat, die Quel-len und Akzente der Geschichtspolitik weiterentwickelt.So erinnere ich an die Stiftung Aufarbeitung, die einganz wichtiger Partner ist und das Thema weit über dieAufgabenstellung der Stasi-Unterlagen-Behörde entwi-ckelt hat.Wir haben uns im Gedenkstättenkonzept des Jahres2008 den Auftrag gegeben, den wir heute erfüllen, näm-lich eine Expertenkommission einzusetzen. Wir habendort als Parlament ausdrücklich unterstrichen und be-kundet, dass es nicht um eine Schlussstrichdebatte gehenkann; wir haben aber auch zum Ausdruck gebracht, dassdie Stasi-Unterlagen-Behörde keine Behörde auf Dauer,auf Ewigkeit ist, sondern dass es zu einem bestimmtenZeitpunkt die Chance geben muss, darüber sorgfältig zureflektieren. Das soll mithilfe dieser Expertenkommis-sion geschehen.Es gibt verschiedene Prüffelder, die sorgfältig insAuge zu fassen sind:Da geht es um das Verhältnis der Bundesstelle, derZentrale, zu den Außenstellen. Das schließt die Frageein: Wie ist künftig der Zugang zu den Akten? Wie istdieser rechtlich zu organisieren?Es geht um das weite Feld der Forschung. Wie ist daseigentlich justiert, die behördeninterne Forschung imVerhältnis zur universitären Forschung?„Erinnern für die Zukunft“ ist das Thema der politi-schen Bildung. Da stellen sich Fragen der Zusammenar-beit und Kooperation im Verhältnis zur Stiftung Aufar-beitung, aber auch zur Bundeszentrale für politischeBildung oder/und zu den Landeszentralen für politischeBildung.Schließlich geht es um die Weiterentwicklung der au-thentischen Orte. Es reicht nicht aus, zu träumen, dassauf den Dächern der Normannenstraße möglicherweiseirgendwann die Rolling Stones spielen, sondern es gehtvor allen Dingen um die Frage: Welche pädagogischenImpulse gehen nicht nur an diesem Ort? Wie könnenweit über die Normannenstraße hinaus eventuell andereauthentische Orte genutzt werden?
Alles das sind Fragen, die wir zu klären haben. Dazugehört auch die Frage des Umgangs mit den Bürgerar-chiven. Da sind zu nennen das Robert-Havemann-Ar-chiv, aber auch das Archiv der Bürgerbewegung Leipzigoder das Matthias-Domaschk-Archiv. Alle diese Fragen
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4404 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 47. Sitzung. Berlin, Freitag, den 4. Juli 2014
Siegmund Ehrmann
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sind sorgfältig ins Auge zu fassen, um für die Zukunftwichtige Impulse zu setzen.Ich bedanke mich bei allen, die intensiv an dem An-trag mitgewirkt haben. Ich freue mich, dass wir uns jetztgemeinsam auf den Weg machen.Herr Liebich, die Tatsache, dass die Experten nach ei-nem bestimmten Vorschlagsrecht benannt werden, heißtnicht zwingend, dass diejenigen, die zum Beispiel meineFraktion beruft, glühende sozialdemokratische Partei-gänger sind. Ich bin zutiefst davon überzeugt, dass vieleder Experten, aus welcher Ecke sie auch vorgeschlagenwerden, uns fachlich sehr fundiert eine Orientierung ge-ben werden. Es wird eine Kommission des DeutschenBundestages sein. Wir werden sie begleiten. Es geht umwichtige Weichenstellungen. Ich wünschte mir, dass wires tatsächlich schaffen, bis zum Frühjahr 2016 Orientie-rung zu bekommen, um ebendiese Weichen zu stellen.Ich bin zutiefst davon überzeugt, dass es danach eineweitergehende geschichtspolitische Debatte geben muss.Man muss das Rad nicht permanent neu erfinden. Es gibtviele öffentliche Einlassungen zu all den Themen, dieich gerade kurz touchiert habe. Ich glaube zum Beispiel,dass die Arbeit der Sabrow-Kommission, die seinerzeitdurchaus zu Debatten geführt hat, Inhalte enthält, die unsweiterführen können. Insofern glaube ich, dass wir allediese Anregungen in einem qualifizierten geschichts-politischen Dialog aufgreifen und so das Gedenkstätten-konzept fortschreiben sollten.Ich freue mich darüber, dass wir diese Arbeit gewis-sermaßen unmittelbar vor der Sommerpause hier ge-meinsam in Gang setzen.Herzlichen Dank.
Als nächster Redner hat der Kollege Harald Terpe das
Wort.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnenund Kollegen! Zunächst möchte ich mich auch dem Ge-denken an Herrn Führer und Herrn Höppner anschlie-ßen, gleichzeitig aber sagen, dass es auch vieler andererzu gedenken gilt, die in der Zeit aktiv gewesen sind unddie viel dazu beigetragen haben, dass wir heute über un-sere Vergangenheit in dieser Weise diskutieren können.
Gestaltung der Zukunft erfordert, sich den Anforde-rungen der Vergangenheit zu stellen und sich dieser zuvergewissern. Sie können mir glauben, dass ich bei derAuseinandersetzung mit diesem Thema natürlich auchdie eigene Vergangenheit reflektiere. Ich war am 4. De-zember 1989 in Rostock bei der Besetzung der Stasibe-hörde und gehörte zur Verhandlungskommission. Ichgebe etwas preis: Es ist ein Typikum in der deutschenGeschichte, dass man häufig feststellt: Als Familie hatman auf verschiedenen Seiten gestanden. An diesemAbend habe ich das in der eigenen Familie deutlich er-kennen müssen.In der Wendezeit haben also viele Menschen, damalsgetragen von der Bürgerbewegung und denen, die für dieneue demokratische Entwicklung eingetreten sind, dieStasizentralen besetzt. Es ist auch schon gesagt worden,dass es in Berlin nicht zuerst die Normannenstraße war.Sie ist als Letzte besetzt worden. Daraus ist quasi ein fö-deraler Aspekt der Vergangenheitsbewältigung gewor-den, der bis heute in der Existenz der Außenstellen aufGrundlage des Stasi-Unterlagen-Gesetzes fortgeschrie-ben wird. Das war, glaube ich, auch gut. Bei dieser Artder Aufarbeitung von Geschichte handelt es sich inDeutschland und international um einen beispiellosenProzess, weil er das erste Mal ermöglicht hat, sich un-mittelbar mit der eigenen Geschichte auseinanderzuset-zen und die Schmerzen, die damit verbunden sind, un-mittelbar zu erleben. Das hat für die Zukunft eine vielheilendere Wirkung, als wenn man Jahrzehnte auf dieAufarbeitung der Geschichte warten muss und dieSchmerzen dann beginnen. Insofern war diese Entschei-dung der letzten demokratisch frei gewählten Volkskam-mer – mein Vater hat übrigens auch an dieser Entschei-dung mitgewirkt – sehr richtig. Ich glaube, diesen Geistmüssen wir weiter in die Zukunft tragen.Man muss ganz klar sagen, dass der Auftrag an dieExpertenkommission, sich über die Zukunft der Behördezu unterhalten, nicht als Signal der Abwicklung verstan-den werden darf. Hier ist die Orientierung am bisherigenGesetz ganz klar vorhanden. Es geht um eine Weiterent-wicklung. Warum muss es um eine Weiterentwicklunggehen? Auch deshalb, weil wir bei der Zusammenset-zung der Zuhörer – oben auf der Tribüne, aber auch hierim Saal – feststellen müssen, dass es Verantwortliche ausOst und West und aus älteren und jüngeren Generationensind. Wir hatten heute zwei Redner, die sagten, sie habenkeine eigene Erfahrung aus diesen interessanten Tagengemacht. Auch dieses Feld soll mit der Expertenkom-mission bearbeitet werden.Wie muss eine Behörde und das, was damit zusam-menhängt, für die zukünftigen Generationen gestaltetwerden? Die geschichtliche Dimension wird dort nochviel größer, weil es in die zukünftigen Generationen hi-neinwirkt. Ich sage aber auch, natürlich dürfen die Ge-fühle und Erfahrungen der Verfolgten und Bespitzelten,also der Opfer, bei der Diskussion nicht auf der Streckebleiben. Deswegen ist es auch gut, dass wir bei der Be-auftragung der Expertenkommission einen Schwerpunktauf Rehabilitation und Opferhilfe gelegt haben. Es istdarüber hinaus wichtig – darauf verweise ich zum Ab-schluss meiner Rede –, zu sagen, es handelt sich unab-hängig von der Aufarbeitung der eigenen Geschichte umeinen Aktenbestand, der stellvertretend für viele ver-nichtete Aktenbestände der ehemaligen DDR steht. Wirwissen, dass bestimmte Parteiarchive nur noch teilweiseerhalten sind. Deswegen ist es auch ganz wichtig, denBestand in seiner Gesamtheit zu erhalten und nicht durchnachträgliche Bewertungen größere Bestände zu ver-nichten. Darauf lege ich einen Schwerpunkt.
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 47. Sitzung. Berlin, Freitag, den 4. Juli 2014 4405
Dr. Harald Terpe
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Zum Schluss lassen Sie mich sagen: Ich glaube, dasses richtig ist, zu sagen, dieser Prozess ist ergebnisoffen;natürlich nicht ganz ergebnisoffen, weil wir auch einenAuftrag erteilt haben. Ich bin sehr gespannt auf die Er-gebnisse und denke, dass die Experten am Ende empfeh-len werden, dass wir den Zugang zu den Akten wiebisher sichern, dass wir auch eine regionale Erinne-rungskultur erhalten und Forschung, Wissenschaft undgeschichtliche Aufarbeitung kombinieren.In diesem Sinne wünsche ich der zukünftigen Exper-tenkommission, dass sie gute Vorschläge macht – wirwerden darüber ja noch debattieren –, und Ihnen allenvon meiner Seite einen schönen Sommer.Vielen Dank.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, der nächste Redner,
Hartmut Koschyk, hat seine Rede zu Protokoll gege-
ben.1)
Deshalb erhält jetzt Matthias Schmidt das Wort.
Herzlichen Dank, Frau Präsidentin. – Meine sehr ge-ehrten Damen und Herren auf den Zuschauertribünen!Sehr geehrter Herr Jahn! Liebe Kolleginnen und Kolle-gen! Wir sprechen heute über die Zukunft der Stasi-Un-terlagen-Behörde. So steht es an der Tafel, auf der beiuns im Bundestag immer das Thema der Debatte ange-kündigt wird. Korrekt müsste es lauten: Wir reden überdie Zukunft der Behörde des Bundesbeauftragten für dieUnterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligenDDR, kurz BStU. Die Bevölkerung hat diese Bezeich-nung nie verwandt, sondern sie hat die Behörde immerkurz nach dem jeweiligen Bundesbeauftragten bezeich-net. Zunächst war es die Gauck-Behörde, später dieBirthler-Behörde, und jetzt, Herr Jahn, ist es eben dieJahn-Behörde.Im ersten Jahrzehnt unter der Leitung des heutigenBundespräsidenten Gauck etablierte sich in unserem ge-samtdeutschen Sprachgebrauch sogar das Wort „gau-cken“. Es bezog sich auf die Überprüfung, mit der im öf-fentlichen Dienst festgestellt werden sollte, ob jemandfür das Ministerium für Staatssicherheit gearbeitet hatoder nicht. Die Bezeichnung „gaucken“ ist dann auf diebeiden Nachfolger nicht mehr übertragen worden, wasauch zeigt, dass die Behörde in einem Wandel steht. Injedem Fall aber verbinden sich mit dieser Einrichtungviele Tausend Schicksale von Menschen, Ehen, Fami-lien, Arbeitskollegen und Freundschaften, überwiegendin der ehemaligen DDR. Wir sind uns hier einig, dass1) Anlage 4diese Behörde eine wichtige gesellschaftspolitische Auf-gabe erfüllt hat und immer noch erfüllt.Die Aktenführung des MfS war, wenn ich das so for-mulieren darf, typisch deutsch. Wer je eine Akte zu Ge-sicht bekommen hat, erkennt darin die erschreckendeGründlichkeit eines perfiden Systems. Sensible Aktenüber eine Vielzahl von Menschen galt es zu sichern, auf-zubereiten, zu archivieren und den Menschen auf Antragzu öffnen. Kollege Wanderwitz hat darauf hingewiesen:Rund 3 Millionen Bürgerinnen und Bürger haben bisherAkteneinsicht beantragt und sich damit auf einen oftschmerzhaften Weg in die eigene Vergangenheit bege-ben. 2009 erreichte die Zahl der Anträge mit über100 000 in einem Jahr einen Höhepunkt. Die Zahl istseitdem auf rund 64 000 Anträge im Jahr 2013 zurück-gegangen. Gleichwohl beweist auch diese Zahl, dass dieAufgabe des Bundesbeauftragten noch längst nicht zuEnde ist.Hinter der Behörde stand von Anfang an ein An-spruch: Wir wollen begreifen. Wir wollen begreifen, wiedas System der Staatssicherheit funktionierte. Wir wol-len begreifen, welche Strukturen dahinterstanden. Wirwollen begreifen, wie das Leben der Menschen davonbetroffen war.Der Gedanke der Aufklärung war ebenso prägend fürzahlreiche Forschungsanfragen. Knapp 30 000 Anträgevon Wissenschaftlern und Journalisten belegen dies.Auch das ist eine enorme Zahl. Eine Vielzahl von For-schungsarbeiten ist auf der Basis der Akten entstanden.Sie haben uns dem Anspruch des Begreifenwollens nä-hergebracht, nicht selten mit Schmerzen, individuell undkollektiv. Heute verändern sich die Forschungsanfragen.Internationale Forschungskooperationen haben längstden Fokus erweitert.Viele dieser Erkenntnisse sind in die politische Bil-dungsarbeit eingeflossen. Das war und ist von hoher Be-deutung. Nicht nur die Bundeszentrale für politische Bil-dung und die Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur haben diese Erkenntnisse in ihren Bildungspro-grammen aufgegriffen, sondern auch viele kleinere Ein-richtungen und Institute. Lernen aus der Geschichte:Dazu hat der BStU mit seiner Arbeit einen großen Bei-trag geleistet. Das wollen wir fortführen.Gleichwohl ist die Arbeit dieser Behörde nicht alsDaueraufgabe angelegt. Schon länger stellt sich dieFrage, wie wir zukünftig mit der Behörde umgehen, wasmit den Akten geschehen soll und wie wir den Zugangfür Wissenschaft und Bürger sichern. Und noch immersind nicht alle Akten erschlossen.Bereits Ende 2008 hat der Bundestag bei der Fort-schreibung des Gedenkstättenkonzepts festgelegt, dasseine unabhängige Expertenkommission die Aufgabendes BStU analysieren und neu bestimmen soll. Seitdemsind mehr als fünf Jahre vergangen, und es wird Zeit,den Auftrag aus dem Gedenkstättenkonzept umzusetzen.Wir wollen mit dem Antrag eine Expertenkommissionins Leben rufen, die Bilanz zieht und Handlungsempfeh-lungen zur Zukunft des BStU erarbeitet. Dabei geht eskeineswegs um einen Abschluss, sondern vielmehr um
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4406 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 47. Sitzung. Berlin, Freitag, den 4. Juli 2014
Matthias Schmidt
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eine Neujustierung der Aufarbeitung. Der Aktenzugangsoll ebenso gesichert bleiben wie der wichtige Auftragder historischen und politischen Bildung. Viele Fragensind zu klären, wie die nach der Zukunft der Außenstel-len oder nach dem Ort der Archivierung der Akten.Die Aufarbeitung der SED-Diktatur muss fortgeführtwerden; da, meine liebe Kolleginnen und Kollegen, sindwir uns sicherlich einig. Die Handlungsempfehlungender Kommission sollen den Weg dafür weisen. LassenSie uns mit der Einberufung der Expertenkommissionnun endlich diesen Weg beschreiten.Auch ich darf Ihnen von dieser Stelle eine angenehmeSommerpause und uns allen heute Abend ein erfolgrei-ches Fußballspiel wünschen.Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
Als letzter Redner in dieser Debatte hat Jörg
Hellmuth das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Erlauben Sie mir, dass ich an dieser Stelle als gelernter
DDR-Bürger von einigen ganz persönlichen Erfahrun-
gen mit dem System der Staatssicherheit bzw. dem Um-
gang mit dem Stasi-Unterlagen-Gesetz erzähle.
Es war im Sommer 1987, als ich von meinem Onkel
aus Dortmund eine Einladung zum Besuch einer Tante
bekam; es war, glaube ich, der 86. Geburtstag. Ich bin
dann, wie es üblich war, zum Volkspolizei-Kreisamt ge-
gangen und habe die Formalitäten erledigt. Ich hatte mit
niemandem im Ort darüber gesprochen. Zwei Tage spä-
ter sprach mich ein Arbeitskollege darauf an, dass ich
zum 86. Geburtstag fahren wollte. – Das, meine Damen
und Herren, war die erste Begegnung mit dem Staats-
sicherheitssystem. Die Staatssicherheit war eben nicht
nur in der Normannenstraße oder in Leipzig; sie war
überall, fast in jedem Dorf. – Interessant an dieser Epi-
sode ist noch: Ich durfte fahren, aber meine Geschwister,
die einige Landkreise weiter südlich wohnten, durften
nicht fahren. Es war also Willkür.
Einige Jahre später – es war nach der Wende; ich war
mittlerweile in kommunalpolitischer Verantwortung –
habe ich ein Paket mit Stasiunterlagen entgegennehmen
müssen. Bei Auswertung dieser Unterlagen stellte sich
heraus: Wir mussten über 20 Mitarbeiter entlassen.
Meine Damen und Herren, zum damaligen Zeitpunkt
habe ich noch etwas mit dem Stasi-Unterlagen-Gesetz
gehadert. Natürlich sind wir damals angetreten, dieses
Land aufzubauen; natürlich haben wir unseren Wählern
auch versprochen, aufzuarbeiten. Aber wir hatten keiner-
lei Erfahrung: Wie sollte das denn geschehen? Wie sollte
man die Zumutbarkeit feststellen?
Auch unsere Berater aus den alten Bundesländern
konnten uns da nicht allzu hilfreich zur Seite stehen. Un-
zählige Gespräche folgten, dramatische Szenen haben
sich abgespielt, meine sehr verehrten Damen und Her-
ren. Ich kann Ihnen sagen: Der Aufbau insbesondere in
den 90er-Jahren war schwierig; aber die Aufarbeitung
dieses Teils der Geschichte war ungleich schwieriger.
Wieder einige Jahre später – wir dachten, die Aufar-
beitung wäre im Wesentlichen abgeschlossen – bekam
ich noch einmal einen Bescheid zugesandt; es war ein
Einzelbescheid. Der betreffende Mitarbeiter war als
Hausmeister angestellt, wie schon vor der Wende. Wir
dachten zuerst: Der Fall ist eindeutig. Es gab zahlreiche
Berichte über kleinere Geldprämien. Aber dann wurde
uns irgendwie klar: Irgendetwas stimmt hier nicht.
Als wir den Mitarbeiter zum Gespräch geholt haben,
hat er uns unter Tränen geschildert, was sich seinerzeit
abgespielt hat. Er hatte – das nur am Rande – eine
schwierige Kindheit und Jugend. Er war Hausmeister ei-
ner Kegelbahn, teilweise hat er dort übernachtet. Dort
haben die hauptamtlichen Mitarbeiter der Dienststelle
vor Ort regelmäßig ihre Kegelabende durchgeführt. Die-
ser Hausmeister bekam dann als Entschädigung ein paar
Mark zugesteckt. Um das zu dokumentieren bzw. zu ver-
rechnen, haben die hauptamtlichen Mitarbeiter die Be-
richte selbst geschrieben und ihn nur unterschreiben las-
sen. Meine Damen und Herren, so pervers war dieses
System.
Erst zu diesem Zeitpunkt wurde mir vollends be-
wusst, wie wichtig das Instrument Stasi-Unterlagen-Ge-
setz für die tatsächliche Aufarbeitung in unserem demo-
kratischen Rechtsstaat ist. Nach mehreren Gesprächen
und nochmaliger Recherche in dem Fall des Hausmeis-
ters haben wir dann eine Entscheidung getroffen. Ich
kann Ihnen sagen: Er arbeitet heute noch als Hausmeis-
ter in dieser Behörde.
Die Einsetzung einer Expertenkommission ist genau
der richtige Weg. Wir können zum jetzigen Zeitpunkt
noch keinen Schlussstrich ziehen. Möge die Experten-
kommission uns entsprechende Hinweise geben, die uns
hinterher in die Lage versetzen, die Weichen zu stellen
für die hoffentlich letzte Etappe der Aufarbeitung dieses
düsteren Kapitels unserer Geschichte. Das sind wir den
Opfern schuldig. Ich bitte um Zustimmung zu diesem
Antrag.
Danke schön.
Ich schließe die Aussprache.Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Antragder Fraktionen der CDU/CSU, SPD und Bündnis 90/DieGrünen auf Drucksache 18/1957 mit dem Titel „Einset-zung einer Expertenkommission zur Zukunft der Be-hörde des Bundesbeauftragten für die Unterlagen desStaatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen De-mokratischen Republik“. Wer stimmt für diesen Antrag? –Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit istdieser Antrag mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 47. Sitzung. Berlin, Freitag, den 4. Juli 2014 4407
Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn
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und den Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen bei Ent-haltung der Linken angenommen.Liebe Kolleginnen und Kollegen, bevor ich die Sitzungschließe, muss ich Ihnen noch das von den Schriftführe-rinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis dernamentlichen Abstimmung über die Beschlussempfeh-lung des Finanzausschusses zu den Drucksachen 18/1815und 18/2016 mitteilen: Abgegeben wurden 538 Stim-men. Mit Ja haben gestimmt 437, mit Nein haben ge-stimmt 47, 54 haben sich enthalten.
Endgültiges ErgebnisAbgegebene Stimmen: 538;davonja: 437nein: 47enthalten: 54JaCDU/CSUStephan AlbaniKatrin AlbsteigerPeter AltmaierArtur AuernhammerDorothee BärThomas BareißNorbert BarthleJulia BartzGünter BaumannMaik BeermannManfred Behrens
Veronika BellmannSybille BenningDr. André BergheggerDr. Christoph BergnerUte BertramSteffen BilgerClemens BinningerDr. Maria BöhmerWolfgang BosbachNorbert BrackmannKlaus BrähmigHelmut BrandtDr. Ralf BrauksiepeDr. Helge BraunHeike BrehmerRalph BrinkhausCajus CaesarGitta ConnemannAlexandra Dinges-DierigAlexander DobrindtMichael DonthMarie-Luise DöttHansjörg DurzJutta EckenbachDr. Bernd FabritiusHermann FärberUwe FeilerEnak FerlemannIngrid FischbachDirk Fischer
Thorsten FreiDr. Astrid FreudensteinDr. Hans-Peter Friedrich
Michael FrieserHans-Joachim FuchtelAlexander FunkIngo GädechensDr. Thomas GebhartAlois GerigEberhard GiengerCemile GiousoufReinhard GrindelUrsula Groden-KranichHermann GröheKlaus-Dieter GröhlerMichael Grosse-BrömerAstrid GrotelüschenMarkus GrübelManfred GrundOliver GrundmannMonika GrüttersDr. Herlind GundelachFritz GüntzlerOlav GuttingChristian HaaseFlorian HahnDr. Stephan HarbarthJürgen HardtGerda HasselfeldtMatthias HauerDr. Stefan HeckDr. Matthias HeiderHelmut HeiderichFrank Heinrich
Jörg HellmuthRudolf HenkeMichael HennrichAnsgar HevelingPeter HintzeChristian HirteDr. Heribert HirteAlexander HoffmannKarl HolmeierFranz-Josef HolzenkampDr. Hendrik HoppenstedtMargaret HorbBettina HornhuesCharles M. HuberAnette HübingerHubert HüppeErich IrlstorferThomas JarzombekSylvia JörrißenAndreas JungDr. Franz Josef JungXaver JungDr. Egon JüttnerBartholomäus KalbHans-Werner KammerSteffen KampeterSteffen KanitzAlois KarlAnja KarliczekBernhard KasterDr. Stefan KaufmannRoderich KiesewetterDr. Georg KippelsVolkmar KleinJürgen KlimkeAxel KnoerigJens KoeppenMarkus KoobCarsten KörberKordula KovacGunther KrichbaumRüdiger KruseBettina KudlaDr. Roy KühneGünter LachUwe LagoskyDr. Karl A. LamersAndreas G. LämmelDr. Norbert LammertKatharina LandgrafUlrich LangeBarbara LanzingerDr. Silke LaunertPaul LehriederDr. Katja LeikertDr. Philipp LengsfeldDr. Andreas LenzPhilipp Graf LerchenfeldDr. Ursula von der LeyenAntje LeziusIngbert LiebingMatthias LietzAndrea LindholzDr. Carsten LinnemannWilfried LorenzDr. Claudia Lücking-MichelDr. Jan-Marco LuczakDaniela LudwigYvonne MagwasThomas MahlbergGisela ManderlaMatern von MarschallHans-Georg von der MarwitzAndreas MattfeldtStephan Mayer
Reiner MeierDr. Michael MeisterDr. Angela MerkelJan MetzlerMaria MichalkDr. h. c. Hans MichelbachDr. Mathias MiddelbergPhilipp MißfelderDietrich MonstadtKarsten MöringElisabeth MotschmannCarsten Müller
Stefan Müller
Dr. Philipp MurmannDr. Andreas NickMichaela NollHelmut NowakDr. Georg NüßleinWilfried OellersFlorian OßnerDr. Tim OstermannHenning OtteIngrid PahlmannSylvia PantelMartin PatzeltDr. Martin PätzoldUlrich PetzoldDr. Joachim PfeifferSibylle PfeifferRonald PofallaEckhard PolsThomas RachelKerstin RadomskiAlexander RadwanAlois RainerDr. Peter RamsauerEckhardt RehbergKatherina Reiche
Lothar RiebsamenDr. Heinz RiesenhuberJohannes RöringDr. Norbert RöttgenAlbert RupprechtAnita Schäfer
Dr. Wolfgang SchäubleAndreas ScheuerKarl SchiewerlingJana SchimkeNorbert SchindlerTankred SchipanskiHeiko SchmelzleChristian Schmidt
Patrick SchniederDr. Andreas SchockenhoffNadine Schön
Uwe Schummer
Christina SchwarzerDetlef SeifReinhold SendkerDr. Patrick SensburgBernd SiebertThomas SilberhornJohannes Singhammer
Metadaten/Kopzeile:
4408 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 47. Sitzung. Berlin, Freitag, den 4. Juli 2014
Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn
(C)
(B)
Tino SorgeJens SpahnDr. Wolfgang StefingerAlbert StegemannPeter SteinSebastian SteinekeJohannes SteinigerChristian Freiherr von StettenDieter StierRita StockhofeGero StorjohannStephan StrackeMax StraubingerMatthäus StreblThomas StritzlThomas Strobl
Lena StrothmannMichael StübgenDr. Sabine Sütterlin-WaackDr. Peter TauberAntje TillmannAstrid Timmermann-FechterDr. Hans-Peter UhlDr. Volker UllrichArnold VaatzOswin VeithThomas ViesehonMichael VietzVolkmar Vogel
Sven VolmeringChristel Voßbeck-KayserKees de VriesDr. Johann WadephulMarco WanderwitzNina WarkenKai WegnerAlbert WeilerMarcus Weinberg
Peter Weiß
Sabine Weiss
Ingo WellenreutherKarl-Georg WellmannMarian WendtWaldemar WestermayerKai WhittakerPeter WichtelAnnette Widmann-MauzHeinz Wiese
Klaus-Peter WillschElisabeth Winkelmeier-BeckerOliver WittkeBarbara WoltmannHeinrich ZertikEmmi ZeulnerDr. Matthias ZimmerGudrun ZollnerSPDNiels AnnenIngrid Arndt-BrauerRainer ArnoldHeike BaehrensUlrike BahrHeinz-Joachim BarchmannDr. Katarina BarleyDoris BarnettDr. Hans-Peter BartelsKlaus BarthelSören BartolBärbel BasUwe BeckmeyerLothar Binding
Burkhard BlienertWilli BraseDr. Karl-Heinz BrunnerEdelgard BulmahnMarco BülowMartin BurkertDr. Lars CastellucciPetra CroneBernhard DaldrupDr. Daniela De RidderDr. Karamba DiabySabine DittmarMartin DörmannElvira Drobinski-WeißSiegmund EhrmannMichaela Engelmeier-HeitePetra ErnstbergerSaskia EskenDr. Johannes FechnerDr. Fritz FelgentreuElke FernerGabriele FograscherDr. Edgar FrankeUlrich FreeseSigmar GabrielMichael GerdesMartin GersterIris GleickeUlrike GottschalckKerstin GrieseGabriele GronebergUli GrötschWolfgang GunkelBettina HagedornRita Hagl-KehlMetin HakverdiUlrich HampelDirk HeidenblutHubertus Heil
Gabriela HeinrichMarcus HeldWolfgang HellmichDr. Barbara HendricksHeidtrud HennGustav HerzogGabriele Hiller-OhmPetra Hinz
Dr. Eva HöglMatthias IlgenChristina JantzFrank JungeThomas JurkOliver KaczmarekJohannes KahrsChristina KampmannRalf KapschackGabriele KatzmarekUlrich KelberMarina KermerCansel KiziltepeArno KlareLars KlingbeilDr. Bärbel KoflerDaniela KolbeBirgit KömpelAnette KrammeDr. Hans-Ulrich KrügerHelga Kühn-MengelChristine LambrechtChristian Lange
Dr. Karl LauterbachSteffen-Claudio LemmeBurkhard LischkaGabriele Lösekrug-MöllerHiltrud LotzeKirsten LühmannDr. Birgit Malecha-NissenCaren MarksKatja MastDr. Matthias MierschKlaus MindrupSusanne MittagBettina MüllerMichelle MünteferingAndrea NahlesUlli NissenThomas OppermannMahmut Özdemir
Markus PaschkeChristian PetryJeannine PflugradtFlorian PostAchim Post
Dr. Wilhelm PriesmeierFlorian PronoldDr. Sascha RaabeDr. Simone RaatzMartin RabanusMechthild RawertStefan RebmannGerold ReichenbachDr. Carola ReimannAndreas RimkusSönke RixDennis RohdeDr. Martin RosemannRené RöspelSusann RüthrichBernd RützelJohann SaathoffAnnette SawadeAxel Schäfer
Dr. Nina ScheerMarianne SchiederDr. Dorothee SchlegelUlla Schmidt
Matthias Schmidt
Dagmar Schmidt
Carsten Schneider
Ursula SchulteSwen Schulz
Ewald SchurerStefan SchwartzeAndreas SchwarzRita Schwarzelühr-SutterDr. Carsten SielingRainer SpieringNorbert SpinrathSvenja StadlerMartina Stamm-FibichSonja SteffenDr. Frank-Walter SteinmeierChristoph SträsserKerstin TackClaudia TausendMichael ThewsFranz ThönnesWolfgang TiefenseeCarsten TrägerRüdiger VeitUte VogtDirk VöpelGabi WeberBernd WestphalDirk WieseWaltraud Wolff
Gülistan YükselDagmar ZieglerStefan ZierkeDr. Jens ZimmermannManfred ZöllmerBrigitte ZypriesNeinDIE LINKEDr. Dietmar BartschKarin BinderMatthias W. BirkwaldHeidrun BluhmChristine BuchholzEva Bulling-SchröterRoland ClausSevim DağdelenDr. Diether DehmKlaus ErnstDiana GolzeAnnette GrothDr. Gregor GysiHeike HänselDr. Rosemarie HeinInge HögerAndrej HunkoSigrid HupachUlla JelpkeSusanna KarawanskijKerstin KassnerJan KorteKatrin KunertCaren LaySabine LeidigRalph LenkertStefan LiebichDr. Gesine LötzschThomas LutzeCornelia MöhringDr. Alexander S. NeuThomas NordPetra PauHarald Petzold
Richard PitterleMartina RennerDr. Petra SitteKersten SteinkeDr. Kirsten TackmannAzize TankFrank TempelKathrin Vogler
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 47. Sitzung. Berlin, Freitag, den 4. Juli 2014 4409
Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn
(C)
Halina WawzyniakBirgit WöllertJörn WunderlichHubertus ZdebelSabine Zimmermann
EnthaltenCDU/CSUUda HellerBÜNDNIS 90/DIE GRÜNENKerstin AndreaeAnnalena BaerbockVolker Beck
Dr. Franziska BrantnerAgnieszka BruggerEkin DeligözKatharina DrögeHarald EbnerDr. Thomas GambkeMatthias GastelKai GehringKatrin Göring-EckardtAnja HajdukBritta HaßelmannBärbel HöhnDieter JanecekUwe KekeritzKatja KeulMaria Klein-SchmeinkTom KoenigsSylvia Kotting-UhlOliver KrischerStephan Kühn
Markus KurthMonika LazarSteffi LemkeDr. Tobias LindnerNicole MaischPeter MeiwaldIrene MihalicBeate Müller-GemmekeÖzcan MutluOmid NouripourFriedrich OstendorffCem ÖzdemirLisa PausBrigitte PothmerTabea RößnerClaudia Roth
Corinna RüfferElisabeth ScharfenbergUlle SchauwsDr. Gerhard SchickKordula Schulz-AscheDr. Wolfgang Strengmann-KuhnHans-Christian StröbeleDr. Harald TerpeMarkus TresselJürgen TrittinDr. Julia VerlindenDoris WagnerBeate Walter-RosenheimerDr. Valerie WilmsDamit, liebe Kolleginnen und Kollegen, sind wir amSchluss unserer heutigen Debatte.Ich wünsche Ihnen allen eine erholsame Sommer-pause – ich glaube, wir können das alle gut gebrauchen –,und ich freue mich auf ein Wiedersehen im September.Heute Abend werden wir sicherlich viel Spaß haben undalle gemeinsam der deutschen Mannschaft ganz kräftigdie Daumen drücken.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun-destages auf Dienstag, den 9. September 2014, 10 Uhr,ein.Die Sitzung ist geschlossen.