Protokoll:
18020

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Metadaten
  • date_rangeWahlperiode: 18

  • date_rangeSitzungsnummer: 20

  • date_rangeDatum: 13. März 2014

  • access_timeStartuhrzeit der Sitzung: 09:01 Uhr

  • av_timerEnduhrzeit der Sitzung: 17:42 Uhr

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  • tocInhaltsverzeichnis
    Plenarprotokoll 18/20 Deutscher Bundestag Stenografischer Bericht 20. Sitzung Berlin, Donnerstag, den 13. März 2014 I n h a l t : Glückwünsche zum Geburtstag der Abgeord- neten Dr. Herlind Gundelach, Dr. Franz Josef Jung und Katharina Landgraf . . . . . 1517 A Wahl der Abgeordneten Christina Kampmann, Michelle Müntefering und Gerold Reichenbach als Mitglieder für den Beirat der Stiftung Datenschutz . . . . . . . . . . 1517 B Erweiterung und Abwicklung der Tagesord- nung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1517 B Absetzung der Tagesordnungspunkte 6 und 14 a 1518 B Tagesordnungspunkt 3: Abgabe einer Regierungserklärung durch die Bundeskanzlerin: zum Treffen der Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union zur Lage in der Ukraine am 6. März 2014 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1518 B Dr. Angela Merkel, Bundeskanzlerin . . . . . . . 1518 C Dr. Gregor Gysi (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . 1522 A Dr. Rolf Mützenich (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . 1525 A Katrin Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1527 B Gerda Hasselfeldt (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . 1528 D Marieluise Beck (Bremen) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1530 B Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1530 D Dr. Andreas Schockenhoff (CDU/CSU) . . . . . 1531 D Dr. h. c. Gernot Erler (SPD) . . . . . . . . . . . . . . 1533 C Karl-Georg Wellmann (CDU/CSU) . . . . . . . . 1534 D Dr. Diether Dehm (DIE LINKE) . . . . . . . . 1536 D Franz Thönnes (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1537 A Dr. Christoph Bergner (CDU/CSU) . . . . . . . . 1538 D Norbert Spinrath (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . 1539 D Tagesordnungspunkt 4: Antrag der Abgeordneten Oliver Krischer, Annalena Baerbock, Bärbel Höhn, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN: Die Energiewende europäisch verankern Drucksache 18/777 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1541 A Dr. Anton Hofreiter (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1541 B Dr. Joachim Pfeiffer (CDU/CSU) . . . . . . . . . 1542 D Annalena Baerbock (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1543 B Dieter Janecek (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1544 B Eva Bulling-Schröter (DIE LINKE) . . . . . . . 1545 D Wolfgang Tiefensee (SPD) . . . . . . . . . . . . . . 1546 D Dr. Julia Verlinden (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1548 A Thomas Bareiß (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . 1549 B Annalena Baerbock (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1550 A Eva Bulling-Schröter (DIE LINKE) . . . . . 1551 A Ralph Lenkert (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . 1552 A Caren Lay (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . . 1552 D Dirk Becker (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1553 D Alexander Ulrich (DIE LINKE) . . . . . . . . . . 1555 C Inhaltsverzeichnis II Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 20. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. März 2014 Karl Holmeier (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . 1556 B Dr. Nina Scheer (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1558 B Dr. Herlind Gundelach (CDU/CSU) . . . . . . . 1559 C Frank Schwabe (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1561 D Tagesordnungspunkt 5: a) Antrag der Abgeordneten Dr. Joachim Pfeiffer, Hansjörg Durz, Axel Knoerig, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Wolfgang Tiefensee, Lars Klingbeil, Matthias Ilgen, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Technologie-, Innovations- und Gründungsstandort Deutschland stärken – Potenziale der Digitalen Wirtschaft für Wachstum und nachhaltige Beschäftigung ausschöpfen und digitale Infrastruktur ausbauen Drucksache 18/764 (neu). . . . . . . . . . . . . . 1563 B b) Antrag der Abgeordneten Halina Wawzyniak, Herbert Behrens, Dr. Petra Sitte, weiterer Abgeordneter und der Frak- tion DIE LINKE: Digitale Gründungen unterstützen – Zukunftsfähige Rah- menbedingungen für die digitale Wirt- schaft schaffen Drucksache 18/771 . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1563 C Brigitte Zypries, Parl. Staatssekretärin  BMWi . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1563 D Herbert Behrens (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . 1564 D Axel Knoerig (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . 1565 C Dieter Janecek (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1567 A Christian Flisek (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1568 A Halina Wawzyniak (DIE LINKE) . . . . . . . . . 1569 A Hansjörg Durz (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . 1570 A Tabea Rößner (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1571 C Nadine Schön (St. Wendel)  (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1572 C Lars Klingbeil (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1574 B Thomas Viesehon (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . 1575 C Tagesordnungspunkt 14: b) Antrag der Abgeordneten Halina Wawzyniak, Jan Korte, Matthias W. Birkwald, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Parteispenden von Unternehmen und Wirtschaftsverbän- den verbieten, Parteispenden natürli- cher Personen begrenzen Drucksache 18/301 . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1577 B Zusatztagesordnungspunkt 2: Antrag der Abgeordneten Sylvia Kotting-Uhl, Annalena Baerbock, Bärbel Höhn, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN: Für mehr Transpa- renz in der Internationalen Atomenergie- Organisation  Drucksache 18/772 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1577 B Tagesordnungspunkt 15: a) Antrag der Fraktionen CDU/CSU, SPD, DIE LINKE und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Erneute Überweisung von Vorlagen aus früheren Wahlperioden Drucksache 18/770 . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1577 C b)–h) Beratung der Beschlussempfehlungen des Petitionsausschusses: Sammelübersichten 14, 15, 16, 17, 18, 19 und 20 zu Petitionen Drucksachen 18/594, 18/595, 18/596, 18/597, 18/598, 18/599, 18/600 . . . . . . . . 1577 C Tagesordnungspunkt 8: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 8. April 2013 zwi- schen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Östlich des Uruguay über Soziale Sicherheit Drucksache 18/272 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1578 B Waltraud Wolff (Wolmirstedt) (SPD) . . . . . . 1578 C Azize Tank (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . 1579 C Dr. Martin Pätzold (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . 1580 A Markus Kurth (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1581 A Michael Gerdes (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1582 A Tobias Zech (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . 1582 D Gabriele Schmidt (Ühlingen)  (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1584 A Tagesordnungspunkt 7: Antrag der Abgeordneten Susanna Karawanskij, Klaus Ernst, Dr. Dietmar Bartsch, weiterer Abgeordneter und der Frak- tion DIE LINKE: Den Grauen Kapital- markt durchgreifend regulieren Drucksache 18/769 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1584 D Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 20. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. März 2014 III Susanna Karawanskij (DIE LINKE) . . . . . . . 1585 A Dr. Frank Steffel (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 1586 B Dr. Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1587 C Dr. Carsten Sieling (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . 1588 C Alexander Radwan (CDU/CSU) . . . . . . . . . . 1589 D Christian Petry (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1591 A Mechthild Heil (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . 1592 C Tagesordnungspunkt 9: Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für Ernährung und Landwirtschaft zu dem Antrag der Abgeordneten Harald Ebner, Renate Künast, Nicole Maisch, weite- rer Abgeordneter und der Fraktion BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN: zu dem Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parla- ments und des Rates zur Änderung der Richtlinie 2001/110/EG des Rates über Ho- nig – KOM(2012) 530 endg.; Ratsdok. 13957/12 – hier: Stellungnahme gegenüber der Bundesregierung gemäß Artikel 23 Ab- satz 3 des Grundgesetzes – Wahlfreiheit für Verbraucherinnen und Verbraucher her- stellen – Honig mit gentechnisch veränder- ten Bestandteilen kennzeichnen Drucksachen 18/578, 18/792 . . . . . . . . . . . . . 1593 C Kees de Vries (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . 1593 D Dr. Kirsten Tackmann (DIE LINKE) . . . . . . . 1594 C Dr. Matthias Miersch (SPD) . . . . . . . . . . . . . . 1595 D Harald Ebner (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1597 A Alois Rainer (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . 1598 B Rita Hagl-Kehl (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1599 D Namentliche Abstimmung. . . . . . . . . . . . . . . . 1601 B Ergebnis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1603 A Tagesordnungspunkt 10: a) Antrag der Abgeordneten Jan van Aken, Wolfgang Gehrcke, Christine Buchholz, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Waffenexporte in die Golfregion verbieten Drucksache 18/768 . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1601 C b) Unterrichtung durch die Bundesregierung: Bericht der Bundesregierung über ihre Exportpolitik für konventionelle Rüs- tungsgüter im Jahr 2012: (Rüstungs- exportbericht 2012) Drucksache 18/105 . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1601 C in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 3: Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für Wirtschaft und Energie zu dem Antrag der Abgeordneten Agnieszka Brugger, Katja Keul, Omid Nouripour, weiterer Abge- ordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Keine Rüstungsexporte nach Saudi-Arabien Drucksachen 18/576, 18/793 . . . . . . . . . . . . . 1601 D Inge Höger (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . 1602 A Dr. Joachim Pfeiffer (CDU/CSU) . . . . . . . . . 1605 B Inge Höger (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . 1606 A Katja Keul (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1608 A Bernd Westphal (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1609 D Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE) . . . . . . . 1610 C Klaus-Peter Willsch (CDU/CSU) . . . . . . . . . 1611 C Dr. Ute Finckh-Krämer (SPD) . . . . . . . . . . . . 1613 B Nächste Sitzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1614 D Berichtigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1614 B/D Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . . . . . 1615 A Anlage 2 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Armin Schuster (Weil am Rhein) und Steffen Bilger (beide CDU/CSU) zur namentlichen Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Ernährung und Landwirt- schaft zu dem Antrag der Abgeordneten Harald Ebner, Renate Künast, Nicole Maisch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zu dem Vor- schlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinie 2001/110/EG des Rates über Honig – KOM(2012) 530 endg.; Ratsdok. 13957/12 – hier: Stellungnahme gegenüber der Bundesre- gierung gemäß Artikel 23 Absatz 3 des Grundgesetzes: Wahlfreiheit für Verbrauche- rinnen und Verbraucher herstellen – Honig mit gentechnisch veränderten Bestandteilen kennzeichnen (Tagesordnungspunkt 9). . . . . . 1615 D IV Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 20. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. März 2014 Anlage 3 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Udo Schiefner und Kirsten Lühmann (beide SPD) zur namentlichen Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Ernährung und Landwirtschaft zu dem Antrag der Abgeordneten Harald Ebner, Renate Künast, Nicole Maisch, weiterer Abgeordne- ter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN zu dem Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinie 2001/110/EG des Rates über Honig – KOM(2012) 530 endg.; Ratsdok. 13957/12 – hier: Stellungnahme ge- genüber der Bundesregierung gemäß Arti- kel 23 Absaz 3 des Grundgesetzes: Wahlfrei- heit für Verbraucherinnen und Verbraucher herstellen – Honig mit gentechnisch veränder- ten Bestandteilen kennzeichnen (Tagesord- nungspunkt 9) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1616 B Anlage 4 Erklärungen nach § 31 GO zur namentlichen Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Ernährung und Landwirt- schaft zu dem Antrag der Abgeordneten Harald Ebner, Renate Künast, Nicole Maisch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zu dem Vor- schlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinie 2001/110/EG des Rates über Honig – KOM(2012) 530 endg.; Ratsdok. 13957/12 – hier: Stellungnahme gegenüber der Bundesre- gierung gemäß Artikel 23 Absatz 3 des Grundgesetzes: Wahlfreiheit für Verbrauche- rinnen und Verbraucher herstellen – Honig mit gentechnisch veränderten Bestandteilen kennzeichnen (Tageordnungspunkt 9) . . . . . . 1616 D Josef Göppel (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . 1617 A Hubert Hüppe (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . 1617 B Hans-Georg von der Marwitz  (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1617 D Stephan Mayer (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . 1618 A Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 20. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. März 2014 1517 (A) (C) (D)(B) 20. Sitzung Berlin, Donnerstag, den 13. März 2014 Beginn: 9.01 Uhr
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    Berichtigung 19. Sitzung, Seite 1459 B, letzter Absatz, zweiter Satz ist wie folgt zu lesen: „Das betrifft Käse, andere Milch- produkte und Fleisch.“ Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 20. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. März 2014 1615 (A) (C) (B) Anlagen zum Stenografischen Bericht Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten (D)  Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich van Aken, Jan DIE LINKE 13.03.2014 Alpers, Agnes DIE LINKE 13.03.2014 Amtsberg, Luise BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 13.03.2014 Andreae, Kerstin BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 13.03.2014 Bätzing-Lichtenthäler, Sabine SPD 13.03.2014 Dr. Böhmer, Maria CDU/CSU 13.03.2014 Bülow, Marco SPD 13.03.2014 Dağdelen, Sevim DIE LINKE 13.03.2014 Deligöz, Ekin BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 13.03.2014 Ernst, Klaus DIE LINKE 13.03.2014 Freese, Ulrich SPD 13.03.2014 FDr. reudenstein, Astrid CDU/CSU 13.03.2014 Dr. Gauweiler, Peter CDU/CSU 13.03.2014 Gehring, Kai BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 13.03.2014 Gohlke, Nicole DIE LINKE 13.03.2014 Heller, Uda CDU/CSU 13.03.2014 Krichbaum, Gunther CDU/CSU 13.03.2014 Kunert, Katrin DIE LINKE 13.03.2014 Lämmel, Andreas G. CDU/CSU 13.03.2014 Lanzinger, Barbara CDU/CSU 13.03.2014 Dr. Lenz, Andreas CDU/CSU 13.03.2014 Ludwig, Daniela CDU/CSU 13.03.2014 Lutze, Thomas DIE LINKE 13.03.2014 Maisch, Nicole BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 13.03.2014 Anlage 2 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Armin Schuster und Steffen Bilger (beide CDU/CSU) zur namentlichen Ab- stimmung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Ernährung und Landwirt- schaft zu dem Antrag der Abgeordneten Harald Ebner, Renate Künast, Nicole Maisch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN zu dem Vorschlag für eine Richt- linie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinie 2001/110/EG des Rates über Honig – KOM(2012) 530 endg.; Rats- dok. 13957/12 – hier: Stellungnahme gegenüber der Bundesregierung gemäß Artikel 23 Absatz 3 des Grundgesetzes: Wahlfreiheit für Verbrau- cherinnen und Verbraucher herstellen – Honig mit gentechnisch veränderten Bestandteilen kennzeichnen (Tagesordnungspunkt 9) Der heute zur Beratung vorliegenden Beschlussemp- fehlung zum Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grü- nen können wir in der vorliegenden Form nicht zustim- men. Unsere Position in der Sache erklären wir wie folgt: Wir haben die Haltung der Bundesregierung im Euro- päischen Rat, nicht gegen die Zulassung der gentech- Mortler, Marlene CDU/CSU 13.03.2014 Dr. Müller, Gerd CDU/CSU 13.03.2014 Röspel, René SPD 13.03.2014 Rüthrich, Susann SPD 13.03.2014 Schieder (Schwandorf), Marianne SPD 13.03.2014 Schlecht, Michael DIE LINKE 13.03.2014 Stritzl, Thomas CDU/CSU 13.03.2014 Strothmann, Lena CDU/CSU 13.03.2014 Walter-Rosenheimer, Beate BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 13.03.2014 Wellenreuther, Ingo CDU/CSU 13.03.2014  Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Anlagen 1616 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 20. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. März 2014 (A) (C) (D)(B) nisch veränderten Maissorte 1507 zu stimmen, gestützt, und den anderslautenden Antrag der Grünen im Deut- schen Bundestag abgelehnt. In den Mitgliedsländern der Europäischen Union und in manchen deutschen Bundes- ländern gibt es ein uneinheitliches Meinungsbild zur Anwendung gentechnisch veränderten Saatgutes, viele Mitgliedstaaten wollen den Anbau gestatten. Auch wenn wir dem Anbau dieses Saatguts nicht zustimmen, sind wir prinzipiell gegen eine Bevormundung von oben und für regionale und nationale Wahlmöglichkeiten im Sinne des Subsidiaritätsprinzips. Deshalb setzen wir uns ausdrücklich für eine Opt-out-Klausel – Möglichkeit regionaler Anbauverbote in einem Bundesland – und insbesondere für die klare Kennzeichnung von Lebens- mitteln ein. Wir unterstützen nachdrücklich und uneingeschränkt die Bestrebungen der Bundesregierung, die Bürgerinnen und Bürger vor dem ungewollten Kauf oder Verzehr von Produkten mit Gentechnik zu schützen. Darum wurde unter anderem durch die unionsgeführte Bundesregie- rung in der 17. Legislaturperiode ein Ohne-Gentechnik- Logo eingeführt. Damit können die Verbraucherinnen und Verbraucher Lebensmittel erkennen, die im Produk- tionsprozess ohne Gentechnik auskommen. Außerdem ist es das Ziel der Großen Koalition, dass künftig ver- pflichtend auch die Lebensmittel gekennzeichnet werden müssen, die mithilfe gentechnischer Verfahren erzeugt worden sind. Nur so wird eine umfassende Wahlfreiheit sichergestellt. Bei der Kennzeichnung von Lebensmitteln setzen wir uns dafür ein, dass keine Kompromisse gemacht werden. Da über die heute diskutierte Richtlinie – Richtlinie 2001/101/EG, Honigrichtlinie – noch auf EU-Ebene ver- handelt wird, enthalten wir uns. Wir sehen immer noch Chancen, dass sich die Europäische Union zu einer kla- ren Kennzeichnungspflicht entscheidet. Anlage 3 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Udo Schiefner und Kirsten Lühmann (beide SPD) zur namentlichen Ab- stimmung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Ernährung und Landwirt- schaft zu dem Antrag der Abgeordneten Harald Ebner, Renate Künast, Nicole Maisch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN zu dem Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinie 2001/ 110/EG des Rates über Honig – KOM(2012) 530 endg.; Ratsdok. 13957/12 – hier: Stellungnahme gegenüber der Bundesregierung gemäß Arti- kel 23 Absatz 3 des Grundgesetzes: Wahlfreiheit für Verbraucherinnen und Verbraucher her- stellen – Honig mit gentechnisch veränderten Bestandteilen kennzeichnen (Tagesordnungs- punkt 9) Der oben genannte Antrag ist nicht sachgerecht und berücksichtigt nicht den Verfahrensstand der EU. Da das beschriebene Problem so nicht gelöst werden kann, lehne ich ihn ab. Mit dem Antrag der Grünen wird die Bundesregierung aufgefordert, sich in den Trilog-Verhandlungen – Beratun- gen zwischen Europäischem Parlament, Rat und Kommis- sion – für die Kennzeichnungspflicht für Honig mit genver- änderten Pollen einzusetzen oder zumindest zu verhindern, dass Pollen als „natürlicher Bestandteil von Honig“ defi- niert werden. Anderenfalls soll der Vorschlag zur Ände- rung der EU-Honigrichtlinie abgelehnt werden. Die Trilogverhandlungen sind jedoch bereits abge- schlossen. Zudem hat das Europäische Parlament schon im Vorfeld beschlossen, dass Pollen als natürlicher Be- standteil von Honig definiert werden und nicht als Zutat. Durch diesen Beschluss greift die Kennzeichnungs- pflicht für gentechnisch veränderte Lebensmittel hier nicht, selbst wenn Bienen teilweise Pollen von gentech- nisch veränderten Pflanzen in den Honig eintragen. Um diese unerwünschten Auswirkungen des oben ge- nannten Beschlusses zu unterbinden sowie grundsätzli- che Verbesserungen bei Schutz und Transparenz in Sa- chen grüner Gentechnik zu erreichen, müssen wir an anderer Stelle ansetzen. Einen entsprechenden Antrag für eine „EU-weite Kennzeichnungspflicht für Erzeug- nisse von Tieren, die mit gentechnisch veränderten Pflanzen gefüttert wurden“ beraten wir derzeit mit CDU und CSU. Darin fordern wir – entsprechend unserem Koali- tionsvertrag – eine EU-Kennzeichnungspflicht für Er- zeugnisse von Tieren, die mit gentechnisch veränderten Pflanzen gefüttert würden. Ebenso beanspruchen wir klare Kriterien für die Ohne-Gentechnik-Kennzeichnung bei Imkereiprodukten. Zudem wollen wir bundesweit einheitliche Regelungen für den Schutz der Imkereien vor gentechnischen Verunreinigungen ihres Honigs. Die Bundesländer sollen dabei die Möglichkeit haben, Rege- lungen festzulegen, die über die in der Gentechnik- Pflanzenerzeugungsverordnung festgelegten Vorgaben hinaus gehen – wie zum Beispiel größere Mindestab- stände zum Schutz vor gentechnischen Verunreinigun- gen. Damit erzielen wir dann auch die gewünschte Wir- kung. Anlage 4 Erklärungen nach § 31 GO zur namentlichen Abstimmung über die Be- schlussempfehlung des Ausschusses für Ernäh- rung und Landwirtschaft zu dem Antrag der Abgeordneten Harald Ebner, Renate Künast, Nicole Maisch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zu dem Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinie 2001/110/EG des Rates über Honig – KOM(2012) 530 endg.; Ratsdok. 13957/12 – hier: Stellungnahme gegenüber der Bundesre- gierung gemäß Artikel 23 Absatz 3 des Grund- Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 20. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. März 2014 1617 (A) (C) (D)(B) gesetzes: Wahlfreiheit für Verbraucherinnen und Verbraucher herstellen – Honig mit gen- technisch veränderten Bestandteilen kennzeich- nen (Tageordnungspunkt 9) Josef Göppel (CDU/CSU): Der Europäische Ge- richtshof urteilte in der Rechtssache C-442/09 am 6. September 2011, dass Honig mit Pollen gentechnisch veränderter Pflanzen der Kennzeichnungs- und Zulas- sungspflicht unterliegt. Das gelte unabhängig vom An- teil des gentechnisch veränderten Materials in dem frag- lichen Erzeugnis. Pollen seien normale Bestandteile des Honigs und deshalb als Zutat einzustufen. Die EU-Kommission arbeitet dagegen seit längerer Zeit an einer Änderung der Honigrichtlinie 2001/110/EC und 2012/0260 COD. In Art. 2 soll eine neue Ziffer 5 ange- fügt werden, wonach Pollen als natürlicher Bestandteil des Honigs nicht als Zutat betrachtet werden können. Deswegen seien Honigerzeugnisse mit gentechnisch ver- änderten Proteinen oder Spuren gentechnisch veränder- ter Pflanzen auch nicht besonders zu kennzeichnen oder zuzulassen. In einem informellen Trilog am 7. März 2014 wurde allerdings zusätzlich vorgeschlagen, die Zulassungsbe- freiung nur solchen Honigerzeugnissen zu gewähren, die weniger als 0,9 Prozent gentechnisch veränderter Pollen enthalten. Der Umweltausschuss des Europäischen Parlaments hat seine Stellungnahme zum Trilog-Vorschlag nun am 19. März 2014 unter Punkt acht auf der Tagesordnung. Das Verfahren auf EU-Ebene ist also entgegen anders- lautenden Meinungen nicht abgeschlossen. Deswegen stimme ich dem Antrag zur Kennzeich- nung von Honig mit gentechnisch veränderten Bestand- teilen – Drucksache 18/578 – zu. Der Antrag ist ein wichtiger Schritt zu der im Koalitionsvertrag geforderten „Wahrheit und Klarheit“ für Verbraucher. Der Versuch, ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs durch bloße Definitionsänderungen zu umgehen, wird weitere Rechtsstreitigkeiten hervorrufen, die wohl mit dem glei- chen Urteil enden. Das Vertrauen der Bevölkerung kann nur durch volle Transparenz erhalten werden. Hubert Hüppe (CDU/CSU): Obwohl ich am 30. Ja- nuar 2014 entgegen der Mehrheit der Koalitionsfraktio- nen einem Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zum Inverkehrbringen eines genetisch veränderten, ge- gen bestimmte Lepidopteren resistenten Maisprodukts – Zes mays L. Linie 1507 – zugestimmt habe, stimme ich im heutigen speziellen Fall dem Antrag zur Ände- rung der Richtlinie 2001/110/EG in der vorliegenden Form nicht zu. Dies ist nicht, weil ich inhaltlich anderer Meinung bin, sondern weil ich glaube, dass sich der Antrag an den falschen Adressaten richtet. Meine Posi- tion in der Sache erkläre ich wie folgt: Der Europäische Gerichtshof urteilte in der Rechts- sache C-442/09 am 6. September 2011, dass Honig mit Pollen gentechnisch veränderter Pflanzen der Kenn- zeichnungs- und Zulassungspflicht unterliegt. Das gelte unabhängig vom Anteil des gentechnisch veränderten Materials in dem fraglichen Erzeugnis. Pollen seien normale Bestandteile des Honigs und deshalb als Zutat einzustufen. Die EU-Kommission arbeitet dagegen seit längerer Zeit an einer Änderung der Honigrichtlinie 2001/110/EC und 2012/0260 COD. In Art. 2 soll eine neue Ziffer 5 an- gefügt werden, wonach Pollen als natürlicher Bestand- teil des Honigs nicht als Zutat betrachtet werden können. Deswegen seien Honigerzeugnisse mit gentechnisch ver- änderten Proteinen oder Spuren gentechnisch veränder- ter Pflanzen auch nicht besonders zu kennzeichnen oder zuzulassen. In einem informellen Trilog am 7. März 2014 wurde allerdings zusätzlich vorgeschlagen, diese Zulassungsbefreiung nur solchen Honigerzeugnissen zu gewähren, die weniger als 0,9 Prozent gentechnisch ver- änderter Pollen enthalten. Ich sehe den Versuch, ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs durch Definitionsänderungen zu umgehen, kritisch, auch wenn dadurch zusätzliche Kennzeich- nungspflichten, hohe Analysekosten und bürokratischer Kontrollaufwand vermieden werden. Dies kann weitere Rechtsstreitigkeiten hervorrufen, durch die die geplante Änderung der Richtlinie letztendlich für unwirksam er- klärt werden könnte. Außerdem stehe ich klar hinter dem im Koalitionsvertrag von CDU, CSU und SPD verein- barten Ziel der transparenten Kennzeichnung von Lebensmitteln und die Umsetzung des Anspruchs der Verbraucher nach „Wahrheit und Klarheit“. Allerdings wurde im Trilog-Verfahren zwischen Parlament, Kommission und Rat bereits eine Einigung erzielt; die offiziellen Abstimmungen im Umweltaus- schuss und im Parlament zur Änderung der Richtlinie 2001/110/EC werden zeitnah erfolgen. Der Antrag der Grünen läuft somit ins Leere und dient eher parteipoliti- schen Zwecken. Am Zuge sind nun die EU-Parlamentarier, nicht die Bundesregierung. Möglich ist eine Verschiebung der Entscheidung zur Änderung der Richtlinie auf nach den Europawahlen im Mai. Dann bleibt mehr Zeit für fachli- che Diskussion und Klärung des komplexen Sachver- halts, beispielsweise ob es überhaupt eine Analyseme- thode gibt, mit der zuverlässig festgestellt werden kann, ob der im Gentechnikrecht festgelegte Kennzeichnungs- schwellenwert von 0,9 Prozent gentechnisch veränderter Pollen am Gesamtpollen überschritten wird und ob mög- licherweise Regeln der Welthandelsorganisation durch eine Einstufung von Pollen als Zutat zu Honig gebro- chen werden. Hans-Georg von der Marwitz (CDU/CSU): Am 6. September 2011 hat der Europäische Gerichtshof in der Rechtssache C-442/09 entschieden, dass Pollen, im Sinne von Art. 2 Nr. 13 der Verordnung Nr. 1829/2003 und Art. 6 Abs. 4 Buchst, a der Richtlinie 2000/13, als Zutat im Honig einzustufen sind. Die EU-Kommission möchte nun durch eine Änderung der Honigrichtlinie erreichen, dass Pollen als natürlicher Bestandteil von Honig defi- niert wird. 1618 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 20. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. März 2014 (A) (C) (D)(B) Der Antrag der Grünen verfolgt das Ziel, dass sich die Bundesregierung in den Trilogverhandlungen für eine Kennzeichnungspflicht von gentechnisch verändertem Pollen in Honig einsetzt. Der Umweltausschuss des Eu- ropäischen Parlaments wird am 19. März 2014 über ei- nen Kompromissentwurf abstimmen. In der Folge müs- sen EP und Ministerrat diesem Kompromissentwurf noch zustimmen. Insofern sehe ich nach wie vor die Möglichkeit für die Bundesregierung, Einfluss auf den Entscheidungsprozess in Richtung Kennzeichnung von gentechnisch verändertem Pollen zu nehmen. Es ist nicht einzusehen, weshalb durch die Änderung der Honigrichtlinie ein Urteil des Europäischen Ge- richtshofs umgangen werden soll. Diese Vorgehensweise schafft weder Klarheit für den Verbraucher, noch dient sie den Imkern. Sie ist nichts anderes als ein Umge- hungstatbestand, der allein dem Ziel dient, gentechnisch veränderte Bestandteile des Honigs nicht deklarieren zu müssen. Deshalb werde ich dem Antrag von Bündnis 90/ Die Grünen auf Drucksache 18/578 zustimmen. Stephan Mayer (Altötting) (CDU/CSU): Dem heute zur Beratung vorliegenden Antrag der Fraktion Bünd- nis 90/Die Grünen kann ich in der vorliegenden Form nicht zustimmen. Meine Position in der Sache erkläre ich wie folgt: Ich sehe überhaupt keine Notwendigkeit für die Verwendung von gentechnisch verändertem Saatgut in der Landwirtschaft in Deutschland und insbesondere in der kleinteiligen bäuerlichen Landwirtschaft in Bayern. Außerdem erkenne ich den ausdrücklichen Wunsch an, sowohl der Verbraucherinnen und Verbraucher als auch der Erzeuger, das heißt der Landwirte, in Deutschland, auf die Verwendung von Gentechnik bei der Nahrungs- mittelherstellung in unserem Land vollständig und un- eingeschränkt zu verzichten. Daher unterstütze ich nachdrücklich und uneinge- schränkt die Bestrebungen der Bundesregierung, die Bürgerinnen und Bürger vor dem ungewollten Kauf oder Verzehr von Produkten mit Gentechnik zu schützen. Darum wurde unter anderem durch die unionsgeführte Bundesregierung in der 17. Legislaturperiode ein Ohne- Gentechnik-Logo eingeführt. Damit können die Ver- braucherinnen und Verbraucher Lebensmittel erkennen, die im Produktionsprozess ohne Gentechnik auskom- men. Außerdem ist es das Ziel der Großen Koalition, dass künftig verpflichtend auch die Lebensmittel ge- kennzeichnet werden müssen, die mithilfe gentechni- scher Verfahren erzeugt worden sind. Nur so wird eine umfassende Wahlfreiheit sichergestellt. Die von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen kriti- sierte Richtlinie 2001/101/EG – Honigrichtlinie – stellt klar, dass Pollen ein natürlicher Bestandteil von Honig sind. Damit handelt es sich auch weiterhin um ein Mo- noprodukt, das keines Zutatenverzeichnisses und auch keiner Nährwertkennzeichnung bedarf. Dies ist vor al- lem auch im Interesse der Imker. Im Normalfall beträgt der Anteil von Pollen im Honig 0,003 Prozent. Da davon ausgegangen werden kann, dass Bienen nicht nur gentechnisch veränderte Pollen sammeln, liegt der Prozentteil gewöhnlich deutlich unter 0,003 Prozent. Wären Pollen als Lebensmittelzusatz gekennzeichnet, wie in dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen gefordert, würde noch nicht einmal die Nachweisgrenze für zugelassene gentechnisch veränderte Bestandteile, die derzeit nach dem strengen deutschen Gentechnikge- setz bei 0,1 Prozent liegt, überschritten. Auch in diesem Fall käme es zu keiner Kennzeichnung der Pollen im Honig. Weiterhin ist festzuhalten, dass die Anwendbarkeit des EU-Gentechnikrechts auf Honig mit gentechnisch veränderten Pollen nicht durch die kritisierte Richtlinie beeinträchtigt wird. Das heißt, würde der Honig gentech- nisch veränderte Pollen enthalten, die in der EU nicht als Lebensmittel zugelassen sind, ist der Honig grundsätz- lich nicht verkehrsfähig. Zusammenfassend kann gesagt werden, dass es sich bei der kritisierten Honigrichtlinie keinesfalls um eine Einführung von gentechnisch veränderten Produkten durch die Hintertür handelt. Transparenz und Wahlfrei- heit für die Verbraucherinnen und Verbraucher sind auch weiterhin gewahrt. 20. Sitzung Inhaltsverzeichnis TOP 3 Regierungserklärung zur Lage in der Ukraine TOP 4 Energiewende TOP 5 Gründungsbedingungen in der digitalen Wirtschaft TOP 14, ZP 2 Überweisungen im vereinfachten Verfahren TOP 15 Abschließende Beratungen ohne Aussprache TOP 8 Abkommen mit Uruguay über Soziale Sicherheit TOP 7 Regulierung des Grauen Kapitalmarktes TOP 9 EU-Honigrichtline (Kennzeichnung von Gen-Honig) TOP 10, ZP 3 Waffenexporte in die Golfregion Anlagen
Gesamtes Protokol
Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1802000000

Die Sitzung ist eröffnet. Nehmen Sie bitte Platz.

Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich
begrüße Sie alle herzlich zur 20. Sitzung des Deutschen
Bundestages.

Bevor wir in die Tagesordnung eintreten, möchte ich
zunächst drei Kollegen zu ihren Geburtstagen gratulie-
ren, die sie in den vergangenen Tagen gefeiert haben: zu-
nächst zu ihren „runden“ Geburtstagen den Kolleginnen
Dr. Herlind Gundelach und Katharina Landgraf so-
wie dem Kollegen Dr. Franz Josef Jung, der vor eini-
gen Tagen seinen 65. Geburtstag gefeiert hat. Alle guten
Wünsche für die Zukunft!


(Beifall)


Wir müssen noch eine Wahl durchführen. Für den Bei-
rat der Stiftung Datenschutz schlägt die Fraktion der
SPD vor, die Kolleginnen Christina Kampmann und
Michelle Müntefering sowie für die ausgeschiedene Kol-
legin Gisela Piltz den Kollegen Gerold Reichenbach als
Mitglieder zu wählen. Sind Sie mit diesen Vorschlägen
einverstanden? – Das ist offenkundig der Fall. Dann sind
die genannten Kolleginnen und der Kollege als Mitglie-
der des Beirates gewählt.

Interfraktionell ist vereinbart worden, die verbundene
Tagesordnung um die in der Zusatzpunktliste aufge-
führten Punkte zu erweitern:

ZP 1 Aktuelle Stunde
auf Verlangen der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN

Haltung der Bundesregierung zur Abschaf-
fung des Optionszwangs im Staatsangehörig-
keitsrecht

(siehe 19. Sitzung)


ZP 2 Weitere Überweisung im vereinfachten Ver-
fahren
Ergänzung zu TOP 14
Beratung des Antrags der Abgeordneten Sylvia
Kotting-Uhl, Annalena Baerbock, Bärbel Höhn,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN

Für mehr Transparenz in der Internationalen
Atomenergie-Organisation

Drucksache 18/772
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und
Reaktorsicherheit (f)
Auswärtiger Ausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Energie

ZP 3 Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Wirtschaft und Ener-
gie (9. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeord-
neten Agnieszka Brugger, Katja Keul, Omid
Nouripour, weiterer Abgeordneter und der Frak-
tion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Keine Rüstungsexporte nach Saudi-Arabien

Drucksachen 18/576, 18/793

ZP 4 Beratung des Antrags der Abgeordneten
Annalena Baerbock, Marieluise Beck (Bremen),
Dr. Franziska Brantner, weiterer Abgeordneter
und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Einsetzung einer „Parlamentarischen Kom-
mission zur Überprüfung, Sicherung und
Stärkung der Parlamentsrechte bei der Man-
datierung von Auslandseinsätzen der Bundes-
wehr“

Drucksache 18/775
Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuss (f)
Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und
Geschäftsordnung
Innenausschuss
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union





Präsident Dr. Norbert Lammert


(A) (C)



(D)(B)

ZP 5 Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr. Gerhard Schick, Manuel Sarrazin, Sven-
Christian Kindler, weiterer Abgeordneter und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
zu dem Vorschlag für eine Verordnung des Eu-
ropäischen Parlaments und des Rates zur Fest-
legung einheitlicher Vorschriften und eines ein-
heitlichen Verfahrens für die Abwicklung von
Kreditinstituten und bestimmten Wertpapier-
firmen im Rahmen eines einheitlichen Abwick-
lungsmechanismus und eines einheitlichen
Bankenabwicklungsfonds sowie zur Änderung
der Verordnung (EU) Nr. 1093/2010 des Euro-
päischen Parlaments und des Rates
KOM(2013) 520 endg.; Ratsdok. 12315/13
hier: Stellungnahme gegenüber der Bundes-
regierung gemäß Artikel 23 Absatz 3 des
Grundgesetzes
Zum Schutz der Allgemeinheit vor Einzelinte-
ressen – Für eine echte Europäische Banken-
union
Drucksache 18/774
Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss (f)
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Haushaltsauschuss

Dabei soll von der Frist für den Beginn der Beratun-
gen, soweit erforderlich, abgewichen werden.

Die Tagesordnungspunkte 6 und 14 a werden abge-
setzt. Der Tagesordnungspunkt 8 wird nach dem Tages-
ordnungspunkt 15 und der Zusatzpunkt 5 mit einer
Debattenzeit von 38 Minuten nach dem Tagesordnungs-
punkt 13 aufgerufen.

Ich mache jetzt schon darauf aufmerksam, dass es
zum Tagesordnungspunkt 9 eine namentliche Abstim-
mung geben wird, die dann im Laufe des Nachmittags
gegen 16.30 Uhr stattfinden wird.

Schließlich mache ich Sie darauf aufmerksam, dass
die Überweisung der Unterrichtung der Bundesregierung
auf der Drucksache 18/641 Nr. 23 an den Ausschuss für
Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit zur Fe-
derführung sowie zur Mitberatung an den Ausschuss für
Recht und Verbraucherschutz, den Ausschuss für Fami-
lie, Senioren, Frauen und Jugend sowie an den Aus-
schuss für Kultur und Medien aufgehoben wird. – Auch
dazu höre ich keinen Widerspruch. Dann ist das so be-
schlossen.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 3 auf:
Abgabe einer Regierungserklärung durch die Bun-
deskanzlerin
zum Treffen der Staats- und Regierungschefs
der Europäischen Union zur Lage in der
Ukraine am 6. März 2014

Hierzu habe ich den Botschafter der Ukraine einge-
laden, der zusammen mit zahlreichen anderen Vertre-
tern weiterer Botschaften unserer heutigen Debatte
beiwohnt und den ich auf der Ehrentribüne herzlich be-
grüße.

(Beifall)


Das gilt auch für eine Delegation des Abgeordneten-
hauses des Königreiches Bahrain, die ebenfalls an die-
ser Debatte teilnimmt. Seien Sie uns alle herzlich will-
kommen!


(Beifall)


Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache im Anschluss an die Regierungserklä-
rung 96 Minuten vorgesehen. – Auch dies ist offenkun-
dig unstreitig. Dann können wir so verfahren.

Das Wort zur Abgabe einer Regierungserklärung hat
die Bundeskanzlerin, Frau Dr. Angela Merkel.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. Angela Merkel (CDU):
Rede ID: ID1802000100

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Meine Damen und Herren! Jahrhundertelang waren die
Beziehungen der europäischen Staaten von Rivalität,
wechselnden Bündnissen und immer wieder schreckli-
chem Blutvergießen geprägt. Daran denken wir gerade
in diesem Jahr, 2014, dem Jahr der Gedenktage, ganz be-
sonders.

Wir denken an den Ersten Weltkrieg, der vor 100 Jah-
ren ausbrach. Er war die erste große Katastrophe des
20. Jahrhunderts, der alsbald die zweite folgen sollte: der
Ausbruch des Zweiten Weltkrieges vor 75 Jahren mit
dem Zivilisationsbruch durch die Schoah. Dass sich an
diese Schrecken nunmehr über ein halbes Jahrhundert
von Frieden, Freiheit und Wohlstand in weiten Teilen
Europas anschloss, das grenzt immer noch an ein Wun-
der. Mit der europäischen Einigung hat Europa die Leh-
ren aus seiner leidvollen Geschichte gezogen, zunächst
im Westen Europas, nach 1989 darüber hinaus. Wir erin-
nern uns in diesem Jahr auch an den Fall der Berliner
Mauer vor 25 Jahren und an den Beginn der EU-Ost-
erweiterung vor 10 Jahren. Die europäische Einigung ist
und bleibt auch im 21. Jahrhundert das große Verspre-
chen von Frieden, von Freiheit und von Wohlstand.


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Längst hat die Globalisierung unsere Welt – unsere
Art zu leben, zu arbeiten, zu wirtschaften – bis in den
letzten Winkel erfasst. Heute leben über 7 Milliarden
Menschen auf der Erde. Sie alle wollen am Wohlstand
teilhaben. Niemand kann sich mehr darauf beschränken,
nur seine eigenen Belange im Blick zu haben, und wer es
doch tut, der schadet sich selbst über kurz oder lang. Das
gilt für alle: Das gilt für Deutschland, das gilt für unsere
Nachbarn, das gilt selbst für ein so großes und starkes
Land wie die Vereinigten Staaten von Amerika, ebenso
für China und Russland. Wir sind alle, und zwar stärker
und stärker, miteinander verflochten – und eben auch
Russland.

Ausdruck dessen sind zum Beispiel jährliche deutsch-
russische Regierungskonsultationen, der Petersburger
Dialog, das Deutsch-Russische Rohstoff-Forum, mehr





Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel


(A) (C)



(D)(B)

als 20 bilaterale Abkommen Russlands mit der Europäi-
schen Union, der Ostseerat, unsere Zusammenarbeit mit
Russland im Rahmen der G 8 und der G 20, der NATO-
Russland-Rat, Verhandlungsmandate im Nahost-Frie-
densprozess und bei den Nukleargesprächen mit dem
Iran und vieles, vieles mehr.

Das alles ist gelebte Globalisierung im 21. Jahrhun-
dert. Sie ist Ausdruck der Erkenntnis, dass wir alle in
Europa und darüber hinaus uns den großen Aufgaben ge-
meinsam stellen müssen. Sie ist Ausdruck dessen, dass
jeder von uns allein weniger erreicht als gemeinsam.

Das, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist das Umfeld,
in dem wir wie 2008 in Georgien und jetzt mitten in
Europa, in der Ukraine, einen Konflikt um Einflusssphä-
ren und um Territorialansprüche erleben, wie wir ihn ei-
gentlich aus dem 19. oder 20. Jahrhundert kennen, einen
Konflikt, den wir für überwunden gehalten hatten.


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Dass er ganz offensichtlich nicht überwunden ist, zeigen
bereits drei Nachrichten der letzten 14 Tage:

27. Februar. Das Krim-Parlament setzt in nichtöffent-
licher Sitzung eine neue Regierung ein und spricht sich
in dieser Sitzung für eine Volksbefragung über den künf-
tigen Status der Region aus, zunächst geplant für den
25. Mai. – Diese wurde dann vorverlegt auf den
30. März und schließlich auf den 16. März. Dies ist eine
Verletzung der ukrainischen Verfassung, die Sezessions-
referenden in einzelnen Landesteilen ohne Zustimmung
des Gesamtstaats nicht erlaubt.

1. März. Der Föderationsrat Russlands stimmt auf
Bitten von Staatspräsident Putin in einem Vorratsbe-
schluss einem Militäreinsatz auf der Krim im Grundsatz
zu, nachdem Russland zuvor, wie es heißt, um Beistand
gebeten worden sei.

11. März. Das Krim-Parlament beschließt die Unab-
hängigkeit der Krim von der Ukraine, womit das in der
ukrainischen Verfassung vorgesehene Verbot von Sezes-
sionsreferenden umgangen werden soll.

Meine Damen und Herren, es ist offenkundig: Die ter-
ritoriale Unversehrtheit und damit die staatliche Einheit
der Ukraine werden ganz offen infrage gestellt und ver-
letzt.


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


In einer Phase großer Unsicherheit in der Ukraine hat
sich Russland nicht als Partner für Stabilität in dem mit
ihm historisch, kulturell und wirtschaftlich eng verbun-
denen Nachbarland erwiesen, sondern nutzt dessen ge-
gebene Schwäche aus. Das Recht des Stärkeren wird
gegen die Stärke des Rechts gestellt, einseitige geopoliti-
sche Interessen über Verständigung und Kooperation.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Das ist Handeln nach den Mustern des 19. und 20. Jahr-
hunderts im 21. Jahrhundert. Denn noch einmal: Nie-
mand, schon gar nicht die Europäische Union oder Län-
der wie die Vereinigten Staaten von Amerika oder auch
Russland, niemand von uns kann sich heute im 21. Jahr-
hundert noch darauf beschränken, nur seine eigenen Be-
lange im Blick zu haben. Wenn er es doch tut, dann scha-
det er sich über kurz oder lang selbst.


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Es ist ganz ohne Zweifel beklemmend, was wir der-
zeit mitten in Europa erleben. Ich fürchte, wir werden ei-
nen langen Atem brauchen, um den Konflikt zu lösen.
Aber wir können diese für Europa zentrale Herausforde-
rung entschlossen annehmen. Es geht um die territoriale
Unversehrtheit eines europäischen Nachbarlandes, um
den Respekt vor den Prinzipien der Vereinten Nationen,
um Prinzipien und Methoden des Interessenausgleichs
im 21. Jahrhundert.

Weil in diesen Tagen von dem einen oder anderen der
Vergleich mit dem Kosovo-Konflikt gezogen wird
– vielleicht auch gleich in dieser Debatte –, erlaube ich
mir dazu eine kurze Nebenbemerkung. Nachdem damals
die Staatengemeinschaft den sogenannten ethnischen
Säuberungskriegen von Milosevic auf dem Gebiet des
ehemaligen Jugoslawien jahrelang mehr oder weniger
ohnmächtig zugesehen hatte, nachdem Sanktionen und
Verhandlungen keinerlei Wirkung gezeigt hatten, ent-
schloss sich die NATO, ohne UN-Mandat militärisch
einzugreifen, auch weil Russland jeden Beschluss des
UN-Sicherheitsrates für ein UN-Mandat blockiert hatte.
Um es klipp und klar zu sagen: Die Situation damals ist
in keiner Weise mit der in der Ukraine heute vergleich-
bar.


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Doch wenn ich mich schon auf diesen aus meiner
Sicht beschämenden Vergleich einlasse, dann hat ganz
grundsätzlich Folgendes zu gelten: Das Vorgehen Russ-
lands in der Ukraine stellt eindeutig einen Bruch grund-
legender völkerrechtlicher Prinzipien dar. Dieser würde
nicht dadurch relativiert, wenn es andere Völkerrechts-
verletzungen gegeben hätte.


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Es bleibt ein Bruch des Völkerrechts mitten in Europa,
nach dem wir nicht zur Tagesordnung übergehen dürfen
und nach dem wir nicht zur Tagesordnung übergegangen
sind.

In dieser spannungsgeladenen und gefährlichen Situa-
tion gilt es, Wege aus der Krise zu finden. Militärisch ist
der Konflikt nicht zu lösen. Ich sage allen Menschen, die
Angst und Sorge haben: Militärisches Vorgehen ist keine
Option für uns.


(Beifall im ganzen Hause)


Die Politik der Bundesregierung und unserer Partner in
der Europäischen Union und den Vereinigten Staaten





Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel


(A) (C)



(D)(B)

von Amerika folgt vielmehr einem politisch-ökonomi-
schen Dreiklang:

Erstens. Wir arbeiten intensiv für die Einrichtung ei-
ner internationalen Beobachterkommission und einer
Kontaktgruppe bzw. Koordinierungsgruppe; Sie können
es nennen, wie Sie wollen. Wir arbeiten damit für einen
politisch-diplomatischen Weg aus der Krise.


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Dr. Dietmar Bartsch [DIE LINKE])


Ziel der Beobachtermission wäre es, Behauptungen zu
überprüfen und ein objektives Bild der Lage überall in
der Ukraine zu erreichen. Ziel einer Kontaktgruppe wäre
es, einen Gesprächskanal zwischen Moskau und Kiew
unter Vermittlung internationaler Partner aufzubauen. In
solchen Gesprächen müssten all die Themen auf den
Tisch, die zum jetzigen Konflikt geführt haben oder die-
sen in Zukunft noch anheizen könnten. Natürlich würde
es dabei auch um Autonomierechte der Krim und Spra-
chenfragen gehen. Eines muss dabei aber unmissver-
ständlich klar sein: Die territoriale Integrität der Ukraine
steht nicht zur Disposition.


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


In diesem Zusammenhang sei ausdrücklich erwähnt:
Auch anderen Staaten, wie der Republik Moldau oder
Georgien, gebührt in dieser Situation unsere Solidarität.


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Zweitens. Bei ihrem Treffen am 6. März 2014 haben
sich die Staats- und Regierungschefs der Europäischen
Union zu umfangreichen Hilfen für die Ukraine ent-
schlossen. Wir haben das von der Kommission vorge-
legte Unterstützungsprogramm mit einem Gesamtvolu-
men von 11 Milliarden Euro begrüßt. Dies umfasst auch
Maßnahmen der europäischen Förderbanken EIB und
EBRD. Schnelle Hilfe ist jetzt gefragt. Dabei ist auch
eine enge Abstimmung mit dem IWF für die Unterstüt-
zung durch die EU essenziell. Eine IWF- und eine EU-
Delegation sind bereits vor Ort in Kiew, um sich ein
vollständiges Bild von der Lage in der Ukraine zu ma-
chen und erste Vorschläge für ein etwaiges Unterstüt-
zungs- und Reformprogramm zu erarbeiten.

Wir haben letzte Woche in Brüssel auch gemeinsam
beschlossen, den politischen Teil des EU-Assoziierungs-
abkommens mit der Ukraine bald zu unterzeichnen, der
wichtige Impulse vor allem im Bereich der Rechtsstaats-
entwicklung gibt. Einige der wirtschaftlichen Vorteile
der im Abkommen angelegten umfassenden Freihan-
delszone will die EU kurzfristig durch einseitige Han-
delserleichterungen wie eine Senkung von Zöllen zu-
gänglich machen.

Äußerst wichtig ist in dieser Situation natürlich auch,
die Kontakte der Menschen untereinander zu befördern.
Wir wollen die Verhandlungen zu Visaerleichterungen
für die Ukraine beschleunigt vorantreiben. Auch im
Energiebereich steht die EU bereit, die Ukraine bei einer
Stärkung ihrer Energiesicherheit zu unterstützen, etwa
durch eine größere Diversifizierung von Energiequellen
und Transportwegen und durch Modernisierungsmaß-
nahmen.

Ganz wichtig werden aber auch Signale der Solidari-
tät von Mensch zu Mensch sein – dies auch und vor al-
lem in der Ostukraine. Hier können bestehende Städte-
partnerschaften – es gibt eine ganze Reihe davon – und
andere zivilgesellschaftliche Kontakte eine ganz wich-
tige Rolle spielen.


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Dr. Dietmar Bartsch [DIE LINKE])


Ich möchte die deutschen Städte, aber auch Schulen,
Universitäten und Vereine mit Partnern in der Ukraine
dazu ermuntern, in dieser besonderen Zeit den Kontakt
noch zu vertiefen und zu schauen, ob praktische Hilfe-
leistungen möglich sind.

Wir unterstützen die Übergangsregierung in Kiew da-
rin, eine Regierung für alle Ukrainer zu sein. Es geht da-
rum, Gräben zu überwinden, erste Schritte zur wirt-
schaftlichen Stabilisierung zu gehen und freie und faire
Wahlen im Mai zu ermöglichen.


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Die Ukraine sollte weiterhin ein Ort des friedlichen Zu-
sammenlebens für alle ihre Bürger sein, ganz gleich, ob
sie Ukrainisch, Russisch, Tatarisch oder eine der anderen
Sprachen sprechen und welchen Glauben sie haben.

Wenn dieser Weg des Übergangs erfolgreich gemeis-
tert werden kann, dann kann sich das europäische Ange-
bot einer Reformpartnerschaft erfüllen, so wie sie im
Assoziierungs- und vertieften Freihandelsabkommen
niedergelegt ist. Die Zielsetzung ist sehr eng verwoben
mit den Erwartungen, die in den Protesten auf dem Mai-
dan zum Vorschein kamen: Stärkung der Rechtsstaat-
lichkeit, Unabhängigkeit der Justiz, mehr Transparenz,
weniger Korruption und eine weitere Reduktion der
Handelsbeschränkungen. Dieses Angebot zur Moderni-
sierung ist ein Ansatz der Nachbarschaftspolitik, nicht
der Geopolitik. Es ist gegen niemanden gerichtet.


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ich wiederhole in diesem Zusammenhang das, was
ich in meiner Regierungserklärung zum EU-Gipfel zur
Östlichen Partnerschaft am 18. November des letzten
Jahres hier im Deutschen Bundestag gesagt habe, näm-
lich,

dass sich weder die Östliche Partnerschaft noch die
bilateralen vertraglichen Beziehungen, die die EU
mit ihren Partnern abschließen will, gegen Russ-
land richten.

Wir müssen

– so habe ich damals gesagt –

weiter daran arbeiten, dass es kein Entweder-oder
zwischen einer Annäherung der Länder der Östli-
chen Partnerschaft an die EU und dem russischen





Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel


(A) (C)



(D)(B)

Bemühen um eine engere Partnerschaft mit diesen
Ländern geben sollte.

Die Ereignisse in diesen Wochen scheinen darüber
hinwegzufegen: Richtig bleibt es trotzdem, auch jetzt
nichts unversucht zu lassen, genau diesen Ansatz, für
den die EU konkrete Vorschläge unterbreitet hat, weiter-
zuverfolgen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Von der Stärkung und Modernisierung der Volkswirt-
schaften unserer osteuropäischen Partner profitierte im
Übrigen auch Russland. Daher gehört für uns natürlich
auch dazu, mit Russland über vermeintliche Nachteile
aus einer ukrainischen Assoziierung für den ukrainisch-
russischen Handel zu sprechen. Dazu gehört, zusammen
mit Russland an Lösungsansätzen für ungelöste Kon-
flikte in der gemeinsamen Nachbarschaft zu arbeiten.


(Zuruf des Abg. Dr. Gregor Gysi [DIE LINKE])


Dazu würde auch gehören, mit Russland über ein neues
Wirtschaftsabkommen zu beraten.

Drittens. Es gilt aber auch: Für den Fall, dass Russ-
land nicht bereit ist, auf den Weg der Zusammenarbeit
und des Rechts zurückzukehren, für den Fall, dass Russ-
land unverändert nicht bereit ist, zur Entspannung beizu-
tragen, haben die Staats- und Regierungschefs der Euro-
päischen Union bei ihrem Treffen in der letzten Woche
in Brüssel drei Stufen für ihr weiteres Vorgehen festge-
legt.

In einer ersten Stufe haben wir die Verhandlungen
über ein neues Abkommen zu den Grundlagen der EU-
Beziehungen mit Russland und über Visafragen suspen-
diert. Wenn es in den allernächsten Tagen nicht zu Ver-
handlungen mit Russland kommt, und zwar zu Verhand-
lungen, die Resultate hervorbringen und in denen nicht
nur auf Zeit gespielt wird, dann werden die Außenminis-
ter der EU-Mitgliedstaaten in ihrem Rat am kommenden
Montag, dem 17. März 2014, als zweite Stufe weitere
Maßnahmen beschließen. Dazu gehören Einreisesperren,
Kontensperrungen und die Absage des EU-Russland-
Gipfels.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich denke, es ist in
Ihrer aller Namen, wenn ich an dieser Stelle die Gele-
genheit nutze, unserem Außenminister Frank-Walter
Steinmeier zu danken.


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ich danke ihm für seinen unermüdlichen Einsatz in
schier endlosen, leider auch frustrierenden Gesprächen,
aber nie nachlassend in unserem gemeinsamen Bemü-
hen, einen Ausweg aus der Krise zu finden.

Es versteht sich von selbst, dass sich der nächste regu-
läre Rat der Staats- und Regierungschefs neben den
Punkten auf seiner seit langem geplanten Tagesordnung
zu Klima- und Energiefragen natürlich auch mit dem
weiteren Fortgang der Ereignisse in der Ukraine befas-
sen wird.

Für den Fall, dass Russland die Lage in der Ukraine
weiter destabilisiert – auch in der Ostukraine sehen wir
besorgniserregende Entwicklungen –, haben die Staats-
und Regierungschefs bei ihrem Treffen am 6. März eine
dritte Stufe von Maßnahmen vereinbart, die wir bereit
wären, zu ergreifen. Sie könnten in vielfältiger Weise die
wirtschaftliche Zusammenarbeit mit Russland betreffen.

Um es unmissverständlich klarzumachen: Niemand
von uns wünscht sich, dass es zu solchen Maßnahmen
kommt.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Doch wir alle wären zu ihnen bereit und entschlossen,
falls sie unumgänglich werden.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Wir alle, das sind die 28 Mitgliedstaaten der Europäi-
schen Union in engster Abstimmung mit unseren trans-
atlantischen Partnern und innerhalb der G 7. Gemeinsam
haben wir auch in der G 7 in der vergangenen Woche be-
schlossen, unsere Beteiligung an den Vorbereitungspro-
zessen für den im Juni geplanten G-8-Gipfel auszuset-
zen, bis ein Umfeld hergestellt ist, in dem sinnvolle
Gespräche im G-8-Rahmen wieder möglich sind.

Wenn Russland seinen Kurs der letzten Wochen fort-
setzt, dann wäre das nicht nur eine Katastrophe für die
Ukraine. Dann empfänden wir das nicht nur als Nach-
barstaaten Russlands als eine Bedrohung. Dann verän-
derte das nicht nur das Verhältnis der Europäischen
Union als Ganzes zu Russland. Nein, dann schadete das
nicht zuletzt – davon bin ich zutiefst überzeugt – massiv
auch Russland, und zwar ökonomisch wie politisch.
Denn – ich kann es gar nicht oft genug und nachdrück-
lich genug sagen – die Uhr lässt sich nicht zurückdrehen.
Interessenkonflikte mitten in Europa im 21. Jahrhundert
lassen sich erfolgreich nur dann überwinden, wenn wir
nicht auf Muster des 19. und 20. Jahrhunderts zurück-
greifen.


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Sie lassen sich nur dann überwinden, wenn wir mit den
Prinzipien und Mitteln unserer Zeit, des 21. Jahrhun-
derts, agieren.


(Heike Hänsel [DIE LINKE]: Ja, dann machen Sie das doch!)


Auch geopolitische Stärke entwickeln, das geht er-
folgreich nur mit den Prinzipien und Mitteln unserer
Zeit. Uns allen in Europa und der Welt – auch Russland –
eröffnen sich auf diesem Weg so sehr viel mehr Chancen
als Risiken. Dem folgt der Dreiklang unseres Handelns
als Bundesregierung: Gespräche, Hilfen und Sanktionen,
indem Deutschland in der aktuellen Krise in enger Ab-
stimmung mit unseren Partnern die jeweils nächsten
Schritte geht. Dafür bitte ich Sie um Ihre Unterstützung.

Herzlichen Dank.





Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel


(A) (C)



(D)(B)


(Anhaltender Beifall bei der CDU/CSU – Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1802000200

Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem

Kollegen Gregor Gysi für die Fraktion Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN – Thomas Oppermann [SPD]: Gregor, du gehst einen schweren Gang!)



Dr. Gregor Gysi (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1802000300

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Putin will

die gesamte Krise in der Ukraine militärisch lösen. Er
hat nicht begriffen, dass die Probleme der Menschheit
weder mit Soldaten noch mit Gewehren zu lösen sind,
ganz im Gegenteil.


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


Auch die Probleme Russlands lassen sich so nicht lösen.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Sein Denken und Handeln ist falsch und wird von uns
deutlich verurteilt.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Es ist aber dasselbe Denken, das im Westen vor-
herrschte und vorherrscht: bei Jugoslawien, Afghanistan,
dem Irak und Libyen.


(Widerspruch bei Abgeordneten der CDU/ CSU und der SPD)


An die Stelle der Systemkonfrontation sind die Interes-
sengegensätze der USA und Russlands getreten. Der
Kalte Krieg ist beendet, aber solche Interessengegen-
sätze können zu ganz ähnlichen Zügen führen.

Die USA wollen mehr Einfluss gewinnen und vor-
handenen verteidigen, und Russland will mehr Einfluss
gewinnen und vorhandenen verteidigen. Ich sage als
Stichworte zu Russland nur: Georgien, Syrien, Ukraine.

Auch wenn man Putins Vorgehen verurteilt, muss
man sehen, wie es zur gesamten Zuspitzung und Kon-
frontation kam. Ich sage es Ihnen ganz deutlich: Alles,
was NATO und EU falsch machen konnten, haben sie
falsch gemacht.


(Beifall bei der LINKEN)


Ich beginne bei Gorbatschow im Jahre 1990. Er schlug
ein gemeinsames europäisches Haus, die Auflösung der
NATO und des Warschauer Vertrages und ein Konzept
der „Gemeinsamen Sicherheit“ mit Russland vor. Das
hat die NATO ausgeschlagen. Sie hat gesagt: Den War-
schauer Vertrag aufzulösen, ist okay, aber die NATO
bleibt. Und aus dem Verteidigungsbündnis NATO wurde
ein Interventionsbündnis gemacht.

Der zweite Fehler: Bei der Herstellung der deutschen
Einheit erklärten der amerikanische Außenminister, un-
ser damaliger Außenminister Genscher und andere Au-
ßenminister gegenüber Gorbatschow, dass es keine Ost-
erweiterung der NATO geben wird. Dieses Versprechen
ist gebrochen worden. Es gab eine vehemente Auswei-
tung der NATO in Richtung Russland.

Der ehemalige US-Verteidigungsminister Robert
Gates bezeichnete die eilfertige Aufnahme der osteuro-
päischen Staaten in die NATO als schweren Fehler und
den Versuch des Westens, die Ukraine in die NATO ein-
zuladen, als schwere Provokation. Nicht ich, sondern der
ehemalige US-amerikanische Verteidigungsminister hat
das erklärt.

Dann kam drittens der Beschluss, Raketen in Polen
und Tschechien zu stationieren. Die russische Regierung
sagte: Das tangiert unsere Sicherheitsinteressen; wir
möchten das nicht. – Das hat den Westen überhaupt
nicht interessiert. Es wurde dennoch gemacht.

Zudem hat die NATO im Zusammenhang mit dem Ju-
goslawienkrieg das Völkerrecht mehrfach und schwer
verletzt. Das räumt inzwischen auch der damalige Kanzler
Schröder ein. Serbien hatte keinen anderen Staat angegrif-
fen, und es gab keinen Beschluss des UN-Sicherheitsrates.
Es wurde dennoch mit erstmaliger bundesdeutscher Be-
teiligung nach 1945 bombardiert. Und die Bewohnerin-
nen und Bewohner des Kosovo durften in einem Volks-
entscheid die Loslösung von Serbien beschließen.

Ich habe damals die Völkerrechtsverletzung schwer
kritisiert und Ihnen gesagt: Sie öffnen beim Kosovo eine
Büchse der Pandora; denn wenn das im Kosovo erlaubt
ist, müssen Sie es auch in anderen Gegenden erlauben. –
Sie haben mich beschimpft. Sie haben es nicht ernst ge-
nommen, und zwar weil Sie glaubten, solche Sieger im
Kalten Krieg zu sein, dass alle alten Maßstäbe für Sie
nicht mehr gelten. Ich sage Ihnen: Die Basken fragen,
warum sie keinen Volksentscheid machen dürfen, ob sie
zu Spanien gehören wollen oder nicht. Die Katalanen
fragen, warum sie keinen Volksentscheid machen dür-
fen, ob sie zu Spanien gehören wollen oder nicht. Natür-
lich fragen das nun auch die Bewohnerinnen und Be-
wohner der Krim.

Durch Völkerrechtsverletzung kann man über Ge-
wohnheitsrecht auch neues Völkerrecht schaffen; das
wissen Sie. Ich bleibe aber der Meinung, dass die Ab-
trennung der Krim völkerrechtswidrig wäre, genauso
wie die Abtrennung des Kosovo völkerrechtswidrig war.


(Beifall bei der LINKEN)


Ich wusste aber, dass sich Putin auf den Kosovo berufen
wird, und er hat es auch getan. Jetzt sagen Sie, Frau Bun-
deskanzlerin: Die Situation ist doch eine völlig andere.


(Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist sie auch!)


– Das kann schon sein. – Sie verkennen aber: Völker-
rechtsbruch ist Völkerrechtsbruch.

Meine liebe Frau Roth, fragen Sie doch einmal einen
Richter, ob ein Diebstahl aus edlerem Motiv im Ver-
gleich zu einem Diebstahl aus unedlerem Motiv kein
Diebstahl ist. Er wird Ihnen sagen: Es bleibt ein Dieb-
stahl. – Das ist das Problem.





Dr. Gregor Gysi


(A) (C)



(D)(B)


(Beifall bei der LINKEN – Zurufe des Abg. Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Herr Struck hat damals erklärt: Die Bunderepublik
muss ihre Sicherheit am Hindukusch verteidigen. – Nun
erklärt Herr Putin: Russland muss seine Sicherheit auf
der Krim verteidigen. – Deutschland hatte am Hindu-
kusch übrigens keine Flotte und war auch wesentlich
weiter entfernt. Trotzdem sage ich: Beide Sätze waren
bzw. sind falsch.


(Beifall bei der LINKEN)


Aber es bleibt auch Folgendes: Wenn viele Völker-
rechtsverletzer dem Völkerrechtsverletzer Russland vor-
werfen, das Völkerrecht zu verletzen, ist das nicht be-
sonders wirksam und glaubwürdig. Das ist die Tatsache,
mit der wir es zu tun haben.


(Beifall bei der LINKEN)


Obama sprach genauso wie Sie, Frau Bundeskanzle-
rin, von der Souveränität und territorialen Integrität der
Staaten. Aber diese beiden Prinzipien wurden in Serbien,
im Irak, in Libyen verletzt. Der Westen meinte, das Völ-
kerrecht verletzen zu können, weil der Kalte Krieg vor-
bei sei. Man hat die chinesischen und die russischen In-
teressen grob unterschätzt. Sie haben Russland unter
Jelzin, der häufig angetrunken war, überhaupt nicht
mehr ernst genommen. Aber die Situation hat sich geän-
dert. Sehr spät berufen Sie sich jetzt wieder auf die im
Kalten Krieg entstandenen völkerrechtlichen Grund-
sätze. Ich bin sehr dafür, dass sie wieder gelten – aber
dann für alle! Anders geht es nicht.


(Beifall bei der LINKEN)


Dann gab es das Gezerre zwischen der EU und Russ-
land an der Ukraine. Beide dachten und handelten
gleich. Barroso, der Kommissionschef der EU, hat ge-
sagt: Entweder Zollunion mit Russland oder Verträge
mit uns! – Er hat nicht gesagt: „Beides“, sondern: „Ent-
weder – oder!“. Putin hat gesagt: Entweder Verträge mit
der EU oder mit uns! – Beide haben gleichermaßen al-
ternativ gedacht und gehandelt. Das war ein verheeren-
der Fehler von beiden Seiten.


(Beifall bei der LINKEN)


Kein einziger EU-Außenminister hat versucht, mit der
russischen Regierung zu sprechen und die berechtigten
Sicherheitsinteressen Russlands überhaupt zur Kenntnis
zu nehmen.


(Dr. Rolf Mützenich [SPD]: Das stimmt doch gar nicht! – Weiterer Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Stimmt doch gar nicht!)


Russland fürchtet doch, dass nach engeren Beziehungen
mit der EU die NATO in die Ukraine kommt. Es fühlt
sich immer eingekreister. Aber es wurde nur an der
Ukraine gezerrt.

Die EU- und NATO-Außenminister haben die Ge-
schichte Russlands und der Ukraine völlig unberücksich-
tigt gelassen. Sie haben die Bedeutung der Krim für
Russland nie verstanden. Die ukrainische Gesellschaft
ist tief gespalten.


(Zuruf des Abg. Manuel Sarrazin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Auch das wurde nicht berücksichtigt. Diese tiefe Spal-
tung zeigte sich schon im Zweiten Weltkrieg, und sie
zeigt sich auch heute. Die Ostukraine tendiert in Rich-
tung Russland. Die Westukraine tendiert in Richtung
Westeuropa. Es gibt derzeit keine einzige politische Per-
sönlichkeit in der Ukraine, die beide Teile der Gesell-
schaft repräsentieren könnte. Das ist eine traurige Wahr-
heit.

Dann gibt es noch den Europarat und die Organisa-
tion für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa,
OSZE. Die haben Sie in letzter Zeit schwer vernachläs-
sigt, Frau Bundeskanzlerin und Herr Außenminister. Die
Gelder für diese Organisationen wurden immer mehr zu-
sammengestrichen, weil Sie meinten, dass sie nicht
wichtig sind. Das sind aber die einzigen europäischen
Organisationen, in denen sowohl Russland als auch die
Ukraine organisiert sind. Deshalb müssen wir diese Or-
ganisationen wieder stärken – auch finanziell – und dür-
fen nicht über einen Ausschluss Russlands faseln; das ist
völlig daneben.


(Beifall bei der LINKEN)


Dann erlebten wir eine starke Zuspitzung auf dem
Maidan. Wir erlebten Scharfschützen und viele Tote. Es
gibt verschiedene Gerüchte. In solchen Situationen wird
viel gelogen. Deshalb schlagen wir vor, eine internatio-
nale Untersuchungskommission einzusetzen. Wir, aber
vor allem die Ukrainerinnen und Ukrainer haben ein
Recht, zu erfahren, was dort gelaufen ist und wer dort
welche Verantwortung trägt. Ich freue mich, dass Sie,
Frau Bundeskanzlerin, das unterstützen.


(Beifall bei der LINKEN)


Auf dem Maidan gab es viele demokratische Kräfte,
aber auch Faschisten. Der Westen machte direkt und in-
direkt mit.


(Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was? Bei den Faschisten? – Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Bei den Faschisten, oder was?)


Dann haben Außenminister Steinmeier, der französische
und der polnische Außenminister mit Janukowitsch und
der Opposition einen Vertrag geschlossen. Jetzt sagen
Sie, Herr Außenminister, Janukowitsch habe die Verein-
barung durch seine Flucht hinfällig gemacht. Das ist
falsch. Die Menschen auf dem Maidan lehnten die Ver-
einbarung mit großer Mehrheit ab,


(Manuel Sarrazin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es gab keine Abstimmung auf dem Maidan!)


und Sie, Herr Außenminister, haben auf dem Platz auch
nicht für diese Vereinbarung geworben. Erst nach der
Ablehnung verließ Janukowitsch Kiew.





Dr. Gregor Gysi


(A) (C)



(D)(B)

Dann tagte das Parlament und wählte ihn mit
72,88 Prozent ab.

Die Verfassung schreibt aber 75 Prozent vor. Nun sagen
Herr Röttgen und andere: Na ja, bei einer Revolution
kann man nicht so genau auf die Verfassung achten. Ein
paar Prozentchen mehr oder weniger … – Das kann man
ja alles machen. Nur, Putin beruft sich darauf und sagt:
„Es gab nicht die verfassungsmäßige Mehrheit für die
Abwahl“,


(Manuel Sarrazin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Über 80 Prozent, Herr Gysi!)


und stützt sich deshalb auf Schreiben, die Janukowitsch
ihm sendet.

Außerdem: Bei der Abstimmung im Parlament stan-
den lauter Bewaffnete herum. Das ist nicht besonders
demokratisch. Bei der Volksabstimmung auf der Krim
am kommenden Sonntag stehen auch lauter bewaffnete
Soldaten herum. Auch das ist nicht besonders demokra-
tisch.


(Norbert Spinrath [SPD]: Aha!)


Interessant ist, dass Sie, Frau Bundeskanzlerin, sagen,
ein solcher Volksentscheid sei nach der ukrainischen
Verfassung verboten. Wann gilt sie denn nun und wann
nicht? Bei der Abwahl des Präsidenten gilt sie nicht, und
bei der Abstimmung auf der Krim soll sie plötzlich gel-
ten. Sie müssen schon wissen: Akzeptieren Sie die ukrai-
nische Verfassung ganz oder nur in bestimmten Teilen,
wenn es Ihnen genehm ist? Das ist die Art, die ich kenne
und die ich nicht mag.


(Beifall bei der LINKEN)


Dann wurde eine neue Regierung gebildet, sofort an-
erkannt von Präsident Obama, auch von der EU, auch
von der Bundesregierung. Frau Merkel! Der Vizepre-
mierminister, der Verteidigungsminister, der Landwirt-
schaftsminister, der Umweltminister, der Generalstaats-
anwalt – das sind Faschisten. Der Chef des nationalen
Sicherheitsrates war Gründungsmitglied der faschisti-
schen Swoboda-Partei. Faschisten haben wichtige Pos-
ten und dominieren zum Beispiel den Sicherheitssektor.
Noch nie haben Faschisten freiwillig die Macht wieder
abgetreten, wenn sie einmal einen Teil davon erobert
hatten.


(Zuruf von der CDU/CSU: Wie Kommunisten!)


Zumindest die Bundesregierung hätte hier eine Grenze
ziehen müssen, schon aufgrund unserer Geschichte.


(Beifall bei der LINKEN)


Als Haiders FPÖ in die österreichische Regierung
ging, gab es sogar Kontaktsperren und Ähnliches. Und
bei den Faschisten in der Ukraine machen wir nichts?
Swoboda hat engste Kontakte zur NPD und zu anderen
Naziparteien in Europa. Der Vorsitzende dieser Partei,
Oleg Tjagnibok, hat Folgendes wörtlich erklärt. Ich
zitiere jetzt; Sie müssen sich anhören, was er wörtlich
gesagt hat – Anführungsstriche –:
Schnappt euch die Gewehre, bekämpft die Russen-
säue, die Deutschen, die Judenschweine und andere
Unarten.

Ende des Zitats. – Ich wiederhole. Dieser Mann hat ge-
sagt – Anführungsstriche –:

Schnappt euch die Gewehre, bekämpft die Russen-
säue, die Deutschen, die Judenschweine und andere
Unarten.

Ende des Zitats. – Es gibt jetzt Übergriffe auf Jüdinnen
und Juden und auf Linke, und gegen all das sagen Sie
nichts? Mit diesen Swoboda-Leuten reden Sie? Ich emp-
finde das als einen Skandal. Ich muss Ihnen das ganz
klar sagen.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Jetzt wollen Sie – auch das haben Sie angekündigt –
Sanktionen verhängen, wenn es nicht anders ginge, wie
Sie sagen. Aber die werden Putin nicht imponieren. Das
spitzt doch die Situation nur zu. Kissinger, der ehema-
lige Außenminister der USA, hat recht. Er sagt, die
Sanktionen seien nicht Ausdruck einer Strategie, son-
dern Ausdruck des Fehlens einer Strategie. Das gilt auch
für die eskalierenden Militärflüge über Polen und die
baltischen Republiken. Was soll das?

Konten von Janukowitsch und seinen Anhängern sind
gesperrt, weil es gestohlenes Staatsgeld ist. Meine Frage:
Das wussten Sie vorher nicht? – Zweite Frage: Warum
eigentlich nur deren Konten? Was ist mit dem Milliar-
denvermögen der Oligarchen, die andere Kräfte unter-
stützen? Warum machen Sie da nichts? Wie einseitig
läuft das eigentlich alles?


(Beifall bei der LINKEN)


Es gibt nur den Weg der Diplomatie.

Erstens. Der Westen muss die legitimen Sicherheits-
interessen Russlands auf der Krim anerkennen, wie das
übrigens auch US-Außenminister Kerry erkannt hat. Es
muss ein Status für die Krim gefunden werden, mit dem
die Ukraine, Russland und wir leben können.


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


Russland muss garantiert werden, dass die Ukraine nicht
Mitglied der NATO wird.

Zweitens. Die Perspektive der Ukraine liegt in einer
Brückenfunktion zwischen EU und Russland.

Drittens. Es muss in der Ukraine ein Prozess der Ver-
ständigung und Versöhnung zwischen Ost und West ein-
geleitet werden, vielleicht über einen föderalen oder
konföderalen Status, vielleicht auch über zwei Präsiden-
ten.

Was ich der EU und der NATO vorwerfe: Bis heute ist
kein Verhältnis zu Russland gesucht und gefunden wor-
den. Das muss sich jetzt gründlich ändern.


(Beifall bei der LINKEN)


Sicherheit in Europa gibt es weder ohne noch gegen
Russland, sondern nur mit Russland. Wenn die Krise ei-





Dr. Gregor Gysi


(A) (C)



(D)(B)

nes Tages überwunden ist, könnte ein Vorteil darin beste-
hen, dass das Völkerrecht endlich wieder von allen Sei-
ten respektiert wird.

Danke schön.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1802000400

Für die SPD-Fraktion erhält nun der Kollege Rolf

Mützenich das Wort.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Rolf Mützenich (SPD):
Rede ID: ID1802000500

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es

besteht heute kein Zweifel: Dies ist eine ernste interna-
tionale Krise, und sie stellt einen tiefen Einschnitt in den
Beziehungen zu Russland dar. Genau darauf muss das
Schwergewicht in unseren Reden heute liegen, und wir
dürfen nicht einem innenpolitischen Reflex folgen, wenn
wir über Außenpolitik reden. Wir müssen dieser Situa-
tion gerecht werden, indem wir berücksichtigen, über
wen wir hier sprechen, und indem wir darüber nachden-
ken, welche Auswege bestehen, um unser Verhältnis zu
Russland letztlich wieder in eine friedliche Kooperation
münden zu lassen.

Es ist angemessen, auch von dieser Stelle aus zu sa-
gen: Es ist absehbar, dass durch die Vorgänge, die wir
auf der Krim und in der Ukraine sehen und in den Bezie-
hungen zu Russland erleben, Unsicherheit und neue
Spannungen in Europa leider wieder wachsen werden.
Ich persönlich hätte diesen Rückfall in Chauvinismus
und das Denken in Einflusszonen nicht erwartet. Gerade
von deutscher Seite haben wir viel dafür getan, um der
Entspannungspolitik zum Durchbruch zu verhelfen und
letztlich eine Verhaltensänderung in der Politik zu errei-
chen.

Insofern müssen wir den Bundesbürgern sagen: Es
gibt unterschiedliche Dimensionen. Nicht nur die
Ukraine ist unmittelbar betroffen – die Bundeskanzlerin
hat es gesagt –; es geht auch um andere Länder, in denen
russische Minderheiten wohnen und wo die Unsicherheit
möglicherweise wächst, etwa in Bulgarien, im Baltikum,
aber auch in Ländern Zentralasiens. Um diese Länder
herum werden sich Spannungen aufbauen.

Außerdem werden die Vorgänge in der Ukraine – das
muss man auch dem russischen Präsidenten sagen – auch
Auswirkungen auf Russland selbst haben. Auch dort le-
ben viele Minderheiten, die sich von Putins Politik mög-
licherweise beeinflussen lassen und eigene Forderungen
in Richtung nationale Unabhängigkeit stellen. Natürlich
legt auch die russische Politik heute eine andere Mess-
latte an. Sie spricht nicht mehr allein von russischen
Staatsbürgern, sondern mittlerweile auch von ethnischen
Russen, vom Slawentum. Das bringt die Gefahr zum
Ausdruck, die für unseren Kontinent an dieser Stelle
herrscht.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wir machen uns insbesondere darüber Sorgen, dass
sich Regierungen in anderen europäischen Ländern das
Vorgehen Russlands möglicherweise zum Vorbild neh-
men. Wir dürfen nicht vergessen: Selbst innerhalb der
Europäischen Union und auch außerhalb der Europäi-
schen Union gibt es Regierungen, die sich in diesen
Denkstrukturen bewegen und überlegen, eigene politi-
sche Hasardeurritte in Europa zu unternehmen. Deswe-
gen müssen wir von hier aus sehr deutlich machen: Es ist
auch in unserem eigenen Interesse, zu versuchen, diesen
Konflikt so gut wie möglich zu bewältigen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/ CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Folglich ist die Frage angemessen: Hat der russische
Präsident eine Strategie, oder ist er angesichts schwer-
wiegender innenpolitischer Probleme ein von Schwäche
und Willkür Getriebener? Für beides gibt es Hinweise;
für beides sprechen Fakten. Genau das ist das große Pro-
blem: Jemand, der innenpolitisch getrieben ist und sozu-
sagen Innenpolitik über Außenpolitik machen will, birgt
in sich die Gefahr, möglicherweise internationale Span-
nungen zu produzieren, um von innenpolitischen Proble-
men abzulenken.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Auf der einen Seite scheint es aber in der Tat eine
Strategie zu geben; die Bundeskanzlerin hat darauf hin-
gewiesen. Die von ihr genannten Daten deuten darauf
hin, dass möglicherweise bestimmte Gruppen auf der
Krim die Ereignisse frühzeitig für ihre politischen Ziele
genutzt haben.

Auf der anderen Seite dürfen wir nicht verkennen:
Russland ist in einer schweren Wirtschafts- und Moder-
nisierungskrise. Der russische Präsident selbst hat im
letzten Jahr in der Rede zur Lage der Nation auf diese
Probleme hingewiesen. Hier bietet sich die Möglichkeit,
Angebote zu unterbreiten, um ihm bei der Bewältigung
der Wirtschafts- und Modernisierungskrise zu helfen
und im Grunde genommen also die innenpolitischen He-
rausforderungen aufzugreifen. Das schlägt uns auch aus
der russischen Bevölkerung entgegen. Wir kennen doch
die Meinungsumfragen. Das, was die russische Politik
heute macht, ist gar nicht so unumstritten. Wir wissen,
dass die Bürger in Russland mittlerweile auch Angst vor
dieser Situation haben. Nach meinem Dafürhalten soll-
ten wir uns dies in weiteren Gesprächen mit Russland
zunutze machen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ein weiterer Aspekt. Ich wäre froh, wenn wir nicht
immer über die Ukraine reden würden und Vorschläge
machen würden, wie zukünftig ihre Verfassung aussehen
soll oder wie sie sich zukünftig verhalten soll, ob es also





Dr. Rolf Mützenich


(A) (C)



(D)(B)

zwei Präsidenten und eine Föderalregierung oder ande-
res geben soll.


(Dr. Gregor Gysi [DIE LINKE]: Das hat doch die Bundesregierung die ganze Zeit gemacht!)


Ich würde mich vielmehr freuen, wenn wir die Integrität
dieses Landes und die Souveränität der Bürgerinnen und
Bürger in der Ukraine anerkennen würden, egal welche
politische Verantwortung wir heute im Deutschen Bun-
destag sehen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Es geht deswegen hauptsächlich darum, zu beobachten,
was in der Ukraine passiert. Die Proteste waren am An-
fang friedlich. Sie waren auch der Ausdruck von Fin-
dung einer Nation, die über Sprache, gemeinsames Ver-
halten und natürlich auch Hoffnungen Orientierung
hatte. Natürlich ist Europa für viele dort Vorbild. Aber in
erster Linie müssen wir die nationale Identität der
Ukraine respektieren; daran müssen wir auch unser poli-
tisches Handeln messen lassen.

Natürlich hat die Regierung Janukowitsch zur Bruta-
lisierung der Verhältnisse auf dem Maidan beigetragen.
Das müssen doch auch Sie vonseiten der Linken aner-
kennen. Staatliche Institutionen haben mit Brutalisierung
und Gewalt auf dem Maidan, aber auch in der Ukraine
insgesamt begonnen. Deswegen unterstützen wir die
Bundeskanzlerin, wenn sie in ihrer Regierungserklärung
fordert: Darüber muss aufgeklärt werden. Auch eine
Übergangsregierung muss die Verantwortlichen zur Re-
chenschaft ziehen. Das ist aber eine Herausforderung für
die gesamte Gesellschaft in der Ukraine und eben nicht
nur für die Regierung alleine.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Meine Damen und Herren, ich bedanke mich ganz
herzlich für das, was die Bundesregierung in den vergan-
genen Tagen und Wochen unternommen hat. Das war
Krisenmanagement. Man hat versucht, das Blutvergie-
ßen auf dem Maidan und in der Ukraine zu stoppen. Hier
haben wir versucht, unsere moralischen Kategorien ein-
zubringen und auch auf diplomatischem Wege den Kon-
flikt auf dem Maidan zu beenden, der möglicherweise zu
Schlimmerem geführt hätte. Wir wollten Schlimmeres
verhindern. Die Bundeskanzlerin und insbesondere der
Außenminister haben das zusammen mit anderen, aber
nicht über die Köpfe anderer hinweg unternommen. Da-
für gebührt der gesamten Bundesregierung Dank.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Beide haben in den vergangenen Tagen – auch das ge-
hört zu einem Krisenmanagement – versucht, die ver-
schiedenen Interessen der Europäischen Union zusam-
menzuhalten, zu bedenken und sozusagen auch zum
Ausdruck zu bringen. Sie, Frau Bundeskanzlerin, haben
das in Telefonaten, aber auch bei Besuchen wie gestern
in Polen getan. Der Außenminister war im Baltikum.
Gerade das sind ja Länder, die sich von dieser Situation
international herausgefordert fühlen.

Im Nachhinein kann man natürlich immer sagen, was
falsch gemacht worden ist. Aber dass das Blutvergießen
gestoppt worden ist, müssen doch auch Sie, Herr Kol-
lege Gysi, an dieser Stelle anerkennen. Genau das hat die
Bundesregierung in den Gesprächen mit dem polnischen
und dem französischen Außenminister erreicht. Dafür
gebührt ihr in der Tat Anerkennung.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wir dürfen nicht verkennen: Putin kann drohen, aber
er kann auf die zivilgesellschaftliche Entwicklung in der
Ukraine langfristig keinen Einfluss nehmen. Auch das
muss Präsident Putin und den handelnden Akteuren in
Moskau klar werden. Deswegen hätte ich mir ge-
wünscht, dass auch die russische Regierung an ihren
Worten gemessen worden wäre, auch in der Auseinan-
dersetzung über all das, was falsch gelaufen ist. Auch
Präsident Putin hat für Deeskalation geworben, und
trotzdem hat er Manöver abgehalten, trotzdem hat er
eine Interkontinentalrakete getestet, trotzdem ist er nicht
auf den Vorschlag eingegangen, eine Kontaktgruppe zu
bilden. Er hat sozusagen all die Wege, die von hier auf-
gezeigt worden sind, nicht angenommen. Er war eben
nicht an Deeskalation interessiert. Ich finde, das, lieber
Kollege Gysi, hätte man dem Präsidenten genauso vor-
halten müssen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


In der Tat: Nach dem Ende des Kalten Krieges hat es
Entwicklungen gegeben, bei denen die Interessen Mos-
kaus missachtet wurden – Sie, Herr Kollege Gysi, haben
darüber gesprochen –: die NATO-Osterweiterung und
vieles andere. Aber es war die letzte Große Koalition,
die damals in schwierigen Gesprächen verhindert hat,
dass neue Mitgliedstaaten in die NATO aufgenommen
werden, weil wir eben die Sicherheitsinteressen Russ-
lands beachtet haben. Ich glaube, man muss doch würdi-
gen, dass das gerade von hier, von der Bundesregierung
und vom Deutschen Bundestag, ausgegangen ist. Des-
wegen bin ich der Meinung: Wir müssen aus beiderseiti-
gem Verhalten lernen. Russland hat eben nicht die Hand
ausgestreckt: Bezüglich eines Assoziierungsabkom-
mens traf man in allen Gesprächen, die geführt worden
sind, auf Ablehnung von russischer Seite.

Insofern will ich Ihnen sehr deutlich sagen, Herr Kol-
lege Gysi: Die Kritik der Linken allein um der Kritik
willen wird den außenpolitischen Herausforderungen
nicht gerecht.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Dr. Dietmar Bartsch [DIE LINKE]: Das macht doch niemand!)


Ich habe mir mal die Mühe gemacht, nachzulesen, wel-
che Hinweise Sie in der letzten Legislaturperiode dazu





Dr. Rolf Mützenich


(A) (C)



(D)(B)

gegeben haben, was wir nach Ihrer Meinung alles falsch
gemacht haben: Sie haben keine einzige Frage, keinen
einzigen Antrag gestellt und keine Debatte im Plenum
beantragt, um über die Ukraine und ihr schwieriges Ver-
hältnis zu Russland zu diskutieren. Das ist Ihr Versagen
als Opposition an dieser Stelle.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Es ist gut, dass wir auf Konfliktvermeidung achten,
dass wir weiter den diplomatischen Weg gehen. Für die-
jenigen, die immer auch das Empfinden Russlands in
ihre Arbeit einbezogen haben, waren die letzten Wochen
ein herber Rückschlag; es waren Tage der Verunsiche-
rung und Enttäuschung. Dennoch bin ich der Überzeu-
gung: Wir brauchen eine Entspannungspolitik in Zeiten
neuer Spannungen, vor allem über den Tag hinaus. Der
Kalte Krieg war ein Übel, das nicht nach Europa zurück-
kehren darf. Dafür werden wir uns weiter einsetzen.

Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1802000600

Katrin Göring-Eckardt ist die nächste Rednerin für

die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vor
genau drei Wochen haben wir im Plenum des Deutschen
Bundestages schon einmal über die Lage in der Ukraine
debattiert. Das war der 20. Februar. Während wir hier
debattiert haben, starben auf dem Maidan in Kiew Men-
schen durch die Schüsse von Scharfschützen. 82 Men-
schen sind es gewesen, die an diesem Tag zu Tode ge-
kommen sind. Wenn man sich die Biografien dieser
Menschen anschaut, dann sieht man: Menschen unter-
schiedlichen Alters, unterschiedlicher Herkunft, rus-
sisch- wie ukrainischsprachig haben dort ihr Leben ge-
lassen.

Einer von ihnen ist Josef Schilling, 61 Jahre alt, Mit-
glied der jüdischen Gemeinde. An dem Tag, an dem wir
hier debattiert haben, wurde ihm in der Nähe des Okto-
ber-Palastes in den Kopf geschossen. Josef Schilling ist
einer von 82, die für ihren Wunsch nach Freiheit, nach
Demokratie mit dem Leben bezahlt haben. Der Maidan,
der Ort der Revolution war, ist Ort des Gedenkens ge-
worden, meine Damen und Herren.

Herr Gysi, wenn Sie sich heute hier noch einmal hin-
stellen und die Maidan-Bewegung diffamieren,


(Widerspruch bei der LINKEN – Niema Movassat [DIE LINKE]: Das ist doch Quatsch!)


wenn Sie sich hier noch einmal hinstellen und so tun,

(Dr. Dietmar Bartsch [DIE LINKE]: Fleischgewordene Bigotterie!)


als wären es die rechten Kräfte gewesen, die den Maidan
bestimmt hätten,


(Zuruf von der LINKEN: Sie müssten Ihre Rede ändern, wenn Sie zugehört hätten! – Weiterer Zuruf von der LINKEN: Zuhören!)


wenn Sie so tun, als ob in der ukrainischen Regierung
diese Kräfte die Oberhand hätten,


(Niema Movassat [DIE LINKE]: Das hat er doch gar nicht gesagt! – Weiterer Zuruf von der LINKEN: Heuchlerin!)


dann will ich Ihnen eines sagen: Niemand hier im Haus
wird verkennen, dass Swoboda und der rechte Sektor in
der Ukraine Kräfte sind, mit denen es bezüglich dem,
was wir an Werten und demokratischen Vorstellungen
haben, nichts, ja, überhaupt nichts an Übereinstimmung
gibt, meine Damen und Herren.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Es hilft nichts, mit einem Zitat von 2004 zu kommen.


(Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und es nicht zu sagen!)


Es hilft auch nichts, dabei zu verschweigen, dass wir uns
mit Blick auf die Krim schon fragen müssen, warum
ausgerechnet Rechtspopulisten aus ganz Europa dort zur
Wahlbeobachtung eingeladen werden.


(Dr. Dietmar Bartsch [DIE LINKE]: Es sind alle eingeladen!)


Das dürfen Sie nicht verschweigen; denn dann ist klar:
Die demokratische Bewegung in der Ukraine hat zu
Recht unsere Unterstützung bekommen. Wir distanzie-
ren uns in aller Form von den rechtsnationalen Kräften.
Und es ist richtig so, dass wir trotzdem sagen: Die De-
mokratie und die freiheitliche Grundordnung in der
Ukraine werden ganz sicher auch damit fertig werden.
Das ist der entscheidende Punkt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD – Zuruf des Abg. Niema Movassat [DIE LINKE])


Ich sage Ihnen: Ich bin sehr dankbar, dass sich
Deutschland eben nicht neutral verhalten hat. Es war
richtig, dass der deutsche Außenminister und das Wei-
marer Dreieck nach Kiew gereist sind, um zu vermitteln.
Es war notwendig, dass Europa dem schamlosen Bruch
des Völkerrechts durch ein Mitglied des Sicherheitsrates
weder mit falscher Zurückhaltung noch mit militärischen
Drohgebärden, sondern mit Diplomatie und Besonnen-
heit begegnet ist.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Diplomatie bedeutet eben auch sichtbare Worte und
klare Konsequenzen.





Katrin Göring-Eckardt


(A) (C)



(D)(B)

Wenn an diesem Wochenende das Referendum auf
der Krim den Ausgang nimmt, den wir im Moment ver-
muten, dann muss man deutlich sagen: Es handelt sich
um keine Abstimmung über Unabhängigkeit, sondern
um eine ungültige Legitimation für eine völkerrechts-
widrige Annexion. Das muss man so nennen. Das muss
man so sagen. Das muss auch Frau Wagenknecht verste-
hen, die Verständnis dafür aufbringt. Ich, meine Damen
und Herren, kann dafür kein Verständnis aufbringen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Es ist beispiellos, wie hier eine Region militärisch be-
setzt wird, kritische Stimmen unterdrückt und mit Hoch-
druck Fakten geschaffen werden. Ein so dreister und ge-
fährlicher Rechtsbruch kann nicht ohne Konsequenzen
bleiben. Weil wir eben keine EU wollen, die auf dem Zu-
schauerplatz sitzt, sondern ein einheitliches Vorgehen
der EU wollen, kann man nicht zulassen, dass man ver-
zweifelt in Richtung NATO schaut. Deswegen ist es
auch richtig, Sanktionen in drei Stufen vorzusehen. Das
sind die Mittel, mit denen wir deutlich sagen können,
was wir wollen. Sie sind ein Mittel der Diplomatie und
nichts anderes.

Wenn man sich die Handelsbeziehungen anschaut,
dann sieht man, dass es natürlich etwas ausmachen wird.
Natürlich wird Russland nicht mehr einfach so weiter-
machen können wie bisher. Das ist selbstverständlich.
Das ist klar. Das ist auch die Perspektive, vor der man
steht, wenn man klar und deutlich darüber spricht.

Ich möchte noch einen kritischen Punkt ansprechen.
Ich glaube, dass wir in Deutschland, wenn wir über
Sanktionen reden, tatsächlich über unsere eigene Politik
sprechen müssen. Dabei geht es vor allem um unsere
Rohstoffimporte. Es ist nicht egal, dass wir eine große
Abhängigkeit vom russischen Gas haben. Es ist auch
nicht egal, dass wir eine große Abhängigkeit von russi-
schem Öl und russischer Kohle haben. Wenn wir in
Deutschland die Energiewende nach wie vor mit angezo-
gener Handbremse, wenn wir die Energiewende nach
wie vor so zurückhaltend betreiben, dann wird unsere
Abhängigkeit von solchen Rohstoffimporten weiterhin
bestehen bleiben. Das ist für mich ein weiterer und ein
sehr zentraler Grund dafür, warum wir die Energiewende
vehement vorantreiben müssen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Wenn wir in Europa über Sanktionen sprechen, dann
können wir nicht einfach weiter wie bisher über Rüs-
tungsexporte nach Russland reden.

Die Situation in der Ukraine ist nicht nur politisch
prekär und wirtschaftlich desolat. Deswegen ist es gut
und richtig, dass es Finanzhilfen gibt. Deswegen ist es
gut und richtig, dass es Zoll- und Visaerleichterungen
geben soll. Es muss eine klare Unterstützung für das
Volk der Ukraine geben. Es muss klar und deutlich sein,
was „europäische Perspektive“ eigentlich heißt. Diese
europäische Perspektive ist nicht gegen jemanden ge-
richtet. Diese europäische Perspektive heißt vielmehr in
allererster Linie, dass die Ukraine selbstständig, allein
und eigenständig entscheiden können muss und nicht ir-
gendjemand so tut, als könne man über die Ukraine und
über die Köpfe der Ukrainerinnen und Ukrainer hinweg
entscheiden. Das ist der entscheidende Punkt: Eigenstän-
digkeit der Ukraine. Es geht um die Ukrainer, darum,
was sie wollen und wohin sie wollen. Unser Angebot
muss sein, sie darin zu unterstützen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Unsere Aufgabe wird es sein, Konsequenzen zu zie-
hen und konsequent zu bleiben. Das tun wir mit diplo-
matischen, mit friedlichen Mitteln.

Es geht darum, dass die Menschen in der Ukraine eine
klare Perspektive haben. Für Russland, das Verträge un-
terschrieben hat, in denen die Grenzen der Ukraine nicht
nur akzeptiert, sondern auch garantiert werden, muss
klar sein: Eine Annexion der Krim hat mit dem Völker-
recht nichts zu tun. Das ist unsere klare Position, und bei
der werden wir auch bleiben.

Vielen Dank.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1802000700

Das Wort erhält nun die Kollegin Gerda Hasselfeldt

für die CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1802000800

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die

Situation im Osten Europas ist gefährlich angespannt.
Die Ukraine steckt mitten in einer Zerreißprobe.

Ich danke Ihnen, verehrte Frau Bundeskanzlerin, für
Ihre besonnene und bestimmte Art, für Ihr besonnenes
und bestimmtes, klares Handeln in dieser historisch
schwierigen Situation.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Sie haben auch in Ihrer Regierungserklärung eindrucks-
voll dargelegt, welche Schritte Deutschland und Europa
gehen müssen, damit wieder ein friedliches und selbst-
bestimmtes Zusammenleben der Völker möglich ist. Da-
für möchte ich Ihnen herzlich danken.

In diesen Dank schließe ich auch den Bundesaußen-
minister, Herrn Steinmeier, mit ein. Was Sie in den letz-
ten Wochen und Monaten auf europäischer Ebene durch
bilaterale Gespräche und Verhandlungen geleistet haben,
verdient unser aller Dank, Respekt und Anerkennung.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Die Menschen in der Ukraine haben in den letzten
Wochen großen Mut bewiesen. Sie haben wochenlang





Gerda Hasselfeldt


(A) (C)



(D)(B)

unter widrigsten Bedingungen gegen die damalige Re-
gierung demonstriert, zunächst auf dem Maidan, später
auch andernorts, im Osten des Landes. Sie haben für
Freiheit, Selbstbestimmung und Demokratie demon-
striert.

Diesen Menschen in der Ukraine, die ein Stück ihres
Lebens eingesetzt haben, die immer wieder unter wid-
rigsten Bedingungen für Freiheit und Demokratie auf die
Straße gegangen sind, gilt unser Respekt, unsere Aner-
kennung, unsere Solidarität, aber auch unsere Unterstüt-
zung.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Gerade wir in Deutschland wissen, was es heißt, für
Freiheit zu kämpfen. Wir wissen aus eigener Erfahrung:
Es lohnt sich. Aber es geht nicht nur darum, zu kämpfen,
sondern es geht auch darum, aufrecht zu stehen und im-
mer wieder ein zentrales Menschenrecht einzufordern,
nämlich Freiheit und damit auch Demokratie.

Die plötzliche Entscheidung des Staatspräsidenten,
entgegen vorherigen Ankündigungen, das Assoziie-
rungsabkommen mit der Europäischen Union nicht zu
unterzeichnen, hat gerade jungen Menschen die zunächst
sicher geglaubte Zukunftsperspektive genommen. Sie
gingen auf die Straße, weil sie genau das wollten, was
wir in Europa seit langem haben, nämlich Freiheit,
Sicherheit und Zukunftschancen. In dieser Zeit, denke
ich, ist es gut, sich auch daran zu erinnern, welche beein-
druckende Attraktivität und Anziehungskraft Europa für
uns alle und gerade für die jüngere Generation hat.

Nun stehen sich auf der Krim russische und ukraini-
sche Soldaten gegenüber. Russland hat auf die Freiheits-
bemühungen von Anfang an mit Gegendruck reagiert,
zunächst einmal wirtschaftlich, dann aber auch völker-
rechtswidrig. Erst wurden Kreditzusagen zurückgenom-
men. Dann wurde der Gaspreis eklatant erhöht und da-
mit die wirtschaftliche Daumenschraube zusätzlich
angezogen. Schließlich wurde die Krim de facto durch
nicht gekennzeichnete Soldaten besetzt. Einige andere
Dinge wurden ja schon angesprochen.

All das, was in den letzten Tagen und Wochen vonsei-
ten Russlands geschehen ist, war eindeutig eine Verlet-
zung der territorialen Unversehrtheit eines europäischen
Staates und verstößt eindeutig gegen das Völkerrecht
und gegen bilaterale Verträge.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Aus meiner Sicht ist es ganz besonders bitter, dass da-
mit auch all das, was in der Nachkriegsordnung und in
der zweiten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts mit der
UN-Charta, der OSZE-Charta, den bilateralen Verträgen
und im Europarat an Errungenschaften im europäischen,
aber auch im internationalen Bereich aufgebaut wurde,
durch so ein Verhalten mit Füßen getreten wird. Das
können wir nicht akzeptieren. Das dürfen wir nicht ak-
zeptieren. Das müssen wir auch mit aller Deutlichkeit
ansprechen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Klar ist, dass dauerhafter Frieden nur mit Russland
und nicht gegen Russland möglich ist. Deshalb ist das
Gebot der Stunde, dass wir gemeinsam mit unseren Ver-
bündeten und Freunden Russland zu echten Verhandlun-
gen bewegen. Die Bemühungen der Bundeskanzlerin,
des Außenministers und ihrer Kollegen auf europäischer
Ebene dazu sind bekannt. Das muss gemeinsam mit der
Europäischen Union, den G-7-Staaten, der NATO und
der OSZE geschehen. Vorrangig sind natürlich Verhand-
lungen zwischen der Ukraine und Russland.

Ich begrüße sehr die Bemühungen um die internatio-
nale Kontaktgruppe und um die Beobachtergruppe. Das
Ziel dieser internationalen Kontaktgruppe muss sein,
Vertrauen zu schaffen und Vertrauen wiederherzustellen,
aber vor allem die territoriale Integrität und Souveränität
der Ukraine und nicht zuletzt auch Menschenrechte und
Minderheitenrechte zu sichern.

Wir alle wissen, dass der Weg zur Erreichung dieser
Ziele weit und alles andere als einfach ist. Wir wissen,
dass dabei Besonnenheit und Diplomatie gefragt sind
und ein langer Atem, wie es die Bundeskanzlerin heute
ausgedrückt hat, sicher notwendig ist. Bei allem Ver-
ständnis für die historischen Entwicklungen und Zusam-
menhänge und für die unterschiedlichen Interessen der
einzelnen Länder muss dabei ein klarer Kompass sicht-
bar werden. Dieser Kompass muss meines Erachtens fol-
gendermaßen aussehen: erstens keine Verletzung des
Völkerrechts und bilateraler Verträge, zweitens Wahrung
der territorialen Souveränität und der Integrität der
Ukraine, drittens Sicherung der Freiheitsrechte, der
Menschenrechte und der Minderheitenrechte für die
Leute dort.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Zur Erreichung dieses Ziels kann es notwendig sein,
Druckmittel einzusetzen; denn mit dem Propagieren von
Zielen allein ist es nicht getan. Verhandlungen, Gesprä-
che, das Aufzeigen von Konsequenzen sind das eine
– bei den Verhandlungen muss man auch klare Kante
zeigen –, aber notfalls müssen eben auch entsprechende
Druckmittel eingesetzt werden. Die Stufen, die die Euro-
päische Union vorgegeben hat, sind bekannt.

Es gilt aber auch, den Menschen in der Ukraine zu
helfen. Es reicht nicht, unsere Solidarität zu bekunden,
sondern wir müssen sie auch sichtbar werden lassen
durch solidarische Unterstützung auf europäischer, aber
auch auf internationaler Ebene. Ich begrüße die Initiati-
ven der Europäischen Union und des Internationalen
Währungsfonds sehr, vor allem aber auch die Bereit-
schaft Polens, Frankreichs und Deutschlands, im Ver-
waltungsbereich gemeinsam Hilfe zur Verfügung zu stel-
len, was gestern zum Ausdruck gebracht wurde. Das ist
Solidarität für die Menschen vor Ort, die sich nicht nur
in einer schwierigen politischen, sondern auch in einer





Gerda Hasselfeldt


(A) (C)



(D)(B)

schwierigen wirtschaftlichen Situation befinden. Auch
dem müssen wir Rechnung tragen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Meine Damen und Herren, ich denke, dies ist letztlich
auch die Stunde Europas. Trotz unterschiedlicher Inte-
ressen ist es gelungen, immer wieder mit einer Stimme
zu sprechen. Das ist auch das Verdienst kluger Außen-
politiker, der Bundeskanzlerin und unseres Außenminis-
ters. Europa ist das größte Friedens-, Freiheits- und De-
mokratieprojekt des vergangenen Jahrhunderts und der
jetzigen Zeit. Ich denke, jetzt muss Europa zeigen – das
kann es auch zeigen –, dass dieses Europa nicht nur eine
gut gemeinte Idee ist, dass es weit mehr ist als ein wirt-
schaftlicher Zusammenschluss, dass diese Gemein-
schaft Europa sich nicht darin erschöpft, sich Regelun-
gen für alles Mögliche im Detail auszudenken. Nein, es
muss deutlich werden: Wir sind eine Wertegemeinschaft,
deren Strahlkraft für Demokratie, deren Strahlkraft für
Freiheit über die Grenzen Europas und der Europäischen
Union hinausreicht. Deshalb müssen wir hier mit einer
Stimme sprechen, mit der Stimme der Freiheit, der De-
mokratie, des Selbstbestimmungsrechts der Menschen
und der Staaten. Da tragen wir alle miteinander eine
große Verantwortung.

Ich danke Ihnen, verehrte Frau Bundeskanzlerin und
Herr Bundesaußenminister, herzlich für das, was Sie bis-
her geleistet haben, und ich wünsche Ihnen weiterhin
eine glückliche Hand.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1802000900

Das Wort erhält nun die Kollegin Marieluise Beck für

die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Marieluise Beck (Bremen) (BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN):

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Wenn wir heute über die Ukraine sprechen, sprechen wir
auch über die Zukunft Europas. Der große Traum von
Michail Gorbatschow, das gemeinsame europäische
Haus, war nie so bedroht wie heute. Selbst wenn es so
sein mag, dass wir 10 oder 20 Jahre zurückgeworfen
werden, und wenn das Vertrauen aktuell tief erschüttert
ist: Russland muss um seiner Bürger und Bürgerinnen
willen Teil dieses gemeinsamen europäischen Hauses
bleiben.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Es ist die jetzige russische Führung, die auf Gegenkurs
zu Europa gegangen ist. Wir alle aber wollen die Tür für
Russland offen lassen. Ich glaube, das kann ich für das
ganze Haus feststellen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Die Krise um die Ukraine ist zugleich ein Prüfstein
für die internationale Politik. Die Ukraine ist ein Land
mit ehemals der drittstärksten atomaren Bewaffnung und
war freiwillig bereit, diese einseitig abzugeben. Im Ge-
genzug wurde ihr mit dem Budapester Memorandum die
Integrität der Grenzen zugesichert, und zwar durch die
USA, Großbritannien und Russland. Nun muss die
Ukraine erleben, dass das Papier, auf dem dieser Vertrag
steht, nichts wert ist. Dieser Vertrauensbruch wird uns in
unserem Bemühen, atomar abzurüsten, weit zurückwer-
fen. Denn wer wird sich in Zukunft noch auf vertragliche
Zusicherungen verlassen wollen?


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Niemand will eine militärische Antwort auf die Ag-
gression Russlands. Wer aber der neuen Regierung in
Kiew abverlangt, stillzuhalten und die Annexion eines
Landesteiles zunächst zu erdulden, ohne zu den Waffen
zu greifen, der muss dieser Regierung ernsthafte Zusi-
cherungen machen. Es muss klar sein, dass der Kreml
für dieses Vorgehen einen hohen politischen und wirt-
schaftlichen Preis zahlen muss, auch als Abschreckung
vor einer möglichen weiteren Intervention in der Ost-
ukraine. Die Ukrainer sagen uns: Es geht nicht nur um
die Krim, es geht vielleicht sogar nicht nur um die Ost-
ukraine, sondern es geht um Kiew im Zusammenhang
mit der geplanten Eurasischen Union. Denn eine Eurasi-
sche Union wäre ohne die Ukraine nichts wert.

Der Dreistufenplan ist richtig, um dem zu begegnen.
Ich möchte Ihnen, Herr Gysi, sagen: Ja, es gibt rechte
Kräfte in der Ukraine, aber sie werden umso stärker wer-
den, je aggressiver Putin vorgeht.


(Zuruf des Abg. Dr. Gregor Gysi [DIE LINKE])


Dann werden im Sinne einer Self-fulfilling Prophecy die
Rechten in der Ukraine auf der Straße und in der Regie-
rung sein. Das ist das Szenario, das Realität wird, wenn
das Völkerrecht nicht auch durch unser entschiedenes
Handeln durchgesetzt wird.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Heike Hänsel [DIE LINKE]: Ja, ja! So wie im Kosovo!)


Die Marionettenregierung auf der Krim stellt die Be-
völkerung vor die Wahl: Russland oder Faschismus. –
Herr Präsident.


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1802001000

Der Kollege Beck würde sich gern mit einer Zwi-

schenfrage oder -bemerkung in die Debatte einschalten.


Volker Beck (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1802001100

Frau Kollegin, Sie haben gerade das Problem ange-

sprochen, das uns alle besorgt macht: die Auseinander-
setzung auch mit rechten Kräften in der ukrainischen Re-
gierung. Die Situation der Juden in der Ukraine macht





Volker Beck (Köln)



(A) (C)



(D)(B)

uns alle besorgt. Dazu gibt es eine sehr unterschiedliche
Informationslage. Könnten Sie dem Hohen Hause dazu
vielleicht etwas sagen? Ich weiß, dass Sie diese Sorgen
teilen.

Marieluise Beck (Bremen) (BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN):

Schönen Dank. – Ich bin, nachdem die ersten Alarm-
rufe bei uns im Deutschen Bundestag angekommen sind,
in der Ukraine mehrmals mit unterschiedlichen jüdi-
schen Organisationen zusammengetroffen und habe
mich dort informiert. Ich habe Ihnen die Informationen
zusammengestellt; alle Kollegen des Hauses können
diese von mir erhalten. Vor allen Dingen der Vorsitzende
des Vereins Jüdischer Gemeinden und Organisationen in
der Ukraine, der gleichzeitig stellvertretender Vorsitzen-
der des World Jewish Congress ist, Herr Zissels – er
wird übrigens nächste Woche hier in Berlin sein –, hat
ganz klar dargelegt, dass hier mit einem Stereotyp, dem
vermeintlichen ukrainischen Antisemitismus, gearbeitet
wird, was sehr stark auf russische Propaganda zurück-
zuführen ist, und dass der Antisemitismus zu einem
Kampfinstrument in der Desinformationskampagne, die
diese Auseinandersetzung begleitet, geworden ist.

Diese jüdischen Organisationen haben dargelegt, dass
es – das sollten wir in Deutschland uns wirklich genau
anschauen – im Jahre 2013 in der Ukraine drei antisemi-
tische Übergriffe mit vier verletzten Personen gegeben
hat. Ich wünschte mir, wir hätten in Deutschland solche
geringen Zahlen. Außerdem haben sie sehr deutlich
dargelegt, dass die zwei Überfälle auf zwei Synagogen-
besucher, die es in den vergangenen Wochen gegeben
hat, vermutlich von Provokateuren der Berkut-Kräfte
verübt wurden.


(Heike Hänsel [DIE LINKE]: Ach so!)


Schauen Sie sich im Internet an – man kann darin ja
dankenswerterweise alles finden –, wie die Facebook-
Seiten der Berkut-Kräfte ausgesehen haben! Mit
faschistischen und Nazisymbolen sind dort Julija
Timoschenko, Klitschko, überhaupt der gesamte Mai-
dan versehen worden. Ich glaube, dass wir gerade hier
sehr genau hinschauen sollten, dass wir nicht dem Miss-
brauch des Antisemitismus in diesem Desinformations-
krieg folgen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ich bin damit gleich beim Thema: Die Marionettenre-
gierung auf der Krim stellt mit ihren Plakaten die Bevöl-
kerung vor die Wahl: Russland oder Faschismus? Das
soll die Erinnerung an den Großen Vaterländischen
Krieg hervorrufen. Aber sie steht heute nicht vor der
Wahl: Hitler-Faschismus oder Sowjetunion. Heute geht
es um den Konflikt zwischen Demokratie und Autokra-
tie in Europa. Der Maidan ist eine antiputinistische Be-
wegung. Dort waren auch Armenier und Belarussen,
weil es auch um ihre Freiheit geht.

Wie sieht das Putin-Russland heute aus? Bürgerrechte
werden abgebaut, Homosexuelle werden diskriminiert,
die nationalistische Rechte wird immer stärker, der Ras-
sismus gegenüber Minderheiten im Land nimmt zu, und
im Netz verbreitet sich die Botschaft: Die Krim war nur
der Anfang. – Putin spielt mit dem Geist des großrussi-
schen Nationalismus, und man muss befürchten, dass er
selbst Gefangener dieser Rhetorik wird.

Es erreichen uns von der Krim Hilferufe, etwa aus Syna-
gogen. Tatsache ist aber auch, dass tatarische Häuser mit
Kreuzen gezeichnet werden. 20 Jahre nach dem Zerfall
Jugoslawiens – ich weiß wirklich, wovon ich spreche –
wird wieder die ethnische Karte gespielt, um territoriale
Herrschaftsansprüche militärisch durchzusetzen. Dafür
werden Menschen gegeneinander aufgehetzt. Ich wün-
sche mir, dass die Ukrainer stark genug sind, dagegenzu-
halten. Dabei müssen wir sie unterstützen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Eines möchte ich noch sagen: Es gibt eine junge Ge-
neration in Europa, die sich vernetzt, die sich kulturell
nah ist, die Demokratie, Rechtsstaat und offene Gesell-
schaften möchte. Sie will ein Europa ohne Grenzen. Wir
schulden dieser jungen Generation, dass wir keine Mau-
ern aufbauen. Ich bitte das Haus, ich bitte die Bundesre-
gierung und die Europäische Union: Machen Sie für
diese jungen Menschen die Türen auf! Ein erster mach-
barer Schritt wäre: Lassen Sie endlich dieses kleinliche
Visaregime fallen! Lassen Sie die jungen Leute reisen!
Die Menschen auf dem Maidan sagen: Wir wollen nach
Europa. – Wir müssen ihnen sagen: Ihr seid Europa. Seid
willkommen!

Ich danke Ihnen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1802001200

Das Wort erhält nun der Kollege Andreas

Schockenhoff für die CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. Andreas Schockenhoff (CDU):
Rede ID: ID1802001300

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen!

Wenn am Sonntag auf der Krim das Referendum über
die Loslösung von der Ukraine durchgeführt wird, dann
ist das eine neue Stufe der Eskalation, die Moskau be-
treibt. Das gilt erst recht, wenn dann eine Annexion der
Krim durch Russland erfolgt.

Welches sind die fatalen Botschaften, die von diesem
Verhalten Moskaus gegenüber der Ukraine an die Völ-
kergemeinschaft ausgehen?

Erstens. Der Verzicht auf die Atomwaffen, den die
Ukraine gegen russische Sicherheitsgarantien eingegan-
gen ist, rächt sich jetzt. Das wird einige Staaten in ihrer
Absicht bestärken, sich Atomwaffen anzuschaffen. Das
ist die erste fatale Botschaft Moskaus, nicht nur in Rich-
tung Nordkorea oder Iran; es ist die Ermutigung zu nu-
klearer Proliferation.





Dr. Andreas Schockenhoff


(A) (C)



(B)

Zweitens. Russische Sicherheitsgarantien, die Mos-
kau im Budapester Abkommen der Ukraine gegeben hat,
stehen bloß auf dem Papier und sind in der Wirklichkeit
nichts wert.

Drittens. Wenn die Abspaltung der Krim vom Kreml
betrieben wird und die Krim von Russland annektiert
wird, dann lautet die Botschaft an die Völkergemein-
schaft: Für Moskau hat das Völkerrecht ausgedient; es
wird willkürlich gebeugt und gebrochen.

Ein solches Verhalten Moskaus ist ein gravierendes
Vergehen gegen seine Pflichten als ständiges Mitglied
der Vereinten Nationen, den Weltfrieden und die interna-
tionale Sicherheit zu wahren. Moskau tut genau das Ge-
genteil. Und: Das Verhalten Moskaus steht in eklatantem
Widerspruch zu den Pflichten eines führendes OSZE-
Mitglieds, das Sicherheit und Zusammenarbeit in Eu-
ropa fördern und nicht Europa destabilisieren soll.

Noch ist es möglich, diese Eskalation zu vermeiden:
indem Moskau auf ein Referendum auf der Krim und
ihre Abspaltung von der Ukraine verzichtet, dem eine
klare Absage erteilt, indem es seine illegal auf der Krim
stationierten Truppen zurückzieht, indem es die OSZE-
Beobachter ihre Arbeit auf der Krim machen lässt, in-
dem es direkte Gespräche mit der legitimen ukrainischen
Regierung führt und indem es der Einsetzung einer Kon-
taktgruppe endlich zustimmt. Wenn Moskau dazu nicht
bereit ist, werden Sanktionen, wie sie die Bundeskanzle-
rin vorhin als nächsten Schritt beschrieben hat, unver-
zichtbar. Wir können nicht darüber hinwegsehen, wenn
in Europa Völkerrecht gebrochen wird. Wir hoffen, dass
Sanktionen nicht erforderlich sind. Wir sagen aber auch:
Wenn es erforderlich ist, dann sind wir, dann ist Europa
stark genug, Sanktionen zu ergreifen, auch wenn sie uns
selbst wehtun.

In Richtung der Kritiker von Sanktionen frage ich:
Können wir tatenlos zusehen, wenn Völkerrecht gebro-
chen wird? Sollen wir tatenlos zusehen, wenn ein souve-
ränes Land besetzt wird, nur weil Moskau seine politi-
sche Ausrichtung auf das freiheitliche, rechtsstaatliche
und politisch wie wirtschaftlich wesentlich attraktivere
Europa nicht passt? Was wird der nächste russische
Schritt sein, wenn Moskau die Botschaft erhält, dass
Völkerrechtsbruch ohne Konsequenzen bleibt? Wird es
dann der Osten der Ukraine sein? Was wird es dann
sein? Das können wir nicht hinnehmen. Deswegen war
die Entscheidung der Staats- und Regierungschefs vom
letzten Donnerstag notwendig und richtig.

In dieser Situation, liebe Kolleginnen und Kollegen,
ist die Geschlossenheit innerhalb der Europäischen
Union wichtig und unverzichtbar. Denn wir müssen da-
von ausgehen, dass Russland Gegenmaßnahmen ergreift,
allerdings nicht gegen die gesamte EU, sondern dass es
sich, wie auch in der Vergangenheit üblich, einige EU-
Länder herauspickt – mit dem Ziel, die EU zu spalten –
und gegen diese Länder empfindliche Wirtschaftssank-
tionen verhängt. Dass Moskau uns auseinanderdividiert,
dürfen wir nicht zulassen. Deshalb waren die Besuche
von Bundeskanzlerin Merkel in Warschau und von Au-
ßenminister Steinmeier in den baltischen Staaten so
wichtig. Sie geben das klare Signal: Die EU lässt sich in
dieser Frage nicht auseinanderdividieren.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, die politisch
stärkste Maßnahme wird allerdings sein, dass wir unsere
Kräfte so einsetzen, dass die Ukraine zu einer Erfolgsge-
schichte wird; das heißt, dass wir ihre politische und
wirtschaftliche Modernisierung entschieden fördern und
dies auch den Russen in der Ukraine, auch in der Ost-
ukraine, zugutekommt. Denn nichts setzt die Politiker in
Moskau mehr unter Druck, als wenn die eigene russische
Bevölkerung fragt, warum es den Russen in einer demo-
kratischen und europäischen Ukraine besser geht als den
Russen im eigenen Land.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Deshalb war es richtig, dass die EU das Hilfspaket in
Höhe von 11 Milliarden Euro so schnell zur Verfügung
gestellt hat. Die EU hat damit deutlich gemacht, dass sie
der Ukraine auf diesem schwierigen Weg nicht nur
schöne Worte mitgibt, sondern auch ganz konkret hilft.
Deshalb ist es so wichtig, dass gerade auch der Osten der
Ukraine von diesen Wirtschafts- und Finanzhilfen profi-
tiert. Denn dann lautet die Botschaft an die Menschen
dort: Während Moskau nur mit Truppen droht, leistet
Kiew mithilfe der EU konkrete Hilfe. Herr Gysi, wir un-
terstützen nicht einzelne Politiker, wir unterstützen nicht
einzelne Parteien, wir unterstützen auch nicht einzelne
Regionen, sondern wir geben der gesamten Ukraine eine
wirtschaftliche und politische Perspektive.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Die Menschen auf dem Euromaidan – das ist verschie-
dentlich gesagt worden – haben monatelang für das Asso-
ziierungsabkommen mit der EU demonstriert; sie haben
sich auch von den Scharfschützen des Janukowitsch-Re-
gimes nicht davon abschrecken lassen.


(Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Das wissen Sie doch gar nicht!)


Es erfüllt uns mit tiefem Respekt, wie diese Menschen
für ihre Freiheit, für ihre Zukunft und für die EU-Per-
spektive ihres Landes eingetreten sind; einige haben da-
für sogar ihr Leben gelassen. Deshalb ist es gut, dass
die Staats- und Regierungschefs der EU klargemacht
haben, dass sie den politischen Teil des Assoziie-
rungsabkommens so bald wie möglich unterschreiben
wollen – und auch den Handelsteil –, wenn sicherge-
stellt ist, dass dadurch keine negativen Auswirkungen
auf die ukrainischen Exporte nach Russland entstehen.

Eine wichtige Maßnahme zur Stabilisierung und Mo-
dernisierung der Ukraine sind auch die Finanzhilfen des
IWF. Klar ist allerdings auch: Mit diesen Finanzhilfen
werden tiefgreifende politische und wirtschaftliche
Strukturreformen einhergehen müssen; sonst würden wir
viel Geld in ein Fass ohne Boden werfen, statt der
Ukraine durch die notwendige Modernisierung eine Zu-
kunftsperspektive zu eröffnen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir dürfen uns
keine Illusionen machen: Diese Reformen werden für
die ukrainische Bevölkerung erhebliche Belastungen mit
sich bringen, beispielsweise eine deutliche Anhebung

(D)






Dr. Andreas Schockenhoff


(A) (C)



(D)(B)

der Energiepreise. Es ist klar, dass Moskau diese schwie-
rige Situation mit dem Schüren neuer Unzufriedenheit
und mit neuen Demonstrationen ausnützen und jeden
Versuch zur Destabilisierung unternehmen wird, um den
Eindruck zu erwecken, eine Einverleibung in den Mos-
kauer Machtbereich stelle für die Menschen in der
Ukraine eine bessere Alternative dar als die EU-Perspek-
tive.

Deshalb ist es so wichtig, dass mit dem Assoziie-
rungsabkommen die Botschaft einhergeht: Die Ukraine
hat eine klare EU-Perspektive. Ja, die Ukraine soll, wenn
sie es will, eng an die Europäische Union angebunden
werden. – Diese Botschaft muss auch konkret untermau-
ert werden, beispielsweise durch eine schnelle Realisie-
rung der Visafreiheit und durch Städtepartnerschaften;
die Bundeskanzlerin hat ja eine ganze Reihe konkreter
Maßnahmen genannt.

Wir wollen ein starkes Russland, wir wollen ein mo-
dernes Russland, wir wollen ein friedliches und demo-
kratisches Russland als unseren Nachbarn haben. Wir
wollen ein Russland als Partner haben, das die Lösung
der globalen Herausforderungen mitgestaltet, statt auf
destruktive Nullsummenpolitik des 19. und 20. Jahrhun-
derts zu setzen, welche letztlich Russland selbst am
meisten schadet. Russland muss erkennen, dass es heute
politisch, gesellschaftlich und wirtschaftlich kein inter-
national attraktives Modell für andere Länder darstellt,
ganz im Gegenteil.

Russland muss erkennen – dies gilt auch mit Blick auf
Syrien, auf die Transformationsländer der arabischen
Welt und andere Problemzonen –: Dieses Russland hat
keine Soft Power. Dieses Russland kann zur Lösung in-
ternationaler Krisen nicht beitragen. Die Menschen auf
dem Maidan haben eben auch zum Ausdruck gebracht:
Nach diesem Modell, wie es von Moskau zurzeit propa-
giert wird, wollen sie nicht leben. Sie wollen europäi-
sche Werte, sie wollen Freiheit, sie wollen Souveränität,
sie wollen Selbstbestimmung. Mit militärischen Drohun-
gen und Völkerrechtsbruch wird sich Moskau weiter iso-
lieren und sich damit selbst schwächen. Die Politik, die
Moskau betreibt, schadet seinen eigenen Interessen und
seiner Zukunft. Das ist nicht in unserem Interesse.

Wir hoffen, dass Moskau wieder zur Vernunft kommt.
Wir wollen, dass Moskau politisch und ökonomisch ein
starker Partner ist. Auch ökonomisch kann dieses Russ-
land langfristig kein Partner sein. Es schadet damit sei-
nen eigenen Entwicklungschancen. Deswegen hoffen
wir sehr, dass man in Moskau wieder zur Vernunft
kommt,


(Zuruf der Abg. Heike Hänsel [DIE LINKE])


eine Partnerschaft wieder möglich wird. Das würde
Russland nutzen, das würde uns nutzen, das würde der
Ukraine nutzen, das würde Chancen für eine friedliche
Gestaltung der Welt des 21. Jahrhunderts bieten.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1802001400

Gernot Erler ist der nächste Redner für die SPD-Frak-

tion.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. h.c. Gernot Erler (SPD):
Rede ID: ID1802001500

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir

alle haben das Gefühl: Die Vorgänge, die gegenwärtig zwi-
schen der Ukraine und der Russischen Föderation ablaufen,
können zur Entstehung neuer Bruchlinien führen – Bruch-
linien, die uns allen schaden werden, Bruchlinien, die sehr
kostspielig werden können, und zwar für alle Beteiligten,
Bruchlinien, die – das haben wir nicht mehr für möglich ge-
halten – mitten durch unseren Kontinent laufen. Wir sind in
einem Prozess, der mit wachsender Wahrscheinlichkeit
zu einem fatalen Tabubruch führen wird, nämlich zu ei-
ner mutwilligen und rechtswidrigen Veränderung von
Grenzen.

Wir befinden uns in diesem Jahr in einem Gedenk-
jahr, in dem an zwei Weltkriege gedacht wird; die Bun-
deskanzlerin hat daran erinnert. In der Vergangenheit
sind Millionen Menschen dafür gestorben, dass Grenzen
verändert werden sollten, oder beim Kampf dafür, solche
Grenzveränderungen zu verhindern. In Deutschland er-
innern wir uns außerdem daran, wie wichtig es friedens-
politisch war, dass unser Land die im Zweiten Weltkrieg
neu gezogenen Grenzen anerkannt hat. Ohne diese Aner-
kennung, ohne die glaubhafte Selbstverpflichtung, diese
Grenzen nie wieder verändern zu wollen, hätte es die
Ost- und Entspannungspolitik von Egon Bahr und Willy
Brandt, die all ihre Nachfolger fortgesetzt haben, nicht
geben können.

Die schrittweise Grenzveränderung auf der Halbinsel
Krim – erst Unabhängigkeitserklärung, dann Referen-
dum, dann Eingliederung in die Russische Föderation,
und das alles wahrscheinlich innerhalb von nicht viel
mehr als einer Woche – stellt einen gefährlichen Tabu-
bruch dar.


(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Wenn russische Kolleginnen und Kollegen über die
Ukraine sprechen, habe ich immer wieder das Attribut
„Brudervolk“ als Ausdruck für eine besondere sprachli-
che, kulturelle, geschichtliche und auch emotionale
Nähe gehört.


(Manuel Sarrazin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Oder Bevormundung!)


Aber wohin soll es führen, wenn man so mit einem
Brudervolk umgeht? In der internationalen Politik gibt
es Werte, Regeln und Prinzipien, zu denen sich alle be-
kennen und für deren Kontrolle und Einhaltung wir
Organisationen geschaffen haben, etwa die Vereinten
Nationen, den Europarat oder die OSZE. Niemand be-
hauptet, dass diese Regelwerke und Prinzipien immer,
auch dem Geiste nach, eingehalten werden; aber sie sind





Dr. h. c. Gernot Erler


(A) (C)



(D)(B)

wichtig, ja unverzichtbar für das Zusammenleben auf
unserem Planeten und auf unserem Kontinent.

Das weiß auch Russland. Es ist noch nicht lange her,
dass Moskau in zwei verlustreichen Kriegen die Separa-
tion Tschetscheniens im Nordkaukasus gestoppt hat.
Wollen jetzt unsere Duma-Kolleginnen und -Kollegen
tatsächlich einen Berufungstatbestand für künftige sepa-
ratistische Bestrebungen schaffen? Ist das wirklich eine
vernünftige, nachvollziehbare Vertretung russischer In-
teressen?

Noch eines: Im Budapester Memorandum von 1994
und im bilateralen Vertrag über Freundschaft, Koopera-
tion und Partnerschaft von 1997 hat Russland die Unab-
hängigkeit und die territoriale Integrität der Ukraine ver-
traglich garantiert. Wenn in den nächsten Tagen das
eintritt, was wir befürchten, dann haben wir es auch mit
einem eklatanten Vertragsbruch zu tun, und zwar durch
eine sehr starke Macht gegenüber einem Nachbarland,
das sich in der Realität nicht dagegen wehren kann.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie der Abg. Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Ich frage unsere Abgeordnetenkollegen in Moskau:
Kann es wirklich im Interesse Russlands sein, ein solch
schlechtes Beispiel für die internationale Politik zu geben?
Wie will derjenige, der selbst vertragsbrüchig wird, noch
auf Einhaltung von Verträgen pochen, wenn sie im eigenen
Interesse – und da fallen mir einige für Russland ein – sind?


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Über all dies muss geredet werden, und zwar zwi-
schen den Betroffenen: zwischen Vertretern Russlands
und der Ukraine. Die russische Kontaktsperre gegenüber
den Repräsentanten der ukrainischen Übergangsregie-
rung ist der Brisanz der Lage nicht angemessen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Erwachsene Nationen finden einen Weg zum wechsel-
seitigen Dialog, auch wenn Legitimationen infrage ge-
stellt werden. Auch dafür findet man übrigens in der
jüngsten deutschen Geschichte Beispiele, die in Moskau
wohlbekannt sind.

Die Bundesregierung hat gekämpft: sowohl die Bun-
deskanzlerin als auch Außenminister Frank-Walter
Steinmeier. Ich glaube, der wichtigste Erfolg war das
Abkommen vom 21./22. Februar, weil es die Gewalt in
Kiew, die zu vielen Opfern führte, beendet hat.

Die Bundesregierung hat für eine Kontaktgruppe zur
Überwindung der eskalationsfördernden Sprachlosig-
keit gekämpft. Die russische Führung hat nicht einfach
Nein gesagt, aber den inzwischen von vielen anderen
Ländern unterstützten Vorschlag dilatorisch behandelt.
Das hat die Lage verschlechtert, auch deshalb, weil die
Realitätswahrnehmungen zwischen Russland und der
westlichen Welt immer weiter auseinanderdriften. Dafür
hat es auch Beispiele in dieser Diskussion gegeben: Der
Maidan ist für die einen ein faschistisch gesteuerter Um-
sturz mit großen Gefahren für alle russischsprachigen
Ukrainer. Für die anderen ist der Maidan ein von muti-
gen Menschen von unten erzwungener Regime Change,
der sich gegen keine andere Gruppe der Bevölkerung
wendet. Das sind letztlich zwei unvereinbare Wahrheits-
ansprüche, die möglicherweise beide korrigiert werden
müssen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Wir wissen aber aus der Konfliktforschung, dass eine
solche Drift von Realitätswahrnehmung tendenziell zu
einer gefährlichen Dialogunfähigkeit führt, weil sich je-
der in seiner Sicht der Dinge einigelt und damit sein
politisches Vorgehen legitimiert. Deswegen noch ein-
mal: Das muss geklärt werden, darüber muss gesprochen
werden, und zwar besser heute als morgen.

Ich finde, die Politik der Bundesregierung verdient
Unterstützung vom ganzen Haus. Die EU hat einen Stu-
fenplan von Sanktionen beschlossen. Niemand sollte
sich Illusionen über die Handlungsfähigkeit der EU ma-
chen. Zug um Zug wird dieser Stufenplan vollzogen,
wenn es keine Änderung der russischen Politik gibt.

Wir brauchen und erwarten aber, dass zwischen je-
dem dieser Schritte eine Tür mit der Aufschrift „Exit“
offen steht, mit der Einladung zur gemeinsamen Suche
nach einer politischen Lösung. Es ist nie zu spät, durch
diese Tür zu gehen. Das ist mein letzter Appell an die
russische Führung und an unsere Kolleginnen und Kolle-
gen aus dem russischen Parlament.

Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie der Abg. Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1802001600

Das Wort hat nun der Kollege Karl-Georg Wellmann

für die CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Karl-Georg Wellmann (CDU):
Rede ID: ID1802001700

Herr Präsident! Meine Damen und Herren Kollegen!

Es droht, in Europa politisch eiskalt zu werden. Wenn
wir nicht sehr aufpassen, dann bekommen wir eine neue
Eiszeit zwischen der EU und Russland. Ich fürchte, es
wird sehr viele Jahre dauern, um wieder zu einem gere-
gelten Miteinander zu kommen. Ich persönlich gehe in-
zwischen sicher davon aus, dass Russland die Krim an-
nektieren wird. Das widerspricht allem Völkerrecht. Die
Bundeskanzlerin hat das Notwendige dazu gesagt. Russ-
land wird es aber trotzdem tun und sich durch nichts da-
von abbringen lassen.

Bisher gibt es keinerlei Zeichen Moskaus für eine
politische Kooperation. Damit stoßen sie vor allem jene
vor den Kopf, die sich für ein besseres Verhältnis mit
Russland eingesetzt haben. Ich darf daran erinnern, dass
das die große Mehrheit dieses Hauses ist. In der aktuel-
len Koalitionsvereinbarung steht ein ganzer Passus, der
sich mit der Verbesserung des Verhältnisses mit Russ-
land beschäftigt.





Karl-Georg Wellmann


(A) (C)



(D)(B)

Die russische Westpolitik und vor allem die russische
Ukraine-Politik sind krachend gescheitert. Man muss
sich einmal bei Licht ansehen, was Putin mit seiner Ge-
waltanwendung auf der Krim bewirkt: Erstens. Er hat
eine nie gesehene europäische Dynamik in der Ukraine
ausgelöst, vor allem bei der jungen Generation. Putin hat
damit das Gesicht der Ukraine nach Westen gedreht.
Zweitens. Putin hat mit seiner Politik Entschlossenheit
und Dynamik bei der EU hervorgerufen und dafür ge-
sorgt, dass sich die europäische Staatengemeinschaft
herausgefordert fühlt und dass sie ungeahnte, nicht ge-
plante Anstrengungen unternehmen wird, um den Ukrai-
nern zu helfen. Schon nächste Woche soll das Assoziie-
rungsabkommen abgeschlossen werden.

Putin hat auch dafür gesorgt, dass alte Vorurteile über
die Russen wieder Konjunktur haben, Vorurteile, nach
denen die Russen nur eine Sprache verstehen: die Spra-
che der Macht. Putin hat ironischerweise für eine Revita-
lisierung der NATO gesorgt. Wer von uns hat geahnt,
dass es wieder Bedrohungsgefühle gegenüber dem Osten
geben könnte, so große Bedrohungsgefühle, dass wieder
NATO-Flugzeuge an die Ostgrenzen verlegt werden?
Sogar die harmlosen Schweden fangen jetzt an, darüber
zu diskutieren, ob sie nicht größere Verteidigungsan-
strengungen unternehmen und ihr Verhältnis zur NATO
positiv gestalten müssen. Putin sorgt dafür, dass Europa
mit einer Stimme redet.

Es war und bleibt richtig, dass Frau Merkel und Herr
Steinmeier alles versucht haben, um zunächst diplomati-
sche Möglichkeiten auszuschöpfen. Das ganze Haus
sollte Steinmeier und Sikorski dafür danken, dass sie im
Februar mit großem physischen und intellektuellen Ein-
satz das Morden auf dem Maidan beendet haben. Allein
dafür hat sich die Mission gelohnt.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Mir macht die geradezu gespenstische Propaganda
Sorgen, die im Moment die Seelen der russischen Men-
schen vergiftet. Wer russisches Fernsehen sieht, muss
wirklich den Eindruck gewinnen, in Kiew hätten die Fa-
schisten die Macht übernommen.


(Zuruf von der LINKEN: Ach so!)


– Jetzt gibt es den Zuruf „Ach so!“. Ich meine, Gysi hat
ja vorhin die russische Propaganda von diesem Platz aus
wiederholt.


(Widerspruch bei der LINKEN)


Danach müsste man dem russischen Militär geradezu
dankbar sein, dass es die Menschen vor marodierenden
Neonazihorden schützt. – Es wurde im russischen Fern-
sehen auch darüber geredet, man dürfe in der Ukraine
jetzt nicht mehr die russische Sprache benutzen, das sei
verboten, und Menschen, die das täten, liefen Gefahr, an
der nächsten Laterne aufgehängt zu werden. – Unsäg-
lich!

Damit eines klar ist – ich sage es gerne noch einmal,
auch wenn das in diesem Haus Konsens ist –: Wir sind
strikt gegen irgendwelche rechtsradikalen oder gar anti-
semitischen Kräfte in der Ukraine. Keiner will sie unter-
stützen, und das bleibt auch so.

(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zurufe von der LINKEN)


Es gibt noch viel schlimmere Sachen. Ein führender
russischer Politiker sagte, es gebe Hunderttausende von
Wahhabiten auf der Krim.


(Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Er meint die Tataren!)


Ich habe erst gar nicht verstanden, was er damit meinte.
Er meint damit die muslimischen Krimtataren. Diese
Volksverhetzung, die für die Erreichung militärischer
Ziele genutzt wird, ist unglaublich.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Wie müssen wir reagieren? Es ist richtig, was die
Staatschefs in Brüssel kürzlich beschlossen haben. Wir
können keine gute Miene zum bösen Spiel machen. Wir
müssen über staatliche Sanktionen reden; das muss sein.
Aber das kommt von alleine. Es haben schon jetzt deut-
sche Firmen Investitionen in dreistelliger Millionenhöhe
in Russland storniert, weil sie sagen: In diesem Umfeld
können wir nicht investieren. – Banken berichten mir
von einem rasanten Abzug von Kapital aus Russland.

Ein hochrangiger russischer Gesprächspartner hat mir
am Montag gesagt, Russland bereite gerade die Explora-
tion neuer Gasfelder im Nordmeer vor, schon im nächs-
ten Jahr könne die Firma Exxon beginnen, dort Gas zu
fördern. – In Washington wird man das gerne hören. Es
wird nur eines einzigen Anrufs aus dem Weißen Haus
bedürfen, und Exxon wird auf diese Investitionen ver-
zichten. Die Russen werden dann diese Erdgasvorkom-
men, die für sie so wichtig sind, nicht erschließen kön-
nen.

Mit anderen Worten: Die ökonomischen Kosten die-
ses militärischen Abenteuers werden für die Russen viel
größer sein als der Nutzen, den sie durch die Besetzung
der Krim erzielen könnten. Wenn sich das – ich sage das
ganz deutlich – zu einem Kalten Krieg auswächst, dann
werden die Westeuropäer alles tun, um sich zukünftig
noch unabhängiger von Russland zu machen.


(Zuruf der Abg. Marieluise Beck [Bremen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Dabei muss man die Tatsache bedenken, Frau Beck, dass
die russische Wirtschaft in einem katastrophal schlech-
ten Zustand ist. Putin müsste eigentlich das Gegenteil
von dem tun, was er tut. Er schadet sich und den Men-
schen in seinem Land in hohem Maße.

Ich sage noch etwas anderes. Es gibt eine Millionen
Köpfe zählende russische Mittel- und Oberschicht.
Diese Menschen genießen den westlichen Way of Life,
das Dolce Vita, den Luxus des Westens: an der Côte
d’Azur, in Kitzbühel. Sie mögen unsere Banken, vor al-
lem die in Zypern.


(Heike Hänsel [DIE LINKE]: Und die Banken mögen die Russen!)






Karl-Georg Wellmann


(A) (C)



(D)(B)

Die Familien dieser Menschen fühlen sich in London
wohl, und sie meinen, dass ihre Kinder in englischen
oder schottischen Internaten am besten aufgehoben
seien. Damit ich nicht missverstanden werde: Diese Ent-
wicklung ist gut. Das ist Europa. Aber in Russland muss
man wissen, was auf dem Spiel steht, wenn man interna-
tionale Vereinbarungen auf diese Weise bricht und damit
Europa seine Verachtung zeigt.

Ich finde das alles tragisch, weil der Westen seit Ende
letzten Jahres zu einem echten politischen Dialog mit
Russland bereit war. Russland hätte in einem Dialog sehr
viel erreichen können, wenn man sich zusammengesetzt
und einen stabilen politischen Prozess in Europa initiiert
hätte. Ich rede von gemeinsamen Wirtschafts- und Inno-
vationsprojekten, von Handel und Wandel, von dem alle
profitiert hätten, und ich rede von Sicherheitsfragen.

Es ist inzwischen fast unstreitig, dass man auch über
eine mögliche NATO-Mitgliedschaft der Ukraine hätte
sprechen können. Auch in der Ukraine ist das inzwi-
schen offenbar herrschende Meinung. Man hätte auch
gemeinsam über eine Verfassungsreform reden können:
über eine Föderalisierung nach deutschem Modell. Wo
welche Sprache in welchen Ämtern oder Schulen ge-
sprochen wird, kann in den Regionen entschieden wer-
den.

Wir sollten der jetzigen Regierung auch mit auf den
Weg geben, schnell einen öffentlichen Verfassungsdia-
log zu beginnen und den Menschen in allen Landesteilen
den Eindruck zu geben, dass sie gut aufgehoben sind.

Ich sage Ihnen noch etwas anderes voraus: Wir wer-
den nächste Woche, wenn es zu dem Annexionsbe-
schluss gekommen ist, intensive außenpolitische Aktivi-
täten der russischen Regierung und Angebote an den
Westen erleben, und wir müssen überlegen, wie wir da-
mit umgehen. Wir müssen darüber reden, wie wir reagie-
ren, wenn sich die Bevölkerung auf der Krim möglicher-
weise mit großer Mehrheit für einen Anschluss
aussprechen wird.

Wir müssen einen kühlen Kopf behalten. Es gibt
viele, die jetzt versuchen, mit strammer Haltung scharfe
Maßnahmen gegen Russland zu fordern. Das sagt sich
von Washington aus möglicherweise leichter als an-
derswo. Wir müssen auch daran erinnern, dass wir ir-
gendwann wieder Politik machen müssen und nicht alle
Türen zuschlagen können.


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1802001800

Herr Kollege Wellmann, darf Ihnen der Kollege

Dehm eine Zwischenfrage stellen?


Karl-Georg Wellmann (CDU):
Rede ID: ID1802001900

Sehr gerne.


Dr. Jörg-Diether Dehm-Desoi (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1802002000

Kollege Wellmann, ich freue mich über die nachdenk-

lichen Töne, die ich von Ihnen im Unterschied zu ande-
ren Beiträgen gehört habe. Sie können sicher sein: Es
geht nicht nur in der Bevölkerung jede Sympathie für
ethnische und rassistische Vorbehalte zurück, sondern
auch in diesem Hause ist mir kein Kollege bekannt, der
in der von Ihnen angesprochenen Frage nicht meint, dass
es gegen Muslime keine solche Stimmung geben darf.

Dennoch möchte ich Sie etwas fragen. Sie haben die
Rede des Kollegen Gysi vorhin verfolgt und das Zitat
des Swoboda-Vorsitzenden gehört, und Sie wissen, dass
die Regierung in der Ukraine 11 Milliarden Euro Unter-
stützung von der EU bekommen soll. Ist es das Gleiche,
mit solchen Geldern eine Regierung, in der in Größenord-
nung Faschisten vertreten sind – auch viele Provinzgouver-
neure gehören der faschistischen Partei an –, zu unterstüt-
zen, wie eine Regierung zu unterstützen, in der keine
Faschisten sind? Können Sie sich vorstellen, dass über
verbale Bekundungen hinaus auch erheblicher Druck
eingesetzt werden muss, damit in ganz Europa der Fa-
schismus, der sich noch nie freiwillig aus einer Regie-
rung verabschiedet hat, zurückgedrängt wird?


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)



Karl-Georg Wellmann (CDU):
Rede ID: ID1802002100

Ich sage es noch einmal: Zwei Dinge sind für uns

wichtig. Erstens. Wir werden nie faschistische oder gar
antisemitische Politiker, Parteien oder Gruppen in ir-
gendeiner Weise dulden. Wir werden sie bekämpfen.
Zweitens. Ich habe keinen Zweifel daran, dass die Bewe-
gung auf dem Maidan eine Volksbewegung war. Sie
wollten – Herr Erler hat es schon gesagt – einen Regime
Change.

Herr Gysi, Sie haben vorhin gesagt, eigentlich sei die
Absetzung von Janukowitsch verfassungswidrig. Sie
wollen doch diesem Hause und der Öffentlichkeit nicht
im Ernst vorschlagen, diesen Herrn wieder als Präsiden-
ten zu reinstallieren.


(Widerspruch bei der LINKEN – Katja Kipping [DIE LINKE]: Das ist doch Quatsch!)


Das wäre die Konsequenz dessen, was Sie gesagt haben.

Ich will Ihrer Frage gar nicht ausweichen, Herr
Dehm. Es gibt leider nicht nur in der Ukraine rechtsradi-
kale Tendenzen. Wir machen uns große Sorgen, was in
Frankreich bei den nächsten Wahlen passieren könnte.
Es gibt sie nach wie vor auch in Italien und Griechen-
land.


(Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: In der Regierung!)


Wir werden sie bekämpfen. Aber wir können doch nicht
deshalb von einer Unterstützung dieser Regierung, die
offenbar die breite Zustimmung der Bevölkerung hat,
absehen, nur weil es einige unästhetische Figuren gibt,
die mit einbezogen werden mussten, um die Maidan-Be-
wegung zu integrieren. Davon können wir nicht absehen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Zum Schluss. Wenn wir über die Vorschläge, die in
der nächsten Woche von der russischen Regierung kom-
men werden, sprechen, dann muss eines klar sein: Das
Ergebnis kann nur sein, dass die Russen letztendlich den
europäischen Weg der Ukraine, ihre Integration bzw. As-
soziierung, anerkennen müssen. Ohne das wird es nicht





Karl-Georg Wellmann


(A) (C)



(D)(B)

gehen. Die russische Regierung hat nun die Wahl zwi-
schen einem neuen Kalten Krieg und einem geregelten,
zivilisierten Nebeneinander im Europa des 21. Jahrhun-
derts.

Danke für die Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1802002200

Das Wort erhält nun der Kollege Franz Thönnes für

die SPD-Fraktion.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Franz Thönnes (SPD):
Rede ID: ID1802002300

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Manchmal muss man Handelnde an ihre Worte erinnern,
die sie vor kurzer Zeit ausgesprochen haben. Präsident
Putin hat am 12. Dezember 2013 in seiner Jahresbot-
schaft an die Föderale Versammlung der Russischen Fö-
deration unter anderem gesagt:

Wir mischen uns nicht in fremde Interessen ein. Wir
zwingen uns niemandem auf. Wir sagen nieman-
dem, was er tun oder was er lassen soll. Aber wir
werden bestrebt sein, eine Führungsrolle innezuha-
ben, indem wir das Völkerrecht schützen und uns
für die Achtung der nationalen Souveränität,
Selbstständigkeit und Eigenart der Völker einset-
zen. Für einen Staat wie Russland ist es absolut ob-
jektiv und nachvollziehbar – bedenkt man seine
große Geschichte und Kultur sowie seine jahrhun-
dertelange Erfahrung –, nicht in sogenannter Tole-
ranz, geschlechtslos und unfruchtbar, sondern in
dem organischen Miteinander unterschiedlicher
Völker in einem ungeteilten Staat zu leben. Wie die
Situation um Syrien und nunmehr um den Iran
zeigt, kann und muss jedes internationale Problem
ausschließlich mit politischen Mitteln gelöst wer-
den, ohne den Einsatz von Gewalt, die perspektiv-
los ist und in den meisten Ländern der Welt auf Ab-
lehnung stößt.


(Beifall bei der SPD)


Lassen Sie es mich bitte noch einmal unterstrei-
chen: Russland ist bereit, mit allen Partnern im In-
teresse einer gemeinsamen, gleichen und unteilba-
ren Sicherheit zusammenzuarbeiten. Wir zwingen
niemandem etwas auf.

Ich denke, daran muss der Präsident heute erinnert wer-
den, wenn ich sehe, dass auf der Krim Soldaten in Uniform
ohne Nationalitätsabzeichen eingesetzt werden. Wir wis-
sen, nachdem die OSZE ihren Bericht vorgelegt hat, dass
es sich dabei – das haben wir schon vermutet – um russi-
sche Soldaten handelt. Damit werden die Worte des russi-
schen Präsidenten von Dezember 2013 unglaubwürdig.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der Abg. Marieluise Beck [Bremen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Es ist auch zu kritisieren, dass die Entwaffnung der il-
legalen Waffenträger in der Ukraine und insbesondere in
Kiew gemäß dem Abkommen vom 21. Februar nicht
umgesetzt worden ist. Wenn diese sogenannten maskier-
ten Selbstverteidigungskräfte in Uniform ukrainische
Kasernen umstellen, ukrainische Soldaten und Polizei-
kräfte bedrohen und von diesen erwarten, ihre Waffen
abzugeben, dann wird der letzte Rest des in der Ukraine
existierenden staatlichen Gewaltmonopols zunichtege-
macht. Auch das führt die Worte von Präsident Putin ad
absurdum.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der Abg. Marieluise Beck [Bremen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Vor diesem Hintergrund lautet die zentrale Botschaft:
Herr Putin, tun Sie das, was Sie im Dezember gesagt ha-
ben! Ermöglichen Sie dem ukrainischen Volk ein organi-
sches Miteinander unterschiedlicher Völker in einem un-
geteilten Land!


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie der Abg. Marieluise Beck [Bremen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Die Umsetzung dessen, was im Dezember gesagt wurde,
muss nun eingefordert werden. Herr Putin, wenn Sie an-
geblich bereit sind, mit allen Partnern zu reden, dann for-
dere ich Sie auf: Stimmen Sie einer OSZE-Vermittlung
zu! Stimmen Sie der Einrichtung einer Kontaktgruppe
zu! Setzen Sie sich an einen Tisch, und sprechen Sie mit-
einander! Seien Sie bereit, sich auf Vermittlungslösun-
gen einzulassen! Hören Sie auf, mit Gewalt zu drohen
oder Gewalt gar anzuwenden!


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


In der gleichen Rede vom Dezember wird gesagt,
man müsse Russland wirtschaftlich neu aufstellen und es
modernisieren. Nun wird all das infrage gestellt, was
eingeleitet werden soll; denn der Investitionsstandort
Russland wird aufgrund der nun vorgesehenen Maßnah-
men unattraktiv. Kapital wird zurückgehalten oder fließt
ins Ausland. Der russische Präsident handelt hier gegen
die Interessen seines eigenen Landes und widerspricht
damit seinen eigenen Worten von Dezember 2013.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Deswegen gilt es, im Kern daran zu arbeiten und da-
für zu sorgen – das war die Philosophie von Willy
Brandt und Egon Bahr –, dass die Stärke des Rechts gilt
und nicht das Recht des Stärkeren, dass das, was an Völ-
kerrecht verabredet worden ist, auch eingehalten und
das, was am 21. Februar aufgeschrieben worden ist,
ebenfalls eingehalten wird. Das heißt für die Ukraine,
möglichst bald durch Neuwahlen zu einer inklusiven
Regierung zu kommen, die den wirklichen Willen des
Volkes widerspiegelt. Dann löst sich vielleicht das
Problem mit den Nationalisten und Faschisten ganz von
alleine.


(Widerspruch bei der LINKEN – Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Von alleine löst sich das nie!)






Franz Thönnes


(A) (C)



(D)(B)

Es ist auch notwendig, dass die Rechte neutraler
Minderheiten geachtet werden. Minderheiten müssen
das Recht erhalten, ihre Sprache zu sprechen. Militanter
Antisemitismus und Rechtsextremismus dürfen in einer
Ukraine, die ihren Blick nach Europa richtet, keinen
Platz haben.


(Beifall bei der SPD – Zuruf der Abg. Christine Buchholz [DIE LINKE])


Die tragischen Ereignisse vom Februar dieses Jahres mit
rund 100 Toten und mit Hunderten von Verletzten sind
aufzuarbeiten, und die Verantwortlichen sind zur Re-
chenschaft zu ziehen.

Für Russland gilt, dass wir erwarten, dass die Integri-
tät der Ukraine respektiert und das Völkerrecht und die
bestehenden Abkommen geachtet werden. Die zusätzli-
chen Truppen auf der Krim sind abzuziehen. Es geht der
Appell an die russische Regierung, im direkten Gespräch
mit der aus dem Parlament heraus legitimierten Regie-
rung in Kiew zusammenzukommen und zu verhandeln.
Präsident und Regierung in Moskau sind nun aufgeru-
fen, der Bildung einer Kontaktgruppe, einer Fact-
Finding-Commission und einer OSZE-Beobachter-
gruppe zuzustimmen. Auch angesichts der angespannten
Lage, die wir zurzeit haben, gilt der Rat von Willy
Brandt: „Der Frieden ist nicht alles, aber alles ist ohne
den Frieden nichts.“


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1802002400

Nächster Redner ist der Kollege Dr. Christoph

Bergner, CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Christoph Bergner (CDU):
Rede ID: ID1802002500

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Frau

Bundeskanzlerin hat uns in ihrer Regierungserklärung
aufgefordert, die Herausforderung dieser schwierigen,
krisenhaften Situation entschlossen anzunehmen.

Aus meiner Sicht müssen wir die Entschlossenheit
auf drei Feldern zeigen. Zum einen besteht die Notwen-
digkeit, zu einer entschlossenen Reaktion gegenüber der
russischen Regierung bereit zu sein, um ihrer völker-
rechtswidrigen Einverleibung der Krim in die Russische
Föderation entgegenzutreten. Die gleiche Entschlossen-
heit wünsche ich mir zum anderen aber auch bei der
selbstkritischen Analyse der bisherigen EU-Politik der
Östlichen Partnerschaft und schließlich, drittens, bei der
Frage – das ist sicher besonders wichtig –: Was können
wir tun, um der Ukraine, das heißt dem Land und den
Menschen, dabei zu helfen, zu Stabilität, Demokratie
und Rechtsstaatlichkeit zu finden?

Wenn wir uns dieser letzten Frage zuwenden, so soll-
ten wir die kritische Lage der Ukraine nicht unterschät-
zen. Medizinisch gesprochen befindet sich das Land
momentan in der Gefahr, ins Koma zu fallen. Gleichzei-
tig soll eine so ernste Diagnose nicht ausgesprochen
werden, ohne auf die Potenziale des Landes hinzuwei-
sen: Die Ukraine ist reich an Kulturen, Sprachen und
Landschaften, sie besitzt fruchtbare Böden. Bergbau,
Schwerindustrie und Maschinenbau haben in der
Ukraine eine lange Tradition, und – das ist wohl das
Wichtigste – das Land hat begabte und weltoffene Men-
schen, die das Glück haben, aus verschiedenen Kulturen
gleichzeitig zu schöpfen.

Damit will ich zum Ausdruck bringen, dass dieses
Land eine gute Voraussetzung für eine erfolgreiche
Entwicklung hat. Aber zu dieser Feststellung gehört wie-
derum die Analyse, weshalb das Wirtschaftswachstum
dieses Landes im Unterschied zu den meisten anderen
Staaten der ehemaligen Sowjetunion unter seiner Pro-
duktivität zu Sowjetzeiten liegt. Die Ursachen dafür sind
vielfältiger Natur.

Die größten Probleme in der Ukraine haben die Men-
schen zum Protest auf den Maidan gebracht. Es waren
Korruption, Selbstbedienungsmentalität der Politiker,
Schattenwirtschaft, Oligarchie, und das – meine Damen
und Herren, das sollten wir aussprechen – nicht nur in
den Zeiten Janukowitschs.

Leider hat auch die Orangene Revolution, die gerade
in Europa groß gefeiert wurde, nicht die vom Volk er-
wünschten Erfolge und Fortschritte gebracht. Das be-
gründet Skepsis gegenüber manchen der Protagonisten
von damals. Aber diese berechtigte Skepsis darf uns
nicht davon abhalten, in der Regierung Jazenjuk gegen-
wärtig den legitimen Vertreter des Landes zu sehen. Nie-
mand sonst verfügt momentan über eine vergleichbare
Legitimität.

Meine Damen und Herren, als jemand, der sich über
acht Jahre mit europäischer Minderheitenpolitik be-
schäftigt hat, möchte ich nun eine Sorge noch einmal
besonders aussprechen und vertiefen – das ist eine
Sorge, die die Zukunft der Ukraine, aber auch andere
Regionen in der ehemaligen Sowjetunion betrifft –: Wir
müssen uns in der Debatte über die Krise in der Ukraine
kategorisch gegen jeden Versuch der Ethnisierung des
Konfliktes wenden. Es ist eine große Gefahr, dass dieser
Konflikt in einen Konflikt zwischen Nationen und
Ethnokulturen umgedeutet wird. Die größte Gefahr die-
ser Umdeutung geht von einer Propaganda Russlands
aus, die die russische Bevölkerung der Ukraine, genauer
gesagt: die ukrainischen Russen auf der Krim, über ihre
Volkszugehörigkeit für hegemoniale Ziele instrumentali-
sieren möchte.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Meine Damen und Herren, Kampf gegen Ethnisie-
rung des Konfliktes bedeutet aber auch, dass wir an die
Regierung Jazenjuk appellieren, sich von nationalisti-
schen Radikalen, teilweise auch in den eigenen Reihen,
zu distanzieren. Denn es ist kein Konflikt zwischen
Nationalitäten, den wir erleben. Die Ukraine hat trotz
schwieriger wirtschaftlicher Situationen – ich habe es
über Jahre beobachtet – eine gute Minderheitenpolitik
betrieben. Es gibt keine nachweisbare Diskriminierung
ethnischer Russen auf der Krim, die Hilferufe nach mili-
tärischem Schutz durch den großen Nachbarn rechtferti-





Dr. Christoph Bergner


(A) (C)



(D)(B)

gen würde. Der Konflikt ist kein Konflikt zwischen
Ethnien. Es ist ein Konflikt zwischen denen, die auf
europäische Werte setzen, und denen, die sich vom
Kreml Schutz versprechen. Es ist höchst bedauerlich,
dass dieser Konflikt sich so zugespitzt hat.

Deshalb lassen Sie uns bitte nicht auf den Leim der
russischen Propaganda gehen. Das bedeutet auch: Sim-
plifizieren wir den Konflikt nicht dahin gehend, dass wir
in der einen Region von einer prorussischen Haltung und
in der anderen Region von einer prowestlichen Haltung
ausgehen und diese unterstellen. Spaltungsszenarien
dürften weiteres Öl in das Feuer der Ethnisierung
gießen.

Noch ein Wort zu dem Sezessionsreferendum. Sezes-
sionsreferenden waren nach dem Ersten Weltkrieg eine
Methode des Völkerbundes, die neue Grenzziehungen,
aber auch neue Minderheiten schufen, die Nachfolge-
konflikte und ethnische Säuberungen zum Resultat
hatten. Der Europarat hat mit gutem Grund – sowohl
Russland wie die Ukraine sind Unterzeichner des ent-
sprechenden Rahmenübereinkommens – die Sicherung
nationaler Minderheitenrechte als eine innenpolitische
Aufgabe der Nationen angesehen und nicht als eine Auf-
gabe, die durch Grenzkorrekturen erfüllt werden sollte.
Dies ist ein ausgesprochen wichtiger Punkt, auf den hier
hingewiesen werden muss.

Wir sollten, wenn wir der Ukraine helfen wollen, der
Regierung Jazenjuk die Bereitschaft zur Partnerschaft
immer wieder deutlich machen. Aber wir sollten dabei
die bisherige Anwendung der Instrumente der Östlichen
Partnerschaft der EU selbstkritisch überprüfen. Dazu
gehört die Aufarbeitung der Zuspitzung vor der Ratssit-
zung in Vilnius. Aber dazu gehört auch die Frage, ob die
EU mit dem Assoziierungsabkommen überhaupt die
Erwartungen der leidgeprüften Ukrainer hätte erfüllen
können. In der Neigung, komplexe Verhältnisse und
mehrschichtige Sachverhalte zu vereinfachen, wurde das
Assoziierungs- und Freihandelsabkommen in der öffent-
lichen Meinung der Ukraine oft genug als goldener Weg
zur Mitgliedschaft im europäischen Klub dargestellt,
was es so natürlich nicht ist. Das Assoziierungs- und
Freihandelsabkommen im Rahmen der Östlichen Part-
nerschaft sollte zwar weitreichende Beteiligungsmög-
lichkeiten eröffnen, aber keine definitive Beitrittsper-
spektive. Auch da müssen wir uns nicht wundern, dass
falsche Erwartungen zu eigentlich vermeidbaren Kon-
flikten geführt haben.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Umgekehrt ist zu fragen, ob denn durchaus problema-
tische Spezifika – ich denke beispielsweise an das Phä-
nomen der Oligarchenwirtschaft, das eine Bürde nicht
nur für die wirtschaftliche, sondern auch für die zivil-
gesellschaftliche Entwicklung ist – in den Instrumenten
unserer Partnerschaftspolitik hinreichend berücksichtigt
wurden.

Meine Damen und Herren, lassen Sie mich bei mei-
nem Überdenken der Partnerschaftspolitik mit folgen-
dem Punkt schließen: Die Bemühungen der russischen
Regierung um Einverleibung der Krim verfolgen zwei-
fellos ein völkerrechtswidriges Ziel, das wir konsequent
zurückweisen müssen. Diese Feststellung und die konse-
quente Ablehnung des Vorgehens Russlands entheben
uns nicht der Frage, wie die EU bei ihrer östlichen Nach-
barschaftspolitik mit Inkompatibilitäten mit den Plänen
der russischen Regierung umgehen wird. Frau Bundes-
kanzlerin hat darauf hingewiesen, dass die europäische
Einigung der Versuch war, Lehren aus den Katastrophen
der Geschichte zu ziehen.

Im Jahre 2012 erhielt die Europäische Union den
Friedensnobelpreis. Sie erhielt diese Auszeichnung in
Würdigung ihrer friedensstiftenden Wirkung bei der
Überwindung der Folgen zweier Weltkriege, die unseren
Kontinent in Katastrophen stürzten. Wenn die Europäi-
sche Union auch einen Beitrag zur Überwindung der
Folgen des Kalten Krieges leisten will, dann muss es
gelingen, den Dialog mit Russland fruchtbarer zu gestal-
ten, als es in der jüngeren Zeit der Fall war. Deshalb be-
grüße ich ausdrücklich, dass die Bundesregierung neben
der notwendigen klaren, unzweideutigen Reaktion auf
russisches Fehlverhalten die ständige Bereitschaft zu
Gespräch und Dialog mit Russland wachhält.

Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1802002600

Abschließender Redner in dieser Debatte ist der

Kollege Nobert Spinrath, SPD, dem ich damit das Wort
erteile.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Norbert Spinrath (SPD):
Rede ID: ID1802002700

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Sehr geehrte Damen und Herren!

Russland und die EU müssen ab sofort an einem
Strang ziehen: zur Verhinderung eines Bürgerkriegs
in der Ukraine – im Interesse der demokratischen
Kräfte, im Interesse der Menschen in der Ukraine.

Das war der Schlussappell meiner letzten Rede zum
Thema Ukraine am 20. Februar, am blutigen Donnerstag
in Kiew. Die Außenminister des Weimarer Dreiecks aus
Frankreich, Polen und Deutschland haben es durch harte
Verhandlungen einen Tag später geschafft, das Blutver-
gießen in Kiew zu beenden. Ihnen ist berechtigterweise
dafür heute viel Anerkennung ausgesprochen worden.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Das von ihnen vermittelte Abkommen vom 21. Fe-
bruar hingegen wurde in der Ukraine nicht so in die Tat
umgesetzt wie vereinbart. Schon am nächsten Tag über-
schlugen sich durch eine Lawine von Entscheidungen
des Parlaments der Ukraine die Ereignisse. An jenem
Wochenende war nicht abzusehen, was sich daraus ent-
wickeln würde, und nur drei Wochen später scheint sich
dort die Welt vollkommen verändert zu haben. Alle Di-





Norbert Spinrath


(A) (C)



(D)(B)

plomatie der letzten Wochen konnte nicht bewirken, die
Eskalation der Situation insbesondere auf der Krim zu
verhindern.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, vor dem düsteren
Hintergrund zweier Weltkriege wurde die Europäische
Union geschaffen. Deren wesentliches Fundament und
auch deren wesentliches Erfolgsergebnis ist der uner-
schütterliche Wille der beteiligten Mitgliedstaaten, Kon-
flikte ohne militärische Gewalt zu lösen. Nie wieder soll
Krieg in Europa herrschen – diesen Satz haben wir auch
in diesem Hause häufig gehört.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie des Abg. Heiko Schmelzle [CDU/CSU])


Und dies gelingt – in der EU durch Beachtung der natio-
nalen Eigenheiten und der nationalstaatlichen Souverä-
nität, durch engmaschige Verknüpfungen der gesell-
schaftlichen Rahmenbedingungen, durch den Willen zur
Angleichung der Lebensstandards, durch das Schaffen
selbstgewählter Abhängigkeiten und durch das Monito-
ring der gemeinsamen Politik.

Der Europäischen Union wird nun von interessierter
Seite vorgeworfen, dass sie die Lage in der Ukraine
falsch eingeschätzt habe, dass sie mit ihrem Drängen auf
ein einseitiges Assoziierungsabkommen zur Entwick-
lung der Situation beigetragen und im Vorgarten Russ-
lands gegrast habe. Jedoch, liebe Kolleginnen und Kolle-
gen: Die Welt hat sich in den letzten 25 Jahren, nach
dem Zerreißen des Eisernen Vorhangs und dem Ende des
Kalten Krieges, verändert. Auch die Europäische Union
hat sich entwickelt. Sie hat es verstanden, dem Frieden
einen eigenständigen Wert zu geben. Sie hat es verstan-
den, über einen gemeinsamen Binnenmarkt, durch Frei-
zügigkeit, durch gemeinsame Regelwerke, durch einen
Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts und
durch Regulierungen ein Geflecht von gemeinsamen In-
teressen zu knüpfen. Dieses Geflecht macht es nahezu
unmöglich, mit den früher üblichen kriegerischen Mit-
teln Tatsachen zu schaffen.

Russland dagegen ist nach Ende des Kalten Krieges
noch auf der Suche; es muss seine neue Rolle im Weltge-
füge noch definieren und sieht nun sein Projekt der Eura-
sischen Union durch die Hinwendung der Ukraine zu ei-
ner Assoziierung mit der Europäischen Union in Gefahr.
Jedoch sage ich mit allem Nachdruck: Wenn sich die
Welt verändert hat, dann darf man nicht einfach zu altem
Blockdenken zurückkehren. Vielmehr muss man zum
Wohle aller Beteiligten bei gemeinsamen Interessen,
aber auch zum Wohle der unterschiedlichen nationalen
Interessen zusammenarbeiten.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Vor dem Hintergrund dieses Gebots ist es nicht hin-
nehmbar, dass Russland mit falschen Behauptungen
Schutzinteressen für einen Teil der Krim-Bevölkerung
vorgibt. Es ist nicht hinnehmbar, dass Russland die Krim
faktisch besetzt hat. Es ist nicht hinnehmbar, dass Russ-
land als Folge des für Sonntag geplanten Referendums
die Annexion der Krim plant. Und es ist nicht hinnehm-
bar, dass Russland trotz aller Warnungen aus dem Rest
der Welt dieses Szenario unverändert umsetzt.

Europa hat die erste Stufe von Sanktionen in Kraft ge-
setzt. Weitere werden folgen, wenn Russland nicht auf
Absetzung des Referendums hinwirkt. Europa hat diese
Konfrontation nicht gewollt. Aber Verletzungen des
Völkerrechts sind nie hinnehmbar, gleich, auf welcher
Seite sie geschehen. Deshalb müssen wir ihnen Einhalt
gebieten, aber ausschließlich mit den Mitteln, die seit
fast 70 Jahren Garant für den Frieden in Europa sind,
nämlich mit den Mitteln der Demokratie. Es stimmt, was
Frau Merkel heute Morgen sagte: Militärisches Vorge-
hen darf keine Option sein.

Russland muss seine eigene Isolation verhindern,
muss auf die Gesprächsebene zurückkehren, muss sich
einer realpolitischen Diskussion stellen und auf das An-
gebot der EU zur Zusammenarbeit eingehen. Ziel muss
es sein, eine politische Kultur der Kompromisse zu ent-
wickeln, die dann auch in der Ukraine die Grundlage für
einen Dialog schafft, der es ermöglicht, das Abkommen
vom 21. Februar umzusetzen, das unter anderem rasche
Neuwahlen vorsieht, damit es zu einer Übergangsregie-
rung der nationalen Einheit kommen kann.

Lieber, werter Kollege Gysi, ich will Ihnen in Bezug
auf die Vertreter der Swoboda-Partei durchaus recht ge-
ben; sie haben auch nach meinem Empfinden in der Re-
gierung nichts zu suchen. Aber auch deshalb will ich
schnelle Parlamentsneuwahlen in der Ukraine: damit die
Menschen, die den Protest auf dem Maidan so vorbild-
lich friedlich begonnen haben, die Chance der Korrektur
nutzen können. Ich frage Sie und Ihre Fraktion dann aber
auch, wie man mit dieser Situation die völkerrechtswid-
rige Annexion der Krim durch Russland rechtfertigen
kann. Ihre oft kruden Diskussionen der letzten Wochen,
Ihre Reminiszenzen an altes Blockdenken und Ihre Ni-
belungentreue zu alten Freunden machen es mir und vie-
len in diesem Haus oftmals hinreichend schwer, Sie ernst
zu nehmen.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Das ist nicht wahr! Wir haben uns davon ausdrücklich distanziert!)


In den Dialog in der Ukraine müssen alle Bevölke-
rungsgruppen einbezogen werden, auch die russisch-
stämmigen. Es bedarf dringend der Bildung einer inter-
nationalen Kontaktgruppe. Dabei kann und muss
Deutschland eine wichtige Rolle als aktiver Vermittler
spielen.


Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1802002800

Herr Kollege Spinrath, Sie denken an die Redezeit?


Norbert Spinrath (SPD):
Rede ID: ID1802002900

Gerne. Ich komme zum Ende. – Ich sage aber auch:

Es bedarf des sofortigen Handelns durch Russland, näm-
lich zu bewirken, dass das Referendum auf der Krim ab-
gesagt wird.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, mit dem Dank für
Ihre Aufmerksamkeit formuliere ich vier Tage vor die-





Norbert Spinrath


(A) (C)



(D)(B)

sem Referendum: Wenn es gelingt, eine Zusammenar-
beit aller Beteiligten nicht gegen, sondern mit Russland
zu organisieren, dann kann es auch gelingen, den wich-
tigsten Grundwert der modernen Demokratie im
21. Jahrhundert zu bewirken und dauerhaft zu sichern –
den Frieden.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1802003000

Damit schließe ich die Aussprache.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 4 auf:

Beratung des Antrags der Abgeordneten Oliver
Krischer, Annalena Baerbock, Bärbel Höhn,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN

Die Energiewende europäisch verankern

Drucksache 18/777
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Energie (f)
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und
Reaktorsicherheit
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 96 Minuten vorgesehen. – Ich höre kei-
nen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.

Als ersten Redner rufe ich den Kollegen Dr. Anton
Hofreiter, Bündnis 90/Die Grünen, auf.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Wer in den vergangenen Wochen und Mona-
ten aufmerksam die Zeitung verfolgt hat, konnte lesen,
dass über Großbritannien und Irland über Wochen und
Monate immer wieder schwere und schwerste Stürme
niedergegangen sind, dass in vielen Regionen seit Mona-
ten Häuser und ganze Ortschaften unter Wasser stehen
und dass nach dem fünften schweren Orkan an der West-
küste Irlands inzwischen diskutiert wird, welche Ort-
schaften aufgegeben werden müssen und welche gegen
das sich ändernde Wetter und Klima gehalten werden
können. Das ist nicht etwas, das in ferner Zukunft pas-
siert, sondern etwas, das gerade jetzt passiert.

Wenn wir uns am wunderschönen Frühlingswetter der
letzten Wochen erfreuen, sollten wir bedenken – wir hat-
ten am 9. März 2014 einen neuen Temperaturrekord von
fast 24 Grad in Nordrhein-Westfalen zu verzeichnen –:
Eigentlich ist noch Winter. Temperaturen von 24 Grad
im Winter sind mehr als ungewöhnlich. Jetzt mögen
Skeptiker argumentieren: Einzelne Wetterereignisse stel-
len noch keine Klimaveränderung dar. Wenn wir uns
aber die Häufung dieser Wetterereignisse – schwerste
Orkane und Wirbelstürme in Südostasien, schwerste
Überschwemmungen in Großbritannien, Extremstwin-
ter in Nordamerika, extrem warme Sommer bei uns – an-
schauen, dann erkennen wir, dass diese Ereignisse voll-
kommen in Übereinstimmung mit den Erkenntnissen der
Klimawissenschaft stehen. Diese besagen nämlich, dass
die Klimakatastrophe längst begonnen hat.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Es ist eine ganz entscheidende Aufgabe für uns, die
Klimakatastrophe – verhindern können wir sie eh nicht
mehr – so zu bremsen, dass die Lebenschancen auf unse-
rem Planeten für künftige Generationen erhalten bleiben.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Dieses Jahr ist ein ganz entscheidendes Jahr. 2015 fin-
det in Paris die internationale Klimakonferenz statt, und
2014 legt die Europäische Union ihre Klimaschutzziele
bis zum Jahr 2030 fest. Es muss uns bewusst sein: Die
Klimakonferenz 2015 in Paris wird nur ein Erfolg, wenn
Europa ehrgeizige Ziele vorgibt. Nur so haben wir die
Chance, die Klimakatastrophe bzw. den Klimawandel zu
bremsen, sodass er unsere Ökosysteme und damit unsere
Lebensgrundlage nicht überfordert.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Frank Schwabe [SPD])


Was sind die zentralen Bausteine, damit uns das ge-
lingt? Zum einen müssen wir dafür sorgen, dass der
CO2-Zertifikatehandel, der sogenannte Emissionshandel,
wieder funktioniert. Es kann nicht sein, dass eine Tonne
des Klimakillers CO2 nur ein bisschen mehr kostet als
eine Schachtel Zigaretten; was zur Folge hat, dass die
schmutzige Braunkohle am Markt boomt. Den Emis-
sionshandel müssen wir reparieren.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Frank Schwabe [SPD])


Was ist des Weiteren notwendig? Des Weiteren ist
notwendig, dass wir starke CO2-Minderungsziele bis
2030 beschließen. Die Bundesrepublik Deutschland darf
ihre armseligen nationalen Ziele nicht auf die EU über-
tragen. Vielmehr brauchen wir ehrgeizige Ziele, Ziele,
mit denen wir das sogenannte 2-Grad-Ziel erreichen
können.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Es ist ferner notwendig, dass wir den Ausbau der er-
neuerbaren Energien beschleunigen; denn sie sind ein
Schlüssel dafür, den CO2-Ausstoß zu senken und uns
von Importen fossiler Energien unabhängig zu machen.

Es ist dringend notwendig, dass wir die Energieeffi-
zienz verstärken; denn die billigste Kilowattstunde
Strom ist die Kilowattstunde, die ich gar nicht benötige.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der Abg. Eva Bulling-Schröter [DIE LINKE])


Die Bundesregierung allerdings ist in den letzten
Wochen und Monaten – man muss leider sagen: in den
letzten Jahren – auf EU-Ebene nur durch armselige Lob-
bypolitik für Ausnahmen innerhalb des EEG aufgefal-
len. Diese Ausnahmen sind inzwischen so zahlreich,
dass sie bald die Regel darstellen. Das ist nicht nur kli-
maschädlich, sondern das führt auch zu einer Wettbe-
werbsverzerrung; denn man muss sich fragen: Wer be-





Dr. Anton Hofreiter


(A) (C)



(D)(B)

zahlt für diese Ausnahmen? Das sind jene Unternehmen,
die den kompletten Preis zahlen müssen, sowie die Ver-
braucher. Das ist skandalös.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Die Koalition behandelt die Energiewende so, als
wäre sie nicht in der Lage, ihre Chancen zu erkennen. In
der Energiewende liegen große Chancen, aber Sie behar-
ren auf alten Strukturen.


(Dr. Michael Fuchs [CDU/CSU]: Wo liegen die denn?)


Ökologie und Ökonomie sind eben kein Widerspruch,
wenn ich kluge Politik gestalte. Mit grünen Ideen lassen
sich schwarze Zahlen schreiben.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Michael Fuchs [CDU/CSU]: Wo denn? Die sind doch alle pleite!)


Die Energiewende kann eine große Chance für die eu-
ropäische Wirtschaft sein.


(Max Straubinger [CDU/CSU]: Prokon ist das beste Beispiel! – Dr. Michael Fuchs [CDU/ CSU]: Ja, genau, eure Firma Prokon! Da seid ihr alle dran beteiligt!)


Nehmen wir als Beispiel die Stahlindustrie. Die europäi-
sche Stahlindustrie leidet unter massiven Überkapazitä-
ten. Aber diese bekommen Sie dadurch, dass Sie versu-
chen, den Industriestrom noch etwas günstiger zu
machen, nicht in den Griff.


(Karl Holmeier [CDU/CSU]: Sollen wir schließen? – Dr. Michael Fuchs [CDU/CSU]: Machen wir in Deutschland zu!)


Überkapazitäten bekommen Sie nur durch eine entspre-
chende Nachfrage bzw. Investitionen in den Griff.


(Dr. Michael Fuchs [CDU/CSU]: Deswegen sind die alle pleite!)


Wenn Sie eine moderne Windkraftanlage bauen
– vielleicht wissen Sie nicht, dass das inzwischen ein
großes Industrieprodukt ist –, dann benötigen Sie dafür
so viel Stahl wie für 500 Automobile. Man sieht: Investi-
tionen in erneuerbare Energien sind eine Chance für die
europäische Stahlindustrie. Deswegen darf der Ausbau
nicht gebremst werden.


(Dr. Michael Fuchs [CDU/CSU]: Alles subventionieren! Klar!)


Wenn man es richtig macht, dann passen alte Industrien
und neue Energien wunderbar zusammen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Michael Fuchs [CDU/CSU]: 24 Milliarden Euro Subventionen pro Jahr!)


Die Menschen in Deutschland erkennen auch, welche
Chancen in einer innovativen Energiepolitik liegen. Des-
halb fordern über 80 Prozent von der Bundesregierung,
ehrgeizigere Ziele zu setzen;


(Max Straubinger [CDU/CSU]: Noch mehr Subventionen!)

denn sie wissen, wie wichtig das für die Zukunft ihrer
Kinder und für ihre Jobs ist.

Es gibt einen weiteren Grund, einen Grund, den ich
schon angesprochen habe: Europa importiert für circa
500 Milliarden Euro fossile Energieträger. Allein
Deutschland importiert für 33 Milliarden Euro fossile
Energieträger aus Russland, Erdgas und Erdöl.


(Dr. Michael Fuchs [CDU/CSU]: Müssen Sie woanders herkriegen!)


Wind und Sonne schicken uns keine Rechnung.


(Dr. Michael Fuchs [CDU/CSU]: 24 Milliarden Euro!)


Das System Putin schickt uns durchaus eine Rechnung.


(Dr. Michael Fuchs [CDU/CSU]: Das ist keine Rechnung!)


Setzen Sie deshalb auf die Beschleunigung der Energie-
wende! Setzen Sie auf den Ausbau der erneuerbaren
Energien! Dann wird das Geld hier investiert, dann wird
lokal investiert. Das ist eine Chance für unser Handwerk,
und das macht uns entsprechend unabhängig.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Zum Abschluss: Man muss sich vielleicht einmal
klarmachen, welche Verantwortung wir hier haben. Ganz
Europa und die ganze Welt schauen darauf, ob in
Deutschland die Energiewende gelingt. Die ganze Welt
schaut darauf, ob sie in Deutschland und in Europa ge-
lingt. Wenn die Energiewende in Deutschland und in Eu-
ropa, diesem reichen Kontinent, gelingt und die Klima-
schutzziele eingehalten werden, dann kann sie weltweit
gelingen. Es muss auch weltweit gelingen. Wenn wir
nämlich unsere Lebensgrundlagen zerstören, dann hin-
terlassen wir unseren Kindern und Kindeskindern einen
zerstörten Planeten. Das darf nicht unsere Politik sein.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ich gestehe gern zu, dass das kein leichtes Projekt ist.
Deutschland und Europa stehen vor großen Herausforde-
rungen. Aber es lohnt sich, diese Herausforderungen an-
zupacken, für den Klimaschutz, für eine lebenswerte
Welt und für unsere und die Zukunft unserer Kinder und
Kindeskinder.

Vielen Dank.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Eva Bulling-Schröter [DIE LINKE] – Dr. Michael Fuchs [CDU/CSU]: So ein Schwachsinn!)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1802003100

Nächster Redner ist der Kollege Dr. Joachim Pfeiffer,

CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. Joachim Pfeiffer (CDU):
Rede ID: ID1802003200

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-

ren! Wenn man den Antrag in die Hand bekommt und





Dr. Joachim Pfeiffer


(A) (C)



(D)(B)

den Titel „Energiewende europäisch verankern“ liest,
dann hört sich das zunächst gut an. Wenn man dann aber
den Antrag liest, stellt sich leider heraus, dass der Inhalt
eigentlich im genauen Gegensatz zum Titel steht. Die
konkreten Vorschläge, die Sie dort machen, sind nämlich
keine europäisch verankerte Energie- und Klimapolitik.
Sie setzen auf nationale Kleinstaaterei, staatlichen
Zwang und planwirtschaftliche Instrumente, die immer
nur zu weiteren Belastungen führen, aber sicher nicht im
europäischen Sinne sind, statt auf die Harmonisierung
von wettbewerblich organisierten und effizienzsteigern-
den Fördersystemen. Auch auf EU-Ebene wollen Sie
ideologiebetriebene Verbots- und Gebotspolitik umset-
zen.

Sie sprechen sich in Ihrem Antrag beispielsweise ge-
gen die Überlegung der EU-Kommission aus, nur ein
Klimaschutzziel festzulegen und dieses entsprechend zu
untermauern. Wenn die Lage so ist, wie gerade von
Herrn Hofreiter beschrieben, dass nämlich der Weltun-
tergang in Irland und anderen Ländern der Europäischen
Union unmittelbar bevorsteht, dann müsste es doch rich-
tig sein, genau an diesem Ziel anzusetzen und ein euro-
päisches Emissionsreduktionsziel festzulegen, das tech-
nologieoffen im Wettbewerb Reduktionen ermöglicht.
Genau das aber wollen Sie nicht. Sie wollen, dass in Eu-
ropa mehrere Ziele nebeneinander bestehen und zum
gleichen Ergebnis wie in Deutschland führen, wo sich
zahlreiche Ziele gegenseitig konterkarieren. Ein Beispiel
dafür ist KWK. Mit großer Mehrheit haben wir hier im
Haus 2008 ein KWK-Ziel von 25 Prozent beschlossen.
Wir sind weit davon entfernt, dieses Ziel zu erreichen,
weil es durch andere Ziele, beispielsweise das EEG, kon-
terkariert wird. Im Ergebnis führt das dazu, dass heute
Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen nicht nur nicht neu ge-
baut werden, sondern bestehende, sowohl im industriel-
len Bereich als auch bei Stadtwerken, nicht rentabel
sind. – Da bemüht sich jemand schon seit längerem um
eine Wortmeldung.


Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1802003300

Herr Kollege Pfeiffer, sind Sie mit einer Zwischen-

frage der Kollegin Baerbock einverstanden?


Dr. Joachim Pfeiffer (CDU):
Rede ID: ID1802003400

Selbstverständlich, gerne.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Herr Pfeiffer, vielen Dank für die Möglichkeit, eine
Zwischenfrage zu stellen. – Sie haben gerade angeführt,
dass Sie es komisch finden, dass wir uns für drei Ziele
auf europäischer Ebene einsetzen. Es verwundert mich
sehr, dass unser Antrag diesbezüglich bei Ihnen auf Ver-
wunderung stößt. Schließlich hat sich die deutsche Bun-
deskanzlerin dafür eingesetzt, dass wir bezogen auf das
Jahr 2020 eine Zieltrias formulieren, die auch hinsicht-
lich der Ausbauziele im Bereich der erneuerbaren Ener-
gien und hinsichtlich der Ziele in Bezug auf die Energie-
effizienz verbindlich ist. Halten Sie die damalige
Position Ihrer Bundeskanzlerin für falsch? Wie kann
man Ihrer Meinung nach ein ambitioniertes CO2-Ziel
umsetzen, wenn man nicht zeitgleich in Energieeffizienz
und den Ausbau der erneuerbaren Energien investiert?


Dr. Joachim Pfeiffer (CDU):
Rede ID: ID1802003500

In der Tat ist es richtig, dass man 2007, glaube ich, die

drei 20-Prozent-Ziele festgelegt hat: Reduktion der
Emissionen auf europäischer Ebene um 20 Prozent als
einseitige Vorleistung, Steigerung der Energieeffizienz
um 20 Prozent bis 2020 und ein Anteil der erneuerbaren
Energien von 20 Prozent bis 2020. In der Zwischenzeit
hat man aber hinzugelernt. Auch die EU-Kommission
versucht, hinsichtlich dieser Frage hinzuzulernen. Ich
habe das gerade am Beispiel der KWK in Deutschland
erläutert: Wir waren der Überzeugung, dass es richtig ist,
mehrere verbindliche Ziele festzulegen, stellen jetzt aber
bei der Umsetzung fest, dass das so nicht funktioniert,
dass sich die Ziele zum Teil gegenseitig konterkarieren.
Deshalb ist die Frage: Was ist richtig, wenn wir weiter in
die Zukunft denken? Wir haben Ziele festgelegt, die bis
2020 erreicht werden sollen. Damit haben wir die
Grundlage gelegt. Wenn es jetzt um die Frage geht, was
wir 2030, 2040 und 2050 machen, dann müssen wir auch
die Frage stellen – dieser Diskussionsprozess findet ge-
rade in Europa statt –, was sinnvoll ist.

Das entscheidende Thema ist der Klimaschutz – da-
rauf komme ich nachher noch einmal zu sprechen –, der
nicht nur auf europäischer Ebene realisiert werden muss.
Es nützt uns und dem Weltklima nämlich gar nichts,
wenn nur wir in Europa Klimaschutz betreiben. Der Kli-
maschutz muss weltweit betrieben werden. Ein zentrales
Element dafür ist der Emissionshandel, der in den be-
troffenen Sektoren die Zielerreichung entsprechend ei-
nem klaren und verbindlichen Reduktionspfad gewähr-
leistet. Das ist der richtige Weg. Selbstverständlich kann
man flankierend integrative Ziele vereinbaren – das wird
ja auch vorgeschlagen –, zum Beispiel hinsichtlich der
Energieeffizienz oder in anderen Bereichen. – Vielen
Dank für die Gelegenheit, dies an dieser Stelle etwas zu
vertiefen.

Jetzt komme ich auf die Emissionen zu sprechen, die
Sie auch angesprochen haben. Sie wollen die Emissio-
nen bis 2030 um 55 Prozent reduzieren. Wie sieht die
Realität aus? Die EU hat sich verpflichtet, die CO2-
Emissionen bis 2020 um 20 Prozent im Vergleich zu
1990 zu reduzieren. Sie hat in Aussicht gestellt, die
Quote auf 30 Prozent zu erhöhen, wenn es gelingt, ein
Kioto-Nachfolgeregime zu vereinbaren. Leider sind wir
im Moment von der Festlegung auf ein solches Nachfol-
geregime weit entfernt. Ich bin sehr skeptisch, dass es
gelingt, im nächsten Jahr in Paris diesbezüglich ent-
scheidend weiterzukommen.

Bis 2020 wollen wir die CO2-Emissionen gegenüber
1990 um 20 Prozent reduzieren. In diesen Zeitraum von
30 Jahren fallen die Deindustrialisierung, die quasi statt-
gefunden hat, und der völlige Neuaufbau der Konver-
sionsländer Osteuropas. Das betrifft auch die fünf neuen
Bundesländer. In der Quote von 1990 sind auch die da-
maligen Emissionen in den fünf neuen Bundesländern
enthalten, die bereits – das war einmalig – reduziert wur-
den. Wir sagen: Zwischen 2020 und 2030 wollen wir





Dr. Joachim Pfeiffer


(A) (C)



(D)(B)

quasi das Gleiche erreichen, nämlich noch einmal eine
Reduktion um 20 Prozent. Ich glaube, das ist mehr als
ambitioniert. Sie sagen jetzt, dass Sie eine Reduktion um
55 Prozent bis 2030 erreichen wollen. Ich halte das, ehr-
lich gesagt, für weltfremd und nicht erreichbar.

In Deutschland haben wir die Emissionen bereits um
weit über 20 Prozent reduziert. Der Anteil der Emissio-
nen in Deutschland lag 1990 im weltweiten Vergleich
bei 4,7 Prozent. Heute beträgt er 2,4 Prozent. Die EU
insgesamt hat ihre Emissionen um über 16 Prozent redu-
ziert. Der Anteil der EU am globalen CO2-Ausstoß liegt
heute bei gerade einmal 10 Prozent. Das ist die Hälfte
der Quote von 1990. Damals lag sie bei 20 Prozent. Das
heißt, selbst wenn wir in Europa um 100 Prozent redu-
zieren – das betrifft alle industriellen Prozesse; da
kommt man auch an physikalische Grenzen –, dann wür-
den wir dem Weltklima damit im Ergebnis kaum helfen.
Wer etwas anderes suggeriert, der erzählt bewusst etwas
Falsches.

China hat seit 1990 seine Emissionen vervierfacht, In-
dien hat seine Emissionen vervierfacht und auch in den
ASEAN-Ländern steigen die Emissionen. Insofern nutzt
es uns in Europa nichts, Zahlenfetischismus zu betrei-
ben. Vielmehr müssen wir den Rest der Welt davon über-
zeugen, mitzumachen. Wie machen die anderen Länder
mit? Am besten, indem wir hocheffiziente Kraftwerks-
technologien dorthin liefern, sodass in diesen Ländern die
Energieeffizienz steigt und der CO2-Ausstoß reduziert wird.
Es nutzt nichts, wenn wir die weltweit Klimaschonendsten
und Energieeffizientesten sind. – Da möchte schon wieder
jemand meine Redezeit verlängern.


Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1802003600

Der Kollege Janecek würde gerne eine Zwischenfrage

stellen. Ich vermute aufgrund seines Hinweises, dass
Kollege Pfeiffer diese Zwischenfrage zulässt.


(Zuruf von der CDU/CSU: Sein Fanklub steht!)



Dieter Janecek (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1802003700

Es ist ja schön, dass Sie, Herr Pfeiffer, sich so über

den Dialog freuen. – Ich habe, weil Sie es direkt ange-
sprochen haben, eine Frage zu China. Ich möchte Sie
fragen, ob Sie zur Kenntnis nehmen, dass China – heute
kam die Meldung – mittlerweile mehr Strom aus Wind-
kraft produziert als aus Atomenergie und dass China in
diesem Jahr Photovoltaikanlagen mit einer Kapazität
von insgesamt 14 Gigawatt installieren will. Das ist fast
doppelt so viel wie in der gesamten EU. Daher kann man
nicht sagen, dass wir in Deutschland diesen Weg nicht
weiter beschreiten sollten, weil die Chinesen die Produk-
tion von Treibhausgasen vorantreiben. Wo auf der Welt
ist eigentlich momentan der Pfad gegeben? In China, in
Europa und in den USA geht man auf diesem Pfad vo-
ran.


Dr. Joachim Pfeiffer (CDU):
Rede ID: ID1802003800

Gott sei Dank machen die Chinesen das. Die Chine-

sen setzen übrigens ohne Scheuklappen auf alle Techno-
logien. Sie bauen die Kernkraft genauso wie die erneuer-
baren Energien und Kohlekraft massiv aus; denn sie
haben bei der Industrialisierung ihres Landes einen enor-
men Nachholbedarf. Sie hatten 1990 – ich weiß es nicht
genau auswendig – Emissionen in einer Größenordnung
von vielleicht 2 oder 3 Tonnen CO2 pro Person. Heute
haben sich die Emissionen bereits mehr als verdoppelt.
Das gleiche Problem gibt es in Indien. Deshalb ist es na-
türlich richtig, dass sie die erneuerbaren Energien aus-
bauen. Aber es gibt in der Welt noch viel mehr Möglich-
keiten, wo wir Beiträge dazu leisten können, die
Energieeffizienz voranzubringen.

Tatsache ist, dass es trotz dieser massiven Investitio-
nen in die erneuerbaren Energien und in die Energieeffi-
zienz, was in China heute durchaus stattfindet – das er-
kenne ich ja auch an –, zu dieser Vervierfachung der
Emissionen gekommen ist. Wenn Sie die Prognosen für
die Wachstumsraten in China betrachten, dann sehen
Sie, dass die Emissionen dort weiter steigen werden.
Den Chinesen gelingt es in den nächsten 20 Jahren viel-
leicht, das zu erreichen, was wir von 1970 bis 1990 er-
reicht haben, nämlich das Wirtschaftswachstum vom
Emissionswachstum bzw. das Wirtschaftswachstum vom
Energieverbrauch zu entkoppeln. Wir haben unsere
Energieeffizienz verdoppelt. Das heißt, wir produzieren
die gleiche Einheit Bruttosozialprodukt nur noch mit der
Hälfte an Energieeinsatz. Das war in China bis 2010
noch nicht der Fall. Dort ist der Energieverbrauch im
Vergleich zum Wirtschaftswachstum überproportional
gestiegen. Sie sind jetzt massiv dabei, dieses Problem
anzugehen. Das ist richtig; denn sonst würden die Emis-
sionen explosionsartig ansteigen. Faktenlage aber ist,
dass die CO2-Emissionen weltweit leider nicht gestoppt
wurden oder gar rückläufig sind, sondern weiter anstei-
gen. Es geht jetzt darum, sie zu bremsen.

Um Ihnen hier noch eine Zahl zu nennen: In ganz Eu-
ropa hatten wir im Rahmen des Kioto-Protokolls von
1990 bis 2012 – dieser Zeitraum ist jetzt leider vorbei –
CO2-Emissionen in Höhe von rund 350 Millionen Ton-
nen eingespart. – Ich bin übrigens immer noch bei der
Beantwortung der Frage; schließlich hatten Sie mich zu
China gefragt. – 350 Millionen Tonnen CO2 sind durch
das Kioto-Protokoll in Europa eingespart worden. Wis-
sen Sie, wie viel das ist? Das entspricht genau dem halb-
jährlichen Zuwachs an Emissionen in China im Jahr
2006. Das heißt, die CO2-Emissionen, die wir in Europa
durch das Kioto-Protokoll in 22 Jahren eingespart haben,
hat man quasi in China in 2006 in einem halben Jahr da-
zubekommen. Das ist leider die Realität. Deshalb ist es
notwendig, dass wir hier nicht nur einen europäischen
Ansatz suchen, sondern einen weltweiten Ansatz.

Sie fordern in Ihrem Antrag, dass das EEG mehr oder
weniger so erhalten bleibt, wie es jetzt ist, und dass das
Einspeiseregime so fortgeführt wird. Dass das nicht
funktioniert, haben wir in Deutschland, glaube ich, mitt-
lerweile begriffen. Die jährliche Belastung allein durch
die EEG-Umlage beträgt inzwischen 24 Milliarden
Euro. Um sich das noch einmal zu vergegenwärtigen:
Nach den neuesten Zahlen summiert sich die Gesamtbe-
lastung durch das EEG für die Zeit von 2014 bis 2030
– so die heutige Vorausschau; durch die langen Laufzei-
ten ist ja vieles schon festgelegt – auf rund 450 Milliar-
den Euro. Das ist das Eineinhalbfache des Bundeshaus-
halts.





Dr. Joachim Pfeiffer


(A) (C)



(D)(B)

Wenn Sie angesichts dieser Zahlen ernsthaft der Mei-
nung sind, dass wir das in ganz Europa so betreiben kön-
nen, muss ich Ihnen sagen: Das wird nicht funktionieren.
Wir haben gerade erfahren, dass bei dem Aland-Verfah-
ren zwischen Schweden und Finnland der Generalanwalt
beim EuGH leider die Meinung vertritt, dass es europa-
rechtswidrig und binnenmarktrechtswidrig ist, wenn
man eine Förderung der Erneuerbaren nur national be-
treibt. Wenn der EuGH so entscheiden sollte, dann
würde das bedeuten, dass unser EEG quasi für ganz Eu-
ropa zur Verfügung stünde. Was das wiederum bedeuten
würde, ist, glaube ich, jedem klar: So kann es nicht wei-
tergehen. Deshalb brauchen wir in Europa die Harmoni-
sierung der Fördersysteme im Bereich der Erneuerbaren.
Nicht 28 unterschiedliche Regime der Förderung erneu-
erbarer Energien und am besten noch 28 Kapazitäts-
märkte darf es geben. Den Binnenmarkt müssen wir ent-
sprechend stärken. Es gilt, einheitliche Preiszonen – die
zentraleuropäische Preiszone ist hier Vorbild – sukzes-
sive auszuweiten, sodass wir einen europäischen Strom-
preis haben. Dazu brauchen wir Interkonnektoren. Dazu
brauchen wir einen europäischen Netzausbau und, wie
gesagt, die Harmonisierung der Marktsysteme statt na-
tionaler Kleinstaaterei. Es geht nicht an, zu sagen: „Wir
müssen das EEG so erhalten, wie es bisher besteht“, weil
es uns dann nicht nur in Deutschland, sondern auch in
Europa um die Ohren fliegt.

Leider machen Sie in Ihrem Antrag immer die Indus-
trie, insbesondere die energieintensive Industrie, für den
angeblichen Anstieg der Strompreise verantwortlich und
führen das auf eine unsachgemäße Ausweitung des För-
dertatbestands zurück; vorhin hat das der Kollege
Hofreiter auch wieder so dargestellt. Was ist der Sachver-
halt? Wir haben in der Tat die Zahl der durch das EEG Be-
günstigten 2012 ausgeweitet; das waren vor allem mittel-
ständische Unternehmen. Begünstigt ist jetzt nicht nur
eine dreistellige, sondern eine mittlere vierstellige Zahl
von Unternehmen. Nur: Die Strommenge, die zusätzlich
begünstigt ist, beträgt gerade einmal 10 Prozent.


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Stimmt doch gar nicht!)


Sie fordern, dass über die EU-Stromkompensations-
richtlinie entsprechend entlastet wird.


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die, die es brauchen!)


Was würde das bedeuten? Das würde bedeuten, dass bei-
spielsweise die Bauindustrie oder die Zementindustrie in
Deutschland nicht mehr entlastet würde. Was wäre die
unmittelbare Folge? Das ist alles nachzulesen; das ist al-
les untersucht. Rund 60 Prozent der Zementproduktion
in Deutschland wären sofort gefährdet, und dann würde
aus dem Ausland nach Deutschland geliefert. Dem
Klima würde das überhaupt nichts nützen.


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Quatsch! Wir exportieren doch Zement!)


– Natürlich ist es so. Sie wollen die Entlastung abschaf-
fen. Das Ergebnis wäre: Sie würden Hunderttausende
von Arbeitsplätzen vernichten, und Sie würden die Wert-
schöpfungsketten durchtrennen. Wir in der Bundesregie-
rung sind gerade in intensivsten Gesprächen mit der EU-
Kommission, damit dies nicht passiert.

Sie reden der Deindustrialisierung Deutschlands das
Wort.


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie betreiben sie!)


Vielleicht ist das aber auch der wahre Hintergrund; denn
nur dann, wenn Sie die Industrie so vernichten, wie Sie
es vorschlagen, können Sie Ihre Reduktionsziele errei-
chen. In der Tat, wenn wir keine Aluminiumproduktion,
keine Stahlproduktion, keine Chemie mehr in Deutsch-
land und Europa haben, können wir diese Reduktions-
ziele erreichen. Das ist aber nicht unser Weg.

Wir wollen den Ausbau der erneuerbaren Energien
wirtschaftlich vernünftig gestalten, in einem wettbe-
werblichen Rahmen. Wir wollen den Industriestandort
Deutschland und Europa erhalten, und das werden wir
auch tun. Das ist das Gegenteil von dem, was Sie in Ih-
rem Antrag vorschlagen. Diese Bundesregierung wird
dies in der nächsten Woche in und mit Brüssel hoffent-
lich auch erreichen.


(Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Pfeifen im Walde!)


Sie bekämpfen mit Ihrem Antrag eher den Standort
Deutschland, als dass Sie die europäische Energiepolitik
voranbringen.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1802003900

Für die Linke erteile ich nun der Kollegin Eva

Bulling-Schröter das Wort.


(Beifall bei der LINKEN)



Eva-Maria Bulling-Schröter (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1802004000

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es

steht viel auf dem Spiel, und wir haben nicht viel Zeit.
Europäische Energiepolitik muss deshalb Klimaschutz-
politik sein.


(Beifall des Abg. Ralph Lenkert [DIE LINKE])


Diese muss sich am 2-Grad-Ziel orientieren. Wenn ich
mir aber die Vorschläge der EU-Kommission zum Rah-
men der Klima- und Energiepolitik anschaue, muss ich
sagen: Ich halte sie für eine Bankrotterklärung. Denn das
Ziel einer Minderung um 40 Prozent bis 2030 bedeutet
nichts anderes, als dass wir 2050 maximal bei minus
70 Prozent statt bei minus 80 bis 95 Prozent herauskom-
men. Wenn ich mir dann vorstelle, wie wir als EU-Ver-
handlungsdelegation nächstes Jahr in Paris dastehen
– wir sind ja mit dabei –, kann ich nur sagen: Eigentlich
können wir uns da gar nicht blicken lassen. Ich finde
das, was hier passiert, ganz peinlich.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Statt der nun vorgeschlagenen Reduzierung um 40 Pro-
zent bräuchten wir als Ziel bis 2030 mindestens eine Re-





Eva Bulling-Schröter


(A) (C)



(D)(B)

duzierung um 55 bis 60 Prozent der CO2-Emissionen ge-
genüber 1990.


(Dr. Michael Fuchs [CDU/CSU]: Sagen Sie das mal in Brüssel!)


Auch der Vorschlag der Kommission im Hinblick auf
ein Reförmchen des europäischen Emissionshandels ist
absolut ungenügend. An den derzeit 2 Milliarden Über-
schüssen an Zertifikaten, die eigentlich sofort stillgelegt
werden müssten, wird mit der sogenannten Marktstabili-
tätsreserve eben kaum gerüttelt; das funktioniert alles
nicht, Herr Pfeiffer. Deshalb werden die CO2-Preise wei-
terhin im Keller bleiben; sie sind übrigens sogar niedri-
ger als der Preis für eine Schachtel Zigaretten.

Auf gut Deutsch heißt das, dass weitere 10 bis
15 Jahre aus dem Emissionshandel kein Klimaschutz er-
wachsen wird. Wir rechnen es einmal hoch: Bis 2030
gibt es dann immer noch einen Überschuss von 650 Mil-
lionen Zertifikaten. Das kann einfach nicht sein; das
funktioniert nicht. Das ist eine weitere Bankrotterklä-
rung. Da kann man nur noch baff sein. Schließlich sollte
der Emissionshandel das wichtigste Klimaschutzinstru-
ment sein. Ich sage Ihnen: Er hat absolut versagt. Die
Dimension dieses Totalversagens ist bisher aber noch
gar nicht so öffentlich. Wir müssen auch die Bevölke-
rung darüber aufklären, was hier wirklich passiert.


(Beifall bei der LINKEN)


Vor dem Hintergrund der deutschen Entwicklung be-
kommen diese EU-Bankrotterklärungen wirklich ein be-
sonderes Geschmäckle. Denn Deutschland verabschie-
det sich selbst von den Klimazielen; wir haben es ja
gehört, Herr Pfeiffer. Die Bundesregierung tut eben
nichts, um die dramatische Entwicklung der Kohlever-
stromung in Deutschland aufzuhalten. Mit hoffnungsvol-
len Augen hat man im Ausland auf die deutsche Energie-
wende geblickt. Sie war bislang ein Modell mit
Vorbildfunktion; „Energiewende“ ist ein Wort, das auch
im Ausland verwendet wird. Doch die Chance der Er-
neuerbaren, wegzukommen von monopolistischen
Kohle- und Atomkonzernen, hin zu kommunalen Stadt-
werken, zur Bürgerenergie, wird gerade verzockt.

Ich sage Ihnen: Die massive Kohleverstromung ist
nicht der Preis, zu dem wir die Erneuerbaren haben woll-
ten. Das ist Konsens in der Bevölkerung; das wollen die
Menschen nicht. Das ist auch nicht nur ein Wermutstrop-
fen beim Ausbau der Erneuerbaren. Das ist eine völlig
verfehlte Politik, eine Politik, die vor der Kohlelobby
einknickt. Denn während Kohle so billig ist wie nie und
die Klimaziele in weite Ferne rücken, sind klimafreund-
lichere Gaskraftwerke nicht konkurrenzfähig. Wer will
ein solches Modell dann in Europa anpreisen?

Die Energiewende soll ausgebremst werden, und da-
durch soll die Kohleverstromung weiter gestärkt werden.
Deshalb fordern wir ein nationales Kohleausstiegsge-
setz. Wir wollen uns dabei unter anderem an Großbritan-
nien orientieren.


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Deshalb machen Sie in Brandenburg schon mal neue Tagebaue!)

Dort wird für jedes Kraftwerk ein festes CO2-Budget
festgelegt.


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Auch in Brandenburg?)


Somit werden also nicht direkt Kapazitäten begrenzt,
sondern produzierte Strommengen. Das ist dringend not-
wendig.


(Beifall bei der LINKEN)


Ich sage Ihnen: Das würde im Übrigen auch einen er-
heblichen Teil des Netzausbaus einsparen. Die Proteste
werden Ihnen noch große Sorgen machen. Denn die
Menschen vor Ort wollen keine Stromleitungen für Koh-
lestrom, sondern höchstens solche für regenerative Ener-
gien.


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Deshalb machen Sie mal ein paar neue Tagebaue in Brandenburg, ja?)


Das ist auch gut so. Es muss diskutiert werden.


(Beifall bei der LINKEN – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was ist mit dem Tagebau in Brandenburg?)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1802004100

Vielen Dank, Frau Kollegin. – Nächster Redner ist für

die SPD der Kollege Wolfgang Tiefensee.


(Beifall bei der SPD)



Wolfgang Tiefensee (SPD):
Rede ID: ID1802004200

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Mit dem uns vorliegenden Antrag widmen sich
die Grünen einem wichtigen Aspekt der deutschen Ener-
giewende, nämlich ihrer europäischen Einbindung. Wir
wollen diese Einbindung. Wir wollen genauso wie Sie,
Herr Hofreiter, dass der Kampf gegen den Klimawandel
in Deutschland Erfolg hat. Wir wollen, dass er in Europa
Erfolg hat; wir wollen auch, dass er international Erfolg
hat. Mit Blick auf Ihren Antrag müssen wir uns aber zu-
nächst fragen: Was sind eigentlich die Voraussetzungen
für eine europäische Einbindung der deutschen Energie-
wende? Ich will drei Voraussetzungen nennen, die mir
zentral scheinen:

Erstens. Wir müssen uns vor Augen führen, dass die
energiepolitischen Rahmenbedingungen in den Mit-
gliedsländern der EU unterschiedlich sind.

Zweitens. Voraussetzung für eine europäische Veran-
kerung der Energiewende ist ein kritischer Blick auf un-
sere eigene Energiepolitik, auf unsere Erfolge, die zwei-
fellos vorhanden sind, aber auch auf unsere Irrtümer.

Drittens. Nicht zuletzt brauchen wir für die europäi-
sche Energiepolitik eine Vorstellung von einem gemein-
samen Rahmen, der den unterschiedlichen Bedingungen
in den verschiedenen europäischen Ländern Rechnung
trägt und schrittweise ausgebaut wird.

Auf diese Unterschiede – das ist meine Hauptkritik –
gehen Sie in Ihrem Antrag viel zu wenig ein. Dies führt
dann zu unterschiedlichen Einschätzungen, wie die





Wolfgang Tiefensee


(A) (C)



(D)(B)

Energiewende auf europäischer Ebene verankert werden
kann. Das will ich im Einzelnen ausführen.

Deutschland wird sich für eine Reduktion der Treib-
hausgasemissionen innerhalb der EU um mindestens
40 Prozent bis 2030 einsetzen,


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Viel zu wenig!)


als Teil einer Zieltrias aus Reduktion der Treibhausgas-
emissionen, Ausbau der erneuerbaren Energien und Stei-
gerung der Energieeffizienz.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Herr Pfeiffer hat eben etwas anderes gesagt!)


Die Bundesrepublik macht sich stark für ein verbindli-
ches Ziel für den Ausbau der erneuerbaren Energien
– das Ziel sind 30 Prozent –; das ist Bestandteil unseres
Koalitionsvertrages,


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sagen Sie mal etwas zu Herrn Pfeiffer! Er hat eben etwas anderes gesagt!)


und das sagt auch die Bundesregierung bzw. der Minis-
ter an jeder Stelle.

Meine Damen und Herren, wenn wir von Europa re-
den, dürfen wir nicht nur die Europäische Kommission
im Blick haben. Der Ansatz, den ich geschildert habe,
deckt sich mit dem des Europäischen Parlaments. Das
Europäische Parlament hat im Februar dieses Jahres mit
drei verbindlichen Zielen der EU für das Jahr 2030 Ak-
zente gesetzt, nämlich Reduktion der CO2-Emissionen
um mindestens 40 Prozent, Ausbau der erneuerbaren
Energien auf 30 Prozent und eine Senkung des Energie-
verbrauchs um 40 Prozent. Die Ziele im Antrag der Grü-
nen sind zum Teil ambitionierter; ansonsten sind wir hin-
sichtlich der Zieltrias nicht weit auseinander.


(Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Das ist ja schon einmal was!)


Unseres Erachtens ist es wichtig, sicherzustellen, dass
jeder Mitgliedstaat einen verlässlichen Beitrag zum Er-
reichen dieser Zieltrias leistet. Ich kann Ihnen allerdings
nicht zustimmen, wenn Sie die nationale Energiewende
auch in Europa verankern wollen, um ihren Fortgang da-
mit effizienter und schneller zu gestalten. Ich fürchte,
dass wir bei einer Erhöhung der Geschwindigkeit Gefahr
laufen, die Zustimmung der Bevölkerung zu verlieren,
weil wir sie und uns überfordern. Die Sicherheit der
Energieversorgung und die Bezahlbarkeit von Energie
müssen immer im Blick behalten werden.

Auch wenn wir Vorreiter sind, müssen wir die Be-
lange unserer Partner berücksichtigen; denn wir sind auf
unsere Partner angewiesen. Beispielsweise haben wir die
Synchronisationsaufgaben im Rahmen unserer Energie-
wende noch nicht gelöst, also die Abstimmung von An-
gebot und Nachfrage. Derzeit bringen wir sozusagen un-
kontrolliert Strom aus erneuerbaren Energien zu unseren
Nachbarn. Das bringt beispielsweise Polen in Schwierig-
keiten, weil dann dort die eigenen, konventionellen
Kraftwerke heruntergefahren werden müssen und rote
Zahlen schreiben.

Ein anderes Beispiel ist der EU-Emissionshandel. Die
Grünen fordern in ihrem Antrag, die von der EU-Kom-
mission vorgeschlagene Marktstabilitätsreserve schon
deutlich vor 2020 einzuführen. Wir sind im Prinzip mit
dem Backloading, ja auch mit dem Set-aside einverstan-
den. Aber wir müssen innerhalb Europas auch die Be-
lange der osteuropäischen Staaten berücksichtigen. Das
bereits anvisierte Backloading im Rahmen der vorüber-
gehenden Herausnahme von 900 Millionen CO2-Zertifi-
katen macht den Staaten in Osteuropa große Sorgen.

Die größten Kooperationsmöglichkeiten in den Län-
dern der EU sehen wir darüber hinaus im Bereich der
Energieeffizienz. Deutschland zählt zu den wenigen In-
dustrieländern, die es geschafft haben, wirtschaftliches
Wachstum und Energieverbrauch zu entkoppeln. Mit
diesem technologischen Pfund wollen wir wuchern. In
der zweiten Jahreshälfte wird das Bundeswirtschafts-
ministerium einen Gesetzentwurf zur Umsetzung der
EU-Effizienzrichtlinie in nationales Recht vorlegen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ein Weiteres: die EEG-Umlage bei energieintensiven
Unternehmen. Wir können nicht auf der einen Seite die
bestehenden Ausnahmeregelungen für die Industrie als
fehlgeleitete Politik bezeichnen und auf der anderen
Seite die Bundesregierung auffordern, sich mit Nach-
druck für den Fortbestand der gültigen und erfolgreichen
Einspeisevergütung für erneuerbare Energien in Brüssel
einzusetzen. Auch wir sind für eine Verringerung der
Anzahl der Unternehmen, die unter die Ausgleichsrege-
lung fallen. Aber dieser Zusammenhang muss auch mit
Blick auf Brüssel gesehen werden.

Ein weiterer Punkt betrifft die Einführung der Aus-
schreibungssysteme. Ja, es stimmt: Derzeit kommen die
Ausschreibungssysteme in der Praxis nicht gut weg. Wir
sollten aus den Fehlentwicklungen lernen. Wichtig ist,
dass wir unser Pilotvorhaben in einer Größenordnung
von 400 Megawatt für Photovoltaik-Freiflächenanlagen
starten, die Pilotversuche auswerten und dann gemein-
sam nach Lösungen suchen, wie wir die kleinen Bürger-
windparks, gegebenenfalls zusammen mit den Stadt-
werken, in ein solches Ausschreibungssystem bringen.
Dann können wir zum richtigen Zeitpunkt die Einfüh-
rung von Ausschreibungssystemen diskutieren.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Zurück zu den Voraussetzungen. Ich plädiere dafür,
dass wir die unterschiedlichen europapolitischen Rah-
menbedingungen im Blick behalten, dass wir einen kriti-
schen Blick auf unsere eigene Energiepolitik bewahren
und dass wir eine Vorstellung für einen gemeinsamen
europäischen Rahmen entwickeln.

Wir lehnen den Antrag ab, da er die deutsche Energie-
wende unreflektiert in den Mittelpunkt einer europäi-
schen Verankerung stellt





Wolfgang Tiefensee


(A) (C)



(D)(B)


(Dr. Julia Verlinden [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Bitte? – Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist schlechter Parlamentarismus!)


und durch das Ausblenden der unterschiedlichen Rah-
menbedingungen in den Ländern einer europäischen
Energiewende nicht förderlich ist.

Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1802004300

Als nächster Rednerin erteile ich das Wort der Kolle-

gin Dr. Julia Verlinden, Bündnis 90/Die Grünen.


Dr. Julia Verlinden (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1802004400

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten

Damen und Herren! Ich bin schon etwas verwundert:
Heute führen wir eine Debatte über ein solch wichtiges
Thema, aber weder die Umweltministerin noch der
Energieminister sind anwesend. Das finde ich sehr
schade.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Sie hätten vielleicht zu etwas Aufklärung beitragen kön-
nen, was die Diskussion über die Zieltrias angeht. Das
scheint zwischen den Koalitionspartnern der Großen
Koalition noch nicht ganz geklärt zu sein.

Mein Kollege Toni Hofreiter hat es schon sehr tref-
fend beschrieben: Wenn es um mehr Klimaschutz, um
mehr erneuerbare Energien und um mehr Energieeffi-
zienz geht, dann ist von der Regierung des größten Lan-
des in der EU, nämlich von unserer Bundesregierung, in
Brüssel nichts zu sehen und nichts zu hören. Das finde
ich beschämend.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Ganz anders sieht es aus, wenn es beispielsweise da-
rum geht, neue CO2-Grenzwerte für die Automobilindus-
trie abzuwenden. Dann nämlich ist unsere Kanzlerin
Merkel ganz schnell in Brüssel, um allzu ambitionierte
Vorgaben zu verhindern. Liebe Frau Merkel, wollen Sie
wirklich von der einst gefeierten Klimakanzlerin jetzt
zur Klimaschutzblockiererin werden?

Herr Pfeiffer, ich bin sehr irritiert, was Sie zur Ziel-
trias gesagt haben. Wie gesagt, ich hätte mir hierzu et-
was Aufklärung gewünscht. Ich habe Herrn Tiefensee,
aber auch die Umweltministerin in den letzten Wochen
und Monaten immer so verstanden, dass sie sich für eine
Zieltrias einsetzen wollen. Ich erwarte jetzt Taten. Beim
EU-Gipfel gibt es ja die Gelegenheit dafür. Auch
darüber hinaus gibt es sehr viele Möglichkeiten, gute
und effektive Klima- und Energiepolitik aus Brüssel zu
unterstützen – insbesondere in Bezug auf die Energie-
effizienz.

Herr Pfeiffer hat das Thema Energieproduktivität an-
gesprochen. Sie sagen, wir seien bei der Energieproduk-
tivität schon sehr viel besser geworden. Herr Pfeiffer, Sie
machen bei der Statistik aber einen ganz großen Fehler:
Sie rechnen sie schön, wenn die Herstellung der Pro-
dukte, die wir importieren, in der Energiebilanz des Aus-
landes angerechnet wird. Sagen Sie doch einmal ganz
ehrlich, wie unsere Energieproduktivität tatsächlich aus-
sieht. Bei der Energieeffizienz haben wir noch sehr viel
Potenzial.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Sabine Leidig [DIE LINKE])


Ich fordere von der Bundesregierung also, dass sie
sich jetzt mit Nachdruck für ein neues EU-Ziel zur Sen-
kung des Energieverbrauchs einsetzt. Hier fordern wir
Grüne auch verbindliche nationale Ziele. Alles andere
wären einfach nur fromme Wünsche und keine ambitio-
nierte und verlässliche Politik.

Wir wollen auch, dass Sie jetzt endlich die EU-Effi-
zienzrichtlinie umsetzen. Es ist doch eine große gesell-
schaftliche und wirtschaftliche Chance, Einsparpoten-
ziale zu nutzen und Innovationen voranzutreiben. Das ist
auch das Gegenteil von einer sogenannten Deindustriali-
sierung, die Sie uns vorwerfen, Herr Kollege Pfeiffer. Es
ist Fortschritt, wenn man effizienter wirtschaftet.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Dr. Michael Fuchs [CDU/CSU]: Effizienz hat immer etwas mit Kosten zu tun! Aber das lernen Sie noch!)


– Genau, man spart nämlich Energiekosten, wenn man
die Energie effizienter nutzt. Das ist richtig.


(Dr. Michael Fuchs [CDU/CSU]: Ja, dann versuchen Sie das mal!)


Die Bundesregierung hat das Thema Energieeffizienz
jahrelang verschlafen, Herr Fuchs, und vernachlässigt es
auch weiterhin. Ihr Prinzip lautet offenbar: Zuerst wer-
den die Richtlinien in Brüssel verwässert, und dann wer-
den sie in Deutschland nur leidlich oder verspätet oder
als Papiertiger umgesetzt. Das war in der Vergangenheit
bei der EU-Gebäuderichtlinie so, und das ist jetzt auch
bei der EU-Energieeffizienzrichtlinie zu befürchten.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Sabine Leidig [DIE LINKE] – Dirk Becker [SPD]: Werden wir ja sehen!)


– Ja, das werden wir sehen. Setzen Sie sich dafür ein,
Herr Becker.


(Dr. Michael Fuchs [CDU/CSU]: Wer hat die denn blockiert? Rot-Grün hat das blockiert!)


Was zusätzlich den Eindruck vermittelt, dass es unse-
rer Bundesregierung mit einer echten Energiewende
nicht ernst genug ist – das Thema wurde auch schon an-
gesprochen –: Obwohl die geplanten Vorgaben der EU
für neue Beihilferichtlinien noch in der Diskussion sind
und Deutschland Einfluss nehmen könnte, plant Minister
Gabriel die von der Kommission nur vorgeschlagenen
Ausschreibungen für erneuerbare Energien in vorausei-
lendem Gehorsam schon einmal in seinem Gesetzent-
wurf zur EEG-Novelle mit ein. Genau das verhindert
doch, dass sich auch künftig Bürgerenergiegenossen-





Dr. Julia Verlinden


(A) (C)



(D)(B)

schaften und kleinere Unternehmen am Ausbau der er-
neuerbaren Energien beteiligen. Wollen Sie etwa keinen
Wettbewerb im Energiemarkt? Das würde mich doch
sehr wundern.


(Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Mich nicht!)


Herr Minister Gabriel – leider ist er jetzt nicht da,
aber vielleicht kann Frau Zypries ihm das ausrichten –,
ich wünsche mir, dass Sie aufhören, mit dem Finger auf
Brüssel zu zeigen und so zu tun, als könnten Sie nichts
ausrichten. Das Beispiel der CO2-Grenzwerte für Neu-
wagen zeigt doch: Deutschland kann sehr wohl Einfluss
nehmen. Sie haben es in der Hand, sich mit der Kommis-
sion in der EU zu einigen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Sabine Leidig [DIE LINKE])


Es gibt ganz aktuell noch einen Punkt, wo Sie Europa
in die richtige Richtung lenken können: Wenn Kommis-
sar Oettinger, den Sie ja nach Brüssel geschickt haben,
liebe Frau Merkel, jetzt nach Fracking ruft, dann antwor-
ten Sie ihm doch einfach: Fracking brauchen wir nicht.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wir setzen lieber auf Energieeffizienz und erneuer-
bare Energien, auch im Wärmesektor. Nur so schaffen
wir dauerhafte Unabhängigkeit von Öl-, Kohle- und
Gasimporten, und nur so erreichen wir Versorgungs-
sicherheit als nachhaltige Grundlage für unsere Wirt-
schaft.

Vielen Dank.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Sabine Leidig [DIE LINKE])



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1802004500

Nächster Redner ist der Kollege Thomas Bareiß,

CDU/CSU.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Thomas Bareiß (CDU):
Rede ID: ID1802004600

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine

Herren! Zu Beginn möchte ich der Fraktion der Grünen
ein Dankeschön für ihren Antrag aussprechen, weil ich
glaube, dass wir hier im Parlament viel zu wenig über
die Verankerung der Energiewende im europäischen
Kontext reden.

Nach dem Dankeschön muss ich aber gleich betonen,
liebe Frau Verlinden, dass Sie leider wieder auf halber
Strecke stehen bleiben. Ich möchte hier nur einmal einen
kleinen Satz aus Ihrem Antrag zitieren, weil er Ihre
Denke entlarvt und zeigt, dass Sie genau in die andere
als in die europäische Richtung gehen wollen. Ich zi-
tiere:

Verbindliche nationale Ziele sind zudem … ein
wichtiger Schritt, die sich abzeichnende Renationa-
lisierung der Energiepolitik abzuwenden.

Das ist genau das Gegenteil dessen, was Sie wollen.
Sie wollen keine europäische Energiepolitik. Sie konter-
karieren mit diesen Sätzen Ihren guten Ansatz, mehr für
Europa zu tun. Wir brauchen gerade in der Energiewirt-
schaft mehr Europa. Wir brauchen gemeinsame verbind-
liche Ziele. Wir brauchen eine Harmonisierung der Ge-
setzgebung. Wir brauchen einen gemeinsamen stärkeren
Binnenmarkt. Wir brauchen eine gemeinsame Infra-
struktur. Sprich: Wir brauchen mehr und nicht weniger
Europa in der Energiewirtschaft. Daran wollen wir ge-
meinsam arbeiten.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Lieber Herr Hofreiter, ich war angesichts Ihrer Rede
überrascht. Sie haben gesagt: Wir brauchen eine Be-
schleunigung der Energiewende. Frau Bulling-Schröter
hat von „Totalversagen“ gesprochen. Noch einmal: Wir
in Deutschland sind energiepolitisch Vorreiter in Europa.
Es gibt kein Land in Europa, es gibt kein Land in der
Welt, das so hohe energiepolitische Ziele hat wie
Deutschland. Wir wollen bis 2025 den Anteil der erneu-
erbaren Energien am Strommarkt auf 40 bis 45 Prozent
erhöhen, bis 2050 sogar auf 80 Prozent. Im Bereich des
Klimaschutzes wollen wir in Deutschland als nationales
Ziel bis 2020 die Emission von Treibhausgasen um
40 Prozent reduzieren. Wir wollen im Bereich Energie-
effizienz bis 2020 20 Prozent des Primärenergiever-
brauchs einsparen.


(Dr. Julia Verlinden [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das werden Sie mit dieser Politik nicht schaffen!)


Diese drei Bereiche machen deutlich: Wir sind Schritt-
macher in Europa. Wir sind Schrittmacher in der euro-
päischen und weltweiten Energiepolitik.

Nicht nur in der Zielsetzung sind wir Schrittmacher
und an der Spitze, sondern auch in der Umsetzung.


(Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, ja!)


Wir sind Weltmeister im Ausbau von erneuerbaren Ener-
gien. Wir haben einen so hohen Anteil an erneuerbaren
Energien wie kein anderes Land in der Welt: 24 Prozent
in 2013.


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist doch Quatsch!)


Wir hatten in den letzten Jahren einen Boom, den noch
nicht einmal Sie, Herr Krischer, vorhergesehen haben.
Das hat uns nicht immer nur gutgetan; auch das muss
man einmal sagen. Aber wir haben in den letzten Jahren
enorm viel aufgebaut.

Wir sind Weltmeister im Bereich der Energieeffi-
zienz. Keine Volkswirtschaft ist trotz eines starken Wirt-
schaftswachstums 2011 so effizient wie Deutschland.


Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1802004700

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage der

Kollegin Baerbock?


Thomas Bareiß (CDU):
Rede ID: ID1802004800

Ja, gerne.






(A) (C)



(D)(B)


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Weil Sie gesagt haben, wir seien in allem Weltmeister,
auch beim Ausbau der Erneuerbaren und beim Anteil der
Erneuerbaren am Strommarkt: Vielleicht können Sie ein-
mal ein paar Zahlen aus anderen Ländern nennen, um zu
sehen, wo diese stehen.

Ich möchte ein paar Zahlen nennen, die mir bekannt
sind: In Costa Rica liegt der Anteil an erneuerbaren
Energien am Strommarkt bei fast 100 Prozent,


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


in Portugal bei 55 Prozent, und auch Dänemark können
Sie in dieser Hinsicht einmal googeln. Was sind denn
Ihre Zahlen, um zu vergleichen, wo die anderen Länder
stehen?

Sie sagen einfach, wir seien hier an der Spitze. Sie
könnten das bei einer Wirtschaftsmacht differenzieren.
Das haben Sie aber nicht getan. Deswegen möchte ich
eine Klarstellung bei solchen Behauptungen, die einfach
nicht stimmen.


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN – Dr. Michael Fuchs [CDU/CSU]: Man kann doch nicht Costa Rica mit Deutschland vergleichen!)



Thomas Bareiß (CDU):
Rede ID: ID1802004900

Wissen Sie, Ihre Frage ist zugleich auch eine Ant-

wort. Wenn Sie Costa Rica mit Deutschland vergleichen
wollen, dann kann ich nur sagen: Wir sind eines der
wichtigsten Industrieländer der Welt. Wir sind Export-
weltmeister. Wir haben eine Bevölkerung von 80 Millio-
nen Menschen.


(Norbert Schindler [CDU/CSU]: Sie kann ja dahin ziehen!)


Eine solche Volkswirtschaft wie unsere gibt es nicht
noch einmal in Europa. Wir sind der Motor Europas. In-
sofern sage ich: Für uns sind die Zahlen ganz anders zu
bewerten als für Costa Rica oder andere Länder. Insofern
möchte ich Sie bitten, auch einmal die Größenmaßstäbe
zu berücksichtigen. Daher nehme ich die Frage gerne zur
Kenntnis. Aber ich kann sie, offen gesagt, nicht ganz
ernst nehmen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Dr. Michael Fuchs [CDU/ CSU]: Man kann die Grünen nicht ernst nehmen!)


Wir sind Weltmeister auch im Bereich der Energieef-
fizienz. Ich möchte es noch einmal betonen: Wir haben
trotz unseres Wirtschaftswachstums 2011 – das war sehr
gut – den Energieverbrauch um 4,8 Prozent gesenkt. Wir
haben die Energieproduktivität seit 1990 um rund
40 Prozent erhöht. Die deutschen Maschinen- und Anla-
genbauer sind in der Welt berühmt und geschätzt für ihre
Produkte mit hoher Energieeffizienz. Auch da haben wir
die Nase vorn.

Wir sind Weltmeister auch im Bereich des Klima-
schutzes. Das Kioto-Ziel, das Deutschland vorrangig mit
unterstützt, haben wir trotz anderer Aussagen längst
übertroffen. Deutschland hatte sich vorgenommen, bei-
spielsweise bis 2012 den Ausstoß der Treibhausgase um
21 Prozent zu reduzieren. Tatsächlich haben wir ihn um
25,5 Prozent reduziert.


(Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wie ist das mit dem CO2-Ausstoß?)


Wir sind also nicht nur im Fahrplan mit unserer Reduk-
tion des CO2-Ausstoßes, sondern wir sind sogar über das
hinausgegangen, was wir uns vorgenommen haben, liebe
Frau Höhn.

Ich bitte Sie, anzuerkennen, dass wir hier Vorreiter
sind, unsere Ziele nicht nur einhalten, sondern sie sogar
übertreffen. Ich fordere Sie nicht auf, darauf stolz zu
sein, aber Sie müssen immerhin anerkennen, dass die
Zahlen für uns sprechen und dass wir im Bereich des
Klimaschutzes wie kein anderes Land nach vorne kom-
men.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Bei all den Zielsetzungen, die wir haben, und bei der
Umsetzung tun wir das auch als Industrienation, wie ich
vorhin beschrieben habe. Wir wollen auch in den nächs-
ten Jahren Industrienation bleiben, mit einem Industrie-
anteil von 23 Prozent oder vielleicht sogar noch mehr.

Wenn man berücksichtigt, dass mit 50 Prozent ein
Großteil des von uns produzierten Stroms in die Indus-
trie fließt, dann muss man anerkennen, dass die Energie-
wirtschaft die Grundlage nicht nur für die Wettbewerbs-
fähigkeit unserer Produkte, sondern auch für unsere
Arbeitsplätze ist. Deshalb ist es nicht nur unser An-
spruch, sondern auch unsere Verpflichtung, verantwor-
tungsvoll mit dem Thema Energiepreise und Energiesi-
cherheit umzugehen.

Eine Volkswirtschaft muss auch die Kraft haben, eine
solche enorme Herausforderung, wie sie schon von mei-
nen Vorrednern beschrieben worden ist, stemmen zu
können. Bei all den Erfolgen, die wir erzielt haben, dür-
fen wir nicht vergessen: Wir haben beim Ausbau der er-
neuerbaren Energien meines Erachtens inzwischen die
wirtschaftliche und technische Belastbarkeitsgrenze er-
reicht. Denn Deutschland ist zwischenzeitlich nicht nur
Spitzenreiter in allen Ausbauzielen und Umsetzungs-
maßnahmen geworden, sondern wir sind auch Spitzen-
reiter im Bereich der Stromkosten. Im Durchschnitt lie-
gen die deutschen Strompreise 45 Prozent über dem EU-
Schnitt. Die Industriestrompreise liegen über 20 Prozent
über dem EU-Schnitt. Die neuesten Zahlen zeigen, dass
nur noch Dänemark, Malta und Italien höhere Industrie-
strompreise haben.

Deshalb müssen wir jetzt den Schwerpunkt auf Wirt-
schaftlichkeit und Energiesicherheit legen. Die Phase der
Markteinführung von erneuerbaren Energien ist über-
schritten. Wir müssen jetzt in eine neue Phase kommen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Deshalb besteht auch Änderungsbedarf beim EEG.
Aktuell liegen schon Vorschläge vor. Wir brauchen jetzt





Thomas Bareiß


(A) (C)



(D)(B)

einen Systemwechsel. Einen verlässlichen Zubaukorri-
dor für erneuerbare Energien packen wir jetzt an. Im
ersten Schritt müssen wir jetzt dafür sorgen, dass die Er-
zeuger erneuerbarer Energien verpflichtet werden, ihr
Produkt direkt am Markt zu platzieren. Damit schaffen
wir Systemintegration für erneuerbare Energien, und wir
schaffen Markt und Wettbewerb, der auf beiden Seiten
dringend gebraucht wird.

Im zweiten Schritt müssen wir den zukünftigen Zu-
bau ausschreiben, also auch hier einen Systemwechsel
einleiten. Damit bekommen wir Verlässlichkeit für die
Planung der Infrastruktur auch im Bereich der fossilen
Kraftwerke und im Bereich der Speicher. Wir schaffen
darüber hinaus ein System, in dem der Preis für erneuer-
bare Energien vom Markt statt vom Deutschen Bundes-
tag festgelegt wird. Auch das ist ein ganz wichtiger Sys-
temwechsel, den wir einleiten wollen.


Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1802005000

Herr Kollege Bareiß, gestatten Sie noch eine Zwi-

schenfrage der Kollegin Bulling-Schröter?


Thomas Bareiß (CDU):
Rede ID: ID1802005100

Ja, gerne.


(Dr. Michael Fuchs [CDU/CSU]: Musst du das denn tun?)



Eva-Maria Bulling-Schröter (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1802005200

Danke schön. – Sie haben gerade davon gesprochen,

dass die Industriestrompreise in Europa so hoch wären.
In einem Artikel der Berliner Zeitung von gestern ging
es um die Frage, ob die Energiewende die Aluminium-
industrie bedroht. Wir beide wissen, Aluminium ist sehr
energieintensiv. In dem Artikel steht, dass man in der
Aluminiumindustrie selbst in der Energiewende über-
haupt keine Bedrohung sieht. Das schreibt die Berliner
Zeitung, die ja keine linke oder grüne Zeitung ist.

In dem Artikel heißt es weiter – ich zitiere –:

Derzeit ist die Energie für Industrieunternehmen so
billig zu haben wie seit neun Jahren nicht mehr.
Hinzu kommt, dass sich die Alu-Erzeuger von der
Ökostrom-Umlage befreien lassen können.

Soweit mir bekannt ist, liegen die Strompreise an der
Strombörse bei 3,5 Cent. Ich kann mich noch an meine
letzte Rede erinnern: Zu der Zeit lag Frankreich mit
Atomstrom bei 5 Cent.


Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1802005300

Frau Kollegin Bulling-Schröter, Sie wollten eine

Frage stellen.


Eva-Maria Bulling-Schröter (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1802005400

Meine Frage ist: Sind Sie der Meinung, dass in die-

sem Artikel gelogen wird?


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


Thomas Bareiß (CDU):
Rede ID: ID1802005500

Ich bin der Meinung, dass dieser Artikel ebenso wie Sie

die Lage verzerrt darstellt. Sie müssen sehen, dass der
Strombörsenpreis nicht die einzige Grundlage der Strom-
rechnung ist – das gilt auch für eine Aluminiumhütte –,
sondern es kommen noch weitere Faktoren hinzu. Eine
Aluminiumhütte zahlt zwar eine vergünstigte EEG-Umlage
in Höhe von 0,05 Cent pro Kilowattstunde Strom. Aber
diese Umlage ist angesichts eines Stromverbrauchs, der im
Terawattstundenbereich liegt, viele Millionen Euro hoch.
Damit sind die Kosten pro Arbeitsplatz in einer Alumini-
umhütte mit 10 000 bis 20 000 Euro zu veranschlagen.
Ich bitte Sie, einfach mit Gewerkschaftsvertretern und
Betriebsräten von Aluminiumhütten zu sprechen. Diese
werden Ihnen die Situation deutlich darlegen. Dann wer-
den Sie auch verstehen, dass wir hier Wettbewerbsnach-
teile haben, die wir dringend beseitigen müssen. Sonst
gehen die entsprechenden Wertschöpfungsketten verlo-
ren. Das ist weder in unserem Sinne noch im Sinne der
Energiewende und des Klimaschutzes.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Wir trauen den erneuerbaren Energien zu, sich dem
Markt zu stellen. Wir brauchen in diesem Bereich mehr
Markt und Wettbewerb. Die Vorschläge des Ministers
liegen nun auf dem Tisch. Wir werden hier den Minister
unterstützen und ihm helfen, diese Vorschläge Schritt für
Schritt umzusetzen. Je früher wir das anpacken, desto
besser ist es für die Energiewende.

Angesichts dessen, was wir in den nächsten Wochen an-
packen, ist es wichtig, dass wir die Probleme im europäi-
schen Kontext schrittweise lösen. Nur so können wir das
Thema Wettbewerb und Markt ganzheitlich angehen. Wir
knüpfen mit dem europäischen Gedanken auch an unsere
Geschichte an; denn es war immer Aufgabe der Europäi-
schen Gemeinschaft, die Energieversorgung ganzheitlich
zu sehen und die Probleme, die wir bei Energiesicherheit
und Bezahlbarkeit der Energie sowie bei Umwelt- und
Klimaschutz haben, gemeinsam zu lösen.

Ich sehe hier viele Möglichkeiten der Zusammenar-
beit, zum Beispiel beim Zubau von erneuerbaren Ener-
gien. Dieser wird oft sehr kritisch gesehen. Aber man
muss einfach anerkennen, dass wir in Deutschland
durchschnittlich 800 Sonnenstunden im Jahr haben,
während es in Spanien 2 600 bis 2 800 Sonnenstunden
sind. Deshalb stellt jede Photovoltaikanlage, die in Spa-
nien und nicht in Hamburg oder Berlin gebaut wird, ei-
nen viel höheren Gewinn für die gesamteuropäische
Energiewende dar. Das wäre viel effizienter und günsti-
ger. Wir müssen daher darüber nachdenken, wie wir ge-
meinsam die Potenziale Gesamteuropas Stück für Stück
besser nutzen können. Wir werden zwangsläufig zu einer
schrittweisen Harmonisierung gewisser Fördersysteme
kommen müssen.

Wir brauchen außerdem einen Ausbau der Infrastruk-
tur. Gerade Deutschland als Herzland in Europa wird
von einem Ausbau der Infrastruktur profitieren, insbe-
sondere von einer stärkeren Energiesicherheit, aber auch
von mehr Effizienz, die wir dadurch erzielen.






(A) (C)



(D)(B)


Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1802005600

Herr Kollege Bareiß, gestatten Sie eine weitere Zwi-

schenfrage des Kollegen Lenkert?


Thomas Bareiß (CDU):
Rede ID: ID1802005700

Also gut, gerne.


Ralph Lenkert (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1802005800

Vielen Dank, Kollege Bareiß. – Ich möchte Sie fra-

gen: Sie schlugen gerade vor, Solarenergie nicht in
Deutschland, sondern in Spanien zu produzieren, weil es
dort mehr Sonnenstunden gibt. Das stimmt. Aber ist Ih-
nen bekannt, dass die Entfernung zwischen Spanien und
der Bundesrepublik Deutschland etwa 2 500 bis 3 000
Kilometer beträgt und dass pro 1 000 Kilometer mit
Übertragungsverlusten in Höhe von 30 Prozent beim
Strom zu rechnen ist? Ist Ihnen weiterhin bekannt, dass
diese Übertragungsverluste mitnichten von den Solar-
stromproduzenten und der Großindustrie in Deutschland
– diese sind schließlich von den Netzentgelten befreit –,
sondern von den Verbraucherinnen und Verbrauchern
getragen werden müssen, die an den Stromtrassen leben?
Wenn der Stromverlust beim Transport von Spanien
nach Deutschland drei mal 30 Prozent beträgt, die Kos-
ten aber nur auf die Verbraucherinnen und Verbraucher
umgelegt werden und neue Stromtrassen notwendig wer-
den, ist es dann aus Ihrer Sicht wirtschaftlich noch sinn-
voll, Solarstrom aus Spanien mithilfe der bestehenden
Netze nach Deutschland zu transportieren?


(Beifall bei der LINKEN)



Thomas Bareiß (CDU):
Rede ID: ID1802005900

Lieber Kollege, ich erkenne an, dass wir beide an-

scheinend das gleiche Ziel haben, Strom zu bezahlbaren
Preisen zu produzieren. Wenn wir sehen, dass andere
Länder in Europa drei- bis viermal so viele Sonnenstun-
den haben wie wir in Deutschland, dann muss uns das
zum Nachdenken anregen. Sie wissen genauso gut wie
ich, dass es schon heute Technologien gibt, die die Über-
tragungsverluste deutlich verringern. Bei einer Hoch-
spannungsgleichstromübertragung liegt der Verlust nicht
bei 30 bis 40 Prozent, sondern bei maximal 3 bis 4 Prozent.
Angesichts dessen ist es bedenkenswert, ob solche Leitun-
gen in Europa Sinn machen und dafür geeignet sind, zu-
künftige starke Produktionszentren mit Lastzentren zu ver-
binden, die zum Beispiel in Süddeutschland liegen. Das
machen wir auch schon in Deutschland. Wir versuchen, in
den nächsten Jahren den Zubau von Windenergieanlagen in
Norddeutschland besser zu organisieren, weil es dort mehr
Volllaststunden gibt. Damit der Süden Deutschlands genü-
gend Strom bekommt, brauchen wir aber Gleichstromüber-
tragungsleitungen. Das machen wir auch hier. Deshalb
glaube ich, dass wir nicht nur national denken sollten,
sondern dass wir mehr europäisch denken sollten. Das
betrifft aber auch andere Bereiche, in denen wir die Nase
vorne haben. Es macht Sinn, darüber nachzudenken. Un-
ter dem Strich wäre eine solche Lösung vielleicht sogar
günstiger als das, was wir heute machen.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Wir brauchen neben dem Ansatz einer ganzheitlichen
Betrachtung der erneuerbaren Energien auch einen An-
satz, der die konventionellen Kraftwerke berücksichtigt.
Wir werden auch in den nächsten Jahren stärker schauen
müssen, wie wir den Zubau von effizienten konventio-
nellen Kraftwerken, die wir als Ergänzung zu volatilem
Sonnen- und Windstrom auch noch brauchen, gemeinsam
in Europa angehen. Wir brauchen gemeinsame Mechanis-
men – ich möchte nicht von Kapazitätsmechanismen spre-
chen – und Überlegungen, wie wir nicht nur national, son-
dern auch international vorgehen. Wir schaffen Instrumente
und Rahmenbedingungen, damit die Errichtung von sol-
chen Kraftwerken möglich wird.

Wir werden auch in dem zukünftigen Strommix Kern-
energie haben, Strom aus Kernenergie wird also auch
nach Deutschland gehen. Deshalb müssen wir auch hier
gemeinsame Standards finden. Das liegt in unserem ge-
meinsamen Sicherheitsinteresse. Auch das ist mir ein
wichtiges Anliegen.

Mein letzter Punkt betrifft den Klimaschutz. Auch
den müssen wir gemeinsam anpacken. Das habe ich
schon zu Beginn erwähnt. Wir brauchen auch in diesem
Bereich gemeinsame europäische Ziele. Der Kollege
Pfeiffer hat zu Recht gesagt, wir müssten überlegen, ob
wir das CO2-Ziel als oberstes Ziel thematisieren. Wir
brauchen nicht zwei oder drei Ziele, sondern es macht si-
cherlich Sinn, sich auf ein Ziel zu konzentrieren. Andere
Ziele werden sich diesem obersten Ziel unterordnen.

Unsere Ziele sind anspruchsvoll und eine Herausfor-
derung. Wir haben Enormes vor. Noch einmal: Die Ener-
giewende kann nur gelingen, wenn wir sie besser euro-
päisch einbetten. Wir wollen dieses Projekt gemeinsam
starten.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1802006000

Vielen Dank, Herr Kollege Bareiß. – Ich erteile jetzt

der Kollegin Caren Lay, Fraktion Die Linke, das Wort.


(Beifall bei der LINKEN)



Caren Lay (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1802006100

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Ich möchte gerne auf das Thema der Indus-
trieprivilegien zu sprechen kommen. Wir haben es ge-
hört: Über 2 000 Industrieunternehmen sind inzwischen
von diversen Bestandteilen ihrer Stromrechnung befreit,
die dann die Verbraucherinnen und Verbraucher und die
nicht befreiten Unternehmen für sie mitbezahlen. Das
überprüft gerade die EU. Die Bundesregierung klagt da-
gegen. Ich habe von den Rednern der Koalition bisher
fast nichts dazu gehört, außer dass sie das in der bisheri-
gen Form verteidigt haben; denn sie haben gesagt, das
sichere Arbeitsplätze und den Standort Deutschland.

Ich finde, wir müssten all denjenigen, die dieser De-
batte zuhören, die ganze Wahrheit sagen. Die ganze
Wahrheit bedeutet, dass die Anzahl der befreiten Unter-





Caren Lay


(A) (C)



(D)(B)

nehmen nicht nur enorm angestiegen ist, sondern dass
die gesamte Konstruktion dieser sogenannten Industrie-
rabatte auch erhebliche Pferdefüße hat. Erstens. Sozial-
politisch heißt das nichts anderes, als dass beispielsweise
der Hartz-IV-Empfänger oder die alleinerziehende Mut-
ter für den Braunkohlekonzern Vattenfall die Stromrech-
nung mitbezahlen. Finden Sie das sozial gerecht? Wir
nicht.


(Beifall bei der LINKEN)


Zweitens. Großbäckereien sind zum Teil von Strom-
kosten befreit, der Handwerksbäckerbetrieb an der Ecke
ist es aber nicht. Das hat doch nichts mit dem Standort
Deutschland zu tun. Das ist einfach nur wirtschaftspoliti-
scher Unsinn.


(Beifall bei der LINKEN)


So manches Unternehmen nimmt die derzeitige Rege-
lung zu Industrierabatten zum Anlass, um feste Beschäf-
tigung in Leiharbeitsverhältnisse umzuwandeln. Wa-
rum? Sie rechnen ihre Arbeitskosten künstlich herunter
und können dann als Ergebnis dieser sinnlosen Regelung
auch noch Stromkosten auf Kosten aller anderen Ver-
braucher einsparen. Das hat mit guter Arbeitsmarktpoli-
tik überhaupt nichts zu tun. Das ist eine Einladung zum
Lohndumping. Deswegen lehnen wir das ab.


(Beifall bei der LINKEN)


Andere Firmen rechnen ihre Stromkosten künstlich
hoch. Festtagsbeleuchtung am Wochenende, man lässt
auch einmal eine Maschine über Nacht laufen. Am Ende
wird man auch noch dafür belohnt. Wir sagen: Das ist
eine Einladung zur Energieverschwendung. So wie bis-
her kann es nicht bleiben.


(Beifall bei der LINKEN)


Meine Damen und Herren, zur ganzen Wahrheit ge-
hört, dass über 5 Milliarden Euro von Otto Normalver-
braucher und Erika Mustermann für die privilegierten
Unternehmen an Stromkosten mitbezahlt werden. Wir
müssen an die Industrieprivilegien in der bestehenden
Form herangehen; denn so kann es nicht bleiben.


(Beifall bei der LINKEN)


Herr Pfeiffer, wenn Sie hier schon den Standort
Deutschland bemühen, dann möchte ich dazu etwas sa-
gen. Wenn wir über Wirtschaftspolitik und Arbeitsplätze
reden, dann möchte ich, bitte schön, dass wir auch über
die 400 000 Arbeitsplätze sprechen, die im Bereich der
erneuerbaren Energien in den letzten Jahren entstanden
sind. Die Vorgängerregierung hat mit ihrer verfehlten
Politik dafür gesorgt, dass schon Zehntausende Arbeits-
plätze in der Solarbranche eingegangen sind, viele davon
in Ostdeutschland. Das ist eine Form von Deindustriali-
sierung, die wir als Linke ablehnen.


(Beifall bei der LINKEN)


Deswegen muss ich auch sagen: Das, was Sie derzeit in
Form der EEG-Novelle vorhaben, hat mit einer nachhal-
tigen Wirtschaftspolitik nichts, aber auch überhaupt
nichts zu tun.
Ich sage: Wenn diese Regierung nur halb so viel
Energie darauf verwenden würde, das System der Indus-
trieprivilegien zu reformieren anstatt den Ausbau der er-
neuerbaren Energien zu deckeln, dann wären wir schon
ein ganzes Stück weiter.


(Beifall bei der LINKEN)


Meine Damen und Herren, auch wir Linke lehnen die
Industrieprivilegien nicht komplett ab; aber wir wollen
sie an sinnvolle Kriterien koppeln. Das erste Kriterium
wäre, dass ein Unternehmen tatsächlich im internationa-
len Wettbewerb steht. Das zweite Kriterium wäre, dass
ein Unternehmen technologiebedingt energieintensiv
produziert. Entschuldigen Sie, das kann ich weder bei
einer H&M-Filiale noch bei einem Golfplatz noch bei
einer Saunaanlage erkennen. Das dritte Kriterium wäre
– da gehen wir über die Vorschläge im Antrag der Grü-
nen hinaus –:


(Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Logisch! Das kann gar nicht anders sein!)


Industrierabatte kann es nur dann geben, wenn es tat-
sächlich verbindliche Energieeinsparziele gibt. Ansons-
ten bleibt es nämlich bei dieser Einladung zur Energie-
verschwendung, und das kann so nicht bleiben.


(Beifall bei der LINKEN)


Meine Damen und Herren, ich komme zum Schluss.
Dieser Vorschlag wäre EU-konform. Er wäre sozial ge-
recht und würde uns dieses Beihilfeverfahren ersparen.
Mit unseren Vorschlägen zur Energiepolitik, die wir ges-
tern vorgestellt haben, würde eine durchschnittliche
deutsche Familie im Jahr über 180 Euro an Stromkosten
sparen, ohne dass wir den Ausbau der erneuerbaren
Energien aufs Spiel setzen würden. Daran könnten Sie
sich vielleicht einmal ein Beispiel nehmen.


(Beifall bei der LINKEN)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1802006200

Als nächstem Redner erteile ich das Wort dem Kolle-

gen Dirk Becker, SPD.


(Beifall bei der SPD)



Dirk Becker (SPD):
Rede ID: ID1802006300

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Wenn so viele Redner vor einem gesprochen haben,
besteht immer das Problem, dass man von seinem Rede-
manuskript eigentlich abweichen muss, weil es einiges
klarzustellen gibt.


(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Das ist für einen Ostwestfalen doch kein Problem!)


– Danke, Herr Staatssekretär.

Ich darf feststellen, dass sich die Frage stellt: Wo ist
eigentlich der Minister? Während wir hier Anträge bera-
ten, während sich einige lohnenswerte Gedanken ma-
chen, verhandelt er derzeit mit der EU. Niemand weiß,
wie das Ganze ausgeht. Sie alle wissen ja, bereits seit
Dezember wird verhandelt. Also brauchen wir jetzt





Dirk Becker


(A) (C)



(D)(B)

keine Empfehlung, genau dies zu tun. Wir gehen davon
aus, dass wir mit Blick auf die Besondere Ausgleichsre-
gelung relativ zeitnah Erfolg haben.


(Zuruf des Abg. Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


– Herr Krischer, Sie werden wissen, was die Bundes-
regierung will, wenn man sich mit der EU geeinigt hat.
Eines ist, strategisch gesehen, relativ clever:


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aha!)


Wenn man unterschiedliche Positionen zueinanderbrin-
gen will, dann sollte man den anderen nicht über die
Öffentlichkeit in die eigenen Karten gucken lassen.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Seien Sie sich sicher, dass folgende Dinge gelten:

Wir brauchen ein europarechtskonformes EEG. Die
Besondere Ausgleichsregelung, Frau Lay, ist einer der
Punkte, weswegen das EEG-Beihilfeverfahren läuft. Sie
haben recht: Die Ausweitung der Besonderen Aus-
gleichsregelung, die zu Fehlentwicklungen geführt hat
– deren Beurteilung ich teile –, ist der Grund dafür. Wir
werden dafür sorgen, dass die stromintensiven Unterneh-
men im internationalen Wettbewerb mit Blick auf die
Arbeitsplätze in Deutschland erhalten bleiben, dass es
aber in den Bereichen zu einer Reduzierung kommt, wo
eine solche Regelung einfach nicht verantwortbar ist.
Das dafür notwendige Vertrauen hat der Minister.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Ähnlich wie der Kollege Pfeiffer danke ich den Grü-
nen für diese Debatte. Ich danke ihnen aber auch, weil
wir endlich wieder über Klimapolitik und Wirtschafts-
politik reden. Das sind keine Gegensätze, sondern wir
müssen sie beide gemeinsam erfolgreich betreiben.


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dass sie Gegensätze sind, das hat auch niemand behauptet! – Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Wirtschaftspolitik können die Grünen nicht!)


Frau Verlinden, ich will über das Thema Zieltrias,
über die Ziele der Bundesregierung hier jetzt nicht mehr
groß reden. Sie haben vom Ministerium eine schriftliche
Stellungnahme zu Ihrer Anfrage bekommen. Darin steht,
dass die Regierung für die Zieltrias ist. Wir sind also
auch hier für ambitionierte Werte.


(Zuruf des Abg. Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


– Lieber Oliver Krischer, es ist doch so einfach, sich
hierhinzustellen und zu behaupten: Die Regierung ver-
hindert, dass die EU sich auf das Ziel festlegt, die CO2-
Emissionen bis 2030 um mindestens 55 Prozent zu redu-
zieren.

Schauen wir einmal zurück auf die Verhandlungen.
Das Schlimme ist: Sie wissen ja, wie das Ganze gelaufen
ist. Dass überhaupt 40 Prozent erreicht wurden, ist nicht
gegen, sondern wegen Deutschland erreicht worden.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

In den Verhandlungen, in denen die Naturschutzver-
bände 55 Prozent gefordert haben und wir bei unter
40 Prozent waren, hat es SMS-Verkehr zwischen den
Organisationen und den Verhandlungspartnern gegeben.
Dort hieß es: Wenn ihr 40 Prozent abschließen könnt,
dann macht das. In diesem Moment ist es dann genug. –
Dann kann man sich nicht zwei Stunden später hinstellen
und sagen: Es ist alles zu wenig. Hier muss man einmal
sagen: Wir danken dieser Bundesregierung, die dies
möglich gemacht hat. Das gehört zum Verfahren.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Ich bin aber auch bei Ihnen. Europäische Energiepoli-
tik hört sich super an.


(Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich kann verstehen, dass es bitter ist, diese Politik zu verteidigen!)


– Das Einzige, was bitter ist, ist, dass Sie nicht mitspie-
len können. Deshalb sind Sie sauer. Opposition ist Mist.
Ich weiß das.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)


Herr Krischer, ich will Ihnen Folgendes sagen. Es ist
einfach, sich hierhinzustellen und zu sagen, die Bundes-
regierung ist schuld, dass die 55 Prozent nicht durch-
gesetzt wurden. Das habe ich gerade gesagt. Es ist bei-
spielsweise auch einfach, zu sagen: Ihr müsst sehen, dass
das Thema Kernenergie als Klimaschutzinstrument
herausgenommen wird.

Ich will eines ganz klar sagen: Ich bin in der Sache
bei Ihnen. Aber: Wenn Deutschland sagt: „Wir machen
keine Vereinbarungen mit, in denen das Thema Kern-
energie als Klimaschutzinstrument steht“, dann versagen
uns im Gegenzug die Briten die Zustimmung zu den
40 Prozent. In Europa haben wir ein Einstimmigkeits-
verfahren und kein Mehrheitsverfahren. Europa besteht
aus mehr Staaten als aus Deutschland. Wir können im
Bundestag nicht Richtung Europa gehen und sagen:
Macht das mal alle nach. – Die Realität der Energiepoli-
tik in Europa ist eine andere. Gucken Sie nach Polen,
gucken Sie nach England, gucken Sie nach Frankreich.
Da ist es zu leicht, zu sagen: Die Bundesregierung ist
schuld, dass nichts passiert. – Der Unterschied zu
Deutschland ist: Bei uns wird die Energiewende sehr
stark von den Menschen im Land getragen. Im Endeffekt
hat die Politik das aufgenommen, was die Menschen in
diesem Land wollten. Fukushima war der entscheidende
Funke, dass alle mitgemacht haben. Nehmen wir doch
bitte einmal zur Kenntnis, dass in Polen, Frankreich und
Großbritannien die Debatte anders läuft.

Gestern hatte ich eine Delegation aus Asien zu Gast.
Sie sagten: Wir finden super, was ihr macht. Wir wollen
das auch. Bei uns zu Hause interessiert es keinen Men-
schen. Wie können wir Anreize schaffen? Wenn wir dies
politisch durchsetzen wollen, bekommen wir keine Un-
terstützung.

Wenn wir die Ziele in weiten Bereichen teilen, dann
müssen wir einen europäischen Prozess in Gang setzen,
der von den Menschen getragen wird. Wir Deutsche dür-





Dirk Becker


(A) (C)



(D)(B)

fen nicht sagen: Wir stülpen euch etwas über. – Dafür
bekommen wir keine Mehrheit. Das muss man in der
realistischen Einschätzung der Europapolitik ausspre-
chen.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Ich möchte kurz auf ein paar weitere Punkte einge-
hen.

Ich habe gerade etwas zur Besonderen Ausgleichs-
regelung gesagt. Hier erspare ich mir weitere Ausfüh-
rungen.

Wir haben ein zweites großes Problem: Das ist der
Emissionshandel. Der Emissionshandel ist ein Haupt-
grund, warum viele andere geplante Maßnahmen zurzeit
finanziell erschwert werden. Wir sehen zur Börse. Der
Emissionshandel hat unmittelbare Auswirkungen auf
den Börsenstrompreis in Deutschland. Es ist aber auch
Tatsache, dass der Anteil des Braunkohlestroms und die
CO2-Emissionen zunehmen. Es ist doch völlig klar, dass
wir dort handeln müssen. Ich verweise auf die Bundes-
umweltministerin, die das getan hat. Sie hat eindeutig
gesagt: Wir müssen beim Emissionshandel nicht die
900 Millionen Zertifikate aus dem Handel nehmen – ich
will dem Kollegen Schwabe nicht alles vorwegnehmen;
er wird das gleich noch ausführen –, wir brauchen die
2 Milliarden, und zwar schon 2016. Dann muss man in
den Verhandlungen die Mehrheiten organisieren. Klar ist
doch, dass auch wir diese Entwicklung kritisch sehen.
Wenn es so weitergeht, haben wir ein Problem mit den
Klimazielen; das muss man einmal aussprechen.

Ich sage Ihnen eines: Die EEG-Novelle zu kritisieren,
sie würde es an dieser Stelle verhindern, geht fehl. Das
ist nicht zutreffend. Diese Bundesregierung hat an meh-
reren Stellen, auch durch den Bundesminister für Wirt-
schaft und Energie, deutlich gemacht, dass das Thema
Energieeffizienz jetzt wieder den Platz auf der Tagesord-
nung einnimmt, den es verdient und den es beim letzten
Bundeswirtschaftsminister in dieser Form nicht gehabt
hat, wenn es bei ihm überhaupt einen hatte. Das will ich
zugestehen. Wir werden – das hat der Minister zuge-
sagt – bezüglich der Umsetzung der Energieeffizienz-
richtlinie so schnell wie möglich liefern. Vielleicht war-
ten Sie die Lieferung ab und entscheiden dann. Ich
glaube, dass auch Sie an diesem Punkt viel Übereinstim-
mung finden werden.

Ich danke für die Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Dr. Julia Verlinden [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da steht „sachgerecht umsetzen“! – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Im Koalitionsvertrag steht etwas anderes!)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1802006400

Nächster Redner ist der Kollege Alexander Ulrich,

Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)


Alexander Ulrich (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1802006500

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es

ist schon bedauerlich, wie es manchmal so mit dem Ge-
dächtnis ist. Ich glaube, es ist ganz wichtig, dass wir
nicht mit doppelten Standards agieren. Der Beschluss
zum Atomausstieg in Deutschland, der mit dem Be-
schluss verbunden war, viel mehr erneuerbare Energien
zu erzeugen, und auch die Bestrebungen der Europäi-
schen Union werden natürlich konterkariert, wenn der
Bundeswirtschaftsminister in die Ukraine fährt und sagt,
die Europäische Union solle Strom aus der Ukraine im-
portieren. Denn über 90 Prozent der Stromerzeugung der
Ukraine stammen aus Kohle und Atom. Wie man dann
noch als Energieminister im Deutschen Bundestag eine
glaubwürdige Politik betreiben will, ist vollkommen
fraglich.


(Beifall bei der LINKEN)


Eine europäische Energiewende im Interesse der
Menschen und der Umwelt hat eine klare Absage an nu-
kleare und fossile Energieträger zur Voraussetzung. Aber
Gabriels doppelgleisige Irrfahrt durch die Energie- und
Klimapolitik und auch die Vorliebe für nukleare und fos-
sile Energieträger bilden leider keine Ausnahme, weder
auf deutscher noch auf EU-Ebene. Eine Schwäche für
fossile Energieträger offenbaren die jetzt von der EU-
Kommission vorgeschlagenen EU-Energie- und -Klima-
ziele. Sie spiegeln deutlich die Interessen der energiein-
tensiven Industrie und der Stromkonzerne wider, und
zwar zulasten eines sozial-ökologischen Umbaus der eu-
ropäischen Energieversorgung. Bleibt die EU bei diesem
kaum ambitionierten Kurs, blockiert sie damit alle noch
verbleibenden Möglichkeiten, den Klimawandel und
seine katastrophalen Auswirkungen auf Menschen und
Umwelt einzudämmen.


(Beifall bei der LINKEN)


Ganz offensichtlich ist das von der EU-Kommission
aber genau so gewollt. Nicht die Interessen der Men-
schen und der Umwelt, sondern die Interessen der ener-
gieintensiven Industrien und der Atomlobby werden mit
solchen Zielen geschützt. Das zeigt sich zum Beispiel
daran, dass Fracking als europaweite Alternative gehan-
delt wird. Die Linke lehnt diese Technologie ab, die un-
verantwortliche Risiken für Bevölkerung und Umwelt
birgt, insbesondere auch für das Trinkwasser.


(Beifall bei der LINKEN)


Weil hier so viel von dem Problem geredet wird, dass
unsere Nachbarländer noch auf Atomstrom setzen,
möchte ich sagen: Es ist zwingend notwendig, dass wir
endlich mit Euratom Schluss machen.


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN])


Es kann doch nicht sein, dass über Euratom in den letz-
ten fünf Jahren fast 4 Milliarden Euro in eine Energie-
form investiert wurden, die wir eigentlich abschaffen
wollen. Deshalb müssen wir aus Euratom aussteigen.
Dazu eine Kritik am Grünen-Antrag: Sie wollen die





Alexander Ulrich


(A) (C)



(D)(B)

Energiewende europäisch verankern, aber gehen in Ih-
rem Antrag überhaupt nicht auf Euratom ein.


(Beifall bei der LINKEN)


Aber man erreicht keine Energiewende, ohne das Thema
anzufassen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, es muss auch end-
lich damit Schluss sein, dass wir den Bau von Atomreak-
toren in der ganzen Welt mit Hermesbürgschaften finan-
ziell absichern. Wenn das weiterhin betrieben wird, ist
das eine unglaubwürdige Politik.


(Beifall bei der LINKEN)


Der Klimawandel, aus dem globale Probleme erwach-
sen, ist nur mit konsequenten und ehrgeizigen Klima-
zielen zu stoppen. Die Linke fordert deshalb die Bundes-
regierung auf, sich auf EU-Ebene für eine Reduktion der
Treibhausgasemissionen um mindestens 60 Prozent,


(Frank Schwabe [SPD]: Mindestens 60 Prozent?)


für eine Steigerung des Anteils der erneuerbaren Ener-
gien an der Stromversorgung auf 45 Prozent und für eine
Energieeinsparung von 40 Prozent im Endenergiever-
brauch bis zum Jahr 2030 einzusetzen. Die Linke fordert
eine europaweite Energiewende, bei der auf nachhaltige
Energiequellen gesetzt wird, um eine klimafreundliche,
für alle Menschen bezahlbare und sichere Energieversor-
gung zu ermöglichen. Mit der jetzigen EU-Energie- und
-Klimapolitik werden wir dieses Ziel jedenfalls nicht er-
reichen.


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


Morgen wird EU-Energiekommissar Günther
Oettinger mit Mitgliedern des EU-Ausschusses spre-
chen. Seine Zuneigung zu gefährlichen Technologien
wie der Atomenergie und dem umstrittenen Fracking ist
allseits bekannt. Es bleibt nur zu hoffen, dass seine
Amtszeit als EU-Kommissar für Energiefragen in die-
sem Jahr endgültig abläuft.


(Beifall bei der LINKEN)


Ich komme zum Schluss, Herr Präsident. – Die Ener-
giewende europäisch zu verankern, ist mit einem sol-
chen EU-Kommissar nicht möglich.

Vielen Dank.


(Beifall bei der LINKEN)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1802006600

Als nächster Redner spricht für die CDU/CSU der

Kollege Karl Holmeier.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Karl Holmeier (CSU):
Rede ID: ID1802006700

Sehr verehrter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen

und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren!
Wir wollen das Zeitalter der erneuerbaren Energien so
schnell wie möglich erreichen. Bis 2050 wollen wir un-
sere Energieversorgung zu 80 Prozent aus erneuerbaren
Energien decken. Gleichzeitig wollen wir aber auch,
dass Energie bezahlbar, sicher und umweltverträglich ist
und bleibt. Anders als Sie, meine sehr verehrten Kolle-
ginnen und Kollegen von den Grünen, arbeiten wir mit
Nachdruck an der Erreichung dieses Zieles. Wir stellen
keine Anträge mit inhaltlich verfehlten Forderungen,
sondern wir handeln. Deshalb sind wir auch an der Re-
gierung.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Lachen des Abg. Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Dr. Julia Verlinden [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Davon sehe ich wenig!)


Klar ist, dass es die für den Umbau der Energieversor-
gung notwendigen Maßnahmen natürlich nicht zum
Nulltarif gibt. Daraus haben wir auch niemals einen
Hehl gemacht. Im Gegensatz zu Ihnen haben wir den
Kostenanstieg kommen sehen. Hinzu kommt, dass wir
uns mit einer Menge von Altlasten aus Ihrer Regierungs-
zeit herumschlagen müssen.


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Hören Sie mal! Die CDU regiert seit fast zehn Jahren! – Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das kennen wir von der CSU! Die regiert seit 40 Jahren!)


Ich könnte hierbei noch auf die Bereiche Netzausbau,
Ersatzkapazitäten und Speicher eingehen. Denn dort ha-
ben Sie vieles versäumt.

Ich möchte mich auf den Bereich der erneuerbaren
Energien beschränken, weil alles andere zum Teil schon
angesprochen worden ist. Nehmen wir doch einmal die
Photovoltaik und die Entwicklung der Vergütungssätze
bei den Freiflächenanlagen als Beispiel. 2003/2004 wa-
ren es 45,7 Cent pro Kilowattstunde. 2005 waren es 43,4
Cent pro Kilowattstunde. Nachdem wir das EEG 2009
und 2012 novelliert haben, liegen wir aktuell bei einem
Vergütungssatz von 13,5 Cent pro Kilowattstunde. Diese
Zahlen muss man wahrscheinlich nicht weiter kommen-
tieren.

Einen weiteren wichtigen Schritt zur Beseitigung Ih-
rer Altlasten und hin zu einer Dämpfung des Kostenan-
stiegs bei den erneuerbaren Energien gehen wir mit der
jetzt anlaufenden Reform des EEG.


(Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Meinen Sie die Altlasten von Schwarz-Gelb? Das war die letzte Regierung!)


Mit der Einführung der verpflichtenden Direktvermark-
tung und der Festschreibung des Systemwechsels hin
zum Ausschreibungsmodell werden wichtige Grundla-
gen für eine marktwirtschaftlichere Ausrichtung des
künftigen EEG gelegt. Auch wenn es an der einen oder
anderen Stelle noch Änderungsbedarf geben wird, gehen
die Regulierungen sicherlich in die richtige Richtung.

Wir sollten darüber hinaus den Mechanismus zur Be-
rechnung der EEG-Umlage unter die Lupe nehmen.


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aha!)






Karl Holmeier


(A) (C)



(D)(B)

Wenn eine feste Einspeisevergütung gezahlt wird, die er-
neuerbaren Energien aber gleichzeitig eine strompreis-
dämpfende Wirkung an den Spotmärkten entfalten, wird
die EEG-Umlage zwangläufig immer weiter steigen.
Das kann so nicht bleiben.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


In den Strompreisen wird sich eine Überarbeitung des
EEG erst mittel- und langfristig bemerkbar machen.
Deshalb müssen wir auch darüber nachdenken, wie wir
die Verbraucher kurzfristig entlasten können. Denkbar
wäre zum Beispiel, dass die EEG-Umlage bei einem be-
stimmten Betrag gedeckelt und der durch diese Einnah-
men nicht gedeckte Teil der Kosten anderweitig finan-
ziert würde.


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das hat die Bayerische Staatsregierung abgelehnt!)


Zwei Modelle wären denkbar, auch wenn sie von
manchen zurzeit vielleicht noch kritisch gesehen wer-
den. Möglich wären die Zwischenfinanzierung über ei-
nen Fonds oder die Finanzierung durch Einnahmen aus
der Stromsteuer. Bei der Zwischenfinanzierung durch ei-
nen Fonds würde der Betrag, der einen jährlichen Deckel
übersteigt, zunächst aus dem Fonds und nicht durch die
Stromkunden beglichen. Sobald die EEG-Umlage nomi-
nell wieder unter den Deckel sinkt, würde der Fonds
seine Auslagen erstattet bekommen. Dazu würde die
Umlage so lange bei dem Deckel belassen, bis der Fonds
auf null zurückgeführt ist. Denkbar wäre auch eine Fi-
nanzierung des den Deckel übersteigenden Betrags
durch die Stromsteuer.

Warum sollte man in der Debatte zum EEG nicht auch
über solche Modelle diskutieren? Auf diese Weise ließe
sich die Belastung für den Stromkunden durch die Kos-
ten für das EEG konstant und damit kalkulierbar halten.
Das Verfahren würde somit eine Glättung und gegebe-
nenfalls eine zeitliche Streckung der Belastung für die
Stromverbraucher bewirken und könnte damit große Be-
lastungsunterschiede zwischen den Generationen ver-
meiden.

Sie sehen dies wahrscheinlich ganz anders, verehrte
Damen und Herren von den Grünen.


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein!)


Das zeigt sich auch deutlich an den Forderungen in Ih-
rem Antrag. Sie bezeichnen das bisherige Einspeisever-
gütungssystem als effizient und fordern seine Fortset-
zung.


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das sagt die EU genauso!)


Zudem fordern Sie die Rücknahme der geplanten Um-
stellung auf Ausschreibungsverfahren. Man sieht an die-
ser Stelle deutlich, dass Sie immer noch nicht verstanden
haben, worum es eigentlich geht.


(Beifall bei der CDU/CSU – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie wissen gar nicht, worum es geht!)

Das zeigt sich auch am Beispiel der Entlastungen der
energieintensiven Industrien. Wir verfolgen den Ansatz,
dass wir die Bezahlbarkeit von Energie für alle Verbrau-
cher, das heißt, für unsere Bürgerinnen und Bürger ge-
nauso wie für unsere Wirtschaft, gewährleisten wollen.
Das ist gerade in der Zukunft absolut notwendig.

Hierzu gehört auch, dass wir der energieintensiven In-
dustrie unter die Arme greifen, damit sie ihre internatio-
nale Wettbewerbsfähigkeit erhalten kann. Zwischen den
Zeilen Ihres Antrags muss ich lesen, dass Sie daran nicht
interessiert sind;


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist doch wohl albern! – Lachen des Abg. Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


denn Sie sprechen sich für Einschränkungen an dieser
Stelle aus. Ich frage mich allerdings, wie Sie dann si-
cherstellen wollen, dass Deutschland ein wettbewerbsfä-
higer Industriestandort bleibt und unsere Unternehmen
– wie von den Linken angesprochen – nicht ins Ausland
abwandern.


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ihr Ministerpräsident in Bayern gefährdet gerade den Industriestandort Deutschland!)


Lassen Sie mich ein Beispiel nennen. Die Chemiepro-
duzenten in Deutschland zahlen 61 Prozent höhere
Strompreise als ihre Wettbewerber in Frankreich.
Deutschland liegt mit 14 Prozent deutlich über dem
Durchschnitt aller 28 EU-Staaten. Diesen staatlich be-
gründeten Wettbewerbsnachteil dürfen wir nicht weiter
verschärfen.

Es ist interessant, dass gerade Sie von den Grünen
diese Entlastungen ständig verteufeln, obwohl Sie diese
selbst eingeführt haben; was auch richtig war.


(Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das wollen wir auch gar nicht!)


Darüber hinaus waren Sie es, die 2003 mit der zweiten
Novelle zum EEG die Ausnahmen ausgedehnt haben.

Ich darf eine Rede von Herrn Trittin aus der dritten
Lesung vom 13. November 2003 zitieren:


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ganz aktuell!)


Deswegen haben wir dafür Sorge getragen, dass
beispielsweise nicht nur große, sondern auch mitt-
lere Unternehmen von der Härtefallregelung profi-
tieren können …


(Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das wollen wir doch auch gar nicht ändern!)


Hier sieht man einmal mehr, dass Sie Politik nicht mit
Vernunft, sondern nach Belieben machen.


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das sagt jemand von der CSU! – Lachen des Abg. Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])






Karl Holmeier


(A) (C)



(D)(B)

Dabei nehmen Sie sogar in Kauf, sich selbst zu wider-
sprechen.


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Seehofer widerspricht sich dreimal am Tag! Das ist CSU!)


Wir jedenfalls sind der Meinung, dass es vor dem
Hintergrund der neuesten Entwicklungen der EEG-Um-
lage – sie liegt jetzt bei 6,24 Cent pro Kilowattstunde –
umso gerechtfertigter ist, die energieintensiven Indus-
trien zu unterstützen. Deshalb setzen wir uns in den lau-
fenden Gesprächen mit der EU-Kommission dafür ein,
zu einer angemessenen Lösung zu kommen.

Wir wollen das Zeitalter der erneuerbaren Energien so
schnell wie möglich erreichen. Wir wollen die Bezahl-
barkeit der Energieversorgung auch in Zukunft sicher-
stellen. Wir sind die Koalition, die das kann. Mit unserer
Energiepolitik sind wir auf dem richtigen Weg. Deshalb
lehnen wir den Antrag der Grünen ab.

Danke schön.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1802006800

Als nächste Rednerin spricht die Kollegin Dr. Nina

Scheer, SPD.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Nina Scheer (SPD):
Rede ID: ID1802006900

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kollegin-

nen und Kollegen! Die Energiewende ist eine grenzüber-
schreitende Aufgabe. Insofern ist, wie alle Vorredner be-
reits verdeutlicht haben, das Thema des Grünen-Antrags
„Die Energiewende europäisch verankern“ richtig und
wichtig. Bei der Betrachtung, wie sich dies in und für
Europa vollzieht, sollte auch einbezogen werden, welche
Mechanismen in der Vergangenheit wie gewirkt haben.

Die Thematik verlangt von uns, das Verhältnis zwi-
schen EU-Vorgaben und nationalen Regelungen grund-
legend und sinnvoll auszutarieren und die auf europäi-
scher Ebene zu verankernden Regelungsinhalte
umfassender und genauer zu benennen. Hierzu zählt
auch, eine europaweite Koordinierung der Best-Practice-
Erfahrungen vorzunehmen, statt Europa nur als eine
Harmonisierung „von oben“ zu begreifen. Der auf
Grundlage der Zieltrias für Klimaschutz, erneuerbare
Energien und Energieeffizienz etablierte Systemwettbe-
werb hat sich mehr als bewährt und sollte nicht grundlos
aufgegeben werden.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Mit dem EEG und der Vorrangregelung für erneuer-
bare Energien hat Deutschland bei einigen Erneuerbare-
Energien-Trägern, insbesondere bei Wind-Onshore,
Photovoltaik, aber auch bei Biogastechnologie und Was-
serkraft, entscheidend zur technologischen Weiterent-
wicklung beigetragen, sodass diese Technologien nun an
der Schwelle zum wirtschaftlichen Durchbruch stehen.
Allein hierdurch trägt Deutschland schon zu einer euro-
päischen und internationalen Energiewende bei. Um ein
effektives Ineinandergreifen zwischen Europäischer
Union und nationaler Ebene für die Energiewende zu ge-
währleisten, hat es sich bewährt, auf der europäischen
Ebene die gemeinsame Richtung für die Energie- und
Klimapolitik vorzugeben, aber die jeweilige Ausgestal-
tung den Mitgliedstaaten zu überlassen, sowohl mit
Blick auf die sektorale Aufteilung als auch auf die Wahl
der Mittel. Dies entspricht auch den Erfordernissen des
Vertrags von Lissabon und dem dort festgeschriebenen
Subsidiaritätsprinzip. Die Notwendigkeit, das hiermit
benannte Verhältnis zwischen EU-Vorgaben und mit-
gliedstaatlichem Handeln sinnvoll auszutarieren, möchte
ich an folgenden Beispielen kurz benennen.

Mithilfe des Entwurfs der Beihilfeleitlinien, der unter
anderem Ausschreibungen für erneuerbare Energien vor-
sieht, versucht die Wettbewerbsdirektion derzeit, über
einen Beihilferahmen eine Art EU-Förderpolitik für er-
neuerbare Energien zu etablieren. Dies ist weder syste-
matisch noch politisch akzeptabel und kann mit Blick
auf das Subsidiaritätsprinzip auch rechtlich nicht zuläs-
sig sein. Insofern, Herr Pfeiffer, möchte ich an dieser
Stelle kurz noch einmal klarstellen: Wenn unser Bundes-
wirtschafts- und -energieminister sich derzeit dafür ein-
setzt, im Kontext der Besonderen Ausgleichsregelung
mit der EU-Kommission zu einer Einigung zu gelangen,
dann bedeutet das keineswegs, dass an dieser Stelle Sou-
veränitäts- und Gestaltungshoheiten abgegeben werden
sollen und hiermit eine Harmonisierung vorgenommen
wird. Diese ist eben nicht Kern des Auftrages, den er
dort wahrnimmt.

Am Beispiel des Energiebinnenmarktes möchte ich
auch noch auf etwas anderes hinweisen: In einem EU-
Energiebinnenmarkt können mittels einer verstärkten
Vernetzung der Energie- und Strommärkte und durch ei-
nen stärkeren Austausch mit den Nachbarstaaten die
Kosten für den Umbau unseres Stromsystems deutlich
gesenkt werden. Mit einer größeren Verteilung gerade
der fluktuierenden erneuerbaren Energien wird die Netz-
und Systemintegration erleichtert, da es sowohl bei der
Prognose als auch bei der Bereitstellung von Ergänzungs-
kraftwerken zu Ausgleichseffekten kommt. Dieser zutref-
fende Umstand wird aber leider häufig – fehlgeleitet – als
Argument für zentrale Versorgungsszenarien angeführt.

An dieser Stelle an meinen Koalitionspartner doch
auch die leise Kritik an den von Ihnen, Herr Bareiß, an-
geführten Szenarien. Dass es effizienter ist, Photovoltaik
insbesondere in Spanien auszubauen mit einem Minus
hierzulande – so habe ich Sie jedenfalls verstanden –,
wage ich doch zu bezweifeln.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Richtigerweise funktionieren die genannten Aus-
gleichseffekte einer verstärkten Vernetzung aber nur bei
einer dezentralen Strom- und Energieversorgung. Das
habe ich mit meiner Kritik gerade schon angemerkt. Der
Großteil der Strom- und Energiebereitstellung erfolgt





Dr. Nina Scheer


(A) (C)



(D)(B)

nämlich in Regionen, die damit jeweilig die Potenziale
für einen gegenseitigen Austausch vorhalten können.
Dieser erfolgt zwischen den Regionen. Folglich muss
die Möglichkeit zur dezentralen Steuerung für den Aus-
bau erneuerbarer Energien in den Händen der Mitglied-
staaten liegen. Weil es bei zeitweiligen Stromüberschüs-
sen zu nicht geplanten Übertragungen in benachbarte
Stromsysteme kommt – das sind die sogenannten Ring-
flüsse über Polen und Tschechien bis nach Süddeutsch-
land –, gibt es vonseiten der EU-Kommission derzeit Er-
wägungen, diesem Umstand in Form einer Abschaffung
der einheitlichen Preiszone Deutschland/Österreich
Rechnung zu tragen. Damit gäbe es innerhalb Deutsch-
lands unterschiedliche Preiszonen und damit unter-
schiedliche Großhandelspreise.

Eine effektivere Antwort auf die genannte Problema-
tik, die gleichzeitig einen kosteneffizienten Ausbau der
erneuerbaren Energien und damit auch eine entspre-
chende Auslegung der Erneuerbare-Energien-Anlagen
gewährleisten würde, wäre die Einführung einer soge-
nannten Generator- oder G-Komponente, so wie sie auch
der Koalitionsvertrag vorsieht. Danach würden sich alle
zukünftigen Erzeuger, auch die von erneuerbaren Ener-
gien, an den von ihnen mit verursachten Netzausbaukos-
ten beteiligen. Dies vermittelt ein Allokationssignal für
die optimale Standortwahl mit den geringsten Gesamt-
systemkosten. Die Wahl solcher Instrumente setzt aber
voraus, dass die Handlungsoption zur Wahl der besten
Mittel für Mitgliedstaaten oder Regionen erhalten bleibt
und nicht einzelne Instrumente EU-weit vorgegeben
werden; denn das würde der Möglichkeit zur Wahl ent-
gegenstehen.

Ein weiterer wichtiger Punkt ist, dass aufgrund des
zunehmenden Anteils erneuerbarer Energien die Regeln
für die Ausgestaltung von Ausgleichsenergiesystemen
und der Netzentgeltstruktur angeglichen werden müssen.
Bei der Ausgestaltung dieser Netzkodizes im Rahmen
der europäischen Verankerung der Energiewende muss
darauf geachtet werden, dass der Umstieg auf erneuer-
bare Energien nicht erschwert bzw. verteuert wird.


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sehr richtig!)


Dem muss man sich insbesondere bei der Bundesnetz-
agentur – damit möchte ich auch meine Kollegen im
Beirat der Bundesnetzagentur ansprechen – widmen.

Die Energiewende europäisch verankern heißt also
– das sage ich abschließend und zusammenfassend –,
das Augenmerk stärker auf die Aufteilung der Verant-
wortlichkeiten auf den verschiedenen Ebenen zu lenken,
auf der europäischen und der nationalstaatlichen Ebene,
und den mit der Energiewende veranlassten Systemwan-
del vorzunehmen.

Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1802007000

Danke schön, Frau Kollegin. – Einen schönen guten

Tag von mir! – Die nächste Rednerin in der Debatte ist
Dr. Herlind Gundelach für die CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Herlind Gundelach (CDU):
Rede ID: ID1802007100

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Die zuverlässige Versorgung mit bezahlbarer Energie ist
für Europa von ganz entscheidender Bedeutung. Die He-
rausforderungen – Klimawandel, zunehmende Ein-
fuhrabhängigkeit und höhere Energiepreise – betreffen
sämtliche EU-Staaten. Es reicht heutzutage eben nicht
mehr aus, energiepolitische Entscheidungen auf nationa-
ler Ebene zu treffen. Das reicht nicht nur nicht aus, son-
dern wir müssen uns in Europa auf eine gemeinsame
Energiepolitik verständigen. Nur eine wirklich europäi-
sche Energiepolitik kann dauerhaft für Wettbewerbsfä-
higkeit, Nachhaltigkeit und Sicherheit der Energiever-
sorgung in ganz Europa sorgen. Deshalb muss Europa
gemeinsam handeln, um die Versorgung mit wettbe-
werbsfähiger Energie nachhaltig sicherzustellen.

Diesbezüglich stimme ich auch den werten Kollegen
von der Fraktion der Grünen uneingeschränkt zu.


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist gut!)


Was mich allerdings schockiert, ist Ihr Wie. Ihr gesamter
Antrag wird durchzogen von dem Leitmotiv „am deut-
schen Wesen soll die Welt genesen“.


(Widerspruch beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wir können unsere nationale Energiewendestrategie Eu-
ropa nicht aufdrängen, selbst wenn wir noch so sehr von
ihr überzeugt sind. Sie jedoch fordern das in Ihrem An-
trag ausdrücklich.

Ich möchte zunächst auf die europäische Rechtslage
eingehen. Über Jahrzehnte galt Energiepolitik in der EU
vornehmlich als Sache der Mitgliedstaaten, und Verein-
barungen wurden meist bilateral getroffen. Bis zum
Grünbuch 2006 gab es gar keine formale Grundlage für
gemeinsame Ziele. Erst mit dem Vertrag von Lissabon,
also 2009, wurde in den europäischen Verträgen eine ex-
plizite Zuständigkeit für Energie normiert. Vorher gab es
lediglich Regularien zu Kohle und Atomkraft. Mit dem
Art. 194 des Vertrages über die Arbeitsweise der Euro-
päischen Union wurde 2009 im Rahmen des Lissabonner
Vertrags schließlich eine klare Kompetenz der EU für
Energie verankert, die ihr erstmals die Möglichkeit gab,
gesetzgeberisch tätig zu werden. Bis zu diesem Zeit-
punkt beschäftigte sich die EU vornehmlich mit der Ver-
wirklichung des Energiebinnenmarkts. Dies erklärt auch
die bis heute sehr unterschiedlichen nationalen energie-
politischen Strategien, beispielsweise bei der Nutzung
von Atomkraft, aber auch bei der Nutzung fossiler Ener-
gien und erneuerbarer Energien.

Als Ziele und Kompetenzbereiche wurden in Art. 194
folgende Punkte definiert: Vollendung des liberalisierten
Energiebinnenmarkts, Versorgungssicherheit, transeuro-





Dr. Herlind Gundelach


(A) (C)



(D)(B)

päischer Netzausbau, weitere Förderung und Ausbau des
Bereichs der erneuerbaren Energien sowie die Steige-
rung der Energieeffizienz. Daraus folgt, dass die Ent-
scheidungshoheit über den nationalen Energiemix und
die Wertigkeit der einzelnen Energiearten ausschließlich
Sache der Mitgliedstaaten ist und bleibt.

Hier kommen wir zu einem wichtigen Punkt. Sie for-
dern in Ihrem Antrag, dass die Bundesregierung in Brüs-
sel darauf hinwirkt, dass die neuen Beihilferegelungen
Großbritannien daran hindern, eine Einspeisevergütung
für Strom aus Kernenergie einzuführen, weil sie der
Energiewende in Deutschland entgegenstehe.


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: In Europa!)


– Die Energiewende ist in dieser Form, glaube ich, mo-
mentan ausschließlich in Deutschland ein Projekt.


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein! Europäische Ziele!)


Kurz: Sie erwarten, dass die Mitgliedstaaten in der Euro-
päischen Gemeinschaft sich an unserer Energiepolitik
und unserer Energiewende orientieren, obwohl wir diese
ohne die Konsultation unserer europäischen Nachbarn
beschlossen haben. Das war rechtlich möglich, eine
Konsultation war nicht erforderlich; das möchte ich aus-
drücklich betonen.

Wir müssen in Deutschland zur Kenntnis nehmen –
ob uns das freut oder nicht freut, steht in diesem Zusam-
menhang nicht zur Debatte –, dass in zahlreichen Län-
dern Europas und der Welt Kernenergie als nachhaltige
Energie betrachtet wird. Auf der ganzen Welt gibt es
Lehrstühle, die Sustainable Energy, also nachhaltige
Energie, erforschen und dabei zu dem Schluss kommen,
dass auch Kernenergie sustainable, also nachhaltig, ist.
Diese Sichtweise müssen wir zur Kenntnis nehmen, und
wir müssen akzeptieren, dass andere Länder deswegen
andere Wege einschlagen. So weit möchte ich dem Kol-
legen Becker von der SPD durchaus zustimmen.


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Deshalb müssen wir aber keine Beihilfe für Atomkraft akzeptieren!)


– Das obliegt dann der nationalen Gestaltung und nicht
der europaweiten Gestaltung. Wenn diese Länder das als
sustainable einschätzen, dann ist das ihre Sicht der
Dinge, genauso wie wir unsere Sicht der Dinge haben.


(Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sagen Sie einfach: Herr Krischer hat recht!)


Der Ausstieg aus der Kernenergie in Deutschland war
und ist parteiübergreifender Konsens und Wunsch der
Bevölkerung. Diese Entscheidung wird heute bei uns
von niemandem mehr infrage gestellt. Aber bisher be-
schreiten wir diesen Weg durchaus als Vorreiter in Eu-
ropa mit allen Chancen, aber auch mit allen Risiken. Aus
meiner Sicht ist für eine erfolgreiche Energiewende im-
mer noch die beste Strategie, andere Länder für unseren
Weg zu begeistern, woran wir in diesem Haus gemein-
sam arbeiten sollten.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wir müssen uns auch weiterhin darüber im Klaren
sein, dass unsere ambitionierten Klima- und Energieziele
nicht so einfach auf ganz Europa zu übertragen sind, ins-
besondere auch in Anbetracht der finanziellen Lage in
vielen Ländern nach der Wirtschafts- und Finanzkrise.
Wie wollen Sie zum Beispiel Spanien, Portugal und
Griechenland erklären, dass sie noch erheblich höhere
Investitionen für den Ausbau der erneuerbaren Energien
und der Steigerung der Energieeffizienz tätigen sollen?
Selbstverständlich bedeutet das auch neue Beschäfti-
gung im Land. Aber was soll man tun, wenn sich ein
Land bereits jetzt die zu erbringenden Maßnahmen kaum
leisten kann? Was machen wir, wenn aufgrund unserer
strengen Ziele Teile der Industrie abwandern oder Be-
triebe schließen müssen? Dann haben wir in diesen Län-
dern letztlich mehr Arbeitslose, weniger Einnahmen und
damit auch weniger Geld für den Klimaschutz.

Einige Staaten liegen schon heute hinter den Zielen des
Klimaschutzabkommens. Schauen wir uns beispielsweise
die Förderung der Energieeffizienz im Gebäudebereich
an. Mit der EU-Gebäuderichtlinie von 2002 wurden in ei-
nigen Ländern erstmals energetische Grundanforderun-
gen im nationalen Baurecht festgeschrieben. Nationale
Richtlinien existierten zuvor nur in Österreich, Belgien,
Dänemark, Finnland, Frankreich, Deutschland, den Nie-
derlanden und Großbritannien.


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das sind ja schon ein paar!)


Trotz dieser inzwischen einheitlichen Anforderungen
herrscht innerhalb der EU noch immer eine riesige Kluft
in Bezug auf die Einsparung von Energie.


(Dr. Julia Verlinden [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja! Das ist ein Problem!)


So weist Bulgarien im Vergleich zu Dänemark beispiels-
weise eine zehnfach so hohe Energieintensität auf. So
weit zu der höchst unterschiedlichen Gemengelage, die
wir in Europa haben.

Kehren wir noch einmal zur Rechtslage in Europa
und zur europäischen Energiepolitik zurück. Die EU
setzt den Rahmen, und die Länder füllen ihn aus.


(Dr. Julia Verlinden [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Oder auch nicht!)


– Das ist ihre Aufgabe. – Folglich brauchen wir eine na-
tionale Politik, die eine integrierte und nachhaltige euro-
päische Strategie befördert und den Energiemarkt und
das Netz harmonisiert. Wir müssen unsere Politik in die
europäische Energiepolitik einbetten und nicht Europa
unsere Politik aufzwingen.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Wir müssen uns auf einen gemeinsamen Weg einlas-
sen; denn sonst droht uns die Gefahr, irgendwann alleine
dazustehen. Diese Gefahr ist durchaus realistisch. Der-
zeit prüfen unsere Nachbarn in Polen und den Niederlan-
den den Bau von Stromsperren, sogenannten Phasen-
schiebern, da sie befürchten, dass unser schneller
Ausbau der erneuerbaren Energien ihre Netze überlasten





Dr. Herlind Gundelach


(A) (C)



(D)(B)

und damit zu einem Zusammenbruch ihrer Stromversor-
gung führen könnte. Wenn ich die Zeitungen heute rich-
tig verstanden habe, dann haben sich die Bundeskanzle-
rin und ihr polnischer Kollege zu genau dieser Frage auf
einen Weg verständigt.

Wenn es also unser gemeinsames Ziel ist, unsere
Energiewende auf europäischer Ebene dauerhaft und
nachhaltig zu verankern, dann müssen wir unsere Instru-
mente auf den Prüfstand stellen. Dazu gehört auch das
EEG. Wir können nicht sagen, dass das EEG sakrosankt
ist und sich alle Rahmenbedingungen diesem Gesetz an-
passen müssen. Wenn wir davon überzeugt sind, dass der
Markt noch immer die erfolgreichsten Lösungen hervor-
bringt, kann die Devise nicht lauten: „Wir passen den
Markt dem EEG an“, sondern sie muss lauten: „Wir ma-
chen das EEG marktkompatibel“.


(Beifall bei der CDU/CSU – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein! Man muss die Frage stellen: Wie ist der Markt?)


In den Eckpunkten von Minister Gabriel, die auch
dem in Abstimmung befindlichen Referentenentwurf zur
Änderung des EEG zugrunde liegen, ist für neue Anla-
gen ab einer gewissen Größenordnung und in einem ge-
stuften Verfahren die Direktvermarktung vorgesehen
und damit das Verlassen der Schutzglocke. Sollten wir
nicht auch darüber nachdenken, wie Bestandsanlagen
schneller an den Markt herangeführt werden können?

Eine sichere Stromversorgung zu wettbewerbsfähi-
gen und sozial verträglichen Preisen ist mit einer
Dauersubvention von Erzeugungskapazitäten nicht
zu erreichen.

Wer langfristig eine nicht marktfähige Stromerzeu-
gung aufbaut, zementiert Unwirtschaftlichkeit als
Prinzip der Energieversorgung.


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Frau Kollegin, Sie haben es nicht verstanden!)


Die letzten beiden Sätze sind nicht meine Worte, son-
dern das sind die Worte des Vorsitzenden der IG Berg-
bau, Chemie, Energie, Michael Vassiliadis, denen ich al-
lerdings voll zustimme.


(Frank Schwabe [SPD]: Guter Mann!)


Denn ich bin davon überzeugt: Je marktwirtschaftlicher
wir das EEG ausgestalten, desto besser werden wir ver-
mutlich auch mit dem EU-Beihilfeverfahren zurecht-
kommen, das die Kommission gegen die Bundesrepu-
blik wegen des EEG und der damit im Zusammenhang
stehenden Besonderen Ausgleichsregelung eingeleitet
hat.

Sie gehen in Ihrem Antrag auch auf dieses Verfahren
ein und weisen es als unberechtigt zurück; denn die Sa-
che sei ja schon entschieden, und das deutsche EEG-För-
dersystem sei europarechtskonform. Damit sprechen Sie
vermutlich das PreussenElektra-Urteil des EuGH vom
März 2001 an. Der EuGH hatte damals festgestellt, dass
die gesetzliche Abnahmepflicht der Elektrizitätsversor-
ger zu Mindestpreisen keine unerlaubte staatliche Bei-
hilfe im Sinne des EU-Vertrages darstelle. Wie wir alle
wissen, stellt die EU-Kommission aber genau diese Ent-
scheidung heute infrage.

Nun möchte ich mir nicht anmaßen, hier festzustellen,
ob diese Zweifel berechtigt sind. Fest steht allerdings,
dass 2001 der Anteil der Erneuerbaren an der Strom-
erzeugung bei nur wenigen Prozent lag; heute liegt er bei
knapp 25 Prozent. Von einer Nische – das war damals
ein Teil der Argumentation – kann also heute nicht mehr
die Rede sein. Insofern kann man sich durchaus die
Frage stellen, ob der EuGH heute noch zu dem gleichen
Urteil käme.

Ich möchte das auch noch durch ein paar Zahlen un-
termauern, die heute zwar schon gefallen sind, die die
Kostendimension aber noch einmal nachdrücklich ver-
deutlichen: 2001 betrugen die Umlagen nach dem EEG
noch 1,6 Milliarden Euro. In 2013 lagen wir bei
22,9 Milliarden Euro. Bis zum Jahr 2030 bedeuten das
knapp 400 Milliarden Euro an EEG-Ausgleichszahlun-
gen, und dabei sind die Netzausbaukosten noch gar nicht
eingerechnet.

Bei meinen Überlegungen, das EEG durch eine Re-
form marktkonformer zu machen, möchte ich nicht so
weit gehen – das sage ich ganz bewusst – wie die Exper-
tenkommission Forschung und Innovation der Bundesre-
gierung, die die Abschaffung des EEG empfohlen hat.
Aber gerade in Anbetracht der gesamteuropäischen Si-
tuation müssen wir Anpassungen vornehmen, und diese
Anpassungen müssen mit dem EU-Rechtsrahmen über-
einstimmen.

Ich denke, wir alle hier im Hause sind der Auffas-
sung, dass wir auch weiterhin Besondere Ausgleichsre-
gelungen für unsere energieintensiven und im internatio-
nalen Wettbewerb stehenden Unternehmen brauchen.
Wir brauchen sie gewiss nicht für alle Unternehmen, die
heute davon profitieren – da stimme ich mit Ihnen über-
ein –, aber wir brauchen sie auch weiterhin für eine statt-
liche Zahl, und das erreichen wir nur mit der Kommis-
sion gemeinsam und nicht dann, wenn wir mit dem Kopf
durch die Wand gehen.

Insofern stimme ich der Überschrift Ihres Antrags
durchaus gerne zu, nicht aber dem Tenor Ihres Antrags,
der aus meiner Sicht wenig europäischen Geist aufweist.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1802007200

Danke, Frau Kollegin. – Nächster und letzter Redner

in dieser Debatte: Frank Schwabe für die SPD.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Frank Schwabe (SPD):
Rede ID: ID1802007300

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Ich glaube, auch in der Debatte ist deutlich geworden:
Die Grünen haben recht mit ihrer Auffassung,


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)






Frank Schwabe


(A) (C)



(D)(B)

dass das, was wir zum Thema Energiewende in Deutsch-
land diskutieren und auch alle gemeinsam durchsetzen
wollen, eng verbunden ist mit dem, was auf europäischer
Ebene passiert. Das ist einfach so. Das ist bei den EU-
2030-Zielen so. Das ist bei den erneuerbaren Energien
so. Das ist auch im Emissionshandel so. Unsere Sorge ist
allerdings, auch anlässlich der Debatte innerhalb der Eu-
ropäischen Union, dass Europa in dem Bemühen, inter-
nationaler Vorreiter zu sein, zurückfällt. Dafür gibt es
Gründe.

Ein Grund ist, dass wir mittlerweile eine sehr hetero-
gene Europäische Union haben – mit 28 Staaten mit
ganz unterschiedlichen Interessen; Polen sei nur bei-
spielhaft genannt. Ein Grund ist aber auch – ich kann
dem Koalitionspartner nicht ersparen, das zu sagen –,
dass wir eigentlich vier verlorene Jahre hatten


(Max Straubinger [CDU/CSU]: Ach nein, der Herr Schwabe!)


für den Klimaschutz und für eine innovative Klimapoli-
tik in Deutschland und, finde ich, auch in der EU, weil
Deutschland ja eine bestimmte Position innerhalb der
EU einnimmt. Ich will das der Einfachheit halber einmal
der FDP und vielleicht gar nicht der Union zuordnen.


(Lachen des Abg. Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist sehr einfach!)


Es gab durchaus Umweltminister der Union, die das Be-
mühen zeigten und denen ein gewisser guter Wille nicht
abzusprechen war, eine ambitionierte Politik zu machen.
Aber die Union war am Ende gefesselt, und zwar euro-
päisch. Das hat dazu geführt, dass sich Deutschland,
wenn es um bestimmte energiepolitische und klimapoli-
tische Fortschritte ging, an den entscheidenden Stellen
verweigert und mit Nein gestimmt oder sich der Stimme
enthalten hat.


(Beifall des Abg. Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Ich glaube, das ist ein zentrales Argument dafür, dass
man der EU-Kommission – jedenfalls ein bisschen –
Hasenfüßigkeit unterstellen kann, was eine ambitionierte
Politik für die nächsten Jahre betrifft.

Zusammen mit den Kolleginnen Höhn und Baerbock
war ich vor einigen Tagen in Washington auf einer Kon-
ferenz von GLOBE, einer internationalen Parlamenta-
rierorganisation. Wir haben uns die Ergebnisse einer
Studie über 66 Staaten auf der Welt und ihre Bemühun-
gen im Bereich des Klimaschutzes sowie bei der Ent-
wicklung hin zu einer innovativen, progressiven Ener-
giepolitik vorlegen lassen. Im Juni dieses Jahres wird es
eine neue Studie geben – ihre Ergebnisse werden uns in
Mexiko vorgestellt –, in der die entsprechenden Bemü-
hungen von über 100 Staaten in der Welt untersucht wur-
den. Insofern: Wir sind nicht alleine, sondern wir disku-
tieren über dieses Thema auch in den USA und in China.
Wer sich darüber näher informieren will, kann das dort
vor Ort tun. Es ist unglaublich spannend, was sich ge-
rade in China auf diesem Gebiet entwickelt.

(Harald Petzold [Havelland] [DIE LINKE]: Geben Sie die Zahlen doch mal an die Kollegen von der Union weiter!)


Ich finde, man muss das Wettbewerbsargument zu-
mindest relativieren. Die anderen Länder bewegen sich,
auch wenn sie international an vielen Stellen nicht bereit
sind, sich zu verpflichten; das hat andere internationale
Gründe. Aber sie befinden sich durchaus in einer Ent-
wicklung. Ich finde, es wäre genau richtig und wichtig,
wenn Europa eine progressive Klima- und Energiepoli-
tik betreiben würde. Das wäre gut, nicht nur für den
Klimaschutz, sondern auch im Hinblick darauf, dass
Deutschland eine innovative Volkswirtschaft sein will;
dafür müssen wir auch die politische Kraft haben. Es
entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass Deutschland,
obwohl in den letzten vier Jahren eher Bremser in der
Europäischen Union, mittlerweile wieder progressiv ist
und auch als progressive Kraft wahrgenommen wird.

Ich will schon sagen, auch in Richtung der grünen
Fraktion: Ich glaube, man kann nicht bestreiten, dass
Deutschland in allen Debatten, die in der Europäischen
Union aktuell geführt werden, als eher progressiv wahr-
genommen wird


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


und dass zur Kenntnis genommen wird, dass Barbara
Hendricks als Ministerin deutlich gemacht hat: Wir
wollen ein Sofortprogramm für den Klimaschutz in
Deutschland, und wir wollen auch einen Klimaschutz-
plan mit gesetzlichen Elementen innerhalb Deutsch-
lands. – Außerdem haben wir uns beim Thema Backloa-
ding klar positioniert, und zwar schon im Rahmen der
Koalitionsverhandlungen. Es gab eine neue und – da bin
ich mir sicher – dauerhafte Harmonie zwischen dem
Umwelt- und dem Wirtschaftsministerium. Das tat unse-
rer Position gut, auch innerhalb der Europäischen Union.

Aber – da haben Sie durchaus recht – das reicht nicht.
Wenn wir mittelfristig eine Entwicklung weg von fossi-
len Energieträgern einleiten wollen – ich sage ausdrück-
lich: nicht sofort, aber mittelfristig sehr wohl –, dann
geht das nur mit einem funktionstüchtigen Emissions-
handel. Zurzeit ist er schlichtweg nicht funktionstüchtig.
Ministerin Hendricks hat vollkommen recht: Um ihn
funktionstüchtig zu machen, muss das Backloading dau-
erhaft sein, brauchen wir eine weitere Herausnahme von
2 Milliarden Zertifikaten, brauchen wir den Mechanis-
mus der sogenannten Marktstabilitätsreserve nicht erst
2021, sondern schon 2016. Ich persönlich füge hinzu:
Diejenigen, die einen funktionstüchtigen Emissionshan-
del haben und das Ganze marktwirtschaftlich regeln
wollen, müssten ein Rieseninteresse daran haben. Denn
es gibt gar keine Alternative dazu, auch über Mindest-
preise, CO2-Steuern und andere Steuerungsmöglichkei-
ten zu diskutieren, auch im nationalen Kontext; das ist
doch völlig klar.


(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Josef Göppel [CDU/CSU] und Eva Bulling-Schröter [DIE LINKE])


Wenn der Emissionshandel nicht funktioniert, dann wer-
den wir ganz automatisch andere Diskussionen bekom-





Frank Schwabe


(A) (C)



(D)(B)

men, oder wir müssen unsere Klimaschutzambitionen
beiseitelegen.

In der Tendenz haben die Grünen, glaube ich, recht.
Bei den 2030-Zielen ist die Kommission bisher zu un-
ambitioniert gewesen. Deshalb will ich betonen: Es ist
die Große Koalition, die sich in Übereinstimmung mit
Forderungen des EU-Parlaments im Koalitionsvertrag
vorgenommen hat, im Rahmen der zukünftigen Politik
der Europäischen Union drei Ziele zu verfolgen: ein
CO2-Ziel, ein Ziel hinsichtlich der erneuerbaren Ener-
gien und ein Energieeffizienzziel.


(Harald Petzold [Havelland] [DIE LINKE]: Wieso nur drei?)


Was das CO2-Ziel angeht, will ich ausdrücklich beto-
nen: Wir reden von mindestens 40 Prozent. Es kann im
Zweifelsfall auch ein bisschen mehr sein. Hier geht es
nicht um Belieben; wir würfeln uns ja kein Ziel. Das hat
vielmehr damit zu tun, dass wir das 2-Grad-Ziel einhal-
ten wollen. Dazu haben wir uns völkerrechtlich verbind-
lich verpflichtet. Wenn man dieses Ziel einhalten will,
dann muss man sich entsprechend bewegen.

Auch wenn über den Antrag der Grünen heute noch
nicht abgestimmt werden soll, war die Debatte darüber,
glaube ich, gut und sinnvoll; denn sie hat deutlich ge-
macht, dass wir im Bundestag fraktionsübergreifend eine
bestimmte Position, eine bestimmte Erwartungshaltung
haben. Mit dieser Debatte stärken und ermuntern wir die
Bundesregierung und die Bundeskanzlerin, sich auf dem
in der nächsten Woche stattfindenden europäischen Gip-
fel für zweierlei einzusetzen: Erstens. Wir brauchen, um
die Energiewende in Deutschland umsetzen zu können,
dringend einen funktionierenden europäischen Emis-
sionshandel. Das ist die Aufgabe, die wir ihr gemeinsam
mit auf den Weg geben. Zweitens. Wir brauchen mit
Blick auf 2030 starke Ziele für den europäischen Klima-
schutz. Solche Ziele täten auch unserer Innovationskraft
und unserer Wettbewerbsfähigkeit gut.

Glückauf!


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des Abg. Harald Petzold [Havelland] [DIE LINKE])



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1802007400

Vielen Dank, Kollege Schwabe.

Ich schließe die Aussprache.

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 18/777 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sie sind sicher damit
einverstanden. – Ja; ich sehe nichts anderes. Dann ist die
Überweisung so beschlossen.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 5 a und 5 b auf:

a) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr. Joachim Pfeiffer, Hansjörg Durz, Axel
Knoerig, weiterer Abgeordneter und der Frak-
tion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten
Wolfgang Tiefensee, Lars Klingbeil, Matthias
Ilgen, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
der SPD
Technologie-, Innovations- und Gründungs-
standort Deutschland stärken – Potenziale
der Digitalen Wirtschaft für Wachstum und
nachhaltige Beschäftigung ausschöpfen und
digitale Infrastruktur ausbauen

Drucksache 18/764 (neu)

Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Energie (f)
Ausschuss Digitale Agenda (f)
Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Ausschuss für Kultur und Medien
Federführung strittig

b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Halina
Wawzyniak, Herbert Behrens, Dr. Petra Sitte,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE
LINKE

Digitale Gründungen unterstützen – Zu-
kunftsfähige Rahmenbedingungen für die
digitale Wirtschaft schaffen

Drucksache 18/771
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Energie (f)
Ausschuss Digitale Agenda (f)
Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur
Federführung strittig

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 60 Minuten vorgesehen. – Auch da höre
ich keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache und gebe das Wort
Brigitte Zypries für die Bundesregierung.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


B
Brigitte Zypries (SPD):
Rede ID: ID1802007500


Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Ich möchte den Koalitionsfraktionen zu-
nächst Dank sagen für diesen umfassenden Antrag. Er ist
eine Zusammenstellung von allen möglichen, quer durch
die Ressorts gehenden Themen, die uns diese ganze
Legislaturperiode begleiten werden und an denen wir
uns abarbeiten werden. Vor allen Dingen gibt er uns die
Gelegenheit, jetzt, kurz nach der Einsetzung des Aus-
schusses für Digitale Agenda, wieder in diesem Haus
über die digitale Agenda zu diskutieren. Das finde ich
gut. Dieses Thema ist nämlich hochaktuell.

Sicherlich waren die meisten von Ihnen wie ich auf
der CeBIT und haben sich dort informiert. Die CeBIT
steht in diesem Jahr unter dem Motto „Datability“; das
ist ein Kunstwort, das sich zusammensetzt aus „Big
Data“, „Responsibility“ und „Sustainability“, also Big
Data in Verbindung mit Verantwortung und Nachhaltig-
keit. Ich denke, das Kunstwort „Datability“ umreißt sehr
gut, vor welche Aufgaben die IT-Branche uns stellt. Es
werden inzwischen große Datenmengen verarbeitet, und
diese Datenmengen werden immer größer. Bei der Ver-
arbeitung muss die Sicherheit gewährleistet sein. Die
Menschen müssen sich darauf verlassen können, dass
ihre Daten nicht unrechtmäßig gebraucht werden. Wenn





Parl. Staatssekretärin Brigitte Zypries


(A) (C)



(D)(B)

doch, funktionieren auch zahlreiche Geschäftsmodelle
nicht, wie man gerade in den letzten Tagen gut sehen
konnte. Von daher, glaube ich, sollten wir uns alle damit
beschäftigen, welche Voraussetzungen und Rahmen-
bedingungen die IT-Branche braucht.

Ich will ein paar Worte sagen zu dem, was die Bun-
desregierung vorhat. Wir haben in Deutschland, wie in
dem Antrag zutreffend dargestellt wird, eine gute
Ausgangslage: Deutschland zählt zu den 15 wichtigsten
IT-Standorten, die IT-Branche ist ein enormer Beschäfti-
gungsfaktor und vieles mehr; ich will das jetzt nicht alles
wiederholen. Ich will Ihnen sagen, dass die Bundesregie-
rung mit der digitalen Agenda die Rahmenbedingungen
dafür schaffen wird, dass geschieht, was Sie in Ihrem
Antrag fordern: dass Deutschland zum digitalen Wachs-
tumsland Nr. 1 wird.

Am Montag haben sich auf der CeBIT der Wirt-
schaftsminister, der Innenminister und der Minister für
Verkehr und digitale Infrastruktur zu den zentralen
Punkten der digitalen Weiterentwicklung von Gesell-
schaft und Wirtschaft erstmals gemeinsam geäußert und
damit quasi gemeinsam die notwendigen Punkte für die
digitale Agenda vorgetragen.

Wir haben in der Bundesregierung die Einrichtung ei-
nes festen Koordinierungsmechanismus verabredet, um
die verschiedenen Maßnahmen der einzelnen Häuser
wirksam aufeinander abzustimmen. Das ist nötig und hat
nichts mit Streitereien zwischen den Häusern zu tun, wie
der eine oder andere Journalist einem jetzt schon wieder
in den Mund legen will; denn selbstverständlich bleiben
Überschneidungen nicht aus, wenn alle Häuser irgend-
wie mit diesem Thema befasst sind. Ich denke zum
Beispiel an die Bereiche digitale Wirtschaft, Ausbau der
Infrastrukturen, Datenschutz oder Datensicherheit in
Unternehmen. Daran sind notwendigerweise verschie-
dene Häuser beteiligt. Dafür brauchen wir Mechanismen
der Abstimmung. Das kennen wir, und das können wir.

Alle Ressorts werden die verschiedenen politischen
Vorhaben in ihrem Bereich konkretisieren. Das werden
wir dann gemeinsam diskutieren. Wir haben nämlich
auch das erklärte Ziel, dass diese digitale Agenda nicht
allein an Beamtenschreibtischen in den Ministerien ent-
steht, sondern wollen sie gemeinsam entwickeln, ge-
meinsam zunächst mit dem Deutschen Bundestag, wie
Sie das in Ihrem Antrag richtig fordern, aber auch ge-
meinsam mit allen anderen relevanten Akteuren, mit den
Gewerkschaften, den NGOs usw. Wir werden dazu auch
die bestehenden Plattformen nutzen, sowohl den Natio-
nalen IT-Gipfel wie auch Gremien wie den Beirat „Junge
Digitale Wirtschaft“. Gemeinsam wollen wir gleicher-
maßen innovative wie gesellschaftlich akzeptierte
Lösungsansätze für die Datenwirtschaft und die private
Onlinekommunikation erarbeiten.

Lassen Sie mich kurz noch einige Stichworte zu den
Schwerpunkten sagen, die wir im Bundesministerium
für Wirtschaft und Energie setzen wollen. Ein wichtiger
Punkt, der auch auf der CeBIT deutlich adressiert wird,
ist das Thema „Industrie 4.0“. Wir werden uns Anfang
nächsten Monats auf der Hannover-Messe etwa ansehen
können, wie die Datenverarbeitung und die Zuordnung
von Internetadressen zu einzelnen Maschinen neue Pro-
duktionsmöglichkeiten eröffnet. Das ist ein wichtiges
Thema, das wir vorantreiben wollen. Das machen wir
auch deutlich durch eine Umorganisation in unserem
Hause.

Wir wollen das hohe IT-Sicherheitsniveau, das wir in
Deutschland schon haben, weiter ausbauen. Sichere
Informationstechnologie Made in Germany soll eines
der Markenzeichen werden.

Wir wollen natürlich die Unterstützung der jungen
kreativen und innovativen Unternehmen und des Mittel-
standes. Insofern finde ich, dass der Antrag der Linken
zu diesem Thema etwas zu kurz greift; denn er bezieht
sich nur auf die Rahmenbedingungen zur Gründung von
Start-ups im Bereich der digitalen Wirtschaft. Ich meine
aber, dass wir durchaus auch die jungen Kreativen und
Kulturschaffenden mit ihren Start-ups mit einbeziehen
sollten und nicht nur an die digitale Wirtschaft denken
sollten. Wir sehen das Ganze etwas breiter.


(Harald Petzold [Havelland] [DIE LINKE]: Das ist kein Problem!)


Wir hoffen und wünschen, dass wir in allen Punkten
gut zusammenarbeiten werden. Gerade bei den Start-ups
sollten wir die Kreativität und die Innovationskraft
locken. Wir wissen ja: Es gibt eine Weiterentwicklung in
diesen Technologiefeldern im Grunde nur mit den
jungen innovativen Unternehmen. Das ist uns wichtig.
Daran werden wir weiter arbeiten. In diesem Sinne freue
ich mich auf einen anregenden Gedankenaustausch mit
Ihnen allen in den nächsten knapp vier Jahren.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1802007600

Vielen Dank, Frau Kollegin Zypries. – Nächster Red-

ner ist Herbert Behrens für die Linken.


(Beifall bei der LINKEN)



Herbert Behrens (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1802007700

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Menschenleere Fabriken, papierlose Büros oder Laptop-
Klassen, das waren früher unsere Vorstellungen, wenn
wir uns mit den Bildern der digitalen Welt von morgen
befasst haben. Heute kommen das selbstfahrende Auto,
der Computer im oder am menschlichen Körper oder die
Datenbrille hinzu. Wir machen die Erfahrung, dass so
manche Erfindung schneller verschwindet, als deren
Entwicklung dauerte. Dabei wird viel Wissen und Krea-
tivität entwickelt, aber eben genauso viel vernichtet.

Wir messen den Wert der Veränderungen in Richtung
einer digital geprägten Welt daran, wie die Lebensbedin-
gungen der Menschen verbessert werden. Gute Ausbil-
dung, gute Arbeit und ein gutes Leben sind unsere Maß-
stäbe für eine digital geprägte Welt von morgen, und
zwar nicht nur im eigenen Land und in Europa.


(Beifall bei der LINKEN)


Kolleginnen und Kollegen, Wünsche allein reichen
nicht aus, um die Wirklichkeit zu verändern. Deshalb ha-





Herbert Behrens


(A) (C)



(D)(B)

ben wir hier im Parlament die Chance, aber auch die
Pflicht, rechtzeitig, also ab sofort, die notwendigen Rah-
menbedingungen zu schaffen.

Die elektronische Vernetzung von der Planung bis zur
Auslieferung wird die industrielle Produktion weiter ra-
tionalisieren. Das Thema „Industrie 4.0“ wurde eben
genannt. Werkstücke werden durch Chips automatisch
gesteuert und fließen fast selbstständig durch die Pro-
duktion. Darum müssen junge Menschen anders ausge-
bildet werden, und die älteren Beschäftigten müssen die
Chance haben, sich zu qualifizieren.


(Beifall bei der LINKEN)


Wir brauchen eine Bildungsoffensive, um die digitale
Welt zu gestalten. Die Menschen sollen die digitalen In-
strumente beherrschen und nicht von ihnen beherrscht
werden. Wir fordern die Bundesregierung auf, gemein-
sam mit den Bundesländern mehr Studienplätze für In-
formatik zu schaffen und angrenzende Disziplinen wie
Natur-, Kultur- und Technikwissenschaften auszubauen.


(Beifall bei der LINKEN)


Gründer im Bereich der digitalen Wirtschaft haben
viele gute Ideen und oft nur wenig Geld. Nötig ist eine
gezielte Initiative der Bundesregierung, damit Gründer
finanziell auf die Beine kommen. Sie sollen ihre eigenen
Ideen eigenständig entwickeln können, ohne gezwungen
zu sein, sie so schnell es geht an den nächsten Investor
zu verkaufen.

Die Regierungsfraktionen sind in dieser Frage aller-
dings im vergangenen Jahrhundert stecken geblieben. In
den 90er-Jahren sollte Deutschland zu einem führenden
Finanzplatz in der Welt gemacht werden. Die Finanz-
märkte wurden dereguliert, Hedgefonds und Steuersen-
kungen bei hohen Einkommen sollten Risikokapital lo-
ckermachen.


(Sören Bartol [SPD]: Das wird nicht dadurch besser, dass man es wiederholt!)


Die Internetwirtschaft boomte, bis die Dotcom-Blase
platzte. Viele junge Unternehmen waren von heute auf
morgen vom Geldmarkt abgeschnitten.

Vor gut zehn Jahren aber waren die Fondsgesellschaf-
ten schon wieder am Start. Sie versprachen Risikokapital
für Ideen, an die sich Banken und Sparkassen leider
nicht herantrauten. Die Bundesregierung unterstützte
Risikokapitalisten seinerzeit mit Steuererleichterungen.
Doch schon 2008 kam wieder einmal die Stunde der
Wahrheit, als die vermeintlichen Geldvermehrungsma-
schinen in sich zusammenfielen.

Und heute schon wieder das gleiche Programm: Der
Investitionszuschuss Wagniskapital aus der Regierungs-
zeit Merkel/Rösler soll fortgesetzt und die Attraktivität
des Fondsstandortes Deutschland für Wagniskapital er-
höht werden. Sogar ein eigenes Börsensegment mit dem
Titel „Markt 2.0“ soll es geben. Dieser Weg ist falsch.
Existenzgründungen brauchen Kapital und kein Risiko,


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)

und die Gründerinnen und Gründer brauchen Sicherheit,
um ihre kreativen Ideen in Produkte und Dienstleistun-
gen umsetzen zu können.

In der Tat, Frau Zypries, mit dem Antrag der Koali-
tion ist ein umfangreiches Papier vorgelegt worden –
aber ohne jegliche Priorität und ohne jeglichen Zeitplan,
dafür mit Finanzvorbehalt.

Unsere Antworten auf die Herausforderungen lauten:
mindestens 1 Milliarde Euro jährlich für den Breit-
bandausbau, ein Kreditprogramm für private, gemein-
wirtschaftliche und kommunale Initiativen für eine flä-
chendeckende Versorgung mit Glasfaser, Mikrokredite,
Förderprogramme mit dem Schwerpunkt Teamgründun-
gen und eine stärkere Förderung von Frauen beim Grün-
dungsgeschehen.

Vielen Dank.


(Beifall bei der LINKEN)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1802007800

Danke, Herr Kollege. – Nächster Redner ist der Kol-

lege Axel Knoerig für die CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Christian Flisek [SPD])



Axel Knoerig (CDU):
Rede ID: ID1802007900

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten

Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Der amerikanische Ökonom Robert Solow hat einmal
geschrieben: „Die entscheidende Triebfeder für Wirt-
schaftswachstum ist nicht Arbeit und Kapital, sondern
technologischer Fortschritt.“ – Und genau da setzen wir
mit diesem Antrag an. Wollen wir also der Solow’schen
Logik folgen, dann müssen wir Technologien und Inno-
vationen massiv fördern.

Vor dem Hintergrund begrenzter Ressourcen bei uns
in Deutschland muss es nur ein Ziel geben: Wir sind di-
gitales Wachstumsland Nummer eins bis 2017.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Die entscheidende Schlüsselbranche dafür ist die Infor-
mations- und Kommunikationstechnologie. Sie muss
jetzt mit Hochdruck gefördert werden, damit modernste
Soft- und Hardware sowie Dienstleistungsangebote ent-
wickelt werden, um die Digitalisierung wirklich in allen
Wirtschaftsbereichen voranzutreiben.

Wenn wir uns die Entwicklung des IKT-Sektors in
Europa und in der Welt anschauen, dann stellen wir fest,
dass in Amerika und auch in Asien, zum Beispiel in In-
dien und Brasilien, Marktzuwächse von 9 bis 14 Prozent
möglich sind, während die Rate in Europa bedenklich
tief liegt, nämlich bei unter 1 Prozent. Wie können wir
also das Innovationspotenzial unserer IKT-Branche opti-
mal ausschöpfen? Bevor wir die Frage beantworten kön-
nen, müssen wir, wie ich denke, uns als Erstes die spe-
ziellen Eigengesetzlichkeiten dieser Branche anschauen
und sie entsprechend berücksichtigen.





Axel Knoerig


(A) (C)



(D)(B)

Punkt eins: Im Vergleich zu vielen anderen Wirt-
schaftszweigen ist hier der Zeitrahmen für Innovationen
erheblich enger. Bei Internetunternehmen dauern die
Projekte oft nur wenige Wochen. Dadurch entstehen na-
türlich hohe Forschungs- und auch Entwicklungskosten.
Da ist die Frage aufzuwerfen: Liegt es nicht in unserem
eigenen Interesse, steuerliche Förderung zur Unterstüt-
zung anzubieten? Die Zeit drängt, und wir sollten die
Programmförderung diesen schnellen Prozessen entspre-
chend anpassen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Punkt zwei: Im Vergleich zu den USA und Asien sind
die meisten IKT-Unternehmen hierzulande kleinere Be-
triebe. Nur 1 Prozent der Softwarefirmen hat über 100 Mit-
arbeiter. Wir haben in Deutschland nun einmal keine In-
ternetriesen wie Facebook oder Google. Also sind wir
im Grunde genommen gezwungen, uns auf unsere eige-
nen Stärken zu konzentrieren. Und das sind die klassi-
schen Wirtschaftsbereiche: unsere kleinen und mittelstän-
dischen Unternehmen. Sie betreiben ebenfalls Forschung
und Entwicklung auf einem internationalen Spitzen-
niveau. Das sollten wir auch entsprechend herausstellen.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Ich stelle fest, dass allein in den letzten vier Jahren
8 Millionen Euro an Forschungsförderung in meinen
Wahlkreis geflossen sind. Da sage ich: Das ist nur ein
Anfang. Die Mittelstandsförderung muss zukünftig noch
intensiver mit der Innovationspolitik verbunden werden.

Punkt drei: Wir müssen die IKT-Branche als weltwei-
tes soziales Netzwerk begreifen. Da reichen nationale
Regelungen nicht aus, insbesondere was die Sicherheit
betrifft. Ein Schritt in die richtige Richtung ist das ge-
plante Freihandelsabkommen mit den USA. Daraus wer-
den sich, denke ich, viele wirtschaftliche Impulse für un-
sere Branche ergeben. Dabei ist entscheidend, wie die
Bundeskanzlerin festgehalten hat, dass wir hierbei un-
sere hohen Sicherheitsstandards beibehalten möchten.

Punkt vier: Mehr als andere Branchen ist die IKT-
Branche vom Risikokapital abhängig. Gerade Asien und
Amerika bieten hier den jungen Hightechunternehmen
weitaus günstigere Voraussetzungen. Damit kommt es
zur schnelleren Anschlussfinanzierung, um neue Pro-
dukte auf die Märkte zu bringen. Daher müssen wir hin-
terfragen: Warum ist das bei uns nicht annähernd mög-
lich? Sollten nicht auch unsere Banken gerade diesen
kleinen und mittleren Unternehmen solche Risikofinan-
zierungen erleichtern?

Dieses muss in Crowdfunding, meinem fünften
Punkt, eingebunden werden. Dieses Thema ist erwäh-
nenswert, weil damit die digitale Wirtschaft eine neue
Form der Eigenkapitalbeschaffung umgesetzt hat. Es ist
zu hoffen, dass diese private Form der Finanzierung von
den Start-ups weiter ausgebaut wird und sich damit
wirklich eine Alternative zur öffentlichen Finanzierung
etabliert.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, es geht hierbei aber
nicht nur um die IKT-Branche als Kernbranche, sondern
sie strahlt wie eine Querschnittstechnologie auch in an-
dere Bereiche hinein: in den Automobilbau, die Elektro-
technik, die chemische Industrie und sogar die Landwirt-
schaft. Ein Beispiel: Schon heute besteht ein Auto zu
30 Prozent aus elektronischen Bauteilen. Dieser Anteil
wird in den nächsten 15 Jahren bis auf 50 Prozent anstei-
gen. Oder schauen wir uns den Maschinen- und Anla-
genbau an: Deutschland ist der führende Fabrikausstatter
in der Welt. Hier werden bis zu 200 Milliarden Euro um-
gesetzt, und dieses Ergebnis sichert fast 15 Millionen
Menschen direkt und indirekt Beschäftigung.

Deswegen war es zielgerichtet, Frau Staatssekretärin
Zypries, dass hier das BMBF über die Forschung gerade
das Projekt „Industrie 4.0“ mit unterstützt. Auf 15 Jahre
ist dieses Programm angelegt und hat einen besonders
hohen Stellenwert, weil wir uns davon versprechen, die
Marktführerschaft vor Asien und Amerika zu sichern.

Ich denke, meine sehr verehrten Damen und Herren,
das ist vorausschauende und verantwortliche Innova-
tionspolitik zur Sicherung von Leitbranchen an unserem
Wirtschaftsstandort Deutschland. Deswegen ist es wich-
tig, dass wir den Ordnungsrahmen der digitalen Wirt-
schaft international wettbewerbsfähig ausrichten. Dazu
gehört natürlich im Allgemeinen, die digitale Infrastruk-
tur in den Bereichen Verkehr, Energie, Gesundheit und
öffentliche Verwaltung entsprechend auszubauen. Ich
sage als Vertreter des ländlichen Raumes immer wieder
gern: Genauso wie es in Ballungszentren selbstverständ-
lich ist, muss es im Grunde genommen auch im ländli-
chen Raum selbstverständlich sein, dort auf das schnelle
Internet zurückgreifen zu können.

Hier ist das Stichwort CeBIT gefallen. Allein auf der
CeBIT sind dieses Jahr 1 500 Veranstaltungen und
Workshops zu IT-Sicherheit und Datenschutz abgehalten
worden. In Hannover wurden heute 30 mittelständische
Unternehmen im Bereich IT und Softwareentwicklung
ausgezeichnet.

Trotz alledem stellen wir fest, meine sehr verehrten
Damen und Herren, dass – man höre und staune – durch
Cybercrime der deutschen Wirtschaft tagtäglich Schäden
in Höhe von einer Viertelmilliarde Euro entstehen. Des-
wegen müssen wir die mittelständischen Betriebe weiter
sensibilisieren und vor allem das neue IT-Sicherheitsge-
setz zügig voranbringen. Das ist ein politischer Impuls,
der aus den Reihen der Politik kommen muss. Wir brau-
chen keine Verbundnetze, sondern diesen politischen
Impuls.

Aber es ist auch wichtig, dass wir die Mitarbeiter mit-
nehmen. Wir brauchen interkulturelle Kompetenzen. Im-
mer mehr Berufsschulen – zum Beispiel auch die in
Syke in meinem Wahlkreis – bieten europäische Ausbil-
dungsangebote an. Die Bundesregierung hat sich ja zum
Ziel gesetzt, die Zahl der Auszubildenden, die einen
Auslandsaufenthalt absolvieren, zu verdoppeln.

Meine Zeit ist abgelaufen.


(Heiterkeit)






Axel Knoerig


(A) (C)



(D)(B)

Ich fasse zusammen: In dem ersten Antrag der Großen
Koalition zur digitalen Wirtschaft geht es darum, dass
wir unsere Ziele in Bildungs-, Forschungs- und Arbeits-
marktpolitik intensiv miteinander verknüpfen müssen.
Dann bleibt auch unsere deutsche IKT-Wirtschaft wett-
bewerbsfähig.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1802008000

Danke, Herr Kollege. Ich glaube nicht, dass Ihre Zeit

abgelaufen ist, sondern Ihre Redezeit. Ich möchte auf
diesen Unterschied hinweisen.

Nächster Redner ist Dieter Janecek für die Grünen.


Dieter Janecek (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1802008100

„Diese Welt ist in einem rasanten Wandel; wir erleben

eine permanente technologische Revolution“ – mit die-
sen Worten hat der britische Premier David Cameron am
vergangenen Sonntag auf der CeBIT den digitalen Wan-
del, wie ich finde, treffend beschrieben. Aber wir sollten
auch bedenken: Als wir Ende Januar die erste General-
debatte zur Wirtschaftspolitik geführt haben, war ich
nach meiner Erinnerung ziemlich der Einzige, der das
Thema angesprochen hatte. Wir haben also in diesem
Hause im Verständnis für die Digitalwirtschaft noch
Nachholbedarf.

Mittlerweile – das ist das Positive – hat der Ausschuss
Digitale Agenda seine Arbeit aufgenommen, wenn auch
gestern leider nicht mit vielen Inhalten, weil wir die Be-
ratung abbrechen mussten. Aber es geht voran. All die
Schlagworte wie Big Data, Industrie 4.0 und Internet der
Dinge beschäftigen uns. Für manch einen sind das noch
wenig greifbare Dinge. Die Kanzlerin hat auf der CeBIT
durchaus technologiekritisch die „Selbstbehauptung des
Menschen vor seiner Überflüssigkeit“ angemahnt. Ich
finde, das ist ein interessanter Punkt. Auch Nachdenkli-
ches gehört zur Debatte. Dafür hat sie meinen vollsten
Respekt.

Aber bei aller gemeinsamen Analyse zum Beispiel
zur Veränderung der Arbeitswelt oder zur fehlenden Ex-
portstärke – ein Großteil der Internetfirmen ist nicht bei
uns angesiedelt, sondern in den USA oder in China; das
ist ein Problem, das wir angehen müssen – fehlen mir in
Ihrem Antrag zwei wesentliche Orientierungen. Das ist
die Erkenntnis, dass wir in Deutschland zwei ganz
wesentliche Standortvorteile gegenüber den USA und
China haben, die es auszubauen gilt und die auch für die
weitere Entwicklung des freien Internets von entschei-
dender Bedeutung sein werden. Das eine ist das Thema
Sicherheit, Daten- und Vertrauensschutz, und das andere
ist unsere Technologieführerschaft bei Energieeffizienz
und Ressourcenwende.

Wer auf der CeBIT mit Unternehmensvertretern gespro-
chen hat – ich habe mit einer ganzen Reihe gesprochen –,
konnte feststellen, dass die informationelle Selbstbestim-
mung nicht nur ein Grundrecht ist, sondern es inzwischen
für viele Unternehmen eine Frage des wirtschaftlichen
Erfolgs ist, dass sie die Sicherheit ihrer Daten gewähr-
leisten können. Das heißt auch, dass sich die Verheißun-
gen von Big Data oder Datability – dieses Kunstwort ist
jetzt auf der CeBIT aufgetaucht – nur dann verwirkli-
chen können, wenn wir diese Daten konsequent schüt-
zen.

Nehmen wir das Beispiel WhatsApp: Innerhalb von
24 Stunden hat der kleine Schweizer Konkurrent
Threema seine Nutzerzahlen mehr als verdoppeln kön-
nen und führt nun die iTunes-Charts in Deutschland und
Österreich an. Das ist ein Beispiel, wie man Alternativen
schaffen kann, wie also auch wir erfolgreich sein kön-
nen.

Laut der jüngst erschienenen Studie des Bundesver-
bands Digitale Wirtschaft sind der Schutz und die Si-
cherheit von Daten für 43 Prozent der befragten Unter-
nehmen ein zentrales wirtschaftliches Thema. Es ist
damit das zweitwichtigste Thema neben der Netzneutra-
lität. Das heißt, rund um Datenschutz und IT-Sicherheit
ergeben sich zahlreiche neue Geschäftschancen, bei-
spielsweise die Anwendungen für sichere Telefonie oder
die Abschirmung von Firmennetzwerken. Wir reden
auch noch über ein No-Spy-Abkommen und über Spio-
nage. Überall dort haben wir Vorteile, die wir voranbrin-
gen müssen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Das fehlt mir in Ihrem politischen Handeln – Stichwort
„Vorratsdatenspeicherung“. Um glaubwürdig zu sein,
muss man insgesamt so agieren, wie man es nach außen
darstellt.

Es gibt noch einen weiteren Punkt. Wir hatten vorhin
eine Debatte zur Energiewende. Auch sie hängt elemen-
tar mit der digitalen Agenda zusammen. Ressourcen-
schonung und Energieeffizienz, das waren auch Themen
auf der CeBIT. Stichwort „Smart Housing“: Hier geht es
ja um die Frage, wie wir künftig unser Zuhause per intel-
ligenter Energiesteuerung vernetzen und die damit ver-
bundenen Potenziale nutzen. Wir sollten auch über die
intelligente Steuerung von Kraftwerken und Netzen re-
den, über Lastmanagement in der Industrie und Smart
Metering in den Haushalten. So funktioniert Energie-
wende 2.0, also all das vernetzt sich miteinander. Auch
das müssen wir strategisch und konsequent nutzen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Die digitale Kommunikation ermöglicht es, dass wir
vieles einfach teilen und nutzen können, anstatt es besit-
zen zu müssen. Beispiel Carsharing: Am Anfang hat
man darüber gelacht. Heute nutzen das viele, und sie
können es nutzen, weil sie ein Handy haben, womit eine
intelligente Steuerung und Nutzung möglich ist. Auch
das sind Potenziale, die wir heben können.

Ich komme zum Schluss. Die digitale Wirtschaft ist
auch ein Treiber für die ökologische Transformation.
Das Auto wird in Zukunft ein rollendes Rechenzentrum
sein. VW-Chef Winterkorn hat in seiner Rede auf der
CeBIT zwei Herausforderungen für die Automobilindus-
trie genannt: zum einen das automatische Fahren und
zum anderen die Vernetzung des Autos mit der Umwelt.
All das müssen wir im Rahmen der Technologieführer-





Dieter Janecek


(A) (C)



(D)(B)

schaft, die wir haben und ausbauen sollten, zusammen-
denken und als Standortvorteile für uns begreifen.

Vielen Dank.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1802008200

Danke, Herr Kollege. – Nächster Redner in der De-

batte ist Christian Flisek für die SPD.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Christian Flisek (SPD):
Rede ID: ID1802008300

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Lieber

Kollege Janecek, ich teile Ihre Einschätzung nicht. Ich
glaube, die digitale Agenda ist in der deutschen Politik
angekommen. Das ist die eindeutige Botschaft, die die
Koalition mit dem Koalitionsvertrag aussendet. Das ist
die Botschaft, die wir mit der Einsetzung und Konsti-
tuierung des Ausschusses Digitale Agenda ausgesendet
haben. Das ist auch die Botschaft, die wir mit unserem
heutigen Antrag – parallel zur weltgrößten IT-Messe, der
CeBIT in Hannover – an die Bürgerinnen und Bürger
aussenden.


(Beifall bei der SPD)


Schon im Koalitionsvertrag haben wir festgeschrie-
ben, dass wir „eine digitale Agenda für die Jahre
2014–2017 beschließen und ihre Umsetzung gemeinsam
mit Wirtschaft, Tarifpartnern, Zivilgesellschaft und Wis-
senschaft begleiten“ werden. Die Konstituierung des
neuen Vollausschusses Digitale Agenda vor wenigen
Wochen hat deutlich gemacht, dass dieses komplexe
Querschnittsthema einen sichtbaren Platz im Herzen des
deutschen Parlaments bekommt. Mit unserem Antrag
zum Technologie-, Innovations- und Gründungsstandort
Deutschland und zu den Potenzialen der digitalen Wirt-
schaft in Deutschland machen wir einen weiteren
Schritt, den Arbeitsauftrag aus dem Koalitionsvertrag
umzusetzen. Mit unserem Antrag stecken wir wichtige
Handlungsfelder für die weiteren Schritte in dieser Le-
gislaturperiode ab.

Meine Damen und Herren, wenn wir über die Wachs-
tumspotenziale der digitalen Wirtschaft sprechen, dann
sollten wir vor allem die Menschen in den Mittelpunkt
stellen, die diese Wachstumspotenziale heben sollen.

Das sind zum einen die qualifizierten Fachkräfte, die
in den Wertschöpfungsketten der Industrie, in den
Dienstleistungsbetrieben und im Handel beschäftigt
sind, in Wertschöpfungsketten, die sich immer stärker
und schneller digitalisieren. Diese Beschäftigten werden
sich auch, egal ob sie in einem Start-up-Unternehmen
oder in einem Industriebetrieb arbeiten, in der digitalen
Arbeitswelt dafür einsetzen müssen, dass sie nicht nur
Arbeit haben, sondern dass sie gute Arbeit haben, mit
guter Bezahlung und zu guten Arbeitsbedingungen. Wir
Sozialdemokraten werden sie dabei unterstützen.


(Beifall bei der SPD)

Genau deshalb haben wir in unseren Antrag hineinge-
schrieben, dass auch in der digitalen Welt, also in einer
Welt permanenter Erreichbarkeit, das Prinzip der Kern-
arbeitszeit nicht ausgehöhlt werden darf. Gute digitale
Arbeit immer wieder neu zu definieren und den Verände-
rungen anzupassen, muss auch in Zukunft im Dialog
zwischen Politik, Gewerkschaften und Wirtschaft inten-
siv erarbeitet werden.

Neben den qualifizierten Fachkräften in der deut-
schen Wirtschaft prägt eine zweite Gruppe die digitale
Wirtschaft wie keine andere. Das sind die Gründer, Men-
schen jeden Alters, die, mit einer frischen Idee ausgestat-
tet, versuchen, sich auf eigene, auf selbstständige Beine
zu stellen, und dabei Verantwortung für sich und ihre
Mitarbeiter übernehmen. Hier gibt es viel Licht und
Schatten. Wir haben äußerst starke und attraktive Grün-
derszenen etwa hier in der Hauptstadt und in einigen
deutschen Metropolregionen.

Es muss uns aber doch alarmieren, dass die Gründer-
zahlen insgesamt in den letzten fünf Jahren rückläufig
waren und dass heute – es liegen Studien und Umfragen
vor, aus denen das hervorgeht – von den deutschen Uni-
versitätsabsolventen eines Jahrgangs nur noch 7 Prozent
sich überhaupt vorstellen können, ein Unternehmen zu
gründen. Angesichts dieser Zahlen muss man kein Pro-
phet sein, um festzustellen: Selbstständigkeit verliert vor
dem Hintergrund des demografischen Wandels und eines
drohenden Fachkräftemangels zunehmend an Attraktivi-
tät. Diesen Trend müssen wir umdrehen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Die Attraktivität der Selbstständigkeit wird man nicht
alleine durch einzelne Maßnahmen erhöhen. Das ist
meine Überzeugung. Was wir brauchen, ist eine grund-
sätzlich neue Einstellung in unserer Gesellschaft. Für
eine neue Gründerzeit in Deutschland, wie es im Koali-
tionsvertrag steht, brauchen wir vor allem einen neuen
Gründergeist. Wir brauchen eine viel höhere gesell-
schaftliche Anerkennung der Selbstständigkeit, und wir
brauchen eine Kultur der zweiten, der dritten Chance
und keine Stigmatisierung des Scheiterns.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)


Erst dann, meine Damen und Herren, werden wir wieder
mehr Gründer bekommen, und zwar solche, die aus Lust
gründen und nicht aus Frust. Die Gründer von heute sind
der Mittelstand von morgen. Ohne Gründungen werden
wir kein Wachstum in Deutschland haben.

Neben diesem Mentalitätswechsel braucht es auch
klare Bedingungen, um das zu gewährleisten. Geld ist
eine davon. Wir müssen deshalb die Finanzierungsbe-
dingungen verbessern, und zwar für alle Phasen einer
Gründung, insbesondere für die wichtige Wachstums-
phase. Hier haben wir Lücken im deutschen Finanzie-
rungssystem. Es ist angesprochen worden: Alternative
Finanzierungsformen wie das Crowdfunding müssen
stärker unterstützt werden. Und, ja, es braucht auch ein
neues Börsensegment zur Belebung von Börsengängen
junger, wachstumsstarker Unternehmen. Wir brauchen





Christian Flisek


(A) (C)



(D)(B)

einen Rechtsrahmen; insbesondere müssen die Eck-
punkte für ein Venture-Capital-Gesetz zügig vorgelegt
werden.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)


Schlussendlich – ich komme zum Schluss – gehört
vor allem der Abbau von bürokratischen Hürden dazu.
Wer gründet und wer mit Gründern spricht, weiß: Es
müssen sehr viele Hürden überwunden werden. Wir soll-
ten daher die bürokratischen Hürden in der Gründungs-
phase so niedrig wie möglich halten und die Ansprech-
partner für Gründer in der Verwaltung konzentrieren;
denn eine überbordende Verwaltung und eine überbor-
dende Bürokratie können aus jeder Lustgründung auch
wieder eine Frustgründung machen.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1802008400

Danke, Herr Kollege. – Das Wort hat Halina

Wawzyniak für die Fraktion Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Halina Wawzyniak (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1802008500

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Kolleginnen

und Kollegen! Wir reden über Gründungsbedingungen
in der digitalen Wirtschaft, wir reden über Rahmenbe-
dingungen für die digitale Wirtschaft. Beide vorliegen-
den Anträge befassen sich nun mit Themen, die deutlich
über die klassischen wirtschaftspolitischen Themen hi-
nausgehen. Ich will das einmal benennen: Haftungsrege-
lungen für WLAN-Betreiber, digitale Bildung, Entwick-
lung von Open Access, Urheberrecht, Open-Data-
Gesetz, Medienkompetenz – das alles kommt nicht nur
im Antrag der Großen Koalition vor, sondern auch in un-
serem Antrag. Ehrlich gesagt, ich finde, das spricht alles
dafür, dass das federführend im Ausschuss Digitale
Agenda behandelt wird und nicht im Wirtschaftsaus-
schuss.


(Beifall bei der LINKEN)


Es macht, ehrlich gesagt, auch wenig Sinn, hier einen
pompösen Antrag vorzulegen, über den dann nächste
Woche – nach der vorläufigen Tagesordnung im Übrigen
ohne Debatte – abgestimmt werden soll. Das orientiert
nicht auf eine seriöse Beratung eines solchen Antrags.


(Beifall bei der LINKEN – Thomas Jarzombek [CDU/CSU]: Das deutet auf Entschlossenheit!)


Digitale Gründungsbedingungen zu verbessern oder
die Potenziale der digitalen Wirtschaft auszuschöpfen,
beginnt unseres Erachtens in der Schule. Nur wer ver-
steht, wie es funktioniert, wird selbstbestimmt und sou-
verän mit dem Internet und seinen Möglichkeiten umge-
hen können. Deshalb fordern wir ein Förderprogramm
für digitales Lernen und die Ausstattung der Schülerin-
nen und Schüler mit entsprechender Hardware sowie die
Erarbeitung digitaler und offener Lehr- und Lernmate-
rialien. Das ist deutlich konkreter als Ihr Allgemeinplatz.


(Beifall bei der LINKEN)


Wir wollen Netzneutralität gesetzlich festschreiben.
Wir sagen auch konkret, wie wir uns das vorstellen,
nämlich indem eine Priorisierung unterschiedlicher
Dienste- und Inhalteklassen nur bei zeitkritischen Diens-
ten und ausschließlich zur technischen Effizienzsteige-
rung zulässig sein soll. Ergriffene Netzmanagementmaß-
nahmen sollen von den Netzbetreibern gegenüber den
Nutzerinnen und Nutzern begründet und transparent und
nachvollziehbar dargestellt werden. Wenn auch Sie von
der Koalition das jetzt fordern, begrüßen wir das. Dann
sind wir uns ja einig; denn Netzneutralität ist eine der
wichtigsten Voraussetzungen für die Gründung von
Start-ups.


(Beifall bei der LINKEN)


Die Enquete-Kommission Internet und digitale Ge-
sellschaft hatte empfohlen, bei Bundesorganen Open-
Source-Software zu fördern und ihre Weiterentwicklung
gezielt zu unterstützen. Leider ist in Ihrem Antrag davon
nicht die Rede. Das finde ich ausgesprochen schade;
denn die Förderung und der Einsatz von Open Source
sind nicht nur eine wichtige Gründungsbedingung, son-
dern sie sichern auch die Zukunft mittelständischer digi-
taler Unternehmen.


(Beifall bei der LINKEN)


Sie schreiben in Ihrem Antrag, dass das Urheberrecht
wissenschafts- und innovationsfreundlich weiterzuent-
wickeln ist. Da sind wir uns alle einig. Eine erste Mög-
lichkeit, das umzusetzen, wäre, das aus unserer Sicht
innovationsfeindliche Leistungsschutzrecht für Presse-
verlage abzuschaffen.


(Beifall bei der LINKEN)


Zu Recht weisen Sie darauf hin, dass ein Fokus auf
die soziale Absicherung der Kreativen zu legen ist. Wie
Sie das innerhalb einer Woche durch eine Ausschussbe-
ratung klären wollen, ist mir schleierhaft – aber gut. Ein
konkreter Weg hierzu wäre beispielsweise, das Urheber-
vertragsgesetz zu ändern.


(Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau!)


Wir haben in der letzten Legislaturperiode einen Vor-
schlag vorgelegt


(Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir auch!)


– die Grünen auch –, wie die Geltendmachung des
Rechts auf angemessene Vergütung von Urheberinnen
und Urhebern erleichtert werden kann.


(Beifall bei der LINKEN)


Zur sozialen Absicherung der Kreativen gehört aber
auch, dass diese die Möglichkeit bekommen oder behal-
ten, in die KSK einbezogen zu werden, und dass derje-
nige, der mit einem Start-up scheitert, nicht in Hartz IV
stürzt; denn das ist keine Ermunterung, aktiv zu werden.





Halina Wawzyniak


(A) (C)



(D)(B)

Eine repressionsfreie soziale Grundsicherung könnte
hier ein Anfang sein, um Kreativen eine soziale Ab-
sicherung zu bieten.

Wir sollten uns darüber hinaus wenigstens dazu ent-
schließen, eine Enquete-Kommission zum bedingungs-
losen Grundeinkommen noch in dieser Legislaturperiode
einzusetzen, um diese Idee, deren Befürworterin ich per-
sönlich bin – sie ist bei uns umstritten; aber ich finde sie
gut –, mit ihren Vor- und Nachteilen in Ruhe zu erörtern.


(Beifall bei der LINKEN)


Sie sehen: Das Themenspektrum ist umfassender. Es
gehört in den Ausschuss Digitale Agenda, und es
braucht mehr Zeit, es zu behandeln.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1802008600

Danke, Frau Kollegin. – Der nächste Redner ist

Hansjörg Durz für die CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Hansjörg Durz (CSU):
Rede ID: ID1802008700

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen

und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren!
Ich freue mich, heute meine erste Rede vor diesem Ho-
hen Hause über ein Thema halten zu dürfen, das für die
Zukunft des Wirtschaftsstandortes Deutschland ganz
wesentlich ist, nämlich die Frage, wie wir den Technolo-
gie-, Innovations- und Gründungsstandort Deutschland
stärken und wie wir die enormen Potenziale der digitalen
Wirtschaft für Wachstum und nachhaltige Beschäftigung
ausschöpfen – ein Ziel, das uns sicher alle eint.

Unsere Wirtschaft ist in guter Verfassung und befindet
sich auf einem stabilen Kurs. Angesichts der Prognose für
das aktuelle Jahr dürfen wir positiv gestimmt sein. Alle
Indikatoren deuten auf ein weiteres Wachstum der deut-
schen Wirtschaft hin. Die Lage und die Stimmung sind
gut.

Ein Wachstumstreiber der gesamten deutschen Wirt-
schaft ist die Digitalisierung, auch weil sie immer mehr
wirtschaftliche und gesellschaftliche Lebensbereiche
durchdringt und verknüpft, weit über die klassischen Be-
reiche der Informations- und Technologiebranche hi-
naus.

Ein aktuelles und sehr anschauliches Beispiel der un-
aufhaltsamen Digitalisierung unserer starken Wirtschaft
ist die Automobilindustrie. Beim Auto-Salon in Genf
wurde einmal mehr deutlich, dass die Digitalisierung die
Autoindustrie antreibt. In Genf stand schon beinahe
nicht mehr das Auto im Vordergrund, sondern vielmehr die
Vernetzung des Autos mit den unterschiedlichen Internet-
diensten. Dort wurde von einer revolutionären Entwick-
lung gesprochen. Volkswagenchef Martin Winterkorn hat
dies als einen der größten Umbrüche seit Bestehen des
Automobils bezeichnet. Wir können uns also der bahn-
brechenden Bedeutung, die diese digitale Entwicklung
für unser wirtschaftliches Wachstum und unsere Arbeits-
und Lebenswelten mit sich bringt, nicht entziehen; und
das wollen wir auch gar nicht.

Die Bedeutung der digitalen Wirtschaft wird durch
die eindrucksvollen Zahlen in den Monitoring-Berichten
der letzten Jahre deutlich unterstrichen. Eine für mich
sehr bemerkenswerte Information lautet, dass den Deut-
schen der Zugang zum Netz 5,6-mal so viel wert ist, wie
er sie derzeit kostet. Das zeigt den Stellenwert, den das
Netz, den die Digitalisierung für die Menschen mittler-
weile einnimmt.

Das enorme Potenzial, das uns die Digitalisierung be-
schert, gilt es beim Schopfe zu packen; denn Deutsch-
land braucht verstärkt Innovationen, um im globalen
Wettbewerb weiterhin erfolgreich bestehen zu können.

In den vergangenen Jahrzehnten war unser Unterneh-
mertum ein wesentlicher Erfolgsfaktor für die deutsche
Wirtschaft. Ohne die vielen Unternehmer – vom kleinen
Betrieb über den Mittelständler bis hin zum global agie-
renden Unternehmen – stünden wir heute nicht so gut da.
Wir haben es neben den Arbeitnehmerinnen und Arbeit-
nehmern vor allem den hervorragenden Innovationen,
dem Mut und Fleiß, insbesondere aber auch dem beson-
deren Unternehmergeist zu verdanken, dass wir auch
heute wirtschaftlich wieder im Aufschwung sind. Diesen
Unternehmergeist brauchen wir auch in Zukunft.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Auch heute gibt es viele junge Menschen, die bereit
sind, etwas zu unternehmen. So wurden zum Beispiel
seit 2009 jährlich knapp 9 000 Unternehmen der Infor-
mations- und Kommunikationstechnik gegründet. Wir
müssen und wollen aber die Zahl der Gründungen in den
nächsten Jahren deutlich steigern, auch weil wir wissen,
dass insbesondere inhabergeführte Unternehmen enorme
Innovationskraft haben und Innovationen schaffen. Ge-
rade vor diesem Hintergrund ist es umso dringlicher,
dass wir die Chancen und Potenziale der Digitalisierung
ergreifen und das Unternehmertum vorantreiben. Die
jungen Köpfe in der digitalen Welt bilden das Kapital
unserer wirtschaftlichen Zukunft. Sie treiben die Innova-
tionen voran und schaffen Arbeitsplätze. Wir wollen die
Gründerkultur und damit den Mittelstand von morgen
stärken.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Nun mangelt es in Deutschland nicht an fleißigen
Menschen und auch nicht an guten Ideen. Vielmehr sind
es oftmals die Rahmenbedingungen, die es Existenz-
gründern nicht ganz leicht machen. Dazu gehören
sicherlich Themen wie die Entbürokratisierung der
Antragsverfahren, eine bessere Vernetzung von Wissen-
schaft und Wirtschaft oder der Auf- und Ausbau der
Netzwerke für Start-ups. In Bayern besteht beispielsweise
ein Netzwerk von 45 Gründerzentren, darunter 23 tech-
nologischen. Hier finden Existenzgründer und junge
Unternehmen die Hilfe, die sie in der Gründungs- und
Frühphase benötigen. Hier finden auch innovative Ent-
wicklungen den Weg in die Wirtschaftlichkeit. Rahmen-
bedingungen, die den Erfindergeist aktiv unterstützen,





Hansjörg Durz


(A) (C)



(D)(B)

sind sicher der Schlüssel zum Erfolg. Dazu gehört auch,
dass genügend Kapital für die Umsetzung neuer, auch
wagemutiger Ideen zur Verfügung gestellt wird. Jungen,
innovativen Unternehmen ist noch zu häufig der Weg zu
den klassischen Finanzierungsquellen versperrt, weil für
eine Kreditfinanzierung die Risiken zu hoch und die Si-
cherheiten zu gering sind. Zweifellos gibt es eine Reihe
erfolgreicher Modelle der Förderung innovativer Unter-
nehmen, die fortgesetzt werden müssen. Mit dem High-
Tech Gründerfonds II mit einem Fondsvolumen von
301,5 Millionen Euro wurden richtige Weichen gestellt.
Auch der Innovationszuschuss Wagniskapital ist sicher-
lich ein guter Weg, den wir weiter ausbauen müssen.


(Beifall des Abg. Thomas Jarzombek [CDU/ CSU])


Aber wir brauchen ein durchgängiges Angebot an Fi-
nanzierungsmöglichkeiten für die unterschiedlichsten
Phasen der Entwicklung eines jungen Unternehmens:
von der Frühphase bis hin zur Wachstumsfinanzierung.
Ich bestätige: Da gibt es Lücken.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Dabei müssen wir uns neben den Möglichkeiten staat-
licher Fördermodelle vor allem um die Gewinnung pri-
vater Investoren kümmern. Das im Koalitionsvertrag
festgehaltene Instrument des Crowdfunding ist ein In-
strument zur Frühphasenfinanzierung, in welchem viele
kleine Beträge einer Geschäftsidee zur Umsetzung ver-
helfen. Es ist ein Modell, das gerade in jüngster Zeit an
Dynamik gewinnt. Aber sogenanntes Wagniskapital
führt in Deutschland im Vergleich zu anderen Industrie-
nationen immer noch ein Schattendasein. Auch wenn die
Venture-Capital-Investitionen in IT-Start-ups 2013 leicht
zugelegt haben, haben wir in Deutschland relativ wenig
Gründerkapital. Deswegen müssen wir den gesetzlichen
Rahmen dafür schaffen, dass mehr Business Angels in
junge innovative Unternehmen investieren, dass unseren
intelligenten Köpfen mehr Wagniskapital zur Verfügung
gestellt wird und dass in einer späteren Unternehmens-
phase auch Anteile innovativer, wachstumsstarker Un-
ternehmen in einem neu eingeführten Börsensegment
gehandelt werden können.

Deutschland kann international mit den besten und
kreativsten Köpfen konkurrieren. Wir haben die nötige
Manpower und hervorragendes Know-how. Wir müssen
unsere Ressourcen nur besser nutzen und vor allem die
Rahmenbedingungen für Innovationen und Investitionen
fördern. In der Digitalisierung stecken für unsere Wirt-
schaft und für unsere Gesellschaft große Potenziale und
Chancen. Gehen wir sie an!

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1802008800

Lieber Herr Kollege, im Namen des ganzen Hauses

wünschen wir Ihnen, unserem Augsburger bzw. Neu-
säßer Kollegen, alles Gute für die nächste Zeit als Abge-
ordneter und gratulieren Ihnen zu Ihrer ersten und si-
cherlich nicht letzten Rede im Deutschen Bundestag.


(Beifall)


Die nächste Rednerin ist Tabea Rößner für Bünd-
nis 90/Die Grünen.


Tabea Rößner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1802008900

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren!

Wenn man ein Symbol für die digitale Kompetenz der
Großen Koalition bräuchte, wäre dies ein herausgezoge-
ner LAN-Stecker. Den bekam man nämlich am Montag-
nachmittag um Punkt 15 Uhr zu sehen, falls man gerade
dabei war, die Pressekonferenz der Minister Gabriel, de
Maizière und Dobrindt im Internet zu verfolgen. Da stel-
len sich die drei Minister hin und wollen Einigkeit und
Kompetenz demonstrieren – und nach einer halben
Stunde wird ihnen der Stecker gezogen, weil die Leitung
für den Stream nicht lang genug reserviert worden war.
So viel zur vereinten Internetkompetenz der Minister. In
Sachen Netzpolitik schaut man bei der GroKo in die
Röhre.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Gerold Reichenbach [SPD]: Wenn Sie jetzt noch mehr Nonsens erzählen, zieht Ihnen die Präsidentin auch den Stecker!)


Aber selbst als der Stream lief, redeten die drei Minis-
ter viel und sagten äußerst wenig.


(Thomas Jarzombek [CDU/CSU]: Oh!)


Minister Dobrindt blieb beim Breitbandausbau im Vagen –
so wie übrigens auch Sie in Ihrem Antrag. Das Ziel, bis
2018 flächendeckend eine Downloadgeschwindigkeit
von 50 Megabit pro Sekunde zu erreichen, klingt sehr
gut; aber schon 2011 hatte Bundeskanzlerin Merkel ver-
sprochen, es werde Highspeedinternet für drei Viertel al-
ler Haushalte bis zum Jahr 2014 geben. Jetzt haben wir
das Jahr 2014, aber immer noch kein Highspeednetz.


(Thomas Jarzombek [CDU/CSU]: Das stimmt doch gar nicht!)


2018 ist also das neue 2014. Ist es eigentlich Zufall, dass
Sie als Zeitpunkt immer das Jahr nach der Bundestags-
wahl nennen?

Aber gut, das Ziel ist klar; wie Sie es erreichen wol-
len, ist jedoch nicht klar. Ein Kaffeeklatsch mit den Tele-
kommunikationsunternehmen hilft da auch nicht weiter.
Noch immer ist kein Geld da, und auf die Erlöse einer
weiteren digitalen Dividende zu setzen, ist nur scheinbar
eine Lösung. Es ist völlig unklar, ob es überhaupt hohe
Einnahmen geben wird. Das ist ungefähr so, als wollte
ich mein Eigenheim mit einem zukünftigen Lottogewinn
finanzieren. Das ist unseriös und planlos.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN – Nadine Schön [St. Wendel] [CDU/CSU]: Was sind Ihre Vorschläge?)


Immerhin gibt es im Antrag zwei Hoffnungsschim-
mer: Netzneutralität soll gesetzlich festgeschrieben wer-





Tabea Rößner


(A) (C)



(D)(B)

den, und es soll hinsichtlich der Verbreitung von lokalen
und offenen WLAN-Netzen klare Haftungsregelungen
geben. Beides darf nicht halbherzig angegangen werden.
Es wäre nämlich ein echter Fortschritt, wenn wir das be-
kämen. Auf die konkrete Umsetzung bin ich allerdings
ziemlich gespannt.

Ich möchte noch auf einen zweiten Aspekt eingehen:
die Kreativwirtschaft. Ich finde es schon sehr bemer-
kenswert, dass Sie die „Gründer von heute“ als den
„Mittelstand von morgen“ bezeichnen. Die Wahrheit ist
doch etwas differenzierter; denn das Ergebnis vieler
Gründungen durch Kreative im digitalen Bereich sind
Klein- und Kleinstunternehmen, und diese haben häufig
ganz andere Sorgen. Sie benötigen zum Beispiel für die
Gründung oft gar kein großes Risikokapital, sondern
eher eine kleine Anschubfinanzierung. Das, Herr
Jarzombek, hat auch die Arbeit der Enquete-Kommis-
sion ergeben; darüber haben wir schon einige Diskussio-
nen geführt. Hier könnten zum Beispiel Mikrokredite
schnell und wirksam helfen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Ebenso mangelt es oft an Platz, an Räumen für das ei-
gene Unternehmen.

Diese Probleme betreffen insbesondere Unternehmen
rund um die Kreativwirtschaft, und für die haben Sie
auch sonst nicht viel im Angebot. Sie machen keine kon-
kreten Angaben, wie Sie die dringend notwendigen Re-
formen im Urheberrecht, im Urhebervertragsrecht oder
bei der Künstlersozialkasse angehen wollen. Mir fehlt
ein Signal, das den Kreativen, den Einzelkämpfern, den
Kleinstunternehmern, frei nach dem britischen Künstler
Astley, zeigt: Wir werden euch niemals aufgeben, nie-
mals im Stich lassen, verletzen oder verlassen.

Liebe SPD-Kollegen, ich kann mich an einen Antrag
aus der letzten Legislaturperiode erinnern.


Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1802009000

Frau Kollegin, bitte denken Sie an Ihre Redezeit.


Tabea Rößner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1802009100

Ich bin gleich fertig. –


(Gerold Reichenbach [SPD]: Denk an den Stecker!)


Ich kann mich an Ihren Antrag zur Kreativwirtschaft
2020 erinnern. Da waren Sie deutlich weiter. Ich ver-
stehe nicht, warum Sie an dieser Stelle jetzt so zögerlich
sind.

„Agenda“ heißt wörtlich übersetzt: das zu Tuende.
Wenn es bei den vielen vagen Andeutungen ohne Kon-
zept dahinter bleibt, dann werden Sie sich mit der digita-
len Agenda in dieser Legislatur jedenfalls nicht überar-
beiten.

Vielen Dank.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Halina Wawzyniak [DIE LINKE])


Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1802009200

Danke, Frau Kollegin. – Die nächste Rednerin ist

Nadine Schön für die CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Nadine Schön (St. Wendel) (CDU/CSU):
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Es ist gut, dass wir heute im Plenum über die
Potenziale der digitalen Wirtschaft und über die Poten-
ziale für Wachstum, Innovation und Beschäftigung in
Deutschland sprechen. Es passt sehr gut, weil gerade
zeitgleich in Hannover die CeBIT, die weltgrößte IT-
Messe, stattfindet. Auf der CeBIT wird gezeigt, wie die
Zukunft im digitalen Bereich aussieht und welche Pro-
duktinnovationen und technischen Innovationen es gibt.

Es wäre aber zu kurz gesprungen, wenn wir die
CeBIT nur als Leistungsschau der IT-Branche betrachten
würden. Die CeBIT ist viel mehr. Jeder, der da war, wird
die gleiche Erfahrung gemacht haben. Man hat auf der
CeBIT gespürt, wie radikal die Digitalisierung unser Le-
ben, unser Arbeiten, unseren Alltag, die Gesellschaft
und die Wirtschaft verändert. An dieser Veränderung
wollen wir teilhaben.

Wir waren mit unserem Ausschuss Digitale Agenda,
mit dem Ausschussvorsitzenden Koeppen, mit dem
Sprecher Jarzombek und mit vielen interessierten Kolle-
gen, vor Ort. Wir haben gesehen, was Digitalisierung im
Einzelnen heißt, zum Beispiel miteinander kommunizie-
rende Autos. Wir haben gesehen, dass es Roboter geben
wird, die zukünftig sowohl im Weltall als auch in Kri-
sengebieten eingesetzt werden sollen. Wir haben eine
Frau mit einer digitalen Handprothese getroffen, die
durch diese Handprothese eine ganz neue Lebensqualität
gewonnen hat. Wir haben gesehen, wie etwa in meinem
Bundesland, dem Saarland, die Antragstellung für den
Schwerbehindertenausweis, die Bewilligung und die
Korrespondenz mit den Ärzten, also das gesamte Verfah-
ren, digitalisiert wird. Das heißt, die Verwaltung wird
schlanker, die Antragstellung wird erleichtert, und dem
Betroffenen kann viel schneller geholfen werden.

Das alles wurde durch innovative Forschungsinstitute
und durch eine Menge Unternehmen ermöglicht, sowohl
durch große Player, die man kennt, als auch durch viele
innovative Start-ups. Es war schön, zu sehen, dass es
sehr viel Forschung und Business made in Germany gibt
und dies weltweit erfolgreich ist. Ich finde, darauf kön-
nen wir sehr stolz sein.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Wir waren auch an den Ständen des Partnerlandes
Großbritannien und sind durch die Asien-Hallen gegan-
gen. Wir haben also gesehen, wie die Dynamik in diesen
Ländern ist. Die Konkurrenz schläft nicht. Deshalb müs-
sen wir künftig noch mehr Kraft und Energie in die digi-
tale Wirtschaft stecken. Der IKT-Standort Deutschland
liegt derzeit auf einem guten fünften Platz. Wir sind nach
Umsätzen der viertgrößte Standort der Welt. Das ist ein
respektables Ergebnis. Wir kennen aber die Dynamik in





Nadine Schön (St. Wendel)



(A) (C)



(D)

anderen Ländern. Wir wissen, wie etwa die USA oder
China beim Thema Industrie 4.0 Gas geben. Da wollen
wir den Anschluss nicht verlieren. Deshalb haben wir im
Koalitionsvertrag eine Reihe von Maßnahmen verein-
bart, um zum digitalen Wachstumsland Nummer eins zu
werden.

Im vorliegenden Antrag haben wir vier Schwerpunkte
herausgegriffen. Ein Schwerpunkt ist der Breitbandaus-
bau. Frau Kollegin Rößner, Sie haben kritisiert, dass Ih-
nen das nicht schnell genug geht und dass zu wenig ge-
tan wird. Ich hätte mich wirklich sehr gefreut, wenn Sie
einen Vorschlag gemacht hätten, wie es denn schneller
gehen kann.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD – Dieter Janecek [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: 1 Milliarde pro Jahr!)


Wir haben die Netzallianz. Wir, das Parlament, werden
die Rahmenbedingungen schaffen, damit es noch schnel-
ler geht. Wir werden den Unternehmen und auch der Re-
gierung, die die Regulierungen vornehmen muss, die
richtigen Werkzeuge an die Hand geben, damit es
schneller geht.


(Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber die Unternehmen wollen nicht investieren!)


Wenn Sie in der Zwischenzeit noch konkrete Vorschläge
haben, sind wir sehr dankbar und nehmen diese sehr
gerne auf. Nur zu meckern, dass es nicht schnell genug
geht, aber keinen einzigen konkreten Vorschlag zu ma-
chen, Frau Rößner, das ist wirklich zu wenig.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das tue ich doch gar nicht!)


Ein weiterer Schwerpunkt ist das Thema digitale Si-
cherheit. Auf der CeBIT wurde deutlich, dass die For-
schung in Deutschland in diesem Bereich sehr gut ist. Es
gibt sehr viele kleine und mittelständische Unternehmen,
die etwa das Kanzlerhandy entwickelt haben oder sehr
erfolgreich im Bereich Ende-zu-Ende-Verschlüsselung
sind. Wir haben in Deutschland sichere Router, die von
deutschen Unternehmen hergestellt werden. Auf all
diese Entwicklungen müssen wir setzen. Die Kompetenz
dafür ist in Deutschland vorhanden.

Eines muss klar sein: Vertrauen in die Digitalisierung
und Vertrauen in IT können wir nur erreichen, wenn wir
durch entsprechende Angebote für Sicherheit sorgen.
Deutschland hat in diesem Bereich sehr große Chancen.
Sicherheit darf aber nicht nur ein Luxus für wenige sein.
Ein sicheres Handy gehört nicht nur in die Hände der
Kanzlerin und der Minister. Sicherheit muss für alle, die
IT nutzen, zum Standard werden; denn nur so werden
die Unternehmen und auch die Bürger das notwendige
Vertrauen haben, um sich an diesem Prozess zu beteili-
gen. Nur so werden wir den Anschluss an andere Länder
halten können.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Wir müssen verstärkt in Fachkräfte im eigenen Land
investieren. Wir müssen aber auch Fachkräfte von außen
werben. Außerdem müssen wir – das wurde heute schon
sehr oft gesagt – die jungen, innovativen Köpfe in unse-
rem Land weiter fördern. Wir müssen für ein besseres
Gründungsklima in unserem Land sorgen. Wir müssen
den Menschen Mut machen. Sie sollen nicht nur abhän-
gig beschäftigt arbeiten, sondern ein eigenes Unterneh-
men gründen, sich selbstständig machen, das eigene
Schicksal in die Hand nehmen, Mitarbeiter einstellen
und für sich und andere Verantwortung übernehmen. Der
IT-Bereich ist dafür sehr gut geeignet. Wir haben in
Deutschland eine lebendige Gründungskultur. Das wol-
len wir weiter unterstützen und fördern.

Im Koalitionsvertrag haben wir dafür die Einführung
einer „Gründungszeit“ vereinbart. Wir wollen das ganze
Gründungsverfahren endlich entbürokratisieren. Wenn
man bedenkt, wie lange es in Deutschland dauert, ein
Unternehmen zu gründen, und wie schnell und effizient
das in anderen Ländern geht, dann wird eines deutlich:
Wir als Politiker haben unsere Hausaufgaben zu machen.
Wir wollen den Unternehmergeist stärken, wir wollen
Gründungen vereinfachen und bei den dafür notwendi-
gen Instrumenten nachbessern.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Die Kollegen von der Linken haben leider nicht so
ganz verstanden, wie das heutzutage läuft. Liebe Kolle-
gen von der Linken, es ist zwar richtig, dass es Gründun-
gen in Deutschland gibt. Aber leider können die Unter-
nehmen irgendwann nicht mehr wachsen und sind
deshalb gezwungen, ins Ausland, zum Beispiel in die
USA, zu gehen, um sich dort von einem Venture-Capi-
tal-Unternehmen finanzieren bzw. aufkaufen zu lassen.
Sie haben also nur dort eine Zukunft; denn in Deutsch-
land bekommen sie kein Venture Capital.

Nun sagen Sie: Venture Capital ist in Deutschland
kein Thema, das ist alles Kapitalismus und ganz furcht-
bar.


(Herbert Behrens [DIE LINKE]: Es gibt eine Studie dazu, Frau Schön! Das wissen Sie!)


Das ist genau der falsche Ansatz. Wir brauchen das Ven-
ture Capital in Deutschland, wir brauchen sogar mehr
Venture Capital in Deutschland.

Ich weiß nicht, welche Studien Sie zitieren.


(Zuruf der Abg. Halina Wawzyniak [DIE LINKE])


Wenn Sie auf der CeBIT mit jungen Start-up-Unterneh-
mern sprechen, dann sagen Ihnen alle, dass das Venture
Capital, die Wachstumsfinanzierung, das zentrale Pro-
blem in Deutschland ist. Die deutschen Unternehmen
kommen ab einem gewissen Punkt in Deutschland und
auch in Europa nicht mehr weiter. Das wollen wir än-
dern. Wir brauchen das Venture Capital, wir brauchen
das Wachstumskapital.

(B)







(A) (C)



(D)(B)


Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1802009300

Frau Kollegin.

Nadine Schön (St. Wendel) (CDU/CSU):
Dafür wollen wir sorgen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1802009400

Genau, und wir brauchen jetzt langsam das Ende Ihrer

Rede.

Nadine Schön (St. Wendel) (CDU/CSU):
Herzlichen Dank, Frau Präsidentin, dass Sie mich an

das Ende meiner Redezeit erinnern.


(Heiterkeit)


Viele Aufgaben liegen vor uns. Wir wissen, was wir
anpacken müssen. Wir haben große Ambitionen. Wir
wollen die Neugier in unserem Land stärken und den
jungen, aber auch den klassischen Unternehmen dazu
verhelfen, dass sie die Chancen der Digitalisierung –


Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1802009500

Frau Kollegin, das war aber nicht nur ein Erinnern,

sondern Sie müssen wirklich zum Ende kommen!

Nadine Schön (St. Wendel) (CDU/CSU):
– durch Vernetzung und Internationalisierung nutzen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Dr. Peter Tauber [CDU/CSU]: Gute Rede! Da hört man gerne länger zu!)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1802009600

Tja, aber dann muss ich es Ihren Kollegen von der

Redezeit abziehen. So ist nun einmal das Leben: gerecht.

Jetzt hat das Wort Lars Klingbeil für die SPD.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Lars Klingbeil (SPD):
Rede ID: ID1802009700

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Ich freue mich, dass wir den Koalitionsantrag zur digita-
len Wirtschaft heute im Plenum diskutieren können. Das
ist ein wichtiges Signal, das die Große Koalition setzt.
Ich will hier auch einmal deutlich sagen: Während
Grüne und Linke noch meckern bei der Frage „federfüh-
rend oder mitberatend“,


(Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da haben wir nicht gemeckert!)


hat der Ausschuss angefangen, zu arbeiten, und zusam-
men mit dem Wirtschaftsausschuss hier einen wirklich
wegweisenden Antrag vorgelegt, der sich mit der digita-
len Wirtschaft befasst.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Wenn ich mir die Reden von Linken und Grünen an-
höre, in denen moniert wird, was alles in diesem Antrag
fehlt – es hat mir jetzt gerade noch gefehlt, dass kritisiert
wird, dass da nichts zum Thema Genmais drinsteht –,


(Heiterkeit bei der SPD und der CDU/CSU – Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So ein Quatsch! – Gegenruf des Abg. Thomas Jarzombek [CDU/CSU]: Ein bisschen souveräner!)


dann will ich Ihnen sagen: Das ist ein Antrag, der sich
um das Thema „digitale Wirtschaft“ kümmert und der
auch andere Themen anschneidet. Aber seien Sie sich si-
cher: Es wird von der Großen Koalition noch viele wei-
tere Anträge geben, die sich mit Teilaspekten der digita-
len Agenda beschäftigen. Staatssekretärin Zypries hat
vorhin angesprochen, wie umfassend dieses Thema ist.
Es wird jetzt von der Bundesregierung bearbeitet. Auch
wir als Parlament werden daran arbeiten.

Ich kann Ihnen berichten: Wir haben in der Koalition
vereinbart, dass es bald einen Antrag zu dem gesamten
Komplex der Datensicherheit und zur Frage der IT-Si-
cherheit, des Datenschutzes geben wird. Lassen Sie uns
heute aber bitte über das diskutieren, wovon dieser An-
trag handelt, nämlich über die digitale Wirtschaft und die
Frage: Wie können wir eigentlich die Potenziale, die in
diesem Bereich liegen, stärken? Wie können wir sie her-
vorheben? Wie können wir Arbeitsplätze hier in
Deutschland, aber auch in Europa schaffen?


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Kolleginnen und Kollegen, wenn Sie sich den Antrag
anschauen, den wir in den letzten Wochen mit Hoch-
druck erarbeitet haben, dann sehen Sie, dass er im Be-
reich der digitalen Wirtschaft zwei Schwerpunkte hat.
Der eine ist die Frage: Wie können wir Existenzgrün-
dungen in Deutschland stärken? Wie können wir die
Rahmenbedingungen dafür verbessern? Der andere
Schwerpunkt liegt auf der Frage: Wie können wir im Be-
reich der Wirtschaftsförderung in Bezug auf die klassi-
schen Industriebereiche, die ja auch vor großen Umbrü-
chen durch die Digitalisierung stehen, zu Veränderungen
kommen? Wie können wir hier Digitalisierungsmecha-
nismen fördern und für bessere Rahmenbedingungen
sorgen?

Es gibt dann aber auch eine ganz spannende dritte
Frage, die wir in diesem Antrag anfangen zu beantwor-
ten: Wie können wir die unterschiedlichen Bereiche
– Start-ups auf der einen Seite und Industrie 4.0 auf der
anderen Seite – zusammenbringen? Eine ganz entschei-
dende Plattform wird der IT-Gipfel sein; das hat die
Staatssekretärin vorhin angesprochen. Auch der Wirt-
schaftsminister hat es im Rahmen der CeBIT gesagt. Wir
wollen, dass der Nationale IT-Gipfel breiter aufgestellt
wird, dass er geöffnet wird, dass dort auch die klassische
Industrie viel stärker vertreten sein wird und dass wir
Themen stärker zusammen diskutieren.

Wenn wir über digitale Wirtschaft reden, dann müs-
sen wir uns klarmachen: Es ist eine Wirtschaft, die vor
allem auf Ideen basiert, auf Innovationen, auf Kreativi-
tät. Es ist ganz wichtig, sich das bewusst zu machen,
wenn wir darüber nachdenken, wie wir die Potenziale
dieser Wirtschaft stärken können.





Lars Klingbeil


(A) (C)



(D)(B)

Auf der CeBIT konnte ich mit vielen jungen Grün-
dern sprechen. Man muss schon feststellen: Das ist eine
sehr ruhige Branche. Die haben nicht viele Forderungen.
Aber wenn man die Gründer fragt: „Was ist für euch
wichtig? Welche Rahmenbedingungen müssen verbes-
sert werden?“, erhält man eigentlich immer nur zwei
Antworten. Das Erste ist der Zugang zu Kapital, und das
Zweite ist die Frage der Fachkräfte.


(Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Auf der CeBIT sind nicht alle!)


Das sind die Fragen, die junge Gründer in Deutschland
bewegen. Auch dazu gibt es in diesem Antrag viele Ant-
worten, die wir als Große Koalition geben.

Wir wollen den Zugang zu Kapital verbessern. Dabei
geht es nicht nur um die Wachstumsphase. Auch hier ha-
ben wir Antworten, etwa beim Thema Crowdfunding;
das wollen wir rechtlich besser absichern. Aber es geht
auch um die Wachstumsphase. Das ist das, was uns
Start-ups sagen. Das ist ein großes Problem. Wenn man
sich entschieden hat, zu wachsen, wenn die Idee viel-
leicht auch europäisch oder international interessant
werden soll, dann stellt sich nämlich die Frage: Wie
kann man dieses Wachstum absichern? Deswegen wol-
len wir das Venture-Capital-Gesetz auf den Weg bringen.
Es soll Eckpunkte dazu formulieren. Wir wollen auch
die Einführung eines neuen Börsensegments Markt 2.0
prüfen. Wir wollen den Bereich des Wagniskapitals
staatlicherseits ausbauen. Das ist ein ganz wichtiger
Punkt, den wir mit diesem Antrag auf den Weg bringen
und den wir von der Bundesregierung einfordern.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Das Zweite ist dann in der Tat der Bereich der Fach-
kräfte. Da geht es um eine Willkommenskultur in
Deutschland, auch um die Frage der Zuwanderung, die
wir anpacken werden. Wir wollen darüber reden: Wie
können wir Fachkräfte herholen? Aber es geht auch um
die Fachkräftegeneration von morgen.

Das Thema „digitale Bildung“ taucht ebenfalls in die-
sem Antrag auf, aber noch nicht so ausführlich, wie wir
das in dieser Legislatur behandeln wollen, auch gemein-
sam mit den Ländern. Aber wir haben damals in der En-
quete-Kommission viele gute Beschlüsse zur digitalen
Bildung gefasst, etwa wenn es darum geht, dass Schüle-
rinnen und Schüler Zugang zu einem eigenen Laptop
oder Tablet haben sollen, dass die Lehrerausbildung ver-
ändert werden muss, dass die Bildungsmaterialien digi-
talisiert werden müssen. In Bezug auf die digitale Bil-
dung und die Fachkräftegeneration von morgen liegt
also noch viel Arbeit vor uns. Auch das wollen wir anpa-
cken.

Was neben Talents und Capital zur Stärkung von
Gründungen und zur Stärkung der Industrie 4.0 gehört,
sind die Themen Breitband – das ist schon angesprochen
worden – und IT-Sicherheit, die wir in einem eigenen
Antrag bearbeiten werden.

Ich sage Ihnen: Lassen Sie uns schauen, wie wir ge-
meinsam die digitale Wirtschaft in Deutschland stärken
können. Das sind die Arbeitsplätze von morgen. Das
sind neue Arbeitsplätze, auch neue Arbeitsmodelle, die
wir fördern müssen. Es geht insgesamt darum, in
Deutschland eine neue Gründerzeit beginnen zu lassen.
Mit diesem Antrag wollen wir dafür ein deutliches Si-
gnal setzen. Ich freue mich auf die Beratung hier im Par-
lament und auf die Verabschiedung.

Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1802009800

Danke schön, Herr Kollege. – Letzter Redner in die-

ser Debatte ist Thomas Viesehon für die CDU/CSU-
Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Dr. Peter Tauber [CDU/CSU]: Guter Mann!)



Thomas Viesehon (CDU):
Rede ID: ID1802009900

Verehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen

und Kollegen! Ich freue mich sehr, dass ich in meiner
ersten Rede in diesem Hohen Hause die Gelegenheit
habe, zur Bedeutung der digitalen Wirtschaft zu spre-
chen. Als Mitglied des Ausschusses für Verkehr und di-
gitale Infrastruktur möchte ich dabei den Fokus auf den
weiteren Ausbau der digitalen Netze legen.


(Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja! Das ist auch wichtig!)


Nicht umsonst wurde der Kompetenzbereich des Ver-
kehrsausschusses um dieses Thema ergänzt. Die Einbin-
dung der digitalen Infrastruktur war sinnvoll und wird
Früchte tragen. Nachdem es uns in den letzten Jahren ge-
lungen ist, eine fast flächendeckende Internetversorgung
sicherzustellen, steht nun der qualitative Ausbau im Mit-
telpunkt. Denn nicht nur unsere Verkehrsinfrastruktur
muss funktions- und leistungsfähig sein; auch die Anbin-
dung an digitale Netze muss diesen Anforderungen
entsprechen. Beide Schwerpunkte unserer Arbeit im
Ausschuss sind wesentliche Bausteine der positiven
Weiterentwicklung Deutschlands. So werden wir erfolg-
reich Mobilität und Modernität für unser Land und die
hier lebenden Menschen ermöglichen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Meine Vorredner sind bereits ausführlich auf die Po-
tenziale, die die digitale Wirtschaft in Deutschland hat,
eingegangen. Ich kann mich ihnen nur anschließen.
Deutschland muss die Chancen, die sich in der digitalen
Wirtschaftswelt bieten, konsequent nutzen. Wir als Ver-
antwortliche im Bund müssen zusammen mit unseren
Mitstreitern auf den anderen politischen Ebenen die rich-
tigen Rahmenbedingungen setzen, um auch in Zukunft
global wettbewerbsfähig zu bleiben. Neben der Klärung
von rechtlichen Fragen, die zum Beispiel im Beihilfe-
recht oder bei der Öffnung von WLAN-Netzen bestehen,
gehört zu den Rahmenbedingungen insbesondere die
schon genannte flächendeckende und funktionsfähige di-
gitale Infrastruktur.

Das Ziel der nächsten vier Jahre ist gesetzt: in allen
Teilen Deutschlands leistungsfähige Breitbandan-
schlüsse mit mindestens 50 Mbit/s, und das so schnell





Thomas Viesehon


(A) (C)



(D)(B)

wie möglich. Vom Erreichen dieses Ziels wird insbeson-
dere der ländliche Raum profitieren; denn während in
den Ballungszentren der Breitbandausbau mit Glasfaser-
kabeln zum großen Teil abgeschlossen oder weit fortge-
schritten ist, gibt es im ländlichen Raum immer noch Lü-
cken.


(Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Große Lücken!)


Hier gilt es, Abhilfe zu schaffen. Ich komme aus dem
ländlichen Raum.


(Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich weiß!)


Es gibt durchaus auch dort Fortschritte. Diesbezüglich
hat die digitale Agenda schon etwas gebracht. Die Digi-
tale Dividende war kein Lottogewinn, sondern sie wurde
gezielt eingesetzt, wenn mir das Wort erlaubt ist. Alle
unsere Bürgerinnen und Bürger – Sie können sich darauf
verlassen, dass das meine Marschrichtung sein wird –,
auch die auf dem Land, sollen einen uneingeschränkten
Zugang zur digitalen Welt haben, und zwar in dem benö-
tigten Umfang und in der zuvor genannten Zeit.

Wir sind uns darüber im Klaren, dass eine flächende-
ckende Versorgung bis 2018 ausschließlich über Glasfa-
sernetze aufgrund der damit verbundenen Kosten nicht
zu realisieren ist. Wie können wir das Versorgungsziel
alternativ erreichen? Die Lösung ist die Nutzung von
Innovationen im Bereich der bereits vorhandenen Kup-
ferdraht-, Mobilfunk-, Kabel- und WLAN-Netze. Zu-
dem müssen die bisherigen Instrumente für den Breit-
bandausbau überprüft und neue Ansätze entwickelt
werden. Bezogen auf das Festnetz gehört dazu, für alle
eingesetzten Technologien eine weitere Reduzierung der
Grabungskosten als einem der größten Kostentreiber zu
erreichen. Zur vollen Netzabdeckung können wir zudem
gering besiedelte Gebiete über den weiteren Ausbau des
LTE-Netzes erschließen. Hierfür gilt es weitere Funkfre-
quenzressourcen im Breitbandbereich vorzuhalten.

Dies alles soll verdeutlichen: Nur mit dem richtigen
Technologiemix wird es einen schnellen und bezahlba-
ren flächendeckenden Breitbandausbau geben.

Für 2016 ist im Rahmen der Digitalen Dividende 2
die Versteigerung eines weiteren LTE-Frequenzblocks
mit guten Ausbreitungsmöglichkeiten geplant. Dieser
Zeitplan ist ambitioniert, denn bei diesen Maßnahmen
handelt es sich um Frequenzen aus dem Rundfunkbe-
reich. Da stoßen wir schon jetzt auf Widerstände von
Rundfunkanstalten und Interessenverbänden, die die
klassische Kultur- und Medienlandschaft gefährdet se-
hen. Deswegen müssen wir frühzeitig den Dialog auf-
nehmen und gemeinschaftlich Lösungen erarbeiten, da-
mit es nicht zu unnötigen Verzögerungen kommt.

Dabei ist auch klar, dass wir die Vergabe der neuen
Frequenzen an eine unmissverständliche und eindeutige
Versorgungsauflage für den ländlichen Raum koppeln
und die Erträge aus der Frequenzvergabe zweckgebun-
den für den flächendeckenden Ausbau der Netze einset-
zen müssen. Das heißt: keine Frequenzvergabe ohne die
Sicherstellung der Versorgung ländlicher Räume.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Aber wir wollen auch den offenen Dialog mit den Ver-
antwortlichen. Deshalb bin ich froh, dass Bundesminister
Alexander Dobrindt am vergangenen Freitag mit der Ini-
tiative „Netzallianz Digitales Deutschland“ hierfür den
Startschuss gegeben hat. Denn nur wenn wir die großen
Telekommunikations- und Netzunternehmen mit an den
Tisch holen, können wir gemeinsam und auf schnellem
Wege unser Ziel der funktions- und leistungsfähigen
Breitbandversorgung in ganz Deutschland erreichen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie uns alle
diesen Weg beschreiten und die Chancen der Digitalisie-
rung zum Wohle unseres Landes und der hier lebenden
Menschen nutzen.

Danke schön.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1802010000

Vielen herzlichen Dank, lieber Kollege. Sie hätten ei-

gentlich noch eine halbe Minute weiterreden können.
Vielleicht das nächste Mal; denn mit Sicherheit war das
nicht Ihre letzte Rede. Auch Ihnen sage ich Glück-
wunsch zu Ihrer ersten Rede und wünsche Ihnen viel Er-
folg bei Ihrer Arbeit hier im Deutschen Bundestag. Mit
Ihnen hat heute ein Kollege seine erste Rede gehalten,
der bei der Raiffeisenbank ausgebildet worden ist. Ein
anderer Kollege, der vorhin ebenfalls seine erste Rede
gehalten hat, war bei der Sparkasse.


(Heiterkeit – Thomas Jarzombek [CDU/CSU]: Solide Finanzen ist ein wichtiges Merkmal der Union!)


Also ist alles gut austariert. Wir sind in guten Händen.
Ich gratuliere Ihnen sehr.


(Beifall)


Wir kommen zu den Abstimmungen über die Über-
weisungsvorschläge.

Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlage auf
Drucksache 18/764 (neu) an die in der Tagesordnung
aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Die Federfüh-
rung ist jedoch strittig. Deswegen müssen wir abstim-
men. Die Fraktionen der CDU/CSU und SPD wünschen
die Federführung beim Ausschuss für Wirtschaft und
Energie, die Fraktion Die Linke wünscht Federführung
beim Ausschuss Digitale Agenda.

Ich lasse zuerst abstimmen über den Überweisungs-
vorschlag der Fraktion Die Linke, also Federführung
beim Ausschuss Digitale Agenda. Wer stimmt für diesen
Überweisungsvorschlag? – Wer stimmt dagegen? – Wer
enthält sich? – Damit ist der Überweisungsvorschlag ab-
gelehnt bei Enthaltung von Bündnis 90/Die Grünen und
Ablehnung von CDU/CSU und SPD.

Ich lasse nun abstimmen über den Überweisungsvor-
schlag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD, Feder-
führung beim Ausschuss für Wirtschaft und Energie.
Wer stimmt für diesen Überweisungsvorschlag? – Wer
stimmt dagegen? – Wer enthält sich?


(Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Digitale Agenda wollen wir!)






Vizepräsidentin Claudia Roth


(A) (C)



(D)(B)

– Ja, die wollen wir alle, aber jetzt geht es um die Über-
weisung.


(Heiterkeit)


Dieser Überweisungsvorschlag ist angenommen:
Zustimmung von CDU/CSU und SPD, Ablehnung der
Linksfraktion und Enthaltung von Bündnis 90/Die Grü-
nen.

Wir kommen jetzt zur Vorlage auf Drucksache 18/771.
Sie soll an die in der Tagesordnung aufgeführten Aus-
schüsse überwiesen werden. Auch hier ist die Federfüh-
rung strittig, same procedure. Die Fraktionen der CDU/
CSU und SPD wünschen Federführung beim Ausschuss
für Wirtschaft und Energie, die Fraktion Die Linke
wünscht Federführung beim Ausschuss Digitale
Agenda.

Ich lasse zuerst abstimmen über den Überweisungs-
vorschlag der Fraktion Die Linke, also Federführung
beim Ausschuss Digitale Agenda. Wer stimmt für diesen
Überweisungsvorschlag? – Wer stimmt dagegen? – Wer
enthält sich? – Der Überweisungsvorschlag ist abge-
lehnt: Zustimmung von Linksfraktion und Bündnis 90/
Die Grünen und Ablehnung von der Mehrheit von CDU/
CSU und SPD.

Ich lasse nun über den Überweisungsvorschlag der
Fraktionen von CDU/CSU und SPD – Federführung
beim Ausschuss für Wirtschaft und Energie – abstim-
men. Wer stimmt für diesen Überweisungsvorschlag? –
Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist der
Überweisungsvorschlag angenommen: Zustimmung von
CDU/CSU und SPD und Ablehnung von Linken und
Bündnis 90/Die Grünen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 14 b sowie Zusatz-
punkt 2 auf:

14 b) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Halina Wawzyniak, Jan Korte, Matthias W.
Birkwald, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion DIE LINKE

Parteispenden von Unternehmen und
Wirtschaftsverbänden verbieten, Partei-
spenden natürlicher Personen begrenzen

Drucksache 18/301
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss (f)
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz

ZP 2 Beratung des Antrags der Abgeordneten Sylvia
Kotting-Uhl, Annalena Baerbock, Bärbel Höhn,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN

Für mehr Transparenz in der Internationalen
Atomenergie-Organisation

Drucksache 18/772
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und
Reaktorsicherheit (f)
Auswärtiger Ausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Energie
Es handelt sich um Überweisungen im vereinfach-
ten Verfahren ohne Debatte.

Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an
die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu
überweisen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der
Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 15 a bis 15 h auf.
Es handelt sich um die Beschlussfassung zu Vorlagen,
zu denen keine Aussprache vorgesehen ist.

Tagesordnungspunkt 15 a:
Beratung des Antrags der Fraktionen CDU/CSU,
SPD, DIE LINKE und BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN
Erneute Überweisung von Vorlagen aus frü-
heren Wahlperioden
Drucksache 18/770

Wer stimmt für diesen Antrag? – Wer stimmt dage-
gen? – Wer enthält sich? – Dieser Antrag ist einstimmig
angenommen.

Wir kommen zu den Beschlussempfehlungen des
Petitionsausschusses.

Tagesordnungspunkt 15 b:
Beratung der Beschlussempfehlung des Peti-
tionsausschusses (2. Ausschuss)

Sammelübersicht 14 zu Petitionen
Drucksache 18/594

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-
hält sich? – Sammelübersicht 14 ist damit einstimmig
angenommen.

Tagesordnungspunkt 15 c:
Beratung der Beschlussempfehlung des Peti-
tionsausschusses (2. Ausschuss)

Sammelübersicht 15 zu Petitionen
Drucksache 18/595

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-
hält sich? – Sammelübersicht 15 ist einstimmig ange-
nommen.

Tagesordnungspunkt 15 d:
Beratung der Beschlussempfehlung des Peti-
tionsausschusses (2. Ausschuss)

Sammelübersicht 16 zu Petitionen
Drucksache 18/596

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-
hält sich? – Sammelübersicht 16 ist angenommen:
Zustimmung von CDU/CSU und SPD-Fraktion, Nein-
stimmen der Linken und Enthaltung von Bündnis 90/Die
Grünen.

Tagesordnungspunkt 15 e:
Beratung der Beschlussempfehlung des Peti-
tionsausschusses (2. Ausschuss)

Sammelübersicht 17 zu Petitionen
Drucksache 18/597





Vizepräsidentin Claudia Roth


(A) (C)



(D)(B)

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-
hält sich? – Sammelübersicht 17 ist einstimmig ange-
nommen.

Tagesordnungspunkt 15 f:

Beratung der Beschlussempfehlung des Peti-
tionsausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 18 zu Petitionen

Drucksache 18/598

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer
enthält sich? – Sammelübersicht 18 ist angenommen:
Zustimmung von CDU/CSU, SPD und Bündnis 90/Die
Grünen und Ablehnung der Linken.

Tagesordnungspunkt 15 g:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petiti-
onsausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 19 zu Petitionen

Drucksache 18/599

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer
enthält sich? – Sammelübersicht 19 ist angenommen:
Zustimmung von CDU/CSU, SPD und Linken und Ab-
lehnung von Bündnis 90/Die Grünen.

Tagesordnungspunkt 15 h:

Beratung der Beschlussempfehlung des Peti-
tionsausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 20 zu Petitionen

Drucksache 18/600

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer
enthält sich? – Sammelübersicht 20 ist angenommen:
Zustimmung von CDU/CSU und SPD, Ablehnung von
Bündnis 90/Die Grünen und Linken; keine Enthaltun-
gen. – Jetzt sind wir damit durch.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 8 auf:

Erste Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem
Abkommen vom 8. April 2013 zwischen der
Bundesrepublik Deutschland und der Repu-
blik Östlich des Uruguay über Soziale Sicher-
heit

Drucksache 18/272
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales (f)
Auswärtiger Ausschuss
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich höre kei-
nen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache und gebe das Wort Kolle-
gin Waltraud Wolff für die SPD.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Waltraud Wolff (SPD):
Rede ID: ID1802010100

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Meine Damen und Herren! Am 5. Juli 1930
lief die „Conte Verde“ in Montevideo ein. An Bord
waren die europäischen Teilnehmer der ersten Fußball-
weltmeisterschaft. Uruguay hatte sich bereit erklärt, die
Weltmeisterschaft auszutragen.

Als das Schiff am Kai festlag

– so ist vom belgischen Schiedsrichter Jan Langenus zu
lesen –,

empfing uns eine vieltausendköpfige Menschen-
menge, deren herzliches Willkommen nur übertrof-
fen wurde von der Geschäftigkeit der Photographen


Deutsche Fußballspieler waren nicht an Bord. Deutsch-
land trat 1930 nicht an.

Bis zum Jahr 2014 hat sich sehr viel geändert. Min-
destens 10 000 Deutsche und 40 000 Menschen mit
deutschen Wurzeln leben in Uruguay. Ich finde, das ist
eine ungewöhnlich hohe Zahl, wenn man sich einmal
vorstellt, dass die Bevölkerung Uruguays circa 3,4 Mil-
lionen Menschen umfasst. Auch die wirtschaftlichen
Beziehungen zu Deutschland sind sehr eng. Wir sind in
Europa der größte Abnehmer von Produkten aus Uru-
guay; weltweit sind wir der sechstgrößte Abnehmer.

Heute, meine Damen und Herren, beraten wir in ers-
ter Lesung einen Gesetzentwurf über ein Sozialabkom-
men zwischen Deutschland und der Republik Östlich des
Uruguay. Mit diesem Abkommen vertiefen wir die ohne-
hin schon sehr gute Zusammenarbeit. Wir schaffen in
gegenseitigem Einvernehmen soziale Sicherheit. Dabei
geht es um soziale Errungenschaften für Arbeitneh-
merinnen und Arbeitnehmer, die zum Arbeiten in das
jeweils andere Land entsandt werden. Außerdem werden
die Rentensysteme koordiniert. Das heißt, Doppelversi-
cherungen sollen vermieden werden, und Lücken im
Rentenverlauf werden geschlossen. Das macht es dann
natürlich einfacher: für die entsendenden Unternehmen,
weil sie mit weniger Bürokratie zu tun haben, und für die
Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, weil sie oftmals
von doppelter Beitragsbelastung betroffen sind. Das al-
les wird besser.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, Uruguay hat
nach einer sehr schweren Wirtschaftskrise wieder An-
schluss an die Weltwirtschaft gefunden. Die Wirtschaft
wuchs. 2010 – man wundert sich – gab es ein Wachstum
von 4 Prozent. Armut und Arbeitslosigkeit nahmen in
dieser Zeit sehr stark ab. In Berichten über Uruguay ist
immer von dem Musterknaben in Lateinamerika die
Rede. So hat die Wirtschaftswoche 2012 mit Blick auf
das krisengeschüttelte Europa zum Beispiel die Frage
gestellt, was Griechenland von Uruguay lernen könnte.

Dieses Land in Südamerika hat seinen wirtschaftli-
chen Aufschwung geschafft, indem es notwendige
Reformen beherzt angepackt hat. Es ist darauf hinzuwei-
sen, dass der Staat dabei ein ganz aktiver Motor war und
gehandelt hat. Man hat nämlich gesagt: Wir wollen
Uruguay zur Logistikdrehscheibe Lateinamerikas





Waltraud Wolff (Wolmirstedt)



(A) (C)



(D)(B)

machen. – Gleichzeitig hat man das Steuersystem, den
Arbeitsmarkt und das Gesundheitssystem reformiert. Im
Jahr 2002, als mit der Frente Amplio ein Mitte-Links-
Bündnis gewählt wurde, war völlig klar, in welche Rich-
tung man geht. Man wollte die Lebenssituation der
breiten Bevölkerungsschicht verbessern. Die Menschen
haben erwartet, im Zuge des wirtschaftlichen Auf-
schwungs an dieser Verbesserung teilzuhaben.

2004 waren in Uruguay noch 40 Prozent der arbeiten-
den Bevölkerung im informellen Wirtschaftssektor tätig;
das heißt, diese Menschen haben ohne Arbeitsvertrag,
ohne Sozialversicherung, ohne irgendwelche Rechte ge-
arbeitet. Deshalb war es dann auch ausgemachtes Ziel
der Regierung, genau hier anzusetzen und die Arbeits-
marktreformen so anzulegen, dass reguläre Arbeitsplätze
entstehen. Man kann das kaum glauben: Es ist gelungen.
Wenn Sie mich danach fragen, wie, kann ich ganz ein-
fach die Antwort geben: Der Staat und die Gewerkschaf-
ten haben hier an einem Strang gezogen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)


Die kollektiven Tarifverhandlungen wurden gestärkt.
Die Löhne stiegen zwischen 2005 und 2009 um 24 Pro-
zent. Heute arbeiten nur noch 23 Prozent im informellen
Sektor. Alle anderen Beschäftigten arbeiten sozialversi-
cherungspflichtig. Ich glaube, das ist ein echter Erfolg.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Sie werden sich jetzt fragen: Warum erzählt Frau
Wolff das in epischer Breite? Das kann ich Ihnen sagen:
In Deutschland wird immer wieder behauptet, eine Stär-
kung der Arbeitnehmerrechte führe dazu, dass Arbeit ab-
wandert. Uruguay erzählt uns eine andere Geschichte.


(Beifall bei der SPD)


Ich glaube, dieses Land hat gezeigt, dass sich Wirt-
schaftswachstum und Arbeitnehmerrechte unter einen
Hut bringen lassen.


Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1802010200

Frau Wolff, denken Sie bitte an Ihre Redezeit?


Waltraud Wolff (SPD):
Rede ID: ID1802010300

Ja, ich denke daran; vielen Dank für die Erinnerung.

Meine Damen und Herren, wir haben gesehen: Eine
gute Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik trägt dazu bei, dass
die Menschen am wirtschaftlichen Erfolg teilhaben. Ich
glaube, wir in Deutschland können auch einmal einen
Blick über den Tellerrand werfen; deshalb freue ich
mich, dass wir die Reden zu diesem Tagesordnungs-
punkt nicht zu Protokoll geben. Wenn wir uns fragen:
„Wie macht Uruguay das?“, erweitert das vielleicht auch
unseren Blick für andere Lösungsmöglichkeiten.

Vielen herzlichen Dank.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1802010400

Danke, Frau Kollegin. – Das Wort hat Azize Tank für

die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Azize Tank (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1802010500

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Soziale Grundrechte sind eine unabdingbare Vorausset-
zung für ein würdiges Leben, egal in welchem Land. Sie
sind auch eine Verpflichtung für Regierungen, ihre In-
nen- und Außenpolitik mit diesen Rechten in Einklang
zu bringen; denn auch soziale Sicherheit gehört zu den
Grund- und Menschenrechten.


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Durch das Abkommen mit Uruguay können bei Ren-
tenansprüchen die Versicherungszeiten beider Länder
berücksichtigt werden. Die deutsche Seite berücksichtigt
sogar Rentenansprüche, die in einem anderen Mitglied-
staat der EU erworben wurden. Fortschrittlich ist auch
die Gleichstellung des gewöhnlichen Aufenthaltsorts der
Leistungsempfänger: Ich begrüße, dass das Abkommen
die uneingeschränkte Zahlung von Renten in den ande-
ren Staat vorsieht; das ist mit dem sogenannten Leis-
tungsexportprinzip gemeint.

Derartige Abkommen zwischen Deutschland und an-
deren Ländern müssten angesichts der fortschreitenden
Globalisierung eigentlich selbstverständlich sein.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ich frage mich: Warum pflegt die Bundesrepublik eine
solche Kooperation bei der Sozialversicherung nicht mit
allen Staaten, egal ob es lateinamerikanische oder euro-
päische Staaten wie beispielsweise Andorra, Moldawien
oder Georgien sind? Es ist erst zwei Monate her, dass der
Europäische Ausschuss für Soziale Rechte die Bundes-
republik wegen Verletzungen der Europäischen Sozial-
charta gerügt hat, weil Deutschland solche Abkommen
mit mehreren Staaten in Europa gerade nicht abgeschlos-
sen hat.

Bereits abgeschlossene Rentenabkommen wie das mit
der Republik Polen von 1975 dürfen dabei nicht dazu
führen, Ghetto-Arbeitern ihre berechtigten Rentenan-
sprüche zu verweigern. Dies ist aber die gegenwärtige
Praxis der Bundesrepublik gegenüber polnischen Juden,
die in Ghettos gearbeitet haben. Leider sieht der neue
Referentenentwurf der Bundesregierung auch hier keine
Änderungen vor.

Die Gewährleistung des Rechts auf soziale Sicherheit
ist in der Europäischen Sozialcharta festgeschrieben,
also die Gleichbehandlung von Staatsbürgern verschie-
dener Staaten in Europa hinsichtlich der Ansprüche bei
der sozialen Sicherheit. „Soziale Sicherheit“ heißt es in
der Überschrift des Gesetzentwurfs und in dem zugrunde
liegenden Abkommen. Sie ist für Arbeitnehmerinnen
und Arbeitnehmer in der Tat von zentraler Bedeutung.
Aber die Vermeidung doppelter Beitragsbelastung und
die Berücksichtigung von Versicherungszeiten bei den





Azize Tank


(A) (C)



(D)(B)

Rentenansprüchen sind nur ein Teil wirklicher sozialer
Absicherung.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Soziale Sicherheit ist ein Grund- und Menschenrecht
und Bestandteil der sozialen Menschenrechte, wie sie im
UN-Sozialpakt von 1966 längst festgeschrieben sind.

Deshalb erlaube ich mir, abschließend an dieser Stelle
darauf hinzuweisen, dass das Zusatzprotokoll zum UN-
Sozialpakt endlich auch von der Bundesregierung ratifi-
ziert und umgesetzt werden muss,


(Beifall bei der LINKEN)

wie dies übrigens schon durch mehrere lateinamerikani-
sche und europäische Staaten geschehen ist. Mit dem Ja
zu diesem Gesetzentwurf verbinde ich also den Appell,
endlich die überfällige Umsetzung der EU-Sozialcharta
und des UN-Sozialpaktes vorzunehmen.

Danke.

(Beifall bei der LINKEN)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1802010600

Vielen Dank, Frau Kollegin. – Das Wort hat

Dr. Martin Pätzold für die CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Martin Pätzold (CDU):
Rede ID: ID1802010700

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen

und Herren! Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion unter-
stützt den Entwurf eines Gesetzes der Bundesregierung
zu dem Abkommen vom 8. April 2013 zwischen der
Bundesrepublik Deutschland und der Republik Östlich
des Uruguay über Soziale Sicherheit.

Freier Handel und freier Austausch sind für die Ent-
wicklungen von Volkswirtschaften von besonderer Bedeu-
tung. Dabei sind unsere in Deutschland gelebten sozialen
Standards die Richtschnur für internationale Abkommen.
Soziale Marktwirtschaft und ihre Errungenschaften schla-
gen sich bei diesen transnationalen Vereinbarungen nieder.
Durch den freien Handel und die Ausweitung unserer in-
ternationalen Abkommen und Beziehungen wollen wir
durch die Ausnutzung komparativer Vorteile nicht nur
uns, sondern auch den Partnerländern einen möglichst
hohen Wohlstand ermöglichen.

Wir wollen eines: die Chancen der Globalisierung
nutzen;


(Beifall bei der CDU/CSU)

denn die Globalisierung verknüpft die Lebensverhält-
nisse der Menschen in der ganzen Welt immer enger mit-
einander. Aber auch hier brauchen wir Regeln, um eta-
blierte Industrien, junge Industrien, strategisch wichtige
Industrien und heimische Arbeitsplätze zu schützen.
Demnach sollen die deutschen wirtschaftlichen Interes-
sen in der Welt gleichzeitig gefördert, geschützt und wei-
terentwickelt werden zu einer gerechten und nachhalti-
gen globalen Wirtschaftskooperation.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Uruguay ist traditionell ein wirtschaftsliberales Land
mit entsprechenden Institutionen. In der ersten Hälfte
des 20. Jahrhunderts war es eine der reichsten Volkswirt-
schaften Lateinamerikas. Nach einer Phase wirtschaftli-
cher Schwäche – Frau Wolff hat es schon angesprochen –
ist Uruguay heute ein aufstrebendes Land mit einem be-
eindruckenden Wirtschaftswachstum. Egal ob es um De-
mokratie, Transparenz oder Wettbewerbsfähigkeit geht:
Uruguay steht im internationalen Ranking relativ weit
vorn.

Zu Deutschland pflegt Uruguay traditionell sehr gute
Beziehungen. In Montevideo, der Hauptstadt Uruguays,
besteht seit 1916 eine Deutsch-Uruguayische Handels-
kammer mit über 500 Mitgliedern. In Uruguay leben
derzeit – das wurde auch schon angesprochen – ungefähr
10 000 Deutsche. Hinzu kommen 40 000 Deutschstäm-
mige. Gemessen an der Gesamtbevölkerung ist das ein
relativ hoher Anteil.

Bereits seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts
haben Deutsche dort auch einen wichtigen Beitrag zur
Entwicklung geleistet. Daher ist es wenig überraschend
– auch das hat Frau Wolff schon angesprochen –, dass
wir in Europa der größte Importeur uruguayischer Waren
sind. Laut Statistischem Bundesamt haben wir 2002 Gü-
ter im Wert von 291 Millionen Euro aus Uruguay impor-
tiert, und gleichzeitig führten wir Waren im Wert von
247 Millionen Euro dorthin aus.

Aktuell sind 30 deutsche Unternehmen in Uruguay
aktiv, vor allem im Industriebereich – Chemie- und
Pharmaindustrie – sowie im Transport- und Logistikbe-
reich. In der Regel versorgen deutsche Unternehmen den
Markt dort durch lokale Partner, aber auch aus Drittlän-
dern wie Argentinien und Brasilien. All das spricht da-
für, dass es gelungen ist, nachhaltige Beziehungen zu
Uruguay aufzubauen.

Das vorliegende Abkommen verfolgt daher das Ziel,
eine Doppelversicherung zu vermeiden und damit eine
indirekte Doppelversteuerung zu verhindern. Das ist
gleichermaßen im Interesse deutscher Arbeitnehmer und
der Arbeitnehmer aus Uruguay.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Deshalb stellen die Regelungen für die Zuordnung und
Abwicklung von Versicherungsverhältnissen im Bereich
der gesetzlichen Rentenversicherung zwischen beiden
Staaten einen Vorteil für betroffene Arbeitnehmer, Rent-
ner und Betriebe dar, da es zu Verwaltungsvereinfachun-
gen und weniger Bürokratie kommt.

Das Abkommen sieht außerdem die uneingeschränkte
Zahlung von Renten in das jeweils andere Land vor. Das
Abkommen zwischen der Republik Östlich des Uruguay
und der Bundesrepublik Deutschland schließt hier eine
Lücke. Rentner aus beiden Ländern können ihre Ver-
sicherungsleistungen erhalten und so von diesem Ab-
kommen profitieren. All das sind wichtige Fortschritte
für die soziale Sicherheit.

Ich habe ja noch ein wenig Redezeit, und deswegen
möchte ich die Chance nutzen, noch ein persönliches
Wort zu sagen: Uruguay wird in meinem Herzen bleiben,





Dr. Martin Pätzold


(A) (C)



(D)(B)

weil ich zu diesem wichtigen Abkommen und zu diesem
wichtigen Land meine erste Rede im Deutschen Bundes-
tag halten durfte.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


– Danke. – Deswegen werde ich in Zukunft natürlich be-
sonders darauf achten, wie sich Uruguay wirtschaftlich,
kulturell und sozial entwickelt.


(Karl Schiewerling [CDU/CSU]: Genau!)


Ich glaube, dass wir mit diesem Abkommen einen guten
Beitrag zu dieser Entwicklung leisten.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1802010800

Danke, Herr Kollege Dr. Pätzold. Wir alle gratulieren

Ihnen zu Ihrer ersten Rede und freuen uns auf Ihre
zweite Rede – möglicherweise wieder zu Uruguay. Viel
Erfolg bei Ihrer Arbeit als Abgeordneter hier im Deut-
schen Bundestag.

Der nächste Redner ist Markus Kurth für Bündnis 90/
Die Grünen.


Markus Kurth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1802010900

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Herr Dr. Pätzold, zunächst einmal auch von
meiner Seite herzlichen Glückwunsch zu Ihrer ersten
Rede.

Dieses internationale Sozialschutzabkommen gibt uns
Gelegenheit, einmal über den Tellerrand zu gucken und
generell zu schauen, wie der Sozialstaat jenseits Europas
eigentlich wahrgenommen wird und welche Funktion
dem Sozialstaat in anderen Ländern, gerade in den wirt-
schaftlich aufstrebenden Ländern Südostasiens und La-
teinamerikas, zukommt.

In Gesprächen darüber habe ich sehr interessante Er-
fahrungen gemacht. Wir als Mitglieder des Ausschusses
für Arbeit und Soziales empfangen ja auch regelmäßig
Delegationen, zuletzt etwa aus China; aber auch aus
Indonesien und vielen anderen Ländern waren schon De-
legationen da. Die soziale Absicherung – dafür sind so-
zialstaatliche Regelungen notwendig – wird dort als Vo-
raussetzung für wirtschaftlichen Erfolg gesehen. Es war
für mich wirklich hochinteressant, dass uns die Vertreter
und Vertreterinnen dieser Delegationen gesagt haben:
Wir brauchen jetzt die soziale Absicherung, um wirt-
schaftlich weiterzukommen. Es ist ein Wachstums-
hemmnis, wenn wir nicht die Sozialausgaben steigern
und sichere, trittfeste Sozialsysteme etablieren.

Dieser Zusammenhang zwischen Sozialstaatlichkeit
und Ökonomie wird unmittelbar deutlich, wenn wir uns
etwa die gegenwärtige Lage in der Volksrepublik China
anschauen. Der dortige Immobilienboom hat elementar
etwas damit zu tun, dass es kein vernünftiges Umlage-
system in der Rentenversicherung gibt. Die entstehende
Mittelschicht investiert in Wohnungen, von denen inzwi-
schen Hunderttausende, ja sogar Millionen einfach leer
stehen. Trotzdem wird in diese Wohnungen investiert,
weil es keine andere angemessene Möglichkeit der Al-
tersvorsorge gibt. Das hat man inzwischen auch in China
erkannt.

Kehren wir zurück zum südamerikanischen Konti-
nent. Argentinien hat das Umlagesystem zunächst abge-
schafft und versucht, es durch ein kapitalgedecktes System
zu ersetzen. Das ist gründlich gescheitert. Jetzt etabliert Ar-
gentinien wieder ein Umlagesystem. Uruguay hat zu weiten
Teilen – wir haben es von Frau Wolff gehört – seinen wirt-
schaftlichen Erfolg einer Verschlankung, aber vor allen
Dingen einer Stützung und Stärkung der sozialstaatlichen
Systeme zu verdanken.

Wir sehen also, dass die Debatte über Sozialstaatlich-
keit in diesen wirtschaftlich aufstrebenden Ländern häu-
fig anders abläuft als hier im medialen Mainstream. So-
zialstaat wird hierzulande häufig als Belastung, als
Bürde, als Kostgänger der Wirtschaft dargestellt. Dabei
sind wirtschaftlicher Erfolg und soziale Absicherung
zwei Seiten einer Medaille. Soziale Absicherung ist Vo-
raussetzung für wirtschaftlichen Erfolg.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wenn wir einen kurzen Blick auf die USA werfen, se-
hen wir, dass Sozialversicherungen die Wirtschaft ent-
lasten. In den USA gibt es trotz der Ansätze einer gesetz-
lichen Krankenversicherung keine flächendeckende
gesetzliche Krankenversicherung. Die Betriebe müssen
dort selbst über Gruppenverträge mit privaten Versiche-
rungen für die Krankenversicherung ihrer Beschäftigten
sorgen. Das ist sehr, sehr teuer. Beschäftigte verlieren,
wenn sie ihren Arbeitsplatz verlieren, auch ihren Ge-
sundheitsschutz. Wir sehen also: Es ist sogar im Sinne
des kapitalistischen Wirtschaftens dysfunktional, wenn
man – in dem Fall – auf eine gesetzliche Krankenversi-
cherung, auf eine Sozialversicherung verzichtet.

Darum wünsche ich mir, dass wir öfters über den Tel-
lerrand hinausblicken, uns die Funktion von sozialer Si-
cherung vor Augen führen und dies auch in den hiesigen
Debatten stärker berücksichtigen. Wir sollten eine
schlichte, reduktionistische Sicht auf soziale Sicherung
vermeiden und sehen, dass soziale Sicherung und insbe-
sondere auch die Sozialversicherung mit dazu beitragen,
dass es uns hier in Deutschland wirtschaftlich relativ gut
geht.

Vielen Dank.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)



Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1802011000

Herzlichen Dank. – Als Nächstes hat der Kollege

Michael Gerdes von der SPD-Fraktion das Wort.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)







(A) (C)



(D)(B)


Michael Gerdes (SPD):
Rede ID: ID1802011100

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich erin-

nere mich an die vergangene Legislaturperiode: Da sind
aus Zeitgründen jede Menge Debattenbeiträge und Re-
den zu Protokoll gegangen, obwohl es sich bei vielen
Themen gelohnt hätte, zu debattieren; nicht nur, um un-
terschiedliche Argumente auszutauschen oder in der Sa-
che zu streiten, nein, auch, um die vielen positiven Er-
rungenschaften unserer Gesellschaft hervorzuheben und
deutlich zu machen. Deswegen freue ich mich, dass ich
das heute an dieser Stelle tun kann. Mir ist es wichtig,
aufzuzeigen, wie umfangreich die soziale Sicherheit un-
seres Staates ist, weil sie nämlich die unterschiedlichsten
Lebens- und Arbeitsformen berücksichtigt.

Das Sozialversicherungsabkommen mit Uruguay
scheint für unser politisches Tagesgeschäft weniger
wichtig zu sein. Aber es zeigt deutlich, was unser Sozial-
staat leistet und wie das Leben im Sinne der Menschen
gestaltet werden kann. Waltraud Wolff und Dr. Pätzold
haben uns dankenswerterweise das Land dargestellt und
seine Strukturen aufgezeigt. Durch den vorliegenden Ge-
setzentwurf wird der soziale Schutz der Staatsangehöri-
gen beider Länder geregelt.


(Beifall bei der SPD)


Doppelversicherungen und Lücken im Rentenverlauf
werden vermieden. Das kann nur von Vorteil sein, insbe-
sondere in einer globalisierten Welt, in der die Arbeit-
nehmerinnen und Arbeitnehmer immer flexibler sein
müssen und Arbeitsaufenthalte im Ausland immer häufi-
ger werden, nicht nur bei Ingenieuren oder Monteuren.
Auch wenn die Republik Östlich des Uruguay geogra-
fisch sehr fern ist, gibt es viele Menschen, wie wir heute
gehört haben, für die das Abkommen wichtig ist.
Schließlich ist der Anteil der Personen mit deutschem
Migrationshintergrund in Uruguay sehr hoch. Somit be-
grüßen wir das Abkommen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Zu Uruguay wurde schon sehr viel gesagt. Lassen Sie
mich deshalb etwas grundsätzlicher werden. Sozialversi-
cherungsabkommen haben eine gewisse Tradition. Als
Bergmann und Abgeordneter aus dem Ruhrgebiet ist mir
besonders das Sozialversicherungsabkommen mit der
Türkei ein Begriff. Es besteht bereits seit 1964, und wir
haben damit gute Erfahrungen gemacht.

Gerade bei dem Sozialversicherungsabkommen mit
der Türkei spielten die Tarifpartner, insbesondere die da-
malige IGBE und die Bergbaubetriebe, eine besondere
Rolle. Ich erinnere daran, dass die Menschen als Gastar-
beiter gerufen wurden. Viele blieben, andere gingen
nach dem Arbeitsleben wieder zurück in ihre Heimat.
Ohne entsprechende Verträge stünden diese Menschen
deutlich schlechter da.

Ähnliches gilt für die deutschstämmige Bevölkerung,
die beispielsweise aus Polen zu uns gekommen ist, oft-
mals mit einer nicht unerheblichen Arbeitsbiografie.
Dank des Sozialversicherungsabkommens können sol-
che Personen problemlos ihre Altersrente klären und An-
sprüche geltend machen.
Deutschland hat mit einer Reihe von Ländern zwei-
seitige Sozialversicherungsabkommen geschlossen.
Dazu gehören große Staaten wie die USA und Brasilien,
aber auch kleinere Länder wie Montenegro und Mazedo-
nien. Im Grundsatz geht es bei allen Abkommen um den
Erwerb von Rentenansprüchen und die Zahlung von
Renten in den jeweiligen Staaten. Es geht also um die
Vorsorge fürs Alter. Wer zeitlich begrenzt im Ausland
arbeitet, aus welchen Gründen auch immer, soll später,
wenn es um seine Rente geht, keine Nachteile erleiden.
Gleiches gilt im Übrigen für die Unfall-, Kranken- und
Arbeitslosenversicherung.

Frau Tank hat die Frage gestellt: Warum werden nicht
mehr Länder mit einbezogen? – Sicherlich ein berechtig-
tes, aber nicht immer einfaches Unterfangen. Aber ich
weiß, dass wir schon mit einer ganzen Reihe von Län-
dern Sozialversicherungsabkommen geschlossen haben.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, Sozialversiche-
rungsabkommen sind absolut sinnvoll,


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der LINKEN)


auch deshalb, weil Deutschland auf Fachkräfte aus dem
Ausland angewiesen ist. Nur dann, wenn wir es schaf-
fen, ausreichend Fachkräfte für Arbeit und Leben in
Deutschland zu begeistern, bleiben wir wettbewerbsfä-
hig und können langfristig unseren Wohlstand und un-
sere Lebensqualität sichern. Insofern verstehe ich jedes
Sozialversicherungsabkommen als Teil einer guten Will-
kommenskultur. Lassen Sie uns daran arbeiten, dass
nicht nur das Sozialversicherungsabkommen mit Uru-
guay, sondern auch weitere Abkommen hier erfolgreich
debattiert werden.

In diesem Sinne vielen Dank. Glück auf!


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1802011200

Als Nächstem erteile ich das Wort dem Kollegen

Tobias Zech, CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Tobias Zech (CSU):
Rede ID: ID1802011300

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr

Kurth, Sie haben vorhin einen sehr klugen und interes-
santen Blick auf die Welt geworfen und uns mitgeteilt,
wie wichtig es ist, dass wir positiv über unser deutsches
Sozialsystem sprechen und das auch immer wieder un-
termauern. Ich freue mich schon darauf, dass Sie das in
diesem Hohen Hause wiederholen, wenn wir die Renten-
pakete verabschieden werden. Denn auch das gehört zur
positiven Sozialpolitik.


(Beifall bei der CDU/CSU – Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber ob das alles so gut ist?)


Die Unterzeichnung des Sozialversicherungsabkom-
mens zwischen Deutschland und der Republik Östlich
des Uruguay jährt sich nächsten Monat. Damals wurde
dieses Abkommen noch von Guido Westerwelle unter-





Tobias Zech


(A) (C)



(D)(B)

schrieben. Es hat sich für uns bis heute vieles verändert,
nicht aber die Sinnhaftigkeit und Wichtigkeit dieses Ab-
kommens.

Uruguay – das haben wir heute schon mehrmals ge-
hört – ist als Einwanderungsland seit vielen Jahrzehnten
eng mit Deutschland verbunden. Über 10 000 Deutsche
und 40 000 Deutschstämmige leben in diesem Land. Das
ist im Verhältnis zur Größe des Landes – es ist ungefähr
halb so groß wie Deutschland – und zur Einwohnerzahl
– vergleichbar mit der Berlins – ein ungewöhnlich ho-
her Anteil. Pro Jahr wandern circa weitere 400 Deut-
sche ein.

Uruguay ist nach dem Global Peace Index Report das
friedlichste Land in Lateinamerika. In der ersten Hälfte
des 20. Jahrhunderts eine der reichsten Volkswirtschaf-
ten Lateinamerikas, ist Uruguay nach einer langen Phase
wirtschaftlicher Schwäche heute wieder ein aufstreben-
des Schwellenland mit einer Mischung aus marktwirt-
schaftlichen und sozialen Elementen. Uruguay ist trotz
seiner geringen Größe eines der wachstumsstärksten
Länder der Region. Seit sechs Jahren wächst die Wirt-
schaft stärker als der lateinamerikanische Durchschnitt.
Das Wirtschaftswachstum betrug 2012 3,9 Prozent. Das
Bruttoinlandsprodukt erreichte damit knapp 50 Milliar-
den US-Dollar. Die Wachstumsschätzungen für 2013 be-
laufen sich auf 3,5 bis 4 Prozent. Uruguay setzt damit
seine positive Entwicklung seit dem Krisenjahr 2003 fort
und wird zunehmend ein wichtiger Standort für deutsche
Unternehmen.

Es bestehen enge wirtschaftliche Beziehungen zwi-
schen unseren beiden Staaten. Deutschland ist in Europa
der größte Abnehmer von Waren aus Uruguay; weltweit
gehört die Bundesrepublik Deutschland zu den wichtigs-
ten Abnehmerländern. Die gegenseitigen Beziehungen
sind von Sympathie und Vertrauen geprägt, sodass beste
Voraussetzungen für eine gute und dauerhafte Partner-
schaft bestehen. Wir müssen diese Partnerschaft pflegen
und weiter ausbauen, um dem politischen Dialog in allen
Politikbereichen eine neue Qualität zu verleihen. Neben
dem Blick nach China, Indien und Amerika darf der
Blick nach Südamerika nicht verloren gehen. Umso er-
freulicher finde ich es, dass dieses Abkommen nunmehr
seinen gesetzlichen Rahmen findet.

Das Abkommen ist ein sogenanntes offenes Abkom-
men, das auf alle Personen Anwendung findet, für die
die Rechtsvorschriften einer der Vertragsstaaten gelten.
Inhaltlich bezieht es sich vorrangig auf die gesetzliche
Rentenversicherung. Die Bundesrepublik Deutschland
hat mit einer Reihe von Ländern solche zweiseitigen So-
zialversicherungsabkommen geschlossen. So werden
derzeit zum Beispiel auch Verhandlungen mit Argenti-
nien und den Philippinen geführt. Diese Abkommen re-
geln im Wesentlichen den Erwerb von Rentenansprü-
chen und die Zahlung von Renten in dem jeweiligen
Staat. Sie enthalten Bestimmungen über das anzuwen-
dende Recht, die Gleichbehandlung der vom persönli-
chen Geltungsbereich erfassten Berechtigten, über die
Wahrung der erworbenen Ansprüche sowie über gegen-
seitige Amts- und Rechtshilfe.
Die Themen Rente und soziale Sicherheit sind nach
wie vor für uns alle Themen mit höchster Priorität. Da-
her gilt es insbesondere auch den Menschen, die nicht in
ihrem Heimatland leben und arbeiten, Sicherheit zu ge-
währleisten und damit das Arbeiten in einem anderen
Land zu ermöglichen. In der heutigen Zeit, in der der Ar-
beitsmarkt von einem stetigen Austausch mit anderen
Nationen lebt, ist die soziale Absicherung besonders
wichtig. Das internationale Arbeiten rückt durch welt-
weit agierende Unternehmen immer mehr in den Fokus.
Wir müssen es unterstützen, wenn deutsche Firmen den
uruguayischen Markt entdecken und sich dort mit deut-
schen Arbeitnehmern niederlassen wollen. Im Rahmen
solcher Gründungen von Unternehmen und Tochterfir-
men wird es immer wieder dazu kommen, dass deutsche
Fachkräfte für einige Zeit in Uruguay tätig sind. Mit die-
sem Abkommen sorgen wir dafür, dass dies so unkom-
pliziert wie möglich vonstattengehen kann. Der deutsche
Arbeitnehmer, der in Uruguay arbeitet, kann weiterhin
im deutschen Rentensystem bleiben. Das Abkommen
unterstützt in höchstem Maße den regen Austausch deut-
scher und uruguayischer Arbeitnehmer, eine Entwick-
lung, die wir gerade in Anbetracht unseres Fachkräfte-
mangels nur begrüßen können.

Durch dieses Abkommen wird der soziale Schutz der
Staatsangehörigen beider Länder innerhalb der jeweili-
gen Rentenversicherungssysteme sichergestellt und ko-
ordiniert. Arbeitnehmer, die bis zu 24 Monate in Uru-
guay bzw. in Deutschland eingesetzt werden, können im
Rentensystem ihres Heimatlandes bleiben. Eine Doppel-
versicherung und Lücken im Rentenverlauf werden so-
mit verhindert. Darüber hinaus sieht das Abkommen die
uneingeschränkte Zahlung von Renten in dem anderen
Staat vor. Dies ist für einen aktiven Wechsel der Arbeit-
nehmer unerlässlich, von dem sowohl Deutschland als
auch Uruguay in höchstem Maße profitieren. Es gilt da-
her, bürokratische Hindernisse abzubauen und einen
Übergang in einen neuen südamerikanischen Arbeitsver-
trag für Arbeitnehmer so einfach wie möglich zu gestal-
ten. Das ermöglicht dieses Abkommen nunmehr. Aber
nicht nur für die deutschen Arbeitnehmer ist diese Si-
cherheit von besonderer Bedeutung. Gerade unter dem
Aspekt der Internationalität des deutschen Arbeitsmark-
tes ist es unser Anliegen, uruguayische Arbeitnehmer
willkommen zu heißen. Wir sind ein offenes Land und
können mit diesem Abkommen unsere Willkommens-
kultur für Fachkräfte nur noch unterstreichen und weiter
ausbauen.

Der Bildung wird in Uruguay ein sehr hoher Stellen-
wert eingeräumt, besonders im Bereich der Informa-
tionstechnik. Wir werden hier auch von uruguayischen
Fachkräften profitieren können.

Es ist an der Zeit, dass wir dieses Abkommen in den
parlamentarischen Gremien beider Staaten absegnen und
zum Beschluss führen.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)







(A) (C)



(D)(B)


Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1802011400

Zur letzten Rede zu diesem Tagesordnungspunkt er-

teile ich einer Kollegin das Wort, die ihre erste Rede im
Deutschen Bundestag hält. Kollegin Gabriele Schmidt
hat das Wort für die CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Gabriele Schmidt (CDU):
Rede ID: ID1802011500

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Zwischen dem Schwarzwald, wo ich herkomme, und
dem Cerro Catedral in Uruguay liegen über 11 000 Kilo-
meter Luftlinie. Diese Entfernung hindert aber weder
Deutschland noch Uruguay, enge wirtschaftliche Bezie-
hungen miteinander zu unterhalten und vor allem Arbeit-
nehmerinnen und Arbeitnehmer in das jeweils andere
Land zu entsenden, im Gegenteil: Die Bundesrepublik
– wir haben einige dieser Informationen heute schon ge-
hört – ist der wichtigste EU-Handelspartner Uruguays,
und Deutschland steht auf Platz sechs der wichtigsten
Abnehmerländer Uruguays weltweit.

Um diese Bindung zu festigen und vor allem um die
Bedingungen dafür zu schaffen, wurde das Abkommen
über die soziale Sicherheit geschlossen. Mit dem vorlie-
genden Vertragsgesetz, das heute in der ersten Lesung
ist, schaffen wir nun die innerstaatlichen Voraussetzun-
gen für die Ratifizierung des Abkommens. Die Welt ist
global geworden, und die Globalisierung macht auch
nicht halt vor der Arbeitswelt. Heute sind es nicht mehr
nur Rucksacktouristen und Abenteurer, die ein exoti-
sches Land wie Uruguay besuchen, sondern Kaufleute
und Techniker oder Landwirte oder Ingenieure. Die ar-
beiten dort und erwerben Rentenanwartschaften. Für
diese Lebenssituationen bietet das Sozialversicherungs-
abkommen konkrete Lösungen an.

Das auf uruguayische Initiative zustande gekommene
bilaterale Sozialversicherungsabkommen, das am 8. Ap-
ril 2013 zwischen dem damaligen Bundesaußenminister
und seinem uruguayischen Amtskollegen in Berlin un-
terzeichnet wurde, hätte genauso gut eine deutsche Ini-
tiative sein können; denn beide Seiten werden von der zu
erwartenden Verbesserung der bilateralen Handels- und
Wirtschaftsbeziehungen profitieren. Die CDU/CSU-
Bundestagsfraktion begrüßt daher ausdrücklich die
Ratifizierung des Sozialversicherungsabkommens mit
Uruguay. Damit wird der soziale Schutz der Staatsange-
hörigen beider Länder innerhalb der jeweiligen Renten-
versicherungssysteme sichergestellt und koordiniert.

Wenn Beschäftigte nur vorübergehend in den jeweils
anderen Staat entsandt werden, bleibt es beim Versiche-
rungsverhältnis im Heimatstaat. Damit können Doppel-
versicherungen und Lücken im Rentenverlauf verhindert
werden. Der Entsendezeitraum kann dabei bis zu 24 Ka-
lendermonate betragen. Das Abkommen bringt Verwal-
tungsvereinfachungen für betroffene Arbeitnehmer,
Rentner und deren Angehörige und für Betriebe. Wir
können davon ausgehen, dass zum Beispiel Ingenieure,
Techniker oder Monteure in dieses Land entsandt
werden und dort arbeiten, und das nicht nur für wenige
Wochen, sondern vielleicht für viele Monate. Für genau
die ist dieses Sozialversicherungsabkommen gedacht.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

Die Bundesrepublik Deutschland hat mit vielen Län-
dern Sozialversicherungsabkommen – es sind schon
einige aufgezählt worden –, darunter mit Brasilien und
Indien, zwei riesigen Ländern mit Millionen von Arbeit-
nehmern. Dagegen ist die Republik Östlich des Uruguay,
wie der Name des Landes in der korrekten Übersetzung
lautet, mit ihren rund 3,4 Millionen Einwohnern ver-
gleichsweise klein. Uruguay – auch das haben wir schon
gehört – hat so viele Einwohner wie Berlin, allerdings
auf einer Fläche, die fast 200-mal größer ist.

Der Anteil der Deutschen und der Deutschstämmigen
ist gemessen an der Einwohnerzahl sehr hoch. Als Ein-
wanderungsland ist Uruguay seit Jahrzehnten eng mit
unserem Land verbunden. Damit gibt es eine starke
kulturelle Verbundenheit zwischen Deutschland und
Uruguay, und es gibt auch, wie schon mehrfach betont,
enge wirtschaftliche Beziehungen. Nach meinem Wissen
sind derzeit 30 deutsche Firmen in Uruguay aktiv. Das
Land ist nach der Wertehaltung seiner Bürger ein fast eu-
ropäisches Land. So lag Uruguay im Demokratie-Index
Lateinamerika der Konrad-Adenauer-Stiftung auf Platz
eins beim Vergleich der Länder Lateinamerikas im
Jahr 2013.

Wir können also davon ausgehen, dass in Zukunft
noch mehr Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer das je-
weils andere Land besuchen und dort die Arbeit aufneh-
men werden. Sie werden von diesem neuen Abkommen
profitieren. Das Abkommen verbessert die Vereinbarkeit
der beiden Rentensysteme und trägt insbesondere den
Interessen der Rentner und einer neuen Migrationsreali-
tät Rechnung.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1802011600

Liebe Frau Kollegin Schmidt, der ganze Deutsche

Bundestag gratuliert Ihnen zu Ihrer ersten Rede und
wünscht Ihnen ein fröhliches, lebendiges, diskursreiches
parlamentarisches Wirken.


(Beifall)


Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwur-
fes auf Drucksache 18/272 an die in der Tagesordnung
aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es andere
Vorschläge dazu? – Das ist nicht der Fall. Dann ist die
Überweisung so beschlossen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 7 auf:

Beratung des Antrags der Abgeordneten Susanna
Karawanskij, Klaus Ernst, Dr. Dietmar Bartsch,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE
LINKE

Den Grauen Kapitalmarkt durchgreifend
regulieren

Drucksache 18/769
Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss (f)
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss für Wirtschaft und Energie





Vizepräsident Peter Hintze


(A) (C)



(D)(B)

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich höre
hierzu keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.

Da wir gleich zu Beginn dieser Debatte wieder eine
Erstrednerin haben, bitte ich, die Gratulationscour bei
Frau Schmidt zügig abzuschließen. Ich erteile das Wort
der Kollegin Susanna Karawanskij, Die Linke, zu ihrer
ersten Rede.


(Beifall bei der LINKEN)



Susanna Karawanskij (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1802011700

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kollegin-

nen und Kollegen! Liebe Gäste! Ich kann mich noch gut
daran erinnern, dass die Bundeskanzlerin die umfas-
sende Regulierung der Finanzmärkte gefordert hat und
ankündigte, dafür zu sorgen. Das war im Jahr 2009. Ich
habe damals die Bundestagsreden nicht hier im Plenar-
saal verfolgt, sondern, wie so viele, im Fernsehen. Auch
wenn dies meine erste Rede hier im Plenarsaal ist, kann
ich mit Kritik an der Finanzpolitik der Bundesregierung
leider nicht sparen.

Der Graue Kapitalmarkt mutet ein wenig an wie ein
schwelendes Feuer, aus dem immer wieder einmal eine
Stichflamme herauskommt. Die jüngste Stichflamme
war Prokon mit seinen Genussrechten, durch die rund
75 000 Anlegerinnen und Anleger rund 1,4 Milliarden
Euro zu verlieren drohen. Das ist ein Beispiel des
Grauen Kapitalmarkts, welcher seit Jahren hinsichtlich
Finanzmarktstabilität und Verbraucherschutz hoch pro-
blematisch ist. Anlegern gingen Gelder in Milliarden-
höhe verloren. Die vergangenen Bundesregierungen ha-
ben, wenn überhaupt, nur zögerlich reagiert. Gewiss gab
es in der letzten Wahlperiode einige Verbesserungen, das
allerdings in homöopathischen Dosen, die augenschein-
lich im Endeffekt nur sehr wenig gebracht haben.

Nun, nach dem Insolvenzantrag von Prokon, verkün-
det die Bundesregierung, Anleger besser schützen zu
wollen, indem die Finanzaufsicht, die BaFin, Geschäfts-
modelle prüfen und Produktverbote bzw. Vertriebsbe-
schränkungen aussprechen soll. Die BaFin hingegen
spielt den Ball zurück: Es sei nicht ihre Aufgabe, Rendi-
teversprechen von Unternehmen oder gar Geschäfts-
modelle zu prüfen. – Ein Hin und Her, ein Nullsummen-
spiel, bei dem am Ende wie so oft die Verbraucherinnen
und Verbraucher in die Röhre schauen und die Finanz-
märkte immer noch unzureichend reguliert sind. Wäh-
rend die Bundesregierung in handlungsunfähiger Starre
verharrt, gehen weitere Unternehmen wie Infinus, Quan-
tum, Wölbern und Windwärts in die Insolvenz.

Meine Damen und Herren, das kann so nicht weiter-
gehen, das darf so nicht weitergehen. Wir müssen den
Grauen Kapitalmarkt durchgreifend regulieren, um die
Finanzmärkte zu stabilisieren und die Verbraucherinnen
und Verbraucher besser zu schützen.


(Beifall bei der LINKEN)


Es gibt dabei noch ein grundsätzliches Problem, und
zwar die Tatsache, dass es immer noch ein Aufsichts-
und Regulierungsgefälle gibt. Es besteht neben dem so-
genannten Weißen, halbwegs regulierten Finanzmarkt
ein unregulierter Grauer Kapitalmarkt, und auf dem
kaum regulierten Grauen Kapitalmarkt tummeln sich
eben auch fragliche und vermehrt unseriöse Anbieter
und Abzocker. Die Linke schlägt deshalb vor, jede Geld-
anlage, jedes Kreditgeschäft und auch jede Vermögensan-
lage in den einschlägigen, zum Teil schon existierenden
Gesetzen zu regulieren und dadurch einem inhaltlichen
Prüfungsrecht der Finanzaufsicht, also der BaFin, zu un-
terstellen. Dazu muss infolgedessen natürlich das Perso-
nal bei der BaFin aufgestockt werden. Aber das reicht
noch nicht aus.


(Beifall des Abg. Matthias W. Birkwald [DIE LINKE])


Es gibt nach wie vor einfach viel zu viel Finanz-
schrott auf den Märkten, und es wird noch mehr – tag-
täglich. Das wiederum liegt daran, dass auf den Finanz-
märkten immer noch jedes Finanzinstrument erlaubt ist,
das nicht ausdrücklich verboten ist. Es ist ein nahezu un-
überblickbarer Wust an Finanzinstrumenten, den weder
Profis noch Privatanleger durchdringen. Dieses Dickicht
müssen wir lichten; da müssen wir Ordnung hineinbrin-
gen. Das geschieht am besten durch die Errichtung eines
Finanz-TÜVs.


(Beifall bei der LINKEN)


Das bedeutet ganz einfach, dass alle Finanzinstrumente,
-akteure und -praktiken vor ihrer Zulassung dahin ge-
hend untersucht werden, ob das gesamtwirtschaftliche
Risiko beherrschbar ist und ob diese auch verbraucher-
freundlich sind. Uns ist es an dieser Stelle wichtig, dass
wir die Beweislast umkehren: Es kommt nur das auf den
Markt, was ausdrücklich zugelassen wurde, wobei die
Beweislast beim Ausgebenden, bei den Emittenten,
liegt.


(Beifall bei der LINKEN)


Hochspekulative bzw. hochriskante, auch intransparente
und leider auch unseriöse Finanzinstrumente werden da-
mit erst gar nicht zugelassen oder vom Markt genom-
men. In der Folge würden wir die Finanzmärkte weniger
komplex gestalten, entzerren und in Richtung einer der
Realwirtschaft dienenden Funktion entschlacken.

Mit einem Finanz-TÜV hätte man schon viel eher die
Gefahren des Grauen Kapitalmarkts eindämmen können.
Es ist ein präventives Instrument. Was immer Sie gegen
einen Finanz-TÜV vorbringen werden: Sie müssen die
Frage beantworten, wie man es erreichen kann, dass man
den Finanzinnovationen, die auf den Markt drängen,
nicht immer hinterherhechelt und dann versucht, diese
zu regulieren. Wir Linke sind auf Ihre Antworten sehr
gespannt.


(Beifall bei der LINKEN)


Darüber hinaus setzen wir, die Linke, uns für die Stär-
kung einer unabhängigen Finanzberatung durch Ver-
braucherzentralen oder Honorarberatungen ein. Der pro-
visionsbasierte Verkauf von Finanzinstrumenten und der
Verkaufsdruck, der durch die produktbezogenen Ver-
triebsvorgaben auf die Anlageverkäufer entsteht, müss-
ten gesetzlich unterbunden werden. Daher fordere ich





Susanna Karawanskij


(A) (C)



(D)(B)

Sie auf, meine Damen und Herren von der Regierungs-
bank: Werden Sie aktiv. Regulieren Sie endlich den
Grauen Kapitalmarkt, und zwar durchgreifend. Wir
brauchen eine einheitliche und umfassende, effektive
Finanzaufsicht. Wir brauchen einen Finanz-TÜV. Wir
brauchen eine unabhängige und qualifizierte Finanzbera-
tung. Schützen Sie die Verbraucherinnen und Verbrau-
cher vor windigen und unseriösen Anbietern. Schützen
Sie sie auch vor hochriskanten und intransparenten Ge-
schäftsmodellen auf dem Finanz- und Kreditmarkt. Und
sorgen Sie für stabilere Finanzmärkte, indem wirklich
kein Finanzinstrument und keine Finanzpraxis unregu-
liert bleiben.

Vielen Dank.


(Beifall bei der LINKEN)



Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1802011800

Herzlichen Dank. – Auch Ihnen, liebe Frau Kollegin,

herzlichen Glückwunsch zu Ihrer ersten Rede und eine
interessante parlamentarische Zeit.


(Beifall)


Als Nächstem erteile ich das Wort dem Kollegen
Dr. Frank Steffel, CDU/CSU-Fraktion. Er ist schon frei-
willig zum Rednerpult geeilt. Er ahnte, dass er aufgeru-
fen wird.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Frank Steffel (CDU):
Rede ID: ID1802011900

Nicht nur freiwillig, Herr Präsident, sondern beson-

ders gerne, weil ich glaube, dass gerade bei dem Thema
neben allen Gesetzen und Regulierungen, die wir teil-
weise gemeinsam, teilweise nicht ganz gemeinsam in
den letzten Jahren verabschiedet haben und in den
nächsten Jahren weiter verabschieden werden, die öf-
fentliche Debatte, durch die Aufklärung und Sensibilität
bei Verbraucherinnen und Verbrauchern in Deutschland
erzeugt werden kann, ein ganz wichtiger Beitrag ist. In-
sofern bin ich der Fraktion Die Linke dankbar, dass wir
heute wieder einmal die Gelegenheit haben, zu diesem
Thema öffentlich zu diskutieren.

Wir bleiben seit Jahren, so auch in dieser Legislatur-
periode, unserer Devise treu: Kein Finanzprodukt und
kein Anbieter dürfen in Deutschland unreguliert bleiben.


(Beifall bei der SPD)


Diesem Kernsatz ordnen wir alles unter. Das haben wir
in den vergangenen vier Jahren getan, und das werden
wir auch in den kommenden vier Jahren tun.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Deshalb haben wir bereits Schutzmechanismen, die
sich auf dem regulierten Kapitalmarkt bewährt haben,
für den sogenannten Grauen Kapitalmarkt übernommen.
Unser Ziel ist ja nicht, den Grauen Kapitalmarkt zu regu-
lieren; vielmehr ist unser Ziel, dass es möglichst keinen
Grauen Kapitalmarkt gibt, sondern einen Weißen Kapi-
talmarkt, das heißt einen Kapitalmarkt, von dem die
Menschen vorher wissen, was drin ist, was sie kaufen,
und wo sie die Risiken kennen, für die sie sich dann
– bewusst oder unbewusst – selbst entscheiden.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Deshalb haben wir Dokumentationspflichten, Sachkun-
denachweise, die Pflicht zur Haftpflichtversicherung,
scharfe Prüfungs- und Registrierungsverpflichtungen
aus dem Weißen Kapitalmarkt auf den Grauen Kapital-
markt weitestgehend eins zu eins übertragen. Aber
natürlich, meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen
und Kollegen von der Linksfraktion, müssen wir wach-
sam bleiben; denn eines haben wir auch gelernt: Der
Kreativität der Anbieter und übrigens auch der Gier der
Konsumenten scheinen wenige Grenzen gesetzt zu sein.
Insofern ist der Gesetzgeber immer gefordert, zu prüfen:
Ist das, was wir gestern beschlossen haben, heute noch
aktuell, oder müssen wir möglicherweise nachjustieren
oder ganz neue Regelungen einführen? – Aber eines ist
auch klar: Wir können nicht aus Angst vor Bankräubern
die Banken abschaffen,


(Ralph Brinkhaus [CDU/CSU]: Genau!)


sondern müssen schon schauen, dass wir in Deutschland
einen normalen Finanz- und Kapitalbetrieb ermöglichen.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Gerade weil heute viele junge Menschen zuhören,
möchte ich eines sehr deutlich sagen – ich komme gleich
noch zum Thema Kreditmarkt –: Wir können nur sicher-
stellen, dass der Konsument über die Risiken vollum-
fänglich aufgeklärt ist. Die Entscheidung können wir
dem sogenannten mündigen Bürger nicht abnehmen. In
Deutschland steht auf jeder Zigarettenpackung wirklich
nicht übersehbar, was die Risiken sind, wenn man
raucht. Trotzdem gibt es Millionen Menschen, die sich
in vollem Bewusstsein und in Kenntnis dieser Risiken
dafür entscheiden, Zigaretten nicht nur zu kaufen, son-
dern auch zu konsumieren. Insofern liegt die Entschei-
dungsfreiheit schlussendlich beim Konsumenten. Wir
können nur die Risiken ausweisen und davor warnen.
Aber Schutz und Information sind nach unserem Frei-
heitsbild wichtiger als Bevormundung. Das heißt, ein
Verbot kann nur die Ultima Ratio sein.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Die Verbraucher müssen wissen – das sage ich sehr
bewusst in öffentlicher Debatte –, dass natürlich der alte
Satz gilt: Je höher der Zinssatz, desto höher das Risiko.
Man muss wissen: Wenn der Zinssatz der Europäischen
Zentralbank bei gut 0 Prozent liegt, lässt sich das Ver-
sprechen von 5, 8, 10 oder 15 Prozent Zinsen eben nur
mit Produkten erfüllen, die mit einem höheren oder ho-
hen Risiko behaftet sind. Insofern muss der Appell an
die Menschen sein: Prüfen Sie insbesondere bei hohen
Zinsen, ob das Produkt auf dem Grauen oder Weißen
Kapitalmarkt vertrauenserweckend ist, oder entscheiden
Sie sich bewusst, eine risikobehaftete Anleihe zu wäh-
len!

Ich möchte ein zweites Thema ansprechen, das mir im
Grundsatz noch wichtiger ist: die Überschuldung, also
die Frage des Kreditmarktes. Wir können hier sehr er-
freut zur Kenntnis nehmen, dass die Arbeitslosigkeit, die





Dr. Frank Steffel


(A) (C)



(D)(B)

Hauptursache für Überschuldung, in den letzten Jahren
deutlich abgenommen hat. Das heißt, immer weniger
Menschen in Deutschland geraten in wirtschaftliche Pro-
bleme, weil sie arbeitslos sind. Das ist gut. Gleichzeitig
müssen wir jedoch feststellen, dass die Zahl der Fälle, in
denen Konsum – also zu viel Konsum – die Ursache von
Überschuldung und Privatinsolvenzen ist, dramatisch
zunimmt, insbesondere übrigens, liebe Kolleginnen und
Kollegen, bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen.
Das heißt, wir haben immer mehr junge Menschen, die –
ganz volkstümlich gesagt – mehr ausgeben, als sie ein-
nehmen, also Leasing- und Kreditraten vereinbaren, die
höher sind als das zur Verfügung stehende Nettoeinkom-
men. Mittlerweile sind in Deutschland – die meisten von
Ihnen werden es wissen – ziemlich stabil 10 Prozent der
über 18-Jährigen überschuldet. Ich finde, das ist eine
Zahl, die uns nicht kaltlassen kann. Jeder zehnte Deut-
sche ist überschuldet; jeder zehnte Deutsche ist damit
nicht mehr Herr seines Einkommens, seines Vermögens,
mit all den Konsequenzen, die wir hinreichend kennen.

Wir müssen hier sehr deutlich machen, dass es eben
nicht das Ziel sein kann, dass jeder Junge und jedes
Mädchen, jede junge Familie den schönsten Fernseher
und das modernste Smartphone hat und versucht wird,
diesen Wohlstand mit Ratenkrediten bis zum Sankt-
Nimmerleins-Tag zu finanzieren. Auch hier sind Regu-
lierung und Gesetzgebung wichtige Aspekte; aber der
wichtigere Aspekt ist Aufklärung. Hier sind Elternhäu-
ser, Schulen und übrigens auch Unternehmen gefordert.
Wir müssen deutlich machen, dass sich gerade junge
Menschen jede Entscheidung für Konsumkredite drei-
mal überlegen müssen, dass sie genau überlegen müssen,
was sie sich und ihrer Familie damit zumuten, übrigens
vielfach in der Hoffnung, dass die junge Ehe hält. Wir
wissen alle: 50 Prozent der Ehen in Deutschland halten
nicht. Die mit einer Überschuldung verbundenen Pro-
bleme und Konsequenzen wirtschaftlicher und emotio-
naler Art treffen die junge Familie, übrigens vielfach
auch noch die Kinder, zusätzlich.

Wir, die Koalitionsfraktionen, werden deshalb die
Mittel für die Stiftung Warentest erhöhen. Wir wollen
die Verbraucherschutzzentralen mit einer Marktwächter-
funktion nicht nur ausbauen, sondern deutlich stärken.
Denn wir sind der Auffassung, dass gerade junge Men-
schen zu Recht von uns erwarten dürfen, dass sie scho-
nungslos über die Risiken eines Kredits aufgeklärt wer-
den, dass wir sie zumindest warnen. Ich möchte von
dieser Stelle aus noch einmal appellieren: Man möge es
sich gut überlegen, bevor man einen vermeintlich lukra-
tiven Leasing- oder Ratenkreditvertrag unterschreibt.
Das bittere Ende trifft zurzeit 10 Prozent der Deutschen.
Wir müssen gemeinsam verhindern, dass es jeden Tag
mehr werden.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1802012000

Als Nächstem erteile ich Kollegen Dr. Gerhard

Schick, Bündnis 90/Die Grünen, das Wort.

(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Ihre Rede, Herr Steffel, war voller Appelle an
Unternehmen, an Familien und an alle möglichen Leute.
Der Teil, in dem Sie sich damit beschäftigt haben, was
hier im Parlament zu tun wäre, ist in Ihrer Rede relativ
kurz gekommen.


(Dr. Frank Steffel [CDU/CSU]: Weil wir schon so viel getan haben!)


Wichtig ist aber, dass wir uns über folgende Frage ver-
ständigen: Warum müssen wir uns eigentlich in regelmä-
ßigen Abständen mit dem Grauen Kapitalmarkt beschäf-
tigen? Das ist offensichtlich der Fall, weil die letzten
Runden der Beschäftigung des Hauses mit diesem
Thema nicht ausreichend waren. Wir müssen deshalb die
bestehenden Lücken und das, was konkret zu tun ist, an-
sprechen, statt auf allgemeine Appelle auszuweichen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Es gibt eindeutig Lücken bei der Aufsichtspraxis und
der Rechtsdurchsetzung. Die BaFin hat bereits 2008/
2009, als sie gegenüber Prokon das Erbringen eines un-
erlaubten Bankgeschäftes monierte, Handlungsspiel-
räume gehabt. Sie hätte sie – so sagen mir Juristen – nut-
zen können, um die Geschäftstätigkeit zu untersagen.
Stattdessen aber hat sie eine leichte Veränderung des Ge-
schäftsmodells, und zwar in Form einer erlaubnisfreien
Ausgestaltung, angeregt. Es heißt, das sei ständige Ver-
waltungspraxis. Mich würde an dieser Stelle schon inte-
ressieren, in wie vielen anderen Fällen die BaFin das
Abtauchen in erlaubnisfreie Geschäfte angeregt hat. Ich
meine, wir müssen der Aufsicht hier genauer auf die Fin-
ger schauen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Das gilt auch für die Frage, warum man eigentlich
vonseiten der BaFin noch 2013 einen Prospekt von Pro-
kon durchgehen ließ, in dem keine Angaben darüber zu
finden waren, dass die Geschäftsführer dieses Unterneh-
mens früher schon Ärger mit der Aufsicht hatten. Ein
Prospekt ist doch genau dafür da, dass der Kunde sich
ein Bild machen kann. Das kann er aber nur, wenn rele-
vante Aspekte auch wirklich erwähnt werden.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Es gibt auch Lücken, die in der Gesetzgebung selbst
liegen. Wir müssen zum Beispiel kritisch auf das im Jahr
2012 in Kraft getretene Gesetz zur Novellierung des Fi-
nanzanlagenvermittler- und Vermögensanlagenrechts
zurückblicken. Da gibt es einige Probleme. Im Antrag
der Linken wird eine ganze Reihe von Maßnahmen vor-
geschlagen, von denen ich zwei hervorheben möchte:

Zum einen wird ein Finanz-TÜV gefordert, der alle
Finanzinstrumente daraufhin untersuchen soll, ob sie
– ich zitiere – „gesamtwirtschaftlich keine unerwünsch-
ten Nebenwirkungen haben, ob das gesamt- und be-
triebswirtschaftliche Risiko beherrschbar ist und ob sie
verbraucherfreundlich sind“. Das klingt schön. Ich





Dr. Gerhard Schick


(A) (C)



(D)(B)

denke aber, dass es nicht umsetzbar ist. Denn eine solche
Wirtschaftlichkeitsprüfung hätte hohe Prognoserisiken.
Außerdem könnte ein positives Urteil eines solchen
Finanz-TÜVs praktisch als eine Erfolgsgarantie missver-
standen werden. Das halte ich, ganz zu schweigen von
der Amtshaftung, die damit einhergehen würde, für pro-
blematisch. Es gehört auch nicht zur Aufgabe der BaFin,
bei jeder Vermögensanlage eine Wirtschaftlichkeitsprü-
fung durchzuführen. Denn ob das Geschäftsmodell be-
triebswirtschaftlich sinnvoll ist oder nicht, müssen schon
die Anleger selbst überprüfen.

Es gibt aber etwas, das die Aufsicht tun muss. An die-
ser Stelle muss man genau unterscheiden. Ich nenne als
Vergleich gern den Lebensmittelbereich, um das klarzu-
machen. Die eine Seite des Hauses sagt häufig, der
Kunde solle bitte mündig sein. Im Antrag wird aber ge-
fordert, dass die Aufsicht praktisch alles überprüfen soll.
Hier ist es aber wie im Lebensmittelbereich: Es gibt Sa-
chen, die der Kunde nicht erkennen kann. Die Salmo-
nelle im Eierprodukt oder die Trichine im Fleisch kann
der Kunde nicht sehen. Deswegen brauchen wir eine Le-
bensmittelaufsicht, die sicherstellt, dass hygienisch sau-
ber gearbeitet wird und dass sich der Kunde, wenn Män-
gel nicht erkennbar sind, darauf verlassen kann, dass er
korrekte Produkte bekommt. Es wird zwar nicht jedes
einzelne Produkt von der Lebensmittelaufsicht am Ver-
kaufsschalter gegengecheckt. Es gibt aber ausreichend
Stichproben, die sicherstellen, dass das Hygieneniveau
insgesamt stimmt.

Ein solches Verfahren ist genau das, was wir im Fi-
nanzaufsichtsbereich brauchen. Gerade das, was ein
Kunde nicht sehen kann, muss die BaFin verstärkt in den
Blick nehmen, zum Beispiel, wenn Interessenkonflikte
bestehen, wenn Partner unter einer Decke stecken, so-
dass die Erträge nicht dem Kunden zugutekommen, oder
wenn ein Geschäftsführer nicht verlässlich ist, weil er
schon mehrfach Ärger mit der Aufsichtsbehörde hatte.
Wir erwarten, dass es auch hier eine laufende Aufsicht
gibt, die sich mit der materiellen Produktprüfung befasst.
Wir brauchen aber keinen umfassenden Finanz-TÜV;
denn ich glaube nicht, dass das leistbar ist.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ich möchte auf einen weiteren Punkt eingehen. Wir
brauchen dringend eine Korrektur in Bezug auf die Auf-
sicht über den freien Finanzbetrieb. Hier liegt ein Fehler
der alten Gesetzgebung vor, der dringend korrigiert wer-
den muss. Ich erinnere an eine Sachverständigenanhö-
rung, in der ein Mitarbeiter der Bremer Gewerbebehörde
deutlich gemacht hat, dass er als einzelner Mitarbeiter,
der auch noch für alle möglichen anderen Bereiche zu-
ständig ist, zum Beispiel für Eisdielen, für etwa 1 000
Finanzvermittler zuständig ist. So ist ein relevanter
Schutz für Kundinnen und Kunden undenkbar. Deswe-
gen bedarf es hier dringend einer Korrektur. Das muss
die Finanzaufsicht machen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Ralph Brinkhaus [CDU/CSU]: Das ist das Problem von Bremen!)

Einen letzten Satz zur Ankündigung des Justiz- und
Verbraucherschutzministers, dass es einen stärkeren An-
legerschutz im Bereich des Grauen Kapitalmarktes ge-
ben soll. In den letzten vier Jahren hatten wir im Bereich
Verbraucherschutz lediglich eine Ankündigungsministe-
rin. Für die nächsten vier Jahre hoffen wir, dass es nicht
bei Ankündigungen bleibt, sondern dass es zu relevanten
Änderungen in der Praxis kommt. Die Erwartung ist da.
Den Kollegen der SPD möchte ich sagen: Ich hoffe, dass
manche Forderungen aus der letzten Legislaturperiode
nicht plötzlich in irgendeiner Schublade verschwinden,
sondern wirklich durchgesetzt werden.

Danke.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Susanna Karawanskij [DIE LINKE])



Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1802012100

Als Nächstem erteile ich das Wort dem Kollegen

Dr. Carsten Sieling, SPD-Fraktion.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Carsten Sieling (SPD):
Rede ID: ID1802012200

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zunächst
möchte ich den letzten Satz des Kollegen Schick aufneh-
men und ihm versichern: Darauf können Sie sich verlas-
sen. Schon der Blick in den Koalitionsvertrag hilft; denn
dann werden Sie feststellen, dass wir eine ganze Reihe
von wichtigen Maßnahmen vereinbart haben, die in der
Tat noch umgesetzt werden müssen. Alle hier im Hohen
Hause wissen das. Deswegen braucht man das nicht be-
sonders zu betonen.

Gegenstand der heutigen Debatte ist der Antrag der
Fraktion Die Linke. Dazu möchte ich Folgendes sagen:
Es ist sicherlich gut, dass das Thema Prokon und die da-
mit zusammenhängenden Schwierigkeiten, die es nach
wie vor gibt, im Bundestag öffentlich debattiert werden.
Wenn man sich den Antrag durchliest, dann gewinnt
man aber schon den Eindruck, als hätten Sie unter dem
Stichwort „Anlegerschutz“ ein wenig gegoogelt, eine
Reihe von Stichwörtern gefunden und diese dann alle in
Ihrem Antrag untergebracht.


(Beifall der Abg. Mechthild Heil [CDU/CSU])


Ehrlich gesagt, habe ich nicht ganz verstanden, was die
Themen Deckung von Verbraucherkreditverträgen, Dis-
pozinsen, Vorfälligkeitsentschädigung und anderes mehr
mit dem Fall Prokon zu tun haben. Wir müssen bei unse-
rer Arbeit schon zielgerichteter vorgehen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ich brauche nicht zu betonen, dass ich die Einschät-
zung des Kollegen Schick zum Thema Finanz-TÜV
teile. Dieses Instrument ist zu unscharf. Wir müssen uns
auf Maßnahmen verständigen, die mehr leisten können.
Es kann auch nicht sein, dass die Verantwortung an





Dr. Carsten Sieling


(A) (C)



(D)(B)

staatliche Behörden delegiert wird. Das ist jedenfalls un-
sere Herangehensweise in dieser Angelegenheit.

Kollege Steffel hat sehr deutlich auf die Beschlüsse
und Verabredungen, die in der letzten Legislaturperiode
getroffen bzw. durchgesetzt wurden, hingewiesen. Sie
werden mir zugestehen, dass ich diesbezüglich naturge-
mäß nicht ganz so optimistisch bin. Wir brauchen das
aber nicht weiter zu vertiefen. Allein die Tatsache, dass
wir in unserem Koalitionsvertrag einige Maßnahmen zur
Regulierung des Anlegerschutzes und des Grauen Kapi-
talmarktes vereinbart haben, zeigt doch, dass wir noch
nicht so weit sind, alle Märkte, alle Akteure und alle
Produkte zu regulieren. Das ist die Aufgabe, vor der wir
jetzt stehen, und ich bin froh, dass wir das in dieser Gro-
ßen Koalition gemeinsam angehen werden.


(Beifall bei der SPD)


Es wurde behauptet, dass hier nur allgemein geredet
und lediglich Appelle formuliert werden. Nein, das ist
nicht der Fall. Werfen Sie einen Blick in den Koalitions-
vertrag. Ich will Ihnen drei Punkte nennen, die wir kon-
kret vereinbart haben.

Erstens – das ist neu – wird die BaFin künftig auch
für den Verbraucherschutz zuständig sein. Diese Maß-
nahme ist notwendig. Die BaFin wird sich quasi als öf-
fentliche Einrichtung darum kümmern und ihre Kompe-
tenzen, die sie in diesem Bereich hat, einsetzen; denn
Finanzmarktregulierung und Ordnung an den Finanz-
märkten bedeutet auch Schutz für die Verbraucherinnen
und Verbraucher in unserem Land.

Zweitens. Wir brauchen einen Finanzmarktwächter.
Das haben wir als Sozialdemokraten in der letzten Legis-
laturperiode mehrfach thematisiert. Ich bin froh, dass
dieser Aspekt im Koalitionsvertrag verankert wurde.
Kollege Steffel hat das eben positiv hervorgehoben. Der
Finanzmarktwächter dient als Frühwarnsystem für den
Markt. Dies wird weiterentwickelt werden müssen, da-
mit die Ungleichgewichte zwischen den Anbietern und
den Anlegern, den Verbraucherinnen und Verbrauchern,
behoben werden.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie mich
auch den dritten Punkt nennen. Wir haben im Koalitions-
vertrag vereinbart, dass besonders riskante und risikorei-
che Produkte verboten werden müssen und verboten
werden können.

Das sind die drei Schritte, mit denen diese Koalition
beim Verbraucherschutz vorangeht: BaFin als Aufsicht,
Marktwächter und Verbot von gefährlichen Produkten.
Kollege Schick, das sind mehr als Parolen. Das sind
klare Aufträge, an denen sich diese Koalition auch mes-
sen lassen wird.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)


Ich möchte zum Schluss noch den Fall Prokon an-
sprechen, weil das, glaube ich, ein ganz wichtiger Punkt
ist. Auch da finde ich, dass der Antrag die Gefahr be-
inhaltet, zu viele Erwartungen zu wecken. Der Fall Pro-
kon ist ja kein Thema des Grauen Kapitalmarktes im
engeren Sinne. Im Fall von Prokon – Frau Kollegin
Karawanskij hat das angesprochen – ist Anlegern mas-
senhaft Kapitalbeteiligung über sogenannte Genuss-
rechte verkauft worden. Das ist größtenteils über den Di-
rektvertrieb von Prokon geschehen. Hier geht es eher
nicht um die Frage der Aufsicht, nicht um den Grauen
Kapitalmarkt. Es wird vielmehr Aufgabe der Staats-
anwaltschaft sein, zu prüfen, ob hier nicht Schwarzer
Kapitalmarkt vorherrscht, ob hier nicht gegen Recht und
Gesetz verstoßen worden ist, ob hier nicht eine Straftat
vorliegt.

Prokon ist sicherlich ein richtiger Anstoß, um mehr zu
tun. Ich will zum Schluss sagen: Es steht unserer Koali-
tion gut an – ich bin sicher, dass wir da gemeinsam Seit’
an Seit’ stehen –, dass wir aktuelle Entwicklungen auf-
nehmen, um weiterzudenken und weiterzugehen. Natür-
lich müssen wir uns auch mit den Aufsichtsfragen
beschäftigen, beispielsweise mit der Tatsache der Zer-
splitterung der Aufsicht, zum einen gegenüber den Ban-
ken und zum anderen gegenüber den freien Vermittlern
und Beratern. Ich wäre froh, wenn wir zu dem zurückkä-
men, was Bundesminister Schäuble Anfang der letzten
Legislaturperiode einmal in einen ersten Gesetzentwurf
geschrieben hat. Ich glaube, wir haben da viel zu tun und
müssen etwas voranbringen.

Diese Koalition wird den Verbraucherschutz stärken.
Wir als SPD wollen die Rolle wahrnehmen, Motor für die
Rechte der Verbraucherinnen und Verbraucher zu sein.

Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1802012300

Herzlichen Dank. – Liebe Kolleginnen und Kollegen,

als Nächstes hören wir die Rede eines Kollegen, der
schon wichtige Reden im Europäischen Parlament und
im Bayerischen Landtag gehalten hat, heute aber seine
erste Rede im Deutschen Bundestag hält. Kollege
Radwan, Sie haben für die CDU/CSU-Fraktion das
Wort.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Alexander Radwan (CSU):
Rede ID: ID1802012400

Sehr geehrter Herr Präsident, besten Dank für die Ein-

führung! Es ist eine Premiere für mich, hier reden zu
dürfen, aber nicht, parlamentarisch reden zu dürfen, wie
Sie ja schon gesagt haben.

Die heutigen Themen sind Prokon und Grauer Kapi-
talmarkt. Ich wundere mich, warum man das Thema Pro-
kon als Beispiel dafür heranzieht. Herr Schick hat ja
bemerkenswerterweise den Prospekt angesprochen und
angeführt, was nicht drinstand. Vielleicht können wir
uns auch einmal darüber unterhalten, was drinstand.
Dann können wir nämlich feststellen, dass in diesem
Prospekt durchaus Risiken herausgearbeitet und darge-
stellt wurden,


(Dr. Gerhard Schick [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Konkret?)






Alexander Radwan


(A) (C)



(D)(B)

nämlich dass es keine Einlagensicherung gibt, dass es
keine Garantie auf Rückzahlung gibt. Darüber hinaus
müssen wir uns regelmäßig die Frage stellen: Können
Produkte, die eine gewisse Rendite versprechen, ohne
Weiteres als risikofrei eingestuft werden? Von daher:
Wenn wir das Thema Prokon aufgreifen, sollten wir uns
schon die Frage stellen, ob es das richtige Beispiel ist, ob
hier die Verbraucherschützer vielleicht sogar rechtzeitig
gewarnt haben und wie es dann beim Kunden entspre-
chend angekommen ist.

Zu den Vorschlägen, die jetzt gemacht wurden. Den
Finanz-TÜV haben meine Vorredner schon angespro-
chen. Sehen Sie es mir nach, wenn ich das jetzt ein biss-
chen salopp sage: Bei TÜV denke ich immer an Autos.
Es kommt mir jetzt vor, als bekomme jemand, der für
sein Auto das TÜV-Siegel bekommt, damit die Garantie,
die nächsten Jahre unfallfrei zu fahren.


(Dr. Axel Troost [DIE LINKE]: Sie sollten mal an Stecker denken!)


– Jetzt bleiben wir einmal beim Auto. Jetzt rede ich, und
dann können wir auch über Stecker reden. – Es ist schon
bemerkenswert. Es ist eine Momentaufnahme, und die
Welt ändert sich.


(Zuruf von der LINKEN: Nein!)


– Doch. Vielleicht nicht bei Ihnen, aber für den Rest der
Menschen ändert sie sich täglich. Vielleicht ist das das
Problem.


(Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Axel Troost [DIE LINKE]: Aber nicht bei neuen Steckern, die auf den Markt kommen!)


Von daher ist es schon spannend, zu wissen und nach-
zuvollziehen: Wie soll ein solcher TÜV eigentlich in lang-
fristiger Perspektive eine entsprechende Sicherheit brin-
gen? Herr Schick hat zu Recht – ausnahmsweise hatte er
recht; das hat mich irritiert – die Haftungsfrage ange-
sprochen: Was bedeutet es, wenn ich ein solches Güte-
siegel vergebe? Was bedeutet es, wenn es dann doch
schiefgeht?

Die Instrumente, die in dem Antrag vorgeschlagen
werden, sind aus meiner Sicht unbrauchbar, und auch
das Beispiel ist unbrauchbar. Im Koalitionsvertrag steht,
dass wir uns vorgenommen haben, entsprechende Maß-
nahmen zu ergreifen: Kein Produkt ohne Regulierung!
Da die Finanzmärkte keine starre Angelegenheit sind
– weiß, grau, schwarz –, müssen wir aber aufpassen,
dass durch unser Vorgehen in den Bereichen Banken,
Versicherungen und Aufsicht – in diesen Bereichen wa-
ren wir sowohl auf nationaler als auch auf internationaler
Ebene tätig – keine neuen Grauen Kapitalmärkte als
Ausweichmärkte entstehen. Wir müssen ganz gezielt sa-
gen: Die Produkte müssen transparent sein; sie müssen
nachvollziehbar sein.

Vorhin wurde gesagt, dass die frühere Verbraucher-
schutzministerin – sie war quasi meine Vorgängerin; das
haben Sie jetzt nicht gesagt, Herr Präsident – in diesem
Bereich des Verbraucherschutzes nichts gemacht hat.
Wenn ich mir anschaue, wie viele Dokumentations-
pflichten und Vorgaben für den Kapitalmarkt in den letz-
ten vier Jahren erlassen wurden, dann kann ich nicht sa-
gen, dass das nichts ist.


(Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Gerhard Schick [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber es wurde viel mehr angekündigt!)


Es wurde viel gemacht. Auf diesem Weg gehen wir jetzt
weiter.

Das Thema Marktwächter wurde bereits angespro-
chen, auch vom Koalitionspartner. Ich denke, dieses
Thema ist wichtig. Wir sollten darauf achten, dass die
Wächter eine gewisse Neutralität haben; sie sollten we-
der dem einen noch dem anderen Lager angehören. Wir
sollten sagen können: Sie sind verlässliche Partner.

In der nationalen Gesetzgebung wird etwas gesche-
hen. Nach der Wahl zum Europäischen Parlament, nach
Einsetzung der Europäischen Kommission wird es auch
auf europäischer Ebene ein entsprechendes Vorgehen ge-
ben. Die Vorgaben, die wir auf nationaler Ebene haben,
sind zusammen mit dem, was sich die Koalition vorge-
nommen hat, aus meiner Sicht umfassend.

Transparenz ist mir wichtig. Die Produkte dürfen
nicht nur etwas für akademische Fachkreise sein. Auch
der normale Bürger, der sich mit diesen Themen ausein-
andersetzt, muss nachvollziehen können, was er von die-
sem Produkt zu erwarten hat. Rückblickend auf meine
Tätigkeit im Bayerischen Landtag möchte ich in diesem
Zusammenhang Folgendes sagen: Mir ist die Bildung
wichtig. Wir müssen ein Bildungsniveau erreichen, das
den Umgang mit solchen Produkten ermöglicht.

Lassen Sie mich abschließend Folgendes sagen: Ich
glaube nicht, dass der Staat geeignet ist, letztendlich zu
entscheiden, welche Produkte richtig und welche falsch
sind. Der Verbraucher hat zu entscheiden, welches Pro-
dukt er möchte. Er braucht eine Auswahl. Sie wollen
ihm keine Auswahl geben. Sie wollen staatlicherseits be-
stimmen, was richtig für ihn ist. Wir wollen ihm die
Möglichkeit geben, ein Produkt zu wählen, das er nach-
vollziehen kann. Er soll sagen können: Ich gehe ein hö-
heres Risiko ein und erwarte dafür eine höhere Rendite.
Oder er soll sagen: Ich möchte ein geringeres Risiko.
Wir wollen das nicht von staatlicher Seite vorgeben. Wir
sind nicht die besseren Aufseher in diesem Bereich.


(Dr. Axel Troost [DIE LINKE]: Kennzeichnung! Das haben wir bei Lebensmitteln auch!)


Vor allen Dingen wollen wir dem Markt letztendlich
seine Entwicklungsmöglichkeiten lassen und ihn nicht
komplett abwürgen.

Besten Dank für die Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1802012500

Das ganze Haus gratuliert Ihnen, lieber Herr Kollege

Radwan, zu Ihrer ersten Rede hier im Deutschen Bun-
destag. Glückwunsch!


(Beifall)






Vizepräsident Peter Hintze


(A) (C)



(D)(B)

Wir haben einen weiteren Kollegen, der heute seine
erste Rede im Deutschen Bundestag hält. Ich erteile das
Wort zur ersten Rede hier Christian Petry von der SPD-
Fraktion. – Bitte schön, Herr Kollege.


(Beifall bei der SPD)



Christian Petry (SPD):
Rede ID: ID1802012600

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Wir reden heute aufgrund eines Antrags der Lin-
ken über den Grauen Kapitalmarkt. Warum sollen wir
darüber reden? Das ist natürlich eine Reaktion auf den
aktuellen Fall Prokon und eine Reaktion auf die Finanz-
krise der vergangenen Jahre; das ist doch klar. Alle
Märkte, alle Produkte, alle Akteure stehen unter Be-
obachtung und sollen stärker reguliert werden. In der
Hochphase der Finanzkrise haben dies sogar die Akteure
auf dem Finanzplatz gefordert. Jetzt sind sie wieder et-
was zurückhaltender. Vielleicht ist das berühmte Spiel-
kasino noch größer und noch offener, als es in der Hoch-
phase gewesen ist. Ob Wertpapiere, Anleihen, Derivate,
Geldmarkt- oder Investitionsfonds, ob Börsenhandel, au-
ßerbörslicher Handel oder Hochfrequenzhandel – alle
Produkte, alle Märkte, alle Akteure stehen auf dem Prüf-
stand. Wir wollen in all diesen Bereichen mehr Transpa-
renz, mehr Kontrolle, mehr Aufsicht, eine bessere Prü-
fung bei der Produktzulassung und mehr Stabilität der
Märkte.


(Beifall bei der SPD)


Ziel ist es, einen besseren Schutz der Anleger, einen
besseren Verbraucherschutz zu erreichen. Herr Kollege
Steffel, das hätte schon in der vergangenen Wahlperiode
umgesetzt werden können. Herr Sieling hat in der ver-
gangenen Wahlperiode oft genug darauf hingewiesen.
Wir haben jetzt einen Koalitionsvertrag, in dem wir dies
Gott sei Dank vereinbart haben. Ich denke, das ist auch
gut so. Wir müssen diese Vereinbarung zügig umsetzen.
Da sind Sie jetzt mit im Boot, und das ist schön so.

Herr Kollege Radwan, natürlich haben wir hier eine
stärkere Aufsichtsfunktion gefordert. Das, was Sie eben
vorgetragen haben, deckt sich aus meiner Sicht nicht
ganz mit dem, was im Koalitionsvertrag steht. Ich denke,
darauf sollten wir hinweisen. Wir wollen einen besseren
Anlegerschutz und einen besseren Verbraucherschutz.


(Beifall bei der SPD – Klaus-Peter Flosbach [CDU/CSU]: Wir auch! – Dr. Frank Steffel [CDU/CSU]: Das wollen wir alle!)


– Das glaube ich auf jeden Fall. Da bin ich mir sicher.
Deshalb haben wir auch einen gemeinsamen Koalitions-
vertrag.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Dr. Frank Steffel [CDU/CSU]: Wir haben es vier Jahre bewiesen!)


– Das glaube ich jetzt weniger. Aber das werden wir in
den nächsten Jahren sehen.

In diesem Zusammenhang kann ich Herrn Dr. Schick
beruhigen. Herr Dr. Schick, ich kann Ihnen garantieren:
Wir werden uns zügig um die Umsetzung des Koali-
tionsvertrages bemühen. Die Befürchtung, es werde wie-
der nicht viel passieren, teile ich nicht. Ich glaube, wir
sind hier auf einem guten Weg.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Der Antrag der Linken zum Grauen Kapitalmarkt
zielt natürlich auch in diese Richtung. Insoweit ist das
der Weg, den auch wir beschreiten wollen. Allerdings ist
der Antrag, wie Kollege Sieling gesagt hat, zu unscharf,
zu ungenau und nicht treffsicher. Der Vergleich mit der
Grubenlampe und den Scheinwerfern ist durchaus be-
rechtigt; diesen nehme ich gerne mit auf. Alle Geschäfte,
die vom geregelten Finanzmarkt noch nicht erfasst sind,
sollen betrachtet werden. Kritisiert werden die fehlende
Transparenz dieses Marktes und die daraus resultieren-
den Möglichkeiten des Missbrauchs und der Täuschung
sowie die Risiken für die Anleger. Natürlich ist hoher
Zins eine Folge von Risiko; das ist ja klar. Das lernt
man, glaube ich, schon im ersten Semester. Man lernt es
sogar in der Schule, wenn man dort aufpasst.


(Zuruf des Abg. Dr. Frank Steffel [CDU/ CSU])


– Ja, es haben auch nicht alle studiert. – Trotzdem ist es
unsere Aufgabe, den Verbraucher weitestgehend zu
schützen, Unseriösität abzuwenden und hier die entspre-
chenden rechtlichen Grundlagen für Kontrolle und Auf-
sicht zu schaffen, damit sich nicht jeder auf einem un-
kontrollierten Markt tummeln kann.


(Beifall bei der SPD)


Im Antrag wird der vermutete Schaden mit 50 bis
100 Milliarden Euro beziffert.

Ich begrüße die Forderung nach einem Prüfrecht,
nach einer Produktaufsicht, nach der Unterstellung des
Marktes unter die Finanzaufsicht statt wie bisher die Ge-
werbeaufsicht. Ich begrüße ebenso die Forderung, dass
provisionsbasierter Verkauf unterbunden werden soll
und dass künftig echte Marktwächter zur Transparenz
und Kontrolle beitragen sollen.

Frau Karawanskij, nicht erst seit Prokon behandeln
wir dieses Thema. Wir befassen uns damit schon seit der
Krise. Viele hier im Haus haben sich in der vergangenen
Wahlperiode dazu zu Wort gemeldet. Ich denke, darauf
sollte hingewiesen werden. Die SPD ist hier die trei-
bende Kraft.


(Beifall bei der SPD – Ralph Brinkhaus [CDU/ CSU]: Autosuggestion! – Weitere Zurufe von der CDU/CSU)


– An Ihrer Reaktion merke ich, liebe Kolleginnen und
Kollegen der CDU/CSU, dass ich damit richtig liege.
Danke für diese Reaktion.


(Beifall bei der SPD)


Ich unterstütze ausdrücklich die Vorstellung von Ver-
braucherminister Heiko Maas bei der Umsetzung der im
Koalitionsvertrag hierzu getroffenen Vereinbarung zur
Reform der Finanzmärkte, auch des Grauen Kapital-
markts. Er plant Aufsichtsbefugnisse auch in diesem





Christian Petry


(A) (C)



(D)(B)

Bereich durch die Bundesanstalt für Finanzdienstleis-
tungsaufsicht, die BaFin, und eine echte Marktwächter-
funktion durch Verbraucherschutzorganisationen. In die-
sem Zusammenhang befürworte ich persönlich auch die
Einführung eines Verbandsklagerechts. Viele dieser
Maßnahmen sind im Übrigen auch eine Umsetzung von
künftigem bzw. bestehendem europäischen Recht im
Finanzdienstleistungssektor. Deshalb müssen zum Bei-
spiel – darüber ist hier nicht diskutiert worden – auch die
Verjährungsfristen für diese Produkte angepasst werden.
Sie wissen, dass diese sehr kurz sind: drei Jahre, nach-
dem die Produkte auf dem Markt sind. Zehn Jahre – in
anderen Bereichen ist dies bereits geändert worden – wä-
ren angemessen. Ich freue mich, dass der Minister, der
aus dem Saarland stammt – auch ich komme von dort –
und den ich gerne unterstütze, Heiko Maas, dies auf-
greift und hier eine entsprechende Rechtsänderung auf
den Weg bringen will.


(Beifall bei der SPD)


Die Verbraucher müssen klar erkennen, auf was sie
sich einlassen. Die Aufsicht soll künftig durch die BaFin
erfolgen und nicht mehr durch andere. Die BaFin soll
nicht nur die Produkte überprüfen, sondern auch die Art
und Weise der Bewerbung und der Aufklärung über die
Risiken. Eine schärfere Prüfung bei der Zulassung neuer
Produkte und die Veränderung der Verjährungsfristen
sind hier notwendig und stehen auf der Tagesordnung.

Der Antrag der Linken geht in die richtige Richtung.
Er geht allerdings nicht weit genug.


(Dr. Frank Steffel [CDU/CSU]: Jetzt wird es drollig!)


Wir werden gemeinsam mit der Bundesregierung, mit
Minister Maas, eine Regulierung im Sinne eines echten
Verbraucherschutzes auf den Weg bringen, um nicht nur
am Grauen Kapitalmarkt Verbesserungen zu erreichen.


(Dr. Frank Steffel [CDU/CSU]: Wo ist denn Herr Maas?)


In der vergangenen Wahlperiode hat die SPD dies immer
gefordert. Es ist schön, dass Sie, die Kolleginnen und
Kollegen der CDU/CSU, jetzt mit im Boot sind; das
freut mich. Im Koalitionsvertrag haben wir eine Rege-
lung dazu vereinbart. Es freut mich, dass auch die Lin-
ken in diese Richtung gehen wollen. Lassen Sie uns die-
ses Gebiet und diesen Antrag in diesem Jahr gemeinsam
mit der notwendigen Gründlichkeit bearbeiten!

Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit. Glück auf!


(Beifall bei der SPD)



Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1802012700

Glückwunsch, lieber Herr Kollege Petry, zu Ihrer ers-

ten Rede! Wir wünschen Ihnen alles Gute für die parla-
mentarische Arbeit.


(Beifall)


Die liebevolle Bitte des Präsidiums lautet, in Zukunft
den Blick nicht nur auf das Manuskript, sondern auch
auf die Uhr zu richten. Wir haben Ihnen heute einen
Erstredezuschlag gegeben.

Die Kollegin Mechthild Heil, CDU/CSU-Fraktion,
hat als Letzte in dieser Debatte zum Grauen Kapital-
markt das Wort.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Mechthild Heil (CDU):
Rede ID: ID1802012800

Vielen Dank, Herr Präsident. – Liebe Kolleginnen

und Kollegen! Sehr verehrter Herr Präsident! Anders als
die Linken in ihrem Antrag behaupten, ist der Graue Ka-
pitalmarkt nicht unreguliert. Denn auch geschlossene
Fonds zum Beispiel sind ab Juli 2014 der Aufsicht unter-
worfen; dafür haben wir mit dem Kapitalanlagegesetzbuch
gesorgt. Aber Regulierung allein hilft den Verbrauchern
nicht. Eigenverantwortung ist auch hier – wie in jedem Be-
reich des Lebens – gefragt. Wir reden von erwachsenen,
selbstbestimmten Menschen. Sie behandeln alle Bürger in
Deutschland ohne Ausnahme wie kleine Kinder, denen
man das Leben in kleinen Häppchen servieren muss, da-
mit sie sich nicht verschlucken.

Natürlich kennt sich nicht jeder mit hochriskanten Fi-
nanzprodukten aus. Nicht jeder weiß, was ein Genuss-
schein ist und wie diese Anlage funktioniert. Das muss
er auch nicht. Aber das ist noch lange kein Grund, solche
Anlagen zu verbieten. Wenn allerdings jemand sein er-
spartes Geld in risikoreichen Produkten anlegt, zum Bei-
spiel in Genussscheinen, dann sollte er sich vorher natür-
lich informieren.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Da kann man keinen Verbraucher aus der Verantwortung
entlassen.

Alleingelassen wird der Verbraucher aber nicht, wie
Sie das in Ihrem Antrag an einer Stelle behaupten. Im-
merhin revidieren Sie diese von Ihnen getroffene Aus-
sage eine Zeile später schon wieder, indem Sie auf die
Verbraucherorganisationen hinweisen, die zum Beispiel
vor Prokon gewarnt haben. Ja, Verbraucherorganisatio-
nen haben immer wieder darauf hingewiesen, dass Ge-
nussscheine im Falle einer Insolvenz ungeschützt sind,
dass der Totalverlust des Geldes drohen kann. Die Stif-
tung Warentest – immerhin die Stiftung Warentest! – hat
Prokon deshalb schon im Jahr 2011 auf ihre Warnliste
„Geldanlageangebote“ gesetzt.

Zur Erinnerung, vielleicht auch für die SPD zur Erin-
nerung: Wir haben die Stiftung Warentest mit 2 Millio-
nen Euro zusätzlich ausgestattet. Wir haben im Koali-
tionsvertrag festgelegt, dass die Stiftung Warentest
weiterhin Geld bekommt. Wir haben also dafür gesorgt,
dass die Verbraucher besser unterstützt und vor unseriö-
sen Produkten gewarnt werden.

Sie, meine sehr verehrten Damen und Herren von der
Linken, fordern nun einen Finanz-TÜV. Wer soll denn
all die Finanzprodukte, die es auf dem Markt gibt, prü-
fen? Wer soll Hunderte, Tausende Finanzprodukte prü-
fen? Wie soll das seriös funktionieren? Wie sieht es am
Ende dann mit der Haftung aus? Ihre Antwort – klar –:
Die Verbraucherzentralen sollen prüfen. Die Verbrau-





Mechthild Heil


(A) (C)



(D)(B)

cherzentralen sind für Sie immer die Allzweckwaffe. Sie
sollen nicht nur prüfen; nein, sie sollen dann auch noch
die Seite wechseln und gleichzeitig beraten. Konflikte
sind damit vorprogrammiert.

Ihr Antrag zeigt, dass Sie die Struktur und die Kom-
plexität des Finanzmarktes vollkommen verkennen. Wie
immer denken Sie auch hier nur schwarz und weiß. Aber
Finanzprodukte kann man nicht einfach in gute und
schlechte einteilen.


(Ralph Brinkhaus [CDU/CSU]: So ist das!)


Es kommt immer auf den jeweiligen Anleger an. Es
kommt immer auf seine Risikofreudigkeit an. Es kommt
immer auf seine Kapitaldecke an. Es kommt immer auch
auf seine Lebenssituation an.

Als Verbraucherpolitikerin ist für mich nicht nur der
Geldbeutel der Menschen schützenswert, sondern für
mich sind die Entscheidungsfreiheit und die Selbstbe-
stimmung der Menschen genauso schützenswert. Dazu
gehört eben auch die Freiheit, in riskante Geldanlagen
investieren zu können. Wer hohe Renditen erwartet, geht
auch ein hohes Risiko ein. Auch das hat am ganz langen
Ende der Fall Prokon wohl gezeigt.

Wir haben im Koalitionsvertrag auch darauf hinge-
wiesen und uns darauf verständigt, dass der Verbrau-
cherschutz ein vorrangiges Ziel der Aufsichtstätigkeit
der BaFin werden soll. Auch für die Große Koalition ist
es ein vorrangiges Ziel, die Rechte der Verbraucher zu
stärken – aber eben nicht auf Kosten der Eigenverant-
wortung und nicht auf Kosten ihrer Wahlfreiheit. Wir
sind eben Christdemokraten. Wir sind keine Sozialisten,
die es weder mit der Wahlfreiheit noch mit der Eigenver-
antwortung jemals besonders ernst genommen haben.


(Beifall bei der CDU/CSU – Sabine Leidig [DIE LINKE]: Gut, dass Sie es noch mal gesagt haben!)


Unser Ziel ist es, für eine bessere Finanzkompetenz
bei den Verbrauchern zu sorgen. Wir können nicht alle
Gefahren der Welt wegregulieren. Aber wir können da-
für sorgen, dass die Verbraucher besser einschätzen kön-
nen, welche Produkte für sie infrage kommen und wel-
che nicht. Als Verbraucherschutzbeauftragte der CDU/
CSU-Bundestagsfraktion setze ich die Verbesserung der
Finanzkompetenz als vorrangiges Ziel auf meine Agenda
für diese Legislaturperiode.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Lothar Binding [Heidelberg] [SPD])



Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1802012900

Ich schließe die Aussprache.

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 18/769 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-
verstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung
so beschlossen.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 9 auf:

Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Ernährung und Land-
wirtschaft (10. Ausschuss) zu dem Antrag der
Abgeordneten Harald Ebner, Renate Künast,
Nicole Maisch, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

zu dem Vorschlag für eine Richtlinie des Eu-
ropäischen Parlaments und des Rates zur Än-
derung der Richtlinie 2001/110/EG des Rates
über Honig
KOM(2012) 530 endg.; Ratsdok. 13957/12
hier: Stellungnahme gegenüber der Bundes-
regierung gemäß Artikel 23 Absatz 3 des
Grundgesetzes
Wahlfreiheit für Verbraucherinnen und Ver-
braucher herstellen – Honig mit gentechnisch
veränderten Bestandteilen kennzeichnen
Drucksachen 18/578, 18/792

Über die Beschlussempfehlung werden wir später na-
mentlich abstimmen.

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich höre kei-
nen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.

Als erstem Redner erteile ich das Wort dem Kollegen
Kees de Vries, CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Kees de Vries (CDU):
Rede ID: ID1802013000

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine lieben Kollegin-

nen und Kollegen! Auf Antrag der Fraktion der Grünen
steht heute das Thema Honig auf der Tagesordnung, das
Naturprodukt Honig, wichtig für unsere Kulturland-
schaft und für unsere Landwirtschaft. Die Biene ist näm-
lich nach Rind und Schwein das drittwichtigste Nutztier
in unserer Volkswirtschaft. Durch ihre Bestäubungsar-
beit wird in der Landwirtschaft ein Wert geschaffen, der
den Erlös aus Wachs und Honig um das 10- bis 15-Fache
übersteigt. Landwirtschaft und Imkerei sind dadurch
aufs Engste miteinander verbunden.

Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, mit
ihrem Antrag deuten die Grünen an, Pollen nicht als na-
türlichen Bestandteil des Honigs zu sehen. Es gibt aber
mittlerweile eine Klarstellung durch das Europäische
Parlament, dass Pollen in der Tat ein natürlicher Be-
standteil des Honigs und nicht eine Zutat sind. In zwei
informellen Trilogen wurde über die offenen Fragen ver-
handelt, und es wurde eine Einigung erzielt. Sogar der
für den internationalen Handel bedeutsame Honig-Stan-
dard des Codex Alimentarius stuft Pollen als natürlichen
Bestandteil des Honigs ein. Damit ist, hoffe ich, diese
nur schwer nachvollziehbare Diskussion wohl beendet.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen, die
Transparenz durch Kennzeichnung von Lebensmitteln
und die Wahlfreiheit der Verbraucherinnen und Verbrau-
cher beim Einkauf von Lebensmitteln haben für uns als





Kees de Vries


(A) (C)



(D)(B)

CDU/CSU-Fraktion einen hohen Stellenwert. Daher be-
grüßen wir die europäische Vorgabe, alle GVO-verän-
derten Lebensmittel zu kennzeichnen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Alle Lebensmittel, die einen GVO-Gehalt von mehr als
0,9 Prozent aufweisen, werden somit gekennzeichnet.
Da der Pollengehalt von Honig maximal 0,01 bis
0,5 Gramm – im Normalfall ungefähr 0,03 Gramm – je
Kilogramm Honig beträgt, ist eine GVO-Kennzeichnung
ohnehin nicht erforderlich. Hinzu kommt: Bei Lebensmit-
teln, die mit dem Ohne-Gentechnik-Siegel gekennzeich-
net werden, liegt die Nachweisschwelle für zugelassene
gentechnisch veränderte Bestandteile bei 0,1 Prozent;
sogar diese Grenze wird von gentechnisch verändertem
Pollen im Honig nicht überschritten.

Aber nehmen wir einmal an, Pollen wäre eine Zutat;
dann müsste er ab einer Menge von circa 0,00027 Gramm
je Kilogramm Honig gekennzeichnet werden. Bei „Fair
Trade“- und Ökoprodukten liegt der Schwellenwert für
die Kennzeichnung bei 9 Gramm je Kilogramm. Der
Schwellenwert für Tofu aus Soja läge also 30 000-mal
höher. Außerdem würde ein technisch schwieriger und
finanziell aufwendiger Nachweis von Zutaten im Honig
erforderlich. Das würde zu einem einfach nicht mehr
vertretbar hohen bürokratischen Aufwand führen.

Mögliche Kennzeichnungspflichten wurden von den
betroffenen Handelspartnern bereits in den zuständigen
Ausschüssen der WTO als Handelshemmnis gerügt. Vor
diesem Hintergrund wäre bei Einführung einer Kenn-
zeichnung von gentechnisch verändertem Pollen im Ho-
nig mit einem WTO-Streitbeilegungsverfahren zu rech-
nen. Dies wäre – auch wegen der schon erwähnten
Regelung im Codex Alimentarius – für die EU und ihre
Mitgliedstaaten mit erheblichen Risiken behaftet.


(Zuruf von der CDU/CSU: Richtig!)


Es ist gut, dass das Honig-Urteil des Europäischen
Gerichtshofs, das zu großer Verwirrung und Unsicher-
heit geführt hat, vom EU-Parlament korrigiert wurde
und damit zumindest in diesem Punkt Sachlichkeit in
diese Diskussion gekommen ist. Mit der Entscheidung
von Parlament und Kommission haben wir endlich Klar-
heit über den rechtlichen Status von Pollen. Das ist
wichtig für die Imker, die durch die Diskussion einen
nicht unerheblichen Imageschaden haben, aber auch für
die Verbraucher, auf deren Rücken hier eine unnötige,
ideologische Debatte ausgetragen wird.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Ich kritisiere ausdrücklich den Versuch der Grünen,
mit dem von ihnen ins Spiel gebrachten Vorschlag die le-
bensmittelrechtliche Behandlung des Honigs zu ändern.
Das führt nicht zur notwendigen Versachlichung der Dis-
kussion, sondern wird nur zu weiterer Verunsicherung
und Ängsten bei den Bürgerinnen und Bürgern beitra-
gen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Ich frage mich: Ist das unseren Kolleginnen und Kolle-
gen von den Grünen nicht bewusst, oder ist es sogar ge-
wollt?

Vergessen wir nicht: Pollen aus GVO ohne EU-Zulas-
sung sind in Honig wie in allen anderen Lebensmitteln
weiterhin nicht zugelassen. Hier gilt weiterhin die Null-
toleranz. Damit ändert der Kommissionsvorschlag nicht
die Vorgabe der EU, dass in Honig nur gentechnisch ver-
änderte Pollen enthalten sein dürfen, die in der EU als
Lebensmittel zugelassen sind. Deren gesundheitliche
Unbedenklichkeit ist im Rahmen des EU-Zulassungsver-
fahrens seitens der Europäischen Behörde für Lebens-
mittelsicherheit, EFSA, auch für den Pollen in importier-
tem Honig bereits mehrfach nachgewiesen worden.

Aus den genannten Gründen ist der Antrag der Grü-
nen nicht zielführend und deshalb einfach abzulehnen.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1802013100

Als Nächster erteile ich das Wort der Kollegin Frau

Dr. Kirsten Tackmann, Fraktion Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. Kirsten Tackmann (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1802013200

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Liebe Gäste! Ich würde ja gern einmal auf der
Besuchertribüne eine Umfrage machen: Wollen Sie Ho-
nig essen, in dem Gentechpollen enthalten sind, ohne
dass Sie das wissen, weil es nämlich nicht auf dem Eti-
kett steht?


(Max Straubinger [CDU/CSU]: So ein Unsinn! – Johannes Röring [CDU/CSU]: So ein Schmarrn!)


Ich bin mir ziemlich sicher, dass die Mehrheit das, völlig
zu Recht, nicht will.


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Nach den Änderungsvorschlägen der EU-Kommission
zur Honigrichtlinie müsste Gentechnikhonig aber nicht
gekennzeichnet werden.

Die Linke lehnt das ab. Wir folgen hier dem Europäi-
schen Gerichtshof. Nach einem Urteil von 2011 haben
Verbraucherinnen und Verbraucher das Recht auf Kenn-
zeichnung von Honig mit Gentechpollen.

Aus meiner Sicht könnte ich meine Rede jetzt eigent-
lich beenden. Aber ich mache die Erfahrung, dass viele
Menschen gar nicht verstehen, worum es bei diesem
Streit überhaupt geht. Deswegen möchte ich einmal ver-
suchen, das zu erklären; denn die Kennzeichnungsregeln
für Agrogentechnik sind ziemlich kompliziert, oder
– besser gesagt – sie sind kompliziert gemacht worden.

Bei nicht zugelassenen Gentechpflanzen ist es noch
leicht; denn die dürfen in Lebensmitteln nicht vorhanden
sein. Hier gilt die Nulltoleranz. Lebensmittel von Tieren,





Dr. Kirsten Tackmann


(A) (C)



(D)(B)

die mit Gentechnikpflanzen gefüttert wurden, müssen
nicht gekennzeichnet werden. Aber man kann freiwillig
das Label „Ohne Gentechnik“ aufdrucken, wenn die
Tiere gentechnikfrei gefüttert wurden. Bei einer Verun-
reinigung durch zugelassene Gentechpflanzen wiederum
müssen Lebensmittel gekennzeichnet werden, es sei
denn, sie liegt unter 0,9 Prozent, ist zufällig oder tech-
nisch unvermeidbar. Dann muss das Lebensmittel nicht
gekennzeichnet werden.

Haben alle mitgekriegt, worum es hier geht?


(Zurufe von der LINKEN: Ja!)


Vermutlich haben es nicht alle verstanden. Warum ist die
Kennzeichnung eigentlich nicht einfach und verständlich
geregelt? Ich finde, wo Agrogentechnik drin ist, muss es
auch draufstehen.


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Dann klappt es nämlich auch mit der Wahlfreiheit ganz
gut.

Doch so viel Transparenz will die EU nicht, weil dann
klar wäre, dass in vielen Lebensmitteln ungewollt Agro-
gentechnik drin ist. Verunreinigungen sind nämlich
an der Tagesordnung. Die Koexistenz zwischen Agro-
gentechnik und gentechnikfreier Landwirtschaft hat sich
doch längst als Märchen entlarvt. Bei Ernte, Transport,
Lagerung, Verarbeitung und Handel sind Verunreinigun-
gen nicht oder nur mit einem hohen Kostenaufwand zu
vermeiden. Um das nicht kennzeichnen zu müssen, hat
man die 0,9-Prozent-Grenze erfunden. Deshalb muss
man eigentlich entscheiden: Will man eine Gentechnik
oder eine Kennzeichnung, die Monsanto-freundlich ist,
oder will man eine, die im Interesse der Verbraucherin-
nen und Verbraucher ist?


(Zuruf von der CDU/CSU: Mein Gott!)


Die wollen nämlich zu 80 Prozent keine Lebensmittel
aus Agrogentechnik. Das heißt, sie wollen Lebensmittel,
die nicht mit Agrogentechnik hergestellt wurden.

Deshalb sagt die Linke ganz klar: Wir wollen eine
Kennzeichnung im Interesse der Verbraucherinnen und
Verbraucher, im Interesse der gentechnikfreien Land-
wirtschaft und Lebensmittelwirtschaft sowie im Inte-
resse der Imkerinnen und Imker.


(Beifall bei der LINKEN – Norbert Schindler [CDU/CSU]: Insulin verbieten!)


– Insulin ist aber Rote Gentechnik. Da haben Sie etwas
verwechselt.

Beim Honig ist die Kennzeichnungsfrage noch kom-
plizierter. Dabei geht es nämlich um den Pollen in dem
Honig. Stammen Pollen aus Gentechpflanzen ohne
Lebensmittelkennzeichnung, muss der Honig als Son-
dermüll entsorgt werden.


(Norbert Schindler [CDU/CSU]: Mit oder ohne Insulin?)


Bei Pollen von Gentechnikpflanzen mit Lebensmittelzu-
lassung zieht wiederum die 0,9-Prozent-Grenze nicht,
weil Honig nämlich nur bis zu 0,5 Prozent Pollen ent-
hält, also unter 0,9 Prozent.


(Norbert Schindler [CDU/CSU]: Mit Insulin!)


Bei dieser Regelung müsste also der Honig nicht ge-
kennzeichnet werden, es sei denn, Pollen würde als Zutat
bezeichnet oder die Beimengung von Pollen wäre nicht
zufällig oder technisch unvermeidbar – noch einmal: der
Pollen wird durch die Bienen eingetragen – oder der
Pollengehalt würde im Verhältnis von Gentechpollen zu
natürlichem Pollen berechnet oder – noch strenger –
Gentechpollen würde auf den Maispollen bezogen. In all
diesen Fällen müsste Honig dann doch gekennzeichnet
werden, sagen manche Juristinnen und Juristen.

Alles klar? Wenn nicht, dann liegt es ganz bestimmt
nicht an Ihnen; denn so etwas ist nicht verständlich.


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Deshalb hilft eigentlich nur ein klarer Rechtsgrund-
satz: Im Zweifel für Verbraucherinnen und Verbraucher
und für die Imkerei. Die Linke fordert deshalb klipp und
klar: Wenn Gentechpollen im Honig drin sind, muss es
auch draufstehen.


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Von den juristischen Debattierklubs erwarte ich kon-
struktive Vorschläge, wie man dieses Ziel erreicht, und
keine juristischen Winkelzüge, um es zu verhindern.

Dem Antrag der Grünen stimmen wir deswegen zu.

Vielen Dank.


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1802013300

Als Nächstem erteile ich das Wort dem Kollegen

Dr. Matthias Miersch, SPD-Fraktion.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Matthias Miersch (SPD):
Rede ID: ID1802013400

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Um

es gleich vorwegzusagen: Für die SPD-Fraktion steht
fest, dass Wahlfreiheit im Bereich der Gentechnologie
ein ganz entscheidender Grundsatz für Verbraucherinnen
und Verbraucher ist.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Zur Wahlfreiheit gehört auch, dass man Kennzeich-
nungspflichten hat, die für Verbraucherinnen und Ver-
braucher nachvollziehbar sind. Insofern freue ich mich,
dass es gelungen ist, in diesen Koalitionsvertrag hinein-
zuschreiben, dass wir darin einig sind, dass die Bundes-
regierung auf europäischer Ebene für die Kennzeich-
nungspflicht von Tieren, die mit Gentechnikpflanzen
gefüttert worden sind, votieren soll. Das ist ein eindeuti-
ger Fortschritt, liebe Kolleginnen und Kollegen.





Dr. Matthias Miersch


(A) (C)



(D)(B)


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Harald Ebner [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Dann stimmt für unseren Antrag!)


Beim Thema Honig – das gehört auch offen gesagt –
ist dies aber komplizierter. Ausgehend von einer Ent-
scheidung des Europäischen Gerichtshofs haben wir in
den letzten zwei Jahren auf vielen politischen Ebenen
intensiv darüber diskutiert. Herr Kollege de Vries, Sie
sagen, es gibt nur eine Richtung. Es gibt aber auch noch
eine andere. Die andere hat sich aus einer Grundsatzent-
scheidung des Europäischen Gerichtshofs ergeben.

Ich sage auch hier ganz klipp und klar: Die Sozialde-
mokratie hat nicht nur auf nationaler Ebene – nicht nur
im Bundesrat und teilweise sogar zusammen mit der
CSU –, sondern vor allen Dingen auch im Europäischen
Parlament für eine Kennzeichnungspflicht im Sinne der
Grundsatzentscheidung des Europäischen Gerichtshofs
votiert, und das ist nach wie vor auch richtig.


(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Herr Ebner, jetzt komme ich dazu, was Ihr Antrag be-
inhaltet. Ich kann nur sagen: Ich kann von einer Bundes-
regierung nichts verlangen, was sie nicht erfüllen kann.
Nach dieser langen Zeit haben wir auf der europäischen
Ebene ein sogenanntes Trilogverfahren durchgeführt.
Das ist so etwas wie das Vermittlungsverfahren zwi-
schen dem Bundestag und dem Bundesrat, das wir alle
kennen. Dieses Verfahren ist abgeschlossen, und es gibt
den Brauch, dass dieses Verfahren auch nicht wieder er-
öffnet werden kann. Das gab es in der europäischen Ge-
schichte noch nie. Insofern können wir dem Willen der
Grünen an dieser Stelle nicht entsprechen, weil wir hier
schlichtweg zur Kenntnis nehmen müssen, dass auf eu-
ropäischer Ebene jedenfalls derzeit die Messe gesungen
ist. Es gehört zur Ehrlichkeit dazu, zu sagen, dass dieses
Thema auf europäischer Ebene im Augenblick nicht zu
bewegen ist.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Waltraud Wolff [Wolmirstedt] [SPD]: Und die Grünen wissen das!)


Jetzt kann man natürlich Anträge stellen und eine na-
mentliche Abstimmung fordern; das wissen wir alle, die
wir schon mal in der Opposition waren, Herr Ebner. Als
Nächstes wird es dann Musterpresseerklärungen in den
Wahlkreisen geben, in denen man sagt, der und der sei
unglaubwürdig.


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das macht ihr ja nicht!)


– Lassen Sie mir zumindest die Möglichkeit, Ihnen einen
Vorschlag zu machen.

Ich sage, wir sollten uns in diesem Parlament die
Frage stellen, wie wir in der Sache weiterkommen. Wir
müssen hier in vier Bereichen eine Einigung erzielen:

Erstens. Ich habe das schon vor wenigen Wochen
gesagt: Wir haben hier in diesem Haus und auch in den
Koalitionsfraktionen offenkundig einen Dissens, wenn
es um das Thema Grüne Gentechnik geht. Die CSU- und
die SPD-Minister haben zum Beispiel eindeutig gegen
die Zulassung votiert, die CDU dafür. Ich glaube, dass
wir das ernst nehmen müssen, was wir in den Koalitions-
vertrag geschrieben haben, nämlich dass wir die Zweifel
der Bevölkerung in Sachen Grüne Gentechnik anerken-
nen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU,
ich sage auch ganz offen: Wir müssen darum ringen, was
das bedeutet. Aus meiner Sicht kann das nicht bedeuten,
dass wir uns in Brüssel bei der Abstimmung über eine so
zentrale Frage wie die Zulassung enthalten.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Deswegen erwarten wir, dass wir, wie wir das im Koali-
tionsvertrag auch vereinbart haben, in den nächsten
Wochen im Einvernehmen miteinander klären, was zu-
künftig geschieht, wenn die Bundesregierung nicht
sprechfähig ist, weil sie widerstreitende Interessen hat.

Zweitens. Ich erwarte eine Diskussion darüber, ob es
Sinn macht, eine sogenannte Opt-out-Klausel einzufüh-
ren, wonach einzelne Mitgliedstaaten, obwohl die Zulas-
sung erfolgt ist, davon absehen können. Im Bundesrat
und bei der CSU gibt es tolle Bewegungen dazu, und wie
ich jetzt gehört habe, bewegt sich auch die CDU in
Baden-Württemberg, Herr Strobl, sodass der Kurs der
Sozialdemokratie hier möglicherweise übernommen
werden kann.


(Beifall bei der SPD)


Ich werbe dafür, dass wir offen darüber reden – im Übri-
gen auch mit der Opposition.

Drittens. Wir müssen schnell das umsetzen, was wir
im Koalitionsvertrag hinsichtlich der Kennzeichnungs-
pflicht vereinbart haben, nämlich dass tierische Produkte
gekennzeichnet werden müssen, wenn die Tiere mit
GVO gefüttert wurden. Dafür müssen wir uns auf euro-
päischer Ebene einsetzen.


(Beifall bei der SPD)


Viertens. Schließlich geht es um den Honig, über den
wir hier diskutieren. Herr Ebner, ich glaube, es passiert
nichts, ob der Antrag durchgeht oder nicht. Wir müssen
in Brüssel dicke Bretter bohren und uns vor allen Dingen
die Frage stellen, was wir hier im Parlament tun können.
Auch dazu mache ich Ihnen einen Vorschlag.


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie hören schon auf, zu kämpfen, bevor es losgeht!)


– Nein. Ich nehme zur Kenntnis, wie im Moment der
Sachstand ist, Herr Krischer; das wissen Sie so gut wie
ich. Frau Künast musste schon vor längerer Zeit, also vor
uns, die Erfahrung machen, dass in Brüssel bestimmte
Geschichten so sind, wie sie eben sind, und dass man da
nicht eingreifen kann. Aber ich lade Sie ein, zu überle-





Dr. Matthias Miersch


(A) (C)



(D)(B)

gen, wie wir die Imker national durch Regelungen schüt-
zen können.

Diese vier Bereiche, Zulassung, Opt-out, Kennzeich-
nung, Fleisch und Imkerei, möchte ich in diesem Parla-
ment offen diskutieren. Ich glaube, wir haben dafür eine
Grundlage, indem wir im Koalitionsvertrag festgehalten
haben, dass die Skepsis der Bevölkerung anerkannt wird.
Diese Debatte fordern wir ein. Ich denke, wir werden sie
in den nächsten Wochen gemeinsam mit der CDU/CSU
und der Opposition führen. Dazu meine Einladung.

Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1802013500

Als Nächstem erteile ich das Wort dem Kollegen

Harald Ebner, Bündnis 90/Die Grünen.


(Norbert Schindler [CDU/CSU]: Jetzt kommt der Untergang des Abendlandes!)



Harald Ebner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1802013600

Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Kolleginnen und

Kollegen! Kürzlich hat die Große Koalition gegen die
hier schon zitierten Regelungen im Koalitionsvertrag,
haben vor allem SPD und CSU gegen ihre eigenen
Programme gestimmt und einem weiteren Anbau von
gentechnisch veränderten Pflanzen Tür und Tor geöffnet.


(Norbert Schindler [CDU/CSU]: Wo? – FranzJosef Holzenkamp [CDU/CSU]: Dummes Zeug!)


Viele von Ihnen haben dann in den Wahlkreisen beteuert,
sie seien selbstverständlich weiterhin gegen Gentechnik,
obwohl sie gerade dafür gestimmt hatten. Jetzt wollen
Sie die gleiche Nummer ein zweites Mal durchziehen?


(Gitta Connemann [CDU/CSU]: Eigentlich weißt du das besser!)


Eigentlich – jetzt komme ich auf das zurück, was
Renate Künast erreicht hat – könnten wir dieser Tage ein
schönes zehnjähriges Jubiläum feiern. Im April 2004 trat
die Kennzeichnungsverordnung der EU für gentechnisch
veränderte Lebensmittel in Kraft. Erst seitdem haben wir
die Möglichkeit, Lebensmittel mit Zutaten aus gentech-
nisch veränderten Organismen überhaupt zu erkennen.


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wer war denn dagegen?)


Diese Kennzeichnungspflicht für Gentechprodukte ist
die Grundlage jeder Wahlfreiheit beim Essen. Seither
stehen sie auch nicht mehr in unseren Regalen, und das
ist gut so.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Gitta Connemann [CDU/CSU]: 80 Prozent der Lebensmittel sind mit GVO in Berührung gekommen!)


Was passiert denn heute? Zehn Jahre später wirkt die
Bundesregierung in Brüssel aktiv daran mit, diese Trans-
parenzregelung auszuhebeln. Auf solche Festreden kann
die Jubilarin ganz gut verzichten.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wie auch beim Genmais 1507 liegt leider auch hier der
Verdacht nahe – der Kollege de Vries hat es schon bestä-
tigt –, dass hier ein weiteres Stück Verbraucherschutz als
Handelshemmnis für die Verhandlungen über das Frei-
handelsabkommen mit den USA aus dem Weg geräumt
werden soll. Ich sage Ihnen: Verbraucherinnen und Ver-
braucher und ihr Recht auf Information sind eben keine
Handelshemmnisse.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Hinter der laufenden Änderung dieser EU-Honig-
richtlinie steckt nichts anderes als das Ziel, die Kenn-
zeichnung von Honig mit Pollen gentechnisch veränder-
ter Pflanzen grundsätzlich zu verhindern und damit
– auch Kollege de Vries hat es schon bestätigt – das
sogenannte Honigurteil des EuGH zu unterlaufen oder
zu korrigieren. Sie unterstützen das. Damit beschneiden
Sie die Freiheit der Menschen beim Einkauf, Honig ohne
Gentechnik auswählen zu können.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Damit schränken Kanzlerin Merkel und ihre Koalition
die Wahlfreiheit der Verbraucherinnen und Verbraucher
und die Lebensmittelkennzeichnungspflicht deutlich ein.
Gegen Ihre Transparenz ist die Stahltür von Fort Knox
eine Milchglasscheibe.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Verbraucherinnen und Verbraucher haben aber einen
Anspruch auf Transparenz. Wir teilen deshalb das in Ih-
rem Koalitionsvertrag, Herr Miersch, verankerte Ziel,
auch eine Kennzeichnung tierischer Produkte zu errei-
chen, die mit Genfuttermitteln erzeugt wurden. Doch Sie
machen jetzt das genaue Gegenteil dessen. Sie sorgen
nicht für mehr, sondern für weniger Kennzeichnung bei
tierischen Produkten; denn Pollen gentechnisch verän-
derter Pflanzen gelangt eben in unveränderter Form in
den Bienenstock und in den Honig mit dem kompletten
Erbgut, inklusive aller Veränderungen, die man vorge-
nommen hat. Damit ist dieser Honig Genfood.

Da kommen Sie und wollen den Menschen im Land
weismachen, Gentechpollen sei, Herr Kollege, „ein
natürlicher Bestandteil“ von Honig. Solches Gen-
techerbgut ist ausnahmslos patentiert. Wir sagen: Eine
patentierte Erfindung kann nie und nimmer ein natürli-
cher Bestandteil eines Lebensmittels sein.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Da wird gern abgewiegelt und erklärt, der Pollenan-
teil im Honig sei sehr gering. Wenn aber die Menschen
keine Gentechnik in ihrem Essen haben wollen, dann ist
das ihr gutes Recht. Und Ihre Pflicht als Bundesregie-
rung ist es, durch eine klare Kennzeichnungsregelung
echte Wahlfreiheit zu ermöglichen.


(Dieter Stier [CDU/CSU]: Nicht alle Menschen sehen das so wie Sie!)






Harald Ebner


(A) (C)



(D)(B)

Aber was tun Sie? Sie befürworten deren Einschrän-
kung, Frau Connemann. Wir wollen jedenfalls nicht,
dass Rapshonig, der vollständig von Gentechpflanzen
stammt, ohne jede Kennzeichnung im Regal steht. Das
geht nicht.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Aber das wird die Folge sein.

Es wird gesagt, die Messe sei gesungen. Denen, die
das erzählen, sage ich: Das stimmt doch gar nicht. Wo
waren Sie denn bisher? Wo war die Stimme der CSU,


(Gitta Connemann [CDU/CSU]: Gentechnikgesetz!)


wo war die Stimme der SPD gegen die Gentechnik und
für die Wahlfreiheit der Menschen?

Sie handeln zum wiederholten Mal in Brüssel glasklar
gegen die Interessen der Menschen, gegen die Wahlfrei-
heit beim Essen


(Waltraud Wolff [Wolmirstedt] [SPD]: In welcher Welt leben Sie denn eigentlich?)


und auch gegen Ihren eigenen Koalitionsvertrag,


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


und dann haben Sie die Stirn, uns vorzuhalten, es sei zu
spät. Das finde ich unerträglich.

Dieser Honig ist noch lange nicht gelöffelt. Denn Tri-
log hin oder her: Der Rat muss erst noch darüber abstim-
men. Dass es unüblich ist, dass man dann gegen das bis-
herige Abstimmungsverhalten handelt, mag sein. Aber
der Rat muss abstimmen. Deshalb kommt unser Antrag
zur richtigen Zeit.


(Waltraud Wolff [Wolmirstedt] [SPD]: Wer hat denn zugestimmt?)


Ich appelliere an Sie: Denken Sie jetzt gleich bei der
Abstimmung an die Menschen in diesem Land! Denken
Sie an ihre Wahlfreiheit! Tauschen Sie Ihr Stimmkärt-
chen noch einmal um! Stimmen Sie mit unserem Antrag
für die Wahlfreiheit auch beim Honig!


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1802013700

Als Nächstem erteile ich das Wort dem Kollegen

Alois Rainer, CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Alois Rainer (CSU):
Rede ID: ID1802013800

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr verehrter
Herr Kollege Ebner, ich verkneife es mir, auf Ihre Aus-
führungen näher einzugehen. Dann würde meine Rede-
zeit nicht reichen; denn ich könnte einiges zum Thema
Lebensmittel und Gentechnik sagen und sofort widerle-
gen, was Sie gesagt haben. Davon stimmt fast gar nichts.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Bei der Abstimmung vor einigen Wochen ging es um
einen Schaufensterantrag wie heute auch.


(Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein! Es geht um Wahlfreiheit!)


Aber heute bleibe ich bei der Sache.


(Max Straubinger [CDU/CSU]: Du bist immer bei der Sache!)


– Ja, ich bleibe bei der Sache.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich will es
klar an den Anfang stellen: Das Wohl der Menschen in
unserem Land liegt uns in jeder Hinsicht ganz besonders
am Herzen. Wir nehmen die Sorgen und Ängste der
Menschen sehr ernst. Das gilt auch für die Bewertung al-
ler modernen Technologien.

Oberstes Prinzip bei der Anwendung ist und bleibt die
Sicherheit von Mensch, Tier und natürlich auch der Um-
welt.


(Zuruf von der CDU/CSU: Sehr richtig!)


Damit es genau in diesem Verhältnis bestehen bleibt,
setze ich mich nach wie vor für eine vernünftige und,
meine lieben Kolleginnen und Kollegen der Opposi-
tionsfraktionen, realistische Kennzeichnung ein.

Das Europäische Parlament – das wurde schon gesagt –
hat am 15. Januar 2014 klargestellt, dass Pollen ein na-
türlicher Bestandteil und keine Zutat von Honig ist. Das
war eine Reaktion auf ein Urteil des Europäischen Ge-
richtshofs, wonach Pollen als Zutat von Honig hätte ge-
kennzeichnet werden müssen. Aus eigener Erfahrung
habe ich die Transparenz in der Kennzeichnung von Le-
bensmitteln und die Wahlfreiheit der Verbraucherinnen
und Verbraucher beim Einkauf von Lebensmitteln schät-
zen gelernt.

Es ist gut und richtig, dass Lebensmittel, die gentech-
nisch veränderte Zutaten enthalten, entsprechend ge-
kennzeichnet werden müssen. Aber schon jetzt gilt: Ent-
hält importierter Honig gentechnisch veränderten Pollen,
der in der EU nicht als Lebensmittel zugelassen ist, ist
der Honig gar nicht erst verkehrsfähig. Eines muss man
klar sagen: Unser regional produzierter Honig ist ein rei-
nes Naturprodukt.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Harald Ebner [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Bis jetzt schon noch! – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann kann man auch kennzeichnen!)


– Jetzt schon noch. Wenn wir die Opt-out-Regelung zie-
hen, wird es auch in Zukunft so sein.


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Verhindern Sie das mal in Brüssel!)


Das werden wir sehen. Warten wir es ab!


(Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das hält nicht dauerhaft!)


Es ist festgelegt, dass eine Zutat ein Stoff ist, der ei-
nem Lebensmittel absichtlich hinzugefügt wird. Darüber





Alois Rainer


(A) (C)



(D)(B)

hinaus sind Pollen ein unvermeidbarer natürlicher Be-
standteil des Honigs. Das Vorhandensein des Pollens im
Honig ist zufällig und technisch nicht vermeidbar, weil
die Bienen von Natur aus Nektar, Honigtau und Pollen
sammeln und dieser Vorgang vom Imker nicht wie bei
einer Zutat beeinflusst werden kann. Der Anteil der Pol-
len im Honig liegt im Normalfall bei 0,003 Prozent.


(Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das hat der Kollege schon gesagt!)


– Stimmt, aber ich wiederhole das gerne, damit Sie sich
das merken, Herr Kollege.


(Beifall bei der CDU/CSU – Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich dachte, wir machen hier Politik!)


– Sie waren vorhin genauso sarkastisch.

Der Anteil gentechnisch veränderter Pollen liegt ge-
wöhnlich deutlich unter diesem Prozentwert, wie Sie alle
wissen. Deshalb kann man nicht davon ausgehen, dass
die Bienen nur gentechnisch veränderte Pollen sammeln.


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was ist das für eine Argumentation!)


Der gültige, für die Kennzeichnung maßgebliche
Schwellenwert für gentechnisch veränderte Organismen
in Lebensmitteln liegt – das haben wir bereits gehört –
bei 0,9 Prozent. Ich wiederhole gerne, was vorhin gesagt
wurde: Die Nachweisgrenze für zugelassene gentech-
nisch veränderte Bestandteile von Lebensmitteln liegt
bei 0,1 Prozent. Das gilt auch für das Siegel „Ohne Gen-
technik“ oder für das Fair-Trade-Siegel. Eine Pflicht zur
Kennzeichnung des Honigs ist in der Praxis auch nicht
umsetzbar, da es wegen der extrem geringen Mengen an
möglichen gentechnisch veränderten Pollen im Honig
derzeit keine zuverlässigen Analysemethoden für die
Quantifizierung gibt. Ähnlich schwierig wäre es, ein Zu-
ckerstück im Bodensee zu finden.


(Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber das geht sehr gut!)


Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, viel-
leicht erinnern Sie sich: Im November 2002 war es die
damalige Ministerin Renate Künast, die dem Schwellen-
wert von 0,9 Prozent zugestimmt hat.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Harald Ebner [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN] Nehmen Sie zur Kenntnis, dass Honig etwas anderes ist!)


– Sie sind vorhin auch ausgewichen.

Der Anteil des Importhonigs liegt in Deutschland bei
70 bis 75 Prozent. Das heißt, 25 bis 30 Prozent werden
national hergestellt. Durch eine zusätzliche Kennzeich-
nungspflicht würden neue und hohe Analysekosten so-
wie bürokratische Kontrollaufwendungen auf unsere Im-
ker zukommen. Gerade deshalb bin ich mir sicher, dass
eine Ausweitung der Kennzeichnung viele kleine und
mittlere Imkereien belasten wird. Zumindest da könnten
wir uns einig sein. Wir alle wollen doch, dass die Imker
nicht zusätzlich belastet werden.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Denn gerade das sollte bei einem Anteil des nationalen
Honigs von 25 bis 30 Prozent in Deutschland dringend
vermieden werden.

Bei allem Verständnis für größtmögliche Transparenz
ist es in diesem Fall aus den vorgenannten Gründen zur-
zeit nicht sinnvoll und auch nicht notwendig, eine Ände-
rung der EU-Honigrichtlinie durchzuführen. Dies würde
vor allem dem Verbraucher keinen weiteren Nutzen brin-
gen, sondern lediglich unnötige Zusatzkosten und büro-
kratische Mehraufwendungen für die Imker bedeuten.

Im Hinblick auf die besondere Situation sollten wir
dringend über eine Zutatenliste diskutieren. Wir müssen
uns in Zukunft diesem Thema widmen. Nehmen wir die
Emotionen heraus, und treffen wir uns mit Interessen-
vertretern der Imker und den Verbraucherschützern!


(Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jawohl! Die werden Ihnen was erzählen!)


Machen wir ein tragfähiges Konzept für alle!


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Mir persönlich ist es sehr wichtig, dass wir über diese
Themen sachlich und fachlich diskutieren und nicht den
Konsumenten im Zuge von Informationsdefiziten oder
Irritationen verunsichern und unnötige Ängste schü-
ren.Wir müssen den Verbrauchern sagen: Kauft deut-
schen Honig! – Dann haben sie mit Sicherheit jetzt noch
gentechnikfreien Honig.


(Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Noch bekommen! Ich betone: noch! – Gegenruf des Abg. Max Straubinger [CDU/ CSU]: Noch und weiterhin!)


– Noch und weiterhin.

Danke schön.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1802013900

Herzlichen Dank. – Als letzter Rednerin zum Thema

Honig, aber zur ersten Rede in ihrem parlamentarischen
Leben im Deutschen Bundestag gebe ich das Wort Kol-
legin Rita Hagl-Kehl.


(Beifall bei der SPD)



Rita Hagl-Kehl (SPD):
Rede ID: ID1802014000

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Lassen Sie mich auch die Gäste und Bürgerin-
nen und Bürger auf den Zuschauertribünen des Deut-
schen Bundestages begrüßen; denn Transparenz ist die
Idee, die hinter der Architektur dieses Hauses steht. Die
Transparenz von Vorgängen und Prozessen, letztlich die
Transparenz von Politik ist die Voraussetzung für demo-
kratisches Handeln. Nicht nur frei entscheiden zu dürfen,
sondern auch frei entscheiden zu können, muss das Ziel
sein.

Heute sprechen wir über Honig und die Änderung der
Honigrichtlinie der Europäischen Union. Seit Men-





Rita Hagl-Kehl


(A) (C)



(D)(B)

schengedenken gehört Honig zu unseren Grundnah-
rungsmitteln. Die älteste bekannte Darstellung von Bie-
nen ist eine etwa 8 000 Jahre alte Höhlenmalerei in
Ostspanien, die einen Honigsammler bei der Ernte zeigt.
Bereits die alten Ägypter kannten den Zusammenhang
zwischen Bienen und Bestäubung.

Zwei Drittel der Verbraucher in Deutschland essen re-
gelmäßig Honig. Der Pro-Kopf-Verbrauch von Honig
liegt bei 1,4 Kilogramm pro Jahr. Aufgrund des hohen
Honigverbrauchs kann nur ein kleiner Teil des Bedarfs
mit heimischem Honig gedeckt werden. Ich kenne keine
Familie, die nicht ein Glas Honig zu Hause hat. Warum
ist das so?


(Gitta Connemann [CDU/CSU]: Lecker!)


Weil Honig einen Urinstinkt in uns Menschen weckt.
Honig steht für Natur und Gesundheit. Genau das
möchte der Bürger: ein unverfälschtes Naturprodukt, das
ein gesunder Bestandteil der Ernährung ist.


(Unruhe)



Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1802014100

Einen kleinen Moment, Frau Kollegin.

Liebe Kollegen, es wäre sehr nett, wenn wir es noch
schaffen würden, drei Minuten der Kollegin bei ihrer
ersten Rede im Deutschen Bundestag zuzuhören


(Beifall)


und die sicherlich hochinteressanten und extrem wichti-
gen Gespräche dann nach der Abstimmung draußen zu
führen.

Frau Kollegin, bitte schön.


(Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause)



Rita Hagl-Kehl (SPD):
Rede ID: ID1802014200

Es ist unsere Verantwortung, dass es auch so bleibt.

Der Europäische Gerichtshof hat die Rechte der Ver-
braucher und der europäischen Imker in dieser Frage mit
dem sogenannten Honigurteil vom 6. September 2011
grundlegend gestärkt.

Ich möchte klarstellen: Der EuGH hat nicht darüber
befunden, ob Pollen ein natürlicher Bestandteil von Ho-
nig ist. Der EuGH hat entschieden, dass genveränderter
Pollen im Honig wie eine Zutat im Sinne der entspre-
chenden EU-Verordnung zu behandeln ist. Drei Argu-
mente für die Neuregelung der Honigverordnung werden
regelmäßig ins Feld geführt. Diese möchte ich einmal in
Klartext übersetzen.

Das erste Argument lautet, alle Pollen seien natürli-
cher Bestandteil des Honigs, und deshalb sei Honig per
se ein Naturprodukt. Der Satz: „Pollen ist ein natürlicher
Bestandteil von Honig“, ist absolut richtig. Kein Imker
würde das je bestreiten. Es geht aber hier darum, ob ge-
netisch veränderter Pollen ein natürlicher Bestandteil
von Honig ist, und das ist absolut zu verneinen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Der Satz: „Gentechnisch veränderter Pollen ist ein natür-
licher Bestandteil von Honig“, ist falsch.

Das zweite Argument lautet, eine fehlende Kenn-
zeichnungspflicht spare Geld, weil Analysen und der
Nachweis von Genpollen hohe Kosten verursachen wür-
den. Fakt ist: Die vermeintliche Kostenersparnis bei der
Kennzeichnung macht den europäischen Imkern mit ih-
ren wertvollen Qualitätsprodukten und hohen Standards
den Markt kaputt. Die Analysetechnik steht nicht nur bei
den deutschen Honigimporteuren bereit, sie wird seit
dem Honig-Urteil auch genutzt.


(Beifall des Abg. Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Zudem ist der Nachweis – der Kollege Rainer sollte
vielleicht zuhören; denn genau das hat er gesagt – –


(Alois Rainer [CDU/CSU]: Der Kollege Rainer sitzt da!)


– Ach so, er sitzt da. Das sind die anderen Kollegen, die
ratschen. Jetzt weiß ich es.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


– Der Kollege Rainer war verdeckt durch die Kollegen,
die in der ersten Reihe geratscht haben.


(Heiterkeit und Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Zudem ist der Nachweis über den Abstand des Bie-
nenstocks zu genmanipulierten Pflanzen in Deutschland
nahezu kostenfrei über die Standortregister für GVO-
Felder möglich.

Drittes Argument: Die neue Regelung bringt Bürokra-
tieabbau und Erleichterungen. Klar, wenn ich den TÜV
abschaffe, dann können Autos länger gefahren werden.
Der Verkehr wird dadurch aber nicht sicherer.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Hinter dem Argument des Bürokratieabbaus bei der Ho-
nigverordnung versteckt sich die Schwächung des Ver-
braucherschutzes. In Wirklichkeit wird die Wahlfreiheit
der Bürger abgebaut.

Noch ein Wort zur Lebensmittelkennzeichnung. Bei
der Einführung der Gentechnik unter freiem Himmel
wurden den Bürgerinnen und Bürgern unseres Landes
drei Dinge versprochen. Um es knapp zu machen – die
Zeit drängt –: Die Koexistenz von natürlicher und gene-
tisch manipulierter Produktion ist eines dieser drei Ver-
sprechen. Die EU-Kommission kann allerdings nicht er-
klären, warum Genhonig aus Kanada zu 100 Prozent aus
Gentechnik bestehen kann und nach der vorgeschlage-
nen Neuregelung keine Kennzeichnung benötigt. Zu-
gleich wird dem Import von Honig aus genetisch verän-
derten Pflanzen Tür und Tor geöffnet. Der Vorschlag der
EU-Kommission zur Honigverordnung ist ein Angriff
auf die Koexistenz von Gentechnik und natürlicher Pro-
duktion.





Rita Hagl-Kehl


(A) (C)



(D)(B)

Nun zum Antrag vom Bündnis 90/Die Grünen. Wie
sollen wir mit ihm verfahren?


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Zustimmen!)


Dieser Antrag fordert im Wesentlichen, dass sich
Deutschland im Trilogverfahren für Erhalt der Wahlfrei-
heit beim Honig einsetzt. Das Trilogverfahren ist abge-
schlossen, und das wissen Sie auch.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)


Dieser Antrag ist entweder als grüner Europawahlkampf
zu verstehen, oder er kommt einfach zu spät.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Die nächste Entscheidung in dieser Sache wird nicht
heute im Bundestag gefällt, sondern am 19. März 2014
im Umweltausschuss des Europaparlaments. Den Antrag
der Grünen können wir deshalb ohne schlechtes Gewis-
sen ablehnen.

Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1802014300

Das war die erste Rede der Kollegin Rita Hagl-Kehl,

zu der wir ihr gratulieren.


(Beifall)


Sie hatte das Privileg, vor einem vollen Haus zu spre-
chen, und das Problem, dass nicht alle gründlich zuge-
hört haben. Das ist aber immer das Problem, wenn man
kurz vor einer Abstimmung spricht.

Ich schließe die Aussprache.

Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Aus-
schusses für Ernährung und Landwirtschaft zu dem An-
trag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mit dem Titel
„Wahlfreiheit für Verbraucherinnen und Verbraucher
herstellen – Honig mit gentechnisch veränderten Be-
standteilen kennzeichnen“. Zu der Abstimmung liegen
mehrere Erklärungen nach § 31 unserer Geschäftsord-
nung vor.1)

Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfeh-
lung auf Drucksache 18/792, den Antrag der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/578 abzuleh-
nen. Auf Verlangen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
stimmen wir nun namentlich über die Beschlussempfeh-
lung des Ausschusses ab. Ich bitte die Schriftführerinnen
und Schriftführer, die vorgesehenen Plätze an den Urnen
einzunehmen. – Darf ich fragen, ob alle Urnen ord-
nungsgemäß besetzt sind? – Das ist der Fall. Ich eröffne
die Abstimmung über die Beschlussempfehlung.

Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine
Stimme nicht abgegeben hat? – Damit schließe ich die
Abstimmung und bitte die Schriftführerinnen und

1) Anlagen 2 bis 4
Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Das Er-
gebnis der Abstimmung wird Ihnen später bekannt gege-
ben.2)

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 10 a und 10 b so-
wie den Zusatzpunkt 3 auf:

10 a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Jan
van Aken, Wolfgang Gehrcke, Christine
Buchholz, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion DIE LINKE

Waffenexporte in die Golfregion verbieten

Drucksache 18/768
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Energie (f)
Auswärtiger Ausschuss (f)
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Federführung strittig

b) Beratung der Unterrichtung durch die Bun-
desregierung

Bericht der Bundesregierung über ihre
Exportpolitik für konventionelle Rüs-
tungsgüter im Jahr 2012


(Rüstungsexportbericht 2012)


Drucksache 18/105
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Energie (f)
Auswärtiger Ausschuss
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung

ZP 3 Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Wirtschaft und Ener-
gie (9. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeord-
neten Agnieszka Brugger, Katja Keul, Omid
Nouripour, weiterer Abgeordneter und der Frak-
tion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Keine Rüstungsexporte nach Saudi-Arabien

Drucksachen 18/576, 18/793

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich höre dazu
keinen Widerspruch und bitte die Kolleginnen und Kol-
legen, die dieser Debatte nicht folgen wollen, sich ent-
weder hinzusetzen oder den Plenarsaal zu verlassen.


(Glocke des Präsidenten)


Bitte verlassen Sie den Plenarsaal, oder besser: Bleiben
Sie hier und lauschen Sie der interessanten Debatte.

Als Erste hat die Kollegin Inge Höger, Fraktion Die
Linke, das Wort.


(Beifall bei der LINKEN)


2) Ergebnis Seite 1603 A






(A) (C)



(D)(B)


Inge Höger-Neuling (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1802014400

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Exporte

von deutschen Waffen in alle Welt sind ein Skandal.


(Beifall bei der LINKEN)


Sie sind eine Bankrotterklärung für eine verantwortungs-
volle Außenpolitik. Firmen, die Waffen liefern, und Re-
gierungen, die diese Lieferungen genehmigen, leisten
Beihilfe zu Krieg und Mord – weltweit. Das ist ein Skan-
dal.

Die Absurdität der deutschen Rüstungsexportpolitik
zeigt sich ganz aktuell in der Ukraine. Sollte es tatsäch-
lich zu einem Krieg um die Krim kommen, was niemand
von uns hofft, kommen deutsche Waffen, deutsche Mu-
nition und deutsche Militärfahrzeuge auf der ukraini-
schen und der russischen Seite zum Einsatz. Und die
Offiziere beider Seiten werden wahrscheinlich mit deut-
schen oder anderen NATO-Soldaten gemeinsame Übun-
gen für den Ernstfall absolviert haben. Nun werden ja
Sanktionen gegen Russland diskutiert. Die weitere Be-
lieferung der Ukraine wird jedoch trotz Kriegs- und Bür-
gerkriegsgefahr nicht infrage gestellt. In Spannungsge-
biete sollten generell keine Waffen geliefert werden, egal
an welche Seite.


(Beifall bei der LINKEN)


Wenn mehr Waffen mehr Sicherheit bedeuten, wie so
oft behauptet wird, dann müsste der Nahe und Mittlere
Osten eine besonders stabile Region sein. Das Gebiet
rund um den Persischen Golf ist das am stärksten milita-
risierte Gebiet der Welt. Es ist Kriegs- und Krisengebiet.
Die Bundesrepublik ist einer der bedeutendsten Waffen-
lieferanten dieser Region. Deutsche Waffen kommen
weltweit viel zu oft zum Einsatz, nicht selten auf allen
Seiten eines Krieges oder Bürgerkrieges. Ich nenne hier
nur beispielhaft einige Länder, in die – historisch oder
aktuell – tödliche Systeme verkauft wurden: Die Liste
reicht vom Iran über den Irak, Indien, Pakistan bis nach
Libyen. Überall wurde mit deutscher Rüstungstechnolo-
gie Öl ins Feuer gegossen. Dieser Irrsinn muss endlich
ein Ende haben.


(Beifall bei der LINKEN)


Nur ein Stopp der Rüstungsexporte wäre eine verant-
wortungsvolle Außenpolitik. Von der im Wahlkampf ins-
besondere von der SPD beschworenen „Kultur der
Zurückhaltung“ hat sich die neue Regierung bereits öf-
fentlich verabschiedet. Es ist nun von einer neuen „Poli-
tik der Verantwortung“ die Rede. Bei Waffenexporten
soll das Parlament früher und zweimal im Jahr infor-
miert werden. Das Parlament soll aber nach wie vor
nicht über die Voranfragen für Rüstungsexporte infor-
miert werden; es wird weiterhin erst im Nachhinein vor
vollendete Tatsachen gestellt. Demokratie und Verant-
wortung sehen anders aus.


(Beifall bei der LINKEN)


Insgesamt liefert die deutsche Genehmigungspraxis
Anlass zu großer Sorge. Lieferungen an Drittländer soll-
ten ursprünglich die Ausnahme sein. Inzwischen werden
Panzer, Kriegsschiffe, Maschinengewehre und andere
Kriegswaffen mehrheitlich an Staaten außerhalb der EU
und der NATO geliefert. Allerdings sind auch Lieferun-
gen an EU- und NATO-Staaten keineswegs unbedenk-
lich. Das gilt nicht nur für Griechenland und die Türkei.
Nahezu alle EU- und NATO-Verbündeten befinden sich
in Kriegs- und Besatzungseinsätzen. Es gibt schlichtweg
keine unbedenklichen Waffenexporte.


(Beifall bei der LINKEN)


Unter den Top Ten der Empfängerländer finden sich
zahlreiche Länder in Spannungsgebieten oder Staaten,
die Menschenrechte und Demokratie mit Füßen treten.
Mehr als 20 Prozent der Exportgenehmigungen im Jahr
2012 entfielen auf Entwicklungsländer. Diese Länder
brauchen Entwicklungshilfe und keine Waffen.


(Beifall bei der LINKEN)


Der Umfang der genehmigten Exporte von Kleinwaf-
fen wie Maschinengewehre und Pistolen hat sich fast
verdoppelt. Damit ist Deutschland inzwischen weltweit
der zweitgrößte Exporteur von Kleinwaffen. Kleinwaf-
fen sind die neuen Massenvernichtungswaffen unserer
Zeit. Diese Geschäfte sind wirklich beschämend.

Warum werden Waffen nach Algerien, Singapur, Süd-
korea oder in die Vereinigten Arabischen Emirate gelie-
fert? Warum ist zwischenzeitlich Saudi-Arabien der
größte Abnehmer deutscher Rüstungsprodukte? Das ein-
zige Kriterium scheint die Zahlungsfähigkeit der Emp-
fängerstaaten zu sein. Ein weiteres Verkaufsargument
sind ähnliche Interessen; das ist die neue Merkel-Dok-
trin. Aus ähnlichen Interessen können aber in kürzester
Zeit Interessengegensätze werden. Die einzigen Profi-
teure dieser hochriskanten Politik sind Rüstungskon-
zerne und deren Börsenwerte; die steigen gerade wieder.
Ist das die werteorientierte Politik der Bundesregierung?

Bei der Lieferung von 70 Schnellbooten, 33 Patrouil-
lenbooten sowie 34 weiteren Booten an Saudi-Arabien
geht es angeblich nur um Piraterie- und Terrorismusbe-
kämpfung.


(Klaus-Peter Willsch [CDU/CSU]: Grenzsicherung!)


Wahrscheinlich wird es eher um die Abwehr von Flücht-
lingen gehen. Glaubt hier wirklich jemand, Saudi-Ara-
bien würde Flüchtlinge entsprechend humanitären Re-
geln behandeln?


(Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Gibt es Flüchtlinge, die freiwillig nach Saudi-Arabien gehen?)


Glaubt jemand, Piraten könnten in Saudi-Arabien auf
rechtsstaatliche Verfahren hoffen? Und wer garantiert,
dass die Schnellboote nicht auch für Interventionen in
Nachbarländer wie Jemen oder Bahrain eingesetzt wer-
den? Jeder Export von Waffen ist einer zu viel.


(Beifall bei der LINKEN)


Politische Verantwortung drückt sich nicht in Militär-
interventionen und Rüstungsexporten aus. Es gibt keine
Alternative zu einer zivilen Politik des fairen Interessen-
ausgleichs zwischen den Regionen dieser Welt. Deshalb





Inge Höger


(A) (C)



(B)

fordert die Linke ein Verbot von Waffenexporten in die
Golfregion und alle Teile dieser Welt.


(Beifall bei der LINKEN)



Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1802014500

Herzlichen Dank.

Das von den Schriftführerinnen und Schriftführern er-
mittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung über
die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Ernährung
und Landwirtschaft zu dem Antrag der Abgeordneten
Harald Ebner, Renate Künast, Nicole Maisch, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
zu dem Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen
Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinie
2001/110/EG des Rates über Honig – KOM(2012) 530
endg.; Ratsdok. 13957/12 –, hier: Stellungnahme gegen-
über der Bundesregierung gemäß Art. 23 Abs. 3 des
Grundgesetzes, mit dem Titel „Wahlfreiheit für Verbrau-
cherinnen und Verbraucher herstellen – Honig mit gen-
technisch veränderten Bestandteilen kennzeichnen“, liegt
vor: abgegebene Stimmen 567. Mit Ja haben gestimmt
448, mit Nein haben gestimmt 110, Enthaltungen 9. Da-
mit ist die Beschlussempfehlung angenommen.

(D)

Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 559;
davon

ja: 440
nein: 110
enthalten: 9

Ja

CDU/CSU

Stephan Albani
Katrin Albsteiger
Peter Altmaier
Artur Auernhammer
Dorothee Bär
Thomas Bareiß
Norbert Barthle
Julia Bartz
Günter Baumann
Maik Beermann
Manfred Behrens (Börde)

Veronika Bellmann
Sybille Benning
Dr. André Berghegger
Dr. Christoph Bergner
Ute Bertram
Peter Beyer
Clemens Binninger
Peter Bleser
Wolfgang Bosbach
Norbert Brackmann
Klaus Brähmig
Michael Brand
Dr. Reinhard Brandl
Helmut Brandt
Dr. Ralf Brauksiepe
Dr. Helge Braun
Heike Brehmer
Ralph Brinkhaus
Cajus Caesar
Gitta Connemann
Alexandra Dinges-Dierig
Alexander Dobrindt
Michael Donth
Thomas Dörflinger
Marie-Luise Dött
Hansjörg Durz
Jutta Eckenbach
Dr. Bernd Fabritius
Hermann Färber
Uwe Feiler
Dr. Thomas Feist
Enak Ferlemann
Ingrid Fischbach

(Karlsruhe Land)

Dr. Maria Flachsbarth
Klaus-Peter Flosbach
Thorsten Frei
Michael Frieser
Hans-Joachim Fuchtel
Alexander Funk
Ingo Gädechens
Dr. Thomas Gebhart
Alois Gerig
Eberhard Gienger
Cemile Giousouf
Reinhard Grindel
Ursula Groden-Kranich
Hermann Gröhe
Klaus-Dieter Gröhler
Michael Grosse-Brömer
Astrid Grotelüschen
Markus Grübel
Manfred Grund
Oliver Grundmann
Monika Grütters
Dr. Herlind Gundelach
Fritz Güntzler
Olav Gutting
Christian Haase
Florian Hahn
Dr. Stephan Harbarth
Jürgen Hardt
Gerda Hasselfeldt
Matthias Hauer
Mark Hauptmann
Dr. Stefan Heck
Dr. Matthias Heider
Helmut Heiderich
Mechthild Heil
Frank Heinrich (Chemnitz)

Mark Helfrich
Jörg Hellmuth
Rudolf Henke
Michael Hennrich
Ansgar Heveling
Peter Hintze
Christian Hirte
Dr. Heribert Hirte
Robert Hochbaum
Karl Holmeier
Franz-Josef Holzenkamp
Dr. Hendrik Hoppenstedt
Margaret Horb
Bettina Hornhues
Charles M. Huber
Anette Hübinger
Hubert Hüppe
Erich Irlstorfer
Thomas Jarzombek
Sylvia Jörrißen
Dr. Franz Josef Jung
Xaver Jung
Andreas Jung (Konstanz)

Bartholomäus Kalb
Hans-Werner Kammer
Steffen Kanitz
Alois Karl
Anja Karliczek
Bernhard Kaster
Volker Kauder
Dr. Stefan Kaufmann
Roderich Kiesewetter
Dr. Georg Kippels
Volkmar Klein
Jürgen Klimke
Axel Knoerig
Jens Koeppen
Markus Koob
Carsten Körber
Kordula Kovac
Dr. Günter Krings
Rüdiger Kruse
Bettina Kudla
Dr. Roy Kühne
Uwe Lagosky
Dr. Karl A. Lamers
Dr. Norbert Lammert
Katharina Landgraf
Ulrich Lange
Dr. Silke Launert
Paul Lehrieder
Dr. Katja Leikert
Dr. Philipp Lengsfeld
Philipp Graf Lerchenfeld
Dr. Ursula von der Leyen
Antje Lezius
Ingbert Liebing
Matthias Lietz
Andrea Lindholz
Patricia Lips
Wilfried Lorenz
Dr. Claudia Lücking-Michel
Dr. Jan-Marco Luczak
Karin Maag
Yvonne Magwas
Thomas Mahlberg
Gisela Manderla
Matern von Marschall
Andreas Mattfeldt
Stephan Mayer (Altötting)

Reiner Meier
Dr. Michael Meister
Jan Metzler
Maria Michalk
Dr. Mathias Middelberg
Dietrich Monstadt
Karsten Möring
Elisabeth Motschmann
Carsten Müller


(Braunschweig)

Stefan Müller (Erlangen)

Dr. Philipp Murmann
Dr. Andreas Nick
Michaela Noll
Helmut Nowak
Dr. Georg Nüßlein
Wilfried Oellers
Florian Oßner
Dr. Tim Ostermann
Henning Otte
Ingrid Pahlmann
Sylvia Pantel
Dr. Martin Pätzold
Ulrich Petzold
Dr. Joachim Pfeiffer
Sibylle Pfeiffer
Ronald Pofalla
Eckhard Pols
Thomas Rachel
Kerstin Radomski
Alexander Radwan
Alois Rainer
Eckhardt Rehberg
Lothar Riebsamen
Josef Rief
Dr. Heinz Riesenhuber
Johannes Röring
Dr. Norbert Röttgen
Erwin Rüddel
Anita Schäfer (Saalstadt)

Dr. Wolfgang Schäuble
Andreas Scheuer
Karl Schiewerling
Jana Schimke





Vizepräsident Peter Hintze


(A) (C)



(D)(B)

Norbert Schindler
Tankred Schipanski
Heiko Schmelzle
Gabriele Schmidt (Ühlingen)

Patrick Schnieder
Dr. Andreas Schockenhoff
Nadine Schön (St. Wendel)

Dr. Ole Schröder
Dr. Kristina Schröder


(Wiesbaden)

Dr. Klaus-Peter Schulze
Uwe Schummer
Christina Schwarzer
Detlef Seif
Reinhold Sendker
Dr. Patrick Sensburg
Bernd Siebert
Johannes Singhammer
Tino Sorge
Jens Spahn
Carola Stauche
Dr. Frank Steffel
Dr. Wolfgang Stefinger
Albert Stegemann
Peter Stein
Erika Steinbach
Sebastian Steineke
Johannes Steiniger
Christian Freiherr von Stetten
Dieter Stier
Rita Stockhofe
Gero Storjohann
Stephan Stracke
Max Straubinger
Matthäus Strebl
Karin Strenz
Thomas Strobl (Heilbronn)

Michael Stübgen
Dr. Sabine Sütterlin-Waack
Dr. Peter Tauber
Antje Tillmann
Astrid Timmermann-Fechter
Dr. Hans-Peter Uhl
Dr. Volker Ullrich
Arnold Vaatz
Oswin Veith
Thomas Viesehon
Michael Vietz
Volkmar Vogel (Kleinsaara)

Sven Volmering
Christel Voßbeck-Kayser
Kees de Vries
Dr. Johann Wadephul
Marco Wanderwitz
Nina Warken
Kai Wegner
Albert Weiler
Marcus Weinberg (Hamburg)

Dr. Anja Weisgerber
Peter Weiß (Emmendingen)

Sabine Weiss (Wesel I)

Karl-Georg Wellmann
Marian Wendt
Kai Whittaker
Peter Wichtel
Annette Widmann-Mauz
Heinz Wiese (Ehingen)

Klaus-Peter Willsch
Elisabeth Winkelmeier-
Becker

Oliver Wittke
Barbara Woltmann
Tobias Zech
Heinrich Zertik
Emmi Zeulner
Dr. Matthias Zimmer
Gudrun Zollner

SPD

Niels Annen
Ingrid Arndt-Brauer
Rainer Arnold
Heike Baehrens
Ulrike Bahr
Heinz-Joachim Barchmann
Dr. Katarina Barley
Doris Barnett
Dr. Hans-Peter Bartels
Klaus Barthel
Dr. Matthias Bartke
Sören Bartol
Bärbel Bas
Dirk Becker
Uwe Beckmeyer
Lothar Binding (Heidelberg)

Burkhard Blienert
Willi Brase
Dr. Karl-Heinz Brunner
Edelgard Bulmahn
Martin Burkert
Dr. Lars Castellucci
Petra Crone
Bernhard Daldrup
Dr. Daniela De Ridder
Dr. Karamba Diaby
Sabine Dittmar
Martin Dörmann
Elvira Drobinski-Weiß
Michaela Engelmeier-Heite
Petra Ernstberger
Saskia Esken
Karin Evers-Meyer
Dr. Johannes Fechner
Dr. Fritz Felgentreu
Dr. Ute Finckh-Krämer
Christian Flisek
Gabriele Fograscher
Dr. Edgar Franke
Ulrich Freese
Dagmar Freitag
Michael Gerdes
Martin Gerster
Iris Gleicke
Ulrike Gottschalck
Kerstin Griese
Michael Groß
Uli Grötsch
Wolfgang Gunkel
Bettina Hagedorn
Rita Hagl-Kehl
Metin Hakverdi
Ulrich Hampel
Sebastian Hartmann
Michael Hartmann


(Wackernheim)

Dirk Heidenblut
Hubertus Heil (Peine)

Gabriela Heinrich
Marcus Held
Wolfgang Hellmich
Dr. Barbara Hendricks
Heidtrud Henn
Gustav Herzog
Gabriele Hiller-Ohm
Petra Hinz (Essen)

Thomas Hitschler
Dr. Eva Högl
Matthias Ilgen
Christina Jantz
Frank Junge
Josip Juratovic
Thomas Jurk
Oliver Kaczmarek
Johannes Kahrs
Christina Kampmann
Ralf Kapschack
Gabriele Katzmarek
Ulrich Kelber
Marina Kermer
Cansel Kiziltepe
Arno Klare
Lars Klingbeil
Daniela Kolbe
Birgit Kömpel
Anette Kramme
Dr. Hans-Ulrich Krüger
Helga Kühn-Mengel
Christine Lambrecht
Christian Lange (Backnang)

Dr. Karl Lauterbach
Steffen-Claudio Lemme
Burkhard Lischka
Gabriele Lösekrug-Möller
Hiltrud Lotze
Kirsten Lühmann
Dr. Birgit Malecha-Nissen
Katja Mast
Dr. Matthias Miersch
Susanne Mittag
Bettina Müller
Michelle Müntefering
Dr. Rolf Mützenich
Dietmar Nietan
Ulli Nissen
Mahmut Özdemir (Duisburg)

Aydan Özoğuz
Markus Paschke
Christian Petry
Jeannine Pflugradt
Sabine Poschmann
Joachim Poß
Florian Post
Achim Post (Minden)

Dr. Wilhelm Priesmeier
Florian Pronold
Dr. Sascha Raabe
Dr. Simone Raatz
Martin Rabanus
Mechthild Rawert
Stefan Rebmann
Gerold Reichenbach
Dr. Carola Reimann
Andreas Rimkus
Sönke Rix
Dennis Rohde
Dr. Martin Rosemann
Dr. Ernst Dieter Rossmann
Michael Roth (Heringen)

Bernd Rützel
Johann Saathoff
Annette Sawade
Dr. Hans-Joachim

Schabedoth
Axel Schäfer (Bochum)

Udo Schiefner
Dr. Dorothee Schlegel
Ulla Schmidt (Aachen)

Matthias Schmidt (Berlin)

Dagmar Schmidt (Wetzlar)

Carsten Schneider (Erfurt)

Ursula Schulte
Swen Schulz (Spandau)

Ewald Schurer
Frank Schwabe
Stefan Schwartze
Andreas Schwarz
Dr. Carsten Sieling
Rainer Spiering
Norbert Spinrath
Svenja Stadler
Martina Stamm-Fibich
Sonja Steffen
Peer Steinbrück
Christoph Strässer
Kerstin Tack
Claudia Tausend
Michael Thews
Franz Thönnes
Wolfgang Tiefensee
Carsten Träger
Rüdiger Veit
Ute Vogt
Dirk Vöpel
Gabi Weber
Bernd Westphal
Andrea Wicklein
Dirk Wiese
Waltraud Wolff


(Wolmirstedt)

Gülistan Yüksel
Dagmar Ziegler
Dr. Jens Zimmermann
Manfred Zöllmer

Nein

CDU/CSU

Josef Göppel
Hans-Georg von der Marwitz
Martin Patzelt

DIE LINKE

Dr. Dietmar Bartsch
Herbert Behrens
Karin Binder
Matthias W. Birkwald
Christine Buchholz
Eva Bulling-Schröter
Roland Claus
Dr. Diether Dehm
Wolfgang Gehrcke





Vizepräsident Peter Hintze


(A) (C)

Annette Groth
Dr. André Hahn
Heike Hänsel
Inge Höger
Andrej Hunko
Sigrid Hupach
Ulla Jelpke
Susanna Karawanskij
Kerstin Kassner
Katja Kipping
Jan Korte
Jutta Krellmann
Caren Lay
Sabine Leidig
Ralph Lenkert
Michael Leutert
Stefan Liebich
Dr. Gesine Lötzsch
Cornelia Möhring
Niema Movassat
Dr. Alexander S. Neu
Thomas Nord
Petra Pau
Harald Petzold (Havelland)

Richard Pitterle
Martina Renner
Dr. Petra Sitte
Kersten Steinke
Dr. Kirsten Tackmann
Azize Tank
Frank Tempel
Dr. Axel Troost
Alexander Ulrich
Kathrin Vogler
Halina Wawzyniak
Harald Weinberg
Katrin Werner
Birgit Wöllert
Jörn Wunderlich
Hubertus Zdebel
Pia Zimmermann
Sabine Zimmermann


(Zwickau)


BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN

Annalena Baerbock
Marieluise Beck (Bremen)

Volker Beck (Köln)

Dr. Franziska Brantner
Agnieszka Brugger
Katja Dörner
Katharina Dröge
Harald Ebner
Dr. Thomas Gambke
Matthias Gastel
Katrin Göring-Eckardt
Anja Hajduk
Britta Haßelmann
Dr. Anton Hofreiter
Bärbel Höhn
Dieter Janecek
Uwe Kekeritz
Katja Keul
Sven-Christian Kindler
Maria Klein-Schmeink
Sylvia Kotting-Uhl
Oliver Krischer
Stephan Kühn (Dresden)

Christian Kühn (Tübingen)

Renate Künast
Markus Kurth
Monika Lazar
Steffi Lemke
Dr. Tobias Lindner
Peter Meiwald
Irene Mihalic
Beate Müller-Gemmeke
Özcan Mutlu
Omid Nouripour
Friedrich Ostendorff
Cem Özdemir
Lisa Paus
Brigitte Pothmer
Tabea Rößner
Claudia Roth (Augsburg)

Corinna Rüffer
Manuel Sarrazin
Elisabeth Scharfenberg
Ulle Schauws
Dr. Gerhard Schick
Dr. Frithjof Schmidt
Kordula Schulz-Asche
Dr. Wolfgang Strengmann-

Kuhn
Hans-Christian Ströbele
Dr. Harald Terpe
Markus Tressel
Jürgen Trittin
Dr. Julia Verlinden
Doris Wagner
Beate Walter-Rosenheimer
Dr. Valerie Wilms

Enthalten

CDU/CSU

Steffen Bilger
Alexander Hoffmann

(Weil am Rhein)

Johannes Selle

SPD

Gabriele Groneberg
Dr. Bärbel Kofler
Hilde Mattheis
Dr. Nina Scheer
Stefan Zierke

(D)


Das bedeutet – ich sage das für unsere Zuhörerinnen und
Zuhörer –, dass der Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen abgelehnt wurde, weil die Beschlussempfehlung
die Ablehnung empfohlen hat.

Wir fahren mit unserer Tagesordnung fort. Der
nächste Redner ist Kollege Dr. Joachim Pfeiffer, CDU/
CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. Joachim Pfeiffer (CDU):
Rede ID: ID1802014600

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-

ren! Wir debattieren heute wieder einmal, wie fast jede
Woche, über das Thema Waffenexporte.


(Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wenn Sie nicht mehr exportieren, dann müssen wir nicht darüber reden! So einfach ist das!)


Die Linken haben einen Antrag vorgelegt, der vorsieht,
die Waffenexporte in die Golfregion komplett zu verbie-
ten.


(Sigrid Hupach [DIE LINKE]: Genau!)


Sie haben eben den Vorwurf erhoben, Deutschland
würde eine unverantwortliche Rüstungsexportpolitik be-
treiben. Das ist absurd und geht ins Leere.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Die Bundesrepublik Deutschland betreibt seit ihrer
Gründung eine äußerst verantwortungsvolle Rüstungs-
politik,


(Inge Höger [DIE LINKE]: Drittgrößter Rüstungsexporteur der Welt!)


schon aufgrund der Vorgaben des Grundgesetzes. So lau-
tet Art. 26 Abs. 2:

Zur Kriegführung bestimmte Waffen dürfen nur mit
Genehmigung der Bundesregierung hergestellt, be-
fördert und in Verkehr gebracht werden.


(Inge Höger [DIE LINKE]: Sie genehmigen ja alles!)


Deutschland hat unzweifelhaft das weltweit restriktivste
Rüstungsexportregime.


(Lachen des Abg. Jürgen Trittin NIS 90/DIE GRÜNEN – Agnieszka Brugger [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Auf dem Papier! – Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Deshalb sind wir auch Weltmeister! Exportchampions!)


– Wenn wir es doch nur wären! Aber wir sind es nicht.
Das ist abwegig.


(Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Wenn wir es doch nur wären? Wir exportieren wohl Gummibärchen und Watte!)


(B)







(A) (C)



(D)(B)


Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1802014700

Herr Pfeiffer, lassen Sie eine Zwischenfrage der Kol-

legin Höger zu?


Dr. Joachim Pfeiffer (CDU):
Rede ID: ID1802014800

Ja, gerne. Bitte schön.


Inge Höger-Neuling (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1802014900

Wenn Deutschland eine der restriktivsten Rüstungs-

exportgenehmigungspolitiken der Welt betreibt, wie
kann es dann sein, dass Deutschland der drittgrößte Rüs-
tungsexporteur der Welt ist?


(Beifall bei der LINKEN – Klaus-Peter Willsch [CDU/CSU]: Weil wir technologisch top sind! – Ingo Gädechens [CDU/CSU]: Weil wir Rüstungsindustrie haben und andere Staaten nicht!)



Dr. Joachim Pfeiffer (CDU):
Rede ID: ID1802015000

Sie wissen genau – weil wir diese Frage schon zigmal

debattiert haben –, dass diese Aussage falsch ist. Den
Zahlen des SIPRI-Instituts liegen bestimmte Kriterien
zugrunde. Zum Beispiel wird gebrauchten Waffen der
gleiche Wert zugemessen wie neuen. Insofern ist die Be-
weiskraft dieser Zahlen mehr als fraglich.


(Widerspruch bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Gegenruf des Abg. Ingo Gädechens [CDU/CSU]: Zuhören!)


Ich frage Sie in aller Offenheit:


(Dr. Frithjof Schmidt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jetzt wird es interessant!)


Selbst wenn wir der größte Rüstungsexporteur wären,
wo wäre denn das Problem, wenn wir die zugrunde lie-
genden Kriterien erfüllten, die eine sorgfältige Abwä-
gung ermöglichen,


(Lachen bei Abgeordneten der LINKEN)


zum Beispiel bei Dual-Use-Gütern? Da haben wir eine
europäische Regelung.

Ich wünsche mir im Übrigen eine solche europäische
Regelung auch im Bereich des Kriegswaffenexports.
Wenn wir eine Gemeinsame Außen- und Sicherheits-
politik betreiben wollen, dann müssen wir nicht nur in
Bezug auf den Rüstungsexport von Dual-Use-Gütern,
sondern auch in Bezug auf den von Kriegswaffen euro-
päisch denken und gemeinsam handeln. Wenn wir dann
die besten Produkte liefern können: Wo ist denn dann
das Problem?


(Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Wo ist denn dann das Problem?)


Dann sind wir doch froh, dass wir mit deutscher Unter-
stützung einen Beitrag dazu leisten können, dass Frieden
in der Welt erhalten bzw. geschaffen wird.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Agnieszka Brugger [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wie schafft man denn mit deutschen Panzern Frieden in Saudi-Arabien?)

Ich komme zu Ihrem Antrag und auf Saudi-Arabien
zurück. Falls die Zeit nicht reicht, können Sie gerne eine
Zwischenfrage stellen. Dann kann ich das weiter ausfüh-
ren. Sie fordern jedenfalls ein Totalverbot von Waffen-
exporten in eine bestimmte Region.


(Zuruf von der LINKEN: Ja!)


Dies ist weder mit nationalem Recht noch mit dem EU-
Ausfuhrkontrollrecht vereinbar. Wie Sie wissen, wider-
spricht die von Ihnen beabsichtigte pauschale Untersa-
gung dem Gemeinsamen Standpunkt der EU von 2008,
der eine Einzelfallprüfung vorsieht. Das käme einem
Waffenembargo gleich, was im Übrigen nur der EU-Rat
entscheiden kann.


(Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Richtig!)


Zentrale Kriterien für die Ausfuhrentscheidung sind Art
des konkreten Exportgutes sowie außen-, sicherheits-,
technologie- und menschenrechtspolitische Argumente,
die im Einzelfall sorgfältig abgewogen werden.


(Inge Höger [DIE LINKE]: Es gibt Richtlinien für Rüstungsexporte!)


Kommen wir zu Saudi-Arabien bzw. zum Nahen
Osten. Saudi-Arabien ist ja wohl unzweideutig seit Jahr-
zehnten ein verlässlicher Partner des Westens


(Lachen beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Dr. Diether Dehm [DIE LINKE])


und auch ein verlässlicher Partner der Bundesrepublik
Deutschland.


(Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wer hat dann al-Qaida finanziert? – Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Taliban!)


Saudi-Arabien ist ein stabilisierender Faktor im Mittle-
ren Osten. Wenn Sie nach Libyen schauen, wenn Sie
nach Syrien schauen


(Dr. Frithjof Schmidt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Syrien? Ja?)


– Herr Trittin, Sie haben vorhin selber das Thema Iran
angesprochen –, dann ist Saudi-Arabien ein moderater
und stabilisierender Partner in der Region.


(Beifall des Abg. Klaus-Peter Willsch [CDU/ CSU] – Agnieszka Brugger [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Peinlich!)


Wenn wir der Meinung sind, dass Saudi-Arabien ein sta-
bilisierender Partner ist, dann sollten wir es vielleicht
auch in die Lage versetzen, dieser Aufgabe nachzukom-
men.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – KlausPeter Willsch [CDU/CSU]: So ist das!)


Wenn Saudi-Arabien Küstenschutz betreibt und – das
wurde ja dargelegt –


(Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Alles Gotteskinder!)






Dr. Joachim Pfeiffer


(A) (C)



(D)(B)

zum Schutz gegen Piraterie am Roten Meer Patrouillen-
boote ordert – die ordern sie in Deutschland, weil wir
hier die geeigneten haben, um die Küsten zu schützen –,
wo liegt dann das Problem?


(Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Wo liegt das Problem? Das ist doch kein Problem!)


Ganz im Gegenteil: Ich bin stolz darauf, dass wir in der
Lage sind, diese an Saudi-Arabien zu liefern.


(Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Meinen Sie das alles wirklich im Ernst, was Sie hier reden? – Gegenruf des Abg. Ingo Gädechens [CDU/CSU]: Ja, klar!)


Wenn Sie sehen, dass auch in die Golfregion – kön-
nen Sie ja im Rüstungsexportbericht nachlesen – 2011
105 und 2012 118 Ausfuhranträge nach der Prüfung der
Kriterien, die zugrunde gelegt wurden, abgelehnt wur-
den, dann erkennen Sie, dass hier nicht nach Schema F
vorgegangen, sondern sehr differenziert untersucht wird,
was man erlaubt und was nicht.


(Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Nein, das wird schon sehr differenziert gemacht!)


Das Gleiche gilt beispielsweise für Katar. Es wäre doch
absurd, wenn wir Katar bei der Modernisierung seiner
Sicherheitskräfte, auch in der Vorbereitung der Fußball-
WM 2022, nicht unterstützen würden. Warum sollen wir
das denn nicht tun?


(Dr. Frithjof Schmidt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Hört! Hört! – Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Weil in Katar Zwangsarbeiter unterwegs sind!)


Rüstungsexporte sind – ich wiederhole es noch ein-
mal – aus meiner Sicht ein legitimes Instrument der Au-
ßen- und Sicherheitspolitik,


(Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Natürlich!)


wenn dafür entsprechende Kriterien vorhanden sind und
auch eingehalten werden. Betrachten wir einmal ein ak-
tuelles Beispiel, über das wir in diesen Wochen auch
schon diskutiert haben: Mali.


(Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Die gute deutsche Tradition fortsetzen!)


In Mali sind bisher unsere französischen Verbündeten
und zum Teil auch die Bundeswehr im Einsatz. Wenn
wir der Meinung sind, dass wir Mali in die Lage verset-
zen wollen, das Gewaltmonopol des Staates durchzuset-
zen,


(Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Dann müssen Sie Waffen liefern!)


und dafür sogar die Streit- und Sicherheitskräfte ausbil-
den, dann müssen wir sie auch so ausstatten, dass sie in
der Lage sind, dieses Gewaltmonopol des Staates durch-
zusetzen. Alles andere ist verlogen. Die Scheinheiligkeit
der Argumentation,


(Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Scheinheilig?)

die hier von den Linken und auch von den Grünen in
dieser Angelegenheit an den Tag gelegt wird, ist wirk-
lich himmelschreiend.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Dr. Frithjof Schmidt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Im Unterschied zu Ihnen wissen wir sogar, wo Mali liegt! Nicht am Meer und nicht am Golf!)


Es ist auch deshalb im nationalen Interesse Deutsch-
lands, weil wir mit den Rüstungsexporten auch die
Sicherung der Wehrfähigkeit Deutschlands und des
Technologiestandortes Deutschland gewährleisten.


(Dr. Frithjof Schmidt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was sind Sie für eine Spitzenkraft!)


Von einstmals 1,5 Millionen Beschäftigten in der Rüs-
tungsindustrie gibt es jetzt gerade einmal noch 400 000
in ganz Europa. In Deutschland waren es einmal
500 000. Jetzt sind es noch 80 000. Ich will nicht abhän-
gig werden von Technologien anderer. Das sehen wir ge-
rade beim Thema Ukraine, über das wir vorhin schon
diskutiert haben. Ich will, dass wir in Europa und dass
wir in Deutschland weiterhin über Kernfähigkeiten ver-
fügen, um unsere Sicherheits- und Verteidigungsindus-
trie dauerhaft am Leben zu halten und uns so auszustat-
ten, dass wir nicht von Technologien anderer, weder von
denen unserer Freunde aus Amerika noch von chinesi-
schen oder denen anderer Länder, abhängig werden.

Wir nehmen damit auch sicherheitspolitische Interes-
sen und unsere Bündnispflichten wahr, indem wir unsere
Verbündeten, sei es innerhalb der NATO, der Europäi-
schen Union oder sonst wo auf der Welt, entsprechend
ausstatten. Das halte ich geradezu für natürlich


(Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Natürlich!)


und richtig. Wir sollten nicht nur darüber reden, sondern
wir müssen und sollten dieses natürlich auch weiterhin
tun.


(Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Eben haben wir über Genhonig abgestimmt! Das ist auch natürlich!)


Sie haben vorhin von einer Politik der Verantwortung
gesprochen. Wir nehmen diese Politik der Verantwor-
tung ernst. Das heißt: Wenn wir mit unseren Verbünde-
ten zu dem Ergebnis kommen, dass es in unserem ge-
meinsamen außen- und sicherheitspolitischen Interesse
liegt – nehmen wir noch einmal das Beispiel Mali –, uns
für die Sicherung des Friedens einzusetzen, dann sind
wir auch dazu bereit. Dann können wir aber eben nicht
nur mit humanitären Einsätzen agieren, sondern müssen
auch bereit sein, einen weiteren Beitrag zu leisten. Wenn
ich das richtig sehe, sitzen Soldaten auf der Tribüne. Da-
her sage ich auch ganz klar: Wenn wir unsere Soldaten
nicht in Mali oder an anderer Stelle einsetzen wollen
– wir können die Bundeswehr sicherlich nicht im Rah-
men aller Militäreinsätzen der NATO oder der UNO ein-
setzen; denn wir stehen mit dem Einsatz in Afghanistan seit
Jahren an der Grenze dessen, was wir leisten können –,
dann müssen wir andere Instrumente wählen. Daher ist





Dr. Joachim Pfeiffer


(A) (C)



(D)(B)

es selbstverständlich, dass wir unsere Technologien an
die Partner liefern, die in der Lage und willens sind, die
Politik der Verantwortung vor Ort umzusetzen.


(Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Taliban! Al-Qaida!)


Insofern sind die linke Moralkeule oder auch die
vereinfachte Weltsicht mancher Gutmenschen in dieser
Debatte wirklich fehl am Platz.


(Lachen beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Deutschland wird weiterhin eine verantwortungsbe-
wusste Politik betreiben, die einen richtigen Ausgleich
schafft zwischen notwendiger Exportkontrolle und der
Wahrung der außen-, sicherheits-, wehr- und industrie-
politischen Interessen unseres Landes.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1802015100

Als nächste Rednerin hat die Kollegin Katja Keul das

Wort.


Katja Keul (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1802015200

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Herr Pfeiffer, wenn man Ihnen zuhört, sehnt
man sich richtig nach Martin Lindner von der FDP zu-
rück.


(Heiterkeit und Beifall beim BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN – Dr. Joachim Pfeiffer [CDU/CSU]: Ein guter Mann war das!)


Wir reden heute über zwei Anträge, die beide darauf
zielen, keine Kriegswaffen nach Saudi-Arabien bzw. auf
die Arabische Halbinsel zu liefern.


(Ingo Gädechens [CDU/CSU]: Dann ziehen Sie den Antrag zurück!)


Beide Anträge sind berechtigt und wohlbegründet.


(Ingo Gädechens [CDU/CSU]: Nein! Nein!)


Der Antrag der Linken kritisiert völlig zu Recht den
Export ganzer Waffenfabriken.


(Beifall bei der LINKEN)


Lizenzen zum Bau von Maschinengewehren wie dem
G36 an Drittstaaten zu exportieren, ist wirklich die Krö-
nung der Kurzsichtigkeit.


(Ingo Gädechens [CDU/CSU]: Wir reden doch nicht über G36!)


Das bekommen Sie nie wieder unter Kontrolle, egal wer
in dem jeweiligen Land die Macht ergreift.

Zur Menschenrechtslage in Saudi-Arabien ist schon
viel gesagt worden. Ich will heute ausnahmsweise etwas
Positives über Saudi-Arabien vorbringen.


(Ingo Gädechens [CDU/CSU]: Sehr gut!)

Im Gegensatz zur Bundesregierung haben die Saudis
nämlich inzwischen erkannt, dass es vor allem ihr Nach-
bar Katar mit der Förderung von islamistischen Kämp-
fern in allen Krisenländern der Welt – von Mali bis
Syrien – deutlich übertreibt. Während Krauss-Maffei
Wegmann demnächst 160 Leo-Kampfpanzer mit Geneh-
migung der Bundesregierung nach Katar liefert, haben
die Saudis ihren Nachbarn mit dem Entzug der Über-
flugrechte gedroht, wenn sie nicht endlich aufhören, den
internationalen Terrorismus zu fördern.


(Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Aha! Hört! Hört!)


Das muss man sich einmal auf der Zunge zergehen las-
sen: Saudi-Arabien verhindert Lieferungen von deut-
schen Waffen nach Katar.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Vielleicht sind die aber auch nur sauer, weil sie selbst
bislang keine bekommen haben.


(Beifall des Abg. Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Dr. Joachim Pfeiffer [CDU/CSU]: Das bestätigt meine These!)


Nichtsdestotrotz gilt ohne Zweifel: Die Arabische Halb-
insel ist eine Spannungsregion, und der internationale Ter-
rorismus wird auch aus Saudi-Arabien heraus gefördert.
Solange Sie den Wortlaut der Rüstungsexportrichtlinie
ignorieren, kann ich es Ihnen leider nicht ersparen, aus ihr
zu zitieren: „Der Export von Kriegswaffen“ außerhalb von
NATO und EU „wird nicht genehmigt, es sei denn, dass
im Einzelfall besondere außen- und sicherheitspolitische
Interessen der Bundesrepublik Deutschland … für eine
ausnahmsweise Genehmigung sprechen.“ – Zitatende.


(Klaus-Peter Willsch [CDU/CSU]: Freiheit des Welthandels!)


Warum es im sicherheitspolitischen Interesse Deutsch-
lands liegen soll, eine Spannungsregion aufzurüsten,
können und wollen Sie bis heute nicht erklären.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Ingo Gädechens [CDU/CSU]: Und die meisten Rüstungsexporte hat Joschka Fischer unterschrieben!)


Zu den Kriegswaffen gehören eben auch Kriegs-
schiffe, wie die Lürssen Werft sie baut. Es gibt eindeu-
tige Kriterien, nach denen man ein militärisches von ei-
nem zivilen Schiff unterscheiden kann. Nicht nur die
Bewaffnungsmöglichkeiten, sondern die ganzen Bau-
teile entsprechen militärischen Standards. Da können Sie
noch so oft von Patrouillenbooten sprechen, weil sich
das netter anhört, es sind und bleiben Kriegsschiffe.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN – Klaus-Peter Willsch [CDU/CSU]: Die sollen sich ja auch wehren können gegen Piraten!)


In der Rüstungsexportrichtlinie steht eben nicht: Alles,
was schwimmt, geht. Nein, da steht: Der Export von





Katja Keul


(A) (C)



(D)

Kriegswaffen an Drittstaaten ist nicht zu genehmigen.
Und das steht aus gutem Grund in der Richtlinie.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN – Ingo Gädechens [CDU/CSU]: Was schwimmt, schwimmt und geht nicht!)


Die Lürssen Werft baut übrigens auch wunderschöne
Luxusjachten. Wenn die Saudis darin investierten,


(Ingo Gädechens [CDU/CSU]: Machen sie!)


könnten mindestens genauso viele Arbeitsplätze gesi-
chert werden, und weder die Grünen noch Herr Lürssen
hätten irgendetwas dagegen.

Zur Hermesbürgschaft. Bürgschaften werden in der
Regel erteilt, wenn Zahlungsausfälle zu befürchten sind.
Jetzt frage ich Sie: Wer in aller Welt rechnet damit, dass
Saudi-Arabien kurzfristig seine Rechnungen nicht be-
zahlen kann? Das ist doch wohl nicht Ihr Ernst, oder?
Und wenn Sie politische Risiken, eine Revolution oder
Ähnliches, befürchten, dann dürfen Sie den Waffen-
export doch erst recht nicht genehmigen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Wir Grüne finden, Rüstungsexporte sollten grundsätz-
lich nicht von der öffentlichen Hand abgesichert werden.
Die SPD flüchtet sich jetzt in die Aussage, der Wirt-
schaftsminister sei leider an den Vorbescheid der Vor-
gängerregierung gebunden und müsse deshalb die Ex-
portgenehmigung erteilen. Das finde ich schon deshalb
interessant, weil Sie bislang die Beantwortung unserer
Fragen zu Vorbescheiden immer damit ablehnen, dass
diese ja noch gar keine abschließende Entscheidung
seien und der Entscheidungsprozess nicht gefährdet wer-
den dürfe. Offensichtlich ist es ja wohl so, dass der Vor-
bescheid doch eine erhebliche Bindungswirkung und
damit auch eine Außenwirkung entfaltet. Merkwürdiger-
weise war die SPD ja bis September 2013 auch der Auf-
fassung, der Bundestag habe ein Anrecht auf diese
Antworten. Im April werden wir hören, was das Bundes-
verfassungsgericht dazu sagt. Darauf bin ich sehr ge-
spannt.

Dann hat die Koalition freundlicherweise den Rüs-
tungsexportbericht 2012 an den Antrag der Linken ange-
hängt und zu einem Tagesordnungspunkt verbunden. So
kann man das natürlich schnell mit erledigen. Wir for-
dern schon seit langem, dass die Rüstungsexportberichte
von der Koalition als eigener Debattenpunkt aufgesetzt
werden, wie wir das zum Beispiel vom Abrüstungsbe-
richt kennen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Viel Transparenz ist im Vergleich zu den früheren Forde-
rungen der SPD nicht übrig geblieben.


(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Na, na, na, na!)


Man kann die Union schon verstehen. Es ist wirklich
nicht schön, zu erklären, warum die Exporte an Dritt-
staaten immer mehr zur Regel werden, statt die Aus-
nahme zu bleiben. Auch 2012 sind von den Rüstungsex-
porten mit einem Wert von 4,7 Milliarden Euro mehr als
die Hälfte, nämlich Rüstungsexporte im Wert von
2,6 Milliarden Euro, an Drittstaaten gegangen und davon
wiederum die Hälfte an Saudi-Arabien.


(Inge Höger [DIE LINKE]: Hört! Hört!)


Alarmierend war 2012 außerdem der Anstieg bei den
Kleinwaffenexporten: Maschinengewehre, Maschinen-
pistolen und Munition im Wert von 76 Millionen Euro,
das ist ein Allzeitrekord. Davon gingen Kleinwaffen im
Wert von 37 Millionen Euro an Drittstaaten.

Während sich das Auswärtige Amt bemüht, in Post-
konfliktregionen Waffen einzusammeln, werden sie an
anderer Stelle munter und lustig weiter verteilt. Etwas
Sinnloseres kann man sich kaum noch vorstellen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Hören Sie endlich auf, Exporte von Kriegswaffen in
Krisenregionen zu genehmigen. So groß ist der Nutzen
für die deutsche Wirtschaft an der Stelle wirklich nicht.
Der Schaden auf der anderen Seite ist einfach zu hoch
und für uns alle zu teuer.

Vielen Dank.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1802015300

Als nächster Redner hat der Kollege Bernd Westphal

das Wort.


(Beifall bei der SPD)



Bernd Westphal (SPD):
Rede ID: ID1802015400

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Sehr verehrte Damen und Herren auf den Be-
suchertribünen! Die Themenreihenfolge hier im Bundes-
tag ist ja manchmal etwas skurril.


(Michaela Noll [CDU/CSU]: Stimmt!)


Beim letzten Mal haben wir diese Rüstungsdebatte nach
der Debatte über das Schulobstgesetz geführt, dieses
Mal führen wir sie nach der Debatte zum Thema Honig.


(Bartholomäus Kalb [CDU/CSU]: Das sind alles fruchtbringende Debatten!)


Wie schön wäre es, wenn man auf der Welt Frieden
ohne Waffen schaffen könnte. Wenn man sich die Zeit
nimmt und etwas genauer nachdenkt, zeigt sich, dass die
Realität oftmals anders aussieht. Die Welt, gerade auch
in der Golfregion, ist nicht so friedlich, wie wir sie uns
wünschen. Recht und Gesetz lassen sich in der Realität
nach dem Ausschöpfen aller diplomatischen Möglich-
keiten leider oft nur mit Waffengewalt oder zumindest
mit der Androhung von Waffengewalt durchsetzen. Hier
irrt die Kollegin Höger mit ihrer Einschätzung gewaltig.

Es gibt weltweit einen Bedarf an Waffen. Deshalb
werden Waffen produziert und auch exportiert. Auch
Deutschland benötigt Waffen zur Landesverteidigung

(B)






Bernd Westphal


(A) (C)



(D)(B)

und zur Wahrnehmung seiner internationalen Verantwor-
tung. Wenn Deutschland nicht selbst aktiv in Krisen-
regionen eingreift, sollen zuverlässige Partner mit
Rüstungsexporten in die Lage versetzt werden, selbst
für politische Stabilität zu sorgen; denn der Besitz von
Rüstungsgütern führt eben auch aus Gründen der Ab-
schreckung zur Befriedung in den Regionen.


(Inge Höger [DIE LINKE]: Funktioniert meist nicht!)


Export von Sicherheits- und Rüstungsgütern bedeutet
nicht gleich Krieg. Dieser Export geschieht in Deutsch-
land nach klaren Regeln und hohen Maßstäben.


(Niema Movassat [DIE LINKE]: Na ja! Das träumen Sie vielleicht! Das ist aber nicht die Realität!)


Die Bundesrepublik Deutschland betreibt seit ihrer
Gründung eine verantwortungsvolle Rüstungsexport-
politik. Der Export von Rüstungsgütern in Drittländer
wird in Deutschland allein durch die Vorgaben im
Grundgesetz sehr restriktiv gehandhabt. Die Grundlage
für die Entscheidungen der Regierung über den Export
von Rüstungsgütern bilden die Politischen Grundsätze
der Bundesregierung für den Export von Kriegswaffen
und sonstigen Rüstungsgütern. Diese wurden 2000 von
der damaligen rot-grünen Regierung verschärft und be-
sitzen weiterhin ihre Gültigkeit. Sie stellen die Leitlinien
für die Genehmigung von Rüstungsexporten durch die
Bundesregierung dar.

Die Beachtung von Menschenrechten ist dabei von
herausragender Bedeutung.


(Zuruf des Abg. Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE])


Genehmigungen für Exporte werden laut Exportleitli-
nien nicht erteilt – ich zitiere –,

wenn hinreichender Verdacht besteht, dass diese
zur internen Repression im Sinne des EU-Verhal-
tenskodex für Waffenausfuhren oder zu sonstigen
fortdauernden und systematischen Menschenrechts-
verletzungen missbraucht werden.


(Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Was ist nun mit Saudi-Arabien?)


Außerdem wird durch die Leitlinien sichergestellt,
dass in eine solche Prüfung der Menschenrechtsfrage
Feststellungen der EU, des Europarates, der Vereinten
Nationen, der OSZE und anderer internationaler Gre-
mien einbezogen werden. Auch Berichte internationaler
Menschenrechtsorganisationen werden ausdrücklich be-
rücksichtigt.


(Agnieszka Brugger [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Warum hält sich die Bundesregierung nicht an den eigenen Menschenrechtsbericht in Bezug auf Saudi-Arabien?)


Damit ist ausgeschlossen, dass Waffen an Länder gelie-
fert werden, in denen zum Beispiel Bürgerkrieg herrscht.
Unrechtsregime erhalten deshalb keine Waffen, die ge-
gen die eigene Bevölkerung eingesetzt werden könnten.
Gerade für Staaten außerhalb der NATO und der EU sind
die Regeln besonders streng.


(Zuruf von der LINKEN: Ja, ja!)


Diese deutsche Position hat Wirtschaftsminister
Sigmar Gabriel vor einiger Zeit noch einmal bekräftigt
und eine Einzelfallprüfung für jedes Waffengeschäft an-
gekündigt. Dadurch ist sichergestellt, dass das deutsche
Exportkontrollsystem auch weiterhin als eines der
strengsten weltweit gilt.


Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1802015500

Herr Westphal, lassen Sie eine Zwischenfrage des

Kollegen Gehrcke zu?


Bernd Westphal (SPD):
Rede ID: ID1802015600

Bitte.


Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1802015700

Schönen Dank, Frau Präsidentin. Schönen Dank, lie-

ber Kollege. – Könnten Sie mir vielleicht erklären, ob
ich mit Blick auf Saudi-Arabien künftig nicht mehr von
einem Unrechtsregime zu sprechen habe – dort herrscht
die Scharia, dort gibt es körperliche Züchtigung, Entfer-
nung von Gliedmaßen als Strafe, in den gesellschaftli-
chen Versammlungen sind keine Frauen –, sondern von
einem Rechtssystem sprechen muss, da nach Saudi-Ara-
bien deutsche Waffen geliefert werden? Erklären Sie mir
Ihre Definition von „Unrechtssystem“ und „Rechtssys-
tem“!


(Beifall bei der LINKEN)



Bernd Westphal (SPD):
Rede ID: ID1802015800

Ich habe in meinen Ausführungen darauf hingewie-

sen, welche Kontrollmaßnahmen angewendet werden.
Ich gehe davon aus, dass genau die Aspekte, die Sie ge-
nannt haben, dort berücksichtigt werden.


(Lachen bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Dr. Frithjof Schmidt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das war jetzt der Hammer! – Niema Movassat [DIE LINKE]: Peinlich!)


Deutsche Rüstungsexporte in die Golfregion sind im-
mer wieder Gegenstand kontroverser Diskussionen. Das
sieht man hier im Parlament. Vor allem Saudi-Arabien
hat sich in den letzten Jahren zu einem großen Absatz-
markt für deutsche Rüstungsexporte entwickelt.


(Inge Höger [DIE LINKE]: Immer schön weggucken!)


So waren laut Rüstungsexportbericht 2012 mehr als ein
Viertel aller genehmigten Lieferungen für Saudi-Arabien
bestimmt. Die Aufträge hatten einen Wert von insgesamt
1,2 Milliarden Euro. Dazu gehört allerdings auch die Si-
cherung und Befestigung der 9 000 Kilometer langen
Grenzanlagen. Das, denke ich einmal, sind keine Kriegs-
waffen, wie Sie sie hier beschreiben.


(Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Militärische Rüstungsgüter!)






Bernd Westphal


(A) (C)



(D)(B)

Laut der deutschen Rüstungsexportleitlinien werden
Ausfuhren von Kriegswaffen nur gestattet, wenn im Ein-
zelfall besondere außen- oder sicherheitspolitische Inte-
ressen Deutschlands dafür sprechen. Zu berücksichtigen
sind zum Beispiel die legitimen Sicherheitsinteressen ei-
nes Empfängerlandes.


(Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein, der „Bundesrepublik Deutschland“ steht da!)


Genau dies ist hier der Fall. Wir haben vor einiger Zeit
einen Antrag diskutiert. Da ging es um Boote, die zum
Schutz von Hoheitsgewässern, internationalen Seewe-
gen, Häfen oder Offshoreanlagen geeignet sind.

Diese Beispiele zeigen anschaulich, dass bei der poli-
tischen Bewertung im Bundessicherheitsrat sorgfältig
abgewogen werden muss, zumindest wann was und zu
welchem Zweck geliefert wird. Nicht jedes Rüstungsgut
trägt automatisch zur Eskalation einer Situation bei oder
ist eine potenzielle Bedrohung für die heimische Bevöl-
kerung.

Bei den Staaten in der Golfregion handelt es sich um
souveräne Staaten mit eigenen außen- und sicherheits-
politischen Interessen. Diese Staaten nehmen legitime
staatliche Aufgaben wahr und haben das legitime Recht,
sich zu schützen.


(Inge Höger [DIE LINKE]: Mit deutschen Waffen!)


Das legt das Beispiel der Patrouillenboote nahe.

Rüstungsexporte sind deshalb ein legitimes Instru-
ment der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik.


(Bartholomäus Kalb [CDU/CSU]: Jawohl!)


Deutschland hat als Industrie- und Exportnation hier be-
rechtigte Interessen. In der Verteidigungs- und Sicherheits-
industrie – darauf hat bereits der Vorredner hingewiesen –
gibt es mehr als 80 000 Arbeitsplätze für qualifizierte Ar-
beitskräfte. Aber das ist nicht allein die Legitimation für
Rüstungsexporte.


(Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Immerhin!)


Ich bin mir sicher, dass sich durch die deutschen Rüs-
tungsexportleitlinien eine verantwortungsvolle Politik
weiterhin fortsetzen lässt. Da bin ich mir bei unserem
Wirtschafts- und Energieminister Sigmar Gabriel sogar
sehr sicher.


Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1802015900

Herr Kollege, Sie müssen zum Schluss kommen.


Bernd Westphal (SPD):
Rede ID: ID1802016000

Vielen Dank für den Hinweis. – Wir müssen aller-

dings die Transparenz bei einigen hochsensiblen Ent-
scheidungen zu Rüstungsexporten erhöhen; hierbei
stimme ich der Kollegin Keul zu. Die Koalition ist unter-
wegs, etwas zu vereinbaren, dass wir diesem berechtig-
ten öffentlichen Interesse nachkommen.
Ich freue mich auf die Debatte im Ausschuss und
danke für die Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1802016100

Als nächster Redner spricht jetzt Klaus-Peter Willsch.


(Beifall bei der CDU/CSU – Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Na, Herr Willsch, der Vorredner ist kaum zu toppen! – Gegenruf des Abg. Dr. Joachim Pfeiffer [CDU/CSU]: Schauen wir mal!)



Klaus-Peter Willsch (CDU):
Rede ID: ID1802016200

Danke schön. – Frau Präsidentin! Liebe Kollegen!

Auf die bemerkenswerten Parallelitäten bei der Aufset-
zung der Tagesordnung ist mein Kollege Westphal ja
schon eingegangen. Das liegt natürlich daran, dass es in
diesem Haus eine breite Übereinstimmung gibt, wenn es
darum geht, dass wir den Export von Waffen und Rüs-
tungsgütern restriktiv handhaben, dass wir aber nicht da-
ran denken, ihn zu verbieten. Vielmehr wollen wir, dass
unsere Firmen die guten Produkte, die sie in diesem Be-
reich haben, in der Welt verkaufen können.


(Inge Höger [DIE LINKE]: Schau mal an! Das war mal anders!)


Wir debattieren den 14. Rüstungsexportbericht der
Bundesregierung; er bezieht sich auf das Jahr 2012. Nun
werden Sie sagen, dass er spät veröffentlich wurde, näm-
lich gegen Ende des letzten Jahres.


(Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Richtig! Das habe ich vergessen zu sagen!)


Dass wir erst heute über ihn diskutieren, liegt an der
Dauer der Regierungsbildung und des Wiederanfahrens
des parlamentarischen Normalbetriebs.


(Dr. Tobias Lindner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: „Wiederanfahren“?)


Aber unabhängig hiervon sind wir schon in den Ko-
alitionsverhandlungen darin übereingekommen – Herr
Kollege Westphal hat das angedeutet –, dass diese Be-
richte zukünftig zügiger vorgelegt werden sollen, und
zwar vor der Sommerpause des auf das Berichtsjahr
folgenden Jahres. Außerdem soll es auch Zwischenbe-
richte geben. Ich glaube, damit haben wir viel guten
Willen gezeigt, dass wir es mit der Information des Par-
laments ernst meinen. Gleichzeitig werden der Schutz
derer, die nach Genehmigungen fragen, und der Kon-
kurrenzschutz weiterhin gewährleistet.

Dass die Rüstungsexportpolitik der Bundesrepublik
zurückhaltend ist, ist mehrfach betont worden; das will
auch ich unterstreichen. Die politischen Grundsätze,
Frau Keul, auf deren Grundlage wir cum grano salis
nach wie vor arbeiten, wurden übrigens in der Zeit Ihrer
Regierungsbeteiligung, nämlich am 19. Januar 2000, zu-
letzt verabschiedet und bestätigt.


(Agnieszka Brugger [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die sind nicht das Problem! Die Realität ist das Problem! – Ingo Gädechens Klaus-Peter Willsch [CDU/CSU]: Da haben wir es! Was habt ihr da verzapft? – Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann können wir die ja gesetzlich verankern, oder?)





(A) (C)


(D)(B)


Ich will für die Öffentlichkeit transparent machen,
dass es bei Exportgenehmigungen nicht so ist, als würde
sich jemand zum Ablesen des Zählerstandes der Heizung
anmelden. Es ist ein kompliziertes Verfahren notwendig,
bis man in den Genuss einer Exportgenehmigung
kommt. Jede Rüstungsexportgenehmigung ist eine Ein-
zelfallentscheidung. Nach dem Außenwirtschaftsgesetz
und der Außenwirtschaftsverordnung ist die Ausfuhr al-
ler Rüstungsgüter genehmigungspflichtig. Einige Rüs-
tungsgüter sind zugleich Kriegswaffen im Sinne von
Art. 26 Abs. 2 des Grundgesetzes und des Kriegswaffen-
kontrollgesetzes. Welche Rüstungsgüter dies sind, ist in
einer Ausfuhrliste aufgeführt, die der Außenwirtschafts-
verordnung beigefügt ist. Dort sind 22 Positionen aufge-
führt. Es handelt sich hierbei um Handfeuerwaffen,
Bomben, Torpedos, Granaten, Flugkörperabwehrsys-
teme, biologische und chemische Waffen, Panzer usw.,
usw.


(Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und Kriegsschiffe!)


Diese Liste umfasst 28 DIN-A4-Seiten.

Hinzu kommt, dass in der Kriegswaffenliste, die dem
Kriegswaffenkontrollgesetz beigefügt ist, 62 Positionen
von Kriegswaffen enthalten sind. Die Gliederung ist et-
was anders, aber inhaltlich ist das weitgehend deckungs-
gleich.


(Agnieszka Brugger [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die wollen Sie jetzt aber nicht vorlesen, oder?)


Sie sehen also, dass das nicht so einfach ist, nach dem
Motto: Wir können da einen großen Deal machen. Jetzt
wollen wir mal! – Vielmehr haben wir ein dichtes Regel-
werk, das die Entschlossenheit Deutschlands, Genehmi-
gungen in diesem Bereich keinesfalls leichtfertig zu er-
teilen, unterstreicht. Wir sind uns der Verantwortung, die
wir haben, sehr bewusst.

Die Prüfung und Genehmigung der Ausfuhr von
Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgütern obliegt dem
Bundessicherheitsrat. Den Vorsitz hat die Bundeskanzle-
rin. Zusätzlich sind vertreten: Verteidigungsminister,
Auswärtiges Amt, Innenminister, die Minister der Berei-
che Justiz, Finanzen, Wirtschaft und Technologie, wirt-
schaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung sowie der
Chef BK.


(Agnieszka Brugger [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das wissen wir alles!)


Auch Informationen geheimdienstlicher Art sind dort
zugänglich. Diese Entscheidungen können also jeweils
unter Beteiligung eines großen Straußes des exekutiven
Wissensstandes getroffen werden. Außerdem kann das
Ganze so in die wirtschaftspolitischen, außenpolitischen
und sicherheitspolitischen Interessen, die wir als Bun-
desrepublik Deutschland haben, eingefügt werden.
Es handelt sich bei der Erteilung einer Ausfuhrgeneh-
migung nicht nur um einen formellen Akt. Die Opposi-
tion versucht zwar immer, es so darzustellen, als sei das
alles ein Kinderspiel. Es besteht aber kein Anspruch auf
Erteilung einer Ausfuhrgenehmigung. Vielmehr sind die
vielen Gesetze und Vereinbarungen, die ich bereits kurz
angerissen habe, zu beachten.

Wir als Bundesrepublik Deutschland sind darüber hi-
naus im Rahmen der OSZE und der EU, etwa beim Verhal-
tenskodex der Europäischen Union für Waffenausfuhren,
weitere weitreichende Selbstbindungen eingegangen,
weil wir nicht wollen, dass mit diesem Thema fahrlässig
umgegangen wird.


(Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Deswegen machen Sie es vorsätzlich!)


Aber wir wollen eben auch nicht fahrlässig industrielle
und sicherheitspolitische Interessen Deutschlands ge-
fährden. Deshalb wird es weiterhin eine Ausfuhr von
Rüstungsgütern bzw. von Waffen geben.

Ich will – ich bitte Sie, einmal einen Moment darüber
nachzudenken, auch wenn das jetzt nicht direkt mit dem
Bericht zusammenhängt – auf die Boote für Saudi-Ara-
bien zurückkommen, über die wir kürzlich gesprochen
haben. Schauen Sie sich die Region doch an! Das Inte-
resse, auch dort auf Gewässern Grenzsicherung zu be-
treiben, ist völlig legitim.


(Inge Höger [DIE LINKE]: Sind das nicht Kriegswaffen?)


– Ja, natürlich; Sie brauchen ja wirksame Mittel, wenn
Sie die Grenze sichern wollen.


(Inge Höger [DIE LINKE]: Ach so!)


Wenn Saudi-Arabien die Grenzsicherung selbst über-
nimmt, ist mir das, ehrlich gesagt, sehr viel sympathi-
scher, als wenn wir unsere Soldaten dorthin schicken
müssten, wie es beim Libanon, wo es keinen wirksamen
Küstenschutz gibt, im Rahmen der UNIFIL-Mission der
Fall ist.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Dr. Ute Finckh-Krämer [SPD])


Ich finde schon, dass legitime Staaten


(Kathrin Vogler [DIE LINKE]: „Legitim“, das ist ein kniffliges Wort!)


wie jedes andere Völkerrechtssubjekt ihre staatliche
Existenz sichern dürfen. Wenn sie bei uns nachfragen,
ob sie bei uns Technologie erwerben können, die sie
dazu in die Lage versetzt, und ob sie sie dafür einsetzen
dürfen, dann halte ich das für ein völlig legitimes Inte-
resse. Diese Anfrage ist darüber hinaus ein Ausweis der
Leistungsfähigkeit der deutschen Industrie in diesem Be-
reich. Ich freue mich, dass auch deutsche Produkte aus
diesem Bereich nach wie vor nachgefragt sind – wie
Pkw oder Produkte aus dem Maschinenbau oder aus an-
deren Bereichen.


(Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Kinderspielzeug!)






Klaus-Peter Willsch


(A) (C)



(D)(B)

Das ist ein Ausweis unserer Ingenieurskapazitäten, unse-
rer Leistungsfähigkeit im Bereich der Hochtechnologie.


(Zurufe der Abg. Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE])


Die Rahmenbedingungen haben sich in den vergange-
nen Jahren nicht geändert, in Bezug auf die Rüstungsex-
portpolitik ist auf unserer Seite eine große Stabilität fest-
zustellen. Frau Keul, Sie wissen genau, dass das in
diesem Jahr berichtete Wachstum des Exportvolumens
im Bereich Drittländer – das sind Staaten, die weder zur
EU noch zur NATO gehören noch wie Neuseeland und
Australien befreundete Staaten sind – im Wesentlichen
auf die vom Kollegen Westphal schon angesprochenen
Grenzsicherungsanlagen zurückzuführen ist, die allein
einen Wert von – wenn ich mich richtig erinnere – 1,3
Milliarden Euro haben. Was ist denn, bitte schön, dage-
gen zu sagen, dass auch dort versucht wird, Grenzen si-
cherer zu machen und mögliche Wanderbewegungen im
terroristischen Bereich überhaupt erfassen, beobachten
zu können und Ähnliches?


(Zuruf von der LINKEN: Mit dem Zielfernrohr?)


Wir halten dieses Vorgehen für richtig.

Wir denken, dass die Bundesregierung mit dem ge-
setzlichen Rahmenwerk für Rüstungsexporte, das wir
alle gemeinsam errichtet haben, verantwortlich umgeht.
Wir beglückwünschen die deutsche Industrie, die trotz
dieser restriktiven Bedingungen noch Geschäfte machen
kann, ausdrücklich dazu. Wir hoffen, dass sich das fort-
setzt. Wir sind zuversichtlich, dass die Regierung in die-
sem Bereich weiterhin eine rationale, an deutschen Si-
cherheitsinteressen orientierte Politik verfolgen wird.


(Christine Buchholz [DIE LINKE]: Ich dachte, an deutschen Wirtschaftsinteressen!)


Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Zurufe des Abg. Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE])



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1802016300

Als nächste Rednerin hat die Kollegin Ute Finckh-

Krämer das Wort.


(Beifall bei der SPD)



Dr. Ute Finckh-Krämer (SPD):
Rede ID: ID1802016400

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer auf den Tri-
bünen! Ich freue mich sehr, meine erste Rede im Deut-
schen Bundestag zu dem wichtigen Thema Rüstungsex-
portbericht halten zu dürfen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)


Rüstungsexporte werden zu Recht öffentlich kontro-
vers diskutiert. Der Dank dafür gilt den engagierten Bür-
gerinnen und Bürgern, insbesondere denen, die sich in
Bündnissen wie der Aktion Aufschrei zusammenge-
schlossen haben, um ihren Finger immer wieder in diese
Wunde zu legen.

Die deutschen Rüstungsexportrichtlinien bilden die
politische Vorgabe für eine restriktive Rüstungsexport-
politik. Die rechtlichen Rahmenbedingungen sind durch
das Außenwirtschaftsgesetz und das Kriegswaffenkon-
trollgesetz gegeben. Darüber hinaus gibt es Regularien
der Europäischen Union, die jedoch weniger streng sind
als die nationalen Richtlinien.

Der Rüstungsexportbericht, der jährlich über zurück-
liegende Rüstungsexporte bzw. positiv beschiedene Vor-
anfragen berichtet, ist unter anderem von kirchlichen
Gruppen gefordert und dann von der rot-grünen Koali-
tion eingeführt worden. Dass es ihn gibt, ist ein Fort-
schritt; allerdings erfüllt er bisher nicht all das, was wir
uns im Hinblick auf Transparenz gewünscht und erhofft
haben.

Der Bericht wurde dem Deutschen Bundestag bisher
viel zu spät vorgelegt, teilweise erst anderthalb Jahre
nach dem Berichtsjahr. Es macht jedoch politisch wenig
Sinn, über Rüstungsexporte zu reden, die weit in der
Vergangenheit liegen, während aufgrund von Pressever-
öffentlichungen in der breiten Öffentlichkeit über aktuell
anstehende Entscheidungen oder Lieferungen diskutiert
wird. Deswegen wurde im aktuellen Koalitionsvertrag
beschlossen, dass der Rüstungsexportbericht noch vor
der Sommerpause des Folgejahres erscheinen soll, damit
sich der Deutsche Bundestag damit zeitnäher beschäfti-
gen kann. Darüber hinaus soll ein zusätzlicher Zwi-
schenbericht vorgelegt werden. Das sind aus unserer
Sicht Schritte in die richtige Richtung.


(Beifall bei der SPD – Agnieszka Brugger [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist ganz schön wenig!)


Die Koalition verhandelt außerdem darüber, wie die
im Koalitionsvertrag vereinbarte größere Transparenz
umgesetzt werden soll, und wird dem Bundestag dann
einen entsprechenden Vorschlag vorlegen.

Deutschland wird in verschiedenen Statistiken und
Bewertungen, zum Beispiel von SIPRI oder vom Con-
gressional Research Service des US-Kongresses, als ei-
ner der führenden globalen Rüstungsexporteure geführt.
Allerdings ist der Umfang der Rüstungsexporte, bezogen
auf den Wert der gesamten deutschen Exporte, gering. Er
liegt bei ungefähr 1 Prozent. Das muss man bedenken,
wenn von der volkswirtschaftlichen Relevanz der Rüs-
tungsexporte gesprochen wird.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Die Bundesregierung hat sich in den letzten Jahren für
den Internationalen Waffenhandelsvertrag – Arms Trade
Treaty, ATT – eingesetzt. Der Vertrag wurde am 2. April
letzten Jahres, also nach dem Berichtszeitraum des vorlie-
genden Berichtes, von der Generalversammlung der Ver-
einten Nationen mit der überwältigenden Mehrheit der
Stimmen der Mitgliedstaaten angenommen. Er bietet erst-
malig einen rechtlichen Rahmen für den internationalen
Handel mit konventionellen Waffen und wurde noch in





Dr. Ute Finckh-Krämer


(A) (C)



(D)(B)

der letzten Legislaturperiode vom Bundestag verab-
schiedet.

Das Auswärtige Amt unterstützt Staaten, die dem
Vertrag beitreten wollen, beim Aufbau der notwendigen
Behörden und der Schaffung der gesetzlichen Grundla-
gen, damit sie den Vertrag umsetzen können. Darüber
wird hoffentlich im nächsten Rüstungsexportbericht der
Bundesregierung berichtet.

Einen besonderen Akzent in der Diskussion über die
deutschen Rüstungsexporte setzt der jährlich erschei-
nende Bericht der Gemeinsamen Konferenz Kirche und
Entwicklung, GKKE, der eine gute Ergänzung und Be-
wertung des Rüstungsexportberichtes darstellt. Er er-
schien im Dezember 2013 in seiner 17. Ausgabe. Er
wird von einer Expertengruppe erstellt, die sich aus
Fachleuten aus der Friedensforschung und kirchlichen
Organisationen zusammensetzt. Den Autorinnen und
Autoren möchte ich an dieser Stelle herzlich danken.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Der Bericht der GKKE bewertet die deutschen Rüs-
tungsexporte nach ethischen Maßstäben und bringt da-
mit eine wichtige Dimension in die deutsche Debatte
ein. Darüber hinaus entwickelt er auch Vorschläge für
den zukünftigen Umgang mit Exporten, die wir in die
politische Debatte einfließen lassen sollten. Einen der
Vorschläge aus dem aktuellen Bericht der GKKE möchte
ich besonders hervorheben: Die Experten schlagen vor,
dass eine Bedingung für die Genehmigung von Rüs-
tungsexporten die Unterzeichnung des ATT durch das je-
weilige Empfängerland sein soll. Damit würde Deutsch-
land seine Unterstützung für den ATT fortsetzen.

Unser Ziel ist es, die Rüstungsexporte mithilfe der
restriktiven Rüstungsexportrichtlinien zu reduzieren.
Wir haben aber gerade erst mit der Arbeit begonnen. Da-
her ist es jetzt noch zu früh, die Rüstungsexportpolitik
der Großen Koalition zu beurteilen oder schon von vorn-
herein zu verurteilen.

Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1802016500

Herzlichen Glückwunsch zur ersten Rede, liebe Frau

Kollegin!


(Beifall)


Damit schließe ich die Debatte.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, es gibt interfraktio-
nell Übereinstimmung, dass die Vorlage auf Drucksa-
che 18/768 an die Ausschüsse überwiesen wird. Hinge-
gen gibt es keine Übereinstimmung darüber, welcher
Ausschuss federführend sein soll. Deshalb müssen wir
zunächst darüber abstimmen. Die Fraktionen der CDU/
CSU und SPD wünschen Federführung beim Ausschuss
für Wirtschaft und Energie. Die Fraktion Die Linke
wünscht Federführung beim Auswärtigen Ausschuss.

Ich lasse zuerst über den Überweisungsvorschlag der
Fraktion Die Linke abstimmen, also Federführung beim
Auswärtigen Ausschuss. Wer stimmt diesem Überwei-
sungsvorschlag zu? – Die Linke und die Grünen. Wer
stimmt dagegen? – Die SPD-Fraktion und die CDU/
CSU-Fraktion. Enthaltungen? – Keine. Damit ist der
Überweisungsvorschlag mit den Stimmen der Koalition
abgelehnt worden.

Ich lasse nun über den Überweisungsvorschlag der
Fraktionen der CDU/CSU und der SPD abstimmen, also
Federführung beim Ausschuss für Wirtschaft und Ener-
gie. Wer stimmt diesem Überweisungsvorschlag zu? –
CDU/CSU und SPD. Wer stimmt dagegen? – Die Linke
und die Grünen. Wer enthält sich? – Niemand. Damit ist
dieser Überweisungsvorschlag angenommen worden
und der Entwurf somit an den Ausschuss für Wirtschaft
und Energie federführend überwiesen.

Tagesordnungspunkt 10 b. Interfraktionell wird Über-
weisung der Vorlage auf Drucksache 18/105 an die in
der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschla-
gen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall.
Damit ist die Überweisung so beschlossen.

Zusatzpunkt 3. Wir kommen jetzt zur Beschlussemp-
fehlung des Ausschusses für Wirtschaft und Energie zu
dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mit
dem Titel „Keine Rüstungsexporte nach Saudi-Arabien“.

Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfeh-
lung auf Drucksache 18/793, den Antrag der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/576 abzuleh-
nen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Die
Koalitionsfraktionen. Wer stimmt dagegen? – Bündnis 90/
Die Grünen und Die Linke. Wer enthält sich? – Niemand.
Damit ist die Beschlussempfehlung des Ausschusses ange-
nommen worden.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind damit am
Schluss unserer heutigen Tagesordnung.

Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun-
destages auf morgen, Freitag, den 14. März 2014, 9 Uhr,
ein.

Die Sitzung ist geschlossen. Ich wünsche Ihnen noch
einen schönen Abend.